Reformierte Bekenntnisschriften: Bd. 5. Ausgewählte Texte in deutscher Übersetzung. Teilband 1: 1523–1561/Teilband 2: 1563–2019 [1 ed.] 9783666554674, 9783525554678


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Reformierte Bekenntnisschriften: Bd. 5. Ausgewählte Texte in deutscher Übersetzung. Teilband 1: 1523–1561/Teilband 2: 1563–2019 [1 ed.]
 9783666554674, 9783525554678

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Band 5 Ausgewählte Texte in deutscher Übersetzung Teilband 1: 1523–1561 Teilband 2: 1563–2019

Vandenhoeck & Ruprecht

Reformierte Bekenntnisschriften Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland von Andreas Mühling und Peter Opitz

In Verbindung mit Judith Becker, Vicco v. Bülow, Eberhard Busch, Emidio Campi, Heiner Faulenbach, Matthias Freudenberg, Ian Hazlett, J. Marius J. Lange van Ravenswaay, Charlotte Methuen, Dietrich Meyer, Georg Plasger und Ernst Saxer

Reformierte Bekenntnisschriften Band 5: Ausgewählte Texte in deutscher Übersetzung Teilband 1: 1523–1561

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland von Matthias Freudenberg / Andreas Mühling / Peter Opitz

Bearbeitet von William Black, Emidio Campi, Judith Engeler, Margit Ernst-Habib, Rieke Eulenstein, Matthias Freudenberg, Christian Goßweiler, Ian Hazlett, Dorothea Heinig, Marco Hofheinz, Torrance Kirby, J. Marius J. Lange van Ravenswaay, Andreas Mühling, Pascal Murer, Peter Opitz, Georg Plasger, Alfred Rauhaus, Markus Schaefer und Klaas-Dieter Voß

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Müller . Druck und Verarbeitung, Grevenbroich Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-55467-4

Inhalt Teilband 1: 1523–1561 Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Zwinglis Thesen (1523) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Berner Thesen (1528) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Bekenntnis der ostfriesischen Prediger (1528) . . . . . . . . . . . . . 34 4. Marburger Artikel (1529) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 5. Zwinglis Rechenschaft über den Glauben (Fidei ratio) (1530) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 6. Vierstädtebekenntnis (Confessio Tetrapolitana) (1530) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 7. Lehrartikel des Berner Synodus (1532) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 8. Waldenserbekenntnis (Erklärung von Chanforan) (1532) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 9. Das Basler Bekenntnis (1534) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 10. Erstes Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica prior) (1536) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 11. Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis (1537/1538) . . . 173 12. Genfer Kirchenordnung (Ordonnances ecclésiastiques) (1541/1561) . . . . . . . . . . . . . . . . 219 13. Genfer Katechismus (1542/1545) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

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Inhalt

14. Zürcher Konsens (Consensus Tigurinus) (1549) . . . . . . . . . . . 300 15. Der Kleine Emder Katechismus (1554) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 16. Hugenottisches Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana) (1559/1571) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 17. Französische Kirchenordnung (Discipline ecclésiastique) (1559) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 18. Schottisches Bekenntnis (Confessio Scotica) (1560) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 19. Niederländisches Bekenntnis (Confessio Belgica) (1561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

Teilband 2: 1563–2019 20. Heidelberger Katechismus (1563) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 21. 39 Artikel der Kirche von England (1563/1571) . . . . . . . . . . . . 437 22. Zweites Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica posterior) (1566) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 23. Konsens von Sandomierz (Consensus Sendomirensis) (1570) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 24. Die Akten der Emder Synode (1571) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 25. Bentheimer Artikel (1613) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 26. Confessio Sigismundi (1614) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 27. Die Irischen Religionsartikel (The Irish Articles) (1615) . . . . . 566 28. Dordrechter Lehrsätze (Canones) (1619) . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 29. Das Glaubensbekenntnis von Westminster (The Westminster Confession of Faith) (1647) . . . . . . . . . . . . 623

Inhalt

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30. Helvetische Konsensformel (1675)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 31. Glaubensbekenntnis von Cumberland (Cumberland Confession of Faith) (1883) . . . . . . . . . . . . . . . . 676 32. Bekenntnis der Freien reformierten Synode Barmen (1934)  . . 698 33. Barmer Theologische Erklärung (1934) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 34. Bekenntnis der Vereinigten Presbyterianischen Kirche in den USA (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 35. Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie) (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 36. Bekenntnis von Belhar (1982/1986)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 37. Kurze Glaubenserklärung der Presbyterianischen Kirche (U.S.A.) (1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 38. Erklärung von Accra (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 39. Neue Glaubenserklärung der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs (2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 40. Gemeinsames Verständnis des christlichen Glaubens und Glaubenserklärung der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 Verzeichnis der Bearbeiterinnen und Bearbeiter . . . . . . . . . . . . . . . 801

Zum Geleit „Den reformierten Bekenntnisschriften gemeinsam ist der gesamtreformatorische, bis heute gültige Anspruch, das Evangelium Jesu Christi, wie es allein in der Kirche zu gelten hat, in den maßgeblichen Glaubensartikeln erneuert auszuformulieren“, so hält die Einleitung des im Jahr 2002 erschienenen Bandes 1/1 der „Edition reformierter Bekenntnisschriften“ gleich zu Beginn fest. Reformierte Gemeinden fragen nicht nur nach dem Fundament ihres christlichen Glaubens, sondern suchen gemeinsam nach Antworten auf die Frage, welche Bedeutung Christus für das Leben ihrer Gemeinden und die Kirche insgesamt besitzt. Und wie sich durch die Jahrzehnte hindurch die Rahmenbedingungen kirchlichen Lebens änderten, so formulierten reformierte Gemeinden ihren Glauben bekenntnishaft immer wieder aufs Neue aus. Auf diese Weise entstanden vom 16. Jahrhundert an zunächst in Europa, dann bis in unsere Gegenwart hinein weltweit Bekenntnistexte, in denen reformierte Gemeinden Zeugnis von ihrem Weg mit Jesus Christus ablegten. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat seit Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts das Vorhaben einer Edition reformierter Bekenntnisschriften tatkräftig unterstützt. Bereits 1928 beschloss sein Vorgänger, der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss, zentrale reformierte Bekenntnisschriften neu zu edieren; ein Plan, der nach 1945 schließlich aufgegriffen wurde. Seit dieser Zeit hat ein wechselnder Herausgeberkreis, mit Förderung der EKD, jene Editionsarbeiten an den Bekenntnisschriften erbracht. Es sollte beinahe 100 Jahre dauern, bis dieses Projekt nun seinen Abschluss findet. Die wissenschaftliche Edition wird voraussichtlich bis 2025 mit den beiden letzten Teilbänden 4/2 und 4/3 abgeschlossen sein; ergänzend soll der vorliegende Band 5 zentrale Bekenntnistexte in moderner Sprache einem erweiterten Kreis von Leserinnen und Lesern erschließen. Die theologischen Antworten unserer Mütter und Väter regen nicht nur zum Nachdenken über den zukünftigen Weg unserer Kirche an, sie belegen eindrücklich auch die Bedeutung christlichen Glaubens für heutige Gesellschaften. So wünsche ich diesem Band, dass die Beschäftigung mit den darin enthaltenen Bekenntnistexten zum Nutzen unserer Gemeinden und Kirchen sein wird. Dr. h. c. Annette Kurschus Ratsvorsitzende der EKD

Vorwort

Historisch-kritische Texteditionen haben das Ziel, in Archiven verborgene Quellentexte einer breiteren wissenschaftlichen Erforschung zugänglich zu machen. Im Zentrum steht dabei selbstverständlich der ursprüngliche Text in seiner Originalsprache. Er soll im Rahmen seiner Entstehungsund Wirkungsgeschichte präsentiert werden. Einen leichten Zugang zu den Quelleninhalten stellen historisch-kritische Editionen damit aber nicht unbedingt dar. So hat sich der Herausgeberkreis der Edition der Reformierten Bekenntnisschriften entschlossen, eine Auswahl der edierten Texte in zeitgenössischer deutscher Übersetzung zu erstellen. 500 Jahre nach dem ersten darin abgedruckten Text, Zwinglis Thesen von 1523, liegen nun die beiden Teilbände vor. Dabei sollte es sich um eine für die gesamte reformierte Bekenntnistradition repräsentative Auswahl handeln, die besonders auch die Wirkungsgeschichte und damit die geschichtliche Bedeutung der Bekenntnistexte berücksichtigt. Die für diese Teilbände ausgewählten Bekenntnisse orientieren sich an den in den Bänden 1–4 edierten Quellentexten. Der in der dortigen historisch-­kritischen Edition anzutreffende textkritische Anmerkungs­ apparat ebenso wie die Erläuterungen zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Bekenntnistexte werden in den vorliegenden Teilbänden allerdings nicht übernommen; auch beschränken sich die Literaturhinweise hier auf wenige ausgewählte Titel, die für eine erste Orientierung nützlich schienen. Generell wurde auf Anmerkungen möglichst weitgehend verzichtet. Hinweise auf Bibelstellen finden sich um der besseren Lesbarkeit willen innerhalb von Sätzen nach Sinnabschnitten oder gesammelt am Ende eines Abschnitts. Die deutschen Übersetzungen orientieren sich an der heutigen deutschen Sprache in dem vom Duden vorgegebenen Spielraum. Öfter konnte dabei auf ältere Übersetzungen zurückgegriffen werden, die allerdings häufig einer sanften, gelegentlich auch einer recht tiefgreifenden sprachlichen Überarbeitung bedurften, bis hin zu vollständigen Neuüber­setzungen auf der Basis der in den Bänden 1–4 edierten Quellentexte. Eine möglichst knapp gehaltene Einleitung dient einer ersten historischen und theologischen Einordnung des jeweiligen Bekenntnistextes. Zu großen Teilen sind die Mitglieder des Herausgeberkreises selber für die hier präsentierten Texte verantwortlich. Er wurde aber durch externe Bearbeiterinnen und Bearbeiter ergänzt und in wertvoller Weise unterstützt. Frau Rieke Eulenstein hat den Entstehungsprozess dieser Bände

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Vorwort

redaktionell begleitet. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat die Herausgabe dieser Bände großzügig unterstützt. Ihnen allen gilt unser be­sonderer Dank! Für den Herausgeberkreis Matthias Freudenberg, Andreas Mühling und Peter Opitz

Matthias Freudenberg / Georg Plasger

Einleitung 1. Zum Charakter reformierter Bekenntnisse Reformierte Kirche ist bekennende Kirche.1 Dies gilt in besonderer Weise für die Reformationszeit und die Epoche der reformierten Konfessionalisierung. Reformierte Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen sahen sich herausgefordert, ihr Verständnis des christlichen Glaubens in Worte zu fassen, die Orientierung, Erkenntnis und nicht selten auch Trost zu geben vermochten. Bekennende Kirche blieb die reformierte Kirche aber auch in späteren Jahrhunderten bis hinein in die Gegenwart. Dieses Selbstverständnis brachte Karl Barth auf die Formel: „Wir, hier, jetzt – bekennen dies!“2 Im Spannungsfeld von Glaubenserkenntnis und den Herausforderungen der Zeit fragen die reformierten Bekenntnisse zuerst und zuletzt nach der Zusage und dem Willen Gottes, wie sie in den Schriften des Alten und Neuen Testaments ergehen. Nur in dieser Weise können die Bekenntnisse elementare Lebensäußerungen der Kirche sein, die auch die nachfolgenden Generationen zur Stellungnahme reizen. Sie verstehen sich als Rechenschaft des Glaubens, um die Kirche in ihrem Zeugnis zu stärken, und zwar in unterschiedlicher Gestalt: als Glaubensbekenntnisse im engeren Sinn, als theologische Erklärungen, als Sammlung von Lehrsätzen, als Thesen, als Katechismen und als Kirchenordnungen. Vor über 50 Jahren stellte sich Paul Jacobs der Herausforderung, eine Ausgabe reformierter Bekenntnisschriften in deutscher Übersetzung vorzulegen. Dieser Band mit acht eingeleiteten Texten, der sich als „charakteristische Auswahl der bedeutendsten und meistverbreiteten Bekenntnisschriften“ verstand, ist längst vergriffen.3 Eine wesentlich umfassendere Übersetzungsausgabe reformierter Bekenntnisse erschien in einer Zeit wünschenswert, in der nicht nur reformierte Christinnen und Christen danach Ausschau halten, wie sie sich in einer verwirrenden Welt im Glau1 Ergänzte, aktualisierte und überarbeitete Fassung der Einführung aus: Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Georg Plasger / Matthias Freudenberg, Göttingen 2005, 7–19. 2 Karl Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Glaubensbekenntnisses, in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. III, Zürich 1990, 616. 3 Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949; Zitat ebd., 5.

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Matthias Freudenberg / Georg Plasger

ben orientieren und sich in einen Prozess des Erkennens und Bekennens begeben können. Eine solche Ausgabe bleibt indes auch ein Wagnis. In jedem Fall liegt die Absicht des Bandes darin, wesentliche reformierte Bekenntnisschriften kennenzulernen und sich von ihnen anregen zu lassen. Die reformierten Kirchen und die reformierte Theologie haben ein eigenes Verständnis ihrer Bekenntnisse entwickelt. Dieses unterscheidet sich erheblich von der Bedeutung des Bekenntnisses im Luthertum. Bereits ein erster Blick kann dies verdeutlichen: In den lutherischen Kirchen ist mit dem Konkordienbuch seit 1580 eine bis heute gültige, fest umrissene Sammlung von Bekenntnisschriften vorhanden. Demgegenüber gibt es auf reformierter Seite weder eine alle Bekenntnisse umfassende Sammlung noch eine letztgültige Einigkeit darüber, mit welchen Kriterien eine solche Sammlung entscheiden soll, was eine reformierte Bekenntnisschrift ist. Unterschiedliche Texte wie Katechismen, Thesen, Glaubenserklärungen, Konsenserklärungen und Kirchenordnungen können zu den Bekenntnisschriften gezählt werden. Die meisten bisherigen Sammlungen nehmen solche Bekenntnisse auf, die eine kirchliche Anerkennung erfahren haben. Um auch nur ansatzweise eine Vollständigkeit zu erzielen, ist es erforderlich, eine mehrere Bände umfassende Ausgabe zu erstellen. Eine solche Unternehmung geschieht mit der vorliegenden Edition der „Reformierten Bekenntnisschriften“ (RefBS)4. In der Reformationszeit entstanden erstens eine große Anzahl von Bekenntnisschriften, die zweitens, meist geographisch begrenzt, in unterschiedlicher Weise Anerkennung erfuhren und wirkten. Drittens wurden auch nach der Reformationszeit und besonders im 20. Jahrhundert neue Bekenntnisse formuliert, die viertens auch frühere ersetzen können. Zu den frühesten reformierten Bekenntnisschriften zählen Texte im Umfeld der Zürcher Reformation wie etwa Zwinglis Thesen von 1523. In den Jahren bis 1540 wurden sowohl in der deutschsprachigen Eidgenossenschaft wie auch im süddeutschen und ostfriesischen Bereich weitere Bekenntnisse verfasst. Auch in Genf wurden erste Bekenntnistexte geschrieben. Die Blütezeit der Bekenntnisse dauerte bis Ende des 17. Jahrhunderts an: Über vierzig Texte entstanden in den verschiedensten Regionen Europas und erlangten meist nur regionale, teils aber auch überregionale Bedeutung wie etwa der Heidelberger Katechismus von 1563. Das 17. und 18. Jahrhundert zählt wesentlich weniger Bekenntnisse, die ihrerseits Tendenzen zur Lehrverfestigung im Rahmen der reformierten altprotestantischen Orthodoxie aufweisen. Erst im 19. Jahrhundert kamen 4 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1–4/3, hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland von Heiner Faulenbach / Eberhard Busch / Andreas Mühling / Peter Opitz, Neukirchen-Vluyn 2002 ff.

Einleitung

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dann neue Bekenntnisse auf, u. a. weil sich Spaltungen in den reformierten Kirchen ergaben und neue reformierte Freikirchen eigene Texte erstellten. Dies galt vor allem für die Schweiz und die USA. Im 20. Jahrhundert erwies sich die von Reformierten, Lutheranern und Unierten verabschiedete Barmer Theologische Erklärung von 1934 als Ausgangspunkt für neue Bekenntnisse weltweit, wobei besonders die Bekenntnisimpulse der Kirchen in Asien, Afrika und Lateinamerika zu beachten sind.5 Die große Zahl unterschiedlicher Bekenntnisse und ihre nie vorhandene universale Geltung innerhalb der reformierten Kirchen verdeutlichen einige Aspekte des Verständnisses der reformierten Bekenntnisse: 1. Zunächst ist die Partikularität und die Pluralität in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zu betonen. Die Bekenntnisse bilden kein einigendes Band innerhalb der reformierten Konfessionsfamilie. Wohl verbinden sie manche reformierte Kirchen miteinander und gelten über Landesgrenzen hinweg wie z. B. der Heidelberger Katechismus von 1563 oder die Confessio Helvetica posterior von 1566. Überdies standen in einigen Kirchen manche Bekenntnisse nur eine Zeit lang in Geltung und wurden überholt oder ersetzt wie z. B. die Dordrechter Canones von 1619 oder die Confessio Scotica von 1560. Es hat in den reformierten Kirchen nie einen ernsthaften Versuch gegeben, eine Einheitlichkeit zu formulieren, und auch später wurde kein breiter Konsens gefunden, dass so etwas möglich oder nötig sei. 2. Hinzu kommt die prinzipielle Überbietbarkeit reformierter Bekenntnisaussagen. Implizit oder explizit sind sie von der Überzeugung getragen, dass eine bessere Einsicht in die Heilige Schrift ein neues Bekennen und damit möglicherweise auch ein neues Bekenntnis erforderlich machen könnte. Exemplarisch ist hier die Vorrede zur Confessio Helvetica posterior zu nennen: „Vor allem aber bezeugen wir, dass wir immer völlig bereit sind, unsere Darlegungen im Allgemeinen und im Besonderen auf Verlangen ausführlicher zu erläutern, und endlich denen, die uns aus dem Wort Gottes eines Besseren belehren, nicht ohne Danksagung nachzugeben und Folge zu leisten im Herrn, dem Lob und Ehre gebührt.“ Ähnlich äußert die Confessio Scotica in ihrer Vorrede: „Wenn jemand irgendeinen Artikel oder auch nur einen Satz bemerkt, der dem heiligen Wort Gottes widerspricht, so möge er uns nach seiner Menschenpflicht und der Liebe, mit der er Christus und seiner Herde anhängt, schriftlich ermahnen. Wenn er das tut, so versprechen wir ihm feierlich, dass wir ihm Bescheid geben werden nach dem, was Gott, das heißt, was das Wort der Heiligen Schrift redet (Mt 4,4), oder dass wir abstellen werden, was er uns als von diesem 5 Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition, hg. v. Lukas Vischer, Neukirchen-Vluyn 1988.

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Matthias Freudenberg / Georg Plasger

Wort abweichend nachgewiesen hat.“ Die Verfasser der Bekenntnisse halten daran fest, dass ihre Bekenntnisse revidierbar, gebunden an ihre begrenzte Einsicht und prinzipiell veränderbar sind. Auf diese Weise wird ihre Kontextualität und Begrenztheit ausdrücklich benannt. Ohne diese Einschränkung würde ein Bekenntnis aber auch falsch verstanden, weil es dann als unzulässige Überhöhung des Tradierten interpretiert werden könnte. Weiter markieren die Bekenntnisse eine prinzipielle Differenz zwischen der Erkenntnis ihrer Verfasser und der Heiligen Schrift. Daraus folgt unmittelbar die nur relative Gültigkeit der reformierten Bekenntnisse in den reformierten Kirchen. Auch wenn eine Kirche ein reformiertes Bekenntnis anerkannt hat, bleibt es doch nur insofern an dieses verwiesen und gebunden, als es gemeinsam mit dem Bekenntnis die Heilige Schrift befragt. Sofern Bekenntnisaussagen von einer Kirche als nicht schriftgemäß beurteilt werden, ist die Kirche nicht mehr an diese gebunden. Bekenntnisaussagen sind also prinzipiell veränderbar. Damit werden sie nicht unerheblich oder belanglos, denn die Kirchen nehmen ihre Verantwortung gegenüber den Bekenntnissen gerade dann ernst, wenn sie sie immer wieder neu prüfen. 3. Neben diese Dimensionen, welche die Partikularität betonen, tritt ein dritter und dazu bewusst in Spannung stehender Aspekt: die Universalität. Denn das Bekenntnis steht nicht nur dafür ein, die je eigene relative Erkenntnis auszusprechen. In ausdrücklicher Akzeptanz der Partikularität wird ein Anspruch weitergegeben, der über die Begrenztheit hinausragt: der Anspruch auf universale, den eigenen Kontext überschreitende Wahrheit. Die Confessio Scotica schreibt in ihrer Vorrede: „Deshalb ist es im Vertrauen auf die gegenwärtige Hilfe unseres allmächtigen Herrn Jesus Christus unser Vorsatz, bei dem Bekenntnis unseres in den folgenden Artikeln bekannten Glaubens zu beharren.“ Dieser Anspruch wird ebenso laut wie die zuvor genannte Relativierung. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Bekenntnisse letztlich keine Privatbekenntnisse sind – sie wollen die eine Wahrheit schlechthin benennen, nicht nur die Wahrheit für die jeweilige regional oder chronologisch beschreibbare Kirche. Die reformierten Bekenntnisse verstehen sich als von der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, gesprochen. Diese Äußerung des Bekennens aber richtet sich zugleich auf die weltweit existierende Kirche. Mit dem Bekenntnis stellt eine reformierte Kirche ihre Einsicht in die Heilige Schrift vor und bittet damit die ganze Kirche um Überprüfung daran. Sie tut dies in der Erwartung, dass die weltweite Kirche ihrer Einsicht zustimmt  – dieser Prozess wird in der aktuellen weltweiten Diskussion reformierter Kirchen auch „processus confessionis“ genannt. Geschieht dies aber nicht, muss sie sich entweder von anderen Erkenntnissen überzeugen lassen oder sich bewusst in den Dissens zur Gemeinschaft der Kirchen begeben, wenn

Einleitung

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sie bei ihrer Einsicht bleibt. Und bei bleibendem Dissens in fundamentalen Einsichten kann es im Extremfall zum sogenannten „status confessionis“ kommen, in der die Gemeinschaft innerhalb der einen Kirche Jesu Christi nicht mehr gelebt werden kann. Dabei bleibt als Grunderkenntnis bestehen: Gemeinschaft wird nicht durch die gemeinsame Lehre erzielt, sondern ist durch den gemeinsamen Herrn der Kirche Jesus Christus vorgegeben. Im Bewusstsein dieser geschenkten Einheit der weltweiten Kirche sind Lehrdifferenzen auszuhalten und auszutragen. Wenn hier eine Übersetzungsausgabe reformierter Bekenntnisschriften in Auswahl vorgelegt wird, geht es nicht allein um das Wahrnehmen der ergangenen Lebensäußerungen der Kirche. Vielmehr laden die Bekenntnisschriften zur eigenen Stellungnahme und auch zur Kritik ein. Als Texte, die sich stets begrenzter menschlicher Einsicht verdanken, bleiben die Bekenntnisse diskutabel und ergänzungsbedürftig. Und sie laden dazu ein, offenen Fragen nachzugehen, von denen nicht nur reformierte Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen herausgefordert sind. Im Anschluss an Überlegungen von Lukas Vischer könnte sich das Gespräch über die Bekenntnisse u. a. auf folgende Themen beziehen6: 1. Es gehört zu den Charakteristika der reformierten Bekenntnisse, dass sie explizit oder implizit die Autorität der Heiligen Schrift als Quelle und Richtschnur ihrer Erkenntnis hervorheben. Dieses hoch einzuschätzende sog. Schriftprinzip („sola scriptura“) muss in der Moderne mit der Einsicht der historisch-kritischen Forschung konfrontiert werden, dass die Texte der Bibel nicht unabhängig von ihrem geschichtlichen Kontext verstanden werden können. Vielmehr sind sie das Ergebnis eines vielfältigen und dynamischen Prozesses. Insofern sollten die Hinweise auf die Grundlegung aller Lehre in der Schrift nicht als Anleitung zu einem fundamentalistischen Umgang mit ihr, sondern als Anreiz verstanden werden, sich in ein intensives Gespräch mit der Bibel zu begeben. 2. Die reformierten Kirchen sind herausgefordert, über das Verhältnis zwischen Bekenntnis, Bekennen und Gottesdienst der Gemeinde nachzudenken. Angesichts der Tatsache, dass in vielen reformierten Kirchen dem Bekenntnis im Gottesdienst keine oder nur eine geringe Bedeutung zugemessen wird, stellt sich die Frage nach einer möglichen neuen Integration des Bekennens und damit der Artikulation der Inhalte des Glaubens in das gottesdienstliche Geschehen. 3. Zu den zentralen Kennzeichen der reformierten Bekenntnisse zählt ihre grundsätzliche Überbietbarkeit, welche die Revision früherer Bekenntnisse einschließt. Diese Eigenart des reformierten Bekenntnisver6 Vgl. Lukas Vischer, Bekenntnis und Bekennen in der reformierten Kirche, in: Una Sancta 37 (1982), 111–116.

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Matthias Freudenberg / Georg Plasger

ständnisses wirft die Frage auf, wie mit den Bekenntnissen früherer Generationen verfahren werden soll. Wo die zu begrüßende Neigung wächst, neue Bekenntnisse zu formulieren, liegt die Tendenz nahe, dass ältere Bekenntnisse in den Hintergrund treten oder gar in Vergessenheit geraten. Darum stellt sich die Aufgabe, die Kontinuität der Kirche und ihrer Glaubenszeugnisse neu zu bedenken und ungeachtet neuerer Bekenntnisimpulse nach dem bleibend Gültigen der klassischen Texte zu fragen. 4. Reformierte Bekenntnisse existieren in einer immensen Vielzahl und Vielfalt. Diese Stärke der Kreativität der Kirchen, immer wieder neu und intensiv das Verständnis des Wortes Gottes in der jeweiligen Zeit zu fixieren, birgt aber auch eine entscheidende Schwierigkeit in sich: Kann angesichts dieser Vielzahl und Vielfalt der Bekenntnisse noch von einem gemeinsamen Bekennen des Evangeliums durch die reformierten Kirchen die Rede sein? Wenn auch jede Kirche zunächst einmal in den eigenen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhängen in ihrer eigenen Ausdrucksform zum Bekenntnis aufgerufen ist, stellt sich doch die Frage nach den gemeinsamen Herausforderungen, angesichts derer die reformierten Kirchen ein gemeinsames Zeugnis ablegen. Damit ist die Überlegung verknüpft, dass sich die Kirchen mit den Bekenntnissen anderer reformierter Kirchen befassen und sich gegebenenfalls diese zu eigen machen – sowohl in Gestalt der formalen Übernahme als auch in einer intensiven Diskussion über die Frage der aktuellen Herausforderung. Das geschieht mit dem Ziel, zu einem gemeinsamen Bekennen zu gelangen und auf diese Weise eine verbindliche Gemeinschaft der Kirchen untereinander in der Praxis anzustreben. 5. Schließlich ist den reformierten Kirchen als einzelnen und in ihrer Gesamtheit aufgetragen, das Bekennen in der gegenwärtigen Welt wahrzunehmen. Das umfasst die Aufgabe, im Nachdenken über das Evangelium von Jesus Christus und über das den guten Willen Gottes zum Ausdruck bringende Gebot zu erkunden, welche dringlichen Anliegen in einem Prozess des Bekennens („processus confessionis“) zur Sprache kommen müssen.

2. Ausgaben und Sammlungen von Bekenntnisschriften Die Bemühungen um eine Sammlung der reformierten Bekenntnisschriften gehen bereits in das 16. Jahrhundert zurück.7 Während im Luthertum die Bekenntnisentwicklung mit der Konkordienformel 1577 und dem 7 Vgl. die Übersicht der Bekenntnissammlungen in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1 (Anm. 4), 26–44.

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Konkordienbuch 1580 abgeschlossen wurde, entstand auf Seiten der Reformierten im Sinne der prinzipiellen Offenheit für neues Bekennen und aufgrund der dezentralen und multinationalen Kirchenstrukturen kein einheitliches und normatives Bekenntnisbuch. Dennoch wurden im Zusammenhang der Konfessionalisierung des ausgehenden 16. Jahrhunderts Stimmen laut, die entweder ein gemeinsames Bekenntnis möglichst aller reformierter Kirchen forderten oder eine Lehrharmonie aus den bestehenden Bekenntnissen anfertigten: So wollte – auch aus politischen Gründen – Pfalzgraf Johann Casimir auf einem europäischen Kirchenkonvent 1577 in Frankfurt / Main ein reformiertes Einheitsbekenntnis verabschieden lassen, was allerdings scheiterte. Und bald darauf wurde 1581 durch Jean-François Salvard unter dem Titel „Harmonia Confessionum Fidei orthodoxarum et reformatarum ecclesiarum“ eine Lehrharmonie erstellt, welche die Übereinstimmung der verschiedenen reformierten Kirchen in ihrem Bekennen aufweisen sollte (Neubearbeitung 1887 durch August Ebrard). Zwar fand diese Harmonie unter pfälzischen und schweizerischen Theologen Anklang und wurde von der hugenottischen Synode von Vitré 1583 offiziell anerkannt, daneben fanden sich aber auch zahlreiche Kritiker dieses Werkes. Eine vollständige Neubearbeitung von Salvards Werk wurde 1612 unter dem Titel „Corpus et Syntagma Confessionum Fidei“ vom Genfer Gaspar Laurentius vorgenommen (Neuauflage 1654). Geboten wird eine Sammlung von zum Teil international verbreiteten und zum Teil nur national in Gebrauch stehenden Texten, um auf diese Weise angesichts der Vielfalt reformierter Bekenntnisse auf ihren gemeinsamen Grundtenor aufmerksam zu machen. Die erwähnten Sammlungen vermochten wesentliche bestehende Bekenntnisse zusammenzustellen; eine Verbindlichkeit für die Gesamtheit der reformierten Kirchen aber konnte und sollte durch sie nicht erzielt werden. Erst im 19. Jahrhundert setzten wieder nennenswerte Anstrengungen um die Sammlung reformierter Bekenntnisse ein. Als erster legte der Lutheraner Johann Christian Wilhelm Augusti 1827 eine solche privat erstellte Sammlung unter dem Titel „Corpus librorum symbolicorum“ vor, um zur Verbreitung der reformierten Bekenntnisse beizutragen und der modernen Indifferenz gegenüber den Bekenntnissen zu wehren. An diese Arbeit knüpfte Hermann Agathon Niemeyer 1840 mit seiner „Collectio confessionum“ an und bot über Augusti hinaus eine breitere Textauswahl, die von Zwinglis Thesen von 1523 bis zur Helvetischen Konsensusformel 1675 reicht. Ebenfalls wurden zu jener Zeit ausgewählte Bekenntnisschriften ins Deutsche übersetzt, so u. a. 1828/1830/1846 von Johann Jacob Meß („Sammlung symbolischer Bücher der reformirten Kirche“), 1830 von Friedrich Adolf Beck („Die symbolischen Bücher der evangelisch-reformirten Kirche“) und 1847 von Ernst Gottfried Adolf Böckel

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(„Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche“). Einen kreativen Neuansatz in der Rezeption von Bekenntnissen unternahm schließlich Philip Schaff, der 1877 eine Sammlung von Bekenntnistexten aller Konfessionen „Bibliotheca Symbolica Ecclesiae Universalis“ herausgab, unter ihnen die maßgeblichen reformierten Bekenntnisse. Einen Neuansatz in der Sammlung reformierter Bekenntnisse unternahm 1903 Ernst Friedrich Karl Müller. In sein umfangreiches Werk „Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformierten Kirche“ (BSRK) nahm er 58 Bekenntnistexte mit öffentlichem Charakter und kirch­licher Geltung auf, die er in neun Sektionen einordnete. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden die Auswahlsammlungen von Wilhelm Niesel („Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche“ [BSKORK], 1938) und von Paul Jacobs („Refor­ mierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung“ [RBSKO], 1949). Beide Sammlungen orientierten sich an den Erfordernissen der Gemeinden in ihrer Gegenwart, wobei Niesel mit der Aufnahme von Bekenntnistexten der Jahre 1933 und 1934 sowie von Kirchenordnungen einen besonderen kirchenpolitischen Akzent setzte. Neben mehreren Sammelbänden von Bekenntnistexten aller evangelischer Konfessionen – z. T. unter Einschluss römisch-katholischer Texte – verdient aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert die Sammlung „Reformiertes Zeugnis heute“ von Lukas Vischer Beachtung, da diese die Bekenntnisentwicklungen des weltweiten reformierten Christentums seit dem Zweiten Weltkrieg authentisch wahrnehmen lässt. Das ist auch als Hinweis auf die Kontextualität der vorliegenden Auswahl zu sehen: Die zunehmende Zahl von Bekenntnissen in den reformierten Kirchen geht einher mit zunehmenden Editionen (v. a. im angelsächsischen Raum), von denen wir vermutlich nicht alle kennen. Singulär ist aber die mit diesem Band abgeschlossene mehrbändige wissenschaftliche Edition „Reformierte Bekenntnisschriften“, die ein bereits 1928 benanntes Desiderat einlöst, eine große Anzahl reformierter Bekenntnisschriften von den Anfängen der Reformation an in ihrem originalen Wortlaut wiederzugeben.8

8 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1 (Anm. 4), 44–62 zur Vorgeschichte und Zielsetzung der Edition; vgl. auch Otto Weber, Vorerwägungen zu einer neuen Ausgabe reformierter Bekenntnisschriften, in: Hören und Handeln. Festschrift für Ernst Wolf zum 60. Geburtstag, hg. v. Helmut Gollwitzer, München 1962, 388–398.

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3. Begründung der Auswahl und Editionsgrundsätze Die Anforderungen einer Auswahlausgabe einerseits und die Vielzahl reformierter Bekenntnisschriften andererseits bedingen, dass Entscheidungen zu treffen sind, welche Texte bzw. Textumfänge in diesen Band aufgenommen werden können. Für die Auswahl der vorliegenden 40 Texte von theologischem Rang aus dem 16.–21. Jahrhundert waren folgende Kriterien ausschlaggebend: Es sollten Bekenntnisse abgedruckt werden, die in ihrer Entstehungszeit eine zentrale, für die Gesamtheit der reformierten Lehre und Kirche repräsentative und zum Teil auch überregional bedeutsame Rolle eingenommen haben. Dabei wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche Epochen und theologische Traditionen insbesondere der Reformationszeit und der Zeit der Konfessionalisierung zu Worte kommen sollten. Hinzu tritt das Kriterium, dass diese Bekenntnisse über eine Wirkungsgeschichte bis hinein in die Gegenwart verfügen. Mit der Leuenberger Konkordie wurde ein Text aufgenommen, der zwar nicht den Rang eines Bekenntnisses einnimmt, aber wesentliche Anliegen der reformierten Theologie in ihrer Vermittlung mit den Anliegen des Luthertums und der Union zum Ausdruck bringt.9 Schließlich schien es uns ratsam zu sein, exemplarisch den Blick auf Texte zu öffnen, die in neuerer Zeit innerhalb des weltweiten reformierten Christentums entstanden sind und kreative Bekenntnisimpulse bieten. Bei einigen der Texte handelt es sich um bereits vorliegende Übersetzungen, oft in sprachlicher Überarbeitung; auf sie wird im Quellenverzeichnis hingewiesen. Nachweise von Bibelstellen, die sich im Originaltext finden, stehen in runden Klammern.

4. Sammlungen reformierter Bekenntnisschriften (in Auswahl und chronologischer Reihenfolge) Harmonia Confessionum Fidei orthodoxarum et reformatarum ecclesiarum, hg. v. JeanFrançois Salvard, Genf 1581 Corpus et Syntagma Confessionum Fidei, hg. v. Gaspar Laurentius, Genf 1612 Corpus librorum symbolicorum qui in Ecclesia reformatorum auctoritatem publicam obtinuerunt, hg. v. Johann Christian Wilhelm Augusti, Elberfeld 1827 Sammlung symbolischer Bücher der reformirten Kirche, hg. v. Johann Jacob Meß, Neuwied 1828/1830/1846

9 Vgl. dazu auch André Birmelé, Die Leuenberger Konkordie: ein Bekenntnis?, in: Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, hg. v. Maren Bienert / Marco Hofheinz / Carsten Jochum-Bortfeld, Zürich 2017, 189–202.

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Die symbolischen Bücher der evangelisch-reformirten Kirche, Bd. 1–2, hg. v. Friedrich Adolf Beck, Neustadt a.d. Orla 1830 (= Sammlung symbolischer Bücher, welche in der evangelisch-reformirten Kirche öffentliches Ansehen erhalten haben, Bd. 1–2, Neustadt a.d. Orla 1845) Collectio confessionum in ecclesiis reformatis publicatarum, hg. v. Hermann Agathon Niemeyer, Leipzig 1840 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche, hg. v. Ernst Gottfried Adolf Böckel, Leipzig 1847 Bibliotheca Symbolica Ecclesiae Universalis. The Creeds of Christendom with a history and critical notes, hg. v. Philip Schaff, New York 1877 Salnar’s Harmonia confessionum fidei. Das einhellige Bekenntnis der reformirten Kirche aller Länder, hg. v. August Ebrard, Barmen 1887 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformierten Kirche, hg. v. Ernst Friedrich Karl Müller, Leipzig 1903/Waltrop 21999 Corpus Confessionum. Die Bekenntnisse der Christenheit. Sammlung grundlegender Urkunden aus allen Kirchen der Gegenwart, Bd. 1–6, hg. v. Cajus Fabricius, Berlin 1936–1946 Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, hg. v. Wilhelm Niesel, München 1938 Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949 Reformed Confessions of the 16th Century, hg. v. Arthur C. Cochrane, Louisville 1966/​ 2 2003 Reformed Witness Today. A Collection of Confessions and Statements of Faith issued by Reformed Churches, hg. v. Lukas Vischer, Bern 1982 Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, hg. v. Hans Steubing, Wuppertal 1985 Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition, hg. v. Lukas Vischer, Neukirchen-Vluyn 1988 Reformed Confessions Harmonized, hg. v. Joel R. Beeke / Sinclair B. Ferguson, Grand Rapids 1999 Confessions de foi réformées contemporaines. Et quelques autres textes de sensibilité protestante, hg. v. Henry Mottu u. a., Genf 2000 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1–4/3, hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland v. Heiner Faulenbach / Eberhard Busch / Andreas Mühling / Peter Opitz, Neukirchen-Vluyn / Göttingen 2002 ff. Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Georg Plasger / Matthias Freudenberg, Göttingen 2005 Evangelische Bekenntnisse. Bekenntnisschriften der Reformation und neuere theologische Erklärungen, Bd. 1–2, hg. v. Rudolf Mau, Bielefeld 22008 Reformed Confessions of the 16th and 17th centuries in English translation, hg. v. James T. Dennison, Grand Rapids, Vol. 1–4, 2008–2014 Reformierte Bekenntnisse. Ein Werkbuch, hg. v. einer interkantonalen Initiativgruppe unter Leitung v. Matthias Krieg, Zürich 2009 Reformiertes Bekennen heute. Bekenntnistexte von Belhar bis Kappel, hg. v. Marco Hofheinz / Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer / Frederike van Oortschot, NeukirchenVluyn 2015

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5. Literatur in Auswahl Die Literatur zu den reformierten Bekenntnisschriften ist umfangreich. Im Folgenden beschränken wir uns auf eine Auswahl von überwiegend neueren Arbeiten zur Einführung in die Bekenntnisschriften, zu ihrer Theologie und zu Einzelfragen. Wichtige Literatur zu den einzelnen Bekenntnisschriften sind jeweils im Anschluss an die Einleitung der Texte notiert. 5.1 Einführungen

Heiner Faulenbach, Reformierte Bekenntnisschriften. Einleitung, in: ders. / Eberhard Busch (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1: 1523–1534, NeukirchenVluyn 2002, 1–67 J. F. Gerhard Goeters, Genesis, Formen und Hauptthemen des reformierten Bekenntnisses in Deutschland. Eine Übersicht, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986, 44–59 Hans-Georg Link, Bekennen und Bekenntnis, Göttingen 1998 Wilhelm H. Neuser, Dogma und Bekenntnis in der Reformation. Von Zwingli und Calvin bis zur Synode von Westminster, in: Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmenund Theologiegeschichte, Bd. 2, Göttingen 1980, 165–352 Wilhelm H. Niesel, Die Bedeutung und die Rolle der Glaubensbekenntnisse in den reformierten Kirchen, in: ders., Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, München 1964, 183–191 Christian Peters, Art. Bekenntnisschriften, in: RGG4 1 (1998), 1270–1275 Johannes Wirsching, Art. Bekenntnisschriften, in: TRE 5 (1979), 487–511

5.2 Theologie

Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. I/2, Zürich 41948, 693–740 Karl Barth, Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften. Vorlesung Göttingen Sommersemester 1923, hg. v. Eberhard Busch, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 1998 Paul Jacobs, Theologie reformierter Bekenntnisschriften in Grundzügen, Neukirchen 1959 Jan Rohls, Theologie reformierter Bekenntnisschriften. Von Zürich bis Barmen, Göttingen 1987

5.3 Einzelfragen

Karl Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Glaubens­ bekenntnisses, in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. III, Zürich 1990, 604–643 Karl Barth, Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen, TEH 29, München 1935/Nachdruck München 1980 Hendrikus Berkhof, The Reformed Confession and the Oekumene, RPW 27,1 (1963), 347–357 Maren Bienert / Marco Hofheinz / Carsten Jochum-Bortfeld (Hg.), Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, Zürich 2017

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Pierre Bühler / Emidio Campi / Hans Jürgen Luibl (Hg.), „Freiheit im Bekenntnis“. Das Glaubensbekenntnis der Kirche in theologischer Perspektive, Zürich 2000 Eberhard Busch, Die Nähe der Fernen. Reformierte Bekenntnisse nach 1945, in: Michael Welker / David Willis (Hg.), Zur Zukunft der reformierten Theologie. Aufgaben – Themen – Traditionen, Neukirchen-Vluyn 1998, 587–606 Eberhard Busch, Christentum und Konfession, in: Einheit bekennen. Auf der Suche nach ökumenischer Verbindlichkeit, hg. v. Michael Weinrich, Wuppertal 2002, 77–94 Margit Ernst-Habib, A Conversation with Twentieth-Century Confessions, in: Conversa­ tions with the Confessions. Dialogue in the Reformed Tradition, hg. v. Joseph D. Small, Louisville 2005, 69–91 Margit Ernst-Habib, Reformierte Identität weltweit. Eine Interpretation neuerer Bekenntnisse aus der reformierten Tradition, Göttingen 2017 (Lit.) Hans Helmut Eßer, Verwerfungsaussagen und Abgrenzungsformeln in den Reformierten Bekenntnisschriften, in: Karl Lehmann (Hg.), Lehrverurteilungen  – kirchentrennend?, Bd. 2, Freiburg i. Br. / Göttingen 1989, 128–157 Matthias Freudenberg, Reformierte Theologie. Eine Einführung, Neukirchen-Vluyn 2011 Matthias Freudenberg, Glauben bekennen im 20. und 21. Jahrhundert. Erkundungen in dünner Höhenluft, in: Bekenntnis im Konflikt. Streitgeschichten im reformierten Protestantismus, hg. v. Thomas K.  Kuhn / Hans-Georg Ulrichs, Göttingen 2020, 129–147. Benno Gassmann, Ecclesia Reformata. Die Kirche in den reformierten Bekenntnisschriften, Freiburg i. Br. / Basel / Wien 1968 J. F. Gerhard Goeters, Genesis, Formen und Hauptthemen des reformierten Bekenntnisses in Deutschland. Eine Übersicht, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation“, hg. v. Heinz Schilling, Gütersloh 1986, 44–59 J. F. Gerhard Goeters, Die Lehre von der Rechtfertigung in den reformierten Bekenntnisschriften, besonders im Heidelberger Katechismus, und ihr Verhältnis zum Konzil von Trient, in: Karl Lehmann (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. 2, Freiburg i. Br. / Göttingen 1989, 224–229 Alasdair  I. C. Heron, Confessional Continuity in the Reformed Family of Churches, in: Das reformierte Erbe, Festschrift für Gottfried W. Locher, hg. v. Heiko A. Oberman, Zwing XIX/2, Zürich 1993, 147–160 Marco Hofheinz, Mit der Tradition zum Aufbruch. Die konstitutive Bedeutung der Schrift für das reformierte Bekenntnis, in: Verbindlich werden. Reformierte Existenz in ökumenischer Begegnung, hg. v. dems. / Georg Plasger / Annegreth Schilling, Neukirchen-Vluyn 2015, 147–169 Walter Hollweg, Der Augsburger Reichstag 1566 und seine Bedeutung für die Entstehung der reformierten Kirche und ihres Bekenntnisses, Neukirchen 1964 Harm Klueting, Die reformierte Konfessionalisierung als „negative Gegenreformation“. Zum kirchlichen Profil des Reformiertentums im Deutschland des 16. Jahrhunderts, in: ZKG 109 (1998), 167–199.336–358 Matthias Krieg / Hans Jürgen Luibl (Hg.), In Freiheit Gesicht zeigen. Zur Wiederaufnahme des liturgischen Bekennens im reformierten Gottesdienst, Zürich 1999 Thomas K. Kuhn (Hg.), Bekennen – Bekenntnis – Bekenntnisse. Interdisziplinäre Zugänge, Leipzig 2014 Thomas K. Kuhn / Hans-Georg Ulrichs (Hg.), Bekenntnis im Konflikt. Streitgeschichten im reformierten Protestantismus, Göttingen 2020

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Henry Mottu, Confesser sa foi aujourd’hui, in: RThPh 117,2 (1985), 145–165 Wilhelm Niesel, Reformiertes Bekenntnis heute, in: Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, hg. v. dems., München 1964, 31–39 Wilhelm Niesel, Die Bedeutung und die Rolle der Glaubensbekenntnisse in der reformierten Kirche, in: Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, hg. v. dems., München 1964, 183–191 Georg Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 2000 Volker Press, Außerhalb des Religionsfriedens? Das reformierte Bekenntnis im Reich bis 1648, in: Günter Vogler (Hg.), Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1994, 309–335 Jack B. Rogers, Presbyterian Creeds. A Guide to the Book of Confessions, Philadelphia 1985 Hans Rüegger, Neuere reformierte Bekenntnisse, in: ThZ 44 (1988), 312–328 Dieter Schellong, Zur Bedeutung von Bekenntnissen in der Gegenwart, in: Theologie im Widerspruch von Vernunft und Unvernunft, hg. v. dems., Zürich 1971, 58–87 Martin Seils, Der „Stellenwert“ der Bekenntnisse in den unierten und reformierten Kirchen, in: ThV 11 (1979), 117–127 Joseph D. Small (Hg.), Conversations with the Confessions. Dialogue in the Reformed Tradition, Louisville 2005 Joachim Staedtke, Bekenntnis und Kirche, in: ders., Reformation und Zeugnis der Kirche, Ges. Studien, hg. v. Dietrich Blaufuß, Zürich 1978, 243–254 Paul Tschackert, Die Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre samt ihren innerprotestantischen Gegensätzen, Göttingen 1910 Lukas Vischer, Bekenntnis und Bekennen in der reformierten Kirche, in: US 37 (1982), 111–116 Lukas Vischer, Neuere reformierte Bekenntnisse, in: Gottes Bund gemeinsam bezeugen. Aufsätze zu Themen der ökumenischen Bewegung, hg. v. dems., Göttingen 1992, 23–40 Otto Weber, Vorerwägungen zu einer neuen Ausgabe reformierter Bekenntnisschriften, in: Hören und Handeln. Festschrift für Ernst Wolf zum 60. Geburtstag, hg. v. Helmut Gollwitzer, München 1962, 388–398 Matthias D. Wüthrich, Theologische Überlegungen zur reformierten Bekenntnisbildung in der Schweiz, in: SJKR 15 (2010), 37–62 Gunter Zimmermann, Die pneumatologische Tradition in der reformierten Bekenntnisbildung, in: ThZ 45,4 (1989), 352–374

1. Zwinglis Thesen (1523) Einleitung Mit der Einberufung eines öffentlichen Glaubensgesprächs im Januar 1523 versuchte der Zürcher Rat, die durch die reformatorische Predigt ausgebrochenen Streitigkeiten zu regeln. Während Huldrych Zwingli unter Berufung auf das Evangelium und mit wachsender Anhängerschaft kirchliche Missbräuche und Machtansprüche kritisierte, wurde er besonders von Ordensleuten der Ketzerei beschuldigt. Zwar hatten gelegentliche Eingriffe der christlichen politischen Obrigkeit in die religiöse Gestaltung des Gemeinwesens bereits Tradition, diese Art von öffentlichem Glaubensgespräch in der Volkssprache, von Zwingli später „Disputation“ genannt, war aber ein Novum – das bald einmal vielerorts Nachahmer fand. Durch die schon in der Ausschreibung formulierte Forderung, dass allein die Bibel Richterin im Streit sein soll, hatte der Rat allerdings Zwingli bereits den entscheidenden Vorteil verschafft. Die anwesende bischöfliche Delegation unter der Leitung des Generalvikars Johannes Faber ­(1478–1541) hielt sich entsprechend der Weisung des Bischofs von Konstanz zurück: Da die Behandlung von Lehrfragen einem Konzil obliege und nicht einer Volksversammlung, sollte sie nur beobachten. Zwingli hingegen betonte, die Versammlung im Zürcher Ratssaal sei durchaus eine legitime christliche Gemeinde, sei man doch bestrebt, auf das göttliche Wort zu hören, und genau dies mache eine solche aus. Zwinglis 67 Thesen oder Artikel können als Gründungstext der reformierten Bekenntnistradition gelten. Bereits der erste Artikel formuliert die alles entscheidende Frage im Kontext der konkreten Auseinandersetzung: Das Evangelium und damit der durch die biblischen Schriften zu den Menschen redende, sich selbst bezeugende Gott spricht für sich selber und bedarf keiner menschlichen Beglaubigungsinstanz und damit auch nicht eine römische Kirche, die für sich und ihre Tradition in Anspruch nimmt, Richterin und Verwalterin der göttlichen Wahrheit und Gnade zu sein. Der Gegensatz von Gotteswort und Menschentraditionen durchzieht Zwinglis gesamte Argumentation. Kern und Inhalt des Evangeliums (Artikel 2–16) ist Christus, der als von Gott geschickter Erlöser und Versöhner nicht nur der einzige „Weg zur Seligkeit“, sondern auch „Führer und Hauptmann“ seiner Gemeinde ist, wie Zwingli in der eidgenössischen Vorstellungswelt seiner Zeit formuliert. Daraus folgt von selbst, dass alles, was christlich genannt zu werden verdient, an dieser Christusbotschaft zu messen ist, denn „Kirche“ ist dort, wo eine Gemeinschaft von Menschen auf ihn als das „Haupt“ hört.

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Kritisch an Christus gemessen werden in der Folge der Opfer- und Priesterdienst der römischen Kirche (Artikel 17–22), ihre religiösen Machtansprüche und Vorschriften (­Artikel 23–30), ihre Praxis des Kirchenbanns und ihre Ansprüche auf geistliche Herrschaft (Artikel 31–43). Anschließend werden weitere zentrale Punkte des (römisch-)kirchlichen Lebens im Licht des Evangeliums beleuchtet: das Gebet (Artikel 44–46), das Problem der „Ärgernisse“ in der Kirche (Artikel 47–49), die Sündenvergebung (Artikel 50– 56), das Fegefeuer (Artikel 57–60) und das Priesteramt (Artikel 61–63). Auch die Art und Weise der notwendigen Kirchenreform muss allerdings im Geist des Evangeliums des Friedens vor sich gehen (Artikel 64–66). Da gegen Zwinglis Artikel keine inhaltlichen Einwände vorgebracht werden konnten, erklärte der Rat im Anschluss an die Disputation die evangelische Predigt nach dem Vorbild der Artikel Zwinglis für die ganze Zürcher Geistlichkeit als verbindlich. Damit wurde noch nicht eine reformierte Kirche gegründet, aber es wurden die Maßstäbe für eine Erneuerung gesetzt. Ihre Pfeiler stützen sich gegenseitig: die freie evangelische Predigt als Bibelauslegung und die nun auch für die Neuordnung des kirchlichen Bereichs verantwortliche politisch-christliche Obrigkeit. Zwingli hat die sehr kurzfristig verfassten Artikel wenig später ausführlich kommentiert. Seine umfangreiche „Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel“ erschien im Juli 1523 im Druck. Editionen Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli u. a., Bd. 1 (CR 88/Z 1), Berlin / Leipzig / Zürich 1905, 458–471 (Verhandlungsprotokoll 472–569) Zwinglis Thesen von 1523, in: RefBS, Bd. 1/1: 1523–1534, 68–101 (Bearb.: Eberhard Busch) Übersetzungen Huldrych Zwingli, Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel, in: Huldrych Zwingli Schriften, hg. v. Thomas Brunnschweiler / Samuel Lutz, Bd. II, Zürich 1995, 1–499 (Übers.: Thomas Brunnschweiler) Zwingli lesen. Zentrale Texte des Zürcher Reformators in heutigem Deutsch, hg. v. Peter Opitz / Ernst Saxer, Zürich 2018, 75–101 (Übers.: Thomas Brunnschweiler, bearb. v. Ernst Saxer) Literatur Bernd Moeller, Zwinglis Disputationen. Studien zur Kirchengründung in den Städten der frühen Reformation, Göttingen 22011 Peter Opitz, „Die sach bedarf nit menschlicher richter“. Zwinglis Disputationen von 1523 und die Anfänge einer ‚nach Gottes Wort reformierten‘ Kirche, in: Apologie, Polemik, Dialog. Religionsgespräche in der Christentumsgeschichte und in der Religionsgeschichte, hg. v. Mariano Delgado / Gregor Emmenegger / Volker Leppin, Basel 2021, 289–306 Einleitung: Peter Opitz; Übersetzung: Thomas Brunnschweiler, bearbeitet von Ernst Saxer

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Zwinglis Thesen (1523) Die im Folgenden aufgeführten Artikel und Anschauungen bekenne ich, Huldrych Zwingli, in der ehrenwerten Stadt Zürich gepredigt zu haben, aufgrund der Heiligen Schrift, die theopneustos – von Gott eingegeben – heißt, und erkläre mich bereit, diese Artikel zu verteidigen und aufrechtzuerhalten und ebenso, mich eines Besseren belehren zu lassen, wo ich die genannte Schrift jetzt nicht recht verstehen sollte, jedoch nur aus dieser Schrift selbst. These 1 Alle, die sagen, das Evangelium sei nichts wert ohne die Beglaubigung der Kirche, irren und lästern Gott. These 2 Die Hauptsache des Evangeliums ist kurz zusammengefasst die, dass unser Herr Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den Willen seines himmlischen Vaters mitgeteilt und uns durch seine Unschuld vom Tod erlöst und mit Gott versöhnt hat. These 3 Deshalb ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit für alle, die je waren, sind und sein werden. These 4 Wer eine andere Tür sucht oder zeigt, der irrt, ja der ist ein Seelenmörder und Dieb. These 5 Deshalb irren alle, die anderen Lehren gleich viel oder mehr Bedeutung zumessen als dem Evangelium; sie wissen nicht, was Evangelium ist. These 6 Denn Christus Jesus ist der Führer und Hauptmann, von Gott dem ganzen menschlichen Geschlecht verheißen und auch gewährt. These 7 Damit er das ewige Heil und Haupt aller Gläubigen sei, die sein Leib sind, der aber ohne ihn tot ist und nichts vermag.

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These 8 Aus dem folgt erstens: Alle, die in diesem Haupt leben, sind Glieder und Kinder Gottes. Und das ist die Kirche oder Gemeinschaft der Heiligen, die Ehefrau Christi: ecclesia catholica. These 9 Zweitens: Wie die Glieder des Leibes ohne Leitung des Hauptes nichts vermögen, so vermag auch im Leib Christi niemand etwas ohne dessen Haupt, Christus. These 10 Wie der Mensch von Sinnen ist, wenn die Glieder etwas ohne das Haupt tun, indem sie sich unkontrolliert bewegen, sich selbst verwunden und schädigen, so sind die Glieder Christi von Sinnen, wenn sie etwas ohne Haupt, Christus, unternehmen, indem sie sich selbst mit unsinnigen Gesetzen strafen und belasten. These 11 Deshalb sehen wir, dass die Bestimmungen der sogenannten Geistlichen über ihren Machtanspruch und Reichtum, über ihre Ämter, Titel und Gesetze die Ursache der ganzen Tollheit sind; denn sie stimmen nicht mit dem Haupt überein. These 12 So gebärden sie sich vorderhand wie toll, aber nicht zugunsten des Hauptes – denn man bemüht sich ja jetzt mit der Gnade Gottes, dieses wieder ans Licht und zur Sprache zu bringen, sondern weil man sie nicht länger solch verrücktes Zeug schwatzen lassen will und sie veranlasst, nur noch dem Haupt Gehör zu verschaffen. These 13 Wenn man auf das Haupt hört, lernt man den Willen Gottes deutlich und klar kennen, und der Mensch wird durch Gottes Geist zu ihm gezogen und in ihn verwandelt. These 14 Darum sollen die Christen ihren größten Einsatz dafür leisten, dass überall nur das Evangelium von Christus gepredigt wird.

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These 15 Denn im Glauben an das Evangelium besteht unser Heil und im Unglau­ ben unsere Verdammnis. Im Evangelium steht nämlich deutlich die ganze Wahrheit. These 16 Im Evangelium lernt man, dass Lehren und Bestimmungen der Menschen nichts zur Seligkeit beitragen. These 17 Christus ist der einzige, ewige höchste Priester. Daraus ersehen wir, dass die, die sich als höchste Priester ausgegeben haben, sich gegen die Ehre und Vollmacht Christi stellen, ja diese verwerfen. These 18 Christus, der sich selber nur einmal zum Opfer gebracht hat, ist ein in Ewigkeit wirkendes und bezahlendes Opfer für die Sünden aller Gläubigen. Daran erkennt man, dass die Messe kein Opfer, sondern die Vergegenwärtigung des Opfers und die Zusicherung der Erlösung ist, die Christus geleistet hat. These 19 Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und uns. These 20 Gott will uns alle Dinge in Christi Namen geben. Daraus ergibt sich, dass wir nach diesem Leben keinen anderen Mittler brauchen als ihn. These 21 Wenn wir auf Erden füreinander bitten, sollen wir es im Vertrauen darauf tun, dass uns allein durch Christus alle Dinge gegeben werden. These 22 Christus ist unsere Gerechtigkeit. Daraus ermessen wir, dass unsere Werke gut sind, soweit sie aus Christus sind, nicht gut aber, soweit sie aus uns selbst sind. These 23 Christus verwirft die Besitztümer und den Machtanspruch dieser Welt. Daraus ermessen wir, dass die, die in seinem Namen Reichtümer anhäufen, ihm große Schande bereiten, weil sie ihn zum Deckmantel ihrer Habsucht und Willkür machen.

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These 24 Kein Christ ist zu Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Ein Christ darf jederzeit alle Speisen essen. Daraus ist zu lernen, dass Käse- und Butterbriefe ein römischer Betrug sind.1 These 25 Zeit und Ort sind dem Christen unterworfen und nicht umgekehrt. Daraus ist zu lernen, dass die, die Zeit und Ort beschränken, die Christen ihrer Freiheit berauben. These 26 Gott missfällt nichts mehr als Heuchelei. Daraus ist zu lernen, dass alles, was sich vor den Menschen besser darstellt, als es ist, eine große Heuchelei und Blasphemie ist. Hiermit fallen dahin: Kutten, religiöse Zeichen, Tonsuren etc. These 27 Alle Christen sind Brüder Christi und untereinander Brüder. Sie sollen niemanden auf Erden zum Vater aufblähen. Hiermit fallen dahin: Orden, Sekten, religiöse Vereinigungen. These 28 Alles, was Gott erlaubt oder nicht verboten hat, ist rechtmäßig. Daraus ist zu schließen, dass die Ehe allen Menschen zusteht. These 29 Alle, die man Geistliche nennt, sündigen, wenn sie sich nicht durch die Ehe von der Sünde bewahren, nachdem sie gemerkt haben, dass Gott ihnen sexuelle Enthaltsamkeit versagt hat. These 30 Diejenigen, die Enthaltsamkeit geloben, versprechen auf kindliche oder närrische Weise zu viel. Daher erkennt man, dass die, die solche Gelübde abnehmen, an den anständigen Menschen frevelhaft handeln. These 31 Den Kirchenbann darf kein einzelner Mensch auferlegen, sondern nur die Kirche, das heißt: die Gemeinschaft derer, unter denen der zu Bannende wohnt, samt dem Wächter, das heißt: dem Pfarrer. 1 Mit diesen wurde besonders im Gebirge trotz der Fastenzeit der Genuss von Butter und Eiern erlaubt.

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These 32 Man darf nur den mit dem Kirchenbann bestrafen, der öffentlich Ärgernis gibt. These 33 Das unrechtmäßige Gut soll nicht Kirchen, Klöstern, Mönchen, Priestern oder Nonnen, sondern den Bedürftigen gegeben werden, wenn es dem rechtmäßigen Besitzer nicht zurückerstattet werden kann. These 34 Die sogenannte geistliche Herrschaft kann ihren Machtanspruch nicht aus der Lehre Christi begründen. These 35 Aber die weltliche Herrschaft hat ihre Wirksamkeit und Begründung aus der Lehre und dem Handeln Christi. These 36 Alles, was der sogenannte geistliche Stand sich an Rechtsprechung und Verteidigung des Rechts anmaßt, kommt den weltlichen Vorgesetzten zu, sofern diese Christen sein wollen. These 37 Den weltlichen Vorgesetzten sind alle Christen Gehorsam schuldig, niemand ausgenommen. These 38 Sofern die weltlichen Vorgesetzten nichts gebieten, was gegen Gott gerichtet ist. These 39 Darum sollen alle ihre Gesetze dem göttlichen Willen gleichförmig sein, sodass sie dem Bedrängten Rechtsschutz gewähren, auch wenn er nicht Klage einreicht. These 40 Allein die weltliche Obrigkeit hat das Recht zu töten, ohne den Zorn Gottes auf sich zu ziehen. Und sie darf die Todesstrafe nur gegen diejenigen aussprechen, die öffentliches Ärgernis erregen, es sei denn, Gott befehle etwas anderes.

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These 41 Wenn die weltlichen Vorgesetzten denen Rechtsschutz, Fürsorge und Hilfe gewähren, für die sie vor Gott Rechenschaft ablegen müssen, so sind auch diese verpflichtet, für den materiellen Unterhalt jener zu sorgen. These 42 Wenn die Vertreter der Obrigkeit aber pflichtvergessen und nicht nach der Richtschnur Christi verfahren, können sie nach dem Willen Gottes abgesetzt werden. These 43 Das Wesentliche kurz zusammengefasst: Die Herrschaft dessen, der allein nach dem Willen Gottes regiert, ist die allerbeste und solideste; und die Herrschaft dessen, der nach eigenem Gutdünken regiert, ist die schlechteste und instabilste. These 44 Wahre Anbeter rufen Gott im Geist und in der Wahrheit an, ohne alles Geschrei vor den Menschen. These 45 Heuchler tun ihre Werke, um von Menschen gesehen zu werden. Sie empfangen ihren Lohn schon in dieser Zeit. These 46 Daraus folgt zwingend, dass alle bezahlte Singerei in der Kirche ohne Andacht entweder um des Ruhmes vor den Menschen oder um des Geldes willen erfolgt. These 47 Eher soll der Mensch den leiblichen Tod erleiden, als dass er bei einem Christen Anstoß errege oder Schande über ihn bringe. These 48 Wer aus Schwäche oder Unwissenheit ohne Ursache Anstoß nimmt, den soll man nicht schwach oder unwissend bleiben lassen, sondern ihn stärken, damit er nicht für Sünde hält, was keine Sünde ist. These 49 Größeres Ärgernis kenne ich nicht, als dass man den Priestern die Heirat verbietet, ihnen aber zugesteht, gegen Geld Huren zu halten.

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These 50 Gott allein vergibt die Sünde durch Christus Jesus, seinen Sohn, unseren Herrn allein. These 51 Wer dies den Geschöpfen erlaubt, entzieht Gott seine Ehre und gibt sie jemandem, der nicht Gott ist. Das ist eigentliche Abgötterei. These 52 Darum soll die Beichte, die man bei dem Priester oder bei dem Nächsten ablegt, nicht als das Vergeben der Sünde, sondern als das Erfragen von Rat gelten. These 53 Auferlegte Bußwerke werden von Menschen festgelegt – der Kirchenbann ausgenommen; sie nehmen die Sünde nicht weg, sondern werden nur auferlegt, um abzuschrecken. These 54 Christus hat alle unsere Schmerzen und Mühseligkeiten getragen. Wer nun den Bußwerken zuschreibt, was allein Christus geleistet hat, der irrt und lästert Gott. These 55 Wer den reuigen Menschen die Vergebung irgendeiner Sünde vorenthielte, wäre weder an Gottes noch an des Petrus, sondern an des Teufels statt. These 56 Wer gewisse Sünden nur wegen des Geldes vergibt, ist Simons und Bileams Spießgeselle und im Grunde ein Gesandter des Teufels (Apg 8,18–24; Num 22–24). These 57 Die wahre Heilige Schrift weiß nichts von einem Fegefeuer nach diesem Leben. These 58 Nur Gott kennt das Gerichtsurteil über die Verstorbenen. These 59 Je weniger uns Gott davon hat wissen lassen, umso weniger sollen wir uns anmaßen, etwas davon in Erfahrung bringen zu wollen.

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These 60 Wenn ein Mensch bekümmert Gott anruft, er möge den Verstorbenen Gnade erweisen, so lehne ich das nicht ab. Doch eine bestimmte Zeit festzusetzen und um des Gewinnes willen zu lügen, ist nicht menschlich, sondern teuflisch. These 61 Vom „Charakter“, den die Priester in letzter Zeit entdeckt haben, weiß die göttliche Schrift nichts.2 These 62 Die Schrift kennt auch keine anderen Priester als die, die das Wort Gottes verkünden. These 63 Die Schrift schreibt vor, den Priestern Ehre zu erweisen, und das heißt, sie mit leiblicher Nahrung zu versorgen. These 64 Alle, die ihren Irrtum erkennen, soll man nicht bestrafen, sondern in Frieden sterben lassen und danach über das Pfarrgut auf christliche Weise verfügen. These 65 Mit denen, die keine Selbsterkenntnis zeigen, wird Gott gerecht verfahren. Darum soll man gegen sie keine körperliche Gewalt anwenden, es sei denn, sie führten sich so ungeheuerlich auf, dass man nicht ohne dieses Mittel auskommen könnte. These 66 Alle geistlichen Vorgesetzten sollen sich sofort demütigen und nur das Kreuz Christi, nicht die Geldkiste aufrichten; andernfalls gehen sie zugrunde. Die Axt ist schon an den Baum gelegt (Mt 3,10). These 67 Wenn jemand wünscht, mit mir über Zinsen, Zehnten, ungetaufte Kinder und die Firmung zu diskutieren, so stehe ich ihm gerne Rede und Antwort. 2 Römische Lehre vom „unzerstörbaren Prägemal“, das die Priesterweihe auf Lebenszeit verleihe.

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Hier versuche keiner, mit Sophisterei oder menschlichen Erdichtungen zu streiten, sondern komme, um die Heilige Schrift als Richter gelten zu lassen, damit man entweder die Wahrheit finde oder behalte, wenn sie, wie ich hoffe, schon gefunden ist. Amen. Das walte Gott.

2. Berner Thesen (1528) Einleitung Die Vorgeschichte der Berner Disputation vom 6.–26. Januar 1528 reicht in das Jahr 1527 zurück. Mehrere Pfarrer nahmen Anstoß an der Messe, dem Zölibat und gottesdienstlichen Zeremonien, da diese dem Wort Gottes widersprächen. Der Rat sah sich veranlasst, eine Disputation zu veranstalten. Die dafür vorgesehenen und in deutscher Sprache abgefassten Thesen sandten die Berner Pfarrer Berchtold Haller und Franz Kolb zuvor nach Zürich an Huldrych Zwingli mit der Bitte, diese zu begutachten und gegebenenfalls zu ändern, was indes nur marginal geschah. Dahinter stand offenbar die Absicht, den Thesen durch die Autorisierung durch den Zürcher Reformator stärkeres Gewicht zu verleihen. Zugleich wurde Zwingli aufgefordert, an der Disputation teilzunehmen. Diesem Wunsch kam er nach und zog mit einer beachtlichen Anzahl von Zürcher Geistlichen und Bürgern nach Bern. Zum Abschluss der Disputation fanden die Thesen bei der Mehrheit der Anwesenden Zustimmung. Daraufhin erklärte der Berner Rat am 7. Februar 1528 die Thesen als schriftgemäß und verfügte die Abschaffung von Messe, Altären und Bildern, was den Übergang der Stadt Bern zur Reformation bedeutete. Insbesondere die 18 Ilanzer Thesen, die Johann Commander 1526 anlässlich der Ilanzer Disputation in Chur für die Einführung der Reformation in Graubünden abgefasst hatte, standen den Berner Thesen Pate. Ferner geht These 1 mit ihrem Hinweis auf Jesus Christus als einziges Haupt der Kirche und ihren Ursprung in Gottes Wort auf eine Äußerung Zwinglis in seiner „Christliche[n] Antwort Zürichs an Bischof Hugo“ (1524) zurück, wie überhaupt die Thesen als Spiegelbild seiner Theologie zu lesen sind. Die prägnant und auf biblischer Grundlage formulierten Thesen bieten eine bleibende theologische Orientierung. Das gilt in erster Linie für die Thesen 1–4, in denen betont wird: die Bindung der Kirche an das schöpferische Wort Gottes und ihr Haupt Jesus Christus (These 1), die Grenze der Geltung der Kirchengebote (These 2), die Ausschließlichkeit Jesu Christi zur Erlösung (These 3) und die Ablehnung des leiblichen Empfangs von Leib und Blut Christi im Abendmahl (These 4). Die Thesen 5–10 bieten Leitlinien für Gottesdienst und Frömmigkeit: die Ablehnung des Messopfers (These 5), von Mittlern und Fürsprechern außer Christus (These 6), des Fegefeuers und der Bestattungszeremonien (These 7), der Bilderverehrung (These 8), des Zölibats und seiner Folgen (Thesen 9 f.).

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In ihrer Argumentation kontrastieren die Thesen die Ablehnung falscher Autoritäten, Gebote und Zeremonien mit dem Schriftzeugnis und dem heilsamen Wirken Jesu Christi. Unterschiede zum römischen Verständnis von Eucharistie und Gottesdienst, aber auch zur lutherischen Abendmahlslehre werden ausgesprochen und eigene Überzeugungen markiert. Die Disputation wirkte über Bern hinaus, indem sich die Städte St. Gallen, Mühlhausen, Biel und Lindau bei der Abschaffung der Messe Bern zum Vorbild nahmen. Einfluss hatten die Thesen ferner auf den Beginn der Reformation in der Südwestschweiz. Bei den in der Schweiz einsetzenden Streitigkeiten über das Abendmahl in den Folgejahrzehnten galt besonders These 4 als Argumentationshilfe. Im 20. Jahrhundert wurden die erste Düsseldorfer These (1933), das Bekenntnis der Freien reformierten Synode Barmen vom 4. Januar 1934 und These 1 der Barmer Theologischen Erklärung vom 31. Mai 1934 in Anlehnung an die erste Berner These formuliert. Edition Berner Thesen von 1528, in: RefBS, Bd. 1/1: 1523–1534, 197–205 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Übersetzung Martin Sallmann / Matthias Zeindler (Hg.), Dokumente der Berner Reformation: Disputationsthesen, Reformationsmandat und Synodus, Zürich 2013, 39–41 (Übers.: Ernst Saxer) Literatur Irena Backus, Das Prinzip „sola scriptura“ und die Kirchenväter in den Disputationen von Baden (1526) und Bern (1528), Zürich 1997 Gottfried W. Locher, Die Berner Disputation 1528. Charakter, Verlauf, Bedeutung und theologischer Gehalt, in: Zwing 14 (1978), 542–564 Wilhelm H. Neuser, Die Berner Disputation, in: Martin Bucers Deutsche Schriften, hg. v. Robert Stupperich, Bd. 4: Zur auswärtigen Wirksamkeit 1528–1533, Gütersloh 1975, 15–154 Martin Sallmann / Matthias Zeindler (Hg.), Dokumente der Berner Reformation: Disputationsthesen, Reformationsmandat und Synodus, Zürich 2013 Einleitung: Matthias Freudenberg; Übersetzung: Ernst Saxer, überarbeitet von Matthias Freudenberg

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Berner Thesen (1528) Über die nachfolgenden Thesen wollen wir, Franz Kolb und Berchtold Haller, beide Prediger zu Bern, zusammen mit anderen, die das Evangelium bekennen, einem jeden mit Gott aus heiliger biblischer Schrift des Neuen und Alten Testaments antworten und berichten auf der angesetzten Tagung in Bern, am 5. Januar 1528. 1. Die heilige christliche Kirche, deren alleiniges Haupt Christus ist, ist aus dem Wort Gottes geboren. Darin bleibt sie und hört nicht auf die Stimme eines Fremden (Joh 10,5). 2. Die Kirche Christi macht keine Gesetze und Gebote ohne Gottes Wort. Darum sind all die Menschensatzungen, die man „Gebote der Kirche“ nennt, für uns nur so weit bindend, als sie im göttlichen Wort begründet und geboten sind. 3. Christus ist unsere alleinige Weisheit, Gerechtigkeit, Erlösung und Bezahlung für die Sünden der ganzen Welt. Ein anderes Verdienen der Seligkeit und Genugtuung für die Sünden anerkennen heißt darum, Christus verleugnen. 4. Dass der Leib und das Blut Christi als solche leiblich im Brot der Danksagung empfangen werden, lässt sich mit der biblischen Schrift nicht begründen. 5. Die Messe, wie sie heute begangen wird und in der Christus Gott dem Vater für die Sünden der Lebendigen und Toten geopfert werden soll, ist schriftwidrig, eine Lästerung des allerheiligsten Opfers, Leidens und Sterbens Christi und wegen ihrer Missbräuche vor Gott ein Gräuel. 6. Wie allein Christus für uns gestorben ist, soll auch er allein als Mittler und Fürsprecher zwischen Gott dem Vater und uns Gläubigen angerufen werden. Darum wird alles Anrufen anderer Mittler und Fürsprecher im Jenseits von uns als unbegründet in der Schrift verworfen. 7. In der Schrift findet sich kein Fegefeuer nach dieser Zeit. Darum ist aller Totendienst  – Vigilie, Seelenmesse, Stiftungen [für Seelenämter], [ein Seelenamt] am siebten und dreißigsten Tag und am Jahrestag sowie Lampen, Kerzen und dergleichen – sinnlos.

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8. Bilder zum Zweck der Verehrung herzustellen verstößt gegen Gottes Wort des Neuen und Alten Testaments. Darum sind sie, wenn mit ihrer Aufstellung die Gefahr ihrer Verehrung besteht, zu beseitigen. 9. Die Schrift verbietet für keinen Stand die heilige Ehe, wohl aber wird allen Ständen geboten, Hurerei und Unkeuschheit zu meiden. 10. Ein öffentlicher Hurer befindet sich nach der Schrift im offensichtlichen Bann (1. Kor 5,9–13). Infolgedessen schaden wegen des Ärgernisses, das sie erregen, Unkeuschheit und Hurerei keinem Stand mehr als dem priesterlichen. Alles Gott und seinem heiligen Wort zu Ehren.

3. Bekenntnis der ostfriesischen Prediger (1528) Einleitung Das kurz gefasste, aber substanzielle Bekenntnis der ostfriesischen Prediger aus dem Jahr 1528 weist schon im Titel einen apologetischen Charakter auf. Verfasst wurde es von einer Gruppe von Predigern, deren Namen nicht überliefert sind und deren Sakramentsverständnis damals von Dritten in Frage gestellt wurde. Ob es sich dabei um einen innerprotestantischen Konflikt handelte oder vielleicht auch um den 1528 entfesselten Streit in der Emder Kirche zwischen dem evangelischen Prediger Georgius Aportanus (um 1495–1529) und dem Priester Jacobus Canter (ca. 1469–1529), sei dahingestellt. Auch lässt sich über die genaue Zahl der Verfasser keine Aussage machen. Wenn der reformierte Historiker Ubbo Emmius (1547–1625) Ende des 16. Jahrhunderts behauptete, die Verfasser der Artikel stammten aus den wichtigsten Orten Ostfrieslands, geschah dies, um einen Beleg für die Richtigkeit der reformierten Historiographie zu haben, die Ende des 16. Jahrhunderts entstand und von einer umfassenden Reformation durch frühe Vertreter der eigenen konfessionellen Richtung zu überzeugen suchte. Dass diese Darstellung nicht ganz objektiv sein dürfte, wird nicht zuletzt aus der Tatsache deutlich, dass einige der von Emmius genannten Orte auf der linksemsischen Seite im 16. Jahrhundert noch lange Zeit altgläubig waren. Namentlich bekannt sind dort zum damaligen Zeitpunkt Priester wie der Pfarrer Wiard (Guilhelmi?) von St. Sixtus in Jemgum, der während der Oldersumer Disputation 1526 als Gegner der Reformation auftrat, oder wie der Propst und Pfarrer Ludolf Hoyer in Weener. Wenn die Zahl der Verfasser auch nicht allzu groß gewesen sein dürfte, so erheben die Verfasser dennoch für sich den Anspruch, die eigentlich tragenden und führenden Figuren der ostfriesischen Reformation zu sein. Inhaltlich verbunden mit den Artikeln ist die Oldersumer Disputation von 1526, bei welcher Aportanus Wortführer auf evangelischer Seite war, sowie die von ihm formulierten Abendmahlsthesen aus dem gleichen Jahr, sodass er und auch die Pastoren der Herrlichkeit Oldersum sicherlich zu den Mitverfassern der Artikel zählten. Ob aber Aportanus das Bekenntnis von 1528 federführend formulierte, ist eher zu bezweifeln, zumal die beiden überlieferten Quellentexte in der gegenwärtig vorliegenden Form sprachlich voneinander abweichen. Während die Thesen von 1526 in mittelniederdeutscher Sprache abgefasst wurden, wurde das Bekenntnis von jemandem geschrieben, der das Mittelniederländische gebrauchte.

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Besonders auffallend ist daher die Verwendung von „wilstu“ (mittel­ niederdeutsch für „willst du“) und „hefstu“ (mittelniederdeutsch für „hast du“) in Artikel 32. Die sprachliche Gestaltung ist an einigen Stellen uneinheitlich, sodass der Verdacht naheliegt, dass nicht nur der Schreiber, sondern auch die an der Abfassung beteiligten Personen jeweils Spuren ihrer individuellen Herkunft hinterlassen haben. Dabei mögen auch Textvorlagen eine Rolle gespielt haben, was die Formulierung einer Passage in Artikel 21 in der ersten Person Singular erklären würde. Die Deutung der sprachlichen und textlichen Ungereimtheiten geschieht natürlich nur unter der Prämisse, dass der vorliegende Text tatsächlich weitestgehend auf der Urfassung beruht. Die in Ostfriesland und in den nordöstlichen Regionen der Niederlande beheimatete mittelniederdeutsche Sprache (Nedersaksisch) wurde in den Provinzen Groningen, Drenthe, Overijssel und Gelderland gesprochen, wobei es regionale Varietäten gab. Die Sprache des 16. Jahrhunderts in Utrecht, Brabant, Holland und Zeeland war hingegen das Mittelniederländische, das sich aus dem Oudnederlands bzw. Oudwestnederfrankisch entwickelt hat. Als Verfasser der Artikel käme daher der damalige Norder Pastor Hinne Rode (um 1490–vor 1537) in Frage, der ursprünglich Rektor der Lateinschule in Utrecht gewesen war und das spiritualistische Abendmahlsverständnis von Wessel Gansfort (1419/20–1489) in Wittenberg und in der Schweiz bekanntgemacht hatte. Dass die Artikel eine große inhaltliche Nähe zu Gansfort aufweisen, wird nicht zuletzt an einem Zitat deutlich, das an die Artikel 31 und 32 erinnert und in dem es heißt, dass „zwischen dem sacramentlichen und geistigen Essen der Unterschied [besteht], daß jenes ohne dieses unfruchtbar ist, ja zum Tode gereicht, das geistige Essen aber stets fruchtbar ist und zum Leben dient. Es ist auch die geistige Theilnahme und die Theilnahme durch fromme Erhebung fruchtbarer als die sacramentliche, wenigstens in dem, was sie isset und trinket“ (Tractatus D. Wesseli Groningensis De oratione & modo orandi cum luculentissima Dominicae orationis explanatione). Insgesamt aber ist das Bekenntnis der ostfriesischen Prediger laut Menno Smid „ein selbständiges Werk, ganz und gar auf dem linken Flügel der Reformation angesiedelt“ (Kirchengeschichte, 133). Seine Vertreter hielten sich oft in den ostfriesischen Herrlichkeiten auf, wie z. B. in Oldersum oder Up- und Wolthusen, die jeweils ein eigenes Kirchenwesen hatten, ungeachtet des von dem jungen Grafen beanspruchten landesherrlichen Kirchenregiments. Das Häuptlingswesen trug zu einem nicht geringen Teil zur religiösen Pluralisierung in Ostfriesland bei. Wenn auch bezweifelt wird, dass das Bekenntnis in ganz Ostfriesland eingeführt wurde, kann jedoch als sicher gelten, dass es zumindest in der Herrlichkeit Oldersum einen offiziellen Charakter hatte.

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Edition Ostfriesisches Bekenntnis von 1528, in: RefBS, Bd. 1/1: 1523–1534, 211–237 (Bearb.: Dietrich Meyer) Literatur Dietrich Meyer, Ostfriesische Artikel des Aportanus von 1526, in: RefBS, Bd. 1/1: ­1523–1534, 180–196 Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, Pewsum 1974 Einleitung und Übersetzung: Klaas-Dieter Voß

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Bekenntnis der ostfriesischen Prediger (1528) Summa und Bekenntnis der christlichen Lehre der Prediger in Ostfriesland, woran man sehen kann, dass sie weder Gottes Wort noch Sakramente verachten, wie ihnen fälschlicherweise nachgesagt wird. Anno 1528. Der 1. Artikel Gott der Herr kennt, hat lieb [und] segnet die Seinen in Ewigkeit. [Er] hat sein Reich von Anbeginn der Welt an seinen Gesegneten bereitet in seinem einzigen lieben Sohn Christus (2. Tim 2,19; Hi 31,3; Mt 25,34; Eph 1,4). Der 2. Artikel Dies ist zumindest solange verborgen [geblieben], bis es ihnen zur rechten Zeit offenbart wurde, äußerlich durch die Menschwerdung und Verkündigung des göttlichen Wortes, das der zuvor genannte Sohn Christus ist, innerlich durch den Heiligen Geist und den Glauben, der Gottes eigene Gabe und Werk in ihnen ist (1. Tim 3,16; 1. Kor 3,7; Joh 6,29). Der 3. Artikel So ist der eine Christus der rechte Mittler zwischen Gott und den Menschen, er allein ist die Tür, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist uns von Gott geschaffen zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung (1. Tim 2,5; Joh 10,7; 1. Kor 1,30). Der 4. Artikel In dem einen Christus offenbart [sich] Gott und gibt seine Güte, Barmherzigkeit, Gunst, Sündenvergebung, Rechtfertigung, Seligkeit, das ewige Leben, alles in allem sich selbst. Durch sich gibt er alles, was er von uns durch das Gesetz fordert und was er uns durch das Evangelium verheißt, sodass Christus das Ende und die Erfüllung von Gesetz und Evangelium ist (Mt 5,17). Das Gesetz drängt wie ein Zuchtmeister zu Christus durch [die] Offenlegung unserer Sünden. Das Evangelium führt durch die Offenbarung der göttlichen Gnade zu ihm (Joh 3,16; Röm 1,1–3.16 f.; 3,21; 7,4; 8,2–4.29–32; 10,4; Gal 3,24; Mt 11,28). Der 5. Artikel Gott gibt uns nicht nur Christus und alle Dinge mit ihm und in ihm (Kol 2,9 f.), sondern gibt und schafft in uns auch den Glauben, durch den wir solches gänzlich annehmen, begreifen und uns darauf verlassen. Das heißt nun das Fleisch und das Blut Christi, ja Christus selbst ganz essen und trinken, mit der Taufe Christi, das heißt mit dem Heiligen Geist ge-

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tauft werden (Apg 1,5), neu geboren werden, von dem Vater erzogen und belehrt und Christus geschenkt werden, zu Christus kommen [und] seine Stimme hören (Röm 8,32; Joh 1,33; 4,14; 6,29.35.37.44.53 f.65; 10,16). Der 6. Artikel Solches tut Gott allein, das heißt, er predigt, er tauft, er gibt den Heiligen Geist und den Glauben, er allein wirkt innerlich in den Herzen (1. Thess 2,13); da können wir nichts hinzutun. Da er solches tut, nicht nur gerade zu der Zeit, wenn wir Predigten hören, getauft werden, äußerlich das Abendmahl des Herrn halten, sondern mit, vor und danach, wann immer es seinem göttlichen Willen gefällt. Gottes Werk kann an unser Werk nicht gebunden sein. Der 7. Artikel Gottes eigenes innerliches Werk, seine Predigten, Taufen etc., ist allein mächtig, nützlich und nötig vor Gott zur Rechtfertigung und Seligkeit, zur Tröstung und zur Vergewisserung der religiösen Überzeugung. Der 8. Artikel Gleichwohl ist unser äußerliches Werk wie das Predigen und Predigten hören, taufen und getauft werden [sowie] das Abendmahl des Herrn halten auch wohl nützlich, aber allein zu anderen Zwecken für die Menschen, wie folgt. Der 9. Artikel Das Predigen dient zur Lehre, zur Mahnung, zur Strafe, zur Überzeugung, zur Offenbarung Christi, damit man keine Entschuldigung für die Sünde habe (Mt 24,14; Joh 15,22; 2. Tim 3,16; 4,2). Der 10. Artikel Die Wassertaufe dient zur Erfassung oder Einschreibung zu der Zahl der anderen Christen, die mit Christus von ihrem sündigen Leben sterben und wieder zu einem neuen Leben auferstehen wollen oder sollen (Mt 28,19; Apg 2,38; 10,48; Röm 6,3 f.6). Der 11. Artikel Das Abendmahl des Herrn dient zum Gedächtnis des Herrn [und zur] Verkündigung seines Todes so lange, bis er leiblich zurückkehrt. Auch um den Glauben zu bezeugen, der das rechte und einzige Essen und Trinken des Fleisches und des Blutes Christi ist (Joh 6,53–56). Es dient mit zur brüderlichen Liebe (Lk 22,19; 1. Kor 11,26).

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Der 12. Artikel Wie wohl diese und alle anderen Dinge, ja auch Teufel, Tod und Hölle den auserwählten Kindern und Liebhabern Gottes zum Besten dienen müssen. Steht nicht zumindest der Grund fest, dass keine auch von Gott gebotenen Werke, die durch Menschenkraft geschehen, keine Sakramente, keine äußerlichen Dinge vor Gott nötig, nützlich oder wirksam sind zur Rechtfertigung und Seligkeit gemäß dem Verständnis, dass Gott um derlei Dinge willen uns als gerecht erachten und selig machen sollte, wie es der gemeine Mann versteht (Röm 8,28). Der 13. Artikel Sonst wäre Christus nicht die einzige ganze Rechtfertigung und Seligkeit, sonst müsste Gottes Gabe und Werk in uns, welches der Glaube ist, zur Seligkeit unvollkommen sein, was doch nicht sein kann, weil dem einen Glauben das ewige Leben zugeschrieben wird (Joh 20,31). Der 14. Artikel Hieraus folgt nicht, wie man uns beschuldigt, dass die Taufe und das Abendmahl des Herrn aufgrund der Vorstellung, dass sie vor Gott nicht zur Gerechtigkeit und Seligkeit dienen, verachtet und verworfen werden. So wie auch die anderen guten Werke, die dem Nächsten nützlich sind und von Gott geboten, darum nicht verachtet und verworfen werden, weil sie vor Gott nicht rechtfertigen und selig machen können (Joh 3,5; 5,14.29; 6,27 f.; 8,11.39; 11,25 f.). Der 15. Artikel Vielmehr werden sie in rechter Weise geachtet und wertgeschätzt, wenn man sie in den Gemeinden zu ihrer irdischen [und] leiblichen Nützlichkeit gebraucht und zu gebrauchen lehrt. Der 16. Artikel Wenn es so ist, dass einzelne äußerliche Dinge, Zeichen oder Werke für zwingend oder dringend gehalten werden, dass sie vor Gott zur Recht­ fertigung und Seligkeit dienen sollen und nötig sind, sind sie dementsprechend zu verachten und zu verwerfen. Der 17. Artikel Nicht anders und weniger als der Geist Gottes durch die Propheten das ganze Opferwerk, [das] Feiern und Fasten etc. straft, so verachtet und verdammt Paulus die Beschneidung um des Missbrauchs willen, das heißt aufgrund des Unglaubens, durch den sie solche Dinge vor Gott zur Rechtfertigung und Seligkeit [für] nützlich und nötig hielten und die

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rechten guten Werke der brüderlichen Liebe dann aufgaben (Jes 58,3–7; Hi 7,21 f.; Gal 5,2). Der 18. Artikel Darum so jemand zur Taufe oder zum Abendmahl des Herrn oder zu anderen äußerlichen Dingen als nötig für seine Rechtfertigung und Seligkeit, Tröstung oder Gewissheit seiner religiösen Überzeugung gedrungen würde, stünde es ihm frei, solches [zu] unterlassen und nicht [zu] gebrauchen, um die Freiheit und Reinheit des Glaubens in Christus zu bezeugen und zu verteidigen (Gal 2,14.16.21). Der 19. Artikel Ja, er wäre schuldig, solches für sich selbst in dem Moment zu tun, und wäre darum kein Verächter der Sakramente, sondern allein des Unglaubens. Der 20. Artikel Wer Christus durch den Glauben hat, der darf nach anderen Dingen nicht hungern noch dürsten. Wenn ihn nach anderen Dingen hungert und dürstet, die ihm selbst noch nötig und von Nutzen für seine Rechtfertigung und Seligkeit erscheinen, kennt und hat er Christus noch nicht (Joh 6,27.35.50–56). Der 21. Artikel Zusammengefasst: Lasst Taufe und Abendmahl nebst allen anderen Werken, die von Gott geboten oder anders zugelassen und dem Nächsten nützlich sind, lasse sie, sage ich, stehen und gelten, wo sie gelten können und sollen, das heißt zum äußerlichen leiblichen Dienst der Gemeinden. Der 22. Artikel Vor Gott gleichermaßen zwischen ihm und uns an der Stelle des einzigen Mittlers Christus können und sollen sie nicht stehen oder gelten. Der 23. Artikel Christus selbst und der reine unvermischte Glaube an ihn und an die in ihm offenbarte und geschenkte Barmherzigkeit Gottes ist allein der Mittler zwischen Gott und uns, den Gott allein ansieht und annimmt und auf den wir uns allein verlassen können, allein mächtig, nützlich und nötig. Ja, Christus ist selbst unsere ganze Rechtfertigung und Seligkeit, Tröstung und Gewissheit (1. Tim 2,5 f.; 1. Kor 1,30 f.).

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Der 24. Artikel Zu demselben Christus und [zum] Glauben an ihn verhelfen keine äußerlichen Dinge, ja keine Kreaturen, sondern es ist allein Gottes Gabe und Werk, allein dem einzigen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist in der Bibel zugeschrieben (Joh 6,29.65; 14,17.26). Der 25. Artikel Solch eine Gottesgabe und [ein solches] Werk kommt wohl aus oder durch Ursache äußerlicher Dinge, wie Paulus schreibt: „Der Glaube kommt von [dem Hören] der Predigt“. Aber die äußerlichen Dinge geben sie nicht, wie er auch schreibt: „So ist nun weder der etwas, der da pflanzt, noch der da begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt“ (Röm 10,17; 1. Kor 3,7). Der 26. Artikel Nachdem der Glaube eine feste Zuversicht der Dinge ist, die zu hoffen und nicht sichtbar sind, wie die Gunst Gottes, die Vergebung der Sünden, die Rechtfertigung und Seligkeit für uns in Christus und durch Christus geschenkt, nachdem der Heilige Geist dem Geist der Gläubigen Zeugnis gibt, damit sie Kinder Gottes sind, und nachdem die Gläubigen ebenso mit demselben Heiligen Geist wie mit einem gewissen Unterpfand versiegelt sind, folgt sicherlich, dass die Gläubigen durch keine äußerlichen Dinge, durch keine Werke, die sie tun können, Gewissheit erlangen in ihrer religiösen Überzeugung (Hebr 11,1; Röm 8,16; Eph 1,13; 4,30; 2. Kor 1,21 f.; 5,5). Der 27. Artikel Sie müssen zuvor gläubig, das heißt getröstet und ihrer Gerechtigkeit und Seligkeit in Christus gewiss sein. Wenn das nicht der Fall ist, so ist alles, was sie tun, verdammenswert. Wie können sie dadurch Gewissheit erlangen und getröstet werden (Röm 14,23)? Der 28. Artikel Die Gläubigen geben wohl anderen Menschen ein Zeugnis ihres Glaubens durch den Gebrauch solcher Zeichen oder Sakramente und [noch] viel mehr durch die Werke der brüderlichen Liebe (Joh 13,4–15.34 f.). Aber die Gläubigen selbst empfangen keinen Glauben, keine Tröstung oder Gewissheit durch einzelne Werke.

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Der 29. Artikel Gleichwie der Kranz den Weinschenk, der ihn selbst nimmt, hängt oder vor seiner Tür aufgehängt hat, nicht gewiss macht, vom Wein [zu haben], muss [er] selbst, wenn er andere Leute damit gewiss macht, zuvor sicher sein, bevor er den Kranz aushängt, dass er Wein im Keller hat. Der 30. Artikel Viel weniger [noch] macht das Abendmahl des Herrn einen Christen gewiss, dass er ein Christenmensch sei [und] den Glauben habe, sondern er muss zuvor dessen sicher sein, bevor er zum Abendmahl geht, ansonsten wäre er ein Betrüger oder ein Spötter. Der 31. Artikel Wer nicht geistlich durch den Glauben das Fleisch und [das] Blut Christi isst und trinkt, das heißt, wer an Christus nicht gesättigt ist und genug hat zur Seligkeit, der isst und trinkt das Brot und [den] Kelch des Herrn, seines Fleisches und Blutes Gedächtniszeichen, zu seiner Verdammnis (1. Kor 11,27.29). Der 32. Artikel Willst du armer Mensch da noch erst Gewissheit und Trost erlangen, so hast du noch keinen Glauben, der die Gewissheit selbst ist. Hast du aber keinen Glauben, so isst du und trinkst du auch nicht das Fleisch und das Blut Christi. Tust du das aber nicht, so nimmst du auch ein äußerliches Zeichen dessen zu deiner Verdammnis wie ein Spötter. So verachten jene das Sakrament [am] allermeist[en], die sich dünken lassen, dass sie davon [am] allermeist[en] halten (Hebr 11,1; Joh 6,53–56; 1. Kor 11,28). Der 33. Artikel In summa, wenn die Taufe und das Abendmahl des Herrn und andere äußerliche Dinge und Werke nicht zur Rechtfertigung und Seligkeit dienen, so dienen sie auch nicht zur Tröstung und Gewissmachung, sondern so, wie Gott allein durch den einen Mittler Christus und den Geist des Glaubens das gute Werk in uns beginnt, so vollendet er [es] damit [auch], das heißt, wenn er rechtfertigt und selig macht, so tröstet er und macht darin auch gewiss. Darüber lest Röm 8,1.15–17.32–34; Eph 1,13 f.; 3,17 f.; 1. Kor 1,21 f.; 5,5; 1. Petr 5,10; Phil 1,6. Summa und Bekenntnis unseres Glaubens auf das Allerkürzeste Wir glauben allein an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist, das heißt, wir bekennen und nehmen [die] Vergebung unserer Sünden, die ewige Rechtfertigung und Seligkeit allein von Gott dem Vater, Schöpfer Himmels und

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der Erde, allein durch Gott den Sohn, unseren Mittler Jesus Christus, allein durch Gott den Heiligen Geist, unseres Trösters Gewissmachung [an]. Wir entsagen allem, was Gott nicht selbst ist und tut, halten nichts anderes für nötig oder nützlich zu unserer Seligkeit. Schluss Nachdem diese aufgezeichneten Artikel, [die] auf Gott und den einzigen Mittler Christus und den Glauben verweisen, mit der Heiligen Schrift begründet sind, dürfen wir sie nicht verschweigen, so lange unsere Schafe die Stimme ihres rechten Vaters Christus durch uns arme Diener hören wollen. In dieser Sache müssen wir Gott mehr gehorchen als den Menschen. Wäre es der Fall, dass einzelne an der ein oder anderen Stelle der Bibel eine andere Interpretation als wir hätten, wenn [sie] auch [ein] Irrtum und falsch wäre, dürfen und wollen wir sie nicht als Unchristen, Ketzer und Verführer verdammen, sofern sie nicht durch ihre Sicht und Lehre von Christus, dem einen rechten Mittler, [weg]führen und [mehr] zu anderen Werken und Dingen [ver]leiten, als nötig und gewinnbringend zur Rechtfertigung und Seligkeit ist, sondern mit uns bekennen, dass Christus selbst der eine Herr, [die] Rechtfertigung und Seligkeit aller auserkorenen Kinder Gottes ist. Wollen sie uns dann um unserer Einsichten willen wenigstens nicht verdammen als Unchristen, Ketzer oder Verführer, wollen wir uns freuen und Gott danken, dass am Jüngsten Tag nicht sie [anstelle von] Christus, auf den, was die Seligkeit anbelangt, wir die Schrift gedeutet und die Menschen hingewiesen haben, unsere Richter sein [werden]. Urteilt nach der Richtschnur der Schrift, des Glaubens und des Geistes (1. Kor 14,29; Röm 12,7; 1. Joh 4,1.6). Man darf an vielen Stellen, Orten und Aussagen der Schrift die rechte Meinung des Heiligen Geistes aus Unwissenheit verfehlen, [wichtig aber ist,] dass man darum nicht in der Hauptsache irrt, welche Christus ist und der Glaube an ihn, noch denselben ganz verloren hat (1. Kor 13,9.12). Unsere Kenntnis und Prophezei ist Stückwerk, darin mögen wir von Tag zu Tag wachsen (Kol 1,9; Eph 1,17 f.; Apg 15,32).

4. Marburger Artikel (1529) Einleitung Im Jahr 1529 sahen sich die evangelischen Reichsstände drohenden politischen Gefahren ausgesetzt. Denn der zweite Reichstag zu Speyer von 1529 hob die für die evangelischen Stände politisch vorteilhaften Bestimmungen des Reichstages von 1526 wieder auf, forderte die Durchführung des Wormser Ediktes von 1521 und plädierte für die Verfolgung sog. Sakramentierer. Gegen diese Beschlüsse erhob sich unter den evangelischen Ständen, die den Reichstag demonstrativ verließen, heftiger Protest. So zeigte sich, dass die Reichspolitik unter Karl V. nicht nur einen Keil zwischen Lutheraner und Zwinglianer zu treiben versuchte, der Protestantismus insgesamt befand sich politisch wie militärisch in großer Gefahr. Ein militärisches Eingreifen von Reichstruppen unter Führung von Karl V. gegen die evangelischen Stände konnte nicht mehr ausgeschlossen werden. In dieser Situation suchte Landgraf Philipp von Hessen, einer der politischen Führer der evangelischen Stände, ein militärisches Bündnis von evangelischen Territorien herbeizuführen. Philipp, der persönliche Kontakte zu zahlreichen evangelischen Theologen unterhielt und mit Huldrych Zwingli wie mit Martin Luther korrespondierte, gab dem Wunsch Luthers nach, dass vor Bündnisverhandlungen ein theologischer Ausgleich zwischen Wittenbergern, Straßburgern und Zürchern insbesondere in der umstrittenen Abendmahlsfrage erzielt werden müsse. Dem Landgrafen gelang es, vom 1. bis 4. Oktober 1529 die führenden evangelischen Theologen in Marburg zu versammeln, um den Abendmahlsstreit beilegen und anschließend weitere Verhandlungen über die Gründung eines protestantischen Militärbündnisses führen zu können. Doch eskalierte am 2. Oktober der Streit zwischen Luther und Zwingli in der Abendmahlsfrage erneut; die Gespräche standen kurz vor dem Abbruch. Am Abend des 3. Oktober näherten sich die Kontrahenten inhaltlich wieder an, um das Projekt eines Bündnisses nicht zu gefährden. Auf der Grundlage eines wenige Wochen zuvor entstandenen Entwurfs hielten die Beteiligten in 15 Artikeln zahlreiche theologische Gemeinsamkeiten fest und bekräftigten dies mit ihren Unterschriften. Die umstrittene Frage nach der Leiblichkeit Christi im Abendmahl wurde ausgeklammert und sich gegenseitiger christlicher Liebe versichert. Mit diesem Text signalisierten alle Beteiligten weiterhin ihre Gesprächsbereitschaft. Endgültig sollte der Plan eines gesamtprotestantischen Militärbündnisses unter Einschluss der Eidgenossen erst im kommenden Jahr

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1530 scheitern, als mit der Confessio Augustana in Artikel 10 die Realpräsenz Christi im Abendmahl betont wurde, ein Artikel, der von den Zürchern aufgrund theologischer Bedenken nicht akzeptiert werden konnte. Die Wittenberger Konkordie von 1536, beschlossen von Wittenbergern und oberdeutschen Straßburgern, kam zwar auf der Grundlage der Marburger Artikel zustande, doch die Marburger Artikel erlangten nur in Ostfriesland rechtliche Anerkennung. Sie bildeten lediglich einen Schritt hin zu einer Verständigung zwischen Luther und den Oberdeutschen um Martin Bucer  – eine Verständigung, die ohne weitere Beteiligung und unter Ausschluss der Eidgenossen herbeigeführt wurde. Edition Die Marburger Artikel von 1529, in: RefBS, Bd. 1/1: 1523–1534, 259–267 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Übersetzung Wolf-Friedrich Schäufele, Der Text der Marburger Artikel. Faksimile – Transkription – Übertragung, in: Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, hg. v. dems., Leipzig 2012, 13–29 Literatur Walther Köhler, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, Bd. 1: Die religiöse und politische Entwicklung bis zum Marburger Religionsgespräch 1529, Leipzig 1924; Bd. 2: Vom Beginn der Marburger Verhandlungen 1529 bis zum Abschluß der Wittenberger Konkordie von 1536, hg. v. Ernst Kohlmeyer / Heinrich Bornkamm, Gütersloh 1953 Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.), Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, Leipzig 2012 Einleitung: Andreas Mühling; Übersetzung: Wolf-Friedrich Schäufele, überarbeitet von Andreas Mühling

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Marburger Artikel (1529) Auf die folgenden Artikel haben sich die Unterzeichner in Marburg am 3. Oktober 1529 geeinigt. Erstens glauben und meinen wir beiderseits übereinstimmend, dass es nur einen einzigen, richtigen, natürlichen Gott gibt, den Schöpfer aller Kreaturen, und dass dieser Gott in seinem Wesen und Natur einer und in den Personen, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist, dreifaltig sei usw. – alles, wie es auf dem Konzil von Nizäa beschlossen wurde und im Nizänischen Glaubensbekenntnis gesungen und gelesen wird in der ganzen christlichen Kirche in aller Welt. Zweitens glauben wir, dass weder der Vater noch der Heilige Geist, sondern der Sohn Gottvaters, auch er rechter wesenhafter Gott, Mensch geworden sei durch das Wirken des Heiligen Geistes, dass er ohne das Zutun männlichen Samens von der reinen Jungfrau Maria geboren worden sei, in vollkommener leiblicher Gestalt, mit Leib und Seele wie jeder andere Mensch, aber ohne jede Sünde usw. Drittens, dass dieser Gottes- und Mariensohn, die ungetrennte Person Jesus Christus, für uns gekreuzigt, gestorben und begraben, von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren sei, dass er zur Rechten Gottes sitze, als Herr über alle Kreaturen, um künftig die Lebenden und die Toten zu richten usw. Viertens glauben wir, dass uns von Adam her die Ursünde angeboren und vererbt wurde und dass sie eine solche Sünde sei, dass sie alle Menschen verdammt; und wenn Jesus Christus uns nicht zu Hilfe gekommen wäre mit seinem Tod und Leben, hätten wir den ewigen Tod deswegen sterben und nicht zum Reich Gottes und zur Seligkeit kommen können. Fünftens glauben wir, dass wir von dieser Sünde und von allen anderen Sünden zusammen mit dem ewigen Tod erlöst werden, wenn wir an diesen Gottessohn Jesus Christus glauben, der für uns gestorben ist usw., und dass wir ohne diesen Glauben durch kein Werk, Stand oder Orden usw. von der ewigen Sünde frei werden können usw. Sechstens, dass dieser Glaube eine Gabe Gottes sei, den wir mit keinen vorangehenden Werken oder Verdiensten erwerben noch aus eigener Kraft machen können; sondern der Heilige Geist gibt und schafft ihn in unsere Herzen, wenn er will, wenn wir das Evangelium oder Wort Christi hören.

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Siebtens, dass dieser Glaube unsere Gerechtigkeit vor Gott sei, indem Gott uns um seinetwillen für gerecht, fromm und heilig erachtet und hält ohne alle Werke und Verdienste und uns dadurch aus Sünden, Tod und Hölle hilft, uns gnädig annimmt und selig macht um seines Sohnes willen, an den wir so glauben und dadurch die Gerechtigkeit, das Leben und alle Güter seines Sohnes genießen und ihrer teilhaftig werden. Deshalb sind jedes Klosterleben und alle Ordensgelübde, die vermeintlich zur Gerechtigkeit nützen, ganz verdammt. Vom äußerlichen Wort Achtens, dass der Heilige Geist, um vom Normalfall zu sprechen, niemandem diesen Glauben oder sein Geschenk gibt ohne vorherige Predigt oder mündliches Wort oder Evangelium von Christus; sondern er wirkt und schafft den Glauben, wo und in wem er will, durch und mit diesem mündlichen Wort (Röm 10,17). Von der Taufe Neuntens, dass die heilige Taufe ein Sakrament sei, das von Gott für diesen Glauben eingesetzt wurde. Und weil das Gebot Gottes „Geht hin und tauft“ (Mt 28,19) und die Verheißung Gottes „Wer da glaubt“ (Mk 16,16) darin liegen, ist es nicht allein ein bloßes Zeichen oder Merkmal unter den Christen, sondern ein Zeichen und Werk Gottes, in dem unser Glaube gefordert wird, durch den wir zum Leben wiedergeboren werden. Von guten Werken Zehntens, dass solcher Glaube durch das Wirken des Heiligen Geistes, wenn wir dadurch für gerecht und heilig erachtet und geworden sind, danach gute Werke durch uns ausübt, nämlich Nächstenliebe, Gebet zu Gott, Erleiden aller Art von Verfolgung usw. Von der Beichte Elftens, dass die Beichte oder das Ratsuchen beim eigenen Pfarrer oder Nächsten zwar ohne Zwang und freiwillig sein soll, aber den betrübten, angefochtenen oder mit Sünden beladenen oder in Irrtum gefallenen Gewissen doch sehr nützlich sei, vor allem wegen der Absolution oder der Tröstung des Evangeliums, welche die wahre Absolution ist. Von der Obrigkeit Zwölftens, dass jede Obrigkeit und weltliche Gesetze, Gerichte oder Ordnungen, wo es sie gibt, ein rechtmäßiger guter Stand sind und nicht verboten, wie viele Papisten und Wiedertäufer lehren und meinen, sondern dass ein Christ, der da hinein berufen oder geboren wird, durch den

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Glauben an Christus ohne weiteres selig werden kann usw., ebenso wie im Stand von Vater und Mutter, von Mann und Frau usw. Dreizehntens: Was man Tradition oder menschliche Ordnungen in geistlichen oder kirchlichen Angelegenheiten nennt, kann man frei einhalten oder unterlassen, wenn sie sich nicht gegen offenkundiges Gotteswort richten, je nachdem, mit welchen Menschen wir zu tun haben, dass wir sie stets vor unnötigem Ärgernis bewahren und durch die Liebe den Schwachen und dem allgemeinen Frieden dienen usw. Wir glauben auch, dass die Lehre, die Pfaffen die Ehe verbietet, Teufelslehre sei. Vierzehntens, dass die Kindertaufe rechtmäßig sei und die Kinder dadurch in Gottes Gnade und in die Christenheit aufgenommen werden. Vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi Fünfzehntens glauben und meinen wir alle von dem Abendmahl unseres lieben Herrn Jesus Christus, dass man gemäß der Einsetzung Christi beide Gestalten verwenden solle; ferner, dass die Messe nicht ein Werk ist, mit dem einer für den anderen im Tod oder Leben Gnade erlangt; ferner, dass das Sakrament des Altars ein Sakrament des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi und der geistliche Genuss dieses Leibes und Blutes jedem Christen in besonderer Weise nötig ist; ebenso, dass der Gebrauch des Sakraments wie das Wort von Gott dem Allmächtigen gegeben und angeordnet sei, um damit die schwachen Gewissen durch den Heiligen Geist zum Glauben zu bewegen. Und obwohl wir uns andererseits dieses Mal nicht geeinigt haben, ob der wahre Leib und das wahre Blut Christi leiblich in Brot und Wein sei, so soll doch jede Partei der anderen, soweit es das Gewissen nur zulässt, christliche Liebe erweisen, und beide Parteien Gott den Allmächtigen fleißig bitten, dass er uns durch seinen Geist das richtige Verständnis bestätigen wolle. Amen. Johannes Oekolampad Huldrych Zwingli Martin Bucer Kaspar Hedio Martin Luther Justus Jonas Philipp Melanchthon Andreas Osiander Stephan Agricola Johannes Brenz

5. Zwinglis Rechenschaft über den Glauben (Fidei ratio) (1530) Einleitung Unmittelbar nach seiner Krönung zum Kaiser berief Karl V. für 1530 einen Reichstag nach Augsburg ein, um durch seine persönliche Intervention die Religionsstreitigkeiten einer Lösung zuzuführen. Eingeladen waren auch protestantische Fürsten und Reichsstädte. Sie sollten dort über ihren Glauben Rechenschaft ablegen. Die Städte des Christ­lichen Burgrechts, ein loses Bündnis deutschschweizerischer und südwest­deutscher protestantischer Städte, dem auch Zürich angehörte, konnten aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen der religionspolitischen Lage und wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit kein gemeinsames Bekenntnis verfassen, das dem Kaiser hätte vorgelegt werden können. Jakob Sturm, von Straßburg nach Augsburg gesandt, hielt Zwingli über den Gang der Dinge auf dem Laufenden. Er hatte ihm sowohl Luthers schon vor dem Reichstag verfassten „Schwabacher Artikel“, die dann allerdings durch die Confessio Augustana ersetzt wurden, als auch die „404 Artikel“ des Johannes Eck, einem wichtigen römischen Gegner Luthers und Zwinglis, zugesandt. Nachdem Zwingli am 24. Juni 1530, wenige Tage nach der offiziellen Eröffnung des Reichstags, einen Brief Sturms erhalten hatte, in welchem dieser die Wünschbarkeit eines Bekenntnisses auch der Städte des Christlichen Burgrechts betonte, entschloss sich der Zürcher Reformator, in seinem eigenen Namen einen Rechenschaftsbericht (Fidei ratio) über seinen Glauben abzufassen und nach Augsburg zu senden. Er benötigte dazu lediglich zwei bis drei Tage. Zwar konnte die Schrift unter den gegebenen Umständen auf die kirchenpolitischen Ereignisse keinen Einfluss nehmen; sie bekam aber schon bald ihre Bedeutung als Zwinglis prägnante Zusammenfassung seiner Theologie. Auch als bekenntnishafte theologische Darlegung ist die Fidei ratio durch die Kontroversen der Zeit geprägt. Schon die Länge der einzelnen Abschnitte gibt Aufschluss, worüber gestritten wurde. Die wichtigsten Punkte seien genannt: Einerseits musste die römische Sakramentslehre, die in Zwinglis Augen der Freiheit und Macht des göttlichen Geistes, vor allem aber dem Charakter der Gnade Gottes entgegensteht, abgelehnt werden (Artikel 7). Andererseits war auch der lutherischen Abendmahlslehre mit ihrer christologischen Grundlage, der Ubiquitätslehre, also der Behauptung der Teilhabe der menschlichen Natur Christi an der gött­ lichen Allgegenwart, als schriftwidrig zu widersprechen (Artikel 8). Beide

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Lehren werten für Zwingli nicht nur Gottes freie Gnade ab, sondern auch die ein für alle Mal gültig vollbrachte Versöhnungstat Christi, auf welche das Abendmahl als von Christus gebotene Feier der Gemeinde nur hinweisen kann. Umgekehrt muss sich Zwingli gegen den lutherischen Vorwurf des Nestorianismus wehren (Artikel 1) und den Verdacht zerstreuen, mit den Täufern zu sympathisieren (Artikel 12). Ein zentraler, die Denkmöglichkeiten der den Reichstag dominierenden Mächte allerdings überschreitender Punkt des Bekenntnisses ist Zwinglis Verständnis der Kirche (Artikel 6 in Verbindung mit Artikel 9 und 10). Erst später haben seine dort geäußerten Gedanken ihre prägende Kraft für den gesamten reformierten Protestantismus und darüber hinaus entfaltet. Bei alledem weiß sich Zwingli mit den Theologen der Alten Kirche, unter denen Augustin die hervorragende Stellung einnimmt, verbunden. Grundlegende und einzig verbindliche Autorität ist allerdings das Schriftzeugnis. Nur durch sorgfältige Schriftauslegung kann eine theologische Überzeugung ausreichend begründet werden, wie Zwingli in allen Artikeln vorführt, exemplarisch in der Begründung seines Abendmahlsverständnisses (Artikel 8). Das schließt die Bereitschaft ein, sich durch eine bessere Schriftauslegung auch eines Besseren belehren zu lassen. Wie in anderen Schriften weist Zwingli auch in der Fidei ratio ausdrücklich darauf hin. Er signalisiert damit seine Gesprächsbereitschaft und nennt zugleich den einzig möglichen Maßstab. Auf dieser Basis scheut sich der Zürcher Reformator wiederum nicht, seine Position – und damit seine Auslegung der Schrift – klar zu formulieren und selbst den Kaiser zusammen mit allen Machthabern und Adeligen darauf aufmerksam zu machen, dass sie nicht nur irren können, sondern – im Licht der Bibel – als Menschen Lügner sind, die wie alle Menschen einzig durch Gottes Geist zur Erkenntnis und Anerkenntnis der Wahrheit gebracht werden können. Editionen Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli u. a., Bd. 6/2 (CR 93.2/Z 6/2), Zürich 1968, 753–817 Zwinglis Fidei Ratio von 1530, in: RefBS 1/1: 1523–1534, Neukirchen-Vluyn 2002, 421–446 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Übersetzung Huldrych Zwingli, Rechenschaft über den Glauben, in: Huldrych Zwingli Schriften, hg. v. Thomas Brunnschweiler / Samuel Lutz, Bd. IV, Zürich 1995, 99–131 (Übers.: Peter Opitz)

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Literatur Jaques Courvoisier, Zwingli als reformierter Theologe, Neukirchen-Vluyn 1966 Berndt Hamm, Zwinglis Reformation der Freiheit, Neukirchen-Vluyn 1988 Gottfried W. Locher, Huldrych Zwingli in neuer Sicht. Zehn Beiträge zur Theologie der Zürcher Reformation, Zürich 1969 Peter Stephens, The Theology of Huldrych Zwingli, Oxford 1986 Einleitung und Übersetzung: Peter Opitz

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Zwinglis Rechenschaft über den Glauben (Fidei ratio) (1530) An Karl, den römischen Kaiser, der den Reichstag in Augsburg abhält. Huldrych Zwinglis Rechenschaft über seinen Glauben. Gespannt warteten wir, die wir das Evangelium in den Städten des Christlichen Burgrechts verkünden, darauf, dass Du, Karl, heiliger Kaiser der Gerechtigkeit, auch von uns Rechenschaft über den Glauben, den wir haben und bekennen, fordern würdest. Während wir gespannt darauf warten, erreicht uns durch einen verlässlichen Boten die Nachricht, dass schon viele die Grundsätze und den Inhalt ihrer Frömmigkeit und ihres Glaubens formuliert hätten, um sie Dir vorzulegen. Das bringt uns in arge Verlegenheit. Denn einerseits treiben uns die Liebe zur Wahrheit und die Bemühung um den öffentlichen Frieden, selber auch zu unternehmen, was wir die anderen tun sehen. Andererseits aber schreckt uns der kurze Zeitraum, der dafür bleibt, davon ab; sowohl weil dann, wegen Deiner Eile, von der das Gerücht ebenfalls berichtet, alles zu schnell und oberflächlich geschehen muss, als auch weil wir, die Prediger des Gotteswortes in den Städten und Landschaften des genannten Burgrechts, zu weit voneinander weg und zu zerstreut sind, um in derart kurzer Zeit zusammenkommen und beraten zu können, was Deiner Majestät am besten zu schreiben wäre. Als ich nun das Bekenntnis der anderen Protestanten und dazu noch die von ihren Gegnern verfasste Widerlegungsschrift sah, von denen es allerdings scheint, dass sie vorbereitet worden sind, bevor ihre Verfasser dazu aufgefordert wurden, hielt ich es für das Beste, sogleich meine eigene „Rechenschaft über den Glauben“ vorzulegen, ohne vorgängige Entscheidung meines Volkes. Wenn das Wort von der „Eile mit Weile“ sonst auch gelten mag, so war doch hier Eile mit Eile nötig, um die Sache nicht zu versäumen und nicht des verdächtigen Schweigens oder der dünkelhaften Gleichgültigkeit beschuldigt zu werden. Daher übergebe ich Dir, Kaiser, die Zusammenfassung meines Glaubens unter diesen Bedingungen und erkläre gleichzeitig, dass ich das Urteil, nicht nur über diese Artikel, sondern über alles, was ich bisher geschrieben habe und durch Gottes Güte noch schreiben werde, nicht einem einzelnen oder einigen wenigen, sondern der ganzen Kirche Christi anvertrauen und überlassen werde, sofern diese nach der Vorschrift und der Eingebung des Wortes und Geistes Gottes entscheidet. Erstens also glaube und weiß ich, dass es nur einen einzigen Gott gibt, und dass er von Natur aus gut, wahr, mächtig, gerecht, weise, der Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge ist; dass er der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ist; zwar drei Personen, deren Wesen aber

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eines und ungeteilt ist. Und überhaupt denke ich im Einzelnen über Gott und seine Namen oder Personen so, wie es das Nizänische und Athanasianische Glaubensbekenntnis darlegen. Ich glaube und weiß, dass der Sohn Fleisch angenommen hat, dass er die menschliche Natur, ja den ganzen, aus Leib und Seele bestehenden Menschen wirklich von der unbefleckten und immerwährenden Jungfrau Maria angenommen hat, und zwar so, dass jener ganze Mensch derart in die Einheit des Wesens oder der Person des Sohnes Gottes aufgenommen wurde, dass der Mensch keine eigene Person bildete, sondern in die untrennbare, unteilbare und unauflösliche Person des Sohnes Gottes aufgenommen wurde. Obwohl jedoch beide Naturen, die göttliche und die menschliche, ihre Art und Eigentümlichkeit so beibehalten haben, dass jede von beiden in ihm wahrhaft und wirklich vorhanden ist, zerteilen die verschiedenen Eigentümlichkeiten und Funktionen der beiden Naturen die Einheit der Person nicht, genauso wenig, wie im Menschen Seele und Leib zwei Personen bilden. Diese sind nämlich von Natur aus vollkommen verschieden, und es kommen ihnen daher auch verschiedene Eigentümlichkeiten und Tätigkeiten zu. Dennoch ist der Mensch, der aus ihnen besteht, nicht zwei Personen, sondern eine. So ist Christus zugleich Gott und Mensch, Gottessohn von Ewigkeit her und Menschensohn von dem dazu bestimmten Zeitpunkt an bis in Ewigkeit. Er ist eine einzige Person, ein einziger Christus, vollkommener Gott, vollkommener Mensch. Nicht weil die eine Natur zur anderen würde oder sich beide vermischten, sondern weil jede ihre Eigentümlichkeit behält und die Einheit der Person dennoch durch diese Eigentümlichkeiten nicht aufgehoben wird. Daher kommt es, dass ein und derselbe Christus nach der Art der menschlichen Natur als kleines Kind schreit, heranwächst, an Weisheit zunimmt, hungert, dürstet, isst, trinkt, Hitze erleidet, friert, Schläge bekommt, schwitzt, verwundet wird, getötet wird, sich fürchtet, traurig ist und alles erträgt, was sonst noch mit der Buße und Strafe für die Sünde zusammenhängt. Denn die Sünde selbst ist ihm völlig fremd (Hebr 4,15). Kraft der Eigenschaften seiner göttlichen Natur dagegen regiert er mit dem Vater über das Oberste und Unterste, durchdringt, trägt und erhält er alles, macht die Blinden sehend, heilt die Lahmen, ruft die Toten ins Leben, bringt die Feinde durch ein Wörtlein zu Fall, gewinnt selbst als Toter das Leben wieder, fährt in den Himmel, sendet den Heiligen Geist von sich aus. Und dies alles, so verschieden es in seiner Natur und Eigentümlichkeit auch ist, vollbringt ein und derselbe Christus, indem er die eine Person des Sohnes Gottes bleibt, und zwar so, dass auch das, was zur göttlichen Natur gehört, wegen der Einheit und Vollkommenheit der Person manchmal der menschlichen, und was zur menschlichen gehört, bisweilen der göttlichen Natur zugeschrieben wird. So sagte er, dass er, der Menschensohn, im Himmel sei (Joh 3,13), als er

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leiblich noch nicht in den Himmel aufgestiegen war. Petrus sagt, Christus habe für uns gelitten (1. Petr 2,21), obwohl allein seine menschliche Natur leiden kann. Aber wegen der Einheit der Person sagt man richtigerweise sowohl „der Gottessohn hat gelitten“ (Hebr 5,8) als auch „der Menschensohn vergibt Sünden“ (Mt 9,6). Denn er hat als derjenige, welcher in einer Person Gottessohn und Menschensohn ist, nach der Eigentümlichkeit der menschlichen Natur gelitten, und als derjenige, welcher in einer Person Gottessohn und Menschensohn ist, vergibt er Sünden nach der Eigentümlichkeit der göttlichen Natur. Denn wie kommen wir dazu zu sagen, der Mensch sei weise, obwohl er doch ebenso aus einem Leib wie aus einer Seele besteht und der Leib mit Weisheit nichts zu tun hat, ja für Wissen und Verstand Gift und Hindernis ist? Und wiederum sagen wir von ihm, er sei von Wunden zerrissen, obwohl doch allein der Leib Wunden empfangen kann, die Seele aber nicht! Hier sagt niemand, aus dem Menschen würden zwei Personen, wenn jedem Teil das Seine zugeschrieben wird. Und wiederum sagt niemand, die Naturen würden vermischt, wenn vom ganzen Menschen ausgesagt wird, was wegen der Einheit der Person zwar auf den ganzen Menschen zutrifft, wegen der Eigentümlichkeit der Teile aber nur auf die eine Natur. Paulus sagt: „Wenn ich krank bin, bin ich stark“ (2. Kor 12,10). Wer aber ist es, der krank ist? Paulus. Wer ist wohl zugleich bei Kräften? Paulus. Aber ist das nicht widersprüchlich, unlogisch und unerträglich? Keineswegs! P ­ aulus besteht nämlich nicht nur aus einer Natur, obwohl er nur eine Person ist. Wenn er also sagt: „Ich bin krank“, spricht sicher die Person, welche Paulus ist. Was er aber sagt, wird nicht von beiden Naturen ausgesagt oder verstanden, sondern nur von der Krankheit des Leibes. Und wenn er sagt: „Ich bin stark und gesund“, spricht sicher die Person des Paulus, aber es ist nur die Seele gemeint. So stirbt der Sohn Gottes, nämlich der, der kraft der Einheit und Einfachheit der Person Gott und Mensch zugleich ist; er stirbt aber nur hinsichtlich seines Menschseins. In dieser Weise denke nicht nur ich, sondern so haben alle Rechtgläubigen über die Gottheit selbst wie über die Personen und die angenommene Natur gedacht, sowohl die Kirchenväter als auch die Scholastiker. So denken auch die, welche heute die Wahrheit erkennen. Zweitens weiß ich, dass jenes höchste göttliche Wesen, das mein Gott ist, über alle Dinge frei bestimmt, sodass sein Ratschluss nicht von der Zufälligkeit irgendeines Geschöpfs abhängt. Zur verstümmelten menschlichen Weisheit gehört es, nur diskursiv oder aufgrund eines Beispiels zu entscheiden. Gott aber, der von Ewigkeit zu Ewigkeit alles mit einem einzigen und einfachen Blick überschaut, muss nicht zuerst Überlegungen anstellen

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oder Ereignisse abwarten, sondern, wie er gleichermaßen weise, klug, gut usw. ist, bestimmt und verfügt er frei über alles, denn alles, was ist, gehört ihm. Daher beschloss er, so sehr er mit Wissen und Voraussicht am Anfang den Menschen bildete, der fallen sollte, dennoch ebenso, seinen Sohn mit der menschlichen Natur zu bekleiden, um den Fall wiedergutzumachen. Auf diese Weise wurde seine Güte in jeder Beziehung offenbar. Diese nämlich, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in sich schließt, übte Gerechtigkeit aus, als sie den Übertreter aus den glücklichen Wohnungen des Paradieses vertrieb, als sie ihn in die Tretmühle des menschlichen Elends stellte und an die Ketten der Krankheit band, als sie ihn auf das Gesetz verpflichtete, das, obwohl es selbst heilig ist, niemand erfüllen konnte. Der zweifach Unglückliche erfuhr nicht nur, dass das Fleisch in Bedrängnis geraten war, sondern auch, dass der Geist durch die Furcht, das Gesetz übertreten zu haben, gequält wurde. Einerseits nämlich erkannte er nach dem Geist, dass das Gesetz heilig, gerecht (Röm 7,12) und ein Bote des göttlichen Willens ist, sodass es nichts gebietet, als was die Gerechtigkeit rät. Zugleich aber erkannte er, dass er durch seine Taten die Absicht des Gesetzes nicht erfüllte. Durch sein eigenes Urteil verdammt, ohne Hoffnung, die Seligkeit zu erlangen, aus Verzweiflung vor dem Angesicht Gottes fliehend, dachte er an nichts anderes, als dass er den Schmerz der ewigen Qual erleiden werde. Soweit offenbarte sich Gottes Gerechtigkeit. Als es nun Zeit war, die Güte zu zeigen, die er nicht weniger als die Gerechtigkeit von Ewigkeit her zu offenbaren beschlossen hatte, sandte Gott seinen Sohn (Gal 4,4), um ganz und gar unsere Natur anzunehmen, ausgenommen ihren Hang zur Sünde. So konnte er, als Bruder uns gleich geworden, der Mittler sein, der sich für uns der göttlichen Gerechtigkeit, die nicht weniger als die Güte unverletzt und unangetastet bleiben muss, opfert. Damit sollte die Welt gewiss sein, dass die Gerechtigkeit versöhnt und die Güte Gottes gegenwärtig ist. Denn wenn er uns und für uns seinen Sohn gab, wie wird er uns mit ihm und um seinetwillen nicht alles schenken (Röm 8,32)? Was gibt es, das wir uns nicht von ihm versprechen sollen, der sich dazu herabließ, nicht nur uns gleich, sondern ganz der Unsrige zu sein? Wer kann den Reichtum und die Gnade der göttlichen Güte genügend bewundern, mit der er die Welt, das heißt das Menschengeschlecht, so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn für ihr Leben dahingab (Joh 3,16)? Dies ist meiner Ansicht nach die Quelle und die Schlagader des Evangeliums, dies das allereinzige Heilmittel für die kraftlose Seele, durch das sie für Gott und für sich selbst wiederhergestellt wird. Nichts kann ihr ja die Gewissheit der Gnade Gottes geben als Gott selbst. Der aber hat die Gnade so freigiebig, so reichlich und so umsichtig ganz über uns ausgegossen, dass nun nichts übrigbleibt, was wir noch wünschen könnten,

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außer es würde jemand wagen, etwas über das Höchste und über die überströmende Fülle hinaus zu verlangen. Drittens weiß ich, dass es zur Sühnung der Sünden kein anderes Opfer gibt als Christus – denn auch Paulus ist nicht für uns gekreuzigt worden (1. Kor 1,13) –, dass es kein anderes und gewisseres und unbezweifelbareres Pfand der göttlichen Güte und Barmherzigkeit gibt – denn nichts ist so zuverlässig wie Gott – und dass es keinen anderen Namen unter der Sonne gibt, in welchem wir erlöst werden sollen, als der Name Jesu Christi (Apg 4,12). Hier erübrigen sich also sowohl die Rechtfertigung und Genugtuung durch unsere Werke als auch alle Sühne und Fürbitte aller Heiligen, ob sie nun auf der Erde oder im Himmel leben, um der Güte und Barmherzigkeit Gottes willen. Der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist hier nämlich der Gott und der Mensch Jesus Christus (1. Tim 2,5). Gottes Erwählung aber steht fest und bleibt gewiss. Die, welche er vor der Grundlegung der Welt erwählte (Eph 1,4), erwählte er so, dass er sie durch seinen Sohn mit sich verband. Wie er nämlich gütig und barmherzig ist, so ist er auch heilig und gerecht. Alle seine Werke lassen ja Barmherzigkeit und Gerechtigkeit erkennen. Auch seine Erwählung gibt daher mit Recht beides zu erkennen. Es gehört zu seiner Güte, dass er die erwählt hat, welche er will, zu seiner Gerechtigkeit aber gehört, dass er die Erwählten durch seinen Sohn annimmt und mit sich verbindet, der für uns das Opfer wurde, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun (Röm 9,18). Viertens weiß ich, dass unser Urahne, der erste Vater, aufgrund der phi­ lautia, das heißt der Eigenliebe, durch die Einflüsterung des Teufels, der ihm aus Neid diesen verderblichen Rat gab, dahin verleitet wurde, dass er werden wollte wie Gott (Gen 3,5). Als er sich zu diesem Vergehen entschlossen hatte, aß er den verbotenen und verderblichen Apfel, fiel dadurch in die Schuld und Anklage der Todesstrafe und wurde zu einem Feind und Gegner seines Gottes (Jak 4,4). Obwohl ihn Gott nun vernichten könnte und es die Gerechtigkeit sogar verlangte, hat der unverdient gütige Gott die Todesstrafe in den Sklavenstand verwandelt, sodass er den zum Sklaven machte, den er mit dem Tode hätte bestrafen können. Da weder er noch einer seiner Nachkommen dieses Verhängnis aufheben kann – denn ein Sklave kann nur einen Sklaven zeugen –, hat er durch diesen unheilvollen Bissen die ganze Nachkommenschaft in die Sklaverei geworfen. Über die Ursünde denke ich folgendermaßen: Von Sünde ist dann im eigentlichen Sinn die Rede, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird. „Wo es nämlich kein Gesetz gibt, da gibt es keine Übertretung“ (Röm 4,15). Und wo es keine Übertretung gibt, da gibt es keine Sünde im eigentlichen

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Sinn, denn die Sünde ist ja immer ein Verbrechen, ein Vergehen, eine Übeltat oder Schuld. Ich bekenne daher, dass unser Urvater eine Sünde begangen hat, die wirklich Sünde ist, nämlich ein Verbrechen, das heißt ein Vergehen und ein Frevel gegen Gott. Seine Nachkommen aber haben nicht auf diese Weise gesündigt. Denn wer von uns hat im Paradies mit den eigenen Zähnen in den verbotenen Apfel gebissen? Ob wir wollen oder nicht, wir sind gezwungen zuzugeben, dass die Ursünde, wie sie für die Kinder Adams besteht, nicht im eigentlichen Sinn Sünde ist, wie schon gezeigt wurde, denn sie ist keine Gesetzesübertretung. Sie ist daher im eigentlichen Sinn eine Krankheit und ein Verhängnis. Eine Krankheit, weil auch wir so fallen, wie er aus Selbstliebe gefallen ist. Ein Verhängnis, weil auch wir als Sklaven und Kinder des göttlichen Zorns geboren werden (Eph 2,3) und dem Tod unterworfen sind, wie er zum Sklaven gemacht und dem Tod unterworfen wurde. Ich habe allerdings nichts dagegen, dass man diese Krankheit und dieses Verhängnis nach dem Sprachgebrauch des Paulus „Sünde“ nennt (Röm 7,8); dass man sie eine solche Sünde nennt, dass alle, die in ihr geboren werden, Feinde und Gegner Gottes sind (Jak 4,4). Denn dahin bringt sie das Verhängnis der Geburt – nicht die Verübung eines eigenen Verbrechens, außer insofern unser Urvater dies einmal begangen hat. Die wirkliche Ursache der erbitterten Feindschaft und des Todes ist das von Adam begangene Vergehen und der von ihm verübte Gottesfrevel, und dies ist im eigentlichen Sinn Sünde. Jene Sünde aber, die uns anhaftet (Hebr 12,1), ist strenggenommen Krankheit und Verhängnis und bringt damit allerdings die Notwendigkeit des Sterbens mit sich. Sie wäre aber niemals von Geburt an unser Schicksal geworden, wenn nicht jenes Vergehen die Geburt verdorben hätte. Die Verdorbenheit des Menschen kommt daher aus dem Vergehen wie aus einer Ursache und nicht aus der Geburt. Aus der Geburt kommt sie nicht anders, als dass sie aus dieser Quelle und Ursache folgt. Bestärkt wird diese Auffassung durch die Autorität der Schrift und durch ein Beispiel. Paulus redet in Römer 5,17 so: „Wenn nämlich wegen der Sünde des Einen der Tod die Herrschaft erhielt durch den Einen, um wieviel mehr […].“ Hier sehen wir „Sünde“ im eigentlichen Sinn verstanden. Denn der Eine ist Adam, wegen dessen Schuld uns der Tod im Nacken sitzt. In Kapitel 3,23 sagt er folgendes: „Denn alle haben gesündigt und entbehren des Ruhmes“, das heißt der Güte und Freundlichkeit Gottes. Hier wird Sünde im Sinne von Krankheit, Verhängnis und Geburt verstanden, sodass wir alle Sünder genannt werden, sogar bevor wir das Licht der Welt erblicken, indem wir unter dem Verhängnis der Sünde und des Todes stehen, auch bevor wir durch die Tat sündigen. Diese Meinung wird wiederum unwidersprechlich bestätigt durch die Worte des Paulus in Römer

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5,14: „Aber der Tod herrschte oder gelangte von Adam bis zu Mose, auch in denen, die nicht durch die gleiche Übertretung wie Adam gesündigt hatten.“ Also ist der Tod auch in uns, auch wenn wir nicht so wie Adam gesündigt haben! Weshalb? Weil er gesündigt hat. Wenn wir aber nicht auf diese Weise gesündigt haben, warum vernichtet uns der Tod dennoch? Weil jener wegen der Sünde starb und als Toter, das heißt als dem Tod Ausgelieferter, uns gezeugt hat. Deshalb sterben auch wir, aber aufgrund seiner Schuld, in Wirklichkeit aufgrund unseres Verhängnisses und unserer Krankheit, oder, wenn man so will, aufgrund der Sünde, aber im uneigentlichen Sinn verstanden. Das Beispiel lautet folgendermaßen: Ein Kriegsgefangener hat durch Treulosigkeit und Feindseligkeit verdient, als Sklave behandelt zu werden. Seine Nachkommen werden zu oiketai, das heißt zu Leibeigenen oder Knechten eines Herrschers, nicht aufgrund eigenen Verschuldens, einer Schuld oder eines Vergehens, sondern infolge des Verhängnisses, das der Schuld folgte. Der Vater, von dem sie abstammen, hatte dies durch sein Verbrechen verschuldet. Die Nachkommen haben kein Verbrechen begangen, müssen aber die schwere Strafe für das Verbrechen, nämlich das Verhängnis, die Knechtschaft und Gefangenschaft ertragen. Wenn man dies Verbrechen nennen will, weil sie ihre Lage einem Verbrechen verdanken, habe ich nichts dagegen. Ich anerkenne auch, dass diese Ursünde durch Verhängnis und Verseuchung alle Menschen betrifft, die aus der Liebe zwischen Mann und Frau geboren werden (Joh 1,13). Ich weiß auch, dass wir von Natur Kinder des Zorns sind (Eph 2,3), zweifle aber nicht daran, dass wir aus Gnade, die durch den zweiten Adam, Christus (1. Kor 15,45), den Fall wiedergutmachte, unter die Kinder Gottes aufgenommen werden. Aber so, wie nun folgt. Fünftens: Wenn wir in Christus, dem zweiten Adam (1. Kor 15,45), dem Leben wiedergegeben werden, wie wir im ersten Adam dem Tod übergeben wurden, dann steht fest, dass wir unbesonnen handeln, wenn wir die Kinder christlicher Eltern, ja auch die Kinder der Heiden, verdammen. Wenn Adam nämlich durch seine Sünde das ganze Menschengeschlecht verderben konnte, Christus aber durch sein Sterben nicht das ganze Menschengeschlecht lebendig gemacht und von dem dadurch angerichteten Unheil erlöst hat, so wäre das durch Christus wiederhergestellte Heil dem Unheil nicht ebenbürtig, und ebenso wäre – das sei ferne – nicht wahr: „So wie in Adam alle gestorben sind, so werden in Christus alle dem Leben wiedergegeben“ (1. Kor 15,22). Wie auch immer man aber hinsichtlich der Kinder der Heiden entscheiden mag, dies behaupten wir aufgrund der Kraft des durch Christus dargebotenen Heils mit Bestimmtheit, dass diejenigen, welche sie dem ewigen Fluch preisgeben, an der Sache vorbei-

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reden, sowohl aufgrund der erwähnten Wiederherstellung als auch wegen der freien Erwählung Gottes, die nicht eine Folge des Glaubens ist; vielmehr ist der Glaube Folge der Erwählung. Darüber im folgenden Artikel. Diejenigen, die von Ewigkeit her erwählt sind, sind zweifellos auch erwählt, bevor sie glauben. Daher sollen die, welche wegen ihres Alters den Glauben noch nicht haben, von uns nicht grundlos verdammt werden. Auch wenn sie ihn nämlich noch nicht haben, so ist uns Gottes Erwählung doch verborgen. Wenn sie von ihm erwählt sind, dann urteilen wir voreilig über Unerforschliches. Über die christlichen Kinder aber urteilen wir anders. Alle Christen­ kinder gehören nämlich zur Kirche Gottes und sind Teile und Glieder seiner Kirche. Das beweisen wir so: Durch die Zeugnisse fast aller Propheten ist verheißen, die Kirche müsse aus den Heiden zur Kirche des Volkes Gottes versammelt werden (Jes 56,3–8). Und Christus selbst sagt: „Sie werden von Osten und Westen kommen und mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu Tische liegen“ (Mt 8,11). Und: „Gehet hin in alle Welt“ (Mt 28,19). Zur Kirche der Juden gehörten aber deren Kinder genauso wie die Juden selbst. Ebenso gut wie einst diejenigen der Juden gehören daher unsere Kinder zur Kirche Christi. Sonst wäre nämlich die Verheißung nicht mehr gültig, weil wir dann nicht gleich wie Abraham mit Gott zu Tisch liegen würden. Denn dieser wurde zusammen mit seinen leiblichen Nachkommen zur Kirche gezählt. Wenn aber unsere Kinder nicht so mit den Eltern mitgezählt würden, dann wäre Christus uns gegenüber niederträchtig und missgünstig, indem er uns verweigern würde, was er den Vorfahren gegeben hat. Es ist aber schon gottlos, das überhaupt zu sagen. Sonst würde nämlich die ganze Verheißung über die Berufung der Heiden ungültig. Da die Christenkinder nicht weniger zur sichtbaren Kirche Christi gehören als die Erwachsenen, steht fest, dass wir sie nicht weniger zur Zahl der nach unserem Urteil Erwählten rechnen müssen als die Eltern. So kommt es, dass ich der Meinung bin, dass jene, welche die Christenkinder der Verdammnis preisgeben, gottlos und anmaßend handeln, da ja so viele deutliche Schriftzeugnisse dem widersprechen und behaupten, die Kirche aus den Heiden werde nicht nur gleich, sondern größer sein als diejenige aus den Juden. Das soll nun alles noch deutlicher werden, wenn wir unseren Glauben von der Kirche darlegen. Sechstens denken wir daher über die Kirche so: „Kirche“ wird in den Schriften verschieden verwendet. Einmal für die Erwählten, die nach dem Willen Gottes zum ewigen Leben bestimmt sind. Von dieser spricht Paulus, wenn er sagt, sie habe weder Runzeln noch Flecken (Eph 5,27). Sie ist allein Gott bekannt, denn er allein kennt nach einem Wort Salomos die

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Herzen der Menschenkinder (1. Kön 8,39). Nichtsdestoweniger aber wissen die Glieder dieser Kirche, indem sie den Glauben haben, dass sie selbst erwählt und Kinder dieser ersten Kirche sind. Sie wissen jedoch nicht, welche Glieder sonst noch dazu gehören. So nämlich steht es in der Apostelgeschichte: „Und es glaubten, wie viele zum ewigen Leben bestimmt waren“ (Apg 13,48). Diejenigen, die glauben, sind folglich zum ewigen Leben bestimmt. Wer aber in Wahrheit glaubt, weiß nur der Glaubende selbst. Er ist also schon gewiss, ein Erwählter Gottes zu sein. Er hat nämlich, gemäß dem Apostelwort (2. Kor 1,22), die Anzahlung des Geistes. Durch ihn geweiht und versiegelt, weiß er, dass er wahrhaftig frei und ein Sohn des Hauses geworden ist, nicht ein Sklave (Joh 8,35 f.). Dieser Geist kann nämlich nicht täuschen. Wenn er uns immer wieder sagt, Gott sei unser Vater, und wir ihn zuversichtlich und unverzagt als Vater anreden, in der Gewissheit, dass wir das ewige Erbe erlangen werden, ist der Geist des Gottessohnes gewiss in unsere Herzen ausgegossen (Tit 3,5–7). S­ icher ist daher der erwählt, der so gewiss und zuversichtlich ist. Denn die, welche glauben, sind zum ewigen Leben bestimmt (Apg 13,48). Andererseits jedoch sind viele erwählt, die den Glauben noch nicht haben. Waren denn die göttliche Gottesgebärerin, Johannes, Paulus, als sie noch kleine Kinder waren, etwa nicht erwählt, und dies schon vor der Erschaffung der Welt? Das wussten sie aber weder aufgrund des Glaubens noch aufgrund der Offenbarung. Matthäus, Zachäus, der Schächer am Kreuz und ­Magdalena, waren sie etwa nicht vor der Erschaffung der Welt erwählt (Lk 8,2; 23,40 ff.; Eph 1,4)? Und dennoch wussten sie es nicht, bis sie vom Geist erleuchtet und vom Vater zu Christus gezogen wurden (Joh 6,44). Daraus ergibt sich, dass diese erste Kirche allein Gott bekannt ist, und dass nur jene, die einen festen und unerschütterlichen Glauben haben, wissen, dass sie Glieder dieser Kirche sind. Andererseits wird „Kirche“ überhaupt für alle verwendet, die mit dem Namen Christi bezeichnet werden, das heißt, die sich zu Christus bekannt haben. Von ihnen anerkennt ein großer Teil Christus sichtbar durch das Bekenntnis oder die Teilnahme an den Sakramenten, lehnt ihn jedoch im Herzen ab oder kennt ihn nicht. Zu dieser Kirche gehören daher nach unserer Überzeugung alle, die den Namen Christi bekennen. So gehörte Judas zur Kirche Christi und alle, die sich von Christus abwandten. Judas wurde nämlich von den Aposteln genauso für ein Glied der Kirche Christi gehalten wie Petrus und Johannes, obwohl er nichts weniger als dies war. Christus aber wusste, wer zu ihm gehörte und wer zum Teufel (Joh 13,11). Also besteht diese wahrnehmbare Kirche, obwohl sie in dieser Welt nicht zusammenkommt, aus allen, die Christus bekennen, auch wenn viele Verworfene darunter sind. Christus hat sie nämlich durch die treffende Allegorie von den zehn Jungfrauen, von denen ein Teil klug, ein

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Teil töricht war, dargestellt (Mt 25,1–13). Sie wird ebenfalls manchmal „erwählt“ genannt, auch wenn sie nicht jene erste „ohne Flecken“ ist (Eph 5,27). Im gleichen Sinn, wie sie nach menschlichem Urteil wegen des äußerlich wahrnehmbaren Bekenntnisses als „Kirche Gottes“ gilt, wird sie auch als „erwählt“ bezeichnet. Wir betrachten nämlich diejenigen als Glaubende und Erwählte, die sich zu Christus bekennen. So redet Petrus von „den Erwählten, die überall in Pontus sind“ (1. Petr 1,1). Hier meint er mit „Erwählte“ alle, die zu den Kirchen gehören, an welche er schreibt, nicht nur die, welche im eigentlichen Sinn vom Herrn erwählt sind, denn diese waren dem Petrus unbekannt, sodass er ihnen nicht schreiben konnte. Zuletzt wird „Kirche“ für jede einzelne Gemeinde dieser allgemeinen und sichtbaren Kirche verwendet, wie die Kirche in Rom, in Augsburg, in Lyon. Es gibt auch noch andere Bedeutungen von „Kirche“, die jetzt nicht aufgezählt werden müssen. Ich glaube demnach also, dass es eine Kirche gibt, die aus denen besteht, welche denselben Geist haben, der sie gewiss macht, dass sie wahre Kinder des Hauses Gottes sind. Das ist die Erstlingsfrucht der Kirchen (Röm 8,23). Ich glaube, dass diese Kirche in der Wahrheit nicht irrt, nämlich in den entscheidenden Grundlagen des Glaubens, auf denen alles beruht. Ich glaube ferner, dass die eine allgemeine sichtbare Kirche eine einzige ist, sofern sie das wahre Bekenntnis, von dem schon die Rede war, festhält. Ich glaube außerdem, dass zu dieser Kirche alle gehören, die sich nach dem Gebot und der Verheißung des Wortes Gottes dazu bekennen. Ich glaube, dass die Kinder Isaak, Jakob, Juda und alle, die aus dem Samen Abrahams stammen, schon als Kinder, wie auch die Kinder, deren Eltern in den ersten Zeiten der Kirche aufgrund der Predigt der Apostel auf die Seite Christi traten, zu dieser Kirche gehören. Denn wenn Isaak und die übrigen Väter nicht dazugehört hätten, hätten sie das Kennzeichen der Kirche nicht erhalten. Wenn sie also zur Kirche gehörten, dann gehörten auch die kleinen Kinder der Urkirche dazu. Daher glaube und weiß ich, dass sie das Sakrament der Taufe als Zeichen empfangen haben. Denn auch die Kinder bekennen, wenn sie von den Eltern der Kirche dargebracht werden, oder vielmehr, wenn die Verheißung sie darbringt, die für unsere Kinder nicht kleiner, sondern um vieles weiter und reicher geworden ist als für die Kinder der Hebräer. Dies sind daher die Grundlagen für die Taufe und Übergabe der Kinder an die Kirche, gegen die alle Geschosse und Kunstgriffe der Wiedertäufer nichts ausrichten können. Nicht nur die Glaubenden, sondern auch die Bekennenden sollen nämlich getauft werden, die nach den Verheißungen des Wortes Gottes zur Kirche gehören. Sonst würde überhaupt auch keiner der Apostel irgendjemanden taufen, denn kein Apostel besitzt über den Glauben eines Menschen Gewissheit, der be-

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kennt und sich dazuzählt. Denn sogar Simon der Zauberer (Apg 8,9–24), Ananias, auch Judas und wer nicht alles sind getauft worden; obwohl sie es von sich bekannten, hatten sie dennoch keinen Glauben. Andererseits wurde Isaak als Kind beschnitten, obwohl er weder ein Bekenntnis ablegte noch glaubte. Vielmehr legte die Verheißung für ihn das Bekenntnis ab. Weil sich nun aber unsere Kinder in der gleichen Lage wie diejenigen der Hebräer befinden, legt nun auch die Verheißung für unsere Kirche das Bekenntnis ab und zeugt für sie. In Wirklichkeit verlangt daher die Taufe genauso wie die Beschneidung – wir sprechen aber vom Sakrament der Taufe – nur eines von beiden, entweder das Bekenntnis, also die Bezeugung der Zugehörigkeit, oder den Bund, also die Verheißung. Dies alles wird im Folgenden noch klarer werden. Siebtens glaube, ja weiß ich, dass alle Sakramente so weit davon entfernt sind, die Gnade zu verleihen, dass sie diese nicht einmal herbeibringen oder verwalten. In dieser Sache könnte ich Dir vielleicht zu kühn erscheinen, mächtigster Kaiser, doch ist diese Auffassung fest gegründet. Wie die Gnade nämlich vom göttlichen Geist bewirkt oder geschenkt wird – ich benütze das Wort aber im lateinischen Sinn, indem ich nämlich den Ausdruck „Gnade“ für Vergebung, Nachsicht und freie Wohltat verwende, so fällt dieses Geschenk allein dem Geist zu. Der Geist braucht aber keinen Führer und kein Transportmittel. Er selbst ist nämlich Kraft und Träger, durch den alles gebracht wird, er hat nicht nötig, selber gebracht zu werden. Wir lesen auch in den heiligen Schriften nie, dass Sichtbares, was die Sakramente ja sind, den Geist mit Sicherheit mit sich bringen würde. Vielmehr war, wenn Sichtbares je mit dem Geist verbunden war, der Geist der Träger, nicht das Sichtbare. So wurden, als ein starker Wind kam, zugleich durch die Kraft des Windes die Zungen herbeigeführt (Apg 2,1–2), nicht der Wind durch die Kraft der Zungen. So brachte der Wind Wachteln (Num 11,31) und führte Heuschrecken weg (Ex 10,19), aber keine Wachtel oder Heuschrecke konnte jemals so gut fliegen, dass sie den Wind herbeigebracht hätte. Ebenso war es, als ein Wehen an Elia vorbeiging, das so stark war, selbst Berge hinwegheben zu können; der Herr wurde dennoch nicht durch das Wehen herangetragen (1. Kön 19,11) usw. Kurz: Der Geist weht, wo er will. Das heißt, der Wind weht so, wie es seiner Natur entspricht, und du hörst zwar seine Stimme, aber du weißt nicht, woher er kommt oder wo er sich niederlässt. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren wird (Joh 3,8), das heißt, er wird auf unsichtbare und unbegreifliche Weise erleuchtet und gezogen (Joh 1,9; 6,44). Die Wahrheit hat das gesprochen (Joh 14,6). Die Gnade des Geistes wird daher nicht durch dieses Untertauchen (Röm 6,3), nicht durch dieses Trinken, nicht durch jene Salbung

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vermittelt, denn wenn dem so wäre, wüsste man ja, wie, wo, wodurch und wohin der Geist gebracht wird. Ist nämlich Gegenwart und Wirksamkeit der Gnade an die Sakramente gebunden, dann wirkt sie dort, wohin diese gebracht werden; wo man sie nicht gebraucht, hat sie keine Wirkung. Auch ist es nicht so, dass, wie die Theologen vorgeben, die „Materie“ oder das „Subjekt“ eine vorausgehende Disposition brauchen, das heißt, dass die Gnade der Taufe oder der Eucharistie – wie sie sagen – nur dem gegeben wird, der darauf vorbereitet ist. Wer nämlich ihrer Meinung nach die Gnade durch die Sakramente empfängt, bereitet entweder sich selbst darauf vor oder wird vom Geist vorbereitet. Wenn er sich selbst darauf vorbereitet, vermögen wir folglich etwas aus uns selbst heraus, und die zuvorkommende Gnade ist nichtig. Wenn er vom Geist zum Empfang der Gnade vorbereitet wird, so frage ich, ob das auch durch die Vermittlung des Sakraments oder außerhalb des Sakraments geschieht. Wenn durch die Vermittlung des Sakraments, dann wird der Mensch durch das Sakrament für das Sakrament vorbereitet, und so ginge es in einem unendlichen Regress weiter, denn immer wird zur Vorbereitung auf das Sakrament das Sakrament verlangt. Wenn wir aber ohne Sakrament zum Empfang der sakramentalen Gnade vorbereitet werden, dann ist der Geist in seiner Güte vor dem Sakrament anwesend, und demnach ist die Gnade sowohl bewirkt als auch gegenwärtig, bevor das Sakrament dargereicht wird. Daraus geht hervor, was ich hinsichtlich der Sakramente sehr gern zugebe: Die Sakramente werden zum öffentlichen Zeugnis der Gnade gegeben, die jedem schon vorher persönlich zuteilgeworden ist. So wird die Taufe vor der Gemeinde dem verliehen, der, bevor er sie erhält, entweder sich zum christlichen Glauben bekannt hat oder das Wort der Verheißung hat, wodurch man weiß, dass er zur Kirche gehört. Deshalb fragen wir, wenn wir einen Erwachsenen taufen, ob er glaube. Erst dann, wenn er mit „Ja“ antwortet, empfängt er die Taufe. Der Glaube war also da, bevor er die Taufe empfing. Folglich wird der Glaube nicht durch die Taufe verliehen. Wenn nun ein Kind gebracht wird, wird gefragt, ob es die Eltern zur Taufe bringen wollen. Und erst dann, wenn sie durch die Taufzeugen antworten, sie wollten, dass es getauft werde, wird das Kind getauft. Auch hier ging die Verheißung Gottes voran, dass er unsere Kinder nicht weniger zur Kirche rechne als die der Hebräer. Wenn nämlich die ihr Kind bringen, die zur Kirche gehören, wird das Kind, da es ja von Christen stammt, schon unter der Voraussetzung getauft, dass es, aufgrund der göttlichen Verheißung, zu den Gliedern der Kirche gerechnet wird. Durch die Taufe nimmt also die Kirche den öffentlich auf, der vorher durch die Gnade aufgenommen worden ist. Daher bringt die Taufe die Gnade nicht mit sich, vielmehr wird der Kirche damit bezeugt, dass sie dem Täufling zuteilgeworden ist.

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Ich glaube also, o Kaiser, dass das Sakrament ein Zeichen der heiligen Sache, das heißt der zuteilgewordenen Gnade, ist. Ich glaube, dass es eine sichtbare Gestalt oder Form der unsichtbaren Gnade ist, welche natürlich durch die Gabe Gottes verursacht und gegeben ist, das heißt ein sichtbares Beispiel, das dennoch eine gewisse Analogie zu der durch den Geist gewirkten Sache besitzt. Ich glaube, dass es ein öffentliches Zeugnis ist. So wird zum Beispiel, wenn wir getauft werden, der Körper mit dem allerreinsten Element abgewaschen. Das bedeutet aber, dass wir durch die Gnade der göttlichen Güte in die Versammlung der Kirche und des Volkes Gottes aufgenommen sind, in welcher es gilt, rein und unbefleckt zu leben. So erklärt Paulus in Römer 6,11 dieses Mysterium. Wer die Taufe empfängt, bezeugt daher, dass er zur Kirche Christi gehört, die ihren Herrn in der Reinheit des Glaubens und der Rechtschaffenheit des Lebens verehrt. Und deshalb sollen die Sakramente als heilige Zeremonien – „es kommt nämlich das Wort zum Element, und es wird das Sakrament“ – fromm verehrt, das heißt hochgeschätzt und ehrfürchtig vollzogen werden. So sehr sie die Gnade nicht bewirken können, verbinden sie uns doch sichtbar mit der Kirche, die wir schon vorher unsichtbar in sie aufgenommen worden sind. Das ist, da dies zugleich in ihrem Vollzug mit den Worten der göttlichen Verheißung verkündet und bekanntgemacht wird, mit höchster Ehrfurcht zu beachten. Denn wenn wir anders über die Sakramente denken würden, zum Beispiel, dass die äußerliche Anwendung innerlich reinigte, wären wir wieder zum Judentum zurückgekehrt, das glaubte, dass mit verschiedenen Ölungen, Salbungen, Darbringungen, Opfern und Speisegeboten die Sünden gesühnt und die Gnade gleichsam erkauft und erworben würde. Das haben jedoch die Propheten und besonders Jesaja und Jeremia stets mit größter Hartnäckigkeit getadelt, indem sie lehrten, die Verheißungen und Wohltaten seien durch Gottes Freigebigkeit gegeben worden und nicht im Blick auf Verdienste oder äußerliche Zeremonien. Ich glaube auch, dass die Wiedertäufer, wenn sie die Taufe der Kinder von Gläubigen ablehnen, ganz und gar irren, und zwar nicht nur in diesem, sondern auch in vielen anderen Punkten, von welchen hier nicht gesprochen werden muss. Um mich vor deren Torheit oder Bosheit zu hüten, habe ich als erster, nicht ohne Gefahr, im Vertrauen auf Gottes Hilfe gegen sie gelehrt und geschrieben, sodass nun durch seine Güte dieses Übel bei uns sehr abgenommen hat. So liegt mir vollkommen fern, irgendetwas aus dieser aufrührerischen Sekte zu übernehmen, zu lehren oder zu verteidigen. Achtens glaube ich, dass im heiligen Mahl der Eucharistie, das heißt der Danksagung, der wahre Leib Christi in der gläubigen Betrachtung gegenwärtig ist. Das heißt, dass die, welche dem Herrn für die uns in seinem

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Sohn erwiesene Wohltat danksagen, erkennen, dass er wahres Fleisch angenommen, wahrhaft darin gelitten, wahrhaft unsere Sünden durch sein Blut abgewaschen hat, und dass ihnen so alles, was Christus getan hat, in der Betrachtung des Glaubens gleichsam gegenwärtig wird. Dass aber der Leib Christi wesentlich und wirklich, das heißt sein natürlicher Leib, entweder im Abendmahl anwesend ist oder mit unserem Mund und unseren Zähnen gegessen wird, wie die Päpstler und gewisse Leute sagen, die nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurückblicken (Ex 16,3), das leugnen wir nicht nur, sondern beharren fest darauf, dass es ein Irrtum ist, der dem Wort Gottes widerspricht. Das will ich mit Gottes Hilfe Deiner Majestät, Kaiser, mit wenigen Worten sonnenklar machen: erstens, indem ich göttliche Aussprüche anführe, zweitens, indem ich mit den daraus genommenen Argumenten wie mit Sturmböcken gegen die Widersacher vorgehe, zuletzt, indem ich zeige, dass die alten Theologen unserer Meinung gewesen sind. Einstweilen sei Du, Schöpfer Geist, anwesend und erleuchte die Sinne der Deinen, erfülle die Herzen, die Du geschaffen hast, mit Gnade und Licht. Christus, der selbst der Mund und die Weisheit Gottes ist, sagt folgendes: „Die Armen werdet ihr immer bei euch haben, mich aber werdet ihr nicht immer haben“ (Mt 26,11; Joh 12,8). Hier wird nur die Gegenwart des Leibes geleugnet, denn nach der Gottheit ist Christus immer gegenwärtig, weil er immer überall ist, wie er in einem anderen Wort sagt: „Ich werde mit euch sein bis an das Ende der Welt“ (Mt 28,20), natürlich nach seiner Gottheit, Kraft und Güte. Auch Augustin denkt gleich wie wir. Es besteht kein Grund für das von den Gegnern vorgebrachte Argument, die Menschheit Christi sei überall, wo die Gottheit sei, sonst würde die Person zerteilt. Das würde nämlich die wahre Menschheit Christi aufheben. Überall sein kann nämlich nur Gott. Und dass sich die menschliche Natur an einem einzigen Ort befindet, die göttliche aber überall, zerteilt die Person ebenso wenig wie die Annahme der menschlichen Natur durch den Sohn die Einheit des Wesens. Vielmehr würde die Einheit eines Wesens eher zerteilt, wenn eine Person eine geschöpfliche Gestalt annähme, welche die anderen überhaupt nicht annehmen, als dass es die Person zerteilen würde, wenn die menschliche Natur an einem Ort ist, die göttliche aber überall. Wir sehen ja auch bei den Geschöpfen, dass die Körper an einen bestimmten Ort gebunden sind, ihre Macht aber und Kraft viel weiter reicht. Ein Beispiel ist die Sonne, deren Körper sich an einem Ort befindet, deren Kraft aber weithin alles durchdringt. Der Geist des Menschen steigt auch über die Sterne hinaus und dringt in die Unterwelt hinab, und dennoch ist sein Leib an einem bestimmten Ort. Ebenso sagt er: „Wieder verlasse ich die Welt und gehe zum Vater“ (Joh 16,28). Hier wird das Wort „verlassen“ wie vorher „haben“ verwen­

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det, sodass die Gegner noch weniger sagen können: „Wir haben ihn nicht sichtbar“. Wenn er nämlich vom Verschwinden seines sichtbaren Körpers spricht, redet er so: „Eine kurze Zeit, und ihr werdet mich nicht mehr sehen“ (Joh 14,19). Es würde auch nur eine falsche und trügerische Vorstellung am Leben erhalten, wenn wir behaupten würden, sein natürlicher Leib sei anwesend, aber unsichtbar. Warum würde er sich denn dem Blick entziehen, wenn er doch da wäre, der sich nach der Auferstehung sooft den Jüngern gezeigt hat? „Aber es ist gut für euch“, sagt er, „dass ich weggehe“ (Joh 16,7). Wenn er aber hier wäre, würde es nichts nützen, dass wir ihn nicht sehen. Er selbst gab sich nämlich, sooft die Jünger bei seinem Anblick in Verwirrung gerieten, deutlich zu erkennen, damit ihr Bewusstsein oder Denken keinen Schaden nehmen. „Betastet mich“, sagt er (Lk 24,39), und: „Habt keine Angst, ich bin es“ (Mt 14,27), und: „Maria, rühre mich nicht an!“ (Joh 20,17) usw. Als er unmittelbar vor seinem Weggehen die Jünger dem Vater anvertraute, sagte er: „Ich werde von nun an nicht in der Welt sein“ (kai ouk eti eimi en to kosmo) (Joh 17,11). Hier wird das Wort „sein“ als selbständiges Prädikat verwendet: „Von nun an bin ich nicht in der Welt“, und zwar ebenso wie in den Worten: „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26), sodass unsere Gegner hier nicht sagen können, es sei eine Bildrede, weil sie ja leugnen, dass „sein“ bildlich gebraucht werden kann. Die Sache hat diese Worte nicht nötig. Es folgt nämlich: „Diese aber sind in der Welt“ (Joh 17,11). Diese Gegenüberstellung zeigt deutlich, dass Christus nach der menschlichen Natur nicht in der Welt ist, während es die Jünger damals noch waren. Und damit wir wissen, wann er weggegangen ist – nicht, wie jene mehr erfinden als darlegen: wann er sich unsichtbar gemacht hat –, berichtet Lukas: „Und es geschah, als er sich von ihnen verabschiedet hatte, ging er von ihnen und wurde in den Himmel emporgehoben“ (Lk 24,51). Er sagt nicht: „Er verschwand“ oder: „Er machte sich unsichtbar“. Markus sagt darüber folgendes: „Der Herr wurde, nachdem er mit ihnen gesprochen hatte, in den Himmel aufgenommen und sitzt zur Rechten Gottes“ (Mk 16,19). Er sagt nicht: „Er blieb hier, machte aber seinen Leib unsichtbar“. Und Lukas sagt in der Apostelgeschichte: „Als er das gesagt hatte, wurde er unter ihren Blicken weggenommen und in die Höhe gehoben, eine Wolke aber verbarg ihn vor ihren Augen“ (Apg 1,9). Die Wolke hat ihn verdeckt, was nicht nötig gewesen wäre, wenn er nur dem Anblick entnommen worden und sonst noch dagewesen wäre; dann wäre auch weder die Entrückung noch die Erhöhung notwendig ge­wesen. An derselben Stelle: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn in den Himmel habt gehen sehen“ (Apg 1,11). Was ist klarer als das? „Von euch weg“, sagt er, „ist er aufgenommen worden“. Folglich war er nach seiner menschlichen

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Natur nicht bei ihnen, weder sichtbar noch unsichtbar. Wenn wir ihn also zurückkommen sehen, wie er weggegangen ist, dann werden wir wissen, dass er da ist. Im Übrigen sitzt er nach der menschlichen Natur zur Rechten des Vaters, bis er zurückkommt, zu richten die Lebenden und die Toten (2. Tim 4,1). Die Leute aber, die dem Leib Christi keinen Ort zugestehen und sagen, er sei nicht an einem bestimmten Ort, sollen bedenken, dass sie offensichtlich mit geschlossenen Augen gegen die Wahrheit angehen. Er war in der Krippe, am Kreuz, in Jerusalem, als sich die Eltern auf der Reise befanden, im Grab, außerhalb des Grabes. Der Engel sagt nämlich: „Er ist auferstanden, er ist nicht hier, sehet da den Ort, wo sie ihn hingelegt haben“ (Mt 28,6). Und damit sie nicht sagen können, sein Leib sei überall, sollen sie hören: „Jesus kam bei verschlossenen Türen und stand mitten unter ihnen“ (Joh 20,19). Wie wäre es nötig gewesen zu kommen, wenn sein Leib überall ist, aber unsichtbar? Er hätte in der Zukunft nicht zu kommen brauchen, sondern sich, weil er ja gegenwärtig war, nur zeigen müssen. Doch soll solcher betrügerische Unfug verschwinden, der uns die Wahrheit der Menschheit Christi und der heiligen Schriften wegnimmt! Diese Zeugnisse lassen die Gegenwart des Leibes Christi nur im Himmel zu, wenn wir rechtmäßig reden wollen, das heißt, wenn wir so viel sagen, wie uns durch die Schrift über die Natur und Eigenschaft des angenommenen Leibes bekannt ist. Soviel wir auch in Bezug auf die Macht Gottes genötigt werden, Widersprüche zu denken, so darf diese doch nie soweit verdreht werden, dass wir glauben, Gott handle gegen sein Wort. Denn das wäre nicht mehr Macht, sondern Ohnmacht usw. Dass aber der natürliche Leib Christi nicht mit unserem Mund gegessen wird, hat Christus selbst gezeigt, als er den über das leibliche Essen seines Fleisches streitenden Juden sagte: „Das Fleisch ist nichts nütze“ (Joh 6,63), nämlich insofern es leiblich gegessen wird, aber sehr viel im Blick auf ein geistliches Essen, denn es gibt das Leben. „Was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was vom Geist geboren ist, ist Geist“ (Joh 3,6). Wenn also der natürliche Leib Christi von unserem Mund gegessen wird, was entsteht aus leiblich gekautem Fleisch anderes als Fleisch? Und damit das Argument niemandem schwach erscheine, höre er auch den zweiten Teil: „Was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“. Was also Geist ist, ist aus dem Geist geboren. Wenn also das Fleisch Christi für die Seele heilbringend ist, musste es geistlich, nicht fleischlich ge­gessen werden. Das gehört auch zum Thema der Sakramente, dass der Geist durch Geist gezeugt wird, nicht durch etwas Körperliches, wie wir schon vorhergesagt haben. Paulus erinnert daran, dass er, wenn er Christus einmal nach dem Fleisch gekannt habe, ihn jetzt nicht mehr nach dem Fleisch kenne (2. Kor 5,16).

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Durch diese Stellen werden wir gezwungen zuzugeben, dass die Worte: „Dies ist mein Leib“ (Mt 26,26) nicht im natürlichen Sinn, sondern ebenso bildlich verstanden werden müssen wie jene: „Das ist das Passah“ (Ex 12,11). Das Lamm nämlich, das jährlich gegessen wurde, zusammen mit der ganzen Feierlichkeit des Festes, war nicht selbst das „Vorübergehen“, sondern bezeichnete das „Vorbeigehen“ und das einst geschehene Überspringen. Dazu kommt das Nachfolgeverhältnis, dass das Abendmahl auf die Feier des Passahlamms folgte. Dies lässt daran denken, dass Christus ähnliche Worte gebrauchte, denn ein Nachfolgeverhältnis schließt eine Nachahmung ein. Dazu kommt die gleiche Anordnung der Worte. Dazu kommt die Zeit, indem beim gleichen Mahl das alte Passah aufgegeben und die neue Danksagung eingesetzt wird. Es kommt die Eigentümlichkeit aller Gedächtnisfeiern hinzu, die sich den Namen dessen aneignen, woran sie erinnern und wessen sie gedenken. So sprachen die Athener vom Tag des Schuldenerlasses, nicht als ob die Schulden alljährlich erlassen worden wären, sondern sie feierten immer wieder, was Solon einst durchgeführt hatte, und diese Feier ehrten sie mit dem Namen der Sache selbst. So werden die Symbole des wahren Leibes Leib und Blut Christi genannt. Nun folgen die Beweise. Wie der Leib nicht durch etwas Geistiges genährt werden kann, so auch die Seele nicht durch etwas Körperliches. Wenn nun der natürliche Leib Christi gegessen wird, so frage ich: Nährt er den Leib oder die Seele? Den Leib nicht, also die Seele. Wenn aber die Seele, so ernährt sich die Seele von Fleisch, und es wäre nicht wahr, dass Geist nur aus Geist geboren wird. Zweitens frage ich, was der natürlich gegessene Leib Christi bewirkt. Wenn er die Vergebung der Sünden bewirkt, wie eine Seite behauptet, dann haben die Jünger die Vergebung der Sünden im Abendmahl empfangen. Also ist Christus vergeblich gestorben (Gal 2,21). Wenn das Gegessene die Kraft des Leidens Christi austeilt, wie die gleichen Leute behaupten, dann wurde die Kraft des Leidens und der Erlösung schon ausgeteilt, bevor sie entstand. Wenn er den Leib für die Auferstehung nährt, wie ein gewisser anderer, ungelehrt genug, behauptet, heilt er vielmehr unseren Körper und befreit ihn von Krankheit. Irenäus will aber anders verstanden werden, wenn er sagt, unser Leib werde durch den Leib Christi zur Auferstehung gespeist. Er will nämlich zeigen, dass die Hoffnung auf unsere Auferstehung durch die Auferstehung Christi gestärkt wird. Schau, was für ein schönes Gleichnis! Drittens: Wenn der natürliche Leib Christi den Jüngern im Abendmahl dargereicht worden ist, folgt mit Notwendigkeit, dass sie diesen so aßen, wie er damals war. Damals war er aber leidensfähig. Sie aßen also einen verwundbaren Leib, denn er war noch nicht verklärt. Wenn sie nämlich sagen: „Sie aßen denselben Leib, aber nicht wie er leidensfähig, sondern

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wie er nach der Auferstehung war“, entgegnen wir: Entweder besaß er also zwei Leiber, einen, der noch nicht verklärt war, und einen, der es war; oder ein und derselbe Leib war gleichzeitig leidensfähig und nicht leidensfähig. Und daher wollte er, als er den Tod so sehr von sich wies, natürlich nicht leiden, sondern jene Fähigkeit des Leibes benützen, die ihn gegen Schmerz unempfindlich machte. Folglich hat er nicht wirklich gelitten, sondern nur zum Schein, womit uns von jenen Blindekuhspielern auf schöne Weise Marcion zurückgebracht wird. Unzählige Beweise, o Kaiser, könnten angeführt werden, aber wir wollen uns mit den vorliegenden begnügen. Dass aber die Alten – das wird der letzte Teil dieses Punktes sein – gleich denken wie wir, will ich durch die zwei bedeutendsten Zeugen belegen: Durch Ambrosius, der in seiner Auslegung des ersten Korintherbriefes zu den Worten: „Verkündigt ihr den Tod des Herrn“ (1. Kor 11,26) sagt: „Weil wir ja durch den Tod des Herrn befreit sind, verweisen wir, indem wir uns daran erinnern, im Essen und Trinken auf das Fleisch und das Blut, welches für uns dahingegeben wurde.“ Ambrosius spricht aber von Speise und Trank des Abendmahls und sagt, dass wir damit auf das wirklich für uns Geopferte hinweisen. Auch durch Augustin, der in seiner Johannes­auslegung, Kapitel 30, sagt, der von den Toten auferstandene Leib Christi müsse an einem bestimmten Ort sein. Die gedruckten Ausgaben haben dort „können“ statt „müssen“, aber fälschlich, denn auch beim Sentenzenmeister [Petrus Lombardus] und in den kanonischen Beschlüssen, wo dieser Satz des Augustin aufgenommen wurde, wird „muss“ gelesen. Daraus sehen wir deutlich, dass die Alten alles, was sie an Großartigem über das Abendmahl gesagt haben, nicht vom natürlichen, sondern vom geistlichen Essen des Leibes Christi verstanden haben. Weil sie wussten, dass der Leib Christi sich an einem bestimmten Ort befinden muss und zur Rechten Gottes ist, haben sie ihn nicht herabgezogen, um ihn den stinkenden Zähnen der Menschen zum Essen vorzusetzen. Gleichfalls lehrt Augustin in Kapitel 12 der Schrift gegen Adimantus, dass die drei Sätze: „Das Blut ist die Seele“ (Dtn 12,23), „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26) und: „Der Fels war Christus“ (1. Kor 10,4) symbolisch, das heißt, wie er selbst sagt, bildlich und zeichenhaft gesagt seien. Und unter vielen anderen Worten gelangt er schließlich dahin: „Ich kann auch jenes Gebot so verstehen, dass es bildlich gemeint war. Denn der Herr zögerte nicht zu sagen: ‚Das ist mein Leib‘, als er den Jüngern das Zeichen seines Leibes gab.“ So Augustin. Wohlan, das ist für uns der Schlüssel, mit welchem wir alle Aussagen der Alten über die Danksagung erschließen können! Er sagt, dass das, was nur ein Zeichen des Leibes ist, Leib genannt wurde. Nun sollen die, welche uns als Häretiker verurteilen wollen, nur kommen. Nur sollen sie wissen, dass sie damit die Säule der Theologen verurteilen, gegen die Erlasse der Päpste. Daraus geht nämlich ganz ein-

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deutig hervor, dass die Alten immer symbolisch geredet haben, wenn sie dem Essen des Leibes Christi im Abendmahl so viel zuschrieben. Nämlich nicht als ob das sakramentale Essen die Seele reinigen könnte, sondern der Glaube an Gott durch Jesus Christus. Dieser ist das geistliche Essen, dessen Symbol und Andeutung jenes äußere ist. Und wie das Brot den Leib unterhält, der Wein belebt und aufheitert, so stärkt der Glaube die Seele und macht sie der Barmherzigkeit Gottes gewiss, dass er uns nämlich seinen Sohn gegeben hat; so erneuert er das Gewissen, indem durch dessen Blut die Sünden, durch die dieses hart bedrängt war, ausgelöscht sind. Mit diesen Beweisstellen wollen wir uns nun begnügen, obwohl man sämtliche Bücher durchsehen könnte, um darzulegen und zu beweisen, dass die Alten unserer Meinung sind. Auch das kürzlich erschienene Büchlein [von Philipp Melanchthon] über die Auffassung der Kirchenväter soll niemanden irremachen, obwohl es freilich verspricht, sie ausdrücklich zu verteidigen. Denn wir werden bald die Widerlegungsschrift eines sehr gelehrten Mannes, unseres Bruders Oekolampad, sehen, dessen besondere Aufgabe von Anfang an darin bestand, die Meinung der Kirchenväter darzulegen. Was in dieser Sache aber an noch ausführlicherer Erklärung oder Widerlegung der Gegner verlangt werden könnte, haben wir, die diese Meinung vertreten, in vielen an verschiedene Empfänger gerichteten Schriften meiner Meinung nach hinreichend dargelegt. Neuntens glaube ich, dass die kirchlichen Zeremonien, die weder dem Glauben noch dem Wort Gottes aufgrund von Aberglauben zuwider sind – obwohl ich nicht weiß, ob man solche findet –, um der Liebe willen geduldet werden können, bis der Morgenstern heller und heller leuchtet (Röm 14,15; 2. Petr 1,19). Aber ich glaube zugleich, dass unter der Leitung derselben Liebe, wenn es ohne großen Anstoß geschehen kann, die erwähnten Zeremonien abzuschaffen sind, sosehr sich auch diejenigen, die ungläubigen Herzens sind, widersetzen sollten. Denn Christus hinderte Magdalena nicht an der Ausgießung des Salböls, obwohl sich der Geiz und der Unglaube des Judas heftig dagegen sträubten (Joh 12,1–11). Die zur Verehrung aufgestellten Bilder dagegen zähle ich nicht zu diesen Zeremonien, sondern zu den Dingen, die dem Wort Gottes ganz und gar widersprechen. Diejenigen aber, die nicht der Verehrung dienen oder dort stehen, wo keine Gefahr besteht, dass sie einmal verehrt werden könnten, verurteile ich keineswegs, sodass ich also die Malerei und Bildhauerkunst als Gabe Gottes anerkenne. Zehntens glaube ich, dass das Amt der Prophetie oder der Verkündigung unantastbar, ja dass es von allen Ämtern das notwendigste ist. Halten wir uns an das, was die Regel ist, so sehen wir, dass bei allen Völkern die

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ä­ ußere Verkündigung der Apostel und Evangelisten oder der Bischöfe dem Glauben voranging, dessen Annahme wir dennoch allein dem Wirken des Geistes zuschreiben. Denn wir sehen  – welch ein Schmerz!  – viele genug, welche die äußere Predigt des Evangeliums zwar hören, aber nicht glauben, was notwendigerweise geschieht, wenn der Geist fehlt. Wo die Propheten oder Verkündiger des Wortes auch immer hingeschickt werden, ist es ein Zeichen der Gnade Gottes, dass er seinen Erwählten seine Erkenntnis offenbaren will, und für die, denen sie verweigert wird, ist es ein Zeichen des bevorstehenden Zornes. Das kann man aus den Propheten und dem Beispiel des Paulus schließen, dem es manchmal verboten, der manchmal aber dazu gerufen wurde, zu bestimmten Menschen zu gehen (Apg 16,6.9). Aber auch die Gesetze und die Obrigkeit können durch keine wirksamere Hilfe beim Schutz des öffentlichen Rechts unterstützt werden als durch die Predigt. Es wird nämlich vergeblich vorgeschrieben, was gerecht sei, wenn die, denen es befohlen wird, keinen Begriff von dem haben, was Recht ist, und die Gerechtigkeit nicht lieben. Dazu aber bereiten die Propheten gleichsam als Diener die Seelen vor, der Geist aber tut es gleichsam als Lehrmeister sowohl des Lehrers wie des Hörers. Diese Art von Dienern, die lehren, trösten, schrecken, heilen, gewissenhaft Fürsorge tragen, anerkennen wir im Volk Christi; auch jene, die taufen, beim Abendmahl den Leib und das Blut des Herrn herumtragen – so nennen nämlich auch wir im übertragenen Sinn das heilige Brot und den heiligen Wein im Abendmahl –, die Kranken besuchen, die Armen aus dem Besitz und im Namen der Kirche speisen; und zuletzt die, welche die heiligen Schriften lesen, sie auslegen, lehren, um sich selbst oder andere dazu auszubilden, einmal den Kirchgemeinden vorzustehen. Aber die Art Diener, die aus Bischofsmützenträgern und Bischofsstabträgern besteht, die sehr zahlreich ist und dazu geboren, den Ertrag des Landes zu verschwenden, eine unnütze Erdenlast, ist unserer Ansicht nach illegitim und am Leib der Kirche dasselbe, was am menschlichen Leib Geschwüre und Buckel sind. Elftens weiß ich, dass die rechtmäßig eingesetzte Obrigkeit Gottes Vertreterin ist (Röm 13,2), nicht weniger als die Prophetie. Denn wie der Prophet der Diener der himmlischen Weisheit und Güte ist (1. Kor 1,24), sodass er, der getreulich lehrt, auch die Irrtümer ans Licht bringt, so ist die Obrigkeit Dienerin der Güte und Gerechtigkeit (Röm 13,4); der Güte, dass sie in Treue und Besonnenheit, nach Gottes Vorbild, die Anliegen ihrer Untertanen anhört und dafür Sorge trägt; der Gerechtigkeit, indem sie die Vermessenheit der Bösen zerbricht und die Unschuldigen beschützt. Wenn ein Fürst diese Gaben hat, so ist, wie ich glaube, für sein Gewissen nichts zu befürchten. Wenn sie ihm fehlen, mag er sich auch furchtbar

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und schrecklich zeigen, so wird sein Gewissen meiner Meinung nach in keiner Weise dadurch entlastet, dass er rechtmäßig eingesetzt worden ist. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass ein Christ einem solchen Tyrannen gehorchen muss, bis zu der Gelegenheit, von welcher Paulus spricht: „Wenn du freiwerden kannst, so ziehe das vor!“ (1. Kor 7,21). Eine Gelegenheit, von der ich allerdings glaube, dass sie von Gott allein gezeigt wird, nicht von einem Menschen, und das nicht auf verborgene Weise, sondern so deutlich, wie Saul verworfen wurde und er David als Nachfolger annahm (1. Sam 15 f.). Auch über das Bezahlen von Abgaben und Steuern für den obrigkeitlichen Schutz denke ich genauso wie Paulus im Römerbrief, Kapitel 13,7. Zwölftens glaube ich, dass die Erfindung des Fegefeuers ebenso sehr, wie sie ihren Erfindern Gewinn brachte, etwas ist, das die in Christus frei geschenkte Erlösung verachtet. Denn wenn es notwendig ist, mit Marter und Qualen zu tilgen, was wir durch unsere Vergehen verdient haben, wäre Christus vergeblich gestorben (Gal 2,21), und die Gnade würde entleert (1. Kor 1,17). Konnte im Christentum etwas Abscheulicheres ausgedacht werden als das? Was für einen Christus haben denn die, welche Christen genannt werden wollen und dieses Feuer fürchten, das nicht mehr Feuer, sondern bloßer Rauch ist? Dass es eine Hölle gibt, wo die Ungläubigen, Verstockten und Verräter mit Ixion und Tantalus ewig bestraft werden, glaube ich nicht nur, sondern weiß ich. Wenn die Wahrheit vom Welt­ gericht redet (Joh 14,6), sagt sie, dass einige nach jenem Gericht ins ewige Feuer gehen werden (Mt 25,41). Es gibt also ein ewiges Feuer nach dem Weltgericht. Umso weniger können die Wiedertäufer ihre Auffassung vom olam, das heißt „ewig“, mit ihrem Irrtum bemänteln, in welchem sie lehren, „ewig“ dauere nicht über das allgemeine Gericht hinaus. Denn hier spricht Christus vom ewigen Feuer, das nach dem Gericht brennen wird und den Teufel zusammen mit seinen Engeln, den Ungläubigen, die Gott verachten, den Unmenschlichen, welche die Wahrheit durch Lüge unterdrücken und dem Nächsten in der Not nicht von Herzen und aus Glauben beistehen, quälen wird. Wie ich am Anfang gesagt habe, glaube ich dies alles fest, lehre es und verteidige es, nicht mit meinen eigenen Worten, sondern mit den Aussagen des göttlichen Wortes, und verspreche, es nach Gottes Willen auch zukünftig zu tun, „solange der Geist meine Glieder regiert“ [Vergil]. Es sei denn, dass jemand – aufgrund der richtig verstandenen Aussagen der wahrhaft heiligen Schriften – etwas anderes ebenso offen und einfach, wie wir es hier getan haben, darlegt und begründet. Es ist für uns nämlich nicht weniger angenehm und willkommen als billig und gerecht, unsere Ansicht der Heiligen Schrift und der Kirche zu unterwerfen, die aus dem

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Geist gemäß der Schrift urteilt. Wir hätten alles ausführlicher und weitläufiger darlegen können, aber weil dies nicht der günstige Zeitpunkt dazu war, gaben wir uns mit dem Vorliegenden zufrieden. Wir glauben, dass es so verfasst ist, dass zwar jeder leicht daran herumnörgeln kann, was heute sehr verbreitet ist; aber niederreißen kann es keiner. Wenn es jemand dennoch versucht, wird er es nicht ungestraft tun. Dann wollen wir die uns verbleibenden Waffen unerschrocken hervorziehen. Damit soll für den Augenblick genug bewiesen sein. Daher, bester Kaiser, und Ihr anderen Fürsten, Machthaber, Adeligen, Staatsgesandten und Staatsoberhäupter, bitte ich Euch inständig, dass Ihr nicht schon von Anfang an die Wenigkeit des Mahners geringschätzt. Ich bitte Euch bei Jesus Christus, unserem Herrn und Bruder, bei seiner Güte und Gerechtigkeit, bei seinem Gericht, in welchem er allen nach ihrem Verdienst vergelten wird, dem kein Gedanke verborgen bleibt, der die Pläne der gottlos beratenden und regierenden Fürsten zerstört, der die Demütigen erhöht und die Stolzen zu Boden wirft (Lk 1,52). Oft haben nämlich auch Einfältige Zutreffendes gesagt, und die Wahrheit erwählte sich zu ihrer Verbreitung schwache und dem geringsten Stand angehörende Menschen (1. Kor 1,27). Weiter bitte ich Euch, Euch daran zu erinnern, dass auch Ihr Menschen seid, die sich irren und von anderen getäuscht werden können; denn jeder Mensch ist ein Lügner (Röm 3,4), und wenn er nicht durch den Geist Gottes etwas anderes gelehrt wird, als was er selbst weiß oder begehrt, ist von ihm nichts anderes zu erwarten, als dass er sich selbst mit seinen Listen und Plänen zugrunde richtet. Es ist nur allzu wahr, was der Prophet Jeremia gesagt hat: „Siehe da, sie haben das Wort des Herrn verworfen, was kann ihnen dann an Weisheit noch übrigbleiben?“ (Jer 8,9). Weil Ihr selbst der Gerechtigkeit vorsteht, müsstet Ihr den göttlichen Willen wie keiner sonst erkannt haben. Wo kann man ihn aber sonst erfahren als aus seinen Worten? Schreckt also vor den Meinungen derer nicht zurück, die sich auf Gottes Wort stützen! Wir sehen ja, dass dies fast immer zutrifft: Je mehr die Gegner es bekämpfen, umso stärker strahlt es auf und vertreibt die Lüge. Wenn es nun aber, was mir nicht entgeht, Leute gibt, die uns bei Euch beharrlich als unwissend und, Gott sei’s geklagt, als böse hinstellen, so bedenkt auch dies: Erstens, haben wir etwa, die wir diesem Verständnis des Evangeliums und des Abendmahls folgen, unser Leben irgendeinmal so geführt, dass ein redlicher Mensch jemals daran zweifeln könnte, ob wir zu den rechtschaffenen Menschen gehören? Zweitens, waren uns etwa von Kindheit an geistige Begabung und wissenschaftliche Beschäftigung derart fremd, dass es um unsere Bildung völlig hoffnungslos steht? Gewiss brüsten wir uns mit keinem von beiden, da auch Paulus selbst durch

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Gottes Geschenk war, was er war (1. Kor 15,10). Trotz eines im Allgemeinen unbeschwerten Lebens ist es dennoch nie zu Sittenlosigkeit und Schamlosigkeit herabgesunken, noch umgekehrt zu Grausamkeit, Hochmut oder Eigensinn entartet. So sind die Gegner mit ihren Attacken, durch das Zeugnis unseres Lebens bestürzt, schon wiederholt zum Rückzug gezwungen worden. Ist die Gelehrsamkeit auch größer, als dass es die Feinde ertragen oder sie gewissenlos geringschätzen können, so ist sie dennoch weit kleiner, als es unsere Freunde wohlwollend meinen. Gleichwohl standen wir, um unser Ziel zu erreichen, schon seit einigen Jahren im Dienst göttlicher und menschlicher Gelehrsamkeit, sodass unsere Lehre nicht unüberlegt ist. Es möge uns aber erlaubt sein, die Gnade und Freigebigkeit Gottes zu loben, die unseren Gemeinden reichlich geschenkt wurde. Tatsächlich nämlich haben die Gemeinden, die durch uns Gott den Herrn hören, das Wort des Herrn angenommen, sodass Lüge und Unglaube schwinden, Hochmut und Ausschweifung aber überwunden werden, Beschimpfung und Zänkerei sich fortmachen. Wenn das nicht wirklich wahre Früchte des göttlichen Geistwehens sind, welche sind es sonst? Bedenkt aber Du, bester Kaiser, Ihr Fürsten und alle Adeligen, was uns die menschliche Lehre an sich an guter Frucht hervorgebracht hat! Wie die gekauften Messen bei den Fürsten wie beim Volk Begierde und Unverschämtheit förderten, so haben sie die Sittenlosigkeit der Päpste und den Weinrausch der Messpfaffen mit sich gebracht und vermehrt. Überhaupt, welchen Frevel haben sie nicht hervorgebracht? Wer soll aber die durch die Messe aufgehäuften Reichtümer zerstreuen, wenn nicht bereits deren Zuflusskanäle verstopft und unterbunden werden? Gott, der viel gütiger ist als Ihr alle – auch wenn wir Euch gerne die Besten nennen und auch dafür halten –, mache, dass Ihr dafür sorgt, dass in der Kirche die Wurzeln dieses und aller anderen Irrtümer abgeschnitten werden und Rom mit all seinem Schutt, den es der Christenheit und vor allem Eurem Deutschland aufgeladen hat, aufgegeben und verlassen wird; und dass Ihr die Kräfte, die Ihr bisher gegen die Reinheit des Evangeliums eingesetzt habt, gegen die verbrecherischen Versuche der gottlosen Päpstler richtet, damit uns die Gerechtigkeit, die durch Eure Unentschlossenheit vertrieben worden ist, und die Unschuld, die durch betrügerische und gaukelhafte Aufmachung verdunkelt worden ist, zurückgegeben wird. Es ist genug getobt worden, es sei denn, dass widerrechtliches Gebieten, Verdammen, ja Morden, Töten, Rauben, Ächten nicht grausam oder schrecklich ist. Weil es indessen auf diesem Weg nicht gelungen ist, die Verkündigung des Evangeliums zu hindern, so wird man es allerdings auf einem anderen versuchen müssen. Wenn unser Unternehmen vom Herrn ist, so kämpft nicht gegen Gott; wenn es anderswoher kommt, so wird es durch seine Verwegenheit selbst zusammenstürzen (Apg 5,38 f.). Deshalb lasst

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Gottes Wort sich frei ausbreiten und sprossen, o Menschenkinder, wer Ihr auch seid, die Ihr ja nicht einmal dem Gras das Wachsen verbieten könnt. Ihr seht, wie diese Frucht reichlich durch den himmlischen Regen benetzt wird, und wie man sie durch keine Menschenhitze zum Verdorren bringen kann. Überlegt Euch gut, nicht was Ihr am meisten begehrt, sondern was die Welt in der Sache des Evangeliums verlangt! Nehmt all dies mit Wohlwollen auf und zeigt durch Euer Bemühen, dass Ihr Gottes Kinder seid! Zürich, den 3. Juli 1530. Der Deiner Majestät und allen Gläubigen ganz ergebene Huldrych Zwingli.

6. Vierstädtebekenntnis (Confessio Tetrapolitana) (1530) Einleitung Am 9. Juli 1530 wurde die Confessio Tetrapolitana, das Vierstädte­ bekenntnis, dem Reichsvizekanzler Balthasar Merklin auf dem Augsburger Reichstag übergeben – neben der Confessio Augustana und Zwinglis Fidei Ratio das dritte evangelische Bekenntnis. Eingereicht wurde es von den Städten Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau, deren Reformation neben anderen Städten die oberdeutsche Reformation genannt wird; Straßburg kommt dabei die entscheidende Rolle zu. Ursprünglich geplant war, dass in Augsburg eine Verteidigung der Reformation stattfinden soll; nach der Aufforderung von Kaiser Karl V., dass jede der Parteien ihre Auffassung auf Deutsch und Latein darlegen sollte, und der Einreichung der Confessio Augustana am 25. Juni 1530 wurde deutlich, dass ein eigenes Bekenntnis nötig sei, da man sich vor allem wegen der Abendmahlslehre nicht der Confessio Augustana anschließen konnte. So verfassten im Wesentlichen die Straßburger Gesandten Wolfgang Capito (1478–1541) und Martin Bucer (1491–1551) in aller Eile den Text, der dann in verschiedene Städte gesandt und im Anschluss daran überarbeitet wurde – hier vor allem der Abendmahlsartikel. Auf dem Augsburger Reichstag wurde die Confessio Tetrapolitana im Oktober 1530 offiziell zurückgewiesen. Auch wenn das Bekenntnis der vier Städte keine große Wirkungsgeschichte hatte, weil sich alle Städte der oberdeutschen Reformation bis zum Ende des 16. Jahrhunderts dem Luthertum zugewandt hatten, so ist doch immerhin zu sehen, dass der Confessio Tetrapolitana 1530 und 1531 sogar zugetraut wurde, die verschiedenen evangelischen Strömungen zusammenhalten zu können. Dem Bekenntnis ist abzuspüren, dass es in großer Eile verfasst wurde. Anders als die den Verfassern vorliegende und sie auch inspirierende Confessio Augustana benennt die Confessio Tetrapolitana vor allem nur die Elemente des christlichen Glaubens, die gegenüber den Altgläubigen verändert wurden. Das ist in Kapitel 1–6 das Verständnis der Heiligen Schrift, der Rechtfertigung und der guten Werke, woraus in Kapitel 7–14 der Fastenzwang, die Verehrung der Heiligen, die Vollmacht der Geist­lichen und die Begrenzung menschlicher Gesetze folgen. Die Kapitel ­15–22 widmen sich der Kirche, den Sakramenten und dem Gottesdienst – insbesondere hier zeigt sich beim Thema der Bilder, des Abendmahls und auch der Beichte ein eigenständiger Weg. Das letzte Kapitel ist der Obrigkeit gewid­

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met. Wichtige Unterschiede zur Confessio Augustana bestehen darin, dass der Frage des christlichen Lebens großes Gewicht beigemessen wird und eine Vielzahl von biblischen Belegstellen angegeben werden. Der Text wurde auf Deutsch und Latein übergeben – eine Priorisierung einer der beiden Sprachen ist schwer möglich, auch wenn der deutsche Text früher abgefasst wurde. Hinzu kommt, dass beide Fassungen nicht deckungsgleich sind. Für die deutsche Fassung liegt eine Originalhandschrift vor. Die lateinische Fassung, auch eine Handschrift vom Augsburger Reichstag, ist diejenige, auf die entgegnet wurde. In Band 1/1 der Edition Reformierte Bekenntnisschriften wurde die deutsche Originalhandschrift ediert. Da alle uns bekannten moderneren deutschen Fassungen der Confessio Tetrapolitana eine Übersetzung des lateinischen Textes sind, ist für diesen Band eine neue Übersetzung des deutschen Textes von 1530 vorgenommen worden. Dabei entfällt das Vorwort des Erstdrucks von 1531, das in Band 1/1 der Edition Reformierte Bekenntnisschriften dem Text vorangestellt wurde. Editionen Confessio Tetrapolitana von 1530, in: RefBS 1/1: 1523–1534, 447–494 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Confessio Tetrapolitana (1530), bearb. v. Bernd Moeller, in: Robert Stupperich (Hg.), Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 3: Confessio Tetrapolitana und die Schriften des Jahres 1531, Gütersloh / Paris 1969, 13–185 Übersetzung Das Glaubensbekenntnis der vier Städte, in: Ernst Gottfried Adolf Böckel, Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche, Leipzig 1847, 363–394 (Übers. der lat. Fassung) Literatur Apologie der Confessio Tetrapolitana (1531), bearb. v. Bernd Moeller, in: Robert Stupperich (Hg.), Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 3: Confessio Tetrapolitana und die Schriften des Jahres 1531, Gütersloh / Paris 1969, 187–318 Anlagen zur Confessio Tetrapolitana, bearb. v. Bernd Moeller, in: Robert Stupperich (Hg.), Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 3: Confessio Tetrapolitana und die Schriften des Jahres 1531, Gütersloh / Paris 1969, 321–397 James M. Kittelson, Art. Confessio Tetrapolitana, in: TRE 8 (1981), 173–177 Einleitung: Georg Plasger; Übersetzung: Dorothea Heinig / Georg Plasger

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Vierstädtebekenntnis (Confessio Tetrapolitana) (1530) Register der Hauptartikel über das Bekenntnis I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII. XIX. XX. XXI. XXII. XXIII. Schluss

Worauf die Predigten beruhen In welchen Punkten man von der allgemeinen Lehre der genannten Geistlichen etwas abgewichen ist Woher unsere Rechtfertigung kommt Welchem Glauben die Rechtfertigung zugestanden wird Wem die guten Werke zuzuschreiben und wie notwendig sie sind Wie ein Christenmensch handeln soll Vom Fasten und Beten Vom Gebot des Fastens und Betens Von der Unterscheidung der Speise Mit Fasten und Beten kann man Gott nichts abhandeln Anrufung und Verehrung der Heiligen Der Mönchsstand Amt, Würde und Macht der Geistlichen Die menschlichen Gesetze Die Kirche Die Sakramente Die Taufe Das Sakrament des Leibes und Blutes Christi Die Messe Die Beichte Der Gemeindegesang und das Gebet der Geistlichen Die Bilder Die weltliche Obrigkeit

Christliches Lehr- und Glaubensbekenntnis, der römischen Kaiserlichen Majestät auf dem Reichstag zu Augsburg von den vier Freien und Reichsstädten Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau überreicht. Allerdurchlauchtigster, großmächtigster, unüberwindlichster römischer Kaiser, gnädigster Herr. Eure Kaiserliche Majestät hat von den allgemeinen Ständen des Reichs gnädig verlangt, dass ein jeder, so viel und wie das einen jeglichen berührt und ihm zusteht, sein Gutdünken, Opinion und Meinung hinsichtlich der Uneinigkeit und Spaltung, aber auch im Blick auf den Missbrauch, den die Geistlichen gegen die Laien und im Gegenzug die Laien gegen die Geistlichen oder jede Partei unter sich selber haben mögen, auf Deutsch

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und Latein niederschreiben und überreichen wolle. Ziel ist es, nach Vermögen der Ausschreibung Ihrer Majestät auf diesem Reichstag die eigene Sichtweise und die Sache selber zu fördern, damit diese Uneinigkeit und Spaltung so viel besser verstanden und erwogen wird und dadurch – auch zu besserem christlichem Leben  – diese umso schneller wieder über­ wunden und der Streit geschlichtet werden möge. Wir sind unserer schuldigen Pflicht nach und auch von uns selbst aus ganz geneigt und willig, dem gnädigsten Verlangen Eurer Kaiserlichen Majestät in untertänigstem Gehorsam nachzukommen. Wir haben nichts eifriger in Sachen unserer heiligen Religion je gesucht, als dass wir und jeder andere – abgesehen von aller Uneinigkeit und den Fehlern, die dem heiligen Evangelium und den Geboten Christi entgegenstehen  – der reinen Lehre unseres Heilands, die allein das Leben gibt, leben wollen. Deshalb bitten wir auf das untertänigste mit größtem Eifer, Eure Kaiserliche Majestät möge das, was wir hier vortragen, so mit wohlwollendem Sinn uns gegenüber anhören, dass Sie nicht daran zweifle, dass unsere Absicht und höchstes Verlangen darauf gerichtet ist und von uns vor allem bedacht wurde, wie wir zuerst unserem Schöpfer, dem Allmächtigen, und unserem Erlöser Jesus Christus und danach Eurer Kaiserlichen Majestät, unserem allergnädigstem Herrn, untertänigst Gefallen und Gehorsam leisten können. Auch haben wir in der Lehre keine andere Meinung oder Hoffnung angenommen, die etwas vom allgemeinen Brauch abweicht, es sei denn, dass wir ganz sicher sind, dass Gott, der uns erschaffen und erlöst hat, dies von uns fordert. Deshalb sind wir auch wegen des ausgezeichneten Ruhms, der Gottseligkeit und Mildtätigkeit, weswegen Eure Kaiserliche Majestät in aller Welt so hoch gepriesen wird, ganz zuversichtlich, dass Eure Kaiserliche Majestät sich unser Vorhaben gefallen lässt und uns unter die zählt, welche sich Ihr auf das getreulichste Gehorsam zu leisten bemüht haben, weil sie durch die Eingebung des himmlischen Vaters von der Wahrheit der Dinge, die wir im Namen der christlichen Lehre angenommen, gelernt und erkannt haben, überzeugt wird. Denn der große und weithin gepriesene Fleiß und Ernst, den Eure Kaiserliche Majestät allenthalben zeigt, um die Wahrheit und Gerechtigkeit einschließlich der inbrünstigen Frömmigkeit gegen den Allmächtigen zu schützen, lassen es nicht zu, dass wir besorgt wären, Eure Kaiserliche Majestät würde, ehe Sie uns anhört, etwa ein Vorurteil gegen uns hegen oder nicht ganz gnädig und mit besonderem Eifer unser Anliegen hören und vernehmen. Auch wird Eure Kaiserliche Majestät, nachdem Sie unser Anliegen gehört und mit gottesfürchtiger Abwägung mit sich selbst erörtert hat, sogleich mittels des Heiligen Geistes, durch den der Allmächtige Sie in anderen Dingen so glücklich geführt hat, sehen und merken, dass wir keiner anderen als der wahren Lehre Christi, unseres Erlösers, folgen werden. Es verhalten

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sich die Dinge, die nach unserer Meinung in der christlichen Gemeinde der Verbesserung bedürfen und die wir, so Gott die Gnade gegeben hat, in Ordnung gebracht haben, folgendermaßen. I. Worauf die Predigten beruhen Erstens, nachdem über etliche Artikel der christlichen Lehre Uneinigkeit zwischen Gelehrten entstanden ist und das Volk bei uns durch schädliche Lehren gespalten wurde, haben wir aufgrund der Beschlüsse des Nürnberger Reichstags von 1522 denen, die bei uns predigen, befohlen, nichts dem Volk von den Kanzeln vorzutragen, was nicht in der göttlichen Schrift enthalten ist oder darin seinen Grund hat; das ist auch die Meinung aller heiligen Väter und Lehrer. Denn seit der heilige Paulus geschrieben hat, dass „die Schrift, von Gott eingegeben, nützlich sei zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung und zur Unterweisung, dass der Mensch Gottes vollkommen sei und zu allem gutem Werk gerüstet“ (2. Tim 3,16 f.), haben wir nichts anderes feststellen können, als dass es auch uns zukomme, zu dieser Heiligen Schrift, auch mit der Gefahr der Entzweiung, die vorgefallen ist, unsere Zuflucht zu nehmen. Denn dahin sind in solchen Fällen, damals wie heute, nicht allein die heiligsten Väter, Bischöfe und Fürsten, sondern auch alle Kinder Gottes geflohen. Von den Thessalonichern berichtet nämlich der heilige Lukas nicht ohne Lob, dass sie das Evangelium, das sie von den Aposteln gehört haben, mit der Schrift verglichen und geprüft haben (Apg 17,11). So ermahnt Paulus seinen Timotheus, dass er sich mit höchstem Eifer mit der Schrift beschäftige (2. Tim 3,15). Die Heilige Schrift ist auch in der Weise von allen heiligen Päpsten und Lehrern geachtet worden, dass kein Papst gefordert hat, seinen Gesetzen Gehorsam zu leisten, noch von Lehrern seiner Schriften verlangt hat, ihnen zu glauben, ohne sie mit der Schrift zu beweisen. Und obwohl der heilige Paulus klar zeigt, „dass der göttliche Mensch durch die Heilige Schrift gänzlich vollendet und zu allen guten Werken gerüstet werde“ (2. Tim 3,17), so würde dennoch demjenigen nichts an christlicher Wahrheit und heilsamer Lehre abgehen können, der sich bemüht, eben dieser göttlichen Schrift nachzufolgen. Als nun die Predigten bei uns aus der göttlichen Schrift genommen wurden und das verderbliche Gezänk abgestellt worden war, haben die­ jenigen, denen etwas an der Gottseligkeit gelegen war, sowohl die Erkenntnis der Lehre Christi umso gewisser erlangt und im Leben inbrünstiger ausgedrückt als sich auch von dem abgewendet, was zu Unrecht der christlichen Lehre beigemischt worden war, und sich so in dem Schriftgemäßen gefestigt. Darunter sind die Artikel, welche die christliche Gemeinde bisher von der Dreifaltigkeit geglaubt hat, nämlich, dass Gott Vater, Sohn, Heiliger Geist ein Wesen sind und drei Personen, und dass auch keine

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andere Teilung und Unterscheidung als die der Personen angenommen wird. Ebenso, dass unser Heiland Jesus Christus, wahrer Gott, auch wahrer Mensch geworden ist, sodass die Naturen unvermischt, jedoch in einer Person so vereinigt sind, dass sie niemals wieder getrennt werden können. Desgleichen hat sich auch darin kein Missverständnis gegenüber vormals geübtem Predigen eingestellt, was die christliche Gemeinde vom Geheimnis der Menschwerdung unseres Heilands Jesus Christus glaubt. Er ist vom Heiligen Geist empfangen, von der heiligen Jungfrau Maria als Mensch geboren, nach vollbrachtem Predigen am Kreuz gestorben, begraben und zur Hölle niedergefahren. Am dritten Tag ist er von den Toten in ein unsterbliches Leben auferstanden und, nachdem er dasselbe den erwählten Zeugen durch viele Zeichen bewiesen hat, in den Himmel zur Rechten des Vaters aufgefahren, von wo wir ihn als Richter der Leben­digen und Toten erwarten. Dabei bekennen wir, dass er nichtsdesto­weniger unterdessen in seiner Kirche in der Mittlerzeit bis an das Ende der Welt gegenwärtig ist, sie heilige, erbaue und als seine geliebte Braut mit allerlei Schmuck der Tugenden ziere. In diesem allem und was hieraus folgt ist die Lehre der Unseren nicht anders als das, was die heiligen Väter und das gemeinsame Bekenntnis der Christen beinhalten. Deshalb halten wir es für unnötig, hiervon weiter etwas anzuzeigen. II. In welchen Punkten man von der allgemeinen Lehre der genannten Geistlichen etwas abgewichen ist In den Abschnitten aber, die behandeln, wie wir der Erlösung Christi teilhaftig werden, und auch in dem, was einem Christenmenschen zu tun gebührt, sind unsere Prediger von dem, was jetzt bisher allgemein gelehrt und eingehalten wird, etwas abgewichen. Dasselbe wollen wir alles Eurer Kaiserlichen Majestät ganz aufrichtig in höchster Untertänigkeit, auf Ihrer Majestät gnädigste Aufforderung, mit Angabe etlicher Stellen der Heiligen Schrift, die uns veranlasst haben, die Lehre unserer Prediger anzunehmen, vortragen. III. Woher unsere Rechtfertigung kommt Erstens, nachdem bisher nun sehr viele Jahre behauptet wurde, dass dazu, dass der Mensch fromm und gerecht werde, seine eigenen aus eigenen Kräften herkommenden Werke erforderlich sind, haben die Unseren gelehrt, dass solches alles der göttlichen Güte und dem Verdienst Christi zuzuschreiben sei und deshalb durch den Glauben empfangen werde. Hierzu haben sie, neben anderen, diese Stellen der Heiligen Schrift bewogen: „Allen, die ihn aufgenommen haben, denen hat er Macht gegeben, Kinder Gottes zu werden, die in seinem Namen glauben, die nicht vom

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Geblüt noch vom Willen des Fleisches oder Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12 f.). „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, es sei denn, dass jemand von Neuem geboren sei, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh 3,3). „Niemand kennt den Sohn denn nur der Vater, und den Vater kennt niemand denn der Sohn und welchem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn, Blut und Fleisch haben es dir nicht geoffenbart“ (Mt 16,17). „Niemand kann zu mir kommen, der Vater ziehe ihn denn“ (Joh 6,44). „Aus der Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch. Dies ist Gottes Gabe, nicht aus Werken, dass sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, erschaffen in Jesus Christus zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir in denselben wandeln“ (Eph 2,8–10). Diese und ähnliche Schriften sind die Grundlage, auf der die angezeigte Lehre der Unseren beruht. Denn unsere Rechtschaffenheit vor Gott und das ewige Leben bestehen darin, dass wir Gott und unseren Heiland Jesus Christus erkennen, was kein Werk des Fleisches und Blutes sein kann, und dass wir auch von Neuem geboren werden müssen und nicht zum Sohn kommen könnten, wenn uns der Vater nicht zöge (Joh 6,44), noch den Vater erkennten, außer wenn der Sohn uns ihn denn offenbare (Mt 11,27). Auch der heilige Paulus sagt ausdrücklich, dass es nicht aus uns, nicht aus den Werken geschehe (Eph 2,8 f.). Daraus wird für uns offensichtlich, dass unsere Werke dazu, dass wir aus Unfrommen und Ungerechten, als welche wir geboren wurden, fromm und gerecht werden, nichts tun können, da wir doch, weil wir von Natur aus Kinder des Zorns und deshalb ungerecht sind, deshalb auch nichts Rechtes und Gott Angenehmes vollbringen können. Vielmehr muss der Anfang all unserer Rechtschaffenheit und unseres Heils von der Barm­ herzigkeit Gottes kommen. Er bietet uns zunächst aus seiner reinen Gnade und angesichts des Todes seines Sohnes die Lehre der Wahrheit und sein Evangelium an, indem er uns Leute sendet, die uns dasselbe verkünden. Dann: „Weil der natürliche Mensch die Dinge des göttlichen Geistes nicht verstehen kann“ (1. Kor 2,14), lässt er den Glanz seines Lichts in der Finsternis unseres Herzens aufgehen (2. Kor 4,6), damit wir dem gepredigten Evangelium glauben können und jetzt durch Gottes Geist von der Wahrheit vollständig überzeugt sind. Deshalb rufen wir alsbald „auf das Zeugnis desselben Geistes, das er unserem Geist gibt, aus recht kindlichem Vertrauen ihn, unseren Gott und Vater, an und sprechen: „Abba, Vater“ (Röm 8,16). Daher erlangen wir dann das vollständige Heil nach dem Spruch: „Wer den Namen des Herrn anruft, wird selig“ (Joel 3,5; Röm 10,13).

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IV. Welchem Glauben die Rechtfertigung zugestanden wird Indem aber unsere Prediger dem Glauben so viel zugestehen, meinen sie keineswegs, dass das Heil und die Rechtschaffenheit in müßigen Gedanken und in einem Glauben beständen, der ohne Liebe sei, welchen man einen ungestalteten Glauben nennt. Sondern es geschieht deshalb, weil wir bekennen müssen, dass niemand recht fromm und selig werden kann, er liebe denn Gott aufs Höchste und werde ihm auf das allerbeflissenste ähnlich. „Denn welche Gott ersehen hat“, schreibt der heilige Paulus, „dieselben hat er auch berufen, dem Bild seines Sohnes gleich zu werden“ (Röm 8,29), und das ohne Zweifel zum Ruhm des seligen, das heißt auch in Übung des unschuldigen und ganz frommen Lebens. „Wir sind ganz sein Werk, geschaffen zu guten Werken“ (Eph 2,10). Nun ist es aber nicht möglich, dass jemand Gott über alles liebt und sich mit rechtem Eifer seiner Güte ähnlich macht, es sei denn, er erkenne ihn und erhoffe sich von ihm alles Gute. Deshalb können wir auf keinem anderen Weg sowohl gerecht und fromm als auch selig werden, denn unser Heil ist eben wahre Frömmigkeit. Weil wir, da wir vor allem anderen mit dem Glauben von Gott begabt wurden, durch den wir das Evangelium annehmen, davon überzeugt sind, dass Gott uns zu Kindern angenommen hat und ewig väterliche Güte beweisen will, hängen wir gänzlich an seinem Willen. Solchen Glauben nennt der heilige Augustinus einen evangelischen Glauben, der dann durch die Liebe tätig ist (Gal 5,6). Und dieser Glaube ist es, durch den wir neu geboren werden und durch den in uns das Bild Gottes wiederhergestellt wird. Durch ihn werden wir, die wir schlecht geboren wurden und von Jugend an alle unsere Gedanken auf das Böse gerichtet haben, gütig. Denn aus diesem Glauben kommt die Art und Weise, die jetzt dargelegt wird, dass wir nämlich ganz von Gott, dem ewigen und stets überfließenden Brunnen alles Guten, gesättigt sind und also zu göttlicher Art werden. Alsbald zeigen wir uns dadurch anderen Menschen als Götter, das heißt, als wahre Kinder Gottes, dass wir durch die Liebe den Nutz und Frommen eines jeden fördern und keinen möglichen Eifer sparen. Denn wie hat Johannes geschrieben: „Wer seinen Bruder liebt, der wandelt im Licht und ist aus Gott geboren“ (1. Joh 2,10; 4,7) und ist dem neuen und auch alten Gebot der Liebe, die wir zueinander haben sollen, gänzlich ergeben (Dtn 6,5; Lev 19,8; Mt 22,37 ff.). „Diese Liebe ist deshalb die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,10), nachdem der heilige Paulus sagt: „In einem Wort wurde das ganze Gesetz erfüllt, nämlich diesem: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Gal 5,14). Denn alles, was im Gesetz vorgegeben ist, ist dahin ausgerichtet und fordert, dass wir schließlich zum Ebenbild Gottes vollkommen reformiert und erneuert werden, das heißt, dass wir bereit und auch tauglich sind, ganz gütig zu sein und den Nutz und Frommen des Menschen zu fördern.

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Dies kann in uns keineswegs erlangt werden, bevor wir nicht mit allen Tugenden geschmückt sind und demnach dem Gesetz in jeder Hinsicht entsprechen. Denn wie kann jemand zur Besserung und zum Aufbau der Gemeinde Gottes und also nach dem Gesetz und der Ehre Gottes alles einrichten und vollbringen, der nicht alles zum Besten gedenke, rede und handle und also jetzt den Schatz aller Tugenden besitze – das ist nämlich eines Christenmenschen eigenes Amt (1. Kor 10,21)? V. Wem die guten Werke zuzuschreiben und wie notwendig sie sind Diese dargelegte Erneuerung und Wiederherstellung des Menschen, die durch den Glauben kommt und besteht und sich durch die Liebe zeigt und ganz wird, kann und soll keiner anderen Kraft zugeschrieben werden als dem Geist Jesu Christi, unseres Erlösers. Das wird aus gezeigtem Grund zur Genüge bewiesen und ist auch aus dem, was der heilige Paulus schreibt, klar zu erkennen: Alle, „die durch den Geist getrieben werden, die sind Kinder Gottes“ (Röm 8,14). Ebenso: „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“ (Röm 11,36). Denn welche der Geist Gottes treibt, die treiben sich ja nicht selbst, und weil es alles vom Herrn ist, ist’s nicht von uns. Doch hat es nicht die Bedeutung, dass Gott deswegen jemanden zwinge, sondern solcher Antrieb des Geistes geschieht mit ganz geneigtem guten Willen derer, die getrieben werden. „Denn der Herr wirkt in ihnen beides, das Wollen und das Tun“ (Phil 2,19). Und daher kommt es, dass der heilige Augustinus geschrieben hat, dass Gott in uns seine Werke belohne (De gratia et libero arbitrio). So verstehen wir auch das, was der heilige Paulus sagt, und das doch, wenn es die Unseren auch sagen, bei vielen als problematisch verstanden wird, nämlich, dass wir aus Gnade und nicht durch Verdienst, durch den Glauben und nicht durch Werke fromm und selig werden (Röm 3,28; Gal 2,16; Eph 2,8), da ja Gott die Sache mit uns anfangen, vermitteln und zum Ende bringen muss. So ist das erste, an dem alles andere hängt, dass er uns seine Erkenntnis und sein Vertrauen gegenüber dieser Güte gegen uns, das heißt den Glauben, verleiht, aus dem dann vollkommene Rechtschaffenheit und Seligkeit folgen muss. Davon aber, dass wir gute Werke ablehnen, sind wir so weit entfernt, dass wir frei bekennen, dass der Mensch niemals ganz selig werden kann, er sei denn durch den Geist Christi dahin gebracht, dass ihm jetzt nirgends mehr gute Werke mangeln, nämlich die, zu welchen ihn Gott geschaffen hat. „Denn seitdem wir untereinander sind“ wie die Glieder eines Leibes, haben wir „nicht alle einerlei Aufgabe“ (1. Kor 12,4 ff.). Es ist aber nun einmal so: „Himmel und Erde müssen eher vergehen, als dass ein Jota oder das kleinste Tüpfelchen vom Gesetz nachgelassen werden kann“ (Mt 5,18) – das hat der Herr selbst gesagt. Da Gott allein gut ist und deshalb alles Gute allein sein Tun ist und dies sowohl in Werken

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des Menschen als auch in anderen Geschöpfen aus nichts hervorbringt, uns auch durch seinen Geist ganz neu gebiert – denn in Christus gilt nichts denn eine neue Kreatur –, so muss beides wahr sein: Es ist uns alles Gute nötig, um selig zu sein, wobei doch Seligkeit nichts anderes ist, als alles Gute zu besitzen, aber auch, dass doch dies alles von Gott in den Seinen geschaffen und eingerichtet wird, sodass nichts davon menschlichen Kräften zugeschrieben werden kann noch soll. VI. Wie ein Christenmensch handeln soll Aus dem eben Dargelegten ist jetzt auch leicht zu verstehen, was das Handeln und Amt eines Christenmenschen sein soll, nämlich alles das zu tun, wodurch des Nächsten Nutzen geschaffen und gefördert wird, vornehmlich aber zum ewigen Leben. Dies geschieht, wenn es dem Menschen dazu dient, dass auch er beginnt, Gott recht zu erkennen, ihm mit Eifer zu dienen und sich ihm ähnlich zu machen. Darüber hinaus bekommen die Menschen von uns auch in anderen Dingen, welche die Alltäglichkeit des hiesigen Lebens erfordert, Rat und Hilfe. Weil das Gesetz Gottes, das alle Rechtschaffenheit in vollkommenster Weise vorschreibt, in diesem Wort: „Liebe deinen Nächsten“ zusammengefasst wird (Röm 13,9), folgt daraus, dass auch in der Erweisung solcher Liebe alle Rechtschaffenheit zusammengefasst und ausgerichtet werden muss. Und daraus erschließt sich dann weiter, dass insgesamt nichts als christliches Handeln erachtet werden soll, welches nicht den Nutzen des Nächsten fördert, und dass auch ein jedes Werk umso mehr christlichem Tun gemäß ist und gebührt, als es dem Nächsten Nutz und Frommen bringt. Deshalb werden unter die vornehmsten Werke eines Christenmenschen, die seinem Beruf und Namen am besten anstehen, sowohl der Gehorsam, welcher der Obrigkeit geleistet wird – denn derselbe fördert den Gemeinnutz –, die Ehre, die den Älteren erwiesen wird, als auch Versorgung von Frauen und Kindern und Dienerschaft gezählt, denn ohne dies wäre das Leben des Menschen nicht menschlich. Und in summa alles das, wozu Gott einen jeden dem Nächsten zu dienen bestimmt hat. VII. Vom Fasten und Beten Fasten und Beten, was allgemein und mit Recht dem christlichen Tun zugerechnet wird, halten wir für sehr heilige und nützliche Werke, zu denen auch unsere Prediger eifrig ermahnen. Denn wie das Fasten in mancher Hinsicht als eine Abwendung von diesem gegenwärtigen Leben, das den bösen Begierden von Natur aus verhaftet ist, zu verstehen ist, so ist das Gebet eine Erhebung des Gemüts zu Gott und ein solches Gespräch mit Gott, dass nichts anderes das Gemüt mit himmlischen Begierden mehr anzündet und nach dem Willen Gottes mächtiger entfaltet. Auch wenn nun

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diese Übungen ganz heilig und den Christen sehr nötig sind, wird durch sie allerdings nicht so sehr dem Nächsten mit Nutz gedient als vielmehr der Mensch dem Nächsten zu dienen bereit und fähig gemacht. Deshalb können sie keineswegs christlicher Lehre, Unterweisung, Vermahnung und auch anderen Diensten, die genauso den Leuten Nutz und Frommen bringen, vorgezogen werden, wie es lange Zeit von vielen gegen Gottes Ordnung geschehen ist. Daher lesen wir, dass unser Herr Jesus Christus sein Gebet in der Nacht gehalten hat und immer, sobald es Tag wurde, sich wieder zu dem Volk begeben hat, um dasselbe zu lehren und ihre Kranken zu heilen (1. Kor 13,13). Also sind unter allen guten heiligen Übungen die vorzuziehen, die aus der Nächstenliebe fließen und dieselbe dadurch beweisen, dass sie dem Nächsten fruchtbar und nützlich sind. Aus diesem Grund schreibt der heilige Chrysostomus, dass das Fasten unter den Tugenden die niedrigste Stellung hat (Homilie 46/47 über Mt 13,24–30). VIII. Vom Gebot des Fastens und Betens Weil aber nur die im Geist etwas erhitzten und vom Himmel angeregten Gemüter recht und mit Frucht beten und fasten können, so haben es unsere Prediger für besser angesehen, mit heiligen Ermahnungen zu solchen Werken zu locken und zu ermuntern, wie denn solches auch bei den Aposteln und der älteren, reineren Kirche Brauch war, aber nicht mit Geboten zu zwingen und damit die Gewissen in Sünde zu verstricken. Deshalb haben sie es auch für fruchtbarer erachtet, dass man Ort, Zeit und Dauer des Betens und Fastens einem jeden Geist, ohne den weder recht gebetet noch gefastet werden kann, anheimstelle, als dass man es ihm allgemein mit solchen Gesetzen vorschreibe, die dann nicht ohne Sünde nachgelassen werden können. Dass darüber hinaus für die Jungen und Unvollkommenen besondere Zeiten und Dauer für Beten und Fasten angesetzt wurden, damit durch sie so viele in solche heiligen Übungen eingeführt wurden, wollten die Unseren gar nicht missbilligen. Aber dazu, dass Fasten und Beten nicht mit Geboten, die das Gewissen binden, erzwungen werden sollen, bewegt die Unseren, dass weder Christus selbst noch die Apostel sich je angemaßt haben, solche Gebote zu machen. Dies bezeugt auch der heilige Chrysostomus, wenn er über Matthäus schreibt: „Siehst du“, spricht er, „dass ein rechtes Leben mehr als alles andere hilft; unter einem rechten Leben verstehe ich nicht die Mühe des Fastens, nicht das Betteln in Sack und Asche, sondern wenn du das Geld nicht anders, als es sich gehört, verachtest, in der Liebe brennst, die Hungrigen mit deinem Brot nährst, den Zorn überwindest, eitler Ehren nicht begehrst, von Neid nicht behaftet bist. Denn diese Dinge sind seines, des Herrn, Lehre, denn er sagt nicht, dass man seinem Fasten nachfolgen solle, obwohl er die vierzig Tage hätte vorgeben können, sondern spricht: Lernt von mir, denn ich

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bin mild und von Herzen demütig (Mt 11,29). […] Jawohl, mehr noch hat er gesagt: Alles, was man euch vorsetzt, das esst (Lk 10,8).“ Dies sind die Worte des Chrysostomus (Homilie 46/47 über Mt 13,24–30). Zudem lesen wir in der ganzen Schrift nur von einigen Tagen, an denen Gott seinem Volk zu fasten geboten hat (Ri 20,26; 1. Sam 7,6). Denn was die Schrift vom Fasten berichtet, das von Königen und Propheten vor der Babylonischen Gefangenschaft angesetzt wurde (2. Chr 20,3; Joel 2,12), ist nicht ständiges oder jährliches Fasten gewesen, sondern es war nur zu dieser Zeit, aus Ungemach und Not, die künftig oder jetzt eingetreten war, eingeführt worden. Weil denn, wie der heilige Paulus bezeugt, „die Heilige Schrift zu allen guten Werken geschickt ist“ (2. Tim 3,16 f.), aber gar nicht auf solches Fasten hinweist, das mit Gebot erzwungen wird, können wir nicht erkennen, dass solches zu tun den Nachfahren der Apostel hätte anstehen können. Zwar bezeugt der heilige Irenäus, dass zu seinen Zeiten die Gemeinden Gottes sich unterschiedlich in Bezug auf das Fasten verhalten haben, sodass etliche meinten, das Fasten nur einen Tag haben zu wollen, andere zwei, andere mehr, etliche vierzig. Dies aber ist, wie Irenäus meldet, so frei gewesen, dass solche Uneinigkeit des Fastens die Einigkeit des Glaubens nicht zerrissen hat (Historia ecclesiastica 8,24). Daraus kann man klar ersehen, dass die Kirche damals von den Fastengeboten, die erst seither eingerissen sind, nicht überall gewusst hat. Vielmehr lesen wir in der Historia ecclesiastica (5,18), dass ein christlicher Schreiber mit Namen Apollonius Montanus der Ketzerei überführt habe und die Einsicht, dass sein Geist falsch und untauglich sei, neben anderen Argumenten auch damit bewiesen habe, dass eben dieser Montanus der erste gewesen sei, der Fastengebote eingeführt habe. Chrysostomus hat auch geschrieben: Fasten ist eine ehrbare Sache, es soll aber niemand gezwungen werden (Homilie 10 über Gen 1,26). Und an einer anderen Stelle sagt er: „Kannst du nicht fasten, so enthalte dich doch des mutwilligen Naschens, welches nicht so weit vom wahren Fasten und dazu auch nützlich ist, dass man das Wüten des Teufels eindämme“ (Homilie 457 über Mt 17,10). Überdies beweist leider die Erfahrung nur zu oft, dass die Fastengebote der reinen Gottseligkeit nicht geringen Schaden antun, weil sie bisher bewirkt haben, dass man gelernt hat und gewohnt war, ohne Scheu das zu übertreten, woran man doch nicht zweifelt, dass es aus dem Geist Gottes geboten sei, und das zu tun, das man eigentlich für Todsünde hält. Dabei sind auch viele unschuldige Gewissen schwer gemartert und im Vertrauen und der Liebe zu Gott grausam geschwächt worden. Weil wir aber der Meinung sind, dass sich die Kirchenfürsten die Gewalt angemaßt haben, gegen die Schrift, die solches weder mit Worten noch Beispielen lehrt (2. Tim 3,16) – obwohl sie alles das lehrt, was die Gottseligkeit fördern kann  –, Fasten bei Todsünden zu gebieten, haben wir es erlaubt, dass

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unsere Prediger die Gewissen von solchen Stricken befreiten; das [geschieht] aufgrund göttlicher Schriften, die christliche Freiheit vorgeben, und besonders durch die Lehre des heiligen Paulus, der mit besonderem Fleiß beweist, dass die Christen dieser weltlichen Kindersatzung ledig und los seien. Es hat bei uns auch immer eine große Bedeutung gehabt, dass der heilige Paulus den Kolossern geschrieben hat: „Es soll euch niemand richten wegen Speise, Trank und bestimmter Festtage“ (Kol 2,16). Und danach: „Darum seid ihr mit Christus für die weltlichen Gesetze gestorben, was lasst ihr euch dann solche auferlegen, als ob ihr nach ihnen lebtet?“ (Kol 2,20). Da nun Paulus meint, die Freiheit, in die uns Christus durch seinen Tod versetzt hat, sei so groß, dass wir die Zeremonien nicht brauchen, die Gott selbst durch Mose gegeben hat, soll uns nunmehr der Geist Christi, der innerliche Meister, so führen und anregen, dass uns solche Kindergebote, die sich nur auf äußerliche weltliche Dinge beziehen, nicht nützlich sein können. Deshalb kommt es auch niemandem zu, Gewalt gegen uns auszuüben und damit solche Zeremonien von uns zu fordern. Wie viel weniger sollten wir uns dann durch diese Zeremonien und äußerlichen Dinge an Gebote binden lassen, die von Menschen ohne Gottes Wort eingesetzt sind? Und es ist ja noch viel unrechter, wo sich jemand solche Gewalt gegen uns anmaßt und uns solche Gebote auferlegt. Denn wer wollte nicht sehen, dass die Ehre Christi weit mehr dadurch verletzt wurde, dass wir gegen seinen Befehl – dem wir doch ganz und allein, wie er uns sich selbst durch sein Blut ganz erkauft hat, leben sollen – unser Gewissen den Gesetzen, welche die Menschen aus sich selbst erdichtet haben, unterwerfen, als dass wir das gegen die Gesetze täten, die – wenn auch nur für ihre Zeit angeordnet – dennoch Gott selbst eingesetzt hat? Es ist ja nicht so schwer, jüdische Weisungen, die von Gott gegeben sind, von heidnischen Meinungen, die von Menschen erfunden sind, zu unterscheiden. Es ist nun aber eigentlich der Heiden Weise und Tun, Gesetze, die allein aus der menschlichen Vernunft herkommen und vor Gott nicht gelten, anzunehmen, um Gott zu dienen; deshalb hat der Spruch: „Wir sind teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte“ (1. Kor 7,23) sicher Recht – besonders im Blick auf jetzt feil angebotene Gesetze der Menschen, durch welche die Gewissen so gefährlich und erschreckend gebunden werden. IX. Von der Unterscheidung der Speise Eben aus den oben dargelegten Gründen ist bei uns auch das Gebot von der Unterscheidung der Speisen zu bestimmten Tagen aufgehoben, welches Paulus zu den Lehren des Teufels zählt (1. Tim 4,1 ff.). Auch wenn etliche meinen, diese Stelle bei Paulus berühre nur die Manichäer, Enkratiten, Tatianer und Marcioniten, die gelehrt haben, gewisse Speisen und den

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Ehestand gänzlich abzulehnen, sieht doch jeder, dass der heilige Paulus an dieser Stelle die verdammt, die gebieten, sich der Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat, um sie zu genießen (1. Tim 4,3). Auch derjenige, der nur an einigen Tagen einige Speisen verbietet, verbietet dennoch Speise, die Gott geschaffen hat, um sie zu genießen – und das wurde an dieser Stelle von Paulus verurteilt. Denn er sagt: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist zu verwerfen, wenn es mit Danksagung empfangen wird“ (1. Tim 4,4). Er nimmt keine Zeit aus, obwohl niemand rechter Mäßigkeit, Kasteiung des Leibes und auch rechten Fastens geneigter war als er. Es soll sich ja ein Christ in aller Mäßigkeit üben, aber auch ständig in ihr leben; zuweilen gebührt es ihm auch, durch Verzicht auf die gewohnte Nahrung sein Fleisch zu kasteien. Dazu dient aber eher der geringe Wert der Speise und die geringe Menge als die besondere Gestalt und veränderte Art. Es steht auch einem Christen an, bisweilen rechtes Fasten zu halten, dasselbe muss aber ein Enthalten nicht einiger, sondern aller Speisen sein, ja nicht allein aller Speisen, sondern auch aller Vergnügungen dieses gegenwärtigen Lebens. Denn was soll das für ein Fasten oder eine Enthaltsamkeit sein, wenn man die Gerichte und Leckerbissen nur in ihrer Gestalt ändert? So will auch der heilige Chrysostomus nichts als Fasten anerkennen, wenn wir nicht den ganzen Tag bis abends ohne Speise ausharren, es sei denn, dass wir uns neben dem Verzicht auf Speise auch von allem Bösen enthalten und uns mit besonderem Fleiß geistlichen Übungen widmen (Homilie 6 über Gen 1,14). X. Mit Fasten und Beten kann man Gott nichts abhandeln Weiter lehren unsere Prediger, dass an der allgemeinen Lehre vom Beten und Fasten auch dies zu verbessern sei, dass man meint, dadurch Verdienst oder Rechtfertigung zu suchen. Denn aus Gnade durch den Glauben werden wir selig und fromm. So hat der heilige Paulus von den Werken des Gesetzes, zu denen auch Fasten und Beten gezählt werden, geschrieben: „Christus ist euch unnütz geworden, ihr alle, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, seid von der Gnade abgefallen“ (Gal 5,4). Denn wir hoffen, Gerechtigkeit durch den Geist aus dem Glauben zu bekommen. Also sollen wir wohl beten, aber darum, dass wir von Gott etwas empfangen, und darum sollen wir fasten, damit wir desto ungehinderter beten können, dass damit das Fleisch in Dienst und Gehorsam gehalten werde. Dieses einzige Ziel und allein dieser Gebrauch des Betens und Fastens ist in der göttlichen Schrift und von den heiligen Vätern vorgeschrieben, aber nicht, um von Gott damit etwas abzuhandeln. Denn da wir, was wir sind, ganz durch Gott sind, so sind wir ihm auch ganz schuldig und verpflichtet und sollen ihn von ganzem Herzen, ganzer Seele und mit aller Kraft lieben (Dtn 6,5), alle Dinge zu seinen Ehren einrichten und vollbringen. Und

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wenn wir schon all das vollbracht hätten, sollen wir uns doch als unnütze Knechte bekennen, wie Christus sagt (Lk 17,10). Soweit davon, dass man mit Fasten und Beten Gott etwas abhandeln kann. XI. Anrufung und Verehrung der Heiligen Dabei ist auch dieser Missbrauch berührt und verworfen worden, dass einige sich durch Fasten und Beten bei der heiligen Gebärerin Gottes, der Jungfrau Maria, und anderen Heiligen so verdient machen, dass sie mittels ihrer Fürbitte und Verdienste hoffen, alles Unglück an Leib und Seele vermeiden zu können und mit allerlei Gütern bedacht zu werden. Denn unsere Prediger haben gelehrt, wie man nach dem Befehl Christi, unseres Heilands, durch denselben Christus im Heiligen Geist allein den himmlischen Vater anrufen soll, der uns verheißen hat, uns nichts abzuschlagen, sofern wir nur, wie gesagt, im Glauben und durch seinen Sohn bitten. Deswegen meinen sie auch, es gebühre den Christen, sich durch diesen Fürsprecher und Verteidiger zufriedenstellen zu lassen – die Schrift kennt ja „nur einen Mittler Gottes und der Menschen, den Menschen Jesus Christus“ (1. Tim 2,5), der uns denn auch lieber hat und mehr beim Vater vermag als jemand anders. Daneben aber lehren sie, dass man nichtsdestoweniger die heiligste Mutter Gottes und Jungfrau Maria samt anderen lieben Heiligen mit höchstem Eifer verehren soll. Wir zeigen aber, dass dies durch nichts anderes geschehen kann, als dass wir die Dinge so handhaben, die ihnen am ehesten zusagen, nämlich die Unschuld und Gottseligkeit, von denen sie uns so herrliche Exempel gegeben haben. Denn da sie Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele und mit aller Kraft lieben (Dtn 6,5), kann ihnen von uns nichts Angenehmeres widerfahren, als dass auch wir mit ihnen Gott von Herzen lieben und uns bemühen, ihm ähnlich zu werden. Ihnen liegt es fern, dass sie ihr eigenes Heil ihrem Verdienst zuschreiben. Wie sollte es ihnen denn in den Sinn kommen, anderen durch ihr eigenes Verdienst zu helfen? Ein jeder von ihnen hat zu Lebzeiten mit Paulus gesprochen: „Denn was ich jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat. Ich verschmähe die Gnade Gottes nicht“ (Gal 2,20 f.). Da sie denn nun selbst alles, was sie sind und haben, der Güte Gottes und der Erlösung Jesu Christi zuschreiben, so werden wir ihnen nicht besser gefallen können, wenn wir uns allein derselben gänzlich trösten. Dies alles lehrt auch der heilige Augustinus am Ende des Buches „De vera religione“. XII. Der Mönchsstand Aus dem gleichen Grund, nämlich, dass unsere Rechtfertigung auf dem Glauben an Jesus Christus beruht, aus der, wie gezeigt, die Freiheit allen

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äußerlichen Dingen gegenüber stammt, haben unsere Prediger auch den Mönchsstand befreit. Es ist ja bekannt, dass der heilige Paulus solche christliche Freiheit überall sehr nachdrücklich verteidigt, aus der ein jeder dessen gewiss sei, dass allein von Christus alle Frömmigkeit und Seligkeit zu erwarten ist. Und deshalb steht ihm zu, sich aller äußerlichen Dinge zu jeder Zeit frei zu Ehren Gottes und des Nächsten Nutzen zu bedienen. Dahin geleitet denn auch der Geist Christi, durch den wir als Kinder Gottes angenommen und wahrer Freiheit teilhaftig geworden sind. Nun, da wir diese Freiheit erhalten haben, sind wir Knechte Christi, der uns ihm selbst zu solchem freien Dienst durch sein kostbares Blut erkauft hat. Darum kann es uns sowenig zustehen, dass wir solche Freiheit einigen Menschen absprechen, als es uns zustehen will, uns aus dem Joch Christi, dem wir mit Leib und Seele zu eigen sind, zu entziehen. Denn ein Knecht, der wie folgt handelt, entzieht sich dem Dienst des Herrn: Er hat von seinem Herrn den Befehl bekommen, dessen Güter und Weingärten und anderes zu pflegen, ohne dass ein Gut oder ein Weinberg besonders hervorgehoben wäre; er ist dabei auch nicht verpflichtet, ein besonderes Werkzeug zu benutzen, sondern kann frei wählen, sodass er jedes Mal in den Gütern, die seiner Arbeit zum Nutzen des Herrn am meisten bedürfen, und mit den Werkzeugen, die zur anstehenden Arbeit am tauglichsten wären, arbeitete. Dieser Knecht nun unterlässt die Pflege vieler Güter des Herrn, gibt nur einigen den Vorzug und gebraucht auch nur einige Werkzeuge und gibt dann vor, er wollte seinem Herrn auf solche Weise besser dienen. So entzieht sich auch der gewiss dem Dienst Christi – der unser aller Herr ist –, der allein einigen Leuten, die er sich selbst auswählt und auf bestimmte Art und Weise, die ihm gefallen – obwohl solches der Herr nicht befohlen hat –, zu dienen verspricht und sich zueignet; das ist nämlich im Mönchsstand klar zu sehen. Aus diesem Grund hat es der heilige Paulus so heftig verdammt, dass sich die Galater den mosaischen Zeremonien ergeben hatten; dabei war dies noch eher zu entschuldigen, als sich solchen Zeremonien zu unterwerfen, welche die Menschen erfunden haben. Er deutet ihnen ihr Verhalten so, dass es heißt, die Gnade Gottes zu verschmähen, den Tod Christi für vergeblich halten, sodass er besorgt sein müsste, seine Arbeit mit ihnen sei vergebens gewesen (Gal 2,21; 4,11). Deshalb ermahnt er sie mit solchen Worten: „So steht fest in der Freiheit, mit der uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen“ (Gal 5,1). Nun ist der Mönchsstand nichts anderes als eine Dienstbarkeit menschlicher Gesetze, wie sie selbst bekennen müssen, und zwar eine solche, die durch die Worte des Paulus an so vielen Stellen, von denen wir nun etliche zeigten, verdammt werden. Von diesem Stand hat man nun lange gedacht, dass man etwas Besonderes vor Gott verdiene, weshalb es denn als eine

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so schreckliche Sünde erachtet worden ist, wenn jemand denselben wieder verlassen hat. Darum kann es einem Christen, dessen Leib und Seele Christi Eigentum sind (1. Kor 6,20), viel weniger anstehen, sich zu solcher Dienstbarkeit mit Gelübde zu verpflichten, als es einem leibeigenen Knecht zustehen kann, sich nach seinem Wunsch einem anderen Herrn im Dienst zu verpflichten. Zudem kann nicht geleugnet werden, dass auch durch solche Gelübde, durch die man sich verpflichtet, nach mensch­ lichen Gesetzen zu leben, eine Notwendigkeit, göttliche Gesetze zu übertreten, eingeführt wird. Das Gesetz Gottes erfordert, dass ein Christ der Obrigkeit, den Eltern und Verwandten und Freunden und sonst einem jeden, den Gott ihm zum Nächsten macht, nach allem seinem Vermögen dienen soll, an welchem Ort oder zu welcher Zeit oder in welchem Maß das auch sei, was des Nächsten Bedürfnis immer erfordern mag. Auch dass er sein Leben in dem Stand einrichte, in dem er dem Nächsten am allerbesten dienen und Nutzen schaffen könnte, auch nicht ohne Ehe bleibe, „es sei ihm denn gegeben, sich derselbigen um des Himmelreiches willen“, das ist, die Gottseligkeit und Ehre Gottes zu fördern, zu enthalten (Mt 19,12). Denn da steht das Gebot Gottes, durch Paulus verkündet, welches kein Gelübde nach dem Gebot der Menschen aufheben kann: „Um Unkeuschheit zu vermeiden, habe ein jeglicher seine eigene Frau und eine jegliche ihren eigenen Mann“ (1. Kor 7,2). Er sagt, ein jeglicher und eine jegliche, und nimmt niemanden aus. So bezeugt Christus selbst, der am besten weiß, was der Mensch vermag, was auch dem Vater gefalle, einem jedem zu geben, „dass nicht jedermann dazu in der Lage sei, dass er sich um des Himmelreiches willen der Ehe enthalte“ (Mt 19,12). Nun ist es einem jeden, der dieses Verhalten recht ansehen will, offenbar, dass diejenigen, welche die Mönchsgelübde ablegen, sich einer besonderen Gruppe von Menschen verpflichten und zueignen. Dadurch können sie jetzt weder der Obrigkeit noch den Eltern oder anderen Menschen und von Gott bestimmten Nächsten, außer nach dem Willen seines Abtes oder Priors, ihren schuldigen Gehorsam und Dienst erweisen oder von der Nahrung, über die Gott sie und keine anderen zu Verwaltern und Verteilern gesetzt hat, jemandem in Not, wie Gott es ihnen geboten hat, zu Hilfe kommen; am allerwenigsten aber ist es ihnen erlaubt, die Ehe einzugehen, wie sehr sie doch brennen und deshalb schweren Lastern verfallen. Es liegt nämlich zutage, dass der Mensch durch solche Klostergelübde der Dienstbarkeit Christi, der uns durch sein Blut freigekauft hat, entfremdet und entwendet, ja vielmehr der Menschen Dienstbarkeit, ja mehr noch der Sünde ergeben und verpflichtet wird, weil diese Gelübde zur Notwendigkeit treiben, das göttliche Gesetz zu übertreten. Sie sind damit gegen alles, auch gegen das natürliche Recht, gerichtet, wobei kein Recht das unrechte Gelübde zu binden vermag.

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Wir haben sie deshalb aufgelöst, weil sie gegen Gottes Gesetze streiten. Es kann auch niemand etwas dagegen haben, den Klosterstand in ein rechtes christliches Leben zu ändern, wie denn auch die anderen [nicht daran gehindert werden sollen], die sich vom allgemeinen geistlichen oder Priesterstand in die Ehe und ein Dasein, in dem sie ihrem Nächsten nützlicher sein können als zuvor, haben begeben wollen. Weiter haben wir auch die aus angezeigten Gründen nicht von der Ehe abhalten können, die im priesterlichen Stand und Dienst des Evangeliums geblieben sind, nämlich die, von denen Paulus, dem wohl soviel wie keinem anderen an rechter Keuschheit gelegen ist, mit Recht verlangt, dass die Bischöfe und Diakone jeder eine Frau haben sollen. Die Erfahrung hat auch leider nur zu sehr gelehrt, dass es gesetzlich nötig ist, wenn anders Zucht und Ehrbarkeit nicht zu haben ist, dass man dieses göttliche Gebot allen menschlichen Gesetzen und Gelübden vorziehe: „Um Unkeuschheit zu vermeiden, habe ein jeder seine eigene Frau und eine jede ihren eigenen Mann“ (1. Kor 7,2). Denn weil ein solches Gesetz lange Zeit missachtet worden ist, haben die allergrausamsten Laster der Unkeuschheit den geistlichen Stand so überschwemmt, dass gegenwärtig kein anderer Stand den ehrbaren Menschen so abscheulich ist wie der geistliche, der doch sowohl als der heiligste als auch ehrbarste geachtet werden sollte. XIII. Amt, Würde und Macht der Geistlichen Von Dienst und Würde des geistlichen Standes lehrt man bei uns dies: Erstens, dass in der Kirche keine Macht da ist außer zur Besserung (2. Kor 10,8). Zweitens, dass niemand in diesem Stand anders geachtet werden soll als der heilige Paulus sich selbst, Petrus, Apollos und andere geachtet haben wollte, nämlich „als Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse, von denen vor allem gefordert wurde, dass sie getreu sind“ (1. Kor 4,1 f.). Diese sind es, welche die Schlüssel der Himmel haben und die Macht zu binden und zu lösen, die Sünde zu verzeihen und zu behalten (Joh 20,23). Doch dies alles so, dass sie dennoch Diener Christi sind, dem dieses Recht und diese Macht, den Himmel aufzuschließen und die Sünde zu verzeihen, eigentlich und allein zusteht, und es „ist weder der, der pflanzt, noch der, der etwas gießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“ (1. Kor 3,7). Denn niemand ist fähig, etwas aus sich selbst zu denken, als ob es aus ihm selbst käme, sondern wer zu solchem fähig befunden wurde, der hat es von Gott, der denen, die nach seinem Gefallen Diener und Prediger des Neuen Testaments sind, Herz, Mut und Verstand gibt, das Evangelium getreulich zu predigen. Er verwendet sie dazu, dass die Menschen durch wahren Glauben zu seinem neuen Bund der Gnade gebracht werden. Diese sind es, die nicht den toten Buchstaben, das ist die Lehre der Wahrheit, die nicht weiter als bis in den Verstand reicht,

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sondern den Geist darreichen, der lebendig macht und Geist und Seele durchdringt, indem er das Herz von der Wahrheit überzeugt (2. Kor 3,6). Dies sind „die rechten Mitarbeiter des Herrn“ (1. Kor 3,9); sie schließen den Himmel wahrlich auf und verzeihen denen die Sünde, denen sie die Lehre des Glaubens durch die Gnade und den Geist Gottes verkündigen. Als deshalb Christus seine Apostel zu solchem Amt aussandte, „blies er sie an und sprach: Nehmt den Heiligen Geist“, und darauf sagte er weiter: „Welchen ihr die Sünden erlasst“ (Joh 20,22 f.). Hieraus wird deutlich, dass rechte tüchtige Kirchendiener wie Bischöfe, Priester, Gesalbte und Geweihte durch nichts anderes gemacht werden, als dass sie von Gott gesandt sind. Denn: „Wie können sie predigen“, sagt der heilige Paulus, „wenn sie nicht gesandt werden?“ (Röm 10,15); das ist das Gemüt und Vermögen, das heilige Evangelium recht und mit Frucht zu predigen und die Herde Christi zu weiden. Sie haben auch den Heiligen Geist, der mitwirkt und die Herzen überzeugt, von Gott empfangen. Die anderen Tugenden, mit denen solche geschmückt sein sollen, werden in 1. Tim 3,1–7 und Tit 1,6–9 dargelegt. Diejenigen, die auf solche Weise gesandt, gesalbt, geweiht und geschmückt sind, tragen emsig Sorge für die Herde Christi und arbeiten getreulich im Wort und in der Lehre, damit sie diese fruchtbar weiden (Apg 20,28). Diese, von denen die Schrift sagt, [dass sie zweifacher Ehre wert sind (1. Tim 5,17)], werden auch von unseren Predigern als Bischöfe anerkannt und für solche gehalten. Nach dieser Verheißung soll ein jeglicher Christ leben. Welchen aber andere Dinge obliegen, die setzen sich auch selber an eine andere Stelle und geben sich auch selber andere Namen. Doch muss niemand solchen Anstoß geben, dass ein Christ deshalb nichts annehmen könnte, wenn jemand vom Stuhl Mose oder Christi, das heißt, aus dem Gesetz Gottes oder dem heiligen Evangelium etwas zum Aufbau für den Dienst Gottes vortragen würde. Welche aber eine fremde Stimme einbringen, gleich wer die sind, die werden von den Schafen Christi nicht beachtet (Joh 10,5). Doch wer weltliche Macht und Obrigkeit hat, der hat sie von Gott, er heiße, wie er wolle (Röm 13,1). Darum widersetzt sich derjenige der Ordnung Gottes, der sich der zeitlichen Regierung widersetzt. Solches lehren die Unseren von der Macht der Geistlichen, weshalb ihnen Unrecht geschieht, dass man sie schilt, als ob sie begehrten, die Macht der geistlichen Kirchenfürsten zu vernichten. Denn denjenigen, die weltliche Regierung und Macht haben, ist diese durch sie nie verwehrt worden. Oft wurde aber verlangt, dass sie sich enger an den geistlichen Auftrag halten und selber mit dem heiligen Evangelium die Gewissen der Christen unterrichten und treulich weiden sollten oder auch andere zuließen und bestimmten, die dazu tauglich sein könnten. Dies haben unsere Prediger eben oft und deutlich von den Kirchen­fürsten

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verlangt  – es ist ihnen ganz fern, sich ihrer geistlichen Macht jemals entgegenzusetzen. Dass wir aber die Lehre etlicher Prediger zum Teil nicht geduldet und nach unserem Bedürfnis andere eingestellt oder die, welche die geistliche Obrigkeit beurlaubt hat, behalten haben, ist aus keiner anderen Ursache geschehen, als dass uns diese die Stimme unseres Herrn Jesus Christus getreulich und rein, die anderen aber diese mit menschlichen Erdichtungen vermischt, vorgetragen haben. Denn sobald es an das heilige Evangelium und die Lehre der Wahrheit geht, müssen sich die Christen gänzlich zum Bischof ihrer Seelen (1. Petr 2,25), dem Herrn Jesus Christus, hinwenden und dürfen die fremde Stimme keineswegs zulassen (Joh 10,5). In dieser Sache haben wir niemandem Unrecht zugefügt, denn Paulus sagt: „Alle Dinge sind euer, es sei Paulus oder Apollos oder Kephas oder Welt oder Leben oder Tod oder Gegenwärtiges oder Künftiges, alles, sage ich, ist euer, ihr aber seid Christi, Christus ist Gottes“ (1. Kor 3,22 f.). Weil nun Petrus und Paulus unser sind, wir aber nicht ihnen, sondern Christus gehören, und zwar so, wie er dem Vater gehört – nämlich, dass wir ihm ganz und gar leben mit allem, was wir sind und vermögen und auch, dass wir Macht haben über alle Dinge und auch über die Menschen, welche es auch sein mögen –, so wird, wenn wir dies alles als das Unsere gebrauchen und uns daran auch durch keine Menschen oder etwas anderes hindern lassen, keiner der Geistlichen mit Recht über uns klagen können, als ob wir ihm nicht gehorchten oder ihm etwas von seiner Macht absprächen. Es zeigt sich ja, dass wir in allem, was wir gegen den Wunsch der sogenannten Geistlichen getan haben, dem Willen Gottes gemäß gehandelt haben. Dies lehrt man bei uns von Amt, Würde und Macht der Kirchendiener, wie man die Geistlichen nennt – Grund dazu, dies zu glauben, haben für uns die Schriftstellen veranlasst, von denen wir einige zuvor angeführt haben. XIV. Die menschlichen Gesetze In Bezug auf die Gesetze der Väter oder auch auf solche, die zu allen Zeiten von Bischöfen und Gemeinden gemacht werden, verhalten sich die Lehren der Unseren so: Kein Gesetz und keine Ordnung soll unter die menschlichen Gesetze gezählt werden, welche die Schrift verdammt, sondern nur solche, die dem Gesetz Gottes widersprechen. Dies sind all diejenigen Gesetze über Speisen, Getränke, Zeit und dergleichen, die das Gewissen binden, oder diejenigen, welche die Ehe denen verbieten würde, denen sie ehrbar zu leben vonnöten ist, ebenso alle anderen Dinge, die gegen Gottes Ordnung eingerichtet werden. Denn all die Gesetze, die mit der Schrift übereinstimmen und also die gute Sitte fördern und dem Nutzen der Menschen dienen, auch wenn sie in der Schrift nicht wortwörtlich ausgedrückt sind, sollen eher für göttliche als für menschliche Ordnung

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gehalten werden. Denn sie fließen aus dem Gebot der Liebe, die alles aufs Ordentlichste und Beste einrichtet. Zu dieser Art von Gesetzen gehört, was Paulus den Korinthern gebot: dass ihre Frauen mit bedecktem und die Männer mit entblößtem Haupt beten (1. Kor 11,4), dass sie zum Abendmahl des Herrn aufeinander warten sollen (1. Kor 11,20), dass in der Gemeinde niemand in einer fremden Sprache ohne einen Dolmetscher reden soll (1. Kor 14,27 f.), dass die Propheten mit Ordnung weissagen und von den Zuhörern ihre Offenbarungen prüfen lassen sollen (1. Kor 14,29) und was dergleichen von Paulus oder anderen zur selben oder einer späteren Zeit angeordnet wurde und noch täglich angeordnet werden kann. Dazu gehört auch die Ordnung, am Sonntag zu passender Zeit in die Gemeinde Gottes zu kommen, und anderes mehr. Denn bei den Christen sollen alle Dinge in bester Ordnung ablaufen (1. Kor 14,40), wie frei sie auch sind, da nichts denn aus wahrer Liebe zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nächsten bei ihnen getan werden soll. Und so, wie sich das Verhalten der Menschen täglich ändert, erfordert die Not, dass die Ordnungen und Gesetze geändert werden, wie es ja auch immer wieder geschieht. Darauf achten aber die Christen, dass alle Ordnungen aus der Liebe, zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Nächsten eingerichtet und dabei die Gewissen nur darin gebunden sind, als dass man dem Nächsten aus Liebe nach dem Gebot Gottes diene, wie denn der heilige Paulus sagt: „Seid niemandem etwas schuldig als allein das, dass ihr einander liebt“ (Röm 13,8). Deshalb verachtet der, der solche Ordnung verachten wollte, Gottes Ordnung, denn seine Ordnungen sind eigentlich all die, die nützlich sind. Denn von ihm kommt alles, was wahrhaftig, recht und nützlich ist. Oft wird aber darüber gestritten, welche durch Menschen gesetzte Ordnungen nutzen oder schaden. Wer sich jedoch nicht selbst sucht, sondern sich dem Gemeinnutz verschrieben hat, der wird leicht sehen, welche Ordnung dem Gesetz Gottes gemäß sei und welche nicht. Manche aber werden durch das Gesetz Gottes, auf das sie sich zu Unrecht berufen, überführt. Wenn nämlich weder eine Bedrängnis Gottes noch eine Verletzung des Gewissens vorhanden ist, würde sich ein Christ auch solchen menschlichen Gesetzen unterwerfen nach dem Wort Christi: „Nötigt dich jemand zu einer Meile, dann geh zwei mit ihm“ (Mt 5,41). Denn so bemüht sich der Christ, allen alles zu werden (1. Kor 9,22), dass er zu Gefallen und Dienst der Menschen nirgendwo etwas verweigert, weder etwas zu leiden noch etwas zu tun, was nur der Verheißung Gottes nicht entgegensteht. Daraus folgt, dass ein jeder den bürgerlichen und welt­ lichen Gesetzen, mit denen die allgemeine Rechtsordnung geregelt wird, mit so viel geneigterem Willen und bereiterem Fleiß gehorsam ist, je mehr er mit dem Glauben an Christus begabt ist.

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XV. Die Kirche Nun wollen wir zeigen, was bei uns von der christlichen Kirche und den heiligen Sakramenten gelehrt wird. In Bezug auf die Kirche verhält es sich folgendermaßen. Die Kirche oder Gemeinde Christi, die noch auf Erden im Herrn wandelt und in den Evangelien das Himmelreich genannt wird, ist die Gesellschaft und Gemeinde derer, die sich Christus ergeben und sich seinem Schutz ganz anvertraut haben. Unter diese sind jedoch auch viele bis zum Ende der Welt gemischt, die wohl den christlichen Glauben angenommen, ihn aber in Wahrheit nicht haben. Dies hat der Herr zur Genüge in den Gleichnissen vom Unkraut und vom Netz, das, ins Meer geworfen, unnütze Fische mit den guten fängt, gelehrt (Mt ­13,24–30.47–50). Ebenso Mt 22,1–14 im Gleichnis vom König, der jedermann zur Hochzeit seines Sohnes einlädt und danach den, der kein Festgewand hat, mit gebundenen Händen und Füßen in die tiefste Finsternis hinauswerfen lässt. Die Schriften aber, in denen die Gemeinde Christi gepriesen wird als „eine Braut Christi, für die er sich selbst gegeben hat“ (Eph 5,25), „ein Haus Gottes, Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3,15), „der heilige Berg Zion, eine Stätte des lebendigen Gottes, ein himmlisches Jerusalem, eine Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel eingeschrieben sind“ (Hebr 12,22 f.), gehen alle tatsächlich auf die zurück, die wegen ihres rechtschaffenen Glaubens wahrlich und vor Gott zu den Kindern Gottes gezählt werden. Und während allein in ihnen der Herr vollkommen regiert, so werden sie (um eigentlich zu reden) die Kirche Christi und Gemeinschaft der Heiligen genannt, wie in den allgemeinen Glaubensartikeln das Wort Kirche ausgelegt ist – ausgeschlossen die falschen Christen, die unter sie gemischt sind. Diese Kirche und Gemeinde regiert der Heilige Geist, und Christus bleibt bei ihr bis zum Ende der Welt (Mt 28,20) und „heiligt sie, damit er sie für sich endlich bereite ohne allen Makel, Runzel und was dergleichen ist“ (Eph 5,26 f.). Diese Kirche ist es auch, die jedermann hören soll, und „wer sie nicht hört, soll für einen Zöllner und Heiden gehalten werden“ (Mt 18,17). Auch wenn nun das, woher diese Gemeinde es hat, dass sie eine Kirche und Gemeinde Christi ist, nicht gesehen werden kann – und das ist der Glaube –, so kann man doch die Frucht des Glaubens sehen und erkennen und über dieselbe eine christliche Vermutung anstellen. Solche Früchte sind vor allem tapfere Bekenntnisse der Wahrheit, eine wahre Liebe, die sich jedem zum Dienst anbietet und auch eine allgemeine Verachtung aller Dinge. Weil es denn eigentlich solche Früchte sind, in denen das heilige Evangelium und die Sakramente gedeihen, kann man wohl wissen, wo und wer die christliche Kirche ist, [und] soviel uns vonnöten ist, christliche Gemeinde untereinander halten, auch in solcher nach dem Befehl Christi lernen, mahnen und helfen. Weiter, da diese Gemeinde ein Reich

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Gottes ist und deshalb alles in ihr in der besten Ordnung eingerichtet sein soll, hat sie allerlei Ämter und Dienste, wie sie denn ein Leib Christi ist, der aus vielen Gliedern zusammengesetzt ist, von denen jedes seine eigene Aufgabe hat, welche sich denn in diesen Ämtern getreulich halten und im Wort und in der Lehre ernsthaft arbeiten. Sie haben die Kirche und die Gemeinde zu vertreten und in ihrem Namen zu handeln, sodass derjenige die Kirche selbst verachtete, der solche verachtet und nicht hören will. Mit welchem Geist aber und geistlichem Vermögen solche begabt sein müssen, haben wir in unserem Glaubensbekenntnis mit seinen Grundlagen aus der Schrift oben angezeigt, als wir unsere Auffassung von Amt und Würde der Geistlichen dargelegt haben. Diejenigen können die Kirche Christi überhaupt nicht vertreten oder in ihrem Namen handeln, die nicht Christus angehören und deshalb nichts Christliches, sondern etwas der Lehre Christi Widersprechendes vorgeben. Denn obwohl es geschehen kann, dass auch die Bösen oft etwas Gutes lehren und also im Namen Christi verkünden wie jene, von denen der Herr spricht, dass er ihnen sagen werde: „Wahrlich, ich sage euch, ich habe euch nie gekannt“ (Mt 7,23), kann es dennoch nicht geschehen, dass diejenigen die Kirche Christi vertreten und an ihrer Stelle zu hören sind, die nicht die Stimme ihres Gemahls Christus vortragen, obwohl sie sonst rechtgläubig und Glieder der Kirche wären. Es geschieht ja oft, dass die Kinder Gottes mit Irrtümern behaftet sind und dieselben auch lehren. Die Kirche Christi ist Christus ganz ergeben. Darum kann ihre Lehre, ihr Gebot oder ihr Befehl nur die Lehre, das Gebot oder der Befehl Christi sein; und wer anderes in ihrem Namen vorgibt, selbst wenn es ein Engel vom Himmel wäre (Gal 1,8), darf von den Gläubigen nicht gehört werden, da diese darin die Kirche Christi vertreten. Dies ist die Lehre der Unseren von der christlichen Kirche, und die angegebenen Stellen der Schrift sind das Zeugnis, worauf sie beruht. XVI. Die Sakramente Während die Gemeinde Christi hier im Fleisch ist, obwohl sie nicht nach dem Fleisch lebt (Röm 8,3), hat es dem Herrn gefallen, sie auch durch das äußere Wort zu belehren, zu unterrichten und zu ermahnen; und damit dies desto bequemer geschehen könne, hat er gewollt, dass die Seinen sich in einer nach außen sichtbaren Gemeinschaft einfinden, weshalb er ihnen denn auch die heiligen Sakramente, besonders aber die Taufe und sein heiliges Abendmahl, eingesetzt hat. Diese haben bei den Alten die Bezeichnung Sakrament (wie unsere Prediger erachten) nicht allein deshalb erhalten, weil sie sichtbare Zeichen der unsichtbaren Gnade sind, wie der heilige Augustinus sie beschreibt, sondern auch, damit man sich mit ihnen Christus ergibt und ihm gleichsam die Treue gelobt.

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XVII. Die Taufe Von der Taufe lehren unsere Prediger, wie die Schrift besagt, dass wir „durch dieselbe in den Tod Christi begraben sind“ (Röm, 6,4), in den Leib Christi gefasst (1. Kor 12,13), „mit Christus bekleidet werden“ (Gal 3,27), dass sie sei „ein Bad der Wiedergeburt“ (Tit 3,5), durch das die Sünde abgewaschen wird (Apg 22,16) und „wir selig werden“ (1. Petr 3,21). Das verstehen sie alles so, wie es der heilige Petrus selbst erklärt, als er geschrieben hat: Welches (er spricht vom Wasser) „nun auch euch selig macht, nicht das Abwaschen der Unreinheit vom Fleisch, sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott durch die Auferstehung Jesu Christi. Denn ohne Glauben kann man Gott nicht gefallen“ (1. Petr 3,21), „so werden wir auch selig aus Gnade, nicht aus den Werken“, wie der heilige Paulus lehrt (Eph 2,8 f.). Da die Taufe also ein Sakrament des göttlichen Bundes ist, in dem Gott den Seinen verheißt, ihr Gott zu sein und sie als sein Volk zu halten, und ein Sakrament der Erneuerung des Geistes, die durch Christus vollbracht wurde, lehren die Unseren, dass auch den Kindern die Taufe zuteilwerden soll, nicht weniger, als ihnen bei den Alten die Beschneidung zuteilwurde. Denn „wenn wir an Christus glauben, sind wir die wahren Kinder Abrahams“ (Gal 3,7), und uns geht die Verheißung, in der Gott Abraham verheißen hat, sein Gott und der Gott seines Samens zu sein (Gen 17,7), nicht weniger an als die Alten. XVIII. Das Sakrament des Leibes und Blutes Christi Von dem heiligen Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn Jesus Christus wurde bei uns gelehrt und gepredigt, was von den Evangelisten und Paulus vorgeschrieben und von den heiligen Vätern eingehalten wurde und auch der Gemeinde Gottes am nützlichsten und heilsamsten ist. Nämlich, dass der Herr, wie in seinem letzten Abendmahl, also auch heutzutage seine Jünger und Gläubigen, wenn sie sein heiliges Abendmahl halten nach seinen Worten: „Nehmt, esst, das ist mein Leib“ und: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut“ (1. Kor 11,24), in diesem Sakrament seinen wahren Leib und sein wahres Blut wahrlich zu essen und zu trinken gibt – zur Speise ihrer Seelen und zum ewigen Leben, dass sie in ihm und er in ihnen bleibe (Joh 6,56). Daher werden sie denn auch durch ihn am Jüngsten Tag zur Unsterblichkeit und ewigen Seligkeit auferweckt. Man weist auch das Volk mit besonderem Eifer weg von allem Zank und unnötigem und vorwitzigem Disputieren in dieser Angelegenheit hin zu dem, das allein nützt und auch von Christus, unserem Herrn, in solcher Sache allein gemeint und bedacht ist. Wir sollen nämlich, wie wir durch ihn selber gespeist sind, also durch und in ihm ein gottgefälliges, heiliges und ewiges Leben führen, weil wir untereinander ein Brot und ein Leib sind, die wir alle „eines Brotes“ im heiligen Abendmahl „teilhaftig werden“

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(1. Kor 10,17). Deshalb werden die heiligen Sakramente und das Abendmahl Christi auch mit aller Andacht, so immer es möglich ist, bei uns empfangen und behandelt. Hieraus, dass es sich so und nicht anders verhält, Allergnädigster Kaiser, kann Eure Kaiserliche Majestät erkennen, dass bei uns überhaupt nicht, wie etwa die uns Missgünstigen verbreiten, die heiligen Worte Christi zerrissen und verkehrt, nichts als Bäckerbrot [= gewöhnliches Brot] und schlechter Wein beim Abendmahl gereicht werden und das heilige Sakrament verachtet und abgetan wird. Denn in Wahrheit lehren und ermahnen unsere Prediger immer mit großem Eifer und Ernst, solche Worte des Herrn mit einfältigem Glauben anzunehmen, ungeachtet aller menschlichen falschen Erklärungen. Und dass sie bei dem, was sie beinhalten, ohne Zweifel bleiben, auch die Sakramente, wie sie der Herr eingesetzt hat, zur Speise der Seelen und seines, unseres Erlösers, Gedächtnisses häufig empfangen. Dies geschieht nun auch viel öfter und mit mehr Andacht als zuvor. Dabei sind unsere Prediger immer bereit gewesen und erbieten sich heute noch mit aller Demut und Wahrheit, Rechenschaft, Grund und Ursache ihres Glaubens und ihrer Lehre zu geben über alles, was sie über dieses Sakrament wie auch andere Angelegenheiten glauben und lehren – nicht allein Eurer Kaiserlichen Majestät, sondern einem jeden. XIX. Die Messe Weil aber unser Herr Jesus Christus auf diese Art und Weise, auch zu dem Zweck, wie dargelegt, sein heiliges Abendmahl eingesetzt hat, nämlich, dass darin die Gläubigen durch seinen Leib und sein Blut zum ewigen Leben gespeist werden, seinen Tod preisen, durch den sie erlöst wurden, und ihm dadurch danksagen und anderen solches Heil auch anbieten sollen, sind aus solchem und keinem anderen Grund unsere Prediger gedrängt worden, alles Gegenteilige zu verurteilen, damit dies alles in öffentlichen Messen unterlassen werde, und sich von denen abzugrenzen, die solche Messen halten, in denen sie den Herrn Christus dem Vater für Lebende und Tote opfern. Denn die Messe ist ein solches Werk geworden, durch das man am allerförderlichsten und sichersten die Gunst Gottes und alles Heil zu erlangen sucht, daneben wird aber nicht sehr darauf geachtet, wie man glaubt oder lebt. Daraus folgte dann weiter, dass sich ein grausamer Trödelmarkt bei diesem heiligen Sakrament eingeschlichen hat, weshalb nun seit langer Zeit in der ganzen Welt nichts gefunden werden kann, das so gewinn- und nutzbringend ist. Weil dies nun die hohe Majestät Gottes sehr verletzen muss, haben die Unseren erstens anhand der Heiligen Schrift verworfen, dass die Messe privat gehalten wird, da doch der Herr, wie oben behandelt, dieses Sakrament eingesetzt und anvertraut hat, damit seine Jünger es in der Gemeinde

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vollziehen und genießen, wie das der heilige Paulus den Korinthern aus diesem Grund schreibt, ihr Abendmahl sei nicht das Abendmahl des Herrn, weil sie nicht aufeinander warteten, sondern ein jeder sein Abendmahl vor der Mahlzeit nähme (1. Kor 11,20–22). Zweitens haben unsere Prediger die Anmaßung, Christus in der Messe dem Vater zu opfern, neben anderen Schriftstellen damit widerlegt, was der Brief an die Hebräer deutlich belegt, „wie die Menschen einmal sterben, so sei Christus einmal geopfert worden, dass er viele Sünden hinwegnehme“ (Hebr 9,27 f.). „Und dass er, nachdem er ein Opfer für die Sünden dargebracht hat, ewig zur Rechten Gottes sitze und warte, bis ihm seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. Denn durch dieses eine Opfer hat er in Ewigkeit die vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr 10,12–14). Drittens haben sie verworfen, dass man aus der Messe ein so gutes und hochverdienstliches Werk gemacht hat, durch das man bei Gott, was man nur wolle, erlange; Grund für dieses Urteil sind diejenigen Schriftstellen, in welchen wir gelehrt werden, dass uns alle Rechtschaffenheit und alles Heil allein aus der Gnade Gottes, durch seinen Geist und den Glauben zukomme, wovon einige Schriftstellen oben angegeben sind. Weil der Herr gesagt hat, wenn man das Abendmahl halte, dass man „solches zu seinem Gedächtnis tun soll“ (1. Kor 11,24 f.), und Paulus schreibt, dass, sooft von diesem Brot gegessen und aus diesem Kelch getrunken werde, der Tod des Herrn verkündigt werden soll (1. Kor 11,26), haben sie viertens verdammt, dass bei den Messen der Tod des Herrn nicht, wie der Herr befohlen, verkündet und dem Volk solch Heil und Erlösung vorgehalten wird. Fünftens zeigen sie an, dass die Messen, auch wenn sie sonst richtig und der Heiligen Schrift gemäß wären, doch allein deshalb vor Gott ein unleidlicher Gräuel sein würden, weil sie im Allgemeinen nicht aus dem Antrieb der Gottseligkeit oder der Andacht, sondern allein wegen der Nahrungsaufnahme gehalten werden, welches aus dem ganzen ersten Kapitel Jesaja überreichlich gelernt werden kann. Denn da Gott ein Geist und die Wahrheit ist, so will er, dass man ihm auch nur im Geist und in der Wahrheit dient (Joh 4,24). Sechstens ist auch Gott dieses ganz unerträglich, dass die Messen zu solch erschreckendem Trödelmarkt und weltlichem Handwerk geraten sind. Das ist neben anderen Schriftstellen allein hieraus ausreichend zu sehen, dass wir vom Herrn Jesus Christus lesen, dass er gegen diesen Brauch mit einer Geißel die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel trieb (Mt 21,12–17 par.), welche doch dort die Aufgabe hatten, die Opfer zu fördern, die Gott im Gesetz Mose selbst eingesetzt hatte. Der Herr hat mit dieser seiner ungewöhnlichen Tat zur Genüge zu verstehen gegeben,

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wie sehr es Gott hasst, unter dem Anschein seines Dienstes zeitlichem Genuss nachzujagen. Nachdem nun die Messen so schwer missbraucht worden sind, dass sie dem göttlichem Gesetz wie auch dem Brauch der älteren und reineren Kirchen, auch der Lehre aller heiligen Väter in so vielem und vielem mehr, als hier dargelegt wurde, zuwider sind, nämlich da, wo man sie auf die heute allgemeine Weise hält, haben unsere Prediger solche schreckliche Verkehrung des heiligen Abendmahls Christi und den Missbrauch der Messen von den Kanzeln aufgrund der göttlichen Schrift aufs Ernstlichste wieder und wieder getadelt und verdammt. Die Folge war, dass viele es von sich aus aufgegeben haben, auf solch missbräuchliche Weise Messe zu halten; bei etlichen sind sie auch durch eine Obrigkeit abgestellt worden, und das allein aus dem Grund, dass der Geist Gottes in der ganzen Schrift nichts so ernsthaft verdammt, auch nichts so heftig abzustellen gebietet als falschen und von Menschen erdichteten Gottesdienst. XX. Die Beichte Während die wahre und gottselige Beichte der Sünden von niemandem geleistet werden kann als von demjenigen, den seine große Reue über die Sünde und Furcht vor göttlichem Zorn dazu treibt, ist es nicht möglich, diese mit Geboten einzufordern, weil sie weder der Herr selbst noch die Apostel geboten haben. Deshalb ermahnen unsere Prediger wohl zur Beichte und zeigen die Frucht dieser an, wenn im Vertrauen bei einem rechten christlichen, verständigen Mann Trost, Rat, Lehre und Ermahnung gesucht wird. Wir bedrängen aber niemand mit Geboten, sondern lehren, dass man frei von solchen Geboten sei, weil solche Gebote so viele Seelen in schwere Verzweiflung gebracht haben; daneben sind sie auch so missbraucht worden, dass sie billigerweise längst aufgehoben sein sollten und ohne Zweifel aufgehoben worden wären, wenn die Kirchenfürsten einen solchen Eifer hätten, Ärgernisse abzustellen, wie der heilige Nektarius, ein Bischof zu Konstantinopel, es hatte. Er hat die vertrauliche Beichte aus dem Grund abgeschafft, weil ein Diakon überführt wurde, mit einer edlen Frau zu der Zeit, als sie vorgab, Buße zu tun, Übles getan zu haben. Denn solche Misshandlungen haben sich unseligerweise überall zugetragen. Es erfordern zwar auch die geistlichen Rechte einen solchen Beichtvater, so heilig, so gelehrt, bescheiden und mitleidig, sodass [nur] wenige zum Beichten kommen können, wenn sie unter den gewöhnlich eingesetzten Beichtvätern solche suchen. Nun schreiben auch die Lehrer der Theologie, dass eher einem Laien zu beichten sei als einem Priester, von dem man keine Besserung erhoffen kann. Zusammengefasst: Da, wo die Beichte nicht aus wahrer Reue und Schmerz über die Sünde entspringt, ist sie mehr ärgerlich als bessernd. Da nur Gott es geben kann, dass wir

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Reue und Schmerz [über die Sünde] empfinden, kann in dieser Sache durch die Menschen mit Geboten nichts Fruchtbares bewirkt werden. Das hat die Erfahrung leider nur zu oft an den Tag gebracht. XXI. Der Gemeindegesang und das Gebet der Geistlichen Aus dem gleichen Grund, dass nicht durch Stillschweigen in die Verachtung Gottes eingewilligt würde, haben unsere Prediger auch beim Kirchengesang allerlei nach der Heiligen Schrift verworfen. Denn der Gesang ist sehr stark von dem ursprünglichen Gebrauch der heiligen Väter abgekommen, was niemand leugnen kann. Denn aus den Schriften der Väter und den Historien lässt sich hinreichend beweisen, dass die Alten bei dieser christlichen Kirchenübung einige wenige Psalmen mit höchster Andacht gesungen und anschließend ein Kapitel aus der Schrift gelesen und ausgelegt haben. Dies alles geschah in einer Weise, dass alle in der Schrift verständiger und fortwährend gebessert wurden, nicht allein die, die dieses wesentlich ausübten, sondern auch die weitere Gemeinde. Jetzt singt man wohl viele Psalmen, aber ohne Verstand und Andacht. Man liest etwa zwei oder drei Zeilen aus der Schrift, wo eigentlich Kapitel gelesen werden müssten; diese aber wurden mit keinem Wörtchen ausgelegt. Daneben aber hat man vieles, nicht allein Unbegründetes, sondern auch der Schrift Widersprechendes hineingemischt, welches nichts als Aberglauben lehrt. Also haben unsere Prediger erstens solchen Zusatz verworfen, in denen den lieben Heiligen zugestanden wird, was allein Gottes ist, wie von Sünden reinigen, an Leib und Seele helfen. Zweitens, dass dieser Gesang so vermehrt ist, dass selbst dann, wenn man den abergläubischen Zusatz fortnähme und es gottesfürchtige Chorsänger gäbe, es dennoch nicht möglich wäre, alles mit besserer Aufmerksamkeit und Andacht zu vollbringen. Es ist aber nun, wie alle heiligen Väter schreiben, alles das ein Gespött Gottes, wo ohne vorhandene Gesinnung und Andacht gehandelt wird. Drittens, dass man auch aus solchem Gesang und Gebet, das nicht schriftgemäß und deshalb Gott missfällig, ja abscheulich ist, ein hoch verdienstvolles Werk gemacht und das eben teuer unter solchem Titel verkauft hat, welches doch in jeder Weise eine unleidliche Schmach der höchsten Majestät Gottes und unseres Erlösers Jesus Christus ist. Viertens, dass auch dann, wenn schon diese erwähnten Mängel nicht wären, es dennoch falsch wäre, dass in den allgemeinen Kirchen und vor dem Volk solches in der Sprache behandelt wird, aus der sich das Volk nicht bessern kann, oft auch nicht die Sänger selbst, die das gegen das ausdrückliche Gebot Gottes durch Paulus vortragen (1. Kor 14,3 ff.). Solches haben unsere Prediger an den gewöhnlichen Kirchenübungen aus göttlichem Wort, wie sie es schuldig sind, verurteilt. Es wäre ihnen aber

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nichts lieber, als dass sie solche Kirchenübungen auf die beste Weise, wie sie von den alten heiligen Vätern gehalten wurden, hätten wiederherstellen mögen. Denn sie sind zu nichts weniger gewillt, als solche gänzlich abzustellen. XXII. Die Bilder An den Bildern haben unsere Prediger aufgrund göttlicher Schrift erstens getadelt, dass man sie gegen das ausdrückliche Gebot Gottes so öffentlich vom einfachen Volk verehren und anbeten lässt. Zweitens, dass man an sie und ihren Schmuck so große Kosten verwendet; besser sollte man damit den Hungrigen, Durstigen, Nackten, Hilflosen, Schwachen und Gefangenen Christi Hilfeleistung zuteilwerden lassen (Mt 25,35 f.). Drittens, dass man meinte, erst durch solche Verehrung und Kosten, die man auf die Bilder verwendet hat, viel Verdienst bei Gott und besondere Hilfe zu erlangen; beides aber ist Gott abscheulich. Wir zeigen dagegen, dass die Alten zu der Zeit, als der christliche Glaube reiner gewesen ist, diejenigen Schriftstellen, die Bilder zur Verehrung und Anbetung zu haben verbieten, so verstanden haben, dass, obwohl sie wussten, dass wir den Bildern wie allen äußerlichen Dingen selber gegenüber frei sind, es bei ihnen ein Gräuel gewesen ist, in der Kirche ein geschnitztes oder gemaltes Bild zu haben; denn dies wäre gegen das Verbot der Schrift und unseren heiligen Glauben. Das ist neben anderem zur Genüge allein daraus zu erlernen, was der heilige Mann Epiphanius, der früher Bischof zu Salamis auf Zypern gewesen ist, in einem Brief an Johannes, den Bischof von Jerusalem, geschrieben hat. Diesen Brief hat der heilige Hieronymus, da er ihn als christlich und nützlich zu lesen erachtet hat, aus dem Griechischen in das Lateinische übersetzt (Epistula LI,9); es lauten aber die Worte des heiligen Epiphanias so: „Als wir miteinander in die heilige Stadt Bethel reisten, damit ich dortselbst mit dir nach dem Brauch der Kirche Gottesdienst hielte, kamen wir in das Dorf Anablata. Da sah ich ein Licht brennen, und nachdem mir, als ich gefragt hatte, was das für ein Ort wäre, geantwortet wurde, es wäre eine Kirche, und ich hineingegangen war, um zu beten, fand ich an der Kirchentür einen Vorhang hängen, der war gefärbt und bemalt und hatte ein Bild Christi oder sonst eines Heiligen. Ich kann mich aber nicht mehr entsinnen, was für ein Bild es gewesen ist. Da ich nun gesehen hatte, dass in der Kirche, entgegen dem Gebot der Heiligen Schrift, das Bild eines Menschen hing, habe ich es zerrissen und dem Kirchendiener daselbst den Rat gegeben, sie sollten etwa einen armen Toten darin einwickeln und damit hinaustragen.“ Und nach etlichen Worten, nachdem er sich entschuldigt hat, dass er – anders als versprochen – an denselben Ort nicht einen anderen Vorhang geschickt hatte,

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schreibt er: „Nun aber habe ich einen anderen Vorhang geschickt, den ich finden konnte, und du möchtest die Priester an diesem Ort anweisen, dass sie von dem Boten diesen annehmen und verbieten sollen, dass von nun an solche Vorhänge in der Kirche Christi aufgehängt werden, die unserer Religion und unserem Glauben widersprechen.“ Sieh, der heilige Bischof schreibt, dass es auch gegen die Heilige Schrift und unseren Glauben sei, ein Christusbild in der Kirche zu haben, und das mit solchen Worten, die klar zeigen, dass dies der Bischof zu Jerusalem, Hieronymus, und jedermann seit der Zeit eingehalten hat und dieser Glaube und Brauch, die Bilder zu vermeiden, früher in der Kirche Christi allgemein üblich gewesen und von den Aposteln hergekommen sei. Wenn man aber sagen will, dass die Bilder der Unterweisung der Laien dienen, wird das erstens dadurch entkräftet, dass der größere Teil der Bilder mehr zu Pracht und Aberglauben als zu etwas anderem dient. Zweitens kann diese Begründung nicht standhalten, denn die Juden, die ein schwerverständiges Volk sind, was wir Christen nicht sein sollten, hat der Herr mit vielen äußerlichen Zeremonien und Anweisungen unterrichten und an seine Güte mahnen wollen. Den Gebrauch der Bilder hat er dazu als ganz untauglich erkannt, dass er ihnen diesen aufs Ernstlichste verboten hat. Denn freilich, wen das Wort Gottes samt seinen so herrlichen Werken, die er uns im Himmel und auf Erden darstellt, die wir ständig vor Augen und in Händen haben, sie zudem sehr genießen, nicht unterrichtet und an Gott ermahnt, dem wird das hierzu eigentlich nichts helfen, dass durch menschliche Kunstfertigkeit den Geschöpfen Gottes ihre Gestalt verändert wurde und bewirkt, dass Stein, Holz, Metall und dergleichen Materie nicht mehr ihre eigene Gestalt haben, wie es ihnen von Gott gegeben worden ist, sondern wie Menschen, Tiere und andere Dinge aussehen. Ja, der Mensch wird mehr durch solche Bildwerke von der Betrachtung des göttlichen Wirkens in seinen eigenen Werken durch solches Menschenwerk abgelenkt, dass er nicht beständig an Gott denke, sondern seine Andacht aufspare, bis er zu einem Bildlein kommt. Wahrlich, Himmel und Erde und was darin ist, sind herrlichere Bilder Gottes, wenn man sie nur recht wahrnimmt. Es haben die Heiden wegen ihrer Götzen auch solche Ausreden des Unterweisens und Erinnerns gehabt. Die heiligen Väter haben ihnen aber solches nicht zugestanden, wovon man bei Lactantius viel liest (Epitome divinarum institutionum, Buch 2). Denn die Heiden wollten ebenso wenig wie die Unseren in dem Ruf stehen, Stein und Holz anzubeten, sondern ließen beständig hören, sie hielten die Bilder für nichts anderes als Bilder und suchten auch durch sie nichts anderes als Lehre und Ermahnung. Dieses widerlegt ihnen aber Athanasius mit diesen Worten: Sie sagen daher, „in welcher Weise Gott durch Bilder erkannt wird, ob durch Materie, aus der sie gemacht sind, oder wegen der Gestalt“, in die

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die Materie gebracht wird. „Wenn hierzu die Materie dient, was bedarf es dann der Gestalt? Es erscheint auch Gott durch die Materie, ehe denn etwas von Menschenhand daraus gemacht wurde. Denn Gottes Herrlichkeit bezeugen alle Dinge.“ Ist aber göttliche Erkenntnis die Ursache der Gestalt, in die die Materie geformt wurde, was bedarf man solcher Bilder? „Kann Gott nicht viel herrlicher durch die Dinge selbst erkannt werden, von denen man Bildnisse macht? Wahrlich, die Herrlichkeit Gottes würde viel deutlicher erkannt werden, wenn man diese durch vernünftige und unvernünftige Tiere vorhielte, als wenn sie durch tote und unbewegliche Bildnisse vorgehalten würde“ (Oratio contra gentes). Und wenn man sagen wollte, dies wäre ein Argument gegen die Bilder, durch die man in die Erkenntnis Gottes zu kommen meinte, aber mit den Bildern unseres Herrn Jesus Christus und der lieben Heiligen sei es anders, soll dagegen wohl bedacht werden, dass Gott an Israel viele sichtbare Werke gewirkt und ihnen auch geboten hat, alle Zeit daran zu gedenken; ebenso hat er ihnen auch viele liebe Heilige gegeben, deren Glaube ihnen niemals aus dem Gedächtnis gelassen werden sollte. Auch hat er nicht gewollt, solches Gedächtnis mit Bildern zu fördern, weil er dem Abfall, der so schnell von den Bildern kommt, nicht auch noch eine Anleitung geben wollte. Aus diesem Grund ist es dann in der ersten besseren Kirche [= Alte Kirche] ein Gräuel gewesen, ein Christusbild zu haben, wie ausgeführt wurde. Zusammengefasst: Unsere Prediger bekennen gerne, dass die Bilder selbst erlaubt sind, wenn sie nicht verehrt oder angebetet werden. Einem Christen ist es aber nicht genug, dass er über sich selbst bestimmt, sondern er soll beständig darauf sehen, ob es mit ihm nicht noch besser werden kann (1. Kor 10,23), und es soll, insbesondere in der Kirche, nichts geduldet oder vorgenommen werden, es sei denn, es bringe ihm Besserung. Da es nun zutage liegt, welches schwere Ärgernis die Bilder gebracht haben und noch bringen und man keinen Nutzen anzeigen kann, der von ihnen zu erhoffen sei, es sei denn, man wolle sich für klüger halten als Gott selbst und die alten, recht heiligen Christen, die solchen Nutzen so gar nicht erkannt haben, dass ihnen die Bilder in der Kirche auch ein Gräuel gewesen sind: Deshalb sollten uns die Bilder und Götzen in den Kirchen umso abscheulicher sein. Es können auch die Cherubim auf der Bundeslade und aller Tempelschmuck, den die Bilderschützer anführen, gegen die erzählte Wahrheit nicht als Gegenargumente gerechnet werden, die bei den Christen gelten sollten (1. Kön 6,23 ff.). Denn die Cherubim, die von Gott bestimmt waren und dazu auch der Menschenmenge nicht zu Gesicht kamen so wie auch das andere, waren nur zum Schmuck des Tempels und nicht zur Erinnerung an Gott eingerichtet, obgleich wohl die wahren Geistlichen aus diesen wie aus allen anderen Werken Gottes ihnen Anlass

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zur Betrachtung der göttlichen Güte geben. Dazu soll man sich auch bei dieser Angelegenheit zu Herzen nehmen, dass wir, die wir mit dem Geist Christi, wenn wir recht an ihn glauben, auch reichlicher begabt sind, Gott mehr als die Alten im Geist und in der Wahrheit dienen sollten (Joh 4,24). XXIII. Die weltliche Obrigkeit Weiter oben haben wir gezeigt, dass unsere Prediger lehren, eines der höchsten guten Werke sei es, der Obrigkeit gehorsam zu sein, und dass ein jeder auch bürgerliche Gesetze umso fleißiger halten wird, je mehr er ein besserer Christ und im Glauben stärker ist. Dabei lehren sie auch, dass in der Obrigkeit zu sein das allergöttlichste Amt ist, das Gott dem Menschen verliehen hat. Aus diesem Grund werden die Oberen in der Schrift Götter genannt. Denn wenn solche [ihr Amt] recht ausüben, so steht es um die Lehre und das Leben wohl, seitdem nach allgemeiner Ordnung Gottes an den Oberen der Untertanen Heil und Verderben hängt. Deshalb trägt niemand besser das Amt der Obrigkeit als eben die allerheiligsten und allerchristlichsten Menschen, woher es dann ohne Zweifel kommt, dass die alten christlichen Kaiser die Bischöfe und Geistlichen zur Obrigkeit herangezogen haben. Diese Bischöfe waren zwar recht gottesfürchtige, weise Männer, aber es hat doch gefehlt, dass sie nicht beiden Ämtern, der Kirche mit dem Wort Gottes und allen Menschen auch mit weltlicher Regierung, vorstehen konnten. Schluss Dies sind, Allergnädigster Kaiser, die wichtigsten Stücke, die in der Zeit und in der Eile darzulegen möglich gewesen sind, in welchen unsere Prediger durch die göttliche Schrift veranlasst worden und so etwas von der allgemeinen Lehre abgewichen sind. Und obwohl wir nun keinen Zweifel haben, dass Eure Kaiserliche Majestät über diese und andere Änderungen, welche die christliche Lehre betreffen, durch die von unseren gnädigsten und gnädigen Herren, den Kurfürsten von Sachsen und anderen Fürsten, eingereichten Schriften so weit unterrichtet sei, dass vielleicht dieser unser Eifer nicht so sehr vonnöten gewesen wäre, haben wir doch Eurer Kaiserlichen Majestät, der wir nach Gott, dem Allmächtigen, allen schuldigen Gehorsam zu leisten begierig sind, auf Ihr gnädigstes Ansinnen hin unsere Haltung zur christlichen Religion dargelegt und das Bekenntnis nicht zurückhalten wollen. Wir wollten nämlich erstens Rechenschaft über unseren Glauben ablegen und damit zu erkennen geben, dass wir hierin nicht anders gehandelt haben, als es uns ohne Zweifel von Gott geboten wurde; wir haben aber auch die Hoffnung, Eure Kaiserliche Majestät wolle hierdurch auch dazu bewegt werden, dass Sie sehe und bemerke, welche Mittel und Wege diese wichtige Angelegenheit erfordert. Daran hängt ja nicht

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allein das äußerliche Wohlergehen, sondern auch das Heil der Seele – und so möge sie in dem Maß, wie es die Ehre des Allmächtigen und auch E ­ urer Kaiserlichen Majestät hochrühmlicher Name und angeborene Güte, aber auch die Art und Natur dieser Angelegenheit erfordert, verstanden, erwogen und erörtert werden. Nachdem denn Eure Kaiserliche Majestät entschlossen ist, Frieden und Einhelligkeit im Glauben zu erreichen und diese Angelegenheit ganz ausführlich betreibt, damit nichts nutzbringend beschlossen werden kann, es sei denn zuvor von Grund auf und in allen Teilen vollständig bekannt, werde das auch durch die erwogen und erörtert, die sowohl in der Schrift sehr bewandert als auch zur Förderung der Ehre Gottes entschlossen sind. An Eure Kaiserliche Majestät ist unsere allerdemütigste, untertänigste, hochbeflissene Bitte durch Gott, dessen Ehre Sie ohne Zweifel besonders sucht, Sie wolle gnädig ermöglichen, dass auf das Förderlichste ein allgemeines christliches freies Konzil an geeignetem Versammlungsort angesetzt werde. So hat das Eure Majestät selbst neben den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des heiligen Reiches durch ihre Kommissare auf vergangenen Reichstagen jedes Mal bekannt, dass es nötig sei, damit die christliche Gemeinde zu rechtem, wahrem und beständigem Frieden kommen möge. Auch auf dem jüngsten Speyrischen Reichstag hat Sie ein solches Konzil gnädig versprochen mit der Versicherung, dass die päpstliche Heiligkeit sich nicht weigern werde, ein solches Konzil einzuberufen. Wo aber ein solches nicht so schnell, wie es eigentlich notwendig ist, einberufen und versammelt werden kann, möge es geschehen, dass doch Eure Kaiserliche Majestät sonst eine Versammlung Frommer, Gottesfürchtiger und Gelehrter einberiefe, zu welcher ein jeder, den die Sache angeht, frei kommen kann und genügend angehört wird, und dass dort auch alle Artikel nach der Art christlicher Lehre erwogen und beurteilt werden. Denn aus der Geschichte können wir lernen, welche Tapferkeit, welchen Eifer und Ernst die alten christlichen Kaiser und heiligen Bischöfe an die Erörterungen der Meinungsverschiedenheiten, die sich zu jeder Zeit in Sachen des Glaubens ergeben, verwendet haben  – und die sind doch oftmals viel geringer gewesen als diejenigen, die jetzt vorgelegt und geschlichtet werden sollen. Solche christlichen Kaiser und Bischöfe haben sich auch nie geweigert, aufgrund von Angelegenheiten, wegen derer zuvor Konzile abgehalten und Beschlüsse gefasst worden sind, neue Konzile einzuberufen und wieder allen Eifer aufzuwenden, damit man desto ruhiger bei reiner christlicher Lehre bleiben könne. Nun, wer verständig ist und den jetzt schwebenden Zwiespalt und die Verwirrung genau anschaut, muss freilich bekennen, dass solcher Eifer und Ernst, die christliche Lehre zu erläutern, jetzt mehr vonnöten ist, als es je zuvor gewesen ist. Denn wenn die Wahrheit auf unserer Seite ist, was

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wir nicht bezweifeln: Wieviel Zeit und Mühe würde es bedürfen, dass über solche Wahrheit auch die unterrichtet werden, ohne deren Einwilligung wohl kein Friede zu erhoffen ist? Denn irren wir, was wir jedoch nicht hoffen, so würde es ja für Eure Kaiserliche Majestät nicht unrühmlich sein, uns gegenüber den Geist und die Gesinnung zu zeigen, an dessen Stelle Sie über uns gesetzt ist, nämlich Christi, unseres Erlösers, welcher deshalb gekommen ist, „zu suchen und wiederzubringen, was verloren war“ (Lk 19,10), und dass er um solcher Verlorenen willen den Tod erlitten hat. Weshalb es auch Eurer Kaiserlichen Majestät sehr christlich anstehen würde – falls wir uns verirrt haben –, die neunundneunzig Schäflein in der Wüste zu verlassen und dem hundertsten nachzugehen (Mt 18,12). Das heißt, alle möglichen Mittel und Wege zu nehmen und anderes zurückzustellen, um uns wenige zu rechter Weide und in den Schafstall zurückzubringen. Solche Mittel werden aber wohl nicht andere sein können, als dass wir in den umstrittenen Punkten durch die göttliche Schrift in der Wahrheit genügend unterrichtet werden. Wir aber sind als Zuhörer ganz willig und bereit, wo wir durch die göttliche Schrift eines Besseren belehrt werden, dasselbe mit aller Begierde anzunehmen und von dem erwiesenen Irrtum in Christus abzulassen. Wenn dieser Bericht unterlassen und zurückgewiesen werden sollte, um der Sache auf kürzerem und schnellerem Weg zu helfen, wären wir, solange die Sache in Eurer Kaiserlichen Majestät Händen ist, dennoch nicht besorgt, wenn uns nicht die höchste Not und Gefährdung vieler tausend gutherziger frommer Christen vor Augen stünde. Denn solche sind so beraten, dass sie vor allem auf Gottes Befehl sehen sollen und deshalb nicht zweifeln, dass ihre Art und Weise zu glauben der unbezweifelbare Wille und Befehl Gottes sei. Da denn gegen diese nur mit Geboten vorgegangen wird, wiewohl sie – nach Gott – nichts Höheres begehren, als aller Obrigkeit gehorsam zu sein, würden sie doch durch die Furcht Gottes getrieben, wegen solchem Vorgehen sich in größtes Leiden und endlich in den Tod zu begeben. Denn solche Reden Christi, unseres Herrn, würden ihnen ständig zu Herzen kommen: „Fürchtet die nicht, die nur den Leib töten können“ (Mt 10,28). „Wer seine Seele verliert, wird sie finden“ (Mt 10,39; 16,25). „Wer nicht Vater und Mutter, Frau und Kind, ja auch seine eigene Seele hasst, kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,26). „Wer sich meiner und meiner Worte schämt vor den Menschen, dessen werde auch ich mich schämen vor meinem himmlischen Vater“ (Mk 8,38). Was feste Überzeugung im Glauben vermag und wie durstig sie macht, sich allem Kreuz und leiblichem Verderben hinzugeben, hat man vor nun sechs Jahren an so vielen Jungen und Alten, Frauen und Männern [= Wieder­ täufer] denkwürdig gesehen, die denn sehr mutig allerlei Marter und endlich den Tod erlitten haben, weil sie nicht aufgegeben hätten, wovon sie

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sicher überzeugt waren, es sei der Wille Gottes. Wir verweilen jetzt bei den alten Beispielen, bei denen der Glaube umso mehr zugenommen hat, je heftiger er verfolgt wurde. Es kann doch auch in anderen Angelegenheiten kein beständiger Frieden gemacht werden, es sei denn, dass die Gemüter derart unterrichtet sind, dass sie willig die vorgeschlagene Vermittlung des Friedens annehmen. Wieviel mehr wird dann solches in dieser Sache vonnöten sein, da doch bekannt ist, dass es unter den Menschen keine heftigere Entzweiung und Streit als über Religion und Glauben geben kann, wie das je und je auch bei den Heiden geschehen ist. Wir haben aber, nachdem Eure Kaiserliche Majestät auch gegen Ihre Feinde so große Gnade gezeigt hat, keinen Zweifel, Sie werde auch gegen uns, die wir doch stets nichts anderes suchen als Gott, dem Allmächtigen, und demnach auch Eurer Kaiserlichen Majestät den schuldigen Gehorsam zu leisten, Ihre angeborene Güte vielmehr beweisen und dazu verhelfen, dass wir nach aller Notwendigkeit der Unterrichtung der Wahrheit bei derselben bleiben können. Wir haben ja auch bisher nichts anderes geglaubt und uns vermittels göttlicher Gnade auch so gehalten, dass, uns betreffend, niemand Ursache haben wird, etwas anderes von uns zu denken. Dieser Sachen halber haben wir bisher Gefahr überstanden und merkliche Kosten erlitten, aber davon nie weltlichen Nutzen empfangen. So haben wir nie nach Kirchengütern getrachtet, so wenig, dass solche von uns mit großen Kosten und Gefahren in den vergangenen Bauernaufständen beschützt worden sind. Da uns nichts in all diesen Angelegenheiten geführt und bisher erhalten hat als einzig allein das Evangelium Christi, unseres Herrn, und sich niemand in allen weltlichen Sachen wegen Ungehorsams oder Ungerechtigkeit unsererseits zu beklagen hat, haben wir keinen Zweifel, Eure Kaiserliche Majestät werde sich dies gnädig zu Herzen nehmen und die gegenwärtige Angelegenheit so behandeln, dass man spüre, wie die herrlichen Beispiele der christlichen Kaiser Konstantin, Jovian, Theodosius und anderer, die durch christliche Konzile und schriftliche Berichte allemal Friede in der christlichen Religion zuwege gebracht haben, viel mehr bei Ihrer Majestät gelten als die, die auf einen anderen Weg gerichtet sind. Und wenn man auch sagt: Es sind viele Dinge auf den vorherigen Konzilen und vor allem auf dem Konstanzer Konzil beschlossen worden, die nicht umgesetzt wurden, obwohl klar ist, dass die Geistlichen doch so sehr von allen christlichen Ordnungen aller alten und besten Konzile abgewichen sind, wie denn auch von der heilsamsten Satzung des Konstanzer Konzils, nämlich, dass alle zehn Jahre ein allgemeines christliches Konzil abgehalten werden soll. Da sie selbst eine solche Konzilsordnung, wo sie am nötigsten und besten ist, nicht halten, haben sie keine Befugnis, uns auf solche hinzuweisen, auch wenn sie meinen, es stünde ihnen zu.

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Dies alles, Allergnädigster Kaiser, zeigen wir nicht deshalb an, weil wir Zweifel haben, dass durch Eure Kaiserliche Majestät etwas unterlassen werden könnte, das zur rechtsförmigen Erörterung aller dieser Angelegenheiten dienlich sein könnte. Vielmehr haben wir hiermit denen antworten wollen, die vielleicht vorhaben, Eure Kaiserliche Majestät auf einen anderen Weg zu weisen. Wir bitten also aufs Demütigste, Eure Kaiserliche Majestät möge dies alles mit Gnaden von uns begreifen und aufnehmen und uns als Eurer Kaiserlichen Majestät untertänigste und gehorsame Untertanen in gnädigstem Schutz, Schirm und Befehl haben. Welche der allmächtige Gott zum Wohlergehen der allgemeinen Christenheit und des heiligen Reiches in langem glückseligem Regiment erhalten und bewahren wolle. Eurer Kaiserlichen Majestät untertänigste Gehorsame. Die Gesandten der Städte Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau.

7. Lehrartikel des Berner Synodus (1532) Einleitung Nach einer Disputation unter Beteiligung maßgeblicher Reformatoren aus dem Schweizer und oberdeutschen Raum hatte die regionale Großmacht Bern mit einem Reformationsmandat Anfang Februar 1528 offiziell die Reformation eingeführt. Ende 1531 befand sich diese in einer schweren Krise. Nach der Niederlage der Zürcher in der Schlacht von Kappel vom 11. Oktober und dem Gefecht am Gubel vom 24. Oktober 1531 mit dem Tod Huldrych Zwinglis und vielen seiner Mitstreiter in der Sache der Reformation wurden auch in Bern Stimmen laut, die eine Rückkehr zum römischen Glauben forderten und die Reformatoren für den innereidgenössischen Krieg verantwortlich machten. Auf der anderen Seite beschuldigte etwa der schon zu seiner Zeit als „hitziger Zwinglianer“ bekannte, in Berner Kirchendiensten stehende Zürcher Caspar Megander von der Kanzel aus die Berner Regierung, den Zürchern im Krieg die Unterstützung verweigert zu haben, was noch 1531 zu seiner Entlassung aus dem Predigtamt führte. Dies war allerdings nur ein Konflikt unter anderen. Schwerwiegender war, dass die 1528 von Bürgern und Räten der Stadt beschlossene Reformation sich knapp vier Jahre später noch keineswegs etabliert hatte. Insbesondere in den ländlichen Untertanengebieten, den Landvogteien, war die Begeisterung für die Reformation verhalten, nicht zuletzt, weil zwar die Messe abgeschafft, der Zehnte aber beibehalten worden war und die auch in den Landgemeinden neu von der Obrigkeit eingerichteten Chorgerichte zur Überwachung und Verbesserung der Sitten nicht überall begrüßt wurden. Die Krisensituation der gesamten reformierten Eidgenossenschaft Ende 1531 verschärfte die Unzufriedenheit, sodass Anfang Dezember 120 Delegierte aus den Untertanengebieten ihre Forderungen in Form von Artikeln dem Berner Rat vortrugen. Dazu kommt, dass insbesondere die Pfarrerschaft auf dem Land weitgehend aus den ehemaligen römischen Priestern bestand und noch keineswegs in einer einigermaßen einheitlichen reformierten Lehre und Gottesdienstpraxis gefestigt und von ihr überzeugt war. Gleichzeitig waren der Abendmahlsstreit und Diskussionen um den rechten Gebrauch des Kirchenbanns allgegenwärtig. Zentral für die reformierte Lehre war zudem, dass die persönliche Lebensführung der Glaubensüberzeugung zu entsprechen habe, und gerade auf diesem Gebiet gab es mancherlei Klagen über die mangelnde Vorbildfunktion der Pfarrerschaft. Entsprechende Kritik kam auch noch von anderer

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Seite: Besonders auf dem Land war die Täuferbewegung sehr erfolgreich, und gerade sie betonte die Bedeutung des christlichen Lebenszeugnisses, das sie bei den Vertretern der Obrigkeitskirche vermisste. Bemühungen um „Verbesserungen“ der Reformation auf den Gebieten der Lehre, der Kirchenordnung und des christlichen Lebens hatte es in Bern seit 1528 schon verschiedene gegeben, etwa durch die Einberufung einer Landessynode 1530 oder durch mäßig erfolgreiche Täufergespräche. Eine weitere Synode, zunächst für Mai 1532 geplant, konnte schließlich vom 9. bis zum 14. Januar 1532 stattfinden, in einer Phase der durch die Kappeler Niederlage noch verstärkten inneren Zerrissenheit. Als großen Glücksfall bezeichnen schon die Zeitgenossen das zufällige Eintreffen des Reformators Wolfgang Capito in Bern am 29. Dezember 1531. Der kränkliche Berner Reformator Berchtold Haller konnte seinen schon an der Berner Disputation von 1528 beteiligten Straßburger Freund davon überzeugen, an der bevorstehenden Synode teilzunehmen. In der Folge nahm Capito bei der Abfassung und Diskussion der Artikel eine führende Rolle ein. Es gelang ihm nicht nur, den entlassenen Megander zu rehabilitieren, sondern auch die gesamte Versammlung, bestehend aus 220 Pfarrern und zehn bis dreizehn Ratsmitgliedern, nach mehrtägigen Verhandlungen zur Verabschiedung eines aus 44 Artikeln bestehenden Textes zu bringen, der sogleich am 14. Januar auch von der politischen Obrigkeit offiziell gutgeheißen und in Druck gegeben wurde. In den Artikeln spiegeln sich nicht nur die verschiedenen aktuellen Streitfragen und theologischen Diskussionen insbesondere über das Abendmahl, die Funktion des Gesetzes bei der christlichen Buße und die Bedeutung des Alten Testaments wider, sie tragen auch deutlich Capitos theologische Handschrift. Der Berner Synodus kann zweifellos als Bekenntnisschrift bezeichnet werden, auch wenn die Situation, in der er entstanden ist, seinen Inhalt und Charakter sehr stark prägen und deutlicher erkennbar ist als in manchen anderen Bekenntnistexten; er trägt starke pastoraltheologische Züge und ist zugleich eine eindrückliche, irenisch gestimmte und stark christuszentrierte Selbstverpflichtung einer großen Pfarrersynode in einer frühen, noch ungefestigten Phase der Reformation. Entsprechend der Edition in Band 1/1 der Reformierten Bekenntnisschriften beschränkt sich die folgende Übersetzung auf die Vorreden, die Artikel 1–24 und den Schluss. Edition Lehrartikel des Berner Synodus von 1532, in: RefBS 1/1: 1523–1534, 508–548 (Bearb.: Friedhelm Krüger)

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Übersetzungen Markus Bieler, Berner Synodus, in: Dokumente der Berner Reformation. Berner Synodus mit den Schlussreden der Berner Disputation und dem Reformationsmandat, hg. v. Synodalrat der Ev.-reformierten Kirche des Kantons Bern, Bern 1978, 35–121 Hans Georg vom Berg, Berner Synodus. Neuhochdeutsche Übersetzung, in: Der Berner Synodus von 1532, Bd. I: Edition, hg. v. Forschungsseminar für Reformationstheologie unter Leitung v. Gottfried W. Locher, Neukirchen-Vluyn 1984, 16–167 Literatur Der Berner Synodus von 1532, Bd. II: Studien und Abhandlungen, hg. v. Forschungsseminar für Reformationstheologie unter Leitung v. Gottfried W. Locher, Neukirchen-Vluyn 1988 Hans Scholl, Wolfgang Fabricius Capitos reformatorische Eigenart, in: Zwing 16/2 (1983), 126–141 Otto Erich Strasser, Capitos Beziehungen zu Bern, Quellen und Abhandlungen zur Schweizerischen Reformationsgeschichte, Bd. IV, Leipzig 1928 Einleitung und Übersetzung: Peter Opitz

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Lehrartikel des Berner Synodus (1532) Ordnung für die Berner Pfarrer und Prediger in der Stadt und auf dem Land betreffend der Lehre und Lebensführung, dazu ein Unterricht über Christus und die Sakramente. Beschluss der Berner Synode vom 9. Januar 1532. „Wenn wir Christus auch nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so“ (2. Kor 5,16).

Wir, der Schultheiß, der Kleine und Große Rat, genannt der Rat der Zweihundert der Bürger von Bern, grüßen alle Pfarrer und Prediger, die in unserem Land und unserem Gebiet wohnhaft sind und die uns und den Unsrigen im Dienst am Wort vorstehen. Wir lassen Euch hiermit folgendes wissen: Wir haben das Papsttum mit seinem falschen Vertrauen und Irrglauben abgeschafft und nach einer Disputation, die wir vor bald vier Jahren veranstaltet haben, für uns und unsere Untertanen in Stadt und Land das heilige Evangelium angenommen. Mit Herz und Mund haben wir feierlich und unter Eid bekräftigt, dass wir es in Lehre und Leben mit Gottes Hilfe in gleicher Weise hochhalten wollen wie bürgerliche Satzungen und Landrechte. Dies kann aber auf Dauer nur so geschehen, dass aus Euch, den Dienern der Gemeinden, geistliche Lehre und ein rechtschaffenes, gutes Leben hervorquellen wie aus einem guten Brunnen, zum Nutzen des Volkes, das nach Gerechtigkeit dürstet (Mt 5,6). Um dies zu fördern, haben wir unserem Reformationserlass verschiedene Ordnungen und Satzungen angefügt, die Euch Seelsorger betreffen, und sie Euren Synoden und Versammlungen vorlegen lassen. Trotz allem stellen wir nun aber fest, dass zahlreiche schwere Mängel in Lehre und Lebensführung unter Euch zu finden sind. Sie stehen der Ehre Gottes und aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit bei den Untertanen im Weg. Gesundes Wesen und Wohlanständigkeit nehmen daran Anstoß, und Gottes Zorn über uns und das Volk nimmt zu (Jes 42,25). Das hat zur Folge, dass das heilige Evangelium von Außenstehenden verlästert wird (Kol 4,5). Sie spüren bei den Zuhörern, unseren Untertanen, vom „Siegel der Wahrheit“ – von Zucht und herzlicher Frömmigkeit – nicht viel. Wir haben uns nun darüber ernsthaft Gedanken gemacht; denn wir hatten sowohl bei Euch Seelsorgern als auch unter dem gewöhnlichen Volk viel mehr an Gottesfurcht, Besserung des Lebens, Tugenden, Ehrbarkeit und allem Guten erhofft, als bisher sichtbar geworden ist. Vor allem die kürzlich erfolgten Unruhen haben deutlich an den Tag gebracht, wieviel Schaden und Sittenlosigkeit aus der Spaltung hervorgegangen ist, und wie wenig an Christentum noch vorhanden ist. Denn

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ungeachtet unserer obrigkeitlichen Gebote sind bei vielen unserer Untertanen deutscher und französischer Sprache alle Laster kräftig ins Kraut geschossen. So haben wir uns zunächst einmal selber gegenseitig ermahnt und uns genau geprüft und erforscht, wie ernst es uns selber mit dem Evangelium und mit dem allmächtigen Gott ist; ob es uns am Ende mehr um unseren Leib, unsere Ehre und unser Gut zu tun ist, als um das ewige Leben, das uns Christus erworben hat, durch seine Diener verkündigt und den Gläubigen in nicht geringem Maß durch den Heiligen Geist ausgeteilt ist. Und Gott sei Dank! Ungeachtet der Beschwernisse dieser Zeit, durch die schwache Gewissen bedrückt und angefochten sind, hat es Gottes väterlicher Wille durch Jesus Christus nicht zugelassen, dass bei uns wegen unseres überschweren Kreuzes Unwille und Verdruss gegenüber seinem heiligen Namen und seinen wahrhaftigen Verheißungen aufgekommen wären. Vielmehr haben wir von neuem gemeinsam beschlossen und erklärt: So weit der Arm unserer Obrigkeit sich erstreckt und der Herr Gnade verleiht, wollen wir das heilige Evangelium bei uns und unseren Untertanen in Lehre und Leben festhalten. Das haben auch die Abgeordneten unserer Untertanen, die kürzlich vor uns erschienen sind, verlangt und daraufhin die einst erlassenen Reformationsmandate bei ihnen wieder in Kraft gesetzt. Aus diesem Grund, und auch, um andere unerfreuliche Zustände zu beenden, sind wir von Euch, unseren Pfarrern und Seelsorgern, zur Ausschreibung einer Synode veranlasst worden, wie sie erfolgt ist. Als Ihr nun am 9. Januar dieses laufenden Jahres 32 hier in Bern eingetroffen und vollzählig versammelt wart, habt Ihr – all unsere Hoffnungen und Erwartungen übertreffend – Euch gegenseitig mit den nachfolgenden Worten ermahnt und diese Selbstverpflichtung mit großer Einhelligkeit und Herzlichkeit angenommen. Dazu hat der gnädige Gott Eure Gemüter, wie wir hoffen, ebenso sehr inwendig bewegt, wie er dies von außen durch einen seiner Getreuen als Gehilfe und Werkzeug gefördert hat. Er selbst wolle dieses sein Werk bei Euch und uns und auch bei allen Gläubigen vollbringen und zu Ende führen. Amen (Phil 1,6). Daraufhin habt Ihr, unsere Pfarrer und Seelsorger, uns, dem Schultheiß, dem Kleinen und dem Großen Rat Eure Verhandlungsakten überwiesen, verknüpft mit der Bitte, dass wir sie uns vorlesen lassen. Falls wir sie billigen, sollten wir sie bestätigen, sie, soweit sie uns berühren, halten und sie Euch zu halten befehlen, damit nicht Gottes Gnade und Gabe, nämlich Eure christliche Besinnung und Einkehr, durch Nachlässigkeit dahinfalle oder in Verachtung gerate, wie dies geschieht, wenn eine gemeinschaftlich beschlossene gute Ordnung nicht durch eine wohlwollende Obrigkeit bekräftig wird.

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Nachdem wir Eure Schrift zur Kenntnis genommen hatten, fand sie unsere freudigste Zustimmung. Wir haben uns davon überzeugt, dass sie Gottes Willen entspricht und der Besserung dient, und wissen nichts anderes, als dass Ihr Pfarrer und Seelsorger Euer Lehren und Leben genau in diesem Sinn führen solltet. Dadurch, so darf gehofft werden, wird der inwendige, himmlische, ewige Bau emporwachsen (2. Kor 5,1) und zugleich der Frevel und Mutwille des Fleisches abgestellt, dem Heiligen Geist und dem inwendigen Gang der Gnade aber freier Lauf gelassen, den ein­ zuschränken keiner Kreatur zusteht. So habt Ihr selbst es im vorliegenden Schreiben dargelegt. Darum gefallen uns Eure Synodalakten wohl. Wir sind überzeugt, dass sie der Förderung von Gottes Ehre und dem Aufstrahlen des heiligen Evangeliums unter uns dienlich sind, und bestätigen und bekräftigen sie. Soweit sie uns betreffen, wollen wir ihnen nachleben und dafür sorgen, dass sie von allen, in Stadt und Land, umgesetzt werden. Wir wollen dabei auch Euch Prediger und Pfarrer schützen, damit Ihr einzig und allein Jesus Christus predigen, die Irrtümer widerlegen, Laster und Ärgernis sowohl der Oberherren als auch der Untertanen  – wir selbst nicht ausgenommen – ohne Scheu benennen und bekämpfen dürft, nach Ordnung des Glaubens, der Liebe und der Besserung zu Gott im Blick auf alle Eure Zuhörer. Was Ihr selbst als christliche Aufgabe erkannt habt, wollen wir erfüllen: Wir wollen es nicht stillschweigend und ungestraft durchgehen lassen, wenn jemand von Euch das Amt nicht im Sinne der Ehre Gottes und der geistlichen Auferbauung ausübt, sondern aus böswilligem Trotz und Eigensinn zerstörerische Lästerworte ausstößt, sei es gegenüber Fremden oder Einheimischen, Frau oder Mann, Obrigkeit oder Untertanen. In dieser Hinsicht braucht indessen niemand allzu viel von uns befürchten. Weil aber der größte Teil dieser Akten Euch selbst und Euren Auftrag betrifft, so ist es unser Wille und unsere ernstliche Meinung, dass jeder Einzelne sie in Lehre und Leben in der Gemeinde und bei sich selbst beherzige, und ein jeder soll den anderen freundschaftlich zu gleicher Haltung ermahnen, fördern und ermutigen, vorab die Dekane und die, die hier weiter sind als andere. Wenn sich aber jemand dem hartnäckig widersetzt, derartige heilsame Förderung verspottet, sein Amt nicht getreulich wahrnimmt, anstößig lebt oder sonst der Gemeinde Schaden zufügt, indem er einen oder mehrere Synodenartikel missachtet, soll er wissen, dass er nicht ungestraft davonkommen wird, soweit es unsere Zuständigkeit betrifft. Vielmehr muss er sich auf eine Strafe gefasst machen, in der deutlich wird, wie sehr uns Gottes Ehre und der Gehorsam gegenüber seinem Wort ein Anliegen ist.

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Und schließlich meinen und befehlen wir, dass diese Akten in den künftigen Synoden, die jedes Jahr um den 1. Mai herum stattfinden sollen, regelmäßig verlesen, erläutert, ausgelegt und neu bekräftigt werden sollen, und dass in keinem Punkt von ihnen abgewichen werden darf. Wird uns aber von unseren Pfarrern oder von anderer Seite etwas vorgebracht, das uns näher zu Christus führt und nach Maßgabe des Gotteswortes allgemeiner Freundschaft und christlicher Liebe hilfreicher ist als die jetzt hier festgehaltene Auffassung, so wollen wir das gern annehmen und das Wirken des Heiligen Geistes nicht behindern (1. Thess 5,19), der nicht auf das Fleischliche zurückweist, sondern immerzu vorwärtsdrängt dem Ebenbild Jesu Christi, unseres Herrn, entgegen (Röm 8,29). Der wolle uns alle in seiner Gnade bewahren. Erlassen in Bern am 14. Januar 1532. Beschlüsse der Synode, das heißt der christlichen Versammlung, die im gegenwärtigen 32. Jahr am 9. Januar begonnen hat und am 14. zu Ende gegangen ist, unter Anwesenheit von 230 Personen, darunter allen Predigern und Verkündigern des Wortes Gottes in der Stadt Bern und in der Berner Landschaft. Von Auftrag und Befugnis der zeitlichen Obrigkeit betreffend des Gottesdienstes, samt einer Ermahnung an die löbliche Herrschaft Bern. Ohne Mitwirkung und Unterstützung der zeitlichen Obrigkeit, gnädige liebe Herren, ist es gewöhnlichen Pfarrern und Dienern am Wort des ewigen Gottes kaum möglich, mit äußerlichen Anordnungen etwas Nutzbringendes einzuführen und aufrechtzuerhalten. Zu sehr zerrissen ist das menschliche Gemüt und voll verkehrter Lust zu selbsterdichtetem Planen, sowohl unter den Priestern als auch im gewöhnlichen Volk; ist doch in unseren Herzen noch allzu wenig Geist und Kraft Gottes. So geziemt es sich, dass eine Obrigkeit, die christlich und fromm regieren will, alles daransetzt, mit ihrer Macht eine Dienerin Gottes zu sein (Röm 13,4), und sich bemüht, bei den Untertanen (soweit es die äußere Gestalt angeht und sich darauf beschränkt) evangelische Lehre und Leben aufrechtzuerhalten. Denn darüber wird sie vor dem strengen Gericht, in dem Gott die Welt durch Christus richten wird, Rechenschaft ablegen müssen. So viel zur äußerlichen Seite des Gangs der Gnade, wie ihn die zeitliche Obrigkeit fördern soll. Aber zu wissen, wie er innerlich zustande kommt und gefördert wird, entzieht sich menschlichem Vermögen, und dies steht auch keiner zeitlichen Obrigkeit und Kreatur zu; denn die geistlichen und

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himmlischen Dinge sind viel zu hoch und übersteigen den Horizont aller menschlichen Befugnis. Darum soll sich keine Obrigkeit in die Gewissen einmischen, noch soll sie etwas befehlen oder verbieten, wodurch die guten Gewissen bedrängt und dem Heiligen Geist Schranken gesetzt würden (Röm 14,1). Denn einzig Jesus Christus, unser Herr, dem Gott alle Gewalt und die Verheißung des Heiligen Geistes gegeben hat, ist Herr der Gewissen (1. Thess 5,19; Mt 28,18). Deshalb sind auch Papst, Bischöfe und Pfaffen mit ihrem Anhang Widerchristen und vertreten die Lehren der Teufel, nehmen sie sich doch heraus, die Gewissen zu knechten, Sünde zu finden, wo Gott nichts verboten hat, und was vor Gott Sünde ist zu vergeben, Gnade zu verleihen und mit Hilfe ihrer selbsterdichteten Werke auch anderen Leuten Gnade zu verdienen. Das ist eine Gotteslästerung, welche die weltlichen Herren nicht nur nicht tolerieren, sondern nach Kräften verhindern und meiden sollen. Das heißt aber nicht, dass sie sich deshalb aus allen Angelegenheiten der Gottesverehrung heraushalten sollen, soweit diese äußerlich sind und der freie Lauf der Gnade durch ihre Befugnis, gleichsam als Mithelfer Gottes [zu wirken], gefördert wird (1. Kor 3,9). Mit anderen Worten: Sie sollen für gesunde Lehre sorgen (1. Tim 1,10), Irrtum und Verführung abwenden, alle Gotteslästerung und offensichtliche Sünde in Gottesdienst und Leben verhindern, die Wahrheit und Ehrbarkeit beschützen usw. Weil nun Ihr, gnädige liebe Herren, das Evangelium aus eigener Überzeugung angenommen, es Euren Untertanen vorgetragen und geschworen habt, ihm auf Eurem ganzen Gebiet in Stadt und Land als öffentliches Recht Geltung zu verschaffen, so muss es nun wie jede andere äußere Weisung Eurer Regierung geachtet werden, und es kann auch nicht mehr rückgängig gemacht werden, ohne Eure Ehre vor der Welt zu be­ einträchtigen. Gewiss, wenn nicht Christus selbst am Werk ist, bewirkt Euer Dienst und Eure Befugnis hinsichtlich des Evangeliums lediglich Heuchler, und dies ist auch geschehen. Denn unter denen, welche die Messe als Gotteslästerung meiden, sind viele, die mit diesem Gräuel durchaus zufrieden wären, wenn nicht Euer Gnaden ihn durch Edikt und Mandat beendet hätte. Aber der Dienst des Mose hat mit dem Gesetz Gottes, das ein Gesetz des Lebens ist, auch nicht mehr ausgerichtet; und doch durfte Mose ihn nicht unterlassen, vielmehr musste er sein Amt ausüben und so dem Fleisch das lebendige Gesetz zum toten Buchstaben, ja zum Zorn und Tod werden lassen (1. Kor 3,6). Wie Mose in seiner letzten Rede kurz vor seinem Tod klagte, hat Gott dem Volk in seiner ganzen Dienstzeit „kein verständiges Herz, keine erleuchteten Augen, keine hörenden Ohren“ gegeben, und dabei war er vierzig Jahre bei ihm gewesen (Dtn 29,4). So wenig Frucht bringt vor Gott das Tun des äußerlichen Dieners.

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Aber wie auch immer es aufgenommen wird, es gereicht Euer Gnaden nicht zum Schaden. Denn Euer Gnaden wollten durch Ihren Dienst ja jedermann zur Wahrheit geleiten und öffentliches Ärgernis beenden. Nimmt es die Welt aber nur geheuchelt auf, dann so wie bei Mose, als er es unternahm, das Volk auf Gott hin auszurichten und sie zu einem frommen, besseren Lebenswandel zu ermuntern. Und obwohl weder Ihr noch überhaupt eine weltliche Gewalt ein gutes Gewissen gegen Gott zu schaffen vermögen, tragen Euer Gnaden durch Ihren Dienst doch dazu bei, dass bei Euren Untertanen das reine Wort Gottes verbreitet, die eine Gnade verkündigt und auf den einzigen Brunnen hingewiesen wird, aus dem sich die Wasser des Heils schöpfen lassen: auf unseren Herrn Jesus Christus, der unser einziger Mittler ist – nehme dies an, wer will (Joh 4,14; Apk 21,6; 1. Tim 2,5). Und auch wenn es bei jedermann vergebliche Mühe wäre (was aber nicht denkbar ist), so habt Ihr damit das Eure getan und Eure Seelen gerettet, wie Mose und die frommen Könige von Juda, die dafür gesorgt haben, dass das Gesetz beim gewöhnlichen Volk in Geltung blieb. Denn durch das Verlesen des Gesetzes (2. Kön 23,2) und das Predigen des Wortes, für das die Könige gesorgt haben, wurde das Urteil Gottes über die Bösen verkündet, öffentliche Gotteslästerung, Schande, Laster und Ärgernis bekämpft, das Arge gestraft, das Gute gefördert und vermehrt. Darum werden denn auch die frommen Könige durch den Heiligen Geist in der Schrift in hohen Tönen gerühmt. So soll es Euer Gnaden von einem solchen christlichen Einsatz nicht abbringen, wenn ein paar einfältige Leute den Einwand erheben, das Christentum sei etwas Inwendiges, es lasse sich nicht mit dem Schwert regieren, sondern nur Gottes Wort dürfe hier herrschen, Euer Gnaden richte ein neues Papsttum auf, wenn Ihr Euch in Glaubenssachen einmischt usw. Antwort: Ja, dem wäre so, wenn eine Regierung in die Gewissen eindringen und christliche Freiheit, die auf einem guten Gewissen beruht, knechten würde. Das ist hier aber von Euer Gnaden nicht zu befürchten, denn Ihr fördert ja die lautere Predigt der Wahrheit und die Ermahnung zur Frömmigkeit, sodass die Laster sowohl der Untertanen als auch der Obrigkeit ganz furchtlos gestraft werden, und ebenso, dass man sich im Gottesdienst und überhaupt an eine äußere Ordnung hält, die dem ungebrochenen Lauf des Heiligen Geistes nichts in den Weg stellt (1. Thess  5,19). Dies geschieht, wenn Euer Gnaden die nachstehende Ordnung, die wir auf dieser Synode beraten haben, zur Förderung von Gottes Ehre bestätigt und sie uns, die wir in der Stadt und auf dem Land das Evangelium verkündigen sollen, als Euren Untertanen befiehlt und gebietet, sie zu halten. Darum ersuchen und bitten wir Euer Gnaden untertänig und um Gottes Willen.

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Und nun also unsere Ordnung. Die Gedanken, die wir uns gemacht haben, gliedern sich in folgende Punkte: Kapitel 1. Dass wir unser Amt mit großem Ernst ausüben sollen Als Erstes: Wir Pfarrer sollen ja Boten Christi, Diener des Geistes und Verwalter der Geheimnisse Gottes sein und als dies gelten, gleichwie in Belangen der äußeren Ordnung die löbliche Regierung der Stadt Bern und andere Obrigkeiten Diener Gottes sind und heißen (2. Kor 3,6; 5,20; 1. Kor 3,5; 4,1; Röm 13,4). So muss die von unseren gnädigen Herren aufgestellte, das Evangelium betreffende Weisung unbedingt dahin lauten, dass wir unseren Dienst und das uns befohlene Amt, das geistlich, innerlich und himmlisch ist, mit Sorgfalt, Fleiß und Ernst ausüben. So erfordert unser Amt zweierlei: heilsame Lehre und ein sittlich ernsthaftes, ehrbares Leben, sowohl im Blick auf uns selber als auch in den Beziehungen zu unseren Hausgenossen und Verwandten (1. Tim 2,2; Gal 6,10). Kapitel 2. Dass die ganze Lehre einzig und allein Christus sei Mit der Lehre verhält es sich so: Alle heilsame Lehre ist nichts anderes als das ewige Wort Gottes, die väterliche Güte und Herzlichkeit, die er uns in Christus mitgeteilt hat, also nichts anderes als Christus selbst, der um unserer Sünde willen gekreuzigt und um unserer Gerechtigkeit willen – damit wir gerechtfertigt würden – von den Toten auferweckt ist (Eph 2,7; Röm 4,25). Was dieser Lehre widerspricht, widerspricht unserem Heil. Jede Lehre, die diesen Inhalt nicht enthält, lässt sich nicht als christliche Lehre bezeichnen. Denn alle christlichen Prediger sind Boten Christi und Zeugen seines Leidens (1. Petr 5,1). So sollen wir allein seinen Willen und Befehl ausrichten, als solche, die von ihrem Herrn einzig dazu bestimmt und ausgesandt sind, ebenso wie der Herr Jesus Christus vom Vater zu nichts anderem gesandt ist, als den Menschen die Ehre und den Namen seines Vaters zu offenbaren (Joh 5,36). Das hat er getreulich sein ganzes Leben hindurch getan. Er war in seinem Tun vollständig eins mit dem Tun seines Vaters und hat nichts aus sich selbst geredet, sondern nur das, was er vom Vater gehört hat (Joh 8,26.28; 12,49). Kapitel 3. Dass Gott einzig und allein in Christus dem Volk gezeigt werden soll Wie schimpflich ist es für einen Diener Christi, wenn er den Befehl seines Herrn nicht kennt und sich mit anderen, vergeblichen Geschäften befasst, statt sich ganz und gar den Belangen seines Herrn, den Belangen unserer Seligkeit, zuzuwenden. Noch heute redet der Vater zu uns durch seinen Sohn, der im Heiligen Geist unseren Herzen innewohnt, durch den Gott der Herr uns mit sich versöhnt und in dem wir die Werke Gottes und sein

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väterliches Herz uns gegenüber erkennen (Hebr 1,2; 1. Kor 3,16; Eph 3,17; 2. Kor 5,18). In diesem Verständnis und in dieser Erfahrung Christi nimmt der Gläubige täglich zu, er wächst in ihr auf, gefördert durch die tägliche Ermahnung. Zu diesem Verständnis kommt es aber nicht, wenn die Prediger viel von Gott reden, aber in heidnischer Weise, und nicht auf Gott im Angesicht Christi hinweisen, das doch der Abglanz der göttlichen Herrlichkeit ist, Ebenbild von Gottes Wesen und Wahrheit und sein verbindliches Wort (Hebr 1,3). Unterlassen es die Prediger, die Gnade Gottes in Christus anzuzeigen, so wird es mit dem Volk immer schlimmer, und der Unglaube nimmt zu, bis es ohne Gott in der Welt lebt wie die Heiden, die ebenfalls viel Geschwätz von einem natürlichen Gott gehört und verbreitet, aber nichts von ihrem Vater im Himmel vernommen haben (Eph 2,12). Deshalb haben sie den bekannten Gott nicht als Gott verehrt (Röm 1,21), bis ihnen Christus verkündigt wurde und sie an ihn zu glauben begannen, wie Paulus im zweiten Kapitel an die Epheser schreibt: „Ihr wart“, sagt er, „früher ohne Christus […], weshalb ihr keine Hoffnung hattet und ohne Gott in der Welt wart“ (Eph 2,12). Kapitel 4. Dass Christus das rechte Fundament ist So ist Christus, unser Herr, der Grund des geistlichen Gebäudes, sein Fundament (1. Kor 3,11; 1. Petr 2,5). Außerhalb von Christus ist kein Heil zu erhoffen, in ihm aber weder Schaden noch Verdammnis zu befürchten (Apg 4,12; Röm 8,1). Er ist der Eckstein, der Fels, der Eingang, das Leben und die Wahrheit (Mk 12,10 par; 1. Petr 2,7; 1. Kor 10,4; Joh 10,9; 14,6). Einzig und allein diesen Jesus Christus haben die Apostel und ihre Jünger, deren Nachfolger die Pfarrer sein sollen, gepredigt (1. Kor 1,23; 2,2). Seinetwegen hat Paulus die Gerechtigkeit, die er aus dem Gesetz hatte, verachtet und abgelehnt (Phil 3,9). Zusammen mit allen Aposteln hat er einzig und allein Christus für seine Grundfeste gehalten. Weitere Stellen, die wir im Folgenden anführen, belegen dies, obwohl eigentlich ja die ganze Schrift als ein solcher Beleg dient: „Gemäß der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt“ usw. „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Kor 3,10 f.). „Ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“ (Eph 2,19 f.). „Wenn anders ihr geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist, zu dem ihr gekommen seid als zu dem lebendigen Stein“ (1. Petr 2,3 f.). „Dieser Jesus ist der auserwählte kostbare Eckstein“, von dem Jesaja 28 und Psalm 118 sprechen (Jes 28,16; Ps 118,22).

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Kapitel 5. Dass der gnädige Gott allein und direkt durch Christus erkannt wird Doch was bedarf es vieler Worte: „Alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis liegen verborgen in Christus“ (Kol  2,3). Warum sollte ein christlicher Prediger in anderen Geschichten oder zusätzlichen Büchern Weisheit suchen, die nicht diesen Reichtum, nicht diese Schatzkammer Gottes zutage fördern: Jesus Christus, unseren Herrn, in dem alle Dinge zusammengefasst sind (Eph 1,10). Da will man etwa ohne Christus viele Worte machen vom allmächtigen Gott. Aber das ist unfruchtbar, denn Gott hat sich von jeher in seinen Werken gezeigt und durch verschiedene Eigenschaften und worthafte Zeichen deutlich zu erkennen gegeben (Röm 1,20): im Paradies durch den Baum des Lebens (Gen 3,22.24); nach Adams Fall durch den [verheißenen] Samen der Frau (Gen 3,15); dem Abraham durch das Werk der Herausführung aus Ur in Chaldäa (Gen 11,31); seinem Knecht und Nachkommen als der Herr und Gott Abrahams (Gen 26,14); nachher beim Volk Israel als Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs (Ex 3,6). In der Wüste und im gelobten Land als der Gott, der uns aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, geführt und mit uns den Bund auf dem Berg Horeb geschlossen hat (Ex 20,2; Dtn 5,3.6). Um des Bundes willen wurde auch die Bundeslade, der Tempel und Jerusalem „Gott der Herr“ genannt, denn unter diesen worthaften Zeichen wurde Gott erkannt (Num 10,35 f.; Jer 3,17). So wurde Gott stets in bestimmten Taten seiner gnädigen Zuwendung und in bestimmten Handlungen oder Zeichen in schattenhafter Weise bezeugt, wie ihn die Christen heute in Jesus Christus hell und mit untrüglicher Gewissheit erkennen. Deshalb soll und muss durch die Verkündiger Christi die „Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes“ betrieben werden „in dem Angesicht Jesu Christi“, und nicht außerhalb oder ohne Christus (2. Kor 3,14 ff.). Denn solche nicht von Christus gebaute Erkenntnis Gottes verliert sich und zerrinnt zwischen den Händen, wie Cicero am Fall von Simonides darlegt: Dieser kam durch fleißiges Betrachten und Erforschen, was Gott sei, zuletzt so weit, dass er weniger von Gott wusste, als er anfing, sich solche Gedanken zu machen. Den Juden fehlt es auch heute noch an Gotteserkenntnis bei ihrem toten Buchstaben und der Bundeslade, die es ja nicht mehr gibt (2. Kor 3,6; Ex 25,10 ff.). Jetzt gibt es ein neues Symbol und Kennzeichen Gottes: er selber, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat (2. Kor 5,19). Vorher hatte der Deckel der Lade „Gnadenthron“ geheißen, jetzt ist Christus selbst der wahre Gnadenthron, von dem her wir Gottes gnadenreiche Stimme hören (Ex 25,17; Röm 3,25; Hebr 4,16). Mit ihm gehen wir sicher. Durch ihn haben wir sicheren Zugang zum Vater (Röm 5,2; Eph 2,18), wie

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das ­Jeremia bezeugt: „Sie werden nicht mehr sagen: Die Bundeslade des Herrn. So zu reden wird ihnen nicht mehr einfallen, sie werden der Lade nicht mehr gedenken. Sondern Jerusalem wird der Thron Gottes genannt“ (Jer 3,16 f.). Da redet der Prophet vom Reich Christi und vom himm­ lischen Jerusalem, das frei ist und Gottes Wohnstätte – in den Herzen der Auserwählten (Hebr 12,22; Gal 4,26; Apk 21,2 f.). Daraus folgt, dass Gott der Vater in dieser Zeit der Gnade einzig und allein im Haupt und den Gliedern, nämlich in Christus und seinen Gläubigen, in Wahrheit erkannt wird (Eph 1,22 f.; Kol 1,18 ff.). Durch Christus, in dem die Gnade auch zu den Heiden gekommen ist, sind diese der Gnade teilhaftig geworden ohne das Gesetz, durch sein göttliches Blut und kraft der Wirkung des Heiligen Geistes (Eph 2,13). Kapitel 6. Eine christliche Predigt ist ganz und gar aus Christus stammende Christuspredigt Gott hat sich und seine Erkenntnis stets an verbindliche Werke und Zeichen gleichsam gebunden und alle solche bildlichen Vorausdarstellungen, Abschattungen [des Zukünftigen] und Vorbilder auf Jesus Christus hingedeutet (Kol 2,17; Hebr 8,5). Dieser ist „in diesen letzten Tagen“ erschienen, hat seinen Weg im Fleisch vollbracht, ist zum Himmel gefahren und offenbart sich täglich den Gläubigen im Heiligen Geist (Hebr 1,2). Nun gibt es nur ein einziges immer gleichbleibendes Geheimnis des Vaters und Christi, und den Vater kann niemand erkennen außer durch den Sohn (Mt 11,27 par; Joh 14,7). Darum ist es aufs Höchste notwendig, dass alle Diener Gottes und Verkündiger des Reiches Christi unaufhörlich den alleinigen Herrn Jesus Christus predigen, dessen Erkenntnis alles übertrifft (1. Kor 1,23; 2. Kor 1,19; Phil  3,8; Eph 3,19). Deshalb sollen wir einander getreulich ermahnen, dass wir Diener Christi einzig und allein diesen unseren Herrn predigen, auf dem der ganze Ratschluss Gottes ruht (Hebr 3,13; Eph 1,11). Dies, damit wir nicht zu Predigern des Gesetzes werden oder zu sonstigen weltlichen Predigern, die ihre eigenen Vernunftgedanken lehren und als falsche Diener vom Herrn verworfen werden (1. Kor 1,19). Kapitel 7. Dass christliche Lehre und christliches Leben mit Tod und Auferstehung Christi anfangen und sich stets daran orientieren müssen Es genügt aber nicht, wenn die Pfarrer Worte wie „Jesus Christus ist unser Heiland“ ständig vor dem Volk wiederholen (2. Tim 1,10). Denn das Evangelium vom Reich besteht nicht in leerer Stimme und bloßen Worten, sondern in wahrer Kraft Gottes, von der die Herzen der Gläubigen gepackt, verändert und erneuert werden und die aus armen Sündern Gotteskinder und wahrhaft himmlische Menschen macht, deren Art

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und Gesinnung nicht an Fleisch und Blut, sondern an Gott orientiert ist (1. Kor 4,20; Gal 3,26; Röm 8,5 ff.). Damit man aber zu solchen Gaben und zu solcher Gnade gelangen kann, muss bei Tod und Auferstehung Christi begonnen und also in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt werden (Lk 24,47). Dies ist der Inhalt aller christlichen Predigt. Der Herr selbst hat seinen Jüngern befohlen, so zu predigen. So haben es die Apostel gehalten, so die Auserwählten im Glauben angenommen, so hat es der Heilige Geist bestätigt, und alle Welt vermag es nicht in Abrede zu stellen. Dazu ist folgendes Bibelwort zu bedenken: „Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: Also ist es geschrieben und also musste Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tag und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern“ (Lk 24,45–47). Wie wir hier sehen, fängt die Predigt der Buße und Vergebung der Sünden erst nach der Auferstehung an. Denn Buße und Vergebung der Sünden soll im Namen dessen gepredigt werden, der gelitten hat, gestorben und auferstanden ist. Daran ist der Inhalt aller Predigt auszurichten, damit von dorther fortan Irrtum beseitigt, die Sitten gebessert und das Gute gefördert wird. Dass der Herr seine Jünger nach seiner Auferstehung zum Predigen ausgesendet hat, gehört mit in diesen Zusammenhang (Mt 28,19 f.). Hier sei angemerkt, dass unter der Auferstehung der ganze Weg Christi zu verstehen ist, besonders auch die Auffahrt in den Himmel und die Ausgießung des Heiligen Geistes, das nachfolgende Handeln des Geistes im Gewissen der Gläubigen eingeschlossen. Auch die Petruspredigten im Buch der Apostelgeschichte sind hier zu studieren. Diese halten sich in der Verkündigung des Heils durch Christus an die eben erläuterte Ordnung (Apg 2; 4 f.; 11; 17; 20). Denn überall weisen sie auf den Tod und die Auferstehung Christi hin und wollen dadurch zu Buße und Vergebung der Sünde führen, was die Summe unseres Evangeliums ist. Diese Apostelpredigten sollen fleißig betrachtet werden, damit wir dort beginnen, wo diese angefangen haben, und zu gleichem Fortschritt und Wachstum in Christus kommen mögen. Dazu hört man sagen: Wenn man mit Tod und Auferstehung Christi anfangen soll, wozu dienen dann die Evangelisten, die seine Geburt und sein Leben beschreiben? Antwort: Die Geburt und das ganze Leben Christi sind eine Vorbereitung auf seinen Tod. Somit sind seine Sendung und sein Leben und Lehren auf der Erde überall und stets auf unser Heil gerichtet. Weil er vom Vater gesandt wurde und in die Welt gekommen ist, um die Sünder selig zu machen, ist er gewiss stets getreulich seinem Befehl nachgekommen und hat alle seine Werke und Worte darauf ausgerichtet (1. Tim 1,15). Sonst wäre er seinem Vater ungehorsam gewesen – ein unmöglicher Ge-

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danke. Darum sucht der Geist in uns in allem, was Christus uns lehrt, nichts anderes als das Wort von seinem Kreuz und seiner Herrlichkeit (1. Kor 1,18; 1. Tim 1,11). Genauso sieht er die Werke und Wunder­ zeichen Christi an und versteht darin den inwendigen Lauf der Gnade und das geistliche Wirken Christi im Herzen. Denn aus blinden und tauben Sündern macht er Sehende und solche, die auf die lebendige Stimme des Vaters hören; aus den Lahmen Helden, die aufrechtstehen und mit unverletzten Gliedern den Weg Gottes gehen (Jes 35,5 f.). Er nimmt den Aussatz der Sünde durch seine heilsame Gnade hinweg, und den toten Sünder belebt er durch den Geist der Auferstehung (Eph 2,5 f.). So hört der Glaube von äußeren Wunderzeichen Christi; er wundert sich aber bei sich selbst vielmehr über die inwendigen und geistlichen Werke, die dieser täglich im Heiligen Geist wirkt und die alle Vernunft übertreffen. Die Geburt Christi, durch den Heiligen Geist geschehen (Mt 1,20), zeigt an, dass wir Kinder Gottes werden, wenn wir über die Geburt aus Fleisch und Blut hinaus auch zu neuen und himmlischen Menschen gemacht werden von demselben Heiligen Geist, den uns Christus verleiht (Joh 1,12 f.). Darum beschreiben die Evangelisten die Geburt und das Leben Christi, weil es ganz zu unserer Erlösung dient und das Absterben nach dem Fleisch und die Auferstehung nach dem Geist in Christus darin gezeigt und vor Augen gestellt werden (Röm 6,3 ff.). Kapitel 8. Wie unsere Sünde aus Christus erkannt werden soll Der Apostel schreibt, dass „Gott seine Liebe gegen uns darin deutlich gemacht hat, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder und Feinde Gottes waren“ (Röm 5,8). Daraus folgt, dass uns die Sünde widerwärtig und verhasst wird, hat doch der Sohn Gottes für uns sterben müssen, um die Sündenlast von uns zu nehmen. Er wurde einmal im Heiligen Geist für uns geopfert und hat uns die ewige Erlösung erwirkt (Hebr 9,12.14). Aus dem wird ersichtlich, wieviel Schaden und Fluch in unserem Herzen liegen, die nur durch ein so kostbares Sündopfer und die Besprengung mit Gottes Blut gereinigt und geheiligt werden konnten (1. Petr 1,2; Hebr 12,24). Eine andere Hilfe gab es nicht. Gott ist der Schöpfer des Menschen, seinem Gott sollte er ganz ergeben sein. Dies liegt jedoch nicht in seiner Natur, denn er sieht auf die Geschöpfe, auf sich selbst und auf sein eigenes Wohlgefallen. Er macht sich zum Abgott, dem er selbst göttliche Ehre zumisst und im Grunde auch zugemessen haben will. Daher kommt es, dass niemand gern verachtet sein will. Kapitel 9. In Christus ist Erkenntnis der Sünde zu suchen, ohne Gesetz Während die Juden im Gesetz des Mose ihre Sünde mit großer Mühe und nur schwer erkannt haben, haben die Apostel im Tod Christi rasch unsere

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verdammte Natur erkennen gelernt. Darum haben sie den Heiden ihre Sünde und die Versöhnung einfach durch Christus, ohne Gesetz, angezeigt und niemanden an Mose zurückverwiesen (Röm 10,4; Gal 3,24 f.). Lernt man nämlich durch das Gesetz die Sünde erkennen, so ist dies nur eine tote, kalte Sache ohne Leben. Welche Mühe kostete es die Apostel, die Juden von Mose weg und ganz Christus zuzuführen (Gal 5,4)! Warum sollten wir dann unser Volk von Christus weg auf den vom Gesetz geforderten Dienst verweisen? Kapitel 10. Weshalb Paulus so ausführlich mit den Heiden das Gesetz behandelt hat Weil aber falsche Apostel eingedrungen sind und neben Christus das Gesetz als notwendig gelehrt haben, wurde der wahre Apostel gezwungen zu zeigen, wozu und inwiefern Mose mit seinem Dienst nützlich ist (Apg 15,5; Gal 3,19 ff.; 5,1 f.). Das brauchte er bei den Heiden nicht. Die nämlich glaubten und erhofften einfach von Christus Vergebung der Sünden, hingen ihm an, folgten ihm nach und sahen in allem, was sie unternahmen, auf ihn. Denn wer an Christus glaubt, der hat das ewige Leben (Joh 5,24). Darum hat der gläubige Heide keinen gesetzlichen Schulmeister nötig, er ist schon im Besitz der Freiheit der Kindschaft (Gal 3,24 f.; Röm 8,21). Kapitel 11. Dass die Juden unter dem Gesetz wie die Heiden ohne Gesetz zum Glauben gekommen sind Allerdings hat die aus den Juden gesammelte Kirche das Gesetz aus christlicher Freiheit auch mit Christus voll Eifer gehalten – unbeschadet des Vertrauens auf Christus. Dazu ermahnt sie ja Maleachi im Namen Gottes, wenn er das Reich Christi beschreibt und damit alle Propheten beschließt und besiegelt: „Gedenkt“, spricht er, „des Gesetzes meines Knechtes Mose, welches ich ihm geboten habe auf dem Berg Horeb über ganz Israel: der Satzungen und des Gerichts!“ (Mal 3,22). Warum und wie lange befiehlt Maleachi, das Gesetz in Erinnerung zu behalten? Darum und so lange, bis sie das Unvermögen des Gesetzes und seinen wahren Gebrauch erkennen. Das heißt, damit sie dadurch ein tiefes Verlangen nach der Ankunft des Tages des Herrn entwickeln, bis der Bußprediger Elia kommt und dem erschrockenen Sünder den Weg des Herrn bereitet (Mal 3,2.23 f.). Dann ist das Amt des Mose beendet. Dennoch wird es von denen, die daran gewöhnt sind, ohne Gebote freiwillig gehalten. Mit der äußerlichen Übung des Gesetzes frischen sie ihren Glauben und die innerlichen, himmlischen Schätze auf, sie stellen sie sich selbst bildhaft vor Augen. So hat es die Apostelgemeinde in Jerusalem gehalten, sonst aber keine andere (Apg 21,20). Darum lehrt der heilige Paulus keine Abwendung vom Gesetz, sondern

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lässt sich nach dem Gesetz in Jerusalem mit Rücksicht auf die anderen Apostel reinigen; man sollte sehen, dass er das Gesetz für gut und recht hält und nicht als böse verwirft (Röm 7,12). Auf der anderen Seite wollte die Apostelgemeinde in Jerusalem die gläubigen Heiden auch nicht an das Gesetz binden, um das sie für sich selbst so sehr eiferte (Apg 21,20–26). Nützen tut es eben den Gläubigen aus den Juden, die von ihm rechten Gebrauch machen, weil sie seiner schon von alters her gewohnt sind: Sie erinnern sich in Ausübung des Gesetzes ihres Herrn Jesus Christus, seiner Gaben und Gnade und ihrer eigenen Sünden. Den unerfahrenen Heiden aber brachte es ein falsches Vertrauen in die Werke – ob es vor oder nach Christus gelehrt wird, als ob nicht alles in Christus bestehen würde! Die gläubigen Juden erkannten diese Werke des Gesetzes aus der Erfahrung als für sie nützlich wegen ihrer Bildlichkeit und Bedeutung. Sie hatten nicht zu befürchten, dass sie die ihnen verliehene Gnade verlieren und wieder zu den schwachen Elementen dieser Welt zurückkehren würden, solange sie nur in der erlangten Gnade bleiben (Gal 4,9). Kapitel 12. Der Unterschied zwischen dem Christusprediger unter den Heiden und dem, der unter den Juden predigt Somit besteht ein Unterschied zwischen dem Apostelamt bei den Heiden, wie es dem Paulus aufgetragen war, und dem anderen Apostelamt bei den Juden, wie es der heilige Petrus versah. Dieses Apostelamt eifert über dem Gesetz, ohne Schaden zu nehmen (Apg 21,20). Jenes setzt sich nicht für das Gesetz ein und hat gar nichts mit Mose zu tun, es sei denn zufälliger Weise, sofern es auf den lieben Heiland hinweist und nützlich ist „zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung“ usw. (2. Tim 3,16). Wir aber, die wir aus den Heiden stammen und mit Heiden, nicht mit Juden, zu tun haben, wir sollen ohne Gesetz in Christus die Gnade verkündigen, wie es der heilige Paulus zu tun pflegte, und nicht mit der Kirche des Petrus, wie sie in Jerusalem versammelt war, dem Gesetz nachfragen (Gal 2,14 ff.). Denn Christus genügt uns. Was wollen wir mehr (Joh 1,16 f.)? Kapitel 13. Weshalb damals falsche Apostel aufgekommen sind Dies kam so: Die falschen Apostel nahmen die Gemeinde von Jerusalem, die über dem Gesetz so sehr eiferte, zum Vorwand. Sie rühmten sich vor den Heiden wahrheitswidrig, sie hätten von ihnen einen Auftrag, und unternahmen es, die Gläubigen aus den Heiden auf Mose zurückzuverweisen (Apg 15,5). Das tat aber die Kirche in Jerusalem nicht, und auch Paulus gestattete es diesen falschen Aposteln nicht. Vielmehr ermahnt er die gläubigen Heiden, fest bei dem neuen Glauben zu bleiben (Gal 5,1; Kol 1,23). Zu diesem Zweck musste er über die Ausübung, den Gebrauch und die Kraft des Gesetzes und des Dienstes des Mose sprechen. Dies aber

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nicht in erster Linie, weil er die Gläubigen dadurch in eine noch tiefere Erkenntnis der Sünde bringen wollte, von der sie eben erst gerecht gemacht worden sind, denn was an Sünde übrig ist, wird viel deutlicher aus Christus erkannt! Er hat vielmehr die Diskussion über das Gesetz geführt, um sie vor dem Vertrauen ins Gesetz als einer schädlichen Sache zu bewahren und sie in Christus zu befestigen, der ohne Gesetz des Buchstabens den Geist des Gesetzes des Lebens gibt (Röm 7,6; 2. Kor 3,6). Dieser besteht in Ewigkeit. Deshalb wollen wir, die Pfarrer, uns diejenige Art zu predigen vorneh­ men, derer sich die Apostel den Heiden gegenüber bedient haben. Sie haben ohne Gesetz in Christus die Sünde angezeigt und Gnade und Vergebung derselben aus ihm und durch ihn verkündet. Und wenn es vorkommt, dass eine Schriftstelle zu besprechen ist, die sich gegen falsche Apostel und Gesetzeslehrer richtet, soll diese richtig erläutert werden. Daneben soll die Einfalt Christi ohne Gesetz gepredigt werden. Dies dient zum wahren Bau Gottes, und man kommt so vielen Irrtümern zuvor, die einfältige Leute sonst bald einmal dem Buchstaben entnehmen und ohne Verstand ins Feld führen. Kapitel 14. Von der Buße und Sündenvergebung oder vom Gang der Gnade Nachdem aus dem Leiden Christi und seinem Eingehen in das Geheimnis des Vaters Erkenntnis der Sünde entstanden ist (Lk 24,26), schließt sich folgerichtig eine rechtschaffene Buße an – das heißt, dass einem die Sünde wirklich von Herzen leidtut und missfällt – und an diese dann die Sündenvergebung. Denn ihretwegen ist ja der Sohn Gottes von seinem himmlischen Vater zum Leiden und Sterben in die Welt gesandt, um uns durch seinen Tod zum Leben und in den Genuss der himmlischen Güter zu bringen (Röm 7,6 ff.). Wo der Vater seinen Sohn so offenbart und ihn den Gewissen vorhält, entstehen ein fester Glaube und ein herzliches Vertrauen auf eine solch unbegreifliche Gnade Gottes. Dieser Glaube macht gerecht. „Denn wer an mich glaubt“, spricht der Herr, „hat das ewige Leben. Er ist vom Tod [zum Leben] hindurchgedrungen“ (Joh 5,24) und „im Himmel angeschrieben“ (Hebr 12,23; Lk 10,20), in den nichts Beflecktes und Unreines eingehen darf (1. Kor 6,9 f.; Gal 5,19 ff.; Eph 5,5). Dies ist der Gang Christi und die Ankunft der Gnade durch seinen Geist, dass jedermann aus dem Tod, der Auferstehung und der Auffahrt Christi lerne, sich von seiner erkannten Sünde und verdammten Natur ab- und der Gabe Gottes in Christus zuzuwenden und sich schließlich ganz auf sie zu verlassen (Röm 6,23). In diesem Sich-Verlassen wird die Gnade angenommen, durch die uns alle vergangene Sünde vergeben ist und nichts mehr zur Strafe angerechnet wird. Dabei ist auch hier der Geist Gottes am Werk: Er schließt das Verborgene auf, bringt die heimliche

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Sünde und das verborgene böse Trachten der Herzen immer mehr ans Licht, verzehrt sie täglich und läutert täglich das Herz wie Feuer das Silber, reinigt es vom Abschaum und Unrat der Sünde (1. Kor 4,5; Ps 66,10). Zwei Werke nämlich vollbringt der Heilige Geist bei uns. Das erste: Durch seine Gnade macht er uns gerecht und zu neuen Menschen (Eph 4,23 f.). Das zweite: Er hilft, „dass wir Erben werden gemäß der Hoffnung des ewigen Lebens“ (Tit 3,7). Das geschieht, wenn wir im Kampf des Glaubens bestehen, am Fleisch täglich absterben und geistlich und himmlisch gesinnt werden (1. Tim 6,12). Zur Buße und zur Vergebung der Sünde in Christus ist folgendes und ähnliche Schriftworte zu bedenken: „Lasst uns zur Vollkommenheit fortschreiten und nicht noch einmal den Grund legen mit der Buße über die toten Werke und dem Glauben an Gott“ (Hebr 6,1). Kapitel 15. Die Buße, die in Christus gefunden wird, ist die Grundlage Die Buße ist die Grundlage, aber wie gesagt, sie soll in Christus gesucht werden. Darum predigt Christus: „Tut Buße, das Reich der Himmel ist nahegekommen“ (Mt 4,17 par). Das heißt: Grund der Buße soll das Verlangen sein, das Himmelreich, das durch Christus angeboten ist, zu empfangen und anzunehmen. Das geschieht, wenn uns der Heilige Geist mit Christi Blut besprengt, reinigt und heiligt (1. Petr 1,2; 1. Joh 1,7; Hebr 13,12). Johannes ermahnt das Volk zur Buße, das danach trachtet, dem hereinbrechenden Zorn Gottes zu entrinnen und vom Verderben errettet zu werden (Mt 3,7–9). Seinem Vorbild sollen wir folgen, wie ihm insbesondere die Apostel gefolgt sind. Das zeigen die folgenden Texte: Nachdem Petrus in seiner Predigt dargelegt hat, dass Gott Christus vom Tod auferweckt hat, spricht er: „Nun da er durch die Rechte Gottes erhöht ist und empfangen hat die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr seht und hört“ usw. (Apg 2,33). „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christus gemacht hat“ (Apg 2,36). Und als sie sagten: „Was sollen wir nun tun?“, antwortete Petrus: „Tut Buße und lasse sich ein jeder taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2,37 f.). „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr erwürgt und an das Holz gehängt habt. Den hat Gottes rechte Hand erhöht zu einem Fürsten und Heiland, Israel Buße und Ablass der Sünde zu gewähren. Wir sind Zeugen für diese Worte und der Heilige Geist“ usw. (Apg 5,30–32). Dies ist eine kurze und vollkommene Predigt; sie umfasst das ganze Wirken Gottes, das durch Christus vollendet ist.

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Kapitel 16. Das Geheimnis, das der Welt verborgen ist: Christus soll ohne das Gesetz den Heiden gepredigt werden. Dazu andere Schriftstellen von der Buße „Sie sprachen: So hat Gott auch den Heiden Buße gegeben zum Leben“ (Apg 11,18). Hier ist der herrliche Reichtum des Geheimnisses – das ist Christus – unter den Heiden ausgesprochen, „das der Welt seit ewigen Zeiten verborgen war“ (Eph 3,8 f.; Kol  1,26 f.). Wer nun das Amt hat, unter den Heiden zu predigen und trotzdem durch das Gesetz Sünde überwinden und Buße erwecken will, der verdunkelt das vornehmste Geheimnis und die Herrlichkeit Christi: nämlich, dass der Heilige Geist durch Christus auf die Juden unter dem Gesetz und die Heiden ohne Gesetz zugleich fällt (Apg 15,8 f.). Dies ist sehr wohl zu merken! Paulus – bei den Thessalonichern – „redete mit den Juden drei Tage von der Schrift, tat sie ihnen auf und legte es ihnen dar, dass Christus leiden und auferstehen musste von den Toten. Den ich euch verkündige, sprach er, der ist der Christus“ (Apg 17,3). Ebenso in Athen: „Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen. Jetzt gebietet er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun, denn er hat einen Tag gesetzt, an dem er den Erdkreis mit Gerechtigkeit richten will durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat allen den Glauben angeboten, nachdem er ihn von den Toten auferweckt hat“ (Apg 17,30 f.). „Ich habe beiden, den Juden und den Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an den Herren Jesus Christus bezeugt“ (Apg 20,21). Kapitel 17. Dass die christliche Buße auch aus den Propheten gelernt werden kann Wenn nun schon Sprüche aus dem Alten Testament zum Thema Buße zu behandeln sind, so sind diese nicht anders zu behandeln als von Christus her. Auf ihn weisen alle Propheten hin wie dieser Spruch des Jeremia: „Wenn dieses Volk, wider das ich geredet habe, vom Übel absteht und Buße tut“ usw. (Jer 18,8). Solches ist mit christlichen Ohren zu hören, und es ist zu bedenken, wie diese Buße allein bei Christus recht gesucht, gefunden und erlangt wird. Denn niemand darf sich einen Eifer zur Besserung aus sich selbst ohne Einwirkung Christi ausdenken und sich einreden, er sei dennoch nahe bei Gott. Kapitel 18. Dass man in der Erkenntnis Christi ständig zunehmen und ein jeder seinen eigenen Glauben erforschen soll Diese Lehre soll bei den Kirchen und den gläubigen Leuten täglich zunehmen. Sie sollen sich ihrer Berufung stets gewisser machen, indem sie ihren eigenen Glauben unablässig erforschen und darin wachsen. Denn wer in der Erkenntnis und Empfindung Christi nicht zunimmt, der nimmt ab

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und bewegt sich rückwärts oder ist wohl nie auf dem rechten Weg gewesen. Dazu dienen die Paränesen und Ermahnungen des Paulus. In denen sollen sich die Pfarrer fleißig üben. Im Übrigen fällt die Erwählung und Gnade Gottes nicht dahin. An ihr ist alles gelegen. Und doch soll das Volk gelehrt werden, bei sich selbst zu prüfen und zu erfahren, ob diese Erwählung und der gnädige Wille Gottes durch Christus bei ihnen angelegt und zur Wirkung gekommen ist oder nicht. Das heißt: Jedermann soll wissen, was er von Christus wahrhaft empfangen hat und was ihm noch fehlt an Verständnis und Erkenntnis Christi. Dies ist nichts anderes als die Erneuerung des Herzens – der inwendige, geistliche, himmlische Mensch, der ohne Sünde ist, soweit er aus Gott geboren ist und nicht an Blut und Fleisch hängt (1. Joh 3,9; Joh 3,6). Denn der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des Herzens (Hebr 11,1). Hier gibt es kein Überreden, wie es in menschlichen Angelegenheiten geschieht. Soviel über die Lehre Christi, die mit seinem Tod und seiner Auferstehung anfängt. Im Tod Christi erkennt man, was Sünde und wahre Buße sind  – Vergebung derselben in seiner Erhöhung, wenn Christus im Geist durch den Glauben und als Gabe Gottes die erwählten Herzen mit göttlichem Samen schwanger macht und aus dem unvergänglichen Samen himmlische, auf das Himmelreich ausgerichtete Menschen gebiert (1. Petr 1,23); Menschen, die von Herzen anfangen, die Sünde zu lassen, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit zu üben  – mit der Erfahrung der Liebe Gottes im Glauben. Diese Lehre sollte in allen Predigten Thema sein. Soviel vom Artikel über die rechte Lehre. Doch wollen wir noch etwas über die Sakramente sagen. Kapitel 19. Von den heiligen Sakramenten und der Taufe im Allgemeinen Was die Sakramente angeht, sind wir der Auffassung, dass wir uns einander stets gegenseitig erinnern und ermahnen sollen, soviel an uns liegt, in der Liebe gegen alle zu bleiben (1. Thess 3,12; Röm 12,18). Ganz besonders wegen der Sakramente wollen wir uns nicht in Streitereien verwickeln lassen, solange nur das Geheimnis, der Herr Jesus Christus, gewahrt wird, auch wenn dies nicht so deutlich und nicht genau in der Art geschieht, wie es sein sollte – damit wir ihn nicht durch Zank ganz verlieren (Kol 2,2). Denn die Sakramente sollen uns zur Vollkommenheit dienen und nicht als Anlass zu fleischlicher Gesinnung. Bedrängt uns aber jemand mit seiner festen Ansicht, sollen wir uns aus Streit heraushalten und das Gespräch auf die Wirkungen lenken, die Christus selber durch den Heiligen Geist in uns vollbringt, nach dem Maß, wie Gott einem jeden jeweils Gnade verliehen hat (Eph 4,7). Zum Beispiel sollen wir von der Kraft des Glaubens reden, vom guten Gewissen, warum und wie lange es besteht, warum es zu Fall kommen kann, inwiefern es ewig ist, vom inneren Gang und Wachstum

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der Gnade und derartigen Dingen. Bemühen wir uns nach Kräften, Streit zu vermeiden und keine Artikel zu formulieren, auf die einer den anderen verpflichten und ihm seine eigene Meinung aufdrängen will! Sonst wird von neuem Feindseligkeit entfacht und was Gott zuwider ist und allem Irrtum Tür und Tor geöffnet. Es scheint uns, dass von den Sakramenten am ehesten folgendermaßen geredet werden kann. Erstens: Sie sind nicht Zeremonien oder Kirchengepränge, welche die Hebräer „Chukkim“ nennen. Diese waren nämlich Schatten und Andeutungen des kommenden Christus, der jetzt bei seiner Gemeinde gegenwärtig ist und bleibt bis an das Ende der Welt (Kol 2,17; Hebr 10,1; Mt 28,20). Vielmehr sind sie Geheimnisse Gottes oder Geheimnisse der Kirche Christi. Durch sie wird Christus den Gläubigen äußerlich dargeboten, der, im Heiligen Geist gegenwärtig, die Herzen schwängert und erfüllt. So bitten wir den Allmächtigen, dass er unseren Gebrauch der Sakramente zu einer wahren göttlichen Handlung mache und nicht ein Menschenwerk bleiben lasse. Das heißt: Das große Geheimnis „Gott im Fleisch“ soll beständig in uns leben und wachsen, wie es von außen durch die Sakramente vor Augen gestellt wird (1. Tim 3,16). Zweitens: Wir sollen von den Sakramenten mit Worten reden, die der jeweiligen Situation angepasst sind und die uns durch Christus zur Erbauung an Gott dienen, und uns nicht gegenseitig mit Zankreden belästigen. Dafür gibt uns der heilige Apostel ein schönes Beispiel: An die Römer, die alle in Christus getauft waren, schreibt er nämlich: „Lasst uns ehrbar wandeln wie am Tag, nicht in Fressen und Saufen“ usw., sondern „zieht den Herrn Jesus Christus an und lebt nicht, der Klugheit des Fleisches entsprechend, euren Begierden nach“ (Röm 13,13 f.). Andererseits schreibt er den Galatern: „Da nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus. Denn wie viele von euch getauft sind, die haben Christus angezogen“ (Gal 3,25–27). Was lesen wir da? Widerspricht sich der Heilige Geist? Er bittet die getauften Römer, sie möchten den Herrn Jesus Christus anziehen (Röm 13,14). Bei den Galatern aber ändert er seine Rede und sagt, dass alle Getauften den Herrn Jesus Christus schon angezogen haben. Daraus lernen wir, dass nicht auf Rede, Worte und Ausdrucksweise, sondern auf den Sinn zu achten ist. Dementsprechend wird die Art zu reden beibehalten oder geändert, wie es der jeweiligen Situation am besten dient. Deshalb sollen wir die Wortzänker umso mehr meiden, je höher die Geheimnisse sind, auf die sie in ihrem Zank Bezug nehmen. Vielmehr sollen wir mit Paulus jetzt sagen: „Zieht an den neuen Menschen“ (Eph 4,24), „zieht an die Waffen Gottes“ (Eph 6,11), „die Waffen des Lichts“ (Röm 13,12), „bekleidet euch als die

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Auserwählten“ (Kol  3,12). Ebenso: „Zieht an die Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49). Noch viel Derartiges sollen wir sagen, wenn wir die Gemeinde ermahnen wollen voranzuschreiten und wenn wir erwägen, was unserer schwachen Gemeinde fehlt. Wenn wir aber bedenken, was wir alle, die glauben und durch die Taufe Christi im Heiligen Geist getauft sind, von Gott empfangen haben, und dass „die Liebe alles glaubt“ (1. Kor 13,7), so dürfen wir auch sagen: „Wir Getauften haben alle den Herrn Jesus Christus angezogen“ (Gal 3,27). Und wir können gut daran anschließen: „Liebe Brüder, zieht aber weiterhin den Herrn Jesus Christus an!“ (Röm 13,14). Denn wenn wir die Gnade Gottes in uns ansehen, werden wir gar bald auch unseren Mangel in unserem Fleisch bedenken. Dies, damit wir nicht in Selbstgefälligkeit geraten. Es ist immer zum Schaden der Kirche, wenn jedermann etwas Neues lehren will und es nur wenige sind, die den wahren Meister, den Heiligen Geist, hören. Demgegenüber haben wir vorher die Einfalt Christi beschrieben. In ihr wollen wir mit Gottes Hilfe bleiben und dazu alle Mittel, die Sakramente Taufe und Abendmahl und das äußerliche Wort, ohne Vorwitz in Anspruch nehmen. Denn in allen Dingen sehen wir durch den Glauben allein auf unseren Christus – oder sollten doch auf ihn sehen (Hebr 12,2)! Wissen tun wir dies wohl. Gott helfe uns, dem auch getreulich nachzukommen. Kapitel 20. Von der Taufe Kirche ist dort, wo Christus wohnt und sie selbst erhält, entsprechend dem inwendigen Menschen. Die Sakramente dieser Kirche sind nicht bloße Zeichen, sondern Zeichen und heimliche Kraft Gottes zugleich. So ist es auch bei der heiligen Taufe: Der Diener tauft mit Wasser und Christus zugleich mit seinem Geist. Wenn wir unsere Kinder taufen, nehmen wir sie durch unser Taufen in die äußere Gemeinde Gottes auf in der Hoffnung, der Herr werde nach seiner ewigen Güte danach auch sein Werk an ihnen tun und sie mit dem Heiligen Geist wahrhaft taufen (Mt 3,11 par; Apg 1,5). Diese Kindertaufe ist für uns ein wahres Sakrament. Denn unser Glaube sieht über das Äußere und über Raum und Zeit hinaus. Für den gläubigen Menschen ist sie zugleich eine Erinnerung an die Geheimnisse [Gottes], denn sie gehört zur wahren Gemeinde Christi. Deshalb ist unsere Kindertaufe ein Sakrament der Kirche und ein großes Geheimnis Gottes, nicht eine bloße Zeremonie; sind wir doch Christen und nicht mehr solche, die mit bildlichen Vorausdarstellungen und Abschattungen auf Christus hindeuten. Vielmehr bezeugen wir durch das Sakrament unseren gegenwärtigen, wahrhaften Glauben und frischen ihn auf. Das vermag ein Kind noch nicht, wir aber, die wir bei der Handlung zugegen

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sind, können es. Wir wissen, dass wir im Sakrament das Handeln Gottes abbilden, nicht wie es für Gott in Ewigkeit besteht, sondern wie es für uns und an uns geschieht: Die Taufe begräbt mit Christus und erweckt mit ihm auf (Röm 6,4). Dennoch haben wir von Christus her die Freiheit, diejenigen zu taufen, die wir zu solchem Absterben durch Christus erziehen wollen. Nur darauf ist sorgfältig zu achten, dass wir, soweit es an uns liegt und unser Gewissen betrifft, nicht ohne [Respekt vor dem] Geheimnis mit den Sakramenten umgehen. Denn sie sollen Sakramente sein und bleiben und nicht als bloßes Ritual vollzogen werden. Kapitel 21. Vom Vollzug der Taufe Deshalb bitten und ermahnen wir: Der Taufende soll sein Volk daran gewöhnen, die Kinder am Sonntag zur Taufe zu bringen, wenn die Gemeinde anwesend ist. Denn wie gesagt, die Taufe ist ein Sakrament der Kirche oder der Gemeinde – zwei Wörter, die wir für ein und dieselbe Sache verwenden, nämlich die Schar der Gläubigen. Darum soll die Taufe nicht ohne Anwesenheit der Gemeinde vollzogen werden. Ist nämlich die Gemeinde nicht dabei, so ist die Taufe nicht ein Sakrament der Kirche, sondern ein gewöhnliches Kinderbaden. Wenn also eine gläubige Hebamme das Kindlein im Haus nottauft, wie man sie im Papsttum gelehrt hat, es sei dabei, wer da wolle, dann ist das keine Taufe. Denn die ­Hebamme hat dafür keinen Auftrag von der Gemeinde Gottes. Auch mischt sich hier ein falscher Glaube ein, nach welchem das Kind angeblich ewig verloren wäre, wenn es nicht äußerlich getauft würde. Darum taufen anderswo fromme Christen ihre Kinder nicht, wenn sie schwach sind und so gut wie sicher in einem oder zwei Monaten sterben werden. Die Taufe ist hauptsächlich der christlichen Gemeinde wegen notwendig, und sie handelt an dem Kindlein nur auf künftige Hoffnung hin. Damit wir eine einheitliche Praxis bekommen, möchten wir, dass die Taufhandlung nicht außerhalb oder mitten im Gotteshaus, sondern ganz beim Taufstein erfolgt. Das Kind soll eingewickelt bleiben und nur das Köpfchen getauft werden. Entstehen doch viele Krankheiten, wenn ein so zartes Körperchen, das noch rot vom Mutterleib und die Luft nicht gewohnt ist, in das kalte Wasser gestoßen und von der kalten Luft angeweht wird. Niemand soll sich dabei dadurch beirren lassen, dass von alters her gesagt wird, es solle um der Bedeutung willen dreimal ganz im Wasser untergetaucht werden. Denn das sind alles Menschengedanken! Wollte man dreist die Bedeutung im Äußeren sehen, so dürften wir nicht in geschöpftem Wasser taufen und müssten vierzig Maß Wasser haben, welche die Juden „Sata“ oder „Sain“ nennen, nach der Vorschrift ihres Talmud. Ebenso müsste es um der Bedeutung willen gemäß dem Propheten Jesaja lebendiges und fließendes Wasser sein (Jes 58,11). Denn das inwendige

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Wasser ist lebendig und quillt allezeit empor in das ewige Leben. Aber wo bliebe da unsere Freiheit? Wie sehr wären wir so mit äußerlichen Dingen beschäftigt und dadurch an der Betrachtung der ewigen Taten Gottes, die im Glauben geschehen, gehindert! Deshalb, liebe Brüder und Mitdiener am heiligen Evangelium Christi, wollen wir mehr auf unser vornehmstes Amt, die Verkündigung unseres Herrn Christus, achten. Wir wollen uns nicht mit abwegigen Phantasien Unruhe stiftender Menschen beschweren lassen, die es ja gut meinen, aber die Einfältigen der äußeren Handlungen wegen zu Aberglauben verleiten. Darum sind wir darauf bedacht, in unseren Taufangelegenheiten Gleichheit zu wahren und nicht zu sagen, wie etliche es tun: „Ich bin frei, darum will ich taufen, wie es mir gefällt. Was gehen mich andere Leute an?“ Nein! Nicht so, liebe Brüder! Ein Christ ist wohl frei, er nimmt aber auf jedermann Rücksicht. Sein Wunsch ist, niemanden zu beunruhigen noch irgendeinen Anstoß zu geben (1. Kor 8,7; 10,23 f.32 f.). Wir sind frei, aber Diener der Gerechtigkeit und jedermanns Knecht um Christi willen (Röm 6,18; 2. Kor 4,5). Was ist das aber für eine christliche Liebe, wenn ich in äußerlichen Dingen einer ganzen Stadt und einem ganzen Land mich nicht anpassen und ihnen gleichförmig machen kann? Doch hoffen wir, es wird niemand so schnöde sein und sich einen besonderen Ritus herausnehmen. Weil aber die Taufe ein heiliges Sakrament der christlichen Kirche ist, wollen wir, dass sie mit Ernst und Nachdruck vollzogen wird. Es soll eine Schriftstelle über die Taufe verlesen, ausgelegt und dabei die wahre Taufe Christi erläutert werden, die im Heiligen Geist geschieht, durch welche er Erneuerung wirkt und von oben herab Kinder Gottes gebiert in das ewige Leben. Danach soll ein passendes Gebet folgen, verbunden mit der Ermahnung an die Anwesenden, sich ihre eigene Taufe vor Augen zu halten und diese in ihnen selber vollkommener zu machen durch Absterben am Fleisch und Auferstehung nach dem Geist (Röm 8,11 ff.). Danach soll die Taufe mit Ernst und Nachdruck vollzogen werden und nicht so liederlich und lächerlich wie im Papsttum. Denn, wie mehrfach gesagt: Sie ist nicht einfach eine Zeremonie, sondern ein ernstes, hohes Sakrament und Geheimnis Gottes. Kapitel 22. Vom Abendmahl des Herrn Beim Abendmahl des Herrn gilt es, sich zu vergegenwärtigen und ins Gedächtnis zu rufen, was oben von den Sakramenten und von der Taufe im Allgemeinen gesagt wurde. Das Abendmahl des Herrn umfasst alles, was für den Gläubigen wichtig ist. Auch im Brotbrechen des Herrn handelt es sich um ein Sakrament, nicht um eine leere Zeremonie. Es hält den Gläubigen den „Leib“ Jesu Christi, „der für uns gestorben ist“, vor Augen (1. Thess 5,9 f.) und „das Blut“ usw. Dieser Leib und dieses Blut Christi

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speist und tränkt uns innerlich im Heiligen Geist. Wie durch den Mund das vergängliche Brot den verderblichen Leib speist und der Wein ihn tränkt, so blickt der Glaube über sich hinaus vom Zeitlichen auf das Ewige und so auf zwei Vorgänge: das äußerliche Brotbrechen und die inwendige Speisung der Seele. Darum sind der Leib Jesu Christi und sein teures Blut im Abendmahl gegenwärtig. Aber der leibliche Leib steckt nicht im Brot noch im Wein das leibliche Blut, wie der alte Irrtum meinte. Daraus folgt, dass es ein Sakrament der Gemeinschaft und Vereinigung ist (1. Kor 12,27; Eph 5,30). Hält es doch dem Glauben den Leib Christi bildlich vor Augen, dessen Glieder wir alle sind als solche, die von seinem Fleisch und Gebein sind, gemäß dem Wort: „Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn wir alle sind ein Brot und ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind“ (1. Kor 10,16 f.). Von daher ist wohl zu verstehen, was „den Leib des Herrn unterscheiden“ (1. Kor 11,29) bedeutet, nämlich den Leib, durch den wir gespeist werden, und dass wir Gemeinschaft haben. Wer nun sich selber nicht prüft oder untersucht, wer sich für höher einschätzt und mehr von sich selbst als von anderen Leuten hält, der unterscheidet nicht den Leib Christi. Solange er noch derart auf sich selbst besteht, fehlt es ihm an der Gemeinschaft Christi. Das Essen ist für ihn wie ein gewöhnliches Essen ohne Geheimnis und ohne Christus, und so isst er sich selber zum Gericht (1. Kor 11,28 f.). Wenn Christus sonst durch seinen Geist das weltliche Sündenfleisch straft, so straft er es bei diesem noch nicht – weil er nicht bei ihm ist. Was den äußeren Brauch angeht, halten wir es für richtig, dass wir Oblaten benutzen. Wenn jemand keine kleinen Oblaten zulassen will, soll er große nehmen und diese säuberlich in kleine Teile schneiden. Auch soll man anordnen, dass jeder das Brot des Herrn und den Kelch in die Hand nehmen soll, das ist passender, als es sich eingeben zu lassen. Wenn jedoch jemand davor zurückscheut, weil es für ihn ungewohnt ist, dann wollen wir ihm das Brot in den Mund legen und ihm mit dem Kelch selbst zu trinken geben, bis ihm solche Scheu von selbst vergeht. Auch ist es unser Brauch, dreimal im Jahr das Abendmahl zu halten, nämlich an Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Das soll nicht heißen, wir seien an gewisse Zeiten gebunden. Niemandem soll deshalb das Gewissen mit der Forderung beschwert werden, alle Jahre einmal zu Ostern das Sakrament zu nehmen, wie es der Papst bei Todsünde geboten hatte. Doch kann ein jeder leicht sehen, wieviel Glaube und Liebe bei demjenigen wohl vorhanden ist, der sich ohne Hinderungsgrund der frommen, einfältigen Gemeinde nicht anpassen will. Das Abendmahl soll mit Ernst gefeiert werden, zumal es das ganze Gottesverhältnis einschließt. Entsprechend soll dieses Geheimnis durch

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das Verlesen eines Schriftwortes, das dazu passt, erklärt werden, vorab der Einsetzungsworte des Abendmahls des Herrn nach der Beschreibung des Apostels und der Evangelisten (1. Kor 11,23 ff.; Mk 14,22 ff. par). Dem soll ein wohldurchdachtes, andächtiges Gebet folgen und danach die Austeilung von Brot und Kelch. Darauf folgt die Danksagung, wie ein jeder gerade vermag. Es soll auch gesagt werden, wem diese himmlische Speise nicht zusteht, all denen nämlich, die nicht dem Himmelreich zugehörig sind. Paulus zählt sie in 1. Korinther 6 auf und auch an anderen Stellen (1. Kor 6,9 f.; Gal 5,19–21; Eph 5,5). Weil wir weit unten beginnen müssen und dies alles bei uns noch ganz in den Anfängen steckt, sollen und wollen wir mehr auf die inwendige Erbauung sehen, die vor Gott Bestand hat, als auf das Äußere. Darum wollen wir uns mit dem Chorgericht begnügen, sofern es seine Aufgabe ernstlich wahrnimmt, und darüber hinaus nicht so rasch jemanden in den Bann tun. Denn dieses soll den Sündern, die Ärgernis erregen, Einhalt gebieten, die Gemeinde vor bösen Beispielen bewahren und dem Täter durch die Strafe Anlass geben, von seinem bösen Wandel abzulassen. Im Übrigen sollen wir vor allem gegen jedermann die brüderliche Zurechtweisung praktizieren. Schon von Natur aus ist es ja so, dass die Böswilligen sich durch ihr verwerfliches und schändliches Leben selbst von uns absondern, waren sie doch nie recht bei uns gewesen (1. Joh 2,19). Sollten diese je mit Worten und Werken dem Evangelium feind sein und dennoch am Tisch des Herrn teilhaben wollen, so wird jeder ernsthafte und gewissenhafte Diener Gottes zur Ehre seines Herrn alle angemessenen Mittel selber zu erwägen wissen, damit er nicht wegen Nachlässigkeit bestraft wird. Kapitel 23. Vom Gebrauch des Gesetzes und der Propheten Dies ist also wahr, wie wir nun deutlich sehen: Unsere Sakramente sind große Geheimnisse Gottes und nicht leere Zeremonien, und Mose mit seinen Zeremonien und Geboten geht uns nichts an. So soll ein Christ nicht auf den Mose und die Propheten zurückverwiesen werden, um sein Leben nach der Art des Mose und der Propheten zu gestalten und sich an ihnen auszurichten. Vielmehr wird der Christ ermahnt, ständig in der Erkenntnis Jesu Christi zuzunehmen und zu wachsen (2. Petr 3,18). Hier wird eingewendet: Dann brauchen wir also die Bibel nicht mehr und sollen nicht aus den Schriften des Alten Testaments predigen? Diesem Einwand stellen wir Paulus entgegen, der seinen Jünger Timotheus so ermahnt: „Bleibe in dem, was du gelernt hast. Weil du von Kindheit an die Heilige Schrift kennst, so kann dich diese weise machen zur Seligkeit durch den Glauben an Jesus Christus. Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nützlich zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, dass ein Mensch Gottes in seinem Wandel zu allem guten Werk geschickt sei“

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(2. Tim 3,14–17). Soweit der Apostel. Er will, dass Timotheus im Glauben an Christus bleiben und die Schrift gebrauchen soll usw. So können wir fünf Gründe finden, die Schrift zu gebrauchen. Erstens: Die Schrift, also das Gesetz und die Propheten, „macht weise zur Seligkeit“. Das heißt: Sie führt uns zu Christus und lehrt, an ihn als den Heiland zum Heil und ewigen Leben zu glauben. Denn was vermag Mose durch seine Gebote – die uns zeigen, wie wir sein sollen, und uns den Tod androhen, wenn wir nicht so sind – anderes, als ein Verlangen zu wecken nach dem, der den Gottlosen gerecht macht und dem inwen­ digen Menschen verleiht, nicht mehr zu sündigen (Röm 4,5; 7,22)! Welch große Weisheit ist dies doch: aus dem Gesetz und den Geboten, die uns auf Gott hin ausrichten, zu erkennen, dass wir ohne fleischliche Begierde sein sollen! Wer besteht nun aber so durch das Gesetz? Niemand. Darum macht Mose uns weise und klug, das Heil durch den Glauben an Christus zu erlangen. Der bietet im Heiligen Geist erstens das Wort vom Kreuz an, welches die Begierden tötet, und zweites das Wort des Lebens oder die Kraft der Auferstehung, was uns geistlich und himmlisch gesinnt macht (1. Kor 1,18; Phil 2,16; 3,10; 1. Joh 1,1; Röm 8,5). In diesem Sinne ist das Gesetz gut für den, der es recht gebraucht (1. Tim 1,8; Röm 7,12). Dahin weisen auch alle bildlichen Vorausdarstellungen: die Stiftshütte (Ex 33,7), der goldene Leuchter, der Tisch, die Schaubrote, die Bundeslade (Ex 25,10 ff.), das Heiligtum (Ex 26), auch alle Opfer und überhaupt der gesamte Dienst des Mose, durch den offenbar wird, dass ganz und gar nichts Gutes in uns – das ist in unserem Fleisch – ist (Röm 7,18). Lehrt er uns doch in den beiden Geboten, die Gott und den Nächsten betreffen, was uns gegenüber Gott und unserem Nächsten an Gerechtigkeit fehlt (Mk 12,31 ff. par). Er lehrt das Kreuz und die Auferstehung Christi am Bild des ganzen Volkes: In tiefster Erniedrigung wird es erhöht und erlangt in der Not das irdische Heil – wie wir durch wahre Buße das ewige Heil erlangen, wenn wir an Christus glauben. Den gleichen Inhalt haben alle Propheten. Sie sind alle nichts anderes als Erläuterung und Auslegung des Mose und enthalten Geschichten, die Vorschatten der Erlösung in Christus sind (Kol 2,17; Hebr 10,1). Auf diesen sieht letztlich der Heilige Geist in allen Schriften des Mose und der Propheten, und seinethalben haben alle Werke Gottes äußerlich einen Verlauf analog zum inwendigen Gang der Gnade, der durch den Geist Christi vollführt wird. Von daher versteht man, was der Herr meint, wenn er in Johannes 5 sagt: „Wenn ihr Mose glauben würdet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben“ (Joh 5,46). Ebenso: „Erforscht die Schrift, denn ihr meint, ihr habt das Leben darin, und sie ist es, die von mir zeugt. Aber ihr wollt nicht zu mir kommen“ (Joh 5,39 f.). Daraus folgt, dass derjenige die Schrift noch nicht versteht, der in seinem

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Schriftverständnis nicht ein Zeugnis, einen Zugang und einen Hinweis auf Christus findet. Wenn wir aber aufgrund unserer Unwissenheit Christus nicht in dieser Weise in allen Schriftstellen zu erfassen vermögen, soll uns das dennoch nicht beschweren: Der Heilige Geist in uns wird uns immer weiterhelfen. In allen unseren Predigten sollen wir einzig Christus verkündigen. Darum ist es nötig, jedes Mal einen bekannten Schriftabschnitt zu behandeln, der uns das Bild Christi vor Augen stellt, und nachher in anderen Stellen, wo wir Christus noch nicht erkennen, sonst etwas Gutes zu suchen. Denn die Schrift „ist nütze zu allem Guten“ (2. Tim 3,16 f.). Wer etwas Gutes in der Schrift findet, der hat schon einen Teil ihres Sinnes erfasst. Zweitens ist die Schrift „nütze zur Lehre“ (2. Tim 3,16). Diese Lehre ist die Erkenntnis der Früchte, Gaben und Gnade, die aus dem Kreuz fließen. Das Verständnis dieser himmlischen Güter wird uns wohl zuteilwerden, wenn wir mit der beschriebenen Einübung in Christus fortfahren. Dazu gehören die weltlichen Verheißungen, die wir zunächst im Sinne der Frömmigkeit und aus Christus heraus in geistlichem Sinne auslegen sollen und danach erst weltlich, sofern der Geist Christi zuvor das höhere Amt bei uns ausgerichtet hat. Hat er dies nicht, so ist zu befürchten, dass wir unter Umständen Verheißungen neben und außerhalb von Christus erfinden – aus denen nichts wird. Damit käme an den Tag, dass wir nicht Apostel, nicht wahre Propheten sind. Wir würden beim Lügen ertappt und ergriffen, so wie einige die Bauern mit der Behauptung vertröstet haben, sie könnten die Büchsenkugel in den Ärmel stoßen und sie durch ihren Glauben gegen den Haufen ihrer Feinde abfeuern. Aber die Bauern wurden schwer geschlagen, und sie, die falschen Propheten, haben nichts dergleichen eingehalten. Darum sollen wir Diener des Geistes alle Dinge geistlich deuten, wie sie in Christus alle geistlich und wahr sind. Drittens [dient die Schrift] „zur Bestrafung“ der Irrtümer. Zwar sind wir durch den Glauben zu einigem Wissen gekommen. Immer noch aber sind wir voller Finsternis und Unwissenheit. Doch soll man die Schrift stets im Sinne des Glaubens an Christus gegen den Irrtum heranziehen und nicht nur nach dem toten Buchstaben gebrauchen, wie einige zu tun pflegen (Röm 7,6; 2. Kor 3,6). Viertens dient die Schrift „zur Besserung“. Die Geschichten und bildlichen Vorausdarstellungen, auf uns bezogen, enthalten kräftige Ermahnungen. Fünftens [dient die Schrift] „zur Züchtigung in der Gerechtigkeit“, das heißt zum Bestrafen der Laster. Wir sollen von ihnen abstehen und gottgefällig werden. Dabei gilt es klar zu erkennen, was vor Gott unrecht ist, und sicher zu sein, was wir mit Berufung auf die Propheten strafen wollen. Sonst machen

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wir uns selbst zu falschen Propheten (2. Petr 2,1; 1. Joh 4,1), wenn wir sagen: „Das redet Gott und das will er von uns haben“ – und Gott zeigt dann durch sein Handeln, dass ihm das Gegenteil gefällt. Denn daran erkennt man einen falschen Propheten: „Wenn er etwas redet im Namen des Herrn, und es wird nichts daraus und kommt nicht so, das ist das Wort, das der Herr nicht geredet hat“ (Dtn 18,22). Solchen Propheten ist weiter vorn im 13. Kapitel der Tod angedroht (Dtn 13,6). Auch sollen prophetische Strafen in unserem christlichen Herzen mit dem Geist Christi gedämpft und gemildert werden, damit sie bei aller Schärfe stets eine alles durchdringende Liebe mitbringen, durch die die Bitterkeit der Strafe versüßt wird. Auf diese Weise können wir mit der Schrift umgehen, auch wenn wir sie noch nicht in ihrer letzten Tiefe verstehen, das heißt, auch wenn wir Christus noch nicht in ihr finden können. Denn Gottes Geist lehrt alles Gute, alle guten Sitten und anderes mehr. Nur daran, liebe Brüder, sollen wir stets denken: Wir wollen unseren Auftrag, Christus zu predigen, treu ausrichten. Kapitel 24. Von der Kritik am Papsttum in den Predigten Außerdem sollen die Pfarrer die Loci communes Pontificorum, das heißt die grundlegenden Lehren der Papstkirche, genau kennen. Sie sollen sie nach der Verkündigung des Herrn Christus in ihren Predigten und gemäß den hier behandelten Artikeln mit knappen Worten ablehnen, und dies insgesamt und Punkt für Punkt, aber nicht alles in einer einzigen Predigt. Vielmehr sollen sie einmal diese, einmal jene Irrlehre widerlegen, wie es sich gerade ergibt. Doch soll sich jeder Pfarrer einen Plan machen. Denn zwar ist der Papst in der Herrschaft und im Gebiet unserer Gnädigen Herren, in Stadt und Land abgeschafft. Dennoch aber ist es nötig, die gewöhnlichen Leute beharrlich und gründlich zu unterweisen, damit ihr Gewissen nicht von der Gegenseite verwirrt und irregemacht wird (Röm 14,1). Damit wir aber richtig verstanden werden, nehmen wir als Beispiel, ein Pfarrer hätte folgendes Wort behandelt: „Christus ist das Haupt der Gemeinde, er ist seines Leibes Heiland“ (Eph 5,23). Der Pfarrer hätte aufgezeigt, in welcher Weise die Gemeinde Christi ein innerliches und geistliches Volk ist, das der lebendige, wahre Christus selbst im Heiligen Geist regiert und zugleich selig und heilig macht ohne Vermittlung irgendeiner Kreatur. Da könnte gleich angehängt werden: „Es ist also eine Verleugnung Christi zu sagen, der Papst sei ein Statthalter Christi. Denn Christus ist selbst gegenwärtig und ist mit der Kirche oder Gemeinde so verbunden, wie das Haupt mit den Gliedern verbunden ist, denen er selbst Leben, Kraft und Geist eingießt (Mt 28,20; Eph 4,15 f.). Damit ist offenbar: Alles, was vom Papst in der Rolle des Statthalters Christi unternommen wurde mit all den Satzungen und Verboten, das ist vom Teufel und gegen Christus,

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unseren Heiland usw.“ So mag es mit mehr oder weniger Worten und unter Nennung eines besonderen Artikels wie Messe, Beichte usw. gesche­ hen, wie es sich gerade ergibt. Kapitel 25. Vom Ermahnen und Strafen Kapitel 26. Wen man strafen soll Kapitel 27. Dass man die Wahrheit – ohne Anlehnung an eine zeitliche Anhängerschaft – aus der Schrift und nicht aufgrund obrigkeitlichen Befehls zu sagen habe Kapitel 28. Dass kein Pfarrer sich den einfachen Mann zum Anhänger machen soll Kapitel 29. Wann der Sünde mit Schärfe und wann mit Milde zu be­ gegnen sei, ist bei Gott zu lernen Kapitel 30. Ermahnung an die Obrigkeit zu Bern, unsere Gnädigen Herren Kapitel 31. Worin das Volk in erster Linie zu ermahnen und zu strafen sei Kapitel 32. Dass Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zu predigen ist, sowie von zeitlichem und geistlichem Regiment Von Zehnten und Zinsen: davon, wie sie zu geben und zu nehmen sind1 Kapitel 322. Dass wir zum Einhalten der Mandate unserer Gnädigen Herren ermahnen und vorab die in unserer Gemeinde üblichsten Laster strafen sollen Kapitel 33. Von der Erziehung der Jugendlichen, von der Glaubenslehre oder dem Katechismus Kapitel 34. Von den Zehn Geboten

1 Fehlende Kapitelzählung. 2 Falsche Kapitelzählung.

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Kapitel 35. Vom Glaubensbekenntnis, vom Unser Vater und von den Zehn Geboten Kapitel 36. Vom Leben und der Frömmigkeit der Prediger und Pfarrer in der Gemeinde Kapitel 37. Wie die Pfarrer studieren und die Schrift lesen sollen Kapitel 38. Dass man freundschaftlich miteinander die Schrift vergleichen soll Kapitel 39. Wie die Predigt vorzubereiten ist Kapitel 40. Weltliche Bücher, mit Maß zu lesen Wie die Predigt vor sich gehen soll3 Kapitel 41. Dass man alle Predigttage einhalten soll Kapitel 42. Dass man das Einzelgespräch mit den Untertanen suchen soll Kapitel 43. Vom Krankenbesuch Kapitel 44. Von der Lebensführung, wie sie die Pfarrer von sich selbst und ihrer Familie verlangen sollen Uns weiter über diese Dinge auszulassen, haben wir nicht im Sinn. Wo das Kreuz Christi ins Herz kommt, findet sich leicht für alles Übrige Rat. Auf dieses gilt es in erster Linie zu blicken und sich unterdessen von allen groben Lastern entschieden abzuwenden, bis wir in die höheren geistlichen Dinge hineingelangen mögen, die alle Zucht und Tugend mit sich bringen. Darauf zielt dieser ganze Synodus. Gebe Gott, dass wir ihm nachleben. Amen. Damit wir nun bei dieser Einübung ins Christentum bleiben, soll jedes Jahr auf den 1. Mai eine Synode aller Stadt- und Landpfarrer abge­ halten werden, an der man auch den Inhalt dieser Schrift auffrischen soll. Außerdem wollen wir, vorausgesetzt, dass das unseren Gnädigen Herren recht ist, jährlich zwei Pfarrkapitel abhalten und uns dort ebenfalls das vornehmen, was zu unserer und der Gemeinde Erbauung dient, um uns daraufhin mit unseren Gnädigen Herren weiter zu beraten und zu Beschlüssen zu kommen. 3 Fehlende Kapitelzählung.

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Aber zum Schluss bitten wir, der allmächtige Gott möge uns behüten und das, was er uns in diesen sechs Tagen so gnädig mitgeteilt hat, vertie­ fen, damit unser gesamtes Leben von nun an ganz auf seine Ehre und die Besserung der armen Gemeinden ausgerichtet werde. Diese Synode hat angefangen am 9. und aufgehört am 14. Januar dieses Jahres 1532.

8. Waldenserbekenntnis (Erklärung von Chanforan) (1532) Einleitung Die Waldenser traten erstmals auf dem III. Laterankonzil 1179 ins Licht der Geschichte; dort baten Vertreter der Bewegung um Erlaubnis zu freier Predigttätigkeit. Genau an diesem Punkt kam es zum Konflikt mit den örtlichen Bischöfen. Auf dem Konzil von Verona 1184 wurden die Waldenser mit dem Kirchenbann belegt und im IV. Laterankonzil 1215 endgültig als sog. Häretiker exkommuniziert. Obwohl in den Untergrund gedrängt, breiteten sie sich in der Folge in weiten Teilen Europas aus. Um der Verfolgung zu entkommen, zogen sie sich seit Ausgang des 13. Jahrhunderts zunehmend in einige schwer zugängliche Täler der Cottischen Alpen im Grenzraum zwischen Frankreich und dem Herzogtum SavoyenPiemont zurück, wo sie am Vorabend der Reformation den größten Rest der einmal ausgedehnten Reformbewegung bildeten. Kleinere Gruppen lebten außerdem im Luberon in Südfrankreich und in Apulien und Kalabrien in Süditalien. Das Echo der Reformation in Deutschland und der Schweiz erreichte in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts die romanischen Waldenser. Im Jahr 1530 beauftragte das in Mérindol (Luberon) tagende Concilium Generale  – die jährliche Versammlung der Wanderprediger  – Georges Morel und Pierre Masson, die schweizerischen und oberdeutschen Reformatoren zu besuchen, um ihnen verschiedene Fragen über Lehre, Frömmigkeit und Ethik vorzulegen und ihre Meinung dazu einzuholen. Die zwei „Barben“ (okzitanisch für Onkel, im Gegensatz zu den katholischen ­patres) besuchten Guillaume Farel in Neuenburg, Berchtold Haller in Bern, Johannes Oekolampad in Basel sowie Martin Bucer und Wolfgang Capito in Straßburg. Die Gespräche waren freundlich und aufschlussreich. Nur von Oekolampad und Bucer sind uns schriftliche Antworten überliefert. In der Bewegung gab es verschiedene Auffassungen zur Frage nach einem Anschluss an die Reformation. Deshalb wurde entschieden, für den Frühherbst 1532 ein Concilium Generale einzuberufen, an dem neben den alpenländischen, provenzalischen und süditalienischen Barben auch die Laien der Umgebung teilnehmen konnten. Diese Versammlung – irrig in älterer Literatur als „Synode“ bezeichnet – fand vom 12. bis 18. September 1532 in Chanforan im Angrognatal statt. Anwesend war außerdem Farel mit seinem Landsmann Antoine Saunier, Pfarrer in Payerne. Der

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Reformator überzeugte die große Mehrheit der Versammelten mit seinen feurigen Reden und wirkte stark auf die Beschlüsse ein. Das Treffen führte zu einer Reihe von 24 Thesen (propossicione), die sich mit Fragen der religiösen Lebensweise der Waldenser befassten und weitreichende ethische und theologische Neuerungen enthielten. So wurden die Barben auf eine örtliche Gemeinde verpflichtet und durften heiraten. Den Gläubigen wurde es erlaubt, öffentliche Ämter zu bekleiden, den Eid zu schwören und für verliehenes Geld Zins zu verlangen. Aufgehoben wurden hingegen die Ohrenbeichte und das Fasten. Das Niederknien, die Gebetsstunden, die Handauflegung und andere äußerliche Zeremonien seien unnötig, denn die richtige Anbetung Gottes geschieht „im Geist und in der Wahrheit“. Es gibt nur zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl, wobei das letzte als Gedächtnismahl verstanden wird. Was die Prädestination und die Lehre vom freien Willen betrifft, erklärt das Concilium Generale: „Alle, die gerettet wurden und gerettet werden, sind vor Grundlegung der Welt erwählt. […] Wer den freien Willen behauptet, leugnet die Prädestination und die Gnade Gottes völlig.“ Ein weiterer wichtiger Entschluss von Chanforan war, die Bibel neu aus den Ursprachen ins Französische übersetzen zu lassen – eine Aufgabe, die Robert Olivétan, einem Vetter Calvins, übertragen wurde. Die Druckkosten der im Jahr 1535 in Neuenburg erschienenen Bibel übernahmen die Waldenser. Der Widerstand konservativer Kreise, die sich mit diesen Neuerungen nicht abfinden konnten, soll bedeutend gewesen sein. Ein 1533 in Prali abgehaltenes neues Concilium Generale bestätigte jedoch die Entscheidungen von Chanforan. Damit kam ein irreversibler Prozess in Gang, der eine ganze Generation dauerte, bis etwa um 1560 die mittelalterliche Untergrundbewegung sich in eine reformierte Kirche umwandelte. Editionen Valdo Vinay, Le Confessioni di fede dei Valdesi riformati con documenti del dialogo fra „prima“ e „seconda“ Riforma, Turin 1975 Die Erklärung von Chanforan 1532, in RefBS 1/1: 1523–1534, 549–570 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Literatur Andrea Arturi, Da movimento ereticale  a chiesa riformata. Una lettura del valdismo attraverso le sue confessioni di fede, in: Saitabi [Revista de la Facultat de Geografia i Història, Universitat de València] 68 (2018), 87–103 Gabriel Audisio, Preachers by Night. The Waldensian Barbes (15th–16th Centuries), Leiden / Boston 2007 Patrizio Foresta, Da barba a pastori. Il concilium generale di Chanforan (1532), in: Cristianesimo nella Storia 32 (2011), 733–753

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Wilhelm H. Neuser, Das Waldenserbekenntnis von Chanforan 1532 – ein reformiertes Bekenntnis?, in: HTS 48 (1992), 861–869 Giuseppe Platone, Valdesi e Riforma nel passaggio di Chanforan (1532), Turin 2014 Valdo Vinay, Der Anschluss der romanischen Waldenser an die Reformation und seine theologische Bedeutung, in: ThLZ 87 (1962), 89–99 Einleitung: Emidio Campi; Übersetzung: Pascal Murer

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Waldenserbekenntnis (Erklärung von Chanforan) (1532) Die Thesen, die in Angrogna im Jahr des Herrn 1532 verhandelt wurden, und [zwar] am 12. September in Anwesenheit aller Prediger und auch des Volkes. Am ersten Tag wurde diskutiert, ob es dem Christen erlaubt sei, in irgendeiner Weise zu schwören. 1. Der Christ darf beim Namen Gottes schwören, ohne damit gegen die Worte des heiligen Matthäus, Kapitel 5, zu verstoßen (Mt 5,33–37). Die Schlussfolgerung ist so gezogen worden: Wer beim Schwören den Namen Gottes nicht missbraucht, darf schwören (Ex 20,7). Er missbraucht den Namen Gottes nicht, wenn sein Schwur dem größeren Ruhm Gottes und dem Heil des Nächsten dient. Auch kann man vor Gericht bei Gott schwören, weil derjenige, der die [Justiz-]Gewalt ausübt – ob Ungläubiger oder Gläubiger –, seine Macht von Gott hat (Röm 13,1). Und deshalb wollen wir, auf welche Weise auch immer der Schwur abgelegt wird, „im Namen Gottes schwören“ (Dtn 6,13) usw. 2. Kein Werk wird gut genannt, außer dasjenige, das Gott befohlen hat. [3.] Kein Werk wird böse genannt, außer dasjenige, das Gott verboten hat. [4.] Was die äußerlichen Werke betrifft, die nicht von Gott verboten sind, so kann der Mensch sie tun oder nicht tun gemäß der Schlussfolgerung, gegeben [durch das Bibelwort] „ohne Sünde“ (Mt 12,5) usw. Die beiden ersten Thesen [2 und 3] sind den Gläubigen von selbst bekannt: Du sollst nicht dasjenige tun, was in deinen Augen gut zu sein scheint, sondern das, was ich dir zu tun befehle, am Ende des Kapitels (Num 15,39 f.). Du wirst nur das tun, „was ich dir befehle“ (Jer 50,21). Du wirst meinem Wort weder etwas hinzufügen noch etwas davon wegnehmen (Dtn 4,2). „Tue nur alles, was ich dir befehle. Du wirst weder nach rechts noch nach links abweichen“ (Dtn 5,29), sondern nur das tun, was ich dir befehle. Und das wird deine Regel sein, was alle deine äußerlichen Werke betrifft: Du kannst all diese tun, von welcher Art sie auch seien, solange sie dich nicht dazu bringen, gegen das Gebot Gottes zu handeln, das darin besteht, ihn zu lieben (Dtn 6,5; Mt 22,37), noch gegen dasjenige, das verboten ist, das heißt, wir sollen dem Nächsten nicht antun, was wir nicht wollen, dass es uns angetan würde (Mt 7,12).

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5. Die Ohrenbeichte ist nicht von Gott befohlen. Aufgrund der Heiligen Schrift wurde der Schluss gezogen, dass die wahre christliche Beichte darin besteht, dem einen Gott zu beichten, dem Ehre und Ruhm zusteht. Und an ihn allein [richtet sich] die Beichte (Ps 32,5) usw. Die zweite Beichte besteht darin, sich mit seinem Nächsten zu versöhnen, wie wir es haben in St. Matthäus 5 (Mt 5,23 f.) und in St. Jakobus am Schluss (Jak 5,16): „Wir bekennen …“ usw. Die dritte Beichte ist St. Matthäus 18 von dem, der gegen mich sündigt (Mt 18,15–18). Und ich weiß, dass ich zu ihm gehen muss und nicht er zu mir. Und wenn er sich weder durch meinen Einfluss noch durch den von Zeugen bessern will, dann eben durch die ganze Menge [des Volkes]. Wie er öffentlich gesündigt hat, so soll er seine Sünde [auch] öffentlich bekennen. Eine andere Beichte finden wir in der Heiligen Schrift nicht usw. 6. Die Arbeitsruhe am Sonntag ist dem Christen von Gott nicht verboten. Es wurde der folgende Schluss gezogen: Auch wenn der Mensch am Sonntag ohne zu sündigen arbeiten kann, wie es in den Evangelien (Mk ­2,23–28) und auch in Galater 4 (Gal 4,10) und in Kolosser 2 (Kol 2,16) steht, so müssen wir doch aus Nächstenliebe gegenüber unseren Bediensteten und auch um Zeit zu haben für Gottes Wort an diesem Tag als Eiferer für Gottes Ehre und Ruhm ruhen. 7. Das [gesprochene] Wort ist im Gebet nicht nötig. 8. Beim Gebet sind weder Kniefälle noch bestimmte Zeiten noch das Entblößen des Kopfes oder andere äußerliche Dinge notwendig. Es wurde der Schluss gezogen, dass der Gottesdienst nur im Geist und in der Wahrheit abgehalten werden kann, wie wir es haben bei Johannes 4: „Gott ist Geist, und wer mit ihm sprechen will“, muss mit dem Geist sprechen (Joh 4,24). Das [gesprochene] Wort und andere äußerliche Dinge haben nur dann einen Sinn, wenn sie die große Liebe zum Nächsten ausdrücken und bezeugen usw., mit der sich der Mensch auch seinem Gott zuwendet. 9. Die Handauflegung ist nicht notwendig. Zu diesem Schluss sind wir gekommen, obwohl die Apostel sie praktiziert haben (1. Tim 4,14). Die alten Väter widersprechen dem auch nicht, da es sich um eine äußerliche Form handelt und [diese Praxis] somit jedem freigestellt ist.

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10. Es ist dem Christen nicht erlaubt, sich an seinem Feind zu rächen, auf welche Art auch immer. Diese These wird aus sich selbst klar, wie wir es bei St. Matthäus 5 (Mt 5,38–47), bei St. Paulus, Römer 12 (Röm 12,19–21) sowie bei St. Petrus im ersten [Brief ] (1. Petr 3,9) finden usw. 11. Der Christ darf die obrigkeitliche Amtsgewalt über [andere] Christen ausüben, die sich eines Vergehens schuldig gemacht haben. Die These ist klar, wie wir es bei St. Paulus, Römer 13 (Röm 13,1 ff.) und Korinther 6 (1. Kor 6,1 ff.) sowie bei St. Petrus in seinem ersten Brief (1. Petr 2,15–17) finden. 12. Dem Christen ist keine festgelegte Fastenzeit vorgeschrieben. Das ist aus der ganzen Schrift klar, denn man findet darin keine Stelle, wo Gott dies befohlen hätte. 13. Die Ehe ist niemandem verboten, gleich welchem Stand oder Rang er angehört. 14. Wer denen die Ehe verbietet, die sie eingehen wollen, lehrt eine teuflische Lehre. 15. Einem Stand oder Rang Virginität vorzuschreiben, ist eine teuflische Lehre. 16. Wer die Gabe der Enthaltsamkeit nicht hat, ist zur Ehe verpflichtet. Die Schlussfolgerungen sind ganz klar. Was die erste Doktrin [These 13] betrifft, so steht in Genesis, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein ist (Gen 2,18). Die zweite [These 14] ist klar, wie wir es in St. Paulus, 1. Timotheus 4 haben (1. Tim 4,3). Die dritte [These 15] ist auch klar, denn [die Virginität] hat in der Schrift keine Grundlage. Die vierte [These 16] ist sehr wahr, so wie Paulus im 7. Kapitel des ersten Briefes an die Korinther schreibt (1. Kor 7,1 ff.). 17. Nicht jeder Zins ist von Gott verboten. Das ist klar, da Gott nur den Zins verbietet, der den Nächsten belastet, gemäß dem Gesetz: „Tu nicht dem andern, was du nicht willst, dass es dir getan werde“ (Mt 7,12).

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18. Die Worte, die in St. Lukas stehen, „wenn ihr verleiht“ (Lk 6,34) usw. beziehen sich nicht auf den Zins. Die These ist klar, weil Christus sagen und lehren wollte, wie wir uns gegenüber unserem Nächsten verhalten sollen und wie der eine dem anderen aus Nächstenliebe leihen soll, wie wir sie untereinander üben sollen. Das heißt, wir sollen den Armen nicht nur leihen, sondern auch schenken, wenn die Not es erfordert. 19. Alle, die gerettet wurden und noch gerettet werden, sind „erwählt vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4). 20. Diejenigen, die gerettet sind, können nicht ungerettet werden. Die erste These [19] ist klar, wie wir es in St. Paulus an die Epheser, Kapitel 1 (Eph 1,4–6) haben. Ebenso die zweite [These 20 im Brief ] an die Römer, Kapitel 8 und 9 (Röm 8,29 f.; 9,14 ff.) usw. [21.] Wer den freien Willen behauptet, leugnet die Prädestination und die Gnade Gottes völlig. Dies wird mehr als klar [im Brief ] an die Römer, ebenso wie im ganzen Brief an die Galater und auch durchgehend [in demjenigen] an die Epheser. 22. Die Diener des Wortes Gottes brauchen nicht von Ort zu Ort zu ziehen, außer wenn es dem besonderen Nutzen der Kirche dient. 23. Wenn die Diener etwas eigenen Besitz haben, um ihre Familie zu ernähren, so verstößt dies nicht gegen die apostolische Gemeinschaft. Diese beiden Schlussfolgerungen sind klar, wie es in der Apostelgeschichte geschrieben steht (Apg 2,44; 4,32; 6,1 ff.). 24. Was die Sakramente betrifft, so kommen wir aufgrund der Schrift zum Schluss, dass wir nur zwei sakramentale Zeichen haben, die Christus hinterlassen hat. Das eine ist die Taufe, das andere die Eucharistie. Letztere gebrauchen wir dazu, unsere Beharrlichkeit im Glauben zu bezeugen, wie wir es als Kinder [Gottes] bei der Taufe versprochen haben (Mt 10,22; 24,13; Mk 13,13; Gal 3,26 f.). Wir gebrauchen sie auch „zum Gedächtnis“ (Lk 22,19; 1. Kor 11,25) der großen Wohltat Jesu Christi, der uns durch seinen Tod erlöst hat, „indem er uns durch sein heiliges Blut geläutert hat“ (Apk 1,5).

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Deshalb, Brüder, weil es Gott wohlgefiel, uns durch seine allerheiligste Schrift zusammenzuführen, sind wir durch seine Hilfe dazu gekommen, eine Erklärung der vorliegenden Schlussfolgerung[en] vorzulegen. Wir waren uns in allen [Punkten] einig und im selben Geist. Wir haben sie öffentlich erörtert, und sie sind uns nicht von Menschen, sondern vom Heiligen Geist befohlen, so wie sie wirklich sind. Wir beschwören euch aus der Tiefe unserer Liebe, dass wir, auch wenn wir auseinandergehen, nicht uneinig sein [wollen], weder im Lehren der genannten Schlussfolgerungen noch in der Auslegung der Schrift. Und wie ein und derselbe Geist [die Schlussfolgerungen] hervorgebracht hat, so sollen sie auch durch denselben Geist ausgelegt werden.

9. Das Basler Bekenntnis (1534) Einleitung Die Einführung der Reformation in Basel erstreckte sich über mehrere Jahre hinweg. Basel trat 1501 der Eidgenossenschaft bei; gleichzeitig war Basel Universitätsstadt, ein frühes Zentrum des Buchdrucks und damit zusammenhängend in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ein Ort humanistischer Gelehrsamkeit. Aufgrund der geographischen Lage der Stadt und durch den Rhein als wichtigem Verkehrs- und Transportweg bestanden enge wirtschaftliche und geistige Kontakte zum südwestdeutschen Raum und zum Elsass, was wiederum die Stellung der Stadt innerhalb der Eidgenossenschaft mitprägte. So wirkte etwa der spätere Straßburger Reformator Wolfgang Capito seit 1515 als Basler Münsterprediger und gleichzeitig an der theologischen Fakultät als Hebraist. Die entscheidende Gestalt für die Basler Reformation ist allerdings Johannes Oekolampad (1482–1531). Nachdem er bereits 1518 den Doktor der Theologie an der Basler Universität erworben hatte, ließ er sich nach seiner Zuwendung zur Reformation 1522 in Basel nieder und wirkte dort bald als Leutpriester und Hochschullehrer. Von vielfachen Konflikten begleitet, setzten sich die evangelische Predigt und entsprechende Kirchenreformen in der Rheinstadt in den Folgejahren schrittweise durch. Der offizielle Übergang zur Reformation erfolgte 1529 nach einem Aufstand der in Zünften organisierten Bürgerschaft. Die von Oekolampad verfasste Reformationsordnung wurde am 1. April 1529 vom Basler Rat für Stadt und Landschaft beschlossen. Die Krise der Schweizer Reformation nach der Schlacht von Kappel und Huldrych Zwinglis Tod 1531 ging auch an der Basler Kirche nicht spurlos vorbei. Nach dem Tod Oekolampads noch im selben Jahr wurde Oswald Myconius (1488–1552), der frühe Freund und Mitarbeiter Zwinglis, Antistes der Basler Kirche. Auf der Basis einer Vorlage von Oekolampad und mit Unterstützung von Simon Grynäus (1493–1541), der seit 1529 an der Basler Fakultät Griechisch lehrte, verfasste Myconius schließlich das vorliegende Basler Bekenntnis. Es sollte als Zusammenfassung der Hauptpunkte der Basler Kirche der Festigung der Reformation dienen. Am 21. Januar 1534 wurde es vom Rat erlassen und den Bürgern verpflichtend vorgelegt. Im Aufbau orientiert sich das Basler Bekenntnis am Apostolikum, nimmt zugleich die zentralen Themen der Reformation auf und kommt auch auf zeitgenössisch umstrittene Punkte zu sprechen. In der Abendmahlslehre wird gut reformiert klar zwischen geistlicher und leiblicher

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Speise unterschieden und gleichzeitig die Gegenwart Christi und die Anteilhabe der Gemeinde an ihrem Haupt durch den Geist hervorgehoben – entsprechend der Abendmahlslehre Oekolampads. Auch der innerhalb der Eidgenossenschaft seit Jahren diskutierte Brauch eines durch die Kirche – und nicht durch die christliche Obrigkeit – zu vollziehenden Abendmahlsbanns erhält seinen Platz, dies ebenfalls in der Tradition Oekolampads. Die deutliche Abgrenzung gegen die Lehren der „Wiedertäufer“ ist vor dem Hintergrund einer aktuellen Bedrohungserfahrung zu lesen, wie sie auch die Briefkorrespondenz der Zeit dokumentiert. Zeitgleich erfolgte etwa in Münster die politische Etablierung des „Täuferreichs“. Das Basler Bekenntnis von 1534 bildete zugleich eine Vorstufe zum nur zwei Jahre später in Basel verfassten Ersten Helvetischen Bekenntnis, dem sich die Basler Kirche anschloss, ohne das eigene Bekenntnis damit aufzugeben. Edition Das Basler Bekenntnis von 1534, in: RefBS 1/1: 1523–1534, 576–583 (Bearb.: Heiner Faulenbach) Übersetzung Fritz Buri, Basler Bekenntnis heute, Zollikon 1959, 9–14 Literatur Fritz Buri, Basler Bekenntnis heute, Zollikon 1959 Wilhelm H. Neuser, Art. Basler Bekenntnis, in: EKL 1 (1985), Sp. 376 Ernst Staehelin, Das Buch der Basler Reformation. Zu ihrem vierhundertjährigen Jubiläum im Namen der evangelischen Kirchen von Stadt und Landschaft Basel, Basel 1929 Richard Stauffer, Das Basler Bekenntnis von 1534; in: Hans Rudolf Guggisberg / Peter Rotach (Hg.), Ecclesia semper reformanda, Zürich 1980, 28–49 Einleitung: Peter Opitz; Übersetzung: Fritz Buri, überarbeitet von Peter Opitz

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Das Basler Bekenntnis (1534) Bekenntnis unseres heiligen christlichen Glaubens, wie es in der Basler Kirche gilt. „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die alle selig macht, die daran glauben“ (Röm 1,16). „Mit dem Herzen glaubt man auf Gerechtigkeit hin, mit dem Mund aber erfolgt das Bekenntnis auf Heil hin“ (Röm 10,10).

Wir, Adelberg Meyer, Bürgermeister und Rat der Stadt Basel, wünschen allen unseren Bürgern, Hintersassen und Schutzverwandten, Geistlichen und Weltlichen, Edlen und Unedlen, die in unserer Stadt und Landschaft Basel wohnen, Friede, Gnade und Barmherzigkeit von Gott, unserem himmlischen Vater, und reine Erkenntnis Jesu Christi, unserem einzigen Heiland, und tun euch damit kund: Im Jahr 1529 haben wir durch die besondere Gnade des allmächtigen Gottes und unter Anleitung seines heiligen Wortes verschiedenste Missbräuche, Irrtümer und verkehrte Formen des Gottesdienstes, die sich, ohne in der göttlichen Wahrheit begründet zu sein, als Strafe für unsere Sünden in der Kirche Christi eingenistet hatten, entweder ganz abgeschafft oder korrigiert. Seither haben wir dafür gesorgt, dass euch, unseren Untertanen, die gesunde Lehre Christi lauter, rein, klar, treu und eifrig verkündigt und vorgetragen wird. Unser Pflanzen und Bewässern ist, so meinen wir und loben Gott, nicht vergeblich gewesen. Durch die Gnade des allmächtigen Gottes hat unter euch die Gotteserkenntnis stark zugenommen, was uns aufs Höchste erfreut. Als eure christliche Obrigkeit haben wir dafür zu sorgen, dass in der erkannten göttlichen Wahrheit Fortschritte gemacht und die Einsicht vertieft wird. So halten wir es aus echter christlicher Liebe zu unserer eigenen Stärkung und derjenigen aller Gläubigen und zum Trost für alle Schwachen und im Glauben noch nicht Gestärkten für notwendig und gut, dass wir in diesen schweren, widerwärtigen und gefährlichen Zeiten, in denen womöglich auch die Auserwählten von der Wahrheit Gottes abgewendet und verführt werden könnten, mit euch gemeinsam unseren Glauben öffentlich bekennen; so, wie wir ihn aus dem reinen Gotteswort gelernt haben und in unseren Kirchen täglich lehren lassen und festhalten, damit auch Christus, unser Erlöser, den wir durch seine Gnade hier bekennen, sich vor Gott, unserem himmlischen Vater, zu uns bekennt. Auch sollen unsere Widersacher, sofern sie in gottesfürchtiger Haltung urteilen, erkennen, dass wir uns nicht von Gottes Wahrheit und von der Kirche Christi getrennt haben, wie man es uns vorwirft, sondern dass wir der Stimme Christi, unseres Hirten, gehorsam sind, und dass wir uns durch die Ab-

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schaffung der eingerissenen Irrtümer erst recht mit der Kirche Christi vereinigt und von allem, was der gesunden Lehre Christi widerspricht, losgesagt haben. Wir hoffen, dass sie künftig ihre Lästerreden unterlassen und dass ihnen die Gnade geschenkt wird, auf den Sohn Gottes zu hören, wie es uns der Vater geboten hat. Deshalb haben wir im nachfolgenden Bekenntnis den Inhalt unseres heiligen Glaubens zusammengefasst, wie wir ihn öffentlich vor Gott und der Welt bekennen, und um des besseren Verständnisses willen auch erhellende Bibelstellen dazusetzen lassen. Der allmächtige Gott wolle uns alle in seinem heiligen Glauben stärken und in seiner Güte das, was er in uns angefangen hat, vollenden, zur Ehre seines Namens und zum Heil unserer Seelen. Nun folgt im Namen Gottes das Bekenntnis unseres christlichen Glaubens. Von Gott Wir glauben an Gott den Vater, an Gott den Sohn, an Gott den Heiligen Geist, eine heilige göttliche Dreifaltigkeit, drei Personen und einen einzigen, ewigen, allmächtigen Gott nach Wesen und Substanz, und nicht drei Götter. Wir glauben auch, dass Gott alle Dinge erschaffen hat durch sein ewiges Wort, das ist durch seinen eingeborenen Sohn, und alle Dinge erhält und trägt durch seinen Geist, das ist durch seine Kraft, weshalb denn Gott alle Dinge voraussieht und leitet, wie er sie erschaffen hat. Ferner bekennen wir, dass Gott, bevor und ehe er die Welt erschaffen hat, alle die erwählt hat, denen er das Erbe ewiger Seligkeit schenken will (Gen 1,1 ff.; Joh 1,3; 1. Chr 29,11 f.; Apg 2,23; Röm 8,29 f.; 9,11–13; 11,5.7; Eph 1,4–6). Von dem Menschen bekennen wir, dass der Mensch ursprünglich nach dem Bilde der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes von Gott gut geschaffen ist. Aber er ist mutwillig in die Sünde gefallen. Durch diesen Fall ist das ganze Menschengeschlecht verderbt und der Verdammnis unterworfen; auch ist unsere Natur schwach gemacht worden und in eine solche Neigung zu sündigen geraten, dass, wenn sie nicht durch den Geist Gottes wiederhergestellt wird, der Mensch aus sich selbst heraus nichts Gutes hat noch will (Gen 1,17; Eph 4,24; Gen 3,6; 5,3; Röm 5,12.19; 1. Kor 15,21 f.; Eph 2,3; Gen 6,5; 8,21; Joh 3,5 f.; Röm 3,10–12; Ps 143,2.10; Eph 2,1–3.5). Von Gottes Fürsorge über uns Obwohl der Mensch durch solchen Fall der Verdammnis unterworfen und Gottes Feind geworden ist, hat doch Gottes Fürsorge für das Menschen-

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geschlecht nie aufgehört; das bezeugen die Patriarchen, die Verheißung vor und nach der Sintflut, ebenso das von Gott durch Mose gegebene Gesetz und die heiligen Propheten (Röm 5,16; Gen 12,1 ff.; 14,19 f.; 15 ff.; Gen 3,15; 21,15; 26,3 f.24; 28,13–15). Von Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen glauben wir und bekennen fest, dass uns Christus in der dazu verordneten Zeit nach Gottes Verheißung vom Vater gegeben und also das ewige Wort Gottes Fleisch geworden sei, das ist, dass der Sohn Gottes, der menschliche Natur in einer Person vereint, unser Bruder geworden ist, damit wir durch ihn teilhaft würden des Erbes Gottes. Von diesem Jesus Christus glauben wir, dass er empfangen wurde vom Heiligen Geist, geboren wurde von der reinen unbefleckten Jungfrau Maria, gelitten hat unter Pontius Pilatus und gekreuzigt und gestorben ist für unsere Sünden. Mit seiner einmaligen Selbstaufopferung hat er Gott, unserm himmlischen Vater, für unsere und aller Gläubigen Sünden genug getan und uns mit ihm versöhnt. Er hat mit seinem Tod triumphiert und die Welt, den Tod und die Hölle überwunden. Er wurde nach dem Fleisch begraben und stieg hinunter in die Hölle. Am dritten Tag ist er vom Tod auferstanden und, nachdem er dies genügend bewiesen hatte, mit Leib und Seele in den Himmel aufgefahren. Da sitzt er zur Rechten, das heißt in der Herrlichkeit Gottes, seines himmlischen Vaters, von wo er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Auch hat er seinen Jüngern seinen Heiligen Geist gesendet, wie er es verheißen hatte, an den wir wie an den Vater und an den Sohn glauben (Mt 1,20 f.; Lk 2,10; Joh 1,14; Phil  2,6 f.; Mt 6,8 f.; Röm 8,15–17; Hebr 2,10 f.; Mt 1,18.20.23; Lk 2,7; Mt 26,28; Röm 5,6–8; 1. Kor 15,3 f.; 1. Petr 2,2.4; Hebr 9,14 f.26.28; 10,10.12.14; Röm 6,10; 1. Petr 3,18; Joh 16,11.33; Phil  2,9–11; Kol  2,4.15; 1. Kor 15,12 ff.; Apg 1,9–11; Mt 26,34; Eph 1,20–22; Kol 3,1; Hebr 1,13; 10,12; 12,2; Apg 2,7). Von der Kirche Wir glauben an eine heilige christliche Kirche, das ist Gemeinschaft der Heiligen, die Versammlung der Gläubigen im Geist, welche heilig und eine Braut Christi ist, in der alle diejenigen Bürger sind, die wahrhaftig bejahen, dass Jesus der Christus ist, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, und die diesen Glauben durch die Werke der Liebe beweisen. Diese Kirche kennt ein Sakrament, nämlich die Taufe beim Eintritt in sie, und für das Leben in ihr zu seiner Zeit das Abendmahl des Herrn zur Bezeugung des Glaubens und der brüderlichen Liebe, wie es denn schon in der Taufe verheißen ist.

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Diese christliche Kirche bemüht sich, das Band des Friedens und der Liebe durch Einigkeit zu halten, weshalb sie mit den Sekten und Ordensregeln, die sich auf Unterscheidung der Tage, Speisen, Kleider und kirchliches Zeremoniell gründen, keine Gemeinschaft hat (Mt 16,18; Eph 1,22 f.; 5,25–27; Joh 3,29; 2. Kor 11,2; Eph 2,19 f.; Hebr 12,22; Joh 1,29; Gal 5,6; Mt 3,11; 28,19; Apg 2,14 f.; 16,15.33; Kol  2,12; Mt 26,26–29; Mk 14,22–25; Lk 22,19; 1. Kor 11,24–26; Röm 12,9 f.; Joh 15,12.17; 1. Joh 3,11.14.16.23; 4,7 f.20 f.). Vom Abendmahl unseres Herrn bekennen wir, dass der Herr Jesus sein heiliges Abendmahl eingesetzt hat, sein heiliges Leiden mit Danksagung zu betrachten, seinen Tod zu verkünden und auch christliche Liebe und Einigkeit im wahren Glauben zu bezeugen. Und wie in der Taufe, in der uns die Abwaschung von den Sünden – die doch allein Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist bewirken kann – durch den Diener der Kirche angeboten wird, das Wasser wirkliches Wasser bleibt, so bleiben auch im Abendmahl des Herrn, in dem uns mit des Herrn Brot und Trank zusammen mit den Abendmahlsworten der wahre Leib und das wahre Blut Christi durch den Diener der Kirche dargestellt und angeboten werden, das Brot Brot und der Wein Wein. Wir glauben aber fest, dass Christus selbst die Speise der gläubigen Seelen zum ewigen Leben ist, und dass unsere Seelen durch den wahren Glauben an den gekreuzigten Christus mit dem Fleisch und Blut Christi gespeist und getränkt werden, sodass wir als sein Leib und als Glieder eines einzigen Hauptes in ihm leben und er in uns, damit wir am Jüngsten Tag durch ihn und in ihm zur ewigen Freude und Seligkeit auferstehen werden. Darum bekennen wir auch, dass Christus in seinem heiligen Abendmahl allen, die es wahrhaftig glauben, gegenwärtig sei. Wir schließen aber den natürlichen, wirklichen, substanziellen Leib Christi, der von der reinen Jungfrau Maria geboren wurde, für uns gelitten hat und in den Himmel aufgefahren ist, nicht in des Herrn Brot und Trank ein; deshalb beten wir auch Christus nicht in den Zeichen des Brotes und Weins an, die wir gewöhnlich die Sakramente des Leibes und Blutes Christi nennen, sondern wir beten ihn an im Himmel zur Rechten Gottes des Vaters, von wo er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten (Lk 22,19; 1. Kor 10,16 f.; 11,23). Von der Anwendung des Bannes Da sich aber auch Unkraut unter die Kirche Christi mischt, hat Christus seiner Kirche die Gewalt gegeben, solches Unkraut, wenn es sich durch

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untragbare Laster und Sünden gegen die Gebote des Herrn zeigt, in den Bann zu tun, damit die Kirche ihre Gestalt so weit wie möglich unbefleckt erhält. Deshalb brauchen wir in unserer Kirche den Bann. Ziel des Banns durch die christliche Kirche ist aber einzig die Besserung; deshalb nimmt sie die Gebannten, wenn sie ihren Ärgernis erregenden Lebenswandel geändert und sich gebessert haben, mit Freuden wieder auf (Mt 18,15.18; 1. Kor 5,3; 2. Thess 3,6.14; 1. Tim 1,19; 2. Kor 2,6.11; 1. Tim 1,20). Von der Obrigkeit Gott hat der Obrigkeit, seiner Dienerin, das Schwert und die höchste äußere Gewalt zum Schutz des Guten und zur Rache und Bestrafung des Bösen anbefohlen. Deshalb soll jede christliche Obrigkeit, zu der wir auch selbst zu gehören wünschen, ihre ganze Mühe darauf richten, dass bei ihren Untertanen der Name Gottes geheiligt, sein Reich gefördert und seinem Willen durch ernsthafte Bekämpfung der Laster nachgelebt werde (Röm 13,1–4; 1. Petr 2,13–17). Von Glauben und Werken Wir bekennen die Vergebung der Sünden durch den Glauben an Jesus, den Gekreuzigten, und obwohl dieser Glaube sich unablässig in den Werken der Liebe übt, erkennbar wird und sich so beweist, so rechnen wir die Gerechtigkeit und Genugtuung für unsere Sünde nicht den Werken zu, welche lediglich Früchte des Glaubens sind, sondern allein dem wahren Vertrauen und Glauben an das vergossene Blut des Lammes Gottes. Denn wir bekennen frei, dass uns in Christus, der unsere Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung ist, der Weg, die Wahrheit, die Weisheit und das Leben, alle Dinge geschenkt seien. Deshalb geschehen die Werke der Gläubigen nicht zur Genugtuung ihrer Sünden, sondern allein, um durch sie Gott dem Herrn für seine große, uns in Christus bewiesene Wohltat einigermaßen Dankbarkeit zu erweisen (Mt 20,28; Joh 14,6; Mk 10,45.52; Lk 7,48.50; Joh 3,15 f.36; 5,24; 6,28–47; Röm 3,21–28; 4,1 ff.; 10,4–11; Gal 2,16; Röm 3,27 f.; 10,1 ff.; Gal 2,16.21; Eph 2,8–16; 1. Kor 1,30 f.; Röm 8,32; Eph 2,9 f.; Joh 14,6; Mt 24,42 ff.; 25,1 ff.; 2. Tim 4,1 ff.). Vom Jüngsten Tag glauben wir, dass es ein Jüngstes Gericht gibt, an welchem die Auferstehung des Fleisches sein wird; da wird ein jeder von Christus, dem Richter, empfangen gemäß dem, wie er sich hier im Leben verhalten hat, nämlich das ewige Leben, wenn er aus wahrem Glauben mit ungeheuchelter Liebe die Früchte des Glaubens, das sind die Werke der Gerechtigkeit, gewirkt hat, und das ewige Feuer, wenn er ohne Glauben oder mit erdich-

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tetem Glauben ohne Liebe Gutes oder Böses begangen hat (Röm 2,5–10; 2. Kor 5,10; Joh 5,1 ff.). Von Gebotenem und nicht Gebotenem bekennen wir, dass, ebenso wie niemand Dinge gebieten kann, die Christus nicht geboten hat, auch niemand verbieten kann, was er nicht verboten hat. Aus diesem Grund halten wir die Ohrenbeichte, die vierzigtägige Fastenzeit, die Feiertage der Heiligen und was dergleichen von den Menschen erfundene Dinge sind, für nicht geboten, und andererseits die Priesterehe für nicht verboten. Und noch viel weniger kann jemand erlauben, was Gott verboten hat; deshalb verwerfen wir die Anrufung der verstorbenen Heiligen, die Verehrung und Aufrichtung der Bilder und dergleichen. Und wiederum kann niemand verbieten, was Gott erlaubt hat; deshalb halten wir es für erlaubt, Speisen mit Danksagung zu genießen. Gegen den Irrtum der Wiedertäufer wollen wir uns klar ausgesprochen haben, indem wir die fremden Irrlehren, die diese Rottengeister unter weiteren verdammungswürdigen Anschauungen und bösen Meinungen vertreten, nicht bloß nicht annehmen, sondern als Gräuel und Lästerung verwerfen: So, wenn sie sagen, dass man die Kinder – die wir nach dem Brauch der Apostel der ersten Kirche und, weil die Taufe an die Stelle der Beschneidung getreten ist, taufen lassen  – nicht taufen soll; ebenso, dass man in keinem Fall einen Eid schwören dürfe, obgleich es die Ehre Gottes und die Liebe zum Nächsten fordert, und dass die Vertreter der Obrigkeit nicht Christen sein könnten. Dazu gehören auch alle anderen Lehren, die der gesunden, reinen Lehre Christi entgegenstehen. Den Eid soll man zu seiner Zeit leisten, denn Gott hat ihn im Alten Testament geboten, und Christus hat ihn im Neuen Testament nicht verboten. Christus und die Apostel haben selbst Eide geleistet. Eine Obrigkeit ist erst dann in Wahrheit Obrigkeit, wenn sie in rechter Weise christlich ist. Und schließlich unterwerfen wir dieses unser Bekenntnis der göttlichen biblischen Schrift und erklären uns bereit, dass wir, wenn wir aus der Heiligen Schrift besser unterrichtet werden, jederzeit Gott und seinem heiligen Wort mit Danksagung gehorsam sein wollen. Beschlossen in unserem kleinen Rat am Mittwoch, dem einundzwanzigsten Januar im Jahr 1534 nach Christi Geburt, unserem einzigen Heiland. Heinrich Ryhiner, Ratsschreiber der Stadt Basel

10. Erstes Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica prior) (1536) Einleitung Die Confessio Helvetica prior ist das erste gemeinsame Bekenntnis der reformierten deutschsprachigen Schweizer Kirchen. Für dessen Abfassung gibt es mehrere Gründe, die im Zusammenhang mit dem Abendmahlsstreit zu verorten sind: So attackierte Martin Luther wiederholt das schweizerische Sakramentsverständnis. Die neueste Herabsetzung hatte der Wittenberger in seinem Galaterbriefkommentar im Frühjahr 1535 festgehalten. Den Vermittlungsversuchen seitens Straßburg misstrauten die Schweizer immer mehr; dafür verstärkte sich das Bestreben der reformierten Eidgenossen, ihr eigenes Abendmahlsverständnis eindeutig in Form eines Bekenntnisses zu entfalten. Darin wurden sie durch die Aussicht auf eine päpstliche Konzilsausschreibung nach Mantua noch bestärkt. Es ging nun nicht mehr nur um das Abendmahl, sondern auch darum, ein eigenes Glaubensbekenntnis zu verfassen, welches am Generalkonzil vorgelegt werden sollte. Nachdem kleinere Initiativen gescheitert waren, trafen sich Ratsvertreter und Theologen der reformierten Schweizer Orte, namentlich Basel, Bern, Zürich, St. Gallen, Schaffhausen, Biel, Mühlhausen und Konstanz im Rahmen einer Tagsatzung in Basel. An diesem Treffen, das vom 30. Januar bis 4. Februar 1536 stattfand, wurde die Confessio Helvetica prior abgefasst und im März an einer erneuten Tagung von den Ratsvertretern angenommen. Zu den Besonderheiten der Bekenntnisschrift gehört es, dass es sich um eine Gemeinschaftsarbeit handelt, an dem sehr unterschiedliche Köpfe mitgeschrieben haben. Entsprechend flossen verschiedene Prägungen und Absichten in den Text ein. Nicht nur die führenden Schweizer Theologen Heinrich Bullinger und Leo Jud aus Zürich, die Basler Oswald Myconius und Simon Grynäus und der Berner Kaspar Megander arbeiteten mit, sondern auch die später zur Tagung hinzugestoßenen Straßburger Pfarrer Martin Bucer und Wolfgang Capito. Das in der definitiv angenommenen deutschen Fassung 27 Artikel umfassende Bekenntnis bringt folgende Themen zur Sprache: Bedeutung, Auslegung und Zweck der Heiligen Schrift (Artikel 1–5); Gott (Artikel 6); Anthropologie (Artikel 7–9); Soteriologie und Christologie (Artikel ­10–13); Kirche und Ämterlehre (Artikel 14–19); Sakramente (Artikel 20–22); Ausführungen zum Gottesdienst, Umgang mit „Häretikern“ und Adiaphora (Artikel 23–25); Obrigkeit (Artikel 26); Ehe (Artikel 27).

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Inhaltlich ist das Bekenntnis geprägt vom Versuch, den innerschweizerischen Glaubenskonsens abzubilden, dabei aber auch eine mögliche Konkordie mit Luther nicht völlig auszuschließen. Davon zeugt nicht nur die Verschiedenheit der lateinischen Erstversion und der deutschen Übersetzung Juds, der durch Interpretationen und Zusätze vermehrt zwinglische Elemente hineinbrachte, sondern auch der Abendmahlsartikel, der deutlich in zwei Teile, nämlich einen straßburgisch und einen schweizerisch geprägten Teil, zerfällt. Zudem wurden erst nach der Ankunft von Bucer und Capito einige Artikel hinzugefügt (Artikel 8 f.12.15.20) oder stark umgearbeitet (Artikel 21 f.). Obwohl die ersten Reaktionen innerhalb und außerhalb der Eidgenossenschaft mehrheitlich positiv waren, führten die Kompromissformeln nicht zum erwünschten Ergebnis: Zwar äußerte sich Luther vorsichtig anerkennend über das Bekenntnis, trotzdem kam es weder auf dessen noch auf anderer Grundlage zu einer Einigung im Abendmahlsstreit zwischen den Schweizern und den Wittenbergern. Das Bekenntnis blieb bis in die 1560er Jahre in Geltung, wurde aber während dieser Zeit nie gedruckt, abgesehen von einer englischen Übersetzung durch den Schotten George Usher (Wishart). Nicht zuletzt wegen der unterlassenen Drucklegung blieb die Ausstrahlung und Wirkung des Bekenntnisses begrenzt, und später urteilte etwa Bullinger über dieses kritisch. Dennoch handelt es sich dabei um die erste Zusammenfassung schweizerischer Theologie, die angesichts der Herausforderung des Abendmahlsstreits an gewissen Stellen weniger eindeutig im zwinglischen Sinn formuliert wurde, als das früher und später im 16. Jahrhundert geschah. Edition Confessio Helvetica Prior, in: RefBS 1/2: 1535–1549, 33–68 (Bearb.: Ernst Saxer) Literatur Judith Engeler, Bekenntnis oder Bündnis? Die Confessio Helvetica Prior von 1536; in: Bekenntnis im Konflikt. Streitgeschichten im reformierten Protestantismus, hg. v. Thomas K. Kuhn / Hans-Georg Ulrichs, Göttingen 2020, 24–40 Judith Engeler, Das Erste Helvetische Bekenntnis von 1536. Die Schweizer Protestanten zwischen Bekenntnis und Bündnis, Zürich 2023 J. F. Gerhard Goeters, Art. Helvetic Confession, in: The Encyclopedia of Christianity, Bd. 2, Grand Rapids / MI 2001, 523 Walter Köhler, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, Bd. 2: Vom Beginn der Marburger Verhandlungen 1529 bis zum Abschluss der Wittenberger Konkordie von 1536, Gütersloh 1953, 380–431 Einleitung und Übersetzung: Judith Engeler

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Erstes Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica prior) (1536) Ein kurzes und allgemeines Glaubensbekenntnis der Kirchen, die in der Eidgenossenschaft das Evangelium Christi angenommen haben. Allen Gläubigen und Frommen zur Erwägung, zur Begutachtung und zur Be­ urteilung dargestellt. 1. Von der Heiligen Schrift Die heilige, göttliche, biblische Schrift ist das Wort Gottes, vom Heili­gen Geist eingegeben und durch die Propheten und Apostel der Welt verkündet (2. Petr 1,3.21). Sie ist die allerälteste, vollkommenste und höchste Lehre und umfasst allein alles das, was zu wahrer Erkenntnis, Liebe und Ehre Gottes, zu rechter und wahrer Frömmigkeit und zur Einrichtung eines rechtschaffenen, ehrbaren und gottseligen Lebens dient (2. Tim 3,16). 2. Von der Auslegung der Schrift Diese heilige göttliche Schrift soll mit nichts als ihr selbst ausgelegt und erklärt werden (Joh 5,37–39), und zwar durch die Richtschnur des Glaubens und der Liebe (Röm 12,10; 1. Kor 13,2). 3. Von den alten Lehrern Wo nun die heiligen Väter und alten Lehrer, welche die Schrift erklärt und ausgelegt haben, nicht über diese Richtschnur gehauen haben, wollen wir sie nicht allein als Ausleger der Schrift, sondern als auserwählte Werkzeuge, durch die Gott gesprochen und gewirkt hat, anerkennen und dafürhalten. 4. Von menschlichen Lehren Alle sonstigen menschlichen Lehren und Satzungen (Jes 29,13) – sind sie auch noch so schön, hübsch, ansehnlich und schon lange in Gebrauch –, die uns aber von Gott und dem wahren Glauben abbringen (Tit 1,14), halten wir für töricht, schädlich und kraftlos; genauso wie es Matthäus in Kapitel 15,9 selbst bezeugt, wenn er spricht: Sie ehren mich vergebens, wenn sie die Lehren der Menschen lehren (Mt 15,9; 1. Tim 4,1–3). 5. Was der Zweck der Heiligen Schrift ist und worauf sie letztlich verweist Die ganze biblische Schrift zielt allein darauf, dass das menschliche Geschlecht versteht, dass Gott ihm gut gesonnen ist und wohlwill (Gen 3,15–22). Diese Güte hat er durch Christus, seinen Sohn, dem ganzen menschlichen Geschlecht öffentlich dargestellt und erwiesen (Joh 3,16). Diese kommt aber allein durch den Glauben zu uns (Eph 2,8),

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allein durch den Glauben können wir sie empfangen und durch die Liebe, dem Nächsten gegenüber ausgedrückt, wird sie gezeigt und erwiesen. 6. Von Gott Von Gott halten wir so, dass er ein einziger, wahrer, lebendiger und allmäch­tiger Gott ist (Dtn 6,4), einig im Wesen, dreifaltig in Personen (Mt 28,19), der alle Dinge durch sein Wort, das heißt durch seinen Sohn, aus dem Nichts geschaffen hat (Gen 1,1.31) und alle Dinge durch seine Vorsehung gerecht, wahrlich und weise regiert, verwaltet und erhält (Apg 17,24 f.). 7. Von dem Menschen Der Mensch, das vollkommenste Bildnis Gottes auf Erden und unter allen sichtbaren Kreaturen das edelste und vornehmste, ist zusammengesetzt aus Leib und Seele; der Leib ist sterblich, die Seele unsterblich. Dieser Mensch, der von Gott recht und wohl geschaffen wurde, ist durch seine eigene Schuld in die Sünde gefallen (Gen 3,1–13) und hat das ganze menschliche Geschlecht mit sich ins Verderben gezogen und dem Elend unterworfen (Röm 5,12). 8. Von der Ursünde Diese Urseuche und ursprüngliche Sünde hat das ganze menschliche Geschlecht derart verdorben und vergiftet, dass dem Menschen, der ein Kind des Zorns und ein Feind Gottes geworden ist, niemand außer Gott durch Christus helfen und retten konnte (Ps 51,7; Eph 2,1–7). Was ihm Gutes geblieben ist, das wird tagtäglich durch Mangel und Sündenkrankheit geschwächt, sodass es sich verschlimmert. Denn die Kraft der Sünde und der Ursünde in uns überwiegt (Röm 8,5–7), sodass weder die Vernunft das, was sie erkennt, befolgen kann, noch der Verstand das göttliche Fünklein zu pflanzen und hervorzubringen vermag. 9. Von der freien Wahl, so nennt man den freien Willen Insofern gestehen wir dem Menschen einen freien Willen so zu, als dass wir in uns selbst wahrnehmen, dass wir mit Wissen und Willen Gutes und Böses tun. Das Böse können wir von uns aus tun, das Gute aber können wir weder annehmen noch ausführen, außer wir sind durch die Gnade Christi erleuchtet, erweckt und angetrieben. Denn Gott ist der, der in uns das Wollen und Vollbringen gemäß seinem guten Willen wirkt (Phil 2,13). Aus Gott ist unser Heil (Hos 13,4), aus uns aber ist nichts anderes als Sünde und Verderben.

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10. Wie Gott den Menschen durch seinen ewigen Ratschlag gerettet hat Obwohl der Mensch durch eigene Schuld und Übertretung der ewigen Verdammnis und dem gerechten Zorn Gottes anheimgefallen ist, so hat doch Gott, der gnädige Vater, nie aufgehört, Sorge für ihn zu tragen (Eph 1,4–10). Das können wir klar bemerken und verstehen aus den ersten Verheißungen, aus dem Gesetz – durch welches die Sünde aufgedeckt, nicht ausgelöscht wird (Röm 7,7–11) – und aus dem Herrn Christus, der dafür bestimmt und gegeben worden ist. 11. Von dem Herrn Christus und was wir durch ihn haben Dieser Herr Christus, ein wahrer Sohn Gottes (Lk 1,35; Joh 16,28), wahrer Gott und wahrer Mensch, hat in der Zeit, die Gott von Ewigkeit her dazu bestimmt hat (Gal 4,4 f.), wahre menschliche Natur mit Leib und Seele angenommen. Er hat zwei unterschiedliche, unvermischte Naturen in einer einzigen, unzertrennten Person angenommen. Diese Annahme menschlicher Natur ist darum geschehen, damit er uns, die wir tot waren, wieder lebendig und zu Miterben Gottes machte. Deshalb ist er unser Bruder geworden (Hebr 2,11–17). Dieser Herr Jesus, der Sohn des wahren lebendigen Gottes, hat das Fleisch, das durch die Einigung mit der Gottheit heilig ist, unserem Fleisch in allen Dingen gleich, ausgenommen die Sünde (Hebr 4,15), weil es ein unbeflecktes reines Opfer sein sollte, aus der unbefleckten Jungfrau Maria durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes angenommen (Lk 2,5–7). Er hat es für uns in den Tod gegeben zur Bezahlung, Begnadigung und Abwaschung aller Sünden (1. Joh 2,2). Und damit wir eine vollkommene Hoffnung und Vertrauen auf unser unsterbliches Leben haben (1. Kor 15,19 f.), hat er sein Fleisch, das er vom Tod zum Leben wieder auferweckt hat, zur Rechten seines allmächtigen Vaters gesetzt (Apg 1,9). Dieser Herr Christus, der den Tod, die Sünde und alle höllische Gewalt überwunden und besiegt hat, geht uns voran, ist Führer und Haupt (Eph 1,22); er ist der rechte Hohepriester, der da sitzt zur Rechten Gottes und unsere Sache allezeit beschützt und lenkt, bis dass er uns zu dem Bild, zu dem wir geschaffen sind, erneuert und wiederherstellt und in die Gemeinschaft seines göttlichen Lebens einführt (Röm 8,34; Eph 4,23 f.). Auf diesen Herrn Jesus Christus warten wir, dass er kommen wird am Ende der Welt als ein wahrer gerechter Richter, der das Urteil über alles Fleisch – von ihm zum Urteil auferweckt – fällen wird (Dan 7,13.22). Die Frommen und Gläubigen wird er in den Himmel führen, die Ungläubigen wird er mit Leib und Seele in die ewige Verdammnis stoßen und ver­dammen (Joh 5,28 f.). Dieser Herr Jesus ist allein unser Mittler, Fürsprecher, Opfer, Hohepriester (1. Tim 2,5; Hebr 7,23–27; ­10,11–14),

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Herr und König, deshalb anerkennen wir ihn allein und glauben von ganzem Herzen, dass er allein unsere Versöhnung (Röm 3,22–24), unsere Erlösung, Heiligung, Bezahlung, Weisheit, Schutz und Rettung ist (1. Kor 1,30). Hier verwerfen wir alles, was sich als Mittler, Opfer und Versöhnung unseres Lebens und Heils darstellt und anerkennen keines außer den Herrn Christus. 12. Was der Zweck evangelischer Lehre ist Darum soll in jeder evangelischen Lehre das höchste und hervorragendste Hauptstück sein, das in allen Predigten stark gefördert und in die Herzen der Menschen eingeprägt werden soll, nämlich, dass wir allein durch die einzige Barmherzigkeit Gottes und durch das Verdienst Christi erhalten und selig werden (1. Tim 1,15). Damit die Menschen aber verstehen, wie notwendig Christus ihnen zum Heil und zur Seligkeit ist, soll man ihnen die Größe und Schwere ihrer Sünden durch das Gesetz und den Tod Christi aufs Hellste und Klarste zeigen, einprägen und vor Augen führen (Röm 3,20). 13. Wie uns die Gnade Christi und sein Verdienst mitgeteilt wird und welche Früchte daraus folgen Solche hohen und großen Wohltaten göttlicher Gnade und die wahre Heiligung des Geistes Gottes empfangen wir nicht aus unseren Verdiensten und Kräften, sondern durch den Glauben, der eine alleinige Gabe und Geschenk Gottes ist (Eph 2,8 f.). Dieser Glaube ist ein gewisses, fes­tes und beständiges, ja unangezweifeltes Fundament und Inbegriff aller Dinge, die man sich von Gott erhofft (Hebr 11,1), der aus ihm die Liebe und demnach allerlei Tugenden und Früchte guter Werke wachsen lässt (Gal 5,22 f.). Und obwohl die Frommen und Gläubigen sich in solchen Früchten des Glaubens ohne Unterlass üben, so schreiben wir trotzdem die Gerechtmachung und das erlangte Heil nicht solchen Werken, sondern der alleinigen Gnade Gottes zu (Röm 3,28). Dieser Glaube, der nicht auf seine Werke – obwohl er unzählige gute Werke bewirkt –, sondern auf die Barmherzigkeit Gottes hofft, ist der rechte und wahre Dienst, mit dem man Gott gefällt (Mi 6,8). 14. Von der Kirche Wir meinen, dass eine heilige allgemeine Kirche aus den lebendigen Steinen – auf den lebendigen Felsen gebaut (1. Petr 2,4 f.; Mt 16,18) – zusammengesammelt und aufgebaut wird. Sie ist die Gemeinde und Sammlung aller Heiligen, welche Braut und Gemahl Christi ist, welche er durch sein Blut reinigt und zuletzt dem Vater ohne Flecken, ganz unbefleckt und makellos, hinstellt (Eph 5,26 f.).

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Und obwohl diese Kirche und Sammlung Christi allein Gottes Augen offenbar und bekannt ist, wird sie doch nicht nur durch äußere Zeichen (Apg 10,48; 8,38; 9,18), Gebräuche und Ordnungen, die von Christus selbst eingesetzt und geordnet worden sind (Mk 16,15; Mt 28,19 f.), durch das Wort Gottes und durch eine allgemeine öffentliche und ordentliche Zucht wahrgenommen und erkannt, sondern auch in diesem Sinn gesammelt und gebaut, dass ohne diese Dinge niemand (richtig gesprochen und außer besonderer Freiheit durch Gott offenbart) zu dieser Kirche gezählt wird. 15. Von den Dienern am Wort Gottes und dem Dienst der Kirchen Darum bekennen wir auch, dass die Diener der Kirche Mitarbeiter Gottes sind, wie sie der heilige Paulus nennt (1. Kor 3,9), durch die er seinen Gläubigen Erkenntnis seiner selbst und Vergebung der Sünden zugesteht und unterbreitet (Joh 20,23), die Menschen zu ihm bekehrt, aufrichtet, tröstet (Lk 1,76–79; 1. Kor 14,3), ja auch erschreckt und verurteilt, doch unter dieser Bedingung und mit diesem Verständnis, dass wir in alledem alle Wirkung und Kraft dem Herrgott allein, dem Diener aber das Dienen zuschreiben. Denn es ist gewiss, dass diese Kraft und Wirkung niemals an eine Kreatur gebunden werden soll oder kann, sondern Gott teilt diese denjenigen aus, denen er will, nach seinem freien Willen. 16. Von der Vollmacht der Kirche Die Vollmacht, Gottes Wort zu predigen und die Schäflein des Herrn zu weiden  – welches eigentlich die Schlüsselgewalt ist (Mt 16,19; Joh 20,23) –, schreibt allen Menschen die Art und Weise zu leben vor, sind sie hohen oder niedrigen Stands. Diese Macht und dieses Ansehen soll als Amt und Angelegenheit hochgeschätzt, hochgeachtet und nicht verletzt werden. Niemand soll als Diener empfohlen werden, außer er sei durch die göttliche Stimme und Wahl (Jer 1,5) und durch diejenigen, die von der Kirche durch wohlbetrachteten Ratschlag und Ausschuss dazu bestimmt und erwählt worden sind (1. Thess 4,1 f.; Apg 13,2 f.), als tauglich und fähig dazu befunden und erkannt worden. 17. Von der Erwählung der Diener der Kirchen Denn ein solches Amt und Dienst soll niemandem übergeben oder anvertraut werden, außer er ist zuvor in der Heiligen Schrift und der Erkenntnis des Willens Gottes gut unterrichtet, in Rechtschaffenheit und Unschuld des Lebens tadellos befunden und in Fleiß und Ernst, die Ehre und den Namen Christi zu fördern, als eifrig und inbrünstig erkannt worden (1. Tim 3,1–7; Lk 12,41–48; Apg 1,21–26; Tit 1,7–9); dies durch die Diener und Vorsteher der Kirche und durch diejenigen, die aus der

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christlichen Obrigkeit der Kirche wegen zu solchem Amt gewählt worden sind. Und weil das eine rechte und wahre Wahl Gottes ist, soll sie durch das Urteil der Kirche und Handauflegung der Ältesten als zuträglich und recht anerkannt und angenommen werden. 18. Wer der Hirt und das Haupt der Kirche ist Christus selbst ist allein das wahre und rechte Haupt und der Hirt seiner Kirche (Joh 10,11–15; Eph 1,22; 5,23). Er gibt seiner Kirche Hirten und Lehrer (Eph 4,11), die in seinem Auftrag das Wort und die Schlüsselgewalt gut und rechtmäßig, wie oben festgehalten, führen (Joh 21,15–17). Deshalb nehmen wir weder an noch anerkennen diejenigen, die allein dem Namen nach Bischof sind und das Haupt in Rom. 19. Was das Amt der Diener der Kirchen ist Das Allerhöchste und Vorzüglichste in diesem Amt ist, dass die Diener der Kirche Reue und das Leid der Sünden, Änderung des Lebens und Verzeihung der Sünden predigen (Lk 24,47), dies alles durch Christus. Die Diener der Kirche sollen stets für das Volk beten und sich dem Lesen und der heiligen Betrachtung der Heiligen Schrift und des Wortes Gottes ernsthaft und fleißig widmen (Jer 11,6; Apg 6,2–4; 1. Tim 4,6–16). Mit dem Wort Gottes, wie mit einem Schwert des Geistes (Eph 6,18), sollen sie überall den Teufel mit tödlichem Hass verfolgen, seine Kraft besiegen und schwächen, dass sie die gesunden Bürger Christi beschützen, die Bösen aber warnen, kleinhalten und fortjagen (2. Tim 4,2–5; Ez 34,1–7). Und wenn diese in ihrem Übermut und frechen Lastern die Kirche Christi immer weiter beschädigen und zerstören wollen, sollen sie durch diejenigen, also von den Dienern am Wort und der christlichen Obrigkeit, ausgeschlossen oder in einer anderen passenden und schicklichen Weise gestraft und gebessert werden, bis sie ihren Irrweg bekennen, sich ändern und gesundwerden. Dann aber soll der Bürger Christi, der sündhaft und krank gewesen ist und ausgeschlossen wurde, wieder in die Kirche aufgenommen werden, wenn er sich bekehrt, mit großem Ernst seine Sünden und seinen Irrtum bekennt und eingesteht – denn dazu soll die Strafe dienen –, freiwillig Arznei für seine Krankheit sucht, sich in eine geistliche Bußübung und Unterweisung begibt und mit neuem Fleiß und Ernst zur Frömmigkeit alle Frommen erfreut (1. Kor 5,2–5; 2. Thess 3,6–15). 20. Vom Vermögen, Kraft und Wirkung der Sakramente Es gibt zwei Zeichen, die man Sakramente nennt, nämlich die Taufe und das Nachtmahl des Herrn. Diese Sakramente sind darstellende heilige Zeichen hochgeachteter und geheimer Dinge, die aber nicht bloße und leere

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Zeichen sind, sondern sie bestehen aus Zeichen und wesentlichen Dingen. Denn in der Taufe ist das Wasser das Zeichen, aber das Wesentliche und Geistliche ist die Wiedergeburt und die Aufnahme in das Volk Gottes. Im Nachtmahl oder der Danksagung sind Brot und Wein die Zeichen, aber das Wesentliche und Geistliche ist die Gemeinschaft des Leibes Christi, das Heil, welches am Kreuz gewonnen wurde, und die Vergebung der Sünden. Diese wesentlichen, unsichtbaren und geistlichen Dinge werden – wie die Zeichen leiblich – im Glauben empfangen, und in diesen wesentlichen geistlichen Dingen bestehen die ganze Kraft, Wirkung und Früchte der Sakramente. Deshalb bekennen wir, dass die Sakramente nicht nur äußere Zeichen der christlichen Gemeinschaft sind, sondern wir bekennen sie als Zeichen göttlicher Gnade, durch welche die Kirchendiener dem Herrn zu diesem Vorhaben und Endzweck mitwirken, den er uns selbst verheißt, anbietet und kräftig bewirkt. Dies passiert allerdings in dieser Gestalt, wie oben von den Dienern am Wort gesagt worden ist, nämlich, dass alle heiligende und seligmachende Kraft dem Herrn Gott allein zugeschrieben wird. 21. Von der Taufe Gemäß der Einsetzung des Herrn ist die Taufe ein Bad der Wiedergeburt (Tit 3,5; Apg 10,47), welches der Herr seinen Auserwählten mit einem sichtbaren Zeichen durch den Dienst der Kirche – wie oben gesagt und erläutert worden ist – anbietet und darstellt. In dieser heiligen Abwaschung taufen wir unsere Kinder darum (Lk 18,15–17), weil es unrecht wäre, dass wir diejenigen, die aus uns, aus dem Volk Gottes, geboren worden sind (Gen 17,1–7; 1. Kor 7,17–19), der Gemeinschaft des Volkes Gottes berauben. Sie sind doch mit göttlicher Stimme dazu bestimmt und – von ihnen soll man es vermuten – von Gott erwählt. 22. Vom Nachtmahl des Herrn oder von der Danksagung Wir halten vom heiligen Nachtmahl, dass der Herr im heiligen Abendmahl seinen Leib und Blut (Mt 26,26–29), das ist sich selbst, den Seinen wahrlich anbietet und zu solcher Frucht zu genießen gibt, dass er mehr und mehr in ihnen und sie in ihm leben (Joh 6,56; 14,20; 1. Kor 10,16). Nicht, dass der Leib und das Blut des Herrn mit Brot und Wein natürlich vereinigt oder räumlich darin verschlossen werden, oder dass eine leibliche fleischliche Gegenwärtigkeit festgesetzt wird, sondern dass Brot und Wein gemäß der Einsetzung des Herrn wichtige darstellende, heilige Wahrzeichen sind, durch die vom Herrn selbst – durch den Dienst der Kirche – die wahre Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi den Gläubigen dargeboten und angeboten wird; nicht zu einer vergänglichen Bauchspeise, sondern zu einer Speise und Nahrung des geistlichen und ewigen Lebens.

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Solche hohe und heilige Speise brauchen wir oftmals, damit wir, dadurch ermahnt, den Tod und das Blut des gekreuzigten Christus mit den Augen des Glaubens sehen und unser Heil mit einem Vorgeschmack des himmlischen Wesens und mit der richtigen Erkenntnis des ewigen Lebens betrachten. Durch diese geistliche, lebendigmachende und innerliche Speise werden wir mit unaussprechlicher Süßigkeit erfrischt und erquickt und mit großer Freude erfüllt, dass wir im Tod Christi unser Leben finden. Darum springen wir ganz und gar mit Freude in unseren Herzen auf und verbreiten uns selbst immer mehr mit allen Kräften in Danksagung um diese kostbare und hohe Guttat, die er uns bewiesen hat. Deshalb bezichtigt man uns sehr zu Unrecht, dass wir den hohen Wahrzeichen wenig zuschreiben, denn diese heiligen Zeichen und Sakramente sind heilige und ehrwürdige Dinge. Als solche, die von Christus, dem Hohepriester, eingesetzt und gebraucht worden sind, bieten sie – in diesem Maß, wie oben davon gesprochen worden ist – die geistlichen Dinge, die sie bedeuten, dar und bieten sie an. Sie geben von den geschehenen Dingen Zeugnis, sie geben uns ein Bild und eine Erinnerung so hoher, heiliger Dinge und tragen mit einer besonderen Ähnlichkeit der Dinge, die sie bedeuten, ein großes und herrliches Licht in die heilige göttliche Handlung. Zudem leisten sie dem Glauben etwas Beihilfe und Vorschub, sind so viel wie eine Eidespflicht, mit denen sich die Gläubigen ihrem Haupt und der Kirche verpflichten und verbinden. So hoch und teuer wir die heiligen und wichtigen darstellenden Wahrzeichen halten, schreiben wir jedoch die lebendig- und heiligmachende Kraft immer allein dem zu, der allein das Leben ist. Ihm sei Lob in Ewigkeit. Amen. 23. Von der heiligen Versammlung und Zusammenkunft der Gläubigen Wir sagen, dass die heiligen Versammlungen und das Zusammenkommen der Gläubigen so begangen werden sollen, dass man vor allen Dingen dem Volk das Wort Gottes an einem öffentlichen und dafür bestimmten Ort täglich verkündet, dass die verborgenen Bedeutungen der Schrift durch gelehrte Diener täglich ausgelegt und erklärt werden, dass man das Nachtmahl des Herrn und heilige Danksagung hält, damit der Glaube der Gläubigen immer mehr geübt wird, dass man mit ernsthaftem Gebet für alle Anliegen aller Menschen ernsthaft bittet (1. Tim 2,1; 1. Kor 14,23–26; 1. Joh 5,14). Andere Zeremonien, deren es viele und unzählige gibt, wie Kelch, Messgewand, Chorröcke, Kutten, Tonsuren, Fahnen, Kerzen und Altar, Gold und Silber – sofern sie dazu dienen, die wahre Religion und den rechten Gottesdienst zu schädigen und zu vernichten – und insbesondere die Götzen und Bilder (Ex 20,4; Jes 40,18), die zur Verehrung und zum Ärgernis gebraucht werden, und was es sonst noch an ungöttlichen Dingen gibt, wollen wir aus unserer heiligen Gemeinde weit hinweggetrieben haben.

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24. Von denen, die durch falsche Lehren die Kirchen Christi trennen oder sich von ihnen absondern und zusammenrotten Alle diejenigen, die sich vom heiligen Gemeinwesen und Gemeinschaft der Kirche abtrennen und absondern, fremde, ungöttliche Lehren in der Kirche einführen oder solcher Lehre anhängen, welche Krankheit zu unseren Zeiten die Wiedertäufer am meisten haben, wenn sie der Warnung der Kirche und christlicher Unterweisung kein Gehör schenken und nicht gehorsam sind, sondern widerspenstig auf ihren Trotz und Irrtum, womit die Kirche beschädigt und verführt wird, bestehen und verharren wollen, sollen dieselben durch die Obrigkeit gestraft und gehindert werden, damit sie die Herde Gottes mit ihrer falschen Lehre nicht vergiften oder beflecken. 25. Von den Dingen, die weder geboten noch verboten, sondern „mittel“ und frei sind Die Dinge, die man „mittel“ nennt, wie sie denn sind und eigentlich genannt werden sollen, diese mag ein frommer gläubiger Christ zu allen Zeiten, an allen Orten frei brauchen. Doch er soll das tun nach dem rechten Gewissen und mit Liebe, denn der Gläubige soll alle Dinge so brauchen, dass die Ehre Gottes gefördert und die Kirche und die Nächsten gebessert, nicht verschlimmert werden (Röm 14,2–6; 1. Kor 8,9–12). 26. Von der weltlichen Obrigkeit Da alle Macht und Obrigkeit von Gott ist (Röm 13,1), ist ihr höchstes und vornehmstes Amt – wo sie kein Tyrann sein will –, dass sie die wahre Ehre Gottes und den rechten Gottesdienst – mit Strafe und Ausrottung aller Gotteslästerung – beschützt und fördert und möglichen Fleiß verankert, dass sie dasjenige, das der Kirchendiener und Verkündiger des Evangeliums aus dem Wort Gottes lehrt und darstellt, fördert und vollstreckt (Jes 49,8–10). Damit aber solche Religion, wahrer Gottesdienst und Sittsamkeit sich entwickelt und wächst, wird die Obrigkeit zuallererst allen Fleiß dahin wenden, dass das klare Wort Gottes der Gemeinde treulich dargestellt und niemand daran gehindert wird, dass die Schulen gut geordnet, die allgemeine Jugend und die ganze Bürgerschaft wohl gelehrt, fleißig unterrichtet und aufgezogen werden, dass man fleißig Sorge trägt für die Kirchendiener und die Armen der Kirche, dass dieselben gemäß Rechtmäßigkeit und mit dem Nötigen versorgt werden (1. Kor 9,4; 1. Tim 5,17 f.). Denn dazu sollen die Güter der Kirche dienen. Weiter soll die Obrigkeit das Volk mit gerechten göttlichen Satzungen regieren, Gericht und Recht halten und handhaben (Ex 18,13–27), den allgemeinen Frieden und Wohlstand erhalten, den allgemeinen Nutzen schützen und beschirmen und die Übeltäter nach Umständen ihrer Missetat an Gut, Leib und Leben, wie es gerecht ist, strafen (Röm 13,3–5).

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Wenn die Obrigkeit so handelt, dient sie Gott, ihrem Herrn, wie sie unter Verpflichtung steht und schuldig ist. Solcher Obrigkeit sollen wir alle, auch wenn wir in Christus frei sind, mit Leib, Habe und allem unserem Gut gehorsam ergeben sein (Mt 17,24–27) und uns mit Liebe von Herzen und aus Glauben ihr untertänig erweisen, Treue tun und Eid leisten; solange ihre Anordnungen und Gebote nicht offensichtlich wider den sind, um dessentwillen wir ihr Ehre antun und gehorsam sind (Apg 5,29). 27. Von der heiligen Ehe Wir sagen, dass der Ehestand allen Menschen von Gott festgesetzt und verordnet ist, die – dazu fähig und imstande – von Gott sonst nicht dazu berufen worden sind, außerhalb der Ehe keusch zu leben. Es gibt weder Orden noch Stand, so heilig und ehrbar, dem der Ehestand zuwider ist und verboten werden soll. Und wie nun solche Ehe von der Kirche mit einer ehrenvollen öffentlichen Ermahnung und Gebet bestätigt wird, so soll auch die Obrigkeit achtgeben und dran sein, dass die Ehe billig und sittsam eingegangen und recht und anständig gehalten wird; auch nicht leichthin ohne wichtige und rechtmäßige Ursachen getrennt und geschieden wird. Darum können wir die Klöster und alle andere vorgeblich geistliche, unsaubere und unsittsame Keuschheit und diese faule und unnütze Lebensweise, die viele Leute aus unbegründetem Eifer festgesetzt und eingerichtet haben, nicht loben, sondern verwerfen es als ein unbesonnenes und schreckliches Ding, von Menschen wider Gottes Ordnung erdichtet und erfunden.

11. Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis (1537/1538) Einleitung Am 21. Mai 1536 hatten sich die Genfer Bürger auf Betreiben der Reformatoren Wilhelm Farel und Pierre Viret zum evangelischen Glauben bekannt. Wenige Wochen später gelangte Johannes Calvin nach Genf und wurde dazu gedrängt, die Neuordnung der Genfer Kirche zu unterstützen. Dem Rat wurden maßgeblich von Calvin entworfene Artikel zur Ordnung der Kirche (Articles concernant l’organisation de l’Église et du culte à Genève) vorgelegt und diese am 16. Januar 1537 angenommen. Im dritten Artikel wird die Bedeutung der religiösen Erziehung für die Kinder hervorgehoben und vorgeschlagen, dass ein leichtverständlicher Text die Kinder in den Grundlagen des Glaubens schulen sollte; regelmäßig sollen die Kinder „vor die Pfarrer kommen, um befragt und geprüft zu werden und weitere Erklärungen zu erhalten […]“ (CO 10/1,13). Dieses Unterrichtsbuch liegt als Genfer Katechismus in zwei Fassungen vor: einer französischen, gedruckt in Genf Ende Januar 1537 und erst 1877 wiederentdeckt (Instruction et confession de foy dont on use en l’Église de Genève), und einer lateinischen, gedruckt in Basel im März 1538, versehen mit einem Geleitbrief an die Leser (Catechismus seu christianae religionis institutio ecclesiae Genevensis). Beide Fassungen differieren nur in wenigen Details. Der Katechismus wurde zusammen mit der von Farel möglicherweise schon im November 1536 verfassten und in 21 Abschnitte gegliederten Confession de la foy gedruckt, auf welche die Bürger Genfs einen Eid ablegen sollten. Dieser Vorgang stieß auf Widerstand und führte schließlich 1538 zur Ausweisung Calvins aus Genf. Der in 33 Abschnitte gegliederte Katechismus bringt folgende Themen zur Sprache: Religion und Gotteserkenntnis (Abschnitte 1–3); der Mensch und seine Erlösungsbedürftigkeit (Abschnitte 4–7); Gesetz und Auslegung des Dekalogs (Abschnitte 8–11); Glaube an Christus (Abschnitt 12); Erwählung (Abschnitt 13); Glaube (Abschnitte 14 f.); Rechtfertigung (Abschnitt 16); Heiligung (Abschnitt 17); Buße und Wiedergeburt (Abschnitt 18); Gerechtigkeit des Glaubens und der guten Werke (Abschnitt 19); Auslegung des Glaubensbekenntnisses (Abschnitt 20); Hoffnung (Abschnitt 21); Gebet und Auslegung des Unser-Vater-Gebets (Abschnitte 22–25); Sakramente (Abschnitte 26–29); Pfarrer (Abschnitt 30); Überlieferungen (Abschnitt 31); Kirchenbann (Abschnitt 32); Regierung (Abschnitt 33).

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Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis (1537/1538)

Weitgehend folgt der Katechismus der Struktur der Erstausgabe der Institutio christianae religionis von 1536 und nimmt aus ihr wesentliche theologische Linien auf; allerdings verzichtet er auf dogmatische und kontroverstheologische Passagen insbesondere zu den Themen Sakramente sowie kirchliche Überlieferungen und Institutionen. Neu gegenüber der Institutio von 1536 ist u. a. der Rückgriff auf den Religionsbegriff mit dem Hinweis auf die natürliche Religion und ihre Verkehrung. Weiter wird das Thema Erwählung bzw. Verwerfung stärker christologisch akzentuiert und bezieht sich auf das ganze christliche Leben. Schließlich erfährt die Taufe im Katechismus erstmals eine bundestheologische Begründung, auf die sich die weitere reformierte Theologie regelmäßig bezogen hat. Umgekehrt kann der Katechismus als eine produktive Vorstufe der weiteren Ausgaben der Institutio (1539–1559) angesehen werden, worauf u. a. auch die ähnlichen Kapitelüberschriften hindeuten. Der Aufbau mit der Reihenfolge Gesetz – Glaube – Gebet – Sakramente ist von Martin Luthers Katechismen beeinflusst und entspricht der Reihung in der Institutio von 1536. Allerdings lehrt Calvin schon im Katechismus von 1537/1538 ein positives Gesetzesverständnis im Kontext der Heiligung. Ferner weist der Katechismus mit der heilsgeschichtlichen Vorordnung von Gotteserkenntnis, Verderbnis und Heil des Menschen sowie mit der Deutung des Gesetzes als vollkommener Regel der Gerechtigkeit eine neue Akzentuierung auf. Der Katechismus gilt als eine instruktive Zusammenfassung der Theologie des jungen Calvin und als Schlüssel zu seinem Selbstverständnis als theologischer Lehrer. Unter pädagogischen Gesichtspunkten war dieser erste Katechismus jedoch nur bedingt nutzbar, da er eher den Charakter eines Bekenntnistextes für bereits belehrte Gläubige trägt. Editionen Genfer Katechismus (1537), in: RefBS 1/2: 1535–1549, 97–136 (Bearb.: Anette Zillenbiller) Instruction et confession de foy dont on use en l’Église de Genève: Catechismus seu christianae religionis institutio ecclesiae genevensis, Confessio Genevensium praedicatorum de Trinitate, hg. v. Anette Zillenbiller, Ioannis Calvini opera omnia 3/2, Genf 2002 Übersetzung Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis von 1537/38, in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 1.1: Reformatorische Anfänge 1533–1541, Neukirchen-Vluyn 1994, 138–223 (Bearb.: Ernst Saxer)

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Literatur Matthias Freudenberg, Art. Katechismen, in: Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selder­ huis, Tübingen 2008, 204–212 I. John Hesslink, Calvin’s First Catechism. A Commentary, Louisville 1997 Ernst Saxer, Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis von 1537/38, in: CalvinStudienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 1.1: Reformatorische Anfänge 1533–1541, Neukirchen-Vluyn 1994, 131–137 Einleitung: Matthias Freudenberg; Übersetzung: Ernst Saxer, überarbeitet von Matthias Freudenberg

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Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis (1537/1538)

Genfer Katechismus und Glaubensbekenntnis (1537/1538) Unterweisung und Glaubensbekenntnis, die in der Genfer Kirche in Gebrauch sind. „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der vernünftigen und unverfälschten Milch“ (1. Petr 2,2). „Seid zur Antwort bereit gegenüber jedem, der von euch Rechenschaft über eure Hoffnung fordert“ (1. Petr 3,15). „Wenn jemand redet, so rede er Gottes Wort“ (1. Petr 4,11).

[1.] Alle Menschen sind dazu geboren, um Gott zu erkennen Da man nirgends einen Menschen, sei er auch noch so unkultiviert und wild, ohne irgendein Wissen um Religion antrifft, ist es klar, dass wir alle auf dieses Ziel hin erschaffen wurden, die Herrlichkeit unseres Schöpfers zu erkennen und aufgrund dieser Erkenntnis ihn über alles zu achten und in aller Gottesfurcht, Liebe und Ehrerbietung zu verehren. Aber lassen wir die Ungläubigen beiseite, die nur danach trachten, das Wissen um Gott, das in ihre Herzen gepflanzt ist, aus dem Gedächtnis zu tilgen: Wir, die wir den Glauben bekennen, müssen daran denken, dass dieses hinfällige und bald beendete Leben nichts anderes sein darf als ein Nachdenken über die Unsterblichkeit. Nun kann man aber nirgendwo sonst als allein in Gott das ewige und unsterbliche Leben finden. Deshalb muss es die wichtigste Sorge und Bemühung unseres Lebens sein, Gott zu suchen, mit der ganzen Zuneigung unseres Herzens zu ihm zu streben und nirgends Ruhe zu finden als allein in ihm. [2.] Worin sich wahre und falsche Religion unterscheiden Da durch allgemeine Übereinstimmung feststeht, dass unser Leben ohne Religion höchst erbärmlich und in nichts dem der wilden Tiere überlegen wäre, möchte niemand in den Ruf geraten, der Frömmigkeit und Gotteserkenntnis völlig fernzustehen. Aber es gibt in der Art und Weise, seine Religion zu bekunden, viele Unterschiede; denn der größte Teil der Menschen ist nicht wirklich von Gottesfurcht erfasst. Diese Menschen werden, ob sie wollen oder nicht, die Vorstellung, die sich ihnen immer wieder aufdrängt, nicht los, dass es eine Gottheit gibt, durch deren Macht sie stehen oder fallen. Darum verehren sie diese so gewaltige Macht, an die sie mit Erstaunen denken, wie es ihnen gerade irgendwie einfällt, damit sie sie nicht durch allzu große Missachtung gegen sich aufbringen. Obwohl sie nun zügellos leben und alle Ehrbarkeit von sich weisen, zeigen sie dennoch eine große Sicherheit im Verachten des Gerichtes Gottes. Und weil sie zudem Gott nicht entsprechend seiner unendlichen Majestät, sondern gemäß der verrückten und törichten Eitelkeit ihres Geistes

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einschätzen, wenden sie sich damit vom wahren Gott ab. So sehr sie sich auch bemühen, Gott zu dienen, nützt ihnen das nichts, da sie nicht den ewigen Gott, sondern nur Einbildungen und Träumereien anbeten. Indes ruht die wahre Frömmigkeit nicht in der Furcht, die so gerne dem Gericht Gottes entfliehen will und es gerade deshalb fürchtet, weil es vor ihm kein Entrinnen gibt. Sie besteht vielmehr in einem reinen und echten Eifer, der Gott nun eben als den Vater liebt und als den Herrn verehrt, seine Gerechtigkeit annimmt und mehr fürchtet, Gott zu erzürnen als zu sterben. Alle, die diesen Eifer besitzen, versuchen nicht, sich tollkühn einen Gott nach ihrem Willen auszudenken, sondern suchen die Erkenntnis des wahren Gottes bei ihm selbst und erfassen ihn nicht anders, als er sich ihnen offenbart und zu erkennen gibt. [3.] Was wir von Gott erkennen müssen Da die Herrlichkeit Gottes an sich die menschliche Fassungskraft übersteigt und auch gar nicht verstanden werden kann, müssen wir ihre Größe anbeten und nicht erforschen, damit wir nicht von ihrem so gewaltigen Glanz erdrückt werden. Deshalb müssen wir Gott in seinen Werken, welche die Schrift „Abbildungen der unsichtbaren Dinge“ nennt, suchen und betrachten (Röm 1,20; Hebr 11,1); denn sie zeigen uns, was wir vom Herrn auf keine andere Weise erblicken können. Es handelt sich dabei nicht um etwas, das unseren Verstand mit leichtfertigen und fruchtlosen Spekulationen in Ungewissheit hält, sondern um etwas, das zu wissen für uns grundlegend ist und in uns eine echte und dauerhafte Frömmigkeit erzeugt, nährt und stärkt, nämlich den mit der Gottesfurcht verbundenen Glauben. Wir betrachten also in dieser Gesamtheit der Dinge die Ewigkeit Gottes, von der aller Dinge Anfang und Ursprung ausgeht: seine Macht, die ein so großes Werk erschuf und noch erhält, seine Weisheit, die eine so große und verwirrende Vielfalt zusammenfügte und nach unterschiedlicher Anordnung lenkt, seine Güte, die bei ihm selbst der Grund war, dass alle Dinge erschaffen wurden und fortbestehen, seine Gerechtigkeit, die sich in wunderbarer Weise darin zu erkennen gibt, dass die Guten beschützt und die Bösen bestraft werden, seine Barmherzigkeit, die, um uns zur Besserung zu rufen, unsere Verdorbenheit mit so großer Güte erträgt. Wir müssten gewiss durch all dies in reichem Maß und, soweit es für uns notwendig ist, belehrt sein, wer Gott ist, wäre unsere Grobheit nicht blind für einen so gewaltigen Glanz. Doch sündigen wir darin nicht allein durch unsere Blindheit, sondern unsere Verkehrtheit ist derart, dass es nichts gibt, was sie nicht falsch und verkehrt auffasst, wenn es gilt, die Werke Gottes zu achten, und dabei die himmlische Weisheit, die in ihnen erstrahlt, ins Gegenteil verkehrt. Man muss also zum Wort Gottes kommen, wo Gott uns durch seine Werke sehr gut beschrieben ist, weil

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diese Werke hier nicht nach der Verkehrtheit unseres Urteils, sondern nach der Regel der ewigen Wahrheit gewürdigt werden. Wir lernen dort, dass unser einiger und ewiger Gott Ursprung und Quelle allen Lebens, aller Gerechtigkeit, Weisheit, Kraft, Güte und Milde ist, dass nur von ihm alles Gute kommt und demzufolge jeder Lobpreis zu Recht wieder zu ihm zurückkehren soll. Und obwohl dies alles an jeder Stelle des Himmels und der Erde offenkundig ist, erkennen wir doch schließlich erst wahrhaft, wohin alles zielt, welchen Wert alles besitzt und in welchem Sinn wir es verstehen müssen, wenn wir auf uns selbst zurückgehen und bedenken, wie der Herr sein Leben, seine Weisheit und seine Stärke in uns offenbart und seine Gerechtigkeit, Milde und Güte an uns ausübt. [4.] Vom Menschen Ursprünglich war der Mensch nach dem Bild Gottes und ihm ähnlich erschaffen worden, damit er in seinen Verzierungen, mit denen Gott ihn so großmütig bekleidet hatte, deren Urheber bewundere und mit entsprechender Dankbarkeit verehre. Doch der Mensch unternahm im Vertrauen auf eine derartige Überlegenheit seiner Natur und im Vergessen, woher sie kam und wer für ihren Bestand sorgte, alle Anstrengungen, sich losgelöst von seinem Herrn zu erheben. Darum musste er all jener Gaben Gottes beraubt werden, derer er sich in wahnwitziger Überheblichkeit rühmte, damit er, aller Herrlichkeit entkleidet und entblößt, jenen Gott erkenne, der ihn durch seinen Großmut reich gemacht und den er zu verachten gewagt hatte. Folglich werden wir alle, die wir aus dem Samen Adams stammen, weil die Gottesebenbildlichkeit in uns ausgelöscht ist, als Fleisch vom Fleisch geboren. Denn obwohl wir aus Seele und Leib bestehen, nehmen wir immer nur das Fleisch wahr, sodass wir, auf welchen Teil des Menschen wir unsere Augen auch hinwenden mögen, nichts anderes sehen können, als was für Gott unrein, unheilig und abscheulich ist. Denn die menschliche Klugheit, blind und in unendlichen Irrtümern gefangen, stellt sich immer der Weisheit Gottes entgegen. Der Wille, auf Böses gerichtet und von Leidenschaft verdorben, hasst nichts so sehr wie Gottes Gerechtigkeit. Die menschlichen Kräfte, unfähig zu allen guten Werken, streben wie rasend dem Unrecht zu. [5.] Vom freien Willen Die Schrift bezeugt oftmals, dass der Mensch ein Knecht der Sünde ist. Das will besagen, dass sein Geist der Gerechtigkeit Gottes derart entfremdet ist, dass er nichts planen, begehren oder unternehmen kann, was nicht böse, verdorben, gottlos und beschmutzt ist. Denn das vollständig mit dem Gift der Sünde durchtränkte Herz kann nichts als die Früchte der Sünde aus sich hervorbringen. Dennoch darf man nicht glauben, dass

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der Mensch durch eine gewaltsame Notwendigkeit zur Sünde gezwungen werde, denn er sündigt mit Zustimmung eines bereitwilligen und geneigten Willens. Weil er jedoch wegen der Verdorbenheit seines Gefühls die Gerechtigkeit Gottes so sehr hasst und andererseits für jede Art von Bösem entbrennt, heißt das, dass er nicht imstande ist, das Gute und das Böse frei zu wählen, was man den freien Willen nennt. [6.] Von Sünde und Tod Die Schrift bezeichnet als Sünde sowohl die Verdorbenheit der menschlichen Natur, welche die Quelle aller Laster ist, als auch die bösen Begierden, die ihr entstammen, und die Untaten, die daraus folgen, wie Mord, Raub, Ehebruch und anderes dieser Art. Wir, Sünder von Mutterleib an, sind von Geburt an dem Zorn und der Rache Gottes unterworfen. Sind wir herangewachsen, häufen wir ein immer schwereres Gericht Gottes auf uns. Schließlich streben wir durch unser ganzes Leben immer mehr dem Tod zu. Denn wenn es keinen Zweifel gibt, dass Gottes Gerechtigkeit alle Ungerechtigkeit verabscheut, was können wir erbärmliche Wesen, die wir mit einer so gewaltigen Last der Sünde beladen und von unendlichem Schmutz besudelt sind, dann von Gottes Angesicht anderes erwarten als – entsprechend seiner Empörung – abgewiesen zu werden? Diese Vorstellung ist, obwohl sie den Menschen mit ihrem Schrecken niederschlägt und mit Hoffnungslosigkeit überhäuft, dennoch für uns notwendig. Darum werfen wir uns  – unserer Selbstgerechtigkeit entkleidet, des Vertrauens auf unsere eigene Kraft entleert, zurückgewiesen in aller Erwartung des Lebens  – aufgrund der Einsicht in unsere Armut, Erbärmlichkeit und Schande vor dem Herrn nieder und geben ihm durch die Erkenntnis unserer Ungerechtigkeit, Ohnmacht und Verlorenheit allen Ruhm der Herrlichkeit, der Kraft und des Heils. [7.] Wie wir wieder zu Heil und Leben erneuert werden Durch diese Erkenntnis unserer selbst, die uns unsere Nichtigkeit zeigt, wird uns, wenn sie wahrhaft in die Herzen gedrungen ist, der Zugang zur wahren Erkenntnis Gottes leichtgemacht. Er selbst hat uns gleichsam eine erste Pforte seines Reiches geöffnet, wenn er diese beiden schlimmsten Übel zerstört hat: die Hoffnung, vor seiner Rache sicher zu sein, und das falsche Vertrauen in uns selbst. Nun beginnen wir, die Augen, die bisher an die Erde gebunden und verhaftet waren, zum Himmel zu erheben, und seufzen zum Herrn, die wir in uns selbst ruhten. Zugleich offenbart sich uns, den Bedrückten und Verwunderten, der Vater der Barmherzigkeit in seiner unaussprechlichen Güte aus freien Stücken, obwohl unsere Ungerechtigkeit ganz anderes verdiente. Durch solche Mittel, die er als für unsere Schwachheit passend hält, ruft er uns vom Irrtum auf den rechten

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Weg, vom Tod zum Leben, von der Vernichtung zum Heil, vom Reich des Teufels zu seinem Reich. Da nun der Herr allen, die er nach seinem Wohlgefallen wieder zu Erben des himmlischen Lebens einsetzen will, dies als ersten Schritt festgesetzt hat, dass sie zutiefst betrübt durch das Bewusstsein und die Last des Gewichts ihrer Sünden angetrieben und angestachelt sein sollen, ihn zu fürchten, gibt er uns zunächst sein Gesetz, das uns in dieser Erkenntnis übt. [8.] Vom Gesetz des Herrn Im Gesetz Gottes ist uns eine vollkommene Regel aller Gerechtigkeit gegeben. Man kann sie mit gutem Grund den ewigen Willen des Herrn nennen, denn er hat darin auf zwei Tafeln vollständig und deutlich alles dargelegt, was er von uns fordert. Auf der ersten hat er uns mit wenigen Geboten vorgeschrieben, welche Verehrung seiner Majestät angemessen ist; auf der anderen, welcher Art die Pflichten der Nächstenliebe sind, die wir dem Nächsten schulden. Hören wir es also und sehen dann, welche Lehre wir daraus entnehmen und welche Frucht wir daraus gewinnen sollen (Ex 20,2–17). „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus herausgeführt habe; du sollst keine anderen Götter vor meinem Angesicht haben.“ Der erste Teil dieses Gebots ist so etwas wie ein Eingangswort zum ganzen Gesetz. Denn wenn Gott sich äußert, er sei der Herr, unser Gott, so erklärt er sich als der, welcher das Recht zum Gebieten hat und dessen Gebot Gehorsam verlangt. So spricht er durch seinen Propheten: „Bin ich Vater, wo ist die Liebe? Bin ich Herr, wo ist die Furcht vor mir?“ (Mal 1,6). Entsprechend vergegenwärtigt er seine Wohltat, durch die unsere Undankbarkeit nachgewiesen ist, wenn wir seiner Stimme nicht gehorchen. Denn mit derselben Güte, mit der er einst das jüdische Volk aus der Knechtschaft geführt hat, befreit er auch alle seine Knechte aus dem immerwährenden Ägypten der Gläubigen, das heißt von der Macht der Sünde. Sein Verbot, fremde Götter zu haben, bedeutet, dass wir nichts von dem, was ihm eigen ist, jemand anderem als ihm zuschreiben sollen. Und er fügt hinzu: „vor meinem Angesicht“ und erklärt damit, dass er als Gott nicht allein durch ein äußeres Bekenntnis, sondern in reiner Wahrheit aus dem Inneren des Herzens anerkannt werden will. Das alles ist Gott allein eigen und kann, ohne Gott zu berauben, auf niemanden übertragen werden. Daraus folgt, dass wir ihn allein anbeten, dass wir uns mit unserem ganzen Vertrauen und all unserer Hoffnung auf ihn allein stützen, dass wir anerkennen, wie alles Gute und Heilige von ihm kommt, und ihm den Lobpreis für alle Güte und Heiligkeit darbringen.

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„Du sollst dir kein Bild machen noch irgendein Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was unten auf Erden, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist; du sollst sie nicht anbeten noch verehren.“ So wie er durch das vorangegangene Gebot sich als einziger Gott verkündet hat, so zeigt er nun an, wer er ist und wie ihm Verehrung und Dienst erwiesen werden sollen. Er verbietet uns, irgendein Abbild zu machen, und begründet das in Deuteronomium 4 und Jesaja 40 damit, dass der Geist mit dem Körper keine Ähnlichkeit hat (Dtn 4,15–18; Jes 40,18–25). Außerdem verbietet er, dass wir als Religion irgendein Abbild verehren. Lernen wir also aus diesem Gebot, dass Dienst und Verehrung Gottes geistiger Natur sind, denn so, wie er selbst Geist ist, fordert er auch, dass wir ihm im Geist und in der Wahrheit dienen (Joh 4,23 f.). Er fügt sodann eine fürchterliche Drohung hinzu, durch die er erklärt, wie schwer er durch die Übertretung dieses Gebotes beleidigt wird. „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein mächtiger, eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis in die dritte und vierte Generation an den Kindern derer, die mich hassen, der aber Barmherzigkeit übt auf tausend Generationen hinaus an den Kindern derer, die mich lieben und meine Gebote halten.“ Das bedeutet dasselbe, wie wenn er sagte, dass er der einzige ist, an dem wir uns festhalten sollen, und dass er niemand seinesgleichen neben sich duldet. Und ebenso, dass er seine Majestät und Ehre mit Gewissheit rächen wird, wenn sie auf Bilder oder andere Dinge übertragen werden, und das dann nicht nur ein einziges Mal, sondern an den Vätern, den Kindern und Enkeln, und das heißt: zu aller Zeit, so wie er auch fortwährend sein Erbarmen und seine Milde all jenen, die ihn lieben und seine Gesetze halten, offenbart. Darin erklärt er uns die Größe seiner Barmherzigkeit, die er über tausend Generationen erstreckt, während er nur vier Generationen seiner Rache aussetzt. „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz brauchen; denn der Herr wird den nicht als unschuldig ansehen, der seinen Namen unnütz braucht.“ Hiermit verbietet Gott, dass wir seinen heiligen und geweihten Namen beim Schwören dazu missbrauchen, Nichtigkeiten oder Lügen zu erhärten. Denn die Schwüre sollen nicht unserem Belieben oder unserer Begierde dienen, sondern nur einer gerechten Notwendigkeit, wenn es etwa gilt, die Ehre Gottes aufrechtzuerhalten, oder wenn etwa bekräftigt werden muss, was aufbauend wirkt. Er verbietet entschieden, dass wir seinen heiligen und geweihten Namen durch irgendetwas beschmutzen. Wir sollen vielmehr seinen Namen ehrfürchtig mit all der Würde, die seine Heiligkeit

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verlangt, gebrauchen, sei das nun beim Schwur oder bei anderem Anlass, wo wir uns auf ihn berufen. Und da der hauptsächliche Gebrauch dieses Namens in der Anrufung Gottes besteht, müssen wir verstehen, welche Anrufung uns hier befohlen wird. Schließlich zeigt er die Bestrafung an, damit jene, welche die Heiligkeit seines Namens durch Flüche und andere Lästerungen entweihen, nicht glauben sollen, sie könnten seiner Rache entkommen. „Gedenke des Ruhetages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun, aber der siebente Tag ist der Ruhetag des Herrn, deines Gottes. Da sollst du nichts von deiner Arbeit tun, weder du noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch der Fremde, der innerhalb deiner Tore ist. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebenten Tag; darum segnete der Herr den Ruhetag und heiligte ihn.“ Wir sehen, dass es drei Gründe zur Festsetzung dieses Gebotes gegeben hat. Denn erstens hat der Herr mit dem Ausruhen am siebenten Schöpfungstag dem Volk Israel das geistige Ausruhen vor Augen malen wollen, durch das die Gläubigen von ihrer Arbeit ablassen, um den Herrn in ihnen wirken zu lassen. Zweitens wollte er, dass ein bestimmter Tag festgesetzt werde, an dem sie sich versammelten, um sein Gesetz zu hören und Gottesdienst zu halten. Drittens wollte er, dass den Knechten und allen, die in Unfreiheit leben, ein Tag der Ruhe gegeben werde, damit sie etwas Erholung von ihrer Mühsal hätten; doch ist das wohl eher eine Folge denn die Hauptursache. Was den ersten Grund betrifft, so besteht kein Zweifel, dass er in Christus aufgehoben ist. Denn er ist die Wahrheit, durch deren Gegenwart alle Sinnbilder verschwinden. Er ist der Leib, durch dessen Ankunft alle Schattenbilder aufgegeben werden. Deshalb versichert Paulus, dass der Sabbat einst der Schatten der kommenden Wirklichkeit war (Kol 2,17). Diese Wahrheit erklärt er an anderer Stelle, wenn er uns in Römer 6 lehrt, dass wir mit Christus begraben sind, damit wir durch seinen Tod unserem verderblichen Fleisch absterben (Röm 6,4–7). Das geschieht nicht an einem Tag, sondern unser ganzes Leben hindurch, bis wir, uns selber völlig abgestorben, mit dem Leben Gottes erfüllt sind. Deshalb sei Christen die ängstliche Beobachtung von Tagen fern. Weil die beiden folgenden Gründe jedoch nicht unter die alten Schattenbilder gerechnet werden können, sondern allen Zeiten angehören, müssen wir auch nach der Abschaffung des Sabbats immer noch weiter einhalten, dass wir an bestimmten Tagen zusammenkommen, um das Wort Gottes zu hören, um das Brot des Abendmahls zu brechen und um öffentlich zu beten. Auch muss Knechten und Arbeitern Erholung von ihrer Mühsal

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gewährt werden. Zudem ist auch unsere Schwachheit derart, dass wir solche Versammlungen nicht täglich abhalten können. Aus diesem Grund ist der von den Juden streng beobachtete Tag abgeschafft worden – das war nötig, um den Aberglauben zu zerstören –, und ein anderer Tag wurde dafür bestimmt – das war nötig, um Ordnung und Frieden in der Kirche zu erhalten und zu bewahren. Wenn also den Juden die Wahrheit in Sinnbildern gegeben wurde, so ist diese uns frei von Schatten dargelegt: erstens, damit wir während unseres ganzen Lebens in unseren Werken einen immerwährenden Sabbat halten, auf dass der Herr in uns durch seinen Geist wirke; zweitens, damit wir die rechtmäßige Ordnung der Kirche bewahren, um das Wort Gottes zu hören, die Sakramente zu verwalten und öffentlich zu beten; drittens, damit wir nicht jene, die uns unterstellt sind, durch Arbeit unmenschlich behandeln. „Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir geben wird.“ Hierdurch ist uns Ergebenheit geboten gegenüber unseren Vätern und Müttern und jenen, die in gleichem Maß über uns gesetzt wurden wie Fürsten und Regierungen. Wir müssen ihnen nämlich Ehrerbietung, Gehorsam und Dankbarkeit erweisen und jeden Dienst leisten, zu dem wir imstande sind. Es ist der Wille des Herrn, dass wir gleiches jenen erweisen, die uns ins Leben gesetzt haben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die, denen diese Ehre entgegengebracht werden soll, würdig oder unwürdig sind; denn wie sie auch sein mögen, sind sie uns vom Herrn zu Vater und Mutter gegeben, und er will, dass man sie ehrt. Jedoch muss hier auch noch angemerkt werden, dass uns nicht geboten ist, ihnen anders als in Gott zu gehorchen. Deshalb dürfen wir nicht das Gesetz des Herrn übertreten, um ihnen zu gefallen. Denn befehlen sie uns irgendetwas, das gegen Gott gerichtet ist, so sollen wir sie nicht mehr als Vater und Mutter, sondern als Fremde ansehen, die uns vom Gehorsam gegen unseren wahren Vater abbringen wollen. Das ist das erste Gebot, das ein Versprechen enthält, wie Paulus in Epheser 6 sagt (Eph 6,2). Wenn der Herr den Kindern, die ihren Eltern in angemessener Weise dienen und Ehre erweisen, den Segen für das irdische Leben verspricht, so verkündet er ebenso jenen, die ihnen gegenüber widerspenstig und ungehorsam sind, seinen Fluch (Eph 5,6). „Du sollst nicht töten.“ Hier ist uns alle Gewalt und Beleidigung untersagt und allgemein jeder Angriff, durch den der Leib unseres Nächsten verletzt werden könnte. Denn wenn wir uns daran erinnern, dass der Mensch nach dem Bild Gottes erschaffen wurde, so müssen wir ihn für heilig und geweiht halten,

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sodass er nicht verletzt werden kann, ohne dass das Bild Gottes in ihm nicht auch verletzt würde. „Du sollst nicht ehebrechen.“ Der Herr verbietet uns hier jede Art von Ausschweifung und Unzucht, denn er hat Mann und Frau allein durch das Gesetz der Ehe vereint. Wie diese Gemeinschaft durch seine Macht verbunden ist, so heiligt er sie auch durch seinen Segen. Damit ist offenkundig, dass jede andere Verbindung außer der Ehe vor ihm verflucht ist. Also müssen all jene, die nicht die Gabe der Enthaltsamkeit besitzen – diese ist gewiss eine besondere Gabe und liegt nicht im Vermögen eines jeden –, der Zügellosigkeit ihres Fleisches durch das ehrbare Mittel der Ehe entgegentreten, denn die Ehe ist in jedem Fall ehrbar. Gott verdammt hingegen die Hurenböcke und Ehebrecher (Hebr 13,4). „Du sollst nicht stehlen.“ Hier ist uns ganz allgemein verboten und untersagt, dass einer die Güter des anderen an sich reiße. Denn der Herr will, dass sein Volk sich fernhalte von allen Räubereien, durch die Schwache belastet und unterdrückt werden, und von allen Arten der Täuschung, durch welche die einfachen Leute in ihrer Arglosigkeit ausgenützt werden. Wenn wir also unsere Hände von Diebstahl rein und schuldlos bewahren wollen, müssen wir auf alle Kniffe und Listen nicht weniger verzichten als auf gewaltsamen Raub. „Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Hier verdammt der Herr alle Verwünschungen und Beleidigungen, durch die das Ansehen unseres Bruders geschmäht, und alle Lügen, durch die unser Nächster irgendwie verletzt und geschädigt wird. Denn wenn ein guter Ruf wertvoller als jeder Schatz ist, so sind wir durch den Verlust unseres tadellosen Ansehens nicht weniger geschädigt als durch den Verlust unseres Besitzes. Oftmals bringt man es auch genauso fertig, dem Bruder seinen Besitz durch falsches Zeugnis zu rauben wie durch die Raublust der Hände. Wie darum durch das vorangegangene Gebot die Hände gebunden sind, so durch dieses die Zunge. „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren, ebenso wenig seine Frau, seinen Knecht oder seine Magd, sein Rind oder seinen Esel noch irgendetwas, was dein Nächster hat.“ Hiermit legt der Herr all unseren Begierden, welche die Grenzen der Nächstenliebe überschreiten, gleichsam einen Zügel an. Denn alles das, was durch die anderen Gebote als tätiger Verstoß gegen die Regel des Lie-

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besgebotes verboten ist, verbietet dieses Gebot, sich im Herzen auszudenken. So verdammt dieses Gebot Hass, Neid und Missgunst ebenso wie vorher den Mord. Obszöne Regungen und innerliche Beschmutzungen des Herzens sind ebenso verboten wie die Laster selbst. Vorher wurden schon Habgier und List verboten, hier der Geiz; zuvor Verleumdung untersagt, hier ist auch die Bosheit inbegriffen. Wir sehen, wie allgemein der Sinn dieses Gebots ist und wie weit er sich erstreckt. Denn der Herr fordert ein wunderbares und uneingeschränkt brennendes Gefühl der Bruderliebe, und er will, dass diese Liebe nicht durch die geringste Begierde nach Gut und Gewinn unseres Nächsten erschüttert werde. Das Gebot besagt also im Ganzen: Wir sollen so sehr von Liebe erfüllt sein, dass wir von keiner Begierde, die dem Liebesgebot entgegengesetzt ist, verlockt werden sollen, und dass wir bereit sind, einem jeden noch so gerne das Seine zukommen zu lassen. Auch müssen wir einen jeden so achten, dass ihm zuteilwird, was wir durch die Pflicht unseres Amtes ihm schulden. [9.] Die Zusammenfassung des Gesetzes Unser Herr Jesus Christus hat uns hinreichend erklärt, worauf alle Gebote des Gesetzes zielen, als er gelehrt hat, dass das ganze Gesetz in zwei Hauptpunkten zusammengefasst ist. Der erste besteht darin, dass wir den Herrn, unseren Gott, mit unserem ganzen Herzen, unserer ganzen Seele und unserer ganzen Kraft lieben sollen. Der zweite besteht darin, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst (Mt 22,37–39 parr). Er hat diese Auslegung dem Gesetz selbst entnommen, denn der erste Satz findet sich in Deuteronomium 6, der zweite in Leviticus 19 (Dtn 6,5; Lev 19,18). [10.] Was uns das Gesetz allein bringt Wir haben darin das Vorbild eines heiligen gerechten Lebens und sogar ein vollkommenes Abbild der Gerechtigkeit, dergestalt, dass jemandem, der in seinem Leben das Gesetz Gottes zum Ausdruck bringt, vor dem Herrn nichts mangelt, was zur Vollkommenheit gefordert wird. Um das zu bezeugen, verspricht er denen, die sein Gesetz erfüllen, nicht nur die großen Segnungen des irdischen Lebens, von denen in Leviticus 26 und in Deuteronomium 28 die Rede ist, sondern auch die Belohnung des ewigen Lebens (Lev 18,5; 26,3–13; Dtn 28,1–14). Jenen hingegen, die in ihrem Tun nicht alles erfüllen, was ihnen durch das Gesetz geboten ist, verkündet Gott die Vergeltung durch einen ewigen Tod. Mose ruft bei der Verkündung des Gesetzes Himmel und Erde zu Zeugen an, dass er dem Volk das Gute und das Böse, das Leben und den Tod vorgelegt habe (Dtn 30,19). Wenn nun auch das Gesetz den Weg des Lebens aufzeigt, müssen wir doch sehen, was uns diese Darlegung nützen kann. Zweifellos,

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wenn unser Wille ganz danach beschaffen und darauf eingerichtet wäre, dem göttlichen Willen zu gehorchen, dann genügte die bloße Kenntnis des Gesetzes zum Heil. Aber weil unsere fleischliche und verdorbene Natur in allem gegen das geistige Gesetz Gottes kämpft und durch die Lehre des Gesetzes in nichts gebessert wird, bleibt nur, dass das Gesetz, das zum Heil gegeben war, wenn es gute und bereitwillige Hörer gefunden hätte, zum Anlass für Sünde und Tod wird. Denn weil wir alle davon überzeugt sind, dass wir dessen Übertreter sind, offenbart uns das Gesetz umso deutlicher die Gerechtigkeit Gottes und enthüllt damit zugleich unsere eigene Ungerechtigkeit. Je mehr es uns folglich bei einer Gesetzesübertretung ertappt, desto mehr zeigt es uns, dass wir Gottes schweres Urteil verdienen. Und wenn uns die Verheißung des ewigen Lebens genommen ist, bleibt uns nur noch der Fluch, der uns allen durch das Gesetz zuteilwird. [11.] Dass das Gesetz eine Vorstufe ist, um zu Christus zu gelangen Wenn nun unser aller Ungerechtigkeit und Sündhaftigkeit durch das Zeugnis des Gesetzes offenbar gemacht worden ist, so nicht deshalb, damit wir in Verzweiflung fielen und, mutlos geworden, zugrunde gingen. Gewiss bezeugt der Apostel, dass wir alle durch das Urteil des Gesetzes verdammt sind, damit jeder Mund verstumme und ein jeder vor Gott schuldig erfunden werde (Röm 3,19 f.). Dennoch lehrt er selber an anderer Stelle, dass Gott alle Menschen unter den Unglauben verschlossen habe, nicht um sie zu verderben oder zugrunde gehen zu lassen, sondern um sich ihrer aller zu erbarmen (Röm 11,32). Nachdem der Herr durch das Gesetz uns unsere Schwachheit und Unreinheit bewusstgemacht hat, tröstet er uns durch das Vertrauen in seine Kraft und sein Erbarmen, und zwar in Christus, seinem Sohn, durch den er sich uns gütig und zugewandt erweist. Denn er erscheint im Gesetz allein als Belohner einer vollkommenen Gerechtigkeit, die uns allen vollständig fehlt, und andererseits als untadeliger und strenger Richter über die Sünden. In Christus aber leuchtet sein Angesicht voll Gnade und Wohlwollen für die elenden und unwürdigen Sünder. Denn er hat uns dieses wunderbare Beispiel seiner unendlichen Liebe gegeben, indem er seinen eigenen Sohn für uns dahingegeben und uns in ihm alle Schätze seiner Milde und Barmherzigkeit aufgetan hat. [12.] Dass wir Christus durch den Glauben erfassen Wie der barmherzige Vater uns durch das Wort des Evangeliums seinen Sohn darbietet, so ergreifen wir ihn im Glauben und erkennen ihn als uns gegeben an. Es ist gewiss, dass das Wort des Evangeliums alle Menschen zur Teilhabe an Christus aufruft, doch verachten manche, durch Unglauben blind und verstockt, diese so einzigartige Gnade. Allein die Gläubigen

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ziehen darum Nutzen von Christus. Sie allein empfangen ihn als den zu ihnen Gesandten, weisen ihn nicht zurück, da er ihnen geschenkt wird, und folgen ihm nach, da sie von ihm angerufen werden. [13.] Von der Erwählung und Vorherbestimmung Bei einem derartigen Unterschied muss man notwendigerweise über das große Geheimnis des göttlichen Ratschlusses nachdenken. Denn die Saat des Wortes Gottes schlägt nur in jenen Wurzeln und trägt Frucht (Mt 13,23), die der Herr durch seine Erwählung von Ewigkeit zu seinen Kindern und zu Erben des himmlischen Reiches vorherbestimmt hat (Röm 8,17). Allen anderen, die schon vor Erschaffung der Welt durch denselben Ratschluss Gottes verworfen sind, kann die reine und wahre Verkündigung der göttlichen Wahrheit nur ein Geruch des Todes zum Tode sein (2. Kor 2,16). Die Kenntnis des Grundes, weswegen der Herr den einen gegenüber von seiner Barmherzigkeit Gebrauch macht und den anderen gegenüber die Strenge seines Gerichts übt, müssen wir ihm allein überlassen; denn er hat gewollt, dass diese uns allen verborgen sei, und das aus einem sehr guten Grund. Weder könnte die Stumpfheit unseres Geistes eine so große Klarheit ertragen, noch unsere Kleinheit eine so große Weisheit begreifen. Wahrlich, wer es wagen sollte, sich dorthin zu erheben, und wer seinen tollkühnen Geist nicht zurückhalten wollte, der wird die Wahrheit dessen erfahren, was Salomo sagt: „Wer die Majestät Gottes erforschen will, wird durch deren Glanz niedergeworfen“ (Prov 25,27). Uns muss genügen, dies anzuerkennen: Das Handeln des Herrn ist, obwohl uns verborgen, heilig und gerecht. Denn wollte Gott das ganze Menschengeschlecht verderben, so hat er das Recht dazu, und an jenen, die er dem Verderben entreißt, kann man nur seine freie Güte betrachten. Also erkennen wir in den Erwählten Gefäße seines Erbarmens – was sie auch wahrhaft sind – und in den Verworfenen Gefäße seines Zorns, was nichts als gerecht ist (Röm 9,21–23). Wir wollen die einen wie die anderen als Gegenstand und Grund gebrauchen, um seine Ehre zu verherrlichen. Und wir wollen weiter nicht – wie viele es üblicherweise gewohnt sind – bis zum Himmel vordringen, um uns der Gewissheit unseres Heils zu versichern und um das zu ergründen, was Gott seit Ewigkeit mit uns zu tun beschlossen hat; denn dieses Grübeln kann uns nur mit Angst und erbärmlicher Verwirrung in Aufregung versetzen. Vielmehr sollen wir uns mit dem Zeugnis zufriedengeben, durch das uns Gott hinreichend und umfassend dieser Gewissheit versichert hat. Denn weil ja alle jene, die schon vor Grundlegung der Welt zum Leben vorherbestimmt waren, in Christus erwählt sind (Eph 1,4), so ist er derjenige, in dem uns das Pfand unserer Erwählung gegeben ist, wenn wir ihn im Glauben empfangen und annehmen. Denn was anderes suchen wir in der Erwählung, wenn

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nicht teilzuhaben am ewigen Leben? Das haben wir in Christus, der von Beginn an das Leben war und uns als Leben gegeben wurde, damit alle jene, die an ihn glauben, nicht zugrunde gehen, sondern sich des ewigen Lebens erfreuen sollen (Joh 1,4; 3,16; 5,24). Wenn wir also Christus im Glauben haben und in ihm auch das Leben besitzen, müssen wir nicht weiter nach dem ewigen Ratschluss Gottes forschen. Denn Christus ist uns nicht nur ein Spiegel, durch den uns der Wille Gottes vor Augen geführt wird, sondern ein Pfand, das uns diesen gleichsam besiegelt und bestätigt (Röm 5,1 ff.; 1. Joh 3,2). [14.] Was der wahre Glaube ist Man darf nicht meinen, der christliche Glaube sei nur ein bloßes Kennen Gottes oder Verstehen der Schrift, das im Gehirn geschieht und das Herz nicht berührt. Eine solche Auffassung haben wir gewöhnlich von den Dingen, über die wir durch einen einigermaßen überzeugenden Grund Sicherheit haben. Der christliche Glaube ist vielmehr eine starke und unerschütterliche Zuversicht des Herzens, durch die wir sicher in der Barmherzigkeit Gottes ruhen, die uns durch das Evangelium verheißen ist. Denn so muss die Bestimmung dessen, was Glaube ist, dem Wesen der Verheißung entnommen werden, und der Glaube stützt sich so sehr auf diese Grundlage, dass er, wenn sie weggenommen würde, sofort zusammenstürzen und verschwinden müsste. Der Herr bringt uns ja durch die Verheißung des Evangeliums sein Erbarmen entgegen. Wenn wir uns ohne Zweifeln und Zögern ihm, der die Verheißung gegeben hat, anvertrauen, dann, so heißt es, ergreifen wir sein Wort im Glauben. Diese Erklärung unterscheidet sich nicht von der des Apostels, wenn er lehrt: „Der Glaube ist die Grundlegung dessen, was man erhofft, und der Beweis dessen, was nicht sichtbar ist“ (Hebr 11,1). Denn er versteht darunter den gewissen und sicheren Besitz dessen, was uns von Gott verheißen wird, und die Veranschaulichung des Unsichtbaren, nämlich des ewigen Lebens, das wir aufgrund unseres Vertrauens auf die göttliche Güte erhoffen, die uns mit dem Evangelium gegeben ist. Da es so ist, dass alle Verheißungen Gottes in Christus bestätigt und gleichsam eingehalten und erfüllt sind, ist ohne Zweifel Christus der immerwährende Gegenstand des Glaubens, der in ihm alle Reichtümer der göttlichen Barmherzigkeit anschaut. [15.] Dass der Glaube eine Gabe Gottes ist Wenn wir aufrichtig in uns selbst bedenken, wie sehr unser Denken blind für die Geheimnisse Gottes ist und wie viel Misstrauen unser Herz in allen Dingen hegt, so werden wir nicht bezweifeln, dass der Glaube die Fähigkeit unserer Natur weit übersteigt und eine einzigartige und kostbare Gabe Gottes ist. Darum schreibt der heilige Paulus in 1. Korinther

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2 (1. Kor 2,11 f.): „Wenn niemand Zeugnis vom Willen des Menschen geben kann außer dem Geist des Menschen, der in ihm ist, wie könnte dann der Mensch des göttlichen Willens gewiss sein?“ Und wenn die Wahrheit Gottes schon bei jenen Dingen, die wir vor Augen sehen, in uns schwankt, wie könnte sie stark und beständig sein, wenn der Herr Dinge verheißt, die das Auge nicht sieht und der Verstand des Menschen nicht im Geringsten erfasst? Es bereitet deshalb keine Schwierigkeiten einzusehen, dass der Glaube eine Erleuchtung des Heiligen Geistes ist, die unseren Verstand erhellt und unsere Herzen in einer sicheren Überzeugung bestärkt, die ihnen versichert: Gottes Wahrheit ist so zuverlässig, dass er nicht anders kann als all das zu erfüllen, was er durch sein heiliges Wort zu tun verheißen hat. Aus diesem Grund wird der Heilige Geist in 2. Korinther 1 und Epheser 1 ein Angeld genannt, das in unseren Herzen die Gewissheit der göttlichen Wahrheit bestärkt, und ein Siegel, das unsere Herzen in der Erwartung des Tages des Herrn versiegelt (2. Kor 1,22; Eph 1,13 f.). Denn er ist es, der unserem Geist bezeugt, dass Gott unser Vater ist und wir dementsprechend seine Kinder (Röm 8,15 f.). [16.] Dass wir durch den Glauben in Christus gerechtfertigt sind Da Christus offenkundig der immerwährende Gegenstand unseres Glaubens ist, können wir das, was wir durch den Glauben empfangen, nicht anders erkennen, als indem wir auf ihn schauen. Denn er ist uns vom Vater gesandt worden, damit wir in ihm ewiges Leben erhalten. Er sagt nämlich, das sei das ewige Leben, Gott den Vater und den er gesandt hat, Jesus Christus, erkennen (Joh 17,3), und ebenso: „Wer an mich glaubt, wird nicht sterben und wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25 f.). Damit das geschieht, müssen wir, die wir durch die Sünde befleckt sind, in ihm gereinigt werden, denn nichts Beflecktes wird in das Reich Gottes eingehen. Deshalb müssen wir an ihm teilhaben, damit wir, die wir in uns Sünder sind, vor dem Thron Gottes durch seine Gerechtigkeit gerecht befunden werden. So unserer eigenen Gerechtigkeit entkleidet, werden wir mit der Gerechtigkeit Christi bekleidet und, ungerecht durch unsere Werke, durch den Glauben an Christus gerechtfertigt. Denn nicht, weil wir in uns selbst so etwas wie Gerechtigkeit finden, heißt es von uns, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt sind, sondern weil die Gerechtigkeit Christi uns zugeeignet wird, als sei sie die unsere, während unsere eigene Ungerechtigkeit uns nicht angerechnet wird. So kann man wahrhaft in einem Wort diese Gerechtigkeit Vergebung der Sünden nennen. Das erklärt der Apostel klar, wenn er die Gerechtigkeit der Werke oftmals mit der Gerechtigkeit des Glaubens vergleicht und lehrt, dass die eine durch die andere zerstört ist (Röm 10,2–6; Phil 3,9). Im Glaubensbekenntnis sehen wir, auf welche Weise uns Christus diese Gerechtigkeit erworben

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hat und worauf sie beruht. In diesem Bekenntnis ist alles, worauf unser Glaube sich gründet und stützt, der Reihe nach vorgetragen. [17.] Dass wir durch den Glauben zum Gehorsam gegenüber dem Gesetz geheiligt werden So wie Christus durch seine Gerechtigkeit vor dem Vater für uns eintritt, damit wir mit ihm als unserem Bürgen als gerecht befunden würden, so heiligt er uns durch die Teilhabe an seinem Geist zu aller Reinheit und Unschuld (Jes 61,1.6–11). Denn der Geist des Herrn ruht uneingeschränkt auf ihm: der Geist der Weisheit, der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und Furcht des Herrn, damit wir alle aus seiner Fülle schöpfen und Gnade aus Gnade empfangen, die ihm gegeben worden ist (Jes 11,2; Joh 1,16). Jene nun, die sich des Glaubens an Christus rühmen, aber nicht durch seinen Geist geheiligt sind, täuschen sich selbst. Denn die Schrift lehrt, dass Christus uns nicht allein zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Heiligung gemacht worden ist. So können wir nicht seine Gerechtigkeit durch den Glauben erhalten, ohne dass wir nicht auch zugleich entsprechend die Heiligung empfangen. Denn der Herr verspricht durch eben den Bund, den er mit Christus geschlossen hat, dass er unseren Ungerechtigkeiten gnädig sein und zugleich sein Gesetz in unsere Herzen schreiben wird (Jer 31,33; Hebr 8,10; 10,16). Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz ist also kein Werk unseres eigenen Vermögens, sondern ein Werk aus der Kraft des Heiligen Geistes, durch welche unsere Herzen von der Verdorbenheit gereinigt und gefügig gemacht werden, der Gerechtigkeit zu gehorchen. So ist jetzt der Gebrauch des Gesetzes bei den Christen ganz anders, als er ohne Glauben wäre. Denn wo der Herr die Liebe zu seiner Gerechtigkeit in unsere Herzen eingepflanzt hat, ist die äußerliche Lehre des Gesetzes, die uns zuvor nur unserer Schwäche und Übertretung anklagen konnte, eine Leuchte. Sie leitet unsere Füße, damit wir nicht vom rechten Weg abirren (Ps 119,105); sie ist unsere Weisheit, die uns zu aller Rechtschaffenheit bildet, unterweist und ermutigt (Dtn 4,6); sie ist unsere Ordnung, die nicht duldet, dass wir durch üble Sittenlosigkeit Anstoß erregen. [18.] Von Buße und Wiedergeburt Es ist nun leicht zu verstehen, warum die Buße immer mit dem Glauben an Christus verbunden ist und warum der Herr versichert, dass niemand in das himmlische Königreich hineinkommen kann, außer wer von neuem geboren sein wird (Joh 3,3; Mt 3,2). Denn Buße bedeutet die Umkehr, durch die wir die Verdorbenheit der Welt beiseitelassen und auf den Weg des Herrn zurückkehren. Da Christus ganz und gar nicht ein Diener der Sünde ist, so bekleidet er uns, wenn er uns von allen Flecken der Sünde

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gereinigt hat, nicht dazu mit der Teilhabe an seiner Gerechtigkeit, damit wir eine so große Gnade zugleich durch neue Makel entweihen, sondern damit wir, angenommen als Gottes Kinder, unser Leben in Zukunft dem Ruhm unseres Vaters widmen. Die Wirkung der Buße hängt von unserer Wiedergeburt ab, welche aus zwei Dingen besteht: der Abtötung unseres Fleisches, nämlich der Verdorbenheit, die zusammen mit uns erzeugt ist, und der Erneuerung des Lebens im Geist, durch welche die Natur des Menschen in ihrer Unversehrtheit wiederhergestellt wird (Röm 6,4 ff.; Kol 3,3 f.). Wir müssen also in unserem ganzen Leben danach trachten, dass wir, der Sünde und uns selbst abgestorben, für Christus und seine Gerechtigkeit leben. Im Blick darauf, dass die Wiedergeburt niemals, solange wir uns im Gefängnis dieses irdischen Körpers befinden, vollendet sein wird, muss die Sorge für unsere Buße bis zum Tode dauern. [19.] Wie die Gerechtigkeit des Glaubens und die Gerechtigkeit der guten Werke zusammengehören Es besteht kein Zweifel, dass gute Werke, die von einer solchen Reinheit des Gewissens ausgehen, Gott angenehm sind; denn da er in uns seine Gerechtigkeit wiedererkennt, kann er nicht anders als sie billigen und annehmen. Dennoch müssen wir uns davor in Acht nehmen, dass wir nicht durch sinnloses Vertrauen auf diese guten Werke dahin gebracht werden zu vergessen, dass wir allein durch den Glauben an Christus gerechtfertigt werden. Denn es gibt vor Gott keine Gerechtigkeit der Werke außer jener, die seiner Gerechtigkeit entspricht. Deshalb genügt es nicht, dass jemand, der durch Werke gerechtfertigt zu werden sucht, einige gute Werke fertigbringt, sondern er muss einen vollendeten Gehorsam gegenüber dem Gesetz vorweisen, von dem sicher auch jene noch weit entfernt sind, die mehr als alle anderen größten Gewinn aus dem Gesetz des Herrn gezogen haben. Ja, sogar wenn die Gerechtigkeit Gottes sich mit einem einzigen guten Werk begnügen wollte, so würde der Herr nicht einmal unter seinen Heiligen dieses einzige gute Werk finden, dessen Gerechtigkeit er rühmen könnte, weil es verdienstlich wäre. Denn wie erstaunlich das auch erscheinen mag, so ist es dennoch die volle Wahrheit, dass kein Werk von uns ausgeht, das ganz vollkommen getan und von keinem Makel verunreinigt wäre. Deshalb müssen wir, die wir alle Sünder und von zahlreichen Resten der Sünde gezeichnet sind, außerhalb unser selbst gerechtfertigt werden. Das heißt: Wir brauchen immer Christus, damit seine Vollkommenheit unsere Unvollkommenheit bedecke, damit seine Reinheit unsere Unsauberkeit abwasche, damit sein Gehorsam unsere Ungerechtigkeit auswische, damit uns schließlich seine Gerechtigkeit unverdient angerechnet werde, ohne jedes Ansehen unserer Werke, die auf keinen Fall so viel gelten, dass sie vor dem Gericht Gottes bestehen könnten. Aber wenn unsere

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Mängel, die sonst unsere Werke vor Gott beflecken würden, auf solche Weise bedeckt werden, so sieht der Herr in diesen Werken nichts als eine vollständige Reinheit und Heiligkeit. Daher ehrt er sie mit großen Namen und Lobsprüchen, denn er nennt sie gerecht, nimmt sie als gerecht an und verspricht ihnen eine unermessliche Belohnung. So müssen wir zusammenfassend feststellen, dass die Gemeinschaft mit Christus so viel gilt, dass durch sie nicht nur wir unverdient als gerecht angenommen, sondern auch unsere Werke als gerecht angenommen und mit ewigem Lohn vergolten werden. [20.] Das Glaubensbekenntnis Schon vorher ist gesagt worden, was wir durch Christus im Glauben erhalten. Hören wir jetzt, was unser Glaube in Christus anschauen und bedenken muss, um gestärkt zu werden. Das ist im Glaubensbekenntnis, wie man es nennt, dargelegt, nämlich wie Christus uns vom Vater zur Weisheit, Erlösung, Leben, Gerechtigkeit und Heiligung gemacht worden ist (1. Kor 1,30). Es spielt dabei kaum eine Rolle, welcher Autor oder welche Autoren diese Zusammenstellung des Glaubensinhaltes verfasst haben, die überhaupt keine menschliche Lehre enthält, sondern den unbedingt sicheren Zeugnissen der Schrift entnommen ist. Damit jedoch unser Bekenntnis zum Vater, Sohn und Heiligen Geist niemand verwirre, muss darüber zunächst noch etwas gesagt werden. Wenn wir den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist nennen, so stellen wir uns nicht drei Götter vor. Die Schrift und auch die Erfahrung der Frömmigkeit zeigen uns jedoch im dreieinigen Wesen Gottes den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist dergestalt, dass unser Denken nicht den Vater begreifen kann, ohne zugleich den Sohn zu verstehen, in dem sein lebendiges Abbild leuchtet, und den Geist, in dem seine Macht und Kraft erscheinen. Bleiben wir daher fest mit allen Sinnen unseres Herzens bei dem einen Gott und betrachten dennoch immer den Vater mit dem Sohn und seinem Geist. „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Diese Worte lehren uns nicht nur zu glauben, dass Gott ist, sondern vielmehr zu erkennen, wie unser Gott ist, und zu vertrauen, dass wir zur Zahl jener gehören, denen er verheißt, ihr Gott zu sein, und die er als sein Volk annimmt (Lev 26,12). Ihm wird Allmacht zugeschrieben, wodurch angezeigt wird, dass er alle Dinge durch seine Vorsehung lenkt, durch seinen Willen leitet, durch seine Kraft und Macht führt. Wenn er der Schöpfer des Himmels und der Erde genannt wird, so ist darunter zu verstehen, dass er alles, was er einmal erschaffen hat, ständig erhält, trägt und belebt.

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„Und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unseren Herrn.“ Was wir vorher gelehrt haben – dass Christus der eigentliche Gegenstand unseres Glaubens ist  –, ist daraus leicht ersichtlich, dass hier all unser Heil in ihm dargestellt wird (Lk 1,76 f.). Wir nennen ihn Jesus, eine Benennung, mit der er durch himmlische Offenbarung geehrt wurde, denn er wurde gesandt, um sein Volk von ihren Sünden zu erretten. Aus diesem Grund versichert die Schrift, es sei auch kein anderer Name den Menschen gegeben, durch den sie das Heil erlangen sollten (Apg 4,12). Der Christus-Titel weist auf den mit der Fülle der Gnaden des Heiligen Geistes Gesalbten hin, die in der Schrift durch das Öl symbolisiert sind, weil wir ohne sie vertrocknet und unfruchtbar zugrunde gehen müssten. Durch diese Salbung ist er zum König gemacht worden, dem Vater gleich, um sich alle Macht im Himmel und auf Erden zu unterwerfen, damit wir in ihm Könige seien und so Gewalt über Teufel, Sünde, Tod und Hölle haben. Zum anderen ist er zum Hohepriester gemacht worden, um uns Frieden zu schaffen und durch sein Opfer mit dem Vater zu versöhnen, damit wir in ihm Priester seien und so dem Vater unsere Gebete, unsere Danksagungen, uns selbst und alles, was unser ist, mit Christus als unserem Fürsprecher und Mittler darbringen. Darüber hinaus wird er Gottes Sohn genannt, aber nicht so wie die Gläubigen nur durch Annahme an Kindesstatt und Gnade, sondern wahrhaft und von Natur und somit er einzig und allein, damit er von den anderen unterschieden werde. Und er ist unser Herr, nicht nur gemäß seiner Göttlichkeit, die er von Ewigkeit her in Einheit mit dem Vater besitzt, sondern auch in jenem Fleisch, in dem er uns offenbart worden ist. Denn wie der heilige Paulus sagt: „Es gibt einen einzigen Gott, von dem alle Dinge sind, und einen einzigen Herrn Jesus Christus, durch den alle Dinge sind“ (1. Kor 8,6). „Der empfangen worden ist vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Hier steht, wie der Sohn Gottes für uns Jesus, das heißt Retter, wurde, und Christus, das heißt gesalbt zum König, der uns bewahren, und zum Hohepriester, der uns mit dem Vater versöhnen sollte. Denn er hat unser Fleisch angenommen, damit er als Menschensohn uns mit sich zum Gottessohn mache. Er hat unsere Armut auf sich genommen, um seine Reichtümer auf uns zu übertragen. Er hat unsere Schwachheit angenommen, um uns durch seine Kraft zu stärken. Er hat unsere Sterblichkeit auf sich genommen, um uns seine Unsterblichkeit zu schenken. Er ist zur Erde herabgestiegen, um uns zum Himmel zu erheben. Er wurde von der Jungfrau Maria geboren, damit er als der wahre Sohn Abrahams und Davids gelte (Mt 1,21; Gen 15,4 f.; Ps 132,11), der durch das Gesetz und die Propheten verheißen war, und als wahrer Mensch, in allem uns gleich außer in

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Bezug auf die Sünde. Er wurde mit allen menschlichen Schwachheiten in Versuchung geführt und lernte, mit ihnen Mitleid zu haben. Er wurde im Schoß der Jungfrau durch die wunderbare und unaussprechliche Kraft des Heiligen Geistes empfangen, damit er von keiner fleischlichen Verdorbenheit befleckt, sondern von höchster Reinheit geheiligt geboren wurde. „Der gelitten hat unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben wurde, niedergefahren ist zur Hölle.“ Diese Worte lehren uns, wie er unsere Erlösung vollendet hat, um derentwillen er als sterblicher Mensch geboren war. Er hat den Zorn Gottes, den der Ungehorsam des Menschen erregt hatte, durch seinen Gehorsam ausgelöscht, indem er sich dem Vater bis in den Tod gehorsam erwies (Röm 6,2; Phil 2,7 f.). Und er hat sich durch seinen Tod dem Vater als Opfer angeboten, damit dessen Gerechtigkeit einmal für alle Zeiten befriedigt würde, sodass alle, die glauben, in Ewigkeit geheiligt seien, damit eine ewige Genugtuung erfüllt sei (Hebr 7,2 ff.; 9,11 f.; 10,10). Er hat sein heiliges Blut als Preis für unsere Erlösung vergossen, damit der uns gegenüber entflammte Zorn Gottes gelöscht und wir von unserer Ungerechtigkeit gereinigt würden (Röm 3,24 f.; Eph 1,7; Kol  1,20). Doch ist in dieser Erlösung nichts ohne göttliches Geheimnis. Er hat gelitten unter Pontius Pilatus, damals Richter im Land Judäa, der ihn wie einen Verbrecher und Bösewicht verdammte, damit wir durch diese Verdammung frei würden und vor dem Rat des großen Richters straflos ausgingen (Jes 33,10–16.22). Er ist gekreuzigt worden, um am Kreuz, das nach dem Gesetz verflucht war, unsere Verfluchung zu erdulden, die unsere Sünden verdienten (Dtn 21,23; Gal 3,13). Er ist gestorben, um durch seinen Tod den Tod zu besiegen und zu verschlingen – unseren Feind, der sonst uns alle verschlingen und verzehren würde (Hebr 2,14). Er ist begraben worden, damit wir, die wir durch die Wirksamkeit seines Todes mit ihm vereint sind, mit unseren Sünden begraben und von der Gewalt des Teufels und des Todes erlöst würden (Röm 6,3–9). Die Aussage „niedergefahren zur Hölle“ bedeutet, dass er von Gott geschlagen wurde und die furchtbare Strenge des göttlichen Gerichts ertragen und erfahren musste, indem er sich dem Zorn Gottes auslieferte und seiner Gerechtigkeit für uns Genüge tat. So hat er die Strafe, die unsere Ungerechtigkeit verdiente, erduldet und getragen, obwohl an ihm niemals Sünde oder Befleckung war (Jes 53,9). Nicht, dass der Vater jemals ihm gegenüber erzürnt gewesen wäre, denn wie hätte ihm jemals sein vielgeliebter Sohn, an dem er Wohlgefallen gefunden hat, missfallen können? Wie hätte sonst der Sohn durch seine Vermittlung den Vater versöhnen können, wenn dieser ihm gegenüber zornig gewesen wäre? Die Aussage, dass er das ganze Gewicht des Zornes Gottes getragen habe, ist aber so zu verstehen: Als er von der Hand Gottes

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getroffen und geschlagen worden war, hat er alle Zeichen des Zorns und der Rache Gottes an sich erfahren, bis die Angst ihn zum Schrei trieb: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46 parr). „Der am dritten Tag auferstanden von den Toten, aufgefahren zum Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Seiner Auferstehung können wir die feste Gewissheit entnehmen, dass wir die Herrschaft des Todes besiegen werden. Denn so wie Jesus Christus durch dessen Schmerzen nicht zurückgehalten werden konnte, sondern mit all seiner Macht daraus hervorgegangen ist, so zerbrach er dabei all die Stacheln des Todes, damit sie uns nicht mehr tödlich treffen könnten (Apg 2,22–36). Seine Auferstehung ist also die allersicherste Wahrheit, das Wesen und die Grundlage zunächst unserer künftigen Auferstehung, dann aber auch unserer gegenwärtigen Lebendigmachung, durch welche wir zu einer Erneuerung des Lebens erweckt werden (1. Kor 15,20 f.; Röm 6,4 f.). Durch seine Himmelfahrt hat er uns das Tor zum himmlischen Reich geöffnet, das uns allen in Adam verschlossen war. Denn er ist in das Himmelreich mit unserem menschlichen Fleisch wie in unserem Namen eingegangen, sodass wir in ihm schon das Himmelreich in der Hoffnung besitzen und sogar an himmlischen Stätten wohnen (Eph 2,6; Hebr 2,14 f.). Er hält sich dort nicht ohne großen Gewinn für uns auf, sondern ist gemäß seinem Amt als ewiger Hohepriester in den Tempel Gottes eingegangen, der nicht von Menschenhänden gemacht ist, und erweist sich als unser Beistand und Mittler in Ewigkeit. „Er sitzt zur Rechten Gottes, des Vaters“ bedeutet als erstes, dass er zum König, Meister und Herr über alle Dinge erklärt und eingesetzt ist, um uns durch seine Kraft zu bewahren und zu erhalten, sodass seine Herrschaft und sein Ruhm unsere Stärke, unsere Kraft und unser Ruhm gegen die Mächte der Hölle sind. Und es bedeutet zweitens, dass er alle Gnaden des Heiligen Geistes empfangen hat, um sie auszuteilen und damit die Gläubigen reich zu machen. Obwohl sein Leib nach der Himmelfahrt dem Blick unserer Augen entzogen ist, hört er dennoch nicht auf, den Gläubigen durch seine Hilfe und Macht beizustehen und ihnen die offenbare Kraft seiner Gegenwart zu zeigen, was er ja auch in seinem Wort versprochen hat: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Mt 28,20). Schließlich folgt daraus, dass er in sichtbarer Gestalt von dort herabkommen wird, so wie man ihn auffahren sah, wenn er am Jüngsten Tag allen in der ganzen unbegreiflichen Majestät seiner Macht erscheinen wird, um die Lebendigen und die Toten zu richten: jene, die dieser Tag lebendig überraschen wird, und die bereits Verstorbenen, und er allen nach ihren Werken vergelten wird, so wie ein jeder sich durch seine

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Werke als gläubig oder ungläubig erweisen wird (Apg 1,11; Mt 24,30 f.; 1. Thess 4,13–18; Mt 16,28). Von dort her kommt uns ein einzigartiger Trost zu wissen, dass dann der das Urteil fällt, dessen Erscheinung uns nur Heil bedeuten kann. „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Wenn uns gelehrt wird, an den Heiligen Geist zu glauben, so ist uns damit auch geboten, von ihm das zu erwarten, was ihm in der Heiligen Schrift zugeschrieben wird. Denn durch die Kraft seines Geistes wirkt Christus alles Gute, was es auch sei. Durch sie schafft, erhält, versorgt und belebt er alle Dinge. Durch sie rechtfertigt, heiligt, reinigt und ruft er uns und zieht uns zu sich, damit wir Heil erlangen (Röm 8,28–30; 1. Kor 6,11). Es ist also der Heilige Geist, der, wenn er so in uns wohnt, uns mit seinem Licht erleuchtet, damit wir erfahren und vollständig erkennen, welch gewaltige Schätze göttlicher Güte wir in Christus besitzen (1. Kor 2,12). Er lässt unsere Herzen im Feuer glühender Liebe zu Gott und dem Nächsten entbrennen. Er tötet und vernichtet täglich mehr und mehr die Laster unserer Begierde, sodass gute Werke, wenn es etwas davon in uns gibt, die Früchte und Auswirkungen seiner Gnade sind. Ohne ihn gäbe es in uns nur Finsternis des Verstandes und Verdorbenheit des Herzens. „Ich glaube an die heilige allgemeine Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen.“ Wir haben schon gesehen, aus welcher Quelle die Kirche entspringt. Hier wird uns der Glaube an sie vorgeschrieben, damit wir darauf vertrauen, dass alle Erwählten durch das Band des Glaubens in einer Kirche, einer Gemeinschaft und einem Volk Gottes verbunden sind. Dessen Anführer und Fürst und Haupt gleichsam eines Leibes ist Christus, unser Herr, wie sie denn in ihm auch vor der Erschaffung der Welt erwählt wurden, um vollzählig im Reich Gottes versammelt zu werden. Diese Gemeinschaft ist katholisch, das heißt allgemein. Denn es gibt nicht deren zwei oder drei, sondern alle von Gott Erwählten sind derart in Christus vereint und verbunden, dass sie von einem Haupt abhängen, auch wie in einem Leib wachsen, unter sich auf dieselbe Weise zusammenhängen wie die Glieder eines Leibes. Sie sind darin wahrhaft geeint, dass sie im selben Glauben, in derselben Hoffnung und in derselben Liebe aus demselben Geist Gottes leben und zu derselben Erbschaft des ewigen Lebens berufen sind. Diese Gemeinschaft ist auch heilig. Denn alle, die durch die ewige Vorsehung Gottes dazu erwählt sind, als Glieder der Kirche angenommen zu werden, sind durch den Herrn geheiligt in einer Wiedergeburt aus dem Geist. Der letzte Satzteil erhellt schließlich noch klarer, was die Kirche ist, nämlich eine so feste Gemeinschaft der Gläubigen, dass dann, wenn einer unter ihnen irgendeine Gabe Gottes empfängt, alle in bestimmter Weise daran

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teilhaben. Das gilt, auch wenn durch Gottes Anordnung diese Gabe jemandem besonders und nicht anderen gegeben wird, genauso, wie die Glieder desselben Leibes an allem miteinander gemeinschaftlich teilhaben und dennoch jedes Glied seine besonderen Eigenarten und verschiedenen Aufgaben hat. Denn, wie schon gesagt, alle Erwählten sind zu einem Leib versammelt und geschaffen. Wir glauben damit an die heilige Kirche und ihre Gemeinschaft in solcher Weise, dass wir darauf vertrauen – versichert durch den festen Glauben an Christus –, Glieder dieser Kirche zu sein (Röm 12,5; 1. Kor 10,17; 12,12; Eph 4,15 f.). „Ich glaube an die Vergebung der Sünden.“ Auf dieses Fundament ist unser Heil gegründet. Die Vergebung der Sünden ist ja der Weg, um uns Gott zu nähern, und das Mittel, das uns in seinem Reich festhält und bewahrt. Denn in der Vergebung der Sünden ist alle Gerechtigkeit der Gläubigen enthalten, die sie nicht durch irgendein eigenes Verdienst, sondern allein durch die Barmherzigkeit Gottes erlangen. Bedrückt, betrübt und bestürzt im Bewusstsein ihrer Sünden, durch das Empfinden des göttlichen Gerichts niedergeschlagen, missfallen sie sich selbst und seufzen und mühen sich wie unter einer schweren Last. Mit derartigem Hass und Bestürzung über die Sünde töten sie ihr Fleisch ab und alles, was von ihnen selbst herkommt (Ps 46,11; 88). Damit aber Christus uns die Vergebung der Sünden umsonst erwerbe, hat er sie selbst erkauft und mit dem Preis seines eigenen Blutes bezahlt. Darin müssen wir die ganze Reinigung und Genugtuung für sie suchen. Wir werden also gelehrt zu glauben, dass durch die göttliche Großmut, wobei das Verdienst Christi für uns eintritt, uns Vergebung der Sünden und Gnade zukommt (1. Joh 2,1 f.12; Apg 10,43; Jes 33,22.24) – uns, die wir berufen und dem Leib der Kirche eingefügt sind. Auf andere Weise wird uns keine Vergebung der Sünden geschenkt, weder durch ein anderes Mittel noch gegenüber anderen – angesichts dessen, dass es außerhalb dieser Kirche und Gemeinschaft der Heiligen kein Heil gibt. „Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches, an das ewige Leben. Amen.“ Zunächst wird uns hier gelehrt, die kommende Auferstehung zu erwarten. Es werde nämlich geschehen, dass der Herr mit derselben Macht, durch die er seinen Sohn von den Toten auferweckt hat, aus Staub und Verderbnis das Fleisch jener zu neuem Leben rufen werde, die vor dem Tag des großen Gerichts vom Tod verschlungen sein werden. Wer dann lebend angetroffen wird, der geht mehr durch eine plötzliche Umgestaltung als durch den natürlichen Weg des Todes in das neue Leben ein. Weil indes die Auferstehung den Guten und Bösen gemeinsam ist, allerdings unter verschiedenen Bedingungen, ist der letzte Satzteil hinzugefügt, der zwi-

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schen unserem Zustand und dem der anderen unterscheidet. Unsere Auferstehung wird nämlich so sein, dass nach der Auferweckung von der Verderbnis zur Unverderblichkeit, der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit und nach der Verherrlichung an Leib und Seele der Herr uns in eine Seligkeit aufnehmen wird, die ohne Ende dauern wird, ohne irgendeine Eigenschaft der Veränderung oder Verderbnis (1. Kor 15,51 f.; 1. Thess 4,13–18). Das wird die wahre und ganze Vollkommenheit in Leben, Licht und Gerechtigkeit sein, wenn wir untrennbar dem Herrn anhängen werden, der wie eine unversiegbare Quelle alle Fülle in sich enthält. Diese Seligkeit wird das Reich Gottes sein, ganz erfüllt von Klarheit, Freude, Kraft und Glück – Dinge, die jetzt weit außerhalb der menschlichen Erkenntnis liegen und die wir nur durch einen Spiegel und undeutlich sehen, bis der Tag gekommen sein wird, wo der Herr uns seine Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht sehen lassen wird (1. Kor 13,12). Die Verworfenen und Bösen dagegen, die Gott nicht mit wahrem und lebendigem Glauben gesucht und geehrt haben und entsprechend auch keinerlei Anteil an Gott und seinem Reich haben, werden mit den Teufeln zusammen weggestoßen in unsterblichen Tod und unverderbliche Verderbnis. Fern von aller Freude, Kraft und allen anderen Gütern des himmlischen Reiches, verdammt zu immerwährender Finsternis und ewigen Qualen, werden sie von einem Wurm zernagt, der niemals sterben, und von einem Feuer gebrannt, das niemals erlöschen wird (Jes 66,24). [21.] Was die Hoffnung bedeutet Der Glaube ist, wie wir gehört haben, eine sichere Überzeugung von Gottes Wahrheit, die uns weder betrügen noch täuschen noch leer oder falsch sein kann. Darum werden alle jene, welche diese Gewissheit erfasst haben, ebenso sicher auch erwarten, dass Gott seine Verheißungen erfüllen wird, die ihrer Überzeugung nach nicht anders als wahr sein können. Folglich ist die Hoffnung nichts anderes als die Erwartung jener Dinge, auf die der Glaube vertraut, dass sie von Gott in Wahrheit verheißen sind. So vertraut der Glaube darauf, dass Gott wahrhaft ist; die Hoffnung erwartet, dass er zu gegebener Zeit seine Wahrheit zeigt. Der Glaube vertraut darauf, dass Gott unser Vater ist; die Hoffnung zählt darauf, dass er sich uns gegenüber immer als solcher erweist. Der Glaube vertraut darauf, dass uns das ewige Leben gegeben wird; die Hoffnung erwartet, dass es einmal offenbart werden wird. Der Glaube ist das Fundament, auf dem die Hoffnung ruht; die Hoffnung nährt und stützt den Glauben. Denn wie niemand etwas von Gott erwarten oder erhoffen kann, ohne zuerst seinen Verheißungen geglaubt zu haben, so muss andererseits die Schwachheit unseres Glaubens, um nicht in Müdigkeit zu verzagen, durch Hoffen und geduldiges Erwarten gestärkt und bewahrt werden.

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[22.] Vom Gebet Der Mensch, der auf rechte Weise im wahren Glauben unterwiesen ist, erkennt als erstes klar, wie bedürftig und aller Güter entblößt er ist und wie sehr ihm selbst jede Hilfe zum Heil fehlt. Wenn er darum eine Unterstützung sucht, die ihm in seiner Armut zu Hilfe komme, muss er aus sich heraustreten, um sie anderswo zu finden. Andererseits denkt er an den Herrn, der sich ihm großmütig und in seinem Wohlwollen in Jesus Christus darbietet und in ihm alle himmlischen Schätze aufschließt, damit der ganze Glaube des Menschen innehalte, um sich diesem vielgeliebten Sohn zuzuwenden, seine ganze Erwartung von ihm abhänge und all seine Hoffnung in ihm ruhe und festgemacht sei. Also muss der Mensch sich zu Gott wenden und von ihm erbitten, was er als in ihm befindlich erkannt hat. Gott andererseits nicht anzurufen und zu bitten, obwohl wir wissen, dass er der Herr ist, von dem alles Gute kommt, und der uns einlädt, alles von ihm zu erbitten, was wir nötig haben, ist derart unnütz, wie wenn jemand, der einen in der Erde vergrabenen Schatz kennt, ihn aus Gleichgültigkeit dort lässt und sich keine Mühe gibt, ihn zu heben. [23.] Worauf man beim Beten achten muss Das Gebet weist eine bestimmte Ähnlichkeit mit einer Zwiesprache zwischen Gott und uns auf, durch die wir vor ihm unsere Wünsche, Freuden, Seufzer, ja, alles, was unsere Herzen bewegt, ausbreiten. Darum müssen wir jedes Mal, wenn wir den Herrn anrufen, sorgfältig darauf achten, dass wir in die Tiefe unseres Herzens hinabsteigen und ihn von dort her anrufen, und ja nicht bloß mit Kehle oder Zunge. Zwar dient die Zunge manchmal dem Gebet, sei es, dass unser Geist im Gedanken an Gott aufmerksamer festgehalten wird, oder auch, dass dieser Teil unseres Körpers, der ganz besonders dazu bestimmt ist, Gottes Herrlichkeit zu preisen, gemeinsam mit dem Herzen tätig ist, seine Güte zu betrachten. Dennoch hat der Herr durch seinen Propheten erklärt, was ihr Gebrauch ohne innere Beteiligung verursacht, als er die schwerste Bestrafung für alle verkündete, die ihn mit den Lippen preisen, während ihr Herz ihm fern ist (Jes 29,13; Mt 15,7 f.). Wenn weiter das wahre Gebet, das für uns der Weg ist, Gott nahe zu kommen, nichts anderes sein soll als ein aufrichtiges Gefühl unseres Herzens, so müssen wir dabei auf jeden Gedanken an unseren eigenen Ruhm, jede Einbildung eigener Würdigkeit und jedes Vertrauen auf uns selbst verzichten. Entsprechend mahnt der Prophet uns, nicht im Vertrauen auf unsere Verdienste, sondern auf die große Barmherzigkeit des Herrn zu beten, damit dieser uns um seiner Liebe willen erhöre, weil sein Name über uns ausgesprochen ist (Dan 9,18 f.; Bar 2,11 f.). Die Erkenntnis unseres Elends soll uns jedoch nicht vom Zugang zu Gott abschrecken. Das Beten ist ja weder dazu eingerichtet, dass wir uns an­

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maßend vor Gott erheben, noch dazu, dass wir die eigene Würdigkeit preisen, sondern damit wir unsere Not bekennen und unser Unglück beseufzen, so wie Kinder vor dem Vater vertrauensvoll ihre Klagen ausbreiten. Ein solches Gefühl soll uns Ansporn sein, uns immer mehr zum Beten anzutreiben und anzustacheln. Zwei Dinge sollen uns auf wunderbare Weise zum Gebet bewegen: als erstes das Gebot Gottes, wodurch er uns zu beten befiehlt, und dann die Verheißung, mit der er uns versichert, dass wir alles, worum wir bitten, erlangen werden. Denn die, welche Gott anrufen und ihn bitten, empfangen einen einzigartigen Trost, weil sie wissen, dass sie damit etwas Gott Wohlgefälliges tun. Zugleich haben sie im Vertrauen auf seine Wahrheit die Gewissheit, erhört zu werden, sagt er doch: „Bittet, und es wird euch gegeben werden, klopft an, und es wird euch aufgetan werden, sucht, und ihr werdet finden“ (Mt 7,7). Und im Psalm: „Rufe mich am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“ (Ps 50,15). Darin hat er die beiden Weisen des Gebets zusammengefasst, nämlich die Anrufung oder Bitte und den Dank. Durch die erstere decken wir vor Gott die Wünsche unseres Herzens auf; durch die andere erkennen wir die Wohltaten an, die er uns erweist. Von beiden Weisen sollen wir fortwährend Gebrauch machen. Denn wir sind von solcher Armut und Bedürftigkeit bedrängt, dass dies auch für die Besten Anlass genug ist, unablässig zu seufzen, zu klagen und in aller Demut den Herrn anzurufen. Andererseits sind die Wohltaten, die der Herr in seiner Güte über uns ausgießt, so umfassend, und die Wunder seiner Werke, wohin wir auch blicken mögen, zeigen sich derart gewaltig, dass uns nie ein Anlass zum Loben und Danken fehlen kann. [24.] Die Auslegung des Herrengebets Dieser Vater voll Milde hat uns nicht nur ermahnt und ermuntert, ihn in jeder Notlage zu suchen, sondern er wollte angesichts dessen, dass wir nicht einmal erkennen, worum wir bitten sollen und was wir nötig haben, uns in unserer Unkenntnis beistehen und hat aus sich selbst heraus das ersetzt, was unserer geringen Fähigkeit abging. Durch dieses Wohlwollen empfangen wir einen einzigartigen Trost, da es uns nun offenbar ist, dass wir ihn um nichts Unvernünftiges, Abwegiges oder Unangemessenes bitten oder um etwas, das ihm nicht annehmbar wäre, da wir gleichsam mit seinem Mund beten. Diese Gestalt und Regel des Betens enthält sechs Bitten, wovon die ersten drei insbesondere die Ehre Gottes betreffen, auf die allein wir in ihnen unsere Aufmerksamkeit richten sollen, ohne irgendwie auf unseren eigenen Nutzen zu blicken. Die drei anderen sind der Sorge um uns selbst gewidmet und sollen die Dinge, die zu unserem Wohl dienen, erbitten. Das soll jedoch so geschehen, dass die Ehre Gottes,

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die Gegenstand der drei ersten Bitten ist, unser Wohl nach sich zieht, von dessen Betrachtung wir in ihnen unseren Geist abkehren, und andererseits so, dass wir in den drei anderen nur so um das bitten dürfen, was für uns nützlich ist, dass es zu Gottes Ehre dient (Mt 6,9–13). „Unser Vater in den Himmeln.“ Als erstes zeigt sich für jedes Gebet die Regel, dass es sich im Namen Christi an Gott richten muss, da in einem anderen Namen kein Gebet für ihn annehmbar wäre. Denn da wir Gott unseren Vater nennen, ist es ja gewiss, dass wir dabei den Namen Christi in Anspruch nehmen. Weil ja sicherlich kein Mensch auf Erden würdig ist, vor Gott zu treten und vor seinem Angesicht zu erscheinen, hat uns dieser gütige himmlische Vater, um uns von der Beschämung zu befreien, die uns mit gutem Grund verwirren muss, seinen Sohn Jesus als Mittler und Fürsprecher vor ihm gegeben. Durch seine Führung können wir uns beherzt an ihn wenden, in vollem Vertrauen auf diesen Vermittler, dass nichts von dem, worum wir in seinem Namen bitten, uns verweigert werde, weil eben der Vater ihm nichts verweigern kann. So ist sogar der Thron Gottes nicht nur ein Thron der Majestät, sondern ebenso ein Thron der Gnade, vor dem wir in seinem Namen frei und beherzt erscheinen dürfen, um Barmherzigkeit zu erlangen und Gnade zu finden, wenn wir ihrer bedürfen (Hebr 4,16). Wie die Anordnung des Gesetzes, Gott anzurufen, und die Verheißung, dass alle, die ihn anrufen, erhört werden, so haben wir tatsächlich auch das Gebot, ihn im Namen Christi anzurufen, und die gegebene Verheißung, zu erhalten, worum wir in seinem Namen bitten (Joh 14,13 f.; 16,23 f.). Hier wird hinzugefügt, dass Gott unser Vater in den Himmeln ist. Damit wird seine wunderbare Majestät, die unser Geist in seiner Beschränktheit nicht auf andere Weise erfassen kann, angezeigt, da es ja vor unseren Augen nichts Hervorragenderes und Majestätischeres gibt als den Himmel. Darum bedeutet diese Wendung ebenso viel, wie wenn er erhaben, mächtig und unbegreiflich genannt würde. Wenn wir das hören, müssen wir also jedes Mal unsere Gedanken nach oben richten, sooft Gott erwähnt wird, um uns unter ihm nicht etwas Fleischliches oder Irdisches vorzustellen und um ihn nicht an unserem Begriffsvermögen zu messen oder seinen Willen unseren Gefühlen entsprechen zu lassen. Die erste Bitte: „Dein Name werde geheiligt.“ Gottes Name meint den Ruhm, der ihm um seiner Eigenschaften willen unter den Menschen zukommt, nämlich seiner Weisheit, Güte, Macht, Gerechtigkeit, Wahrheit und Barmherzigkeit. Wir bitten also darum, dass seine Herrlichkeit in solchen Eigenschaften geheiligt werde, nicht etwa, weil sie selbst wachsen oder abnehmen könnte, sondern damit sie von allen

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heilig geachtet werde, indem sie wahrhaft anerkannt und gepriesen wird, und dass bei allem, was Gott auch tue, seine Werke so herrlich erscheinen, wie sie sind: dass also Gott in seinen Strafen für gerecht gehalten wird, in seinem Vergeben für barmherzig, in der Erfüllung seiner Verheißungen für wahrhaftig, ja, dass es nichts gibt, aus dem sein Ruhm nicht hervorleuchtet wie darin eingegraben, und sein Lob darum in allen Menschen und allen Sprachen erklingen soll. Die zweite Bitte: „Dein Reich komme.“ Das Reich Gottes besteht darin, die Seinen durch den Heiligen Geist zu führen und zu regieren, damit in all ihren Werken der Reichtum seiner Güte und Barmherzigkeit offenbar werde, und andererseits darin, die Verworfenen, die sich seiner Herrschaft nicht unterziehen und ihren verdammten Hochmut nicht ablegen wollen, in den Abgrund zu stoßen und zuschanden zu machen, damit es klar wird, dass es keine Macht gibt, die der seinen widerstehen könnte. Wir beten also, dass Gottes Reich komme, womit gemeint ist, dass der Herr von Tag zu Tag die Zahl seiner Gläubigen, die seinen Ruhm in all ihren Werken verherrlichen, vervielfache. Er möge ständig den Überfluss seiner Gnade immer mehr auf sie ausgießen, durch den er in ihnen mehr und mehr herrscht, bis er sie, vollkommen mit sich verbunden, ganz und gar erfüllt. Entsprechend möge er von Tag zu Tag durch weitere Verbreitung sein Licht und seine Wahrheit heller erstrahlen lassen, wodurch Satan und die Lügen und Dunkelheiten seines Reichs vertrieben und kraftlos gemacht werden. Wenn wir so beten, dass Gottes Reich komme, wünschen wir auch, dass es endlich vollendet und erfüllt werde, nämlich durch die Offenbarung seines Gerichts, an welchem Tag er allein gepriesen und alles in allem sein wird, nachdem er die Seinen in Herrlichkeit aufgenommen und empfangen und das Reich Satans gänzlich zerstört und zerschlagen hat. Die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.“ Damit bitten wir, dass er genau so, wie er es im Himmel tut, auch auf Erden alles nach seinem guten Willen regiert und führt, alle Dinge zu dem ihm gut erscheinenden Ende führt, nach seinem Wohlgefallen von all seinen Schöpferwerken Gebrauch macht und sich den Willen aller unterwirft. Indem wir darum bitten, verzichten wir auf all unsere eigenen Wünsche, ergeben uns dem Herrn und übergeben ihm alles, was an Gefühlen in uns ist, mit der Bitte, dass er die Dinge nicht nach unserem Verlangen ausführe, sondern so, wie er erkennt, dass es förderlich ist. Wir bitten also nicht nur darum, dass er unsere seinem Willen widersprechenden Wünsche nichtig und wirkungslos mache, sondern vielmehr auch darum, dass er in uns einen neuen Geist und ein neues Herz schaffe,

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und die unsrigen auslösche und zunichtemache, sodass keine Regung von Begierde sich mehr in uns erhebt, sondern nur ein volles Einverständnis mit seinem Willen. Zusammengefasst bedeutet dies, dass kein Eigenwille, sondern der Wille seines Geistes in uns wirkt, durch dessen Eingebung wir lernen, alles zu lieben, was ihm angenehm ist, und alles zu hassen und zu verabscheuen, was ihm missfällt. Die vierte Bitte: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“ Damit bitten wir ganz allgemein um alle Dinge, die für die Befrie­digung der Bedürfnisse unseres Leibes unter den Bedingungen dieser Welt nötig sind. Es geht dabei nicht nur um Nahrung und Kleidung, sondern um alles, was nach Gottes Erkenntnis dazu dient, dass wir unser Brot in Frieden essen können. Durch diese Bitte vertrauen wir uns – um es kurz zu sagen – der Vorsehung des Herrn an und unterstellen uns seiner Fürsorge, damit er uns nähre, versorge und bewahre. Denn diesem guten Vater ist es nicht zu wenig, auch unseren Leib in seine Obhut und Fürsorge zu nehmen, um unser Vertrauen in ihn durch diese leichten und geringen Dinge zu üben, und wir alles, was wir nötig haben, von ihm erwarten, bis zum letzten Brotkrümel und Wassertropfen. Dass wir indes unser Brot täglich und nur für den gegenwärtigen Tag erbitten, bedeutet, dass wir nicht mehr wünschen sollen, als was wir Tag für Tag zum Leben nötig haben. Das soll im Vertrauen darauf geschehen, dass unser Vater, der uns heute genährt hat, es uns auch morgen an nichts fehlen lassen wird. Selbst wenn wir augenblicklich in einem gewissen Überfluss leben, ist es angebracht, immer um unser tägliches Brot zu bitten. Das sollen wir im Bewusstsein tun, dass aller Lebensunterhalt nur soweit besteht, als der Herr ihn durch den Segen, den er ihm einflößt, gedeihen und zum Nutzen werden lässt, und dass alles, was wir in Händen haben, nur insoweit unser ist, wie Gott uns dessen Gebrauch von Stunde zu Stunde gewährt und Stück für Stück zuteilt. Dass wir es unser Eigen nennen dürfen, lässt Gottes Güte noch größer erscheinen, die es das unsrige sein lässt, ohne dass es uns aufgrund irgendeines Anrechtes geschuldet würde. Wenn wir schließlich darum bitten, dass es uns gegeben werde, bedeutet dies, dass alles, was uns auf irgendeine Weise zukommt, schlicht eine Gnadengabe Gottes ist, auch wenn wir es scheinbar durch unsere Tätigkeit erworben haben. Die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsren Schuldnern.“ Damit bitten wir darum, dass uns Gnade und Vergebung gewährt werden, was alle Menschen ohne jede Ausnahme nötig haben. Weiter nennen wir unsere Sünden Schulden, weil wir ihretwegen Gott Strafe schulden wie eine Bezahlung, und doch könnten wir dafür keinerlei Genugtuung leis-

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ten, wenn wir nicht durch seine Vergebung freigesprochen wären, die eine freie Verzeihung aus Barmherzigkeit ist. Wir erbitten, sie solle so geschehen, wie wir es unseren Schuldnern gegenüber tun, nämlich so, wie wir jenen verzeihen, durch welche wir auf irgendeine Weise verletzt oder durch ungerechte Handlungen gekränkt oder mit Worten beschimpft worden sind. Diese Bedingung ist nicht angefügt, als ob wir durch die Vergebung, die wir anderen gewähren, Gottes Vergebung uns gegenüber verdienten, sondern es ist ein von Gott gegebenes Zeichen. Durch dieses werden wir darin bestärkt, dass Gott uns so gewiss in Gnaden annimmt, wie wir in unserem Gewissen überzeugt sind, dass wir anderen Gnade erweisen, wenn unser Herz ganz rein von allem Hass, Neid und Rachegefühl ist. Umgekehrt tilgt Gott dadurch auch all jene aus der Zahl der Kinder, die, zur Rachsucht geneigt und unwillig zum Verzeihen, ihre Feindschaften in ihren Herzen fest verwurzelt bleiben lassen. Sie sollen es dadurch ja nicht wagen, ihn als ihren Vater anzurufen und zu verlangen, dass der Unwille, den sie den Menschen gegenüber nähren, nicht auf sie falle. Die sechste Bitte: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Dadurch erbitten wir nicht etwa, keine Versuchungen spüren zu müssen. Wir haben sie vielmehr sehr nötig, um aufgerüttelt, angetrieben und in Bewegung versetzt zu werden. Denn es besteht die Gefahr, bei allzu großer Ruhe weichlich und träge zu werden (Jak 1,2–18), weswegen auch der Herr seine Erwählten täglich versucht und durch Schande, Armut und Bedrängnis und andere Arten von Kreuzesleiden unterweist. Unsere Bitte aber ist die, der Herr möge uns mit den Versuchungen auch gleichzeitig den Ausweg schaffen, damit wir von ihnen nicht besiegt und erdrückt werden, sondern durch seine Kraft sicher und stark allen Gewalten, die gegen uns kämpfen, beständig widerstehen können. Ja, noch mehr, wir bleiben, aufgenommen in seine Obhut und seinen Schutz, geheiligt durch die Gnadengaben seines Geistes, gelenkt durch seine Führung, dem Teufel, dem Tod und allen Waffen der Hölle gegenüber unbesiegbar. Das heißt Erlösung vom Bösen! Dazu muss noch festgehalten werden: Der Herr will, dass unsere Gebete der Regel der Liebe entsprechen, wenn man sieht, dass er uns nicht etwa lehrt, jeder solle für sich erbitten, sondern uns unterweist, sich um das Ergehen unseres Bruders zu kümmern wie um das eigene. [25.] Vom Beharren im Gebet Endlich müssen wir gut beachten, dass wir Gott nicht an bestimmte Umstände [zur Erfüllung der Bitten] binden sollen, so wie wir eben in diesem Gebet gelehrt werden, ihm kein Gesetz aufzuerlegen noch eine Bedingung zu stellen. Denn bevor wir ihm irgendeine Bitte für uns vor-

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legen, sagen wir vor allen Dingen: Sein Wille geschehe, womit wir bereits unseren Willen dem seinen unterstellen, damit er, wie durch einen Zügel festgemacht und zurückgehalten, sich nicht anmaßt, Gott zu beherrschen und sich zu unterwerfen. Wenn wir uns mit Herzen, die in solchem Gehorsam geformt sind, nach dem Wohlgefallen der göttlichen Vorsehung leiten lassen, werden wir es leicht lernen, im Gebet auszuharren und in Geduld den Herrn zu erwarten. Dabei schieben wir unsere Wünsche auf den Zeitpunkt seines Willens auf und sind dabei ganz sicher, dass er uns immer nahe ist, auch wenn er sich uns jetzt nicht zeigt, und zu seiner Zeit deutlichmachen wird, dass er nie taube Ohren für unsere Gebete hatte, mochten sie auch bei den Menschen als von ihm missachtet erscheinen. Und wenn am Ende nach langem Warten unser Verstand nicht begreifen kann, was das Beten genützt haben soll, und davon kein Ergebnis spürt, wird dennoch unser Glaube uns dessen gewiss machen, was unser Verstand nicht wahrzunehmen vermag, dass wir doch alles erhalten haben, was wir brauchten, und wird es so lenken, dass wir in der Armut Reichtum und in der Betrübnis Trost besaßen. Denn selbst wenn uns alles fehlen sollte, Gott wird uns dennoch nie verlassen, wie er ja auf keinen Fall die Erwartung und Geduld der Seinen enttäuschen kann. Er allein wird uns alle anderen Dinge ersetzen, wie er ja in sich alle Güter enthält, die er uns zu einem zukünftigen Zeitpunkt voll und ganz offenbaren wird. [26.] Von den Sakramenten Die Sakramente sind zu dem Zweck eingesetzt worden, um als Übung unseres Glaubens vor Gott und den Menschen zu dienen. Vor Gott üben sie uns im Glauben, indem sie ihn in der Wahrheit Gottes stärken. Denn der Herr hat uns, so wie er es unserer fleischlichen Unwissenheit gegenüber als förderlich ansah, die hohen und himmlischen Geheimnisse in irdischer Gestalt geben wollen. Nicht etwa, weil solche Eigenschaften in der Natur jener Dinge lägen, die uns als Sakrament gegeben sind, sondern weil sie durch das Wort des Herrn mit dieser Bedeutung gekennzeichnet sind. Denn immer geht die Verheißung voraus, die im Wort enthalten ist. Das Zeichen ist angefügt, das diese Verheißung bekräftigt und besiegelt und sie uns noch besser bezeugt sein lässt – in einer Weise, wie Gott es für unsere beschränkte Fassungskraft als geeignet erachtet. Denn unser Glaube ist so klein und schwach, dass er sofort erschüttert wird und wankt und schwankt, wenn er nicht von allen Seiten und mit allen Mitteln gestützt und gestärkt wird. Er wird dann auch vor den Menschen durch die Sakramente geübt, wenn er in ein öffentliches Bekenntnis einmündet und dadurch zum Lob des Herrn angeregt wird.

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[27.] Was ein Sakrament ist Ein Sakrament ist also ein äußerliches Zeichen, durch das der Herr uns seinen uns gegenüber gütigen Willen darstellt und bezeugt, um die Schwachheit unseres Glaubens zu stärken, oder – kürzer und klarer gesagt – ein Zeugnis der Gnade Gottes, das durch ein äußerliches Zeichen kundgemacht wird. Die christliche Kirche hat nur zwei Sakramente in Gebrauch, nämlich die Taufe und das Abendmahl. [28.] Von der Taufe Die Taufe ist uns von Gott dazu gegeben, damit sie erstens unserem Glauben an ihn und zweitens unserem Bekenntnis vor den Menschen diene. Der Glaube schaut auf die Verheißung, durch die uns der barmherzige Vater die Gemeinschaft mit seinem Christus anbietet, damit wir, mit ihm bekleidet, Anteil an all seinen Gütern haben sollen. Indes stellt die Taufe insbesondere zwei Dinge dar: Das eine ist die Reinigung, die wir durch das Blut Christi erhalten, das andere die Abtötung unseres Fleisches, die wir in seinem Tod empfangen haben. Denn der Herr hat geboten, dass die Seinen zur Vergebung der Sünden getauft werden (Mt 28,19; Apg 2,38 f.). Und der heilige Paulus lehrt, die Kirche sei durch ihren Gemahl Christus geheiligt und durch das Wasserbad im Wort des Lebens gereinigt (Eph 5,25–27). Weiter erläutert er, wie wir in den Tod Christi getauft sind, nämlich in seinem Tod begraben, damit wir in einem neuen Leben wandeln (Röm 6,3–11). Mit all dem ist jedoch nicht gemeint, dass das Wasser Ursache oder auch bloß Werkzeug der Reinigung und Wiedergeburt sei, sondern nur, dass die Kenntnis dieser Dinge in diesem Sakrament empfangen wird. Das geschieht in der Absicht, dass uns gesagt wird, wir würden all die Gaben des Herrn, an die wir glauben, auch wirklich empfangen, erhalten und erreichen, sei es, dass wir dann zum ersten Mal davon erfahren, oder dass wir es schon wissen und dann noch mehr überzeugt werden. Die Taufe dient ebenfalls unserem Bekenntnis vor den Menschen. Denn sie ist ein Kennzeichen, durch das wir öffentlich bekanntgeben, dass wir zum Volk Gottes gezählt werden wollen, um Gott in ein und derselben Religion mit allen Gläubigen zu dienen und zu ehren. Weil es im Übrigen so ist, dass durch die Taufe vor allem der Bund Gottes mit uns bestätigt wird, taufen wir mit gutem Recht auch unsere Kinder, die an dem ewigen Bund teilhaben, durch den der Herr verheißt, er werde nicht nur unser Gott, sondern auch der unserer Nachkommen sein (Gen 17,2–8). [29.] Vom Mahl des Herrn Die Verheißung, die mit dem Geheimnis des Abendmahls verbunden ist, macht ganz klar, zu welchem Zweck es eingesetzt worden ist und wozu es

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dient: Es soll uns darin bestärken, dass der Leib des Herrn ein einziges Mal so für uns gegeben wurde, dass er jetzt unser ist und es auch für alle Zeiten sein wird, und sein Blut ein einziges Mal so für uns vergossen, dass es immer unser sein wird. Die Zeichen sind Brot und Wein, mit denen der Herr uns die wahre Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut, nämlich die geistliche, vorstellt. Ihr genügt das Band seines Heiligen Geistes, und sie verlangt in keiner Weise eine Gegenwart, wo der Leib im Brot oder das Blut im Wein eingeschlossen wäre. Denn obwohl der zum Himmel erhobene Christus diesen irdischen Ort, wo wir noch Pilger sind, verlassen hat, kann dennoch kein Abstand seine Kraft zunichtemachen, sodass er die Seinen nicht mit sich selbst speisen könnte. Im Abendmahl gibt er uns darüber eine so gewisse und mit Händen zu greifende Belehrung, dass ohne jeden Zweifel sicher feststehen muss: Christus ist mit all seinen Reichtümern für uns hier gegenwärtig, nicht weniger, als wenn er uns vor Augen gestellt und von unseren Händen berührt würde. Darin liegen eine solche Kraft und Wirksamkeit, dass er nicht nur unserem Geist ein sicheres Vertrauen auf das ewige Leben gibt, sondern uns auch der Unsterblichkeit unseres Fleisches gewiss macht. Denn es ist schon durch sein unsterbliches Fleisch lebendig gemacht und steht gewissermaßen mit seiner Unsterblichkeit in Verbindung. Leib und Blut sind durch Brot und Wein dargestellt, damit wir erfassen, dass sie nicht nur unser sind, sondern unser Leben und unsere Speise. Wenn wir so das dem Leib Christi geheiligte Brot sehen, muss man sofort eine Ähnlichkeit darin sehen: Wie das Brot das Leben unseres Leibes nährt, erhält und bewahrt, so ist der Leib Christi Speise und Schutz unseres geistlichen Lebens. Wenn der Wein uns als Zeichen des Blutes hingestellt wird, sollen wir entsprechend davon überzeugt sein, dass wir jenen Nutzen, den er dem Leib bringt, in geistlicher Weise durch das Blut Christi empfangen. Indes ist dieses Geheimnis nicht nur eine Lehre darüber, wie unerhört freigebig Gott uns gegenüber ist, sondern es soll uns gleichzeitig ermahnen, diesem so offenbaren Wohlwollen gegenüber nicht undankbar zu sein, sondern es vielmehr mit entsprechendem Lob zu preisen und mit Danksagung zu feiern. Darüber hinaus sollen wir uns gegenseitig so zu einer Gemeinschaft zusammenfinden, wie die Glieder eines Leibes unter sich verbunden zusammengefügt sind. Denn kein stärkerer und wirksamerer Ansporn konnte uns gegeben werden, um uns zu gegenseitiger Nächstenliebe zu bewegen und anzutreiben, als indem Christus sich uns schenkt und so uns nicht nur durch sein Beispiel einlädt, sich einander gegenseitig zu schenken und zu widmen, sondern auch so, wie er sich mit allen vereint und uns alle in sich eint.

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[30.] Von den Pfarrern der Kirche und ihrer Macht Da der Herr gewollt hat, dass ebenso wie sein Wort auch seine Sakramente durch den Dienst von Menschen ausgeteilt würden, muss es beauftragte Pfarrer in der Kirche geben, die das Volk öffentlich und privat in der reinen Lehre unterweisen, die Sakramente verwalten und durch ein gutes Beispiel alle zur Heiligkeit und Reinheit des Lebens anleiten. Diejenigen, welche diese Lebensweise und Ordnung verachten, beleidigen nicht nur die Menschen, sondern Gott, und entfernen sich als Ketzer von der Gemeinschaft der Kirche, die keinesfalls ohne ein solches Amt bestehen kann. Denn es ist von nicht geringer Wichtigkeit, was der Herr einmal bezeugt hat: Wenn die Pfarrer, die er aussendet, aufgenommen werden, wird er selbst aufgenommen, und entsprechend abgewiesen, wenn sie abgewiesen werden (Mt 10,40). Und damit ihr Dienst nicht bestritten werde, sind sie mit der hervorragenden Vollmacht ausgestattet worden zu binden und zu lösen, der die Verheißung mitgegeben ist, dass alle Dinge, die sie auf Erden binden oder lösen, auch im Himmel gebunden oder gelöst sind (Mt 16,19). Christus selbst erläutert an einer anderen Stelle, dass Binden das Festhalten in Sünden und dass Lösen das Erlassen der Sünden bedeute (Joh 20,23). Auf welche Weise das Lösen geschieht, erklärt der Apostel, wenn er lehrt, das Evangelium sei die Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt (Röm 1,16), und ebenso das Binden, wenn er sagt, die Apostel seien bereit, jeden Ungehorsam zu strafen (2. Kor 10,6). Denn die Summe des Evangeliums besteht darin, dass wir Sklaven von Sünde und Tod sind und dass wir durch die Erlösung in Christus davon gelöst und befreit sind, und dass diejenigen, welche ihn nicht als Erlöser annehmen, durch neue Fesseln zu einer noch schwereren Verdammung festgebunden sind. Aber denken wir daran, dass diese Macht, die in der Schrift den Pfarrern zuerkannt wird, völlig im Dienst des Wortes enthalten und darauf begrenzt ist. Denn Christus hat diese Macht genau genommen nicht Menschen gegeben, sondern seinem Wort, zu dessen Dienern er die Menschen gemacht hat. Darum sollen sie alle Dinge beherzt durch Gottes Wort wagen, zu dessen Austeilung sie eingesetzt sind: Sie sollen alle Kraft, Herrlichkeit und Größe der Welt dazu zwingen, der Hoheit dieses Wortes Platz zu machen und zu gehorchen; sie sollen damit allen, vom Höchsten bis zum Geringsten, befehlen; sie sollen das Haus Christi aufbauen; sie sollen das Reich Satans zerstören; sie sollen die Schafe weiden, die Wölfe töten, die Gelehrigen unterrichten und ermahnen, die Abtrünnigen überführen, wiedergewinnen, festhalten und überzeugen – aber alles durch das Wort Gottes. Wenn sie sich von ihm weg und ihren eigenen Träumen und in ihrem Kopf entstandenen Gedanken zuwenden, kann man sie nicht mehr als Pfarrer annehmen. Man muss sie verjagen in der Erkenntnis, dass sie vielmehr verderbliche Wölfe sind. Denn Christus hat

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uns befohlen, auf keine anderen zu hören als auf solche, die uns lehren, was sie seinem Wort entnommen haben. [31.] Von den menschlichen Überlieferungen Da es sich so verhält, dass wir ein allgemeines Urteil des heiligen Paulus besitzen, dass nämlich in der Kirche in allem anständig und ordnungsgemäß gehandelt werden solle (1. Kor 14,40), darf man nicht die Beachtung von Gesetzen, durch die wie durch Bande bei der Versammlung der Christen Ordnung und Anstand gewährleistet oder Frieden und Eintracht bewahrt werden, unter die menschlichen Überlieferungen rechnen. Vielmehr müssen diese mit der entsprechenden Regel des Apostels in Zusammenhang gebracht werden. Das geschieht unter der Voraussetzung, dass sie nicht für heilsnotwendig gehalten werden, nicht die Gewissen als religiöses Gesetz verpflichten oder als Gottesdienst betrachtet werden, noch, dass man ihnen irgendwelche fromme Verehrung entgegenbringe. Ausdrücklich und kräftig aber muss man jenen Überlieferungen widerstehen, die, als wären sie nötig, um Gott zu dienen und zu ehren, als geistliche Gesetze dazu gemacht worden sind, um die Gewissen zu binden. Denn sie zerstören nicht nur die Freiheit, die Christus uns erworben hat, sondern verfinstern auch die wahre Religion und verletzen die Ehre Gottes, der allein durch sein Wort in unseren Gewissen regieren will. Darum sei als ganz sicher festgehalten, dass alles unser ist, wir aber Christi (1. Kor 3,22 f.), und dass Gott dort vergeblich gedient wird, wo in solchen Lehren unterwiesen wird, die menschliche Gebote sind (Mt 15,6–9). [32.] Vom Ausschluss aus der Kirche Der Ausschluss aus der Kirche besteht darin, dass die offenkundigen Sittenstrolche, Ehebrecher, Diebe, Mörder, Geizhälse, Räuber, Rechtsbrecher, Streithähne, Fresser, Säufer, Aufrührer und Verschwender dann, wenn sie sich nach erfolgter Ermahnung nicht bessern, nach dem Gebot Gottes aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgestoßen werden. Das geschieht nicht, weil die Kirche sie in endlose Vernichtung und Verzweiflung stürzen wollte, sondern sie verdammt ihren Lebenswandel und ihre Sitten, und wenn sie sich nicht bessern, macht sie sie bereits ihrer Verdammung gewiss. Diese Kirchenzucht ist unter den Gläubigen notwendig, weil die Kirche, da sie ja der Leib Christi ist, nicht durch solche elenden und verdorbenen Glieder, die ihrem Haupt Schande machen, beschmutzt und verseucht werden darf; erst recht auch, damit die Heiligen nicht, wie es häufig geschieht, durch den Umgang mit den Bösen verdorben und geschädigt werden. Diesen selbst nützt es ebenfalls, dass ihre Bosheit so bestraft wird; denn andernfalls würden sie durch Nachsicht nur noch verstockter. So aber lernen sie, beschämt durch ihre Schande, sich zu bessern.

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Wenn das erreicht ist, nimmt die Kirche sie mit Wohlwollen wieder in ihre Gemeinschaft auf und lässt sie an jener Einheit teilhaben, von der sie ausgeschlossen worden waren. Damit indes niemand hartnäckig das Urteil der Kirche verachte oder sich wenig darum schert, vom Spruch der Gläubigen verdammt worden zu sein, bezeugt der Herr, dass ein solches Urteil der Gläubigen nichts anderes als die Verkündigung seines eigenen Spruchs ist und dass im Himmel bestätigt wird, was sie auf Erden tun (Mt 18,15–18). Denn sie haben das Wort Gottes, durch das sie die, welche sich bessern, in Gnaden wiederaufnehmen können. [33.] Von der Regierung Der Herr hat nicht nur bezeugt, dass der Stand der Regierenden von ihm gebilligt wird und ihm wohlgefällig ist, sondern er hat ihn uns darüber hinaus sehr empfohlen und seine Würde mit höchst ehrenvollen Titeln ausgezeichnet. Denn er versichert, dass es ein Werk der Weisheit ist, dass die Könige regieren, die Räte gerechte Anordnungen treffen und die Großen auf Erden Richter sind (Prov 8,15 f.). Anderswo nennt er sie Götter, weil sie sein Werk tun (Ps 82,6). Noch an anderer Stelle heißt es, dass sie an Gott und nicht an eines Menschen Stelle Gericht üben (Dtn 1,17; 2. Chr 19,6). Und der heilige Paulus nennt unter den Gaben Gottes die Oberen (Röm 12,8). Dort, wo er das dann ausführlich behandelt, lehrt er sehr klar, dass ihre Macht von Gott angeordnet ist und dass sie Diener Gottes sind, um die, welche Gutes tun, zu loben und die Rache des Zorns Gottes an den Bösen zu vollstrecken (Röm 13,1–7). Fürsten und Regierende sind also verpflichtet, sich Rechenschaft zu geben, wem sie in ihrem Amt dienen, und nichts zu tun, was Dienern und Statthaltern Gottes unwürdig ist. Gleichsam all ihre Fürsorge soll sich darauf erstrecken, die öffentliche Gestalt der Religion in echter Reinheit zu bewahren, das Leben des Volks durch vorzügliche Gesetze zu regeln und für Wohl und Ruhe ihrer Untertanen sowohl im öffentlichen wie im privaten Leben zu sorgen. Das kann aber nur durch Gerechtigkeit und Gericht erreicht werden. Beides wird ihnen als Wichtigstes durch den Propheten empfohlen (Jer 22,3). Gerechtigkeit besteht darin, die Unschuldigen zu schützen und zu stützen, zu bewahren und zu befreien. Gericht besteht darin, der Frechheit der Bösen zu widerstehen, Gewalt zu verhindern und die Verbrechen zu bestrafen. Die Untertanen haben dafür die Pflicht, ihre Oberen nicht nur zu ehren und zu achten, sondern deren Heil und Wohlergehen dem Herrn durch Gebete zu empfehlen (1. Tim 2,1 f.) und sich bereitwillig ihrer Herrschaft zu unterstellen, ihren Erlassen und Anordnungen zu gehorchen und die von ihnen auferlegten Verpflichtungen nicht abzulehnen, seien dies Steuern, Zölle, Abgaben oder ähnliche Leistungen oder bürgerliche Ämter und Aufträge und alles weitere dieser Art. Wir müssen auch nicht bloß jenen

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Oberen Gehorsam erweisen, die rechtmäßig und pflichtgetreu ihres Amtes walten, sondern auch jene ertragen, die tyrannisch ihre Macht missbrauchen, bis wir auf gesetzesmäßigem Weg von ihrem Joch befreit werden. Denn wie ein guter Fürst ein Zeugnis göttlicher Wohltat zur Bewahrung des Heils der Menschen ist, so ist ein schlechter und böser eine Geißel Gottes, um die Sünden des Volkes zu strafen. In jedem Fall soll dies ganz allgemein gelten, dass sowohl den einen wie den anderen die Macht von Gott gegeben ist und wir ihnen nicht Widerstand leisten können, ohne Gottes Anordnung selbst zu widerstehen. Allerdings muss immer eines vom Gehorsam gegenüber den Oberen ausgenommen werden: Er darf uns nicht vom Gehorsam gegenüber jenem abbringen, vor dessen Erlassen auch die Gebote der Könige zurücktreten müssen. Der Herr ist der König der Könige, und wenn er seinen hochheiligen Mund öffnet, müssen alle auf ihn allein weit vor allen anderen hören. Demnach sind wir zwar den Menschen untertan, die über uns gesetzt sind, aber nicht anders als im Herrn. Wenn sie etwas gegen ihn befehlen, soll man sich nicht darum kümmern noch darauf Rücksicht nehmen, sondern es gelte vielmehr der Spruch: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 4,19; 5,29). „Mein Volk ist gefangen worden, weil es ihm an Einsicht fehlte“ (Jes 5,13). „Wie wird ein Junger den rechten Weg finden? Wenn er darauf achtet gemäß deinem Wort“ (Ps 119,9). Glaubensbekenntnis Von allen Bürgern und Einwohnern der Stadt Genf sowie von den Untertanen der Landschaft zu beschwören und zu halten. Auszug aus der in der Kirche dieser Stadt geltenden Unterweisung. 1. Das Wort Gottes Als erstes beteuern wir, dass wir allein der Schrift als Richtschnur unseres Glaubens und unserer Religion folgen wollen, ohne irgendetwas hineinzumischen, das ohne das Wort Gottes menschlichen Gedanken entsprungen ist. Wir halten daran fest, dass wir für unsere geistliche Leitung keine andere Lehre annehmen als die, welche uns durch eben dieses Wort gelehrt wird, ohne irgendwelche Zutaten oder Abstriche, so wie es unser Herr befiehlt. 2. Der eine Gott Aufgrund der in den heiligen Schriften enthaltenen Unterweisung erkennen wir an, dass es nur einen Gott gibt, den wir anbeten, dem wir dienen und auf den wir all unser Vertrauen und unsere Hoffnung setzen sollen.

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Denn wir haben die Gewissheit, dass in ihm allein alle Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit enthalten ist und dem man, weil er Geist ist, im Geist und in der Wahrheit dienen soll (Joh 4,23 f.). Darum halten wir es für abscheulich, unser Vertrauen oder unsere Hoffnung auf irgendein Geschöpf zu setzen und etwas anderes statt ihn anzubeten, seien es Engel oder irgendwelche anderen Geschöpfe, oder einen anderen Herrscher über unsere Seelen anzuerkennen, seien es heilige Männer oder Frauen oder Menschen, die jetzt auf Erden leben. Ebenso verabscheuen wir es, den ihm geschuldeten Gottesdienst in äußeren Zeremonien oder fleischlichen Gebräuchen zu begründen – als ob er an solchen Dingen sein Vergnügen fände –, ein Bild zur Darstellung seiner Gottheit zu errichten oder irgendein anderes Bild zur Anbetung. 3. Das eine Gesetz Gottes für alle Er allein ist der Herr und Meister, der die Herrschaft über unsere Gewissen innehat. Sein Wille ist auch die einzige Richtschnur aller Gerechtigkeit. Darum bekennen wir, dass unser ganzes Leben nach den Geboten seines heiligen Gesetzes gestaltet werden soll, da darin alle Gerechtigkeit vollkommen enthalten ist, und dass wir keine andere Regel befolgen sollen, um gut und gerecht zu leben, noch – um ihm zu gefallen – andere gute Werke erfinden sollen als die darin enthaltenen, wie hier folgt: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus herausgeführt habe. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst dir kein Bild noch Abbild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch unten auf Erden, noch in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen; denn ich bin der Herr, dein Gott, stark und eifersüchtig, und suche die Schuld der Väter heim an den Kindern derer, die mich hassen, bis zur dritten und vierten Generation; aber erweise mich barmherzig auf tausend Generationen an denen, die mich lieben und meine Gebote halten. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn Gott wird den nicht für unschuldig ansehen, der seinen Namen missbraucht. Gedenke des Ruhetages, um ihn zu heiligen: Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun, der siebente aber ist der Ruhetag des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, weder du noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Diener noch deine Dienerin noch dein Vieh noch der Fremdling, der innerhalb deiner Tore ist. Denn in sechs Tagen hat Gott Himmel und Erde erschaffen, das Meer und alles, was in ihnen ist; und er ruhte am siebenten Tage; darum hat er den Ruhetag gesegnet und ihn geheiligt. Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du länger lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir geben wird. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.

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Du sollst kein falsches Zeugnis gegen deinen Nächsten ablegen. Du sollst nicht gelüsten nach dem Haus deines Nächsten, du sollst nicht begehren nach seiner Frau, seinem Diener, seiner Dienerin, seinem Ochsen, seinem Esel oder irgendetwas anderem, das sein Eigen ist“ (Ex 20,2–17). 4. Die Natur des Menschen Wir erkennen an, dass der Mensch von Natur aus völlig blind in seinem verfinsterten Verstand und voller Verderbnis und Verkehrung des Herzens ist, sodass er von sich aus nicht das Geringste vermag, um die wahre Erkenntnis Gottes zu erfassen, wie es sich gehört, noch auch sich etwas Gutem zuzuwenden. Im Gegenteil, wenn er von Gott in seiner eigenen Natur belassen wird, kann er nur in seiner Unkenntnis verharren und ist aller Ungerechtigkeit überlassen. Darum muss er von Gott erleuchtet werden, um zur rechten Erkenntnis seines Heils zu gelangen, und ebenso, um in seinen Neigungen auf den Gehorsam gegenüber Gottes Gerechtigkeit hin ausgerichtet und neugeformt zu werden. 5. Der im Blick auf sich selbst verdammte Mensch Da der Mensch also, wie eben festgestellt, vollständig bar allen Lichts und aller Gerechtigkeit Gottes ist, erkennen wir an, dass er von sich aus nichts anderes erwarten kann als Gottes Zorn und Fluch und deshalb anderswo als bei sich selbst das Mittel zu seinem Heil suchen muss. 6. Das Heil in Jesus Wir bekennen also, dass es Jesus Christus ist, der uns vom Vater gegeben worden ist, damit wir in ihm all das wiedererlangen, was uns fehlt. Wir halten also alles, was Jesus Christus zu unserer Erlösung getan und gelitten hat, ohne jeden Zweifel für wahr, so wie es im Bekenntnis enthalten ist, das in der Kirche im Gebrauch ist, nämlich: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unseren Herrn, der empfangen worden ist durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in die Unterwelt, am dritten Tag auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, und wird von dort kommen, um die Lebenden und Toten zu richten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige allgemeine Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung des Fleisches, das ewige Leben. Amen.“

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7. Die Gerechtigkeit in Jesus So erkennen wir alles an, was daraus folgt, als uns durch Gott in Jesus Christus gegeben: Erstens sind wir unserer Natur nach Feinde Gottes und seinem Zorn und Gericht unterworfen, mit ihm versöhnt und durch das Eintreten Jesu Christi wieder in Gnade angenommen. Denn wir haben ja nun in dessen Gerechtigkeit und Unschuld die Vergebung unserer Übeltaten und sind durch sein vergossenes Blut gereinigt und von allen unseren Flecken gesäubert. 8. Die Wiedergeburt in Jesus Zweitens sind wir durch seinen Geist zu einer neuen, geistlichen Natur wiedergeboren. Das bedeutet, dass die schlechten Begierden unseres Fleisches durch seine Gnade abgetötet sind, damit sie nicht mehr in uns regieren, sondern im Gegenteil unser Wille demjenigen Gottes gleichgestaltet wird, um seinem Weg zu folgen und nach dem zu trachten, was ihm gefällt. Denn wir sind ja durch ihn vom Dienst der Sünde befreit worden, unter deren Macht wir von uns aus gefangen gehalten wurden, und durch diese Befreiung fähig und bereitgemacht worden, gute Werke zu tun, und nicht auf eine andere Weise. 9. Die den Gläubigen dauernd notwendige Vergebung der Sünden Schließlich geschieht diese Wiedergeburt so an uns, dass bis zum Zeitpunkt, wo wir diesen sterblichen Leib abgelegt haben, immer noch eine Menge von Unvollkommenheiten und Schwachheiten in uns bleibt, sodass wir vor Gottes Angesicht immer arme und elende Sünder sind. Und obwohl wir von Tag zu Tag in der göttlichen Gerechtigkeit wachsen und zunehmen sollen, gibt es dennoch darin keine volle Verwirklichung oder Vollkommenheit, während wir hier leben. Darum haben wir immer die Barmherzigkeit Gottes nötig, um die Vergebung für unsere Fehler und Vergehen zu erhalten. Deshalb müssen wir immer unsere Gerechtigkeit in Jesus Christus und keinesfalls in uns suchen und in ihm Ruhe und Gewissheit finden und nichts unseren Werken zuschreiben. 10. All unser Gut beruht in Gottes Gnade Damit alle Ehre und alles Lob Gott erwiesen werde, wie es ihm zusteht, und damit wir wahren Frieden und wahre Ruhe in unseren Gewissen finden, sind wir überzeugt und bekennen, dass wir all die vorher erwähnten Wohltaten Gottes aus seiner Milde und Barmherzigkeit allein empfangen. Das geschieht ohne irgendwelche Berücksichtigung unserer Würde oder eines Verdienstes unserer Werke, denen keine andere Belohnung zukommt als ewige Beschämung. Nichtsdestoweniger sind unserem Herrn, der uns durch seine Güte in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus aufgenommen

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hat, die Werke, die wir im Glauben tun, wohlgefällig und angenehm: nicht, weil sie es verdienten, sondern indem er uns deren Unvollkommenheit nicht anrechnet und in ihnen nur das anerkennt, was aus seinem Geist hervorgeht. 11. Der Glaube Wir bekennen, dass der Zugang, den wir zu solch großen Schätzen und Reichtümern der über uns ausgegossenen Güte Gottes haben, durch den Glauben geschieht, wenn wir, fest im Vertrauen und in der Gewissheit des Herzens, den Verheißungen des Evangeliums glauben und Jesus Christus annehmen, so wie er uns vom Vater dargestellt und uns durch das Wort Gottes beschrieben wird. 12. Die alleinige Anrufung Gottes und Christi Eintreten für uns Wie wir erklärt haben, dass wir Hoffnung und Vertrauen für unser Heil und alles Gute nirgendwo anders als in Gott durch Jesus Christus finden, so bekennen wir auch, dass wir ihn in all unseren Nöten im Namen Jesu Christi anrufen sollen, unseres Mittlers und Fürsprechers, durch den wir Zugang zu ihm haben. Ebenso sollen wir anerkennen, dass alle Güter von ihm allein herkommen, und ihm dafür Dank sagen. Dass die Heiligen für uns eintreten, verwerfen wir hingegen als eine abergläubische, der Schrift widersprechende menschliche Erfindung, die ja eigentlich nur dem Misstrauen entspringt, Christi Eintreten für uns genüge nicht. 13. Das verständliche Gebet Da das Gebet nicht frei von Heuchelei und Erdichtung ist, wenn es nicht aus der inneren Neigung des Herzens kommt, sind wir überzeugt, dass alle Gebete in verständlicher Weise gesprochen werden sollen. Aus diesem Grund lernen wir das Gebet unseres Herrn, um recht zu verstehen, worum wir ihn bitten sollen: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln. Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden so wie im Himmel. Gib uns heute unser tägliches Brot, und vergib uns unsere Vergehen, so wie wir jenen vergeben, die sich an uns vergehen; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen“ (Mt 6,9–13). 14. Die Sakramente Wir sind überzeugt, dass die Sakramente, welche unser Herr in seiner Kirche angeordnet hat, für uns Übungen des Glaubens sein sollen, sowohl um ihn zu kräftigen und in den Verheißungen Gottes zu bestärken, als auch um ihn vor den Menschen zu bezeugen. Es gibt nur zwei Sakramente in

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der christlichen Kirche, die durch Gottes Urheberschaft festgesetzt worden sind: die Taufe und das Mahl unseres Herrn. Darum verdammen wir als Erfindung und Lüge, was unter der Herrschaft des Papstes von sieben Sakramenten geglaubt wird. 15. Die Taufe Die Taufe ist ein äußeres Zeichen, durch das unser Herr bezeugt, dass er uns als seine Kinder annehmen will, als Glieder seines Sohnes Jesus. Darum wird uns in ihr die Reinigung von unseren Sünden, die wir durch das Blut Jesu Christi haben, und die Abtötung unseres Fleisches, die wir durch seinen Tod haben, um in ihm durch seinen Geist zu leben, dargestellt. Da auch unsere Kinder zu einem solchen Bund unseres Herrn gehören, sind wir gewiss, dass das äußere Zeichen ihnen mit vollem Recht mitgeteilt wird. 16. Das Abendmahl Das Mahl unseres Herrn ist ein Zeichen, durch welches er uns unter Brot und Wein die wahre geistliche Gemeinschaft darstellt, welche wir in seinem Leib und Blut haben. Wir erkennen an, dass es gemäß seiner Anordnung in der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeteilt werden soll, damit alle, die Jesus als ihr Leben besitzen wollen, daran Anteil haben. Die päpstliche Messe ist hingegen eine verfluchte und teuflische Einrichtung gewesen, um das Geheimnis des Abendmahls zu zerstören. Darum erklären wir, dass sie für uns abscheulich ist, ein von Gott verdammter Götzendienst, sowohl darin, dass sie für ein Opfer zur Erlösung der Seelen gehalten wird, weil darin das Brot für Gott gehalten und angebetet wird, und darüber hinaus wegen der weiteren Lästerungen und abergläubischen Scheußlichkeiten, die darin enthalten sind, und wegen des Missbrauchs von Gottes Wort, das darin vergeblich gebraucht wird, ohne jede Frucht und Erbauung. 17. Die von Menschen stammenden Überlieferungen Diejenigen Ordnungen, die zur äußeren Gestalt der Kirche nötig sind und nur zur Aufrechterhaltung des Friedens, des Anstandes und der guten Ordnung in der Versammlung der Christen dienen, halten wir absolut nicht für von Menschen stammende Überlieferungen. Denn sie sind ja in dem allgemeinen Gebot des heiligen Paulus enthalten, worin er wünscht, dass es unter uns bei allem ehrbar und in guter Ordnung zugehe (1. Kor 14,40). Alle Gesetze und Anordnungen aber, die gemacht worden sind, um die Gewissen zu binden, um die Gläubigen zu etwas, das nicht von Gott befohlen ist, zu verpflichten, um einen anderen Gottesdienst einzurichten als den, welchen er selbst fordert, und die darauf abzielen,

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die christliche Freiheit zu zerschlagen, die verdammen wir als verkehrte Lehren Satans, da ja unser Herr erklärt, man ehre ihn vergeblich mit Lehren, die von Menschengeboten stammen (Mt 15,9). Ebenso verurteilen wir Wallfahrten, mönchische Bräuche, Unterscheidung von Speisen, Eheverbote, Beichten und anderes dergleichen. 18. Die Kirche Obwohl es nur eine Kirche Jesu Christi gibt, erkennen wir doch an, dass die Vereinigungen der Gläubigen notwendigerweise auf verschiedene Orte verteilt sind, deren Versammlungen jeweils den Namen Kirche tragen. Aber soweit all diese Vereinigungen sich nicht im Namen unseres Herrn versammeln, sondern vielmehr um ihn zu schmähen und durch ihre Gotteslästerungen zu beschmutzen, sind wir überzeugt: Das rechte Merkmal, an dem man die Kirche Jesu Christi erkennen kann, ist vorhanden, wenn sein heiliges Evangelium dort rein und getreu gepredigt, verkündigt, gehört und befolgt wird, und ebenso seine Sakramente recht verwaltet werden, auch wenn in ihr noch manches Unvollkommene und Falsche vorkommt, wie es immer unter Menschen der Fall sein wird. Dort, wo hingegen das Evangelium nicht verkündigt, gehört und angenommen wird, erkennen wir auf keinen Fall eine Gestalt der Kirche an. Darum sind die von den Ordnungen des Papstes regierten Kirchen viel eher Synagogen des Teufels als christliche Kirchen. 19. Der Kirchenbann Weil es nun allerdings immer Verächter Gottes und seines heiligen Wortes gibt, denen Ermahnung, Aufmunterung und Tadel gleichgültig sind und die darum eine härtere Strafe verdient haben, halten wir die Maßnahme des Kirchenbanns für eine heilige und heilsame Sache unter den Gläubigen, wie sie denn auch wahrhaftig mit gutem Recht von unserem Herrn eingesetzt worden ist. Sie ist nötig, damit die Schlechten nicht durch ihren zu verdammenden Umgang die Guten verderben und unseren Herrn entehren, und auch, damit sie sich schämen und umkehren. Darum sind wir der Überzeugung, es sei gemäß der Ordnung Gottes erforderlich, dass alle offensichtlichen Götzendiener, Lästerer, Mörder, Diebe, Ehebrecher, falschen Zeugen, Aufwiegler, Streithähne, Verleumder, Raufbolde, Säufer und Verschwender nach gehöriger Ermahnung dann, wenn sie keine Besserung zeigen, von der Gemeinschaft der Gläubigen getrennt werden, bis man Reue gesehen hat. 20. Die Diener am Wort Bei uns gelten als Pfarrer der Kirche nur die treuen Diener am Wort Gottes, die damit die Schafe Jesu Christi mit Unterweisungen, Ermahnungen,

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Tröstungen, Aufmunterungen und Tadeln nähren und andererseits allen falschen Lehren und Betrügereien des Teufels widerstehen; sie mischen unter die reine Lehre der Schriften keine Einbildungen und verrückten Phantasien. Wir schreiben ihnen keine andere Macht noch Amtsgewalt zu, außer das ihnen anvertraute Volk Gottes zu leiten, zu lenken und zu regieren, und zwar durch eben dieses Wort Gottes, mit dem sie die Macht haben zu befehlen, zu verbieten, zu versprechen und zu drohen, und ohne das sie nichts vermögen und nichts anstreben sollen. Einerseits nehmen wir die wahren Diener am Wort Gottes als Boten und Gesandte Gottes an, auf die man hören muss wie auf ihn selbst, und sehen ihren Dienst als einen in der Kirche notwendigen Auftrag Gottes an. Andererseits steht für uns fest, dass alle Verführer und falschen Propheten, die das reine Evangelium verlassen und ihren eigenen Erfindungen verfallen, auf keinen Fall geduldet oder ertragen werden sollen, welchen Pfarrertitel sie auch beanspruchen mögen, sondern dass sie vielmehr als reißende Wölfe vom Volk Gottes weggejagt und abgewiesen werden sollen. 21. Die Regierungen Wir halten die Hoheit und Herrschaft sowohl der Könige und Prinzen wie auch der anderen Regierenden und Oberen für eine heilige Sache und gute Ordnung Gottes. Da sie mit ihrer Amtsausübung Gott dienen und einer christlichen Berufung folgen, sei es im Verteidigen der Leidenden und Unschuldigen oder im Wiedergutmachen und Bestrafen der Bosheit der Verbrecher, müssen wir ihnen auch unsererseits Ehre und Achtung zollen, Gehorsam und Unterordnung erweisen, ihre Befehle ausführen und die uns auferlegten Abgaben leisten, alles soweit es uns möglich ist, ohne Gott zu missachten. Insgesamt sollen wir sie als Vertreter und Statthalter Gottes auf Erden achten, welchen man keinesfalls widerstehen darf, ohne Gott selbst zu widerstehen, und ebenso ihr Amt als einen heiligen Auftrag Gottes, den er ihnen gegeben hat, um uns zu regieren und zu lenken. Darum sind wir überzeugt: Alle Christen sind verpflichtet, Gott um das Wohlergehen der Oberen und Herren jener Länder, in denen sie leben, zu bitten, ihren Gesetzen und Ordnungen zu folgen, soweit sie nicht den Geboten Gottes zuwiderlaufen, für das Gute, die Ruhe und den allgemeinen Nutzen zu sorgen und sich um die Aufrechterhaltung der Ehre der Oberen und der Ruhe des Volkes zu bemühen, ohne irgendetwas anzustiften oder zu betreiben, das Verwirrung oder Zwietracht erregen könnte. Wir erklären im Gegenteil, dass alle, die sich ihren Oberen gegenüber treulos verhalten und keine wahre Hingabe an das öffentliche Wohl des Landes zeigen, in dem sie sich aufhalten, dadurch ihre Untreue Gott gegenüber erweisen.

12. Genfer Kirchenordnung (Ordonnances ecclésiastiques) (1541/1561) Einleitung Unmittelbar nachdem Johannes Calvin nach seiner Rückberufung nach Genf am 13. September 1541 dort eingetroffen war, begann er mit dem Entwurf einer dringend benötigten Kirchenordnung. Er konnte dies nicht im Alleingang tun. Erst nach Diskussionen, zunächst in einer Ratskommission, dann im Kleinen Rat und im Rat der Zweihundert, erhielt sie ihre verbindliche Gestalt und wurde am 20. November 1541 von der Allgemeinen Bürgerversammlung in Kraft gesetzt, nicht ohne Abstriche an Calvins Entwurf. Stets umstritten war die Zusammensetzung und die Kompetenz des in der Kirchenordnung vorgesehenen Konsistoriums im Gegenüber zum Genfer Rat. Nach mehrfachen punktuellen Änderungen wurde zwanzig Jahre später, am 13. November 1561, eine erweiterte, die Eigenständigkeit des Konsistoriums und der Pfarrerschaft deutlicher betonende Ordnung vom Rat verabschiedet, die Calvins eigentlichen Vorstellungen stärker entsprach. Der vorliegende Text gibt diese Kirchenordnung von 1561 wieder (unter Auslassung der im November 1561 erlassenen Regeln betreffend Eheschließung und -scheidung). Es ist das Hauptanliegen Calvins, dass Christus in seiner Kirche allein herrschen soll und sowohl deren Botschaft wie deren Gestalt und Ordnung bestimmen muss, und dass somit die Gemeinde als Leib Christi zu verstehen und auch entsprechend zu gestalten ist. Charakteristisch für die Genfer Kirchenordnung ist einerseits die Vierämterlehre und andererseits die Einrichtung eines Konsistoriums als möglichst eigenständiges kirchliches Gremium mit kirchendisziplinarischen Kompetenzen, die im zeitweiligen Ausschluss vom Abendmahl gipfeln können. In beiden Punkten war Calvin durch Martin Bucer und von seinen Erfahrungen aus der Straßburger Zeit inspiriert. Vier beständige Ämter sind nach Calvins Kirchenordnung zur Leitung der Kirche notwendig: das Pastorenamt, das Amt des Doktors, des Ältesten und des Diakons. Diese Ämter werden als Funktionen am Leib Christi verstanden. Nicht die Träger eines Amtes und ihr Status, sondern der Dienst, den diese ausüben, ist entscheidend; von ihm her empfangen sie ihre Würde. Entsprechend sind ihre Aufgaben und Kompetenzen klar vom „Wort Gottes“ her definiert. Das Amt des Pastors steht an erster Stelle und nimmt auch den größten Raum ein. Es beinhaltet die Verkündigung und die Verwaltung der Sakramente, umfasst aber auch die persönliche

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Ermahnung und die Ausübung der Kirchendisziplin. Aufgaben des Amtes des Doktors sind die Schriftauslegung und der Unterricht. Da es im Grunde nichts enthält, das nicht bereits im Pastorenamt begriffen ist, blieb es faktisch auf den Schulunterricht beschränkt. Wichtig ist das Ältestenamt. Die Ältesten sollen, wie die Pastoren eidlich auf ihr Amt verpflichtet, zusammen mit diesen das Konsistorium, also einen Ältestenrat bilden und für die Kirchendisziplin verantwortlich sein – wobei das Wort „Disziplin“ im 16. Jahrhundert nicht den heutigen negativen Beiklang besaß –, wie ihn erst recht das deutsche Wort „Kirchenzucht“ mit sich bringt. Zur Leitung der Kirche gehören schließlich die Diakone, die mit der Verwaltung des Armenguts oder direkt mit der Speisung und Pflege der Bedürftigen und Kranken beauftragt sind. Die Bedeutung des Diakonenamtes entspricht Calvins Betonung der sichtbaren Kirche. Die Überzeugung, dass eine „nach Gottes Wort reformierte“ Kirche sich eine das christliche Zusammenleben als Gemeinde regelnde Ordnung geben muss, teilte Calvin mit seinen Zeitgenossen. Dazu galt es, die in der spätmittelalterlichen römischen Kirche oft missbrauchte Praxis der bischöflichen Kirchenzucht, zu der auch der Ausschluss vom Sakrament gehören konnte, zu reformieren und in eine dem Evangelium angemessene Gestalt zurückzuführen. Während in vielen reformierten Städten dazu ein durch Vertreter der Obrigkeit und der Pfarrerschaft gemeinsam gebildetes Ehegericht die bischöflichen Gerichte ersetzte, wollte Calvin diese Aufgabe einem spezifisch kirchlichen Konsistorium übertragen. Dieses wurde nach an der Bibel orientierten Grundsätzen und einzig mit geistlicher Autorität ausgestattet und sollte für das Zusammenleben der christlichen Gemeinde sorgen. Bei Streitigkeiten und Konflikten sollte das Konsistorium geschwisterlich-christlich ermahnend, versöhnend und vermittelnd tätig sein, aber auch in eigener Kompetenz Kirchenstrafen aussprechen können, bis hin zum zeitweiligen Ausschluss vom Abendmahl mit dem Ziel, die Einsicht in das eigene Fehlverhalten zu fördern. Der Genfer Rat hingegen betrachtete dieses Gremium stets, entsprechend den anderen reformierten Schweizer und süddeutschen Stadtrepubliken, als Unterkommission des Rates für Ehe- und Sittlichkeitsfragen. Die praktische Umsetzung von Calvins Kirchenordnung erwies sich in Genf über Jahre hin als konfliktreich. Die Kirchenordnung hat eine christliche Gemeinschaft im Blick, die sich auch äußerlich an den von Calvin herausgestellten biblischen Grundsätzen orientieren will. Demgegenüber hatte Calvin es in der frühneuzeitlichen christlichen Stadtrepublik Genf mit einer Stadt zu tun, in welcher zwar der reformierte Glaube durch Mehrheitsbeschluss der Räte als allgemein verbindliche Ordnung eingeführt wurde, deren Einwohnerschaft aber politisch zerstritten und unterschiedlich stark religiös motiviert war.

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Wirkungsgeschichtlich bedeutsam wurde besonders die Ämterlehre der Genfer Kirchenordnung. Die spätere Bezeichnung der Reformierten als „Presbyterianer“ nennt den kirchenleitenden Ältestenrat als deren charakteristisches Merkmal. Editionen Ordonnances ecclésiastiques, in: Joannis Calvini Opera quae supersunt omnia, hg. v. Wilhelm Baum et al., Bd. 10/1, Braunschweig / Berlin 1871, 15–124 Ordonnances ecclésiastiques, in: Joannis Calvini opera selecta, Bd. II, hg. v. Peter Barth / Dora Scheuner, München 1952, 328–364 Ordonnances ecclésiastiques, Genf 1541/1561, in: RefBS 1/2: 1535–1549, 229–278 (Bearb.: Peter Opitz) Übersetzungen Ordonnances ecclésiastiques, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949, 72–107 (Übers.: Ernst Pfisterer) Die Ordonnances ecclésiastiques, in: Calvin Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 22010, 227–279 (Übers.: Peter Opitz) Literatur Alexandre Ganoczy, Calvin, théologien de l’église et du ministère, Paris 1964 Günther H. Haas, Art. Ethik und Kirchenzucht, in: Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selderhuis, Tübingen 2008, 326–338 Walter Köhler, Zürcher Ehegericht und Genfer Konsistorium, Bd. II, Leipzig 1942, 540–674 Georg Plasger, Art. Kirche, in: Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selderhuis, Tübingen 2008, 317–325 Manfred Schulze, Johannes Calvin: Gottes Kirche ist im Werden, in: Calvin und seine Wirkungen. Vorträge der 7. Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, hg. v. Matthias Freudenberg / J. Marius Lange van Ravenswaay, NeukirchenVluyn 2009, 33–57 Einleitung und Übersetzung: Peter Opitz, unter Berücksichtigung der Übersetzung von Ernst Pfisterer

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Genfer Kirchenordnung (Ordonnances ecclésiastiques) (1541/1561) Kirchenordnung der Genfer Kirche, vor einiger Zeit beschlossen, seither ergänzt und kürzlich bestätigt durch die ehrenwerten Herren Bürgermeister, den Kleinen, den Großen Rat und die Allgemeine Bürgerversammlung, am Donnerstag, 13. November 1561. Im Namen Gottes des Allmächtigen! Wir Bürgermeister, Kleiner und Großer Rat, zusammen mit unserem Volk, nach altem Brauch durch Trompete und große Glocke zusammengerufen, haben bedacht, dass vor allem anderen darauf zu achten ist, dass die Lehre des heiligen Evangeliums unseres Herrn rein bewahrt und die christliche Kirche durch gute Leitung und Ordnung in gebührender Weise unterhalten wird. Außerdem, dass im Blick auf die Zukunft die Jugend gut und zuverlässig unterrichtet und das Spital zum Unterhalt der Armen gut verwaltet wird. Dazu braucht es aber eine bestimmte Ordnung und eine festgelegte Weise des Zusammenlebens, sodass jeder in seiner jeweiligen Stellung die zu seinem Amt gehörende Aufgabe ersehen kann. Es schien uns daher gut zu sein, die Art und Weise geistlicher Leitung, so wie unser Herr sie durch sein Wort dargelegt und eingeführt hat, in eine gute Form zu bringen, damit sie bei uns Eingang und Beachtung findet. So haben wir angeordnet und verfügt, dass in unserer Stadt und in unserem Herrschaftsgebiet die folgende Kirchenordnung, von der wir der Meinung sind, dass sie aus dem Evangelium Jesu Christi abgeleitet ist, zu befolgen und einzuhalten ist. [I. Die vier Ämter] Als erstes: Es gibt vier Aufgabenbereiche oder Arten von Ämtern, die unser Herr zur Leitung seiner Kirche geschaffen hat: die Pastoren, dann die Doktoren, danach die Ältesten und viertens die Diakone. Wenn wir also eine wohlgeordnete und unversehrte Kirche haben wollen, müssen wir uns an diese Gestalt ihrer Leitung halten. [1.] Was die Pastoren angeht, so werden diese von der Schrift manchmal auch „Aufseher“, „Älteste“ und „Diener“ genannt. Ihre Aufgabe ist es, sowohl öffentlich wie dem Einzelnen das Wort Gottes zu verkünden: zu lehren, zu ermahnen, zurechtzuweisen und zu tadeln (2. Tim 3,16 f.). Sie sollen aber auch die Sakramente verwalten und zusammen mit den Ältesten oder Ratsbeauftragten die brüderlichen Zurechtweisungen vornehmen. Damit in der Kirche aber keine Unordnung herrscht, soll sich keiner in ein solches Amt hineindrängen, der nicht dazu berufen wird. Hierbei

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müssen drei Dinge bedacht werden, nämlich die Prüfung, die das wichtigste ist, weiter, wer die Diener einsetzen darf, und drittens die Form oder Vorgehensweise bei ihrer Amtseinsetzung. Die Prüfung besteht aus zwei Teilen: Der erste betrifft die Lehre. Hier geht es darum zu prüfen, ob der zu Berufende eine gründliche und gottgefällige Kenntnis der Schrift besitzt. Sodann, ob er dazu fähig und geeignet ist, die christliche Lehre dem Volk zur Auferbauung zu vermitteln. Um auszuschließen, dass derjenige, den man anstellen will, irgendeine falsche Lehrmeinung vertritt, ist es zudem erforderlich, dass er ausdrücklich verspricht, sich an die gültige Lehre der Kirche zu halten, insbesondere diejenige des Katechismus. Um festzustellen, ob er zum Lehren geeignet ist, soll man ihn befragen und sich im kleinen Kreis anhören, wie er mit der Lehre des Herrn umgeht. Der zweite Teil betrifft die Lebensführung: Hier geht es darum zu prüfen, ob er einen ehrbaren Lebenswandel führt und sich bisher nichts hat zu Schulden kommen lassen. Wie dabei vorzugehen ist, hat uns Paulus sehr schön aufgezeigt (1. Tim 3,1–7). Es empfiehlt sich, dass wir uns alle danach richten. Über die Befugnis zur Einsetzung der Pastoren Wir sind der Meinung, dass es hier das Beste ist, sich der Ordnung der Alten Kirche anzuschließen, denn diese führt nur aus, was uns die Schrift lehrt: Zuerst sollen die Diener denjenigen, den man ins Amt einsetzen will, bestimmen, nachdem sie unseren Kleinen Rat davon unterrichtet haben. Anschließend soll er diesem vorgestellt werden. Wird er als geeignet angesehen, soll man ihn dort annehmen und bestätigen. Dabei soll man ihm seine Eignung öffentlich bescheinigen, um ihn schließlich im Gottesdienst dem Volk vorzustellen, damit er so durch die allgemeine Zustimmung der Gemeinde der Gläubigen angenommen wird. Zusatzbeschluss des Großen Rates vom 9. Februar 1560: Zum rechten Verständnis des Vorstellungsartikels und zur Beseitigung des missbräuchlichen Umgangs mit diesem. Die ehrwürdigen Diener haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass die Bestimmung über ihre Vorstellung nicht mehr richtig befolgt worden ist. Es wurden nämlich die Ausgewählten und vom Kleinen Rat Bestätigten in der Kirche lediglich vorgestellt, ohne dass gefragt worden wäre, ob man auch mit ihnen einverstanden sei. Damit wurde aber das Volk und der ganze Leib Christi um seine Entscheidungsmöglichkeit gebracht; man hat sich so unserer Meinung nach von der seit Beginn bestehenden guten Einrichtung entfernt. Zudem haben uns die Diener darauf hingewiesen,

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dass sie in dieser Angelegenheit keinerlei Vorteil für sich selbst herausholen wollen, sondern wünschen, dass sie und ihre Nachfolger weniger Freiraum bekämen. Wir verfügen daher, dass die alte Verordnung strikt einzuhalten ist. Um einem Missbrauch, wie er vorgekommen ist, vorzubeugen, und damit es in unserer Kirche kein leeres und inhaltsloses Brauchtum gibt, sehen wir Folgendes vor: Bei der Wahl eines Dieners soll sein Name öffentlich bekanntgemacht werden. Dann kann, wer etwas gegen ihn einzuwenden hat, dies vor dem Vorstellungstag tun, damit man eine neue Wahl treffen kann, falls er wirklich zum Amt ungeeignet ist. Weil aber die Ältesten, die damit beauftragt sind, das Konsistorium zu bilden und die Kirche zu beaufsichtigen, ihren Auftrag gemeinsam mit den Predigern des Wortes wahrnehmen müssen, haben wir beschlossen, dass auch ihre Namen in der Kirche bekanntgemacht werden sollen. Dies einerseits, damit sie die für ihr Amt erforderliche Autorität erhalten, aber auch, um allen Kirchengliedern die Möglichkeit zu geben, bei einem der vier Bürgermeister, die dafür zuständig sind, ihre allfälligen Bedenken gegen deren Fähigkeit anzumelden. Sollte dieser dann aufgrund von einwandfreien Beweisen als unwürdig befunden werden, muss man ein neues Wahlverfahren einleiten und einen anderen wählen. Was die Amtseinsetzung betrifft, so genügt es – weil in der Vergangenheit die Bräuche in vielfältigen Aberglauben verkehrt worden sind und aufgrund der gegenwärtigen ungefestigten Lage  –, dass ein Diener im Blick auf das Amt, zu dem man ihn einsetzen will, eine Erklärung und Ermahnung abgibt, und dass man dann im Gebet den Herrn bittet, ihm die Gnade zu verleihen, seine Pflicht erfüllen zu können. Bei seiner Wahl soll er vor den Herren Bürgermeistern einen Eid in folgender, einem Diener angemessenen Gestalt ablegen. Eidesformel, auf welche sich die in der Stadt Genf gewählten evangelischen Diener vor den Herren Bürgermeister und dem Rat der Stadt verpflichten müssen: „Ich verspreche und schwöre, dass ich in dem Dienst, zu dem ich berufen bin, Gott treu dienen werde, indem ich sein Wort unverfälscht weitergebe, zur Auferbauung dieser Kirche, in deren Pflicht er mich gestellt hat. Ebenso, dass ich seine Lehre weder für meine eigenen fleischlichen Neigungen missbrauchen werde, noch dazu, um Menschen zu gefallen. Ich will vielmehr gewissenhaft mit ihr umgehen und so seiner Ehre und dem Nutzen seines Volkes dienen, dem ich verpflichtet bin. Ich verspreche und schwöre ebenfalls, die Kirchenordnung einzuhalten, so, wie sie vom Kleinen und Großen Rat und von der Allgemeinen Bürgerversammlung dieser Stadt beschlossen worden ist. Die mir dort über-

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tragene Aufgabe, diejenigen, die gefehlt haben, zu ermahnen, verspreche ich pflichtgetreu zu erfüllen, ohne Hass, Begünstigung, Rachsucht oder einer anderen fleischlichen Neigung Raum zu geben, und ganz allgemein das zu tun, was sich für einen guten und treuen Diener gehört. Drittens schwöre und verspreche ich, die Ehre und den Nutzen des Rates und der Stadt zu wahren und zu erhalten, mich nach Möglichkeit darum zu bemühen, dass das Volk unter Leitung des Rates in Frieden und Eintracht lebt, nichts zu unterstützen, was dem zuwiderlaufen könnte, und so meiner Berufung entsprechend im besagten Dienst zu bleiben, in guten wie in schlechten Zeiten, in Frieden, Krieg, Pest oder was sonst noch geschehen mag. Schließlich verspreche und schwöre ich, mich der Ordnung und dem geltenden Recht der Stadt zu fügen und in solchem Gehorsam allen ein gutes Vorbild zu sein, indem ich mich selbst den Gesetzen und der Obrigkeit unterordne, soweit dies mein Amt zulässt; das heißt, solange die Freiheit nicht beeinträchtigt wird, die wir haben müssen, um nach Gottes Auftrag lehren und alles erfüllen zu können, was zu unserem Amt gehört. Und so verspreche ich, in der Weise im Dienst von Rat und Volk zu stehen, dass ich dadurch in keiner Weise behindert werde, Gott den Dienst zu leisten, den ich ihm aufgrund meiner Berufung schuldig bin.“ Wie es erforderlich ist, die Diener, die man wählen will, gut zu prüfen, so braucht es auch eine geeignete Einrichtung, die dafür sorgt, dass sie ihr Amt in rechter Weise ausüben. Zu diesem Zweck ist es erstens nützlich, dass alle Diener, um Reinheit und Eintracht der Lehre zu bewahren, an einem bestimmten Wochentag zu einem gemeinsamen Schriftstudium zusammenkommen. Keiner soll sich ohne rechtmäßigen Grund davon ausnehmen, und wer sich nicht daran hält, soll ermahnt werden. Diejenigen, die in den zu Genf gehörenden Dörfern predigen, sollen von unseren städtischen Dienern angehalten werden, wann immer möglich daran teilzunehmen. Ansonsten soll ihr Fehlen dann als ein zu großes Versäumnis angesehen werden, wenn es sich über einen ganzen Monat hin erstreckt, außer wegen Krankheit oder anderen begründeten Umständen. Um zu sehen, wie sorgfältig ein jeder das Schriftstudium betreibt, und damit keiner nachlässig wird, soll der Reihe nach jedes Mal ein anderer diejenige Schriftstelle auslegen, die gerade dran ist. Wenn sich dann am Schluss die Diener zurückziehen, soll jeder dem Ausleger seine Einwände mitteilen, damit ihm dies zur Korrektur dient. Wenn dabei irgendein Unterschied in der Lehre auftaucht, sollen die Diener diesen gemeinsam angehen und die Sache besprechen. Falls es dann nötig ist, sollen sie die Ältesten und Ratsbeauftragten bitten, bei der

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Beilegung des Streits zu helfen. Wenn sie schließlich nicht freundschaftlich zur Übereinstimmung gelangen können, weil sich eine der Parteien dagegen sträubt, soll der Obrigkeit übertragen werden, den Fall in Ordnung zu bringen. Um jeder Art von ärgerlichem Lebenswandel entgegenzutreten, braucht es ein Zurechtweisungsverfahren für die Diener – es wird später erläutert werden –, dem sie sich alle ohne Ausnahme unterstellen. Dies auch als Mittel, um das Ansehen des Dieneramtes zu wahren, damit nicht durch den schlechten Ruf der Diener das Wort Gottes in Unehre oder Verachtung gerät. Wie man nämlich den, der es nötig hat, zurechtweisen muss, so ist es auch nötig, Verleumdungen und zu Unrecht erhobene Anschuldigungen zurückzuweisen. Zuerst muss man allerdings festhalten, dass es einerseits Straftaten gibt, die bei einem Diener keinerlei Nachsicht erlauben, und andererseits Fehlverhalten, welche man bis zu einem gewissen Grad dulden kann, vorausgesetzt, dass man dabei brüderliche Ermahnung vornimmt. Die Erstgenannten sind: Häresie – Schisma – Auflehnung gegen die Kirchenordnung – öffentliche Gotteslästerung, die nach einer bürgerlichen Strafe verlangt – Handel mit geistlichen Ämtern und jede Art von Korruption – Machenschaften, um die Stelle eines anderen zu erlangen – Verlassen der eigenen Gemeinde ohne wirkliche Erlaubnis und recht­ mäßige Berufung – Fälschung – Meineid – Unzucht – Diebstahl – Trunkenheit – gesetzlich strafbare Schlägerei – Wucher – gesetzlich verbotene und Anstoß erregende Spiele – Tanz und ähnliche Ausschweifungen – Vergehen, die bürgerliche Ehrlosigkeit mit sich bringen – Vergehen, für das ein anderer den Kirchenausschluss verdient. Die Zweitgenannten: eine befremdliche Schriftauslegung, die zu Ärgernis führt – vorwitziges Suchen nach müßigen Fragen – Fördern einer in der Kirche unüblichen Lehre oder eines unüblichen Brauches – Vernachlässigung des Studiums und vor allem des Lesens der heiligen Schriften – Nachlässigkeit im Tadeln von Fehlern, die sich der Begünstigung nähert – Vernachlässigung der Amtspflichten – Possenreißerei – Lügenhaftigkeit – üble Nachrede – liederliche Rede – ehrverletzende Rede – Unbesonnenheit – Ränkespiel – Geiz und übermäßige Knauserei – Wutausbrüche – Zank und Streitsucht – Liederlichkeit, die eines Dieners nicht würdig ist, sowohl im Blick auf die Kleidung wie auf das Benehmen und andere Gewohnheiten (1. Tim 3,1–7). Zu den Vergehen, die nicht geduldet werden können: Handelt es sich um Straftaten, die also von Gesetzes wegen verfolgt werden müssen, so soll, wenn ein Diener sich hier schuldig macht, der Rat eingreifen. Er soll dann – zusätzlich zur gewöhnlichen, auch für die anderen geltenden Strafe – aus seinem Amt entlassen werden.

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Über die anderen Straftaten, die zuerst einmal vom kirchlichen Konsistorium untersucht zu werden verlangen, sollen die Ratsbeauftragten oder Ältesten zusammen mit den Dienern wachen. Wenn jemand eines solchen Vergehens überführt worden ist, sollen sie es dem Rat mitteilen und diesen ihre Meinung und ihr Urteil wissen lassen. Das endgültige Strafurteil bleibt aber immer dem Rat überlassen. Bei leichteren Fehlverhalten, die durch bloße Ermahnung in Ordnung gebracht werden können, soll man nach der Regel unseres Herrn verfahren, mit der Vorladung vor die kirchliche Behörde als letzter Maßnahme. Um diese Ordnung aufrechtzuerhalten, sollen die Diener alle drei Monate in besonderer Weise darauf achten, ob irgendetwas an ihnen auszusetzen ist, damit dem in angemessener Weise abgeholfen werden kann. Visitationsordnung für die Diener und Gemeinden im Herrschaftsgebiet von Genf Damit aber im ganzen Leib der Genfer Kirche – das heißt sowohl in der Stadt als auch in den dazugehörigen Kirchgemeinden – eine gute Ordnung und Einheit in der Lehre herrscht, sollen der Rat und die Diener je zwei Vertreter aus ihrem Kreis bestimmen und damit beauftragen, einmal jährlich jede Kirchgemeinde zu besuchen, um sich zu vergewissern, dass der örtliche Diener keine neue Lehre, die der Reinheit des Evangeliums widerspricht, vertritt. Zweitens dient dies dazu, in Erfahrung zu bringen, ob der Diener zur Auferbauung predigt oder ob seine Art irgendwie Anstoß erregt oder sich mit der Aufgabe der Unterweisung des Volkes nicht verträgt: etwa durch zu große Unklarheit, durch die Behandlung überflüssiger Fragen, durch zu große Strenge und ähnliche Fehler. Drittens dient es dazu, das Volk zu ermahnen, die Predigten fleißig zu besuchen, sie sich zu Gemüte zu führen und Nutzen für das christliche Leben daraus zu ziehen. Es soll daran erinnert werden, worin das Dieneramt besteht, damit es lernt, in rechter Weise damit umzugehen. Viertens dient es dazu, in Erfahrung zu bringen, ob der Diener gewissenhaft ist, sowohl im Predigen als auch im Besuchen der Kranken, im Ermahnen derjenigen, die dies nötig haben, und im Verhindern von allem, was der Ehre Gottes zuwiderläuft. Zudem, ob er ein ehrbares Leben führt und selber ein gutes Vorbild ist; ob er in Ausschweifung und Leichtfertigkeit lebt und so sich und seine Familie in Verruf bringt, oder ob er sich gut mit dem Volk versteht. Die Art der Visitation Der mit dieser Aufgabe beauftragte Diener hat, nachdem er wie oben beschrieben gepredigt und das Volk ermahnt hat, die Aufgabe, sich bei den

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Wächtern und Fürsorgern der Kirchgemeinde sowohl nach der Lehre wie nach dem Leben ihres Dieners zu erkundigen, ebenso nach der Sorgfalt und nach der Art und Weise seines Lehrens. Er soll sie im Namen Gottes bitten, im Namen Gottes nichts zu dulden oder zu verheimlichen, was Gottes Ehre, der Förderung seines Wortes und dem Wohl aller hinderlich ist. Je nach Befund soll er der Versammlung der Diener Bericht erstatten. Wenn sich dann bei dem betroffenen Bruder ein Fehler findet, bei dem eine mündliche Ermahnung ausreicht, so soll dieser in gewohnter Weise ermahnt werden. Geht es um ein schwereres Vergehen, das unter keinen Umständen geduldet werden darf, so soll man gemäß den vorangehenden Artikeln verfahren, nämlich so, dass die erwähnten vier Beauftragten uns die Angelegenheit schildern, damit dann angemessen vorgegangen werden kann. Bei dieser Visitation soll es sich in keiner Weise um eine gerichtliche Untersuchung handeln noch irgendwie um eine Art von Rechtsprechung, sie dient lediglich als Heilmittel gegen alle Ärgernisse und vor allem dazu, die Diener davor zu bewahren, ihr Amt in verkehrter oder nachlässiger Weise auszuüben. Zudem soll sie den Gang der Justiz in keiner Weise behindern und keinen Diener aus der allgemeinen Rechtsordnung entlassen. Im Blick auf das bürgerliche Recht müssen auch sie sich, wie jeder andere, vor der gewöhnlichen Justiz verantworten. Bei strafrechtlichen Vergehen muss auch gegen sie eine Untersuchung eingeleitet und sie müssen bestraft werden, wenn sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen. Insgesamt soll ihre Stellung auch künftig so bleiben, wie sie gegenwärtig ist. Anzahl, Ort und Zeitpunkt der Predigten soll nach den Erfordernissen der Zeit bestimmt werden. Zumindest soll am Sonntag am frühen Morgen in St. Pierre und St. Gervais und zur gewöhnlichen Zeit in St. Pierre, Madeleine und St. Gervais eine Predigt gehalten werden. Um zwölf Uhr soll Katechismusunterricht sein, das heißt Unterricht der Schulkinder in allen drei Kirchen, in Madeleine, St. Pierre und St. Gervais. Um drei Uhr ebenso in den Kirchen aller drei Gemeindebezirke. An Werktagen soll täglich und zur gleichen Zeit in allen drei Kirchgemeinden gepredigt werden, in St. Pierre, Madeleine und in St. Gervais. Und zwar: im Sommer, von Ostern bis zum ersten Oktober, von sechs bis sieben Uhr, und im Winter von sieben bis acht Uhr. Tag des Gebetes soll insbesondere der Mittwoch sein, wenn nicht später noch ein anderer günstiger Zeitpunkt dafür bestimmt wird. Außer den genannten Predigten soll man dreimal wöchentlich frühmorgens in St. Pierre predigen, nämlich Montag, Mittwoch und Freitag, und in St. Gervais am Mittwoch; dies vor den bereits genannten gewöhnlichen Predigten.

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[2.] Der zweite genannte Stand: die sogenannten Doktoren Die besondere Aufgabe der Doktoren ist es, die Gläubigen in der gesunden Lehre zu unterweisen, damit die Reinheit des Evangeliums nicht getrübt wird, sei es durch Unkenntnis oder durch Irrlehren. Beim heutigen Stand der Dinge verstehen wir unter dieser Bezeichnung jeden Dienst und jede Funktion, die der Förderung des Nachwuchses gilt und dafür sorgt, dass die Kirche nicht aus Mangel an Pastoren und Dienern verwaist. Wir wollen es, um einen verständlicheren Ausdruck zu verwenden, das Amt der Lehrer nennen. Dem Dieneramt am nächsten und mit der Leitung der Kirche am engsten verbunden ist dabei der theologische Unterricht, der das Alte und das Neue Testament umfassen sollte. Damit man von diesem Unterricht Nutzen ziehen kann, muss man aber zuerst eine Kenntnis der Sprachen und eine allgemeine Bildung besitzen. Weil es nötig ist, im Blick auf die Zukunft Nachwuchs zu fördern, damit die Kirche unseren Kindern nicht in einem schlechten Zustand überlassen wird, muss ein Gymnasium eingerichtet werden, um die Schüler zu unterrichten und sie so sowohl auf den Kirchendienst wie auf ein politisches Leitungsamt vorzubereiten. Wie hier vorzugehen ist, findet sich in der Schulordnung. Es soll in der Stadt keine andere Schule für die Schulkinder geben; die Mädchen aber sollen wie bisher ihre eigene Schule haben. [3.] Der dritte Stand: die Ältesten oder vom Rat zum Konsistorium Bestimmten Ihre Aufgabe ist es, auf das Leben eines jeden zu achten und diejenigen in freundschaftlicher Weise zu ermahnen, die sie Fehltritte machen oder ein unordentliches Leben führen sehen. Wo es nötig ist, sollen sie dem ganzen für die brüderliche Zurechtweisung zuständigen Kreis Mitteilung machen und diese mit jenem gemeinsam vornehmen. Entsprechend der Gestalt und Ordnung der hiesigen Kirche wäre es gut, hierbei zwei Vertreter aus dem Kleinen Rat, vier aus dem Rat der Sechzig und sechs aus dem Großen Rat auszuwählen. Es sollen Leute mit ehrbarem und anständigem Lebenswandel sein, tadellos und über jeden Verdacht erhaben, die vor allem Gott fürchten und geistliche Klugheit besitzen. Damit sie alles überblicken können, soll bei ihrer Wahl darauf geachtet werden, dass jedes Quartier der Stadt vertreten ist. Was das Wahlverfahren angeht, haben wir Folgendes beschlossen: Der Kleine Rat soll anordnen, dass die Unbescholtensten und Geeignetsten vorgeschlagen werden, die man finden kann. Zu diesem Zweck soll man die Diener zur Beratung heranziehen. Anschließend soll man die Vorgeschlagenen dem Großen Rat vorstellen, der sie bestätigen soll, wenn er sie als geeignet ansieht.

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Nach dieser Bestätigung sollen sie einen besonderen Eid mit folgendem Wortlaut ablegen: Eid der Mitglieder des Konsistoriums „Meinem Auftrag gemäß schwöre und gelobe ich, allen Götzendienst, alle Gotteslästerung, alle Ausschweifung und anderes, was der Ehre Gottes und der Wiederherstellung des Evangeliums widerspricht, zu verhindern, und diejenigen, die es bedürfen, zu ermahnen, wenn sich mir Gelegenheit dazu bietet. Ebenso, dass ich, wenn ich etwas erfahre, das es wert ist, dem Konsisto­ rium mitgeteilt zu werden, meine Pflicht treu erfülle, ohne Hass oder Begünstigung, nur zu dem Ziel, dass eine gute Ordnung und Gottesfurcht in der Stadt erhalten bleiben. Ebenso will ich alle Pflichten, die mit diesem Amt verbunden sind, getreulich erfüllen und die Kirchenordnung, die vom Kleinen und Großen Rat und von der Allgemeinen Bürgerversammlung in Genf verabschiedet worden ist, beachten.“ Ende des Jahres, nachdem der Rat gewählt worden ist, soll dieser jeweils entscheiden, ob sie in ihrem Dienst bleiben können oder ob sie ersetzt werden müssen. Wenn sie ihre Aufgabe treu erfüllen, ist es allerdings nicht angezeigt, sie ohne Grund häufig zu ersetzen. [4.] Der vierte Stand der Leitung der Kirche: die Diakone In der Alten Kirche hat es immer zwei Arten von Diakonen gegeben: Die einen waren damit beauftragt, das Armengut entgegenzunehmen, zu verteilen und zu verwalten, sowohl tägliche Almosen, als auch Besitztümer, Zinsen und Renten. Die anderen waren damit beauftragt, sich um die Kranken zu kümmern und sie zu pflegen, und die Armen zu speisen. Dem sollten sich alle christlichen Städte anschließen, so wie wir uns darum bemüht haben und dies auch in Zukunft tun werden; wir haben nämlich bereits Fürsorger und Spitalverantwortliche. Damit Ordnung herrscht, soll einer der vier Fürsorger das gesamte Gut des Spitals verwalten und dafür einen angemessenen Lohn erhalten, sodass er sein Amt besser ausüben kann. Es soll wie bisher bei vier Fürsorgern bleiben. Einer von ihnen soll, wie gesagt, mit der Güterverwaltung beauftragt sein. Dies, damit die Vorräte zur rechten Zeit angelegt werden, und damit Spender von Armengaben sicherer sein können, dass die Güter nicht anders als in ihrem Sinn verwendet werden. Wenn die Einkünfte aber nicht ausreichen, oder wenn ein außerordentlicher Bedarf besteht, so soll der Rat entscheiden, ob je nach Notwendigkeit noch etwas hinzugefügt werden muss.

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Die Wahl sowohl der Fürsorger wie der Spitalverantwortlichen soll so vor sich gehen, wie diejenige der Ältesten und vom Rat zum Konsistorium Beauftragten. Dabei soll man der Regel folgen, die Paulus in 1. Tim 3 für die Diakone angibt (1. Tim 3,8–13). Was Amt und Befugnis der Fürsorger angeht, bestätigen wir die dies­ bezüglich bereits erlassenen Vorschriften. In dringenden Fällen, wo sonst die Gefahr bestünde, in Verzug zu geraten, und allgemein, wo keine besondere Schwierigkeit vorliegt und es sich nicht um große Ausgaben handelt, sollen sie nicht verpflichtet sein, dauernd zusammenzukommen; einer oder zwei können in Abwesenheit der anderen das Nötige veranlassen. Es ist nötig, sorgfältig darauf zu achten, dass das öffentliche Spital gut betrieben wird. Dieses soll sowohl für die Kranken als auch für die arbeitsunfähigen alten Leute, für Witwen, Waisenkinder und andere Bedürftige offenstehen. Die Kranken soll man jedoch zusammennehmen und sie an einem eigenen, abgesonderten Ort unterbringen. Ebenso soll die Fürsorge für die in der Stadt lebenden Bedürftigen von dort aus übernommen werden, so, wie es die Fürsorger anordnen. Zusätzlich zur Fremdenherberge, die weitergeführt werden muss, soll man auch noch eine weitere Unterkunftsmöglichkeit schaffen für solche, die eine besondere Fürsorge verdienen. Hierzu soll man einen eigenen Raum bestimmen, der ausschließlich denjenigen zur Verfügung steht, die von den Fürsorgern dorthin geschickt werden. Bei alledem ist es wichtig, dass die Fürsorger und ihre Familien in Ehrbarkeit und in gottgemäßer Ordnung leben, denn sie haben ein gottgeweihtes Haus zu führen. Die Diener und die Ratsbeauftragten oder Ältesten sollen, mit dem verantwortlichen Bürgermeister zusammen, sich darüber auf dem Laufenden halten, ob bei der Armenfürsorge irgendein Mangel oder ein Bedarf auftaucht, und gegebenenfalls die Ratsherren bitten und auffordern, dies in Ordnung zu bringen. Zu diesem Zweck sollen alle drei Monate einige aus ihrem Kreis mit den Verwaltern zusammen dem Spital einen Besuch abstatten, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem muss sowohl für die Armen im Spital wie für die Bedürftigen in der Stadt ein Arzt und ein Wundarzt auf Kosten der Stadt angestellt werden. Sie können trotzdem in der Stadt praktizieren, sind aber zugleich verpflichtet, sich um das Spital zu kümmern und die anderen Bedürftigen zu besuchen. Weil in unserem Spital aber nicht nur Alte und Kranke sind, sondern auch bedürftige Kinder, verfügen wir, dass dort beständig ein Lehrer sein soll. Der soll sie zu gutem Betragen erziehen und ihnen die Grundlagen der Bildung und des christlichen Glaubens beibringen. Vor allem soll er den Katechismus lehren, die Spitalbewohner unterrichten und die Schüler zum Gymnasium hinführen. Das Spital für die Pestkranken soll davon

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völlig abgetrennt sein, besonders dann, wenn die Stadt von dieser Geißel Gottes heimgesucht werden sollte. Um das Betteln zu verhindern, das jeder guten Ordnung zuwiderläuft, ist es nötig – so haben wir es angeordnet –, dass der Rat einige Beamte zu den Ausgängen der Kirchen schickt, um diejenigen wegzuweisen, die betteln wollen. Wenn sich diese aber widersetzen und Widerstand leisten, soll man sie vor einen der Bürgermeister bringen. Desgleichen sollen in der übrigen Zeit die Quartieraufseher darauf achten, dass das Bettelverbot streng eingehalten wird. [II. Verordnungen über das kirchliche Leben] [1.] Von den Sakramenten Die Taufe soll nur zur Stunde der Predigt stattfinden und nur von den Dienern vollzogen werden. Dabei sollen die Namen der Kinder und der Eltern in ein Verzeichnis aufgenommen werden. Uneheliche Kinder soll man dem Gericht melden, damit die Angelegenheit in angemessener Weise behandelt werden kann. Fremde soll man nur dann zu Taufpaten nehmen, wenn es gläubige, in der Gemeinschaft des Glaubens mit uns verbundene Leute sind, denn andere sind nicht in der Lage, der Kirche zu versprechen, die Kinder in der erforderlichen Weise zu unterrichten. Auch diejenigen, die vom Abendmahl ausgeschlossen worden sind, sollen dazu nicht zugelassen werden, bis sie sich wieder mit der Kirche versöhnt haben. Nun gibt es hierzulande gewisse Namen, die unauflöslich mit Götzendienst und Zauberei zusammenhängen, wie „Claudius“, oder die Namen der sogenannten drei Könige; auch wurden Bezeichnungen von gött­lichen Amtsträgern als Namen verwendet, wie „Johannes der Täufer“ und „Engel“, und drittens wurde sogar das Wort „Schweißtuch“ Menschen als Name gegeben, ein untragbarer Unfug. Um solche Verunreinigungen von der heiligen Taufe fernzuhalten, haben wir bereits angeordnet, diese Unart und diesen Missbrauch abzuschaffen. [2.] Vom Abendmahl So, wie das Abendmahl von unserem Herrn eingesetzt worden ist, sollte es häufiger gefeiert werden, als wir dies tun. So wurde es in der Alten Kirche auch gehalten, bis der Teufel alles auf den Kopf gestellt und an dessen Stelle die Messe eingeführt hat. Es so selten zu feiern ist daher ein Missstand, der behoben werden muss. Vorläufig soll es allerdings viermal im Jahr ausgeteilt werden, so haben wir nach eingehender Beratung verfügt, nämlich an demjenigen Sonntag, der Weihnachten am nächsten liegt, an Ostern, an Pfingsten und im Herbst am ersten Septembersonntag. Die Diener sollen das Brot in guter Ordnung und mit Ehrfurcht aus-

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teilen, und niemand sonst soll zusammen mit den Dienern den Kelch reichen außer die Ratsbeauftragten oder Diakone. Es sollen deshalb nicht mehrere Kelche verwendet werden. Die Tische sollen nahe bei der Kanzel stehen, damit es für den Diener bequemer und besser geht, seine Erläuterungen zu machen. Es soll, jedenfalls bis auf weiteres, ausschließlich in der Kirche gefeiert werden. Am Sonntag vor der Abendmahlsfeier soll man diese ankündigen, damit kein Kind daran teilnimmt, ohne vorher seinen Glauben – wie er im Katechismus dargelegt ist – bekannt zu haben. Außerdem soll man alle Fremden und Neuangekommenen dazu anhalten, sich zuerst der Kirche vorzustellen, um wenn nötig unterrichtet zu werden. So soll verhindert werden, dass jemand zu seiner Verdammnis dort hingeht (1. Kor 11,29). [3.] Vom Kirchengesang Wir haben ebenfalls angeordnet, den Kirchengesang einzuführen, sowohl vor wie nach der Predigt, um das Volk stärker dazu anzuregen, Lob und Bitte an Gott zu richten. Zuerst soll man den Schülern die Lieder beibringen, mit der Zeit wird dann die ganze Gemeinde einstimmen können. [4.] Von der Ehe Nachdem die übliche Ankündigung erfolgt ist, soll man die Einsegnung der Ehe vor der Gemeinde dann vornehmen, wenn die Beteiligten es wünschen, sowohl an Sonntagen als auch an Werktagen, vorausgesetzt, dass dies zu Beginn der Predigt geschieht. Nur an Tagen, an denen das Abendmahl gefeiert wird, sollte man darauf verzichten; dies um der Würde des Sakraments willen. Da Streitigkeiten auf dem Gebiet der Ehe keine geistlichen Angelegenheiten, sondern mit dem staatlichen Bereich verwoben sind, gehören diese in den Sachbereich des Rates. Dennoch haben wir beschlossen, dass dem Konsistorium die Aufgabe überlassen werden soll, die Parteien anzuhören, und es dann dem Rat seine Meinung zur Sache mitteilen soll, damit dieser sein Urteil sprechen kann. Außerdem soll eine gute Eheordnung verfasst werden, die man künftig befolgen soll. [5.] Vom Begräbnis Die Toten soll man mit dem nötigen Respekt an dem dafür vorgesehenen Ort begraben. Es soll dem Ermessen des Einzelnen überlassen werden, wie er es mit dem Trauerzug halten will. Außerdem haben wir angeordnet, dass die Leichenträger dem Rat versprechen müssen, alle dem Wort Gottes zuwiderlaufenden abergläubischen Bräuche zu verhindern, keine Beerdigung zu ungehöriger Zeit vorzunehmen und Mitteilung zu machen, wenn jemand plötzlich gestorben

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ist, damit allem Ungebührlichen entgegengewirkt werden kann, das hier geschehen könnte. Die Verstorbenen soll man nicht früher als zwölf und nicht später als vierundzwanzig Stunden nach ihrem Tod begraben, und nicht bevor der vom Rat damit Beauftragte die Leiche gesehen hat. Dieser wird dann dem Rat Bericht erstatten. [6.] Vom Krankenbesuch Manche versäumen es, wenn sie krank sind, sich in Gott durch sein Wort zu trösten. So kommt es, dass viele ohne Zuspruch und Lehre des Evangeliums sterben, das dem Menschen doch gerade dann ganz besonders heilsam ist. Aus diesem Grund haben wir verfügt, dass niemand drei ganze Tage krank im Bett liegen darf, ohne dies einen Diener wissen zu lassen, und dass jeder daran denkt, die Diener zu der Zeit zu rufen, die diese selbst dafür festgelegt haben. So werden sie nicht von ihrem Amt abgehalten, in welchem sie der ganzen Kirche dienen. Um allen Ausreden zuvorzukommen, verfügen wir, dass dies öffentlich bekanntgemacht werden soll. Vor allem soll den Eltern, Freunden und Krankenpflegern geboten werden, nicht zu warten, bis der Kranke im Sterben liegt, denn in diesem letzten Augenblick nützen die tröstenden Worte in den meisten Fällen nichts mehr. [7.] Vom Gefangenenbesuch Wir haben außerdem verfügt, dass an einem bestimmten Tag in der Woche Zusammenkünfte mit den Gefangenen stattfinden sollen, damit sie Zuspruch und Ermahnung erhalten. Dabei soll einer der Ratsherren beauftragt werden, daran teilzunehmen, damit dort nichts Unrechtes geschieht. Wenn jemand gefesselt in Einzelhaft liegt und man ihn nicht herausführen will, so kann der Rat, wenn es ihm gut erscheint, einem Diener den Zugang erlauben – wie erwähnt in Begleitung –, um ihn zu trösten. Wenn man nämlich wartet, bis man die Verbrecher zur Hinrichtung führen muss, sind diese meistens derart von Angst erfüllt, dass sie nicht in der Lage sind, etwas aufzunehmen oder zu hören. Festgesetzt wurde dazu der Samstagnachmittag. [8. Von der Zulassung zum Abendmahl und von der Kirchenzucht] [8.1] Regelung für die Kinder Alle Bürger und Einwohner sollen ihre Kinder am Sonntag um zwölf Uhr zum oben erwähnten Katechismusunterricht hinbringen oder schicken, damit diese anhand des dazu verfassten Bekenntnisses unterwiesen werden. Zu diesem Unterricht gehört auch, dass man sie über das dort Behandelte jeweils befragt, um zu sehen, ob sie es richtig verstanden und behalten haben.

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Ist ein Kind genügend weit, um den Katechismusunterricht entbehren zu können, so soll es dessen Hauptinhalt feierlich aufsagen, und zwar so, dass es dies gleichsam als Bekenntnis des eigenen Christseins vor der versammelten Gemeinde tut. Dazu soll man die vier Sonntage vor den Abendmahlsfeiern vorsehen. Ehe es dies getan hat, soll kein Kind zum Abendmahl zugelassen werden, und man soll die Eltern anweisen, die Kinder nicht vorher dorthin mitzunehmen. Es ist nämlich für die Kinder wie für die Väter eine sehr schädliche Sache, wenn sie ohne rechte und hinreichende Unterweisung dort hingeführt werden. Damit sie diese erhalten, soll man nach dieser Regel verfahren. Damit niemand dem Unterricht fernbleibt, soll angeordnet werden, dass die, welche die Schule besuchen, sich dort vor zwölf Uhr versammeln, und dass die Lehrer sie dann in geordneter Weise in die Kirchen der einzelnen Gemeinden führen. Die anderen sollen von ihren Vätern hingeschickt oder hingebracht werden. Um Unordnung möglichst zu vermeiden, soll man auch hier so weit wie möglich die Aufteilung nach Gemeindebezirken berücksichtigen, von denen oben bei den Sakramenten die Rede war. Die Zuwiderhandelnden sollen vor den Kreis der Ältesten oder Ratsbeauftragten geladen werden, und wenn sie auf einen guten Rat nicht hören wollen, soll dem Rat Bericht erstattet werden. Die erwähnten Ratsbeauftragten sollen darüber wachen, dass alle ihre Pflichten erfüllen. [8.2] Regelung für die Erwachsenen zur Aufrechterhaltung einer guten Ordnung in der Kirche Während des Durcheinanders zur Zeit der Papstherrschaft sind viele in ihrer Kindheit nicht unterrichtet worden, sodass sie auch als erwachsene Männer und Frauen nicht wissen, was christlicher Glaube eigentlich ist. Daher haben wir verfügt, dass in den Häusern alljährlich Besuche stattfinden sollen, wo jeder ganz schlicht über seinen Glauben befragt wird, damit zumindest keiner zum Abendmahl kommt, ohne zu wissen, worin das Fundament seines Heils besteht. Außerdem soll man auf Knechte, Zimmermädchen, Ammen und Fremde, die sich hier niederlassen wollen, achten. So soll niemand ohne vorangehende Billigung zum Abendmahl zugelassen werden. Dieser Besuch soll vor dem Osterabendmahl stattfinden, und man soll einen genügend großen Zeitraum dafür vorsehen, damit Zeit besteht, die Sache durchzuführen. Die Diener sollen nach Absprache die Stadtteile unter sich aufteilen, die sie betreuen können, sie sollen sich dabei aber an die Bezirkseinteilung halten. Jeder soll einen der Ältesten aus dem Konsistorium mit sich nehmen, damit sie zusammen beraten können, ob sie solche, bei denen sie sehen,

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dass ihnen jegliches Verständnis als Voraussetzung für den Abendmahlsempfang abgeht, oder dass sie einen schlechten Lebenswandel führen, vor das Konsistorium laden wollen. Der Bezirksaufseher soll dabei verpflichtet sein, sie zu begleiten und zu führen, damit niemand von dieser Rechenschaftsablage ausgenommen wird. Die erwähnten Ratsbeauftragten sollen einmal wöchentlich, jeden Donnerstag, mit den Dienern zusammenkommen, um zu sehen, ob irgendetwas in der Kirche nicht in Ordnung ist, und gemeinsam soll man dann je nach Notwendigkeit über die entsprechenden Maßnahmen beraten. Weil sie aber weder eine amtliche Vollmacht besitzen noch eine rechtsgültige Zwangsmaßnahme beschließen können, haben wir verfügt, dass ihnen einer unserer Beamten zur Verfügung gestellt wird, der diejenigen vorlädt, die sie ermahnen wollen. Weigert sich jemand zu erscheinen, so ist es ihre Aufgabe, dem Rat dies mitzuteilen, damit Maßnahmen getroffen werden können. Welche Leute die Ältesten oder Beauftragten ermahnen sollen und wie dabei vorzugehen ist Wenn jemand die empfangene Lehre angreift, soll er zu einer Besprechung vorgeladen werden. Lässt er sich umstimmen, soll man ihn in der Gemeinde behalten, ohne sich weiter darüber aufzuhalten oder ihn bei den Leuten schlecht zu machen. Bleibt er hartnäckig bei seiner Meinung, soll man ihn einige Male ermahnen, bis man sieht, dass größere Strenge geboten ist. Dann erst soll man ihm das Abendmahl verbieten und dies dem Rat melden. Ist jemand im Kirchenbesuch so nachlässig, dass man darin eine regelrechte Verachtung der Gemeinschaft der Gläubigen erblicken muss, oder erweist sich jemand als Verächter der Kirchenordnung, so soll man ihn ermahnen. Ist er willig zu gehorchen, soll man ihn in Freundschaft in der Gemeinde behalten. Wird es aber immer schlimmer mit ihm, soll man ihn, nach dreimaliger Ermahnung, aus der Gemeinde ausschließen und ihn dem Rat melden. Bei Fehltritten im Lebenswandel des Einzelnen soll man so vorgehen, wie es uns der Herr geboten hat. Verborgenes Fehlverhalten soll man also im Verborgenen tadeln, und niemand soll seinen Nächsten öffentlich vor der Gemeinde irgendeines Fehltritts bezichtigen, wenn dieser nicht offenkundig und anstoßerregend ist, außer es habe jemand bereits hartnäckigen Widerstand geleistet. Außerdem sollen diejenigen, die sich über die Ermahnungen unter vier Augen von Seiten des Nächsten nur lustig machen, nochmals von der Gemeinde ermahnt werden. Wollen sie in keiner Weise zur Vernunft kommen und ihren Fehltritt nicht eingestehen, obwohl sie dessen überführt

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worden sind, soll man ihnen eröffnen, dass sie sich vom Abendmahl zu enthalten hätten, bis sie unter besseren Voraussetzungen wiederkämen. Was öffentliche und allgemein bekannte Fehltritte angeht, welche die Kirche nicht übersehen kann: Bei Fehlern, die einer bloßen Ermahnung bedürfen, soll es Aufgabe der Ältesten sein, die Schuldigen vorzuladen und sie in freundschaftlicher Weise zu ermahnen, damit sie ihr Verhalten ändern. Wenn man dann eine Besserung feststellt, soll man sie nicht weiter belästigen. Fahren sie aber damit fort, Böses zu tun, soll man sie erneut ermahnen. Wenn dies dann aber auf die Dauer nichts nützt, muss man ihnen, wie man dies bei Verächtern Gottes tut, mitteilen, dass sie vom Abendmahl fernzubleiben hätten, bis man bei ihnen eine Änderung im Lebenswandel sieht. Bei Straftaten, die nicht nur der mündlichen Ermahnung bedürfen, sondern eine Zurechtweisung samt gerichtlicher Strafe nach sich ziehen, soll man – je nach Fall – dem Schuldigen mitteilen, dass er sich für eine bestimmte Zeit vom Abendmahl fernzuhalten habe, um vor Gott Buße zu tun und sich seiner Schuld besser bewusst zu werden. Verordnung über die Abendmahlsverächter (Beschluss des Großen Rates vom 12. November 1557) Man hat schon seit einiger Zeit bemerkt, dass sich einige nach eigenem Gutdünken vom Abendmahl ferngehalten und auch die Ermahnung, daran teilzunehmen, nicht beachtet haben. Andere, denen es einmal ver­ boten gewesen war, haben es – aus Nachlässigkeit oder Verachtung – schon seit langem nicht mehr empfangen. Damit würde aber diese Maßnahme, die ihnen gemäß dem Wort Gottes und unseren Verordnungen auferlegt worden ist, lächerlich gemacht, wenn man hier nichts unternähme. So wünschen und verfügen wir, dass das hier niedergelegte Verfahren ohne Abstriche eingehalten wird: Wenn man also sieht, dass sich jemand von der heiligen Gemeinschaft der Gläubigen fernhält, soll ihn das Konsistorium seinem Auftrag gemäß nötigenfalls vorladen, wie dies früher üblich war. Ist der Grund seines Fernbleibens eine Feindschaft, so soll man ihn ermahnen, sich mit seinem Gegner zu versöhnen. Bei anderen Hinderungsgründen soll man verfahren, wie es angemessen ist. Ist er bei der ersten Ermahnung noch nicht in der Lage, diese anzunehmen, so soll man ihm Zeit lassen, besser über sich selbst nachzudenken. Verharrt er aber in seiner Weigerung, sodass er ein weiteres halbes Jahr nicht zum Abendmahl erscheint, soll er, nachdem er vor den Rat geladen worden ist, als Unbelehrbarer für ein Jahr aus der Stadt ausgewiesen werden, außer er bäte für seinen Fehltritt um Verzeihung und wäre bereit, sich zu bessern. Auch wenn er dann seinen Fehler einsieht, soll er jedenfalls, weil er die Ermahnungen des Konsistoriums zurückgewiesen hat, nach dem Ermessen der

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Ratsherren bestraft und zurückgeschickt werden, um das Ärgernis, das er durch seinen Widerstand verursacht hat, zu beseitigen. Wenn jemand in besagter Weise ermahnt worden ist und, nachdem er versprochen hat, das Abendmahl zu empfangen, dennoch nicht hingeht, soll er vorgeladen werden, und man soll ihm seine Heuchelei und Unwahrhaftigkeit vorhalten. Wird er aber ein zweites Mal überführt, das Konsistorium betrogen und getäuscht zu haben, soll er im oben beschriebenen Sinn bestraft werden. Wird jemandem wegen eines Anstoß erregenden Vergehens nur für ein einziges Mal vom Abendmahl ausgeschlossen, unterlässt es dann aber für längere Zeit hinzugehen, sei es aus Verachtung oder aus einem anderen Grund, soll er vor das Konsistorium geladen werden. Lässt er sich nicht dazu bewegen, wieder daran teilzunehmen, so soll man wie oben verfahren. Angenommen, jemand ist wegen seines Widerstandes, sei es, weil er in seinem Fehlverhalten verharrt oder weil er als der Abendmahlsgemeinschaft unwürdig erfunden ist, davon ausgeschlossen; er erweist sich dann, anstatt sich zu demütigen, als Verächter der kirchlichen Ordnung und anerkennt seinen Fehltritt nicht freiwillig vor dem Konsistorium an, sodass er sich über einen Zeitraum von sechs Monaten vom Abendmahl fernhält, soll er vorgeladen und aufgefordert werden, wieder daran teilzunehmen. Bleibt er bis zum Ende des Jahres hartnäckig und ändert seine Haltung trotz der Ermahnungen nicht, soll er, gleichsam als Unverbesserlicher, ebenfalls für ein Jahr aus der Stadt gewiesen werden, außer er käme dem zuvor, würde die Ratsherren um Verzeihung bitten und sein Fehlverhalten vor dem Konsistorium anerkennen, um zum Abendmahl zugelassen zu werden. Wenn jemand aus Eigensinn oder Auflehnung trotz eines Verbotes sich zum Abendmahl vordrängen will, so ist es am Diener, ihn zurückzuweisen, denn es ist ihm nicht erlaubt, ihn daran teilnehmen zu lassen. All dies soll aber stets so maßvoll sein, dass dabei keine bedrückende Strenge herrscht, und ebenso sollen auch die Zurechtweisungen nichts anderes sein als Heilmittel, um die Sünder wieder zu unserem Herrn hinzuführen. Bei alledem sollen die Diener keinerlei richterliche Gewalt haben, und das Konsistorium soll der Machtbefugnis des Rates und der ordentlichen Justiz keinen Abbruch tun, sodass die zivile Macht unangetastet bleibt. Wo es nötig ist, Strafen zu verhängen oder Streitfälle durch Zwangsmaßnahmen zu beenden, sollen die Diener zusammen mit dem Konsistorium zuerst die Streitparteien anhören und ihnen nach eigenem Ermessen ihre Schuld aufzeigen und sie ermahnen. Anschließend sollen sie es dem Rat mitteilen, der dann aufgrund ihres Berichtes beschließt, was zu tun sei, und den Fall den Umständen entsprechend beurteilen wird.

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Diese Ordnung soll nicht nur in der Stadt, sondern auch in den von ihr abhängigen Dörfern gelten. [9.] Edikte zur Erläuterung der früheren Verordnungen über die Wahl der Ältesten und den Ausschluss vom Abendmahl, verabschiedet vom Großen Rat am Freitag, dem 9. November 1560 Wir Bürgermeister, der Kleine und der Große Rat der Stadt Genf, machen durch das vorliegende Schreiben allen Folgendes bekannt: Die ehrwürdigen Diener am Wort Gottes in unserer Kirche haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass sich gewisse Missbräuche eingeschlichen haben, welche die von unserer Allgemeinen Bürgerversammlung beschlossene Kirchenordnung gefährden. So haben sie uns gebeten und aufgefordert, hier Abhilfe zu schaffen, damit, wenn denn wirklich etwas Gutes bei uns begonnen hat, dieses gefördert und nicht rückgängig gemacht wird. Wir unsererseits wünschen ebenfalls, dass bei uns eine gute Ordnung herrscht und somit, dass das in vollem Umfang bewahrt wird, was Gottes Wort uns lehrt. Ebenso wissen wir, dass unsere vorige Ordnung der Heiligen Schrift gemäß war, sodass es falsch war, sich davon abzuwenden. Um diesem Missstand abzuhelfen, und damit die gute Einrichtung auch künftig nicht geändert, verletzt oder vernachlässigt wird, haben wir darüber beraten und beschlossen, den bereits vorliegenden Artikeln folgende Erläuterungen beizufügen: Erstens: Entgegen der von der Allgemeinen Bürgerversammlung verabschiedeten Kirchenordnung ist vor einiger Zeit der Brauch eingeführt worden, dass einer der vier Bürgermeister mit seinem Amtsstab dem Konsistorium vorsteht, was eher nach einer zivilen Rechtsprechung aussieht als nach einer geistlichen Leitung. Die Heilige Schrift lehrt uns aber zu unterscheiden zwischen dem Schwert und der Autorität der Regierung einerseits und der kirchlichen Aufsichtsbefugnis andererseits, welche dazu dient, alle Christen zum Gehorsam und zum wahren Gottesdienst anzuhalten und Ärgernisse zu verhindern und zu beseitigen. Um diese Unterscheidung besser zu wahren, verfügen wir, dass man sich künftig an das halten soll, was die Bestimmungen besagen, dass man also nur zwei aus dem Kleinen Rat wählt, und dass, falls einer davon ein Bürgermeister ist, dieser dort nur in der Funktion eines Ältesten zur Leitung der Kirche tätig ist, ohne Regierungsstab. Zwar sind Regierungsgewalt und Obrigkeit, die Gott uns gegeben hat, und geistliche Herrschaft, die er in seiner Kirche auszuüben befohlen hat, untrennbar miteinander verbunden. Dennoch sind sie nicht miteinander vermischt, und der, der alle Herrschaftsgewalt besitzt, und dem wir uns – wie es sich gehört – unterordnen wollen, hat beides voneinander unterschieden. So erklären wir hiermit: Wir wünschen, dass man sich an die ursprüngliche gute Einrichtung hält, ohne die seit einiger Zeit missbräuchlich aufgekommene Gewohnheit.

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Zweitens: Es wurde ausdrücklich gesagt, dass bei der Wahl der Ältesten ins Konsistorium der Kleine Rat die Diener am Wort Gottes heranziehen und mit ihnen darüber sprechen soll. Nun wurden sie aber durch einen unzulässigen Übergriff davon ausgeschlossen. So kam es, dass man manchmal für dieses Amt schlecht geeignete Leute gewählt und so dem Ansehen des Konsistoriums geschadet hat. Wir sind nun aber der Meinung, der Inhalt des Artikels sei wohlbegründet und dem Wort Gottes gemäß, und es sei sicher angemessen, die Diener einer Kirche anzuhören, wenn es um deren Leitung und Ordnung geht. Man täte ihrer Stellung und ihrem Dienst Unrecht, würde man diejenigen, die dann einmütig mit ihnen zusammen dafür sorgen sollen, dass Gott geehrt und ihm gedient wird, wählen, ohne dass sie davon wissen und darüber unterrichtet worden sind. So haben wir angeordnet, dass künftig bei der Frage, welche Leute man auswählen soll, die Diener zu Rate gezogen werden sollen. Damit hält man sich an den ursprünglich gut abgefassten Artikel. Drittens: In der Kirchenordnung heißt es einfach, man solle als Älteste für das Konsistorium vier aus dem Rat der Sechzig und sechs aus dem Großen Rat bestimmen, ohne dass genauer gesagt ist, ob es sich um Altbürger oder Neubürger handeln soll. Trotzdem hat man, aus Standesdünkel oder anderen Gründen, die Wahl auf Altbürger beschränkt. Nachdem wir den dagegen erhobenen Einspruch und dessen Begründung gehört haben, dass nämlich die besonderen Vorrechte und das besondere Ansehen der Bürger in der Kirche, dem geistlichen Bereich, nicht gleichermaßen gelten, dass es vielmehr wünschenswert wäre, die Geeignetsten aus dem gesamten Leib der Kirche auszuwählen, haben wir diesbezüglich verfügt, dass man fortan die Altbürger den Neubürgern nicht mehr vorziehen soll, sondern sich einfach an die alte Kirchenordnung zu halten hat. Schließlich: Das Wort Gottes lehrt uns, dass die Verstockten, die überhaupt nicht mehr auf die Zurechtweisungen der Kirche hören, wie Heiden behandelt werden sollen; so verbietet auch Paulus den vertrauten Umgang mit ihnen und will, dass sie durch Beschämung bereit werden, Buße zu tun. Dies kann aber nur so geschehen, dass sie zuvor als hart­näckig und unkorrigierbar bezeichnet worden sind. Außerdem müssen auch die öffentlichen Ärgernisse beseitigt werden, die in der Kirche Verwirrung gestiftet haben. Zwar haben wir vormals Edikte erlassen, von denen wir der Meinung waren, dass sie zur Auferbauung der Kirche die nützlichsten wären; sie wurden ja auch von den ehrwürdigen Dienern gepriesen und gelobt. Dennoch wollen wir uns dem wahren Maßstab des Wortes Gottes noch stärker annähern und uns ihm so gut als möglich anpassen. So haben wir Folgendes verfügt: Wenn die durch das Konsistorium vom Abendmahl Ausgeschlossenen, nachdem sie in gebührender Weise ermahnt worden sind, sich dennoch nicht umstimmen lassen, sondern in

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ihrem Widerstand verharren, soll man schließlich ihre Namen öffentlich in den Kirchen nennen und bekanntgeben, dass sie aus der Herde ausgestoßen sind, bis sie zur Erkenntnis ihrer Schuld kommen und sich mit der Kirche wieder versöhnen. Außerdem: Wer den reinen Glauben des Evangeliums widerrufen und ihm abgeschworen hat, um sein Leben zu retten, oder zum Götzendienst des Papsttums zurückgekehrt ist, nachdem er hier das heilige Abendmahl empfangen hat, der soll, anstelle einer öffentlichen Abbitte, in der Kirche erscheinen, seine Schuld zugeben und bekennen und Gott und seine Gemeinde um Vergebung bitten. Dies haben wir als gut und notwendig erachtet, sowohl um die ganze Gemeinschaft der Gläubigen zufriedenzustellen und ihr ein Beispiel zu geben, als auch damit man sieht, ob die Buße aus freiem Willen geschieht, und schließlich, damit sie mit der Gemeinde wieder versöhnt sind, von der sie sich durch ihren Fall ausgeschlossen haben. [10.] Von der Befolgung der vorliegenden Kirchenordnung Damit die vorliegende Ordnung in dieser Kirche, als Kirche unseres Herrn Jesus Christus, eingehalten und bekräftigt wird, haben wir verfügt, dass sie alle drei Jahre am ersten Sonntag im Juni in der Kirche von St. Pierre vor dem versammelten Volk vorgelesen werden soll. Jeder soll dort mit erhobener Hand vor Gott und in Anwesenheit der Bürgermeister schwören, sie einhalten und befolgen zu wollen, ihr nicht zu widersprechen oder zuwiderzuhandeln, ihr nicht willkürlich etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, außer dies hätte vorher – nach den Bestimmungen unserer anderen Edikte – zuerst unserem Kleinen Rat und dann dem Großen Rat vorgelegen. Gezeichnet I. F. Bernard, Sekretär

13. Genfer Katechismus (1542/1545) Einleitung Nachdem Johannes Calvin 1538 aus Genf ausgewiesen wurde, wirkte er als Pfarrer der französischen Fremdengemeinde in Straßburg, bis er 1541 nach Genf zurückberufen wurde. Schon bald nach seiner Rückkehr formulierte er 1541/1542 eilig, neben einer Kirchenordnung und einer Gottesdienstordnung, den Genfer Katechismus in französischer Sprache. Ihn übertrug er 1545 auch ins Lateinische, damit dieser eine noch größere Verbreitung finden konnte; dieser Fassung folgt die unten abgedruckte Übersetzung. Der Katechismus, der den kürzeren Katechismus von 1537 ersetzen sollte, bietet eine neue formale und inhaltliche Konzeption. In Frage- und Antwortform pädagogisch geschickt gestaltet, diente er primär dem Unterricht der Jugend. Untergliedert in 55 Abschnitte, die im Laufe eines Jahres behandelt werden sollten, enthält der Katechismus in den vier Hauptteilen „Vom Glauben“ (Fragen 1–130 als Auslegung des Apostolikums), „Vom Gesetz“ (Fragen 131–232 als Auslegung der Zehn Gebote), „Vom Gebet“ (Fragen 233–295 als Auslegung des Unser-VaterGebets) und „Von den Sakramenten“ (Fragen 296–373 zur Taufe und zum Abendmahl) insgesamt 373 Fragen und Antworten. Die Reihenfolge der beiden ersten Hauptteile, in denen der Glaube dem Gesetz vorangeht, sind das Ergebnis eines Revisionsprozesses, dem Calvin auch sein Hauptwerk „Unterricht in der christlichen Religion“ in den Fassungen nach 1539 unterzogen hat. Das Gesetz verstand er nun konsequent im Sinne von Geboten, die der Gemeinde für ein vor Gott verantwortetes christliches Leben aufgetragen sind. Im Hintergrund dieser neuen Gliederung, die Calvin in Frage 7 andeutet (Vertrauen auf Gott, Dienst, Gehorsam, Anrufung und Anerkennung) steht u. a. seine Kenntnisnahme von Martin Bucers Straßburger Katechismus (1534). Dem Katechismus ist im Übrigen eine Vorrede an die evangelischen Pfarrer Ostfrieslands vorangestellt, in dem Calvin seinem Wunsch Ausdruck verliehen hat, dieser möge ein einigendes Band und gemeinsames Bekenntnis der Glaubenden werden; dies hat sich freilich nicht erfüllt. Neben dem Unterricht der Jugend erfüllte der Katechismus in Genf bis Ende des 18. Jahrhunderts die Funktion einer innerkirchlichen Lehrnorm. Im Zusammenspiel von synthetischer (die Inhalte aneinanderreihender) und analytischer (die Inhalte von einem übergeordneten Gesichtspunkt hinterfragender) Erschließung der Lehre nimmt der Katechismus seinen Ausgangspunkt bei der Erkenntnis Gottes als Sinn des Lebens. Mit der

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Erkenntnis Gottes korrespondiert die Frage nach seiner Verehrung. Zum theologischen Profil des Katechismus gehören u. a. die Beschreibung des dreifachen Amtes Christi und seines Bezugs auf das Leben der Christen (Fragen 34–45), die Betonung der guten Werke als Wirkung der Erneuerung des Menschen durch Gottes Geist (Fragen 116–130), die lebenspraktische Erklärung der Zehn Gebote (Fragen 131–232) und die Selbstmitteilung Gottes durch die Predigt des Wortes sowie die Sakramente als äußere Zeugnisse des göttlichen Wohlwollens (Fragen 296–373). Der Katechismus, den Karl Barth in einem Vortrag von 1923 als eine mögliche gemeinsame reformierte Lehrgrundlage würdigte, wurde bereits zu Calvins Lebzeiten durch Übersetzungen ins Italienische, Spanische, Griechische, Hebräische, Englische und Deutsche weit verbreitet. Im Wesentlichen blieb seine Wirkung jedoch auf die französischsprachigen Länder begrenzt. Er lässt sich als eine Zusammenfassung von Calvins Lehre lesen und bildet eine der Hauptquellen für den Heidelberger Katechismus (1563). Editionen Genfer Katechismus von 1542, in: RefBS 1/2: 1535–1549, 279–362 (Bearb.: Ernst Saxer) (franz. Text) Catechismus Ecclesiae Genevensis (1545), in: Joannis Calvini opera selecta, Bd. II, hg. v. Peter Barth / Dora Scheuner, München 1952, 59–157 (lat. Text) Übersetzung Der Genfer Katechismus von 1545, in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1997, 16–135 (Bearb.: Ernst Saxer) Literatur Karl Barth, Die Theologie Calvins. Vorlesung Göttingen 1922, hg. v. Hans Scholl, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 1993, 365–386 Matthias Freudenberg, Art. Katechismen, in: Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selder­ huis, Tübingen 2008, 204–212 Ernst Saxer, Der Genfer Katechismus von 1545 (Einleitung), in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, NeukirchenVluyn 1997, 1–9 Einleitung: Matthias Freudenberg; Übersetzung: Ernst Saxer, überarbeitet von Matthias Freudenberg

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Katechismus der Genfer Kirche (1542/1545) I. Der Glaube 1. Was ist der Sinn des menschlichen Lebens? Die Erkenntnis Gottes unseres Schöpfers. 2. Aus welchem Grund sagst du das? Er hat uns ja dazu geschaffen und in diese Welt gestellt, um in uns verherrlicht zu werden. So ist es nur recht und billig, dass unser Leben, dessen Ursprung er ist, wiederum seiner Verherrlichung dient. 3. Was ist nun das höchste Gut des Menschen? Genau dasselbe. 4. Warum hältst du gerade die Gotteserkenntnis für das höchste Gut? Wenn sie uns fehlt, sind wir trauriger dran als irgendein Tier. 5. Wir sehen daher also klar genug, dass dem Menschen nichts Schlimmeres zustoßen kann, als gottlos zu leben. So ist es. 6. Welches ist nun aber die wahre und rechte Erkenntnis Gottes? Diejenige, bei der ihm die angemessene und geschuldete Ehre erwiesen wird. 7. In welcher Weise wird er dann recht geehrt? Wenn wir all unser Vertrauen auf ihn setzen, wenn wir uns bemühen, ihm mit unserem ganzen Leben zu dienen, indem wir seinem Willen gehorchen, wenn wir ihn in allen Nöten anrufen und unser Heil und was wir sonst uns an Gutem nur wünschen können, bei ihm suchen, und schließlich, indem wir mit Herz und Mund ihn als alleinigen Urheber alles Guten anerkennen. 8. Um das nun der Reihe nach zu behandeln und ausführlicher zu erklären: Was ist nach deiner Einteilung der erste Hauptpunkt? Dass wir unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen. 9. Wie geschieht das? Indem wir ihn als den Allmächtigen und vollkommen Guten erkennen. 10. Genügt das? Keineswegs.

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11. Warum? Weil wir dessen nicht würdig sind, dass er uns mit seiner Macht zu Hilfe kommt und uns zu unserem Heil seine Güte erweist. 12. Was ist außerdem nötig? Jeder von uns muss fest daran glauben, dass er von Gott geliebt wird und Gott auch sein Vater und Urheber seines Heils sein will. 13. Woher nehmen wir diese Gewissheit? Aus seinem eigenen Wort, in dem er uns seine Barmherzigkeit in Christus vor Augen stellt und uns seine Liebe bezeugt. 14. Gott in Christus zu kennen ist also Anfang und Grundlage dafür, dass wir unser Vertrauen auf Gott setzen können (Joh 17,3)? Ganz gewiss. 15. Dann möchte ich gerne in wenigen Worten von dir hören, welches die Zusammenfassung dieser Gotteserkenntnis ist. Sie findet sich im Bekenntnis des Glaubens oder genauer in den Sätzen des Bekenntnisses, das allen Christen gemeinsam ist. Es wird üblicherweise das Apostolische Glaubensbekenntnis genannt, weil es von Anfang der Kirche an unter allen Gläubigen immer in Geltung war und weil es entweder direkt aus dem Mund der Apostel stammt oder aus ihren Schriften zuverlässig zusammengestellt worden ist. 16. Sag es auf! „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige allgemeine christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“ 17. Zum gründlicheren Verständnis im Einzelnen: In wie viele Teile wollen wir das Bekenntnis unterteilen? In vier Hauptteile.

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18. Zähle sie mir auf! Der erste betrifft Gott den Vater, der zweite handelt von seinem Sohn Jesus Christus und umfasst die ganze Wahrheit der menschlichen Erlösung. Der dritte handelt vom Heiligen Geist, der vierte von der Kirche und Gottes Wohltaten in ihr. 19. Wenn Gott nur einer ist: Warum nennst du mir hier dann drei, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist? Weil wir es für richtig halten, in dem einen Wesen Gottes den Vater als Anfang und Ursprung und erste Ursache aller Dinge zu betrachten, dann den Sohn, der dessen ewige Weisheit ist, und endlich den Heiligen Geist als dessen alles durchwirkende göttliche Kraft, die dennoch beständig in ihm selbst wohnt. 20. Du hältst es darum nicht für abwegig und nicht für eine Zerteilung Gottes, wenn wir in der einen Gottheit diese drei voneinander unterschiedenen Personen feststellen? So ist es. 21. Sag nun den ersten Teil auf! „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ 22. Warum nennst du ihn „Vater“? Zuerst im Blick auf Christus, der sowohl dessen Weisheit ist, von ihm vor aller Zeit gezeugt, als auch in die Welt gesandt und als dessen Sohn offenbart worden ist. Da Gott der Vater Jesu Christi ist, schließen wir daraus, er sei auch unser Vater. 23. In welchem Sinne gibst du ihm die Bezeichnung „Allmächtiger“? Er besitzt diese Macht nicht so, dass er sie nicht ausübt, sondern hält alles selbst in seiner mächtigen Hand. Durch seine Vorsehung regiert er die Welt, sein Wille ordnet alles. Über alle Geschöpfe regiert er, wie es ihn gut erscheint. 24. Du stellst dir also nicht eine tatenlose Macht Gottes vor, sondern denkst sie so, dass er immer mit seiner Hand am Werk ist, sodass nichts ohne ihn und seinen Ratschluss geschieht? So ist es.

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25. Warum fügst du „den Schöpfer des Himmels und der Erde“ hinzu? Weil er sich uns durch seine Werke offenbart hat, müssen wir ihn dort suchen. Unser Verstand kann nämlich sein Wesen nicht erfassen. Daher ist die Welt gleichsam ein Spiegel, in dem wir ihn anschauen können, soweit es für uns von Bedeutung ist, ihn zu erkennen (Ps 104,24; Röm 1,20). 26. Verstehst du unter „Himmel und Erde“ nicht auch alles übrige Geschaffene? Ja, doch. Aber diese beiden Worte umfassen alle Dinge, da diese eben himmlisch oder irdisch sind. 27. Warum nennst du aber Gott lediglich „Schöpfer“, da es doch die weit größere Tat ist, alles Erschaffene zu behüten und in seinem Bestand zu erhalten, als es einmal erschaffen zu haben? Diese Bezeichnung bedeutet ja nicht etwa, Gott habe seine Werke einmal geschaffen und kümmere sich danach nicht mehr um sie. Vielmehr muss man es so ansehen, dass die einmal von ihm erschaffene Welt nun auch von ihm erhalten wird. Die Erde und alle übrigen Dinge haben nur Bestand, sofern sie gleichsam von seiner mächtigen Hand aufrechterhalten werden. Daraus, dass er alles in seiner Hand hat, geht dann auch hervor, dass er der oberste Herr und Lenker aller Dinge ist. „Schöpfer des Himmels und der Erde“ muss man also dahingehend verstehen, dass er allein durch seine Weisheit, Güte und Macht den ganzen Lauf und die ganze Ordnung der Natur lenkt. Er ist der Urheber von Regen, Dürre, Hagel und anderen Unwettern wie auch des heiteren Himmels. Er macht durch sein Wohlwollen die Erde fruchtbar und lässt sie wieder unfruchtbar werden, wenn er seine Hand zurückzieht. Von ihm kommen Gesundheit und Krankheiten. Letztlich ist alles seiner Herrschaft unterworfen und folgt seinem Befehl. 28. Was sollen wir über die Gottlosen und Teufel denken? Sind auch sie ihm unterstellt? Wenn er sie auch nicht durch seinen Geist lenkt, hält er sie doch mit seiner Macht wie an einem Zügel in seiner Gewalt, sodass sie sich nicht regen können, wenn er es ihnen nicht gestattet. Ja, er macht sie sogar zu Dienern seines Willens, sodass sie gezwungen sind, auch gegen ihren Willen und ihre Absicht das auszuführen, was er beschlossen hat. 29. Was nützt dir diese Erkenntnis? Sehr viel. Es stünde schlimm um uns, wenn den Teufeln und gottlosen Menschen ohne Gottes Willen irgendetwas erlaubt wäre. Bei dem Gedanken, ihrer Willkür ausgesetzt zu sein, wäre unser Gemüt stets unruhig.

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Nur dann können wir ganz ruhig sein, wenn wir wissen, dass ihnen durch Gottes Willen Zügel angelegt und sie wie in einer Burg gefangen sind, sodass sie ohne seine Erlaubnis nichts tun können. So hat Gott selbst sich zu unserem Beschützer und Lenker unseres Heils gemacht. 30. Kommen wir nun zum zweiten Teil. Er spricht davon, dass wir an Jesus Christus glauben sollen, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. 31. Was ist sein wichtigster Inhalt? Dass Gottes Sohn unser Erretter ist und die Erklärung, wie er uns vom Tod erlöst und uns das Leben erworben hat. 32. Was bedeutet der Name „Jesus“, bei dem du ihn nennst? Der griechische Name bedeutet „Retter“. Im Lateinischen gibt es keinen Eigennamen, mit dem diese Bedeutung gut wiedergegeben werden könnte. Daher hat sich dafür die Bezeichnung „Erlöser“ eingebürgert. Zudem hat ein Engel auf Gottes eigenen Befehl hin dem Sohn Gottes diesen Namen gegeben (Mt 1,21). 33. Ist das denn mehr, als wenn Menschen ihn so genannt hätten? Ganz gewiss. Denn wenn ihn Gott so genannt haben wollte, dann musste er das auch in Wahrheit verkörpern. 34. Was bedeutet nun die folgende Bezeichnung „Christus“? Mit diesem Titel wird sein Amt noch besser erklärt. Er bedeutet nämlich, vom Vater zum König, Priester und Propheten gesalbt zu sein. 35. Woher weißt du das? Weil die Schrift diesen drei Tätigkeiten die Salbung zuordnet. Weiterhin schreibt sie diese drei, von denen die Rede ist, oft Christus zu. 36. Aber mit welcher Art Öl wurde er gesalbt? Nicht mit einem sichtbaren, so wie es bei der Salbung der alten Könige, Priester und Propheten gebraucht wurde, sondern mit einem besseren, nämlich der Gnadengabe des Heiligen Geistes, der die eigentliche Wahrheit der äußeren Salbung ist (Jes 61,1; Ps 45,8). 37. Welcher Art ist nun sein Königtum, von dem du sprichst? Es ist geistlich, weil es in Wort und Geist Gottes besteht, die Gerechtigkeit und Leben mit sich bringen.

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38. Und das Priestertum? Es ist die Pflicht und das Vorrecht, vor Gottes Angesicht zu treten, um Gnade zu erlangen und seinen Zorn durch die Darbringung eines Opfers, das ihm gefällt, zu stillen. 39. In welchem Sinn nennst du Christus nun „Prophet“? Weil er bei seinem Kommen in die Welt sich bei den Menschen als Gottes Gesandter und Ausleger bekannt hat, und das mit dem Ziel, den Willen des Vaters vollständig zu erklären und so alle Offenbarungen und Prophezeiungen zu vollenden (Jes 7,14; Hebr 1,1 f.). 40. Ziehst du daraus irgendeinen Nutzen? Ja, denn all das zielt ja auf nichts anderes ab als auf unser Bestes. Denn Christus ist vom Vater mit all dem begabt worden, um es uns mitzuteilen, damit wir alle aus seiner Fülle schöpfen (Joh 1,16). 41. Erkläre mir das etwas ausführlicher! Er wurde vom Heiligen Geist erfüllt und mit der vollkommenen Fülle all seiner Gaben ausgestattet, damit er sie uns mitteilt, jedem in dem Maß, das der Vater als für uns passend erkennt. Daher schöpfen wir aus ihm als der einzigen Quelle all unsere geistlichen Güter (Eph 4,7). 42. Was bringt uns sein Königsamt? Durch seine Wohltat sind wir zu einem frommen und heiligen Leben in der Freiheit der Gewissen befreit und mit seinen geistlichen Gütern versehen worden. So sind wir nun auch ausgerüstet mit der Kraft, die den Sieg über die stets vorhandenen Feinde unserer Seele – Sünde, Fleisch, Teufel und Welt – zu bringen vermag. 43. Wozu dient sein Priesteramt? Zunächst ist er darin Mittler, dass er uns mit dem Vater versöhnt; dann darin, dass uns durch ihn der Zugang zum Vater eröffnet worden ist, damit wir voller Vertrauen vor sein Angesicht treten, um uns selbst und alles, was zu uns gehört, ihm als Opfer darzubringen. So macht er uns gleichsam zu Teilhabern an seinem Priestertum (1. Tim 2,4 f.; Hebr 7,25; 8,1.6; 9,15; 10,19; 13,15 f.). 44. Dann bleibt das Prophetenamt. Das Amt eines Lehrers der Seinen wurde dem Sohn Gottes zu dem Zweck übertragen, dass er sie mit der wahren Erkenntnis des Vaters erleuchtet, in der Wahrheit erzieht und zu vertrauten Schülern Gottes macht (Eph 2,19).

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45. Alles, was du sagst, läuft also darauf hinaus, dass die Bezeichnung „Christus“ diese drei Ämter umfasst, vom Vater dem Sohn gegeben, damit er deren Kraft und Nutzen den Seinen vermittelt. So ist es. 46. Warum nennst du ihn Gottes „eingeborenen Sohn“, wenn Gott uns doch alle mit dieser Anrede auszeichnet? Wir sind nicht von Natur aus Gottes Kinder, sondern Gott setzt uns aus gnädiger Annahme an diesen Platz. Aber der Herr Jesus, der von Gott gezeugt und eins mit dem Wesen des Vaters ist, wird mit größtem Recht Gottes einziger Sohn genannt. Denn er allein ist es von Natur aus (Eph 1,5; Joh 1,14; Hebr 1,2). 47. Du meinst also, dass ihm diese Würde zu eigen ist, weil sie ihm von Natur aus zukommt, uns aber als gnädige Wohltat geschenkt wird, insofern wir seine Glieder sind? Ganz gewiss. Im Hinblick auf diese Übereignung wird er an anderer Stelle der Erstgeborene unter vielen Brüdern genannt (Röm 8,29; Kol 1,15). 54.1 Inwiefern nennst du ihn „unsern Herrn“? Er ist vom Vater eingesetzt worden, damit er über uns herrscht, Gottes Regiment im Himmel und auf Erden ausübt und das Haupt der Menschen und Engel ist (Eph 5,23; Kol 1,18). 48. Was bedeutet das Folgende? Es zeigt, wie der Sohn vom Vater zu unserem Erlöser gesalbt worden ist, nämlich indem er unser Fleisch annahm und alles vollbrachte, was zu unserem Heil nötig war, so wie es hier geschildert wird. 49. Was meinst du mit den beiden Sätzen „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“? Er wurde im Schoß der Jungfrau aus ihrem Wesen gebildet, damit er gemäß den Weissagungen der Propheten ein wahrer Nachkomme Davids ist. Das geschah indessen auf wunderbare und verborgene Weise durch die Kraft des Geistes ohne Verkehr mit einem Mann (Ps 132,11; Mt 1,16; Lk 1,34 f.). 50. War es daher erforderlich, dass er unser Fleisch annahm? Unbedingt. Der vom Menschen Gott gegenüber begangene Ungehorsam musste auch in der menschlichen Natur gesühnt werden. Auf andere Weise 1 Die Nummerierung folgt der Reihenfolge der Fragen im französischen Text. Inhaltlich gehört die Frage an diese Stelle.

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konnte er nicht unser Mittler werden, um die Versöhnung Gottes und der Menschen durchzuführen (Röm 5,19; 1. Tim 2,5; Hebr 4,14). 51. Du sagst also: Christus musste Mensch werden, um gleichsam in unserer Person zu erfüllen, was zu unserem Heil nötig war? So sehe ich es. Denn von ihm müssen wir uns das leihen, was uns fehlt. Anders ist es nicht möglich. 52. Aber warum ist das vom Heiligen Geist gewirkt und nicht vielmehr durch die übliche naturgemäße Zeugung? Weil das menschliche Geschlecht völlig verdorben ist, musste für die Zeugung des Sohnes Gottes der Heilige Geist eintreten, damit jener nicht davon angesteckt wird, sondern mit völliger Reinheit ausgestattet bleibt. 53. Wir lernen daraus also, dass er, der andere heiligt, frei von jeder Befleckung und von Mutterleib an mit ursprünglicher Reinheit ausgestattet ist, damit er Gott ganz heilig und mit keinem Fehler des menschlichen Geschlechts behaftet ist. So verstehe ich es. 55. Warum gehst du nun von seiner Geburt gleich zu seinem Tod über und lässt die ganze Geschichte seines Lebens beiseite? Weil hier nur das behandelt wird, was zum Eigentlichen unserer Erlösung gehört und deren Wesen gleichsam in sich enthält. 56. Warum sagst du nicht einfach mit einem Wort, er sei gestorben, sondern fügst noch den Namen des Statthalters ein, unter dem er gelitten hat? Das geschieht nicht einfach, um das Berichtete glaubwürdig zu machen, sondern damit wir wissen, dass sein Tod mit einer Verurteilung verbunden war. 57. Erkläre das deutlicher! Er ist gestorben, damit die von uns geforderte Strafe erledigt ist; auf diese Weise hat er uns von ihr erlöst. Wir alle wären als Sünder Gottes Gericht verfallen, das er an unserer Stelle auf sich nahm. So wollte er vor einem irdischen Richter stehen und durch dessen Mund verurteilt werden, damit wir vor dem himmlischen Gericht Gottes freigesprochen werden. 58. Dennoch hat Pilatus ihn für unschuldig erklärt. Also ist er nicht als Übeltäter verurteilt worden. Man muss hier beides berücksichtigen. Der Richter hat ihm seine Unschuld in dieser Weise bezeugt, damit bestätigt ist, dass er nicht wegen seiner eige-

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nen, sondern wegen unserer Übeltaten geschlagen wird. Sein Spruch hat ihn dennoch in ordnungsgemäßer Form verurteilt, damit deutlich wird: Das Urteil, das wir verdient haben, trifft ihn als unseren Bürgen, wodurch er uns von der Anklage befreit (Mt 27,24; Lk 23,14). 59. Gut gesagt. Wenn er nämlich ein Sünder wäre, könnte er kein geeigneter Bürge sein, um jemand anderen von der Strafe zu befreien. Damit jedoch seine Verurteilung zu unserem Freispruch führte, musste er unter die Übeltäter gezählt werden. So verstehe ich es (Jes 53,12). 60. Bedeutet es mehr, dass er gekreuzigt wurde, als wenn ihn irgendeine andere Todesart getroffen hätte? Ganz gewiss. Daran erinnert auch Paulus, wenn er über den ans Holz Gehängten schreibt, dass er unsere Verfluchung auf sich nahm, damit wir davon erlöst werden. Diese Todesart war nämlich mit Fluch beladen (Dtn 21,23; Gal 3,13). 61. Wie? Wird Gottes Sohn nicht mit Schande beladen, wenn man sagt, er sei dem Fluch unterworfen, auch vor Gott? Überhaupt nicht. Er hat den Fluch vielmehr dadurch entkräftet, dass er ihn auf sich nahm, und er blieb dabei gesegnet, um uns so mit seinem Segen zu überschütten. 62. Mach weiter! Der Tod war dem Menschen als Strafe für seine Sünden auferlegt worden. Der Sohn Gottes aber hat ihn auf sich genommen und damit besiegt. Damit aber recht deutlich wird, dass er wirklich gestorben ist, wollte er wie andere Menschen im Grab beigesetzt werden. 63. Dann scheint aber aus diesem Sieg für uns kein Nutzen hervorzu­ gehen – es sei denn, wir sterben. Das ist wohl wahr. Aber so ist nun das Sterben der Gläubigen nichts anderes als ein Übergang in ein besseres Leben. 64. Daraus folgt, dass wir den Tod nicht weiterhin als etwas Schreckliches fürchten müssen, sondern mit unerschrockenem Gemüt unserem Anführer Christus folgen sollen. Weil er im Tod nicht zugrunde ging, wird er auch uns nicht zugrunde gehen lassen. So sollen wir handeln.

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65. Welchen Sinn hat die Aussage „hinabgestiegen in das Reich des Todes“? Er hat nicht nur den gewöhnlichen Tod, die Trennung der Seele vom Leib, erlitten, sondern auch die Schmerzen des Todes, wie Petrus sagte. Darunter verstehe ich die entsetzlichen Ängste, die seine Seele umschlungen haben (Apg 2,24). 66. Erläutere mir, wie und warum das geschah! Um für unsere Sünden Genugtuung zu leisten, stellte er sich vor Gottes Gericht. So musste er von der Gewissensnot gequält werden, als wenn er von Gott verlassen wäre, ja, als hätte er Gott zum Feind. In jenen Ängsten schwebte er, als er zum Vater rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46; Mk 15,34). 67. War Gott denn zornig auf ihn? Überhaupt nicht. Aber er ließ ihn diese Härte spüren, damit erfüllt wird, was durch Jesaja vorausgesagt worden war: Er war von Gottes Hand um unserer Sünden willen geschlagen und wegen unserer Missetaten verwundet (Jes 53,4; 1. Petr 2,24). 68. Wenn er aber Gott ist, wie konnte er derart von Angst gepackt werden, als wäre er von Gott verlassen? Das muss man so verstehen: Nach seiner menschlichen Natur war er so geplagt und musste notwendigerweise dahin gebracht werden. Damit das aber geschehen konnte, musste seine Gottheit sich unterdessen für kurze Zeit verbergen, das heißt, ihre Macht nicht ausüben. 69. Wie konnte es aber geschehen, dass Christus, das Heil der Welt, dieser Verdammung unterworfen worden ist? Das geschah nicht so, dass sie dauernd auf ihm liegen sollte. Er wurde nicht derart von den genannten Ängsten ergriffen, dass er von ihnen überwältigt wurde. Vielmehr hat er mit der Macht der Hölle gekämpft, sie unterworfen und gebrochen. 70. Daraus ersehen wir den Unterschied zwischen der Gewissensqual, die er ertrug, und jener der von Gottes Zorn bestraften Sünder. Was bei ihm vorübergehend war, ist bei jenen immerwährend, und was bei ihm ein Stachel war, der ihn quälte, ist bei jenen sozusagen ein tödliches Schwert, das sie ins Herz trifft (1. Kor 15,55). So ist es. Nicht einmal unter der Last jener Nöte hat Gottes Sohn die Hoffnung auf den Vater aufgegeben. Aber die von Gottes Urteil verdammten Sünder stürzen in Verzweiflung, murren gegen ihn und brechen zuletzt in offene Lästerungen aus (Mt 27,39–44; Lk 23,39).

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71. Können wir daraus entnehmen, welchen Nutzen die Gläubigen aus Christi Tod empfangen? Ganz gewiss. Zuerst sehen wir darin das Opfer, durch das er unsere Sünden vor Gott sühnte und so dessen Zorn besänftigte und uns mit ihm versöhnte. Dann ist sein Blut das Bad, durch das unsere Seelen von allen Makeln gereinigt werden. Schließlich tilgte er die Erinnerung an unsere Sünden, sodass sie nie mehr vor Gottes Angesicht auftauchen. Damit ist die Handschrift, die uns zu Angeklagten stempelte, durchgestrichen und vernichtet (2. Kor 5,18; Eph 5,27; Hebr 9,14; 1. Joh 1,7). 72. Haben wir davon noch weiteren Nutzen? Ja, doch. Insofern wir nämlich wahre Glieder Christi sind, wird durch seine Wohltat unser alter Mensch gekreuzigt und der Leib von der Sünde weggenommen, damit die schlechten Begierden des Fleisches nicht weiter in uns herrschen (Röm 6,11 f.). 73. Geh zum nächsten Punkt! Es folgt „am dritten Tage auferstanden von den Toten“, wodurch er sich als Sieger über Sünde und Tod erwiesen hat. Durch seine Auferstehung ist der Tod verschlungen, sind die Fesseln des Teufels gesprengt und seine ganze Gewalt zunichtegemacht (1. Petr 3,21 f.). 74. Auf wie viele Arten entsteht uns aus seiner Auferstehung Nutzen? Auf drei Arten. Er hat uns durch sie Gerechtigkeit erworben. Er ist für uns ein zuverlässiges Pfand unserer künftigen Unsterblichkeit. Und schon jetzt werden wir durch seine Kraft zu einem neuen Leben angetrieben, damit wir nach Gottes Willen rein und heilig leben sollen (1. Kor 15,20–22.42 f.; Röm 6,4). 75. Geh zum nächsten Punkt! „Aufgefahren in den Himmel.“ 76. Ist er aber so aufgefahren, dass er nicht weiterhin bei uns auf der Erde ist? Ja. Nachdem nun ja alles vollendet war, was ihm vom Vater zum Erwerb unseres Heils aufgetragen worden war, brauchte er sich nicht länger auf der Erde aufzuhalten. 77. Was gewinnen wir Gutes aus dieser Himmelfahrt? Sie bringt einen doppelten Nutzen. Weil nämlich Christus in unserem Namen in den Himmel eingegangen ist, so wie er auch wegen uns zur Erde herabstieg, hat er uns den Zugang dorthin geöffnet, sodass uns die Tür offensteht, die vorher wegen der Sünde verschlossen war. Darüber

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hinaus erscheint er vor Gottes Angesicht als unser Vermittler und Anwalt (Röm 6,11; Hebr 7,25). 78. Aber hat sich Christus bei seiner Aufnahme in den Himmel nun so von uns zurückgezogen, dass er nicht mehr bei uns sein kann? Überhaupt nicht. Er hat im Gegenteil zugesagt, dass er bei uns sein wird bis ans Ende der Welt (Mt 28,20). 79. Ist das als leibliche Gegenwart zu verstehen, dass er bei uns wohnt? Nein. Es muss unterschieden werden: Sein Leib ist in den Himmel aufgenommen, seine Kraft hingegen ist überall ausgebreitet (Lk 24,51; Apg 2,33). 80. Wie verstehst du die Aussage: „Er sitzt zur Rechten Gottes“? Diese Worte bedeuten, dass der Vater ihm die Herrschaft über Himmel und Erde übergeben hat, damit er alles lenkt (Mt 28,18). 81. Was aber bedeuten die rechte Seite und dieses Sitzen? Das ist ein Vergleich mit weltlichen Herrschern, die jene zu ihrer Rechten zu setzen pflegen, denen sie ihre Stellvertretung anvertrauen. 82. Du verstehst darunter also nichts anderes, als was Paulus sagt: Christus ist als Haupt der Kirche eingesetzt worden, über alle Herrscher erhöht und mit einem Namen versehen, der über allen Namen steht. Es ist so, wie du sagst (Eph 1,21 f.; 4,15; Phil 2,9). 83. Gehen wir weiter! „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. Diese Worte bedeuten: So wie man ihn zum Himmel fahren sah, wird er öffentlich aus dem Himmel wiederkommen, um den Erdkreis zu richten (Apg 1,11). 84. Der Tag des Gerichts wird aber erst am Ende der Welt kommen. Wie kannst du sagen, dass dann noch Menschen am Leben geblieben sind, wenn doch allen bestimmt ist, einmal zu sterben? Paulus löst diese Schwierigkeit auf, wenn er sagt: Die Übriggebliebenen werden einer plötzlichen Verwandlung unterworfen. Ihr verwesliches Fleisch wird abgetan, und sie ziehen Unverweslichkeit an (Hebr 9,27; 1. Kor 15,51–53; 1. Thess 4,17). 85. Du setzt also diese Verwandlung mit dem Tod gleich: als zukünftiges Vergehen der alten Natur und Anfang einer neuen? So verstehe ich es.

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86. Können sich also unsere Gewissen irgendwie darüber freuen, dass Christus einmal der Richter der Welt sein wird? Ganz besonders. Wir sind ja dessen gewiss, dass er nur zu unserem Heil kommen wird. 87. So braucht uns dieses Gericht also nicht zu schrecken und Angst einzujagen? Auf gar keinen Fall. Wir stehen ja nur vor dem Gericht dessen, der selbst unser Anwalt ist und uns alle miteinander in seinen Schutz genommen hat. 88. Kommen wir zum dritten Teil! Er spricht vom Glauben an den Heiligen Geist. 89. Was bringt er uns? Er zielt darauf ab, dass wir erkennen: So wie Gott uns durch den Sohn erlöst und gerettet hat, gibt er uns nun durch den Geist Anteil an dieser Erlösung und diesem Heil. 90. Wie geschieht das? Da das Blut Christi unsere Reinigung bewirkt, müssen unsere Gewissen durch den Geist damit besprengt und abgewaschen werden (1. Petr 1,19). 91. Das bedarf noch einer genaueren Erläuterung. Ich verstehe das so: Der Geist Gottes, der in unseren Herzen wohnt, bewirkt, dass wir die Kraft Christi fühlen. Dass wir Christi Wohltaten mit dem Verstand erfassen, wird von der Erleuchtung durch den Heiligen Geist bewirkt. Durch seine Überzeugungskraft geschieht es, dass sie in unseren Herzen versiegelt werden. Er allein schafft dafür in uns Raum. Er bewirkt unsere Wiedergeburt und macht uns zu neuen Geschöpfen. Alle uns in Christus geschenkten Gaben empfangen wir also durch die Kraft des Geistes (Röm 5,5; Eph 1,13; Tit 3,5). 92. Fahren wir fort! Es folgt der vierte Teil, in dem wir bekennen: Ich glaube „eine heilige allgemeine christliche Kirche“. 93. Was ist die Kirche? Der Leib oder die Schar der Gläubigen, die Gott zum ewigen Leben auserwählt hat.

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94. Muss man an diesen Artikel glauben? Ja, doch, wenn wir Christi Tod nicht unwirksam machen wollen und alles umsonst sein soll, was bisher dargelegt worden ist. Was daraus hervorgeht, ist allein die Kirche. 95. Wir haben also bis jetzt von der Grundlegung unseres Heils geredet, und du verstehst die aufgezeigten Grundlagen so, dass du erklärst, Gott habe uns durch Christi Verdienst und Vermittlung in Liebe angenommen, und die Kraft des Heiligen Geistes bestätige in uns diese Gnade. Nun soll die Wirkung von all dem erklärt werden, damit danach unser Glaube umso fester besteht. So ist es. 96. In welchem Sinn nennst du die Kirche „heilig“? Weil Gott die von ihm Erwählten rechtfertigt und zur Heiligkeit und Unschuld des Lebens neugestaltet, damit in ihnen seine Herrlichkeit aufleuchtet. Das wollte auch Paulus mit der Feststellung sagen, Christus habe die von ihm erlöste Kirche geheiligt, damit sie strahlend rein von jedem Makel ist (Röm 8,29; Eph 5,25–27). 97. Was soll die Bezeichnung „allumfassend“ oder „allgemein“? Damit lehren wir: So wie es nur ein Haupt der Gläubigen gibt, so müssen sie alle zu einem Leib zusammenwachsen, damit es eine Kirche sei, die über den ganzen Erdkreis ausgebreitet ist, und nicht viele (Eph 4,15; 1. Kor 12,12.27). 98. Wozu wird nun noch „Gemeinschaft der Heiligen“ beigefügt? Das soll verdeutlichen, dass unter den Gliedern der Kirche Einheit besteht. Es weist auch darauf hin: Was Gott der Kirche an Wohltaten spendet, soll allen gemeinsam zugutekommen, da sie alle untereinander Gemeinschaft haben. 99. Ist denn die Heiligkeit, die du der Kirche zuschreibst, schon voll­ kommen? Noch nicht, weil sie eben noch in dieser Welt kämpft. Sie leidet immer unter Schwächen und ist nie ganz von verbleibenden Übeln gereinigt, bis sie Christus, ihrem Haupt, von dem sie geheiligt wird, vollkommen anhängt. 100. Kann man die Kirche nicht auch anders erkennen, als indem man sie glaubt? Es gibt freilich auch die sichtbare Kirche Gottes, die er uns mit zuverläs­ sigen Zeichen und Merkmalen beschrieben hat. Hier wird aber insbe-

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sondere von dem Kreis gesprochen, den Gott durch seine verborgene Erwählung zum Heil angenommen hat. Er ist nicht immer für die Augen sichtbar oder an Zeichen zu unterscheiden. 101. Was folgt dann? Ich glaube „die Vergebung der Sünden“. 102. Was bedeutet für dich das Wort „Vergebung“? Gott übt in seiner gnädigen Güte Nachsicht mit den Sünden der Gläubigen und verzeiht sie ihnen, damit sie nicht vor Gericht kommen oder von ihnen eine Strafe gefordert wird. 103. Daraus folgt, dass wir also mit eigenen Verdiensten niemals Genugtuung leisten können, um von Gott einen Erlass der Sünden zu erlangen. Ja. Nur Christus allein hat die Strafe bezahlt und damit völlige Genugtuung geleistet. Wir aber haben nichts, was wir Gott als Entgelt anbieten können. Wir empfangen diese Wohltat umsonst aus seiner uneingeschränkten Freigebigkeit. 104. Warum ordnest du die Vergebung der Sünden der Kirche zu? Weil niemand sie erlangt, der nicht vorher mit dem Volk Gottes vereinigt worden ist und die Einheit mit dem Leib Christi beharrlich bis ans Ende bewahrt. Damit bezeugt er, ein wahres Glied der Kirche zu sein. 105. Damit stellst du fest, dass es außerhalb der Kirche nichts als Verdammung und Tod gibt. Ganz gewiss. Wer sich vom Leib Christi trennt und dessen Einheit in Parteien spaltet, dem ist alle Hoffnung auf das Heil abgeschnitten, solange er in einer solchen Trennung verbleibt. 106. Sag auf, was noch bleibt! Ich glaube „die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“. 107. Warum steht dieser Satz im Glaubensbekenntnis? Er soll uns daran mahnen, dass unser Glück nicht auf dieser Erde liegt. Das zu erkennen hat einen doppelten Nutzen und Gewinn. Erstens sollen wir daraus lernen, in dieser Welt zu wohnen wie Fremde, die ständig an das Auswandern denken, und unsere Herzen nicht ins Trachten nach irdischen Dingen verstricken lassen. Weiter sollen wir nicht verzagen, weil die Frucht der Gnade, die uns Christus verschafft hat, uns bis jetzt verborgen bleibt und für unsere Augen nicht sichtbar ist, sondern wir wollen geduldig ausharren bis zum Tag der Offenbarung.

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108. Wie wird die Auferstehung vor sich gehen? Die bereits Verstorbenen erhalten ihre Körper zurück, in denen sie gelebt haben, aber mit einem neuen Wesen ausgestattet, das nicht länger der Vernichtung durch Tod und Verderben unterworfen ist. Die noch Lebenden wird Gott durch eine plötzliche Verwandlung auferwecken (1. Kor 15,42.51 f.). 109. Werden beide, die Frommen und die Gottlosen, auferstehen? Es gibt eine gemeinsame Auferstehung. Aber deren Geschick ist unterschiedlich. Die einen auferstehen zu Heil und Seligkeit, die anderen zu Tod und furchtbarstem Elend (Joh 5,29; Mt 25,46). 110. Warum ist hier nur vom ewigen Leben die Rede und nicht auch von der Hölle? Weil hier nur das steht, was zum Trost der frommen Seelen dienen soll. Deswegen werden nur die Belohnungen erwähnt, die Gott für seine Diener vorbereitet hat, und nicht angefügt, welches das Geschick der Gottlosen ist, die, wie wir wissen, von Gottes Reich ausgeschlossen sind. 111. Daraus erhalten wir die Grundlage, auf welcher der Glaube beruhen soll. Daher wird es nun leicht sein, eine Beschreibung des wahren Glaubens zu geben. So ist es. Wir können ihn so beschreiben: Er ist eine gewisse und zuverlässige Erkenntnis von Gottes väterlichem Wohlwollen uns gegenüber, so wie er im Evangelium bezeugt, dass er durch Christi Wohltat unser Vater und Erlöser ist. 112. Erfassen wir ihn von uns aus oder empfangen wir ihn von Gott? Die Schrift lehrt, dass er allein Gottes Gabe ist, und die Erfahrung bestätigt es. 113. Von welcher Erfahrung redest du? Unser Geist ist zu roh, als dass er Gottes geistliche Weisheit erfassen kann, die er uns durch den Glauben offenbart. Und unsere Herzen neigen sich viel eher dem Unglauben zu oder dem verkehrten Vertrauen auf uns selbst oder andere Geschöpfe statt aus eigenem Antrieb bei Gott Ruhe zu suchen. Der Heilige Geist erst macht uns durch seine Erleuchtung fähig, die Dinge zu erkennen, die sonst unsere Fassungskraft weit übersteigen. Er bringt uns zu einer festen Überzeugung, indem er die Heilsverheißungen in unseren Herzen versiegelt (1. Kor 2,4–10; Röm 1,23; Eph 1,13 f.).

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114. Was entsteht für uns Gutes aus diesem Glauben, wenn wir ihn einmal erlangt haben? Er rechtfertigt uns vor Gott und macht uns durch diese Gerechtigkeit zu Erben des ewigen Lebens (Röm 5,1). 115. Werden also die Menschen nicht durch gute Werke gerechtfertigt, indem sie danach trachten, durch ein heiliges und schuldloses Leben Gottes Wohlgefallen zu erwerben? Wenn ein Mensch es jemals zu solcher Vollkommenheit brächte, könnte er verdientermaßen für gerecht erklärt werden. Aber da wir alle Sünder und auf vielfache Weise vor Gott angeklagt sind, müssen wir anderswoher die Würdigkeit zu erlangen suchen, die uns mit ihm versöhnt (Röm 3,23). 116. Sind denn unsere Werke so verächtlich und ohne jeden Wert, dass sie uns keine Gnade vor Gott verschaffen können? Was von uns ausgeht und im eigentlichen Sinn unser Tun genannt werden kann, ist von Grund auf sündhaft. Daher bewirkt es nichts als Gottes Missfallen und wird von ihm verworfen. 117. Du sagst damit also: Solange wir nicht wiedergeboren und von Gottes Geist erneuert sind, können wir nur sündigen, weil eben ein schlechter Baum nur schlechte Früchte trägt (Mt 7,17)? Genauso ist es. Denn so schön unser Tun in den Augen der Menschen auch aussehen mag, es ist dessen ungeachtet schlecht, solange das Herz böse ist, und darauf sieht Gott. 118. Damit stellst du fest, dass wir durch keine Verdienste Gottes Zuneigung erlangen oder dadurch sein Wohlwollen hervorrufen können. Im Gegenteil, sofern wir versuchen, uns ihm irgendwie mit Werken zu nähern, sind wir seinem Zorn und seiner Verdammung ausgeliefert. Ja. Wie gesagt, er liebt uns in Christus aus lauter Barmherzigkeit und Gnade ohne Beachtung der Werke und nimmt uns so an. Er überträgt auf uns dessen Gerechtigkeit, als sei sie unsere eigene, und rechnet uns unsere Sünden nicht an (Tit 3,5 f.; 2. Kor 5,19). 119. Auf welche Weise geht also nach deinem Urteil die Rechtfertigung durch den Glauben vor sich? Wenn wir durch ein festes Vertrauen des Herzens die Verheißungen des Evangeliums ergreifen, gelangen wir gewissermaßen in den Besitz der erwähnten Gerechtigkeit.

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120. Du meinst also: Die Gerechtigkeit, die Gott uns im Evangelium anbietet, wird von uns durch den Glauben aufgenommen? So ist es. 121. Wenn uns Gott nun aber einmal angenommen hat, gefallen ihm dann nicht auch die Werke, die wir unter der Leitung des Heiligen Geistes tun? Sie gefallen ihm wohl, aber nicht wegen der Verdienstlichkeit ihres eigenen Wertes, sondern nur, indem er sie großherzig seiner Gunst wert erachtet. 122. Verdienen sie denn nicht seine Gunst, da sie doch vom Heiligen Geist ausgehen? Es ist eben immer irgendetwas Unrechtes damit verbunden, was von der Schwäche unseres Fleisches herrührt, wodurch sie verunreinigt werden. 123. Wie kann es dann dazu kommen, dass sie Gott gefallen? Nur der Glaube verschafft ihnen Gnade. Nämlich wenn wir uns auf die gewisse Zuversicht verlassen, dass sie nicht nach dem Maßstab des höchsten Gesetzes geprüft werden. Gott will sie nicht nach der Strenge seiner Richtlinien behandeln, sondern ihre Fehler zudecken und ihren Schmutz in Christi Reinheit begraben und sie so ansehen, als ob sie vollendet und vollkommen wären. 124. Können wir daraus schließen, ein von Gott berufener Christ könne durch Werke gerechtfertigt werden oder durch den Verdienst seiner Werke erreichen, dass Gott ihn liebt, was ja für uns ewiges Leben bedeutet? Keineswegs. Vielmehr halten wir am Wort der Bibel fest, dass kein Mensch vor Gott gerecht sein kann, und darum bitten wir, er möge nicht mit uns ins Gericht gehen (Ps 143,2). 125. Wir halten deswegen aber nicht etwa die guten Werke der Gläubigen für überflüssig? Auf gar keinen Fall. Gott hat ihnen ja nicht umsonst ihren Lohn in dieser oder der zukünftigen Welt versprochen. Allerdings entspringt dieser Lohn der freien Liebe Gottes wie einer Quelle, weil er uns zunächst als seine Kinder angenommen und dann die Erinnerung an unsere Sünden, die von uns ausgehen, begraben hat und uns Gnade erweist (Ps 32,1 f.; Röm 4,7). 126. Kann man aber die Gerechtigkeit aus Gnade so von den guten Werken trennen, dass man sie besitzt, aber die guten Werke fehlen? Das ist nicht möglich. Denn wenn wir Christus so annehmen, wie er sich uns zeigt, dann verheißt er uns ja nicht bloß die Erlösung vom Tod und

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die Versöhnung mit Gott, sondern zugleich die Gabe des Heiligen Geistes, wodurch wir zu einem neuen Leben wiedergeboren werden. Beides gehört notwendig zusammen, wenn wir nicht Christus zerreißen wollen (Eph 4,23). 127. Daraus folgt, dass der Glaube die Wurzel ist, aus der die guten Werke entstehen, und keine Rede davon sein kann, dass er uns von ihnen abhält. Genauso ist es. Daher besteht das Evangelium in diesen beiden Stücken: Glaube und Buße. 128. Was ist die Buße? Missfallen und Hassen der Sünde und Liebe zur Gerechtigkeit, hervorgegangen aus der Furcht Gottes, was uns bis zur Selbstverleugnung und Abtötung des Fleisches hinführt, damit wir uns der Herrschaft Gottes unterstellen und alle Handlungen unseres Lebens nach dem Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen ausrichten. 129. Das wäre also der zweite Hauptpunkt gemäß der Einteilung, die wir am Anfang vorgenommen haben, wo du von der Art und Weise der rechten Gottesverehrung gesprochen hast. Ja. Und ebenso wurde dazu auch gesagt, dass die Regel einer wahren und rechtmäßigen Gottesverehrung darin besteht, seinen Willen zu befolgen. 130. Warum? Er billigt eben keine Verehrung, die wir uns selbst willkürlich ausdenken, sondern nur die, die er uns nach seinem Willen vorgeschrieben hat. 131. Welche Regel hat er uns aber für unser Leben gegeben? Sein Gesetz. II. Das Gesetz 132. Was enthält es? Es besteht aus zwei Teilen. Der erste umfasst vier Gebote, der zweite sechs. So besteht das ganze Gesetz aus zehn Geboten. 133. Wer hat dieses Gesetz aufgestellt? Gott selbst hat es, auf zwei Tafeln geschrieben, an Mose übergeben und oft erklärt, es sei in zehn Sätze gefasst (Ex 32,15; 34,29; Dtn 4,13; 10,3 f.). 134. Was ist der Gegenstand der ersten Tafel? Die Pflichten der Frömmigkeit gegenüber Gott.

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135. Und der zweiten? Wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen sollen und was wir ihnen schuldig sind. 136. Sag das erste Gebot auf! „Höre, Israel, ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Ex 20,2 f.; Dtn 5,1.6 f.). 137. Nun erkläre mir den Sinn dieser Worte! Als Anfang dienen sie gleichsam zur Einleitung für das ganze Gesetz. Denn wenn er sich Herr nennt, beansprucht er für sich das Recht und die Macht zum Befehlen. Um uns dann für sein Gesetz zu gewinnen, fügt er hinzu, dass er unser Gott ist. Diese Worte bedeuten so viel, als würde er sich als unser Erretter bezeichnen. Wenn er uns derart seiner Wohltat würdigt, ist es angemessen, dass wir uns auch als ein ihm gehorsames Volk erweisen. 138. Bezieht sich aber das, was im Anschluss daran von der Befreiung gesagt wird und vom Brechen des Jochs der ägyptischen Knechtschaft, nicht auf das Volk Israel und nur darauf? Im wörtlichen Sinne wohl. Es gibt aber eine andere Art von Erlösung, die sich auf alle Menschen ohne Unterschied erstreckt. Er hat uns alle nämlich aus der geistlichen Knechtschaft der Sünde und der Tyrannei des Teufels befreit. 139. Warum wollte er in der Einleitung zum Gesetz an diese Tat erinnern? Er wollte uns ins Gedächtnis rufen, dass wir uns der größten Undankbarkeit schuldig machen, wenn wir uns nicht ganz und gar seinem Gehorsam hingeben. 140. Was wird also im ersten Gebot verlangt? Wir sollen ihm allein umfassende Ehre erweisen und nichts davon auf jemand anderen übertragen. 141. Welche Ehre gebührt ihm allein und darf niemand anderem erwiesen werden? Alles, was zu seiner Hoheit gehört: ihn anbeten, in ihn unser Vertrauen setzen, ihn anrufen, ihm alles übergeben.

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142. Warum ist die Wendung „neben mir“ angefügt? Weil nichts so entlegen ist, dass es ihm verborgen bleibt, und er die versteckten Gedanken erkennt und richtet. So verlangt er nicht nur äußerliche Verehrung, sondern wahre Herzensfrömmigkeit (Hi 21,27; 1. Kor 3,20). 143. Gehen wir zum zweiten Gebot über! „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht“ (Ex 20,4 f.). 144. Verbietet Gott damit nicht jede Art von Abbildung in Malerei oder Bildhauerei? Nein, er verbietet hier nur zwei Dinge: Wir dürfen keine Bilder zur Darstellung Gottes oder zur Anbetung anfertigen. 145. Warum ist die sichtbare Darstellung Gottes nicht erlaubt? Weil es keine Ähnlichkeit zwischen ihm als ewigem, unfassbarem Geist und einer körperlichen, vergänglichen und sterblichen Gestalt gibt (Dtn 4,15; Jes 41,7; Röm 1,23; 6,12; Apg 17,24 f.). 146. Du betrachtest es also als Vergehen gegen seine Hoheit, wenn er auf diese Weise dargestellt wird? Ja. 147. Welche Art Anbetung wird hier verdammt? Dass wir uns als Beter an eine Statue oder ein Bild wenden, uns vor ihnen niederwerfen und niederknien oder ihm anderswie eine Ehre erweisen, so als zeigte sich Gott uns da. 148. Man muss also verstehen, dass mit diesem Gebot nicht einfach Malerei oder Bildhauerei an sich verdammt werden. Es ist nur verboten, Bilder dazu herzustellen, um in ihnen Gott zu suchen oder zu dienen oder, was dasselbe ist, sie anstelle Gottes zu verehren oder sie sonst auf irgendeine Weise zu Aberglauben und Götzendienst zu missbrauchen. Richtig. 149. Was hat dieses Gebot nun für einen Sinn? Zunächst hat Gott erklärt, dass er allein verehrt und angebetet werden muss. Jetzt zeigt er uns die rechte Gestalt der Anbetung, womit er uns von allem Aberglauben und anderen lasterhaften und fleischlichen Erfindungen wegruft.

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150. Fahren wir fort! Er fügt eine Strafbestimmung an. Er, der Herr, unser Gott, ist ein starker und eifersüchtiger Gott, der das Unrecht der Väter rächt an den Kindern derer, die ihn hassen, bis in die dritte und vierte Generation (Ex 20,5; 32,11). 151. Warum erwähnt er seine Stärke? Mit diesem Wort weist er darauf hin, dass er über genügend Macht zur Wahrung seiner Ehre verfügt. 152. Was meint er mit der Eifersucht? Er kann keinen Gleichgestellten neben sich ertragen. Wie er sich uns in seiner unendlichen Güte geschenkt hat, so will er auch, dass wir ganz die Seinen sind. Darin besteht die Reinheit unserer Seelen, dass wir ihm geweiht sind und ganz an ihm hängen. Entsprechend heißt es dann von denen, die von ihm zum Aberglauben abfallen, dass sie sich mit Ehebruch besudeln. 153. Was ist damit gemeint, dass die Sünden der Väter an den Kindern gerächt werden? Es soll uns noch mehr in Schrecken versetzen, wenn er uns droht, dass nicht nur die bestraft werden, die ihn beleidigen, sondern auch ihre Nachkommen verflucht sind. 154. Aber wie verträgt sich, jemanden für die Schuld eines anderen zu bestrafen, mit Gottes Gerechtigkeitssinn? Wenn wir den Zustand des Menschengeschlechts beachten, so löst sich diese Frage. Von Natur aus sind wir alle dem Fluch unterworfen und können uns in keiner Weise bei Gott beklagen, wenn er uns diesem Schicksal überlässt. So wie er uns seine Liebe gegenüber den Frommen zeigt, indem er ihre Nachkommenschaft segnet, so vollzieht er seine Rache gegenüber den Gottlosen, indem er ihren Kindern diesen Segen entzieht. 155. Und das Folgende? Damit zieht er uns auch durch seine liebevolle Zuneigung zu sich. Er verspricht, allen gegenüber Barmherzigkeit walten zu lassen, die ihn lieben und seine Gebote halten (Ex 20,6). 156. Heißt das also, dass die Unschuld eines frommen Menschen all seinen Nachkommen, auch den Gottlosen, das Heil verschafft? Keineswegs, sondern es bedeutet: Er erweist seinen Gläubigen gegenüber eine derartige Freundlichkeit, dass er ihnen zuliebe ihren Kindern sein Wohlwollen zeigt, indem er es ihnen nicht nur in diesem Leben gut

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gehen lässt, sondern sie auch heiligen will, damit sie zu seiner Herde gezählt werden können. 157. Aber das gilt offenbar nicht auf Dauer. Allerdings. Gott behält sich eben die Freiheit vor, auch an den Kindern der Gottlosen nach seinem Willen Barmherzigkeit zu üben. Er bindet also seine Gnade nicht derart an die Kinder der Gläubigen, dass er nicht nach seinem Urteil diejenigen, die er will, vom Heil ausschließen kann. So richtet er es ein, dass diese Verheißung weder sinnlos noch trügerisch wird (Röm 2,4.6; 9,11). 158. Warum erwähnt er hier tausend Generationen, in Bezug auf die Strafe der Verdammung aber nur drei oder vier? Damit zeigt er, dass er mehr zu Milde und Gnade als zur Strenge neigt. So bezeugt er es ja auch anderswo, dass er zum Verzeihen schnell bereit ist, aber mit seinem Zorn zögert (Ex 34,1.6; Ps 103,8). 159. Nun zum dritten Gebot! „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“ (Ex 20,7). 160. Was bedeutet das? Gott verbietet den Missbrauch seines Namens, nicht nur durch einen Meineid, sondern auch durch einen unnötigen Eid. 161. Gibt es keinen berechtigten Gebrauch des Namens Gottes beim Schwören? Ja, doch, wenn es in gerechter Sache geschieht: Erstens zur Bestätigung der Wahrheit, und dann, wenn es um eine Sache geht, bei der ein Eid zur Wahrung der wechselseitigen Eintracht und Zuneigung unter den Menschen erforderlich ist. 162. Hat dieses Gebot nicht eine weitreichendere Bedeutung, als bloß Eide zu verhindern, die Gottes Namen entweihen oder seine Ehre herabsetzen? Mit diesem einen Beispiel will er uns allgemein ermahnen, dass wir nie Gottes Namen unter uns aussprechen, außer mit Ehrfurcht und Achtung und zum Zweck seiner Verherrlichung. Da er derart heilig ist, müssen wir uns auf jede Weise hüten, auch nur den Anschein seiner Verachtung zu erwecken oder anderen dazu Anlass zu geben.

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163. Wie kann dieses Gebot erfüllt werden? Wenn wir über Gott und seine Werke nie anders als nur zu seiner Ehre denken und reden. 164. Was folgt? Eine Strafbestimmung, worin er ankündigt, er werde den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht (Ex 20,7b). 165. Er hat doch bereits gesagt, er werde die Übertreter seines Gesetzes bestrafen. Warum wird das hier noch besonders festgehalten? Er will uns dadurch anzeigen, wie viel ihm an der Ehre seines Namens liegt. Wir sollen umso eifriger darum besorgt sein, wenn wir sehen, dass die Strafe für den Missbrauch bereitsteht. 166. Kommen wir zum vierten Gebot. „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Knecht, deine Magd, dein Ochse, dein Esel, auch nicht der Fremde, der innerhalb deiner Stadttore lebt. Denn in sechs Tagen hat Gott Himmel und Erde und das Meer und alles, was darinnen ist, vollendet und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete er den Sabbattag und heiligte ihn für sich“ (Ex 20,8–11). 167. Befiehlt er also, sechs Tage zu arbeiten und am siebenten zu ruhen? Nicht einfach so. Vielmehr erlaubt er die Arbeit an sechs Tagen, nimmt aber den siebenten davon aus und bestimmt ihn zum Ruhen. 168. Verbietet er an diesem Tag jede Arbeit? Dieses Gebot hat nur eine begrenzte und besondere Bedeutung. In Bezug auf die Beachtung der Arbeitsruhe ist es ein Teil des Zeremonialgesetzes des Alten Bundes und somit durch das Kommen Christi außer Kraft gesetzt. 169. Bezieht sich also dieses Gebot nur gerade auf die Juden und ist deshalb vergänglich gewesen? Ja, soweit es die äußerliche Zeremonie betrifft. 170. Wie? Besteht es noch aus einem anderen Grund außer der Zeremonie? Es wurde aus drei Gründen gegeben.

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171. Nenne sie mir! Als Abbild der geistlichen Ruhe, zur Bewahrung der kirchlichen Ordnung und zur Entlastung der Bediensteten. 172. Was verstehst du unter „geistlicher Ruhe“? Wir sollen von unserem eigenen Werk ruhen, damit Gott seine Werke in uns wirken kann. 173. In welcher Weise vollzieht sich dieses Ruhen? Indem wir unser Fleisch kreuzigen, das heißt, auf unser eigenes Planen verzichten, um uns von Gottes Geist leiten zu lassen (Kol 3,5). 174. Genügt es, wenn wir das am siebenten Tag tun? Es muss unaufhörlich geschehen. Womit wir einmal begonnen haben, das soll durch unser ganzes Leben hindurch weitergeführt werden. 175. Warum hat er einen bestimmten Tag mit dieser Bedeutung versehen? Die Wahrheit braucht nicht notwendigerweise mit dem Abbild völlig übereinzustimmen, wenn nur genügend Übereinstimmung mit der gemeinten Sache vorhanden ist. 176. Warum hat er dann den siebenten Tag vorgeschrieben und ihn einem anderen vorgezogen? Diese Zahl bezeichnet in der Bibel die Vollendung. So eignet sie sich zur Angabe der Dauer und zeigt an, dass die geistliche Ruhe nur ein Anfang in dieser Zeit ist und erst vollendet sein wird, wenn wir diese Welt verlassen. 177. Was beabsichtigt Gott aber mit seiner Mahnung, nach seinem Beispiel die Sabbatruhe zu halten? Als er die Erschaffung der Welt in sieben Tagen vollendet hatte, widmete er den siebenten der Betrachtung seiner Werke. Um uns dazu noch mehr anzutreiben, hält er uns sein Beispiel vor. Es ist ja auch nichts erstrebenswerter, als dass wir uns nach seinem Bild gestalten lassen. 178. Soll man aber Gottes Werke nicht ständig betrachten, oder genügt es, dass einer von sieben Tagen dazu bestimmt ist? Wir sollen uns gewiss täglich damit befassen. Aber wegen unserer Schwachheit ist ein Tag besonders dazu festgesetzt. Das ist die Ordnung, die ich erwähnt habe.

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179. Welche Ordnung muss also an diesem Tag eingehalten werden? Das Volk soll zusammenkommen, um die Lehre Christi zu hören, sich an den öffentlichen Gebeten zu beteiligen und seinen Glauben zu bekennen. 180. Erkläre mir jetzt die Aussage, dass Gott mit diesem Gebot auch zur Erleichterung des Geschicks der Dienstboten beitragen wollte! Es soll damit allen Untergebenen eine Erholung gewährt werden. Das dient ja auch zur Wahrung der allgemeinen Ordnung. Wenn ein Tag als Ruhetag bestimmt ist, gewöhnt sich jeder daran, in der übrigen Zeit der Arbeit nachzugehen. 181. Nun wollen wir sehen, inwiefern dieses Gebot für uns gilt. Als Zeremonialgesetz ist es abgeschafft, weil sein eigentliches Wesen in Christus hervorgetreten ist (Kol 2,17). 182. Inwiefern? Weil durch die Kraft seines Todes unser alter Mensch gekreuzigt ist und wir zu einem neuen Leben auferweckt werden (Röm 6,4.6). 183. Was gilt an diesem Gebot dann noch für uns? Wir sollen die heiligen Satzungen, die zur geistlichen Ordnung der Kirche dienen, nicht verachten, und vor allem die Gottesdienste besuchen, um das Wort Gottes zu hören, die Sakramente zu feiern und die gemeinsamen Gebete zu halten, alles nach den entsprechenden Ordnungen. 184. Und als Gleichnis hat uns das Gebot nichts mehr zu sagen? Ja, doch. Es muss nur auf seine eigentliche Wahrheit zurückgeführt werden. Da wir in den Leib Christi eingefügt und zu seinen Gliedern gemacht worden sind, sollen wir von unserem eigensinnigen Handeln ablassen und uns ganz Gottes Führung übergeben. 185. Gehen wir zur zweiten Tafel über! Sie beginnt mit: „Ehre Vater und Mutter“ (Ex 20,12a). 186. Was verstehst du hier unter „ehren“? Die Kinder sollen den Eltern mit Bescheidenheit und Unterordnung zu Willen sein und gehorchen, ihnen mit Respekt begegnen und wo nötig helfen sowie Arbeit und Mühe für sie aufwenden. In diesen drei Teilen ist enthalten, welche Ehre man den Eltern schuldet.

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187. Fahre fort! Dem Gebot ist eine Verheißung angefügt: „auf das du lange lebest in dem Land, das dir der Herr, dein Gott, geben wird“ (Ex 20,12b). 188. Was bedeutet das? Wer den Eltern die geschuldete Ehre erweist, wird durch Gottes Wohlwollen lange leben. 189. Dieses Leben ist aber doch voller Leiden. Warum verspricht uns Gott dann dessen lange Dauer als eine Wohltat? Von wie viel Elend dieses Leben auch geprägt sein mag, so ist es doch ein Segen Gottes für die Gläubigen, und sei es auch nur deswegen, dass es ein Erweis seiner väterlichen Zuneigung ist, wenn er uns hier ernährt und bewahrt. 190. Folgt daraus umgekehrt, dass von Gott verflucht ist, wer bald und ohne lange Lebenszeit aus dieser Welt gerissen wird? Keineswegs. Vielmehr geschieht es manchmal, dass Gott, je mehr er jemanden liebt, ihn auch umso schneller aus diesem Leben herausnimmt. 191. Wenn Gott aber so handelt, wie hält er dann seine Verheißung ein? Wenn uns Gott irdische Güter verheißt, so nur unter der Bedingung: soweit es zum Guten und zum Heil unserer Seele dient. Es wäre wahrhaftig eine Umkehrung aller Ordnung, wenn nicht die Rücksicht auf die Seele an erster Stelle steht. 192. Was geschieht mit denen, die sich den Eltern widersetzt haben? Sie werden nicht nur beim Jüngsten Gericht bestraft, sondern Gott wird das auch im irdischen Leben rächen, sei es, indem er sie in der Blüte ihres Lebens dahinrafft, einen schmählichen Tod erleiden lässt oder auf andere Weise. 193. Wird in dieser Verheißung aber nicht wörtlich vom Land Kanaan gesprochen? Doch, soweit es die Israeliten betrifft. Aber für uns hat dieses Wort eine umfassendere Bedeutung und muss dahin ausgedehnt werden. Welches Land wir auch bewohnen mögen, Gott sichert uns dessen Besitz zu, da die ganze Erde Gott gehört (Ps 24,1; 89,12; 115,16). 194. Gilt dieses Gebot in keiner anderen Weise? Obwohl es nur von Vater und Mutter spricht, sind darunter alle Vorge­ setzten zu verstehen, da von ihnen dasselbe gilt.

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195. Was denn? Gott hat sie in eine höhere Stellung erhoben. Es gibt keine Vollmacht, keine Herrschergewalt, kein Ehrenamt, sei es der Eltern, der Fürsten oder Amtsinhaber, außer durch Gottes Beschluss, weil es sein Wille ist, die Welt so zu ordnen (Röm 13,1). 196. Sag das sechste Gebot auf. „Du sollst nicht töten“ (Ex 20,13). 197. Verbietet es nichts anderes als Mordtaten auszuführen? Ja, doch. Wenn Gott hier spricht, stellt er nicht nur ein Gesetz für die äuße­ren Taten auf, sondern auch für die Regungen der Seele, und für diese sogar am vordringlichsten. 198. Du willst offenbar darauf hinweisen, dass es eine Art von verbor­ genem Morden gibt, von dem Gott uns hier wegruft? So ist es. Zorn und Hass und alle Lust, jemandem zu schaden, gelten vor Gott als Mord. 199. Wenn wir niemanden mit Hass verfolgen, haben wir das Gebot dann hinreichend erfüllt? Keineswegs. Wenn Gott den Hass verdammt und uns von jeder schädlichen Tat, wodurch unser Nächster verletzt wird, zurückhält, so zeigt er damit zugleich seine Forderung, dass wir alle Menschen von Herzen lieben und sorgfältig darauf achten sollen, sie zu beschützen und zu bewahren (Mt 22,39). 200. Nun zum siebenten Gebot. „Du sollst nicht ehebrechen“ (Ex 20,14). 201. Erläutere dessen Inhalt! Alle Unzucht ist von Gott verflucht. Wenn wir darum nicht Gottes Zorn auf uns ziehen wollen, sollen wir uns von ihr gewissenhaft fernhalten. 202. Fordert er nichts weiter? Man muss immer die Natur des Gesetzgebers beachten, von dem wir gesagt haben, er will sich nicht nur mit den äußeren Taten befassen, sondern zielt noch mehr auf die Regungen der Seele. 203. Was umfasst es also noch weiter? Da sowohl unsere Körper wie auch unsere Seelen Tempel des Heiligen Geistes sind, sollen beide rein und keusch erhalten werden. Wir sollen uns

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nicht nur ehrbar von äußeren Schandtaten fernhalten, sondern auch im Herzen, in Worten, Gebärden und Bewegungen. Also soll der Körper frei sein von allen Ausschweifungen, die Seele frei von aller Begierde, damit nichts an uns von schamlosem Schmutz besudelt ist (1. Kor 3,16; 6,15; 2. Kor 6,16). 204. Kommen wir zum achten Gebot. „Du sollst nicht stehlen“ (Ex 20,15). 205. Wird damit nur der Diebstahl verboten, der durch das menschliche Gesetz bestraft wird, oder erstreckt sich das Gebot noch auf anderes? Es umfasst unter dem Begriff des Diebstahls alle bösen Mittel von Betrug und List, mit denen wir nach fremden Gütern trachten. Hier wird uns daher sowohl verboten, uns mit Gewalt über die Güter unserer Nächsten herzumachen, wie auch mit Schlauheit und Hinterlist von ihnen Besitz zu ergreifen oder sie uns mit irgendwelchen anderen unrechten Handlungen anzueignen suchen. 206. Genügt es, sich nicht die Hände mit einer solch üblen Tat zu beschmutzen, oder wird auch hier das Begehren verdammt? Man muss immer wieder darauf zurückkommen: Wenn der Gesetzgeber geistlicher Art ist, so will er nicht nur den äußerlichen Diebstahl eindämmen, sondern auch alle Pläne und Bemühungen, die allgemein anderen einen Nachteil bringen, und als erstes das Begehren. Wir sollen uns nicht zum Schaden unserer Nächsten bereichern wollen. 207. Was sollen wir also tun, um diesem Gebot zu gehorchen? Wir sollen uns darum bemühen, dass jedem das, was ihm gehört, erhalten bleibt. 208. Wie heißt das neunte Gebot? „Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (Ex 20,16). 209. Verbietet es nur falsche Eide vor Gericht oder überhaupt jede unwahre Aussage über unsere Nächsten? Mit einem Beispiel wird eine allgemein gültige Lehre erfasst, nämlich die, unsere Nächsten nicht mit Unwahrheiten zu verleumden, damit wir nicht durch unser Schmähen und Herabsetzen ihrem Ruf oder ihrem Besitz irgendwie schaden.

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210. Warum wird aber ausdrücklich der öffentliche Meineid genannt? So soll die Abschreckung vor dieser Schandtat umso größer sein. Gott gibt uns nämlich zu verstehen: Wer gewohnt ist, andere zu schmähen und zu verleumden, ist dann auch bald soweit, einen Meineid zu schwören, wenn sich die Gelegenheit ergibt, den Nächsten anzuschwärzen. 211. Will Gott uns nur von übler Nachrede fernhalten oder auch von üblen Verdächtigungen und ungerechten falschen Urteilen? Beides wird hier aus dem schon angeführten Grunde verdammt. Was als Tat den Menschen gegenüber schlecht ist, ist vor Gott auch schon als Absicht schlecht. 212. Erkläre also, was der Hauptsinn dieses Gebotes ist! Es verbietet uns, dazu zu neigen, von unseren Nächsten schlecht zu denken oder sie zu verleumden, und befiehlt uns vielmehr, in Gerechtigkeit und Freundlichkeit von ihnen Gutes zu halten, soweit es die Wahrheit erlaubt, und sich zu bemühen, ihren guten Ruf unverletzt zu bewahren. 213. Sag das letzte Gebot auf! „Du sollst das Haus deines Nächsten nicht begehren. Du sollst die Frau deines Nächsten nicht begehren, nicht seinen Knecht noch seine Magd noch seinen Ochsen noch seinen Esel noch irgendetwas, was dein Nächster hat“ (Ex 20,17). 214. Da das ganze Gesetz geistlicher Art ist, wie du vorher schon mehrmals erwähnt hast, und schon die vorhergehenden Gebote dazu aufgestellt sind, nicht nur die äußerlichen Taten in Schranken zu halten, sondern auch die Neigungen der Seele zurechtzuweisen, was wird denn hier noch zusätzlich gesagt? In den vorhergehenden Geboten wollte Gott den Willen und die Neigungen leiten und zügeln. Hier wendet er das Gesetz auch auf die Gedanken an, die kein Begehren enthalten und noch nicht einmal zu klaren Überlegungen gereift sind. 215. Sagst du damit, dass auch die geringsten Regungen von Begehren, welche die Gläubigen beschleichen und ihnen bewusstwerden, Sünde sind, auch wenn sie ihnen eher widerstehen als nachgeben? Sicher entstammen alle schlechten Gedanken, auch wenn sie keine Zustimmung finden, unserer verdorbenen Natur. Ich meine hier aber nur: Dieses Gebot verdammt schändliche Begierden, die das Herz des Menschen reizen und anstacheln, aber so, dass sie nicht zu einer festen und überlegten Absicht führen.

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216. Du sagst damit, dass die üblen Regungen, denen die Menschen nachgeben und die sie über sich Herr werden lassen, schon vorher verboten worden sind; jetzt wird aber eine so vollkommene Reinheit von uns gefordert, dass unser Herz kein verkehrtes Begehren zulässt, durch das es zur Sünde gereizt werden kann. So ist es. 217. Gibt es nun eine kurze Zusammenfassung des ganzen Gesetzes? Gewiss, wenn wir es in zwei Abschnitte fassen. Der erste lautet: Wir sollen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen Kräften. Der zweite: Wir sollen die Nächsten genauso lieben wie uns selbst (Mt 22,37–39). 218. Was umfasst die Liebe zu Gott? Gott so zu lieben, wie es ihm gebührt, nämlich ihn als Herrn, Vater und Erretter anerkennen. Daher gehören zu der Liebe zu Gott seine Verehrung und der Wille, ihm mit dem Vertrauen zu gehorchen, das in ihm begründet sein soll. 219. Was verstehst du unter den Worten „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen Kräften“? Gemeint ist ein solcher Eifer und eine solche Kraft, dass in uns überhaupt kein Platz ist für Gedanken, Wünsche und Absichten, die dieser Liebe entgegenstehen. 220. Was ist der Sinn des zweiten Abschnitts? Wir neigen von Natur aus so sehr zur Selbstliebe, dass diese Regung über alle anderen siegreich bleibt. Entsprechend soll nun die Nächstenliebe so in uns regieren, dass sie uns vollständig leitet und die Richtschnur aller Pläne und Taten ist. 221. Wer ist nun dein Nächster? Nicht nur die Verwandten und Freunde oder wer sonst aus irgendeinem Grund mit uns verbunden ist, sondern auch die, die für uns Fremde oder gar Feinde sind. 222. Welche Verbindung haben diese zu uns? Sie sind unbestreitbar durch jenes Band verbunden, mit dem Gott das ganze Menschengeschlecht einst umfangen hat, das hochheilig und unverletzlich ist und von keiner Schlechtigkeit zerrissen werden kann.

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223. Du sagst also, wenn uns jemand hasst, ist das seine Angelegenheit. Er bleibt dennoch unser Nächster, und wir sollen ihn entsprechend behandeln, weil Gottes Ordnung unerschütterlich feststeht, wonach das Band zwischen uns geheiligt ist. So ist es. 224. Da das Gesetz die rechte Art der Verehrung Gottes aufzeigt, sind wir dann nicht verpflichtet, nach seinen Vorschriften zu leben? Das ist tatsächlich so. Aber alle leiden unter der Unfähigkeit, das Gebotene vollständig erfüllen zu können. 225. Warum fordert Gott von uns dann eine Vollkommenheit, die unser Vermögen übersteigt? Er fordert nichts, was wir nicht zu leisten verpflichtet sind. Wenn wir uns im Übrigen bemühen, die hier vorgeschriebene Lebensweise einzuhalten, auch wenn wir dabei noch weit vom Ziel der Vollkommenheit entfernt sind, so rechnet uns Gott das Fehlende nicht an. 226. Sprichst du jetzt von allen Menschen insgesamt oder nur von den Gläubigen? Wer noch nicht aus Gottes Geist wiedergeboren ist, ist nicht fähig, auch nur mit dem äußersten Zipfel des Gesetzes den Anfang zu machen. Sollten wir im Übrigen auch jemanden finden, der zum Teil dem Gesetz gehorcht, so dürfen wir nicht annehmen, dass er deswegen vor Gott bestehen kann. Denn Gott erklärt alle für verflucht, die nicht alles erfüllen, was im Gesetz enthalten ist (Dtn 27,26; Gal 3,10). 227. Von daher lässt sich feststellen: So wie es zwei Menschengruppen gibt, so gibt es auch ein doppeltes Amt des Gesetzes. Ganz gewiss. Bei den Ungläubigen bewirkt es nämlich nichts anderes als sie vor Gott unentschuldbar zu machen. Das bezeichnet Paulus als Amt des Todes und der Verdammung. Hinsichtlich der Gläubigen findet es eine völlig andere Anwendung (Röm 3,19; 2. Kor 3,6). 228. Welche denn? Zunächst werden sie zur Demut erzogen, und zwar durch die Erfahrung, dass sie mit Werken keine Gerechtigkeit erlangen können. Das ist die rechte Vorbereitung darauf, das Heil in Christus zu suchen. Da das Gesetz dann viel mehr von ihnen verlangt, als was jemand leisten kann, stachelt es sie an, Gott um Kraft zu bitten, und erinnert sie zugleich dauernd an ihre Schuld, damit sie nicht in Hochmut verfallen. Schließlich legt es ihnen gleichsam Zügel an, um sie in der Furcht Gottes festzuhalten (Röm 5,20; Gal 4,6).

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229. Auch wenn wir in diesem irdischen Leben das Gesetz nie erfüllen, dürfen wir es also nicht als überflüssig ansehen, weil es von uns eine solche Vollkommenheit verlangt. Es zeigt uns nämlich das vorgegebene Ziel, dem wir uns annähern und das wir anstreben sollen: dass jeder von uns nach dem Maßstab der ihm verliehenen Gnade seinen Fleiß und Eifer daransetzt, sein Leben nach der höchsten Gerechtigkeit einzurichten und darin immer größere Fortschritte zu machen. So ist es. 230. Haben wir also im Gesetz eine vollkommene Richtschnur aller Gerechtigkeit? Ja, und zwar so, dass Gott nichts anderes von uns will als dessen Befolgung. Andererseits hält er für unnütz und verschmäht, was wir außerhalb seines Gebotes unternehmen. Er will nämlich kein anderes Opfer von uns als Gehorsam (1. Sam 15,22; Jer 7,22 f.). 231. Wozu dienen demnach die vielen Ermahnungen, Vorschriften und Aufforderungen, die wir überall bei den Propheten und Aposteln finden? Sie sind nichts als Erläuterungen des einen wahren Gesetzes, die uns zum Gehorsam gegen das Gesetz anleiten und nicht von ihm wegführen sollen. 232. Über Beruf und Bestimmung jedes Einzelnen schreibt es aber nichts vor. Wenn es heißt, dass man jedem das geben soll, was ihm gehört, kann man daraus sehr wohl entnehmen, was die Aufgaben jedes Einzelnen in seinem Stand und seiner Lebensform sind. Es gibt auch, wie gesagt, hier und da in der Schrift verstreut Ausführungen zu den einzelnen Geboten. Denn was der Herr hier in wenigen Worten als Hauptpunkte zusammengefasst hat, wird anderswo breiter und ausführlicher erörtert. III. Das Gebet 233. Wir haben nun den zweiten Teil der Verehrung Gottes, nämlich Gehorsam und das Tun des Gebotenen, genügend behandelt. Reden wir jetzt vom dritten Teil! Wie schon gesagt, besteht er darin, Gott anzurufen und zu ihm in allen Nöten unsere Zuflucht zu nehmen. 234. Du meinst also, dass man ihn allein anrufen muss? Ganz und gar. Er fordert das nämlich als die seinem göttlichen Wesen angemessene Verehrung.

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235. Wenn es sich so verhält, wie dürfen wir dann Menschen um Hilfe für uns bitten? Das ist etwas grundsätzlich anderes. Wenn wir Gott anrufen, zeigen wir damit, dass wir nur von seiner Seite das Gute erwarten und nirgendwo sonst unser ganzer Schutz zu finden ist. Hingegen suchen wir bei Menschen Hilfe, soweit er es uns gestattet und ihnen die Fähigkeit geschenkt hat, uns zu helfen. 236. Bei Menschen Hilfe und Beistand zu suchen, ist also deiner Meinung nach kein Widerspruch dazu, Gott allein anzurufen, da unser Vertrauen überhaupt nicht auf ihnen ruht. Wir rufen sie nur darum an, weil Gott ihnen die Fähigkeit verliehen hat, Gutes zu tun, und sie damit in gewisser Weise zu Vermittlern seiner Güte bestimmt hat. Was er ihnen dazu an Mitteln gegeben hat, darum sollen wir nach seinem Willen bitten. So verstehe ich es. Was wir von ihnen an Gutem empfangen, sollen wir als Gabe Gottes betrachten, da ja in Wirklichkeit er selbst uns all das durch ihre Vermittlung schenkt. 237. Müssen wir aber nicht dennoch den Menschen für jeden Dienst, den sie uns erweisen, dankbar sein? Das verlangt doch das natürliche Empfinden für Gerechtigkeit und menschliches Verhalten. Sicherlich. Und sei es auch nur deswegen, weil Gott sie der Ehre gewürdigt hat, dass alles Gute, das aus der unerschöpflichen Quelle seiner Großherzigkeit strömt, durch ihre Hände wie durch Flüsse zu uns gelangt. Damit hat er uns ihnen verpflichtet und will, dass wir das anerkennen. Wer darum den Menschen nicht dankbar ist, verrät damit auch seine Undankbarkeit gegenüber Gott. 238. Darf man daraus den Schluss ziehen, dass es falsch ist, im Gebet die Engel oder die verstorbenen heiligen Diener Gottes anzurufen? Gewiss. Denn Gott hat nicht den Heiligen die Aufgabe übertragen, uns beizustehen. Und was die Engel betrifft, benutzt Gott zwar ihre Tätigkeit zu unserem Heil, will aber nicht, dass wir sie anrufen. 239. Du sagst mit all dem: Was sich nicht genau mit der von Gott gesetzten Ordnung deckt, ist gegen Gottes Willen gerichtet. So ist es. Denn es ist ein sicheres Zeichen des Unglaubens, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was Gott uns schenkt. Wenn wir uns im Glauben an Engel oder Heilige wenden, wo doch Gott uns allein zu ihm ruft, und einen Teil des Vertrauens, das allein auf ihm beruhen sollte, auf sie übertragen, verfallen wir in Götzendienst. Wir verteilen so unter sie, was sich Gott allein und vollständig vorbehalten hat.

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240. Sprechen wir nun davon, in welcher Art und Weise man beten soll! Genügt dazu die Zunge, oder erfordert das Gebet auch die Betätigung von Verstand und Herz? Die Zunge ist dazu nicht immer nötig. Ohne Wissen und Gefühl aber kann es niemals ein rechtes Gebet geben. 241. Mit welcher Begründung willst du das beweisen? Weil Gott Geist ist, verlangt er, wie in anderen Dingen, so erst recht beim Gebet, in dem wir mit ihm im Kontakt sind, die Betätigung des Herzens. Er verspricht deshalb nur denen, die ihn in Wahrheit anrufen, gnädig zu sein. Er verflucht und schmäht dagegen alle, die nur zum Schein und innerlich unbeteiligt beten (Ps 145,18; Jes 29,13 f.). 242. So sind also alle unbeteiligt gesprochenen Gebete nichts wert und vergeblich? Nicht nur das, sie missfallen Gott auch in höchstem Maße. 243. Welche Gemütsverfassung verlangt Gott beim Beten? Zuerst sollen wir unsere Hilflosigkeit und unser Elend spüren, sodass das in uns Trauer und Angst erzeugt. Danach soll in uns ein heftiges und ernsthaftes Begehren nach Gottes Gnade entbrennen, das dann in uns das Feuer des Betens entzündet. 244. Entspringt dieses Empfinden der Natur des Menschen, oder entsteht es in ihm durch Gottes Gnade? Gott muss uns hier zu Hilfe kommen. Wir sind zu beiden Gefühlen völlig unfähig. Es ist Gottes Geist, der in uns unaussprechliche Seufzer weckt und unseren Geist zu den Wünschen führt, die im Gebet verlangt werden (Röm 8,26; Gal 4,6). 245. Diese Lehre will aber doch nicht sagen, dass man in Ruhe und teilnahmslos den Anstoß des Geistes erwarten kann und keiner sich zum Gebet antreiben braucht? Keineswegs. Deren Absicht ist vielmehr, dass die Gläubigen, die zum Gebet zu matt sind und sich zu müde oder zu wenig bereit fühlen, beständig zu Gott hin fliehen und ihn bitten, er möge sie mit den Feuerflammen seines Geistes entzünden und dadurch zum Gebet fähig machen. 246. Du meinst aber doch nicht, dass die Zunge beim Beten ganz überflüssig ist? Keineswegs. Sie ist nämlich oft ein Hilfsmittel, den Geist zu erheben und zu stärken, damit er nicht so leicht von der Hinwendung zu Gott abschweift.

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Da sie darüber hinaus mehr als alle anderen Organe zum Ruhm von Gottes Herrlichkeit bestimmt ist, soll sie dazu auch all ihre Fähigkeiten brauchen. Darüber hinaus treibt der brennende Eifer den Menschen mitunter dazu, dass die Zunge ganz unbeabsichtigt in Worte ausbricht (Jak 3,9). 247. Wenn das so ist, welchen Wert hat es dann, in einer unbekannten Sprache zu beten? Das ist nichts anderes als mit Gott sein Spiel zu treiben. Solch eine Heuchelei soll dem Christen fernliegen (1. Kor 14,9). 248. Wenn wir nun beten, tun wir das auf gut Glück und unsicher über den Erfolg, oder dürfen wir es für eine feststehende Tatsache halten, dass Gott uns erhört? Das muss immer die Voraussetzung unseres Betens sein: Wir werden erhört, worum wir auch bitten, soweit es für uns nützlich ist. Deshalb lehrt Paulus, dass die rechte Anrufung Gottes aus dem Glauben entsteht (Röm 10,14). Keiner wird Gott je recht anrufen, wenn er vorher nicht im festen Vertrauen auf dessen Güte Halt gefunden hat. 249. Wie geht es dann denen, die nur zögernd beten und in deren Seele keine Gewissheit darüber besteht, was sie von ihrem Gebet erwarten dürfen, ja, die sogar unsicher sind, ob Gott ihre Bitten überhaupt hört? Ihre Gebete sind hohl und nutzlos, weil keine Verheißung sie trägt. Uns ist aufgetragen, in festem Glauben zu beten, und dem gilt die Verheißung, dass uns alles, worum wir im Glauben bitten, gegeben wird (Mt 21,22; Mk 11,24). 250. Wir müssen nun noch wissen, warum wir es wagen können, uns mit solcher Zuversicht vor Gott hinzustellen, wo wir doch auf keine Weise wert sind, ihm unter die Augen zu treten. Als erstes haben wir die Verheißungen, an die wir uns halten sollen, ohne uns über unsere Würdigkeit Gedanken zu machen (Ps  50,15; 91,15; 145,18; Jes  30,15; 65,24; Jer 29,12). Weiter: Wenn wir Kinder Gottes sind, ermuntert und treibt uns sein Geist, ohne Bedenken zu ihm wie zu unserem vertrauten Vater Zuflucht zu nehmen (Joel 3,5; Mt 9,2.22). Damit wir, die wir nur gleichsam Würmer und erdrückt vom Bewusstsein unserer Sünden sind, nicht vor seiner ruhmvollen Majestät erschrecken, hat er uns Christus als Mittler gegeben. Durch ihn ist uns der Zugang zu Gott erschlossen, sodass wir nicht mehr befürchten müssen, keine Gnade zu finden (Hi 25,6; Ps 22,7; 1. Tim 2,5; Hebr 4,16; 1. Joh 2,1).

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251. Du meinst also, dass man Gott nur im Namen Christi anrufen darf? Ja. Denn so ist es uns ausdrücklich vorgeschrieben und die Verheißung angefügt, dass durch sein Eintreten für uns die Erhörung unserer Gebete bewirkt wird (Joh 14,13). 252. Also darf niemand der Frechheit oder Anmaßung beschuldigt werden, der dieses Beistands gewiss vertrauensvoll zu Gott kommt und Gott und sich selbst gegenüber ihn allein als Garanten seiner Erhörung betrachtet (1. Joh 2,1). Auf keinen Fall. Denn wer so betet, betet gleichsam durch dessen Mund, da er ja weiß, dass dessen Beistand sein Gebet fördert und Gott angenehm macht (Röm 8,34). 253. Behandeln wir nun den Inhalt der Gebete der Gläubigen! Darf man alles, was einem in den Sinn kommt, von Gott verlangen, oder muss man sich an eine bestimmte Regel halten? Das wäre wahrhaftig eine allzu verkehrte Art zu beten, einfach den eigenen Wünschen und der fleischlichen Gesinnung nachzugeben! Wir sind eben zu unkundig, um beurteilen zu können, was uns nützt, und werden von derart maßlosen Begierden bedrängt, dass sie von einem Zügel gebändigt werden müssen. 254. Was ist daher erforderlich? Es bleibt nur dies, dass Gott selbst uns die rechte Gestalt des Betens vorschreibt und wir der Leitung seiner Hand und der Vorgabe seiner Worte folgen. 255. Was hat er uns nun vorgeschrieben? Die Lehre vom Gebet wird in der Schrift umfassend und ausführlich behandelt. Um nun aber das Ziel ganz deutlich anzugeben, hat er ein Mustergebet entworfen und gleichsam vorgeschrieben, worin kurz zusammengefasst in wenigen Abschnitten ausgeführt wird, was von Gott zu erbitten sich gehört und uns nützlich ist. 256. Sag es auf! Als unser Herr Christus von den Jüngern gefragt wurde, auf welche Weise man beten soll, antwortete er: Wenn ihr beten wollt, dann sprecht: „Unser Vater im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen“ (Mt 6,9–13; Lk 11,1–4).

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257. Damit wir den Inhalt besser erfassen, wollen wir ihn in Abschnitte einteilen. Das Gebet umfasst sechs Teile. Die drei ersten haben nur Gottes Ehre im Blick und zielen darauf ab, ohne sich mit unserer Lage zu beschäftigen. Die restlichen zielen auf uns und unser Wohl. 258. Soll man denn etwas von Gott erbitten, ohne dass sich dabei für uns etwas Gutes ergibt? Gott selbst hat in seiner unendlichen Güte alles so gestaltet, dass alles, was zu seiner Ehre dient, auch für uns heilsam ist. Wenn also sein Name geheiligt wird, bewirkt Gott dadurch auch unsere Heiligung. Wenn sein Reich kommt, haben auch wir in bestimmter Weise daran teil. Dennoch sollen wir bei all diesen Bitten nicht auf unseren Nutzen, sondern nur auf seine Ehre schauen. 259. Nach dieser Auffassung sind also diese drei Bitten zwar mit einem Nutzen für uns verknüpft, sie dürfen aber dennoch auf kein anderes Ziel ausgerichtet werden als auf die Verherrlichung des Namens Gottes. So ist es. Und auch bei den drei restlichen muss uns genauso an Gottes Ehre gelegen sein. Das ist eben die eigentliche Zielsetzung dieser Bitten, auch wenn es in ihnen um unser Wohl und Heil geht. 260. Kommen wir nun zur Auslegung im Einzelnen! Da ist die erste Frage: Warum wird Gott hier gerade Vater genannt anstatt irgendwie anders? Zum rechten Beten braucht es zuallererst ein vertrauensvoll gefestigtes Gewissen. Gott hat sich darum diesen Namen gewählt, weil daraus nichts als Liebe spricht, um so alle Angst aus unserem Geist zu verjagen und uns zu einem vertraulichen Bitten einzuladen. 261. Dürfen wir es also wagen, ohne Hindernisse direkt zu Gott zu kommen, wie es Kinder mit ihren Eltern gewohnt sind? Ganz gewiss, und mit noch größerem Vertrauen auf die Erfüllung un­serer Bitten. So ermahnt uns ja der Meister: Wenn wir trotz unserer Bosheit es nicht fertigbringen, unseren Kindern etwas Gutes zu verweigern, sie nicht mit leeren Händen wegschicken und ihnen nicht Gift statt Brot reichen, wieviel mehr an Wohltaten darf man dann vom Vater im Himmel erwarten, der nicht nur überaus gut, sondern die Güte selbst ist (Mt 7,11)? 262. Dürfen wir nicht auch aus dem Namen „Vater“ einen Beweis ableiten, der unsere frühere Aussage bestätigt, wonach unser Bitten ganz und gar auf Christi Vermittlung gegründet ist? Sogar den allerstärksten. Gott hält uns nur insoweit für seine Kinder, als wir Glieder Christi sind.

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263. Warum nennst du ihn allgemein „Unser“ und nicht insbesondere „deinen“ Vater? Jeder Gläubige kann ihn seinen Vater nennen. Aber der Herr hat hier die allgemeine Bezeichnung gebraucht, um uns dadurch an die Ausübung der Nächstenliebe im Gebet heranzuführen. Keiner soll sich dabei nur um sich selbst kümmern und die anderen vernachlässigen. 264. Was bedeutet die angefügte Aussage, Gott sei „im Himmel“? Das ist dasselbe, als wenn ich ihn erhaben, machtvoll und unbegreiflich nenne. 265. Wozu aber und aus welchem Grund? Wir werden hier gelehrt, bei der Anrufung Gottes unsere Gemüter emporzuheben, damit wir uns nicht unter ihm etwas Fleischliches oder Irdisches vorstellen, ihn nicht an unserem Fassungsvermögen messen oder etwas Niedriges von ihm denken und ihn so unserem Willen unterwerfen wollen, sondern vielmehr seine herrliche Hoheit mit Ehrfurcht und Ergebenheit verehren lernen. Es dient auch dazu, unser Vertrauen auf ihn zu beleben und zu stärken, wenn er Herr und Herrscher des Himmels genannt wird, der alles nach seinem Willen lenkt. 266. Sag mir den Inhalt der ersten Bitte! Unter dem Namen Gottes versteht die Schrift Gottes Ruhm und Ansehen, mit denen er unter den Menschen verehrt wird. Wir bitten darum, dass seine Ehre überall und in allen Dingen immer mehr hervortritt. 267. Kann denn seine Ehre vermehrt oder vermindert werden? In sich selbst nimmt sie weder zu noch ab. Wir bitten darum, dass sie unter den Menschen so deutlich wird, wie es ihr zusteht. Alles, was Gott tut, alle seine Werke sollen so herrlich erscheinen, wie sie eigentlich sind. So soll er selbst auf jede Weise verherrlicht werden. 268. Was verstehst du in der zweiten Bitte unter dem Reich Gottes? Dazu gehören vor allem zwei Dinge: Gott lenkt die Erwählten durch seinen Geist. Die Verworfenen aber, die sich ihm nicht gehorsam fügen wollen, schlägt er nieder und gibt sie der Vernichtung preis. So soll offenbar werden, dass seiner Macht nichts widerstehen kann. 269. Welchen Inhalt hat für dich die Bitte um das Kommen dieses Reiches? Der Herr möge von Tag zu Tag die Zahl der Gläubigen vermehren. Er möge sie mit den Gaben seines Geistes überschütten, bis er sie ganz damit

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erfüllt hat. Weiter soll seine Wahrheit die Finsternisse des Teufels vertreiben und so immer heller und klarer zutage treten und seine Gerechtigkeit sich durchsetzen und alle Ungerechtigkeit vernichten. 270. Geschieht das alles nicht schon jeden Tag? Es geschieht so, dass man von einem Anfang des Reiches Gottes sprechen kann. Wir bitten darum, dass es immer wieder wächst und vorangetrieben wird, bis es zur letzten Vollendung gelangt. Wir hoffen auf sie als auf den Jüngsten Tag, an dem Gott alle Geschöpfe sich unterworfen hat und allein über allen gepriesen wird. Dann wird Gott alles in allem sein (1. Kor 15,28). 271. Welchen Sinn hat die Bitte, dass Gottes Wille geschehe? Alle Geschöpfe sollen ihm in Gehorsam unterworfen sein und so von seinem Wink abhängen, dass nichts außer durch seinen Willen geschieht. 272. Denkst du denn, es könnte etwas geschehen, was seinem Willen nicht entspricht? Wir bitten ja nicht nur, dass das geschieht, was er bei sich beschlossen hat, sondern dass er alles Widerstrebende bändigt und unterwirft, den Willen von jedem in jeder Hinsicht dem seinen unterstellt und ihm allein gehorsam macht. 273. Verzichten wir mit einer solchen Bitte nicht auf unseren eigenen Willen? Ganz und gar, und nicht nur, damit Gott alle Wünsche, die in uns gegen seinen Willen streiten, wirkungslos macht, sondern damit er in uns ein neues Gemüt und ein neues Herz schafft, damit wir nichts selbstsüchtig von uns aus wollen, sondern vielmehr sein Geist unsere Wünsche leitet und sie so völlig mit Gottes Willen übereinstimmen (Ez 11,19). 274. Warum bittest du, er geschehe „wie im Himmel, so auf Erden“? Die heiligen Engel, die seine himmlischen Geschöpfe sind, haben ja nur die eine Absicht, ihm in allem zu dienen, und sind ständig bereit, auf seinen Ruf zu hören und ihm aus freien Stücken Gehorsam zu leisten. Eine solche Bereitwilligkeit des Gehorsams erbitte ich auch für die Menschen, damit jeder sich ihm freiwillig und vollständig fügt und hingibt. 275. Ich komme jetzt zum zweiten Teil. Was verstehst du unter dem täglichen Brot, um das du bittest? Alles, was zur Bewahrung dieses gegenwärtigen Lebens dient. Nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern das Gewähren aller äußeren Hilfsmittel

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zur Erfüllung unserer Lebensbedürfnisse, damit wir so unser Brot in Frieden essen können, soweit Gott es für förderlich hält. 276. Warum erbittest du als eine Gabe Gottes, was er uns durch unsere Arbeit zu erwerben aufträgt (1. Thess 4,11; 2. Thess 3,10)? Auch wenn wir für unseren Unterhalt im Schweiß unseres Angesichts arbeiten sollen, leben wir doch nicht dank unserer Arbeit, unseres Fleißes oder unserer Anstrengung, sondern allein durch Gottes Segen, wodurch die Arbeit unserer Hände gedeiht, die sonst fruchtlos wäre. Im Übrigen gilt sogar: Auch wenn uns Nahrungsmittel in Fülle zur Verfügung stehen und wir davon essen, so nährt uns doch nicht ihr Wesen, sondern allein Gottes Kraft. Sie besitzen nämlich diese Fähigkeit nicht von Natur aus, sondern Gott gebraucht sie wie Werkzeuge seiner himmlischen Güte (Lev 26,20; Dtn 8,3.17). 277. Mit welchem Recht nennst du es dann dein Brot, wenn du es doch als Gabe Gottes erbittest? Es wird unser Brot durch Gottes Güte, auch wenn er es uns nicht im Geringsten schuldet. Im Übrigen soll uns dieses Wort mahnen, nicht das Brot eines anderen zu begehren und uns mit dem zufriedenzugeben, was uns rechtmäßig wie aus Gottes Hand zuteilgeworden ist. 278. Warum fügst du die Wörter „täglich“ und „heute“ an? Sie halten uns zu Maßhalten und Selbstbeherrschung an, damit unsere Wünsche nie das Maß des Notwendigen überschreiten. 279. Wenn das nun das allgemeine Gebet für alle ist, wie ist es dann möglich, dass Reiche mit einem Haus voll Überfluss und Vorrat für lange Zeit um das tägliche Brot bitten sollen (Lk 12,19)? Reiche ebenso wie Arme müssen wissen, dass ihnen all ihr Besitz nichts nützt, wenn Gott ihnen nicht dessen Verwendung gestattet und dies durch seine Gnade wirksam und nützlich macht. So haben wir bei allem Besitz nichts als das, was wir Stunde um Stunde aus Gottes Hand empfangen, soviel wir bedürfen und gut für uns ist. 280. Was ist der Inhalt der fünften Bitte? Gott möge uns unsere Sünden vergeben. 281. Ist denn auf Erden niemand so gerecht, dass er diese Vergebung nicht nötig hätte? Überhaupt niemand. Als Jesus seinen Jüngern dieses Mustergebet gab, hat er es für die ganze Kirche bestimmt. Wer meint, er könne sich da-

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von ausnehmen, verlässt damit notwendigerweise die Gemeinschaft der Gläubigen. Wir hören ja auch das Zeugnis der Schrift: Wer sich in einer Sache vor Gott reinwaschen will, wird in tausend Fällen für schuldig befunden werden. Es bleibt uns nur allein die Zuflucht zu seinem Erbarmen (Hi 9,2.20). 282. Wie werden uns denn deiner Ansicht nach die Sünden vergeben? So wie es Christi Worte selbst sagen: Es sind Schulden, derer wir angeklagt sind und unausweichlich des ewigen Todes schuldig befunden werden, bis uns Gott ganz allein durch seine Gnade davon befreit. 283. Du sagst also, dass wir durch Gottes gnädiges Erbarmen die Vergebung der Sünden erlangen. Ganz gewiss. Wenn wir auch nur für eine Sünde, und sei es die allerkleinste, Wiedergutmachung leisten müssten, wären wir doch niemals zur Genugtuung imstande. Gott muss uns daher alles aus Gnade schenken und verzeihen. 284. Welchen Nutzen bringt uns diese Vergebung? Dass wir von Gott so angenommen sind, als wären wir gerecht und unschuldig. Gleichzeitig werden wir damit im Vertrauen auf seine väterliche Güte bestärkt, welche die Grundlage unserer Heilsgewissheit ist. 285. Nun steht eine Bedingung dabei: Gott soll uns vergeben, „wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Bedeutet das nun, dass wir uns Gottes Vergebung verdienen müssen, indem wir den Menschen vergeben, wenn sie sich irgendwie gegen uns vergangen haben? Keineswegs. Sonst wäre ja die Vergebung nicht mehr freie Gnade und nicht allein in der Genugtuung Christi durch seinen Tod für uns am Kreuz begründet, wie es doch sein muss. Weil wir aber dadurch, dass wir uns angetanes Unrecht vergessen und so Gottes Milde und Güte nachahmen, uns als seine Kinder erweisen, will er uns darin wie mit einem Kennzeichen bestärken. Gleichzeitig sollen wir umgekehrt auch merken: Wenn wir nicht schnell bereit zum Vergeben sind, können wir von Gott nichts anderes erwarten als größte und unerbittlichste Härte und Strenge. 286. Du meinst also, dass Gott sich von allen, die Beleidigungen nicht aus ihrem Herzen verbannen können, lossagt und aus dem Kreis seiner Kinder ausschließt, sodass sich keiner darauf verlassen kann, im Himmel für sich Vergebung zu finden? Ja. Damit wird erfüllt, dass jedem mit dem Maß zugemessen wird, das er anderen gegenüber gebraucht hat (Mt 7,2).

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287. Was folgt dann? Gott möge uns nicht in Versuchung führen, sondern vom Bösen erlösen. 288. Fasst du das alles in eine Bitte? Ja. Es ist eben nur eine einzige Bitte. Der zweite Teil ist die Auslegung des ersten. 289. Was ist der Inhalt? Der Herr möge es nicht geschehen lassen, dass wir in Sünde geraten oder ihr verfallen und so vom Teufel und den Begierden unseres Fleisches, die uns ständig bekriegen, besiegt werden. Er möge uns vielmehr mit seiner Kraft zum Widerstand ausrüsten, uns durch seine Hand stützen und mit seinem Schutz versehen und decken, damit wir so beschirmt unter seiner treuen Obhut leben können (Röm 7,23). 290. Auf welche Weise geschieht das? Indem wir unter der Leitung seines Geistes von solcher Liebe und Sehnsucht nach Gerechtigkeit erfüllt werden, dass wir Sünde, Fleisch und Teufel überwinden, und entsprechend von einem solchen Hass gegen die Sünde, dass er uns von der Welt unangefochten in reiner Heiligkeit erhält. Denn auf der Kraft seines Geistes beruht unser Sieg. 291. Haben alle diese Hilfe nötig? Wer kann denn darauf verzichten? Ständig bedroht uns der Teufel, umschleicht uns wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Wir würden ja in unserer Schwachheit sogleich zu Fall kommen, und manches Mal wären wir völlig verloren, wenn Gott uns nicht mit seinen Waffen zum Kampf ausrüstetet und mit seiner Hand stärkt (1. Petr 5,8). 292. Was bedeutet „Versuchung“? Die Listen und Betrügereien des Teufels, mit denen er uns ständig angreift und uns ganz gefangen nimmt, wenn wir nicht von Gottes Hilfe unterstützt werden. Unser von Natur aus eitler Sinn hat seinen Täuschungen nichts entgegenzusetzen, und je mehr unser Wille stets zum Bösen geneigt ist, desto schneller verfällt er ihnen. 293. Warum betest du aber, Gott solle dich nicht in Versuchung führen, wenn das doch das Werk des Teufels und nicht Gottes ist? Wie Gott die Gläubigen in seinen Schutz nimmt, damit sie nicht von den Betrügereien des Teufels bezwungen oder von der Sünde besiegt werden, so entzieht er denen, die er strafen will, nicht nur seine Gnade, sondern

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gibt sie auch der Herrschaft des Teufels preis, schlägt sie mit Blindheit und gibt ihnen einen verworfenen Sinn, sodass sie ganz der Sünde überlassen und allen Anstürmen der Versuchungen ausgeliefert sind. 294. Was bedeutet der angehängte Schlusssatz „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“? Wir werden hier noch einmal daran erinnert, auf Gottes Macht und Geist als Grundlage für unsere Gebete zu vertrauen und in keiner Weise auf uns. Außerdem werden wir dadurch gelehrt, alle unsere Gebete mit einem Lobpreis zu beschließen. 295. Dürfen wir nichts anderes von Gott erbitten, als was in diesem Mustergebet enthalten ist? Es steht uns zwar frei, mit anderen Worten und auf andere Weise zu beten. Allerdings muss daran festgehalten werden, dass Gott kein Gebet gefallen kann, das nicht auf dieses hier als den einzigen Maßstab rechten Betens zurückgeht. IV. Die Sakramente 296. Wir behandeln nun den vierten Teil der Verehrung Gottes gemäß der am Anfang festgelegten Reihenfolge. Wir haben gesagt, dass er darin besteht, Gott als Urheber alles Guten anzuerkennen und seine Güte, Gerechtigkeit, Weisheit und Macht zu loben und ihm zu danken, damit die Ehre für alles Gute allein ihm zukommt. 297. Gibt es dafür keine vorgeschriebene Regel? Zur Regel soll uns alles dienen, was zu seinem Lob in der Bibel steht. 298. Enthält das Gebet des Herrn nichts, was sich darauf bezieht? Gewiss. Mit der Bitte um die Heiligung seines Namens bitten wir darum, dass in allen seinen Werken seine Ehre zum Vorschein kommt. Dass er als barmherzig gilt, wenn er den Sündern verzeiht, als gerecht, wenn er straft, als wahrhaftig, wenn er die Verheißungen an den Seinen erfüllt. Schließlich soll jedes seiner Werke, das wir betrachten, seine Verehrung in uns wachrufen. Das heißt, ihn für alles Gute zu loben. 299. Was können wir also aus dem bisher Behandelten schließen? Was die Wahrheit selbst lehrt und ich am Anfang erklärt habe. Das ist das ewige Leben, den einen wahren Gott als Vater zu kennen und den, den er gesandt hat, Jesus Christus. Ihn so zu kennen, dass wir ihm die geschuldete Ehre und Verehrung entgegenbringen und er nicht nur unser Herr ist, sondern auch Vater und Erretter und wir seine Kinder und

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Diener, die ihr Leben von nun an der Verherrlichung seiner Ehre widmen (Joh 17,3; Mt 1,21). 300. Auf welchem Weg gelangt man zu einem solchen Schatz? Zu diesem Zweck hat er uns sein heiliges Wort überlassen. Es ist die geistliche Lehre, durch die wir wie durch eine Pforte in sein himmlisches Reich eintreten. 301. Wo müssen wir dieses Wort suchen? Es ist in den heiligen Schriften enthalten. 302. Wie muss man damit umgehen, um daraus Nutzen zu empfangen? Es dient uns nach seiner Bestimmung dann zu unserem Heil, wenn wir es in fester Überzeugung als eine vom Himmel gekommene Gabe in unser Herz aufnehmen, uns als seine gelehrigen Schüler erweisen, Willen und Verstand ihm gehorsam unterwerfen, es von Herzen lieben, wenn es, einmal in unsere Herzen eingedrungen, dort fest wurzelt, um im Leben Frucht zu tragen, und wir schließlich nach seinem Vorbild gestaltet werden. 303. Liegt das alles im Bereich unserer Fähigkeit? Überhaupt nichts davon. Es liegt allein bei Gott, das alles durch die Gnadengabe des Heiligen Geistes in uns zu bewirken. 304. Müssen wir aber nicht doch größte Mühe und Sorgfalt darauf verwenden und uns mit allem Eifer anstrengen, sein Wort zu lesen, zu hören und zu betrachten, um darin Fortschritte zu machen? Ja, doch. Jeder soll sich in täglichem Lesen damit befassen. Aber mit ganz besonderem Fleiß sollen alle die Zusammenkünfte besuchen, wo die Lehre vom Heil in der Versammlung der Gläubigen ausgelegt wird. 305. Du betrachtest es also nicht als hinreichend, wenn die Einzelnen zuhause lesen, sofern sie nicht auch alle zusammenkommen, um eine einheitliche Lehre zu hören? Man muss zusammenkommen, wo es möglich ist, das heißt, wenn einem die Gelegenheit dazu gegeben ist. 306. Kannst du das beweisen? Dafür ist der Wille Gottes allein Beweis genug. Er hat seiner Kirche diese Ordnung nicht dazu vorgeschrieben, damit nur zwei oder drei sie beachten, sondern damit alle sich ihr gleichermaßen unterziehen. Dazu erklärt er sie als einzigen Weg, die Kirche zu erbauen und zu bewahren.

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Darum muss das für uns eine heilige und unverletzliche Vorschrift sein. Keiner soll meinen, klüger sein zu dürfen als sein Meister (Mt 18,20; Eph 4,11). 307. Müssen also Pfarrer den Gemeinden vorstehen? Ja, und man muss auf sie hören und mit Ehrfurcht und Achtung aus ihrem Mund annehmen, was sie als Lehre Christi verkünden (Mt 10,40; Lk 10,16). Wer sie daher verachtet oder sich weigert, sie zu hören, verachtet Christus und trennt sich von der Gemeinschaft der Gläubigen. 308. Genügt es für den Christen, einmal durch den Pfarrer unterwiesen worden zu sein, oder muss man damit während des ganzen Lebens fort­ fahren? Anfangen ist zu wenig, wenn man nicht beharrlich dabeibleibt. Denn wir sollen bis zum Ende, ja, ohne Ende Christi Jünger sein. Er hat darum den Dienern der Kirche dieses Amt übergeben, an seiner Stelle und in seinem Namen zu lehren. 309. Gibt es außer dem Wort kein anderes Mittel – wie man so sagt –, durch das Gott sich uns mitteilt? Der Predigt des Wortes hat er die Sakramente hinzugefügt. 310. Was ist ein Sakrament? Ein äußeres Zeugnis des göttlichen Wohlwollens uns gegenüber, das mit einem sichtbaren Zeichen die göttlichen Gnadengaben abbildet, um in unseren Herzen Gottes Verheißungen zu versiegeln, wodurch deren Wahr­ heit noch bekräftigt wird. 311. Liegt denn in einem sichtbaren Zeichen eine solche Kraft, dass es die Gewissen im Vertrauen auf das Heil festigt? Es hat sie freilich nicht aus sich selbst, sondern durch Gottes Willen, weil es zu diesem Zweck eingesetzt worden ist. 312. Wenn es nun doch die besondere Aufgabe des Heiligen Geistes ist, Gottes Verheißungen in unseren Herzen zu versiegeln, wie kannst du das den Sakramenten zusprechen (Eph 1,12; 4,30)? Hier handelt es sich um zwei völlig verschiedene Dinge. Die Herzen zu bewegen und zu erfüllen, die Gemüter zu erleuchten und unsere Gewissen fest und ruhig zu machen, ist so ausschließlich die Sache des Heiligen Geistes, dass es ganz und gar als sein Werk angesehen und als seine Gabe betrachtet werden muss und das Lob ihm allein gebührt. Dem steht jedoch überhaupt nicht entgegen, dass Gott sich der Sakramente wie

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untergeordneter Hilfsmittel bedient und sie zum Gebrauch heranzieht, so wie es ihm gut erscheint. Und zwar so, dass dem Geist nichts von seiner Bedeutung genommen wird. 313. Die Kraft und Wirksamkeit der Sakramente ist also nach deiner Überzeugung nicht in ein äußerliches Element eingeschlossen, sondern geht ganz vom Geist Gottes aus? Ja. Gott will seine Kraft durch seine Hilfsmittel, die er zu diesem Zweck bestimmt hat, offenbaren. Das tut er so, dass er seinem Geist nichts von dessen Bedeutung nimmt. 314. Kannst du mir den Grund angeben, warum Gott so handelt? Er nimmt dabei Rücksicht auf unsere Schwachheit. Wenn wir alle eine Geistnatur besäßen, könnten wir, gleich den Engeln, bald ihn, bald seine Gnadengaben im Geist schauen. Da wir aber von der Masse dieses irdischen Leibes umschlossen sind, brauchen wir Abbilder oder Spiegelbilder, die uns den Anblick geistlicher und himmlischer Dinge auf irdische Weise ermöglichen. Auf andere Weise würden wir nie dazu gelangen. Außerdem ist es für uns wichtig, dass sich all unsere Sinne mit Gottes Verheißungen befassen, damit wir darin noch mehr bestärkt werden. 315. Wenn es also zutrifft, dass die Sakramente von Gott als Hilfen für unsere Bedürftigkeit eingesetzt sind, muss es dann nicht zu Recht als Anmaßung verurteilt werden, wenn jemand denkt, sie als überflüssig ansehen und entbehren zu können? Ganz gewiss. Wer freiwillig auf ihren Gebrauch verzichtet, als ob er sie nicht nötig hätte, verachtet Christus, weist seine Gabe zurück und entkräftet das Wirken des Geistes. 316. Welch ein Vertrauen zur Festigung der Gewissen und welche Gewissheit kann dann aber aus den Sakramenten gewonnen werden, die Gute und Böse unterschiedslos empfangen? Wenn auch allen Gottes Gaben in den Sakramenten angeboten werden, machen die Gottlosen sie doch für ihre Person zunichte. Sie können deswegen aber nicht bewirken, dass den Sakramenten ihre Kraft oder ihr Wesen verloren gehen. 317. Wie und wann wirken nun die Sakramente? Wenn wir sie im Glauben empfangen und allein Christus und seine Gnade bei ihnen suchen.

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318. Warum sagst du, man müsse Christus bei ihnen suchen? Ich verstehe das so: Wir dürfen nicht an den sichtbaren Zeichen hängen bleiben, um von da her unser Heil zu begehren, oder uns einbilden, dass die Kraft, uns Gnade zukommen zu lassen, an ihnen haftet oder dort eingeschlossen ist. Wir müssen sie vielmehr wie ein zeichenhaftes Hilfsmittel ansehen, durch das wir geradewegs zu Christus geführt werden, um von ihm selbst Heil und beständigen Segen zu begehren. 319. Wenn zu ihrem Empfang der Glaube erforderlich wird, wie kannst du dann sagen, dass die Sakramente uns zur Stärkung des Glaubens gegeben sind, um uns der Verheißungen Gottes gewisser zu machen? Es genügt eben nicht, dass der Glaube einmal in uns angefangen hat, wenn er nicht dauernd genährt wird. Er soll von Tag zu Tag wachsen. Um ihn zu nähren, zu stärken und zu fördern, hat daher der Herr die Sakramente eingesetzt. Gerade das meint Paulus, wenn er ihre Bedeutung darin sieht, die Verheißungen Gottes zu versiegeln (Röm 4,11). 320. Ist es aber nicht ein Zeichen von Unglauben, keinen festen Glauben an Gottes Verheißungen zu besitzen, wenn sie uns nicht von anderswoher bestätigt werden? Das zeugt zwar von der Schwäche des Glaubens, an der auch die Kinder Gottes kranken. Deswegen sind sie aber trotzdem weiterhin Gläubige, auch wenn ihr Glaube bis jetzt schwach und unvollkommen ist. Solange wir uns in dieser Welt befinden, hängen an unserem Fleisch immer noch Reste des Unglaubens, die wir nur durch ständiges Vorwärtsschreiten bis an unser Lebensende loswerden können. Wir müssen deshalb immer weitere Fortschritte machen. 321. Wie viele Sakramente kennt die christliche Kirche? Im Ganzen zwei, die unter allen Gläubigen in Gebrauch sind. 322. Welche sind es? Die Taufe und das Abendmahl. 323. Worin gleichen sie sich und wo liegt der Unterschied? Die Taufe ist für uns gewissermaßen der Zugang zur Kirche. In ihr haben wir das Zeugnis, dass wir, die wir sonst Außenstehende und Fremde wären, in Gottes Familie aufgenommen werden, damit wir zu seinen Hausgenossen gehören. Das Abendmahl bezeugt uns, dass Gott sich uns als Vater erweist, indem er unsere Seelen speist.

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324. Um von beiden ein klareres Bild zu gewinnen, wollen wir jedes für sich behandeln. Zunächst: Was ist die Bedeutung der Taufe? Zweierlei. Sie bildet die Vergebung der Sünden und die geistliche Erneuerung ab (Eph 5,26; Röm 6,4). 325. In welcher Hinsicht gleicht das Wasser diesen Dingen, sodass es sie darstellen kann? Die Vergebung der Sünden ist eine Art von Abwaschung, wodurch die Seele von ihren Sünden gereinigt wird, nicht anders, als Wasser den Schmutz vom Körper abwäscht (Eph 5,27). 326. Und die Erneuerung? Ihr Anfang ist ja die Abtötung unseres natürlichen Wesens, und ihr Ziel, dass wir neue Geschöpfe sind. Im Übergießen des Kopfes mit Wasser wird uns das Abbild des Todes dargestellt, das neue Leben aber darin, dass wir nicht im Wasser untergetaucht bleiben, sondern nur für einen Augenblick wie im Grab untergehen, um sogleich daraus wieder aufzutauchen. 327. Hältst du etwa das Wasser für das Reinigungsbad der Seele? Keineswegs. Es ist frevelhaft, diese Ehre dem Blut Christi zu rauben, das deswegen vergossen wurde, um uns, von aller Befleckung gesäubert, rein und frei von Schmutz Gott darzubringen. In der Besprengung unseres Gewissens mit dem heiligen Blut durch den Heiligen Geist empfangen wir die Frucht dieser Reinigung. Das wird im Sakrament besiegelt (1. Joh 1,7; 1. Petr 1,19). 328. Ist das Wasser also deines Erachtens nichts anderes als lediglich ein Abbild dieser Reinigung? Ein Abbild, ja, aber so, dass die Sache selbst damit verknüpft ist. Gott enttäuscht uns nämlich nicht, wenn er uns seine Gaben verspricht. Daher ist es auch sicher, dass uns die Vergebung der Sünden und das neue Leben in der Taufe angeboten und von uns empfangen werden. 329. Erfüllt sich diese Gnade an allen ohne Unterschied? Viele verschließen ihr durch die eigene Schlechtigkeit den Weg und machen sie so für sich wirkungslos. So wirkt sie sich nur für die Gläubigen aus. Damit geht aber dem Wesen des Sakraments nichts ab. 330. Woher kommt dann die Erneuerung? Aus dem Tod und der Auferstehung Christi zugleich. Denn sein Tod hat die Kraft, dass durch ihn unser alter Mensch gekreuzigt und die Lasterhaftigkeit unseres natürlichen Wesens gleichsam begraben wird, damit sie

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keine Macht mehr über uns hat. Dass wir aber zu einem neuen Leben im Gehorsam gegenüber Gott wiedergeboren werden, ist die Wohltat seiner Auferstehung (Röm 6,6; 1. Kor 15,22). 331. Wie verschafft uns die Taufe diese Güter? Wenn wir nicht die uns in ihr angebotenen Verheißungen verschmähen und sie so wirkungslos machen, werden wir mit Christus bekleidet und mit seinem Geist beschenkt (Gal 3,27). 332. Was müssen wir tun, um die Taufe recht zu gebrauchen? Der rechte Gebrauch der Taufe beruht auf Glaube und Buße. Das bedeutet, dass wir zunächst mit herzlichem Vertrauen fest glauben, dass wir durch Christi Blut von aller Befleckung gereinigt und so Gott wohlgefällig sind. Danach, dass wir spüren, wie sein Geist in uns wohnt, und das mit Taten gegenüber unseren Mitmenschen zeigen, und dass wir stets um Abtötung unseres Fleisches und Gehorsam Gott gegenüber bemüht sind (Kol 3,5; Röm 6,6–11). 333. Wenn das zum rechten Gebrauch der Taufe verlangt wird, wie kann man dann Kinder taufen? Glaube und Buße müssen nicht notwendigerweise immer der Taufe voran­ gehen. Sie werden nur von denen gefordert, die entsprechend ihrem Alter schon zu beidem fähig sind. Es genügt darum, wenn die Kinder die Wirkung der Taufe zeigen, nachdem sie herangewachsen sind. 334. Kannst du beweisen, dass das kein Unsinn ist? Gewiss, wenn man mir zugesteht, dass nichts, was Gott eingesetzt hat, mit der Vernunft unvereinbar ist. Mose und die Propheten lehren ja, dass die Beschneidung ein Zeichen der Buße gewesen ist, und nach Paulus auch ein Sakrament des Glaubens. Dennoch hat Gott die Kinder nicht davon ausgeschlossen (Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; Röm 4,11). 335. Muss man die Kinder also aus demselben Grund, der für die Beschneidung galt, jetzt auch zur Taufe zulassen? Genau aus demselben Grund. Denn die Verheißungen, die Gott einst dem Volk Israel gegeben hat, gelten jetzt der ganzen Welt. 336. Schließt du also daraus, dass wir dieses Zeichen für uns in Anspruch nehmen dürfen? Wer beides genau prüft, wird diesen Schluss ziehen. Christus hat uns ja nicht seine Gnade, die früher dem Volk Israel erwiesen wurde, derart mitgeteilt, dass sie bei uns weniger klar oder irgendwie verringert ist.

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Nein, er hat sie im Gegenteil noch reichlicher und voller auf uns ausgegossen. 337. Denkst du, wenn die Kinder von der Taufe ferngehalten werden, geht der Gnade Gottes etwas verloren, sodass man sagen kann, dass sie seit dem Kommen Christi verringert worden ist? Das ist ganz offensichtlich so. Wenn uns dieses Zeichen fehlt, das größte Bedeutung zur Bezeugung von Gottes Barmherzigkeit und Verheißungen hat, dann müssen wir einen hervorragenden Trost vermissen, den die Alten genießen konnten. 338. Du meinst damit also: Wenn Gott im Alten Bund, um sich als Vater der kleinen Kinder zu erklären, die Verheißung des Heils mit einem sichtbaren Zeichen ihren Körpern aufgeprägt haben wollte, so ist es nicht recht, wenn die Gläubigen nach dem Kommen Christi weniger Bekräftigung haben. Denn heute ist uns ja dieselbe Verheißung gegeben wie den Vätern, und in Christus hat Gott uns ein weit helleres Zeugnis seiner Liebe gegeben. Ja. Und da ja feststeht, dass die Kraft und die Wirklichkeit der Taufe, wenn ich so sagen darf, auch die Kinder umfasst, geschieht ihnen offensichtlich Unrecht, wenn man ihnen das Zeichen verweigern will, das doch weniger ist als die Sache selbst. 339. Mit welcher Bestimmung soll man nun die Kinder taufen? Zum Zeugnis, dass sie Erben des Segens sind, der dem Volk der Gläubigen verheißen ist, damit sie als Erwachsene die Wirklichkeit der Taufe erkennen und daraus Nutzen ziehen und bringen. 340. Gehen wir zum Abendmahl über! Da möchte ich zuerst von dir wissen: Was bedeutet das Abendmahl? Christus hat es eingesetzt, um uns zu lehren, dass unsere Seelen durch die Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut in der Hoffnung auf das ewige Leben genährt werden, und uns dessen gewiss zu machen. 341. Warum bildet das Brot den Leib, der Wein das Blut des Herrn ab (Mt 26,26–28; 1. Kor 11,23–25)? Wir sollen daraus lernen: Dieselbe Kraft, die das Brot als Nahrung des Körpers zur Erhaltung des gegenwärtigen Lebens besitzt, eignet ebenso dem Leib des Herrn als geistlicher Speise der Seelen. So wie der Wein des Menschen Herz erfreut, seine Kräfte von neuem weckt und den ganzen Menschen stärkt, so empfangen wir aus dem Blut des Herrn entsprechende Wirkungen für unsere Seele (Ps 104,15).

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342. Nähren wir uns also wirklich vom Leib und Blut des Herrn? Ja. Denn unsere ganze Heilsgewissheit beruht ja darauf, dass sein Gehorsam, den er dem Vater erwiesen hat, uns angerechnet wird, als wäre es unser eigener. Darum müssen wir ihn notwendig besitzen. Der Herr teilt uns nämlich seine Wohltaten nicht anders mit, als indem er sich uns zu eigen macht. 343. Hat er sich aber nicht schon damals hingegeben, als er sich dem Tode auslieferte, um uns als vom Urteil des Todes Erlöste mit dem Vater zu versöhnen? Das ist wohl wahr. Aber das genügt nicht, wenn wir ihn nicht jetzt empfangen, sodass Wirksamkeit und Nutzen seines Todes zu uns gelangen. 344. Empfangen wir ihn aber nicht im Glauben? Sicherlich. Doch das geschieht nicht, indem wir einfach glauben, dass er gestorben ist, um uns vom Tod zu erlösen, und auferstanden, um uns das Leben zu erwerben, sondern indem wir erkennen, dass er in uns wohnt, und wir in einer derartigen Einheit mit ihm verbunden sind, dass wir durch die Gabe dieser Einheit an allen seinen Wohltaten Anteil bekommen (Eph 3,17; 4,15 f.). 345. Erlangen wir nun diese Gemeinschaft einzig durch das Abendmahl? Nein. Paulus bezeugt uns, dass uns durch das Evangelium die Gemeinschaft mit Christus mitgeteilt wird (1. Kor 1,9). Und er lehrt das zu Recht, denn im Evangelium hören wir, dass wir Fleisch von seinem Fleisch und Gebein von seinem Gebein sind (Eph 5,30), dass er das lebendige Brot ist, das vom Himmel herabgekommen ist, um unsere Seelen zu nähren (Joh 6,51), dass wir eins mit ihm sind, wie er mit dem Vater eins ist (Joh 17,21), und ähnliches mehr. 346. Was erhalten wir darüber hinaus mit diesem Sakrament, oder welchen zusätzlichen Nutzen bringt es uns? Jene Gemeinschaft, von der ich gesprochen habe, wird in uns gefestigt und gestärkt. Christus wird uns zwar in der Taufe und im Evangelium angeboten, aber wir empfangen ihn dort nicht vollständig, sondern nur zum Teil. 347. Was erhalten wir nun mit dem Zeichen des Brotes? Der Leib Christi, der einmal für uns zur Versöhnung mit Gott geopfert wurde, wird uns jetzt so gegeben, damit wir Gewissheit erlangen sollen, dass die Versöhnung zu uns gelangt (Hebr 7,27).

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348. Und mit dem Zeichen des Blutes? Christus reicht uns sein Blut, so wie er es einmal zur Genugtuung für die Sünden und als Preis für unsere Erlösung vergossen hat, jetzt zum Trinken dar, damit wir den Nutzen, der von dort zu uns gelangen soll, empfinden (Hebr 9,29). 349. Gemäß deinen Antworten verweist uns also das Abendmahl des Herrn auf seinen Tod, damit wir an dessen Kraft Anteil bekommen? Ganz gewiss. Dort ist jenes einzige und für alle Zeit gültige Opfer gebracht worden, das zu unserem Heil genügt. Es braucht nichts weiter, als dass wir uns daran erfreuen (Hebr 9,26). 350. Das Abendmahl ist also nicht zu dem Zweck eingesetzt worden, damit man Gott den Leib seines Sohnes darbringt? Keineswegs. Er allein, der selbst der ewige Hohepriester ist, hat diese Würde inne (Hebr 5,6). Das geht auch aus seinen Worten hervor: „Nehmet, esset!“ Das hat er doch nicht vorgeschrieben, damit wir seinen Leib als Opfer darbringen, sondern damit wir uns von ihm nähren sollen (Mt 26,26). 351. Weshalb brauchen wir zwei Zeichen? Damit hat Gott unserer Schwäche Rechnung getragen, um uns noch freundlicher zu lehren, dass er nicht nur Speise, sondern auch Trank für unsere Seele ist, damit wir nirgendwo anders als allein bei ihm etwas für unser geistliches Leben suchen. 352. Sollen ohne Ausnahme alle in gleicher Weise beide Zeichen gebrauchen? So legt es Christi Auftrag fest. Davon etwas abzuschaffen und das Gegenteil anzustreben, ist schwerster Frevel. 353. Haben wir im Abendmahl nur das Zeichen für die erwähnten Wohltaten, oder wird uns dort die Sache selbst angeboten? Da unser Herr Christus die Wahrheit selber ist, gibt es gar keinen Zweifel, dass er die Verheißungen, die er uns hier gibt, auch erfüllt und mit den Abbildern die Sache selbst gibt. Ich zweifle nicht daran, dass er uns, wie mit Wort und Zeichen bezeugt, auch an seiner Wirklichkeit Anteil gibt, damit wir mit ihm in ein gemeinsames Leben zusammenwachsen. 354. Wie kann das aber geschehen, wenn der Leib Christi im Himmel ist, wir aber noch auf der Erde unterwegs sind? Er bewirkt das durch die wunderbare und verborgene Kraft seines Geistes, für den es keine Schwierigkeit bedeutet, räumlich Getrenntes und Entferntes zu verbinden.

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355. Du stellst dir also nicht vor, dass der Leib Christi im Brot oder das Blut im Kelch eingeschlossen ist? Keineswegs. Vielmehr meine ich, dass wir, um die in den Zeichen gemeinte Sache zu erlangen, unseren Sinn zum Himmel erheben müssen, wo Christus ist und von woher wir ihn als Richter und Erlöser erwarten. Ihn in diesen ganz und gar irdischen Elementen zu suchen, ist verkehrt und sinnlos (Phil 3,20). 356. Wir können deine Worte also so zusammenfassen: Im Abendmahl sind zwei Dinge beisammen, nämlich Brot und Wein, die mit den Augen gesehen, mit den Händen berührt und mit dem Geschmack wahrgenommen werden, und Christus, durch den unsere Seelen innerlich als mit der ihnen zukommenden Nahrung gespeist werden. Ja, und dadurch erhalten wir wie mit einem Pfand über unsere zukünftige leibliche Auferstehung Gewissheit, da auch der Leib an diesem Zeichen des Lebens teilhat (2. Kor 5,5). 357. Wie nimmt man nun recht und ordnungsgemäß an diesem Sakrament teil? So wie es Paulus beschreibt: Der Mensch soll sich selber prüfen, bevor er hinzutritt (1. Kor 11,28). 358. Wonach soll er bei dieser Prüfung fragen? Ob er wirklich ein Glied Christi ist. 359. An welchen Anzeichen kann er das erkennen? Daran, dass er wahre Reue und Glauben hat, seinen Nächsten aufrichtige Liebe entgegenbringt und sein Geist von allem Hass und bösen Absichten frei ist. 360. Forderst du vom Menschen Vollkommenheit im Glauben und in der Nächstenliebe? Beides soll rein und frei von aller Falschheit sein. Freilich wird man vergeblich eine in jeder Hinsicht uneingeschränkte Vollkommenheit fordern, die nichts zu wünschen übriglässt. Das wird nie in einem Menschen zu finden sein. 361. Die Unvollkommenheit, an der wir noch kranken, hält uns also nicht vom Zutritt ab? Im Gegenteil. Wenn wir alle vollkommen wären, würde das Abendmahl unter uns überflüssig. Es soll ja als Hilfsmittel zur Stütze für unsere Schwachheit dienen und zur Hilfe in unserer Unvollkommenheit.

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362. Haben die beiden Sakramente darüber hinaus keinen weiteren Zweck? Sie sind auch Zeichen unseres Bekenntnisses, wie eine Art Erkennungszeichen. Mit ihrem Gebrauch bekennen wir unseren Glauben vor den Menschen und bezeugen, dass wir in Christus eine gemeinsame Überzeugung in Glaubensdingen haben. 363. Wenn jemand ihren Gebrauch verschmäht, wofür muss man ihn dann halten? Das wäre eine ausdrückliche Verleugnung Christi. Wer sich so verhält, dass er sich nicht als Christ bekennen will, ist nicht würdig, zu ihnen gerechnet zu werden. 364. Genügt es, beide einmal im Leben empfangen zu haben? Die eine Taufe genügt für immer, sodass eine Wiederholung nicht gestattet ist. Mit dem Abendmahl verhält es sich dagegen anders. 365. Worin besteht dieser Unterschied? Durch die Taufe nimmt uns Gott als Kinder an und macht uns zu Gliedern seiner Kirche, um uns von da an als seine Angehörigen zu betrachten. Nachdem er uns in die Zahl der Seinen eingetragen hat, bezeugt er uns durch das Abendmahl, dass er dafür Sorge tragen will, uns immer zu nähren. 366. Dürfen alle unterschiedslos Taufe und Abendmahl verwalten? Das ist die besondere Aufgabe der mit dem öffentlichen Predigtamt Betrauten. Es sind zwei miteinander untrennbar verbundene Dinge, die Kirche mit der Lehre des Heils zu nähren und die Sakramente zu verwalten. 367. Kannst du mir das aus der Schrift belegen? Den Taufbefehl hat Christus ausdrücklich den Aposteln gegeben. Bei der Austeilung des Abendmahls hat er uns beauftragt, seinem Beispiel zu folgen. Außerdem berichten die Evangelisten, dass er selbst bei dessen Austeilung das Amt eines Pfarrers versehen hat (Mt 28,19). 368. Sollen nun die Pfarrer, denen die Austeilung anvertraut ist, alle unterschiedslos und ohne Auswahl zulassen? In Bezug auf die Taufe, die ja heute nur Kindern gespendet wird, können keine Unterschiede gemacht werden. Beim Abendmahl aber muss sich der Pfarrer davor hüten, es jemandem zu reichen, dessen Unwürdigkeit öffentlich feststeht. 369. Warum? Weil es eine Schmähung und Entweihung des Sakraments ist.

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370. Hat aber Christus nicht Judas trotz seiner Bosheit seiner Gemeinschaft für würdig gehalten? Allerdings. Aber damals war seine Bosheit noch verborgen. Wenn sie auch Christus nicht entgangen war, so war sie doch noch nicht ans Licht gelangt und den Menschen bekannt. 371. Was ist mit den Heuchlern? Obwohl sie Unwürdige sind, kann der Pfarrer sie nicht fernhalten. Er muss darüber hinweggehen, bis Gott ihre Verdorbenheit offenbart und den Menschen bekannt macht. 372. Und wenn ihm selbst jemand als unwürdig bekannt ist oder angezeigt wird? Auch das würde nicht zum Ausschluss von der Abendmahlsgemeinschaft genügen, solange die allgemeine Kenntnis und das Urteil der Gemeinde fehlen. 373. Es ist also wohl der Mühe wert, eine Ordnung für die Leitung der Kirche aufzustellen. Ja. Sonst sind die Kirchen in keiner guten Verfassung und nicht recht aufgebaut. Deshalb müssen Älteste gewählt werden, die der Sittenzucht vorstehen und Ärgernisse verhüten sollen. Sie sollen diejenigen von der Teilnahme am Abendmahl ausschließen, von denen sie wissen, dass sie dazu ganz unfähig sind oder nicht zugelassen werden dürfen, weil das eine Entweihung des Sakraments bedeutet.

14. Zürcher Konsens (Consensus Tigurinus) (1549) Einleitung Das reformierte Verständnis des Abendmahls hat sich in einem längeren Prozess der Auseinandersetzung herausgebildet. Huldrych Zwinglis, ­Johannes Oekolampads, Martin Bucers, Heinrich Bullingers, Guillaume Farels und Johannes Calvins Auffassungen haben es mit wechselnder Intensität geformt. Das maßgebliche Dokument ist der Consensus ­Tigurinus, die im Mai 1549 getroffene Vereinbarung zwischen der Zürcher Pfarrerschaft und Calvin über die Sakramentslehre. Der Text war das Ergebnis eines langen, in erster Linie privaten, theologischen Gesprächs zwischen Calvin und Bullinger, neben drei persönlichen Begegnungen vor allem in Briefen. Die rege, mühsame Korrespondenz erstreckte sich über die Jahre 1547–1549. Der eingehende Gedankenaustausch vollzog sich dabei in zwei Phasen: die erste nach Calvins Besuch in Zürich im Februar 1547, die zweite nach seinem Aufenthalt in der Limmatstadt im Mai 1548. An das Treffen zwischen Calvin und Bullinger Ende Mai 1549, bei dem man eine Einigung erzielte, schloss sich noch eine Nachbesserung an. Der Consensus Tigurinus wurde schließlich erst 1551 gedruckt und veröffentlicht. Die Bezeichnung selbst stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es verwundert nach dieser langwierigen Entstehungsgeschichte nicht, dass der Consensus Tigurinus nicht streng systematisch aufgebaut ist. Er lässt drei ungleiche Teile erkennen: eine kurze christologische Einleitung (Artikel 1–5), die Darlegung der Abendmahlslehre (Artikel 6–20) und eine knapp gehaltene Auseinandersetzung mit strittigen und irrigen gegnerischen Positionen zum Abendmahl (Artikel 21–26). Der Text enthält außerdem ein Vorwort von Calvin mit dem Hinweis auf die Gründe für die Abfassung des Consensus und ein von Bullinger im Namen der Zürcher Pfarrer und Professoren verfasstes Nachwort mit der Danksagung für die erreichte Einstimmigkeit und dem Wunsch, dass sie überall anerkannt werde. Die christologische Einleitung hat keine Vorgeschichte in den Verhandlungen zwischen Bullinger und Calvin; sie ist die eigentliche theologische Leistung des Einigungsgesprächs in Zürich und betont, wie die Abendmahlsfrage in die umfassendere Frage der Christologie eingebettet ist. Durch Christus allein gelangt der Mensch zu Gott. Nur wer diesen Grundsatz beherzigt, kann richtig oder angemessen über die Sakramente sprechen (Artikel 1). Um unsere Teilhabe an Christus durch Einwoh-

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nung des Geistes in uns zu bezeugen, sind die Predigt des Evangeliums und die Sakramente, nämlich Taufe und Abendmahl, eingesetzt worden (Artikel 6). Der Leib Christi befindet sich als endlicher Körper nur im Himmel und kann nur durch den Glauben gesucht werden. So ist es auch „verkehrter und frevelhafter Aberglaube, Christus unter den Elementen dieser Welt einschließen zu wollen“ (Artikel 21). Zu verwerfen sind alle jene Lehren, die „Christi himmlischer Herrlichkeit Abbruch tun oder mit der Wahrheit seiner menschlichen Natur zu wenig in Einklang stehen“ wie die römische Transsubstantiationslehre, die Umwandlung der Substanz von Brot und Wein in Leib und Blut Christi (Artikel 24), oder die lutherische Ubiquitätslehre, die Allgegenwart des Leibes Christi, denn Christus ist gemäß seiner menschlichen Natur im Himmel wie an einem Ort und von uns durch „weiten räumlichen Abstand“ entfernt (Artikel 25). Noch viel weniger erlaubt ist es, „Christus an Brot und Wein anzuheften“, „ihn im Brot anzubeten“ – eine gegen die lutherische Konsubstantiationslehre gerichtete Aussage. Die Übereinkunft wurde ermöglicht durch ein beiderseitiges theologisches Entgegenkommen, indem eine Reihe zentraler Einsichten Zwinglis und Bullingers ebenso aufgenommen wurden wie Calvins Betonung der Gegenwart Christi und mit ihr der Heilsgabe, dies jedoch entschieden verstanden als ein Werk des Heiligen Geistes. Die Verhandlungspartner waren sich dessen bewusst, einen vorläufigen Konsens erreicht zu haben, der überdies Schwächen und Zweideutigkeiten beinhaltete und von daher in mehrfacher Hinsicht als ergänzungs- bzw. korrekturbedürftig anzusehen war. Jedoch kann die theologiegeschichtliche Bedeutung des Consensus Tigurinus nicht hoch genug geschätzt werden. Dabei hat nicht nur die zwinglische Abendmahlslehre ein schärferes theologisches Profil gewonnen, das ihr vorher fehlte, auch Calvin ist so mit Bullingers Hilfe endgültig unter das reformierte Banner getreten. Obwohl der Consensus nie eigentlich den Rang einer Bekenntnisschrift erlangte, ist das Verdienst seiner Urheber kaum weniger groß, besteht es doch darin, erstmals die reformierte Abendmahlslehre erarbeitet zu haben, die im Heidelberger Katechismus (1563) und im Zweiten Helvetischen Bekenntnis (1566) ihre klassische Formulierung finden sollte. Edition Consensus Tigurinus, in: RefBS 1/2: 1535–1549, 467–490 (Bearb.: Eberhard Busch) Übersetzungen Der Consensus Tigurinus (1549), in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 4: Reformatorische Klärungen, Neukirchen-Vluyn 2002, 1–27 (Übers.: Eberhard Busch)

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Consensus Tigurinus. Die Einigung zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wertung – Bedeutung, hg. v. Emidio Campi / Ruedi Reich, Zürich 2009, 227–237 (Übers.: Philipp Wälchli) Literatur Lyle D. Bierma, The Consensus Tigurinus (1549), in: ders., Font of Pardon and New Life: John Calvin and the Efficacy of Baptism, New York 2021, 86–113 Emidio Campi / Torrance Kirby (Hg.), Reformation Debates over the Lord’s Supper (1536–1560): Sources and Impact of the Consensus Tigurinus, London 2016 Consensus Tigurinus. Die Einigung zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wertung – Bedeutung, hg. v. Emidio Campi / Ruedi Reich, Zürich 2009 Corinna Ehlers, Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59), Tübingen 2021, 138 ff. Wim Janse, Calvin’s Eucharistic Theology: Three Dogma-Historical Observations, in: Herman Selderhuis (Hg.), Calvinus sacrarum literarum interpres. Papers of the International Congress on Calvin Research, Göttingen 2008, 37–69 Einleitung: Emidio Campi; Übersetzung: Philipp Wälchli

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Zürcher Konsens (Consensus Tigurinus) (1549) Den ganz ausgezeichneten Männern und treuen Dienern Christi, den Hirten und Lehrern der Zürcher Kirche, überaus teuren Mitarbeitern und achtenswerten Brüdern entbietet Johannes Calvin den Gruß. Wenn ich auch öfter über dieselbe Angelegenheit mit euch verhandle, so glaube ich trotzdem nicht, dass ich fürchten muss, lästig zu wirken. Da wir ja beiderseits dasselbe Bestreben haben, kann es gar nicht anders kommen, als dass von euch gebilligt wird, worauf ich dringe. Dass ich aber ein wenig heftiger dränge, dazu treiben mich die anhaltenden Forderungen guter Männer an. Bereits einige Male erwähnte ich, dass zwar aus leichtem Grund, aber doch nicht ohne Vorwand sehr viele Anstoß daran nehmen, dass ich über die Sakramente irgendetwas von euch Verschiedenes zu lehren scheine. Eure Kirche, die mit so zahlreichen, überaus berühmten Gaben geschmückt ist, verehren sie mit Recht. Auch unserer Kirche und mir etwa als Privatperson messen sie etwas bei. Daher wollen sie durch unsere Schriften beim Erlernen der Lehre von der Frömmigkeit Hilfe erhalten, damit nicht irgendeine Art von Unstimmigkeit ihren Fortschritt verzögere. Weil ich glaubte, es gebe kein geeigneteres Heilmittel, um diesem Anstoß abzuhelfen, als wenn wir in vertrautem Gespräch gemeinsam die Art, unsere Übereinstimmung zu bezeugen, angingen, so habe ich, wie ihr wisst, aus diesem Grund die Abreise zu euch unternommen. Und unser verehrungswürdiger Kollege Wilhelm Farel – er ist ja ein unermüdlicher Streiter Christi, der mir sonst Führer und Gewährsmann war – weigerte sich nicht, sich als mein Begleiter anzuschließen. Wie wir zwischen uns einig sind, können wir zwar beiderseits getreulich bezeugen, doch weil ich in der Sache, wie sie steht, nicht alle überzeugen kann, so betrübt mich sehr, dass diejenigen ängstlich und ungewiss bleiben, für deren Ruhe ich bessere Vorsorge wünschte. Daher, wie ich zu Beginn schon gesagt habe, meine ich nicht, dass ich etwas Ungelegenes tue, wenn ich darauf dränge, dass es eine Art öffentliches Zeugnis jener Übereinstimmung, die zwischen uns besteht, geben soll. Ich meinerseits hielt es also der Mühe für wert, die Punkte, über die wir verhandelt haben, sowohl kurz zusammenzustellen als auch der Reihe nach zu ordnen, damit, wenn ihr meinen Ratschlag billigen werdet, jeder Beliebige gleichsam wie auf einer Tafel erkennen mag, was zwischen uns sowohl verhandelt als auch beschlossen worden ist. Gewiss werdet ihr, worauf ich vertraue, mir Zeugen sein, dass ich in gutem Glauben alles das aus unseren Gesprächen wiedergegeben habe, was ich unten angefügt habe. Dass aber wir (mich und Farel meine ich) mit gleichem Eifer wie ihr ernste, von jeglicher Schminke und List freie Klarheit gesucht

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haben, werden fromme Leser, wie ich hoffe, merken. Gleichwohl möchte ich diese darauf hingewiesen haben, dass darin nichts enthalten ist, was nicht auch alle unsere Kollegen, die unter der Herrschaft der Republik Genf oder in der Grafschaft Neuenburg in Christi Dienst stehen, mit ihrer Unterschrift gebilligt haben. Lebt wohl, ganz hervorragende Männer und mir wahrlich von Herzen zu verehrende Brüder! Der Herr fahre fort, euch beim Aufbau seiner Kirche durch seinen Geist zu leiten, und segne eure Arbeit. Genf, 1. August 1549 Es folgen die Artikel der Übereinstimmung. 1. Weil Christus das Ziel und Ende des Gesetzes ist und seine Kenntnis in sich die gesamte Fülle des Evangeliums umfasst, besteht kein Zweifel, dass das gesamte geistliche Regiment der Kirche darauf abzielt, dass es uns zu Christus führt, so wie man allein durch ihn zu Gott gelangt, der das letzte Ziel eines glücklichen Lebens ist (Röm 10,4; Joh 14,6; 17,3). Deshalb wird, wer auch immer davon nur im Geringsten abweicht, niemals über das, was Gott eingesetzt hat, richtig oder angemessen sprechen. 2. Weil aber die Sakramente Zugaben zum Evangelium sind, wird folglich derjenige sowohl passend als auch auf nützliche Weise ihre Natur, Kraft, Aufgabe und Frucht erörtern, der bei Christus beginnt, und das nicht nur, indem er beiläufig den Namen Christi berührt, sondern indem er wirklich festhält, zu welchem Zweck uns Christus vom Vater geschenkt wurde und was er uns an Gutem verschafft hat. 3. So muss man glauben, dass Christus, weil er Gottes ewiger Sohn war, von demselben Wesen und derselben Herrlichkeit wie der Vater, unser Fleisch annahm, damit er nach dem Recht der Annahme an Kindesstatt das, was er von Natur aus an Eigenem besaß, uns mitteilte, nämlich, dass wir Kinder Gottes seien. Das geschieht, wann immer wir durch den Glauben in den Leib Christi eingefügt sind, und das durch die Kraft des Heiligen Geistes, und wenn wir dabei zuerst als gerecht gelten durch die unentgeltliche Anrechnung der Gerechtigkeit und zuletzt wiedergeboren werden zu einem neuen Leben; wenn wir durch dieses nach dem Bild des himmlischen Vaters umgestaltet worden sind, geben wir den alten Menschen auf. 4. Daher müssen wir Christus in seinem Fleisch als Priester betrachten, der unsere Sünden durch das einmalige Opfer seines Todes sühnte, der alle unsere Ungerechtigkeiten durch seinen Gehorsam zerstörte, der uns

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vollkommene Gerechtigkeit erwarb und der jetzt zu unseren Gunsten eintritt, damit uns der Zugang zu Gott offensteht. Wir müssen ihn als Sühnopfer betrachten, durch das Gott mit der Welt versöhnt wurde. Wir müssen ihn als Bruder betrachten, der uns aus elenden Kindern Adams zu glückseligen Kindern Gottes machte. Wir müssen ihn als Wiederhersteller betrachten, der durch die Kraft seines Geistes alles wiederherstellt, was immer in uns mangelhaft ist, sodass wir aufhören, für die Welt zu leben und für das Fleisch, damit Gott selbst in uns lebt. Wir müssen ihn als König betrachten, der uns mit jeder Art von Gutem bereichert, der uns durch seine Kraft regiert und beschützt, der uns mit geistlichen Waffen ausrüstet, damit wir gegen Teufel und Welt unbesiegt bestehen, der uns aus jeder Schuld befreit und der uns durch das Zepter seines Mundes leitet und lenkt (Eph 6,11). Und zwar müssen wir ihn auf solche Weise betrachten, dass er uns zu sich als zum wahren Gott und zum Vater emporführt, bis sich das erfüllen wird, was am Ende geschehen wird, nämlich, dass Gott alles in allem sein wird (1. Kor 15,28). 5. Damit sich uns Christus ferner als so geartet vorstellt und eine Wirkung dieser Art in uns hervorruft, ist es nötig, dass wir eins mit ihm werden und mit seinem Leib verwachsen, weil er nicht auf andere Weise sein Leben in uns hinüberströmen lässt, außer wenn er unser Haupt ist, „von dem her der gesamte Leib durch jede Verbindung eines Dienstes zusammengefügt und verbunden ist, wie es der Arbeitsweise eines jeden einzelnen Gliedes nach seinem Maß entspricht, und den Körper zum Wachsen bringt“ (Eph 4,15 f.). 6. Geistlich ist diese Teilhabe, die wir an Gottes Sohn haben, wenn er mit seinem Geist in uns wohnt und alle Gläubigen aller guten Dinge, die in ihm ihren Sitz haben, teilhaft macht. Zum Zeugnis davon ist ebenso die Verkündigung des Evangeliums eingerichtet, wie uns der Gebrauch der Sakramente anvertraut ist, und zwar der heiligen Taufe und des heiligen Abendmahls. 7. Aber auch dies sind Ziele der Sakramente: dass sie Kennzeichen und Marken des christlichen Bekenntnisses und der Gemeinschaft bzw. Bruderschaft sind; dass sie Aufforderungen zur Danksagung und Übungen des Glaubens und auch eines frommen Lebens sind und schließlich Schuldscheine, die dazu verpflichten. Aber davon ist ein Ziel unter den andern das vorzüglichste, dass Gott uns durch sie seine Gnade bezeugt, darstellt und besiegelt. Denn auch wenn sie nichts anderes bezeichnen außer das, was durch das Wort selbst verkündigt wird, so ist dies doch etwas Großes, dass unseren Augen gleichsam lebendige Bilder vorgeführt werden, die

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unsere Sinne stärker berühren, indem sie gleichsam ins Geschehen selbst hineinführen, wenn sie uns Christi Tod und alle seine Wohltaten in Erinnerung rufen, sodass der Glaube stärker eingeübt wird, schließlich, dass das, was durch Gottes Mund verkündet wurde, gleichsam wie mit Siegeln bestätigt und bekräftigt wird. 8. Weil aber das wahr ist, was uns der Herr an Zeugnissen und Siegeln für seine Gnade gab, gewährt er selbst uns ohne Zweifel innerlich durch seinen Geist wahrhaft, was die Sakramente den Augen und anderen Sinnen bezeichnen, das heißt, dass wir uns Christus als den Brunnen alles Guten aneignen, dass wir sodann durch die Wohltat seines Todes mit Gott versöhnt werden, durch den Geist zur Heiligkeit der Lebensführung erneuert werden, schließlich die Gerechtigkeit und auch das Heil erlangen und zugleich für diese Wohltaten, die uns damals am Kreuz eröffnet, aber von uns durch den Glauben empfangen wurden und die wir jeden Tag durch den Glauben aufnehmen, wirklich Dank sagen. 9. Wenn wir daher auch, wie es recht ist, unterscheiden zwischen Zeichen und bezeichneten Sachen, so trennen wir gleichwohl die Wahrheit nicht von den Zeichen; im Gegenteil bekennen wir, dass so, wie alle diejenigen, die im Glauben die in den Sakramenten angebotenen Verheißungen annehmen, Christus auf geistliche Weise zusammen mit seinen geistlichen Gaben empfangen, ebenso auch diejenigen, die bereits an Christus Anteil erhalten hatten, jene Gemeinschaft fortsetzen und auch erneuern. 10. Denn es genügt nicht, auf die bloßen Zeichen zu achten, sondern vielmehr auf die Verheißung, die diesen angefügt ist. Soweit also unser Glaube in der Verheißung, die darin dargeboten ist, fortschreitet, soweit entfaltet sich jene Kraft und Wirksamkeit, von der wir sprechen. Daher verschafft uns die Materie von Wasser, Brot bzw. Wein keineswegs Christus und macht uns auch nicht an seinen geistlichen Gaben teilhaft, sondern vielmehr muss auf die Verheißung geachtet werden, deren Rolle es ist, uns auf dem geraden Weg des Glaubens zu Christus zu führen; dieser Glaube macht uns an Christus teilhaft. 11. Daher ist der Irrtum derjenigen hinfällig, die in Erstaunen vor den Elementen stehenbleiben und diesen das Vertrauen auf ihr Heil anheften, wo doch die Sakramente getrennt von Christus nichts als leere Hüllen sind und wo doch in all dem diese Stimme deutlich herausklingt, dass nirgendwo sonst als allein an Christus Halt und von nirgendwoher sonst die Gnade des Heils gesucht werden darf.

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12. Wenn uns ferner irgendetwas Gutes durch die Sakramente verschafft wird, dann geschieht dies nicht durch deren eigene Kraft, auch wenn man die Verheißung, mit der sie ausgezeichnet sind, erfasst. Denn Gott allein ist es, der durch seinen Geist handelt; und den Umstand betreffend, dass er sich des Diensts der Sakramente bedient, dadurch flößt er weder diesen seine Kraft ein noch nimmt es der Wirksamkeit seines Geistes irgendetwas weg, sondern entsprechend der Erkenntnisfähigkeit unseres kaum vorhandenen Verstandes wendet er sie gleichsam wie Hilfsmittel auf solche Weise an, dass die gesamte Fähigkeit zu wirken allein bei ihm selbst bleibt. 13. Wie daher Paulus anmahnt, dass derjenige, der anpflanzt oder bewässert, nichts ist, sondern allein Gott, der das Wachstum gibt (1. Kor 3,7), ebenso gilt es von den Sakramenten zu sagen, dass sie nichts sind, weil sie nichts nützen könnten, wenn nicht Gott alles insgesamt bewirkt. Werkzeuge sind sie also, durch die, wo es ihm gut scheint, Gott wirksam handelt, jedoch auf solche Weise, dass das gesamte Werk unseres Heils allein ihm selbst verdankt werden muss. 14. Wir stellen daher fest, dass es allein Christus ist, der wahrhaft innerlich tauft, der uns im Abendmahl an sich teilhaben lässt, der schließlich alles erfüllt, was die Sakramente bezeichnen, und dass er diese auch als Hilfsmittel benutzt, sodass die ganze Wirksamkeit bei seinem Geist liegt. 15. Auf diese Weise heißen die Sakramente indessen Siegel, auf diese Weise sagt man, dass sie den Glauben nähren, stärken und voranbringen; und dennoch ist allein der Geist im eigentlichen Sinne Siegel, und derselbe ist der Anreger und Vollender des Glaubens. Denn alle diese Beinamen der Sakramente liegen auf einer unteren Ebene, sodass nicht einmal der geringste Teil unseres Heils vom einzigen Urheber auf Geschöpfe oder Elemente übertragen wird. 16. Ferner lehren wir mit Nachdruck, dass Gott seine Kraft nicht wahllos an alle austeilt, welche die Sakramente empfangen, sondern nur an die Erwählten. Denn genauso, wie er nicht andere als diejenigen, die er im Voraus zum Leben vorherbestimmt hat, zum Glauben erleuchtet, ebenso bewirkt er durch die geheime Kraft seines Geistes, dass die Erwählten das erhalten, was die Sakramente anbieten. 17. Durch diese Lehre wird jene Erfindung von Sophisten von Grund auf widerlegt, die lehrt, dass die Sakramente des neuen Bundes allen, die nicht eine Todsünde als Hindernis entgegenstellen, die Gnade verschaffen würden. Denn abgesehen davon, dass in den Sakramenten nichts außer

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durch den Glauben empfangen wird, muss auch festgehalten werden, dass Gottes Gnade an dieselben nicht im mindesten gebunden ist in der Weise, dass, wer immer das Zeichen hat, sich auch der Sache bemächtigen könnte. Denn den Verworfenen werden die Zeichen genau gleich wie den Erwählten ausgeteilt, jedoch die Wahrheit hinter den Zeichen gelangt allein zu Letzteren. 18. Es ist zwar sicher, dass allen gemeinsam Christus zusammen mit seinen Gaben angeboten wird, und dass nicht durch den Unglauben der Menschen Gottes Wahrheit wirkungslos wird, sodass die Sakramente immer ihre Kraft behalten (Röm 3,3 f.); jedoch sind nicht alle für Christus und seine Gaben empfänglich. Deshalb ändert sich von Gottes Seiten nichts; soweit es aber die Menschen betrifft, empfängt ein jeder entsprechend dem Maß seines Glaubens. 19. Genauso aber, wie den Ungläubigen der Gebrauch der Sakramente nichts mehr verschafft als dann, wenn sie sich davon enthalten, ja mehr noch, verderblich für sie ist, ebenso steht für die Gläubigen außerhalb ihres Gebrauches die Wahrheit, die in ihnen bezeichnet wird, fest. So wurden durch die Taufe Paulus’ Sünden abgewaschen, die schon vorher abgewaschen waren (Kol 2,12 f.; Apg 9,15–19). So wurde dieselbe Taufe Cornelius zum „Bad der Wiedergeburt“, der aber bereits mit dem Heiligen Geist begabt worden war (Apg 10,44–48). So teilt sich uns Christus im Abendmahl mit, der sich aber auch schon vorher uns zugeteilt hatte und der dauernd in uns wohnt. Denn wenn es heißt, jeder einzelne solle sich prüfen (1. Kor 11,28), so folgt daraus, dass von einem Glaube gefordert wird, bevor man zum Sakrament geht. Jedoch gibt es Glauben nicht ohne Christus, sondern soweit der Glaube durch die Sakramente bestärkt und vermehrt wird, werden in uns Gottes Gaben bestärkt, und noch dazu wächst Christus auf eine gewisse Weise in uns und wir in ihm. 20. Der Nutzen ferner, den wir aus den Sakramenten empfangen, darf nicht im mindesten auf den Zeitpunkt, zu dem sie uns ausgeteilt werden, beschränkt werden, als ob das sichtbare Zeichen, wenn es öffentlich vorgeführt wird, in eben diesem Augenblick Gottes Gnade mit sich herbeibrächte. Denn diejenigen, die im frühesten Säuglingsalter getauft wurden, erneuert Gott während der Kindheit oder in der Jugend, indessen auch im Alter. So erstreckt sich der Nutzen der Taufe auf den ganzen Lebenslauf, weil die Verheißung, die darin enthalten ist, ewig in Kraft steht. Indessen kann es auch geschehen, dass der Nutzen des heiligen Abendmahls, der im Geschehen selbst wegen unserer Ungläubigkeit oder Trägheit kaum nützt, später seinen Gewinn hervorbringt.

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21. Vor allem aber muss jedwede Einbildung von räumlicher Gegenwart aufgegeben werden. Denn obwohl die Zeichen hier auf Erden sind, mit den Augen erkannt und den Händen berührt werden, befindet sich Christus, soweit er Mensch ist, nirgendwo sonst als im Himmel und kann nicht auf andere Weise als im Denken und mit der Erkenntnisfähigkeit des Glaubens gesucht werden. Daher ist es ein verkehrter und frevelhafter Aberglaube, Christus unter den Elementen dieser Welt einschließen zu wollen. 22. Deswegen verachten wir diejenigen, die in den feierlichen Abendmahlsworten: „Dies ist mein Leib“, „Dies ist mein Blut“ auf den genau buchstäblichen, wie sie sagen, Sinn drängen, gleichsam als verkehrte Ausleger. Denn wir gehen davon aus, dass außer Frage steht, dass im übertragenen Sinn verstanden werden muss, dass von Brot und Wein gesagt wird, sie „seien“, was sie bezeichnen. Außerdem darf es weder neu noch ungewohnt erscheinen, dass durch Bedeutungsübertragung [= Metonymie] der Name der bezeichneten Sache auf das Zeichen übertragen wird, da ja andauernd in den Schriften derartige Ausdrucksweisen begegnen, und da wir, wenn wir uns so ausdrücken, nichts anführen, was nicht bei gerade den ältesten und bewährtesten Schriftstellern der Kirche steht. 23. Dass aber durch das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes (Joh 6,53), was in den Abendmahlsworten dargestellt wird, Christus unsere Seelen mittels des Glaubens durch die Kraft seines Geistes speist, das darf nicht so aufgefasst werden, als ob es irgendeine Vermischung oder Übertragung seines Wesens gäbe. Vielmehr schöpfen wir aus seinem ein einziges Mal zum Opfer gebrachten Fleisch und seinem zur Versöhnung vergossenen Blut das Leben. 24. Auf diese Weise wird nicht nur die Erfindung der Papisten betreffend die Transsubstantiation widerlegt, sondern auch alle einfältigen Einbildungen und unnützen Spitzfindigkeiten, die Christi himmlischer Herrlichkeit Abbruch tun oder mit der Wahrheit seiner menschlichen Natur zu wenig in Einklang stehen. Denn wir beurteilen es nicht als weniger verkehrt, Christus unter dem Brot anzusiedeln oder mit dem Brot zu verbinden, als das Brot zum Wesen seines Leibes zu verwandeln. 25. Und damit auch nicht irgendeine Zweideutigkeit übrigbleibt, wenn wir sagen, dass Christus im Himmel zu suchen ist, so bedeutet uns diese Ausdrucksweise Abstand des Raumes und drückt diesen aus. Denn obwohl es, auf philosophische Weise ausgedrückt, über den Himmeln keinen Ort gibt, so muss doch Christus von uns einen so weiten räumlichen Ab-

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stand entfernt sein, wie weit der Himmel von der Erde entfernt ist, weil gleichwohl sein Leib, wie es Natur und Art des menschlichen Körpers mit sich bringt, begrenzt ist und vom Himmel wie von einem Ort enthalten wird. 26. Wenn es denn nicht recht ist, mit unserer Einbildungskraft Christus an Brot und Wein anzuheften, ist es noch viel weniger erlaubt, ihn im Brot anzubeten. Denn obwohl das Brot uns zum Zeichen und Pfand der Gemeinschaft, die wir mit Christus haben, dargereicht wird, daher machen – weil es trotzdem ein Zeichen, nicht die Sache selbst ist, und auch die Sache nicht in sich eingeschlossen oder angeheftet hat – diejenigen aus ihm ein Götzenbild, die ihr Denken darauf richten, wenn sie Christus anzubeten im Begriff sind. Antwort der Zürcher auf Herrn Calvins Schreiben. Dem treuen Hirten der Genfer Kirche, Herrn Johannes Calvin, dem überaus teuren Bruder, entbieten die Hirten und Lehrer, Diener der Zürcher Kirche, ihren Gruß. Dein ungeheurer Eifer, Calvin, ganz verehrungswürdiger Bruder im Herrn, und deine fleißige Mühe, mit denen du dich anstrengst, die Lehre von den Sakramenten von Tag zu Tag klarer zu machen und jene Anstöße mitten aus der Kirche zu entfernen, die aus einer gewissen, zu wenig deutlichen Erklärung der Geheimnisse entstanden zu sein scheinen, verursachen uns ganz und gar keine Unannehmlichkeit, da wir sie nicht nur für des Lobes und Preises würdig, sondern sogar nach unseren Kräften für unterstützens- und nachahmenswert erachten. Denn weil die hochheiligen Gesetze unseres Fürsten Jesus Christus jegliche Tätigkeit auf die Pflege der Nächstenliebe und den Eifer, sich gegenseitig zu unterstützen, zurückführen, verbieten sie auch nichts strenger, als dass irgendjemand einem anderen ein Hindernis in den Weg stellt, sodass dieser weniger richtig und wahr über dasjenige urteilt, dessen Kenntnis dem Menschen notwendig ist oder doch sicher nützlich und heilsam, oder dass er seine Pflicht schlechter erfüllt, die er bald Gott, bald seinen Nächsten schuldet; mit derselben Strenge gebieten sie, soweit es geschehen kann, geringe Anstöße zu vermeiden, an denen sich die Menschen zu stoßen pflegen. Deswegen ist uns der Grund deiner Ankunft bei uns und jene Herrn Wilhelm Farels, unseres verehrungswürdigen Bruders, höchst ehrenwert erschienen und vor allem Kirchenmännern würdig, damit wir zuerst in vertrautem Gespräch so einfach als möglich gegenseitig unsere Meinung über die Sakramente darlegten, insbesondere in jenen Punkten, in denen bisher gewiss doch irgendeine Meinungsverschiedenheit zwischen denjenigen bestand, die in den übrigen Punkten eine ziemlich reine Lehre

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des Evangeliums in großer Übereinstimmung gelehrt haben, und damit wir schließlich unsere Übereinstimmung mittels einer schriftlichen Publikation bezeugten. Wir sehen nämlich keinen anderen Weg und keine zweckmäßigere Vorgehensweise, durch die Meinungsverschiedenheiten über die Religion geschlichtet oder aber leere Verdächtigungen ausgeräumt werden, wo es keine Unstimmigkeit gibt, oder schließlich auch Anstöße, die in Gottes Kirche gelegentlich aus den abweichenden Auffassungen der Lehrer zu entstehen pflegen, beseitigt werden, als wenn die beiden Seiten, die uneinig zu sein scheinen oder tatsächlich uneinig sind, gegenseitig ganz offen ihre Auffassung bald im Gespräch, bald schriftlich erklären. Doch zu wenig wäre es, die Wahrheit, nachdem sie gefunden und erfasst wurde, unter diesen zurückzuhalten, wenn sie lehrten, dass durch das Vertrauen auf Christi Namen die Herzen gereinigt und allein durch seine Gnade die Menschen erlöst werden, einige hingegen heftig behaupteten, man müsse beschnitten werden und das Gesetz Mose halten. Daher müssen wir im höchsten Maße, Calvin, teurer Bruder, deine heiligen Anstrengungen und diejenigen aller Frommen, die danach trachten, mittels geeigneter Vorgehensweisen Anstöße zu beseitigen und den ins Wanken gebrachten Frieden sowie die Ruhe der Kirche wiederherzustellen, billigen, solange sie die christliche Lehre durch eine einfache und auch genaue Erklärung mehr und mehr klar und deutlich zu machen bestrebt sind und nichtige Ansichten von Uneinigkeit aus den Gemütern zu entfernen oder auch diejenigen, die in Wort und Meinung um einiges abgewichen sind, zur wahren, unversehrten und heiligen Eintracht zurückzuführen. Dass wir im Übrigen durch eine Veröffentlichung der Schrift, mittels der wir unsere Übereinstimmung deutlich gegenüber Frommen ebenso wie auch gegenüber den Widersachern der Wahrheit bezeugen wollten, jenen Nutzen erhoffen, den du in deinem Brief vorhersagst, dazu werden wir auch durch einen bereits gemachten Versuch gebracht. Denn wir haben die Formulierung unserer gegenseitigen Übereinstimmung an einige Brüder gesandt, und in Zürich haben wir sie einer gewissen Zahl von Männern eröffnet, die Christus und die Wahrheit lieben und keineswegs der heiligen Angelegenheiten unkundig sind; diese erkannten nicht nur, dass zwischen uns auch in jenen Punkten Einigkeit herrscht, in denen wir nach Meinung vieler Leute bisher uneinig waren, sondern sie dankten auch Christus, unserem Heiland, weil sie sahen, dass wir in Gott und der Wahrheit übereinstimmen, und versprachen große Hoffnung auf reichhaltigeren Gewinn in der Kirche. Gleichwohl hatten einige eine ausführlichere Behandlung dieses Themas wegen gewisser Geistesgrößen gewünscht, die sich aber, nachdem sie unsere Erwägungen gehört hatten, ganz leicht zufriedengaben. Denn wohin hätte es geführt, wortreich darzulegen, dass Gott der Urheber der Sakramente sei und sie für die echten

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Söhne der Kirche eingesetzt habe und wie viele Sakramente von Christus der Kirche übergeben oder aber welche von Menschen eingeführt wurden, welches die Teile der Sakramente seien oder aber an welchem Ort, zu welcher Zeit und mit welchem heiligem Gerät die Sakramentsfeiern zu begehen angemessen sei? Dass es in diesen und etlichen anderen Punkten dieser Art zwischen uns keinen Anschein oder Schatten einer Unstimmigkeit gab, beweisen die veröffentlichten Bücher genügend, die unsere Lehrer frommen und heiligen Andenkens oder wir selbst über die Sakramente verfasst haben. Von der leiblichen Gegenwart des Herrn Christus hingegen, von der echten Bedeutung der feierlichen Einsetzungsworte, über das Essen des Leibes Christi, über Ziel, Nutzen und Wirkung der Sakramente, in welchen Punkten sich nach der Meinung vieler unsere Ansichten oder doch jedenfalls unsere Worte bisher einander widersprachen, haben wir so ausführlich, so deutlich und einfach gesprochen, dass wir hoffen, gelehrte Leute würden, sei es in Hinsicht auf brüderliche Eintracht, sei es in Hinblick auf einsichtige Wahrheit, in unserer Schrift weder an Fülle noch an Klarheit der Rede etwas vermissen. Wir zweifeln auch nicht daran, dass auch die Diener der anderen Kirchen Christi in der Schweiz leicht erkennen werden, dass wir genau diejenige Lehre von den Sakramenten ausgedrückt haben, die bereits viele Jahre unter dem christlichen Volk verbreitet ist, und dass sie im Bekenntnis der Wahrheit nicht im Geringsten unter allen Völkern von uns abweichen. Das versprechen wir uns nicht ohne gewichtige Argumente von allen Frommen in den Kirchen anderer Nationen. Wenn jedoch irgendjemand eine offenkundigere Erklärung der Sakramente vorlegen sollte, ziehen wir es vor, dieselbe zusammen mit allen Frommen zu benutzen statt einen einzigen Menschen zu drängen, dass er unsere Übereinstimmung unterschreibe, in der wir Worte aus der Heiligen Schrift übernommen und in der wir offen ausgedrückt haben, in welcher Bedeutung wir diese Worte aufnehmen, und für überaus gewiss halten, dass wir in Übereinstimmung mit der allgemeinen Kirche handeln. Wenn ferner diese Schrift nicht die Anstöße all derer, die der Anschein von Unstimmigkeit zwischen uns auf den Wegen des Herrn behinderte, beseitigt hat, so halten wir dennoch dafür, dass sie ihre Aufgabe ganz klar erfüllt, dass wir nicht dunkel und auch nicht auf verlogene Weise gegenüber allen bezeugt haben, dass wir, denen Christus verliehen hat, dass wir dasselbe über die Dogmen der Religion denken und sprechen, auch in der Erklärung der Sakramente in keiner Weise voneinander abweichen. Lebe wohl, überaus geliebter Bruder! Zürich, 30. August 1549

15. Der Kleine Emder Katechismus (1554) Einleitung Der Kleine Emder Katechismus verdankt seine Entstehung dem schließlich gescheiterten Versuch Johannes a Lascos (1499–1560), die Einheit der seit den Anfängen der Reformation teils nach Zürich, teils nach Wittenberg orientierten ostfriesischen Kirche zu erhalten. Nach dem Nachlassen des Interimsdrucks und in Auswirkung des Zweiten Abendmahlsstreits traten die in der ostfriesischen Kirche vorhandenen Lehrgegensätze offen hervor. Gellius Faber, Pastor der Emder Kirche, versuchte durch einen neu verfassten Katechismus, die ostfriesische Kirche beieinander zu halten. Doch der Tod des englischen Königs Eduard VI. und die nach der Thronbesteigung Mary Tudors erfolgende Flucht der Londoner Gemeinde brachte Johannes a Lasco am 4. Dezember 1553 nach Emden zurück. In einer Zusammenkunft der ostfriesischen Prediger widerlegte er die Verdächtigungen, von der Grundlage des Zürcher Konsenses zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin abgewichen zu sein. Man beschloss, sich innerhalb der Grenzen des Zürcher Konsenses „zusammen mit seiner zutreffenden Auslegung“ zu halten, und drei Katechismen gemeinsam herauszugeben: den bislang ungedruckten Großen Emder Katechismus von 1546, den ein wenig veränderten des Gellius Faber und einen dritten für die „jungen Kinder“. Welche Ausführung dieser Beschluss gefunden hat, ist umstritten. Sicher ist, dass er nicht so ausgeführt wurde wie im Dezember 1553 beschlossen. Erschienen ist nur ein Katechismus: der Kleine Emder Katechismus vom 6. Oktober 1554. Strittig ist, ob er der geänderte Katechismus des Gellius Faber oder der im Beschluss von 1553 an dritter Stelle genannte Kinderkatechismus „für die kleinen Kinder“ ist. Doch ist dieser Katechismus nach der endgültigen Verweisung a Lascos aus Ostfriesland im Frühjahr 1555 sowohl in Emden und damit auch von Gellius Faber wie auch von den Anhängern a Lascos diskussionslos weiter verwendet worden. Offenbar war er für beide Seiten akzeptabel und nicht eng mit einer einzelnen Person oder mit der Kontroverse des Winters 1553/1554 verknüpft. Der Katechismus sollte, wie die Vorrede erkennen lässt, bei allen Predigern in der Grafschaft Ostfriesland Verwendung finden. Wie weit das der Fall gewesen ist, lässt sich nicht feststellen. Als er erschien, waren die Weichen für ein Auseinandergehen der ostfriesischen Kirche in eine lutherische und eine reformierte Konfession bereits gestellt. In den refor-

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mierten Gemeinden Ostfrieslands wurde er in der Folgezeit – neben dem Heidelberger Katechismus – als Lehrgrundlage betrachtet und bis 1888 als Katechismus im Konfirmandenunterricht gebraucht. Doch scheint seine spezifische Lehrausprägung keine gestaltende Wirkung mehr gezeitigt zu haben. Letztlich wurde inhaltlich anhand des Katechismus nichts anderes als die Lehre des Heidelberger Katechismus vermittelt. Die kirchengeschichtliche Bedeutung des Katechismus für Ostfriesland, dessen ältester erreichbarer Druck in das Jahr 1579 datiert, besteht darin, dass durch sein Erscheinen die Versuche, mittels einer stärker an die lutherische Position (Philipp Melanchthon) herangerückten Lehrgestalt eine eventuelle Einigung der unterschiedlich geprägten Strömungen in der ostfriesischen Kirche zu erreichen, unterbunden wurden. Edition Der Kleine Emder Katechismus (1554) in der Fassung von 1579, in: RefBS 1/3: 1550– 1558, 295–328 (Bearb.: Alfred Rauhaus) Literatur Henning P. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland, Tübingen 2002 Alfred Rauhaus, Untersuchungen zu Entstehung, Gestaltung und Lehre des Kleinen Emder Katechismus von 1554, Diss. Göttingen 1977 Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, in: Ostfriesland im Schutz des Deiches, hg. v. Jannes Ohling, Bd. 6, Pewsum 1974 Anneliese Sprengler-Ruppenthal, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hg. v. Emil Sehling. Fortgeführt vom Institut für evangelisches Kirchenrecht der EKD zu Göttingen, Bd. 7: Niedersachsen, Hälfte 2: Die außerwelfischen Lande, Halbbd. 1: Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland, Tübingen 1963 Jan Remmers Weerda, Der Emder Kirchenrat und seine Gemeinde. Ein Beitrag zur Entwicklung reformierter Kirchenordnung in Deutschland, ihrer Grundsätze und ihrer Gestaltung, Diss. Göttingen 1944/Habil. Münster 1948, hg. v. Matthias Freudenberg / Alasdair Heron, Wuppertal 2000 Einleitung und Übersetzung: Alfred Rauhaus

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Der Kleine Emder Katechismus (1554) Katechismus oder Kinderlehre, zum Gebrauch der Jugend in Ostfriesland durch die Diener des heiligen göttlichen Wortes zu Emden auf das Kürzeste verfasst. „Der Herr richtete ein Zeugnis auf in Jakob und gab ein Gesetz in Israel, das er unseren Vätern gebot, es ihre Kinder zu lehren, dass es die Nachkommenden lernten und die Kinder, die noch sollten geboren werden, damit sie, wenn sie herangewachsen sind, es auch ihren Kindern verkündigen, damit sie ihre Hoffnung auf Gott setzten und die Taten Gottes nicht vergäßen und seine Gebote hielten“ (Psalm 78,5–7).

Die Diener der Gemeinde zu Emden wünschen allen treuen Pastoren und Predigern der Grafschaft Ostfriesland Gnade und Friede von Gott, dem himmlischen Vater, durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen. Nachdem wir in allen unseren Versammlungen, allergeliebteste Brüder, uns gegenseitig reizen und ermahnen, Fleiß und Treue in unserem Dienst zu beweisen, damit wir aus dieser ganz verdorbenen Welt dem Herrn Christus eine ewig bleibende Kirche versammeln und dieselbe bei der Jugend und den kleinen Kindern, in dem Herrn von dem ganzen Willen Gottes recht unterrichtet, erhalten mögen, so ist vielen unseren Mithelfern unter Euch wohl bewusst, dass wir oftmals davon geredet und fast alle Brüder ermahnt haben, sie möchten doch mit höchstem Fleiß danach streben, zur Heiligung des Sabbattages in ihren Kirchen nachmittags den Katechismus zu lehren, um auf diese Weise das gemeine Volk aus den Kneipen und die Jugend von der Straße zu holen und dadurch allem unnützen Treiben, der Unzucht und Dreistigkeit zu wehren. Deswegen haben viele von Euch uns oftmals gebeten, wir möchten zu diesem Zweck einen kleinen Katechismus schreiben, welcher der Jugend eingängig wäre und den alle Prediger hier im Land einträchtig lehren sollten. Das haben wir für gut angesehen und es mit Fleiß aufs Neue getan, da die Erfahrung uns gelehrt hat, dass der Katechismus, den wir nun seit einigen Jahren gebraucht haben, länger ist, als dass man ihn zweimal im Jahr sollte gänzlich durchnehmen können, wie es der Jugend wohl nötig ist. So bitten wir Euch, geliebte Brüder, alle miteinander, Ihr wollet Euch unseren Fleiß gefallen lassen und diesen Katechismus, der nun im Druck erschienen ist, annehmen und ihn am Sabbattag in Eurer Gemeinde den Kindern und Einfältigen zu Nutze mit Fleiß lehren und treiben, damit doch die Kinder, die dem Herrn in der Taufe zugetragen wurden, in reiner und rechter Lehre zu aller Gottseligkeit dem Herrn aufgezogen werden möchten und der gemeine Mann sich von der Entheiligung des Sabbattages, von Trunksucht, Spielsucht, Kauf und Arbeit und anderen knechtischen Werken

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enthalte und den Sabbat insoweit nach dem Befehl Gottes heilige. Da wir es denn auch täglich spüren, dass bei den Alten und dem größten Teil der Welt unsere Mühe fast ganz vergeblich ist und nur ganz wenig Leute bei der reinen Lehre beständig beharren, so lasst uns doch darum ringen, dass die Kinder nicht in Unkenntnis untergehen oder durch die Bosheit der Welt verderben, sondern durch unseren Fleiß und treuen Dienst in der Lehre der guten Werke, des Glaubens, der Sakramente und der Anrufung des heiligen göttlichen Namens recht gelehrt und zur wahren Erkenntnis Gottes und Christi geführt werden. Diese Sorge und Arbeit mögen wir uns nicht verdrießen lassen, da doch die Kinder ein großer Teil der Gemeinde und Gott dem Herrn so angenehm sind, dass er seine Engel als dienstbare Geister für sie bestimmt hat und Wehe! ruft über jeden, der eines von den kleinen Kindern ärgert (Hebr 1,14; Mt 18,6). Der Herr, der allmächtige Gott, gebe uns seinen Heiligen Geist und mache uns tüchtig in diesem Amt, dass wir dem Herrn Christus mögen Gewinn tun und ihm viele Menschen zubringen, damit sie selig werden, zum Lob und Preis seines heiligen göttlichen Namens. Amen. Gegeben zu Emden im Jahr 1554, den 6. Oktober. 1. Frage. Wozu bist du als Mensch geschaffen? Antwort. Damit ich ein Bild Gottes sein und meinen Gott und Schöpfer erkennen, verherrlichen und dienen soll. 2. Frage. Wozu bist du ein Christ geworden? Antwort. Dass ich, durch die Übertretung unserer ersten Eltern in Sünde und Tod gefallen, wiederum durch die Genugtuung Jesu Christi von Sünde und Tod gerettet, ein Erbe des ewigen Lebens sein möge. 3. Frage. Woher bist du gewiss, dass du ein wahrer Christ und dieser Wohltat Christi teilhaftig bist? Antwort. Erstens aus dem Zeugnis des Heiligen Geistes, der meinem Geist durch den Glauben an Jesus Christus, meinen Hohepriester, Zeugnis gibt, dass ich ein Kind Gottes bin (Röm 8,16). Zum anderen aus dem Willen und Lust, Gott dem Herrn zu dienen, die ich nach dem inwendigen Menschen durch den Geist Gottes in mir verspüre (Röm 7,22). 4. Frage. Auf welche Weise sollst du Gott dienen? Antwort. Nicht wie es meine eigene gute Meinung, Vernunft oder Weisheit erdichtet, sondern wie es Gott selbst in seinem heiligen Wort ge­ offenbart und durch sein heiliges Gesetz von den Menschen gefordert hat.

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5. Frage. Wie lautet das Gesetz? Antwort. Das Gesetz umfasst zehn Gebote, von denen das erste Gebot so lautet: Das erste Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthaus, geführt hat. Du sollst keine anderen noch fremden Götter vor oder neben mir haben.“ Das andere Gebot: „Du sollst dir kein gegossenes noch geschnitztes Bild machen, ja gar keine Bildnisse oder Gleichnisse: weder der Dinge, die im Himmel da oben, noch dessen, das hernieder auf Erden oder dessen, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an, ehre und diene ihnen nicht. Denn ich bin der Herr, dein Gott, ein starker Eiferer; ich strafe die Bosheit der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Geschlecht an allen, die mich hassen; Barmherzigkeit aber erweise ich an tausend Geschlechtern denen, die mich liebhaben und meine Gebote halten.“ Das dritte Gebot: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz, vergebens, zu Nichtigem oder leichtfertig nennen oder missbrauchen. Denn der Herr wird den nicht als unschuldig ansehen oder ungestraft lassen, der seinen Namen unnütz, vergebens, zu Nichtigem oder leichtfertig nennt, führt oder missbraucht.“ Das vierte Gebot: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Am siebten Tag aber ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd, damit sie ruhen wie du; noch dein Ochse noch dein Esel noch all dein Vieh noch der Fremdling, der in deiner Stadt wohnt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht, das Wasser und alles, was darin ist, und ruhte am siebten Tag von aller Arbeit. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“ Das fünfte Gebot: „Du sollst deinen Vater und Mutter ehren, damit du lange Zeit lebst auf Erden und damit es dir wohlgeht im Land, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.“ Das sechste Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Das siebte Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen.“ Das achte Gebot: „Du sollst nicht stehlen.“ Das neunte Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Das zehnte Gebot: „Du sollst dich nicht lassen gelüsten nach deines Nächsten Haus noch nach seiner Ehefrau noch nach seines Knechts noch nach seiner Magd noch nach seinem Ochsen noch nach seinem Esel noch nach seinem Acker. Ja, alles, was dein Nächster hat, sollst du nicht begehren“ (Ex 20,2–17).

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6. Frage. Wie wird dies Gesetz eingeteilt? Antwort. In zwei Tafeln, von denen die erste Gott den Herrn betrifft, die andere aber den Nächsten. 7. Frage. Wie will Gott nach diesem Gesetz gedient sein? Antwort. Nachdem Gott der Herr, unser Gesetzgeber, beide, Leib und Seele, vollkommen zu seiner Ehre geschaffen hat, so will er auch nach demselben Gesetz, dass wir ihm mit Leib und Seele, inwendig und äußerlich, jederzeit und vollkommen dienen und gehorsam sind. 8. Frage. Was lernst du aus dem ersten Gebot? Antwort. Dass ich in keine Abgötter oder Geschöpfe, sondern allein in den einen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist meine Hoffnung und alles Vertrauen des Herzens setzen soll. 9. Frage. Was lernst du aus dem anderen Gebot? Antwort. Dass ich Gott den Herrn auch äußerlich in keinem Bild oder durch selbst erdachten Gottesdienst, sondern allein nach seinen Geboten und durch die gebotenen Zeremonien und Gottesdienstformen in Geist und Wahrheit anbeten und ihm dienen soll. 10. Frage. Was lernst du aus dem dritten Gebot? Antwort. Dass ich Gott den Herrn und seinen heiligen Namen, dazu auch sein Wort, Einsetzung und Werk nicht durch irgendeine Leichtfertigkeit oder Lästerung entheiligen, sondern ihn mit aller Ehrerbietung erkennen, bekennen, predigen, anrufen, loben, ihm dienen und danken soll. 11. Frage. Was lernst du aus dem vierten Gebot? Antwort. Dass ich samt meinem Hausgesinde den Sabbat oder Ruhetag des Herrn – uns zum Wohlergehen des Leibes und der Seele verordnet – nicht mit körperlicher Arbeit noch mit unnützem Müßiggang, nichtigem Handeln oder fleischlichen Werken zubringen, sondern denselben durch Übung des Glaubens, heilige Zeremonien und gute Werke, von Gott befohlen, zu seines Namens Preis heiligen und zum Wohlergehen des Leibes und der Seele verbringen soll. 12. Frage. Was lernst du aus dem fünften Gebot? Antwort. Dass ich meinen Vater und Mutter, Vormunde und Brotherren, dazu auch meine Kirchendiener und die Obrigkeit ehren, groß- und wertachten soll, ja, in allem, das nicht gegen Gott ist, ihnen gehorsam sein und mich gegen sie, nach eines jeden Stand, in allem dankbar erweisen soll.

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13. Frage. Was lernst du aus dem sechsten Gebot? Antwort. Dass ich meinem Nächsten, er sei mein Freund oder Feind, nicht zürnen, ihn nicht hassen oder töten, sondern ihn in aller Sanftmut tragen und lieben und vor aller Gefährdung Leibes und der Seele beschützen und beschirmen soll. 14. Frage. Was lernst du aus dem siebten Gebot? Antwort. Dass ich alle Unkeuschheit, Hurerei, Ehebruch samt allem Überfluss und den Ursachen, die mich zur Unkeuschheit reizen mögen, meiden soll und die Keuschheit, Zucht und Sauberkeit aller Dinge sowohl innerhalb wie außerhalb des Ehestandes lieben und beschirmen soll. 15. Frage. Was lernst du aus dem achten Gebot? Antwort. Dass ich meines Nächsten Gut nicht stehlen oder durch einen Schein des Rechts oder andere List oder Gier ihm entwenden, sondern ihm sein Gut und Nahrung verbessern und mich samt den rechten Armen und Notleidenden von meiner Arbeit ernähren soll. 16. Frage. Was lernst du aus dem neunten Gebot? Antwort. Dass ich meine Zunge bewahren, alle Lügen und üble Nachreden hassen und in allem meinem Tun und Wesen die Wahrheit lieben und fördern und meines Nächsten Schande, als ob sie meine eigene wäre, nach der Regel der Liebe bedecken soll. 17. Frage. Was lernst du aus dem zehnten Gebot? Antwort. Erstens, dass ich mich gegen den Willen Gottes nicht gelüsten lassen, sondern alle meine Lust auf die Ehre Gottes und zum Besten meines Nächsten ausrichten soll. Zum anderen lerne ich auch aus diesem Gebot, dass ich inwendig und äußerlich heilig und rein sein und Gott dem Herrn in vollkommenem Gehorsam dienen soll, wie das die Zusammenfassung des Gesetzes auch mit sich bringt. 18. Frage. Welches ist die Zusammenfassung des Gesetzes, von der du sprichst? Antwort. „O Israel, du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37–40). 19. Frage. Sind denn alle Menschen vollkommenen Gehorsam dieser Gebote schuldig? Antwort. Gewiss, sodass am Tag des Herrn auch kein Heide sein wird, den sein eigenes Gewissen dieser Schuld nicht beschuldigen wird.

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20. Frage. Was wird Gott den Gehorsamen zum Lohn und den Ungehorsamen zur Strafe geben? Antwort. Denen, die seinen Geboten vollkommen gehorsam sind, wird er das ewige Leben, und den Ungehorsamen den ewigen Tod und Verdammnis geben. 21. Frage. Können wir denn dem Gesetz vollkommen – wie gesagt – gehorsam sein? Antwort. Vor dem Fall konnten wir es wohl, aber nach dem Fall, in dieser beschädigten Natur, können wir es keinesfalls. Denn das Gesetz ist geistlich, und wir sind schwach und fleischlich und unter die Sünde verkauft (Röm 7,14). 22. Frage. Sagst du von allen Menschen, dass ihrer keiner dem Gesetz vollkommen gehorsam sein kann? Antwort. Ohne Zweifel; aber da ist durch die Kraft des Heiligen Geistes wohl ein Anfang, Fleiß und Wille zum Gehorsam gegenüber dem Gesetz in den Gläubigen, jedoch keine Vollkommenheit, die im Gericht Gottes bestehen könnte, um dadurch das Leben zu erlangen. 23. Frage. Da wir nun wegen unserer verdorbenen Natur dem Gesetz nicht genugtun noch durch unsere Werke das ewige Leben erlangen können, warum hat Gott uns armen, verdorbenen Menschen das Gesetz gegeben? Antwort. Erstens, damit es uns klar vor Augen halte, was für Menschen wir sein und was wir tun und lassen sollen. Zum anderen und am meisten, damit es uns bezeuge, dass wir – weil wir die Gerechtigkeit Gottes, die im Gesetz zum Ausdruck gebracht ist, nicht haben –, mit Recht und aus uns selbst dem ewigen Leben entfremdet, dem Zorn Gottes, Fluch, Tod und Verdammnis unserer Sünde wegen unterworfen sind. 24. Frage. Wo soll dann der arme und verdammte Mensch, auf diese Weise durch das Gesetz erschreckt, Trost suchen? Antwort. Nicht bei sich selbst noch bei irgendeinem anderen Geschöpf im Himmel oder auf Erden, sondern allein durch den Glauben an den einzigen Mittler und Heiland Jesus Christus, der uns durch die Lehre des heiligen Evangeliums offenbart wird, zu welcher uns Gott durch das Gesetz wie durch einen Zuchtmeister leitet, in die Enge treibt und drängt (Gal 3,24). 25. Frage. Wie unterscheidest du zwischen dem Gesetz und dem Evangelium? Antwort. Das Gesetz lehrt uns, was für Menschen wir sein, was wir tun oder lassen sollen, und fordert vollkommenen Gehorsam von uns. Es ver-

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dammt auch alle, die keinen vollkommenen Gehorsam erzeigen. Es verheißt zwar Barmherzigkeit und Leben, jedoch allein den Würdigen. Das Evangelium aber lehrt uns, dass wir alle unwürdig sind, und verheißt den Bußfertigen, sofern sie glauben, umsonst, um Jesu Christi willen, Vergebung der Sünde, Zurechnung der Gerechtigkeit, den Heiligen Geist und das ewige Leben. 26. Frage. So müssen wir über die soeben dargelegte Lehre des Gesetzes hinaus auch an Jesus Christus glauben? Antwort. Ja gewiss. Denn es ist unmöglich, ohne den Glauben Gott zu gefallen (Hebr 11,6). Aus ihm kommt auch der neue Gehorsam der guten Werke bei den Kindern Gottes, nach dem sie zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nächsten mit Fleiß beständig trachten. 27. Frage. Was ist der wahre Glaube? Antwort. Eine gewisse Zuversicht oder Vertrauen, aus Gottes Wort durch den Heiligen Geist in unseren Herzen erweckt, hinsichtlich des guten und seligmachenden Wohlwollens des himmlischen Vaters uns gegenüber, durch das Verdienst unseres einzigen Mittlers Jesus Christus uns erworben. Von den Artikeln des Glaubens 28. Frage. Was sollen wir glauben? Antwort. Genau das, was in einer kurzen Zusammenfassung aus der Heiligen Schrift auf das Allerdeutlichste in den zwölf Artikeln unseres christlichen Glaubens zusammengestellt ist. 29. Frage. Wie lauten die Artikel? Antwort. „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtig, Schöpfer Himmels und der Erde.“ Der andere Artikel. „Ich glaube an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unsern Herrn.“ Der dritte. „Der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Der vierte. „Der gelitten hat unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Niedergefahren zur Hölle.“ Der fünfte. „Der am dritten Tag wieder auferstanden ist von den Toten.“ Der sechste. „Aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zu der rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters.“ Der siebte. „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Der achte. „Ich glaube an den Heiligen Geist.“

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Der neunte. „Eine heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.“ Der zehnte. „Vergebung der Sünde.“ Der elfte. „Auferstehung des Fleisches.“ Der zwölfte. „Und ein ewiges Leben.“ 30. Frage. Was glaubst du in dem ersten Hauptartikel von Gott dem Vater? Antwort. Dass der ewige und lebendige Gott uns und alle Kreaturen geschaffen hat und erhält, und dass er uns in Jesus Christus als Kinder angenommen hat und ein gnädiger Vater ist. 31. Frage. Was glaubst du in dem anderen Hauptartikel von Jesus Christus? Antwort. Dass Jesus Christus der wahre, ewige und eingeborene Sohn des Vaters sei, wahrer Gott mit Gott, durch welchen alle Dinge geschaffen sind, den ich, weil er uns erlöst hat, als unseren Herrn und Erlöser erkenne (Joh 1,3). 32. Frage. Wie hat er das Werk unserer Erlösung vollbracht? Antwort. Genau so, wie die folgenden Artikel es vermelden. 33. Frage. Was glaubst du nach den Worten des Artikels: „der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren von den Jungfrau Maria“? Antwort. Ich glaube, dass der Sohn Gottes zu der vorherbestimmten Zeit nach den Verheißungen den Samen Abrahams von der Jungfrau Maria rein, ohne jede Befleckung der Sünde, durch die Kraft des Heiligen Geistes angenommen hat und die wahre verheißene Frucht der Lenden Davids ist; er ist des Fleisches und Blutes, das die Kinder haben, teilhaftig geworden und als ein wahrer Mensch, uns in allem gleich, ausgenommen die Sünde, geboren (Hebr 2,17; 4,15). Sodass er nun wahrer Gott und Mensch in einer Person, unser einziger und ewiger Mittler und Hohepriester ist. 34. Frage. Was hat Jesus Christus als unser Mittler und Hohepriester zu unserer Erlösung getan? Antwort. Er hat gelitten unter dem Richter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, und ist niedergefahren zur Hölle. 35. Frage. Was glaubst du damit? Antwort. Ich glaube, dass Jesus Christus, mein Hohepriester, sich selbst zu meiner Erlösung am Holz des Kreuzes geopfert und an seinem Leib den allerschrecklichsten Tod und Strafe – der wir nach dem Gesetz schuldig wären – gelitten hat.

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36. Frage. Was mehr? Antwort. Dass er auch darüber hinaus neben der Anfechtung des äußerlichen, zeitlichen Leidens inwendig an seiner Seele den Zorn Gottes und die Pein der Hölle geschmeckt und mich von derselben erlöst hat; und ist zur Sicherheit seines Todes und zur Heiligung meines Begräbnisses begraben worden. 37. Frage. Hat unser Hohepriester noch mehr zu unserer Erlösung vollbracht? Antwort. Ja, er ist am dritten Tag wieder auferstanden von den Toten. 38. Frage. Was glaubst du damit? Antwort. Ich glaube und bekenne, dass, nachdem Christus Jesus das Gesetz vollkommen gehalten hatte und ihm deswegen nach den Verheißungen des Gesetzes das ewige Leben zukäme, dass sein Leib in dem Grab nicht verwest ist, sondern dass er seine Seele – wie es recht und billig ist – am dritten Tag durch seine göttliche, lebendige Kraft wieder an sich genommen hat, und, von den Toten auferstanden, sich als ein Überwinder der Sünde, des Todes und der Hölle erwiesen und uns die wahre Gerechtigkeit samt dem ewigen Leben wiedergebracht hat. 39. Frage. Was glaubst du weiter von Christus, dass er zu unserem Nutzen und Seligkeit getan haben soll? Antwort. Er ist aufgefahren zum Himmel und hat sich zur Rechten Gottes, seines allmächtigen Vaters, gesetzt. 40. Frage. Was glaubst du damit? Antwort. Ich glaube, dass mein Herr Jesus Christus nach seiner menschlichen Natur nicht mehr leiblich hier auf der Erde, sondern, von der Erde in den Wolken aufgenommen, bei seinem Vater im Himmel ist und in Ehre und Herrlichkeit über alle Kreaturen herrscht. Von dort her, durch seinen Geist und göttliche Kraft beständig gegenwärtig, erhält, regiert, beschützt und beschirmt er auch seine Gemeinde bis zum Ende der Welt. 41. Frage. Was wird Christus darüber hinaus zu unserer Seligkeit tun oder vollbringen? Antwort. Er wird von dorther kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. 42. Frage. Was glaubst du damit? Antwort. Ich glaube, dass er am Jüngsten Tag mit seinem verklärten Leib, in dem er aufgefahren ist in die Herrlichkeit des Vaters, mit seinen Engeln

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in den Wolken der Luft wesenhaft und sichtbar – wie er vor den Augen seiner Jünger weggenommen wurde – wiederkommen wird (1. Thess 4,17; Apk 1,7), um die zu richten, die bei seiner Wiederkunft noch am Leben sein werden, und die, die vom Anfang der Welt an leiblich gestorben sind. 43. Frage. Was glaubst du in dem dritten Hauptartikel von dem Heiligen Geist? Antwort. Dass der Heilige Geist mit Gott dem Vater und dem Sohn ein einziger und ewiger Gott ist, und dass er mich samt allen, die zu Christus gehören, heiligt, unsere Herzen zum Glauben erweckt und uns so zu einem neuen Leben und einer lebendigen Hoffnung unserer Seligkeit wiedergebiert, uns in allen vorhandenen Nöten tröstet, stärkt, lehrt, ermahnt und in alle Wahrheit führt (Joh 16,13). 44. Frage. Sind diese drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist ein einziger wahrer Gott? Antwort. Gewiss, denn so lehrt es uns die ganze Schrift und unsere Taufe, in welcher wir in keinen anderen als in den einen Gott und dennoch, nach dem Befehl Christi, in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werden. 45. Frage. Was glaubst du in dem nachfolgenden Artikel: eine heilige, christliche Kirche oder Gemeinde? Antwort. Ich glaube, dass mein Herr Jesus Christus aus dieser verdorbenen bösen Welt durch den Heiligen Geist und die Stimme des heiligen Evangeliums sich von Anbeginn der Welt an eine ewige, heilige, bleibende Kirche oder Gemeinde der Auswählten versammelt hat und sie erhält, von welcher Gemeinde ein Glied zu sein ich mich bekenne. 46. Frage. Was an Gutem erlangt diese Gemeinde? Antwort. Eben das, was die nachfolgenden Wörter und Artikel bezeugen, nämlich: Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünde, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. 47. Frage. Wie verstehst du die Wörter: Gemeinschaft der Heiligen? Antwort. Ich verstehe sie so, dass, wie die wahren Glieder der Gemeinde Christi an ihrem Haupt und allen seinen Wohltaten miteinander Gemeinschaft haben, sie auch genauso durch die Liebe ihre Gaben zur Auferbauung gemeinsam haben.

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48. Frage. Was glaubst du in dem Artikel: Vergebung der Sünde? Antwort. Ich glaube, dass in der Gemeinde Christi eine wahre und ewige Vergebung der Sünde für den Bußfertigen und Gläubigen vorhanden ist, allein aus lauter Gnade durch den einzigen Mittler Jesus Christus, unseren Herrn. 49. Frage. Was glaubst du in den beiden letzten Artikeln: Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben? Antwort. Ich glaube, dass ein jegliches Glied der Gemeinde Christi von Anbeginn der Welt – wie verächtlich es hier auch gewesen und gestorben ist – im Jüngsten Gericht in seinem eigenen Leib, darin es hier gelebt hat, zu unaussprechlicher Herrlichkeit von dem leiblichen Tod wieder auferstehen und das ewige Leben mit seinem Haupt an Leib und Seele erben und besitzen soll. 50. Frage. Was soll den Unbußfertigen, Gottlosen und Ungläubigen, die Christus und seine Gemeinde hier verachtet haben, widerfahren? Antwort. Die werden wohl auch in ihrem Leib vom zeitlichen Tod wieder auferstehen, aber zu ihrer ewigen Schande, und werden dementsprechend mit ihrem Haupt, dem Teufel, mit Leib und Seele in den Abgrund der Hölle verstoßen und ewig verdammt werden. 51. Frage. Mag auch wohl die rechte, wahre Gemeinde Christi äußerlich erkannt werden, auch wenn sie schon in die ganze Welt verstreut ist? Antwort. Gott der Herr hat in seiner Kirche einen bestimmten Dienst eingerichtet, nämlich die reine Predigt des heiligen göttlichen Wortes, den rechten Gebrauch der heiligen Sakramente und die äußerliche Kirchenzucht, welchen Dienst die wahre christliche Gemeinde beständig unterhält, sofern sie den recht und rein haben und bekommen kann; und sie wird durch denselben von allen gottlosen Versammlungen abgesondert. 52. Frage. Worin besteht die reine Predigt des heiligen göttlichen Wortes? Antwort. In der rechten Erklärung des Gesetzes und des heiligen Evangeliums, von denen bisher in diesem Katechismus geredet ist. Von den Sakramenten 53. Frage. Was sind die Sakramente der christlichen Gemeinde? Antwort. Es sind heilige Handlungen oder äußerliche Zeremonien, von dem Herrn Jesus Christus in seiner Gemeinde angeordnet und neben der Lehre des heiligen Evangeliums unserer Schwachheit wegen eingesetzt.

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54. Frage. Zu welchem Zweck? Antwort. Zum ersten, dass sie uns die Zusagen des heiligen Evangeliums hinsichtlich der unverdienten Vergebung unserer Sünden und der Gemeinschaft der Gerechtigkeit Christi aufs Deutlichste vor Augen stellen, bezeugen und versiegeln und unseren Glauben an die gute Gabe Gottes und das Verdienst Christi üben und stärken. Zum anderen, dass sie uns wiederum an unsere Pflicht gegenüber Gott und unseren Nächsten gemahnen und uns zur Dankbarkeit, Liebe, Treue und zum Gehorsam gegen seinen Willen bewegen. 55. Frage. Wie viele solcher Sakramente gibt es? Antwort. Zwei, nämlich die Taufe und das Nachtmahl, uns alle beide von dem Herrn Christus sehr ernstlich befohlen. Von der Taufe 56. Frage. Wie lautet der Taufbefehl? Antwort. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin in alle Welt und lehrt alle Völker und tauft sie in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,18–20). Daran er sogleich seine Zusage anhängt und sagt: „Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden. Wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk 16,16). 57. Frage. Was ist die Taufe? Antwort. Eine heilige Einsetzung Gottes, durch welche alle Glieder der Gemeinde Christi, sowohl unmündige kleine Kinder wie auch erwachsene Gläubige, mit Wasser in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes auf rechte Weise getauft werden. 58. Frage. Zu welchem Zweck hat Gott die Taufe eingesetzt? Antwort. Vor allem zu dem Zweck, dass er mir und allen Gliedern der Gemeinde Christi dadurch kräftig vor Augen stelle, bezeuge und versiegele, dass, obwohl wir von Natur Sünder, unrein und Kinder des Zorns sind (Eph 2,3), doch so gewiss von unseren Sünden aus Gnade durch Christus gewaschen, mit seiner Gerechtigkeit bekleidet und von Gott als Kinder angenommen sind, wie unsere Leiber in der Taufe mit Wasser getauft, besprengt oder gewaschen werden. 59. Frage. Bezeugt uns die Taufe allein die Vergebung unserer angeborenen Sünden und der Sünden, die wir vor der Taufe getan haben? Antwort. Nein, sondern auch die gewisse und ständige Vergebung aller unserer Sünden, die wir das ganze Leben hindurch aus Schwachheit be-

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gehen mögen und für die wir Vergebung durch Jesus Christus im Geist und Glauben von Gott dem Herrn erbitten werden. 60. Frage. Zu welchem weiteren Zweck ist die Taufe eingesetzt? Antwort. Dass sie uns ermahne, dass wir alle Tage unseres Lebens mit dem Sündigen aufhören sollen und unser verdorbenes Fleisch mit allen seinen Lüsten töten und in Erneuerung des Lebens einhergehen. 61. Frage. Womit beweist du, dass man die Kinder der Gemeinde Christi auch taufen soll? Antwort. Damit, dass sie zum Bund und zu der Gemeinde Gottes gehören und ihnen aus Gnade die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes samt der ewigen Seligkeit zukommt. Desgleichen damit, dass die Taufe eingesetzt ist zur Versiegelung dieser und dergleichen Gnade, durch welche sie als Kinder angenommen, als bußfertig, gläubig, heilig und für solche, die das Reich Gottes annehmen, von Gott angesehen werden. Desgleichen damit, dass wir alle, die zum Leib gehören, ohne Unterschied der Glieder in einen Leib getauft werden, und damit, dass Christus seine Gemeinde geliebt hat und auch für die Kinder der Gemeinde gestorben ist (Eph 5,25). Darum soll man ihnen die Taufe nicht mehr als den Erwachsenen verwehren. 62. Frage. Die Kinder verstehen aber das Geheimnis der Taufe nicht. Antwort. Das ist wohl wahr, aber hier muss man wissen: zum ersten, dass die angeborene Schwachheit und Verfehltheit der Natur – die Christus getragen hat und die ihnen um Christi willen nicht zugerechnet wird – nicht hindern kann, dass Gott ihnen seine Gnade versiegelt, wie es in der Beschneidung geschah, an deren Stelle die christliche Gemeinde die Taufe von dem Herrn empfangen hat. Zum anderen, dass wegen des Unverstands der Kinder die Taufe, die ihnen gegeben wird, nicht unnütz gewesen sei; sonst müsste es unnütz gewesen sein, dass Christus die unverständigen Kinder segnete und die Hände auf sie legte. Von dem hochwürdigen Nachtmahl 63. Frage. Wie lautet die Einsetzung des Nachtmahls? Antwort. „Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten wurde, nahm er das Brot, dankte und brach es und gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben oder gebrochen wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendessen und gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus. Das ist der Kelch des Neuen Testaments in meinem

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Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünde. Solches tut, sooft als ihr es trinkt, zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19 f.; 1. Kor 11,23–25). Und sie haben alle daraus getrunken. 64. Frage. Was ist das Nachtmahl Christi? Antwort. Es ist eine heilige Handlung, die nach ihrem Geheimnis die Gemeinschaft des wahren Leibes und Blutes Christi Jesu in sich fasst, von dem Herrn Jesus Christus selbst im Genießen des Brotes und Weines zu seinem Gedächtnis eingesetzt, um in der Versammlung nach seinem Befehl, bis er kommt, gehalten zu werden (1. Kor 11,26). 65. Frage. Wozu ist es vor allem eingesetzt? Antwort. Zum ersten, dass es allen Gläubigen – durch die Kraft des Heiligen Geistes – bezeuge, versichere und versiegele die selige Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi mit allen Früchten und Gaben, die er uns durch seinen Leib und sein Blut erworben hat. 66. Frage. Woher beweist du das? Antwort. Aus den Worten des Nachtmahls, denn als er uns gebot, seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken, das meint: durch den Glauben unsere Speise und Trank zum ewigen Leben von seinem Leib und Blut zu nehmen, hängt er daran: das für euch gegeben wird (Lk 22,19; 1. Kor 11,24). Ebenso: Das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28). 67. Frage. Was verstehst du daraus? Antwort. Da wir seines Leibes und Blutes teilhaftig sind, Fleisch von seinem Fleisch und Knochen von seinen Knochen, er unser Haupt und wir seine Glieder durch den Glauben: So versteh ich daraus, dass wir auch teilhaftig sind all dessen, das er durch seines Leibes Opfer und das Vergießen seines Blutes erworben hat, nämlich Versöhnung mit Gott dem Vater, Vergebung der Sünden, die Gerechtigkeit und das ewige Leben. 68. Frage. Wozu ist es weiter eingesetzt? Antwort. Dass es den Tod Christi in stetem Gedächtnis halte und uns ermahne, dass wir dem Herrn Jesus Christus für solche Wohltat loben und danken und unsere Dankbarkeit durch Absterben der Sünden – um derentwillen Christus gestorben ist – und Erneuerung des Lebens beweisen. 69. Frage. Erinnert uns das Nachtmahl auch an etwas anderes? Antwort. Ja, dass wir uns untereinander nach dem Beispiel Christi lieben und dienen, uns an die Zeremonien und Bekenntnisse Christi halten

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und uns dadurch von allen Sekten und falschem Gottesdienst absondern sollen. Zuletzt, dass wir uns auch zum Kreuz und Leiden in Gehorsam, Geduld und Beständigkeit bereiten sollen. Von der Kirchenzucht 70. Frage. Wie lautet die Einsetzung der Kirchenzucht? Antwort. „Sündigt dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm alleine. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so haltet ihn als einen Heiden und Zöllner. Wahrlich ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, das soll auch im Himmel gebunden sein. Und was ihr auf Erden auflösen werdet, das soll auch im Himmel los sein“ (Mt 18,15–18). 71. Frage. Was ist die äußerliche Kirchenzucht? Antwort. Es ist eine Einsetzung Christi, durch welche ein jedes Glied der ganzen Gemeinde verpflichtet ist, seinen gefallenen Bruder ordentlich nach Gottes Wort zu ermahnen und zu strafen, während wiederum ein jeder, der gefallen ist, die Ermahnung und Strafe mit bußfertigem Herzen ganz willig zu seiner Besserung annehmen soll. 72. Frage. Wenn jemand alle Ordnung der Ermahnung mit unbußfertigem Herzen verachtet, wie soll man mit dem weiter verfahren? Antwort. So müssen die Diener samt den Ältesten mit Einverständnis der Gemeinde den Ungehorsamen und Halsstarrigen ausschließen und bannen, aber wenn er, nach der Ausschließung ermahnt, sich zum Herrn bekehren sollte und der Gemeinde genugtut, ihn wiederum aufnehmen. 73. Frage. Warum hat Christus diese Kirchenzucht eingesetzt? Antwort. Damit der arme Sünder dadurch bekehrt und alle Ärgernisse aus der Gemeinde gewehrt und die Gemeinde in gesunder Lehre und Leben erhalten werde und auch Gottes Name bei denen, die draußen sind, nicht verlästert werde. 74. Frage. Gibt es auch noch eine andere Strafe der Bösen, von Gott in der christlichen Gemeinde verordnet? Antwort. Ja, die Strafe der Obrigkeit. Denn sie trägt das Schwert nicht vergebens und ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe gegenüber denen, die Böses tun, zum Guten aber und Lob den Frommen.

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75. Frage. Sind wohl alle Kinder Gottes, die sich zu der äußerlichen Gemeinde Christi fügen oder als deren Glieder gerechnet werden? Antwort. Keineswegs. Denn da sind wohl viele Heuchler darunter. Aber das sind allein Kinder Gottes und lebendige Glieder der Gemeinde Christi, die sich in den genannten Stücken mit gläubigem Herzen üben, tüchtig halten und Gott den Herrn täglich um Mehrung der Gottseligkeit bitten. Vom Gebet 76. Frage. Ist uns zur christlichen Religion auch etwas anderes nötig als die reine Lehre, im Gesetz und Evangelium verfasst, und der rechte Gebrauch der heiligen Sakramente samt der äußerlichen Kirchenzucht? Antwort. Ja, das Beten, welches der Herr Jesus Christus seinen Christen als ein Heilmittel gegen ihre Schwachheit hinterlassen und befohlen hat, um alle Güter, die sie zu Recht begehren mögen, dadurch zu erlangen, und allem Bösen oder Schaden dadurch zu entgehen. 77. Frage. Welche Ursachen sollen uns zum Gebet bewegen? Antwort. Zum ersten unser Elend, Not und Gebrechen, danach die Güte Gottes, der uns verspricht, alles, was wir recht bitten, zu geben. Zuletzt der Befehl Gottes, der uns zum Beten verpflichtet. 78. Frage. Welches ist denn ein rechtschaffenes Gebet, das Gott erhören will? Antwort. Dass wir im Namen Christi in Geist und Wahrheit von Gott, dem himmlischen Vater, bitten (Joh 4,24). 79. Frage. Was sollen wir bitten? Antwort. Das wird uns alles eins nach dem anderen ordentlich in dem Vaterunser von dem Herrn Jesus Christus kundgetan, denn dasselbe hat er seinen Jüngern als ein vollkommenes Vorbild aller christlichen Gebete hinterlassen, sodass alle Gebete, die mit diesem Vorbild nicht übereinstimmen, mit Recht als unchristliche Gebete angesehen und verworfen werden. 80. Frage. Wie lautet das Gebet, uns von Christus gelehrt und hinterlassen? Antwort. „Unser Vater, der du bist im Himmel. Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Unser tägliches Brot gib uns heute. Vergib uns unsere Schulden, wie wir unseren Schuldnern vergeben. Und führe uns nicht in Versuchung.

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Sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen“ (Mt 6,9–13). 81. Frage. Was lernst du aus der Anrufung, wenn du sagst: „Unser Vater, der du bist im Himmel“? Antwort. Dass ich den allmächtigen Gott im Himmel, der in Christus Jesus mein gnädiger Vater ist, mit kindlichem Vertrauen bitten und deshalb von seiner väterlichen Gunst und allmächtigen Kraft alles, was ich nach und um Christi willen bitte, erwarten und erlangen soll. 82. Frage. Was bittest du im ersten Gebet, wenn du sagst: „Geheiligt werde dein Name“? Antwort. Dass der Name Gottes durch die reine Predigt des göttlichen Wortes in der ganzen Welt recht erkannt und dadurch groß und heilig in aller Menschen Herzen gehalten und vor den Menschen bekannt werde. 83. Frage. Was bittest du im anderen Gebet, wenn du sagst: „Dein Reich komme“? Antwort. Dass der Heilige Geist Gottes mit seinen Gaben und Dienst reichlich in und unter uns allen wohne, uns regiere und in seinem Reich hier erhalte, bis wir mit Leib und Seele sein ewiges Reich erben. 84. Frage. Was bittest du im dritten Gebet, wenn du sagst: „Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel“? Antwort. Dass wir in Überwindung unseres Fleisches zu dem guten Willen Gottes – im Gesetz und Evangelium offenbart – Lust und Liebe haben mögen und in unserer Gott wohlgefälligen Berufung in vollkommenem Gehorsam wandeln wie die Engel im Himmel. 85. Frage. Bittest du denn in diesen drei Gebeten zugleich alles, was zur Ehre Gottes und zur Wohlfahrt unserer Seligkeit gehört? Antwort. Ja, denn wir können nicht bitten, dass Gottes Ehre in und bei uns gefördert werde, wenn wir nicht zugleich mit erbitten, was zu unserer Seligkeit nötig ist, wie Glaube, Hoffnung und Liebe, wodurch Gottes Ehre bei uns und auch unsere Seligkeit gesucht wird. 86. Frage. Was bittest du im vierten Gebet, wenn du sagst: „Gib und heute unser tägliches Brot“? Antwort. Dass wir alles, was zum notwendigen Unterhalt und Wohlfahrt des zeitlichen Lebens für uns und unseren Nächsten dient, wie Kost und Kleider, Friede und Gesundheit, erlangen mögen, sofern es uns heilsam ist.

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87. Frage. Wozu ermahnen die Wörter dieses Gebets? Antwort. Zum ersten, dass wir alle Tage bitten sollen. Zum anderen, dass wir unseres Leibes Notdurft nicht eigentlich von unserer Arbeit, Kraft oder Weisheit, sondern von Gottes Hand erwarten sollen. Zum dritten, dass wir uns um unsere zeitliche Notdurft keine Sorgen machen, sondern mit dem, was Gott uns täglich gibt, zufrieden sein und den Armen von unserem Überfluss mitteilen sollen. 88. Frage. Was bittest du in den folgenden Gebeten? Antwort. Wie ich in den vorhergehenden vier Stücken um alles gebeten habe, was uns an Leib und Seele zu erlangen nötig ist, so bitte ich in den folgenden Gebeten, dass Gott auch alles, was uns nun oder in kommenden Zeiten an Leib, Seele oder an zeitlichen Gütern schädlich ist, abwehren möge und geringer mache oder darin Geduld nach seinem Willen gebe. 89. Frage. Was bittest du im fünften Gebet, wenn du sagst: „Vergib uns unsere Schulden, wie wir unseren Schuldnern vergeben“? Antwort. Zum ersten, dass Gott der himmlische Vater uns durch Jesus Christus unsere Sünde und die Strafe derselben vergebe. Zum anderen, dass uns Gott in Zukunft ein bußfertiges Herz verleihe, um die Sünde und alle Ursachen der Sünde zu hassen und zu meiden. Zum dritten, dass er durch seine Güte wiederum unsere Herzen in der Weise beständig bewege, dass wir unseres Nächsten Schwachheit tragen und ihm seine Fehler gegen uns von Herzen vergeben können. 90. Frage. Was bittest du im sechsten Gebet, wenn du sagst: „Führe uns nicht in Versuchung“? Antwort. Dass unser gnädiger Vater uns jetzt und in Zukunft vor aller schädlichen Versuchung Leibes und der Seele behüten oder uns durch seine allmächtige Kraft durch alle Anfechtungen, sowohl zum Vorteil oder zum Nachteil gereichend, hindurchführen wolle, damit wir nicht darin untergehen, sondern durch den Glauben den Sieg behalten. 91. Frage. Was bittest du im siebten Gebet, wenn du sagst: „Erlöse uns von dem Bösen“? Antwort. Da der Teufel eine Ursache und ein Brunnen aller bösen Versuchung, ja alles Bösen ist, so bitten wir, dass der starke Gott, unser himmlischer Vater, uns vom Teufel und aller seiner mörderischen Gewalt, von der Sünde, Tod und allem Übel, beides, Leibes und der Seele, gnädig rette und erlöse.

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92. Frage. Was bedeuten die Wörter, die Christus am Ende anhängt: „Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“? Antwort. Da unserem Gott allein das Reich, alle Gewalt und Ehre zukommt und wir uns auch in unseren Gebeten allein auf seine Macht und Güte durch Christus verlassen, so ermahnen wir ihn durch diese Wörter, dass er unsere Gebete zu seines Namens Preis erhören und uns zuletzt vom Teufel, seinem und unserem Feind, der sich alle Gewalt und Ehre zuschreibt, erlösen wolle. 93. Frage. Was verstehst du unter dem Wörtlein Amen, das man, wie es recht ist, an ein jedes Gebet anhängen soll? Antwort. Das heißt so viel wie: Es werde wahr, oder: Es geschehe, oder auch: Es wird auch gewiss geschehen. 94. Frage. Wessen ermahnt uns diese Bedeutung? Antwort. Dass wir alle unsere Gebete mit brennendem und gläubigem Herzen an Gott richten sollen und, getröstet durch die Zusage Gottes, nicht zweifeln, Gott der Vater habe unser Gebet durch seinen Sohn Christus erhört. Ende Von der Wahrheit und Autorität der Schrift Nachdem uns der Herr Jesus Christus und der Apostel Paulus ein Beispiel hinterlassen haben, die Gemeinde, wenn sie recht gelehrt ist, auch vor falschen Lehrern und Lehre zu warnen, und nun heutigen Tages viele verführerische Geister in unserer Mitte aufstehen, die unsere Lehre nicht allein nicht annehmen, sondern auch jeden aus der Schrift genommenen Beweis, ja die ganze biblische Schrift verwerfen, so will es nötig sein, dass wir auch hier unsere Gemeinden vor solchen Geistern warnen und sie wappnen und an diesen Katechismus, der aus der Schrift genommen und [mit Schriftstellen] belegt ist, gewisse, greifbare Beweise anhängen, dass die Schrift nicht von Menschen, sondern von Gott und aus dem Mund Gottes geredet ist. Zum ersten nehmen wir unseren Beweis daher, dass die Schrift viele Dinge lehrt, die nur Gott offenbart haben kann, weil keine menschliche Vernunft solches fassen kann, wie da ist der hohe Artikel von der heiligen Dreifaltigkeit, der allen Menschen und Engeln unbegreiflich ist. Ebenso die Lehre vom Dienst Gottes, wie wir Gott dem Herrn dienen sollen, von der Verderbnis der menschlichen Natur, von der unverdienten Vergebung der Sünden durch Christus, von den Ursachen des Kreuzes und Todes, von der Auferstehung der Toten, von dem Weg zum ewigen Leben.

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Diese und dergleichen Dinge, die von der Vernunft unerkannt, sondern in der prophetischen und apostolischen Schrift offenbart sind, beweisen zur Genüge, dass die Schrift keine menschliche, sondern göttliche Offenbarung ist. Zum anderen beweisen wir es aus dem Werk und der Kraft dieser Lehre, dass sie Gottes und nicht der Menschen Stimme sei, da durch kein anderes Ding der Schrecken des göttlichen Zorns weggenommen und der Friede des Gewissens herbeigeführt wird, als allein durch diese Lehre, wie wir offensichtlich sehen aus der Geschichte der Heiden, wo die Allerfrömmsten, durch das Gericht Gottes angerührt, da sie keinen Trost aus irgendeiner ihrer Lehren oder Gerechtigkeit fanden, oft in Verzweiflung geraten sind. Danach beweisen wir es aus der Geschichte der Christgläubigen, die, von Anbeginn der Welt durch den Glauben getröstet in der Lehre der Propheten und Apostel von Christus, das Gericht Gottes und den Schrecken des göttlichen Zorns jederzeit herrlich überwunden haben. Zum dritten wird es jederzeit bewiesen aus der Beständigkeit der Lehre. Denn während sich aller Heiden und Völker Lehre und Religion oftmals verändert hat, ist diese Lehre und Religion von der Gnade Gottes in Christus zu aller Zeit unverändert geblieben, wie wir bei den Propheten und Aposteln eine unüberwindbare Einigkeit sehen; so ist es offensichtlich, dass sie nicht von Menschen, sondern von dem unwandelbaren Gott herkommen, der ein Brunnenquell aller Einigkeit und Beständigkeit ist. Zum vierten beweisen wir es aus der Wahrheit aller Weissagungen der Propheten Christi und der Apostel, die große Dinge geweissagt haben und nicht als lügenhaft befunden sind: wie von der Dienstbarkeit des Samens Abrahams in Ägypten, von der Veränderung und Ordnung der Reiche, von dem zukünftigen Erlöser, von der Zeit seines Todes und seiner Auferstehung, von dem Antichrist, der Verwüstung des jüdischen Volkes, des Tempels und der Stadt, die unwidersprechlich erfolgt ist, von verführerischer Lehre und Lehrern und vom Jüngsten Gericht. Zum fünften nehmen wir unseren Beweis aus den Wundern der Kirche, deren wir wohl viele erzählen könnten, wenn es nicht zu lang werden würde. Den letzten Beweis mag man nehmen von der Feindschaft des Teufels, vom Blut der Märtyrer und von der Beschirmung durch Gott. Denn weil der Teufel dieser Lehre allezeit feind gewesen ist und sie auf das Heftigste verfolgt hat und viele tausend Märtyrer von Abel an bis auf diese Zeit ihr Blut dafür vergossen und mit starkem Gemüt und beständigem Bekenntnis den Tod dafür gelitten haben, ja weil Gott seine Hand über dieser Lehre gehalten und sie bis auf den heutigen Tag erhalten und beschirmt hat, so folgt daraus, dass sie keine Menschenlehre, sondern die Stimme Gottes sei, weshalb es auch uns und allen christgläubigen Menschen gebühren will, dass wir beständig dabei bleiben und lieber nach

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dem Beispiel der heiligen Märtyrer den Tod leiden als einen Nagel breit davon zu weichen. Der Herr gebe uns seine Gnade und den Heiligen Geist. Amen. Ein Gebet vor der Lehre des Katechismus O himmlischer Vater, dein Wort ist vollkommen und bekehrt die Seelen (Ps 16,11), ein wahres Zeugnis, das den Ungelehrten Weisheit gibt und der Blinden Augen erleuchtet, ein kräftiges Mittel zur Seligkeit für alle, die es glauben (Röm 1,16). Aber da wir von Natur nicht allein blind (Gen 8,21), sondern ungeschickt sind zu allem Guten und du auch niemandem helfen willst als denen, die demütigen und zerschlagenen Herzens sind (Jes 57,15; 1. Petr 5,5), bitten wir dich, dass du unseren Verstand erleuchten wollest mit deinem Heiligen Geist und uns ein demütiges Herz geben, von welchem alle Aufgeblasenheit und fleischliche Weisheit entfernt ist, damit, wenn wir dein Wort hören, wir es recht verstehen und unser Leben danach ausrichten mögen (Mt 11,29; Ez 11,19; Jer 31,33 f.; Lk 1,38; Röm 8,14; Lk 12,43). Du wollest auch gnädig alle bekehren, die noch von deiner Wahrheit entfernt sind, damit wir dir alle zusammen alle Tage unseres Lebens einträchtig dienen in wahrer Heiligkeit und Gerechtigkeit (2. Tim 2,19; Ez 18,23; Lk 1,75). Das begehren wir allein um Christi willen, der uns in seinem Namen zu bitten gelehrt hat und auch versprochen, uns zu erhören. Unser Vater usw. Ein Gebet nach der Lehre des Katechismus O gnädiger, barmherziger Gott und Vater, wir danken dir, dass du nicht nur uns in deinen Bund aufgenommen hast, sondern auch unsere jungen Kinder (Gen 17,7), einen Bund, den du ihnen nicht allein befestigt hast durch die heilige Taufe, sondern vielmehr täglich beweisest, indem du dein Lob aus ihrem Munde hervorbringst, um damit die weise Welt zu beschämen (Apg 2,39; Mk 10,14 f.; Röm 4,16; Mt 12,50; Ps 8,3; 1. Kor 1,27 f.). Wir bitten dich: Vermehre in ihnen deine Gnade, dass sie allezeit zunehmen an Christus, deinem Sohn, und wachsen bis zu der Zeit, da sie von vollkommenem mannhaftem Alter sind [und] in alle Weisheit und Gerechtigkeit gelangen (Eph 4,13). Gib uns auch Gnade, dass wir sie in deiner Erkenntnis und Früchten, wie du uns befohlen hast, unterrichten, damit durch ihre Gottseligkeit das Reich des Satans zerstört und das Reich Jesu Christi in dieser und anderen Gemeinden gestärkt werde (Gen 18,32; Ex 13,2), zur Ehre deines heiligen Namens und zu ihrer ewigen Seligkeit, durch Jesus Christus (Dtn 6,25; Ps 78,3 f.). Amen.

16. Hugenottisches Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana) (1559/1571) Einleitung Mit der Confessio Gallicana, dem Hugenottischen Glaubensbekenntnis, gaben sich die französischen Protestanten ein Bekenntnis, das ihnen in der Verfolgung – insbesondere nach Beginn der Hugenottenkriege 1562 – geistlich-theologische Orientierung verliehen hat. Gemeinsam mit einer Kirchenordnung wurde der Text auf der Pariser Synode 1559 beschlossen. Hintergrund waren die Verfolgungswellen, Ketzergerichte (chambre ardente) und Hinrichtungen der Protestanten unter König Heinrich II. (1547–1559), denen viele zum Opfer fielen. Um den Zusammenhalt der Gemeinden im Untergrund und ihre konfessionelle Identität zu stärken, tagte vom 25.–29. Mai 1559 in Paris eine heimliche und von zwölf Gemeinden beschickte Nationalsynode der französischen reformierten Kirche. Moderator war François de Morel, ein Schüler Johannes Calvins. Erst spät erfuhr Calvin von dieser Zusammenkunft und beklagte die Eile, in der die Synode zusammentrat. Weil er befürchtete, dass die Synode theologisch nicht ausreichende Beschlüsse fasste, entsandte er drei Abgeordnete des Genfer Kirchenrats nach Paris, die der Synode einen mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihm selbst rasch abgefassten Entwurf von 35 Bekenntnisartikeln überbrachten (Genfer Fassung). Dieser calvinische Entwurf, der Elemente eines Bekenntnisses der Pariser Gemeinde (1557) und eines Bekenntnisentwurfs für die Genfer Akademie (1559) vereinigte, wurde von der Synode mit geringfügigen Veränderungen einstimmig angenommen. Die unten übersetzte Pariser Fassung zählt 40 Artikel, da die Artikel 1 und 2 des Entwurfs in sechs Artikel und Artikel 35 in zwei Artikel umgewandelt wurden. Weiter nimmt sie einige kleinere Präzisierungen vor. So geht in Artikel 5 der Hinweis auf die Auslegung der Heiligen Schrift durch die drei altkirchlichen Bekenntnisse („weil sie dem Wort Gottes entsprechen“) über Calvin hinaus. Die siebte Nationalsynode von La Rochelle erklärte 1571 die auf der Pariser Synode verabschiedete Fassung zum verbindlichen Bekenntnis der französischen Kirche, das fortan auch den Titel „Bekenntnis von La Rochelle“ trägt. Als Lehrbekenntnis formuliert, folgt es der trinitarischen Struktur des Apostolikums. In den Artikeln 1–6 wird die Einzigkeit Gottes hervorgehoben und die Bedeutung seines Wortes als orientierende Kraft für den Glauben erläutert. Es folgen die Artikel zur Trinität (Artikel 7), Schöpfung

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und Vorsehung (Artikel 8), Anthropologie und Sünde (Artikel 9–11), Erwählung (Artikel 12), Christologie (Artikel 13–17), Rechtfertigung (Artikel 18–20), Heiligung (Artikel 21 f.), Evangelium und Gesetz (Artikel 23), Gebet (Artikel 24), Kirche (Artikel 25–33), Sakramente (Artikel 34–38) und weltliche Gewalt (Artikel 39 f.). Theologisch bedeutsam sind u. a. die christologische Färbung der Erwählung und die Zuordnung des Gesetzes zum christlichen Leben im Sinne der Heiligung. Die Artikel über Kirche und Sakramente erhalten großes Gewicht, da die französischen Protestanten sich gegenüber der römischen Kirche positionieren mussten. Die Ordnung der Kirche, für welche die Gemeinden selber Verantwortung tragen, wird Gegenstand des Bekenntnisses. Das Bekenntnis war in Frankreich, aber auch unter den in Europa und nach Übersee verstreuten Hugenotten in Gebrauch. Das gilt auch für die französisch-reformierten Gemeinden u. a. in Preußen. Ferner diente es dem Schottischen Glaubensbekenntnis (Confessio Scotica) von 1560 und dem Niederländischen Glaubensbekenntnis (Confessio Belgica) von 1561 als Vorbild. Edition Confessio Gallicana, in: RefBS 2/1: 1559–1563, 1–29 (Pariser Fassung; Bearb.: Emidio Campi) Übersetzungen Hugenottisches Glaubensbekenntnis (Confession de foy) von 1559, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949, 109–121 (Pariser Fassung; Übers.: Wilhelm Boudriot) Bekenntnis der in Frankreich zerstreuten Kirchen (Entwurf zur Confessio Gallicana) 1559, in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 4: Reformatorische Klärungen, Neukirchen-Vluyn 2002, 29–77 (Genfer Fassung; Übers.: Christian Link) Literatur Paul Jacobs, Das Hugenottische Bekenntnis, in: EvTh 19 (1959), 203–208 Hannelore Jahr, Studien zur Überlieferungsgeschichte der Confession de foi von 1559, Neukirchen 1964 Christian Link, Bekenntnis der in Frankreich zerstreuten Kirchen (Entwurf zur Confessio Gallicana) 1559 (Einleitung), in: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u. a., Bd. 4: Reformatorische Klärungen, Neukirchen-Vluyn 2002, 29–38 Roger Mehl, Explication de la confession de foi de La Rochelle, Paris 1959 Einleitung und Übersetzung: Matthias Freudenberg

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Hugenottisches Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana) (1559/1571)

Das Glaubensbekenntnis der reformierten Kirchen des Königreichs Frankreich (Confessio Gallicana) (1559/1571) 1. Wir glauben und bekennen einen einzigen Gott, der ein einziges und einfaches Wesen ist, geistig, ewig, unsichtbar, unveränderlich, unendlich, unbegreiflich, unaussprechlich, der alles vermag und der ganz und gar weise, gütig, gerecht und barmherzig ist (Dtn 4,35; Gen 1,2; Ex 3,15 f.; 34,6; Röm 1,20; 11,33; 16,27; Mal 3,6; Jer 10,7; 12,1; Mt 19,17). 2. Dieser Gott offenbart sich den Menschen: Zuerst durch seine Werke, sowohl durch deren Schöpfung als durch deren Erhaltung und Lenkung, zweitens und klarer durch sein Wort, das er anfangs durch einzelne Aussprüche offenbarte und das bald danach schriftlich verfasst worden ist in den Büchern, die wir die Heilige Schrift nennen (Hebr 1,1 f.; Gen 15,1; Ex 24.4.7; Röm 1,2.19). 3. Die ganze Heilige Schrift ist enthalten in den kanonischen Büchern des Alten und Neuen Testaments, deren Anzahl hier folgt: die fünf Bücher Mose, nämlich Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, ferner Josua, Richter, Ruth, das erste und zweite Buch Samuels, das erste und zweite Buch der Könige, das erste und zweite Buch der Chronik, sonst auch Paralipomenon genannt, das erste Buch Esra, ferner Nehemia, das Buch Esther, Hiob, die Psalmen Davids, die Sprüche oder Lehrsätze Salomos, das Buch des Predigers, das Hohelied Salomos, ferner das Buch Jesaja, Jeremia, die Klagelieder des Jeremia, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Ferner das heilige Evangelium nach dem heiligen Matthäus, dem heiligen Markus, dem heiligen Lukas und dem heiligen Johannes, ferner das zweite Buch des heiligen Lukas, sonst Apostelgeschichte genannt, ferner die Briefe des heiligen Paulus, an die Römer einer, an die Korinther zwei, an die Galater einer, an die Epheser einer, an die Philipper einer, an die Kolosser einer, an die Thessalonicher zwei, an Timotheus zwei, an Titus einer, an Philemon einer, ferner der Brief an die Hebräer, der Brief des heiligen Jakobus, der erste und zweite Brief des heiligen Petrus, der erste, zweite und dritte Brief des heiligen Johannes, der Brief des heiligen Judas, ferner die Apokalypse oder Offenbarung des heiligen Johannes. 4. Wir erkennen an, dass diese Bücher kanonisch sind und die sichere Regel unseres Glaubens (Ps 19,8 f.) – nicht so sehr durch die allgemeine Übereinkunft und Zustimmung der Kirche als vielmehr durch das Zeugnis und die innere Überzeugungskraft des Heiligen Geistes, der sie uns

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von den anderen kirchlichen Büchern unterscheiden lehrt, auf die man, obwohl sie nützlich sind, keinen Glaubensartikel begründen kann. 5. Wir glauben, dass das in diesen Büchern enthaltene Wort von Gott ausgegangen ist, von dem allein es seine Autorität empfängt, und nicht von Menschen (2. Tim 3,16; Joh 3,31). Und weil es die Richtschnur der gesamten Wahrheit ist und alles enthält, was zum Dienst Gottes und unserem Heil notwendig ist, darum ist es Menschen nicht erlaubt, ja nicht einmal den Engeln, etwas hinzuzufügen, wegzunehmen oder zu verändern (Joh 15,11; Gal 1,8; Mt 5,18 f.). Daraus folgt, dass weder das Alter noch die Gewohnheiten noch die Menge noch die Menschenweisheit noch die Urteile noch die Bestimmungen noch die Erlasse noch die Beschlüsse noch die Konzile noch die Visionen noch die Wunder dieser Heiligen Schrift entgegengesetzt werden dürfen. Im Gegenteil: Alles muss nach ihr geprüft, geordnet und verbessert werden (Dtn 12,32; Mt 15,9; Apg 5,28 f.; 1. Kor 12,4 f.). Demzufolge nehmen wir die drei Glaubensbekenntnisse an, nämlich das Apostolische, das Nizänische und das Athanasianische, weil sie dem Wort Gottes entsprechen. 6. Die Heilige Schrift zeigt uns an, dass in dem einzigen und einfachen göttlichen Wesen, das wir bekannt haben, drei Personen sind, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist (Dtn 4,12.35; Mt 28,19): der Vater, die erste Ursache, der Anfang und Ursprung aller Dinge (Joh 5,17.19); der Sohn, sein ewiges Wort und seine ewige Weisheit (Joh 1,1; 17,5); der Heilige Geist, seine Kraft, Macht und Wirksamkeit (Apg 17,25). Der Sohn ist von Ewigkeit her vom Vater gezeugt, der Heilige Geist von Ewigkeit her von beiden ausgehend. Die drei Personen sind nicht vermischt, sondern unterschieden, jedoch nicht getrennt, sondern von ein und demselben Wesen, Ewigkeit, Macht und Eigenschaft. Und darin erkennen wir an, was von den alten Konzilen beschlossen wurde, und verabscheuen alle Sekten und Irrlehren, die von den heiligen Lehrern wie dem heiligen Hilarius, dem heiligen Athanasius, dem heiligen Ambrosius, dem heiligen Cyrill verworfen worden sind. 7. Wir glauben, dass Gott in den drei zusammenwirkenden Personen durch seine unbegreifliche Kraft, Weisheit und Güte alle Dinge geschaffen hat (Gen 1,1; Hebr 1,2; Joh 1,3), nicht nur Himmel und Erde und alles, was darin enthalten ist, sondern auch die unsichtbaren Geistwesen, die zum einen Teil abgefallen und ins Verderben gestürzt, zum anderen Teil jedoch beharrlich im Gehorsam geblieben sind (2. Petr 2,4; Ps 103,20 f.). Die einen, in ihrer Bosheit verdorben, sind Feinde alles Guten und infolgedessen auch der ganzen Kirche (Joh 8,44). Die anderen hingegen,

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bewahrt geblieben durch Gottes Gnade, sind Diener, um seinen Namen zu verherrlichen und seine Erwählten zum Heil zu führen (Hebr 1,14). 8. Wir glauben, dass Gott nicht nur alle Dinge geschaffen hat, sondern sie auch lenkt und regiert, indem er alles, was in der Welt geschieht, nach seinem Willen einrichtet und ordnet (Ps 104; Prov 16,4). Es ist jedoch nicht so, dass er der Urheber des Bösen ist, oder dass ihm die Schuld daran zugerechnet werden kann (1. Joh 2,16; Ps 5,5; Hi 1,22), da sein Wille die höchste und unfehlbare Richtschnur aller Gerechtigkeit und Billigkeit ist. Aber er hat wunderbare Mittel, auch die Teufel und Übeltäter in seinen Dienst zu stellen, dass er das Böse, das sie anrichten und verschulden, zum Guten zu wenden weiß (Apg 2,23 f.27). Wenn wir also bekennen, dass nichts ohne Gottes Vorsehung geschieht, beten wir in Demut die Geheimnisse an, die uns verborgen bleiben, ohne nach Dingen zu forschen, die unser Maß übersteigen (Röm 9,19 f.; 11,33). Umso mehr machen wir uns hingegen zunutze, was uns in der Heiligen Schrift gezeigt wird, um ruhig und sicher zu leben. Denn Gott, dem alle Dinge unterworfen sind, wacht über uns mit väterlicher Sorge so, dass nicht ein Haar von unserem Haupt fällt ohne seinen Willen (Mt 10,29 f.; Lk 21,18; Apg 27,34). Währenddessen hält er die Teufel und alle unsere Feinde derart in Schranken, dass sie uns ohne seine Erlaubnis keinen Schaden zufügen können (Hi 1,12; Gen 3,15). 9. Wir glauben, dass der Mensch, der dem Bild Gottes entsprechend rein und vollkommen geschaffen wurde (Gen 1,26; Koh 7,30), durch seine eigene Schuld aus der Gnade, die er empfangen hatte, gefallen ist (Röm 5,12). Dadurch hat er sich von Gott, der Quelle aller Gerechtigkeit und alles Guten, derart entfremdet, dass seine Natur von Grund auf verdorben ist. Er ist blind in seinem Geist, verkehrt in seinem Herzen, hat seine Rechtschaffenheit verloren, ohne einen Rest zu bewahren (Gen 6,5). Und obwohl er noch ein gewisses Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse haben mag, sagen wir dessen ungeachtet, dass sich das, was ihm an Klarheit geblieben ist, in Finsternis verwandelt, sobald es darum geht, Gott zu suchen. Deshalb kann er durch eigene Einsicht und Vernunft keineswegs zu ihm kommen (Joh 1,4 f.; 8,36; Röm 8,6 f.; Gen 8,21; Röm 5,12; Hi 14,4). Mag er auch einen Willen haben, der ihn antreibt, dies oder jenes zu tun, so ist dieser doch ganz und gar in der Sünde gefangen, sodass er keine Freiheit zum Guten hat außer der, die Gott ihm schenkt. 10. Wir glauben, dass die gesamte Nachkommenschaft Adams von dieser Krankheit angesteckt ist, welche die Ursünde und ein erbliches Ge-

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brechen ist (Joh 1,4 f.; 8,36; Röm 8,6 f.; Gen 8,21; Röm 5,12; Hi 14,4). Diese beruht keineswegs nur auf dem Nachahmungstrieb, wie es die Pelagianer haben behaupten wollen, die wir in ihren Irrtümern verwerfen. Wir halten es nicht für nötig, danach zu fragen, wie die Sünde von einem Menschen auf den anderen übergeht. Denn es reicht völlig aus zu wissen, dass alles, was Gott Adam gegeben hatte, nicht für ihn allein bestimmt war, sondern für seine gesamte Nachkommenschaft. Deshalb sind wir in seiner Person all dieser Güter entkleidet worden und in völlige Armut und Fluch hineingestürzt. 11. Wir glauben auch, dass dieses Gebrechen wahrhaft Sünde ist, die ausreicht, das ganze menschliche Geschlecht einschließlich der kleinen Kinder von Mutterleib an zu verdammen, und dass es von Gott dafür angesehen wird (Ps 51,7; Röm 3,9–12; 5,12). Selbst nach der Taufe bleibt es in Anbetracht der Schuld stets Sünde, auch wenn die Verdammnis selbst von den Kindern Gottes weggenommen wird, weil Gott sie ihnen in seiner freien Gnade nicht anrechnet (Röm 7,4–6). Darüber hinaus ist sie eine Verkehrung, die jederzeit Bosheit und Aufruhr als ihre Früchte hervorbringt, sodass selbst die größten Heiligsten, auch wenn sie ihr Widerstand leisten, mit Schwächen und Fehlern befleckt bleiben, solange sie in dieser Welt leben (Röm 7,7.18 f.). 12. Wir glauben, dass Gott aus diesem Verderben und aus dieser allgemeinen Verdammnis, in die alle Menschen hineingeraten sind, diejenigen herausreißt, die er nach seinem ewigen und unwandelbaren Ratschluss allein aufgrund seiner Güte und Barmherzigkeit in unserem Herrn Jesus Christus und ohne Rücksicht auf ihre Werke erwählt hat. Die anderen belässt er in ihrem Verderben und in ihrer Verdammnis, um an ihnen seine Gerechtigkeit zu erweisen (Ex 9,16; Röm 9,22), so wie er an den ersten den ganzen Reichtum seiner Barmherzigkeit aufleuchten lässt (Röm 3,22; 9,23). Denn die einen sind nicht besser als die anderen (Jer 10,23), bis Gott sie nach seinem unwandelbaren Ratschluss scheidet, den er in Jesus Christus vor der Erschaffung der Welt gefasst hat (Eph 1,4 f.). Darum kann sich niemand aus eigener Kraft den Weg zu einem solchen Gut bahnen, denn von Natur aus sind wir zu keiner einzigen guten Regung, Empfindung oder Gedanken fähig, es sei denn, Gott wäre uns zuvorgekommen und hätte uns dazu bereit gemacht. 13. Wir glauben, dass alles, was zu unserem Heil erforderlich war, uns in Jesus Christus angeboten und mitgeteilt worden ist. Denn indem er uns zum Heil gegeben wird, ist er uns zugleich zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gemacht (1. Kor 1,30), sodass, wer sich von ihm

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lossagt, die Barmherzigkeit des Vaters ausschlägt, bei dem doch unsere einzige Zuflucht zu finden ist. 14. Wir glauben, dass Jesus Christus, der Gottes Weisheit und sein ewiger Sohn ist, unser Fleisch angenommen hat (1. Kor 1,24; Joh 1,14), um in einer Person Gott und Mensch zu sein, uns gleich (Hebr 2,17), leidensfähig an Leib und Seele, allerdings rein von jeglichem Makel (1. Petr 1,19). Seiner Menschheit nach ein wahrer Nachfahre Abrahams und Davids (Mt 1,1–17.20; Lk 1,27; 2,4; Joh 7,42; Gal 3,16; Hebr 2,16; Apg 13,23), ist er dennoch durch die verborgene Kraft des Heiligen Geistes empfangen worden (Mt 1,18). Daher verwerfen wir alle Irrlehren, die von alters her die Kirchen verwirrt haben, und besonders auch die teuflischen Einbildungen Servets, der dem Herrn Jesus eine phantastische Gottheit beilegt, wonach er Urbild und das Vorbild aller Dinge sein soll. Er nennt ihn nur „persönlichen“ oder „figürlichen“ Sohn Gottes, macht ihm schließlich einen Leib aus drei unerschaffenen Elementen und vermischt auf diese Weise die beiden Naturen und zerstört sie so. 15. Wir glauben, dass in ein und derselben Person, nämlich in Jesus Christus, die beiden Naturen wahrhaftig und unauflöslich verbunden und vereinigt sind (Mt 1; Lk 1). Dennoch bleibt jede Natur in ihrer unterschiedlichen Eigenheit erhalten (Joh 1,14; 1. Tim 2,5). Wie die göttliche Natur in dieser Verbindung ihre Eigenart bewahrt, das heißt ungeschaffen und unendlich geblieben ist und alle Dinge erfüllt, so ist auch die menschliche Natur endlich geblieben und hat ihre eigene Gestalt, Maß und Eigentümlichkeit behalten (Lk 24,38 f.). Selbst mit seiner Auferstehung, kraft der Jesus seinem Leib Unsterblichkeit verliehen hat (Röm 1,4; Phil 3,21), hat er ihm doch nicht seine wahre Natur genommen. Deshalb betrachten wir ihn in seiner Gottheit so, dass wir ihn dabei keineswegs seiner Menschheit berauben. 16. Wir glauben, dass Gott bei der Sendung seines Sohnes seine unermessliche Liebe und Güte uns gegenüber erweisen wollte. Indem er ihn in den Tod gab (Joh 3,16; 15,13) und auferweckte, wollte er alle Gerechtigkeit erfüllen und uns das himmlische Leben erwerben (2. Kor 1,9 f.). 17. Wir glauben, dass wir durch das einmalige Opfer, das der Herr Jesus am Kreuz dargebracht hat, mit Gott versöhnt sind (Hebr 5,7–9; 1. Petr 2,24; Hebr 9,14), sodass wir vor ihm als gerecht gelten und angesehen werden. Denn wir können ihm nicht gefallen und auch an seiner Kindschaft keinen Anteil bekommen, es sei denn, dass er uns unsere Fehler vergibt und sie begräbt. So bezeugen wir, dass Jesus Christus uns gänzlich und vollkom-

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men reinigt und dass sein Tod voll und ganz genügt, um uns von unseren schlimmen und unrechten Taten loszusprechen, deren wir schuldig sind, und dass wir nur durch dieses Mittel davon frei werden können. 18. Wir glauben, dass unsere ganze Gerechtigkeit ihren Grund in der Vergebung unserer Sünden hat, so wie allein sie nach Davids Wort auch unsere ganze Seligkeit ausmacht (Ps 32,1 f.). Deshalb verwerfen wir alle anderen Mittel, die uns vor Gott rechtfertigen können, und halten uns – ohne uns irgendwelche Leistungen oder Verdienste anzumaßen – einfach an den Gehorsam Jesu Christi. Dieser wird uns nicht nur zugerechnet, um alle unsere Fehler zu bedecken, sondern auch, damit wir bei Gott Gnade und Wohlgefallen finden (Joh 17,23; 1. Tim 2,5; 1. Joh 2,1 f.; Röm 1,16). Wir glauben in der Tat, dass wir, wenn wir von diesem Fundament abweichen, und sei es nur ein wenig, nirgendwo anders Ruhe finden können (Apg 4,12), sondern immer von Unruhe umgetrieben werden. Denn wir können niemals mit Gott in Frieden leben, solange wir nicht vollkommen gewiss sind, in Jesus Christus geliebt zu werden, da wir an uns selbst ja nur hassenswert sind. 19. Wir glauben, dass wir auf diese Weise die Freiheit und das Vorrecht haben, Gott im festen Vertrauen anzurufen, dass er sich als unser Vater erweisen wird (Röm 5,1 f.; 8,15; Gal 4,6). Denn wir hätten keinen solchen Zugang zum Vater, wenn wir nicht durch diesen Mittler an ihn gewiesen würden (1. Tim 2,5; Hebr 8,6; 9,15; 12,24). Um in seinem Namen erhört zu werden, ist es daher nur recht und billig, unser Leben nach ihm als unserem Haupt auszurichten. 20. Wir glauben, dass wir an dieser Gerechtigkeit Anteil bekommen allein durch den Glauben (Röm 3,22.26–28; Gal 2,16.20; 3,24; Joh 3,15; Mt 17,20), denn es ist uns zugesagt, dass er gelitten hat, um uns das Heil zu erwerben, damit, wer an ihn glaubt, nicht verloren geht (Joh 3,16). Diese Zusage geht in Erfüllung, da die uns in ihm gegebenen Verheißungen des Lebens auf uns ausgerichtet sind. Wir erfahren ihre Wirkung, wenn wir sie annehmen und nicht zweifeln, dass wir – gewiss gemacht durch den Mund Gottes – auf keinen Fall enttäuscht werden. So hängt die Gerechtigkeit, die wir durch Glauben erlangen, an den frei geschenkten Verheißungen, durch die Gott uns zu verstehen gibt und bezeugt, wie sehr er uns liebt (Röm 1,17; 3,24 f.28.30). 21. Wir glauben, dass wir durch die verborgene Gnade des Heiligen Geistes im Glauben erleuchtet werden, sodass das eine unverdiente und besondere Gabe ist, die Gott nach seinem Ermessen zuwendet, wem er

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will (Eph 2,8 f.; 1. Thess 1,5; 1. Kor 1,29 f.; 2. Kor 10,17 f.). So haben die Glaubenden nichts, dessen sie sich dabei rühmen können. Dafür, dass Gott sie den anderen vorgezogen hat, sind sie vielmehr doppelt verpflichtet (Apk 18,6). Auch wird der Glaube den Erwählten nicht einfach auf einen Schlag gegeben, um sie auf den rechten Weg zu führen, sondern auch, um sie zu befähigen, auf ihm bis zum Ziel zu kommen (1. Kor 1,8 f.). Denn wie es Gottes Sache ist, den Anfang zu machen, so steht auch die Vollendung bei ihm (Phil 2,12 f.16). 22. Wir glauben, dass wir durch diesen Glauben zu einem neuen Leben wiedergeboren sind, da wir von Natur aus von der Sünde beherrscht werden (Röm 6,4.6 f.16 f.20; Kol 2,13; 3,10; 1. Petr 1,3). So empfangen wir durch den Glauben die Gnade, heilig und in der Furcht Gottes zu leben, indem wir die Verheißung annehmen, die uns durch das Evangelium gegeben ist, und zwar dadurch, dass Gott uns seinen Heiligen Geist geben wird. So lässt der Glaube den Eifer zu gutem und heiligem Leben nicht nur nicht erkalten (Jak 2,17), sondern erzeugt und erweckt ihn in uns, indem er notwendigerweise die guten Werke hervorbringt (Gal 5,6.22; Dtn 30,6). Obwohl Gott, um unser Heil zu vollenden, uns wiedergebiert, indem er uns zum Tun des Guten erneuert, so bekennen wir doch, dass die guten Werke, die wir unter der Leitung des Heiligen Geistes tun, keineswegs zu unserer Rechtfertigung beitragen (Joh 3,5; Lk 17,10; Ps 6,2). Sie sind auch nicht der verdienstliche Grund dafür, dass Gott uns als seine Kinder annimmt. Denn wir würden immer von Zweifel und Unruhe hinund hergerissen, wenn unser Gewissen sich nicht auf die Genugtuung stützen könnte, durch die Jesus Christus uns erlöst hat. 23. Wir glauben, dass alles, was im Gesetz bildhaft dargestellt war, mit der Ankunft Jesu Christi zu seinem Ziel gekommen ist (Röm 10,4; Gal 3; 4; Kol 2,17; Hebr 8,5; 10,1). Denn wenn auch die Zeremonien nicht mehr im Gebrauch sind, bleiben uns ihr Gehalt und ihre Wahrheit trotzdem in der Person dessen lebendig, in dem alle Erfüllung beschlossen liegt. Überdies müssen wir uns das Gesetz und die Propheten zunutze machen, sowohl um unserem Leben feste Regeln zu geben, als auch um mit den Verheißungen des Evangeliums im Einklang zu bleiben (2. Tim 3,16; 2. Petr 1,19; 3,2). 24. Wir glauben, dass Jesus Christus uns zum einzigen Fürsprecher gegeben ist und uns gebietet, uns ausschließlich in seinem Namen an seinen Vater zu wenden, und dass es uns erlaubt ist, nur in der Weise zu beten, die Gott uns durch sein Wort vorgeschrieben hat (Mt 6,5–9; Lk 11,2; 1. Joh 2,1). Weil das so ist, glauben wir, dass alles, was die Menschen sich

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von der Fürbitte der verstorbenen Heiligen ausgedacht haben, nur Missbrauch und Betrug des Satans ist, um uns Menschen von der rechten Weise zu beten abzubringen (Apg 10,25 f.; 14,14). Wir verwerfen auch alle anderen Mittel, die sich Menschen herausnehmen, um sich mit Gott zu versöhnen, als solche, die dem Opfer von Tod und Leiden Jesu Christi zuwiderlaufen. Endlich halten wir das Fegefeuer für eine Einbildung, die aus demselben Krämerladen stammt, aus dem auch zum Vorschein gekommen sind: Ordensgelübde, Wallfahrten, Verbote der Ehe und des Fleischgenusses (Mt 15,11; Apg 10,14 f.; Röm 14), die zeremonielle Beobachtung von Feiertagen (Gal 4,9), die Ohrenbeichte, die Ablässe und alle anderen derartigen Dinge, durch die man Gnade und Heil zu verdienen meint. Diese Dinge verwerfen wir nicht allein wegen der falschen Meinung von Verdienstlichkeit, die damit verbunden ist, sondern auch, weil dies menschliche Erfindungen sind, die den Gewissen ein Joch auflegen. 25. Da wir aber Jesu Christi nur durch das Evangelium teilhaftig werden (Röm 1,16 f.; 10,17), glauben wir, dass die in seiner Vollmacht aufgerichtete Ordnung der Kirche heilig und unverletzlich sein muss (Mt 18,20; Eph 1,22 f.). Darum kann die Kirche keinen Bestand haben, wo es nicht Pastoren gibt, die das Amt der Lehre wahrnehmen. Man soll sie ehren und mit Achtung anhören, sofern sie ordentlich berufen sind und ihren Auftrag treu erfüllen (Mt 10,40; Joh 13,20). Auch wenn Gott nicht an solcherlei Hilfen oder zweitrangige Mittel gebunden ist, entspricht es doch seinem Willen, uns unter einem solchen Zügel zu halten (Röm 10,14–17). Daher wenden wir uns gegen alle Schwärmer, die, soweit sie nur können, das Amt und die Predigt des Wortes Gottes und seine Sakramente zunichtemachen wollen. 26. Wir glauben daher, dass sich niemand beiseitestellen und sich mit seiner eigenen Person zufriedengeben darf, sondern dass alle miteinander die Einheit der Kirche bewahren und aufrechterhalten müssen (Ps 5,8.22 f.; 42,5). Daher unterwerfen sie sich der Unterweisung und dem Joch Jesu Christi, und zwar an jedem Ort, an dem Gott eine wahre Kirchenordnung aufgerichtet hat, selbst wenn die weltlichen Regierungen und ihre Vorschriften dem entgegenstehen (Mt 11,29 f.; Apg 4,19 f.). Alle, die sich dem entziehen oder sich absondern, handeln der Anordnung Gottes zuwider (Hebr 10,25). 27. Dennoch glauben wir, dass man sorgfältig und mit Klugheit unterscheiden muss, welche die wahre Kirche ist (Jer 7,4.8.11 f.; Mt 3,9; 7,22), weil man mit diesem Namen allzu viel Missbrauch treibt. Wir erklären also dem Wort Gottes gemäß, dass sie die Gemeinschaft der Glaubenden

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ist, die einmütig Gottes Wort und der darin enthaltenen reinen Gottesverehrung folgen, die darin ihr ganzes Leben lang fortschreiten und in der Furcht Gottes wachsen und stark werden. Denn sie müssen ja vorwärtskommen und immer weiter voranschreiten (Eph 2,20; 4,11 f.), selbst wenn sie trotz aller Anstrengungen immer wieder auf die Vergebung ihrer Sünden angewiesen bleiben (Röm 3,23). Dennoch leugnen wir keineswegs, dass es unter den Gläubigen auch Heuchler und Verworfene gibt, deren Bosheit aber den Namen „Kirche“ nicht auslöschen kann (Mt 13; 2. Tim 2,18–20). 28. In diesem Glauben bezeugen wir, dass man dort, wo man das Wort Gottes nicht annimmt und keine Anstalten macht, sich ihm zu unterwerfen, und wo es auch keinen rechten Gebrauch der Sakramente mehr gibt, zu dem Urteil kommen muss, dass es dort im eigentlichen Sinne des Wortes keine Kirche mehr gibt (Mt 10,14 f.; Joh 10). Deshalb verwerfen wir die Versammlungen des Papsttums, weil Gottes reine Wahrheit aus ihnen verbannt ist, die Sakramente in ihnen verdorben, ihrem Wesen entfremdet, verfälscht oder gänzlich zunichtegemacht und jegliche Art von Aberglaube und Götzendienst in Mode gekommen sind. Wir sind daher der Auffassung, dass all die, die sich auf solche Handlungen einlassen und daran teilnehmen, sich vom Leib Jesu Christi abschneiden und trennen (2. Kor 6,14–16). Da sich jedoch noch eine geringe Spur von Kirche im Papsttum erhalten hat und sogar die Taufe ihrem Wesen nach dort weiterbesteht, weil ja deren Wirksamkeit nicht von dem abhängt, der sie vollzieht (Mt 3,11; 28,19; Apg 15): Darum bekennen wir, dass die dort Getauften keine zweite Taufe nötig haben. Doch kann man wegen der dort eingerissenen Missstände seine Kinder nicht zur Taufe bringen, ohne sich einem Makel auszusetzen. 29. Was die wahre Kirche betrifft, so glauben wir, dass sie nach der Ordnung geleitet werden muss, die unser Herr Jesus Christus aufgerichtet hat, das heißt: Es muss dort Pastoren, Älteste und Diakone geben (Apg 6,3–5; Eph 4,11; 1. Tim 3), damit die reine Lehre ihren Lauf nehmen kann, die Fehler gebessert und in Schranken gehalten werden, den Armen und allen anderen Angefochtenen in ihren Nöten Hilfe zuteilwird und die Versammlungen zur Erbauung von Groß und Klein im Namen Gottes stattfinden. 30. Wir glauben, dass alle wahren Pastoren, an welchem Ort sie sich auch befinden, dieselbe Autorität und die gleiche Macht haben unter dem einzigen Haupt, dem einzigen Herrn und dem einzigen allgemeinen Bischof Jesus Christus (Mt 20,26 f.; 18,2–4). Darum darf keine Gemeinde irgendeine Vormachtstellung oder Herrschaft über eine andere beanspruchen.

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31. Wir glauben, dass niemand sich eigenmächtig zur Gemeindeleitung eindrängen darf, sondern dass dies durch Wahl geschehen muss, soweit es möglich ist und Gott es zulässt (Mt 28,18 f.; Mk 16,15; Joh 15,16; Apg 1,21). Eine solche Ausnahme fügen wir ausdrücklich hinzu, weil es manchmal die Not erforderlich macht – gerade auch in unserer Zeit, wo der Zustand der Kirche erschüttert war  –, dass Gott auf außerordent­ lichem Weg Leute erweckt, um die in Verfall und Verwüstung darniederliegende Kirche wiederherzustellen. Aber wie dem auch sei, wir glauben, dass man sich immer an die Regel halten muss, wonach alle Pastoren, Älteste und Diakone bezeugen können, in ihr Amt rechtmäßig berufen zu sein (Gal 1,15; 1. Tim 3,7–10.15). 32. Wir glauben auch, dass es gut und nützlich ist, wenn die, die zu Superintendenten gewählt sind, untereinander sich beraten, welchen Kurs sie zur Leitung des ganzen Leibes steuern müssen (Apg 15,2.6 f.25.28). Nur sollen sie keinen Schritt davon abweichen, was uns dabei von unserem Herrn Jesus Christus geboten ist. Dem steht jedoch nicht im Weg, dass es an jedem Ort einige besondere Regelungen geben kann, so wie es die Zweckmäßigkeit erfordert (1. Kor 14,40). 33. Indessen schließen wir alle menschlichen Erfindungen und alle Gesetze aus, die man unter dem Vorwand, Gott zu dienen, einführen möchte, um die Gewissen zu binden (Röm 16,17 f.; 1. Kor 3,11). Wir erkennen stattdessen nur das an, was dazu dient und geeignet ist, die Einmütigkeit zu fördern und einen jeden, vom Ersten bis zum Letzten, im Gehorsam zu halten. Dabei haben wir uns nach dem zu richten, was unser Herr im Blick auf den Ausschluss aus der Gemeinde angeordnet hat (Mt 18,17). Das heißen wir gut und bekennen es als notwendig mit allem, was dazugehört (Mt 18,15–17; 1. Kor 5,4 f.; 1. Tim 1,20). 34. Wir glauben, dass die Sakramente dem Wort hinzugefügt sind, um es noch wirksamer zu bekräftigen (1. Kor 10; 11,23 f.; Ex 12,3). Sie sollen uns ein Beweis und Kennzeichen der Gnade Gottes sein, um unseren Glauben dadurch zu stützen und ihm angesichts der uns eigenen Schwäche und Grobheit eine Hilfe zu bieten. Sie sind, so verstanden, äußere Zeichen, durch die Gott in der Kraft seines Geistes wirkt – nicht, um uns dabei grundlos irgendetwas abzubilden. Jedenfalls halten wir daran fest, dass all ihr Gehalt und ihre Wahrheit in Jesus Christus beschlossen liegen (Gal 3,27; Eph 5,26; Joh 6,53), und wenn man sie davon trennt, so sind sie weiter nichts als Schatten und Rauch.

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35. Wir bekennen nur zwei der ganzen Kirche gemeinsame Sakramente, von denen das erste, die Taufe, uns zum Zeugnis unserer Annahme an Kindesstatt gegeben ist. Denn hier werden wir in den Leib Christi eingepflanzt (Röm 11,17–24), um durch sein Blut gewaschen, gereinigt und alsdann durch seinen Heiligen Geist zu einem Leben in Heiligkeit erneuert zu werden (Röm 6,3; Tit 3,5 f.; Apg 22,16). Wir sind auch davon überzeugt, dass sich der Gewinn, auf den das Zeichen verweist, auf Leben und Tod erstreckt, auch wenn wir nur einmal getauft werden (Mt 3,11 f.; Mk 16,15 f.). So haben wir eine dauerhafte Versicherung, dass Jesus Christus für alle Zeit unsere Gerechtigkeit und Heiligung sein wird. Obwohl es ein Sakrament des Glaubens und der Buße ist, stellen wir nichtsdestoweniger fest, dass aufgrund der Verfügung Jesu Christi – da Gott die kleinen Kinder samt ihren Vätern in seine Kirche aufnimmt (Mt 19,14; 1. Kor 7,14) – die von glaubenden Eltern abstammenden kleinen Kinder getauft werden müssen. 36. Wir bekennen, dass uns das Abendmahl, welches das zweite Sakrament ist, als ein Zeugnis der Einheit gilt, die wir mit Jesus Christus haben (1. Kor 10,16 f.; 11,24). Denn er ist nicht nur einmal für uns gestorben und auferweckt, sondern weidet und nährt uns auch wahrhaftig mit seinem Fleisch und Blut, damit wir eins sind mit ihm und sein Leben uns zuteilwird (Joh 6,56 f.; 17,21). Obwohl er sich im Himmel aufhält bis zum Augenblick seiner Wiederkunft zum Gericht über die Welt (Mk 16,19; Apg 3,21), glauben wir doch, dass er uns durch die verborgene und unbegreifliche Kraft seines Geistes mit der Substanz seines Leibes und Blutes nährt und belebt (1. Kor 10,16). Dabei halten wir sehr wohl fest, dass das auf geistliche Weise geschieht (Joh 6,63), nicht um etwa an die Stelle der Wirkung und der Sache selbst nur Einbildung und Gedankenspielerei zu setzen, sondern weil dieses Geheimnis in seiner Hoheit das Maß unserer Sinne und jeder natürlichen Ordnung übersteigt. Kurzum, weil es himmlisch ist, kann es nur durch den Glauben erfasst werden. 37. Wir glauben, wie bereits gesagt, dass Gott uns sowohl im Abendmahl als auch in der Taufe wahrhaft und wirksam das gibt, was er darin abbildet. Darum verbinden wir mit den Zeichen den wahren Besitz und Genuss dessen, was uns dort vor Augen gestellt wird. Somit empfangen alle, die zum heiligen Tisch Christi einen reinen Glauben gleich einem Gefäß mitbringen, wahrhaftig, was diese Zeichen bezeugen: dass Leib und Blut Jesu Christi der Seele nicht weniger zu Speise und Trank dienen als Brot und Wein dem Leib (1. Kor 11,24 f.; Joh 6,56).

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38. Wir sind auch davon überzeugt, dass das Wasser, obwohl es ein vergängliches Element ist, doch nicht aufhört, uns in Wahrheit die innere Reinigung unserer Seele im Blut Jesu Christi durch die Wirkung seines Geistes zu bezeugen (Röm 6,4). Ebenso dienen uns Brot und Wein, die uns im Abendmahl gereicht werden, wahrhaftig zur geistlichen Nahrung, indem sie uns gleichsam vor Augen führen, wie das Fleisch Jesu Christi unsere Speise und sein Blut unser Trank sind (Joh 6,51). Wir verwerfen die Phantasten und Sakramentierer, die solche Zeichen und Kennzeichen nicht empfangen wollen, wo doch unser Herr Jesus Christus verkündet: „Das ist mein Leib“, und: „Dieser Kelch ist mein Blut“ (Mt 26,26–28 parr; 1. Kor 11,24 f.). 39. Wir glauben, dass die Welt nach Gottes Willen durch Gesetze und staatliche Ordnungen regiert werden soll (Ex 18,20 f.; Mt 17,24–27), damit der zur Unordnung neigende Hang der Welt durch einige Zügel in Schranken gehalten wird. So hat Gott Königreiche, Republiken und alle anderen Herrschaftsformen, seien sie erblich oder nicht, eingesetzt, auch alles, was zum Stand der Rechtspflege gehört, und will als Urheber all dessen anerkannt sein (Röm 13,1). Aus diesem Grund hat er das Schwert in die Hand der Regierungen gelegt, um begangene Verstöße nicht nur gegen die zweite Tafel der göttlichen Gebote, sondern auch gegen die erste zu ahnden (Röm 13,3 f.; 1. Petr 2,13 f.). So muss man denn um seinetwillen nicht nur dulden, dass die Oberen herrschen, sondern sie auch ehren und ihnen mit aller Ehrerbietung gegenübertreten (1. Tim 2,2), indem man sie als seine Statthalter und Amtsträger ansieht, die er dazu bestellt hat, einen rechtmäßigen und heiligen Auftrag auszuführen. 40. Wir sind auch davon überzeugt, dass man ihren Gesetzen und Vorschriften gehorchen, Steuern, Zölle (Mt 17,24–27) und andere Auflagen zahlen und das Joch des Gehorsams mit gutem, freiem Willen tragen muss, selbst wenn es sich um Ungläubige handeln sollte – vorausgesetzt, dass die höchste Gewalt Gottes unangetastet bleibt (Apg 4,17–19). Wir verwerfen daher alle, welche die Regierungen nicht anerkennen, Gütergemeinschaft und Eigentumsvermischung einführen und die Rechtsordnung umstürzen wollen.

17. Französische Kirchenordnung (Discipline ecclésiastique) (1559) Einleitung Vom 26. bis zum 28. Mai 1559 fand in Paris die erste nationale Synode der verfolgten französischen protestantischen Kirchen statt. Noch bevor dort ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, die Confession de foi, diskutiert wurde, verabschiedete man eine gemeinsame Kirchenordnung, die Discipline ecclésiastique. Das hat nicht nur mit der reformierten Überzeugung zu tun, dass auch die Ordnung einer Kirche Teil ihres Bekenntnisses ist, sondern vor allem auch mit dem Umstand, dass der nationale französische Protestantismus nicht als eine obrigkeitlich verordnete territoriale Einheitskirche entstanden ist, was im „konfessionellen Zeitalter“ den Normalfall darstellte. Vielmehr ist er aus einem Zusammenschluss unterschiedlicher, im Land verstreuter lokaler Einzelkirchen heraus- und zusammengewachsen, in einem politischen Klima zwischen zeitweiliger Duldung und Verfolgung. Der erste entscheidende Schritt war die Versammlung von Delegierten aus verschiedenen Regionen Frankreichs 1559 in Paris, die somit als „Nationalsynode“ (im Text: „Generalsynode“) bezeichnet wird. Entsprechend galt es, zunächst das Verhältnis der verschiedenen Kirchen untereinander zu klären. Zwar stellt die hier präsentierte Textfassung von Ende Mai 1559 lediglich eine Etappe in einem langen Entwicklungsprozess dar, wovon eine komplizierte Textgeschichte Zeugnis gibt; durch ihre Verabschiedung auf der ersten Nationalsynode kommt ihr aber zweifellos als entscheidende Wegmarke historische Bedeutung zu. Wie der gesamte französische Protestantismus theologisch wesentlich durch Johannes Calvin geprägt wurde, so ist der Einfluss der Genfer Kirchenordnung auf die Discipline ecclésiastique unverkennbar. Die spezifische Situation der Protestanten in Frankreich ließ allerdings andere Fragen und Probleme in den Vordergrund rücken, als sie reformierte Stadtstaaten prägten. Hier konnte die 1559 in Paris verabschiedete erste nationale Kirchenordnung an verschiedene lokale französische Vorbilder anknüpfen, etwa an die 1557 verfassten Articles polytiques von Poitiers. Grundlegend für die französische Kirchenordnung ist ihr presbyterialsynodaler und paritätischer Grundzug. Sie schließt von Anfang an jede Hierarchie aus und formuliert gemeinsame Regeln und Vorgehensweisen auf dem Boden einer bleibenden grundsätzlichen Autonomie jeder Kirche. Sie nimmt damit – in der Mitte des 16. Jahrhunderts – vorweg, was sich im Rückblick als längerfristig charakteristisch für den reformierten Protes-

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tantismus in seiner zunehmenden Verbreitung und Vielfalt erwiesen hat. Eine durch das gemeinsame Hören des Evangeliums und Teilnehmen an den Sakramenten konstituierte Kirche ist prinzipiell antihierarchisch, aber nicht ohne Strukturen; diese müssen allerdings „von unten nach oben“ und nicht umgekehrt ausgehandelt werden. So ist ein erster Abschnitt (Artikel 1–5) dem Verhältnis der Kirchen – im Sinne lokaler Gemeinden – zueinander gewidmet und handelt entsprechend von den „Synoden“, sowohl auf provinzieller wie auf nationaler Ebene. Weitere Themenfelder sind die kirchlichen Ämter in ihren Funktionen, Kompetenzen und Grenzen sowie Fragen des praktischen innerkirchlichen Zusammenlebens und der Konfliktlösung. Abgesehen von der allgemeinen Unterzeichnung der Confession de foi und der Discipline ecclésiastique behalten die einzelnen Kirchen ausdrücklich Gestaltungsfreiraum (Artikel 21). Grundsätzlich wird nur an eine jeweils höhere Instanz delegiert, was die einzelnen Kirchen nicht selber entscheiden können, etwa im Falle eines inner- oder zwischenkirchlichen Konflikts oder bei Entscheidungen von übergemeindlicher Tragweite. Dabei erhalten die Provinzsynoden die Funktion eines Schiedsgerichtes. Dadurch, dass sie regelmäßig abgehalten werden sollen (Artikel 5), erhalten sie zusätzliches Gewicht, während die Nationalsynode lediglich nach Notwendigkeit (Artikel 4) und eher für koordinierende als für dirigierende Aufgaben einberufen wird, was wohl auch mit dem organisatorischen Aufwand und der politischen Lage zu tun hat. Die Umschreibung der Ämter und ihrer Funktionen und die Einsetzung des Konsistoriums als „Senat“ der Kirche (Artikel 20) im Dienst der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung dokumentiert deutlich die Phase der Institutionalisierung von Gemeinden, die zunächst durch Wanderevangelisten gegründet worden waren und nun ihre eigene Ordnung zu entwickeln und auf Dauer zu stellen begannen. Nun geht es darum, feste, an die lokalen Gemeinden gebundene Ämter, Instanzen und Mechanismen der Konfliktregelung einzurichten. Durch ihre deutliche Absage an alle personal gebundene Autorität oder Privilegien und durch die Schaffung von funktional begründeten Ämtern bildet die Discipline ecclésiastique einen klaren Kontrast sowohl zur römisch-kirchlichen wie zur politisch-ständischen Umwelt. Dass dem Pastorenamt diesbezüglich besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, liegt auf der Hand. Auch die Ämter der Ältesten und der Diakone werden als Funktionen der Ortsgemeinde umschrieben. Die Ausübung dieser beiden Ämter ist zeitlich begrenzt, und deren Inhaber sind der Gemeinde gegenüber rechenschaftspflichtig (Artikel 21–25). In ihrem letzten Artikel verzichtet die Discipline ecclésiastique ausdrücklich auf den Anspruch einer unveränderbaren Geltung (Artikel 40).

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In den folgenden Synoden erfuhren die Artikel von 1559 denn auch kontinuierlich beträchtliche Erweiterungen und Veränderungen. Ihre Kerngedanken wurden dabei modifiziert, ohne dass man allerdings von einer Veränderung im Grundsatz sprechen könnte. Ihr Umfang wuchs dabei erheblich an: Bereits 1572 umfasste sie 150 Artikel. Edition Die Discipline ecclésiastique von 1559, in: RefBS 2/1: 1559–1563, 57–83 (Bearb.: Peter Opitz / Nicolas Fornerod) Übersetzung Kirchliche Ordnung, in: Evangelische Bekenntnisse. Bekenntnisschriften der Reformation und neuere theologische Erklärungen, hg. v. Rudolf Mau, Bd. 2, Bielefeld 1997, 201–205 (Übers.: Rudolf Mau) Literatur François Méjan, Discipline de l’Église réformée de France, annotée et précédée d’une introduction historique, Paris 1947 Glen S. Sunshine, Reforming French Protestantism. The Development of Huguenot Ecclesiastical Institutions, 1557–1572, Kirksville / MO 2003 Einleitung: Peter Opitz; Übersetzung: Rudolf Mau, überarbeitet von Peter Opitz

Französische Kirchenordnung (Discipline ecclésiastique) (1559)

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Französische Kirchenordnung (Discipline ecclésiastique) (1559) Die kirchliche Ordnung ist hier nach ihrem ersten inhaltlichen Plan wiedergegeben, wie er in den Schriften der Apostel enthalten ist. 1. Erstens darf keine Kirche sich ein Vorrecht oder die Herrschaft über eine andere anmaßen. 2. In jeder Kirchenversammlung oder Synode soll ein Vorsitzender mit allgemeinem Einverständnis gewählt werden, um die Versammlung oder die Synode zu leiten und das dort Nötige zu tun. Dieses Amt soll jeweils mit dem Ende jeder Kirchenversammlung oder Synode enden. 3. Die Prediger sollen zu jeder Synode einen Ältesten oder einen Diakon ihrer Kirche mitbringen, oder mehrere. 4. Bei den Generalsynoden, die sich versammeln, wenn es für die Kirchen nötig ist, soll eine gütige und brüderliche Beurteilung aller stattfinden, die daran teilnehmen. Danach soll das Mahl unseres Herrn Jesus Christus gefeiert werden. 5. Die Prediger und wenigstens ein Ältester oder Diakon jeder Kirche oder Provinz sollen sich zweimal im Jahr versammeln. 6. Die Prediger sollen im Konsistorium durch die Ältesten und Diakone gewählt werden. Und sie sollen der Gemeinde vorgestellt werden, für die sie bestimmt sind. Wenn es Widerspruch gibt, soll es Sache des Konsistoriums sein, darüber zu urteilen. Für den Fall, dass von der einen der anderen Seite Unzufriedenheit entsteht, soll das Ganze der Provinzsynode vorgetragen werden, nicht um die Gemeinde zu nötigen, den gewählten Prediger anzunehmen, sondern damit dieser sich rechtfertigen kann. 7. Prediger von anderen Kirchen sollen nicht ohne beglaubigte Empfehlungsschreiben entsandt werden. Ohne diese oder ohne eine Prüfung sollen sie nicht anerkannt werden. 8. Diejenigen, die gewählt werden, sollen das Glaubensbekenntnis unterschreiben, das sowohl in den Kirchen in Geltung ist, in denen sie gewählt worden sind, als auch bei den anderen, zu denen sie entsandt werden. Und die Wahl soll bestätigt werden durch Gebete und durch die Auflegung der Hände der Prediger, aber ohne irgendwelchen Aberglauben.

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9. Die Prediger einer Kirche sollen nicht in einer anderen predigen dürfen ohne das Einverständnis des Predigers derselben oder, bei dessen Abwesenheit, des Konsistoriums. 10. Wer in ein kirchliches Amt gewählt worden ist, soll ermuntert und aufgefordert werden, es anzunehmen, nicht aber dazu genötigt werden. Wenn Prediger, die ihr Amt nicht an den Orten ausüben können, für die sie bestimmt sind, nach dem Ermessen der Kirche anderswohin gesandt werden, aber nicht dorthin gehen wollen, sollen sie ihre Weigerungsgründe dem Konsistorium mitteilen. Dort soll beurteilt werden, ob diese annehmbar sind. Sind sie es nicht und beharren sie darauf, das betreffende Amt nicht annehmen zu wollen, so soll die Provinzsynode darüber entscheiden. 11. Jemand, der sich in ein Amt drängt, soll, auch wenn er seitens der Gemeinde Zustimmung erfährt, von den benachbarten Predigern oder anderen nicht anerkannt werden, wenn seitens einer anderen Kirche seine Anerkennung strittig ist. Bevor man aber anderes veranlasst, soll sich, sobald dies geschehen kann, die Provinzsynode versammeln, um darüber zu entscheiden. 12. Diejenigen, die einmal für den Dienst am Wort gewählt worden sind, sollen dies so verstehen, dass sie gewählt wurden, um ihr ganzes Leben lang Prediger zu sein. 13. Und was diejenigen betrifft, die für gewisse Zeiten entsandt wurden, so sollen sie, wenn der Fall eintritt, dass die Kirchen nicht auf andere Weise für die Gemeinde sorgen können, nicht die Kirche verlassen dürfen, für die Jesus Christus gestorben ist. 14. Im Falle einer allzu großen Verfolgung soll ein zeitweiliger Wechsel von einer Kirche zu einer anderen möglich sein, mit Zustimmung und nach Ermessen der beiden Kirchen. Dasselbe kann auch in anderen begründeten Fällen geschehen, nachdem auf einer Provinzsynode darüber berichtet und entschieden wurde. 15. Diejenigen, die eine schlechte Lehre vortragen und, nachdem sie vermahnt wurden, nicht davon ablassen, auch diejenigen, die sich wegen eines anstößigen Lebens Strafe seitens der Staatsgewalt oder die Exkommunikation zuziehen oder die dem Konsistorium den Gehorsam verweigern oder die in anderer Weise ungenügend sind, sollen abgesetzt werden.

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16. Denjenigen, die wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder aus anderen Umständen nicht in der Lage sind, ihr Amt zu versehen, soll die Ehre des Amtes belassen werden. Ihre Kirchen sind angehalten, sie zu versorgen, und ein anderer soll das Amt verwalten. 17. Anstoßerregende und unter obrigkeitlicher Strafe stehende Fehltritte, welche der Kirche großes Ärgernis bereiten, wann auch immer sie begangen worden sind, sei es zur Zeit der Unkenntnis [des Wortes Gottes] oder danach, führen zur Absetzung des Predigers. Andere, weniger anstößige Vergehen bleiben dem Ermessen und dem Urteil der Provinzsynode überlassen. 18. Im Falle von erheblichen Fehltritten soll die Absetzung durch das Konsistorium rasch erfolgen, unter Hinzuziehung von zwei oder drei Pastoren. Im Falle der Anklage auf falsches Zeugnis oder Verleumdung aber soll sie der Provinzsynode überlassen bleiben. 19. Die Gründe der Absetzung sollen der Gemeinde nicht mitgeteilt werden, wenn dafür keine Notwendigkeit besteht. Darüber soll das Konsistorium entscheiden. 20. Die Ältesten und Diakone bilden den Senat der Kirche, in welchem die Diener am Wort den Vorsitz haben sollen. 21. Das Amt der Ältesten soll darin bestehen, die Gemeinde zu versammeln, das Konsistorium über Ärgernisse zu informieren und Ähnliches, wie es in jeder Kirche in schriftlicher Form, nach den örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten, festgelegt sein soll. Das Amt der Ältesten, wie wir es gegenwärtig haben, besteht nicht auf Lebenszeit. 22. Was die Diakone betrifft, so soll es ihre Aufgabe sein, die Armen, die Gefangenen und die Kranken zu besuchen und in die Häuser zu gehen, um den Katechismus zu lehren. 23. Die Diakone haben nicht die Aufgabe, das Wort zu predigen oder die Sakramente zu verwalten, obwohl sie dabei helfen können. Ihr Amt besteht auch nicht auf Lebenszeit. Jedoch sollen weder sie noch die Ältesten es ohne Erlaubnis der Kirchen niederlegen können. 24. Bei Abwesenheit des Predigers, oder falls er krank ist oder eine andere Notwendigkeit besteht, soll der Diakon die Gebete halten und einen Abschnitt aus der Heiligen Schrift lesen, doch nicht in der Form einer Predigt.

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25. Die Diakone und Ältesten sollen aus denselben Gründen, wie sie für die Diener am Wort gelten, abgesetzt werden [können]. Und wenn sie, nachdem sie durch das Konsistorium verurteilt sind, dagegen Berufung einlegen, sollen sie des Amtes enthoben sein, bis die Sache durch die Provinzsynode geregelt ist. 26. Die Prediger oder andere Glieder der Kirche sollen keine von ihnen oder anderen verfassten Bücher, welche die Religion betreffen, drucken lassen oder anderweitig veröffentlichen, ohne sie zwei oder drei unverdächtigen Dienern am Wort zur Kenntnis zu geben. 27. Irrlehrer, Verächter Gottes, Aufrührer gegen das Konsistorium, solche, die gegen die Kirche handeln, die angeklagt und überführt sind, Taten begangen zu haben, die eine leibliche Strafe verdienen, sowie solche, die der ganzen Kirche ein großes Ärgernis bereiten, sollen gänzlich exkommuniziert und ausgeschlossen sein, nicht nur von den Sakramenten, sondern auch von jeder Versammlung. Was andere Vergehen betrifft, soll es dem Ermessen der Kirche überlassen werden, solche, die von den Sakramenten ausgeschlossen sind, zur Predigt zuzulassen. 28. Diejenigen, die wegen Irrlehre, Verachtung Gottes, Kirchenspaltung, Verrats gegenüber der Kirche, Aufruhr gegen sie und anderer Vergehen, die für die ganze Kirche große Ärgernisse sind, exkommuniziert werden, sollen der Gemeinde als Exkommunizierte mitgeteilt werden unter Angabe der Gründe ihrer Exkommunikation. 29. Was diejenigen betrifft, die wegen geringerer Gründe exkommuniziert werden, so soll es dem Ermessen der Kirche überlassen bleiben, ob es der Gemeinde mitgeteilt werden soll oder nicht, bis zu dieser Frage eine andere Bestimmung seitens der folgenden Generalsynode getroffen wird. 30. Diejenigen, die exkommuniziert worden sind, sollen zum Konsistorium kommen und bitten, mit der Kirche wieder versöhnt zu werden. Dieses soll über ihre Reue urteilen. Wenn sie öffentlich exkommuniziert wurden, sollen sie auch öffentlich ihre Buße bekunden. Wurden sie nicht öffentlich exkommuniziert, sollen sie dies vor dem Konsistorium tun. 31. Diejenigen, die in einer Verfolgung den Glauben verleugnet haben, sollen nur dann wieder in die Kirche aufgenommen werden, wenn sie vor der Gemeinde öffentlich Buße tun.

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32. In Zeiten von harter Verfolgung, Krieg, Pest, Hungersnot oder anderer großer Bedrängnis, ebenso, wenn man die Diener am Wort wählen will oder wenn eine Synode zusammentreten soll, kann man öffentliche und außerordentliche Gebete ankündigen, die mit Fasten verbunden sind. Das soll aber ohne Gewissensskrupel und Aberglauben geschehen. 33. Eheschließungen sollen dem Konsistorium angezeigt werden, wo der von einem öffentlichen Notar aufgesetzte Ehevertrag vorgelegt werden soll. Die Eheverkündigung soll mindestens zweimal innerhalb von vierzehn Tagen erfolgen. Danach kann die Trauung in der öffentlichen Versammlung stattfinden. Von diesem Vorgehen soll nicht abgewichen werden außer aus gewichtigen Gründen, über die das Konsistorium zu befinden hat. 34. Sowohl über die Eheschließungen als auch über die Taufen sollen Register geführt und sorgfältig in der Kirche aufbewahrt werden, samt den Namen der Väter und Mütter und der Paten der getauften Kinder. 35. Was Verwandtschaftsgrade und Verschwägerungen angeht, sollen die Gläubigen keine Ehe mit einer Person schließen dürfen, durch die ein großes Ärgernis entstehen könnte. Darüber soll die Kirche befinden. 36. Gläubige, deren Ehepartner oder Ehepartnerin des Ehebruchs überführt wurde, sollen ermuntert werden, sich mit ihnen wieder zu versöhnen. Wenn sie das nicht tun wollen, soll man sie auf die Freiheit hinweisen, die sie durch das Wort Gottes haben. Die Kirchen sollen aber keine Ehen scheiden, um nicht in die Autorität des Staates einzugreifen. 37. Junge Leute, die noch minderjährig sind, können keine Ehe schließen ohne das Einverständnis ihrer Väter und Mütter. Falls aber die Väter und Mütter so unverständig sind, dass sie einer heiligen und nützlichen Sache nicht zustimmen wollen, soll sich das Konsistorium damit befassen. 38. Rechtmäßig zustande gekommene Eheversprechen sollen nicht aufgelöst werden können, auch nicht in gegenseitigem Einvernehmen derer, die sie geleistet haben. Wenn solche Verlöbnisse rechtmäßig getätigt wurden, soll es dem Konsistorium zukommen, darüber zu entscheiden. 39. Keine Kirche soll eine Sache in Angriff nehmen, die von großer Tragweite ist oder den Nutzen oder Schaden anderer Kirchen mitbetreffen kann, ohne die Beratung der Provinzsynode – sofern es möglich ist, sie zu versammeln. Wenn die Sache aber drängt, soll sie zumindest die anderen Kirchen der Provinz brieflich informieren und sie um Zustimmung bitten.

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40. Die hier vorgelegten, die Ordnung betreffenden Artikel sind unter uns nicht in der Weise festgelegt, dass sie nicht geändert werden könnten, wenn der Nutzen der Kirche dies erfordert. Aber dies zu tun soll nicht in der Macht einer Teilkirche stehen, sondern erfordert die Beratung und Zustimmung der Generalsynode. So unterzeichnet auf dem Original: François de Morel, gewählt zum Vorsitz auf der Synode im Namen aller. Gegeben zu Paris am 28. Mai 1559, im 13. Jahr der Herrschaft des Königs Heinrich [II.].

18. Schottisches Bekenntnis (Confessio Scotica) (1560) Einleitung Die Confessio Scotica, das Schottische Bekenntnis, gehört zu den Bekenntnissen, die in der Genfer Tradition stehen. Auch wenn Johannes Calvin nicht sein Autor ist, so verrät das Bekenntnis den prägenden Einfluss seines reformatorischen Denkens und setzt dabei doch eigene theologische Akzente. Dem Bekenntnis vorausgegangen war ein Wandel der Machtverhältnisse in Schottland aufgrund des militärischen Eingreifens Englands, sodass sich die reformatorische Partei am Ziel ihrer Hoffnungen auf eine Erneuerung von Staat und Kirche sah. Die ehemaligen Kontrahenten, die Partei der Regentin Maria von Guise mit ihren französischen Hilfstruppen einerseits und der reformatorisch gesonnene schottische Adel mit seinen englischen Hilfstruppen andererseits, schlossen am 8. Juli 1560 Frieden. Das Parlament befasste sich mit der Durchsetzung der Reformation und beauftragte eine Kommission von sechs Theologen – unter ihnen John Knox (1514?–1572) –, die eine Darstellung der reformatorischen Lehre schreiben sollten. Der aus 25 Artikeln bestehende Text wurde eilig in englischer Sprache abgefasst und mit einer Vorrede versehen. Als ihr Hauptverfasser gilt Knox, der zuvor 1554 das Exil in Genf wählte und dort Calvins Schüler war. Das Parlament forderte die römische Seite auf, dagegen zu opponieren; doch der Widerspruch blieb aus. Am 17. August 1560 wurde das Bekenntnis gegen den Widerstand von Maria Stuart vom schottischen Parlament nahezu einstimmig angenommen, was gleichbedeutend mit der Begründung der schottischen reformierten Kirche war. In seinen 25 Artikeln folgt das Bekenntnis dem Apostolikum und entfaltet in trinitarischer Ordnung und heilsgeschichtlicher Reihung die reformatorischen Überzeugungen von der Gotteslehre bis zur Lehre von der Kirche und den Sakramenten. Die unten ebenfalls abgedruckte Vorrede bringt den verpflichtenden Charakter des in den biblischen Schriften enthaltenen Wortes Gottes zur Sprache. Die Artikel 1–12 widmen sich den Grundlegungen der christlichen Lehre: Gott (Artikel 1), Schöpfung (Artikel 2), Sündenfall (Artikel 3), Verheißungsgeschichte (Artikel 4 f.), Jesus Christus (Artikel 6–11) und Heiliger Geist (Artikel 12). Es fällt auf, dass ein Bogen vom Bekenntnis der Herrschaft Gottes (Artikel 1 f.) über die Erlösung (Artikel 4–11) bis zur Wiedergeburt durch den Heiligen Geist (Artikel 12) gespannt wird. In die Dynamik von Schöpfung,

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Erlösung und Heiligung werden zentrale Themen wie die Kontinuität zwischen Altem und Neuem Bund (Artikel 4 f.) und Jesu Christi Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen (Artikel 8) eingezeichnet. An diese Grundlegungen schließen sich die Artikel 13–25 mit den Themen an, die in der Auseinandersetzung mit der römischen Kirche betont wurden: Gesetz und gute Werke (Artikel 13–15), Kirche (Artikel 16–20), Sakramente (Artikel 21–23), weltliche Regierung (Artikel 24) und letzte Dinge (Artikel 25). Dazu gehören auch die Passagen, in denen sich das Bekenntnis zur wahren Gestalt der Kirche äußert, der polemisch die Praxis der römischen Kirche gegenübergestellt wird (Artikel 18.22). Der englische Text erhielt 1572 eine offizielle lateinische Übersetzung. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts trat das Bekenntnis in den Schatten der Westminster Confession (1647). Edition Confessio Scotica, in: RefBS 2/1: 1559–1563, 209–299 (Bearb.: Ian Hazlett) Übersetzungen Schottisches Bekenntnis von 1560, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949, 127–151 (Übers.: Wilhelm Kolfhaus) Confessio Scotica (Schottisches Bekenntnis) von 1560, in: Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Georg Plasger / Matthias Freudenberg, Göttingen 2005, 124–150 (Übers.: Matthias Freudenberg) Literatur Karl Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. 20 Vorlesungen über das Schottische Bekenntnis von 1560, Zürich 1938 Ian Hazlett, The Scots Confession 1560: Context, Complexion and Critique, in: ARG 78 (1987), 287–320 Alasdair  I. C. Heron, Das reformierte Zeugnis: Erbe oder Herausforderung? Gedanken aus der Confessio Scoticana (1560), in: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Aufsätze für Hans-Joachim Kraus, hg. v. Hans-Georg Geyer u. a., Neukirchen-Vluyn 1983, 431–440 Einleitung und Übersetzung: Matthias Freudenberg

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Schottisches Bekenntnis (Confessio Scotica) (1560) Bekenntnis des Glaubens und der Lehre, das von der reformierten Kirche des Königreichs Schottland angenommen wurde. Es wurde den im Parlament versammelten Ständen dieses Reiches vorgelegt und einstimmig von ihnen angenommen, da es sich auf die festen Grundlagen des Wortes Gottes stützt und mit ihm übereinstimmt. Die Stände und Bürger von Schottland, die Christus bekennen, wünschen ihren Landsleuten sowie den auswärtigen Königreichen und Nationen, die denselben Christus Jesus bekennen, Gnade, Barmherzigkeit und Frieden von Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, samt dem Geist der Gerechtigkeit und des richtigen Urteils (1. Tim 1,2; 2. Tim 1,2; Röm 2,5; 2. Thess 1,5). Schon längst haben wir gewünscht, liebe Brüder, der Welt den Grund der Lehre soweit als möglich deutlich zu machen, die wir bekennen und derentwegen wir so oft Schmähungen und Gefahren ausgesetzt sind. Jedoch infolge des Wütens Satans nicht nur gegen uns, sondern gegen Jesus Christus selbst und seine bei uns seit kurzem aufs Neue ans Licht gekommene Wahrheit, war es uns bis heute nicht möglich, unsere Ansicht über diese Dinge deutlich auszusprechen, wie wir es gern getan hätten. Denn der größte Teil Europas weiß nach unserer Überzeugung wohl, wieviel Leid uns in der ganzen vorigen Zeit getroffen hat. Nachdem uns aber jetzt durch die unermessliche Güte Gottes, der uns wohl bedrückt, aber nie völlig unterdrückt werden lässt (Jes  50,7), ein wenig Ruhe und Freiheit aufgeleuchtet ist, konnten wir nicht davon Abstand nehmen, dieses kurze und christliche Bekenntnis der Lehre zu veröffentlichen, die wir fest glauben und bekennen. Wir möchten damit zum einen unseren Brüdern helfen, in deren Herzen zweifellos immer noch die Narben der Wunden zu spüren sind, die ihnen durch den Spott und Hohn derer zugefügt wurden, die noch nicht gelernt haben, recht zu reden. Zum anderen aber möchten wir auch gewissen schamlosen Lästerern den Mund stopfen, die sich nicht schämen, das hochmütig zu verdammen, von dem sie nie etwas gehört oder es wirklich verstanden haben. Dabei liegt uns die Hoffnung fern, jene tief eingewurzelte Verdorbenheit könne durch dieses unser schlichtes Bekenntnis geheilt werden. Denn wir wissen, dass der süße Geruch des Evangeliums den Kindern der Verderbnis den Tod bringt (2. Kor 2,15 f.; Joh 17,12; 2. Thess 2,3). Vielmehr hielten wir uns den schwachen Brüdern gegenüber für verpflichtet (1. Kor 8,9–12), als wir meinten, ihnen unsere auf dem tiefsten Grund des Herzens erwachsene Überzeugung mitteilen zu sollen, damit sie nicht in Verwirrung gerieten oder gar von uns getrennt würden durch die vielen

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Gerüchte, die Satan gegen uns ausgestreut hat, um unser heiliges und frommes Unternehmen zunichte zu machen. Deshalb erklären wir in aller Form und bitten alle inständig: Wenn jemand irgendeinen Artikel oder auch nur einen Satz bemerkt, der dem heiligen Wort Gottes widerspricht, so möge er uns nach seiner Menschenpflicht und der Liebe, mit der er Christus und seiner Herde anhängt, schriftlich ermahnen. Wenn er das tut, so versprechen wir ihm feierlich, dass wir ihm Bescheid geben werden nach dem, was Gott, das heißt, was das Wort der Heiligen Schrift redet (Mt 4,4), oder dass wir abstellen werden, was er uns als von diesem Wort abweichend nachgewiesen hat. Denn wir rufen Gott zum Zeugen an (Röm 1,9; 2,15; 9,1), dass wir alle Irrlehre sowie die Urheber falscher Lehre von Herzen verabscheuen und uns in tiefster Demut dem lauteren Evangelium Christi unterwerfen, das die einzige Speise unserer Seelen und uns deshalb so teuer ist (Joh 6,54– 56), dass wir entschlossen sind, lieber alles zu erdulden, was uns Menschen antun können (2. Petr 1,1; 2. Kor 12,10), als uns um diese Speise betrügen zu lassen. Denn das ist ganz gewiss, dass Christus den vor dem Vater und seinen heiligen Engeln verleugnen wird, der sich Christi schämt oder ihn vor den Menschen verleugnet (Mt 10,33; Mk 9,38; Lk 12,9). Deshalb ist es im Vertrauen auf die gegenwärtige Hilfe unseres allmächtigen Herrn Jesus Christus unser Vorsatz, bei dem Bekenntnis unseres in den folgenden Artikeln bekannten Glaubens zu beharren. 1. Gott Wir bekennen und anerkennen einen einzigen Gott, dem allein wir anhängen, dienen und ehren sollen. Auf ihn allein wollen wir die ganze Hoffnung unseres Heils gründen (Dtn 4,35; 6,4; Jes 44,5 f.). Wir glauben auch, dass er der ewige, unendliche, unfassbare, unbegreifliche, allmächtige und unsichtbare Gott ist, dem Wesen nach einer, unterschieden aber in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist (Mt 28,19). Wir behaupten und glauben auch, dass durch diesen Gott alles Sichtbare und Unsichtbare, das im Himmel und auf der Erde ist, geschaffen wurde (Gen 1,1), bestehen bleibt und durch seine unerforschliche Vorsehung gelenkt und regiert wird (Prov 16,4; Röm 11,33). Das Ziel, das seine ewige Weisheit, Güte und Gerechtigkeit gesetzt hat, besteht darin, dass er seinen Ruhm und seine Majestät offenbart. 2. Die Erschaffung des Menschen Ebenso glauben und bekennen wir, dass von diesem unserem Gott der Mensch, das heißt der erste Vater des menschlichen Geschlechts, Adam, zu seinem Bild und Ebenbild geschaffen wurde. Von ihm wurde er mit Weis-

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heit, Herrschaft, Gerechtigkeit, Willensfreiheit und deutlicher Erkenntnis seiner selbst beschenkt, sodass in der gesamten menschlichen Natur nichts zu entdecken war als umfassende Vollkommenheit (Gen 1,26–28). Von dieser Würde und natürlichen Vollkommenheit aber sind Mann und Frau abgefallen, der Mann betrogen durch die Frau, die Frau betrogen durch die Schlange. Der Mann gehorchte der Stimme der Frau, und beide lehnten sich gegen die Majestät Gottes auf, der ihnen zuvor klar und deutlich den Tod angedroht hatte, wenn sie von dem verbotenen Baum essen würden (Gen 2,17). 3. Die Ursünde Durch die Verachtung des Gebots, die man allgemein Ursünde nennt, ist das Bild Gottes im Menschen vollständig ausgelöscht worden (Gen 1,26). Sein Ungehorsam hat den Menschen und seine ganze Nachkommenschaft zum Feind Gottes, zu einem Sklaven des Teufels und zu einem Gefangenen der Sünde gemacht (Eph 2,1–3; Röm 5,10.12), sodass der ewige Tod die Herrschaft antrat und diese in Zukunft über alle haben sollte, die nicht von Gott wiedergeboren wurden oder noch wiedergeboren werden (Joh 3,3.5). Die Wiedergeburt ist das Werk des Heiligen Geistes, der in die Herzen der von Gott Erwählten den festen Glauben an die Verheißungen einpflanzt, die Gott uns durch sein Wort geoffenbart hat. Durch diesen Glauben ergreifen wir Jesus Christus und die ganze Gnade und Wohltat, die uns in Christus verheißen ist (Röm 5,1.14.21; 8,1–30). 4. Die Offenbarung der Verheißungen Wir glauben fest daran, dass Gott nach jenem furchtbaren und schrecklichen Abfall des Menschen vom Gehorsam ihm gegenüber Adam von neuem gesucht, beim Namen gerufen, angeklagt und überführt hat. Schließlich hat er ihn durch jene Verheißung, die voller Freude war, getröstet und ihm versprochen: Es wird geschehen, dass der Nachkomme der Frau den Kopf der Schlange zertreten, also alle Werke des Teufels zerstören und ausrotten wird (Gen 3,5.15). Diese Verheißung, die durch alle Zeiten hindurch oft wiederholt und immer deutlicher erklärt wurde, ist von allen Glaubenden mit größter Freude aufgenommen worden und fand festes Vertrauen: von Adam bis Noah, von Noah bis Abraham, von Abraham bis David und weiter bis zu den übrigen Vätern, die unter dem Gesetz als Glaubende gelebt haben, bis zur Fleischwerdung Christi. Sie alle haben die herrlichen Tage Jesu Christi gesehen und freuten sich daran (Gen 12,3; 15,5 f.; Jes 7,14; 8,1–16).

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5. Beständige Fortdauer, Wachsen und Bewahrung der Kirche Wir sind auch fest davon überzeugt, dass Gott in allen aufeinander folgenden Zeiten von Adam an bis zum Kommen Jesu Christi im Fleisch seine Kirche bewahrt, unterrichtet, gemehrt, mit Ehre versehen, geschmückt und vom Tod zum Leben gerufen hat (Ez 16,1–14). Denn er rief Abraham aus seinem Vaterland und den Wohnsitzen seiner Vorfahren, unterrichtete ihn, mehrte seine Nachkommenschaft und bewahrte auf wunderbare Weise deren Anzahl (Gen 12,1–7; 13,15 f.). Noch wunderbarer errettete er ihn aus der Knechtschaft und Tyrannei des Pharaos (Ex 1,8–22; 2). Den Nachkommen Abrahams gab er seine Gebote, Ordnungen und gottesdienstlichen Regeln (Ex 20). Er führte sie ins Land Kanaan, um es zu besitzen (Jos 1–3), gab ihnen Richter sowie Saul und David zum König, dem er versprach, dass aus der Frucht seiner Lenden der kommen soll, der für immer auf seinem Königsthron sitzen werde (1. Sam 16,13). Diesem Volk sandte er im Verlauf der Zeiten Propheten, die es auf den Weg seines Gottes zurückführen sollten, von dem sie oft zum Götzendienst abgeirrt waren (2. Kön 17,13–16). Wegen ihrer frechen Verachtung der Gerechtigkeit hatte er sie häufig der Gewalt ihrer Feinde ausgeliefert (2. Kön 24,2–4), wie er es zuvor durch Mose angedroht hatte (Dtn 28,15–68), sodass die heilige Stadt zerstört, der Tempel verbrannt und ihr ganzes Land siebzig Jahre lang in eine öde Wüste verwandelt wurde (2. Kön 25,1–17; Jer 38 f.). Trotz allem hat er sie, durch Mitleid bewogen, nach Jerusalem zurückgeführt (Esr 1,2–4; Hag 1,14; 2,7–9). Nachdem die Stadt wiederaufgebaut und der Tempel wiederhergestellt war (Hag 1 f.), haben sie sich der an sie ergangenen Verheißung erinnert und allen Listen und Anfechtungen des Teufels zum Trotz dort die Ankunft des Messias erwartet (Sach 3,8). 6. Die Fleischwerdung Jesu Christi Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, seine ewige Weisheit und den Inbegriff seiner Herrlichkeit, in die Welt (Gal 4,4). Der Sohn nahm unter der Mitwirkung des Heiligen Geistes menschliche Natur an, da er aus dem Wesen einer Frau, und zwar einer Jungfrau, stammte (Lk 1,31.35). So wurde der gerechte Nachkomme Davids, ein Engel von Gottes großem Rat, geboren (Lk 2,11; Joh 7,42). Er war der wahre, im Gesetz verheißene Messias, den wir anerkennen und bekennen als Immanuel, als wahren Gott und wahren Menschen, als die eine Person, die aus zwei vollkommenen Naturen besteht. Durch unser Bekenntnis verwerfen wir die verderbliche und schädliche Irrlehre des Arius, Marcion, Eutyches, Nestorius und der übrigen Männer solcher Art, die entweder die Ewigkeit seiner Gottheit oder die Wahrheit seiner menschlichen Natur leugnen oder die beiden Naturen miteinander vermischen oder voneinander trennen.

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7. Warum der Mittler und Versöhner wahrer Gott und wahrer Mensch sein muss Wir anerkennen und bekennen, dass die höchst wunderbare Verbindung von Gottheit und Menschheit aus dem ewigen und unveränderlichen Rat Gottes hervorgeht, aus dem unser ganzes Heil entspringt und von dem es abhängt. 8. Die Erwählung Derselbe ewige Gott und Vater, der uns nach seiner reinen Gnade in Christus Jesus, seinem Sohn, vor Grundlegung der Welt erwählt hat, hat ihn für uns zum Haupt, Bruder, Hirten und großen Hohepriester unserer Seelen bestimmt (Joh 1,1–3; Hebr 2,7 f.11 f.; 7; Joh 10). Gottes Gerechtigkeit stand aber unseren Sünden so abgeneigt und feindlich gegenüber, dass kein Mensch von sich aus zu Gott gelangen konnte. Darum musste der Sohn Gottes zu uns herabsteigen und Leib von unserem Leib, Fleisch von unserem Fleisch und Gebein von unserem Gebein annehmen und so der rechte Mittler und Versöhner zwischen Gott und dem Menschen werden. Er schenkte denen, die an ihn glaubten, die Macht, Gottes Kinder zu werden (Joh 1,12), wie er selbst bezeugt: „Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh 20,17). Durch diese überaus heilige Bruderschaft ist uns das, was wir in Adam verloren hatten, wieder zurückgegeben worden. Daher tragen wir auch kein Bedenken, Gott unseren Vater zu nennen. Das tun wir nicht deswegen, weil wir von ihm geschaffen wurden – denn das verbindet uns mit den Verworfenen –, sondern vielmehr, weil es ihm gefallen hat, dass sein einziger Sohn unser Bruder würde (Hebr 2,11 f.). Das hat er uns geschenkt, damit wir ihn als einzigen Mittler und Versöhner anerkennen und annehmen, wie oben gesagt wurde. Außerdem musste er, welcher der wahre Messias und Erlöser sein sollte, sowohl wahrer Mensch wie wahrer Gott sein, um die Strafen zu tragen, die wir durch unsere Übertretung verdient hatten (Jes 53,5.8). Vor dem Richterstuhl des Vaters sollte er erscheinen, um im Erleiden der Strafe für unsere Übertretung und unseren Ungehorsam an unserer Stelle zu stehen und durch seinen Tod den Urheber des Todes zu überwinden. Weil aber weder seine göttliche Natur allein leiden noch seine menschliche Natur allein den Tod besiegen konnte, hat er beide zu einer Person vereinigt. Auf diese Weise war die Schwachheit der einen Natur dem von uns verdienten Tod ausgesetzt, und die unbesiegbare und unermessliche Kraft der anderen, nämlich der göttlichen Natur, triumphierte über den Tod und erwarb uns das Leben, die Freiheit und für immer den Sieg.

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9. Tod, Leiden und Begräbnis Christi Wir sind fest davon überzeugt, dass unser Herr Jesus Christus sich freiwillig als Opfer für uns dem Vater hingegeben hat (Hebr 10,4–12). Er wurde von den Sündern mit Schmähungen gequält und litt Wunden für unsere Sünden (Jes 53,5). Obwohl er das reine und unschuldige Lamm Gottes war, wurde er vor dem Richterstuhl des irdischen Richters verurteilt, damit wir vor dem Richterstuhl unseres Gottes freigesprochen würden (Gal 3,13; Röm 14,10). Nicht nur den grausamen und von Gottes Wort verfluchten Tod am Kreuz hat er erlitten (Dtn 21,23; Gal 3,13), sondern eine Zeit lang auch den von den Sündern verdienten Zorn des Vaters ertragen. Den Schmerz und das Kreuz hat er gleichermaßen an Seele und Leib erduldet, um die Sünden der Menschen vollkommen zu bezahlen. Mitten in diesem Geschehen ist er für den Vater trotzdem immer der einzig geliebte und gesegnete Sohn geblieben (Mt 3,17). Weiter bekennen und bekräftigen wir auch, dass es danach kein Opfer mehr für die Sünden gibt (Hebr 10,10.14). Wenn Leute das Gegenteil behaupten, zögern wir nicht, sie als Lästerer gegen Christi Tod und die durch ihn geschehene ewige Reinigung und Genugtuung zu bezeichnen, durch die er mittels seines Todes den Vater mit uns versöhnt hat. 10. Die Auferstehung Wir glauben auch fest daran, dass der Herr Jesus, der ans Kreuz gehängt, gestorben, begraben und zu den Toten hinabgestiegen war, wieder auferstanden ist, um uns zu rechtfertigen (Apg 3,26; Röm 6,5.9). Schließlich konnten die Schmerzen des Todes unmöglich auf Dauer Gewalt über den Urheber des Lebens haben (Apg 2,24; 3,15). Nach dem Sieg über den Urheber des Todes, dem wir ebenso wie dem Tod ausgeliefert waren, hat er uns das Leben wiedergegeben. Wir wissen auch, dass seine Auferstehung bestätigt ist durch die Zeugnisse seiner bittersten Feinde und durch die Auferstehung der Toten, die aus den geöffneten Gräbern lebend hervorgingen und in der Stadt Jerusalem vielen sichtbar erschienen (Mt 27,52 f.; 28,4.11). Die Auferstehung Jesu wird auch durch die Zeugnisse der Engel und der Apostel bestätigt, die ihn gesehen und angefasst haben, sowie mehrerer anderer, die nach der Auferstehung gemeinschaftlich mit ihm verbunden waren und mit ihm gegessen und getrunken haben (Mt 28,5 f.; Joh 20,20 f.27 f.; 21,7.12 f.). 11. Die Himmelfahrt Wir zweifeln nicht daran, dass derselbe Leib, der von der Jungfrau geboren, ans Kreuz gehängt, gestorben und auferweckt worden war, in den Himmel aufgestiegen ist, um alles zu erfüllen (Apg 1,9; Eph 4,10). In unserem Namen und zu unserem Trost hat er Gewalt erhalten über alles

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im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18). Nachdem er die Herrschaft übernommen hat, sitzt er zur Rechten des Vaters als unser Beschützer und alleiniger Mittler (Ps 110,1; 1. Joh 2,1; 1. Tim 2,5; Kol 3,1). Diese Herrlichkeit, Ehre und Auszeichnung wird er als einziger unter den Brüdern innehaben, bis er seine Feinde zum Schemel seiner Füße macht (Ps 110,1). Wir glauben, dass unser Herr Jesus Christus bis zum Jüngsten Gericht dortbleiben und zur Ausführung des Gerichts sichtbar und so, wie er aufgefahren war, kommen wird. Dann wird er alles erneuern und wiederherstellen. Die, die Gewalt, Schmähungen und Unrecht erlitten haben, werden Erben der Gerechtigkeit und der ihnen von Anfang an versprochenen seligen Unsterblichkeit. Hingegen werden die Unverschämten, Ungehorsamen, Grausamen, Gewalttäter, Unreinen, Götzendiener und was sonst an Gottlosen lebt ins Gefängnis der äußersten Finsternis geworfen. Dort wird der Wurm nicht sterben und das Feuer nicht verlöschen (Apk 20,14; Jes 66,24). Der Tag, an dem dieses Gericht ergehen wird, und die Erinnerung an ihn hält nicht nur unsere fleischlichen Begierden im Zaum, sondern stärkt unschätzbar unsere Herzen (Jak 3,2). Das hilft uns dabei, uns weder durch die Drohungen irdischer Herren noch durch die Furcht vor schnellem Tod noch durch irgendeine Gefahr dazu hinreißen zu lassen, die selige Gemeinschaft aufzugeben, die uns als Glieder mit unserem Haupt und einzigen Mittler Jesus Christus verbunden hat. Wir bekennen und bekräftigen, dass er der im Gesetz verheißene Messias ist, das einzige Haupt seiner Kirche, unser gerechter Gesetzgeber, unser einziger Hohepriester, Schutzherr und Versöhner (Jes  7,14; Kol  1,18; Hebr 9,11.15; 10,21). Wer von den Menschen oder Engeln diese Ehren und Ämter sich hochmütig und übermütig selber anmaßt, den verachten und verabscheuen wir als einen, der unseren obersten Herrn und Erlöser Jesus Christus lästert. 12. Der Glaube an den Heiligen Geist Dieser unser Glaube und seine Gewissheit stammt nicht aus Fleisch und Blut (Mt 16,17), also nicht aus einer in uns vorhandenen natürlichen Kraft und Fähigkeit, sondern aus der Eingebung und dem Antrieb des Heiligen Geistes. Ihn bekennen wir ebenso wie den Vater und den Sohn als Gott. Er heiligt uns und wirkt in uns alle Wahrheit. Ohne ihn würden wir auf Dauer Feinde Gottes bleiben und seinen Sohn Jesus Christus nicht kennen (Röm 5,19; Joh 14,11.26; 15,26; 16,13). Denn von Natur sind wir so sehr in der Gewalt des Todes, so verblendet und verdorben, dass wir weder etwas spüren, wenn man uns mit Stacheln durchbohrte, noch das uns angebotene Licht sehen noch dem Willen Gottes, wenn er uns offenbart wird, zustimmen. Nun aber geschieht es, dass der Geist Gottes die Toten zum Leben ruft, die Finsternis von den Augen unseres Geistes

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vertreibt und die trotzigen Herzen verwandelt, um seinem heiligen Willen zu gehorchen. Wir bekennen, dass wir von Gott, dem Vater, geschaffen sind, als es uns noch nicht gab, und von Jesus Christus erlöst wurden, als wir noch Feinde waren (Röm 5,10). Weil das so ist, bekennen wir auch, dass wir durch den Heiligen Geist wiedergeboren und geheiligt sind, ohne dass in irgendeiner Hinsicht die Rede sein könnte von Verdiensten unsererseits vor oder nach unserer Wiedergeburt (Röm 5,8). Um es noch ein wenig deutlicher zu sagen: Ebenso wenig, wie wir uns unserer Erschaffung und Erlösung rühmen können, so wenig können wir auch für unsere Wiedergeburt und Heiligung uns und unseren Verdiensten auch nur den geringsten Anteil zuschreiben. Denn wir sind nicht einmal fähig, aus unserem natürlichen Antrieb heraus irgendetwas Gutes zu denken (2. Kor 3,5). Vielmehr vollendet er allein, der in uns angefangen hat, Gutes zu wirken, auch das Werk zum Lob und Preis seines Namens. Er teilt uns seine Gaben umsonst zu und verkauft sie nicht gegen unsere Verdienste. 13. Die Ursache der guten Werke Daher erklären wir, dass die Ursache der guten Werke bei uns nicht unsere Willensfreiheit ist, sondern der Geist unseres Herrn Jesus Christus, der durch wahren Glauben in unseren Herzen wohnt (Joh 14,17; 15,4–8). Er wirkt die guten Werke, die von Gott zuvor bereitet sind, damit wir in ihnen wandeln (Eph 2,10). Deshalb erklären wir immer wieder für eine Gotteslästerei, wenn behauptet wird, dass Christus in den Herzen derer wohne, in denen der Geist der Heiligung nicht ist (Röm 8,9). Darum scheuen wir uns nicht vor diesem Urteil: In Mördern, Gewalttätern, in Menschen, welche die Wahrheit mit Gewalt zu unterdrücken suchen, in Ehebrechern, Hurern und sonstigen Unreinen, in Götzendienern, Trinkern, Räubern und sonst einer Schande oder einem Verbrechen Ergebenen wohnt weder der wahre Glaube noch ist ein Funken vom Geist des Herrn Jesus vorhanden, solange sie hartnäckig in ihrer Bosheit verharren. Sobald der Geist unseres Herrn Jesus Christus, den die erwählten Kinder Gottes durch den Glauben empfangen, vom Herzen eines Menschen Besitz ergreift, wirkt er beständig an ihm die Wiedergeburt und Erneuerung. Nun beginnt er zu lieben, was er zuvor gehasst hatte, und fängt an zu hassen, was er zuvor geliebt hatte. Daraus entsteht in Gottes Kindern ein fortdauernder Streit des Geistes gegen das Fleisch (Gal 5,17). Denn das Fleisch und der natürliche Mensch begehren entsprechend ihrer verdorbenen Art die ihrer Natur gemäßen Lüste, lassen sich durch das Unglück niederdrücken, durch das Glück emporheben und neigen jederzeit sofort dazu, sich gegen Gottes Majestät aufzulehnen. Wir verdanken dem Geist Gottes, der unserem Geist bezeugt, Gottes Kinder zu sein, dass wir den schändlichen Begierden widerstehen, dass wir vor Gott seufzen und von dieser

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Knechtschaft des Verderbens befreit werden wollen und dass wir schließlich über die Sünde triumphieren und sie in unserem sterblichen Leib nicht regieren kann (Röm 8,16.22 f.). Die dem Fleisch ergebenen Menschen aber, die den Geist Gottes nicht haben, kennen einen solchen Streit nicht (Röm 7,14). Sie folgen ihrer verkehrten Haltung und eilen gierig und bedenkenlos dorthin, wo der Teufel und ihre böse Lust sie hintreibt. Gottes Kinder hingegen kämpfen, wie zuvor schon gesagt, gegen die Sünde, seufzen und flehen, sooft sie merken, dass sie von den Versuchungen zu Verfehlungen gereizt und verlockt werden. Und wenn sie einmal fallen, stehen sie in wahrer und absolut ungeheuchelter Buße wieder auf. Aber auch das tun sie nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft unseres Herrn Jesus Christus, ohne den wir überhaupt nichts vermögen (Joh 15,5). 14. Welche Werke bei Gott als gut gelten Weiter bekennen wir und sind dessen gewiss, dass Gott dem Menschen hochheilige Gebote gegeben hat (Ex 20,1 ff.; Dtn 4,8; 28,1–14). Sie verbieten nicht nur alle Werke, die Gottes Majestät beleidigen, sondern tragen ihm solche Werke auf, an denen er sich freut und denen er seinen Lohn verspricht. Von diesen Werken aber gibt es zwei Arten: Die einen beziehen sich auf Gottes Ehre, die anderen auf den Nutzen des Nächsten. Beide empfangen ihre Glaubwürdigkeit und Autorität aus dem uns geoffenbarten Willen Gottes. Dass wir Gott dienen, ehren, in aller Mühsal und Beschwernis anrufen, seinen heiligen Namen hochhalten, sein Wort hören, dem Gehörten gehorchen und an seinen Sakramenten teilnehmen: Das sind die uns durch die erste Tafel vorgeschriebenen Werke. Hingegen Vater und Mutter (Eph 6,1 f.), Könige, Regierende und alle, die Gewalt und Macht über uns haben (Röm 13,1), ehren, sie lieben, ihnen beistehen, in Wort und Tat auf sie hören, soweit es nicht gegen Gottes Gebote geht, das Leben der Guten fördern, die Tyrannei niederhalten, die Schwachen gegen die Gewalt der Bösen verteidigen (Jer 22,3.9), unseren Leib heilig und rein bewahren (1. Thess 4,3–7), nüchtern und maßvoll leben, in allen Worten und Werken gleiches Recht gegen alle ausüben (Lk 2,52) und jede Begierde, dem Nächsten Schaden zuzufügen, unterdrücken: Das sind die Werke der zweiten Tafel, die Gott vor allem deshalb gefallen und ihm willkommen sind, da sie von ihm selbst geboten wurden. Was im Widerspruch zu diesen Werken geschieht, zählt zu den Vergehen. Sie sind Gott verhasst, verwerflich und reizen ihn zum Zorn (Ez 22,1 ff.; Jes 50,1 ff.; 1. Thess 4,6). Dazu gehört, wenn man nicht allein ihn anruft, wie es sich gehört, wenn man sein Wort nicht mit Ehrfurcht hören will oder gar schmäht und geringschätzt, wenn man Götzenbilder verehrt oder besitzt, wenn man die Anbetung der Bilder fördert oder verteidigt, wenn man den verehrungswürdigen Namen Gottes missachtet,

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wenn man die vom Herrn eingesetzten Sakramente entweiht, missbraucht oder verachtet, wenn man denen Gehorsam verweigert oder gar Widerstand leistet, die von Gott in Regierungsämter eingesetzt wurden, jedenfalls solange sie sich innerhalb der Grenzen des Rechts und ihres Amtes bewegen, wenn man Mord verübt oder ihn verabredet und billigt, wenn man Hass zulässt und in ihm verharrt, wenn man duldet, dass unschuldiges Blut vergossen wird, während man es hätte verhindern können (Ez 22,6–13). Kurzum alles, was gegen die Gebote der ersten oder zweiten Tafel geschieht, erklären wir für Sünde, und zwar für eine solche Sünde, die den Zorn und Hass Gottes gegen die Undankbarkeit der Menschen entzündet (Ri 2,14). Daher sind nach unserem Urteil solche Werke gut, die aus dem Glauben hervorgehen und nach den Geboten Gottes geschehen, der durch das Gesetz deutlich angeordnet hat, was nach seinem Willen geschehen soll. Dagegen nennen wir nicht nur solche Werke böse, die offensichtlich gegen das Wort Gottes gerichtet sind, sondern auch solche, die sich in Angelegenheiten der Frömmigkeit und des Gottesdienstes lediglich auf menschliche Meinung und Erfindung gründen. Denn Werke dieser Art hat Gott von Anfang an und stets verworfen und ist ihnen entgegengetreten, wie wir aus dem Propheten Jesaja und den Worten Christi gelernt haben: „Vergeblich dienen sie mir, indem sie die Lehren und Gebote von Menschen lehren“ (Jes 29,13; Mt 15,9). 15. Das Gesetz ist in jeder Hinsicht vollkommen, die Menschen hingegen unvollkommen Wir anerkennen und bekennen, dass das Gesetz Gottes in jeder Hinsicht gerecht, unparteiisch und vollkommen ist und solche Dinge gebietet, die uns Leben geben und uns zur ewigen Seligkeit führen können, wenn sie vollkommen und vollständig getan werden (Röm 7,12.22; 10,5; Ps ­19,7–11). Aber unsere Natur ist so verdorben und geschwächt, dass wir niemals imstande sind, die Werke des Gesetzes vollkommen zu tun (Dtn 5,29; Röm 10,3). Denn wenn wir leugnen, dass wir auch nach der Wiedergeburt noch Sünde haben, täuschen wir uns selbst, und die Wahrheit Gottes ist nicht in uns (1. Joh 1,8). Deshalb mussten wir Christus mit seiner Gerechtigkeit und Genugtuung ergreifen, der das Ende und die Erfüllung des Gesetzes ist (Röm 10,4). Er hat uns freigesprochen, damit wir dem Fluch und der Verwünschung Gottes entgehen (Gal 3,10–13; Dtn 27,26), auch wenn wir die im Gesetz geforderten Werke nicht auf ganzer Linie, vollständig und vollkommen getan haben. Denn Gott der Vater schaut uns im Leib seines Sohnes Jesus Christus an (Eph 1,22 f.), heißt unseren unvollkommenen Gehorsam gut, rechnet ihn uns als vollkommenen Gehorsam an und bedeckt unsere mit vielen Mängeln behafteten Werke mit der Gerechtigkeit seines Sohnes. Damit meinen wir aber nicht eine solche

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Freiheit, dass wir dem Gesetz überhaupt keinen Gehorsam schulden, denn wir haben oben bereits deutlich bekannt, dass wir gehorchen müssen. Wohl aber bekräftigen wir, dass außer dem einen Christus kein Mensch jemals dem Gesetz so gehorcht hat, gehorcht oder gehorchen wird, wie es das Gesetz fordert. Wenn wir aber alles getan haben, müssen wir uns dennoch niederbeugen und aufrichtig gestehen, dass wir unnütze Knechte sind (Lk 17,10). Wer sich nun der Verdienste seiner Werke rühmt oder auf darüber hinausgehende Werke irgendein Vertrauen setzt, soll wissen, dass er sich mit etwas brüstet, das gar nicht vorhanden ist, und dass er seine Heilserwartung auf verderblichen Götzendienst gründet. 16. Die Kirche Gleichwie wir an den einen Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist, glauben, so sind wir auch dessen vollkommen gewiss, dass die eine Kirche von Anfang der Welt an bestanden hat, heute noch besteht und bis zum Ende der Weltzeit bestehen wird. Sie ist die eine zahlreiche Versammlung der von Gott erwählten Menschen, die auf rechte und fromme Weise Gott verehren und ihm durch den wahren Glauben an Jesus Christus anhängen, der das einzige Haupt seiner Kirche ist, die selbst der Leib und die Braut Christi ist (Mt 28,20; Kol 1,18; Eph 1,2–23; 5,23–25.29). Sie ist die katholische, das heißt allgemeine Kirche, weil sie die Erwählten aller Zeiten, Nationen, Völker und Sprachen umfasst, Juden und Heiden (Apk 7,9). Sie haben Umgang und Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, und mit seinem Sohn Jesus Christus durch die Heiligung des Heiligen Geistes. Daher ist sie keine Gemeinschaft gewöhnlicher Menschen, sondern heißt Gemeinschaft der Heiligen, die auch Bürger des himmlischen Jerusalem sind (Eph 2,19) und die höchsten unschätzbaren Güter genießen, nämlich den einen Gott, unseren einen Herrn Jesus, den einen Glauben und die eine Taufe. Außerhalb dieser Kirche gibt es kein Leben und keine ewige Seligkeit (Joh 3,36; 5,24). Deshalb verwerfen wir ausdrücklich die Gotteslästerungen derer, die behaupten, dass die Bekenner jeder beliebigen Sekte oder Religion selig werden, wenn nur ihre Taten die Norm der Gerechtigkeit und Billigkeit erfüllen. Denn wie es ohne Jesus Christus kein Leben und kein Heil gibt, so wird auch niemand dieses Heils teilhaftig als der, den der Vater seinem Sohn Jesus Christus gegeben hat, und der, solange es Zeit ist, zu ihm kommt, seine Lehre bekennt und an ihn glaubt (Joh 6,37.39.65; Röm 8,30). In die Eltern sind auch die Kinder einbezogen (Apg 2,39). Diese Kirche ist unsichtbar, nur Gott bekannt, der allein weiß, welche er erwählt hat. Diese Kirche umfasst gleichermaßen die Erwählten, die bereits verstorbenen sind – man bezeichnet sie gemeinhin als triumphierende Kirche –, und diejenigen, die noch leben und gegen Sünde und Teufel streiten, sowie die, die nach uns leben werden.

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17. Die Unsterblichkeit der Seelen Die bereits verstorbenen Erwählten genießen frei von jeder Mühe Frieden und Ruhe (Apk 14,13). Das geschieht nicht, weil sie schlafen oder in Vergessenheit schlummern, wie gewisse Schwärmer behaupten, sondern weil sie aller Furcht, Qual und Versuchung ledig sind (Apk 7,14–17), denen wir und alle übrigen Erwählten Gottes ausgesetzt bleiben, solange wir in diesem Leben sind und weswegen wir die streitende Kirche heißen. Die Verworfenen und Ungläubigen hingegen, die verstorben sind, fristen ihr Dasein in unaussprechlichen Plagen und Qualen. Denn wie die ersteren nicht derart ohne Bewusstsein sind, dass sie keine Empfindung haben, so auch nicht die anderen, dass sie die Strafen nicht spüren. Das geht hervor aus dem Gleichnis Jesu Christi in Lukas 16 (Lk 16,23–25) und wird bezeugt von den Worten der Seelen, die unter dem Altar schreien: „O Herr, du Heiliger und Gerechter, wie lange richtest du nicht und rächest nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“ (Apk 6,9 f.). 18. An welchen Kennzeichen die wahre Kirche von der falschen unterschieden wird und wer in kirchlichen Lehrstreitigkeiten Richter ist Der Teufel hat sich von Anfang an stets bemüht, das verdorbene Gotteshaus mit dem Titel der wahren Kirche Gottes auszuzeichnen (Apk 2,9; 3,9; 1. Kor 1,2; 1. Thess 2,14), und die Herzen grausamer Mörder entflammt, um die wahre Kirche und ihre Glieder zu unterdrücken, zu verwirren und anzugreifen – wie Kain den Abel (Gen 4,8), Ismael den Isaak (Gen 21,9), Esau den Jakob (Gen 27,41) und die ganze Schar der jüdischen Priester zuerst Christus selbst und dann seine Apostel mit tödlichem Hass verfolgt haben (Mt 23,34; Apg 4,1–3). Weil das so ist, erscheint es uns vor allem nötig, die wahre Kirche vom unreinen Gotteshaus durch zuverlässige und deutliche Kennzeichen zu unterscheiden, damit wir nicht dem Irrtum verfallen, das eine statt des anderen zu unserem Verderben ins Herz zu schließen. Was aber die Kennzeichen und Merkmale betrifft, durch welche die reine Braut Christi (Eph 5,25 ff.; Apk 21,9) von jener unreinen und verabscheuenswerten Hure (Apk  17), nämlich der Kirche der Gottlosen, unterschieden werden kann, so erklären wir: Es handelt sich um keinen Vorrang, der sich herleitet vom Alter der Kirche oder von fälschlich angemaßten Titeln oder von der ununterbrochenen Reihenfolge der Bischöfe oder vom Namen eines bestimmten Ortes oder von einer Menge Menschen, die demselben Irrtum verfallen sind. Denn Kain hatte den Vorzug des Alters und der Erstgeburt vor Abel und Set, und Jerusalem überragte die Städte der ganzen Erde. Oder man denke an die Priester, wie von Aaron an das Geschlecht und die Reihenfolge im Amt ununterbrochen waren. Ebenso waren die Anhänger der Schriftgelehrten und Pharisäer zahlrei-

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cher als die, die Jesus Christus und seine Lehre von Herzen anerkannten. Dennoch glauben wir, dass kein Mensch mit klarem und begründetem Urteil es wagen wird, irgendeine der eben Erwähnten als Kirche Gottes zu bezeichnen. Die Kirche, die wir als die wahre Kirche Gottes glauben und bekennen, hat daher als erstes Kennzeichen die wahre Predigt des göttlichen Wortes, durch das Gott selbst sich uns offenbart hat, wie die Schriften der Propheten und Apostel es uns mitteilen (Joh 1,14–17). Das zweite Merkmal ist die rechtmäßige Verwaltung der Sakramente Jesu Christi, die mit dem Wort und den Verheißungen Gottes verbunden sein müssen, um diese Verheißung in unseren Herzen zu versiegeln und zu bestätigen (Joh 10,27; Röm 4,11). Das letzte Kennzeichen ist die strenge und im göttlichen Wort vorgeschriebene Ausübung der Kirchenzucht, durch die Verfehlungen abgestellt und Tugenden gefördert werden sollen (1. Kor 5,3–5). Überall, wo diese Kennzeichen sichtbar werden und von Dauer sind, dort ist – wie gering auch ihre Zahl sein mag – ohne jeden Zweifel Kirche Christi, der nach seiner Verheißung in ihrer Mitte wohnt. Dabei denken wir nicht an die allgemeine Kirche, von der oben die Rede war, sondern an die einzelnen Ortskirchen wie in Korinth (1. Kor 1,2), Galatien, Ephesus (Apg 20,17) und an vielen anderen Orten, an denen Paulus den Dienst am Wort begründet hat und die er selbst Kirchen Gottes nennt (Apg 16,9 f.; 18,1; 1. Thess 2,14). Wir, die wir im Königreich Schottland den Namen Christi bekennen, erklären, dass wir in den Städten, Dörfern und überall, wo ein der wahren Frömmigkeit entsprechender Gottesdienst wieder­ hergestellt wurde, solche Kirchen haben. Denn in ihnen wird die Lehre weitergegeben, die in dem geschriebenen Wort Gottes zusammengefasst ist. Darunter verstehen wir die Bücher des Alten und Neuen Testaments, die von den ersten Tagen der Kirche an stets für kanonisch gehalten wurden. Wir sind davon überzeugt, dass in diesen Büchern all das hinreichend zum Ausdruck gebracht wurde, was zum Heil des menschlichen Geschlechts notwendig ist (Joh 21,24 f.). Über die Gewalt, die Schrift verbindlich auszulegen, verfügt kein Mensch, weder eine Privatperson noch eine öffentliche Person. Auch keiner Kirche kommt dieses Recht zu, mit welchem Vorrecht dem Ort oder der Person nach sie sich auch immer schmücken mag. Vielmehr liegt die Gewalt über die verbindliche Schriftauslegung in den Händen des Geistes Gottes, dessen Eingebung die Schrift selbst ihre Entstehung verdankt. Wenn also über den Sinn und die Auslegung der Schrift oder einer Schriftstelle oder eines Ausspruchs in ihr Streit entsteht, oder wenn in der Kirche über die Verbesserung der am Boden liegenden Kirchenzucht verhandelt wird, dürfen wir nicht so sehr darauf achten, was Menschen vor uns gesagt oder getan haben, als darauf, was der mit sich selbst einige Heilige Geist

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fortwährend in den Schriften sagt, außerdem darauf, was Christus selbst getan und zu tun geboten hat (1. Kor 11,1 f.23 f.). Denn darin stimmen alle überein, dass der Geist Gottes, der auch der Geist der Einheit ist, niemals mit sich selbst in Widerspruch gerät. Wenn darum die Auslegung, Entscheidung oder Meinung irgendeines Lehrers, einer Kirche oder eines Konzils gegen ein ausdrückliches, in einem anderen Abschnitt der Schrift enthaltenes Wort Gottes streitet, so ist sonnenklar, dass diese weder eine wahre Erklärung ist noch die Meinung des Heiligen Geistes wiedergibt, auch wenn Konzile, Regierungen und Völker sie gebilligt und angenommen haben. Denn wir wagen es nicht, eine Auslegung anzunehmen oder zuzulassen, die einem Hauptstück unseres Glaubens oder der Klarheit der Schrift oder der Regel der Liebe widerspricht (1. Kor 13,1 f.). 19. Die Autorität der Schrift Wir glauben und bekennen, dass die Menschen aus den göttlichen Schriften die Erkenntnis Gottes reichlich empfangen (2. Tim 3,16 f.). Darum erklären und bekräftigen wir, dass die Autorität der Schrift von keinem Menschen oder Engel, sondern allein von Gott abhängt. Wer darum der Schrift nur so weit Autorität zugestehen will, wie es die Kirche ihr zubilligt, den erklären wir beständig für einen Gotteslästerer und einen, der die wahre Kirche in den Dreck zieht. Denn diese hört die Stimme ihres Bräutigams und Hirten und gehorcht ihm (Joh 10,27). Sie maßt sich nichts an, was den Anschein erweckt, als sei sie seine Herrin. 20. Allgemeine Konzile, ihre Gewalt, Autorität und Gründe ihrer Versammlung Was uns von frommen, zu einem allgemeinen Konzil ordnungsgemäß berufenen Männern vorgelegt wurde, verwerfen wir keineswegs grundlos oder Hals über Kopf. Aber ebenso wagen wir es nicht, ohne gewissenhafte Prüfung das anzunehmen, was uns unter Berufung auf ein allgemeines Konzil auferlegt wird. Denn es steht fest, dass diese Männer Menschen waren, die in offensichtliche Irrtümer hineingeraten sind, und das bei Fragen, die keineswegs von geringer Bedeutung sind. Wo daher ein Konzil seine Beschlüsse auf das klare Zeugnis des göttlichen Wortes gründet, zögern wir nicht, sie hochzuhalten und gerne anzunehmen. Wenn jedoch Menschen neue Glaubenssätze oder Ordnungen erstellen, die gegen Gottes Wort gerichtet sind, und diese dann mit dem Namen eines Konzils decken wollen, verwerfen wir ihre Satzungen voll und ganz. Wir weisen sie ab als teuflische Lehre, die unsere Seelen von Gottes Wort abwendet hin zu menschlichen Ordnungen und Lehren (1. Tim 4,1–3; Mt 15,9; Apg 12,22). Der Grund dafür, dass sich allgemeine Konzile versammelt haben, lag nicht darin, Gesetze, die Gott nicht befohlen hatte, gleichsam für alle

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Ewigkeit zu erlassen, auch nicht darin, neue Glaubenssätze zu erfinden oder das Wort Gottes durch ihre Autorität zu bestätigen, und noch viel weniger darin, an die Stelle des Wortes Gottes oder die Auslegung des göttlichen Wortes uns etwas aufzudrängen, was Gott zuvor weder gewollt noch uns durch seine Schriften nahegelegt hatte. Vielmehr haben sich die Konzile – und wir sprechen von denen, die diesen Namen verdienen – versammelt, teils um Irrlehren abzuwehren (Apg 15,1 ff.) und teils um das öffentliche Bekenntnis ihres Glaubens den Nachkommen zu überliefern. Beides aber taten sie auf Grund der Autorität des geschriebenen göttlichen Wortes, nicht aber, weil sie meinten, dass ihnen auf Grund ihrer Versammlung als solcher das Vorrecht, nicht irren zu können, geschenkt wurde. Wir sind davon überzeugt, dass das für sie der wichtigste Grund ihrer öffentlichen Versammlungen war. Der andere Grund lag darin, eine Zuchtordnung aufzustellen, damit in der Kirche als der Familie Gottes alles anständig und ordentlich zugeht. Aber auch das wollen wir nicht so verstanden wissen, als ob wir glauben, dass irgendein einzelnes Gesetz und ein Ritus von Zeremonien als verbindlich für alle Orte und Zeiten vorgeschrieben werden können. Denn wie alle Zeremonien als von Menschen erdacht zeitlich sind, so können sie im Wandel der Zeiten verändert werden und müssen sogar verändert werden, sobald ihr Vollzug eher den Aberglauben befördert anstatt die Kirche aufzubauen (1. Kor 14.5.26). 21. Die Sakramente Die Väter, die unter dem Gesetz lebten, hatten außer der durch die Opfer dargestellten Wahrheit noch zwei besondere Sakramente: die Beschneidung (Gen 17,9–14) und das Passah (Ex 12,1 ff.). Wer sie verachtete, zählte nicht zum Volk Gottes. So erkennen auch wir heute zur Zeit des Evangeliums nur zwei einzige Sakramente an und bekennen, dass sie von Christus eingesetzt wurden. Ihr Gebrauch ist allen befohlen, die zu den Gliedern seines Leibes gehören wollen (Mt 26,26–28; 28,19). Es handelt sich um die Taufe und um das Mahl bzw. den Tisch des Herrn Jesu, welches man auch die Gemeinschaft seines Leibes und Blutes nennt. Wir glauben, dass diese Sakramente sowohl des Alten wie des Neuen Testaments von Gott eingesetzt sind. Sie sind zum einen ein sichtbares Unterscheidungszeichen zwischen dem Volk Gottes und denen, die zu dem mit uns geschlossenen Bund nicht gehören. Und sie dienen zum anderen der Absicht, die Treue seiner Kinder Gott gegenüber zu üben und durch die Teilnahme an diesen Sakramenten das Vertrauen in seine Verheißungen sowie in die Verbindung, Vereinigung und Gemeinschaft, die alle Erwählten mit ihrem Haupt Jesus Christus haben, in unseren Herzen zu besiegeln (1. Kor 10,16–22). Daher werfen wir eine nur zu offensichtliche Ober-

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flächlichkeit denen vor, die behaupten, dass die Sakramente nichts anderes als bloße Zeichen sind. Vielmehr sind wir fest davon überzeugt, dass wir durch die Taufe in Christus eingepflanzt werden (Röm 6,4 f.) und an seiner Gerechtigkeit teilhaben, durch die unsere Sünden bedeckt werden und wegen der wir Vergebung und Gnade erlangen (Tit 3,5–7). Ebenso glauben wir, dass beim rechten und stiftungsgemäßen Gebrauch des Mahls Christus sich so mit uns verbindet, dass er die wahre Speise und Nahrung unserer Seelen wird (Joh 6,55; 1. Kor 10,16; 11,23–26). Dabei träumen wir nicht sogleich von einer Verwandlung des natürlichen Brotes in den Leib Christi und des Weins in sein Blut, wie es die Papisten unglückseligerweise gelehrt und geglaubt haben. Vielmehr wirkt diese Vereinigung und Verbindung mit dem Leib Christi, die uns durch den wahren Gebrauch der Sakramente widerfährt, der Heilige Geist in uns, der uns auf den Flügeln des wahren Glaubens über alles Körperliche, Irdische und Sichtbare emporhebt. Er reicht uns den wahren, einmal für uns gebrochenen Leib Christi und sein wahres für uns vergossenes Blut zum Verzehr dar, nämlich den Leib, der jetzt im Himmel ist und in der Gegenwart des Vaters für uns erscheint (Hebr 6,20; 10,12). Wir bekennen ohne Unterlass: Obwohl eben dieser schon verherrlichte und unsterbliche Leib jetzt im Himmel ist, also in so großer Entfernung von uns Sterblichen hier auf der Erde, ist dennoch das Brot, das wir brechen, die Gemeinschaft mit dem Leib Jesu Christi, und der Kelch, mit dem wir danksagen, die Gemeinschaft mit seinem Blut (1. Kor 10,16). Daher bekennen und glauben wir ohne jeden Zweifel, dass die Glaubenden beim rechten Gebrauch des Herrenmahls so den Leib des Herrn Jesu essen und sein Blut trinken, dass sie in Christus bleiben und er in ihnen (Joh 6,56). Ja, sie werden auf diese Weise Fleisch von seinem Fleisch und Gebein von seinem Gebein (Eph 5,29 f.). So wie Gott dem von Natur aus sterblichen und vergänglichen Leib Christi Leben und Unsterblichkeit geschenkt hat, werden folglich wir mit denselben Gaben beschenkt, sobald wir den Leib Jesu Christi essen und sein Blut trinken (Joh 6,51). Wie wir einerseits bekennen, dass uns diese Gaben nicht nur beim Herrenmahl geschenkt werden und auch nicht nur durch die Kraft und Macht der Sakramente, so halten wir andererseits daran fest, dass die Glaubenden beim rechten Gebrauch des Herrenmahls eine solche Gemeinschaft mit Christus haben, wie sie kein menschlicher Verstand ermessen kann. Ja, auch davon sind wir überzeugt: Obwohl die Glaubenden entweder aus Nachlässigkeit oder gehindert durch die Schwäche der menschlichen Natur während der Handlung selbst nicht sogleich den von ihnen erwünschten Nutzen des Herrenmahls empfangen, wird dieser dennoch wie ein auf fruchtbares Land geworfener lebenspendender Same irgendwann reife Frucht bringen. Denn der Heilige Geist, der von der wahren Einsetzung

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Christi niemals getrennt werden kann, wird nicht zulassen, dass die Glaubenden um die Frucht dieser geheimnisvollen Handlung betrogen werden (Eph 5,32). Das alles aber fließt aus den Quellen des wahren Glaubens, durch den wir Jesus Christus ergreifen, der allein seine Sakramente in uns zur Wirkung bringt. Wer uns also vorwirft, dass wir behaupten und glauben, die Sakramente seien nur bloße Zeichen, der streitet nicht nur gegen uns, sondern gegen die Wahrheit. Das aber bekennen wir offen, dass wir einen großen Unterschied machen zwischen den irdischen Elementen sakramentaler Zeichen und der ewigen Substanz Jesu Christi. Denn wir erweisen die Ehre, die der durch die Zeichen gemeinten Sache zukommt, nicht den Zeichen. Wir verachten sie nicht noch halten wir sie für leer und unnütz, sondern gebrauchen sie nach sorgfältiger Selbstprüfung mit Hochachtung. Denn wir entnehmen aus den Worten des Apostels die Überzeugung, dass der, der unwürdig von jenem Brot isst und von jenem Kelch trinkt, am Leib und Blut Jesu Christi schuldig wird (1. Kor 11,27). 22. Die rechte Verwaltung der Sakramente Wir glauben, dass zur rechten Verwaltung der Sakramente zweierlei nötig ist: Erstens, dass sie durch berufene Diener erfolgt, nämlich solche, die mit der Verkündigung des Wortes beauftragt sind, in deren Mund Gott das Predigtamt gelegt hat, sofern sie von einer Kirche ordnungsgemäß gewählt wurden (Apg 13,15). Zweitens müssen sie unter Wahrung der Gestalt der Elemente und in der Weise verwaltet werden, den Gott dafür vorgesehen hat. Andernfalls hören sie nämlich auf, wahre Sakramente zu sein. Das ist der Grund, weshalb wir im Blick auf die Teilnahme an den Sakramenten die Gemeinschaft mit der Papstkirche ablehnen. Erstens sind ihre Diener nicht Diener Christi und, was bei weitem noch verwerflicher ist, erlauben den Frauen, dass auch sie die Taufe vollziehen, obwohl der Heilige Geist nicht einmal duldet, dass sie in der Kirche lehren (1. Kor 14,34; 1. Tim 2,12; 6,3–5). Zweitens haben sie beide Sakramente durch ihre Erfindungen so verfälscht, dass kein Stück der von Christus vollzogenen Handlung seine alte und ursprüngliche Reinheit bewahrt. Denn Öl, Salz, Speichel und alles sonstige dieser Art, das bei der Taufe verwendet wird, sind nichts weiter als Erfindungen von Menschen. Die Verehrung des Brotes und seine Anbetung, sein Umhertragen durch Städte und Dörfer und seine Aufbewahrung in Büchsen ist kein Gebrauch der Sakramente Christi, sondern eine Entweihung. Denn Christus hat gesagt: „Esst […]. Das tut zu meinem Gedächtnis“ (Mt 26,26–28 parr; 1. Kor 11,23–26). Durch diese Worte und diesen Befehl hat er Brot und Wein zu Sakramenten seines Leibes und Blutes geheiligt, damit von allen das eine gegessen und das andere getrunken wird, nicht aber, damit sie zur

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Verehrung aufbewahrt und wie Gott angebetet werden, wie es bisher von den Papisten gemacht wurde. Diese haben sich auch des Frevels schuldig gemacht, den zweiten Bestandteil des Sakraments, den heiligen Kelch, dem Volk zu entziehen. Weiter gehört es auch zum rechten Gebrauch der Sakramente, dass Klarheit darüber hergestellt wird, welche Bedeutung sowohl diejenigen, welche die Sakramente verwalten, als auch diejenigen, die sie empfangen, ihnen beilegen. Denn wenn der Empfänger des Sakraments über dessen Bedeutung anders denkt, als es erforderlich ist, schwindet der fruchtbare Gebrauch des Sakraments dahin, wie es auch bei der Verwerfung der Opfer klar zu Tage tritt (Jes 1,10–12; Ps 50,7 f.). Ebenso verhält es sich, wenn der Lehrer öffentlich eine falsche Lehre vorträgt: Obwohl die Sakramente von Gott eingesetzt wurden, lehnt er sie dennoch ab und verabscheut sie, weil die Gottlosen sie anders deuten, als Gott es gewollt hat (Jer 7,21 f.; Jes 66,1–4). Eben das ist nach unserer Überzeugung bei den Sakramenten der Papstkirche zur Gewohnheit geworden. Denn die ganze von Christus eingesetzte Handlung ist, was ihre äußere Gestalt, ihre Bedeutung und das Verständnis ihrer Frucht betrifft, dort vollkommen verfälscht worden. Was Jesus Christus getan und zu tun geboten hat, wird aus den Evangelisten und Paulus deutlich (Mt 26,26–28; 1. Kor 11,23–26). Was der Priester am Altar tut, brauchen wir gar nicht weiter zu schildern. Die Bedeutung und der Grund, weshalb Christus die Sakramente eingesetzt hat und wir sie auf dieselbe Weise gebrauchen müssen, ist klar in diesen Worten zum Ausdruck gebracht: „Das tut zu meinem Gedächtnis. Sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt – das heißt verbreitet, veröffentlicht, predigt und preist – ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor 11,25 f.). Was aber die Priester bei der Messe wollen und welche Auffassung von der Messe sie verbreiten möchten, machen die Worte der Messe und ihre Lehrer selbst offenkundig. Um gleichsam die Kirche mit Christus zu versöhnen, bringen sie Gott ein Sühnopfer für die Sünden der Lebendigen und der Toten. Diese ihre Lehre weisen wir zurück und lehnen sie als eine Beleidigung Jesu Christi ab, weil sie das einzige, einmal von ihm für alle, die geheiligt werden, dargebrachte Opfer entwertet und als gleichsam zu wenig wirksam für diesen Zweck bezichtigt. 23. Wer die Sakramente empfangen soll Wir glauben, dass die Kinder der Glaubenden die Taufe nicht weniger empfangen sollen als die, die über Verstand und Urteilskraft verfügen. Daher verwerfen wir den Irrtum der Wiedertäufer, die leugnen, dass die Taufe den Kindern zukommt, bevor sie Glauben und Verstand haben. Vom Herrenmahl hingegen glauben wir, dass nur diejenigen an ihm teilneh-

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men dürfen, die zur Glaubensfamilie gehören und sich selbst beurteilen und prüfen können (Gal 6,10), und zwar nicht nur in dem, was sich im eigentlichen Sinn auf den Glauben bezieht, sondern auch in dem, was die Pflicht gegenüber dem Nächsten angeht. Wer aber isst und trinkt an diesem heiligen Tisch, ohne Glauben zu haben oder brüderliche Liebe zu üben, der isst [und trinkt] unwürdig. Aus diesem Grund verschaffen sich in unseren Kirchen die Diener öffentlich und privat über den Glauben und das Leben derer Kenntnis, die zum Tisch des Herrn Jesus Christus hinzutreten. 24. Die bürgerliche Regierung Ebenso bekennen und erkennen wir an, dass die Kaiser- und Königreiche, Herrschaften und Staaten von Gott in ihrer Verschiedenheit eingesetzt sind (Dan 1,1 f.; 2,21.37 f.; Esr 1,2 f.; Röm 13,1 f.). Weiter, dass den Kaisern und Königen in ihren Reichen, den Herzögen und Fürsten in ihren Herrschaften und den sonstigen Regierungen in ihren Städten Recht und Gewalt aus Gottes Ordnung und Einrichtung gegeben ist, um seine Herrlichkeit zu offenbaren und in einzigartiger Weise dem menschlichen Geschlecht zu nützen und zu dienen (Röm 13,1 f.; 1. Petr 2,13 f.). Daher erklären wir, dass der, der danach trachtet, die schon lange unter den Menschen bestehende bürgerliche Ordnung aufzulösen oder in Unordnung zu bringen, nicht nur ein Feind des menschlichen Geschlechts ist, sondern gegen den ausdrücklichen Willen Gottes einen gottlosen Krieg führt. Weiter erklären wir und halten fest, dass denen, die rechte Regierungsgewalt ausüben, alles Lob, Achtung und Wertschätzung zukommt. Weil sie an Gottes Stelle unter den Menschen handeln, ist Gott selbst in ihren Beratungen zugegen und wird über die Richter und Fürsten sein Urteil sprechen, denen er das Schwert zum Schutz der Guten und zur Bestrafung der Bösen gegeben hat. Ferner erklären wir, dass es das besondere Amt der Könige, Fürsten und sonstigen Regierungen ist, die Religion rein zu erhalten und die verfälschte von ihren Makeln zu befreien. Denn sie sind nicht nur zur Bewahrung der bürgerlichen Ordnung eingesetzt, sondern auch zum Schutz der Religion, um Götzendienst und allen in ihr entstehenden Aberglauben niederzu­ halten. Das kann man bei David, Josafat, Hiskia, Josia und anderen Königen sehen, die wegen ihrer nachhaltigen Bemühung um die Reinerhaltung der Religion besonderes Lob bekamen. Deshalb sind wir überzeugt davon und halten öffentlich fest, dass alle, welche die Regierung daran hindern, ihres Amtes zu walten, der Ordnung Gottes widerstehen und ihre böse Tat nicht zu entschuldigen ist (Röm 13,2). Schließlich erklären wir, dass all die, die der Regierung bei ihrer wachsamen und treuen Ausübung ihrer Pflicht ihre Hilfe, ihren Rat und ihren Dienst verweigern, zugleich auch

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Gott ihre Hilfe, ihren Rat und ihren Dienst abschlagen, der durch die Regierung, die an seiner Stelle auf der Erde handelt, solches von uns verlangt. 25. Der Kirche geschenkte Wohltaten Obwohl die unverfälschte Predigt des göttlichen Wortes, die rechte Verwaltung der Sakramente und die dem Wort Gottes gemäße Ausübung der Kirchenzucht sichere und ganz und gar untrügerische Kennzeichen der wahren Kirche sind, wird dennoch nicht jeder, der sich zu dieser Gemeinschaft zählt, dadurch ohne weiteres ein erwähltes Glied Jesu Christi. Denn wir wissen, dass Wildgras, Unkraut und andere ähnliche Schädlinge zugleich mit dem Weizen gesät werden und üppig aufwachsen können (Mt 3,12; 13,24–30). Das bedeutet: Gottlose können mit den Erwählten zu derselben Gemeinschaft gehören und beständig mit ihnen die Wohltaten des Wortes und der Sakramente genießen. Aber solche Leute, die nur eine Zeit lang und auch nicht von Herzen die Wahrheit bekennen, fallen wieder zurück und beharren nicht bis zum Ende. Daher kommen sie nicht in den Genuss der Frucht des Todes, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi. Wer aber von Herzen glaubt und mit dem Mund den Herrn Jesus Christus in der oben beschriebenen Weise beständig bekennt, empfängt diese Wohltaten ganz gewiss: erstens in diesem Leben Vergebung der Sünden allein durch das Blut Christi (Röm 10,10; Joh 3,16–18). Obwohl immer noch Sünde zurückbleibt und auf Dauer in unserem sterblichen Leib wohnt, wird sie uns dennoch nicht zugerechnet, sondern mit Christi Gerechtigkeit vergeben und bedeckt (Röm 3,23 f.; 4,5–8; 5,8–11; 8,1.31 f.). Zweitens wird bei dem künftigen allgemeinen Gericht jeder einen neuen Leib erhalten (Jes  66,14–17; Dan 12,2; 1. Kor 15,35 f.52; Hi 19,25–27). Denn das Meer gibt seine Toten wieder und ebenso die Erde alle, die ihr Schoß umschlossen hält. Unser ewiger Gott wird über den Staub seine Hand ausstrecken, und die Toten werden auferstehen in demselben – dann aber unsterblichen und unvergänglichen – Leib, den jeder getragen hat, um je nach ihren Werken Herrlichkeit oder Strafe zu empfangen (Mt 25,31 f.; Röm 2,5–10). Denn die Grausamen, Verbrecher, Götzendiener und die, die in das Streben nach wertlosen oder gar gottlosen Dingen in diesem Leben verstrickt sind, werden zur Strafe des unauslöschlichen Feuers verurteilt (Apk 20,15; 21,8). Dort werden nicht nur ihre Leiber mit ewigen Strafen heimgesucht werden, sondern auch ihre Seelen, die sie dem Teufel zum Dienst bei jeder Unanständigkeit und Gemeinheit ausgeliefert hatten. Wer sich hingegen in guten Werken übt, darin bis zum Ende beharrt und Christus treu bekennt, der kann ganz und gar sicher sein, dass er zu Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit aufgenommen wird, damit er mit Christus ewig lebt und regiert. Seinem verherrlichten Leib werden all seine Erwählten gleichgestaltet, wenn er

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erneut zum Gericht erscheint und Gott, dem Vater, die Herrschaft übergibt (1. Joh 3,2; 1. Kor 15,24.28). Er wird dann der in allem und durch alles in Ewigkeit gepriesene Gott sein und für immer bleiben (Kol 3,11; Eph 1,23). Ihm sei mit dem Sohn und dem Heiligen Geist alle Ehre und Herrlichkeit jetzt und in Ewigkeit. Amen. Erhebe dich, Herr, und deine Feinde sollen zuschanden werden. Fliehen sollen vor deinem Angesicht, die deinen heiligen Namen hassen (Ps 68,1; Num 10,35). Gib deinen Knechten Kraft, dass sie mit ganzer Treue dein Wort reden. Alle Völker sollen deine Wahrheit erkennen und sich zu Herzen nehmen. Amen.

19. Niederländisches Bekenntnis (Confessio Belgica) (1561) Einleitung Am frühen Morgen des 2. November 1561 wurde im Garten des Schlosses zu Doornik (Tournai / Belgien) ein versiegeltes Paket gefunden, das über die Mauer geworfen worden war. Es enthielt einen Brief an König ­Philipp II., ein in französischer Sprache verfasstes Glaubensbekenntnis ohne Verfasserangabe und ein Schreiben an die im Schloss zusammengekommene Untersuchungskommission, welche die reformatorischen Unruhen (z. B. öffentlicher Psalmengesang) untersuchen sollte. In Doornik und anderen Orten der Umgebung wurde die von Frankreich ausgehende Reformation durch einen Großteil der Bevölkerung getragen. Guy de Brès (1522–1567), der Verfasser des Bekenntnisses, war Prediger in Doornik und betreute dort und in der Umgebung heimliche Zusammenkünfte. Er floh 1561 nach Valenciennes, wurde 1567 gefangengenommen und hingerichtet. Das 1561 entstandene Bekenntnis ist durch Johannes Calvins Institutio christianae religionis und noch mehr durch das Hugenottische Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana) von 1559 geprägt. In 37 Artikeln werden zentrale Inhalte christlicher Lehre vorgestellt; vielfach ist dem Text eine apologetische Grundhaltung abzuspüren. Wichtig für das Bekenntnis ist die Heilige Schrift, deren einzelne Bücher zu Anfang genannt werden (keine Apokryphen) und die auch als Autorität bei fast allen Artikeln benannt wird – diese Autorität ist ihr durch den Heiligen Geist und nicht durch die kirchliche Tradition zugeeignet. Besondere Vertiefung erhält im Text die Christologie (Artikel 10.18–21.26) mit einem deutlichen Interesse an der Zwei-Naturen-Lehre sowie die Ekklesiologie (Artikel 27–35): Hier ist das auch bei Calvin zu findende Ämterverständnis in der Gemeinde (Diener am Wort, Älteste und Diakone) wichtig; eine Hierarchie wird abgelehnt. Das Bekenntnis erfuhr bereits 1561 mehrere Drucke und wurde schon 1562 ins Niederländische übersetzt. Auf der Antwerpener Synode 1566 bekam der Text erstmals eine offizielle Anerkennung, und auf der Emder Synode 1571 wurde es zum Bekenntnis der niederländischen reformierten Gemeinden erklärt (für die deutschsprachigen Gemeinden wird der Heidelberger Katechismus und für die französischsprachigen der Genfer Katechismus genannt). Auf der Synode in Dordrecht 1618/19 wurde der Text intensiv besprochen, an manchen Stellen leicht überarbeitet und erneut

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als grundlegendes Bekenntnis der niederländischen reformierten Kirche approbiert. Hier entstand auch die bis heute geltende lateinische Übersetzung, die Confessio Belgica genannt wird; diese Bezeichnung aber war in den Kirchen, die das Bekenntnis verwendet haben, nie gebräuchlich. In Dordrecht hat das Bekenntnis übrigens eine andere Funktion bekommen. War es ursprünglich eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte des christlichen Glaubens und an den König adressiert, um anerkannt werden zu können, so richtete sich gut 50 Jahre später die Funktion stärker gegen die Arminianer, die sich gegen die Prädestinationslehre wandten. In Artikel 16 heißt es, dass Gott „diejenigen von der Verdammnis und dem Untergang befreit und erlöst, die er, in seinem ewigen und unveränderlichen Ratschluss aus lauter Barmherzigkeit ohne irgendeine Berücksichtigung ihrer Werke, in Jesus Christus, unserem Herrn, auserwählt hat“. Bis heute ist die Confessio Belgica das Bekenntnis der meisten niederländischen reformierten Kirchen und auch der Ev.-altreformierten Kirche in Niedersachsen. Die Übersetzung folgt der lateinischen Fassung. Edition Confessio Belgica von 1561, in: RefBS, Bd. 2/1: 1559–1563, 319–369 (Bearb.: Eberhard Busch) Übersetzungen Niederländisches Bekenntnis von 1561, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. u. hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen 1949, 153–174 (Übers.: Wilhelm Boudriot) Gemeindebuch der Evangelisch-altreformierten Kirche in Niedersachsen, hg. v. der Sy­ node der Ev.-altreformierten Kirche in Niedersachsen, Bad Bentheim 2006, 103–143 (Übers.: Johannes Jäger, überarbeitet von Georg Plasger / Erich Brandenburger) Literatur Paul Jacobs, Theologie reformierter Bekenntnisschriften in Grundzügen, Neukirchen 1959, 47–50 Jan Nicolaas Bakhuizen van den Brink, De Nederlandse Belijdenisgeschriften, Amsterdam 21976, 9–30 Einleitung: Georg Plasger; Übersetzung: Johannes Jäger, überarbeitet von Georg Plasger / ​ Erich Brandenburger

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Niederländisches Bekenntnis (Confessio Belgica) (1561) Der niederländischen Kirchen christliches und rechtgläubiges Bekenntnis, das die Gesamtheit der Lehre von Gott und dem ewigen Heil der Seelen umfasst. Artikel 1: Von der Natur Gottes Wir glauben von Herzen und bekennen mit dem Munde, dass es ein einziges und einfaches geistliches Wesen ist, das wir Gott nennen: und zwar ewig, unbegreiflich, unsichtbar, unveränderlich, unendlich, allmächtig, vollkommen weise, gerecht und gut und eine überaus reiche Quelle aller Güter. Artikel 2: Von der Erkenntnis Gottes Wir erkennen Gott aber auf zweierlei Weise. Erstens durch die Schöpfung, Erhaltung und Regierung der ganzen Welt. Diese ist nämlich vor unseren Augen wie ein schönes Buch, in dem alle Geschöpfe, große und kleinere, gleichsam wie Buchstaben sind. Sie machen uns das unsichtbare Wesen Gottes, nämlich seine Kraft und Gottheit, anschaulich, wie der Apostel Paulus in Römer 1,20 sagt. Dies alles reicht aus, um die Menschen zu überführen, sodass sie keine Entschuldigung haben. Zweitens gibt er sich noch klarer und vollkommener in seinem heiligen und göttlichen Wort zu erkennen, soviel dieses nämlich zu seiner Ehre und zu unserem Heil in diesem Leben nötig ist. Artikel 3: Von der Heiligen Schrift Wir bekennen, dass dieses Wort Gottes nicht durch menschlichen Willen hervorgebracht oder überliefert worden ist, sondern dass die heiligen Männer Gottes, vom Heiligen Geist getrieben, geredet haben, wie der glückselige Petrus bezeugt (2. Petr 1,21). Sodann aber hat Gott nach seiner besonderen Fürsorge für uns und unser Heil seinen Knechten, den Propheten und Aposteln, geboten, dass sie sein geoffenbartes Wort niederschreiben sollten (Ex 31,18). Ja, sogar er selbst hat die beiden Gesetzestafeln mit seinem Finger geschrieben. Darum nennen wir solche Schriften die heiligen und göttlichen Schriften. Artikel 4: Von den kanonischen Büchern des Alten und Neuen Testaments Wir verstehen unter der Heiligen Schrift die beiden Teile des Alten und Neuen Testaments, welche die kanonischen Bücher heißen, gegen die nichts vorgebracht werden kann. Und dies ist die in der Kirche Gottes angenommene Liste und das Verzeichnis derselben. Die Bücher des Alten Testaments sind: die fünf Bücher Mose [Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium], das Buch Josua, das Buch

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der Richter, das Buch Ruth, zwei Bücher Samuels und zwei Bücher der Könige, zwei Bücher der Chroniken, die Paralipomenon [= Ergänzung] genannt werden, das erste Buch Esra, Nehemia, Esther; ebenso Hiob, die Psalmen Davids, drei Bücher Salomos, nämlich die Sprüche, der Prediger und das Hohelied, die vier großen Propheten: Jesaja, Jeremia [mit seinen Klageliedern], Hesekiel und Daniel; und ferner die zwölf kleinen Propheten: nämlich Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Die Bücher des Neuen Testaments sind: die vier Evangelien: der heilige Matthäus, Markus, Lukas, Johannes; die Apostelgeschichte, die vierzehn Briefe des Apostels Paulus, nämlich einen an die Römer, zwei an die Korinther, je einen an die Galater, an die Epheser, an die Philipper, an die Kolosser, zwei an die Thessalonicher, zwei an Timotheus, je einen an Titus, an Philemon, an die Hebräer; die sieben Briefe der anderen Apostel, nämlich: der Brief des Jakobus, die zwei Briefe des Petrus, drei Briefe des Johannes, der Brief des Judas und schließlich die Offenbarung des heiligen Apostels Johannes. Artikel 5: Von der Autorität der Heiligen Schrift Diese Bücher allein erkennen wir als heilig und kanonisch an, damit durch diese, gleichsam als Richtschnur, unser Glaube geprüft wird und auf diesen als Fundament begründet und gefestigt werden soll. Und alles das, was in ihnen enthalten ist, glauben wir ohne allen Zweifel. Wir tun das nicht so sehr darum, weil die Kirche sie als kanonisch annimmt und bestätigt, sondern vielmehr, weil der Heilige Geist in unseren Herzen bezeugt, dass sie von Gott ausgegangen sind. Auch bezeugen und bestätigen sie dies durch sich selbst, denn selbst Blinde können mit ihren Sinnen erfassen, dass die in ihnen geweissagten Dinge geschehen sind. Artikel 6: Von dem Unterschied zwischen den kanonischen und apo­ kryphen Büchern Wir machen einen Unterschied zwischen diesen heiligen Büchern und denen, die man Apokryphen nennt. Die apokryphen Bücher sind folgende: das dritte und vierte Buch Esra, die Bücher Tobias und Judith, das Buch der Weisheit, das Buch Jesus Sirach, das Buch Baruch mit dem Brief Jeremias, Stücke zu Esther, der Gesang der drei Männer im Feuerofen, die Geschichte von Susanna, vom Bel und vom Drachen zu Babel, das Gebet Manasses und außerdem die Bücher der Makkabäer. Diese kann die Kirche zwar lesen, ihnen auch Unterweisung entnehmen in Dingen, die mit den kanonischen Büchern übereinstimmen. Aber sie haben keineswegs eine solche Kraft und eine solche Autorität in sich, dass man nach irgendeinem ihrer Zeugnisse irgendeine Lehre des Glaubens oder der christlichen

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Religion feststellen könnte, geschweige denn, dass sie die Auto­rität der anderen heiligen Bücher entkräften oder verringern könnten. Artikel 7: Von der Vollkommenheit der Heiligen Schrift Wir glauben, dass diese Heilige Schrift den Willen Gottes vollkommen enthält und dass in ihr all das zur Genüge gelehrt wird, was für die Menschen zu glauben notwendig ist, um selig zu werden. Denn da dort aufs Genaueste und hinlänglich die ganze Weise des göttlichen Dienstes, den Gott von uns verlangt, beschrieben ist, darf kein Mensch anders lehren, als uns durch die Heilige Schrift gelehrt worden ist – und wäre er auch mit apostolischer Würde bekleidet, ja, wäre er selbst ein Engel aus dem Himmel, wie der Apostel Paulus sagt (Gal 1,8). Denn da es verboten ist, dem Wort Gottes irgendetwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, wird daraus genügend deutlich, dass seine Lehre sehr vollkommen und in jeder Hinsicht vollendet ist. Deshalb lassen sich auch mit diesen göttlichen Schriften und der göttlichen Wahrheit (denn die Wahrheit steht über allem) keine Schriften von Menschen gleichsetzen, wie heilig sie auch sind, weder aus Gewohnheit noch wegen der großen Menge, dem Alter, der Sukzession der Zeiten und Personen noch aufgrund von Konzilen, Dekreten oder Beschlüssen. Denn alle Menschen sind aus sich heraus Lügner und eitler als die Eitelkeit selbst (Ps 116,11; Röm 3,4). Deshalb verwerfen wir von ganzem Herzen, was mit dieser ganz gewissen Regel nicht übereinstimmt, wie uns die Apostel gelehrt haben mit den Worten: „Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind“ (1. Joh 4,1), und: „Wenn jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, so nehmet ihn nicht auf in euer Haus“ (2. Joh 10). Artikel 8: Die Heilige Dreieinigkeit der Personen in dem einen göttlichen Wesen Gemäß dieser Wahrheit und diesem Wort Gottes glauben wir an den einen einzigen Gott, der ein einziges und ewiges Wesen ist, in sich wahr und von Ewigkeit her in drei Personen unterschieden, die nicht übertragbare Eigenschaften haben, nämlich: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Der Vater ist Ursache, Ursprung und Anfang aller Dinge, sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren. Der Sohn ist das Wort, die Weisheit und das Bild des Vaters. Der Heilige Geist, die ewige Kraft und Macht, geht vom Vater und Sohn aus. Diese Unterscheidung bedeutet jedoch nicht, dass Gott gleichsam in drei Teile geteilt wäre. Denn die Heilige Schrift lehrt uns, dass jeder, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist, seine je eigene besondere Eigenschaft hat, aber eben so, dass diese drei Personen nur ein einziger Gott sind. Es ist also offenbar, dass der Vater nicht der Sohn und der Sohn nicht der Vater, ebenfalls auch der Heilige Geist

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weder der Vater noch der Sohn ist. Dabei sind diese also unterschiedenen Personen nicht getrennt noch untereinander vermischt. Denn weder der Vater noch der Heilige Geist haben das Fleisch angenommen, sondern allein der Sohn. Der Vater ist niemals ohne seinen Sohn noch ohne seinen Heiligen Geist gewesen. Denn alle drei sind in ein und demselben Wesen von gleicher Ewigkeit. Keiner von ihnen ist der Erste oder Letzte; denn alle drei sind eins in Wahrheit und Macht, in Güte und Barmherzigkeit. Artikel 9: Von der Heiligen Dreieinigkeit Dies alles erkennen wir aber sowohl aus den Zeugnissen der heiligen Schriften als auch aus ihren Wirkungen, und besonders aus denen, die wir in uns selbst wahrnehmen. Die Zeugnisse der heiligen Schriften, die uns lehren, an diese Heilige Dreieinigkeit zu glauben, kommen an vielen Stellen im Alten Testament vor. Man braucht sie nicht aufzuzählen, sondern vielmehr mit gutem Unterscheidungsvermögen auswählen. Im Buch Genesis sagt Gott: „Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild und unserem Gleichnis etc.“ (Gen 1,26). „Und also schuf Gott den Menschen nach seinem Bild, und er schuf sie als Mann und Frau“ (Gen 1,27). Ebenso: „Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner“ (Gen 3,22). Denn dass gesagt wird: „Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild“, zeigt an, dass in der Gottheit eine Mehrheit von Personen ist. Wenn aber gesagt wird: „Gott schuf“, wird die Einheit Gottes angedeutet. Zwar ist es wahr, dass hier nicht gesagt wird, wie viele Personen es sind; doch was uns im Alten Testament noch dunkel sein mag, das wird sehr klar im Neuen Testament. Denn als der Herr Jesus im Jordan getauft wurde, hörte man die Stimme des Vaters: „Dies ist mein geliebter Sohn“ (Mt 3,17). Der Sohn wurde im Wasser gesehen, und der Heilige Geist offenbarte sich in der Gestalt einer Taube (Mt 3,16). Bei der Taufe aller Gläubigen ist daher auch diese Formel von Christus eingesetzt worden: „Taufet alle Völker in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,28). Im Lukasevangelium spricht der Engel Gabriel zu Maria, der Mutter des Herrn: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden“ (Lk 1,35). Ebenso: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen“ (2. Kor 13,13). Und: „Drei sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese drei sind eins“ (1. Joh 5,7 f.). In all diesen Stellen wird uns unmissverständlich gelehrt, dass drei Personen in einem göttlichen Wesen sind. Und obwohl diese Lehre das Fassungsvermögen des menschlichen Geistes weit übersteigt, glauben wir sie jetzt dennoch auf Grund des Wortes Gottes.

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Ihre volle Erkenntnis und die Frucht davon erwarten wir aber erst im Himmel. Wir sollten auch auf die diesen drei Personen eigenen Aufgaben und Wirkungen in Bezug auf uns achten. Der Vater wird durch seine Kraft unser Schöpfer genannt; der Sohn ist unser Retter und Erlöser durch sein Blut; der Heilige Geist ist unser Heiligmacher durch sein Wohnen in unseren Herzen. Diese Lehre von der Heiligen Dreieinigkeit ist vom Zeitalter der Apostel an bis in unsere Zeit in der wahren Kirche immer geglaubt und aufrechterhalten worden. Sie hat sie gegen Juden, Mohammedaner und andere Pseudochristen und Häretiker verteidigt wie Marcion, Mani, Praxeas, Sabellius, Samosatenus, Arius und ähnliche, die alle mit gutem Recht von den rechtgläubigen Vätern verurteilt wurden. Und so nehmen wir in diesem Stück gerne die drei Symbole an, nämlich: das Apostolische, das Nizänische und das des Athanasius; und ebenfalls das, was von den Vätern im Sinne dieser Symbole über diese Lehre beschlossen worden ist. Artikel 10: Von der ewigen Gottheit des Sohnes Gottes, unseres Herrn Jesus Christus Wir glauben, dass Jesus Christus nach seiner göttlichen Natur der eingeborene Sohn Gottes ist, von Ewigkeit her gezeugt, weder gemacht noch geschaffen – denn dann wäre er ein Geschöpf –, sondern desselben Wesens mit dem Vater, mit ihm ewig, das ausdrückliche Bild der Seinsweise des Vaters und der Abglanz seiner Herrlichkeit, ihm in allem gleich. Er ist der Sohn Gottes nicht nur von der Zeit an, als er unsere menschliche Natur annahm, sondern von Ewigkeit her, wie diese Zeugnisse, miteinander verglichen, uns lehren: Mose sagt, dass Gott die Welt erschaffen hat (Gen 1,1), und der heilige Johannes, dass durch das Wort, das er „Gott“ nennt, alles erschaffen worden ist (Joh 1,1.3). Und der Apostel sagt, dass Gott durch seinen Sohn die Welt gemacht hat (Hebr 1,2) und dass Gott durch Jesus Christus alle Dinge geschaffen hat (Kol 1,16). Daraus folgt notwendigerweise, dass der, der Gott, Wort, Sohn und Jesus Christus genannt wird, schon damals gewesen ist, als alles von ihm erschaffen wurde. Deshalb sagt der Prophet Micha: „Dessen Ausgang von alters her, ja, von den Tagen der Ewigkeit her ist“ (Mi 5,1). Und der Apostel sagt: „Er hat weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens“ (Hebr 7,3). Er ist daher der wahre, ewige und allmächtige Gott, den wir anrufen, anbeten und verehren. Artikel 11: Von der Person und Gottheit des Heiligen Geistes Wir glauben und bekennen auch, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn von Ewigkeit her ausgeht. Daher ist er auch weder gemacht noch geschaffen oder gezeugt worden, sondern geht nur von beiden aus.

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Er ist der Ordnung nach die dritte Person der Dreieinigkeit, desselben Wesens und derselben Herrlichkeit und Majestät mit dem Vater und dem Sohn, wahrer und ewiger Gott, wie es uns die Heilige Schrift lehrt. Artikel 12: Von der Schöpfung der Welt und von den Engeln Wir glauben, dass der Vater durch sein Wort, das heißt durch seinen Sohn, den Himmel, die Erde und alle Geschöpfe aus Nichts geschaffen hat, als es ihm gut erschien. Und er hat jedem Geschöpf sein Wesen, seine Gestalt, seine Beschaffenheit und seine verschiedenen Aufgaben gegeben, um seinem Schöpfer zu dienen. Wir glauben, dass er sie auch nun alle nach seiner ewigen Vorsehung und durch seine unermessliche Macht erhält und regiert, dass sie dem Menschen dienen, der Mensch darin aber seinem Gott diene. Er hat auch die Engel gut geschaffen, dass sie seine Boten seien und auch den Auserwählten dienen sollten. Von ihnen sind jedoch einige von jener herrlichen Beschaffenheit, in der Gott sie geschaffen hatte, zu ewigem Verderben abgefallen, während die anderen durch die Gnade Gottes in ihrem Zustand verharrten und standhaft blieben. Die Teufel und bösen Geister aber sind so verdorben, dass sie Feinde sowohl Gottes als auch alles Guten sind, die mit all ihren Kräften die Kirche und ihre einzelnen Glieder wie Räuber aus dem Hinterhalt überfallen und mit ihren Betrügereien alles zerstören und verderben. Deshalb sind sie durch ihre eigene Bosheit zur ewigen Verdammnis verurteilt und haben täglich furchtbare Peinigungen zu erwarten. Damit verwerfen und verabscheuen wir die Irrlehre der Sadduzäer, die leugnen, dass es Geister oder Engel gibt (Apg 23,8), und ebenfalls die Irrlehre der Manichäer, die behaupten, dass die Teufel ihren Ursprung aus sich selbst haben und aus ihrer eigenen Natur heraus böse sind, ohne verdorben worden zu sein. Artikel 13: Von der Vorsehung Gottes Wir glauben, dass der gütige Gott, nachdem er alle Dinge geschaffen hat, sie keineswegs sich selbst überlassen oder dem Zufall anheimgegeben hat, sondern sie nach seinem heiligen Willen so lenkt und regiert, dass nichts in dieser Welt ohne seinen Willen und seine Anordnungen geschieht. Dabei ist Gott doch weder der Urheber der Sünden, die geschehen, noch ist er schuld daran. Aber so weit reichen seine unendliche und unbegreifliche Macht und Güte, dass er auch dann seine Werke in bester und gerechter Weise anordnet und ausführt, wenn der Teufel und die Gottlosen un­gerecht handeln. Alles, was er tut, was unser menschliches Fassungsvermögen übersteigt, wollen wir nicht in ungeziemender Neugier und auf eine Weise, die unseren Verstand überfordert, untersuchen. Die verborgenen und gerechten Gerichte Gottes anerkennen wir demütig und ehrfurchtsvoll, denn wir geben uns damit zufrieden, dass wir Christi

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Schüler sind, um das zu lernen, was er uns in seinem Wort selbst lehrt; und diese Grenze wollen wir nicht überschreiten. Diese Lehre gibt uns aber einen unermesslichen Trost; denn aus ihr lernen wir, dass uns nichts zufällig trifft, sondern alles nach dem Willen unseres himmlischen Vaters, der über uns mit wahrhaft väterlicher Sorge wacht. Ihm ist alles untertan, sodass ohne den Willen unseres Vaters kein Haar unseres Hauptes, die alle gezählt sind, ausfallen und nicht der kleinste Sperling zu Boden fallen kann (Mt 10,29 f.). Darauf verlassen wir uns, weil wir wissen, dass Gott die Teufel und alle unsere Feinde so im Zaum hält, dass sie ohne seine Erlaubnis und seinen Willen niemandem von uns schaden können. Darum verwerfen wir hier den verdammenswerten Irrtum der Epikureer, die sagen, dass Gott sich um nichts kümmere und alle Dinge dem Zufall überlasse. Artikel 14: Von des Menschen Schöpfung, Fall und Verderbnis Wir glauben, dass Gott den Menschen aus dem Staub der Erde geschaffen (Gen 2,7) und ihn nach seinem Bild und Gleichnis gemacht und gebildet hat (Gen 1,27), nämlich gut, gerecht und heilig. Sein Wille hätte in allem mit dem Willen Gottes übereinstimmen können. Aber er hat, obwohl er diese Ehre besaß, gerade dies nicht verstanden und seine herausragende Stellung nicht erkannt, sondern – den Worten des Teufels sein Ohr leihend – sich aus freien Stücken der Sünde und infolgedessen dem Tod und der Verdammnis hingegeben. Denn das Gebot des Lebens, das er von Gott empfangen hatte, hat er übertreten (Gen 2,16 f.) und sich von Gott, seinem wahren Leben, getrennt und seine ganze Natur verderbt. Dadurch machte er sich sowohl des leiblichen als auch des geistlichen Todes schuldig. Gottlos und verkehrt und in allen seinen Wegen verderbt, hat er alle seine herrlichen Gaben, die er von Gott empfangen hatte, verloren. Ihm sind nur ganz kleine Reste geblieben, die genügen, ihm allen Grund zur Entschuldigung zu nehmen, weil alles Licht, das in uns ist, in Finsternis verkehrt worden ist, wie die Schrift uns lehrt: „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen“ (Joh 1,5). Hier nennt der heilige Johannes die Menschen „Finsternis“. Deshalb verwerfen wir mit Recht alles, was man vom freien Willen des Menschen lehrt, weil der Mensch ein Knecht der Sünde ist und nichts annehmen kann, was ihm nicht vom Himmel gegeben worden ist. Denn wer möchte es wagen, sich zu rühmen, dass er etwas Gutes aus sich selbst tun könne, da Christus sagt: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn der Vater ziehe, der mich gesandt hat“ (Joh 6,44)? Wer wollte sich mit seinem Willen brüsten, der einsieht, dass „fleischlich gesinnt sein“ Feindschaft gegen Gott ist (Röm 8,7)? Wer wollte sich seines Wissens rühmen, der weiß, dass der natürliche Mensch nicht die Dinge begreift, die vom Geist Gottes sind (1. Kor 2,14)? Kurz, wer wollte irgendeinen Gedanken vorbringen,

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der weiß, dass wir nicht fähig sind, aus uns selbst irgendetwas zu denken, das von uns selber kommt, sondern dass unsere Befähigung aus Gott ist? Darum muss mit Recht als fest und sicher gehalten werden, was der Apostel sagt: „Denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen“ (Phil 2,13). Denn kein Verstand noch Wille stimmen mit dem Verstand und Willen Gottes überein, wenn nicht Christus solches im Menschen gewirkt hat, was er uns selbst lehrt, indem er sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Artikel 15: Von der Ursünde Wir glauben, dass sich durch den Ungehorsam Adams die Ursünde über das ganze Menschengeschlecht verbreitet hat. Sie ist eine Verderbtheit der ganzen Natur und eine Urschande, mit der selbst die Kinder im Mutterleib behaftet sind, und sie bringt als deren giftige Wurzel alle Art der Sünde im Menschen hervor. Sie ist darum so abscheulich und gräulich vor Gott, dass sie hinreichend ist, das ganze Menschengeschlecht zu verdammen. Selbst durch die Taufe wird sie nicht gänzlich zunichtegemacht oder völlig ausgerottet, weil die Sünde aus ihr wie aus einer unseligen Quelle als immerfort sprudelndes Wasser aufsteigt. Gleichwohl wird sie den Kindern Gottes nicht zur Verdammnis angerechnet, sondern ihnen wird nach seiner Gnade und Barmherzigkeit vergeben. Das Ziel ist nicht, in der Sünde sicher zu schlafen, sondern das Empfinden dieser Verderbtheit lässt die Gläubigen häufig seufzen und desto sehnlicher wünschen, von diesem Leib des Todes befreit zu werden. Darin verwerfen wir die Irrlehre der Pelagianer, die behaupten, dass diese Sünde nur aus der Nachahmung entstehe. Artikel 16: Von der ewigen Erwählung Wir glauben, dass Gott, nachdem die ganze Nachkommenschaft Adams durch die Schuld des ersten Menschen in Verderben und Untergang gestürzt war, sich so erwiesen hat, wie er ist, nämlich barmherzig und gerecht. Barmherzig ist er, indem er diejenigen von der Verdammnis und dem Untergang befreit und erlöst, die er, in seinem ewigen und unveränderlichen Ratschluss aus lauter Barmherzigkeit ohne irgendeine Berücksichtigung ihrer Werke, in Jesus Christus, unserem Herrn, auserwählt hat. Gerecht aber ist er, indem er die anderen in ihrem Fall und Verderben lässt, in welche sie sich selbst gestürzt haben. Artikel 17: Von der Wiederaufrichtung des gefallenen Menschen durch den Sohn Gottes Wir glauben: Als Gott sah, dass der Mensch sich so in die Verdammnis des leiblichen und geistlichen Todes gestürzt und ganz elend gemacht hatte,

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suchte unser allergütigster Gott – durch seine wunderbare Weisheit und Güte bewogen – den Menschen, als der zitternd vor ihm floh, und tröstete ihn durch die Verheißung seines Sohnes; der sollte von einem Weibe geboren werden, um der Schlange den Kopf zu zertreten (Gen 3,15) und ihn – den Menschen – glückselig zu machen. Artikel 18: Von der Menschwerdung des Sohnes Gottes Wir bekennen weiter, dass Gott die Verheißung, die er den alten Vätern durch den Mund der heiligen Propheten gegeben hatte, erfüllt hat, als er zu der von ihm bestimmten Zeit seinen eigenen, eingeborenen und ewigen Sohn in die Welt sandte (Gal 4,4). Dieser hat die Gestalt eines Knechtes angenommen und ist dem Menschen gleich geworden (Phil  2,7). Das geschah, indem er die wahre menschliche Natur mit all ihren Schwachheiten, abgesehen von der Sünde (Hebr 4,15), wahrhaft annahm, als er im Schoß der glückseligen Jungfrau Maria, durch die Kraft des Heiligen Geistes, ohne Einwirkung eines Mannes, empfangen wurde. Und er hat nicht nur einen menschlichen Leib angenommen, sondern auch eine wahre menschliche Seele, damit er ein wahrer Mensch sei, denn weil die Seele ebenso wie der Leib verloren war, musste er beide annehmen, damit er beide erlöste. Deshalb bekennen wir gegen die Irrlehre der Wiedertäufer, die leugnen, dass Christus menschliches Fleisch von seiner Mutter angenommen hat: Christus ist desselben Fleisches und Blutes teilhaftig geworden wie die Kinder (Hebr 2,14), er ist eine Frucht der Lenden Davids dem Fleisch nach (Apg 2,30), er ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch geworden, eine Frucht des Leibes Marias, geboren aus einer Frau, ein Spross Davids (Jer 33,15), ein Zweig aus der Wurzel Jesse (Jes 11,1), aus dem Stamm Juda (Hebr 7,14). Dem Fleisch nach stammt er von den Juden ab, aus dem Samen Abrahams, weil er den Samen Abrahams angenommen hat und seinen Brüdern in allem gleich geworden ist, ausgenommen die Sünde (Hebr 4,15). Deshalb ist er wahrhaftig unser Immanuel, das ist: Gott mit uns (Mt 1,23). Artikel 19: Von der hypostatischen oder personalen Vereinigung der beiden Naturen Christi Wir glauben, dass durch diese Empfängnis die Person des Sohnes untrennbar mit der menschlichen Natur verbunden und vereinigt ist. Deshalb gibt es weder zwei Söhne Gottes noch zwei Personen, sondern zwei Naturen sind in einer einzigen Person vereinigt, von denen jede ihre unterschiedlichen Eigenschaften behält. So wie die göttliche Natur immer unerschaffen, ohne Anfang der Tage und ohne Ende des Lebens geblieben ist (Hebr 7,3), Himmel und Erde erfüllend, so hat auch die menschliche Natur ihre Eigenschaften nicht verloren, sondern ist ein Geschöpf geblie-

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ben. Sie hat einen Anfang der Tage und eine endliche Natur und behält alles, was zu einem wahren Leib gehört. Und obwohl er ihr durch seine Auferstehung Unsterblichkeit verliehen hat, so hat er dennoch das wahre Wesen der menschlichen Natur nicht verändert, da unser Heil und unsere Auferstehung auch von der Wahrheit seines Leibes abhängen. Ja, diese beiden Naturen sind so in einer Person miteinander verbunden, dass sie nicht einmal durch seinen Tod getrennt gewesen sind. Was er sterbend den Händen seines Vaters befahl (Lk 23,46), war ein wahrer menschlicher Geist, der von seinem Leib schied. Aber unterdessen blieb die göttliche Natur immer mit der menschlichen, auch selbst im Grab, vereinigt. Und die Gottheit hörte nicht auf, in ihm zu sein, so wie sie in ihm war, als er noch ein kleines Kind war, obwohl sie sich für eine kurze Zeit nicht so aktiv zeigte. Deshalb bekennen wir, dass er wahrer Gott und wahrer Mensch ist: wahrer Gott, um durch seine Kraft den Tod zu besiegen; aber wahrer Mensch, damit er in der Schwachheit seines Fleisches für uns sterben könnte. Artikel 20: Die Weise der Erlösung durch die Offenbarung der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes in Christus Wir glauben, dass Gott, der vollkommen barmherzig und gerecht ist, seinen Sohn gesandt hat, damit er die Natur annähme, in welcher der Ungehorsam begangen worden ist, um in ihr durch sein bitteres Leiden und Sterben Genugtuung zu vollbringen und die Strafe der Sünden zu tragen. So hat denn Gott seine Gerechtigkeit an seinem eigenen Sohn offenbart, als er unsere Sünden auf ihn legte, seine Güte und Barmherzigkeit aber über uns Schuldige und der Verdammnis Würdige ausgegossen, indem er nach seiner großen Liebe seinen Sohn für uns in den Tod gab und ihn zu unserer Rechtfertigung von den Toten auferweckte (Röm 4,25), damit wir Unsterblichkeit und das ewige Leben durch ihn hätten. Artikel 21: Von der Genugtuung Christi für unsere Sünden Wir glauben, dass Jesus Christus der ewige Hohepriester ist, eingesetzt mit einem Eidschwur nach der Ordnung Melchisedeks (Hebr 7,25), und dass er sich in unserem Namen seinem Vater dargeboten hat, um mit vollkommener Genugtuung seinen Zorn zu stillen, als er sich selbst zum Opfer darbrachte an dem Holz des Kreuzes und sein kostbares Blut zur Reinigung unserer Sünden vergoss, so wie es die Propheten vorhergesagt hatten. Denn es steht geschrieben, dass die Strafe für unseren Frieden auf dem Sohn Gottes liegt und wir durch seine Wunden geheilt sind. Er ist wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt und unter die Übeltäter gerechnet (Jes 53,5.7.12). Er ist wie ein Übeltäter verurteilt worden durch Pontius Pilatus, obwohl der ihn für unschuldig erklärt hatte (Lk 23,22.24). So

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hat er denn zurückgegeben, was er nicht geraubt hatte (Ps 69,5), und hat gelitten, der Gerechte für die Ungerechten – und das sowohl an seinem Leib als auch an seiner Seele (1. Petr 3,18); denn er fühlte die schreck­ lichen Strafen, die unsere Sünden verdient hatten, sodass sein Schweiß wie Blutstropfen wurde, die zur Erde fielen (Lk 22,44). Er rief laut: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Er hat all solches gelitten zur Vergebung unserer Sünden. Darum sagen wir zu Recht mit Paulus: „Wir wissen nichts anderes als Christus, den Gekreuzigten“ (1. Kor 2,2). Wir achten alles für Dreck um der herausragenden Erkenntnis Jesu Christi, unseres Herrn, willen (Phil 3,8). Wir finden allerlei Trost in seinen Wunden und brauchen keinerlei andere Mittel zu suchen oder auszudenken, um mit Gott versöhnt zu werden, außer dem einen und einzigen Opfer, einmal geschehen, durch das die Gläubigen in Ewigkeit vollendet werden (Hebr 10,14). Das ist auch der Grund dafür, dass er durch den Engel Gottes genannt wurde: „Jesus, das ist Seligmacher; weil er sein Volk erretten sollte von seinen Sünden“ (Mt 1,21). Artikel 22: Vom rechtfertigenden Glauben und von der Rechtfertigung durch den Glauben Wir glauben: Damit wir wahre Erkenntnis dieses großen Geheimnisses erlangen, entzündet der Heilige Geist in unseren Herzen einen wahren Glauben, der Jesus Christus mit all seinen Verdiensten umfasst, ihn sich zu eigen macht und außer ihm nichts mehr sucht. Denn entweder ist nicht alles, was zu unserem Heil nötig ist, in Christus vorhanden, oder, wenn alles in ihm ist, muss auch der, der durch den Glauben Jesus Christus besitzt, sein vollkommenes Heil haben. Zu behaupten, dass Christus nicht genüge, sondern dass außer ihm noch mehr dazu nötig sei, ist eine allzu törichte Gotteslästerung; denn daraus würde folgen, dass Christus nur teilweise ein Seligmacher wäre. Deshalb sagen wir zu Recht mit Paulus, dass wir durch den Glauben allein, oder durch den Glauben ohne die Werke, gerechtfertigt werden (Röm 3,28). Wir meinen allerdings genau gesagt nicht, dass es der Glaube selbst ist, der uns rechtfertigt; denn er ist nur ein Instrument, womit wir Christus, unsere Gerechtigkeit, umfassen. Jesus Christus, der uns all seine Verdienste und so viele heilige Werke, die er für uns und an unserer statt getan hat, zurechnet, ist unsere Rechtfertigung. Der Glaube aber ist ein Instrument, das uns mit ihm in der Gemeinschaft all seiner Güter hält, die, nachdem sie unsere geworden sind, uns mehr als genug zur Freisprechung von unseren Sünden sind. Artikel 23: Von unserer Rechtfertigung, durch die wir vor Gott bestehen Wir glauben, dass unsere Seligkeit, um Jesu Christi willen, in der Vergebung unserer Sünden besteht, und dass darin unsere Rechtfertigung vor

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Gott mit einbegriffen ist. So lehren uns David und Paulus, es sei die Seligkeit des Menschen, dass Gott ihm die Gerechtigkeit ohne die Werke zurechnet (Ps 32,1 f.; Röm 4,6). Und derselbe Apostel sagt, dass wir umsonst, aus Gnaden, gerechtfertigt sind durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist (Röm 3,24). Und darum halten wir diesen Grund immer fest, indem wir Gott allein alle Ehre geben, uns vor ihm demütigen und uns als solche erkennen, die wir sind, ohne uns unser selbst oder unserer Verdienste zu rühmen, und uns allein auf den Gehorsam des gekreuzigten Christus stützen, der unser ist, wenn wir an ihn glauben. Dieser eine genügt vollkommen, um alle unsere Ungerechtigkeiten zu bedecken und unser Vertrauen zu Gott zu wecken, indem er das Gewissen von Furcht, Angst und Schrecken freimacht, damit wir zu Gott gehen, ohne es wie unser Urvater zu machen, der – vor Gott bebend – sich mit Feigenblättern bedecken wollte (Gen 3,7). In der Tat, wenn wir uns auf uns selbst oder irgendein anderes Geschöpf auch nur im Geringsten stützend vor Gott erscheinen müssten, dann müssten wir verschlungen werden. Deshalb muss jeder mit David sprechen: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor deinem Angesicht ist niemand, der da lebt, gerecht“ (Ps 143,2). Artikel 24: Von der Heiligung und den guten Werken Wir glauben, dass dieser wahre Glaube, der durch das Hören des Wortes Gottes und durch die Wirkung des Heiligen Geistes in dem Menschen einwohnt, ihn wiedergebiert und zu einem neuen Menschen macht, ihn in einem neuen Leben wandeln lässt und ihn von der Knechtschaft der Sünde befreit. Es ist also weit davon entfernt, dass der rechtfertigende Glaube die Menschen in Bezug auf ein frommes und heiliges Leben träger machen würde. Im Gegenteil, die Menschen können ohne ihn niemals etwas aus Liebe zu Gott tun, sondern nur aus Eigenliebe und der Furcht vor der Verdammnis. Es ist daher unmöglich, dass dieser heilige Glaube im Menschen untätig sei, da wir ja hier nicht von einem leeren Glauben reden, sondern von solch einem, den die Schrift einen Glauben nennt, der durch die Liebe tätig ist (Gal 5,6). Er treibt den Menschen dazu an, sich in den Werken zu üben, die Gott in seinem Wort geboten hat. Und diese Werke, die aus der guten Wurzel des Glaubens hervorgehen, sind deshalb gut und Gott angenehm, weil sie durch seine Gnade geheiligt sind. Doch um uns zu rechtfertigen, kommen sie nicht in Betracht. Denn durch den Glauben an Christus werden wir gerecht, bevor wir gute Werke tun. Denn sonst könnten unsere Werke nicht gut sein, ebenso wenig wie die Früchte eines Baumes gut sein können, bevor der Baum selbst gut ist. So tun wir denn gute Werke, ohne etwas damit zu verdienen. Denn was könnten wir verdienen? Ja, wir sind die guten Werke, die wir tun, Gott schuldig; Gott ist uns aber nichts schuldig; zumal Gott es ist, der in uns das

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Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen wirkt (Phil 2,13). Darum lasst uns achten auf das, was geschrieben steht: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sagt: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ (Lk 17,10). Indessen wollen wir nicht leugnen, dass Gott die guten Werke belohnt; wir sagen aber, dass es ein Zeichen der Gnade ist, dass er seine Gaben krönt. Und obwohl wir gute Werke tun, so gründen wir doch unsere Seligkeit nicht darauf. Denn wir können kein Werk tun, das nicht durch unser Fleisch befleckt und strafwürdig wäre. Und könnten wir auch ein gutes Werk hervorbringen, so genügte es doch, dass Gott einer Sünde gedächte, um es zu verwerfen. So würden wir immer im Zweifel sein, ohne einige Gewissheit hin und her getrieben, und unsere armen Gewissen würden immer gequält werden, wenn es nicht in den Verdiensten des Sterbens und Leidens unseres Heilandes Ruhe finden würde. Artikel 25: Von der Abschaffung des zeremoniellen Gesetzes und der Übereinstimmung des Alten und des Neuen Testaments Wir glauben, dass die Zeremonien und Bilder des Gesetzes mit der Ankunft Christi aufgehört haben und dass alle Schatten ein Ende haben, sodass auch ihr Gebrauch unter Christen abgeschafft werden muss. Dennoch bleiben uns ihre Wahrheit und ihr Wesen in Christus, in dem sie ihre Erfüllung haben. Indessen gebrauchen wir noch die Zeugnisse aus dem Gesetz und den Propheten, um uns im Evangelium zu bestärken und auch, um unser Leben in aller Ehrbarkeit zur Ehre Gottes nach seinem Willen auszurichten. Artikel 26: Von der Mittlerschaft Christi Wir glauben, dass wir anders keinen Zutritt zu Gott haben als durch den einigen Mittler und Fürsprecher Jesus Christus, den Gerechten, der deswegen Mensch geworden ist und die göttliche und menschliche Natur in sich vereinigt hat, damit wir Menschen durch ihn Zutritt zur göttlichen Majestät hätten. Sonst wäre uns dieser Zutritt verschlossen. Aber dieser Mittler, den der Vater zwischen sich und uns gestellt hat, darf uns nicht wegen seiner Erhabenheit erschrecken, dass wir einen anderen nach unserem Gutdünken suchen müssten. Denn es ist niemand, weder im Himmel noch auf Erden unter allen Geschöpfen, der uns mehr liebte als Jesus Christus, der, obwohl er in der Gestalt Gottes war, sich selbst entäußerte und die Gestalt eines Menschen und eines Knechtes für uns annahm und seinen Brüdern in allem gleich geworden ist (Phil 2,6 f.; Hebr 2,17). Wenn wir einen anderen Mittler suchen müssten, der uns wohlgesinnt wäre, wen würden wir finden können, der uns mehr liebte als er, der sein Leben für uns ließ, als wir noch seine Feinde waren? Und wenn wir einen

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suchten, der Macht und Ansehen hätte, wer ist, der so viel davon hätte als der, der zur Rechten des Vaters sitzt und alle Macht hat im Himmel und auf Erden? Wer wird wohl eher erhört werden als der eigene geliebte Sohn Gottes? Bloßes Misstrauen hat daher zur Gewohnheit geführt, die Heiligen zu entehren anstatt sie zu ehren, indem man tut, was sie nie getan oder begehrt, sondern – wie es auch ihre schuldige Pflicht war – ganz und gar verworfen haben, wie es aus ihren Schriften klar hervorgeht. Hier darf man nicht einwenden, dass wir des unmittelbaren Zugangs zu Gott allein durch Jesus nicht würdig wären; denn hier ist nicht die Rede davon, dass wir unsere Gebete auf Grund unserer Würdigkeit vor Gott bringen, sondern nur auf Grund der Vortrefflichkeit und Würdigkeit unseres Herrn Jesus Christus, dessen Gerechtigkeit durch den Glauben die unsrige ist. Deshalb sagt uns der Apostel, weil er uns von dieser törichten Furcht oder vielmehr diesem Misstrauen befreien will, dass Jesus Christus in allen Dingen den Brüdern gleich geworden ist, um barmherzig und ein treuer Hohepriester zu sein, um des Volkes Sünde zu versöhnen. Denn worin er gelitten hat und versucht ist, kann er denen helfen, die versucht werden (Hebr 2,17 f.). Und dann, um uns noch mehr zu ermutigen, zu ihm zu treten, fügt er hinzu: „Weil wir einen großen Hohepriester haben, der durch die Himmel hindurchgegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns dieses Bekenntnis festhalten. Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht mit unseren Schwachheiten Mitleid haben könnte, sondern einen, der in allen Stücken versucht worden ist wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Gnadenthron, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn uns Hilfe nottut“ (Hebr 4,14–16). Derselbe Apostel sagt, dass wir durch das Blut Jesu einen freien Zugang zu dem Heiligtum haben. „So lasst uns denn“, sagt er, „hinzugehen in voller Gewissheit des Glaubens usw.“ (Hebr 10,19.22). Und ebenfalls: „Christus hat ein unvergängliches Priestertum; darum kann er auch vollkommen selig machen, die durch ihn zu Gott kommen, und der immerdar lebt, sie zu vertreten“ (Hebr 7,25). Wer kann mehr gesucht werden, da Christus es selbst so bezeugt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14,6). Wozu sollten wir einen anderen Fürsprecher suchen, da es Gott gefallen hat, uns seinen Sohn zu einem Fürsprecher zu geben? Lasst uns ihn nicht verlassen, um einen anderen zu nehmen oder vielmehr zu suchen, ohne ihn jemals zu finden. Deshalb rufen wir nach dem Befehl Christi den himmlischen Vater durch Christus, unseren einzigen Mittler, an, wie uns in dem Gebet des Herrn gelehrt worden ist – in der Gewissheit, dass wir das, um was wir den Vater in seinem Namen bitten, auch erhalten werden (Joh 16,23).

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Artikel 27: Von der allgemeinen Kirche Wir glauben und bekennen eine einige katholische oder universale Kirche, die eine heilige Gemeinschaft oder Versammlung aller wahrhaft glaubenden Christen ist, die ihr ganzes Heil in Jesus Christus erwarten und durch sein Blut gereinigt und durch den Heiligen Geist geheiligt und versiegelt sind. Diese Kirche war von Anfang der Welt an, und sie wird bis zu ihrem Ende bleiben. Dies wird auch daraus klar, dass Christus der ewige König ist, der nicht ohne Untertanen sein kann. Und diese heilige Kirche wird von Gott gegen alles Wüten der ganzen Welt bewahrt oder aufrechterhalten. In den Augen der Menschen scheint sie allerdings bisweilen eine Zeit lang sehr klein und wie ausgelöscht zu sein, so wie Gott sich in jener gefährlichen Zeit Ahabs siebentausend Männer, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt hatten, bewahrt hatte (1. Kön 19,18). Diese heilige Kirche ist auch nicht auf bestimmte Orte begrenzt oder an bestimmte einzelne Personen gebunden, sondern sie ist über die ganze Erde zerstreut und verbreitet. Und dennoch ist sie durch die Kraft des Glaubens mit Herz und Willen in ein und demselben Geist zusammengefügt und vereinigt. Artikel 28: Von der Gemeinschaft der Heiligen mit der wahren Kirche Wir glauben, dass – weil diese heilige Gemeinschaft und Versammlung eine Versammlung derer ist, die gerettet werden, und außer ihr kein Heil ist – sich niemand, welchen Stand und welche Würde er auch habe, abseits halten darf, um für sich allein zu stehen. Vielmehr ist es für alle nötig, sich dieser Gemeinschaft anzuschließen und sich mit ihr zu vereinigen, die Einheit der Kirche zu bewahren und sich ihrer Lehre und Zucht zu unterwerfen, den Nacken unter das Joch Jesu Christi zu beugen und als gemeinsame Glieder ein und desselben Leibes der Erbauung der Brüder zu dienen gemäß den Gaben, die Gott ihnen verliehen hat. Um dies alles besser halten zu können, ist es nach dem Wort Gottes die Pflicht aller Gläubigen, sich von denen, die außerhalb der Kirche sind, zu trennen und sich dieser Gemeinschaft anzuschließen, wo immer Gott sie errichtet hat, auch wenn die Obrigkeiten und Befehle der Fürsten dagegen und der Tod oder irgendeine leibliche Strafe damit verbunden wären. Alle, die sich von ihr trennen oder nicht anschließen, handeln darum gegen Gottes Gebot. Artikel 29: Von den Kennzeichen der wahren Kirche Wir glauben, dass man mit der größten Sorgfalt und Umsicht – aus dem Wort Gottes – unterscheiden muss, welche die wahre Kirche sei, da sich alle Sekten, die es heute in der Welt gibt, mit dem Namen der Kirche schmücken. Wir reden hier nicht von den Heuchlern, die in der Kirche mit den Guten vermischt sind und doch nicht zur Kirche gehören, wenn sie auch leiblich in ihr sind. Wir sagen aber, dass man den Leib und die

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Gemeinschaft der wahren Kirche von allen Sekten, die behaupten, die Kirche zu sein, unterscheiden muss. Die Kennzeichen der wahren Kirche sind: dass die Kirche die reine Predigt des Evangeliums bringt, die lautere Bedienung der Sakramente handhabt, so wie Christus sie eingesetzt hat, und zur Besserung der Laster die kirchliche Zucht ausübt; kurz, dass man sich nach dem reinen Wort Gottes richtet und alles verwirft, was ihm widerstreitet, und Jesus Christus als das einzige Haupt anerkennt. Hieran kann man gewiss die wahre Kirche erkennen, von der sich niemand trennen darf. Was aber die Glieder dieser Kirche betrifft, so kann man sie an den Kennzeichen der Christen erkennen, nämlich an dem Glauben und daran, dass sie – nachdem sie den einigen Seligmacher Jesus angenommen haben – die Sünde fliehen und der Gerechtigkeit nachjagen, den wahren Gott und ihren Nächsten lieben, weder nach rechts noch nach links abweichen und ihr Fleisch samt seinen Werken kreuzigen. Das ist nicht so zu verstehen, dass es in ihnen keine große Schwachheit mehr gäbe, aber sie streiten durch den Geist alle Tage ihres Lebens dagegen, indem sie fortwährend ihre Zuflucht zum Blut, Tod, Leiden und Gehorsam des Herrn Jesus nehmen, in dem sie durch den Glauben an ihn die Vergebung ihrer Sünden haben. Was aber die falsche Kirche betrifft, so schreibt sie sich mit ihren Einrichtungen mehr Autorität als dem Wort Gottes zu, und dem Joch Christi will sie sich nicht unterwerfen. Sie bedient die Sakramente nicht so, wie es Christus in seinem Wort verordnet hat, sondern sie tut mal etwas dazu oder lässt mal etwas weg, ganz nach ihrem Gutdünken. Sie gründet sich mehr auf Menschen als auf Christus; sie verfolgt diejenigen, die nach dem Wort Gottes heilig leben und sie wegen ihrer Laster, Habsucht und Abgötterei tadeln. Diese beiden Kirchen sind leicht zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. Artikel 30: Von der Regierung der Kirche Wir glauben, dass diese wahre Kirche nach der geistlichen Ordnung regiert werden muss, die uns unser Herr in seinem Wort gelehrt hat. In ihr muss es Diener oder Hirten geben, die Gottes Wort predigen und die Sakramente bedienen; auch Älteste und Diakone müssen da sein, die mit den Hirten den Kirchenrat bilden. Durch diese Mittel kann die wahre Religion erhalten und die wahre Lehre ausgebreitet werden, sodass lasterhafte Menschen auf geistliche Weise behandelt und im Zaum gehalten und die Armen und Niedergeschlagenen, nach eines jeden Bedürfnis, mit Hilfe und Trost unterstützt werden können. Durch diese Mittel werden alle Dinge in der Kirche gut und ordentlich zugehen, wenn solche Personen gewählt werden, die treu sind und dem entsprechen, was der Apostel Paulus im Brief an Timotheus für sie vorschreibt (1. Tim 3,1–13).

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Artikel 31: Von der Berufung der Diener der Kirche Wir glauben, dass die Diener des Wortes Gottes und die Ältesten und Diakone rechtmäßig in ihre Funktionen gewählt werden müssen, unter Anrufung des Namens Gottes und in guter Ordnung, wie es das Wort Gottes lehrt. Jeder muss sich darum wohl hüten, sich auf ungebührliche Weise zu diesen Ämtern zu drängen, sondern die Zeit abwarten, bis er von Gott berufen wird, damit er einen überzeugenden Beweis seiner Berufung habe und sicher und gewiss sei, dass sie vom Herrn ist. Und was die Diener des Wortes betrifft, so haben sie – an welchem Ort sie auch sein mögen – gleiche Macht und gleiches Ansehen, da sie allesamt Diener Jesu Christi, des einigen allgemeinen Bischofs und einigen Hauptes der Kirche, sind. Damit diese heilige Ordnung Gottes nicht verletzt oder verachtet werde, sagen wir auch, dass jeder vor den Dienern des Wortes und den Ältesten, um des Werkes willen, das sie tun, besondere Achtung haben soll und – soviel möglich – mit ihnen in Frieden leben, ohne Murren, Zank oder Zwietracht. Artikel 32: Von der Macht der Kirche beim Aufstellen kirchlicher Gesetze und bei der Ausübung der Zucht Indessen glauben wir, dass sich alle, die in der Kirche regieren, obwohl es gut und nützlich ist, dass sie zur Erhaltung des Leibes der Kirche eine bestimmte Ordnung unter sich festsetzen, dennoch energisch hüten müssen, von dem abzuweichen, was Christus, unser einziger Lehrer, verordnet hat. Darum verwerfen wir alle menschlichen Erfindungen und Gesetze, die man einführen möchte, um Gott zu ehren und dadurch – auf welche Weise auch immer – die Gewissen zu binden und zu zwingen. Darum nehmen wir nur das an, was geeignet ist, Eintracht und Einigkeit zu bewahren und zu fördern und alle im Gehorsam gegenüber Gott zu halten. Dazu ist die Exkommunikation erforderlich, die mit allem, was dazu­ gehört, nach dem Wort Gottes gehandhabt werden muss (Mt 18,15–18). Artikel 33: Von den Sakramenten Wir glauben, dass unser gütiger Gott uns aus Rücksicht auf unsere Stumpfheit und Schwachheit die Sakramente eingerichtet hat, um uns seine Verheißungen zu besiegeln, und dass sie Unterpfänder des Wohlwollens und der Gnade Gottes uns gegenüber seien und auch, um unseren Glauben zu nähren und zu erhalten. Er fügte sie zu dem Wort des Evangeliums hinzu, um uns umso besser sowohl das, was er uns durch sein Wort zu verstehen gibt, als auch das, was er in unseren Herzen wirkt, zu veranschaulichen und so die Seligkeit, die er uns mitteilt, fest und gewiss zu machen. Denn die Sakramente sind sichtbare Wahrzeichen und Siegel inwendiger und unsichtbarer Dinge, durch die Gott selbst wie durch Mittel in der Kraft

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des Heiligen Geistes in uns wirkt. So sind diese Zeichen weder unbegründet noch leer noch eingesetzt, um uns zu betrügen; denn Jesus Christus ist ihre Wahrheit, ohne den sie gar nichts sein würden. Auch genügt uns die Zahl der Sakramente, die uns Christus, unser Meister, verordnet hat, nämlich nicht mehr als nur zwei: das Sakrament der Taufe und das des heiligen Abendmahls Jesu Christi. Artikel 34: Von der Taufe Wir glauben und bekennen, dass Jesus Christus, der das Ende des Gesetzes ist (Röm 10,4), durch sein vergossenes Blut allem anderen Blutvergießen, das man zur Versöhnung und Bezahlung der Sünden bringen könnte oder möchte, ein Ende gemacht hat, und dass er – nach deren Abschaffung – an die Stelle der Beschneidung, die mit Blut geschah, das Sakrament der Taufe eingesetzt hat. Durch die Taufe werden wir in die Kirche Gottes aufgenommen und von allen anderen Völkern und fremden Religionen abgesondert, um ihm ganz zugeeignet zu sein, indem wir seine Prägung und sein Feldzeichen tragen. Die Taufe dient uns auch zum Zeugnis, dass er in Ewigkeit unser Gott und gnädiger Vater sein wird. So hat er denn befohlen, alle, welche die Seinen sind, mit reinem, klaren Wasser in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen (Mt 28,19). Er gibt uns damit zu verstehen: So wie das Wasser, mit dem wir begossen werden, bei der Besprengung auf dem Leib des Täuflings sichtbar den Schmutz des Leibes abwäscht, so tut auch das Blut Christi – durch den Heiligen Geist – dasselbe an der Seele; es besprengt und reinigt von ihren Sünden und bringt uns aus Kindern des Zorns zu Kindern Gottes hervor. Nicht als ob das durch das äußerliche Wasser geschähe, sondern durch die Besprengung mit dem teuren Blut des Sohnes Gottes, das unser Rotes Meer ist, durch das wir hindurchgehen müssen (Ex 14,16), um der Tyrannei Pharaos, das ist des Teufels, zu entkommen und in das geistliche Land Kanaan einzugehen. So geben uns die Diener des Wortes das Sakrament und das, was sichtbar ist, aber unser Herr gibt das, was das Sakrament bezeichnet, nämlich die unsichtbaren Gnadengaben, indem er unsere Seelen wäscht, läutert und reinigt von allen Unreinigkeiten und Ungerechtigkeiten, unsere Herzen erneuert und mit allem Trost erfüllt. Er schenkt uns die wahre Gewissheit einer väterlichen Güte, zieht uns den neuen Menschen an und den alten mit all seinen Werken aus. Darum glauben wir, dass jeder, der ins ewige Leben kommen will, nur einmal getauft werden muss mit dieser einen Taufe, ohne sie jemals zu wiederholen, da wir ja auch nicht zweimal geboren werden können. Die Taufe nützt uns auch nicht nur so lange, wie das Wasser auf uns ist und wir damit benetzt werden, sondern die ganze Zeit unseres Lebens.

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Darum verwerfen wir den Irrtum der Wiedertäufer, die nicht mit der einen Taufe, die sie einmal erhalten haben, zufrieden sind und außerdem die Taufe an den kleinen Kindern der Gläubigen verurteilen. Wir glauben dagegen, dass diese Kinder getauft und mit dem Zeichen des Bundes besiegelt werden müssen, so wie die kleinen Kinder in Israel auf Grund derselben Verheißungen, die unseren Kindern gegeben worden sind, beschnitten wurden (Gen 17,12). Christus hat wahrlich sein Blut nicht weniger dafür vergossen, die Kinder der Gläubigen abzuwaschen als die Erwachsenen. Und darum müssen sie das Zeichen empfangen und das Sakrament dessen, was Christus für sie getan hat; wie es der Herr im Gesetz befahl, ihnen kurz nach der Geburt das Sakrament des Leidens und Sterbens Christi mitzuteilen, indem man ein Lamm für sie opferte (Ex 13,13; 34,20; Lev 12,6), das ein Sakrament Jesu Christi war. Überdies, was die Beschneidung am jüdischen Volk tat, das tut die Taufe an unseren Kindern, weshalb der Apostel Paulus die Taufe die Beschneidung Christi nennt (Kol 2,11). Artikel 35: Vom Abendmahl Wir glauben und bekennen, dass unser Heiland Jesus Christus das Sa­ krament des heiligen Abendmahls verordnet und eingesetzt hat, um die­ jenigen, die er bereits wiedergeboren und seiner Familie, das ist seiner Kirche, eingeleibt hat, zu nähren und zu erhalten. Diejenigen nämlich, die wiedergeboren sind, haben zweierlei Leben: Das eine, das leiblich und zeitlich ist, haben sie von ihrer ersten Geburt mitgebracht, und es ist allen Menschen gemein; das andere aber, das ihnen bei der zweiten Geburt, die in der Gemeinschaft des Leibes Christi durch das Wort des Evangeliums geschieht, geschenkt wurde, ist geistlich und himmlisch. Es ist nicht allen gemein, sondern nur für die Auserwählten Gottes. Ähnlich wie Gott uns zur Erhaltung des leiblichen und irdischen Lebens irdisches, gewöhnliches Brot zugedacht hat, das alle wie das Leben selbst haben, hat er zur Erhaltung des geistlichen und himmlischen Lebens aber, das nur den Gläubigen zu eigen ist, das lebendige Brot gesandt, das vom Himmel herabgekommen ist (Joh 6,51), nämlich Jesus Christus, der das geistliche Leben der Gläubigen nährt und erhält, wenn er genossen, das ist, zugeeignet und durch den Glauben im Geist empfangen wird. Um uns dieses geistliche und himmlische Brot abzubilden, hat Christus irdisches und sichtbares Brot zum Sakrament seines Leibes und den Wein zu einem Sakrament seines Blutes eingesetzt. Hierdurch bezeugt er uns, dass wir, so wahrhaft wie wir das Sakrament empfangen, in unseren Händen halten und mit unserem Mund essen und trinken  – wodurch unser Leben dann erhalten wird  –, auch durch den Glauben, der die Hand und der Mund unserer Seelen ist, den wahren Leib und das wahre

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Blut Christ, unseres einigen Heilandes, zu unserem geistlichen Leben in unseren Seelen empfangen. So ist es nun gewiss und unzweifelhaft, dass uns Jesus Christus seine Sakramente nicht vergeblich befohlen hat. Er wirkt denn auch in uns alles, was er uns durch diese heiligen Zeichen vor Augen führt; obwohl die Weise, auf die er es tut, unseren Verstand übersteigt und uns unbegreiflich ist, wie überhaupt die Wirkung des Heiligen Geistes verborgen und unbegreiflich ist. Dabei gehen wir nicht fehl, wenn wir sagen, dass das, was von uns gegessen und getrunken wird, der wirkliche und natürliche Leib und das wirkliche Blut Christi sind; aber die Weise, auf die wir diese genießen, geschieht nicht mit dem Mund, sondern im Geist durch den Glauben. Allerdings bleibt Jesus Christus immer sitzend zur Rechten Gottes, seines Vaters in den Himmeln; aber er unterlässt es darum doch nicht, uns seiner durch den Glauben teilhaftig zu machen. Dieses Mahl ist eine geistliche Tafel, an der sich uns Christus selbst mit all seinen Gütern mitteilt, und er lässt uns an ihr sowohl sich selbst als auch die Verdienste seines Leidens und Todes genießen, indem er unsere arme, trostlose Seele durch das Essen seines Fleisches nährt, stärkt und tröstet und sie erquickt und erfreut durch das Trinken seines Blutes. Obwohl nun die Sakramente mit der von ihnen bezeichneten Sache eng verbunden sind, wird doch beides nicht von allen empfangen. Der Gottlose empfängt wohl das Sakrament zu seiner Verdammnis, er empfängt aber nicht die Wahrheit des Sakraments; so wie Judas und Simon, der Zauberer, wohl beide das Sakrament empfingen (Lk 22,21; Apg 8,13), aber nicht Christus, der dadurch bezeichnet und nur den Gläubigen mitgeteilt wird. Schließlich empfangen wir das heilige Sakrament in der Versammlung des Volkes Gottes mit Demut und Ehrerbietung, indem wir gemeinsam und mit Danksagung ein heiliges Gedächtnis des Todes Christi, unseres Heilandes, halten und dabei unseren Glauben und die christliche Religion bekennen. Deshalb soll niemand daran teilnehmen, ohne sich erst recht geprüft zu haben, damit er – indem er von diesem Brot isst und aus diesem Kelch trinkt – sich nicht selbst zum Gericht esse und trinke. Kurz: Wir werden durch den Gebrauch dieses heiligen Sakraments zu einer brennenden Liebe zu Gott und unserem Nächsten bewogen. Darum verwerfen wir alle Zusätze und verdammenswerten Erfindungen, welche die Menschen den Sakramenten hinzugefügt und sie damit entheiligt haben. Wir sagen, dass man sich an der Anordnung, die uns Christus und seine Apostel gelehrt haben, genügen lassen und so davon reden muss, wie sie davon geredet haben.

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Artikel 36: Von der Regierung Wir glauben, dass unser gütiger Gott  – wegen der Verderblichkeit des menschlichen Geschlechts  – Könige, Fürsten und Regenten eingesetzt hat, weil er will, dass die Welt durch Gesetze und öffentliche Gewalten regiert werde, damit die Zügellosigkeit der Menschen bezwungen werde und alles in rechter Ordnung unter den Menschen zugehe. Dazu hat er der Regierung das Schwert in die Hand gegeben, damit die Bösen bestraft und die Frommen beschützt werden. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur die öffentliche Ordnung und die Polizei zu handhaben und zu überwachen, sondern auch, den heiligen Kirchendienst unter ihren Schutz zu nehmen, alle Abgötterei und falschen Gottesdienst abzuwehren und auszurotten, um das Reich des Antichristen zugrunde zu richten und das Reich Jesu Christi zu fördern; dafür zu sorgen, dass überall das Wort des Evangeliums gepredigt und so Gott von einem jeden gelehrt und gedient werde, wie er es in seinem Wort gebietet. Ferner ist jeder, wes Ranges oder Standes er auch sei, schuldig, sich den Regierungen zu unterwerfen, Steuern zu bezahlen, ihnen Achtung und Ehrerbietung zu erweisen und gehorsam zu sein in allen Dingen, die nicht zu Gottes Wort im Widerspruch stehen, in den Gebeten für sie zu bitten, damit der Herr sie leiten möge in all ihren Wegen und wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottesfurcht und Ehrbarkeit (1. Tim 2,2). Hierin verwerfen wir die Wiedertäufer und andere aufrührerische Menschen und überhaupt alle, die Herrschaften und Regierungen verwerfen und die Rechtsordnung umstoßen wollen, indem sie die Gemeinschaft der Güter einführen und die Ehrbarkeit, die Gott den Menschen gegeben hat, verwirren. Artikel 37: Von dem letzten Gericht Schließlich glauben wir nach Gottes Wort, dass unser Herr Jesus Christus – wenn die vom Herrn bestimmte Zeit, die allen Kreaturen unbekannt ist (Mt 24,36), gekommen und die Zahl der Auserwählten erfüllt sein wird – aus dem Himmel kommen wird. Er wird leiblich und sichtbar sein, so wie er aufgefahren ist mit großer Herrlichkeit und Majestät (Apg 1,11), um sich als Richter über Lebende und Tote darzustellen, und er wird diese alte Welt, um sie zu läutern, in Flammen setzen. Alsdann werden vor diesem großen Richter alle Menschen persönlich erscheinen, sowohl Männer als auch Frauen und Kinder, die es von Anbeginn der Welt bis zu ihrem Ende gegeben haben wird, vorgeladen mit der Stimme des Erzengels und mit dem Schall der Posaune Gottes (1. Thess 4,16). Denn alle Verstorbenen werden aus der Erde auferstehen und ihre Seelen wieder mit ihren eigenen Leibern, in denen sie gelebt haben, verbunden und vereinigt sein. Diejenigen aber, die dann noch leben, werden nicht sterben wie die

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anderen, sondern sie werden in einem Augenblick verwandelt werden, vom Verderblichen zum Unverderblichen (1. Kor 15,52). Dann werden die Bücher – das sind die Gewissen eines jeden – aufgetan und die Toten gerichtet werden gemäß dem, was sie in dieser Welt getan haben, es sei gut oder böse (2. Kor 5,10). Ja, die Menschen müssen Rechenschaft geben von allen unnützen Worten, die sie gesprochen haben – was die Welt für nichts anderes als Spielerei und Zeitvertreib hält. Dann werden die Verborgenheiten und Heucheleien der Menschen öffentlich vor allen enthüllt werden. Darum ist der Gedanke an dieses Gericht mit Recht schrecklich und entsetzlich für die Bösen und Gottlosen, für die Guten und Auserwählten dagegen wünschenswert und äußerst tröstlich, weil ihnen dann ihre vollkommene Erlösung zuteilwerden wird. Sie werden die Frucht ihrer Arbeit und Mühsal, die sie erduldet haben, empfangen. Ihre Unschuld wird von allen erkannt werden, und sie werden die schreckliche Rache Gottes an den Gottlosen, die sie in dieser Welt tyrannisiert, unterdrückt und gequält haben, schauen. Diese werden durch das Zeugnis ihrer eigenen Gewissen überführt werden und auch die Unsterblichkeit erlangen, aber nur dazu, um gepeinigt zu werden in dem ewigen Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist. Die Gläubigen und Auserwählten dagegen werden mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt werden. Der Sohn Gottes wird ihre Namen bekennen vor Gott, seinem Vater, und seinen auserwählten Engeln, und alle Tränen wird er von ihren Augen abwischen (Apk 21,4). Ihre Sache, die jetzt viele Richter und Regierungen als ketzerisch und gottlos verdammen, wird als die Sache des Sohnes Gottes erkannt werden. Und als eine gnädige Vergeltung wird der Herr ihnen eine solche Herrlichkeit zum Besitz geben, wie sie niemals eines Menschen Herz bedenken könnte. Darum erwarten wir diesen großen Tag mit großem Verlangen, um die Verheißungen Gottes in Jesus Christus, unserem Herrn, vollkommen zu genießen. Amen. Apk 22,20: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Reformierte Bekenntnisschriften Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland von Andreas Mühling und Peter Opitz

In Verbindung mit Judith Becker, Vicco v. Bülow, Eberhard Busch, Emidio Campi, Heiner Faulenbach, Matthias Freudenberg, Ian Hazlett, J. Marius J. Lange van Ravenswaay, Charlotte Methuen, Dietrich Meyer, Georg Plasger und Ernst Saxer

Reformierte Bekenntnisschriften Band 5: Ausgewählte Texte in deutscher Übersetzung Teilband 2: 1563–2019

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland von Matthias Freudenberg / Andreas Mühling / Peter Opitz

Bearbeitet von William Black, Emidio Campi, Judith Engeler, Margit Ernst-Habib, Rieke Eulenstein, Matthias Freudenberg, Christian Goßweiler, Ian Hazlett, Dorothea Heinig, Marco Hofheinz, Torrance Kirby, J. Marius J. Lange van Ravenswaay, Andreas Mühling, Pascal Murer, Peter Opitz, Georg Plasger, Alfred Rauhaus, Markus Schaefer und Klaas-Dieter Voß

Vandenhoeck & Ruprecht

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20. Heidelberger Katechismus (1563) Einleitung Im Jahr 1559 übernahm Herzog Friedrich von Pfalz-Simmern die Pfälzer Kurwürde und führte sein Territorium ins reformierte Lager hinein, da er sich durch die Übernahme der reformierten Konfession eine politische Reform der Kurpfalz erhoffte. Die Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus, einschließlich einer kurfürstlichen Vorrede, am 19. Januar 1563 – an diesem Tag erließ der Kurfürst den Katechismus durch seine Unterschrift – markiert die theologische Neuorientierung der Kurpfalz. Als hauptverantwortlicher Verfasser des Heidelberger Katechismus gilt in der Forschung heute Zacharias Ursinus (1534–1583), der ab 1562 als Professor für Dogmatik in Heidelberg lebte. Ursinus hat wohl bei seiner Ausarbeitung – zwei Entwürfe zum Katechismus sind aus seiner Hand noch überliefert – auf Texte Philipp Melanchthons, Martin Luthers und Huldrych Zwinglis, insbesondere aber auch auf den in Heidelberg ins Deutsche übersetzten und dort auch publizierten Katechismus Theodor Bezas zurückgegriffen. Die politische Zielsetzung des Katechismus wurde vom Kurfürsten im Vorwort des Katechismus selbst benannt: Dieser soll durch eine ethische Grundlegung in Bildung, Wissenschaft und Kirche eine gesellschaftliche Normierung der Kurpfälzer Bevölkerung erreichen. Hinter dieser Forderung stand das Ziel, einen „Modernisierungsschub“ im Herrschaftsgebiet – konkret in Universität, Schulwesen, Verwaltung, Wirtschaft, Armee und Kirche – auszulösen. So wird das kirchenpolitische Konzept deutlich, das Friedrich III. mit seinem Katechismusprojekt verfolgte: Durch eine straffe einheitliche Ausrichtung der Pfälzer Bevölkerung an den Lehrinhalten des Heidelberger Katechismus suchte der Kurfürst Modernisierungstendenzen in seinem Herrschaftsgebiet zu initiieren. Zugleich stellte der Katechismus einen Versuch dar, auf Reichsebene den außenpolitischen Ausgleich mit einflussreichen lutherischen Ständen herbeizuführen, um dadurch politisch unbehelligt die innenpolitischen Reformen weiter durchführen zu können. Der Aufbau des Katechismus ist deutlich: In insgesamt 129 Fragen und Antworten werden zentrale Punkte des christlichen Glaubens erörtert. Nach den beiden Einleitungsfragen folgen drei Abschnitte: „Von des Menschen Elend“ (Fragen 3–11), „Von des Menschen Erlösung“ (Fragen 12–85) und „Von der Dankbarkeit“ (Fragen 86–129). Aus dem Elend der Sünde heraus werden Menschen durch Jesus Christus erlöst, die auf

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ihre Erlösung hin dankbar antworten. Was dies konkret im Leben der Gläubigen bedeutet, entfaltet der Katechismus anhand der christlichen Hauptstücke: Jesus Christus als einziger Trost im Leben und im Sterben (Fragen 1–2), christlicher Glaube (Frage 21) und christliche Gemeinschaft (Fragen 55) werden im Katechismus bedacht. Grundsätzlich betont der Katechismus nicht die konfessionellen Besonderheiten reformierter Theologie, sondern hebt vielmehr die Gemeinsamkeiten evangelischen Glaubens und Lebens hervor. Zur scharfen, gegen die römisch-katholische Eucharistievorstellung gerichteten Frage 80 hat der Reformierte Bund 1997 folgende ökumenische Erklärung abgegeben: „Diese Verwerfung wurde vor 400 Jahren formuliert; sie lässt sich nach Inhalt und Sprache in dieser Form nicht aufrechterhalten: Die Polemik gegen die Wiederholung des einmaligen Opfers Christi am Kreuz und die Anbetung der Elemente (Brot und Wein) wird dem nicht gerecht, was im ökumenischen Gespräch inzwischen an Verständigung erreicht werden konnte. Der bleibende Lehrunterschied besteht darin, dass die Eucharistie in der römisch-katholischen Kirche als ‚Opfer‘, das Abendmahl im evangelischen Gottesdienst als ‚Mahlfeier‘ begriffen wird; doch sollte sich dieser Unterschied nicht kirchentrennend auswirken.“ Ein kurzer Nachtrag noch zur weiteren Rezeption dieser bedeutenden Bekenntnisschrift. Die insgesamt vier gesonderten Katechismusausgaben des Jahres 1563 enthalten die Vorrede des Kurfürsten vollständig. In der Kirchenordnung vom November 1563, in der dieser Katechismus aufgenommen wurde, fehlt diese Vorrede jedoch. Der auf ein kirchenpolitisches Miteinander mit den Lutheranern im Reich angelegte Katechismus – ein Ziel, das durch eine theologische Verständigung erreicht werden sollte – wurde innerhalb weniger Jahrzehnte in zahlreichen reformierten Gemeinden Europas angenommen. Besondere Bedeutung erhielt der Text nicht nur in reformierten Flüchtlingsgemeinden, sondern auch in den Niederlanden, Teilen der Eidgenossenschaft, im Rheinland und den meisten übrigen reformierten Territorien im Reich. Die Synode von Dordrecht 1618/19 schließlich erhob den Heidelberger Katechismus zum einhellig gebilligten Bekenntnisbuch der reformierten Kirchen. Er ist heute weltweit der meist verbreitete reformierte Katechismus. Edition Heidelberger Katechismus von 1563, in: RefBS 2/2: 1562–1569, 167–212 (Bearb.: Wilhelm H. Neuser) Text Heidelberger Katechismus. Revidierte Ausgabe 1997, hg. v. d. Evangelisch-reformierten Kirche, v. d. Lippischen Landeskirche u. v. Reformierten Bund, Neukirchen-Vluyn 5 2012

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Literatur Lothar Coenen (Hg.), Handbuch zum Heidelberger Katechismus, Neukirchen 1963 Matthias Freudenberg/J. Marius J. Lange van Ravenswaay (Hg.), Geschichte und Wirkung des Heidelberger Katechismus, Neukirchen-Vluyn 2013 Martin Heimbucher/Christoph Schneider-Harpprecht/Aleida Siller (Hg.), Zugänge zum Heidelberger Katechismus. Geschichte – Themen – Unterricht, Neukirchen-Vluyn 2012 Martin Ernst Hirzel/Frank Mathwig/Matthias Zeindler (Hg.), Der Heidelberger Katechismus – ein reformierter Schlüsseltext, Zürich 2013 Arnold Huijgen/John V. Fesko/Aleida Siller (Hg.), Handbuch Heidelberger Katechismus, Göttingen 2014 Thorsten Latzel, Theologische Grundzüge des Heidelberger Katechismus. Eine fundamentaltheologische Untersuchung seines Ansatzes zur Glaubenskommunikation, Marburg 2004 Einleitung: Andreas Mühling; Übertragung der Vorrede ins Hochdeutsche: Matthias Freudenberg

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Heidelberger Katechismus (1563) Katechismus oder christlicher Unterricht, wie er in den Kirchen und Schulen der Kurfürstlichen Pfalz getrieben wird. Gedruckt in der Kurfürstlichen Stadt Heidelberg durch Johannes Mayer 1563. Wir Friedrich von Gottes Gnaden Pfalzgraf bei Rhein, des Heiligen Römischen Reichs Erztruchsess und Kurfürst, Herzog von Bayern usw. entbieten allen und jedem unserer Superintendenten, Pfarrern, Predigern, Kirchen- und Schuldienern unseres Kurfürstentums der Pfalzgrafschaft bei Rhein unsere Gnade und Gruß und lassen euch hiermit wissen: Nachdem wir im Gedenken an das göttliche Wort sowie aus natürlicher Pflicht und Verbundenheit einsehen, schuldig geworden zu sein, haben wir uns schließlich vorgenommen, unser von Gott befohlenes Amt, Beruf und Regierung nicht allein zu friedlichem, ruhigem Wesen, auch zur Bewahrung [eines] züchtigen, aufrichtigen und tugendsamen Wandels und Lebens unserer Untertanen einzurichten und auszuüben, sondern auch und vor allem, diese zu rechtschaffener Erkenntnis und Furcht des Allmächtigen und seines seligmachenden Wortes als dem einzigen Fundament aller Tugenden und des Gehorsams je länger, je mehr anzuweisen und zu bringen. Auch um sie zum ewigen und zeitlichen Wohlergehen mit ganzem Fleiß von Grund unseres Herzens gern zu fördern und, soviel an uns ist, dabei zu erhalten helfen zu wollen. Aber gleich anfangs zu Beginn unserer Regierung wurde uns bewusst: Zwar wurden von unseren lieben Vettern und Vorfahren, Pfalzgrafen, Kurfürsten usw., die wir in löblichem seligem Gedächtnis [halten], allerhand christliche und nützliche Ordnungen und Vorbereitungen zur Förderung solcher Ehre Gottes und Bewahrung der bürgerlichen Zucht und öffentlichen Sicherheit aufgerichtet und vorgenommen. Dennoch hat man diesem nicht überall mit dem Ernst, wie es sich wohl gebührt, nachgesetzt, und es ist viel weniger die erhoffte und erwünschte Frucht daraus hervorgegangen und in die richtige Spur gesetzt worden. Das hat uns dazu veranlasst, diese nicht allein nur zu erneuern, sondern auch, da es nötig war, zu verbessern, zu erläutern und weitere Maßnahmen zu treffen. So haben wir einen erheblichen Mangel darin entdeckt, dass die blühende Jugend allenthalben beides, in Schulen und Kirchen unseres Kurfürstentums, in der christlichen Lehre sehr fahrlässig und zum Teil gar nicht, zum Teil aber voneinander abweichend und in keinem beständigen, Erkenntnis zur Entfaltung bringenden und einhelligen Katechismus angehalten und unterwiesen worden ist, sondern nach eines jeden Vorhaben und Gutdünken. Neben vielen anderen großen Irrtümern folgt daraus, dass sie oftmals ohne Gottesfurcht und Erkenntnis seines

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Wortes aufgewachsen ist, keine übereinstimmende Unterweisung hatte oder sonst mit weitläufigen und unnützen Fragen, auch bisweilen mit verkehrter Lehre beschwert worden ist. Wenn nun beide, christliche und weltliche Ämter, Regierung und Haushaltungen anders nicht beständig erhalten werden, auch Zucht und Ehrbarkeit und alle anderen guten Tugenden bei den Untertanen zunehmen und wachsen mögen, indem die Jugend gleich anfangs und vor allen Dingen zu reiner, auch gleichförmiger Lehre des heiligen Evangeliums und rechtschaffener Gotteserkenntnis angehalten und darin stets geübt wird: So haben wir es für überaus notwendig gehalten, auch darin als einer der vornehmsten Aufgaben unserer Regierung in gebührender Weise darauf zu achten, den Irrtum und den Mangel an Gleichheit abzuschaffen und die notwendige Verbesserung vorzunehmen. Daraufhin haben wir mit Rat und Zutun unserer ganzen Theologischen Fakultät hier, auch aller Superintendenten und vornehmsten Kirchendiener einen summarischen Unterricht oder Katechismus unserer christlichen Religion aus dem Wort Gottes beides, in deutscher und lateinischer Sprache, verfassen und erstellen lassen. Ferner soll nicht allein die Jugend in den Kirchen und Schulen in einer solchen christlichen Lehre gottselig unterwiesen und dazu einhellig angehalten werden, sondern auch die Prediger und Schulmeister selbst [erhalten] eine gewisse und beständige Form und Richtschnur, wie sie sich in der Unterweisung der Jugend verhalten sollen, statt nach Geschmack tägliche Änderungen vorzunehmen oder eine abstoßende Lehre einzuführen. Euch alle und einen jeden besonders ermahne ich hiermit gnädiglich und ernsthaft und ordne an, dass ihr den in Auftrag gegebenen Katechismus oder Unterricht um der Ehre Gottes und unserer Untertanen, [aber] auch zum Nutzen und Bestem eurer Seelen selbst, dankbar annehmt. Auch sollt ihr den [Katechismus] der Jugend ihrem rechten Verstand gemäß in den Schulen und Kirchen, auch sonst auf der Kanzel dem gemeinen Mann fleißig und wohl nahebringen, danach lehren, tun und leben. Wir haben die feste Hoffnung und Zuversicht, dass dann, wenn die Jugend anfangs im Wort Gottes mit Ernst unterwiesen und aufgezogen wird, der Allmächtige auch Besserung des Lebens sowie zeitliches und ewiges Wohlergehen verleihen wird und widerfahren lässt. Dass euch dies, wie besagt, geschehe, dafür wollen wir Sorge tragen. Gegeben zu Heidelberg, am Dienstag, den 19. Januar im Jahr nach Christi, unseres lieben Herrn und Seligmachers, Geburt, im Jahr 1563.

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Katechismus Frage 1. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre (Röm 14,8; 1. Kor 3,23; 6,19). Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss (1. Petr 1,18 f.; 1. Joh 1,7; 2,2; 3,8; Joh 6,39; Mt 10,29–31; Lk 21,18; Röm 8,28). Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben (2. Kor 1,21 f.; Eph 1,13 f.; Röm 8,15 f.). Frage 2. Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst (Lk 24,46 f.; 1. Kor 6,11)? Erstens: Wie groß meine Sünde und Elend ist (Tit 3,3–7; Joh 9,41; 15,22). Zweitens: Wie ich von allen meinen Sünden und Elend erlöst werde (Joh 17,3). Drittens: Wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein (Eph 5,8–11; 1. Petr 2,9–12; Röm 6,11–14). Der erste Teil: Von des Menschen Elend Frage 3. Woher erkennst du dein Elend? Aus dem Gesetz Gottes (Röm 3,20). Frage 4. Was fordert denn Gottes Gesetz von uns? Dies lehrt uns Christus mit folgenden Worten: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37–40; Mk 12,30 f.; Lk 10,27). Frage 5. Kannst du das alles vollkommen halten? Nein, denn ich bin von Natur aus geneigt, Gott und meinen Nächsten zu hassen (Röm 3,10–12.23; 8,7; 1. Joh 1,8.10; Eph 2,3). Frage 6. Hat denn Gott den Menschen so böse und verkehrt erschaffen? Nein. Gott hat den Menschen gut und nach seinem Ebenbild erschaffen (Gen 1,26 f.31), das bedeutet: wahrhaft gerecht und heilig, damit er Gott, seinen Schöpfer, recht erkenne, von Herzen liebe und in ewiger Seligkeit mit ihm lebe, ihn zu loben und zu preisen (2. Kor 3,18; Kol 3,10; Eph 4,24).

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Frage 7. Woher kommt denn diese böse und verkehrte Art des Menschen? Aus dem Fall und Ungehorsam unserer ersten Eltern Adam und Eva im Paradies (Gen 3; Röm 5,12.18 f.). Da ist unsere Natur so vergiftet worden, dass wir alle von Anfang an Sünder sind (Ps 51,7). Frage 8. Sind wir aber so böse und verkehrt, dass wir ganz und gar unfähig sind zu irgendeinem Guten und geneigt zu allem Bösen? Ja, es sei denn, dass wir durch den Geist Gottes wiedergeboren werden (Joh 3,5 f.; Gen 6,5; Hi 14,4; 15,14; 16,35; Jes 53,6). Frage 9. Tut denn Gott dem Menschen nicht Unrecht, wenn er in seinem Gesetz etwas fordert, was der Mensch nicht tun kann? Nein, sondern Gott hat den Menschen so erschaffen, dass er es tun konnte (Eph 4,24). Der Mensch aber, vom Teufel angestiftet, hat sich und alle seine Nachkommen durch mutwilligen Ungehorsam der Gabe Gottes beraubt (Röm 5,12). Frage 10. Will Gott diesen Ungehorsam ungestraft lassen? Nein (Röm 5,12; Hebr 9,27), sondern er zürnt schrecklich über die sündige Art des Menschen und seine sündigen Taten. Beides will er nach seinem gerechten Urteil schon jetzt und ewig strafen, wie er gesprochen hat: „Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er’s tue!“ (Dtn 27,26; Gal 3,10). Frage 11. Ist denn Gott nicht auch barmherzig? Gott ist wohl barmherzig (Ex 34,6 f.), er ist aber auch gerecht (Ex 20,5; Ps 5,5 f.; 2. Kor 6,14–16). Deshalb fordert seine Gerechtigkeit, dass die Sünde, die Gottes Ehre und Hoheit antastet, mit der höchsten, nämlich der ewigen Strafe an Leib und Seele gestraft wird. Der zweite Teil: Von des Menschen Erlösung Frage 12. Wenn wir also nach dem gerechten Urteil Gottes schon jetzt und ewig Strafe verdient haben, wie können wir dieser Strafe entgehen und wieder Gottes Gnade erlangen? Gott will zu seinem Recht kommen (Ex 20,5; 23,7), darum müssen wir für unsere Schuld entweder selbst oder durch einen anderen vollkommen bezahlen (Röm 8,3 f.). Frage 13. Können wir aber selbst für unsere Schuld bezahlen? Nein, sondern wir machen sogar die Schuld noch täglich größer (Hi 9,2 f.; 15,15 f.; Mt 6,12).

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Frage 14. Kann aber irgendein Geschöpf für uns bezahlen? Nein, denn erstens will Gott an keinem anderen Geschöpf strafen, was der Mensch verschuldet hat (Hebr 2,14–18). Zweitens kann kein Geschöpf die Last des ewigen Zornes Gottes gegen die Sünde ertragen und andere davon erlösen (Ps 130,3). Frage 15. Was für einen Mittler und Erlöser müssen wir denn suchen? Einen solchen, der ein wahrer und gerechter Mensch (1. Kor 15,21 f.25 f.; Jer 33,16; Jes 53,11; 2. Kor 5,21; Hebr 7,15–17) und doch stärker als alle Geschöpfe, also auch wahrer Gott ist (Jes 7,14; Röm 9,5; Jer 23,6). Frage 16. Warum muss er ein wahrer und gerechter Mensch sein? Die Sünde wird von den Menschen begangen, darum verlangt Gottes Gerechtigkeit, dass ein Mensch für die Sünde bezahlt; wer aber selbst ein Sünder ist, kann nicht für andere bezahlen (Röm 5,12.15; 1. Petr 3,18; Jes 53,3–5). Frage 17. Warum muss er zugleich wahrer Gott sein? Nur wenn er zugleich wahrer Gott ist, kann ein Mensch die Last des Zornes Gottes ertragen und uns die Gerechtigkeit und das Leben erwerben und wiedergeben (Jes 53,8; Apg 2,24; 20,28; 1. Petr 3,18; Joh 3,16; 1. Joh 1,2). Frage 18. Wer ist denn dieser Mittler, der zugleich wahrer Gott und ein wahrer, gerechter Mensch ist? Unser Herr Jesus Christus, der uns zur vollkommenen Erlösung und Gerechtigkeit geschenkt ist (Mt 1,23; Lk 2,11; 1. Tim 3,16; 1. Kor 1,30). Frage 19. Woher weißt du das? Aus dem heiligen Evangelium. Gott selbst hat es zuerst im Paradies offenbart, dann durch die heiligen Erzväter und Propheten verkündigen lassen und durch die Opfer und andere Bräuche des Gesetzes vorgebildet, zuletzt aber durch seinen einzig geliebten Sohn erfüllt (Gen 3,15; 22,18; 49,10 f.; Röm 1,2; 10,4; Hebr 1,1; 10,7; Apg 3,22–24; 10,43; Joh 5,46; Gal 4,4 f.). Frage 20. Werden denn alle Menschen wieder durch Christus gerettet, so wie sie durch Adam verloren gegangen sind? Nein, sondern nur diejenigen, die durch wahren Glauben seinem Leib als Glieder eingefügt werden und alle seine Wohltaten annehmen (Joh 1,12 f.; Jes 53,11; Ps 2,12; Röm 11,20; Hebr 4,2 f.; 10,39).

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Frage 21. Was ist wahrer Glaube? Wahrer Glaube ist nicht allein eine zuverlässige Erkenntnis, durch welche ich alles für wahr halte, was uns Gott in seinem Wort geoffenbart hat (Jak 1,6), sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der Heilige Geist durchs Evangelium in mir wirkt (Röm 1,16; 4,16–18; 5,1; 10,17; 2. Kor 4,13; Eph 2,8; Mt 16,17; Phil  1,19 f.), dass nicht allein anderen, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt ist, aus lauter Gnade, allein um des Verdienstes Christi willen (Hebr 11,1 f.; Röm 1,17; 3,24 f.; Eph 2,7–9; Gal 2,16). Frage 22. Was ist für einen Christen notwendig zu glauben? Alles, was uns im Evangelium zugesagt wird (Joh 20,31; Mt 28,20), wie es uns unser allgemeines, wahrhaftiges, christliches Glaubensbekenntnis zusammengefasst lehrt. Frage 23. Wie lautet dieses Glaubensbekenntnis? „Ich glaube an Gott Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, abgestiegen zu der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzet zu der Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige allgemeine christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.“ Frage 24. Wie wird das Glaubensbekenntnis eingeteilt? In drei Teile: der erste handelt von Gott dem Vater und unserer Erschaffung; der zweite von Gott dem Sohn und unserer Erlösung; der dritte von Gott dem Heiligen Geist und unserer Heiligung. Frage 25. Warum nennst du denn drei: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, wo doch Gott nur einer ist (Dtn 6,4)? Weil Gott sich in seinem Wort so offenbart hat, dass diese drei Personen unterschieden und doch der eine, wahre und ewige Gott sind (Jes 61,1; Ps 110,1; Mt 3,16 f.; 28,19; 1. Joh 5,7).

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Von Gott dem Vater Frage 26. Was glaubst du, wenn du sprichst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde“? Ich glaube, dass der ewige Vater unsers Herrn Jesus Christus um seines Sohnes willen mein Gott und mein Vater ist (Gal 4,5–7; Eph 1,5; Joh 1,12; Röm 8,15). Er hat Himmel und Erde mit allem, was darin ist, aus nichts erschaffen und erhält und regiert sie noch immer durch seinen ewigen Rat und seine Vorsehung (Gen 1; Ps 33,6; 104,2–5; 115,3; Mt 10,29 f.; Hebr 1,3). Auf ihn vertraue ich und zweifle nicht, dass er mich mit allem versorgt, was ich für Leib und Seele nötig habe (Ps  55,23; Mt 6,25 f.; Lk 12,22–24) und auch alle Lasten, die er mir in diesem Leben auferlegt, mir zum Besten wendet (Röm 8,28). Er kann es tun als ein allmächtiger Gott und will es auch tun als ein getreuer Vater (Röm 10,12; Mt 6,26; 7,9–11). Frage 27. Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes (Apg 17,25–28)? Die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch die er Himmel und Erde mit allen Geschöpfen wie durch seine Hand noch erhält und so regiert, dass Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und alles andere uns nicht durch Zufall, sondern aus seiner väterlichen Hand zukommt (Hebr 1,2 f.; Jer 5,24; Apg 14,17; Joh 9,3; Prov 22,2). Frage 28. Was nützt uns die Erkenntnis der Schöpfung und Vorsehung Gottes? Gott will damit, dass wir in aller Widerwärtigkeit geduldig, in Glückseligkeit dankbar und auf die Zukunft hin voller Vertrauen zu unserem treuen Gott und Vater sind (Röm 5,3; Jak 1,3; Hi 1,21; Dtn 8,10; 1. Thess 5,18), dass uns nichts von seiner Liebe scheiden wird (Röm 8,38 f.), weil alle Geschöpfe so in seiner Hand sind, dass sie sich ohne seinen Willen weder regen noch bewegen können (Hi 1,12; Apg 17,25–28; Prov 21,1). Von Gott dem Sohn Frage 29. Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt „Heiland“, genannt? Weil er uns heilt von unseren Sünden (Mt 1,21; Hebr 7,25), und weil bei keinem anderen ein solches Heil zu suchen noch zu finden ist (Apg 4,12). Frage 30. Glauben denn auch die an den einzigen Heiland Jesus, die Heil und Seligkeit bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo suchen? Nein. Sie rühmen sich zwar seiner mit Worten, verleugnen ihn aber mit der Tat (1. Kor 1,13.30 f.; Gal 5,4). Denn entweder ist Jesus kein vollkommener Heiland, oder er ist denen, die ihn mit wahrem Glauben annehmen, alles, was zu ihrer Seligkeit nötig ist (Jes 9,5; Kol 1,19 f.; 2,10; Joh 1,16).

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Frage 31. Warum wird er Christus, das heißt „Gesalbter“, genannt? Er ist von Gott dem Vater eingesetzt und mit dem Heiligen Geist gesalbt zu unserem obersten Propheten und Lehrer (Hebr 1,9; Dtn 18,15; Apg 3,22), der uns Gottes verborgenen Rat und Willen von unserer Erlösung vollkommen offenbart (Joh 1,18; 15,15), und zu unserem einzigen Hohepriester, der uns mit dem einmaligen Opfer seines Leibes erlöst hat und uns alle Zeit mit seiner Fürbitte vor dem Vater vertritt (Ps 110,4; Hebr 7,21; Röm 5,9 f.; 8,34); und zu unserem ewigen König, der uns mit seinem Wort und Geist regiert und bei der erworbenen Erlösung schützt und erhält (Ps 2,6; Lk 1,33; Mt 28,18). Frage 32. Warum wirst aber du ein Christ genannt? Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi bin und dadurch an seiner Salbung Anteil habe (Apg 2,17; 11,26; 1. Joh 2,27, Joel 3,1), damit auch ich seinen Namen bekenne (Mk 8,38), mich ihm zu einem lebendigen Dankopfer hingebe (Röm 12,1; Apk 5,8.10; 1. Petr 2,9; Apk 1,6) und mit freiem Gewissen in diesem Leben gegen die Sünde und den Teufel streite (1. Tim 1,18 f.) und hernach in Ewigkeit mit ihm über alle Geschöpfe herrsche (2. Tim 2,12). Frage 33. Warum heißt Jesus Christus „Gottes eingeborener Sohn“, da doch auch wir Kinder Gottes sind? Christus allein ist von Ewigkeit her seinem Wesen nach der Sohn Gottes (Joh 1,14.18; Hebr 1,2). Wir aber sind um seinetwillen aus Gnade als Kinder Gottes angenommen (Röm 8,15–17; Eph 1,5 f.). Frage 34. Warum nennst du ihn „unseren Herrn“? Er hat uns mit Leib und Seele von der Sünde und aus aller Gewalt des Teufels sich zum Eigentum erlöst und erkauft, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem teuren Blut, indem er sein Leben für uns gab (1. Petr 1,18 f.; 2,9; 1. Kor 6,20; 7,23). Frage 35. Was bedeutet: „Empfangen von dem Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“? Der ewige Sohn Gottes, der wahrer und ewiger Gott ist und bleibt (Joh 1,1; Röm 1,3 f.; 9,5), hat durch Wirkung des Heiligen Geistes wahre menschliche Natur aus dem Fleisch und Blut der Jungfrau Maria angenommen (Mt 1,18–20; Lk 1,35; Gal 4,4; Joh 1,14), sodass er auch der wahre Nachkomme Davids ist, seinen Schwestern und Brüdern in allem gleich, doch ohne Sünde (Ps 132,11; Röm 1,3; Phil 2,7; Hebr 4,15).

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Frage 36. Was nützt es dir, dass er durch den Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren ist? Er ist unser Mittler (Hebr 2,16 f.), und er bedeckt vor Gottes Angesicht mit seiner Unschuld und vollkommenen Heiligkeit meine Sünde, in der ich immer schon lebe (Ps 32,1 f.; 1. Kor 1,30). Frage 37. Was verstehst du unter dem Wort „gelitten“? Jesus Christus hat an Leib und Seele die ganze Zeit seines Lebens auf Erden, besonders aber an dessen Ende, den Zorn Gottes über die Sünde des ganzen Menschengeschlechts getragen (1. Petr 2,24; Jes 53,12; 1. Joh 2,2; 4,10; Röm 3,25 f.). Mit seinem Leiden als dem einmaligen Sühnopfer hat er unseren Leib und unsere Seele von der ewigen Verdammnis erlöst und uns Gottes Gnade, Gerechtigkeit und ewiges Leben erworben. Frage 38. Warum hat er unter dem Richter Pontius Pilatus gelitten? Er wurde unschuldig vom weltlichen Richter verurteilt und hat uns dadurch von Gottes strengem Urteil, das über uns ergehen sollte, befreit (Apg 4,27 f.; Lk 23,13–15; Joh 19,4; Ps 69,5; Jes 53,4 f.; 2. Kor 5,1; Gal 3,13). Frage 39. Bedeutet sein Tod am Kreuz mehr, als wenn er eines anderen Todes gestorben wäre? Ja, denn dadurch bin ich gewiss, dass er den Fluch, der auf mir lag, auf sich genommen hat, weil der Tod am Kreuz von Gott verflucht war (Gal 3,13 f.; Dtn 21,23). Frage 40. Warum hat Christus den Tod erleiden müssen? Um der Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes willen konnte für unsere Sünde nicht anders bezahlt werden als durch den Tod des Sohnes Gottes (Gen 2,17; Hebr 2,9.14 f.). Frage 41. Warum ist er begraben worden? Damit wird bezeugt, dass er wirklich gestorben ist (Mt 27,59 f.; Lk 23,52 f.; Joh 19,38–42; Apg 13,29). Frage 42. Warum müssen wir noch sterben, obwohl Christus für uns gestorben ist? Unser Tod ist nicht eine Bezahlung für unsere Sünde, sondern nur ein Absterben der Sünden und Eingang zum ewigen Leben (Joh 5,24; Phil 1,23; Röm 7,24 f.). Frage 43. Welchen weiteren Nutzen haben wir aus Opfer und Tod Christi am Kreuz?

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Durch die Kraft Christi wird unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt, getötet und begraben (Kol 2,12; Röm 5,6–8.11 f.), damit die Sünde uns nicht mehr beherrscht, sondern wir uns ihm zu einem lebendigen Dankopfer hingeben (Röm 12,1). Frage 44. Warum folgt „abgestiegen zu der Hölle“? Damit wird mir zugesagt, dass ich selbst in meinen schwersten Anfechtungen gewiss sein darf, dass mein Herr Christus mich von der höllischen Angst und Pein erlöst hat, weil er auch an seiner Seele unaussprechliche Angst, Schmerzen und Schrecken am Kreuz und schon zuvor erlitten hat (Jes 53,10; Mt 27,46). Frage 45. Was nützt uns die Auferstehung Christi? Erstens: Christus hat durch seine Auferstehung den Tod überwunden, um uns an der Gerechtigkeit Anteil zu geben, die er uns durch seinen Tod erworben hat (1. Petr 1,3–5.21; 1. Kor 15,17.54 f.; Röm 4,25). Zweitens: Durch seine Kraft werden auch wir schon jetzt erweckt zu einem neuen Leben (Röm 6,4; Kol 3,1–4; Eph 2,5). Drittens: Die Auferstehung Christi ist uns ein verlässliches Pfand unserer seligen Auferstehung (1. Kor 15,12; Röm 8,11). Frage 46. Wie verstehst du, dass es heißt „aufgefahren in den Himmel“? Jesus Christus wurde vor den Augen seiner Jünger von der Erde zum Vater in den Himmel erhöht und ist dort uns zugut, bis er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten (Mk 16,19; Lk 24,51; Hebr 4,14; 7,24 f.; Röm 8,34, Eph 4,10; Kol 3,1; Apg 1,11; Mt 24,30). Frage 47. Ist denn Christus nicht bei uns bis ans Ende der Welt, wie er uns verheißen hat (Mt 28,20)? Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Nach seiner menschlichen Natur ist er jetzt nicht mehr auf der Erde, aber nach seiner Gottheit, Majestät, Gnade und Geist weicht er niemals von uns (Joh 14,17–20; 16,13.28; 17,11; Mt 26,11; 28,20; Apg 3,21; Eph 4,8). Frage 48. Werden aber auf diese Weise nicht Gottheit und Menschheit in Christus voneinander getrennt, wenn er nach seiner menschlichen Natur nicht überall ist, wo er nach seiner Gottheit ist? Nein, weil die Gottheit unbegreiflich und überall gegenwärtig ist, folgt daraus, dass sie wohl außerhalb ihrer angenommenen menschlichen Natur und dennoch auch in derselben ist und in einer Person mit ihr vereinigt bleibt (Apg 7,49; Jer 23,24; Kol 2,9; Mt 28,6; Joh 3,13; 11,15).

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Frage 49. Was nutzt uns die Himmelfahrt Christi? Erstens: Er ist im Himmel vor dem Angesicht seines Vaters unser Fürsprecher (1. Joh 2,1; Röm 8,34). Zweitens: Wir haben durch unseren Bruder Jesus Christus im Himmel die Gewissheit, dass er als das Haupt uns, seine Glieder, auch zu sich nehmen wird (Joh 14,2; 20,17; Eph 2,6). Drittens: Er, sitzend zur Rechten Gottes, sendet seinen Geist zu uns, der uns die Kraft gibt, zu suchen, was droben ist, und nicht das, was auf Erden gilt (Joh 14,16; Apg 2,33; 2. Kor 1,21 f.; 5,5; Kol 3,1; Phil 3,14). Frage 50. Warum wird hinzugefügt „er sitzt zur Rechten Gottes“? Christus ist dazu in den Himmel erhöht worden, dass er sich dort erweise als das Haupt seiner Kirche, durch das der Vater alles regiert (Eph 1,20–23; Kol 1,18; Mt 28,18; Joh 5,22). Frage 51. Was nützt uns diese Herrlichkeit unseres Hauptes Christus? Christus teilt uns, seinen Gliedern, durch seinen Heiligen Geist die himmlischen Gaben aus (Eph 4,10–12). Er schützt und erhält uns mit seiner Macht gegen alle Feinde (Joh 10,28–30; Ps 2,9; Eph 4,8). Frage 52. Was tröstet dich die Wiederkunft Christi, „zu richten die Lebenden und die Toten“? In aller Trübsal und Verfolgung darf ich mit erhobenem Haupt aus dem Himmel eben den Richter erwarten, der sich zuvor für mich dem Gericht Gottes gestellt und alle Verurteilung von mir genommen hat (Lk 21,28; Röm 8,23 f.; Phil 3,20 f.; Tit 2,13). Er wird alle seine Feinde, die darum auch meine Feinde sind, in die ewige Verdammnis werfen, mich aber mit allen Auserwählten zu sich in die himmlische Freude und Herrlichkeit nehmen (1. Thess 4,16 f.; 2. Thess 1,6–10; Mt 25,34.41). Von Gott dem Heiligen Geist Frage 53. Was glaubst du vom Heiligen Geist? Erstens: Der Heilige Geist ist gleich ewiger Gott mit dem Vater und dem Sohn (Gen 1,2; Jes 48,16; 1. Kor 3,16; 6,19; Apg 5,3 f.). Zweitens: Er ist auch mir gegeben und gibt mir durch wahren Glauben Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten. Er tröstet mich und wird bei mir bleiben in Ewigkeit (Mt 28,19 f.; 2. Kor 1,21 f.; 1. Kor 6,17; Gal 3,14; 1. Petr 1,2; 4,14; Apg 9,31; Joh 14,16). Frage 54. Was glaubst du von der „heiligen allgemeinen christlichen Kirche“? Ich glaube, dass der Sohn Gottes aus dem ganzen Menschengeschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis

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ans Ende versammelt, schützt und erhält und dass auch ich ein lebendiges Glied dieser Gemeinde bin und ewig bleiben werde (Joh 10,11.28–30; Gen 26,4; Röm 1,16; 8,29 f.; 10,14–17; Eph 1,10–13; 4,3–6; 5,26; Jes 59,21; Apg 2,46; Ps 71,18; 1. Kor 1,8 f.; 11,26; Mt 16,18; 1. Joh 2,19; 3,31). Frage 55. Was verstehst du unter der „Gemeinschaft der Heiligen“? Erstens: Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an allen seinen Schätzen und Gaben (1. Joh 1,3; 1. Kor 1,9; Röm 8,32). Zweitens: Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen (1. Kor 12,12 f.21; 13,5 f.; Phil 2,4–6). Frage 56. Was glaubst du von der „Vergebung der Sünden“? Gott will um Christi willen aller meiner Sünden, auch der sündigen Art, mit der ich mein Leben lang zu kämpfen habe, nicht mehr gedenken (1. Joh 2,2; 2. Kor 5,19.21; Ps 103,3.10.12; Jer 31,34; Röm 7,24 f.; 8,1–4). Aus Gnade schenkt er mir die Gerechtigkeit Christi, sodass ich nicht mehr ins Gericht kommen werde (Joh 3,18). Frage 57. Was tröstet dich die „Auferstehung der Toten“? Nach diesem Leben werde ich durch die Kraft Christi auferweckt werden und zu Christus, meinem Herrn, kommen (Lk 23,43; Phil 1,21–23). Er wird mir Anteil geben an seiner Herrlichkeit (1. Kor 15,53 f.; Hi 19,23–27; 1. Joh 3,2; Phil 3,21). Frage 58. Was tröstet dich die Verheißung des ewigen Lebens? Schon jetzt empfinde ich den Anfang der ewigen Freude in meinem Herzen (2. Kor 5,2 f.). Nach diesem Leben aber werde ich vollkommene Seligkeit besitzen, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz je gekommen ist, Gott ewiglich darin zu preisen (1. Kor 2,9; Joh 17,3). Frage 59. Was hilft es dir aber nun, wenn du das alles glaubst? Ich bin dadurch in Christus vor Gott gerecht und ein Erbe des ewigen Lebens (Hab 2,4; Röm 1,17; Joh 3,36). Frage 60. Wie bist du gerecht vor Gott? Allein durch wahren Glauben an Jesus Christus (Röm 3,21–25.28; Gal 2,16; Eph 2,8 f.; Phil 3,9). Zwar klagt mich mein Gewissen an, dass ich gegen alle Gebote Gottes schwer gesündigt und keines je gehalten habe und noch immer zu allem Bösen geneigt bin (Röm 3,9; 7,23). Gott aber

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schenkt mir ganz ohne mein Verdienst aus lauter Gnade die vollkommene Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi. Er rechnet sie mir an, als hätte ich nie eine Sünde begangen noch gehabt und selbst den ganzen Gehorsam vollbracht, den Christus für mich geleistet hat, wenn ich allein diese Wohltat mit gläubigem Herzen annehme (Tit  3,5; Röm 3,22.24; 4,4 f.; Eph 2,8; 1. Joh 2,1 f.; 2. Kor 5,19.21; Joh 3,18). Frage 61. Warum sagst du, dass du allein durch den Glauben gerecht bist? Ich gefalle Gott nicht deswegen, weil mein Glaube ein verdienstvolles Werk wäre. Allein die Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi ist meine Gerechtigkeit vor Gott (1. Kor 1,30; 2,2). Ich kann sie nicht anders als durch den Glauben annehmen und mir zueignen (1. Joh 5,10). Frage 62. Warum können denn unsere guten Werke uns nicht ganz oder teilweise vor Gott gerecht machen? Die Gerechtigkeit, die vor Gottes Gericht bestehen soll, muss vollkommen sein und dem göttlichen Gesetz ganz und gar entsprechen (Gal 3,10; Dtn 27,26). Aber auch unsere besten Werke sind in diesem Leben alle unvollkommen und mit Sünde befleckt (Jes 64,5). Frage 63. Verdienen aber unsere guten Werke nichts, obwohl Gott sie doch in diesem und dem zukünftigen Leben belohnen will? Diese Belohnung geschieht nicht aus Verdienst, sondern aus Gnade (Lk 17,10). Frage 64. Macht aber diese Lehre die Menschen nicht leichtfertig und gewissenlos? Nein; denn es ist unmöglich, dass Menschen, die Christus durch wahren Glauben eingepflanzt sind, nicht Frucht der Dankbarkeit bringen (Mt 7,18). Von den heiligen Sakramenten Frage 65. Wenn nun allein der Glaube uns Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten gibt, woher kommt solcher Glaube? Der Heilige Geist wirkt den Glauben in unseren Herzen durch die Predigt des heiligen Evangeliums und bestätigt ihn durch den Gebrauch der heiligen Sakramente (Eph 2,8 f.; Joh 3,5; Mt 28,19 f.; 1. Petr 1,22 f.). Frage 66. Was sind Sakramente? Es sind sichtbare heilige Wahrzeichen und Siegel. Gott hat sie eingesetzt, um uns durch ihren Gebrauch den Zuspruch des Evangeliums besser verständlich zu machen und zu versiegeln: dass er uns auf Grund des einmaligen

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Opfers Christi, am Kreuz vollbracht, Vergebung der Sünden und ewiges Leben aus Gnade schenkt (Dtn 30,6; Lev  6,18; Gen 17,11; Röm 4,11; Hebr 9,8 f.24; Ez 20,12). Frage 67. Sollen denn beide, Wort und Sakrament, unseren Glauben auf das Opfer Jesu Christi am Kreuz als den einzigen Grund unserer Seligkeit hinweisen? Ja; denn der Heilige Geist lehrt im Evangelium und bestätigt durch die heiligen Sakramente, dass unsere ganze Seligkeit gegründet ist auf das einmalige Opfer Christi, das für uns am Kreuz geschah (Röm 6,3; Gal 3,27). Frage 68. Wieviel Sakramente hat Christus im Neuen Testament eingesetzt? Zwei, die heilige Taufe und das heilige Abendmahl. Von der heiligen Taufe Frage 69. Wie wirst du in der heiligen Taufe erinnert und gewiss gemacht, dass das einmalige Opfer Christi am Kreuz dir zugut kommt? Christus hat dies äußerliche Wasserbad eingesetzt und dabei verheißen, dass ich so gewiss mit seinem Blut und Geist von der Unreinigkeit meiner Seele, das ist, von allen meinen Sünden, reingewaschen bin, wie ich äußerlich durch das Wasser gereinigt werde, das die Unsauberkeit des Leibes hinwegnimmt (Mt 3,11; 28,19 f.; Apg 2,38; Mk 1,4; 16,16; Röm 6,3 f.; Lk 3,3). Frage 70. Was heißt, mit dem Blut und Geist Christi gewaschen sein? Es heißt, Vergebung der Sünde von Gott aus Gnade haben um des Blutes Christi willen, das er in seinem Opfer am Kreuz für uns vergossen hat (Hebr 12,24; 1. Petr 1,2; Apk 1,5; Sach 13,1; Ez 36,25–27). Es heißt ferner, durch den Heiligen Geist erneuert und zu einem Glied Christi geheiligt sein, sodass wir je länger, je mehr der Sünde absterben und ein Leben führen, das Gott gefällt (Joh 1,33; 3,5; 1. Kor 6,11; 12,13; Röm 6,4; Kol 2,11 f.). Frage 71. Wo hat Christus verheißen, dass wir so gewiss mit seinem Blut und Geist wie mit dem Taufwasser gewaschen sind? Bei der Einsetzung der Taufe sagt er: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk 16,16). Diese Verheißung wird dort wiederholt, wo die Heilige Schrift die Taufe das „Bad der Wiedergeburt“ (Tit 3,5) und die „Abwaschung der Sünden“ (Apg 22,16) nennt.

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Frage 72. Ist denn das äußerliche Wasserbad selbst die Abwaschung der Sünden? Nein; denn allein das Blut Jesu Christi und der Heilige Geist reinigt uns von allen Sünden (Eph 5,26; Mt 3,11; 1. Petr 3,21; 1. Joh 1,7; 1. Kor 6,11). Frage 73. Warum nennt denn der Heilige Geist die Taufe das „Bad der Wiedergeburt“ und die „Abwaschung der Sünden“? Gott redet so nicht ohne große Ursache. Er will uns damit lehren: Wie die Unsauberkeit des Leibes durch Wasser, so werden unsere Sünden durch Blut und Geist Christi hinweggenommen (Apk 1,5; 7,14; 1. Kor 6,11). Ja vielmehr: Er will uns durch dies göttliche Pfand und Wahrzeichen gewiss machen, dass wir so wahrhaftig von unseren Sünden geistlich gewaschen sind, wie wir mit dem leiblichen Wasser gewaschen werden (Mk 16,16; Gal 3,27). Frage 74. Soll man auch die kleinen Kinder taufen? Ja; denn sie gehören ebenso wie die Erwachsenen in den Bund Gottes und seine Gemeinde (Gen 17,7). Auch ihnen wird, nicht weniger als den Erwachsenen, in dem Blut Christi die Erlösung von den Sünden und der Heilige Geist, der den Glauben wirkt, zugesagt (Mt 19,14; Lk 1,14 f.; Ps  22,11; Jes  44,1–3; Apg 2,39). Darum sollen auch die Kinder durch die Taufe, das Zeichen des Bundes, in die christliche Kirche als Glieder eingefügt und von den Kindern der Ungläubigen unterschieden werden, wie es im Alten Testament durch die Beschneidung geschehen ist, an deren Stelle im Neuen Testament die Taufe eingesetzt wurde (Apg 10,47; Gen 17,14; Kol 2,11–13). Vom heiligen Abendmahl Jesu Christi Frage 75. Wie wirst du im heiligen Abendmahl erinnert und gewiss gemacht, dass du an dem einzigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gaben Anteil hast? Christus hat mir und allen Gläubigen befohlen, zu seinem Gedächtnis von dem gebrochenen Brot zu essen und von dem Kelch zu trinken (Mt 26,26–28; Mk 14,22–24; Lk 22,19 f.; 1. Kor 10,16 f.; 11,23–25; 12,13). Dabei hat er verheißen: Erstens, dass sein Leib so gewiss für mich am Kreuz geopfert und gebrochen und sein Blut für mich vergossen ist, wie ich mit Augen sehe, dass das Brot des Herrn mir gebrochen und der Kelch mir gegeben wird. Zweitens, dass er selbst meine Seele mit seinem gekreuzigten Leib und vergessenen Blut so gewiss zum ewigen Leben speist und tränkt, wie ich aus der Hand des Dieners empfange und leiblich genieße das Brot und den Kelch des Herrn, welche mir als gewisse Wahrzeichen des Leibes und Blutes Christi gegeben werden.

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Frage 76. Was heißt, den gekreuzigten Leib Christi essen und sein vergossenes Blut trinken? Es heißt nicht allein, mit gläubigem Herzen das ganze Leiden und Sterben Christi annehmen und dadurch Vergebung der Sünde und ewiges Leben empfangen (Joh 6,35.40.47 f.50–54), sondern auch, durch den Heiligen Geist, der zugleich in Christus und in uns wohnt, mit seinem verherrlichten Leib mehr und mehr vereinigt werden (Joh 6,55 f.), sodass, obgleich er im Himmel ist und wir auf Erden sind, wir doch ein Leib mit ihm sind und von einem Geist ewig leben und regiert werden (Apg 3,21; 1. Kor 6,15–19; 11,26; Eph 3,16 f.; 4,15 f.; 5,29–32; 1. Joh 3,24; 4,13; Joh 6,56–58; 14,23; 15,1–6). Frage 77. Wo hat Christus verheißen, dass er die Gläubigen so gewiss mit seinem Leib und Blut speist und tränkt, wie sie von diesem gebrochenen Brot essen und von diesem Kelch trinken? In der Einsetzung des Abendmahls: „Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinket, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor 11,23–25; Mt 26,26–28; Mk 14,22–24; Lk 22,19 f.). Diese Verheißung wiederholt der Apostel Paulus, wenn er sagt: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s: so sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben“ (1. Kor 10,16 f.). Frage 78. Werden denn Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt? Nein. Wie das Wasser bei der Taufe nicht in das Blut Christi verwandelt wird oder selbst die Sünden abwäscht, sondern Gottes Wahrzeichen und Pfand dafür ist (Mt 26,29; Mk 14,24), so wird auch das Brot im Abendmahl nicht der Leib Christi, auch wenn es in den Worten, die beim Abendmahl gebraucht werden, als der Leib Christi bezeichnet wird (1. Kor 10,16 f.; 11,26–28; Gen 17,10–19; Ex 12,26 f.43.48; 1. Petr 3,21; 1. Kor 10,1–4; Tit 3,5). Frage 79. Warum nennt denn Christus das Brot seinen Leib und den Kelch sein Blut oder nennt den Kelch den neuen Bund in seinem Blut, und warum spricht Paulus von der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Jesu Christi?

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Christus redet so nicht ohne große Ursache. Er will uns damit lehren: Wie Brot und Wein das zeitliche Leben erhalten, so sind sein gekreuzigter Leib und sein vergossenes Blut die wahre Speise und der wahre Trank unserer Seele zum ewigen Leben (Joh 6,51.55). Darüber hinaus will er uns durch dieses sichtbare Zeichen und Pfand gewiss machen, dass wir so wahrhaftig durch seinen Heiligen Geist an seinem Leib und Blut Anteil bekommen, wie wir diese heiligen Wahrzeichen mit unserem Mund zu seinem Gedächtnis empfangen (1. Kor 10,16 f.). All sein Leiden und sein Gehorsam sind uns so gewiss zugeeignet, als hätten wir selbst das alles gelitten und vollbracht. Frage 801. Was ist für ein Unterschied zwischen dem Abendmahl des Herrn und der päpstlichen Messe? Das Abendmahl bezeugt uns, dass wir vollkommene Vergebung aller unserer Sünden haben durch das einmalige Opfer Jesu Christi, das er selbst einmal am Kreuz vollbracht hat (Hebr 7,27; 9,12.25–28; 1­ 0,10–14; Joh 19,30; Mt 26,28; Lk 22,19 f.), und dass wir durch den Heiligen Geist Christus werden eingeleibt, der jetzt mit seinem wahren Leib im Himmel zur Rechten des Vaters ist und daselbst will angebetet werden (1. Kor 6,17; 10,16 f.; Hebr 1,3; 8,1; Joh 4,21–24; 20,17; Lk 24,52; Apg 7,55). Die Messe aber lehrt, dass die Lebendigen und die Toten nicht durch das Leiden Christi Vergebung der Sünden haben (Kol  3,1; Phil  3,20 f.; 1. Thess 1,9 f.), es sei denn, dass Christus noch täglich für sie von den Messpriestern geopfert werde, und dass Christus leiblich unter der Gestalt des Brotes und Weines sei und deshalb darin soll angebetet werden. Und ist also die Messe im Grunde nichts anderes als eine Verleugnung des einzigen Opfers und Leidens Jesu Christi und eine vermaledeite Abgötterei (Hebr 9,10). Frage 81. Welche Menschen sollen zum Tisch des Herrn kommen? Alle, die sich selbst um ihrer Sünde willen missfallen und doch vertrauen, dass Gott sie ihnen vergeben hat und dass auch die bleibende Schwachheit mit dem Leiden und Sterben Christi zugedeckt ist, die aber auch begehren, mehr und mehr ihren Glauben zu stärken und ihr Leben zu bessern. Wer aber unbußfertig und heuchlerisch zum Abendmahl kommt, isst und trinkt sich selbst zum Gericht (1. Kor 10,19–22; 11,28 f.).

1 Siehe Erklärung des Reformierten Bundes in der Einleitung.

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Frage 82. Dürfen aber zum heiligen Abendmahl auch solche zugelassen werden, die sich in ihrem Bekenntnis und Leben als Ungläubige und Gottlose erweisen? Nein; denn sonst wird der Bund Gottes geschmäht und sein Zorn über die ganze Gemeinde erregt (1. Kor 11,20.34; Jes 1,11–15; 66,3; Jer 7,21–23; Ps 50,16 f.). Darum muss die christliche Kirche nach der Ordnung Christi und seiner Apostel solche durch das Amt der Schlüssel ausschließen, bis sie ihr Leben bessern. Frage 83. Was ist das Amt der Schlüssel? Die Predigt des heiligen Evangeliums und die christliche Bußzucht. Durch diese beiden wird das Himmelreich den Gläubigen aufgeschlossen, den Ungläubigen aber zugeschlossen (Mt 16,18 f.; 18,18). Frage 84. Wie wird das Himmelreich durch die Predigt des heiligen Evangeliums auf- und zugeschlossen? Nach dem Befehl Christi wird allen Gläubigen verkündigt und öffentlich bezeugt, dass ihnen alle ihre Sünden von Gott um des Verdienstes Christi willen wahrhaftig vergeben sind, sooft sie den Zuspruch des Evangeliums mit wahrem Glauben annehmen. Dagegen wird allen, die den Glauben verwerfen oder heucheln, öffentlich bezeugt, dass der Zorn Gottes und die ewige Verdammnis auf ihnen liegt, solange sie sich nicht bekehren (Joh 20,21–23; Mt 16,19). Nach diesem Zeugnis des Evangeliums will Gott in diesem und im zukünftigen Leben urteilen. Frage 85. Wie wird das Himmelreich durch die christliche Bußzucht zuund aufgeschlossen? Nach dem Befehl Christi werden alle, die sich Christen nennen, aber unchristlich lehren oder leben, mehrmals seelsorgerlich vermahnt. Wenn sie von ihren Irrtümern und Lastern nicht ablassen, werden sie der Gemeinde oder den von ihr Beauftragten namhaft gemacht. Wenn sie auch deren Vermahnung nicht folgen, werden sie von diesen durch Versagung der heiligen Sakramente aus der christlichen Gemeinde und von Gott selber aus dem Reich Christi ausgeschlossen. Jedoch werden sie als Glieder Christi und der Kirche wieder angenommen, wenn sie wahre Besserung versprechen und zeigen (Mt 18,15–18; 1. Kor 5,3–5.11; 2. Thess 3,14 f.; 2.  Joh 10 f.).

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Der dritte Teil: Von der Dankbarkeit Frage 86. Da wir nun aus unserm Elend ganz ohne unser Verdienst aus Gnade durch Christus erlöst sind, warum sollen wir gute Werke tun? Wir sollen gute Werke tun, weil Christus, nachdem er uns mit seinem Blut erkauft hat, uns auch durch seinen Heiligen Geist erneuert zu seinem Ebenbild, damit wir mit unserem ganzen Leben uns dankbar gegen Gott für seine Wohltat erweisen und er durch uns gepriesen wird (1. Kor 6,20; Röm 6,13; 12,1 f.; Mt 5,16; 1. Petr 2,5.9–12). Danach auch, dass wir bei uns selbst unsers Glaubens aus seinen Früchten gewiss werden und mit einem Leben, das Gott gefällt, unsern Nächsten auch für Christus gewinnen (2. Petr 1,10; Mt 7,17 f.; Gal 5,6.22; 1. Petr 3,1 f.; Röm 14,19). Frage 87. Können denn auch die selig werden, die sich von ihrem undankbaren, unbußfertigen Leben nicht zu Gott bekehren? Keineswegs; denn die Schrift sagt: kein Unzüchtiger, Götzendiener, Ehebrecher, Dieb, Geiziger, Trunkenbold, Lästerer, Räuber und dergleichen wird das Reich Gottes erben (1. Kor 6,9 f.; Eph 5,5 f.; 1. Joh 3,14 f.). Frage 88. Worin besteht die wahrhaftige Buße oder Bekehrung des Menschen? Im Absterben des alten Menschen und im Auferstehen des neuen Menschen (Röm 6,4–6; Eph 4,22–24; Kol 3,5–10; 1. Kor 5,7). Frage 89. Was heißt Absterben des alten Menschen? Sich die Sünde von Herzen leid sein lassen und sie je länger, je mehr hassen und fliehen (Röm 8,13; Joel 2,13). Frage 90. Was heißt Auferstehen des neuen Menschen? Herzliche Freude in Gott durch Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben (Röm 5,1; 6,10 f.; 14,17; Jes 57,15; Gal 2,20). Frage 91. Was sind denn gute Werke? Allein solche, die aus wahrem Glauben nach dem Gesetz Gottes ihm zur Ehre geschehen, und nicht solche, die auf unser Gutdünken oder auf Menschengebote gegründet sind (Röm 14,23; 1. Sam 15,22; Eph 2,10; 1. Kor 10,31; Mt 15,9; Ez 20,18 f.; Jes 29,13; Dtn 13,1). Frage 92. Wie lautet das Gesetz des Herrn? „Gott redete alle diese Worte:

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Das erste Gebot. Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Das zweite. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. Das dritte. Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. Das vierte. Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht, und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. Das fünfte. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird. Das sechste. Du sollst nicht töten. Das siebte. Du sollst nicht ehebrechen. Das achte. Du sollst nicht stehlen. Das neunte. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Das zehnte. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein Nächster hat“ (Ex 20,1–17). Frage 93. Wie werden diese Gebote eingeteilt? In zwei Tafeln: Die erste Tafel lehrt in vier Geboten, wie wir uns Gott gegenüber verhalten sollen, die zweite in sechs Geboten, was wir unserm Nächsten schuldig sind (Ex 34,28; Dtn 4,13; 10,3 f.; Mt 22,37–40). Frage 94. Was fordert der Herr im ersten Gebot? Gott will, dass ich allen Götzendienst, alle Zauberei und Wahrsagerei, allen Aberglauben, auch das Anrufen der Heiligen oder anderer Geschöpfe meide und fliehe, damit ich meiner Seele Heil und Seligkeit nicht verliere (1. Kor 6,9 f.; 10,7.14; Lev  19,31; Mt 4,10; Dtn 18,10–12; Apk  19,10;

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22,8 f.). Stattdessen soll ich den einen wahren Gott recht erkennen, ihm allein vertrauen und in aller Demut und Geduld von ihm allein alles Gute erwarten. Ihn allein soll ich von ganzem Herzen lieben, fürchten und ehren, sodass ich eher alle Geschöpfe preisgebe, als im Geringsten gegen seinen Willen handle (Joh 17,3; Jer 17,5; 1. Petr 5,5 f.; Röm 5,3 f.; 1. Kor 10,10; Phil 2,14; Ps 104,27–30; 110,10; Jes 45,7; Jak 1,17; Prov 1,7; 9,10; Hebr 10,36; Kol 1,11; Dtn 6,2.5; 10,20; Mt 4,10; 5,29 f.; 10,28.37; 22,37; Apg 5,29). Frage 95. Was ist Götzendienst? Anstelle des einen wahren Gottes, der sich in seinem Wort offenbart hat, oder neben ihm irgendetwas anderes ersinnen oder haben, worauf der Mensch sein Vertrauen setzt (Eph 2,12; 5,5; 1. Chr 16,26; Phil 3,19; Joh 5,23; Gal 4,8; 1. Joh 2,23; 2. Joh 9). Frage 96. Was will Gott im zweiten Gebot? Gott will, dass wir ihn in keiner Weise abbilden, noch ihn auf irgend­ eine andere Art verehren, als er es in seinem Wort befohlen hat (Dtn 4,15–19; 12,30–32; Jes  40,18–20.25; Röm 1,23 f.; Apg 17,29; 1. Sam 15,23; Mt 15,9). Frage 97. Darf man denn gar kein Bild machen? Gott kann und darf in keiner Weise abgebildet werden. Die Geschöpfe dürfen abgebildet werden, aber Gott verbietet, Bilder von ihnen zu machen und zu haben, um sie zu verehren oder ihm damit zu dienen (Ex 23,24; 34,13 f.; Num 33,52; Dtn 7,5; 12,3; 16,22; 2. Kön 18,4). Frage 98. Dürfen denn nicht die Bilder als „der Laien Bücher“ in den Kirchen geduldet werden? Nein; denn wir sollen uns nicht für weiser halten als Gott, der seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will (Jer 10,8; Hab 2,18 f.; 2. Petr 1,19). Frage 99. Was will Gott im dritten Gebot? Gott will, dass wir weder mit Fluchen oder mit falschem Eid, noch mit unnötigem Schwören seinen Namen lästern oder missbrauchen (Lev 19,12; 24,10–16; Mt 5,37; Jak 5,12). Wir sollen uns auch nicht durch unser Stillschweigen und Zusehen an solchen schrecklichen Sünden mitschuldig machen. Gottes heiligen Namen sollen wir nur mit Furcht und Ehrerbietung gebrauchen, sodass er von uns recht bekannt, angerufen und in allen unseren Worten und Werken gepriesen wird (Jes 45,23; Mt 10,32; 1. Tim 2,8; 6,1; Röm 2,24; Kol 3,16 f.).

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Frage 100. Ist es denn eine so schwere Sünde, Gottes Namen mit Schwören und Fluchen zu lästern, dass Gott auch über die zürnt, die nicht alles tun, um es zu verhindern? Ja; denn es gibt keine Sünde, die größer ist und Gott heftiger erzürnt, als die Lästerung seines Namens. Darum hat er auch befohlen, sie mit dem Tode zu bestrafen (Lev 5,1; 24,15 f.). Frage 101. Darf man aber überhaupt bei dem Namen Gottes einen Eid schwören? Ja, wenn es die Obrigkeit fordert oder die Not es gebietet, auf diese Weise Treue und Wahrheit zu Gottes Ehre und des Nächsten Wohl zu erhalten und zu fördern. Denn solches Schwören ist in Gottes Wort begründet (Dtn 6,13; 10,20; Jes  48,1; Hebr 6,16). Deshalb haben die Menschen im Alten und Neuen Testament zu Recht davon Gebrauch gemacht (Gen 21,24; 31,53 f.; 1. Sam 24,22; 2. Sam 3,35; Jes  9,15; 1. Kön 1,29; Röm 1,9; 2. Kor 1,23). Frage 102. Darf man auch bei den Heiligen oder anderen Geschöpfen schwören? Nein; denn in einem rechtmäßigen Eid rufe ich Gott selbst zum Zeugen an, dass er, der allein die Herzen kennt, die Wahrheit bestätige und mich strafe, wenn ich falsch schwöre (2. Kor 1,23). Diese Ehre aber gebührt keinem Geschöpf (Mt 5,34–36; Jak 5,12). Frage 103. Was will Gott im vierten Gebot? Gott will zum einen, dass das Predigtamt und die christliche Unterweisung erhalten bleiben und dass ich, besonders am Feiertag, zu der Gemeinde Gottes fleißig komme (Tit 1,5; 1. Tim 3,14 f.; 4,13–16; 5,17; 1. Kor ­9,11–14; 2. Tim 2,2; 3,15; Ps  40,10 f.; 68,27; Apg 2,42.46; 1. Kor 14,19.29–31). Dort soll ich Gottes Wort lernen, die heiligen Sakramente gebrauchen, den Herrn öffentlich anrufen und in christ­licher Nächstenliebe für Bedürftige spenden (1. Kor 11,33; 14,16; 16,2; 1. Tim 2,1–3.8–10). Zum andern soll ich an allen Tagen meines Lebens von meinen bösen Werken feiern [= ablassen] und den Herrn durch seinen Geist in mir wirken lassen (Jes 66,23). So fange ich den ewigen Sabbat schon in diesem Leben an. Frage 104. Was will Gott im fünften Gebot? Ich soll meinem Vater und meiner Mutter und allen, die mir vorgesetzt sind, alle Ehre, Liebe und Treue erweisen und alle gute Lehre und Strafe mit gebührendem Gehorsam annehmen, auch mit ihren Schwächen und Fehlern Geduld haben (Eph 5,22; 6,1 f.5; Kol 3,18.20–24; Prov 1,8;

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4,1; 15,20; 20,20; 23,22; Ex 21,17; Röm 13,1; Gen 9,24 f.; 1. Petr 2,18), weil Gott uns durch ihre Hand regieren will (Eph 6,4.9; Kol  3,19.21; Röm 13,2–7; Mt 22,21). Frage 105. Was will Gott im sechsten Gebot? Ich soll meinen Nächsten weder mit Gedanken noch mit Worten oder Gebärden, erst recht nicht mit der Tat, auch nicht mit Hilfe anderer, schmähen, hassen, beleidigen oder töten (Mt 5,21 f.25 f.52; 18,35; Gen 9,6; Eph 4,26; Röm 12,19). Ich soll vielmehr alle Rachgier ablegen, mir auch nicht selbst Schaden zufügen oder mich mutwillig in Gefahr begeben (Röm 13,14; Kol 2,23; Sir 3,27; Mt 4,7). Darum hat auch der Staat den Auftrag, durch seine Rechtsordnung das Töten zu verhindern (Gen 9,6; Ex 21,14; Mt 26,52; Röm 13,4). Frage 106. Redet denn dieses Gebot nur vom Töten? Nein. Gott will uns durch das Verbot des Tötens lehren, dass er schon die Wurzel des Tötens, nämlich Neid, Hass, Zorn und Rachgier hasst und dass alles für ihn heimliches Töten ist (Röm 1,28–32; 1. Joh 2,9–11; 3,15; Jak 1,20; Gal 5,19–21). Frage 107. Haben wir das Gebot schon erfüllt, wenn wir unseren Nächsten nicht töten? Nein. Indem Gott Neid, Hass und Zorn verdammt, will er, dass wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst, ihm Geduld, Frieden, Sanftmut, Barmherzigkeit und Freundlichkeit erweisen, Schaden, so viel uns möglich, von ihm abwenden und auch unseren Feinden Gutes tun (Mt 5,5.7.44 f.; 7,12; 22,39; Eph 4,2; Gal 6,1 f.; Lk 6,36; Röm 12,10.18.20 f.; Ex 23,5). Frage 108. Was will Gott im siebenten Gebot? Gott verurteilt alle Zügellosigkeit (Lev  18,27–29). Darum sollen wir ihr von Herzen feind sein und rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst leben, sei es nun in der Ehe oder außerhalb derselben (Jud 22 f.; 1. Thess 4,3–5; Hebr 13,4; 1. Kor 7,4). Frage 109. Verbietet Gott in diesem Gebot allein den Ehebruch? Nein. Weil beide, unser Leib und unsere Seele, Tempel des Heiligen Geistes sind, darum will Gott, dass wir beide rein und heilig bewahren. Er verbietet deshalb alle zügellosen Taten, Gebärden, Worte, Gedanken, Begierden und alles, was den Menschen dazu reizen kann (Eph 5,3 f.18; 1. Kor 6,18–20; 15,33; Mt 5,27 f.).

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Frage 110. Was verbietet Gott im achten Gebot? Gott verbietet nicht nur Diebstahl und Raub, die nach staatlichem Recht bestraft werden (1. Kor 5,10; 6,10). Er nennt Diebstahl auch alle Schliche und betrügerischen Handlungen, womit wir versuchen, unseres Nächsten Gut an uns zu bringen, sei es mit Gewalt oder einem Schein des Rechts (Lk 3,14; 1. Thess 4,6; Prov 11,1; 16,11): mit falschem Gewicht, und Maß, mit schlechter Ware, gefälschtem Geld und Wucher oder mit irgendeinem Mittel, das von Gott verboten ist (Ez 45,9 f.; Ps 15,55; Dtn ­25,13–15; Lk 6,35). Er verbietet auch allen Geiz und alle Verschwendung seiner Gaben (1. Kor 6,10; Prov 5,16). Frage 111. Was gebietet dir aber Gott in diesem Gebot? Ich soll das Wohl meines Nächsten fördern, wo ich nur kann, und an ihm so handeln, wie ich möchte, dass man an mir handelt (Mt 7,12). Auch soll ich gewissenhaft arbeiten, damit ich dem Bedürftigen in seiner Not helfen kann (Eph 4,28). Frage 112. Was will Gott im neunten Gebot? Ich soll gegen niemanden falsches Zeugnis geben, niemandem seine Worte verdrehen, nicht hinter seinem Rücken reden und ihn nicht verleumden (Prov 19,5.9; 21,28; Ps 15,3; Röm 1,28.30). Ich soll niemanden ungehört und leichtfertig verurteilen helfen und alles Lügen und Betrügen als Werke des Teufels bei Gottes schwerem Zorn vermeiden (Mt 7,1 f.; Lk 6,37; Joh 8,44; Prov 12,22; 13,5). Vor Gericht und in all meinem Tun soll ich die Wahrheit lieben, sie aufrichtig sagen und bekennen und auch meines Nächsten Ehre und guten Ruf nach Kräften retten und fördern (1. Kor 13,6; Eph 4,25; 1. Petr 4,8). Frage 113. Was will Gott im zehnten Gebot? Wir sollen in unserem Herzen keine Lust und keinen Gedanken aufkommen lassen, gegen irgendein Gebot Gottes zu handeln, sondern wir sollen jederzeit von ganzem Herzen aller Sünde feind sein und Lust zu aller Gerechtigkeit haben (Röm 7,7 f.). Frage 114. Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten? Nein, sondern es kommen auch die frömmsten Menschen in diesem Leben über einen geringen Anfang dieses Gehorsams nicht hinaus (1. Joh 1,8–10; Röm 7,14 f.; Koh 7,20). Wohl aber beginnen sie, mit fester Absicht nicht nur nach einigen, sondern nach allen Geboten Gottes zu leben (Röm 7,22; Jak 2,10 f.).

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Frage 115. Warum lässt uns Gott denn die zehn Gebote so eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann? Erstens sollen wir unser ganzes Leben lang unsere sündige Art je länger, je mehr erkennen und umso begieriger Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit in Christus suchen (1. Joh 1,9; Ps 32,5; Röm 7,24 f.). Zweitens sollen wir unaufhörlich uns bemühen und Gott um die Gnade des Heiligen Geistes bitten, dass wir je länger, je mehr zum Ebenbild Gottes erneuert werden, bis wir nach diesem Leben das Ziel der Vollkommenheit erreichen (1. Kor 9,24 f.; Phil 3,11–14). Vom Gebet Frage 116. Warum ist den Christen das Gebet nötig? Weil es die wichtigste Gestalt der Dankbarkeit ist, die Gott von uns fordert (Ps 50,14 f.), und weil Gott seine Gnade und seinen Heiligen Geist nur denen geben will, die ihn herzlich und unaufhörlich darum bitten und ihm dafür danken (Mt 7,7 f.; 13,12; Lk 11,9 f.13). Frage 117. Was gehört zu einem Gebet, damit es Gott gefällt und von ihm erhört wird? Erstens, dass wir allein den wahren Gott, der sich uns in seinem Wort ge­ offenbart hat, von Herzen anrufen um alles, was er uns zu bitten befohlen hat (Joh 4,22–24; Röm 8,26; 1. Joh 5,14). Zweitens, dass wir unsere Not und unser Elend gründlich erkennen, um uns vor seinem göttlichen Angesicht zu demütigen (2. Chr 20,12; Ps 2,11; 34,19; Jes 66,2). Drittens, dass wir diesen festen Grund haben, dass er unser Gebet trotz unserer Unwürdigkeit um des Herrn Christus willen gewiss erhören will, wie er uns in seinem Wort verheißen hat (Röm 10,14; Jak 1,6; Joh 14,13–16; Dan 9,17 f.; Mt 7,8; Ps 143,1). Frage 118. Was hat uns Gott befohlen, von ihm zu erbitten? Alles, was wir für unser geistliches und leibliches Leben nötig haben, wie es der Herr Christus in dem Gebet zusammengefasst hat, das er uns selber lehrt (Jak 1,17; Mt 6,33). Frage 119. Wie lautet dieses Gebet? „Unser Vater im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser täg­ liches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen“ (Mt 6,9–13; Lk 11,2–4).

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Frage 120. Warum hat uns Christus befohlen, Gott so anzureden: „Unser Vater“? Er will in uns gleich zu Anfang unseres Gebetes die kindliche Ehrfurcht und Zuversicht Gott gegenüber wecken, auf die unser Gebet gegründet sein soll; dass nämlich Gott durch Christus unser Vater geworden ist und uns das, worum wir ihn im Glauben bitten, noch viel weniger ver­weigern will, als unsere Väter uns irdische Dinge abschlagen (Mt 7,9–11.; Lk 11,11–13). Frage 121. Warum wird hinzugefügt: „im Himmel“? Wir sollen von der himmlischen Hoheit Gottes nichts Irdisches denken und von seiner Allmacht alles erwarten, was für Leib und Seele nötig ist (Jer 23,23 f.; Apg 17,24–27; Röm 10,12). Frage 122. Was bedeutet die erste Bitte: „Geheiligt werde dein Name“? Damit beten wir: Gib uns zuerst, dass wir dich recht erkennen und dich heiligen, rühmen und preisen in allen deinen Werken, in denen deine Allmacht, Weisheit, Güte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wahrheit leuchten (Joh 17,3; Mt 16,17; Jak 1,5; Ps  119,105.137; Röm 11,22 f.). Gib uns auch, dass wir unser ganzes Leben, unsere Gedanken, Worte und Werke darauf richten, dass dein Name unsertwegen nicht gelästert, sondern geehrt und gepriesen werde (Ps 71,8; 115,1). Frage 123. Was bedeutet die zweite Bitte: „Dein Reich komme“? Damit beten wir: Regiere uns durch dein Wort und deinen Geist, dass wir dir je länger, je mehr gehorchen (Ps 119,5; 143,10; Mt 6,33). Erhalte und mehre deine Kirche und zerstöre die Werke des Teufels und alle Gewalt, die sich gegen dich erhebt, und alle Machenschaften, die gegen dein heiliges Wort erdacht werden (Ps 51,20; 122,6 f.; 1. Joh 3,8; Röm 16,20), bis die Vollendung deines Reiches kommt, in dem du alles in allem sein wirst (Apk 22,17.20; Röm 8,22 f.; 1. Kor 15,28). Frage 124. Was bedeutet die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“? Damit beten wir: Hilf, dass wir und alle Menschen unserm eigenen Willen absagen und deinem allein guten Willen ohne alles Widersprechen gehorchen (Mt 16,24; Tit 2,12; Lk 22,42), sodass jeder seine irdischen Aufgaben so willig und treu ausübt wie die Engel im Himmel (1. Kor 7,24; Ps 103,20 f.). Frage 125. Was bedeutet die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“? Damit beten wir: Versorge uns mit allem, was für Leib und Leben nötig ist (Ps 104,27 f.; 145,15 f.; Mt 6,25 f.). Lehre uns dadurch erkennen, dass du

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allein der Ursprung alles Guten bist (Apg 14,17; 17,27 f.) und dass ohne deinen Segen unsere Sorgen und unsere Arbeit wie auch deine Gaben uns nichts nützen (1. Kor 15,58; Dtn 8,3; Ps 37,16 f.). Lass uns deshalb unser Vertrauen von allen Geschöpfen abwenden und es allein auf dich setzen (Ps 55,23; 62,11). Frage 126. Was bedeutet die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“? Damit beten wir: Rechne uns armen Sündern alle unsere Missetat und das Böse, das uns immer noch anhängt, um des Blutes Christi willen nicht zu (Ps  51,1–5; 143,2; 1. Joh 2,1 f.), wie auch wir es als Zeugnis deiner Gnade in uns finden, unserem Nächsten von Herzen verzeihen zu wollen (Mt 6,14 f.). Frage 127. Was bedeutet die sechste Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“? Damit beten wir: Aus uns selbst sind wir so schwach, dass wir nicht einen Augenblick bestehen können (Joh 15,5; Ps 103,14–16). Auch hören unsere erklärten Feinde, der Teufel, die Welt und unser eigenes Wesen nicht auf, uns anzufechten (1. Petr 5,8; Eph 6,12; Joh 15,19; Röm 7,23; Gal 5,17). Darum erhalte und stärke uns durch die Kraft deines Heiligen Geistes, dass wir ihnen fest widerstehen und in diesem geistlichen Streit nicht unterliegen, bis wir endlich den völligen Sieg davontragen (Mt 26,41; Mk 13,33; 1. Thess 3,13; 5,23 f.). Frage 128. Wie beschließt du dieses Gebet? „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Damit beten wir: Dies alles erbitten wir darum von dir, weil du als unser König und aller Dinge mächtig uns alles Gute geben willst und kannst (Röm 10,11 f.; 2. Petr 2,9), und dass dadurch nicht wir, sondern dein heiliger Name ewig gepriesen werde (Joh 14,13; Ps 115,1). Frage 129. Was bedeutet das Wort: „Amen“? Amen heißt: Das ist wahr und gewiss! Denn mein Gebet ist von Gott viel gewisser erhört, als ich in meinem Herzen fühle, dass ich dies alles von ihm begehre (2. Kor 1,20; 2. Tim 2,13).

21. 39 Artikel der Kirche von England (1563/1571) Einleitung Die wichtigsten Lehrformeln der reformierten Kirche von England erhielten 1571 kanonischen Rang, als die Provinzialsynode und auch das Parlament die 39 Religionsartikel formell angenommen haben. Durch ein Gesetz, dem am 29. Mai 1571 der König zugestimmt hat, wurde von allen Geistlichen, die in der Regierungszeit von Königin Mary zum Priester geweiht worden waren, die Unterzeichnung der Artikel verlangt. Diese waren schon einige Zeit in Arbeit, ihnen hat 1562 die Provinzialsynode zugestimmt, sie wurden aber erst ein Jahrzehnt später vom Parlament ratifiziert. 1538, in dem Jahr, in dem Papst Paul III. Heinrich VIII. exkommunizierte, weil er sich selbst zum obersten Haupt der Kirche von England ernannt hatte, lud der König drei lutherische Geistliche ein, um sich mit Thomas Cranmer, dem Erzbischof von Canterbury, und zwei anderen englischen Bischöfen zu beraten und eine einvernehmliche Lehrformel zu entwerfen. Philipp Melanchthons Augsburger Bekenntnis bildete die formale Grundlage für diese konfessionelle Diskussion. Eine lutherische Sammlung von 13 Artikeln, entworfen von Cranmer, war das Ergebnis dieses Kolloquiums. Diese Artikel orientieren sich am Augsburger Bekenntnis. Einige von Cranmers 13 Artikeln waren praktisch identisch mit ihren Pendants von Augsburg – ein Höhepunkt des lutherischen Einflusses auf die Kirche von England. Bei der Thronbesteigung Eduards VI. im Jahr 1547 konnte Cranmer die Reformation mit Nachdruck vorantreiben. 42 Artikel wurden kurz vor Eduards Tod am 6. Juli 1553 fertiggestellt. Nach der Thronbesteigung Elisabeths 1558 wurde ein überarbeiteter Auszug der 42 Artikel in einer Provinzialsynode von Erzbischof Matthew Parker erneut zur Debatte vorgelegt. Die Artikel von 1563 basieren stark auf den 42 Artikeln von 1553. In Fragen der Gnade und der Sakramente sind diese Artikel vergleichbar mit Johannes Calvins französischem Bekenntnis von 1559 sowie mit Heinrich Bullingers Zweitem Helvetischem Bekenntnis von 1566. In Fragen der Politik und Kirchenzucht neigen die Artikel eher Zürich als Genf zu. Während die Königin darauf bestand, unmittelbar vor der Veröffentlichung der Artikel von 1563 den Artikel 29 zu streichen, um die lutherische Empfindlichkeit für die Realpräsenz in der Abendmahlslehre nicht zu verletzen, war dies eher ein diplomatischer Schachzug denn eine entschlossene theologische Position. Als Ende der 1560er Jahre jede

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Wahrscheinlichkeit einer Zusammenarbeit mit den lutherischen Kirchen verblasst war, wurde in der Revision der Artikel 1571 der Artikel zur Verweigerung eines Empfangs des Abendmahls durch Ungläubige (manducatio impiorum) ohne Einwände wiederhergestellt. Die 39 Artikel beginnen mit einem trinitarischen und christologischen Bekenntnis, das auf der Autorität und den Lehren der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und den Formeln der ersten vier ökumenischen Konzile der Alten Kirche basiert (Artikel 1–5). Es gibt hier wenig Polemik, da alle wesentlichen Punkte mit den anderen führenden lutherischen, reformierten und tridentinischen Formeln übereinstimmen. Die Atmosphäre ändert sich in eine polemischere Richtung in den nächsten drei Artikeln über die Autorität der Heiligen Schrift und ihre Bedeutung für die Er­ lösung (Artikel 6–8). Die Artikel 9–19 behandeln den kritischen Punkt der soteriologischen Debatte des 16. Jahrhunderts: Ursünde, Willensfreiheit, Gnade, Glaube und Rechtfertigung, Werke und Prädestination. Die Artikel 20–25 behandeln die Ekklesiologie, 26–30 die Sakramente, 31–36 Kirchenzucht, Gottesdienst und Zeremonien und 37–39 das Amt der weltlichen Regierung und die Eidesleistung. Edition The Articles of Religion of the Church of England, in: RefBS, Bd. 2/1: 1559–1563, 371–410 (Bearb.: Torrance Kirby) Übersetzungen Die Religionsartikel von 1562 nach der Ausgabe von 1571, in: Corpus Confessionum. Die Bekenntnisse der Christenheit. Sammlung grundlegender Urkunden aus allen Kirchen der Gegenwart, Bd. 17,1: Die Kirche von England, ihr Gebetbuch, Bekennt­nis und kanonisches Recht, hg. v. Cajus Fabricius, Berlin 1937 (Reprint 2014), 374–402 Die 39 Artikel von 1571, in: Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, hg. v. Hans Steubing, Wuppertal 1985, 238–248 Literatur Edward John Bicknell, A theological introduction to the Thirty-Nine Articles of the Church of England, London 1946 Günther Gassmann, Die Lehrentwicklung im Anglikanismus, in: Handbuch der Dogmenund Theologiegeschichte, Bd. 2, hg. v. Carl Andresen, Göttingen 1988, 369–375 Oliver O’Donovan, On the Thirty-Nine Articles: a conversation with Tudor Christianity, Exeter 1986 Alec Ryrie, The strange death of Lutheran England, in: JEH 53 (2002), 64–92 Einleitung: Torrance Kirby; Übersetzung: Ian Hazlett/Matthias Freudenberg

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39 Artikel der Kirche von England (1563/1571) Artikel, die von den Erzbischöfen und Bischöfen beider Provinzen und der ganzen Geistlichkeit in der Zusammenkunft in London im Jahr des Herrn 1562 nach der Berechnung der Kirche von England1 vereinbart wurden, zur Vermeidung von Meinungsverschiedenheiten und zur Bekräftigung der Einigkeit in der wahren Religion. 1. Vom Glauben an die heilige Dreieinigkeit Es ist ein lebendiger und wahrer Gott, ewig, körperlos, ungeteilt, leidenslos, von unermesslicher Macht, Weisheit und Güte, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, der sichtbaren wie der unsichtbaren. In der Einheit dieser göttlichen Natur sind drei Personen von demselben Wesen, derselben Macht und derselben Ewigkeit, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. 2. Dass das Wort oder der Sohn Gottes wahrer Mensch geworden ist Der Sohn, der das Wort des Vaters ist, von Ewigkeit vom Vater geboren, wahrer und ewiger Gott und eines Wesens mit dem Vater, hat im Leib der gesegneten Jungfrau Maria aus ihrem Wesen die menschliche Natur angenommen. So sind die beiden ganzen und vollkommenen Naturen, die göttliche und die menschliche, in einer Person unzertrennlich verbunden. Aus ihnen wurde der eine Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, der wahrhaft gelitten hat, gekreuzigt, gestorben und begraben ist, damit er den Vater mit uns versöhnte und ein Opfer wäre nicht allein für die Ursünde, sondern auch für alle Tatsünden der Menschen. 3. Vom Herabsteigen Christi zur Hölle Wie Christus für uns gestorben und begraben ist, so muss man auch glauben, dass er zur Hölle herabgestiegen ist (Eph 4,9). 4. Von der Auferstehung Christi Christus ist wahrhaftig von den Toten auferstanden und hat seinen Leib mit Fleisch und Knochen und mit allem, was zur vollständigen menschlichen Natur gehört, wieder angenommen. Mit dem ist er zum Himmel aufgefahren und sitzt dort, bis er am Jüngsten Tag zum Gericht über die Menschen wiederkommen wird (1. Kor 15,3 ff.; Mt 28,6; Mk 16,6; Lk 24,6; Joh 20).

1 Nach dem Julianischen Kalender; gemäß dem Gregorianischen Kalender im Januar 1563.

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5. Vom Heiligen Geist Der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, ist mit dem Vater und dem Sohn von gleichem Wesen, Majestät und Herrlichkeit, wahrer und ewiger Gott. 6. Dass die Heilige Schrift zum Heil beiträgt Die Heilige Schrift enthält alles, was zum Heil notwendig ist, sodass, was darin nicht zu lesen steht und daraus nicht bewiesen werden kann, niemandem als Glaubensartikel oder als etwas Heilsnotwendiges auferlegt werden darf. Unter dem Namen „Heilige Schrift“ verstehen wir diejenigen kanonischen Bücher des Alten und Neuen Testaments, an deren Autorität in der Kirche nie ein Zweifel bestanden hat. Die Namen und Nummer der kanonischen Bücher des Alten Testaments: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Ruth, 1. Buch Samuel, 2. Buch Samuel, 1. Buch Könige, 2. Buch Könige, 1. Buch Chronik, 2. Buch Chronik, 1. Buch Esra [= Esra], 2. Buch Esra [= Nehemia], Buch Esther, Buch Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohelied, vier große Propheten [Jesaja, Jeremia mit Klagelieder, Ezechiel, Daniel], 12 kleine Propheten [Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefania, Haggai, Sacharja, Maleachi]. Die übrigen Bücher liest zwar die Kirche, wie Hieronymus sagt [Praefatio in Libros Salomonis Juxta LXX Interpres], als Vorbilder für das Leben und als Sittenregeln, aber sie gebraucht sie nicht, um Glaubenslehren zu beweisen. Es sind diese: 3. Buch Esra, 4. Buch Esra, Buch Tobias, Buch Judith, Rest des Buches Esther, Buch Weisheit, Buch Jesus Sirach, Prophet Baruch, Gesang der drei Männer [im Feuerofen], Historia von der Susanna, Bel und der Drache, Gebet Manasses, 1. Buch der Makkabäer, 2. Buch der Makkabäer. Alle Bücher des Neuen Testaments – so wie sie allgemein angenommen sind – nehmen wir an und betrachten sie als kanonisch. 7. Vom Alten Testament Das Alte Testament widerspricht dem Neuen nicht. Denn sowohl im Alten als auch im Neuen Testament ist durch Christus, welcher der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen und zugleich Gott und Mensch ist, das ewige Leben dem Menschengeschlecht angeboten (Joh 8,56; Hebr 10,1; 11,6). Darum haben diejenigen eine falsche Ansicht, die vorgeben, die Alten hätten nur auf zeitliche Verheißungen gehofft. Obwohl das Gesetz, das Gott durch Mose gegeben hat, hinsichtlich der Zeremonien und Riten die Christen nicht bindet und auch die darin enthaltenen bürgerlichen Vorschriften in keinem Staat notwendig ange-

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nommen werden müssen, so ist doch nichtsdestoweniger niemand, auch kein Christ, vom Gehorsam gegen die sogenannten sittlichen Gebote befreit (Röm 8,1 f.; Apg 15,1; 28,29). 8. Von den drei Glaubensbekenntnissen Die drei Glaubensbekenntnisse, das Nizänische, das des Athanasius und das gemeinhin sogenannte Apostolische, müssen unter allen Umständen angenommen und geglaubt werden. Denn sie können durch die sichersten Zeugnisse der Schrift bewiesen werden (Apg 4,29–31; 1. Thess 2,13; 2. Kor 2,17). 9. Von der Ursünde Die Ursünde besteht nicht – wie die Pelagianer erdichten – in der Nachahmung Adams, sondern sie ist der Fehler und die Verdorbenheit der Natur eines jeden Menschen, der von Adam her natürlich geboren ist. Daher kommt es, dass der Mensch von der ursprünglichen Gerechtigkeit sehr weit entfernt und seiner Natur nach zum Bösen geneigt ist, und dass das Fleisch immer gegen den Geist aufbegehrt. Darum verdient sie auch in jedem Neugeborenen den Zorn Gottes und die Verdammnis (Gen 6,12; Röm 5,12–21; 1. Kor 15,22). Auch in den Wiedergeborenen bleibt diese Verdorbenheit der Natur. Daher kommt es, dass die fleischliche Gesinnung – auf Griechisch phronema sarkos (was einige mit Weisheit, andere mit Sinn, andere mit Gesinnung, andere mit Begierde des Fleisches übersetzen) – dem Gesetz Gottes nicht untertan ist (Röm 8,1). Obwohl es für die Gläubigen und Getauften keine Verurteilung gibt, so bekennt doch der Apostel, dass die Begierde die Natur der Sünde in sich trägt (Röm 6,12; Gal 5,16–24). 10. Vom freien Willen Der Zustand des Menschen nach dem Fall Adams ist der, dass er sich durch seine natürlichen Kräfte und guten Werke nicht zum Glauben und zur Anrufung Gottes bekehren und vorbereiten kann. Daher sind wir nicht dazu in der Lage, Werke der Frömmigkeit zu tun, die Gott wohlgefällig und angenehm sind, es sei denn, dass die Gnade Gottes durch Christus uns zuvorkommt, sodass wir guten Willen haben, und mit uns mitwirkt, während wir den guten Willen haben. 11. Von der Rechtfertigung des Menschen Allein wegen des Verdienstes unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, durch den Glauben, nicht aufgrund unserer Werke und Verdienste, werden wir vor Gott für gerecht erachtet. Dass wir daher allein durch den Glauben gerechtfertigt werden (Röm 3,28; 4,5), ist eine sehr heilsame

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Lehre voller Trost, wie in der Homilie von der Rechtfertigung des Menschen weiter ausgeführt wird.2 12. Von den guten Werken Die guten Werke, welche die Früchte des Glaubens sind und auf die Rechtfertigung folgen, sind, obwohl sie unsere Sünden nicht sühnen und vor der Strenge des göttlichen Gerichts nicht bestehen können, dennoch Gott wohlgefällig und angenehm in Christus (Eph 2,10). Sie fließen notwendig aus dem wahren und lebendigen Glauben, sodass an ihnen der lebendige Glaube ebenso deutlich erkannt werden kann, wie man einen Baum an seiner Frucht erkennt (Mt 7,16–20; Jak 2,17). 13. Von den Werken vor der Rechtfertigung Werke, die vor dem Empfang der Gnade Christi und vor der Eingebung seines Geistes getan werden, sind Gott keineswegs angenehm, da sie nicht aus dem Glauben an Jesus Christus hervorgehen. Sie machen die Menschen auch nicht fähig, Gnade zu empfangen (Röm 8,7 f.; Joh 15,5), oder verdienen auch nicht, wie die Scholastiker sagen, die Gnade de con­ gruo [= aufgrund eines angemessenen Verdienstes] (Röm 4,1–4; 9,11–13; Tit 3,5). Da sie jedoch nicht getan werden, wie sie nach Gottes Willen und Gebot getan werden sollen, zweifeln wir nicht, dass sie die Natur der Sünde in sich tragen. 14. Von den überverdienstlichen Werken Freiwillige Werke neben oder über den Geboten Gottes, die man überverdienstliche Werke nennt, können nicht ohne Anmaßung und Gottlosigkeit behauptet werden (Lk 19,35). Denn dadurch erklären die Menschen, dass sie Gott nicht nur das geben, wozu sie verpflichtet sind, sondern um seinetwillen mehr tun, als sie schuldig sind. Dagegen spricht Christus deutlich: „Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen ist, so sprecht: ‚Wir sind unnütze Knechte‘“ (Lk 17,10). 15. Dass Christus allein ohne Sünde ist Christus ist in unserer wahren Natur uns in allem gleich geworden, doch ohne Sünde, von der er völlig rein war im Fleisch wie im Geist (Joh 1,14). Er kam als das unbefleckte Lamm, das durch das einmal geschehene Opfer seiner selbst die Sünden der Welt trug, und es war, wie Johannes sagt, keine Sünde in ihm (Joh 1,29; 1. Petr 1,19; 1. Joh 2,2; 3,5). Aber wir anderen, auch wenn wir getauft und in Christus wiedergeboren sind, verfehlen uns 2 Unter dem Titel „A Sermon of the Salvation of Mankind“ im „First Book of Homilies“; vgl. Artikel 35.

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doch alle in vielen Stücken. Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns (1. Joh 1,8). 16. Von der Sünde nach der Taufe Nicht jede nach der Taufe freiwillig begangene Todsünde ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann (Mt 12,31 f.; Mk 3,28 f.; Lk 12,10; Hebr 6,4–6). Darum darf man denen, die nach der Taufe in Sünden gefallen sind, die Gelegenheit zur Buße nicht versagen (1. Kor 5,1–5; 2. Kor 2,5–11). Auch nachdem wir den Heiligen Geist empfangen haben, können wir von der uns gegebenen Gnade abweichen und sündigen, dann aber auch durch die Gnade Gottes wieder aufstehen und unser Leben bessern. Deshalb sind jene zu verwerfen, die behaupten, dass sie, solange sie hier leben (1. Joh 3,6), nicht mehr sündigen können, oder die denen, die sich wahrhaft bessern, die Möglichkeit der Vergebung absprechen. 17. Von der Vorherbestimmung und Erwählung Die Vorherbestimmung zum Leben ist der ewige Vorsatz Gottes, durch den er vor Grundlegung der Welt nach seinem uns verborgenen Rat fest beschlossen hat, diejenigen, die er in Christus aus dem Menschengeschlecht erwählt hat, vom Fluch und Verderben zu befreien und als Gefäße der Ehre durch Christus zum ewigen Heil zu bringen (Eph 1,3–11). Daher werden diejenigen, die mit einer so herrlichen Wohltat Gottes beschenkt sind, durch seinen Geist, der zur rechten Zeit wirkt, nach seinem Vorsatz berufen. Sie gehorchen der Berufung durch die Gnade, sie werden umsonst gerechtfertigt, sie werden zu Gottes Kindern angenommen, sie werden dem Bild seines eingeborenen Sohnes Jesus Christus gleichgemacht, sie wandeln heilig in guten Werken und gelangen endlich durch Gottes Barmherzigkeit zur ewigen Seligkeit (Röm 8,28–30). Die fromme Betrachtung der Vorherbestimmung und unserer Erwählung in Christus ist voll süßen, angenehmen und unaussprechlichen Trostes für die wahrhaft Frommen und für diejenigen, die in sich die Kraft des Geistes Christi fühlen, welche die Werke des Fleisches und ihre irdischen Glieder tötet und ihr Gemüt zu himmlischen und hohen Dingen emporzieht, teils weil sie unseren Glauben an das ewige Heil, das wir durch Christus erlangen, sehr festigt und stärkt, teils weil sie unsere Liebe zu Gott heftig entzündet. So ist nun auf der anderen Seite für neugierige und fleischliche Menschen, denen der Geist Christi abgeht, das ständige Vorhalten der Lehre von der Vorherbestimmung Gottes ein sehr gefährlicher Abgrund, wodurch der Teufel sie entweder in Verzweiflung oder in die ebenso gefährliche Sorglosigkeit eines höchst schändlichen Lebens stößt.

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Sodann muss man die göttlichen Verheißungen so auffassen, wie sie uns in der Heiligen Schrift im Allgemeinen gegeben sind. Gottes Wille muss in unseren Handlungen so befolgt werden, wie wir ihn im Wort Gottes ausdrücklich geoffenbart vor uns haben (Joh 3,16). 18. Dass nur im Namen Christi auf das ewige Heil zu hoffen ist Auch diejenigen sind zu verdammen, die zu behaupten wagen, ein jeder solle durch das Gesetz oder die Sekte, zu der er sich bekennt, selig werden, wenn er nur genau hiernach und nach dem Licht der Natur gelebt habe. Die Heilige Schrift hingegen verkündigt nur den Namen Jesu Christi, in dem die Menschen selig werden sollen. 19. Von der Kirche Die sichtbare Kirche Christi ist eine Versammlung von Gläubigen, in der das Wort Gottes rein gepredigt wird und die Sakramente in allem, was notwendig dazugehört, der Einsetzung Christi gemäß recht verwaltet werden (Mt 28,19 f.; 2. Tim 4,2). Wie die Jerusalemer, alexandrinische und antiochenische Kirche geirrt hat, so hat auch die römische Kirche geirrt, und zwar nicht nur im Handeln und in den gottesdienstlichen Riten, sondern auch in Glaubenssachen. 20. Von der Vollmacht der Kirche Die Kirche hat das Recht, Riten festzusetzen, und hat Vollmacht in Glaubensstreitigkeiten. Doch ist es der Kirche nicht erlaubt, etwas anzuord­nen, was dem geschriebenen Wort Gottes entgegen ist, und sie darf auch keine Schriftstelle so erklären, dass sie einer anderen widerspricht. Obwohl daher die Kirche Zeugin und Bewahrerin der göttlichen Bücher ist, so darf sie doch nichts im Gegensatz zu ihnen beschließen und ebenso auch abgesehen von ihnen nichts als heilsnotwendigen Glaubenssatz aufdrängen (Röm 3,2). 21. Von der Vollmacht der allgemeinen Konzile Allgemeine Konzile können sich nicht ohne Befehl und Willen der Fürsten versammeln. Wenn sie zusammengekommen sind, können sie, weil sie aus Menschen bestehen, die nicht alle vom Geist und Wort Gottes geleitet werden, auch irren, und sie haben bisweilen geirrt, sogar in Dingen, die sich auf Gott beziehen. Was darum von ihnen als heilsnotwendig beschlossen wird, hat weder Kraft noch Gültigkeit, wenn nicht gezeigt werden kann, dass es aus der Heiligen Schrift entnommen ist.

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22. Vom Fegefeuer Die Lehre der römischen Kirche vom Fegefeuer, von den Ablässen, von der Verehrung und Anbetung der Bilder und Reliquien sowie von der Anrufung der Heiligen ist eine wertlose und leer erdichtete Sache und gründet sich auf keine Zeugnisse der Schrift; sie widerstreitet vielmehr dem Wort Gottes. 23. Vom Dienst in der Gemeinde Niemand darf sich das Amt anmaßen, in der Kirche öffentlich zu predigen oder die Sakramente zu verwalten, wenn er nicht zuvor zu diesen Diensten rechtmäßig berufen und gesandt ist. Wir müssen diejenigen als rechtmäßig berufen und gesandt betrachten, die für dieses Werk durch Menschen, denen die Vollmacht in der Kirche gegeben ist, Diener zu berufen und in den Weinberg des Herrn zu senden, hinzugewählt und angenommen worden sind. 24. Dass man in der Gemeinde in einer Sprache reden muss, die dem Volk bekannt ist In einer dem Volk unverständlichen Sprache die öffentlichen Gebete in der Kirche zu verrichten oder die Sakramente zu verwalten, widerstreitet klar dem Wort Gottes und dem Brauch der Urgemeinde (1. Kor 14,9.26). 25. Von den Sakramenten Die von Christus eingesetzten Sakramente sind nicht nur Zeichen, an denen man äußerlich die Christen erkennen kann, sondern vielmehr sichere Zeugnisse und wirksame Zeichen der Gnade und des Wohlwollens Gottes gegen uns. Durch diese wirkt er selbst unsichtbar in uns und weckt nicht nur unseren Glauben an ihn, sondern stärkt ihn auch. Zwei Sakramente sind von unserem Herrn Christus im Evangelium eingesetzt, nämlich die Taufe und das Herrenmahl (Mt 28,19; 1. Kor 11,24 f.). Jene fünf sogenannten Sakramente, nämlich die Firmung, die Buße, die Priesterweihe, die Ehe und die letzte Ölung, gelten nicht als dem Evangelium gemäße Sakramente. Denn sie sind teils aus einer verkehrten Nachfolge der Apostel entsprungen, teils Ordnungen des Lebens, die zwar in der Schrift gebilligt werden, aber nicht dieselbe Bedeutung von Sakramenten haben wie die Taufe und das Herrenmahl, da sie kein sichtbares Zeichen oder eine von Gott eingesetzte Zeremonie haben. Die Sakramente sind von Christus nicht dazu eingesetzt, um angeschaut oder umhergetragen zu werden, sondern damit wir sie recht gebrauchen. Sie haben nur in denen, die sie würdig empfangen, eine heilsame Wirkung. Diejenigen aber, die sie unwürdig empfangen, bereiten dadurch sich selbst die Verdammnis, wie Paulus sagt (1. Kor 11,29).

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26. Dass die Unwürdigkeit von Geistlichen die Wirkung des Sakraments nicht aufhebt Obwohl in der sichtbaren Kirche die Bösen immer den Guten beigemischt sind und bisweilen dem Predigtamt und der Verwaltung der Sakramente vorstehen, so darf man doch ihren Dienst sowohl beim Hören des Wortes Gottes als auch beim Empfang der Sakramente nutzen. Denn sie handeln nicht in ihrem eigenen, sondern in Christi Namen und verrichten nach seinem Auftrag und in seiner Vollmacht ihren Dienst. Auch wird durch ihre Bosheit die Wirkung der von Christus eingesetzten Handlungen nicht aufgehoben oder die Gnade der Gaben Gottes vermindert bei denen, die gläubig und rechtmäßig die ihnen dargebotenen Sakramente empfangen. Diese sind wegen der Einsetzung Christi und wegen der Verheißung wirksam, auch wenn sie von Bösen verwaltet werden. Jedoch gehört es zur Kirchenzucht, dass gegen unwürdige Geistliche vorgegangen wird und sie von denen angeklagt werden, die ihre Vergehen kennen. Schließlich sollen sie, wenn sie durch ein gerechtes Urteil für schuldig befunden sind, ihres Amtes enthoben werden. 27. Von der Taufe Die Taufe ist nicht nur ein Zeichen des Bekenntnisses und ein Merkmal, durch das sich die Christen von den Nichtchristen unterscheiden, sondern sie ist auch ein Zeichen der Wiedergeburt. Dadurch werden – gleichsam wie durch eine Urkunde – diejenigen, welche die Taufe recht empfangen, der Kirche einverleibt, die Verheißungen der Vergebung der Sünden und unserer Annahme zu Kindern Gottes durch den Heiligen Geist sichtbar versiegelt, der Glaube gestärkt und die Gnade durch die Kraft der Anrufung Gottes vermehrt. Die Kindertaufe muss unter allen Umständen in der Kirche beibehalten werden, da sie mit der Einsetzung Christi aufs Beste übereinstimmt. 28. Vom Herrenmahl Das Herrenmahl ist nicht nur ein Zeichen des gegenseitigen Wohlwollens der Christen untereinander, sondern es ist vielmehr das Sakrament unserer Erlösung durch den Tod Christi (1. Kor 11,20). So ist denn für die, die es rechtmäßig, würdig und gläubig empfangen, das Brot, das wir brechen, die Gemeinschaft des Leibes Christi und ebenso der gesegnete Kelch die Gemeinschaft des Blutes Christi. Die Transsubstantiation oder die Verwandlung der Substanz von Brot und Wein im Herrenmahl kann nicht aus der Heiligen Schrift bewiesen werden, sondern ist den klaren Worten der Schrift entgegen, verkehrt die Natur des Sakraments und hat zu vielerlei Aberglauben Anlass gegeben.

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Der Leib Christi wird im Mahl nur in himmlischer und geistlicher Weise gegeben, empfangen und gegessen. Das Mittel aber, durch das der Leib Christi im Mahl empfangen und gegessen wird, ist der Glaube. Das Sakrament des Herrenmahls wurde nach der Einsetzung Christi nicht aufbewahrt, herumgetragen, in die Höhe gehoben und auch nicht angebetet. 29. Dass die Gottlosen beim Herrenmahl den Leib Christi nicht essen Die Gottlosen und die, die den lebendigen Glauben nicht haben, zer­ drücken zwar fleischlich und sichtbar mit den Zähnen, wie Augustin sagt [In Johannis Evangelium Tractatus CXXIV,26,12], das Sakrament des Leibes und Blutes Christi. Sie werden aber in keiner Weise Christi teilhaftig, sondern essen und trinken vielmehr das Sakrament oder Zeichen einer so großen Sache sich selber zum Gericht (1. Kor 11,29). 30. Von beiderlei Gestalt Der Kelch des Herrn darf den Laien nicht verweigert werden; denn beide Teile des Sakraments des Herrn müssen nach Christi Einsetzung und Gebot allen Christen gleichermaßen gereicht werden (1. Kor 10,16; 11,24–28). 31. Über das einzige, am Kreuz vollbrachte Opfer Christi Das einmal geschehene Opfer Christi ist die vollkommene Erlösung, Versöhnung und Genugtuung für alle Sünden der ganzen Welt, sowohl für die Ursünde als auch für die Tatsünden. Es gibt keine andere Sühne für die Sünden als jene allein. Daher sind die Messopfer, von denen man gewöhnlich sagte, dass darin der Priester zum Erlass der Strafe oder Schuld für Lebende und Tote Christus opfere, gotteslästerliche Erfindungen und schädliche Betrügereien. 32. Von der Priesterehe Den Bischöfen, Priestern und Diakonen ist es durch kein göttliches Gebot vorgeschrieben, dass sie die Ehelosigkeit geloben oder sich der Ehe enthalten sollen. Es ist also auch ihnen wie allen anderen Christen erlaubt, nach ihrem eigenen Belieben eine Ehe zu schließen, wenn dieses nach ihrem Urteil der Frömmigkeit förderlicher ist. 33. Dass die Exkommunizierten zu meiden sind Wer durch öffentliche Bekanntmachung der Kirche rechtmäßig aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und exkommuniziert ist, der soll von der gesamten Menge der Gläubigen als ein Heide und Zöllner betrachtet werden, bis er sich durch Buße nach dem Urteil eines zuständigen Richters öffentlich mit ihr versöhnt hat (Mt 18,17).

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34. Von den kirchlichen Überlieferungen Es ist nicht unbedingt nötig, dass die Überlieferungen und Zeremonien überall dieselben oder sogar ganz gleich sind. Denn sie sind immer unterschiedlich gewesen und können je nach der Verschiedenheit der Länder, Zeiten und Sitten geändert werden, wenn nur nichts im Gegensatz zum Wort Gottes angeordnet wird. Wer die Überlieferungen und kirchlichen Zeremonien, die nicht gegen das Wort Gottes streiten und öffentlich angeordnet und bestätigt sind, nach seinem eigenen Willen und Vorsatz öffentlich verletzt, der soll als einer, der gegen die öffentliche Ordnung der Kirche sündigt und das Ansehen der Regierung verletzt und die Gewissen der schwachen Brüder verwundet, zur Abschreckung für die anderen öffentlich gerügt werden. Jede Teil- oder Nationalkirche hat die Vollmacht, Zeremonien oder kirchliche Riten einzuführen, zu ändern oder abzuschaffen, die nur durch menschliche Autorität eingerichtet sind, wenn nur alles zur Erbauung geschieht (Röm 14,19; 1. Kor 14,26). 35. Von den Homilien Der zweite Band der Homilien, deren einzelne Überschriften wir diesem Artikel unten angefügt haben, enthält eine fromme und heilsame Lehre, die für unsere Zeit nicht weniger nötig ist als der erste Band der Homilien, die zur Zeit Eduards VI. herausgegeben worden sind [First Book of Homilies, 1547]. Daher urteilen wir, dass sie in den Kirchen von den Geistlichen sorgfältig und deutlich – damit sie vom Volk verstanden werden können – vorgelesen werden sollen.3 36. Von der Weihe der Bischöfe und Geistlichen Das Buch von der Weihe der Erzbischöfe und Bischöfe und von der Ordination der Priester und Diakone, das kürzlich zur Zeit Eduards VI. herausgegeben und zur gleichen Zeit vom Parlament bestätigt worden ist, umfasst alles, was zu einer solchen Weihe und Ordination notwendig ist. Es enthält nichts, was an sich abergläubisch oder gottlos wäre. Alle diejenigen also, die nach den Riten jenes Buches seit dem zweiten Jahr der Regierung des vorgenannten Königs Eduard bis jetzt geweiht oder ordiniert worden sind oder künftig nach denselben Riten geweiht oder ordiniert werden, erklären wir für rechtmäßig, ordentlich und gesetzlich geweiht und ordiniert.

3 Es folgt eine Aufzählung der Homilien.

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37. Von der weltlichen Regierung Seine Majestät der König hat in diesem Königreich England und in seinen übrigen Herrschaftsgebieten die höchste Gewalt, wozu die oberste Herrschaft in allen Dingen über alle Stände dieses Königreichs, kirchliche wie bürgerliche, gehört, und er ist keiner auswärtigen Rechtsgewalt unterworfen und darf es auch nicht sein. Wenn wir seiner Majestät dem König die oberste Herrschaft zuschreiben  – eine Bezeichnung, die, wie wir bemerken, einigen Verleumdern anstößig ist –, so geben wir damit unseren Königen nicht die Verwaltung des Wortes Gottes oder der Sakramente, was auch die kürzlich von unserer Königin Elisabeth herausgegebenen Vorschriften vollkommen klar bezeugen. Vielmehr [geben wir ihm] nur das Vorrecht, das in der Heiligen Schrift von Gott selbst, wie wir sehen, allen frommen Fürsten immer zuerkannt worden ist. Das heißt, dass sie alle ihnen von Gott anvertrauten Stände und Klassen, sie seien kirchlich oder bürgerlich, bei ihrer Pflicht erhalten und die Widerspenstigen und Übeltäter durch das weltliche Schwert bestrafen. Der römische Bischof hat keine Rechtsgewalt in diesem Königreich England. Die Reichsgesetze können die Christen wegen Kapitalverbrechen und schwerer Vergehen mit dem Tod bestrafen. Den Christen ist es erlaubt, auf Befehl der Regierung Waffen zu tragen und Kriege zu führen (Röm 13,1; 1. Petr 2,13–17). 38. Dass die Christen keine Gütergemeinschaft haben Das Vermögen und die Güter der Christen sind, was Rechtsanspruch und Besitz betrifft, nicht gemeinsam, wie gewisse Wiedertäufer fälschlich behaupten. Doch muss ein jeder von dem, was er besitzt, nach dem Verhältnis seines Vermögens den Armen reichlich Almosen geben. 39. Vom Eid des Christen Wie wir bekennen, dass das unnötige und unbesonnene Schwören den Christen von unserem Herrn Jesus Christus und von seinem Apostel Jakobus untersagt worden ist (Jak 5,12), so halten wir es doch auch keineswegs durch die christliche Religion für verboten, auf Befehl der Obrigkeit in einer Angelegenheit des Glaubens und der Liebe zu schwören, wenn es nur nach der Lehre des Propheten recht, dem Gesetz gemäß und in Wahrheit geschieht (Jer 4,2). Bestätigung der Artikel Dieses Buch der vorstehenden Artikel ist bereits durch Zustimmung und Einwilligung der Allergnädigsten Königin Elisabeth, unserer Herrscherin,

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von Gottes Gnaden Königin von England, Frankreich und Irland, Beschützerin des Glaubens usw., aufs Neue genehmigt worden und soll demnach beibehalten und im ganzen Königreich England angewandt werden. Diese Artikel sind im Jahr 1571 in ihrer Versammlung sorgfältig gelesen und durch die Unterschrift des Herrn Erzbischofs und der Bischöfe des Oberhauses und der ganzen Geistlichkeit des Unterhauses von Neuem bestätigt worden.

22. Zweites Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica posterior) (1566) Einleitung Die auf den Nachfolger Huldrych Zwinglis als Vorsteher der Zürcher Kirche, Heinrich Bullinger (1504–1575), zurückgehende Confessio Helvetica posterior ist zweifelsohne Zürichs bedeutendster Beitrag zur reformierten Bekenntnisbildung. Denn diesem Bekenntnis schlossen sich nicht nur die reformierten Stände der Eidgenossenschaft an, sondern es fand darüber hinaus auch in Osteuropa und im Reich hohe Beachtung und große Anerkennung. Neben dem Heidelberger Katechismus wurde dieses Bekenntnis in Europa weit verbreitet. Ursprünglich von Bullinger als theologische Selbstreflexion im Jahr 1561 verfasst, entfaltete er diesen Text auf Bitten des Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. Ende 1565 zum Nachweis reformierter Rechtgläubigkeit zu einem insgesamt 30 Kapitel umfassenden Werk, in dem die zentralen theologischen Topoi und kontroverstheologischen Motive abgehandelt wurden. Bereits im März 1566 lag dieser Text, versehen mit einer Vorrede, gedruckt vor. Unterschrieben wurde die Confessio Helvetica posterior nicht nur von Zürich und Genf. Mit Ausnahme des damals mit dem Luthertum sympathisierenden Basel, welches erst 1642 der Confessio Helvetica posterior beitrat, stimmten im Februar 1566 alle weiteren reformierten Stände der Eidgenossenschaft diesem Bekenntnis zu. Im März 1566 sandte Bullinger einige Exemplare des nun gedruckt vorliegenden Bekenntnisses als Argumentationshilfe an den Pfälzer Kurfürsten, um diesem in den heftigen reichspolitischen Streitigkeiten den Nachweis „Augsburger Konfessionsverwandtschaft“ seines Territoriums zu ermöglichen. Jedoch verwendete der Kurfürst dieses Bekenntnis zu seiner Verteidigung auf dem Augsburger Reichstag von 1566 nicht; die Confessio Helvetica posterior fand in den Reichstagsverhandlungen keine Verwendung. Denn auch ohne auf dieses Bekenntnis zurückgreifen zu müssen, gelang es Friedrich III. in den Reichstagsverhandlungen, eine Verurteilung der Kurpfalz zu vermeiden, wodurch sich seine kirchenpolitischen Entfaltungsmöglichkeiten erheblich erweiterten. Der Text der Confessio Helvetica posterior umfasst eine Vorrede und 30 Kapitel unterschiedlicher Länge, in denen die Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens entfaltet werden und der sich in insgesamt vier Hauptteile gliedern lässt: Der erste Hauptteil (Kapitel 1–2) behandelt die Heilige Schrift, der zweite Hauptteil (Kapitel 3–11) greift Themen

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zur Gotteslehre, Sündenlehre, Anthropologie, Christologie und Prädestination auf. Werden anschließend im dritten Hauptteil (Kapitel 12–16) kontroverse theologische Themen wie Gesetz und Evangelium, Buße, Rechtfertigung sowie Glaube und gute Werke entfaltet, nimmt sich der vierte Hauptteil (Kapitel 17–30) Themen an, die sich mit der Ekklesiologie, der Sakramentslehre und praktischen Fragen des gemeindlichen Lebens befassen. War dieses Bekenntnis im 16. Jahrhundert selbstverständlicher Ausdruck des reformierten Glaubens, kam es im Gefolge der die Autoritäten in Frage stellenden Aufklärung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur formellen Abschaffung jeglicher Verpflichtung auf Bekenntnisse. Damit verlor die Confessio Helvetica posterior in der Schweiz an Bedeutung – nicht jedoch u. a. in Ungarn und Schottland. Edition Confessio Helvetica posterior, in: RefBS 2/2: 1562–1569, 243–345 (Bearb.: Emidio Campi) Übersetzung Heinrich Bullinger, Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Confessio Helvetica posterior, ins Deutsche übertragen v. Walter Hildebrandt/Rudolf Zimmermann, Zürich 62017 Literatur Emidio Campi, Confessio Helvetica posterior. Einleitung, in: RefBS 2/2: 1562–1569, 243–267 Martin Ernst Hirzel/Frank Mathwig (Hg.), „… zu dieser dauernden Reformation berufen“. Das Zweite Helvetische Bekenntnis: Geschichte und Aktualität, Zürich 2020 Joachim Staedtke (Hg.), Glauben und Bekennen. Vierhundert Jahre Confessio Helvetica posterior, Zürich 1966 Einleitung: Andreas Mühling; Übersetzung: Walter Hildebrandt/Rudolf Zimmermann, überarbeitet von Matthias Freudenberg

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Zweites Helvetisches Bekenntnis (Confessio Helvetica posterior) (1566) Bekenntnis und einfache Erläuterung des orthodoxen Glaubens und der katholischen Lehren der reinen christlichen Religion von den Dienern der Kirche Christi in der Eidgenossenschaft, zu Zürich, Bern, Schaffhausen, St. Gallen, Chur und in den Drei Bünden, ebenso zu Mülhausen und Biel, denen sich auch die Diener der Genfer Kirche angeschlossen haben, einmütig herausgegeben in der Absicht, allen Gläubigen zu bezeugen, dass sie in der Einheit der wahren und alten Kirche Christi stehen, keine neuen und irrigen Lehren verbreiten und daher auch nichts mit irgendwelchen Sekten oder Irrlehren gemein haben. Derzeit kundgetan, damit sich alle Gläubigen ein Urteil bilden können. Röm 10,10: „Mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber bekennt man zur Seligkeit“. Allen Christusgläubigen in Deutschland und unter den auswärtigen Völkern wünschen die Diener der unterzeichneten Kirchen in der Eidgenossenschaft Gnade und Friede von Gott, dem Vater, durch unseren Herrn Jesus Christus. Bisher sind schon viele verschiedene Bekenntnisse und Erläuterungen des Glaubens verfasst worden, und besonders gegenwärtig werden solche von Königreichen, Völkern und Städten herausgegeben. Darin lehren und bezeugen sie in dieser letzten Zeit bei dem so unheilvollen Wachstum verderblicher Irrlehren, wie sie überall entstehen, dass sie in ihren Kirchen rechtgläubig und einfach denken, glauben und lehren in allen Stücken unseres christlichen Glaubens und unserer christlichen Religion, im Allgemeinen wie im Einzelnen, ferner, dass sie weit entfernt seien von der Gemeinschaft mit Irrlehren oder Sekten. Obwohl wir nun schon früher in den von uns veröffentlichten Schriften dasselbe getan haben, versuchen wir – weil jene vielleicht doch in Vergessenheit geraten sind und weil sie an verschiedenen Stellen und zu weitläufig die Sache behandeln, als dass alle Zeit hätten, sie da zu suchen und zu lesen –, angeregt durch das leuchtende Beispiel anderer, mit der folgenden kurzen Erläuterung klar zusammenzufassen und allen Christusgläubigen darzustellen: die Lehre und Verfassung unserer Kirchen, die sie gleich von Anfang der Glaubenserneuerung an seit vielen Jahren unter mancherlei Schwierigkeiten bis auf diesen Tag in voller Übereinstimmung gelehrt haben und auch jetzt noch festhalten. Mit dieser Arbeit bezeugen wir auch allen unsere einmütige Übereinstimmung, die Gott uns gegeben hat, sodass wir in unseren Kirchen, denen wir nach dem Willen Gottes dienen, alle dasselbe sagen, und dass

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unter uns keine Streitigkeiten bestehen, sondern dass wir, eines Herzens und eines Sinnes, einen durchaus gesunden Leib bilden (1. Kor 1,10). Wir bezeugen ferner, dass wir keineswegs solche Lehren in unseren Kirchen verbreiten, wie sie uns einige unserer Gegner  – besonders bei solchen, zu denen unsere Schriften nicht hingelangen und die unsere Lehre nicht kennen – fälschlicher- und unverdienterweise zuzuschreiben und anzuhängen versuchen. Deshalb werden gerechte Leser aus diesen unseren Erklärungen ganz deutlich entnehmen, dass wir nichts gemein haben mit irgendwelchen Sekten und Irrlehren, die wir hier absichtlich bei den einzelnen Kapiteln erwähnen und scharf zurückweisen. Man wird daraus auch ersehen, dass wir uns von den heiligen Kirchen Deutschlands, Frankreichs und Englands und denen anderer Völker der christlichen Welt nicht durch frevelhafte Spaltung absondern und trennen, sondern mit ihnen im Allgemeinen und im Besonderen in diesem Bekenntnis christlicher Wahrheit völlig übereinstimmen und sie selbst mit aufrichtiger Liebe umfassen. Obgleich man nun in den verschiedenen Kirchen einen gewissen Unterschied findet in Ausdruck und Formulierung der Lehre, in Gebräuchen und Zeremonien, die je nach Bedürfnis, Nutzen und Aufbau der einzelnen Kirchen angenommen wurden, ist das in der Kirche doch niemals als hinreichender Grund zur Zwietracht und Spaltung betrachtet worden. Denn immer haben die Kirchen Christi darin von der Freiheit Gebrauch gemacht. Das kann man aus der Kirchengeschichte sehen. Der alten christlichen Kirche genügte völlig jene allseitige Übereinstimmung in den Hauptstücken des Glaubens, im rechtgläubigen Sinn und in der brüderlichen Liebe. Deshalb hoffen wir, die Kirchen Christi werden mit uns gern auch selbst in der Einigkeit des Glaubens und der Lehre, im rechtgläubigen Sinn und in der brüderlichen Liebe übereinstimmen, wenn sie gesehen und gefunden haben, dass wir in der Lehre des heiligen und ewigen Gottes, ferner im rechtgläubigen Sinn und in der brüderlichen Liebe mit ihnen, besonders aber mit der alten apostolischen Kirche, in allem übereinstimmen. Wenn wir dieses Bekenntnis besonders zu dem Zweck herausgegeben haben, um Frieden und Eintracht in gegenseitiger Liebe mit den Kirchen Deutschlands und den ausländischen Kirchen zu suchen und uns zu erwerben, so wollen wir das Gewonnene auch festhalten. Wir sind vollkommen überzeugt, dass ja jene Kirchen mit derselben Liebe, Reinheit und Vollkommenheit der Lehre ausgestattet sind, und wenn auch bisher vielleicht unserer Sache von einigen allzu wenig Verständnis entgegengebracht wurde, jene uns doch fernerhin nach Anhörung dieses unseres schlichten Bekenntnisses niemals mehr unter die Irrlehrer zählen und unsere Kirchen, die wahre Kirchen Christi sind, nicht mehr als gottlos verwerfen werden. Vor allem aber bezeugen wir, dass wir immer völlig

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bereit sind, unsere Darlegungen im Allgemeinen und im Besonderen auf Verlangen ausführlicher zu erläutern, und endlich denen, die uns aus dem Wort Gottes eines Besseren belehren, nicht ohne Danksagung nachzugeben und Folge zu leisten im Herrn, dem Lob und Ehre gebührt. Gegeben am 1. März 1566. Unterschrieben haben alle Diener aller Kirchen Christi in der Schweiz: zu Zürich, Bern, Schaffhausen, St. Gallen, Chur und in den Drei Bünden diesseits und jenseits der Alpen, ferner zu Mülhausen und Biel, denen sich auch angeschlossen haben die Diener der Kirche von Genf. Bekenntnis und kurze, einfache Erläuterung der reinen christlichen Religion 1. Die Heilige Schrift, das wahre Wort Gottes Wir glauben und bekennen, dass die kanonischen Schriften der heiligen Propheten und Apostel beider Testamente das wahre Wort Gottes sind, und dass sie aus sich selbst heraus Kraft und Grund genug haben, ohne der Bestätigung durch Menschen zu bedürfen. Denn Gott selbst hat zu den Vätern, Propheten und Aposteln gesprochen und spricht auch jetzt noch zu uns durch die heiligen Schriften. Und in dieser Heiligen Schrift besitzt die ganze Kirche Christi eine vollständige Darstellung dessen, was immer zur rechten Belehrung über den seligmachenden Glauben und ein Gott wohlgefälliges Leben gehört. Deshalb wird von Gott deutlich verboten, etwas dazu oder davon zu tun (Dtn 4,2). Wir sind darum der Ansicht, dass man aus diesen Schriften die wahre Weisheit und Frömmigkeit, die Verbesserung und Leitung der Kirchen, die Unterweisung in allen Pflichten der Frömmigkeit und endlich den Beweis der Lehren und den Gegenbeweis oder die Widerlegung aller Irrtümer, aber auch alle Ermahnungen gewinnen müsse, nach jenem Apostelwort: „Jede von Gottes Geist eingegebene Schrift ist auch nütze zur Lehre, zur Überführung usw.“ (2. Tim 3,16). Und wiederum sagt der Apostel zu Timotheus: „Dies schreibe ich dir […], damit du wissest, wie man sich verhalten muss im Hause Gottes usw.“ (1. Tim 3,15). Ferner schreibt derselbe Apostel an die Thessalonicher: „Dass ihr das von uns gepredigte Wort Gottes, als ihr es empfingt, aufgenommen habt nicht als Wort von Menschen, sondern wie es in Wahrheit ist, als Wort Gottes usw.“ (1. Thess 2,13). Denn der Herr hat selbst im Evangelium gesagt: „Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Geist eures Vaters ist’s, der in euch redet. Deshalb: Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verwirft, der verwirft mich“ (Mt 10,20; Lk 10,16; Joh 13,20).

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Wenn also heute dieses Wort Gottes durch rechtmäßig berufene Prediger in der Kirche verkündigt wird, glauben wir, dass Gottes Wort selbst verkündigt und von den Gläubigen vernommen werde, dass man aber auch kein anderes Wort Gottes erfinden oder vom Himmel her erwarten dürfe. Und auch jetzt müssen wir auf das Wort selber achten, das gepredigt wird, und nicht auf den verkündigenden Diener; ja, wenn dieser sogar ein arger Bösewicht und Sünder wäre, so bleibt nichtsdestoweniger das Wort Gottes wahr und gut. Nach unserer Ansicht darf man jene äußere Predigt auch nicht deshalb für gleichsam unnütz halten, weil die Unterweisung in der wahren Religion von der inneren Erleuchtung des Geistes abhänge. Deshalb, weil geschrieben stehe: „Da wird keiner mehr den anderen, keiner seinen Bruder belehren und sprechen ‚Erkennet den Herrn‘, sondern sie werden mich alle erkennen“ (Jer 31,34). Und: „Somit ist weder der etwas, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“ (1. Kor 3,7). Obwohl nämlich niemand zu Christus kommen kann, es sei denn, dass der Vater ihn ziehe (Joh 6,44), und dass er inwendig vom Heiligen Geist erleuchtet sei, wissen wir doch, dass Gott will, man solle sein Wort überall auch öffentlich verkündigen. Gott hätte freilich den Cornelius – in der Apostelgeschichte – auch ohne den Dienst des heiligen Petrus durch seinen Heiligen Geist oder durch den Dienst eines Engels unterweisen können, er wies ihn aber nichtsdestoweniger an Petrus, von dem der Engel sagt: „Dieser wird dir sagen, was du tun sollst“ (Apg 10,6). Denn der, der durch die Gabe des Heiligen Geistes die Menschen inwendig erleuchtet, derselbe gibt seinen Jüngern den Befehl: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium allen, die erschaffen sind!“ (Mk 16,15). Daher predigte Paulus in Philippi der Purpurkrämerin Lydia das Evangelium äußerlich, innerlich aber „tat ihr der Herr das Herz auf“ (Apg 16,14). Ebenso kommt Paulus nach einer feinen Entwicklung seiner Gedanken zu dem Schluss: „Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,13–17). Wir geben allerdings zu, Gott könne Menschen auch ohne die äußere Verkündigung erleuchten, wann und welche er wolle: Das liegt in seiner Allmacht. Wir reden aber von der gewöhnlichen Art, wie die Menschen unterwiesen werden müssen, wie sie uns durch Befehl und Beispiel von Gott überliefert ist. Wir verwerfen daher alle Irrlehren des Artemon, der Manichäer, der Valentinianer, des Kerdon und der Marcioniten, die geleugnet haben, dass die heiligen Schriften vom Heiligen Geist gewirkt seien, oder die einige davon nicht anerkannt, andere mit Einschüben versehen oder verstümmelt haben. Indessen verhehlen wir keineswegs, dass gewisse Bücher des Alten Testaments von den Alten „Apokryphen“ – von anderen „Ecclesiastici“ – genannt worden sind, da sie zwar wollten, dass sie in den Kirchen gelesen,

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jedoch nicht, dass sie zur Bekräftigung des Glaubens herbeigezogen werden. Wie auch Augustin im 18. Buch seiner Schrift „Der Gottesstaat“, Kapitel 38, daran erinnert, dass in den Königsbüchern Namen und Bücher gewisser Propheten angeführt seien, aber beifügt, diese befänden sich nicht im Kanon, und für die Frömmigkeit genügten die Bücher, die wir hätten. 2. Die Auslegung der heiligen Schriften, die Kirchenväter, die allgemeinen Kirchenversammlungen und die Überlieferungen Der Apostel Petrus hat erklärt, die Auslegung der heiligen Schriften sei nicht dem Belieben jedes Einzelnen anheimgestellt (2. Petr 1,20). Deshalb billigen wir nicht alle möglichen Auslegungen. Also anerkennen wir auch nicht ohne weiteres als wahre und ursprüngliche Auslegung der Schriften, was man die Auffassung der römischen Kirche nennt, das heißt eben, was die Verteidiger der römischen Kirche schlechtweg allen zur Annahme aufzudrängen suchen. Vielmehr anerkennen wir nur das als rechtgläubige und ursprüngliche Auslegung der Schriften, was aus ihnen selbst gewonnen ist – durch Prüfung aus dem Sinn der Ursprache, in der sie geschrieben sind, und in Berücksichtigung des Zusammenhangs, ferner durch den Vergleich mit ähnlichen und unähnlichen, besonders aber mit weiteren und klareren Stellen. Das stimmt mit der Regel des Glaubens und der Liebe überein und trägt vor allem zu Gottes Ehre und zum Heil der Menschen bei. Deshalb verachten wir nicht die Auslegungen der heiligen griechischen und lateinischen Kirchenväter, und wir missbilligen auch nicht ihre Auseinandersetzungen und Abhandlungen über heilige Dinge, sofern sie mit den Schriften übereinstimmen; immerhin lehnen wir sie in aller Bescheidenheit ab, wenn es sich ergibt, dass sie den Schriften fremde oder gar ihnen widersprechende Gedanken vorbringen. Und wir glauben ihnen dann keineswegs Unrecht zu tun, da sie alle einstimmig ihre eigenen Schriften den kanonischen – das heißt biblischen – nicht gleichgestellt haben wollen, sondern geradezu auffordern zu prüfen, ob sie mit jenen übereinstimmen oder von ihnen abweichen, und verlangen, dass man das Übereinstimmende annehme und vom Widersprechenden abstehe. Mit den Kirchenvätern in eine Reihe stellen wir die Erklärungen und Richtlinien der Kirchenversammlungen. Deshalb lassen wir uns in strittigen Punkten der Religion und des Glaubens weder durch bloße Sätze der Kirchenväter oder durch Konzilsbeschlüsse noch viel weniger durch angenommene Gewohnheiten oder durch die Menge derer, die derselben Meinung sind, noch durch die Einrede des Besitzes während langer Zeit in die Enge treiben. Darum anerkennen wir in Sachen des Glaubens keinen anderen Richter als Gott selbst, der durch die heiligen Schriften verkündigt, was wahr und was

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falsch sei, was man befolgen und was man fliehen müsse. So geben wir uns bloß zufrieden mit Urteilen, die von geisterfüllten Menschen stammen und aus dem Wort Gottes gewonnen sind. Jeremia wenigstens und andere Propheten haben die Versammlungen der Priester, die wider das Gesetz Gottes gerichtet waren, schwer missbilligt und nachdrücklich die Warnung erhoben, dass wir nicht auf die Väter hören und den Weg jener Leute betreten sollten, die nach ihren eigenen Fündlein wandelten und sich von Gottes Gesetz abgewandt haben. Gleicherweise lehnen wir die menschlichen Überlieferungen ab. Sie mögen sich mit noch so schön klingenden Titeln schmücken, als ob sie göttlichen und apostolischen Ursprungs seien, indem sie durch mündliche Überlieferung der Apostel und schriftliche Überlieferung apostolischer Männer der Kirche von Bischof zu Bischof übergeben worden seien, die aber, wenn man sie mit den Schriften vergleicht, von ihnen abweichen und gerade durch diese Widersprüche beweisen, dass sie nicht im Geringsten apostolisch sind. So wie die Apostel nichts einander Widersprechendes gelehrt haben, so haben auch die apostolischen Väter nichts den Aposteln Entgegengesetztes weitergegeben. Es wäre doch wahrlich gottlos zu behaupten, die Apostel hätten durch das mündliche Wort ihren Schriften Widersprechendes überliefert. Paulus sagt unzweideutig, er habe in allen Gemeinden dasselbe gelehrt (1. Kor 4,17). Und abermals sagt er: „Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest oder auch erkennt“ (2. Kor 1,13). Anderswo bezeugt er weiter, dass er und seine Schüler, das heißt apostolische Männer, denselben Weg gehen und gleicherweise im selben Geist alles tun (2. Kor 12,18). Wohl hatten auch die Juden einst ihre Überlieferungen der Alten, aber diese sind vom Herrn scharf zurückgewiesen worden, indem er zeigte, wie deren Beobachtung dem Gesetz Gottes den Weg versperre, und dass man Gott durch solche Überlieferungen vergeblich verehre (Mt 15,8 f.; Mk 7,7). 3. Gott in seiner Einheit und Dreieinigkeit Wir glauben und lehren, dass Gott einer sei nach Wesen und Natur, dass er durch sich selbst bestehe und in allem sich selbst genüge, dass er der unsichtbare, unkörperliche, unendliche, ewige, der Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge sei, das höchste Gut, der Lebendige, der alles ins Leben ruft und erhält, allmächtig und allweise, gütig oder auch barmherzig, gerecht und wahrhaftig. Wir verabscheuen aber die Vielgötterei, da ausdrücklich geschrieben steht: „Der Herr, unser Gott, ist ein Herr“ (Dtn 6,4). „Ich bin der Herr, dein Gott […], du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Ex 20,3). „Ich bin der Herr, und keiner sonst“ (Jes 45,5.18). „Bin nicht ich es, der Herr? Und es ist keiner sonst, kein Gott außer mir, ein wahrhaftiger, rettender Gott ist nicht neben mir!“

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(Jes 45,21). „Der Herr, der Herr – ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6). Nichtsdestoweniger glauben und lehren wir, dass dieser unendliche, eine und unzerteilte Gott unzertrennt und unvermischt unterschieden sei in Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist, derart, dass der Vater den Sohn von Ewigkeit gezeugt habe, der Sohn durch unbeschreibbare Geburt geboren sei, der Heilige Geist aber von beiden ausgehe, und zwar von Ewigkeit, und mit beiden angebetet werden müsse. So sind denn zwar nicht drei Götter, sondern drei wesensgleiche Personen, gleich ewig, einander ebengleich und doch ihrem Stand nach unterschieden, der Ordnung gemäß einer dem anderen vorgehend, jedoch ohne Ungleichheit. Nach Natur oder Wesen sind sie nämlich miteinander so verbunden, dass nur ein einziger Gott ist und das göttliche Wesen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist gemeinsam ist. Die Unterscheidung der drei Personen hat uns nämlich die Schrift deutlich überliefert, indem der Engel unter anderem zu der göttlichen Jungfrau spricht: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das gezeugt wird, Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Aber auch bei der Taufe Christi hörte man eine Stimme, die vom Himmel herab auf Jesus kam, die sprach: „Dies ist mein geliebter Sohn“ (Mt 3,17). Es erschien aber auch der Heilige Geist in Gestalt einer Taube (Joh 1,32). Und als der Herr selbst den Taufbefehl gab, befahl er zu taufen „auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Desgleichen hat er anderswo im Evangelium gesagt: „Der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird“ (Joh 14,26). Ebenso spricht er wiederum: „Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom Vater her senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird der von mir zeugen“ (Joh 15,26). Kurz, wir nehmen das Bekenntnis der Apostel an, das uns den wahren Glauben überliefert. Wir verwerfen deshalb die Ansichten der Juden und Mohammedaner und aller, die diese hochheilige und anbetungswürdige Dreieinigkeit lästern. Wir verwerfen ebenso alle Irrlehren und Irrlehrer, die lehren, der Sohn und der Heilige Geist seien nur dem Namen nach Gott, oder in der Dreieinigkeit sei ein Erschaffenes und Dienendes oder eines dem anderen untertan, oder es sei darin Ungleiches, Größeres und Kleineres, Leibliches oder leiblich Nachgebildetes, nach Sitten und Willen Verschiedenes oder dann Vermischtes oder Einzelstehendes, oder dass der Sohn und der Heilige Geist nur andere Zustände oder besondere Erscheinungsformen des einen Gottvaters seien, wie die Monarchianer geglaubt haben oder die Noëtianer, wie Praxeas, die Patripassianer, wie Sabellius, Samosatenus, Aëtius und Macedonius, die Anthropomorphiten und schließlich wie Arius und andere dergleichen.

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4. Bilder Gottes, Christi und der Heiligen Weil nun Gott unsichtbarer Geist und unendlichen Wesens ist, kann er auch nicht durch irgendeine Kunst oder ein Bild dargestellt werden; deshalb scheuen wir uns nicht, mit der Heiligen Schrift bildliche Darstellungen Gottes lauter Lug und Trug zu nennen. Wir verwerfen daher nicht bloß die heidnischen Götzenbilder, sondern auch Bilder, die von Christen verehrt werden. Denn obwohl Christus menschliches Wesen angenommen hat, hat er das nicht deshalb getan, um Bildhauern und Malern als Modell zu dienen. Er hat gesagt, er sei nicht gekommen, Gesetz und Propheten aufzulösen (Mt 5,17). Im Gesetz und in den Propheten werden aber Bilder verboten (Dtn 4,16.23; Jes  40,18 ff.). Er sagt nicht, dass er in der Kirche leiblich gegenwärtig sein werde, sondern er verheißt, uns mit seinem Geist stets nahe zu sein (Joh 16,7); wer mag also glauben, dass ein bloßer Schatten oder ein Bild des Leibes den Frommen irgendetwas nütze (2. Kor 5,16)? Und wenn er in uns bleibt durch seinen Heiligen Geist, so sind wir ja Tempel Gottes (1. Kor 3,16). „Was für eine Vereinbarung besteht zwischen dem Tempel Gottes und den Götzen?“ (2. Kor 6,16). Und wenn die seligen Geister und die bei Gott im Himmel Vollendeten, so lange sie hier lebten, alle göttliche Verehrung ablehnten und gegen die Götzenbilder ankämpften (Apg 3,12; 14,15; Apk 14,7; 22,8 f.), wem soll es da einleuchten, dass den bei Gott im Himmel Vollendeten und Engeln Bilder gefielen, vor denen die Menschen ihre Knie beugen, das Haupt entblößen und andere Ehrenbezeugungen vollziehen? Damit aber die Menschen im Glauben unterwiesen und über göttliche Dinge und ihre Seligkeit belehrt würden, hat der Herr befohlen, das Evangelium zu predigen (Mk 16,15), aber nicht zu malen oder mit Malerei das Volk zu lehren; er hat auch die Sakramente eingesetzt, aber nirgends Bilder verordnet. Wir mögen aber unsere Blicke hinwenden, wohin wir wollen, so begegnen uns lebendige und wahre Geschöpfe Gottes, die, wenn sie beachtet würden, wie es billig wäre, den Betrachter weit mehr ergreifen müssten als alle von Menschen geschaffenen Bilder oder ihre nichtssagenden, unbeweglichen, matten und toten Bildgestalten, von denen der Prophet mit Recht sagt: „Sie haben einen Mund und können nicht reden, haben Augen und können nicht sehen; sie haben Ohren und hören nicht“ (Ps 115,5–7). Deshalb sind wir einverstanden mit dem Ausspruch des alten Schriftstellers Lactantius, der gesagt hat: Zweifellos ist da keine Religion, wo ein Bild ist. Wir finden auch, der selige Bischof Epiphanius habe wohlgetan, als er ein Bild von Christus oder irgendeinem Heiligen, das er auf einem Vorhang an der Kirchentüre fand, zerschnitt und wegnahm, weil er erkannt hatte, dass es gegen die Heilige Schrift gehe, wenn in der Kirche

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Christi das Bild eines Menschen hänge. Deshalb ordnete er auch an, dass künftig in der Kirche Christi keine derartigen Vorhänge mehr aufgehängt werden dürften, die unserem Glauben zuwiderlaufen, sondern dass man vielmehr solche Verwirrung stiftenden Dinge beseitigen müsse, die der Kirche und der Gläubigen unwürdig seien. Wir billigen auch die Meinung des heiligen Augustin, der in seinem Buch „Die wahre Religion“ im 55. Kapitel gesagt hat, unser Glaube heiße uns nicht Menschenwerke verehren; denn die Werkmeister, die solche Werke herstellen, seien doch gewiss höher zu achten, und dennoch sollen wir nicht einmal ihnen göttliche Verehrung zuteilwerden lassen. 5. Anbetung, Verehrung und Anrufung Gottes durch den einzigen Mittler Jesus Christus Wir lehren, dass man den wahren Gott allein anbeten und verehren soll. Diese Ehre geben wir keinem anderen nach dem Befehl des Herrn: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen“ (Mt 4,10). Alle Propheten haben das Volk Israel sehr ernstlich getadelt, wenn sie fremde Götter und nicht einzig den wahren Gott allein angebetet und verehrt haben. Und zwar lehren wir, dass man Gott anbeten und verehren müsse, wie er uns selbst gelehrt hat, ihm zu dienen, nämlich im Geist und in der Wahrheit (Joh 4,23 f.), nicht auf abergläubische Weise, sondern mit Aufrichtigkeit, nach seinem Wort, damit er nicht einst zu uns sagen müsse: Wer hat das von euren Händen gefordert (Jes 66,1 ff.; Jer 7,22)? Auch Paulus sagt: „Gott lässt sich nicht von Menschenhänden Dienst erweisen, als ob er noch etwas bedürfte, während er selbst allen Leben und Atem und alles gibt“ (Apg 17,25). Diesen einen Gott rufen wir an in allen Entscheidungen und Wechselfällen unseres Lebens, und zwar durch die Vermittlung unseres einzigen Mittlers und Fürbitters Jesus Christus. Es ist uns ja bestimmt geboten: „Rufe mich an am Tage der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“ (Ps 50,15). Unser Herr hat uns aber auch in freundlichster Weise die Verheißung gegeben: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, so wird er es euch um meines Namens willen geben“ (Joh 16,23). Ebenso: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe geben“ (Mt 11,28). Und wenn geschrieben steht: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht gläubig geworden sind?“ (Röm 10,14), so glauben wir eben an Gott allein und rufen deshalb auch ihn allein an, und zwar durch Christus. Der Apostel sagt nämlich: „Es ist ein Gott, es ist auch ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus“ (1. Tim 2,5), und: „Wenn jemand sündigt, haben wir einen Beistand beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1. Joh 2,1). Darum beten wir nicht die himmlischen oder göttlichen Heiligen an, geben ihnen nicht göttliche Ehre, rufen sie auch nicht an noch anerkennen

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wir sie als unsere Fürsprecher und Mittler vor dem Vater im Himmel. Uns genügt Gott und der Mittler Christus, und die Ehre, die wir Gott und seinem Sohn schuldig sind, geben wir niemand anders, weil Gott ausdrücklich gesagt hat: „Ich will meine Ehre keinem anderen geben“ (Jes 42,8), und weil Petrus sagt: „Es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Die in diesem Namen durch den Glauben Ruhe gefunden haben, suchen nichts außer Christus. Dabei verachten wir jedoch nicht die göttlichen Heiligen, noch denken wir gering von ihnen. Wir anerkennen, dass sie lebendige Glieder Christi sind, Freunde Gottes, die Fleisch und Welt sieghaft überwunden haben. Wir lieben sie deshalb wie Brüder und ehren sie auch, allerdings nicht im Sinne göttlicher Verehrung, sondern durch ehrenvolle Wertschätzung und rechtes Lob. Ebenso folgen wir ihrem Beispiel. Denn wir wünschen mit inbrünstigem Verlangen und Gebet, als Nachfolger ihres Glaubens und ihrer Tugenden einst ebenso des ewigen Heils teilhaftig zu werden, mit ihnen ewig bei Gott zu wohnen und uns mit ihnen in Christus zu freuen. In diesen Punkten stimmen wir auch dem Satz des heiligen A ­ ugustin in seinem Buch über „Die wahre Religion“ zu: „Unser Glaube soll nicht bestehen in der Verehrung von Toten. Wenn sie nämlich fromm gelebt haben, so dürfen wir von ihnen nicht annehmen, dass sie auf derartige Ehren Anspruch erheben, sondern dann wollen sie, dass jener von uns verehrt werde, durch dessen Erleuchtung sie sich freuen, dass wir Genossen dessen, der ihr Verdienst war [= Christus], sind. Daher sind sie zu ehren, weil sie der Nachahmung wert sind, aber sie sind nicht in religiösem Sinne anzubeten.“ Umso weniger glauben wir, dass man die Überreste der Heiligen anbeten oder verehren dürfe. Jene alten Heiligen  – das heißt Christen  – glaubten, ihren Toten genügend Ehre angetan zu haben, wenn sie deren Überreste zur Erde bestattet hatten, nachdem ihr Geist gen Himmel entflohen war. Und als allervornehmste Hinterlassenschaft der Vorfahren betrachteten sie deren Tugenden, Lehre und Glauben. Wie sie diese mit dem Lob der Toten empfahlen, so gaben sie sich schon zu ihren Lebzeiten Mühe, sie selber zu verwirklichen. Jene alten Christen haben auch bloß beim Namen des einen Gottes Jehova geschworen nach der Vorschrift des göttlichen Gesetzes. Denn wie dort verboten ist, im Namen anderer Götter zu schwören (Dtn 10,20; Ex 23,13), so leisten wir auch keinen bei den Heiligen geforderten Schwur. Wir verwerfen deshalb in allen diesen Punkten jede Lehre, die den himmlischen Heiligen zu viel Ehre antut. 6. Die Vorsehung Gottes Wir glauben, dass durch die Vorsehung dieses weisen, ewigen und allmächtigen Gottes alles im Himmel und auf Erden und bei allen Geschöp­

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fen erhalten und geleitet werde. Denn David bezeugt und sagt: „Der Herr ist erhaben über alle Völker und seine Herrlichkeit über die Himmel! Wer ist dem Herrn gleich, unserem Gott, im Himmel und auf der Erde? Ihm, der droben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe […]“ (Ps 113,4–6). Derselbe wiederum sagt: „Mit all meinen Wegen bist du vertraut. Ja, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, o Herr, nicht wüsstest […]“ (Ps 139,3 f.). Auch Paulus bezeugt und sagt: „In ihm leben, weben und sind wir“ (Apg 17,28), und: „Aus ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge“ (Röm 11,36). Deshalb tut Augustin ganz richtig und schriftgemäß den Ausspruch – im 8. Kapitel seines Buches „Der Kampf des Christen“ –: „Der Herr hat gesagt: Verkauft man nicht zwei Sperlinge für fünf Rappen? Und nicht einer von ihnen wird ohne Zutun eures Vaters auf die Erde fallen“ (Mt 10,29). Indem er aber so sprach, wollte er zeigen, dass durch Gottes Allmacht sogar das geleitet werde, was die Menschen höchst geringschätzen. So spricht die Wahrheit selbst, dass die Vögel des Himmels von Gott gespeist und die Lilien auf dem Feld von ihm bekleidet werden; die Wahrheit, die auch bezeugt, dass unsere Haare auf dem Haupt alle gezählt seien usw. (Mt 6,26.28; 10,30). Wir verwerfen deshalb die Ansicht der Epikuräer, die eine Vorsehung Gottes leugnen, und aller jener, die lästerlich behaupten, Gott bewege sich nur innerhalb der Grenzen des Himmels, könne aber uns und das Unsrige nicht sehen und auch nicht dafür sorgen. Diese Leute hat schon der königliche Prophet David verurteilt, der gesagt hat: „Wie lange sollen die Gottlosen, o Herr, wie lange noch sollen sie frohlocken […]? Sie denken: Der Herr sieht es nicht, der Gott Jakobs merkt es nicht. Merkt’s euch doch, ihr Narren im Volk, ihr Toren, wann werdet ihr klug? Der das Ohr gepflanzt, sollte der nicht hören? Der das Auge gebildet, sollte der nicht sehen?“ (Ps 94,3.7–9). Allerdings verschmähen wir die Mittel nicht als unnütz, durch welche die göttliche Vorsehung sich vollzieht, sondern wir lehren, dass wir uns ihnen soweit anpassen müssen, als sie uns im Wort Gottes empfohlen werden. Daher missbilligen wir die unbesonnenen Worte jener Leute, die sagen: Wenn alles durch Gottes Vorsehung geschieht, so sind unsere Bestrebungen und Anstrengungen ganz vergeblich; es genügt, wenn wir alles der göttlichen Vorsehung überlassen, und wir haben keinen Grund, uns um irgendetwas zu kümmern oder etwas zu tun. Denn wenn auch Paulus anerkannte, dass er durch das Walten der Vorsehung Gottes nach Rom fahre, der ihm selbst gesagt hatte: „Du sollst auch in Rom Zeugnis ablegen“ (Apg 23,11), der überdies verheißen und gesprochen hatte: „Kein Einziger aus euch wird das Leben verlieren“ (Apg 27,22), und: „Keinem von euch wird ein Haar vom Haupt verloren gehen“ (Apg 27,34), so sagt derselbe Paulus nichtsdestoweniger, als die Seeleute an die Flucht denken,

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zum Hauptmann und zu den Soldaten ebenfalls: „Wenn diese nicht im Schiff bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden“ (Apg 27,31). Denn Gott, der jeglicher Sache ihren Zweck gibt, der hat auch Anfang und Mittel bestimmt, durch die man zum Ziel gelangt. Die Heiden schreiben die Dinge einem blinden Schicksal und dem ungewissen Zufall zu. Der heilige Jakobus will hingegen nicht, dass wir sagen: „Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt ziehen […] und Handel treiben“, sondern fügt hinzu: „Anstatt dass ihr sagtet: Wenn der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder jenes tun“ (Jak 4,13.15). Und Augustin: „Alles, was oberflächlichen Leuten im Naturverlauf zufällig zu geschehen scheint, erfüllt nur sein Wort, weil nichts ohne seinen Befehl geschieht“ [Auslegung zu Ps 148]. So schien es vielleicht auch gut Glück, wenn Saul auf der Suche nach den Eselinnen seines Vaters den Propheten Samuel traf, aber der Herr hatte bereits vorher zum Propheten gesagt: „Morgen um diese Zeit werde ich einen Mann aus dem Land Benjamin zu dir senden“ (1. Sam 9,16). 7. Die Erschaffung aller Dinge, die Engel, der Teufel und der Mensch Dieser gute und allmächtige Gott hat durch sein Wort, das mit ihm ewig ist, alles Sichtbare und Unsichtbare erschaffen und erhält es auch durch seinen Geist, der mit ihm ewig ist. So bezeugt auch David schon mit den Worten: „Durch das Wort des Herrn sind die Himmel gemacht und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer“ (Ps 33,6). Alles aber, was Gott geschaffen hatte, war, wie die Schrift sagt, sehr gut und ist zum Nutzen und zum Gebrauch für den Menschen geschaffen (Gen 1,31). Alle jene Dinge aber, behaupten wir, stammen aus einem Urgrund. Wir verwerfen daher die Ansicht der Manichäer und Marcioniten, die gottlos vorgaben, es gebe zwei Grundlagen des Seins und zwei Naturen, nämlich die Naturen des Guten und Bösen, ebenso zwei Urgründe und zwei einander feindliche Götter, einen guten und einen bösen. Unter allen Geschöpfen ragen hervor die Engel und die Menschen. Von den Engeln sagt die göttliche Schrift: „Der die Winde zu seinen Boten bestellt, zu seinen Dienern Feuerflammen“ (Ps 104,4). Ebenso: „Sind sie nicht alle dienstbare Geister, zum Dienst ausgesandt um derer willen, die das Heil ererben sollen?“ (Hebr 1,14). Der Herr Jesus selbst aber bezeugt vom Teufel: „Er war von Anfang an ein Menschenmörder und stand nicht in der Wahrheit; denn Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und der Vater derselben“ (Joh 8,44). Wir lehren also, dass die einen Engel im Gehorsam verharrt haben und zum treuen Dienst für Gott und die Menschen bestimmt worden sind; die anderen aber sind durch eigene Schuld gefallen und ins Verderben gestürzt worden und sind zu Feinden alles Guten und der Gläubigen geworden usw.

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Vom Menschen aber sagt schon die Schrift, dass er im Anfang gut geschaffen worden sei zum Gott ähnlichen Ebenbild; dass Gott ihn ins Paradies gesetzt und ihm alles untertan gemacht habe (Gen 2,7 f.). Es ist das, was David so herrlich im 8. Psalm preist (Ps 8,6–9). Und er gab ihm überdies eine Gefährtin und segnete sie. Wir erklären aber, dass der Mensch aus zwei, und zwar verschiedenen, Elementen bestehe, doch in einer Person: nämlich aus der unsterblichen Seele, die, wenn sie vom Leib getrennt wird, weder schläft noch stirbt, und aus dem sterblichen Leib, der immerhin am Jüngsten Gericht wieder von den Toten auferweckt werden wird, sodass der ganze Mensch von da an, sei’s im Leben, sei’s im Tod, ewig bleibt. Wir verwerfen die Anschauung aller derer, die darüber spotten oder mit spitzfindigen Reden die Unsterblichkeit der Seele in Zweifel ziehen oder sagen, die Seele schlafe, oder sie sei ein Teil Gottes. Kurz, wir verwerfen sämtliche Meinungen aller derer, die über die Schöpfung, über Engel und böse Geister und über den Menschen von dem abweichende Lehren aufstellen, was uns durch die heiligen Schriften in der apostolischen Kirche Christi überliefert ist. 8. Der Fall und die Sünde des Menschen und die Ursache der Sünde Am Anfang war der Mensch von Gott zum Ebenbild Gottes geschaffen in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit, gut und fehlerlos. Weil er aber auf Antrieb der Schlange und durch eigene Schuld von dieser Güte und Rechtschaffenheit abfiel, geriet er unter die Macht der Sünde, des Todes und mannigfaltiger Übel. Und so wie er nun nach dem Sündenfall geworden war, sind eben alle, die von ihm abstammen, der Sünde nämlich, dem Tod und mannigfaltigen Übeln verfallen. Unter Sünde verstehen wir aber jene angeborene Verderbtheit des Menschen, die von unseren Voreltern auf uns alle übertragen und fortgepflanzt wurde. Durch sie sind wir versunken in verkehrte Begierden, abgewandt vom Guten, aber geneigt zu allem Bösen, erfüllt mit aller Schlechtigkeit, Misstrauen, Verachtung und Hass gegen Gott und können aus uns selbst nichts Gutes tun, ja nicht einmal denken. Indem wir uns also jahraus, jahrein ständig mit bösen Gedanken, Worten und Werken gegen Gottes Gesetz versündigen, bringen wir schlechte Früchte hervor, wie es ein schlechter Baum nicht anders kann (Mt 12,33 ff.). Aus diesem Grund sind wir ganz nach unserem Verdienst dem Zorn Gottes verfallen und werden gerechten Strafen unterworfen; so wären wir auch alle von Gott verstoßen, wenn uns nicht der Erlöser Christus wiederhergestellt hätte. Unter Tod verstehen wir nicht nur den leiblichen Tod, den wir alle einmal um der Sünden willen erleiden müssen, sondern auch die ewigen Strafen, die uns für unsere Sünden und unsere Verdorbenheit gebühren. Denn der Apostel sagt: Wir waren „tot durch die Übertretungen und die Sünden

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[…] und waren von Natur Kinder des Zornes wie auch die übrigen, Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, hat um seiner großen Liebe willen, mit der er uns geliebt hat, uns, die wir doch durch die Übertretungen tot waren, mit Christus lebendig gemacht“ (Eph 2,1 ff.). Ebenso: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, so ist der Tod auf alle Menschen übergegangen, weil sie alle gesündigt haben“ (Röm 5,12). Wir anerkennen also, dass alle Menschen mit der Ursünde behaftet sind. Wir anerkennen, dass alles andere, was daraus entsteht, Sünde genannt werde und wirkliche Sünde sei, mit was für einem Namen man es immer benennen wolle, seien es „Todsünden“, seien es „lässliche Sünden“, sei es auch jene Sünde, die genannt wird „Sünde wider den Heiligen Geist“, die niemals vergeben wird (Mk 3,29; 1. Joh 5,16). Wir gestehen auch, dass nicht alle Sünden gleichwertig sind, obwohl sie alle aus derselben Quelle der Verderbnis und des Unglaubens fließen, sondern, dass die einen schwerer sind als die anderen. Wie der Herr gesagt hat: Es wird dem Land Sodom und Gomorrha erträglicher gehen als einer Stadt, die das Wort des Evangeliums zurückweist (Mt 10,14 f.; 11,20 ff.). Wir verwerfen daher die Ansichten aller derer, die etwas Gegentei­liges gelehrt haben, besonders aber des Pelagius und aller Pelagianer sowie der Jovinianer, die wie die Stoiker die Sünden gleichwertig machen. Wir stimmen darin in allem mit dem heiligen Augustin überein, der seine Ansicht aus der Heiligen Schrift gewonnen und verteidigt hat. Wir verwerfen außerdem die Ansicht des Florinus und des Blastus, gegen die auch Irenäus geschrieben hat, und aller derer, die Gott zum Urheber der Sünde machen. Denn es steht ausdrücklich geschrieben: „Du bist nicht ein Gott, dem gottloses Wesen gefällt, du hasst alle Übeltäter. Umkommen lässt du die Lügner“ (Ps 5,5–7). Ferner: „Wenn der Teufel die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben“ (Joh 8,44). Es ist aber auch in uns selbst Schaden und Verderbnis genug, dass Gott uns nicht noch neue und größere Verkehrtheit einflößen muss. Wenn nun aber in den Schriften gesagt wird, dass Gott den Sinn eines Menschen verhärte, verblende und verkehre, so ist das so zu verstehen, dass Gott dies nach gerechtem Urteil tue, als ein gerechter Richter und Rächer. Endlich, sooft es in der Schrift heißt, Gott tue etwas Böses, oder wenn es so scheint, bedeutet das nicht, dass der Mensch das Böse nicht tue, sondern dass Gott es geschehen lasse und nicht hindere, nach seinem gerechten Gericht, obwohl er es hätte verhindern können, wenn er gewollt hätte; es bedeutet vielmehr: entweder, dass Gott zum Guten wende, was die Menschen böse gemacht haben, wie die Sünden der Brüder Josephs, oder dass er die Sünden so leitet, dass sie nicht weiter, als es ihm gut scheint, hervorbrechen und um sich fressen. Der heilige Augustin sagt

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in seinem „Handbüchlein“ [Enchiridion ad Laurentium 26,100]: „Auf wunderbare und unerklärliche Weise geschieht nicht ohne den Willen Gottes, was sogar gegen seinen Willen geschieht. Denn es geschähe nicht, wenn er es nicht geschehen ließe. Und da er es doch nicht widerwillig zulässt, dann also mit Willen. Und Gott in seiner Güte ließe auch nicht ein böses Geschehen zu, wenn er nicht daraus ein gutes Geschehen machen könnte.“ Soweit Augustin. Die übrigen Fragen: ob Gott gewollt habe, dass Adam fallen sollte, oder ob er ihn zum Fall getrieben, oder weshalb er den Fall nicht verhindert habe und ähnliche Fragen rechnen wir zu den Fragen bloßer Neugierde – außer wenn vielleicht die Frechheit von Irrlehrern oder sonst anmaßenden Menschen dazu zwingt, diese Dinge aus dem Wort Gottes zu erklären, wie es nicht selten fromme Lehrer der Kirche getan haben. In Bezug auf diese Fragen wissen wir nur, dass der Herr dem Menschen verboten hat, von jener Frucht zu essen, und dass er die Übertretung bestraft hat; wir wissen aber auch, dass das, was geschieht, nicht böse ist, sobald wir auf die Vorsehung Gottes, seinen Willen und seine Macht schauen, wohl aber, wenn man an den Satan und unseren eigenen, Gott widerstrebenden Willen denkt. 9. Der freie Wille und die anderen Fähigkeiten des Menschen In dieser Sache, die in der Kirche immer viele Streitigkeiten hervorgerufen hat, lehren wir, dass die Lage oder der Stand des Menschen als ein dreifacher anzusehen sei. Da ist der Stand, in dem der Mensch am Anfang vor dem Sündenfall gewesen ist: nämlich unbedingt fehlerlos und frei, sodass er im Guten verharren, sich aber auch für das Böse entscheiden konnte; er hat sich jedoch für das Böse entschieden und hat sich und das ganze Menschengeschlecht mit Sünde und Tod verkettet, wie es bereits ausgeführt worden ist. Darauf ist zu betrachten, wie der Mensch nach dem Sündenfall gewesen ist. Zwar wurde dem Menschen nicht der Verstand genommen oder der Wille geraubt, als ob er nun gar zu Stock und Stein geworden wäre; aber jene Fähigkeiten sind im Menschen so verändert und vermindert, dass sie nicht mehr dasselbe vermögen wie vor dem Sündenfall. Denn der Verstand ist verdunkelt; aus dem freien Willen aber ist ein dienstbarer Wille geworden. Denn er dient der Sünde nicht unfreiwillig, sondern freiwillig. Darum redet man auch von Freiwilligkeit und nicht von Unfreiwilligkeit. Was also das Böse oder die Sünde angeht, so wird der Mensch weder von Gott noch vom Teufel dazu gezwungen, sondern er begeht das Böse aus eigenem Antrieb und hat allerdings in dieser Hinsicht allerfreiesten Willen! Wenn wir allerdings nicht selten beobachten, dass die ärgsten Taten und Pläne der Menschen von Gott verhindert werden, sodass sie ihren Zweck nicht erreichen, so nimmt er doch dem Menschen die Freiheit im

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Bösen nicht, sondern Gott kommt mit seiner Macht dem zuvor, was der Mensch mit seinem „freien Willen“ anders geplant hat, so wie sich die Brüder Josephs vornehmen, den Joseph zu töten, es aber nicht können, weil durch Gottes Ratschluss etwas anderes beschlossen war. Was aber das Gute und die Tugenden betrifft, so beurteilt der Verstand des Menschen die göttlichen Dinge aus sich selbst nicht recht. Die Evangelien und die apostolischen Schriften fordern von einem jeglichen unter uns die Wiedergeburt, wenn wir selig werden wollen. Daher trägt die erste Geburt von Adam her nichts zu unserer Seligkeit bei. Paulus sagt: „Ein natürlicher Mensch aber nimmt die Dinge, die des Geistes Gottes sind, nicht an usw.“ (1. Kor 2,14). Ebenso sagt er, dass wir nicht geschickt seien, aus uns selbst etwas Gutes zu denken (2. Kor 3,5). Gewiss ist der Geist oder Verstand der Führer des Willens; aber wenn der Führer blind ist, kann man sich ja denken, wohin auch der Wille gelangt. Darum gibt es für den noch nicht wiedergeborenen Menschen keinen freien Willen zum Guten und auch keine Kraft, das Gute zu vollbringen. Der Herr sagt im Evangelium: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der Sünde tut, ist der Sünde Knecht“ (Joh 8,34). Und der Apostel Paulus spricht; „Das Trachten des Fleisches ist Feindschaft wider Gott; denn es unterwirft sich dem Gesetz Gottes nicht; es vermag das ja auch nicht“ (Röm 8,7). In den irdischen Dingen ist der Mensch wohl trotz seines Falls nicht ohne Verstand. Denn Gott hat ihm aus Barmherzigkeit natürliche geistige Fähigkeiten gelassen, die allerdings weit geringer sind, als was er vor dem Fall besaß. Gott befiehlt auch, dass man diese übe und pflege, und gibt dazu die Gaben und das Gedeihen. Und es ist offenbar, dass wir in allen Künsten nichts erreichen ohne den Segen Gottes. Die Heilige Schrift führt bestimmt alle Künste auf Gott zurück. Übrigens schreiben sogar die Heiden den Ursprung der Künste der Erfindung der Götter zu. Endlich ist zu untersuchen, ob und inwiefern die Wiedergeborenen einen freien Willen haben. Bei der Wiedergeburt wird der Verstand erleuchtet durch den Heiligen Geist, sodass er die Geheimnisse und den Willen Gottes erkennt. Und der Wille selbst wird durch den Geist nicht bloß verändert, sondern er wird auch mit den Fähigkeiten ausgerüstet, dass er aus innerem Antrieb das Gute will und es ausführen kann (Röm 8,1 ff.). Würden wir das nicht zugeben, so müssten wir die christliche Freiheit leugnen und die Knechtschaft des Gesetzes einführen. Aber Gott spricht auch durch den Propheten: „Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und es ihnen ins Herz schreiben“ (Jer 31,33; Ez 36,26 f.). Und der Herr sagt im Evangelium: „Wenn nun der Sohn euch freimacht, werdet ihr wirklich frei sein“ (Joh 8,36). Auch Paulus schreibt an die Philipper: „Denn euch wurde verliehen, nicht nur an Christus zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden“ (Phil 1,29), und wiederum: „Ich vertraue […] da-

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rauf, dass der, welcher in euch ein so gutes Werk angefangen hat, es vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu“ (Phil 1,6). Ferner: „Denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als das Vollbringen wirkt“ (Phil 2,13). Dabei, lehren wir, sei zweierlei zu beachten. Erstens: Die Wiedergeborenen handeln bei der Entscheidung für das Gute und beim Tun des Guten nicht nur als Geschobene, sondern selbsttätig. Sie werden nämlich von Gott getrieben, dass sie selber tun, was sie tun. Augustin führt daher mit Recht jene Wahrheit an, dass Gott unser Helfer sei. Man kann aber nur einem helfen, der selber etwas tut. Die Manichäer beraubten den Menschen jeder Selbsttätigkeit und machten ihn sozusagen zu Stock und Stein. Zweitens: In den Wiedergeborenen bleibt Schwachheit zurück. Denn da die Sünde in uns wohnt und das Fleisch in den Wiedergeborenen bis ans Ende unseres Lebens dem Geist widerstreitet, vermögen sie nicht völlig zu erreichen, was sie sich vorgenommen haben. Das wird vom Apostel Paulus in Römer 7 und Galater 5 bestätigt. Deshalb ist dieser unser freier Wille wegen der Überreste des uns bis ans Ende anhaftenden alten Adams und der angeborenen menschlichen Verderbnis immer schwach. Da nun die Triebe des Fleisches und die Überreste des alten Menschen immerhin nicht so wirksam sind, dass sie das Wirken des Geistes ganz auslöschen, so können deshalb die Gläubigen frei genannt werden, jedoch so, dass sie ihre Schwachheit wohl kennen und sich keineswegs des freien Willens rühmen. Die Gläubigen sollen nämlich stets das Apostelwort beherzigen, das der selige Augustin so oft anführt: „Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber doch empfangen, was rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“ (1. Kor 4,7). Dazu kommt, dass nicht immer das geschieht, was wir uns vorgenommen haben. Der Ausgang der Dinge liegt eben in Gottes Hand. Daher bittet Paulus den Herrn, dass er Gelingen zu seiner Reise gebe (Röm 1,10). Daraus ist auch ersichtlich, wie schwach der freie Wille sei. Übrigens leugnet niemand, dass in äußeren Dingen Wiedergeborene und Nichtwiedergeborene freien Willen haben. Diese Anlage hat der Mensch mit den anderen Lebewesen gemein – ist er doch nicht niedriger als sie! –, sodass er das eine will, das andere nicht will. So kann er reden oder schweigen, von zu Hause weggehen oder daheim bleiben usw. Doch ist auch hier Gottes Macht zu beachten, die bewirkt, dass Bileam nicht dahin gelangen konnte, wohin er wollte (Num 24), und Zacharias beim Verlassen des Tempels nicht zu reden vermochte, wie er wollte (Lk 1). In dieser Hinsicht lehnen wir die Lehre der Manichäer ab, die leugnen, dass der Ursprung des Bösen aus dem freien Willen des gut geschaffenen Menschen gekommen sei. Wir verwerfen auch die Meinung der Pelagianer, die sagen, der gefallene Mensch habe genügend freien Willen, das gebotene Gute zu tun. Beide werden von der Heiligen Schrift widerlegt;

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denn den Manichäern wird gesagt: „Gott hat den Menschen gut geschaffen“ (Gen 1,27; Koh 7,29 f.), und den Pelagianern: „Wenn der Sohn euch freimacht, werdet ihr wirklich frei sein“ (Joh 8,36). 10. Die göttliche Vorherbestimmung und die Erwählung der Heiligen Gott hat von Ewigkeit her ohne jedes Ansehen der Menschen frei und aus lauter Gnade die Heiligen, die er in Christus selig machen will, vorherbestimmt oder erwählt, nach jenem Apostelwort: „Gott hat uns in ihm erwählt vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4). Und ferner: „Gott hat uns errettet und mit heiliger Berufung berufen nicht auf Grund unserer Werke, sondern auf Grund seiner eigenen zuvor getroffenen Entscheidung und der Gnade, die uns in Christus Jesus verliehen worden ist vor ewigen Zeiten, jetzt dagegen geoffenbart worden ist durch das Erscheinen unseres Heilandes Christus Jesus“ (2. Tim 1,9 f.). Also hat uns Gott nicht ohne Mittel – allerdings nicht wegen irgendeines Verdienstes unsererseits –, sondern in Christus und um Christi willen erwählt, sodass diejenigen auch die Erwählten sind, die bereits durch den Glauben in Christus eingepflanzt wurden. Verworfen aber sind diejenigen, die außer Christus sind nach dem Apostelwort: „Stellet euch selbst auf die Probe, ob ihr im Glauben seid; prüfet euch selbst! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Ihr müsstet denn verworfen sein“ (2. Kor 13,5). Mithin hat Gott die Heiligen in Christus für ein bestimmtes Ziel auserwählt, worauf der Apostel mit den Worten hinweist: „Er hat uns ja in ihm erwählt […], damit wir heilig und untadelig seien vor ihm, indem er in Liebe uns zur Annahme an Sohnes statt bei sich selbst durch Jesus Christus vorherbestimmt hat nach dem freien Entschluss seines Willens zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade […]“ (Eph 1,4–6). Obwohl nun Gott weiß, wer die Seinen sind, und da und dort die geringe Zahl der Erwählten erwähnt wird, muss man doch für alle das Beste hoffen und darf nicht vorschnell jemanden den Verworfenen beizählen. Paulus schreibt in bestimmten Worten an die Philipper: „Ich danke meinem Gott […] für euch alle“ – er spricht aber von der ganzen Gemeinde in Philippi! – „wegen eurer Teilnahme am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt. Ich vertraue dabei eben darauf, dass der, welcher in euch ein so gutes Werk angefangen hat, es vollenden wird […]. Es ist ja auch recht, dass ich diese Gesinnung für euch alle hege“ (Phil 1,3–7). Und als der Herr nach Lukas 13,23 gefragt wurde, ob nur wenige gerettet würden, antwortet der Herr nicht, dass wenige oder viele gerettet oder verworfen werden müssen, sondern er gibt vielmehr die Ermahnung, es solle jeder trachten, durch die enge Pforte einzugehen. Als hätte er gleichsam sagen wollen: Es gebührt euch nicht, nach diesen Dingen so neugierig zu forschen, sondern bemüht euch, auf dem schmalen Weg in den Himmel einzugehen.

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Daher können wir die gottlosen Reden gewisser Leute nicht billigen, die da sagen: „Wenige sind auserwählt, und da es nicht sicher ist, ob ich in jener Zahl der Auserwählten sei, will ich mir den Lebensgenuss nicht verkümmern.“ Andere sagen: „Wenn ich von Gott vorherbestimmt und erwählt bin, wird mich an der bereits sicher bestimmten Seligkeit nichts hindern, was ich auch immer verüben mag. Gehöre ich aber zu der Zahl der Verworfenen, so hilft mir kein Glaube und keine Buße, da der Ratschluss Gottes unabänderlich ist. Deshalb sind auch alle Belehrungen und Ermahnungen nutzlos.“ Denn gegen solche Leute ist jenes Apostelwort gerichtet: „Ein Knecht des Herrn sei geschickt zum Lehren, willig, Böses zu ertragen, mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisend, ob ihnen etwa Gott Sinnesänderung verleihe zur Erkenntnis der Wahrheit und sie wieder zur Besinnung kommen aus der Schlinge des Teufels heraus, nachdem sie von ihm gefangen worden sind für seinen Willen“ (2. Tim 2,24–26). Aber auch Augustin zeigt im 14. und den folgenden Kapiteln des Buches über „Das Gut der Beharrlichkeit“, dass beides gepredigt werden muss: die freie Gnadenwahl und Vorherbestimmung und die heilsamen Ermahnungen und Belehrungen. Wir missbilligen deshalb das Verhalten jener Menschen, die außerhalb des Glaubens an Christus Antwort suchen auf die Frage, ob sie von Ewigkeit her erwählt seien und was Gott vor aller Zeit über sie selbst beschlossen habe. Man muss eben die Predigt des Evangeliums hören und ihr glauben und darf nicht daran zweifeln: Wenn du glaubst und in Christus bist, so bist du erwählt. Denn der Vater hat uns seinen ewigen Ratschluss der Vorherbestimmung in Christus offenbart, wie ich bereits mit dem Apostelwort 2. Tim 1,9 f. erläutert habe. Man muss also vor allen Dingen lehren und beherzigen, welch große Liebe des Vaters gegen uns in Christus uns offenbart worden sei; man muss darauf hören, was der Herr selbst uns täglich im Evangelium predigt, indem er ruft und sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe geben“ (Mt 11,28). „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). Ferner: „Es ist nicht der Wille eures Vaters in den Himmeln, dass eines dieser Kleinen verloren gehe“ (Mt 18,14). Daher sei Christus der Spiegel, in dem wir unsere Vorherbestimmung betrachten. Wir werden ein genügend deutliches und festes Zeugnis haben, dass wir im Buch des Lebens aufgeschrieben sind, wenn wir Gemeinschaft mit Christus haben und er im wahren Glauben unser ist, wir aber sein sind. Da nun kaum eine andere Anfechtung gefährlicher ist als die Anfechtung wegen der Vorherbestimmung, so möge uns trösten, dass die Verheißungen Gottes allen Gläubigen gelten, weil er selbst sagt: „Bittet, so wird euch gegeben […], denn jeder, der bittet, empfängt“ (Lk 11,9 f.). Endlich, dass wir mit der

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ganzen Kirche bitten: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln“, und dass wir durch die Taufe dem Leib Christi eingepflanzt sind und wir in der Kirche oft mit seinem Fleisch und Blut gespeist werden zum ewigen Leben. Also gestärkt sollen wir nach der Anweisung des Paulus unser Heil mit Furcht und Zittern schaffen (Phil 2,12). 11. Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch und einziger Heiland der Welt Wir glauben und lehren außerdem, dass der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, durch den Vater von Ewigkeit her vorausbestimmt und verordnet wurde zum Heiland der Welt. Wir glauben, dass er vom Vater gezeugt sei, nicht nur, da er von der Jungfrau Maria Fleisch und Blut annahm, und nicht nur vor der Grundlegung der Welt, sondern vor aller Ewigkeit, und zwar auf unbeschreibliche Weise. Denn Jesaja sagt: „Wer will seine Geburt erzählen?“ (Jes 53,8), und Micha: „Sein Ursprung ist in der Vorzeit, in unvordenklichen Tagen“ (Mi 5,2). Denn auch Johannes sagt in seinem Evangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ (Joh 1,1). Deshalb ist der Sohn dem Vater in der Gottheit ebenbürtig und wesensgleich, also wahrer Gott (Phil 2,11), und zwar weder bloß dem Namen nach noch durch Annahme an Kindes statt durch irgendeine Gnadenerweisung, sondern von Natur und Wesen (Phil 2,6), wie der Apostel Johannes wiederum schreibt: „Dies ist der wahre Gott und ewiges Leben“ (1. Joh 5,20). Paulus sagt: Er hat den Sohn „zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welten gemacht hat; dieser ist auch der Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens und trägt das Weltall durch sein machtvolles Wort“ (Hebr 1,2 f.). Denn auch im Evangelium hat der Herr selbst gesagt: „Und jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Joh 17,5). So heißt es auch anderswo im Evangelium: Die Juden suchten Jesus zu töten, weil er „Gott seinen Vater genannt und sich selbst Gott gleichgemacht hatte“ (Joh 5,18). Wir verabscheuen deshalb auch die gottlose Lehre des Arius und aller Arianer, die Jesu Gottessohnschaft leugnen, besonders aber die Lästerungen des Spaniers Michael Servet und aller seiner Anhänger, die der Satan wider Gottes Sohn mittelst dieser Männer gleichsam aus der Hölle geschöpft hat und höchst frech und gottlos über den Erdkreis ausgießt. Wir glauben und lehren auch, dass des ewigen Gottes ewiger Sohn ein Menschensohn geworden sei aus dem Samen Abrahams und Davids, und zwar nicht durch die Zeugung eines Mannes, wie Ebion gesagt hat, sondern auf reinste Weise empfangen vom Heiligen Geist und geboren von Maria, die immer Jungfrau geblieben ist, wie uns die evangelische Geschichte gewissenhaft berichtet (Mt 1). Auch Paulus sagt: „Denn er nimmt

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sich doch wohl nicht der Engel an, sondern der Nachkommenschaft Abrahams nimmt er sich an“ (Hebr 2,16); ebenso der Apostel Johannes: Wer nicht glaubt, dass Christus ins Fleisch gekommen sei, der ist nicht aus Gott (1. Joh 4,3). Das Fleisch Christi war also nicht eine Scheinnatur noch vom Himmel herabgebracht, wie Valentin und Marcion träumten. Außerdem hatte unser Herr Jesus nicht eine Seele ohne Empfindung und Vernunft, wie Apollinaris dachte, und nicht einen Leib ohne Seele, wie Eunomius lehrte, sondern er hatte eine Seele mit Vernunft und einen Leib mit Sinnesempfindungen, durch die er in seiner Leidenszeit wirkliche Schmerzen duldete, wie er selbst bezeugt hat: „Meine Seele ist zu Tode bekümmert“ (Mt 26,38). Und auch: „Jetzt ist meine Seele erregt“ (Joh 12,27). Darum erkennen wir in einem und demselben, unserem Herrn ­Jesus Christus, zwei Naturen oder Wesensarten, eine göttliche und eine menschliche (Hebr 2); von diesen sagen wir, dass sie verbunden und vereinigt seien, jedoch so, dass sie einander weder verschlungen hätten noch vermengt oder vermischt wären; vielmehr sind sie derart vereinigt und verbunden in einer Person, dass die Eigenschaften der beiden Naturen stets gewahrt bleiben, sodass wir auch nur einen Herrn Christus verehren und nicht zwei: er ist in einer Person wahrer Gott und wahrer Mensch, nach der göttlichen Natur dem Vater, nach der menschlichen aber uns Menschen wesensgleich und in allem ähnlich, ausgenommen die Sünde (Hebr 4,15). Wir verabscheuen deshalb die Lehre der Nestorianer, die aus dem einen Christus zwei machen und die Einheit der Person auseinanderreißen; ebenso verwerfen wir auch völlig den Unsinn des Eutyches und der Monotheliten oder Monophysiten, welche die Eigenschaften der menschlichen Natur austilgen. So lehren wir auch nicht etwa, dass die göttliche Natur in Christus gelitten habe, oder dass Christus nach seiner menschlichen Natur jetzt noch in dieser Welt oder allenthalben sei. Weder glauben noch lehren wir, dass der wirkliche Leib Christi nach der Verklärung aufgehört habe oder vergöttlicht worden sei, und zwar so vergöttlicht, dass er die Eigenschaften von Leib und Seele abgelegt hätte und derart in die göttliche Natur zurückgetreten wäre, dass er seither nur noch eine Natur hätte. Deshalb billigen wir auch keineswegs die geistlosen Spitzfindigkeiten und die verworrenen und dunkeln, nie sich gleichbleibenden Darlegungen eines Schwenckfeld und ähnlicher Geistesakrobaten über diesen Punkt; denn wir sind keine Schwenckfeldianer. Wir glauben aber, dass unser Herr Jesus Christus wirklich nach dem Fleisch für uns gelitten hat und gestorben ist, wie Petrus sagt (1. Petr 4,1). Wir verabscheuen die gottlose und unsinnige Ansicht der Jakobiten und aller Türken, die das Leiden Jesu leugnen und lästern. Indessen leugnen wir nicht, dass der Herr der Herrlichkeit, nach den Worten des Paulus, für uns gekreuzigt worden sei (1. Kor 2,8). Denn wir nehmen gläubig und

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ehrfurchtsvoll jene Lehre [= communicatio idiomatum] in Gebrauch, die auf Grund der Heiligen Schrift sagt, dass Eigenschaften, die der einen Natur Christi zukommen, bisweilen auch der anderen zugeschrieben werden können. Diese Lehre wurde schon von alters her bei der Erklärung und Vergleichung von einander scheinbar widersprechenden Schriftstellen angewandt. Wir glauben und lehren, dass dieser unser Herr Jesus Christus mit dem wirklichen Leib, in dem er gekreuzigt wurde und gestorben ist, von den Toten auferstanden sei, und er habe sich keinen anderen Leib an Stelle des begrabenen geschaffen, auch nicht einen Geist an Stelle des Leibes angenommen, sondern den wirklichen Leib behalten. Deshalb zeigt er seinen Jüngern, als sie glaubten, den Geist des Herrn zu sehen, seine Hände und Füße mit den Wundmalen der Nägel und spricht dazu: „Sehet meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin! Rühret mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich es habe“ (Lk 24,39). Wir glauben auch, dass unser Herr Jesus Christus in diesem seinem Leib aufgefahren sei über alle sichtbaren Himmel in den obersten Himmel selbst, die Wohnung Gottes und der Seligen, zur Rechten des Vaters. Wenn dies auch zunächst eine gleiche Gemeinschaft an der Herrlichkeit und Majestät bedeutet, wird der Himmel doch auch als ein bestimmter Ort angenommen, von dem der Herr im Evangelium sagt: „Ich gehe hin, um euch eine Stätte zu bereiten“ (Joh 14,2). Aber auch der Apostel ­Petrus sagt: „Der Himmel muss Christus aufnehmen bis zu der Herstellung aller Dinge“ (Apg 3,21). Vom Himmel her aber wird er wiederkommen zum Gericht, dann, wenn die Bosheit in der Welt aufs Höchste gestiegen ist und der Antichrist nach Zerstörung des wahren Glaubens alles mit Aberglauben und Gottlosigkeit erfüllt und die Kirche mit Blut und Feuer grausam verwüstet hat (Dan 11). Christus aber wird wiederkommen, den Seinigen beistehen, bei seiner Wiederkunft den Antichrist vernichten und Lebendige und Tote richten (Apg 17,31). Denn die Toten werden auferstehen (1. Thess 4,14 ff.), und die Lebenden, die an jenem Tag – der allen Geschöpfen unbekannt ist (Mk 13,32) – noch übrig sind, werden in einem Augenblick verwandelt und alle Gläubigen Christus in die Luft entgegengerückt werden, damit sie mit ihm eingehen zur Stätte der Seligkeit und leben in Ewigkeit (Apg 17,31; 1. Thess 4,15–17; Mk 13,32; 1. Kor 15,51 f.). Die Ungläubigen aber und die Gottlosen werden mit den Teufeln zur Hölle fahren, wo sie ewig brennen und nie mehr aus ihrer Qual erlöst werden können (Mt 25,41). Wir verwerfen deshalb die Lehren aller derjenigen, die eine wirkliche Auferstehung des Leibes leugnen (2 Tim 2,18), oder die wie Johannes von Jerusalem – gegen den Hieronymus geschrieben hat – keine richtige

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Ansicht von den verklärten Leibern haben. Wir verwerfen ferner die Ansicht derjenigen, die geglaubt haben, auch die Teufel und alle Gottlosen müssten einst noch gerettet werden, und ihre Strafe werde ein Ende haben. Denn der Herr hat ganz einfach gesagt: „Ihr Wurm stirbt nicht und ihr Feuer verlischt nicht“ (Mk 9,48). Wir verwerfen außerdem die jüdischen Träume, dass dem Gerichtstag ein goldenes Zeitalter auf Erden vorausgehe, wobei die Frommen nach Niederwerfung ihrer gottlosen Feinde die Reiche der Welt erlangen werden. Denn die Wahrheit nach den Evangelien und der apostolischen Lehre lautet ganz anders (Mt 24 f.; Lk 18; 2. Thess 2; 2. Tim 3 f.). Weiter: Durch sein Leiden und seinen Tod und alles das, was unser Herr von seiner Ankunft im Fleisch an um unsertwillen getan und erduldet hat, hat er den himmlischen Vater mit allen Gläubigen versöhnt, die Sünde getilgt, dem Tod die Macht genommen, Verdammnis und Hölle gebrochen und durch seine Auferstehung von den Toten Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht und wiederhergestellt. Denn er ist unsere Gerechtigkeit, unser Leben und unsere Auferstehung, ja die Vollkommenheit und Erlösung aller Gläubigen, ihr Heil und ihr überfließender Reichtum (Röm 4,25; 10,4; 1. Kor 1,30; Joh 6,33 ff.; 11,25 ff.). Denn der Apostel sagt: „Denn in ihm beschloss Gott, die ganze Fülle wohnen zu lassen“ (Kol 1,19), und: „Ihr seid erfüllt in ihm“ (Kol 2,9 f.). Wir lehren und glauben nämlich, dass dieser Jesus Christus, unser Herr, der einzige und ewige Heiland des menschlichen Geschlechtes, ja der ganzen Welt sei, in dem durch den Glauben alle gerettet sind, die vor der Gesetzgebung, die unter dem Gesetz und die unter dem Evangelium das Heil erlangt haben oder es noch bis zum Ende dieser Zeit erlangen werden. Denn der Herr sagt selbst im Evangelium: „Wer nicht durch die Türe in den Schafstall hineingeht, sondern anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. […] Ich bin die Türe zu den Schafen“ (Joh 10,1.7). Ebenso sagt er an einer anderen Stelle des Johannesevangeliums: „Abraham sah meinen Tag und freute sich“ (Joh 8,56). Aber auch der Apostel Petrus sagt: „Es ist in keinem anderen das Heil“ – außer in Christus –, „denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12; 10,43). „Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet zu werden, wie auch jene, unsere Väter“ (Apg 15,11). Ebenso schreibt Paulus: Unsere Väter „aßen alle dieselbe geistliche Speise und tranken denselben geistlichen Trank; denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der nachfolgte, der Fels aber war Christus“ (1. Kor 10,3 f.). Desgleichen lesen wir, dass Johannes gesagt habe, Christus sei das Lamm, das geschlachtet ist von Grundlegung der Welt an (Apk 13,8). Und Johannes der Täufer hat bezeugt: „Siehe [Christus], das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt

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hinwegnimmt“ (Joh 1,29). Daher bekennen und predigen wir laut, dass Jesus Christus der alleinige Erlöser der Welt und Heiland, König und Hohe­priester, der wahre und ersehnte und jener so heilige gesegnete Messias sei, den alle Vorbilder des Gesetzes und die Weissagungen der Propheten zum Voraus dargestellt und verheißen haben. Ihn hat Gott uns selbst zum Herrn gegeben und gesandt, sodass wir keinen anderen erwarten dürfen. So bleibt denn nichts anderes übrig, als dass wir alle jeglichen Ruhm Christus geben, an ihn glauben und in ihm allein zur Ruhe kommen und sonst alle anderen Stützen des Lebens geringschätzen und verwerfen. Denn alle, die ihr Heil in irgendetwas anderem suchen als allein in Christus, die sind aus der Gnade Gottes gefallen und machen, dass Christus ihnen nichts nützt (Gal 5,4). Kurz gesagt: Wir glauben mit aufrichtigem Herzen und bekennen frei und offen mit dem Mund, was in den Bekenntnissen der vier ersten und bedeutendsten Kirchensynoden von Nizäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon sowie im Bekenntnis des seligen Athanasius und allen ähnlichen Bekenntnissen über das Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus nach der Heiligen Schrift festgestellt und enthalten ist, verwerfen dagegen alles, was diesen widerspricht. Auf diese Weise halten wir den unversehrten und reinen, rechtmäßigen und allgemeinen christlichen Glauben fest, weil wir wissen, dass in den genannten Bekenntnissen nichts enthalten ist, was dem Wort Gottes nicht entspräche oder nicht zur reinen Darlegung des Glaubens genügte. 12. Das Gesetz Gottes Wir lehren, dass uns durch das Gesetz Gottes der Wille Gottes dargelegt werde, nämlich, was wir tun oder lassen sollen, was gut und gerecht oder was böse und ungerecht sei. Deshalb bekennen wir, dass das Gesetz gut und heilig sei. Dieses Gesetz ist einerseits durch den Finger Gottes in die Herzen der Menschen geschrieben und wird Gesetz der Natur genannt (Röm 2,15), anderseits aber ist es durch den Finger Gottes in die beiden Gesetzestafeln des Mose eingegraben worden und in den Büchern Mose ausführlicher erklärt (Ex 20,1 ff.; Dtn 5,6 ff.). Dieses teilen wir um der Klarheit willen ein in das Sittengesetz, das enthalten ist in den Zehn Geboten oder in den beiden Tafeln und in den Büchern Mose erklärt wird, das Zeremonialgesetz, das die Zeremonien und den Gottesdienst festsetzt, und das Rechtsgesetz, das sich mit den staatlichen und wirtschaftlichen Ordnungen befasst. Wir glauben, dass uns durch dieses Gesetz Gottes der ganze Wille Gottes und alle notwendigen Gebote für jeden Bereich des Lebens vollkommen gegeben seien. Sonst hätte der Herr wohl nicht verboten: „Ihr sollt nichts hinzutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts

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davontun“ (Dtn 4,2; 12,32). Er hätte dann nicht geboten, nach diesem Gesetz recht zu wandeln und nicht abzuweichen, weder zur Rechten noch zur Linken (Jes 30,21). Wir lehren, dieses Gesetz sei den Menschen nicht gegeben, dass sie durch dessen Beobachtung gerecht gemacht würden, sondern dass wir durch seine Anklage vielmehr unsere Schwachheit, Sünde und Verdammnis erkennen und verzweifelnd an der eigenen Kraft uns im Glauben zu Christus wenden sollen. Deutlich sagt der Apostel: „Das Gesetz bewirkt Zorn“, und: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Röm 3,20; 4,15). Wenn uns ja das Gesetz gegeben wäre, damit es uns gerecht oder lebendig mache, käme die Gerechtigkeit wirklich aus dem Gesetz. Nun aber hat die Schrift – des Gesetzes nämlich – alles unter die Sünde beschlossen, damit die Verheißung den Gläubigen aus dem Glauben an Christus gegeben werde. Daher ist das Gesetz unser Erzieher auf Christus hin geworden, damit wir aus dem Glauben gerechtfertigt würden (Gal 3,21 ff.). Denn weder konnte noch kann irgendein Mensch dem Gesetz Gottes Genüge tun und es erfüllen, weil unserem Fleisch bis zum letzten Atemzug Schwachheit anhaftet und verbleibt. Wiederum sagt der Apostel: „Denn, um das zu erreichen, was dem Gesetz unmöglich war, weil seine Kraft gelähmt war durch das Fleisch, sandte Gott seinen Sohn in einer Gestalt, die dem sündlichen Fleisch ähnlich war“ (Röm 8,3). Deshalb ist Christus die Erfüllung des Gesetzes und unsere Vollkommenheit (Röm 10,4); so wie er den Fluch des Gesetzes aufhob, indem er an unserer statt zur Schmähung oder zum Fluch wurde (Gal 3,13), lässt er uns durch den Glauben teilhaben an seiner Erfüllung des Gesetzes, und es wird uns seine Gerechtigkeit und sein Gehorsam angerechnet. Insofern ist also das Gesetz Gottes abgetan, als es uns nicht mehr verdammt und nicht mehr den Zorn Gottes auf uns bringt; denn wir stehen unter der Gnade und nicht unter dem Gesetz. Außerdem hat Christus alle sinnbildlichen Ordnungen des Gesetzes erfüllt. Da nun die Sache selbst vorhanden ist und die Schatten gewichen sind, so haben wir in Christus die Wahrheit und alle Fülle des Lebens. Immerhin verwerfen wir deshalb nicht geringschätzig das Gesetz, indem wir der Worte des Herrn gedenken, da er spricht: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Mt 5,17). Wir wissen, dass uns durch das Gesetz die Gestalt von Tugend und Laster dargestellt wird. Wir wissen ferner, dass das geschriebene Gesetz, sofern es durch das Evangelium ausgelegt wird, der Kirche nützlich ist und man deshalb das Lesen des Gesetzes nicht aus der Kirche ausschließen darf. Denn war auch das Angesicht des Mose mit einer Decke verhüllt, so betont doch der Apostel, dass die Decke durch Christus weggenommen und beseitigt werde. Wir verwerfen demnach alles, was alte und neue Irrlehrer gegen das Gesetz gelehrt haben.

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13. Kapitel: Das Evangelium Jesu Christi, die Verheißungen, Geist und Buchstabe Dem Gesetz steht das Evangelium gegenüber. Denn während das Gesetz Zorn wirkt und den Fluch ankündigt, predigt das Evangelium Gnade und Segen. So sagt auch Johannes: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben worden, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus gekommen“ (Joh 1,17). Indessen ist es nichtsdestoweniger sicher, dass auch diejenigen, die vor der Gesetzgebung und die unter dem Gesetz gelebt haben, nicht ganz ohne Evangelium waren. Sie besaßen nämlich schon herrliche evangelische Verheißungen, wie zum Beispiel: „Der Same des Weibes wird der Schlange den Kopf zertreten“ (Gen 3,15). „Mit dem Namen deines Stammes werden sich Segen wünschen alle Völker der Erde“ (Gen 22,18). „Nie weicht das Szepter von Juda […], bis dass der Herrscher kommt“ (Gen 49,10). „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erstehen lassen aus der Mitte deiner Brüder – auf den sollt ihr hören!“ (Dtn 18,15; Apg 3,23). Und zwar erkennen wir, dass den Vätern zwei Arten von Verheißungen zuteilwurden, wie sie auch uns geoffenbart sind. Die einen betrafen die gegenwärtigen oder irdischen Dinge, zum Beispiel das Land Kanaan und die Siege, oder heute etwa das tägliche Brot. Die anderen bezogen sich einst und beziehen sich noch jetzt auf die himmlischen und ewigen Dinge, nämlich die göttliche Gnade, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben durch den Glauben an Jesus Christus. Die Alten hatten also nicht bloß äußerliche und irdische, sondern auch geistliche und himmlische Verheißungen in Christus. Denn Petrus sagt: „In Hinsicht auf diese Seligkeit suchten und forschten die Propheten, die von der für euch bestimmten Gnade weissagten“ (1. Petr 1,10). Daher hat auch der Apostel Paulus gesagt: „Das Evangelium hat Gott vorher verheißen durch seine Propheten in den heiligen Schriften“ (Röm 1,2). Daraus geht deutlich genug hervor, dass die Alten keineswegs ohne jegliches Evangelium gewesen sind. Wenn nun auch unsere Väter auf diese Weise in den Schriften der Propheten Evangelium besaßen, durch das sie im Glauben das Heil in Christus erlangt haben, so nennt man doch im eigentlichen Sinn „Evangelium“ jene frohe und selige Botschaft, durch die uns, der Welt, zuerst durch Johannes den Täufer, dann durch den Herrn Christus selbst, später durch die Apostel und ihre Nachfolger gepredigt worden ist, dass Gott das nun ausgeführt habe, was er seit Beginn der Welt verheißen hat, indem er uns seinen einzigen Sohn geschickt, ja sogar geschenkt habe, und in ihm auch die Versöhnung mit dem Vater, die Vergebung der Sünden, alle Fülle und das ewige Leben. Deshalb wird mit Recht Evangelium genannt: die von den vier Evangelisten niedergeschriebene Geschichte, die ausführt, wie dies alles durch Christus geschehen und erfüllt worden sei, ferner, was

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Christus gelehrt und getan habe, und dass die, die an ihn glauben, alle Fülle des Lebens haben. Ebenso werden die Predigt und das Schrifttum der Apostel, worin sie uns erklären, wie uns der Sohn vom Vater gegeben worden sei und in ihm alles Heil und Leben, mit Recht evangelische Lehre genannt, sodass sie auch heute diesen herrlichen Namen nicht verliert, sofern sie rein verkündigt wird. Jene Predigt des Evangeliums selbst wird vom Apostel Paulus Geist und Dienst des Geistes genannt, darum, weil sie in den Ohren, mehr noch, in den Herzen der Gläubigen kraft des Glaubens, der sie durch den Heiligen Geist erleuchtet, wirksam und lebendig wird. Denn Buchstabe heißt im Gegensatz zum Geist jede äußere Sache, und zwar besonders die Lehre des Gesetzes, die ohne den Geist und den Glauben in den Herzen derer, die nicht im lebendigen Glauben stehen, Zorn wirkt und zur Sünde reizt. Darum wird sie auch vom Apostel Paulus „der Dienst des Todes“ genannt. Hierher nämlich gehört jenes Apostelwort: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Kor 3,6). Falsche Apostel nun predigten das Evangelium, indem sie es mit dem Gesetz vermengten und so verfälschten, als ob Christus nicht ohne das Gesetz selig machen könnte. Solche sollen die Ebioniten gewesen sein, die Anhänger des Irrlehrers Ebion waren, und die Nazaräer, im Altertum auch Minäer genannt. Deren aller Ansichten verwerfen wir und lehren, indem wir das Evangelium rein predigen, das heißt lehren und glauben, dass wir durch den Geist allein und nicht durch das Gesetz gerechtfertigt werden. Darüber wird unter dem Titel „Die Rechtfertigung“ noch eine ausführlichere Erklärung folgen. Obwohl nun die Lehre des Evangeliums, wie sie von Christus zuerst verkündigt wurde, im Vergleich mit der Gesetzeslehre der Pharisäer eine neue Lehre zu sein schien, und obwohl auch Jeremia von einem neuen Bund geweissagt hat, war sie nicht nur damals schon alt und ist bis heute eine alte Lehre, sondern sie ist überhaupt die älteste Lehre in der Welt – neu wird sie nämlich heute von den Papisten nur genannt, weil sie sie vergleichen mit der Lehre, die sie sich selber zurechtgemacht haben. Gott hat indessen von Ewigkeit her beschlossen, dass die Welt durch Christus selig werden solle, und diesen seinen Vorsatz und ewigen Ratschluss hat er der Welt durch das Evangelium offenbart (2. Tim 1,9 f.). Daraus geht klar hervor, dass die evangelische Religion und Lehre unter allen Lehren, die je gewesen sind, je sind und sein werden, die allerälteste ist. Daher sagen wir, dass alle diejenigen einem üblen Irrtum huldigen und unwürdig von Gottes ewigem Ratschluss reden, welche die evangelische Lehre eine neumodische Religion nennen und einen Glauben, der kaum dreißig Jahre alt sei. Auf solche trifft das Wort des Propheten Jesaja zu: „Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die Finsternis zu Licht und Licht zu Finsternis machen, die bitter zu süß und süß zu bitter machen!“ (Jes 5,20).

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14. Die Buße und Bekehrung des Menschen Das Evangelium steht in engem Zusammenhang mit der Lehre von der Buße. Der Herr sagt nämlich im Evangelium, „dass auf seinen Namen hin Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden solle unter allen Völkern“ (Lk 24,47). Unter Buße nun verstehen wir die Sinneserneuerung des sündigen Menschen, die durch das Wort des Evangeliums und den Heiligen Geist geweckt und im wahren Glauben angenommen wird, sodass der sündige Mensch seine angeborene Verderbnis und alle seine Sünden, deren ihn das Wort Gottes anklagt, fernerhin erkennt, darüber von Herzen Leid trägt, sie vor Gott nicht bloß beweint und voller Beschämung gründlich eingesteht, sondern sie auch mit Abscheu verdammt und, emsig auf Besserung bedacht, fortwährend nach Unschuld und Tugend trachtet, worin er sich alle übrigen Tage seines Lebens gewissenhaft übt. Und zwar ist dies die wahre Buße: völlig aufrichtige Hinwendung zu Gott und allem Guten und beharrliche Abwendung vom Teufel und allem Bösen. Wir erklären aber bestimmt, dass solche Buße reines Gottesgeschenk sei und nicht ein Werk unserer eigenen Kraft. Denn der Apostel befiehlt: „Ein Knecht des Herrn soll […] mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisen, ob ihnen etwa Gott Sinnesänderung verleihe zur Erkenntnis der Wahrheit“ (2. Tim 2,25). Schon jene Sünderin im Evangelium, die mit ihren Tränen die Füße des Herrn benetzte (Lk 7,38), und Petrus, der bitterlich weinte und über seine Verleugnung des Herrn klagte (Lk 22,62), zeigen deutlich, wie das Herz des Bußfertigen beschaffen sein muss, nämlich, dass es die begangenen Sünden ernstlich beweint. Aber auch der reuige verlorene Sohn und der Zöllner im Gleichnis, mit dem Pharisäer verglichen, geben uns treffliche Vorbilder, wie wir unsere Sünden vor Gott bekennen sollen. Jener sagte: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen; stelle mich wie einen deiner Tagelöhner“ (Lk 15,18 ff.). Der andere aber wagte nicht einmal, seine Augen gen Himmel zu erheben, schlug an seine Brust und sprach: „O Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lk 18,13). Wir zweifeln nicht daran, dass Gott beide zu Gnaden angenommen hat. Auch der Apostel Johannes sagt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, sodass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt. Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1. Joh 1,9 f.). Wir glauben aber, dass dieses offene Bekenntnis genüge, das vor Gott allein abgelegt wird, sei es im Stillen zwischen Gott und dem Sünder, sei es öffentlich in der Kirche, wo das allgemeine Sündenbekenntnis gesprochen wird, und dass es zur Erlangung der Sündenvergebung nicht nötig sei, dass jemand seine Sünden dem Priester beichte, indem er sie ihm ins Ohr flüstert und umgekehrt von ihm unter priesterlicher Handauflegung

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die Lossprechung hört. Denn dafür gibt es in der Heiligen Schrift weder eine Anweisung noch ein Beispiel. Das bezeugt David mit den Worten: „Da bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verbarg ich nicht. Ich sprach: Bekennen will ich dem Herrn meine Übertretung. Du aber vergabst mir die Schuld meiner Sünde“ (Ps 32,5). Aber auch der Herr lehrt uns beten und zugleich unsere Sünden bekennen: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln […], vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern“ (Mt 6,12). Nötig ist also, dass wir Gott, unserem Vater, unsere Sünden bekennen und uns mit unserem Nächsten, wenn wir ihn beleidigt haben, wieder versöhnen. Über diese Art des Bekennens sagt der Apostel Jakobus: „So bekennt nun einander die Sünden“ (Jak 5,16). Wenn aber jemand von der Last seiner Sünden und von verwirrenden Anfechtungen bedrückt unter vier Augen bei einem Diener der Kirche oder bei einem anderen Bruder, der im Wort Gottes wohlgegründet ist, Rat, Weisung und Trost holen will, so haben wir nichts dagegen einzuwenden. Ebenso billigen wir besonders das – bereits erwähnte – allgemeine und öffentliche schriftgemäße Sündenbekenntnis, wie es in der Kirche und in gottesdienstlichen Versammlungen gesprochen zu werden gepflegt wird. Von den Schlüsseln des Reiches Gottes, die den Aposteln vom Herrn übergeben wurden, schwatzen viele wunderliche Dinge, und sie schmieden daraus Schwerter, Spieße, Zepter und Kronen und dazu die Allgewalt über die größten Königreiche sowie über Leib und Seele. Wir urteilen da einfach nach dem Wort des Herrn und sagen, dass alle rechtmäßig berufenen Diener der Kirche die Schlüssel des Himmelreiches besitzen und die Schlüsselgewalt ausüben, wenn sie das Evangelium verkündigen, das heißt, das ihrer Treue anvertraute Volk lehren, ermahnen, trösten und strafen und die Leute in Zucht halten. So nämlich öffnen sie den Gehorsamen das Himmelreich und verschließen es den Ungehorsamen. Diese Schlüssel hat der Herr den Aposteln verheißen und übergeben (Mt 16,19; Joh 20,23; Mk 16,15; Lk 24,47 ff.), da er die Jünger aussendet und ihnen befiehlt, das Evangelium der ganzen Welt zu verkündigen zur Vergebung der Sünden. Und der Apostel sagt im 2. Korintherbrief, dass der Herr seinen Dienern das Amt der Versöhnung gegeben habe (2. Kor 5,18 ff.), und gleichzeitig erklärt er, worin es bestehe, nämlich in der Predigt und Lehre von der Versöhnung. Um sein Wort noch näher zu erklären, fügt er hinzu, dass die Diener Christi gesandt seien, um im Namen Christi zu amten, indem Gott durch die Diener das Volk ermahne, sich mit Gott zu versöhnen – freilich durch gläubigen Gehorsam. Sie üben also die Schlüsselgewalt aus, wenn sie ermahnen zu Glauben und Buße. So versöhnen sie die Menschen mit Gott. So vergeben sie die Sünden. So öffnen sie das Himmelreich und führen die Gläubigen hinein. Dabei sind sie weit entfernt von den Leuten, von denen der Herr im Evangelium gesagt hat:

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„Wehe euch Gesetzeskundigen, dass ihr den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen habt; ihr selbst seid nicht hineingekommen, und die, welche hineinwollten, habt ihr daran gehindert“ (Lk 11,52). Die Diener der Kirche sprechen dann rechtmäßig und wirksam von Sünden frei, wenn sie das Evangelium Christi und in ihm die Sünden­ vergebung predigen, die jedem einzelnen Gläubigen verheißen wird, wie auch jeder einzelne getauft ist, und wenn sie bezeugen, dass sie sich auf jeden einzelnen erstrecke. Wir glauben nicht, dass die Lossprechung wirksamer sei, wenn sie jemandem ins Ohr geflüstert oder über jemandes Haupt einzeln gemurmelt wird. Doch halten wir dafür, dass die Vergebung der Sünden durch das Blut Jesu den Menschen eifrig verkündigt werden muss und die einzelnen ermahnt werden sollen, dass die Sündenvergebung sie selbst angehe. Übrigens lehren uns Beispiele aus dem Evangelium, wie die Bußfertigen wachsam und eifrig sein müssen im Trachten nach einem neuen Leben, in der Abtötung des alten und in der Erweckung des neuen Menschen. Der Herr sprach zu dem Lahmen, den er geheilt hatte: „Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, damit dir nichts Schlimmeres widerfährt“ (Joh 5,14). Und zur Ehebrecherin, die er freisprach, sagte er: „Geh, sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11). Mit diesen Worten hat er allerdings nicht gesagt, es könne dazu kommen, dass der Mensch überhaupt nicht mehr sündige, solange er in diesem Fleisch lebe, sondern er empfiehlt Wachsamkeit und gewissenhaften Eifer, damit wir uns auf jede Art Mühe geben und es von Gott erbitten, dass wir nicht in die Sünden zurückgleiten möchten, aus denen wir gleichsam auferstanden sind, und damit wir nicht von Fleisch, Welt und Teufel überwunden werden. Da der Zöllner Zachäus vom Herrn zu Gnaden angenommen ist, ruft er, wie es im Evangelium heißt, aus: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Besitzes gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand etwas erpresst habe, gebe ich es vierfach zurück“ (Lk 19,8). Mit dem gleichen Ziel predigen wir deshalb auch, dass die wirklich Bußfertigen zur Wiedergutmachung und zur Barmherzigkeit wie auch zum Almosengeben bereit sein müssen, und überhaupt ermahnen wir alle mit den Worten des Apostels Paulus: „Daher soll die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leib, sodass ihr seinen Begierden gehorcht. Gebet auch eure Glieder nicht der Sünde zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit hin, sondern gebt euch selbst Gott hin als solche, die aus Toten lebendig geworden sind, und eure Glieder zu Werkzeugen der Gerechtigkeit“ (Röm 6,12 f.). Demgemäß verwerfen wir die verderblichen Ansichten all der Leute, die unter Missbrauch der evangelischen Predigt behaupten: Die Rückkehr zu Gott ist leicht; denn Christus hat ja alle Sünden getilgt. Leicht ist auch die Vergebung der Sünden zu erlangen, was schadet also das Sündigen? Auch

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braucht man sich nicht mehr um die Buße zu kümmern usw. Indessen lehren wir immer, dass allen Sündern der Zugang zu Gott offenstehe, und dass er allen Gläubigen alle ihre Sünden vergebe, ausgenommen eine einzige Sünde, die Sünde wider den Heiligen Geist (Mk 3,29). Desgleichen verwerfen wir die Ansichten der alten und neuen Novatianer sowie der Katharer. Wir verwerfen vor allem die gewinnsüchtige Lehre des Papstes von der Buße, und auf seine Simonie und seinen simonistischen Ablasshandel wenden wir jenes Urteil des Petrus an: „Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du gemeint hast, die Gabe Gottes durch Geld erkaufen zu können. Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott“ (Apg 8,20 f.). Wir missbilligen auch die Meinung jener, die glauben, durch eigene Sühnwerke für ihre begangenen Sünden Genugtuung leisten zu können. Denn wir lehren, dass Christus allein durch sein Leiden und Sterben die Genugtuung, Begnadigung und Bezahlung für alle Sünden sei (Jes  53; 1. Kor 1,30). Trotzdem hören wir nicht auf, wie wir vorher gesagt haben, auf die Abtötung des Fleisches zu dringen, doch fügen wir immerhin bei, man dürfe diese ja nicht Gott selbstbewusst als Sühne für die Sünde aufdrängen, sondern sie in aller Demut üben, wie es Kindern Gottes geziemt, als einen neuen Gehorsam aus Dankbarkeit für die Erlösung und vollkommene Genugtuung, die wir durch den Tod und die Sühnetat des Sohnes Gottes erlangt haben. 15. Die wahre Rechtfertigung der Gläubigen „Rechtfertigen“ bedeutet für den Apostel in seiner Lehre von der Rechtfertigung: die Sünden vergeben, von Schuld und Strafe freisprechen, in Gnaden annehmen und für gerecht erklären. Denn an die Römer schreibt er: „Gott ist es, der sie gerecht spricht. Wer ist es, der verdammen will?“ (Röm 8,33). Gerecht sprechen und verdammen sind einander entgegengesetzt. In der Apostelgeschichte sagt der Apostel: „Durch Christus wird euch Vergebung der Sünden verkündigt, und von allem, wovon ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht gesprochen werden konntet, wird durch diesen jeder, der glaubt, gerecht gesprochen“ (Apg 13,38). Denn auch im Gesetz und in den Propheten lesen wir: „Wenn Männer miteinander einen Streit haben und sie treten vor Gericht, dann spricht man ihnen Recht und gibt demjenigen Recht, der im Recht ist, und demjenigen Unrecht, der im Unrecht ist“ (Dtn 25,1). Und Jesaja 5,23 steht: „Wehe denen […], die dem Schuldigen Recht geben um Bestechung!“ Nun ist ganz gewiss, dass wir alle von Natur Sünder und Gottlose sind und vor dem Richterstuhl Gottes der Ungerechtigkeit überwiesen und des Todes schuldig befunden werden, aber auch, dass wir von Gott, unserem Richter, durch Christi Gnade allein für gerecht erklärt, das heißt von

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Sünden und Tod freigesprochen werden, ohne irgendein eigenes Verdienst oder Ansehen der Person. Wie könnte man es noch deutlicher sagen als der Apostel Paulus: „Alle haben ja gesündigt und ermangeln der Ehre vor Gott und werden gerecht gesprochen ohne Verdienst durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Röm 3,23 f.). Denn Christus hat die Sünden der Welt auf sich genommen und getilgt und so der göttlichen Gerechtigkeit Genüge getan. Gott sieht also einzig um Christi willen, der gelitten hat und auferstanden ist, gnädig auf unsere Sünden und rechnet sie uns nicht an; dagegen rechnet er uns Christi Gerechtigkeit an, als ob es unsere eigene wäre, sodass wir nicht nur von Sünden gesäubert und gereinigt oder heilig sind, sondern auch solche, die dazu noch die Gerechtigkeit Christi bekommen haben. So sind wir denn freigesprochen von Sünden, Tod und Verdammnis und sind Gerechte und Erben des ewigen Lebens. Also spricht uns eigentlich Gott allein gerecht, und zwar spricht er uns nämlich gerecht um Christi willen, indem er uns nicht die Sünden anrechnet, sondern seine Gerechtigkeit (2. Kor 5,19 ff.; Röm 4,25). Weil wir nun diese Rechtfertigung nicht auf Grund irgendwelcher Werke, sondern allein durch den Glauben an Gottes Barmherzigkeit und an Christus empfangen, so lehren und glauben wir mit dem Apostel, der sündige Mensch werde allein durch den Glauben an Christus, nicht durch das Gesetz oder durch irgendwelche Werke gerechtfertigt. Denn der Apostel sagt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerecht gesprochen werde, ohne Werke des Gesetzes“ (Röm 3,28). Ferner: „Wenn nämlich Abraham aus Werken gerecht gesprochen wurde, so hat er Ruhm. Aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“ „Dem dagegen, der keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen gerecht spricht, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet“ (Röm 4,2 ff.; Gen 15,6). Und weiter: „Denn vermöge der Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es –, nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme“ (Eph 2,8 f.). Darum, weil der Glaube Christus als unsere Gerechtigkeit annimmt und der Gnade Gottes in Christus alles zuschreibt, deshalb wird dem Glauben die Rechtfertigung zuteil, nur um Christi willen und nicht deshalb, weil der Glaube unser Werk wäre. Denn er ist Gottes Gabe. Übrigens zeigt der Herr durch mancherlei, dass wir Christus im Glauben annehmen sollen, zum Beispiel Johannes 6, wo er für „glauben“ „essen“ und für „essen“ „glauben“ braucht. Denn wie wir mit dem Essen die Speise zu uns nehmen, so haben wir durch den Glauben teil an Christus. Daher zerteilen wir nicht die Wohltat der Rechtfertigung, als ob sie teils der Gnade Gottes, teils uns selbst, unserer Liebe, unseren Werken oder unserem Verdienst

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anzurechnen wäre, sondern wir schreiben sie durch den Glauben ganz der Gnade Gottes in Christus zu. Unsere Liebe und unsere Werke könnten ja auch Gott nicht gefallen, da sie doch von Ungerechten stammen; daher müssen wir zuerst gerecht sein, und dann können wir lieben und gerechte Werke tun. Wir werden aber gerecht durch den Glauben an Christus, wie wir gesagt haben, rein durch Gottes Gnade, die uns die Sünden nicht zurechnet, sondern im Gegenteil die Gerechtigkeit Christi und also den Glauben an Christus uns zur Gerechtigkeit rechnet. Außerdem leitet der Apostel die Liebe ganz deutlich aus dem Glauben ab, wenn er sagt: „Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1. Tim 1,5). Deshalb reden wir auch hier nicht vom erheuchelten, leeren, müßigen und toten Glauben, sondern vom lebendigen und Leben schaffenden Glauben. Dieser Glaube ist und heißt lebendig, weil er Christus erfasst, der das Leben ist und das Leben schafft, und sich in lebendigen Werken als lebendig erweist. In keiner Weise widerstreitet daher Jakobus unserer Lehre, da er von einem leeren und toten Glauben redet, mit dem sich gewisse Leute brüsteten, während sie doch nicht im Glauben den lebendigen Christus im Herzen trugen. Und wenn er gesagt hat, die Werke machten gerecht, so will er damit nicht dem Apostel Paulus widersprechen – sonst wäre er ja verwerflich! –, sondern zeigen, dass Abraham seinen lebendigen, rechtfertigenden Glauben durch Werke bewährt habe, wie es alle Frommen tun, die allein auf Christus und nicht auf ihre eigenen Werke vertrauen (Jak 2,14 ff.). Weiter sagt der Apostel Paulus: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat. Ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, dann ist ja Christus umsonst gestorben“ (Gal 2,20 f.). 16. Der Glaube, die guten Werke und ihr Lohn; das „Verdienst“ des Menschen Der christliche Glaube ist nicht bloß eine Meinung oder menschliche Überzeugung, sondern ein felsenfestes Vertrauen, eine offenbare und beständige Zustimmung des Herzens und ein ganz gewisses Erfassen der Wahrheit Gottes, die in der Heiligen Schrift und im Apostolischen Glaubensbekenntnis dargelegt ist, ja Gottes selbst als des höchsten Gutes und besonders der göttlichen Verheißung, und Christi, welcher der Inbegriff aller Verheißungen ist. Dieser Glaube aber ist ganz und gar Gottes Gabe, die Gott allein um seiner Gnade willen und nach seinem Ermessen seinen Erwählten schenkt, wann, wem und in welchem Maße er will, und zwar durch den Heiligen Geist mittelst der Predigt des Evangeliums und des

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gläubigen Gebetes. Dieser Glaube hat auch sein Wachstum, und wenn dieses nicht ebenfalls von Gott gegeben wäre, hätten die Apostel nicht gesagt: „Herr, mehre uns den Glauben!“ (Lk 17,5). All das, was wir bis jetzt vom Glauben gesagt haben, haben die Apostel schon vor uns so gelehrt. Paulus sagt nämlich: „Es ist aber der Glaube eine Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Ferner sagt er: „So viele Verheißungen Gottes es gibt, in Christus ist das Ja, daher durch ihn auch das Amen“ (2. Kor 1,20), und an die Philipper schreibt er: „Euch wurde verliehen, […] an Christus zu glauben“ (Phil 1,29). Sodann: „Gott hat jedem das Maß seines Glaubens zugeteilt“ (Röm 12,3). Ferner sagt er: „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding“ (2. Thess 3,2), und: „Nicht alle sind dem Evangelium gehorsam geworden“ (Röm 10,16). Aber auch Lukas bezeugt: „So viele zum ewigen Leben bestimmt waren, wurden gläubig“ (Apg 13,48). Deshalb wiederum nennt Paulus den Glauben einen „Glauben der Auserwählten Gottes“ (Tit 1,1). Und weiter: „Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,17). An anderen Stellen seiner Briefe fordert er oft auf, um den Glauben zu bitten. Der gleiche Apostel nennt den Glauben „durch Liebe wirksam“ (Gal 5,6). Dieser Glaube bringt unserem Gewissen Frieden und eröffnet uns den freien Zugang zu Gott, sodass wir mit Vertrauen zu ihm selbst kommen und von ihm erlangen, was uns nützlich ist und wir nötig haben. Der Glaube hält uns auch in den Schranken der Pflicht, die wir Gott und dem Nächsten schulden, und stärkt unsere Geduld in der Trübsal, formt und schafft das wahre Bekenntnis und erzeugt, um mit einem Wort alles zu sagen, gute Früchte und gute Werke aller Art. Wir lehren daher, dass wirklich gute Werke nur aus dem lebendigen Glauben durch den Heiligen Geist entstehen und dass sie von den Gläubigen getan werden nach dem Willen und Gebot des Wortes Gottes. Denn der Apostel Petrus sagt: „So bringt nun aber auch allen Fleiß auf und erweist in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend die Erkenntnis, in der Erkenntnis die Enthaltsamkeit“ (2. Petr 1,5 ff.). Wir haben früher gesagt, das Gesetz Gottes, das Gottes Wille ist, gebe uns die Richtlinien für die guten Werke. Und der Apostel Paulus sagt: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr euch der Unzucht enthaltet […], und dass niemand seinen Bruder im Handel übervorteilt“ (1. Thess 4,3 ff.). Denn Gott billigt nicht Werke und Gottesdienste nach eigenem Gutdünken, solche nennt Paulus „selbsterwählten Gottesdienst“ (Kol 2,23). Von diesen spricht auch der Herr im Evangelium: „Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie Lehren vortragen, welche Gebote von Menschen sind“ (Mt 15,9). Wir verwerfen deshalb Werke dieser Art; solche dagegen billigen wir, die dem Willen und Gebot Gottes entsprechen, und dringen auch darauf. Diese

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sollen jedoch nicht getan werden mit der Absicht, damit das ewige Leben verdienen zu wollen. „Denn die Gnadengabe Gottes ist das ewige Leben“, wie der Apostel sagt (Röm 6,23); auch nicht, damit wir von den Leuten gesehen werden, was der Herr verwirft, noch aus Gewinnsucht, was er ebenfalls verwirft (Mt 6,23), sondern zur Ehre Gottes, zur Zierde unserer Berufung, und um Gott unsere Dankbarkeit zu beweisen und zum Nutzen unseres Nächsten. Ferner sagt unser Herr im Evangelium: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen“ (Mt 5,16). Aber auch der Apostel Paulus schreibt: „Ich ermahne euch […], der Berufung würdig zu wandeln“ (Eph 4,1), und: „Alles, was ihr tut mit Wort oder mit Werk, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, indem ihr Gott, dem Vater, durch ihn dankt“ (Kol 3,17), „Ein jeder sehe nicht bloß auf das Seine, sondern auch auf das, was der anderen ist“ (Phil 2,4), und: „Auch die Unsrigen sollen lernen, sich guter Werke zu befleißigen für die notwendigen Bedürfnisse, damit sie nicht ohne Frucht seien“ (Tit 3,14). Obwohl wir also mit dem Apostel Paulus lehren, dass der Mensch ganz umsonst durch den Glauben an Christus gerechtfertigt werde und nicht durch irgendwelche guten Werke, wollten wir deswegen doch gute Werke nicht geringschätzen oder verwerfen, da wir wissen, dass der Mensch weder dazu erschaffen noch durch den Glauben wiedergeboren sei, damit er müßiggehe, sondern vielmehr unaufhörlich tue, was gut und nützlich ist. Denn im Evangelium sagt der Herr: „So bringt jeder gute Baum gute Früchte“ (Mt 7,17; 12,33); ferner: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der trägt viel Frucht“ (Joh 15,5). Weiter sagt der Apostel: „Denn sein Gebilde sind wir, erschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, zu denen uns Gott zum Voraus bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollten“ (Eph 2,10), und abermals: „Er hat sich für uns dahingegeben, um uns von allem gesetzwidrigen Wesen zu erlösen und für sich selbst ein Volk zum Eigentum zu reinigen, das eifrig wäre in guten Werken“ (Tit 2,14). Wir verwerfen daher alle, die gute Werke verachten und faseln, darum brauche man sich nicht zu kümmern und sie seien unnütz. Indessen meinen wir ja nicht, wie schon früher gesagt wurde, durch gute Werke selig zu werden, oder jene seien zur Erlangung der Seligkeit unentbehrlich, als ob ohne sie nie jemand selig geworden sei. Denn durch die Gnade und durch die Wohltat von Christus allein werden wir selig. Die Werke aber müssen notwendig aus dem Glauben entstehen. So wird die Seligkeit nur im uneigentlichen Sinn mit ihnen in Verbindung gebracht; ganz eigentlich wird sie nur der Gnade zugeschrieben. Wohlbekannt ist ja jenes Apostelwort: „Wenn aber durch Gnade, dann nicht mehr aus Werken. Wenn aber aus Werken, dann ist es nicht mehr Gnade, weil sonst das Werk nicht mehr Werk ist“ (Röm 11,6).

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Werke, die von uns aus dem Glauben getan werden, gefallen Gott, und diese billigt er, weil jene Menschen, die gute Werke tun, wegen ihres Glaubens an Christus Gott gefallen, und da diese Werke überdies durch den Heiligen Geist aus Gottes Gnade getan sind. Der heilige Petrus nämlich sagt: „In jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt, ist ihm willkommen“ (Apg 10,35). Und Paulus sagt: „Deshalb hören wir […] nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, […] damit ihr des Herrn würdig wandelt zu allem Wohlgefallen, Frucht bringend in allem guten Werk“ (Kol 1,9 f.). Daher lehren wir eifrig wahre und nicht falsche oder philosophische Tugenden, sondern wirklich gute Werke und die eigentlichen Christenpflichten und schärfen sie allen mit großem Fleiß und Ernst ein; wir tadeln aber die Faulheit und Heuchelei all derer, die zwar mit dem Mund das Evangelium rühmen und bekennen, aber durch ein schändliches Leben verunehren, indem wir ihnen in diesem Stück die schrecklichen Drohungen Gottes vor Augen stellen, doch auch die reichen Verheißungen Gottes und seine freigebigen Belohnungen und sie so ermahnen, trösten und tadeln. Wir lehren nämlich auch, dass Gott denen, die Gutes tun, reichen Lohn gebe, nach dem Wort des Propheten: „Wehre deiner Stimme das Weinen, denn deine Mühe soll noch belohnt werden“ (Jer 31,16; Jes 4). Auch hat der Herr im Evangelium gesagt: „Freuet euch und frohlocket, weil euer Lohn groß ist in den Himmeln“ (Mt 5,12), und: „Wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, wahrlich, ich sage euch: Ihm soll sein Lohn nicht mangeln“ (Mt 10,42). Doch schreiben wir diesen Lohn, den der Herr gibt, nicht dem Verdienst des Empfangenden zu, sondern der Güte, Freigebigkeit und Wahrhaftigkeit Gottes, der ihn verheißt und gibt, da er ja niemandem etwas schuldig ist und dennoch verheißen hat, dass er seinen treuen Dienern Lohn geben werde; und er gibt ihnen diesen auch, damit sie ihn ehren. Allerdings findet sich auch in den Werken der Heiligen noch vieles, was Gottes nicht würdig ist, und recht viel Unvollkommenes. Da aber Gott diejenigen, die Gutes tun, gnädig annimmt und die um Christi willen Tätigen herzlich liebt, so bezahlt er auch die verheißene Belohnung. Sonst wird nämlich unsere Gerechtigkeit verglichen mit einem „befleckten Gewand“ (Jes 64,6). Aber auch der Herr sagt im Evangelium: „So sollt auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen war, sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ (Lk 17,10). Wenn wir also auch lehren, dass Gott für unsere guten Werke eine Belohnung gebe, so lehren wir doch zugleich mit Augustin: Gott kröne an uns nicht unser Verdienst, sondern seine eigenen Gaben. Und was wir daher an Lohn empfangen, betrachten wir ebenfalls als Gnade, und zwar mehr als Gnade denn als Lohn, weil wir ja, was wir Gutes tun, mehr durch Gottes Hilfe als aus uns selbst tun, und

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weil Paulus sagt: „Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber doch empfangen, was rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“ (1. Kor 4,7). Diesen Schluss zieht auch der selige Blutzeuge Cyprian: „In keiner Hinsicht haben wir uns zu rühmen, denn nichts ist unser.“ So wenden wir uns gegen diejenigen, die menschliche Verdienste derart verteidigen, dass sie Gottes Gnade entleeren. 17. Die katholische [= allgemeine] und heilige Kirche Gottes und das einzige Haupt der Kirche Weil Gott von Anfang an wollte, dass die Menschen selig würden und zur Erkenntnis der Wahrheit kämen, muss es immer eine Kirche gegeben haben und muss es jetzt und bis ans Ende der Welt eine Kirche geben, das heißt: eine aus der Welt berufene oder gesammelte Schar der Gläubigen, eine Gemeinschaft aller Heiligen, nämlich derer, die den wahren Gott durch das Wort und den Heiligen Geist in Christus, dem Heiland, wahrhaft erkennen und recht anbeten und im Glauben an allen durch Christus umsonst angebotenen Gütern teilhaben. Alle diese Menschen sind Bürger eines Staates, leben unter dem gleichen Herrn, unter den gleichen Gesetzen und haben an allen Gütern gleichen Anteil. Denn so hat sie der Apostel genannt „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19), indem er die Gläubigen auf Erden Heilige nennt, weil sie durch das Blut des Sohnes Gottes geheiligt sind (1. Kor 6,11). Auf diese bezieht sich der Artikel des Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube eine heilige, katholische [= allgemeine] Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen.“ Und da es immer nur einen einzigen Gott gibt, nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Messias Jesus, einen Hirten der ganzen Erde, ein Haupt dieses Leibes, schließlich einen Geist, ein Heil, einen Glauben und ein Testament oder einen Bund, so folgt daraus notwendig, dass es auch nur eine einzige Kirche gibt. Deshalb nennen wir sie die katholische christliche Kirche, weil sie allumfassend ist, sich über alle Teile der Welt und über alle Zeiten erstreckt und weder durch Ort noch Zeit eingeschränkt ist. Wir wenden uns deshalb gegen die Donatisten, welche die Kirche auf weiß was für Winkel Afrikas beschränken wollten. Wir billigen auch nicht die Lehre des römischen Klerus, die bloß die römische Kirche für katholisch [= allgemein] ausgibt. Zwar teilt man die Kirche ein in verschiedene Teile oder Arten – nicht, weil sie in sich selbst geteilt oder zerrissen wäre, sondern vielmehr, weil sie verschieden ist wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Glieder. Sie bilden einerseits die streitende, anderseits die triumphierende Kirche. Jene streitet bis heute auf der Erde und kämpft mit dem Fleisch, der Welt und dem Fürsten dieser Welt, dem Teufel, mit der Sünde und dem Tod. Diese aber triumphiert, dem Kampf enthoben, im Himmel und freut sich, befreit von

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all diesen Dingen, vor Gott. Nichtsdestoweniger haben beide miteinander Gemeinschaft oder Verbindung. Auch hatte die auf Erden streitende Kirche stets sehr viele besondere Kirchen, die aber alle zur Einheit der katholischen christlichen Kirche gehören. Diese war anders eingerichtet vor dem Gesetz unter den Patriarchen, anders unter Mose durch das Gesetz und wieder anders seit Christus durch das Evangelium. Gewöhnlich unterscheidet man zweierlei Völker, nämlich das Volk der Israeliten und das Volk der Heiden, oder derer, die aus den Juden und aus den Heiden in der Kirche vereinigt wurden, ebenso zwei Testamente, das alte und das neue. Doch bildeten und bilden jetzt noch alle diese Völker nur eine einzige Gemeinschaft, sie haben alle ein Heil in einem Messias, in dem sie als Glieder eines Leibes unter einem Haupt alle verbunden sind, und haben auch an derselben Speise und an demselben geistlichen Trank teil. Immerhin anerkennen wir hier, dass es in verschiedenen Zeiten verschiedene Bekenntnisse im Blick auf den verheißenen und den erschienenen Messias gegeben hat, dass aber uns nach Aufhebung des Zeremonialgesetzes das Licht heller leuchtet, und dass uns auch vermehrte Gaben und vollere Freiheit gegeben sind. Diese heilige Kirche Gottes wird das Haus des lebendigen Gottes genannt, erbaut aus lebendigen und geistlichen Steinen und gegründet auf den unbeweglichen Felsen, auf den Grund, außer dem kein anderer gelegt werden kann. Deshalb heißt sie auch „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3,15). Sie irrt nicht, solange sie sich auf den Felsen Christus und den Grund der Apostel und Propheten stützt. Es ist aber nicht zu verwundern, wenn sie irrt, sooft sie den verlässt, der allein die Wahrheit ist. Die Kirche wird auch genannt Jungfrau und Braut Christi, und zwar die einzige und geliebte. Der Apostel sagt nämlich: „Ich habe euch einem Manne verlobt, um euch als eine reine Jungfrau Christus zuzuführen“ (2. Kor 11,2). Die Kirche wird ferner genannt Herde der Schafe unter dem einen Hirten Christus, und zwar bei Ezechiel 34 und bei Johannes 10. Ebenso heißt sie Leib Christi, weil die Gläubigen lebendige Glieder Christi sind unter dem Haupt Christus. Das Haupt ist des Leibes wichtigster Teil; von ihm schöpft der Leib das Leben, durch seinen Geist wird er in allen Dingen regiert, von ihm hat er Gedeihen und Wachstum. Der Leib hat nur ein einziges Haupt, und es ist ihm angepasst. Deshalb kann die Kirche kein anderes Haupt haben als Christus. Denn wie die Kirche der geistliche Leib ist, so muss sie auch ein entsprechendes geistliches Haupt haben. Und sie kann durch keinen anderen Geist regiert werden als durch Christi Geist. Auch Paulus sagt: „Er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Kirche, er, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene von den Toten, damit in allem er den Vorrang hat“ (Kol 1,18). Und wiederum sagt er: „Christus ist das Haupt der Kirche, er

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als Erlöser seines Leibes“ (Eph 5,23). Ferner spricht er: „Er hat ihn zum Haupt über alles der Kirche gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles mit allem erfüllt“ (Eph 1,22 f.). Ebenso: „Wir sollen […] in allen Stücken hinwachsen zu ihm, der das Haupt ist, Christus. Und von ihm aus vollbringt der ganze Leib, zusammengefügt und zusammengehalten, das Wachstum“ (Eph 4,15 f.). Wir billigen deshalb nicht die Lehre des römischen Klerus, der seinen römischen Papst zum allgemeinen Hirten und Oberhaupt, ja sogar zum Statthalter Christi für die katholische streitende Kirche auf Erden macht, der die Fülle der Gewalt und die höchste Herrschaft in der Kirche habe, wie sie sagen. Wir lehren nämlich, dass Christus der Herr sei und der einzige Oberhirte der Welt bleibe; als Hohepriester verrichte er vor Gott, dem Vater, und in der Kirche selber jegliches Priester- oder Hirtenamt bis ans Ende der Welt. Daher bedarf er keines Statthalters, den nur ein Abwesender nötig hat. Christus aber ist in der Kirche gegenwärtig und ihr lebendig machendes Haupt. Er hat seinen Aposteln und ihren Nachfolgern aufs Strengste verboten, Vorrang und Herrschaft in der Kirche aufzurichten. Die sich deshalb dieser hellen Wahrheit hartnäckig widersetzen und in der Kirche eine andere Regierung einführen – wer sähe nicht, dass sie jenen beigezählt werden müssen, von denen die Apostel Christi weissagen, nämlich Petrus in 2. Petr 2,1 ff. und Paulus Apg 20,29 f., 2. Kor 11,3 ff., 2. Thess 2,3 ff. und auch an anderen Stellen? Mit der Ablehnung des römischen Oberhauptes bringen wir jedoch keine Unordnung oder Verwirrung in die Kirche, da wir ja lehren, dass uns die von den Aposteln überlieferte Leitung der Kirche genüge, die Kirche in rechter Ordnung zu halten. Am Anfang, als noch kein römisches Haupt da war, das – wie man heute sagt – die Ordnung in der Kirche aufrechterhielt, ist sie auch nicht ungeordnet und zuchtlos gewesen. Das römische Haupt will eben nur seine eigene Willkürherrschaft und die in der Kirche eingerissenen Missstände bewahren, hindert und bekämpft aber die rechte Reformation der Kirche und sucht sie mit allen Mitteln zu hintertreiben. Man wirft uns vor, es gebe in unseren Kirchen mancherlei Streit und Zwietracht, seit sie sich von der römischen Kirche getrennt hätten; deshalb seien sie nicht wahre Kirchen. Als ob es in der römischen Kirche keine Sekten und niemals Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten gegeben hätte, und zwar gerade in Glaubenssachen, die nicht etwa nur in Schulen, sondern auch auf den heiligen Kanzeln mitten im Volk ausgetragen wurden. Wir anerkennen wohl, dass der Apostel gesagt habe: „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1. Kor 14,33), und: „Wenn unter euch Eifersucht und Zank sind, seid ihr da nicht fleischlich?“ (1. Kor 3,3). Indessen kann aber nicht geleugnet werden, dass Gott in der apostolischen Kirche gewesen sei, und dass diese

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die wahre Kirche gewesen sei, obwohl in ihr auch Streit und Zwietracht vorkam. Denn der Apostel Paulus tadelt den Apostel Petrus (Gal 2,11 ff.); mit Paulus ist Barnabas uneins (Apg 15). Schwerer Streit entsteht in der Gemeinde Antiochia unter Leuten, die doch den einen Christus predigten, wie uns Lukas in der Apostelgeschichte, Kapitel 15, erzählt. In der Kirche hat es immer schwere Kämpfe gegeben, und hervorragende Lehrer der Kirche waren, nicht etwa in untergeordneten Dingen, uneins, und doch hörte deswegen die Kirche nicht auf, das zu sein, was sie war. So gefällt es eben Gott, auch die kirchlichen Streitigkeiten zum Ruhm seines Namens dienen zu lassen, damit schließlich die Wahrheit leuchtend hervortrete, und damit die Bewährten offenbar werden. Wie wir übrigens kein anderes Haupt der Kirche anerkennen als Christus, so anerkennen wir auch nicht jede beliebige Kirche, die sich für die wahre ausgibt, als wahre Kirche. Wir lehren aber, jene sei die wahre Kirche, bei der die Zeichen oder Merkmale der wahren Kirche zu finden sind: vor allem die rechtmäßige und reine Verkündigung des Wortes Gottes, wie sie uns in den Büchern der Propheten und Apostel überliefert ist, die alle zu Christus hinführen, der im Evangelium gesagt hat: „Meine Schafe hören auf meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach, und ich gebe ihnen ewiges Leben […]. Einem Fremden aber werden sie nicht nachfolgen, sondern vor ihm fliehen; denn sie kennen die Stimme des Fremden nicht“ (Joh 10,27 ff.; 4,5). Wenn solche Leute in der Kirche sind, so haben sie einen Glauben, einen Geist und beten allein den einen Gott an, verehren nur ihn im Geist und in der Wahrheit; ihn allein lieben sie von ganzem Herzen und mit allen ihren Kräften, rufen ihn allein durch Christus, den einzigen Mittler und Fürsprecher, an und suchen außerhalb von Christus und dem Glauben an ihn keine Gerechtigkeit und kein Leben. Weil sie Christus allein als Haupt und Fundament der Kirche anerkennen und auf diesem Grund stehend sich täglich durch die Buße erneuern, tragen sie das ihnen auferlegte Kreuz mit Geduld, sind aber auch mit allen Gliedern Christi durch ungeheuchelte Liebe verbunden und beweisen dadurch, dass sie Jünger Jesu sind, indem sie im Bande des Friedens und heiliger Einigkeit verharren. Zugleich nehmen sie auch teil an den von Christus eingesetzten und von den Aposteln überlieferten Sakramenten, und sie gebrauchen diese nicht anders, als wie sie es vom Herrn empfangen haben. Bekannt ist ja allen jenes Wort des Apostels: „Denn ich habe vom Herrn her empfangen, was ich euch überliefert habe“ (1. Kor 11,23). Darum verwerfen wir jene Kirchen als der wahren Kirche Christi fremd, die nicht solcher Art sind, wie sie nach dem Gehörten sein sollen, mögen sie sich noch so sehr mit der ununterbrochenen Aufeinanderfolge ihrer Bischöfe, ihrer Einheit und ihrem hohen Alter brüsten. Die Apostel lehren uns ja deutlich genug, wir sollten den Götzendienst

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und Babylon fliehen und keine Gemeinschaft damit haben, wenn wir nicht auch der Züchtigung Gottes teilhaft werden wollen (1. Kor 10,14; 1. Joh 5,21; Apk 18,4; 2. Kor 6,14 ff.). Die Gemeinschaft mit der wahren Kirche schätzen wir aber so hoch, dass wir behaupten, niemand könne vor Gott leben, der mit der wahren Kirche Gottes keine Gemeinschaft pflege, sondern sich von ihr absondere. Denn wie außerhalb der Arche Noahs keine Rettung war, als die Menschheit in der Sintflut umkam, so glauben wir, dass außerhalb von Christus, der sich den Erwählten in der Kirche zum Genusse darbietet, kein gewisses Heil vorhanden sei. Deshalb lehren wir, dass, wer leben will, sich von der wahren Kirche nicht absondern dürfe. Doch schränken wir die Kirche nicht so eng in die erwähnten Kenn­ zeichen ein, dass wir lehrten, alle jene seien außerhalb der Kirche, die weder geflissentlich noch aus Verachtung nicht an den Sakramenten teilnehmen, sondern aus zwingenden und unvermeidlichen Gründen, also unfreiwillig, ihnen fernbleiben und sie entbehren. Wir schließen auch die nicht aus, bei denen der Glaube bisweilen abnimmt, sofern er nicht gänzlich ausgelöscht wird oder später aufhört, auch solche nicht, bei denen sich Gebrechen, Mängel oder Irrtümer finden. Denn wir wissen, dass Gott außerhalb des Volkes Israel manche Freunde in der Welt gehabt hat. Wir wissen, wie es dem Volk Gottes in der babylonischen Gefangenschaft erging, da sie siebzig Jahre lang ihren Opferdienst entbehren mussten. Wir wissen, wie es dem heiligen Petrus bei seiner Verleugnung ging, und was täglich den auserwählten Gläubigen Gottes zu begegnen pflegt, wie sie irren und schwach sind. Wir wissen außerdem, wie zur Apostelzeit die Gemeinden der Galater und Korinther beschaffen gewesen sind, bei denen der Apostel Paulus über viel schwere Vergehen Klage führt und sie dennoch heilige Gemeinden Christi nennt. Ja, bisweilen geschieht es sogar, dass Gott in gerechtem Gericht die Wahrheit seines Wortes, den allgemeinen christlichen Glauben und die rechtmäßige Gottesverehrung derart verdunkeln und zerstören lässt, dass es beinahe scheint, als sei es aus mit der Kirche, und es sei nichts mehr von ihr übrig, so wie wir es zur Zeit des Elias und zu anderen Zeiten in der Tat sehen. Indessen hat Gott in dieser Welt und in diesen dunklen Zeiten doch noch seine wahren Anbeter, und zwar sind es nicht wenige, sondern siebentausend und mehr (1. Kön 19,18; Apk 7,3 ff.). Denn auch der Apostel ruft aus: „Doch der feste Grund, der von Gott gelegt ist, bleibt bestehen und trägt dieses Siegel: Der Herr hat erkannt, die sein sind“ usw. (2. Tim 2,19). Daher kann auch die Kirche unsichtbar genannt werden, nicht etwa, weil die Menschen unsichtbar wären, aus denen die Kirche gesammelt wird, sondern weil die Kirche für unsere Augen verborgen und Gott allein bekannt ist und das menschliche Urteil oft am Ziel vorbeischießt.

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Wiederum sind nicht alle, die der Kirche beigezählt werden, Heilige und lebendige, wahre Glieder der Kirche. Denn viele sind Heuchler, die zwar äußerlich Gottes Wort hören und vor den Augen der Leute die Sakramente empfangen; auch erwecken sie den Anschein, als ob sie Gott durch Christus allein anriefen und bekennten, Christus sei ihre einzige Gerechtigkeit, als ob sie Gott verehrten, ihre christlichen Liebespflichten erfüllten und im Unglück eine Zeit lang geduldig ausharrten; aber inwendig fehlt ihnen die wahre Erleuchtung des Geistes, der Glaube, die Aufrichtigkeit des Herzens und die Beharrlichkeit bis ans Ende. Schließlich werden aber solche Menschen in ihrem wahren Wesen doch entlarvt. Denn der Apostel Johannes sagt: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehörten, wären sie bei uns geblieben“ (1. Joh 2,19). So werden sie denn immerhin zur Kirche gezählt, so lange sie scheinbar fromm sind, mögen sie auch nicht wirklich zur Kirche gehören, gerade wie die Verräter im Staat, bevor sie entdeckt sind, selber auch unter die Bürger gerechnet werden, und wie sich der Lolch oder das Unkraut und die Spreu unter dem Weizen finden, oder wie man am gesunden Leib etwa Kröpfe und Geschwülste findet, obwohl sie in Wirklichkeit eher krankhafte Erscheinungen und Verunstaltungen sind als wahre Glieder des Leibes. Deshalb wird die Kirche Gottes ganz richtig mit einem Netz verglichen, das Fische aller Art fängt, und mit einem Acker, in dem sich Unkraut und Weizen zugleich findet (Mt 13,47 ff.; 13,24 ff.). Deshalb müssen wir uns sehr davor hüten zu versuchen, vor der Zeit zu richten, diejenigen auszuschließen und zu verwerfen oder auszustoßen, die der Herr nicht ausgeschlossen oder ausgestoßen haben will, oder die wir ohne Schädigung der Kirche nicht aussondern können. Anderseits muss man darüber wachen, dass nicht die Gottlosen, während die Frommen schlafen, Fortschritte machen und der Kirche so Schaden zufügen. Außerdem lehren wir mit allem Fleiß, man solle darauf achten, worin am ehesten die Wahrheit und Einheit der Kirche liege, damit wir nicht leichtfertig Spaltungen erzeugen und in der Kirche begünstigen. Jene liegt nicht in den äußeren Zeremonien und gottesdienstlichen Gebräuchen, sondern vielmehr in der Wahrheit und Einheit des katholischen christlichen Glaubens. Der katholische christliche Glaube ist uns aber nicht durch menschliche Satzungen überliefert, sondern durch die göttliche Schrift, deren Zusammenfassung das Apostolische Glaubensbekenntnis ist. Daher lesen wir, dass bei den Alten zwar mannigfaltige Verschiedenheit in den gottesdienstlichen Gebräuchen bestanden habe, dass sie aber eine freie Mannigfaltigkeit gewesen sei und niemand gedacht habe, dass dadurch die Einheit der Kirche je aufgelöst werde. Deshalb sagen wir, die wahre Einheit der Kirche bestehe in den Glaubenslehren, in der wahren und einmütigen Verkündigung des Evangeliums Christi sowie in den vom

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Herrn selbst ausdrücklich überlieferten gottesdienstlichen Gebräuchen. Deshalb dringen wir ganz besonders auf jenes Apostelwort: „Wir alle nun, die wir vollkommen sind, wollen diese Gesinnung hegen; und wenn ihr in etwas anderen Sinnes seid, wird euch Gott auch dies offenbaren. Doch wozu wir schon gelangt sind, eben darin lasst uns wandeln“ (Phil 3,15 f.). 18. Die Diener der Kirche, ihre Einsetzung und ihre Pflichten Um sich seine Kirche zu sammeln und zu gründen, sie zu leiten und zu erhalten, hat Gott immer Diener verwendet, bedient sich solcher auch heute noch und solange es eine Kirche auf Erden gibt. Deshalb ist Ursprung, Einsetzung und Amt der Diener von höchstem Alter und rührt von Gott selbst her, ist also nicht eine neue oder bloß menschliche Ordnung. Gott hätte sich ja wohl aus eigener Macht unmittelbar eine Gemeinde schaffen können, aber er wollte lieber durch den Dienst von Menschen mit den Menschen verkehren. Deshalb sind die Diener nicht bloß als Diener, sondern als Gottes Diener zu betrachten, weil Gott durch sie das Heil der Menschen schafft. Wir werden deshalb davor gewarnt, nicht das, was zu unserer Bekehrung und Belehrung gehört, einer dunklen Kraft des Heiligen Geistes zuzuerkennen, sodass man das kirchliche Amt seines Inhalts beraubt. Denn wir müssen uns stets der Worte des Apostels erinnern: „Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne einen, der predigt? […] Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,14.17). Und der Herr hat im Evangelium gesagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer einen aufnimmt, wenn ich ihn sende, nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Joh 13,20). Und der Mazedonier, der dem Paulus während seines Aufenthalts in Kleinasien in einem Gesicht erschien, ermahnte ihn und sagte: „Komm herüber und hilf uns“ (Apg 16,9). An einer anderen Stelle hat derselbe Apostel gesagt: „Gottes Mitarbeiter sind wir; Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr“ (1. Kor 3,9). Doch müssen wir uns auch wieder davor hüten, dass wir nicht dem Diener und dem Amt zu viel zuschreiben, auch hier eingedenk der Worte des Herrn, der im Evangelium sagt: „Niemand kann zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater“ (Joh 6,44), und des Apostelwortes: „Was ist nun Apollos? Was aber Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid, und zwar so, wie es der Herr einem jeden verliehen hat. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Gedeihen gegeben. Somit ist weder der etwas, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“ (1. Kor 3,5–7). Wir sollen also dem Wort Gottes glauben, dass Gott uns äußerlich durch seine Diener lehre, inwendig aber die Herzen seiner Erwählten durch den Heiligen Geist zum Glauben bewege, und dass man alle Ehre für diese

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ganze Wohltat Gott geben müsse. Davon ist bereits im ersten Kapitel dieser Darlegung die Rede gewesen. Und zwar hat sich Gott von Anfang der Welt an der allerhervorragendsten Menschen in der Welt bedient – waren die meisten auch einfältig, was die weltliche Weisheit oder Philosophie anbetrifft, so zeichneten sie sich doch in der wahren Gottesgelehrtheit aus –, nämlich der Patriarchen, mit denen er oft durch Engel geredet hat. Denn die Patriarchen sind die Propheten und Lehrer ihrer Zeit gewesen, die Gott dazu bestimmte, zu diesem Zweck etliche hundert Jahre zu leben, damit sie gleichsam Väter und Lichter der Welt seien. Auf sie folgte Mose mit den Propheten, die in der ganzen Welt berühmt waren. Nach ihnen sandte der himmlische Vater seinen eingeborenen Sohn als vollkommensten Lehrer der ganzen Welt, in dem jene göttliche Weisheit verborgen ist, die auch bis auf uns kam durch die heiligste, einfachste und allervollkommenste Lehre. Er aber hat sich Jünger erwählt, die er dann zu Aposteln machte. Diese aber sind ausgegangen in die ganze Welt und haben durch die Predigt des Evangeliums überall Gemeinden gesammelt, dann aber haben sie in allen Gemeinden Hirten und Lehrer eingesetzt nach dem Befehl Christi, durch deren Nachfolger er bis heute die Kirche lehrte und leitete. Wie also Gott dem alten Bundesvolk die Patriarchen samt Mose und den Propheten gegeben hat, so hat er dem Volk des neuen Bundes seinen eingeborenen Sohn gesandt samt den Aposteln und Lehrern der Kirche. Nun werden die Diener des neuen Bundesvolkes weiterhin mit verschiedenen Namen bezeichnet; sie heißen: Apostel, Propheten, Evan­ gelisten, Bischöfe, Älteste, Pastoren und Lehrer (1. Kor 12,28; Eph 4,11). Die Apostel hatten keinen festen Wohnsitz, sondern zogen durch die Welt und sammelten die verschiedenen Gemeinden. Wo aber schon Gemeinden gegründet waren, da gab es keine Apostel mehr, sondern an ihre Stelle traten in jeder Gemeinde Pastoren. Die Propheten wussten als Seher einst das Zukünftige, aber sie erklärten auch die Schrift. Solche finden sich auch heute noch. Evangelisten nannte man die Verfasser der evangelischen Geschichte, aber auch die Prediger des Evangeliums Christi. So wie etwa auch Paulus dem Timotheus befiehlt, das Werk eines Evangelisten zu verrichten. Die Bischöfe aber sind die Aufseher und Wächter der Kirche, die auch die zum Leben notwendigen Güter der Kirche verwalten. Die Presbyter sind Älteste, sozusagen Kirchenräte oder Kirchenpfleger, die mit heilsamem Rat die Gemeinde leiten. Die Pastoren bewachen den Schafstall des Herrn und versorgen ihn mit allem Nötigen. Die Lehrer unterrichten und lehren den wahren Glauben und die rechte Frömmigkeit. So kann man also heute als Diener der Kirche nennen: Bischöfe, Älteste, Pastoren und Lehrer.

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In der Folgezeit sind dann allerdings noch weit mehr Amtstitel in die Kirche Gottes eingeführt worden. Die einen wurden eingesetzt als Patriarchen, andere als Erzbischöfe und Weihbischöfe, ferner als Metropoliten, Erzpriester, Diakone und Subdiakone, Akolythen, Exorzisten, Kantoren, Janitoren und alle möglichen anderen wie Kardinäle, Pröbste, Prioren, hohe und niedere Ordensväter, hohe und niedere Orden. Doch haben wir uns nicht darum bekümmert, was diese alle früher waren oder heute noch seien. Uns genügt die apostolische Lehre von den Dienern. Da wir nun sicher wissen, dass die Mönche und ihre Orden oder Sekten weder von Christus noch von den Aposteln eingesetzt worden sind, so lehren wir, dass sie der Kirche nichts nützen, sondern ihr eher verderblich sind. Sind sie auch früher einst erträglich gewesen – da sie noch Einsiedler waren, sich mit ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt beschafften und niemandem zur Last fielen, sondern sich den Pfarrern ihrer Gemeinde überall unterzogen, wie die Leute aus dem Volk –, so sieht und merkt doch die ganze Welt, wie es heute um sie steht. Unter dem Vorwand irgendwelcher Gelübde leben sie doch diesen ihren Gelübden stracks zuwider, sodass sogar die besten unter ihnen den Leuten beigezählt zu werden verdienen, von denen der Apostel gesagt hat: „Wir hören, dass etliche unter euch unordentlich wandeln, indem sie nichts arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben“ (2. Thess 3,11). Darum haben wir für solche keinen Raum in unseren Kirchen und lehren auch, es dürfe solche in den Kirchen Christi nicht geben. Niemand soll sich auch die Ehre eines kirchlichen Amtes anmaßen, das heißt durch Geschenke oder irgendwelche Schliche oder in eigener Willkür an sich reißen. Die Diener der Kirche sollen vielmehr berufen und gewählt werden durch eine kirchliche und rechtmäßige Wahl; das heißt, ihre Wahl soll auf gottesfürchtige Weise erfolgen, und zwar nach rechter Ordnung, entweder von der Gemeinde oder von ihren dazu Abgeordneten, ohne Aufruhr, Zwiespalt und Streit. Man wähle aber auch nicht beliebige Leute, sondern zum Amt geeignete Männer mit guter und heiliger Bildung, mit frommer Beredsamkeit und einfältiger Klugheit, die auch bekannt sind als bescheidene und ehrbare Menschen, nach der apostolischen Regel, die vom Apostel aufgestellt wird in 1. Timotheus 3,2 ff. und Titus 1,7 ff. Und die Gewählten sollen von den Älteren eingesetzt werden unter öffentlicher Fürbitte und unter Handauflegung. Wir verurteilen hier alle, die auf eigene Faust Ämtern nachlaufen, während sie doch nicht gewählt, gesandt und eingesetzt sind (Jer 23). Wir verwerfen ungeeignete und mit den für einen Pfarrer notwendigen Gaben nicht ausgerüstete Diener. Wir bekennen allerdings, dass die unschädliche Einfalt mancher Hirten in der Alten Kirche einst der Kirche mehr genützt hat als die vielseitige, auserlesene und feine, aber ein wenig zu stolze Bildung mancher

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anderer. Daher, wenn die Leute nicht ganz unwissend sind, verwerfen wir auch heute nicht ihre fromme Einfalt. Die Apostel Christi nennen nun freilich alle, die an Christus glauben, Priester, nicht im Sinne eines Amtes, sondern weil wir, da wir Gläubigen alle zu Königen und Priestern gemacht sind, durch Christus Gott geistliche Opfer darbringen können (Ex 19,6; 1. Petr 2,9; Apk 1,6). Ganz verschiedene Dinge sind also dieses allgemeine Priestertum und das Dieneramt. Während jenes allen Christen gemeinsam ist, wie wir eben gesagt haben, ist das bei diesem nicht der Fall. Das Dieneramt der Kirche haben wir damals nicht aus der Kirche entfernt, als wir das päpstliche Priestertum in der Kirche Christi abgeschafft haben. Allerdings gibt es im Neuen Bund Christi kein derartiges Priestertum mehr wie im alten Bundesvolk, das die äußere Salbung, heilige Gewänder und eine Menge Zeremonien gehabt hat; diese sind auf Christus hinweisende Bilder gewesen, der bei seiner Ankunft dies alles erfüllt und aufgehoben hat. Er selber aber bleibt Priester in Ewigkeit (Hebr 7). Um ihm nichts wegzunehmen, geben wir keinem unter den Dienern der Kirche den Namen „Priester“. Denn der Herr selbst hat in der Kirche des neuen Bundes keine Priester eingesetzt, die vom Weihbischof die Vollmacht empfangen, täglich das Messopfer, nämlich Leib und Blut des Herrn selbst, für Lebendige und Tote darzubringen, sondern bloß solche Diener, die lehren und die Sakramente verwalten sollen. So erklärt Paulus einfach und kurz, was wir von den Dienern des neuen Bundes oder der christlichen Kirche denken und was wir ihnen zuschreiben sollen: „So soll man uns ansehen: als Diener Christi und Haushalter über Geheimnisse Gottes“ (1. Kor 4,1). Der Apostel will also, dass wir Diener wirklich für Diener halten. Diener aber hat sie der Apostel genannt, das heißt eigentlich „Ruderknechte“, die einzig auf den Willen des Schiffsherrn sehen, also Menschen, die nicht für sich oder nach eigenem Gutdünken leben, sondern für andere, nämlich für ihre Herren, von deren Befehlen sie völlig abhingen. Denn ein Diener der Kirche soll ganz und in allen seinen Pflichten nicht seinem eigenen Gutdünken folgen, sondern stets das ausführen, wozu ihn die Befehle seines Herrn anhalten. In diesem Spruch wird auch deutlich gesagt, wer der Herr sei, nämlich Christus, dem die Diener in allen Geschäften des Amtes wie Leibeigene verpflichtet sind. Außerdem fügt er zur näheren Erläuterung des Dienstes hinzu, dass die Diener der Kirche Haushalter oder Verwalter der Geheimnisse Gottes seien. Als Geheimnisse Gottes bezeichnet Paulus aber an vielen Stellen, besonders Epheser 3,3.9, das Evangelium Christi. Die Alte Kirche nannte auch die Sakramente Christi Geheimnisse. So sind die Diener der Kirche also dazu berufen, den Gläubigen das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu verwalten. Denn wir lesen auch anderswo im Evangelium von dem treuen und klugen Knecht, dass der Herr ihn über sein ganzes Haus gesetzt habe, den Hausgenossen zur

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rechten Zeit ihre Speise zu geben (Lk 12,42). Wiederum an einer anderen Stelle des Evangeliums „zieht ein Mann außer Landes“, verlässt sein Haus und gibt seinen Knechten Vollmacht darüber oder gar über sein Vermögen, und einem jeden weist er seine Arbeit zu. Hier ist nun die rechte Gelegenheit, noch etwas zu sagen über die Gewalt und das Amt der Diener in der Kirche. Über diese Gewalt haben gewisse Leute den Mund allzu voll genommen und haben ihrer Gewalt auch alles Höchste auf Erden untergeordnet, und das gegen den Befehl des Herrn, der den Seinen zu herrschen verboten, ihnen vielmehr Demut anbefohlen hat (Lk 22,24 ff.; Mt 18,3 f.; 20,25 ff.). Wahrhaft anderer Art ist die volle und uneingeschränkte Gewalt, welche auch von Rechts wegen so genannt wird. Nach solcher Gewalt sind dem Herrn Christus alle Dinge der Welt unterworfen, wie er selbst bezeugt und gesagt hat: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18). Ferner: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches“ (Apk 1,18). Ebenso: „Er hat den Schlüssel Davids, er, der öffnet, sodass niemand schließt, und schließt, dass niemand öffnet“ (Apk 3,7). Diese Gewalt behält sich der Herr vor und überträgt sie auf keinen anderen, um etwa selber als müßiger Zuschauer nur beim Wirken seiner Diener dabeizustehen. Denn Jesaja sagt: „Ich will ihm auch den Schlüssel des Hauses Davids auf die Schultern legen“ (Jes  22,22), und wiederum: „Die Herrschaft kommt auf seine Schulter“ (Jes 9,6). Denn er legt seine Herrschaft nicht anderen auf ihre Schultern, sondern behält und gebraucht seine Macht bis jetzt, indem er alles regiert. Etwas anderes ist es um die Amtsgewalt oder die dienstliche Bevollmächtigung; sie ist umgrenzt von dem, welcher der Inhaber der vollen Gewalt ist. Diese Amtsgewalt ist mehr ein Dienen als ein Herrschen. Denn ein Herr räumt seinem Hausverwalter die Macht über sein Haus ein; daher gibt er ihm auch die Schlüssel mit der Befugnis, ins Haus einzulassen oder auszuschließen, wen der Herr einlassen oder ausschließen will. Kraft dieser Vollmacht tut der Diener pflichtgemäß das, was ihm vom Herrn befohlen ist, und der Herr bestätigt, was er tut, und will, dass man die Handlung seines Dieners wie seine eigene betrachte und anerkenne. Darauf beziehen sich nämlich die Sprüche des Evangeliums: „Ich will dir die Schlüssel des Reichs der Himmel geben; und was du auf Erden binden wirst, das wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird in den Himmeln gelöst sein“ (Mt 16,19); ebenso: „Wenn ihr jemandem die Sünden vergebt, sind sie ihm vergeben; wenn ihr sie jemandem nicht vergebt, sind sie ihm nicht vergeben“ (Joh 20,23). Sollte aber der Diener nicht alle Dinge so ausführen, wie ihm vom Herrn befohlen ist, sondern die Grenzen der Treue überschreiten, so erklärt der Herr natürlich für ungültig, was

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er getan hat. So ist also die Kirchengewalt der Diener in der Kirche jenes Amt, durch das sie zwar die Kirche Gottes regieren, jedoch alles in der Kirche so tun, wie es der Herr durch sein Wort vorgeschrieben hat; ist es aber so getan, so nehmen es die Gläubigen so an, als sei es vom Herrn selbst getan. Von der Schlüsselgewalt ist übrigens bereits früher die Rede gewesen. Nun ist aber allen Dienern in der Kirche ein und dieselbe gleiche Gewalt oder Amtsbefugnis gegeben. Sicherlich leiteten am Anfang die Bischöfe oder Ältesten in gemeinsamer Arbeit die Gemeinde; keiner erhob sich über den anderen oder maßte sich höhere Gewalt oder Herrschaft über die Mitarbeiter an. Denn eingedenk der Worte des Herrn: „Der Hochstehende soll werden wie der Dienende“ (Lk 22,26) blieben sie in der Demut und halfen einander gegenseitig, die Gemeinde zu leiten und zu bewahren. Indessen rief wohl einer oder ein besonders Bezeichneter von den Dienern um der Ordnung willen die Gemeindeversammlung zusammen und legte ihr die Verhandlungsgegenstände vor, sammelte die Ansichten der anderen und sorgte nach Mannesart dafür, dass keinerlei Unordnung entstand. So habe, liest man in der Apostelgeschichte, der heilige Petrus getan, der immerhin deshalb nicht den anderen übergeordnet oder mit größerer Gewalt über die anderen ausgestattet war. Sehr richtig bemerkt der Blutzeuge Cyprian in seiner Schrift „Die Schlichtheit der Kleriker“: „Was Petrus gewesen ist, das waren auch die anderen Apostel; sie hatten Ehre und Vollmacht gewissermaßen in Gütergemeinschaft; das aber kam unmittelbar aus der Einheit der Kirche, damit die Kirche als eine erwiesen werde.“ Ähnliche Ausführungen macht der heilige Hieronymus in seiner Auslegung zum Titusbrief des Paulus, wo er sagt: „Bevor durch Antrieb des Teufels Glaubensstreitigkeiten entstanden, wurden die Gemeinden durch den gemeinschaftlichen Rat der Ältesten geleitet; als aber jeder diejenigen, die er getauft hatte, als seine Leute betrachtete, statt als Eigentum Christi, wurde beschlossen, dass ein aus den Ältesten Gewählter den anderen übergeordnet werden solle, dem die ganze Sorge für die Gemeinde obliege, um so die Keime für Spaltungen zu beseitigen.“ Diesen Beschluss gibt jedoch Hieronymus nicht als göttlich aus. Sofort fügt er nämlich hinzu: „Wie die Priester wissen, dass sie nach der Gewohnheit der Kirche ihrem Vorgesetzten unterworfen sind, so mögen auch die Bischöfe daran denken, dass sie eben mehr durch Gewohnheit als in Wahrheit durch göttliche Anordnung höher stehen als die Priester und die Kirche mit ihnen gemeinschaftlich regieren sollen.“ So weit Hieronymus. Deshalb kann niemand mit irgendwelchem Rechtsanspruch verbieten, zur alten Ordnung der Kirche Gottes zurückzukehren und jene der menschlichen Gewohnheit vorzuziehen. Die Amtspflichten der Diener sind verschiedenartig, können aber immerhin auf zwei Dinge zurückgeführt werden, die alles andere umfassen:

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nämlich die Lehre des Evangeliums Christi und die rechtmäßige Verwal­ tung der Sakramente. Den Dienern obliegt es, die Gemeinde zum Gottesdienst zu versammeln, darin das Wort Gottes auszulegen und die ganze Lehre dem Bedürfnis und dem Nutzen der Gemeinde entsprechend anzuwenden, damit das, was gelehrt wird, allen Hörern nützlich sei und die Gläubigen erbaue. Den Dienern obliegt es also, die Unwissenden zu lehren, jene zu ermahnen und vorwärtszudrängen, die auf dem Weg des Herrn stillstehen oder allzu langsam vorwärtsschreiten, die Ängstlichen zu trösten und zu stärken und sie zu schützen gegen die mannigfaltigen Anfechtungen des Teufels, die Sünder zu bestrafen, die Irrenden auf den rechten Weg zurückzubringen, die Gefallenen aufzurichten, die Widersprechenden zu überweisen und endlich die Wölfe vom Schafstall des Herrn zu verjagen. Laster und Lasterhafte sollen sie mit Klugheit und mit Nachdruck tadeln und gegen Schandtaten weder nachsichtig sein noch schweigen. Ferner sollen sie auch die Sakramente verwalten und zu ihrem rechten Gebrauch ermahnen und alle zu ihrem Empfang durch die reine Lehre vorbereiten, die Gläubigen auch in heiliger Einheit bewahren, Spaltungen verbieten, die Kinder unterweisen, die Notdurft der Armen der Gemeinde ans Herz legen, die Kranken und von mancherlei Anfechtungen Bedrückten besuchen, unterweisen und auf dem Weg des Lebens erhalten; außerdem sollen sie in Zeiten der Not öffentliche Betund Bußtage, verbunden mit Fasten, das heißt heiliger Enthaltsamkeit, anordnen und alles, was zur Ruhe, zum Frieden und zum Heil der Gemeinden dient, mit größter Sorgfalt besorgen. Damit aber der Diener dies alles besser und leichter zu tun vermöge, muss man von ihm in erster Linie verlangen, dass er gottesfürchtig sei, im Gebet verharre, fleißig die Heilige Schrift lese, in allen Dingen und immer wachsam sei und allen durch ein reines Leben voranleuchte. Und weil überhaupt in der Kirche Zucht sein muss und bei den Alten einst der Ausschluss vom Abendmahl gebräuchlich war und im Volk Gottes Kirchengerichte bestellt wurden, in denen weise und fromme Männer diese Zucht handhabten, wäre es Pflicht der Diener, sich nötigenfalls je nach den Umständen von Zeit und öffentlichem Leben zur Erbauung der Gemeinde dieser Zucht zu bedienen. Dabei ist immer die Regel zu befolgen, dass alles geschehen soll zur Erbauung, anständig, ehrbar, ohne Herrschsucht und Zwietracht. Denn der Apostel bezeugt, dass ihm von Gott seine Machtbefugnis gegeben sei zur Erbauung und nicht zur Zerstörung (2. Kor 10,8). Auch hat ja der Herr selber verboten, das Unkraut auf dem Acker Gottes auszuraufen, weil sonst die Gefahr bestehe, dass auch Weizen mit ausgerissen werde (Mt 13,29 f.). Wir verfluchen hiermit den Irrtum der Donatisten, welche die Lehre und Verwaltung der Sakramente je nach dem schlechten oder guten Lebenswandel der Diener für wirksam oder unwirksam halten.

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Denn wir wissen, dass das Wort Christi gehört werden muss, auch wenn es vom Mund schlechter Diener ausgeht. Denn der Herr hat selbst gesagt: „Alles nun, was sie euch sagen, tut und befolgt; aber nach ihren Werken tut nicht“ (Mt 23,3). Wir wissen, dass die Sakramente durch ihre Einsetzung und das Wort Christi geheiligt und für die Gläubigen wirksam sind, auch wenn sie von unwürdigen Dienern dargeboten werden. Deshalb hat der selige Diener Gottes, Augustin, auf Grund der Heiligen Schrift viel gegen die Donatisten gestritten. Indessen soll auch unter den Dienern rechte Zucht herrschen. Man hat deshalb auf den Synoden fleißig Lehre und Lebenswandel der Diener zu prüfen. Die Fehlbaren sollen von den Älteren angeklagt und auf den rechten Weg zurückgeführt werden, wenn noch Hoffnung auf Besserung ist; oder, wenn sie unverbesserlich sind, soll man sie absetzen und sie als Wölfe durch wahre Hirten von der Herde des Herrn verjagen. Denn wenn sie Irrlehrer sind, so darf man sie auf keinen Fall dulden. Wir missbilligen auch nicht jene Kirchenversammlungen [= Konzile], die nach dem Beispiel der Apostel feierlich zusammentreten zum Heil und nicht zum Verderben der Kirche. Es sind auch alle treuen Diener als gute Arbeiter ihres Lohnes wert, und sie sündigen nicht, wenn sie ein Gehalt und alles, was für sie und ihre Familie zum Leben derweilen nötig ist, annehmen. Denn der Apostel beweist, dass von Rechts wegen dieser Unterhalt von der Gemeinde geleistet und von den Dienern angenommen werde (1. Kor 9,7 f.; 1. Tim 5,18 und auch anderswo). Durch diese apostolische Lehre sind auch die Wiedertäufer widerlegt, welche die Diener, weil sie von ihrem Dienst leben, verwerfen und schmählich beschimpfen. 19. Die Sakramente der Kirche Christi Gleich am Anfang verband Gott in seiner Kirche mit der Predigt des Wortes seine Sakramente oder heiligen Bundeszeichen. So bezeugt deutlich die ganze Heilige Schrift. Sakramente sind aber geheimnisvolle Wahrzeichen oder heilige Gebräuche oder geweihte Handlungen, die von Gott selbst eingesetzt sind, und die bestehen in seinem Wort, in Zeichen und in bezeichneten Dingen, durch die er in der Kirche die Erinnerung an seine höchsten, dem Menschen erwiesenen Wohltaten festhält und stets erneuert, durch die er ferner seine Verheißungen besiegelt und das, was er innerlich gibt, äußerlich darstellt und gleichsam augenscheinlich macht und so unseren Glauben durch die Wirkung des Geistes Gottes in unseren Herzen stärkt und mehrt. Durch die Sakramente scheidet er uns endlich von allen anderen Völkern und Religionen und heiligt und verpflichtet uns ihm allein und zeigt uns, was er von uns fordere. Es gibt nun einerseits Sakramente des alten Bundesvolkes und anderseits Sakramente des neuen Bundesvolkes. Die Sakramente des alten

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Bundesvolkes waren die Beschneidung und das Passahlamm, das geopfert wurde; deshalb wird es zu den Opfern gerechnet, die von Anfang der Welt gebracht wurden. Die Sakramente des neuen Bundesvolkes sind die Taufe und das Abendmahl des Herrn. Es gibt nun Leute, die sieben Sakramente des neuen Bundesvolkes aufzählen. Von diesen anerkennen wir die Buße, die Einsetzung der Diener – allerdings nicht die päpstliche, sondern die apostolische – und die Ehe wohl als nützliche Anordnungen Gottes, aber nicht als Sakramente. Die Firmung und die letzte Ölung sind Erfindungen von Menschen, welche die Kirche ohne jeden Schaden entbehren kann. Wir haben sie darum auch nicht in unseren Kirchen. Denn es ist allerlei dabei, das wir keineswegs billigen können. So verabscheuen wir jede Krämerei, welche die Römischen bei der Austeilung der Sakramente betreiben. Denn der Stifter aller Sakramente ist nicht irgendein Mensch, sondern Gott allein. Menschen können keine Sakramente einsetzen. Denn sie gehören zum Gottesdienst. Doch haben die Menschen nicht das Recht, über Einrichtung und Gestalt des Gottesdienstes zu verfügen, sondern sie haben das von Gott Gegebene anzunehmen und festzuhalten. Außerdem sind den gegebenen Sakramenten Verheißungen beigefügt, die Glauben erfordern; der Glaube aber stützt sich allein auf Gottes Wort. Das Wort Gottes können wir ansehen als eine Art Gesetzestafel oder Brief, die Sakramente aber als die Siegel, die Gott allein dem Brief anhängt. Und wie Gott der Stifter der Sakramente ist, so wirkt er beständig in der Kirche, in der die Sakramente richtig gehandhabt werden, sodass die Gläubigen, wenn sie von den Dienern die Sakramente empfangen, erkennen, dass Gott in seiner Stiftung wirke. Deshalb nehmen sie auch die Sakramente aus Gottes Hand selbst, und es kann ihnen die persönliche Mangelhaftigkeit des Dieners – so groß sie auch sei – nichts schaden, weil sie wissen, dass die Vollkommenheit der Sakramente nur von der Einsetzung durch den Herrn abhängt. Daher unterscheiden sie bei der Verwaltung der Sa­ kramente deutlich zwischen dem Herrn selbst und dem Diener des Herrn, indem sie bekennen, dass das eigentliche Wesen der Sakramente vom Herrn, die Zeichen aber von den Dienern gespendet werden. Die Hauptsache aber, die in allen Sakramenten von Gott dargeboten und von allen Frommen aller Zeiten erwartet wird – andere nennen es die „Substanz“ und den „Stoff“ der Sakramente  –, ist der Heiland Christus, jenes einzige Opfer, jenes Lamm Gottes, das geschlachtet ist von der Grundlegung der Welt an, jener Felsen, aus dem alle unsere Vorfahren getrunken haben, durch den alle Auserwählten beschnitten sind mit der Beschneidung, die nicht mit Händen geschieht, sondern durch den Heiligen Geist, durch den sie von allen ihren Sünden reingewaschen werden und vom wahren Leib und Blut Christi zum ewigen Leben genährt werden.

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Im Blick darauf, was die Hauptsache bei den Sakramenten und ihr eigentliches Wesen ist, sind die Sakramente beider Bundesvölker gleich. Denn der einzige Mittler und Heiland, Christus, ist in beiden Fällen die Hauptsache und das eigentliche Wesen der Sakramente. Denn es ist ein Gott, und er ist in beiden Fällen ihr Stifter. Hier wie dort sind die Sakramente gegeben als Zeichen und Pfänder der Gnade und der Verheißungen Gottes, welche die herrlichen Wohltaten Gottes in Erinnerung rufen und erneuern, damit die Gläubigen durch sie von allen anderen Religionen des Erdkreises geschieden würden. Sie sollen sie auf geistliche Weise durch den Glauben empfangen, und die Empfänger sollen dadurch an die Kirche gebunden werden und sich selbst ihrer Pflicht erinnern. Darin also und in ähnlichen Dingen sind die Sakramente beider Bundesvölker einander nicht ungleich, während sie sich allerdings in den Zeichen unterscheiden. Zwar stellen wir auch hierin einen großen Unterschied fest. Denn unsere Sakramente haben festeren Bestand und sind von längerer Dauer, wie sie denn auch bis ans Ende der Welt niemals geändert werden, sondern sie bezeugen, das Wesen und die Verheißung der Sakramente sei in Christus erfüllt und vollendet, wogegen jene nur bedeuteten, dass diese erfüllt werden solle. So sind unsere Sakramente auch einfacher, mit weniger Mühe und Aufwand verbunden und mit weniger Zeremonien belastet. Außerdem erstrecken sie sich auf ein größeres Volk, das auf den ganzen Erdkreis verstreut ist, und da sie auch herrlicher sind und – durch den Heiligen Geist – auch einen größeren Glauben wirken, folgt daraus auch eine größere Fülle des Geistes. Ja, da uns der wahre Messias, Christus, gegeben und die Fülle der Gnade auf das Volk des neuen Bundes ausgegossen ist, sind die Sakramente des alten Bundesvolkes durchaus aufgehoben und haben aufgehört, und an ihrer Stelle sind eingeführt die Zeichen des neuen Bundes, statt der Beschneidung die Taufe, statt des Passahlammes und der Opfer das Abendmahl des Herrn. Wie aber einst die Sakramente aus dem Wort, dem Zeichen und der bezeichneten Sache bestanden, so erschöpfen sie sich heute noch in sozusagen denselben „Teilen“. Denn durch Gottes Wort wird etwas zum Sakrament, was es vorher nicht gewesen ist. Durch das Wort nämlich werden die Sakramente geweiht und als geheiligt erwiesen von dem, der sie eingesetzt hat. Heiligen und weihen heißt, ein Ding Gott und heiligen Bräuchen zu widmen, das heißt, es vom gewöhnlichen und weltlichen absondern und zum heiligen Gebrauch bestimmen. Die Zeichen bei den Sakramenten sind nämlich dem gewöhnlichen Gebrauch entnommen; es sind äußere und sichtbare Dinge. Denn bei der Taufe ist das Zeichen Wasser und jene sichtbare Abwaschung, die durch den Diener geschieht. Die bezeichnete Sache aber ist die Wiedergeburt oder Abwaschung der Sünden. Im Abendmahl des Herrn aber ist das Zeichen Brot und Wein,

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der dem gewöhnlichen Leben entnommene Gebrauch von Speise und Trank. Die bezeichnete Sache aber ist der dahingegebene Leib des Herrn selbst und sein für uns vergossenes Blut oder die Gemeinschaft mit Leib und Blut des Herrn. Deshalb sind Wasser, Brot und Wein ihrer Natur nach und außerhalb der göttlichen Einsetzung und dem heiligen Gebrauch immer das, was ihr Name besagt und als was wir sie gewöhnlich empfinden. Wenn aber das Wort des Herrn dazukommt, unter Anrufung des Namens Gottes, mit der Wiederholung der ersten Einsetzung und der ersten Weihe, so werden diese Zeichen geweiht und als von Christus geheiligt erwiesen. Denn in der Kirche Gottes bleibt die erste Einsetzung und Weihe der Sakramente dauernd wirksam, sodass diejenigen, die sie nicht anders feiern, als der Herr sie am Anfang selber eingesetzt hat, auch jetzt jene herrlichste erste Weihe genießen. Deshalb werden auch bei der Feier der Sakramente die eigenen Worte Christi gesprochen. Weil wir nun aus dem Wort Gottes lernen, dass diese Zeichen vom Herrn zu einem anderen Zweck eingesetzt seien, als wozu sie gewöhnlich dienen, so lehren wir, dass die Zeichen jetzt bei ihrem heiligen Gebrauch auch den Namen der bezeichneten Dinge annehmen, also nicht mehr bloß Wasser, Brot und Wein genannt werden, sondern auch Wiedergeburt oder Bad der Erneuerung, ferner Leib und Blut des Herrn oder Zeichen oder Sakramente des Leibes und Blutes des Herrn. Nicht, dass die Zeichen verwandelt würden in die bezeichneten Dinge oder aufhörten, das zu sein, was sie von Natur sind, sonst wären sie ja nicht Sakramente; träten sie an Stelle der bezeichneten Sache, so wären sie eben nicht mehr Zeichen. Dagegen nehmen die Zeichen den Namen der Dinge an, weil sie geheimnisvolle Zeichen der heiligen Dinge sind und weil die Zeichen und die bezeichneten Dinge in heiliger Handlung miteinander verbunden werden, und zwar sind sie verbunden und vereinigt durch ihre geheimnisvolle Bedeutung und den Willen oder Ratschluss dessen, der die Sakramente gestiftet hat. Denn Wasser, Brot und Wein sind nicht gewöhnliche, sondern heilige Zeichen. Und der Stifter der Wassertaufe hat sie nicht in der Absicht und Meinung eingesetzt, dass die Gläubigen nur mit Taufwasser begossen werden sollten; und der befohlen hat, beim Abendmahl Brot zu essen und Wein zu trinken, wollte nicht, dass die Gläubigen nur Brot und Wein empfingen, ohne Geheimnis, wie sie zu Hause Brot essen, sondern dass sie in geistlicher Weise teilhätten an den bezeichneten Dingen und wirklich im Glauben von ihren Sünden reingewaschen würden und an Christus Anteil bekämen. Deshalb billigen wir keineswegs die Ansicht derer, welche die Weihe der Sakramente weiß welchen Eigenschaften oder dem Hersagen oder der Kraft der von einem geweihten Priester ausgesprochenen Worte oder seiner Absicht zu weihen oder anderen zufälligen Dingen zuschreiben, die

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uns weder durch Christi noch der Apostel Wort und Beispiel überliefert sind. Wir billigen auch nicht die Lehre derer, die von den Sakramenten ebenso reden wie von gewöhnlichen und nicht heiligen oder wirksamen Zeichen. Ebenso wenig stimmen wir denen zu, die wegen des Unsichtbaren das Sichtbare in den Sakramenten verachten und glauben, die Zeichen seien für sie überflüssig, weil sie meinen, bereits im Genuss der Sache zu sein, wie es die Messalianer gehalten haben sollen. Auch die Lehre derer billigen wir nicht, die lehren, die Gnade und die bezeichneten Dinge würden so an die Zeichen gebunden und in sie eingeschlossen, dass, wer immer an den Sakramenten äußerlich teilnehme, auch innerlich an der Gnade und an den bezeichneten Dingen teilhabe, wer und welcher Art er auch sein möge. Wie wir übrigens die Vollkommenheit der Sakramente nicht nach der Würdigkeit oder Unwürdigkeit der Diener einschätzen, so auch nicht nach der Haltung der Genießenden. Denn wir erkennen, dass die Vollkommenheit der Sakramente von der Treue oder Wahrhaftigkeit und von der einen Güte Gottes abhängt. So wie Gottes Wort wahres Wort Gottes bleibt, kraft dessen nicht bloß leere Worte hergesagt werden, wenn man predigt, sondern zugleich die von Gott mit den Worten bezeichneten oder verkündigten Dinge angeboten werden – sofern aber Gottlose und Ungläubige die Worte hören und verstehen, genießen sie doch die bezeichneten Dinge nicht, weil sie sie nicht im Glauben annehmen –, so bleiben die Sakramente, durch Wort, Zeichen und bezeichnete Dinge unwandelbar, wirkliche und vollkommene Sakramente, die nicht nur heilige Dinge bedeuten, sondern sie sind auch durch Gottes Angebot wirklich die bezeichneten Dinge selbst, auch wenn Ungläubige die angebotenen Dinge nicht empfangen. Das ist aber nicht der Fehler Gottes, der geben und anbieten will, sondern die Schuld derjenigen Menschen, die ungläubige und darum unberechtigte Empfänger sind; doch hebt ihr Unglaube Gottes Treue nicht auf (Röm 3,3 f.). Da gleich am Anfang bei der Erklärung vom Wesen der Sakramente nebenbei auch erläutert wurde, wozu sie eingesetzt worden seien, ist es nicht nötig, den Leser mit der Wiederholung des schon einmal Gesagten zu ermüden. Folglich werden wir also nur noch von den Sakramenten des neuen Bundesvolkes einzeln reden. 20. Die heilige Taufe Die Taufe ist von Gott eingesetzt und geweiht, und als erster hat Johannes getauft, der Christus am Jordan ins Wasser eintauchte. Von ihm ging sie auf die Apostel über, die auch selbst mit Wasser getauft haben. Klar und deutlich hat ihnen der Herr befohlen, das Evangelium zu predigen und zu taufen „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen

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Geistes“ (Mt 28,19). Und Petrus antwortete auf die Frage der Juden, was sie tun sollten: „Jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesus Christus zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2,37 f.). Daher wurde von einigen die Taufe das Einweihungszeichen des Volkes Gottes genannt, weil sie dadurch Gott geweiht werden als Auserwählte Gottes. Daher gibt es nur eine Taufe in der Kirche Gottes, und es genügt, einmal getauft oder Gott geweiht zu werden. Denn die einmal empfangene Taufe dauert das ganze Leben hindurch an und ist das ewige Unterpfand unserer Annahme zu Kindern Gottes. Denn im Namen Christi getauft werden heißt: eingeschrieben, eingeweiht und aufgenommen werden in den Bund und in die Familie und somit zum Erbe der Kinder Gottes; ja es heißt jetzt schon, nach dem Namen Gottes, das heißt Kind Gottes, genannt werden, desgleichen von den Befleckungen der Sünde gereinigt und durch die mannigfache Gnade Gottes beschenkt werden, damit wir ein neues und unschuldiges Leben führen. Deshalb hält die Taufe die Erinnerung an die unermessliche Wohltat Gottes, die er dem Geschlecht der Sterblichen erwiesen hat, fest und erneuert sie. Denn wir alle werden in den Befleckungen der Sünde geboren und sind Kinder des Zorns. Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, reinigt uns aus Gnade von den Sünden durch das Blut seines Sohnes, nimmt uns in ihm als Kinder an, verbindet uns mit sich durch seinen heiligen Bund und beschenkt uns mit mannigfaltigen Gaben, damit wir ein neues Leben führen können. Das alles wird durch die Taufe versiegelt. Denn inwendig werden wir wiedergeboren, gereinigt und von Gott erneuert durch den Heiligen Geist; äußerlich aber empfangen wir die Bekräftigung der herrlichen Gaben durch das Wasser, in dem auch jene herrlichen Gaben dargestellt und uns gleichsam augenscheinlich dargeboten werden. Deshalb werden wir getauft, das heißt abgewaschen oder mit sichtbarem Wasser besprengt. Denn das Wasser reinigt von Unsauberkeit, erquickt den matten und erhitzten Leib und erfrischt ihn. Die Gnade Gottes aber erweist diese Wohltat den Seelen, und zwar unsichtbar oder auf geistliche Weise. Gott unterscheidet uns nun auch durch das Zeichen der Taufe von allen fremden Religionen und Völkern und heiligt uns ihm zum Eigentum. Wenn wir also getauft werden, bekennen wir unseren Glauben, ver­pflichten uns Gott zum Gehorsam, zur Abtötung des Fleisches und zu einem neuen Leben und werden so in die heilige Streiterschar Christi eingeschrieben, dass wir während unseres ganzen Lebenslaufes wider Welt, Teufel und eigenes Fleisch streiten. Wir werden außerdem zu einem Leib der Kirche getauft, damit wir mit allen Gliedern der Kirche in einem und demselben Glauben und in gegenseitiger Hilfeleistung wohl übereinstimmen.

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Wir glauben, dass das die vollkommenste Form der Taufe sei, mit der Christus selbst getauft wurde und mit der die Apostel getauft haben. Wir halten deshalb zur Vollkommenheit der Taufe nicht für nötig, was durch menschliche Erfindung später hinzugefügt wurde oder was sich die Kirche angemaßt hat, zum Beispiel die Teufelsaustreibung, die Verwendung eines brennenden Lichtes, den Gebrauch von Öl, Salz, Speichel und ähnlichen Dingen, wie auch, dass die Taufe alle Jahre unter mancherlei Zeremonien zweimal gefeiert wird. Denn wir glauben, nur eine Taufe sei in der Kirche bei der ersten Einsetzung Gottes geheiligt und durch das Wort geweiht worden und sei noch jetzt wirksam wegen der ersten göttlichen Segnung. Wir lehren, die Taufe solle in der Kirche nicht durch Frauen oder Hebammen vollzogen werden. Denn Paulus schließt die Frauen von kirchlichen Ämtern aus. Die Taufe aber gehört zu den kirchlichen Amtshandlungen. Wir wenden uns gegen die Wiedertäufer, die nicht zugeben, dass die neugeborenen Kindlein der Gläubigen getauft werden sollen. Denn nach der Lehre des Evangeliums ist „ihrer das Himmelreich“, und sie sind im Bund Gottes (Mt 19,14; Mk 10,14; Lk 18,16). Warum also soll ihnen das Zeichen des Bundes Gottes nicht gegeben werden? Warum sollen sie nicht durch die heilige Taufe eingeweiht werden, wenn sie doch Eigentum und in der Kirche Gottes sind? Wir verwerfen auch alle anderen Lehren der Wiedertäufer, die entgegen Gottes Wort Eigentümlichkeiten enthalten. Wir sind also nicht Wiedertäufer und haben mit ihnen rein nichts gemein. 21. Das heilige Abendmahl des Herrn Das Abendmahl des Herrn, das auch Tisch des Herrn oder Eucharistie, das heißt Danksagung, genannt wird, heißt deshalb allgemein Abendmahl, weil es von Christus bei jener letzten Abendmahlzeit eingesetzt wurde und diese noch jetzt darstellt, auch weil die Gläubigen dabei auf geistliche Weise gespeist und getränkt werden. Denn der Stifter des Herrenmahles ist nicht ein Engel oder irgendein Mensch, sondern Gottes Sohn selbst, unser Herr Jesus Christus, der es zuerst für seine Kirche geheiligt hat. Diese Weihe oder Segnung dauert aber bis heute an bei all denen, die kein anderes als das Mahl feiern, das der Herr eingesetzt hat, und die dabei die Einsetzungsworte des Herrn vorlesen und in allem mit wahrem Glauben einzig auf Christus schauen, aus dessen Händen sie gleichsam empfangen, was sie durch den Dienst der kirchlichen Diener bekommen. Durch diese heilige Handlung will der Herr seine dem Menschengeschlecht erwiesene herrliche Wohltat in frischer Erinnerung halten, nämlich, dass er uns durch seinen dahingegebenen Leib und sein vergossenes Blut alle unsere Sünden erlassen und uns vom ewigen Tod und von der Gewalt des Teufels erlöst hat, und dass er uns jetzt speist mit seinem Fleisch und tränkt mit seinem Blut, die uns nähren zum ewigen Leben, wenn wir sie im wahren

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Glauben auf geistliche Weise empfangen. Und diese große Wohltat erneuert er sooft, wie das Abendmahl des Herrn gefeiert wird. Denn der Herr hat gesagt: „Das tut zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19). So wird durch dieses heilige Mahl die Tatsache versiegelt, dass der Leib des Herrn wirklich für uns dahingegeben und sein Blut zur Vergebung unserer Sünden vergossen worden ist, damit unser Glaube nicht wanke. Und zwar wird mit diesem Sakrament sichtbar und äußerlich durch den Diener dargestellt und sozusagen augenscheinlich gemacht, was inwendig in der Seele durch den Heiligen Geist selbst unsichtbar verliehen wird. Äußerlich wird vom Diener Brot angeboten, und man hört die Worte des Herrn: „Nehmet, esset, das ist mein Leib; nehmet und teilt das unter euch; trinket aus diesem alle; das ist mein Blut“ (Mt 26,26–29; Mk 14,22–25; Lk 22,14–22; 1. Kor 11,23–25). Deshalb empfangen die Gläubigen, was ihnen vom Diener des Herrn gegeben wird, essen das Brot des Herrn und trinken aus dem Kelch des Herrn; inwendig jedoch empfangen sie durch den Dienst Christi Fleisch und Blut des Herrn durch den Heiligen Geist und werden damit gespeist zum ewigen Leben. Denn Fleisch und Blut Christi sind wirklich Speise und Trank zum ewigen Leben; und Christus selber ist, da er für uns dahingegeben und unser Heiland ist, Grund und Wesen des Abendmahls, und wir lassen nichts anderes an seine Stelle setzen. Damit man aber besser und deutlicher verstehe, wieso Fleisch und Blut Christi Speise und Trank der Gläubigen sei und von ihnen zum ewigen Leben empfangen werde, wollen wir einiges wenige beifügen. Es gibt nicht nur einerlei Art zu essen. Es gibt ein leibliches Essen, wobei man die Speise in den Mund nimmt, mit den Zähnen zerbeißt und hinunterschluckt. Auf diese Art meinten einst die Kapernaiten, das Fleisch des Herrn essen zu müssen, werden aber von ihm selbst widerlegt in Joh 6,63. Denn wie das Fleisch Christi nicht leiblich gegessen werden kann ohne Frevel und gräuliche Roheit, so ist es auch nicht eine Speise für den Bauch. Das müssen doch alle eingestehen. Wir missbilligen deshalb in den Dekreten der Päpste den hierhergehörigen Kanon: „Ich Berengar“ im Abschnitt 2 über „Die Weihen“. Denn weder die Frommen der Alten Kirche noch wir glauben, dass der Leib Christi mit dem leiblichen Mund körperlich oder wirklich gegessen werde. Es gibt aber ein geistliches Essen des Leibes Christi, nicht so allerdings, dass wir annähmen, die Speise selber verwandle sich in Geist, sondern so, dass Leib und Blut des Herrn ihr Wesen und ihre Eigenart behalten und dass sie uns geistlich mitgeteilt werden, nämlich nicht auf leibliche, sondern auf geistliche Weise durch den Heiligen Geist, der uns eben das, was durch das für uns in den Tod dahingegebene Fleisch und Blut des Herrn erworben wurde, nämlich die Vergebung der Sünden, die Erlösung und das ewige Leben, verschafft und zu eigen macht, sodass Christus in uns

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lebt und wir in ihm leben. Er bewirkt auch, dass wir ihn so selbst als unsere geistliche Speise und unseren geistlichen Trank, das heißt als unser Leben, im wahren Glauben empfangen. So wie nämlich die leibliche Speise und der leibliche Trank unseren Leib nicht bloß erquickt und stärkt, sondern ihn auch am Leben erhält, so erquickt und stärkt das für uns dahingegebene Fleisch und das für uns vergossene Blut Christi unsere Seele nicht bloß, sondern erhält sie auch am Leben, allerdings nicht, weil Brot und Wein leiblich gegessen und getrunken werden, sondern darum, weil sie uns auf geistliche Weise vom Geist Gottes mitgeteilt werden. Denn der Herr spricht: „Das Brot, das ich geben werde, ist zugleich mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt“ (Joh 6,51). Ebenso: „Das Fleisch – natürlich leiblich genossen – hilft nichts, der Geist ist es, der lebendig macht“. Und: „Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben“ (Joh 6,63). Und wie wir die Speise durch das Essen in uns selbst aufnehmen müssen, damit sie in uns wirke und ihre Kraft entfalte, da es uns nichts nützt, wenn sie neben uns liegt, so ist es auch notwendig, dass wir Christus im Glauben aufnehmen, damit er unser werde, in uns lebe und wir in ihm. Denn er sagt: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nimmermehr dürsten“ (Joh 6,35). Ebenso: „Wer mich isst, wird leben, weil ich lebe“, und: „Der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,57 f.). Aus alledem geht klar hervor, dass wir unter geistlicher Speise keineswegs irgendeine Scheinspeise verstehen, sondern den Leib des Herrn selbst, der für uns dahingegeben wurde, der aber immerhin von den Gläubigen nicht leiblich, sondern geistlich durch den Glauben genossen wird. Darin folgen wir durchaus der Lehre Christi, unseres Herrn und Heilandes selbst, nach Johannes im 6. Kapitel. Und dieses Essen des Fleisches und Trinken des Blutes des Herrn ist so nötig zum Heil, dass ohne dieses Essen und Trinken niemand selig werden kann. Dieses geistliche Essen und Trinken aber vollzieht sich auch außerhalb des Abendmahls, sooft und wo immer ein Mensch an Christus glaubt. Darauf bezieht sich vielleicht das Wort Augus­ tins: „Was rüstest du Zahn und Bauch? Glaube, so hast du gegessen!“ Außer dem höheren geistlichen Genießen gibt es aber auch ein sakramentales Essen des Leibes des Herrn, durch das der Gläubige nicht bloß geistlich und innerlich teilhat am wahren Leib und Blut des Herrn, sondern er empfängt, wenn er zum Tisch des Herrn tritt, auch äußerlich sichtbar das Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn. So hat der Gläubige zwar schon vorher, solange er geglaubt hat, die lebenspendende Speise empfangen und genießt sie bis jetzt, empfängt aber doch etwas, wenn er nun noch das Sakrament nimmt. Denn durch die ständige Gemeinschaft des Leibes und Blutes des Herrn macht er Fortschritte, und sein Glaube wird so mehr und mehr entzündet, wächst und wird stark von dieser

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geistlichen Nahrung. Denn solange wir leben, wächst der Glaube beständig. Und wer im wahren Glauben das Sakrament äußerlich empfängt, der empfängt nicht nur das Zeichen, sondern genießt, wie gesagt, die Sache selbst. Außerdem gehorcht er der Anordnung und dem Befehl des Herrn, dankt mit fröhlichem Herzen für seine und der ganzen Menschheit Erlösung, begeht das gläubige Gedächtnis vom Tod des Herrn und bezeugt vor der Gemeinde, welches Leibes Glied er sei. So wird denen, die das Sakrament empfangen, die Tatsache versiegelt, dass der Leib des Herrn dahingegeben und sein Blut vergossen worden sei nicht bloß im Allgemeinen für die Menschen, sondern dass sie im Besonderen Speise und Trank zum ewigen Leben seien für jeden einzelnen Gläubigen, der das Abendmahl genießt. Wer aber ohne Glauben zum heiligen Tisch des Herrn tritt, der genießt das Sakrament nur äußerlich, empfängt aber nicht das Wesentliche des Sakramentes, woraus das Leben und das Heil kommt. Solche Menschen essen unwürdig am Tisch des Herrn. Die aber unwürdig vom Brot des Herrn essen und von seinem Kelch trinken, werden schuldig am Leib und Blut des Herrn und essen und trinken sich selbst zum Gericht. Denn wer nicht mit wahrem Glauben hinzutritt, der schmäht den Tod Christi, und deshalb isst und trinkt er sich selber zur Verdammnis. Wir bringen deshalb den Leib des Herrn und sein Blut mit Brot und Wein nicht so in Verbindung, dass wir sagten, das Brot sei selber der Leib Christi, außer im sakramentalen Sinn, oder: Unter dem Brot sei der Leib Christi körperlich verborgen, sodass er in der Gestalt des Brotes angebetet werden müsse, oder: Wer das Zeichen empfange, der empfange unbedingt die Sache selbst. Der Leib Christi ist im Himmel zur Rechten des Vaters. Darum muss man die Herzen emporheben und darf nicht am Brot hängen bleiben und den Herrn nicht im Brot anbeten. Und doch ist der Herr nicht abwesend, wenn seine Gemeinde das Abendmahl feiert. Die Sonne ist ja auch weit weg am Himmel, und trotzdem ist sie mit ihrer Kraft bei uns. Wie viel mehr ist Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, obwohl dem Leib nach abwesend im Himmel, doch bei uns, zwar nicht leiblich, sondern geistlich durch sein lebenspendendes Wirken, wie er selbst bei seinem letzten Mahl erklärt hat, dass er bei uns sein werde (Joh 14,15 f.). Daraus folgt, dass wir nicht ohne Christus Abendmahl halten und doch ein „unblutiges und geheimnisvolles Mahl“ feiern, wie die ganze Alte Kirche es nannte. Ferner werden wir durch die Feier des Herrenmahles ermahnt, daran zu denken, welches Leibes Glieder wir geworden sind und deshalb eines Sinnes mit allen Brüdern zu sein, damit wir heilig leben und uns nicht beflecken mit Lastern und fremden Religionen, sondern im wahren Glauben verharren bis ans Lebensende und danach trachten, mit einem heiligen Lebenswandel voranzuleuchten. Deshalb ziemt es sich, dass wir uns

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vor dem Gang zum Abendmahl nach der Anweisung des Apostels selber prüfen, vor allem, mit was für einem Glauben wir ausgerüstet seien, ob wir glauben, dass Christus gekommen sei, Sünder selig zu machen und zur Buße zu rufen, und ob jeder für sich glaube, dass auch er zur Zahl derer gehöre, die durch Christus erlöst und selig gemacht werden, und ob er sich vorgenommen habe, sein verkehrtes Leben zu ändern und heilig zu leben und unter dem Beistand des Herrn im wahren Glauben zu verharren und in Eintracht mit den Brüdern Gott für die Erlösung würdigen Dank darzubringen usw. Was die heilige Handlung, nämlich die Art und Weise oder die Form des Abendmahls betrifft, so halten wir dafür, dass die am einfachsten und besten sei, die der ersten Anordnung des Herrn und der Lehre der Apostel am nächsten kommt. Sie besteht nämlich in der Verkündigung des Wortes Gottes, in frommen Gebeten, in der Handlung des Herrn selbst und ihrer Wiederholung, im Essen des Leibes und im Trinken des Blutes des Herrn, im Gedenken an den heilbringenden Tod des Herrn, in der gläubigen Danksagung und in der heiligen Vereinigung mit allen Gliedern der christlichen Gemeinde. Wir missbilligen daher die Ansicht derer, die den Gläubigen die eine Gestalt des Sakramentes, nämlich den Kelch des Herrn, entzogen haben. Denn diese versündigen sich schwer gegen die Anordnung des Herrn, der sagt: „Trinket aus diesem alle!“ (Mt 26,27), was er beim Brot nicht so ausdrücklich gesagt hat. Wie es mit der Messe bei den Alten gewesen ist, ob sie erlaubt war oder nicht, darüber streiten wir jetzt nicht. Nur das sagen wir frei heraus, dass die Messe, die heute in der ganzen römischen Kirche gebräuchlich ist, in unseren Kirchen aus zahlreichen und höchst triftigen Gründen abgeschafft ist, die wir jetzt der Kürze halber nicht einzeln erwähnen können. Keinesfalls konnten wir es billigen, dass aus der heilbringenden Handlung ein leeres Schauspiel und eine Verdienstquelle gemacht wurde, oder dass sie gegen Bezahlung gefeiert wird, ferner, dass man sagt, der Priester „mache“ dabei den wahren Leib Christi und opfere ihn wirklich zur Vergebung der Sünden, für Lebende und Tote, dazu etwa noch zur Ehre oder zur Feier oder zum Gedächtnis der Heiligen im Himmel und so weiter. 22. Die Gemeindegottesdienste und der Kirchgang Obwohl es allen erlaubt ist, die heiligen Schriften zu Hause für sich zu lesen und einander gegenseitig durch Belehrung im wahren Glauben zu erbauen, sind heilige Versammlungen oder kirchliche Zusammenkünfte dennoch durchaus nötig, um dem Volk das Wort Gottes ordnungsgemäß zu verkündigen, um öffentlich Bitte und Gebet zu tun, die Sakramente ordnungsgemäß zu feiern und für die Armen, für alle nötigen Aufwendungen der Kirche und zur Aufrechterhaltung der gebräuchlichen kirch-

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lichen Tätigkeit Beiträge zu sammeln. Denn es steht fest, dass in der apostolischen Urgemeinde Versammlungen dieser Art von allen Frommen häufig besucht wurden. Sooft man diese geringschätzt und sich davon absondert, verachtet man den wahren Glauben. Solche Leute müssen von den Pastoren und den gottesfürchtigen Behörden dringend ermahnt werden, dass sie nicht fortfahren, sich hartnäckig abzusondern und die heiligen Versammlungen zu verlassen. Die kirchlichen Versammlungen sollen aber nicht verborgen und heimlich, sondern öffentlich und regelmäßig abgehalten werden, sofern nicht eine Verfolgung durch die Feinde Christi und seiner Kirche es hindert, dass sie öffentlich stattfinden. Denn wir wissen, wie einst die Versammlungen der ersten Gemeinden unter der Gewaltherrschaft der römischen Kaiser an verborgenen Orten stattfanden. Die Stätten, an denen die Gläubigen zusammenkommen, sollen aber würdig und der Kirche Gottes in jeder Hinsicht angemessen sein. Dafür sind geräumige Gebäude und Kirchen zu wählen. Sie sind jedoch rein zu halten von allen Dingen, die der Kirche nicht wohl anstehen. Es soll aber auch alles angeordnet werden, was zur Schicklichkeit, zum notwendigen Bedarf und zum frommen Anstand gehört, damit nichts fehle, was man für die gottesdienstlichen Handlungen und die kirchliche Tätigkeit überhaupt benötigt. Wie wir aber glauben, dass Gott nicht wohne „in Tempeln von Händen gemacht“ (Apg 17,24), so wissen wir doch aus Gottes Wort und aus den heiligen Gebräuchen, dass die Gott und seiner Anbetung gewidmeten Stätten nicht gewöhnliche, sondern heilige Orte sind, und wer sich darin aufhält, soll sich ehrerbietig und geziemend benehmen, da er ja an heiligem Orte ist, vor Gottes und seiner heiligen Engel Angesicht. Daher ist von den Kirchen und Bethäusern der Christen jede Kleiderpracht, alle Hoffart und alles, was christliche Demut, Zucht und Bescheidenheit verletzt, durchaus fernzuhalten. Der wahre Schmuck der Kirchen besteht auch nicht in Elfenbein, Gold und Edelsteinen, sondern in der Einfachheit, Frömmigkeit und den Tugenden derer, die im Gotteshaus weilen. Alles aber geschehe in der Kirche anständig und ordentlich, alles diene schließlich der Erbauung (1. Kor 14,26.40). Fort also mit den fremden Sprachen in den Gottesdiensten! Alles soll vorgetragen werden in der Volkssprache, die am Ort selbst von den Leuten in der Versammlung verstanden wird. 23. Die Kirchengebete, der Gesang und die Gebetszeiten Natürlich ist es erlaubt, für sich allein in jeder Sprache, die man versteht, zu beten; aber die öffentlichen Gebete im Gottesdienst sollen in der gewöhnlichen oder allen Leuten verständlichen Sprache gehalten werden. Jedes Gebet der Gläubigen soll sich aus Glauben und Liebe durch die alleinige Mittlerschaft Christi allein an Gott richten. Die Heiligen im

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Himmel anzurufen oder sie als Fürbitter in Anspruch zu nehmen, verbietet das Priestertum des Herrn Christus und der wahre Glaube. Man muss auch für die Obrigkeit, „für Könige und alle, die in obrigkeitlicher Stellung sind“, für die Diener der Kirche und alle Bedürfnisse der Gemeinden Fürbitte tun (1. Tim 2,1). Bei Heimsuchungen aber, und besonders bei solchen der Kirche, soll man ohne Unterlass zu Hause und öffentlich beten. Das Gebet geschehe freiwillig, nicht gezwungen, und ohne jedes Entgelt. Es gehört sich auch nicht, dass das Gebet abergläubisch an eine bestimmte Stätte gebunden wird, als ob man nicht auch anderswo als in der Kirche beten dürfte. Es ist nicht nötig, dass die öffentlichen Gebete nach Form und Zeit in allen Gemeinden gleich seien. Die Gemeinden mögen da nur alle von ihrer Freiheit Gebrauch machen. Sokrates [von Konstantinopel] sagt in seinem Kirchengeschichtswerk: „Man kann durchweg in allen Gegenden nicht zwei Gemeinschaften finden, die im Beten genau übereinstimmen.“ Die Urheber dieser Verschiedenheit waren jeweils, wie ich glaube, die derzeitigen Vorsteher der Gemeinden. Wenn sie aber einmal übereinstimmen, so erscheint uns das sehr empfehlenswert und nachahmenswert für andere. Es schickt sich aber auch in den öffentlichen Gebeten wie in jeder Sache, Maß zu halten, dass sie nicht zu lang und damit lästig werden. Den größten Teil der Zeit verwende man im Gottesdienst deshalb auf die Lehre des Evangeliums und hüte sich wohl, im Gottesdienst das Volk durch zu lange Gebete zu ermüden, sodass die Leute, wenn man dann die Predigt des Evangeliums anhören sollte, entweder wünschen, die Versammlung zu verlassen oder wegen Ermüdung überhaupt ihr Ende herbeisehnen. Solchen kommt dann in der Predigt auch das noch zu lang vor, was sonst kurz genug gefasst ist. Auch für die Prediger gehört es sich, dass sie Maß halten. So soll man auch den Gesang im Gottesdienst mit Maß gebrauchen, wo er üblich ist. Der sogenannte Gregorianische Kirchengesang hat viel Ungereimtes an sich; deshalb ist er mit Grund von unseren und zahlreichen Gemeinden abgeschafft worden. Gibt es etwa Gemeinden, die das gläubige und ordnungsgemäße Gebet pflegen, aber keinen Gesang haben, so soll man ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Denn nicht alle Gemeinden sind aufs Singen eingerichtet. Aus den Zeugnissen der Alten Kirche geht übrigens bestimmt hervor, dass der Gesang, wie er ein uralter Brauch war in den morgenländischen Gemeinden, so später auch von den abendländischen übernommen wurde. Die kanonischen Stunden – die sieben Gebetszeiten –, das heißt, die auf bestimmte Stunden des Tages festgelegten, von den Päpstlichen gesungenen und gelesenen Gebete, hat die Alte Kirche nicht gekannt. Dies kann aus den Stundengebeten selbst und mit zahlreichen Gründen bewiesen werden. Sie enthalten aber viel Abgeschmacktes – um es nicht schärfer aus-

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zudrücken; deshalb unterlässt man sie mit Recht in den Gemeinden, die an ihre Stelle etwas setzen, was der ganzen Gemeinde Gottes heilsam ist. 24. Die Feiertage, das Fasten und die Auswahl der Speisen Obwohl die Religion an keine Zeit gebunden ist, so kann sie doch nicht ohne rechte Einteilung oder Ordnung der Zeit gepflanzt und geübt werden. Deshalb wählte jede Gemeinde für sich eine bestimmte Zeit zum öffentlichen Gebet, zur Predigt des Evangeliums und zur Feier der Sakramente. Es ist aber nicht jedem erlaubt, nach Belieben diese Ordnung der Gemeinde umzustürzen. Und wenn keine rechte Muße zur Ausübung der äußeren Glaubenspflichten eingeräumt wird, lassen sich die Menschen bestimmt durch ihre Geschäfte davon abziehen. Daher sehen wir in den altchristlichen Gemeinden nicht nur, dass bestimmte Stunden in der Woche für die Versammlungen festgesetzt waren, sondern dass der Sonntag selbst von der apostolischen Zeit an jenen Versammlungen und der heiligen Ruhe geweiht war. Das wird auch jetzt noch um des Gottesdienstes und um der Liebe willen so von unseren Gemeinden gehalten. Doch lassen wir keine jüdische Gesetzlichkeit und abergläubische Sitten zu. Denn wir glauben nicht, dass ein Tag heiliger sei als der andere, und meinen nicht, dass das Nichtstun an sich Gott schon gefalle, sondern wir feiern und halten darum in freier Weise den Herrentag [= Sonntag] und nicht den Sabbat. Wir sind außerdem auch sehr damit einverstanden, wenn die Gemeinden gemäß der christlichen Freiheit das Gedächtnis an die Geburt des Herrn, seine Beschneidung, sein Leiden und seine Auferstehung, seine Himmelfahrt und die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger in frommer Weise feiern. Doch billigen wir nicht Feste zu Ehren von Menschen oder Heiligen. Natürlich gehören die Feiertage zu den Geboten der ersten Gesetzestafel und gebühren Gott allein. Die Heiligenfeste, die wir abgeschafft haben, enthalten ja zudem sehr viel Abgeschmacktes, Unnützes und völlig Unerträgliches. Indessen geben wir zu, dass es nicht unnütz ist, zu gegebener Zeit und am rechten Ort in frommen Predigten dem Volk das Gedenken an die Heiligen zu empfehlen und ihm das fromme Vorbild der Heiligen vor Augen zu stellen. Je mehr aber die Kirche Christi zu klagen hat über Schwelgerei und Trunksucht, über allerlei Wollust und Unmäßigkeit, umso eifriger empfiehlt sie uns christliches Fasten. Fasten ist nämlich nichts anderes als die Enthaltsamkeit und Mäßigkeit der Frommen, die Zucht, Wachsamkeit und Bestrafung unseres Fleisches, der wir uns je nach der jeweiligen Notwendigkeit unterziehen und wodurch wir uns vor Gott demütigen und die entzündliche Gier des Fleisches mindern, damit es umso leichter und lieber dem Geist gehorche. Deshalb fasten diejenigen gar nicht, die

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dem nicht Rechnung tragen, sondern zu fasten meinen, wenn sie nur einmal am Tag den Bauch vollstopfen und sich dann zu bestimmter und vorgeschriebener Zeit gewisser Speisen enthalten, in der Meinung, dass sie schon durch die Vollbringung dieses Werkes Gott gefielen und damit ein gutes Werk täten. Das Fasten ist vielmehr nur eine kleine Beihilfe zum Gebet der Heiligen [= Gläubigen] und zu jeglicher Tugend. Jenes Fasten gefiel Gott nicht – wie man in den Büchern der Propheten sehen kann –, bei dem sich die Juden wohl der Speisen, nicht aber der Laster enthielten. Es gibt ein öffentliches und ein privates Fasten. Öffentliche Fastenzeiten feierte man einst in Zeiten der Heimsuchung und Anfechtung der Kirche. Da enthielt man sich überhaupt der Speise bis zum Abend. Diese ganze Zeit aber verbrachte man mit heiligen Gebeten sowie dem Gottesdienst und der Buße. Dies war nicht viel anderes als eine Äußerung der Trauer, und bei den Propheten wird solches häufig erwähnt, besonders bei Joel in Kapitel 2,12 ff. Ein Fasten solcher Art soll auch heute in Notzeiten der Kirche gefeiert werden. Für sich selber aber kann jeder von uns ein Fasten auf sich nehmen, je nachdem er fühlt, dass sein Geist ermattet. Dann entzieht er eben seinem Fleisch die entzündliche Gier. Alles Fasten soll aus freiem, bereitwilligem und gedemütigtem Geist hervorgehen und nicht auferlegt sein, um den Beifall oder die Gunst von Menschen zu erlangen, noch viel weniger dazu, dass der Mensch sich dadurch verdienstliche Gerechtigkeit erwerben will. Jeder faste aber zu dem Zweck, dass er seinem Fleisch die entzündliche Gier entziehe und Gott umso inbrünstiger diene. Das vierzigtägige Fasten vor Ostern ist wohl in der Alten Kirche bezeugt, jedoch kein einziges Mal in den Schriften der Apostel; also soll und darf es den Gläubigen nicht auferlegt werden. Sicher ist, dass es einst verschiedene Formen und Bräuche dieses Fastens gab. Daher sagt schon der sehr alte Schriftsteller Irenäus: „Die einen glauben, das Fasten nur an einem Tag beobachten zu müssen, andere an zwei, wieder andere an mehreren, einige sogar an vierzig Tagen.“ Diese Verschiedenheit in der Beobachtung des Fastens hat also nicht erst in unseren Tagen angefangen, sondern lange vor uns bei jenen, die, wie ich glaube, nicht einfach festhielten, was von Anfang an überliefert war, sondern entweder infolge Nachlässigkeit oder Unkenntnis später in eine andere Sitte verfielen. Auch der Kirchengeschichtsschreiber Sokrates sagt: „Weil darüber keine einzige alte Nachricht zu finden ist, glaube ich, dass die Apostel dies der Entscheidung der Einzelnen überließen, sodass jeder ohne Furcht und Zwang das tut, was gut ist.“ Was nun die Auswahl der Speisen betrifft, glauben wir, dass man beim Fasten dem Fleisch all das entziehen soll, wodurch es unbändiger wird,

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woran es sich allzu maßlos ergötzt und wovon eben die entzündliche Gier des Fleisches kommt, seien es Fische, Fleisch, Gewürze, Leckerbissen oder starke Weine. Sonst wissen wir, dass alle Geschöpfe Gottes geschaffen sind zum Gebrauch und Dienst der Menschen (Gen 2,15). Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und ohne Unterschied (Gen 1,31), jedoch in der Furcht Gottes und mit rechtem Maß zu gebrauchen. Denn der Apostel sagt: „Den Reinen ist alles rein“ (Tit 1,15). Ebenso: „Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, esset, ohne um des Gewissens willen etwas zu untersuchen“ (1. Kor 10,25). Derselbe Apostel nennt die Lehre derer, die „gebieten, sich von Speisen zu enthalten […], eine Lehre von Dämonen“ (1. Tim 4,1 ff.). Denn die Speisen habe Gott für die, welche gläubig sind und die Wahrheit erkannt haben, geschaffen, „damit sie mit Danksagung genossen werden. Denn alles von Gott Geschaffene ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird“ usw. (1. Tim 4,1 ff.). Ebenso tadelt er im Kolosserbrief diejenigen, die sich durch übertriebene Enthaltsamkeit das Ansehen besonderer Heiligkeit geben wollen (Kol 2,18 ff.). Wir verwerfen daher gänzlich die Lehre der Tatianer und Enkratiten sowie aller Schüler des Eustachius, gegen welche die Synode von Gangra einberufen wurde. 25. Der Jugendunterricht und die Krankenseelsorge Der Herr hat seinem alten Bundesvolk auf die Seele gebunden, der rechten Unterweisung der Jugend von früher Kindheit an größte Sorgfalt zu widmen, und hat in seinem Gesetz verschiedentlich befohlen, die Kinder zu unterrichten und ihnen die Geheimnisse der Sakramente zu erklären. Da aber aus den evangelischen und apostolischen Schriften bestimmt hervorgeht, dass Gott nicht weniger an die Jugend seines neuen Bundesvolkes denkt, da er öffentlich bezeugt und sagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen […], denn solchen gehört das Reich Gottes“ (Mk 10,14), tun die Hirten der Gemeinden sehr wohl daran, wenn sie die Jugend frühzeitig und fleißig unterweisen, indem sie die ersten Grundlagen des Glaubens legen und die Hauptstücke unserer Religion treulich lehren, nämlich durch Erklärung der Zehn Gebote Gottes, des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, des Herrengebetes, der Bedeutung der Sakramente sowie anderer derartiger Anfangsgründe und wichtigster Hauptpunkte unserer Religion. Die Gemeinde beweise aber ihre Treue und Sorgfalt darin, dass sie die Kinder zur Unterweisung anhält, muss sie doch wünschen und sich darüber freuen, wenn die Kinder recht unterwiesen werden. Da aber die Menschen niemals schwereren Anfechtungen ausgesetzt sind, als wenn sie durch Schwäche geplagt oder krank sind, bedrückt an Seele und Leib, haben die Hirten der Gemeinden eigentlich nie sorgfältiger über das Heil ihrer Herde zu wachen, als bei derartigen Krankheiten

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und Schwächezuständen. Sie sollen deshalb die Kranken bald besuchen, sollen aber auch von den Kranken rechtzeitig gerufen werden, sofern es ihr Zustand erfordert. Sie sollen jene trösten, im wahren Glauben stärken und sie wappnen gegen die verderblichen Einflüsterungen des Teufels. Sie sollen auch beim Kranken häusliche Gebete anordnen und, wenn es nötig ist, sollen sie für das Heil des Kranken auch öffentlich im Gottesdienst beten und sorgen, dass er selig aus dieser Welt abscheide. Doch den papistischen Krankenbesuch mit seiner letzten Ölung können wir, wie bereits gesagt, nicht gutheißen, weil er viel Abgeschmacktes an sich hat und von der Heiligen Schrift nicht gebilligt und uns nicht überliefert wird. 26. Das Begräbnis der Gläubigen, die Fürsorge für die Toten, das Fegefeuer und die Erscheinung von Geistern Die Heilige Schrift befiehlt, die Leiber der Gläubigen, weil sie Tempel des Heiligen Geistes sind und man mit Recht an ihre Auferstehung am Jüngsten Tag glaubt, schicklich und ohne Aberglauben der Erde zu übergeben, aber auch der Gläubigen ehrend zu gedenken, die im Herrn selig entschlafen sind, und ihren Hinterlassenen wie Witwen und Waisen alle Dienste christlicher Bruderliebe zu erweisen. Darüber hinaus gibt es nach unserer Lehre nichts für die Toten zu sorgen. Wir missbilligen deshalb aufs schärfste die Zyniker, welche die Leiber der Toten vernachlässigen oder sie völlig gleichgültig und verächtlich in eine Grube werfen oder die niemals ein gutes Wort über die Verstorbenen sagen oder sich um ihre Hinterlassenen nicht im Geringsten bekümmern. Wir missbilligen aber anderseits auch die Leute, die sich in übertriebener und verkehrter Weise um ihre Toten sorgen und wie die Heiden ihre Toten beklagen  – eine mäßige Trauer, wie sie der Apostel 1. Thessalonicher 4,13 zulässt, tadeln wir nicht, indem wir es geradezu unmenschlich fänden, überhaupt nicht zu trauern –, die also für die Toten opfern, bestimmte Gebete, und zwar gegen Bezahlung, dahermurmeln, in der Absicht, ihre Angehörigen durch Dienste dieser Art aus den Qualen, in die sie durch den Tod hineingeraten sind, zu befreien, und meinen, sie könnten durch solche Totenklagen daraus tatsächlich befreit werden. Denn wir glauben, dass die Gläubigen nach dem Tod des Leibes geradewegs zu Christus gehen und deshalb weder der Unterstützung noch der Fürbitte der Lebenden noch all ihrer Dienste irgendwie bedürfen. Ebenso glauben wir, dass die Ungläubigen geradewegs in die Hölle gestürzt werden, aus der man den Gottlosen durch keinerlei Dienste der Lebenden einen Ausgang schafft. Was aber gewisse Leute vom Fegefeuer berichten, widerspricht dem Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an die Vergebung der Sünden und an ein ewiges Leben“ und einer völligen Reinigung durch Christus sowie den folgenden Aussprüchen des Herrn Christus:

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„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben, und in ein Gericht kommt er nicht, sondern er ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24); ebenso: „Wer gebadet ist, hat nichts anderes nötig, als die Füße zu waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein […]“ (Joh 13,10). Was man nun schon berichtet über Geister und Seelen von Verstorbenen, die gelegentlich den Lebenden erscheinen und von ihnen Dienste begehren zu ihrer Erlösung, so halten wir diese Erscheinungen für Spott, List und Betrug des Teufels, der, wie er sich in einen Engel des Lichts verwandeln kann, so sich auch alle Mühe gibt, den wahren Glauben zu zerstören oder in Zweifel zu ziehen. Der Herr hat schon im Alten Testament verboten, von den Toten die Wahrheit zu erforschen und irgendwelchen Verkehr mit den Geistern zu pflegen (Dtn 18,11). Dem reichen Mann aber, da er in der Hölle Pein litt, wird die Rückkehr zu seinen Brüdern verweigert, wie das untrügliche Evangelium erzählt, indem die göttliche Stimme ausdrücklich verkündigt: „Sie haben Mose und die Propheten; sie sollen auf sie hören! […] Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht gewinnen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht“ (Lk 16,9 ff.). 27. Die Gebräuche, die Zeremonien und die Mitteldinge Dem alten Bundesvolk wurden einst Zeremonien als eine Art Zuchtmittel gegeben, denen, die unter dem Gesetz wie unter einem Erzieher und Vormund gehalten wurden; aber seit dem Erscheinen des Erlösers Christus und nach Aufhebung des Gesetzes und als Gläubige sind wir nicht mehr unter dem Gesetz, und die Zeremonien sind verschwunden (Röm 6,14). Die Apostel wollten diese eben unter keinen Umständen in der Kirche Christi behalten oder erneuern, wie sie öffentlich bezeugt haben, dass sie der Kirche keinerlei Last auflegen wollten (Apg 15,10.28). Deshalb würde es aussehen, als ob wir das Judentum wieder einführen und neuerdings aufrichten wollten, wenn wir in der Kirche Christi nach der Art der Alten Kirche die Zeremonien und Gebräuche vermehrten. Und darum billigen wir keineswegs die Meinung derer, die finden, die Kirche Christi müsse durch mancherlei verschiedene Zeremonien gleichsam unter Kinderzucht gehalten werden. Denn wenn die Apostel dem christlichen Volk die Zeremonien und Gebräuche göttlichen Ursprungs nicht auferlegen wollten, wer mit gesundem Menschenverstand, bitte, wird ihm zufällige Eigentümlichkeiten von Menschen aufzwingen wollen? Je mehr Gebräuche sich in der Kirche anhäufen, desto mehr wird nicht nur der christlichen Freiheit, sondern auch Christus selbst und dem Glauben an ihn Abbruch getan, da das Volk dann das, was es durch den Glauben allein bei Gottes Sohn, Jesus Christus, suchen sollte, bei den Gebräuchen sucht. Es genügen da-

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rum den Frommen die wenigen bescheidenen, einfachen und dem Wort Gottes nicht widersprechenden Gebräuche. Finden sich nun in den Gemeinden unterschiedliche Gebräuche, so halte niemand die Gemeinden deshalb für uneins. Sokrates sagt: „Es wäre unmöglich gewesen, alle Gebräuche der Gemeinden in Städten und Ländern zu beschreiben. Keine Religion beobachtet überall dieselben Gebräuche, mag sie auch darüber dasselbe lehren. Auch diejenigen also, die den gleichen Glauben haben, unterscheiden sich voneinander in den Gebräuchen.“ So weit Sokrates. Heute nun haben wir in unseren Kirchen verschiedene Gebräuche bei der Feier des heiligen Abendmahls und in einigen anderen Dingen; jedoch in der Lehre weichen wir deshalb nicht voneinander ab, und weder die Einheit noch die Gemeinschaft unserer Kirchen wird dadurch zerrissen. Immer aber haben sich die Kirchen bei derartigen Gebräuchen, weil es Mitteldinge sind, der Freiheit bedient. Und so halten wir es auch heute. Wir warnen indessen davor, zu den Mitteldingen etwas zu rechnen, was in Wirklichkeit nicht zu den Mitteldingen gehört, wie einige die Messe und den Gebrauch von Bildern in der Kirche für Mitteldinge zu halten pflegen. „Gleichgültig“ – hat Hieronymus zu Augustin gesagt – „ist das, was weder gut noch böse ist, sodass man weder Gerechtigkeit übt noch ein Unrecht begeht, ob man es tue oder nicht.“ Wenn deshalb Mitteldinge mit dem Glaubensbekenntnis verquickt werden, so hören sie auf, frei zu sein. So zeigt Paulus, man dürfe Fleisch essen, wenn niemand daran erinnere, dass es den Götzen geweiht sei, sonst sei es unerlaubt, weil der, der es esse, schon durch dessen Genuss den Götzendienst zu billigen scheine (1. Kor 8,9 ff.; 10,25 ff.). 28. Das Kirchengut Die Güter der Kirche haben ihren Ursprung in der Wohltätigkeit von Fürsten und in der Freigebigkeit der Gläubigen, die ihr Vermögen der Kirche geschenkt haben. Denn die Kirche hat Mittel nötig und besaß von alters her Vermögen zur Befriedigung der kirchlichen Bedürfnisse. Der richtige Gebrauch der Kirchengüter bestand einst und besteht heute noch in der Erhaltung der Lehre in Schulen und heiligen Versammlungen sowie des Gottesdienstes, der kirchlichen Gebräuche und des Kirchen­ gebäudes, ferner in der Erhaltung der Lehrer, Schüler und Diener sowie anderer notwendiger Dinge, vor allem in der Unterstützung und im Unterhalt der Armen. Darum soll man gottesfürchtige, weise und in der Vermögensverwaltung kundige Männer wählen, die das Kirchengut ordnungsgemäß verwalten. Wenn aber die Kirchengüter wegen der Unbill der Zeit oder durch Gewalttat, Unwissenheit oder Habsucht gewisser Leute in Missbrauch

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geraten sind, sollen sie von frommen und weisen Männern wieder ihrem heiligen Gebrauch zugeführt werden. Denn gegen solch kirchenschänderischen Missbrauch darf man nicht nachsichtig sein. Daher lehren wir, man müsse Schulen und Stifte, die in Lehre, Gottesdienst und Sitten ausgeartet sind, umgestalten und die Armenpflege gottesfürchtig, in guten Treuen und mit weiser Vorsicht handhaben. 29. Der ledige Stand, die Ehe und der Hausstand Wer vom Himmel die Gabe der Ehelosigkeit hat, sodass er von Herzen und von ganzem Gemüt rein und enthaltsam ist und nicht von brennender Begierde geplagt wird, der möge in diesem Beruf Gott dienen, solange er sich mit diesem göttlichen Geschenk begabt fühlt, und er erhebe sich nicht über die anderen, sondern diene dem Herrn ständig in Einfalt und Demut. Diese Leute aber eignen sich besser dazu, göttliche Dinge zu besorgen, als solche, die durch private Familienpflichten abgelenkt werden. Würde ihnen aber diese Gabe wieder entzogen und würden sie eine ständige Begierde verspüren, so mögen sie des Apostelwortes gedenken: „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ (1. Kor 7,9). Die Ehe nämlich – ein Heilmittel für die Unenthaltsamkeit und selber Enthaltsamkeit – ist von Gott, dem Herrn, selber eingesetzt, der sie reichlich gesegnet hat und wollte, dass Mann und Weib einander gegenseitig unzertrennlich anhangen und in höchster Liebe und Eintracht zusammenleben (Mt 19,4 ff.). Wissen wir doch auch, dass der Apostel gesagt hat: „Die Ehe sei in Ehren bei allen und das Ehebett unbefleckt“ (Hebr 13,4), und: „Wenn die Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht“ (1. Kor 7,28). Wir verwerfen aber die Vielweiberei und die Ansicht derjenigen, welche die zweite Ehe verpönen. Wir lehren, die Ehe sei ordnungsgemäß zu schließen in der Furcht Gottes und nicht im Widerspruch zu den Gesetzen, die einige Verwandtschaftsgrade verbieten, damit keine blutschänderische Ehe entstehe. Die Ehe soll geschlossen werden im Einverständnis mit den Eltern oder ihren Stellvertretern, und zwar hauptsächlich zu jenem Zweck, zu dem der Herr die Ehe gestiftet hat, und soll öffentlich in der Kirche mit Gebet und Einsegnung bestätigt werden. Endlich soll man sie heilig halten in unverbrüchlicher Gattentreue, Anhänglichkeit, Liebe und Reinheit. Man hüte sich vor Streit, Zwietracht, Lüsten und Ehebruch. Es sollen daher in der Kirche ordnungsgemäße Gerichte und fromme Richter bestellt werden, welche die Ehen schützen und jede Unkeuschheit und Schamlosigkeit abstellen und von denen Ehestreitigkeiten zu schlichten sind. Die Kinder sollen von den Eltern in der Furcht des Herrn erzogen werden. Ebenso sollen die Eltern für die Kinder sorgen, eingedenk des Apostelwortes: „Wenn aber jemand für die Seinigen und besonders für

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die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1. Tim 5,8). Besonders aber sollen sie ihre Kinder einen ehrbaren Beruf lernen lassen, mit dem sie ihr Brot verdienen können, sollen sie dem Müßiggang entziehen und ihnen in alledem wahres Gottvertrauen einpflanzen, damit sie weder durch Misstrauen noch durch Vertrauensseligkeit oder aus hässlicher Habgier auf Abwege kommen und keine rechten Früchte zeitigen. Und ganz gewiss sind jene Werke, die Eltern im wahren Glauben tun, in Erfüllung der ehelichen und häuslichen Pflichten, vor Gott heilig und wahrhaft gut und gefallen Gott nicht weniger als Gebete, Fasten und Almosen. So hat der Apostel Paulus auch in seinen Briefen, besonders im 1. Timotheus- und im Titusbrief gelehrt. Wir rechnen aber mit diesem Apostel zu den Lehren des Satans die Lehre jener, welche die Ehe verbieten oder öffentlich tadeln oder heimlich verdächtigen, als ob sie nicht heilig und rein sei. Wir verabscheuen aber die unreine Ehelosigkeit, Gier und verborgene und offenbare Hurerei der Heuchler, die Enthaltsamkeit vortäuschen und doch am allerwenigsten enthaltsam sind. Diese alle wird Gott richten. Reichtum und Reiche, sofern sie fromm sind und ihren Reichtum recht gebrauchen, verwerfen wir nicht. Dagegen verwerfen wir die Sekte der Apostoliker und ihresgleichen. 30. Die Obrigkeit Jede Art von Obrigkeit ist von Gott selbst eingesetzt zu Frieden und Ruhe des menschlichen Geschlechtes, und zwar so, dass sie in der Welt die oberste Stellung innehat. Ist sie der Kirche feindlich gesinnt, so kann sie diese schwer hindern und stören. Ist sie ihr aber freundlich gesinnt und sogar ein Glied der Kirche, so ist sie ein höchst nützliches und hervorragendes Glied der Kirche, weil sie ihr sehr viele Vorteile bieten und ihr schließlich auch aufs Allerbeste helfen kann. Vornehmste Aufgabe der Obrigkeit ist es, für den Frieden und die öffentliche Ruhe zu sorgen und sie zu erhalten. Das kann sie natürlich niemals auf glücklichere Weise tun, als wenn sie wahrhaft gottesfürchtig und fromm ist, das heißt nach dem Vorbild der allerheiligsten Könige und Fürsten des Gottesvolkes die Predigt der Wahrheit und den reinen Glauben fördert, Lügen und jeden Aberglauben, samt aller Gottlosigkeit und allem Götzendienst, ausrottet und die Kirche schützt. Also lehren wir, dass einer christlichen Obrigkeit die Sorge für die Religion in erster Linie obliege. Sie soll selbst Gottes Wort zur Hand haben und dafür sorgen, dass nichts ihm Widersprechendes gelehrt werde. Sie regiere ferner das Volk, das ihr von Gott anvertraut ist, mit guten, dem Wort Gottes entsprechenden Gesetzen und halte es in Zucht, Pflicht und Gehorsam. Die Recht-

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sprechung übe sie gerecht aus, sehe nicht die Person an und nehme keine Geschenke entgegen; Witwen, Waisen und Bedrängten stehe sie bei; Ungerechte, Betrüger und Gewalttätige halte sie in Schranken und rotte sie sogar aus. Denn nicht umsonst hat sie von Gott das Schwert empfangen (Röm 13,4). Sie ziehe deshalb dieses Schwert Gottes gegen alle Verbrecher, Aufrührer, Räuber und Mörder, Bedrücker, Gotteslästerer, Meineidigen und gegen alle die, die Gott zu bestrafen und sogar zu töten befohlen hat. Sie halte in Schranken auch die unbelehrbaren Irrgläubigen – die wirklich Irrgläubige sind! –, wenn sie nicht aufhören, Gottes Majestät zu lästern und die Kirche Gottes zu verwirren, ja zugrunde zu richten. Und falls es nötig ist, sogar durch einen Krieg das Wohl des Volkes wahrzunehmen, so unternehme sie in Gottes Namen den Krieg, sofern sie vorher auf jede Weise den Frieden gesucht hat und nicht anders als durch einen Krieg ihr Volk retten kann. Und wenn die Obrigkeit dies im Glauben tut, dient sie Gott mit alledem als mit wahrhaft guten Werken und empfängt Segen vom Herrn. Wir verwerfen die Lehre der Wiedertäufer, die behaupten, ein Christ dürfe kein obrigkeitliches Amt bekleiden und niemand dürfe von der Obrigkeit mit Recht hingerichtet werden, oder die Obrigkeit dürfe keinen Krieg führen, oder man dürfe der Obrigkeit keinen Eid leisten und dergleichen mehr. Wie also Gott will, dass das Wohl seines Volkes durch die Obrigkeit gewahrt werde, die er der Welt gleichsam wie einen Vater gegeben hat, so ist auch allen Untertanen befohlen, die in der Obrigkeit liegende Guttat Gottes anzuerkennen. Man soll die Obrigkeit deshalb achten und ehren als Dienerin Gottes; man soll sie lieben, ihr ergeben sein, auch für sie wie für einen Vater beten; man soll all ihren gerechten und billigen Befehlen gehorchen und Steuern, Abgaben und was derartige Schuldigkeiten sind treulich und willig bezahlen. Und wenn es das öffentliche Wohl des Vaterlandes oder die Gerechtigkeit erfordert und die Obrigkeit notgedrungen einen Krieg unternimmt, soll man auch das Leben dahingeben und sein Blut für das gemeine Wohl und die Obrigkeit vergießen, und zwar in Gottes Namen, willig, tapfer und frohgemut. Wer sich aber der Obrigkeit widersetzt, der fordert Gottes schweren Zorn gegen sich heraus. Wir verwerfen deshalb alle Verächter der Obrigkeit: Rebellen, Staatsfeinde, aufrührerische Taugenichtse und alle, die sich je und je offen oder auf Umwegen weigern, ihren schuldigen Pflichten zu genügen. Wir bitten Gott, unseren gütigsten Vater im Himmel, dass er die Häupter des Volkes, auch uns und sein ganzes Volk segne durch Jesus Christus, unseren einzigen Herrn und Heiland; ihm sei Lob und Ehre und Dank von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

23. Konsens von Sandomierz (Consensus Sendomirensis) (1570) Einleitung Der polnisch-litauische Staatenbund umfasste in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Gebiet, das von Posen im Westen über Preußen, Samogitien und Litauen bis ins heutige Belarus im Osten reichte und weite Teile der Ukraine im Südosten einschloss. 1569, im Jahr, in dem der Bund offiziell von einer Personalunion zur Doppelmonarchie wurde (Lubliner Union), gestaltete sich die konfessionelle Landschaft vielfältig: in Großpolen und Preußen gab es vor allem lutherische Gemeinden, in Litauen und Kleinpolen hingegen dominierten die Reformierten. Dazu kamen vereinzelte Gemeinden der Böhmischen Brüder, die nach ihrer Vertreibung aus Böhmen im Osten Zuflucht gefunden hatten, sowie diverse nonkonformistische Gruppen. Der katholischen Kirche gelang es nach dem Abschluss des Trienter Konzils wieder verstärkt, in Polen Fuß zu fassen. Die politische Umstrukturierung einerseits, vor allem aber der zunehmende Druck durch die Katholiken andererseits, forcierte unter den evangelischen Strömungen die Notwendigkeit zur Einigung, um beiden äußeren Bedrohungspotenzialen gemeinsam begegnen zu können. Um auf einem anstehenden Reichstag ein Bekenntnis präsentieren zu können, trafen sich Vertreter der reformierten und lutherischen Kirchen Polens sowie der Böhmischen Brüder im April 1570 zu einer Synode in Sandomierz, einer Kleinstadt auf halbem Weg zwischen Krakau und Lublin. Auf ein gemeinsames Bekenntnis konnten sich die Anwesenden nicht einigen. Das lag allein schon an den unterschiedlichen Kräfteverhältnissen: Die Reformierten dominierten die Tagung weitgehend. Bei der Confessio Sendomirensis, die als Diskussionsgrundlage eingegeben und besprochen wurde, handelte es sich im Wesentlichen um eine polnische Übersetzung des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses von 1566 des Zürcher Kirchenvorstehers Heinrich Bullinger. Schließlich verständigte man sich im pragmatischen Konsens von Sandomierz darauf, die Lehren der anderen Kirchen wechselseitig als rechtgläubig anzuerkennen und die Wahrheit gegen gemeinsame Feinde (Katholiken, Nonkonformisten) zu verteidigen. Der Text der Einigungsartikel wurde von einer kleinen Arbeitsgruppe ausgearbeitet, die paritätisch aus je drei Reformierten und Lutheranern sowie einem Vertreter der Böhmischen Brüder besetzt war. In der besonders strittigen Abendmahlsfrage stellt der Konsens ein Nebeneinander zwischen reformierter und lutherischer Auffassung her,

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mit dem Ziel, die Konflikte bis zur Verabschiedung eines gemeinsamen Bekenntnisses zu befrieden. Somit wird mit dieser Übereinkunft eine Art Einheit in versöhnter Verschiedenheit geschaffen, die bis heute als Vorläufer für spätere Unionsbemühungen angesehen wird. Drei Jahre nach der Synode von Sandomierz wurde in der Warschauer Konföderation auch die politische Grundlage für eine Koexistenz verschiedener Konfessionen in der Doppelmonarchie geschaffen. Entgegen den ursprünglichen Planungen folgte jedoch kein gemeinsames evangelisches Bekenntnis mehr. Der Konsens wurde noch bis Ende des 16. Jahrhunderts regelmäßig bekräftigt, dann aber von lutherischer Seite aufgekündigt. Edition Konsens von Sandomierz – Consensus Sendomirensis, in: RefBS 3/1: 1570–1599, 1–20 (Bearb.: Henning P. Jürgens/Kęstutis Daugirdas) Literatur Urszula Augustyniak, Confessio Sandomiriensis. Eine historische Einführung, in: Confessia. Wyznánie wiáry powszechney Kosciołow Krzésciańskich Polskich Krotko á prostemi słowny zámknione, hg. v. ders./Rafał Leszcynski, Warschau 1994, Beilage, 1–32 Oskar Bartel, Der Consensus Sendomiriensis vom Jahre 1570 im Lichte der ökumenischen Bestrebungen in Polen und Litauen im 16., 17. und 18. Jahrhundert, in: LuJ 40 (1973), 107–128 Lorenz Hein, Der Sandomirer Konsens von 1570, in: Kyrios NF 3 (1963), 65–77 Lorenz Hein, Das Zweite Helvetische Bekenntnis und der Sandomirer Konsens von 1570, in: Die Zürcher Reformation. Ausstrahlungen und Rückwirkungen, hg. v. Alfred Schindler/Hans Stickelberger, Bern 2001, 425–431 Janusz Małłek, Sandomir, Consensus von, in: TRE 30 (1999), 29–32 Michael Müller, Der Consensus Sendomirensis – Geschichte eines Scheiterns? Zur Diskussion über Protestantismus und protestantische Konfessionalisierung in PolenLitauen im 16. Jahrhundert, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Joachim Bahlcke u. a., Leipzig 2006, 397–408 Einleitung und Übersetzung: Rieke Eulenstein

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Konsens von Sandomierz (Consensus Sendomirensis) (1570) Gemeinsame Übereinstimmung über die Hauptpunkte der christlichen Religion zwischen den Kirchen Groß- und Kleinpolens, Litauens, Russlands und Samogitiens, in welchen sie sich in mancher Weise zu unterscheiden schienen vom Augsburger Bekenntnis, von den waldensischen [= Böhmischen] Brüdern und von den Schweizern. Sandomierz, im Jahr des Herrn 1570, am 14. April. Nachdem es lange und viele Konflikte mit den sektiererischen Antitrinitariern, Ebioniten und Täufern gab, sind wir endlich durch göttliche Gnade aus all jenen großen und beklagenswerten Streitigkeiten herausgekommen. Deswegen haben die reformierten und rechtgläubigen Kirchen von Polen, die nach Ansicht der Feinde der Wahrheit und des Evangeliums in einigen Hauptartikeln und Lehrformeln nicht einmütig schienen, aus Liebe zu Frieden und Eintracht eine Synode einberufen und eine gemeinsame Übereinkunft unter ihnen bezeugt. Wir haben darum eine freundschaftliche und christliche Konferenz abgehalten und mit vereinten Herzen die folgenden Punkte beschlossen. Erstens. Weder wir, die auf dieser gegenwärtigen Synode unser Bekenntnis [von Sandomierz] abgegeben haben, noch die Brüder haben jemals geglaubt, dass jene, die dem Augsburger Bekenntnis anhängen, etwas anderes halten als fromme und rechtgläubige Lehren über Gott, die heilige Dreifaltigkeit, die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die Rechtfertigung und andere Hauptpunkte unseres Glaubens. So haben auch diejenigen, die dem Augsburger Bekenntnis folgen, aufrichtig und ernsthaft bekannt, dass sie sowohl an dem Bekenntnis unserer Kirchen als auch an dem der Brüder, die sie Waldenser [= Böhmische Brüder] nennen, nichts über Gott und die heilige Dreifaltigkeit, die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die Rechtfertigung und andere Hauptpunkte christlichen Glaubens erkennen, was nicht in Übereinstimmung mit der rechtgläubigen Wahrheit und dem reinen Wort Gottes sei. Ebenso sind wir gemeinsam ein heiliges Versprechen eingegangen, um einträchtig die Herrschaft des Wortes Gottes, diesen einmütigen Konsens über die wahre und reine Religion Christi, gegen die Päpstlichen, gegen Sektierer, also gegen alle Feinde des Evangeliums und der Wahrheit zu verteidigen. Ferner, soweit es den unglücklichen Streit um das Abendmahl betrifft, sind wir übereingekommen im Gedenken an die Worte [unseres Herrn Jesus Christus], wie sie nach der rechtgläubigen Erkenntnis von den

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[Kirchen-]Vätern begriffen sind, vor allem von Irenäus. Dieser sagt, dass dieses Mysterium aus zwei Dingen bestehe, nämlich einem irdischen und einem himmlischen. Wir beanspruchen auch nicht, dass die Elemente nur nackte und leere Zeichen seien, sondern zugleich durch die Sache selbst den Glaubenden zeigen und vermitteln, was sie bedeuten. Schließlich kommen wir zusammen, um deutlicher und verständlicher zu benennen, dass wir glauben und bekennen: Die leibliche Anwesenheit Christi wird nicht nur angedeutet, sondern wahrlich im Mahl genossen, und [Leib und Blut Christi] werden empfangen, verteilt und dargeboten mit den Zeichen, die der Sache selbst anhängen und, der Natur der Sakramente folgend, keineswegs nackt sind. Damit nicht aus unterschiedlichen Ausdrucksweisen irgendwelche Streitigkeiten geboren werden, wurde darüber hinaus in einmütigem Konsens beschlossen, unserem Bekenntnis den Artikel des Bekenntnisses der sächsischen Kirchen über das Abendmahl beizufügen, der im Jahr 1551 an das Konzil von Trient geschickt wurde und den auch wir als fromm anerkennen und annehmen. In diesem Bekenntnis heißt es: „Sowohl Taufe als auch Abendmahl sind Beweise und Zeugnisse der Gnade“, wie zuvor gesagt wurde, „die uns an die Verheißung und die ganze Erlösung erinnern und zeigen, dass die Wohltaten des Evangeliums sich auf die Einzelnen beziehen, die diese Zeremonien feiern“ etc. bis zum Ende des Artikels. Damit jedoch dieser heilige und einmütige Konsens ein Band werde, sind wir der Meinung und darin übereingekommen: So wie [die sächsischen Kirchen] uns und unsere Kirchen und unser Bekenntnis, das in dieser Synode veröffentlicht wurde, und die Brüder als rechtgläubig bezeugt haben, werden wir auch jene mit der gleichen christlichen Liebe begleiten und als rechtgläubige Kirche anerkennen. Und zuletzt verabschieden wir uns und beerdigen jeglichen Streit, Zerwürfnisse und Trennungen, die den Lauf des Evangeliums, nicht ohne größte Verteidigung vieler Frommer, schwerfällig gemacht haben und daher unseren Feinden Gelegenheiten verschafften, uns zu Unrecht anzuklagen und unserer wahren christlichen Religion zu widersprechen. Im Gegenteil müssen wir uns um Frieden und öffentliche Ruhe bemühen, einträchtige Liebe üben und einträchtige Werke zum Aufbau der Kirchen in brüderlicher Vereinigung vorantreiben. Außerdem versprechen wir mit dem einmütigen Konsens, dass wir alle unsere Brüder überzeugen und einladen werden, sich diesem christlichen und einträchtigen Konsens anzuschließen, ihn zu pflegen und zu erhalten und ihn zu fördern und einzuprägen, besonders durch regelmäßiges Hören des Wortes und den Gebrauch der Sakramente sowie Versammlungen mit denen, die zu anderen Konfessionen gehören. Dabei achten wir jedoch

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auf die rechte Ordnung und den Grad der Disziplin sowie den Brauch einer jeden Kirche. Ritus und Zeremonien belassen wir mit dieser Eintracht und Vereinigung einer jeden Kirche frei. Es kommt nicht so sehr darauf an, welche Riten beachtet werden, solange die Lehre selbst – die Grundlage unseres Glaubens und Heils – rein und unverfälscht bleibt. Davon lehren auch das Augsburger und das Sächsische Bekenntnis, und wir bringen es zum Ausdruck in unserem Bekenntnis, das wir auf der gegenwärtigen Synode von Sandomierz veröffentlicht haben. Deswegen versprechen wir, mit Rat und Tat zur einmütigen Liebe unter uns beizutragen und danach uns um den Bestand und das Wachstum aller frommen, rechtgläubigen und reformierten Kirchen der ganzen König­reiche, Litauens, Samogitiens, der frommen rechtgläubigen und reformierten Kirchen als Teile eines Körpers zu kümmern. Um wenn sie, diese Kirchen, allgemeine Synoden feiern werden und uns dies anzeigen, sollen sie ebenfalls ohne Schwierigkeiten zu unseren allgemeinen Synoden kommen, wenn sie dazu eingeladen werden. Und um diesen Konsens und die einmütige Eintracht zur Vollendung zu bringen, um diese brüderliche Gemeinschaft zu erhalten und zu bewahren, denken wir, dass es nicht ungünstig sei, an einem bestimmten Ort zusammenzukommen, wo wir eine Zusammenfassung aus dem einmütigen Lehrkorpus der Bekenntnisse auswählen und veröffentlichen – immer dann, wenn Feinde der Wahrheit uns dazu nötigen –, um neidische Menschen zum Schweigen zu bringen mit größtem Trost aller Frommen, unter dem Titel aller reformierten Kirchen Polens, sowohl Litauens wie auch Samogitiens, die unserem einmütigen Bekenntnis zustimmen. Nachdem wir einander die Hände gereicht haben, haben wir heilig versprochen und angenommen, alle tatkräftig Glauben und Frieden zu pflegen und jeden Tag mehr und mehr für den Aufbau des Reiches Gottes einzutreten und alle Gelegenheiten zur Spaltung der Kirchen vermeiden zu wollen. Schließlich geloben wir selbst, nicht nach unseren eigenen Interessen zu streben, sondern, um wahre Diener Gottes zu werden, allein den Ruhm unseres Erlösers Jesus Christus zu fördern und die Wahrheit des Evangeliums durch Worte und Taten zu verbreiten. Damit das Glück sicher und standhaft in Ewigkeit bleibe, beten wir eifrig zu Gott dem Vater, dem Urheber und der reichen Quelle allen Wohlstands und Friedens, der uns und unsere Kirchen aus den engen Schatten des Papsttums befreit und ihnen das Licht seines reinen Wortes und seiner heiligen Wahrheit gegeben hat. Er will uns segnen mit diesem unserem heiligen Frieden, Übereinstimmung, Vereinigung und Bund zum Ruhm seines Namens und zum Aufbau seiner Kirche. Amen. Amen.

24. Die Akten der Emder Synode (1571) Einleitung In Emden tagte vom 4.–13. Oktober 1571 eine Synode im Exil. Abgesandte verfolgter Gemeinden in den damaligen Niederlanden sowie flämischer und wallonischer Flüchtlingsgemeinden, die sich am Niederrhein, in Ostfriesland und in der Pfalz angesiedelt hatten, waren angereist. Die niederländischen „Gemeinden unter dem Kreuz“ waren der Unterdrückung und den Angriffen der spanischen Herrschaft ausgesetzt und wurden wegen ihrer reformatorischen Gesinnung angefeindet und verfolgt. Seit den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts entstand eine große Flüchtlingsbewegung. Am Niederrhein, in der Pfalz, in Ostfriesland und in England wurden Flüchtlingsgemeinden gegründet – aufgebaut in der Hoffnung, dass man bald in die Heimat zurückkehren könne. Unter der Statthalterschaft des Herzogs von Alba und nach dem Beginn des niederländischen Aufstands 1568, der den Auftakt des Achtzigjährigen Niederländisch-Spanischen Krieges bildete, wuchs indes die Anzahl der Flüchtlinge erheblich und ging in die Zehntausende. Die Emder Synode schuf die Grundlage dafür, dass die Flüchtlingsgemeinden und die „unter dem Kreuz“ in den Niederlanden verbliebenen Gemeinden ihr kirchliches Leben selber organisieren konnten. Im Mittelpunkt stand die Notwendigkeit, die Einheit der Gemeinden sicherzustellen, Streitigkeiten zu schlichten und mit anderen protestantischen Kirchen in Europa in Kontakt zu kommen. Die Leistung der Synode bestand darin, dass sie einen gestuften Aufbau der Kirche von der Ortsgemeinde mit dem Konsistorium (Presbyterium) über die Classis mit ihrer Versammlung, die Provinzsynode (frühere Bezeichnung: Provinzialsynode)  bis hin zur Generalsynode eingeführt hat. In einem Einladungsschreiben vom 30. Juni 1571 wird aufgezeigt, dass die Synode ein großer Gewinn für die Kirche sein würde. Als Ergebnis der Beratungen liegt ein dreiteiliges Beschlussdokument in lateinischer Sprache vor. Dieses beruht vor allem auf Johannes Calvins Auffassung von der Ordnung der Kirche und greift u. a. auf die Kirchenordnung der französischen Protestanten (Discipline ecclésiastique) von 1559 und auf das Hugenottische Bekenntnis (Confessio Gallicana) von 1559 zurück. Der erste Teil Generalia enthält die grundlegenden Beschlüsse: Artikel 1–9 thematisieren die Bekenntnisse und Katechismen sowie die Zuordnung von Konsistorium, Versammlung der Classis, Provinzsynode und Generalsynode. Artikel 10–18 wenden sich den Classes der Gemein-

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den sowie der Pastoren-, Ältesten- und Diakonenwahl zu. Artikel 19–21 äußern sich zu Taufe und Abendmahl, Artikel 22–24 zur Ehe und Arti­ kel 25–34 zur Kirchenzucht. Artikel 35–53 enthalten Regelungen zur Besetzung von Pfarrstellen, zur Ausbildung der Pastoren, zur Sammlung und zum Aufbau von Gemeinden, zur Aufnahme von Geflüchteten und zu einer Martyriumsgeschichte. Im zweiten Teil Particularia sind in 25 Artikeln die Antworten auf die Fragen aus den Gemeinden und besondere Anliegen enthalten. Der dritte Teil umfasst in 26 Artikeln die Synodalordnung mit den Unterschriften der Teilnehmer. Die originalen Akten sind schon seit mehr als 350 Jahren nicht mehr auffindbar. Sehr bald wurden Abschriften und Übersetzungen angefertigt. In manche Protokollbücher von Gemeinden, Classes und Synoden, die in Archiven und Bibliotheken in den Niederlanden, Belgien und Deutschland nachgewiesen sind, wurden die Emder Beschlüsse eingetragen. Die Akten der Emder Synode wurden für zahlreiche reformierte Kirchen wegweisend und entfalteten ihre Wirkung auf deren Kirchenordnungen. Das gilt zunächst für die niederländische Kirche, in der auf die Emder Synode eine Reihe weiterer Synoden folgten. Die in Emden entwickelte Ordnung eines Zusammenwirkens unterschiedlicher Gremien zur gegenseitigen Unterstützung und Entlastung fand schon bald weit über die Kirche hinaus auch in Gesellschaft und Politik Beachtung; man spricht vom Prinzip der Subsidiarität, der zufolge der übergeordneten Entscheidungsebene nur das vorgelegt wird, was vor Ort nicht entschieden werden kann. Edition Acta synodi ecclesiarum Belgicarum, quae sub cruce sunt et per Germaniam et Phrisiam orientalem dispersae, habitae Embdae 4. die Octobris anno 1571, in: Die Akten der Synode der Niederländischen Kirchen zu Emden vom 4.–13. Oktober 1571. Im lateinischen Grundtext mitsamt den alten niederländischen, französischen und deutschen Übersetzungen, hg. v. J. F. Gerhard Goeters, Neukirchen-Vluyn 1971, 13–88 Übersetzung Matthias Freudenberg/Aleida Siller, Emder Synode 1571. Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne, Göttingen 2020, 71–92 (Übers.: Matthias Freudenberg) Literatur Emder Synode 1571–1971. Beiträge zur Geschichte und zum 400jährigen Jubiläum, bearb. u. redigiert v. Elwin Lomberg, hg. v. der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland, Neukirchen-Vluyn 1973 Matthias Freudenberg/Aleida Siller, Emder Synode 1571. Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne, Göttingen 2020 Herbert Frost, Gedanken über das reformierte Kirchenverfassungsrecht am Niederrhein zwischen Emden (1571) und Duisburg (1610), in: ders., Ausgewählte Schriften zum Staats- und Kirchenrecht, hg. v. Manfred Baldus, Tübingen 2001, 116–173

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Aleida Siller (Hg.), Emder Synode 1571. Erinnerungsort – Kulturtransfer, Göttingen 2022 Hellmut Zschoch, Die presbyterial-synodale Ordnung – Prinzip und Wandel, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 55 (2006), 199–217 Einleitung und Übersetzung: Matthias Freudenberg

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Die Akten der Emder Synode (1571) Die Akten der Synode der niederländischen Gemeinden, die unter dem Kreuz sind und die in Deutschland und Ostfriesland verstreut sind, gehalten in Emden am 4. Oktober 1571. 1. Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone Vorrang haben oder Herrschaft beanspruchen. Sie sollen lieber dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit dazu aus dem Weg gehen. 2. Es erschien den Brüdern richtig, das Bekenntnis der niederländischen Gemeinden [= Niederländisches Bekenntnis] zu unterschreiben, um die Übereinstimmung in der Lehre zu erklären, die unter den niederländischen Gemeinden besteht. Um die Übereinstimmung und Gemeinschaft dieser Gemeinden mit den Gemeinden Frankreichs zu erklären, erschien es ihnen richtig, das Glaubensbekenntnis jenes Reiches [= Hugenottisches Bekenntnis] ebenso zu unterschreiben. Das taten sie im festen Vertrauen darauf, dass die Pastoren dieser Gemeinden das Glaubensbekenntnis der niederländischen Gemeinden ebenfalls unterschreiben werden, um ihre gegenseitige Übereinstimmung zum Ausdruck zu bringen. 3. Petrus Dathenus und Johannes Taffinus wurden gewählt, um diesen Beschluss auf der nächsten Synode in Frankreich den Pastoren mitzuteilen und über ihre Antwort bei der nächsten Versammlung der Brüder zu berichten. 4. Es sollen auch diejenigen niederländischen Pastoren zur Unterschrift aufgefordert werden, die bei dieser Versammlung nicht anwesend sind. Ebenso soll auch von all denen eine Unterschrift geleistet werden, die künftig zum Dienst am Wort berufen werden, und zwar vor Antritt ihres Dienstes. 5. Die Brüder sind der Ansicht, dass in den französischen Gemeinden der Genfer Katechismus und in den deutschen Gemeinden der Heidelberger Katechismus benutzt werden soll. Wenn jedoch Gemeinden einen anderen mit Gottes Wort übereinstimmenden Katechismus benutzen, sind sie zu keinem Wechsel verpflichtet. 6. In den einzelnen Gemeinden sollen Sitzungen oder Konsistorien der Pas­toren, Ältesten und Diakone stattfinden. Das geschieht mindestens einmal in der Woche zu der Zeit und an dem Ort, die den einzelnen Gemeinden am geeignetsten erscheinen.

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7. Außer diesen Sitzungen sollen alle drei oder sechs Monate auch Versammlungen der Classes einiger benachbarter Gemeinden stattfinden, so wie es ihnen zweckmäßig und notwendig erscheint. 8. Ferner soll einmal im Jahr je für sich eine Versammlung aller Flüchtlingsgemeinden in Deutschland und Ostfriesland tagen, ebenso eine Versammlung der Gemeinden in England und der Gemeinden, die unter dem Kreuz sind. 9. Schließlich soll auch alle zwei Jahre eine Versammlung aller nieder­ ländischen Gemeinden tagen. Die Classes der niederländischen Flüchtlingsgemeinden in Deutschland und Ostfriesland 10. Eine Versammlung der Classis bilden beide Gemeinden in Frankfurt [am Main], die Gemeinde in Schönau, die französische Gemeinde in Heidelberg, die Gemeinden in Frankenthal und Lambrecht; eine weitere beide Gemeinden in Köln, beide Gemeinden in Aachen, die Gemeinden in Maastricht, Limbourg, Neuss und die Gemeinden im Herzogtum Jülich; eine weitere die Gemeinden in Wesel, Emmerich, Goch, Rees, Gennep und im Herzogtum Kleve; eine weitere die Gemeinde in Emden mit den eingewanderten Pastoren und Ältesten aus Brabant, Holland und Westfriesland. Die Classes der Gemeinden unter dem Kreuz 11. Eine Versammlung der Classis bilden beide Gemeinden in Antwerpen, die Gemeinden in ’s-Hertogenbosch, Breda, Brüssel und alle anderen Gemeinden in Brabant; eine weitere die Gemeinden in Gent, Mortier, Ronse, Oudenaarde, Wervik, Comines und die übrigen Gemeinden, die in beiden Teilen Flanderns liegen; eine weitere die Gemeinden in Tournai, Lille, Arras, Douai, Armentières und Valenciennes und die übrigen französischsprachigen Gemeinden; eine weitere die Gemeinden in Amsterdam, Delft und die übrigen Gemeinden in Holland, Overijssel und Westfriesland. 12. Die Brüder in England sollen aufgefordert werden, ihre Gemeinden auf Classes zu verteilen. 13. Die Pastoren sollen vom Konsistorium mit Zustimmung der Versammlung der Classis oder zweier oder dreier benachbarter Pastoren gewählt werden. Die Gewählten werden dann der Gemeinde vorgestellt, die sie entweder mit schweigender Zustimmung akzeptiert oder innerhalb von ungefähr 14 Tagen Einspruch einlegt, wenn sie aus irgendeinem Grund

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der Wahl nicht recht zustimmen mag. Wenn aber Gemeinden den bei ihnen bestehenden Brauch einer Wahl durch die Gemeinde nicht ändern wollen, wird das geduldet, bis eine Generalsynode anders beschließt. 14. Das gleiche Verfahren ist bei der Wahl von Ältesten und Diakonen zu beachten. Dabei muss keine Zustimmung bei der Versammlung der Classis oder bei den benachbarten Pastoren eingeholt werden. 15. Jedes Jahr scheidet die Hälfte der Ältesten und Diakone aus. An ihre Stelle treten andere, die ebenfalls zwei Jahre lang Dienst tun. Dabei haben besonders die Gemeinden unter dem Kreuz nun die Freiheit, einen längeren oder kürzeren Zeitraum zu bestimmen, wenn ihnen das zweckmäßig und notwendig erscheint. 16. Die Pastoren werden von denen geprüft, die sie gewählt haben. Wenn ihre Lehre und ihr Leben gebilligt werden, sollen sie in ihrem Dienst mit feierlichem Gebet und Handauflegung bestätigt werden. Dabei darf nicht der Eindruck eines abergläubischen oder mit Zwang durchgeführten Ritus entstehen. 17. Kein Pastor darf in einer fremden Gemeinde ohne Zustimmung ihres Pastors und ihres Konsistoriums oder  – bei Abwesenheit des Pastors  – ohne Zustimmung des Konsistoriums predigen. 18. Wer sich an Orten, an denen der Dienst des Pastors schon besteht, in dieses Amt einschleichen will, wird vom Konsistorium verwarnt. Sollte er trotzdem hartnäckig bleiben, müssen sofort drei oder vier oder möglichst noch mehr benachbarte Pastoren aus der betreffenden Classis zusammengerufen werden, um diese Person zum Gemeindespalter zu erklären. Gegen solche, die sich über alle Ermahnungen beharrlich hinwegsetzen und dem jetzt zum Gemeindespalter Erklärten weiter zuhören, geht das Konsistorium nach den Vorschriften der Kirchenzucht vor. Zur Praxis der Taufe 19. Es ist unwesentlich, ob man bei der Taufe einmal oder dreimal mit Wasser benetzt wird. Daher stellen wir den Gemeinden frei, nach dem bei ihnen geltenden Brauch zu verfahren, bis die nächste Generalsynode anders entscheidet. 20. Ob man Paten zur Taufe hinzuzieht oder nicht, ist ebenfalls eine Frage der Gewohnheit. Daher sind die Gemeinden frei darin, an dem bei ihnen geltenden Brauch festzuhalten, bis eine Generalsynode anders entscheidet.

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[Zur Praxis] des Abendmahls 21. In den Gemeinden, bei deren Einrichtung wir Freiheit haben, soll bei der Austeilung des Abendmahls gewöhnliches Brot verwendet und gebrochen werden. Ob man das Abendmahl im Gehen, Stehen oder Sitzen feiert, halten wir für gleichgültig. Daher können die Gemeinden so verfahren, wie es ihnen am zweckmäßigsten erscheint. Es wird den Gemeinden freigestellt, während des Abendmahls Psalmen zu singen oder die Heilige Schrift zu verlesen, ebenso Worte Christi oder des Paulus bei der Darreichung von Brot und Wein zu verwenden (Mt 26,26–28 parr; 1. Kor 11,23–26). Man hüte sich aber, durch das Aussprechen von Worten den Anschein oder Eindruck einer Weihe der Elemente [Brot und Wein] zu erwecken. Die Ehe 22. Niemand, der unter der Gewalt seiner Eltern oder ihrer Vertreter steht, darf ohne ihre Zustimmung eine Ehe schließen. Ohne ihre Zustimmung ist ein Eheversprechen ungültig. Wenn jedoch Eltern sich dabei störrisch und unzugänglich erweisen, dass sie unter keinen Umständen ihre Zustimmung geben wollen – was manchmal aus Abneigung gegenüber der Religion oder aus anderen Gründen geschieht  –, dann entscheidet das Konsistorium darüber, ob der Grund, diese heilige Einrichtung zu verhindern, stichhaltig ist. 23. Eine rechtmäßig geschlossene Ehe kann auch dann nicht aufgehoben werden, wenn beide Seiten dem zustimmen. Es ist darauf zu achten, dass ein Pastor oder ein Ältester der Gemeinde beim Eheversprechen anwesend ist. So kann er vor dem gegenseitigen Versprechen feststellen, ob beide Partner den reinen Glauben haben, ob die Eltern zustimmen und ob – falls einer von ihnen oder beide vorher schon verheiratet waren – über den Tod des früheren Gatten ein ordentlicher Nachweis vorliegt. 24. Die Namen derer, welche die Ehe eingehen wollen, werden an drei Sonntagen oder ansonsten dreimal in angemessenen Abständen vor der versammelten Gemeinde bekanntgegeben. Die Kirchenzucht 25. Wir meinen, dass in den einzelnen Gemeinden die Kirchenzucht ausgeübt werden muss. Die Aufgabe der Pastoren besteht nicht nur darin, öffentlich zu lehren, zu ermahnen und zurechtzuweisen, sondern auch privat einen jeden an seine Pflicht zu erinnern. Dafür sollen auch die Ältesten Sorge tragen.

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26. Wenn nun jemand von der reinen Lehre abgewichen ist oder in seinem Lebenswandel gesündigt hat, so muss die von Christus in Matthäus 18 eindeutig gegebene Regel angewandt werden (Mt 18,15–18). Voraussetzung ist, dass der Vorfall verborgen geblieben ist und keinen öffentlichen Anstoß erregt hat. 27. Verborgen gebliebene Sünden also, die der Sünder bei sich selber oder nach Ermahnung vor ein, zwei oder drei Zeugen bereut hat, werden nicht vor das Konsistorium gebracht. Wenn solche Sünden jedoch dem Gemeinwesen oder der Kirche schweren Schaden zufügen – zum Beispiel Verrat oder Verführung der Seelen  –, sollen sie dem Pastor gemeldet werden, um nach seinem Rat zu erwägen, was in dieser Angelegenheit zu tun ist. 28. Wenn jemand bei verborgenen Sünden nicht auf die Ermahnung zweier oder dreier Brüder hört oder es zur öffentlichen Sünde kommen lässt, wird das vor das Konsistorium gebracht. 29. Für Sünden, die ihrer Natur nach öffentlich sind oder wegen Missachtung der Ermahnungen der Gemeinde in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, muss eine öffentliche Wiedergutmachung erfolgen. Das geschieht nicht nach dem Urteil des einen oder anderen Bruders, sondern des gesamten Konsistoriums. Über Art und Weise der Maßnahme entscheidet die jeweilige Gemeinde nach dem Maßstab, der ihr zu ihrem Aufbau am zweckmäßigsten erscheint. 30. Wer hartnäckig die Ermahnungen des Konsistoriums abweist, wird vom Abendmahl ausgeschlossen. Wenn der so Ausgeschlossene nach wiederholten Ermahnungen kein Zeichen der Reue erkennen lässt, dann muss man den Ausschluss aus der Gemeinde vollziehen. 31. Der Pastor soll den hartnäckigen Sünder öffentlich von der Kanzel aus ermahnen. Er legt dessen Verfehlung dar und erklärt, wie er selber bei der Zurechtweisung, beim Ausschluss vom Abendmahl und schließlich bei der gewissenhaften Ermahnung seine Pflicht getan hat. Er hält die Gemeinde dazu an, für den nicht zur Umkehr bereiten Sünder fleißig zu beten, bevor sie sich gezwungen sieht, zum letzten Mittel – dem Ausschluss aus der Gemeinde – zu greifen. So geschehen also drei Mahnungen. Bei der ersten wird der Sünder nicht genannt, um ihn dadurch noch zu schonen. Bei der zweiten wird sein Name bekanntgegeben. Bei der dritten wird der Gemeinde angekündigt, dass er – sollte er sich nicht ändern – ausgeschlossen werden muss, um ihn dann, wenn er hartnäckig bleibt, unter schweigender Zustimmung der Gemeinde tatsächlich von ihr auszuschließen. Die

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Zeitspanne zwischen den einzelnen Ermahnungen liegt im Ermessen des Konsistoriums. Wenn ein derart hartnäckiger Sünder sich nicht einmal durch diese Maßnahmen ändert, wird vor der Gemeinde sein Ausschluss und seine Trennung vom Leib der Kirche verkündet. Der Pastor erklärt diese Maßnahme und den Zweck des Ausschlusses ausführlich und ermahnt die Glaubenden, keinen engen und unnötigen Kontakt mit dem Ausgeschlossenen zu pflegen, sondern die Gesellschaft mit ihm zu meiden. Sie sollen das vor allem unter dem Gesichtspunkt tun, dass der Ausgeschlossene aus Scham und mit vollem Ernst sich ändert. 32. Wer schwere Sünden begangen hat, welche die Gemeinde in Miss­ kredit bringen und von der Obrigkeit geahndet werden müssen, bleibt von der Abendmahlsgemeinschaft ausgeschlossen, auch wenn er Reue zeigt. Wie lange er ausgeschlossen bleibt, liegt im Ermessen des Konsistoriums. 33. Wenn Pastoren, Älteste und Diakone eine öffentliche Verfehlung begangen haben, die der Gemeinde schadet und von der Obrigkeit geahndet werden muss, sollen Älteste und Diakone unverzüglich auf Weisung des Konsistoriums abgesetzt, die Pastoren aber von der Ausübung ihres Dienstes entbunden werden. Ob sie von ihrem Dienst abgesetzt werden, muss die Versammlung der Classis entscheiden. Sind sie mit deren Entscheidung nicht zufrieden, können sie bei der Provinzsynode Berufung einlegen. 34. Die Frage, ob bereits abgesetzte Pastoren, Älteste und Diakone, die der Gemeinde durch Reue Genüge getan haben, nach erneuter Wahl wieder zum Dienst zugelassen werden dürfen, muss für Älteste und Diakone das Konsistorium, für Pastoren aber die Versammlung der Classis entscheiden. 35. Die aus den Niederlanden stammenden Pastoren, die sich zum Dienst in auswärtigen Gemeinden verpflichtet haben, sollen, wenn sie von niederländischen Gemeinden zurückgerufen werden, alles daransetzen, dieser Berufung nachzukommen. Dabei legen ihre Gemeinden eine angemessene Frist fest, in der sie sich nach anderen Pastoren umsehen können. Wenn aber die auswärtigen Gemeinden sie nicht freigeben wollen, erfolgt eine Berufung in eine andere, unbeteiligte Gemeinde. Diejenigen aber, die sich noch nicht fest verpflichtet haben, werden ermahnt, sich die Freiheit zur Annahme einer Berufung zu bewahren. 36. Auch sollen die Gemeindeglieder, welche die Dienste eines noch freien Pastors in Anspruch genommen haben, für dessen Unterhalt sorgen, wenn es erforderlich ist.

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37. Diejenigen, die sich infolge ihrer Flucht an einem Ort gesammelt haben, sollen einigen Studenten Unterhalt anbieten und sie an sich binden. Wenn sie aber auf ihren Dienst nicht mehr angewiesen sind und zulassen, dass eine andere Gemeinde die Studenten ganz an sich bindet, können sie die gemachten Aufwendungen zurückfordern. Anders aber steht es, wenn sie die Studenten der anderen Gemeinde nur für eine gewisse Zeit überlassen. 38. Es gibt ein Verzeichnis der zurzeit nicht im Dienst stehenden und anderer zum Dienst am Wort geeigneter Pastoren. Einige hier anwesende Pastoren der einzelnen Classes sind dazu bestimmt worden, im Namen dieser Synode den Pastoren ihrer Classis einen Auftrag zu geben. Sie sollen sorgfältig nachforschen, ob es in ihren Classes Gemeinden gibt, die ohne Pastoren dastehen, und sie auffordern, einen Pastor zu berufen, und ihnen einige aus dem Verzeichnis vorschlagen, damit jemand im gegenseitigen Einvernehmen berufen wird. 39. Für Emden sind gewählt: Dominicus Julius, Cornelius Rhetius, Johannes Arnoldi; für Wesel: Johannes Lippius, Petrus Rickius, Michael Jordanis. An diese Männer sollen die niederländisch-deutschen Gemeinden, die keine Pastoren haben, schreiben. Sie nennen ihnen Pastoren, die sich bei ihnen oder in der Umgebung aufhalten. 40. Ist eine Gemeinde so arm, dass sie den berufenen Pastor nicht ernähren kann, so soll die Classis erwägen, ob zunächst mehrere Nachbargemeinden miteinander verbunden werden können. Außerdem werden die Pastoren der Flüchtlingsgemeinden aufgefordert, ihre Gemeindemitglieder um Hilfe zu bitten. Besonders sollen sie diejenigen zur Hilfe bewegen, die zu der Provinz gehören, in der die arme Gemeinde liegt. Auch die Pastoren selber sollen hierin den anderen ein gutes Beispiel geben. 41. An den Orten, an denen der Dienst am Wort nicht eingerichtet werden kann, setzen die Pastoren der Classis Lektoren, Älteste und Diakone ein, damit die Gemeinden sich so versammeln können. 42. Die Pastoren und Ältesten der Classes unter dem Kreuz sollen in allen Städten und Dörfern ihrer und der benachbarten Classes sorgfältig nach denjenigen suchen, die für den wahren Glauben aufgeschlossen sind, und sie an ihre Pflicht erinnern. Sie sollen sich also bemühen, Gemeinden oder wenigstens deren Anfänge zu sammeln. Zur besseren Durchführung teilen diese Classes sich in die benachbarten Städte und Dörfer auf, damit kein Ort übersehen wird. Die gleiche Sorgfalt sollen die Flüchtlingsgemeinden

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für die Städte und für die anderen benachbarten Orte aufwenden, was besonders für die gilt, die weit von den Classes entfernt liegen. Die geflohenen Gläubigen unterstützen die Pastoren aus den Classes unter dem Kreuz dadurch, dass sie ihnen umsichtig die Namen derer nennen, die nach ihrer Meinung dort für den Glauben aufgeschlossen gewesen sind, von wo sie vertrieben oder ausgewandert sind. 43. Sehr nützlich ist eine Verbindung der Gemeinden untereinander in der Art, dass sie sich durch häufigen Briefwechsel über das austauschen, was in den Gemeinden allgemein und in einigen auch im Besonderen zur Förderung ihres Bestandes und Wachstums beiträgt. Sie sollen auch Irrlehrer, Gemeindespalter, Leute, die sich für Geld kaufen lassen, Laufburschen und andere derart schädliche Gestalten beim Namen nennen, damit die Gemeinden sich vor ihnen in Acht nehmen können. 44. Es muss auch der schweren Belastung der Gemeinden begegnet werden, die täglich durch die Leichtfertigkeit derer zunimmt, die allzu schnell ihren Wohnsitz wechseln, und anderer, die unter dem Vorwand ihrer Armut und ihres Glaubens die Almosen an sich reißen, welche für die einheimischen Gläubigen notwendig sind und ihnen zustehen. In den einzelnen Gemeinden soll öffentlich darauf hingewiesen werden, dass diejenigen, die wegziehen, künftig in anderen Gemeinden nur dann wie Einheimische unterstützt werden, wenn sie ein von ihrer früheren Gemeinde ausgestelltes Zeugnis über ihr Leben und ihren Glauben vorlegen. 45. Die Pastoren sollen diejenigen, die sie um ein Zeugnis bitten, sorgfältig befragen, weshalb sie wegziehen wollen. Sie sollen ihnen strikt das Zeugnis verweigern, wenn sie feststellen, dass kein triftiger Grund für ihren Wegzug vorliegt. Pastoren und Diakone sollen sich hüten, allzu leichtfertig ihre Gemeinden von den Armen zu entlasten und andere Gemeinden ohne Notwendigkeit mit ihnen zu belasten. Bei denen, welchen sie ein Zeugnis geben können, nennen sie: Name, Vorname, Geburtsort, Beruf, Grund des Wegzugs, Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde, Lebensführung, Zeitpunkt der Abreise, Ziel der Reise und Ähnliches. 46. Den Wegziehenden soll so viel mitgegeben werden, wie sie bis zur nächsten Gemeinde, die sie erreichen, brauchen. Die Summe wird im Zeugnisbrief notiert. Dasselbe sollen die anderen Gemeinden tun, durch die sie ziehen, und zwar jede Gemeinde nach ihren Möglichkeiten. Wenn der überreichte Zeugnisbrief und alles andere in Ordnung ist, sollen sie ihnen so viel geben, wie nach ihrer Meinung bis zur nächsten Gemeinde notwendig ist. Das tragen sie im Zeugnisbrief gemeinsam mit dem Tag der

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Abreise ein. So sollen auch die anderen Gemeinden verfahren, bis jene am Zielort angekommen sind, wo das Zeugnis vernichtet wird. 47. Wer nach dem kommenden November seine Gemeinde ohne Zeugnis oder mit einem Schreiben, das nicht dieser Ordnung entspricht, verlässt, gilt nicht als Glaubensgenosse, dem man nach der Weisung des Paulus am meisten Gutes tun soll (Gal 6,10; 1. Tim 5,8). Wenn trotzdem jemand aus den Gemeinden unter dem Kreuz kommt oder von Orten, an denen kein Predigtdienst besteht, soll man ihn prüfen, ob er beten, Rechenschaft über seinen Glauben ablegen, den Grund für seine Reise angeben kann und Ähnliches. Die Diakone werden klug genug einschätzen, wieweit man ihnen so helfen muss. 48. Im Namen dieser Synode wird Herr von St. Aldegonde gebeten, eine geschichtliche Darstellung über alles zu verfassen, was sich seit einigen Jahren in den Niederlanden zugetragen hat. Dabei geht es besonders um die Errichtung von Gemeinden, ihre Verfolgung, die Beseitigung und Wiederherstellung des Götzendienstes, die Standhaftigkeit der Märtyrer, die furchtbaren Gerichte Gottes über die Verfolger, die politischen Umwälzungen und Ähnliches. 49. Die Pastoren der einzelnen Gemeinden und alle anderen, die durch ihre Arbeit zu diesem Vorhaben beitragen können, sollen alles sorgfältig in Erfahrung bringen, was damit im Zusammenhang steht. Das teilen sie einem von den dazu Ausgewählten schriftlich mit. Diese tragen Sorge dafür, dass das später zuverlässig an Herrn von St. Aldegonde weitergegeben wird. 50. Gewählt sind für Emden: Christoph Becanus und Cornelius Rhetius; für Wesel: Petrus Rickius und Carolus Niellius; für Köln: Adrian Koningsloe und Johannes de Roy; für Aachen: Johannes Christianus und Johannes Hueckelom; für Frankfurt [am Main]: Herr de Balieu und Sebastian Matte; für Heidelberg: Petrus Dathenus und Johannes Taffinus; für Frankenthal: Gaspar Heydanus und Petrus Anthonius; für Schönau: Franziscus Junius; für Lambrecht: Nikolaus Schoubroeck. 51. Niemand darf ein eigenes oder von anderen verfasstes Buch über Glaubensfragen drucken oder auf andere Weise verbreiten lassen, wenn es nicht von den Pastoren der Classis oder anerkannten Theologieprofessoren unseres Bekenntnisses geprüft und gebilligt wurde. 52. In den größeren Gemeinden sollen eigene Seminare abgehalten werden, in denen sich diejenigen im Predigen üben, bei denen begründete

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Hoffnung besteht, dass sie einmal der Gemeinde mit dem Wort dienen können. Um die Ordnung zu wahren, führt ein Pastor dabei den Vorsitz. Schluss 53. Diese Artikel, die auf die rechtmäßige Ordnung der Kirche abzielen, wurden einmütig beschlossen. Wenn im Interesse der Gemeinden eine Änderung erforderlich ist, können und müssen sie verändert, vermehrt oder vermindert werden. Das zu tun ist aber keiner einzelnen Gemeinde gestattet. Vielmehr sollen sich alle an die Bestimmungen halten, bis eine Synode anders beschließt. Emden, den 12. Oktober 1571, vom 4. bis zum 12. Oktober Gaspar Heydanus, Präses Eigenhändig hat unterschrieben Johannes Polyander, Schriftführer Besondere Vorfälle und Einzelfragen 1. Aufgrund der Beschwerde und Bitte beider Emder Gemeinden versprechen die Brüder der Synode, sofort nach ihrer Rückkehr den Gemeinden ihrer Classes mitzuteilen: Die Diakone der Emder Gemeinde werden durchreisenden Glaubensgenossen nach dem Beispiel anderer Gemeinden, durch die sie ziehen, ebenso wie Einheimischen Hilfe leisten, sofern sie ein rechtmäßiges Zeugnis ihrer Heimatgemeinde über ihren Lebenswandel und Glauben vorlegen. Wenn sie jedoch, wie es manchmal geschieht, viele Tage oder einige Monate bleiben, um guten Wind zur Fahrt nach England abzuwarten, können sie in Zukunft nicht mehr für sie aufkommen. Es soll ja niemand in blindem Vertrauen seinen Wohnsitz leichtsinnig wechseln. 2. Auf die erste Frage der Kölner, ob alles durch die Heilige Schrift bekräftigt werden muss, antworten die Brüder: Gewissensfragen müssen durch Gottes Wort bestätigt werden. Aber bei Ordnungsfragen und Angelegenheiten, die letztlich nicht entscheidend sind, ist das nicht notwendig. 3. Die zweite Frage nach der richtigen Übersetzung der Bibel ins Niederländische verweisen die Brüder an die Generalsynode. 4. Die dritte und vierte Frage wurde in den Artikeln 51 („Niemand darf ein eigenes oder von anderen verfasstes Buch über Glaubensfragen drucken lassen“) und 52 („In den größeren Gemeinden“) beantwortet. 5. Die fünfte Frage nach den Akten der Synode von La Rochelle in Frankreich übertragen die Brüder an Petrus Dathenus und Johannes Taffinus zur Erledigung.

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6. Auf die sechste Frage wegen der Berufung der Pastoren antwortet Artikel 38 („Es gibt ein Verzeichnis“). 7. Zur siebenten Frage lautet die Antwort: Man darf im Konsistorium Zeugen hinzuziehen und anhören. Wenn sie aber nicht anwesend sind, darf man bei einer wichtigen Sache einen Eid fordern oder anbieten, aber nicht befehlen – das darf nur die Obrigkeit –, sondern nur eindringlich dazu ermahnen. Man darf auch die bei der Obrigkeit gebräuchliche feierliche Form des Eides verwenden, doch ist es besser, sie zu vermeiden. Stattdessen soll man mit ganzem Ernst die Strafe Gottes gegen Meineidige vor Augen halten und eindringlich darum bitten, die Wahrheit zu sagen. Man ist aber am besten beraten, wenn man möglichst selten Zeugen hinzuzieht und einen Eid fordert. 8. Auf die Frage der Kölner wegen eines Mannes, dem seine Frau nicht folgen will, lautet die Antwort: Eine Anrufung der obrigkeitlichen Behörde ist erforderlich. Deshalb kann sich der Mann in die Stadt begeben, in der die Obrigkeit ihre Hilfe und Autorität dafür einsetzen will. 9. Auf die zehnte Frage der Kölner Brüder, ob man das Kind eines Papisten taufen darf, der den Taufritus in den reformierten Gemeinden für besser hält als den, der in der römischen Kirche praktiziert wird: Wer das näher in Erfahrung bringen will, soll eine Abschrift des Gutachtens zur Hand nehmen, das die Genfer Brüder zu dieser Frage verfasst haben. 10. Auf die elfte Frage der Kölner, ob man diejenigen als Paten zulassen kann, die zwar den reinen Glauben angenommen haben, aber sich keiner Gemeinde anschließen wollen, lautet die Antwort: Die Brüder sprechen sich dafür aus, den Gemeinden die Heranziehung von Paten bei der Taufe freizustellen. Wo sie nur Taufzeugen sind, können die Betreffenden zugelassen werden. Übernehmen sie aber auch die Sorge für die Erziehung der Kinder, müssen sie Mitglieder der Gemeinde sein. 11. Die Brüder aus Aachen und Köln fragen, ob ein gottlos lebender Bruder nach vielen vergeblichen Ermahnungen aus der Gemeinde ausgeschlossen werden muss oder ob sein Ausschluss für eine gewisse Zeit aufgeschoben werden soll, wenn er der Gemeinde mit Zerstörung droht. Die Antwort lautet: Wer nach dem Wort Gottes ohnehin ausgeschlossen werden muss, der muss auch dann ausgeschlossen werden, wenn er der Gemeinde Zerstörung androht. Allerdings liegt der Zeitpunkt der öffentlichen Ermahnungen und der Bekanntgabe des Ausschlusses im Ermessen des Konsistoriums. Daher kann der Zeitpunkt der Ermahnungen und des Ausschlusses

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so gelegt werden, dass einerseits auf den Bestand der Gemeinde Rücksicht genommen und andererseits der notwendige Ausschluss vollzogen wird. 12. Auf die Frage der Brüder aus Antwerpen nach den Pastoren, die nicht im Dienst sind, sich aber weigern, einer Berufung anderswohin zu folgen, lautet die Antwort: Die Versammlung der Classis entscheidet, ob Pastoren, die ohne Amt sind und die von einer Gemeinde berufen werden, dies aber ablehnen, zum Gehorsam gezwungen werden sollen. 13. Auf die Frage, ob eine gläubige Frau, die mit einem ungläubigen Mann verheiratet ist, ihr Kind gegen den Willen ihres Mannes zur Taufe bringen darf, lautet die Antwort: Sie darf und muss es sogar tun. Aber weil ein solcher Entschluss vielleicht nicht immer einfach ist, soll man im Hinblick auf die Lage der Gemeinde in einer derart schwierigen Angelegenheit den Rat des Konsistoriums einholen. Dieses wird klug genug sein, weder den Ängstlichen die Zügel schießen zu lassen noch die Gewissen der Leute durch allzu große Strenge zu beschweren. 14. Einige Gemeinden fragen, ob es den Brüdern erlaubt ist, mit dem Geld anderer Fürsten Handel zu treiben, es einzuschmelzen oder dafür zu sorgen, dass es eingeschmolzen wird und an Wert verliert. Die Antwort lautet: Geld zu sammeln, um es in schlechtere Münze einzuschmelzen, es irgendwie umzuprägen oder umprägen zu lassen, sodass dem Staat daraus ein Schaden entsteht, ist auch dann, wenn es die Obrigkeit eines Ortes übersieht, mit Gerechtigkeit und Liebe unvereinbar und den Bekennern des reinen Glaubens nicht erlaubt. 15. Auf die Frage der Brüder aus Gent und Antwerpen wird geantwortet: Das Konsistorium muss auf die Schwere einer Schuld und das Ausmaß eines Ärgernisses, auf die Häufigkeit und Wiederholung eines Fehltritts sowie auf den Ort und andere Begleitumstände achten. Dann entscheidet es nach reiflicher Überlegung, ob in den Gemeinden unter dem Kreuz jemand nicht nur vom Abendmahl, sondern auch aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen werden muss. Wenn noch weitere Auskünfte erforderlich sind, wendet man sich an die Versammlung der Classis. 16. Ein Bruder aus Gent fragt, ob folgende Sünden als öffentliche oder als heimliche zu betrachten sind: insgeheim Ablass annehmen, sich papistisch trauen lassen, sein Kind von einem Priester taufen lassen, in einem Privathaus vor einem Ratsherrn oder irgendeinem Beamten Christus verleugnen, bei den Heiligen schwören. Weil es zu dieser Frage unterschiedliche Meinungen gibt, wird sie auf die nächste Zusammenkunft vertagt.

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17. Die Frage der Aachener wegen eines jungen Mannes und einer jungen Frau verweisen die Brüder an deren Konsistorium zur sorgfältigen Prüfung aller Begleitumstände dieses Falls zurück. Danach erstattet es der Versammlung der Classis Bericht. 18. Die französische Gemeinde in Antwerpen fragt, wie man mit einer Frau verfahren soll, die behauptet, vor vier oder fünf Jahren ihren Mann im Krieg verloren zu haben, aber keinen sicheren Beweis für seinen Tod liefern kann. Die Antwort lautet: Sie soll einen öffentlichen Aufruf durch die Autorität der Obrigkeit ergehen lassen. Wenn sie das nicht erreichen kann, soll sie die Obrigkeit bitten, ihr einen Termin zu setzen, bis zu dem sie warten muss. Kann sie beides nicht erreichen, rät man ihr, in eine Stadt zu ziehen, in der die Obrigkeit ihr hilft und ihren Einfluss geltend macht. 19. Auf eine weitere Frage derselben Gemeinde wegen der Witwen, die ein oder zwei Monate nach dem Tod ihres Mannes wieder heiraten wollen, lautet die Antwort: Das Konsistorium kann und darf keine Frist setzen, da Paulus den Witwen die Wiederheirat ohne Zeitvorgabe erlaubt (1. Tim 5,14; 1. Kor 7,9). Allerdings fordert es der Anstand, nicht vor Ablauf von vier oder fünf Monaten eine neue Ehe einzugehen. Im Fall einer Schwangerschaft sind es etwa zwei Monate nach der Geburt. 20. Drittens fragt dieselbe Gemeinde wegen eines Mannes, der wegen einer schweren Sünde vom Abendmahl ausgeschlossen ist und eine Frau in der Gemeinde heiraten will, obwohl er zuvor seine Sünde noch nicht öffentlich bekannt hat. Die Antwort lautet: Man muss mit ihm gemäß der Kirchenzucht verfahren. Wenn er sich ändert, darf er wieder zum Abendmahl zugelassen werden. Andernfalls soll man der Frau von der Ehe mit einem Mann abraten, der durch eine schwere und offen zu Tage liegende Sünde belastet ist, die Gemeinde verachtet sowie vom Abendmahl verwiesen und ausgeschlossen ist. 21. Es liegt die Frage vor, bei welchem Grad der Blutsverwandtschaft die Ehe verboten ist. Die Antwort lautet: Es ist am besten – besonders dort, wo die Obrigkeit ungläubig [= römisch-katholisch] ist –, die Gesetze und Gewohnheiten des Ortes zu beachten, soweit das ohne Verletzung der Ehre Gottes geschehen kann. Auf diese Weise kann man vermeiden, dass eine gegen diese Bestimmungen geschlossene Ehe von der Obrigkeit für nichtig und die Kinder für unehelich erklärt werden und dass die Erbschaft auf einen anderen übertragen wird, ihm zufällt und andere derart schlimme Dinge eintreten.

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22. Auf die Frage der Brüder aus Aachen wegen eines Pastors, der eine Irrlehrerin zur Frau hat, lautet die Antwort: Da der Betreffende bereits in den Dienst eingesetzt ist, soll das Konsistorium sorgfältig prüfen, welche Mühe und Anstrengung er auf sich genommen hat, um durch eine fromme Lebensführung und beständige Ermahnungen aus Gottes Wort seine Frau für Christus zu gewinnen. Falls er dabei früher und heute zu nachlässig gewesen ist und Tadel verdient, wird er durch Urteilsspruch und Autorität des Konsistoriums in Verbindung mit der Classis aus seinem Dienst entfernt. Sollte das Konsistorium zu nachlässig damit umgehen, kann man wegen der Nachlässigkeit oder des Urteils des Konsistoriums mit dem Rat einiger Brüder der Gemeinde bei der Classis Berufung einlegen. 23. Die Generalsynode soll für das nächste Frühjahr einberufen werden. Es besteht der große Wunsch, dass die englischen Gemeinden zusagen, einige Delegierte entsenden zu wollen und zu können, selbst wenn nicht alle darin einwilligen. Andernfalls wird die Generalsynode auf das folgende Frühjahr 1573 vertagt. 24. Die Classis Pfalz ist zur Einberufung der Generalsynode ausgewählt worden. 25. An folgende Gemeinden in den einzelnen Classes soll geschrieben werden: Emden, Wesel, Köln, Heidelberg, Antwerpen, Gent, Tournai und Alkmaar in Holland. Emden, den 13. Oktober 1571 Gaspar Heydanus, Präses Johannes Polyander, Schriftführer Die Versammlungen der Classes 1. Bei den Versammlungen der Classes soll einer der Pastoren in der Gemeinde eine Predigt halten. Über diese urteilen die übrigen Kollegen gemeinsam und sagen, wenn etwas verbessert werden muss. So verfahren auch die anderen Pastoren der Reihe nach bei den nächsten Versammlungen der Classes. 2. Danach wird der Präses gemeinsam von den Kollegen gewählt. Nach einem Gebet soll er die Einzelnen fragen: Tagen in Euren Gemeinden die Konsistorien? Führt Ihr die Kirchenzucht durch? Habt Ihr einen Streit mit Irrlehrern oder habt Ihr Zweifel bei einem Lehrstück? Kümmert man sich um die Armen und die Schulen? Braucht Ihr zur Leitung der Gemeinde Rat, Hilfe und weitere derartige Unterstützung der Kollegen?

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3. Wenn in einer Gemeinde der Classis etwas geschieht, was durch ihr Konsistorium nicht beigelegt werden kann, wird das auf der Versammlung der Classis behandelt und entschieden. Sodann kann man bei der Provinzsynode Berufung einlegen. 4. Im Übrigen werden auf den Versammlungen der Classes solche Fragen behandelt, welche die Gemeinden der betreffenden Classis angehen. 5. Anschließend legt der Präses die eine oder andere Frage zu Lehrstücken des Glaubens vor, die zwischen uns, den Papisten und anderen strittig ist. Auf diese Weise belehren die Anwesenden sich gegenseitig und regen sich zum Studium an. 6. Auf der letzten Versammlung der Classis vor einer Provinzsynode werden diejenigen gewählt, die im Namen der Classis dorthin entsandt werden sollen. 7. Aus den einzelnen Classes werden zwei Pastoren und ebenso viele Älteste oder Diakone oder mindestens ein Pastor mit einem Ältesten oder einem Diakon entsandt. 8. Bevor man die auf der Provinzsynode zu behandelnden Punkte schriftlich festlegt, werden die Protokolle und Beschlüsse vorangegangener Synoden sorgfältig verlesen. Den Provinz- und besonders Generalsynoden soll man nicht erneut Fragen vorlegen, die schon früher behandelt und gemeinsam entschieden worden sind – es sei denn, es besteht ein Anlass, einen Beschluss in Frage zu stellen. 9. Zuletzt werden Ort und Zeit der nächsten Versammlung festgelegt. Der Präses dankt Gott durch ein Gebet. Die Provinzsynoden 1. Wer zur Provinzsynode entsandt wird, soll ein Bestätigungsschreiben und die vorzulegenden Fragen in schriftlicher Form mitbringen. Dabei wird nur das aufgeschrieben, was in den Konsistorien und Versammlungen der Classes nicht entschieden werden konnte oder was alle Gemeinden der Provinz angeht. Die Provinzsynode soll nicht durch unnötige Fragen aufgehalten werden. 2. Bei der Zusammenkunft soll der Pastor des Ortes oder, wenn ein solcher nicht da ist, der Präses der vorangegangenen Versammlung ein Gebet zur Wahl des Präses, des Beisitzers und des Schriftführers sprechen.

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3. Der gewählte Präses soll ein für die gesamte Tagung passendes Gebet sprechen. Sodann schreibt er die Namen der Anwesenden auf und lässt die der Abwesenden festhalten, um den Grund für ihr Fehlen zu notieren. Dann fordert er die Bestätigungsschreiben und Vollmachten an und lässt die in schriftlicher Form zusammengestellten Anweisungen und Aufträge der Einzelnen der Reihe nach verlesen. Schließlich bringt er das Urteil der ganzen Synode in Erfahrung, stellt die Stimmenzahl fest und erläutert die Entscheidung der Mehrheit und die der Einsichtigeren. Die Entscheidung hält der Schriftführer fest und liest sie sorgfältig vor, damit sie von allen gebilligt wird. 4. Zuerst sollen Fragen der Lehre, dann Fragen der Kirchenzucht vorgelesen und schriftlich genau festgehalten werden, zuletzt Einzelfragen. 5. Der Präses hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass jeder der Reihe nach spricht. Die allzu Aufbrausenden und Streitsüchtigen hat er zur Ruhe zu mahnen und sie, wenn sie nicht still sind, zum Verlassen der Versammlung aufzufordern. Ihnen wird aus dem Munde der Brüder eine angemessene Rüge ausgesprochen. 6. Das Amt des Präses endet mit der Tagung. Es steht der nächsten Provinzsynode frei, denselben oder einen anderen zu wählen. 7. Die zu diesen Synoden entsandten Ältesten und Diakone haben bei allen Sitzungen zusammen mit den Pastoren ihrer Gemeinden Stimmrecht. Von den Ältesten des Tagungsortes haben nur zwei Stimmrecht; den übrigen Ältesten wird die Teilnahme und das Rederecht zugestanden. 8. Der Präses beginnt alle Sitzungen mit einem Gebet und schließt sie mit einer Danksagung. 9. Alle Beschlüsse werden schriftlich niedergelegt und noch einmal verlesen, damit alle sie billigen und unterschreiben. Jeder nimmt ein vom Präses und vom Schriftführer unterschriebenes Exemplar mit nach Hause, damit es in den Konsistorien der einzelnen Gemeinden verlesen wird. 10. Mit Zustimmung der ganzen Provinzsynode wird die Gemeinde bestimmt, die in Absprache mit den anderen Pastoren ihrer Classis das Recht und die Aufgabe erhält, Ort und Zeit der nächsten Provinzsynode festzulegen.

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11. Dieser Gemeinde soll alles sorgfältig und frühzeitig mitgeteilt werden, was in anderen Gemeinden an Schwierigkeiten auftritt oder was in den Konsistorien und bei den Versammlungen der Classes nicht entschieden werden kann, oder schwierige Fragen, welche die ganze Provinz betreffen. 12. Diese Gemeinde soll den übrigen Gemeinden Ort und Zeit der nächsten Provinzsynode drei Monate vorher mitteilen und mit gleichem Schreiben ein Exemplar aller bei ihr eingegangenen Themen und Artikel zusenden. Über diese macht sich jede Gemeinde rechtzeitig Gedanken und trägt ihr Urteil auf der Versammlung der Classis vor, damit die Abgeordneten der Classis etwas präsentieren können, was schon vorher beraten und von allen Gemeinden der Classis besprochen worden ist. 13. Jedoch soll die Gemeinde, die mit der Verantwortung für Ort und Zeit der nächsten Provinzsynode betraut ist, mit dem Schreiben von Briefen an die einzelnen Gemeinden aller Classes in der Provinz nicht über Gebühr belastet werden. Daher wird in jeder Classis eine Gemeinde gewählt, an die sie schreibt, und diese teilt dann den Inhalt den Pastoren ihrer Classis mit. 14. Die Kosten der Teilnehmer an der Synode tragen die jeweiligen Classes. 15. Nachdem die Synode ihre Arbeit beendet hat, feiern die zur Synode versammelten Pastoren und Ältesten Abendmahl, und das je nach Möglichkeit zusammen mit der Gemeinde des Tagungsortes. 16. Der Gemeinde, in der die Synode stattfindet, fällt die Aufgabe zu, die Protokolle und Beschlüsse dieser Synode zur nächsten mitzubringen oder ihr zuzuschicken. Die Generalsynoden Die gleichen Bestimmungen gelten für die Generalsynoden. An ihnen nehmen Pastoren und Älteste teil, die nicht von den Classes, sondern von den Provinzen entsandt werden. Sie bringen Vollmachten mit und Anfragen zur Lehre, zur Kirchenzucht und zu einzelnen Themen, die auf den Provinzsynoden nicht entschieden werden konnten oder alle Gemeinden angehen. Bei dieser Versammlung waren folgende Pastoren anwesend und haben unterschrieben: Gaspar Heydanus, Pastor der Gemeinde in Frankenthal

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Johannes Taffinus, Pastor der französischen Gemeinde in Heidelberg Polyander, Pastor der französischen Gemeinde in Emden Hermann Modet Carolus Niellius, Pastor der französischen Gemeinde in Wesel Sybert Loo, Pastor der Gemeinde in Köln Johannes Hueckelom, Pastor der Gemeinde in Aachen Johannes Lippius, Pastor in Wesel Henrik Holtenus, Pastor der Gemeinde in Emmerich Johannes Woudanus, Pastor der Gemeinde in Antwerpen Valerius Pauli Tophusanus, Pastor in Gent Franziscus Pauli, Pastor in Flandern Johannes Arnoldi, Pastor der Gemeinde in Amsterdam Petrus Gabriel, Pastor der Gemeinde in Amsterdam Gisbert Zythopaeus, Pastor der Gemeinde in Schagen Andreas Cornelii, Pastor in Brielle Clemens Martini, Pastor in Hoorn Andreas Theodor Castricomius, Pastor in Westfriesland Cornelius Johannis, Pastor in Twisk Cornelius Christiani, zukünftiger Pastor Henricus Michaelis, zukünftiger Pastor Gaspar Bigardus, zukünftiger Pastor Johannes Cocus, ehemals Pastor in Flandern Johannes Ilstanus, ehemals Pastor in Friesland Älteste Karl de Noude, Ältester der französischen Gemeinde in Emden Christoph Becanus, Ältester der französischen Gemeinde in Emden Johannes de Roy aus Köln Hermann Meranus aus Wesel Gabriel aus Antwerpen

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25. Bentheimer Artikel (1613) Einleitung Im Jahr 1588 wurde in der Grafschaft Tecklenburg durch Graf Arnold II. eine neue reformierte Kirchenordnung eingeführt, die auch für die Grafschaft Bentheim Geltung besaß; die Grafschaft Bentheim war, nachdem 1544 in ihr die lutherische Reformation eingeführt worden war, reformiert geworden. Allerdings war es 1588 nicht allein eine Reformation „von oben“; vielmehr hatte sich die reformierte Predigt bereits an mehreren Orten durchgesetzt, und bis Ende des 16. Jahrhunderts war die reformierte Reformation in der ganzen Grafschaft Bentheim vollzogen. Reformiertes Bekenntnis in der Grafschaft war der Heidelberger Katechismus von 1563. Im Jahr 1613 wurde ein evangelischer Oberkirchenrat installiert, und im gleichen Jahr wurden die zwölf Bentheimer Artikel als Bekenntnis zusätzlich eingeführt. Sie dienten allerdings nicht zur Unterweisung in den Gemeinden, sondern die Pastoren sollten sich in Predigt und Lehre an sie halten; die Frageform zeigen die Artikel als Ordinationsversprechen. Warum hat es hier einen zusätzlichen Text gegeben, und was war der Zweck dieses neuen Bekenntnisses? Eine vollständig klare Antwort gibt es nicht, und sie ist auch nur aus dem Text selber und dem zeitlichen Umfeld zu erschließen. Theologisch zeigt sich die reformierte Betonung in der Vorordnung der Einheit vor die Dreiheit Gottes in den Artikeln 1 und 2, eine reformierte Akzentsetzung in der Entwicklung der Christologie von den Ämtern Jesu Christi her (Artikel 6–8) und in der Begründung der Kindertaufe mit der Bundestheologie (Artikel 9). Vermutlich liegt in der herausgehobenen Stellung der Kindertaufe (sonst wird von keinem Sakrament geredet) eine Erinnerung an die auch in der Grafschaft Bentheim starken sogenannten „Wiedertäufer“ im 16. Jahrhundert vor. Die Artikel 10–12 beschäftigen sich mit dem Verständnis der Erwählung. Zwischen 1604 und 1619 tobte in den Niederlanden der Arminianische Streit um die Prädestination: Die Arminianer wandten sich vehement gegen die Auffassung, dass Gott vor aller Zeit einzelne Menschen erwählt oder verworfen habe; der Mensch habe einen freien Willen, und die Glaubenden würden aus Gnade gerettet. Das stieß auf Widerstand vieler reformierter Theologen; auf der Dor­ drechter Synode 1618/19 wurde der Arminianismus als Häresie verurteilt. 1613, also im Vorfeld der Synode und während der Auseinandersetzung in den Niederlanden, zeigen die Artikel einerseits eine deutliche Ablehnung

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des Arminianismus (das vor allem in Artikel 12); andererseits ist von einer doppelten Prädestination auch nicht die Rede, sondern sogar (auch in Artikel 12) von einer Mitwirkung der Gläubigen. Der scharfe Gegensatz der Dordrechter Synode ist nicht betont, erkennbar ist vielmehr eine mildere Form der Prädestinationslehre. Die zwölf Artikel wurden nach ihrer Abfassung 1613 (vielleicht durch den Burgsteinfurter Theologieprofessor Hermann Ravensperg) 1617 durch Graf Arnold Jost erneut allen Predigern zur Unterschrift vorgelegt – gedruckt wurden sie vermutlich zum ersten Mal als Anhang an die 1709 eingeführte Bentheimer Kirchenordnung. Diese wurde erst 1971 offiziell abgeschafft. Mehr als 250 Jahre waren also die Bentheimer Artikel von 1613 Ordinationsbekenntnis der Pastoren in der Grafschaft Bentheim. Edition Bentheimer Artikel, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 41–46 (Bearb.: Eberhard Busch) Übersetzung Hans-Jürgen Schmidt, Die Bentheimer Artikel von 1613 und der arminianische Streit in den Niederlanden, in: Erinnerung und Erneuerung. Vorträge der fünften Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, hg. v. Matthias Freudenberg/ Georg Plasger, Wuppertal 2007, 101–103 Literatur Hans-Jürgen Schmidt, Die Einsetzung des Oberkirchenrates und die Bentheimer Artikel von 1613, in: Bentheimer Jahrbuch. Das Bentheimer Land 119 (1989), 219–224 Hans-Jürgen Schmidt, Die Bentheimer Artikel von 1613 und der arminianische Streit in den Niederlanden, in: Erinnerung und Erneuerung. Vorträge der fünften Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, hg. v. Matthias Freudenberg/ Georg Plasger, Wuppertal 2007, 93–108 Einleitung: Georg Plasger; Übersetzung: Hans-Jürgen Schmidt

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Bentheimer Artikel (1613) Artikel bei der Kirchenvisitation in der Grafschaft Bentheim im Jahr 1613, im Monat März, den Versammelten vorgelegt und in feierlicher und außerordentlicher Versammlung auf der Burg Bentheim im Jahr 1617, im Monat April, angenommen und von neuem bestätigt. Es wird gefragt: 1. Über die Einheit des göttlichen Wesens Glaubst du, dass das göttliche Wesen eins und ungeteilt ist oder dass Jehova, unser Gott, nur einer an Zahl ist? 2. Über die Dreiheit der Personen Glaubst du, dass es in der Einheit des göttlichen Wesens oder der Gottheit drei unterschiedliche, gleiche, im Wesen dieselben Personen gibt, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist? 3. Über die Person Jesu Christi Glaubst du, dass Jesus Christus in ein und derselben Person wahrer Gott ist, von Ewigkeit her auf unaussprechliche Weise vom Vater gezeugt, und [zugleich] wahrer Mensch, in der Zeit von der Jungfrau Maria ohne Sünde geboren? 4. Über das Amt Christi im Allgemeinen Glaubst du, dass Jesus Christus uns von Gott gegeben und eingesetzt ist zum Propheten, Priester und König? 5. Über das prophetische Amt Christi im Besonderen Glaubst du, dass Christus als Prophet uns das Heil und den Weg zu ihm verkündigt hat und dass er also als Zeuge und Gesandter unser Mittler ist? 6. Über das priesterliche Amt Glaubst du, dass Jesus Christus nicht nur hier auf Erden für uns Fürsprache getan hat und bis jetzt in den Himmeln beim Vater für uns eintritt, sondern dass er auch durch sein Leiden und Sterben als dem vollkommensten Sühnopfer uns von den Sünden und dem ewigen Tod befreit hat und dass er deswegen auch hierdurch in seiner Fürsprache und Erlösung unser Mittler ist?

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7. Über das königliche Amt Glaubst du, dass Jesus Christus die Gnade, die er durch sein Leiden erworben und bereitet hat, den aufrichtig Gläubigen und Bußfertigen durch den Geist, das Wort und die Sakramente kräftig zueignet und sie in derselben Gnade fortwährend bewahrt und so schließlich durch Zueignung und Bewahrung unser Mittler ist? 8. Über die Wirksamkeit des Verdienstes Christi Glaubst du, dass man außerhalb von Christus kein Heil bekommen und behalten kann und dass darum die Väter im Alten Bund ebenso durch den Glauben an Christus, der damals noch kommen musste, gerechtfertigt und gerettet worden sind, wie wir im Neuen Bund durch den Glauben an den geoffenbarten Christus gerechtfertigt und gerettet werden? 9. Über die Kindertaufe Glaubst du, dass die kleinen Kinder ebenso wie die Erwachsenen zum Gnadenbund Gottes gehören und dass ihnen das Zeichen und Siegel des Bundes, nämlich die Taufe, nicht vorenthalten werden darf? 10. Über die Erwählung Glaubst du, dass Gott uns vor Grundlegung der Welt in Christus Jesus erwählt hat und dass er uns in der Annahme zu Kindern bestimmt hat nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lob seiner herrlichen Gnade und dazu, dass wir heilig und untadelig vor ihm in der Liebe leben? 11. Über die Bewahrung Glaubst du, dass Gott will, dass alle Gläubigen und Bußfertigen bewahrt werden, dass er jedoch die Ungläubigen und Unbußfertigen, die in Gottlosigkeit und Unglauben hartnäckig bis an ihr Ende verharren, sicher zur ewigen Verdammnis verurteilen wird? 12. Über die Heilsmittel Glaubst du, dass bei den Heilsmitteln Anfang, Mitte und Vollendung allein Gott zugeschrieben werden müssen, keineswegs aber menschlichen Kräften und Werken und deren Verdiensten weder ganz noch teilweise zugerechnet werden können, obwohl die Frommen und Gläubigen durch Gottes Gnade mitwirken, wo Gott zu ihrem Heil wirksam ist?

26. Confessio Sigismundi (1614) Einleitung Am Weihnachtstag 1613 ließ Johann Sigismund (1572–1620), Markgraf und Kurfürst von Brandenburg, erstmals an seinem Hof das Abendmahl mit Brot anstelle von Hostien feiern. Damit vollzog er faktisch den Übertritt von der lutherischen zur reformierten Glaubensrichtung. Um diesen offiziell zu machen, ließ der Kurfürst im neuen Jahr zwei Veröffentlichungen folgen: einen Katalog mit 20 Glaubensrichtlinien sowie ein persönliches Bekenntnis mit einer Stellungnahme zu strittigen Lehrfragen seiner Zeit, die Confessio Sigismundi. Das Bekenntnis wurde im Auftrag Sigismunds von Martin Füssel (1571–1626), dem Superintendenten von Zerbst (Anhalt), verfasst; dieser wurde im selben Jahr neuer Hofprediger in Berlin. Johann Sigismund war während seiner Studien in Straßburg und Heidelberg sowie bei einem Aufenthalt in der Pfalz mit der reformierten Konfession in Berührung gekommen und stand ihr näher als der lutherischen Konkordienformel. Hinzu kam, dass am Berliner Hof zahlreiche Beamte reformierten Bekenntnisses wirkten. Es handelte sich um ausländische Fachkräfte, die zur Schaffung einer effizienten und loyalen Verwaltung in dem bis ins 16. Jahrhundert stark gewachsenen Hohenzollern-Territorium akquiriert worden waren. Vermutlich waren es nicht nur persönliche religiöse oder politische Erwägungen, die Sigismund zu der Entscheidung eines Übertritts bewegten, sondern insbesondere die gezielte Einflussnahme einer Gruppe gut vernetzter reformierter Beamter aus dem unmittelbaren Umfeld des Kurfürsten, die diesen Schritt forcierte. Der Konfessionswechsel brachte Verwunderung und Missstimmung mit sich, sowohl in kirchlicher wie auch politischer Hinsicht. Denn die Bestimmungen im Reichstagsabschied von Augsburg 1555 (Augsburger Religionsfrieden) gestatteten zwar den weltlichen Reichsfürsten, ihre Konfession zu wählen und auch zu wechseln. Zur Auswahl standen allerdings nur die römisch-katholische bzw. altgläubige Konfession sowie das Augsburger Bekenntnis von 1530. In der Confessio Sigismundi bekannte sich Sigismund zwar zur Confessio Augustana variata von 1540, der später überarbeiteten Fassung des lutherischen Bekenntnisses, die inhaltlich auf einen Konsens abzielte, nicht aber zur ursprünglichen Fassung oder deren Apologie. Die andere Problematik war die Vorgabe, dass ein Konfessionswechsel des Landesherrn notwendigerweise den Konfessionswechsel der Unter-

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tanen mit sich zog. Johann Sigismund versuchte mehrmals erfolglos, diesen durchzusetzen. Er scheiterte sowohl am Widerstand der lutherischen Pfarrerschaft und der Stände als auch in der eigenen Familie, denn seine Ehefrau blieb lutherisch. 1615 gab er seine Bemühungen einer „Zweiten Reformation“ auf und gestattete der Bevölkerung, lutherisch zu bleiben. So entwickelte sich in Brandenburg ein „Hofcalvinismus“, der ganz auf den Fürsten ausgerichtet war: Der innerste Kreis an Höflingen, ein großer Teil des kurfürstlichen Verwaltungsapparates sowie Beamte in exponierten Stellungen im Bildungswesen bildeten eine kleine Elite mit reformiertem Bekenntnis in einem weitestgehend lutherischen Territorium. Theologisch bemerkenswert an der Confessio Sigismundi ist der Absatz zur Gnadenwahl. Zwar wird unterschieden zwischen den Menschen, die Gott zum Heil bestimmt hat, und denen, die nicht erwählt sind. Entgegen der calvinistischen doppelten Prädestination wird aber den NichtErwählten zugestanden, durch Glauben dennoch Erlösung zu erlangen. Denjenigen, die von vornherein zum Heil bestimmt sind, schenkt Gott den wahren Glauben aus reiner Gnade. Edition Confessio Sigismundi, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 47–59 (Bearb.: Eberhard Busch) Übersetzung Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche, hg. v. Ernst Gottfried Adolf Böckel, Leipzig 1847, 425–440 Literatur Franz Josef Burghardt, Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion, Berlin 2012 Franz Josef Burghardt, Brandenburg 1618–1688. Hofcalvinismus und Territorienkomplex, in: Reformed Majorities in Early Modern Europe, hg. v. Herman J. Selderhuis/J. Marius J. Lange van Ravenswaay, Göttingen 2015, 111–138 Axel Gotthard, Zwischen Luthertum und Calvinismus (1598–1640), in: Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., hg. v. Frank-Lothar Kroll, München 22001, 74–94 Heinz Immekeppel, Das Herzogtum Preußen von 1603 bis 1618, Köln/Berlin 1975 Einleitung und Übersetzung: Rieke Eulenstein

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Confessio Sigismundi (1614) Glaubensbekenntnis des Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg Nachdem der durchlauchtigste, hochwohlgeborene Fürst und Herr, Herr Johann Sigismund, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reichs und Kurfürst, Herzog von Preußen, von Jülich, Kleve und Berg, von Stettin in Pommern, der Kassuben und Wenden sowie von Schlesien, von Crossen und Jägerndorf, Burggraf von Nürnberg, Fürst von Rügen, Graf von der Mark, von Ravensberg und Moers, Herr von Ravenstein, Seine Kurfürstlichen Gnaden sich gnädig und christlich erinnerte, was der Heilige Geist beim Propheten Jesaja in 32,8 hat aufzeichnen lassen – „Aber der Fürst hat fürstliche Gedanken und beharrt auf diesen“ –, hat er gnädig erwogen, weil doch Gott der Allmächtige die Könige zu Pflegern und die Fürstinnen zu Ammen seiner lieben Kirchen bestimmt hat (Jes 49,23), dass unter allen fürstlichen Erwägungen und Gedanken selbstverständlich die allererste und notwendigste sei, mit Ernsthaftigkeit danach zu streben: Das reine, klare Wort Gottes möge allein aus dem Brünnlein Israels, ohne alle menschlichen Gesetze, ohne allen Sauerteig falscher, irriger Lehre, ohne allen Zusatz und Unterlass in Kirchen und Schulen gelehrt und gepredigt werden (Ps 65,10; Mt 15,9; 16,6; 1. Kor 5,7; Prov 30,6; Apk 22,19). Die heiligen Sakramente werden nach der Einsetzung des Herrn Christus ohne allen papistischen Aberglauben und abgöttische oder von menschlichen Gedanken erdichtete Zeremonien gespendet. Der wahre Gottesdienst werde recht und allein nach Form und Norm der göttlichen Heiligen Schrift gefeiert und an die lieben Nachfahren weitergegeben (Jes 8,10; Joh 5,39; 1. Kor 1,6). Außerdem sehen Seine Kurfürstlichen Gnaden gnädig an sich selbst, wie der gütige und barmherzige Gott allein Gewalt hat über die Königreiche der Menschen und sie gibt, wem er will (Dan 4,14). Eben jenem, Seiner Kurfürstlichen Gnaden, hat er so viele Fürstentümer, so viel Land und Leute untergeordnet und in sorgloser Ruhe, wie die Schrift sagt (Jes 32,18), bis heute väterlich erhalten, damit sie neben dem zeitlichen Schatz auch die geistlichen Güter und Schätze durch das gepredigte reine Wort Gottes und den rechten seligen Gebrauch der heiligen Sakramente zu ihrer Seligkeit erlangen und diese behalten mögen. Demnach ist Seiner Kurfürstlichen Gnaden auf Anregung des Heiligen Geistes nichts lieber noch ein größeres Anliegen, als dass er in diesem seinem besonders geliebten Vaterland, Kurfürstentum und Markgrafschaft Brandenburg das zukünftig nach und nach abschafft, was noch von papistischem Aberglauben und anderen menschlichen, unangebrachten Hinterlassenschaften in Kirchen und Schulen übriggeblieben ist, und alles nach der Richtschnur des göttlichen Wortes und der apostolischen ersten Kirchen soweit mög-

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lich und notwendig umstellen wird. Und damit ja niemand denke – oder sich von widerwärtigen, streitsuchenden Personen einreden lasse –, dass Seine Kurfürstlichen Gnaden etwas Neues anordne, was nicht ausdrücklich auf Gottes Wort gründet, und dies den Untertanen beibringe, haben Seine Kurfürstlichen Gnaden beschlossen, zugleich ihre Kurfürstliche Konfession bzw. ihr Glaubensbekenntnis hiermit zu veröffentlichen. So soll in der gesamten Christenheit bekanntwerden, dass Seine Kurfürstlichen Gnaden dem König der Ehre die Tore in seinem Land weit öffnen, dem Herrn die Ehre allein geben, die erkannte göttliche Wahrheit ohne Scheu und Furcht vor allen Widersachern und Feinden Christi, wie auch immer sie heißen, frei und standhaft bekennen, verteidigen und durch Kraft und Beistand göttlicher Gnaden weiterentwickeln (Ps 24,7.9; 29,2; 115,1); und zwar aus keinem anderen Grund als dem Befehl Gottes und nach den löblichen Vorbildern frommer Könige und Fürsten wie Joschafat, Ezechiel, Josias, Konstantin, Theodosius und vieler anderer mehr, aber auch aus der Dankesschuld gegenüber Gott, der die Wahrheit selbst ist, und zur Ehre seines allerheiligsten Namens sowie zum ewigen Heil und zur Seligkeit der Untertanen (Ps 2,11; 1. Sam 2,3; 2. Chr 5,34; 19,4; 29,5). Zuallererst bekennen sich Seine Kurfürstlichen Gnaden von Herzen zum wahren, unfehlbaren und alleinseligmachenden Wort Gottes (2. Tim 3,15–17; Ps 119), wie es in den Schriften der heiligen Propheten und Apostel in der heiligen Bibel verfasst ist, das die einende Richtschnur aller Frommen ist und sein soll (Ps 119,104). Dieses ist vollkommen und ausreichend zur Seligkeit sowie dazu, allen Religionsstreit zu entscheiden, und bleibt ewiglich (Jes 40,8; Mt 24,35; Lk 21,33; 1. Petr 1,25). Hiernach sollen auch die christlichen und allgemeinen Hauptbekenntnisse wie das Apostolische, das Athanasische, Nizänische, Ephesische und Chalcedonische mit den Artikeln des christlichen Glaubens, kurz und knapp gefasst und aus der Schrift bewährt gegen alte und neue Ketzereien, bestätigt sein. Ebenso das Augsburger Bekenntnis, wie es im Jahr 1530 Kaiser Karl V. durch die protestierenden Fürsten und Stände übergeben und im Nachgang in etlichen Punkten notwendigerweise durchgesehen und verbessert worden ist. Zu den anderen Schriften, weil sie nicht allein von Menschen aufgestellt wurden, die so vielfältig irren können, sondern auch viel Umstrittenes, oft Widriges und dem göttlichen Wort nicht überall Angemessenes enthalten, wollen Seine Kurfürstlichen Gnaden weder sich selbst noch seine Untertanen im Gewissen bedrängen, weil doch Glaubenssachen einzig und allein auf das Wort Gottes gegründet sein müssen und Menschenschriften nicht weiter, als sie mit dem Wort Gottes übereinstimmen, angenommen werden sollen und können. So bekennt es Herr Luther selbst: „Die Schrift

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ist allein die rechte Lehrerin und Meisterin über alle Schrift und Lehre auf Erden. Ebenso soll diese Kaiserin, die Heilige Schrift, herrschen und regieren, und alle anderen – heißen sie auch, wie sie wollen – sollen ihr untertan und gehorsam sein, sollen nicht ihre Richter und Meister, sondern nur schlechte Zeugen und Bekenner sein.“ Egal ob der Papst, Luther, Augustinus, Paulus oder ein Engel vom Himmel herab – es soll in der Christenheit keine andere Lehre als Predigt gehört werden als das reine, ehrliche Wort Gottes. Sonst sollen beide – Lehrer und Zuhörer – verflucht und verdammt sein. Hinsichtlich etlicher Artikel des christlichen Glaubens wie die von der Person des Herrn Christus, von der Taufe, vom heiligen Abendmahl, von der Prädestination, der Vorsehung oder Erwählung zum ewigen Leben, worüber seit geraumer Zeit durch den störenden höllischen Geist viel Streit in allen Ländern aufgekommen ist, bekennen Seine Kurfürstlichen Gnaden hiermit öffentlich, dass sie im Artikel von der Person Christi von Herzen glauben, dass in Christus zwei unterschiedliche Naturen, die göttliche und die menschliche, persönlich vereinigt und verbunden sind, und dass sie nicht mehr voneinander getrennt werden mögen oder können; und dass jede Natur ihre gewissen natürlichen Eigenschaften hat und behält, auch in der persönlichen Vereinigung. Dennoch ist es eine wahre Kommunion und Gemeinschaft, sodass man mit Fug und Recht über Christus alles von Gott und alles von einem wahren Menschen aussagen kann: dass der Mensch Christus nach seiner göttlichen Natur von Ewigkeit sei (Joh 1,1; 8,58), dass der Sohn Gottes geboren sei aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch (Röm 1,3), dass der Herr der Herrlichkeit gekreuzigt und Gott dem Fleisch nach gestorben sei (1. Kor 2,8; 1. Petr 3,18; 4,1), dass Christus bei uns sei und bei uns bleibt bis ans Ende der Welt nach seiner unendlichen Natur (Mt 28,20), nach seiner göttlichen Majestät und mit kräftigem Beistand; nicht aber nach der Natur, nach welcher er in den Himmel gefahren ist und von dort wiederkommen wird (Mk 16,19; Apg 1,9; Phil 3,20), weil diese ohne ihre Fähigkeiten auch in der größten Herrlichkeit nicht überall sein kann. Augustin schreibt in seinem 109. Traktat über das Johannesevangelium, dass die Allgegenwart nur der göttlichen Natur zugeschrieben wird (Ps 139,6–9; Jer 23,24; Apg 17,27). Ebenso, dass er unser Mittler, Hohepriester und unser König ist und bleibt nach beiden Naturen. Ebenso, dass der Herr Christus zwar nach seiner angenommenen Menschheit mit großen und übernatürlichen Gaben ausgestattet und gekrönt wurde, dass sich aber laut des 8. Psalms, Vers 6, dennoch die menschliche Natur nicht in die Gottheit verwandelt noch derselben gleichgemacht worden ist. Dies ist der eutychianische Irrtum. Die locutiones abstractivas [= abstrakte Ausdrücke], sprich Redensarten wie „Die Gottheit Christi hat gelitten“, „Christus als Mensch ist allmäch-

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tig, überall gegenwärtig“ und dergleichen, sind in der Heiligen Schrift nicht zu finden und stehen den Hauptbekenntnissen entgegen. Auch extensionem, exaequationem et abolitationem naturarum et naturalium proprietatum, also eine Ausdehnung, Gleichsetzung oder Tilgung der Naturen und von natürlichen Eigenschaften auf dem Rücken tragen, wollen Seine Kurfürstlichen Gnaden ausgesetzt und niemandem zum hochgefährlichen und hochärgerlichen Gebrauch aufgezwungen wissen. Das geschieht in der besonderen Erwägung, dass weder die orthodoxen Väter noch Luther so gelehrt haben, und dass durch solche und dergleichen Redewendungen die Artikel christlichen Glaubens, wo sie nicht ganz und gar verleugnet werden, doch größtenteils verdunkelt und in Zweifel gezogen und viele bisher damit geärgert worden sind. Von der heiligen Taufe als dem ersten Sakrament des Neuen Testaments glauben und bekennen Seine Kurfürstlichen Gnaden, dass diese wahrhaftig ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist sei (Tit  3,5), und dass niemand in das Himmelreich kommen kann, ohne dass er aus Wasser und Geist wiedergeboren wird (Joh 3,5). Nicht, dass das äußerliche Wasserbad von Sünden waschen und wiedergebären könne, sowohl die Ungläubigen als auch die Gläubigen, sondern dass in diesem heiligen Sakrament die Gläubigen zu Kindern Gottes angenommen, durch das Blut Christi und den Heiligen Geist von ihren Sünden gewaschen und durch dieses sichtbare Zeichen des Gnadenbundes gleichsam durch ein sicheres Siegel ihrer Seligkeit versichert werden, wie der Apostel Petrus sagt: Das Wasser macht uns selig in der Taufe, deren Vorbild die Arche Noah ist. Denn in ihr wird nicht der Schmutz vom Leib abgewaschen, sondern sie ist der Bund eines guten Gewissens mit Gott (1. Petr 3,21). Sie ist, wie Dr. Luther es [im Sermon vom Sakrament der Taufe] am Rand selbst anmerkt, eine Festlegung, dass Gott sich uns mit Gnaden verpflichtet und wir das annehmen. Oder, wie er anderswo von der Taufe redet, ist diese nicht allein ein einfaches Zeichen und Werk Gottes, in dem unser Glaube gefordert wird und durch das wir wiedergeboren werden. „Wenn ich glaube“, schreibt er an einem anderen Ort, „ist mir die Taufe nützlich. Andersherum, wenn ich nicht glaube, so ist mir die Taufe in Ewigkeit zu nichts nutze“ [De sacramento baptismo]. Denn Christus sagt: „Wer da glaubt und getauft wird – das ist das Wort Gottes und wird bestehen“. Nach diesem Wort Gottes glauben Seine Kurfürstlichen Gnaden, dass die heilige Taufe allein den Gläubigen nützt und zu Gute kommt, die ihren Bund mit Gott allezeit, auch wenn sie in schwierige Situationen geraten, als Trost ansehen sollen. Nicht aber ist sie nützlich den Ungläubigen, denen dieses Gnadenzeichen so wenig hilft wie die Beschneidung. Deswegen sind Kinder gläubiger Christen, welche die heilige Taufe wegen unverhoffter akuter Todesgefahr nicht erhalten

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können, keineswegs zu verdammen, weil der Sohn Gottes sagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“. Denn Herr Luther hat in seiner Kirchenpostille geschrieben: „Es heißt im Allgemeinen, dass wenn jemand glaubt und doch ungetauft sterben würde, der würde nicht verdammt, denn es mag etwa der Fall eintreten, dass einer glaubt und, obwohl er die Taufe empfangen möchte, dieser doch vorher vom Tod hingerafft wird, wie es etwa mit jungen Kindern geschehen kann, in und nach ihrer Geburt. Diese, die doch zuvor durch Glauben und Gebet ihrer Eltern oder von anderen Christus geopfert wurden, sind ihm anvertraut, und er nimmt sie auch ohne Zweifel an, laut seinem Wort: Lasset die Kinder zu mir kommen.“ Bis hierher Luther. Was den Exorzismus anbelangt, der vom Papsttum her bei der Taufe in den Kirchen verblieben ist, sehen Seine Kurfürstlichen Gnaden, dass dieser weder von Christus befohlen noch von den heiligen Aposteln bei der Taufe jemals gebraucht wurde und daher auch eine abergläubische Zeremonie ist, welche die Kraft und Wirkung der heilige Taufe schmälert, den einfältigen Menschen Flöhe ins Ohr setzt über ihre Kinder, als wenn diese besessen wären, und bei der ersten Kirche, die noch die Gabe hatte, Wunder zu tun und besonders den Teufel auszutreiben, einen ganz anderen Gebrauch und Effekt hatte. Der Herr Christus bezeugt auch ausdrücklich, dass die bösen Geister durch Fasten und Beten, nicht durch Exorzismen [oder] menschliche Beschwörungen, ausgetrieben werden (Mt 12,21), genau wie die heiligen Apostel Paulus (Eph 6,13) und Petrus (1. Petr 5,8) Exorzismen mit keiner Silbe erwähnen, wenn sie einen christlichen Ritter gegen den Satan mit allerlei Waffen ausrüsten. Aus solchen und viel mehr Ursachen seien diese Praktiken von nun an einzustellen und bei den Rechtgläubigen gänzlich abzuschaffen. Im heiligen Abendmahl, dem anderen Sakrament im Neuen Testament, glauben und bekennen Seine Kurfürstlichen Gnaden: Weil zweierlei Dinge dasselbe bedeuten, nämlich die äußerlichen Zeichen Brot und Wein zum einen und der wahre Leib Christi, wie es für uns in den Tod gegeben, und sein heiliges Blut, wie es am Stamm des heiligen Kreuzes vergossen wurde, werden diese auch auf zweierlei Art und Weise genossen. Brot und Wein werden mit dem Mund, der wahre Leib und das wahre Blut Christi aber eigentlich mit dem Glauben  – und wegen der sakramentalen Vereinigung in dieser heiligen Handlung beide zusammen und zugleich – gespendet und genommen. Genauso wie das geistliche Manna oder Himmelsbrot des Wortes geistlich genossen wurde und in dem Reich Christi, das nicht von dieser Welt ist, alles geistlich besteht (Joh 18,36). Also glauben Seine Kurfürstlichen Gnaden, dass das heilige Abendmahl auch eine geistliche Speise der Seele ist, die diese erfreut, tröstet, stärkt und

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mit dem vereinigten Leib zur Unsterblichkeit ernährt und erhält. Demnach soll es ohne allen Zusatz bei den heiligen Einsetzungsworten bleiben, dass das Brot der wahre Leib Christi sei und der Wein sein heiliges Blut sakramental, also auf die Art und Weise, wie Gott die heiligen Sakramente sowie Altes und Neues Testament eingesetzt und verordnet hat, sodass sie sichtbare und wahre Zeichen der unsichtbaren Gnade sein mögen. Und der Herr Christus zeigt selbst an, dass das heilige Abendmahl ein Zeichen des neuen Bundes ist, das nicht leer ist. Es ist eingesetzt zum Gedächtnis Christi oder, wie es der Apostel Paulus erklärt, zum stetigen Gedächtnis und zur Verkündigung seines Todes. Dadurch sei es ein Trost-, Dank- und Liebesgedächtnis (1. Kor 11,26). Und weil der Glaube gleichsam der Mund ist, durch den der gekreuzigte Leib des Herrn Christi und sein vergossenes Blut empfangen werden, sind Seine Kurfürstlichen Gnaden davon überzeugt, dass den Ungläubigen und jenen, die nicht zur Buße bereit sind, so ein Sakrament nichts nützt und sie auch am wahrhaften Leib und Blut Christi nicht teilhaben werden, weil der Sohn Gottes, wenn er ja bei Johannes 6,54 vom seligen Gebrauch des Abendmahls redet, rundheraus sagt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben“, und davor in Vers 47: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben“, womit er zu verstehen gibt, dass sein heiliges Fleisch und Blut selig mit dem Glauben genossen werden müssen. Und der Herr Luther bezeugt im Kinderkatechismus, dass derjenige recht und würdig sei, der an diese Worte glaubt: „für euch gegeben, für euch vergossen“. Denn das Wort „für euch“ fordert reine gläubige Herzen, wie er anderswo auch sagt. Ebenso ist das Sakrament eine rechte Speise, doch wer es nicht mit dem Herzen durch den Glauben empfängt, dem hilft es nichts, denn es macht niemanden gläubig, sondern es erfordert, dass man zuvor fromm und gläubig sei. Was die Zeremonien im heiligen Abendmahl anbelangt, kann ja nicht verleugnet werden, dass der Stifter dieses Sakraments natürlich ungesäuertes Brot nahm, wie es damals bei den Juden an den österlichen Feiertagen in Gebrauch war, und wie auch die heiligen Apostel nicht etwa eine besondere Oblate oder Hostie, wie man das nennt, bei ihrer Zusammenkunft genommen haben, sondern einfaches Hausbrot. Das hatte sich auch über 100 Jahre in der Kirche Christi bewährt, bis zu den Zeiten [Papst] Alexanders I. um das Jahr 119 oder, wie andere wollen, um das Jahr des Herrn 601, zur Zeit des Mörderkaisers Phokas. Darum ist es gut zu überdenken, ob nicht vielmehr auf die erste Einsetzung statt auf menschliche Veränderungen, auf die Weisheit Gottes statt auf die der Menschen und viel mehr auf die Wahrheit der Zeichen als auf den Schein zu achten ist. Und ob nicht ein natürlicher, echter Wein, so wie er aus dem Weinstock gekeltert wird, und natürliches und echtes Brot zu nehmen und zu gebrauchen

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ist; besonders wegen der Bedeutung, wie sie bei den Alten aufgezeichnet ist und auf die der Apostel selbst hinweist (1. Kor 10,17). Denn wie das natürliche Brot den Leib des Menschen erhält und – wie im 104. Psalm geschrieben (Ps 104,14 f.) – des Menschen Herz stärkt, ist der Leib Christi eine himmlische Speise, durch welche die Seele genährt, gespeist und zum ewigen Leben erhalten wird. Ob nun Oblaten und Brotersatz auch die Kraft und Wirkung eines natürlichen Brotes haben, das sättigen und stärken kann, und ob die beabsichtigte Bedeutung daher gilt, soll man kundige Personen selbst beurteilen lassen. So kann auch keineswegs geleugnet werden, dass der Herr Christus das Brot genommen und gebrochen und nach dem Brechen ausgeteilt hat, wie es nicht nur bei den drei Evangelisten Matthäus 26,26, Markus 14,22 und Lukas 22,19 ausdrücklich steht, sondern auch vom heiligen Apostel 1. Korinther 11,24 wiederholt wird, da er bezeugt, es vom Herrn im dritten Himmel empfangen zu haben: dass er nämlich das Brot genommen und gebrochen und seinen Jüngern gegeben habe. So kann man keine tautologia [= Dopplung], keine Wiederholung des Vorigen, viel weniger eine perissologia [= Häufung] oder redundantia, ein unnötiges oder überflüssiges Wort, den heiligen Evangelisten und dem heiligen Apostel, ja dem Heiligen Geist selbst zuschreiben, als ob „brechen“ – wie anderswo – nur so viel hieße wie „austeilen“. Vielmehr steht nicht ohne Grund geschrieben: „brach es und gab es“. Weil das Brotbrechen nach dem Beispiel Christi und der Apostel dann viele Jahre in Gebrauch blieb, sodass auch die ganze Handlung des Abendmahls fractio panis, ein Brotbrechen, per synecdochen oder excellentiam quandam [= durch Ersetzung eines Wortes durch einen hervorstechenden Unterbegriff ] genannt wurde, wie in Apostelgeschichte 2,42 zu sehen ist – ungeachtet der besonderen Bedeutung, dass gleichwie das Brot vor den Augen der Kommunikanten gebrochen wird, so habe auch Christus getötet werden müssen –, soll es bei diesem immerwährenden Bild des Brotbrechens vom heiligen Abendmahl bleiben, worauf der Apostel hinweist, wenn er spricht: „Das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird“ (1. Kor 11,24). Demnach sind Seine Kurfürstlichen Gnaden der Meinung, dass hierbei nicht auf die einstige Klugheit der Päpste, nicht auf alte Gewohnheit, nicht auf menschliche Autorität, sondern auf die unveränderte erste Einsetzung des Herrn Christus zu achten sei, und die Durchführung des heiligen Abendmahls allein auf die Art und Weise, wie es der Herr Christus selbst  – und nach seinem Mund die heiligen Apostel  – mit deutlichen Worten vorgeschrieben hat, wie folgt geschehen soll. Und obwohl Seine Kurfürstlichen Gnaden niemanden mit Gewalt dazu verpflichten möchten, sollen doch alle diesbezüglich bedenken, was besser sei: Christus

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oder dem Antichrist, Wahrheit oder falscher Gewohnheit, göttlicher oder menschlicher Weisheit, dem ausdrücklichen Befehl Christi „das tut“ oder der sicheren Freiheit der Welt zu folgen und zu weichen. Besonders, weil Luther selbst bekennt: „Es muss kein Sakrament anders gehalten werden, als nach Einsetzung und Beispiel Christi, denn dann wird das Sakrament gebrochen und vom Priester unter vielen ausgeteilt.“ Ebenso schreibt er dort: „Stelle sie gegenüber, die Antichristen und Christus. Dieser, Christus, bricht das Brot und gibt jedermann davon. Jene brechen es nicht und geben niemandem davon, sondern behalten es allein. Sie allein haben einen Schein des Brechens erfunden. Wo aber bleibt das Wort Gottes ‚Das tut‘? Warum tun sie etwas anderes und das gegen Christus?“ Und an anderer Stelle schreibt er, dass der Text des Paulus „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“ schlecht zu verstehen ist als Brechen und Austeilen über Tisch, wie er auch in 1. Korinther 10,16 f. sagt: Das Brot, das wir brechen, ist der ausgeteilte Leib Christi. Im Artikel von der ewigen Gnadenwahl oder Vorsehung zum ewigen Leben erkennen und bekennen Seine Kurfürstlichen Gnaden, dass dieser der allertröstlichste sei, weil sich darauf nicht nur alle anderen Artikel, sondern auch unsere Seligkeit am meisten gründet: Dass nämlich Gott der Allmächtige aus purer Gnade und Barmherzigkeit, ohne Ansehen der Würdigkeit der Menschen, ohne alle Verdienste und Werke, ehe der Welt Grund gelegt war (Eph 1,4), alle diejenigen zum ewigen Leben erwählt und verordnet hat, die beständig an Christus glauben (Mt 10,22; 24,13; Röm 8,29 f.). Er weiß es und erkennt die Seinen (2. Tim 2,19; Joh 10,14). Wie er sie von Ewigkeit an geliebt hat, schenkt er ihnen aus lauter Gnade den rechtschaffenen, wahren Glauben und kräftige Beständigkeit bis ans Ende (Joh 6,29; Röm 9,18; 11,7.29; Phil 2,13), sodass diese niemand aus der Hand Christi reißen (Joh 10,28) und niemand von seiner Liebe trennen kann, und dass ihnen auch alles, sei es Gutes oder Böses, zum Besten gereichen müsse (Röm 8,26.38), weil sie nach diesem Vorsatz berufen sind. So hat auch Gott nach seiner strengen Gerechtigkeit alle, die nicht an Christus glauben, von Ewigkeit an übersehen und ihnen das ewige Höllenfeuer bereitet (Mt 13,42; 25,46), denn es steht ausdrücklich geschrieben: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt (also ist er zuvor schon!) über ihm“ (Joh 3,18.36; Jes 13,9). Nicht, dass Gott die Ursache sei, dass Menschen verderben; nicht, dass er Gefallen finde am Tod der Sünder; nicht, dass er Stifter und Antreiber der Sünde sei; nicht, dass er nicht alle selig haben wolle – denn dieser Widerspruch ist durchaus in der Heiligen Schrift zu finden (Ez 18,31 f.; 1. Tim 2,4; 2. Petr 3,9; Mt 20) –, sondern die Ursache der Sünde und des Verderbens sind allein beim Satan

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und bei den Gottlosen zu suchen, die wegen ihres Unglaubens und Ungehorsams von Gott in die Verdammnis verstoßen wurden. Ebenso, dass an niemandes Seligkeit zu zweifeln ist, solange die Mittel der Seligkeit gebraucht werden, weil kein Mensch Bescheid weiß über die Zeit, zu der Gott die Seinen beruft, und darüber, wer glauben wird und wer nicht, weil Gott an keine Zeit gebunden ist und alles nach seinem Wohlgefallen richtet. Dem entgegen verwerfen Seine Kurfürstlichen Gnaden alle teils gotteslästerlichen, teils gefährlichen Reden, wonach man mit Vernunft in den Himmel klettern könne und dort in einem speziellen Register oder in Gottes geheimer Kanzlei oder Ratsstube erforschen müsse, wer dort zum ewigen Leben vorgesehen ist und wer nicht. Denn Gott hat das Buch des Lebens versiegelt, sodass kein Lebewesen hineinsehen wird (2. Tim 2,19). Ebenso [wird verworfen], dass Gott propter fidem praevisam – wegen des Glaubens, den er vorhergesehen hat – etliche ausgewählt habe – das ist pelagianisch –, und dass er den meisten die Seligkeit nicht gönne und sie vollständig, einfach so und ohne irgendeinen Grund, auch nicht wegen ihrer Sünde, verdammt. Denn der gerechte Gott hat niemanden zur Verdammnis bestimmt, außer wegen der Sünde. Deswegen ist der Ratschluss der Verwerfung zur Verdammnis nicht als ein absolutum decretum – als ein freier, losgelöster Ratschluss – zu betrachten, wie der Apostel von den verstoßenen Juden bezeugt: „Sie, die Zweige, wurden ausgebrochen um ihres Unglaubens willen“ (Röm 11,20). Ebenso [wird verworfen], dass die Erwählten leben mögen, wie immer sie wollen, wohingegen den Nicht-Erwählten kein Wort, kein Sakrament hilft, weil doch aus Gottes Wort ersichtlich ist, dass ein guter Baum nicht schlechte Früchte bringen kann (Mt 7,18), und dass auch uns Gott erwählt, dass wir heilig und unsträflich in der Liebe vor ihm sein sollen, wie beschrieben in Epheser 1,4. Und dass derjenige, der als edle Rebe im Weinstock Christi bleibt, viele Früchte bringt. Wer nicht in ihm bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. So hat es Christus der Herr selbst gesagt (Joh 15,5 f.). Schließlich bekennen sich Seine Kurfürstlichen Gnaden in diesen und anderen Religionspunkten zu den reformierten evangelischen Kirchen, die sich auf Gottes Wort allein gründen und menschliche Traditionen so weit wie möglich abgeschafft haben. Und obwohl Seine Kurfürstlichen Gnaden zwar in Herz und Gewissen sicher genug sind, dass ein solches Bekenntnis sowohl Gottes Wort gemäß als auch aufrichtig ist, und sie auch nichts lieber erben und wünschen möchten, als dass Gott der Herr aus lauter Gnade und Barmherzigkeit seine [kurfürstlichen] getreuen Untertanen mit dem Licht der unfehlbaren Wahrheit beseelen und erleuchten wolle, ist der Glaube jedoch nicht jedermanns Ding, sondern ein Werk und Geschenk

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Gottes (2. Thess 3,2; Joh 6,29; Phil 1,29; Eph 3,8). Niemand darf über das Gewissen herrschen oder, wie der Apostel Paulus spricht (2. Kor 1,24), Herr sein wollen über den Glauben, denn das steht allein dem zu, der die Herzen kennt. Deshalb wollen Seine Kurfürstlichen Gnaden auch keinen Untertanen dieses Bekenntnis öffentlich oder heimlich gegen ihren Willen aufzwingen, sondern den Gang und Lauf der Wahrheit Gott überlassen, weil es nicht an jemandes Wollen und Laufen, sondern an Gottes Erbarmen liegt (Röm 9,16). Wir verbleiben aber ganz in der Hoffnung, begehren in Gnaden und befehlen ernsthaft, dass Untertanen und andere, wenn sie entweder die streitige Religionssache nicht verstehen oder noch zurzeit darin nicht genügend informiert sind, das Lästern, Schmähen oder Diffamieren gegen die Orthodoxen oder Reformierten – die man aus lauter Hass und Neid mit dicken Backen als calvinisch bezeichnet – unterlassen. Genauso hat es vor langer Zeit Tertullian im Apologeticum von den Christen geschrieben: oditur in innocuis innocuum nomen [= Man hasst an schuldlosen Menschen ihren unschuldigen Namen], [also] sich ganz zurückzuhalten, mit den Schwachgläubigen, wenn sie meinen stark zu sein, Geduld zu haben nach der Mahnung des Apostels Paulus (Gal 4,1; Röm 14,1) und das, was sie selbst nicht gelesen noch bis dato genug verstanden haben, nicht zu verketzern oder zu verdammen, sondern fleißig in der Schrift zu forschen (Joh 5,29) und das Urteil dem zu überlassen, der gerecht richtet. Dieser wird auch ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist. Er wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird auch einem jeden von Gott Lob zuteilwerden (1. Kor 4,5).

27. Die Irischen Religionsartikel (The Irish Articles) (1615) Einleitung Die reformierte Kirche von Irland entstand 1536, als das irische Parlament Heinrich VIII. zum Oberhaupt der Kirche erklärte. Als Heinrich zum ersten Mal die Kirche von Irland regierte, war er feudaler Vasall des Bischofs von Rom. Diese verfassungsmäßige Anomalie wurde 1541 behoben, als Heinrich den Titel „König von Irland“ annahm. In den letzten Jahren seiner Herrschaft und unter Eduard VI. erhielt die Kirche von Irland ihre Lehr- und Anbetungsformeln aus England. 1560, nach der Thronbesteigung von Königin Elizabeth I., verabschiedete die irische Kirche das englische Book of Common Prayer (1559). Der Status der 39 Artikel der Kirche von England (1563/1571) für die Kirche von Irland war während dieser Zeit unklar. Die erste Provinzialsynode dieser Kirche trat 1614 in Verbindung mit dem irischen Parlament zusammen. In einer 1620 vor dem Unterhaus gehaltenen Predigt stellte James Ussher (1581–1656), der Hauptverfasser der Artikel, fest: „Wir sind uns alle einig, dass die Schriften Gottes die vollkommene Regel unseres Glaubens sind; wir alle stimmen in den daraus abgeleiteten Hauptgründen der Religion überein; wir alle unterschreiben die auf der Synode des Jahres 1562 vereinbarten Lehrsätze, um Meinungsverschiedenheiten zu vermeiden.“ 36 der 39 Artikel der Kirche von England werden wörtlich wiedergegeben. Die Irischen Artikel beinhalten die calvinische Lehre über die Prädestination, wie sie in den Lambeth-Artikeln (1595) dargelegt ist. Dass der 36. Artikel „Die Weihe von Bischöfen und Geistlichen“ vermieden wurde, ist ein Hinweis auf den Versuch, der puritanischen Non-Konformität Rechnung zu tragen. Die Irischen Artikel spiegeln das Zürcher Modell der reformierten Lehre wider, indem sie die Trinitätslehre in den Eröffnungsartikeln durch das Lehrstück über die Autorität der Schrift aus dem Zweiten Helvetischen Bekenntnis (1566) verdrängen und die Reihenfolge des Bekenntnisses von Westminster (1647) vorwegnehmen. Formuliert wird eine Bundestheologie, die ebenfalls dem Bekenntnis von Westminster vorangeht. Von der Lehre her stellen die Artikel eine Brücke dar, welche die Kirche Elisabeths mit der kontinentalen reformierten Reform verbindet. Das Bekenntnis umfasst insgesamt 104 Artikel. Artikel 1–7 behandeln die Autorität der Heiligen Schrift und die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse. Artikel 8–10 thematisieren die Trinitätslehre, gefolgt von einer

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prälapsarischen Betonung der Prädestination in den Artikeln ­11–17. Artikel 18 widmet sich Schöpfung und Vorsehung. Es folgt eine Reihe von Artikeln zur theologischen Anthropologie (Artikel 22–28). Artikel 29 f. behandeln die Erlösung durch Christi alleinige Mittlerschaft. Artikel ­31–33 betrachten die Vermittlung der Gnadengaben. Das soteriologische Thema wird mit Glaube und Rechtfertigung in den Artikeln 34–38 fortgesetzt, gefolgt von guten Werken und Heiligung in den Artikeln 39–45. Artikel 46–56 untersuchen die daraus folgende Pflicht von Gebet und Anbetung. Artikel 57–62 betrachten die Autorität der weltlichen Regierung und den Gehorsam, den die Untertanen ihr schulden, während Artikel 63–67 die Pflicht benennen, die jeder Mensch seinem Nächsten schuldet. Der folgende Abschnitt erläutert die Unterscheidung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche (Artikel 68–74), gefolgt von den Artikeln 75–80 zu den Grenzen der institutionellen kirchlichen Autorität, insbesondere der Unterordnung der bischöflichen unter die königliche Autorität. Artikel 81–84 behandeln das Thema des Doppelbundes. Artikel 85–88 stellen die Sakramente Taufe (Artikel 89–91) und Abendmahl (Artikel 92–100) einschließlich eines Exkurses zur sakramentalen Präsenz des Leibes Christi dar. Die abschließenden vier Artikel beziehen sich auf eschatologische Themen (Artikel 101–104). Die Artikel wurden durch eine Provinzialsynode der Kirche von Irland aufgehoben, die 1635 von Erzbischof William Laud unter der Leitung des Earl of Strafford, Lord-Lieutenant von Irland, und seines Kaplans John Bramhall, Bischof von Derry, und einem führenden laudianischen Kirchenvertreter einberufen wurde. Diese Provinzialsynode bestätigte die 39 Artikel, die seitdem der Lehrstandard der reformierten Kirche von Irland sind (siehe oben Text 21). Edition The Articles of Religion of the Church of Ireland, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 61–87 (Bearb.: Torrance Kirby) Übersetzung Die Irischen Religionsartikel von 1615, in: Corpus Confessionum. Die Bekenntnisse der Christenheit. Sammlung grundlegender Urkunden aus allen Kirchen der Gegenwart, Bd. 17,1: Die Kirche von England, ihr Gebetbuch, Bekenntnis und kanonisches Recht, hg. v. Cajus Fabricius, Berlin 1937 (Reprint 2014), 635–660 Literatur Charles R. Elrington, The Life of the Most Rev. James Ussher, DD, Lord Archbishop of Armagh, and Primate of All Ireland: With an Account of His Writings, Dublin 1848 Alan Ford, James Ussher: Theology, history, and politics in early-modern Ireland and England, Oxford 2007

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Declan Gaffney, The practice of religious controversy in Dublin, 1600–1641, in: The Churches, Ireland and the Irish, hg. v. William J. Sheils/Diana Wood, Oxford 1989, 145–158 Charles Hardwick, A History of the Articles of religion: to which is added a series of documents, from A. D. 1536 to A. D. 1615, London 1895 Einleitung: Torrance Kirby; Übersetzung: Matthias Freudenberg

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Die Irischen Religionsartikel (1615) Religionsartikel, in denen die Erzbischöfe, Bischöfe und die übrige Geistlichkeit von Irland in der Versammlung zu Dublin im Jahr unseres Herrn und Gottes 1615 übereingekommen sind, um Meinungsverschiedenhei­ ten zu beseitigen und die Übereinstimmung in der wahren Religion herzustellen. Von der Heiligen Schrift und den drei Glaubensbekenntnissen 1. Die Grundlage unserer Religion und die Norm des Glaubens und aller heilsamen Wahrheit ist das Wort Gottes, enthalten in der Heiligen Schrift. 2. Unter dem Namen Heilige Schrift verstehen wir alle kanonischen Bücher des Alten und Neuen Testaments, nämlich: Altes Testament: die fünf Bücher Mose, Josua, Richter, Ruth, das 1. und 2. Buch Samuel, das 1. und 2. Buch der Könige, das 1. und 2. Buch der Chronik, Esra, Nehemia, Esther, Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, das Hohelied Salomos, Jesaja, Jeremia, seine Prophetie und Klagelieder, Hese­ kiel, Daniel, die zwölf kleinen Propheten. Neues Testament: die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, die Apostelgeschichte, der Brief des heiligen Paulus an die Römer, zwei [Briefe an die] Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, zwei [Briefe an die] Thessalonicher, zwei [Briefe an] Timotheus, Titus, Philemon, Hebräer, der Brief des heiligen Jakobus, zwei [Briefe des] des heiligen Petrus, drei [Briefe des] des heiligen Johannes, einer des heiligen Judas, die Offenbarung des heiligen Johannes. Dies ist alles, wovon wir anerkennen, dass es durch die Inspiration Gottes gegeben und in dieser Hinsicht von allersicherster Glaubwürdigkeit und höchster Autorität ist. 3. Die übrigen Bücher, die man gewöhnlich Apokryphen nennt, sind nicht aus solcher Inspiration hervorgegangen und deshalb nicht von hinreichender Autorität, um irgendein Lehrstück zu beweisen. Aber die Kirche liest sie als Bücher, die viele Dinge enthalten, die würdig sind, Vorbilder für das Leben und Verhaltensregeln zu sein. Es sind dies: das 3. Buch Esra, das 4. Buch Esra, das Buch Tobias, das Buch Judith, Stücke zu Esther, das Buch der Weisheit, Jesus Sirach (genannt Ecclesiasticus), Baruch mit dem Brief des Jeremia, der Gesang der drei Männer, Susanna, Bel und der Drache, das Gebet Manasses, das 1. Buch der Makkabäer, das 2. Buch der Makkabäer. 4. Die Schrift muss aus den Ursprachen in alle Sprachen für den gemeinsamen Gebrauch aller Menschen übersetzt werden. Man darf auch nie-

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manden davon abhalten, die Bibel in einer solche Sprache zu lesen, die er versteht, sondern muss jeden ernstlich ermahnen, sie mit großer Demut und Ehrfurcht zu lesen als das besondere Mittel, um ihn zur wahren Erkenntnis Gottes und seiner eigenen Pflicht zu bringen. 5. Obwohl in der Schrift einige harte Dinge stehen (namentlich solche, die eine besondere Beziehung zu den Zeiten haben, in denen sie zuerst ausgesprochen wurden, und Prophezeiungen von Dingen, die später erfüllt werden sollten), so werden doch alle Dinge, die man zum ewigen Heil wissen muss, deutlich darin mitgeteilt. Nichts dieser Art ist an einer Stelle dunkel und geheimnisvoll ausgesprochen, was nicht an anderen Stellen geläufiger und klarer für die Auffassungsgabe der Gelehrten und der Ungelehrten ausgesprochen wäre. 6. Die Heilige Schrift enthält alles, was zum Heil notwendig und geeignet ist, uns hinreichend zu unterrichten in allen Lehrstücken, die wir zu glauben schuldig sind, und in allen guten Pflichten, die wir erfüllen sollen. 7. Alle einzelnen Artikel, die im Nizänischen Symbol, in dem des Athanasius und in dem gemeinhin sogenannten Apostolischen Glaubensbekenntnis enthalten sind, müssen unter allen Umständen angenommen und geglaubt werden. Denn sie können durch die sichersten Zeugnisse der Schrift bewiesen werden. Vom Glauben an die heilige Dreieinigkeit 8. Es ist ein lebendiger und wahrer Gott, ewig, körperlos, ungeteilt, leidens­ los, von unermesslicher Macht, Weisheit und Güte, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, der sichtbaren wie der unsichtbaren. In der Einheit dieser göttlichen Natur sind drei Personen von demselben Wesen, derselben Macht und derselben Ewigkeit, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. 9. Das Wesen des Vaters bringt nicht das Wesen des Sohnes hervor, aber die Person des Vaters zeugt die Person des Sohnes, indem er sein ganzes Wesen an die von Ewigkeit gezeugte Person mitteilt. 10. Der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, ist von einer und derselben Substanz, Majestät und Herrlichkeit mit dem Vater und dem Sohn, wahrer und ewiger Gott. Von Gottes ewigem Ratschluss und der Vorherbestimmung 11. Gott hat von aller Ewigkeit her durch seinen unveränderlichen Ratschluss alles verordnet, was sich in der Zeit ereignen sollte, so jedoch, dass

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dadurch der Wille der vernünftigen Geschöpfe nicht beeinträchtigt wird und sowohl die Freiheit als auch der Zufall der Zweitursachen nicht aufgehoben, sondern vielmehr festgestellt wird. 12. Durch einen und denselben ewigen Ratschluss hat Gott einige zum Leben vorherbestimmt und einige zum Tod verworfen. Sie haben beide eine bestimmte Zahl, die allein Gott bekannt ist und die weder vermehrt noch vermindert werden kann. 13. Die Vorherbestimmung zum Leben ist der ewige Vorsatz Gottes, durch den er vor Grundlegung der Welt nach seinem uns verborgenen Rat fest beschlossen hat, diejenigen, die er in Christus aus dem Menschengeschlecht erwählt hat, vom Fluch und Verderben zu befreien und als Gefäße der Ehre durch Christus zum ewigen Heil zu bringen. 14. Der Grund, der Gott bewogen hat, zum Leben vorherzubestimmen, ist nicht die Voraussicht des Glaubens oder der Beharrlichkeit oder der guten Werke oder irgendeines Dinges, das in der vorherbestimmten Person ist, sondern allein das Wohlgefallen Gottes selbst. Denn da alle Dinge zur Offenbarung seiner Herrlichkeit verordnet sind, und da seine Herrlichkeit sowohl in den Werken seiner Barmherzigkeit als auch in denen seiner Gerechtigkeit erscheinen soll, schien es seiner himmlischen Weisheit gut, eine bestimmte Zahl auszuwählen, der er seine unverdiente Barmherzigkeit erweisen wollte, während er den Rest übriggelassen hat, um zum Schauspiel seiner Gerechtigkeit zu dienen. 15. Diejenigen, die zum Leben vorherbestimmt sind, werden nach Gottes Vorsatz berufen (indem sein Geist zur rechten Zeit wirkt). Sie gehorchen der Berufung durch die Gnade, sie werden umsonst gerechtfertigt, sie werden zu Gottes Kindern angenommen, sie werden dem Bild seines eingeborenen Sohnes Jesus Christus gleichgemacht, sie wandeln heilig in guten Werken und gelangen endlich durch Gottes Barmherzigkeit zur ewigen Seligkeit. Aber diejenigen, die nicht zum Heil vorherbestimmt sind, werden schließlich wegen ihrer Sünden verdammt werden. 16. Die fromme Betrachtung der Vorherbestimmung und unserer Erwählung in Christus ist voll süßen, angenehmen und unaussprechlichen Trostes für die wahrhaft Frommen und für diejenigen, die in sich die Kraft des Geistes Christi fühlen, welche die Werke des Fleisches und ihre irdischen Glieder tötet und ihre Gemüter zu himmlischen und hohen Dingen emporzieht, teils weil sie unseren Glauben an das ewige Heil, das wir durch Christus erlangen, sehr festigt und stärkt, teils weil sie unsere Liebe

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zu Gott heftig entzündet. Auf der anderen Seite aber ist für neugierige und fleischliche Menschen, denen der Geist Christi abgeht, das ständige Vorhalten der Lehre von der Vorherbestimmung Gottes sehr gefährlich. 17. Wir müssen die göttlichen Verheißungen so auffassen, wie sie uns in der Heiligen Schrift im Allgemeinen gegeben sind. Gottes Wille muss in unseren Handlungen so befolgt werden, wie wir ihn im Wort Gottes ausdrücklich geoffenbart vor uns haben. Von der Schöpfung und Regierung aller Dinge 18. Am Anfang der Zeit, als noch kein Geschöpf vorhanden war, schuf Gott allein durch sein Wort in einem Zeitraum von sechs Tagen alle Dinge, und seitdem erhält er sie und pflanzt sie fort durch seine Vorsehung und ordnet sie nach seinem eigenen Willen. 19. Die höchsten Geschöpfe sind Engel und Menschen. 20. Von den Engeln blieben einige in dem heiligen Stand, in dem sie geschaffen waren, und sie sind durch Gottes Gnade für ewig darin fest gegründet. Andere fielen aus demselben heraus und werden in Ketten der Finsternis bewahrt bis zum Gericht des Jüngsten Tages. 21. Der Mensch, der am Anfang nach dem Bild Gottes geschaffen war (welches besonders in der Weisheit seines Verstandes und in der wahren Heiligkeit seines freien Willens bestand), hatte den Bund des Gesetzes in seinem Herzen eingeschrieben (Röm 2,14). Dadurch verhieß ihm Gott ewiges Leben unter der Bedingung, dass er seinen Geboten ganz und gar und vollkommen gehorchte, nach dem Maß der Kraft, mit der er bei seiner Erschaffung ausgestattet war. Er drohte ihm den Tod an, wenn er das nicht erfüllte. Vom Fall des Menschen, der Ursünde und dem Zustand des Menschen vor der Rechtfertigung 22. Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und der Tod durch die Sünde, und so ist der Tod zu allen Menschen gelangt, da sie alle gesündigt haben. 23. Die Ursünde besteht nicht – wie die Pelagianer erdichten – in der Nachahmung Adams, sondern sie ist der Fehler und die Verdorbenheit der Natur eines jeden Menschen, der von Adam her natürlich geboren ist. Daher kommt es, dass der Mensch der ursprünglichen Gerechtigkeit beraubt ist und von Natur aus zur Sünde geneigt. Darum verdient sie auch in jedem Neugeborenen den Zorn Gottes und die Verdammnis.

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24. Auch in den Wiedergeborenen bleibt diese Verdorbenheit der Natur. Daher kommt es, dass das Fleisch immer gegen den Geist gelüstet und dem Gesetz Gottes nicht untertan gemacht werden kann. Obwohl es um Christi willen für die Wiedergeborenen und Glaubenden keine Verurteilung gibt, so erkennt der Apostel doch an, dass die Begierde die Natur der Sünde in sich hat. 25. Der Zustand des Menschen nach dem Fall Adams ist der, dass er sich durch seine natürlichen Kräfte und guten Werke nicht zum Glauben und zur Anrufung Gottes bekehren und vorbereiten kann. Daher sind wir nicht in der Lage, Werke der Frömmigkeit zu tun, die Gott wohlgefällig und angenehm sind, es sei denn, dass die Gnade Gottes uns zuvorkommt, sodass wir guten Willen haben, und mit uns mitwirkt, während wir den guten Willen haben. 26. Werke, die vor dem Empfang der Gnade Christi und vor der Eingebung seines Geistes getan werden, sind Gott keineswegs angenehm, da sie nicht aus dem Glauben an Jesus Christus hervorgehen. Sie machen die Menschen auch nicht fähig, Gnade zu empfangen und verdienen auch nicht – wie die Scholastiker sagen – die Gnade de congruo [= aufgrund eines angemessenen Verdienstes]. Da sie jedoch nicht getan sind, wie sie nach Gottes Willen und Gebot getan werden sollen, zweifeln wir nicht, dass sie sündig sind. 27. Nicht alle Sünden sind gleich, aber einige sind viel hassenswerter als andere. Doch die kleinste ist ihrer eigenen Natur nach eine Todsünde und macht ohne Gottes Barmherzigkeit den Übertreter der ewigen Verdammnis schuldig. 28. Gott ist nicht der Urheber der Sünde. Indessen lässt er sie nicht nur zu, sondern durch seine Vorsehung lenkt und ordnet er sie auch, indem er sie durch seine unendliche Weisheit in solcher Art leitet, dass sie seine eigene Herrlichkeit bekundet und zum Besten seiner Erwählten dient. Von Christus, dem Mittler des zweiten Bundes 29. Der Sohn, der das Wort des Vaters ist, von Ewigkeit vom Vater ge­ boren, wahrer und ewiger Gott und eines Wesens mit dem Vater, hat im Leib der gesegneten Jungfrau Maria aus ihrem Wesen die menschliche Natur angenommen. So sind die beiden ganzen und vollkommenen Naturen, die göttliche und die menschliche, in einer Person unzertrennlich verbunden worden. Aus ihnen ist der eine Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.

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30. Christus ist in unserer wahren Natur uns in allem gleich geworden, doch ohne Sünde, wovon er völlig rein war im Leben und in seiner Natur. Er kam als das unbefleckte Lamm, das durch das einmal geschehene Opfer seiner selbst die Sünden der Welt trug, und es war, wie Johannes sagt, keine Sünde in ihm (1. Joh 3,5). Er erfüllte das Gesetz für uns vollkommen. Für uns erduldete er sodann die schwersten Qualen in seiner Seele und das schmerzhafteste Leiden an seinem Leib. Er ist gekreuzigt und gestorben, damit er den Vater mit uns versöhnte und ein Opfer wäre nicht allein für die Ursünde, sondern auch für alle unsere Tatsünden. Er ist begraben und zur Hölle herabgestiegen und am dritten Tag auferstanden von den Toten und hat seinen Leib mit Fleisch und Knochen und mit allem, was zur vollständigen menschlichen Natur gehört, wieder angenommen. Mit dem ist er zum Himmel aufgefahren und sitzt dort zur rechten Hand des Vaters, bis er am Jüngsten Tag zum Gericht über die Menschen wiederkommen wird. Von der Mitteilung der Gnade Christi 31. Diejenigen sind zu verdammen, die zu behaupten wagen, ein jeder solle durch das Gesetz oder die Sekte, zu der er sich bekennt, selig werden, wenn er nur genau hiernach und nach dem Licht der Natur gelebt habe. Die Heilige Schrift hingegen verkündigt nur den Namen Jesu Christi, in dem die Menschen selig werden sollen. 32. Niemand kann zu Christus kommen, wenn es ihm nicht gegeben wird und wenn ihn der Vater nicht zieht. Nicht alle Menschen werden so vom Vater gezogen, dass sie zum Sohn kommen. Auch gibt es kein solch hinreichendes Maß der Gnade, das jedem Menschen gewährt wird, wodurch es ihm dann möglich ist, zum ewigen Leben einzugehen. 33. Alle Auserwählten Gottes werden zu ihrer Zeit untrennbar mit Christus vereinigt durch die wirksame und lebendige Wirkung des Heiligen Geistes, der von ihm als dem Haupt auf jedes wahre Glied seines mystischen Leibes übergeht. Indem sie so mit Christus eins werden, werden sie wahrhaft wiedergeboren und seiner selbst und aller seiner Wohltaten teilhaftig gemacht. Von der Rechtfertigung und dem Glauben 34. Allein wegen des Verdienstes unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, durch den Glauben, nicht aufgrund unserer Werke und Verdienste, werden wir vor Gott für gerecht erachtet. Diese Gerechtigkeit, die wir so durch Gottes Barmherzigkeit und Christi Verdienste, die der Glaube ergreift, empfangen, wird von Gott als unsere vollkommene und völlige Rechtfertigung angenommen, angesehen und anerkannt.

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35. Obwohl diese Rechtfertigung für uns umsonst geschieht, kommt sie doch nicht so über uns, dass überhaupt kein Lösegeld dafür bezahlt wird (1. Tim 2,5 f.; Röm 4,25). Gott zeigte seine große Barmherzigkeit, indem er uns aus unserer früheren Gefangenschaft befreite, ohne dass er die Zahlung eines Lösegeldes oder einer Entschädigung auf unserer Seite verlangt hätte, was wir aus uns unmöglich hätten tun können. Während die ganze Welt nicht imstande war, von sich aus auch nur einen Teil ihres Lösegeldes zu bezahlen, gefiel es unserem himmlischen Vater nach seiner unendlichen Barmherzigkeit ohne alles Verdienst auf unserer Seite, für uns die kostbaren Verdienste seines eigenen Sohnes zu schaffen, durch die unser Lösegeld völlig bezahlt, das Gesetz erfüllt und seiner Gerechtigkeit vollkommen genuggetan werden sollte. So ist nun Christus die Gerechtigkeit all derer, die wahrhaft an ihn glauben. Er bezahlte für sie ihr Lösegeld durch seinen Tod und erfüllte für sie das Gesetz in seinem Leben. So kann nun in ihm und durch ihn jeder wahre Christ ein Erfüller des Gesetzes genannt werden, da ja das, was unsere Schwachheit leisten konnte, von Christi Gerechtigkeit vollbracht wurde. Es verbinden sich so Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, indem die Gnade Gottes in Sachen unserer Rechtfertigung nicht die Gerechtigkeit Gottes ausschließt, sondern allein die Gerechtigkeit des Menschen – nämlich die Gerechtigkeit unserer eigenen Werke – als Grund unserer Rechtfertigung ausschließt. 36. Wenn wir sagen, dass wir durch Glauben allein gerechtfertigt werden, so meinen wir nicht, dass der besagte rechtfertigende Glaube allein ohne wahre Reue, Hoffnung, Liebe und Furcht Gottes im Menschen vorhanden ist – denn ein solcher Glaube ist tot und kann nicht rechtfertigen. Auch glauben wir nicht, dass dieser Akt unseres Glaubens an Christus oder dieser unser Glaube an Christus, der in uns ist, von sich aus uns rechtfertigt oder unsere Rechtfertigung für uns verdient – denn das hieße, durch die Leistung oder Würdigkeit von etwas, das in uns selbst ist, uns für gerechtfertigt zu halten. Vielmehr ist das wahre Verständnis und die rechte Meinung davon: Obwohl wir Gottes Wort hören und es glauben, und obwohl wir Glaube, Hoffnung, Liebe, Reue und Furcht Gottes in uns haben und noch so viele gute Werke hinzufügen, müssen wir dennoch auf das Verdienst aller unserer besagten Leistungen, des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und aller unserer anderen Leistungen und guten Taten, die wir entweder getan haben oder tun werden oder tun können, verzichten. Denn es sind Dinge, die viel zu schwach, unvollkommen und ungenügend sind, um die Vergebung unserer Sünden und unsere Rechtfertigung zu verdienen. Deshalb müssen wir allein auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen und auf die Verdienste seines innigst geliebten Sohnes, unseres einzigen Erlösers, Heilandes und Rechtfertigers Jesus Christus. Weil der Glaube uns

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zu unserer Rechtfertigung unmittelbar zu Christus weist und wir durch den uns von Gott gegebenen Glauben die Verheißung der Barmherzigkeit Gottes und der Vergebung unserer Sünden ergreifen – was keine andere unserer Leistungen oder Werke von sich aus vollbringt –, darum sagt die Schrift gewöhnlich, dass der Glaube ohne Werke ist (Eph 2,8 f.; Tit 3,5; 2. Tim 1,9). Die alten Kirchenväter sagen in demselben Sinn, dass der Glaube allein uns rechtfertigt. 37. Unter dem rechtfertigenden Glauben verstehen wir nicht allein den gemeinsamen Glauben an die Artikel der christlichen Religion und eine Überzeugung von der Wahrheit des Wortes Gottes im Allgemeinen. Vielmehr ist er auch eine besondere Anwendung der gnädigen Verheißungen des Evangeliums zum Trost unserer eigenen Seelen. Dadurch ergreifen wir Christus mit allen seinen Wohltaten, indem wir ernsthaftes Vertrauen und Zuversicht zu Gott haben, dass er um seines eigenen Sohnes willen barmherzig uns gegenüber sein wird. So kann ein wahrhaft Gläubiger durch die Gewissheit des Glaubens der Vergebung seiner Sünden und seines ewigen Heils durch Christus sicher sein. 38. Ein wahrer, lebendiger und rechtfertigender Glaube und der heiligende Geist Gottes werden weder ausgelöscht noch verschwinden sie in den Wiedergeborenen endgültig oder gänzlich. Von der Heiligung und den guten Werken 39. Alle, die gerechtfertigt werden, werden gleichermaßen geheiligt, indem ihr Glaube allezeit von wahrer Buße und guten Werken begleitet ist. 40. Die Buße ist eine Gabe Gottes, durch die den Gläubigen eine göttliche Traurigkeit ins Herz gegeben wird darüber, dass sie Gott, ihren barmherzigen Vater, durch ihre früheren Übertretungen beleidigt haben, verbunden mit dem festen Entschluss, in Zukunft Gott treu zu bleiben und ein neues Leben zu führen. 41. Die guten Werke, welche die Früchte des Glaubens sind und auf die Rechtfertigung folgen, sind, obwohl sie unsere Sünden nicht sühnen und vor der Strenge des göttlichen Gerichts nicht bestehen können, dennoch Gott wohlgefällig und angenehm in Christus. Sie fließen notwendig aus dem wahren und lebendigen Glauben, der an ihnen erkannt werden kann wie ein Baum an seiner Frucht. 42. Die Werke, in denen nach Gottes Willen sein Volk wandeln soll, sind diejenigen, die er in seiner Heiligen Schrift befohlen hat, und nicht Werke,

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welche die Menschen in ihrem eigenen Gehirn aus blindem, frommem Eifer ohne die Vollmacht des Wortes Gottes erdacht haben. 43. Die Wiedergeborenen können in diesem Leben das Gesetz Gottes nicht vollkommen erfüllen. Denn in vielen Stücken machen wir alle Fehler. Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. 44. Nicht jede nach der Taufe freiwillig begangene Todsünde ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann. Darum darf man denen, die nach der Taufe in Sünden gefallen sind, die Gelegenheit zur Buße nicht versagen. 45. Freiwillige Werke neben und über den Geboten Gottes, die man überverdienstliche Werke nennt, können nicht ohne Anmaßung und Gottlosigkeit behauptet werden. Denn dadurch erklären die Menschen, dass sie Gott nicht nur das geben, wozu sie verpflichtet sind, sondern um seinetwillen mehr tun, als sie schuldig sind. Vom Gottesdienst 46. Es ist unsere Pflicht gegenüber Gott, an ihn zu glauben, ihn zu fürchten und ihn zu lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt, von ganzer Seele und mit allen unseren Kräften, ihn anzubeten, ihm Dank zu sagen, unser ganzes Vertrauen auf ihn zu setzen, ihn anzurufen, seinen heiligen Namen und sein Wort zu ehren und ihm alle Tage unseres Lebens treu zu dienen. 47. In allen unseren Nöten müssen wir zu Gott im Gebet unsere Zuflucht nehmen, indem wir dessen gewiss sind, dass alles, was wir den Vater im Namen seines Sohnes, unseres einzigen Mittlers und Fürsprechers Jesus Christus, und nach seinem Willen bitten, er uns ohne jeden Zweifel geben will. 48. Wir müssen unser Herz vorbereiten, ehe wir beten, und die Dinge überlegen, die wir wünschen, wenn wir beten, damit unsere Herzen und unsere Stimmen in den Ohren der göttlichen Majestät zusammenklingen. 49. Wenn uns Gott der Allmächtige mit Anfechtung heimsucht oder wenn ein großes Unglück über uns schwebt oder wenn eine andere wichtige Ursache es erfordert, so ist es unsere Pflicht, uns durch Fasten zu demütigen, unsere Sünden mit betrübten Herzen zu beklagen und uns dem ernsthaften Gebet hinzugeben, dass es Gott gefallen möchte, seinen Zorn

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von uns zu wenden oder uns mit solchen Gnaden zu erfüllen, wie wir sie am allermeisten nötig haben. 50. Fasten heißt, dem Leib Speise, Trank und alle natürliche Nahrung sowie andere äußerliche Genüsse für die bestimmte Fastenzeit vorzuenthalten. Was diejenigen Enthaltungen betrifft, die auf öffentliche Anordnung unseres Reiches festgesetzt werden für das Essen von Fisch und das Nichtessen von Fleisch zu gewissen Zeiten und an bestimmten Tagen, so sind diese keineswegs als religiöses Fasten gemeint. Es wird damit auch nicht beabsichtigt, in der Wahl der Speisen irgendeinen Aberglauben aufrechtzuerhalten, sondern sie beruhen lediglich auf politischen Erwägungen über Maßnahmen, die auf die Förderung des Gemeinwohls abzielen. 51. Wir dürfen nicht in der inneren Überzeugung fasten, als könnte unser Fasten uns in den Himmel bringen, und wir dürfen auch nicht dem äußer­ lich getanen Werk Heiligkeit zuschreiben. Denn Gott nimmt unser Fasten nicht wegen des Werkes an – das an sich eine ganz gleichgültige Sache ist –, sondern hauptsächlich im Blick auf das Herz, wie es dabei beteiligt ist. Es ist daher erforderlich, dass wir zuerst vor allem anderen unsere Herzen von Sünde reinigen und dann unser Fasten auf solche Ziele richten, die Gott als gut annehmen will: dass nämlich das Fleisch dadurch gezüchtigt werde, der Geist im Gebet glühender sei und dass unser Fasten ein Zeugnis unserer demütigen Unterwerfung unter Gottes Majestät sein möge, wenn wir ihm unsere Sünden bekennen und innerlich von Betrübnis des Herzens über sie erfasst sind, indem wir sie gleichzeitig in der Not unseres Leibes beklagen. 52. Aller Gottesdienst, der abgesehen von der Heiligen Schrift oder im Gegensatz zu ihr von menschlicher Phantasie ersonnen ist – wie Pilgerfahrten, Aufstellen von Kerzen, Stationen und Jubiläen, pharisäische Sekten und erheuchelte Frömmigkeitsübungen, Rosenkranzbeten und sonstiger derartiger Aberglaube –, hat in der Heiligen Schrift nicht nur keine Verheißung von Belohnung, sondern im Gegenteil Drohungen und Verfluchungen. 53. Jede Art von Darstellungen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in äußerlicher Form ist gänzlich ungesetzlich. Ebenso auch alle anderen Bilder, die vom Menschen zur Ausübung ihrer Frömmigkeit ersonnen oder gemacht sind. 54. Alle fromme Anbetung muss sich an Gott allein richten. Von ihm muss auch alles Gute, Gesundheit und Gnade sowohl erbeten als auch

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erwartet werden als von dem wahren Schöpfer und Geber dieser Dinge, und sonst von niemandem. 55. Der Name Gottes soll mit aller Verehrung und heiliger Ehrfurcht gebraucht werden, und darum ist alles unnötige und unbesonnene Schwören ganz und gar zu verdammen. Doch darf nichtsdestoweniger bei gesetzlichen Angelegenheiten ein Eid, dem Wort Gottes gemäß, recht, dem Gesetz gemäß und in Wahrheit auferlegt und geleistet werden. 56. Der erste Tag der Woche, welcher der Tag des Herrn ist, soll völlig dem Dienst Gottes gewidmet werden. Darum sind wir verpflichtet, an ihm von unserem gewöhnlichen und täglichen Geschäft auszuruhen und die freie Zeit für fromme Übungen, sowohl öffentliche als auch private, zu verwenden. Von der weltlichen Regierung 57. Seine Majestät der König hat unter Gott in seinen Reichen und Herrschaftsgebieten die höchste Gewalt über alle Gruppen von Personen, welchen Standes, es sei kirchlichen oder bürgerlichen, sie auch sein mögen, sodass keine auswärtige Gewalt die Oberhoheit über sie hat oder haben darf. 58. Wir bekennen, dass die höchste Regierungsgewalt über alle Stände innerhalb der besagten Reiche und Herrschaftsgebiete in allen Angelegenheiten, sowohl kirchlichen als auch weltlichen, mit Recht der Hoheit des Königs gehört. Dadurch geben wir ihm weder die Verwaltung des Wortes und der Sakramente noch die Gewalt der Schlüssel, sondern nur das Vorrecht, das in der Heiligen Schrift von Gott selbst, wie wir sehen, allen frommen Fürsten immer zuerkannt worden ist. Das heißt, dass er alle ihm von Gott anvertrauten Stände und Klassen, sie seien kirchlich oder bürgerlich, bei ihrer Pflicht erhalte und die Widerspenstigen und Übeltäter durch das weltliche Schwert bestrafe. 59. Der Papst hat von sich selbst oder durch irgendeine Vollmacht der Kirche oder des römischen Stuhls oder sonst irgendwoher keinerlei Gewalt oder Vollmacht, dass er den König absetze oder irgendeines seiner Königreiche oder Herrschaftsgebiete verteile oder irgendeinen anderen Fürsten ermächtige, ihn oder seine Länder zu überfallen oder zu bedrängen, oder dass er irgendeinen seiner Untertanen von seiner Ergebenheit und seinem Gehorsam gegenüber Seiner Majestät entbinde oder irgendeinem von ihnen Freiheit oder Erlaubnis gebe, Waffen zu tragen, Aufruhr anzustiften oder seiner königlichen Person, Stellung oder Regierung oder irgendeinem

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seiner Untertanen innerhalb der Herrschaftsgebiete Seiner Majestät Gewalt oder Schaden zuzufügen. 60. Dass Fürsten, die vom Papst exkommuniziert oder ihres Amtes enthoben sind, von ihren Untertanen oder sonst von jemandem abgesetzt oder ermordet werden können, ist eine gottlose Lehre. 61. Die Reichsgesetze können die Christen wegen Kapitalverbrechen und schwerer Vergehen mit dem Tod bestrafen. 62. Den Christen ist es erlaubt, auf Befehl der Regierung Waffen zu tragen und gerechte Kriege zu führen. Von unserer Pflicht gegenüber unseren Nächsten 63. Unsere Pflicht gegenüber unseren Nächsten ist es, sie zu lieben wie uns selbst und allen Leuten zu tun, was wir wollen, dass sie uns tun sollen, unsere Oberen zu ehren und ihnen zu gehorchen, die Unversehrtheit der menschlichen Person wie auch ihre Reinheit, ihre Güter und ihre guten Namen zu bewahren, keine Boshaftigkeit und keinen Hass in unseren Herzen zu tragen, unsere Leiber in Mäßigkeit, Nüchternheit und Reinheit zu erhalten, wahr und gerecht in allem unserem Tun zu sein, nicht die Güter eines anderen zu begehren, sondern ehrlich zu arbeiten, um unseren eigenen Lebensunterhalt zu erwerben und unsere Pflicht in dem Lebensstand zu tun, zu dem es Gott gefällt, uns zu berufen. 64. Zur Bewahrung der Reinheit der menschlichen Person ist allen Menschen, die es nötig haben, der Ehestand geboten. Ebenso wenig gibt es nach dem Wort Gottes einen Hinderungsgrund, dass auch die Diener der Kirche in den Stand der Ehe treten. Denn es wird ihnen nirgends durch göttliches Gebot vorgeschrieben, dass sie die Ehelosigkeit geloben oder sich der Ehe enthalten sollen. Es ist also auch ihnen wie allen anderen Christen erlaubt, nach ihrem eigenen Belieben eine Ehe zu schließen, wenn dieses nach ihrem Urteil der Frömmigkeit förderlicher ist. 65. Das Vermögen und die Güter der Christen sind, was Rechtsanspruch und Besitz betrifft, nicht gemeinsam, wie gewisse Wiedertäufer fälschlich behaupten. Doch muss ein jeder von dem, was er besitzt, nach dem Verhältnis seines Vermögens den Armen reichlich Almosen geben. 66. Das gegebene Wort ist zu halten, auch gegenüber Häretikern und Ungläubigen.

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67. Die päpstliche Lehre von der Äquivokation [= Doppeldeutigkeit] und vom Gedankenvorbehalt ist höchst gottlos und zielt offenkundig auf die Verkehrung aller menschlichen Gesellschaft. Von der Kirche und dem äußeren Dienst am Evangelium 68. Es gibt nur eine katholische Kirche, außerhalb derer es kein Heil gibt, welche die gesamte Schar aller Heiligen umfasst, die jemals waren, sind oder sein werden, vereinigt in einem Leib unter einem Haupt Christus Jesus. Ein Teil davon triumphiert bereits im Himmel, ein Teil streitet jedoch noch hier auf Erden. Weil diese Kirche aus allen denen, und zwar aus denen allein besteht, die von Gott zum Heil erwählt und durch die Kraft seines Geistes wiedergeboren sind, deren Zahl nur Gott selbst bekannt ist, wird sie die katholische oder allgemeine und die unsichtbare Kirche genannt. 69. Aber die besonderen und sichtbaren Kirchen, die aus denen bestehen, die sich zum Glauben an Christus bekennen und unter den äußeren Heilsmitteln leben, sind viel an Zahl. Je nachdem in ihnen mehr oder weniger rein das Wort Gottes nach der Einsetzung Christi gelehrt wird, die Sakramente verwaltet werden und die Schlüsselgewalt ausgeübt wird, sind solche Kirchen für mehr oder weniger rein zu erachten. 70. Obwohl in der sichtbaren Kirche die Bösen immer den Guten beigemischt sind und bisweilen dem Predigtamt und der Verwaltung der Sakramente vorstehen, so darf man doch ihren Dienst sowohl beim Hören des Wortes als auch beim Empfang der Sakramente nutzen. Denn sie handeln nicht in ihrem eigenen, sondern in Christi Namen und verrichten nach seinem Auftrag und in seiner Vollmacht ihren Dienst. Auch wird durch ihre Bosheit die Wirkung der von Christus eingesetzten Handlungen nicht aufgehoben oder die Gnade der Gaben Gottes bei denen vermindert, die gläubig und rechtmäßig die ihnen dargebotenen Sakramente empfangen. Diese sind wegen der Einsetzung Christi und wegen der Verheißung wirksam, auch wenn sie von Bösen verwaltet werden. Jedoch gehört es zur Kirchenzucht, dass gegen unwürdige Geistliche vorgegangen wird und sie von denen angeklagt werden, die ihre Vergehen kennen. Schließlich sollen sie, wenn sie durch ein gerechtes Urteil für schuldig befunden werden, ihres Amtes enthoben werden. 71. Niemand darf sich das Amt anmaßen, in der Kirche öffentlich zu predigen oder die Sakramente zu verwalten, wenn er nicht zuvor zu diesen Diensten rechtmäßig berufen und gesandt ist. Wir müssen diejenigen als rechtmäßig berufen und gesandt betrachten, die für dieses Werk durch

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Menschen, denen die Vollmacht in der Kirche gegeben ist, Diener zu berufen und in den Weinberg des Herrn zu senden, hinzugewählt und angenommen worden sind. 72. In einer dem Volk unverständlichen Sprache die öffentlichen Gebete in der Kirche zu verrichten oder die Sakramente zu verwalten, widerstreitet klar dem Wort Gottes und dem Brauch der Urgemeinde. 73. Wer durch öffentliche Bekanntmachung der Kirche rechtmäßig aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und exkommuniziert ist, der soll von der gesamten Menge der Gläubigen als ein Heide und Zöllner betrachtet werden, bis er sich durch Buße nach dem Urteil eines zuständigen Richters öffentlich mit ihr versöhnt hat. 74. Gott hat seinen Dienern die Vollmacht verliehen, nicht einfach Sünden zu vergeben – ein Vorrecht, das er allein sich selbst vorbehalten hat  –, sondern in seinem Namen denjenigen, die wahrhaft Buße tun und aufrichtig an sein heiliges Evangelium glauben, die Absolution und Vergebung der Sünden zu verkündigen und auszusprechen. Auch ist es Gott nicht wohlgefällig, dass die Seinen verpflichtet werden, vor einem sterblichen Menschen eine besondere Beichte über alle ihre bekannten Sünden abzulegen. Allerdings mag jemand, der in seinem Gewissen mit einer besonderen Sache beschwert ist, zu einem frommen und gelehrten Geistlichen gehen, um aus seinen Händen Rat und Trost zu empfangen. Von der Vollmacht der Kirche, der allgemeinen Konzile und des Bischofs von Rom 75. Es ist der Kirche nicht erlaubt, etwas anzuordnen, was dem Wort Gottes entgegen ist, und sie darf auch keine Schriftstelle so erklären, dass sie einer anderen widerspricht. Obwohl daher die Kirche Zeugin und Bewahrerin der göttlichen Bücher ist, so darf sie doch nichts im Gegensatz zu ihnen beschließen und ebenso auch abgesehen von ihnen nichts als heilsnotwendigen Glaubenssatz aufdrängen. 76. Allgemeine Konzile können sich nicht ohne Befehl und Willen der Fürsten versammeln. Wenn sie zusammengekommen sind, können sie, weil sie aus Menschen bestehen, die nicht immer vom Geist und Wort Gottes geleitet werden, auch irren, und sie haben bisweilen geirrt, sogar in Dingen, die sich auf die Grundlage des Glaubens beziehen. Was darum von ihnen als heilsnotwendig beschlossen wird, hat weder Kraft noch Gültigkeit, wenn nicht gezeigt werden kann, dass es aus der Heiligen Schrift entnommen ist.

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77. Jede Teilkirche hat die Vollmacht, Zeremonien und andere kirchliche Riten einzuführen, zu ändern und abzuschaffen, soweit sie überflüssig sind oder missbräuchlich ausgeübt werden, und andere festzusetzen, die angebrachter sind und mehr der Ordnung und Erbauung dienen. 78. Wie die Jerusalemer, alexandrinische und antiochenische Kirche geirrt hat, so hat auch die römische Kirche geirrt, und zwar nicht nur im Handeln und in den zeremoniellen Riten, sondern auch in Glaubenssachen. 79. Die Amtsgewalt, die der Bischof von Rom jetzt in Anspruch nimmt, nämlich das Oberhaupt der gesamten Kirche Christi zu sein und über allen Kaisern, Königen und Fürsten zu stehen, ist eine angemaßte Gewalt. Sie ist entgegen der Schrift und dem Wort Gottes und dem Beispiel der Urgemeinde entgegen. Deswegen ist sie aus höchst gerechten Gründen innerhalb der Reiche und Herrschaftsgebiete Seiner Majestät des Königs aufgehoben und abgeschafft. 80. Der Bischof von Rom ist so weit davon entfernt, das Oberhaupt der gesamten Kirche Christi zu sein, dass seine Werke und seine Lehre ihn vielmehr deutlich als den Menschen der Sünde erkennen lassen, von dem in der Heiligen Schrift geredet wird. Ihn wird der Herr mit dem Hauch seines Mundes vernichten und ihm ein Ende machen durch seine Erscheinung, wenn er kommt (2. Thess 2,8). Von der Stellung des Alten und Neuen Testaments 81. Im Alten Testament wurden die Gebote des Gesetzes ausführlicher und die Verheißungen Christi seltener und dunkler dargelegt, überschattet von einer Menge von Typen und Bildern. Sie wurden umso allgemeiner und undeutlicher ausgesprochen, je mehr ihre Offenbarung in der Ferne lag. 82. Das Alte Testament widerspricht dem Neuen nicht. Denn sowohl im Alten als auch im Neuen Testament ist durch Christus, welcher der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen und zugleich Gott und Mensch ist, das ewige Leben dem Menschengeschlecht angeboten. Darum haben diejenigen eine falsche Ansicht, die vorgeben, die Alten hätten nur auf zeitliche Verheißungen gehofft. Denn sie richteten ihren Blick auf alle Wohltaten Gottes des Vaters durch die Verdienste seines Sohnes Jesus Christus, wie auch wir es jetzt tun. Allerdings glaubten sie an Christus als den Zukünftigen, während wir an Christus als den bereits Gekommenen glauben. 83. Das Neue Testament ist voller Gnade und Wahrheit, indem es der Menschheit die frohe Botschaft bringt, dass alles, was früher von Christus

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verheißen war, sich jetzt erfüllt hat. So zeigt es anstatt der alten Typen und Zeremonien die Dinge selbst mit einer ausführlichen und deutlichen Erklärung aller Wohltaten des Evangeliums. Auch ist dessen Dienst nicht länger auf ein einziges beschnittenes Volk beschränkt, sondern wird ohne Unterschied allen Völkern angeboten, sie seien Juden oder Heiden. So gibt es nun kein Volk mehr, das sich mit Recht darüber beklagen könnte, dass es von der Gemeinschaft der Heiligen und den Vorrechten des Volkes Gottes ausgeschlossen sei. 84. Obwohl das Gesetz, das Gott durch Mose gegeben hat, hinsichtlich der Zeremonien und Riten abgeschafft ist und die darin enthaltenen bürgerlichen Vorschriften in keinem Staat notwendig angenommen werden müssen, so ist doch nichtsdestoweniger niemand, auch kein Christ, vom Gehorsam gegen die sogenannten sittlichen Gebote befreit. Von den Sakramenten des Neuen Testaments 85. Die von Christus eingesetzten Sakramente sind nicht nur Zeichen, an denen man äußerlich die Christen erkennen kann, sondern vielmehr sichere Zeugnisse und wirksame oder machtvolle Zeichen der Gnade und des Wohlwollens Gottes uns gegenüber. Durch diese wirkt er selbst unsichtbar in uns und weckt nicht nur unseren Glauben an ihn, sondern stärkt ihn auch. 86. Zwei Sakramente sind von unserem Herrn Christus im Evangelium eingesetzt, nämlich die Taufe und das Herrenmahl. 87. Jene fünf von der römischen Kirche sogenannten Sakramente, nämlich die Firmung, die Buße, die Priesterweihe, die Ehe und die letzte Ölung, gelten nicht als dem Evangelium gemäße Sakramente. Denn sie sind teils aus einer verkehrten Nachahmung der Apostel entsprungen, teils Ordnungen des Lebens, die zwar in der Schrift gebilligt werden, aber nicht dieselbe Bedeutung von Sakramenten haben wie die Taufe und das Herrenmahl, da sie kein sichtbares Zeichen oder eine von Gott eingesetzte Zeremonie haben, verbunden mit einer Verheißung der daran geknüpften Gnade. 88. Die Sakramente sind von Christus nicht dazu eingesetzt, um angeschaut oder umhergetragen zu werden, sondern damit wir sie recht gebrauchen. Sie haben nur in denen, die sie würdig empfangen, eine heilsame Wirkung. Diejenigen aber, die sie unwürdig empfangen, ziehen dadurch sich selber das Gericht zu (1. Kor 11,29).

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Von der Taufe 89. Die Taufe ist nicht nur ein äußerliches Zeichen unseres Bekenntnisses und ein Merkmal, durch das sich die Christen von den Nichtchristen unterscheiden, sondern vielmehr ein Sakrament unserer Zulassung zur Kirche, das uns unsere Wiedergeburt – und folglich auch unsere Rechtfertigung, Annahme zu Kindern [Gottes] und Heiligung – durch die Gemeinschaft, die wir mit Jesus Christus haben, versiegelt. 90. Die Kindertaufe muss in der Kirche beibehalten werden, da sie mit dem Wort Gottes übereinstimmt. 91. Bei der Verwaltung der Taufe sind Exorzismus, Öl, Salz, Speichel und abergläubische Wasserweihe aus berechtigten Gründen abgeschafft. Auch ohne dieses wird das Sakrament vollständig und vollkommen hinsichtlich aller Absichten und Aufgaben in Übereinstimmung mit der Einsetzung Christi, unseres Heilands, verwaltet. Vom Herrenmahl 92. Das Herrenmahl ist nicht nur ein Zeichen des gegenseitigen Wohlwollens der Christen untereinander, sondern es ist vielmehr das Sakrament unserer Bewahrung in der Kirche, das uns unsere geistliche Nahrung und unser fortwährendes Wachstum in Christus versiegelt. 93. Die Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in die Substanz des Leibes und des Blutes Christi, die man gewöhnlich Transsubstantiation nennt, kann nicht aus der Heiligen Schrift bewiesen werden, sondern ist den klaren Zeugnissen der Schrift entgegen, verkehrt die Natur des Sakraments und hat zum gröbsten Götzendienst und zu vielerlei Aberglauben Anlass gegeben. 94. Im äußerlichen Teil der heiligen Kommunion werden Leib und Blut Christi in einer höchst lebendigen Art dargestellt. Dabei sind sie jedoch nicht anders in den sichtbaren Elementen gegenwärtig wie Dinge, die man bezeichnet und besiegelt, in den Zeichen und Siegeln gegenwärtig sind, das heißt sinnbildlich und in einem Entsprechungsverhältnis. Aber in innerlicher und geistlicher Hinsicht werden derselbe Leib und dasselbe Blut wirklich und wesentlich allen denen dargeboten, welche die Gnade besitzen, den Sohn Gottes zu empfangen, das heißt denen, die an seinen Namen glauben. Denjenigen, die in dieser Weise würdig und mit Glauben am Tisch des Herrn erscheinen, wird der Leib und das Blut Christi nicht nur bezeichnet und angeboten, sondern auch wahrhaftig dargereicht und mitgeteilt.

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95. Der Leib Christi wird im Herrenmahl nur in himmlischer und geistlicher Weise gegeben, empfangen und gegessen. Das Mittel aber, durch den der Leib Christi empfangen und gegessen wird, ist der Glaube. 96. Die Gottlosen und die, die den lebendigen Glauben nicht haben, zerdrücken zwar fleischlich und sichtbar mit den Zähnen, wie Augustin sagt, das Sakrament des Leibes und Blutes Christi. Sie werden aber in keiner Weise Christi teilhaftig, sondern essen und trinken vielmehr das Sakrament oder Sinnbild einer so großen Sache sich selber zum Gericht (1. Kor 11,29). 97. Beide Teile des Sakraments des Herrn müssen nach Christi Einsetzung und nach der Übung der Alten Kirche dem Volk Gottes gereicht werden. Es ist ein offenkundiger Frevel, diejenigen des mystischen Kelches zu berauben, für die Christus sein kostbarstes Blut vergossen hat. 98. Das Sakrament des Herrenmahls wurde nach der Einsetzung Christi nicht aufbewahrt, herumgetragen, in die Höhe gehoben und auch nicht angebetet. 99. Das Messopfer, von dem man sagt, dass darin der Priester zum Erlass der Strafe oder Schuld Christus für Lebende und Tote opfere, ist weder in Übereinstimmung mit Christi Anordnung noch hat es seinen Grund in apostolischer Lehre. Es ist im Gegenteil höchst gottlos und zutiefst beleidigend gegenüber dem vollkommen hinlänglichen Opfer Christi, unseres Heilands, das ein für alle Mal am Kreuz dargebracht wurde und die einzige Versöhnung und Genugtuung für alle unsere Sünden ist. 100. Die Privatmesse, das heißt der Empfang der Eucharistie durch den Priester allein ohne eine angemessene Zahl von Kommunikanten, widerspricht der Einsetzung Christi. Vom Zustand der Seelen der Menschen nach ihrem Hinscheiden aus diesem Leben sowie von der allgemeinen Auferstehung und dem Jüngsten Gericht 101. Nach dem Ende dieses Lebens werden die Seelen der Gotteskinder sofort in den Himmel aufgenommen, um sich dort unaussprechlicher Tröstungen zu erfreuen. Die Seelen der Bösen werden in die Hölle geworfen, um dort endlose Qualen zu erdulden. 102. Die Lehre der römischen Kirche vom limbus patrum [= Ort für die Seelen der Frommen des Alten Bundes], vom limbus puerorum [= Ort für

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die Seelen der ungetauft gestorbenen Kinder], vom Fegefeuer, vom Gebet für die Toten, von den Ablässen, von der Anbetung der Bilder und Reliquien sowie auch von der Anrufung der Heiligen ist eine wertlose und leer erdichtete Sache und gründet sich auf keine Zeugnisse der Schrift, sie widerstreitet ihr vielmehr. 103. Am Ende dieser Welt wird der Herr Jesus in den Wolken mit der Herrlichkeit seines Vaters kommen. Zu dieser Zeit werden durch die allmächtige Kraft Gottes die Lebendigen verwandelt und die Toten auferweckt werden. Alle werden mit Leib und Seele vor seinem Richterstuhl erscheinen, um zu empfangen gemäß dem, was sie in ihrem leiblichen Leben getan haben, es sei gut oder böse. 104. Wenn das Jüngste Gericht beendet ist, wird Christus das Reich seinem Vater überantworten, und Gott wird sein alles in allen (1. Kor 15,24–28). Der Beschluss der Synode Wenn irgendein Geistlicher, welchen Rang oder welche Eigenschaft er auch haben mag, öffentlich eine Lehre verkündigt, die diesen vereinbarten Artikeln entgegengesetzt ist, und wenn er nach gebührender Ermahnung nicht seine Übereinstimmung erklärt und aufhört, den Frieden der Kirche zu stören, so soll er zum Schweigen gebracht und ihm alle geistlichen Grade, derer er sich erfreut, entzogen werden.

28. Dordrechter Lehrsätze (Canones) (1619) Einleitung In einer Situation, in der Anfang des 17. Jahrhunderts in den Nieder­ landen das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche kontrovers diskutiert wurde, entbrannte in einer zentralen theologischen Frage ein heftiger Streit, der die gesamte Gesellschaft betraf und sie zu spalten drohte. Die Frage, um die es ging, war die Frage nach Gottes Erwählung, die seit den Anfängen der christlichen Kirche wiederholt Anlass zu Kontroversen bot. Der Streit nahm seinen Anfang mit der Auseinandersetzung zwischen den beiden in Leiden lehrenden Professoren Franciscus Gomarus (1563–1641) und Jacobus Arminius (1560–1609). Arminius lehrte, dass Wiedergeburt und Glaube nicht ohne Zutun und Willen des Menschen entstehen, der somit für die göttliche Erwählung verantwortlich ist. Gomarus hingegen lehrte, dass allein Gott es ist, der die Menschen noch vor ihrer Geburt erwählt oder verwirft, wonach dann erst Wiedergeburt und Glaube er­ folgen. Diese theologische Auseinandersetzung zog weite Kreise, da sie das Glaubensleben der Gemeinden zutiefst berührte. Und so waren es vor allem die Anhänger des Arminius, welche die Generalstaaten wiederholt, jedoch vergeblich baten, eine nationale Synode einzuberufen und eine Klärung herbeizuführen. Kurz nach dem Tod des Arminius veröffentlichten dessen Anhänger zusammen mit Johann Wtenbogaert unter dem Titel „Remonstranz“ ein Dokument mit fünf Thesen, in denen sie ihre Position erläuterten. Dabei fassten sie in einem ersten Schritt die Sicht ihrer Gegner zusammen, um dann anschließend in fünf Thesen ihre eigene darzulegen. Dieses Dokument wurden im Juni 1610 den Staaten von Holland und Westfriesland übergeben, die es unter der Leitung von Johann van Oldenbarneveldt als bindend anerkannten. Da dies jedoch zu erheblichen Unruhen führte, wurde für 1611 eine Konferenz nach Den Haag einberufen, die zwar die jeweiligen Positionen der Remonstranten wie der Kontraremonstranten aktenkundig machten, allerdings keine Einigung erzielte. Der kirchlich-theologische Streit wurde indes zusehends politisch. Als Prinz Moritz von Oranien am 23. Juli 1617 im Haag demonstrativ einen kontraremonstrantischen Gottesdienst besuchte, führte Oldenbarneveldt daraufhin einen Beschluss herbei, der es den Städten erlauben sollte, Söldner anzuwerben. Zudem stellte er sich gegen die Einberufung einer nationalen Synode. Da viele Städte jedoch dazu drängten, beriefen die Generalstaaten für den 13. November 1618 eine Synode nach Dordrecht ein,

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die bis Mai 1619 dauern sollte. Angesichts der Gefahr eines Bürgerkriegs ließ Moritz von Oranien nun an wichtigen Orten Schlüsselpositionen mit Kontraremonstranten besetzen und Oldenbarneveldt schließlich wegen Hochverrats zum Tode verurteilen. Die Synode selbst kann als erste internationale reformierte Synode gelten, da auf ihr bis auf Frankreich, deren Vertretern der französische König die Teilnahme untersagte, Abgesandte aus England, Schottland, der Schweiz, Genf, der Pfalz, Hessen, Nassau, der Wetterau, Bremen und Emden teilnahmen. Darüber hinaus 37 Pfarrer, 19 Älteste, 5 Professoren sowie 18 Vertreter der Obrigkeit. Das schwierige Verhältnis zwischen Remons­ tranten und Kontraremonstranten spiegelte sich in den Sitzungen deutlich wider und führte schließlich am 14. Januar 1619 zum Ausschluss der Remonstranten von der Synode, die nun ohne sie weitertagte. Am 6. Mai 1619 wurden die Lehrsätze von den Teilnehmern unterschrieben, damit öffentlich angenommen und in der Großen Kirche zu Dordrecht verkündigt. Die fünf Lehrsätze legen, jeweils unterteilt in einzelne Artikel, in einem ersten Schritt die Lehrbeschlüsse der Synode dar. In einem zweiten wird die von der Synode verworfene Position der Remonstranten zitiert, der sich eine Begründung für die Verwerfung anschließt. Im Einzelnen sind die Lehrsätze folgenden dogmatischen Lehrstücken zugeordnet: 1. Prädestination, 2. Christi Versöhnungstat, 3. und 4. Sünde und Bekehrung des Menschen, 5. Beharrung der Heiligen. Die Geltung der Lehrsätze für alle Schulen und Kirchen der Niederlande sowie ihre Mitarbeiter wird in den den Lehrsätzen angefügten Sentenzen beschrieben, ihre obrigkeitliche Rechtsgültigkeit in der diesem Dokument angehängten Approbation dargelegt und mit den Lehrsätzen veröffentlicht. Zusammen mit dem niederländischen Glaubensbekenntnis und dem Heidelberger Katechismus bilden die Lehrsätze die sog. Formulare der Einheit. Edition Die Dordrechter Canones, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 87–161 (Bearb.: Herman J. Selderhuis) Übersetzungen Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche, hg. v. Ernst Gottfried Adolf Böckel, Leipzig 1847, 508–543 Die Dordrechter Synode. Mit einem Einführungsaufsatz zu den geschichtlichen Hintergründen, hg. v. Sebastian Merk, Siegen 2019 Literatur Joel Beeke/Martin Klauber (Hg.), The Synod of Dordt, Göttingen 2020 Aza Goudriaan/Fred van Lieburg (Hg.), Revisiting the Synod of Dordt (1618–1619), Leiden 2011

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Donald Sinnema, The issue of reprobation at the Synod of Dort (1618–1619) in light of the history of doctrine, Toronto 1985 Donald Sinnema/Christian Moser/Herman J.  Selderhuis (Hg.), Acta of the Synod of Dordt (Acta et Documenta Synodi Nationalis Dordrechtanae [1618–1619], Bd. I), Göttingen 2014 Willem van ’t Spijker u. a., De Synode van Dordrecht in 1618 en 1619, Houten 1987 Einleitung: J. Marius J. Lange van Ravenswaay; Übersetzung: Sebastian Merk, überarbeitet von J. Marius J. Lange van Ravenswaay

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Dordrechter Lehrsätze (Canones) (1619) Beschluss der Nationalsynode der reformierten Kirchen der Niederlande, die 1618 und 1619 zu Dordrecht getagt hat. An ihr haben auch sehr viele ausgezeichnete Theologen der reformierten Kirchen aus Großbritannien, der Kurpfalz, Hessens, der Schweiz, Genfs, aus Nassau-Wetterau, Bremen und Emden teilgenommen. Fünf Lehrsätze, die in den niederländi­schen Kirchen umstritten waren. Veröffentlicht am 6. Mai 1619 mit Druckprivileg. Vorrede Im Namen unseres Herrn und Heilands Jesus Christus. Amen. Unter den vielen Trostmitteln, die unser Herr und Heiland Jesus Christus seiner streitenden Kirche auf dieser sorgenvollen Pilgerschaft schenkte, wird das mit Recht gepriesen, was er ihr, als er im Begriff war, zu seinem Vater ins himmlische Heiligtum zu gehen, hinterließ, indem er sprach: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20). Die Wahrheit dieser köstlichen Verheißung zeigt sich in der Kirche aller Zeiten. Da sie nicht nur durch offene Gewalttätigkeit der Feinde und Gottlosigkeit der Ketzer, sondern auch durch Hinterlist der Verführer gleich von Anfang an bekämpft worden ist, wäre sie gewiss schon längst entweder durch die Gewalt der Tyrannen unterdrückt oder durch die Arglist der Betrüger ins Verderben geführt, wenn sie der Herr jemals mit dem heilsamen Schutz seiner versprochenen Gegenwart verlassen hätte. Aber jener gute Hirte, der seine Herde, für die er sein Leben ließ, beständig liebt, hat die Wut der Verfolger immer zur rechten Zeit und oft durch seine ausgestreckte Rechte wunderbar zurückgedrängt. Er hat die Ränke und betrügerischen Ratschläge der Verführer enthüllt und vereitelt, indem er bei beidem zeigte, dass er in seiner Kirche wahrhaftig gegenwärtig ist. Ein deutlicher Beweis hierfür findet sich in der Geschichte frommer Kaiser, Könige und Fürsten, die der Sohn Gottes sooft zum Schutz seiner Kirche erweckte und mit heiligem Eifer für sein Haus entflammte. Durch ihren Dienst hat er nicht nur die Rasereien der Tyrannen gezügelt, sondern auch die Kirche, die mit den die Religion verschiedentlich verfälschenden Irrlehrern im Streit war, mit dem Heilmittel heiliger Synoden versehen. Hier standen die treuen Diener Christi tapfer mit gemeinschaftlichen Gebeten, Beratungen und Anstrengungen für die Kirche und die Wahrheit Gottes ein. Den Dienern des Satans, auch wenn diese die Gestalt von Engeln des Lichts angenommen haben, widerstanden sie ohne Zagen. Sie entfernten die Samen von Irrtümern und Zwietracht und bewahrten die Kirche in der Eintracht der reinen Gottesverehrung und den lauteren Gottesdienst unbefleckt für die Nachkommen.

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Durch die gleiche Wohltat hat unser treuer Heiland der niederländischen Kirche, die viele Jahre hindurch in sehr großer Bedrängnis war, in dieser Zeit seine gnadenvolle Gegenwart bewiesen. Eben diese Kirche, die, durch die mächtige Hand Gottes von der Tyrannei des römischen Antichrists und der abscheulichen Abgötterei des Papsttums befreit, in den Gefahren eines langwierigen Krieges so oft wunderbar beschützt wurde und in Eintracht der wahren Lehre und Zucht zum Lob ihres Gottes, zum bewunderungswürdigen Wachstum des Staates und zur Freude der ganzen reformierten Welt aufblühte, haben Jakob Arminius und seine Anhänger, die den Namen Remonstranten führen, mit verschiedenen älteren und neueren Irrtümern zuerst heimlich, dann öffentlich angefochten. Und, nachdem sie durch ärgerliche Uneinigkeiten und Spaltungen ständig verwirrt war, haben sie es so weit gebracht, dass, wenn nicht das Erbarmen unseres Heilands zur rechten Zeit eingegriffen hätte, die so schön blühenden Kirchen doch endlich durch den schrecklichen Brand von Uneinigkeiten und Spaltungen verzehrt worden wären. Gelobt aber sei der Herr in Ewigkeit, der, nachdem er für eine kleine Zeit sein Antlitz von uns (die wir vielfach seinen Zorn und Unwillen gereizt hatten) verborgen hatte, vor der ganzen Welt bewiesen hat, dass er seinen Bund nicht vergisst und die Seufzer der Seinen nicht verachtet. Denn da sich kaum irgendeine Hoffnung auf Abhilfe durch Menschenhand zeigte, gab er es den durchlauchtigsten und hochmögenden Herren der Generalstaaten der Vereinigten Niederlande ein, dass sie beschlössen, unter Rat und Leitung des durchlauchtigsten und mächtigen Fürsten von Oranien diesen wütenden Übeln mit solchen gesetzlichen Mitteln zu begegnen, die durch das Beispiel der Apostel selbst und der ihnen folgenden christlichen Kirchen im langen Verlauf der Zeiten gebilligt und in der niederländischen Kirche auch schon früher mit großem Nutzen angewandt wurden. Und so haben sie eine Synode aus allen Provinzen, denen sie vorstehen, unter ihrem Schutz nach Dordrecht einberufen. Sie haben dazu vorab die Gunst des durchlauchtigsten und mächtigsten Königs Jakob von Großbritannien und der durchlauchtigsten Fürsten, Grafen und Freistaaten erbeten und viele angesehene Theologen dafür gewonnen. Dies, damit durch das gemeinschaftliche Urteil so vieler Theologen der reformierten Kirche die Lehren des Arminius und seiner Anhänger genau und nur nach dem Wort Gottes beurteilt, die wahre Lehre festgestellt und die falsche verworfen würde und in den niederländischen Kirchen Eintracht, Friede und Ruhe unter dem göttlichen Segen wiederhergestellt würden. Das also ist die Wohltat Gottes, über welche die niederländischen Kirchen frohlocken und das treue Erbarmen ihres Heilands demütig bekennen und dankbar preisen.

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Diese ehrwürdige Synode, die sich in Dordrecht im Namen des Herrn versammelt hat und für die Liebe zum göttlichen Wesen und für das Heil der Kirche erfüllt war, hat eifrig und mit großer Geduld versucht, die wichtigsten geladenen Vertreter dieser Lehre zu bewegen, ihre Ansichten zu den fünf bekannten Lehrstücken sowie die Gründe für ihre Position darzulegen. Sie hat dies getan, nachdem vorher auf Befehl der Obrigkeit in allen niederländischen Kirchen Bet- und Fastentage zur Abwendung des göttlichen Zorns und zum Erflehen seiner gnädigen Hilfe angeordnet und abgehalten wurden. Überdies hat die Synode, nachdem sie Gott angerufen hatte, sich durch einen heiligen Eid verpflichtet, nur nach der Heiligen Schrift zu urteilen und bei der Untersuchung und Beurteilung der Angelegenheit nach gutem und reinem Gewissen zu handeln. Da sie aber das Urteil der Synode nicht anerkannten und auf die Fragen auf gehörige Weise zu antworten sich weigerten und auch weder die Ermahnungen der Synode noch die Erlasse der wohlgeborenen und edlen Deputierten der Herren Generalstaaten, ja nicht einmal die Befehle der durchlauchtigen und hochmögenden Generalstaaten selbst bei ihnen irgendetwas ausrichteten, war die Synode genötigt, auf Befehl derselben Herren und nach einer schon ehedem auf den alten Synoden angenommenen Gewohnheit einen anderen Weg einzuschlagen. Und so wurde aus den Schriften, Bekenntnissen und Erklärungen, die teils schon früher herausgegeben, teils auch dieser Synode überreicht worden waren, eine Prüfung jener fünf Lehrsätze angestellt. Da dies nun durch die außerordentliche Gnade Gottes mit dem größten Fleiß, der größten Treue und Gewissenhaftigkeit in Übereinstimmung mit allen und jedes Einzelnen beendigt ist, so hat die Synode zum Ruhm Gottes, und damit für die Reinheit der beseligenden Wahrheit, die Ruhe der Gewissen und den Frieden und das Heil der niederländischen Kirche gesorgt würde, beschlossen, folgendes Urteil zu veröffentlichen, in welchem die wahre und mit dem Wort Gottes übereinstimmende Ansicht der unten genannten fünf Lehrstücke dargelegt, die falsche und dem Wort Gottes entgegengesetzte Ansicht aber verworfen wird. 1. Lehrsatz: Von der göttlichen Vorherbestimmung Artikel 1 Da alle Menschen in Adam gesündigt haben und des Fluches und ewigen Todes schuldig geworden sind, so würde Gott niemandem Unrecht getan haben, wenn er das ganze Menschengeschlecht in Sünde und Fluch gelassen hätte und es wegen der Sünde hätte verdammen wollen, gemäß jenes Wortes des Apostels: „Auf dass aller Mund verstopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei“ (Röm 3,19), „Sie sind allzumal Sünder und

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mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten“ (Röm 3,23) und: „Denn der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Artikel 2 „Aber darin hat sich die Liebe Gottes geoffenbart, dass er seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe“ (1. Joh 4,9; Joh 3,16). Artikel 3 Damit aber die Menschen zum Glauben geführt werden, sendet Gott gütig Verkündiger dieser sehr frohen Botschaft, zu wem er will und wann er will, durch deren Vermittlung die Menschen zur Bekehrung und zum Glauben an den gekreuzigten Christus gerufen werden. „Denn wie sollten sie glauben an den, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollten sie aber von ihm hören, ohne dass es jemand verkündigt? Wie sollten sie es verkündigen, wenn sie nicht gesandt wären?“ (Röm 10,14 f.). Artikel 4 Über denen, die nicht an dieses Evangelium glauben, bleibt der Zorn Gottes. Diejenigen aber, die es annehmen und den Heiland Jesus mit wahrem und lebendigem Glauben umfassen, werden durch ihn vom Zorn Gottes und vom Untergang gerettet und mit dem ewigen Leben beschenkt. Artikel 5 Die Ursache aber oder die Schuld dieses Unglaubens, wie die aller übrigen Sünden, liegt keineswegs in Gott, sondern im Menschen. Der Glaube an Jesus Christus aber und das durch ihn zu erlangende Heil ist ein Gnadengeschenk Gottes, wie geschrieben steht: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es“ (Eph 2,8). Und ebenfalls: „Aus Gnade ist es uns gegeben, an Christus zu glauben“ (Phil 1,29). Artikel 6 Dass aber in der Zeit einige mit dem Glauben beschenkt werden, andere nicht, das geht aus seinem ewigen Ratschluss hervor: „Denn alle seine Werke weiß Gott von Ewigkeit“ (Apg 15,18; Eph 1,11). Nach diesem Ratschluss erweicht er die Herzen der Auserwählten gnädig, mögen sie noch so hart sein, und führt sie zum Glauben. Die Nichtauserwählten aber überlässt er nach gerechtem Urteil ihrer Bosheit und Verhärtung. Und hier offenbart sich uns trefflich die tiefe, zugleich barmherzige und gerechte Unterscheidung gleich verderbter Menschen oder jener Ratschluss der Erwählung und Verwerfung, der im Wort Gottes geoffenbart ist. Wie er

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Verderbte, Unreine und Wankelmütige zu ihrem Untergang hinwendet, so gibt er heiligen und gottesfürchtigen Seelen einen unaussprechlichen Trost. Artikel 7 Die Erwählung aber ist der unveränderliche Vorsatz Gottes, durch den er vor Grundlegung der Welt aus dem gesamten Menschengeschlecht, das aus der anfänglichen Unschuld durch seine eigene Schuld der Sünde und dem Verderben verfallen war, nach freiem Belieben seines Willens, aus reiner Gnade, eine bestimmte Menge von Menschen, die weder besser noch würdiger als andere waren, sondern mit ihnen im gemeinschaftlichen Elend lagen, zum Heil auserwählt hat in Christus, den er auch von Ewigkeit her zum Mittler und Haupt aller Erwählten sowie zum Grund der Seligkeit bestimmt hat. Und so hat er auch sie ihm zur Rettung übergeben und sie wirksam zur Gemeinschaft mit ihm durch das Wort und seinen Heiligen Geist berufen und geführt. Er hat beschlossen, sie mit dem wahren Glauben an ihn zu beschenken, sie zu rechtfertigen, sie zu heiligen und, nachdem er sie mächtig in der Gemeinschaft mit seinem Sohn bewahrt hat, endlich zu verherrlichen, um seine Barmherzigkeit und den Ruhm des Reichtums seiner gepriesenen Gnade zu zeigen. Wie geschrieben steht: „Gott hat uns in Christus erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, auf dass wir sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe; und er hat uns vorherbestimmt, seine Kinder zu sein in Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten“ (Eph 1,4–6). Und an einer anderen Stelle: „Welche er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht“ (Röm 8,30). Artikel 8 Diese Erwählung ist aber nicht verschiedenartig, sondern ein und dieselbe für alle, die gerettet werden sollen, im Alten und im Neuen Testament. Denn die Schrift verkündigt nur ein Wohlgefallen, einen Vorsatz und einen Beschluss des göttlichen Willens, durch den er uns von Ewigkeit zur Gnade und Herrlichkeit auserwählt hat, und zur Seligkeit und zum Weg der Seligkeit, den er uns bereitet hat, damit wir auf ihm wandeln. Artikel 9 Eben diese Erwählung ist nicht geschehen aufgrund des vorhergesehenen Glaubens und des gläubigen Gehorsams, aufgrund von Frömmigkeit oder irgendeiner anderen guten Eigenschaft oder Beschaffenheit, als wenn ein

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Grund oder eine Bedingung in dem zu erwählenden Menschen vorher erforderlich wäre, sondern zum Zweck des Glaubens, des gläubigen Gehorsams, der Frömmigkeit usw. Und deshalb ist die Erwählung die Quelle allen seligmachenden Gutes, aus der Glaube, Frömmigkeit und die übrigen heilbringenden Gaben, das ewige Leben selbst endlich als ihre Früchte und Wirkungen hervorgehen, nach dem Wort des Apostels: „Er hat uns erwählt“ – nicht, weil wir es waren, sondern – „damit wir heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe sein sollten“ (Eph 1,4). Artikel 10 Der Grund dieser Erwählung aus Gnade aber ist allein das Wohlgefallen Gottes, das nicht darin besteht, dass er bestimmte Eigenschaften oder Handlungen der Menschen aus allen möglichen Bedingungen zur Bedingung des Heils auserwählte. Sondern der Grund lag darin, dass er einige bestimmte Personen aus der allgemeinen Menge der Sünder sich zum Eigentum nahm, wie geschrieben steht: „Ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, wurde zu ihr, nämlich Rebecca, gesagt: ‚Der Ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren‘, wie denn geschrieben steht: ‚Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst‘“ (Röm 9,11–13). Und: „Es wurden gläubig all jene, die zum ewigen Leben bestimmt waren“ (Apg 13,48). Artikel 11 Und wie Gott selbst der Allerweiseste ist, unveränderlich, allwissend und allmächtig, so kann die durch ihn geschehene Erwählung weder unterbrochen noch verändert noch widerrufen oder abgebrochen werden, noch können die Erwählten verworfen, noch kann ihre Zahl vermindert werden. Artikel 12 Dieser seiner ewigen und unveränderlichen Erwählung zur Seligkeit werden die Erwählten zu seiner Zeit, wenn auch in verschiedenen Abstufungen und in ungleichem Maß, versichert. Nicht so, indem sie die Geheimnisse und Tiefen Gottes neugierig erforschen, sondern indem sie die untrüglichen Früchte der Erwählung, die im göttlichen Wort bezeichnet sind  – als da sind wahrer Glaube an Christus, kindliche Gottesfurcht, Schmerz über die Sünden gegen Gott, Hunger und Durst nach Gerechtigkeit usw. –, an sich selbst mit geistlicher Freude und heiligem Vergnügen wahrnehmen. Artikel 13 Aus der Wahrnehmung und Gewissheit dieser Erwählung entnehmen die Kinder Gottes von Tag zu Tag mehr Grund, sich vor Gott zu demütigen,

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die Tiefe seiner Barmherzigkeit anzubeten, sich selbst zu reinigen und ihn, der sie zuerst so geliebt hat, wiederum inbrünstig zu lieben. Sie sind weit entfernt davon, dass sie durch diese Lehre von der Erwählung und das Nachdenken darüber in der Beachtung der göttlichen Befehle etwa lässiger oder auf fleischliche Art sorglos gemacht würden. Dies pflegt nach gerechtem Urteil Gottes denen zu geschehen, die, indem sie sich entweder der Gnade der Erwählung gegenüber leichtsinnig verhalten oder unnütz und schlecht über sie schwatzen, nicht auf den Wegen der Auserwählten wandeln wollen. Artikel 14 Gleich wie diese Lehre von der göttlichen Erwählung nach dem weisen Ratschluss Gottes durch die Propheten, durch Christus selbst und die Apostel im Alten und Neuen Testament verkündigt und danach in den heiligen Schriften überliefert ist, so ist sie auch heute in der Kirche Gottes, dem sie ganz besonders geweiht ist, mit dem Geist der Unterscheidung gottesfürchtig und fromm, je an seinem Ort und zu seiner Zeit, ohne alle neugierige Ergrübelung der Wege des Höchsten, vorzutragen, zum Ruhm des heiligen göttlichen Namens und zum lebendigen Trost seines Volkes. Artikel 15 Im Übrigen erläutert uns die Heilige Schrift damit am besten diese ewige und unverdiente Gnade der Erwählung, indem sie ferner bezeugt, dass nicht alle Menschen erwählt sind, sondern einige nicht erwählt oder bei der ewigen Erwählung Gottes übergangen wurden. Gott hat nämlich nach seinem freien, gerechten, untadeligen und unveränderlichen Wohlgefallen beschlossen, diese in dem gemeinsamen Elend, in das sie sich durch ihre Schuld gestürzt haben, zu belassen und sie nicht mit dem seligmachenden Glauben und der Gnade der Bekehrung zu beschenken, sondern sie auf ihren Wegen und unter dem gerechten Gericht zu belassen und sie schließlich nicht nur wegen ihres Unglaubens, sondern auch wegen ihrer übrigen Sünden zur Bezeugung seiner Gerechtigkeit zu verdammen und ewig zu strafen. Und dies ist der Ratschluss der Verwerfung, der Gott keineswegs zum Urheber der Sünde (was zu denken eine Lästerung wäre), sondern zum furchtbaren, untadeligen und gerechten Richter und Rächer der Sünde macht. Artikel 16 Diejenigen, die den lebendigen Glauben an Christus oder die sichere Zuversicht des Herzens, den Frieden des Gewissens, das Bestreben nach kindlichem Gehorsam, den Ruhm in Gott durch Christus in sich noch nicht wirksam fühlen, aber dennoch die Mittel gebrauchen, durch die Gott dies

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in uns hervorzurufen versprochen hat, müssen sich durch die Erwähnung der Verwerfung nicht irremachen lassen. Sie sollen sich auch nicht zu den Verworfenen zählen, sondern im Gebrauch der Mittel eifrig fortfahren und die Zeit der überfließenden Gnade heiß ersehnen und ehrfurchtsvoll und demütig erwarten. Weit weniger noch brauchen sich diejenigen durch die Lehre von der Verwerfung schrecken zu lassen, welche, während sie ernstlich wünschen, sich zu Gott zu bekehren, ihm einzig zu gefallen und vom Leib des Todes erlöst zu werden, auf dem Weg der Frömmigkeit und des Glaubens noch nicht bis dahin kommen können, wo sie hinwollen. Denn der barmherzige Gott hat versprochen, dass er den glimmenden Docht nicht auslöschen und das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen wird. Denen aber gereicht diese Lehre mit Recht zum Schrecken, die, indem sie Gott und den Heiland Jesus Christus vergessen, sich den Sorgen der Welt und den Vergnügungen des Fleisches völlig überlassen, solange sie sich nicht ernstlich zu Gott bekehren. Artikel 17 Da wir über den Willen Gottes aus seinem eigenen Wort urteilen müssen, welches bezeugt, dass die Kinder der Gläubigen heilig sind, zwar nicht von Natur, aber durch die Wohltat des Gnadenbundes, in welchen jene mit den Eltern eingeschlossen werden, so dürfen fromme Eltern an der Erwählung und der Seligkeit ihrer Kinder, die Gott in der Kindheit aus diesem Leben ruft, nicht zweifeln. Artikel 18 Denjenigen, die gegen diese Gnade der unverdienten Erwählung und die Strenge der gerechten Verwerfung murren, setzen wir die Worte des Apostels entgegen: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ (Röm 9,20). Und jenen Ausspruch unseres Erlösers: „Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will mit den Meinen?“ (Mt 20,15). Wir aber rufen, indem wir diese Geheimnisse ehrfurchtsvoll verehren, mit dem Apostel aus: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass es ihm vergolten werde? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen“ (Röm 11,33–36). Verwerfung der Irrtümer, durch welche die niederländischen Kirchen einige Zeit verwirrt wurden Nach Darlegung der rechtgläubigen Lehre von der Erwählung und Verwerfung verwirft die Synode diese Irrtümer:

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1. Die lehren: „Der Wille Gottes, diejenigen, welche glauben und im Glauben und Gehorsam des Glaubens beharren, selig zu machen, sei der ganze und vollständige Ratschluss der Erwählung zur Seligkeit, und es sei nichts anderes über diesen Ratschluss im Wort Gottes geoffenbart.“ Denn diese betrügen die Einfältigen und widersprechen offensichtlich der Heiligen Schrift, die bezeugt, dass Gott nicht nur die, welche glauben würden, selig machen will, sondern auch einige bestimmte Menschen von Ewigkeit erwählt, die er vor anderen in der Zeit mit dem Glauben an Christus und der Beharrlichkeit beschenken würde. Wie geschrieben steht: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir von der Welt gegeben hast“ (Joh 17,6). Desgleichen: „Da wurden gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren“ (Apg 13,48). Und: „Er hat uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig sein sollten“ etc. (Eph 1,4). 2. Die lehren: „Die Erwählung Gottes zum ewigen Leben sei mehrfach; die eine allgemeine unbestimmt, die andere eine besondere und bestimmte; und zwar wiederum entweder unvollständig, widerruflich, nicht entscheidend und bedingt, oder vollständig, unwiderruflich, entscheidend und unbedingt.“ Ebenso: „Es sei eine andere Erwählung zum Glauben, eine andere zur Seligkeit, sodass die Erwählung zum rechtfertigenden Glauben ohne die entscheidende Erwählung zur Seligkeit stattfinden könne.“ Denn dies ist eine Erdichtung des menschlichen Gehirns und ohne die Schrift ersonnen, die Lehre von der Erwählung verderbend und diese goldene Kette unserer Seligkeit lösend: „Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht“ (Röm 8,30). 3. Die lehren: „Gottes Wohlgefallen und Vorsatz, welche die Schrift bei der Lehre von der Erwählung erwähnt, bestehe nicht darin, dass Gott bestimmte Menschen vor anderen auserwählt, sondern darin, dass Gott aus allen möglichen Bedingungen (zu denen auch die Gesetzeswerke zählen) oder aus der Reihe aller Dinge den Akt des Glaubens, auch wenn er gering und der Gehorsam des Glaubens unvollendet ist, als Bedingung der Seligkeit auserwählt; und gewollt habe, dass der Glaube umsonst als vollkommener Gehorsam angerechnet und als Belohnung des ewigen Lebens wertgeachtet werde.“ Denn durch diesen verderblichen Irrtum werden das Wohlgefallen Gottes und das Verdienst Christi geschwächt, und die Menschen werden durch unnütze Fragen von der Wahrheit der unverdienten Rechtfertigung und der Einfachheit der Schrift abgezogen, und diese Worte des Apostels

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werden als falsch dargestellt: „Gott hat uns berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt“ (2. Tim 1,9). 4. Die lehren: „Bei der Erwählung zum Glauben werde diese Bedingung vorher verlangt, dass der Mensch das Licht der Natur recht gebraucht, dass er fromm, gebeugt, demütig und zum ewigen Leben geeignet sei, sodass die Erwählung davon gewissermaßen abhängt.“ Denn sie neigen sich dem Pelagius zu und beschuldigen ganz offen den Apostel des Irrtums, der doch schreibt: „Einst haben wir unser Leben geführt in den Begierden unseres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne und waren Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die andern. Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, hat durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat, als wir tot waren in den Sünden, uns samt Christus lebendig gemacht – denn aus Gnade seid ihr selig geworden – und hat uns mit ihm auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus erzeige. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme“ (Eph 2,3–9). 5. Die lehren: „Die unvollkommene und nicht entscheidende Erwählung einzelner Personen zur Seligkeit sei geschehen aufgrund des vorhergesehenen Glaubens, der Buße, angefangener oder eine Zeit lang fortgesetzter Frömmigkeit und Gottesfurcht; die vollkommene und entscheidende Erwählung aber wegen der bis zum Ende ausdauernden Beharrlichkeit im vorhergesehenen Glauben, in der Buße, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Und dies sei auch die aus Gnaden geschehene evangelische Würdigkeit, wegen derer derjenige, der erwählt würde, würdiger sei als der, der nicht erwählt würde. Und so seien deshalb Glaube, Gehorsam im Glauben, Frömmigkeit, Gottesfurcht und Beharrlichkeit nicht Früchte oder Wirkungen der unveränderlichen Erwählung zur Herrlichkeit, sondern unerlässliche Bedingungen und Ursachen, welche bei den zu Erwählenden als vollständig vorher erbracht und als vollbracht vorhergesehen wären.“ Jedoch steht dies im Gegensatz zur gesamten Schrift, welche die folgenden wie auch andere Aussprüche zu hören und zu beherzigen uns einschärft: Die Erwählung geschieht nicht aufgrund der Werke, sondern aufgrund des Berufenden (Röm 9,11). „Es glaubten, so viele verordnet waren zum ewigen Leben“ (Apg 13,48). „Er hat uns in sich erwählt, auf dass wir heilig seien“ (Eph 1,4). „Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich

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habe euch erwählt“ (Joh 15,16). „Ist’s aber aus Gnaden, so ist’s nicht aus Verdienst der Werke“ (Röm 11,6). „Darin besteht die Liebe, nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat“ (1. Joh 4,10). 6. Die lehren: „Nicht jede Erwählung zur Seligkeit sei unabänderlich, sondern einige Erwählte könnten, ohne dass ein Beschluss Gottes entgegenstünde, verlorengehen und auch ewig verlorengehen.“ Jedoch, durch diesen groben Irrtum machen sie Gott veränderlich und stürzen den Trost der Frommen über die Beständigkeit ihrer Erwählung um und widersprechen den heiligen Schriften, die lehren, dass „die Erwählten nicht irregeführt werden können“ (Mt 24,24), dass „Christus die ihm vom Vater Gegebenen nicht verliert“ (Joh 6,39), dass „Gott, die er vorherbestimmt, berufen und gerechtfertigt hat, auch verherrlicht“ (Röm 8,30). 7. Die lehren: „Es gebe in diesem Leben keine Frucht, kein Gefühl von der unveränderlichen Erwählung zur Herrlichkeit, auch keine Gewissheit außer der, von einer veränderlichen und ungewissen Bedingung abhängig zu sein.“ Denn abgesehen davon, dass es sinnwidrig ist, eine ungewisse Gewissheit anzunehmen, so widerspricht es der Erfahrung der Frommen, die mit dem Apostel aus dem Gefühl ihrer Erwählung frohlocken und diese Wohltat Gottes feiern, die sich mit den Jüngern nach Christi Ermahnung „freuen, dass ihre Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lk 10,20). Und die schließlich das Gefühl ihrer Erwählung den feurigen Geschossen der teuflischen Versuchungen entgegensetzen, indem sie fragen: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?“ (Röm 8,33). 8. Die lehren: „Gott habe nach seinem lauteren gerechten Willen beschlossen, niemanden in dem Fall Adams und im allgemeinen Zustand der Sünde und Verdammnis zu belassen oder bei der Mitteilung der zum Glauben und zur Bekehrung notwendigen Gnade zu übergehen.“ Denn das steht fest: „So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will“ (Röm 9,18). Und: „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen; diesen aber ist’s nicht gegeben“ (Mt 13,11). Ebenfalls: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, denn so hat es dir wohlgefallen“ (Mt 11,25 f.). 9. Die lehren: „Der Grund, warum Gott das Evangelium lieber zu diesem als zu einem anderen Volk schicke, sei nicht das reine und alleinige Be-

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lieben Gottes, sondern weil dies Volk besser und würdiger sei als das, dem das Evangelium nicht mitgeteilt würde.“ Denn dem widerspricht Mose, indem er das Volk Israel so anredet: „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel und die Erde und alles, was darinnen ist, das ist Jehovas, deines Gottes. Und doch hat er nur deine Väter angenommen, dass er sie liebte, und hat ihren Samen nach ihnen, nämlich euch, aus allen Völkern erwählt, so wie es heute ist“ (Dtn 10,14 f.). Und Christus sagt: „Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Bethsaida! Wären solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen, wie sie bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan“ (Mt 11,21). 2. Lehrsatz: Von Christi Tod und des Menschen Erlösung durch ihn Artikel 1 Gott ist nicht nur im höchsten Grad barmherzig, sondern auch im höchsten Grad gerecht. Es fordert aber seine Gerechtigkeit (wie sie sich im Wort geoffenbart hat), dass unsere Sünden, die gegen seine unendliche Majestät begangen sind, nicht nur mit zeitlichen, sondern auch mit ewigen, sowohl geistigen als körperlichen Strafen bestraft werden. Diesen Strafen können wir nicht entfliehen, wenn nicht der Gerechtigkeit Gottes Genüge geschieht. Artikel 2 Da wir aber nicht selbst Genüge leisten und uns vom Zorn Gottes befreien können, so hat Gott uns aus unendlicher Barmherzigkeit seinen eingeborenen Sohn zum Bürgen gegeben, der, damit er für uns Genüge leistete, für uns oder an unserer statt zur Sünde und zum Fluch am Kreuz geworden ist. Artikel 3 Dieser Tod des Sohnes Gottes ist das einzige und vollkommenste Opfer und Genugtuung für die Sünden, unendlich an Kraft und Wert, im Überfluss genug, die Sünden der ganzen Welt zu sühnen. Artikel 4 Deshalb ist dieser Tod von so großer Kraft und so großem Wert, weil die Person, die ihn erlitt, nicht nur ein wahrer und vollkommen heiliger Mensch ist, sondern auch der eingeborene Sohn Gottes, desselben ewigen und unendlichen Wesens mit dem Vater und dem Heiligen Geist, wie es unser Heiland sein musste. Sodann weil sein Tod mit der Empfindung des Zornes Gottes und des Fluches, den wir durch unsere Sünden verdient hatten, verbunden ist.

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Artikel 5 Darüber hinaus ist es die Verheißung des Evangeliums, dass wer an den gekreuzigten Christus glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat. Diese Verheißung muss allen Völkern und Menschen, zu denen Gott das Evangelium nach seinem Wohlgefallen sendet, gemeinsam und ohne Unterschied verkündigt und mit dem Befehl zur Buße und zum Glauben vorgestellt werden. Artikel 6 Dass aber viele, die durch das Evangelium berufen sind, nicht in sich gehen und nicht an Christus glauben, sondern durch Unglauben um­ kommen, das geschieht nicht, weil dem am Kreuz dargebrachten Opfer Christi etwas fehlt oder weil es nicht ausreicht, sondern durch ihre eigene Schuld. Artikel 7 So viele aber wahrhaft glauben und durch den Tod Christi von den Sünden und vom Untergang befreit und errettet werden, denen wird diese Wohltat nur aus Gottes Gnade, die er niemandem schuldig ist und die ihnen von Ewigkeit her in Christus gegeben ist, zuteil. Artikel 8 Dies nun aber war der gänzlich freie Entschluss Gottes des Vaters und sein allergnädigster Wille und seine Absicht, dass die belebend- und seligmachende Kraft des kostbaren Todes seines Sohnes sich an allen Erwählten zeige, um sie allein mit dem rechtfertigenden Glauben zu beschenken und sie durch ihn untrüglich zur Seligkeit zu führen. Das heißt, Gott wollte, dass Christus durch das Blut des Kreuzes (mit dem er den neuen Bund besiegelte) aus allen Völkern, Stämmen, Geschlechtern und Zungen nur all diejenigen, die von Ewigkeit zur Seligkeit erwählt und ihm vom Vater gegeben sind, wirkmächtig erlöse, sie mit dem Glauben (den er ihnen wie andere heilbringende Gaben des Heiligen Geistes durch seinen Tod erwarb) beschenke, sie von allen Sünden, sowohl von der Ursünde als von wirklich begangenen Sünden, sowohl nach als vor dem Glauben durch sein Blut reinige, sie bis zum Ende treu bewache und endlich frei von allen Flecken und Fehl herrlich vor ihn stelle. Artikel 9 Dieser Ratschluss, der aus der ewigen Liebe zu den Erwählten hervorgegangen ist, wurde von Anfang der Welt bis auf die gegenwärtige Zeit, derweil die Pforten der Hölle sich vergeblich dagegen widersetzten, mächtig erfüllt und wird auch weiterhin erfüllt werden. Und zwar so, dass die Er-

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wählten zu ihrer Zeit einig versammelt werden sollen und dass es immer eine Kirche der Gläubigen, die auf das Blut Christi gegründet ist, geben soll. Diese Kirche liebe jenen ihren Heiland, der für sie wie ein Bräutigam für die Braut sein Leben am Kreuz hingab, beständig, verehre ihn fortwährend und preise ihn hier und in alle Ewigkeit. Verwerfung der Irrtümer Nach Darlegung der rechtgläubigen Lehre verwirft die Synode diese Irrtümer: 1. Die lehren: „Dass Gott, der Vater, seinen Sohn zum Kreuzestod bestimmt hätte, ohne eine sichere und bestimmte Absicht, jemanden ausdrücklich selig zu machen. Sodass hinsichtlich der Auswirkung des Todes Christi seine Notwendigkeit, der Nutzen und die Würde, unbeschadet und in jeder Beziehung vollendet, vollständig und unversehrt hätte bestehen können, auch wenn die erworbene Erlösung keinem einzelnen wirklich zuteilgeworden wäre.“ Diese Behauptung entehrt die Weisheit Gottes des Vaters und das Verdienst Jesu Christi und ist gegen die Schrift. Denn so spricht der Erlöser: „Ich lasse das Leben für die Schafe und ich kenne sie“ (Joh 10,14.27). Und vom Erlöser sagt der Prophet Jesaja: „Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des Herrn Wille wird durch seine Hand gelingen“ (Jes 53,10). Zuletzt stößt es den Glaubensartikel um, nach dem wir die Kirche glauben. 2. Die lehren: „Das sei nicht der Zweck des Todes Christi gewesen, dass er einen neuen Bund der Gnade durch sein Blut besiegele, sondern dass er dem Vater das bloße Recht erwerbe, jedweden Bund, entweder der Gnade oder der Werke, mit den Menschen von neuem einzugehen.“ Denn dies steht im Gegensatz zur Schrift, die lehrt, Christus „sei zum Bürgen und Mittler eines besseren, das heißt des neuen Bundes gemacht worden“ (Hebr 7,22). Und: „Ein Testament sei erst nach dem Tode gültig“ (Hebr 9,15.17). 3. Die lehren: „Christus habe durch seine Genugtuung niemandem sicher das Heil und den Glauben erworben, durch den diese Genugtuung Christi wirksam zur Seligkeit zugeeignet würde, sondern habe nur dem Vater die Macht oder den vollkommenen Willen erworben, von neuem mit den Menschen zu verhandeln und neue Bedingungen, welche er wollte, vorzuschreiben, deren Erfüllung vom freien Willen des Menschen abhinge. Und so könne es deshalb geschehen, dass niemand oder auch alle sie erfüllten.“

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Denn diese verachten den Tod Christi, erkennen die vorzügliche Frucht oder Wohltat, die durch ihn hervorgebracht ist, in keiner Weise an und rufen den Irrtum der Pelagianer wieder aus der Hölle hervor. 4. Die lehren: „Jener neue Bund der Gnade, den Gott, der Vater, durch Vermittlung des Todes Christi mit den Menschen schloss, bestehe nicht darin, dass wir durch den Glauben, sofern er das Verdienst Christi annimmt, gerechtfertigt und selig gemacht würden; sondern darin, dass Gott, nachdem die Ausübung des völligen Gehorsams gegen das Gesetz abgeschafft sei, den Glauben selbst und den unvollkommenen Gehorsam im Glauben als vollkommenen Gehorsam gegen das Gesetz anrechne und gnädig für die Belohnung des ewigen Lebens würdig erachte.“ Denn diese widersprechen der Schrift: „Sie werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott hingestellt zur Sühne durch den Glauben in seinem Blut“ (Röm 3,24 f.). Und sie führen mit dem gottlosen Sozzini eine neue und fremdartige Rechtfertigung des Menschen vor Gott gegen die einstimmige Lehre der ganzen Kirche ein. 5. Die lehren: „Alle Menschen seien in den Zustand der Versöhnung und in die Gnade des Bundes aufgenommen, sodass niemand wegen der Ursünde der Verdammung schuldig wäre oder zu verdammen wäre, sondern dass alle von der Schuld dieser Sünde frei wären.“ Denn diese Meinung widerspricht der Schrift, die behauptet, „wir seien von Natur Kinder des Zorns“ (Eph 2,3). 6. Die, welche den Unterschied zwischen Erwerbung und Aneignung so gebrauchen, dass sie den Unvorsichtigen und Unerfahrenen die Meinung einflößen: „Gott wolle, soviel an ihm liege, die Wohltaten, welche durch Christi Tod erlangt werden, allen Menschen in gleicher Weise zuteilen. Dass aber einige vor anderen der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens teilhaftig würden, der Unterschied hänge von ihrem freien Willen ab, der sich der ohne Unterschied dargebotenen Gnade zuwende. Und dass es also nicht an einer besonderen Gabe der Barmherzigkeit liege, die nachhaltig in ihnen wirke, sodass sie sich vor anderen diese Gnade aneigneten.“ Denn während sie vorgeben, diese Unterscheidung im vernünftigen Sinne vorzutragen, versuchen sie, dem Volk das verderbliche Gift des Pelagia­nismus einzuflößen. 7. Die lehren: „Christus habe für die, welche Gott im höchsten Maße geliebt und zum ewigen Leben erwählt habe, nicht sterben können noch

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sterben müssen, auch sei er nicht für sie gestorben, da für solche der Tod Christi nicht nötig sei.“ Denn sie widersprechen dem Apostel, der sagt: „Christus hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20). Ebenso: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist“, nämlich für sie (Röm 8,33). Und sie widersprechen dem Erlöser, der sagt: „Und ich lasse mein Leben für die Schafe“ (Joh 10,15). Und: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, gleichwie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Joh 15,12 f.). 3. und 4. Lehrsatz: Von der Verdorbenheit des Menschen und seiner Bekehrung zu Gott und wie sich diese vollzieht Artikel 1 Der Mensch ist ursprünglich nach dem Bild Gottes geschaffen, in seinem Verstand mit der wahren und heilbringenden Kenntnis seines Schöpfers und der geistlichen Dinge, mit Gerechtigkeit in Willen und Herz, geschmückt mit Reinheit in allen seinen Trieben und war mithin völlig heilig. Jedoch durch Eingebung des Teufels, und indem er sich durch seinen freien Willen von Gott abwandte, beraubte er sich selbst dieser ausgezeichneten Gaben. An deren Stelle hat er im Gegensatz dazu Blindheit, fürchterliche Finsternis, Eitelkeit und Verkehrtheit des Urteils in seinem Verstand, Bosheit, Auflehnung und Verhärtung im Willen und im Herz und schließlich Unreinheit in allen seinen Trieben über sich gebracht. Artikel 2 So wie der Mensch aber nach dem Fall war, zeugte er ebensolche Kinder, ebenso verderbt, wie er es selber war. Sodass die Verdorbenheit nach Gottes gerechtem Urteil von Adam auf alle Nachkommen (Christus ausgenommen) gekommen ist, nicht durch Nachahmung (was einst die Pelagianer behaupteten), sondern durch Fortpflanzung der sündhaften Natur. Artikel 3 Deshalb werden alle Menschen in Sünde empfangen und als Kinder des Zorns geboren, unfähig zu allem seligmachenden Guten, geneigt zum Bösen, tot in den Sünden und Knechte der Sünde. Und sie wollen und können ohne die Gnade des Heiligen Geistes, die zur Wiedergeburt führt, nicht zu Gott zurückkehren noch die verderbte Natur verbessern oder sich zu ihrer Verbesserung fähig machen.

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Artikel 4 Zwar ist nach dem Fall im Menschen etwas von dem Licht der Natur übriggeblieben, wodurch er einige Kenntnis von Gott, von natürlichen Dingen, vom Unterschied zwischen Recht und Unrecht behält und eine gewisse Neigung zur Tugend und äußeren Zucht zeigt. Er ist jedoch so weit davon entfernt, als dass er durch dieses Licht der Natur zur heilbringenden Erkenntnis Gottes gelangen und sich zu ihm bekehren könnte, ja dass er es nicht einmal bei natürlichen und öffentlichen Dingen recht gebraucht, ja es sogar, welcher Art es auch sein mag, auf verschiedene Weise völlig verdirbt und in Ungerechtigkeit unterdrückt. Da er nun dieses tut, wird ihm vor Gott alle Entschuldigung genommen. Artikel 5 Wie mit dem Licht der Natur, verhält es sich in dieser Hinsicht mit den Zehn Geboten, die insbesondere den Juden durch Mose von Gott gegeben wurden. Denn obwohl sie die Größe der Sünde aufdecken und den Menschen mehr und mehr von seiner Schuld überzeugen, aber kein Heilmittel dagegen gewähren noch Kraft, sich aus dem Elend herauszureißen, bieten und so den im Fleisch schwachen Übertreter unter dem Fluch lassen, kann der Mensch durch sie die seligmachende Gnade nicht erlangen. Artikel 6 Was also weder das Licht der Natur noch das Gesetz vermag, das leistet Gott durch die Kraft des Heiligen Geistes, durch die Predigt oder den Dienst der Versöhnung, welches das Evangelium vom Messias ist, durch das Gott beschlossen hat, die gläubigen Menschen sowohl im Alten als Neuen Testament selig zu machen. Artikel 7 Dieses Geheimnis seines Willens hat Gott im Alten Testament wenigen geoffenbart, im Neuen Testament, wo nun der Unterschied der Völker aufgehoben ist, tut er es mehreren kund. Der Grund für diese Zuteilung ist nicht darin zu suchen, dass ein Volk würdiger als das andere sei oder das Licht der Natur besser benutzt hätte, sondern er liegt im freien Belieben und in der unverdienten Liebe Gottes. Deshalb müssen die, denen ohne und gegen alles Verdienst eine so große Gnade zuteilwird, sie mit demütigem und dankbarem Herzen anerkennen. Bei den übrigen aber, denen diese Gnade nicht zuteilwird, müssen sie die Strenge und Gerechtigkeit von Gottes Urteilen mit dem Apostel verehren und sie keineswegs neugierig zu erforschen suchen.

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Artikel 8 So viele aber durch das Evangelium berufen werden, die werden ernstlich berufen. Denn Gott zeigt ernstlich und wahrhaftig in seinem Wort, was ihm angenehm ist, nämlich dass die Berufenen zu ihm kommen sollen. Er verspricht auch allen, die zu ihm kommen und glauben, wahrhaftige Ruhe der Seelen und ewiges Leben. Artikel 9 Dass viele, die durch den Dienst des Evangeliums berufen sind, nicht kommen und sich nicht bekehren, ist nicht die Schuld des Evangeliums oder Christi, der uns durch das Evangelium dargeboten wird. Noch ist es die Schuld Gottes, der durch das Evangelium beruft und verschiedene Gaben mitteilt, sondern es ist die Schuld der Berufenen selbst, von denen einige das Wort des Lebens aus Sorglosigkeit nicht annehmen. Andere nehmen es zwar an, nehmen es aber nicht in ihr Herz auf. Und deshalb fallen sie nach der vergehenden Freude eines zeitlichen Glaubens wieder zurück. Wieder andere ersticken den Samen des Wortes mit den Dornen der Sorgen und den Vergnügungen der Welt und tragen keine Früchte, so wie es unser Heiland im Gleichnis vom Sämann zeigt (Mt 13,3–8). Artikel 10 Dass aber andere, die durch den Dienst des Evangeliums berufen sind, kommen und sich bekehren, das ist nicht dem Menschen zuzuschreiben, als wenn er sich durch seinen freien Willen von anderen, die mit gleicher oder wenigstens hinreichender Gnade zum Glauben und zur Bekehrung begabt sind, unterscheide (was die überhebliche Ketzerei des Pelagius behauptete). Sondern es ist Gott zuzuschreiben, der, so wie er die Seinen von Ewigkeit in Christus auserwählt hat, sie auch in der Zeit wirksam beruft, mit Glauben und Bußfertigkeit beschenkt, sie aus der Gewalt der Finsternis reißt und in das Reich seines Sohnes führt. Damit sie die Tugenden dessen, der sie aus der Finsternis zu diesem wunderbaren Licht berufen hat, preisen und sich nicht in sich, sondern im Herrn rühmen, so wie es die apostolischen Schriften an mehreren Stellen bezeugen. Artikel 11 Des Weiteren, wenn Gott diesen seinen Beschluss an den Erwählten ausführt oder bei ihnen eine wahre Bekehrung bewirkt, so lässt er ihnen nicht nur das Evangelium äußerlich predigen und erleuchtet ihren Geist wirkmächtig durch den Heiligen Geist, damit sie richtig verstehen und beurteilen, was aus dem Geist Gottes ist. Sondern er dringt auch mit der Kraft des Geistes der Wiedergeburt ins Innerste des Menschen ein. Er öffnet das verschlossene Herz, erweicht das Verhärtete, beschneidet das

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Unbeschnittene, flößt dem Willen neue Eigenschaften ein, macht ihn aus einem toten zum lebendigen Menschen, aus einem bösen zu einem guten, aus einem nichtwollenden zum wollenden, aus einem widerspenstigen zu einem folgsamen und leitet und stärkt ihn so, dass er wie ein guter Baum die Früchte guter Werke hervorbringen kann. Artikel 12 Und dies ist die in der Schrift so herrlich gepredigte Wiedergeburt, die neue Schöpfung, die Auferweckung von den Toten und Belebung, welche Gott ohne uns in uns wirkt. Sie wird aber nicht nur durch eine von außen kommende Lehre hervorgebracht, eine sittliche Ermahnung oder eine solche Art der Wirkung, dass nach dem Wirken Gottes es dann in der Macht des Menschen stehe, wiedergeboren zu werden oder auch nicht, bekehrt zu werden oder auch nicht. Sondern es ist eine gänzlich übernatürliche, sehr mächtige und zugleich sehr angenehme, wunderbare, geheimnisvolle und unaussprechliche Wirkung, die hinsichtlich ihrer Kraft gemäß der Heiligen Schrift (die vom Urheber dieser Wirkung eingegeben ist) weder kleiner noch geringer ist als die Schöpfung und die Auferweckung der Toten. Sodass alle, in deren Herzen Gott auf diese wunderbare Weise wirkt, sicher ohne einen Zweifel und wirksam wiedergeboren werden und in der Tat glauben. Und sodann wird der erneuerte Wille nicht nur von Gott angetrieben und bewegt, sondern, von Gott angetrieben, handelt er auch selbst. Deshalb wird zu Recht vom Menschen selbst gesagt, dass er durch diese empfangene Gnade glaubt und sich bekehrt. Artikel 13 Die Art, wie diese Wirkung stattfindet, können die Gläubigen in diesem Leben nicht völlig begreifen. In der Zwischenzeit finden sie aber darin Ruhe, dass sie wissen und fühlen, durch diese Gnade Gottes von Herzen zu glauben und ihren Heiland zu lieben. Artikel 14 So ist also der Glaube ein Geschenk Gottes, nicht, weil er dem Willen des Menschen von Gott angeboten wird, sondern weil er dem Menschen wirklich erteilt, eingehaucht und eingeflößt wird. Auch nicht, weil Gott nur die Fähigkeit zu glauben erteilte, die Zustimmung aber und die Tatsache des Glaubens erst vom Willen des Menschen erwartete, sondern weil der, der sowohl das Glauben-Wollen als das Glauben selbst im Menschen bewirkt, das Wollen und Vollbringen wirkt und so alles in allen wirkt.

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Artikel 15 Diese Gnade ist Gott niemandem schuldig. Denn was sollte er dem schuldig sein, der nichts zuvor geben kann, dass es ihm vergolten würde? Ja, was sollte er dem schuldig sein, der aus sich selbst nichts als Sünde und Lüge hat? Wer daher jene Gnade empfängt, schuldet Gott allein ewig Dank und dankt ihm auch. Wer sie nicht empfängt, der kümmert sich entweder überhaupt nicht um diese geistlichen Dinge und ist sich selbst genug oder rühmt sich töricht in seiner Sicherheit zu haben, was er nicht hat. Ferner ist von denen, die sich öffentlich zum Glauben bekennen und ihr Leben bessern, gemäß dem Beispiel der Apostel aufs Beste zu urteilen und zu sprechen, denn das Innerste des Herzens kennen wir nicht. Für die anderen aber, die nicht berufen sind, muss man Gott, der das, was nicht ist, ruft, als wäre es, anrufen. Auf keinen Fall aber dürfen wir ihnen gegenüber überheblich sein, als ob wir uns selbst den Unterschied zu danken hätten. Artikel 16 Wie aber der Mensch durch den Fall nicht aufgehört hat, ein Mensch zu sein, mit Verstand und Willen begabt, und auch die Sünde, die sich über das ganze Menschengeschlecht verbreitet hat, die Natur des Menschen nicht aufgehoben, sondern verdorben und geistlich getötet hat, so wirkt auch diese göttliche Gnade der Wiedergeburt in den Menschen nicht wie in Holzklötzen oder Stöcken und hebt den Willen und seine Eigenschaften nicht auf oder zwingt ihn gewaltsam gegen seine Neigung. Sondern sie macht ihn geistlich lebendig, heilt, bessert und beugt ihn behutsam und kraftvoll zugleich, sodass, wo früher Aufsässigkeit und Widerspenstigkeit des Fleisches herrschte, nun bereitwilliger und reiner Gehorsam des Geistes zu herrschen anfängt, worin die wahre und geistliche Erneuerung unseres Willens und Freiheit besteht. Wenn der wunderbare Werkmeister alles Guten nicht auf diese Weise mit uns verführe, hätte der Mensch keine Hoffnung, sich durch den freien Willen aus dem Fall zu erheben, durch den er sich, als er noch stand, ins Verderben stürzte. Artikel 17 Wie auch jenes allmächtige Wirken Gottes, durch das er unser natürliches Leben fortführt und erhält, den Gebrauch von Mitteln, durch die Gott in seiner unendlichen Weisheit und Güte diese seine Kraft äußern wollte, nicht ausschließt, sondern fordert, so schließt auch dieses genannte übernatürliche Wirken Gottes, durch das er uns wiedergeboren werden lässt, keineswegs den Gebrauch des Evangeliums, das der allweise Gott zum Samen der Wiedergeburt und zur Speise der Seele verordnete, aus oder wirft ihn über den Haufen. Deshalb, so wie die Apostel und die Lehrer,

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die ihnen gefolgt sind, das Volk mit Frömmigkeit in dieser Gnade Gottes zu seinem Ruhm und zur Unterdrückung allen Hochmuts unterwiesen, es unterdessen aber nicht vernachlässigt haben, es durch die heiligen Ermahnungen des Evangeliums mit dem Wort, den Sakramenten und der Zucht zusammenzuhalten, so sei es auch noch jetzt fern, dass Lehrende oder Lernende in der Kirche Gott damit zu versuchen wagen, dass sie das trennen, was Gott nach seinem Willen eng verbunden wissen wollte. Denn durch Ermahnungen wird die Gnade mitgeteilt, und je gewissenhafter wir unsere Pflicht tun, desto herrlicher pflegt in uns die Wohltat Gottes, der sie wirkt, zu sein. Dann schreitet sein Werk am besten voran. Ihm allein gebührt Ruhm für alle Mittel, ihre seligmachende Frucht und Wirksamkeit in Ewigkeit. Amen. 2.–4. Verwerfung der Irrtümer Nach Darlegung der rechtgläubigen Lehre verwirft die Synode diese Irrtümer: 1. Die lehren: „Es könne nicht eigentlich gesagt werden, dass die Ursünde an sich genüge, das ganze Menschengeschlecht zu verdammen oder zeitliche und ewige Strafen zu verdienen.“ Denn sie widersprechen dem Apostel, der in Römer 5,12 sagt: „Die Sünde ist durch einen Menschen in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod, und so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, in dem einen haben sie alle gesündigt“. Und Vers 16: „Die Schuld hat von dem Einen zur Verdammnis geführt“. Ebenso Römer 6,23: „Denn der Tod ist der Sünde Sold“. 2. Die lehren: „Die geistlichen Gaben oder guten Anlagen und Eigenschaften, als da sind: Güte, Heiligkeit, Gerechtigkeit, hätten im Willen des Menschen, als er zuerst geschaffen wurde, keinen Platz und können demnach auch beim Fall von ihm nicht getrennt werden.“ Denn dies steht im Widerspruch zur Beschreibung der Ebenbildlichkeit Gottes, die der Apostel in Epheser 4,24 gibt, wo er sie als Gerechtigkeit und Heiligkeit beschreibt, die ihren Platz durchaus im Willen haben. 3. Die lehren: „Die geistlichen Gaben seien im geistlichen Tod nicht vom Willen des Menschen getrennt, da der Wille an sich niemals verdorben gewesen sei, sondern nur durch die Finsternis des Verstandes und Unordnung der Gefühle behindert. Wenn diese Hindernisse behoben seien, könne er die ihm angeborene freie Kraft ausüben. Das heißt fähig zu sein, jedwedes Gutes, das ihm begegnet, aus sich selbst zu wollen und zu erwählen oder nicht zu wollen und nicht zu erwählen.“

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Dies ist neu und irrtümlich und ist dazu angetan, die Kräfte des freien Willens emporzuheben gegen das Wort Jeremias in Kapitel 17,9: „Arglistig und verderbt ist das Herz, mehr als alles“, und gegen das Wort des Apostels in Epheser 2,3: „Unter welchen auch wir (Kinder des Ungehorsams) einst unser Leben in den Begierden des Fleisches geführt haben, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten“. 4. Die lehren: „Der nicht wiedergeborene Mensch sei nicht eigentlich und nicht ganz in den Sünden tot oder aller Kräfte zum geistlich Guten beraubt, sondern könne nach Gerechtigkeit oder Leben hungern und dürsten und ein Opfer eines zerschlagenen und zerknirschten Geistes, das Gott angenehm ist, darbringen.“ Denn dies steht im Gegensatz zu den deutlichen Aussprüchen der Schrift. Epheser 2,1.5: „Ihr wart tot in den Übertretungen und Sünden“. Und Genesis 6,5 und 8,21: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse zu allen Zeiten“. Überdies ist das Hungern und Dürsten nach Befreiung aus dem Elend und nach Leben und Gott das Opfer eines zerknirschten Geistes darzubringen eine Sache der Wiedergeborenen und derer, die selig genannt werden (Ps 51,19; Mt 5,6). 5. Die lehren: „Dass der verderbte und natürliche Mensch die allgemeine Gnade (worunter sie das Licht der Natur verstehen) oder die Gaben, die nach dem Fall in ihm geblieben wären, so richtig gebrauchen könne, dass er durch diesen guten Gebrauch eine größere, nämlich evangelische oder seligmachende Gnade und das Heil selbst stufenweise erreichen könne. Und auf diese Weise zeige sich Gott seinerseits bereit, Christus allen zu offenbaren, da er die Mittel, die zur Kenntnis Christi, zum Glauben und zur Bekehrung nötig sind, allen hinlänglich und wirksam darbiete.“ Dass dies falsch ist, bezeugt außer der Erfahrung aller Zeiten die Schrift in Psalm 147,19 f.: „Er zeigt Jakob sein Wort, Israel seine Gebote und sein Recht. So hat er es an keinem Volk getan, und sein Recht kennen sie nicht“. Apostelgeschichte 14,16: „Gott hat in den vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen“. Apostelgeschichte 16,6 f.: „Sie (Paulus und die Seinen) wurden vom Heiligen Geist daran gehindert, das Wort Gottes in Asien zu predigen“. Und: „Als sie aber nach Mysien kamen, versuchten sie, durch Bithynien zu reisen, aber der Geist ließ es ihnen nicht zu“. 6. Die lehren: „Bei der wahren Bekehrung des Menschen könnten keine neuen Eigenschaften, Anlagen oder Gaben von Gott dem Willen eingeflößt werden, und so sei der Glaube, durch den wir zuerst bekehrt werden und weshalb wir Gläubige genannt werden, keine Eigenschaft oder Gabe

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von Gott eingeflößt, sondern nur eine Tat des Menschen und könne nur insoweit eine Gabe genannt werden, als in Hinsicht auf das Vermögen, zu ihm zu gelangen.“ Dies widerspricht den heiligen Schriften, die bezeugen, dass Gott die neuen Eigenschaften des Glaubens, des Gehorsams und der Liebe zu ihm in unsere Herzen einflößt. Jeremia 31,33: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“. Jesaja 44,3: „Denn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: Ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen“. Römer 5,5: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“. Es widerspricht auch dem fortlaufenden Gebrauch der Kirche, die so beim Propheten betet: „Bekehre du mich, Herr, so werde ich mich bekehren“ (Jer 31,18). 7. Die lehren: „Die Gnade, durch die wir zu Gott bekehrt werden, sei nichts anderes als eine milde Empfehlung.“ Oder (wie es andere er­ klären): „Die vornehmste Art bei der Bekehrung des Menschen und die der menschlichen Natur am angemessenste Art sei diejenige, welche durch Empfehlung geschehe, und dass es keinen Grund gebe, dass nicht die empfehlende Gnade allein natürliche Menschen geistlich mache. Ja, Gott bringe auf keine andere Weise als durch Anraten die Zustimmung des Willens hervor. Und darin bestehe die Kraft der göttlichen Wirksamkeit, durch die sie die Wirksamkeit des Satans überwinde, dass Gott ewige Güter, der Satan aber zeitliche verspricht.“ Denn dies ist ganz pelagianisch und der gesamten Schrift zuwider, die außer dieser Art noch eine andere weit wirksamere und göttlichere Art des Wirkens des Heiligen Geistes bei der Bekehrung des Menschen kennt. Ezechiel 36,26: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben“ etc. 8. Die lehren: „Gott wende bei der Wiedergeburt des Menschen die Kräfte seiner Allmacht nicht an, durch welche er den Willen desselben zum Glauben und zur Bekehrung mit Gewalt und unfehlbar hinwenden würde. Sondern, wenn auch alle Kräfte der Gnade, die Gott zur Bekehrung des Menschen gebraucht, angewandt wären, so könne doch der Mensch Gott und dem Geist, der seine Wiedergeburt bezwecke und ihn wiedergebären wolle, dennoch so widerstehen – und widersteht ja auch tatsächlich oft –, dass er seine Wiedergeburt geradezu verhindert, und so bleibe es in seiner eigenen Gewalt, wiedergeboren zu werden oder auch nicht.“ Denn dies heißt nichts anderes, als alle Wirksamkeit der Gnade Gottes bei unserer Bekehrung aufzuheben und die Tätigkeit des allmächtigen

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Gottes dem Willen des Menschen unterzuordnen. Dies widerspricht den Aposteln, die lehren: „Wir glauben aufgrund der Wirksamkeit der Kraft von Gottes Stärke“ (Eph 1,9). Und: „Gott vollende das unverdiente Wohlwollen seiner Güte und das Werk des Glaubens an uns in Kraft“ (2. Thess  1,11). Desgleichen: „Seine göttliche Kraft habe uns alles geschenkt, was zum Leben und zur Frömmigkeit gehört“ (2. Petr 1,3). 9. Die lehren: „Die Gnade und der freie Wille seien zum Teil Ursachen, die beide zusammen beim Beginn der Bekehrung mitwirken, und die Gnade gehe in der Ordnung der Ursachen der Wirksamkeit des Willens nicht voran.“ Das heißt, „Gott helfe dem Willen des Menschen nicht eher wirksam zur Bekehrung, als bis der Wille des Menschen selbst sich rühre und entscheide.“ Denn diese Lehre hat bereits schon die Alte Kirche an den Pelagianern verdammt aufgrund der Worte des Apostels Römer 9,16: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“. Und 1. Korinther 4,7: „Wer gibt dir einen Vorrang?“ Und: „Was hast du aber, das du nicht empfangen hast?“ Ebenso Philipper 2,13: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“. 5. Lehrsatz: Von der Beharrlichkeit der Heiligen Artikel 1 Diejenigen, die Gott nach seinem Vorsatz zur Gemeinschaft seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, beruft und durch den Heiligen Geist wiedergeboren werden lässt, befreit er zwar von der Herrschaft und vom Joch der Sünde, aber befreit sie in diesem Leben nicht völlig vom Fleisch und vom Körper der Sünde. Artikel 2 Hieraus entstehen die täglichen Sünden der Schwachheit, und auch den besten Werken der Heiligen haften Gebrechen an. Dies veranlasst sie beständig, sich vor Gott zu demütigen, zum gekreuzigten Christus zu fliehen, das Fleisch mehr und mehr durch den Geist des Gebets und heilige Übungen der Frömmigkeit zu töten und sich nach dem Ziel der Vollkommenheit zu sehnen. So lange, bis sie von diesem Körper des Todes befreit mit dem Lamm Gottes im Himmel regieren. Artikel 3 Wegen dieser Überbleibsel der Sünde, die in ihnen wohnt, und wegen der Versuchungen der Welt und des Satans könnten die Bekehrten nicht in dieser Gnade verbleiben, wenn sie ihren eigenen Kräften überlassen blie-

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ben. Aber Gott ist treu, der sie in der einmal erteilten Gnade barmherzig befestigt und diese in ihr bis zum Ende wirkmächtig erhält. Artikel 4 Und obwohl jene Macht Gottes, welche die Gläubigen wahrhaft in der Gnade befestigt und erhält, größer ist, als dass sie vom Fleisch überwunden werden könnte, so werden die Bekehrten doch nicht immer so von Gott geleitet und bewegt, dass sie nicht durch ihre Schuld in einzelnen Handlungen von der Führung der Gnade abweichen könnten und von den Begierden des Fleisches verführt werden und ihnen folgten. Deshalb müssen sie immerwährend wachen und beten, dass sie nicht in Versuchung geführt werden. Wenn sie dies nicht tun, so können sie nicht nur vom Fleisch, von der Welt und vom Satan zu schweren und schlimmen Sünden hingerissen werden, sondern werden es – bisweilen mit gerechter Erlaubnis Gottes – auch wirklich. Dies zeigen uns der traurige Fall des David, des Petrus und anderer Heiligen, in der Heiligen Schrift beschrieben. Artikel 5 Durch solche ungeheuren Sünden aber erzürnen sie Gott sehr, machen sich des Todes schuldig, betrüben den Heiligen Geist, unterbrechen die Übung im Glauben, verletzen das Gewissen schwer und verlieren bisweilen einige Zeit das Gefühl der Gnade, bis ihnen, wenn sie durch ernsthafte Bußfertigkeit auf den Weg zurückkehren, das väterliche Antlitz Gottes wieder glänzt. Artikel 6 Denn Gott, der reich an Barmherzigkeit ist, nimmt nach dem unveränderlichen Ratschluss der Erwählung den Heiligen Geist nicht ganz von den Seinen, auch wenn sie auf traurige Weise fallen. Und er lässt sie nicht so tief fallen, dass sie die Gnade der Kindschaft oder den Zustand der Rechtfertigung verlören oder eine Todsünde oder eine Sünde gegen den Heiligen Geist begingen und, von ihm völlig verlassen, sich ins ewige Verderben stürzten. Artikel 7 Denn zuallererst bewahrt er bei solchen Sündenfällen in ihnen seinen unsterblichen Samen, aus dem sie wiedergeboren sind, auf dass er nicht verdorben oder verloren werde. Sodann erneuert er sie durch sein Wort und seinen Geist sicher und wirksam zur Buße, damit sie über die begangenen Sünden von Herzen und nach Gottes Willen Schmerz empfinden, durch den Glauben mit zerknirschtem Herzen im Blut des Mittlers Vergebung begehren und erlangen, die Gnade des versöhnten Gottes wieder empfin-

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den, seine Barmherzigkeit durch den Glauben verehren und hinfort ihre Seligkeit mit Furcht und Zittern eifrig betreiben. Artikel 8 So erlangen sie es also nicht durch ihr Verdienst oder durch ihre Kraft, sondern aus der unverdienten Barmherzigkeit Gottes, dass sie nicht völlig aus dem Glauben und der Gnade fallen und am Ende in Sünden bleiben und umkommen. Dieses könnte, soweit es an ihnen liegt, nicht nur leicht geschehen, sondern würde auch ohne Zweifel geschehen. Bei Gott aber kann dies niemals geschehen, da weder sein Ratschluss geändert noch sein Versprechen gebrochen werden kann. Noch können die Berufung nach dem Vorsatz widerrufen, Christi Verdienst, Vermittlung und Schutz ungültig gemacht und die Besiegelung des Heiligen Geistes vereitelt oder vernichtet werden. Artikel 9 Dieser Bewahrung der Erwählten zur Seligkeit sowie der Beharrlichkeit der wahrhaft Gläubigen im Glauben können die Gläubigen selbst gewiss sein, und sie sind es nach Maßgabe ihres Glaubens, durch den sie gewiss glauben, dass sie wahre und lebendige Glieder der Kirche seien und bleiben werden und Vergebung der Sünden und ewiges Leben haben. Artikel 10 Ferner entspringt diese Gewissheit nicht irgendeiner besonderen Offenbarung, die neben und außerhalb von Gottes Wort geschehen wäre, sondern aus dem Glauben an die Verheißungen Gottes, die er in seinem Wort so reichlich zu unserem Trost geoffenbart hat. Sie entspringt aus dem Zeugnis „des Heiligen Geistes, der bezeugt, dass wir mit unserem Geist Gottes Kinder und Erben sind“ (Röm 8,16 f.). Schließlich aus dem ernsten und heiligen Streben nach einem guten Gewissen und nach guten Werken. Und wenn die Erwählten Gottes diesen festen Trost, den Sieg zu erlangen, und das untrügliche Unterpfand der ewigen Herrlichkeit in dieser Welt nicht hätten, so wären sie die elendesten unter allen Menschen. Artikel 11 Indessen bezeugt die Schrift, dass die Gläubigen in diesem Leben mit verschiedenen fleischlichen Zweifeln kämpfen und, wenn sie sich in schwerer Versuchung befinden, diese Zuversicht des Glaubens und Gewissheit der Beharrlichkeit nicht immer empfinden. Gott aber, der Vater allen Trostes, „lässt sie nicht über ihre Kräfte versuchen, sondern gibt mit der Versuchung den Ausweg“ (1. Kor 10,13). Und er erweckt in ihnen durch den Heiligen Geist wieder die Gewissheit der Beharrlichkeit.

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Artikel 12 Diese Gewissheit der Beharrlichkeit ist aber weit davon entfernt, die wahrhaft Gläubigen überheblich und fleischlich sicher zu machen. Im Gegenteil sollte sie die wahre Wurzel der Demut, kindlicher Ehrfurcht, wahrer Frömmigkeit, der Geduld in jedem Kampf, inniger Gebete, der Standhaftigkeit im Leiden und im Bekenntnis der Wahrheit und der echten Freude in Gott sein. Und die Betrachtung dieser Wohltat sollte ein Antrieb zur ernsten und anhaltenden Übung in Dankbarkeit und guten Werken sein, wie aus den Zeugnissen der Schrift und dem Beispiel der Heiligen deutlich wird. Artikel 13 Auch bringt die wiederbelebte Zuversicht der Beharrlichkeit bei denen, die vom Fall aufgerichtet werden, nicht Übermut oder Mangel an Frömmigkeit hervor, sondern eine noch weit größere Sorge, die Wege des Herrn mit Eifer zu beachten. Diese sind im Voraus dazu bereitet, damit sie, indem sie auf ihnen wandeln, die Gewissheit ihrer Beharrlichkeit behalten, und damit sich das Antlitz des gnädigen Gottes (dessen Anschauung den Frommen lieber als das Leben, dessen Entziehung ihnen aber herber als der Tod ist) wegen des Missbrauchs des väterlichen Wohlwollens nicht von neuem von ihnen abwende und sie so in größere Seelenqualen verfallen. Artikel 14 Wie es Gott aber gefallen hat, dieses sein Werk der Gnade durch die Predigt des Evangeliums in uns zu beginnen, so erhält er es, führt es fort und vollendet es durch Hören und Lesen desselben und Nachdenken über dasselbe, durch Ermahnungen, Drohungen, Versprechungen und den Gebrauch der Sakramente. Artikel 15 Diese Lehre von der Beharrlichkeit der wahrhaft Gläubigen und Heiligen und von ihrer Gewissheit, die Gott zum Ruhm seines Namens und zum Trost der frommen Seelen in seinem Wort reichlich geoffenbart hat und den Herzen der Gläubigen einprägt, begreift das Fleisch wohl nicht. Der Satan hasst sie, die Welt verlacht sie, Unerfahrene und Heuchler missbrauchen sie und Truggeister bekämpfen sie. Aber die Braut Christi hat sie als einen Schatz von unermesslichem Wert immer zärtlich geliebt und standhaft verteidigt. Gott, gegen den kein Ratschlag etwas gilt und keine Macht etwas vermag, wird dafür sorgen, dass sie dies auch weiterhin tut. Diesem alleinigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist sei Ehre und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

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Verwerfung der Irrtümer über die Lehre von der Beharrlichkeit der Heiligen Nach Darlegung der rechtgläubigen Lehre verwirft die Synode diese Irrtümer: 1. Die lehren: „Die Beharrlichkeit der wahrhaft Gläubigen sei nicht eine Wirkung der Erwählung oder eine Gabe Gottes, durch den Tod Christi erworben, sondern eine Bedingung des neuen Bundes, die der Mensch vor seiner (wie sie sagen) unwiderruflichen Erwählung und Rechtfertigung durch seinen freien Willen erfüllen muss.“ Denn die Heilige Schrift lehrt, dass sie aus der Erwählung folgt und durch die Kraft des Todes, der Auferstehung und der Fürbitte Christi den Erwählten geschenkt wird. Römer 11,7: „Die Auserwählten aber haben es erlangt. Die anderen sind verstockt“. Ebenso Römer 8,32–35: „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben: Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?“ 2. Die lehren: „Zwar statte Gott den gläubigen Menschen mit genügend Kräften aus, um zu beharren, und sei bereit, sie in ihm zu erhalten, wenn er seine Pflicht tue, aber bei alle dem, was zur Ausdauer im Glauben nötig ist und was Gott zur Erhaltung des Glaubens anwenden will, hänge es doch immer vom Belieben des Willens ab, ob er beharre oder nicht.“ Denn diese Ansicht enthält offensichtlichen Pelagianismus, und während sie die Menschen freimachen will, macht sie diese zu Gotteslästerern. Dies ist gegen die bleibende Übereinstimmung evangelischer Lehre, die dem Menschen alle Ursache, sich zu rühmen, nimmt und das Lob dieser Wohltat allein der göttlichen Gnade zuschreibt. Und diese Lehre steht im Widerspruch zum Apostel, der bezeugt: „Gott sei es, der uns fest erhalten wird bis ans Ende, unsträflich zu sein am Tag unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Kor 1,8). 3. Die lehren: „Wahrhaft Gläubige und Wiedergeborene könnten nicht nur vom rechtfertigenden Glauben, von der Gnade und der Seligkeit völlig und endgültig abfallen, sondern fielen auch nicht selten wirklich davon ab und gingen für ewig zugrunde.“ Denn diese Meinung macht die Gnade der Rechtfertigung und Wiedergeburt selbst sowie den beständigen Schutz Christi kraftlos – gegen die ausdrücklichen Worte des Apostels Paulus in Römer 5,8 f.: „Wenn

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Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, um wie viel mehr werden wir durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind“. Und gegen den Apostel Johannes in 1. Johannes 3,9: „Wer aus Gott geboren ist, der tut keine Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, denn er ist von Gott geboren“. Auch gegen die Worte Jesu Christi in Johannes 10,28 f.: „Ich gebe ihnen das ewige Leben; und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles; und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen“. 4. Die lehren: „Wahrhaft Gläubige oder Wiedergeborene könnten eine Sünde zum Tod oder gegen den Heiligen Geist begehen.“ Denn nachdem derselbe Apostel Johannes in Kapitel 5 seines ersten Briefes, Vers 16 f., der zum Tod Sündigenden gedacht und für sie zu beten verboten hat, fügt er gleich in Vers 18 hinzu: „Wir wissen, dass, wer von Gott geboren ist, der sündigt nicht; sondern wer von Gott geboren ist, der bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an“. 5. Die lehren: „Man könne ohne besondere Offenbarung in diesem Leben keine Gewissheit der zukünftigen Beharrlichkeit haben.“ Denn durch diese Lehre wird den wahrhaft Gläubigen der echte Trost in diesem Leben genommen und der Zweifel der Papstanhänger wieder in die Kirche eingeführt. Die Heilige Schrift aber leitet an einigen Stellen diese Gewissheit nicht von einer besonderen und außerordentlichen Offenbarung ab, sondern aus Kennzeichen, die den Kindern Gottes eigen sind, und aus den zuverlässigen Verheißungen Gottes. Insbesondere der Apostel Paulus Römer 8,39: „Keine Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“. Und Johannes im ersten Brief 3,24: „Und wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm und er in ihm. Und daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat“. 6. Die lehren: „Die Lehre von der Beharrlichkeit und der Gewissheit der Seligkeit sei ihrer Natur und ihrem Gehalt nach ein Ruhekissen des Fleisches und schädlich für die Frömmigkeit, die guten Sitten, Gebete und andere fromme Übungen. Dagegen aber sei lobenswert, daran zu zweifeln.“ Denn diese zeigen, dass sie die Kraft der göttlichen Gnade und die Wirkung des innewohnenden Heiligen Geistes nicht kennen, und widersprechen dem Apostel Johannes, der mit klaren Worten das Gegenteil behauptet: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder, und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen

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wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung hat auf ihn, der reinigt sich, gleichwie auch er rein ist“ (1. Joh 3,2 f.). Sie werden außerdem durch das Beispiel der Heiligen sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments widerlegt, die, wenn sie auch von ihrer Beharrung und ihrem Heil überzeugt waren, doch im Beten und anderen Übungen der Frömmigkeit beständig waren. 7. Die lehren: „Der Glaube derer, die nur für eine Zeit glauben, unterscheide sich von dem rechtfertigenden und seligmachenden nur durch seine Dauer.“ Denn Christus selbst stellt in Matthäus 13,20 und Lukas 8,13–15 einen dreifachen Unterschied fest zwischen denen, die nur eine Zeitlang glauben, und den wahrhaft Gläubigen, wenn er sagt, jene nähmen den Samen in steiniger Erde auf, diese in guter Erde oder in einem guten Herzen; jene hätten keine Wurzel, diese eine feste Wurzel; jene trügen keine Frucht, diese brächten in verschiedenem Maß beständig und ausdauernd ihre Frucht. 8. Die lehren: „Es sei nicht ungereimt, dass der Mensch nach dem Verlust der ersten Wiedergeburt aufs Neue, ja sogar öfter wiedergeboren werde.“ Denn diese leugnen mit dieser Lehre die Unvergänglichkeit von Gottes Samen, durch den wir wiedergeboren werden. Dies ist gegen das Zeugnis des Apostels Petrus in 1. Petrus 1,23: „Wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen“. 9. Die lehren: „Christus habe nie für die unfehlbare Beharrlichkeit der Gläubigen im Glauben gebetet.“ Denn sie widersprechen Christus selbst, der in Lukas 22,32 sagt: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre“, und dem Evangelisten Johannes, der bezeugt, Christus habe nicht nur für die Apostel (Joh 17,20), sondern für alle, die durch ihre Predigt glauben würden, gebetet: „Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen“ (Joh 17,11). Und Johannes 17,15: „Ich bitte nicht, dass du sie von der Welt nehmest, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen“. Beschluss Und dies ist die klare, einfache und aufrechte Darlegung der rechtgläubigen Lehre über die fünf in den Niederlanden strittigen Punkte und die Verwerfung der Irrtümer, durch welche die niederländischen Kirchen eine Zeitlang verwirrt waren. Die Synode hat sie aus dem Wort Gottes entnommen und erachtet sie als mit den Bekenntnissen der reformierten Kirchen für übereinstimmend.

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Hieraus wird deutlich, dass diejenigen, denen es am wenigsten zukam, dem Volk gegen alle Wahrheit, Billigkeit und Liebe haben einreden wollen: „Die Lehre der reformierten Kirchen von der Erwählung und die damit zusammenhängenden Lehrstücke führe die Gemüter der Menschen durch einen gewissen eigentümlichen Geist und Charakter von aller Frömmigkeit und Religion ab. Sie sei ein Ruhekissen des Fleisches und des Teufels und eine Burg des Satans, aus der er allen auflauere, die meisten verwunde und viele mit den Pfeilen der Verzweiflung oder Sicherheit tödlich treffe. Sie mache Gott zum Urheber der Sünde, zu einem Ungerechten, Tyrannen und Heuchler; und sei nichts anderes als erneuerter Stoizismus, Manichäismus, Libertinismus und Türkentum. Sie mache die Menschen fleischlich sicher, da sie nach ihr überzeugt wären, es schade der Seligkeit der Erwählten nicht, wie sie auch lebten, und deshalb könnten sie in Sicherheit auch die schwersten Frevel begehen. Den Verworfenen helfe es nichts zur Seligkeit, auch wenn sie alle Werke der Heiligen wirklich vollbrächten. Damit würde gelehrt, dass Gott nach der bloßen und reinen Willkür seines Willens, ohne Rücksicht auf irgendeine Sünde und ohne Ansehen, den größten Teil der Welt zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt und geschaffen habe. Und wie auf dieselbe Weise die Erwählung die Quelle und die Ursache des Glaubens und der guten Werke sei, so sei auch die Verwerfung die Ursache des Unglaubens und der Unfrömmigkeit. Viele unschuldige Kinder der Gläubigen würden von der Brust der Mutter fortgerissen und tyrannisch in die Hölle gestürzt, sodass ihnen weder die Taufe noch die Gebete der Kirche bei ihrer Taufe etwas helfen könnten.“ Und andere Dinge mehr, welche die reformierten Kirchen nicht nur nicht anerkennen, sondern von ganzem Herzen verabscheuen. Deshalb beschwört diese Dordrechter Synode beim Namen des Herrn alle, die den Namen unseres Heilands Jesus Christus gottesfürchtig anrufen, nicht über den Glauben der reformierten Kirche aus aufgehäuften Schmähungen oder aus besonderen Äußerungen einiger älterer oder neuerer Lehrer zu urteilen, die oft entweder falsch angeführt oder entstellt und zu einem anderen Sinn verdreht sind, sondern aus den öffentlichen Bekenntnissen dieser Kirchen und aus dieser Darlegung der rechtgläubigen Lehre, die durch die einstimmige Übereinkunft aller und jedes einzelnen Mitglieds dieser Synode festgestellt ist. Die Lästerer selbst aber ermahnt sie ernstlich, dass sie überlegen mögen, welch schwerem Gericht Gottes sie verfallen, die sie gegen so viele Kirchen und die Bekenntnisse so vieler Kirchen falsches Zeugnis reden, die Gewissen der Schwachen beunruhigen und sich bemühen, vielen die Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen verdächtig zu machen. Zuletzt ermahnt diese Synode alle Mitdiener am Evangelium Christi, dass sie bei der Behandlung dieser Lehre in Schulen und Kirchen fromm

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und gottesfürchtig zu Werke gehen, sie sowohl mündlich als schriftlich zum Ruhm des göttlichen Namens, zur Heiligkeit des Lebens und zum Trost niedergeschlagener Gemüter anwenden. Dass sie mit der Schrift in Übereinstimmung mit dem Glauben nicht nur urteilen, sondern auch sprechen. Und sich endlich aller Ausdrücke enthalten, welche die uns vorgeschriebenen Grenzen des wahren Sinnes der heiligen Schriften überschreiten und so den nichtswürdigen Sophisten eine gute Gelegenheit bieten könnten, die Lehre der reformierten Kirche zu verhöhnen oder zu verleumden. Möge der Sohn Gottes, Jesus Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt und den Menschen Gaben spendet, uns in der Wahrheit heiligen, die, welche irren, zur Wahrheit führen, den Verleumdern der rechten Lehre den Mund verschließen und die treuen Diener seines Wortes mit dem Geist der Weisheit und Unterscheidung erfüllen, damit all ihr Reden dem Ruhm Gottes und der Erbauung der Zuhörer diene. Amen.

29. Das Glaubensbekenntnis von Westminster (The Westminster Confession of Faith) (1647) Einleitung Bei einer Versammlung der Geistlichen in London (1643‒1652) vor dem Hintergrund britischer religionspolitischer Umbrüche und Bürgerkriege entstand nach dreijähriger Gremienarbeit (1644–1647) das Glaubensbekenntnis von Westminster. Die Versammlung bestand aus etwa 150 Kirchenvertretern und Theologen – hauptsächlich Engländer, aber auch einige Waliser und Iren. Sie waren eine Mischung aus Episkopalen (Anglikanern), Presbyterianern und Unabhängigen (Kongregationalisten und Baptisten). Der konservative Monarch Karl I. (Oberhaupt der Kirchen) und die von ihm ernannten Bischöfe lehnten es ab teilzunehmen. Eingeladene britisch-amerikanische Delegierte konnten nicht anreisen. Es nahmen Beobachter aus dem Parlament und aus Schottland teil. Alle schlossen sich der orthodox-reformierten Theologie an und hatten zwei zentrale Anliegen. Eines war, das Prinzip der unverdienten Erlösung allein durch Gnade gegen Vorstellungen von einer menschlichen Mitwirkung zu verteidigen. Das andere bestand darin, der Auffassung zu widersprechen, dass wahre Gläubige, die für alle Zeiten gerettet würden, nicht verpflichtet seien, ein christliches moralisches Leben zu führen. Das Bekenntnis war Teil eines größeren Reformprojekts, das Gottesdienst, Kirchenleitung, Glaubensbekenntnis und Katechismus umfasste. Es wurde vom englischen puritanischen und revolutionären Long Parliament in seiner ersten Phase (1640–1653) ins Leben gerufen. Die Versammlung gab das Bekenntnis 1646 und nochmals 1647 mit biblischen Beweistexten – 1.500 an der Zahl – ab. Abgesehen von dem calvinistischen Artikel über die eigenständige Kirchenzucht – getrennt von der weltlichen Obrigkeit – genehmigte das englische Parlament das Bekenntnis 1647 zur Verwendung in England, Wales und Irland. Die schottische Kirche übernahm damals den Originaltext des Bekenntnisses. Die ursprüngliche Absicht hatte darin bestanden, die 39 Artikel der Kirche von England zu überarbeiten. Aber die schottische Beteiligung (seit 1638) mit ihrer militant reformierten Haltung an der Seite des Parlaments im englischen Bürgerkrieg (1642–1651) bedeutete, dass die Schotten die radikale Agenda der Westminster Assembly und ihrer Veröffentlichungen mitbestimmten. Diese waren: das Bekenntnis, der große Katechismus, der kürzere Katechismus, die Gottesdienstordnung und die presbyterianische Kirchenverfassung. Das Bekenntnis repräsentiert die Spitze der

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konfessionell-reformierten Theologie mit Genfer Einschlag. Es wurzelt sowohl in den klassischen reformierten Vorgängern als auch in denen der aufkommenden reformierten Orthodoxie. Bemerkenswert ist seine prägnante Klarheit und systematische Finesse. Später wurde es in lateinischer Sprache für ein breiteres europäisches Publikum veröffentlicht. Das Leitmotiv durch die 33 Kapitel hindurch ist die wohlwollende Herrschaft Gottes und ihre zweifache Bezeugung. Erstens gibt es neben Vorsehung und Erwählung einen vorherigen ewigen Ratschluss der selektiven Vorherbestimmung in Christus (Kapitel 3). Rechtfertigung und Erlösung sind das Werk allein von Gott, der „unfehlbare Gewissheit“ gibt (Kapitel 18). Zweitens gibt es nach dem ursprünglichen Werkbund den Gnadenbund durch Christus. Auch dieser wird „freiwillig […] angeboten“ (Kapitel 7); die Sakramente sind „Zeichen und Siegel“ davon (Kapi­ tel 27). Gottes Heilswerk wird vollbracht durch die Dreieinigkeit, den Ruf des Wortes Gottes, die „allgemeine(n) und sichtbare(n) Kirche“ (Kapitel 25) und ihre wahren, wirksam berufenen Glieder. Erlösung kommt allein von Gott; aber die sie empfangen, tun dies nicht zufällig oder passiv. Die menschliche Antwort und ihr Handeln werden betont: Umkehr, christliche Freiheit und Kirchenzucht sowie gute Werke, die dem Gesetz Gottes entsprechen, beglaubigen die Rechtfertigung und veranschaulichen die Heiligung – als „Früchte und Zeugnisse eines wahren und lebendigen Glaubens“ (Kapitel 16). Es gibt drei bemerkenswerte Punkte im Bekenntnis. Erstens fordert es für den christlichen Sabbat, dass der Sonntag nicht nur ein Tag der Anbetung sein soll, sondern auch ein Tag der voll­ständigen Abstinenz von Arbeit (Kapitel 21). Zweitens erlaubt es die Scheidung unter bestimmten Umständen (Kapitel 24). Drittens wird zwar behauptet, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt, dies wird jedoch als „keine ordentliche Möglichkeit“ (Kapitel 25) qualifiziert und so abgeschwächt. Als 1660 Monarchie und Episkopat wiederhergestellt wurden, verlor das Bekenntnis in England, Irland und Schottland seine Geltung. Mit der Wiedereinführung des Presbyterianismus in Schottland 1690 wurde es dort aber wieder dauerhaft in Kraft gesetzt. Später wurde es überall zum Standard der englischsprachigen presbyterianischen Kirchen, wenn es auch oft umstritten blieb. Edition The Westminster Confession of Faith, in: RefBS, Bd. 3/2: 1647–1675, 201–273 (Bearb.: Torrance Kirby) Übersetzungen Westminster Bekenntnis, 1647, in: Corpus Confessionum. Die Bekenntnisse der Christenheit. Sammlung grundlegender Urkunden aus allen Kirchen der Gegenwart,

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Bd. 18: Presbyterianer, hg. v. Cajus Fabricius, Berlin 1937, 86–157 (Übers.: Cajus Fabricius) Das Westminster-Bekenntnis von 1647, in: Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, hg. v. Hans Steubing, Wuppertal 1985, 207–237 Literatur Sinclair B. Ferguson, Westminster Assembly and Documents, in: Dictionary of Scottish History and Theology, hg. v. Nigel M. Cameron, Edinburgh 1993, 862–865 Whitney G. Gamble, The Theology of the Westminster Confession in its Context, in: The History of Scottish Theology, Vol. 1, hg. v. David Fergusson/Mark W. Elliot, Oxford 2019, 265–278 Alasdair  I. C. Heron (Hg.), The Westminster Confession in the Church Today, Edinburgh 1982 Hans Schwarz, Art. Glaubensbekenntnisse VII,4, in: TRE 13 (1984), 425 f. Willem van’t Spijker u. a., De Synode van Westminster 1643–1649, Houten 2002 Einleitung: Ian Hazlett; Übersetzung: Ian Hazlett/Matthias Freudenberg, unter Berücksichtigung der Übersetzung von Cajus Fabricius

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Das Glaubensbekenntnis von Westminster (The Westminster Confession of Faith) (1647) Zur rechten Ehre der im Parlament versammelten Adligen und Bürger. Der bescheidene Rat der Versammlung der Geistlichen bezüglich eines Glaubensbekenntnisses, jetzt mit Autorität des in Westminster tagenden Parlaments. Mit beigefügten Zitaten und Texten aus der Heiligen Schrift. Kürzlich beiden Häusern des Parlaments vorgelegt. Kapitel 1: Die Heilige Schrift 1. Obwohl das Licht der Natur und die Werke der Schöpfung und Vorsehung Gottes Güte, Weisheit und Macht so weit offenbaren, dass sie den Menschen unentschuldbar machen, reichen sie doch nicht aus, die Erkenntnis Gottes und seines Willens zu vermitteln, die zum Heil notwen­dig ist. Deshalb hat es dem Herrn gefallen, zu verschiedenen Zeiten und auf mancherlei Weisen sich zu offenbaren und seiner Kirche seinen Willen zu erklären und danach, damit die Wahrheit besser bewahrt und ausgebreitet und die Kirche gegen die Verdorbenheit des Fleisches und die Bosheit des Satans und der Welt sicherer bewahrt und getröstet würde, all das schriftlich verfassen zu lassen. Daher kommt es, dass die Heilige Schrift äußerst notwendig ist, nachdem die früheren Weisen, durch die Gott seinen Willen seinem Volk offenbart hat, nun aufgehört haben (Röm 1,19 f.32; 2,1.14; 15,4; Ps 19,2–4; 1. Kor 1,21; 2,13 f.; Hebr 1,1 f.; Prov ­22,19–21; Lk 1,3 f.; Mt 4,4.7.10; Jes 8,19 f.; 9,14–16; 40,8; 2. Tim 3,15 f.; 2. Petr 1,19). 2. Unter dem Namen der Heiligen Schrift oder des geschriebenen Wortes Gottes sind alle Bücher des Alten und Neuen Testaments zusammengefasst, welche die folgenden sind: Altes Testament: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Ruth, 1. Samuel, 2. Samuel, 1. Könige, 2. Könige, 1. Chronik, 2. Chronik, Esra, Nehemia, Esther, Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohelied, Jesaja, Jeremia, Klagelieder, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefania, Haggai, Sacharja, Maleachi. Neues Testament: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte, Paulusbriefe an die Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, 1. Thessalonicher, 2. Thessalonicher, 1. Timotheus, 2. Timotheus, Titus, Philemon, Brief an die Hebräer, Brief des Jakobus, 1. und 2. Brief des Petrus, 1., 2. und 3. Brief des Johannes, Brief des Judas, Offenbarung. All diese sind durch Eingebung Gottes zur Richtschnur des Glaubens und Lebens geschrieben (Lk 16,29.31; Eph 2,20; Apk 22,18 f.; 2. Tim 3,16). 3. Die Bücher, die gemeinhin Apokryphen genannt werden, sind nicht von Gott eingegeben und daher kein Teil des Schriftkanons. Sie haben in

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der Kirche Gottes keine Autorität und sollen auf keine andere Weise gebilligt oder benutzt werden als andere menschliche Schriften (Lk 24,27.44; Röm 3,2; 2. Petr 1,21). 4. Die Autorität der Heiligen Schrift, wegen der man ihr glauben und gehorchen soll, beruht nicht auf dem Zeugnis eines Menschen oder einer Kirche, sondern ganz auf Gott, der die Wahrheit selbst ist, als ihrem Autor. Weil sie das Wort Gottes ist, muss sie angenommen werden (2. Petr 1,19.21; 2. Tim 3,16; 1. Joh 5,9; 1. Thess 2,13). 5. Zwar kann uns das Zeugnis der Kirche zur Hochschätzung und Verehrung gegenüber der Heiligen Schrift bewegen und anleiten. Ebenso sind die himmlische Beschaffenheit des Inhalts, die Kraft der Lehre, die Majestät der Redeweise, die Übereinstimmung aller Teile, der Zweck des Gesamten – welcher ist, Gott alle Ehre zu geben –, die umfassende Entdeckung, dass sie den einzigen Heilsweg der Menschen zeigt, die vielen anderen unvergleichbaren Eigenschaften und ihre ganze Vollkommenheit allesamt Gründe, durch die sie sich vollkommen überzeugend als das Wort Gottes erweist. Dennoch stammt unsere ganze Überzeugung und Gewissheit ihrer unfehlbaren Wahrheit und ihrer göttlichen Autorität vom inwendigen Werk des Heiligen Geistes, der durch und mit dem Wort in unseren Herzen Zeugnis ablegt (2. Tim 3,15; 1. Joh 2,20.27; 16,13 f.; 1. Kor 2,10–12; Jes 59,21). 6. Der ganze Ratschluss Gottes bezüglich all dessen, was zu seiner eigenen Ehre, zum Heil, Glauben und Leben der Menschen notwendig ist, ist entweder ausdrücklich in der Schrift dargelegt oder kann mit guter und zwingender Folgerichtigkeit aus der Schrift abgeleitet werden. Nichts darf zu irgendeiner Zeit hinzugefügt werden, weder durch neue Offenbarungen des Geistes noch durch Überlieferungen der Menschen. Dennoch erkennen wir die innere Erleuchtung des Heiligen Geistes als heilsnotwendig für das Verstehen der Dinge an, die im Wort offenbart sind. Es gibt einige Umstände hinsichtlich der Gottesverehrung und der Kirchenordnung, die mit menschlichen Handlungen und Gemeinschaften Gemeinsamkeiten aufweisen und deshalb durch das Licht der Natur und der christlichen Klugheit geordnet werden müssen  – gemäß den allgemeinen Regeln des Wortes, die stets beachtet werden sollen (2. Tim 3,15–17; Gal 1,8 f.; 2. Thess 2,2; Joh 6,45; 1. Kor 2,9–12; 11,13 f.; 14,26.40). 7. In der Schrift sind nicht alle Dinge in gleicher Weise klar und deutlich in sich selbst oder für jeden. Doch werden jene Dinge, die zu wissen, zu glauben und zu beachten heilsnotwendig sind, deutlich beschrieben und an der einen oder anderen Stelle der Schrift erklärt. Folglich kann nicht nur der Gelehrte, sondern auch der Ungelehrte beim angemessenen Gebrauch der ordentlichen Mittel zu einem ausreichenden Verständnis gelangen (2. Petr 3,16; Ps 119,105.130).

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8. Das Alte Testament in Hebräisch, das von alters her die eigene Sprache des Volkes Gottes war, und das Neue Testament in Griechisch, das zur Zeit seiner Abfassung den Völkern allgemein bekannt war, sind ursprünglich, weil sie von Gott unmittelbar eingegeben und durch seine besondere Fürsorge und Vorsehung zu allen Zeiten unverfälscht bewahrt sind, sodass sich die Kirche in allen Glaubensstreitigkeiten letztlich auf sie berufen soll. Weil aber diese Originalsprachen nicht dem gesamten Volk Gottes, das ein Recht und Interesse an der Schrift hat und dem aufgetragen ist, sie in Gottesfurcht zu lesen und zu erforschen, bekannt sind, sollen sie darum in die Umgangssprache jedes Volkes übersetzt werden, zu dem sie gelangen, auf dass das Wort Gottes reichlich in allen wohne, sie ihm in wohlgefälliger Weise dienen und durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben (Mt 5,18; Jes 8,20; Apg 15,15; Joh 5,39.46; 1. Kor 14,6.9.11 f.24.27 f.; Kol 3,16; Röm 15,4). 9. Die unfehlbare Regel der Schriftauslegung ist die Schrift selbst. Deswegen muss das, wenn eine Frage über das wahre und volle Verständnis einer Schriftstelle, die nicht vieldeutig, sondern eindeutig ist, entsteht, mit Hilfe anderer Stellen, wo deutlicher davon die Rede ist, erforscht und erkannt werden (2. Petr 1,20 f.; Apg 15,15 f.). 10. Der oberste Richter, von dem alle Glaubensstreitigkeiten entschieden und alle Konzilsbeschlüsse, Meinungen von Kirchenvätern, Menschenlehren und einzelne Geister geprüft werden müssen und bei dessen Urteil wir Ruhe finden sollen, kann kein anderer sein als der Heilige Geist, der in der Schrift spricht (Mt 22,29.31; Eph 2,20; Apg 28,25). Kapitel 2: Gott und die heilige Dreieinigkeit 1. Es gibt nur einen einzigen lebendigen und wahren Gott, der seinem Wesen und seiner Vollkommenheit nach unendlich, ganz und gar Geist, unsichtbar, ohne Leib, Teile und Gemütsbewegungen, unwandelbar, unermesslich, ewig, unbegreiflich, allmächtig, allwissend, allerheiligst, freiwilligst, allgebietend ist. Er bewirkt alle Dinge nach dem Ratschluss seines eigenen unwandelbaren und allergerechtesten Willens zu seiner eigenen Ehre. Er ist voller Liebe, Gnade, Barmherzigkeit, langmütig, von großer Güte und Treue. Er vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, ist ein Vergelter derer, die ihn eifrig suchen, und zugleich ganz gerecht und schrecklich in seinen Gerichten, der alle Sünde hasst und den Schuldigen keinesfalls freispricht (Dtn 4,15 f.; 6,4; 1. Kor 8,4.6; 1. Thess  1,9; Jer 10,10; 23,23 f.; Hi 11,7–9; 26,14; Joh 4,24; 1. Tim 1,17; Lk 24,39; Apg 4,8; 14,11.15; Jak 1,17; Mal 3,6; 1. Kön 8,27; Ps 5,5 f.; 90,2; 115,3; 145,3; Gen 17,1; Röm 16,27; Jes  6,3; Ex 3,14; 34,6 f.; Eph 1,11; Prov 16,4; Röm 11,36; 1. Joh 4,8.16; Hebr 11,6; Neh 9,32 f.; Nah 1,2 f.). 2. Gott hat alles Leben, Herrlichkeit, Güte und Seligkeit in sich und von sich selbst und ist allein in sich und für sich selbst allgenügend, nicht be-

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dürftig irgendwelcher Geschöpfe, die er geschaffen hat, noch auf irgendeine Ehre von diesen angewiesen, sondern offenbart allein seine eigene Ehre in, durch, an und über diese. Er allein ist der Grund all dessen, was ist, von dem, durch den und zu dem hin alle Dinge sind, und hat die höchste Macht über sie, um durch sie, für sie oder über ihnen zu tun, was immer ihm gefällt. Vor seinen Augen sind alle Dinge offenkundig und offenbar, sein Wissen ist unendlich, unfehlbar und unabhängig von den Geschöpfen, so wie nichts für ihn zufällig oder ungewiss ist. Er ist in seinen Ratschlüssen, in allen seinen Werken und in allen seinen Geboten ganz und gar heilig. Ihm steht von Engeln und Menschen und jedem anderen Geschöpf zu, was immer an Verehrung, Dienst oder Gehorsam er von ihnen nach seinem Gefallen fordert (Joh 5,26; Apg 7,2; 15,18; 17,24 f.; Ps 119,68; 147,5.17; 1. Tim 6,15; Röm 7,12; 9,5; 11,33 f.36; Hi 22,2 f.; Apk 4,11; 5,12–14; Dan 4,22.31 f.; Hebr 4,13; Ez 11,5). 3. In der Einheit der Gottheit sind drei Personen von einem Wesen, einer Macht und Ewigkeit: Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist. Der Vater ist von niemandem gezeugt oder geht von ihm hervor, der Sohn ist in Ewigkeit vom Vater gezeugt, der Heilige Geist geht in Ewigkeit vom Vater und vom Sohn aus (1. Joh 5,7; Mt 3,16 f.; 28,19; 2. Kor 13,14; Joh 1,14.18; 15,26; Gal 4,6). Kapitel 3: Gottes ewiger Ratschluss 1. Gott hat von aller Ewigkeit an nach dem allerweisesten und allerheiligsten Ratschluss seines eigenen Willens freiwillig und unwandelbar alles bestimmt, was jemals geschieht, doch so, dass er dadurch weder Urheber der Sünde ist noch dem Willen der Geschöpfe Gewalt angetan noch die Freiheit oder Möglichkeit von Zweitursachen aufgehoben hat, sondern vielmehr diese in Kraft gesetzt werden (Eph 1,11; Röm 9,15.18; 11,33; Hebr 6,17; Jak 1,13.17; 1. Joh 1,5; Apg 2,23; 4,27 f.; Mt 17,12; Joh 19,11; Prov 16,33). 2. Obwohl Gott alles weiß, was unter allen vorausgesetzten Bedingungen geschehen soll oder kann, hat er doch nicht irgendetwas beschlossen, weil er vorausgesehen hat, dass es zukünftig sein oder dass es unter solchen Bedingungen eintreffen würde (Apg 15,18; 1. Sam 23,11 f.; Mt 11,21.23; Röm 9,11.13.16.18). 3. Durch den Ratschluss Gottes sind zur Offenbarung seiner Ehre die einen Menschen und Engel zum ewigen Leben vorherbestimmt, die anderen zum ewigen Tod bestimmt (1. Tim 5,21; Mt 25,41; Röm 9,22 f.; Eph 1,5 f.; Prov 16,4). 4. Die vorherbestimmten und zuvor ausersehenen Engel und Menschen sind besonders und unabänderlich bezeichnet, und ihre Zahl ist so gewiss und begrenzt, dass sie weder vermehrt noch vermindert werden kann (2. Tim 2,19; Joh 13,18).

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5. Die aus dem menschlichen Geschlecht zum Leben vorherbestimmt sind, hat Gott, bevor der Welt Grund gelegt worden war, nach seinem ewigen und unwandelbaren Vorsatz und geheimen Ratschluss und Wohlgefallen seines Willens in Christus zu ewiger Herrlichkeit erwählt, aus seiner ganz freien Gnade und Liebe, ohne jede Rücksicht auf Glauben oder gute Werke oder Beharrung – weder bei einem von ihnen oder von irgendetwas in den Geschöpfen als Bedingungen oder Begründungen, die ihn dazu bewogen hätten, und all das zum Lob seiner herrlichen Gnade (Eph 1,4.6.9.11 f.; Röm 8,30; 9,11.13.16; 2. Tim 1,9; 1. Thess 5,9). 6. Wie Gott die Erwählten zur Herrlichkeit bestimmt hat, so hat er nach dem ewigen und ganz freiwilligen Vorsatz seines Willens alle Mittel dazu zuvor bestimmt. Deswegen sind die Erwählten, die in Adam gefallen sind, durch Christus erlöst, wirksam zum Glauben an Christus durch seinen Geist berufen, der zu seiner Zeit wirkt. Sie sind gerechtfertigt, zur Kindschaft angenommen, geheiligt und von seiner Kraft durch Glauben zur Seligkeit bewahrt. Es sind keine anderen durch Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, angenommen, geheiligt und bewahrt als allein die Erwählten (1. Petr 1,2.5; Eph 1,4 f.; 2,10; 2. Thess 2,13; 1. Thess 5,9 f.; Tit 2,14; Röm 8,30; Dtn 7,6 f.; 10,15; Joh 17,9; 8,47; 6,64 f.; 10,26; 1. Joh 2,19). 7. Gott hat es gefallen, den Rest der Menschheit nach dem unerforschlichen Ratschluss seines eigenen Willens, gemäß dem er Barmherzigkeit walten lässt oder zurückhält, wie es ihm gefällt, zur Ehre seiner höchsten Macht über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zu Schande und Zorn wegen ihrer Sünde zu verordnen – zum Lob seiner herrlichen Gerechtigkeit (Mt 11,25 f.; Röm 9,17–22; 2. Tim 2,19 f.; Jud 4; 1. Petr 2,8). 8. Die Lehre dieser hohen Geheimnisse der Vorherbestimmung soll mit besonderer Klugheit und Sorgfalt behandelt werden, damit die Menschen, indem sie Gottes in seinem Wort offenbarten Willen betrachten und demselben eifrigen Gehorsam leisten, auf Grund der Gewissheit ihrer wirksamen Berufung ihrer ewigen Erwählung vergewissert sein mögen. So soll diese Lehre als Grund zum Lobpreis, zur Verehrung und Bewunderung Gottes und zu Demut, Fleiß und reichlichem Trost für alle, die dem Evangelium ernsthaft gehorchen, dienen (Röm 8,33; 9,20; 11,5 f.33; Dtn 29,28; 2. Petr 1,10; Eph 1,6; Lk 10,20). Kapitel 4: Die Schöpfung 1. Es hat Gott dem Vater, Sohn und Heiligen Geist zur Offenbarung der Herrlichkeit seiner ewigen Macht, Weisheit und Güte gefallen, am Anfang die Welt zu schaffen oder sie aus Nichts zu machen und alle Dinge in ihr, sowohl das Sichtbare als auch das Unsichtbare, im Zeitraum von sechs Tagen, und dies alles sehr gut (Hebr 1,2; 11,3; Joh 1,2 f.; Gen 1,2; Hi 26,13; 33,4; Röm 1,20; Jer 10,12; Ps 33,5 f.; 104,24; Kol 1,16; Apg 17,24).

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2. Nachdem Gott alle anderen Geschöpfe gemacht hatte, erschuf er den Menschen, Mann und Frau, mit vernünftigen und unsterblichen Seelen, begabt mit Erkenntnis, Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit nach seinem eigenen Ebenbild. Ihnen war das Gesetz Gottes in ihre Herzen geschrieben, und sie waren mit der Kraft ausgerüstet, es zu erfüllen, aber auch mit der Möglichkeit der Übertretung, indem sie der Freiheit ihres eigenen Willens, der dem Wechsel unterworfen war, überlassen wurden. Außer diesem in ihre Herzen geschriebenen Gesetz haben sie ein Gebot empfangen, nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Solange sie dies bewahrten, waren sie in ihrer Gemeinschaft mit Gott selig und herrschten über die Geschöpfe (Gen 1,26–28; 2,7.17; 3,6.8–11; Koh 7,29; 12,7; Lk 23,43; Mt 10,28; Kol  3,10; Eph 4,24; Röm 2,14 f.). Kapitel 5: Die Vorsehung 1. Gott, der große Schöpfer aller Dinge, erhält, lenkt, ordnet und regiert alle Geschöpfe, Handlungen und Dinge, von den größten bis zu den geringsten, durch seine allerweiseste und heiligste Vorsehung nach seinem unfehlbaren Vorherwissen und dem freien und unwandelbaren Ratschluss seines eigenen Willens zum Preis der Herrlichkeit seiner Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit (Hebr 1,3; Dan 4,31 f.; Ps  33,10 f.; 94,8–11; 104,24; 135,6; 145,7.17; Apg 15,18; 17,25 f.; Hi 38–41; Mt 10,29–31; Prov 15,3; Eph 1,11; 3,10; Jes 63,14; Röm 9,17; Gen 45,7). 2. Obwohl alle Dinge in Bezug auf das Vorherwissen und den Ratschluss Gottes als erste Ursache unwandelbar und unfehlbar geschehen, ordnet er sie durch seine Vorsehung doch so, dass sie nach der Natur der Zweitursachen sich entweder notwendig, frei oder zufällig ereignen (Apg 2,23; Gen 8,22; Jer 31,35; Ex 21,13; Dtn 19,5; 1. Kön 22,28.34; Jes 10,6 f.). 3. Gott gebraucht in seiner gewöhnlichen Vorsehung Mittel, ist aber frei, nach seinem Gefallen ohne, über und gegen solche zu wirken (Apg 27,31.44; Jes 55,10 f.; Hos 1,7; 2,21 f.; Mt 4,4; Hi 34,10; Röm ­4,19–21; 2. Kön 6,6; Dan 3,27). 4. Die allmächtige Gewalt, unerforschliche Weisheit und unendliche Güte Gottes offenbaren sich selbst so weit in seiner Vorsehung, dass sie sich sogar auf den ersten Sündenfall und alle anderen Sünden der Engel und Menschen erstreckten. Das geschieht nicht nur durch bloße Zulassung, sondern durch eine solche Vorsehung, die mit einer höchst weisen und kräftigen Begrenzung und anderweitigen Ordnung und Lenkung derselben verbunden ist. Und zwar in mancherlei Fügung, zu seinen eigenen heiligen Zwecken jedoch so, dass das, was daran sündhaft ist, allein vom Geschöpf ausgeht und nicht von Gott. Dieser ist ganz heilig und

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gerecht, weshalb er nicht Urheber der Sünde oder deren Liebhaber ist noch sein kann (Röm 11,32–34; 2. Sam 16,10; 24,1; 1. Chr 10,4.13 f.; 21,1; 1. Kön 22,22 f.; Apg 2,23; 4,27 f.; 14,16; Gen 50,20; Jes 10,6 f.12; Ps 76,11; 2. Kön 19,28; Jak 1,13 f.17; 1. Joh 2,16; Ps 50,21). 5. Der weiseste, gerechteste und gnädigste Gott überlässt manchmal seine eigenen Kinder vielfältigen Versuchungen und der Verdorbenheit ihrer eigenen Herzen, um sie wegen ihrer früheren Sünden zu züchtigen oder in ihnen die verborgene Kraft der Verdorbenheit und den betrügerischen Sinn ihrer Herzen aufzudecken, damit sie demütig sein mögen, und auch, um sie zu einer engeren und beständigeren Abhängigkeit, bei ihm Zuflucht zu suchen, zu bewegen und sie wachsamer gegenüber allen künftigen Gelegenheiten der Sünde zu machen, sowie zu anderweitigen gerechten und heiligen Zwecken (2. Chr 32,25 f.31; 2. Sam 24,1; 2. Kor 12,7–9; Ps 77,2.11.13; Mk 14,66–72; Joh 21,15–17). 6. Was jene verbrecherischen und gottlosen Menschen anbelangt, die Gott als gerechter Richter wegen früherer Sünden verblendet und verstockt, denen enthält er nicht nur seine Gnade vor, durch die sie in ihrem Verstand hätten erleuchtet und in ihren Herzen in Bewegung gebracht werden können, sondern entzieht ihnen manchmal auch die Gaben, die sie hatten, und setzt sie solchen Dingen aus, an denen ihre Verdorbenheit Anlass zur Sünde nimmt. Überhaupt übergibt er sie ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der Macht des Satans. Dadurch geschieht es, dass sie sich verhärten eben unter solchen Mitteln, die Gott sonst gebraucht, um andere zu erweichen (Röm 1,24.26.28–32; 11,7 f.; Dtn 2,30; 29,4; Mt 13,12; 25,29; 2. Kön 8,12 f.; Ps  81,12 f.; 2. Thess  2,10–12; Ex 7,3; 8,15.28; Jes 6,9 f.; 8,14; 2. Kor 2,15 f.; 1. Petr 2,7–10; Apg 28,26 f.). 7. Wie sich die Vorsehung Gottes im Allgemeinen auf alle Geschöpfe erstreckt, so trägt sie auf eine ganz besondere Weise für seine Kirche Sorge und wendet alle Dinge zu deren Bestem (1. Tim 4,10; Am 9,8 f.; Röm 8,28; Jes 43,3–5.14). Kapitel 6: Der Fall des Menschen, die Sünde und deren Strafe 1. Unsere ersten Eltern haben, verführt durch die List und Versuchung des Satans, durch das Essen der verbotenen Frucht gesündigt. Gott hat es gefallen, ihre Sünde nach seinem weisen und heiligen Ratschluss zuzulassen, da er sich vorgenommen hatte, sie zu seiner eigenen Ehre anzuordnen (Gen 3,13; 2. Kor 11,3; Röm 11,32). 2. Durch diese Sünde sind sie aus ihrer ursprünglichen Gerechtigkeit und Gemeinschaft mit Gott gefallen und so in Sünden Tote geworden und in allen Fähigkeiten und Bestandteilen von Seele und Leib ganz verdorben (Gen 2,17; 3,6–8; 6,5; Koh 7,29; Röm 3,10–19.23; Eph 2,1; Tit 1,15; Jer 17,9).

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3. Weil sie die Wurzel der ganzen Menschheit sind, werden die Schuld dieser Sünde angerechnet und derselbe Tod in Sünden und die verdorbene Natur auf ihre gesamte Nachkommenschaft übertragen, die von ihnen durch natürliche Zeugung abstammen (Gen 1,27 f.; 2,16 f.; 5,3; Apg 17,26; Röm 5,12–19; 1. Kor 15,21 f.45.49; Ps 51,7; Hi 14,4; 15,14). 4. Aus dieser ursprünglichen Verdorbenheit, durch die wir gegenüber allem Guten äußerst ungeneigt, unfähig und feindlich sind und zu allem Bösen ganz geneigt, entspringen alle Übertretungen im Tun (Röm 3,10– 12; 5,6; 7,18; 8,7; Kol  1,21; Gen 6,5; 8,21; Jak 1,14 f.; Eph 2,2 f.; Mt 15,19). 5. Solche Verdorbenheit der Natur bleibt während dieses Lebens auch in denjenigen, die wiedergeboren sind. Obwohl sie durch Christus vergeben und getötet wird, ist doch beides, sie selbst und alle ihre Regungen, wahrhaftig und eigentlich Sünde (1. Joh 1,8.10; Röm 7,5.7 f.14.17 f.23.25; Jak 3,2; Prov 20,9; Koh 7,20; Gal 5,17). 6. Beide, sowohl die Ursünde als auch die Tatsünden, bringen, da sie eine Übertretung des gerechten Gesetzes Gottes und diesem entgegengesetzt sind, ihrer eigenen Natur nach Schuld über den Sünder. Dadurch ist er dem Zorn Gottes und dem Fluch des Gesetzes verfallen und so dem Tod mit allem geistlichen, zeitlichen und ewigen Elend unterworfen (1. Joh 3,4; Eph 2,3; 4,18; Gal 3,10; Röm 6,23; Klgl 3,39; Mt 25,41; 2. Thess 1,9). Kapitel 7: Der Bund Gottes mit den Menschen 1. Der Abstand zwischen Gott und dem Geschöpf ist so groß, dass, obwohl die vernünftigen Geschöpfe ihm als ihrem Schöpfer Gehorsam schulden, sie dennoch an ihm keinen Anteil zu ihrer Seligkeit und Belohnung haben können, außer dass Gott sich zu ihnen freiwillig herablässt. Es hat ihm gefallen, dies mittels des Bundes zum Ausdruck zu bringen (Jes 40,13–17; Hi 9,32 f.; 22,2 f.; 35,7 f.; 1. Sam 2,25; Ps 100,2 f.; 113,5 f.; Lk 17,10; Apg 17,24 f.). 2. Der erste mit den Menschen geschlossene Bund war ein Bund der Werke, worin Adam und in ihm seiner Nachkommenschaft das Leben verheißen worden war, unter der Bedingung vollkommenen und individuellen Gehorsams (Gal 3,10.12; Gen 2,17; Röm 5,10–20; 10,5). 3. Durch den [Sünden]Fall hat der Mensch sich selbst zum Leben kraft dieses Bundes unfähig gemacht. Dem Herrn hat es gefallen, einen zweiten aufzurichten, gemeinhin der Bund der Gnade genannt, in dem er freiwillig den Sündern Leben und Erlösung durch Jesus Christus angeboten hat. Damit forderte er von ihnen Glauben an ihn, damit sie erlöst werden mögen, und verhieß allen, die zum Leben bestimmt sind, seinen Heiligen Geist, um sie zum Glauben willig und fähig zu machen (Gal 3,11.21;

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Röm 3,20 f.; 8,3; 10,6.9; Gen 3,15; Jes 42,6; Mk 16,15 f.; Joh 3,16; 6,44 f.; Ez 36,26 f.). 4. Dieser Bund der Gnade ist in der Schrift häufig mit dem Begriff eines Testaments bezeichnet im Hinblick auf den Tod Jesu Christi, des Stifters, und auf das ewige Erbe samt aller Dinge, die dazu gehören und darin vermacht sind (Hebr 9,15; 7,22; Lk 22,20; 1. Kor 11,25). 5. Dieser Bund war unterschiedlich in der Zeit des Gesetzes und in der Zeit des Evangeliums vollzogen: Unter dem Gesetz wurde er durch Verheißungen, Prophezeiungen, Opfer, Beschneidung, das Passahlamm und andere Vorbilder und Anordnungen vollzogen, die dem Volk der Juden überliefert waren und Christi Kommen andeuteten. Das war für jene Zeit ausreichend und durch die Tätigkeit des Heiligen Geistes wirksam, um die Erwählten zu unterweisen und im Glauben an den verheißenen Messias aufzubauen, durch den sie volle Sündenvergebung und ewige Seligkeit hatten; das wird das Alte Testament genannt (2. Kor 3,6–9; Hebr 8–10; 11,13; Röm 4,11; Kol 2,11 f.; 1. Kor 5,7; 10,1–4; Joh 8,56; Gal 3,7–9.14). 6. Unter dem Evangelium, als Christus als Inbegriff [des Bundes] erschienen war, sind die Ordnungen, in denen dieser Bund ausgeteilt wird, die Predigt des Wortes und der Vollzug der Sakramente von Taufe und Herrenmahl. In diesen ist, obwohl sie geringer an Zahl sind und mit größerer Einfachheit und geringerer äußerer Herrlichkeit ausgeteilt werden, dennoch dasselbe in größerer Fülle, Klarheit und geistlicher Wirksamkeit für alle Völker enthalten, für beide – Juden und Heiden; das wird das Neue Testament genannt. Es gibt deswegen nicht zwei Gnadenbünde, die im Wesen verschieden sind, sondern einen und denselben unter verschiedenen Vollzügen (Kol 2,17; Mt 28,19 f.; 1. Kor 11,23–25; Hebr 12,22– 27; 13,8; Jer 31,33 f.; Eph 2,14–19; Lk 22,20; Gal 3,14.16; Apg 15,11; Röm 3,21–23.30; 4,3.6.16 f.23 f.; Ps 32,1). Kapitel 8: Christus, der Mittler 1. Es hat Gott in seinem ewigen Vorsatz gefallen, den Herrn Jesus, seinen eingeborenen Sohn, zum Mittler zwischen Gott und Menschen, zum Propheten, Priester und König, zum Haupt und Erlöser seiner Kirche, zum Erben aller Dinge und zum Richter der Welt zu erwählen und zu bestimmen. Ihm hat er von Ewigkeit her ein Volk gegeben, dass es sein Same sei und von ihm zu seiner Zeit erlöst, berufen, gerechtfertigt, geheiligt und verherrlicht werde (Jes 42,1; 1. Petr 1,19 f.; Joh 3,16; 17,6; 1. Tim 2,5 f.; Apg 3,22; Hebr 1,2; 5,5 f.; Ps 2,6; Lk 1,33; Eph 5,23; Apg 17,31; Ps 22,31; Jes 53,10; 55,4 f.; 1. Kor 1,30). 2. Der Sohn Gottes, die zweite Person in der Dreieinigkeit, wahrer und ewiger Gott, von einem Wesen und gleich mit dem Vater, nahm, als die Fülle der Zeit gekommen war, menschliche Natur mit all deren wesent-

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lichen Eigenschaften und gewöhnlichen Schwachheiten an, aber ausgenommen die Sünde. Er wurde durch die Kraft des Heiligen Geistes im Leib der Jungfrau Maria empfangen, von ihrem Wesen; sodass die beiden ganzen, vollkommenen und unterschiedenen Naturen, die Gottheit und die Menschheit, untrennbar in einer Person vereinigt sind, ungewandelt, nicht zusammengefügt und unvermischt. Diese Person ist wahrer Gott und wahrer Mensch, doch nur ein Christus, der einzige Mittler zwischen Gott und Menschen (Joh 1,1.14; 1. Joh 5,20; Phil 2,6; Gal 4,4; Hebr 2,14.16 f.; 4,15; Lk 1,27.31.35; Kol  2,9; Röm 1,3 f.; 9,5; 1. Petr 3,18; 1. Tim 2,5; 3,16). 3. Der Herr Jesus, in seiner menschlichen Natur so mit der göttlichen vereint, wurde geheiligt und gesalbt mit dem Heiligen Geist über alles Maß, hat in sich alle Schätze von Weisheit und Erkenntnis, in dem nach dem Wohlgefallen des Vaters alle Fülle mit dem Ziel wohnen sollte, dass er, der heilig, unschädlich, unbefleckt und voll von Gnade und Wahrheit ist, vollkommen ausgerüstet sein sollte, das Amt eines Mittlers und Bürgen auszuüben. Dieses Amt hat er sich nicht aus sich selbst heraus angeeignet, sondern ist von seinem Vater dazu gerufen worden, der alle Macht und Gericht in seine Hand gegeben und ihm den Auftrag erteilt hat, eben das auszuführen (Ps 45,8; Joh 1,14; 3,34; 5,22.27; Kol 1,19; 2,3; Hebr 5,4 f.; 7,22.26; 12,24; Apg 2,36; 10,38; Mt 28,18). 4. Dieses Amt hat der Herr Jesus ganz bereitwillig auf sich genommen, weswegen er, um es auszuführen, unter das Gesetz gestellt worden ist und es vollkommen erfüllt hat. Er ertrug bitterste Qualen unmittelbar an seiner Seele und an seinem Leib schmerzlichste Leiden, wurde gekreuzigt und ist gestorben, wurde begraben und blieb unter der Macht des Todes, verweste jedoch nicht. Am dritten Tag ist er von den Toten mit demselben Leib auferstanden, in dem er gelitten hat, mit dem er auch zum Himmel fuhr und dort zur rechten Hand des Vaters sitzt, Fürbitte hält und wiederkommen wird, zu richten Menschen und Engel am Ende der Welt (Ps 40,7 f.; Hebr 7,25; 9,24; 10,5–10; Joh 10,18; 20,25.27; Phil 2,8; Gal 4,4; Mt 3,15; 5,17; 13,40–42; 26,37 f.; 27,46; Lk 22,44; Apg 1,11; 2,23 f.27; 10,42; 13,37; Röm 6,9; 8,34; 14,9 f.; 1. Kor 15,3–5; Mk 16,19; Jud 6; 2. Petr 2,4). 5. Der Herr Jesus hat durch seinen vollkommenen Gehorsam und das Opfer seiner selbst, das er durch den ewigen Geist Gott einmal dargebracht hat, der Gerechtigkeit seines Vaters vollkommen genug getan und nicht nur eine Versöhnung, sondern auch ein ewiges Erbteil im Himmelreich für alle jene erworben, die der Vater ihm gegeben hat (Röm 3,25 f.; 5,19; Hebr 9,12.14–16; 10,14; Eph 1,11.14; 5,2; Dan 9,24.26; Kol 1,19 f.; Joh 17,2). 6. Obwohl das Werk der Erlösung von Christus nicht eher als nach seiner Menschwerdung wirklich vollbracht worden ist, sind doch dessen Kraft,

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Wirkung und Wohltaten den Erwählten zu allen Zeiten von Beginn der Welt an in und durch jene Verheißungen, Vorbilder und Opfer mitgeteilt worden, in denen er offenbart und bezeichnet worden ist, dass er der Same der Frau sei, der den Kopf der Schlange zertreten sollte, und das Lamm, geschlachtet von Anbeginn der Welt, gestern und heute derselbe und für immer (Gal 4,4 f.; Gen 3,15; Apk 13,8; Hebr 13,8). 7. Christus handelt im Werk des Mittlers nach beiden Naturen, durch jede Natur das, was dieser selbst eigen ist. Doch wegen der Einheit der Person wird das, was der einen Natur eigen ist, in der Schrift manchmal der Person zugeschrieben, die nach der anderen Natur benannt ist (Hebr 9,14; 1. Petr 3,18; Apg 20,28; Joh 3,13; 1. Joh 3,16). 8. All denen, welchen Christus die Erlösung erworben hat, macht er diese gewiss, sie wirksam teilhaftig und vermittelt sie ihnen. Er tritt für sie ein, offenbart ihnen im und durch das Wort die Geheimnisse der Erlösung, bringt sie wirksam durch seinen Geist zum Glauben und Gehorsam und regiert ihre Herzen mit seinem Wort und Geist, indem er durch seine allmächtige Gewalt und Weisheit ihre Feinde in solcher Art und Weise überwindet, wie es seiner wunderbaren und unerforschlichen Ordnung ganz gemäß ist (Joh 6,37.39; 10,15 f.; 14,16; 15,13.15; 17,6.17; 1. Joh 2,1 f.; Röm 8,9.14.34; 15,18 f.; Eph 1,7–9; Hebr 12,2; 2. Kor 4,13; Ps  110,1; 1. Kor 15,25 f.; Mal 4,2 f.; Kol 2,15). Kapitel 9: Der freie Wille 1. Gott hat den Willen des Menschen mit einer solchen natürlichen Freiheit ausgerüstet, die weder erzwungen noch durch irgendeine absolute natürliche Notwendigkeit zum Guten oder Bösen bestimmt worden ist (Mt 17,12; Jak 1,14; Dtn 30,19). 2. Der Mensch hatte im Stand der Unschuld Freiheit und Macht, das zu wollen und zu tun, was gut und vor Gott wohlgefällig ist, jedoch in veränderter Weise auch so, dass er davon abfallen konnte (Koh 7,29; Gen 1,26; 2,16 f.; 3,6). 3. Durch seinen Fall in einen Stand der Sünde hat der Mensch alles Willensvermögen zu jedem geistlichen und zur Erlösung gehörigen Gut ganz verloren, sodass ein natürlicher Mensch, der sich ganz von jenem Guten abgewandt hat und in Sünden tot ist, unfähig ist, sich durch eigene Kraft selbst zu bekehren oder sich selbst darauf vorzubereiten (Röm 3,10.12; 5,6; 8,7; Joh 6,44.65; 15,5; Eph 2,1–5; Kol 2,13; 1. Kor 2,14; Tit 3,3–5). 4. Wenn Gott einen Sünder bekehrt und ihn in den Stand der Gnade versetzt, befreit er ihn von seiner natürlichen Bindung unter die Sünde und macht ihn allein durch seine Gnade fähig, frei das zu wollen und zu tun, was geistlich gut ist, jedoch so, dass er auf Grund seiner verbleibenden Verdorbenheit nicht vollkommen oder ausschließlich will, was gut ist,

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sondern auch dasjenige will, was böse ist (Kol 1,13; Joh 8,34.36; Phil 2,13; Röm 6,18.22; 7,15.18–21.23; Gal 5,17). 5. Der Wille des Menschen wird einzig im Stand der Herrlichkeit vollkommen und unwandelbar zum Guten allein befreit (Eph 4,13; Hebr 12,23; 1. Joh 3,2; Jud 24). Kapitel 10: Die wirksame Berufung 1. Alle, die Gott zum Leben vorherbestimmt hat, beruft er nach seinem Wohlgefallen zu seiner ausersehenen und passenden Zeit wirksam durch sein Wort und seinen Geist aus dem Stand der Sünde und des Todes, in dem sie von Natur aus sind, zur Gnade und Erlösung durch Jesus Christus. Er erleuchtet ihren Verstand, damit sie die göttlichen Dinge geistlich und zum Heil verstehen, nimmt ihr steinernes Herz weg und gibt ihnen ein Herz aus Fleisch, erneuert ihren Willen, bestimmt sie durch seine allmächtige Kraft zum Guten und zieht sie wirksam zu Jesus Christus – doch so, dass sie ganz freiwillig kommen, willig gemacht durch seine Gnade (Röm 6,16–18; 8,2.30; 11,7; Eph 1,7–19; 2,1–5; 2. Thess 1,9 f.; 2,13 f.; 2. Kor 3,3.6; Apg 26,18; 1. Kor 2,10.12; Ez  11,19; 36,2.26; Phil  2,13; Dtn 30,6; Joh 6,37.44 f.; Hhld 1,4; Ps 110,3). 2. Diese wirksame Berufung stammt allein von Gottes freier und besonderer Gnade, ganz und gar nicht von irgendetwas, was im Menschen vorausgesehen war, der darin ganz passiv ist, bis er, durch den Heiligen Geist belebt und erneuert, befähigt ist, seiner Berufung zu folgen und die darin angebotene und vermittelte Gnade zu empfangen (2. Tim 1,9; Tit 3,4 f.; Eph 2,4 f.8 f.; Röm 8,7; 9,11; 1. Kor 2,14; Joh 5,25; 6,37; Ez 36,27). 3. Die erwählten Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, sind wiedergeboren und selig durch Christus vermittels des Geistes, der wirkt, wann und wo und wie es ihm gefällt. Ebenso verhält es sich mit allen anderen erwählten Personen, die unfähig sind, durch den Dienst des Wortes äußerlich berufen zu werden (Lk 18,15 f.; Apg 2,38 f.; 4,12; Joh 3,3.5.8; 1. Joh 5,12; Röm 8,9; 9,8–13). 4. Andere, die nicht erwählt sind, kommen, obwohl sie durch den Dienst des Wortes berufen werden und einige allgemeine Wirkungen des Geistes haben mögen, niemals wirklich zu Christus und können deswegen nicht selig werden. Viel weniger können Menschen, welche die christliche Religion nicht bekennen, auf eine andere Weise selig werden, welche auch immer es sei, auch wenn sie noch so fleißig ihr Leben nach dem Licht der Natur und dem Gesetz der Religion, die sie bekennen, ausrichten. Zu sagen und zu behaupten, dass sie es können, kann sich nicht auf das Wort Gottes stützen (Mt 7,22; 13,20 f.; 22,14; Hebr 6,4 f.; Joh 4,22; 17,3; 6,64–66; 8,24; 14,6; Apg 4,12; Eph 2,12; 2. Joh 9–11; 1. Kor 16,22; Gal 1,6–8).

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Kapitel 11: Die Rechtfertigung 1. Welche Gott wirksam beruft, die rechtfertigt er auch aus Gnade, nicht indem er sie mit Gerechtigkeit erfüllt, sondern dadurch, dass er ihre Sünden vergibt und ihre Person als gerecht erachtet und annimmt. [Das geschieht] nicht wegen irgendetwas, was in ihnen bewirkt oder von ihnen getan worden ist, sondern allein um Christi willen; weder durch Anrechnung des Glaubens selbst, nämlich des Glaubensaktes, noch eines anderen evangelischen Gehorsams als ihrer Gerechtigkeit zu ihren Gunsten, sondern durch Zurechnung des Gehorsams und der Genugtuung Christi zu ihren Gunsten empfangen sie und verlassen sich auf ihn und seine Gerechtigkeit durch Glauben. Diesen Glauben haben sie nicht von sich selbst; er ist eine Gabe Gottes (Röm 3,22.24 f.27 f.; 4,5–8; 5,17–19; 8,30; 2. Kor 5,19.21; Tit  3,5.7; Eph 1,7; 2,7 f.; Jer 23,6; 1. Kor 1,30 f.; Apg 10,44; 13,38; Gal 2,16; Phil 3,9). 2. Der Glaube, der empfängt und sich auf Christus und seine Gerechtigkeit verlässt, ist das einzige Mittel der Rechtfertigung, doch ist er in der gerechtfertigten Person nicht für sich allein, sondern immer mit allen anderen heilsamen Gnadengaben vereint und kein toter Glaube, sondern durch die Liebe tätig (Joh 1,12; Röm 3,28; 5,1; Jak 2,17.22.26; Gal 5,6). 3. Christus hat durch seinen Gehorsam und Tod die Schuld von all denen weggenommen, die gerechtfertigt sind, und hat an ihrer Stelle der Gerechtigkeit seines Vaters eine rechte, wahre und vollkommene Genugtuung geleistet. Doch angesichts dessen, dass er vom Vater um ihretwillen dahingegeben und sein Gehorsam und seine Genugtuung anstelle der ihrigen angenommen wurde, und beides freiwillig und ohne jede Ursache in ihnen, ist ihre Rechtfertigung allein Sache der freien Gnade, auf dass beides, die ordentliche Gerechtigkeit und die reiche Gnade Gottes in der Rechtfertigung der Sünder verherrlicht werde (Röm 3,24.26; 5,8–10.19; 8,32; 1. Tim 2,5 f.; Hebr 10,10.14; Dan 9,24.26; Jes  53,4–6.10–12; 2. Kor 5,21; Mt 3,17; Eph 1,7; 2,7; 5,2). 4. Gott hat von aller Ewigkeit her beschlossen, alle Erwählten zu rechtfertigen, und Christus ist in der Fülle der Zeit für ihre Sünden gestorben und um ihrer Rechtfertigung willen wieder auferstanden. Dennoch sind sie nicht gerechtfertigt, bis der Heilige Geist zu seiner Zeit ihnen Christus wirklich zueignet (Gal 2,16; 3,8; 4,4; 1. Petr 1,2.19 f.; Eph 1,4–7; 1. Tim 2,6; Röm 4,25; Kol 1,21 f.; Tit 3,4–7). 5. Gott hört nicht auf, denen, die gerechtfertigt sind, ihre Sünden zu vergeben. Obwohl sie niemals aus dem Stand der Rechtfertigung fallen, können sie doch durch ihre Sünden unter Gottes väterlichen Zorn geraten und haben das Licht seines gnädigen Angesichts nicht eher wieder über sich, bevor sie sich nicht selbst demütigen, ihre Sünden bekennen, um Vergebung bitten und ihren Glauben und ihre Umkehr er-

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neuern (Mt 6,12; 26,75; 1. Joh 1,7.9; 2,1 f.; Lk 1,20; 22,32; Joh 10,28; Hebr 10,14; Ps 89,32–34; 51,9–14; 32,5; 1. Kor 11,30.32). 6. Die Rechtfertigung der Gläubigen im Alten Testament war in jeder Hinsicht mit der Rechtfertigung der Gläubigen im Neuen Testament identisch (Gal 3,9.13 f.; Röm 4,22–24; Hebr 13,8). Kapitel 12: Die Annahme [zur Kindschaft] All denen, die gerechtfertigt sind, verbürgt Gott in und um seines einzigen Sohnes Jesu Christi willen, sie an der Gnade der Annahme [zur Kindschaft] teilhaben zu lassen. Dadurch sind sie in die Zahl der Kinder Gottes aufgenommen und genießen deren Freiheiten und Privilegien, führen seinen Namen als ihnen beigelegt, empfangen den Geist der Annahme [zur Kindschaft], haben Zugang zum Gnadenthron mit Zuversicht und sind befähigt zu rufen: „Abba, Vater“. Sie empfangen Mitleid, werden beschützt, umsorgt und zurechtgewiesen von ihm als einem Vater, jedoch niemals verworfen, sondern versiegelt bis zum Tag der Erlösung, und erben die Verheißungen, um die ewige Seligkeit zu besitzen (Eph 1,5; 3,12; 4,30; Gal 4,4–6; Röm 5,2; 8,15.17; Joh 1,12; Jer 14,9; 2. Kor 6,18; Apk 3,12; Ps 103,13; Prov 14,26; Mt 6,30.32; 1. Petr 1,3 f.; 5,7; Hebr 1,14; 6,12; 12,6; Klgl 3,31). Kapitel 13: Die Heiligung 1. Die wirksam berufen und wiedergeboren sind, haben ein neues Herz und einen neuen Geist, die in ihnen neu geschaffen wurden. Sie werden weiterhin wirklich und individuell durch die Kraft von Christi Tod und Auferstehung geheiligt, durch sein Wort und seinen Geist, der in ihnen wohnt. Die Herrschaft des ganzen Sündenleibes wird zerstört, und dessen mannigfachen Lüste werden mehr und mehr geschwächt und getötet. Sie werden mehr und mehr in allen seligmachenden Gnadengaben zur Praxis wahrer Heiligkeit erweckt und gestärkt, ohne die kein Mensch den Herrn sehen wird (1. Kor 6,11; Apg 20,32; Phil 3,10; Röm 6,5 f.14; 8,13; Joh 17,17; Eph 3,16–19; 5,26; 2. Thess 2,13; Gal 5,24; Kol 1,11; 2. Kor 7,1; Hebr 12,14). 2. Diese Heiligung erstreckt sich auf den ganzen Menschen, doch sie ist in diesem Leben unvollkommen. Es bleiben in allen Teilen noch einige Reste von Verdorbenheit, woraus ein immerwährender und unversöhnlicher Kampf entspringt, da das Fleisch gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch kämpfen (1. Thess 5,23; 1. Joh 1,10; Röm 7,18.23; Phil 3,12; Gal 5,17; 1. Petr 2,11). 3. Obwohl in diesem Krieg die verbliebene Verdorbenheit eine Zeit lang noch vorherrscht, gewinnt der wiedergeborene Teil durch die beständige Kraftzufuhr des heiligmachenden Geistes Christi die Oberhand. So wach-

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sen die Heiligen in der Gnade, indem sie ihre Heiligkeit in der Furcht Gottes erweitern (Röm 6,14; 7,23; 1. Joh 5,4; Eph 4,15 f.; 2. Petr 3,18; 2. Kor 3,18; 7,1). Kapitel 14: Der seligmachende Glaube 1. Die Gnade des Glaubens, wodurch die Erwählten befähigt werden, zum Heil ihrer Seelen zu glauben, ist das Werk des Geistes Christi in ihren Herzen und wird in ordentlicher Weise durch den Dienst des Wortes bewirkt, durch den [der Glaube] auch vermehrt und gestärkt wird, ebenso wie durch den Vollzug der Sakramente und das Gebet (Hebr 10,39; 2. Kor 4,13; Eph 1,17–19; 2,8; Röm 1,16 f.; 4,11; 10,14.17; 1. Petr 2,2; Apg 20,32; Lk 17,5). 2. Durch diesen Glauben hält ein Christ für wahr, was immer im Wort offenbart ist, auf Grund der Autorität Gottes, der darin spricht. [Der Christ] handelt in unterschiedlicher Weise entsprechend dem, was jede besondere Stelle diesbezüglich enthält: nämlich durch eifrigen Gehorsam gegenüber den Geboten, das Erschrecken vor den Drohungen und die Annahme der Verheißungen Gottes für dieses und das zukünftige Leben. Aber die grundsätzlichen Handlungsweisen des seligmachenden Glaubens sind Annahme, Empfangen und Sich-Verlassen auf Christus allein zur Rechtfertigung, Heiligung und ewigem Leben kraft des Gnadenbundes (Joh 1,12; 4,42; 1. Thess  2,13; 1. Joh 5,10; Apg 15,11; 16,31; 24,14; Röm 16,26; Jes 66,2; Hebr 11,13; 1. Tim 4,8; Gal 2,20). 3. Dieser Glaube ist unterschiedlich nach Graden schwach oder stark, kann oft und in vielerlei Weise angefochten und geschwächt sein, behält jedoch den Sieg. In vielen wächst er bis zum Erlangen einer vollkommenen Gewissheit durch Christus, der beides, der Anfänger und Vollender unseres Glaubens, ist (Hebr 5,13 f.; 6,11 f.; 10,22; 12,2; Röm 4,19 f.; Mt 6,30; 8,10; Lk 22,31 f.; Eph 6,16; 1. Joh 5,4 f.; Kol 2,2). Kapitel 15: Die Umkehr zum Leben 1. Die Umkehr zum Leben ist eine Gnadengabe des Evangeliums. Die Lehre davon soll von jedem Diener des Evangeliums gepredigt werden, ebenso wie die vom Glauben an Christus (Sach 12,10; Apg 11,18; 20,21; Lk 24,47; Mk 1,15). 2. [In der Umkehr] beklagt ein Sünder seine Sünden. [Das geschieht] nicht nur wegen der Aussicht [auf Strafe] und dem Gefühl der Gefahr, sondern auch wegen der Schande und Verabscheuungswürdigkeit seiner Sünden, weil sie dem heiligen Wesen und gerechten Gesetz Gottes entgegengesetzt sind, und unter dem Eindruck seiner Barmherzigkeit in Christus gegenüber denen, die [ihre Sünden] bereuen. Er hasst seine Sünden, sodass er sich von diesen allen zu Gott hinwendet und sich vornimmt und bemüht,

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mit ihm auf allen Wegen seiner Gebote zu wandeln (Ez 18,30 f.; 36,31; Jes 30,22; Ps 51,6; 119,6.59.106.128; Jer 31,18 f.; Joel 2,12 f.; Am 5,15; 2. Kor 7,11; Lk 1,6; 2. Kön 23,25). 3. Obwohl man sich nicht auf die Umkehr verlassen soll, als sei sie eine Genugtuung für die Sünde oder eine Ursache für deren Vergebung, was doch ein Akt von Gottes freier Gnade in Christus ist, so ist sie doch allen Sündern dahingehend notwendig, dass niemand ohne sie Vergebung erwarten darf (Ez 16,61–63; 36,31 f.; Hos 14,3.5; Röm 3,11.24; 5,8; 10,20; Eph 1,7; Lk 13,3.5; Apg 17,30 f.). 4. So wie keine Sünde so gering ist, dass sie nicht Verdammnis verdient, so ist keine Sünde so groß, dass sie Verdammnis bringen kann über die, die wahrhaftig bereuen (Röm 5,12; 6,23; 8,1; Mt 12,36; Jes  1,16.18; 55,7). 5. Die Menschen sollten sich nicht mit einer allgemeinen Umkehr zufriedengeben, sondern es ist die Pflicht eines jeden, sich um die Umkehr von seinen einzelnen Sünden eigens zu bemühen (Ps  19,14; Lk 19,8; 1. Tim 1,13.15). 6. Wie jeder verpflichtet ist, seine Sünden insgeheim Gott zu bekennen und um deren Vergebung zu bitten, worauf er, wenn er sie meidet, Barmherzigkeit finden wird, so soll er, wenn er seinem Bruder oder der Kirche Christi ein Ärgernis war, willig sein, mit einem privaten oder öffentlichen Bekenntnis und Bedauern seiner Sünde seine Umkehr denen, die verletzt worden sind, zu bekunden. Diese sollen sich darauf mit ihm versöhnen und ihn in Liebe aufnehmen (Ps  51,6 f.9.11.16; 32,5 f.; Prov 28,13; 1. Joh 1,9; Jak 5,16; Lk 17,3 f.; Jos 7,19; 2. Kor 2,8). Kapitel 16: Die guten Werke 1. Gute Werke sind allein jene, die Gott in seinem heiligen Wort geboten hat, und nicht solche, die ohne dessen Vollmacht von Menschen aus blindem Eifer oder unter einem Vorwand guter Absicht erfunden worden sind (Mi 6,8; Röm 10,2; 12,2; Hebr 13,21; Mt 15,9; Jes 29,13; 1. Petr 1,18; Joh 16,2; 1. Sam 15,21–23). 2. Diese guten Werke, getan im Gehorsam gegenüber Gottes Geboten, sind die Früchte und Zeugnisse eines wahren und lebendigen Glaubens. Durch sie bezeugen die Gläubigen ihre Dankbarkeit, bekräftigen ihre Gewissheit, erbauen ihre Brüder, zieren das Bekenntnis des Evangeliums, stopfen den Widersachern den Mund und verherrlichen Gott, dessen Werkzeuge sie sind. Sie sind dazu geschaffen in Christus Jesus, dass sie, die ihre Frucht in Heiligkeit bringen, das Ziel erlangen, das ewige Leben (Jak 2,18.22; Ps  116,12 f.; 1. Petr 2,9.12.15; 1. Joh 2,3.5; 2. Petr ­1,5–10; 2. Kor 9,2; Mt 5,16; Tit 2,5.9–12; 1. Tim 6,1; Phil 1,11; Joh 15,8; Eph 2,10; Röm 6,22).

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3. Ihre Fähigkeit, gute Werke zu tun, stammt keineswegs von ihnen selbst, sondern ganz und gar vom Geist Christi. Damit sie dazu bereit sind, bedarf es außer den Gnadengaben, die sie bereits empfangen haben, noch eines wirksamen Einflusses desselben Heiligen Geistes, um in ihnen das Wollen und das Vollenden nach seinem guten Wohlgefallen zu wirken. Doch dürfen sie daraufhin nicht nachlässig werden, als ob sie nicht verpflichtet wären, eine Pflicht zu erfüllen – außer wenn sie dazu eine besondere Anregung des Geistes erhielten –, sondern sie sollen fleißig sein, die Gnade Gottes, die in ihnen ist, anzufachen (Joh 15,4–6; Ez 36,26 f.; Phil  2,12 f.; 4,13; 2. Kor 3,5; Hebr 6,11 f.; 2. Petr 1,3.5.10 f.; Jes  64,6; 2. Tim 1,6; Apg 26,6 f.; Jud 20 f.). 4. Die in ihrem Gehorsam die höchste Stufe, die in diesem Leben möglich ist, erreicht haben, sind doch so weit davon entfernt, in der Lage zu sein, über das Gebotene hinaus Leistungen zu erbringen und mehr zu tun, als Gott fordert. Oft bleiben sie hinter vielem von dem zurück, was sie zu tun schuldig sind (Lk 17,10; Neh 13,22; Hi 9,2 f.; Gal 5,17). 5. Auch mit unseren besten Werken können wir bei Gott keine Vergebung der Sünden oder ewiges Leben verdienen. Das liegt an der großen Ungleichheit zwischen ihnen und der künftigen Herrlichkeit und am unendlichen Abstand zwischen uns und Gott, sodass wir mit ihnen weder einen Nutzen schaffen noch für die Schuld unserer zurückliegenden Sünden genugtun können. Vielmehr haben wir, wenn wir alles, was wir können, getan haben, nichts als unsere Pflicht getan und sind unnütze Diener. Zumal [die Werke], wenn sie gut sind, von seinem Geist ausgehen und, wenn sie von uns hervorgebracht sind, mit so viel Schwachheit und Unvollkommenheit befleckt und vermischt sind, dass sie vor der Strenge von Gottes Gericht nicht bestehen können (Röm 3,20; 4,2.4.6; 7,15.18; 8,18; Eph 2,8 f.; Tit 3,5–7; Ps 16,2; 130,3; 143,2; Hi 22,2 f.; 35,7 f.; Lk 17,10; Gal 5,17.22 f.; Jes 64,5). 6. Da allerdings die Gläubigen ihrer Person nach durch Christus angenommen sind, sind ihre guten Werke auch in ihm angenommen. Nicht als ob sie in diesem Leben vollkommen tadellos und rechtschaffen in Gottes Augen wären, sondern dass er sie ansieht in seinem Sohn und es ihm gefällt, das anzunehmen und zu belohnen, was aufrichtig ist, auch wenn es mit viel Schwachheit und Unvollkommenheit verbunden ist (Eph 1,6; 1. Petr 2,5; Ex 28,38; Gen 4,4; Hebr 6,10; 11,4; 13,20 f.; Hi 9,20; Ps 143,2; 2. Kor 8,12; Mt 25,21.23). 7. Werke von nicht wiedergeborenen Menschen, obwohl sie ihrem Tatbestand nach Dinge sein können, die Gott fordert und von gutem Nutzen für beide, für sie selbst und andere, sein können, sind doch, weil sie nicht von einem durch Glauben gereinigten Herzen ausgehen und weder in einer rechten Weise – nämlich gemäß dem Wort – noch zu einem rech-

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ten Zweck  – nämlich zur Ehre Gottes  – getan worden sind, deswegen sündig und können Gott nicht gefallen oder einen Menschen würdig machen, Gnade von Gott zu empfangen. Dennoch ist deren Unterlassung noch sündhafter und missfällt Gott (2. Kön 10,30 f.; 1. Kön 21,27.29; 1. Kor 13,3; Jes  1,12; Mt 6,2.5.16; 23,23; 25,41–43.45; Gen 4,5; Hebr 11,4.6; Hag 2,14; Tit 1,15; 3,15; Am 5,21 f.; Hos 1,4; Röm 9,16; Ps 14,4; 36,4; Hi 21,14 f.). Kapitel 17: Die Beharrlichkeit der Heiligen 1. Welche Gott in seiner Liebe angenommen, wirksam berufen und durch seinen Geist geheiligt hat, die können weder ganz noch endgültig aus dem Stand der Gnade fallen, sondern werden gewiss darin bis ans Ende beharren und ewig selig werden (Phil 1,6; 2. Petr 1,10; Joh 10,28 f.; 1. Joh 3,9; 1. Petr 1,5.9). 2. Diese Beharrlichkeit der Heiligen hängt nicht von ihrem eigenen freien Willen ab, sondern von dem unveränderlichen Ratschluss der Erwählung, der aus der freien und unveränderlichen Liebe Gottes des Vaters fließt. [Sie beruht] auf der Wirksamkeit des Verdienstes und des Eintretens Jesu Christi, dem Bleiben des Geistes und dem Samen Gottes in ihnen und der Natur des Gnadenbundes. Aus all dem entsteht auch deren Gewissheit und Zuverlässigkeit (2. Tim 2,18 f.; Jer 31,3; 32,40; Hebr 7,25; 9,12–15; 10,10.14; 13,20 f.; Röm 8,33–39; Joh 10,28; 14,16 f.; 17,11.24; Lk 22,32; 1. Joh 2,19.27; 3,9; 2. Thess 3,3). 3. Dennoch können sie durch die Versuchungen des Satans und der Welt, durch das Vorherrschen der in ihnen verbliebenen Verdorbenheit und die Missachtung der Mittel ihrer Beharrlichkeit in schwere Sünden fallen und eine Zeit lang darin bleiben, wodurch sie in Gottes Missfallen geraten und seinen Heiligen Geist betrüben. Ihnen wird ein guter Teil ihrer Gnadengaben und des Trostes entzogen. Sie bekommen verhärtete Herzen und verwundete Gewissen, verletzen und ärgern andere und ziehen zeitliche Gerichte auf sich (Mt 26,70.72.74; Ps 32,3 f.; 51,1 f.10.12.14.16; 89,32 f.; Jes  63,17; 64,4.6.8; 2. Sam 11,27; Eph 4,30; Apk  2,4; Hhld 5,2–4.6; Mk 6,52; 16,14; 2. Sam 12,14; 1. Kor 11,32). Kapitel 18: Die Gewissheit der Gnade und Seligkeit 1. Obwohl Heuchler und andere nicht wiedergeborene Menschen mit falschen Hoffnungen und fleischlichen Einbildungen sich selbst ver­ geblich betrügen mögen, in der Gnade Gottes und im Stand der Seligkeit zu sein, deren Hoffnung aber untergehen wird, so können doch jene, die wahrhaftig an den Herrn Jesus glauben, ihn aufrichtig lieben. Sie können sich bemühen, vor ihm mit allem guten Gewissen zu wandeln, und in diesem Leben zweifellos versichert sein, dass sie im Stand der Gnade

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sind. Und sie können sich der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes erfreuen – einer Hoffnung, die sie niemals beschämt dastehen lässt (Hi 8,13; Mi 3,11; Dtn 29,18; Joh 8,41; Mt 7,22 f.; 1. Joh 2,3; 3,14.18–21.24; 5,13; Röm 5,2.5). 2. Diese Gewissheit ist nicht eine bloß mutmaßliche und wahrscheinliche Meinung, begründet auf einer fehlbaren Hoffnung, sondern eine unfehlbare Glaubensgewissheit, begründet auf der göttlichen Wahrheit, dass die Seligkeit verheißen ist, auf der inneren Überzeugung jener Gnadengaben, auf die hin diese Verheißungen gemacht sind, und auf dem Zeugnis des Geistes, [zur Kindschaft] angenommen zu sein. [Der Geist] bezeugt unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind, welcher Geist das Pfand unserer Erbschaft ist, durch den wir versiegelt sind auf den Tag der Erlösung (Hebr 6,11.17–19; 2. Petr 1,4 f.10 f.; 1. Joh 2,3; 3,14; 2. Kor 1,12.21 f.; Röm 8,15 f.; Eph 1,13 f.; 4,30). 3. Diese unfehlbare Gewissheit gehört nicht so zum Wesen des Glaubens, dass nicht ein wahrhaft Gläubiger lange Zeit warten und mit vielen Schwierigkeiten im Streit liegen könnte, bis er an ihr teilhat. Jedoch kann er, vom Geist befähigt, die Dinge zu erkennen, die ihm von Gott frei gegeben sind, und ohne außerordentliche Offenbarung durch den rechten Gebrauch der ordentlichen Mittel dahin gelangen. Deswegen ist es die Pflicht eines jeden, alle Sorgfalt darauf zu verwenden, sich über seine Berufung und Erwählung Gewissheit zu verschaffen, auf dass dadurch sein Herz in Frieden und Freude im Heiligen Geist, in Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott und in Kraft und Lust in den Pflichten des Gehorsams  – den eigentlichen Früchten dieser Gewissheit  – fortan erfüllt werden möge. Das ist weit entfernt von der Neigung des Menschen zum Leichtsinn (1. Joh 1,6 f.; 2,1 f.; 3,2 f.; 4,13; 5,13; Jes 1,10; Mk 9,24; Ps 77,1–12; 88; 1. Kor 2,12; Hebr 6,11 f.; Eph 1,3 f.; 3,17–19; 2. Petr 1,10; Röm 5,1 f.5; 8,1.12; 14,17; 15,13; Ps 4,7 f.; 119,32; 130,4; Tit 2,11 f.14; 2. Kor 7,1). 4. Wahren Gläubigen kann die Gewissheit ihrer Seligkeit auf verschiedene Weisen erschüttert, vermindert und zeitweilig unterbrochen werden  – etwa durch Nachlässigkeit in deren Bewahrung durch den Fall in manche besondere Sünde, die das Gewissen verwundet und den Geist betrübt, durch manche plötzliche oder heftige Versuchung [oder] dadurch, dass Gott das Licht seines Angesichts abwendet und er es zulässt, dass eben die, die ihn fürchten, in Finsternis wandeln und kein Licht haben. Dennoch sind sie nie ganz ohne jenen Samen Gottes und ein Glaubensleben, jene Liebe zu Christus und den Brüdern, jene Aufrichtigkeit des Herzens und Pflichtgefühl, aus denen durch die Kraft des Geistes diese Gewissheit zu seiner Zeit wiederbelebt werden kann und sie unterdessen vor vollkommener Verzweiflung bewahrt werden (Hhld 5,2 f.6; Ps 22,2; 31,23;

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51,10.14.16; 73,15; 77,2–11; 88; Eph 4,30 f.; Mt 26,69–72; Jes 50,10; 54,7–10; 1. Joh 3,9; Lk 22,32; Hi 13,15; Mi 7,7–9; Jer 32,40). Kapitel 19: Das Gesetz Gottes 1. Gott hat Adam ein Gesetz als einen Bund der Werke gegeben, durch den er ihn und all seine Nachkommenschaft zum individuellen, umfassenden, genauen und stetigen Gehorsam verpflichtet, ihm Leben für seine Erfüllung verheißen und Tod bei seinem Bruch angedroht und mit Kraft und Vermögen, ihn zu bewahren, ausgerüstet hat (Gen 1,26 f.; 2,17; Röm 2,14 f.; 5,12.19; 10,5; Gal 3,10.12; Koh 7,29; Hi 28,28). 2. Dieses Gesetz blieb nach seinem Fall weiterhin eine vollkommene Regel der Gerechtigkeit und wurde als solche von Gott auf dem Berg Sinai in zehn Geboten übergeben und auf zwei Tafeln aufgeschrieben; die ersten vier Gebote enthalten unsere Pflicht gegenüber Gott und die anderen sechs unsere Pflicht gegenüber den Menschen (Jak 1,25; 2,8.10–12; Röm 13,8 f.; Dtn 5,29; 10,4; Ex 34,1; Mt 22,37–40). 3. Neben diesem Gesetz, gemeinhin Moralgesetz genannt, hat es Gott gefallen, dem Volk Israel als einer minderjährigen Kirche Zeremonialgesetze zu geben, die mancherlei vorbildliche Ordnungen enthalten, die teils in Bezug auf den Gottesdienst Christus, seine Gnadengaben, Werke, Leiden und Wohltaten vorbilden und teils verschiedene Anweisungen für moralische Pflichten umfassen. Diese Zeremonialgesetze sind jetzt unter dem Neuen Testament aufgehoben (Hebr 9; 10,1; Gal 4,1–3; Kol 2,14.16 f.; 1. Kor 5,7; 2. Kor 6,17; Jud 23; Dan 9,27; Eph 2,14–16). 4. Ihnen als einer politischen Körperschaft gab er auch besondere Gerichtssatzungen, die zusammen mit dem Staat jenes Volkes erloschen sind und niemanden jetzt zu weiterem verpflichten, als was die allgemeine Gerechtigkeit davon erfordern mag (Ex 21 f.; Gen 49,10; 1. Petr 2,13 f.; Mt 5,17.38 f.; 1. Kor 9,8–10). 5. Das Moralgesetz verpflichtet für immer alle, sowohl die Gerechtfertigten als auch andere, zu seinem Gehorsam, und das nicht nur im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Dinge, sondern auch angesichts der Autorität Gottes, des Schöpfers, der es gegeben hat. Diese Verpflichtung löst Christus im Evangelium auch nicht irgendwie auf, sondern verstärkt sie vielmehr (Röm 3,31; 13,8–10; Eph 6,2; 1. Joh 2,3 f.7 f.; Jak 2,8.10 f.; Mt 5,17–19). 6. Obwohl die wahren Gläubigen nicht unter dem Gesetz als einem Bund der Werke sind, um dadurch gerechtfertigt oder verdammt zu werden, so ist es doch von großem Nutzen für sie wie auch für andere dadurch, dass es sie als eine Lebensregel, die sie über den Willen Gottes und ihre Pflicht unterrichtet, anweist und zu einer dementsprechenden Lebensführung verpflichtet. Es deckt auch die sündhaften Befleckungen ihrer Natur,

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Herzen und Lebensführung auf, sodass sie, wenn sie sich daran prüfen, zu weiterer Überzeugung von, Demütigung wegen und Hass gegenüber der Sünde kommen mögen, verbunden mit einer klareren Einsicht, wie nötig sie Christus und die Vollkommenheit seines Gehorsams haben. Gleicherweise ist es von Nutzen für die Wiedergeborenen, um ihre Verdorbenheit dadurch zu zügeln, dass es Sünde verbietet. Seine Drohungen dienen dazu zu zeigen, was ihre Sünden verdienen und welches Elend sie in diesem Leben dafür erwarten sollen, obwohl sie von dem deswegen im Gesetz angedrohten Fluch befreit sind. Seine Verheißungen zeigen ihnen in ähnlicher Weise Gottes Wohlgefallen am Gehorsam und die Segnungen, die sie bei seiner Erfüllung erwarten dürfen; doch nicht so, als sei er ihnen das durch das Gesetz als einem Bund der Werke schuldig. Ebenso ist auch das Tun des Guten und das Meiden des Bösen, weil das Gesetz zu dem einen aufmuntert und vom anderen abschreckt, für einen Menschen kein Beweis dafür, dass er unter dem Gesetz ist und nicht unter der Gnade (Röm 3,20; 6,12.14; 7,7.9.12.22.24 f.; 8,1.3 f.; Gal 2,16; 3,13.24; 4,4 f.; 5,14.16.18–23; Apg 13,39; Ps  19,12; 34,12–16; 37,11; 89,31– 35; ­119,4–6.101.104.128; 1. Kor 7,19; Jak 1,23–25; 2,11; Esr 9,13 f.; Num 26,1–14; 2. Kor 6,16; Eph 6,2 f.; Mt 5,5; Lk 17,10; 1. Petr 3,8–12; Hebr 12,28 f.). 7. Die zuvor erwähnten Anwendungen des Gesetzes stehen nicht im Widerspruch zur Gnade des Evangeliums, sondern stimmen damit harmonisch überein. Der Geist Christi leitet den Willen des Menschen an und befähigt ihn, das freiwillig und freudig zu tun, was der im Gesetz offenbarte Wille Gottes zu tun erfordert (Gal 3,21; Ez 36,27; Hebr 8,10; Jer 31,33). Kapitel 20: Christliche Freiheit und Gewissensfreiheit 1. Die Freiheit, die Christus den Gläubigen unter dem Evangelium erworben hat, besteht in ihrer Befreiung von der Sündenschuld, dem verdammenden Zorn Gottes, dem Fluch des Moralgesetzes und in ihrer Befreiung von dieser gegenwärtigen bösen Welt, der Knechtschaft des Satans und der Herrschaft der Sünde, von Übel und Elend, vom Stachel des Todes, vom Sieg des Grabes und von der ewigen Verdammnis sowie in ihrem freien Zugang zu Gott und ihrem eifrigen Gehorsam ihm gegenüber – nicht aus sklavischer Furcht, sondern aus einer kindlichen Liebe und einem willigen Gemüt. All dies war auch den Gläubigen unter dem Gesetz eigen, aber unter dem Neuen Testament ist die Freiheit der Christen weiter auf ihre Freiheit vom Joch des Zeremonialgesetzes ausgedehnt, dem die jüdische Kirche unterworfen war, und zu größerer Zuversicht, dass sie zum Gnadenthron Zugang haben und zu reicheren Mitteilungen des freien Geistes Gottes, als sie den Gläubigen unter dem Gesetz ge-

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wöhnlich zuteilgeworden waren (Tit 2,14; 1. Thess 1,10; Gal 1,4; 3,13; Kol 1,13; Apg 15,10 f.; 26,18; Röm 5,1 f.; 6,14; 8,1.14 f.28; Ps 119,71; 1. Kor 15,54–57; 1. Joh 4,18; Gal 3,9.14; 4,1–3.6 f.; 5,1; Hebr 4,14.16; 10,19–22; Joh 7,38 f.; 2. Kor 3,13.17 f.). 2. Gott allein ist Herr des Gewissens und hat es von Lehren und Geboten der Menschen freigestellt, die in Sachen von Glauben und Gottesdienst in irgendeiner Hinsicht seinem Wort entgegengesetzt oder außerhalb dessen sind. Solchen Lehren zu glauben oder solchen Geboten mit Rücksicht auf das Gewissen zu gehorchen bedeutet, die wahre Freiheit des Gewissens zu verraten. Die Forderung eines Glaubens auf Autorität hin und eines absoluten und blinden Gehorsams bedeutet, die Freiheit des Gewissens wie auch die der Vernunft zu vernichten (Jak 4,12; Röm 10,17; 14,4.23; Apg 4,19; 5,29; 17,11; 1. Kor 7,23; Mt 15,9; 23,8–10; 2. Kor 1,24; Kol  2,20.22  f.; Gal 1,10; 2,4  f.; 5,1; Jes 8,20; Joh 4,22; Hos 5,11; Apk 13,12.16 f.; Jer 8,9). 3. Die unter dem Vorwand christlicher Freiheit irgendwelche Sünden begehen oder irgendwelchen Gelüsten nachgehen, zerstören dadurch den Sinn und Zweck der christlichen Freiheit. Diese besteht darin, dass wir, die wir aus den Händen unserer Feinde befreit sind, dem Herrn ohne Furcht dienen sollen, alle Tage unseres Lebens in Heiligkeit und Gerechtigkeit ihm gegenüber (Gal 5,13; 1. Petr 2,16; 2. Petr 2,19; Joh 8,34; Lk 1,74 f.). 4. Weil die Regierungen, die Gott bestimmt hat, und die Freiheit, die Christus erworben hat, von Gott nicht darauf gerichtet sind, dass sie einander zerstören, sondern einander gegenseitig erhalten und bewahren, widersetzen sich jene, die sich unter dem Vorwand der christlichen Freiheit gegen jede gesetzmäßige Gewalt oder deren gesetzmäßige Ausübung, sie sei weltlich oder kirchlich, stellen, der Ordnung Gottes. Die solche Meinung öffentlich kundtun oder solches Verhalten rechtfertigen, was dem Licht der Natur und den bekannten Grundsätzen des Christentums sowohl hinsichtlich des Glauben, der Gottesverehrung oder des Lebenswandels als auch der Kraft der Gottseligkeit entgegengesetzt ist, oder solche irrigen Meinungen und Verhaltensweisen selbst, die entweder ihrem Wesen oder ihrer Verbreitung oder Behauptung nach zur Zerstörung des äußeren Friedens und der von Christus aufgerichteten kirchlichen Ordnung führen: Diese sollen zu Recht in einem kirchlichen Verfahren und mit der Strafgewalt der bürgerlichen Regierung zur Verantwortung gezogen werden (Mt 12,25; 1. Petr 2,13 f.16; Röm 1,32; 13,1–8; Hebr 13,17; 1. Kor 5,1.5.11.13; 2. Joh 10 f.; 2. Thess 3,14; 1. Tim 1,19 f.; 2,2; 6,3–5; Tit  1,10 f.13; 3,10; Mt 18,15–17; Apk  2,2.14 f.20; 3,9; 17,12.16 f.; Dtn 13,6–12; Esr 7,23.25–28; Neh 13,15.17.21 f.25.30; 2. Kön 23,5 f.9.20 f.; 2. Chr 15,12 f.16; 34,33; Dan 3,29; Jes  49,23; Sach 13,2 f.).

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Kapitel 21: Gottesdienst und Feiertag 1. Das Licht der Natur zeigt, dass es einen Gott gibt, der Herrschaft und absolute Gewalt über alles besitzt, der gut und gegenüber jedem wohltätig und deswegen zu fürchten, zu lieben, zu loben, anzurufen, dem zu vertrauen und zu dienen ist, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen Kräften. Aber die wohlgefällige Weise, den wahren Gott zu verehren, ist von ihm selbst eingesetzt und so an seinen eigenen offenbarten Willen gebunden, dass er nicht nach den Einbildungen und Einfällen von Menschen oder den Eingebungen des Satans unter irgendwelchen sichtbaren Darstellungen oder auf eine sonstige nicht in der Heiligen Schrift vorgeschriebene Weise verehrt werden soll (Röm 1,20; 10,12; Apg 17,24; Ps 18,4; 31,24; 62,9; 119,68; Jer 10,7; Jos 24,14; Mk 12,33; Dtn 6,1–25; 13,1; Mt 4,9 f.; 15,9; Apg 17,25; Ex 20,4–6; 32,4 f.; 2. Kor 5,7; Kol 2,23). 2. Gottesdienstliche Verehrung gebührt Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, und ihm allein, nicht den Engeln, Heiligen oder einem anderen Geschöpf, und nach dem Fall nicht ohne einen Mittler noch durch die Vermittlung eines anderen als Christus allein (Mt 4,10; Joh 5,23; 14,6; 2. Kor 13,13; Kol 2,18; 3,17; Apk 19,10; Röm 1,25; 1. Tim 2,5; Eph 2,18). 3. Das Gebet mit Danksagung als ein besonderer Teil der gottesdienstlichen Verehrung fordert Gott von allen Menschen. Damit es wohlgefällig sei, soll es im Namen des Sohnes durch den Beistand seines Geistes gemäß seinem Willen geschehen, mit Verstand, Verehrung, Demut, Inbrunst, Glauben, Liebe und Beharrlichkeit und, wenn mit hörbaren Worten, in einer bekannten Sprache (Phil 4,6; Ps 47,8; 65,3; Joh 14,13 f.; 1. Petr 2,5; Röm 8,26; 1. Joh 5,14; Koh 5,1; Hebr 12,28; Gen 18,27; Jak 1,6 f.; 5,16; Mk 11,24; Mt 6,12.14 f.; Kol 4,2; Eph 6,18; 1. Kor 14,14). 4. Gebete sind nur für erlaubte Dinge und für alle Menschen gestattet, die jetzt leben oder künftig leben werden, nicht aber für die Toten oder für die, von denen man wissen kann, dass sie eine Todsünde begangen haben (1. Joh 5,14; 1. Tim 2,1 f.; Joh 17,20; 2. Sam 7,29; 12,21–23; Ruth 4,12; Lk 16,25 f.; Apk 14,13; 1. Joh 5,16). 5. Das Lesen der Schriften mit Gottesfurcht, die kräftige Predigt und das gewissenhafte Hören des Wortes im Gehorsam gegenüber Gott mit Verstand, Glauben und Verehrung, das Singen von Psalmen mit Andacht des Herzens, desgleichen der angemessene Vollzug und der würdige Empfang der von Christus eingesetzten Sakramente sind insgesamt die Teile der ordentlichen gottesdienstlichen Gottesverehrung, neben religiösen Eiden, Gelübden, feierlichem Fasten und Danktagen, die jeweils zu ihren verschiedenen Zeiten und Gelegenheiten in einer heiligen und gottesfürchtigen Weise abzuhalten sind (Apg 1,3; 2,42; 10,33; 15,21; 2. Tim 4,2; Jak 1,22; 5,13; Mt 9,15; 13,19; 28,19; Hebr 4,2; 12,28; Kol 3,16; Eph 5,19;

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1. Kor 7,5; 11,23–29; Dtn 6,13; Neh 10,29; Jes 19,21; 66,2; Koh 5,3 f.; Joel 2,12; Est 4,16; 9,22; Ps 107). 6. Weder das Gebet noch ein anderes Stück der gottesdienstlichen Verehrung ist jetzt unter dem Evangelium entweder gebunden an oder wohlgefälliger durch irgendeinen Ort, an dem es vollzogen oder auf den es bezogen wird. Stattdessen soll Gott überall im Geist und in der Wahrheit verehrt werden – wie in Privatfamilien täglich und von einem jeden gesondert bei sich selbst, so feierlicher in den öffentlichen Versammlungen, die nicht sorglos oder mutwillig missachtet oder verlassen werden sollen, da ja Gott uns durch sein Wort oder seine Vorsehung dazu beruft (Mal 1,11; 1. Tim 2,8; Joh 4,21.23 f.; Mt 6,6.11; Jer 10,25; Dtn 6,6 f.; Hi 1,5; 2. Sam 6,18.20; 1. Petr 3,7; Apg 2,42; 10,2; 13,42; Eph 6,18; Jes 56,6 f.; Hebr 10,25; Prov 1,20 f.24; 8,34; Lk 4,16). 7. Wie auf Grund des Naturgesetzes gilt, dass im Allgemeinen eine angemessene Zeit für die Gottesverehrung vorgesehen ist, so hat Gott in seinem Wort durch ein bestimmtes, sittliches und dauerhaftes Gebot, das alle Menschen zu allen Zeiten bindet, im Besonderen einen Tag unter den sieben zu einem Feiertag [= Sabbat], der für ihn heilig zu halten ist, bestimmt. Dieser ist von Anbeginn der Welt bis zur Auferstehung Christi der letzte Tag der Woche gewesen und seit der Auferstehung Christi auf den ersten Tag der Woche verlegt worden. Er wird in der Schrift der Tag des Herrn genannt und soll als der christliche Feiertag bis ans Ende der Welt gehalten werden (Ex 20,8.10 f.18; Jes 56,2.4.6 f.; Gen 2,2 f.; 1. Kor 16,1 f.; Apg 20,7; Apk 1,10). 8. Dieser Feiertag wird dann dem Herrn heiliggehalten, wenn die Menschen nach einer angemessenen Vorbereitung ihrer Herzen und vorheriger Ordnung ihrer öffentlichen Angelegenheiten nicht nur den ganzen Tag eine heilige Ruhe von ihren eigenen Werken, Worten und Gedanken, von ihren weltlichen Beschäftigungen und Vergnügungen bewahren, sondern auch die ganze Zeit mit öffentlichen und individuellen Übungen der Gottesverehrung und mit den Pflichten notwendiger Dinge und Barmherzigkeit beschäftigt sind (Ex 16,23.25 f.29 f.; 20,8; 31,15–17; Jes 58,13; Neh 13,15–19.21 f.; Mt 12,1–13). Kapitel 22: Rechtmäßige Eide und Gelübde 1. Ein rechtmäßiger Eid ist ein Teil der Gottesverehrung, bei dem die Person zu passender Gelegenheit durch feierlichen Schwur Gott zum Zeugen für das anruft, was sie behauptet oder verspricht, und zum Richter von Wahrheit oder Unwahrheit dessen, was sie schwört (Dtn 10,20; Ex 20,7; Lev 19,12; 2. Kor 1,23; 2. Chr 6,22 f.). 2. Der Name Gottes allein ist es, bei dem Menschen schwören sollen, und dabei soll er mit aller heiligen Furcht und Verehrung gebraucht werden.

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Deswegen ist unnötiges und übereiltes Schwören bei diesem herrlichen und zu fürchtenden Namen oder überhaupt Schwören bei jeder anderen Sache Sünde und verabscheuenswürdig. Doch weil in gewichtigen Angelegenheiten von Bedeutung ein Eid durch das Wort Gottes gerechtfertigt ist, unter dem Neuen ebenso wie unter dem Alten Testament, sollte ein rechtmäßiger Eid, wenn er von einer gesetzmäßigen Regierung verlangt wird, in derartigen Dingen geleistet werden (Dtn 6,13; Ex 20,7; Jer 5,7; Mt 5,34.37; Jak 5,12; Hebr 6,16; 2. Kor 1,23; Jes 65,16; 1. Kön 8,31; Neh 13,25; Esr 10,5). 3. Wer einen Eid leistet, ist verpflichtet, die Bedeutung einer so feierlichen Handlung gehörig in Betracht zu ziehen und dabei nichts als das zu bekräftigen, von dessen Wahrheit er vollkommen überzeugt ist. Auch soll sich niemand durch Eid zu irgendeiner Sache verpflichten, sie sei denn gut und gerecht, und von dem er glaubt, dass es so sei, und was er zu erfüllen fähig und entschlossen ist. Doch ist es Sünde, einen Eid bezüglich einer Sache zu verweigern, die gut und gerecht ist, wenn er von einer gesetzmäßigen Regierung verlangt wird (Ex 20,7; 22,6–10; Jer 4,2; Gen 24,2 f.5 f.8 f.; Num 5,19.21; Neh 5,12). 4. Ein Eid sollte im einfältigen und allgemeinen Sinn der Worte geleistet werden, ohne Zweideutigkeit oder inneren Vorbehalt. Er kann nicht zur Sünde verpflichten, aber sonst zu jeder nicht sündhaften Sache geleistet bindet er an die Erfüllung, sogar zum eigenen Schaden eines Menschen. Er darf auch nicht verletzt werden, wenn er Ketzern oder Ungläubigen geleistet worden ist (Jer 4,2; Ps 15,4; 24,4; 1. Sam 25,22.32–34; Ez 17,16–19; Jos 9,18 f.; 2. Sam 21,1). 5. Ein Gelübde ist von gleicher Natur wie eine eidesstattliche Erklärung und sollte mit der gleichen gottesfürchtigen Sorgfalt geleistet und mit der gleichen Treue erfüllt werden (Jes 19,21; Koh 5,3–5; Ps 61,9; 66,13 f.). 6. Es darf nicht gegenüber einem Geschöpf abgelegt werden, sondern allein gegenüber Gott. Damit es wohlgefällig sei, soll es freiwillig, aus Glauben und in Bindung an das Gewissen abgelegt werden – auf Grund der Dankbarkeit für empfangene Barmherzigkeit oder zur Erlangung dessen, was wir wünschen, wodurch wir uns strenger zu notwendigen Aufgaben oder anderen Dingen verpflichten, sofern und solange sie angemessen dazu verhelfen können (Ps 50,14; 66,13 f.; 76,12; 132,2–5; Jer 44,25 f.; Dtn 23,22–24; Gen 28,20–22; 1. Sam 1,11). 7. Niemand darf etwas zu tun geloben, das im Wort Gottes verboten ist oder eine darin vorgeschriebene Pflicht verhindern könnte, oder was nicht in eigener Macht steht und für dessen Erfüllung er keine Verheißung oder Befähigung von Gott besitzt. In dieser Hinsicht sind papistische Mönchsgelübde von fortwährendem Zölibat, versprochene Armut und Ordensgehorsam so weit davon entfernt, Grade höherer Vollkommenheit zu

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sein, dass sie abergläubische und sündhafte Schlingen sind, in denen sich kein Christ verstricken sollte (Apg 23,12.14; Mk 6,26; Num 30,5.8.12 f.; Mt 19,11 f.; 1. Kor 7,2.23; Eph 4,28; 1. Petr 4,2). Kapitel 23: Die bürgerliche Regierung 1. Gott, der oberste Herr und König der ganzen Welt, hat bürgerliche Regierungen eingesetzt, um unter ihm über das Volk zu seiner eigenen Ehre und zum öffentlichen Wohl zu herrschen. Zu diesem Zweck hat er sie mit der Macht des Schwertes zum Schutz und zur Förderung der Guten und zur Strafe der Übeltäter ausgerüstet (Röm 13,1–4; 1. Petr 2,13 f.). 2. Christen ist es erlaubt, ein Regierungsamt anzunehmen und auszuüben, wenn sie dazu berufen werden. Wie sie in dessen Ausübung insbesondere Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Frieden nach Maßgabe der heilsamen Gesetze jedes Gemeinwesens handhaben sollen, so dürfen sie zu diesem Zweck nun entsprechend dem Neuen Testament bei gerechtem und notwendigem Grund rechtmäßig Krieg führen (Prov 8,15 f.; Röm 13,1 f.4; Ps 2,10–12; 82,3 f.; 1. Tim 2,2; 2. Sam 23,3; 1. Petr 2,13; Lk 3,14; Röm 13,4; Mt 8,9 f.; Apg 10,1; Apk 7,14.16). 3. Die bürgerliche Regierung darf sich die Verwaltung von Wort und Sakramenten oder die Macht der Schlüssel des Himmelreichs nicht selbst anmaßen. Jedoch hat sie die Befugnis und Pflicht, dafür zu sorgen, dass Einheit und Frieden in der Kirche bewahrt werden, dass die Wahrheit Gottes rein und ganz erhalten wird, dass alle Lästerungen und Ketzereien unterdrückt werden, dass aller Verdorbenheit und allen Missbräuchen in Gottesverehrung und Zucht zuvorgekommen oder sie verbessert werden und alle Ordnungen Gottes richtig eingerichtet, verwaltet und beachtet werden. Damit das alles umso besser gelingen kann, hat sie die Macht, Synoden einzuberufen, bei ihnen anwesend zu sein und dafür zu sorgen, dass das, was in ihnen verhandelt wird, mit dem Willen Gottes übereinstimmt (2. Chr 26,18; Mt 2,4 f.; 16,19; 18,17; 1. Kor 4,1 f.; 12,28 f.; Eph 4,11 f.; Röm 10,15; Hebr 5,4; Jes 49,23; Ps 122,9; Esr 7,23.25–28; Lev  24,16; Dtn 13,6 f.13; 2. Kön 18,4; 24,1–26; 1. Chr 13,1–9; 2. Chr 15,12 f.; 19,8–11; 29 f.; 34,33). 4. Es ist die Pflicht des Volkes, für die Regierungen zu beten, ihre Personen zu ehren, ihnen Steuern und andere Schuldigkeiten zu entrichten, ihren rechtmäßigen Befehlen zu gehorchen und sich ihrer Autorität um des Gewissens willen zu unterstellen. Unglaube oder Religionsunterschied machen die rechte und gesetzmäßige Autorität der Regierung nicht zunichte, noch befreien sie das Volk von seinem schuldigen Gehorsam ihnen gegenüber, von dem auch kirchliche Personen nicht ausgenommen sind. Viel weniger besitzt der Papst irgendeine Macht oder Rechtsprechung über sie in ihren Herrschaften oder über jemanden aus ihrem Volk, am wenigsten,

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sie ihrer Herrschaft und ihres Lebens zu berauben, wenn er sie zu Ketzern erklärt, oder aus einem anderen Vorwand (1. Tim 2,1 f.; 1. Petr 2,17; Röm 13,1.5–7; Tit 3,1; 1. Petr 2,13 f.16; 1. Kön 2,35; Apg 25,9–11; 2. Petr 2,1.10 f.; Jud 8–11; 2. Thess 2,4; Apk 13,15–17). Kapitel 24: Ehe und Scheidung 1. Ehe soll zwischen einem Mann und einer Frau sein. Weder ist es zur gleichen Zeit einem Mann erlaubt, mehr als eine Ehefrau zu haben, noch einer Frau, mehr als einen Ehemann (Gen 2,24; Mt 19,5 f.; Prov 2,17). 2. Die Ehe ist zur wechselseitigen Hilfe von Ehemann und Ehefrau bestimmt, zur Vermehrung der Menschheit durch eine rechtmäßige Nachkommenschaft und der Kirche durch einen heiligen Samen und zur Vermeidung von Schamlosigkeit (Gen 2,18; Mal 2,15; 1. Kor 7,2.9). 3. Allen ist das Heiraten erlaubt, sofern sie mit ihrem eigenen Urteil [in die Ehe] einwilligen können. Hingegen ist es Pflicht der Christen, allein im Herrn zu heiraten. Deswegen sollen die, welche die wahre reformierte Religion bekennen, keine Ungläubigen, Papisten oder andere Götzendiener heiraten. Ebenso wenig sollen sich die Gottesfürchtigen mit nicht Ebenbürtigen paaren, indem sie solche heiraten, die bekanntermaßen in ein gottloses Leben verstrickt sind oder verdammenswerten Ketzereien anhängen (Hebr 13,4; 1. Tim 4,3; 1. Kor 7,36–39; Gen 24,57 f.; 34,14; Ex 34,16; Dtn 7,3 f.; 1. Kön 11,4; Neh 13,25–27; Mal 2,11 f.; 2. Kor 6,14). 4. Ehen sollen nicht stattfinden zwischen den Graden von Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft, die im Wort [Gottes] verboten sind. Es kann eine solche blutschänderische Heirat weder durch ein Gesetz eines Menschen noch durch eine Übereinkunft beider Seiten je rechtmäßig gemacht werden, in dessen Folge solche Personen als Mann und Frau zusammenleben dürften. Weder darf ein Mann [in zweiter Ehe] jemanden in der Blutsverwandtschaft seiner [verstorbenen] Frau in näherem Grad heiraten, als er das bei seiner eigenen dürfte, noch eine Frau [in zweiter Ehe] jemanden in der Verwandtschaft ihres [verstorbenen] Mannes näher als bei ihrer eigenen (Lev 18,6–30; 20,19–21; 1. Kor 5,1; Am 2,7; Mk 6,18). 5. Ein nach dem Verlöbnis begangener Ehebruch oder Hurerei, die vor der Heirat aufgedeckt werden, geben dem unschuldigen Teil rechtmäßigen Grund, das Verlöbnis zu lösen. Im Fall von Ehebruch nach der Heirat ist es dem unschuldigen Teil erlaubt, eine Scheidung zu erwirken und nach der Scheidung einen anderen zu heiraten, als ob der schuldige Partner tot wäre (Mt 1,18–20; 5,31 f.; 19,9; Röm 7,2 f.). 6. Obwohl die Verdorbenheit der Menschen von solcher Raffinesse ist, sich Gründe dafür auszudenken, unrechtmäßig die auseinanderzubringen, die Gott miteinander in der Ehe verbunden hat, so ist doch ausschließ-

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lich Ehebruch oder solch mutwilliges Verlassen, dem nicht einmal von der Kirche oder der bürgerlichen Regierung abgeholfen werden kann, ein ausreichender Grund für die Auflösung des Ehebundes. Dabei soll auf eine öffentliche und ordentliche Verfahrensweise geachtet werden und die davon betroffenen Personen nicht ihrem eigenen Willen und der Entscheidung in ihrer eigenen Sache überlassen bleiben (Mt 19,6.8 f.; 1. Kor 7,15; Dtn 24,1–4). Kapitel 25: Die Kirche 1. Die allgemeine oder universale Kirche, die unsichtbar ist, besteht aus der gesamten Zahl der Erwählten, die gewesen sind, jetzt sind oder sein werden, in einem unter Christus als ihrem Haupt versammelt. Sie ist die Braut, der Leib, die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt (Eph 1,10.22 f.; 5,23.27.32; Kol 1,18). 2. Die sichtbare Kirche, die ebenso allgemein oder universal unter dem Evangelium ist – nicht auf ein Volk begrenzt wie zuvor unter dem Gesetz –, besteht aus all jenen überall auf der Welt, welche die wahre Religion bekennen, gemeinsam mit deren Kindern. Sie ist das Reich des Herrn Jesus Christus, das Haus und die Familie Gottes, außerhalb derer es keine ordentliche Möglichkeit der Seligkeit gibt (1. Kor 1,2; 7,14; 12,12 f.; Ps 2,8; Apk 7,9; Röm 11,16; 15,9–12; Apg 2,39.47; Ez 16,20 f.; Gen 3,15; 17,7; Mt 13,47; Jes 9,6; Eph 2,19; 3,15). 3. Dieser allgemeinen und sichtbaren Kirche hat Christus das [geistliche] Amt, die Weissagungen und die Ordnungen Gottes zur Sammlung und Vollendung der Heiligen in diesem Leben bis zum Ende der Welt gegeben und bewirkt dieses durch seine eigene Gegenwart und seinen Geist gemäß seiner Verheißung (1. Kor 12,28; Eph 4,11–13; Mt 28,19 f.; Jes 59,21). 4. Diese allgemeine Kirche ist manchmal mehr, manchmal weniger sichtbar gewesen. Teilkirchen, die deren Glieder sind, sind mehr oder weniger rein, je nachdem in ihnen mehr oder weniger rein die Lehre des Evangeliums gelehrt und angenommen wird, die Ordnungen angewandt werden und die öffentliche Gottesverehrung vollzogen wird (Röm 11,3 f.; Apk 2 f.; 12,6.14; 1. Kor 5,6 f.). 5. Die reinsten Kirchen unter dem Himmel sind beidem, Vermischung und Irrtum, unterworfen, und einige sind so entartet, dass sie nicht Kirchen Christi, sondern Synagogen des Satans geworden sind. Dennoch wird es immer eine Kirche auf Erden geben, um Gott seinem Willen gemäß zu verehren (1. Kor 13,12; Apk 2 f.; 18,2; Mt 13,24–30.47; 16,18; 28,19 f.; Röm 11,18–22; Ps 72,17; 102,29). 6. Es gibt kein anderes Haupt der Kirche als den Herrn Jesus Christus. Der Papst von Rom kann nicht in irgendeinem Sinne deren Haupt sein, sondern ist der Antichrist, der Mensch der Sünde und Sohn des Verder-

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bens, der sich selbst in der Kirche gegen Christus und alles, was Gott genannt wird, erhebt (Kol 1,18; Eph 1,22; Mt 23,8–10; 2. Thess 2,3 f.8 f.; Apk 13,6). Kapitel 26: Die Gemeinschaft der Heiligen 1. Alle Heiligen, die mit Jesus Christus, ihrem Haupt, durch seinen Geist und durch Glauben vereint sind, haben Gemeinschaft mit ihm in seinen Gnadengaben, Leiden, Tod, Auferstehung und Herrlichkeit. Da sie untereinander in Liebe vereint sind, haben sie an den Gaben und Gnaden eines jeden anderen Gemeinschaft und sind zur Erfüllung von solchen Pflichten, öffentlichen und privaten, verbunden, um zum gegenseitigem Wohl in beiderlei Hinsicht beizutragen  – nach dem inneren und äußeren Menschen (1. Joh 1,3; 3,16–18; Eph 2,5 f.; 3,16–19; 4,15 f.; Joh 1,16; Phil  3,10; Röm 1,11 f.14; 6,5 f.; 2. Tim 2,12; 1. Kor 3,21–23; 12,7; Kol 2,19; 1. Thess 5,11.14; Gal 6,10). 2. Die sich als Heilige bekennen, sind verpflichtet, eine heilige Gesellschaft und Gemeinschaft zu erhalten in der Verehrung Gottes und in der Erfüllung solch anderer geistlicher Dienste, die auf ihre gegenseitige Erbauung hinauslaufen, auch einander in äußeren Dingen nach dem Maß ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse zu helfen. Diese Gemeinschaft soll, wenn Gott Gelegenheit dazu gibt, auf alle ausgedehnt werden, die an allen Orten den Namen des Herrn Jesus anrufen (Hebr 10,24 f.; Apg 2,42.44–46; 11,29 f.; Jes 2,3; 1. Kor 11,20; 1. Joh 3,17; 2. Kor 8 f.). 3. Diese Gemeinschaft, welche die Heiligen mit Christus haben, macht sie in keiner Weise zu Teilhabern an dem Wesen seiner Gottheit oder in irgendeiner Hinsicht Christus gleich, was beides zu behaupten gottlos und lästerlich ist. Auch nimmt oder verletzt ihre Gemeinschaft untereinander als Heilige kein Eigentum und keinen Anspruch, den jeder Mensch auf seine Güter und Besitztümer hat (Kol  1,18 f.; 1. Kor 8,6; Jes  42,8; 1. Tim 6,15 f.; Ps 45,8; Hebr 1,8 f.; Ex 20,15; Eph 4,28; Apg 5,4). Kapitel 27: Die Sakramente 1. Die Sakramente sind heilige Zeichen und Siegel des Gnadenbundes, unmittelbar von Gott eingesetzt, um Christus und seine Wohltaten zu zeigen und unseren Anteil an ihm zu bekräftigen. Zugleich markieren sie auch eine sichtbare Unterscheidung zwischen denen, die zur Kirche gehören, und dem Rest der Welt und verpflichten jene feierlich zum Gottesdienst in Christus nach Maßgabe seines Wortes (Röm 4,11; 6,3 f.; 15,8; Gen 17,7.10; 34,14; Mt 28,19; 1. Kor 10,16.21; 11,23.25 f.; Gal 3,17; Ex 12,48). 2. In jedem Sakrament gibt es eine geistliche Beziehung oder sakramentale Vereinigung zwischen dem Zeichen und der bezeichneten Sache,

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weswegen es dazu kommt, dass die Bezeichnungen und Wirkungen des einen auch dem anderen zugeschrieben werden (Gen 17,10; Mt 26,27 f.; Tit 3,5). 3. Die in oder durch die Sakramente angebotene Gnade wird bei rechtem Gebrauch nicht durch irgendeine Kraft in ihnen mitgeteilt. Auch hängt die Wirksamkeit eines Sakraments nicht von der Frömmigkeit oder Absicht dessen ab, der es vollzieht, sondern von dem Werk des Geistes und dem Wort der Einsetzung, das zusammen mit einer seinen Gebrauch begründenden Vorschrift eine Verheißung der Wohltat für würdige Empfänger enthält (Röm 2,28 f.; 1. Petr 3,21; Mt 3,11; 26,27 f.; 28,19 f.; 1. Kor 12,13). 4. Es gibt nur zwei Sakramente, die von Christus, unserem Herrn, im Evangelium bestimmt sind, nämlich die Taufe und das Abendmahl des Herrn, von denen keines von einem anderen als einem rechtmäßig dazu verordneten Diener des Wortes ausgeteilt werden darf (Mt 28,19; 1. Kor 4,1; 11,20.23; Hebr 5,4). 5. Die Sakramente des Alten Testaments waren im Blick auf die geistlichen Dinge, die durch sie bezeichnet und angeboten wurden, dem Wesen nach dieselben wie die des Neuen (1. Kor 10,1–4). Kapitel 28: Die Taufe 1. Die Taufe ist ein Sakrament des Neuen Testaments, von Jesus Christus nicht allein zur feierlichen Zulassung des Täuflings zur sichtbaren Kirche eingesetzt, sondern auch, damit sie für diesen ein Zeichen und Siegel des Gnadenbundes, seiner Einpflanzung in Christus, der Wiedergeburt, der Sündenvergebung und seiner Übergabe an Gott durch Jesus Christus sei, um in der Erneuerung des Lebens zu wandeln. Dieses Sakrament soll nach Christi eigener Bestimmung in seiner Kirche bis zum Ende der Welt fortgesetzt werden (Mt 28,19 f.; 1. Kor 12,13; Röm 4,11; 6,3–5; Kol 2,11 f.; Gal 3,27; Tit 3,5; Mk 1,4). 2. Das äußere Element, das in diesem Sakrament gebraucht wird, ist Wasser, mit dem der Täufling im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes durch einen rechtmäßig berufenen Diener des Evangeliums getauft werden soll (Mt 3,11; 28,19 f.; Joh 1,33). 3. Das Untertauchen der Person ins Wasser ist nicht notwendig, sondern die Taufe ist durch Begießen und Besprengen der Person mit Wasser recht erteilt (Hebr 9,10.19–22; Apg 2,41; 16,33; Mk 7,4). 4. Nicht nur jene, die selbst den Glauben an Christus und den Gehorsam ihm gegenüber bekennen, sondern auch die Kinder eines oder beider gläubigen Eltern sollen getauft werden (Mk 10,13–16; 16,15 f.; Apg 2,38 f.; 8,37 f.; Gen 17,7.9; Gal 3,9.14; Kol  2,11 f.; Röm 4,11 f.; 1. Kor 7,14; Mt 28,19; Lk 18,15).

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5. Obwohl es eine große Sünde ist, diese Ordnung zu verachten oder geringzuschätzen, sind doch Gnade und Seligkeit nicht derart untrennbar damit verbunden, dass niemand ohne sie wiedergeboren oder selig werden könnte, oder dass alle Getauften auch unzweifelhaft wiedergeboren seien (Lk 7,30; Ex 4,24–26; Röm 4,11; Apg 8,13.23; 10,2.4.22.31.45.47). 6. Die Wirksamkeit der Taufe ist nicht an jenen Zeitpunkt gebunden, zu dem sie erteilt worden ist. Auch wird beim rechten Gebrauch dieser Ordnung die verheißene Gnade nicht bloß angeboten, sondern auch wirklich dargeboten und durch den Heiligen Geist an solche Erwachsene oder Kinder vermittelt, denen diese Gnade nach dem Ratschluss von Gottes eigenem Willen zu der von ihm festgesetzten Zeit zukommt (Joh 3,5.8; Gal 3,27; Tit 3,5; Eph 5,25 f.; Apg 2,38.41). 7. Das Sakrament der Taufe wird jeder Person nur einmal erteilt (Tit 3,5). Kapitel 29: Das Abendmahl des Herrn 1. Unser Herr Jesus, in der Nacht, in der er verraten wurde, setzte das Sakrament seines Leibes und Blutes, genannt das Abendmahl des Herrn, ein, damit es in seiner Kirche bis ans Ende der Welt gefeiert würde: nämlich zur immerwährenden Erinnerung an sein eigenes Opfer in seinem Tod, zur Versiegelung aller Wohltaten daraus an den wahren Gläubigen, zu ihrer geistlichen Nahrung und ihrem Wachstum in ihm, zu ihrer weiteren Bindung in und zu allen Pflichten, die sie ihm schulden, und zu einem Band und Pfand ihrer Gemeinschaft mit ihm und untereinander als Glieder seines geheimnisvollen Leibes (1. Kor 10,16 f.21; 11,23–26; 12,13). 2. In diesem Sakrament wird Christus nicht dem Vater aufgeopfert noch überhaupt ein wirkliches Opfer für die Vergebung der Sünden von Lebenden und Toten vollzogen. Vielmehr ist es nur ein Gedächtnis des einen [Opfers], das er selbst – durch sich selbst – am Kreuz dargebracht hat – ein für alle Mal – und in jeder Hinsicht ein Lobpreis dafür an Gott. Deswegen ist das papistische Messopfer, wie sie es nennen, eine ganz abscheuliche Verunglimpfung von Christi einmaligem und einzigem Opfer, der einzigen Versöhnung für alle Sünden der Erwählten (Hebr 7,23 f.27; 9,22.25 f.28; 10,11 f.14.18; 1. Kor 11,24–26; Mt 26,26 f.). 3. Der Herr Jesus hat in seiner Ordnung seinen Dienern vorgeschrieben, sein Einsetzungswort dem Volk zu erklären, zu beten und die Elemente von Brot und Wein zu segnen und sie damit von einem gewöhnlichen Gebrauch zu einem heiligen zu unterscheiden, das Brot zu nehmen und zu brechen, den Kelch zu nehmen und – wobei sie auch selbst kommunizieren – beides den Kommunikanten zu geben, aber niemandem, der dann in der Gemeinde abwesend ist (Mt 26,26–28; Mk 14,22–24; Lk 22,19 f.; 1. Kor 11,20.23–26; Apg 20,7).

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4. Privatmessen oder der Empfang des Sakraments von einem Priester oder jemand anderem als Einzelperson, ebenso die Verweigerung des Kelchs gegenüber dem Volk, die Verehrung der Elemente, deren Erhöhung oder deren Umhertragen zur Anbetung und deren Aufbewahrung zu einem angeblich gottesdienstlichen Gebrauch sind allesamt mit dem Wesen dieses Sakraments und der Einsetzung Christi unvereinbar (Mt 15,9; 1. Kor 10,6; 11,25–29; Mk 14,23). 5. Die äußeren Elemente in diesem Sakrament haben, wenn sie ordnungsgemäß zu dem von Christus eingerichteten Gebrauch bereitgehalten werden, eine solche Beziehung zu ihm als dem Gekreuzigten, dass sie wahrhaftig, doch nur sakramental, mit den Bezeichnungen der Dinge, die sie darstellen, nämlich des Leibes und Blutes Christi, bisweilen benannt werden, obwohl sie nach Substanz und Wesen weiterhin wahrhaftig und allein Brot und Wein bleiben, wie sie es zuvor gewesen sind (Mt ­26,26–28 f.; 1. Kor 11,26–28). 6. Jene Lehre, die eine Wandlung der Substanz von Brot und Wein in die Substanz von Christ Leib und Blut – gemeinhin Transsubstantiation genannt – durch die Weihehandlung eines Priesters oder auf eine andere Weise behauptet, liegt nicht allein mit der Schrift im Streit, sondern ebenso mit dem gesunden Menschenverstand und der Vernunft. Sie verfälscht das Wesen des Sakraments und war bisher und ist noch die Grundlage vielfältigen Aberglaubens, ja gröbsten Götzendienstes (Apg 3,21; 1. Kor 11,23–26; Lk 24,6.39). 7. Würdige Christen empfangen und sättigen sich, indem sie äußerlich an den sichtbaren Elementen dieses Sakraments teilhaben, zugleich innerlich durch den Glauben wahrhaftig und wirklich, zwar nicht fleischlich und leiblich, sondern geistlich an dem gekreuzigten Christus und allen Wohltaten seines Todes. Wenn auch Leib und Blut Christi nicht leiblich oder fleischlich in, mit oder unter dem Brot und Wein sind, so sind sie doch so wirklich, aber geistlich für den Glauben der Christen in dieser Ordnung gegenwärtig, wie die Elemente selbst das für deren äußere Sinne sind (1. Kor 10,16; 11,28). 8. Obwohl unwissende und gottlose Menschen die äußeren Elemente in diesem Sakrament empfangen, so empfangen sie doch nicht die durch sie bezeichnete Sache. Vielmehr werden sie durch ihr unwürdiges Hinzukommen schuldig am Leib und Blut des Herrn zu ihrer eigenen Verdammnis. Deswegen sind alle unwissenden und gottlosen Personen, weil sie unfähig sind, sich der Gemeinschaft mit ihm zu erfreuen, des Tisches des Herrn unwürdig und dürfen nicht ohne große Sünde gegenüber Christus, wenn sie in diesem Zustand verharren, an diesen heiligen Geheimnissen teilnehmen oder zu ihnen zugelassen werden (1. Kor 5,6 f.13; 11,27–29; 2. Kor 6,14 f.; 2. Thess 3,6.14 f.; Mt 7,6).

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Kapitel 30: Die Kirchenzucht 1. Der Herr Jesus hat als König und Haupt seiner Kirche ein Regiment in ihr in der Hand der Diener der Kirche festgesetzt, unterschieden von der bürgerlichen Regierung (Jes  9,5 f.; 1. Tim 5,17; 1. Thess  5,12; Apg 20,17 f.; Hebr 13,7.17.24; 1. Kor 12,28; Mt 28,18–20). 2. Diesen Dienern sind die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut, durch die sie jeweils die Macht haben, Sünden zu behalten und zu vergeben, das Reich vor denen, die nicht zur Umkehr bereit sind, durch beides, das Wort und die Zucht, zu verschließen und es zu öffnen für zur Umkehr bereite Sünder durch den Dienst des Evangeliums und durch die Lossprechung von der Zucht, wie es die Gelegenheit erfordern wird (Mt 16,19; 18,17 f.; Joh 20,21–23; 2. Kor 2,6–8). 3. Kirchliche Zuchtmaßnahmen sind notwendig zur Besserung und Rückgewinnung von Unruhe stiftenden Brüdern, zur Abschreckung anderer von gleichen Ärgernissen, zum Ausfegen jenes Sauerteigs, der den gesamten Teig durchsäuern könnte, zur Verteidigung der Ehre Christi und des heiligen Bekenntnisses des Evangeliums und zur Abwendung des Zorns Gottes. Dieser könnte zu Recht auf seine Kirche fallen, wenn sie dulden sollte, dass sein Bund und dessen Siegel von offenkundigen und hartnäckigen Übeltätern entweiht werden (1. Kor 5; 11,27–34; 1. Tim 1,20; 5,20; Jud 23). 4. Zum besseren Erreichen dieser Ziele haben die Diener der Kirche mit Ermahnung, zeitweiligem Fernhalten vom Sakrament des Abendmahls des Herrn und Ausschluss aus der Kirche zu verfahren, je nach Art des Vergehens und der Schuld der Person (1. Thess 5,12; 2. Thess 3,6.14 f.; 1. Kor 5,4 f.13; Mt 18,17; Tit 3,10). Kapitel 31: Synoden und Konzile 1. Zur besseren Regierung und zum weiterem Aufbau der Kirche sollte es solche Versammlungen geben, wie sie gemeinhin als Synoden oder Konzile bezeichnet werden (Apg 15,2.4.6). 2. Wie Regierungen rechtmäßig eine Synode von Dienern der Kirche und anderen geeigneten Personen berufen dürfen, um sich in Glaubensdingen Unterricht und Rat zu holen, so dürfen, wenn die Regierungen offensichtliche Feinde der Kirche sind, die Diener Christi von sich aus kraft ihres Amtes oder zusammen mit anderen geeigneten Personen kraft einer Bevollmächtigung durch ihre Gemeinden zu solchen Versammlungen zusammentreten (Jes 49,23; 1. Tim 2,1 f.; 2.Chr 19,8–11; 29 f.; Mt 2,4 f.; Prov 11,14; Apg 15,2.4.22–25). 3. Es gehört zur Aufgabe von Synoden und Konzilen, durch ihren Dienst Glaubensstreitigkeiten und Gewissensfälle zu entscheiden, Regeln und Anweisungen für die bessere Ordnung der öffentlichen Gottesverehrung

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und des Kirchenregiments festzulegen, Klagen in Fällen von Amtsverfehlungen entgegenzunehmen und diese endgültig zu entscheiden. Deren Beschlüsse und Entscheidungen, wenn sie mit dem Wort Gottes übereinstimmen, sind mit Hochachtung und Ergebenheit entgegenzunehmen, nicht nur wegen ihrer Übereinstimmung mit dem Wort [Gottes], sondern auch wegen der Rechtsbefugnis, kraft derer sie gemacht sind, da sie eine von Gott in seinem Wort hierzu bestimmte Ordnung sind (Apg 15,15.19.24.27–31; 16,4; Mt 18,17–20). 4. Alle Synoden oder Konzile seit der Zeit der Apostel, ob allgemeine oder regionale, können irren, und viele haben geirrt. Deswegen dürfen sie nicht zur Richtschnur des Glaubens oder Handelns gemacht werden, sondern sollen als eine Hilfe zu beidem genutzt werden (Eph 2,20; Apg 17,11; 1. Kor 2,5; 2. Kor 1,24). 5. Synoden und Konzile haben nichts anderes als kirchliche Sachen zu verhandeln und zu beschließen und haben sich in bürgerliche Angelegenheiten, die das Gemeinwohl betreffen, nicht einzumischen, ausgenommen in außerordentlichen Fällen in Gestalt einer demütigen Bitte oder, wenn sie dazu von der bürgerlichen Regierung aufgefordert werden, in der Gestalt eines Ratschlags zu Gewissensfragen (Lk 12,13 f.; Joh 18,36). Kapitel 32: Vom Zustand der Menschen nach dem Tod und von der Auferstehung der Toten 1. Die Körper der Menschen werden nach dem Tod wieder zu Staub und verwesen, aber ihre Seelen, die weder sterben noch schlafen, haben ein unsterbliches Wesen und kehren unmittelbar zu Gott zurück, der sie gegeben hat. Die Seelen der Gerechten, die dann in Heiligkeit vollkommen gemacht sind, werden in den höchsten Himmel aufgenommen, wo sie Gottes Angesicht in Licht und Herrlichkeit schauen und auf die vollkommene Erlösung ihrer Körper warten. Die Seelen der Gottlosen aber werden in die Hölle geworfen, wo sie in Qualen und äußerster Finsternis bis zum Gericht des Jüngsten Tages bleiben. Außer diesen beiden Orten für die von ihren Körpern getrennten Seelen kennt die Schrift sonst keinen (Gen 3,19; Apg 1,25; 3,21; 13,36; Lk 16,23 f.; 23,43; Koh 12,7; Hebr 12,23; 2. Kor 5,1.6.8; 12,2; Phil  1,23; Eph 4,10; Jud 6 f.; 1. Petr 3,19). 2. Am Jüngsten Tag werden die Lebenden nicht sterben, sondern verwandelt, und alle Toten werden trotz veränderter Eigenschaften mit ihren eigenen Körpern und keinen anderen auferweckt, die wiederum mit ihren Seelen für immer vereinigt werden (1. Thess 4,17; 1. Kor 15,42–44.51 f.; Hi 19,26 f.; Lk 24,3–5.12.38–43; Joh 20,24–29). 3. Die Körper der Ungerechten werden durch die Macht Christi zur Schande auferweckt, die Körper der Gerechten aber durch seinen Geist

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zur Ehre und werden seinem herrlichen Leib gleichförmig (Apg 24,15; Joh 5,28 f.; 1. Kor 15,43; Phil 3,21). Kapitel 33: Das Jüngste Gericht 1. Gott hat einen Tag bestimmt, an dem er die Welt in Gerechtigkeit durch Jesus Christus richten wird, dem alle Macht und alles Gericht vom Vater übergeben ist. An diesem Tag werden nicht nur die abgefallenen Engel gerichtet, sondern in gleicher Weise werden alle Menschen, die auf Erden gelebt haben, vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, um Rechenschaft von ihren Gedanken, Worten und Taten zu geben und nach dem zu empfangen, was jeder in seinem irdischen Leben getan hat, sei es gut oder böse (Apg 17,31; Joh 5,22.27; 1. Kor 6,3; Jud 6; 2. Petr 2,4; 2. Kor 5,10; Koh 12,14; Röm 2,16; 14,10.12; Mt 12,36 f.). 2. Der Zweck dieses von Gott angesetzten Tages ist die herrliche Offenbarung seiner Barmherzigkeit in der ewigen Erlösung seiner Erwählten sowie seiner Gerechtigkeit in der Verdammnis der Verworfenen, die gottlos und ungehorsam sind. Dann werden die Gerechten ins ewige Leben eingehen und die Fülle der Freude und Erquickung empfangen, die von der Gegenwart des Herrn kommt. Aber die Gottlosen, die Gott nicht kennen und dem Evangelium Christi nicht gehorchen, werden in die ewige Qual geworfen und bestraft mit ewiger Ferne von der Gegenwart des Herrn und seiner herrlichen Macht (Mt 25,21.31–46; Röm 2,5 f.; 9,22 f.; Apg 3,20; 2. Thess 1,7–10). 3. Wie Christus uns mit der Gewissheit überzeugt haben will, dass es einen Tag des Gerichts geben soll zu beidem – alle Menschen von Sünden abzuschrecken und zu besserem Trost der Gottesfürchtigen in ihrem Unglück –, so will er haben, dass dieser Tag den Menschen unbekannt sei, damit sie alle fleischliche Sicherheit abschütteln und immer wachsam sein sollen, weil sie nicht wissen, zu welcher Stunde der Herr kommen wird. Sie sollen immer bereit sein zu sagen: „Komm, Herr Jesus, komm bald. Amen“ (2. Petr 3,11.14; 2. Kor 5,10 f.; 2. Thess 1,5–7; Lk 12,35 f.; 21,27 f.; Röm 8,23–25; Mt 24,36.42–44; Mk 13,35–37; Apk 22,20).

30. Helvetische Konsensformel (1675)  Einleitung Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten Zürich und Genf nicht nur ihre ehemals führende kirchenpolitische, sondern auch ihre theologische Position weitgehend an reformierte Territorialkirchen und ihre jeweiligen Ausbildungsstätten im Reich, den Niederlanden, aber auch an Frankreich verloren. Gestützt auf das Zweite Helvetische Bekenntnis (Confessio Helvetica posterior) von 1566 konzentrierten sich die eidgenössischen Theologen auf ihre Landeskirchen. Doch auch sie konnten sich gegen kirchliche Diskussionen, die in Europa um Bekenntnisfragen geführt wurden, nicht völlig abschotten. Auch in ihren Gemeinden begannen Studenten, Theologen, Pfarrer und Gemeindeglieder, die neuen Überzeugungen und Ansichten zu diskutieren. Insbesondere die an der französischen Akademie in Saumur lehrenden Moyse Amyraut und Louis Cappellus regten Debatten über die Prädestinationslehre wie auch über die alt­testamentliche Textkritik an. Zürcher Studenten wurden deshalb aus Saumur abberufen, um von „Irrlehren“ ferngehalten zu werden. Amyrauts Theologie, die sich in Genf kurzfristig Gehör verschafft hatte, wurde 1669 nach Protesten anderer eidgenössischer Orte von Rat und Akademie offiziell nicht mehr geduldet. Zudem provozierte die Philosophie von René Descartes nach einem Gutachten der Berner Geistlichen die dortige Obrigkeit zu einem Verbot des Cartesianismus im Jahr 1669, woraufhin alle Berner Studenten nach ihrer Rückkehr in die Heimat auf ihre Rechtgläubigkeit überprüft wurden. Eine ähnliche Beschlusslage galt auch in Zürich, dort kam es aber nicht zu einem obrigkeitlichen Verbot von Descartes Werk. Die Unruhe, die diese Diskussionen in die Kirchen hineintrugen, ließ sich aber durch obrigkeitliche Verbote nicht beheben. François Turretini, seines Zeichens Rektor der Genfer Akademie, brachte daher den Plan einer gegen die „Neuerungen“ gerichteten Stellungnahme ins Spiel. Die Federführung der im Jahr 1674 beginnenden Verhandlungen zwischen Zürich, Basel, Bern, Schaffhausen und auch Genf fiel jedoch auf den Zürcher Theologen Johann Heinrich Heidegger, der schließlich eine als „Helvetische Konsensformel“ bezeichnete Stellungnahme vorlegte, die im Verlauf des Jahres 1675 von nahezu allen eidgenössischen reformierten Kirchen als Symbol anerkannt wurde. Zudem erkannten am 24. Juni 1675 in Baden die Stände von Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen die Konsensformel als gültiges Symbol an.

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In 26  Canones wurden kurz gefasste Stellungnahmen zu den umstrittenen Themen vorgelegt. Bekräftigt wurden die Verbindlichkeit des überlieferten hebräischen Textes des Alten Testamentes gegenüber Einzelversionen (gegen Cappellus), die göttliche Gnadenwahl (gegen Amyraut), der Bund der Werke (gegen Coccejus), die Lehre von der Ursünde (gegen Arminius) sowie das Werk Christi und sein Verdienst durch tätigen Gehorsam (gegen Piscator). Sie richten sich also nicht gegen potenzielle römisch-katholische oder lutherische Gegner, sondern allein gegen die neuen Überlegungen innerhalb der reformierten Theologie. Die Vorrede hält fest, dass es unumgänglich sei, an der von den Vätern errungenen reinen Lehre festzuhalten und die von außen eingedrungenen Neuerungen abzuwehren. Basis der rechtgläubigen Lehre, so hält Canon 26 fest, seien neben der Schrift die Dordrechter Beschlüsse – und das Zweite Helvetische Bekenntnis. Auf diese Weise vollzogen die Schweizer Kirchen analog zum lutherischen Einigungsprozess im Jahr 1675 ihr eigenes Konkordienwerk. Indem sie verbindlich festlegten, was rechter Glaube sei, und zudem einen Corpus verbindlicher Texte benannten, beschritten sie jenen Weg, den lutherische Kirchen wie Obrigkeiten bereits 1577/1580 gegangen waren. Doch die Schweizer kamen mit dieser Entscheidung hundert Jahre zu spät. Die Orthodoxie hatte bereits ihre theologisch bedeutendste und möglicherweise auch politisch notwendige Zeit hinter sich. Aufklärerische Gedanken wie pietistische Strömungen stellten nun ihre jeweils eigenen Anfragen an Theologie und Kirchen. So wurde die Helvetische Konsensformel kaum beachtet, geschweige denn in der Öffentlichkeit breit rezipiert. Edition Helvetische Konsensformel von 1675, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 437–465 (Bearb.: Emidio Campi) Übersetzung Die Schweizer Übereinkunft, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformirten Kirche, hg. v. Ernst Gottfried Adolf Böckel, Leipzig 1847, 348–360 Literatur Emidio Campi, Helvetische Konsensformel von 1675. Einleitung, in: RefBS, Bd. 3/2: 1605–1675, 437–451 Rudolf Pfister, Kirchengeschichte der Schweiz, Bd. 2: Von der Reformation bis zum zweiten Villmerger Krieg, Zürich 1974 Einleitung: Andreas Mühling; Übersetzung: Rieke Eulenstein und Peter Opitz, unter Berücksichtigung der Übersetzung von Ernst Gottfried Adolf Böckel

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Helvetische Konsensformel (1675)  Übereinkunft der reformierten eidgenössischen Kirchen über die Lehre von der allgemeinen Gnade und was damit zusammenhängt sowie einige andere Punkte. Vorrede Was der göttliche Völkerapostel [Paulus] dem Timotheus, seinem wesen­ haften Sohn, nachdrücklich eingeschärft hat, nämlich, „dass er bei dem bleibe, was er gelernt und voller Vertrauen angenommen“ habe (2. Tim 3,14), soll uns in diesen beklagenswerten und bitteren Zeiten ins Gedächtnis und in den Sinn kommen. Umso mehr, weil die traurige Erfahrung bezeugt, dass nicht nur in einem Hauptstück der Wahrheit von der Grundlage der heilsamen Lehre abgewichen wird und der Glaube, der den Heiligen einmal aus Gottes Wort verkündigt worden war, durch die sich insgeheim verbreitenden Irrtümer nicht wenig Schaden leidet. Was uns betrifft, betrachten wir es mit Recht als Geschenk der göttlichen Güte und Gnade, die uns der himmlische Vater vor vielen anderen Völkern erwiesen hat, dass er unsere Vorgesetzten, die hohen Oberen, die Väter des Vaterlandes [und] die wahrhaften Pfleger der Kirche mit dem Geist der Frömmigkeit, der Weisheit und der Tapferkeit begabt hat, sodass sie das Kleinod der Wahrheit, das sie von ihren Vorfahren aus dem Wort Gottes empfangen haben, gewissenhaft bewahren und gleichsam nicht aus den Händen lassen und nicht zulassen, dass in unseren Kirchen eine Verunstaltung der Lehre Eingang findet. Weil es kein geringeres Verdienst ist, das Erworbene zu hüten, als danach zu streben, und wir den Engel der Gemeinde in Philadelphia täglich rufen hören: „Siehe, ich komme bald, behalte, was du hast, damit niemand deine Krone nehme“ (Apk 3,11), beugen wir mit Recht unsere Knie vor dem Vater unseres Herrn, Jesus Christus, und bitten ihn inbrünstig, dass er in diesen gefahrvollen Zeiten uns diesen Vorzug und diese Wohltat gnädig erhalten wolle, bis an das Ende der Welt. Damit die irrigen Meinungen, welche in einigen Hauptstücken, insbesondere in der Lehre von der Ausdehnung der göttlichen Gnade, überhandgenommen haben, nicht unsere Jugend und im Laufe der Zeit auch unsere Gemeinden anstecken und aus derartigen mit zu großer Nachsicht geduldeten Meinungen noch schlimmere entstehen, wovon das traurige Beispiel des Remonstrantismus ein Beweis ist (denn kaum eine andere Saat ist fruchtbarer als der Irrtum), war es unsere Aufgabe auf Veranlassung und Befehl der Obrigkeit, [solchen Irrtümern] einen kraftvollen und heiligen Riegel zu schieben.

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Die Lehrsätze rund um die Lehre der allgemeinen Gnade und einige andere Lehrpunkte wurden aus diesen Überlegungen geboren und sind von uns einträchtig verabschiedet worden. Wir haben dabei unser Bestes gegeben, damit Wahrheit und Liebe, die ein Zwiegespann sind, [gemeinsam] um den Siegeskranz kämpfen. Es gibt aber keinen Grund, weshalb die ehrwürdigen auswärtigen Brüder, die „desselben Glaubens teilhaft“ sind (2. Petr 1,1) und die wir brüderlich schätzen und ehren, wegen einer auf richtigen Gründen beruhenden, abweichenden Ansicht gegen uns aufgebracht sein sollten oder sagen könnten, dass wir jemandem Gelegenheit zur Spaltung gäben. Auf beiden Seiten steht ja durch Gottes Gnade der Grund des Glaubens unverletzt, und auf beiden Seiten sind aus dem Wort Gottes Gold und Silber und nicht weniger Edelsteine erbaut (1. Kor 3,12). Die Einheit des geistlichen Leibes und des Geistes ist unverletzt, „wie auch wir berufen wurden zu einer gemeinsamen Hoffnung unserer Berufung. Wir haben einen Herrn und einen Glauben“, und in der Verteidigung desselben eine heilige Übereinstimmung und Eintracht, „eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ (Eph 4,4–6). Und schließlich soll das Band der zärtlichen Liebe und Verbindung unter uns unverletzt und die hochheilige Verpflichtung zur Gemeinschaft der Heiligen durch Gottes Gnade bestehen bleiben. Im Übrigen wollen wir nicht versäumen, Gott, den Vater der Himmelslichter (Jak 1,17), andächtig anzurufen, damit er unser Vorhaben heilsam sein lasse und es durch Jesus Christus, den alleinigen Anfänger und Vollender unseres Glaubens und Heils, segne. Lehrsätze 1. Der allmächtige, gnädige Gott hat sein heiliges Wort, „das eine Kraft Gottes ist zur Rettung für jeden, der glaubt“ (Röm 1,16), nicht nur durch Mose, die Propheten und Apostel schriftlich abfassen lassen, sondern auch für die Heilige Schrift väterliche Sorge getragen, damit sie nicht durch die Machenschaften des Satans oder menschlichen Betrug verfälscht werden konnte. Darum kommt es darauf an, dass die Kirche [Gottes] einzigartige Gnade und Güte annimmt, weil sie das prophetische Wort und die Heilige Schrift hat und haben wird (2. Petr 1,19; 2. Tim 3,15), aus denen nicht ein Häkchen oder ein einziges Jota vergehen soll, bis Himmel und Erde vergangen sind (Mt 5,18). 2. Besonders auch der hebräische Text des Alten Testaments ist von Gott inspiriert, den wir durch die Überlieferung der jüdischen Kirche [= Synagoge], der einst die Worte Gottes anvertraut wurden (Röm 3,2), erhalten haben und noch besitzen – sowohl was die Konsonanten als auch die

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Vokale und die Worte betrifft (2. Tim 3,16). Somit ist er zusammen mit dem Text des Neuen Testaments die alleinige und unverletzliche Richtschnur unseres Glaubens und Lebens. Alle vorhandenen Übersetzungen, die morgenländischen wie die abendländischen, müssen an diesem Prüfstein geprüft und, wo sie abweichen, verbessert werden. 3. Wir können daher die Meinung derer keineswegs billigen, die behaupten, die Textgestalt, die der hebräische Text bietet, sei lediglich durch menschliche Urteile festgelegt worden. Sie machen sich daher kein Gewissen daraus, die hebräische Lesart, die sie als wenig passend beurteilen, durchzustreichen und sie nach den griechischen Übersetzungen der siebzig Älteren [= Septuaginta] und anderer, nach der samaritanischen Handschrift, nach den chaldäischen Targumim oder auch nach anderen [Maßstäben], sogar bisweilen nur aus Vernunftgründen, zu verbessern und keine andere Lesart als echt anzuerkennen, die nicht durch Vergleich der Ausgaben und Handschriften des hebräischen Textes und durch die Kritik des menschlichen Urteils über die abweichenden Lesarten herausgebracht werden kann. Dabei behaupten sie, dass außer der heutigen hebräischen Ausgabe noch andere hebräische Texte in den von unserem Text abweichenden Übertragungen der alten Übersetzer vorhanden seien, welche noch jetzt als Spuren früherer Verschiedenheit der hebräischen Handschriften betrachtet werden müssen. Auf diese Weise machen sie die Grundlage unseres Glaubens und sein hochheiliges Ansehen verdächtig. 4. Gott hat vor der Grundlegung der Welt in Christus Jesus, unserem Herrn, einen ewigen Ratschluss getroffen (Eph 3,11), in dem er aus purem Wohlgefallen seines Willens, ohne irgendwelche [künftigen] Verdienste vorherzusehen, [seien es] der Werke oder des Glaubens, zur Verherrlichung seiner Gnade eine gewisse und bestimmte Anzahl Menschen erwählt hat. Diese, die mit den übrigen in der gleichen Masse des Verderbens stehen und gleicher Abstammung – also mit Sünde verdorben – sind, sollen in der Zeit durch Christus, den einzigen Bürgen und Mittler, zum Heil geführt und sowohl durch sein Verdienst wie auch durch die mächtige Kraft des Heiligen Geistes, der die Wiedergeburt schafft, wirksam gerufen, wiedergeboren und mit Glauben und Buße beschenkt werden. Auf diese Weise hat Gott beschlossen, seine Herrlichkeit zu offenbaren: zunächst den Menschen vollkommen zu erschaffen, dann ihn dem Sündenfall zu überlassen und schließlich sich einiger aus dem gefallenen Geschlecht zu erbarmen und sie deshalb auszuwählen; andere aber in der verdorbenen Masse zu belassen und dem ewigen Untergang zu übergeben.

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5. In diesen gnädigen Beschluss, nämlich der ewigen Gnadenwahl, wird auch Christus selbst einbezogen. Nicht als eine verdienstliche Ursache oder als der Erwählung vorausgehendes Fundament; sondern selbst als vor Grundlegung der Welt zur Ausführung seines Ratschlusses „erwählter“ Mittler (1. Petr 2,4.6) und unser erstgeborener Bruder, dessen kostbares Verdienst [Gott] gebrauchen wollte, um uns ohne Verletzung seiner Gerechtigkeit die Seligkeit zu verleihen. Die Heilige Schrift bezeugt nicht nur, dass die Gnadenwahl nach dem „Wohlgefallen des göttlichen Ratschlusses und Willens“ geschehen ist (Eph 1,5.9; Mt 11,26), sondern auch, dass die Sendung und Gabe Christi, unseres Mittlers, einzig und allein von der „Liebe“ Gottes des Vaters zur „Welt“ der Auserwählten geleitet wird (Joh 3,16). 6. Deswegen können wir auch der Meinung derer nicht zustimmen, die lehren, Gott habe aus Menschenliebe oder aufgrund einer besonderen Liebe zu dem in Sünde gefallenen Menschengeschlecht einen allgemeinen Beschluss gefasst, welcher der Gnadenwahl vorangegangen sei und in dem ein bedingter Wille, ein noch nicht Wirklichkeit gewordener Wunsch, eine erste Barmherzigkeit liege (wie sie formulieren), alle und jeden Einzelnen zu retten, abhängig davon, ob sie glauben; dass er [somit zunächst] Christus für alle und jeden einzelnen Gefallenen zum Mittler bestimmt habe, und dass er daraufhin einige erwählt habe, die er nun nicht mehr nur als Sünder im ersten Adam, sondern als im zweiten Adam Erlöste ansehe. Er habe somit bei sich selbst beschlossen, diesen in der Zeit die heilsame Gabe des Glaubens zu schenken. Und erst damit sei die Erwählung im eigentlichen Sinn vollzogen. Dies alles und was darüber hinaus in ähnlicher Weise gelehrt wird, rückt nicht wenig ab von dem, was uns das heilsame Wort Gottes von der ewigen Gnadenwahl vorgibt. Denn die Heilige Schrift bezieht den Vorsatz Gottes, sich der Menschen zu erbarmen, nicht auf alle und jeden Einzelnen, sondern beschränkt ihn auf die Erwählten allein; die Verdammten sind ausgeschlossen – zum Beispiel Esau, den Gott mit ewigem Hass belegt hat (Röm 9,11). In derselben Heiligen Schrift wird bezeugt, dass sich Rat und Wille Gottes nicht ändern, sondern „unbeweglich“ sind, und dass unser Gott „im Himmel vollbringt, was ihm gefällt“ (Jes 46,10; Ps 115,3). So ist bei Gott auch keine Unvollkommenheit wie bei den Menschen, in denen unausgeführte Wünsche und Begierden, Leichtsinn, Reue und Veränderungen der Absichten unmerklich wachsen. Die Bestimmung Christi zum Mittler und die Rettung derjenigen, die ihm zum Eigentum und Erbe gegeben sind, das ihm niemand entreißen kann, gehen beide aus ein und demselben Erwählungsratschluss hervor und verhalten sich nicht wie Grundlage und Folge.

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7. Wie Gott von Ewigkeit her „alle seine Werke bekannt gewesen sind“ (Apg 15,18), hat er in der Zeit nach seiner unendlichen Macht, Weisheit und Güte den Menschen – die Ehre und Krone seiner Werke – nach seinem Bild, also gut, weise und gerecht, erschaffen. Mit ihm hat er nach seiner Erschaffung einen Bund der Werke geschlossen und ihm darin Gemeinschaft mit ihm, Freundschaft und Leben gnädig verheißen, wenn er seinem Willen gehorchen würde. 8. In diesem Versprechen, das mit dem Bund der Werke verbunden war, ging es nicht um ununterbrochenes irdisches Leben und Glück, sondern um ein ewiges und himmlisches Leben, das er, nachdem er seine Lebensbahn in vollkommenem Gehorsam vollendet hat, im Himmel in unaussprechlicher Freude in der Gemeinschaft mit Gott, dem Leib wie der Seele nach, genießen sollte. Dies nämlich ist nicht nur dem Adam durch den „Baum des Lebens“ (Gen 3,22) vor Augen gestellt worden; auch das Gesetz, das von Christus an unserer Stelle erfüllt worden ist, verspricht denen, die es erfüllen, kein anderes als ein himmlisches Leben in Christus, was auch die entgegengesetzte Drohung des „Todes“, nicht des zeitlichen, sondern des ewigen, beweist (Gen 3,3). 9. So können wir auch denjenigen nicht beipflichten, die bestreiten, dass Adam, wenn er Gott gehorsam gewesen wäre, die Belohnung einer himmlischen Seligkeit zuteilgeworden wäre. Und ebenso lehnen wir [die Behauptung] ab, dass das Versprechen des Bundes der Werke lediglich ein Versprechen eines immerwährenden Lebens in einem irdischen Paradies gewesen sei, mit Überfluss an Gütern aller Art, wie sie der Seele und dem Geist eines Menschen im Zustand der unverdorbenen Natur eigentümlich sind. Dies widerspricht dem gesunden Sinn des göttlichen Wortes und schwächt die Kraft des Gesetzes, wenn es für sich betrachtet wird. 10. Gott hat den Bund der Werke nicht nur für Adam geschlossen, sondern in ihm, als dem Haupt und der Wurzel, mit dem ganzen Menschengeschlecht. Kraft des Segens der von ihm abstammenden Natur hätte dieses dieselbe Vollkommenheit erben sollen, wenn es in [dieser Natur] geblieben wäre. Entsprechend hat Adam durch seinen traurigen Fall nicht allein für sich, sondern für das ganze Menschengeschlecht – aus „Blut und dem Wollen des Fleisches“ gezeugt (Joh 1,13) – gesündigt und die im Bund verheißenen Güter verloren. Wir denken also, dass die Sünde Adams nach dem geheimnisvollen und gerechten Urteil Gottes allen seinen Nachkommen zugerechnet wird. Denn der Apostel bezeugt: „In Adam haben alle gesündigt, durch den Ungehorsam des einen Menschen wurden alle zu Sündern gemacht“ (Röm 5,12.19), und „in ihm sterben

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alle“ (1. Kor 15,21 f.). Ohne ein Vergehen des menschlichen Geschlechts wäre die erbliche Verderbtheit nicht wie ein geistlicher Tod über die gesamte Menschheit gekommen, sodass sie nun gemäß Gottes gerechtem Urteil den Tod verdient hätte, denn Gott ist der allergerechteste Richter des Erdkreises und bestraft nur Schuldige. 11. Aus einem zweifachen Grund also ist der Mensch nach dem Sündenfall von Natur und also von Lebensbeginn an, ehe er noch eine wirkliche Sünde begangen hat, dem göttlichen Zorn und Fluch unterworfen: zuerst wegen der Verfehlung und des Ungehorsams, den er [als Frucht von] Adams Lenden begangen hat, dann als Folge der ihm bei der Empfängnis mitgegebenen erblichen Verderbtheit, wodurch seine ganze Natur verderbt und geistlich tot ist, sodass man mit Recht eine zweifache Ursünde annimmt – eine zugerechnete und eine erblich anhängende. 12. Ohne die himmlische Wahrheit zu verletzen, können wir denen also nicht zustimmen, die behaupten, dass Adam nach Gottes Absicht seine Nachkommen [gleichsam] repräsentieren soll, und daher leugnen, dass dessen Sünden den Nachkommen unmittelbar zugerechnet werden, und die durch Ausdrücke wie einer „mittelbaren“ und „nachfolgenden“ Zurechnung nicht nur den Zurechnungsaspekt der Ursünde aufheben, sondern auch die Lehre von der erblichen Verdorbenheit einer schweren Gefahr aussetzen. 13. Wie Christus von Ewigkeit her zum Haupt, Anführer und Herr von all jenen erwählt wurde, die in der Zeit durch seine Gnade gerettet werden, wurde er ebenso in der Zeit zum Bürgen des neuen Bundes allein für die, die ihm durch die ewige Erwählung gegeben sind, als das ihm gehörende Volk, sein Same und seine Nachkommenschaft. Allein für die Erwählten hat er durch Gottes Ratschluss und seiner eigenen Absicht gemäß den schrecklichen Tod erlitten. Nur sie brachte er in den Schoß der väterlichen Gnade zurück, versöhnte sie mit Gott, dem erzürnten Vater, und befreite sie vom Fluch des Gesetzes. Unser Jesus „rettet sein Volk von den Sünden“ (Mt 1,21), er, der „sein Leben als Lösegeld für viele hingab“ (Mt 20,24.28), „für seine Schafe“, die „auf seine Stimme hören“ (Joh 10,27f.; Jes 66,22). Für sie allein tritt er auch als göttlich berufener Priester ein und übergeht die „Welt“ (Joh 17,9). Durch den Tod Christi werden allein die Auserwählten, die in der Zeit zu einer „neuen Kreatur werden“ (2. Kor 5,17) und für die er selbst als ein Sühnopfer gestorben ist, als „mit ihm zusammen gestorben“ und „von der Sünde gerechtfertigt“ angesehen (Röm 6,7). So stimmt der Wille des sterbenden Christus mit dem Ratschluss des Vaters, der ihm keine anderen als die Erwählten

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zur Erlösung übergibt und durch die Wirkung des Heiligen Geistes keine anderen als die Auserwählten heiligt und zur lebendigen Hoffnung des ewigen Lebens versiegelt, vollkommen und innig überein, sodass der Vater, der erwählt, der Sohn, der erlöst, und der Heilige Geist, der heiligt, mit gleicher Wirksamkeit am Werk sind. 14. Dies ergibt sich noch deutlicher dadurch, dass Christus denen, für die er gestorben ist, wie das Heil selbst, so auch die Mittel des Heils erworben hat und ihnen zukommen lässt, besonders den Geist der Wiedergeburt und das himmlische Geschenk des Glaubens. Denn die Schrift bezeugt, dass Christus, der Herr, gekommen ist, „um die verlorenen Schafe des Hauses“ Israel zu retten (Mt 10,6; Mt 15,24), und dass er „den Heiligen Geist sendet“ als seinen Geist (Joh 16,7f.), die Quelle der Wiedergeburt, und dass unter den herrlichen Verheißungen des neuen Bundes, dessen Mittler und Bürge er geworden ist (Hebr 8,10), diese die höchste ist, dass er „sein Gesetz“, nämlich das Gesetz des Glaubens, „in die Herzen der Seinigen schreiben“ will (Joh 15,36f.). Zu Christus kommen alle die – durch den Glauben nämlich –, die ihm der Vater gegeben hat; und schließlich: Wir sind „erwählt in Christus, damit wir heilig und unsträflich seien und Kinder durch ihn“ (Eph 1,4f.). Dass wir in Wahrheit heilig und Gottes Kinder sind, kommt einzig aus dem Glauben und dem Geist der Wiedergeburt. 15. So hat Christus an Stelle der Erwählten durch den Gehorsam seines Todes Gott dem Vater genuggetan, dies aber in der Weise, dass sein ganzer Gehorsam, den er sein gesamtes Leben hindurch, wie jener gerechte „Knecht“ (Jes 53,11; Hebr 8,10), handelnd und leidend dem Gesetz geleistet hat, als seine stellvertretende Gerechtigkeit und sein stellvertretender Gehorsam angesehen werden muss. Denn nichts anderes war das Leben Christi nach dem Zeugnis des Apostels als eine immerwährende Entäußerung, Unterwerfung und Erniedrigung, die sich stufenweise bis zum Letzten erstreckte, nämlich dem Tod am Kreuz (Phil 2,8ff.). Zusammenfassend lehrt der Geist Gottes, dass Christus durch sein heiliges Leben dem Gesetz und der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung für uns getan habe, und nennt als [den von Christus bezahlten] Preis, mit dem wir für Gott erkauft worden sind, nicht nur die Leiden, sondern sein ganzes, dem Gesetz gemäßes Leben. Wenn dem Tod oder dem Blut Christi unsere Erlösung zugeschrieben wird, dann in dem Sinne, dass diese sein Leiden „zur Vollendung gebracht“ haben (Hebr 2,10). Mit dieser letzten, abschließenden und edelsten Tat, ohne die unsere Seligkeit nicht bestehen konnte und die der hellste Spiegel aller [seiner für uns vollbrachten] wunderbaren Taten ist, bezeichnet er das Ganze, zu dem auch das vorangehende Leben gehört.

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16. Da sich dies alles so verhält, können wir die Lehre derjenigen nicht gutheißen, die demgegenüber sagen: Gemäß seinem eigenen Willen und demjenigen des Vaters, der ihn gesendet hat, sei Christus ausnahmslos für alle gestorben, mit dem Zusatz der „unmöglichen“ [sie wirkungslos machenden] Bedingung: wenn sie [alle] glauben würden. Er habe allen das Heil erworben, aber dieses werde nicht allen zuteil. Durch seinen Tod habe er nämlich niemandem im eigentlichen Sinn und wirklich das Heil und den Glauben erworben, sondern nur der göttlichen Gerechtigkeit das Hindernis aus dem Weg geräumt und dem Vater die Möglichkeit gegeben, einen neuen Gnadenbund mit allen Menschen einzugehen. Sie unterscheiden eine aktive und eine passive Gerechtigkeit Christi und behaupten, die aktive eigne er sich als seine eigene an, die passive aber schenke er den Auserwählten und lasse sie ihnen zugutekommen. All dies und Ähnliches widerspricht klaren Schriftstellen und der Ehre Christi, welcher der „Anfänger und Vollender des Glaubens“ und des Heils ist (Hebr 12,2), und entleert sein Kreuz. Unter dem Anschein, das Verdienst Christi größer zu machen, verkleinert es dieses. 17. Die Berufung zum Heil ist „bestimmten Zeiten“ angepasst (1. Tim 2,6). Nach dem Willen Gottes war sie nämlich bald beschränkter, bald ausgedehnter und allgemeiner, niemals aber unbedingt allgemein. Zur Zeit des Alten Testaments „verkündigte Gott Jakob sein Wort und Israel seine Gesetze und Rechte. An keinem Volk hat er je gleich gehandelt“ (Ps 147,19f.). Im Neuen Testament hat Gott Frieden gemacht durch das Blut Christi, die Scheidewand zerbrochen (Eph 2,10) und die Grenzen der Verkündigung des Evangeliums und der äußerlichen Berufung so weit ausgedehnt, dass „kein Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden, sondern Gott nun der Herr aller ist, reich gegen alle, die ihn anrufen“ (Röm 10,12f.). Dennoch ist die Berufung nicht unbedingt allgemein. Denn Christus bezeugt, dass „viele berufen sind“, nicht alle (Mt 20,14). Und als Paulus und Timotheus nach Bithynien reisen wollten, um dort das Evangelium zu verkündigen, „ließ der Geist Jesu es nicht zu“ (Apg 16,7). Wie die Erfahrung bezeugt, gab und gibt es noch heute unzählige Menschen, denen Christus nicht einmal vom Hörensagen bekannt ist. 18. Unterdessen hat sich Gott auch denen, die er nicht gewürdigt hat, sie durch das Wort zum Heil zu berufen, „keineswegs unbezeugt gelassen“ (Apg 14,17), denn „er hat ihnen das Schauspiel des Himmels und der Gestirne gegeben“ (Dtn 4,19), und was aus den Werken der Natur und Vorsehung „von Gott“ erkannt werden kann, das hat er ihnen zur Bezeugung seiner Langmut „offenbart“ (Röm 1,19). Dennoch darf man nicht annehmen, dass die Werke der Natur und der göttlichen Vorsehung

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hinreichende Mittel seien, um die äußere Berufung zu ersetzen, [und dass den Menschen also] durch sie das Geheimnis des Wohlgefallens und der Barmherzigkeit Gottes in Christus bekanntgemacht worden wäre. Denn der Apostel fügt sogleich hinzu: „Gottes unsichtbares Wesen kann aus der Erschaffung der Welt an seinen Werken erkannt werden, also seine ewige Gottheit und Macht“ (Röm 1,20), nicht sein verborgenes Wohlgefallen in Christus, und das nicht mit dem Ziel, dass [die Menschen] daraus das Geheimnis des Heils in Christus kennenlernen sollten, sondern damit sie dadurch unentschuldbar würden, weil sie von dieser restlichen Erkenntnis Gottes keinen rechten Gebrauch gemacht, sondern trotz ihrer Gotteserkenntnis Gott weder die Ehre gegeben noch ihm Dank gesagt haben. So preist auch Christus Gott, seinen Vater, dass er dies „den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen geoffenbart hat“ (Mt 11,29), und der Apostel lehrt, dass „das Geheimnis des göttlichen Willens uns mitgeteilt wird entsprechend seinem Wohlgefallen, das er in Christus offenbar macht“ (Eph 1,9). 19. Die äußere Berufung selbst, die durch die Predigt des Evangeliums geschieht, ist auch im Blick auf Gott, der beruft, ernst und aufrichtig. Denn in seinem Wort zeigt er mit Ernst und Wahrhaftigkeit zwar nicht seine verborgene Absicht in Bezug auf das Heil oder das Verderben der einzelnen [Menschen], aber [er zeigt], was wir zu tun haben und was diejenigen erwartet, die entsprechend handeln – oder dies nicht tun. Der Wille Gottes, der beruft, ist, dass die Berufenen zu ihm kommen und ein derart [großes] Heil nicht verachten; und so verspricht er denen, die im Glauben zu ihm kommen, auch ernsthaft das ewige Leben. Denn, wie der Apostel sagt: „Zuverlässig ist das Wort: Wenn wir mit ihm gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben, wenn wir leiden, werden wir auch mit ihm herrschen; und wenn wir ihn verleugnen, so wird er auch uns verleugnen, wenn wir untreu sind, so bleibt er treu, er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2. Tim 2,11–13). Auch ist dieser Wille nicht kraftlos gegenüber denen, die dem Ruf nicht gehorchen, denn Gott erreicht immer, worauf sein Wille gerichtet ist, nämlich die Darlegung dessen, was er von uns verlangt, das damit verbundene Heil der Erwählten, die im Glaubensgehorsam folgen, und die Unentschuldbarkeit der Übrigen, die diesen verweigern. Der geistliche Mensch setzt das innerlich erfasste, dem Glauben gemäße [Wort] Gottes nicht mit dem äußerlich vorgetragenen oder geschriebenen Wort Gottes gleich. Und weil Gott alle Wahrheit liebt, die aus seinem Ratschluss fließt, so sagt man mit Recht, es sei sein Wille, dass „alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Joh 6,40). Obgleich diese „alle“ nur die Auserwählten sind und Gott nicht einen allgemeinen Heilsrat-

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schluss ohne Unterschied der Person gefasst hat und auch Christus nicht für einen jeden, sondern allein für die Auserwählten gestorben ist, so soll doch das, was aus seinem besonderen und bestimmten Ratschluss folgt, auch allgemein wahr und gewiss sein. Dass aber dem Willen Gottes gemäß bei der allgemein ergehenden äußeren Berufung nur die Erwählten glauben, die Verworfenen aber verhärtet werden, beruht allein auf der göttlichen Gnade, die einen Unterschied macht, indem die Erwählten durch dieselbe Gnade glauben, die Verworfenen aber durch ihre angeborene Bosheit in der Sünde bleiben und gemäß ihrer Verstockung und ihres unbußfertigen Herzens sich Zorn häufen für den „Tag des Zorns“ (Apk 6,17) und der „Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes“ (Röm 2,5). 20. Wir zweifeln daher nicht, dass sich diejenigen irren, die meinen, dass die Berufung zur Seligkeit nicht allein durch die Predigt des Evangeliums, sondern auch durch die Werke der Natur und der Vorsehung, ohne alle äußere Verkündigung, erfolge, und anfügen, die Berufung zum Heil sei so unbegrenzt und allgemein, dass es keinen Sterblichen gäbe, der nicht wenigstens „objektiv“ hinreichend, wie sie sich ausdrücken, sei es „mittelbar“ – dadurch nämlich, dass Gott dem, der das Licht der Natur recht gebraucht, dazu noch das Licht der Gnade geben will –, oder „unmittelbar“ zu Christus und zum Heil berufen würde. Sie gestehen nicht zu, dass [auch] ohne die Behauptung einer absoluten allgemeinen Gnade die äußere Berufung als ernst und wahrhaft bezeichnet werden und Gottes „Einfalt und Lauterkeit“ verteidigt werden kann (2. Kor 1,12). Dies aber widerspricht sowohl der Heiligen Schrift wie der Erfahrung aller Zeiten und vermischt offensichtlich die Natur mit der Gnade, das Erkennbare in Gott mit der geheimnisvollen Weisheit und das Licht der Vernunft mit dem Licht der göttlichen Offenbarung. 21. Diejenigen, die durch die Predigt des Evangeliums zum Heil gerufen werden, könne nicht glauben und dem Ruf folgen, wenn sie nicht durch dieselbe Macht, durch welche Gott aus der Finsternis das Licht hervorleuchten ließ, vom geistlichen Tod erweckt werden und Gott durch die das Herz berührende Gnade seines Geistes ihre Herzen erleuchtet „zum Glanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“ (2. Kor 4,6). Denn „der natürliche Mensch erfasst nicht, was aus dem Geist Gottes kommt, es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es nur geistlich zu beurteilen ist“ (1. Kor 4,16). Dieses vollständige Unvermögen lehrt die Schrift mit derart vielen Zeugnissen und überall verstreuten Hinweisen, dass sie kaum über eine andere Sache ausführlicher spricht. Man könnte dieses Unvermögen ein „moralisches“ nennen, insofern sowohl das Subjekt wie das Objekt von „moralischer“

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Natur ist. Aber es muss zugleich auch als „natürliches“ bezeichnet werden, insofern der Mensch von Natur aus und von Geburt an ein „Kind des Zorns“ ist (Eph 2,2), ihm dieses Unvermögen also so angeboren ist, dass er es nur durch die allmächtige und das Herz bewegende Gnade des Heiligen Geistes überwinden kann. 22. Wir meinen also, dass diejenigen, die dieses Unvermögen zu glauben „moralisch“ nennen und es nicht „natürlich“ nennen wollen, sich nicht sorgfältig genug, ja gefährlich ausdrücken und in der Folge behaupten, der Mensch, in welchem Zustand er sich auch befinde, könne glauben, wenn er wolle, und der Glaube komme in irgendeiner Weise aus uns selber heraus, wenn ihn doch der Apostel mit deutlichen Worten eine „Gabe Gottes“ nennt (Eph 2,8). 23. Auf zwei Wegen oder Weisen hat Gott, der gerechte Richter, die Rechtfertigung verheißen, entweder durch die eigenen Werke oder Handlungen gemäß dem Gesetz, oder durch den Gehorsam bzw. die fremde Gerechtigkeit Christi, als des Bürgen, die aus Gnade dem zugerechnet wird, der an das Evangelium glaubt. Ersteres ist die Weise der Rechtfertigung für den unverdorbenen Menschen, Letzteres für den sündigen und verdorbenen. Entsprechend dieser zweifachen Weise der Rechtfertigung lehrt die Schrift auch einen zweifachen Bund: den der Werke, der mit Adam und in ihm mit allen seinen Nachkommen geschlossen wurde, der aber durch die Sünde außer Kraft gesetzt ist, und den der Gnade, der allein mit den Auserwählten in Christus, dem zweiten Adam, geschlossen wurde und ewig [Bestand hat], also keinem Bruch unterworfen ist wie der erste. 24. Außerdem schließt jener spätere Bund der Gnade nach der Verschiedenheit der Zeiten unterschiedliche Weisen der Darbietung ein. Denn wenn der Apostel von der „Herbeiführung der Fülle der Zeit“ (Eph 1,10) spricht und damit von der Verwaltung der letzten Zeit, macht er deutlich, dass eine andere Verwaltung oder Regierung der Zeit in den Zeiten vor der [von Gott, dem Vater] „festgesetzten Zeit“ stattgefunden hat (Gal 4,2). In beiden Gestalten des Gnadenbundes aber sind die Auserwählten nicht anders zum Heil gelangt als durch „den Engel seines Angesichts“ (Jes 63,9), durch „das Lamm, das von Anbeginn der Welt geschlachtet ist“, Jesus Christus (Apk 13,8), durch die Erkenntnis jenes gerechten Knechtes und den Glauben an ihn sowie an den Vater und seinen Geist, denn Christus ist „gestern und heute und in Ewigkeit derselbe“ (Hebr 13,8). Durch seine Gnade glauben wir, dass wir in derselben Weise das Heil erlangen, wie jene, nämlich die Väter, das Heil erlangt haben. In beiden Testamenten [dem Alten wie dem Neuen] bleiben dieselben Regeln unerschütterlich:

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„Selig, die ihm“ – dem Sohn – „vertrauen“ (Ps 2,12); „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon verdammt“ (Joh 3,18); „Glaubt ihr an Gott“ – den Vater nämlich –, „so glaubt ihr auch an mich“ (Joh 14,1). Wenn aber die heiligen Väter an Christus als ihren „Goel“ [= Erlöser] glaubten, so folgt, dass sie auch an den Heiligen Geist glaubten, „ohne den niemand Jesus den Herrn nennen kann“ (1. Kor 12,3). In beiden Testamenten sind so viele Beweise für den Glauben der Väter und von dessen Notwendigkeit vorhanden, dass sie niemandem verborgen bleiben, der sie nur sehen will. Zwar musste die heilsame Erkenntnis Christi und der hochheiligen Dreieinigkeit, der damaligen Darbietung des Bundes entsprechend, nicht bloß aus der Verheißung, sondern auch aus schatten-, bild- und rätselhaften Mitteilungen geschöpft werden, mit mehr Schwierigkeiten als jetzt im Neuen Testament. Sie war aber dennoch wahr und nach dem Maß der göttlichen Offenbarung hinreichend, um den Auserwählten mit Hilfe der göttlichen Gnade das Heil und den Trost des Gewissens zu vermitteln. 25. Wir missbilligen daher auch die Lehre derjenigen, die von drei Bünden sprechen, die ihrer Natur und ihrem Inhalt nach ganz verschieden sind: den Bund der Natur, des Gesetzes und des Evangeliums. Sie gehen bei deren Erläuterung und der Angabe ihrer Unterschiede derart verwickelt vor, dass sie den Kern der sicheren Wahrheit und Frömmigkeit in nicht geringem Maß verhüllen oder gefährden. Sie tragen keine Bedenken, von der Notwendigkeit der Erkenntnis Christi, des Glaubens an ihn, seiner Versöhnungstat und der ganzen heiligen Dreieinigkeit in der Darbietungsgestalt des Alten Testaments unangemessen unverbindlich zu „theologisieren“, was nicht ohne Gefahr ist. 26. Schließlich soll für uns, die gegenwärtig in der Kirche, die Gottes Haus ist, die Verantwortung tragen, für alle der Unsrigen, die sich dem Herrn weihen, und für diejenigen, die uns nach Gottes Willen und Leitung dereinst in unseren Ämtern nachfolgen werden, gelten, dass wir alle in dieser verderbten Welt, wie der treue Heidenapostel uns ermahnt, „das Anvertraute treu bewahren, das verworfene leere Geschwätz vermeiden“ (1. Tim 6,20), die mit der Frömmigkeit, Unschuld und Einfalt übereinstimmende Erkenntnis gewissenhaft bewahren und die schöne Vereinigung der Liebe und des ungefärbten Glaubens standhaft festhalten. Dies, um traurigen Spaltungen zuvorzukommen, von denen die Kirche allenthalben unheilvoll erschüttert wird. Es soll auch niemandem in den Sinn kommen, öffentlich oder privat eine zweifelhafte oder neue Glaubenslehre vorzutragen, die in unseren Kirchen bisher nicht gehört worden ist, die

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dem Wort Gottes, unserem Helvetischen Bekenntnis, unseren symbolischen Büchern und den Lehrvorschriften der Dordrechter Kirchen­ versammlung widerstreitet, und [die] in der öffentlichen Versammlung der Brüder nicht aus dem Wort Gottes erwiesen und angenommen wurde. Besonders [wollen wir] die Notwendigkeit der Heiligung des Sonntags nicht nur aus Gottes Wort unverfälscht lehren, sondern auch nachdrücklich einschärfen und auf deren Beachtung ernstlich dringen. Und schließlich wollen wir die aus dem unanfechtbaren Wort Gottes hergeleitete Wahrheit der hier genannten Grundsätze in Kirchen und Schulen, sooft es die Gelegenheit erfordert, einmütig und treu festhalten, lehren und behaupten. Er aber, der Gott des Friedens, wolle uns alle „in seiner Wahrheit heiligen“ (Joh 17,17), dass „unser Geist und unsere Seele und unser Leib tadellos zur Zukunft unseres Herrn Jesus Christus bewahrt werde“ (1. Thess 5,23). Ihm, mit dem Vater und dem Heiligen Geist, sei in Ewigkeit Ehre, Lob und Herrlichkeit. Amen.

31. Glaubensbekenntnis von Cumberland (Cumberland Confession of Faith) (1883) Einleitung Während des größten Teils des 19. Jahrhunderts war die Cumberland Presbyterian Church die drittgrößte presbyterianische Kirche in den Vereinigten Staaten. Sie wurde 1810 von Erweckungspredigern gegründet, die von der presbyterianischen Hauptkirche suspendiert worden waren. Die Kirche verbreitete sich im Landesinneren, insbesondere in Kentucky, Tennessee, Illinois, Missouri und Arkansas, und erreichte um 1906 mit 300.000 Mitgliedern ihren Höhepunkt. Die Wurzeln liegen in der Erweckung von 1800, einer Reihe von Versammlungen in Kentucky und Tennessee. Diese zeichneten sich durch große Menschenmengen und improvisierte Predigten aus, bei denen die Gläubigen tanzten, Laute von sich gaben, sich auf dem Boden wälzten und sogar in Ekstase verfielen. Konservative Presbyterianer wurden misstrauisch gegenüber der Erweckung und den Geistlichen, die sie unterstützten. Besonders groß waren die Spannungen im Presbyterium von Cumberland, wo jene Geistliche die Mehrheit stellten. Sie erlaubten es den Kandidaten, das Glaubensbekenntnis nicht vollständig, sondern nur teilweise zu unterschreiben, sodass auch Kandidaten ordiniert werden konnten, welche die Lehre von der doppelten Prädestination – Gott hat vorherbestimmt, wer gerettet und wer verdammt wird – nicht teilten oder bestritten, dass nicht erwählte Kinder, die im Säuglingsalter starben, verdammt werden. Ordiniert wurden auch Männer, die keine klassische theologische Ausbildung genossen hatten. 1805 verdrängten die Konservativen im Presbyterium von Cumberland jene Mitglieder; 1807 wurde das Presbyterium ganz aufgelöst. Nachdem drei der suspendierten Geistlichen erfolglos versucht hatten, bei der Generalversammlung Berufung einzulegen, gründeten sie 1810 ein unabhängiges Cumberland-Presbyterium. Vier Jahre später verabschiedeten sie 1814 ihr eigenes Glaubensbekenntnis. Die Cumberland-Presbyterianer änderten das Glaubensbekenntnis der Mutterkirche, um ihre gemäßigten Ansichten über die Prädestination wiederzugeben. Anstatt zu behaupten, dass nur diejenigen, die Gott zum Leben vorherbestimmt hat, von Christus gerettet und von Sünde und Tod befreit werden, bekräftigte das Bekenntnis der Cumberland-Presbyterianer, dass alle, die dem Ruf Gottes gehorchen, gerettet werden. Und wo das alte Bekenntnis gesagt hatte: Auserwählte Kinder, die im Säuglingsalter sterben, werden wiedergeboren und durch Christus gerettet – was darauf

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hindeutete, dass nicht erwählte Kinder verdammt waren –, ersetzte das Bekenntnis das Wort „erwählt“ durch „alle“. Das neue Bekenntnis enthält auch eine lange Fußnote, in der erklärt wird, dass die Cumberland-Presbyterianer einen theologischen Mittelweg zwischen Calvinismus und Arminianismus gefunden hatten – eine Position, die weder die Souveränität Gottes noch das menschliche Handeln leugnete. Das Glaubensbekenntnis leistete den Cumberland-Presbyterianern gute Dienste, als ihre Kirche wuchs. Auch dank der geografischen Lage der Kirche – es gab nur wenige Mitglieder im Nordosten und im tiefen Süden – war die Cumberland Presbyterian Church die größte Kirche, die während der Zeit des Bürgerkriegs geeint blieb. Sie nahm 1883 ein im Folgenden abgedrucktes überarbeitetes Glaubensbekenntnis an, in dem der Prädestinationsgedanke der älteren Fassungen des Bekenntnisses größtenteils gestrichen wurde. Die Geschichte der Cumberland Presbyterianer nahm 1903 eine Wende, als die Presbyterianische Kirche der USA (PCUSA) ihrem Glaubensbekenntnis eine Erklärung hinzufügte, in der sie die doppelte Prädestination und die Verdammnis von Kindern ablehnte. Infolgedessen befürworteten viele Cumberland-Presbyterianer die Wiedervereinigung mit der PCUSA, die 1906 vollzogen wurde. Etwa ein Drittel der Cumberland-Presbyterianer lehnte jedoch die Vereinigung ab und bildete eine Teilkirche, die bis heute besteht; diese nahm 1984 ein neues Glaubensbekenntnis an. Editionen Confession of Faith and Government of the Cumberland Presbyterian Church adopted 1883, revised 1963, Memphis (TN) 1963 Cumberland Presbyterian Church: Confession of Faith, 1883, in: RefBS, Bd. 4/1: 1814– 1890, 275–295 (Bearb.: William Black) Übersetzung Glaubensbekenntnis der Presbyterianischen Kirche von Cumberland, 1883, in: Corpus Confessionum. Die Bekenntnisse der Christenheit. Sammlung grundlegender Urkunden aus allen Kirchen der Gegenwart, Bd. 18, Bogen 71–75: Urkunden zur Befriedung des amerikanischen Presbyterianismus, hg. v. Cajus Fabricius, Berlin 1943, 1131–1157 (Übers.: Cajus Fabricius) Literatur Ben M.  Barrus/Milton L.  Baughn/Thomas H. Campbell, A People Called Cumberland Presbyterians, Memphis (TN) 21998 John B. Boles, The Great Revival 1787–1805. The Origins of the Southern Evangelical Mind, Lexington (KY) 1972 Benjamin W. McDonnold, History of the Cumberland Presbyterian Church, Nashville (TN) 1888

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Hubert W. Morrow, Cumberland Presbyterian Theology. A Nineteenth Century Development in American Presbyterianism, in: JPH 48 (1970), 203–220 Hubert W. Morrow, The Confession of Faith in Cumberland Presbyterian History, in: JPH 76 (1998), 187–197 Einleitung: William Black; Übersetzung: Matthias Freudenberg, unter Berücksichtigung der Übersetzung von Cajus Fabricius

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Glaubensbekenntnis von Cumberland (Cumberland Confession of Faith) (1883) Heilige Schrift 1. Die Heilige Schrift umfasst alle Bücher des Alten und Neuen Testaments, die als kanonisch angenommen und durch Inspiration Gottes gegeben sind, um Richtschnur für Glauben und Handeln zu sein. Diese sind: Altes Testament: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Ruth, 1. Samuel, 2. Samuel, 1. Könige, 2. Könige, 1. Chronik, 2. Chronik, Esra, Nehemia, Esther, Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohelied Salomos, Jesaja, Jeremia, Klagelieder, Hesekiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Neues Testament: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte, Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, 1. Thessalonicher, 2. Thessalonicher, 1. Timotheus, 2. Timotheus, Titus, Philemon, 1. Petrus, 2. Petrus, 1. Johannes, 2. Johannes, 3. Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas, Offenbarung. 2. Die Autorität der Heiligen Schrift beruht nicht auf dem Zeugnis irgendeines Menschen oder einer Kirche, sondern auf Gott allein (2. Tim 3,16; 1. Joh 5,9; 1. Thess 2,13). 3. Der ganze Rat Gottes mit Bezug auf alles, was zu seiner eigenen Ehre – in der Schöpfung, der Vorsehung und dem Heil des Menschen – nötig ist, ist entweder in der Schrift ausdrücklich dargelegt oder kann durch notwendige Schlussfolgerungen daraus hergeleitet werden. Dazu darf niemals etwas durch Menschen oder durch menschliche Überlieferungen hinzugefügt werden. Allerdings erkennen wir an, dass die innere Erleuchtung des Geistes Gottes notwendig ist zum heilsamen Verständnis solcher Dinge, die im Wort geoffenbart sind (1. Joh 2,20.27; Joh 6,45; 16,13 f.; Gal 1,8; 1. Kor 2,10–12). 4. Die beste Regel der Auslegung der Schrift ist der Vergleich von Schriftwort mit Schriftwort (1. Kor 2,2.13). Die heilige Dreieinigkeit 5. Es ist ein einziger, lebendiger und wahrer Gott, ein durch sich selbst existierender Geist, unendlich, ewig und unveränderlich in seinem Wesen, seiner Weisheit, Macht, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit (Dtn 6,4; 1. Kor 8,4.6; 1. Thess 1,9; Joh 4,24; Ex 3,14; 1. Tim 1,17; Ps 145,3; Gen 17,1; Röm 16,27; Mal 3,6). 6. Gott hat alles Leben, Herrlichkeit, Güte und Seligkeit in sich selbst. Er bedarf keiner Geschöpfe, die er gemacht hat, und empfängt von ihnen

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keine wesentliche Ehre. Er hat über sie ganz unbeschränkte Macht, um zu tun, was ihm gefällt (Joh 5,26; Apg 7,2; 17,24 f.; Ps 119,68; 1. Tim 6,15; Röm 9,15; 11,36; Hi 22,2 f.; Apk 4,11). 7. In der Einheit der göttlichen Natur sind drei Personen von einem Wesen, einer Macht und Ewigkeit: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist (2. Kor 13,13; Mt 3,16 f.; 28,19). Gottes Ratschlüsse 8. Gott hat zur Offenbarung seiner Ehre und Güte nach dem höchst weisen und heiligen Ratschluss seines eigenen Willens frei und unabänderlich verordnet oder bestimmt, was er selbst tun würde, was er von seinen mit Vernunft begabten Geschöpfen verlangen würde, das sie tun sollten, und was der Lohn für die Gehorsamen beziehungsweise für die Ungehorsamen sein sollte (Ps 135,6; Jes 46,9–11; Ex 20,3–17; Mt 16,27; 22,38 f.; Koh 12,13; 2. Kor 5,10; Apk 22,12). 9. Wenn auch nicht alle göttlichen Ratschlüsse den Menschen geoffenbart werden können, so ist es doch gewiss, dass Gott nichts beschlossen hat, was seinem geoffenbarten Willen oder geschriebenen Wort entgegen ist (Dtn 29,29, Apg 1,7; 20,27; Mt 24,36; Röm 2,12.16; Apk 20,12). Schöpfung 10. Es hat Gott gefallen, zur Kundgabe der Ehre seiner ewigen Macht, Weisheit und Güte die Welt und alles, was darin ist, zu schaffen, das Sichtbare und das Unsichtbare, und zwar so, dass alles sehr gut war (Gen 1,1.31; Jes 44,24; Röm 1,20; Kol 1,16; Hebr 11,3; Ex 20,11). 11. Nachdem Gott alle anderen Geschöpfe gemacht hatte, schuf er den Menschen nach seinem eigenen Bild. Er schuf sie als Mann und Frau, stattete sie mit Verstand, Empfindung und Willen aus, und zwar so, dass sie Gottes Gesetz hatten, geschrieben in ihrem Herzen, und die Macht, es zu erfüllen, aufrichtig und frei von jeder Neigung zum Bösen (Ex 2,7; Röm 2,14 f.; Koh 7,29). Vorsehung 12. Gott der Schöpfer erhält und regiert alle Geschöpfe und Dinge durch seine höchst weise und heilige Vorsehung (Hebr 1,3; Mt 10,29–31; Röm 9,17). 13. Gott wirkt in seiner Vorsehung gewöhnlich mit Hilfe von Gesetzen und Mitteln, hat jedoch die Freiheit, nach seinem Wohlgefallen mit ihnen und über sie hinweg zu wirken (Mt 5,45; Jes 4,10 f.; Apg 27,24.31; Hos 1,7; Röm 4,19 f.; 2. Kön 6,6). 14. Gott verlässt die Seinen niemals noch lässt er sie im Stich. Wenn sie jedoch in Sünde fallen, züchtigt er sie auf vielfältige Weise und macht

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sogar ihre Sünde zum Anlass, um ihnen ihre Schwäche und ihr Bedürfnis nach größerer Wachsamkeit und ihre Abhängigkeit von ihm im Blick auf die helfende Gnade aufzudecken (Ps  37,28; 119,71.75; 2. Kor 12,7–9; Röm 8,2–4; Hebr 13,5–11). 15. Gottes Vorsehung über die Bösen ist nicht dazu bestimmt, sie zur Vernichtung, sondern zur Erkenntnis seiner Güte und seiner Macht über sie zu führen und so ein Mittel ihrer Buße und Besserung zu werden oder eine Warnung für andere zu sein. Wenn die Bösen dies zum Anlass nehmen, ihre Herzen zu verhärten, so geschieht es infolge ihrer Verkehrtheit und nicht aus Notwendigkeit (Jak 1,13; Mt 9,13; Lk 24,47; Röm 2,4; Prov 1,24 f.; Joh 5,40; Ex 8,15.32; Apg 12,23). 16. Während die Vorsehung Gottes im Allgemeinen alle Geschöpfe umfasst, erstreckt sie sich in besonderer Weise auf seine Kirche (Mt 16,18; Röm 8,28–31; Apg 5,11; 18,21). Fall des Menschen 17. Unsere ersten Eltern haben, durch Satans Arglist und Versuchung verführt, gesündigt, indem sie die verbotene Frucht aßen. Daraufhin gefiel es Gott, zu seiner eigenen Ehre und zum Besten des Menschengeschlechts den Bund der Gnade in Christus zu offenbaren, wodurch eine gnädige Probezeit für alle Menschen aufgerichtet wurde (Gen 3,13.15; 2. Kor 11,3; Röm 5,2.8.12.14; Jes 9,6; Mt 4,16; Joh 3,16 f.). 18. Durch diese Sünde sind sie aus ihrer ursprünglichen Aufrichtigkeit gefallen, haben ihre Gemeinschaft mit Gott verloren und sind dadurch tot in Sünde geworden und in allen Kräften ihres moralischen Wesens befleckt. Da sie nun die Wurzel des ganzen Menschengeschlechts waren, ist durch ihre Tat die Sünde in die Welt gekommen und der Tod durch die Sünde und also der Tod zu allen Menschen gelangt (Gen 3,7 f.; 6,5; Koh 7,29; Röm 3,23; Eph 2,1; Jer 17,9). 19. Aus dieser ererbten Verdorbenheit geht auch die wirkliche Übertretung hervor (Röm 5,12.15–19; Hi 14,4; 25,4; Ps 51,7; Joh 3,6; Eph 2,3). 20. Die Überreste dieser verdorbenen Natur werden auch von denen empfunden, die wiedergeboren sind, und sie werden während des gegenwärtigen Lebens nicht völlig aufhören zu wirken und Unruhe zu stiften (Röm 7,5.7.14.17 f.23.25; Prov 20,9; Koh 7,20). 21. Die Sünde bringt, da sie eine Übertretung des Gesetzes Gottes ist, Schuld über den Übertreter und unterwirft ihn dem Zorn Gottes und endloser Qual, es sei denn, dass sie auf Grund der Mittlerschaft Christi vergeben wird (1. Joh 3,4; Röm 3,19; 6,23; Gal 3,18).

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Gottes Bund mit dem Menschen 22. Der erste mit dem Menschen geschlossene Bund war ein Bund der Werke, worin Adam unter der Bedingung des vollkommenen persönlichen Gehorsams das Leben verheißen wurde (Hi 9,32; Gal 3,12; Gen 2,16 f.). 23. Da der Mensch durch seinen Fall sich selbst unfähig gemacht hatte, durch diesen Bund das Leben zu erlangen, gefiel es dem Herrn, einen zweiten zu machen, gewöhnlich der Bund der Gnade genannt. In diesem bietet er den Sündern Leben und Heil durch Jesus Christus umsonst an, indem er von ihnen, damit sie gerettet werden, Glauben an ihn verlangt. Dieser Bund wird in der Schrift häufig mit dem Namen Testament bezeichnet, und zwar im Hinblick auf den Tod Jesu Christi als dessen, der das Testament gemacht hat, und auf das ewige Erbe, das darin vermacht ist mit allem, was dazugehört (Gal 3,21; Röm 8,3; Jes 42,6; Mk 16,15 f.; Hebr 9,15–17; 7,22; Lk 22,20). 24. Unter der alttestamentlichen Durchführung wurde der Bund der Gnade durch Verheißungen, Weissagungen, Opfer, Beschneidung, das Passahlamm und andere Vorbilder und Einrichtungen den Juden gegeben, die alle auf Christus als den Zukünftigen hinwiesen. Diese waren durch das Wirken des Heiligen Geistes hinreichend wirksam, um sie in der Erkenntnis Gottes zu unterweisen und im Glauben an den Messias aufzuerbauen (2. Kor 3,6–9; Hebr 8,9 f.; Röm 4,11; Kol 2,11.17; 1. Kor 5,7). 25. Unter der neutestamentlichen Durchführung, in der Christus wesenhaft dargestellt ist, sind die Einrichtungen, in denen der Bund der Gnade vollzogen wird, die Predigt des Wortes und die Verwaltung der Sakramente der Taufe und des Herrenmahls. Diese werden mit mehr Einfachheit verwaltet, jedoch wird er in ihnen in größerer Fülle und geistlicher Wirksamkeit allen Völkern, Juden und Heiden, dargeboten (1. Kor 10,1–4; 11,23–25; Hebr 11,13; Gal 3,7–9.14). 26. Wie unter der alttestamentlichen Durchführung die Kinder mit ihren Eltern in den Bund der Gnade eingeschlossen waren, so sind sie auch unter der neutestamentlichen darin eingeschlossen und sollen ebenso wie unter der alttestamentlichen deren eigentümliches Zeichen und Siegel empfangen (Gen 17,7.11.13; Apg 2,39; 16,15.33; Röm 9,8; 1. Kor 1,16). Christus der Mittler 27. Jesus Christus, der eingeborene Sohn Gottes, war vor Gründung der Welt wahrlich dazu ausersehen, der Mittler zwischen Gott und den Menschen zu sein, der Prophet, Priester und König, der Erbe aller Dinge, die Versöhnung für die Sünden des ganzen Menschengeschlechts, das Haupt seiner Kirche, der Richter der Welt und der Heiland aller wahrhaft Gläubigen (1. Petr 1,19 f.; 4,5; 1. Tim 2,5; 4,10; Joh 3,16; 4,42; Apg 3,22; 5,31;

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10,42; Hebr 1,2; 5,6; Ps 2,5; Lk 1,33; 2,11; 1. Joh 2,2; 4,10; Eph 2,20–22; Mt 21,42; 2. Tim 4,1.8; Röm 14,10). 28. Der Sohn Gottes, die zweite Person in der Dreieinigkeit, hat, als die Zeit sich erfüllt hatte, menschliche Natur angenommen, doch ohne Sünde, wahrer Gott und wahrer Mensch, doch nur ein Christus, der einzige Mittler zwischen Gott und dem Menschen (Joh 1,1.14; 1. Joh 5,20; Phil 2,6; Gal 4,4; Hebr 2,17; 4,15; Röm 1,3 f.; 1. Tim 2,5). 29. Jesus Christus ist in seiner menschlichen Natur, die so mit der göttlichen vereinigt ist, geheiligt und über alles Maß mit dem Heiligen Geist gesalbt worden, indem er alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis in sich hatte. Es gefiel dem Vater, in ihm alle Fülle wohnen zu lassen zu dem Ziel, dass er – heilig, unschuldig, unbefleckt und voller Gnade und Wahrheit, wie er war – ganz und gar befähigt sein sollte, das Amt eines Mittlers und Bürgen auszuüben (Ps 45,8; Joh 3,34; Kol 2,3; 1,19; Hebr 7,22.26; Apg 10,38). 30. Damit er das Mittleramt ausüben konnte, wurde Jesus Christus unter das Gesetz getan, das er vollkommen erfüllte, wurde gekreuzigt, ist gestorben und begraben und eine Zeit lang unter der Gewalt des Todes geblieben, hat jedoch keine Verwesung gesehen. Am dritten Tag ist er wieder auferstanden von den Toten und danach aufgefahren in den Himmel, wo er zur rechten Hand Gottes sitzt und für die Übertreter [fürbittend] eintritt (Gal 4,4; Mt 5,17; Apg 2,31; 13,30.37; 1. Kor 15,4; Mk 16,19; Röm 8,34; 14,9 f.; Hebr 7,25). 31. Jesus Christus ist durch seinen vollkommenen Gehorsam und das Opfer seiner selbst, das er durch den ewigen Geist ein für alle Mal Gott dargebracht hat, die Versöhnung geworden für die Sünden der ganzen Welt. So kann Gott gerecht sein, indem er alle gerecht macht, die an Jesus glauben (Hebr 2,9; 9,14; Röm 3,25 f.; 5,6.8.10 f.; 2. Kor 5,14 f.; 1. Joh 2,2). 32. Obwohl das Werk der Erlösung von Christus erst nach seiner Menschwerdung wirklich vollbracht worden ist, sind doch dessen Wohltaten dem Gläubigen vom Anfang der Welt zu allen Zeiten fortlaufend durch den Heiligen Geist und durch bestimmte Mittel, die Gott nach seinem Wohlgefallen anwandte, mitgeteilt worden (Gal 4,4 f.; Gen 15,6; Röm 4,3.5–7; Neh 9,20; Ps 143,10; 51,11 f.; Hebr 1,1.4; Num 12,6). 33. Jesus Christus hat für alle Menschen den Tod geschmeckt und tritt jetzt für die Übertreter ein. Kraft [Jesu Christi] wird der Heilige Geist gegeben, um den Menschen von seiner Sünde zu überzeugen und ihn dafür fähig zu machen, dass er glaubt und gehorcht. Dazu lenkt er durch sein Wort und seinen Geist die Herzen der Gläubigen und überwindet alle ihre Feinde durch seine allmächtige Kraft und Weisheit in einer solchen Art und Weise, wie es am besten mit seinen wunderbaren und unerforsch-

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lichen Gaben übereinstimmt (Hebr 2,9; 1. Joh 2,1; Röm 8,28.33–39; Joh 14,16.18; 16, 8–11; 17,6.8–11). Freier Wille 34. Indem Gott den Menschen nach seinem Bild schuf, stattete er ihn mit Verstand, Gefühl und Willen aus, was die Grundlage des moralischen Charakters bildet und den Menschen zu moralischer Herrschaft befähigt (Gen 1,26 f.; Eph 4,24; Apk 22,17; Joh 5,40). 35. Die Freiheit des Willens ist eine Tatsache des menschlichen Bewusstseins und der alleinige Grund der menschlichen Verantwortung. Der Mensch im Stand seiner Unschuld war – beides – frei und fähig, das göttliche Gesetz sowohl zu halten als auch zu verletzen. Ohne jeden Zwang durch physische oder moralische Ursachen hat er es verletzt (Jos 24,15; Prov 1,29–31; Röm 2,12–15). 36. Der Mensch hat durch Ungehorsam seine Unschuld verloren, Gottes Gunst verscherzt, wurde im Herzen verdorben und zum Bösen geneigt. In diesem Zustand des geistlichen Todes und der Verdammnis ist der Mensch immer noch frei und verantwortlich. Jedoch ist er ohne die erleuchtenden Eingebungen des Heiligen Geistes unfähig, das Gesetz zu erfüllen oder die Hoffnung zu ergreifen, die ihm im Evangelium angeboten wird (Röm 1,18–20; 3,19 f.; 5,12; 8,6–8.26; Ez 18,4; 1. Kor 2,14; 12,7; Joh 6,44; 1,9). 37. Wenn der Sünder aus Gott geboren ist, liebt er ihn über alles und hat den festen Vorsatz, seinen Willen zu tun. Jedoch will er wegen der noch zurückgebliebenen Verdorbenheit und wegen seiner unvollkommenen Erkenntnis moralischer und geistlicher Dinge oftmals das, was in sich sündig ist. Diese unvollkommene Erkenntnis und Verdorbenheit bleibt während des gegenwärtigen Lebens in größerem oder geringerem Ausmaß bestehen. Daraus entsteht der Streit zwischen dem Fleisch und dem Geist (Röm 7,14 f.23 f.; 8,14–16; Joh 14,15; Gal 5,17; Koh 7,20). Göttlicher Einfluss 38. Nachdem Gott Vater seinen Sohn Jesus Christus zu einer Versöhnung für die Sünden der Welt gesetzt hat, gewährt er überaus gnädig in derselben Absicht jedem Menschen ein Zeichen des Heiligen Geistes (Röm 3,25; 1. Joh 2,2; 4,10; Hebr 2,9; Joh 1,9; Jes 49,6; 1. Kor 12,7). 39. Indem der Heilige Geist durch das geschriebene Wort und durch andere Mittel wirkt, wie sie Gott in seiner Weisheit wählt, oder auch direkt ohne Mittel, bewegt er die Herzen der Menschen, sodass er sie erleuchtet, straft und von der Sünde, von ihrem verlorenen Zustand und von ihrer Erlösungsbedürftigkeit überzeugt. Indem er dies tut, bringt er sie dazu, zu Christus zu kommen (Hebr 4,12; Apk 22,17; Joh 16,8; 12,32; Röm 5,18).

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40. Diese Berufung durch den Heiligen Geist geschieht aus Gottes freier Gnade allein und nicht infolge eines menschlichen Verdienstes. Sie geht allem Verlangen, Begehren und Vorhaben auf Seiten des Sünders, zu Christus zu kommen, voraus, sodass niemand ohne ihre Hilfe gerettet werden kann, während es für alle möglich ist, mit ihrer Hilfe gerettet zu werden (1. Tim 1,9; Tit 3,4 f.; 1. Kor 2,14; Röm 8,7; Eph 2,5; Joh 6,37). 41. Diese Berufung ist nicht unwiderstehlich, sondern nur in denen wirksam, die sich frei in Buße und Glauben ganz Christus hingeben – den einzigen Namen, durch den die Menschen gerettet werden können (Prov 1,24 f.; Joh 5,40; Apg 7,51; 1. Thess 5,19; Mt 9,28 f.; Lk 13,3.5). Buße zum Leben 42. Die Buße zum Leben ist eine Verwandlung des Sinnes und Gefühls gegenüber Gott, herbeigeführt durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Dadurch fasst der Sünder entschlossen den Vorsatz, aller Sünde abzusagen, sich Gott zuzuwenden und in allen seinen Geboten zu wandeln (Apg 11,18; 20,21; Joh 3,27; 15,5; Lk 24,47; Ez  18,30 f.; 36,31; 2. Kor 7,11). 43. Es liegt nichts Verdienstliches in der Buße oder in irgendeiner anderen menschlichen Übung. Jedoch gefällt es Gott zu fordern, dass alle Menschen Buße tun (Jes 44,6; Ez 16,63; Apg 2,38; 3,19; 17,30). 44. Wie von allen Menschen gefordert wird, dass sie ein vollständiges und freimütiges Sündenbekenntnis vor Gott ablegen, so soll derjenige, welcher der Kirche Gründe zum Anstoß gibt oder einen Fehltritt gegen seinen Bruder begeht, seine Irrtümer bekennen, sich bessern und Wiedergutmachung leisten, soweit es in seiner Macht steht (Ps 32,5 f.; Prov 28,13; 1. Joh 1,9; Jak 5,16; Lk 17,3 f.; 19,8; 2. Kor 2,8; Eph 2,10). Rettender Glaube 45. Der rettende Glaube, der die Zustimmung zur Wahrheit des heiligen Wortes Gottes in sich schließt, ist der Akt, durch den man Christus empfängt und sich zum Heil auf ihn allein verlässt. Er ist begleitet von Reue über die Sünde und von einem starken Vorsatz des Herzens, sich von ihr abzuwenden und für Gott zu leben (Ps  2,12; 1. Petr 2,2.6; Joh 6,68 f.; 11,26 f.; 14,1; Mt 16,16; 19,27–29; 2. Kor 4,13; Röm 1,16 f.; 10,14.17; Eph 2,8; 1. Thess 2,13; 1. Joh 5,10). 46. Obwohl es kein Verdienst im Glauben gibt, so ist er doch die Bedingung des Heils. Er ist nicht von der Natur der guten Werke, sondern muss von ihnen unterschieden werden (Röm 4,16; Joh 3,14–16.18.36; Apg 16,31). 47. Dieser Glaube kann auf vielerlei Arten in Versuchung kommen, aber der Gläubige hat die Verheißung des endlichen Sieges durch

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­ hristus (Lk 22,31 f.; Mt 6,30; 8,10; Röm 4,19 f.; Hebr 5,13 f.; 10,22; C 12,3; 1. Joh 5,4 f.). Rechtfertigung 48. Alle diejenigen, die wahrhaft über ihre Sünden Buße tun und sich im Glauben Christus anvertrauen, rechtfertigt Gott umsonst. Das geschieht nicht dadurch, dass er Gerechtigkeit in sie eingießt, sondern dadurch, dass er ihre Sünden verzeiht und sie als Gerechte zählt und annimmt – nicht um eines Dinges willen, das in ihnen hervorgebracht oder von ihnen getan wird, sondern allein um Christi willen. Er rechnet ihnen nicht den Glauben selbst oder sonst irgendeinen evangelischen Gehorsam als ihre Gerechtigkeit an, sondern rechnet ihnen den Gehorsam und die Genugtuung Christi an. Durch den Glauben empfangen sie ihn und seine Gerechtigkeit und verlassen sich darauf (Röm 3,24; 4,5.8; 5,17–19; 2. Kor 5,19.21). 49. Die Rechtfertigung kommt rein aus Gottes freier Gnade und ist eine vollständige Verzeihung aller Sünden und die Befreiung von allen ihren Straffolgen. Aber sie teilt dem Gläubigen keine moralischen Eigenschaften oder Verdienste mit, da sie im strengen Sinne ein rechtlicher Akt ist. Obwohl sie allein aus freier Gnade kommt, ist sie doch durch den Glauben bedingt und niemandem zugesichert außer bußfertigen und wahrhaften Gläubigen. Diese haben, wenn sie gerechtfertigt sind, Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus (Phil 3,9; Röm 3,20.24; 8,1; Joh 5,24). 50. Gott fährt fort, denen, die gerechtfertigt sind, die Sünden zu vergeben, und obwohl er niemals zulassen wird, dass sie aus dem Stand der Rechtfertigung fallen, kann es doch geschehen, dass sie durch ihre Sünden unter Gottes väterliche Ungnade fallen und das Licht seines Angesichts ihnen nicht wieder aufgeht, bis sie sich selbst demütigen, ihre Sünden bekennen und ihre Übergabe an Gott erneuern (Mt 6,12; 1. Joh 2,1; Lk 22,32; Joh 10,28; Hebr 10,14; Ps 89,32–34; 51). Wiedergeburt 51. Diejenigen, die an den Herrn Jesus Christus glauben, werden wiedergeboren oder von oben her geboren, erneuert im Geist und zu neuen Kreaturen gemacht in Christus (1. Joh 5,1; Joh 3,5–7; Röm 12,2; Tit 3,5; 2. Kor 5,17; Eph 2,10). 52. Die Notwendigkeit dieser moralischen Reinigung ergibt sich aus der Feindschaft des menschlichen Herzens gegen Gott, seinem Ungehorsam gegen Gottes Gesetz und seiner daraus folgenden Unfähigkeit, Gott zu lieben und zu ehren (Röm 1,28–32; 8,6 f.; 2. Kor 6,15; Am 3,3; Mt 15,18–20). 53. Die Wiedergeburt kommt aus Gottes freier Gnade allein und ist ein Werk des Heiligen Geistes, der von dem, was Christus gehört, nimmt

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und es dem Sünder verkündigt und ihn dadurch fähig macht, Christus zu ergreifen. Diese Erneuerung des Herzens durch den Heiligen Geist ist nicht von der Natur eines physischen, sondern eines moralischen Werkes – eine Reinigung des Herzens durch den Glauben (Eph 2,8; Phil 1,29; Joh 1,12 f.; 3,5 f.; 16,13 f.; Tit  3,5; 1. Kor 2,10; 5,1; 12,3; 1. Joh 2,27; Sach 4,6; Apg 15,9; 1. Petr 1,22 f.; Gal 3,7.26; 2. Kor 3,18). 54. Alle Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, und alle, die niemals die Möglichkeit gehabt haben, ihre Vernunft zu gebrauchen, werden wiedergeboren und gerettet (Lk 18,15 f.; Apg 2,38 f.; Joh 3,8). Kindschaft 55. Es gefällt Gott dem Vater, alle, die wiedergeboren und so in das Bild seines Sohnes verwandelt sind, der Gnade der Kindschaft teilhaftig zu machen. Dadurch werden sie in die Zahl der Kinder Gottes aufgenommen und genießen deren Freiheiten und Vorrechte. Sie tragen seinen Namen, empfangen den Geist der Kindschaft, haben voll Zuversicht den Zugang zum Gnadenthron und können rufen: „Abba, lieber Vater“. Weiter erfahren sie Erbarmen, Schutz, Fürsorge und Züchtigung von ihm als von einem Vater, werden jedoch niemals verstoßen, sondern auf den Tag der Erlösung hin versiegelt, und erben die Verheißungen als Erben des ewigen Heils (Eph 1,5; Gal 3,29; 4,4–6; Röm 8,15–19; Ps  103,13, Mal 3,17; Mt 6,30.32; 1. Petr 1,4; 5,7; Hebr 1,14; 6,12; 12,6; Klgl 3,31; Eph 4,30; 1,13). Heiligung 56. Die Heiligung ist eine Lehre der Heiligen Schrift, und es ist die Pflicht und das Vorrecht der Gläubigen, von ihren unschätzbaren Wohltaten Gebrauch zu machen, wie es im Wort Gottes gelehrt wird. Ein Zustand sündloser Vollkommenheit in diesem Leben hat die Autorität der Schrift nicht auf seiner Seite und ist eine Lehre, die eine gefährliche Richtung enthält (2. Thess 2,13; 1. Petr 1,2; Hebr 9,13 f.; 2. Kor 6,16–18; 7,1; Ps 4,4; 1. Thess 5,23; Eph 5,26 f.; Röm 6,22; 1. Kor 6,11; Phil 3,12). Wachstum in der Gnade 57. Das Wachstum in der Gnade wird sichergestellt durch die persönliche Entscheidung, sich in den Dienst Gottes zu stellen, regelmäßige Teilnahme an den Gnadenmitteln, das Lesen der Heiligen Schrift, Gebet, Dienste an heiliger Stätte und alle bekannten christlichen Pflichten. Durch solche Mittel wird der Glaube des Gläubigen reichlich vermehrt, seine Neigung zur Sünde geschwächt, die Lüste des Fleisches abgetötet und er selbst mehr und mehr gestärkt in allen heilsamen Gnadengaben und in der Übung der Frömmigkeit, ohne die niemand den Herrn sehen

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wird (2. Petr 1,5,10; 3,18; 2. Kor 6,17; 7,1; 13,7; Ps 4,4; Joh 5,39; Phil 3, 9–11; Kol 1,9.11; 1. Thess 5,17.23; Hebr 6,12; 10,25; Apg 2,42; 13,42; 16,13; 18,4; Eph 3,16; Mk 4,28.31 f.; 1. Petr 2,2). Gute Werke 58. Gute Werke sind nur diejenigen, die Gott in seinem Wort befohlen hat und nicht diejenigen, die aus blindem Eifer oder irgendeiner Vortäuschung guter Absicht ersonnen sind (Mi 6,8; Röm 12,2; Hebr 13,21; Mt 15,9; Joh 16,2). 59. Diejenigen, die in ihrem Gehorsam und ihrer Liebe die höchste Stufe in diesem Leben erreichen, bleiben immer noch weit hinter der Vollkommenheit zurück, die das göttliche Gesetz fordert. Doch sind ihre guten Werke Gott willkommen, dem es gefällt, indem er in seinem Sohn auf sie blickt, das anzunehmen und zu belohnen, was aufrichtig ist, wenn es auch von vielen Schwächen und Unvollkommenheiten begleitet bleibt (Lk 17,10; Hi 9,2 f.; Gal 5,17; Eph 1,6; 1. Petr 2,5; Hebr 6,10; 11,4; 2. Kor 8,12). Bewahrung der Gläubigen 60. Diejenigen, die Gott gerechtfertigt hat, wird er auch verherrlichen. Folglich wird die wahrhaft wiedergeborene Seele nicht vollkommen aus dem Gnadenstand fallen, sondern bewahrt werden zum ewigen Leben (Ps 37,28; Röm 8,38 f.; Joh 3,16; 5,24; 10,28 f.). 61. Die Bewahrung der Gläubigen beruht auf der unveränderlichen Liebe und Macht Gottes, den Verdiensten, der Stellvertretung und der Fürbitte Jesu Christi, dem Bleiben des Heiligen Geistes und des Samens Gottes in ihnen und der Natur des Gnadenbundes. Dennoch können wahrhaft Gläubige durch die Versuchungen Satans, der Welt und des Fleisches und die Vernachlässigung der Gnadenmittel in Sünde fallen, in Gottes Ungnade geraten und den Heiligen Geist betrüben und so in einem gewissen Maß ihrer Gnadengaben und ihres Trostes verlustig gehen und verwundete Gewissen bekommen. Aber der Christ wird sich damit niemals zufriedengeben (2. Tim 2,19; Jer 31,3; 32,40; 1. Petr 1,5; 1. Joh 2,1; 3,9; Röm 5,10; Kol  3,3; Hebr 7,25; 10,14; Joh 14,16 f.; 17,9.21 f.; 2. Sam 12,13 f.; Apk 3,4; Lk 22,31–34). Christliche Gewissheit 62. Diejenigen, die wahrhaft an den Herrn Jesus Christus glauben und ihn aufrichtig lieben, indem sie sich bemühen, in allem guten Gewissen vor ihm zu wandeln, können in diesem Leben gewiss versichert sein, dass sie im Gnadenstand sind. Sie können sich freuen über die Hoffnung, zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen, die sie niemals zuschanden werden lässt (1. Joh 2,3; 5,13; Röm 5,2.5; 2. Kor 5,1.6).

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63. Diese Gewissheit gründet sich auf die göttlichen Verheißungen, das Bewusstsein des Friedens mit Gott, das Zeugnis des Heiligen Geistes, der ihrem Geist bezeugt, dass sie Kinder Gottes sind, und der das Pfand ihres Erbes ist (Hebr 6,17 f.; 2. Petr 1,4 f.10 f.; 1. Joh 3,14; 2,3; 2. Kor 1,12; Röm 8,15 f.; Eph 1,13 f.). 64. Diese tröstliche Gewissheit des Heils ist keine unangefochtene Begleiterscheinung des Glaubens an Christus. Daher kann der Gläubige viele heftige Kämpfe haben, bevor er Anteil an ihr bekommt. Jedoch kann er beim rechten Gebrauch der Gnadenmittel – durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes – dahin gelangen. Darum ist es eines jeden Pflicht, Fleiß anzuwenden, um seine Berufung und Erwählung zu sichern (1. Joh 4,13; 5,13; 1. Kor 2,12; Hebr 6,11; 2. Petr 1,10; Röm 5,5; 14,17; 15,13; Ps 119,32). 65. Wie diese Gewissheit durch völlige Übergabe an Gott und Treue in seinem Dienst erheblich gestärkt werden kann, so kann sie durch weltliche Gesinnung und Nachlässigkeit in christlicher Pflichterfüllung, die Finsternis und Zweifel zur Folge haben, geschwächt werden. Aber wahrhaft Gläubige haben die Verheißung von Gott, dass er sie niemals verlassen und aufgeben wird (Ps 51,10.14.16; Eph 4,30; Joh 3,20; Hi 13,15; Mi 7,7–9). Das Gesetz Gottes 66. Das Moralgesetz ist die Richtschnur der Pflicht, die unmittelbar aus den Beziehungen vernünftiger Geschöpfe zu ihrem Schöpfer und zuein­ander erwächst. Da diese Beziehungen aus dem göttlichen Vorsatz hervorgehen, hat das Gesetz seine letzte Quelle im Willen des Schöpfers (Mt 22,37; Ex 20,1 f.; Eph 6,1.4 f.9; 5,22.25; Tit  3,1; Hebr 13,7; Jes 46,10; Ps 33,11; 105,3). 67. Dieses Gesetz ist von allumfassender und bleibender Verbindlichkeit und ursprünglich allen verantwortlichen Wesen ins Herz geschrieben. Es war Adam hinreichend bekannt, um ihn fähig zu machen, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun, und ihn so durch die Gerechtigkeit der Werke des ewigen Lebens zu versichern (Gen 1,26; 2,17; Röm 1,18 f.; 2,14 f.; 10,5; Joh 1,9). 68. Nach dem Fall Adams und dem seiner Nachkommen durch ihn wurde eine geschriebene Form des Gesetzes notwendig. Diese wurde im Dekalog oder den Zehn Geboten gegeben, von denen eine Zusammenfassung in folgenden Worten gegeben ist: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen deinen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Röm 5,12.19; Ex 20,1–17; Mk 12,30). 69. Dieses Gesetz ist nicht außer Kraft gesetzt, sondern vielmehr auf­ gerichtet durch das Evangelium, welches das göttliche Hilfsmittel ist, durch das Sünder gerettet werden und durch das dem Zweck des Gesetzes

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vollständig entsprochen wird. Dieses bleibt darum vollständig in Kraft als Richtschnur für die Lebensführung. Man darf es darum nicht mit dem Zeremonialgesetz verwechseln, das unter der neutestamentlichen Durchführung [des Bundes] abgeschafft worden ist (Mt 5,17 f.; Gal 3,21.24; Röm 3,24 f.31; 6,15; 13,8 f.). 70. Die Strafen dieses Gesetzes sind die natürlichen und individuellen Folgen der Übertretung, und sie müssen, wenn sie nicht durch die Vorkehrungen des Evangeliums beseitigt werden, notwendigerweise ewig sein. So werden sie von der Heiligen Schrift beschrieben. Diese moralischen Strafen muss man von den richterlichen Bestrafungen unterscheiden, die willkürlich, objektiv und zeitlich sind; diese werden allezeit für Verwaltungszwecke, so wie es die Gelegenheit erfordert, verhängt (Gen 2,17; 6,7; 19,24 f.; Röm 6,23; 8,6; Joh 3,36; 5,29; Mt 25,46; Apk 14,11; Lk 16,24; 1. Petr 3,19; Apg 12,23; 20; Jud 7). Christliche Freiheit 71. Die Freiheit, die Christus den Gläubigen unter dem Evangelium zugesichert hat, besteht in der Freiheit von der Schuld und den Straffolgen der Sünde in ihrem freien Zugang zu Gott und in der Ausübung ihres Gehorsams gegen ihn, nicht aus knechtischer Furcht, sondern aus fröhlicher und zuversichtlicher Liebe (Tit  2,14; Gal 1,4; 3,13; Röm 8,14 f.; 1. Joh 4,18; Joh 14,21). 72. Gott, der allein Herr des Gewissens ist, hat es in Sachen des Glaubens und Gottesdienstes frei gemacht von solchen menschlichen Meinungen und Geboten, die etwa seinem Wort entgegenstehen (Röm 14,4; Apg 4,19; 5,29). 73. Diejenigen, die unter dem Vorwand christlicher Freiheit irgendeine Sünde begehen oder sich irgendeiner Lust hingeben, machen dadurch den Zweck der christlichen Freiheit zunichte. Dieser besteht darin, dass wir, erlöst von der Herrschaft der Sünde, dem Herrn ohne Furcht unser Leben lang in Gerechtigkeit dienen (Gal 5,13; 1. Petr 2,16; 2. Petr 2,19; Joh 7,34). 74. Diejenigen, die sich unter einem gleichartigen Vorwand der richtigen Ausübung irgendeiner rechtmäßigen Gewalt, sie sei bürgerlich oder kirchlich, widersetzen und dadurch Gottes Ordnung widerstreben, können rechtmäßig zur Rechenschaft gezogen und der Kirchenzucht unterworfen werden (1. Petr 2,13 f.; Hebr 13,17; 1. Kor 5,1.5.11.13; 2. Thess 3,14). Gottesverehrung 75. Religiöse Verehrung soll Gott dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, und ihm allein, erwiesen werden, nicht Engeln, Heiligen oder irgendeinem anderen Geschöpf. Seit dem Fall ist diese Verehrung [Gott] angenehm

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allein durch die Mittlerschaft des Herrn Jesus Christus (Joh 5,23; 14,6; Kol 2,18; 2. Kor 13,14; Apk 19,10; Röm 1,25; 1. Tim 2,5; Eph 2,18). 76. Gebet mit Danksagung, was ein besonderes Stück der religiösen Verehrung ist, wird von allen Menschen gefordert. Unter dem Beistand des Heiligen Geistes wird es wirksam gemacht durch Christus, wenn es in Übereinstimmung mit seinem Willen dargebracht wird. Beten soll man um rechtmäßige Dinge und für die Lebenden, aber nicht für die Toten (Phil 4,6; Ps 65,3; Joh 14,13 f.; Röm 8,26; 1. Joh 5,14; 1. Tim 2,1 f.; 2. Sam 12,21–23). 77. Das Lesen der Heiligen Schrift, der Besuch des Predigtgottesdienstes, der Gebrauch von Psalmen und heiligen Liedern, die richtige Feier der christlichen Sakramente, das Besuchen der Kranken, der Beitrag zur Unterstützung der Armen und die Erhaltung und Ausbreitung des Evangeliums sind alles richtige Akte der Gottesverehrung. Religiöse Gelübde, feierliche Fasten und Danksagungen sind ebenfalls Akte der Gottes­ verehrung und von großem Gewinn, wenn sie richtig ausgeübt werden (Joh 5,39; Apg 17,11; 18,18; Lk 22,19; 24,27.32.45; Kol 3,16; Mt 9,15; 25,22 f.; 28,19; Jos  1,17; 2. Kor 9,7; Dtn 15,10; 25,4; 1. Kor 9,14; Prov 3,9; Joel 2,12). 78. Gott muss im Geist und in der Wahrheit angebetet werden, im Verborgenen, täglich zu Hause in den Familien und in der öffentlichen Versammlung (Joh 4,23 f.; Hi 1,8; 2. Sam 6,18.20; Mt 6,6.11; Hebr 10,25; Apg 2,42). Sabbattag 79. Es hat Gott gefallen, einen Tag unter sieben zu bestimmen, damit er ihm heiliggehalten werde, was von Anbeginn der Welt bis zur Auferstehung Christi der letzte Tag der Woche war und seit der Auferstehung Christi in den ersten Tag der Woche umgeändert wurde. Dieser wird in der Schrift Tag des Herrn genannt (Ex 20,8–11; Jes 56,2.4; Gen 2,3; 1. Kor 16,1 f.; Apg 20,7; Apk 1,10). 80. Der Sabbat wird dem Herrn heiliggehalten durch Ruhen von Beschäftigungen und Erholungen weltlichen Charakters, durch öffentliche und private Gottesverehrung und durch Werke [zur Linderung] der Not und durch Barmherzigkeit (Ex 16,29 f.; 31,16; Mt 12,1–8). Rechtmäßige Eide und Gelübde 81. Der Name Gottes allein ist es, bei dem Menschen schwören dürfen; er ist dabei mit aller Ehrfurcht zu brauchen. Darum ist es Sünde, bei diesem herrlichen und schrecklichen Namen unnütz oder übereilt zu schwören oder überhaupt bei irgendeinem anderen Ding zu schwören. Doch wird ein Eid durch das Wort Gottes unter dem Neuen Testament ebenso wie

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unter dem Alten gutgeheißen, wenn er von einer rechtmäßigen Autorität auferlegt wird (Dtn 6,18; Jer 5,7; Jak 5,12; Hebr 6,14; 1. Kön 8,31). 82. Jeder, der einen Eid ablegt, ist verpflichtet, die Bedeutung einer so feierlichen Handlung genau zu erwägen und darin nichts zu versichern, als wovon er völlig überzeugt ist, dass es die Wahrheit sei. Auch darf sich niemand durch einen Eid zu etwas anderem verbinden, als was gut und gerecht ist und wovon er glaubt, dass es so sei, und was er auszuführen fähig und entschlossen ist (Jer 4,2; Gen 24,2 f.; Neh 5,12). 83. Ein Eid ist abzulegen im einfachen und gewöhnlichen Sinn der Worte, ohne Zweideutigkeit oder Gedankenvorbehalt. Er kann nicht zur Sünde verpflichten. Wenn er aber in einer nicht sündigen Sache abgelegt ist, verpflichtet er zur Ausführung, auch wenn es einem Menschen zum eigenen Schaden gereicht (Ps 15,4; 24,4). 84. Ein Gelübde ist von gleichem Wesen wie ein Eid und muss mit der gleichen religiösen Sorgfalt abgelegt und mit der gleichen Treue ausgeführt werden. Niemand kann geloben, etwas zu tun, was im Wort Gottes verboten ist oder einer darin gebotenen Pflicht im Weg steht oder nicht in seiner Macht liegt und zu dessen Ausführung er keine Verheißung oder Befähigung von Gott empfangen hat (Jes 19,21; Koh 5,3 f.; Ps 66,13 f.; Apg 23,12; Mk 6,26). Weltliche Regierung 85. Gott, der höchste Herr und König der ganzen Welt, hat weltliche Beamte verordnet, dass sie unter ihm über dem Volk sein sollen zu seiner eigenen Ehre und zum allgemeinen Besten. Zu diesem Zweck hat er sie mit Vollmacht ausgerüstet zur Verteidigung der Unschuldigen und zur Bestrafung der Übeltäter (Röm 13,1.3 f.; 1. Petr 2,13 f.). 86. Es ist richtig für Christen, weltliche Ämter anzunehmen, wenn sie dazu berufen werden. In deren Ausübung sind sie vor allem verpflichtet, für Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Frieden gemäß den heilsamen Gesetzen jedes Gemeinwesens zu sorgen (Prov 8,15 f.; Ps 82,3 f.; 2. Sam 23,3; Lk 3,14; Apg 10,1 f.; Röm 13,4). 87. Weltliche Beamte dürfen sich nicht die Verwaltung des Wortes und der Sakramente aneignen oder sich auch nur im Geringsten in Glaubenssachen einmischen. Jedoch haben sie die Pflicht, die Kirche unseres gemeinsamen Herrn zu schützen, ohne irgendeiner Glaubensgemeinschaft von Christen den Vorrang vor den übrigen zu geben. Da Jesus Christus in seiner Kirche eine Leitung und Zucht eingesetzt hat, darf kein Gesetz irgendeines [politischen] Gemeinwesens sich darin einmischen, vielmehr hat dieses dafür zu sorgen, dass alle religiösen und kirchlichen Versammlungen ohne Belästigung oder Störung gehalten werden (2. Chr 26,18; 1. Kor 4,1 f.; Joh 18,36; Mal 2,7; Jes 59,21; Ps 105,15; 2. Sam 23,9; 1. Tim 2,1).

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88. Es ist die Pflicht des Volkes, für die Regierenden zu beten, ihren rechtmäßigen Befehlen zu gehorchen und sich ihrer Autorität um des Gewissens willen zu unterstellen (1. Tim 2,1 f.; 1. Petr 2,17; Röm 13,5–7; Tit 3,1). Ehe und Ehescheidung 89. Die Ehe hat zwischen einem Mann und einer Frau zu bestehen. Weder ist es recht für einen Mann, mehr als eine Ehefrau, noch für eine Frau, mehr als einen Ehemann gleichzeitig zu haben (1. Kor 7,2; Mk 10,6–9). 90. Die Ehe ist zur gegenseitigen Hilfe des Ehemanns und der Ehefrau verordnet worden, und zum Wohl des Menschengeschlechts (Gen 2,18; 1. Kor 7,29). 91. Ehen dürfen nicht bestehen innerhalb der Grade der Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung – diese sind im Wort Gottes verboten. Auch können solche Ehen nicht durch irgendein menschliches Gesetz gerechtfertigt werden (1. Kor 5,1; Mk 6,18). 92. Das Eheverhältnis darf aus keinem Grund aufgelöst werden, der sich nicht durch die Lehren des Wortes Gottes rechtfertigen lässt. Jedes unsittliche Verhalten bezüglich seiner Auflösung kann von den Kirchenbehörden gerichtlich verfolgt werden (Mt 1,18–20; 5,31 f.; 19,9; Röm 7,2 f.; 1. Kor 7,15). Die Kirche 93. Die allgemeine Kirche, die unsichtbar ist, besteht aus allen denen, die durch den Glauben Kinder Gottes und Miterben Christi geworden sind, der ihr Haupt ist (Eph 1,10.22 f.; 5,23.27.32; Kol 1,18). 94. Die sichtbare Kirche besteht aus denen, die sich in Sachen des Glaubens und der Moral an die Grundlehren des Christentums halten und in einen förmlichen Bund mit Gott und in irgendeine organisierte Körperschaft von Christen zur Aufrechterhaltung der Gottesverehrung eingetreten sind. Die Kinder solcher Leute sind in das Bundesverhältnis ihrer Eltern eingeschlossen und stehen eigens unter der besonderen Fürsorge der Kirche (1. Kor 1,2; 12,12 f.; Ps 2,8; Gen 17,7; Apg 2,39; Röm 11,16; Gal 3,7.9.14; Prov 22,6). 95. Dieser sichtbaren Kirche hat Christus das geistliche Amt, das Wort und die Ordnungen zu ihrer Erbauung gegeben und macht diese durch seine eigene Gegenwart im Geist zu diesem Zweck wirksam. Der Herr Jesus Christus ist das alleinige Haupt seiner Kirche auf Erden (Eph 1,22; 4,11–13; Jes 59,21; Mt 28,19 f.; Kol,1,18).

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Christliche Gemeinschaft 96. Alle diejenigen, die durch den Glauben mit Christus vereinigt sind, haben Gemeinschaft mit ihm, und indem sie miteinander in Liebe vereinigt sind, haben sie Gemeinschaft miteinander. Es wird von ihnen gefordert, dass einer des anderen Last trägt und so das Gesetz Christi erfüllt (1. Joh 1,3; Eph 3,16 f.; 4,15 f.; Joh 1,2.16; Phil 3,10; 1. Thess 5,11.14). 97. Während von allen Christen gefordert wird, in Gemeinschaft zu leben, ist dies die besondere Pflicht derer, die zu derselben Glaubensgemeinschaft gehören. Ebenso auch, zusammenzuarbeiten in der Aufrechterhaltung des öffentlichen Gottesdienstes und in allen Maßnahmen, die jeweils als die besten für die geistlichen Interessen der Kirche und die Ehre Gottes erachtet werden (Hebr 10,24 f.; Apg 2,42.46; 1. Joh 3,17; Gen 28,22; Num 18,21; 2. Chr 31,4 f.; Neh 13,10–12). Die Sakramente 98. Wie unter der alttestamentlichen Durchführung [des Bundes] zwei Sakramente verordnet waren, die Beschneidung und das Passah, so gibt es auch unter der neutestamentlichen nur zwei, nämlich die Taufe und das Herrenmahl (Lk 22,19 f.; 1. Kor 11,23–26; Mt 28,19 f.). Taufe 99. Die Wassertaufe ist ein Sakrament des Neuen Testaments, von Jesus Christus eingesetzt als ein Zeichen oder Sinnbild der Taufe des Heiligen Geistes und als das Siegel des Bundes der Gnade (Mt 3,11; Joh 3,5; Tit 3,5. Röm 4,11; Gen 17,10). 100. Das äußere Element, das in diesem Sakrament gebraucht werden soll, ist Wasser, womit der Täufling auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes durch einen ordinierten Diener des Evangeliums getauft werden soll (Apg 8,36.38; 10,47; Mt 28,19). 101. Die Taufe wird durch das Begießen oder Besprengen des Täuflings recht verwaltet, doch hängt die Gültigkeit dieses Sakraments nicht von einer besonderen Form der Spendung ab (Apg 2,41; 16,33; Mk 7,4; Lk 11,38; Hebr 9,10.19–21; 1. Petr 3,21). 102. Die eigentlichen Empfänger der Wassertaufe sind gläubige Erwachsene, ebenso Kinder, deren einer oder beide Elternteile oder Pfleger gläubig sind (Apg 2,38 f.; 10,47 f.; 16,14 f.33; Mt 28,19; Gen 17,7.9; 1. Kor 1,16). 103. In der Wassertaufe liegt keine Heilswirksamkeit, doch ist es die Pflicht aller Gläubigen, Christus in dieser feierlichen Ordnung zu bekennen, und es ist ebenso die Pflicht aller gläubigen Eltern, ihre Kinder in der Taufe Gott zu übergeben (Apg 8,13.23; Lk 23,43; Röm 2,26–29; 4,10 f.; Gen 17,10.27).

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Das Herrenmahl 104. Das Sakrament, das gewöhnlich das Herrenmahl genannt wird, wurde vom Herrn Jesus Christus am Ende seines letzten Passahmahles eingesetzt als eine bleibende Erinnerung an sein Leiden und seinen Tod am Kreuz. Durch dieses Opfer seiner selbst wurde er zur Versöhnung für die Sünden der ganzen Welt (Lk 22,19 f.; 1. Kor 11,23–26; Hebr 7,23 f.27; 10,11 f.14.18; Röm 3,25; 1. Joh 2,2.4.10). 105. In diesem Sakrament wird kein Opfer irgendwelcher Art für die Sünde dargebracht, sondern die eine vollkommene Darbringung Christi als hinreichendes Opfer durch angemessene Sinnbilder dargestellt und ins Gedächtnis gerufen. Diese Sinnbilder sind Brot und Wein, die zwar im übertragenen Sinn der Leib und das Blut Christi genannt werden, aber dennoch nach der Konsekration [= Weihe] buchstäblich Brot und Wein bleiben und die Lehren von der Konsubstantiation [= sakramentale Einheit von Leib und Blut Jesu Christi mit Brot und Wein] und Transsub­stantiation [= Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi] nicht stützen (Hebr 10,11 f.14.18; Lk 22,19 f.; 24,6.39; Apg 3,21). 106. Da in diesem Sakrament die Kommunikanten sichtbar Sinnbilder der Passion des Heilands vor sich haben, dürfen sie sich der heiligen Kommunion nicht ohne gebührende Selbstprüfung, Ehrfurcht, Demut und Dankbarkeit nähern (1. Kor 5,1.7 f.; 10,16; 11,28). 107. Alle, die den Herrn Jesus mit Aufrichtigkeit und Wahrheit lieben, sollen bei allen passenden Gelegenheiten ihre Hingabe an ihn durch den Gebrauch der Sinnbilder seines Todes ausdrücken. Aber kein Ungläubiger, der nicht weiß, was der Leib [Christi] bedeutet, darf an seinem heiligen Mahl teilnehmen (1. Kor 5,6–8.13; 10,21; 11,27.29; 2. Kor 6,14–16; 2. Thess 3,6.14 f.; Ex 12,14). Kirchliche Amtsgewalt 108. Der Herr Jesus hat als König und Haupt seiner Kirche eine Regierung in ihr eingesetzt, die durch kirchliche Ämter wahrgenommen wird und von der bürgerlichen Regierung unterschieden ist (Jes 9,6 f.; Joh 18,36; 1. Tim 5,17; 1. Thess 5,12; 1. Kor 12,28; Ps 2,6–9). 109. Durch göttliche Einsetzung haben die Amtsträger der sichtbaren Kirche die Vollmacht, Mitglieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, die Unordentlichen zu ermahnen, vorübergehend auszuschließen oder endgültig auszustoßen sowie diejenigen wiederaufzunehmen, die nach dem Urteil geschwisterlicher Liebe für ihre Sünden Buße getan haben (Apg 2,41; 5,14; 1. Thess 5,12; 2. Thess 3,6.14 f.; Mt 18,15–17; 1. Tim 5,20).

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Kirchengremien 110. Die Kirchenregierung schließt das Bestehen von Kirchengremien in sich, die mit gesetzgebender, richterlicher und ausübender Gewalt bekleidet sind. Die Schrift erkennt solche Einrichtungen an, einige mit untergeordneter und einige mit übergeordneter Amtsgewalt, wobei jede ihren eigenen Bereich von Pflichten und Vorrechten in Angelegenheiten hat, die sich auf das Amt der Diener und auf die Kirche beziehen, alle jedoch derselben allgemeinen Bestimmung untergeordnet sind (Apg 15,2.4.6.22 f.25). 111. Es ist das Vorrecht dieser Gremien, Glaubensstreitigkeiten und Fragen der Moral amtlich zu entscheiden, Regeln und Anweisungen für die bessere Ordnung der öffentlichen Gottesverehrung und der Leitung seiner Kirche festzusetzen, Klagen in Fällen schlechter Verwaltung entgegen­ zunehmen und aus amtlicher Vollmacht über sie zu urteilen. Diese Entscheidungen müssen mit Ehrfurcht und Gehorsam angenommen werden (Apg 14,23; 16,4; 20,17; 1. Tim 4,14; 5,17; Tit 1,5; Jak 5,14). Tod und Auferstehung 112. Die Leiber der Menschen werden nach dem Tod wieder zu Erde, aber ihre Seelen sind unsterblich und kehren zu Gott zurück, der sie gegeben hat. Die Seelen der Gerechten werden in den Himmel aufgenommen, wo sie das Angesicht Gottes in Licht und Herrlichkeit schauen und auf die volle Erlösung ihrer Leiber warten. Die Seelen der Bösen werden in die Hölle geworfen, wo sie bleiben werden zum Gericht des Jüngsten Tages. Die Schrift spricht von keinem anderen Ort für verstorbene Seelen (Gen 3,19; Apg 13,36; Lk 16,23 f.; 23,43; Koh 12,7; Hebr 12,23; 1. Joh 3,2; Phil 1,23; 2. Kor 5,1; Mt 25,46; Jud 6 f.). 113. Bei der Auferstehung werden die, welche am Leben sind, nicht sterben, sondern verwandelt werden. Alle Toten werden auferweckt werden, geistlich und unsterblich, und die Seelen und Leiber werden für immer vereinigt werden. Es wird eine Auferstehung beider, der Gerechten und der Ungerechten, stattfinden – die der Ungerechten zur Schande und die der Gerechten zur Ehre. Die Leiber der Letzteren werden Christi verklärtem Leib ähnlich werden (1. Thess 4,17; 1. Kor 15,51 f.; Apg 24,15; Joh 5,28 f.; Phil 3,21). Das Gericht 114. Gott hat einen Tag gesetzt, an dem er die Welt mit Gerechtigkeit durch Jesus Christus richten will. Diesem ist vom Vater alle Gewalt und Gerichtsbefugnis gegeben. An diesem Tag werden nicht nur die gefallenen Engel gerichtet werden, vielmehr werden alle, die auf Erden gelebt haben, vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden und emp-

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fangen, was dem entspricht, was sie getan haben, es sei gut oder böse (Apg 17,31; Joh 5,22.27; Jud 6; 2. Petr 2,4; 2. Kor 5,10; Koh 12,14; Röm 2,16; 14,10.12; Mt 12,36 f.). 115. Nach dem Gericht werden die Bösen in die ewige Bestrafung eingehen, aber die Gerechten in das ewige Leben (Mt 25,46; Apk 14,11; Jud 7).

32. Bekenntnis der Freien reformierten Synode Barmen (1934)  Einleitung  Im Auftrag des Coetus reformierter Prediger hat Karl Barth (1886–1968) die Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse um die Jahreswende 1933/1934 abgefasst und am 4. Januar 1934 auf der Freien reformierten Synode in Barmen-Gemarke vorgestellt. Dort trat erstmals seit Beginn der Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen (DC) eine Freie Synode mit 320 Pfarrern und Ältesten aus 167 reformierten und unierten Gemeinden zusammen. Sie stimmte einmütig und ohne Abänderung einem Text zu, der den Charakter eines Bekenntnisses trägt und als ein solches auch von den Synodalen verstanden wurde. Die Synode wurde kurzfristig unter dem Datum des 22. Dezember 1933 einberufen und anschließend unter großem Zeitdruck vorbereitet. Barth wurde gebeten, einen Entschließungstext samt Einbringungsvortrag zu verfassen. Im Hintergrund von Synode und Erklärung standen Meinungsverschiedenheiten über die Positionierung der Reformierten im nationalsozialistischen Staat und in der Reichskirche. Auf der einen Seite standen u. a. die beiden reformierten Landeskirchen und das Moderamen des Reformierten Bundes. Sie vertraten eine eher konfessionelle Ausrichtung und haben das reformierte Bekenntnis ins Zentrum gestellt. Eine davon abweichende Haltung nahm der 1933 gegründete Coetus reformierter Prediger ein, der von Pfarrer Karl Immer geleitet wurde und dem auch Barth zugerechnet werden kann. Der Coetus war in dieser äußerst brisanten kirchlichen Situation für eine Zusammenarbeit mit solchen Lutheranern, die sich ebenfalls gegen die Preisgabe fundamentaler theologischer Einsichten zugunsten einer ideologischen Verzahnung von Kirche und Staat stellten. Die vom Moderamen einberufene Synode sollte den Widerstand gegen das in den Landeskirchen und in der Reichskirche etablierte Kirchenregiment der DC zum Ausdruck zu bringen. Im Mittelpunkt der Synode stand die Einbringung und Diskussion der Erklärung. Sie wurde am Nachmittag des 4. Januar 1934 einstimmig angenommen und bedeutete eine klare Abgrenzung und Trennung von den DC. Schon im Titel versteht sich die Erklärung als Öffnung hin auf die gesamte evangelische Kirche. In fünf Abschnitten wird versucht, die Bekenntnisaussagen der reformierten Tradition im Blick auf das erforderliche aktuelle Bekennen neu auszulegen. In Abschnitt I,3 wird dargelegt, dass

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die konfessionellen „Belange“ dem gemeinsamen evangelischen Bekennen nicht übergeordnet werden dürfen. Weiterhin lehnt die Erklärung eine Abwertung des Alten Testaments ab (Abschnitt I,2), ebenso die Existenz anderer verbindlicher Gottesoffenbarungen neben der in Jesus Christus (Abschnitt II,1), die Deutung geschichtlicher Ereignisse als vorrangige kirchliche Aufgabe (Abschnitt II,3), die Bindung an weltliche Dinge oder Personen oder an den Staat (Abschnitte III,2 und V,4), die Beliebigkeit der Gestalt der Kirche (Abschnitt V,2) und die Beschränkung der Kirche auf eine bestimmte Rasse (Abschnitt V,3). Die Erklärung stellte für viele reformierte Gemeinden eine wegweisende theologische Orientierung dar. Sie markiert die theologischen Differenzen zu den DC und verfügt über spezifisch reformierte Akzente. In ihrem theologischen Horizont wurde bald darauf die Barmer Theologische Erklärung abgefasst. Editionen Karl Barth, Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. v. Michael Beintker/Michael Hüttenhoff/Peter Zocher (Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 2017, 65–83 Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart (1934), in: RefBS, Bd. 4/2: 1933–1967 (Bearb.: Matthias Freudenberg) Literatur Freie reformierte Synode zu Barmen-Gemarke am 3. und 4. Januar 1934. Vorträge, Verhandlungen, Entschließungen, im Auftrag des Coetus reformierter Prediger Deutschlands hg. v. Karl Immer, Wuppertal 1934 Sigrid Lekebusch, Die Reformierten im Kirchenkampf. Das Ringen des Reformierten Bundes, des Coetus reformierter Prediger und der reformierten Landeskirche Hannover um den reformierten Weg in der Reichskirche, Köln 1994, 79–94 Günther van Norden (Hg.), Kirchenkampf im Rheinland. Die Entstehung der Bekennenden Kirche und die Theologische Erklärung von Barmen 1934, Köln 1984 Herwart Vorländer, Aufbruch und Krise. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Reformierten vor dem Kirchenkampf, Neukirchen-Vluyn 1974 Einleitung: Matthias Freudenberg

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Bekenntnis der Freien reformierten Synode Barmen (1934) Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart. I. Die Kirche in der Gegenwart 1. Angesichts der kirchlichen Ereignisse des Jahres 1933 gebietet uns das Wort Gottes, Buße zu tun und umzukehren. Denn in diesen Ereignissen ist ein die evangelische Kirche seit Jahrhunderten verwüstender Irrtum reif und sichtbar geworden. Er besteht in der Meinung, dass neben Gottes Offenbarung, Gottes Gnade und Gottes Ehre auch eine berechtigte Eigenmächtigkeit des Menschen über die Botschaft und die Gestalt der Kirche, d. h. über den zeitlichen Weg zum ewigen Heil, zu bestimmen habe. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die kirchliche Entwicklung seit der Reformation sei eine normale gewesen und es handle sich in der heutigen Not unserer Kirche nur um eine vorübergehende Störung, nach deren Beseitigung jene Entwicklung geradlinig weitergehen dürfe. 2. Dieser Irrtum ist derselbe wie der Irrtum der Papstkirche und der Schwärmerei, gegen den sich das reformatorische Bekenntnis richtet. Wenn die evangelische Kirche ihm erliegt, so hat sie aufgehört, evangelische Kirche zu sein. Er muss heute, auch in seinen feinsten und reinsten Gestalten, als Irrtum festgestellt und bekämpft – dem alten Irrtum muss das alte Bekenntnis mit neuer Freudigkeit und Bestimmtheit entgegengestellt werden. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Der Irrtum von der Eigenmächtigkeit des Menschen in Sachen der Botschaft und Gestalt der Kirche sei eine Meinung neben anderen, die wenigstens in ihren edleren Formen in der evangelischen Kirche nach wie vor Heimatrecht haben könne. 3. Angesichts der Einheit, in der dieser Irrtum heute in die Erscheinung getreten ist, sind die in der einen Deutschen Evangelischen Kirche zusammengeschlossenen Gemeinden aufgerufen, unbeschadet ihrer lutherischen, reformierten oder unierten Herkunft und Verantwortung, aufs Neue die Hoheit des einen Herrn der einen Kirche und darum die wesentliche Einheit ihres Glaubens, ihrer Liebe und ihrer Hoffnung (1. Kor 13,13), ihrer Verkündigung durch Predigt und Sakrament, ihres Bekenntnisses und ihrer Aufgabe zu erkennen. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Es dürfe oder müsse die berechtigte Vertretung lutherischer, reformierter oder unierter „Belange“ noch immer den Erfordernissen des gemeinsamen evangelischen Bekennens und Handels gegen den Irrtum und für die Wahrheit übergeordnet werden.

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II. Die Kirche unter der Heiligen Schrift 1. Die Kirche hat ihren Ursprung und ihr Dasein ausschließlich aus der Offenbarung, aus der Vollmacht, aus dem Trost und aus der Leitung des Wortes Gottes, das der ewige Vater durch Jesus Christus, seinen ewigen Sohn, in der Kraft des ewigen Geistes, als die Zeit erfüllt war, ein für allemal gesprochen hat (Gal 4,4). Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche könne und müsse sich außer auf die Offenbarung des dreieinigen Gottes auch noch auf eine dem Menschen trotz des Sündenfalls zugängliche Gottesoffenbarung in Natur und Geschichte begründen und beziehen. 2. Die Kirche hört das ein für allemal gesprochene Wort Gottes durch die freie Gnade des Heiligen Geistes in dem doppelten, aber einheitlichen und in seinen beiden Bestandteilen sich gegenseitig bedingenden Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes, das heißt in dem Zeugnis des Mose und der Propheten von dem kommenden und in dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel von dem gekommenen Jesus Christus. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die biblischen Schriften seien zu verstehen als Zeugnisse aus der Geschichte menschlicher Frömmigkeit; maßgebend für die christliche Frömmigkeit sei aber vorwiegend oder ausschließlich das Neue Testament; es könne oder müsse darum das Alte Testament zugunsten des Neuen abgewertet, zurückgedrängt oder gar ausgeschieden werden. 3. Die Kirche lebt durch die freie Gnade des Heiligen Geistes davon und darin, dass sie, indem sie das Zeugnis der Heiligen Schrift im Glauben aufnimmt und im Gehorsam weitergibt, die Strenge und die Barmherzigkeit, die Ehre und die Menschenfreundlichkeit des dreieinigen Gottes erkennt und verkündigt. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche könne oder müsse neben dem durch die Heilige Schrift bezeugten Handeln Gottes in Jesus Christus auch noch sein Wirken in den Ereignissen der jeweiligen Gegenwart feststellen und bekannt machen. III. Die Kirche in der Welt 1. Die Kirche ist in der Welt. Sie bekennt sich in der Nachfolge des fleischgewordenen Wortes Gottes rückhaltlos zu der ganzen Not des von Gott gut geschaffenen, aber in Sünde gefallenen und unter dem göttlichen Fluch stehenden Menschen. Sie vertraut und sie gehorcht allein der eben diesem Menschen in Jesus Christus widerfahrenen Barmherzigkeit. Sie wartet nach Gottes Verheißung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt (2. Petr 3,13).

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Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche könne oder müsse außer der Barmherzigkeit Gottes in Christus auch noch einer dem Menschen erkennbaren Güte dieser Welt vorbehaltloses Vertrauen schenken und einer dem Menschen erkennbaren Eigengesetzlichkeit dieser Welt vorbehaltlosen Gehorsam entgegenbringen. 2. Die Kirche anerkennt nach Weisung des Wortes Gottes dankbar, dass der Wandel der Menschheits- und Völkergeschichte, die politischen, philosophischen und kulturellen Versuche des Menschen unter der Anordnung des göttlichen Befehls und der göttlichen Geduld stehen. Sie begleitet sie darum mit der ernsten Anerkennung ihres zeitlichen, bestimmten und begrenzten Rechtes, mit ihrer Fürbitte, aber auch mit der Erinnerung an Gottes Reich, Gesetz und Gericht, mit der Hoffnung auf ihn, der alles lenkt, um alles neu zu machen (Apk 21,5). Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche könne oder müsse in der Wirklichkeit dieses oder jenes Versuchs des Menschen nicht sowohl einen Erweis der göttlichen Geduld, als vielmehr eine Annäherung an die Wiederherstellung der göttlichen Schöpfungsordnung erblicken. 3. Die Kirche ist in der Welt unter der Heiligen Schrift. Sie dient dem Menschen und dem Volk, dem Staat und der Kultur, indem sie hinsichtlich ihrer Botschaft und ihrer Gestalt dem ihr vorgeschriebenen Worte Gottes und seinem Heiligen Geist gehorsam zu sein bemüht ist. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche habe dem Menschen damit zu dienen, dass sie, ihm mehr gehorchend als Gott (Apg 5,29), ihre Botschaft und ihre Gestalt seinen jeweiligen Überzeugungen, Wünschen und Zwecken anpasse und zur Verfügung stelle. IV. Die Botschaft der Kirche 1. Der Auftrag der Kirche besteht darin, in Auslegung und nach Maßgabe des prophetisch-apostolischen Zeugnisses an Christi Statt und also seinem eigenen Wort und Werk dienend, durch Predigt und Sakrament die Botschaft von Gottes nahe herbeigekommenem Reich auszurichten: Gott der Schöpfer hat sich seiner Geschöpfe, Gott der Versöhner hat sich der Sünder, Gott der Erlöser hat sich seiner geliebten Kinder in freier Gnade angenommen. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Kirche könne oder müsse das Wort Gottes des Schöpfers, Versöhners und Erlösers, statt ihm zu dienen, als ihr eigenes Wort aussprechen und also, statt die freie Gnade zu verkün­ digen, „dynamisch“ wirken. 2. Die freie Gnade, in der Gott sich unser annimmt, ist die in der Kraft des Heiligen Geistes sich erfüllende Verheißung der Gegenwart Jesu Christi als

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des Herrn, der für uns Knecht geworden, um unser altes Leben in den Tod zu geben und unser neues Leben an das Licht zu bringen (2. Tim 1,10). Damit ist abgelehnt die Ansicht: Die Gnade Gottes bestehe in moralischen oder religiösen Vollkommenheiten, deren sich der Mensch nicht nur im Blick auf den, der den Gottlosen gerecht macht (Röm 4,5), sondern doch auch im Blick auf einen eigenen Besitz rühmen könnte. 3. Die Gabe der Gnade ist unsere Zugehörigkeit zu Jesus Christus: In ihm sind wir gerechtfertigt durch das Wunder des Glaubens, der immer wieder die in ihm geschehene Vergebung unserer Sünde annimmt. Und in ihm sind wir geheiligt durch das Wunder des Gehorsams, der sich immer wieder unter das Gericht und unter die Weisung des von ihm kommenden Gebotes stellt. Damit ist abgelehnt die Ansicht: a) Als sei das „Evangelium“ und das „Gesetz“, unsere Rechtfertigung und unsere Heiligung, nicht die Offenbarung und das Werk der einen Gnade Jesu Christi. b) Als vollziehe sich unsere Rechtfertigung als Sünder dadurch, dass wir plötzlich oder allmählich bessere Menschen werden. c) Als sei die Gabe der freien Gnade nicht auch unsere Inanspruchnahme zum Gehorsam gegen Gottes Gebot oder als sei diese unsere Heiligung etwas anderes als eine Gabe der freien Gnade. 4. Unser durch den Heiligen Geist in Jesus Christus begründetes und von ihm jeden Tag neu zu erbittendes Leben im Glauben und im Gehorsam wartet auf seine Erlösung durch den kommenden Herrn: in der Auferstehung der Toten, durch das Gericht und zum ewigen Leben. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Ein Leben im Glauben und im Gehorsam könne in irgendeiner Hinsicht ein in sich abgeschlossenes, sich selbst genügendes, dem Warten auf den kommenden Herrn und also der Hoffnung auf ihn und der Furcht vor ihm entzogenes Leben sein. V. Die Gestalt der Kirche 1. Die Kirche Jesu Christi ist die sichtbar und zeitlich gestaltete Wirklichkeit der durch den Dienst der Verkündigung vom Herrn selbst berufenen, versammelten und getragenen, getrösteten und regierten Gemeinde und die ebenso sichtbar und zeitlich gestaltete Wirklichkeit der Einheit solcher Gemeinden. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Als empfange die Kirche ihre zeitliche und sichtbare Gestalt kraft ihrer eigenen Willkür oder äußerer Notwendigkeiten wie ein religiöser Verein, dessen Prinzip ebenso gut in dieser wie in jener Form verwirklicht werden könne.

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2. Die Gestalt der Kirche ist dadurch bestimmt, dass ihre äußere Ordnung ebenso wie ihr inneres Leben unter der Verheißung und unter dem Befehl Jesu Christi als des alleinigen Herrn der Kirche steht. Die Gemeinden tragen einzeln und in ihrer Gesamtheit vor ihm die Verantwortung dafür, dass der Dienst der Verkündigung, der Dienst der Aufsicht und die die Verkündigung begleitenden Dienste der Lehre und der Liebe in ihrer Mitte ihre berufenen Träger finde und von diesen recht ausgeübt werde. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Als könne und dürfe den Gemeinden die Verantwortung für die Bestellung und Verwaltung des kirchlichen Dienstes von einem besonderen kirchlichen Führeramt abgenommen werden. 3. Die Kirche Jesu Christi ist, was ihre Botschaft und ihre Gestalt betrifft, eine und dieselbe in den verschiedenen Zeiten, Rassen, Völkern, Staaten und Kulturen. Das Recht kirchlicher Verschiedenheiten da und dort steht und fällt damit, dass sie mit der Einheit ihrer Botschaft und Gestalt vereinbar sind. Damit ist abgelehnt die Ansicht: a) Als sei das Recht zeitlicher, nationaler und lokaler Verschiedenheiten der kirchlichen Formen aus besonderen Offenbarungen Gottes in der Geschichte abzuleiten. b) Als sei es mit der Einheit der Botschaft und Gestalt der Kirche vereinbar, die Gliedschaft und die Befähigung zum Dienst in ihr auf die Angehörigen einer bestimmten Rasse zu beschränken. 4. Die Kirche erkennt im Staate auf Grund der Weisung des Wortes Gottes die Anordnung des göttlichen Befehls und der göttlichen Geduld, kraft welcher der Mensch es versuchen darf und soll, im Rahmen seines Verständnisses von Vernunft und Geschichte, verantwortlich dem Herrn aller Herren (1. Tim 6,15; Apk 17,14; 19,16), Recht zu finden und mit Gewalt aufzurichten und aufrechtzuerhalten. Die Kirche kann dem Staat dieses sein besonderes Amt nicht abnehmen. Sie kann sich aber auch ihr eigenes Amt nicht vom Staat abnehmen, sie kann ihre Botschaft und ihre Gestalt nicht vom Staat her bestimmen lassen. Sie ist, gebunden an ihren Auftrag, grundsätzlich freie Kirche in dem in der Bindung an seinen Auftrag grundsätzlich ebenso freien Staat. Damit ist abgelehnt die Ansicht: Als sei der Staat die höchste oder gar einzige („totale“) Form sichtbar-zeitlich gestalteter geschichtlicher Wirklichkeit, der sich darum auch die Kirche mit ihrer Botschaft und Gestalt „gleichzuschalten“, unter- oder gar einzuordnen habe.

33. Barmer Theologische Erklärung (1934) Einleitung Vom 29. bis zum 31. Mai 1934 fand in Wuppertal-Barmen die erste Synode der Bekennenden Kirche statt – eine Reaktion auf die Übernahme vieler Kirchenleitungen durch die Deutschen Christen (DC), welche die evangelische Kirche nach den Prinzipien des Nationalsozialismus umgestalten wollten. Nach den Kirchenwahlen im Juli 1933 herrschte innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche große Unsicherheit. Erst Anfang November 1933 wurde einigen klar, dass die von den DC dominierten Kirchenleitungen nicht mehr als rechtmäßige Kirche anzusehen seien. In der Folgezeit wuchs innerhalb der evangelischen Kirche die Auffassung, dass diese ein eigenes Wort verfassen müsse. Es wurde eine Bekenntnissynode beschlossen, und ein Dreiergremium verfasste aufgrund von Vorarbeiten Karl Barths (1886–1968) einen Text, der dann mit einigen Änderungen auf der Bekenntnissynode von Wuppertal-Barmen am 31. Mai 1934 verabschiedet wurde. Die 139 Teilnehmer dieser selbst so genannten Bekenntnissynode kamen aus lutherischen, reformierten und unierten Kirchen – die erste gemeinsame Synode der evangelischen Kirchen in Deutschland seit der Reformation. Im Vorfeld hatte es Bedenken gegeben, ob es sinnvoll und möglich sei, dass Reformierte und Lutheraner ein gemeinsames Bekenntnis haben könnten. Verschiedene Kirchen (reformierte und lutherische) hatten deshalb keine Vertreter entsandt, und auf der Synode selbst erhob der Lutheraner Hermann Sasse erfolglos prinzipiellen Einspruch. Die Erklärung besteht aus sechs dreigliedrigen Thesen (Bibelwort, These, Verwerfungssatz). Die grundlegende These 1 markiert die christologische Grundorientierung der Erklärung: Jesus Christus ist das einzige Wort Gottes, das die Kirche zu hören und dem sie zu vertrauen und zu gehorchen hat. In These 2 formuliert die Erklärung in dieser Reihenfolge den durch Jesus Christus ergehenden Zuspruch und zugleich den in ihm beschlossenen Anspruch auf das ganze Leben der Menschen. These 3 insistiert darauf, dass die Gestalt der Kirche nicht gleichgültig sei, sondern ihrer eigenen Botschaft zu entsprechen habe. Eine gleichgeschaltete Kirche etwa sei deshalb ausgeschlossen, weil die Kirche sich selbst ihre Ordnung geben müsse. Gegen den Führungsanspruch Einzelner in der Kirche wendet sich These 4, die zugleich betont, dass Ämter keine Herrschafts-, sondern Dienstfunktionen seien. Das Führeramt habe darum in der Kirche keinen Platz. Die 5. These wendet sich dem Staatsverständ-

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nis zu: Die Aufgabe des Staates besteht darin, „für Recht und Frieden zu sorgen“, aber keine kirchlichen Aufgaben zu übernehmen; er ist nicht als „Schöpfungsordnung“ zu verstehen, sondern  – eine Vorstellung Johannes Calvins aufnehmend – als Anordnung Gottes, die um der Aufgabe willen existiert (und deshalb auch daran zu messen ist). Umgekehrt hat die Kirche keine staatlichen Aufgaben zu erfüllen, sondern im Sinne des Wächterdienstes „an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit“ zu erinnern. Abschließend hebt die 6. These die Aufgabe (und Freiheit!) der Kirche hervor, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes“ allem Volk (und also ohne jegliche Ausnahme) auszurichten. Im Nachhinein wurde und wird kontrovers diskutiert, ob das Fehlen einer eigenen These zur Judenverfolgung als theologisches Versagen zu beurteilen ist. Die einende Funktion der Barmer Theologischen Erklärung innerhalb der Bekennenden Kirche hielt nur kurz an. Bereits 1935 spaltete sich die Bekennende Kirche in die sog. „intakten Kirchen“ (keine deutsch-christliche Kirchenleitung, ein Weg mit Kompromissen wurde gesucht; hier spielte „Barmen“ eine weniger wichtige Rolle) und die radikale Bekennende Kirche, die eigene kirchliche Strukturen aufbaute (z. B. eigene Predigerseminare und Kirchliche Hochschulen; hier war „Barmen“ bleibend wichtig). Die Evangelische Kirche in Deutschland konnte sich 1948 nicht auf die Barmer Theologische Erklärung als gemeinsames Bekenntnis einigen; in mehreren Landeskirchen gilt sie aber als solches. Für die Entstehung neuerer Bekenntnisse weltweit war die Barmer Theologische Erklärung Anstoß und Impuls. Der hier abgedruckte Text der Thesen mit der ihr vorangehenden Einleitung folgt der Fassung des Flugblattes, das schon am 31. Mai 1934 den Synodalen gedruckt vorlag. Editionen Karl Barth, Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche (1934), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. v. Michael Beintker/Michael Hüttenhoff/Peter Zocher (Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 2017, 264–301 Barmer Theologische Erklärung, in: RefBS, Bd. 4/2: 1933–1967 (Bearb.: Georg Plasger) Literatur Karl Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, mit einer Einleitung v. Eberhard Jüngel hg. v. Martin Rohkrämer, Zürich 22004 Eberhard Busch, Die Barmer Thesen 1933–2004, Göttingen 2004 Magdalene L. Frettlöh/Frank Mathwig/Matthias Zeindler (Hg.), „Gottes kräftiger An­spruch“. Die Barmer Theologische Erklärung als reformierter Schlüsseltext, Zürich 2017 Hans-Ulrich Stephan (Hg.), Das eine Wort für alle. Barmen 1934–1984. Eine Dokumentation, Neukirchen-Vluyn 1986 Einleitung: Georg Plasger

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Barmer Theologische Erklärung (1934) Die Deutsche Evangelische Kirche ist nach den Eingangsworten ihrer Verfassung vom 11. Juli 1933 ein Bund der aus der Reformation erwachsenen, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bekenntniskirchen. Die theologische Voraussetzung der Vereinigung dieser Kirchen ist in Art. 1 und Art. 2,1 der von der Reichsregierung am 14. Juli 1933 anerkannten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche angegeben: Art. 1: Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die Vollmachten, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf, bestimmt und begrenzt. Art. 2: Die Deutsche Evangelische Kirche gliedert sich in Kirchen (Landeskirchen). Wir, die zur Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche vereinigten Vertreter lutherischer, reformierter und unierter Kirchen, freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise erklären, dass wir gemeinsam auf dem Boden der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen. Uns fügt dabei zusammen das Bekenntnis zu dem einen Herrn der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche. Wir erklären vor der Öffentlichkeit aller evangelischen Kirchen Deutschlands, dass die Gemeinsamkeit dieses Bekenntnisses und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche aufs Schwerste gefährdet ist. Sie ist bedroht durch die in dem ersten Jahr des Bestehens der Deutschen Evangelischen Kirche mehr und mehr sichtbar gewordene Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen und des von ihr getragenen Kirchenregimentes. Diese Bedrohung besteht darin, dass die theologische Voraussetzung, in der die Deutsche Evangelische Kirche vereinigt ist, sowohl seitens der Führer und Sprecher der Deutschen Christen als auch seitens des Kirchenregimentes dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche nach allen bei uns in Kraft stehenden Bekenntnissen auf, Kirche zu sein. Bei deren Geltung wird also auch die Deutsche Evangelische Kirche als Bund der Bekenntniskirchen innerlich unmöglich. Gemeinsam dürfen und müssen wir als Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen heute in dieser Sache reden. Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, dass uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist.

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Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag. Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irr­ tümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchen­ regierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten: 1. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14,6). „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden“ (Joh 10,1.9). Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben (Röm 14,8). Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. 2. „Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“ (1. Kor 1,30). Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften. 3. Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist“ (Eph 4,15 f.). Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.

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Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen. 4. „Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch; sondern so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener“ (Mt 20,25 f.). Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen. 5. „Fürchtet Gott, ehret den König“ (1. Petr 2,17). Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt (Hebr 1,3). Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden. 6. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20). „Gottes Wort ist nicht gebunden“ (2. Tim 2,9). Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.

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Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, dass sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklärung anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Entscheidungen dieser theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein. Sie bittet alle, die es angeht, in die Einheit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zurückzukehren. Verbum Dei manet in aeternum.

34. Bekenntnis der Vereinigten Presbyterianischen Kirche in den USA (1967) Einleitung Mitten in einem für die US-amerikanische Gesellschaft und Kirche turbulenten Jahrzehnt beschritt die United Presbyterian Church in the U. S. A. einen neuen Weg und nahm im Jahr 1967 zum ersten Mal nach Jahrhunderten ein neues und zudem noch auf amerikanischem Boden entstandenes Bekenntnis an, dem dann ganz bewusst der Name „Confession of 1967“ gegeben wurde. Damit sollte signalisiert werden, dass sich das Bekenntnis den Herausforderungen der eigenen Zeit stellen wollte, dabei aber keinen Anspruch auf endgültige und abschließende Bekenntnisautorität erhob. Äußerer Anlass für das Bekenntnis war die Kirchenunion zweier Zweige der presbyterianischen Tradition in Amerika: der Presbyterian Church in the United States of America (PCUSA) sowie der kleineren United Presbyterian Church of North America (UPCNA) zur United Presbyterian Church in the U. S. A. (UPCUSA) im Jahr 1958, welche zu ihrer Zeit die größte, gesellschaftlich und politisch einflussreichste presbyterianische Kirche in Nordamerika darstellte. Schon in den vorangegangenen Jahrzehnten hatten beide Kirchen ihr Bekenntnisverständnis modifiziert; mit der Union sollte jetzt ein neues „zeitgenössisches Glaubensbekenntnis“ erarbeitet werden. Ein dazu eingesetztes Komitee empfahl der Kirche 1965, nach Jahren der intensiven Vorarbeit, ein Bekenntnisbuch, das sog. „Book of Confessions“, anzunehmen, das acht weitere Bekenntnisse aus der Tradition enthielt. Das Bekenntnis von 1967 sollte auf dem Hintergrund dieser historischen Bekenntnisse versuchen, den christlichen Glauben in einer für die Gegenwart und ihre Herausforderungen relevanten Weise zu bekennen. Nach weiteren Arbeiten an dem Bekenntnisentwurf, die insbesondere kontroverse Aspekte des Bekenntnisses betrafen (Christologie, Schriftverständnis, Sexualethik), wurde das Bekenntnis 1966 zusammen mit dem Bekenntnisbuch in der General Assembly angenommen und 1967 durch die Presbyterien bestätigt, obwohl konservative Kreise die Annahme des Bekenntnisses als zu radikal und revolutionär zu verhindern suchten. Als „nucleus“ des ganzen Bekenntnisses galt die Auslegung von 2. Kor 5,19: die Versöhnung Gottes mit dem Menschen; ein Thema, das die inhaltliche Nähe des Bekenntnisses zu der dialektischen Theologie Karl Barths verdeutlicht, die insgesamt für das Bekenntnis in der Form der

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„neo-orthodox theology“ Nordamerikas eine entscheidende Rolle gespielt hat. Das Bekenntnis entwickelt im Folgenden, was diese Versöhnung für eine Kirche bedeutet, die in einer Zeit der Krise existiert. Es gliedert sich in diese Teile: Teil 1 (Gottes Versöhnungswerk: die Gnade unseres Herrn Jesus Christus; die Liebe Gottes; die Gemeinschaft des Heiligen Geistes), Teil 2 (Der Dienst der Versöhnung: der Auftrag der Kirche; die Ausrüstung der Kirche) und Teil 3 (Die Vollendung der Versöhnung). Im Vorwort beschreibt das Bekenntnis auf eindrucksvolle Weise ein reformiertes Verständnis von Bekenntnisautorität und -normativität; auch hier ist der Einfluss der Theologie Barths deutlich; ebenso wie auch in der christozentrischen Ausrichtung des Bekenntnisses insgesamt, der christologischen Interpretation der Versöhnung und des Verständnisses der Mission der Kirche als in die Welt gesandte Botschafterin der Versöhnung. In den Jahren nach der Annahme des Bekenntnisses wurde zunehmend seine „male-oriented language“ kritisiert, die von Frauen (und auch Männern) im Lauf der Jahre immer stärker als ausschließend empfunden wurde. Im Jahr 2002 nahm daher die Presbyterian Church (U. S. A.), die Nachfolgerkirche der UPCUSA, einen auf mehreren Vorarbeiten beruhenden „Inclusive Language Text“1 des Bekenntnisses für den kirchlichen Gebrauch an. Editionen Presbyterian Church (U. S. A.), The Constitution of the Presbyterian Church (U. S. A.), Part I: Book of Confessions, Study Edition, published by the Office of the General Assembly, Louisville (KY) 2017 Bekenntnis der Vereinigten Presbyterianischen Kirche in den USA von 1967, in: RefBS 4/2: 1933–1967 (Bearb.: Margit Ernst-Habib) Übersetzung Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition, hg. v. Lukas Vischer, Neukirchen-Vluyn 1988, 157–169 Literatur Edward A. Dowey Jr., A Commentary on the Confession of 1967 and an Introduction to „The Book of Confessions“, Philadelphia (PA) 1968 Margit Ernst-Habib, A Conversation with Twentieth Century Confessions, in: Joseph D. Small (Hg.), Conversations with the Confessions. Dialogue in the Reformed Tradition, Louisville (KY) 2005, 69–91 Christian T. Iosso (Hg.), The Hope & Challenge of Reconciliation. Reflections on the Confession of 1967 after 35 years, in: Church & Society 92/5 (2002), Louisville (KY), published by the National Ministries Division of the Presbyterian Church, USA

1 https://www.pcusa.org/site_media/media/uploads/theologyandworship/pdfs/confess​ 67.pdf; Abruf: 26.6.2023.

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James H. Smylie (Hg.), Reconciliation and Liberation. The Confession of 1967, in: JPH 61/1 (1983) Cornelius van Til, The Confession of 1967. Its Theological Background and Ecumenical Significance, Philadelphia (PA) 1967 Einleitung und Übersetzung: Margit Ernst-Habib

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Bekenntnis der Vereinigten Presbyterianischen Kirche in den USA (1967) Vorwort Die Kirche bekennt ihren Glauben, wenn sie ein zeitgemäßes Zeugnis von Gottes Gnade in Jesus Christus ablegt. Zu jeder Zeit hat die Kirche ihr Zeugnis in Wort und Tat abgelegt, wie es die jeweilige Zeit erforderte. Die frühesten Beispiele für Bekenntnisse finden sich in der Heiligen Schrift. Bekenntnisse können so unterschiedliche Formen annehmen wie Kirchenlieder, liturgische Formeln, Lehr­ aussagen, Katechismen, systematisch-theologische Zusammenfassungen und Erklärungen gegen bedrohendes Übel. Bekenntnisse und Glaubenserklärungen sind untergeordnete Richtlinien der Kirche und sind unterworfen der Autorität Jesu Christi, dem Wort Gottes, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt wird. Kein einziger Bekenntnistyp ist allein gültig; kein einziges Bekenntnis ist irreformabel. Allein der Gehorsam Jesus Christus gegenüber kennzeichnet die eine, universale Kirche und verleiht ihrer Tradition Kontinuität. Dieser Gehorsam ist die Grundlage für die Verpflichtung und die Freiheit der Kirche, sich selbst in Leben und Lehre zu reformieren, sollten neue Umstände nach Gottes Vorsehung dies erfordern. Die Vereinigte Presbyterianische Kirche in den USA erkennt an, dass das Zeugnis der Kirche aus früheren Zeiten und aus vielen Ländern für ihr Verständnis des Evangeliums hilfreich war. Insbesondere weiß sie sich geleitet durch das Bekenntnis von Nizäa und das Apostolikum der Alten Kirche; das Schottische Bekenntnis, den Heidelberger Katechismus, das Zweite Helvetische Bekenntnis aus der Reformationszeit; durch das Westminster Bekenntnis und den Kleinen Westminster Katechismus aus dem 17. Jahrhundert; und durch die Barmer Theologische Erklärung aus dem 20. Jahrhundert. Der Zweck des Bekenntnisses von 1967 besteht darin, die Kirche zu der Einheit in Bekenntnis und Sendung zu rufen, die heute von Jüngern gefordert ist. Das Bekenntnis ist kein Lehrsystem und es umfasst auch nicht alle herkömmlichen Lehraussagen der Theologie. So werden zum Beispiel weder die Trinitätslehre noch die Lehre von der Person Jesu Christi neu definiert; sie werden als Lehren anerkannt und bestätigt, welche die Grundlage für den christlichen Glauben bilden und seine Struktur bestimmen. Gottes Versöhnungswerk in Jesus Christus und der Versöhnungsauftrag, zu dem Gott die Kirche berufen hat, sind das Herz des Evangeliums zu jeder Zeit. Unsere Generation hat die Versöhnung in Christus auf besondere Weise nötig; dementsprechend ist das Bekenntnis von 1967 auf diesem Thema aufgebaut.

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Das Bekenntnis In Jesus Christus hat Gott die Welt mit sich selbst versöhnt. Jesus Christus ist Gott bei den Menschen. Er ist der ewige Sohn des Vaters, der Mensch geworden ist und unter uns lebte, um das Werk der Versöhnung zu vollbringen. Er ist in der Kirche gegenwärtig durch die Kraft des Heiligen Geistes, um seine Sendung fortzuführen und zu vollenden. Dieses Werk Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist die Grundlage aller Bekenntnisaussagen über Gott, den Menschen und die Welt. Daher ruft die Kirche die Menschen auf, sich mit Gott und einander versöhnen zu lassen. Teil 1: Gottes Versöhnungswerk Abschnitt A: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus 1. Jesus Christus In Jesus von Nazareth wurde wahre Menschlichkeit ein für alle Mal Wirklichkeit. Jesus, ein palästinischer Jude, lebte inmitten seines Volkes und teilte seine Bedürfnisse, Versuchungen, Freuden und Sorgen. Er lebte die Liebe Gottes in Wort und Tat und wurde zum Bruder für sündige Menschen aller Art. Aber sein vollkommener Gehorsam brachte ihn in Konflikt mit seinen Mitmenschen. Sein Leben und seine Lehre richteten ihre Tugend, ihre Frömmigkeit und ihre nationalen Hoffnungen. Viele verwarfen ihn und forderten seinen Tod. Er gab sich freiwillig für sie hin und nahm dadurch das Urteil auf sich, unter dem alle Menschen stehen. Gott erweckte ihn von den Toten und setzte ihn so als Messias und Herrn ins Recht. Das Opfer der Sünde wurde zum Sieger und errang den Sieg über Sünde und Tod für alle Menschen. Gottes Versöhnungshandeln in Jesus Christus ist ein Geheimnis, das die Schrift auf vielfältige Weise beschreibt. Es wird beschrieben als die Opferung eines Lammes; als das Leben des Hirten, das dieser für seine Schafe dahingibt; als Sühnopfer eines Priesters; dann wieder wird es beschrieben als Lösegeld für den Freikauf von Sklaven, die Bezahlung einer Schuld, die stellvertretende Erfüllung einer Gesetzesstrafe und als Sieg über die Mächte des Bösen. All diese Beschreibungen versuchen eine Wahrheit wiederzugeben, die jenseits von allen vorstellbaren Theorien in der Tiefe von Gottes Liebe für die Menschen liegt. Sie offenbaren den Ernst, den Preis und die gewisse Vollendung von Gottes Versöhnungswerk. Der auferstandene Christus ist der Retter aller Menschen. Diejenigen, die mit ihm durch Glauben verbunden sind, sind vor Gott gerecht und gesandt, als seine Gemeinschaft der Versöhnung zu dienen. Christus ist das Haupt dieser Gemeinschaft, der Kirche, die mit den Aposteln begonnen hat und die durch alle Generationen hindurch weiterbesteht. Derselbe Jesus Christus ist der Richter aller Menschen. Sein Gericht offenbart die ultimative Bedeutung des Lebens und verheißt Gottes end-

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gültigen Sieg über die Macht der Sünde und des Todes. Leben vom auf­ erstandenen Herrn zu empfangen, heißt ewiges Leben zu haben; das Leben von ihm abzulehnen, heißt den Tod zu wählen, der Trennung von Gott bedeutet. Alle, die auf Christus vertrauen, erwarten das göttliche Gericht ohne Angst, denn der Richter ist ihr Erlöser. 2. Die Sünde des Menschen Das Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus entlarvt das Böse im Menschen als Sünde in den Augen Gottes. In Sünde beanspruchen die Menschen die Herrschaft über ihr eigenes Leben, wenden sich gegen Gott und ihre Mitmenschen und werden zu Ausbeutern und Plünderern der Welt. Sie verlieren ihre Menschlichkeit in vergeblichem Streben und bleiben zurück in Rebellion, Verzweiflung und Isolation. Weise und tugendhafte Menschen haben zu aller Zeit das höchste Gut in der Hingabe an Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Wahrheit und Schönheit gesucht. Alle menschliche Tugend stellt sich aber im Licht von Gottes Liebe in Jesus Christus als von Selbstsucht und Feindseligkeit beeinflusst heraus. Alle Menschen, gute wie schlechte, sind vor Gott im Unrecht und hilflos ohne seine Vergebung. So fallen Menschen unter Gottes Gericht. Niemand ist diesem Gericht stärker unterworfen als der Mensch, der sich selbst für schuldlos vor Gott oder anderen Menschen gegenüber für moralisch überlegen hält. Gottes Liebe ändert sich niemals. Denjenigen gegenüber, die sich ihm widersetzen, bringt Gott seine Liebe in Zorn zum Ausdruck. In derselben Liebe aber hat Gott das Gericht und den schmachvollen Tod in Jesus Christus auf sich selbst genommen, um die Menschen zur Umkehr und zu neuem Leben zu bringen. Abschnitt B: Die Liebe Gottes Gottes souveräne Liebe ist ein Geheimnis, welches den menschlichen Verstand übersteigt. Menschliches Denken schreibt Gott Superlative an Macht, Weisheit und Tugend zu. Gott aber hat seine Liebe in Jesus Christus offenbart, indem er seine Macht in der Gestalt eines Knechts, seine Weisheit in Form der Torheit des Kreuzes und seine Güte in der Annahme sündiger Menschen erweist. Die Macht der Liebe Gottes in Christus, welche die Welt neu gestaltet, offenbart, dass der Erlöser der Herr und Schöpfer ist, der alle Dinge erschaffen hat, damit sie dem Plan seiner Liebe dienen. Gott hat die Welt in Zeit und Raum geschaffen, um in dieser Sphäre mit den Menschen handeln zu können. In ihrer Schönheit und unermesslichen Weite, Erhabenheit und Schrecklichkeit, Ordnung und Unordnung spiegelt die Welt den Gläubigen die Majestät und das Geheimnis ihres Schöpfers wider.

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Gott hat den Menschen in einer persönlichen Beziehung zu sich selbst erschaffen, damit der Mensch auf die Liebe des Schöpfers antworten kann. Er schuf den Menschen als Mann und Frau und gab ihnen ein Leben, das von der Geburt zum Tod in einer Abfolge von Generationen und in einem weiten Geflecht sozialer Beziehungen verläuft. Er hat den Menschen mit den Fähigkeiten ausgestattet, die Welt zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu gestalten und ihre guten Gaben zu genießen. Das Leben ist eine Gabe, die mit Dank empfangen, und eine Aufgabe, die mit Mut angegangen werden soll. Der Mensch ist frei, sein Leben innerhalb von Gottes Plan zu gestalten: die natürlichen Ressourcen für das Allgemeinwohl zu entwickeln und zu schützen, für Gerechtigkeit und Frieden in der Gesellschaft zu arbeiten und seine Gestaltungskräfte auf andere Weise für die Erfüllung menschlichen Lebens zu nutzen. Gott hat seine Liebe zur Menschheit durch Israel bekundet, indem er Israel dazu auserwählte, sein Bundesvolk zu sein, um ihm in Liebe und Treue zu dienen. Als Israel sich abkehrte, bestrafte er das Volk durch sein Gericht und verfolgte sein Ziel durch Propheten, Priester, Lehrer und wahre Gläubige. Diese Zeugen riefen ganz Israel dazu auf, Gott treu zu dienen und ein Licht für alle Völker zu werden. Dieselben Zeugen verkündeten die Ankunft eines neuen Zeitalters und eines wahren Gottesknechts, in der Gottes Plan mit Israel und mit der Menschheit verwirklicht werden würde. Aus Israel ließ Gott zur rechten Zeit Jesus hervorgehen. Sein Glaube und sein Gehorsam waren die Antwort des vollkommenen Kindes Gottes. Er war die Erfüllung von Gottes Verheißung an Israel, der Beginn der neuen Schöpfung und der Wegbereiter der neuen Menschheit. Er gab der Geschichte ihren Sinn und ihre Ausrichtung und berief die Kirche dazu, seine Dienerin für die Versöhnung der Welt zu sein. Abschnitt C: Die Gemeinschaft des Heiligen Geistes Gott der Heilige Geist vollbringt das Werk der Versöhnung im Menschen. Der Heilige Geist erschafft und erneuert die Kirche als die Gemeinschaft, in der Menschen mit Gott und miteinander versöhnt werden. Er befähigt sie dazu, Vergebung zu empfangen, gleichwie sie einander vergeben, und den Frieden Gottes zu genießen, gleichwie sie auch untereinander Frieden schaffen. Ungeachtet ihrer Sünde gibt er ihnen Macht, Stellvertreter Jesu Christi zu sein und für alle Menschen zu Botschaftern seines Evangeliums der Versöhnung zu werden. 1. Das neue Leben Das Versöhnungswerk Jesu war die größte Krise im Leben der Menschheit. Sein Kreuz und seine Auferweckung werden zur persönlichen Krise

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und gegenwärtigen Hoffnung für Menschen, wenn das Evangelium verkündet und geglaubt wird. In dieser Erfahrung bringt der Heilige Geist den Menschen die Vergebung Gottes, bewegt sie dazu, in Glauben, Buße und Gehorsam zu antworten, und leitet das neue Leben in Christus ein. Das neue Leben nimmt in einer Gemeinschaft Gestalt an, in der Menschen wissen, dass Gott sie liebt und ungeachtet ihrer Daseinsart annimmt. Daher nehmen die Menschen sich selbst an und lieben andere, denn sie wissen, dass es außerhalb der Gnade Gottes keinen Boden gibt, auf dem ein Mensch stehen könnte. Das neue Leben entlässt den Menschen nicht aus jedem Konflikt mit Unglauben, Stolz, Begierde oder Angst. Er muss weiterhin mit entmutigenden Schwierigkeiten und Problemen kämpfen. Trotzdem lebt er ein Leben in Freiheit und Freude, indem er in seinem Leben mit Christus an Liebe und Treue zunimmt; in guten wie schlechten Zeiten Zeugnis ablegt im Vertrauen darauf, dass das neue Leben Gott gefällt und anderen Menschen dienlich ist. Das neue Leben richtet sich nach dem Leben Jesu aus, seinen Taten und Worten, seinen Kämpfen gegen Versuchung, seinem Erbarmen, seinem Zorn und seiner Bereitschaft, den Tod zu erleiden. Die Lehre der Apostel und Propheten leitet Menschen dabei an, dieses Leben zu führen, und die christliche Gemeinschaft stärkt die Menschen für ihren Dienst und rüstet sie dazu aus. Die Glieder der Kirche sind Botschafter des Friedens und streben nach dem Wohl der Menschen in Zusammenarbeit mit den Mächten und Autori­täten in Politik, Kultur und Wirtschaft. Wenn aber eben diese Mächte das Wohl der Menschheit gefährden, dann müssen sie gegen Anmaßungen und Ungerechtigkeiten kämpfen. Ihre Kraft liegt in ihrer Zuversicht, dass am Ende Gottes Plan und nicht die Pläne der Menschen siegen wird. Leben in Christus ist ewiges Leben. Die Auferweckung Jesu ist Gottes Zeichen, dass er das Werk der Schöpfung und Versöhnung über den Tod hinaus vollenden und das neue Leben, das in Christus begonnen hat, zur Erfüllung bringen wird. 2. Die Bibel Die eine, ausreichende Offenbarung Gottes ist Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort Gottes (word of God), von dem der Heilige Geist auf einzigartige und autoritative Weise Zeugnis durch die Heilige Schrift ablegt, die als das geschriebene Wort Gottes (word of God written) empfangen und befolgt wird. Die Heilige Schrift ist kein Zeugnis unter anderen, sondern das Zeugnis schlechthin. Die Kirche hat die Bücher des Alten und Neuen Testaments als prophetisches und apostolisches Zeugnis empfangen, in

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dem sie das Wort Gottes hört und durch das der Glaube und der Gehorsam der Kirche genährt und ausgerichtet wird. Das Neue Testament ist das überlieferte Zeugnis der Apostel vom Kommen des Messias, Jesus von Nazareth, und der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Kirche. Das Alte Testament legt Zeugnis ab von Gottes Treue in seinem Bund mit Israel und weist den Weg zur Erfüllung seines Planes in Christus. Das Alte Testament ist unverzichtbar für das Verständnis des Neuen und es kann selbst auch nicht völlig verstanden werden ohne das Neue. Die Bibel muss im Lichte ihres Zeugnisses von Gottes Versöhnungshandeln in Christus ausgelegt werden. Die Heilige Schrift ist zwar unter der Leitung des Heiligen Geistes gegeben worden, sie besteht nichtsdestotrotz aus menschlichen Worten, die durch Sprache, Gedankenwelt und literarische Ausdrucksweisen ihrer Entstehungszeit und ihres Entstehungsortes geprägt sind. Sie spiegeln die damals üblichen Vorstellungen von Leben, Geschichte und Kosmos wider. Die Kirche ist daher verpflichtet, sich den Schriften mit literarischem und historischem Verständnis zu nähern. Die Kirche vertraut darauf, dass Gott durch die Schrift auch weiterhin in eine sich verändernde Welt und in jegliche Form menschlicher Kultur hineinsprechen wird, genauso wie Gott schon damals sein Wort in unterschiedliche kulturelle Situationen hineingesprochen hat. Gottes Wort wird auch heute in der Kirche verkündigt, wo die Schrift treu gepredigt und aufmerksam gehört wird, im Vertrauen auf die Erleuchtung durch den Heiligen Geist und in der Bereitschaft, ihre Wahrheit und Leitung anzunehmen. Teil 2: Der Dienst der Versöhnung Abschnitt A: Der Auftrag der Kirche 1. Ausrichtung Mit Gott versöhnt zu sein heißt, als seine versöhnende Gemeinschaft in die Welt gesandt zu sein. Dieser Gemeinschaft, der universalen Kirche, ist Gottes Botschaft von der Versöhnung anvertraut und sie hat Anteil an Gottes Werk, die Feindschaft zu heilen, die Menschen von Gott und voneinander trennt. Christus hat die Kirche zu dieser Mission berufen und ihr die Gabe des Heiligen Geistes verliehen. Die Kirche steht in der Kontinuität mit den Aposteln und mit Israel, wenn sie diesem Ruf getreulich und gehorsam folgt. Leben, Tod, Auferstehung und die verheißene Wiederkehr Christi bilden das Vorbild für den Auftrag der Kirche. Sein Leben als Mensch bindet die Kirche an das gewöhnliche Leben der Menschen. Sein Dienst an den Menschen verpflichtet die Kirche dazu, sich für jegliche Form mensch­ lichen Wohlergehens einzusetzen. Sein Leiden macht die Kirche empfind-

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sam für alles Leiden der Menschheit, sodass sie das Angesicht Christi in den Gesichtern der Menschen in Not wiedererkennt. Seine Kreuzigung offenbart der Kirche Gottes Gericht über die Unmenschlichkeit der Menschen anderen Menschen gegenüber sowie die furchtbaren Folgen ihrer eigenen Verstrickung in Ungerechtigkeit. In der Kraft des auferstandenen Christus und in der Hoffnung auf sein Kommen erkennt die Kirche die Verheißung von Gottes Erneuerung des menschlichen Lebens in der Gesellschaft und von Gottes Sieg über alles Unrecht. Die Kirche folgt diesem Vorbild in der Gestalt ihres Lebens und Handelns. Indem sie so lebt und handelt, bekennt sie Christus als den Herrn. 2. Formen und Ordnungen Die Institutionen des Volkes Gottes ändern sich und variieren je nach dem, was ihr Auftrag zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten erfordert. Die Einheit der Kirche ist mit einer großen Vielzahl verschiedener Formen vereinbar, aber sie wird verdunkelt und entstellt, wenn zugelassen wird, dass sich unterschiedliche Formen zu sektiererischen Spaltungen, exklusiven Konfessionen oder rivalisierenden Parteien verhärten. Wo immer die Kirche lebt, sammeln sich ihre Glieder zu gemeinsamem Leben und zerstreuen sich in die Gesellschaft, um ihrem Auftrag in der Welt gerecht zu werden. Die Kirche versammelt sich, um Gott zu loben, um sein Wort für die Menschheit zu hören, um zu taufen und gemeinsam Abendmahl zu feiern, um im Gottesdienst für die Welt zu beten und sie vor Gott zu vertreten, um Gemeinschaft zu erleben, um Unterweisung, Stärkung und Trost zu empfangen, um das eigene Leben als Gemeinschaft zu ordnen und zu organisieren, um geprüft, erneuert und reformiert zu werden und um in weltlichen Angelegenheiten so zu sprechen und zu handeln, wie es die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit erfordern. Die Kirche zerstreut sich, um Gott dort zu dienen, wo immer ihre Glieder sind: bei der Arbeit und beim Spiel, im privaten wie im öffentlichen Leben. Ihr Gebet und Bibelstudium sind Teil des Gottesdienstes der Kirche und ihrer theologischen Besinnung. Ihr Zeugnis ist die Evangelisation der Kirche. Ihr alltägliches Handeln in der Welt ist die Kirche, die ihre Sendung für die Welt wahrnimmt. Die Qualität ihrer Beziehungen zu anderen Menschen ist das Maß der Treue der Kirche. Jedes Glied ist die Kirche in der Welt, vom Heiligen Geist mit einer besonderen Gabe zum Dienst begabt und verantwortlich für die Integrität seines Zeugnisses in seiner je eigenen Situation. Jeder hat Anrecht auf Unterweisung und Unterstützung der christlichen Gemeinschaft und untersteht ihrem Rat und ihrer Korrektur. Im Gegenzug hilft er durch seine eigenen Fähigkeiten dabei, die Kirche zu leiten.

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In Anerkennung der besonderen Gaben des Geistes und zur Ordnung ihres Lebens als Gemeinschaft beruft die Kirche bestimmte Glieder zu Leitung und Aufsicht, bildet sie dazu aus und ermächtigt sie zu ihrem Dienst. Die Personen, die für diese Pflichten in Übereinstimmung mit der Kirchenordnung qualifiziert sind, werden durch Ordination oder andere angemessene Handlungen eingesetzt und dadurch für ihre besonderen Dienste verantwortlich gemacht. Auf diese Weise ordnet die Kirche ihr Leben als eine Institution mit Verfassung, Kirchenleitung, Amtsträgern, Finanzen und Verwaltungsvorschriften. Dies alles sind Instrumente ihrer Sendung und kein Selbstzweck. Unterschiedliche Kirchenordnungen haben dem Evangelium gedient und keine kann für sich einen exklusiven Anspruch auf Gültigkeit erheben. Eine presbyterianische Kirchenordnung erkennt die Verantwortung aller Glieder für die Sendung der Kirche an und pflegt die organischen Beziehungen aller Gemeinden in der Kirche untereinander. Sie soll die Kirche vor der Ausbeutung durch kirchliches oder weltliches Machtstreben beschützen. Jede Kirchenordnung muss für die Reformen offenbleiben, die dazu erforderlich sind, sie zu einem wirksameren Instrument des Versöhnungsauftrages zu machen. 3. Offenbarung und Religion In ihrer Sendung trifft die Kirche auf die Religionen der Menschen und wird sich hierbei ihres eigenen menschlichen Charakters als Religion bewusst. Gottes Offenbarung an Israel gewann Gestalt in der semitischen Kultur und brachte die Religion des hebräischen Volkes hervor. Gottes Offenbarung in Jesus Christus rief die Antwort von Juden und Griechen hervor und kam im Rahmen von Judentum und Hellenismus als christliche Religion zum Ausdruck. Die christliche Religion, die von Gottes Offenbarung seiner selbst zu unterscheiden ist, wurde durch ihre gesamte Geschichte hindurch von den kulturellen Formen ihrer Umgebung geprägt. Ein Christ findet Parallelen zwischen anderen Religionen und seiner eigenen und muss allen Religionen mit Offenheit und Respekt begegnen. Gott hat sich wiederholt der Einsichten von Nicht-Christen bedient, um die Kirche zur Erneuerung aufzufordern. Aber das versöhnende Wort des Evangeliums ist Gottes Urteil über alle Formen der Religion, die christliche eingeschlossen. Die Gabe Gottes in Christus ist eine Gabe für alle Menschen. Die Kirche ist daher beauftragt, das Evangelium zu allen Menschen zu bringen, welcher Religion auch immer sie angehören und auch dann, wenn sie sich zu keiner bekennen.

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4. Versöhnung in der Gesellschaft Jede Zeit und jeder Ort haben besondere Probleme und Krisen, durch die Gott die Kirche zum Handeln aufruft. Geleitet vom Geist, demütig im Wissen um die eigene Mitschuld und mit allem verfügbaren Wissen ausgestattet, strebt die Kirche danach, den Willen Gottes zu erkennen und zu verstehen, wie sie in diesen konkreten Situationen gehorsam sein kann. Die folgenden Punkte sind gegenwärtig von besonderer Dringlichkeit. a. Gott hat die Völker der Erde als eine weltweite Familie erschaffen. In seiner versöhnenden Liebe überwindet er die Mauern zwischen Brüdern und zerbricht jede Form der Diskriminierung, die auf Unterschiede in Rasse (race) oder Ethnie begründet ist, seien sie echt oder eingebildet. Die Kirche ist berufen, alle Menschen dazu zu bringen, dass sie einander in allen Lebensbeziehungen als Personen annehmen und stützen: in Beruf, Wohnen, Bildung, Ehe, Familie, Kirche und der Ausübung politischer Rechte. Daher arbeitet die Kirche für die Abschaffung aller rassischer Diskriminierung (racial discrimination) und steht denen bei, die unter ihr zu leiden haben. Gemeinden, Personen oder Gruppen von Christen, die ihre Mitmenschen ausschließen, beherrschen oder bevormunden, wie subtil auch immer, widersetzen sich dem Geist Gottes und machen den Glauben, den sie doch bekennen, verächtlich. b. Gottes Versöhnung in Jesus Christus ist das Fundament des Friedens, der Gerechtigkeit und Freiheit unter den Nationen, denen alle Regierungsgewalt zu dienen und die sie zu verteidigen hat. Die Kirche ist dazu berufen, in ihrem eigenen Leben Feindesliebe zu praktizieren und den Staaten als praktische Politik das Streben nach Zusammenarbeit und Frieden anzuempfehlen. Dieses Streben macht es erforderlich, dass die Staaten über alle Konfliktlinien hinweg neue und verantwortungsvolle Beziehungen anstreben, selbst auf die Gefahr eines Risikos für die nationale Sicherheit hin, um Krisenherde zu vermindern und internationale Verständigung zu fördern. Versöhnung zwischen den Staaten wird be­sonders dringlich angesichts der Tatsache, dass Länder nukleare, chemische und biologische Waffen entwickeln, während sie gleichzeitig Arbeitskräfte und Ressourcen von konstruktiven Einsatzmöglichkeiten abziehen und die Vernichtung der Menschheit riskieren. Zwar können Staaten dem Plan Gottes in der Geschichte dienen; eine Kirche aber, welche die Herrschaft irgendeines Staates oder eine bestimmte Lebensweise mit der Sache Gottes gleichsetzt, leugnet die Herrschaft Christi und verrät ihre Berufung. c. Die Versöhnung der Menschen durch Jesus Christus macht deutlich, dass versklavende Armut in einer Welt der Fülle eine unerträgliche Verletzung von Gottes guter Schöpfung ist. Weil Jesus selbst sich mit den Bedürftigen und Ausgebeuteten identifizierte, ist die Sache der Armen

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in der Welt die Sache seiner Jünger. Die Kirche kann Armut nicht stillschweigend dulden, sei sie nun das Produkt ungerechter sozialer Strukturen, Ausbeutung der Wehrlosen, Mangel an Ressourcen im eigenen Land, fehlendem technischen Wissen oder eines raschen Bevölkerungswachstums. Die Kirche fordert alle Menschen dazu auf, ihre Fähigkeiten, ihr Eigentum und die Früchte der Technik als Gaben zu gebrauchen, die Gott ihnen für den Unterhalt der Familie und die Förderung des Allgemeinwohls anvertraut hat. Sie fördert alle Kräfte der Gesellschaft, welche die Hoffnung der Menschen auf bessere Lebensbedingungen wecken und ihnen ein angemessenes Leben ermöglichen. Eine Kirche, die der Armut gegenüber gleichgültig ist, die sich der Verantwortung in wirtschaftlichen Dingen nicht stellt, die nur für eine soziale Klasse offen ist oder für ihre Wohltätigkeit Dankbarkeit erwartet, spottet der Versöhnung und bringt Gott keinen wohlgefälligen Gottesdienst dar. d. Die Beziehung zwischen Mann und Frau veranschaulicht auf grundlegende Weise Gottes Ordnung für das zwischenmenschliche Leben, für das er die Menschheit geschaffen hat. Anarchie in sexuellen Beziehungen ist ein Symptom für die Entfremdung des Menschen von Gott, seinem Nächsten und von sich selbst. Die immerwährende menschliche Verwirrung über den Sinn und die Bedeutung von Sex ist heutzutage noch verstärkt worden durch die Verfügbarkeit neuer Mittel der Geburtenkontrolle und durch die Behandlung von Infektionen, durch den Druck der Urbanisierung, die Ausbeutung sexueller Symbole in den Massenmedien und durch die Überbevölkerung der Welt. Die Kirche ist als Haushalt Gottes dazu berufen, die Menschen aus dieser Entfremdung heraus in die verantwortliche Freiheit des neuen Lebens in Christus zu führen. Versöhnt mit Gott, erfreut sich jeder Mensch an seiner eigenen Menschlichkeit und an der Menschlichkeit anderer Menschen und achtet sie. Mann und Frau können heiraten, sich zu einem gemeinsamen Leben verpflichten und aufeinander in einfühlsamer und lebenslanger Fürsorge eingehen; Eltern empfangen die Gnade, in Liebe für Kinder zu sorgen und ihre Individua­ lität zu fördern. Die Kirche fällt unter das Gericht Gottes und fordert die Ablehnung der Menschen heraus, wenn sie Männern und Frauen nicht die volle Bedeutung des gemeinsamen Lebens vermittelt oder wenn sie denen die Barmherzigkeit Christi verweigert, die sich in den moralischen Verwirrungen unserer Zeit verfangen haben. Abschnitt B: Die Ausrüstung der Kirche Jesus Christus hat der Kirche Predigt und Unterweisung, Lob und Gebet sowie Taufe und Abendmahl gegeben, damit sie ihren Dienst für Gott unter den Menschen erfüllen kann. Diese Gaben bleiben bestehen, aber die Kirche ist verpflichtet, die Ausgestaltung ihres Dienstes so zu

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ver­ändern, wie es für verschiedene Generationen und Kulturkreise angemessen ist. 1. Predigt und Unterweisung Gott unterweist seine Kirche und rüstet sie durch Predigt und Lehre für ihre Sendung aus. Wenn diese in Treue zur Heiligen Schrift und im Hören auf den Heiligen Geist ausgeübt werden, dann hören die Menschen durch sie Gottes Wort, nehmen Christus an und folgen ihm nach. Die Botschaft richtet sich an Menschen in bestimmten Situationen. Daher erfordern wirksame Predigt, Unterweisung und persönliches Zeugnis ein aufmerksames Studium sowohl der Bibel als auch der Welt der Gegenwart. Jegliche Art öffentlichen Gottesdienstes soll dazu dienen, dass die Menschen das Evangelium zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort hören und mit entsprechendem Gehorsam darauf antworten können. 2. Lobpreis und Gebet Die Kirche antwortet auf die Botschaft der Versöhnung mit Lobpreis und Gebet. Mit dieser Antwort verpflichtet sich die Kirche von neuem zu ihrer Sendung; sie erfährt, dass ihr Glaube und ihr Gehorsam tiefer werden, und sie legt ein bekräftigendes Zeugnis für das Evangelium ab. Anbetung ist die Anerkennung des Schöpfers durch die Schöpfung. Das Sünden­bekenntnis ist das Eingeständnis, dass alle Menschen vor Gott schuldig sind und seiner Vergebung bedürfen. Das Dankgebet freut sich über Gottes Güte gegen alle Menschen und darüber, für die Nöte anderer Menschen etwas geben zu können. Bittgebete und Fürbitten wenden sich an Gott und bitten darum, dass seine Güte andauern möge, dass er menschliche Missstände heilen und die Menschen von jeder Form der Unterdrückung befreien möge. Die Kunst, insbesondere Musik und Architektur, tragen zum Lobpreis und Gebet einer christlichen Gemeinde bei, wenn sie den Menschen dabei helfen, ihren Blick über sich selbst hinaus auf Gott und auf die Welt zu richten, die der Gegenstand seiner Liebe ist. 3. Taufe Indem Christus sich demütig der Taufe des Johannes unterordnete, hat er sich an die Menschen in ihrer Not gebunden und seinen Dienst der Versöhnung in der Kraft des Geistes begonnen. Die christliche Taufe markiert den Empfang desselben Geistes durch alle seine Menschen. Taufe mit Wasser verkörpert nicht allein die Reinigung von der Sünde, sondern ebenso das Sterben mit Christus und ein freudiges Auferstehen mit ihm zu neuem Leben. Sie verpflichtet alle Christen dazu, täglich der Sünde abzusterben und der Gerechtigkeit zu leben. In der Taufe feiert die Kirche die Erneuerung des Bundes, in dem Gott sein Volk an sich gebunden hat.

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Durch die Taufe werden einzelne Menschen öffentlich in die Kirche aufgenommen, um an ihrem Leben und Dienst teilzunehmen, und die Kirche wird verantwortlich dafür, sie in ihrer Nachfolge Christi zu unterweisen und zu unterstützen. Wenn Säuglinge getauft werden, dann haben Gemeinde und Eltern die besondere Verpflichtung, sie im christlichen Leben zu erziehen und zu fördern und sie dazu anzuleiten, in einem öffentlichen Bekenntnis eine persönliche Antwort auf die Liebe Gottes zu geben, die in ihrer Taufe zum Ausdruck gekommen ist. 4. Das Abendmahl Das Abendmahl ist die Feier der Versöhnung der Menschen mit Gott und miteinander, in der sie gemeinsam und voller Freude am Tisch ihres Erlösers essen und trinken. Jesus Christus hat seiner Kirche dieses Gedächtnis seines Sterbens für die sündige Menschheit gegeben, sodass sie durch ihre Teilnahme am Abendmahl Gemeinschaft haben mit ihm und allen, die noch zu ihm versammelt werden. Durch Essen des Brotes und Trinken des Weines gemäß der Anordnung Christi haben sie Anteil an ihm und empfangen vom auferstandenen und lebendigen Herrn den Nutzen seines Todes und seiner Auferstehung. Sie erfreuen sich am Vorgeschmack des Reiches, das er bei seinem verheißenen Kommen vollenden wird, und gehen vom Tisch des Herrn hinaus mit Mut und Hoffnung für den Dienst, zu dem er sie berufen hat. Teil 3: Die Vollendung der Versöhnung Gottes Erlösungshandeln in Jesus Christus umfasst alle Aspekte menschlichen Lebens: gesellschaftliche und kulturelle, wirtschaftliche und politische, wissenschaftliche und technologische, individuelle und gemeinschaftliche. Es schließt auch die natürliche Umwelt des Menschen ein, die durch die Sünde ausgebeutet und geplündert wird. Es ist der Wille Gottes, dass sein Plan für das menschliche Leben unter der Herrschaft Christi zur Vollendung gebracht und alles Böse aus seiner Schöpfung verbannt werden soll. Biblische Visionen und Bilder von der Herrschaft Christi wie die himmlische Stadt, das Haus eines Vaters, ein neuer Himmel und eine neue Erde, ein Hochzeitsfest und ein nicht endender Tag finden ihren Höhepunkt im Bild des Königreiches. Das Königreich stellt den Triumph Gottes über all das dar, was sich seinem Willen widersetzt und seine Schöpfung zerstört. Gottes Reich ist schon jetzt als Ferment in der Welt gegenwärtig, weckt in den Menschen Hoffnung und bereitet die Welt darauf vor, ihr endgültiges Gericht und ihre endgültige Erlösung zu empfangen. Mit einer Dringlichkeit, die aus dieser Hoffnung erwächst, wendet sich die Kirche heutigen Aufgaben zu und strebt nach einer besseren Welt. Sie

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setzt dabei aber weder begrenzten Fortschritt mit dem Reich Gottes auf der Erde gleich, noch verliert sie den Mut angesichts von Enttäuschungen und Niederlagen. In unerschütterlicher Hoffnung schaut die Kirche über alle Teilerfolge hinaus auf den endgültigen Triumph Gottes. „Ihm aber, der weit mehr zu tun vermag, als was wir erbitten oder ersinnen, weit über alles hinaus, wie es die Kraft erlaubt, die in uns wirkt, ihm sei die Ehre in der Kirche und in Christus Jesus durch alle Generationen dieser Weltzeit hindurch bis in alle Ewigkeit. Amen“ (Eph 3,20 f.).

35. Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie) (1973) Einleitung Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa weist auf den Tagungs­ ort südlich von Basel hin, an dem 1969–1971 die Vorarbeiten für die Konkordie geleistet und diese 1973 verabschiedet wurde. Sie verdankt sich der Arbeit von Vertretern reformierter, lutherischer und unierter Kirchen in Europa und beabsichtigt eine „Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums“, aufgrund derer zwischen den unterzeichnenden Kirchen Kirchengemeinschaft hergestellt ist. Auf diese Weise können „Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben“ (Artikel 29). Der Begriff „Konkordie“ trägt der Absicht Rechnung, statt eines überkonfessionellen Lehr­konsenses, einer Konsensunion oder einer Kircheneinheit einen Prozess des Zusammenwachsens zu beschreiben. Inzwischen haben über 100  evangelische Kirchen in Europa und Südamerika die Konkordie unterzeichnet und gewähren einander Kirchengemeinschaft im Sinne von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Diese umfasst die gegenseitige Anerkennung der Ordination und der Ämter und ermöglicht die Leitung des Gottesdienstes sowie die Feier der Sakramente durch Ordinierte der jeweils anderen Konfession. Die Vorgeschichte der Konkordie geht in das 16. Jahrhundert zurück. Uneinigkeit zwischen reformierten und lutherischen Kirchen bestand vor allem im Verständnis des Abendmahls, der Christologie und der Erwählung. Über Jahrhunderte hinweg waren Annäherungen zwischen den Konfessionen mühsam oder unmöglich. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 bedeutete eine Richtungsänderung, da erstmals seit der Reformation ein gemeinsames Bekennen reformierter, lutherischer und unierter Christinnen und Christen stattfand. An diese Erfahrung knüpften die Gesprächsrunden nach dem 2. Weltkrieg an. Auf Anregung des Ökumenischen Rates der Kirchen wurden 1955–1960 in Davos, Arnoldshain und Liebfrauenberg und seit 1963 in den Schauenburger Gesprächen auf europäischer Ebene die einzelnen Glaubensartikel erörtert. In der Abschlussphase seit 1969 konzentrierte man sich auf die Feststellung, was zur wahren Einheit der Kirche ausreicht: Die rechte Lehre des Evangeliums besteht in der auf Jesus Christus begründeten biblisch-reformatorischen Rechtfertigungsbotschaft als der Botschaft von der freien Gnade Gottes

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(Artikel 7–12). Daraus folgt eine Übereinstimmung im Verständnis der Heiligen Schrift, der Predigt und der Sakramente (Artikel 13–16). Aufgrund eines Entwurfs (1971) und der Stellungnahmen der Kirchen wurde die Konkordie am 16. März 1973 festgestellt und angenommen. Im ersten Teil wird der Weg zur Gemeinschaft dargestellt (Artikel 3–5). Ein zweiter Teil ist den Übereinstimmungen im Verständnis des Evangeliums gewidmet (Artikel 6–16). Es folgt der dritte Teil mit der Überwindung der Lehrdifferenzen in der Abendmahlslehre, Christologie und Erwählungslehre (Artikel 17–28). Der abschließende vierte Teil konzentriert sich auf die Erklärung und Verwirklichung der Kirchengemeinschaft. Erforderlich sind: Bemühung um gemeinsames Zeugnis und gemeinsamen Dienst in der Welt, theologische Weiterarbeit an Lehrfragen, organisatorische Folgerungen für das Zusammenleben der Kirchen und Verknüpfung der Kirchengemeinschaft mit der weltweiten Ökumene (Artikel 29–49). Die Verwirklichung der Kirchengemeinschaft, die seit 2003 den Namen „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) trägt, wird eingelöst durch die Zusammenarbeit der Kirchen in Verkündigung, Liturgie, Diakonie, Bildung und politischem Auftrag sowie durch die Erarbeitung von theologischen Studien. Editionen Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), im Auftrag des Rates der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa hg. v. Michael Bünker/ Martin Friedrich, Leipzig 2013 Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 (Bearb.: Martin Friedrich) Literatur Martin Friedrich, Von Marburg bis Leuenberg. Der lutherisch-reformierte Gegensatz und seine Überwindung, Waltrop 1999 Martin Friedrich, Von der Reformation zur Gemeinschaft. 50 Jahre Leuenberger Konkordie, Leipzig 2022 Wilhelm H. Neuser, Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971–1973, Münster 2003 Elisabeth Schieffer, Von Schauenburg nach Leuenberg, Paderborn 1983 Verbindende Theologie. Perspektiven der Leuenberger Konkordie, hg. v. Michael Beintker/Martin Heimbucher, Neukirchen-Vluyn 2014 Einleitung: Matthias Freudenberg

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Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie) (1973) 1. Die dieser Konkordie zustimmenden lutherischen, reformierten und aus ihnen hervorgegangenen unierten Kirchen sowie die ihnen verwandten vorreformatorischen Kirchen der Waldenser und der Böhmischen Brüder stellen aufgrund ihrer Lehrgespräche unter sich das gemeinsame Verständnis des Evangeliums fest, wie es nachstehend ausgeführt wird. Dieses ermöglicht ihnen, Kirchengemeinschaft zu erklären und zu verwirklichen. Dankbar dafür, dass sie näher zueinander geführt worden sind, bekennen sie zugleich, dass das Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche auch mit Schuld und Leid verbunden war und ist. 2. Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet. Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend. Von diesen reformatorischen Kriterien leiten die beteiligten Kirchen ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft her, das im Folgenden dargelegt wird. I. Der Weg zur Gemeinschaft 3. Angesichts wesentlicher Unterschiede in der Art des theologischen Denkens und des kirchlichen Handelns sahen sich die reformatorischen Väter um ihres Glaubens und Gewissens willen trotz vieler Gemeinsamkeiten nicht in der Lage, Trennungen zu vermeiden. Mit dieser Konkordie erkennen die beteiligten Kirchen an, dass sich ihr Verhältnis zueinander seit der Reformationszeit gewandelt hat. 1. Gemeinsame Aspekte im Aufbruch der Reformation 4. Aus dem geschichtlichen Abstand heraus lässt sich heute deutlicher erkennen, was trotz aller Gegensätze den Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis gemeinsam war: Sie gingen aus von einer neuen befreienden und gewissmachenden Erfahrung des Evangeliums. Durch das Eintreten für die erkannte Wahrheit sind die Reformatoren gemeinsam in Gegensatz zu kirchlichen Überlieferungen jener Zeit geraten. Übereinstimmend haben sie deshalb bekannt, dass Leben und Lehre an der ursprünglichen und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen sei. Übereinstimmend haben sie die freie und bedingungslose Gnade Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi für jeden, der dieser Verheißung glaubt, bezeugt. Übereinstimmend haben sie bekannt, dass Handeln und Gestalt der Kirche allein von dem Auftrag her zu bestimmen sind, dieses

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Zeugnis in der Welt aufzurichten, und dass das Wort des Herrn jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überlegen bleibt. Dabei haben sie gemeinsam mit der ganzen Christenheit das in den altkirchlichen Symbolen ausgesprochene Bekenntnis zum dreieinigen Gott und der Gott-Menschheit Jesu Christi aufgenommen und neu bekannt. 2. Veränderte Voraussetzungen heutiger kirchlicher Situation 5. In einer vierhundertjährigen Geschichte haben die theologische Auseinandersetzung mit den Fragen der Neuzeit, die Entwicklung der Schriftforschung, die kirchlichen Erneuerungsbewegungen und der wiederentdeckte ökumenische Horizont die Kirchen der Reformation zu neuen, einander ähnlichen Formen des Denkens und Lebens geführt. Sie brachten freilich auch neue, quer durch die Konfessionen verlaufende Gegensätze mit sich. Daneben wurde immer wieder, besonders in Zeiten gemeinsamen Leidens, brüderliche Gemeinschaft erfahren. All dies veranlasste die Kirchen in neuer Weise, das biblische Zeugnis wie die reformatorischen Bekenntnisse, vor allem seit den Erweckungsbewegungen, für die Gegenwart zu aktualisieren. Auf diesen Wegen haben sie gelernt, das grundlegende Zeugnis der reformatorischen Bekenntnisse von ihren geschichtlich bedingten Denkformen zu unterscheiden. Weil die Bekenntnisse das Evangelium als das lebendige Wort Gottes in Jesus Christus bezeugen, schließen sie den Weg zu dessen verbindlicher Weiterbezeugung nicht ab, sondern eröffnen ihn und fordern auf, ihn in der Freiheit des Glaubens zu gehen. II. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums 6. Im Folgenden beschreiben die beteiligten Kirchen ihr gemeinsames Verständnis des Evangeliums, soweit es für die Begründung einer Kirchengemeinschaft erforderlich ist. 1. Die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes 7. Das Evangelium ist die Botschaft von Jesus Christus, dem Heil der Welt, in Erfüllung der an das Volk des Alten Bundes ergangenen Verheißung. 8. a)  Sein rechtes Verständnis haben die reformatorischen Väter in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht. 9. b) In dieser Botschaft wird Jesus Christus bezeugt − als der Menschgewordene, in dem Gott sich mit dem Menschen verbunden hat; − als der Gekreuzigte und Auferstandene, der das Gericht Gottes auf sich genommen und darin die Liebe Gottes zum Sünder erwiesen hat, und − als der Kommende, der als Richter und Retter die Welt zur Vollendung führt.

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10. c) Gott ruft durch sein Wort im Heiligen Geist alle Menschen zu Umkehr und Glauben und spricht dem Sünder, der glaubt, seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu. Wer dem Evangelium vertraut, ist um Christi willen gerechtfertigt vor Gott und von der Anklage des Gesetzes befreit. Er lebt in täglicher Umkehr und Erneuerung zusammen mit der Gemeinde im Lobpreis Gottes und im Dienst am anderen in der Gewissheit, dass Gott seine Herrschaft vollenden wird. So schafft Gott neues Leben und setzt inmitten der Welt den Anfang einer neuen Menschheit. 11. d) Diese Botschaft macht die Christen frei zu verantwortlichem Dienst in der Welt und bereit, in diesem Dienst auch zu leiden. Sie erkennen, dass Gottes fordernder und gebender Wille die ganze Welt umfasst. Sie treten ein für irdische Gerechtigkeit und Frieden zwischen den einzelnen Menschen und unter den Völkern. Dies macht es notwendig, dass sie mit anderen Menschen nach vernünftigen, sachgemäßen Kriterien suchen und sich an ihrer Anwendung beteiligen. Sie tun dies im Vertrauen darauf, dass Gott die Welt erhält, und in Verantwortung vor seinem Gericht. 12. e) Mit diesem Verständnis des Evangeliums stellen wir uns auf den Boden der altkirchlichen Symbole und nehmen die gemeinsame Überzeugung der reformatorischen Bekenntnisse auf, dass die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Mitte der Schrift und die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche ist. 2. Verkündigung, Taufe und Abendmahl 13. Das Evangelium wird uns grundlegend bezeugt durch das Wort der Apostel und Propheten in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Die Kirche hat die Aufgabe, dieses Evangelium weiterzugeben durch das mündliche Wort der Predigt, durch den Zuspruch an den einzelnen und durch Taufe und Abendmahl. In der Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig. So wird den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil, und so sammelt der Herr seine Gemeinde. Er wirkt dabei in vielfältigen Ämtern und Diensten und im Zeugnis aller Glieder seiner Gemeinde. a) Taufe 14. Die Taufe wird im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen. In ihr nimmt Jesus Christus den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf, damit er eine neue Kreatur sei. Er beruft ihn in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge.

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b) Abendmahl 15. Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er lässt uns neu erfahren, dass wir Glieder an seinem Leibe sind. Er stärkt uns zum Dienst an den Menschen. 16. Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, dass der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit. III. Die Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit 17. Die Gegensätze, die von der Reformationszeit an eine Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen unmöglich gemacht und zu gegenseitigen Verwerfungsurteilen geführt haben, betrafen die Abendmahlslehre, die Christologie und die Lehre von der Prädestination. Wir nehmen die Entscheidung der Väter ernst, könne aber heute folgendes gemeinsam dazu sagen: 1. Abendmahl 18. Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht. 19. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus in seinem Leib und Blut können wir nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln. 20. Wo solche Übereinstimmung zwischen Kirchen besteht, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht den Stand der Lehre dieser Kirchen. 2. Christologie 21. In dem wahren Menschen Jesus Christus hat sich der ewige Sohn und damit Gott selbst zum Heil in die verlorene Menschheit hineinge­ geben. Im Verheißungswort und Sakrament macht der Heilige Geist und damit Gott selbst uns Jesus als Gekreuzigten und Auferstandenen gegenwärtig.

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22. Im Glauben an diese Selbsthingabe Gottes in seinem Sohn sehen wir uns angesichts der geschichtlichen Bedingtheit überkommener Denkformen vor die Aufgabe gestellt, neu zur Geltung zu bringen, was die reformierte Tradition in ihrem besonderen Interesse an der Unversehrtheit von Gottheit und Menschheit Jesu und was die lutherische Tradition in ihrem besonderen Interesse an seiner völligen Personeinheit geleitet hat. 23. Angesichts dieser Sachlage können wir heute die früheren Verwerfungen nicht nachvollziehen. 3. Prädestination 24. Im Evangelium wird die bedingungslose Annahme des sündigen Menschen durch Gott verheißen. Wer darauf vertraut, darf des Heils gewiss sein und Gottes Erwählung preisen. Über die Erwählung kann deshalb nur im Blick auf die Berufung zum Heil in Christus gesprochen werden. 25. Der Glaube macht zwar die Erfahrung, dass die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillens Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluss Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen. 26. Wo solche Übereinstimmung zwischen Kirchen besteht, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht den Stand der Lehre dieser Kirchen. 4. Folgerungen 27. Wo diese Feststellungen anerkannt werden, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse zum Abendmahl, zur Christologie und zur Prädestination den Stand der Lehre nicht. Damit werden die von den Vätern vollzogenen Verwerfungen nicht als unsachgemäß bezeichnet, sie sind jedoch kein Hindernis mehr für die Kirchengemeinschaft. 28. Zwischen unseren Kirchen bestehen beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen. Diese Unterschiede werden in den Gemeinden oft stärker empfunden als die überkommenen Lehrgegensätze. Dennoch vermögen wir nach dem Neuen Testament und den reformatorischen Kriterien der Kirchengemeinschaft in diesen Unterschieden keine kirchentrennenden Faktoren zu erblicken. IV. Erklärung der Verwirklichung der Kirchengemeinschaft 29. Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an

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Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben. 1. Erklärung der Kirchengemeinschaft 30. Mit der Zustimmung zu der Konkordie erklären die Kirchen in der Bindung an die sie verpflichtenden Bekenntnisse oder unter Berücksichtigung ihrer Traditionen: 31. a) Sie stimmen im Verständnis des Evangeliums, wie es in den Teilen II und III Ausdruck gefunden hat, überein. 32. b)  Die in den Bekenntnisschriften ausgesprochenen Lehrverurteilungen betreffen entsprechend den Feststellungen des Teils III nicht den gegenwärtigen Stand der Lehre der zustimmenden Kirchen. 33. c) Sie gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein. 34. Mit diesen Feststellungen ist Kirchengemeinschaft erklärt. Die dieser Gemeinschaft seit dem 16. Jahrhundert entgegenstehenden Trennungen sind aufgehoben. Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, dass sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben und dass der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet. 2. Verwirklichung der Kirchengemeinschaft 35. Die Kirchengemeinschaft verwirklicht sich im Leben der Kirchen und Gemeinden. Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemühen sich um die Stärkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft. a) Zeugnis und Dienst 36. Die Verkündigung der Kirchen gewinnt in der Welt an Glaubwürdigkeit, wenn sie das Evangelium in Einmütigkeit bezeugen. Das Evangelium befreit und verbindet die Kirchen zum gemeinsamen Dienst. Als Dienst der Liebe gilt er dem Menschen mit seinen Nöten und sucht deren Ursachen zu beheben. Die Bemühung um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt verlangt von den Kirchen zunehmend die Übernahme gemeinsamer Verantwortung. b) Theologische Weiterarbeit 37. Die Konkordie lässt die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen. Sie versteht sich nicht als ein neues Bekenntnis. Sie stellt eine im Zentralen gewonnene Übereinstimmung dar, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht. Die beteiligten Kirchen lassen sich bei der gemeinsamen

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Ausrichtung von Zeugnis und Dienst von dieser Übereinstimmung leiten und verpflichten sich zu kontinuierlichen Lehrgesprächen untereinander. 38. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, auf dem die Kirchengemeinschaft beruht, muss weiter vertieft, am Zeugnis der Heiligen Schrift geprüft und ständig aktualisiert werden. 39. Es ist Aufgabe der Kirchen, an Lehrunterschieden, die in und zwischen den beteiligten Kirchen bestehen, ohne als kirchentrennend zu gelten, weiterzuarbeiten. Dazu gehören: − Hermeneutische Fragen im Verständnis der Schrift, Bekenntnis und Kirche, − Verhältnis von Gesetz und Evangelium, − Taufpraxis, − Amt und Ordination, − Zwei-Reiche-Lehre und Lehre von der Königsherrschaft Jesu Christi, − Kirche und Gesellschaft. Zugleich sind auch Probleme aufzunehmen, die sich im Hinblick auf Zeugnis und Dienst, Ordnung und Praxis neu ergeben. 40. Aufgrund ihres gemeinsamen Erbes müssen die reformatorischen Kirchen sich mit den Tendenzen theologischer Polarisierung auseinandersetzen, die sich gegenwärtig abzeichnen. Die damit verbundenen Probleme greifen zum Teil weiter als die Lehrdifferenzen, die einmal den lutherischreformierten Gegensatz begründet haben. 41. Es wird Aufgabe der gemeinsamen theologischen Arbeit sein, die Wahrheit des Evangeliums gegenüber Entstellungen zu bezeugen und abzugrenzen. c) Organisatorische Folgerungen 42. Durch die Erklärung der Kirchengemeinschaft werden kirchenrechtliche Regelungen von Einzelfragen zwischen den Kirchen und innerhalb der Kirchen nicht vorweggenommen. Die Kirchen werden jedoch bei diesen Regelungen die Konkordie berücksichtigen. 43. Allein gilt, dass die Erklärung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und die gegenseitige Anerkennung der Ordination die in den Kirchen geltenden Bestimmungen für die Anstellung im Pfarramt, die Ausübung des pfarramtlichen Dienstes und die Ordnungen des Gemeindelebens nicht beeinträchtigen. 44. Die Frage eines organisatorischen Zusammenschlusses einzelner beteiligter Kirchen kann nur in der Situation entschieden werden, in der diese Kirchen leben. Bei der Prüfung dieser Frage sollten folgende Gesichtspunkte beachtet werden: 45. Eine Vereinheitlichung, die die lebendige Vielfalt der Verkündigungsweisen, des gottesdienstlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung und

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der diakonischen wie gesellschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigt, würde dem Wesen der mit dieser Erklärung eingegangenen Kirchengemeinschaft widersprechen. Andererseits kann aber in bestimmten Situationen der Dienst der Kirche um des Sachzusammenhanges von Zeugnis und Ordnung willen rechtliche Zusammenschlüsse nahe legen. Werden organisatorische Konsequenzen aus der Erklärung der Kirchengemeinschaft gezogen, so darf die Entscheidungsfreiheit der Minoritätskirchen nicht beeinträchtigt werden. d) Ökumenische Aspekte 46. Indem die beteiligten Kirchen unter sich Kirchengemeinschaft erklären und verwirklichen, handeln sie aus der Verpflichtung heraus, der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen. 47. Sie verstehen eine solche Kirchengemeinschaft im europäischen Raum als einen Beitrag auf dieses Ziel hin. Sie erwarten, dass die Überwindung ihrer bisherigen Trennung sich auf die ihnen konfessionell verwandten Kirchen in Europa und in anderen Kontinenten auswirken wird, und sind bereit, mit ihnen zusammen die Möglichkeit von Kirchengemeinschaft zu erwägen. 48. Diese Erwartung gilt ebenfalls für das Verhältnis des Lutherischen Weltbundes und des Reformierten Weltbundes zueinander. 49. Ebenso hoffen sie, dass die Kirchengemeinschaft der Begegnung und Zusammenarbeit mit Kirchen anderer Konfessionen einen neuen Anstoß geben wird. Sie erklären sich bereit, die Lehrgespräche in diesen weiteren Horizont zu stellen.

36. Bekenntnis von Belhar (1982/1986)  Einleitung Das Bekenntnis von Belhar erhielt seinen Namen von einem Vorort Kapstadts/Südafrika, in dem im Oktober 1982 die Generalsynode der Nederduitse Gereformeerde Sendingskerk (NGSK) tagte. Auf dieser Synode wurde der Entwurf eines Bekenntnisses zur Einheit, Versöhnung und Gerechtigkeit von einer kleinen Gruppe reformierter Christen vorgestellt. Sie forderten ihre Kirche heraus, angesichts der Apartheid gegen die ungerechte Spaltung von Kirche und Gesellschaft Stellung zu beziehen. Als Broederkring (Brüderkreis) und später Belydende Kring (Bekennender Kreis) waren sie der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 verpflichtet. Auf biblischer Grundlage wendet sich das Bekenntnis gegen die Folgen der Apartheid wie Vertreibung, Zerstörung der Familien, Inhaftierungen, Folter, Armut, Spaltung der Kirche und Rechtlosigkeit, aber auch gegen die religiöse Sanktionierung der Apartheid durch die weiße Nederduitse Gereformeerde Kerk (NGK). Das Bekenntnis, das aus dem Kontext der Zerrissenheit von Gesellschaft und Kirche hervorgegangen ist, tritt für die Versöhnung der Menschen auf der Grundlage von Gerechtigkeit und für die Einheit der Kirche als Konsequenz von Gottes Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgegrenzten ein. Ein Begleitbrief von 1982, dem die Generalsynode der NGSK zugestimmt hat und der hier ebenfalls wiedergegeben wird, betont, dass dieser Bekenntnisakt nicht leichtfertig unternommen werden könne und nur dann zu verantworten sei, wenn der Kern des Evangeliums bedroht sei. Als Schrei aus dem Herzen und als ein Ruf, zu dem die Kirche um des Evangeliums willen genötigt sei, müsse dieser Text verstanden werden. Nach einem vierjährigen Prozess intensiver Diskussionen in den Gemeinden wurde der Text im September 1986 von der Generalsynode der NGSK als verbindliches Bekenntnis verabschiedet. Nach der Vereinigung der NGSK mit der schwarzen Nederduitse Gereformeerde Kerk in Suider Afrika (NGKA) fand der Text 1994 als gemeinsames Bekenntnis der Uniting Reformed Church in Southern Africa (URCSA) Anerkennung. Auch nach der Überwindung der Apartheid 1994 hat das Bekenntnis in Südafrika und darüber hinaus große Bedeutung. Die biblisch-theologischen Leitgedanken der Einheit der Kirche (Artikel 2), der Versöhnung in Jesus Christus (Artikel 3) und der Gerechtigkeit Gottes (Artikel 4) – jeweils verstanden als Gabe und Verpflichtung – wirken in eine Vielzahl von kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen hinein. In

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diesen Artikeln wird dem positiven Bekenntnis zur Einheit, Versöhnung und Gerechtigkeit die Ablehnung einer Lehre gegenübergestellt, welche die Einheit der Kirche behindert, die Versöhnung in Christus verhindert und Ungerechtigkeit rechtfertigt. Gerahmt sind diese Artikel von dem trinitarischen Bekenntnis zu Gott, der „durch sein Wort und seinen Geist seine Kirche versammelt, schützt und erhält“ (vgl. Heidelberger Katechismus, Frage 54), und der Überzeugung, dass die Kirche zu diesem Bekenntnis auch dann aufgerufen ist, wenn ihr daraus Nachteile und Leiden erwachsen (Artikel 1 und 5). Die christologische Konzentration, von der das Bekenntnis mit seinem Hinweis auf das Versöhnungswerk Jesu Christi, sein Gebot und seine Nachfolge geprägt ist, teilt es mit der Barmer Theologischen Erklärung. In der Gegenwart gibt es vor allem in Europa intensive Rezeptionsprozesse des Bekenntnisses von Belhar, bei denen sich abzeichnet, dass das Bekenntnis künftig zu den Bekenntnisgrundlagen auch anderer Kirchen gehört. Edition Glaubensbekenntnis der Niederländisch-Reformierten Missionskirche (1986), in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 (Bearb.: Dirk J. Smit) Übersetzung Das Bekenntnis von Belhar/Der Begleitbrief von 1982, übers. v. Hanns Lessing/Sabine Dreßler, in: Für das Recht streiten. 30 Jahre Bekenntnis von Belhar. Texte und Anregungen, hg. v. der Ev.-ref. Kirche, der Lippischen Landeskirche und dem Ref. Bund in Deutschland, Hannover 2016 Literatur Dan Cloete/Dirk J. Smit (Hg.), „A Moment of Truth“. The Confession of the Dutch Reformed Mission Church 1982, Grand Rapids (MI) 1984 John W. De Gruchy, Befreiung der reformierten Theologie. Ein südafrikanischer Beitrag zu einer ökumenischen Diskussion, Gütersloh 1995 Thomas O. H. Kaiser, Versöhnung in Gerechtigkeit. Das Konzept der Versöhnung und seine Kritik im Kontext Südafrika, Neukirchen-Vluyn 1993 Dirk J.  Smit, Das Belhar-Bekenntnis: Kontext, Hermeneutik und Folgen? Belhar im Kontext südafrikanischer Bekenntnisbildung, in: Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, hg. v. Maren Bienert/Marco Hofheinz/Carsten Jochum-Bortfeld, Zürich 2017, 203–219 Einleitung: Matthias Freudenberg; Übersetzung aus dem Afrikaans: Hanns Lessing/ Sabine Dreßler

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Bekenntnis von Belhar (1982/1986)  Begleitbrief (1982) 1. Wir sind uns dessen bewusst, dass im Leben der Kirche Situationen von solchem Ernst entstehen können, dass sich die Kirche gezwungen fühlt, ihren Glauben im Licht dieser besonderen Situation aufs Neue zu bekennen. Wir sind uns bewusst, dass ein solcher Bekenntnisakt nicht leichtfertig begangen wird, sondern nur dann, wenn man zu dem Urteil gelangt, dass das Herz des Evangeliums auf dem Spiel steht und bedroht wird. Nach unserem Urteil erfordert die kirchliche und politische Situation in unserem Land, und vor allem die Situation innerhalb der Familie der Niederländisch-Reformierten Kirchen, einen solchen Beschluss. Wir legen dieses Bekenntnis jedoch nicht als einen Beitrag zur theologischen Debatte oder als Zusammenfassung unseres Glaubensgutes ab, sondern wie einen Schrei aus dem Herzen und als einen uns auferlegten Zwang um des Evangeliums willen im Licht dieses Augenblicks, in dem wir stehen. Gemeinsam mit vielen bekennen wir unsere Schuld, davon nicht immer deutlich genug Zeugnis abgelegt zu haben, und dass wir deshalb mitverantwortlich dafür sind, dass das, was als Sünde erfahren und bekannt wird oder was als Sünde erfahren und bekannt werden muss, mit der Zeit angewachsen ist zu einem Allgemeinplatz und zu einer schriftfremden Ideologie, und dass bei vielen der Eindruck entstanden ist, als stünde nicht tatsächlich das Evangelium auf dem Spiel. Wir sprechen dieses Bekenntnis aus, weil wir zu dem Urteil gelangt sind, dass mancherlei theologische Argumente dazu beigetragen haben, Aspekte der Wahrheit so einseitig zu betonen, dass sie zur Lüge geworden sind. 2. Wir sind uns dessen bewusst, dass die einzige Autorität, die ein solches Bekenntnis begründen, und die einzige Grundlage, auf der es ausgesprochen werden kann, die Heilige Schrift als das Wort Gottes ist. Im vollen Bewusstsein des Wagnisses eines solchen Schrittes sind wir doch der Überzeugung, dass wir keine andere Wahl haben. Darüber hinaus sind wir uns dessen bewusst, dass keine anderen Motive oder Überzeugungen, wie gültig sie auch sein mögen, uns das Recht zu einem solchen Be­ kenntnisakt geben können. Dieser muss ein Handeln der Kirche sein, allein um der Reinheit und Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft willen. Sofern dies vor Menschen möglich ist, erklären wir hiermit, dass unser einziger Antrieb unsere Sorge ist, dass in dieser Situation die Wahrheit und Kraft des Evangeliums selbst bedroht ist. Wir wollen keinem Gruppeninteresse dienen, keine Parteiungen fördern, Theologien propagieren

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oder Nebenmotive in den Vordergrund stellen. Zugleich wissen wir, dass unsere tiefsten Absichten nur von Ihm wahrhaft beurteilt werden können, vor dem alles offenbar ist. Wir sprechen dieses Bekenntnis nicht von Seinem Thron, also von oben herab, sondern vor Seinem Thron und vor den Menschen. Wir bitten daher inständig, dass dieses Bekenntnis von niemandem durch andere Motive missbraucht wird und dass es auch nicht aus solchen Gründen zurückgewiesen werden soll. Es ist unser ernstlicher Wunsch, keine falschen Hindernisse zu errichten, sondern auf den wahren Stein des Anstoßes hinzuweisen, den Felsen Jesus Christus. 3. Wir sprechen dieses Bekenntnis nicht gegen bestimmte Menschen oder Menschengruppen, gegen eine bestimmte Kirche oder Kirchen. Wir sprechen dieses Bekenntnis gegen eine falsche Lehre, gegen eine ideologische Verdrehung, die in unserer Kirche und in unserem Land das Evangelium selbst bedroht. Es ist unser sehnlichster Wunsch, dass sich niemand mit dieser verwerflichen Lehre identifizieren möge und dass alle, die dadurch ganz oder teilweise geblendet sind, sich davon abwenden mögen. Wir sind uns der Verführungskraft einer solchen falschen Lehre vollauf bewusst und wissen, dass viele, die durch sie beeinflusst wurden, in geringerem oder stärkerem Maße gelernt haben, die halbe Wahrheit als die volle zu glauben. Wir ziehen daher den christlichen Glauben, die Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Integrität, die guten Absichten und vielfach auch lobenswerten Taten und Verhaltensweisen vieler solcher Menschen nicht in Zweifel. Gerade weil wir die Kraft der Verführung kennen, sind wir uns dessen bewusst, dass nicht der Ernst, die Aufrichtigkeit und Intensität unserer Gewissheiten uns freimachen, sondern allein die Wahrheit in dem Sohn. Nach solcher Befreiung haben unser Land und unsere Kirche ein dringendes Verlangen. Wir sprechen daher flehend und nicht beschuldigend. Wir plädieren für Versöhnung, die echte Versöhnung, die auf Umkehr und Änderung von Gesinnung und Strukturen folgt. Wir sind uns ferner dessen bewusst, dass ein Bekenntnisakt ein zweischneidiges Schwert ist, dass keiner von uns den ersten Stein werfen kann bzw. nicht selbst einen Balken im eigenen Auge hat. Wir wissen, dass die Einstellungen und Verhaltensweisen, die dem Evangelium entgegenwirken, bei uns allen vorhanden sind und bleiben werden. Darum ist dieses Bekenntnis nichts anderes als ein Aufruf zu anhaltender gemeinsamer Selbstprüfung, zu Ringen und Bereitschaft, uns in einer gebrochenen Welt im Namen unseres Herrn Jesus Christus zu bekehren. Es will keine Tat der Selbstrechtfertigung und der Intoleranz sein, damit wir nicht etwa anderen predigen und selbst verwerflich werden.

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4. Wir beten, dass dieser Bekenntnisakt keinen falschen Stein des Anstoßes aufrichtet und auf diese Weise falsche Spaltungen auslöst und befördert, sondern versöhnend und einigend wirken möge. Wir sind uns dessen bewusst, dass ein solcher Bekenntnisakt und ein solcher Versöhnungsprozess zwangsläufig viel Schmerz mit sich bringen. Sie verlangen den Schmerz der Umkehr, der Reue und des Schuldbekenntnisses. Sie verlangen den Schmerz der Lebenserneuerung und -veränderung, sowohl individuell als auch gemeinsam. Sie führen uns auf einen Weg, dessen Ende wir nicht vorhersehen oder nach unseren eigenen Wünschen manipulieren können. Auf diesem Weg werden wir unvermeidlich starke Wachstumsschmerzen erleben und uns gleichzeitig abmühen, Entfremdung, Bitterkeit, Unversöhnlichkeit und Furcht zu überwinden. Wir müssen sowohl uns selbst als auch einander neu kennenlernen und erfahren. Wir sind uns allerdings dessen bewusst, dass uns dieses Bekenntnis zur Abschaffung von Strukturen des Denkens, der Kirche und der Gesellschaft aufruft, die über viele Jahre hinweg gewachsen sind. Wir bekennen jedoch, dass es um des Evangeliums willen keinen anderen Ausweg gibt. Unser Gebet ist, dass unsere Brüder und Schwestern in der Familie der Niederländisch-Reformierten Kirchen und darüber hinaus mit uns diesen neuen Anfang machen, damit wir zusammen frei werden und gemeinsam diesen Weg der Versöhnung und Gerechtigkeit gehen können. Es ist unser Gebet, dass die jetzt erlebte Traurigkeit eine Traurigkeit zur Erlösung sein möge. Wir glauben, dass dies durch die Kraft unseres Herrn und durch seinen Geist möglich ist. Wir glauben, dass das Evangelium von Jesus Christus unserem Land Hoffnung, Befreiung, Heil und wahren Frieden bringen kann und bringen wird. Das Bekenntnis von Belhar (1986) Artikel 1 Wir glauben an den dreieinigen Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, der durch sein Wort und Geist seine Kirche von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammelt, schützt und erhält. Artikel 2 Wir glauben an die heilige, allgemeine, christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, berufen aus dem ganzen Menschengeschlecht. Wir glauben, dass das Versöhnungswerk Christi in der Kirche als der Glaubensgemeinschaft sichtbar wird, in der Menschen mit Gott und untereinander versöhnt sind; dass die Einheit der Kirche Jesu Christi aus diesem Grund Gabe und Auftrag ist: Durch die Wirkung von Gottes Geist

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ist Einheit eine Kraft, die uns verbindet. Gleichzeitig ist die Einheit aber auch eine Realität, der wir nachjagen und die wir suchen müssen. Für diese Einheit muss das Gottesvolk fortwährend aufgebaut werden; dass diese Einheit sichtbar werden muss, damit die Welt glauben kann, dass Trennung, Feindschaft und Hass zwischen Menschen und Menschengruppen eine Sünde ist, die Christus bereits überwunden hat, und dass alles, was diese Einheit bedroht, deshalb in der Kirche Christi keinen Platz haben darf, sondern bekämpft werden muss; dass die Einheit des Gottesvolkes in ihrer Vielgestaltigkeit sichtbar und wirksam werden muss: indem wir einander lieben, miteinander Gemeinschaft erleben, ihr nachjagen und an ihr festhalten; indem wir uns willig und mit Freuden zum Nutzen und zur Seligkeit einander geben, weil wir es uns gegenseitig schuldig sind; indem wir einen Glauben teilen, eine Berufung haben, eines Herzens und eines Sinnes sind, einen Gott und Vater haben, von einem Geist durchdrungen werden; von einem Brot essen und aus einem Kelch trinken, mit einer Taufe getauft sind, einen Namen bekennen und einem Herrn gehorsam sind, für eine Sache eifern, eine Hoffnung miteinander teilen, gemeinsam die Höhe, die Breite und die Tiefe von Christi Liebe kennenlernen; uns gemeinsam auf Christus hin, zu einer neuen Menschheit aufbauen lassen, unsere Lasten gegenseitig wahrnehmen und gemeinsam tragen, um auf diese Weise das Gesetz Christi zu erfüllen; dass wir einander brauchen und uns gegenseitig stärken, einander ermahnen und trösten, gemeinsam für die Gerechtigkeit leiden, gemeinsam beten, gemeinsam Gott in dieser Welt dienen und gemeinsam gegen alles kämpfen, das diese Einheit hindert und bedroht; dass diese Einheit nur in Freiheit und nicht unter Zwang gestaltet werden kann; dass die Verschiedenheit der geistlichen Gaben, Chancen, Umstände und Überzeugungen wie auch die Unterschiede von Sprache und Kultur kraft der in Christus geschehenen Versöhnung Möglichkeiten für den gegenseitigen Dienst eröffnen und das sichtbare Gottesvolk bereichern; dass der wahre Glaube an Jesus Christus die einzige Voraussetzung für die Mitgliedschaft in dieser Kirche ist. Darum verwerfen wir jede Lehre, die natürliche Unterschiede oder durch die Sünde verursachte Trennungen in einer Weise absolutsetzt, dass diese Absolutsetzung die sichtbare und wirksame Einheit der Kirche verhindert, zerstört oder zur Gründung von getrennten Kirchen führt; die vorgibt, dass die geistliche Einheit durch ein Band des Friedens bewahrt werden kann, während Gläubige desselben Bekenntnisses wegen ihrer Unterschiedlichkeit und durch ihre Unversöhntheit voneinander entfremdet werden; die verneint, dass die Weigerung, der sichtbaren Einheit als einer kostbaren Gabe nachzujagen, Sünde ist; die explizit oder implizit behauptet, dass Abstammung oder irgendein anderer menschlicher oder

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sozialer Faktor einen Einfluss auf die Mitgliedschaft in der Kirche haben könnten. (Eph 2,11–22; 3,14–20; 4,1–16; Joh 13,1–17; 17,20–23; Phil 2,1–5; 1. Kor 1,10–13; 10,16 f.; 11,17–34; 12,1–31; Gal 3,27 f.; 6,2; 2. Kor 1,3 f.; Röm 12,3–8; Jak 2,1–13) Artikel 3 Wir glauben, dass Gott seiner Kirche die Botschaft von der Versöhnung in und durch Jesus Christus anvertraut hat; dass die Kirche aufgerufen ist, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein; dass die Kirche seliggepriesen wird, weil sie Friedensstifterin ist; dass die Kirche in Wort und Tat Zeugin eines neuen Himmels und einer neuen Erde ist, auf der Gerechtigkeit wohnt; dass Gott durch sein Leben schaffendes Wort und Geist die Mächte der Sünde und des Todes und damit auch Unversöhnbarkeit und Hass, Bitterkeit und Feindschaft überwunden hat; dass Gott durch sein Leben schaffendes Wort und Geist sein Volk befähigt, in einem neuen Gehorsam zu leben, der für Gesellschaft und Welt neue Möglichkeiten eröffnet; dass diese Verkündigung unglaubwürdig und in ihrer heilsamen Kraft behindert wird, wenn sie in einem Land verkündigt wird, das zwar den Anspruch erhebt, christlich zu sein, gleichzeitig aber durch die erzwungene Trennung auf Grundlage der Rasse Entfremdung, Hass und Feindschaft hervorbringt und verfestigt; dass jede Lehre, die eine solche erzwungene Trennung aus dem Evangelium zu legitimieren versucht und die es nicht wagt, sich auf den Weg des Gehorsams und der Versöhnung zu machen, sondern auf Grund von Vorurteilen, Furcht, Egoismus und Unglaube die versöhnende Kraft des Evangeliums bereits im Voraus verleugnet, eine Ideologie und Irrlehre ist. Darum verwerfen wir jede Lehre, die im Namen des Evangeliums oder des Willens Gottes die erzwungene Trennung von Menschen nach Rasse und Hautfarbe in solcher Situation gutheißt und auf diese Weise den Dienst und die Erfahrung der Versöhnung in Christus bereits im Voraus behindert und dadurch seiner Kraft beraubt. (2. Kor 5,17–21; Mt 5,9.13–16; 2. Petr 3,13; Apk 21 f.; Eph 4,17–6,23; Röm 6; Kol 1,9–14; 2,13–19; 3,1–4,6) Artikel 4 Wir glauben, dass sich Gott als der Eine offenbart hat, der Gerechtigkeit und wahren Frieden unter die Menschen bringen will; dass er in einer Welt voller Unrecht und Feindschaft in besonderer Weise der Gott der Notleidenden, der Armen und der Entrechteten ist und seine Kirche aufruft, ihm auch hierin nachzufolgen; dass er den Unterdrückten Recht

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schafft und den Hungrigen Brot gibt; dass er die Gefangenen befreit und die Blinden sehend macht; dass er die Bedrängten unterstützt, die Fremdlinge beschützt, den Waisen und Witwen hilft und den Gottlosen den Weg versperrt; dass es für ihn reiner und unbefleckter Gottesdienst ist, wenn wir die Waisen und Witwen in ihrer Not besuchen; dass er sein Volk anleitet, Gutes zu tun und für das Recht zu streiten; dass die Kirche darum Menschen in allem Leid und jeder Not beistehen muss, was auch bedeutet, dass sie gegen jede Form von Ungerechtigkeit Zeugnis ablegen und streiten muss, auf dass Recht ströme wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach; dass die Kirche als Gottes Eigentum dort stehen muss, wo Gott selbst steht: gegen die Ungerechtigkeit und auf der Seite der Entrechteten; dass die Kirche in der Nachfolge Christi Zeugnis ablegen muss gegenüber allen Mächtigen und Privilegierten, die egoistisch ihre eigenen Interessen verfolgen und andere Menschen beherrschen und benachteiligen. Darum verwerfen wir jede Ideologie, die Ungerechtigkeit in jeder Form legitimiert, und jede Lehre, die nicht gewillt ist, einer solchen Ideologie auf der Grundlage des Evangeliums zu widerstehen. (Dtn 32,4; Lk 1,46–55; 2,14; 4,16–19; 6,20–26; 7,22; 16,19–31; Joh 14,27; Eph 2,14; Jes 1,16 f.; Jak 1,27; 5,1–6; Ps 146; Röm 6,13–18; Am 5) Artikel 5 Wir glauben, dass die Kirche aufgerufen ist, dies alles im Gehorsam gegenüber Jesus Christus, ihrem einzigen Herrn, zu bekennen und zu tun, selbst wenn die Obrigkeit und menschliche Verordnungen dagegenstehen und selbst wenn Strafe und Leiden damit verbunden sind. Jesus ist der Herr. Dem einen Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist, sei Ehre und Herrlichkeit in Ewigkeit. (Eph 4,15 f.; Apk 5,29–33; 1. Petr 2,18–25; 3,15–18)

37. Kurze Glaubenserklärung der Presbyterianischen Kirche (U.S.A.) (1991) Einleitung Seit der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs waren die beiden größten presbyterianischen Kirchen der USA gespalten, und zwar in die United Presbyterian Church (U.S.A.) im Norden und die Presbyterian Church in the United States im Süden. Anlässlich der Wiedervereinigung dieser beiden Kirchen zur Presbyterian Church (U.S.A.) wurde im Jahr 1983 ein Ausschuss gegründet, der ein Bekenntnis dieser wiedervereinigten Kirche erarbeiten sollte. Damit sollte nicht nur eine gemeinsame theologische Identität gefunden und bekannt, sondern gleichzeitig auch aktuelles Bekennen angesichts gegenwärtiger Herausforderungen des christlichen Glaubens ermöglicht werden. Die 21 Mitglieder des Ausschusses wurden mit großer Sorgfalt ausgewählt, um die Diversität der presbyterianischen Kirche in theologischer, kultureller, ethnischer, politischer und auch geistlicher Hinsicht widerzuspiegeln. Sie beschäftigten sich zunächst mit der Frage, ob für die Presbyterian Church tatsächlich ein derart kritischer Moment gegeben sei, dass er theologisch als status confessionis einzuschätzen wäre. Das Gremium kam zu der Überzeugung, dass die Kirche tatsächlich zum Bekennen angesichts aktueller Herausforderungen gerufen sei, insbesondere im Blick auf drei zentrale Themenkreise: erstens Pluralismus und Individualismus in Kirche und Gesellschaft, die nicht nur einen teilweisen Traditionsabbruch, sondern auch eine Auffächerung in liberale, konservative, evangelikale, postmoderne, feministisch-/befreiungstheologische und weitere Richtungen in der Kirche zur Folge hatten; zweitens ökonomische, ökologische und soziale Herausforderungen einer „Kirche in der Krise in einer Welt in der Krise“; drittens Marginalisierung und Ausgrenzung in Kirche und Theologien, insbesondere von Frauen, aber auch von anderen Gruppen, die kaum Gehör im theologischen und kirchlichen Mainstream fanden. In den nächsten acht Jahren wurde in diesem Ausschuss und darüber hinaus in zahlreichen Gesprächen mit ökumenischen Partnern und in einer großen Anzahl lokaler und regionaler Treffen auf unterschiedlichen Kirchenebenen eine vorläufige Version des Bekenntnisses erarbeitet, die dann 1990 von einem neuen Ausschuss endgültig überarbeitet wurde. Mit großer Zustimmung sowohl in der General Assembly der Presbyterian Church als auch in den einzelnen Presbyterien wurde A Brief Statement of Faith 1991 als elftes Bekenntnis in das Book of Confessions der Kirche aufgenommen.

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Das Bekenntnis folgt dem Schema der trinitarischen Segensformel aus 2. Kor 13,13: Nach einem Einleitungszitat aus Frage 1 des Heidelberger Katechismus thematisiert das Bekenntnis in einem ersten Artikel Jesus Christus, im zweiten den Vater Jesu Christi und im dritten Artikel den Heiligen Geist, bevor es mit einer Schlussdoxologie endet. Auffallend ist die unmittelbar verständliche, poetische Sprache des Bekenntnisses. Zudem wird deutlich, wie Erkenntnisse neuerer theologischer Ansätze in das Bekenntnis aufgenommen wurden, insbesondere Anliegen feministischer Theologien (etwa in der inklusiven Gottesanrede, im Sündenverständnis, aber auch im Blick auf die Frauenordination) und anderer Befreiungstheologien (Betonung einer sog. „Christologie von unten“, des Exodushandelns Gottes und eines Verständnisses von Sünde als struktureller Sünde). Weiterhin wurden zentrale Erkenntnisse des jüdisch-christlichen Dialogs in das Bekenntnis übernommen, beispielsweise indem der Drei-Eine Gott als der „Heilige Eine Israels“ bekannt wird, welcher sich in ewiger Liebe ein Bundesvolk erwählte, zu dem die Christinnen und Christen durch Jesus Christus hinzugefügt werden. Das Bekenntnis ist umrahmt von zwei weiteren Texten: zum einen einem Vorwort, das den Text historisch und theologisch einordnet, aber nicht die Autorität eines Bekenntnisses besitzt; zum anderen ist dem Bekenntnis ein Appendix (hier nicht abgedruckt) beigegeben, der zu nahezu jeder Zeile des Bekenntnisses relevante Bibelstellen aufführt und auf andere Bekenntnistexte aus der altkirchlichen wie reformierten Bekenntnistradition verweist. Das Bekenntnis wird regelmäßig als Ganzes oder in Abschnitten im Gottesdienst und in der Katechese verwandt und besitzt einen hohen Bekanntheitsgrad in der Presbyterian Church. Editionen The Constitution of the Presbyterian Church (U. S. A.), Part I: Book of Confessions, published by the Office of the General Assembly, Louisville (KY) 2016 (abrufbar unter: https://www.pcusa.org/site_media/media/uploads/oga/pdf/boc2016.pdf; Abruf: 26.6.2023) A Brief Statement of Faith, in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 (Bearb.: Margit Ernst-Habib) Übersetzungen A Brief Statement of Faith, in: Reformierte Bekenntnisse. Ein Werkbuch, hg. v. Matthias Krieg, Zürich 2009, 147–153 Presbyterian Church (U. S. A.), A Brief Statement of Faith, in: Reformiertes Bekennen heute. Bekenntnistexte der Gegenwart von Belhar bis Kappel, hg. v. Marco Hofheinz/ Raphaela J.  Meyer zu Hörste-Bührer/Frederike van Oorschot, Neukirchen-Vluyn 2015, 50–57 (Übers.: Margit Ernst-Habib)

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Literatur Margit Ernst-Habib, „In Leben und Tod gehören wir Gott …“. Aspekte heutigen Bekennens am Beispiel des Brief Statement of Faith – Presbyterian Church (U. S. A.) 1991, in: Christoph Dahling-Sander/Margit Ernst/Georg Plasger (Hg.), Herausgeforderte Kirche. Anstöße, Wege, Perspektiven, FS Eberhard Busch, Wuppertal 1997, 441–458 Margit Ernst-Habib, A Conversation with Twentieth Century Confessions, in: Joseph D. Small (Hg.), Conversations with the Confessions. Dialogue in the Reformed Tradition, Louisville (KY) 2005, 69–91 Margit Ernst-Habib, „Wir, hier, jetzt – bekennen dies!“ Kontext und Normativität reformierten Bekennens. Ein Fallbeispiel aus den USA, in: Maren Bienert/Marco Hofheinz/Carsten Jochum-Bortfeld (Hg.), Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, Zürich 2016, 237–253 William C. Placher/David Willis-Watkins, Belonging to God. A Commentary on A Brief Statement of Faith, Louisville (KY) 1992 Jack L. Stotts/Jane Dempsey Douglass (Hg.), To Confess the Faith Today, Louisville (KY) 1990 Einleitung und Übersetzung: Margit Ernst-Habib

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Kurze Glaubenserklärung der Presbyterianischen Kirche (U.S.A.) (1991) Vorwort Im Jahr 1983 fand die Wiedervereinigung der beiden größten presbyte­ rianischen Kirchen der USA statt. Der „Plan der Wiedervereinigung“ sah vor, dass ein kurzes Glaubensbekenntnis des reformierten Glaubens erstellt werden sollte, welches dann gegebenenfalls in das Buch der Bekenntnisse (The Book of Confessions) aufgenommen werden würde. Das vorliegende Bekenntnis ist daher nicht intendiert als ein Bekenntnis, das getrennt von den anderen Bekenntnissen unserer Kirche zu verstehen ist. Es beansprucht weder, eine vollständige Auflistung aller unserer Glaubenssätze zu sein, noch diese in allen Einzelheiten darzulegen. Es ist dazu gedacht, von der ganzen Gemeinde im Gottesdienst gesprochen zu werden; zudem soll es als Arbeitshilfe für Pastoren und Pastorinnen und Lehrer und Lehrerinnen für die Katechese dienen. Das Bekenntnis feiert die Wiederentdeckung der Tatsache, dass wir bei all unserer unbestrittenen Verschiedenheit doch durch einen gemeinsamen Glauben und einen gemeinsamen Auftrag miteinander verbunden sind. Der Glaube, den wir bekennen, vereint uns mit der einen, universalen Kirche. Presbyterianische Christen und Christinnen teilen die wichtigsten Glaubenssätze mit anderen Christen und Christinnen, insbesondere mit anderen evangelischen Christen und Christinnen, welche die Reformation als eine Erneuerung des Evangeliums Jesu Christi verstehen. Verschiedenheit bleibt bestehen. Dennoch sind wir dankbar dafür, dass viele Kirchen der Gegenwart lernen, Verschiedenheit ohne Spaltung zu akzeptieren oder sogar zu bejahen, denn der Ratschluss Gottes umfasst mehr als die Weisheit eines einzelnen Menschen oder einer einzelnen Tradition. Der Geist der Wahrheit erhellt die Kirchen mit neuem Licht, wenn sie gemeinsam und mit Freuden zu Schülern und Schülerinnen des Wortes Gottes werden. Dieses Bekenntnis strebt daher an, den katholischen (allgemeinen) Glauben zu bekennen. Wir sind davon überzeugt, dass den reformierten Kirchen eine bestimmte Vision des katholischen Glaubens zum Wohl der ganzen Kirche anvertraut wurde. Dementsprechend beinhaltet die Kurze Glaubens­ erklärung die Hauptthemen der reformierten Tradition, wie sie etwa im Book of Order (Kapitel 2: Form of Government) aufgeführt werden, ohne diese jedoch als unser Eigentum zu beanspruchen – so wie wir selbst hoffen, uns die Weisheit und Einsichten, die anderen Traditionen gegeben wurden, anzueignen und sie weiterzugeben. Als ein Bekenntnis, das sowohl katholisch als auch reformiert zu sein anstrebt, geht es als trinitarisches Bekenntnis (angelehnt an die Segensformel aus 2. Kor 13,14) aus

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von der Gnade Jesu Christi als Grundlage für unser Wissen um Gottes souveräne Liebe und für unser gemeinsames Leben im Heiligen Geist. Kein Bekenntnis schaut nur zurück in die Vergangenheit; jedes Bekenntnis strebt an, das Licht eines kostbaren Erbes auch auf die Erfordernisse der Gegenwart scheinen zu lassen, um so die Zukunft zu gestalten. Wenn es die Gegebenheiten erfordern, dann können gerade reformierte Bekenntnisse die Tradition selbst sogar im Licht des Wortes Gottes reformieren. Von Beginn an haben die reformierten Kirchen darauf bestanden, dass die Erneuerung der Kirche auch in der Veränderung des menschlichen Lebens und der Gesellschaft sichtbar werden muss. Aus diesem Grund stellt die Kurze Glaubenserklärung Anliegen in den Mittelpunkt, die in unserer Zeit die Aufmerksamkeit der Kirche auf das Dringlichste verlangen. Die Kirche ist kein Ort der Zuflucht vor der Welt; das auserwählte Volk ist zum Segen für die Völker ausersehen. Ein Bekenntnis erweist sich dann als gut, wenn es den Einsatz für den Auftrag der Kirche nährt, und wenn die Kirche selbst zu dem Leib wird, durch den Christus den Segen seines irdischen Dienstes fortführt. Kurze Glaubenserklärung der Presbyterianischen Kirche (U.S.A.) von 1991 1 Im Leben und Tod gehören wir Gott. 2 Durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, 3 die Liebe Gottes 4 und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes 5 vertrauen wir auf den einen dreieinigen Gott, den Heiligen Israels, 6 den allein wir anbeten und dem allein wir dienen. 7 Wir vertrauen auf Jesus Christus, 8 vollkommen Mensch, vollkommen Gott. 9 Jesus verkündete das Reich Gottes: 10 indem er den Armen die gute Nachricht predigte 11 und Befreiung den Gefangenen, 12 indem er durch Wort und Tat lehrte 13 und die Kinder segnete, 14 die Kranken heilte 15 und die Geknickten tröstete, 16 mit den Ausgestoßenen aß, 17 den Sündern und Sünderinnen vergab 18 und alle dazu aufrief, umzukehren und das Evangelium zu glauben. 19 Zu Unrecht wegen Gotteslästerung und Aufruhr verurteilt

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20 wurde Jesus gekreuzigt, 21 erlitt die Tiefen menschlicher Leiden 22 und gab sein Leben für die Sünden der Welt. 23 Diesen Jesus erweckte Gott von den Toten, 24 setzte dadurch sein sündloses Leben ins Recht, 25 brach die Macht der Sünde und des Bösen 26 und befreite uns vom Tod zum ewigen Leben. 27 Wir vertrauen auf Gott, 28 den Jesus Abba, Vater, nannte. 29 In souveräner Liebe erschuf Gott die Welt gut 30 und machte jede und jeden dem Bilde Gottes gleich, 31 Mann und Frau, aus jeder Rasse (race) und jedem Volk, 32 um in einer Gemeinschaft zu leben. 33 Wir aber lehnen uns gegen Gott auf; wir verbergen uns vor unserem Schöpfer. 34 Weil wir Gottes Gebote nicht beachten, 35 missachten wir Gottes Ebenbild in anderen und in uns selbst, 36 akzeptieren wir Lügen als Wahrheit, 37 beuten wir den Nächsten und die Natur aus 38 und bedrohen den Planeten, der unserer Fürsorge anvertraut ist, mit dem Tod. 39 Wir verdienen Gottes Verurteilung. 40 Doch Gott handelt mit Gerechtigkeit und Erbarmen, um die Schöpfung zu erlösen. 41 In ewiger Liebe 42 erwählte der Gott Abrahams und Sarahs ein Bundesvolk, 43 um alle Familien der Erde zu segnen. 44 Gott hörte ihren Schrei 45 und befreite die Kinder Israels 46 aus dem Haus der Knechtschaft. 47 Weil Gott uns immer noch liebt, 48 macht er uns mit Christus zu Erben und Erbinnen des Bundes. 49 Wie eine Mutter, die ihren Säugling nicht verlassen wird, 50 wie ein Vater, der dem verlorenen Sohn entgegeneilt, um ihn zuhause willkommen zu heißen, 51 ist Gott noch immer treu. 52 Wir vertrauen auf Gott, den Heiligen Geist, 53 überall Geber und Erneuerer des Lebens.

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54 Der Geist rechtfertigt uns aus Gnade durch den Glauben, 55 befreit uns dazu, uns selbst anzunehmen und Gott und unseren Nächsten zu lieben, 56 und verbindet uns mit allen Gläubigen 57 in dem einen Leib Christi, der Kirche. 58 Derselbe Geist, 59 der die Propheten und Apostel inspiriert hat, 60 leitet unseren Glauben und unser Leben in Christus durch die Schrift, 61 verpflichtet uns durch das verkündigte Wort, 62 nimmt uns in den Wassern der Taufe in Anspruch, 63 nährt uns mit dem Brot des Lebens und dem Kelch des Heils 64 und beruft Frauen und Männer in alle Dienste der Kirche. 65 In einer gebrochenen Welt voller Angst 66 gibt der Geist uns Mut, 67 ohne Unterlass zu beten, 68 allen Völkern Christus als Herrn und Heiland zu bezeugen, 69 Götzendienst in Kirche und Kultur zu entlarven, 70 die Stimme derer zu hören, die lange zum Schweigen gebracht worden sind, 71 und mit anderen für Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden zu arbeiten. 72 In Dankbarkeit gegenüber Gott, ermächtigt durch den Geist, 73 streben wir danach, Christus in unseren täglichen Aufgaben zu dienen 74 und ein heiliges Leben voll Freude zu führen, 75 während wir auf Gottes neuen Himmel und neue Erde warten 76 und dabei beten: „Komm, Herr Jesus!“ 77 Mit den Gläubigen aller Zeiten und Orte 78 freuen wir uns darüber, dass nichts im Leben oder im Tod 79 uns trennen kann von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn. 80 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen.* * Statt der gesprochenen Zeile kann die Gemeinde eine Version des Gloria singen.

38. Erklärung von Accra (2004) Einleitung Die 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes (RWB)/World Alliance of Reformed Churches (WARC) – heute: Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK)/World Communion of Reformed Churches (WCRC) – fand vom 30. Juli bis 13. August 2004 in Accra (Ghana) statt. Dort tagten unter dem Motto aus Joh 10,10b „Auf dass alle Leben in Fülle haben“ ca. 400 Delegierte aus 218 reformierten, presbyterianischen und kongregationalistischen Kirchen. Accra war als Ort nicht zufällig gewählt worden, steht er doch für die lange Leidensgeschichte des globalen Südens. Er bot sich insbesondere hinsichtlich einer historisch sensiblen Thematisierung der „neoliberalen Globalisierung“ als Austragungsort an. Die zum Teil von heftigen Diskussionen begleitete Versammlung verabschiedete am Ende die 42 Abschnitte umfassende „Erklärung von Accra“ und rief mit ihr einen „Bund für wirtschaftliche und ökonomische Gerechtigkeit“ aus, zu dessen Ausgestaltung alle Mitgliedskirchen aufgerufen sind. Sie wurden aufgefordert, sich diesem Bund anzuschließen. Mit dem Bundesschluss knüpfte die Versammlung an die bundes- bzw. föderaltheologische Tradition des Reformiertentums an, die bis in die Reformationszeit zurückreicht. Mit dem Terminus „Bund“ nahm die Generalversammlung einen Vorschlag auf, den processus confessionis umzubenennen und als „Glaubensverpflichtung“ (Nr. 4 und 15) bzw. „Bekenntnis“ zu verstehen, jedoch nicht im Sinne eines klassischen Lehrbekenntnisses. Mit dem gemeinsamen Bundesschluss konnte in Accra eine Zerreißprobe im RWB abgewehrt werden, die sich durch den Aufruf „zu einem verbindlichen Prozess der wachsenden Erkenntnis, der Aufklärung und des Bekennens (processus confessionis) mit allen RWB-Mitgliedskirchen und auf allen Ebenen bezüglich wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und Naturzerstörung“ auf der 23. Generalversammlung des RWB in Debrecen (Ungarn) 1997 zuspitzte. Die Erklärung von Accra vermied einerseits den Terminus status confessionis, den einige Kirchen des Südens erklärt hatten, und nahm andererseits das Anliegen des Aufrufs von Debrecen konfessorisch auf. Energisch wird in der Erklärung von Accra das gegenwärtige Weltwirtschaftssystem zurückgewiesen und die Kultur eines ungebändigten Konsumverhaltens als Ausdrucksform einer Ideologie des ungebremsten Wachstums abgelehnt. Besonders umstritten war bereits während der Generalversammlung in Accra der Begriff „Imperium“, der seitdem die Debatte um und die Rezeptionsgeschichte der Erklärung von Accra domi-

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niert. Er fungierte dort als Interpretament der Globalisierung bzw. wurde zur Charakterisierung des globalen neoliberalen Wirtschaftssystems verwendet. Die Behauptung, die Kirche sei in ihrer Einheit durch die Irrlehre des Neoliberalismus bedroht oder habe sich gar die Ideologie des Neoliberalismus zu eigen gemacht, ist indes nach Ansicht mancher Kritiker*innen eine Unterstellung, die den kommunikativen Weg zur Einheit der Kirche im Prozess des Eintretens für globale wirtschaftliche Gerechtigkeit eher hindert und zerstört als fördert. Manche bemängeln auch, dass trotz bundestheologischer Metaphorik von Gottes Ökonomie erst an zweiter Stelle die Rede ist. Man gewinne – so der Einwand – den Eindruck, als sei diese Krisenanalyse der Rede von Gottes Handeln vorgeordnet worden, ohne dass diese Rede eine solche Analyse nun tatsächlich tragen und stützen würde. Auch im dritten Abschnitt (Nr. 15–36) werde zunächst indikativisch von Gottes Handeln und seiner Gerechtigkeit gesprochen, um dann rasch zum vermeintlich Wichtigen überzugehen, nämlich zu Appellen. Die Debatte um die Erklärung von Accra dauert an und bleibt ein Thema in der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Editionen Declaration of Accra, in: Reformed World 55 (3/2005), 185–190 Erklärung von Accra, in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 (Bearb.: Marco Hofheinz) Übersetzungen Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit, in: ÖR 53 (2004), 497–504 Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit (2004), in: Reformiertes Bekennen heute. Bekenntnistexte der Gegenwart von Belhar bis Kappel, hg. v. Marco Hofheinz/Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer/Frederike van Oorschot, NeukirchenVluyn 2015, 136–149 Literatur Peter Bukowski, Gerechtigkeit predigen. Zur Frage einer homiletischen Umsetzung der Erklärung von Accra, in: Wo Gottes Wort ist. Die gesellschaftliche Relevanz in der pluralen Welt. Festgabe für Thomas Wipf, hg. v. Thomas Flügge u. a., Zürich 2010, 225–237 Marco Hofheinz, Processus und/oder status confessionis? Oder: Kann die Struktur der globalen Ökonomie Anlass eines Bekenntnisses sein?, in: Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, hg. v. Maren Bienert/ Marco Hofheinz/Carsten Jochum-Bortfeld, Zürich 2017, 159–185 (= Marco Hofheinz, Ethik – reformiert! Studien zur reformierten Reformation und ihrer Rezeption im 20. Jahrhundert, Göttingen 2017, 209–235) Ulrich Möller, Folgt dem ökumenischen Prozess des Bekennens jetzt die Feststellung des status confessionis? Standortbestimmung vor der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 2004 in Accra, in: ÖR 53 (2004), 176–189 Reformed World 55 (3/2005), 191–292 (Themenheft) Einleitung: Marco Hofheinz; Übersetzung: ÖR 53 (2004), 497–504

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Erklärung von Accra (2004) Einleitung 1. Als Antwort auf den drängenden Appell der Mitgliedskirchen im Südlichen Afrika, die sich 1995 in Kitwe trafen, und in Anerkennung der wachsenden Dringlichkeit, sich der globalen wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und ökologischen Zerstörung anzunehmen, forderte die 23. Generalversammlung (Debrecen, Ungarn 1997) die Mitgliedskirchen des Reformierten Weltbundes auf, in einen Prozess der „Erkenntnis, der Aufklärung und des Bekennens“ (processus confessionis) einzutreten. Die Kirchen reflektierten über den Text aus Jes 58,6: „Sprengt die Ketten der Unterdrückung und das Joch der Ungerechtigkeit, und lasst die Unterdrückten frei“; gleichzeitig hörten sie die Schreie ihrer Brüder und Schwestern rund um den Erdkreis und wurden sich bewusst, in welchem Ausmaß die Schöpfung – Gottes Geschenk – bedroht ist. 2. Seither veröffentlichten neun Mitgliedskirchen eine Glaubenserklärung (faith stance) zu diesem Thema. Einige Kirchen befinden sich im Prozess auf diesen Bund hin und wieder andere haben sich mit dem Thema beschäftigt und die Ernsthaftigkeit der Krise erkannt. Zudem führte der Reformierte Weltbund in Partnerschaft mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Lutherischen Weltbund und regionalen ökumenischen Organisationen in allen Regionen der Welt Konsultationen durch, von Seoul/Bangkok (1999) bis Stony Point/USA (2004). Eine zusätzliche Konsultation mit Kirchen der südlichen Hemisphäre fand in Buenos Aires (2003) statt, gefolgt von einer gemeinsamen Konsultation von Kirchen des Südens und des Nordens in London Colney (2004). 3. Anlässlich der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Accra/Ghana besichtigten wir die Sklavenverliese von Elmina und Cape Coast, wo Millionen von Afrikanern und Afrikanerinnen zusammengepfercht, verkauft und den Schrecken von Unterdrückung und Tod ausgesetzt wurden. Der Aufschrei „nie wieder“ wird durch die Tatsache heutigen Menschenhandels und fortwährender Unterdrückung durch das Weltwirtschaftssystem Lügen gestraft. 4. Heute sind wir bereit, eine Glaubensverpflichtung (faith commitment) einzugehen. Die Zeichen der Zeit erkennen 5. Wir wissen, dass die Schöpfung noch immer seufzt, in Ketten liegt und auf Befreiung wartet (Röm 8,22). Die Schreie der leidenden Menschen, aber auch die der Schöpfung selbst zugefügten Wunden sind eine Herausforderung an uns.

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6. Die Zeichen der Zeit sind alarmierender geworden und bedürfen der Interpretation. Die tieferen Wurzeln der massiven Bedrohung des Lebens sind vor allem das Produkt eines ungerechten Wirtschaftssystems, das mit politischer und militärischer Macht verteidigt und geschützt wird. Wirtschaftssysteme sind eine Sache von Leben und Tod. 7. Wir leben in einer skandalösen Welt, die leugnet, dass Gottes Aufruf zum Leben allen Menschen gilt. Das Jahreseinkommen der reichsten ein Prozent entspricht dem der ärmsten 57 Prozent, und 24.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen von Armut und Unterernährung. Die Schulden der armen Länder nehmen weiter zu, obwohl sie ihre ursprünglichen Kredite mehrmals zurückgezahlt haben. Kriege, die um Ressourcen der Erde geführt werden, fordern das Leben von Millionen, und weitere Millionen sterben an vermeidbaren Krankheiten. Die globale Pandemie von HIV/AIDS greift in allen Teilen der Welt tief ins Leben ein und trifft besonders die Ärmsten, wenn keine Generika verfügbar sind. Die Mehrheit der Armen sind Frauen und Kinder, und die Anzahl derer, die in absoluter Armut mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, steigt ständig. 8. Die Politik ungehinderten Wachstums unter den Industrieländern und das Streben nach Gewinn multinationaler Unternehmen haben die Erde ausgeplündert und die Umwelt schwer geschädigt. Im Jahr 1989 starb jeden Tag eine Tier- oder Pflanzenart aus; im Jahr 2000 war es bereits eine Art pro Stunde. Klimatische Veränderungen, die Plünderung der Fischbestände, Entwaldung, Bodenerosion und die Gefährdung der Trinkwasservorräte sind nur einige der verheerenden Folgen. Menschliche Gemeinschaften werden auseinandergerissen, Lebensräume gehen verloren, Küstenregionen und die pazifischen Inseln sind von Überschwemmungen und Stürmen bedroht. Hohe Radioaktivitätswerte bedrohen Gesundheit und Umwelt. Lebensformen und kulturelles Wissen werden aus Gründen der Gewinnsucht patentiert. 9. Diese Krise steht in direktem Verhältnis zur Entwicklung der neo­ liberalen wirtschaftlichen Globalisierung, die auf folgenden Überzeugungen beruht: − ungehinderter Wettbewerb, schrankenloser Konsum, ungebremstes Wirtschaftswachstum und Anhäufung von Reichtum sind das Beste für die ganze Welt; − Privatbesitz beinhaltet keine soziale Verpflichtung; − Finanzspekulation, Liberalisierung und Deregulierung des Marktes, Privatisierung öffentlicher Versorgungsbetriebe und nationaler Ressourcen, ungehinderter Zugang für ausländische Investitionen und Importe, niedrigere Steuern und ungehinderter Kapitalverkehr schaffen Wohlstand für alle;

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− soziale Verpflichtungen, der Schutz von Armen und Schwachen, Gewerkschaftsleben und zwischenmenschliche Beziehungen sind dem Wirtschaftswachstum und der Kapitalakkumulation untergeordnet. 10. Diese Ideologie, die von sich behauptet, es gäbe zu ihr keine Alternative, verlangt den Armen und der Schöpfung unendliche Opfer ab und verspricht fälschlicherweise, die Welt durch die Schaffung von Reichtum und Wohlstand retten zu können. Sie tritt mit dem Anspruch auf, alle Lebenssphären beherrschen zu wollen, und verlangt absolute Gefolgschaft, was einem Götzendienst gleichkommt. 11. Wir sind uns des ungeheuren Ausmaßes und der Komplexität dieser Situation bewusst und suchen keine einfachen Antworten. Als Wahrheits- und Gerechtigkeitssuchende, die sich die Sichtweise der Machtlosen und Leidenden zu eigen machen, sehen wir, dass die gegenwärtige Welt-(Un)Ordnung auf einem außerordentlich komplexen und unmoralischen Wirtschaftssystem beruht, das von (einem) Imperium verteidigt wird. Unter dem Begriff „Imperium“ verstehen wir die Konzentration wirtschaftlicher, kultureller, politischer und militärischer Macht zu einem Herrschaftssystem unter der Führung mächtiger Nationen, die ihre eigenen Interessen schützen und verteidigen wollen. 12. In der klassischen liberalen Wirtschaft besteht die Aufgabe des Staates darin, das Privateigentum und das Einhalten der Verträge im Wettbewerb der Märkte zu schützen. Durch die Kämpfe der Arbeiterbewegung begannen die Staaten, die Märkte zu regulieren und für die soziale Wohlfahrt der Menschen zu sorgen. Seit den achtziger Jahren begann der Neoliberalismus durch die Internationalisierung der Kapitalflüsse, die sozialen Funktionen des Staates abzubauen. Nach neoliberaler Anschauung besteht der Zweck der Wirtschaft darin, den Gewinn für Eigentümer von Produktions- und Finanzkapital zu mehren, was dazu führt, dass die Mehrheit der Menschen ausgeschlossen wird und mit der Schöpfung so umgegangen wird, als sei sie eine Handelsware. 13. Die Globalisierung der Märkte hatte auch eine Globalisierung der zu ihrem Schutz eingerichteten politischen und rechtlichen Institutionen und Regelwerke zur Folge. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten bedienen sich – in Zusammenarbeit mit internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen (Internationaler Währungsfonds, Weltbank, Welthandelsorganisation) – politischer, wirtschaftlicher oder auch militärischer Bündnisse, um die Interessen der Kapitaleigner zu schützen und zu fördern. 14. Wir beobachten also eine dramatische Konvergenz zwischen der Wirtschaftskrise einerseits und dem Integrationsprozess von wirtschaftlicher Globalisierung und Geopolitik andererseits, und dies vor dem Hintergrund der neoliberalen Ideologie. Es handelt sich hier um ein globales System,

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das die Interessen der Mächtigen verteidigt und schützt. Wir sind alle davon betroffen und keiner kann sich ihm entziehen. In biblischen Begriffen wird ein solches System der Anhäufung von Reichtum auf Kosten der Armen als Treuebruch gegenüber Gott angesehen, das verantwortlich ist für vermeidbares menschliches Leid und Mammon genannt wird. Jesus sagte, wir könnten nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen (Lk 16,13). Bekenntnis des Glaubens (confession of faith) angesichts wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung 15. Eine Glaubensverpflichtung kann ihre Ausdrucksform gemäß der jeweiligen regionalen und theologischen Tradition in unterschiedlicher Weise finden: als Bekenntnis, als gemeinsamer Akt des Bekennens, als Glaubensverpflichtung oder als ein Akt der Treue (being faithful) gegenüber dem Bund Gottes. Wir haben das Wort Bekennen/Bekenntnis gewählt, nicht im Sinne eines klassischen Lehrbekenntnisses (doctrinal confession)  – denn dazu ist der Reformierte Weltbund nicht befugt  –, sondern um auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer aktiven Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sowie auf den Appell von Debrecen hinzuweisen. Wir laden die Mitgliedskirchen ein, sich unser gemeinsames Zeugnis anzueignen und sich damit auseinanderzusetzen. 16. Vor dem Hintergrund unserer reformierten Tradition und der Erkenntnis der Zeichen der Zeit erklärt die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes, dass die Frage der globalen wirtschaftlichen Gerechtigkeit eine für die Integrität unseres Gottesglaubens und unsere Nachfolgegemeinschaft als Christinnen und Christen grundlegende Frage ist. Wir glauben, dass die Integrität unseres Glaubens auf dem Spiel steht, wenn wir uns gegenüber dem heute geltenden System der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung ausschweigen oder untätig verhalten. Darum bekennen wir vor Gott und einander: 17. Wir glauben an Gott, den Schöpfer und Erhalter allen Lebens, der uns zu Partnerinnen und Partnern der Schöpfung und Erlösung der Welt beruft. Wir leben unter der Verheißung, dass Jesus Christus gekommen ist, damit alle Leben in Fülle haben (Joh 10,10). Gestärkt und geleitet vom Heiligen Geist öffnen wir uns der Wirklichkeit der Welt. 18. Wir glauben, dass Gott über die ganze Schöpfung regiert. „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist“ (Ps 24,1). 19. Darum sagen wir Nein zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, wie sie uns vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird. Nein aber auch zu allen anderen Wirtschaftssystemen – einschließlich der Modelle absoluter Planwirtschaft –, die Gottes Bund verachten, indem sie die Notleidenden, die Schwächeren und die Schöpfung in ihrer Ganzheit der Fülle des Lebens berauben. Wir weisen jeden Anspruch auf ein wirt-

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schaftliches, politisches und militärisches Imperium zurück, das Gottes Herrschaft über das Leben umzustürzen versucht und dessen Handeln im Widerspruch zu Gottes gerechter Herrschaft steht. 20. Wir glauben, dass Gott einen Bund mit der ganzen Schöpfung eingegangen ist (Gen 9,8–12). Gott hat eine Gemeinschaft auf Erden ins Leben gerufen, die auf einer Vision der Gerechtigkeit und des Friedens beruht. Der Bund ist eine Gnadengabe, die nicht auf dem Marktplatz käuflich ist (Jes 55,1). Er ist eine Ökonomie der Gnade für den Haushalt der ganzen Schöpfung. Jesus zeigt uns, dass dies ein alle einschließender Bund ist, in dem die Armen und Ausgegrenzten die bevorzugten Partner sind. Er ruft uns dazu auf, die Gerechtigkeit gegenüber „seinen geringsten Brüdern und Schwestern“ (Mt 25,40) in den Mittelpunkt der Gemeinschaft des Lebens zu stellen. Die ganze Schöpfung ist gesegnet und in diesem Bund eingeschlossen (Hos 2,18 ff.). 21. Darum sagen wir Nein zur Kultur des ungebändigten Konsumverhal­ tens, der konkurrierenden Gewinnsucht und zur Selbstsucht des neo­ liberalen globalen Marktsystems oder jedes anderen Systems, das von sich behauptet, es gäbe keine Alternative. 22. Wir glauben, dass jede Wirtschaftsform zur Gestaltung des Lebenshaushaltes, wie er uns durch Gottes Bund zur Erhaltung des Lebens geschenkt wurde, sich vor Gott zu verantworten hat. Wir glauben, dass die Wirtschaft dazu da ist, um der Würde und dem Wohl der Menschen in Gemeinschaft im Rahmen der Nachhaltigkeit der Schöpfung zu dienen. Wir glauben, dass wir Menschen berufen sind, uns für Gott und gegen den Mammon zu entscheiden, und dass das Bekennen unseres Glaubens ein Akt des Gehorsams ist. 23. Darum sagen wir Nein zur unkontrollierten Anhäufung von Reichtum und zum grenzenlosen Wachstum, die schon jetzt das Leben von Millionen Menschen gefordert und viel von Gottes Schöpfung zerstört haben. 24. Wir glauben, dass Gott ein Gott der Gerechtigkeit ist. In einer Welt voller Korruption, Ausbeutung und Habsucht ist Gott in einer besonderen Weise der Gott der Notleidenden, der Armen, der Ausgebeuteten, der ungerecht Behandelten und der Missbrauchten (Ps 146,7–9). Gott fordert gerechte Beziehungen zu allen Geschöpfen. 25. Darum sagen wir Nein zu jeder Ideologie und jedem wirtschaftlichen Regime, das den Profit über die Menschen stellt, das nicht um die ganze Schöpfung besorgt ist und jene Gaben Gottes, die für alle bestimmt sind, zum Privateigentum erklärt. Wir weisen jede Lehre zurück, die zur Rechtfertigung jener dient, die einer solchen Ideologie im Namen des Evangeliums das Wort reden oder ihr nicht widerstehen. 26. Wir glauben, dass Gott uns dazu aufruft, uns an die Seite der Opfer der Ungerechtigkeit zu stellen. Wir wissen, was der Herr von uns fordert,

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„das Gerechte zu tun, Liebe zu üben und demütig zu sein vor unserem Gott“ (Mi 6,18). Wir sind dazu aufgerufen, uns gegen jede Form der Ungerechtigkeit in der Wirtschaft und gegen die Zerstörung der Erde zu wenden, damit „das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Am 5,24). 27. Darum sagen wir Nein zu jeder Theologie, die den Anspruch erhebt, dass Gott nur auf der Seite der Reichen stehe, und dass Armut die Schuld der Armen sei. Wir weisen jegliche Form der Ungerechtigkeit zurück, die gerechte Beziehungen zerstört – Geschlecht, Rasse, Klasse, Behinderung, Kaste. Wir weisen jede Theologie zurück, die vorgibt, menschliche Interessen dürften die Natur beherrschen. 28. Wir glauben, dass Gott uns dazu aufruft, die Schreie der Armen und das Stöhnen der Schöpfung zu hören und dem missionarischen Auftrag Jesu zu folgen, der gekommen ist, damit alle Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10). Jesus bringt den Unterdrückten Gerechtigkeit und den Hungernden Brot; er befreit die Gefangenen und gibt den Blinden das Augenlicht (Lk 4,18); er unterstützt und schützt die Bedrängten, die Fremdlinge, die Waisen und die Witwen. 29. Darum sagen wir Nein zu jeder kirchlichen Praxis oder Lehre, die die Armen und die Bewahrung der Schöpfung in ihrer Missionsarbeit nicht berücksichtigt, die deshalb denen, die „zu stehlen, zu schlachten und umzubringen“ (Joh 10,10) kommen, Beistand leisten, statt dem „guten Hirten“ zu folgen, der für das Leben aller gekommen ist (Joh 10,11). 30. Wir glauben, dass Gott alle Männer, Frauen und Kinder von überall her zusammenruft, sowohl Reiche wie Arme, um die Einheit der Kirche und deren Mission aufrechtzuerhalten, damit die Versöhnung, zu der Jesus uns beruft, sichtbar werden kann. 31. Darum sagen wir Nein zu jedem Versuch, im kirchlichen Leben Gerechtigkeit und Einheit voneinander zu trennen. 32. Wir glauben, dass der Geist uns dazu aufruft, Rechenschaft für die Hoffnung abzugeben, die durch Jesus Christus in uns ist, und zu glauben, dass Gerechtigkeit siegen und Frieden herrschen wird. 33. Wir verpflichten uns, einen globalen Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit im Haushalt Gottes zu suchen. 34. In Demut bekennen wir diese Hoffnung, im Wissen, dass auch wir unter dem Gericht der Gerechtigkeit Gottes stehen. – Wir sind uns der Mittäterschaft und Mitschuld derer bewusst, die, gewollt oder ungewollt, aus dem gegenwärtigen neoliberalen Weltwirtschaftssystem Gewinn ziehen; wir erkennen, dass dies sowohl auf Kirchen wie auf Mitglieder unserer eigenen reformierten Familie zutrifft, und wir rufen deshalb zum Bekennen unserer Sünde auf.

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– Wir geben zu, dass wir in der Kultur des Konsumverhaltens, der konkurrierenden Gewinnsucht und der Selbstsucht des gegenwärtigen Wirtschaftssystems gefangen sind. Allzu oft hat das auch unsere eigene Spiritualität durchdrungen. – Wir bekennen unsere Sünde, dass wir die Schöpfung missbraucht haben, und dass wir unsere Aufgabe als Hüter und Bewahrerinnen der Natur verfehlt haben. – Wir bekennen unsere Sünde, dass die Zerrissenheit der reformierten Familie unsere Fähigkeit, die Mission Gottes in ihrer Ganzheit auszuführen, beeinträchtigt hat. 35. Wir glauben – im Gehorsam gegenüber Jesus Christus –, dass die Kirche zum Bekenntnis, zum Zeugnis und zum Handeln berufen ist, selbst wenn die Obrigkeit und das menschliche Gesetz dies verbieten sollten und dies Bestrafung und Leiden nach sich ziehen kann (Apg 4,18 ff.). Jesus ist der Herr. 36. Wir schließen uns zusammen zum Lobe Gottes, Schöpfer, Erlöser und Geist, „der die Gewaltigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhebt, die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen leer ausgehen lässt“ (Lk 1,52 f.). Wir schließen einen Bund für Gerechtigkeit. 37. Indem wir unseren Glauben gemeinsam bekennen, schließen wir einen Bund im Gehorsam gegen Gottes Willen. Wir verstehen diesen Bund als einen Akt der Treue in gegenseitiger Solidarität und verlässlichen Bindungen. Was uns verbindet, ist der gemeinsame Einsatz für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit, sowohl in unserem uns allen gemeinsamen globalen Kontext als auch in unserem jeweiligen regionalen und lokalen Umfeld. 38. Auf diesem gemeinsamen Weg haben einige Kirchen bereits ihre Verpflichtung in Form eines Glaubensbekenntnisses ausgedrückt. Wir bitten diese Kirchen dringend, ihr Bekenntnis auf regionaler und lokaler Ebene in konkretes Handeln umzusetzen. Andere Kirchen, die sich bereits auf diesen Prozess eingelassen und entsprechende Aktionen eingeleitet haben, bitten wir ernsthaft um ein weiteres Engagement im Bereich der Aufklärung, des Bekenntnisses und konkreten Handelns. Jene Kirchen, die noch am Anfang des Prozesses, nämlich des Erkennens stehen, bitten wir im Sinn unserer gegenseitigen Verantwortung als Bundesschlusspartner, ihren Aufklärungsprozess zu vertiefen und die Frage eines Bekenntnisaktes zu erwägen. 39. Die Generalversammlung ruft die Mitgliedskirchen des RWB auf der Grundlage dieser Bundespartnerschaft auf, die nicht ganz einfache, prophetische Aufgabe zu übernehmen, ihren Ortsgemeinden den Sinn dieses Bekenntnisses zu vermitteln und zu interpretieren. 40. Die Generalversammlung bittet die Mitgliedskirchen des RWB, dieses Bekenntnis umzusetzen und sich die Empfehlungen des Ausschusses für

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öffentliche Angelegenheiten über wirtschaftliche Gerechtigkeit und ökologische Fragen anzueignen. 41. Die Generalversammlung beauftragt (commits) den Reformierten Weltbund, sich zusammen mit anderen Gemeinschaften (communions) – der ökumenischen Gemeinschaft, der Gemeinschaft anderer Religionen, Bewegungen der Zivilgesellschaft und Volksbewegungen  – für eine gerechte Wirtschaft und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen und ruft unsere Mitgliedskirchen auf, das Gleiche zu tun. 42. Abschließend erklären wir mit Nachdruck, dass wir uns verpflichten, unsere Zeit und unsere Energie darauf zu verwenden, die Wirtschaft und die Umwelt zu verändern, zu erneuern und wiederherzustellen und damit das Leben zu wählen, auf dass wir und unsere Nachkommen leben können (Dtn 30,19).

39. Neue Glaubenserklärung der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs (2017) Einleitung Die Nationalsynode der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs (EPUdF) nahm am 28. Mai 2017 in Lille die Glaubenserklärung an. Sie wird nicht als Glaubensbekenntnis (confession de foi) tituliert, sondern als Glaubenserklärung (déclaration de foi) und verbindet dreierlei: Die 2013 vollzogene Verwaltungsunion lutherischer und reformierter Gemeinden zur EPUdF bildet den Hintergrund (Bekenntnisurkunde), auch wenn es sich nicht um ein normatives Unionsbekenntnis handelt. Sie ist eine zeitgenössische Erklärung des Glaubens nach außen (Erklärung als Erläuterung des Glaubens). Und sie ist Ausdruck des gemeinsamen Glaubens nach innen für den Gottesdienst und das Gemeindeleben (Bekenntnisakt). Mit der Glaubenserklärung verbinden sich eine Vergewisserung und Identitätsstärkung nach innen und ein Ruf nach Aufmerksamkeit und Annahme nach außen. Entsprechend ihrer Stellung in einer säkularisierten Gesellschaft versteht sich die EPUdF als „Kirche der Zeug*innen“. Dem Prozess der „Erklärung von Einheit“ in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) folgend „erklärt“ (im doppelten Sinne: deklariert und erläutert) eine Kirche aus reformierten und lutherischen Gemeinden ihre Einheit, verwirklicht und wahrt sie. Sie haben dasselbe Verständnis des Evangeliums von Gottes freier Gnade, pflegen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, bilden Theologinnen und Theologen gemeinsam aus. Sie wollen ihre Kirchengemeinschaft einüben und mit Leben erfüllen. Deshalb reichte ein traditionelles Bekenntnis als gemeinsamer Konsenstext nicht aus bzw. war nicht erwünscht. Die Praxisorientierung und Nähe zu den Gemeinden kamen durch einen langen partizipatorischen Entstehungsprozess zum Ausdruck: 2012 Gründungsprozess der EPUdF; 2014 Wegbegleiter für die Gemeinden „40 Wochen gemeinsam unterwegs“ und Arbeit an der Glaubenserklärung auf lokaler Ebene; 2015 Arbeit unter den Schwerpunktthemen Zeugnis, Widerstand, Christsein in der Gesellschaft, Bibellesen auf regionaler Ebene; 2016 „Die Glaubenserklärung: Wie kann sie uns helfen zu bezeugen, zu widerstehen, Christ in der Gesellschaft zu sein und die Bibel zu lesen?“ mit nationalen Konsultationen und internationalen Beratungen; 2017 Annahme der Erklärung auf der Nationalsynode. Die doppelte Ausrichtung nach innen und außen wird auch im Aufbau deutlich. Nach einer Überschrift und historischen Einordnung wird

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zunächst die Kernbotschaft der Reformation und damit die Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums formuliert. Im Anschluss an die grundlegenden Lebensäußerungen der Kirche folgen Aussagen zu den drei Glaubensartikeln. Orientiert an der weltweiten Ökumene spielt im dritten Artikel ein Abschnitt auf den Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung an. Am Schluss findet man ekklesiologische Aussagen. Die Erklärung will Außenstehenden deutlich machen, was Kirche ist. Der gleichwohl gewollte gottesdienstliche Gebrauch zeigt sich an der Schlussdoxologie aus Ps 118,1. Die Funktion der „Erklärung“ des Glaubens nach außen zeigt sich in allgemein verständlichen Begriffen wie „Wort“, „Unheil“, „solidarisch“. Der Glaube soll als dynamisch und erlebbar beschrieben werden. Ob die hermeneutische Gratwanderung zwischen theologischer Exaktheit eines Bekenntnisses und Offenheit einer Erklärung nach außen gelungen ist, muss abgewartet werden. Die Erklärung soll den Charakter einer Predigt haben und vermeidet theologische Fachbegriffe sowie Kirchensprache (z. B. „Sünde“). Andererseits ist sie ein Konsens zweier früher getrennten Kirchen und soll im Gottesdienst gesprochen werden.  Theologisch pointiert ist der Anschluss an die reformatorische Kern­ botschaft der radikalen Gnade Gottes. Darin zeigt sich die Glaubenserklärung als Ergebnis des Bemühens in der GEKE um Einheit und Kommunikation mit der Gesellschaft.  Edition Nouvelle Déclaration de Foi, in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 (Bearb.: Pierre-Yves Kirschleger) Literatur Christian Bonnet, Choisir la confiance. L’Église protestante unie de France, Lyon 2013 Jean Françoise Collange, Die Union der Églises protestantes d’Alsace et de Lorraine ­(UEPAL), in: Johannes Ehmann (Hg.), Die Kirchen der Union. Geschichte – Theologie – Perspektiven, Leipzig 2019, 232–236 Joël Dautheville, Die Union der Église réformée de France und der Église évangélique luthérienne de France (außerhalb von Elsass-Lothringen), in: Johannes Ehmann (Hg.), Die Kirchen der Union. Geschichte – Theologie – Perspektiven, Leipzig 2019, 227–232 Einleitung und Übersetzung: Markus Schaefer

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Neue Glaubenserklärung der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs (2017) Die Nationalsynode der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs hat [bei ihrer Tagung] in Lille vom 25. bis 28. Mai 2017 folgende Glaubenserklärung angenommen. In Jesus aus Nazareth offenbart Gott seine Liebe zu den Menschen und zur Welt. Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs verkündigt dies gemeinsam mit den anderen christlichen Kirchen. In den Spuren der Reformation verkündigt sie diese frohe Botschaft: Gott nimmt jeden Menschen so an, wie er ist – ohne jedes Verdienst. In diesem Evangelium der Gnade, im Herzen der Bibel, kommt Gottes Geist zum Ausdruck. Er ermöglicht der Kirche, auf die biblischen Texte zu hören und sich von ihnen im Alltag leiten zu lassen. Gott hat uns geschaffen und lädt uns ein, im Vertrauen auf ihn zu leben. Wir missbrauchen jedoch dieses Vertrauen und sind von einer Welt umgeben, die vom Bösen und vom Unheil geprägt ist. Doch mit Jesus, der als der von den Propheten angekündigte Christus erkannt wurde, hat sich die Mauer einen Spalt breit geöffnet: Das Reich Gottes ist bereits unter uns am Werk. Wir glauben, dass Gott in Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, das Böse auf sich genommen hat. Als Vater der Güte und des Erbarmens wohnt er in unserer Zerbrechlichkeit und bricht so die Macht des Todes. Er macht alles neu!  Durch seinen Sohn Jesus werden wir seine Kinder. Er richtet uns immer wieder auf: von der Angst zum Vertrauen, von der Resignation zum Widerstand, von der Verzweiflung zur Hoffnung. Der Heilige Geist macht uns frei und verantwortlich durch die Verheißung eines Lebens, das stärker ist als der Tod. Er ermutigt uns, die Liebe Gottes in Wort und Tat zu bezeugen. Gott kümmert sich um alle seine Geschöpfe. Er ruft uns dazu auf, gemeinsam mit anderen, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, die Nöte zu hören und jegliches Elend zu bekämpfen: existenzielle Sorgen,

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soziale Brüche, Hass auf den anderen, Diskriminierung, Verfolgung, Gewalt, Ausbeutung der Erde, Maßlosigkeit. Durch die Gaben, welche die Kirche von Gott erhält, schöpft sie die Mittel, um ihren Dienst mit Freude zu leben und zu verrichten: das Wort zu verkündigen, die Taufe und das Abendmahl zu feiern sowie zu beten, die Bibel zu lesen, Gemeinschaft zu leben und mit den Schwächsten solidarisch zu sein. Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs versteht sich als ein Gesicht der weltweiten Kirche. Sie bezeugt, dass die Wahrheit, von der sie lebt, immer größer als sie selber ist. Dem, der die Liebe ist, die alles übersteigt, was wir ausdrücken und uns vorstellen können, sagen wir unseren Dank: „Dankt Gott, denn er ist gut zu uns, und seine Treue dauert für immer an“ (Ps 118,1).

40. Gemeinsames Verständnis des christlichen Glaubens und Glaubenserklärung der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (2019)

Einleitung Am 17. August 1945 erklärte Indonesien seine Unabhängigkeit von der jahrhundertelangen Kolonialherrschaft der Niederlande, die aber erst am 27. Dezember 1949 von den Niederlanden anerkannt wurde. Damit stand der junge indonesische Staat vor der großen Herausforderung, die vielen Volksgruppen und Kulturen dieses riesigen Archipels zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen. In den Jahrhunderten zuvor hatten verschiedene Kirchen und Missionsgesellschaften unabhängig voneinander auf den über 17.000 Inseln des indonesischen Archipels missionarisch gearbeitet. Daraus waren bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts viele verschiedene Kirchen entstanden, die ab 1930 selbständig wurden. Auch diese verschiedenen protestantischen Kirchen in Indonesien hatten das tiefe Verlangen, zu einer Einheit zusammenzuwachsen. Deshalb wurde bereits am 25. Mai 1950 der indonesische Kirchenrat (Dewan Gereja-gereja di Indonesia, DGI) gegründet mit dem erklärten Ziel, „eine geeinte Kirche in Indonesien gemäß dem Auftrag von Jesus Christus zu bilden“ (Manifes Pembentoekan DGI). Um dieses Streben nach Einheit abzubilden, änderte der indonesische Kirchenrat 1984 seinen Namen in „Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien“ (Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia, PGI). Dabei möchte der PGI „die Mitgliedskirchen nicht uniformieren oder als übergeordnete Kirche dominieren, sondern die erstrebte Einheit ist […] eine Einheit, die durch gemeinsame Aktivitäten aufgrund einer gemeinsamen Vision und Mission wächst“ (Geschichte des PGI nach https://pgi.or.id/sejarah-singkat/ Abruf: 26.6.2023). Nach einem ersten Versuch eines gemeinsamen Bekenntnisses 1967 wurde diese gemeinsame Vision und Mission 1984 umfassend in den „Dokumenten der Einheit der Kirche“ formuliert, die seitdem alle fünf Jahre bei jeder Vollversammlung des PGI modifiziert oder teilweise ganz neu formuliert werden. Diese Dokumente sind in der aktuellen Version von 2019: 1. Glaubenserklärung, 2. (Brenn-)Punkte der gemeinsamen Berufung, 3. Gemeinsames Verständnis des christlichen Glaubens, 4. Verpflichtung zur Einheit und 5. (Kirchen-)ordnung der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien.

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Den Charakter eines Glaubensbekenntnisses haben vor allem das „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“ sowie die sehr viel kürzere „Glaubenserklärung“ von 2019, die hier erstmals in Übersetzung vorgelegt werden. Manche Differenzen in Fragen der Sakramente, der kirchlichen Ämter und anderes wurden dabei bewusst ausgeklammert. Deshalb werden das „Gemeinsame Verständnis“ und die „Glaubenserklärung“ strenggenommen auch nicht als gemeinsames Glaubensbekenntnis verstanden, sondern als Dokumente auf dem Weg zu einem solchen gemeinsamen Glaubensbekenntnis der Mitgliedskirchen des PGI. Eine Übersetzung des „Gemeinsamen Verständnisses des christlichen Glaubens“ wurde bisher nur in niederländischer Sprache in der Fassung von 1984 veröffentlicht. Der indonesische Text wurde allerdings bei der Vollversammlung des PGI von 1989 nochmals sehr stark umgearbeitet und ergänzt. Bei der Vollversammlung von 1994 wurden zwei weitere Punkte hinzugefügt, bei den folgenden Vollversammlungen des PGI kam es noch zu ganz geringfügigen sprachlichen Veränderungen, aber leider auch zu einigen Druckfehlern, die sich aber beim Vergleich der verschiedenen Versionen in der hier vorliegenden Übersetzung ausmerzen ließen. Eine wesentlich kürzere „Glaubenserklärung“ wurde 2019 neu hinzugefügt. Das „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“ gehört heute zu den wichtigen und am häufigsten zitierten protestantischen theologischen Texten in Indonesien. Im Vorwort zur Sammlung von neueren reformierten Bekenntnissen schreibt Lukas Vischer über Unionsbekenntnisse: „Auch diese Bekenntnisse sind in gewissem Sinne reformierte Bekenntnisse. Denn sind nicht Aussagen, die eine reformierte Kirche zusammen mit anderen Kirchen zu machen vermag, relevant für alle reformierten Kirchen?“ (Reformiertes Zeugnis heute, VI). Erst recht gilt dies für das „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“, das unter der Federführung mehrerer reformierter Mitgliedskirchen des PGI entstand und weiterentwickelt wurde. Zwar haben einige der reformierten Kirchen in Indonesien diesem „Gemeinsamen Verständnis“ noch ein eigenes, regionales Glaubensbekenntnis an die Seite gestellt; doch keines dieser regionalen reformierten Bekenntnisse hat in Indonesien je eine solche Bedeutung erlangt wie das „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“.

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Editionen Pernyataan Iman Gereja-gereja Anggota Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia/Pemahaman Bersama Iman Kristen Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia, in: Dokumen Keesaan Gereja Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia (DKG/PGI) 2019–2024, hg. v. Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia, Jakarta 2020, 1 f.59–78 Gemeinsames Verständnis des christlichen Glaubens und Glaubenserklärung der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (2019), in: RefBS, Bd. 4/3: 1967–2019 ­(Bearb.: Christian Goßweiler) Niederländische Übersetzung der Version von 1984 De Raad/Gemeenschap van Kerken in Indonesië (Dewan/Persekutuan Gereja-gereja di Indonesia, DGI/PGI), 1984, in: Indonesische Geloofsbelijdenissen, hg. v. Thomas van den End/Jan A. B. Jongeneel/Marc R. Spindler (IIMO Research Pamphlet, Nr. 20), Leiden 1986, 145–151 Literatur The Ecumenical Movement, in: A history of Christianity in Indonesia, hg. v. Jan ­Sihar Aritonang/Karel Steenbrink (Studies in Christian mission, 35), Leiden 2008, ­822–865, bes. 837 Christian Goßweiler, Aktuelle Bekenntnisbildung und Bekenntniskontinuität in Indonesien, in: Maren Bienert/Marco Hofheinz/Carsten Jochum-Bortfeld (Hg.), Neuere reformierte Bekenntnisse im Fokus. Studien zu ihrer Entstehung und Geltung, Zürich 2017, 255–269 Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition, hg. v. Lukas Vischer, Neukirchen-Vluyn 1988 Einleitung und Übersetzung: Christian Goßweiler

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Gemeinsames Verständnis des christlichen Glaubens (2019) Grundlage der Überlegungen Dank der Kraft des Heiligen Geistes, durch die der Rat der Kirchen in Indonesien (DGI) kurz vor Pfingsten, am 25. Mai 1950, ins Leben gerufen wurde, stimmen wir, die Mitgliedskirchen der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (DGI/PGI), untereinander überein und sind fest entschlossen, unsere Aufgabe und unsere Berufung als Kirchen des Herrn in Indonesien in einer Atmosphäre und im Geist der Gemeinschaft zu verwirklichen, nicht jeder für sich oder voneinander getrennt. Wir haben eine gemeinsame Geschichte begonnen und sind auf dem Weg als die eine Kirche in Indonesien, die hinwächst auf die Vollkommenheit als die eine Kirche des Herrn an allen Orten und zu aller Zeit. Wir bekennen das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel, die aus dem Ringen des Glaubens in der Zeit der Alten Kirche entstanden sind, als wahre und vollkommen in der Bibel gründende Bezeugung des christlichen Glaubens und als Symbol der Einheit der Kirche des Herrn an allen Orten und zu aller Zeit. Wir bekennen die Glaubensbekenntnisse, die im Rahmen der Geschichte der Erneuerung der Kirche (Reformation) entstanden sind, als Teil der kirchlichen Überlieferung, die unseren Glauben bereichert. Wir verstehen die unterschiedlichen Glaubensbekenntnisse, die als Ergebnis der Auseinandersetzung um das Bekennen des Glaubens in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in verschiedenen Mitglieds­ kirchen der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (PGI) entstanden sind und entstehen, als Teil unseres gemeinsamen Zeugnisses, das auf die Bibel gegründet ist. Um der Durchführung unseres Auftrags und unserer Berufung willen und indem wir ganz Indonesien als ein Feld für unser gemeinsames Zeugnis und unseren gemeinsamen Dienst ansehen, sind wir bei der 14. Vollversammlung im Wisma Kinasih in Caringin bei Bogor von 29. November bis 5. Dezember 2004 übereingekommen, das „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“ in Indonesien zu verbessern und weiterzuentwickeln, welches von der 10. Vollversammlung der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien (DGI/PGI) in Ambon im Jahr 1984 festgelegt worden war. Diese Weiterentwicklung und Verbesserung ist dazu gedacht, unser Ringen umso besser widerzuspiegeln, den christlichen Glauben inmitten der indonesischen Gesellschaft und dem indonesischen Volk mit Leben zu füllen. Dieses „Gemeinsame Verständnis des christlichen Glaubens“ ist gedacht als ein vorbereitender Schritt für ein gemeinsames Glaubensbekenntnis sowie als unsere gemeinsame Grundlage und Quelle der theo-

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logischen Absicht, um unseren Weg als Kirchen fortzusetzen. Die Artikel des „Gemeinsamen Verständnisses des christlichen Glaubens“ in Indonesien sind folgende: I. Gott Wir glauben: 1. Dass es wahr ist: „Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer“ (Dtn 6,4). Außer ihm ist kein Gott (Ex 20,3; Dtn 5,7). Er ist der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und alles, was darinnen ist, und der sie erhält bis ans Ende der Welt (Gen 1,2; Ps 24,1 f.; 89,12; 104,1 ff.; Kol 1,16). Gott offenbart sich im Werk seiner Schöpfung und in der Geschichte der Menschheit (Ps 19,2 f.; Röm 1,19 f.) sowie ganz besonders und vollkommen in Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn (Joh 1,18). Getrieben durch den Heiligen Geist erkennen wir ihn in Jesus Christus als den Vater und beten ihn an, denn alle, die der Geist Gottes treibt, sind Gottes Kinder (Röm 8,14 f.). 2. Gott hat mit den Menschen vielfach und in vielerlei Weise durch die Propheten gesprochen und am Ende dieser Tage durch Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn (Hebr 1,1 f.). In Jesus Christus hat sich Gott offenbart als ein Gott, der vergibt und den Menschen vor der Sündenstrafe rettet, indem er sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm und den Menschen gleich wurde. In seiner Erscheinung als ein Mensch erniedrigte er sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne: „Jesus Christus ist der Herr“, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,6–11). 3. Gott ist fortwährend in der Welt und in der Kirche gegenwärtig und arbeitet in ihr durch den Heiligen Geist, der den Menschen vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit (Röm 8,2; 2. Kor 3,17). Dieser Heilige Geist belebt, erneuert, erbaut, vereint, stärkt, diszipliniert und festigt die Kirche und gibt ihr Vollmacht, Zeugin zu werden. Er überführt die Welt der Sünde, der Gerechtigkeit und des Gerichts, und er wird die Glaubenden in aller Wahrheit Gottes leiten (Ez  37; Apg 1,8; Eph 3,16 f.; 4,3 f.; Röm 8,1; 1. Kor 12,7.12; 14,26.33; 2. Tim 1,7; Joh 16,8–11.13). Deshalb bekennen, verherrlichen und bezeugen wir Gott, der all-eins ist und ewig: nämlich Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist (Jes 43,10; 44,6; Mt 28,19; 2. Kor 13,13; Phil 4,20; Hebr 13,8; Apk 4,8).

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II. Schöpfung und Erhaltung Wir glauben: 4. Die ganze Welt, der Himmel und die Erde mit allem, was darinnen ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, sind Eigentum und Schöpfung Gottes (Gen 1 f.; Ps 24,1 f.; 89,12; Jes 44,24; Jer 27,5; Kol 1,16). Die ganze Schöpfung ist sehr gut, doch darf alles, was Gott geschaffen hat, nicht vergöttert und angebetet werden (Gen 1,31; Ex 20,3–5; Röm 1,18–25). 5. Die ganze Schöpfung hat Gott in einen Zustand der Harmonie gestellt, die sich gegenseitig am Leben erhält, entsprechend seiner erhaltenden Gnade für diese Schöpfung (Gen 1,20–30; 2,15.19; Ps 104,10–18; Jes  45,7 f.). Gott will nicht, dass seine Schöpfung chaotisch wird und sich gegenseitig zerstört (Gen 8,21 f.; 9,8–17), obwohl die Sünde die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen hat und dazu führt, dass sie mit uns stöhnt und seufzt in Erwartung der Zeit der Erlösung (Röm 8,20–22). Gott hat dem Menschen das besondere Mandat gegeben mitzuwirken, seine ganze Schöpfung zu bewahren und zu beherrschen (Gen 1,26–28; 2,15). Der Mensch trägt Verantwortung, sich um die Bewahrung und den Fortbestand der von Gott geschaffenen Natur zu bemühen. Die Zerstörung der Schöpfung, der Natur und der Umwelt ist im Grunde Widerstand gegen Gott, der alles geschaffen hat und in Liebe und Treue bewahrt. 6. Vom Anfang bis zum Ende regiert, erhält und führt Gott der Herr seine gesamte Schöpfung in treuer und gerechter Weise (Ps 145,9; 146,6). Und indem er beständig allen Kräften wehrt, die seine Schöpfung zerstören wollen, leitet er seine gesamte Schöpfung zur Vollkommenheit in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde (Jes 1,10; 51,9–11; 2. Petr 3,13; Apk 21,1–5), auf der alle Geschöpfe, die auf Erden und unter der Erde sind, sich beugen und bekennen: „Jesus Christus ist der Herr“, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,10 f.). III. Der Mensch Wir glauben: 7. Gott schuf den Menschen zu seinem Bild (Gen 1,26 f.). Der Mensch wurde als Mann und Frau erschaffen in gleicher Würde, mit dem Mandat, fruchtbar zu sein, sich zu mehren, die Erde zu füllen und damit zugleich die gesamte Schöpfung Gottes zu beherrschen, zu bearbeiten und zu pflegen (Gen 1,26–28; 2,15–18). Um diese Aufgabe und dieses Mandat zu erfüllen, hat Gott den Menschen mit Verstand und Weisheit ausgestat-

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tet sowie ihn mit Herrlichkeit, Ehre und Macht gekrönt (Ps 8,6 f.). Der Mensch wurde als Einheit aus Leib, Seele und Geist geschaffen. Deshalb ist er berufen, das Leben leiblich und geistlich unversehrt im Rahmen seiner Verantwortung gegenüber Gott zu bewahren (Gen 2,7; 1. Kor 3,16; 6,17–20; 1. Thess 5,23; Jak 2,26). Der Mensch wurde als freies Geschöpf erschaffen, und in dieser Freiheit ist er Gott verantwortlich (Gen 2,16 f.). Außerdem wurde er als Geschöpf erschaffen, das in Gemeinschaft lebt und verpflichtet ist, das gemeinsame Leben in Familie und Gesellschaft zu regeln, so dass es für alle Menschen Nutzen bringt (Gen 2,18). Deshalb hat der Mensch eine Menschenwürde, nämlich Grundrechte und -pflichten, die ihm durch niemanden und durch keine Macht genommen werden dürfen. 8. Der Mensch hat seine Freiheit missbraucht, indem er zurückgewiesen hat, seinen Status als Geschöpf Gottes anzunehmen, und hat versucht, zu sein wie Gott (Gen 3,5 f.22). Er wurde vom Teufel verführt, hat gegen Gott rebelliert und ist gegen ihn aufgestanden (Gen 3,1–7; 11,1–9). So ist der Mensch von Gott entfremdet und zugleich von seinen Mitmenschen und von der ihn umgebenden Lebenswelt. Unter Mühsal lebt er und leidet (Gen 3,17–19.24). Er wird vom Teufel beherrscht, wird zum Knecht der Sünde, als der Sünde Sold empfängt er den Tod und das Verderben (Röm 6,17–20.23). Der Mensch kann sich nicht mehr durch sein eigenes Tun von der Knechtschaft der Sünde und des Verderbens befreien. Da ist kein Gerechter, auch nicht einer (Röm 3,10). Als Folge davon kann der Mensch seinen Auftrag und sein Mandat nicht mehr nach dem Willen Gottes erfüllen, er stellt alles auf den Kopf und ist bestrebt, sich an die Stelle Gottes zu setzen (Gen 11,1–9). Alles Dichten und Trachten des Menschen ist böse immerdar (Gen 6,5). Das menschliche Leben ist ohne Hoffnung. Der Mensch ist Staub und kehrt zum Staub zurück (Gen 3,19; Koh 3,19–21). Sein Sündenfall hat die ganze Schöpfung in das Verderben mitgerissen, und das Leben auf der Erde ist geschädigt. 9. Gott aber liebt den Menschen, den er nach seinem Bild geschaffen hat, fortwährend. Er will nicht, dass der Mensch verlorengehe, sondern dass er gerettet werde (Joh 3,16; Gen 6,8). Deshalb hat Gott den Menschen von Anfang an beständig bewahrt, auch als er in Sünde fiel und gegen ihn rebelliert hat (Gen 3,21; 4,15; 6,8.13; Mt 20,1–16). Die große Liebe Gottes, die den Menschen aus der Macht der Sünde und der Verlorenheit rettet und seine Gottesbeziehung wiederherstellt, wird vollkommen offenbar in Jesus Christus (Joh 3,16; Röm 3,22–26; 5,15.17.21).

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IV. Die Erlösung Wir glauben: 10. Gott der Schöpfer liebt die Welt fortwährend, obwohl der Mensch in Sünde gefallen und die Erde verdorben und voll von Gewalttätigkeit ist. Für eine derartige Welt hat Gott seinen eingeborenen Sohn gegeben, und in ihm hat er Erlösung für die Menschen, die glauben, erworben (Joh 3,16; Apg 16,31). Nur bei ihm kann der Mensch die ewige Rettung erlangen, welche die Menschheit durch alle Zeiten hinweg und auf vielerlei Weise sucht (Apg 4,12; Joh 14,6). Diese Erlösung hat den Menschen wegen Jesus Christus erreicht, der, obwohl er in göttlicher Gestalt war, es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm, den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt ward. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz, und Gott hat ihn auferweckt von den Toten als Erstling für alle Glaubenden (Phil 2,6–8; 1. Kor 15,20–23). 11. Gott setzt seinen Heilsplan für den Menschen um in Christus, der gestorben ist um der Verfehlungen des Menschen willen und der um der Rechtfertigung des Menschen willen auferweckt wurde (Röm 4,25). In Christus versöhnte Gott die Welt mit sich (2. Kor 5,18 f.; Kol 1,20). Der Mensch empfängt in Christus von Gott die Vergebung und wird vom Verderben gerettet. Wer glaubt und im Namen Jesu getauft ist, der ist in seinen Tod getauft und mit ihm zusammen auferweckt zu einem neuen Leben als Mensch, der ständig erneuert wird (Röm 6,4; 2. Kor 5,17; Kol 2,12; 3,9 f.). Als neuer Mensch ist der Glaubende nicht traurig, wenn er dem Tod gegenübersteht, wie andere Menschen, die keine Hoffnung haben (1. Thess 4,13), weil der neue Mensch, der in Christus gestorben ist, in der Gemeinschaft mit Christus wieder lebendig gemacht wird (1. Kor 15,22). 12. In Christus beginnt Gott, seinen Heilsplan umzusetzen, der bei der Wiederkunft Jesu vollendet wird (Eph 1,9 f.; 1. Kor 15,22–25; Hebr 9,28). Die Glaubenden gehen dieser Vollendung von Gottes Heilsplan entgegen, hin auf die Erfüllung seiner Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde in seinem Reich (Apk 21,5). Dabei sind die Glaubenden als neue Menschen berufen, gute Werke zu tun als Ausdruck der Dankbarkeit für die Erlösung, die Christus aus Gnaden geschenkt hat. Mit ihnen verkündigen sie die Erlösung, die Gott für die ganze Schöpfung bereit hat, welche alle menschlichen Lebensbereiche auf dieser Erde umfasst (2. Petr 3,14; Kol  1,17; 3,15–17; Mk 16,15; Lk 4,18 f.). In diesem Zu-

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sammenhang sind die Glaubenden berufen, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, in Bezug auf alle Dinge, die Gutes für alle Menschen bringen, in Demut und unter ständiger Prüfung aller Geister (1. Thess 5,13–15; 1. Joh 4,1). 13. In der Erwartung der Vollendung dieses Heilsplans Gottes hat er die Regierung als seine Dienerin eingesetzt, die mit dem Recht ausgerüstet ist, gute Taten anzuerkennen und böse Taten zu bestrafen (Röm 13,1–7; 1. Petr 2,13 f.). Die Kirche als Gemeinschaft derer, die in Christus erneuert worden sind, ist deshalb berufen, für die Regierung zu beten und ihr in ihrem Auftrag als Dienerin Gottes zur Seite zu stehen, um des Wohls aller Menschen willen (1. Tim 2,1 f.; Jer 29,7). Jedoch kann die Regierung ihre Macht auch missbrauchen (Apk 13). Deshalb ist die Kirche berufen, in steter Bereitschaft ihren prophetischen Auftrag zu erfüllen, für die Regierung zu beten und ihr zur Seite zu stehen, damit die Regierung die Macht, die ihr durch Gott gegeben wurde, nicht missbraucht (Ps 58,2 f.; Jes 1,16 f.; Mi 6,8). Wenn die Regierung die Grenzen ihrer Macht überschreitet, indem sie etwas fordert, was nur Gott zusteht (Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25), haben die Glaubenden die Pflicht, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (Apg 5,29). 14. In der Erwartung der Vollendung dieses Heilsplans Gottes sind die Glaubenden berufen, zu beten und sich darum zu bemühen, dass auch alle anderen Formen von Macht für das Wohlergehen aller Menschen weiterentwickelt und eingesetzt werden, und dass diese verantwortet werden gegenüber Gott, dem Ursprung aller Macht, sowie gegenüber allen Menschen, deren Leben durch den Gebrauch dieser Macht beeinflusst wird. Zu diesen anderen Formen von Macht zählen beispielsweise die Macht der Religion, der Nation, der Ideologie, der Politik, der sozialen Dinge, der Wirtschaft, des Militärs, der „Adat“ [= Gewohnheitsrecht] und der Kultur, der Wissenschaft, der Technologie und anderes. V. Das Reich Gottes und das neue Leben Wir glauben: 15. Das Erlösungswerk Gottes in Jesus Christus wirkt ganzheitlich an dieser Welt und allem, was in ihr ist. Diese Ganzheitlichkeit wird offenbar in der Gegenwart des Reiches Gottes, das seine Vollkommenheit im neuen Himmel und auf der neuen Erde erreicht (Mk 1,15; 2. Petr 3,13; Apk  21,1). Dieses Reich Gottes ist die rettende Kraft und Herrschaft Gottes, die deutlich wird und Gestalt annimmt in einer Lebenswelt und

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Lebensatmosphäre voll Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Freude, Heilung und Erneuerung des Lebens (Ps 145,11–13; Mt 9,35; Lk 4,21.43; Röm 14,17; 1. Kor 4,20). 16. Das Reich Gottes ist gekommen und wird im Leben der Welt und des Menschen offenbar mit dem Kommen von Jesus Christus, dem König und Retter der Welt (Mk 1,15). Dennoch wird das Reich Gottes erst vollkommen offenbar, wenn im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne: „Jesus Christus ist der Herr“, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,10 f.). Deshalb beten die Kirche und die Glaubenden um diese Vollendung des Reiches Gottes und gehen seiner Vollendung entgegen, indem sie sich beharrlich einsetzen, Zeichen des Reiches Gottes im Alltag aufzurichten (Mt 6,10.33; 25,1–46). 17. Im Rahmen dieser Vollendung des Reiches Gottes ist die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden und jedes ihrer Glieder berufen, ein neues Leben entsprechend den Anforderungen des Reiches Gottes zu führen (Mk 1,15; Eph 4,1; 2. Petr 1,10 f.). Ein Leben, das den Anforderungen des Reiches Gottes entspricht, ist ein Leben, das vom Heiligen Geist Gottes geleitet wird und dessen Früchte Liebe, Freude, Friede, Wahrheit und Gerechtigkeit sind (Eph 5,3–6; Gal 5,21–23). Als Teilhaber des Reiches Gottes bestehen die Glaubenden die Prüfungen in allen Herausforderungen, Verfolgungen und Leiden aufgrund ihrer Hoffnung in Jesus Christus auf die Vollendung des Reiches Gottes (Apg 14,22; 2. Thess 1,3–5; 1. Petr 3,13–15). Die Kirche und die Glaubenden sind außerdem berufen, Zeugnis abzulegen und die Ankunft des Reiches Gottes zu verkündigen, indem sie beharrlich ihren Dienst an allen Menschen in Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden tun. VI. Die Kirche Wir glauben: 18. Der Heilige Geist versammelt seine Gemeinde aus jedem Volk, aus allen Stämmen, allen Nationen und Sprachen zu einer Gemeinschaft, der Kirche, wo Christus der Herr und das Haupt ist (Eph 4,3–16; Apk 7,9). Der Heilige Geist gibt der Kirche auch Kraft und sendet sie in die Welt, um Zeugin zu werden und das Evangelium vom Reich Gottes der ganzen Schöpfung an allen Orten und zu allen Zeiten zu verkündigen (Apg 1,8; Mk 16,15; Mt 28,19 f.). Somit lebt die Kirche nicht für sich selbst. So wie Christus seine himmlische Herrlichkeit verließ, sich selbst entäußerte und Mensch wurde (Joh 1,14; Phil 2,6–8), und wie ihm alle Menschen

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leidtaten, die krank, erschöpft und zerstreut waren wie Schafe, die keinen Hirten haben, so ist auch die Kirche berufen, stets sich selbst zu verleugnen und ihre eigenen Interessen aufzugeben für alle, die unter den verschiedensten Krankheiten und Schwachheit leiden und die sich nach Linderung sehnen, damit sie Befreiung und die Rettung Gottes in Jesus Christus erleben (Mt 9,35–38; Lk 4,18 f.). Dadurch werden die Kirche und ihre Gemeindeglieder wahrhaftig die Bedeutung von Taufe und Abendmahl mit Leben erfüllen können; Taufe und Abendmahl werden stets zusammen mit der Verkündigung des Wortes Gottes im Gottesdienst der Kirche als Zeichen ihres Wesens und ihrer Heiligkeit gefeiert. 19. Die Kirche ist in dieser Welt das wandernde Gottesvolk, das sich stets weiter bewegt zur Fülle des Lebens im Reich Gottes (Gen 12,3; Ps 84,8; Jes 2,2 f.; Hebr 12,1; Apg 1,8; 2. Kor 2,14; Phil 3,12–14). Sie ist herausgefordert, gegenüber dieser Welt offen zu sein, damit sie offen ist für die Einladung Gottes, sich dem Zug der Glaubenden hin zur Erfüllung der Verheißung Gottes von seinem Reich in Jesus Christus anzuschließen (1. Petr 2,9 f.; 3,15 f.). Unter ständigem Prüfen eines jeden Geistes, ob er vom Geist Gottes ist (1. Joh 4,1), ist die Kirche berufen, eine gute Beziehung und Zusammenarbeit mit der Regierung und allen gesellschaftlichen Kräften herzustellen, um damit Gutes und Wohlergehen für alle Menschen herbeizuführen. Dies geschieht im Rahmen der Bemühungen, Zeichen des Reiches Gottes auf dem Weg zu dessen Erfüllung in Jesus Christus aufzurichten und zu gestalten. 20. Die Kirche ist von Gott selber an ihren Platz gestellt, um ihre Aufgabe in einem bestimmten sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext zu erfüllen. So sind auch die Kirchen in Indonesien von Gott selber berufen und an ihren Platz gestellt, um die Aufgabe ihrer Berufung inmitten des Volkes und des freien Einheitsstaates der Republik Indonesien zu erfüllen, welche ihre Souveränität auf der Grundlage der „Pancasila“ [= fünf Säulen der indonesischen Staatsphilosophie] und des Grundgesetzes von 1945 haben, die als Gnade Gottes angesehen werden. Die Präsenz der indonesischen Kirchen im Einheitsstaat der Republik Indonesien ist ein Zeichen der Sendung durch Gott selbst, damit die Kirchen aktiv dabei mitwirken, Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung in Indonesien zu verwirklichen. Außerdem ist die Kirche berufen, aktiv und kreativ bei den Bemühungen mitzuwirken, um alles zu verhindern, was den Selbstwert und die Würde der Menschen in Indonesien beeinträchtigt und erniedrigt, und ebenfalls, um alles zu verhindern, was die Umwelt und Natur in Indonesien schädigt. Dieser Auftrag und diese Berufung werden verwirklicht durch verschiedene Schutzmaßnahmen, Rechtsbeistand und

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Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit für das ganze Volk und das Land Indonesien, für das schon viel Blut vergossen wurde.1 21. Die Kirche bekennt, dass der Staat ein Werkzeug in der Hand Gottes ist zu dem Zweck, den Menschen zum Wohlergehen zu verhelfen und die Schöpfung Gottes zu bewahren. Deshalb müssen sich Kirche und Staat Seite an Seite miteinander um das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung und die Bewahrung der Schöpfung bemühen. Jedoch trägt die Kirche als autonome religiöse Institution eine Funktion und Autorität, die von staatlichen Einflussnahmen frei sein muss. Und umgekehrt hat die Kirche kein Recht, das staatliche Leben zu reglementieren, denn der Staat hat seine eigene Funktion bei der Ausführung seiner Berufung in dieser Welt (Röm 13,6 f.; 1. Petr 2,13 f.). Somit sollen Kirche und Staat eine koordinative Verbindung aufbauen und keine subordinative Verbindung, in der einer den anderen beherrschen würde. Kirche und Staat haben beide einen eigenen Auftrag und Berufung, die verantwortungsvoll für das Wohl aller Menschen und sogar der ganzen Schöpfung ausgeführt werden müssen. Die Kirche ist verpflichtet, die Gesetze des Staates einzuhalten. Umgekehrt ist der Staat verpflichtet, seine ganze Bevölkerung zu bewahren und zu beschützen, einschließlich der Kirche, damit beide den Freiraum haben, um ihre Funktion und Berufung zu erfüllen (1. Petr 2,16). 22. Die Kirche besteht aus sündigen Menschen, die durch die Gnade Gottes aufgrund des Glaubens an Jesus Christus gerecht geworden sind (Röm 3,28). Deshalb braucht die Kirche in ihrem Leben und bei der Ausführung ihres Auftrags und ihrer Berufung fortwährend Bekehrung und Erneuerung. Dazu benötigt sie unablässig die Gegenwart, Offenbarung, Leitung, Pflege und Ermahnung des Heiligen Geistes, der sie stets erneuert, auferbaut und vereint, der ihr auch die Kraft gibt, Zeugin zu sein (Apg 1,8). 23. Gott hat die Kirche zu einer Gemeinschaft gemacht, die den einen Leib, den einen Geist durch das Band des Friedens, die eine Hoffnung, den einen Herrn, den einen Glauben, die eine Taufe, den einen Gott und den einen Vater aller bekennt (Eph 4,3–6). Somit ist die Kirche eins. Die Einheit der Kirche ist keine Einheit nach der Art der Welt, sondern eine

1 Aus der indonesischen Nationalhymne wird die Wendung „Boden des Blutvergießens“ zitiert; diese spielt darauf an, dass im Unabhängigkeitskampf gegen die niederländische Kolonialherrschaft viele Freiheitskämpfer ihr Blut für die Unabhängigkeit vergossen haben.

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Einheit wie die Einheit Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (Joh 17,21 f.). Deshalb ist diese Einheit nicht auf weltliche Macht gegründet, sondern auf Gemeinschaft und Liebe. Als Gemeinschaft der Liebe ist die Kirche die Hausgemeinschaft Gottes und seine Mitarbeiterin (Eph 2,19; 1. Kor 3,9), die gefordert ist, in der Liebe zu leben, eines Sinnes, auf das Eine, nicht auf das eigene Wohl bedacht, sondern auf das des anderen, und in der einer den anderen höher achtet als sich selbst (Phil 2,1–4). Eine derartige Einheit ist der Wille Christi (Eph 4,3). Sie ist ein Zeugnis für die Welt, damit die Welt glaubt, dass Jesus Christus wirklich von Gott gesandt ist (Joh 17,21–23) und die Kirche von Jesus Christus den Auftrag bekommen hat, die Versöhnung und Rettung Gottes in Jesus Christus für die Welt zu verkündigen. 24. Diese Gemeinschaft ist geheiligt in der Wahrheit (Joh 17,17–19). Somit ist die Kirche heilig. Diese Heiligung geschieht durch Christus, der sich selbst geheiligt hat für die Kirche und die Kirche heiligt als ein Volk zum Eigentum (Joh 17,19; Tit 2,14; 1. Petr 2,9). Diese geheiligte Gemeinschaft sendet er in die Welt. Deshalb ist die Kirche in der Welt, aber nicht von der Welt (Joh 17,14–18). 25. Diese Gemeinschaft umfasst alle Glaubenden an allen Orten und zu allen Zeiten; sie umfasst auch alle Völker, Stämme, Nationen und Sprachen, Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, die im Leib Christi, der Kirche, zu einer Gemeinschaft werden. Somit ist die Kirche allgemein (katholisch). Als eine solche allgemeine Gemeinschaft kennt die Kirche keine Unterscheidungen oder Grenzen nach den Strukturen dieser Welt (Gal 3,28; 1. Kor 11,7–12; Apk 7,9). Diese neue Gemeinschaft umfasst alle Völker, Stämme, Nationen und Sprachen, alte Menschen, Jugendliche und Kinder, Männer und Frauen, Mächtige und einfaches Volk, Reiche und Arme, Menschen mit Behinderung und Gesunde, Dumme und Kluge. Sie alle bekommen von Gott einen Platz in dieser neuen Gemeinschaft, sie alle sind berufen und ausgerüstet, um Zeugen des Evangeliums vom Reich Gottes in Jesus Christus inmitten der Welt zu werden. 26. Diese Gemeinschaft bleibt beständig in der Lehre der Apostel vom Evangelium Jesu Christi und ist gegründet auf die Lehre der Apostel (Apg 2,42; Eph 2,20). Somit ist die Kirche apostolisch. Diese apostolische Gemeinschaft ist berufen, die Lehre der Apostel zu bewahren und sie unter ständiger Beachtung der Zeichen der Zeit allen Glaubenden an allen Orten und zu allen Zeiten weiter zu verkündigen (2. Thess 3,6; 1. Tim 1,3; Phil 1,6; Kol 1,25).

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27. Darum sind die Kirche und alle Glaubenden, Männer und Frauen, an allen Orten und zu allen Zeiten berufen, diese Einheit, Heiligkeit, Allgemeinheit und Apostolizität sichtbar zu machen, sowohl in der Gegenwart der Einzelkirchen als auch gemeinsam, in der alltäglichen Ausführung ihrer Berufung. Somit sind alle Formen kirchlichen Lebens, wodurch die Kirche eine Zeugin Jesu Christi bis an die Enden der Erde wird, Ausdruck der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche. VII. Die Bibel Wir glauben: 28. Die Bibel, bestehend aus Altem und Neuem Testament, ist ein umfassendes Zeugnis über Gott, der sich selbst, seinen Willen und sein Schöpferwerk, seine Bewahrung und sein Rettungswerk dem Menschen offenbart; ebenso offenbart er auch etwas über die Antwort des Menschen ihm gegenüber. Dieses umfassende Zeugnis hat seinen Mittelpunkt in Jesus Christus, dem „Mensch gewordenen Wort“ (Joh 1,14). Deshalb muss der Inhalt der Bibel wie auch ihrer Teile stets als eine Einheit betrachtet werden. 29. Dieses Zeugnis ist mit der Kraft und Anleitung von Gott selbst durch den Heiligen Geist entstanden, der die Schreiber der Bibel begleitet und inspiriert hat (2. Petr 1,21; 2. Tim 3,16). Dieses Zeugnis hat Ausdrucksformen und Elemente aus einem bestimmten geschichtlichen Kontext verwendet, an denen bestimmte Begrenztheiten deutlich werden. Dennoch überschreitet die Wahrheit des biblischen Zeugnisses die Grenzen von Raum und Zeit. Deshalb ist die Bibel das ewige Wort Gottes (Jes 40,8; Lk 21,33). 30. Als Wort Gottes hat die Bibel höchste Autorität und wird eine „Leuchte für den Fuß und ein Licht für den Weg“ (Ps 119,105) sowie eine Grundlage und Orientierung für die Taten und das Leben der Glaubenden (2. Tim 3,16 f.). Deshalb sollen die Glaubenden es sowohl persönlich als auch gemeinsam bei Tag und Nacht lesen und meditieren (Ps 1) sowie sich ernsthaft bemühen, es zu verstehen, im alltäglichen Leben umzusetzen und es im Glauben und Gehorsam gegenüber Gott in Christus wirklich zu tun. Die Bibel ist also kein Talisman und kein Wahrsagebuch. So wie der Heilige Geist die Schreiber der Bibel begleitet und geleitet hat und den Menschen zum Glauben an Jesus Christus führt, so kann auch der Inhalt der Bibel nur mit der Anleitung des Heiligen Geistes richtig verstanden, im Alltag umgesetzt und ausgeführt werden (1. Kor 12,3; Joh 16,15; 2. Petr 1,20 f.).

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Glaubenserklärung Wir, die Kirchen in Indonesien, bekennen, dass der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, inmitten dieser Welt wirkt, indem er den Menschen und den gesamten Kosmos erschafft, bewahrt, rettet und erneuert. In Christus erlöst Gott seine gesamte Schöpfung von der Sünde. Durch die Kraft seines Heiligen Geistes beruft und eint Gott die Kirche und rüstet sie aus, Zeugin des Evangeliums vom Reich Gottes in dieser Welt zu werden durch ihre Gemeinschaft der Liebe, durch ihren Kampf für Gerechtigkeit wie auch durch ihren Dienst für Frieden, Wohlergehen und Bewahrung der Schöpfung. Dabei erwartet sie die Vollendung des Reiches Gottes, wenn Jesus wiederkommt. Dass es ein indonesisches Volk gibt und einen indonesischen Staat, der am 17. August 1945 proklamiert wurde, gehört ebenfalls zum Schöpfungshandeln des dreieinigen Gottes als Teil seines erhaltenden Handelns durch die Völker. Ziel dieses Handelns ist, Recht, Gerechtigkeit und Sicherheit herzustellen, Frieden und Wohlergehen zu verwirklichen und die Natur nach seinem Willen zu bewahren. Die Kirchen in Indonesien sind aus dem Mutterleib der Geschichte des indonesischen Volkes geboren, um ihre Berufung zu Gemeinschaft, Evangelisation und sozial-ökologischem Dienst zu verwirklichen, inmitten der religiösen und kulturellen Vielfalt der indonesischen Gesellschaft, entsprechend dem Auftrag Jesu Christi. Die Kirchen in Indonesien sind berufen, ein Segen zu sein für das indonesische Volk und Verantwortung zu übernehmen durch ihren positiven, kritischen, kreativen und realistischen Beitrag2, wobei sie in der Hoffnung auf einen Wandel hin zu einer Zivilgesellschaft unterwegs sind.

2 Diese Begriffsreihe geht auf den indonesischen Laientheologen und General Tahi Bonar Simatupang (1920–1990) zurück.

Sachregister Abendmahl / Herrenmahl / Nachtmahl Ȗ auch: Sakramente 5/1: 30, 31, 34, 35, 38–40, 42, 44 f., 48–50, 65, 68–71, 73, 76, 78, 96, 98–102, 112 f., 134, 136–138, 146, 151, 153 f., 157 f., 161 f., 168–170, 182, 206 f., 216, 219 f., 232–242, 291, 294–302, 305, 307–309, 313, 326–329, 348 f., 353, 375 f., 378, 401–403 5/2: 408, 423–427, 437 f., 445–447, 501, 503–505, 508–512, 520, 524, 526 f., 530, 535–537, 543 f., 548, 554, 558, 560–562, 567, 584–586, 634, 655 f., 658, 682, 694 f., 720, 723, 725, 727 f., 731–735, 762, 765, 776 Aberglaube 5/1: 70, 103, 105, 136, 183, 215, 224, 264 f., 301, 309, 346, 353, 357, 375, 379 5/2: 429, 446, 448, 461, 474, 515, 518, 522, 534, 556, 560, 578, 585, 651, 657 Abgott / Abgötterei Ȗ Irrlehre Ablass 5/1: 130, 345 5/2: 431, 445, 483, 543, 587 Adiaphora 5/1: 161, 171 5/2: 519 f. Almosen 5/1: 230 5/2: 449, 482, 522, 539, 580 Älteste / Presbyter Ȗ Amt / Ämter Amt / Ämter (der Kirchen) 5/1: 22, 24, 30, 70, 76, 78, 81, 85, 87, 93–95, 98, 103 f., 106 f., 110, 117, 121,127 f., 131, 136, 140, 155, 161, 167–171, 185, 195, 208, 210 f., 217–232, 234, 240, 243, 248–250, 275, 289, 303, 312, 315 f., 318, 329,

345, 347, 349, 351, 353–356, 367, 370, 372, 377, 382, 399 f. 5/2: 410 f., 427, 437, 439, 445 f., 448, 455, 481 f., 491, 495–500, 508, 514, 534, 543, 547, 550, 552 f., 566, 569, 580–582, 587, 623, 626, 635, 653, 658, 661, 674, 676, 683, 693, 695 f., 704 f., 709, 721, 727, 731, 735, 767 – Älteste / Presbyter 5/1: 168, 219–222, 224 f., 227, 229–231, 235–237, 239 f., 299, 329, 346 f., 351, 353, 355 f., 382, 399 f. 5/2: 496, 500, 530, 532–535, 537 f., 546–549, 589, 698 – Bischof / Bischöfe 5/1: 19, 30, 71, 80, 93–95, 102, 104 f., 107 f., 119, 145, 168, 346, 372 5/2: 437, 439, 447–450, 458, 492, 496–498, 500, 566, 569, 623 – Diakone 5/1: 93, 102, 219, 220, 222, 230 f., 233, 346 f., 351, 353, 355 f., 382, 399, 400 5/2: 447 f., 497, 530, 532, 534, 537–541, 546 f. – Lehrer / Doktoren / Professoren / ​ Lektoren 5/1: 71, 80, 102, 153, 163, 168, 174, 219 f., 222, 229, 231, 235, 249, 300, 303, 310–312, 334, 339, 374, 378 5/2: 411, 417, 467, 492, 496, 520, 538, 558, 589, 610, 621, 717, 748 – Prediger / Predigtamt 5/1: 24, 30, 32, 34 f., 37, 47, 52, 81, 83, 85 f., 88–91, 93–95, 98–104, 106 f., 112 f., 115–118, 121–124, 127–129, 132, ­141–143, 145, 148, 161, 171, 173, 208, 217–220, 222–224, 229, 242,

782 289, 298–300, 313, 315, ­345–347, 351, 353–357, 377, 382, 385, 401 5/2: 410 f., 431, 445 f., 456, 496 f., 513 f., 530, 532–543, 545–551, 554 f., 581, 589, 661, 676, 698 f., 735, 748 – Priester / Hohepriester 5/1: 20, 23, 25–28, 33 f., 74, 93 f., 102, 105, 112, 118 f., 153, 160, 165, 170, 193, 249, 316, 322 f., 365, 367, 372, 378 5/2: 426, 437, 445, 447 f., 458, 480, 491, 497 f., 500, 505, 512, 514, 543, 563, 584, 586, 657, 715, 717 – Propheten 5/1: 39, 59, 64, 70 f., 73, 87, 96, 122, 124, 127, 131, 135, ­138–141, 157, 163, 180, 193, 199, 210, 218, 250, 276, 293, 319, 334, 344, 364, 370, 373, 384 f., 388, 392 f., 396 5/2: 412, 414, 440, 449, 455, 457 f., 460 f., 463 f., 468, 476, 478 f., 483, 488, 490, 492, 496, 516, 519, 556 f., 569, 597, 604, 613, 664, 701 f., 717 f., 731, 751, 760, 764, 770 – Superintendenten 5/1: 347 5/2: 410 f., 554 Antichrist Ȗ Papst Antitrinitarier Ȗ Irrlehre Apostel 5/1: 60 f., 71, 80, 86 f., 94, 102, 105, 122, 125–130, 133, 138–140, 149, 160, 163, 186, 188 f., 208 f., 245, 276, 298, 333 f., 353, 366, 372 f., 377, 384–386, 388, 391, 395, 397, 399, 402 f. 5/2: 425, 427, 441, 445, 449, 455, 457–459, 461, 465, 468–475, ­477–487, 489–498, 500–502, 506, 508, 512, 516–519, 521 f., 557, ­559–562, 564 f., 573, 584, 592 f.,

Sachregister 596–601, 606 f., 610–612, 614, 618–620, 659, 663 f., 667, 669, 671, 673 f., 701, 715, 718, 729–731, 751, 778 Armut 5/1: 179, 193, 199 f., 204 f., 341 5/2: 416, 539, 650, 722 f., 737, 755, 759 Auferstehung Ȗ Christus Auferstehung (der Toten) 5/1: 68, 126, 136, 139, 159, 195, 197 f., 213, 245, 258 f., 297, 322, 324 f., 333, 366, 404 5/2: 415, 419, 421, 465, 474 f., 518, 586 f., 600, 659, 696, 703 Bann Ȗ Kirchenzucht Befreiung(stheologie) 5/2: 738, 741, 745 f., 776 Beichte 5/1: 27, 47, 76, 78, 102, 142, 146, 149, 160, 217, 345 5/2: 480, 582 Bekehrung Ȗ auch: Buße 5/1: 167 f., 329, 335, 369 5/2: 428, 480, 495, 589, 594, 597, 601, 606, 608, 612–614, 777 Bekenntnis(se) Ȗ auch: Glaubensbekenntnis(se) 5/1: 1, 3, 5–17, 31, 34–37, 42, 49 f., 52, 60–62, 76–78, 81, 97 f., 107, 113, 145–148, 153–156, 160–163, 173–176, 180, 190, 192, 205 f., 211, 213, 221, 234 f., 242, 245, 298, 301, 305, 312, 328, 334, 336–338, 350, 352 f., 359–362, 364, 375, 382–384, 397 5/2: 408, 427, 437 f., 446, 451–455, 459, 480, 486, 490, 524–529, 532, 540, 550 f., 554–557, 564–567, 585, 589, 593, 617, 620 f., 623–626, 641, 658, 661 f., 674, 676–679, 698–700, 705–707, 711 f., 714 f., 725, ­730–735, 737–742, 745–749, 752–754, 757, 760, 762 f., 766–769, 780

Sachregister Bibel Ȗ Schrift Bilder(verbot) 5/1: 30, 33, 70, 76, 78, 83, 104–107, 160, 170, 181, 212, 264, 290, 305, 317 f., 363, 369, 396 5/2: 429 f., 445, 460 f., 520, 578, 587 Bischof Ȗ Amt / Ämter Bund(estheologie) 5/1: 17, 62, 93, 99, 123, 174, 190, 206, 216, 267, 294, 307, 327, 335, 360, 375, 402 5/2: 424 f., 427, 479, 489, 496, 498, 502–504, 506–508, 517, 519, 528, 550, 553, 559, 561, 566 f., 572 f., 586, 592, 598, 603–605, 618, 624, 633 f., 640, 643, 645 f., 654 f., 658, 662, 667–670, 673 f., 681 f., 688, 690, 693 f., 719, 724, 730, 746, 750, 757 f. Bund (Bündnis) 5/1: 44, 49, 162 5/2: 707, 710, 752–754, 756, 759 f. Buße 5/1: 27, 53, 102, 113, 125, 129–132, 139, 168, 173, 190, 191, 217, 237, 240 f., 262, 293, 321, 325, 327, 329, 332, 348, 356, 369 5/2: 427 f., 443, 445, 447, 452, 471, 480–483, 492, 501, 503, 512, 516, 553, 561, 576 f., 582, 584, 600, 602 f., 608, 615, 665, 681, 685 f., 695, 700, 718 Christus – Auferstehung 5/1: 46, 66, 68 f., 81, 99, 121, 124–126, 129 f., 132, 139, 157, 165, 195, 197, 213, 245, 254, 292 f., 321, 323, 334, 342, 348, 366, 380, 393 5/2: 415, 419, 439, 474 f., 484, 515, 574, 618, 635, 638 f., 649, 654, 683, 691, 715–720, 725, 729 f., 732, 750, 764 – Erkenntnis Christi Ȗ Erkenntnis

783 – Erlöser / Heiland / Retter / Selig­ macher 5/1: 19, 21, 23, 32, 72, 79, 81 f., 84, 90, 100, 103, 124, 128, 130, 139, 141 f., 155, 160, 193, 248, 250, 274, 297, 311, 320, 322, 334, 344, 365, 367, 388, 396, 399, 402 f. 5/2: 412, 414, 416, 441, 465, 470, 472, 475 f., 489, 491, 503 f., 509 f., 519, 523, 528, 574 f., 585 f., 591 f., 594, 598, 602, 604, 606, 608 f., 621, 634, 674, 682, 695, 702, 715 f., 725, 730, 751, 760, 775 – Geist Christi 5/1: 8, 60, 84, 88, 91, 107, 129, 134, 137, 139–141, 214–216, 293, 296, 309, 323, 368 5/2: 419 f., 423 f., 442 f., 474, 489 f., 571–573, 630, 636, 639 f., 642, 646, 653 f., 659, 670 – Haupt der Kirche / Hauptmann 5/1: 19, 21 f., 30, 32, 141, 154, 165, 168, 196, 209, 250, 255, 257, 305, 328, 343, 346, 365, 367, 371, 375, 399 f. 5/2: 420, 489–492, 574, 581, 583, 595, 634, 653 f., 658, 668, 682, 693, 695, 708, 715, 775 – Himmelfahrt 5/1: 46, 66, 81, 129, 157 f., 195, 213, 245, 254, 321, 323, 366 f., 380 5/2: 415, 419 f., 439, 474, 515, 558, 574, 635, 683 – König 5/1: 166, 193, 195, 248 f., 305, 398 5/2: 417, 476, 552, 558, 634, 658, 682, 695, 735, 775 – Lehrer 5/1: 249, 400 5/2: 417, 426 – Mensch(sein/-werdung) 5/1: 37, 54, 56, 66, 81, 90, 193, 250 f., 322 f., 363 f., 392

784











– –

Sachregister 5/2: 439, 460 f., 472, 476, 526, 558, 602, 635, 683, 715, 719, 730, 732, 770, 773, 775 Mittler 5/1: 23, 32, 37, 40, 42 f., 55 f., 90, 120, 165 f., 193, 195, 201, 215, 249, 251, 255, 279, 281, 320–322, 325, 343, 360, 365, 367, 396 f. 5/2: 414, 418, 440, 461 f., 489, 492, 504, 513, 552 f., 558, 567, 573, 577, 583, 595, 604, 615 f., 634–636, 648, 665 f., 669, ­681–683, 691, 731 Opfer 5/1: 23, 32, 46, 56, 100 f., 157, 165 f., 170, 193, 254, 295 f., 304 f., 309, 328, 342, 345, 354, 366, 378, 393 f. 5/2: 408, 417 f., 423 f., 426, 439, 442, 447, 498, 503, 552, 560, 574, 586, 602 f., 635, 656, 683, 695, 715 Passion / Leiden 5/1: 27, 32, 54, 68, 195, 121, 125, 129, 131, 157 f., 204, 213, 245, 251, 253, 321–323, 345, 366, 393, 396, 399, 402 f. 5/2: 418, 425 f., 439, 473, 475, 483 f., 515, 552 f., 558, 574, 635, 645, 654, 669, 695, 719, 750 Präsenz / Gegenwart 5/1: 44 f., 67, 154, 158, 169, 255, 296 f., 301, 308–310, 312 5/2: 419, 437, 460, 491, 559, 567, 585, 591 f., 653, 657, 660, 693, 702, 715, 731 f. Priester / Hohepriester 5/1: 23, 165, 170, 193, 195, 248, 296, 304, 316, 322 f., 365, 367, 393, 397 5/2: 417, 476, 491, 552, 558, 634, 668, 682 Prophet 5/1: 248 f., 334 5/2: 417, 552, 634, 682 Richter 5/1: 43, 46, 67, 81, 159, 165, 186, 245, 256, 297, 321, 323 f.

5/2: 415, 420, 474, 587, 634, 660, 682, 696, 715 f., 730 – Sohn Gottes 5/1: 21, 27, 37, 41–43, 46 f., ­52–56, 60, 70, 80, 82 f., 90, 121, 124, 126, 129, 156–158, ­163–165, 186, 192–194, 197, 199, 201, 213 f., 216, 245 f., 248–253, 256, 296, 304 f. 318, 321 f., 324, 326 f., 333, 335, 339, 342, 362, 364–367, 370 f., 381, 386–389, 391 f., 397, 401, 405 5/2: 414–418, 420, 423, 439 f., 443, 459, 462, 468, 470–472, 477–479, 483, 485, 489, 496, 506, 508, 519, 526, 552, 558, 560, 561, 563, 570 f., 573–578, 583, 585, 591, 594 f., 601–604, 608, 614, 617 f., 622, 629 f., 634, 639, 642, 648, 653, 655, 663, 669, 671, 673, 680, 682–684, 687 f., 690, 694, 701, 715, ­731–733, 740 f., 744, 751, 764, 770, 773, 778, 780 – Tod / Kreuz(igung) 5/1: 28, 38, 46, 56, 67, 69, 82, 88, 91, 99–101, 109, 121, 124–126, 129, 130, 132, 139, 143, 151, 157–159, 165 f., 169 f., 182, 194, 206, 213, 216, 245, 251–254, 257, 269, 285, 292, 295 f., 304, 306, 321–323, 325, 328, 333 f., 342 f., 345, 348, 365 f., 378, 380, 393–396, 399, 402 f. 5/2: 408, 415, 418 f., 423–426, 439, 446 f., 473–475, 483, 511 f., 558, 560 f., 574, 586, 594, ­602–606, 614, 618, 634 f., 639, 654, 656 f., 669 f., 682 f., 695 f., 715, 717–720, 725, 730, 732, 750, 764, 770, 773 – Versöhner 5/1: 19, 21, 50, 157, 193, 194, 214, 249, 254, 295, 305 f., 342, 345, 365–367 5/2: 439, 475, 574, 589, 668, 717, 741

Sachregister – Wiederkunft 5/1: 46, 67, 157 f., 165, 195, 213, 245, 267, 294, 324, 348, 367, 404 5/2: 415, 420, 439, 474, 558, 574, 634 f., 719 f., 725, 773, 780 – Zweinaturen(lehre) 5/1: 46, 48 f., 53–55, 66–70, 81, 157, 165, 253, 301, 308–310, 322, 364 f., 382, 388, 392 f., 396 5/2: 414, 417, 419, 439, 473, 558 f., 573, 583, 635 f., 683, 730, 733, 749 Dämonen 5/2: 517 Dank(barkeit) 5/1: 4, 7, 32, 43, 58, 64 f., 68 f., 89, 100, 116, 126, 138, 158–160, 169 f., 178, 180, 183, 193, 200, 207, 215, 263, 277, 287, 300, 305–307, 311, 313, 318, 326, 328, 335, 368, 370, 373, 403 5/2: 407 f., 411 f., 416 f., 419, 422, 425, 428, 434, 455, 470, 483, 487, 508, 511 f., 517, 523, 546 f., 557, 561, 577, 592, 607, 610, 617, 641, 644, 648, 650, 663 f., 671, 691, 695, 702, 708 f., 717, 723 f., 729, 748, 751, 765, 769, 773 Dekalog Ȗ Gesetz Diakone Ȗ Amt / Ämter Diakonie 5/2: 728, 736 Ebenbildlichkeit 5/1: 83, 118, 122, 178, 183, 316, 340, 362, 387, 390 5/2: 412, 428, 434, 443, 465, 472, 571 f., 606, 611, 631, 667, 680, 684, 750, 771 f. Ehe(bruch) 5/1: 24, 26, 33, 48, 89, 92 f., 95, 150, 160 f., 172, 179, 184, 209, 212, 217, 219 f., 233, 265, 271, 317, 319, 345, 357, 368

785 5/2: 428, 432, 445, 447, 503, 521 f., 530, 535, 544, 580, 584, 652 f., 693, 722 Eid 5/1: 92, 146, 160, 170, 172, 182, 220, 224, 226, 230, 266, 272 f. 5/2: 430 f., 438, 449, 462, 523, 542 f., 579, 593, 648–650, 691 f. Einheit (Dreieinigkeit) Ȗ auch: Gott 5/1: 9, 11, 16, 53 f., 65, 193, 387 5/2: 439, 458, 473, 550, 552, 570, 629, 680 Einheit (Gemeinde / Kirche) 5/1: 9, 11, 16, 45, 210, 227, 257, 313, 345, 348, 350, 374, 398 5/2: 453, 490, 492, 494, 500 f., 520, 525, 529, 589, 651, 700, 703 f., 707 f., 710, 714, 720, 727, 729, 737 f., 741 f., 753, 759, 762 f., 766, 769, 777–779 Ende der Welt / Endgericht Ȗ Jüngster Tag Engel 5/1: 67, 72, 98, 106, 212, 232, 248, 250, 277, 283, 290, 316, 323, 331, 333, 339, 362, 364, 366 f., 374, 386 f., 389, 394, 404 f. 5/2: 435, 456, 459 f., 464 f., 473, 496, 508, 513, 519, 558, 572, 591, 629, 631, 635, 648, 660, 663, 690, 696 Erbsünde Ȗ Sünde Erkenntnis Christi / Gottes / der Wahrheit 5/1: 5, 8 f., 50, 71, 80, 84, 106, 123 f., 126, 131 f., 138, 140, 155, 163, 167, 170, 173 f., 176 f., 179 f., 190, 198 f., 203, 208, 213, 241–245, 247, 249, 259, 316, 335, 360, 363, 374, 384, 388, 394 5/2: 410 f., 415 f., 471, 477, 480, 482, 486, 489, 526, 570, 598, 607, 626, 631, 635, 671–674, 681–684, 752, 754 Erlösung Ȗ Heil Erneuerung Ȗ Wiedergeburt

786 Erwählung / Erwählte Ȗ Prädestination Erweckungsbewegung 5/2: 676, 730 Evangelisation Ȗ Mission Evangelium 5/1: 1, 10, 19–23, 32, 37, 46 f., 52, 55, 71, 73–75, 79 f., 82 f., 93–95, 97, 110, 115–117, 119–121, 124 f., 136, 138, 155, 163, 171, 186, 188, 208, 215, 217 f., 220, 222, 227, 229 f., 234, 241, 259–262, 295, 301, 304 f., 311, 320 f., 324–326, 330 f., 337 f., 344 f., 351, 361 f., 375, 387, 396, 399 f., 402, 404 5/2: 411, 414 f., 422 f., 427, 445, 447, 452, 455 f., 459 f., 466, 468, 470–472, 474 f., 477–482, 485–488, 490, 492, 494–496, 498 f., 501, 506, 508, 514 f., 519, 526–528, 558, 576, 581 f., 584, 594, 601–603, 607 f., 610 f., 617, 621, 630, 634, 640 f., 645 f., 649, 653, 655, 658, 660, 670–674, 684, 689–691, 694, 703, 707, 714, 717 f., 721, 724, 727–731, 733–735, 737, 739–741, 743 f., 748 f., 758, 762–764, 775, 778, 780 Ewigkeit 5/1: 23, 37, 53–55, 59, 101, 129, 135, 165, 170, 177, 187, 193–195, 280, 287, 331, 333, 339, 364, 375, 381, 386–388, 394, 401 5/2: 417, 420, 434, 436, 439, 459, 470–472, 474, 479, 498 f., 523, 528, 552, 558 f., 563, 570, 573, 592, 594 f., 598 f., 603 f., 608, 611, 617, 629, 634, 638, 667 f., 673, 680, 710, 726, 744 Exegese Ȗ Schrift Exkommunikation Ȗ Kirchenzucht Fasten 5/1: 24, 39, 76, 78, 85–87, 89 f., 146, 150, 160, 357 5/2: 501, 515 f., 522, 560, 577 f., 593, 648, 691

Sachregister Fegefeuer 5/1: 20, 27, 30, 32, 72, 198, 345, 405 5/2: 445, 518, 587 Feiertage 5/1: 96, 135, 137, 149, 160, 182 f., 212, 228, 232–235, 241, 267–269, 315–318, 345 5/2: 429, 431, 515 f., 535, 561, 624, 648 f., 675, 691 Frauen / Ehefrauen 5/1: 3, 22, 48, 58, 85, 92 f., 96, 102, 109, 117, 123, 184, 193 f., 212 f., 235, 273, 317, 363 f., 377, 387, 392, 404 5/2: 508, 542–545, 555, 631, 636, 652, 680, 693, 712, 717, 723, 745 f., 750 f., 755, 759, 771, 778 f. Freiheit 5/1: 16, 24, 40, 49, 51, 88, 90 f., 120, 127, 135 f., 167, 182, 209, 217, 225, 249, 266, 340, 343, 357, 361, 365, 371 5/2: 454, 467 f., 490, 514 f., 519 f., 534 f., 537, 563, 571, 579, 610, 624, 629, 631, 636, 639, 646 f., 680, 687, 690, 706, 709, 714, 716, 718, 722 f., 730, 736, 742, 751, 772, 777 Frieden 5/1: 17, 20, 28, 48, 52, 108–110, 155, 158, 171, 183, 193, 203, 209, 214, 216, 225, 284, 311, 315, 331, 334, 343, 359, 361, 372, 393, 400 5/2: 432, 453 f., 486, 491 f., 501, 522 f., 526–528, 554, 587, 592 f., 597, 644, 647, 651, 670, 675, 686, 689, 692, 706, 709, 716–718, 722, 731, 734, 741–743, 751, 758 f., 763 f., 775–777, 780 Gebet 5/1: 20, 47, 78, 85–88, 103 f., 136, 138, 146, 149, 170, 172–174, 193, 199–201, 204 f., 210, 215, 224, 228, 242, 264, 269, 276–282, 284, 287, 330–333, 335, 337, 353, 355, 357, 378, 385, 397, 404

Sachregister 5/2: 434–436, 438, 440, 445, 462, 486, 501, 512–516, 518, 521 f., 534, 545–547, 560, 566 f., 569, 577 f., 582, 587, 591, 614, 617, 619–621, 640, 648 f., 687, 691, 720, 723 f., 741 – Gebet des Herrn (Unser Vater) 5/1: 143, 173, 201–205, 215, 242, 280–287, 330–333, 335, 397 5/2: 434–436, 472, 481, 517 Gebot Ȗ Gesetz(e) Gehorsam 5/1: 25, 79 f., 85, 89, 92, 96, 107, 110 f., 117, 125, 142, 155, 160, 171 f., 180, 183, 190 f., 194, 205, 208, 211, 213, 218, 225, 239, 242, 250, 262 f., 276, 282 f., 288, 293, 295, 304, 318–321, 326, 329, 331, 339, 343, 347, 349, 354, 363, 365, 367, 370 f., 391, 393, 395, 399 f., 404 5/2: 410, 413, 422, 426, 431, 433, 441, 464, 477, 481, 483, 486, 507, 522, 543, 558, 563 f., 567, 579, 584, 595–597, 599 f., 605, 610, 612 f., 629 f., 633, 635 f., 638, 640–642, 644–648, 650 f., 655, 660, 662, 667–669, 672 f., 680, 682–684, 686, 688, 690, 696, 701–703, 708, 714 f., 717–719, 722, 724, 742–744, 758, 760, 770, 773, 779 Geist Ȗ Heiliger Geist Geistliche Ȗ Amt / Ämter Gemeinde Ȗ Kirche Generalversammlung / General Assembly Ȗ Synode Gerechtigkeit 5/1: 23, 32, 37, 39, 41, 47, 52, 55 f., 71, 73 f., 79, 89, 110, 115, 121 f., 131 f., 136, 138–140, 155 f., 159, 173 f., 177–180, 185 f., 189–192, 194, 197 f., 201, 210, 212–214, 248, 254, 260–262, 265, 273, 275–277, 283, 286 f., 304–306, 320 f., 323,

787 326, 328, 334 f., 340–343, 348, 361–365, 367, 370 f., 376, 380, 391, 393–395, 397, 399, 401 5/2: 413–415, 418 f., 421 f., ­433–435, 441, 453, 465, 475, 477, 480, 482–485, 488, 492, 494, 511, 516, 520, 523, 543, 563, 571 f., 574 f., 596 f., 602, 606 f., 611 f., 630–632, 635, 638, 645, 647, 651, 660, 666, 669 f., 673, 679, 686, 689 f., 692, 696, 701, 706, 708 f., 716–718, 720, 722, 724, 731, 734, 737 f., 741–744, 750–753, 756–761, 763 f., 770, 775–777, 780 Gericht Ȗ Jüngster Tag Gesang Ȗ Musik Gesetz(e) – Dekalog (Zehn Gebote) 5/1: 142 f., 173, 180–186, 212 f., 242 f., 262–276, 317–319 5/2: 428–434, 476, 517, 607, 645, 689 – Gottes / Christi 5/1: 10, 24, 33, 37, 39, 55–57, 83–86, 88 f., 92–96, 101–104, 106 f., 113, 119 f., 122, 124, 126–129, 131, 138 f., 142 f., 148, 150, 156, 158–160, 165 f., 173 f., 180–186, 190 f., 200 f., 209, 212, 218, 236, 242 f., 262–273, 275 f., 304, 311, 315–323, 325, 328, 330 f., 344, 349, 360, 363 f., 369–371, 375, 378, 384, 390, 396, 398, 401 f. 5/2: 412–414, 421 f., 428, ­432–434, 440–442, 449, 452, 458, 460, 462, 465, 468, ­475–479, 483–486, 490, 515, 517, 519, 521, 572–575, 577, 579 f., 583 f., 599, 605–607, 612 f., 619, 624, 629, 631, ­633–635, 640–642, 645 f., 653, 667–670, 672–674, 680 f., 683–686, 688–690, 694, 702 f., 706, 709, 731, 735, 742, 750

788 – Menschengebote 5/1: 22, 30–32, 48, 76, 78–80, 86–88, 91–93, 95, 96, 102 f., 137, 209, 216, 347, 374, 400 5/2: 428, 486, 494 f., 556 – Obrigkeitliche / staatliche Gesetze 5/1: 23, 25, 47, 71, 78, 88, 96, 107, 116, 172, 211, 218, 272, 349, 404 5/2: 449, 489, 522, 544, 647, 651 f., 692 f., 744, 760 Gewissen 5/1: 47 f., 70–72, 86–88, 94–96, 99, 116, 119 f., 125, 129, 132, 135, 137, 141, 171, 191, 204, 209, 212, 214, 216, 249, 253, 256, 281, 289 f., 292, 319, 334, 344 f., 347, 357, 395 f., 400, 405 5/2: 417, 421 f., 448, 485 f., 517, 541, 543, 557, 559, 564 f., 582, 593, 597, 615 f., 621, 643 f., 646 f., 650 f., 658 f., 665, 674, 688, 690, 693, 729 Glaube 5/1: 1, 5 f., 8 f., 16, 23, 37–43, ­46–50, 52, 59–65, 70–72, 74, 76, 78, 81–84, 87, 89 f., 93 f., 96 f., 99–101, 104–110, 112, 117, 122, 125–140, 151, 155–160, 163 f., 166, 169 f., 172–174, 176 f., 186–193, 196–199, 205 f., 211, 215, 220, 231–233, 235, 241 f., 244, 256 f., 259–262, 269, 277, 279, 290 f., 293, 295, 297 f., 301, 303–309, 316, 318, 320 f., 324, 326–328, 331 f., 334, 336, 338, 343 f., 346–348, 356, 361–363, 367 f., 370 f., 374–379, 383, 385, 394 f., 397–400, 402 f. 5/2: 407 f., 414–417, 420–424, 426–428, 435, 438 f., 441–443, 445–447, 449–457, 459–462, 470 f., 474–481, 484–489, 492–496, 502– 514, 517–520, 522 f., 526–528, 535, 538–543, 546, 553, 555, 557–561, 563–567, 569–571, 573–576, 581 f., 584–586, 588, 594–601, 603–605, 608–610, 612–616, 618, 620–622, 624, 626 f., 630, 633 f., 636, 638, 640–642, 644, 647 f., 650 f., 654 f.,

Sachregister 657, 659, 662–665, 669–671, 673 f., 679, 682, 685–687, 689 f., 693 f., 700 f., 703, 708, 710 f., 714 f., 717–719, 722, 724, 729–734, 739 f., 742 f., 745, 748, 751, 757 f., 760, 762 f., 766–770, 777, 779 Glaubensbekenntnis(se), altkirchliche Ȗ auch: Bekenntnis(se) 5/1: 46, 53, 143, 153, 161, 163, 173, 189 f., 192–198, 245, 258, 321–325, 336, 339, 359, 382, 388 5/2: 415–421, 438, 441, 476, 485, 489, 494, 517 f., 520, 557, 559, 566, 569 f., 714, 730 f., 769 Gnade 5/1: 19, 22, 28, 37, 48–50, 55, 58, 62–65, 71 f., 74, 80, 82, 84, 89–91, 93 f., 98 f., 101, 110 f., 116–119, 122, 124–126, 128–130, 132–134, 139 f., 146, 151, 155 f., 164, 166, 169, 186, 190 f., 193, 195–197, 201–204, 206, 210, 214, 224, 248 f., 257 f., 260 f., 266, 276, 278 f., ­284–286, 288–294, 305–308, 311, 315, 325–327, 334 f., 340 f., ­343–345, 347, 361, 363, 365, 376, 387, 389, 391, 395–397, 400 f. 5/2: 410, 413, 415, 417–419, 421–423, 428, 434, 436–438, 441–443, 445 f., 450, 453, 470, 472, 475–478, 480, 482–485, 487–489, 504, 506 f., 526 f., 550, 553, 555, 557, 559, 561, 563 f., 567, 571–575, 578, 581, 583–585, 593–598, 600 f., 603–619, 623, 628, 630, 632–643, 646, 654–656, 663–665, 668, 670, 672–674, 681–683, 685–688, 694, 700–703, 706, 709, 712, 714 f., 718, 723, 727, 729–731, 749, 751, 758, 762–764, 771, 773, 776 f. Gnadenwahl Ȗ Prädestination Götze(ndienst) Ȗ Irrlehre Gott – Allmacht 5/1: 48, 79, 107 f., 110 f., 116, 123, 133, 144, 155 f., 164 f., 192,

Sachregister



– –

– –



195, 213, 222, 244–246, 316, 321, 323, 331 f., 362, 384, 388 5/2: 410 f., 415 f., 435, 456, 458, 462–464, 556, 563, 577, 587, 596, 610, 613, 628, 631, 636 f., 664, 673 Barmherzigkeit 5/1: 37, 40, 55 f., 70, 82, 155, 166, 177, 179, 181, 186–188, 197, 199, 201 f., 204, 206, 212, 214, 245, 260, 265 f., 285, 287, 294, 317, 321, 335, 338, 341 f., 361, 383, 387, 391, 393, 397 5/2: 413, 429, 435, 443, 458, 459, 466, 468, 482, 484, 507, 556, 563 f., 571, 573–576, 594–598, 600, 602, 615 f., 628, 630 f., 640 f., 650, 660, 666, 671, 691, 701 f. Erkenntnis Gottes Ȗ Erkenntnis ewiger ~ 5/1: 83, 118, 156, 177 f., 264, 322, 324, 338, 362, 365, 380, 384, 386, 388 f. 5/2: 415–417, 420, 439 f., 454, 458 f., 462, 464, 472, 570, 573, 628, 634 f., 679, 701, 770 Geist Ȗ Heiliger Geist gerechter ~ 5/1: 28, 52, 56, 71 f., 74, 164 f., 187, 202, 261, 338, 342, 384, 391, 393 5/2: 413 f., 441, 458, 466, 480, 564, 574, 602, 618, 632 f., 640, 667 f., 673, 683 Ȗ auch: Gerechtigkeit Güte 5/1: 37, 52, 55–57, 63–65, 71, 73 f., 81, 83 f., 90, 105, 107 f., 110, 121, 134, 156, 163, 177– 180, 187 f., 196, 199–203, 212, 214 f., 245, 247, 258, 265, 277, 279, 281, 284, 285, 287, 330, 332 f., 338 f., 341 f., 361 f., 387, 389, 392 f., 401

789 5/2: 435, 439, 465, 467, 488, 506, 570, 600, 610 f., 614, 626, 628, 630 f., 663, 664, 667, 679–681, 702, 716, 724, 764 – Schöpfer 5/1: 42, 46, 52, 65, 79, 126, 176, 192, 202, 213, 244–247, 316, 321, 388 f. 5/2: 412, 415 f., 439, 458, 570, 579, 606, 631, 633, 645, 680, 689, 702, 716 f., 724, 750, 757, 760, 773, 779 – Trinität / Dreieinigkeit /  Dreifaltigkeit 5/1: 46, 52 f., 80, 156, 164, 192, 246, 324, 333, 336, 339, 362, 386–389 5/2: 415, 439 f., 458 f., 526, 550, 552, 566, 570, 602, 624, 628 f., 634, 674, 679 f., 683, 701, 714, 730, 738, 741, 746, 749, 780 – Vater 5/1: 21, 24, 32, 38, 41–43, 46, 52 f., 60, 65–67, 79–82, 90, 92, 95, 100 f., 109, 121–126, 129 f., 155–158, 165 f., 177, 179 f., 186, 189, 191–195, 198, 201, 203 f., 206, 213, 215, 245 f., 248–250, 253–255, 259, 274, 279–282, 285, 287, 291, 294 f., 304 f., 315, 318, 321–324, 326–328, ­330–333, 335, 339, 342–344, 361 f., 365–368, 370 f., 376, 381, 386–390, 393, 396 f., 401, 403, 405 5/2: 412, 415–417, 419 f., 423, 426, 434 f., 439 f., 453, 455 f., 459, 461–463, 471–475, ­478–481, 487, 491, 495 f., 506, 511, 523, 528, 552, 570, ­573–578, 583, 587, 591, ­601–605, 615–617, 619 f., 622, 629 f., 634 f., 638 f., 643, 648, 655 f., 660, 663 f., 666, 668–671, 673, 675, 680, 683 f., 687, 690, 694, 696, 701, 708, 715, 731, 741 f., 744, 746, 750 f., 764, 770 f., 775, 777 f., 780

790 – Zorn 5/1: 25, 57 f., 71, 102, 115, 130, 164 f., 179, 187, 194 f., 210, 213 f., 249, 253 f., 260, 266, 271, 320, 323, 334, 366, 369 f., 393 5/2: 414, 418, 427, 433, 441, 465, 477 f., 523, 563, 572, 577, 592–594, 602, 633, 638, 646, 658, 668, 681, 716, 718 Häresie Ȗ Irrlehre Heil 5/1: 19, 21, 23, 27, 30, 32, 37–43, 46, 55, 58, 68, 72, 81–85, 90 f., 99–101, 107 f., 100, 120–122, 125 f., 138 f., 148, 155 f., 158 f., 164, 166, 169 f., 173 f., 179 f., 186 f., 192–194, 196 f., 199, 204, 208, 210 f., 213, 215 f., 235, 244–246, 248, 250 f., 253 f., 256–259, 261, 263, 265 f., 270, 275, 277, 281, 285, 288 f., 291, 294, 296, 298, 306 f., 322–324, 327, 331, 335, 339–341, 343–345, 359 f., 362, 365, 368, 370 f., 373, 384, 393–396, 398, 400, 405 5/2: 407 f., 412–417, 421, 423 f., 429, 434, 438, 440, 443 f., 446 f., 453, 457, 460, 462, 464, 468, 471 f., 474–476, 478 f., 483 f., 487, 489 f., 493, 495, 501 f., 509–512, 517–519, 527 f., 552 f., 555–557, 559, 563 f., 567, 570 f., 576, 581, 593–596, 598–605, 612, 616, ­618–621, 623 f., 626–628, 630, 633–637, 639 f., 643 f., 647, 656, 659 f., 664–672, 674, 679, 682–685, 687, 689, 696, 700, 703, 708, 725, 729 f., 732 f., 741 f., 751, 757, 771, 773 f. Heilige Schrift Ȗ Schrift Heilige (Christenmenschen) 5/1: 22, 27, 29, 32, 56, 76, 78, 90, 97, 103 f., 106, 122, 157, 160, 166, 191, 196 f., 209, 212 f., 215, 245, 257, 277, 322, 324, 335, 339, 345, 371, 397 f.

Sachregister 5/2: 415 f., 421, 429, 431, 445, 460–462, 470, 488 f., 494, 512 f., 515 f., 543, 581, 584, 587, 589, 614 f., 617 f., 620 f., 640, 643, 648, 653 f., 663 f., 690, 741 Heiliger Geist / Geist (Gottes) 5/1: 22, 26, 37–39, 41–43, 46–50, 52 f., 55, 60, 62–65, 67, 71–73, 79–82, 84 f., 87, 89 f., 94, 97, 101 f., 116–121, 124–126, 129–134, 136 f., 139–141, 149, 152, 154, 156–158, 163, 165 f., 181, 183, 189–196, 202–204, 207, 212 f., 243, 245–251, 256 f., 259–262, 264, 268, 271, 275, 278 f., 282 f., 286–290, 292, 301, 304–308, 316, 318, 320–322, 324, 326–328, 330 f., 335, 338 f., 342–344, 347–349, 359, 362–364, 367–369, 371, 373 f., 376 f., 381 f., 384–390, 392, 394 f., 398 f., 401, 403 5/2: 412 f., 415, 417 f., 420, 422–426, 428, 431 f., 434–436, 439 f., 443 f., 446, 455 f., 459 f., 464, 466, 468 f., 472, 478–480, 483, 485 f., 488 f., 495, 502–504, 506 f., 509 f., 515, 518, 552 f., 556, 559, 562, 570 f., 574, 576–578, 581, 595, 602 f., 606–608, 610, 612–617, 619, 627–630, 633–635, 637 f., 642–644, 646, 648 f., 655 f., 664 f., 668 f., 672–675, 679 f., 682–691, 694, 701–703, 708, 712, 715, 717–720, 722, 724, 731 f., 734, 738, 741–744, 746, 749–751, 757, 759 f., 764, 769 f., 775–780 Heiligung 5/1: 37, 166, 173 f., 190, 192, 281, 287, 315, 323, 337, 341, 348, 360, 368, 371, 395 5/2: 415, 486, 504, 567, 576, 585, 624, 639 f., 675, 687, 703, 708, 778 Herrenmahl Ȗ Abendmahl Himmel(reich) Ȗ Reich Gottes Hoffnung 5/1: 55, 68, 73, 79, 107, 116, 122, 130, 134 f., 165, 173, 176, 179 f.,

Sachregister 195 f., 198 f., 211 f., 215, 253, 258, 294, 311, 315, 318, 324, 331, 359, 361 f. 5/2: 411, 502, 529, 541, 565, 575, 592, 610, 620, 628, 643 f., 664, 668 f., 684, 688, 700, 702 f., 710, 713, 715, 718, 720, 723, 725 f., 741 f., 759, 764, 772 f., 775, 777, 780 Ideologie 5/2: 698, 739 f., 743 f., 752 f., 756, 758, 774 Irrlehre 5/1: 21, 27 f., 43, 47, 50, 65, 71 f., 74, 98, 109, 115, 117, 119, 125 f., 129, 133, 137, 140 f., 154–156, 160, 168, 171, 178 f., 217 f., 223, 226, 229, 306, 318, 333, 339, 341 f., 349, 356, 362, 364, 372, 374 f., 378, 389–392, 399, 402, 404 5/2: 411, 426 f., 453 f., 456, 458 f., 463–465, 467, 469, 472–474, 477, 479, 483, 489, 491, 493, 501 f., 506, 508, 517, 522 f., 539, 545, 556, 558, 580, 583, 591 f., 598, 604, 611, 618–620, 622, 657, 661, 663, 670, 674, 685, 695, 700, 708–710, 740, 742–744, 753, 758 f. – Antitrinitarier 5/2: 526 – Arminianer / Arminianismus 5/1: 383 5/2: 550 f., 588, 592, 662, 677 – Götze(ndienst / -diener) 5/1: 105 f., 170, 216 f., 230, 232, 241, 264, 277, 310, 346, 364, 367–369, 371, 379 f. 5/2: 428–430, 460, 492, 520, 522, 540, 585, 652, 657, 751, 756 – Häretiker / Häresie 5/1: 69, 145, 161, 226, 388 5/2: 550, 580 – Ketzer(ei) 5/1: 19, 43, 87, 208, 336, 405 5/2: 557, 565, 591, 608, 650–652 – Papisten Ȗ römisch-katholische Kirche

791 – Pelagianer / Pelagianismus 5/1: 341, 391 5/2: 441, 466, 469 f., 564, 572, 600, 605 f., 608, 613 f., 618 – Sekten 5/1: 24, 64, 158, 329, 339, 371, 398 f. 5/2: 444, 453 f., 491, 497, 522, 574, 578 – Spiritualisten / Schwärmer 5/1: 35, 345, 372 5/2: 700 – Täufer 5/1: 47, 50, 61, 64, 72, 109, 113, 154, 160, 171, 378, 392, 402, 404 5/2: 449, 502, 508, 523, 526, 550, 580 Irrtum Ȗ Irrlehre Juden(tum) / Volk Israel 5/1: 59, 62–64, 67, 88, 105, 123, 126–128, 131, 133, 135, 180, 183, 263, 267, 270, 334, 371 f., 388, 392, 402 5/2: 458 f., 461, 472, 475, 490, 493, 507, 515 f., 519, 561, 564, 584, 602, 607, 612, 634, 645, 664, 669 f., 682, 706, 715, 717, 719, 721, 746, 749 f. Jüngster Tag 5/1: 27, 43, 72 f., 81, 99, 133, 158–160, 165, 176 f., 179, 187, 191, 194 f., 197, 202, 210, 214, 251, 253, 255 f., 261, 270, 283, 320, 323, 325, 334, 348, 367, 380 f., 398, 404 f. 5/2: 419–422, 426, 439, 442, 465 f., 474, 489, 491, 518, 558, 572, 574, 576, 586 f., 591, 597, 621, 635, 642, 649, 653, 655, 659 f., 663, 696 f., 702 f., 709, 715 f., 720, 723, 725, 731 f., 741, 759, 770 Katechismus 5/1: 5–7, 16, 142, 173–176, 223, 228, 231, 233–235, 242–244, 301, 313–315, 325, 333, 335, 355, 382 5/2: 407–412, 451, 529, 532, 550, 561, 589, 623, 714, 738, 746

792 Ketzer(ei) Ȗ Irrlehre Keuschheit / Enthaltsamkeit Ȗ Zölibat Kinder 5/1: 28, 48, 57–64, 75, 82 f., 85, 88, 99, 124, 134 f., 160, 164, 169, 173 f., 176, 181, 183, 187, 189, 200, 204, 206, 212, 216, 228 f., 231 f., 234 f., 261, 265 f., 269, 281, 285, 287, 293 f., 298, 305, 313, 315–317, 322, 326 f., 335, 341, 344, 346, 348, 357, 361, 371, 375, 378, 391 f., 401 f., 404 5/2: 424, 429, 446, 466, 501, 507 f., 517, 519, 521 f., 542–544, 550, 553, 559–561, 585, 587, 595 f., 598, 600, 605 f., 612, 621, 632, 637, 653, 655 f., 676 f., 682, 687, 693 f., 749 f., 755, 759, 778 Kinder Gottes 5/1: 22, 39, 41, 43, 58, 61, 75, 80 f., 83 f., 91, 97 f., 126, 133, 136, 151, 191, 250, 279, 291, 304 f., 321, 326, 330, 341, 365, 368 f., 391, 401 5/2: 417, 443, 446, 483, 507, 559, 571, 585 f., 596, 616, 619, 639, 644, 669, 687, 689, 693, 702, 764, 770 Kirche 5/1: 1, 5–17, 19–22, 24–25, 30, 32, 34, 46, 50, 52, 59–64, 71 f., 74, 76–78, 81, 86 f., 93, 97 f., 102, 104–107, 113 f., 127 f., 131, 133–136, 141, 146, 151, 153–159, 161, 163, 166–173, 176, 183, 196 f., 206, 208–211, 213, 215–224, 226 f., 229, 232–234, 236 f., 239–241, 243–246, 255–258, 284, 288, 291, 298 f., 303 f., 309–315, 322, 324 f., 334, 336–339, 342, 345–348, 350 f., 353–361, 364, 367, 371–375, 377 f., 380, 383–385, 388 f., 398–402 5/2: 407 f., 410 f., 420, 424, 427, 435, 437–440, 444–448, 451–456, 458, 460 f., 465, 467, 472, 474, 477, 480 f., 489–505, 507–509, 512–516, 519–524, 526–531, 536 f., 555 f., 560 f., 564, 566 f., 569, 580–583,

Sachregister 585, 587–589, 591–593, 597 f., 604 f., 611, 613, 616, 619–628, 632, 634, 641, 645, 651–656, 658, 661–664, 674–677, 679, 681, 685, 692–696, 698–711, 714 f., 717–745, 747–749, 751–754, 757, 759–770, 774–780 – Alte ~ 5/1: 50, 61, 106, 160, 223, 230, 232 5/2: 438, 444, 453 f., 497 f., 509, 511, 514–516, 519, 556, 560, 583, 586, 614, 714, 769 – allgemeine („katholische“) ~ 5/1: 22, 103, 166, 196, 213, 245, 256 f., 312, 371, 373, 398 5/2: 415, 420, 489 f., 581, 624, 653, 693, 707, 741, 778 f. – Disziplin Ȗ Kirchenzucht – Gebäude 5/1: 26, 135, 224, 228, 232 f., 235, 241, 315 5/2: 430, 445, 456, 460, 513 f., 519–521, 582 – Gemeinde 5/1: 1, 5, 9, 12, 19, 39 f., 50, 61, 63, 71, 74, 80 f., 84, 87, 95–100, 103, 108, 112, 115, 117, 127 f., 133–135, 137 f., 141–144, 146, 154, 166, 170 f., 219 f., 223, 226–228, 233, 235 f., 241 f., 289, 299, 313–316, 323–327, 329 f., 333, 335–337, 346 f., 351, 353–356, 382 5/2: 420 f., 424, 427, 431, 440, 445, 458, 470, 492 f., 495–497, 500–502, 511–515, 517, 520, 524, 529 f., 532–550, 582 f., 588, 656, 658, 661, 663, 698–700, 703 f., 707–709, 721 f., 724 f., 730 f., 733 f., 737, 748, 751, 760, 762, 769, 776 – Kirchendiener Ȗ Amt / Ämter – Kirchengut 5/1: 110 5/2: 496, 520 f.

Sachregister – Kirchenleitung Ȗ auch: Amt / Ämter 5/1: 95, 168, 211, 219–222, 224, 227, 229–233, 235–240, 299, 314, 336, 347, 351, 353–357, 399 5/2: 455, 491, 496, 500, 514, 529, 531–537, 542–548, 566, 623, 659, 676 f., 692, 695 f., 705–708, 711, 720 f., 745, 777 – Ordnung(en) / Struktur / Gestalt / ​ Aufbau 5/1: 5 f., 11 f., 14, 35, 110, 113, 115 f., 119–121, 125, 153, 167, 173, 183, 219–224, 226 f., 229 f., 235–243, 268 f., 288, 299, 314, 336 f., 345 f., 350–353, 358, 360, 383, 399 f. 5/2: 408, 410, 448, 453, 491, 497, 500, 515, 528–531, 540 f., 550 f., 583, 623, 627, 647, 653, 656, 658, 674, 693 f., 696, 699 f., 703–706, 709, 720 f., 729, 733, 735 f., 766 – römische ~ Ȗ römisch-katholische Kirche – unsichtbare ~ 5/1: 59 f., 97, 371 5/2: 493, 567, 581, 653, 693 – wahre ~ 5/1: 345 f., 372–374, 380, 388, 398 f. 5/2: 453 f., 491–493 Kirchengemeinschaft Ȗ Union Kirchenkampf Ȗ Nationalsozialismus Kirchenzucht / Kirchendisziplin 5/1: 93, 138, 140, 143, 167, 209, 219–221, 234, 299, 325, 329 f., 373, 380, 398–400 5/2: 411, 427, 437 f., 446, 481, 491, 501 f., 513, 515, 519, 522, 528, 530, 534 f., 544 f., 547 f., 578, 581, 592, 607, 611, 623 f., 632, 651, 658, 690, 692 – Bann / Exkommunikation 5/1: 20, 24 f., 27, 33, 112, 138, 145, 154, 158 f., 173, 209, 217, 220, 239, 299, 329, 354, 356, 400

793 5/2: 437, 447, 501, 536 f., 5­ 42–544, 580, 582, 658 Konsistorium Ȗ Kirche, Kirchenleitung Konzil(e) 5/1: 16, 19, 46, 108, 110, 145, 161, 339, 374 f., 386 5/2: 438, 444, 457, 502, 524, 527, 582, 628, 658 f., 763 Kreuz (der Menschen) Ȗ auch: Christus 5/1: 60, 109, 116, 139 f., 204, 268 f., 285, 292, 306, 329, 333, 366 5/2: 492, 529, 532–534, 538–540, 543, 602, 716 Krieg 5/1: 12, 14, 16, 112, 225, 336, 357, 379 5/2: 449, 523, 529, 544, 580, 589, 592, 623, 639, 651, 662, 677, 727, 745 f., 755 Leben, christliches / kirchliches / neues 5/1: 1, 20, 35, 37 f., 47, 64, 66, 73 f., 77, 79 f., 83, 85 f., 89, 92 f., 107, 112 f., 115–122, 124 f., 129, 131, 138 f., 141, 143 f., 146, 157, 159, 163, 166–168, 170, 174, 176, 178 f., 180, 182 f., 185, 187, 198, 207–210, 212, 216, 220, 222 f., 226–229, 232, 236 f., 241–244, 248 f., 260, 262, 265, 268, 270, 275 f., 283, 288 f., 293 f., 296–298, 304–306, 308, 324, 326–329, 331, 335, 337, 340 f., 343 f., 346, 348, 351, 354, 365, 369–372, 376, 379 f., 384, 390, 395–397, 399–404 5/2: 408, 410–412, 414, 416–419, 421–423, 426–428, 431, 433–435, 440, 443, 445, 451 f., 455, 458, 461, 463, 465, 469, 475–477, 479 f., 482, 485, 490, 492, 496, 501 f., 505, 507, 510– 512, 519, 523, 529, 534, 536, 539, 541, 545, 563, 569, 571, 574–577, 584, 586–588, 598, 600 f., 604, 606, 608–610, 612, 614, 616 f., 619, 622 f., 626–628, 630, 633, 637, 639 f., 642–647,

794 652 f., 655, 660, 665, 667–669, 676, 679, 681 f., 684 f., 687 f., 690, 696, 703–705, 708 f., 714–725, 729–732, 734 f., 739, 743, 747, 749–752, 755, ­757–759, 761 f., 764, 769, 771–777, 779 Leben, ewiges 5/1: 37, 39, 59 f., 82, 85, 99 f., 116, 127, 129 f., 136, 139, 158 f., 165, 169 f., 176, 185 f., 188 f., 196–198, 207, 213, 245, 256, 258–261, 269, 287, 294, 316, 320–325, 328, 333, 380, 393, 401 5/2: 412, 415, 418, 420 f., ­423–426, 440, 471 f., 478, 484, 486 f., 492, 503, 508 f., 511, 518 f., 558, 561–564, 572, 574, 583, 594, 596, 599 f., 603, 605, 608, 616, 619, 629, 640–642, 660, 667–669, 671, 688 f., 697, 703, 716, 718, 750 Lehre, christliche 5/1: 9, 11, 13, 16 f., 21, 23, 25, 31, 37 f., 43, 48–50, 74, 76, 78–82, 86, 88 f., 93–95, 98–100, 102, 105, 107 f., 112 f., 115–119, 121, 124 f., 128, 131 f., 138, 140–142, 145 f., 150, 152, 155 f., 160, 163, 166, 180, 186, 190, 207–209, 211, 218, 222–229, 234, 236, 242 f., 257, 269, 272, 278, 280, 282, 288 f., 293 f., 296, 298, 300 f., 303, 307, ­310–312, ­314–316, 320 f., 325, 329 f., ­333–335, 345 f., 354 f., 359–361, 370 f., 373, 377 f., 382–388, 390, 395, 398 f. 5/2: 410 f., 422, 431, 437 f., 440, 442 f., 448 f., 452–455, 462, 474 f., 479–481, 483, 485 f., 494, 496 f., 501 f., 508, 510, 512, 514, 518, 520 f., 524, 526, 528, 532, 534, 536, 547 f., 550, 558, 566, 572, 586, 592 f., 597–599, 604 f., 609–611, 617 f., 620–622, 627, 630, 640, 653, 662–664, 676, 687, 693, 704, 714 f., 718, 724, 727, 729 f., 732–735, 738, 748, 778 Lehre, falsche Ȗ Irrlehre

Sachregister Liturgie 5/1: 16 5/2: 714, 728 Magie 5/1: 62, 232, 403 5/2: 429 Messe 5/1: 23, 30–32, 48, 74, 78, 100–102, 112, 119, 142, 216, 232, 378 5/2: 426, 512, 520, 586, 657 Missbrauch 5/1: 19, 32, 39, 78, 90, 102, 148, 155, 181, 211 f., 216, 220, 223 f., 232, 239, 264, 266 f., 317, 345, 370 5/2: 429 f., 482, 520 f., 583, 617, 651, 740, 758, 760, 764, 772, 774 Mission 5/2: 712, 719, 720, 738, 759 f., 766, 768, 780 Mönch(tum) 5/1: 24 f., 47, 78, 90–93, 158, 172, 217, 345 5/2: 497, 650 Musik 5/1: 26, 78, 103 f., 233, 385 5/2: 513 f., 535, 648, 691, 714, 724, 751 Nächstenliebe 5/1: 47, 85 f., 148 f., 151, 160, 164, 180, 184 f., 196, 207, 274, 282, 297, 310, 319, 399 5/2: 412, 431 f., 580, 674, 689, 751 Nationalsozialismus 5/2: 698 f., 705 Obrigkeit 5/1: 19 f., 25 f., 47 f., 71 f., 76, 78, 85, 92, 94, 102, 107, 109, 112 f., ­116–121, 141 f., 150, 154 f., ­159–161, 168, 171–173, 183, 210 f., 218, 220, 225 f., 239, 304, 318, 329, 337, 345, 349 f., 354 f., 360, 369 f., 374, 379 f., 384, 398, 404 f. 5/2: 410 f., 431, 438, 448 f., 514, 522 f., 537, 542–544, 567, 579 f., 588 f., 593, 623, 647, 650 f., 653,

Sachregister 658 f., 661 f., 692 f., 695, 707, 709, 722, 744, 756, 760, 774, 776, 778 Ökumene 5/1: 15–17 5/2: 408, 438, 525, 713, 728, 730, 736, 738, 745, 753 f., 761, 763, 768 Offenbarung 5/1: 24, 37–39, 41 f., 47, 60 f., 64, 69, 71, 81, 96, 98, 123 f., 126, 134, 151, 158, 167–170, 193, 195, 202, 204–207, 216, 249, 257 f., 277, 289, 291, 293–298, 306, 308–310, 334, 338, 347–349, 363, 376 f., 385, 393, 396, 400–403 5/2: 424, 426, 445–447, 492, 502–508, 511, 527, 553, 559–561, 571, 583–585, 616, 619, 624, 626 f., 629 f., 644, 654 f., 660, 672, 674, 679 f., 682, 684, 694, 699–701, 703 f., 708, 715, 718, 721, 754 f., 757, 770, 775–779 Orden Ȗ Mönch(tum) Papst(tum) Ȗ Römisch-katholische Kirche Pastor Ȗ Amt / Ämter Pfarrer Ȗ Amt / Ämter Prädestination 5/1: 39, 56, 59–61, 71, 124 f., 132, 134, 146, 151, 155 f., 169, 173 f., 187–188, 196 f., 204, 256–258, 282, 307 f., 337, 340 f., 344, 363, 365, 368, 371 f., 375, 380, 383, 389, 391, 402, 404 f. 5/2: 438, 443, 452, 470 f., 485, 493, 495, 550 f., 553, 555, 558, 563, 566 f., 570–572, 588 f., 593–601, 603, 608, 615 f., 618, 621, 624, 630, 634, 636, 638, 640, 643 f., 660–662, 665 f., 668 f., 671 f., 673, 676 f., 689, 727 f., 732 f. Prediger Ȗ Amt / Ämter Predigt Ȗ auch: Prediger

795 5/1: 19–22, 37 f., 41, 47, 61, 69–71, 74, 78, 80–82, 94, 99, 101, 116, 118, 120, 122, 124 f., 128–132, 136, 140 f., 143, 145, 153, 155, 166, 187, 210, 217, 219, 227 f., 232 f., 243, 289, 301, 305, 315, 325, 331, 345, 355–357, 373, 377 f., 380, 399, 404 5/2: 422, 427, 430, 434, 444, 448, 455 f., 471, 478–482, 485 f., 492, 494–496, 502, 506, 512, 514 f., 522, 540, 545, 550, 556, 558, 561, 566, 572, 607, 609, 612, 617, 620, 634, 640, 648, 670–672, 676, 682, 691, 700, 702–704, 708 f., 719, 723 f., 728 f., 731, 734 f., 740, 743, 749, 751, 763, 776, 778 Priester Ȗ Amt / Ämter Propheten Ȗ Amt / Ämter Ȗ auch: Christus Rechtfertigung 5/1: 16, 37–43, 56, 76, 78, 81, 83, 89 f., 121, 173, 189–191, 193, 196, 257, 260 f., 337, 343 f., 353, 366, 393–395 5/2: 438, 441–443, 452, 477, 479, 483–485, 487, 526, 553, 567, 571 f., 574–576, 585, 595, 599, 601, 603, 605, 615, 618, 620, 624, 630, 634, 638–640, 645, 647, 650, 673, 686, 688, 693, 703, 708, 727, 730 f., 738, 751, 758, 773 Reich Gottes 5/1: 37, 46, 82, 97 f., 124, 127, 159, 179 f., 189, 196–198, 202, 215, 259, 280–283, 287, 327, 330 f., 333, 335 5/2: 428, 434–436, 481, 517, 528, 702, 706, 709, 725 f., 749, 764, 774–776, 778, 780 – Himmel(reich) 5/1: 42, 46, 53 f., 56, 66 f., 81, 84, 86, 92–94, 97 f., 105, 122, 124 f., 129 f., 132, 138, 157 f., 165, 178 f., 181 f., 185, 187, 190,

796 192 f., 195, 198, 201 f., 207 f., 210, 212 f., 215, 245–247, 250, 254 f., 264, 267, 280–283, 285, 288, 295–297, 301, 309, 310, 317, 320 f., 323, 326, 329–331, 339, 348, 362, 366 f., 376, ­386–390, 392, 396 f., 402–404 5/2: 412, 415 f., 419 f., 425–427, 429, 434 f., 439, 456, 459 f., ­462–464, 470–475, 480 f., 487–489, 499, 508, 511 f., 514, 521, 523, 552, 558 f., 562, 564, 574, 578, 581, 586, 600–602, 614, 635, 651, 653, 658 f., 663 f., 666 f., 670, 683, 696, 701, 725, 743, 751, 770 f., 773–775 Regierung, weltliche Ȗ Obrigkeit Römisch-katholische Kirche 5/1: 12, 19 f., 24, 28, 31, 49, 52, 61, 65, 78, 112, 141, 217, 220, 301, 337, 351, 359 f., 377 f. 5/2: 408, 426, 444 f., 449, 454, 457, 489, 491, 498, 503, 512, 524, 542, 544, 554, 579, 581, 583 f., 586, 592, 662, 700 – Papisten / Päpstliche 5/1: 47, 309, 376, 378 5/2: 479, 514, 518, 526, 542 f., 546, 556, 619, 650, 652, 656 – Papst(tum) 5/1: 69, 74, 80, 108, 115, 119 f., 135–137, 141, 161, 168, 216 f., 235, 241, 334, 346, 377 f., 404 5/2: 437, 449, 474, 483, 491, 503, 509, 528, 558, 560–563, 566, 579–583, 592, 619, 651, 653, 700 Sabbat Ȗ Feiertage Sakramente 5/1: 34 f., 37, 39–42, 47–49, 60–64, 67, 70, 76, 78, 97–100, 115, 132– 138, 146, 151, 157 f., 161, 168–170, 173 f., 183, 205 f., 208, 215–217, 219 f., 222, 232 f., 235, 242 f., 269, 287–293, 295, 297–301, 303–308, 310–312, 316, 325 f., 330, 337,

Sachregister 345–348, 351, 355 f., 359 f., 369 f., 373, 375–378, 380, 399–403 5/2: 422 f., 427, 431, 437 f., 444–447, 449, 452, 460, 492–494, 498, 501–506, 509–512, 515, 517, 527, 550, 553, 556, 559–561, 563 f., 567, 579, 581 f., 584–586, 611, 617, 624, 634, 640, 648, 651, 654–658, 682, 691 f., 694 f., 700, 702, 708 f., 727–729, 732, 734, 767 Satan Ȗ Teufel Schöpfer Ȗ Gott Schöpfung 5/1: 336, 338, 359, 384, 389 f. 5/2: 416, 465, 567, 572, 609, 626, 630, 679, 680, 702, 706, 717 f., 722, 724 f., 750, 754–761, 763, 770–773, 775–777, 780 Schuld Ȗ Sünde Schrift 5/1: 5, 7–9, 13, 19–21, 27–29, 31–33, 41, 43, 50, 57, 62, 67, 71–73, 76 f., 80–82, 87 f., 90, 94 f., 97–105, 107 f., 113, 120, 125, 131, 136, ­138–140, 143, 146, 148–152, 156, 160 f., 163, 167 f., 178 f., 188, 190, 192 f., 196, 208, 211, 215, 218, 220, 222 f., 225 f., 229, 239, 259, 261, 268, 276, 280, 282, 285, 287 f., 298, 309, 312, 321, 324, 333 f., 336, 338–340, 355, 359, 362, 373–375, 382, 384–387, 389 f., 395 f. 5/2: 423 f., 428, 431, 438, 440 f., 444–446, 449, 451, 455, 457, 459 f., 464–466, 468 f., 474, 476 f., 481, 484 f., 490, 494, 496, 501 f., 512, 517 f., 535, 541, 556–559, 561, 563, 565 f., 569 f., 572, 574, 576, 578 f., 582–585, 587, 593, 595, 597, 599– 601, 604 f., 609, 612 f., 615–619, 622, 626–628, 634, 636, 639, 648 f., 657, 659, 662, 664, 666, 669 f., 672 f., 679, 682, 687, 690 f., 696, 701 f., 707–709, 714 f., 718 f., 724, 728 f., 731, 733, 735, 739, 751, 757, 764 f., 769, 799

797

Sachregister Schwur Ȗ Eid Seligkeit Ȗ Heil Sünde 5/1: 23 f., 26 f., 32, 37 f., 41 f., 46 f., 53, 55–58, 64 f., 68, 70, 86 f., 92–94, 99, 101–103, 119, 121, 125–132, 137, 142, 148 f., 155–159, 164–166, 168, 178–180, 186, 189–191, 193 f., 197, 203, 208, 211, 214, 245, 249, 252–254, 258, 260–263, 265, 273 f., 279, 285–287, 292, 296, 304, 307 f., 316, 319 f., 323, 326, 332, 337, 340 f., 344, 359, 363, 365 f., 369–371, 376, 378, 380, 389–397, 399, 401 5/2: 407, 412–414, 416–419, ­421–428, 430 f., 433, 438 f., ­441–443, 447, 452, 465–469, 473, 475, 477, 479–485, 489, 501, ­503–508, 536 f., 543 f., 552, 559, 563 f., 571–574, 576–578, 582 f., 586, 589, 593–597, 600–603, ­605–608, 610–612, 614–616, 619, 621, 628–633, 635–644, 646–648, 650, 653, 656–658, 660, 662, ­665–668, 672 f., 676, 680–688, 690–692, 695, 701, 708, 715–717, 722, 724 f., 729, 731, 739, 742 f., 746, 750, 759 f., 763, 770–773, 778, 780 Superintendent Ȗ Amt / Ämter Synoden 5/1: 11, 15, 31, 113, 115–118, 120, 143–145, 336, 350–358, 382 f. 5/2: 408, 437, 476, 502, 517, 524– 532, 534, 537 f., 540 f., 545–548, 550 f., 566 f., 587–593, 598, 604, 611, 618, 620 f., 623, 625, 651, 658 f., 676, 698–700, 705, 707, 710, 712, 737, 745 f., 752–754, 757, 760, 762, 764 Taufe Ȗ auch: Sakramente 5/1: 37–40, 42, 47 f., 61–64, 71, 78, 98 f., 130, 132, 134–136, 146, 151,

157 f., 160, 168 f., 174, 206, 216, 232, 242, 291–295, 298, 301, 305, 308, 315, 324, 326 f., 335, 341, 346, 348, 357, 371, 375–378, 387, 391, 401 f. 5/2: 423–425, 443, 445 f., 459, 472, 503–508, 527, 530, 534, 542 f., 550, 553, 558–560, 567, 577, 584 f., 621, 634, 655 f., 664, 682, 694, 720, 723–725, 731, 735, 742, 751, 765, 773, 776 f. Täufer Ȗ Irrlehre Teufel 5/1: 27, 39, 48, 56, 60, 72, 87 f., 119, 141, 168, 180, 193 f., 198, 202, 204, 208, 217 f., 232, 247, 249, 254, 263, 283, 286 f., 305, 325, 332–335, 340, 345, 361–364, 369, 371 f., 380, 389 f., 401, 405 5/2: 412 f., 417, 433, 435 f., 443, 464, 466 f., 471 f., 474 f., 480, 482, 489, 500 f., 507 f., 518 f., 522, 560, 563, 591, 606, 613–615, 617, 621, 626, 632, 643, 646, 648, 653, 664, 681, 688, 772 Trinität Ȗ Gott Tod (der Menschen) 5/1: 21, 26, 35, 39, 47–48, 57 f., 69, 88, 91, 95, 99–101, 109, 112, 119, 124 f., 129, 132, 139, 141, 151, 153, 157 f., 165 f., 170, 179 f., 182, 185 f., 193 f., 197 f., 204, 208, 234, 248, 252–255, 257–259, 261, 270, 285, 292, 295 f., 306, 313, 316, 320, 322, 325, 328, 332, 334 f., 342 f., 345, 348, 361, 363–367, 378, 390, 393, 398 5/2: 418, 431, 437, 449, 465–467, 473, 475, 479, 483 f., 489, 499, 508 f., 518 f., 535, 544, 552, 559 f., 563, 571 f., 580, 588 f., 593 f., 598, 611, 614 f., 617, 619, 629, 633, 635, 637, 645 f., 659, 667 f., 672, 676, 681, 684, 696, 703, 715–718, 743, 747, 749–751, 754 f., 764, 770, 772 f. Umkehr Ȗ Buße

798 Umwelt Ȗ Schöpfung Undank Ȗ Dank Unfreiheit Ȗ Freiheit Ungehorsam Ȗ Gehorsam Ungerechtigkeit Ȗ Gerechtigkeit Unglaube Ȗ Glaube Union 5/1: 13 5/2: 525, 711 f., 714, 727–730, 732–736, 762–767 Ursünde Ȗ Sünde Verdammnis 5/1: 23, 42, 59, 122, 156, 165, 194, 208 f., 233, 253, 258, 266, 273, 275, 320, 325, 341, 383, 389–391, 393, 395, 403 5/2: 418, 420, 427, 441, 445, 475, 477, 484, 511, 553, 564, 572 f., 601, 611, 621, 641, 646, 657, 660, 672, 677, 684 Verdammte Ȗ Verwerfung Vergebung (der Sünden) 5/1: 20, 27, 37, 41 f., 54, 62, 68, 99, 101, 125, 127, 129 f., 132, 159, ­167–169, 189, 197, 203 f., 206, 213–215, 241, 245, 258, 284 f., 292, 321 f., 324–328, 332 f., 343, 346, 376, 380, 394, 399 5/2: 415, 421, 423, 425 f., 434, 436, 443, 446, 478, 480–483, 499, 507, 509, 512, 518, 575 f., 582, 605, 615 f., 634, 638, 641 f., 655 f., 686, 703, 708, 716–718, 724, 732, 773 Verheißung 5/1: 21, 37, 47, 59, 61–64, 90, 94, 96, 99, 116, 119, 123, 130, 140, 157, 165, 169, 186, 188 f., 192 f., 198, 200–202, 205 f., 208, 215, 259–261, 266, 270, 279 f., 287, 289–291,

Sachregister 293 f., 296, 306–308, 321–323, 343 f., 359, 363 f., 367, 373, 375, 392, 400, 402, 405 5/2: 421, 423, 425, 440, 444, 446, 460 f., 471, 477 f., 481 f., 485 f., 488, 502–504, 527, 572, 576, 578, 581, 583 f., 591, 603, 616, 619, 633 f., 636, 639 f., 644, 646, 650, 653, 655, 667, 674, 682, 685, 687, 689, 692, 701 f., 704, 715, 717, 720, 729 f., 732, 757, 764, 773, 776 Verkündigung Ȗ Predigt Vernunft 5/1: 17, 88, 106, 124, 126, 164, 176, 220, 232, 236 f., 293, 316, 333 f., 340 5/2: 473, 564, 571, 605, 631, 633, 647, 657, 665, 671 f., 680, 687, 689, 704, 731 Versöhnung 5/1: 50, 127, 149, 166, 241, 251, 260, 262, 295, 309, 328, 342, 356 f., 394, 401 5/2: 478, 481, 586, 605, 607, 635, 656, 682–684, 695, 711 f., 714–719, 721–725, 737 f., 740–743, 759, 778 Verwerfung Ȗ auch: Prädestination 5/1: 174, 378 5/2: 423, 560, 564, 571, 589, 594, 597 f., 621, 645, 666, 672, 676 f., 732 f. Visitation 5/1: 227 f. 5/2: 552 Volk Israel Ȗ Juden(tum) Vorsehung 5/1: 164, 192, 196, 203, 205, 246, 337, 340, 362, 389 5/2: 416, 462–464, 467, 558, 563, 567, 572 f., 624, 626, 628, 631 f., 649, 665, 670, 672, 679–681, 714 Wallfahrt 5/1: 217, 345 Weihe 5/1: 28, 182, 191, 266

Sachregister 5/2: 445, 448, 502, 504–509, 515, 520, 535, 566, 584 f., 597, 657, 695 Weltliche Herrschaft Ȗ Obrigkeit Werke, gute 5/1: 23, 39 f., 42, 47, 76, 78, 80, 82–85, 87, 107, 138, 148, 166, 173, 178, 191, 196, 212, 214, 243, 261 f., 316, 318, 344, 360, 368 f., 380, 395 f. 5/2: 422, 428, 441 f., 452, 469, 485–488, 516, 523, 567, 571, 573, 575 f., 609, 616, 621, 624, 630, 641 f., 688, 773 Wiedergeburt 5/1: 47, 70, 83 f., 99, 124, 131 f., 136, 165, 169, 173, 179, 190 f., 195 f., 206, 214, 243, 256, 260, 262, 275, 292 f., 304, 306, 308, 323 f., 327 f., 344, 348, 359, 363, 367 f., 370, 395, 401 f. 5/2: 413 f., 423 f., 428, 434, 441 f., 446, 468 f., 480, 487, 492, 502, 504 f., 507, 509, 519, 551, 559, 573 f., 576 f., 581, 585, 588, 606, 608–610, 612–615, 618–620, 637, 639, 642 f., 646, 655 f., 665, 669, 676, 681, 686–688, 717, 720 f., 731, 741, 750, 761, 770, 773–775, 777, 780 Widerstand 5/1: 146, 173, 211, 232, 236, 238, 241, 286, 341, 359, 370 5/2: 550, 555, 698, 762, 764, 771 Wille – freier ~ 5/1: 82, 146, 151, 164, 178–179, 241, 349, 363, 368, 390 5/2: 438, 441, 467–469, 550, 572, 604–606, 608, 610, 612, 614, 618, 636, 643, 684, – Gottes ~ 5/1: 5, 10, 21 f., 25 f., 38, 55, 59, 72 f., 83, 85, 95, 109 f., 116 f., 120 f., 132, 159, 164, 167, 180, 183, 186, 188 f., 192, 201–203, 205 f., 212, 215, 244, 246–249, 254, 262, 266, 271, 277, 280, 282 f., 288 f., 315, 319,

799 326, ­330–332, 340, 345, 349, ­367–370, 379, 386, 389–391, 396 5/2: 412, 416 f., 428, 430, 434 f., 442, 444, 453, 467 f., 470 f., 476, 486, 553, 572 f., 576 f., 595, 598 f., 601, 603 f., 607, 611, 615, 621, 626, 628–631, 645 f., 648, 651, 653, 656, 665–668, 670–672, 674, 680, 684, 689, 691, 722, 725, 731, 733, 743, 760, 772, 779 f. – der Menschen 5/1: 82, 84, 92, 96, 117, 177, 186, 189, 202 f., 205, 214, 247, 269, 273 f., 282 f., 286, 288, 316, 320, 340, 384, 391, 398 5/2: 435, 441, 444, 448, 459, 467, 498, 505, 543, 564, 571, 573, 582, 588, 600, 606, 609–614, 618, 629, 637, 646, 653, 774, 778 Wirtschaft 5/1: 153 5/2: 407, 476, 718, 723, 725, 745, 752–761, 774, 776 Wort Gottes 5/1: 7, 10, 12, 14, 19 f., 28, 30, 32 f., 37, 48, 52, 65, 70, 72–75, 88, 103, 105, 107, 117 f., 120 f., 149, 151, 155–157, 163 f., 167 f., 170 f., 176 f., 182 f., 187–189, 208–211, 215–220, 222, 224, 226, 228, 233 f., 237, 239 f., 269, 321, 325, 329, 331, 335 f., 338 f., 344–346, 355, 357, 359, 361 f., 366, 370, 373–375, 380, 384, 386, 390, 395, 398–400, 404 5/2: 410 f., 415, 430 f., 434 f., 444–446, 448 f., 455 f., 458, 463 f., 467, 472, 476, 480 f., 492 f., 495, 500–506, 508, 512 f., 519 f., 522, 526, 528, 532, 541 f., 545, 556–559, 563, 569, 572, 575–577, 579–583, 585, 592–594, 596, 598 f., 612, 615 f., 620, 622, 624, 627 f., 637, 641, 647, 649 f., 652, 659, 663 f., 666 f., 670 f., 674 f., 685, 687 f., 691–693, 700–702, 704 f., 708–710, 714, 718–720, 724, 730 f., 738 f., 741, 743, 748 f., 753, 776, 779

800 Zauber(er) Ȗ Magie Zeichen Ȗ Offenbarung Zeremonien 5/1: 30 f., 64, 70, 88, 91, 105, 133 f., 136, 138, 146, 158, 170, 212, 267, 318, 325, 328, 344 f., 375, 396 5/2: 438, 440, 445, 448, 454, 476, 494, 498, 504, 508, 519, 527 f., 556, 560 f., 583 f. Zeugnis 5/1: 1, 5, 7, 10, 12, 14, 17, 31, 41, 45, 50, 59, 63 f., 67, 74, 82, 98, 113, 140, 170, 184, 186 f., 189, 192, 206, 211, 213, 243, 272, 285, 289, 291,

Sachregister 294, 303, 305 f., 315–317, 335, 338, 348, 350, 355, 360, 366, 374, 385, 387 f., 396, 401, 405 5/2: 427, 429, 433, 436, 441, 445, 463, 471, 514, 527, 541, 570, 578, 584 f., 587, 616 f., 620 f., 624, 627, 641, 644, 669, 672, 679, 689, 701 f., 712, 714, 718–720, 724, 727–731, 733–736, 739, 744, 757, 760, 762, 767–769, 775, 778 f. Zölibat 5/1: 30, 92 f., 150, 172, 319 5/2: 486, 501, 515, 517, 521 f., 580, 650 Zweinaturenlehre Ȗ Christus

Verzeichnis der Bearbeiterinnen und Bearbeiter William Black, PhD, Historiker, Oberstufenlehrer an der St. Francis Episcopal School in Houston/Texas Emidio Campi, Prof. Dr. theol., Professor em. für Kirchen- und Dogmen­ geschichte von der Reformation bis zur Gegenwart und Leiter des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich bis 2009 Judith Engeler, Dr. theol., Pfarrerin in Zürich, Wiss. Mitarbeiterin im Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich bis 2021 Margit Ernst-Habib, PD Dr. theol., Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität Saarbrücken und Vertretungs­ professorin an den Universitäten Duisburg-Essen und Jena Rieke Eulenstein, M.A., Historikerin und Leiterin des Öffentlichkeitsreferates der ev. Kirchenkreise Saar-Ost und Saar-West Matthias Freudenberg, Prof. Dr. theol., Pfarrer in der Ev. Studierendengemeinde Saarbrücken und Lehrbeauftragter im Fach Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal und an der Universität des Saarlandes Christian Goßweiler, Dr. theol., Pfarrer der Pfarrgemeinde Eutingen und Gastdozent in deutschen und indonesischen Hochschulen Ian Hazlett, Prof. Dr. theol., Honorary Professorial Research Fellow an der Universität Glasgow Dorothea Heinig, Dr. phil., Freiberufliche Altgermanistin, aktuell Mitar­ beit am Editionsprojekt zum Mühlhäuser Rechtsbuch (Frankfurt a. M./ Mühlhausen) Marco Hofheinz, Prof. Dr. theol., Professor für Systematische Theologie (Schwerpunkt Ethik) an der Universität Hannover

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Verzeichnis der Bearbeiterinnen und Bearbeiter

Torrance Kirby, Prof. Dr. phil., Professor für Kirchengeschichte an der Universität Montreal Marius Lange van Ravenswaay, Dr. theol., Pastor i. R. der Evangelischreformierten Kirche und Wiss. Vorstand der Johannes a Lasco Bibliothek Emden bis 2017 Andreas Mühling, Prof. Dr. theol., Pfarrer in der Ev. ­Studierendengemeinde Trier, Professor für Ev. Kirchengeschichte und Leiter des Ökumenischen Instituts für interreligiösen Dialog an der Universität Trier Pascal Murer, Freiberuflicher Übersetzer, Zürich Peter Opitz, Prof. Dr. theol., Professor em. für Kirchen- und Dogmen­ geschichte von der Reformation bis zur Gegenwart und Leiter des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich bis 2022 Georg Plasger, Prof. Dr. theol., Professor für Systematische Theologie und ökumenische Theologie (Ev. Theologie) an der Universität Siegen Alfred Rauhaus, Dr. theol., Pastor i. R. der Evangelisch-reformierten Kirche und Theologischer Rat im Synodalrat bis 2006 Markus Schaefer, Pfarrer und Ltd. Dezernent im Dezernat 1.2 Ökumene der Evangelischen Kirche im Rheinland Klaas-Dieter Voß, Dr. phil., Wiss. Mitarbeiter in der Johannes a Lasco Bi­bliothek Emden