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German Pages 451 [464] Year 2001
Axel Mueller Referenz und Fallibilismus
W DE G
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler, Wolfgang Wieland
Band 52
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001
Referenz und Fallibilismus Zu Hilary Putnams pragmatischem Kognitivismus von Axel Mueller
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsattfnabme Mueller, Axel: Referenz und Fallibilismus : zu Hilary Putnams pragmatischem Kognitivismus / von Axel Mueller. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 52) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1998 ISBN3-11-016955-X
© Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Fur Cnstina
Vorwort Während der Arbeit an diesem Buch wurde ich von vielen Menschen persönlich und fachlich unterstützt, ohne deren Hilfsbereitschaft und Ausdauer sie nicht entstanden wäre. Professor Habermas möchte ich für seine kontinuierliche und freundlich entschiedene Unterstützung in allen erdenklichen Hinsichten während der gesamten Arbeit danken, die zu dem vorliegenden Buch geführt hat. Ebenso möchte ich Professor Essler dafür danken, durch seine kritischen und konstruktiven Ratschläge Bedenken in mir ausgelöst zu haben, deren Verarbeitung das Gesicht des Buchs mitgeprägt haben. Professor Detels Fragen und Vorschläge waren genauso hilfreich wie die vielfach lebhaften Diskussionen in den Montags- und Dienstagskolloquien in Frankfurt unter Professor Habermas und Professor Kambartel. Den Professoren Carlos Thiebaut, Carlos Pereda und Lorenzo Pena aus Madrid und Professor Sergio Martinez aus Mexico danke ich dafür, mir mit ausführlichen Diskussionen weitergeholfen zu haben. Wenn trotz dieser guten fachlichen Bedingungen in dieser Arbeit vieles unvollständig und schräg geblieben ist, dann liegt das an mir. Ich danke dem Hessischen Graduiertenkolleg, der Studienstiftung des Deutschen Volkes und der DFG für Finanzhilfen, sowie dem Institut für Philosophie des CSIC (Madrid) für Zugang zu den dortigen Einrichtungen. Der Universidad Autonoma de Mexico in Itztapalapa und Frau Professor Lara de Zavala danke ich für die Möglichkeit der Diskussion von Teilen des Materials, der Northwestern University in Evanston für die, ein Seminar über Putnam abzuhalten. Die Entwicklung dieser Arbeit verlangte und verursachte im persönlichen Bereich nicht immer erfreuliche Veränderungen. Die persönliche Abstützung durch die Personen in meinem Umfeld die Bedingung der Möglichkeit, fachlich voranzukommen. Es wäre ungerecht, Cristina Lafont lediglich in dieser Hinsicht zu danken, weil sie mich erstens auch fachlich und textuell nicht in Ruhe gelassen hat, aber zweitens Bedingung der Möglichkeit von viel mehr und viel lebenswichtigerem ist. Meinen Eltern bin ich zutiefst dankbar, mich gerade in den schwierigen Momenten unterstützt, aber sich konsistent geweigert zu haben, irgendwann meinen Zweifehl zuzustimmen. Allen meinen Freunden und - anwesenden, abwesenden und neuentstandenen - Familienmitgliedern, die nie aufgehört haben, Verständnis zu haben, sich über das Hineinsteigern in die Arbeit lustig zu machen und Exempel dafür zu geben, worin der Ernst des Lebens besteht, danke ich dafür, da zu sein und so zu sein.
Inhalt Vorwort Einleitung
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Teil I. Die Herausbildung von Putnams Grundposition
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1. Putnams pragmatische Auseinandersetzung mit zwei Konzeptionen von Verstehen und Bedeutung
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2. Putnams kognitivistische Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis 3.Putnams Auseinandersetzung mit der konventionalistischen Konzeption der Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Rationalität
50 89
Teil II. Putnams Transformation der Bedeutungstheorie
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4. Rahmen und Hintergrund von Putnams bedeutungstheoretischen Überlegungen
166
5. Putnams Problematisierung kriterialer Theorien der Bedeutung
186
6. Die Integration der Extension
244
Teil III. Putnams normative Theorie der Bezugnahme
274
7. Vorbemerkungen: Die Stellung einer Rekonstruktion der Bezugnahme in Putnams Philosophie 276 8. Putnams Skizze der Verwendung nicht absolut epistemisch bestimmter Begriffe
292
9. Putnams Ausführung der Skizze - Präsuppositionsanalysen
345
10. Beitrag der Umwelt und Putnams Argumente gegen den naturalistischen Reduktionismus
419
Literaturverzeichnis
448
Namensverzeichnis
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Einleitung In diesem Buch geht es um die philosophischen Arbeiten Hilary Putnams. Wie die meisten Kommentatoren zu ihrer Verwunderung, Verzweiflung oder Begeisterung bemerken, ist Putnam für einen Philosophen im späten und spezialisierten zwanzigsten Jahrhundert äusserst vielseitig interessiert. Daher kann es nicht um eine Darstellung der Gesamtheit seines Werkes gehen. Ich habe mir für diese Arbeit vorgenommen, nur einen Strang von Argumenten aus den Arbeiten Putnams hervorzuheben, von dem aus sich die Motivation und Ausrichtung vieler seiner weiteren Arbeitsfelder und Theorieentwicklungen als konsequente Weiterentwicklungen und Ergänzungen sehen lassen. Vieles an den Schwerpunkten in Putnams Arbeit erwächst natürlich - neben unvermeidlichen persönlichen Vorlieben und Abneigungen - aus dem argumentativen Hintergrund der philosophischen Tradition, in der seine Arbeiten zunächst entstehen. Doch gerade Putnams persönlicher Beitrag zur Philosophie hat dazu geführt, dass sich eine Basis für die Überbrückung von Gegensätzen ergeben, die das frühe zwanzigste Jahrhundert unter der Entgegensetzung von dem prägten, was die Amerikaner analytische versus kontinentale Philosophie nennen und noch immer zur Grundlage universitätspolitischen Handelns machen. Mich hat gerade dieses potentiell traditionssprengende Element interessiert. Man könnte es verkürzt als Wiederbelebung des beiden Richtungen gemeinsamen Erbes Kants bezeichnen. Es besteht in einer Kombination von Argumenten über den Zusammenhang von Sprache, Erkenntnis und Realitätsunterstellungen, die in ihrer Gesamtheit einen Standpunkt zu artikulieren versuchen, der die Ideen von Lernen aus der Erfahrung und der relativen Sprachabhängigkeit der Objekte der Erfahrung zu vereinbaren vermag. Ich habe diesen Strang von philosophischen Ideen, Argumenten, Konzeptionen und Präzisierungen bereits im Titel absichtlich unscharf als pragmatischen Kognitivismus bezeichnet. Aus Putnams eigenen Schriften heraus scheint es zunächst näher zu liegen, irgendeine Qualifizierung vor den Terminus "Realismus" zu setzen. Deswegen will ich zunächst etwas dazu sagen, wie ich auf diesen Titel gekommen bin. Die Entscheidung für einen solchen Titel wird zunächst einmal durch einen weiteren generell anerkannten Umstand bei der Auseinandersetzung mit Putnams Werk nahegelegt. Er besteht darin, dass Putnam zu unterschiedlichen Zeitpunkten seiner Werkentwicklung in vielen Hinsichten recht unterschiedliche und nicht in offenkundiger Weise miteinander verträglich zu machende Thesen und Konzeptionen vertreten hat. Das gilt auch für das, was er in jeder seiner Phasen als
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Einleitung
'Realismus' bezeichnet hat. Die Qualifizierung der Kontinuität in der Motivation seines Arbeitens durch den Ausdruck 'Realismus' wäre also, abgesehen von der diesem Begriff selbst innewohnenden Mehrdeutigkeit, auch innerhalb von Putnams Verwendung des Terminus nicht besonders vielsagend. Ein Symptom dafür, wie gross die Schwierigkeiten dabei sind, mit Putnams Verwendung von 'Realismus' mitzuhalten, ist vielleicht am deutlichsten an den Reaktionen seiner Kritiker zu bemessen. Die Mehrheit derjenigen, die heute über Putnams Philosophie schreiben, richten sich in ihrem Urteil nach dem Autor selbst und heben hervor, dass seine Philosophie zum Pragmatismus zu rechnen sei.1 Das war jedoch nicht immer so. Denn die Mehrheit derjenigen, die vor etwa 15-20 Jahren über Putnams Philosophie schrieben, hoben dabei seinen 'Realismus' hervor. In der Zeit zwischen diesen beiden klaren Zuordnungen fiel es den meisten schwer, eine mit dem Autor übereinstimmende Einordnung für den Geist zu finden, in dem Putnam damals schrieb. Er selbst hatte diesen 1975 "internen Realismus" zu nennen begonnen2 und ihm 1981 in Reason, Truth, and History3 versucht, umfassenden Ausdruck zu geben. Daraufhin wurde ihm von denjenigen, die den pragmatistischen Teil darin guthiessen, vorgeworfen, er sei zu sehr Realist geblieben und verwickle sich daher in Widersprüche.4 Diejenigen, die den Realismus in diesem Buch suchten, hielten ihm gleichzeitig vor dass er diesen ganz und gar aufgegeben bzw. sogar "verraten"5 oder zumindest in eine unverständliche Thesenkombination eingebaut habe.6 Putnam selbst hat seine Grundauffassung trotzdem 1988 als "pragmatic realism"7 bezeichnet. Auch heute bezeichnet er seine Ansichten als im Grunde genommen realistisch. Doch sieht er seine Aufgabe mit Blick auf die Art von Realismus, die er vor etwa 15-20 Jahren vertreten hat, so, dass es ihm um "rejecting 'realism1 in the name of the realistic spirit"8 gehe. Diese dialektische Denkfigur scheint die Zweifel zu beseitigen: für die Realisten, die das Verschwinden des Realismus beklagten, ist der realistische Geist sicherlich genauso unbefriedigend wie selbst hartgesottene Relativisten mit
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So im deutschsprachigen Raum zuletzt Nagl, L.: "Das neue (post-analytische) Interesse an der präanalytischen Philosophie", Philosophische Rundschau 43 (1990), 257-70, sowie "Ist die analytische Philosophie 'erneuerungsbedürftig'? Hilary Putnams kritischer Blick auf den angloamerikanischen 'mainstream'", in: Deutsche Zeitschriftfür Philosophie 43 (1995), 1045-52. Die erste mir bekannte Verwendung dieses Ausdrucks findet sich in seiner Antwort auf Dummetts Erwiderung auf den 1976 in Jerusalem gehaltenen Vortrag "Understanding and Reference". Der Text des Vortrages und die Diskussion finden sich in Margalit, A.(ed.): Meaning and Use (Dordrecht 1979), 199-228, und der terminologische Vorschlag Putnams auf der letzten Seite. Putnam, H.: Reason, Truth, and History, Cambridge/N.Y. 1981. So etwa Rorty, R.: "Solidarity or Objectivity", in: Rajchman, J./West, C. (eds.): Post-Analytic Philosophy, 3-19. Devitt, M.: "Realism and the Renegade Putnam", in: Nous 17 (1983), 291-301. Lewis, D.: "Putnam's Paradox", in: Australasian Journal of Philosophy 62 (1984), 221-36. Putnam, H.: Representation and Reality, Cambridge MA/London 1988, 108. So äußert er sich in "A Defense of Internal Realism" (in: Putnam, H.: Realism with a Human Face, Cambridge MA/London 1990, 30-42), 42 und rügt an: "reviving and revitalizing the realistic spirit is the important task for a philosopher at this time."
Einleitung
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einem Realismus leben zu können scheinen, der nur im Geist, aber nicht in der Theorie oder gar der Praxis enthalten ist. Für den, der wissen will, was mit 'Realismus1 eigentlich gemeint ist, ist die Verwirrung komplett, da er etwas zu sein scheint, was man zugleich ablehnen und in Anspruch nehmen kann. Deswegen bedarf es zunächst einmal eines nicht auf dem Gebrauch dieses Ausdrucks beruhenden Standpunktes, von dem aus deutlicher wird, welche Ziele Putnam mit der Kontinuität der Verwendung von 'Realismus' bezeichnet. Das ist ein methodologischer Grund dafür, die Einstellung von 'Realismus' in ein Programm des 'Kognitivismus1 vorzunehmen. Es besteht noch ein enger mit der hier behandelten Thematik verknüpftes methodologisches Motiv dafür, nicht mit der Opposition zwischen Realismus und Idealismus oder Antirealismus zu arbeiten. Denn im Verlaufe der Niederschrift erwies sich eine Konzentration auf interpretationstheoretische Fragen als angebracht. Putnam selbst leitet an entscheidenden Stellen die 'idealistischen' Positionen, denen er seine 'realistischen' entgegenstellt, aus der von den Idealisten stillschweigend angenommenen Interpretationstheorie her. Der beklagte Idealismus kann also nicht identisch mit dieser Interpretationstheorie sein. Deshalb braucht man für diese und die diesbezügliche Gegenposition Putnams eine andere Bezeichnung (selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass die Interpretationstheorie notwendig und hinreichend für den 'Idealismus1 ist). Die in der Interpretationstheorie für die Erklärung von Lernprozessen interessante Beziehung ist die zwischen den epistemischen Voraussetzungen der Durchführung einer Interpretation und dem Ergebnis derselben, d.h. den Wahrheitswerten für Aussagen und Wirklichkeitsunterstellungen für Ausdrücke, die sich bei Akzeptierung einer Interpretation ergeben. Daher habe ich mich dazu entschlossen, die von Putnam mit der Opposition 'Realismus/Antirealismus bzw. Idealismus' bezeichnete Polarität auf dem Feld der Erklärung und Bestimmung der Bezugnahme je nach Kontext mit Gegensatzpaaren wie 'kriterial/nichtkriterial', 'detenninistisch/nichtdeterministisch' und schliesslich dem in gegenwärtigen Diskussionen um Fragen der Voraussetzungen erfolgreichen Interpretierens vertrauten Paar 'epistemisch/ nichtepistemisch' zu markieren, wobei das jeweils erste Glied der Gegensätze die nicht zum Kognitivismus passende und das zweite die mit dem Kognitivismus verträgliche Interpretationstheorie indizieren soll. Ein anderer Grund für meine terminologische Wahl ergibt sich aus dem Stellenwert des Pragmatismus in Putnams Philosophie. Putnams Pragmatismus ist nämlich keineswegs eine neue Erscheinung, sondern bildet von Anfang an das Motiv seiner Bemühungen.9 Es handelt sich bei Putnams Werkentwicklung meiDiese Kontinuitätsthese wird von einigen Autoren in ähnlicher Weise konstruiert, wie ich dies hier versuchen möchte. Besonders hervorzuheben dabei sind meiner Meinung nach Conant, J.: "Introduction", (in: Putnam, H.: Words and Life, Cambridge MA 1994, xi-lxxvi), der von "Putnam's (...) metamorphosis" ( ) spricht, sowie der auf die Rolle der normativ-pragmatischen Hintergrundannahmen in Putnams gesamtem Werk aufmerksam machende Artikel von Gary Ebbs
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Einleitung
ner Ansicht nach um den komplexen Versuch, den Ort der mit dem 'Realismus' verbundenen normativen Überzeugungen innerhalb eines grundsätzlich an der Erklärung der Struktur von lernorientierten Praktiken ausgerichteten Standpunktes zu bestimmen. Diese Zielsetzung ist charakteristisch für den Pragmatismus seit Peirce gewesen. Die Möglichkeit des Lernens im Sinne kognitiver Revisionsprozesse von Überzeugungen und die Explikation von deren Bedingungen ist der Kern dessen, was Putnams hartnäckige Verwendung von 'Realismus1 motiviert. Sie stellt gewissermassen das normative Minimum von Putnams Philosophie dar. Die Herausbildung eigener Standpunkte findet in Putnams Werk mehr als in den Arbeiten der meisten semer analytischen Kollegen fast immer in Auseinandersetzung mit anderen Standpunkten statt. Schaut man sich die Gegner in diesen Auseinandersetzungen an, so findet sich, dass es sich immer um philosophische Positionen handelt, die die Möglichkeit der Verbesserung von Überzeugungen und des Erwerbs neuer Kenntnisse entweder unerklärlich machen oder ausschliessen. Putnams Ausgangsposition ist dieser normativen Untergrenze entsprechend, ganz in der Tradition des Pragmatismus, zugleich (im Gegensatz zum Empirismus Humescher Provenienz) antiskeptisch und (im Gegensatz zum traditionellen Rationalismus) fallibilistisch. Wir haben Überzeugungen, die wir in Begründungen verwenden, die zu Wissen führen können (d.h. Wissen ist möglich), doch alles, was wir zu glauben lernen, kann sich aufgrund von Wissen, das wir über den Gegenstand der Überzeugungen erwerben, als irrtümlich als Wissen betrachtete Überzeugung herausstellen. Der Erwerb und die Begründung von Überzeugungen sind also grundsätzlich kognitive, als rational rekonstruierbare Prozesse. Das ist ein systematisches Motiv dafür, anstelle des engeren 'Realismus' den allgemeineren Titel 'Kognitivismus1 zu wählen.10
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"Realism and Rational Inquiry" (in: Philosophical Topics 20/1 (1992), 1-34). Mehr auf die unverändert im frühen wie im späten Werk Putnams feststellbare Verwurzelung seiner Kritik im vortheoretischen Alltag und der Teilnehmerperspektive konzentriert sich das Resümee von John Haldane in der Rezension "Humanism With a Realist Face" (Philosophical Books 23 (1994), 218). Seine Motivationen bei der Erforschung philosophischer Positionen legt Putnam in Renewing Philosophy (Cambridge 1992) dem entsprechend so dar: "My own view is that we should not let ourselves fall into either scepticism or relativism with respect to normative judgments; (...)if we do not let ourselves fall into scepticism or relativism with respect to normative judgments, then a great many philosophical issues look different, including philosophical issues about reference. Yet when I am asked why I oppose scepticism and relativism and various forms of 'non-cognitivism' with respect to the normative, my answer is not that I have some grand metaphysical theory of the essential nature of normativity to offer. (...) The fundamental reason that I myself stick to the idea that there are right and wrong moral judgments and better and worse moral outlooks, and also right and wrong evaluative judgments and better and worse normative outlooks in areas other than morality, is not a metaphysical one. The reason is simply that that is the way that we (...) talk and think, and also the way that we are going to be talking and thinking. (...) If the project of describing 'the absolute conception of the world1 (...) has collapsed, then that seems to be all the more reason to take our lives and our practice seriously in philosophical discussion." (Renewing Philosophy, 135).
Einleitung
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Im Rahmen eines Beitrags zur Putnamexegese erheben sich dann natürlich die Fragen: Haben die Pragmatisten Recht behalten und stimmt es, dass Putnams Realismus seinem Pragmatismus im Wege stand und diesem daher weichen musste? Stimmt es, dass Putnam eine grundlegende Wendung durchgemacht hat, an deren Anfang er als hartgesottener Realist stand und an deren Ende er als (antirealistischer) Pragrnatist herauskam? Diese rhetorischen Fragen will ich im Folgenden grundsätzlich verneinend beantworten. Putnams 'Realismus' muss nicht weiter gehen als es sein Kognitivismus von ihm fordert. Pragmatismus und Kognitivismus sind jedoch vereinbar, und Putnam war vom Anfang seiner Arbeiten bis heute Kognitivist aus pragmatistischen Motiven. Ein Ziel dieser Arbeit besteht so darin, auf der inhaltlichen Ebene den Ort ausfindig zu machen, an dem sich diese Kontinuität manifestiert. Entsprechend der Grundthese ergibt sich zunächst die Aufgabe, Putnams Frühwerk in eine gemeinsame Perspektive mit seinen neueren Arbeiten zu bringen und in ihm die Entstehung des in Putnams weiterer Arbeit entwickelten und systematisch ausgebauten Standpunkts ausfindig zu machen. Der erste Teil dieser Arbeit ist der Lösung dieser eher werkbiographischen Aufgabe gewidmet. Putnam macht in seinen Frühschriften im Wesentlichen zwei Grundsätze gegen reduktionistische Erklärungsversuche von Kommunikation und Erkenntnisbildung geltend. Die Einsicht in die holistische Struktur der Überzeugungsbildung und die Theorieladung der Interpretation motivieren seinen Antifitndamentalismus. Zugleich folgert er aus der Unterbestimmtheit der Wahl der Theorie durch die Erfahrung sowie das daraus resultierende Faktum des Bestehens epistemisch äquivalenter theoretischer Alternativen einen Antiapriorismus und Antiabsouitismus. Beides sind Bedingungen der Möglichkeit einer auf der Annahme von Lernprozessen beruhenden Position. Aus ersterem folgt, dass jede einmal erfolgte und durchgeführte Interpretation gegebener Ausdrücke durch in einem Kontext als unproblematisch interpretierte Ausdrücke durch eine Reinterpretation mittels anderer Ausdrücke ersetzbar sein kann und somit kein Überzeugungssystem privilegiert (und unverbesserbar) für interpretative Zwecke ist. Aus letzterem folgt, dass in einem Kontext als Voraussetzungen gebrauchte Annahmen in einem anderen Kontext als prüfbare Aussagen behandelt und rational revidiert werden können. Putnam bemerkt dadurch bereits in seinen frühen Schriften die Interdependenz von Voraussetzungen der Sprachverwendung und des Spracherwerbs und denen der Überzeugungsbildung. Dies führt ihn zu der Einsicht, dass diese beiden erkenntnistheoretischen Prinzipien fallibilistischer Interpretations- und Erkenntnispraktiken sprachphilosophisch ergänzungsbedürftig sind. Denn bei der Voraussetzung der Revidierbarkeit von Voraussetzungen muss gesichert sein, dass dieselbe Aussage in einem Kontext als (als wahr vorausgesetzte) Voraussetzung und in einem anderen als (wahre oder falsche) Folgerung erscheint. Ebenso muss bei der Reinterpretation derselben Ausdrücke auf anderer Basis gesichert sein, dass trotz des Wechsels der epistemischen Interpretationsvoraussetzungen die Bezugsobjekte
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der interpretierten Ausdrücke unter die Basis betreffenden Überzeugungsveränderungen konstant bleiben können. Putnams fundamentale Erkenntnis besteht darin, dass die beiden epistemischen Grundsätze des Fallibilismus nicht mit beliebigen Voraussetzungen im Bereich der Konzeption der Bezugnahme auf aussersprachliche Gegenstände vereinbar sind. Die relative Unabhängigkeit der Bezugsobjekte von den epistemischen Bedingungen der Bestimmung der Interpretation und damit die Annahme der Gemeinsamkeit des Bezugsbereichs von Interpretationen unter Überzeugungsveränderungen sind wesentlicher Bestandteil der normativen Voraussetzungen von Lernprozessen. Die kognitivistische Verteidigung der fallibilistischen Einsichten benötigt also einen minimal nichtepistemischen Interpretationsbegriff, der auf dem Grundsatz der Unabhängigkeit von Zeichen und Bezeichnetem aufbaut. Damit ist die Grundstruktur von Putnams pragmatischem Kognitivismus komplett (Teil I). Zugleich sind damit die weiteren Explikationsaufgaben konturiert. Putnam muss zunächst epistemische Interpretationsbegriffe auf der Basis dieser fallibilistischen Einsichten deplausibilisieren. Der zweite Teil ist der systematischen Darstellung dieser eher destruktiven Seite von Putnams Sprachphilosophie gewidmet, seiner Transformation des Bedeutungsbegriffs. Putnam identifiziert zwei Grundthesen, die alle epistemischen Interpretationsbegriffe gemeinsam haben. Die erste Annahme besagt, dass die Kenntnis der Bedeutung eines Ausdrucks in der individuellen Verfügung über Kriterien zur Identifikation der Bezugsobjekte bestehe, die zweite, dass die Bedeutung die Bezugnahme des Ausdrucks determiniere. Daraus folge, dass die epistemischen Bedingungen der Interpretation (die zur Identifikation von Bezugsobjekten verfügbaren Überzeugungen) deren Resultat (die möglichen bzw. als solche akzeptierbaren Bezugsobjekte eines Ausdrucks) vorherbestimmen. Das Ziel von Putnams eher kommunikationstheoretischen Arbeiten besteht darin nachzuweisen, dass diese Konzeption von Bedeutung und Bezugnahme die Postulierung nicht rational revidierbarer Überzeugungsgesamtheiten zur Folge hat, deren Akzeptierung und Verwerfung ohne Rückgriff auf in Lernprozessen erworbene Erkenntnisse erfolgen müsse, da sie konstitutivfiir die Objekte der Überzeugungen selbst seien. Putnams Nachweis der Unglaubwürdigkeit dieser These erfolgt durch einen für eine pragmatistische Perspektive charakteristischen Rückgriff auf ein Faktum über die epistemische (und damit auch interpretative) Struktur problemlos kommunizierender und einander interpretierender Sprechergruppen, das er 'sprachliche Arbeitsteilung' nennt. Sprachgemeinschaften sind dieser Beobachtung nach von Beginn an epistemisch heterogen strukturiert, so dass Sprecher, die über weniger zuverlässige Identifikationsmittel für intendierte Bezugsobjekte verfügen, andere Sprecher um Rat fragen können, die mehr wissen. Diese Möglichkeit ist fundamental bei der Erklärung des Spracherwerbs und schliesst zugleich die Möglichkeit des Wissenserwerbs ein. Revisionsprozesse von identifizierenden Beschreibungen und die Überzeugung, dass alternative Beschreibungen der Bezugsobjekte nicht automa-
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tisch diese selbst verändern, sind konstitutive Prinzipien des Sprachgebrauchs innerhalb von Sprachgemeinschaften. Putnam kann also im Rahmen seiner Transformation der Bedeutungstheorie nachweisen, dass wichtige Eckpunkte seines pragmatischen Kognitivismus bereits in den alltäglichen Praktiken von Spracherwerb und Sprachverstehen verwirklicht sind. Das macht die Postulierung von Diskontinuitäten des Bezuges aufgrund von Diskontinuitäten in den Identifikationskriterien pragmatisch unplausibel und die Zurückweisung mindestens einer der Grundthesen epistemischer Konzeptionen der Bezugnahme erforderlich. Putnam ist im Verlaufe seiner bedeutungstheoretischen Arbeiten immer mehr zu der Auffassung gelangt, dass die problematische Prämisse epistemischer Bezugs- und Begriffsbildungskonzeptionen in der zweiten These zu sehen ist, dass die epistemischen Bedingungen der Interpretation ihr Resultat vorherbestimmen (Teil ). Die verbleibende Aufgabe dieser Arbeit besteht darin, Putnams Explikation der Grundlagen von Praktiken der Bezugnahme darzustellen, die auf der Voraussetzung beruhen, dass der Bezug eines gegebenen Ausdrucks epistemisch nicht vorherbestimmt ist. Der dritte Teil ist der Aufgabe der Rekonstruktion von Putnams Referenztheorie im Rahmen seines pragmatischen Kognitivismus gewidmet. Putnams konstruktive Aufgabe besteht einerseits darin zu erklären, wie man die Voraussetzung eines relativ sprachunabhängigen Universums von Bezugsgegenständen in epistemisch plausibler Weise verstehen kann, wenn man zugleich davon überzeugt ist, dass der Zugang zu Objekten sprachvermittelt ist. Die aus der Zurückweisung des semantischen Determinismus epistemischer Bezugskonzeptionen resultierende Voraussetzung eines epistemisch unterbestimmten Bezuges darf nämlich auch nicht die absolute Unbestimmbarkeit der Bezugnahmen mittels der Verwendung sprachlicher Ausdrücke zur Folge haben. Andererseits besteht Putnams Erklärungsziel darin, Reinterpretationen von unter bestimmten epistemischen Voraussetzungen mit Bezügen versorgten Ausdrücken als berechtigte Identifikationen von den ihnen jeweils zuzuschreibenden Bezugnahmen darzustellen. Demzufolge muss Putnam erläutern, wie es möglich ist, dass die Bezugnahme mittels solcher Ausdrücke relativ Invariant gegenüber Veränderungen epistemischer Kontexte bleiben kann. Zusammengenommen bedeutet dies, dass Putnam eine Konzeption der Begriff sbildung und - regelung entwerfen muss, die die Voraussetzung einer nicht epistemisch vorherbestimmten, festgelegten Bezugnahme auf kontextuell epistemisch zugängliche Gegenstände als den Teilnehmern an Interpretations- und Uberzeugungsbildungspraktiken zumutbare Präsupposition rekonstruiert. Als Resultat muss sich ein aus dem Innern dieser Praktiken heraus postulierbarer Begriff eines nicht epistemisch determinierten Universums von Bezugsgegenständen und die Möglichkeit der Annahme von Bezugskontinuitäten durch Überzeugungswandel ergeben. Geringen diese beiden Erläuterungen, dann kann man behaupten, dass Putnams Kognitivismus pragmatisch gedacht war und bleiben kann. Putnams Lösungsansatz beruht wiederum auf der Verwendung einer an sich nicht neuen,
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aber nicht in dieser Weise philosophisch ausgenutzten Tatsache, nämlich der Disambiguierungsrelevanz von hinweisenden Bezugnahmen bei der Interpretation. Die Grundidee dabei ist, dass unterschiedliche Begriffe, die strukturell identischen theoretischen Systemen entstammen, erst in ihrer Anwendung disambiguiert werden können, wenn man auf zumindest eine der intendierten Realisierungen dieser Strukturen in der erreichbaren Umwelt als Masstab hingewiesen hat. Aus diesem Erfordernis bei der Regelung der Begriffsverwendung ergibt sich ein recht einfacher Begriff des gemeinsamen Universums der miteinander verknüpften Interpretationen als aus den Gelingensbedingungen von Hinweisen folgende Presupposition eines Universums öffentlich erfolgreich vollzogenen Hinweishandlungen und Interaktionen zugänglichen Phänomenen und Gegenständen. Aus dieser für die Disambigiuierung epistemisch identisch strukturierter Begriffe unverzichtbaren Präsupposition folgert Putnam, dass Begriffe, deren Disambiguierung wir de facto als gelungen ansehen, nur unter Beitrag der Umwelt in ihrem Bezug bestimmt sein können. Die Annahme einer so verstanden nicht epistemisch bestimmten, aber interpretationsrelevanten Umwelt erscheint also als für die Rekonstruktion ihrer Ergebnisse unverzichtbarer Teil der interpretativen Praktiken selbst. Auf der anderen Seite gelingt es Putnam klar zu machen, dass parallel zu der im Fallibilismus enthaltenen Möglichkeit, dass eine Aussage in einem Kontext als Erkenntnisvoraussetzung erscheinen kann und in einem anderen als empirische Behauptung, eine Beschreibung in einem Kontext als Kriterium der Identifikation von Extensionsmitgliedern, in einem anderen als Mittel der Bezugnahme im Sinne eines Hinweises verstanden werden kann. Eine im letzteren Sinne verstandene Beschreibung ist demnach zwar nicht konstitutiv für die im jeweiligen epistemischen Kontext ermittelte Extension eines Ausdrucks, kann aber dennoch als Hinweis auf Standardrealisierungen dieses Ausdrucks interpretationsrelevant werden. Auf diese Weise ist es möglich, dass zwar bestimmte Beschreibungen ihre epistemische Auszeichnung, aber nicht zwangsläufig ihre semantische Rolle als Bezugsmittel verlieren. In diesem Sinne können die Bezugnahmen mit den durch sie in unterschiedlicher Weise interpretierten Ausdrücken konstant geblieben und aus beiden Kontexten epistemisch bestimmbar sein. Putnams Begriffsbildungs- und Interpretationstheorie folgt in diesem Sinne aus der fallibilistischen Grundannahme des Antiapriorismus und Antiabsolutismus. Sie zeigt, wie und unter welchen Voraussetzungen antifundamentalistische Einsichten in praxi verwirklichbar sind, da sie zeigt, dass jede Basis oder epistemische Interpretationsvoraussetzung unter Berücksichtigung ihrer referentiellen Intention unter geeigneten Bedingungen im Rahmen einer anderen Basis reinterpretiert werden kann. Auf diese Weise kann Putnam die Relativierung gelingender Bezugnahmen und der Ausbildungen bestimmter Extensionen auf epistemische Kontexte zulassen, ohne zur Akzeptierung eines nonkognitivistischen Relativismus gezwungen zu sein. Putnam gelingt es mit Hilfe seiner Konzeption der Begriffsbildung, die aus der Anerkennung fallibilistischer Grundsätze resultierenden Anforderungen an
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den dazu passenden Interpretationsbegriff einzulösen. Dabei braucht er andererseits jedoch nicht den Boden von für Teilnehmer an Interpretations- und Überzeugungsbildungsprozessen durch Handlungen und die Reflexion auf deren Voraussetzungen zugänglichen Elementen zu verlassen (Teil ). Die auf diese Weise entwickelte Begriffstheorie ist so mit keiner der wichtigen Thesen im Rahmen der Artikulierung eines prononciert pragmatistischen Standpunktes unvereinbar, wie sie Putnam in seinen neueren Schriften vertritt. Sie erklärt sogar darüber hinaus, wie es zu den Differenzen zwischen dem Pragmatismus Putnamscher und dem Davidsonscher, Rortyscher oder Goodmanscher Prägung kommt. Meiner Ansicht nach stellt der Fallibilismus und die von ihm benötigte Begriffsbildungs- und -Verwendungstheorie den normativen Kern auch von Putnams Spätschriften dar, in denen er Fragen der Bezugnahme in den weiteren Rahmen von Untersuchungen zur 'Intentionalität' stellt. Wenn Putnam in diesen Schriften sagt, dass 'die Intentionalität allgegenwärtig' sei", dann heisst das auch, dass man Putnams Theorie der Intentionalität bzw. der Bezugnahme nicht aus seiner Philosophie herauserklären kann, ohne zusammen mit ihr deren Witz zu verlieren. Auch in Putnams Philosophie ist die Erläuterung der Bedingungen der Möglichkeit von Intentionalität allgegenwärtig.
So z.B. in Renewing Philosophy, 59.
Teil I. Die Herausbildung von Putnams Grundposition Putnam diskutiert in der ersten Phase seiner Arbeiten auf der Ebene der Bedeutungs- und Verstehenstheorie verifikationistische und operationalistische Ansätze am Beispiel der Analyse des Gebrauchs psychologischer Prädikate. In der Diskussion macht er zunächst das Gemeinsame an den Ansätzen in dieser Richtung deutlich, die er zu kritisieren gedenkt. Dieses Gemeinsame besteht für ihn in einem reduktionistischen Versuch der Angleichung der Sprachbeherrschung an ein Modell des Verfügens über bestimmte Kriterien, deren Anwendung auf Fälle des (hypothetischen oder tatsächlichen) Vorhandenseins von psychologischen Zuständen sozusagen automatisch funktioniert. Er macht darauf aufmerksam, dass diese reduktionistischen Versuche der Erläuterung des Begriffes sprachlicher Bedeutung bzw. der Bedingungen des Verstehens an bestimmten Phänomenen scheitern müssen, die keinerlei Probleme innerhalb der Praktiken selbst aufweisen, in denen über psychologische Zustände gesprochen wird. Dagegen macht er ein Modell sprachlicher Bedeutung geltend, das auf empirisches Wissen zurückgreift (1.1.). Doch dient ihm dieser Kontext des asymmetrischen Zugangs zum Gegenstand der Kommunikation lediglich als Paradebeispiel für ein allgemeineres philosophisches Problem, nämlich dasjenige, was die Bedingungen dafür sind, dass sich zwei Sprecher unter epistemischen Differenzen (die hier durch die Situation selbst vorgegeben sind und nicht erst über unterschiedliche Auffassungsweisen einer gegebenen Situation zustande kommen) über dasselbe verständigen können. Daraus ergeben sich verschiedene erste Hinweise auf Adäquatheitskriterien für einen pragmatischen Begriff der Bedeutung sowie eine allgemein gehaltene Beschreibung derjenigen normativ gehaltvollen Phänomene, die ein angemessener Bedeutungsbegriff berücksichtigen und rekonstruieren können muss. Insbesondere entwickelt Putnam aus dieser kommunikationstheoretischen Analyse heraus die Auffassung, dass es bei der Erläuterung des Verstehens primär um die Möglichkeit des gemeinsamen Bezuges auf etwas geht, das als vorgegeben angenommen wird. Diese Annahme der relativen Unabhängigkeit dessen, worüber gesprochen wird, von demjenigen, was zum Formulieren von Überzeugungen verwendet wird, wird in der Kommunikationspraxis spürbar an der den Teilnehmern unproblematisch verfügbaren Unterscheidung zwischen Veränderungen der Bedeutung der Zeichen und Veränderungen innerhalb ihrer Auffassungen vom Diskussionsgegenstand. Putnam bemüht sich also in diesen Überlegungen um die Explikation des Verstehens unter den beiden Bedingungen der Unabhängigkeit von Zeichen und Bezeichnetem und der Unterbestimmtheit des Bezuges durch die Re-
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geln sprachlich korrekten Gebrauchs (1.2.). Bereits in diesen kritischen Analysen kriterialer Modelle des Sprachverstehens verwendet Putnam eine charakteristische Mischung aus den Bedeutungsbegriff deflationierenden holistisch-epistemischen und referenztheoretischen Argumenten. Auf diese Weise kann man hier beobachten, wie die entscheidende Idee von nicht vollständig sprachdeterminierten Bezugsobjekten als unverzichtbarer Teil in eine pragmatisch angemessene Analyse von Kommunikationsprozessen und die dabei von den Kommunikanten gemachten Voraussetzungen eingeht. Es gibt parallel zu dieser auf das Sprachverstehen ausgerichteten Linie der Argumentation jedoch auch noch einen zweiten Bereich, in dem die genuin pragmatische Perspektive sichtbar wird, aus der heraus Putnam in der ersten Phase semer Arbeiten die Desiderata entwickelt, die er dann in der konstruktiven Phase seiner sprachphilosophischen Arbeiten ausbauen wird. Es handelt sich hierbei um Fragen der Rekonstruktion wissenschaftlicher Rationalität. Putnams Kritik liesse sich hier rekonstruieren als die Analyse der Folgen der Anwendung der gerade angesprochenen Bedeutungs- und Verstehenstheorie auf die Frage des Zustandekommens und der Rechtfertigung der Interpretation wissenschaftlich anerkannter Aussagen. Im Mittelpunkt stehen hier, wie im Falle psychologischer Prädikate, solche Begriffe, deren Anwendung nicht naiv erfolgen kann, weil die intendierten Bezüge nicht unproblematisch vorliegen, die sogenannten "theoretischen Begriffe". Auch hier wendet Putnam sich gegen eine operationalistische bzw. verifikationistische Strategie, die Interpretation solcher Begriffe auf die vorgeblich unproblematische Interpretation erkenntnistheoretisch als grundlegender zugrundegelegter Begriffe zurückzuführen. Seine Argumentationsstrategie ist in diesem Bereich sehr vielschichtig. Auf der einen Seite wendet er sich gegen die Annahme einer einzigen erkenntnistheoretisch einfachen Basis, indem er (a) sich denjenigen anschliesst, die darauf hinweisen, dass auch die Anwendung der 'einfacheren' Begriffe auf theoretische Strukturen zurückgreifen muss, und (b) damit nachweist, dass die Annahme einer Reduktionsbasis bereits eine theoretische Vorentscheidung darstellt und es daher einen grundsätzlichen Pluralismus der Basis gibt. Der Begriff des interpretierenden und daher als selbst interpretiert vorausgesetzten Vokabulars ist relativ auf den theoretischen Kontext, in dem die Interpretation stattfinden soll. Die Interpretation theoretischer Begriffe lässt sich so nicht in allgemeiner und voraussetzungsloser Weise auf diejenige nicht-theoretischer Begriffe zurückfuhren (2.1.). Auf der anderen Seite betrachtet Putnam die Auffassung der theoretische Begriffe enthaltenden Äquivalenzen, d.h. der Gesetzesaussagen, als irreführend, die in diesen lediglich eine Bestimmung des Gebrauchs der Grundbegriffe wissenschaftlicher Theorien sieht. Dies wird zwar der systematisierenden Leistung solcher Aussagen innerhalb der als Überzeugungssysteme aufgefassten Theorien gerecht, nicht aber ihrer Funktion als allgemeine Bestimmungen des Gegenstandsbereiches der Interpretation von als System empirischer Behauptungen aufgefassten Theorien. Die Revidierbarkeit und Prüfbarkeit von
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Gesetzesaussagen ist nur dadurch verständlich, dass es sich bei ihnen um mit innerhalb der Praktiken erfehrungswissenschaftlicher Überzeugungsbüdung übliche und gültige Argumente kritisierbare Behauptungen handelt, um, wie Putnam sie nennt, "synthetische Äquivalenzen".12 Auf diese Weise wird jedoch eine Deutung der theoretischen Begriffe erforderlich, die sie als selbständig interpretierte Begriffe rekonstruiert, die mehrfach innerhalb von Gesetzesaussagen verwendet werden, aber in ihrer Verwendbarkeit weder durch eine von ihnen noch durch ihre Gesamtheit definitiv bestimmt werden. In diesem eng begrenzten Sinne kann die Interpretation von in induktiven Verfahren empirischer Wissenschaften verwendeten theoretischen Begriffen aufgrund der Relativität der Basis nicht durch Reduktion, und aufgrund des synthetischen Charakters der Gesetzesaussagen sowie der Mehrfachverwendung in effektiv verschiedenen (also in ihrer Gesamtheit kreativen) Gesetzesaussagen nicht durch strikte Definition bzw. im Sinne von Konventionen geleistet angenommen werden. Um jedoch dem unterschiedlichen epistemischen Allgemeinheitsgrad zwischen Gesetzesaussagen und partikularen Aussagen sowie dem zwar relativen, aber dennoch unterschiedlichen Status von interpretierenden und interpretierten Aussagen innerhalb von als Behauptungssystemen aufgefassten Theorien gerecht zu werden, muss Putnam die erkenntnistheoretischen Begriffe der Apriorizität, Notwendigkeit und der Analytizität einer grundsätzlichen Neudeutung unterziehen (3.2). Die Gemeinsamkeiten der beiden soeben geschilderten Argumentationslinien bestehen darin, dass Putnam den Bedeutungsbegriff epistemisch entlastet und den Referenzbegriff als selbständigen, erklärungsbedürftigen Begriff freilegt. Diese Aufgabe ergibt sich in beiden Fällen aus der für die linguistische Wende charakteristischen Kombination der Unterdeterminiertheit der Begriffsinterpretation durch die verfugbaren Verwendungskriterien mit den normativen Desideraten, die sich aus einer Anerkennung der induktiven, fallibilistischen Struktur der Erfahrung ergeben.
"It Ain't Necessarily So" (Orig. 1962), Philosophical Papers I. Mathematics, Matter And Method, Cambridge/N.Y. 1975 [im Folgenden PPI\, 237-49.
1. Putnams pragmatische Auseinandersetzung mit zwei Konzeptionen von Verstehen und Bedeutung Die von Putnam eingangs zitierte Qualifikation seiner späteren Position als "pragmatic realism" findet sich in einem Buch, dass der Auseinandersetzung mit reduktionistischen Theorien im Bereich der Philosophie des Geistes gewidmet ist.13 Das ist insofern interessant, als man den Beginn sowohl der pragmatistischen, auf die normativen Voraussetzungen der Kommunikation ausgerichteten Tendenz in Putnams Denken als auch seine Anwendung 'realistischer1 Ideen auf diese Fragestellungen am deutlichsten innerhalb zweier Arbeiten zur Interpretation von psychologischen Prädikaten und Bezeichnungen für Krankheiten aus den fünfziger Jahren nachvollziehen kann. Es bietet sich daher an, den Weg von Putnams ersten sprachphilosophischen Arbeiten zu seiner heute als pragmatistisch bekannten Position hier zu beginnen. In beiden Arbeiten geht es um die Interpretation von öffentlich nur indirekt interpretierbaren Prädikaten. Das Problem der Verwendung solcher Prädikate besteht in der epistemischen Asymmetrie in der Bewertung ihrer Anwendbarkeit. Das Vorliegen von Schmerzen wird von demjenigen, der sie hat, unproblematisch konstatiert, kann aber von demjenigen, der sie nicht hat, nur indirekt jemandem zugeschrieben werden, der sie allen Anzeichen nach hat. Es scheint also verschiedene Bedingungen zum Gebrauch von expressiven Prädikaten für die erste und clie dritte Person Singular zu geben. Einem Sprecher, der eine wahre Aussage über jemanden machen will, der Schmerzen hat, stehen lediglich dessen Symptome zur Verfügung, um die Adäquatheit der Anwendung der Aussagefonn "Person a hat Schmerzen" zu beurteilen. Auf der anderen Seite sind genau diese, die Symptome, für die Verwendung aus der Perspektive der ersten Person nahezu irrelevant. Für die Beurteilung der Adäquatheit der Anwendung von "Ich habe Schmerzen" zählt fast nur, dass ich tatsächlich Schmerzen habe, d.h. in einem mir unproblematisch verfügbaren Zustand bin. Aus dieser Problematik heraus ergeben sich aporetische Konsequenzen für die Deutung des Prädikates "Schmerzen haben". Entweder nämlich besteht man darauf, dass das Wort "Schmerz" in der ersten und in der dritten Person Singular radikal verschiedene Verwendungen hat. Dann schliesst man Verstehen für dieses und verwandte Prädikate aus, da man sich aus der Perspektive der dritten Person nicht mit "Schmerz" auf die Schmerzen beziehen kann, die eine Person zu haben behauptet - es handelt sich ja 13
Putnam, H.: Representation and Reality, 108.
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nicht um denselben Begriff. Oder man muss, wenn man die Gleichheit der Verwendung für alle Fälle für den Erfolg der Kommunikation verantwortlich macht, einen der beiden Fälle privilegieren. Dann jedoch wird entweder der wahrhaftige Ausdruck von Schmerzen in der ersten Person problematisch oder die Zuschreibung von Schmerzzuständen unmöglich. Jeder Vorschlag, den Begriff "Schmerzen haben" zu "definieren" sieht sich also vor die Schwierigkeit gestellt, seine semantische Interpretation, deren Möglichkeit sich in der unproblematischen Praxis seiner Verwendung zeigt, mit dieser situativ gegebenen epistemischen Asymmetrie in Übereinstimmung zu bringen. Selbst wenn der Zugang zu dem die Anwendung des Begriffes rechtfertigenden Zustand radikal und prinzipiell verschieden für die erste und die dritte Person ist, stellt die Voraussetzung, dass aus der ersten und der dritten Person über denselben Zustand gesprochen werden kann, eine Grundlage für den erfolgreichen Umgang mit psychologischen Prädikaten dieser Art dar. Diese Praxis ist daher erklärungsbedürftig. Sie ist zudem, wenn sie funktioniert, im Falle der Perspektive der dritten Person Singular paradigmatisch für die Verwendung von empirisch interpretierten Prädikaten., die nicht über definitiv kriterial gefällte Urteile, sondern über induktiv vorgenommene Beurteilungen von Indizien zustandekommt.
1.1. Putnams Kritik an der Sprachauffinssung des Behaviourismus In seinem 1957 veröffentlichten Artikel "Psychological Concepts, Explication, and Ordinary Language"14 greift Putnam diese Problematik für das Wort "Ärger" auf. Seine Grundfrage lautet, wie man dasjenige spezifizieren kann, was mit einem solchen Wort aus der Perspektive der dritten Person Singular gemeint ist, und zwar so, dass es in einem pragmatisch relevanten Sinne dasselbe ist wie das, was ein Sprecher aus der ersten Person Singular meint, wenn er das Wort in einer adäquaten Situation verwendet. Die Position, mit der er sich hier auseinandersetzt, ist der logische Behaviourismus, der die Wahrheit einer Aussage über das Vorliegen eines psychologischen Zustandes logisch von der Wahrheit bestimmter Aussagen über das Verhalten einer Person abhängig macht.15 Aus "Jones zeigt 14 1
Journal of Philosophy 54 (1957), 94-99. Diese Richtung zieht einige Inspiration aus dem Werk des späten Wittgenstein und gewissen Aspekten seines sogenannten 'Privatsprachenargumentes'. So behandelt Wittgenstein etwa in Philosophische Untersuchungen (in Wittgenstein, L.: Werkausgabe in8Bänden, Bd. l, 225-579), §§244 das Problem der Schmerzäußerung, und bringt es auf die Frage "wie beziehen sich Wörter auf Empfindungen?", die er damit beantwortet, dass "Worte mit dem (...) Ausdruck der Empfindung verbunden und an dessen Stelle gesetzt" werden und der Gebrauch der Empfindungsworte "ein neues Schmerzbenehmen" sei. Daraus ergibt sich, dass die 'öffentliche' Bedeutung von Empfindungsworten im sprachlichen und nichtsprachlichen Verhalten besteht. Wenn es zudem nur öffentliche Bedeutung geben kann, dann fallen Empfindung und Empfindungsbenehmen zusammen. So eine Ansicht könnte man eventuell aus § 253 entnehmen,
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alle Symptome von Ärger und keine Symptome von Ärger-Vortäuschen oder Ärger-Abmildern"16 folgt dem logischen Behaviourismus zufolge logisch "Jones ist ärgerlich", weil "x ist ärgerlich" definiert ist durch "x weist alle Symptome von Ärger auf, und diese sind: ....". Putnam stellt nun folgendes Problem: 'Jones was exhibiting all the symptoms of anger, but it is possible that he was not really angry'. According to the philosophic view that I shall criticize, this sentence is ' countersensical' if, in fact, Jones was exhibiting all the symptoms of anger. (9417)
Putnam wird gegen den merkwürdigen Schluss aus einer bestimmten Konzeption von Bedeutung auf empirisch und normativ gehaltvolle Aussagen argumentieren. Denn dieser Ansicht nach wird ja die epistemsche Möglichkeit ausgeschlossen, dass man sich aufgrund des Wissens um die Bedeutung von "Ärger" in der Zuschreibung dieses Zustandes irren kann, wenn eine bestimmte Menge an Symptomen erfüllt ist. Würde man sich in diesem Falle weigern, Ärger zuzuschreiben, stellte man damit keine empirische (wenn auch vielleicht falsche) Behauptung auf, sondern man verstiesse gegen die Regeln der Sprache, man würde unverständlich. Diese Auffassung gibt den situativ vorgegebenen, falliblen Charakter der Ärgerzuschreibung nicht wieder, denn
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wo es heisst: "Soweit es Sinn hat, zu sagen, mein Schmerz sei der gleiche wie seiner, soweit können wir beide auch den gleichen Schmerz haben". Auch eines der Ergebnisse, die Wittgenstein aus seiner Argumentation zieht, bietet sich einer behaviouristischen Deutung als Anknüpfungspunkt: "'Aber kommt das, was Du sagst, nicht darauf hinaus, es gebe, z.B., keinen Schmerz ohne Schmerzbenehmen?" - Es kommt darauf hinaus: man könne nur vom lebenden Menschen, und was ihm ähnlich ist, (sich ähnlich benimmt) sagen, es habe Empfindungen; es sähe; sei blind; höre; sei taub; sei bei Bewusstsein, oder bewusstlos." (§281) Dass diese Inanspruchnahme von Wittgenstein nicht völlig in dessen Sinne sein dürfte, geht aus der Bemerkung in §246 hervor, an der es heisst: "Man kann nicht sagen, die Ändern lernen meine Empfindungen nur durch mein Benehmen - denn von mir kann man nicht sagen, ich lernte sie. Ich habe sie. Das ist richtig: es hat Sinn, von Ändern zu sagen, sie seien im Zweifel darüber, ob ich Schmerzen habe; aber nicht, es von mir selbst zu sagen." Diese Haltung findet Bestätigung in §307, wo es (allerdings nicht ganz eindeutig) heisst: '"Bist Du nicht doch im Grunde ein verkappter Behaviourist? Sagst Du nicht doch, im Grund, dass alles Fiktion ist, ausser dem menschlichen Benehmen?' - Wenn ich von einer Fiktion rede, rede ich von einer grammatischen Fiktion." Diese Worterklärung hat die Form eines sogenannten Reduktionspaares, wie sie zuerst von Carnap in "Testability and Meaning" (in: Philosophy of Science, Vol.3 N°4 (1936), S.419-471 & Vol.4 N°l S.l-40) zur Einführung von Dispositionsbegriffen und anderen Begriffen vorgeschlagen wurde. Bilaterale Reduktionspaare sind Paare von Sätzen, von denen einer eine positive und der andere eine negative Testbedingung für das Vorliegen einer nicht direkt verifizierbaren Eigenschaft angibt. In ihnen wird die Reaktion von Gegenständen auf die jeweiligen Testbedingungen als hinreichende Bedingung für das Vorliegen des entsprechenden Zustandes aufgefasst. Zu Problemen und einer detaillierten Lösung einiger davon vgl. Essler, W.K./Trapp, R.: "Some Ways of Operationally Introducing Dispositional Predicates with Regard to Scientific and Ordinary Practice", Synthese 34 (1977), 371-96. Im Folgenden sollen kommentarlose Zahlen in Klammern hinter Zitaten Seitenzahlen derjenigen Texte darstellen, die ausdrücklich im Text als Hauptquelle genannt werden. Im Falle der zwischenzeitlichen Heranziehung anderer Texte werden entweder deren Titel und Herkunft im Text genannt oder die Zitate mittels Fußnoten nachgewiesen.
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the gist of the (...) position is that the truth of certain statements about behaviour (...) is enough to guarantee the truth of a statement about experience. (95) Eine empirische Aussage über den Zustand einer Person würde damit zur logischen Folge aus einer bestimmten Menge von Symptomfeststellungen. Das Vorliegen einer bestimmten, epistemisch unproblematisch verfügbaren Gesamtheit an Daten ist notwendige und hinreichende Bedingung für die Korrektheit der Anwendung des entsprechenden Ausdrucks in der jeweiligen Situation. Dies ist jedoch angesichts der in der Situation a priori erforderlichen induktiven Struktur des Verfahrens (denn mein Schmerz oder Ärger ist eben nach Voraussetzung nur nur unproblematisch verfügbar) höchst fragwürdig. Denn so Hesse sich aufgrund einer Reflexion über die Bedeutung des Wortes "Ärger" direkt entscheiden, welche empirischen Fragen stellbar und welche es nicht sind, "and it is against this that I shall argue" (95). Putnam argumentiert im Folgenden gegen die bedeutungstheoretischen Voraussetzungen, die zu dieser Konsequenz rühren, die auf sprachlichem Wege imstande ist, Irrtumsmöglichkeiten auszuschliessen. Eine Voraussetzung ist die, dass es sich bei den Aussagen, die Symptome und den fraglichen Begriff in Verbindung bringen, etwa "eine Person ist genau dann ärgerlich, wenn sie rot und brüllend und Unvernunft ist/zeigt", um sentantische Aussagen handele. Sie gäben an, wie (bzw. wann) "ärgerlich" zu gebrauchen ist und täten dies erschöpfend (denn die Aussagen, dass eine Person all dies sein könnte, ohne ärgerlich zu sein, oder dass sie ärgerlich sein könnte, ohne diese Symptome zu zeigen, seien ja unsinnig). Die problematische These des logischen Behaviourismus besteht demnach darin, dass durch eine bestimmte Menge an Symptomfeststellungsbehauptungen eine Definition des entsprechenden Ausdrucks erreicht würde. Putnam stellt dem die These entgegen, dass es sich bei diesen Feststellungen um empirische Gesetze handelt, die einen bestimmten psychologischen Zustand in Zusammenhang mit den uns aus der Perspektive der dritten Person verfügbaren Daten bzw. mit charakteristischen Situationen bringen, in denen wir die problematischen Ausdrücke verwenden, um mit ihnen über die entsprechenden Zustände zu sprechen. Diese referentielle Intention19 sei selbst dann dazu dienlich bei der Aufstellung von BelS
Dieser Ausdruck steht hier als provisorisches Mittel für einen Teil der globalen Verständigungsoder Kommunikationsintention, mit jemandem über etwas sprechen zu wollen, und zwar für den Teil "über etwas". Die referentielle Intention ist in diesem Sinne keine selbständige Absicht, und der Ausdruck "referentielle Intention" soll auch nicht suggerieren, dass es an Intentionen hängt, dass der "über etwas "-Teil der kommunikativen Absicht erfüllt ist, oder dass auch nur eine spezifische Intention dazu notwendig sei, sich auf etwas spezifisches zu beziehen. Dazu sind Interpretationen und deren intersubjektive Verfügbarkeit genauso sehr erforderlich wie ihre Erfülltheit in dem Bereich erforderlich, den Sprecher und Hörer als sachliche Interpretationsgrundlage ansehen, wie Putnam später (vgl. Kap. .) ausdrücklich argumentieren wird. Ein enger Intentionsbegriff, der spezifische, zumeist vorsprachliche Sprecherabsichten erfassen und in ihrem Zusammenhang mit Verständigungsleistungen untersuchen will, wie etwa der Gricesche, spielt meiner Ansicht nach bei Putnam keine Rolle (auch wenn die Griceschen
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hauptungen, wenn eine allgemeine Beschreibung in Form von notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Anwendung der entsprechenden Ausdrücke in unproblematischen Begriffen noch nicht geglückt ist oder sogar aus technischen oder wissenschaftlich angebbaren allgemeinen Gründen nicht glücken kann (d.h. wenn über ihren Erfolg oder Misserfolg nicht definitiv unabhängig entschieden werden kann). Das Problem, das sich dann stellt, bezeichnet Putnam wie folgt: How can we mean by a term something that we are not able to define? (98) Daraufgibt er folgende, einfach klingende Antwort: we can (...) specify the meaning of such a term (and thus make it usable in science) by providing symptoms. (...) 'anger' means a particular micro-state (...) which we are not able at present time to define, but for which we are able to provide symptoms. (98) Dafür, dass wir "mit einem Ausdruck etwas meinen" können in einer bestimmten Praxis, mit ihm "über etwas sprechen können", und uns demzufolge "auf etwas beziehen können", bedarf es schlicht der Überzeugung, dass ein Ausdruck relativ zu der Sprache, in deren Vokabular er sich befindet, einen unabhängigen Bezug erfordert, damit man in ihr Behauptungen aufstellen kann, die auf ihre Wahrheit oder Falschheit hin empirisch überprüfbar sind und kommunikativen Zwecken dienen können. Dafür, dass wir mit "Ärger" kommunizieren können und Ärgerzuschreibungen ausführen können, bedürfen wir der Überzeugung, Mechanismen der Sprecher-Hörer-Erwartungen durchaus als Inspiration seiner Arbeiten betrachtet werden können). Es soll also z.B. nicht nahegelegt werden, dass eine referentielle Intention ausreicht, um die zur Aufstellung von Behauptungen notwendige Interpretation der Satzkonstituenten zu leisten, oder auch nur, dass es eine spezifische Intention wäre. Es handelt sich eher um eine durch durchaus verschiedene Umstände erfüllbare Erwartung an eine in empirischen Kontexten verwendete und von anderen als solche verstandene Sprache, die durch vielfältige Umstände erfüllt oder enttäuscht werden kann. Meiner Ansicht nach ist das der Begriff, den sowohl Putnam als auch andere Autoren verwenden, die mit pragmatischen Fragen der Bezugnahme und des über-etwas-Redens befasst sind wie etwa Donnellan oder Gareth Evans (aus dieser Überzeugung heraus finde ich deswegen die vereinfachende Abfertigung entsprechender Passagen solcher Autoren in Kellerwessel, W.: Referenztheorien in der analytischen Philosophie (Stuttgart 1995) nicht sehr überzeugend). In diesem Sinne soll "referentielle Intention" hier eher so etwas bezeichnen wie die Voraussetzung des kompetenten Sprechers, dass die für die Kommunikation unabdingbare Voraussetzung erfüllt ist, dass es für die Ausdrücke, die er verwendet, eine Interpretation gibt und er sie als selbstverständlich ansehen kann, die den Ausdrucken so Bezüge zuordnet, dass die Sätze, in denen er seine Überzeugungen ausdrückt, (m dem von ihm und dem Sprecher vorausgesetzten Bereich) wahr oder falsch sein können. Man kann dies im Sinne der späteren Arbeiten Putnams auffassen als die Antizipation der Erfülltheit von Präsuppositionen von Überzeugungen und Intentionen (und damit deren Ausdruck und Beurteilung in kommunikativen Prozessen), wie denen, dass die Wahrheit oder Falschheit der sie ausdrückenden Sätze weder von den Zeichen abhängt, in denen sie ausgedrückt sind noch von den mentalen Vorgängen ('Evidenzen' etwa) in Sprecher oder Hörer sich befinden, sondern vom wahrheitsfunktionalen Aufbau der Aussagen und der Interpretation der außerlogischen Zeichen im Sinne einer Zuordnung logisch, physikalisch und epistemisch voneinander unabhängiger Gegenstände zueinander - Zeichen (in einer Sprache) und Bezeichnetem (für diese Sprache) nämlich.
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dass wir, wenn wir jemanden als ärgerlich bezeichnen, damit auf einen Zustand Bezug nehmen, der entweder vorliegen kann oder nicht. Zu wissen, wie dieser Zustand letztlich am besten theoretisch bestimmbar ist, d.h. wie die beste psychologische Theorie aussieht oder aussehen wird, damit man mit den Zuschreibungen immer sicherer wird, ist dabei ebenso wenig von uns gefordert wie die Überzeugung, dass die Bestimmungen, über die wir verfügen, bereits alles sind, was es über diesen Zustand zu wissen gibt. Es wird lediglich erfordert, dass wir diesem Zustand gegenüber eine kognitive Einstellung haben, d.h. annehmen, dass die Bezeichnung von jemandem als "ärgerlich" epistemisch produktiv ist (uns also im Falle der Richtigkeit viele Hypothesen und Voraussagen liefert), dass sowohl sein Vorliegen als solches etwas ist, das wir erfahren können, als auch dass wir über diesen Zustand etwas erfahren können. Mit anderen Worten müssen wir, um den Ausdruck "Ärger" als empirisch interpretiert aufzufassen, lediglich wissen, dass es über Ärger etwas zu wissen gibt, aber nicht, wie Ärger definitiv determinierbar ist (wenn es so etwas überhaupt gibt). Putnam erläutert diesen Zusammenhang wie folgt: The specification of the meaning of a term by means of a list of symptoms always involves a supporting hypothesis, of course: namely, that there exists a state whose presence would not merely enable us to predict (...) the occurrence of the various symptoms under the appropriate conditions, but whose presence causally explains that occurrence. (98)
Weit entfernt davon, in seiner sinnvollen Verwendung in Behauptungen abhängig von der Äusserbarkeit von Symptombeschreibungen zu sein, wird nun der Ausdruck "Ärger" als Träger des epistemischen Versprechens erkennbar, dass umgekehrt die Abhängigkeiten zwischen dem Auftreten der Symptome vom Vorliegen des mit diesem Ausdruck angesprochenen Zustandes irgendwann explizit gemacht werden könnten. Und genau, weil dies so ist, können wir die Symptome von Ärger auch als Symptome von Arger auffassen, und nicht als zufällige Ansammlungen von Verhaltensweisen. Eine Reduktion des mit dem Gebrauch des Wortes "Ärger" Intendierten auf Verhaltensweisen setzt ersichtlich bereits ein gewisses Verständnis von Ärger und die Möglichkeit von Behauptungen über Ärger voraus. Denn bei einer solchen Reduktion muss man ja die richtigen bzw. die entscheidenden Verhaltensweisen für Ärger im Reduciens aufführen.19 Der Zusammenhang zwischen Symptom und Zustand ist zunächst einmal ein Zusammenhang im Bereich unserer empirischen Überzeugungen. Wenn wir davon überzeugt sind, dass die Symptome für Ärger vorliegen, dann schliessen wir da1
Auf dieses Zirkularitätsproblem macht Putnam in "The Nature of Mental States" (Philosophical Papers Vol.2. Mind, Language, and Reality, Cambridge M A, London 1975 [im Folgenden \, 429-40) aufmerksam, wo es heisst: "The difficulty - it appears to be more than a 'difficulty', in fact - of specifying the required behaviour disposition except as 'the disposition of Xto behave as if X were m pain, is the chief [difficulty with 'behaviour disposition' accounts, A.M.]" (438)
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rauf, dass die Überzeugung des Vorliegens von Ärger gerechtfertigt ist. Die Symptombeschreibungen bestimmen also nicht zuerst, worauf wir uns mit "Ärger" beziehen, sondern drücken aus, was wir zur Rechtfertigung dafür anführen, dass wir das Vorliegen von Ärger behaupten. Der Bezug des Worts "Ärger" ist also zwar sicherlich epistemisch unterbestimmt durch das, was wir über seine gelungenen Anwendungen wissen. Doch daraus folgt für Putnam gerade nicht, dass wir deswegen nicht genau wissen, was das Wort "Ärger" bedeutet (und daher korrigiert werden müssen, wenn wir versuchen, es in Kontexten zu verwenden, wo sämtliche Symptome von Ärger abwesend sind), sondern, dass wir nicht genau wissen, worin der Zustand Ärger besteht und welche Zusammenhänge er mit anderen psychischen, somati'schen oder sonstigen Zuständen aufweist. Unsere Beurteilung eines gegebenen Zustandes einer Person als Ärger ist hypothetisch, aber dies liegt nicht an der Unsicherheit oder Unbestimmtheit des Wortes "Ärger", sondern an der induktiven und falliblen Struktur der Kriterien, nach denen wir urteilen und entscheiden, ob etwas als Ärger zählt oder nicht. Die Beziehung zwischen Symptomen und der Behauptbarkeit des Vorliegens von Ärger ist also nicht semantisch, sondern evidentiell: die Symptome sprechen für die Annahme von Ärger und zählen als Symptome von Ärger und setzen daher die Möglichkeit von Wahrheit oder Falschheit für die Aussage "Ärger liegt vor" schon voraus. Damit ist jedoch die Interpretierbarkeit und empirische Interpretiertheit von "Ärger" bereits impliziert. Man könnte dies etwa im Sinne der oben zitierten allgemeinen Hintergrundhypothese verstehen, dass es etwas gibt, und zwar einen psychologischen Zustand, dessen Vorliegen mit dem Vorliegen bestimmter Vorgänge empirisch verknüpft ist (so dass die in den Symptomaussagen gemachten Aussagen über die Zusammenhänge als wahr angenommen werden können). Doch gerade dann, wenn es sich bei dieser Beziehung um eine evidentielle Beziehung handelt, muss die Geltung der Urteile über die Symptome von der Geltung der Urteile über den mit ihnen bestätigten Zustand logisch unabhängig sein (denn sonst wäre es eben keine zu bestätigende, sondern eine ableitbare Aussage, dass jemand ärgerlich ist).20 Putnam stellt daher die These auf: Schlimmer noch wird die Lage einer solchen Analyse, wenn man eine kausale Verknüpfung zwischen Symptomen und Zuständen voraussetzt (wie es zunächst einmal natürlich ist). Denn dann bedeutet die Behauptung, dass Ärger nichts weiter sei als die Gesamtheit seiner Symptome schlicht eine Verwechslung von Ursache und Wirkung. Dass dies zu Widersprüchen mit den für das kausale Erklärungsschema entscheidenden logischen Strukturen fuhrt, da nun ja Ursachen logische Konstruktionen aus ihren Wirkungen wären, ist offensichtlich. Putnam bemerkt dem entsprechend in "Brains and Behavior" (PPII, 324-41): "statements about multiple sclerosis are not translatable into statements about the symptoms of multiple sclerosis, not because disease talk is 'systematically ambiguous' and symptom talk is 'specific', but because causes are not logical constructions out of their effects." (330) Putnam selbst nimmt die Gültigkeit des Kausalschemas an: "To sum up: I believe that pains are not clusters of responses, but that they are (normally, in our experience to date) the causes of certain clusters of responses. Moreover, although this is an empirical fact, it underlies the possibility of talking about pains the way in which we do." (332) Die Identifikation einer evidentiellen als einer semantischen Beziehung verstößt also gegen gut
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The term 'anger1 (...) is meaningful now; it does not merely become meaningful when it becomes possible to define it, strictly or (...) by incorporation into a theoretical system. (99)
Die in der Behauptung der Sinnlosigkeit der von Putnam zitierten Annahme dass jemand trotz des Vorliegens aller Ärgersymptome nicht unbedingt ärgerlich sein muss - steckende empirische Hypothese ist, dass Ärger nichts weiter sei als die Gesamtheit der Symptome, die im Alltag als "ärgerlich" bezeichnete Menschen zeigen. Unter der Voraussetzung der Wahrheit dieser Annahme, dass die Kriterien erschöpfend sind (bzw. das "Wesen" von Ärger treffen21), sowie der weiteren Annahme, dass die Sprache, in der die Kriterien formuliert sind, vollständig interpretiert (und widerspruchsfrei) ist, erscheint es zwar durchaus gerechtfertigt, dass man die aus dem Alltag stammende Bezeichnung für die Klasse der ärgerlichen Menschen definiert in einer Sprache, die Bezeichnungen für eine bestimmte als ausreichend und epistemisch unkompliziert betrachtete Menge an Verhaltenseigenschaften22 enthält. Doch daraus folgt eine sehr strenge Annahme, und zwar dass daraus, dass alle bisher aufgrund der gegenwärtigen Kriterien beurteilten Menschen ärgerlich waren, folge, dass dies auch für alle überhaupt hinsichtlich Ärger beurteilten Menschen gelte. Dies ist jedoch eine Uniformitätsannahme, und demzufolge eine empirisch gehaltvolle Erweiterung dessen, was mit
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verankerte epistemische Prinzipien. Unter der Bedingung von deren Gültigkeit, und insbesondere der Gültigkeit einer kausalen Verknüpfung von den uns bekannten Symptomen und ihrer Ursache ist das Auftreten von Symptomen in der Tat notwendige Bedingung für das Urteil über einen bestimmten Fall als Schmerzfall: "«/the explanation suggested of the word 'pain' is a good one (i.e. 'pain is the feeling that is normally being evinced when someone says "ouch", or winces, or screams, etc.'), then persons in pain must at some time have winced or screamed or said "ouch" but this does not imply that 'if someone ever had a pain, then someone must at some time have winced or screamed or said "ouch"'. To conclude this would be to confuse preconditions for talking about pain as we talk about pain with preconditions for the existence of pain." (331) Die bei der Betrachtung einer solchen Beschreibung als Definition zugrundeliegende Konzeption von "Definition" ist offensichtlich die, die Aristoteles verwendet, wenn er in der Zweiten Analytik (hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Eugen Rolfes: Aristoteles: Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik (Organon IV), verbesserte Neuauflage Hamburg 1990) sagt: "Die Definition nun macht klar, was etwas ist" (91 a). Genauere Erläuterungen dazu finden sich in der Topik (übers, v. Eugen Rolfes: Topik (Organon V), verbesserte Neuauflage Hamburg 1992): "wenn eine Definition eine das Wesen des Dinges anzeigende Rede und das in der Definition Ausgesagte auch das einzige ist, was bei der Beschreibung seines Wesens ausgesagt werden darf, und wenn wieder bei der Beschreibung seines Wesens die Gattung und die Arten von ihm ausgesagt werden - nun, so muss offenbar, wenn man in die Aussage über das Wesen des Dinges dieses, Gattung und Art aufnimmt, die dieses enthaltende Rede die Definition sein; eine andere Definition kann es nicht geben, da nichts anderes bei der Beschreibung des Wesens eines Dinges ausgesagt wird." (7. Buch, 3. Kapitel, 153a). Diese Auffassung ist die Auffassung der Definition als Realdeßnition. In den meisten Fällen dürfte eine solche Realdefinition allerdings nicht als Definition im Sinne der modernen Definitionstheorie gelten, sondern müsste als Schlussregel oder Axiom eigens einem existierenden Sprachsystem hinzugefügt werden. Inwiefern man das als eine Konsequenz aus der logischen Struktur von mit (enorm verbesserten) bilateralen Reduktionssätzen eingeführten Dispositionsbegriffen betrachten kann, wird von Essler, W.K./Trapp, R.: "Some Ways of Operationally Introducing Dispositional Predicates with Regard to Scientific and Ordinary Practice" erklärt.
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"Ärger" und den Symptomfeststellungsbehauptungen für sich gesagt werden konnte. Es ist auch einleuchtend, warum dies eine Implikation sein müsste, wenn eine gegebene Gesamtheit an Symptomen wirklich eine Definition des Begriffes "Ärger" darstellen soll. Nur dann, wenn man annimmt, dass die gegenwärtig verfügbaren Kriterien in allen empirischen Systemen gelten, ist ja die Erwartung gerechtfertigt, dass man keine Interpretation finden würde, in der sich mit "Ärger" eine wahre, mit "weist die Gesamtheit der Symptome F, G, H auf1 jedoch eine falsche Aussage machen liesse. Und nur dann, wenn diese Erwartung gerechtfertigt oder zumindest vernünftig wäre, würde es keinen Unterschied machen, den einen oder den anderen Ausdruck zu verwenden. Putnams Beispielsatz zeigt jedoch, dass zumindest in bezug auf das, was wir mit den jeweiligen Ausdrücken verstehen, diese Erwartung unberechtigt ist, da wir keinerlei Schwierigkeiten haben, uns eine Situation vorzustellen, in der der Beispielsatz wahr wäre (und damit die Uniformitätsannahme bezüglich der Klasse der mit unseren Mitteln als ärgerlich identifizierten Menschen falsch23). Putnams Argument beruht also zu einem guten Teil auf einer Plausibilitätsbetrachtung im Sinne der Intuitionen des mit "Ärger" kompetenten Sprechers, und zu einem weiteren Teil auf den logischen Unterschieden zwischen mittels Symptombeschreibungen eingeführten Undefinierten Ausdrücken und innerhalb einer Sprache mittels anderer ihrer Ausdrücke definierten Ausdrücken. Die Sprecherintuitionen äussern sich unter anderem darin, was er für Erwartungen hinsichtlich der Verwendbarkeit bestimmter Ausdrücke hat, die von ihm als für kommunikative Zwecke ausreichend klar interpretiert betrachtet werden, sofern es ihre sichere Anwendung in Situationen betrifft, die er mit den Mitteln der ihm verfügbaren Sprache beschreiben kann. Die Auffassung von hypothetischen Zusammenhängen in erfolgreiche (vollständige und explikativ adäquate) Reduktionen und deren Umdeutung in Definitionen steht für Putnam zumindest in bezug auf psychologische Prädikate im Widerspruch zu den von Sprechern mit den Reducientia verbundenen Intentionen und Erwartungen. Er betrachtet sie daher als ungeeignet, um als verstehens- und kommunikationstheoretischer Ansatz zu dienen.24 23
Das bedeutet natürlich nicht, dass damit jegliche Uniformitätsannahme über die ärgerlichen Menschen falsch wäre, sondern nur, dass unsere Mittel der Identifikation von Menschen als ärgerlich gegen sie verstoßen können. Eine erfolgreiche Reduktion könnte beispielsweise die Form einer wahrheitswerterhaltenden Übersetzung von Aussagen einer Sprache mit bestimmten ontologischen Voraussetzungen in Aussagen einer Sprache haben, die andere ontologische Voraussetzungen macht. Wenn die in der Übersetzung korrelierten Aussagen unter allen Interpretationen der jeweiligen Sprache die gleichen Wahrheitswerte zugesprochen bekommen, dann gibt es für jede Aussage aus dieser Klasse in der einen Sprache die Möglichkeit, sie auch in der anderen Sprache auszudrücken und damit dieselbe Behauptung aufzustellen, nur "in anderen Begriffen". So stellt er die Hypothese auf, dass sich die phänotypisch in Verhaltens- und Reaktionsweisen sowie Denkstrukturen allgemeiner Art beschriebenen psychologischen Zustände, wenn sie mit Zuständen und Veränderungen in Gehirn und Nervensystem korrelierten und eine neurologische Theorie adäquate Voraussagen und Erklärungen für die Vorgänge lieferte, man dann psychologische
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Es besteht jedoch ausser dieser kommunikationstheoretischen Betrachtung, die auf PlausibUitätsargumenten aufbaut, noch eine weitere Hinsicht, in der Putnam die Auffassung von Reduktionssätzen dieser Art als Definitionen mit bestimmten normativen Hintergrundüberzeugungen innerhalb von Praktiken in Widerspruch geraten sieht, in denen es um die Formulierung von Hypothesen und ihre Bestätigung sowie um die Erweiterung des Wissens über etwas geht. Diese normativen Hintergrundüberzeugungen äussern sich in charakteristischen metatheoretischen Weisen der Beurteilung der epistemischen Qualität von Symptomen. Symptome und Symptomgesamtheiten können erstens selbst zum Thema von Überlegungen werden, in denen empirische Erwägungen bezüglich der Resultate ihrer Anwendung als Argumente zählen. Symptome sind also gegenüber der Voraussetzung der Stabilität der Bedeutung von Ausdrücken, wenn sie einmal durch viele Situationen festgelegt ist, variabel. Ausserdem können Elemente aus einer Menge von Symptomen zweitens, wie bereits angedeutet, für etwas zur Formulierung empirisch gehaltvoller Aussagen verwendet werden. Aus dem ersten Grund sind Symptommengen abhängig von Überzeugungen über die Welt und deswegen nicht gleichzusetzen mit einem Definiens, und aus dem zweiten Grund sind haben sie selbst empirisch gehaltvolle Folgen und können deswegen eine Erweiterung der Urteile zustandebringen, die Definitionen nicht zustandebringen dürfen. Putnam erläutert diese äusserst wichtigen Aspekte der epistemischen Eigenschaften von Angaben zur Verwendung psychologischer Prädikate in einem anderen, zur gleichen Zeit erschienenen Artikel25 wie folgt:
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Feststellungen und Gesetze in neurophysiologische Feststellungen und Gesetze abbilden könnte. Die dabei in der jeweiligen Sprache geltenden Aussagen wären natürlich nicht "synonym", selbst wenn sich ihre Wahrheitswerte strikt analog zueinander durch die verschiedenen Interpretationssituationen verhalten. Sie bedeuteten nicht dasselbe, stellten aber immer dasselbe dar. Damit hätte man eine Reduktion der psychologischen Theorie auf die Neurophysiologie vollbracht (s.a. "Psychological Concepts, Explication, And Ordinary Language"). Ein anderes Beispiel einer, im Gegensatz zur gerade genannten erfolgreichen, Reduktion ist die Abbildung der Klasse eines großen Teils der mathematischen Wahrheiten in die Klasse der wahren Aussagen von Logik und Mengentheorie wie beispielsweise in den Prindpia Mathematica von Whitehead und Russell. Putnams Beispiele aus der Physik sind beispielsweise die Reduktion der phänomenologischen Thermodynamik auf die statistische Mechanik (durch die die theoretische Identifikation von Gastemperatur und mittlerer kinetischer Energie der Teilchen in einem Gaskörper möglich wird, vgl. z.B. PPII, 128-9) oder die Approximation der klassischen Dynamik als Grenzfall durch die Relativitätstheorie (vgl. "Philosophy of Physics", PPI 79-92). Dieses Interesse Putnams für die Struktur der Reduktion und der dabei in Anspruch genommenen "theoretischen Identifikationen" unterscheidet ihn trotz der gelegentlichen Ähnlichkeit seiner Argumente mit denen des späten Wittgenstein und seinem insgesamt pragmatischen Standpunkt radikal von den Ansätzen der "ordinary language philosophy", die aus dem Vorverständnis der entsprechenden Worte in der jeweiligen Sprache durch die Sprecher heraus Gründe gegen Reduktionen überhaupt geltend machen wollen. Ihr Hauptargument ist dabei (wie etwa bei Strawsons Argumentation gegen den Phänomenalismus) das von Moore so genannte Problem der Analyse, dass Reduciens und Reduciendum nicht synonym seien und sein könnten, wenn es sich nicht um denselben Ausdruck aus dem selben Begriffssystem handele. Doch dies ist eine Voraussetzung der Reduktion, nicht einer ihrer Nachteile. "Brains and Behaviour", in: PPII, 325-41.
Kritik am Behaviourismus
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the application of the word 'pain' is controlled by a whole cluster of criteria, all of which can be regarded as synthetic. (328)26
Putnam führt dies in einer Fussnote wie folgt aus: I mean not only that each criterion can be regarded as synthetic, but also that the cluster is collectively synthetic, in the sense that we are free in certain cases to say (for reason of inductive simplicity and theoretical economy) that the term applies although the whole cluster is missing. This is completely compatible with saying that the cluster serves to fix the meaning of the word. The point is that when we specify something by a cluster of indicators we assume that people will use their brains. That criteria may be over-ridden when good sense demands is the sort ofthing we may regard as a 'convention associated with discourse' (...) rather than as something to be stipulated in connection with the individual words. (328)
In bezug auf den synthetischen Charakter der einzelnen Spezifizierungen kann man etwa folgende Überlegung anstellen: Wenn man zwei Erläuterungen des Gebrauchs von "Ärger" hat, etwa "wenn auf seine Gesichtsfarbe hin untersucht wird, dann ist ärgerlich genau dann, wenn sein Gesicht rot ist" und "wenn auf seinen Adrelaninspiegel hin untersucht wird, dann ist ärgerlich genau dann, wenn sein Adrelaninspiegel um das doppelte höher ist als normal", dann kann man zwischen diesen beiden Aussagen den Zusammenhang herstellen, dass jemand, wenn er auf seinen Adrelaninspiegel hin untersucht worden ist und auf seine Gesichtsfarbe bin untersucht worden ist, immer dann rot im Gesicht wird, wenn sich sein Adrelaninspiegel verdoppelt hat. Dies ist eine neue, zuvor unbekannte empirische Gesetzmässigkeit. Wenn die Symptommengen als Definitionen auffassende Theorie stimmte, wäre sie aber nur aus den Regeln der Sprache gefolgert. Die angemessenere Interpretation dieser Kreativität empirischer Erläuterungen von Begriffsverwendungen scheint zu sein, dass es sich dabei um Aussagen handelt, die auf ein bestimmtes Wissen zurückgreifen, das nicht rein sprachlich ist, sondern Erfahrungen mit der Welt beinhaltet. Dies wird insbesondere an der Verallgemeinerung deutlich, die Putnam in der Fussnote vornimmt: es können auch alle diese Erläuterungen nicht erfüllt sein, ohne dass daraus unmittelbar folgte, dass der Ausdruck in einer gegebenen Situation unanwendbar wäre, wenn diese Anwendung durch andere Prinzipien einer Praxis nahegelegt wird, in der Auf die Details der Konzeption, die aus dieser These zu den Bedingungen der Interpretation empirischer Begriffe folgt, die 'cluster theory' der Grundbegriffe einer angewandten Theorie, soll genauso später (2.2.) eingegangen werden wie auf Putnams Reinterpretation der epistemischen, semantischen und alethischen Modalitäten. Hier geht es mir zunächst nur um die Entgegensetzung des Putnamschen, auf der Idee von unterbestimmenden Merkmalen aufgebauten, Ansatzes in den frühen Schriften mit dem operationalistischen Ansatz, wie er bislang beschrieben worden ist. Für das Verständnis des Ausdrucks "synthetisch", wie ihn Putnam hier verwendet, reicht es aus, ihn mit "nicht aufgrund der Logik und der niedergelegten Definitionen einer bestimmten Sprache wahr oder falsch" übersetzt bzw. annimmt, dass zur Begründung der Wahrheit oder Falschheit einer synthetischen Aussage auf die Annahmen über die Welt, in der sie interpretiert ist, zurückgegriffen werden muss.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
der Begriff verwendet wird (wie Prinzipien der Anwendung induktiver Methoden auf ganze Begriffssysteme oder der Theoriebildung).27 Es scheint klar zu sein, dass die Verwendung empirisch interpretierter Ausdrücke zumindest auch durch solche übergreifenden Prinzipien gesteuert wird (so dass man vielleicht für die empirische Anwendung von "Ärger" keine so recht zuverlässigen Kriterien hat, aber für "Schmerz", "Freude", "Überraschung" usw., und daraus, dass "Ärger" diesem Begriffssystem angehört, schliesst, dass man irgendwann Kriterien dafür finden wird, die gleich zuverlässig oder unzuverlässig sind wie die für die anderen Begriffe). Eine solche prinzipiengesteuerte Verwendung kann, in Grenzfällen, gegen die mit operationalen Regem gesicherte Verwendung ausgespielt werden. Dass dies erlaubt ist, stellt Putnam zufolge selbst ein Prinzip bzw. eine Maxime dar, das bei der Verwendung von Ausdrücken in den entsprechenden Praktiken gilt, eine "convention of discourse". Welches die Fälle sind, in denen eine prinzipiengesteuerte Verwendung gegen eine mit operationalen Regeln bestimmte Verwendung ausgespielt wird, erläutert Putnam in "Psychological Concepts, Explication, and Ordinary Language" weiter. Der theoretische Ansatz, der lediglich die durch einmal gegebene operationale Regem bestimmte Verwendung als legitim betrachtet, setzt wie gesehen voraus, dass die zu der Zeit der Umwandlung der reduktiven Korrelation von Symptomen und Vorliegen von beispielsweise Ärger in eine Definition als ausreichend betrachteten Symptome sich tatsächlich als endgültige Kriterien auffassen lassen, d.h. nicht nur notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen von Ärger unter bestimmten Umständen, sondern unter allen Umständen darstellen. Die Interpretation der Symptommenge als bereits abgeschlossene, anerkannte Reduktion (wie oben am Beispiel der behaviouristischen Strategie angedeutet) schliesst nun, selbst wenn die Sprecherintuitionen nicht so wären, wie sie Putnam in seiner Plausibüitätsbetrachtung einschätzt, zwei Fälle aus (und ist, wenn wir sie als innerhalb der Praktiken, in denen wir psychologische Prädikate verwenden, wahrscheinlich ansehen, für diese inadäquat). Putnam beschreibt den ersten Fall wie folgt: the process of specifying the meaning of a term [im Gegensatz zur Definition, A.M.] is one of constantly improving the correlation in our group of indicators (...) some indicators may be dropped (...) Our assumption (...) is that more preIm gegenwärtigen Zusammenhang kommt es mir nur auf die Feststellung der Fallibilität von Entscheidungskriterien für die Zuschreibung einer bestimmten Eigenschaft an, nicht auf die Akkuratheit oder Präzision der Putnamschen Kritik an der Konzeption operationaler Definitionen. In dieser Beziehung kann man sicherlich einiges mehr und Genaueres sagen als das, was Putnam äußert. Vgl. dazu neben Essler/Trapp auch Essler, W.K.: "Some Remarks Concerning Partial Definitions In Empirical Sciences" (in Pacific Philosophical Quarterly 61 (1980), 455-62), Wissenschaftstheorie I (Freiburg 21982), "Die Kreativität der bilateralen Reduktionssätze" (Erkenntnis 9 1975), 383-92), sowie die älteren weiter unten genannten Arbeiten von Camap und Hempel.
Kritik am Behaviourismus
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eise indicators will be found (...) when a term is specified by means of a list of symptoms, the adding of new symptoms as they are discovered (...) [is] in no sense arbitrary, in the actual process of science. (98-9) Mit der Berücksichtigung dieses Elements der Praxis der Wissenschaften ist die für die Umdeutung von Symptombeschreibungen in Definitionen unverzichtbare Annahme weiter erschüttert, dass es sich bei einer historisch gegebenen Menge an Symptomtypbeschreibungen um eine abgeschlossene Menge handeln muss. Selbst wenn man eine bestimmte Menge an Symptombeschreibungen hat, so sollte man sich doch nicht Verbesserungen verschließen, so die normative Forderung (neben dem oben genannten logischen, d.h. auf Konsistenznormen bestehenden Grund). Man kann nämlich, wenn der entsprechende Ausdruck und seine Verwendung durch eine bestimmte historisch als ausreichend betrachtete Symptommenge als definiert angenommen wird, nicht mehr davon sprechen, dass derselbe Begriff mit einer neuen Anwendungsbedingung ausgestattet worden wäre, wenn die Hinzufügung dieses Symptoms ipso facto eine Veränderung des Begriffes bedeutet (dessen Identität in einer Sprache ja in seiner Definition besteht). Es sprechen also ausser den Sprecherintuitionen auch prozedurale Eigenschaften derjenigen Praktiken und Situationen gegen eine allgemeine Identifikation der epistemischen Eigenschaften von hypothetischen Reduktionen mit denen von Definitionen, in denen unsere Verwendung gegebener Begriffe unter der Bedingung der Unterbestimmtheit durch das uns verfügbare Wissen steht, in anderen Worten, ihre Anwendung auf gegebene Situationen induktiv erfolgt. Für manche mittels Indikatoren und Symptomen in ihrer Verwendung geregelte Ausdrücke ist es jedoch ganz und gar unverzichtbar, mehrere und flexible Bedingungen mit derselben referentiellen Intention in verschiedenen Situationen nach Maßgabe der Situationsangemessenheit (d.h. zudem in gewichteter Form) verwenden zu können. Eine Verbesserung der Methoden aufgrund von Entdeckungen ist der erste Fall, den das kriteriale Modell Putnams Ansicht nach ausschließt. Der zweite Fall betrifft ebenfalls den normativen Kern induktiver Praktiken und stellt die umgekehrte Möglichkeit des ersten dar, in dem sich ja die Gesamtheit der Symptome als komparativ unzuverlässiger als die Gesamtheit plus einem neu entdeckten Indikator erwies: When I discover that one of the indicators I have been using is a poor indicator (has declining correlation with the new indicators), I do not in fact say 'Well, this person has condition C because that's how I define it'; rather I say, 'this person does not have the condition C, for / was mistaken in regarding this as an indicator.' (99) Auf der anderen Seite wird also in bezug auf die epistemische Qualität und Geltung der Behauptungen eines Zusammenhanges zwischen Symptombeschreibungen und der Feststellung des Vorliegens von beispielsweise "Ärger" der Fallibilismus ausgeschlossen. Bestimmte empirisch gehaltvolle Aussagen werden im-
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
munisiert und von der kritischen Prüfung innerhalb der Wissenschaft ausgenommen, indem sie zu semantischen Prinzipien überhöht werden. Es ist im Grunde diese einschränkende Folge aus der Betrachtung von Gesetzesaussagen als Kriterien der Verwendung bestimmter Ausdrücke, gegen die sich Putnam in diesem frühen Artikel wendet. Indirekt tritt er damit für ein Adäquatheitskriterium für sprachphilosophische Betrachtungen zu Problemen der Bedeutung und der Bezugnahme ein, nämlich für die Bedingung, dass sie dem Desiderat der Rekönstruierbarkeit des normativen Prinzips der Fallibilität allen empirisch gehaltvollen Wissens gerecht werden müssen. Daher schliesst er: It appears to me that we can best do justice to the attitude expressed in this way of speaking ( was mistaken1) if we say that by 'anger' I now mean the microstate; that I regard the indicators not as defining characteristics but as symptoms; and that I anticipate that this list of symptoms will be (...) added to and revised so as to eventually determine an underlying condition which causally explains the symptoms. (99)
Hier treten vier Gesichtspunkte klar zutage, die man als programmatisch für den methodologischen Ansatz aller Untersuchungen Putnams zur Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie, aber auch zur Philosophie des Geistes ansehen kann. Sie stellen sozusagen die Tiefengrammatik semer Texte zu diesen Themen dar, auch wenn die Oberflächengrammatik in einigen Phasen und Themen über längere Zeit einen anderen Eindruck begünstigen konnte. Die Hauptelemente sind: (a) auf der metatheoretischen Ebene ein theoretischer Ansatz bei den kognitiven und normativen Strukturen, die aus der Teilnehmerperspektive für die erfolgreiche, koordinierte und korrekte Durchführung von Praktiken vorausgesetzt werden müssen, d.h. ein pragmatischer Ansatz (do justice to the attitude, conventions of discourse28); (b) auf der inhaltlichen Ebene derjenigen Haltungen und Praktiken, die es zu rekonstruieren gilt, und deren Rekonstruierbarkeit innerhalb eines Theoriege28
Aus Gründen, die sich aus dem weiteren Verlauf der Arbeit hoffentlich ergeben, bin ich der Meinung, dass man "convention" hier in einem sehr unspezifischen Sinne verstehen sollte. Putnam spricht ja auch von "assumptions" bzw. der Abhängigkeit des 'way of talking' (und, wie man ergänzen kann, Of understanding') von "assumptions". Damit sind bei Putnam sowohl metatheoretische als auch theoretische Überzeugungen gemeint, die in Anspruch genommen werden, um interpretative Fragen zu beantworten, soweit es geht, und von denen im Falle, dass sich eine solche Frage stellt, einfach erwartet wird, dass jeder sie hat. In diesem Sinne sind sie also 'vorgeschrieben' für die Beantwortung solcher Fragen, weil diese nicht oder nur unvollständig erfolgen kann, wenn solche kognitiven Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es handelt sich also eher um ein 'Wissen1 sehr allgemeiner Natur, oder, wie Putnam in "The Refutation of Conventionalism" ( , 153-91) sagt: "hidden presuppositions of (...) discourse" (156). Putnam geht es also nicht etwa darum, das Zustandekommen der Verständigung und der Interpretation auf Konventionen zu gründen (etwa im Sinne von David Lewis). Im Gegenteil wird die Bemühung um eine "Widerlegung" eines solches Standpunktes zentraler Bestandteil seines weiteren Arbeitens sein.
Kritik am Behaviourismus
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bäudes als Kriterium für seine Adäquatheit bei der Darstellung dieser Praktiken gilt, steht die Möglichkeit und, aus der Teilnehmerperspektive, die Antizipation des Irrtums und der Verbesserung gegebener epistemischer Systeme (I anticipate that this list ... will be added to and revised); (c) auf der methodologisch-heuristischen Ebene eine nicht vollständig epistemische Theorie des Bezugs von mittels epistemischer Anwendungskriterien unter- bzw. teilbestimmten Ausdrücken als Kernstück der Voraussetzungen über die Sprache, die Sprecher machen müssen, die Antizipationen der Art (b) haben können (I wowmean..., the cluster is collectively synthetic); (d) auf der epistemologischen Ebene eine Entscheidung für einen materialistischen bzw. realistischen Standpunkt bei der allgemeinen Bestimmung möglicher Bezugsobjekte, der unter den drei genannten Bedingungen gilt, und nicht abgetrennt werden kann von den Voraussetzungen aus der Teilnehmerperspektive im Sinne von (b) (I now mean a certain micro-state).
Das Element (a) macht Pumams Ansatz pragmatistisch und orientiert an normativ gehaltvollen Erwartungen und Haltungen, (b) macht ihn fallibilistisch bzw. kognitivistisch (und ist damit auf die Überzeugung verpflichtet, dass Lernprozesse möglich sind), (c) lokalisiert das zu lösende Problem im Bereich der Referenzintentionen unter der Bedingung der Unterbestimmtheit des Bezuges (und ist damit auf die sogenannte 'linguistische Wende' verpflichtet), und (d) macht die Erläuterungen der Voraussetzungen der Vernünftigkeit von Referenzintentionen fest an Hintergrundüberzeugungen der Praxisteilnehmer über die Wirklichkeit, ohne die diese Praktiken nicht möglich wären. Die gesamte Konzeption könnte man als das Programm eines pragmatischen Kognitivismus in der Sprachphilosophie bezeichnen. Trotz dieser letzten Bemerkung sollte man jedoch nicht vergessen, dass Putnams Überlegungen grundsätzlich an das durch die von ihm kritisierten Ansätze vorgegebene Erklärungsziel anschließen, nämlich zu erklären, wie es möglich ist, dass ein einzelner Sprecher erwarten kann, dass andere ihn so interpretieren, dass er mit den von ihm verwendeten Ausdrücken etwas gemeint hat, und wie es möglich ist, dass Sprecher und Hörer mit der Verwendung von beiden bekannten Zeichen dasselbe meinen. Die bislang betrachtete Strategie, die Gründe dafür in Eigenschaften von Ereignissen zu suchen, die allen gleichermaßen zugänglich sind (etwa durch Verhaltensbeobachtung), schlägt Putnams Ansicht nach für eine Erklärung dieser Grundfrage ebenso fehl wie - wie im Anschluss näher erläutert werden wird der naive Operationalismus, der die Gründe für diese beiden Möglichkeiten in externen Eigenschaften bestimmter Handlungen sucht. Putnams methodologisch orientierter Vorwurf an beide Strategien lautet, dass sie eigentlich keine Erklärungsstrategien sein können, solange sie nicht aufklären, was es denn an den Handlungen und Beobachtungen sein müsste, das diese bei-
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
den Fähigkeiten bzw. interaktiven Möglichkeiten nach sich zieht. Er sucht mit anderen Worten nach der kognitiven Struktur, die für den Erfolg dieser Handlungen bei der Worterklärung (so weit er eintritt) verantwortlich zu machen ist. Putnam wendet sich also nicht in einer pauschalen Weise gegen "den Reduktionismus" im Allgemeinen als Methode der Erklärung. Im Gegenteil zeugen besonders seine frühen Arbeiten von einem Interesse an theoretisch oder empirisch rechtfertigbaren Reduktionen auch sprachlicher Fähigkeiten. Gelänge dies, dann hätte Putnam auch nichts gegen die Definition der "alten" Terminologie, also "Verstehen", Bedeutung" etc., mit den Begriffen der neuen, erklärenden Theorie einzuwenden. Doch solange sich die Untersuchungen nur auf der phänomenalen Ebene befinden und bereits hier bestimmte Regularitäten als Reduktionen ansehen, stellt dieses Vorgehen eine Veränderung des Forschungsgegenstandes dar. Statt einer Erklärung des Verstehens sprachlicher Ausdrücke erhält man beispielsweise eine Erklärung über die Regularitäten der Verhaltensbeobachtung. Dass es sich dabei um eine Veränderung des Forschungsgegenstandes handelt, macht Putnam anhand der Untersuchungen der Linguistik deutlich, die zu entgegengesetzten Ergebnissen kommt. 1.2. Putnams Kritik an der Sprachauffassung des naiven OperationaUsmus Putnam hat in dem zuvor hauptsächlich betrachteten Aufsatz einen Begriff des Verstehens verwendet, der sich an die Intuitionen des Lesers wendet, aber nicht selbst versucht anzugeben, worin denn die Verständlichkeit eines gegebenen Ausdruckes besteht. Er hat vielmehr nur Gründe dafür angegeben, dass, wenn die Aussage, die er in diesem Aufsatz behandelt hat, verständlich ist, es dann gute Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen. Mit anderen Worten hat er zwar an die Intuitionen des Sprechers als Sprecher einer natürlichen Sprache appelliert, um seine Argumentation plausibel zu machen, in der Folge jedoch eine erkenntnistheoretisch-normative Begründung dafür gegeben, warum diese Intuitionen nicht solche sind, die man vernachlässigen kann (wie dies z.B. im Falle bestimmter Vorurteile aufgrund natursprachlich gegebener Klassifizierungen möglich und manchmal erforderlich sein kann). Er appelliert also für die Begründung an die Vernunft des Teilnehmers als Erkenntnissubjekt. Insofern besteht für ihn offensichtlich ein enger Zusammenhang zwischen der Erklärung des Verstehens deskriptiver Ausdrücke in natürlichen Sprachen und den normativen Prinzipien und erkenntnistheoretischen Annahmen, die wir in erkenntnistheoretisch durch Ungewissheit gekennzeichneten Situationen voraussetzen müssen, um zu Überzeugungen über diese Situationen selbst kommen zu können.
Kritik am Operationalismus
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In seinem Aufsatz "Dreaming and 'Depth Grammar'"29 vertieft Putnam seine hier nur begonnene und programmatisch durchgeführte Diskussion von Ansätzen, die das Verstehen nach dem Modell der Ausführung von Operationen mit Hilfe bestimmter von vornherein als gültig bekannt vorausgesetzter Anwendungskriterien in gegebenen Situationen rekonstruieren. In diesem 1962 erschienenen Aufsatz polemisiert Putnam gegen die in der Interpretation einer wissenschaftlichen Abhandlung durch den Wittgensteinschüler Norman Malcolm30 enthaltenen Konzeptionen von Bedeutung und Verstehen. Neben der Polemik entwickelt er hier aufgrund semer linguistischen Studien einen Begriff der Bedeutung und des Verstehens, der ihm für natürliche Sprachen angemessener und mit den Ergebnissen der linguistischen Forschung vereinbar erscheint.31 Angesichts dieser Zielsetzung ist klar, dass es in diesem Artikel sowohl zu einer detaillierteren Klärung der Voraussetzungen der zuvor nur verwendeten Intuitionen von Sprechern und Hörern kommt als auch zu einer Erläuterung der Adäquatheitsbedingungen an eine pragmatische Theorie der Interpretation von verwendeten Ausdrücken durch ihre Zuordnung zu (hypothetischen oder tatsächlichen) Bezugsgegenständen oder -gesamtheiten. Malcolms Ansichten stimmen weitgehend mit den zuvor kritisierten überein, jedoch verschärft er sie dahingehend, dass die Regelung empirisch interpretierter 29
30
PPH, 304-24.
Dreaming, London, New York 1959. Es wird in Arbeiten zu Putnam selten das biographische Faktum bemerkt (oder vielleicht als zu bekannt vorausgesetzt), dass Putnam nicht nur Student und Mitarbeiter Reichenbachs und Carnaps, den zu dieser zeit wichtigsten Theoretikern der Induktion und der wissenschaftlichen Rationalität war, sondern mit Noam Chomsky zusammen bei Zelig Harris studiert hat, einem der Begründer der Grammatikforschung im Sinne der modernen Linguistik (vgl. seine biographischen Bemerkungen in einem Interview, in Burri, Alex: Hilary Putnam, Frankfurt 1994, 173). Biographische Daten sind zwar in bezug auf die Argumente eines Philosophen lediglich interessante kollaterale Fakten, doch die Vernachlässigung dieses Faktums führt häufig dazu, dass die eigentlich pragmatischen und bedeutungstheoretischen Tendenzen in Putnams früheren Arbeiten unbemerkt bleiben und damit seine Orientierung an den alltäglichen Verständigungspraktiken unterbelichtet bleibt. Ohne die Berücksichtigung der Argumente Putnams aus dieser frühen Zeit zum engen Zusammenhang zwischen den interpretativen und den induktiven Fähigkeiten kompetenter Sprecher jedoch bleibt vieles in seinen späteren Arbeiten seiner Herkunft nach unklar und verleitet zu einseitigen Interpretationen. Seine Bemühungen um einen den Ergebnissen der Linguistik angemessenen Bedeutungs- und Verstehensbegriff und sein Beharren darauf, dass die Berücksichtigung der Linguistik in der Sprachphilosophie Irrtümer zu vermeiden geholfen hätte (vgl. , 451), sowie seine in die Philosophie des Geistes übergehenden Bemühungen um eine Explikation des Begriffes des Verfügens über einen Begriff stellen einen neben der Wissenschaftstheorie höchst wichtigen Eckstein zum Verständnis seiner Arbeiten dar. Eine Interpretation seiner späteren Arbeiten, die in diesen nur die sprachphilosophisch angereicherte Artikulation einer realistischen Wissenschaftstheorie sieht wird deren pragmatischen Motiven meiner Ansicht nach ebenso wenig gerecht wie eine Interpretation dieser Arbeiten im Sinne von wissenschaftstheoretisch angereicherten Beiträgen zur formalen Semantik natürlicher Sprachen. Induktion und Interpretation stellen für Putnam von Beginn an aufeinander verweisende und nicht verlustfrei voneinander trennbare Bereiche philosophischen Arbeitens dar.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
Begriffe durch epistemisch verfugbare, aber den Bezugsgegenstand unterbestimmende Indikatoren unmöglich zu einer Interpretation derselben durch Bezugsgegenstände fuhren kann: "in Malcolm's view, it is impossible to refer to a thing (or kind of thing) if hi no case do we have better than indications of its presence or absence" (306). Ebenso wie zuvor argumentiert Putnam in diesem Artikel gegen den dieser skeptischen Behauptung zugrundeliegenden naiven Operationalismus, oder, wie Putnam sagt, Verifikationismus. Dieser identifiziert das Kennen der Bedeutung bzw. das Verstehen bzw. das etwas-meinen-können-mit einem Ausdruck auf der Ebene genereller Termini mit der Verfügung über unproblematische notwendige und hinreichende Bedingungen des Zugangs zu den Entitäten, die mit ihrer Verwendung intendiert sind. Auf der Satzebene identifiziert er das Verstehen ernes Satzes wie "x ist ärgerlich" mit dem Wissen um Bedingungen, unter denen dieser Satz berechtigt für wahr gehalten werden darf (z.B. das Wissen um gewisse Verhaltensmerkmale). Die grundsätzliche Strategie des Verifikationismus im gegenwärtigen Zusammenhang beschreibt Putnam als "the idea that certain statements of the form 'Normally a person who behaves in such-and-such a way has a pain in his arm' are true by virtue of the meaning of the word 'pain', or more loosely, that some particular connections between pain and pain behavior are built into the concept of pain, hi the sense that no one can be totally ignorant of those connections and have that concept. "32 Einen Ausdruck erfolgreich kognitiv verwenden und verstehen können ist also direkt abhängig von einem von dessen Verwendung unabhängigen Erkenntnisvorgang (diese Bedingung ist deswegen notwendig, weil ja dem Ausdruck erst durch diesen Erkenntnisvorgang Bedeutung bzw. Referenz verliehen werden soll). Die kognitiv erfolgreiche, d.h. für das Aufstellen von Behauptungen ausreichende, und verständliche Verwendung ernes Ausdruckes setzt einen perfekten, d.h. absolut gegenstandsidentifizierenden, Erkenntnisvorgang voraus. Es geht Putnam in diesem Artikel ausdrücklich nicht um eine Kritik der Ansichten Malcolms, sondern er polemisiert gegen Malcolm als einen Vertreter dieser sprachphilosophischen Richtung (vgl. 306). Als ein Beispiel der Ansicht, dass die Bedeutung eines Ausdruckes im Vorhandensein eines Kriteriums bestehe, das vor und unabhängig von Annahmen über die Welt gilt, kann man beispielsweise auch C.I. Lewis' Ansicht heranziehen, dass die Bedeutung ernes Ausdrucks gleichzusetzen sei mit "a criterion in mind, by reference to which one is able to apply or refuse to apply the expression in question in the case of presented, or imagined, things or situaions. "33 32
"Logical Positivism and the Philosophy of Mind", in: PPII, 441-51, 445. Lewis, C.I: An Analysis of Knowledge and Evaluation, LaSalle 1946, 133. In einem weiteren Sinne, der auch synthetische Beiträge zum Zustandekommen der Bedeutungskenntnis nicht ausschließt, aber ebenfalls mit dem kriterialen Begriff der Bedeutung arbeitet, bestimmt auch Carnap in Antwort auf Quines Kritik die "Intension eines Ausdrucks für einen Sprecher" im Rahmen der Pragmatik so: "That X is able to use a language L means that Xhas a certain system
Kritik am Operationalismus
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Putnam bedient sich bei seiner Kritik ähnlicher Argumente, wie sie zuvor bezüglich der Wissenschaftstheorie und der Interpretation von Termini mit bezüglich der Beobachtbarkeit der Bezugsobjekte problematischen Anwendungsbedingungen schon Carnap selbst34, Hempel35 und in besonders allgemeiner Weise Quine36 vorgebracht hatten37, die alle auf den Nachweis hinauslaufen, dass es sich bei diesen Anwendungsbedingungen für sich genommen nicht um notwendige und hinreichende Bedingungen handelt. In diesem Artikel bezieht sich Putnam nicht direkt auf wissenschaftstheoretische Fragestellungen. Er untersucht vielmehr die Folgerungen, die sich aus einer verifikationistischen Bestimmung der Begriffe der Bedeutung, der Verständlichkeit und der Möglichkeit, mit der Verwendung eines Ausdrucks bei verschiedenen Gelegenheiten und durch verschiedene Sprecher über dasselbe sprechen zu können, ergeben. Er setzt diese Folgerungen denjenigen Annahmen entgegen, die alltäglich über die Gleichheit und Verschiedenheit der Bedeutung von Ausdrükken, über die Bedingungen der Bedeutungsveränderung und die Anforderungen an die Verwendungen von Ausdrücken gemacht werden müssen, damit ihnen Verständlichkeit zugesprochen werden kann. Er setzt also wiederum bei der Rekonstruktion der "attitude" und normativen Erwartungen von Teilnehmern an bestimmten Praktiken an, diesmal an den besonderen Praktiken der Verständigung über etwas. Der Artikel hat demnach zwei Stossrichtungen: einerseits eine destruktive, in der die Unangemessenheit des Verifikationismus anhand seiner Implikationen für die metasprachlichen Urteile hat, die normale Sprecher in natürlichen Sprachen fällen würden, und andererseits eine konstruktive, in der die Strukturen klarer werden sollen, die eben diesen Urteilen zugrundeliegen. Da sich die destruktive Strategie weitgehend mit dem bereits Gesagten deckt, will ich hier nur auf eine Verstärkung der Argumentation hinweisen, die Putnam hier vornimmt. Bislang hatte er ja nur für die Möglichkeit der Interpretation von Ausdrücken unter der Voraussetzung der Defizienz der Bestimmungsaussagen argumentiert. Dies ergibt ein indirektes Argument gegen die Behauptung, dass dies unmöglich sei. Nun behauptet Putnam darüber hinaus, dass es genau diese Behauptung ist, zu der der konsequente Verifikationismus fuhren muss. Der Verifi-
34 35
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of interconnected dispositions for certain linguistic responses. That a predicate ' ' in a language L has the property F as its intension for X, means that among the dispositions of X constituting the language L there is the disposition of ascribing the predicate 'Q' to any object y if and only ify has the property F." ("Meaning and Synonymy in Natural Languages", in Carnap, R.: Meaning and Necessity, Chicago 21956, 233-47, 242). Carnap, R.: "Testability and Meaning". Fundamentals of Concept Formation in Empirical Science, Chicago 1952, bes. 39ff., 45-6. Quines wohl berühmteste Kritik am Reduktionismus befindet sich in "Two Dogmas of Empiricism", in Quine, W. V. O.: From A Logical Point of View, Cambridge MA, London 21980, 20-46, Abschn. 5ff.. Auf seine eigenen Beiträge zu den entsprechenden Debatten sowie seine genauere Analyse der Defizite verifikationistischer Analysen des Gebrauchs der Grundbegriffe in empirischen Theorien soll später (2.1.) eingegangen werden.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
kationismus führt also, wenn Putnam recht hat, in letzter Konsequenz zum Skeptizismus (denn ohne die Möglichkeit der Interpretation wird ja ausgeschlossen, dass wir Erkenntnisse ausdrücken oder mitteilen könnten38). In der oben zitierten diesbezüglichen Bemerkung klingt dies darin durch, dass Putnam den Verifikationismus als eine reductio ad absurdum für einen mit Erklärungsanspruch in bezug auf die Verwendung sprachlicher Ausdrücke zu kognitiven oder auch nur allgemein kommunikativen Zwecken auftretenden sprachphilosophischen Ansatz darstellt. Aus den Annahmen des naiven Operationalismus bzw. Verifikationismus folgt gemäss Putnam die Behauptung eines Unmöglichkeitsbeweises in bezug auf die referentiellen Intentionen von Sprechern im Zusammenhang mit der Verwendung empirisch interpretierter Ausdrücke. Die Sprecher müssen entweder allwissend um die Entitäten sein, über die sie ihre Ausdrücke interpretieren wollen, um sich eindeutig auf sie beziehen zu können oder sie können, wenn sie lediglich wissen, was als Wissen anerkannt ist, ihre Ausdrücke überhaupt nicht über nur teilweise erkannte Entitäten interpretieren (vgl. 307). Entweder sind die Ausdrükke m einem bekannten (und durchaus präzisen) Sinne eindeutig, nämlich dann, wenn sowohl der Ausdruck als auch die Bezugsentität unproblematisch verfügbar sind und zwischen ihnen eine eindeutige Relation aufgestellt wird. Oder aber sie sind unverständlich, weil eine solche eindeutig Zuordnung nicht möglich ist, solange wir kein perfektes Wissen über die Bezugsentitäten haben. Da wir, auch dem naivsten Operationalisten nach, nur über sehr weniges (vielleicht die sogenannten "Sinnesdaten") perfektes Wissen haben, sind unsere referentiellen Intentionen in wesentlich mehr Fällen nicht erfolgreich, als wir das normalerweise 38
Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei diesen beiden Unmöglichkeiten um die zweite und die dritte der drei Thesen des Gorgias handelt: "erstens: es gibt nichts; zweitens: wenn es auch etwas gäbe, wäre es doch für den Menschen unerkennbar; drittens: wenn es auch erkennbar wäre, wäre es doch unseren Mitmenschen nicht mitteilbar und nicht verständlich zu machen" (diese Wiedergabe der Thesen des Gorgias stammt aus Sextus Empiricus: AdversusMalhematicos, Buch , §65, zitiert nach Die Vorsokratiker, übers, und eingel. v. Wilhelm Capelle, Stuttgart 1968, 345). Die Verneinung der ersten These hinsichtlich des im Alltag zugrundgelegten Materialismus (dass es also nichts ausser Wahrnehmungen gibt) findet sich als Presupposition in Versuchen der phänomenalistischen Reduktion und wird von Putnam häufig den Verifikationisten zusätzlich zugeschrieben, und zwar als Implikation der Behauptung, dass eine Erklärung der Bedeutung eines gegebenen Ausdruckes in Form bestimmter Aussagen über Erlebnisse eine erschöpfende Angabe der Bedeutung darstelle und keine andere Erklärung genauso erschöpfend sei. Diese nimmt dann die Form einer Aussage an wie: "what more does the expression mean, if it means more than that we will have certain experiences?" ("Language and Reality" (Orig. 1974), 272-90, 272) Damit wird der Bezugsbereich auf unsere Erlebnisse eingeschränkt und der Bezug auf materielle bzw. nicht von subjektiven Zuständen determinierte Objekte implizit für illusorisch erklärt. Daher schliesst Putnam: "all Verificationism is phenomenalism at heart" (ibid., 273), was man so verstehen kann, dass dasselbe Reduktionsprogramm, das die Sa/zbedeutung an die Verifikationserfahrung bindet, die Bedeutung von Satzkomponenlen an der Subjektstelle des Satzes an Erlebnisse bzw. Erlebnisbündel bindet. Diese Form des Phänomenalismus Hesse sich als Skeptizismus gegenüber der materiellen Welt auffassen, da Objekte, über die und deren Beziehungen zu anderen Objekten und den Erlebnissen selbst man sprechen kann, sich nur als Konstruktionen aus Erlebnissen verstehen lassen.
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eingestehen. Nichtsdestoweniger ist jedoch die Voraussetzung, dass wir, wenn wir mit anderen reden, die Ausdrücke, die wir zum Aufbau von Aussagen und zur Erhebung von Behauptungen bzw. zum Fällen von Urteilen verwenden, in intersubjektiv effektiver Weise referentiell interpretieren können, unverzichtbar, denn wenn wir nicht über etwas reden können, können wir noch weniger über etwas urteilen. Wegen dieses Widerspruchs zwischen einer der grundlegenden Voraussetzungen der Kommunikation und der Konklusion aus einem sprachphilosophischen Argument sieht Putnam, hierin wiederum semer pragmatistischen Grundeinstellung (a) folgend, die zu dieser Konklusion führende Argumentation als reductio ad absurdum für die ihr zugrundeliegenden Prämissen an. Die Anforderungen, die in der Prämisse der notwendigen und hinreichenden Bedingungen zur Gegenstandsbestimmung gestellt werden, können nicht direkt zur Bestimmung des tatsächlich von Sprechern in Kommunikationsprozessen zugrundegelegten Bedeutungsbegriffes sein. Dazu sind sie zu stark, weil der Erfolg mit referentiellen Intentionen zumindest in induktiven Kontexten ausgeschlossen wird, und zu schwach, da die Fälle, in denen es keine ersichtlichen Probleme bei der intersubjektiven Voraussetzung des Erfolges mit referentiellen Interpretationen gibt, nicht erklärbar sind. Defizientes Wissen um die Bezugsgegenstände von mit referentiellen Intentionen (und eben diesem partiellen Wissen um die Bezugsgegenstände, das Grund zur Annahme liefert, dass es einen Bezugsgegenstand gibt) verwendeten Ausdrücken kann nicht ohne weiteres als Kriterium dafür dienen, einen Ausdruck für unverständlich zu erklären, so lange der Begriff der Verständlichkeit noch eine Verbindung mit demjenigen haben soll, den Sprecher in ihren metasprachlichen Urteilen explizit und in ihrem Urteilsverhalten gegenüber Behauptungen implizit verwenden. Aus linguistisch informierter Perspektive führt Putnam daraufhin Beispiele dafür an, was denn tatsächlich Gründe dafür sind, dass Sprecher eine Äußerung als unverständlich betrachten und führt einige Bedingungen an, die mittlerweile aus der Kommunikationstheorie und der linguistischen Diskursanalyse hinlänglich bekannt und untersucht sind. Er kommt zu dem Ergebnis: Linguistic intelligibility appears to depend on matters quite other than what we can or cannot 'settle with certainty'; e.g. on grammar, on ability to occur in coherent and appropriate discourses, on paraphrasability. (309)
In einem gegen die empiristische Sprachtheorie in der Wisseuschaftstheorie gerichteten Artikel von 196539 drückt Putnam die hinter dieser Kritik stehende pragmatische, von den Voraussetzungen tatsächlich zur Kommunikation und zur Aufstellung von kritisierbaren Behauptungen gebrauchter Sprachen ausgehende Perspektive pointiert so aus:
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"Craig's Theorem", PP /, 228-237.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien In point of fact, a term is 'meaningful' - i.e. has meaning in the language - if it belongs to the common language or has been explained by means of terms already in the common language. (...) the possibility of talking about unobservables is in the language from the beginning. (...) If you have doubts, consult your nearest dictionary! 'But maybe these words are really meaningless1. Well, they are defined in the dictionary. 'Maybe these definitions are meaningless too'. What sort of a doubt is this? (235)
Er fahrt in scharfer Abgrenzung zu der von den Versuchen der Artikulation eines "Sinnkriteriums" herrührenden philosophischen Vormeinungen zum Bedeutungsbegriff und seinen Aufgaben und Implikationen fort: we are urging that the concept of meaning used in everyday life and in linguistic theory is also the one appropriate to philosophy and that every term that has an established meaning in English syntax and an established use has meaning that's how we use the word 'meaning'. (236) Als Theorie der in Kommunikationsprozessen zugrundegelegten Begriffe von Verständlichkeit und Bedeutung ist eine radikal operationalistische Theorie also Putnams Ansicht nach zumindest unvollständig. Ebenso wenig kann der Versuch einer allgemeinen Reduktionsregel als gelungen angesehen werden, die angibt, wie man epistemisch sicher zu einem Urteil über die Erfüllung der Voraussetzung kommen kann, dass ein Ausdruck referentiell interpretierbar ist. Diese Voraussetzung ist, wie sich an den Möglichkeiten in der Sprache und im Verwenden und Verstehen zeigt, weitaus abstrakter und letztlich normativer Natur (denn sie ist es, die wichtige £/rtez&praktiken ermöglicht). Der faktisch von Sprechern in Anspruch genommene (und damit als Explikandum dienende) Begriff der Bedeutung dagegen ist wesentlich flexibler und sozusagen deflationierter als ein Ansatz es verkraften kann, der mit ihm auf die präzise Explikation der Rechtfertigungsverhältnisse zwischen bestimmten problematischen Überzeugungen und anderen, in weniger problematischer Sprechweise ausgedrückten. Die in kommunikativen Praktiken notwendige Voraussetzung, dass ein gegebener Ausdruck, wie er bei einer bestimmten Gelegenheit verwendet wird, überhaupt eine bestimmte Bedeutung bzw. einen bestimmten Bezug hat und damit zur Kommunikation bzw. zur Aufstellung von Behauptungen, zum Ausdruck von Überzeugungen dienen kann, wird durch den naiven Operationalismus nicht erklärt, er fußt daher auf einem "unintelligible concept of intelligibility," (ebd.) Es steht also noch die Frage offen, ob der naive Operationalismus vielleicht erklären könnte, wie ein in kommunikativen Praktiken verwendeter Ausdruck im Prinzip eine bestimmte Bedeutung haben kann. D.h. er könnte immer noch dazu dienen, allgemeine Bedingungen anzugeben, wann zwei Ausdrücke in relevant ähnlichen Kontexten und Situationen dasselbe bedeuten (Synonymie) oder wann ein Ausdruck in zwei relevant unterschiedlichen Kontexten dasselbe bedeutet (Projezierbarkeit), oder wann ein Ausdruck in relevant unterschiedlichen Kontexten verschiedenes bedeutet (Ambiguität) etc..
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Putnam führt nun Argumente an, dass eine naiv operationalistische Analyse wie die Malcolms im folgenden Sinne pragmatisch inadäquat ist: sie sagt Bedeutungs- bzw. Begriffsänderungen voraus, wo sie in den entsprechenden Praktiken nicht als solche auftauchen bzw. beurteilt werden, und sie sagt voraus, dass Sprecher nicht über dasselbe sprechen würden, weil die von ihnen verwendeten Ausdrücke nicht dieselbe Bedeutung hätten, wenn dies aus dem Gesamtverhalten der Sprecher nicht folgt. Um diese Argumente zu konstruieren, greift er wiederum auf den Fall der Verwendung von Ausdrücken zu deskriptiven Zwecken unter der Bedingung der Ungewissheit in bezug auf die mit ihnen intendierten Entitäten zurück. Dieses Mal betrachtet er jedoch nicht eine in der intersubjektiven Situation gegebene epistemische Asymmetrie, sondern geht direkt auf den erkenntnistheoretisch allgemeinen Fall der Erkenutnissituation in induktiven Kontexten ein. Hier ist es eine Rationalitätsvoraussetzung, dass wir kein perfektes Wissen um die Gegenstände haben, die wir beschreiben und untersuchen. Unter der Bedingung perfekten Wissens wäre es ja schliesslich unvernünftig, nur indirekte Schlüsse durchzuführen und die Schlüsse, die zur Bestätigung oder Schwächung von Hypothesen führen, nicht auch als logisch zwingend zu betrachten. Wiederum haben wir kein Kriterium, um den laut der gegenwärtig diskutierten Form des Operationalismus für die Annahme der Interpretation eines Ausdruckes erforderlichen Erkenntnisprozess hinsichtlich seines Erfolges oder Fehlschlagens bezüglich des Vorliegens der intendierten Entitäten mit absoluter Sicherheit zu beurteilen, sondern nur Hinweise, Indizien und Symptome. Nun stehen dem naiven Operationalisten zwei Wege für die Interpretation der Rolle der Erfahrungsdaten offen: entweder er fasst sie, trotz der vorausgesetzten epistemischen Unsicherheit (relativ auf die Sicherheit der logischen Folge), als Repräsentanten dessen auf, was seine Theorie als Teile einer Definition bezeichnet und beschreibt das Verhalten der Bedeutung gegebener Ausdrücke so, als wenn es sich bei den Indizien um allgemein gültige Kriterien handelt. Oder aber er verwirrt die ganze Praxis, weil in ihr eigentlich unverständliche Ausdrücke verwendet werden. Da die zweite Möglichkeit die Diskussion abbricht, untersucht Putnam nur die erste. Sein Beispiel ist die Bezeichnung für eine Krankheit, der Ausdruck "Multiple Sklerose", also wiederum ein Begriff, der traditionell unter die Dispositionsbegriffe fällt.40 Es wird vorausgesetzt, dass der Ausdruck "Multiple Sklerose" unter Es ist vielleicht nicht uninteressant zu bemerken, dass es sich bei beiden Prädikattypen, deren Analyse Putnam diskutiert, um Dispositionsprädikate handelt. Putnam beginnt seine Auseinandersetzung mit dem Verifikationismus also an zwei neuralgischen Punkten, nämlich den psychologischen und den Dispositionsprädikaten. Bei den Schwierigkeiten der Analyse der Verwendungsund Interpretationsbedingungen von Dispositionsprädikaten (ebenso wie bei den in der Wissenschaftstheorie den Anlass seiner Kritik bildenden sogenannten "theoretischen Begriffen") handelt es sich um spätestens seit Carnaps "Testability and Meaning" klassische Probleme der Verifikationstheorie der Bedeutung bzw. der operationalistischen Theorie der Einführung und inhaltlichen Bestimmung von generellen Termini mit empirisch intendierter Interpretation. Putnams Ansatz an
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Medizinern bereits im Gebrauch ist und zumindest grobe Beschreibungen der Diagnose verfügbar sind. Es sei nun Stand der Forschung, dass eine bestimmte Kombination von Reaktionen auf eine bestimmte Kombination von Tests als charakteristisch für die korrekte Anwendung des Ausdruckes "Multiple Sklerose" auf Patienten gilt. Es könnte sich bei ihnen z.B. um solche Patienten handeln, die auf eine bestimmte Therapie besonders gut ansprechen. Dann würde Malcolms Theorie in Putnams Lesart sagen: Suppose a patient, AT, has a 'paradigmatic' case of multiple sclerosis. Then Malcolm's view is that, no matter what we find out later, X has multiple sclerosis because that is what we presently mean. In particular, if we later identify a virus as the cause of multiple sclerosis, and this patient's condition was not caused by that virus, he still had multiple sclerosis. (...) Saying that this virus was the cause of multiple sclerosis was changing the concept. (...) What he must say, then, is that the adoption of any criterion for multiple sclerosis according to which not all the cases that are presently 'paradigmatic' are cases of multiple sclerosis is a case of meaning change. (...) moreover, this will have come about through 'stipulations'. (...) this change of 'sense' will be great enough to [a]ffect the extension of the concept; some cases will be cases of multiple sclerosis in the old sense but not in the new. (310)
Der Malcolmsche Operationalist wird also nicht mit einem Fall theoretischer Lernprozesse fertig. Dies ist zumindest Putnams Behauptung. Sie hat mehrere Elemente. Putnam unterstellt einerseits andere Identitätskriterien für einen Begriff als Malcolm. Im Sinne Malcolms ist ein Begriff dadurch bestimmt, dass er mit bestimmten operationalen Kriterien semer Anwendung seine empirische Interpretation erhält, und jede Veränderung innerhalb der Kriterien einen neuen diesen neuralgischen Punkten lässt sich also durchaus als konstruktiver Vorschlag für die Elemente einer angemessenen Analyse dieser Fälle innerhalb der analytischen Forschungstradition verstehen. Ebenso wie Carnap selbst schliesst Putnam aus den mit diesen Verwendungsarten verbundenen Charakteristika und Präsuppositionen, dass die 'Dingsprache' nicht nur optional, sondern (bis auf weiteres) irreduzibel auf die 'Empfindungssprache' ist. Doch anders alsCamap, der aufgrund seiner Erkenntnistheorie (wenn auch nicht aufgrund seiner - Tarskischen Sprachphilosophie und seiner - realistischen - späteren Bestätigungstheorie) daran festhielt, Reduktionen auf Beobachtungen als Interpretationsmaxime zu betrachten, geht Putnam von Anfang an davon aus, dass dies einen Fehlschlag indiziert und man die durch diese Verwendungsarten aufgezeigten Inkonsistenzen am einfachsten durch die Preisgabe des Reduktionsideals und eine entsprechende Hinzufügung in den Präsuppositionen empirisch intendierten Sprechens beseitigen könnte. So kann man seine Diskussion operationalistischer Standpunkte in diesen Arbeiten als eine Kritik der einfachen Methode der bilateralen Reduktionssätze betrachten, die in der Folge Carnaps als Paradigma der Erklärung der Deutung dispositioneller und theoretischer Prädikate entwickelt worden war, die auf den Nachweis aus ist, dass diese entweder nicht die erwünschten Resultate erbringt oder, wenn sie es doch tut, dies stillschweigend in Anspruch genommenen Präsuppositionen zu verdanken ist, deren Analyse somit philosophisch grundlegender als die Konstatierung der unanalysierten Ergebnisse ist. Zu Verbesserungen des Carnapschen Grundansatzes für die Einführung von Dispositionsprädikaten und einer vertiefenden Kritik des einfachen Ansatzes (mit mit Putnams Ergebnissen verwandten Ergebnissen) vgl. Essler, W.K./Trapp, R.: "Some Ways of Operationally Introducing Dispositional Predicates with Regard to Scientific and Ordinary Practice"
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Begriff erzeugt. Diese Konzeption der Identität eines Begriffes ist zwar präzise, aber Putnam zufolge unzutreffend. Für Putnam ist die Identität eines Begriffes, der in induktiven Praktiken verwendet wird, weitaus komplizierter zu bestimmen. Die Urteile darüber, ob es sich bei einem Ausdruck um denselben Begriff handelt wie zuvor, sind für Putnam abhängig von (a) den verfügbaren Theorien und (b) den Annahmen der Teilnehmer an Forschungsprozessen über die Rationalität der Verwender alternativer Theorien. Die Voraussetzung der Gültigkeit bzw. Akzeptierung von Kriterien ist umgekehrt abhängig von solchen prinzipiengesteuerten Urteilen: accepted criteria are often modified in the course of time. (...) the changes in the accepted criteria reflect the fact that we have more and more knowledge concerning X (where X may be a virus, or a kind of chemical, etc.). (...) we reject the view that scientists who accept our hypothetical (future) virological criterion are talking about a different disease when they use the term 'multiple sclerosis'. On our view, whether scientists are or are not talking about the same thing when they use a term is, in cases like the present one, to be ascertained by examining the relevant scientific theory (...) and not by linguistic investigations, whether special or general. (312)
Die Identität eines Begriffes lässt sich nicht ohne weiteres aus den Bedingungen seiner Anwendung entnehmen, sondern muss insbesondere auch auf die theoretischen Zusammenhänge bezugnehmen, in denen dieser Ausdruck verwendet wird. Doch hiermit ist zunächst nur gesagt, dass es sich bei den entsprechenden Ausdrücken um theoretische Begriffe und nicht um direkt mittels der Beobachtung oder durch als unproblematisch betrachtete Messhandlungen interpretierbare Begriffe handelt. Auf die Fragwürdigkeit dieser Unterscheidung und Putnams Argumente gegen die Annahme der Möglichkeit einer voraussetzungsfreien Interpretation durch Beobachtung oder Messhandlungen soll später eingegangen werden. Im Moment ist nur wichtig, dass der naive Operationalismus den Beitrag der sprachlichen Umgebung ganz ausser acht lässt, in der sich ein gegebener Ausdruck befindet, der in einer gegebenen Situation verwendet wird. Diese 'sprachliche Umgebung' ist allerdings auch und wesentlich Teil der kognitiven Voraussetzungen, die Sprechern oder Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, die bestimmte Ausdrücke verwenden (auch wenn es sich bei diesen Voraussetzungen in keinem Sinne um deren "Sprachwissen" handelt, sondern um deren Hintergrundwissen). Das hat nun aber Folgen für die Struktur der Urteile dieser Praktiker darüber, ob ein Begriff oder die Bedeutung eines Ausdruckes sich verändert hat. Die Frage "were they talking about what we are talking about when we use the term (...)?" (312) kann Putnam zufolge in bestimmten Fällen so beantwortet werden: "Well, they used the term to refer to [what, A.M.] they could identify by their criteria (...), but, of course, the theoretical definition has changed a great deal"1 (312) Ein Ausdruck kann also durchaus seine theoretische Definition verändern, aber hinsichtlich seiner intendierten Anwendung stabil bleiben. Dann
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gibt es wiederum einen genauen Sinn, in dem die Teilnehmer an einer solchen Praxis von der Veränderung der Bedeutung eines gegebenen Ausdruckes sprechen können. Die Antwort auf die Frage "Has the "sense" of the term (...) changed?" (312) ist nämlich "just this, that the theoretical definition has changed an in that sense the 'sense' has changed. This is not a case of saying something different because we have given words new meanings: rather the 'sense', in one sense, has changed because we have new knowledge." (312) Nichts in diesen plausiblen Überlegungen benötigt den Rückgriff auf die Kriterien der Anwendung. Deren Veränderlichkeit ist vielmehr ebenfalls Teil der wissenschaftlichen Praxis. Erneut greift Putnam hier die Annahme der Abgeschlossenheit der Kriterien (und damit einer unproblematisch verfügbaren Uniformitätsannahme) an, die der Umdeutung von Reduktionen in Definitionen zugrunde liegt, doch dieses Mal mit Argumenten aus der Argumentationspraxis der Wissenschaft, d.h. mit Argumenten, die es rational erscheinen lassen, sich nicht so zu verhalten, wie es der naive Operationalismus verlangen würde. Die Urteile über Gleichheit und Verschiedenheit der Bedeutung eines gegebenen Ausdruckes hängen zunächst einmal vom Wissen derjenigen ab, die sie zu bestimmten Zwecken verwenden und versuchen, andere Verwendungen zu verstehen. Sie ergeben sich nicht einfach daraus, was ein Beobachter der entsprechenden Praktiken über das Verhalten der Verwender des Ausdruckes bei seiner Anwendung auf bestimmte Situationen sagen würde. Nun hat Putnam ja in den Überlegungen zu den Fragen hinsichtlich des Sinns und des intendierten Bezuges eines gegebenen Ausdruckes eine Lesart angegeben, in der ein Ausdruck durchaus verschiedenen Sinn haben kann, nämlich dann, wenn er in zwei verschiedenen Theorien erscheint und in Gesetzesaussagen etc. enthalten ist. Könnte man dann nicht im Anschluß an Malcolm sagen: "'in the eighteenth century sense' only [diseases, A.M.] satisfying the eighteenth century criteria were [multiple sclerosis, A.M.]?" (312) Putnams Antwort auf diese Frage greift zurück auf Elemente, die nur einer pragmatischen Perspektive sich erschließen: this does not do justice to the probable intelligence of eighteenth century chemists. In all likelihood, they knew perfectly well that their criteria were crude ways of detecting (...); they would have thought it unlikely that their criteria exactly 'caught1 the boundaries. (312)
Hier ist es, wo nicht nur die Verfügung über eine Theorie als Voraussetzung der Beurteilung der referentiellen Möglichkeiten eines gegebenen Ausdruckes sichtbar wird, sondern darüber hinaus auch die Fähigkeit zum reflexiven Umgang mit ihr innerhalb der Praxis, wo man mit ihr Behauptungen aufstellen will. So rechtfertigt Putnam die Voraussetzung der Möglichkeit, mit diesem Ausdruck über dasselbe sprechen zu können, aus der pragmatistischen Maxime heraus, indem er auf die Möglichkeit hinweist, dass man, wenn man über Theorien verfügt, diese und andere auch gleichsam von außen betrachten und ihre Verwendungser-
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gebnisse miteinander vergleichen kann (wobei man sich einer Sprache bedient, die das vermag). Man kann Abstand nehmen von der Theorie, und dieser Abstand erweist sich als präsent auch bereits in der Verwendung einer Theorie, nämlich in Form des Bewusstseins, dass es zu der eigenen Theorie auch Alternativen geben kann, und dass es sich bei der Theorie nur um eine Theorie handelt, mit der in der Situation der Ungewissheit versucht wird, empirische Phänomene systematisch zu beschreiben. Nur dann ist es sinnvoll, die Frage zu stellen "whether the same word has kept its meaning, considered as a question about the language at two different times. The (...) question usually comes down to something like this: they mean the same disease (...)?- and even this does not usually arise unless there is reason to think that 'they1 didn't." (313) Mit dieser Bemerkung weist Putnam auf die hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass es nur dann überhaupt sinnvoll ist, referentielle Intentionen und deren Erfüllbarkeit vor dem Hintergrund bestimmter Annahmen zu beurteilen, wenn man zugleich das Bewusstsein von Alternativen haben kann. Mit der Innenperspektive und der komplexeren Rekonstruktion dessen, was ein Sprecher bei der Verwendung eines Ausdruckes unter der Bedingung der Ungewissheit voraussetzen und zur Verfügung haben muss, geht also scheinbar unweigerlich ein pluralistiscb.es Moment in die Betrachtung ein. Zudem lässt sich dieser Bemerkung erneut entnehmen, wie deutlich Putnams Argumente gegen den naiven Operationalismus auf dem Wege der Kritik des von diesem implizierten Bedeutungsbegriffes zugleich dessen erkenntnistheoretischnormative Implikationen hervortreiben und als eigentlich problematische Thesen erkennbar machen. Man kaufte sich Putnam zu folge mit der Übernahme des naiv operationalistischen Standpunktes nicht nur einen für die Rekonstruktion der tatsächlich erkennbaren kognitiven Fähigkeiten von urteilsfähigen Sprechern unangemessenen Begriff sprachlicher Bedeutung ein, sondern, schlimmer noch, eine Thesenkonstellation, aus der heraus man dazu gezwungen wird, den Teilnehmern an hypothesengeleiteter Aktivität Irrationalität und mangelnde Urteils- und Selbstkritikfähigkeit (bzw. die unerschütterliche Überzeugung von gewissen Aussagen als gewiss und gewisser Urteile als unfehlbar, a priori begründet sozusagen) zuzuschreiben. Putnams zwei Ergebnisse der Diskussion des Bedeutungsbegriffes des naivea Operationalismus (und analog des logischen Behaviourismus) sind: (A) Die die Korrektheit der Anwendung gegebener Ausdrücke in einer Sprache bestimmenden Gebrauchsregeln sind zum größten Teil nicht konstitutiv für deren Bezug, weswegen die Tatsache, dass sie Bedeutung haben, nicht als Folge deterministisch konzipierter Regeln verstanden werden kann; (B) Der faktische Bezug gegebener Ausdrücke in einer im Gebrauch befindlichen Sprache ist durch die Regeln linguistisch korrekten Gebrauchs unterbestimmt.
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Anhand dieser beiden negativen Ergebnisse ist offenkundig, dass die Formulierung eines pragmatisch adäquaten Bedeutungsbegriffes bzw. der Anforderungen an eine pragmatisch adäquate Erklärung der kommunikativ genauso unverzichtbaren wie normalerweise einfach in Anspruch genommenen Voraussetzung der Bestimmtheit des Bezuges der jeweils verwendeten Ausdrücke ein noch oder wieder offenes Problem darstellt. Schon in dieser frühen Phase seines Schaffens ist Putnam jedoch mehr als an der Kritik anderer Ansätze an der konstruktiven Erhellung der Zusammenhänge interessiert, mit denen jene sich beschäftigen. Daher soll zum Abschluss seine Skizze der Bedingungen, denen ein positiver interpretationstheoretischer Entwurf genügen muss, den ihr gebührenden Raum bekommen. Putnams Hauptargumente gegen den naiven Operationalismus folgen jedoch nach dem bisher Gesagten der Strategie, aus einer pragmatischen Perspektive heraus nachzuweisen (oder zumindest Plausibilitätsargumente dafür beizubringen), dass der Operationalismus als sprachphilosophischer Ansatz dem Ziel nicht gerecht wird, Bedingungen zu formulieren, die eine Erklärung dafür liefern würden, weswegen bestimmte Urteile über die Gleichheit oder Verschiedenheit von Bedeutung zustande kommen.41 Sprecher, die Ausdrücke vor dem Hintergrund eines induktiv gut begründeten Wissens mit referentiellen Intentionen verwenden, würden nach Putnams Argumenten nicht zu den Urteilen kommen, die sie tatsächlich fällen, wenn sie nur auf die Kriterien zurückgreifen könnten, die ihnen nach dem Operationalismus zukommen. Sie haben über die als unproblematisch angesehenen Kriterien der Anwendung hinaus noch weitere kognitive Mittel, um sich metasprachliche Urteile zu bilden, und kommen dabei zu Ergebnissen, die sich nicht mit denen decken, die man unter der Beschränkung auf die erkenntnistheoretisch unproblematischen Fälle der Anwendung der Ausdrücke voraussagen würde. Zunächst sind induktive Praktiken (d.h. Schlüsse unter Annahme der Ungewissheit oder Empirizität) sozusagen durch und durch induktiv, und das schlägt auch durch auf die Interpretation der in ihnen mit referentiellen Intentionen verwendeten Ausdrücke: "our total 'way of talking1 is not independent of what 'assumptions' we make, of what we know." (318) Gerade dann, wenn die uns zur 41
Entsprechend heisst es in einer retrospektiven Betrachtung dieser Phase seiner Arbeiten bei Putnam in bezug auf den hier später zu behandelnden Aufsatz "The Analytic and the Synthetic" ( , 33-69): "in "The Analytic and the Synthetic" (written in the fall Semester of 1957...) (...) I appeal quite explicitly to the norms and practices that structure our everyday talk about meaning, about change of meaning, and about intelligibility and unintelligibility, and contrast these with the fantastic views of various philosophers. (...) far from being wedded to metaphysical realism at that time (...) I appeal to the model of our linguistic abilities implicit in the work of Reichenbach and Carnap (...) not (...) to the early Carnap notion that changes in method of verification are ipso facto changes in meaning, but to the idea that I found in later work by Camap, and in a great deal of Reichenbach's work, that it is impossible to make any sharp separation between our inductive skills and our ability to understand language." ("Replies", Philosophical Topics 20,1 (1992), 348).
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Zuordnung von empirischen Entitäten zu Ausdrücken zur Verfügung stehenden Mittel induktiv verfahrende Theorien sind, d.h. weder die Existenz noch das Vorliegen in bestimmten Situationen von den mit ihnen intendierten Entitäten logisch aus ihnen folgt (sondern vorausgesetzt werden muss, und im Lichte von Alternativen mit mehr oder weniger Anspruch auf Vernunft behauptet werden kann), kann die Theorie darüber, wie wir die Interpretation der Ausdrücke vornehmen, mit denen wir Behauptungen aufstellen, nicht auf der kontrafaktischen Annahme beruhen, dass die Interpretation ohne Rückgriff auf induktive Verfahren geleistet und gerechtfertigt sein muss, damit wir überhaupt erst Behauptungen aufstellen können. Der Operationalismus ist auch direkteren Argumenten ausgesetzt, in denen man sehen kann, dass in ihm der Bezug auf Entitäten bereits vorausgesetzt sein muss, wenn er überhaupt funktionieren soll.42 Doch bereits aus einer pragmatischen Perspektive heraus wird klar, dass die Interpretation sprachlicher Ausdrücke im Sinne der Ermöglichung, mit ihnen auf etwas bestimmtes Bezug zu nehmen und über etwas bestimmtes zu sprechen, nicht auf dem sicheren Wissen um dasjenige beruhen kann, worauf man sich bezieht. Die Identität der Entitäten, auf die wir Bezug nehmen, ist immer nur induktiv bestimmt, doch dies bedeutet nicht zugleich, dass unsere referentiellen Intuitionen notwendigerweise ins Leere laufen. Dass die Ausdrücke, mit deren Hilfe wir prüfbare Behauptungen aufstellen, überhaupt interpretiert sind, ist eine unabdingbare Voraussetzung innerhalb der Praxis, die auf induktive Prüfung von Aussagen angelegt ist. In diesem Sinne sind die Voraussetzungen über den kommunikativ und referentiell erfolgreichen Sprachgebrauch nicht unabhängig davon, zur Formulierung welcher Art von Urteilen und in welchen Rechtfertigungskontexten die Sprache verwendet wird. Und in ihnen ist die Voraussetzung enthalten, dass die Referenz der von uns verwendeten Ausdrücke nicht direkt abhängig ist von den ihr Objekt nur unterbestimmenden Kriterien, die uns zur Verfügung stehen, um in gegebenen Situationen über die Eigenschaften von Gegenständen zu urteilen. Handelt es sich dabei um Behauptungen mit empirischem Gehalt, dann kann und soll nicht von den Sprechern verlangt werden, dass sie eine über die Bestätigtheit empirischer Überzeugungen hinausgehende Sicherheit hinsichtlich ihrer referentiellen Intentionen beanspruchen. So ist auch umgekehrt das Bewusstsein der induktiven und falliblen Struktur dieser Praxis Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt zu der Überzeugung geraten können, dass die sich in verschiedenen Versuchen der Bestimmung der Identität von Bezugsgegenständen äußernden referentiellen Intentionen anderer Sprecher möglicherweise das gleiche Ergebnis haben, d.h. dass bei ihrer Verwendung desselben Ausdruckes unter vergleichbaren Umständen innerhalb bestimmter Behauptungen dasselbe gemeint war, sie über dasselbe Behauptungen aufzustellen beanspruchen.43 Putnams Kritik an der naiv operationalisti42
Essler, Analytische Philosophie I, Stuttgart 1972, Kap. IV.2.. Entsprechend heisst es in Putnams Retrospektive zu der Motivation hinter seinen Arbeiten der
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sehen Auffassung von Verifikationshandlungen als Begriffsdefinitionen legt in diesem Zusammenhang bereits einen normativen Aspekt frei, der für das Funktionieren operationaler Worterklärungen verantwortlich zu machen ist, soweit es innerhalb einer Praxis als gegeben angenommen wird. Er steckt in der Behauptung, bei einem Reduktionspaar bzw. einem bilateralen Reduktionssatz handele es sich um eine Definition. Damit wird ja behauptet, dass diese Aussagen empirisch allgemeingültig m einer gegebenen Sprache sind (denn Definitionen sind unabhängig von spezifischen Umweltbedingungen wahre Sätze, deren Wahrheit nur an den Eigenschaften der Sprache hängt). Diese Identifikation verschleiert allerdings die Tatsache, dass es sich bei einer solchen Verallgemeinerung und der dabei zugrundehegenden Uniformitätsannahme (dass nämlich, wenn ein individueller Gegenstand unter den Testbedingungen eine bestimmte Reaktion zeigt und daher in eine bestimmte Art fällt, dann alle Gegenstände dieser Art unter diesen Bedingungen diese Reaktion zeigen werden) um eine Voraussetzung über die Welt handelt, die wir machen müssen, um a) Klassifikationen vornehmen zu können, b) empirische Gesetzmäßigkeiten erforschen zu können und c) die entsprechenden Klassifikationsbegriffe als durch in gewissen Hinsichten bestimmte Gegenstände interpretiert ansehen zu können. Damit wird diese Voraussetzung, die bei der Identifikation als logische Folge aus der "Definition" in Erscheinung tritt, als allgemeines Desiderat oder als regulative Idee sichtbar: diese Voraussetzung soll (in bewg auf den fraglichen Beräch der Erfahrung) erfüllt sein, wenn wir zur Verwendung und Interpretation bestimmter Begriffe in gewissen pragmatischen Kontexten und zur Anwendung induktiver Methoden in der Lage sein sollen. Und es ist genau diese durch die normative Ausdrucksweise erkennbare Differenz von Sprache und Welt, die bei der Auffassung von Reduktionspaaren oder bilateralen Reduktionssätzen verloren geht (und dann über logisch, d.h. rein sprachlich, erschließbare Uniformitäten in der Welt ganz einkassiert wird). Unterbestimmtheit und die normative Voraussetzung der Möglichkeit des Erfolges mit referentiellen Intentionen sind also zwei Seiten derselben Medaille, nämlich des Sprachgebrauches in induktiven Kontexten. In diesem Sinne schliesst Putnam den Artikel mit folgenden Thesen ab: Language skills are the only skills that cannot be modeled without modeling a whole human being. (...) inductive coherence may be a part of linguistic coherence (or at least the absence of striking inductive incoherence may be). (...) language skills are skills of something that can 'do' inductive and deductive logic: it is hopeless to separate reasoning ability completely from language-using ability. (...) it is quite possible to have sentences in the language whose 'meaning1 (or, better, whose role in the lives of the speakers and hearers) is determined by a network of inductive connections with other sentences. (...) [This is, A.M.] ersten Phase: "I saw myself as describing and, to a certain extent, reconstructing, the practices (...) that are presupposed by our ability to talk of meaning intertheoretically at all." ("Replies", 349)
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hopelessly incompatible with the Malcolmese idea of language as something which is criterion-governed in a sentence-by-sentence fashion. (324) Wenn also die interpretativen Fähigkeiten von Sprechern und Hörern von ihren induktiven Fähigkeiten abhängig sind, und weder die Form des Sprach- und Verstehensverhaltens noch die Form des Lern- und PrürVerhaltens ganz voneinander unabhängig betrachtet werden können, so bedeutet dies auch in bezug auf den Inhalt, dass Überzeugungen darüber, was ein Ausdruck bedeutet, nicht unabhängig von der Anwesenheit oder Abwesenheit mehr oder weniger gut bestätigter Überzeugungen über die Welt. In dieser Feststellung Putnams lässt sich bereits das erkennen, was er später44 epistemiscken Holismus nennen wird. Dieses Motiv steht also bereits zu dieser Zeit genauso im Hintergrund seiner Argumente gegen reduktionistische Versuche der Beschreibung der Voraussetzungen interpretativen Verhaltens wie die Bemühung darum, die formalen kognitiven Strukturen zu erläutern, die als normative Voraussetzungen dennoch zu bestimmten Urteilen in bezug auf bestimmte Ausdrücke unter bestimmten Umständen fuhren. Zu diesen zählen neben den Voraussetzung, dass es in einem bestimmten Bereich etwas zu lernen gibt, natürlich auch deduktive Fähigkeiten, sowie innersystematische Transformationsfähigkeiten. Dass ein gegebener Ausdruck in einer Situation von einem kompetenten Sprecher als bedeutungsvoll beurteilt wird, hängt mit anderen Worten von einem ganzen Arsenal von als gültig angenommeneu Hintergrundüberzeugungen, Fähigkeiten und Verweisungszusammenhängen ab. Die Gründe für ein solches Urteil sind, wie oben angedeutet, auch in dieser, nicht im engeren Sinne zur Struktur induktiven Schließens zählenden Hinsicht wesentlich abstrakterer Natur als die konkreten Anwendungsbedingungen einzelner Ausdrücke sind; und wo sie, wie bei der Angemessenheitseinschätzung, nicht abstrakterer Natur sind, sind sie andererseits wesentlich unbestimmter als sie es zu sein hätten, wenn sie ein sicheres und allgemeines Urteil über die epistemsch korrekte Anwendung gegebener Ausdrücke erlauben sollten. In "Philosophy of Logic"45 fasst Putnam den Vorbegriff sprachlicher Bedeutung so: [A meaningful sentence, A.M.] is a grammatical sentence in a language; it is one we can offer free translations of; it is subject to linguistic transformations; we can deduce other statements from it and also say what other statements imply it; we can say whether it is linguistically appropriate or inappropriate in a given context, and whether a discourse containing it is linguistically regular or deviant. The verificationists would retort: 'It doesn't follow it has meaning.' But they would just be wrong, for this is just what meaning is: being meaningful is being subject to certain kinds of recursive transformations, and to certain kinds of
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45
So in "Meaning Holism" (in Realism With a Human Face, Cambridge, MA 1990, 278-302) und ausfuhrlicher und präziser in "Meaning Holism and Epistemic Holism" (in Cramer, K./Fulda, H.F./Horstmann, R.-P./Pothast, U. (Hg.): Theorie der Subjektivität, Frankfurt 1990, 251-77). PPI, 323-57.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien regularities; (...) what the verificationists were propounding was not an analysis of meaning but a persuasive redefinition. (351-2)
In bezug auf den Operationalismus Malcolrnscher Art stellt Putnam in "Dreaming and 'Depth Grammar1" gerade auch angesichts der holistischen Struktur des bei der Interpretation empirisch intendierter Ausdrücke in Anspruch genommenen Wissens fest: "If we reject Malcolm's views at one point, we are naturally lead to reject them at many others; and if we accept them at one point, we must accept them at many others." (315) 1.3. Exkurs: Eine Analogie zum Problem des Kriteriums Putnams metatheoretische Kritik gegen die beiden bisher betrachteten Vorschläge, situationsunabhängige Kriterien dafür zu liefern, wann mit der Verwendung eines Ausdruckes etwas gemeint sein kann (dass diese Ansätze nämlich keine Theorie der Bedeutung liefern), hat eine interessante Analogie mit einem Problem aus der Erkenntnistheorie, dem sogenannten Problem des Kriteriums. Aus dieser Analogie kann man in sehr einleuchtender Weise den Zusammenhang von Wissen, Induktion und interpersonaler Interpretation entnehmen. Das Problem des Kriteriums geht von der Suche nach einem allgemeinen und präzisen Kriterium für Wissen aus. Nun lässt sich aus dem bloßen Unternehmen einer solchen Suche folgende Voraussetzung isolieren (ohne es nicht vernünftig wäre, sie überhaupt zu beginnen): (1) Um erkennen zu können, ob es sich bei einer bestimmten Überzeugung, dass p, einer Person S um einen Fall von Wissen handelt, benötigt man ein klares Kriterium, wann es der Fall ist, dass eine Person S p weiß. Auf der anderen Seite stellt eine solche Suche folgende Anforderung an diejenigen, die sie durchführen: (2) Um die Kriterien dafür herauszufinden, dass es sich bei einer gegebenen Überzeugung einer Person S, dass p um Wissen handelt (d.h. um vorgeschlagene Kriterien als korrekt bzw. adäquat für die Erreichung des Ziels der Suche ausmachen zu können), müssen wir bereits dazu in der Lage sein, bestimmte Fälle als Fälle von Wissen zu identifizieren. Aus der zweiten Bedingung ergibt sich nun wiederum die Voraussetzung, dass es Fälle von Wissen gibt, was, wenn man in (1) die eigene Person für "S" einsetzt, in (1) bestritten wird. Erkennbar gerät man mit einer solchen Suche in einen Zirkel oder zur Feststellung der Unmöglichkeit der Aufgabe: entweder man nimmt von der Vorstellung der kriterialen Entscheidbarkeit Abschied (und damit von der letztgültigen Begründung der Beurteilung von etwas als Wissen), oder man setzt dasjenige be-
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reits als bekannt voraus, dessen Identifikation man von einem noch nicht vorhandenen Kriterium abhängig gemacht hatte.46 Die Analogie mit dem Problem des Meinens und der Möglichkeit der Interpretation von Ausdrücken als auf etwas bestimmtes referierend ist relativ einfach. Der logische Behaviourismus und Malcolm stellten in Nachfolge einiger Mitgüeder des Wiener Kreises die Aufgabe, ein Kriterium dafür zu finden, dass eine Person S mit einem Ausdruck "a" etwas meint. Die erkenntnistheoretische Hintergrundprämisse dabei lautet wiederum: ( ) Um einen Fall des Gebrauchs eines Ausdruckes "a" durch eine Person S als Fall dafür erkennen zu können, dass S mit "a" etwas bestimmtes (z.B. a) meint (bzw. "a" im Gebrauch durch S auf a referiert), benötigen wir ein Kriterium der Feststellung, dass S sich mit "a" auf a bezieht.
Dabei zählt auch die eigene Person als Einsetzungsinstanz für S. Analog zum Problem des Kriteriums ergibt sich auch hier das, von Putnam in bezug auf die Sprachverwender geltend gemachte, methodologische Problem (21) Um die Kriterien der Feststellung, dass sich S mit "a" auf a bezieht, als solche erkennen zu können, müssen wir bereits bestimmte Fälle vor Augen haben bzw. als bekannt voraussetzen, in denen dies der Fall ist.
Aus (2') ergibt sich ebenfalls, dass wir die Möglichkeit der Referenz unabhängig von der Verfügbarkeit eines Kriteriums für "kognitiven Gehalt" von gegebenen Ausdrücken im Gebrauch bereits voraussetzen müssen, was ( ) jedoch bestreitet. In beiden Fällen lässt sich der Widerspruch nur dadurch vermeiden, dass man eine der beiden Prämissen verwirft. Denn beim Festhalten an beiden kommt man ja zu der skeptischen Auffassung, dass wir keine Fälle von Wissen bzw. Referenz kennen und daher die Suche nach einem Kriterium des Erkennens eines solchen Falles sinnlos ist. Bei Verwerfung von (2) bzw. (2') kommt man zu der aprioristischen Auffassung, dass man auf irgendeinem von praktisch verfügbaren oder als solche betrachteten Fällen unabhängigen Wege zu Kriterien für Wissen oder Referenz kommen kann. Bei Verwerfung von (1) bzw. ( ) kommt man dagegen zu der pragmalistischen Auffassung, dass die Fälle, die unbestritten als Fälle von Wissen bzw. Referenz gelten, Vorbildcharakter für das Verständnis dieser Begriffe haben und ihre Anerkennung bzw. Voraussetzung für weitere Tätigkeiten, Interaktionen oder Urteile nicht von der Begründung durch ein letztgültiges, unbestreitbares Kriterium abhängen. Putnam entscheidet sich, wie gesehen, daher für die Verwerfung von (1) und ( ). Dieses Problem ist zumindest seit Sextus Empiricus' Reflexionen im Grundriss derpyrrhonisdien Skepsis (deutsche Übersetzung von Malte Hossenfelder Frankfurt 1968) über die Kriterien der Erkenntnis ( , 19) und die Definition ( , 205-212) klassischer Bestandteil erkenntnistheoretischer Probleme. Bei der Formulierung der Argumentform halte ich mich an die Version, die Matthias Steup in seinem Eintrag unter dem Stichwort "Problem of the Criterion" in Audi, R. (ed.): The Cambridge Dictionary of Philosophy (Cambridge 1995), 653, gibt.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
Über die Analogie hinaus gibt es auch noch "Transferbegriffe", die eine Erklärung dafür bieten, warum diese strukturellen Ähnlichkeiten auftauchen, nämlich den Begriff des "Bedeutungswissens" bzw. des "Verfugens über einen Begriff1. Fasst man hier den implizierten Begriff des Wissens in fundamentalistischer Weise als sicheres Wissen auf, oder setzt (apriorisches) Bedeutungswissen gegen (aposteriorisches) Weltwissen, dann kommt man zu der genannten skeptischen Schlussfolgerung. Diese Entscheidung hat offensichtlich weitreichende Folgen für die Möglichkeit der Behauptung der Existenz aposteriorischen Weltwissens selbst, zumindest wenn man dessen Herkunft auf induktive Verfahren zurückführt. Einer der ersten, die diesen Zusammenhang zwischen dem Problem der Rekonstruktion der Fähigkeiten und Voraussetzungen des Verfugens über einen Begriff und dem Problem der Rekonstruktion der Voraussetzungen induktiven Räsonierens nicht nur erkannt, sondern als Problem formuliert hat, ist bekanntlich Nelson Goodman. Er schreibt in Fact, Fiction, and Forecast: "The task of formulating rules that define the difference between valid and invalid inductive inferences is much like the task of defining any term with an established usage. If we set out to define the word 'tree', we try to compose out of already understood words an expression that will apply to the familiar objects that standard usage calls trees, and that will not apply to objects that standard usage refuses to call trees. A proposal that plainly violates either condition is rejected; while a definition that meets these tests may be adopted and used to decide cases that are not already settled by actual usage. Thus the interplay we observed between rules of induction and particular inductive inferences is simply an instance of this characteristic dual adjustment between definition and usage, whereby the usage informs the definition, which in turn guides extension of the usage." (66) Auch wenn man Goodmans agnostische "Lösung" des Problems des Kriteriums in Form eines "reflexiven Gleichgewichts"48 vielleicht nicht als solche 47
Goodman, N.: Fact, Fiction, and Forecast (Orig. 1953), Hassocks 31979. Diese beschreibt er etwas zuvor in bezug auf die Ermittlung von Regeln für die Induktion wie folgt: "A rule is amended if it yields an inference we are unwilling to accept; an inference is rejected if it violates a rule we are unwilling to amend. The process of justification is the delicate one of making mutual adjustments between rules and accepted inferences; and in the agreement achieved lies the only justification needed for either." (64) Ob es sich bei dem so beschriebenen Prozess überhaupt um einen der Rechtfertigung oder Begründung handeln kann, ist sicher nicht zweifelsfrei zu behaupten. Man kann in dieser Stelle auch bloß eine Reformulierung des Problems sehen, denn schliesslich ist ja wiederum nur von - induktiv zu ermittelnden - Fakten die Rede: "accepted", "achieved agreement", "we are [in fact] unwilling to amend" sind ja alles soziale Fakten, die als solche nicht erkennen lassen, ob der jeweilige Umstand durch Gründe oder nur per Zufall eingetreten ist. Damit wird jedoch eher die Unüberwindbarkeit des Problems behauptet, da für den Umgang mit ihm und die trotz seiner Existenz offensichtlich möglichen Wissensansprüche, d.h. einer kognitiven Einstellung gegenüber empirischen Behauptungen letztlich nichts weiter übrig bleibt, als sich auf die Erfahrung verlassen, deren Unbegründbarkeit gerade nachgewiesen wurde. Doch dann fragt sich sofort, was denn an der kognitiven, auf Gründe angewiesenen Einstellung noch rational ist, wenn dasjenige, worauf sie angewiesen ist, in Wahrheit eine Sache der nicht mehr weiter reflexiv auflösbaren Gewohnheit ist. Dass eine solche
Analogie zum Problem des Kriteriums
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betrachten will (und eventuell aus prinzipiell sprachphilosophischen Gründen seine Theorie des Spracherwerbs nicht teilt, wie Chomsky), so erkennt man doch an dieser Stelle (und vielleicht auch an der Bescheidenheit Goodmans hinsichtlich möglicher Lösungsansätze49) die tiefgreifende Flächenwirkung des Problems. Die bekannteste, von Hume herstammende Instanz dieser Argumentform bezieht sich denn auch auf die Möglichkeit bzw. Rechtfertigung der Induktion. (l'') Um einen Fall eines korrekten induktiven Schlusses als solchen erkennen zu können, benötigen wir ein Kriterium, um über die Wahrheit eines Satzes der Form E impliziert H unter normalen Umständen induktiv (bzw. die Hypothese H ist durch das Erfahrungswissen E bestätigt) entscheiden zu können.
Auch hier lautet das methodologische Pendant ganz analog: (2") Um die Kriterien der Unterscheidung zwischen induktiv gültigen und induktiv ungültigen Schlüssen als korrekt erkennen zu können, müssen wir bereits bestimmte Schlüsse als induktiv gültig voraussetzen (oder die Kriterien würden auch vortheoretisch ungültige Schlüsse von der Erfahrung auf Hypothesen zulassen).
Betrachtet man diese Argumentfonn als adäquate Wiedergabe der z.B. in Putnams Auseinandersetzung mit dem logischen Behaviourismus und dem naiven Operationalismus zur Diskussion stehenden Standpunkte, so wird klar, dass Putnams Verwerfung von (1) und seinen Analoga zugleich eine Insistenz auf das
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Interpretation nicht ganz an Goodmans Grundidee vorbeigeht, erkennt man deutlich, wenn man sich seine Bemerkung zu den Geltungsgründen für die Prinzipien deduktiven Schließens vor Augen hält: "Principles of deductive inference are justified by their conformity with accepted deductive practice. Their validity depends upon accordance with the particular deductive inferences we actually make and sanction". (63) Das hier kurz angesprochene bedeutet natürlich nicht zu behaupten, dass es eine Lösung für die von Goodman aufgewiesenen Probleme gibt. Es bedeutet nur, dass Fragen offen bleiben, wie die, mit denen Putnam sich beschäftigt Diese reflexive Praxis ist sicherlich nicht notwendig offen für das Argument, mit dem Goodman von Anfang an Letztbegründungversuchen den Wind aus den Segeln nimmt, indem er feststellt: "Now obviously the genuine problem cannot be one of attaining unattainable knowledge or of accounting for knowledge that we do not in fact have." (62) Für Goodmans implizite Behauptung, dass wir nur das Hintergrundwissen und die Tradition haben und alles andere unter die hier genannte Klasse unerreichbaren Wissens falle, fällt allerdings angesichts der einwandfrei formulierbaren Folgefragen die Beweislast eindeutig auf ihn zurück. In "Philosophers and Human Understanding" (in PPIII, 184-204) macht Putnam sogar von Goodmans destruktiven Einsichten Gebrauch, um solche Lösungen wie die Goodmansche als 'kriteriale Auffassung von Rationalität' zu kritisieren, die er wie folgt definiert: "I shall call any conception according to wliich there are institutionalized norms which define what is and is not rationally acceptable a criterial conception of rationality." (188) Darunter fällt Goodmans Vorschlag. Es gibt ja eine nahezu unkontroverse Möglichkeit, diese Stelle zu lesen. Man könnte Goodman ja einfach so verstehen, dass er darauf besteht und prinzipielle Gründe dafür anfuhrt, dass das menschliche Sprach- und Lernverhalten, statt durch ein know-that bestimmt, von einem uneinholbaren - know-how strukturiert ist. Selbst dann erhielte man noch die antireduktionistische Pointe. Auf der anderen Seite würde man aber so Goodmans Selbstverständnis als Theoretiker und seiner Arbeit an dem Problem nur sehr unzureichend gerecht. Dass Goodman Pragmatist ist, heisst ja schliesslich nicht, dass er deshalb nicht daran glaubt, dass praktisches Wissen letztlich nicht in seinen Strukturen aufklärbar ist. Eher das Gegenteil.
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Putnams Auseinandersetzung mit empiristischen Bedeutungstheorien
methodologische Primat der pragmatisch gegebenen Sprecherfähigkeiten und deren Untrennbarkeit von der Möglichkeit des Wissens bzw. der Induktion bedeutet. Indirekt tritt Putnam mit dieser Entscheidung für die Hypothesen ein, dass (a) normale Sprecher unter normalen Umständen sich mit den von ihnen in deskriptiver Absicht verwendeten und in der Sprache verfügbaren Worten auf etwas bestimmtes beziehen, was auch immer es sei, unabhängig von ihrer Verfügung über eindeutige Kriterien der Identifikation, und dass so (b) normale Sprecher, als normale Erkenntnissubjekte, in vielen Fällen zulässige von unzulässigen Erweiterungen der Anwendung der ihnen verfügbaren Begriffe unterscheiden können ohne für diese Entscheidung eine deduktive Begründung zu haben, und sie (c) in diesen Fällen gültige von ungültigen induktiven Schlüssen unterscheiden können (wovon ja zulässige bzw. unzulässige Erweiterungen der Anwendung verfügbarer Begriffe ein Sonderfall sind), also lernfähig sind.
Man könnte Putnams Arbeiten angesichts des Zitats von Goodman als globale Auseinandersetzung mit dem von Goodman herausgearbeiteten Problemsyndrom betrachten. Goodmans wesentliche Einsichten rinden sich alle in Putnams Kritik an dem, was er später 'kriteriale Konzeptionen' nennen wird: Verstehen kann nur unter Rückgriff auf die normativ gehaltvollen Überzeugungen erklärt werden, die unsere induktiven Praktiken strukturieren (Prinzipien induktiver und interpretativer Praktiken funktionieren nur zusammen), die Tauglichkeit sprachlicher Mittel zur Verständigung ist nicht erschöpfend mit der Angabe von a priori verfügbaren Kriterien für die Begriffsverwendung zu erklären, etc. Putnams philosophische Entwicklung wäre dann als Ausarbeitung einer pragmatistischen, aber nicht agnostischen Perspektive zu sehen, um den Zusammenhang der Bedingungen von Sprachverwendung und Lernfähigkeit zu erforschen. Insofern handelte es sich um eine kritische (Kantische?) Auseinandersetzung mit der (Humeschen) Art von 'Lösung1, wie sie Goodman vertritt. Diese These sei hier aber nur genannt.
2. Putnams kognitivistische Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis Wenn Putnam 1974 in seinem Aufsatz "Language and Philosophy"50 schreibt, dass "if philosophers have become very interested in language in the past fifty years it is not because they have become disinterested in the Great Questions of philosophy, but precisely because they are still interested in the Great Questions and because they have come to believe that language holds the key to resolve (...) the Great Questions"51, dann trifft dies ganz sicher in seinem Fall zu. Schon allein werkbiographisch ist offensichtlich, dass Putnams Interesse in der Frühphase seiner philosophischen Veröffentlichungstätigkeit hauptsächlich der Lösung von Problemen im Bereich der traditionellen erkenntnistheoretischen Fragen dient. So behandelt er im Ausgang von seiner Dissertation52 Fragen der Anwendung und Interpretation induktiver Methoden53, des epistemischen Status der Aussagen der Geometrie und Farbenlehre, sowie der globalen Zielsetzungen der Wissenschaft.54 Schon aufgrund dieser Tatsache lässt sich eine Motivation ahnen, die eher im Bereich der Erklärung der menschlichen Lern- und Erkenntnisfahigkeit als im Lösen linguistischer Einzelprobleme liegt; es wäre daher für ein Verständnis seiner Arbeiten bereits aus diesen werkbiographischen Gründen geboten, seine Ansichten zu wissenschaftstheoretischen Fragestellungen darzustellen. Doch abgesehen von diesen eher externen Gründen ist es meiner Ansicht nach ein systematisches Erfordernis für das Verständnis seiner sprachphilosophischen Arbeiten und deren Entwicklung, deren Verpflichtung auf die Erklärung der Phänomene des Lernens und der Gegenstandserkenntnis zu erhellen. Ohne die Art von Putnams Reflexionen zu Struktur und Dynamik von Wissenssystemen zumindest zu skizzieren, in der er sie aus dem Desiderat der Erklärung der Möglichkeit einer fallibilistischen und auf die Bestätigung von Behauptungen ausgerichteten, kognitiven Einstellung zu Behauptungen und deren Interpretation ge50 51 52
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PPII, 1-33. PPII, i. Der 1951 verfasste Text dieser Arbeit ist erst 1990 einer weiteren Öffentlichkeit durch seine Veröffentlichung in Buchform zugänglich geworden: The Meaning of the Concept of Probability in Application to Finite Sequences, N.Y./London 1990. Etwa in "A Definition of Degree of Confirmation for Very Rich Languages", Philosophy of Science 23 (1956), 58-62. Zusammen mit Paul Oppenheim: "Unity of Science as a Working Hypothesis", Feigl,H./Scriven,M./Maxwell,G. (eds.): Minnesota Studies in the Philosophy of Science II, Minneapolis 1958, 3-36.
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Putnams Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
winnt, kann man meiner Ansicht nach weder die Motivation noch die Komplexität seiner erst später ausführlich entwickelten Sprachphilosophie angemessen einschätzen. Drei Elemente des bisher Gesagten sprechen in diesem Sinne als interne Gründe für eine Beschäftigung mit Putnams wissenschaftstheoretischen Schriften: (1) Wie gegen Ende des vorangegangenen Abschnittes gesehen, ist es gerade das Resultat aus Putnams intensiver Beschäftigung mit sprachtheoretischen Fragestellungen in Orientierung an klassischen erkenntnistheoretischen Problemen, die ihn zu einer Ablehnung der einschränkenden und beschränkten Prämissen bestimmter sprachphilosophischer Standpunkte gebracht hat. Die Frage, die Putnam jedem philosophischen Standpunkt aufgibt, ist die, wie es möglich ist, dass wir von anderen, über die Welt und in der Sprache lernen. Darin liegt meiner Ansicht nach die Pointe seiner Feststellung, dass induktive und interpretative Fähigkeiten von Wesen, die zugleich Sprecher und Erkenntnissubjekte sind, untrennbar miteinander verknüpft sind. Wenn die Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks in den Kriterien seiner Anwendung besteht, so lautete ja Putnams Argument verkürzt, dann sind die Anwendungskriterien nicht anders zu verstehen als als hochkomplizierte theoretische Gebilde. Für deren Verwendung muss man allerdings bereits Annahmen über die Struktur der Welt machen, die die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Gebilde sind. In das Verständnis von Worten gehen also bereits Überzeugungen über die Welt ein, deren Annahme innerhalb der entsprechenden Sprachpraxis mehr oder weniger bewährt sein kann. Diese gegenseitige Beeinflussung von Verstehen und Erkennen zieht von selbst weitere Erkenntnisse nach sich, die näherer Beschreibung bedürfen. (2) Die in den beiden vorigen Teilen bereits aufgetauchten Probleme der Theorieabhängigkeit der Bedeutung, der empirischen Interpretation des außerlogischen Vokabulars in Theorien unter der Bedingung von deren Unterbestimmtheit durch das verfügbare, als unproblematisch angesehene Erfahrungsmaterial, der nur bedingten Definierbarkeit von als bestimmt interpretierten Ausdrücken für bestimmte Gegenstände und Gegenstandsklassen, des in der Sprachpraxis als "convention of discourse" wirksamen Phänomens der Bedeutungsstabilität bei der kommunikativen Verwendung bestimmter Ausdrücke unter Veränderungen der Kriterien für die Entscheidung über die Korrektheit oder Inkorrektheit von deren Anwendung auf bestimmte Situationen und die gegenseitige Abhängigkeit der sprachlichen und nichtsprachlichen,55 normativen und quasiontologischen VorausW.K. Essler hat darauf hingewiesen, dass ich bezüglich der Verwendung dieses Ausdrucks und seiner engen Verwandten (wie "aussersprachlich") versuchen sollte, Missverständnisse zu vermeiden. Das ist allerdings nicht ganz einfach (weswegen Essler vielleicht eher gemeint haben mag, ich sollte diese Ausdrücke ganz vermeiden). Grob gesagt möchte ich als "nichtsprachliche" Gegenstände solche verstehen, die nonverbaler Natur sind. Sie stehen im Gegensatz zu sprachlichen Zeichen im Sinne etwa der in einem Standardwörterbuch aufgeführten Zeichen und Hilfszeichen. Ihre Nichtmitgliedschaft in einem solchen Wörterbuch stellt allerdings keineswegs ein Hindernis dafür dar, dass sie in bestimmten Zusammenhängen als legitime Teile sprachlicher Äusserungen verwendet werden können (Standardexemplare und Kontextelemente etwa sind
Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
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Setzungen des Lern- und Sprachverhaltens (s.S.41ff.) sind in der Tat Versionen von traditionellen Fragestellungen ("Great Questions", wie Putnam sie nennt) der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die sich unter der Voraussetzung stellen, dass alles Wissen und alle Erkenntnis sprachlichen Ausdrucks bedarf, um überhaupt als Kandidat für Wissen und Erkenntnis in Frage zu kommen. (3) Dass die Intensität von Putnams Beschäftigung mit wissenschaftstheoretischen Fragestellungen die seiner sprachphilosophischen sogar fast übertrifft, leuchtet auch aus einem anderen, gerade aus einer sprachphilosophischen Einsicht stammenden Grund ein. Wenn es sich nämlich bei der Interpretationsfähigkeit kompetenter Sprecher um eine im weitesten Sinne kognitive Fähigkeit handelt, dann bedarf es zur Beschreibung dieser Fähigkeit einer eingehenderen Beschäftigung mit Wissenssystemen. Dies ist keineswegs optional. Denn am Ende des vorangehenden Teils konnte man ja sehen, dass nach der Deflationierung des Bedeutungsbegriffes56 die für den Erfolg referentieller Intentionen unverzichtbaren solche nonverbalen Teile, die für die Identität von Begriffen und Äusserungen entscheidend werden können). "Aussersprachlich" soll im folgenden hauptsächlich dann verwendet werden, wenn von den Dingen die Rede ist, auf die sprachliche Zeichen bezogen werden sollen. Sie stehen also eher im Gegensatz zu den sie bezeichnenden Zeichen, können aber selbst wiederum sprachliche Zeichen im Sinne der ersten Unterscheidung sein (etwa in grammatischen oder anderen metasprachlichen Untersuchungen). Es kommt in den entsprechenden Zusammehängen aber eher auf ihren materiellen Charakter an, weswegen ich "aussersprachlich" und "materiell" (oder vielleicht "raumzeitlich") häufig in einem Atemzug nenne. Beide Unterscheidungen sind kontextueller Natur, und die mit dem jeweiligen Gegensbegriff benannten Gegenstände können jeweils sprachlich verwendet werden (Reichenbach spricht von "Realelementen" in den Regeln unserer Begriffe). Der Grund dafür, sie konventionellen sprachlichen Gegenständen (Worten, Klammern, Punkten) gegenüberzustellen besteht darin, dass sie nicht nur sprachlich konstituiert sind und auch ausserhalb der Kontexte sprachlicher Verwendung existieren. Ausserdem sind nichtsprachliche wie aussersprachliche Gegenstände vermutlich relativ sprachunspezifisch, d.h. auch im Falle ihrer sprachlichen Verwendung identisch für viele unterschiedliche Sprachen, während beispielsweise Worte sprachspezifisch sind. In jedem Falle erhebt diese versuchsweise Erläuterung keinen Anspruch auf Allgemeinheit und Präzision. Die entsprechenden Unterscheidungen sind auch eher kommentierend als systematisch intendiert. Es bleibt zu hoffen, dass diese Absicht erfüllbar ist. Damit ist hier gemeint, dass er ja nun nicht mehr im Dienste der Unterscheidung zwischen als Wissen akzeptablen und inakzeptablen Überzeugungen oder der Sicherung der Ausdrucksreferenz steht, sondern einfach den normalen Sprechern und Hörern zur Beschreibung der ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Sprache dient. Er dient ihnen lediglich als Mittel, sich von ihrer Sprache zu distanzieren und in ihr problematisch gewordene Ausdrücke oder Äußerungen auf ihre Interpretation hin zu untersuchen, indem sie sie zu Ausdrücken und Äußerungen in Beziehung setzen, deren Verständnis ihnen unproblematisch erscheint. Deflationistisch ist diese Perspektive insofern als sie nicht primär versucht, für die entsprechenden Ausdrücke zu ihnen passende Entitäten zu konstruieren (die die Sprecher erkennen oder 'erfassen' und mit den richtigen Ausdrücken assoziativ verschmelzen müssen) sondern dem Begriff der Bedeutung lediglich die genannte pragmatische Rolle zuschreibt. Hierbei schliesst er an Reichenbach an, der bereits 1938 in einer überaus interessanten Passage aus Erfahrung und Prognose (Orig. 1938, übersetzt in Reichenbach, H.: Gesammelte Werke, Bd.4, Braunschweig 1983) schreibt: "Die Bedeutung einer Aussage ist kein "Etwas" - es gibt überhaupt keine Frage von der Form "Was ist die Bedeutung?". Eine Aussage hat Bedeutung, d.h. eine Aussage hat bestimmte Eigenschaften; aber es gibt kein ihr zugeordnetes Etwas, das der Sinn wäre. Man sollte
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Putnams Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
normativen Voraussetzungen als solche erkennbar werden, die im Inventar der abstrakten Vorannahmen enthalten sind, die in lernermöglichenden bzw. induktiven Praktiken im Allgemeinen (also nicht nur im Hinblick auf das Sprachverhalten) zu machen sind. Die in Grenzfallen für die Verständlichkeit bestimmter Äußerungen geltend gemachten Voraussetzungen dafür, dass die Suche nach dem Gemeinten überhaupt sinnvoll erscheint, stammten ja allesamt aus der Annahme, dass niemand etwas Abschließendes über die in Frage stehenden Dinge weiß und daher erne Erforschung auch seltsam erscheinender Möglichkeiten nicht a priori ausgeschlossen werden kann, etwa unter Berufung auf die Verwendungsregeln der Sprache oder Zweifel an der Vernunft des jene Äußernden. Das Paradigma solcher Praktiken sind die empirischen Wissenschaften. Alle diese internen Gründe sprechen dafür, im Folgenden bestimmte Elemente von Putnams wissenschaftstheoretischen Ansichten in der Frühphase zur Sprache kommen zu lassen. Um Putnams eigene wissenschaftstheoretische Position in der ersten Phase seiner Philosophie genauer zu bestimmen, muss man sich (wie schon zuvor seine Ansätze einer Verstehens- und Bedeutungstheorie) fast ausschließlich indirekter Methoden bedienen. Man muss sie aus seiner Auseinandersetzung mit den zu dieser Zeit dominierenden Positionen entnehmen. Putnam versucht zu dieser Zeit, einen Mittelweg zwischen den Positionen des Verifikationismus und des Konventionalismus zu etablieren. Den Verifikationismus kritisiert er mit Gründen gegen dessen fundamentalistisches erkenntnistheoretisches Grundmotiv der Zurückfuhrung der Berechtigung von Behauptungen auf erkenntnistheoretisch absolut unproblematische Behauptungen. Diese Kritik führt er in zwei komplementären Richtungen durch, (a) Auf methodologischem Wege macht er die These der Theoriebeladenheit empirisch interpretierter Ausdrücke insgesamt gegen die Annahme einer erkenntnistheoretisch privilegierten Interpretation bzw. Interpretationssprache geltend. Dies bedeutet zugleich eine Anerkennung des Holismus der Überzeugungsbildung, (b) Auf metatheoretischem Wege führt er gegen die instrumentalistische These, dass theoretische Begriffe lediglich fagons de parier bzw. Mittel zur Ableitung von Behauptungen sind, den Standpunkt des wissenschaftlichen Realismus ins Feld. Diesem zufolge dienen Aussagen, die mit Hilfe theoretischer Begriffe aufgebaut sind, zur Aufstellung von Behauptungen und sind somit entweder wahr oder falsch. Die in ihnen enthaltenen außerlogischen Ausdrücke sind dementsprechend (wenn sie zum Grundvokabular der Theorien gehören) mittels Gegenständen zu interpretieren, die ihrer Existenz und ihren Eigenbesser sagen: eine Aussage ist sinnvoll - die substantivische Wendung "hat Bedeutung" ist stets wie die adjektivische "ist sinnvoll" zu verstehen. (...) Aussagen sind Werkzeuge, mit denen wir arbeiten; wir können nicht mehr verlangen als die Fähigkeit, mit diesen Instrumenten umzugehen. (...) Die physikalischen Gegenstände, die wir Symbole nennen, haben eine bestimmte Funktion im Hinblick auf den Umgang mit allen anderen Gegenständen - diese Funktion heisst Bedeutung." (101-2)
Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
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Schäften nach relativ unabhängig von dem konkreten Wissen sind, das dazu dient, die Berechtigung der spezifischen Aussagen innerhalb einer gegebenen Theorie zu beurteilen. Sonst könnten die Aussagen sich ja nicht als wahr oder falsch erweisen. Seine Kritik am Zwei-Stufen-Modell hält sich weitgehend an Fragestellungen, die aus der Bewertung von Rechtfertigungsrelationen und deren Voraussetzungen innerhalb einer Theorie stammen (auch wenn die Inbezugsetzung von theoretischer und Beobachtungssprache bereits die Relation zweier Sprachen beinhaltet). In seiner Diskussion macht Putnam die Unabhängigkeit von Zeichen und Bezeichnetem gegen die Ersetzung des Bezeichneten durch Beobachtungsdaten bzw. auf sie fuhrende Reduktionsketten geltend (2. l.). Die zweite Richtung von Putnams Kritik, nämlich seine Kritik an der konventionalistischen Auffassung der Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Theoriebildung und -pruning, nimmt dagegen auf die komplexen Beziehungen zwischen zwei oder mehr Theorien bezug, die innerhalb einer Praxis in einer gewissen Ahnlichkeitsbeziehung (Rivalität oder Nachfolgerschaft) zueinander stehen. Ist es in der Kritik am Verifikationismus die Bildung einer Überzeugung und der Beitrag der Sprachverwendung dazu, die nicht adäquat dargestellt wird, so untersucht Putnam in seiner Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus die Bedingungen der Verteidigung und Diskussion von verschiedenen Uberzeugungssystemen und deren Ausdrucksmittel. Putnam setzt sich hier mit der konventionalistischen Auffassung auseinander, dass der Übergang von einer gegebenen Menge an erklärungsrelevanten Rahmenbedingungen zu einer anderen sich nur als Entscheidung darüber auffassen liesse, wie man sich mit Hilfe der entsprechenden Grundbegriffe zukünftig verständigen solle. Der Konventionalismus erklärt die Theorieentwicklung und den Wandel innerhalb der Rahmenbedingungen der Theoriebildung im Sinne einer Entscheidung über die Sprache und die Bedeutung der in ihr vorkommenden Ausdrücke, die unabhängig von dem vorhandenen und zu artikulierenden Erfahrungswissen gefällt werden könne und müsse. Die Grundlage dieser Ansicht besteht nun aber in genau der Einsicht, die auch Putnam gegen den Versuch der Reduktion der Bedeutung auf den Gehalt der Erfahrung gewandt hat, nämlich dass das Erfahrungswissen als solches keine Theorie zu semer Systematisierung und Erklärung vorzuschreiben vermag. Dies fuhrt auch Putnams Ansicht nach zur Rückbindung der Interpretation und der Struktur der Begriffe an die kognitiven Fähigkeiten und Interessen ihrer Verwender, die sich nun zwischen sich ihnen nicht aus der Erfahrung selbst heraus aufdrängenden Alternativen zu entscheiden haben. Die Konsequenz des Konventionalismus daraus ist allerdings, dass die genannten Übergänge daher nonkognitiv-faktischer (also sozialer, psychologischer oder kultureller) Natur seien. Diese Folgerung stellt natürlich eine starke Herausforderung an Putnams pragmatischen Kognitivismus dar, demzufolge es eine Sache eines reflexiv gefällten und aus dem vorhandenen Wissen heraus gerechtfertigten Urteils ist, seine Überzeugung und das System ihres Ausdruckes zu verändern. Er stellt daher dem Konventionalismus
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Putnams Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
starke Argumente dafür entgegen, dass er (a) dazu führt, bestimmte Urteilsmöglicnkeiten für irrational zu erklären, die nichtsdestotrotz Elemente der rationalen Entscheidung für oder gegen einen solchen Übergang selbst darstellen und (b) theoretisch und ontologisch gehaltvolle Entscheidungen nicht als solche beurteilbar und rekonstruierbar macht. Dagegen schlägt er eine andere, den Wirklichkeitsgehalt der Entscheidungen berücksichtigende Konzeption des Zusammenhanges von Theorie bzw. theoretischen Rahmenbedingungen und der Interpretation der Grundbegriffe vor (2.2.). 2.1. Putnams Kritik an der Zwei-Stufen-Konzeption wissenschaftlicher Theonen In diesem Abschnitt soll Putnams Analyse der Folgen der Anwendung der in Kapitel 1. angesprochenen Bedeutungs- und Verstehenstheorie auf die Frage des Zustandekommens und der Rechtfertigung der Interpretation wissenschaftlich anerkannter Aussagen dargestellt werden. Im Mittelpunkt von Putnams diesbezüglichen Überlegungen stehen die zentralen Begriffe in den Verallgemeinerungen wissenschaftlicher Theoriesprachen, die sogenannten "theoretischen Begriffe". Er wendet sich auch in diesem Kontext gegen eine operationalistische bzw. verifikationistische Strategie, die Interpretation solcher Begriffe auf die vorgeblich unproblematische Interpretation erkenntnistheoretisch als grundlegender betrachteter Begriffe zurückzuführen. Allerdings werden im Rahmen dieser Auseinandersetzungen nicht zuletzt wegen der Reife, die Diskussion dieser Thematiken in den sechziger Jahren bereits erreicht hatte, die Voraussetzungen und Konsequenzen noch deutlicher, die Putnams Ablehnung einer verifikationistischen Rekonstruktion der Bedeutung und des Bezuges sprachlicher Ausdrücke motivieren. 2.1.1. Die Zwei-Stufen-Konzeption wissenschaftlicher Theorien In semer entscheidenden Arbeit "What Theories Are Not"57 fasst Putnam die zu dieser Zeit (1960) in weiten Teilen der Fachöffentlichkeit vertretene Konzeption der begrifflichen Struktur wissenschaftlicher Theorien so zusammen: The view divides the nonlogical vocabulary of science in two parts: OBSERVATION TERMS [and, A.M.] THEORETICAL TERMS (...). The basis for the division appears to be as follows: the observation terms apply to what may be called publicly observable things and signify observable qualities of things, while the theoretical terms correspond to the remaining unobservable qualities and things. This division of terms in two classes is then allowed to generate a division of statements into two classes as follows: 57
PPI, 215-227 (Orig. 1962).
Kritik an der Zwei-Stufen Theorie
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OBSERVATIONAL STATEMENTS
THEORETICAL STATEMENTS
statements containing only observation terms and logical vocabulary
Statements containing theoretical terms
Lastly, a scientific theory is conceived of as an axiomatic system which may be thought of as initially uninterpreted, and which gains 'empirical meaning' as a result of a specification of meaning/ör the observation terms alone. A kind of partial meaning is then thought of as drawn up to the theoretical terms. (215-6)58
Diese Wiedergabe der Unterscheidung zwischen theoretischen und Beobachtungsbegriffen lässt erkennen, dass mehrere Ebenen ineinandergeblendet werden, auf denen verschiedene Gegensatzpaare für die Unterscheidung von Teilen einer gegebenen, in Verwendung befindlichen Sprache geltend gemacht werden. Entsprechend den Gegensatzpaaren ergibt sich eine unterschiedliche Interpretation für die beiden Begriffs- bzw. Aussagenklassen. Im ersten Teil der Passage spielt Putnam auf die Differenz auf der Ebene der epistemischen Eigenschaften von Objekten an, nämlich auf die zwischen beobachtbaren Dingen und Eigenschaften und unbeobachtbaren Dingen und Eigenschaften. Dieser Unterscheidung zufolge handelt es sich bei den Elementen in beiden Ausdrucksklassen um bereits interpretierte Zeichen, die sich hinsichtlich der Art des Gegebenseins der Objekte unterscheiden, über die sie interpretiert werden. Bei den Beobachtungsbegriffen sind die Gegenstände und Eigenschaften in der Beobachtungssituation gegeben, bei den theoretischen setzt man voraus, dass es Gegenstände gibt, obwohl diese Voraussetzung nicht durch Beobachtungen allein bestätigt werden kann. Wenn man nun die epistemsche Zusatzprämisse annimmt, dass die Beobachtung erkenntnistheoretisch in dem Sinne privilegiert ist, dass die Existenz dessen, was man beobachten kann, mit einer über jeden Zweifel erhabenen Sicherheit als etabliert gelten kann, dann kommt man zu einer zweiten Unterscheidung. Denn auf diese Weise ergibt sich die ontologische Frage, ob dasjenige existiert, das nur angenommen aber nicht beobachtet werden kann, d.h. ob es etwas gibt, das als Referent der Ausdrücke fungiert, die (per definitionem) auf nicht Beobachtbares bezug zu nehmen vorgeben. Die Berechtigung dieser Frage hängt ersichtlich davon ab, ob man davon überzeugt ist, dass Existenzfragen nur direkt über die Obwohl die hier angesprochene Thematik längst nicht mehr im Mittelpunkt wissenschaftstheoretischer Kontroversen steht und neue Entwicklungen stattgefunden haben (wie die Definition von "theoretischer Term" ohne Bezugnahme auf die Dichotomie zwischen Beobachtungs- und theoretischen Begriffen durch Sneed und die darauf aufbauende und von W. Stegmüller in den Einzelheiten entwickelten strukturalistische Wissenschaftstheorie), habe ich diese Stelle hier so ausführlich zitiert, um die Konstruktion der Gegenposition deutlich zu machen, mit der sich Putnam auseinandersetzt.
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Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
Sinne entschieden werden können. Die erste Unterscheidung leitet also über zur klassischen Problematik einer entweder idealistischen oder realistischen Konzeption der Gegenstände der Erkenntnis der jeweiligen Sprachform. Die Interpretation der theoretischen Begriffe ist dieser Unterscheidung nach eher idealistisch zu konzipieren (da die in ihr vorausgesetzten Gegenstände durch die Theorie und, für das Erkenntnissubjekt, die Überzeugtheit von ihrer Wahrheit konstituiert werden), während die Beobachtungssprache eine (aus der Struktur des direkt EtwasBeobachtens abgeleitete) 'realistische' (d.h. eine mittels der Annahme subjektunabhängiger Objekte aufgestellte) Interpretation zulässt, wenn die Beobachtung als zuverlässig gelten kann. Aus den beiden ersten Ebenen der Unterscheidung kann man das Problem erkennen, das mit der Rekonstruktion der Struktur wissenschaftlicher Theorien im Sinne der Zwei-Stufen-Konzeption gelöst werden sollte, nämlich wie es möglich ist, auf Unbeobachtbares bezug zu nehmen. Per definitionem ist dieses Problem im Sinne der ersten Unterscheidung für die Beobachtungssprache gelöst, in der theoretischen allerdings offen, und im Sinne der zweiten Unterscheidung verschärft sich das Problem sogar noch dadurch, dass es zum Problem der Existenz, der Bezugsgegenstände wird. Die Frage, die in diesem Zusammenhang also ansteht ist: wie ist es möglich, mit in Beobachtungssituationen nicht prima facie voraussetzungslos verwendbaren Begriffen über etwas zu reden? Aus dieser Entgegensetzung ergibt sich für das semantische Verhältnis beider Arten von Begriffen, dass die theoretischen Begriffe nur insoweit als referentiell interpretiert gelten können, als aus sie enthaltenden Aussagen Beobachtungsaussagen folgen, die man ohne sie nicht erhielte.59 Mit der letzten Passage spielt Putnam auf die ausgereifte Konzeption von Theorien als Axiomensystemen an, die sich etwa in Carnaps Arbeiten ab 1938 findet.60 Die Entwicklung dieser Konzeption war motiviert durch die Spannung Vgl. Carnap, R.: "The Methodological Character of Theoretical Concepts", Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Bd.l, hg. v. Herbert Feigl/Michael Scriven, Minneapolis 1956,38-76. W.K. Essler gibt in Wissenschaftstheorie II. Theorie und Erfahrung, Freiburg/München 1971, 11 Of. eine präzise Darstellung und Analyse des Carnapschen Standpunktes. Er weist dabei auch daraufhin, dass Carnap selbst, im Gegensatz zur Wirkungsgeschichte seiner Arbeiten zu diesem Thema, eine Dreiteilung im Auge hat. Er unterscheidet zwischen theoretischen Begriffen, Beobachtungsbegriffen und sinnlosen Begriffen. Das Problem, das er sich stellt, besteht in der Angabe einer effektiven Unterscheidung zwischen den zugleich als sinnvoll und als nicht auf Beobachtungsbegriffe reduzierbar angenommenen theoretischen Begriffen und den sinnlosen. In dieser Arbeit soll dagegen die in der Wirkungsgeschichte von Carnaps Ansatz häufiger behandelte Schwierigkeit im Vordergrund stehen, die in der Angabe einer effektiven und allgemeinen bzw. absoluten Unterscheidung zwischen Beobachtungs- und theoretischen Begriffen besteht, auf die man ein erkenntnistheoretisches Modell der Interpretation aufbauen könnte. Diese Problematik ist es, auf die Putnam reagiert, und daher soll hier von ihr die Rede sein. 60 Camap, R.: Grundlagen der Logik und Mathematik, München 1974 (Orig. 1938). Genauer gesagt spielt er auf die von Carnap in diesem Werk "Methode 2" genannte Art der Einfuhrung der Eigenbegriffe komplizierter wissenschaftlicher Theorien an, in denen zuerst die Theoriesprache als Kalkül formuliert wird, der dann im Sinne der formalen Semantik eine Interpretation erhält
Kritik an der Zwei-Stufen Theorie
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zwischen dem Prinzip, dass die Rechtfertigung theoretischer Behauptungen aus der Erfahrung stammen muss, und der Feststellung, dass nur wenige erfahrungswissenschaftliche Begriffe tatsächlich durch Begriffe definierbar sind, die in ihrer normalen Verwendung zur Bezeichnung unproblematisch verfügbarer Entitäten gebraucht werden. Die Spannung ergibt sich daraus, dass ja nur Aussagen überhaupt geprüft werden können, die aus Ausdrücken aufgebaut sind, deren Bezug klar genug dafür ist, um ihr Zutreffen oder Nichtzutreffen auf Gegenstände in gegebenen Situationen beurteilen zu können. Ein Mittel der Bestimmung der Verwendung von Ausdrücken ist eben die Definition derselben in bereits hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit als bekannt voraussetzbaren Begriffen. Fällt diese Möglichkeit jedoch weg, dann steht die Frage der Interpretation der entsprechenden Ausdrücke im Raum. Das allgemeine Problem hinter dieser Feststellung ist, wie die Anwendbarkeit von Ausdrücken erkenntnistheoretisch akzeptabel bestimmt werden kann, deren intendierte Bezugsobjekte nicht vollständig als bekannt vorausgesetzt werden können. In dieser Konzeption wird die Unterscheidung zwischen theoretischen und Beobachtungsbegriffen auf methodologischer Ebene getroffen. Man nimmt die Sprache, in der die Behauptungen einer gegebenen Theorie verfasst werden und teilt sie in zwei Teilsprachen ein. Die eine Teilsprache, die eigentliche Theoriesprache, ist charakterisiert als Kalkül, dem bestimmte Begriffe als deskriptive Zeichen mittels sie kontextuell definierenden Axiomen und Definitionen hinzugefügt sind. Diese Begriffe sind die theoretischen Begriffe, ihre Gesamtheit ist das theoretische Vokabular. Diese Begriffe sind im Theoriekalkül uninterpretiert. Sie sind lediglich mittels des Systems der Axiome formal im Hinblick auf ihre gegen(§24f). Die Reduktionssätze bzw. einfachen Gesetzesaussagen dienen dabei als Teil der Theorie dazu, aus den möglichen Interpretationen diejenige auszusondern, die aufgrund des verfugbaren Erfahrungswissens empirisch adäquat ist, das in Beobachtungs- und Messsituationen erhalten wurde. Es gelten alle die Ausdrücke als empirisch berechtigt ("wahr" bzw. "kognitiv gehaltvoll"), die zur Formulierung dieses Wissens in der betreffenden Theorie notwendig und hinreichend sind. Die weiteren Entwicklungen dieser Konzeption finden sich hauptsächlich in folgenden Artikeln Camaps: "The Methodological Character of Theoretical Concepts", "Beobachtungssprache und theoretische Sprache", Logica. Studia PaulBemays dedicata, Neuchatel 1959; Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, übers, v. Walter Hoering, Frankfurt/Berlin 1986 (Orig. 1966, aus den Mitschriften von M.Gardner), Teil V. Das Problem der Einführung empirisch interpretierbarer, aber nicht in Form unbedingter Definitionen konstituierbarer Begriffe, das den Anlass für diese Unterscheidung gegeben hatte, wurde wie erwähnt von Carnap in "Testability and Meaning" ausführlich benannt und eine Lösung in Richtung der zwei Stufen-Konzeption vorgeschlagen. Das Problem ist die Erkenntnis, dass die meisten Begriffe in der herkömmlichen Verwendung innerhalb wissenschaftlicher Sprachen nicht über direkte Verifikationen auf ihre Anwendbarkeit hin beurteilbar sind. Daher kann dieses Merkmal nicht mehr als Unterscheidungsmerkmal zwischen kognitiv zulässigen ("verständlichen") und unzulässigen ("metaphysischen") Ausdrucksweisen und Theorien dienen. Den aus der antimetaphysischen Polemik des Wiener Kreises stammenden Versuch eine absolute Grenze zwischen beiden Begriffsund Theoriesorten zu finden, gab Carnap konsequenterweise in einem Fernsehinterview mit W. Hochkeppel 1964 in entscheidender Weise auf, in dem er den Übergang zwischen ihnen als fließend bezeichnet (vgl. Carnap.R.: Mein Weg in die Philosophie, Stuttgart 1993, 141-2).
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seitigen Abhängigkeiten charakterisiert. Die theoretischen Begriffe sind hier die Eigenbegriffe der Theorie. Die Beobachtungsbegriffe sind solche, die als Teil der Alltagssprache in Experiment- und Messsituationen zur Beschreibung des Aufbaus der Situation und der Ergebnisse verwendet werden und in der für die Wissenschaftler üblichen Weise als verständlich bzw. anwendbar vorausgesetzt werden. (Zudem dürfte man erwarten, dass Angaben über den intendierten Anwendungsbereich in einer allgemein unter den Theorieverwendern verständlichen Sprache gemacht werden.61) Die Interpretation des Systems wird dann so vorgestellt, dass aus den Axiomen bestimmte singuläre Aussagen abgeleitet werden, die mittels "Zuordnungsregem"62 bzw. bilateraler Reduktionssätze (s.o.) in die (als 61
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Diese "Erwartung" ist entscheidend, aber trotzdem bei der Ausarbeitung des Zwei-Stufen-Modells meist übersehen worden. Sie besagt nämlich nicht mehr und nicht weniger, als dass man voraussetzen muss, dass die Verwender eines gegebenen Begriffssystems (a) davon überzeugt sein müssen, dass es sich um eines handelt, für das man eine empirische Interpretation erhalten bzw. rechtfertigen kann, es sich also um eine erfahrungswissenschaftliche Theorie handelt, und (b) eine ungefähre, sehr allgemeine Vorstellung davon formulieren können müssen, innerhalb welchen Wirklichkeitsaspektes (Raum, Zeit, Farbe etc.) nach einem geeigneten Modell zu suchen ist. Ohne diese Minimalangaben kann man nicht erwarten, dass überhaupt etwas über die Symbolmanipulation hinaus beim Umgang mit einem Sprachsystem zustande kommt. Zur Rolle dieser Voraussetzung vgl. Essler, W.K.: Wissenschaftstheorien, Freiburg 1971, 111. Diesen Ausdruck verwendet Carnap in Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, §24. Sie sind nicht zu verwechseln mit Reichenbachs "coordinative definitions" bzw. "Zuordnungsdefinitionen" (zuerst in Die Philosophie der Raum-Zeit-Lehre (Orig. Berlin 1928, wiederabgedruckt in: Reichenbach, H.: Gesammelte Werke, Bd.3, Braunschweig 1977, §4). Reichenbachs eigene Auffassung von Theorien weicht in den für die Frage der Existenz der von theoretischen Begriffen bezeichneten Gegenständen entscheidenden Teilen von der Carnaps ab. Auch glaubt Reichenbach wegen seiner prinzipiell induktivistisch-pragmatischen Herangehensweise an interpretative Fragen nicht, dass es Beobachtungsbegriffe schlechthin im Sinne der ersten Unterscheidung gibt (vgl. Erfahrung und Prognose, §25, 135: "Physikalisch ist es ein Zufall, dass wir die Atome nicht sehen können, weil wir zu gross sind."), weil die Wahrheit der begründenden bzw. interpretierenden Aussagen im Kontext einer gegebenen, zu begründenden Theorie in keinem erkenntnistheoretisch interessanten Sinne prinzipiell anders festgestellt wird als die von anderen Hypothesen. Reichenbach unterscheidet in zu Carnaps Arbeiten analoger Weise zwischen "Konkreta, Abstrakta und lllata" (l 34), womit er einen anhand der Praxis der Wissenschaften (und der Einteilung in theoretische und angewandte Zweige) feststellbaren graduellen Unterschied in der Abstraktheit der für die Interpretation der Begriffe vorauszusetzenden Objekte fassen will (seine Unterscheidung ist also keine Unterscheidung zwischen Begriffen, sondern zwischen den ontologischen Voraussetzung der Interpretation; vgl. Philosophie der Raum-Zeit-Lehre, 33 über die Funktion der Zuordnungsdefinition: "Nicht der Begriff (...) wird definiert, sondern das ihm entsprechende Reale wird aufgezeigt"). Reichenbach betont allerdings nachdrücklich, dass es sich bei dem Unterschied nach Abstraktheitsgraden um "nichts Grundsätzliches" handele (Erfahrung und Prognose, 134). Zwar findet sich auch bei Camap bei Gelegenheit der Motivierung der Dichotomic von theoretischen und Beobachtungsbegriffen die Bemerkung, dass es sich bei der Differenzierung nach Abstraktheitsgrad innerhalb des außerlogischen Vokabulars um ein Kontinuum handele (vgl. Grundlagen der Logik und Mathematik, 84), doch führt sein Verständnis der Beobachtungsaussagen und -begriffe, dass diese nämlich 'direkt' interpretiert seien (vgl. ebd., 89) dazu, in diesem Kontinuum einen Schnitt zwischen direkt und indirekt interpretierten Aussagen und Begriffen zu machen. Das lehnt Reichenbach ab, weil es für ihn überhaupt keine 'direkte1 Interpretation, sondern nur mehr oder weniger stark gerechtfertigte Schlüsse gibt: "Es gibt (...) keine absolute Falsifikation, ebenso wenig wie eine absolute Verifikation." (Erfahrung und
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"Basis" fungierende) Sprechweise überfuhrt werden, die in den Anwendungssituationen üblich ist. Auf diese Weise werden aus den schematischen Kalkülaussagen Prognosen. Als solche können sie dann in diesen Situationen auf ihre Wahrheit oder Falschheit überprüft werden.63 Je nach dem Ergebnis werden dann semantisch die Wahrheitswerte der Aussagen im Kalkül immer weiter festgelegt,
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Prognose, 55). Er ist in diesem antiverifikationistischen Punkt, der den gesamten ersten Teil von Erfahrung und Prognose ausmacht, eindeutig als Putnams Vorgänger erkennbar. Reichenbach lehnte ebenso die Zwei-Stufen-Konzeption wissenschaftlicher Theorien ab, da auch fiir ihn das Sprechen über Unbeobachtbares, neben der Unklarheit, um welche Unmöglichkeit es sich handeln sollte, kein grundsätzliches Problem darstellt (vgl. Erfahrung und Prognose, §14). Neben Reichenbachs bereits erwähnten Arbeiten findet sich meines Wissens eine der ersten, wenn auch zu Unrecht unbekannt gebliebene, Version einer Zwei-Stufen-Konzeption in Walter Dubislavs Buch Die Definition (Orig.1931, Hamburg 1981). Dubislav führt sie in der Absicht durch, die Differenz zwischen Zeichensystem und Deutung in komplexen Aussagesystemen nachzuzeichnen. Um einen Eindruck des Ausmaßes der Antizipationen in Dubislavs Arbeit zu geben, zitiere ich ausfuhrlich. Bei "der wissenschaftlichen Erforschung irgendwelcher Gebilde [handelt es sich, A.M.] um folgende Aufgabe: Man hat nach Vornahme hinreichend vieler Beobachtungen (...) zunächst die Beobachtungsresultate mit den Mitteln einer ansatzartig aufgestellten Theorie wiederzugeben. Alsdann hat man im Rahmen dieser Theorie auf Grund dieser von ihr charakterisierten Beobachtungsresultate Berechnungen anzustellen über das Verhalten der in den Beobachtungen, wie man so sagt, erfassten Objekte, die, wenn sie in allen praktisch der Kontrolle zugänglichen Fällen zutreffen, die Brauchbarkeit der fraglichen Theorie bis auf weiteres erhärten. Die Aufstellung einer Theorie in diesem Sinne involviert also eine Koppelung von Gebilden der Theorie mit den durch dieselbe zu erforschenden Objekten. Dabei hat man sich die Theorie (...) in Gestalt eines Kalküls zu denken, das mit einer Deutungsvorschrift behaftet ist. Diese Deutungsvorschrift, ohne die man lediglich einen Kalkül vor sich hätte, in dem es sich nur darum handelte, aus gewissen Ausgangsformeln nach Maßgabe bestimmter Operationsvorschriften [ = Ableitungsregeln, A.M.] andere und andere Formeln abzuleiten, hat die Aufgabe, den Kalkül zur Berechnung der fraglichen Objekte tauglich zu machen [=anwendbar, A.M.]. Daraus folgt, dass diese Deutungsvorschrift, welche die fragliche Koppelung realisiert, in logischer Hinsicht eine willkürliche [=nichtsyntaktische, aus dem Ableitungsbegriff von T abzulesende, A.M.] ist." (106) Dubislav war sich auch darüber im klaren, dass Messungen und Beobachtungen auf theoretischen Vorannahmen beruhen, wie sich aus seiner Empfehlung ablesen lässt, "die Theorie der zur Anstellung der genannten Beobachtungen erforderlichen Messinstrumente mit in die zu kontrollierende Theorie (...) einzubeziehen." (100) Er ist auf diese Weise wohl auch einer der ersten gewesen, die die Zuordnungen zwischen Theorie und Objekten der Erfahrung als synthetische Interpretation und nicht als "Definition theoretischer in Beobachtungsbegriffen" aufgefasst hat. So heisst es mit Blick auf (und im Anschluss an) Reichenbachs Arbeiten über die Schlussfolgerungen aus der Unterbestimmtheit: "Dieser Umstand hat es mit sich gebracht, dass man diese durch eine Deutungsvorschrift eines Kalküls vermittelten Koppelungen als Definition, und zwar als Zuordnungsdefinition ansprach (...). Erst später bemerkte man, dass derartige "Zuordnungsdefinitionen" gar keine Definitionen im üblichen Sinne des Wortes, d.h. gar keine Substitutionsregeln über Zeichen sind, sondern vielmehr die Zeichen einer formalisierten Theorie mit den vermittels dieser Theorien zu erforschenden Objekten verketten." (106-7) Denn "Eine derartige Deutungsvorschrift besteht (...) aus einer an sich in logischer Hinsicht willkürlichen Angabe, mit welchen der zwischen den zu erforschenden Objekten empirisch aufweisbaren Beziehungen man zunächst die sogenannten Kalkülbeziehungen zu koppeln hat und mit welchen Objekten sodann diejenigen Gebilde des Kalküls zu verketten sind, zwischen denen die genannten Beziehungen bestehen. Diese Deutungsvorschrift (...) ist aber naturgemäß für den Wert des Kalküls von außerordentlicher Wichtigkeit, da ja der Kalkül (...) lediglich als gedeuteter Kalkül auf seine Wahrheit zu prüfen ist." (112-3)
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und damit dessen Interpretation im Sinne der Wahrheitssemantik bestimmt (indem nämlich immer mehr der logisch möglichen Folgerungsbeziehungen im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit den empirischen Aussagen bestimmt werden). Die außerlogischen Ausdrücke in den Axiomen bleiben also im Blick auf alle möglichen und zulässigen Zuordnungsregeln und die Ergebnisse der Anwendungen in folgendem Sinne nur "partiell interpretiert": bevor nicht alle möglichen Zuordnungsregem ausprobiert und alle möglichen Ergebnisse bekannt sind, ist der Gegenstand, auf den sich der entsprechende Ausdruck bezieht, nicht vollständig bestimmt, und daher die Gesamtheit seiner empirisch erfolgreichen Anwendungen nach bestimmten Regeln (seine Extension) nicht bekannt. Die vollständige Interpretation ergäbe sich aus der Gesamtheit aller Fälle des Zutreffens der ihn enthaltenden Aussagen bzw. der Fälle der Anwendung der in ihnen enthaltenen Ausdrücke in wahren Sätzen. Die Kenntnis der faktischen Bedeutung für einen theoretischen Begriff erhält man also durch die Prüfung der Wahrheit ihn enthaltener Sätze. Diese wiederum ergibt sich wie folgt: die Bedeutung einer bestimmten theoretischen bzw. problematischen) Aussage besteht in der Gesamtheit der als verstanden vorausgesetzten, wahren (Beobachtungs- bzw. unproblematischen) Aussagen, die sie bestätigen, kombiniert mit der Gesamtheit derjenigen als verstanden vorausgesetzten (Beobachtungs- bzw. unproblematischen) Aussagen, die sie schwächen. Zwei (theoretische, problematische) Aussagen haben genau dann dieselbe "empirische Bedeutung", wenn diese beiden Satzklassen für beide dieselbe ist, und verschiedene Bedeutung, wenn sie jeweils verschieden sind. In diesem Sinne handelt es sich beim Zwei-Stufen-Modell eben um eine verifikationistische Konzeption: die Kenntnis der Bedeutung theoretischer Aussagen besteht in der Kenntnis der Methode ihrer Zurückruhrung auf Beobachtungsaussagen (bzw. der privilegierten Methode ihrer Überprüfung), und die Kenntnis der Bedeutung der Komponenten ergibt sich aus der Kenntnis der Bedingungen, in denen ihre Anwendung zu wahren (bzw. bestätigten) Sätzen führt. Gleichzeitig mit dieser sukzessiven Interpretation wird die Theorie bzw. die aus ihr folgenden Vorhersagen also auch epistemsch mehr oder weniger durch Erfahrungen bestätigt.6* Denn eine bestimmte Aussage gilt dann als wahr, wenn innerhalb der ihr in Bestätigungsabsicht zugeordneten Satzklasse das Gewicht der sie bestätigenden Aussagen überwiegt, und ihre Negation dann, wenn das Gewicht der sie schwächenden Aussagen größer ist. Sowohl die Interpretation als auch die Rechtfertigung der Aussagen einer Theorie verläuft also "von oben nach unten".65 Quine faßt den 64
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Diese, für den gegenwärtigen Zweck ausreichende, einfache Version gibt Carnap in Grundlagen der Logik und Mathematik, §23. Eine andere, von Carnap dort nur angedeutete (vgl. ebd., 85) Methode besteht darin, Modelle für die jeweilige Theorie zu bilden und sie mit den Modellen zu vergleichen, die sich aus den wahren und falschen Aussagen über Experiment- bzw. Messsituationen ergeben. Das ist grob gesagt der Ansatz der strukturalistischen Wissenschaftstheorie in Europa und des sogenannten "semantic view of theories" in den USA. Ich will nochmals betonen, dass hier Putnam folgend nur eine, wenn auch die
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Grundgedanken dieser Konzeption wie folgt zusammen: "to each statement, or each synthetic statement, there is associated a unique range of possible sensory events such that the occurrence of any of them would add to the likelihood of truth of the statement, and that there is associated also another unique range of possible sensory events whose occurrence would detract from that likelihood. This notion is (...) implicit in the verification theory of meaning. "66 Theoretische Begriffe in dieser Unterscheidung sind ersichtlich ein Fall von Ausdrücken, deren referentielle Interpretation unter der Bedingung der Ungewissheit im Hinblick auf ihre intendierten Bezugsobjekte stattfindet. Wiederum handelt es sich bei diesem Rekonstruktionsversuch der Interpretationsbedingungen
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wirkungsgeschichtlich wichtigste, Art der Rekonstruktion des Aufbaus und der Anwendung von mit abstrakten Begriffen arbeitenden Theorien der modernen Erfahrungswissenschaften in Betracht gezogen werden soll. Schon Carnaps "erste Methode" besteht z.B. darin, "dass man die elementaren Begriffe als Grundbegriffe nimmt und dann auf dieser Basis weitere Begriffe Schritt für Schritt einführt bis zu jenen von höchstem Abstraktionsgrad." (Grundlagen der Logik und Malhematik, 86) Wie bereits im ersten Teil dieses Kapitels bemerkt, stellen jedoch die Einführungen von Begriffen, die Verallgemeinerungen, d.h. Abstraktionen, aus Beobachtungen bezeichnen sollen, keine expliziten Definitionen dar (wie schon Camap betont, bedauerlicherweise aber nicht mit aller Konsequenz theoretisch klar macht). Die eine erklärende Theorie der Phänomene des faktischen Erfahrungswissens charakterisierenden Begriffe können daher nicht als auf dem Wege der Abstraktion durch Definitionsketten gewonnen angesehen werden (hierzu wie zum gesamten Themenkomplex der Zwei-Stufen-Konzeption vgl. Kutschera, F.v.: Grundfragen der Erkenntnistheorie, Berlin/N.Y. 1981, 435ff., sowie sehr ausführlich Stegmüller, W.: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd.2 Theorie und Erfahrung, Berlin, N. Y. 1970, Kap. V.). So schliesst Carnap auch: "es stellt sich heraus - das ist eine empirische Tatsache, nicht eine logische Notwendigkeit-, dass es nicht möglich ist, auf diese Weise zu einem starken und gut verwendbaren System von Gesetzen zu kommen." (87) Die Einführung der Begriffe in empirischen Theorien ist demzufolge, in Kants Terminologie, eine Synthese von Begriff und Erfahrung und keine Analyse des abstrakten Gehalts der Vorbegriffe, in denen wir unsere Erfahrungen beschreiben. Dieser Tatsache versuchte Carnap später damit gerecht zu werden, dass er die einfachen Generalisierungen der Theorie als besondere Axiome hinzugefugt begriff, als sogenannte "Bedeutungspostulate" (vgl. "Meaning Postulates", in Camap, R.: Meaning and Necessity, 222-9). Seiner Bedeutungstheorie folgend sind diese jedoch als Stipulationen des Theoretikers, d.h. als analytische Aussagen dieser Sprache, aufzufassen. Auf der anderen Seite bestimmen sie jedoch entscheidend mit, welche Struktur die die Theorie erfüllenden Gegenstände und Beziehungen haben, sind also empirisch gehaltvoll und zählen insofern erkenntiaspragmatisch betrachtet zum Hypotheseninventar der Theorie. Eine mögliche Lesart dieser interpretativen Prinzipien ergibt sich dann, wenn man "analytisch" als "in einer epistemischen Situation fest vorgegeben" konstruiert und damit den pragmatischen Charakter dieser Postulate gegenüber der semantischen Struktur hervorhebt. Auf diese Weise lassen sich die Bedeutungspostulate als detranszendentalisierte Nachfolgeprinzipien der Kantischen synthetischen Urteile a priori auffassen. Dies soll weiter unten etwas detaillierter ausgeführt werden (vgl. hierzu, wie auch zu den in Kap. 1.2.2. vorgeschlagenen Unterscheidungen zunächst Reichenbach, H.: Relativitätstheorie und Erkenntnis a priori (Orig. Berlin 1920, wiederabgedr. in Reichenbach, H.: Gesammelte Werke, Bd. 3, 191-404, bes. VI-VDT), sowie Essler, W.K.: "Über die Interpretation von Wissenschaftssprachen", Philosophisches Jahrbuch 77 (l 970), 117-30, "Über synthetisch-apriorische Urteile", in: Lenk, H. (Hg.): Neue Aspekte der Wissenschaftstheorie, 1971, 195-204, sowie "Fundamentals of a Semi-Kantian Metaphysics of Knowledge", The Monist 65 (1982), 106-15 und Engfer, H.J./Essler, W.K.: "Analyse", in Krings, H. &al. (Hg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd.l, München 1973, 65-79). "Two Dogmas of Empiricism", 40-1.
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um einen Ansatz, der das Verstehen bzw. den Erfolg der referentiellen Interpretation der außerlogischen Ausdrücke in Aussagen in bestimmten Kontexten von der Verfügung über eine Zurückführung auf (als "vollständig verständlich" vorausgesetzte) Aussagen abhängig macht, deren Wahrheitswert definitiv bestimmt werden kann.67 Putnams gleich zu schildernde Kritik kann man deswegen als Kritik der Anwendung der verifikationistischen Verstehenstheorie auf den Paradefall von Aussagesystemen verstehen, bei denen wir unbestritten von der Wahrheitsfähigkeit der einzelnen Aussagen ausgehen. Damit gehen wir aber auch aus von der Beziehung der in ihnen verwendeten außerlogischen Ausdrücke auf etwas für die Sprache, in der die Aussagensysteme verfasst sind, als unabhängig Vorausgesetztes aus. Es sind dies die erfahrungswissenschaftlichen Theorien. Diese wären ja nicht mehr als solche identifizierbar, wenn die in ihnen verwendeten deskriptiven Begriffe nicht als - zumindest in erster Näherung - wirklichkeitsbezogen interpretierbar zu verstehen wären. Wenn dies schon bei empirischen Theorien nicht gegeben wäre, dürfte es schwer sein, andere Beispiele für Referentialität im angesprochenen Sinne zu finden. 2.1.2. Putnams Kritik In der eingangs genannten Arbeit nimmt Putnam an mehreren Punkten dieser Konzeption Anstoß. Seine Strategie dabei ist es, die Verschmelzung von evidentiellen und interpretativen Fragen in bezug auf einzelne Ausdrücke oder Aussagen aufzuheben. Zunächst macht Putnam aus pragmatischer Perspektive Gründe dafür geltend, dass die vorgeschlagene Unterscheidung nicht allgemein und präzise zwischen den in den Wissenschaften in Verwendung befindlichen, d.h. bereits interpretierten Ausdrücken durchgeführt werden kann. Wenn die Unterscheidung als Dichotomie getroffen wird, dann gilt, dass ein Ausdruck genau dann ein theoretischer Term ist, wenn er kein Beobachtungstenn ist. In diesem Falle ergeben sich jedoch bei Analyse der tatsächlich als solche anerkannten Wissenschaften und ihrer Praktiken schwer abzuweisende Ausnahmen. Dass die 'definitive' Feststellung der Wahrheitswerte Basissätze nicht ohne weitere semantischerkenntnistheoretische Voraussetzungen (ausser den bekannten Idealisierungen) auskommt, hatte sich bereits in der sogenannten Protokollsatzdebatte herausgestellt (hierzu vgl. Koppelberg.D.: Die Aufhebung der analytischen Philosophie, Frankfiirt 1987, Kap.I), beeinträchtigte allerdings zunächst nicht den Versuch, semantische Voraussetzungen durch epistemische Fragen und Reduktionsversprechen wegzuerklären. Dies wurde erst innerhalb der immer weitergehenden Abschwächung des 'Sinnkriteriums' deutlich (vgl. Hempel, C.G.: "Problems and Changes in the Empiricist Criterion of Meaning", in: Linsky,L.: Semantics and the Philosophy of Language, Urbana 1952, 163-88; Stegmüller, W.: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheone und Analytischen Philosophie. Band II: Theorie und Erfahrung, Berlin/N. Y. 1970, 181-212.
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Wie man am Beispiel der psychologischen Prädikate erkennen kann, handelt es sich nicht bei allen Verwendungen von üblicherweise über unbeobachtbare Gegenstände interpretierten Ausdrücken um theoretische Begriffe im Sinne der Eigenbegriffe akzeptierter Theorien. Selbst wenn man sie jedoch als termini technici auffassen wollte, ergäbe dies das merkwürdige Resultat, dass die Verwendung psychologischer Prädikate aus der ersten Person Singular hypothetisch würde. Putnams erste These lautet also: Many terms that refer primarily to what Carnap would class as 'unobservables1 are not theoretical terms (...)· (217) Dies spricht jedoch gegen die dichotomische Aufteilung des interpretierten Vokabulars im Sinne der ersten Unterscheidung: the identification of 'theoretical term' with 'term (...) designating an unobservable quality' is unnatural and misleading. (...) it is clearly an enormous (...) extension of common usage to classify such terms as 'angry', 'loves', and so forth, as 'theoretical terms' simply because they allegedly do not refer to public observables. (219)
Auch in der anderen Richtung treten solche Unstimmigkeiten auf, denn verschiedene höchst abstrakte und als wissenschaftliche Theorien anerkannte Systematisierungen von Erfahrungsdaten kommen fast ausschließlich mit Begriffen aus, die sich auf Beobachtbares beziehen (Putnam nennt Darwins Version der Evolutionstheorie) (vgl. 217). Schliesslich lassen sich prinzipiell alle Begriffe auf Unbeobachtbares beziehen, ohne dass dadurch unklar würde, was die sie enthaltenden Aussagen bedeuten; man denke nur an das Gedankenexperiment einer mikroskopischen Replica seiner eigenen alltäglichen Umwelt. Man würde kein logisch-semantisches, kein Verständnisproblem hinsichtlich ihrer Beschreibung haben, wenn alles "unsichtbar klein" wäre, aber ansonsten genauso wie immer (also man selbst einen roten Pullover tragen würde, der unsichtbar klein ist etc.), sondern nur ein physikalisches Problem, eben das der Feststellung, was in dieser Welt vorgeht. Putnams Fazit für den Versuch der Bestimmung des Begriffs des Beobachtungsbegriffs lautet dementsprechend: if an Observation term' is a term which can, in principle, only be used to refer to observable things, then there are no observation terms. (218)
Diese Feststellung des Fehlschiagens einer allgemeinen Einteilung des interpretierten Vokabulars empirisch gehaltvoller Überzeugungssysteme erhält nun durch eine nähere Analyse der Interpretationspraxis noch eine wesentlich tiefer reichende Wendung. Beobachtungsergebnisse wie das des Ablesens der Temperatur an einem Thermometer oder die Bestimmung des Drucks in einem gasgefüllten Behälter werden genauso wie Beschreibungen experimenteller Handlungen mit Hilfe von Begriffen formuliert, die im Sinne der ersten Unterscheidung auf nicht direkt Be-
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obachtbares bezug nehmen, deren Bezug auf Gegenstände jedoch nicht im selben Moment angezweifelt oder als nur stipuliert aufgefasst werden kann, wie sie zur Beschreibung von Beobachtungen verwendet werden68 (auch Carnap hat ja daran keinen Zweifel; denn sonst gäbe es ja überhaupt keine empirischen Sätze mehr). Ihr genauer Sinn kann allerdings nur im Rahmen anerkannter Theorien bestimmt werden. Ausserdem werden sie häufig mit ausgeklügelten Techniken gemessen, für deren Entwicklung wiederum viel theoretisches Wissen erforderlich ist. Putnam erläutert dies anhand des zumindest häufig in Messaussagen verwendeten Begriffs "elektrische Ladung" so: when the physicist talks about electrical charge, he is talking (...) about a certain magnitude that we can distinguish from others partly by its 'formal' properties (e.g. it has both positive and negative values, whereas mass has only positive values), partly by the structure of the system of laws this magnitude obeys (as far as we can presently tell), and partly by its effects.®
Der Gebrauch ernes solchen Begriffes als Beobachtungsbegriff setzt also nicht nur die Idealisierungen über den Beobachter voraus (dass er nüchtern und ehrlich ist etc.), sondern auch das Akzeptieren bestimmter allgemeiner Aussagen als wahr von dem, was gemessen wird, nämlich elektrische Ladung. Die Existenz dieser Wirklichkeitsdimension kann, wenn sie gemessen wird, nicht in zugleich im Zweifel stehen, denn eine Messung stellt ja nichts weiter als die Feststellung bestimmter Wirkungen auf Instrumente dar, denen man einen Zahlenwert zuschreibt. Nimmt man also an, dass etwas gemessen wird, so nimmt man die Existenz dieser Wirkungen an. Bei der Beobachtung der Effekte, durch die man einen Wert bestimmt, nimmt man allerdings damit schon bestimmte empirische Aussagen als wahr an, die die Existenz eines - sogar messbaren - Phänomenbereichs implizieren, wenn die Wirkungen vorliegen. Diese Aussagen werden die Wirkungen durch formale und begriffssystematische Strukturen als Instanzen von Interaktionen zwischen bestimmten Entitäten und Instrumenten rekonstruieren. Besteht ein solches System, dann stellt das Vorliegen von bestimmten Wirkungen in bestimmten Situationen einen Erfüllungsfall der formalen und begriffssystematischen Postulate dar, und demzufolge ist die Negation der Existenz von etwas in der Wirklichkeit, das diese Strukturen instantiiert, nicht verträglich mit der Feststellung dieser Wirkungen. Messpraktiken sind allerdings nicht solche sozusagen Ian Hacking macht dies in seiner pragmatischen Analyse experimentellen Handelns klar. Er weist daraufhin, dass die Subsumptionsauffassung der Funktion wissenschaftlicher Theorien (die deren Hauptaufgabe in der Systematisierung von Erfahrungsdaten sieht) eine zu geringe Trennschärfe aufweist und dazu fuhrt, dass bestimmte Handlungsweisen nicht als vernünftig rekonstruiert werden können: "The vast majority of experimental physicists are realists about some theoretical entities, namely the ones they use. (...) Experimenters are often realists about the entities that they investigate, but they do not have to be so. (...) Experimenting on an entity does not commit you to believing that it exists. Only manipulating an entity, in order to experiment on something else, need do that." (Hacking, I.: Representing and Intervening, Cambridge MA, London 1983,262-3) 69 "A Philosopher Looks at Quantum Mechanics", in PPI, 130-158, 131.
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ursprünglichen Entdeckungen, sondern Praktiken, die bereits bestimmte Muster von Wirkungen voraussetzen und sie in quantitativer Hinsicht ordnen. Zu sagen, dass ein messbarer Effekt vorliegt, aber nichts mit meinem Instrument interagiert habe, ist selbstwidersprüchlich. Eine Messpraxis geht also notwendigerweise vom unproblematischen Charakter der Existenzannahme der gemessenen Dimension aus, und setzt damit die Wahrheit oder ErfülUheit von Strukturen, durch die der Begriff strukturiert wird, in der gemessenen Wirklichkeit voraus. Analog zu dieser Annahme setzt man, wie bereits bemerkt, beim Gebrauch der meisten Ausdrücke für quantitative Größen die Axiome der Quantität70, ein bestimmtes System von im Untersuchungsbereich gültigen Naturgesetzen und bekannte Ergebnisse aus dem experimentellen Bereich voraus. AU das sind Annahmen über die Struktur des Gegenstandsbereichs, die nicht im selben Moment beobachtet werden, in dem gemessen wird, und zum Teil solche Strukturen, die unmöglich beobachtet werden können. Trotz allem zählen die Aussagen, in denen solche Begriffe vorkommen, in den Fällen, wo sie zur Bestätigung oder Schwächung einer bestimmten Theorie verwendet werden, als einfache Beobachtungs- oder Messaussagen. Umgekehrt sind die Begriffe für viele öffentlich beobachtbare Gegenstände (wie 'Satellit') zugleich Grundbegriffe abstrakter Theorien. Solche Beobachtungsbegriffe sind also zugleich auch Eigenbegriffe einer Theorie. Die mit ihnen gebildeten Protokollsätze sind in anderen Kontexten (für andere Menschen) theoretische Aussagen. Putnam stellt daher fest: at least some theoretical terms refer primarily to observables (...) Observational reports can and frequently do contain theoretical terms. (217).71 Es ist vielmehr davon abhängig, in welchen Übe üfungszusammenhängen ein Begriff erscheint, ob er als theoretischer Begriff zählt oder als unproblematisch verwendbarer Beobachtungsbegriff verwendet wird, um die Prüfsituation und das Prüfergebnis zu beschreiben. Die Überprüfung bestimmter Hypothesen einer Theorie kann die unproblematische Voraussetzung der Wahrheit anderer Theorien und damit der referentiellen Interpretiertheit des entsprechenden Teils ihrer Grundbegriffe implizieren, ohne dass die deskriptiv verwendeten Begriffe deshalb schon für die Prüfenden problematisch in ihrer Anwendung werden müssten (sie können beispielsweise sehr geübt im Ablesen von Temperaturen und im Messen von Härtegraden sein, ohne deshalb schon akzeptieren zu müssen, dass sie Härtegrade 'direkt beobachten'). Die Einschätzung eines Begriffs als un0
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Eine klassische Darstellung derselben findet sich in Holder, O.: "Die Axiome der Quantität und die Lehre vom Mass", Berichte der Sächsischen Gesellschaß der Wissenschaften, mathematischphysikalische Klasse 1901, 1-64. Auf die Bedeutung dieser Beobachtungen für die Methodologie und deren Folgen für den Operationalismus weist bereits C.G. Hempel in seinem Aufsatz "A Logical Appraisal of Operationism" (orig. in Scientific Monthly I, 79 (1954), 215-20, Nachdruck in Brody, B./Grandy, R.E. (eds.): Readings in the Philosophy of Science, Englewood Cliffs 21989, 12-21).
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problematisch anwendbar hängt auch davon ab, in welchem Entwicklungsstadium der jeweiligen Disziplin er verwendet wird, und auch davon, wer ihn in diesem Stadium verwendet. Wenn es eine methodologische Unterscheidung zwischen den Voraussetzungen der Situation der Prüfung einer Theorie und denen der Verwendung der zu prüfenden Theorie zu möglichst einfachen, allgemeinen und zusammenhängenden Erklärungen einer (in für diese Theorie nicht theoretischen Begriffen beschriebenen) Phänomengesamtheit gibt, dann kann diese erstens nur pragmatisch-kontextuell und nicht prinzipiell sein.72 Es ist genauso unvertretbar, von einer 'direkten' Interpretation für bestimmte privilegierte Begriffe 'durch die Beobachtung1 auszugehen, wie von der Determinierung der von der Theorie erklärten Gegenstände und Zusammenhänge durch die Theorie allein. 'Unproblematisch' sind Begriffe vielmehr lediglich dann, wenn die Interpretation unbemerkt verläuft, d.h. die Begriffe verstanden sind und dies zur Anwendung faktisch ausreicht, und 'problematisch' genau dann, wenn die Ergebnisse ihrer Anwendung nicht von der Theorie allein, sondern zusätzlich von weiteren Faktoren bestimmt werden, d.h. das für das Verständnis der Begriffe gegebene Wissen ihre Anwendung nicht vollständig prädeterminiert. Zweitens muss eine solche Unterscheidung, wenn man sie pragmatisch trifft, auf weit mehr als das Vokabular bezug nehmen, denn zur Bestimmung der Voraussetzungen der Verwendung von in ei72
W. K. Essler schlägt in Wissenschaftstheorie U, 112 daher vor, die Unterscheidung zwischen Beobachtungs- und theoretischen Begriffen auf Sprecher und deren Fähigkeiten und Zeitpunkte zu relativieren - womit die Unterscheidung als pragmatisch expliziert wird. Dies erlaubt davon zu sprechen, dass ein gegebener Begriff für eine Person, etwa am Beginn der Oberstufe, theoretisch ist, aber später, wenn sie 'auf erworbenes Wissen aufbaut', von ihr in unproblematischer Weise gebraucht und für Urteile zugrundegelegt wird. Ein einleuchtendes Beispiel sind die Farbbegriffe im Verlaufe des Spracherwerbs. "Gelb" dürfte für die meisten Sprecher über vier Jahre als Beobachtungsbegriff gelten, "Ockergelb", "Magenta", und andere Begriffe für Schattierungen jedoch wohl sogar für erwachsene Sprecher zunehmend theoretisch sein, d.h. nur unter Zuhilfenahme von Schlussfolgerungen aus Regelsystemen (in diesem Falle Urteilen der Art (für Ocker) "brauner als Eidotter, heller als hellbraun, gelber als beige") verwendbar. Diese Relativierung scheint mir vollkommen in Putnams Sinne. Putnam schlägt nämlich in "The Analytic and the Synthetic" eine ähnliche Relativierung von Urteilen über Begriffe in Hinsicht auf die epistemischen Voraussetzungen ihrer Verwendung vor. Näheres dazu s.u., 2.2. Sehr deutlich wird der Grund für die Relativierung, wenn man sich den Spracherwerb vergegenwärtigt. Im Verlaufe des Erwerbs der Farbbegriffe bekommt man sicherlich irgendwann gesagt: "Bordeauxrot ist ein leicht blau gestochenes Rot, das aber nicht Violett ist". So lange man nur über den Begriff "Rot" und vielleicht "Violett" verfugt, ist "Bordeauxrot" in diesem Vokabular analytisch definiert. Doch es ist nicht abwegig, dass man mit der Zeit anhand von Beispielen bordeauxroter Gegenstände eine Gesetzmässigkeit feststellt wie "Alle bordeauxroten Gegenstände gefallen mir besonders gut, aber nur, wenn sie nicht zu lila sind", auf die sich, wenn sie bekannt wird, auch andere (beim Aussuchen von Geschenken) verlassen können. Dann würde "bordeauxrot" zu einem 'law-cluster term', wie Putnam sagen würde (vgl. u., I.2.2.), der auf von den beiden anderen Begriffen unabhängige Weise erklärt und verwendet wird, und dessen Anwendung, beispielsweise im Bereich der mich interessierenden Gegenstände, von Gesetzmäßigkeiten diktiert wird. Ein Beispiel aus der Geschichte der Naturwissenschaft ist der Ausdruck "Atom", der aus einem analytisch definierten Terminus der griechischen Kosmologie (kleinster, nicht weiter teilbarer Teil des Universums) zu einem im Netzwerk der Gesetze der Mikrophysik auf vielen unabhängigen Wegen in seiner Anwendbarkeit spezifizierten Begriff geworden ist.
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ner epistemischen Situation gegebenen Begriffen muss der theoretische Rahmen der vorausgesetzten Theorie als Überzeugungssystem herangezogen werden. Bei der Beurteilung der epistemischen Rolle eines Begriffes bedarf es evidenterweise der Reflexion auf die epistemsche Situation und die in ihr gültigen und verfügbaren Urteile, Begriffe und sonstigen Urteilsbedingungen: in order to explain why A is not itself questioned in the context, we need to be able to say that A is functioning, in that context, as an observation report. (..-)! do not deny the need for some such notion as Observation report'. What I deny is that the distinction between observation reports and, among other things, theoretic statements, can or should be drawn on the basis of vocabulary. (...) no sharp line exists between the two classes. (220)73
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Der Fairness halber darf nicht unterschlagen werden, dass Carnap sowohl in den Grundlagen der Logik und Mathematik, als auch in seiner Vorlesung Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, ausdrücklich betont, dass die Beobachtbarkeit von Eigenschaften von Dingen eine Eigenschaft von Eigenschaften ist, die ein mehr und ein weniger zulässt; dies hebt er im zuletzt genannten Text hervor, wenn er sagt: "Es gibt ein Kontinuum von Bedeutungen [von "observabel", A.M.], das bei den direkten sinnlichen Wahrnehmungen beginnt und bis zu ganz außerordentlich komplizierten indirekten Beobachtungsmethoden fortschreitet. Man kann offensichtlich dieses Kontinuum nicht durch eine scharfe Linie unterteilen." (226) Es darf allerdings auch nicht unterschlagen werden, dass Carnap trotz dieser Einsicht nur eine Seite weiter die Dichotomisierung der Wissenschaftssprache anhand des Vokabulars erneut einfuhrt: "Ein theoretisches Gesetz unterscheidet sich von einem empirischen nicht dadurch, dass es nicht so gut begründet ist, sondern dadurch, dass es Ausdrücke einer anderen Art enthält. Die Ausdrücke von theoretischen Sätzen beziehen sich nicht auf Observable, auch wenn man dieses Wort in dem weiten Sinne des Physikers versteht. Es sind Gesetze über solche Dinge wie Moleküle, Atome, Elektronen, Protonen, elektromagnetische Felder und so weiter, die man nicht einfach messen kann." (227) Dass er sich der Schwierigkeiten damit bewusst war, was sich an der Ungenauigkeit der Charakterisierung des Unterschiedes bei der Einführung: "Man nimmt manchmal die Unterscheidung zwischen Makro- und Mikrobegriffen als Parallele zu der Unterscheidung von Observablen und Nicht-Observablen an. Es ist nicht genau das Gleiche, aber ungefähr. Ich benütze den Ausdruck 'theoretische Gesetze' in einem weiteren Sinn, der alle jene Gesetze umfasst, die Nicht-Observable enthalten" (227). Nach dieser Unterscheidung innerhalb der Gesetze nimmt sich seine Verteidigung der Dichotomic auf der Ebene der Begriffe eigentümlich apodiktisch aus: " Es trifft zwar zu, dass man (...) die Begriffe "Observable" und "Nicht-Observable" nicht scharf definieren kann, weil sie kontinuierlich ineinander übergehen. In der Praxis ist aber der Unterschied gewöhnlich so gross, dass man nicht darüber zu streiten braucht [Herv.v.mir]. (...) Es ist wahr, dass sich [bestimmte, A.M.] theoretische Begriffe (...) nur durch den Grad unterscheiden, in dem sie direkt oder indirekt beobachtbar sind. Aber der Unterschied ist so gross, dass es ganz klar ist, dass die Gesetze, die man formulieren muss, von ganz anderer Natur sind, [Herv.v.mir]" (228-9). Dass Carnap im Grunde einen anderen Unterschied im Auge hatte, der überhaupt erst erklärt, warum eine Aufsrufung innerhalb der Theoriesprache überhaupt sinnvoll erscheinen kann, sieht man daran, dass die Verteidigung keinen Bezug auf die Eigenschaften des Vokabulars mehr nimmt, sondern auf die epistemischpragmatischen Funktionen der Gesetze, in denen sie vorkommen: "Theoretische Gesetze verhalten sich zu empirischen Gesetzen ungefähr so, wie die empirischen Gesetze sich zu den Einzeltatsachen verhalten. (...) mit einem theoretischen Gesetz [kann man, A.M.] schon formulierte empirische Gesetze erklären und neue empirische Gesetze ableiten." (229)
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Putnams auf diese Weise in den Rahmen eines epistemischen Holismus (bzw. präziser: einer kontimästischen Auffassung der epistemischen Status von Überzeugungen) eingestellter Begriff des theoretischen Begriffs ist daher einfach: A theoretical term, properly so called, is one which comes from a scientific theory. (219)
Diese Korrekturen bedeuten allerdings das Aufbrechen einer Spannung innerhalb des Schlusses von der Beobachtung auf die Existenz, der im Hintergrund der zweiten Unterscheidung stand. Der Vorschlag Putnams ist nämlich zwar deflationistisch, geht aber im Gegensatz zum von ihm kritisierten Ansatz nicht von einem Urteil über die epistemischen Eigenschaften der Referenten von Begriffen aus. Im Gegenteil eröffnet sich durch diese holistische Korrektur gerade erst wieder die Aussicht, eine Erklärung für die Interpretierbarkeit der im Zwei-Stufen-Modell als problematisch erklärten Begriffe zu formulieren. Im Anschluss an die oben genannte Feststellung über die Beobachtungsbegriffe und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch die Interpretation der in Beobachtungssituationen verwendeten Begriffe theoretische Hintergrundannahmen erfordert, kann Putnam nämlich sagen: If (...) it is granted that locutions consisting of just observation terms can refer to unobservables, there is no longer any reason to maintain -either that theories about the unobservable parts of the world must contain 'theoretical (=non-observational) terms' or that there is any general problem as to how one can introduce terms referring to unobservables. (218-9)
Die verifikationistisch-phänomenah'stische Lokalisierung der Grundlage der Bedeutung (nicht der Rechtfertigung) in der Beobachtung stellt sich vielmehr als in sich unklar heraus, weil die intendierte Zuruckfuhrung theoretischer Aussagen auf Beobachtungsaussagen selbst dann, wenn sie möglich und sinnvoll wäre, auf keine Basis trifft, auf der die Wahrheitswerte von Aussagen oder der Bezug der in ihnen verwendeten Ausdrücke wirklich direkt oder unproblematisch (d.h. ohne Zuhilfenahme weiterer Annahmen - "unbedingt", "voraussetzungslos" - bestimmt) wäre. Damit jedoch wird die gesamte Konstruktion fragwürdig, die ja davon ausging, dass wir die wahrheitssemantisch definierte Bedeutung von Aussagen zumindest teilweise durch die Angabe anderer, hinsichtlich ihres Wahrheitswertes voraussetzungslos vollkommen bestimmter Aussagen erkennen können, und dass wir so in umgekehrter Richtung Auskunft über den Bezug der in ihnen verwendeten außerlogischen Ausdrücke erhalten könnten und diese so zu verstehen und zu verwenden lernten. Wie eben gesehen, bleibt diese Strategie jedoch schon im Ansatz stecken, weil erstens bereits in der Interpretation der Beobachtungsbegriffe weitere Annahmen stecken und zweitens auch die theoretischen Begriffe selbst hinsichtlich ihrer Anwendung im Zusammenhang mit anderen Begriffen der Theorie bestimmt werden. Eine präzise Angabe der Bedeutung eines solchen Ausdruckes müsste also auch diese Komponenten in Betracht ziehen.
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Doch wenn man die Randbedingungen und theoretischen Zusatzannahmen als Prämissen mit in ein als Begründung für die Annahme der Wahrheit einer theoretischen Aussage konzipiertes Beobachtwgsurtäl (also z.B. die aus der Theorie abgeleitete Voraussage) miteinbezieht, dann ist nicht nur eine Differenz in einer philosophischen Theorie verwischt, sondern es ergibt sich ein prinzipielles Problem für die Idee der Bestimmung der Bedeutung einer Aussage durch die Methode der Verifikation. Denn nun ist ja nicht mehr unmittelbar ersichtlich, welche der Prämissen im gegebenen Fall dazu angerührt werden muss, dass eine gegebene Aussage im in der Prüfsituation gegebenen Gesamtsystem von Beobachtungs- und theoretischen Aussagen falsch ist; neben der zur Prüfung anstehenden theoretischen Aussage kommen ja nun auch noch andere Aussagen dafür in Betracht. Die von Quine so pointiert zusammengefasste Grundidee, wie die Verifikation zur Bedeutungsbestimmung innerhalb theoretischer Gebilde fuhren könne, nämlich "that each statement, taken in isolation from its fellows, can admit of confirmation or infirmation at all"74 erweist sich jedoch dann als prinzipiell im Bereich der Verwendung und Prüfung empirischer Theorien unanwendbar. Quines berühmte Verwertung der hinter dieser Grundidee stehenden epistemischen Position ist daher: "My countersuggestion (...) is that our statements about the external world face the tribunal of sense experience not individually but only as a corporate body. "75 Putnams Folgerung bezieht sich dagegen auf den dem Zwei-Stufen-Modell zugrundeliegenden bedeutungs- bzw. referenztheoretischen Ansatz: The problem is (...) the problem of 'interpreting', that is, giving the meaning of theoretical terms in science. (...) Why should one not be able to give the meaning of a theoretical term? (Using, if necessary, other theoretical terms, 'broad spectrum terms' etc.) The problem might be restated - to give the meaning of theoretical terms, using only observation terms. But then, why should we suppose that this is or ought to be possible? (225)
Damit ist deutlich, weswegen Putnam im kritischen Teil von "What Theories Are Not" sagt: The problem for which the dichotomy was invented ('how is it possible to interpret theoretical terms?') does not exist. (216)
Gerade dann, wenn man die Etablierung der Existenz der Referenten der überprüften Theorie vom Ausgang experimenteller Prüfungen abhängig macht, bei denen jedoch ihrerseits theoretische Vorannahmen als erfüllt angesehen werden müssen, kann nämlich nicht allgemein an der Existenz von Gegenständen gezweifelt werden, die im Sinne der ersten Unterscheidung nicht mit vorgängig als Ausdrücke für Beobachtbares bestimmten Ausdrücken aus einer erweiterten All-
75
"Two Dogmas of Empiricism", 41. "Two Dogmas of Empiricism", 41.
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tagssprache bezeichnet werden.76 Doch dann steht auch nicht mehr das allgemeine Problem im Raum, mit den für die Bezeichnung solcher Gegenstände eingeführten Begriffen über etwas sprechen zu können, d.h. sich mit ihnen auf etwas zu beziehen, weil man die Möglichkeit der Bezugnahme mit Begriffen, die nur unter Zuhilfenahme theoretischer Strukturen genauer expliziert werden können sowieso bereits bei der Verwendung der unproblematischen Termini als erfüllt voraussetzt (nur, dass man eine solche Explikation in diesem Fall normalerweise nicht geben, besitzen oder geben können muss). Die lein formale Voraussetzung, dass es der Fall ist, dass man über etwas redet, wenn es sich bei der Sprache, die man verWie im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausfuhrlicher zu sehen sein soll, ergibt sich an dieser theoretischen Stelle im Falle Carnaps ein hochinteressanter Konflikt zwischen der von ihm vertretenen semantischen Interpretationstheorie und der von ihm gleichzeitig vertretenen epistemischen Begriffstheorie im Rahmen des Verifikationismus. Carnap besteht nämlich in seiner semantischen Theorie darauf, dass die Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem einer Sprache nur denotativ zu verstehen sei, solange man sie gebraucht, um Aussagen über die Wirklichkeit zu machen. Nur wenn dies (was ja der essentielle Bestandteil des "kognitiven Wertes", d.h. der Wahrheitsfähigkeit der Aussagen ist) für eine benutzte Sprache vorausgesetzt werden könne, habe es auch Sinn, zwischen mehreren eine Wahl zu treffen, um empirische Aussagen zu machen: sie müssen zumindest für diesen Zweck in Frage kommen, sonst wären sie schon vor der Wahl ausgeschieden. Von allen in Frage kommenden Sprachen muss also vorausgesetzt werden, dass sie referentiell auf die Wirklichkeit hin interpretierbar sind, innerhalb derer die Wahl stattfindet (was bei Carnap nach Quines Kriterium bedeutet, dass die die über diese Welt laufenden Variablen bindenden Quantoren referentiell interpretiert werden). Nach Annahme einer bestimmten Sprache ist erstens entschieden, was es gibt, und zweitens, was der Fall ist, wenn eine Aussage wahr ist; innerhalb einer Sprache müssen wir also Realisten sein, und auch bei der Wahl. Damit gerät nun aber sein erkenntnistheoretischer Reduktionismus in Konflikt, der verlangt, dass die Referenten nicht nur vorausgesetzt, sondern auch durch Rückführung auf verifizierbare bzw. bestätigungsfähige Einzelaussagen "nachgewiesen" werden können müssen, wenn die Annahme der referentiellen Interpretierbarkeit theoretischer Begriffe kognitiven Wert haben soll. Erst dann ist die Voraussetzung des kognitiven Wertes, d.h. der referentiellen Verwendbarkeit eines theoretischen Begriffes gerechtfertigt. Die fragliche Reduktion kann man aber wiederum nur unter Rückgriff auf die Annahme der bereits vorgenommenen referentiellen Interpretation eines in Frage kommenden theoretischen Begriffes erklären, etwa so, dass die theoretischen Begriffe eines Systems einmal über - abstrakt als existent vorausgesetzte Gegenstände interpretiert und einmal über Messvorgänge konstruiert (die idealerweise nur Beobachtungen als Grundentitäten haben), und dann identifiziert man beides miteinander in Form einer geeigneten Äquivalenz, den Reduktionssätzen. Doch damit dies funktioniert, muss man (wie der Semantiker Carnap) bereits von der referentiellen Interpretierbarkeit aller in der Äquivalenzaussage enthaltenen außerlogischen Begriffe ausgehen, kann diese also nicht im selben Atemzug (wie der Erkenntnistheoretiker Carnap) als erst dadurch konstituiert angesehen werden. Dass die Bestimmung des Referenten an die Beobachtung gebunden ist, kann also gar nicht heißen, dass seine Existenz oder auch nur die Rationalität von deren Voraussetzung beobachtungsgebunden wäre. Doch für den Erkenntnistheoretiker Carnap bedeutet das Faktum der erkenntnistheoretischen Unterbestimmtheit der Referenten zugleich, dass die von seiner eigenen semantischen Theorie geforderte kognitivistische Haltung unfundiert und daher letztlich das Ergebnis von der Gewöhnung an Konventionen ist. Den ersten, mit einem semantischen Interpretationsbegriff arbeitenden und die pragmatisch-reflexive Dimension von Entscheidungen über theoretische Strategien betonenden Carnap könnte man sicher nicht zu Unrecht als einen Vorläufer des "internen Realismus" bezeichnen. Auf die Grundzüge einer solchen etwas "realistischeren" Lesart Carnaps weist G.H. Merill in seinem Aufsatz "Three Forms of Realism" (American Philosophical Quarterly 17 (1980), 229-35) hin, vgl. bes. 230.
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wendet, um theoretische Aussagen zu machen, um eine gedeutete Sprache handelt, und bei der Theone um eine empirische, ist den konkreten Rechtfertigungen von Behauptungen in der Pragmatik der Theorie vorgegeben und nicht ihr Ergebnis?1 Aus dieser pragmatisch motivierten Korrektur der Zwei-Stufen-Konzeption mit Hinweis auf die systematischen Struktur der Überzeugungsbildung ergeben sich nun wiederum Folgerungen, die den Ausgangspunkt für einen wissenschaftlich-realistischen Standpunkt bezüglich wissenschaftlicher Theorien bilden: Zunächst kann man theoretische Begriffe (im Sinne Putnams) - wie alle anderen Ausdrücke, mit denen Behauptungen formuliert werden können, die empirisch rechtfertigungsfahig sind - generell referentiell interpretieren78, wenn dies überhaupt mit irgendwelchen Begriffen der Fall ist. Der generelle Zweifel an der Möglichkeit der Referentialität theoretischer Begriffe, der den Anlass für das Zwei-Stufen-Modell gegeben hatte, erweist sich angesichts des systematischen Charakters der Ausbildung von Überzeugungen und deren Voraussetzungen als unbegründet oder, da die Voraussetzung unverzichtbar und zugleich irreduzibel auf eine beschränkte, epistemisch privilegierte Basis ist, als inadäquat. Mit der Voraussetzung der Referentialität eröffnet sich vielmehr erst die Möglichkeit der Annahme von Gegenständen, über die die theoretischen Begriffe der modernen Wissenschaft interpretiert sind. Die Voraussetzung, dass ein gegebener theoretischer Begriff (im Sinne Putnams) in einem bestimmten Falle berechtigterweise als referentiell interpretiert aufgefasst werden kann, wird zwar sicherlich durch die in Beobachtungs- und Experimentbeschreibungen und ihren Ergebnissen im selben Masse gestärkt oder geschwächt, wie die Theorie, die sie enthält, dadurch mehr oder weniger akzeptabel wird. Dies heisst allerdings nicht, wie der Verifikationismus behaupten würde, dass die abstrakten Aussagen deshalb dasselbe bedeuten oder nur insoweit referentiell interpretierbar sind wie die Gesamtheit der zu ihrer 77
Vgl. Essler, W.K.: Wissenschaftstheorie //,11l. Das bedeutet nicht, dass jeder in einer Theorie verwendete Begriff einen Referenten zugeschrieben zu bekommen hat. Natürlich ist dies nur für die in der minimalen Formulierung der Theorie übrigen Begriffe nötig. Weiterhin bedeutet es auch nicht, dass die Möglichkeit, sich auf etwas zu beziehen, grundsätzlich als in der empirischen Welt erfüllt angesehen werden müsste. Vielmehr können sich die mit den referentiell interpretierten Begriffen einer Theorie aufgestellten Behauptungen natürlich in einem massiven Sinne als unzutreffend erweisen und daher die Voraussetzung in Zweifel geraten, dass es sich bei diesen Begriffen überhaupt um wissenschaftlich nützliche Begriffe handelt, d.h. ob sie entweder präzise genug sind, um auf etwas Bestimmtes bezug nehmen zu können oder aber ob die Theorie, in der sie sich befinden, überhaupt über keine empirischen Gegenstände spricht. Putnam bringt dafür in "Craig's Theorem" (Orig. 1965, PPI, 228-36) ein naheliegendes Beispiel: "The word 'God', for example, certainly has meaning. It does not follow that it belongs in science - but it does not belong not because it is 'nonsignificant', but just for the obvious reason - that there are no scientific procedures for determining whether or not God exists or what properties He has if He does exist. Whether or not the word should be employed as it is in «unscientific contexts is another question. However, in the case of 'radio star' one could hardly argue 'there are no scientific procedures for detecting radio stars'. Thus 'radio star' is not only an expression with a meaning, but one which is usable in science [Herv.v.mir]." (236)
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Begründung herangezogenen Beobachtungsaussagen. Dieses non-sequitur zwischen Fakten der Bestätigungstheorie und Behauptungen über die Grenzen der Interpretierbarkeit abstrakter Begriffe in wissenschaftlichen Praktiken stellt Putnam in einem anderen Artikel79 klar heraus, wo es heisst: It is quite true that we 'verify' statements about unobservable things by making suitable observations, but I maintain that without imposing a wholly untenable theory of meaning, one cannot even begin to go from this fact to the wildly erroneous conclusion that talk about unobservable things and theoretical magnitudes means the same as talk about observations and observables. Der Kurzschluss zwischen Bestätigung und Bedeutung kann (bzw. darf) jedoch wie gesehen auch aus anderen Gründen nicht richtig sein, selbst wenn man Quines radikale (und als solche ja nicht klar begrenzte) Schlussfolgerung nicht ziehen will. Man könnte sich ja alle Voraussetzungen, Idealisierungen und Randbedingungen und Beobachtungsaussagen als im wesentlichen explizit angegeben denken und die These der Bestimmung der Bedeutung durch die Methode der Verifikation auf solche Fälle beschränken, in denen dies wenigstens annähernd möglich ist. Dann wäre tatsächlich eine Aussage hinsichtlich ihrer Verifikationsbedingungen ausreichend bestimmt, aber eben nur durch eine - theoretisch inhomogene Klasse weiterer Aussagen. Dies wäre eine Form, die von Quine genannte und verworfene Idee der Verifikationstheorie der Bedeutung weiter aufrecht zu erhalten. Auch dann kann aber der exakte Parallelismus und die Identifikation von Bedeutung und Bestätigung nicht gelten, wenn wir theoretische Aussagen überhaupt prüfen können wollen. Denn für die Prüfung einer Aussage muss man ja davon ausgehen, dass das Ergebnis der Prüfung von der Wahrheit oder Falschheit von von ihr logisch unabhängigen Aussagen abhängt. Deswegen können gerade nicht alle Aussagen, die a posteriori die Wahrheit oder Falschheit einer zu prüfenden Aussage bestimmen, in einer a priori gegebenen Aussagenmenge enthalten sein. Zumindest diejenigen Aussagen, die in einem bestimmten Fall den Ausschlag dafür geben, ob die betreffende Aussage zutrifft oder nicht, können nicht von vornherein in dieser Menge enthalten sein. Wenn jedoch theoretische Begriffe bzw. die sie enthaltenden Aussagen nur insoweit interpretiert wären, wie man partikulare Beobachtungsaussagen bzw. Charakterisierungen von Testmethoden und Ergebnissen zum Erhalt von solchen angeben kann, aus denen sie logisch folgen, dann würde man die Bedeutung der Aussagen entweder nicht vor der Kenntnis der entsprechenden aposteriorischen Aussagen angeben können, und damit nicht von ihrer Verwendbarkeit ausgehen können, oder, wenn man die Bedeutung kennte, sich bereits im Besitz der Wahrheitswerte der prüfenden Aussagen befinden und damit eine logische Abhängigkeit des Wahrheitswerts der zu 79
"A Philosopher Looks at Quantum Mechanics", 131.
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prüfenden Aussage von dem jeweiligen Vorwissen behaupten müssen. Wenn man die Prüfbarkeit von Aussagen und induktive Vorgehensweisen als entscheidendes Merkmal erfahrungswissenschaftlichen Vorgehens betrachtet, muss man also entweder sagen, dass die Kenntnis der Anwendbarkeitsbedingungen theoretischer (=zu prüfender) Aussagen und der in ihnen enthaltenen Tennini gegeben sein kann, ohne dass die Gesamtheit der Anwendungen durch das Vorwissen bestimmt ist oder, dass die Bedeutung von Aussagen, die erst a posteriori hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in bestimmten Situationen bestimmt werden können, "unbestimmt" wäre. Letzteres würde zugleich bedeuten, dass man mit den Ausdrücken, die als Aussagen verwendet werden, keine klaren Behauptungen aufstellen kann, bevor man nicht alle Prüfungsergebnisse kennt, was wiederum in Spannung damit steht, dass man im jeweiligen Prüfungsfalle wissen muss, was man geprüft hat, um zu entscheiden, ob der Ausgang der Prüfung positiv oder negativ ist. Daher schliesst Putnam unter Voraussetzung des induktiven Charakters der Rechtfertigung erfahrungswissenschaftlicher Aussagen auf ersteres. Die Bezugnahme mit theoretischen Begriffen, und damit die Möglichkeit der Aufstellung von Behauptungen mit ihnen, die klar genug sind, um einer eindeutigen Prüfung zugänglich zu sein, muss also unter Voraussetzung von Vorwissen und theoretischen Strukturen, die sie in Relation zu anderen Begriffen charakterisieren, als ausreichend bestimmt, aber nicht durch das verfügbare Wissen vorherbestimmt angesehen werden. In jedem Falle ist die Identifikation von (aposteriorischer) Rechtfertigung und (apriorischer) vollständiger Bedeutungsbestimmung jedoch unvereinbar mit dem induktiven Charakter empirischer Überzeugungsbildung. Die Engführung von Rechtfertigungs- und Interpretationsstrukturen fuhrt auch umgekehrt im Blick auf das Verständnis von als empirische Behauptungen intendierten Aussagen in wissenschaftlichen Kontexten zu merkwürdigen Ergebnissen. a) Wenn die Bedeutung eines theoretischen Begriffs bestimmt ist durch die Methode der Feststellung, ob ein beliebiger Gegenstand unter ihn fällt oder nicht, dann bedeutet die Entdeckung einer weiteren Methode der Feststellung der Wahrheit der Aussage "Dies ist F" eine Veränderung der Bedeutung des betreffenden theoretischen Begriffes, selbst wenn dieselben Gegenstände weiterhin unter ihn fallen und die Theorie sich nicht verändert hat, aus der er stammt. Dann kann man aber nach der Akzeptierung der neuen Methode mit der bis auf die Hinzufügung der neuen Methode unveränderten Theorie streng genommen nicht mehr dieselben Behauptungen aufstellen, da sich ja die Bedeutung der Begriffe geändert hätte, die sie enthält und hätte statt einem Zuwachs an empirischem Wissen von der stipulativen Veränderung der Grundbegriffe der geprüften Theorie auszugehen. b) In bestimmten Fällen kommt es, wenn theoretische Begriffe genau dann anwendbar sind, wenn die Wahrheit einer sie enthaltenden Identifikationsaussage feststellbar ist, zu Widersprüchen zwischen wahren allgemeinen Aussagen und ihren Instanzen, und zwar lediglich aus dem Grunde, dass die Instanzen physika-
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lisch oder technisch nicht realisierbar sind.80 Die Möglichkeit von unverifizierbaren Behauptungen unter in jedem pragmatischen Sinne korrekter Verwendung einer Theorie spricht also ebenfalls gegen die genannte Engführung. Putnam stellt mit Blick auf den in der Tat veränderten Hintergrund der Begriffsverwendung in solchen Fällen fest: "The method of verification may have been extended by the discovery, but this is only evidence that verification is not meaning." (223). 2.1.3. Putnams Gegenposition
Vor dem Hintergrund dieser Folgerungen geht Putnam nun daran, erne nichtepistemische Gegenposition zu formulieren, die den von ihm geltend gemachten pragmatischen Aspekten der Interpretation und Anwendung theoretischer Begriffe sowie der Prüfung theoretischer Behauptungen gerechter zu werden versucht. Aus dieser Analyse der pragmatischen Bedingungen der Theorienverwendung gelangt Putnam zu der Schlussfolgerung, dass solche Praktiken ohne die Unterstellung der Nichtdeterminiertheit von Objekten induktiven Räsonierens durch dessen epistemische Voraussetzungen seitens der Teilnehmer unverständlich blieben. Es handelt sich Putnams Ansicht nach bei unserem in der Tat (gegenüber allen logischen Möglichkeiten) nur partiellen Wissen im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffssystems einer akzeptierten Theorie eben um ein partielles Wissen über die Dinge, über die die Aussagen derselben interpretiert werden sollen, wie auch immer sie am besten beschrieben werden mögen. Dieses partielle Wissen besteht jedoch aus einer Gesamtheit von Aussagen, die als wahr gelten. Es ergibt sich ja nun die folgende Gegenfrage an die in der Zwei-Stufen-Konzeption implizite normative Anforderung an Aussagen, die als Erkenntnis würden gelten können: Why should all truths, even all empirical truths, be discoverable by probabilistic automata (which what I suspect we are) using a finite amount of observable material? Why does tiiefact [Herv.v.mir] that the truth value may be undiscoverable by us suggest to some philosophers - indeed, why does it count as a proof for some philosophers - that the proposition in question doesn't have a truth value? Surely, some kind of idealistic metaphysics must be lurking in the underbrush!81
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Putnams Beispiel lautet: "we certainly want to say that it has a definite truth value to say that there is a helium atom inside any not-too-tiny region X. But in fact, our test conditions (...) will not apply to small regions X in the interior of the sun (...). Thus we get the anomalous result: it is true to say that there are helium atoms in the sun, but it is neither true nor false that one of these is inside any given tiny subregion XI" (224) Auch die Herkunft und vor allem die argumentative Verwendung des Beispiels von Aussagen über die chemisch-physikalischen Eigenschaften der Sonne lässt sich übrigens auf Reichenbach zurückfiihren (vgl. Erfahrung und Prognose, §17). "Mathematics Without Foundations" (Orig. 1967), PPI, 43-59, 53.
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Dafür, dass diese Annahme überhaupt formuliert werden kann, und dafür, dass sie dann auch noch geprüft werden kann, muss die Interpretiertheit der in ihnen vorkommenden Ausdrücke vorausgesetzt werden. Die Einfuhrung theoretischer Begriffe verdankt sich Putnams Meinung in "Craig's Theorem" nach kognitiven Interessen, deren Rekonstruktion im Rahmen des Zwei-Stufen-Modells unmöglich ist: Why theoretical terms? Why such terms as 'radio star', 'virus', and 'elementary particle'? Because without such terms we could not speak of radio stars, viruses, and elementary particles, for example - and we wish to speak of them, to learn more about them [Herv.v.mir] to explain their behavior and properties better. (235)K
Theoretische Begriffe in Putnams Sinne sind also unverzichtbar für den Aufbau von Überzeugungssystemen, in denen erklärende oder zumindest kritischprüfende Prozesse der Überzeugungsbildung stattfinden können. Um ihre Funktion dort ausfüllen zu können, bedarf es bei ihrer Verwendung der Voraussetzung ihrer Interpretiertheit mit von ihnen selbst und der Feststellung der Wahrheit von mit ihnen aufstellbaren Behauptungen relativ unabhängigen Entitäten (bzw. der Voraussetzung, dass es sich um eine empirische Theorie handelt). Das erkennt man, wenn man sich vergegenwärtigt, was die Bedingungen der Vernünftigkeit der Neueirrfuhrung von Begriffen in erfahmngswissenschaftlichen Zusammenhängen sind.83 Im Bereich errahrungswissenschaftlicher Überzeugungsbildung werden neue Begriffe zunächst einmal eingeführt, um mit ihnen über Phänomene zu sprechen, über die man mit dem vorhandenen Vokabular entweder überhaupt nicht oder nur unklar reden konnte. In dieser Lage zu fordern, dass diese neuen Begriffe nur dann verwendet werden können sollen, wenn sie definierbar in oder reduzierbar auf das vorhandene, unproblematisch verwendbare Vokabular sind, bedeutet zu fordern, dass man ein neues System aufstellt, das nur solche Begriffe enthält und den neuen Begriff per Nominaldefinition einführt. Dann könnte man jedoch auch dieses System ohne diese neuen Begaffe verwenden, um über dieselben Phänomene zu sprechen. Doch der Anlass der Neueinfuhrung solcher Begriffe wie "Virus", und damit die Bedingung der Vemünftigkeit dieser Neueinführung besteht ja gerade in dem Faktum, dass es im Rahmen des alten Vokabulars in der alten Theorie nicht möglich ist, über bestimmte Phänomene klare Behauptungen aufzustellen, und damit, dass es ein solches System nicht gibt, und damit der neu eingeführte Begriff in der nur aus den vertrauten Begriffen und Strukturen bestehenden Theorie nicht durch eine Nominaldefinition einfuhrbar ist. Die Extension des neu eingeführten Begriffs kann also mit Hilfe dieser neuen Theorie aus alten (als 'Beobachtungsbegriffe1 zusammenfassbaren) Begriffen nicht vollständig bestimmt "Craig's Theorem" (Orig. 1965), PPI, 228-36. Für die Darstellung im folgenden Absatz vgl. Essler, W.K. Wissenschaftstheorie II, 112-3.
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werden (sonst wären sie ja definierbar in diesem Vokabular). Wenn dennoch von den Verwendern des neu eingeführten Ausdrucks vorausgesetzt wird, dass er einen zur Aufstellung prüfbarer Behauptungen ausreichend klaren Bezug haben, dann kann diese Voraussetzung von ihnen demnach nicht in einer Beschreibung der Extension formuliert werden, die sich deduktiv oder logisch aus dem ergibt, was sie bereits ausdrücken können, und die Annahme der Entität oder Entitäten, für die der neue Ausdruck stehen soll, demnach nicht abhängig sein von diesem Vonvissen. (Die einzige Bedingung, die das Vorwissen und vertraute Vokabular stellt, besteht darin, dass man, wenn man es unverändert weiterverwenden will, die Annahme der Entitäten, für die der neue Begriff stehen soll, nicht selbstwidersprüchlich im Lichte dieses Vorwissens ist.) Putnam resümiert diese aus Erwägungen der praktischen Motivationen bei der Einführung neuer Begriffe in ein gegebenes Vokabular bzw. in ein gegebenes Uberzeugungssystem resultierenden Konsequenzen für das Verständnis von Sinn und Reichweite 'theoretischer' Begriffe in "Craig's Theorem" folgendermaßen: The fact that we can and do have theoretical terms in our language rests upon the fact that there was never a 'pretheoretic' stage of language; the possibility of talking about unobservables is present in language from the beginning. 'Radio star', 'virus', and 'elementary particle' are perfectly good (meaningful) expressions in English. (...) 'radio star1 is not only an expression with a meaning, but one which is usable in science. (...) We conclude that (a) theoretical terms are intelligible, in any ordinary sense of that term; and (b) theoretical entities have been established to exist (...) theoretical terms are not eliminable (...) if one wishes to talk about theoretical entities [Herv.v.mir]; and we do wish to talk about theoretical entities.84
hu Falle der Analyse der Paradigmen kognitiver Interessen und der Orientierung an Lernprozessen, nämlich an dem akzeptierter und verwendeter, für wahr gehaltener wissenschaftlicher Theorien, zeigt sich also gerade bei der Betrachtung des Zusammenhanges von Strukturen der Bestätigung und der Interpretation, dass die Voraussetzung der Unabhängigkeit von Zeichen und Bezeichnetem unverzichtbar ist, wenn diese Praktiken als solche funktionieren sollen. In einem Resümee semer Ansichten aus dieser Zeit 197485 fasst Putnam die hierin enthaltene Voraussetzung als allgemeine Unterstellung der Verwender von erfahrungswissenschaftlichen Sprachen zusammen, dass zu ihrer Interpretation von der Existenz materieller - d.h. nichtsprachlicher - Objekte ausgegangen werden muss (und demzufolge jede einzelne Voraussetzung sprachunabhängiger Entitäten diese Voraussetzung impliziert): the existence of material objects (...) ha[s] the status of fact - not 'hypothesis', or 'theory', or 'established fact', but just fact, period. And the answer to 'how do you know?' is not On the basis of such and such evidence', but just that no alter84 85
"Craig's theorem", 235-6. "Language and Philosophy", PPII, 1-32.
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native theory has ever been in the field. (...) 'material objects exist' is, in the first instance, not a theory at all, but rather a logical consequence of a host of specific theories, hypotheses, laws, and plain ordinary empirical propositions. These have indeed (...) been established by explanatory induction; but in each case the alternatives were not theories which implied the non-existence of material objects, but alternative theories about material objects. (...) it is 'built into' the language we use to make observation reports that material objects exist. (301)
Wenn Putnam hier auch empirische Hypothesen über die Existenz von Alternativen zur Hintergrundvoraussetzung der Interpretation eriährungswissenschaftlicher Theorien durch 'materiale' (d.h. aussersprachliche) Objekte anführt, die vielleicht nicht über allen Zweifel erhaben sind, soll sich im Folgenden jedoch erweisen, dass das, was Putnam hier als großformatige empirisch-metatheoretische These verpackt, im Grunde eine regulative Voraussetzung der Praktiken betrifft, die wir überhaupt als erfahningswissenschaftlich oder induktiv erkennen können. So verwendet sie Putnam de facto auch in semen Argumenten, wie gesehen; in diesem Zitat zeigt sich dies an der Formulierung, dass es dem Gebrauch der Sprache zur Beschreibung empirischer Situationen 'eigen1 ist, diese materialistisch im angegebenen Sinne zu interpretieren. Die Gründe dafür liegen, wie aus dem Vorherigen ersichtlich, in den pragmatischen und semantischen Strukturen epistemischer Bewertungen von Behauptungen, wie sie in nicht-deduktiv verfahrenden Praktiken der Überzeugungsbildung vorliegen. Einige Argumente dafür sind eher transzendentaler Natur. So etwa folgende Argumentation: Wir könnten nicht nur nicht erklären, weshalb der Wahrheitsweit empirischer Aussagen nicht allein von unserer Entscheidung abhängt, wenn wir nicht annehmen würden, dass die Ausdrücke in ihnen auf von ihnen unabhängige Objekte bezogen sind. Wir könnten selbst unter der Annahme, dass die Interpretation empirisch intendierter Begriffe durch die Beobachtung erfolgt, nicht erklären, was in der Beobachtung stattfindet, wenn die beobachteten Objekte nicht unabhängig vom Beobachter sind, und sie, nicht die Vorgänge im individuellen Beobachter, sind die intendierten Bezugsobjekte. Es ist das Ergebnis von Beobachtungen verschiedener Subjekte, das zur Bestimmung des Bezuges eines intersubjektiv verwendbaren Terms führt. Doch dann kommt man nicht mehr ohne eine Erklärung der Möglichkeit der Identität dieses Ergebnisses aus, und diese bietet sich eben in der Annahme materieller Objekte. Selbst wenn man der Beobachtung also ihr Recht bei der Bestätigung von Theorien und damit des indirekten Beitrags zu den Bedingungen der Akzeptierung bestimmter Entitäten einräumt, lässt sich weder der Vorgang der Beobachtung selbst86 noch die intersubjektive Verständlichkeit und die Möglichkeit der Wahrheit oder Falschheit von Aussagen der Beobachtungssprache ohne die Annahme materieller Objekte verstehen. Wenn Aussagen über 8
Hierzu vgl. Kutschera, F.v. Einführung in die Erkenntnistheorie, Kap. I.
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Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
Beobachtungen also überhaupt eine epistemisch wichtige Rolle bei der Rechtfertigung der Akzeptierung von Aussagen spielen können sollen, dann kann man auf die Annahme außersprachlicher Objekte nicht verzichten. Und diese sind es, die den Ausdrücken der theoretischen Sprache und denen der Beobachtungssprache als Bezugsobjekte zugeordnet werden. Die Annahme außersprachlicher Bezugsobjekte, die nicht durch unsere Verwendung von Sprache hervorgebracht und in allen ihren Eigenschaften bestimmt werden, ist daher nicht durch den Hinweis auf die grundlegende erkenntnistheoretische Rolle der Praxis des Beobachtens selbst zu fundieren, sondern liegt dieser selbst zugrunde. In diesem Sinne kann Putnam sagen, dass es sich dabei um 'a fact, period1 bzw. eine 'logical consequence of a host of empirical statements' handelt (denn die Annahme ihrer Wahrheit ist nicht allein durch bestimmte Beobachtungen bestätigbar, sondern nur durch die Akzeptierungsbedingungen der Gesamtheit unserer als Erfahrungswissen angesehenen Überzeugungen, aber unverzichtbar für die Erklärung des Zustandekommens bestätigender Aussagen als solcher). In Vorwegnahme von später genauer anzusprechenden Themen handelt es sich bei so allgemeinen, aber synthetischen Annahmen um im Kontext der jeweiligen, also hier: der erfahrungswissenschaftlichen Praktiken jeder Interpretation vorhergehende ('kontextuell apriorische1) Grundannahmen. Die Rechtfertigung solcher Aussagen erfolgt dabei nicht direkt oder deduktiv über die Annahme unbestreitbarer apriorischer, erfahrungsunabhängig gewonnener oder begrifflicher Wahrheiten, sondern indirekt über die Bestimmung der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn unsere als Rechtfertigungspraktiken angesehenen Überzeugungsgesamtheiten als solche funktionieren und die von uns akzeptierten empirischen Resultate ergeben können sollen. Putnam argumentiert hier so, dass er sagt: Wenn unsere Praktiken so funktionieren können sollen, wie sie tatsächlich sind, dann müssen wir wahre oder falsche Aussagen und unsere Aussagen verständlich machen können, und dafür müssen wir bezugnehmen können. Dann können wir die Annahme materieller (=nicht sprachlicher und intersubjektiv zugänglicher87) Gegenstände nicht zugleich bestreiten. Diese Voraussetzung zeigt sich nur dann in ihrer vollen Reichweite und Bedeutung, wenn man die von Teilnehmern an diesen Prozessen für den kognitiven Erfolg der Praktiken verantwortlich gemachten Voraussetzungen untersucht. Entscheidend für das Gelingen von Putnams Argumentation gegen das Zwei-StufenModell wissenschaftlicher Theorien ist erneut seine pragmatisch-normative Perspektive, die Situationen und Urteilsmöglichkeiten ausfindig macht, denen das kritisierte Modell nicht gewachsen ist. So macht Putnam wiederum auf eine - für das Folgende wichtige - "convention of discourse" aufmerksam, deren Rekonstruktion im Zwei-Stufen-Modell nicht gelingen kann. Denn die Veränderung 87
Damit wird die phänomenalistische Reduktionsbehauptung, d.h. dass die außersprachlichen 'Gegenstände1 nicht materieller, sondern psychologischer oder mentaler Natur seien, abgeblockt.
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bzw. Erweiterung des Anwendungsbereichs der Eigenbegriffe erfahrungswissenschaftlicher Theorien zieht in der Praxis und innerhalb der Urteile der an ihnen beteiligten Teilnehmern über dieselbe nicht die Folgen nach sich, die eine Veränderung der Bedeutung dieser Ausdrücke hätte. Es scheint vielmehr Teil der von den Verwendern dieser Ausdrücke in induktiven Kontexten zu sein, dass die Veränderung der Anwendungsbereiche theoretischer Begriffe nicht immer und nicht vorwiegend auf eine Veränderung von der Bedeutung letzterer hinausläuft, sondern auf eine Veränderung dessen, was man mit ihrer Hilfe rechtfertigen kann. Mit Blick auf eine Aussage, die von empiristischen Theoretikern als Bedeutungsbestimmung verstanden wird, dass nämlich das Urmeter in Sevres überall einen Meter lang ist und jeder Gegenstand, dessen an seine Endpunkte angelegten Endpunkte mit beiden koinzidieren, ebenfalls einen Meter lang sind (B), heisst es in Putnams 1963 erschienener Untersuchung "An Examination of Grünbaum's Philosophy of Geometry"88: within the context of the rest of physics, (B) is falsifiable! If we accept the view (...) that the meaning of theoretical terms in science is partly determined by the whole 'network' of laws, then we can say: the present meaning (not 'definition') of 'congruent' is such that under certain circumstances (B) might turn out to be false. (Ill)
Das Wissen, dass in von den Teilnehmern als empirisch gedeutet vorausgesetzten Theorien die Begriffe erweiterbar sind, ohne ihren Bezug zu verlieren, und dass die sie in einem bestimmten theoretischen Zusammenhang erläuternden theoretischen Sätze sich als unter neuen Umständen ungerechtfertigt herausstellen können, spiegelt die für den "discourse" mit ihnen verlangten kognitiven, induktiven Fähigkeiten wieder. Es ist konsumtiv dafür, kompetent in diesen Praktiken zu sein, und die Forderung danach hat insofern normative Kraft (es ist eben eine "convention of discourse"). Es gehört in gewissem Sinne dem 'Bedeutungswissen1 an, denn es betrifft ja auch die Fähigkeit zur Beurteilung der als epistemisch korrekt beurteilten Verwendung der Ausdrücke. Doch es ist viel zu abstrakt, um spezifische Bezugsmöglichkeiten mit diesen Begriffen festzulegen, weil es eine Eigenschaft aller theoretischen Begriffe in anerkannten Theorien betrifft, nämlich deren theoretische Reinterpretierbarkeit aufgrund von Lernprozessen und gleichzeitige relative Bezugsstabilität. Wenn Putnam daher zuvor davon sprach, dass die Existenz materieller, d.h. nicht durch die Sprache gegebener, Gegenstände in den Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe 'eingebaut' sei, so lässt sich nun sehen, worin der Grund dafür zu suchen ist: nämlich in der allgemeinen Voraussetzung der Faltibilität von innerhalb theoretischer Zusammenhänge aufgestellten Behauptungen, und zwar auch derjenigen, die den Gebrauch der Begriffe zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten epistemischen Zusammenhang präzisieren. 88
PPI, 93-129.
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Korrekturen am empiristischen Theorienverständnis
Nur dann, wenn Zeichen und Bezeichnetes unabhängig voneinander vorausgesetzt werden können, kann davon die Rede sein, dass eine bestimmte allgemeine Aussage sich unter bestimmten Bedingungen als falsch herausstellt, die einen bestimmten Ausdruck mit anderen derselben Theorie in Zusammenhang setzt. In diesem Sinne sind die Begriffe empirischer Theorien erweiterbar: sie können nämlich unter zuvor unbekannten Umständen eine neue Deutung bzw. Anwendung erhalten, ohne dass es Gründe für die Annahme gibt, dass sich ihr Bezug total verändert habe. Wie gesehen, bestimmen die Theorien, in denen theoretische Termini vorkommen, deren Bezug nicht vollständig. Daher besteht zumindest die MögKchkät, dass der - von diesen Theorien ja teilweise offen gelassene - Bezug eines Begriffs gleich bleibt, obwohl sich die von der Theorie bestimmte Extension der Begriffe verändert (was der Fall ist, wenn die Theorien erweitert, ergänzt, allgemeiner: verändert werden). Die Beweislast für die weitergehende Behauptung, dass es sich streng genommen beim Gebrauch derselben Ausdrücke unter diesen neuen Bedingungen um Begriffe mit anderen Bedeutungen handele und daher die aus ihnen aufgebauten Aussagen nicht ohne Äquivokationen vergleichbar seien, liegt daher bei denjenigen, die die Interpretierbarkeit empirischer Begriffe überhaupt, und damit auch ihre Reinterpretierbarkeit unter veränderten epistemischen Bedingungen bezweifeln, aber nicht bei denjenigen, die gegebene Begriffe so in induktiven Praktiken verwenden. In dem 1960 erschienenen Aufsatz "Minds and Machines"89 stellt Putnam in diesem Sinne fest: with the development of new scientific theories it is constantly occurring that sentences that did not previously 'have a use', that were previously 'deviant', acquire a use [Herv.v.mir] - not because the words acquire new meanings, but because the old meanings (...) determine a new use given the new context. (...) even if a sentence which was formerly deviant begins to acquire a standard use, no change in the meaning of any word need have taken place. (377-8)
Das Wissen um diese Eigenschaft empirischer Begriffe stellt ein Wissen über die Struktur der Verwendungsmöglichkeiten jedes einzelnen Begriffes in diesen Kontexten und im Verhältnis zu den Theorien dar, in denen sie als Eigenbegriffe erscheinen, und nicht eines um die Bedeutung bestimmter Begriffe innerhalb von bestimmten Theorien. Diese Implikation seiner Kritik bringt Putnam in "How Not To Talk About Meaning" (1965)90 so auf den Punkt: As long as we continue to use the word 'temperature' to refer to the same physical magnitude, we will not say that the 'meaning' of the word has changed, even if we revise our beliefs many times about the exact laws obeyed by that magnitude, and no matter how sophisticated our instruments for measuring temperature may become. (128)
89 90
PPII, 362-85. PPII, 117-31.
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Für die Annahme jeglicher Theorie, die impliziert, dass es Zusammenhänge in der Welt gibt, über die sie interpretiert wird, ist lediglich eine allgemeine Voraussetzung nötig. Es muss sich bei den theoretischen Eigenschaften und Größen um solche handeln, die untersuchten, relativ zur jeweiligen Theorie vortheoretisch als gegeben vorausgesetzten Objekten unabhängig von der Annahme einer bestimmten Theorie über die Eigenschaften und Größen zukommen, so dass die von verschiedenen Theorien jeweils postulierten Größen in gewissen Grenzen miteinander identifiziert werden können. Das bedeutet grob gesagt, dass die Wahrheit der Behauptung über ein bestimmtes Individuum des Gegenstandsbereiches, dass an ihm die Größe oder Eigenschaft feststellbar sei, sich nicht allein aus den für die Größe oder den sie besitzenden Gegenstand konstitutiven Annahmen ergeben darf. Damit eine Theorie überhaupt als Theorie von etwas betrachtet werden kann, muss die Annahme, dass es etwas gibt, worüber man theoretisieren kann, als erfüllt angesehen werden, auch wenn man vielleicht a priori nicht viel mehr zu sagen vermag: one 'theory' is essential to the meaning of the word 'temperature' - that the magnitude we identify as 'temperature' (...) is the magnitude (...) measured by the human sensoriurn as warmer and colder respectively. This does not mean that the human sensoriurn is never fooled, but that when it is not fooled, (...) it is generally a difference in 'temperature1 that is responsible. The use of the word 'temperature1 rests upon the empirical fact that there exists a single physical magnitude (in fact, molecular energy) which is normally responsible for differences in 'felt warmness', because it is analytic that 'if Xhas a higher temperature than Y, thenX is warmer than - i.e. the words 'temperature' and 'warmer1 are semantically linked [Herv.v.mir] (...) The word 'temperature' is 'theory loaded1; and, fortunately, the theory is correct. (128)91
Putnams aus pragmatischer Perspektive gewonnene Argumente in Richtung des epistemischen Holismus, d.h. des Holismus der Überzeugungsbildung, entziehen der verifikationistischen Rekonstruktion der Interpretation die Basis und bereiten zwei für eine nichtepistemische Interpretationstheorie wesentlichen Thesen den Boden: (1) Die Voraussetzung der Differenz von Zeichen und Bezeichnetem ist fundamental für das Verständnis des Zustandekommens und der Bestätigbarkeit theoretischer Behauptungen in wissenschaftlichen Kontexten; theoretische Begriffe sind daher als referentiell (im Gegensatz zu evidentiell) interpretiert zu verwenden, weswegen (2) mit theoretischen Begriffen gebildete Aussagen (ge-
1
Putnams Beharren darauf, dass es um den Gebrauch der Wörter gehe, hängt mit dem Zusammenhang zusammen, in dem der Artikel steht. Natürlich würde Putnam nicht auf die Idee kommen, dass zwei Gegenstände semantisch miteinander gekoppelt sind. Diese Sprechweise ist aber aus dem Kontext heraus so zu verstehen, dass es Putnam um die Ausdrücke als Teile von interpretierten Sprachen geht, denn selbstverständlich ist nicht der Ausdruck "Temperatur" (im Sinne des physikalischen Gegenstandes) theoriebeladen, sondern nur das Wort (im Sinne der Linguistik), wie wir es normalerweise in der Alltagssprache verwenden.
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nau wie Beobachtungsaussagen) zunächst und im Normalfall als Behauptungen anzusehen sind, die wahr oder falsch sind: Statements of science are in my view either true or false (...) and their truth and falsity does not consist in their being highly derived ways of describing regularities in human experience. Reality is not a part of the human mind; rather the human mind is part (...) of reality.92
Die wichtigen, einige Thesen von Putnams erst später entwickelter Theorie der Bezugnahme antizipierenden Konsequenzen aus Putnams Beschäftigung mit der Frage von Sinn und Reichweite theoretischer Begriffe sind bis hierher die folgenden: (1) Theoretische Begriffe sind verständlich, auch wenn sie nicht in der jeweiligen Beobachtungssprache definier bar sind. (2) Theoretische Begriffe sind nicht eliminierbar, wenn man über bestimmte Entitäten sprechen will, zu deren Bezeichnung sie eingeführt werden. (3) Die Etablierung der Existenz der entsprechenden Entitäten erfolgt nicht über eine auf das Zeichen bezogene Stipulation, sondern durch die Bestätigung der Theorie, in der der entsprechende theoretische Begriff als Grundbegriff dient. (4) Bei der Gelegenheit der Einführung und während der Dauer der Verwendung eines in diesem Sinne etablierten theoretischen Begriffs besteht nicht der Anspruch, seine Bezugsobjekte vollständig charakterisieren zu können, ohne die ihn enthaltende Theorie zu verwenden, sondern die Absicht, mehr über die von ihm bezeichneten Entitäten herauszufinden (d.h. die Beschreibungen der Bezugsobjekte zu verändern) und wahre oder falsche (prüfbare) Behauptungen mit seiner Hilfe formulieren zu können. (5) Sind die bei der Einführung und zur Spezifizierung des Gebrauchs verwendeten Beschreibungen der Bezugsobjekte nicht als Definitionen oder notwendige und hinreichende Bedingungen für alle möglichen Anwendungen des entsprechenden Begriffs zu verstehen. (6) Die Bezugsgegenstände theoretischer Begriffe und die Bezugsgegenstände, die solche Beschreibungen (im Beobachtungsvokabular oder in systematisierten Gesamtheiten von die Theorie bestätigenden Aussagen) erfüllen, sind nicht unbedingt und unter allen Umständen identisch miteinander. Die Möglichkeiten der Bezugnahme mittels theoretischer Begriffe werden nicht immer erschöpft durch ihnen zugeordnete (exemplarisch funktionierende) Beschreibungen erfolgreicher Anwendungen. (7) Die Praxis der Verwendung theoretischer Begriffe zeigt, dass sie als kontinuierlich in ihrer Bezugnahme angesehen werden können und angesehen werden
92
"Introduction", PPI, vii-xiv, vii.
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müssen, während sich die Theorien verändern, die das Verhalten der Bezugsgegenstände beschreiben und erklären. (8) Erfahrungswissenschaftliche Theorien dienen nicht primär der Reduktion der Bedeutung ihrer Grundbegriffe auf als unproblematisch angesehene Überzeugungsgesamtheiten und deren als unproblematisch (nicht-theoretisch) interpretiert angesehene Grundbegriffe, sondern der Aufstellung wahrer oder falscher (prüfbarer) Aussagen über empirische Gegenstände, auf die sich ihre Grundbegriffe beziehen. Die Bestätigung theoretischer Hypothesen verläuft über die Angabe unproblematischer Erfahrungsaussagen, nicht aber die Bestimmung ihrer Bedeutung und möglichen Bezüge. Die Bestätigung der gesamten Theorie ist zwar in den meisten Fällen eine epistemische Bedingung für die Akzeptierung von Bezugsgegenständen der theoretischen Begriffe, aber deren Eigenschaften und Struktur hängen nicht von den konkreten Aussagen in der Begründung ihrer Akzeptierung ab, da es mehrere Menge von einen theoretischen Satz bestätigenden Aussagen gibt. Die bestätigten Gesetzesaussagen der akzeptierten Theorie stellen unsere Einschätzung der Eigenschaften der als unabhängige Bezugsobjekte unterstellten theoretischen Entitäten dar, nicht eine Definition bzw. Eliminierungsbedingung der theoretischen Begriffe.
Der Fehler des verifikationistischen Ansatzes liegt Putnams Argumenten nach darin, dass er Strukturen als Interpretationsstrukturen konzipiert, die in der Praxis als Strukturen der Rechtfertigung verstanden und verwendet werden, und damit den (interpretierenden) Objektbereich erfahrungswissenschaftlicher Theorien die (als von der jeweiligen Sprache in ihrer Existenz unabhängig unterstellten) Wirklichkeit - verschiebt in den Bereich der subjektiv verfügbaren (rechtfertigenden) Gründe für die Bewahrheitung der theoretischen Aussagen. Für die Rechtfertigung von Behauptungen innerhalb eines Kontexts muss jedoch immer auf Randbedingungen zurückgegriffen werden, zu denen genauso sehr die sprachlichen Bedingungen der Beschreibung der Erfahrung gehören wie die Idealisierungen innerhalb einer induktiv als korrekt anzusehenden epistemischen Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass eine gegebene Hypothese unter der Bedingung der gegebenen Daten wahr ist. Der epistemische Holismus verhindert daher eine verifikationistische Lösung der Frage der Interpretation. Doch dies bedeutet, dass die Unterbestimmtheit der Theorie durch die Erfahrung, wenn der epistemische Holismus zutrifft, als Faktum anzusehen ist. Um so dringender stellt sich daher die Frage, wie man die Festlegung der Interpretation denn dann pragmatisch rekonstruieren kann, und welche Voraussetzungen dabei als gegeben angenommen werden müssen. Ohne eine solche Erläuterung bleibt nämlich unklar, wie denn bestimmte Ausdruckskombinationen überhaupt Wahrheitswerte in empirischen Prüfkontexten erhalten können sollen. Denn auch wenn dies auf methodisch komplexe, 'holistische' Weise geschieht, muss doch das außerlogische Vokabular in ausreichend bestimmter Weise auf Situationselemente bezug nehmen können, damit die mit der es enthaltenden Aussage aufgestellte Behaup-
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tung hinsichtlich der Wahrheit bewertet werden kann. Die Problematik der Explikation einer solchen festgelegten, nicht apriorisch-epistemisch determinierten, aber nicht unbestimmbaren Bezugnahme soll im dritten Teil dieser Arbeit wiederaufgenommen werden. Sind nun einerseits die theoretischen Begriffe sozusagen trotz der fraglos existierenden epistemischen Unterbestimmtheit der Theorie in bezug auf ihre Tauglichkeit zur Wkklichkeitsbeschreibung sozusagen rehabilitiert, so führen Putnams Argumente auch in bezug auf die Beobachtungsbegriffe zu einer wichtigen Einsicht in die Bedingungen der empirischen Interpretation. Denn er konnte ja klar machen, dass jede Interpretation, die auf öffentlich verfügbare Deutungen und die Bestimmung des Bezuges des verwendeten Ausdruckes gerichtet ist, die Erfülltheit bestimmter theoretischer Annahmen voraussetzt. Es ergibt sich eher umgekehrt der allgemeine Zweifel an der Kohärenz des absoluten Begriffes der nicht-theoretischen Beobachtung93, wie ihn die These von der Tkeoriebeladenheit der Beobachtung (im Sinne der Anwendung von interpretierten und verständlichen Ausdrücken in als übersichtlich betrachteten Situationen zur Beschreibung der Erfahrungen) zum Ausdruck bringt. Es wird nun also umgekehrt bereits die von verifikationistischen Theoretikern als unproblematisch betrachtete Interpretation von Beobachtungsbegriffen auch noch zum Problem. Denn auch sie stellen sich ja so als durch die nicht-theoretische Beobachtung unterbestimmt heraus. Zugespitzt ausgedrückt heisst das, dass, wenn das stimmte, was die verifikationistische Theorie über theoretische Begriffe behauptete, nämlich dass sie nur insoweit interpretierbar sind, wie sie auf nicht-theoretische Beobachtungsbegriffe zurückfuhrbar sind, dies dann für alle Begriffe gilt. Die Folgen sind tiefgreifend. Der Begriff des interpretierenden und daher als selbst interpretiert vorausgesetzten Vokabulars ist selbst relativ auf den theoretischen Kontext, in dem die In93
Bereits Reichenbach bemerkte bündig: "Jede Beobachtung der Welt setzt bestimmte Postulate über die Sprachregeln voraus, die bei der Beschreibung benutzt werden" (Erfahrung und Prognose, 88), wobei die Sprachregeln, wenn sie überhaupt zu physikalischen Aussagen führen sollen, synthetisch bzw. "gehaltvermehrende" Aussagen enthalten müssen (vgl. ebd., 80), d.h. induktiv verwendbare Theorien implizieren. Putnam argumentiert in einem anderen zur selben Zeit geschriebenen Artikel ("Craig's theorem") auch noch in dem im ersten Teil behandelten pragmatischen Sinne, dass sich aus der Sicherheit von Beobachtungen keineswegs die Möglichkeit des Über-dasselbe-Redens ergibt, wenn er sagt: "If it is really possible (...) that the term 'virus' is meaningless, all appearance notwithstanding, why is it not also possible that observation terms, such as 'chair' and 'red' are really meaningless? Indeed, traditional empiricists sometimes suggested that even such terms (Observation terms in thing language') might also be 'nonsignificant1, and that the only really significant terms might be such as terms of 'pain', referring to sensations and states of mind. The traditional empiricist reason for regarding it as beyond question that these terms, at least, are 'significant' is that (allegedly) in the case of these terms the meaning is the referent, and I know the referent from my own case. However, this argument is self-undercutting: if 'pain' means what / have, then (on the traditional view) it is logically possible that no one else means by 'pain' what I do. Indeed, there may be no such tiling as the public meaning of the word 'pain' at all! We believe that this traditional theory of meaning is in fact bankrupt and that it cannot account for the meaning of any term". (235)
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terpretation stattfinden soll. Die Interpretation theoretischer Begriffe lässt sich nicht in allgemeiner und voraussetzungsloser Weise auf diejenige nicht-theoretischer Begriffe zurückfuhren. Andererseits benötigt man aber auch für die Anwendungsbestimmung der in einem Kontext nicht-theoretischen Begriffe in dieser Situation als zutreffend betrachtete Voraussetzungen, die in einem Vokabular formuliert sind. Der Begriff des absolut interpretierenden und schlechthin interpretierten Vokabulars ist demnach leer. Diese Art des Reduktionismus stellt somit keine Lösung der Unterbestimmtheit der Interpretation gegebener sprachlicher Mittel vor dem Hintergrund bestimmter Erfahrungen dar. Doch diese Problematik benennt nichts weniger als das Problem der Induktion, nämlich wie es möglich ist, (theoretische oder verallgemeinerte Beobachtungs-) Hypothesen auf der Basis von Erfahrungen zunächst einmal zu verstehen, und weiterhin zu rechtfertigen und zu prüfen. Entscheidende Eigenschaften dieser epistemischen Seite der Problematik schliessen jedoch den Verifikationismus aus: die Induktion setzt die logische Unabhängigkeit von Daten und Hypothese voraus; deswegen kann das Verhältnis von Hypothese (d.h. Theorie) und Erfahrung nicht logisch-semantischer Natur sein, wenn es sich um eine empirische Theorie handelt. Es wäre zwar möglich, trotz allem analytisch einen scharfen Schnitt zwischen als Kalkül konzipierten Theorien und den Situationsbeschreibungen für die Anwendung zu ziehen, in denen die Begriffe sozusagen direkt praktisch gedeutet werden (d.h. auf die Analyse der dafür in Anspruch genommenen Voraussetzungen verzichtet wird) und auf diese Weise in ihrem Bezug bestimmt werden. Man könnte also die Bezugsklasse eines Begriffs dadurch angeben, dass man eine Klasse von Handlungen beschreibt, auf die der betreffende, als Basisbegriff zu behandelnde Begriff zu beziehen ist. Doch auch das kann nicht zur Konstitution des Bezuges (oder gar zur Fundierung der Möglichkeit desselben) hinreichen. Schon die Beschreibung der Handlung selbst muss eine Beschreibung der relevanten Parameter der Anwendungssituation beinhalten (wenn die Handlung darin besteht, einen Körper anzusehen und die Farbe festzustellen, muss das Licht gut sein, der Blutdruck des Beobachters normal etc.). Operationale Definitionen setzen weiterhin, wenn sie genau genug sein sollen, nicht nur den Bezug auf Handlungen, sondern auch auf die Ergebnisse der Operationen voraus: um "warm" von "kalt" zu unterscheiden, muss man nicht nur die Operation "anfassen" angeben, die ja für beide gleich ist (und somit, wenn sie es wäre, die zur Festlegung der Anwendung führt, unmittelbar zu Widersprüchen mit theoretischen Sätzen wie "Was warm ist, ist nicht kalt" fuhrt), sondern auch das für die Entscheidung zur Anwendung des zu bestimmenden Begriffs auf einen gegebenen Gegenstand positive Ergebnis allgemein charakterisieren, ohne den definierten Begriff zu gebrauchen. Die Aussagen über die Ergebnisse und die Angabe der Bedingungen, unter denen sie erhalten wurden, müssen nun aber ihrerseits entweder wahr oder falsch sein, damit die Testvorschrift überhaupt als durchgeführt betrachtet und ihr Ergebnis als Entscheidungsinstrument verwendet werden kann. Die gesamte Kon-
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zeption einer Interpretation durch standardisierte Handlungen setzt also bereits Referenz und Wahrheit der die Handlung, das Ergebnis und die relevanten Bedingungen beschreibenden Begriffe und Aussagen voraus. Daher kann sie weder als Explikation der Bedingungen der Möglichkeit der bestimmten Bezugnahme angesehen werden noch im speziellen Fall eine voraussetzungslose Bestimmung der Bedeutung durch Verifikationshandlungen leisten. Verifikationshandlungen sind der Voraussetzung des referentiellen Charakters deskriptiv verwendeter Begriffe und des darstellenden Charakters wahrer Aussagen erkenntnistheoretisch nachgeordnet. Die Voraussetzung, dass eine Sprache eine referentielle Interpretation in der Welt hat, in der die sie bestätigenden oder schwächenden Erfahrungen stattfinden, dass sie also (in den Worten Carnaps) "vollständig interpretiert" ist, ist erne formale Präsupposition, die verhindert, dass es sich bei einer Sprache um ein ungedeutetes System von Zeichen handelt oder sie grundsätzlich zu einem solchen wird, wenn bestimmte Verifikationen, d.h. Rechtfertigungsversuche für Aussagen, kritisiert werden. Umgekehrt heisst dies jedoch, dass die Art und Weise, wie der Bezug von bestimmten, mit referentiellen Intentionen verwendeten Ausdrücken festgelegt wird, erneut zu einer Herausforderung für die Artikulation des Zusammenhanges zwischen Theorie und Erfahrung wird. Nun kommt ja die Frage auf, inwieweit die Anwendung von Begriffen durch die sie enthaltenden Theorien bestimmt wird, da ja das einfache Modell der Kontrolle von deren Anwendung durch die Erfahrung fehlgeschlagen ist. Es könnte ja nun umgekehrt sein, das die Bedingungen, die uns überhaupt einen geregelten Gebrauch der als referentiell interpretierten Ausdrücke erlauben, gänzlich von der Erfahrung unabhängig und ihrerseits rein sprachlicher Natur und den empirischen Lernprozessen entzogen sind. Um seme aus pragmatischen Grundmotiven hervorgegangene Kritik am Verifikationismus nun ihrerseits gegen eine Vereinnahmung durch einen Standpunkt abzusichern, der das Zustandekommen der Identität von Begriffen und damit ihrer Anwendungsmöglichkeiten direkt und ausschließlich von Vorentscheidungen über die Sprache abhängig macht, muss sich Putnam zugleich mit der konventionalistischen Deutung der Theorienakzeptierung auseinandersetzen. Bei der Frage der Bestimmung der Bezugsmöglichkeiten gegebener Ausdrücke innerhalb induktiver Praktiken handelt es sich um das Zentrum der Debatte mit dem Konventionalismus, wie Putnam in einer späteren Zusammenfassung semer Kritik am Konventionalismus feststellt:: "the critique of conventionalism naturally involves one in the very questions of reference".94 94
"Introduction",
, vii-xvii, xvii.
S.Putnams Auseinandersetzung mit der konventionalistischen Konzeption der Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Rationalität Putnam selbst wies ja im letzten Zitat darauf hin, dass bestimmte Identifikationen bzw. Reduktionen, wenn die in innen aufeinander bezogenen Theorien wahr sind, in bestimmten Untersuchungskontexten analytisch wahr sind und bezeichnete ausgerechnet die Verbindung zwischen dem komparativen Temperaturbegriff und dem das Paradigma für die Erscheinung darstellenden vortheoretischen Wärmebegriff so. Wenn also jede Interpretation von Begriffen theoretische Vorannahmen impliziert, dann wird die Möglichkeit der Beurteilung der Wahrheit von Behauptungen ja offenbar ihrerseits abhängig vom Akzeptieren einer bestimmten Theorie. Da diese jedoch Voraussetzung der Beurteilung ist, kann der Grund für ihre Annahme nicht in den Resultaten der Verwendung der Theorie bestehen, da ja ihre Beurteilung erst stattfinden soll. Daher stellt die Einsicht in die Theoriebeladenheit der Erfahrung bzw., aus umgekehrter Perspektive, der Unterbestimmtheit der Theorie durch die verfügbaren Erfahrungsdaten, den natürlichen Ausgangspunkt für die konventionalistische Auffassung von Rahmentheorien dar, in denen solche Entscheidungen gefällt werden. 3.1. Unterbestinunthdt und Theorieentscheidung: Die linguistische Wende in der Tradition der analytischen Philosophie Um diesen Zusammenhang deutlich zu machen und die Reichweite der Folgen der im Grunde aus der 'linguistischen Wende' hervorgehenden Einsicht in die Unterbestimmtheit der Deutung der theoretischen Sprachsysteme durch die Erfahrung und in deren Umkehrung, die Theoriedurchdrungenheit der Erfahrung, anschaulich zu machen, bedarf es eines kurzen Exkurses in die Ausgangsansichten der Tradition der analytischen Philosophie. Sie gab nämlich die Themen und Argumente vor, vor deren Hintergrund Pumams Auseinandersetzung stattfindet. Dieser Exkurs wird zugleich auch Gelegenheit geben, die Hauptthesen des Verifikationismus und seine Argumentationslogik in geraffter Form zu rekapitulieren.
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Putnams Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus
3.1.1. Grundideen des Konventionalismus Durch wissenschaftliche Errungenschaften besonders in der Mathematik (Riemann, Lobatschewski) in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts kam es zu einer Umorientierung erkenntnistheoretischer Überlegungen. Es traten bereits zu dieser Zeit mehr und mehr Fragen in den Mittelpunkt, die sich hinsichtlich der pragmatisch-erkenntnistheoretischen Einschätzung von Aussagen bzw. Aussagensysteme (Theorien) ergeben, in denen Erkenntnisse ausgedrückt werden. Diese Entwicklung beschleunigte und radikalisierte sich in dem Moment, als Einstein der Aufweis von der Verwendbarkeit und Unverzichtbarkeit der bis zu diesem Zeitpunkt lediglich als theoretisch möglich nachgewiesenen Alternativen zur bis dahin unumstrittenen Euklidischen Geometrie innerhalb erfahrungswissenschaftlicher Theorien gelang. Dadurch konnte man nicht-euklidische Systeme nicht mehr nur als Beschreibungen bloß möglicher Raumstrukturen begreifen, sondern war umgekehrt dazu gezwungen, sie als (zumindest mögliche) Beschreibungen des wirklichen Raumes im Sinne der empirischen Physik anzuerkennen. Aus dieser Entwicklung ging der Konventionalismus bezüglich der Auswahl eines Rahmensystems für die systematische Darstellung der Erfahrungsdaten hervor. Dies ist die erste Ebene, auf der der Konventionalismus als umfassende Strategie zur Beantwortung der mit der angedeuteten Entwicklung neu entstandenen Fragen aufkommt. Auf der anderen Seite ergibt sich aus der Tatsache, dass es Alternativen der Darstellung des empirischen Wissens gibt, die sich in wesentlichen Elementen dessen unterscheiden, was innerhalb der jeweiligen Systeme behauptbar ist, die Folgerung, dass die Existenz von Alternativen nicht nur Unterschiede in der DarsteUungs/orm mit sich bringt, sondern dass die Annahme oder Ablehnung eines Systems auch inhaltliche Konsequenzen hat. Dies wiederum könnte den Umkehrschluss nahe legen, dass der Inhalt der Erfahrungserkenntnis, wenn er denn in dieser Weise darstellungsabhängig ist, in Wahrheit ganz innerhalb des jeweiligen Systems vorweggenommen ist. In Auseinandersetzung mit dieser Folgerung, die das Ende der Möglichkeit bedeutete, die Erfahrungswissenschaften als Systematisierungen von Erfahrungen in der Wirklichkeit zu verstehen, findet deshalb eine Vertiefung der konventionalistischen Strategie auf der Ebene des Zustandekommens des Wirklichkeitsbezuges der Grundbegriffe der jeweiligen Systeme statt. Im Anschluss sollen zunächst einige Textstellen zum ersten Teilbereich konventionalistischer Erkenntnistheorie, den Rahmentheorien, beigebracht und kommentiert werden, und dann solche zum zweiten, den bereits zuvor (2.1.) angesprochenen Theorien zur Festlegung des Bezuges von zentralen Begriffen erfahrungswissenschafth'cher Theorien. Wie bereits oben angedeutet, zieht die Einsicht in die Existenz von für das Aussehen empirischer Theorien relevante Alternativen zunächst einmal eine Umorientierung der Methode erkenntnistheoretischer Rekonstruktionen nach sich, in der es darum geht zu begründen, wie man die Annahme eines Systems von Aus-
Unterbestimmtheit und Theorieentscheidung
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sagen durch eine Gruppe von Forschem philosophisch zu verstehen hat. Da die Annahme eines Systems von Aussagen von der Annahme der es ausmachenden Aussagen abhängt, liegt es nahe, diese Frage am Leitfaden der Beantwortung nach der Annahme von Aussagen zu beantworten. Da es sich ferner bei den fraglichen Systemen um Systeme von erfahrungswissenschaftlichen und nicht um solche von regulativen Aussagen handelt, bedeutet dies, nach den Gründen für die Bewertung von Aussagen als wahr zu suchen. Es liegt daher vor dem Hintergrund der bislang geschilderten Grundannahmen nahe, bei der Rekonstruktion den philosophischen Standpunkt des Verifikationismus einzunehmen. Eine radikale Version des Verifikationismus in semmtischer und epistemscher Hinsicht findet man in Wittgensteins 1930 verfassten Philosophischem Bemerkungen.95 An den im Folgenden lediglich genannten Wittgensteinschen Thesen wird auch deutlich, inwiefern es sich dabei um eine am Ideal perfekter Erkenntnis orientierte Theorie handelt. Es zeigt sich auch inwiefern deshalb die Möglichkeit ihres Scheiterns, die sich ja im Verlaufe der bisherigen Betrachtungen als überaus plausibel herausgestellt hat, einen radikalen Nonkognitivismus zur Folge hat. Die Kompetenz eines Sprechers bestimmt Wittgenstein im verifikationistischen Sinne wie folgt: "Den Sinne eines Satzes verstehen, heisst, wissen wie die Entscheidung herbeizuführen ist, ob er wahr oder falsch ist." (77) Die Methode der Verifikation ist die unterste und oberste Grenze des Verständlichen, d.h. sie definiert den Begriff der Bedeutung überhaupt: "Die Verifikation ist nicht ein Anzeichen der Wahrheit, sondern der Sinn des Satzes." (200)"Die Methode ist kein Vehikel, um irgendwohin zu kommen. Es gibt (...) nicht erstens einen Satz, der für sich schon Sinn hätte, und dann noch zweitens die Methode, um die Wahrheit oder Falschheit eines Satzes festzustellen, sondern es gibt nur die Methode, und das, was Satz genannt wird, ist nur ein abgekürzter Name für die Methode."96 Dementsprechend lautet die Definition der Synonyme: "Nach meinem Prinzip müssen [zwei, A.M.] Annahmen ihrem Sinne nach identisch sein, wenn alle mögliche Erfahrung, die eine bestätigt, auch die andere bestätigt. Wenn.also keine Entscheidung zwischen den beiden durch die Erfahrung denkbar ist." (282) Doch nun zieht Wittgenstein aus diesen sprachtheoretischen Prinzipien weitreichende erkenntnistheoretische, und zwar erkenntnisbegrenzende Folgerungen. Das Verifikationsprinzip wird nämlich auch als oberste Grenze der möglichen Überzeugungsbildung konzipiert: "Es ist nicht möglich, etwas zu glauben, was man sich nicht irgendwie verifiziert denken kann." (89) Denn etwas zu glauben, heisst, die Behauptung einer Aussage als gerechtfertigt anzusehen, und man kann nur etwas behaupten, was man versteht, und man kann nur wissen, 95
Wittgenstein, L.: Philosophische Bemerkungen, aus dem Nachlass herausgegeben v. Rush Rhees, Werkausgabe, Bd.2, Frankfurt 1984. 96 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Werkausgabe, Bd. 3, 33.
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was man behauptet, wenn man weiß, welche Aussage es ist. Daher stellt dies eine direkte Folgerung aus den Prinzipien des Verifikationismus dar. Dieser beinhaltet also einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus. Selbst wenn dies nicht als Grund angesehen wird, die Prämissen abzulehnen, so stellt jedoch die Erklärung der Grundmotivation des Verifikationismus hinsichtlich des kognitiven Werts von Hypothesen etwas dar, was die Teilnehmer an induktiven Praktiken nicht konsistent akzeptieren können: "Das Reden von Sinnesdaten und der unmittelbaren Erfahrung hat den Sinn, dass wir eine nicht-hypothetische Darstellung suchen. Wenn eine Hypothese nicht definitiv verifiziert werden kann, so kann sie überhaupt nicht verifiziert werden, und es gibt für sie nicht Wahr- und Falschheit." (283) Aus der Unterbestimmtheit einer Hypothese durch 'unmittelbare Erfahrung1 folgt also, wenn man die paradigmatische Version des Verifikationismus zugrundelegt, notwendig, dass eine solche Hypothese nicht nur unentscheidbar, sondern a priori non-kognitiv ist, und ihr Gebrauch in einer vorgeblich empirischen Theorie auf andere Weise erklärt werden muss: "Wenn ich sage, dass eine Hypothese nicht definitiv verifizierbar ist, so ist damit nicht gemeint, dass es für sie eine Verifikation gibt, der man sich immer mehr nähern kann, ohne sie zu erreichen. Das ist Unsinn (...) eine Hypothese hat zur Realität eben eine andere formelle Relation als die der Verifikation." (285) Welche dies ist, erklärt Wittgenstein wie folgt: "Eine Hypothese ist ein Gesetz zur Bildung von Sätzen." (285) Die allgemeinen Sätze der Theorien sind also, wenn sie (wofür in den vorherigen Abschnitten ja starke Argumente vorgebracht wurden, die Wittgenstein im folgenden Zitat in einer ebenfalls radikalen Fassung zusammenfasst) unterbestimmt sind, regulative Aussagen über das Sprachverhalten und nicht deskriptive Aussagen über die Welt, sie sind hinsichtlich ihres Wirklichkeitsgehaltes leer: "durch das Experiment bestätige ich das angenommene Naturgesetz (...) Dies ist natürlich nur dann ein Naturgesetz, wenn es durch einen bestimmten Versuch bestätigt und auch durch einen bestimmten Versuch widerlegt werden kann. Das ist in der gewöhnlichen Auffassung nicht der Fall, denn, wem. jedes Ereignis durch irgendein Zeitintervall bestätigt werden kann, so kann jede beliebige Erfahrung mit dem Gesetz in Übereinstimung gebracht werden. D.h. aber, das Gesetz läuft leer; es ist sinnlos." (290) Wie können aber aus einem Gesetz Folgerungen gezogen werden, d.h. 'Sätze' gebildet werden, die ihrerseits irgendwann zu Sätzen führen müssen, die wahr oder falsch sind, wenn die das Gesetz ausdrückende Aussage sinnlos ist? Eine Schlussregel muss ja, soll sie als solche funktionieren können, in dem System gelten, in dem sie regelt, wie man von wahren Prämissen zu wahren Konklusionen kommt. In einem gewissen Sinne muss den Gesetzen also doch ein Wahrheitswert zugeschrieben werden können, damit sie die ihnen aus verifikationistischen Prämissen heraus zugeschriebene Funktion überhaupt erfüllen können. Und hier ist es, wo die Prämissen des Verifikationismus im Konventionalismus einen natürlichen Alliierten finden: "Habe ich die Entscheidung getroffen, dass von einem gewissen Teil meiner Hypothese nicht abgewichen werden soll, was
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immer die zu beschreibende Erfahrung sd, so habe ich die Darstellungsweise festgelegt, und jener Teil der Hypothese ist nun ein Postulat. Ein Postulat muss von solcher Art sein, dass keine denkbare Erfahrung es widerlegen kann, wenn es auch äusserst unbequem sein mag, an dem Postulat festzuhalten." (288, Herv. v. mir) Wenn die Naturgesetze in einer Theorie also überhaupt wahr sind, weil dies für die Aufrechterhaltung der Folgerungsbeziehungen innerhalb der Theorie notwendig ist, dann können sie dies nur unabhängig von der Erfahrung durch Festsetzung sein. Damit wird, was häufig übersehen wird, die "Festsetzung" als Grenzfall der Rechtfertigung sichtbar, und zwar als Rechtfertigung a priori, da zu ihrer erfolgreichen Durchführung ja die Hinzunahme von Erfahrungen nicht notwendig ist. Das ist der eigentliche Streitpunkt in den Debatten um den Konventionalismus. Denn so werden diese Aussagen zwar Teil einer empirischen Theorie, sind aber durch die Empirie nicht widerlegbar. Im Anschluss an Duhem und Poincaro gibt Carnap in dem vier Jahre nach diesen - unveröffentlichten, aber ihm sicher bekannten - Wittgesteinschen Überlegungen erschienenen Buch Logische Syntax der Sprache97 folgende Erklärung für das, was Wittgenstein zuvor als "meine Entscheidung" darstellte, eben die der prinzipiellen Unterbestimmtheit der Hypothesen durch das Erfahrungsmaterial: "Dass in den Hypothesen trotz ihrer Unterwerfung unter die empirische Kontrolle (...) doch stets ein konventionelles Moment steckt, beruht darauf, dass das Hypothesensystem durch noch so reiches Erfahrungsmaterial niemals eindeutig bestimmt ist." (248)98 Noch entschiedener heisst es in der Zusammenfassung des gerade zitierten Buches für das englischsprachige Publikum 1935" zur Analyse naturgesetzartiger Aussagen und den Gesetzen fundamentaler Größen in erfahrungswissenschaftlichen Theorien: "all questions Carnap, R.: Logische Syntax der Sprache, Wien, New York 21968. Carnaps weitere Erläuterungen sind ausgesprochen interessant, um einen abgerundeten Eindruck von der Komplexität seiner Einsichten zu erlangen: "Der Aufbau des physikalischen Systems geschieht nicht nach festen Regeln, sondern durch Festsetzungen. Diese Festsetzungen (...) sind jedoch nicht willkürlich. Für ihre Wahl sind (...) methodisch-praktische Gesichtspunkte maßgebend (...) Das gilt für alle Festsetzungen, z.B. auch für die Definitionen. Die Hypothesen sind aber außerdem noch am Erfahrungsmaterial (...) nachzuprüfen. Jede Hypothese muss mit dem Gesamtsystem der Hypothesen, zu dem auch die anerkannten Protokoll Sätze gehören, widerspruchsfrei zusammenstimmen." (248) Das klingt fast wie eine Vorwegnahme von Quines "Two Dogmas of Empiricism" . Doch ist die Wirkung bzw. theoretische Durcharbeitung dieser Einsichten in Carnaps Veröffentlichungen so gering geblieben, dass Alberto Coffa wohl Recht haben dürfte, wenn er in seinem Buch The Semantic Tradition From Kant To Carnap (Cambridge MA, London 1991) mit Blick auf diese Stelle sagt: "the pragmatist Carnap made a brief appearance in various corners of Logical Syntax of Language; but he could make no sense of the main philosophical thesis of that book, that philosophical research (in the metalanguage) and factual research (in the object language) are essentially distinct types of activities." (352) Er stellt daher fest: "The Carnap who had seen no clear-cut-difference between what pertains to logic and what pertains to physics or facts cannot be seriously regarded as th6 author of The Logical Syntax of Language." (ibid.) "Philosophy and Logical Syntax", in Alston, W.P./Nalhinikian, G. (eds.): Readings in 20th Century Philosophy, New York 1963, 424-60.
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about the structure of space and time are syntactical questions, that is, questions about the structure of the language, and especially the structure of the formation and transformation rules concerning space-and-time co-ordinates. (...) The objection may perhaps be raised (...) that the form of physical laws depends upon the experimental results of physical investigations, and that it is not determined by a merely theoretical syntactical consideration. This assertion is quite right, but we must bear in mind that the empirical results at which physicists arrive by way of then laboratory experiments by no means dictate their choice between the deterministic and the statistic form, of laws. The form in which a law is to be stated has to be decided by an act of volition. This decision (...) depends upon the empirical results, but not logically, only practically." (454)100 Die fundamentale epistemologische Aufgabe von Konventionen innerhalb einer solchen erkenntnistheoretischen Position hat wohl am deutlichsten Reichenbach in seiner 1928 erschienenen Untersuchung über die Philosophie der RaumZeit-Lehre benannt, wo er sie als den Grund für die Möglichkeit der Bezugnahme auf die Wirklichkeit bezeichnet. Zudem wird in seiner Untersuchung deutlicher als in der an Aussagen orientierten verifikationistischen Erklärung, dass es sich bei dem Problem um ein normatives Problem in bezug auf die Interpretation von Begriffen handelt, dass die Festlegung der Begriffsbezüge also Bedingimg jedes Erkenntnisprozesses ist: "Definieren heisst im allgemeinen, einen Begriff auf andere Begriffe zurückführen. Aber wenn auch die Physik, wie jedes Denken überhaupt, von dieser Art des Definierens Gebrauch macht, so tritt doch in ihr noch eine zweite Art von Definition auf, welche daher rührt, dass die Physik (...) es mit Dingen der Wirklichkdt zu tun hat. Die eigentliche physikalische Erkenntnis besteht gerade darin, dass Begriffe nicht immer nur auf Begriffe zurückgeführt, d.h. inhaltlich bestimmt werden, sondern, dass Begriffe wirklichen Dingen zugeordnet werden; dieses Zuordnungsverhältnis lässt sich nicht irgendwie durch eine Inhaltsbestimmung ersetzen, sondern besagt nichts weiter als: "diesem Ding da ist dieser Begriff zugeordnet"." (31) Nach dieser scharfen Benennung des Erkenntnisproblems nach der linguistischen Wende transformiert Reichenbach auch den Begriff des Erkenntnisprozesses selbst, der nun als sprachliche Aktivität erscheint: "derselbe Begriff soll stets dasselbe Ding bezeichnen. In der Herstellung der Eindeutigkeit dieser Zuordnung besteht (...) gerade der physikalische Erkenntnisprozess." (3l)101 Wenn es sich bei der 100
Eine - unter den etlichen möglichen - entsprechende (wenn auch etwas anders begründete) Stelle in Duhems La Theorie Physique: Son Objel, Sa Structure (Orig. 1914, liier zitiert nach der englischen Übersetzung Duhem, P.: The Aim and Structure of Physical Theory, N. . 1962) lautet: "In sum, the physicist can never subject an isolated hypothesis to experimental test, but only a whole group of hypotheses; when the experiment is in disagreement with his predictions, what he learns is that at least one of the hypotheses constituting this group is unacceptable and should be modified; but the experiment does not designate which one should be changed." (187) Die Grundzüge dieser erkenntnistheoretischen Position und die darin vorgenommene Transformation der Kantischen Transzendentalphilosophie in eine sprachanalytisch vorgehende
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Erkenntnis jedoch um ein Verfahren der Begriffsbestimmung handelt, und wenn Definitionsketten nur endlich lang sein können, dann ergibt sich folgende Konsequenz: "gewisse einzelne Zuordnungen müssen erst einmal festgelegt sein, ehe das Zuordnungsverfahren weiter durchgeführt werden kann; und diese ersten Zuordnungen sind deshalb Definitionen (...) Sie sind, wie alle Definitionen, willküräch; von ihrer Wahl hängt erst das Begriffssystem ab, welches man mit der fortschreitenden Erkenntnis erhält." (31) Auch Carnap vertritt in seinem frühen Werk Physikalische Begriffsbildungm einen ähnlichen Standpunkt bezüglich der Festlegung des Gegenstandsbezuges quantitativ verfahrender erfahrungswissenschaftlicher Theorien. Er beantwortet dort die Frage "Worin besteht die Definition einer physikalischen Größe?" (20) wie folgt: "Die Definition einer physikalischen Größe besteht in der Festlegung der Regeln, nach denen die Zuschreibung der Größenwerte zu den Objekten geschehen soll. Man hat bisweilen gemeint, eine physikalische Größe habe auch an und für sich (...) einen Sinn (...) Demgegenüber muss scharf betont werden, dass der Sinn jeder physikalischen Größe darin besteht, dass bestimmten physikalischen Objekten bestimmte Zahlen zugeschrieben werden sollen. Solange nicht festgelegt wird, wie diese Zuschreibung geschehen soll, ist die Größe selbst noch nicht festgelegt. [Herv. v. mir]" (20-1) Neben anderen, formalen Anforderungen an das Gelingen einer solchen Festlegung benennt auch Carnap die für den Wirklichkeitsbezug entscheidende Voraussetzung wie Reichenbach: "Für die Festsetzung der Einheit muss auch irgend ein Objekt (ein wiederholter Vorgang oder sogar ein bestimmter Körper) als Normalobjekt gewählt werden. [Herv. v. mir]" (23)103 Klarer als in der Reichenbachschen Passage tritt hier eine Mehrdeutigkeit bei der Beurteilung der EinbeUntersuchung der Voraussetzungen empirischer Erkenntnis hatte Reichenbach bereits 1920 in seiner Konfrontation der Kantischen Erkenntnistheorie mit den Ergebnissen und Implikationen der Relativitätstheorie in Relativitätstheorie und Erkenntnis A priori ausgearbeitet. Bereits dort kommt es zu der hier nur angerissenen Detranszendentalisierung der Erkenntnisvoraussetzungen durch den Aufweis ihrer Relativität auf die Sprache und die epistemische Situation in historischer Hinsicht. Wie weit Reichenbachs Ansicht von der eher empiristisch eingestellter zeitgenössischer Wissenschaftstheoretiker wie Schlick und Carnap entfernt ist (und um der Kohärenz willen hätte bleiben sollen), wird in überzeugender Weise nachgewiesen in Friedman, M.: "Geometry, Convention, and the Relativized A Priori: Reichenbach, Schlick, and Carnap", in Friedman, M.: Logical Positivism Reconsidered (Cambridge MA 1999, 59-70), bes. 65ff. 102 Carnap, R.: Physikalische Begriffsbildung (Orig. 1926), Neudruck Darmstadt 1966. Natürlich hat Carnap hier nicht in erster Linie einen 'in der Natur gegebenen' Gegenstand im Sinne, wenn er von einem "bestimmten Körper" spricht, sondern ein seinerseits idealisiertes Objekt, beispielsweise einen "starren Körper". Da dessen Theorie jedoch ihrerseits auf die Wirklichkeit bezogen werden muss, wenn der Grundbegriff des starren Körpers als physikalischer Begriff gelten soll, wie Carnap selbst zuvor in bezug auf jeden Begriff betont hatte, übergehe ich dieses erkenntnistheoretisch in anderer Hinsicht hochproblematische Detail und vereinfache die Lesart dieser Textstelle. Die Möglichkeit hierzu wird auch durch den Fortgang des Carnapschen Textes nahegelegt, in dem er sofort und ausschließlich mit den Aspekten der Eignung verschiedener Realisierungen für die Begriffsfestlegung beschäftigt ist und entsprechend ein "leicht zu erreichendes Material (...), [das] möglichst wenigen störenden Einflüssen ausgesetzt ist" (24) empfiehlt.
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ziehung eines Gegenstandes in die Begriffsfestlegung als konventionell im Sinne von "beliebig" zu tage. Denn natürlich ist es eine Sache der Konvention, ob man beispielsweise ein Thermometer mit Hilfe einer Alkoholsäule oder mit Hilfe einer Quecksilbersäule eicht. Eine grundsätzlich verschiedene Frage, die jedoch im Konventionalismus in folgenreicher Weise nicht davon unterschieden wird besteht darin, wie viel und was an Gegenständen beliebig sein kann, ohne dass sich dadurch die Größe selbst verändert. Dass nicht einfach jeder Gegenstand (wohl aber jedes durch Temperatur veränderliche System) zu einer Eichung führt, ist ja offensichtlich. Man muss also schon in bezug auf den bezugsfestlegenden Körper eine gewisse (wiederum theoretische) Einschränkung vornehmen können. Die Zuordnungsdefinitionen sind in empirisch intendierten Systemen eben nur insoweit willkürlich, als es um die Auswahl zwischen geeigneten Gegenständen zur Begriffsfestlegung geht. Doch die Unterscheidung zwischen geeigneten und ungeeigneten Gegenständen ist selbst nicht Teil des Formalismus, sondern seiner Anwendung. Formal kann es sich bei den Gegenständen, die in Frage kommen, prinzipiell um weit mehr handeln, nämlich alle diejenigen, die ihren Eigenschaften nach so beschaffen sind, dass es bei ihrer Annahme in einer Interpretation zu keinen Widersprüchen kommt.104 doch mit dieser weiten Bestimmung bestimmt man noch keine spezifische Größe (meist noch nicht einmal einen disziplinspezifischen Phänomenbereich).105 104
Dieser Sinn von "willkürlich" ist also erkenntnistheoretisch nicht fundamental. Das ist eine Erkenntnis, die Hubert bei seinen Überlegungen zur Anwendung der axiomatischen Methode herausgefunden hatte, und die eine implizite Unterscheidung zwischen Gebrauch und Erwähnung wiederspiegelt (weniger als ein Konstitutionssystem von Dingen). Michael Ballett hat diesen Aspekt in Huberts Arbeiten in seinem Aufsatz "Hubert and Logic" (Marion, M./Cohen, R.S. (eds.): Quebec Studies in the Philosophy of Science (Boston Studies in the Philosophy of Science 177), Dordrecht 1995, 135-88) anhand eingehender Textstudien herauspräpariert. Auf die fundamentale Bedeutung der Unterscheidung zwischen einem relativierten konsumtiven A priori (innerhalb dessen die Wahl eines Bezugsermittlungssystems willkürlich relativ zum Rahmen ist) und der Idee einer absoluten Willkürlichkeit der Wahl nicht direkt empirischer Voraussetzungen geht Friedmans Artikel "Geometry, Relativity and Convention" ein (bes.66-67). 105 Dies fällt nur dann nicht weiter ins Gewicht, wenn man davon ausgeht, dass sich früher oder später alle wissenschaftlichen Aussagen in ein einziges Begriffssystem abbilden lassen werden. Dies war die Idee der "Einheitswissenschaft", und sie war es vermutlich auch, derentwegen ein "Szientist" wie Carnap zunächst gar nichts verfängliches an der Idee des Konventionalismus fand. Ohne diese Hintergrundidee führt die Willkür der Bezugsobjekte in diesem weiten Feldformaler Erfüllung ja wörtlich genommen zu der Behauptung, dass der Inhalt der Erkenntnis letztlich auf willkürlicher Setzung beruht. Diese Schlussfolgerung ist jedoch erheblich erklärungsbedürftig, wenn sie nicht paradox klingen soll (beispielsweise in dem von Putnam herausgeschälten Sinne, dass alle Interpretation mit der Praxis der Festlegung beginnt). Vor dem Hintergrund der Einheitswissenschaft aber ist es letztlich gleichgültig, welche der strukturell identischen Größen in welcher Disziplin zuerst entdeckt und analysiert wurde, da am Ende sowieso alle Größen, die strukturell mit ihr identisch sind, auf eine diese Identität hervorbringende Größe (mit vielleicht ganz anderer Struktur) zurückfuhrbar sein werden. Dieser formalistische Optimismus schwingt noch dann mit, wenn Carnap, Neurath und Hahn in der Programmschrift "Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis" (Veröffentlichungendes Vereins Ernst Mach, Wien 1929, 930) schreiben: "Das die Menschen in der Sprache verbindende sind die Strukturformeln; in ihnen
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Selbst ein geschickt gewähltes System von Zuordnungsdefinitionen kann aber, wie Walter Dubislav in seiner 1931 erschienenen Schrift Die Definition zeigt, für sich genommen die "Herstellung der Eindeutigkeit" nicht leisten, weil selbst dann, wenn man einen Bereich von Gegenständen trotz aller Theoriebeladenheit des Begriffes vom Gegenstand, auf den man die Grundbegriffe festlegt, als erkannt voraussetzt, immer noch das Problem der Unterbestimmtheit der Theorie, dieses Mal der Anwendungstheorie, durch die verfügbaren (in einer Beschreibung dargestellten) Erfahrungsdaten besteht. Wenn Zuordnungsbeziehungen also konventionell sind, dann helfen sie nicht gegen die Möglichkeit, dass die verschiedenen Systeme, unter denen mittels dieser Konventionen eine Auswahl getroffen wird, dennoch gleichermaßen beanspruchen können, durch die in der Zuordnung vorausgesetzten und ihre Struktur erfüllbar zu sein, weil sie ja sonst gerade nicht zur Auswahl stünden. Dubislav schliesst daher: "Wir hatten gefunden, dass eine wissenschaftliche Erforschung irgendwelcher Gebilde darin besteht, diesen Gebilden einen mit einer Deutungsvorschrift behafteten Kalkül zuzuordnen, so dass man unter anderem auf Grund geeigneter Beobachtungen zukünftiges und vergangenes durchschnittliches Verhalten derselben berechnen kann. Es ist aber denkbar, dass mehrere mit geeigneten Deutungsvorschriften ausgestattete Kalküle dies in allen bisher der Kontrolle zugänglich gewesenen Fällen leisten." (138) Doch dann ergibt sich, gerade wenn die Konventionen als Rettung aus der Zwangslage der Festlegung der Bezugsmöglichkeiten empirisch gedeuteter Begriffe aufgefasst werden und wenn sie "willkürlich" sind, und wenn sie den Inhalt der Erkenntnis entscheidend bestimmen, das Problem: "Gibt es dann nicht gleichsam mehrere Wahrheiten über diese Gebilde?" (138)105 3.1.2. Implikationen des Konventionalismus für die Theorie von Uberzeugungssystemen Die oben genannten erkenntnistheoretischen Überlegungen gehen alle von einer These aus, die man, wie gesehen, nach der linguistischen Wende als Faktum ansehen kann: Behauptungen und Überzeugungen über die Wirklichkeit sind von
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stellt sich der Inhalt der gemeinsamen Erkenntnis der Menschen dar." (20) Dubislav verneint diese Frage. Sein Grund dafür ist, dass die mit den Beobachtungen widerspruchsfreien Systeme entweder isomorph seien oder nicht. Daher ließen sich entweder keine Beobachtungsaussagen finden, die ein System bestätigen, während sie das andere schwächen (wenn es sich nämlich um isomorphe Systeme handelt) oder aber eine Entscheidung zwischen den Systemen herbeifuhren (wenn sie nämlich zumindest eine unterschiedliche Konsequenz haben). Im ersten Falle sei es gleichgültig, für welche der Arten der Darstellung man sich entscheide, weil man sowieso zu keinerlei empirischer Differenz käme, im zweiten gäbe es eine Entscheidung zwischen Systemen, die sich nicht prinzipiell von der hinsichtlich der Annahme oder Ablehnung einer Aussage innerhalb eines Systems unterscheidet. Man könne daher von der Eindeutigkeit der Bestimmung des Objekts durch ein synthetisch gehaltvolles Aussagensystem ausgehen.
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Behauptungen über die Erfahrung unterbestimmt. Ein Sonderfall davon ist, dass Annahmen über die Bezugsobjekte der Grundbegriffe innerhalb von empirisch zu deutenden Sprachsystemen von epistemisch unproblematischen Behauptungen über die Bezugsobjekte unterbestimmt sind. Aus dem gerade gegebenen Abriss aus den grundlegenden Einsichten in die Umwandlung der Voraussetzungen der Erkenntnis von transzendentalen Prinzipien der Form der Erkenntnis in konventionell zu verstehende Regeln der Sprache, in der die Erkenntnis formuliert wird, gehen zwei Gruppen von begrifflichen Vorentscheidungen hervor, bei denen die Erfahrung selbst keine Lösung diktiert. Die erste Gruppe von Entscheidungen ist rein sprachtheoretischer, die zweite erkenntnistheoretischer Natur. Erstens ist die Beziehung zwischen einem als Zeichen verwendeten Gegenstand und einem von ihm zu bezeichnenden Gegenstand willkürlich. Diese Feststellung bezeichnet Putnam im Anschluss an einen Vorschlag von Grünbaum als "trivial semantic conventionalism".107 Es liegt weder in der Natur bestimmter Zeichen, bestimmte Dinge zu bezeichnen, noch liegt es in der Natur bestimmter Dinge, von bestimmten Zeichen bezeichnet zu werden. Auch können für bestimmte, in sich nicht widersprüchliche, Mengen von Aussagen über etwas oder Merkmalszuschreibungen in beliebiger Weise Abkürzungen eingeführt werden. Auch Definitionen im strengen Sinne sind willkürlich. Sie sind einfach besondere Schlussregem, nämlich Substitutionsregeln, die besagen, dass ein neu eingeführtes Zeichen in all den Kontexten, wo zuvor der komplexe Ausdruck gestanden hat, eingesetzt werden, aber auch aus den Kontexten, in denen es 10
" An Examination of Grünbaum's Philosophy of Geometry", PPI, 93-129; Putnam bezieht sich in dieser Arbeit auf Grünbaum, .: "Geometry, Chronometry, and Empiricism", in Feigl, H./Maxwell, G. (eds.): Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Minneapolis 1962, 405526. Die eigentliche Auseinandersetzung mit Grünbaum um den Status der Aussagen der Geometrie dauerte (den Veröffentlichungsdaten der einschlägigen Arbeiten beider nach zu urteilen) zehn Jahre, von 1958 bis ca. 1968; in ihr finden sich neben den Einsichten in Zusammenhänge der (angewandten bzw. physikalischen) Geometrie selbst viele der grundsätzlichen Ideen Putnams zum Thema des Konventionalismus. In ihrem Verlauf ändert sich die Putnamsche Perspektive zusehends in Richtung der Kritik der sprachphilosophischen Implikationen der Grünbaumschen Ansichten. Dieser Perspektive verhilft Putnam 1975 mit der Arbeit "The Refutation of Conventionalism" (PPII, 153-92) zum adäquaten Ausdruck, indem er Grünbaums geometrische und Quines sprachtheoretische Ansichten parallel als Symptome derselben philosophischen Grundeinstellung rekonstruiert, die aus der durch die linguistische Wende erzwungene Einsicht in die Unterbestimmtheitsphänomene hervorgeht, wenn letztere mit einem nun zwar metatheoretischer Ebene gleichsam enttäuschten, aber auf methodologischer Ebene beibehaltenen erkenntnistheoretischen Fundamentierungsideal gekreuzt werden. Das Ergebnis nennt Putnam "negativen Essentialismus", da dann eben nur noch das als Merkmal der Sache zählt, was wir trotz bzw. im Bewusstsein der Unterbestimmtheit unserer Theorien sicher wissen; und das sind eben ausschließlich die provisorischen Postulate über den Gebrauch der Ausdrücke, die für die untersuchten Phänomene stehen sollen, d.h. Bedeutungsangaben - die dann allerdings zugleich als Gesamtheit dessen angesetzt werden, was für das Phänomen wesentlich ist. Auf diese Weise wird jedoch durch die Hintertür die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem einkassiert.
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erscheint, grundsätzlich eliminiert werden kann. Gegenüber dem Sprachsystem ohne diese Schlussregel dürfen sich also bis auf die Ausdrucksweise keinerlei neue Schlüsse ergeben. Klarerweise ist eine solche Konvention auf eine bestimmte Sprache relativ, denn sowohl die Schlussregeln als auch die Verhältnisse der Zeichen untereinander sind natürlich von Sprache zu Sprache unterschiedlich. Diese Feststellungen sind unumstritten. Der zweite Bereich des Willkürlichen ist erkenntnistheoretisch wesentlich interessanter. Denn in ihm werden bestimmte Aussagen, die erkenntnistheoretisch interessant sind, an jene Fälle assimiliert. Sowohl in Wittgensteins als auch in Carnaps Schlussfolgerungen aus der Unterbestimmtheit wurde ja deutlich, dass unter den strengen verifikationistischen Bedingungen der logischen Relation zwischen Hypothese und Erfahrung in der Praxis keine Hypothese durch die mit ihr zu beschreibende Erfahrung vorgeschrieben wird. Die Erklärungen innerhalb einer Theorie, d.h. die "Form der Gesetze", ist in diesem Sinne unabhängig von der Erfahrung. Es gibt also in erfahrungswissenschaftlichen Theorien Sätze, bei denen es nicht so sehr interessant ist, dass sie wahr sind, denn das wurde ja entschieden, sondern warum sie es sind, nämlich aus Entscheidung bzw. Festsetzung. Wie Putnam in seinem 1957 verfaßten Aufsatz "The Analytic and the Synthetic"108 sagt, sind solche Sätze "true because they are accepted as true, and because this acceptance is quite arbitrary in the sense that the acceptance of the statements has no systematic consequences beyond (...) e.g. that of allowing us to use pairs of expressions interchangeably" (68-9). In diesem begrenzten pragmatischen Sinne der Begründbarkeit ihrer Akzeptanz ähneln sie Definitionen durchaus. Wenn es sich nun bei so bestimmten Aussagen um in der Tat von der Erfahrung unabhängig in ihrem Wahrheitswert festlegbare Aussagen handelt, dann kann dies nur bedeuten, dass ihr Akzeptieren auch keine auf die Beurteilung der Wirklichkeit bezogenen Konsequenzen hat. Denn, wenn sie unabhängig von der Erfahrung gelten, dann kann auch keine Erfahrung sie als ungültig erweisen.109 1f)ft
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Dieser Aufsatz ist nach Putnams Selbsteinschätzung besonders interessant, weil er in ihm, seinen eigenen Worten in einem Interview nach, "erstmals mit eigener Stimme sprach" ("Interview mit Hilary Putnam", in Bum, A.: Hilary Putnam, 170-89, 177). Dies ist jedoch eine recht schwerwiegende Konsequenz aus dem Faktum, dass es im erfahrungswissenschaftlichen Bereich keine definitive Verifikation gibt, weil das zu verifizierende an den sprachlichen Ausdruck gebunden ist und dieser wiederum durch die Kontingenzen der vom Menschen verwendeten Sprachen und deren Bindung an Interpretationen gewisse konventionelle Elemente aufweist. Wie Earman in seinem Artikel "Carnap, Kühn, and the Philosophy of Scientific Methodology" (inHorwich, P. (ed.): World Changes. Thomas Kühn and the Nature of Science, Cambridge MA, London 1993, 9-36) bemerkt, ist es eine Sache zu sagen, dass das Akzeptieren gegebener Theorien nicht allein von den experimentellen Befunden abhängt, eine andere aber, daraus zu schliessen, dass es sich bei einer solchen Entscheidung daher prinzipiell nicht um so etwas handele wie "a scientific claim to be argued over the way one argues over other deep scientific claims, none of which ever gets definitely settled by the dictates of experimental evidence" (14). Gerade dann, wenn man eingesehen hat, dass konventionelle Elemente in den Erkenntnisprozess eingehen, befinden sich auch die Entscheidungen über die Annahme oder Verwerfung von Aussagen hohen Allgemeinheitsgrades hinsichtlich ihrer
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"Logisch unabhängig von bestimmten Erfahrungen" wird in bezug auf nicht logisch wahre und nicht durch direkte Konfrontation mit der Erfahrung gerechtfertigte Aussagen somit umgedeutet in "epistemisch unabhängig von der Erfahrung überhaupt", und sogar, wie Wittgensteins Äußerungen nahe legen und eben angesprochen, in "ganz und gar unbegründbar". Doch wenn die Annahme einer bestimmten allgemeinen Behauptung nicht begründbar ist, dann ist es auch die Verwerfung derselben, d.h. die Annahme ihrer Negation, nicht. Daher sind solche Aussagen auch unrevidierbar in dem Sinne, dass sie aus der Verwendung der Sprache heraus, in der sie gültig sind, nicht kritisierbar sind. Auch dies ist durchaus etwas, was sie mit Definitionen gemeinsam haben. Denn sie können weder definitiv als falsch erweisen werden, noch im selben Moment abgelehnt werden, m dem sie, wenn sie einmal akzeptiert sind, den Folgerungsbegriff der Sprache mitbestimmen. Man verstiesse bei der Annahme ihrer Negation gegen eine anerkannte "Regel der Sprache" bzw. ein "Bedeutungspostulat". Solche Aussagen sind also weder durch die in der fraglichen Sprache enthaltenen Erfahrungsurteile noch auf logischem Wege innerhalb der Sprache widerlegbar. Sie gehen dem Sprachgebrauch, und damit auch der Formulierung von Erfahrungsaussagen, absolut voraus. Die Behauptung im Rahmen der Methodologie, dass im Rahmen erfahrungswissenschafdicher Theorien eine gegebene Aussage so charakterisiert werden kann, hängt essentiell davon ab, dass diese Aussage (a) in der Tat keinerlei mögliche Begründungsbeziehungen zu nur unter Verwendung von Wissen über in der Situation nichtsprachliche Gegenstände rechtfertigbaren Aussagen hat und daher, dass (b) für beliebige Einzelaussagen die Begründungsbeziehungen eindeutig angebbar sind.
Insbesondere darf also eine solche Aussage und eine sie enthaltende Gesamtheit von erfahrungsunabhängigen Aussagen keinerlei Implikationen bezüglich der Eigenschaften des Interpretationsbereiches haben, z.B. darüber, welche Arten von Gegenständen darin existieren und welche Eigenschaften sie haben, oder was wir von ihnen wissen können. Ansonsten wäre ja zur Diskussion der Frage ihrer rationalen Akzeptierbarkeit - wie bei allen anderen wissenschaftlichen Fragen auch - der Rückgriff auf das bereits vorhandene Vorwissen erstens möglich und zweitens vermutlich erforderlich. Carnap und Wittgenstein folgern aus dem Faktum der Unterbestimmtheit, dem fundamentalistischen Erkenntnisideal des Empirismus bezüglich empirischer Sätze zusammen mit der weiteren Tatsache, dass eine Aussage, wenn sie Teil eines Überzeugungssystems werden können soll, als wahr akzeptiert sein muss, dass es grundsätzlich zwei Weisen gibt, in denen ein gegebener Satz als wahre Rechtfertigungsbedürftigkeit und der Grenzen menschlicher Rechtfertigungsfähigkeit auf einer Stufe mit den Unterbestimmtheiten innerhalb einer bereits akzeptierten und angewandten Theorie.
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Aussage gelten werden kann. Entweder aufgrund der Erfahrung (genauer: in nicht-hypothetischer Weise, aufgrund von Sinnesdaten [Wittgenstein], bzw. aufgrund des Korrespondierens mit einem die Beobachtung direkt ausdrückenden Protokollsatz [Carnap]) oder aufgrund der Festsetzung. Für die Rechtfertigung letzterer ist das Vorliegen bestimmter Erfahrungen irrelevant, für die Rechtfertigung ersterer sind theoretische Vorannahmen irrelevant (Wittgenstein) bzw. lassen sich explizit angeben und sozusagen herauskürzen (Carnap110). Hinsichtlich ihrer Rechtfertigung zerfallen also die gültigen Aussagen innerhalb empirisch gehaltvoller Überzeugungssysteme in rein a priori gültige Vereinbarungen über das Ausdrucksmittel (die "Form") der Überzeugungen und rein a posteriori gültige Überzeugungen. Semantisch ausgedrückt handelt es sich bei ersteren um analytisch wahre Sätze in der betreffenden Sprache, bei letzteren um in ihr synthetisch wahre Sätze. Da es sich bei den Aussagen der ersten Klasse um Festsetzungen über die Verwendung der Zeichen handelt, kann sich ihr Wahrheitswert nicht von Anwendungs- bzw. Bewertungssituation zu Bewertungssituation verändern, denn als Festsetzungen bzw. Verwendungsregem gelten sie ja über die Verwendung der Zeichen in allen Situationen. Sie müssen also in allen Bewertungssituationen als wahr gelten, in denen die Sprache verwendet wird. Somit stellen sich die in einer Sprache analytisch wahren Aussagen als in allen als Bewertungssituationen für die Sprache anerkannten Situationen gültig, d.h. notwendig wahrfär die Sprache heraus."1 Beispiele für in Analogie 110
Am deutlichsten zeigt sich diese Ansicht in Carnaps späterem in Reaktion auf Quines Kritik entstandenen Artikel "Empiricism, Semantics, and Ontology" (in Carnap, R.: Meaning and Necessity, 205-21), wo es heißt: "the introduction of (...) new ways of speaking does not need a theoretical justification because it does not imply any assertion of reality. (...) it must not be interpreted as referring to an assumption, belief, or assertion of 'the reality of the entities'." (214) Inwiefern Carnap theoretische Vorüberlegungen bei der Entscheidung nicht völlig ausschließt, wie Wittgenstein, aber davon ausgeht, dass sie im Endergebnis kaum nennenswerten Einfluss auf die epistemischen Implikationen der Sprach- bzw. Theoriewahl haben, zeigt sich am Ende von Abschnitt 2 dieses Artikels, wo er nicht völlig eindeutig, und vor allem in Abweichung von der scharfen Unterscheidung zwischen internen, theoretisch lösbaren und externen, nur praktisch bewertbaren Urteilen schreibt: "A question like 'Are there (really) space-time-points?' is ambiguous [Herv.v.mir]. It may be meant as an internal question (...) Or it may be meant in the external sense (...) in this case it is not a theoretical but a practical question, a matter of decision rather than assertion (...) Or finally, it may be meant in the following sense: 'Are our experiences such that the use of the linguistic forms in question will be expedient and fruitful?' This is a theoretical question of a factual, empirical nature. But it concerns a matter of degree; therefore the formulation in the form 'real or not?' would be inadequate." (213) 1 '' Vgl. Carnap, R.: "Philosophy and Logical Syntax", 449ff. Wichtig hierbei ist, die Relativierung nicht zu übersehen: denn die Annahme einer anderen Sprache bedeutet ja nicht schon als solche einen Widerspruch mit einer Alternative, und in dieser anderen Sprache können einfach andere Aussagen diesen Status haben. Dass eine bestimmte Aussage für eine Sprache notwendig wahr ist, heisst also nicht, dass es Aussagen gibt, die für alle Sprachen notwendig wären. Es ist ja den vorherigen Überlegungen zufolge gerade der Witz der Einsicht in die Unterbestimmtheit, dass die Sprachwahl frei ist und daher der Begriff absolut notwendiger Aussagen prinzipiell in sich widersprüchlich ist. Angesichts aller möglichen Entscheidungen für Sprachen ist es also eine empirische Frage, welche Aussagen notwendig sein werden.
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mit Definitionen zu behandelnde Aussagen sind die Aussagen im mathematischgeometrischen Teil physikalischer Theorien wie die Grundgleichung der kinetischen Energie im Rahmen der klassischen Mechanik "E^Vfcmv2" sowie in anderen Disziplinen, Aussagen über taxonomische Verhältnisse wie "Alle Katzen sind Säugetiere", "Eisen ist ein Metall" u.a.. Es ergeben sich aus dem vorigen im wesentlichen vier Folgerungen, die den Konventionalismus in der Tradition der analytischen Philosophie charakterisieren. Dazu zählt nicht das Faktum der Unterbestimmtheit, da dieses ja neutral gegenüber erkenntnistheoretischen Grundpositionen ist, die die induktiv vorgehenden Wissenschaften erforschen und den Begriff der voraussetzungslose Erfahrung als unverständlich betrachten, den Konventionalismus also nicht impliziert. Der Konventionalismus stellt vielmehr eine Interpretation dieses Faktums vor dem Hintergrund der Erfordernisse der in den Praktiken sichtbaren Elemente wissenschaftlicher Rationalität dar. Die Konsequenzen sind: (1) Es gibt im System der Erfahrungswissenschaften erkenntnistheoretisch relevante wahre Aussagen, die unrevidierbar im genannten Sinne sind; ihre Wahrheit verdankt sich willkürlicher Entscheidung. Die Annahme ihres Gegenteils ist ebenfalls willkürlich, solange die Aussage noch nicht akzeptiert ist, und logisch falsch, sobald letztere akzeptiert ist. (2) Innerhalb der wahrheitsfähigen Aussagen gibt es eine klare Unterscheidung zwischen Aussagen, die aufgrund der Erfahrung hinsichtlich ihres Wahrheitswertes beurteilbar sind ('synthetische Aussagen'), und solchen, für die dies nicht gilt, die aber trotz alledem einen Wahrheitswert erhalten müssen, um überhaupt wissenschaftliche Aussagen machen und rechtfertigen zu können ('analytische Aussagen'). (3) Bezugsobjekte der in der Theorie verwendeten und nicht durch geeignete Definitionen eliminierbaren Grundbegriffe sind genau solche Gegenstände, die die relevanten Aussagen aus (2) erfüllen. Letztere geben an, wann zwei Ausdrücke als dieselben zählen und was es heisst, dass sich ein Ausdruck in der Theorie immer auf dasselbe bezieht, d.h. eindeutig ist. Sie tun dies, indem sie Identitätskriterien für Gegenstände in Anwendungssituationen der Theorie angeben. (4) Die Möglichkeit der eindeutigen Bezugnahme mittels theoretischer Begriffe ist daher an diese postulierten Identitätskriterien gebunden. Die Gesamtheit der Identitätskriterien gibt an, was als Realisierung der Theorie zählt, und die Akzeptierung dieses Systems impliziert die Annahme der Existenz der sie erfüllenden Gegenstände; die Gesamtheit der analytisch angesetzten Aussagen definieren die Grundbegriffe in der minimalen Formulierung implizit und determinieren die Struktur der Objekte der Theorie.
These (1) erhält ihre Plausibilität aus der Analogie zu Nominaldefinitionen, These (2) die ihre aus der unbestrittenen Notwendigkeit zum Vollzug einer Wahl unter Alternativen angesichts der Unterbestimmtheit, die eher auf die Referenz
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bezogene These (3) macht sich die Arbitrarität der Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu eigen (denn selbst wenn es sich bei einem solchen Grundbegriff um einen bereits gebräuchlichen handelte, steht es einem ja wegen der Arbitrarität frei, was man damit bezeichnet), und die eher auf die Ontotogie bezogene These (4) stellt den Mechanismus dar, wie die Unterbestimmtheit der Bezugnahme mittels gegebener Begriffe durch die Erfahrung in eine Bestimmung der Begriffsverwendung durch die Struktur der Sprache umgewandelt wird. Die unter konventionalistischen Annahmen als unabhängig von der Erfahrung zu rechtfertigenden Aussagen haben also zweierlei verschiedene Funktionen zu erfüllen: einerseits werden durch eine Gesamtheit solcher Aussagen die wesentlichen Eigenschaften möglicher Gegenstände festgelegt, auf die die Theorie überhaupt angewendet werden kann, sie stellen also im Sinne Kants konsumtive Prinzipien dar. Andererseits besteht die semantisch-epistemologische Leistung bestimmter konventionell gerechtfertigter Aussagen darin, die für die Aufstellung von Behauptungen verwendete Sprache in eindeutiger Weise Gegenständen zuzuordnen, d.h. sie sind zugleich interpretative bzw. bewgsbestimmende Prinzipien.112 Anhand dieser zwei Funktionen kann man auch erkennen, dass die Begriffe "Theorie" oder "Sprache" eine gewisse Mehrdeutigkeit aufweisen können. Denn im Sinne der ersten Funktion dürfte unter "Sprache" oder "Theorie" wohl kaum eine wissenschaftliche Einzeltheorie zu verstehen sein, sondern eher eine Hintergrund- bzw. Vortheorie, die den Gegenstandsbegriff für viele Einzeltheorien bestimmt (etwa eine Theorie die Aussagen enthält wie "der Raum ist vierdimensional"). Im Sinne der zweiten Funktion jedoch muss man mit "Theorie" bzw. "sprachlicher Regel" auf konkrete Regularitäten aus sein, die die Verwendung einzelner Ausdrücke und Begriffsworte in bestimmten, für die Verwender ausreichend scharf unterscheidbaren Situationen regeln (etwa Aussagen wie "etwas, das aussieht wie dies ist ein Heliumatom"); hier findet zugleich eine Zurückführung von Ausdrucksweisen in einer Theorie auf Ausrucksweisen statt, die zur Situationscharakterisierung verwendet werden. Der Konventionalismus, den Putnam angreift, fasst sowohl die Konstitutionspnndpien als auch die Zuordnungsprinzipien als willkürlich auf. Beide Arten von Prinzipien müssen allerdings nicht unbedingt identisch sein, und sie sind es vermutlich ui den wenigsten Fällen. Selbst dann, wenn man (wie beispielsweise Carnap hi seinen späteren Arbeiten) davon ausgeht, dass die Zuordnungsprinzipien 117
Diese Aussagen erfüllen also, oder sie beanspruchen es zumindest, die Forderungen, die Kant an jede mögliche Erfahrungswissenschaft bzw. in einer solchen gültigen Aussage richtete, nämlich dass sie referieren und die Referenzrelation in allgemeiner Weise bestimmbar sein müsse, wenn überhaupt Erkenntnis möglich sein solle: "Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d.i. [Herv. v. mir] sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muss der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können." (Kritik der reinen Vernunft, B 195)
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als Postulate der Theorie hinzuzufügen sind, ist doch ihr Gebrauch in der Praxis verschieden von den Konstitutionsprinzipien. Daher kann man sich beispielsweise für eine eher konventionalistische oder konstruktivistische Ansicht in bezug auf die konstitutiven, aber eine eher 'realistische' bzw. materialistische Auffassung der Rechtfertigung der Zuordnungsprinzipien entscheiden. Hier wird ein in diesem Sinne sozusagen kompletter Konventionalismus unterstellt, da es dieser ist, den Putnam in der ersten Phase seiner Arbeiten angreift. Das Faktum der Unterbestimmtheit, das sich gerade aus den Überlegungen zur Form der empirischen Erkenntnis im Zeichen der linguistischen Wende ergeben hat, stellt das Problem, dass es angesichts desselben Inhalts der Erfahrung, wie immer er bestimmt sein mag (wie Wittgenstein sagt), Alternativen der Darstellung gibt. Dem versucht ja der Konventionalismus mit dem Hinweis darauf gerecht zu werden, dass es in gewissem Masse in unserer Hand liegt, welche der offenstehenden begrifflich-logischen Alternativen wir wählen (These 1), so lange sie nur mit den von uns auf unabhängigem Wege (These 2) als wahr betrachteten Erfahrungsaussagen verträglich sind. Wenn wir uns einmal entschieden haben, dann ist die Objektivität unserer Urteile über die Wirklichkeit im System dadurch gesichert, dass die Aussagen (inklusive der dafür erforderlichen Existenzannahmen (These 4)) ihre Wahrheitswerte eindeutig zugeordnet bekommen. 3.2. Die Grundlagen von Putnams Auseinandersetzung mit dem KonventionaUsmus Die Bestimmung von Putnams Verhältnis zum Konventionalismus ist für das Verständnis seiner Arbeiten insgesamt, aber besonders seiner frühen Arbeiten deswegen zentral, weil seine gegen Ende des vorigen Abschnittes genannte Position häufig dahingehend missverstanden wird, dass er die Vermitteltheit der Erfahrung und der Bezugnahme im Sinne der linguistischen Wende vernachlässigte. Dies ist jedoch, wie sich aus dem folgenden stark verkürzten Resümee des Konventionalismus besonders deutlich ergibt, keineswegs angemessen. Schon allem der Umfang der Arbeiten, in denen sich Putnam dem Thema "Konventionalismus" widmet, spricht dafür, dass er ihn und seine Grundmotivation nicht einfach vom Tisch fegt. Die Grundmotivation des Konventionalismus ist ja in nichts anderem zu sehen als dem Aufweis gewisser unübergehbarer pragmatischer Elemente in der theoretisch-empirischen Erkenntnis. Wenn sich Putnam also mit dem Konventionalismus auseinandersetzt und ihm diese Auseinandersetzung wichtig ist, so ist dies als Zeichen dafür zu werten, dass ihn genau dieses pragmatische Element und seme angemessene Berücksichtigung in der Rekonstruktion des Entscheidungsverhaltens innerhalb der Wissenschaften im speziellen und induktiver Praktiken im allgemeinen interessiert.
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Putnams Kritik und Ablehnung des Konventionalismus besteht denn auch eher darin, ihm mangelnde Konsequenz in bezug auf das Problem der Unterbestimmtheit vorzuwerfen. Putnams Analyse der den Erkenntnissubjekten in der Praxis zur Verfügung stehenden Mittel und der Funktionsweise der Sprache treibt vielmehr auch noch pragmatische Elemente bei der Bestimmung der Interpretation der Sprache (beim Vollzug dessen, was Reichenbach "Zuordnung" nennt) hervor. Das vermindert jedoch erhebüch die Aussichten darauf, dass bereits mit der außertheoretisch getroffenen Wahl einer Sprache als solcher die durch die sprachliche Vermitteltheit verlorengegangene Bestimmtheit der Gegenstände der Erfahrung (bzw. der Grundbegriffe zur Beschreibung der Erfahrung) geleistet werden könnte. Ohne diese fehlt jedoch, wie gesehen, auch den Wahrheitsbedingungen der Aussagen physikalischer Theorien ihre Bestimmtheit.113 Vor Putnam hatte bereits Quine, zuerst 1936 in "Truth by Convention"114 diese Konzeption grundsätzlich kritisiert, wo es in einem etwas anderen aber einschlägigen Zusammenhang heisst: "definitions are available only for transforming truths, not for founding them" (88). Diese Kritik vertieft und erweitert Quine in "Two Dogmas of Empiricism" und besonders "Carnap on Logical Truth".115 Im Unterschied zu Quines im Verlaufe dieser Aufsätze immer klarer zu Tage tretenden naturah'stisch-behaviouristischer Perspektive in bezug auf die nicht-konventionalistische Einschätzung des Status solcher Aussagen nimmt Putnam allerdings, wie bereits mehrfach angemerkt, einen normativpragmatischen Standpunkt ein. Das wird bereits daran erkennbar, dass Putnam wie die erste Generation der analytischen Philosophie, aber im Gegensatz zu einem Quineschen Naturalismus, die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen regulativen und deskriptiven Aussagen in einer Sprache als solche erkennt und zu 1
' Eine äusserst instruktive Darstellung der Motivation und des "formalistischen" Teils der hier angesprochenen Argumentation im Rahmen der ersten Generation der analytischen Philosophie diesen Jahrhunderts bietet Friedman, M.: "The History of Science and the History of Philosophy" inHorwich, P. (ed.): World Changes. Thomas Kühn and the Nature of Science, 37-55. Erweist auch darauf hin, dass es sich bei den beiden dort vorzufindenden Argumentationslinien, die die mathematisch-geometrischen Grundannahmen physikalischer Theorie ihrem Status nach einzuordnen versuchen, um nahezu unvereinbare Konzeptionen handelt. Denn das dem Konventionalismus zugrundeliegende formalistische Erbe mit seiner Konzeption der "impliziten Definition" der Grundbegriffe durch die niedergelegten Axiome fordert ja, die einzelnen Axiomensysteme als vor der Anwendung wahr anzusehen. Sie zählen damit als analytisch. Dies gerät jedoch mit der logizistischen Grundidee in Konflikt, dass die den Gebrauch eines Begriffes spezifizierenden Aussagen nur dann logisch wahr, d.h. analytisch sein können, wenn sie explizite Definitionen auf der Basis einer gegebenen Logik sind. Daher können Erweiterungen dieser Logik für den Logizisten - wie sie in Axiomensystemen vorliegen, die außerlogische Ausdrücke in nicht eliminierbarer Weise gebrauchen, wie Friedman zutreffend formuliert, "not count as specifications of meaning at all." (51) 114 In Quine, W.V.O.: The Ways of Paradox and Other Essays, Cambridge MA *1976, 77-106. 1 Orig. 1963, hier zitiert nach dem Wiederabdruck in Quine, W.V.O.: The Ways of Paradox, and Other Essays, 107-132, speziell 118ff.
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motivieren versucht (man könnte geradezu sagen, dass Putnam die Einsichten der ersten Generation zu Syntax und Logik übernimmt und in den Interpretationsprozess einbaut).116 Putnams weitergehende Frage lautet in etwa, ob die Übernahme bestimmter theoretischer Systeme innerhalb von induktiv verfahrenden Praktiken in der Tat mehr bedeutet als eine reflexiv gefällte pragmatische Entscheidung zum Arbeiten mit einer Theorie, d.h. bestimmte Erklärungen als wahr anzuerkennen, weil man gute Gründe hat. Denn in einem konventionalistischen Modell trifft man ja nicht einfach nur eine mehr oder minder gut gerechtfertigte Entscheidung, wenn man eine Theorie annimmt, sondern man nimmt damit zugleich eine epistemsche Einstellung zu der betreffenden Theorie ein, nämlich dass sie a priori gilt und ihre Aussagen unrevidierbar sind. Man verlöre in diesen Fällen die in induktiven Praktiken geschulte Urteilsschärfe, dass die (metasprachliche) Annahme, dass eine bestimmte Aussage, sei sie nun theoretisch abstrakt oder konkret, wahr ist, nur zu einem bestimmten Grad vor dem Hintergrund dessen gerechtfertigt ist, was man bereits weiß. Man müsste sozusagen nach der Abwägung der Alternativen und der hinsichtlich des Zutreffens vorbehaltlichen Akzeptierung umschalten und von demjenigen, was man akzeptiert hat, absolut überzeugt sein, obwohl man Gründe kennt, die gegen eine solche Einstellung sprechen.117 Dieser nonkognitive Bruch in der Urteilstätigkeit ist jedoch nicht aus den Eigenschaften der Praxis selbst zu entnehmen, in der die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden, obwohl er trotz allem als mit normativen Folgen behaftet verstanden werden muss. Denn wenn eine Theorie einmal akzeptiert ist, ist ja der Objektivitätsbegriff hinsichtlich der Urteile weitgehend bestimmt (s.o.). Der konventionalistische Versuch, den pragmatischen Elementen gerecht zu werden, die unweigerlich in die wissenschaftliche Forschung eingehen, wenn die Interpretation der Theorien und die Entscheidung für die eine oder andere Theorie nicht determiniert ist durch das, was wir bereits aus Erfahrung wissen, greift also zu kurz, weil die
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Im Rahmen dieser Arbeit sollen nur die pragmatischen Ideen Putnams zur Sprache kommen. Michael Friedman zeigt in der in der vorigen Fussnote genannten Arbeit, wie der Konventionalismus aus logisch-mathematischen Gründen - wie den Ergebnissen Gödels, von Löwenheim und Skolem - in immanente Schwierigkeiten kommt. Besonders zu erwähnen wären dabei ausserdem vielleicht noch die Untersuchungen Tarskis zur Definierbarkeit. Dies soll nur deshalb erwähnt werden, weil Putnam im Verlaufe seiner Entwicklung mehr und mehr nach Formen und Argumenten sucht, die auf genau diese Ergebnisse aufbauend Elemente interpretativer Praktiken aufzeigen, in denen sie sich bemerkbar machen. Mit anderen Worten argumentiert Putnam zunächst aus der Praxis heraus, und versucht später, die Umstände, derer er sich bei seinen Argumenten in dieser Anfangsphase bedient hat, als Fälle zu behandeln, in denen sich die logischen (d.h. die Möglichkeiten unseres Urteilsvermögens bestimmenden) Zusammenhänge bemerkbar machen, die den Konventionalismus prinzipiell in Schwierigkeiten bringen. Eine analoge Argumentation findet sich in bezug auf die Theorienbeurteilung bei Barman, J.: "Carnap, Kühn, and the Philosophy of Scientific Methodology", 22f..
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Beurteilung der Art und Reichweite der Geltung der Theorie in ihm rächt pragmatisch einholbar ist. Putnams Kritik bedeutet nicht etwa, wie vielfach wegen des Namensschildchens "Realismus" vermutet, eine Ablehnung des Standpunktes und semer Motivation, sondern eine Anerkennung des Problems und den Vorwurf an den KonventionaÜsmus, die pragmatischen Elemente in der Theoriebildung nicht auf die Urteilsbildung bezogen zu haben, d.h. nicht kognitivistisch erklärt zu haben. Auch Putnam begreift also, wie Reichenbach und Carnap, das Erkenntnisproblem im Sinne der "zunehmenden Bestimmung der Zuordnungsrelation zwischen Sprache und Welt""8, kommt aber gerade aufgrund der Einsichten seiner Vorgänger und der Vollendung der pragmatischen Reformulierung der Struktur dieser Aufgabe zu fundamental anderen Einsichten.
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Auch hier ist es instruktiv, die bereits in dieser Formulierung des Problems enthaltenen Kantischen Untertöne herauszuhören. Denn wenn man von den unvermeidlich wenig differenzierten sprachphilosophischen Mitteln in der Darstellung absieht, kann man dieses Programm in einer Rohfassung bereits bei Kant so formuliert finden. Was die Fassung dabei in Abstand zu einem modernen sprachphilosophischen Vorgehen bringt ist interessanterweise nicht, dass die Erkenntnisvorgänge nicht als interpretativ (oder, wie Kant sagt 'diskursiv') strukturiert verstanden werden, sondern vielmehr, dass Kants Gegenstand nicht die Sprache, sondern das Bewusstsein ist. So schreibt Kant beispielsweise in einer die entsprechenden Ideen aus der Kritik der reinen Vernunft erläuternden Passage in Prolegomena zu einerjeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaß wird auftreten können über die Tätigkeit bzw. Funktionsweise des Erkenntnisapparates 'reine Vernunft': "Die reine Vernunft fordert, dass wir zu jedem Prädikate eines Dinges sein ihm zugehöriges Subjekt, zu diesem aber, welches notwendiger Weise wiederum nur Prädikat ist, fernerhin sein Subjekt und so forthin ins Unendliche (oder so weit wir reichen) suchen sollen. (...) die spezifische Natur unseres Verstandes [besteht] darin, alles diskursiv, d.i. durch Begriffe [Herv. v. mir], mithin auch durch lauter Prädikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muss." (A 135) Kant macht bereits in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass man daher der Erkenntnistätigkeit einen teilweise regulativen Charakter zuschreiben muss: "hieraus folgt, dass wir nichts, wozu wir gelangen können, für ein letztes Subjekt halten sollen, und dass das Substantial selbst niemals von unserem noch so tief eindringenden Verstande (...) gedacht werden könne" (ebd.) Das Problem der Unterbestimmtheit der Beziehung zwischen Erkenntnismedium und Gegenstand ist hier ebenso sehr enthalten wie ein Lösungsvorschlag, nämlich eine 'diskursive1 Bestimmung so weit voranzutreiben 'wie wir reichen' (und dann dieses 'Subjekt' als Gegenstand zugrundezulegen, ohne der Illusion zu verfallen, dass es sich bei dieser einen Interpretation um die einzig mögliche handele). Bereits Kant weist also daraufhin, dass die Bestimmung unserer Erkenntnis nur so weit reicht wie unsere diskursiv verfügbaren begrifflichen Möglichkeiten. Diese Analogie scheint mir nahezulegen, dass ein Ansatz wie der Putnams grundsätzlich vereinbar mit einer prinzipiellen Ablehnung der Annahme dessen ist, was Kant das 'absolute Subjekt' eines Satzes nennt, d.h. dass die 'realistisch-normativen' Grundannahmen vereinbar mit der Ablehnung einer erkenntnisformunabhängigen (und damit nonkognitiven, weil, in Kants Worten gesagt, nur in einer speziellen Form der Anschauung gegebenen) metaphysischen Letztbestimmtheit des Referenten (oder besser: von dessen Essenz) sind. Nichtsdestoweniger lässt sich aber im Vergleich mit der zuvor zitierten Stelle aus der Kritik der reinen Vernunft bereits ein Konflikt zwischen den Erfordernissen erkennen, die aus der Bestimmung des Inhalts der Erkenntnis (das 'Geben' des Gegenstandes) folgen und den Folgen, die sich aus der Methode der Konstitution des Zugangs dazu (die unendliche Serie von Prädikaten) ergeben.
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Wie gesehen, enthält der Konventionalismus zwei Bezüge auf die "Rechtfertigungsmethode" der Festsetzung: einerseits im Bereich der Konstitutions- und andererseits im Bereich der Zuordnungsprinzipien. Zunächst will ich die Putnamsche Auseinandersetzung mit dem Status und den Implikationen von für den Realitätsbegriff konstitutiven Prinzipien innerhalb der erfahrungswissenschaftlichen Praxis darstellen, um dann auf seine Konzeption der Zuordnungsprinzipien zu sprechen zu kommen, die einen direkten Übergang zu Putnams berühmt gewordener Bedeutungstheorie darstellt, die Gegenstand des nächsten Teils sein soll. 3.3. Putnams Vorschlag mm Verständnis der Rolle von Rahmentheorien: Konstitutionsprinzipien Putnams Darstellung der veränderten Welt in der Erkenntnistheorie in den sechziger Jahren findet sich wohl am pointiertesten in seinem Artikel "Philosophy of Physics" aus dem Jahre 1965, wo es zu dem in der konventionalistischen These (1) angesprochenen Thema heisst: It has often been said that there are no 'necessary truths' in physical theory. If this means that no statement - or virtually no statement - is immune from revision, well and good. But today we have to worry about the distortions of contemporary empiricism much more than the distortions of Kantianism. And if it was a distortion on the part of Kantianism to hold such statements as 'every event has a cause', 'space has three dimensions', the principles of geometry, etc., are immune from revision, it is equally a mistake to assimilate them, as some empiricist philosophers of science have, to ordinary empirical generalizations. One might indeed say (...) that there are necessary truths in physics, but they can be revised if necessary! (88)
An der letzten Formulierung wird erkennbar, dass Putnams zuvor nachgezeichnete Überlegungen zum holistischen Charakter der Überzeugungsbildung in bezug auf als empirisch gültig intendierte Theoriesysteme ihn nicht zu der vorschnellen Folgerung führt, nun alle epistemisch und methodologisch wichtigen Begründungszusammenhänge nach dem Vorbild der Rechtfertigung partikularer Tatsachenfeststellungen zu verstehen, und damit gegen die Feststellung zu verstoßen, dass sich die abstrakten Verallgemeinerungen und Begriffe avancierter erfahrungswissenschaftlicher Theorien nicht aus der Abstraktion von partikularen Erfahrungsurteilen rekonstruieren lassen. Auf der anderen Seite führt ihn die Anerkennung der Unterbestimmtheit der theoretischen Verallgemeinerungen und Begriffe durch das Erfahrungsmaterial jedoch auch nicht dazu, sie als auf ganz anderem Wege zu rechtfertigend anzusehen als die übrigen Aussagen innerhalb des mit der Interpretation und Systematisierung von Erfahrungen verbundenen Überzeugungssystems der Wissenschaft. Die schembare Paradoxie der Formulierung erfährt eine gewisse Auflösung, wenn man eine Differenzierung innerhalb
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der pragmatischen Bedingungen der Rechtfertigung vornimmt, die bei beiden Möglichkeiten übersehen wird: The important point (...) is that there may not be 'necessary truths' in the sense of 'apodictic1 judgments119, but there are such things as framework prinäples120 in science, and the revision of framework principles is (a) possible (this is often overlooked by philosophers who mistakenly classify them as 'analytic' (...)), but (b) quite a different matter from the revision of an ordinary empirical generalization. (88)
1
' Hier könnte Putnam auf Reichenbachs Kantinterpretation in Relativitätstheorie und Erkenntnis A priori, anspielen. Dort unterscheidet Reichenbach in Kapitel V. innerhalb des Kantischen Apriorizitätskonzepts zwei Funktionen: "Der Begriff des A priori hat bei Kant zwei verschiedene Bedeutungen. Einmal heisst er soviel wie "apodiktisch gültig", "für alle Zeiten gültig", und zweitens bedeutet er "den Gegenstandsbegriff konstituierend"." (46) Im Sinne der zweiten Bedeutung bestimmt Reichenbach dann, wie gesehen (s.S.94), die Erkenntnis als Vollzug der "eigentümlichen Relation zwischen dem wirklichen Ding und dem Begriff' (48) und vollzieht damit die linguistische Wende, in enger Anlehnung an Kant: "erst durch die Zuordnung des Begriffs [wird, A.M.] definiert (...), was in dem 'Kontinuum1 der Wirklichkeit ein Einzelding ist, und (...) erst der begriffliche Zusammenhang aufgrund von Wahrnehmungen entscheidet, ob ein gedachtes Einzelding 'in Wirklichkeit da ist'." (48) Als Zuordnungsprinzipien bezeichnet Reichenbach die allgemeinen Annahmen Über die Struktur der Welt der Erfahrung: die Annahmen der geometrischen Metrik, die Axiome zur Zeitrichtung (Kausalität) etc.. Sie dienen der Bestimmung von Entitäten als realen Gegenständen und sind im zweiten Sinne a priori: "Denn indem sie die Zuordnung bestimmen, werden durch sie erst die Einzelelemente der Wirklichkeit definiert, und in diesem Sinne sind sie konsumtiv für den wirklichen Gegenstand". (50) Nach dem Nachweis, dass es weder logisch unmöglich ist, dass an diesen Prinzipien durch die Erfahrung rechtfertigbare Änderungen vorgenommen werden noch logisch notwendig, dass ein System solcher Prinzipien privilegiert werden müsse, kommt Reichenbach zu dem Ergebnis: "Der Begriff des A priori erfährt durch unsere Überlegungen eine tiefgreifende Wandlung. Seine eine Bedeutung, dass der apriorische Satz unabhängig von jeder [Herv.v.mir] Erfahrung ewig gelten soll, können wir (...) nicht mehr aufrecht erhalten. Um so wichtiger wird dafür seine andere Bedeutung: dass die aprioren Prinzipien die Erfahrungswelt erst konstituieren. In der Tat kann es kein einziges physikalisches Urteil geben, das über den Stand der bloßen Wahrnehmung hinausgeht, wenn nicht gewisse Voraussetzungen über die Darstellbarkeit des Gegenstandes (...) gemacht werden. Doch daraus darf nicht geschlossen werden, dass die Form dieser Prinzipien von vornherein feststeht und von der Erfahrung unabhängig sei." (74) Kants methodologische Analyse stimmt also, denn "die Zuordnungsprinzipien bedeuten die Vernunftkomponente der Erfahrungswissenschaften", doch dies ist relativiert auf "ihre[n] jeweiligen Stand." (83) Aber sie sind "eine besondere Klasse von Prinzipien", die "für den logischen Aufbau der Erkenntnis eine ganz andere Stellung haben" als die partikularen Naturgesetze, weswegen sich "die Lehre vom A priori [in die Erkenntnis, A.M.] verwandelt: (...) dass eben diese logische Funktion der Klasse eine Sonderstellung gibt, deren Bedeutung mit derart der Entdeckung dieser Prinzipien und ihrer Geltungsdauer nichts zu tun hat. [Herv.v.mir]" (83) Daher gilt: "A priori bedeutet vor der Erfahrung, aber nicht: für alle Zeit, und nicht: unabhängig von der Erfahrung." (100) Auf die Reinterpretation dieser Begriffe durch Putnam soll gegen Ende diesen Abschnitts noch ausführlicher eingegangen werden. Wenn im Folgenden im Text im erläuternden, nicht nur darstellenden Teil von "apriorischen Annahmen" oder ähnlichem die Rede ist, dann ist immer dieser Sinn intendiert. 120 Diese Ausdrucksweise stammt meines Wissens von Camap, der in "Empiricism, Semantics and Ontology", die wirkungsgeschichtlich einflussreiche Unterscheidung zwischen dem sprachlichen "framework" und seiner Existenz und den innerhalb seines Rahmen entscheidbaren Existenzfragen vorgeschlagen hat (§2, 206ff.).
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Putnam bringt die Diskussion um den epistemologischen Status dieser Rahmenbedingungen physikalischer Theorien wenig später auf den Punkt, indem er zwei Grundpositionen unterscheidet: Those in the one camp - the 'analyticity theorists', as we might call them - have contended that, at least given the pre-relativity meaning of the crucial geometrical terms (...), the laws of Euclidean geometry are analytic [Herv.v.mir]. On this view, if we today say that space is Riemannian [Herv.v.mir](...), then we are simply changing the meaning of these (...) terms. (...) the self-styled 'empiricists' - have contended that the laws of geometry are and always were empirical, and that the question which geometry holds in the physical world [Herv.v.mir] is and always was a purely empirical question, to be decided by empirical tests. (88-9)
Da hier die Details der Debatte in der Theorie der Geometrie nicht im Zentrum stehen, gilt es zunächst, das Problem zu präzisieren, um das es geht. Denn es geht natürlich weder um die Frage der Existenz einer oder der anderen geometrischen Theorie, es geht auch nicht um ihre Annahme aus logischen Gründen. Die Frage, die Putnam von beiden Seiten beantwortet sieht, lässt sich aus den beiden hervorgehobenen Formulierungen erkennen. Die geometrischen Axiome müssen, wenn sie innerhalb der Praxis der physikalischen Theoriebildung und prüfung gelten, eine allgemeine Aussage empirischer Natur beinhalten ("space is Riemannian"). Doch die Geltung der Axiome muss vor dem Hintergrund des Wissens um die vorhandenen Theorien und eines gewissen Vorwissens um den darzustellenden Bereich für das Gesamtsystem der Axiome in einer Metasprache bestimmt werden ("which geometry holds"), stellt also mit Bezug auf den Gebrauch der darstellenden Objektsprache eine Vorentscheidung dar. Die Analytizitätstheoretiker werden also vor die Frage gestellt, ob das Gesamtsystem der Geometrie mit einer auf anderem Wege erhaltenen empirischen Aussage konfrontiert werden kann und sich gegebenenfalls als ungültig erweisen kann. Die 'Empiristen' werden gefragt, ob und in welchem Sinne man von einer "Überprüfung" eines konsumtiven Gesamtsystems von Vorannahmen sprechen kann. Putnam fragt sich also, was der Status der geometrischen Axiome ist, wenn die Grundgesetze der Geometrie abstrakte Darstellungsmittel der Eigenschaften des Raumes sind, in dem sich die Ereignisse abspielen, die eine physikalische Theorie beschreibt. 3.3.1. Putnams pragmatische Transformation der Modalitäten Die Analytizitätstheoretiker fassen die Axiome der Geometrie, welche dies auch immer sei, als in sich widerspruchsfreies System auf, das, wenn es als geltend angesetzt wird, den Raum als solchen bzw. jeden möglichen Raum beschreibt. Der Raumbegriff bzw. die Raumeigenschaften, die jegliche physikalische Theorie als gegeben annehmen muss, um dann Bewegungen und Positionen
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zu beschreiben, ist durch die Axiome gegeben. Die Eigenschaften des physikalischen Raums können also, unter der Voraussetzung, dass eine bestimmte Geometrie als Hintergrundtheorie angenommen wird, den hierin bestimmten Eigenschaften nicht widersprechen. Benötigt man daher, aus welchen Gründen auch immer, zusätzlich weitere oder gar verschiedene Annahmen über die Gesetze im Raum, um bestimmte physikalische Zusammenhänge beschreiben zu können, muss man die Axiome entweder erweitern oder verändern. Und dabei kommt es, da sich die Aussagemöglichkeiten des Gesamtsystems verändern (d.h. dass andere Aussagen gültig und ungültig werden als vorher und andere Modelle als Realisierungen der geometrischen Theorie konstruiert werden können), zur Veränderung der Bedeutimg der Grundbegriffe. Der besondere Charakter solcher Grundbegriffe besteht eben gerade darin, dass ihre Interpretation fast ausschließlich dadurch spezifiziert werden kann, dass man die theoretischen Zusammenhänge angibt, in denen sie erscheinen: Spatial locations play an obviously fundamental role in all of our scientific knowledge and in many of the operations of daily life. The use of spatial locations requires, however, the acceptance of some systematic body of geometrical theory.31
Es handelt sich also bei den Elementen der Rahmentheorien um Begriffe, deren Interpretation den Grenzbegriff dessen ausmacht, was zuvor als "Theorienbeladenheit" der Interpretation angesprochen worden ist. Es ist bei ihnen nicht nur so, dass sie nur unter Berücksichtigung der Zusammenhänge interpretiert werden können, die sie mit anderen Begriffen aus demselben Korpus an Vorwissen unterhalten, sondern sie stellen darüber hinaus, bildlich gesprochen, selbst die Theorie dar, mit der die Interpretation vieler anderer zentraler Begriffe in anderen theoretischen Zusammenhängen "geladen" wird. Die Gesamtheit der rahmentheoretischen Axiome stellt in diesem Sinne eine stillschweigend in Anspruch genommene Zusatzprämisse in etlichen anderen empirischen Aussagen innerhalb eines gegebenen Systems von Überzeugungen dar.122 Diese pragmatische Beschreibung der Rolle von Rahmentheorien gibt Putnam in "The Analytic and the Synthetic": there are many, many principles - we might broadly classify them as 'framework principles' - which have the characteristic of being so central that they are employed as auxiliaries to make predictions in an overwhelming number of experiments, without themselves being jeopardized by any possible experimental results. (48) 121
"It Ain't Necessarily So", 243. Bei der Formulierung und Rekonstruktion der Modalitäten in diesem und dem folgenden Abschnitt habe ich sehr von den Arbeiten von W.K. Essler zum Thema profitiert: "Über synthetisch-apriorische Urteile"; Analytische Philosophie I, 266-79; "Der erkenntnistheoretische Status synthetisch-apriorischer Urteile bei der Gewinnung von Erfahrungserkenntnissen" (1974), 68-83; "Fundamentals of a Semi-Kantian Metaphysics of Knowledge", 106-15.
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Solche Grundannahmen werden used in innumerable physical experiments (...) without ever being regarded as [Herv.v.mir] themselves subject to test in the particular experiment. (44)
Gerade deswegen, weil sie - pragmatisch gesehen - Zasatiprämissen bei der Ermittlung des Wahrheitswertes einer großen Menge empirischer Aussagen verschiedenen Allgemeinheitsgrades sind, kann es ja überhaupt plausibel erscheinen, sie als analytisch zu verstehen: es sind wahre Aussagen, die bei der Ermittlung der Wahrheitswerte vieler unterschiedlicher empirischer Aussagen in einer epistemischen Situation vorausgesetzt werden, wenn diese bestimmte Begriffe (Raum, Zeit, etc.) benutzen. Die Annahme ihrer Wahrheit kann dann zumindest von keiner einzelnen der Erfahrungsaussagen abhängen, die durch sie erst begründet werden. Wenn das Vorherige nämlich stimmt, dann kann ja eine wahre empirische Aussage, deren Wahrheitswert unter Zuhilfenahme dieser Zusatzprämissen korrekt ermittelt worden ist, nicht direkt mit den Prämissen in Widerspruch geraten, die bei der Ableitung einer wahren Aussage alle als wahr gelten müssen. Die Annahme der Wahrheit der Axiome der Rahmentheorie geht also der Wahrheitsennittlung empirischer Aussagen in diesen Fällen voraus, und in diesem Sinne (dem, den Reichenbach mit dem Begriff 'konstitutiv' gekennzeichnet hat) kann man ihren epistemischen Status als a priori für diese Situationen bestimmen. Insoweit stimmt Putnam den Analytizitätstheoretikern aus seiner dgenen Analyse der pragmatischen Bedingungen der Urteilsbildung zu. Klarer als diese betont er allerdings die beschränkte Geltung von Rahmenprinzipien als pragmatischen Voraussetzungen: erstens gilt ein bestimmter Satz solcher Annahmen nur relativ auf einen historisch und theoretisch partikularen Korpus empirischen Wissens ohne Ausnahmen und in der Art von Erkenntnisvoraussetzungen. Das bedeutet, dass ein und dieselbe Aussage einmal als Prinzip, und in einer anderen Situation als begründungsbedürftige Hypothese erscheinen kann. Dass eine Aussage "a priori" in diesem pragmatischen Sinn gilt, impliziert also nicht, dass sie "absolut" oder "unbedingt" wahr ist (und, wenn "true come what may" eine Definition von "analytisch" sein soll, dann auch nicht, dass sie analytisch-üi-allen-erlaubten-Erweiterungen-der-gegenwärtig-akzeptierten-Rahmentheorie ist). Es bedeutet auch nicht, dass die Rechtfertigung einer solchen Aussage 'unabhängig von der Erfahrung1 erfolgen müsste, sondern nur, dass alle Erfahrungen, die wir mit ihr begründen können, gemeinsam als Bestätigungs - oder Verwerfungsgrundlage zu betrachten sind. Kontextuell apriorische Aussagen gelten also im Lichte der Erfahrung™ (im Sinne der Plausibilität, 123
Bis auf die in den vorangehenden Zitaten vorgenommene Historisierung des Inhalts der Erfahrungserkenntnis gelangt man mit dieser Putnamschen Analyse fast wörtlich in Übereinstimmung mit dem, was Kant in der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft zum schillernden Status der Grundsätze der reinen Vernunft zu sagen hat (B762-7). Dort qualifiziert er die Grundsätze reiner Vernunft (d.h. die konstitutiven Prinzipien) als weder analytisch, noch
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die die synthetischen Konsequenzen ihrer Annahme als genereller Prämissen angesichts von als gesichert geltenden empirischen Erkenntnissen beanspruchen können, deren Beschreibung nicht diese speziellen Voraussetzungen, sondern entweder unterschiedliche oder davon unabhängige Voraussetzungen macht). Zweitens macht Putnam deutlich, dass die Geltung solcher Prinzipien als Rahmenprinzipien beschränkt ist darauf, dass es sich um von den Tdlnehmem für wahr gehaltene Voraussetzungen handelt. Sie müssen nicht wahr sein, sondern müssen von den Teilnehmern an erfahrungswissenschaftlichen Praktiken für unproblematisch wahr bzw. für im Untersuchungskontext erfüllt gehalten werden. Es handelt sich also bei ihrem Sonderstatus um eine epistemische Eigenschaft, erfahrungsunabhängig geltend, weil ihre notwendige Geltung lediglich im Lichte der durch sie konstituierten Erfahrung überhaupt entsteht. Zugleich verwirft Kant die Ansicht, es handele sich um Dogmen, d.h. bestimmte erfahrungswissenschaftliche (und somit durch bestimmte Erfahrungen widerlegbare) Aussagen, die a priori gesetzt sind, da sie auf die Gesamtheit möglicher Erfahrungsaussagen anzuwenden sind (d.h. in all diesen als Prämissen gelten). Somit gesteht Kant aus der Logik seiner Theoriearchitektur heraus bereits die Erfahrungsbedingtheit der notwendigen Geltung des physikalischen Teils der synthetisch a priorischen Grundsätze der Erfahrungswissenschaft zu, die sie von der ausnahmslosen Unbedingtheit analytischer und mathematischer (konstruktiv-synthetischer) Grundsätze unterscheidet. Ergänzt man diese fundamentale Einsicht durch die Einsicht in die historische Veränderlichkeit des Inhalts der Erfahrungsvoraussetzungen und verallgemeinert ihre Anwendung auf den mathematischen Apparat der theoretischen Physik, so gelangt man zum Reichenbach-Putnamschen Standpunkt, dass die Erfahrungsvoraussetzungen ihrerseits durch die historische Erfahrung mit ihnen selbst kritisierbar und vernünftig veränderbar sind. Auf diese Weise wird die Kantische Argumentation sichtlich nur angepasst, aber nicht verworfen, da damit lediglich der Gehalt, jedoch nicht der normative Status der nichtanalytischen Erfahrungsvoraussetzungen betroffen ist. Damit bleibt die wichtigste Konklusion Kants erhalten, dass nämlich bereits in den Praktiken des Erwerbs von Erfahrungserkenntnis unweigerlich normative Elemente enthalten sind, die sich in Form von Objektivitätsunterstellungen nachweisen lassen. Da dieser von Putnam damals sicherlich unbemerkte - und vielleicht durch die unbemerkte Beeinflussung durch den Kantkenner Reichenbach zustande gekommene - Anschluss an die Kantianische Tradition normativer Rekonstruktionen der Erfahrungserkenntnis für die Bewertung seines durchgängig normativen Standpunkts (etwa im Gegensatz zu Quines Naturalismus) wichtig ist, möchte ich die entsprechende Stelle aus der Kritik der reinen Vernunft hier anfuhren: "Ich teile alle apodiktischen Sätze (...) in Dogmata und Mathemata ein. Ein direktsynthetischer Satz aus Begriffen ist ein Dogma (...) analytische Urteile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Gegenstande, als was der Begriff (...) schon in sich enthält (...) Sie können daher nicht füglich Dogmen heißen (...) Aber unter den gedachten zweien Arten synthetischer Sätze a priori (...) [würde man] schwerlich die Sätze der Rechenkunst, oder Geometrie, Dogmata nennen. (...) Nun enthält die ganze reine Vernunft (...) nicht ein einziges direktsynthetisches Urteil aus Begriffen [d.h. besonderen Inhalts, A.M.]. Denn (...) durch Verstandesbegriffe (...) errichtet sie zwar sichere Grundsätze, aber (...) immer nur indirekt durch Beziehung dieser Begriffe auf (...) mögliche Erfahrung; da sie denn, wenn diese (etwas als Gegenstand möglicher Erfahrungen) vorausgesetzt wird, allerdings apodiktisch gewiss sein, an sich selbst aber (direkt) a priori gar nicht einmal erkannt werden können. So kann niemand den Satz: alles, was geschieht, hat seinen Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen allein gründlich einsehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem anderen Gesichtspunkte, nämlich dem (...) Felde seines möglichen Gebrauchs, d.i. der Erfahrung, ganz wohl und apodiktisch bewiesen werden kann. Er heisst aber Grundsatz (...), ob er gleich bewiesen werden muss, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, dass er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei dieser immer vorausgesetzt werden muss." (B764-5)
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und zwar die, für wahr gehalten zu werden, ohne dass das Gegenteil untersucht werden müsste: man setzt das, was diese Aussagen beschreiben, als Tatsache oder komplexen Zusammenhang in der Welt voraus, solange man mit der entsprechenden Untersuchung beschäftigt ist. Das schliesst durchaus nicht aus, dass das Gegenteil eines Rahmenprinzips wahr sein könnte und, in einem späteren Kontext, berechtigt für wahr gehalten werden könnte. Dem traditionellen Begriff des A priori haftet nun ein Element an, das dem tatsächlichen Verlauf der Theoriegeschichte widerspricht, nämlich ein Element, das man salopp als "einmal a priori, immer a priori" bezeichnen könnte (in Reichenbachs Sprechweise: ihre 'Apodiktizität'). Traditionell sind apriorische Annahmen nämlich pragmatisch absolut unrevidierbar, gerade weil sie aus begründungslogischen Gründen nicht direkt mit empirischen Aussagen in Widerspruch geraten können. Diese Auffassung spiegelt sich noch in der Meinung der Analytizitätstheoretiker wider, dass eine Veränderung der abstrakten Beschreibung des physikalischen Raumes unter Beibehaltung von Teilen des Vokabulars nur als Veränderung der Bedeutung begreiflich zu machen ist, d.h. dass es sich bei den Aussagen vor und nach der Veränderung selbst dann um verschiedene Aussagen handelt, wenn sie in den selben Worten verfasst und in denselben praktischen Situationen verwendet werden, um in gleicher Weise zur Ermittlung des Wahrheitswertes in Frage stehender Aussagen beizutragen. Selbst wenn also der pragmatische Weg zur Feststellung der Wahrheit einer gegebenen Aussage sich in bestimmten Fällen überhaupt nicht verändert, und die Ergebnisse weitgehend übereinstimmen, kann es sich, weil die individuellen Aussagen gegenüber empirischen Widerlegungen immun sind, nur um zwei verschiedene Aussagen handeln. Wird dies jedoch konzediert, dann handelt es sich bei jeder Aussage, die im Sinne der konstitutiven Bedingung empirischen Urteilens in einer Situation angenommen worden ist, in jedem Kontext um eine solche, oder aber, wenn sie in anderer Rolle in einer Rechtfertigung erscheint, um eine andere Aussage. Auf diese Weise wird eine solche Aussage jedoch undiskutierbar und, schlimmer noch, der Rechtfertigung entzogen. Dies widerspricht jedoch dem gerade zuvor ausgemachten Charakter solcher Aussagen als relevanter Teil der empirischen Urteilsbildung. Denn als solche müssen diese Voraussetzungen ja in Anspruch genommen werden können und demzufolge gerechtfertigt gebraucht werden können, was ihre Kritisierbarkat oder zumindest die Möglichkeit ihrer rationalen Beurteilung impliziert. Ein anderer Widerspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass es unter diesen Voraussetzungen ja Aussagen gäbe, die für alle Situationen, unabhängig (und nur deshalb unbeeindruckt) von Rahmenveränderungen gelten würden, wenn es überhaupt Aussagen dieses kontextuell privilegierten Status' gibt. Dies widerspricht jedoch der Annahme, dass die Bedeutung und damit die Beurteilungsmöglichkeit derselben Aussagen rahmenabhängig ist. Diese Spannung resultiert aus der stillschweigend in Anspruch genommenen Voraussetzung, dass mit der Übernahme
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einer Rahmentheorie über den pragmatischen Entschluss, mit ihr TU arbeiten wegen der Erfahmngsunabhängigkät gezwungenermaßen noch eine weitergehende epistemische Haltungsveränderung einhergeht, nämlich sie für absolut bzw. unbedingt wahr zu halten.124 Die analytizitätstheoretische Interpretation des Status von Rahmenprinzipien hat also zwei mit der Fallibilität menschlichen Wissens (und dem Wissen der Agenten darum) unvereinbare Folgen: Rahmenprinzipien wären demnach theorieintem unrevidierbar und stellten zugleich, wenn sie Rahmenprinzipien darstellen, dann ein für alle Situationen gültiges Rahmensystem dar. Aus beidem ergibt sich, dass sie absolut unrevidierbar wären. Ist also die Akzeptierung von Rahmentheorien nicht kognitivistisch erklärbar, dann gibt es überhaupt keine kognitiven Elemente bei der Auswahl von Rahmentheorien, und demnach auch keine Begründung ihrer Gültigkeit, weder im Vorhinein noch nach erfolgter Annahme.125 Putnam entwickelt nun ein Beispiel, um die Grenzen beider im Zitat genannter Ansichten aufzuzeigen. Um des Arguments willen soll es im Folgenden keine Rolle spielen, ob Putnams Thesen zur physikalischen Wirklichkeit als solche stimmen oder nicht. Sein Beispiel besteht wiederum in einer Aussage, bezüglich deren Wahrheit zwei Hintergrundtheorien zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen: Consider the statement 'there are only finitely many distinct disjoint places (of over a certain minimum size) to get to in the entire universe', where this is interpreted as meaning not that the 'entire physical universe' occupies only a finite portion of space, but that space itself is finite (...). This statement is true if the world is Riemannian and false if it is Euclidean or Lobachevskian. (89)
Diese Beispielaussage wird von einem Riemannschen Axiomensystem impliziert, und ihre Negation wird von einer Euklidischen Theorie impliziert. Das be124
An dieser Folge zeigt sich, dass ein konventionalistischer (bzw. 'analytizitätstheoretischer') Standpunkt, der die Entscheidung für eine Theorie nicht ihrerseits in systematischen Zusammenhang mit der induktiv zu rechtfertigenden Erfahrung (in einer Rahmentheorie) setzt, auf einem fundamentalistischen Erkenntnisideal aufbaut, dass sich an Urteilen in der Beurteilungsbzw. Begründungssprache für die Wahl oder Richtigkeit einer Rahmentheorie zeigt. Denn die Überzeugung, dass die einmal akzeptierte Rahmentheorie nicht durch die Erfahrung theoretisch begründbar ist, und dass sie, da sie nicht nur aus logischen Wahrheiten bestehen kann, auch nicht durch logische Wahrheiten allein als gültig erwiesen werden kann, aber die Überzeugtheit von ihr dennoch dazu fuhrt, dass ihre Grundsätze als wahr zugrundegelegt werden können (d.h. in der Beurteilungssprache Sätze der Form "'p' ist wahr" für Sätze 'p' gelten, die Theoreme oder Axiome der Rahmentheorie sind) und darin der Wahrheitsgrund für die aus ihr zu folgernden Sätze sei, erfüllt genau die Definition des fundamentalistischen Wissensideals als wahre und durch selbst nicht mehr begründungsbedürftige (z.B. mittels der Überzeugtheit von ihnen als wahr erwiesene und nicht mehr weiter begründbare) Sätze begründete Überzeugung (vgl. hierzu Kutschera, ¥.v.: Die falsche Objektivität, Berlin 1993, Kap. 5.1, bes. 133). Diese normative Frage nach der Begründbarkeit der Akzeptierung ist wiederum nicht zu verwechseln mit der epistemologisch-faktischen nach den Gründen für ihren "Erfolg". Die unvermeidliche Zirkularität von Versuchen, damit erkenntnistheoretisches Holz zu spalten, hat Quine auf die pointierte Formel "nothing succeeds like success" gebracht.
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deutet, dass, wenn geometrische Rahmentheorien analytisch sind, es sich auch bei dieser Aussage (und ihrer Negation) um eine analytische Aussage handeln muss. Doch wenn analytische Aussagen auch unbedingt wahr sind, "we are (...) confronted with this problem: a statement that was necessary relative to a body of knowledge later became to be declared false in science".126 Putnam untersucht angesichts dieser Problematik die Folgen der 'analytizitätstheoretischen' Interpretation dieser Aussage näher. Dabei macht er die Voraussetzung, dass Ort' in dem Sinne, in dem er den Ausdruck im Beispiel verwendet, weder ein Grundbegriff der geometrischen Theorie ist noch sonstige Schwierigkeiten der Interpretation bereitet. Er setzt fest, dass als Ort alle die Raumportionen m einer Beschreibung gelten, die ein Volumen von über 27m3 haben.127 Nun kommt es zu folgender "Verifikationssituation" in bezug auf die genannte Aussage: let us suppose that the world is Riemannian and of a very high curvature (...), and that we have succeeded in visiting each and every one of these 'places', and in also verifying that travel as we may, we never succeed in visiting other places. (89)
Nimmt man an, dass das Vorkommnis "Ort" in der Aussage hi der Euklidischen Theorie etwas anderes bedeutet (was sie falsch macht) als in der Riemannschen (deren Wahrheit ja gerade festgestellt wurde), behält die Voraussetzung bei, dass es sich bei geometrischen Theorien um Beschreibungen des physikalischen Raums handelt, und setzt schliesslich voraus, dass man beide Theorien gut genug versteht, um die Wahrheit ihrer Aussagen prüfen zu können, kommt man zu folgender Interpretation der Ergebnisse des Experiments: If someone maintains that all we have done is 'change the meaning of the words', then he must maintain that in the old sense of 'place' these are not all the places there are, and that there are in addition to these 'physically accessible' places (...) still other, unvisited, physically inaccessible places and paths, which, together with the 'places' counted by the Riemannian physicist, fill out a Euclidian world. (89)
Ersichtlich mag es zwar so sein, dass die Bestimmung des Sinnes und der Implikationen von Ausdrücken wie 'physikalischer Raum' oder 'Weg' im Prinzip frei ist, d.h. im oben genannten Sinne trivialerweise konventionell, doch nicht so, dass das Akzeptieren der einen oder der anderen Möglichkeit empirisch folgenlos ist. Die geometrischen Axiome haben also synthetischen Gehalt, und müssen diesen besitzen, wenn sie überhaupt als Beschreibungen der Eigenschaften des physikalischen Raumes gelten sollen, in dem sich die übrigen Ereignisse abspielen, die die Physik beschreibt. Das erweist sich daran, dass jede der beiden Theorien zu 126 127
m, 241. Damit setzt Putnam einen Ortsbegriff an, der keine quantenmechanischen Komplikationen beinhaltet (vgl. Essler, W.K.: Wissenschaftstheorie II, 118).
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unterschiedlichen Existenzhypothesen in bezug auf die Orte kommt. Damit wird jedoch klar, dass Bedingung (a) für die Identifikation von rahmentheoretischen Grundannahmen mit Definitionen verletzt ist (s.S. 100). Rahmentheorien haben empirische Implikationen, sind also in diesem Sinne synthetisch. Putnam stellt daher gegenüber der Assimilation der These (3) des Konventionalismus an die Binsenweisheit der Arbitrarität der Zeichen-Bezeichnetes-Relation in dem 1959 erschienenen Artikel "An Examination of Grünbaum's Philosophy of Geometry"128 fest, es sei ein genereller Fehler in konvenüonalistiscben Ansätzen zu beklagen, und zwar der of supposing that because it is a tautology that we are free to use an uncommitted word to mean whatever we like, all of the consequences or entailments of any particular decision must likewise be tautological. That such and such will result as a matter of physical or mathematical fact if me make one choice rather than another may be very far from tautological. In particular (...), given the topology of space-time it is a fact that certain definitions of 'congruent1 will lead to a Riemannian metric. (103)
Auch umgekehrt ergeben sich - erwartungsgemäß - sehr weitreichende Folgen innerhalb des epistemischen Systems, wenn sich die Verifikation einer logischen Folge der einen Theorie, die nach Voraussetzung über denselben Gegenstand (physikalischer Raum) interpretiert ist, nicht zugleich als Falsifikation ihrer Negation, die logische Folge der anderen Theorie ist, betrachten lässt, weil die beiden Vorkommnisse der Negation - einmal als Negation der Riemannschen Aussage, das andere Mal als logische Folge der Euklidischen Theorie - 'unterschiedliche Bedeutung' haben. Denn die Voraussetzung, dass eine Veränderung der Überzeugung und der Übergang von einer geometrischen Theorie zur nächsten letztlich nur als Veränderung der Bedeutung der Grundbegriffe zu verstehen sei, hat ja einen epistemisch äusserst merkwürdigen Umkehreffekt. Dann könnten wir uns ja genauso konventionell, wie wir sie verändert haben, um zu Putnams Beispielaussage zu gelangen, dazu entschließen, die Bedeutung der Worte konstant zu halten; dabei ginge überhaupt keine empirische Überzeugung ein. Doch die Folgen sprechen dagegen, dass dem so ist: if Euclidean geometry is only apparently false owing to a change in the meaning of words, then if we keep the meanings of the words unchanged, if we use the words in the old way, Euclidean theory must still be true. (...) If someone believes [this, A.M.], then he must invent special physical laws to explain why, try as we may, we never succeed in seeing one of these other places (...) If someone did accept such laws and insisted on holding on to Euclidean geometry (...) it is clear that he would not have simply 'made a decision to keep the meanings of the words unchanged'; he would have adopted a metaphysical theory.129
128 ppl 129
93 j29
"It Ain't Necessarily So", 241.
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Es ist also in bezug auf die epistemischen Folgen einer solchen Entscheidung schwer von der Hand zu weisen, dass es sich bei der Entscheidung für oder gegen eine der Theorien um (nachträglich feststellbare) theoretische130 genauso wie praktische Entscheidungen handelt. Theoretisch sind sie insofern, als sie Aussagen über die Welt implizieren, die einen bestimmten Wahrheitswert annehmen, je nachdem, ob man sich für die eine oder andere Theorie entscheidet. Die Abweisung solcher Aussagen ist nicht ohne Folgen für die Erkenntnismöglichkeiten und bedarf deswegen einer theoretischen Rechtfertigung, die 1) die vorhandenen Theorien und 2) das zugängliche Vorwissen berücksichtigt. Ohne eine solche Rechtfertigung wäre der Vorschlag, die genannten praktischen Folgen auf sich zu nehmen, schlicht unsinnig. Eine solche Entscheidung ist eben, wie die konventionalistische Analyse richtig erkannte, nicht ausschließlich theoretisch motivierbar. Letztlich gibt ja die Überzeugung von der Unvernunft der Folgen einer Entscheidung für eine Theorie den Ausschlag, die eine Aussage impliziert, deren Negation von einer anderen Theorie impliziert wird, die mit dem Rest des als empirisches Wissen betrachteten Überzeugungssystems verträglich ist. Es handelt sich also um eine Entscheidung, die sowohl empirische als auch normative Elemente beinhaltet, deren Folgen sich jedoch nur mit Blick auf das Gesamtsystem der Überzeugungen entscheiden lassen, das sich aus der Annahme oder Verwerfung gegebener Rahmeni/zeonen ergibt. Damit wird klar, dass auch Bedingung (b) für die Apriorizität der rahmentheoretischen Prinzipien im Sinne der Erfahrungsunabhängigkeit verletzt ist: Veränderungen in Rahmentheorien sind nicht lokal. Erstens muss die Annahme oder Verwerfung Rahmentheorien auf Erfahrungen zurückgreifen, und zweitens kann man - innerhalb des Gesamtsystems von als gültig erachteten Überzeugungen - Erfahrungen mit der Arbeit mit Rahmentheorien machen. In Putnams Worten aus "The Analytic and the Synthetic" sind sie: 'synthetic' to the extent that [they are, A.M.] revisable in principle. So my position is this: a 'synthetic' statement, a statement which could be revised in principle, may serve as a warrant for the decision that another statement should not be revised, no matter what. One may safely hold certain statements immune from revision; but this statement is itself subject to certain risks. (59)
Im Hinblick auf die epistemische Haltung gegenüber rahmentheoretischen Aussagen kommt Putnam also zu dem Ergebnis, dass diese als grundsätzlich revidierbar angesehen werden müssen, selbst wenn sie kontextuell nicht revidierbar im Lichte verfügbarer Möglichkeiten sind. Hierin stimmt er also mit den konventionalistischen Prinzipien (l)-(4) nicht überein. Insbesondere verneint er (1) und (2), die Unrevidierbarkeitsthese und die Lokalitätsthese. Dies führt ihn zur folgenden Neubestimmung der Begriffe "analytisch" und "synthetisch": "synthel "V)
'Theoretisch' gebrauche ich an dieser Stelle nicht im Sinne von 'syntaktisch-semantisch', sondern in einem weiteren Sinne von 'aufgrund der Verwendung von akzeptierten explikativen Strukturen zur Organisation von Erfahrungen rechtfertigbar'.
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tisch" wahr ist eine Aussage genau dann, wenn sie grundsätzlich revidierbar ist. "Analytisch" ist sie dieser Bestimmung nach dann, wenn sie aufgrund einer theoretisch-reflexiv gefällten Entscheidung in einem Sprachsystem von der direkten Revision ausgenommen wird, also in Reichenbachs zweitem Sinne "a priori" ist. Die Rahmenprinzipien wären diesem Zitat zufolge wohl zu der Klasse der "other statements" zu zählen, und wären damit Putnams bisherigen Bestimmungen nach analytisch in einer bestimmten Situation. Es stellt sich nun die Frage, ob Putnam in der ersten Phase noch die von den logischen Empiristen vertretene Identifikation von apriorischen und analytischen Wahrheiten übernommen hat, oder ob seine Kritik nicht bereits hier auch eine Reformulierung des epistemologischen Grundvokabulars erforderlich macht.131 Zur Beantwortung dieser Frage ist es nützlich, zunächst zwei in dem Ausdruck "revidierbar" steckende Implikationen ausdrücklich zu machen. Im Anschluss daran lässt sich dann deutlicher sehen, was Putnams Gebrauch der Termini "analytisch" und "synthetisch" intendiert. Die Tatsache, dass eine bestimmte Behauptung von den Teilnehmern an erfahrungswissenschafdichen Praktiken als a priori in diesem Sinne angesehen wird, schliesst nicht ein, dass sie deswegen auf prinzipiell andere Weise begründet sein müsste, also beispielsweise durch "Festsetzung", "Entscheidung" oder "Intuition". Es ist eben vom reflexiven Standpunkt eines Teilnehmers an der wissenschaftlichen Praxis in einem Feld eine Tatsache, an welcher erkenntnistheoretischen Stelle eine bestimmte Aussage innerhalb eines ihm zur Wahl stehenden Sprachsystems steht. Es ist weiterhin eine Tatsache in bezug auf eine gegebene Aussage, ob sie innerhalb der zur Wahl stehenden Kandidaten präsent ist oder nicht. Dies ist ein Sinn von "synthetisch" auf der Reflexionsstufe dessen, der sich für die Arbeit mit der einen oder anderen Theorie zu entscheiden hat: es ist ohne logischen Widerspruch denkbar, dass eine Aussage in einer der Rahmentheorien vorhanden, und in einer anderen abwesend ist. Dieser Sinn von "synthetisch" bezieht sich auf die Veränderbarkeit von Theorien durch die Erfahrungen in der Arbeit mit ihnen. Darin besteht das von Putnam genannte Risiko bei der Annahme bestimmter Aussagen als apriorischen Voraussetzungen der Wissensgewinnung: die meifltheoretische Überzeugung, dass sie in jeder Formulierung von 1
Dass diese Reformulierung expliziter Teil seiner Ansichten in späteren Phasen seiner Philosophie ist, und Putnam die systematische Rolle einer solchen Transformation klar bewusst und diese von ihm daher intendiert ist, lässt sich beispielsweise aus "'Two Dogmas' Revisited" (Orig. 1976; s. Philosophical Papers Vol. III. Realism and Reason, Cambridge M A 1983 [von hier an/»POT], 8797) oder "Analyticity and Apriority: Beyond Wittgenstein and Quine" (Orig. 1979; s. , 11538) entnehmen. Die hier gestellte (rhetorische) Frage ist, ob man a) diese Intention bereits von Anfang an als Grundelement von Putnams philosophischen Überlegungen ansehen kann und b) der zu dieser Zeit entwickelte konzeptuelle Rahmen bereits die von ihm später explizit ausgearbeiteten Strukturen enthält. Träfe dies zu, so Hesse sich vermuten, dass diese Transformation (oder ihr funktionales Äquivalent) eine conditio sine qua non eines kognitivistischen darstellt.
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Erfahrungswissen als Prämisse auftauchen müssen, kann sich aufgrund der Erfahrung mit der Formulierung von Erfahrungswissen als falsch herausstellen. Kein Satz muss in jeder Theorie über einen bestimmten Bereich enthalten sein. "Nichtsynthetisch" zu sein hieße dann also für eine bestimmte Aussage, dass sie in jeder Theorie in einem Feld als Prämisse enthalten sein muss. Dieser Sinn von "analytisch" entspräche also dem Reichenbachschen Begriff der "apodiktischen Aussagen", von denen Putnam ja zuvor gesagt hatte, sie seien in der Wissenschaft unangebracht. Daraus würde folgen, dass es für Putnam käne analytischen Aussagen in Rahmentheorien gibt. Doch es ist ja gerade Ziel des vorigen Zitates gewesen zu zeigen, dass diese Aussage falsch ist. Also kann dies nicht der intendierte Sinn von "analytisch" sein (und noch nicht einmal der von Putnams Aprioribegriff). In pragmatischer Hinsicht stehen alle innerhalb dieser Praxis für wahr gehaltenen Aussagen auf einer Stufe: sie gelten genau so lange, wie keine erfahrungswissenschaftlichen Gründe, seien sie nun theoretischer oder experimenteller Natur, dagegen sprechen. Auf der anderen Seite müssen die apriorischen Annahmen von Rahmentheorien empirisch relevant, und daher auch als solche durch die Erfahrung erschütterbar sein. Dies ist der zweite, interne Sinn von "synthetisch": alle Aussagen innerhalb einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie stehen auf der Probe durch die Erfahrung. Ihre Auszeichnung betrifft den Status, den sie in anderen Aspekten dieser Praktiken innehaben, wie Erklärungen, induktive Schlüsse, Beschreibungen von Situationen, Begründungen der Entscheidung für bestimmte theoretische Lösungen angesichts von Alternativen. Die Rechtfertigung der Annahme einer Behauptung in erfahrungswissenschaftlichen Kontexten schliesst also immer einen Bezug auf die Erfahrung ein, wenn auch nicht immer eine 'Konfrontation' mit der Erfahrung; dadurch werden alle Aussagen in erfahrungswissenschaftlichen Kontexten mehr oder weniger klar erkennbar zu legitimen Elementen eines Systems, das als ganzes unser erfahrungswissenschaftlich erworbenes empirisches Wissen darstellt, d.h. 'synthetisch' ist.132 Nach dieser Interpretation wären die nicht-synthetischen Aussagen daher die, die im Rahmen der Praktiken nicht in Experimenten geprüft, aber als in der Erkenntnissituation wahr vorausgesetzt werden. Putnam stimmt demnach der konventionalistischen Einsicht in den pragmatischen Anteil bei der Theoriebildung und -bewertung insoweit zu, als dass es sich dabei um (allerdings bedingte, nicht unbedingte) Festsetzungen handelt. Das gibt ihnen den epistemschen Status von apriorischen Aussagen in einer bestimmten epistemischen Situation. Andererseits stimmt Putnam natürlich mit der klassischen Definition der Analytizität überein, die die wirklich analytischen Aussagen als Klasse der Aussagen der Logik plus der Definitionen in einer Sprache zu einem Zeitpunkt bestimmt. Er verwendet also den Analytizitätsbegriff auch zur Beschreibung der Begründungsbeziehungen innerhalb eines Sprachsystems, und zwar in dem Sinne, 132
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dass eine Aussage, wenn sie analytisch ist, dann zum Inventar der logischen Wahrheiten oder der Definitionen zählt (vgl. z.B. "The Analytic and the Synthetic", 48). Putnam bemerkt dies an einer weiteren Stelle von "The Analytic and the Synthetic", wo es heisst: There they are, the analytic statements: unverifiable in any practical sense, unrefutable in any practical sense (...) they are true because they are accepted as true [Herv.v.mir], and because this acceptance is quite arbitrary in the sense that the acceptance of the statements has no systematic consequences beyond (...) that of allowing us to use pairs of expressions interchangeably. (69)
Aus dieser Stelle geht klar hervor, dass Rahmenprinzipien, wenn sie in erfahrungswissenschaftlichen Kontexten auftauchen, nicht als analytisch gelten können. Denn im Bisherigen war ja eines der Hauptargumente Putnams gegen den Konventionalismus gewesen, dass Rahmenprinzipien in ihrer Rolle als Konstitutionsprinzipien sogar nur dann überhaupt akzeptabel sind, wenn sie empirische Konsequenzen nach sich ziehen. Wenn nun eine Aussage analytisch im Sinne des gerade gegebenen Zitates wäre, dann könnte sie also kein Rahmenprinzip sein. Umgekehrt geht aus dieser Stelle hervor, dass kein System rahmentheoretischer Prinzipien ohne analytische Aussagen auskommt, wenn die Logik der in der Situation gebrauchten Sprache darin enthalten ist. Die fruchtbarste Interpretation des offenkundigen Widerspruchs zwischen der Feststellung im vorletzten Zitat, dass die Behauptungen, die aufgrund einer theoretischen Entscheidung in epistemscher Hinsicht einen Sonderstatus bekommen, den er dort als ihre "Nicht-Synthetizität" (im Sinne der "nicht direkten Falsifizierbarkeit") benannte, und der in diesem Zitat getroffenen Bestimmung der Eigenschaften analytischer Aussagen als empirisch folgenlos, ist meiner Ansicht nach die, dass Putnam mit der ersten Bestimmung des Status der Rahmenprinzipien den kontextuellen Aprioritätsbegriff, und mit der zweiten den semantischen Status von Definitionen im Auge hat. Damit unterscheidet Putnam systematisch, wenn auch nicht terminologisch, zwischen "analytisch" und "a priori gültig". Zwar ist es so, dass Definitionen in einer bestimmten in einer epistemischen Situation gebrauchten Sprache ganz sicher von der Revidierbarkeit ausgenommen sind, doch aus einem besonderen Grund. Sie gehören der logischen Struktur der Sprache an und betreffen allein den Gebrauch von Zeichen, nämlich ihre Austauschbarkeit in allen Kontexten. Solche Aussagen sind ohne Zweifel 'm jedem Aussagesystem enthalten und ihrem Status nach nahezu unumstritten. Doch ist es, wie Putnam zeigt, nicht so, dass alle Aussagen, die von der Revision ausgenommen sind (also alle kontextuell-apriorischen Aussagen), Definitionen oder logische Wahrheiten sind; einige der in dem bestimmten Sinne apriorischen, d.h. vor der Anwendung der Sprache auf bestimmte Situationen als wahr angesetzten, Urteile haben empirischen Gehalt (zumindest in ihrer Gesamtheit) und gelten daher nur dann, wenn die Interpretation der Sprache eine bestimmte Struktur und
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bestimmte Arten von Gegenständen enthält (z.B. eben bestimmt, dass ein die Grundsätze der Sprache wahr machendes physikalisches System Euklidisch oder nicht ist). Putnam konzipiert die Klasse der Erkenntnisvoraussetzungen demnach als umfangreicher als die der im strengen Sinne analytischen Aussagen. Auf der anderen Seite bleibt er bei der binären Verwendung der entsprechenden Ausdrücke, d.h. eine nicht-analytische Aussage ist synthetisch, und eine nicht-apriorisch gebrauchte Aussage ist aposteriorisch. Es gibt dieser Lesart Putnams nach also bestimmte theoretische Urteile, die in erfahrungswissenschaftlichen Praktiken vor dem Fällen von Erfahrungsurteilen als wahr vorausgesetzt werden und werden müssen, die aber nicht analytisch (also keine logischen Wahrheiten oder Definitionen) oder eben synthetisch sind: kontextuell-apriorische, synthetische Urteile, und dies sind gerade die Rahmenprinzipien. Dass Putnam dies nicht so formuliert, sondern man diese Formulierung extrahieren muss, h'egt sicherlich daran, dass er "a priori" mit "absolut" gleichsetzt, und dies (in Nachfolge Quines) als "true come what may" interpretiert und zugleich als Definition von "analytisch" verwendet. Dann kann es natürlich keine synthetisch wahren, apriorisch verwendeten Urteile geben, wenn es keine absoluten Urteile geben soll. Doch mit dieser die Terminologie limitierenden und der jeweiligen Funktion der philosophischen Begriffe nicht immer adäquaten Vorentscheidung wird die Logik seiner Argumente eher verdeckt als geklärt. Putnam braucht für seine Kritik an den nqnkognitivistischen Folgen der konventionalistischen Epistemologie die Möglichkeit von ('funktionelT, wenn dieser Zusatz beruhigend klingt) synthetisch-apriorischen, aber nicht absoluten Urteilen. Putnams Kritik am Konventionalismus impliziert also eine Reformulierung der epistemischen und semantischen Modalitäten. Das Verhältnis des semantischen Begriffs der Analytizität und des epistemischen, kontextuellen Begriffs der Apriorizität ist meinem Verständnis von Putnam nach so zu bestimmen, dass alle analytischen Aussagen in einer Situation Teil der in dieser Situation apriorischen Aussagen sind, dass aber nicht alle in dieser Situation apriorischen Aussagen analytisch sein können, wenn es sich bei den von den Rahmenprinzipien strukturierten Überzeugungsgesamtheiten um empirisch gehaltvolle Systeme handeln können soll. Es muss also in jeder Situation synthetische Voraussetzungen geben, deren Wahrheit nicht zur empirischen Debatte steht.133 Andererseits folgt aus seiner Unterscheidung von analytischen (logischen) Wahrheiten und in einer epistemischen Situation vor dem Erhalt von empirischen Aussagen als Ergebnis der Anwendung empirisch intendierter Begriffe auf Gegenstände in Anspruch gePutnam erreicht mit dieser Transformation, dass der Begriff der voraussetzungslosen epistemischen Situation, in der wir trotzdem empirische Urteile anerkennen können, widersinnig wird. Sowohl voraussetzungsloses Beobachten als auch voraussetzungsloses Setzen von Wahrheiten sind zu der von Putnam charakterisierten Erkenntnispraxis unpassende Modelle der Urteilsbildung.
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nommenen (kontextuell apriorischen) Aussagen, dass einige der letzteren synthetisch (d.h. nicht analytisch) sind. Unter Annahme des allgemeinen Revidierbarkeitsprinzips für synthetische Aussagen bedeutet dies wiederum, dass es nicht notwendig wahr (und vermutlich falsch) ist, dass alle (kontextuell) apriorischen Aussagen für alle epistemischen Situationen unrevidierbar sind. Die Bezeichnung 'a priori1 hat demzufolge keine bestimmte Satzklasse als festen Bezug, sondern bezieht sich für jede Situation auf erne in der Praxis deduktiven und induktiven Schließens sowie der Anwendung der Begriffe in dieser Situation ausgezeichnete Menge von Überzeugungen, deren Akzeptierung als wahr in dieser Situation Teil der Begründung der Akzeptierung der meisten anderen Aussagen eines gegebenen Überzeugungssystems als wahr ist.134 Die Assimilation solcher Prinzipien an Definitionen, d.h. analytische Aussagen, durch den Konventionalismus ist demzufolge in jedem Falle als inadäquat zu betrachten, da sie von ihrer erkenntnistheoretischen Funktion her in den Bereich der nicht-analytischen, aber in einem Kontext a priori als gültig vorausgesetzten Urteile eingeordnet werden müssen. Entsprechend sind sie auch nicht ausgenommen von einer Begründung oder Verwerfung mit Hilfe der Erfahrung. Dass diese Prinzipien andererseits nicht ohne weiteres mit Kants synthetischen Urteilen a priori gleichgesetzt werden können, dürfte zwar bereits deutlich sein, wird aber von Putnam besonders deutlich hervorgehoben, wenn es in "The Analytic and the Synthetic" diese pragmatische Transformation der Modalitäten zusammenfassend heisst: There are indeed analytic statements in science; and these are immune from revision, except the trivial kind of revision which arises from unintended and unexplained historical changes in the use of language. The point (...) is that many principles which have been mistaken for analytic ones have actually a somewhat different role. There is all the difference in the world between a principle that can never be given up by a rational scientist and a principle that cannot be given up by rational scientists merely because of experiments, no matter how numerous or how consistent. (49)
Putnam widerspricht der konventionalistischen Deflationierwg der Entscheidung zur Festlegung auf rahmentheoretische Prinzipien, indem er darauf hinweist, dass diese an bestimmte Bedingungen gebunden ist (also auch nicht im Kantischen Sinne 'unbedingt' gelten kann); diese sollen im Anschluss kurz angesprochen werden. Zweitens widerspricht er der konventionalistischen Konzeption von Rahmenprinzipien darin, dass es sich, wenn Rahmenprinzipien überhaupt In diesem Sinne wird Putnam später in "Possibility and Necessity" (PPIII, 46-68) ausführen: "denying that there are priori statements is not the same thing as denying that there is an a priori factor in scientific decision making. (...) 'apriori' and 'aposteriori' may be the names of factors present in the acceptance of all statements, rather than the names of classes of statements. And the theory of these two factors would be nothing other than normative epistemology: the theory of what makes statements worthy of rational acceptance." (53)
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empirisch signifikant sein sollen, dann um in änem absoluten Sinne um apriorische Wahrheiten handeln kann (was ja aus ihrer Unabhängigkeit von der Erfahrung folgte). Bei den mit ihrer Hilfe festgelegten Verwendungsweisen von Grundbegriffen handelt es sich nur um sozusagen bedingte Definitionen, die nur so lange ('unter unverändertem Bestehen der Bedingungen') als solche gelten, wie die Rahmenprinzipien intakt bleiben. Sie können als apriorische Prinzipien gebraucht werden, doch die Entscheidung, dies zu tun, verlangt ein empirisches, begründetes Urteil, da sie unter bestimmten Bedingungen gerade wegen ihrer Synthetizität zu empirisch direkt begründungsbedürftigen Aussagen werden können. Putnam beantwortet also die eingangs gestellte Frage, ob es sich bei der Entscheidung für Rahmenprinzipien de facto um den Entschluss zu einer epistemischen Haltung gegenüber bestimmten Aussagen handelt (oder handeln muss), negativ: der Entschluss, bestimmte Prinzipien als Voraussetzungen anzunehmen, ist der pragmatische, provisorische Entschluss zur Arbeit mit der Theone und bleibt gebunden an die Ergebnisse und Vorgehensweisen innerhalb induktiver Praktiken.135 3.3.2. Putnams kognitivistische Transformation des bedingten Charakters von Erkenntnisvoraussetzungen Daher bedarf es einer genaueren Analyse der pragmatisch-normativen Bedingungen des Zustandekommens derjenigen Entscheidungen, die der Konventionalismus unanalysiert als "willkürlich" bezeichnet hatte: It is perfectly rational to make stipulations to the effect that certain statements are never to be given up, and those stipulations remain stipulations to that effect, notwithstanding the fact that under certain circumstances [Herv.v.mir] the stipulations themselves might be given up. (...) the rule is no less a rule that something is to be done on account of the fact that the rule itself may someday be abandoned. (...) the present rule is to the effect that this is to be done under all circumstances. (...) a rational man may perfectly well adopt a rule that certain 135
In dieser Konsequenz aus im wesentlichen wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretisch orientierter Untersuchungen kann man zweifellos eine der Grundlagen von Putnams später energisch betriebenen Kritik an der Dichotomic von Tatsachen und Wertungen sehen. Dass die kognitivistische Konventionalismuskritik und die pragmatistische Auflösung dieser Dichotomic praktisch zusammenfallen, zumindest aber das eine ohne das andere nicht zu haben ist, ist ein in Putnams späteren Schriften immer wieder hervorgehobenes Thema. Besonders deutlich findet sich dies in dem 1981 erstmals veröffentlichten Aufsatz "Convention: a theme in philosophy" (PPttI, 170-83), sowie in Reason, Truth, and History, Kap. 6. Dieses Thema wird in dieser Arbeit nicht direkt behandelt werden, da es mir um die Konzeption Putnams und nicht um ihre Konsequenzen geht. Und die Kritik an der Dichotomie von Tatsachen und Wertungen ist sicherlich eine - wenn auch vielleicht eine der direktesten - Konsequenz aus der Untrennbarkeit pragmatistischer und kognitivistischer Elemente in Putnams Konzeption und ein weiteres Motiv, seinen Standpunkt (um die zu ihm passende praktische Philosophie nicht in ein bestimmtes Korsett zu schnüren) 'pragmatischen Kognitivismus' und nicht 'xyz Realismus' zu nennen.
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Statements are never to be given up: (...) he can give plenty of good reasons in support of his action. (60-2)
Wie hat man die Wendung 'under certain circumstances' zu verstehen, damit Putnams Position nicht mit dem Konventionalismus zusammenfällt? Stehen allgemeine theoretische Überzeugungen, wenn sie mit guten Gründen kritisierbar sein sollen, und gute Gründe in den Wissenschaften immer eine empirische Komponente haben, angesichts ihrer Kritisierbarkeit mit empirischen Gründen auf demselben Status wie alle anderen Überzeugungen innerhalb eines gegebenen Korpus an empirischem Wissen? Dies war ja die Überzeugung der "Empiristen" aus Putnams Zusammenfassung der Diskussion um die Rahmentheorien. Sie wendeten sich gegen die Annahme eines A priori im Sinne der Unbedingtheit, und zwar, angesichts des gerade in Putnams Untersuchung der analytizitätstheoretischen Analyse der Rahmentheorien Gesagten, mit Recht. Reichenbach, und viele andere, stützten sich dabei auf solche Tatsachen wie die, dass die Grundannahmen der Euklidischen Geometrie innerhalb des von den Wissenschaften als vernünftig betrachteten Vorgehens unvereinbar mit den Grundannahmen der Relativitätstheorie sind.136 Wendet man die Relativitätstheorie also zur Beschreibung bestimmter Zusammenhänge an und versucht, den Wahrheitswert einer bestimmten Aussage über eine Teilchenbewegung oder ähnliches zu ermitteln, dann erhält man immer ein falsches Ergebnis, wenn man die Euklidische Geometrie zugrundelegt. Die Axiome sind also unanwendbar in diesen Situationen, und damit, wenn die Relativitätstheorie als wahr angesehen wird, falsch. Daraus schlössen die "Empiristen", dass es sich bei dem Eindruck, dass es sich bei den Axiomen der Geometrie um dem Status nach von partikularen empirischen Feststellungen wie "dieser Ball ist rot" nicht grundsätzlich unterschiedene Aussagen handele. Denn da es möglich ist, dass die Aussagen innerhalb der Axiomatik der Geometrie falsch sind, können sie nicht notwendig wahr sein, sind also nicht analytisch oder: synthetisch, d.h. nur unter bestimmten Interpretationen wahr. Da nun aber die Möglichkeit der Beurteilung bestimmter Axiome einer gegebenen Geometrie als falsch in erfahrungswissenschaftlichen Kontexten epistemisch durch die Unterbestimmtheit der geometrischen Theorie durch das verfügbare Wissen zustande kommt, gilt diese Falschheitsmöglichkeit generell. Die Frage nach der Geltung einer geometrischen Rahmentheorie ist der Meinung der Putnamschen 'Empiristen' nach von dem Moment an, in dem man eine bestimmte 'Zuordnungsdefinition' zwischen geometrischen Grundbegriffen und empirischen Gegenständen vorgenommen und akzeptiert hat, in demselben Sinne empirisch wie die Frage, ob die Aussage 'hier steht ein Baum' gilt oder nicht. Putnams Zusammenfassung des Standpunktes lautet, dass sie verträten, Tatsächlich ist die Sachlage um einiges komplizierter, wie Reichenbach bereits in Relativitätstheorie und Erkenntnis A priori ausführt. Diese Details verändern allerdings die Argumentationslage nicht prinzipiell, weswegen hier nicht auf sie eingegangen werden soll.
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(a) that the question whether Euclidean geometry is correct for physical space presupposes the choice of a 'coordinative definition' and (b) that once the customary definition has been chosen, the question is an 'empirical1 one. (47)
Die 'Empiristen' führen den Sonderstatus von Rahmenaussagen auf Unwissen bzw. Gewohnheit zurück, aber nicht auf eine besondere Art der Rechtfertigung. Man hätte ihnen zufolge bestimmte Aussagen der Geometrie erkennen können, da jedes gegebene Hintergrundwissen ja nur lose mit der Rahmentheorie verbunden ist, aber die (retrospektiv) bessere Einsicht jedenfalls nicht ausschließt. Dass man lange Zeit von ihrem Gegenteil überzeugt gewesen ist, bedeutet nicht, dass bestimmte Aussagen innerhalb dieser Situation einen epistemischen Sonderstatus besessen hätten, sondern, dass diese Hypothesen tief verankert waren. Als Repräsentanten eines solchen Standpunktes zitiert Putnam in "The Analytic and the Synthetic" Reichenbach: Reichenbach suggested that 'straight line', properly analyzed, means [Herv.v.mir] 'path of a light ray'; and with this 'analysis' accepted, it is clear that the principles are and always were synthetic. They are and always were subject to experiment. Hume simply overlooked something which could in principle have been seen even by the ancient Greeks. (47)
Reichenbachs Idee ist Putnam zufolge ungefähr die: Die Angabe der Bedeutung eines Grundbegriffs wie "Gerade" schliesst grundsätzlich eine als generelle empirische Hypothese zu verstehende Identifikation der Grundgröße mit einem Erfahrungsgegenstand ein, eine sogenannte "Zuordnungsdefinition". Sie gilt als empirische Aussage, weil der Bezug auf einen Erfahrungsgegenstand für ihre Funktion unverzichtbar ist, sie also nicht als rein formal gelten kann. Andererseits hat sie eine regulative Funktion, da durch sie die Anwendung eines Grundbegriffs generell erklärt wird. Eine solche Hypothese könnte z.B. lauten "Ein starrer Körper ist eine physikalische Gerade" oder "Geraden im physikalischen Raum sind Lichtstrahlen". Eine solche Hypothese ist jederzeit sinnvoll und möglich. Unter der Annahme, dass kein Lichtstrahl ein starrer Körper ist, ergibt sich, dass beide Zuordnungsdefinitionen einander ausschliessen. Diese Annahme wiederum lässt sich dadurch begründen, dass man auf unterschiedliche Eigenschaften von Lichtstrahlen und starren Körpern verweist. Den "Empiristen" zufolge besteht nun ein System der physikalischen Geometrie aus dem Formalismus und der entsprechenden Zuordnungsdefinition. Ist letztere festgelegt, so lassen sich Aussagen anderer Geometrien prüfen, indem man feststellt, ob ihre Aussagen über Geraden auf das Verhalten von beispielsweise Lichtstrahlen zutreffen, indem man bestimmte durch Lichtstrahlen vermessene physikalische Umstände versucht zu beschreiben. Kommt es dabei zu Abweichungen, so kann man die alternativen Geometrien "falsifizieren". Dies ist genau das, was Reichenbach zufolge beim Übergang von der Euklidischen zur Nicht-Euklidischen Geometrie geschehen ist. Mit diesem Übergang wurde also zugleich der Begriff der Geraden im
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physikalischen Raum "klarer" gemacht. Im Prinzip hätte dies schon wesentlich früher und unter fest beliebigen Umständen geschehen können, wenn man nur aufgrund welcher Einfalle auch immer - die "passende" Zuordnungsdefinition angesetzt hätte. Die "empiristische" Ansicht erlaubt also eine ziemlich reibungslose Erklärung der Revision von Rahmenprinzipien, lässt jedoch dafür den epistemischen Sonderstatus solcher Prinzipien im Dunkeln. Auch dieser Ansicht liegt eine sprachphilosophische Hintergrundüberzeugung zugrunde, deren Annahme durchaus nicht unproblematisch im Hinblick auf die Abstufungen innerhalb von Überzeugungssystemen ist. Denn die entsprechende 'Zuordnung1 muss ja als absolut, oder zumindest durch die entsprechenden Theorien konstant angesehen werden können, wenn es dieselbe Aussage ist, die einmal für wahr, das andere Mal für falsch erklärt wird. Entsprechend muss sowohl in der Euklidischen als auch in der jeweiligen alternativen Nicht-Euklidischen Geometrie gelten, dass Lichtstrahlen ideale Realisierungen von Geraden darstellen. Lichtstrahlen sind dann der "gemeinsame Maßstab" beider Theorien. Putnam fragt deshalb in "Philosophy of Physics": On the other hand, if 'line' and 'point1 and 'congruent' have & fixed meaning which is independent of the geometry chosen (so that the question which geometry is 'right' can be an empirical question in the ordinary sense), what is that meaning? If we say that these are theoretical terms which can only be defined in terms of each other (...), then this seems to be correct, but then we have to recognize that the use of these notions rested for a very long time on a particular framework of assumptions (Euclidean geometry) and that the upheaval of the very framework upon which the concepts depended should not be assimilated to a mere empirical discovery. (89-90)
Putnams Korrektur am "empiristischen" Standpunkt setzt also nicht an der Annahme der Konstanz der Begriffsverwendung an, sondern verlangt im Gegenteil, diesen Begriff nicht nur zu verwenden, sondern auch seinerseits zu erklären. Die Kontinuität verdankt sich dieser Passage zufolge zumindest nicht nur einer bestimmten Zuordnungsregel, sondern zumindest auch den herstellbaren Kontinuitäten im theoretischen Hintergrund. Man kann es demnach bei der Erklärung der Revision von Rahmenprinzipien nicht beim Hinweis auf die willkürliche Veränderlichkeit von Zuordnungsdefinitionen belassen und dann die jeweils letzte allen anderen Geometrien vorschreiben, die dasselbe Wort "Gerade" verwenden, sondern muss auch auf die mit dem Gebrauch des Worts verbundenen theoretischen Strukturen untersuchen, wenn man den Begriff ermitteln will, den die jeweiligen Geometrien von Geraden im physikalischen Raum haben. Damit jedoch kommt die Frage nach dessen Status erneut auf. Denn es scheint offensichtlich, dass es erst dann sinnvoll ist, einen bestimmten Gegenstand als ideale Realisierung einer Struktur anzusetzen, wenn diese Struktur klar ist. Wandelt sich diese, so ist es durchaus möglich, dass sich der Maßstab wandelt, der sie realisiert. Dass man einen Gegenstand also als bessere Realisierung eines Grundbegriffs auffasst,
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hängt auch davon ab, dass man über ausreichend Gründe dafür verfügt, die Begriffe miteinander zu identifizieren, die die jeweiligen Rahmensysteme um die Worte bilden. Die Wahl einer Zuordnungsregel als gemeinsame Regel ist also in diesem Sinne nicht völlig willkürlich. Vielmehr bedingen sich die Wahl einer Zuordnungsregel als "passend" und die Verfügung über eine Theorie wechselseitig. Die Pointe von Putnams Kritik scheint mir darin zu bestehen, dass er aus den empiristischen Konzeptionen entnimmt, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass eine Theorie mehrere unterschiedliche und auch einige zur Zeit ihrer Niederlegung nicht vorgesehene Realisierungen haben kann, und dass es ebenso wenig ausgeschlossen ist, dass zwei unterschiedliche Theorien dieselbe Realisierung haben können. Putnam macht hier auf eine der Bedingungen aufmerksam, unter denen überhaupt erst von der Kritisierbarkeit der rahmentheoretischen Prinzipien ausgegangen werden kann, die im weiteren in den Mittelpunkt seiner Arbeiten treten wird. Innerhalb der zur Wahl stehenden Systemen können nicht alle Begriffe zugleich ihre Bedeutung, bzw. genauer: ihren Bezug verändern, wenn es sich bei der Entscheidung überhaupt um eine Überprüfung handeln soll, d.h. im Falle der Ablösung eines gewohnten Systems von Rahmenprinzipien durch ein neues, um eine Revision. Wenn die Rahmenbedingungen nämlich den Gebrauch der in ihnen enthaltenen Ausdrücke mitregeln, dann darf die Regelung des Gebrauches die Möglichkeiten ihrer referentiellen Interpretierbarkeit nicht vollständig bestimmen. Die Unterbestimmtheit des Bezuges der Grundbegriffe durch die sprachlichen Rahmenbedingungen muss also in Rechnung gestellt werden und nicht als beseitigt betrachtet werden. Dies ist die Pointe der Feststellung, dass es sich bei den Rahmen- bzw. Zuordnungsprinzipien nicht um Definitionen in einem erfahrungsunabhängigen Sinne handelt, die unter allen Umständen den Gebrauch der Grundbegriffe vollständig bestimmen, sondern um Bedingungen, unter denen eine solche Zuordnung stattfinden muss, wenn der Entschluss zur Arbeit mit einem System an Rahmeribedingungen einmal gefallen ist. Erneut erweist sich, dass die Annahme der Nicht-Analytizität von Rahmenprinzipien (und damit des Unterschieds zwischen a priori gültigen und analytischen Teilen des Uberzeugungssystems) eine fitndamentale Rolle bei der Erklärung epistemischer Vorgänge wie der Kritik von Rahmensystemen spielt. Um auf das Beispiel zurückzukommen, so hebt Putnam ja hier hervor, dass es im Gegenteil zu der Annahme der Analytizitätstheoretiker ja nicht nur so ist, dass die Relativitätstheorie, einmal fertiggestellt, zu anderen Aussagen kommt als die Newtonsche Physik zusammen mit der klassischen physikalischen Geometrie. Vielmehr konnte die Relativitätstheorie nur unter der Voraussetzung einer nichteuklidischen Raumstruktur, d.h. der Falschheit von Teilen des Euklidischen Axiomensystems überhaupt entwickelt werden. Doch diese Annahme betrifft, wenn sie gemacht wird, alle physikalischen Theorien, die räumliche Relationen beinhalten. Ihre Entwicklung selbst jedoch war die Voraussetzung dafür, dass man
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bestimmte bekannte empirische Phänomene überhaupt erst behandeln und bestimmte geometrische Systeme als Theorien des - nun einsteinsch beschriebenen - physikalischen Raums ansehen konnte, die zuvor keinerlei physikalische Deutung gehabt hatten. Erst durch diese Zusammenhänge zwischen einer explanatorisch überlegenen physikalischen Theorie der Eigenschaften von Körpern im Raum und der zu ihr passenden Geometrie erhob sich überhaupt die Frage, welchem Element in Einsteins Welt der Begriff der Gerade zugeordnet werden sollte. Den methodologisch-pragmatischen Unterschied zwischen den Rahmenprinzipien und empirischen Wahrheiten macht Putnam in seiner Diskussion des 'empiristischen' Standpunktes in "The Analytic and the Synthetic" deutlich: Indeed, we cannot any longer say that the principles of Euclidean geometry are analytic; because analytic sentences are true, and we no longer say that the principles of Euclidean geometry are true. But I want to suggest that before the work of nineteenth-century mathematicians, the principles of Euclidean geometry were as close to analytic as any nonanalytic statement ever gets. That is to say, th[ey] had the following status: no experiment that one could describe could possibly overthrow them by itself. (48)
Putnam hält also - durch seine an der TeÜnehmerperspektive orientierte, pragmatische Vorgehensweise motiviert - beharrlich an der methodologischen Differenz zwischen in einer epistemischen Situation global gültigen Prinzipien und in einer durch eine Gesamtheit solcher Prinzipien bestimmten epistemischen Situation gemachten Feststellungen fest. Doch er bindet die Unterscheidung zurück an die Bedingungen der Theorienakzeptierung, die grundsätzlich als rationales (und in diesem Sinne theoretisches) Urteil aufzufassen ist. Vom 'empiristischen' Standpunkt übernimmt Putnam das für seinen Kognitivismus unverzichtbare generelle Revidierbarkeitsprinzip, ohne jedoch dadurch die für die Urteilsbildung notwendigen Abstufungen innerhalb von Überzeugungsgesamtheiten einzuebnen: most of these principles can be overthrown if there is good reason for overthrowing them, and such good reason would have to consist in the presentation of a whole rival theory embodying the denials of these principles, plus evidence of the success of such a rival theory. Any principle in our knowledge can be revised for theoretical reasons; although many principles resist refutation by isolated experimentation. (48)
Die neben der relativen Konstanz des Bezuges hinzutretende Bedingung der Revidierbarkeit von Rahmenprinzipien ist also die Existenz von Alternativen. Im Gegensatz zur vereinfachenden Sicht der "Empiristen" setzt also die Verwerfung einer Zuordnungsdefinition nicht nur einen entschlossenen Akt des Willens oder eine überzeugte Veränderung der Gewohnheit voraus, sondern die Reflexion und Verfügung über Theorien, in deren Rahmen sich Fälle aufzeigen lassen, in denen beispielsweise etwas als Gerade zu gelten hat, aber nicht die Eigenschaften eines starren Körpers aufweist. Eine solche Einsicht wiederum kann man offenkundig
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nicht durch eine theoriefreie und voraussetzungslose neue Erfahrung im Rahmen der Situation gewinnen, in der der starre Körper die beste Realisierung von Geraden darstellt, sondern nur zusammen mit dem Rückgriff auf eine weitere, dann apriorische Theorie. In diesem Sinne sind Rahmenprinzipien nicht unbedingt gültig, weil die Möglichkeit, ein gegebenes Prinzip als gültig anzuerkennen, die Bewertung von Alternativen beinhaltet, und dies wiederum ist eine (faktisch entweder erfüllte oder unerfüllte, aber für die Auszeichnung als verbindlich notwendige) Bedingung der Auszeichnung bestimmter Aussagen in unserem insgesamt synthetischen Korpus an Wissen als kontextuell a priori, d.h. notwendigerweise von einem in Frage kommenden Gegenstandsbereich 'wahr zu machend1 bzw. erfüllbar. Bereits zuvor wurde ja bemerkt, dass in die Entscheidung zur Annahme von Rahmenprinzipien eine Reflexion auf das vorhandene empirische Vorwissen genauso eingeht wie eine auf die vorhandenen theoretischen Möglichkeiten. Nun kann es de facto der Fall sein, dass in einer Situation ein System von Rahmenprinzipien gegeben ist, und keine Alternative bekannt ist. Und in diesem Sinne der faktischen Altemativlosigkeit kann man die metatheoretische Überzeugung der Teilnehmer rekonstruieren, dass es sich bei bestimmten Bedingungen der Rechtfertigung von Urteilen um allgemein vorgegebene und unbedingte Prinzipien handelt. Denn ihre Geltung ist ja bedingt durch die Voraussetzungen, die in beiden Reflexionen in Erscheinung treten, und wenn keine Alternativen in theoretischer Hinsicht da sind, bleibt eine der beiden Klassen, nämlich die der theoretischen Alternativen, auf ein Element beschränkt und somit eindeutig bestimmt. So lange sich nur das empirische Wissen ändert, aber kerne alternative Theorie zu seiner Interpretation besteht, bestehen keine ausreichenden Gründe zur Ablehnung der Theorie, wenn es sich bei der Akzeptierung wirklich um eine Entscheidung handelt, die die Konjunktion beider Elemente als Prämisse hat. Daher schreibt Putnam in "It Ain't Necessarily So": I think it is intuitively clear that the [proposition, A.M.] (...) that one can visit an arbitrary number of distinct and disjoint 'places' by continuing far enough on a suitable path - that is, that there is no finite upper bound on the total number of 'places' - had the status of necessary truths before the nineteenth century. (240)
Daher ist es vor der Erfindung von Alternativen vernünftig so zu handeln wie Hume, in dessen Lage sich Putnam hi "Philosophy of Physics" versetzt: Hume would certainly not have been impressed by the claim that 'straight line1 means 'path of a light ray', and that the meeting of two light rays mutually perpendicular to a third light ray could show that the Parallels Postulate of Euclidean geometry is false. He would have contended that it rather showed that light does not travel in straight lines. Thus he would not have admitted that, since we can visualize light rays behaving in the manner just described, it follows that we can 'visualize1 non-Euclidean space. (88)
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Denn letztere Aussage wäre zu Humes Zeit schlicht falsch gewesen, da es keine Theorie gab, die eine solche Behauptung hätte exemplifizieren können, und geometrische Begriffe, wie gesehen, von der Gesamtheit geometrischer Postulate charakterisiert werden. Die epistemische Unrevidierbarkeitsunterstellung (die sich unter geeigneten Bedingungen selbst als falsch herausstellen kann) wird zudem noch dadurch stabilisiert, dass Rahmenprinzipien, wie gesehen, in wesentlich höherem Ausmaß kontextneutral sind. Sie gelten in vielen verschiedenen Beschreibungssituationen als - häufig stillschweigend in Anspruch genommene - Randbedingungen und Hilfsannahmen, so dass im Falle einer fehlschlagenden Voraussagen immer der von ihnen unabhängige Teil der Prämissen verantwortlich gemacht werden kann. In diesem Sinne sind sie, so lange keine Alternativen bestehen, zu einem gewissen Grad immunisierbar gegenüber der Erfahrung. Putnam macht dies in "The Analytic and the Synthetic" anhand einer Vertiefung der zu Humes Zeiten möglichen Urteilsstrategien deutlich: I think that Hume was perfectly right in assigning to the principles of geometry the same status that he assigned to the principles of arithmetic. I think that in his time principles of geometry had the same status as the principles of arithmetic. It is not that there is something (...) which Hume failed to apprehend. (...) The principle that light travels in straight lines is not a definition of 'straight line'. (...) The principle that light travels in a straight line is simply a law of optics [Herv.v.mir], nothing more or less serious than that. (...) The implicit standpoint of Hume was that if the conjunction of [geometric and optical theory, A.M.] should lead to false predictions, then the optical theories would have to be revised; the geometric theory was analytic. The (...) criticism is that the geometry was synthetic and the optical theory was analytic. (49)
Es liegt insofern nahe, folgende Relativierung der Unbedingtheitsunterstellung für den epistemisch bevorzugten Status von Rahmenprinzipien vorzunehmen, die Putnam in "It Ain't Necessarily So" vorschlägt: Let me say, of a statement that enjoys the status with respect to a body of knowledge that these statements enjoyed before the nineteenth century (...), that it is 'necessary relative to the appropriate body of knowledge'. This notion of necessity relative to a body of knowledge is a technical notion (...) when we say that a statement is necessary relative to a body of knowledge, we imply that it is included in that body of knowledge and that it enjoys a special role in that body [Herv.v.mir] of knowledge. For example, one is not expected to give much reason for that kind of statement. But we do not imply that the statement is necessarily true, although, of course, it is thought to be true [Herv. v.mir] by someone whose knowledge that body of knowledge is. (240)
Putnam fasst die Entscheidungen über Rahmentheorien also in dem Sinne als praktische Entscheidungen auf, als mit ihnen keine Festlegung auf ihre ewige Gültigkeit einhergeht. Die Rahmenprinzipien erhalten also zwar einen "special status" in pragmatischer Hinsicht, werden in ihrer Funktion als Prämissen fär grundsätzlich wahr gehalten, jedoch implizieren diese in der Praxis wirksamen
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Einschätzungen ihres Status und ihrer Geltung in keiner Weise die Überzeugung von ihrer absohlten Unrevidierbarkat, d.h. absoluten Gültigkeit. Es handelt sich also nicht um der Prüfung und Kritik entzogene Vorurteile, sondern eher um kritisch in Anspruch genommene vorläufige Urteile.™ Die schembare Spannung Diese Ausdrücke findet man in einem ähnlichen Zusammenhang bereits bei Kant, und zwar in dessen Logik. Dort trifft er im Zusammenhang der pragmatischen Bedingungen der Überzeugungsbildung (des 'Einflusses des Willens auf das Fürwahrhalten') die Unterscheidung zwischen "vorläufigen Urteilen" und "Vorurteilen" (und zwar mit im Lichte der bisherigen Diskussion der Auseinandersetzung Putnams mit dem Konventionalismus nicht uninteressanten Nuancen). Beide Urteilsarten sind epistemische Einstellungen gegenüber Aussagen bzw. Überzeugungen, die lediglich begründet, aber nicht bewiesen oder verifiziert worden sind oder werden können, d.h. z.B. induktiv gestützte Urteile, oder allgemein: Aussagen unter den Bedingungen der Unterbestimmtheit und Ungewissheit. Kant trifft die entsprechende Unterscheidung wie folgt: "Ein vorläufiges Urteil ist ein solches, wodurch ich mir vorstelle, dass zwar mehr Gründe für die Wahrheit einer Sache, als wider dieselbe da sind, dass aber die Gründe nicht zureichen zu einem bestimmenden oder definitiven Urteile, dadurch ich geradezu für die Wahrheit entscheide. Das vorläufige Urteilen ist also ein mit Bewusstsein bloß problematisches Urteilen. Die Zurückhaltung des Urteils kann (...) geschehen (...) entweder, um die Gründe des bestimmenden Urteils aufzusuchen; oder um niemals zu urteilen. Im ersteren Falle heisst die Aufschiebung des Urteils eine kritische (...), im letztern eine skeptische. (...) Die vorläufigen Urteile sind (...) unentbehrlich für den Gebrauch des Verstandes bei allem (...) Untersuchen. Denn sie dienen dazu, den Verstand bei seinen Nachforschungen zu leiten (...) Man kann sich daher unter vorläufigen Urteilen Maximen denken zur Untersuchung einer Sache. (...) Von den vorläufigen Urteilen müssen die Vorurteile unterschieden werden. Vorurteile sind vorläufige Urteile, in so ferne sie als Grundsätze angenommen werden. (...) Zuweilen sind die Vorurteile wahre vorläufige Urteile; nur dass sie uns als Grundsätze oder bestimmende Urteile gelten, ist unrecht. Die Ursache dieser Täuschung ist darin zu sehen, dass subjektive Gründe fälschlich für objektive gehalten werden" (Logik, A 115-6) Wenn man demnach ein Urteil "kritisch" akzeptiert, tut man dies als Fallibilist in dem Sinne, dass man es aufgrund ausreichender, apriorischer oder aposteriorischer Gründe annimmt, ohne es entweder als definitiv gültig oder definitiv ungültig oder illusionär auf- oder abzuwerten. Das Charakteristische an der "kritischen" Akzeptierung besteht demnach an dem reflexiven Gleichgewicht zwischen Konvention und Skepsis. Von der schieren Setzung sind solche Urteile verschieden, weil man gute Gründe hat, und zur Skepsis ist man nicht in der Lage, weil keine spezifischen Gründe gegen die Annahme des Urteils als wahr bestehen. In diesem Sinne kann man hier, im Kontext allgemeiner Urteile bei der empirischen Urteilsbildung, bereits bei Kant ein scharfes Bewusstsein für die Möglichkeit weder absolut gültiger noch absolut ungültiger Urteile finden, ohne die überhaupt keine weitere Urteilsbildung möglich wäre. In solchen Zusammenhängen muss sich bereits Kant zufolge jeder, der überhaupt an der begründenden Urteilsfindung interessiert ist, aus dem Interesse an der Rationalität der Urteilsfindung heraus gegen das Ideal absoluten Wissens entscheiden, das im positiven zum Konventionalismus, der Verwechslung subjektiver mit objektiven Gründen, und im negativen zum Skeptizismus, der Verwechslung unzureichender objektiver Begründungen mit subjektiven Beweggründen, führt. In beiden Fällen kommt ein subjektives Element für den Überschuss auf, der zu einer definitiven Annahme oder Ablehnung des Urteils als begründet führen soll: im Konventionalismus werden subjektive Gründe angeführt, um die lediglich kontextuelle zur absoluten Gültigkeit zu machen, im Skeptizismus wird der Vorwurf der Subjektivität verwendet, um kontextuell vorhandene Gründe sub specie aetemitatis absolut abzuschwächen. Beide Haltungen stehen demjenigen entgegen, was die an der Urteilsbildung Beteiligten im Verlaufe der Prüfung des Urteils bereit herausgefunden haben und reflexiv einholen können: einmal bekommt man zu wenig, das andere Mal zu viel bei der philosophischen Nachkonstruktion der praktischen Urteilsbildung heraus. Wenn man die Angelegenheit so rekonstruiert, scheint der Gedanke nicht abwegig, in Kants Idee der kritischen Akzeptierung einen Vorläufer des Fallibilismus zu sehen.]
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zwischen der zuvor genannten Bestimmung von bestimmten Aussagen als der Revision entzogen und der hier gegebenen pragmatischen Erklärung ihres kognitiven Status als nonnalerweise einfach hingenommene Vorstruktur empirischer Urteile entpuppt sich bei näherem Hinsehen als inexistent. Denn ein reflexives Urteil über solche Strukturen ist zwar immer möglich139, aber eine reflexiv gefällte Entscheidung fiir oder gegen eine gegebene Struktur hängt eben von der epistemischen Situation eines gegebenen Urteilenden ab, und diese schliesst die (zumindest virtuelle) Existenz von mehr als einer Rahmentheorie ein. Die Übernahme hergebrachter Vorstrukturen ist genau so lange innerhalb einer gegebenen Praxis ohne aufwendigere Begründung vernünftig, wie kein alternativer Ansatz in Sicht ist (und Widersprüche lassen sich als praktische Motivationen zur Entwicklung von Alternativen ansehen). Inwieweit dies bereits aus dem induktiven Charakter der Wissenssysteme endlicher Wesen hervorgeht, lässt sich aus der folgenden Passage von F.v.Kutschera ersehen: "Wir können oft nicht eindeutig sagen, eine Theorie habe sich bewährt, oder sie habe sich nicht bewährt. (...) Selbst wenn sie sich nicht so gut bewährt, werden wir freilich oft an ihr festhalten, solange uns keine Alternative zur Verfügung steht. Eine nur bedingt brauchbare Theorie ist immerhin besser als gar keine. Es ist leichter zu sagen, eine Theorie bewähre sich besser als eine andere, und erst wenn wir zwei oder mehr Alternativen haben, können wir uns mit Gründen für eine von ihnen entscheiden."139 Mit der Übernahme einer Theorie geht demnach (auch im Falle der Übernahme des Hergebrachten) immer auch eine normative Einschätzung über die Rechtfertigung gegebener Prinzipien vor dem Hintergrund der durch sie mitbestimmten empirischen Urteile einher. Diese weitere Urteilsdimension ist es, die der Konventionalismus übersieht bzw. nicht weiter analysiert, indem er die Urteile auf dieser metatheoretischen Ebene nicht in derselben Weise als kognitiv konzipiert wie die theoretischen Urteile. Doch dafür besteht, so Putnams Argumente, überhaupt kein Grund. Denn auch die Sprache, in der Urteile über verschiedene Theorien und ihre Bestätigung (im gleichen Gegenstandsbereich) formuliert werden, ist prinzipiell einer Interpretation fähig, die eine Beurteilung der 138
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Diese Behauptung ist allerdings nur in bestimmten Grenzen aufrechtzuerhalten. Denn mit jedem Begründungsschritt oder -niveau erreicht man ja immer komplexere und abstraktere Strukturen, die schliesslich so schwierig werden können, dass ein explizites, im Kants Sinne 'bestimmendes' Urteil praktisch unmöglich ist. Auch hier darf man das "möglich" und "schwierig" dem Putnamschen Vorschlag entsprechend nur auf Personen und/oder Zeiten relativiert verstehen. Ein Verfassungsrichter kann sicherlich weit besser die konstitutionellen Folgen der Übernahme einer bestimmten Theorie der Rechte einsehen als ein normaler Staatsbürger, ein Mathematiker kann sicherlich wesentlich weiter zurückgehen in der Theorie der Konstitution von Objektbereichen als ein Philosoph der normalen Sprache etc. Das schliesst natürlich die Urteilsfähigkeit bezüglich der Folgen der jeweils weniger weit zurückreichenden Leute keinesfalls aus, auch wenn es sich vielleicht nur um mittels Erläuterungen bestimmte mögliche Folgen der Übernahme einer Theorie handelt. Und egal wie die Theorie aussieht ist jedem das Urteil zuzutrauen, dass eine Folgerung aus ihr, die falsch ist, bedeutet, dass an ihr etwas nicht stimmt. Kutschera, F.v.: Die falsche Objektivität, a.a.O, 151.
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Wahrheitswerte der dort getroffenen Aussagen ermöglicht140, wenn dies für die Theorien selbst gilt. Damit werden jedoch die Voraussetzungen der Theorieübernahme selbst erreichbar durch das generelle Revidierbarkeitsprinzip bzw. eine fallibilistische Einstellung. Dies wiederum war ja gerade das Ziel der Kritik der Prämissen (l)-(4) und ihrer Konsequenz, der Behauptung, es gäbe unrevidierbare Teile in unserem Wissen. Putnams Grundargumentation ist also nicht ohne eine gewisse Ironie. Denn es gelingt ihm, Argumente dafür beizubringen, dass die fallibilistische Einstellung gegenüber den Erkenntnisvoraussetzungen gerade dann theoretisch von fundamentaler Wichtigkeit ist, wenn man von dem Aufweis von Alternativen beeindruckt ist und die Annahme apodiktischer Urteile als unverständlich verwirft. Und darin hatte ja eine der Hauptintentionen der Begründer einer konventionalistischen Lesart dieser Entscheidungen bestanden. Der Hinweis auf die pragmatische und epistemologische Voraussetzungshaftigkeit der Erfahrung oder der Sprachverwendung allein reicht nämlich noch nicht aus, um fundamentalistischen Wissensmodellen den Wind, aus den Segeln zu nehmen. Ein solcher Aufweis lässt immer noch die Deutung zu, dass man die wirklichen Fundamente des akzeptierten Wissens eben falsch lokalisiert hätte, es sie aber doch gebe: es seien einfach die vom Opponenten ausfindig gemachten Voraussetzungen. Das Haltmachen an den Voraussetzungen bedeutet dann lediglich die Aufstellung der Behauptung, dass die bisher genannten Voraussetzungen keine solchen apodiktischen Wahrheiten seien, sondern es andere gäbe. Die Einsicht in die Voraussetzungshaftigkeit jeglichen Wissens wird erst dann zu einer wirksamen Waffe gegen die Annahme apodiktischer Urteile, wenn sie in einer der folgenden zwei Weisen qualifiziert wird (d.h. den Voraussetzungen ihrerseits bestimmte epistemische Eigenschaften zugeschrieben werden). Zunächst wird angenommen, dass es zu jeder Behauptung wiederum Voraussetzungen gibt, ad infinitum. Das führt genau dann (freiwillig oder unfreiwillig) zum Skeptizismus, wenn man, wie z.B. der Konventionalismus in der hier betrachteten Form, zusätzlich sagt, es gäbe gewisse Voraussetzungen, die feststehen (etwa, weil sonst kein Wissen im Sinne des fundamentalistischen Ideals denkbar sei), ohne geprüft werden zu können. Sie gälten z.B. aus Konvention, Stiftung oder Intuition oder was auch immer, auf jeden Fall aus keinen Gründen, die im Sinne der von uns normalerweise anerkannten Gründe kognitiver Natur wären. Dann aber erkauft man sich die Konsequenz, dass es im Gegenteil zu der provisorisch angenommenen Prämisse der Möglichkeit fundamentalistischen Wissens nicht nur kein Wis14
Dies schliesst Fälle nicht aus, in denen die Voraussetzung zum Vergleich nicht erfüllbar ist, da der Gegenstandsbereich nicht gegenseitig in den Theorien darstellbar ist. Doch dies ist kein prinzipielles, sondern ein vom Urteil im konkreten Fall abhängiges Problem. Die Auseinandersetzung mit der Verallgemeinerung dieser These, der sogenannten Inkommensurabilitätsthese, war historisch einer der Hauptanlässe für die Entwicklung der wichtigen Einsichten Putnams, kann aber hier aus Platzgründen nicht ausführlich behandelt werden.
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sen im fundamentalistischen Sinne gäbe, sondern überhaupt keines, weil man die generelle Annahme vertritt, dass das "Setzen" fester Voraussetzungen zwar unvermeidlich, aber eben grundsätzlich nonkognitiver Natur sei. Die zweite, von Putnam verfolgte radikalere Möglichkeit, dem Fundamentalismus zu begegnen besteht nun darin, dass man von den Voraussetzungen der Erfahrungserkenntnis (d.h. den Entschlüssen zur Übernahme einer Theorie) das Gegenteil behauptet. Das bedeutet, dass sie genau dann (wenn auch natürlich nicht unter denselben Bedingungen, s.o.) prinzipiell falsifizierbar, revidierbar, oder prüfbar sind, wenn wir dies für alle durch sie begründeten Aussagen annehmen. D.h. man geht von der Falschheit des fundamentalistischen Wissensideals aus und stellt fest, dass diese Annahme zu keinen Widersprüchen mit demjenigen führt, was als (empirisches) Wissen gilt. Demnach gibt es Wissen ohne letzte Grundlagen, aber kein Wissen ohne Gründe.141 Putnam schliesst daher eine von den in der Praxis von den Teilnehmern zugrundegelegten Urteilen unabhängige, ihnen entzogene epistemische Vorzugsstellung von Prinzipien generell aus. Putnams Schlussfolgerung lautet dementsprechend in den Worten aus "It Ain't Necessarily So": The distinction between statements necessary relative to a body of knowledge and statements contingent to that body of knowledge is an important methodological distinction and should not be jettisoned. But the traditional philosophical distinction between statements necessary in some eternal sense and statements contingent in some eternal sense is not workable. The rescuing move which consists in saying (...) that words have changed their meaning, and that the old statement would still be a necessary truth if the meanings of the words had been kept unchanged, is unsuccessful. The rescuing move which consists in saying that such statements were only mistaken to be necessary truths, that they were contingent statements all along (...) is just the other side of the same blunder. For the difference between statements that can be overthrown by merely conceiving of suitable experiments and statements that can be overthrown only by conceiving of whole new theoretical structures (...) is of logical and methodological importance, and not just of psychological interest. (248)
Übersetzt in die hier vorgeschlagene Terminologie sagt Putnam hier folgendes: aus der Struktur unserer Rechtfertigungspraktiken folgt, dass wir ohne eine Unterscheidung zwischen in einer Rechtfertigungssituation als wahr vorausgesetzten - somit in allen Rechtfertigungen wahren und damit, relativ auf deren Gesamtheit, als 'immer wahr' oder 'notwendig1 bzw. 'a priori' verwendeten - und von der Ansetzung solcher Voraussetzungen in ihrem Wahrheitswert mit abhängigen - aposteriorischen- - Aussagen nicht auskommen. Daraus, dass wir in jeder Situation, in der wir empirische Aussagen als gültig ausweisen, indem wir sie begründen, irgendeine bestimmte Menge solcher Voraussetzungen machen müssen und sie relativ auf die Menge der in dieser Situation begründeten Aussagen generell als wahr vorauszusetzen sind, folgt jedoch nicht, dass es für alle Situationen 141
Zu diesem Gedankengang vgl. Kutschera, F.v.-.Diefalsche Objektivität, 140ff.
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einen bestimmten, allen Situationen vorgegebenen Satz an Voraussetzungen geben muss. Es muss Putnam nach keine absolut apriorischen Wahrheiten geben.142 Der Versuch, solche Wahrheiten generell der Menge der Definitionswahrheiten (analytischen Aussagen) der in der Situation verwendeten Sprache zuzuschlagen, um die Dichotomic zwischen aus rein logischen Gründen/abhängig von der Erfahrung rechtfertigbaren Aussagen zu retten, schlägt fehl, weil viele dieser Voraussetzungen synthetische Folgen haben. Auch der umgekehrte Versuch, sie den rein aposteriorischen Aussagen zuzuschlagen schlägt fehl, weil sie nicht durch einen bestimmten, begrenzbaren Satz an Erfahrungen in dem Rahmen zu widerlegen sind, für den sie gelten. Es besteht ein in der Rechtfertigungspraxis eminent wichtiger Unterschied zwischen in der experimentellen Praxis widerlegbaren aposteriorischen bzw. empirischen - und nicht so widerlegbaren - apriorischen Annahmen. Letztere können jedoch nur mittels der Aufstellung eines mindestens die gleichen Rechtfertigungsleistungen in bezug auf die empirischen Aussagen leistenden, nicht trivial unterschiedlichen Satzes an Voraussetzungen mit synthetischen Folgen kritisiert werden. Die Klasse der Erkenntnisvoraussetzungen mit synthetischen Folge(runge)n ist demnach größer als die der Definitionswahrheiten - analytischen Aussagen - der in der Situation verwendeten Sprache, aber ex hypothesi nicht Teil der in der Situation unter ihrer Voraussetzung experimentell widerlegbaren empirischen Aussagen des Systems - -diesen gegenüber vorgegeben, a priori. Putnam argumentiert also von zwei Seiten gegen den Konventionalismus. Einerseits zeigt Putnam, dass selbst tief verankerte Rahmenprinzipien rational und aus theoretischen Gründen revidierbar sind, indem er argumentiert, dass sie nur dann als Rahmenprinzipien erfahrungswissenschaftlicher Theorien gebraucht werden können, wenn sie wenigstens indirekt synthetischen Gehalt aufweisen. Rahmenprinzipien sind also als Konstitutionsprinzipien in einem epistemologisch entscheidenden Sinne nicht die Nachfolger von Kants synthetischen Urteilen a priori, denn sie sind nicht unbedingt wahr. Dies bringt Putnam durch Argumente heraus, die den Kontinuumcharakter der epistemschen Status von Überzeugungen betonen. Welchen Status eine bestimmte Überzeugung innerhalb eines gegebenen Überzeugungssystems erhält, ist lediglich in der unter bestimmten Erkenntnisbedingungen durchgeführten Praxis bestimmbar. In diesem Sinne liegen 14
In ähnlicher Weise resümiert W.K. Essler in "Der erkenntnistheoretische Status synthetischapriorischer Urteile bei der Gewinnung von Erfahrungserkenntnissen" die Konsequenzen aus der Annahme eines auf Erkenntnissituationen bzw. Sprachgebrauchssituationen relativierten Begriffs apriorischer Urteile: "Zu jeder Situation (Sprache) gibt es Urteile, die in S synthetisch-apriorisch sind. Daraus folgt nicht, dass es Urteile gibt, die für alle Situationen (Sprachen) synthetischapriorisch sind." (82) Im selben Artikel findet sich auch die hier benützte Idee, dass Erfahrungen (theoretische und praktische) im Sinne der Erfahrungen mit den Ergebnissen der Anwendung von Begriffssystemen auf Erfahrungsbereiche unter bestimmten Zielsetzungen eine rechtfertigende Rolle bei der Akzeptierung und Zurückweisung von Begriffssystemen übernehmen können (vgl.ibid., 83).
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aus der Perspektive derer, die sie in ihren Erkenntnispraktiken verwenden, alle Überzeugungen auf einem Kontinuum zwischen Erkenntnisvoraussetzungen und empirischen Urteilen. Auf der anderen Seite widerspricht Putnam aber auch der naturalistischen Ansicht, dass es sich bei Rahmenprinzipien einfach nur um besonders allgemeine empirische Aussagen handele, deren Testbedingungen eben etwas komplizierter sind, also innerhalb der Rechtfertigungspraktiken genauso kontingent gelten wie alle anderen empirischen Aussagen und daher keinerlei epistemisch-normativen Sonderstatus besäßen. Dies war ja eine andere Möglichkeit der Rettung des Konventionalismus, diesen Urteilen nämlich ihren Status dadurch abzusprechen, dass man die Klasse der notwendigerweise in einer Situation vorausgesetzten Erkenntnisbedingungen, die dadurch in dieser Situation nolens volens einen normativ ausgezeichneten Status erhalten, für leer erklärt. Die Argumente gegen diese Ansicht bringt er, wie an seinem Beispiel Humes deutlich wurde, aus der Teilnehmerperspektive hervor, indem er zeigt, dass die pragmatisch verfügbaren Begriindungsmittel für empirische Aussagen selbst auf als gegeben akzeptierten Prinzipien aufbauen, die insofern keineswegs beliebig sind, sondern eine Begründung erst als Begründung erkennbar machen. Diese stehen erst dann zur Disposition, wenn tatsächlich mehrere solcher Strukturen den Teilnehmern an solchen Praktiken zur Verfügung stehen und ein reflexiv-kritisches Urteil möglich ist. Beide von Putnam angegriffenen Voraussetzungen waren für den Konventionalismus deswegen entscheidend, weil die entsprechenden Prinzipien nur dann als durch theoretische Argumente unwiderlegbar (und damit als empirischen Erkenntnissen gegenüber "willkürlich") gelten können, wenn man für ihre Akzeptierung oder Ablehnung keine empirischen, d.h. innerhalb der erfahrungswissenschaftlichen Praktiken einschlägigen, Gründe anführen könnte und es auch für die Begründung empirischer Aussagen keinen Unterschied machte, welche Rahmentheorie man bevorzugen würde. Sobald man die Relevanz empirischer Aussagen und Folgerungsmengen anerkennt, kann dies nur dann der Fall sein, wenn die Klasse synthetischer Erkenntnisvoraussetzungen leer ist. Putnam zeigt wie Reichenbach, dass diese Annahme angesichts der Rechtfertigungspraktiken bei der Festlegung empirischer Überzeugungen unhaltbar ist. Das wichtigste Ergebnis von Putnams Diskussion der Rahmenprinzipien besteht so meiner Ansicht nach in der pragmatischen Explikation des Begriffs von in einer Situation apriorischen, synthetisch folgenreichen, aber nicht absoluten bzw. unbedingten oder voraussetzungslosen Urteilen. Mit diesem Begriff kann man Putnams antiaprioristische und antifundamentalistische, aber kognitivistische Position in bezug auf die Erkenntnistheorie damit zusammenfassen, dass man zwar in jeder Erkenntnissituation irgendwelche synthetischen Annahmen a priori machen muss, die die allgemeinen Strukturen des Gegenstandsbereichs beschreiben, die in nachgerade jedem theoretischen, empirischen und interpretativen Urteil vorausgesetzt werden, das in dieser Situation gefallt werden kann, dass man aber
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deshalb nicht anzunehmen braucht (und im Lichte des gerade entwickelten Begriffs nicht vernünftigerweise annehmen kann), dass es 'deshalb' bestimmte synthetische Annahmen geben müsse, die in allen Erkenntnissituationen vorausgesetzt werden müssen. Eine spezielle Konsequenz dieser allgemeinen These besteht darin, dass wir zwar bei der Zuordnung von Gegenständen zu empirisch intendierten Begriffen immer synthetische Urteile als gültig oder erfüllt von diesen Gegenständen annehmen müssen, die damit den Gegenstandsbereich strukturieren, dass daraus aber nicht folgt, dass es (für jeden empirisch intendierten Begriff) einen bestimmten Satz an synthetischen Aussagen geben müsste, der in allen epistemisch akzeptablen und als fortsetzende Verwendungen des Begriffsausdrucks betrachteten Verwendungen impliziert sein müsste. Die allgemeine kognitivistische These lässt sich in diesem Sinne an Verwendungs- und Interpretationsvoraussetzungen für empirische Begriffe ablesen, die Teilnehmer an erfahrungswissenschaftlichen Praktiken machen. Wie eine Rekonstruktion dieser Voraussetzungen im Lichte der gerade genannten Konsequenz aus Putnams Kritik an Konventionalismus und Naturalismus aussehen kann (und welche neuen Voraussetzungen oder Verallgemeinerungen dabei zutage treten), soll der nächste Abschnitt illustrieren. 3.4. Putnams Vorschlag mm Verständnis der Bestimmung der Grundbegriffe empirischer Theorien: Zuordnungsprinzipien Für den ersten Teil seiner Kritik, nämlich die Revidierbarkeit von Rahmenprinzipien aus im weitesten Sinne empirischen Gründen, brachte Putnam ja eine Voraussetzung heraus, ohne die die generelle Revidierbarkeitsthese ("any principle in our knowledge can be revised for theoretical reasons") auf Rahmenprinzipien unanwendbar würde, nämlich die, dass die Interpretation der Grundbegriffe minimal konstant bleiben müsste. Doch wie an den Beispielen gesehen, sind für die Interpretation der Grundbegriffe der rahmentheoretischen Axiome ebenfalls allgemeine Gesetzesaussagen nötig. Diese sind nun aber, wie Putnam immer wieder betont, nur dann wirklich verwendbar, wenn sie ebenfalls Teil einer Theorie sind, die damit in der Anwendung der Rahmentheorie mit vorausgesetzt wird; so war es ja z.B. die Kombination aus Optik und Geometrie, die eine Beschreibung des Raumes zustandebringt, in dem die in empirischen Theorien beschriebenen Ereignisse stattfinden. Wenn nun aber auch die interpretativen Prinzipien bzw. die 'Zuordnungsprinzipien' einen Teil der Vortheorie darstellen, mit der ein Teilnehmer an erfahrungswissenschaftlichen Forschungspraktiken an eine bestimmte Situation herangeht, dann sind ja zweifellos auch diese interpretativen Prinzipien revidierbar. Nun kommt aber das Problem auf, inwieweit die für die Anwendung des fallibilistischen allgemeinen Revidierbarkeitsprinzips auf kontextuell-apriorisch ver-
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standene Behauptungen erforderliche Voraussetzung der Bezugskonstanz der Grundbegriffe überhaupt noch verstanden werden kann. Denn schliesslich ist ja, wie Putnam selbst in seiner Argumentation gegen den Verifikationismus betonte, die Verwendung der in den Rahmenprinzipien enthaltenen Grundbegriffe entscheidend dadurch charakterisiert, innerhalb welchen Axiomensystems sie als ausserlogische Ausdrücke vorkommen. Verändert man daher die Struktur des Begriffssystems, dann würde sich - selbst wenn diese Veränderung, seinen Argumenten gegen den Konventionalismus folgend, begründbar wäre - die Gesamtheit der mit ihnen unter Zugrundelegung derselben grammatischen Regeln aufstellbaren Behauptungen, und damit zugleich der Anwendungsbereich der Grundbegriffe verändern, d.h. ihre Bedeutung. Da nun außerdem die Zuordnungsprinzipien dazu dienen, den Bezug der theoretischen Begriffe auf die zu behandelnden Phänomene zu sichern und bereits die Erkenntnis eines Bezugsgegenstandes und alle deren Voraussetzungen voraussetzen, und da diese Voraussetzungen nicht sicher sind, wie sich an ihrer Veränderlichkeit zeigt, fragt sich, was denn eigentlich mit dieser Bestimmung der Bezugsrelation bestimmt worden ist. Die holistischen Argumente gegen den Verifikationismus treten also auf den ersten Bück mit denfallibilistischen Argumenten gegen den Konventionalismus in Konflikt. Das aus dem Revidierbarkeitsprinzip folgende Desideratum bringt Putnam bereits 1959 in "Memo on 'Conventionalism'"143 für den Fall des Ausdrucks "Länge" (also metrisierter, gerichteter Abstand) wie folgt auf den Punkt: I maintain that the word 'length1 refers, in English [Herv.v.mir], to a certain magnitude which was incorrectly believed (...) to be a function of one argument (...) but which is in fact a function of two arguments (...) I have described the English language (or rather the word 'length' (...)) by saying that the word 'length1 has a fixed referent which did not change when the Einstein theory was adopted (although the nature of that referent became better understood). (...) people may be able to measure a magnitude pretty well without being able to measure it exactly in all cases, and without being clear as to its real nature. Hence, it is not implausible that people may be talking about the same thing when they use the word 'length', even if (...) their theory of what 'length' is has recently undergone some substantial modifications. (...) the measurement of length depends on the use of a standard body; but (...) [this] does not make length, as a theoretical magnitude used (...) to describe his world, a 'relation to a standard object' (...) Also the choice of a unit depends on a standard (...) but the existence [Herv.v.mir] of such magnitudes does not depend on human beings having selected corresponding units. (208-11)
Nur dann also, wenn dasjenige, worauf ein Begriff angewendet werden soll, der intendierte Referent, einigermaßen konstant bleiben kann, ist es überhaupt sinnvoll, von verschiedenen Methoden der Anwendung des Begriffes auszugehen, unter denen man im Rahmen der akzeptierten Fehlergrenzen frei wählen kann. 143
PPI, 206-14.
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Worum es sich dabei ungefähr handelt, erfährt man aus den Überzeugungen, die man hinsichtlich der Verwendung des Ausdruckes hat, der innerhalb einer bestimmten Theorie auf bestimmte Weise präzisiert und aufgrund bestimmter Anwendungsregeln in charakteristischer Art und Weise angewendet wird. 3.4.1. Pluralismus der Messverfahren und Begriffsidentität Jede einzelne der Theorien kann man in diesem Sinne als Reduktion der für bestimmte Zwecke zu unscharfen Verwendung eines Vorbegriffs auf im Rahmen einer Gesamtheit theoretischer Aussagen genauer charakterisierte Grundbegriffe verstehen. Deren Grundbegriffe werden dann wiederum aufgrund der Identifikation von Dingen und Eigenschaften von Dingen, auf die der Vorbegriff zutrifft, in ihrer Verwendung bestimmt. Dabei wird für die jeweilige Interpretation des Ausdruckes in Englisch und des Ausdruckes in-der-und-der-Theone derselbe Gegenstand vorausgesetzt. Das schlägt sich in der Tatsache nieder, dass es sich bei diesen Reduktionen um Identitäts- bzw. Äquivalenzaussagen handelt. Putnam erläutert diesen Zusammenhang in "On Properties"144 in diesem Sinne wie folgt: Consider (...) the situation which arises when a scientist asserts that temperature is mean molecular kinetic energy. (...) What is being asserted is that the physical property of having a particular temperature is really (...) the same property as the property of having a certain molecular energy; (...) (...) whereas synonymy of the expressions 'x is P' and 'x is Q' is required for the predicates P and Q to be the 'same', it is not required for the physical property P to be the same physical property as the physical property Q [for the identity-statement to be true, A.M.]. Physical properties can be 'synthetically identical'. (306)
Um der tatsächlich bestehenden Konventionalität der Anwendungsmethoden von Grundbegriffen und der Pluralität innerhalb derselben gerecht zu werden, ist es in gewissem Sinne erforderlich, dass nicht jede Veränderung theoretischer Prinzipien zur Anwendung von Grundbegriffen ipso facto als Veränderung des Untersuchungsgegenstandes selbst angesehen wird: denn sonst hätte man ja nur viele einzelne homonyme Ausdrücke, über deren Zusammenhang man sich keine Sorgen zu machen brauchte, weil sie im Prinzip nicht mehr miteinander zu tun haben als 'blau' und 'gross'. Es ist vielmehr erst dann, wenn man die Unterscheidung zwischen in der Mess- bzw. Zuordnungstheorie vorkommendem Ausdruck und als gegeben vorausgesetzten Beschreibungsobjekten einerseits und der die Strukturen der Wirklichkeit beschreibenden, innerhalb vieler Einzelerklärungen verwendeten Hintergrundtheorie andererseits macht, möglich, Unterschiede im Rahmen der einen und der anderen überhaupt zu rekonstruieren. Die der Messtheorie zuzurechnenden 'Zuordnungsprinzipien' haben zwar individuell in 144
PPI, 305-22.
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einer bestimmten Situation denselben Status wie die Rahmenprinzipien, da ohne jede Vorstellung darüber, welche Gegenstände oder Eigenschaften mit einem gegebenen Ausdruck denn gemeint sind, nicht klar wäre, wie man die außerlogischen Ausdrücke innerhalb der Theorie überhaupt auf die Wirklichkeit anwenden soll. Irgendäne Menge von Zuordnungsprinzipien, d.h. Messtheorie, muss daher von einem Sprecher vorausgesetzt werden. Doch beschreibt nicht jedes einzelne, und auch nicht jede Gesamtheit von Zuordnungsprinzipien einen eigenen Aspekt der Wirklichkeit, so wie sie für die Geltung der Hintergrundtheorie vorausgesetzt werden muss. Es ist daher nicht von vornherein klar, welche der in einer bestimmten epistemischen Situation verfugbaren Zuordnungsweisen man voraussetzen will, nur dass man mindestens eine benötigt. Hat man sich für ein Kriterium entschieden, das den Begriff in dieser Situation bestimmen soll, so folgt daraus, dass die Feststellungen der anderen Eigenschaften des entsprechenden Referenten empirische Aussagen werden, wenn sie untereinander logisch unabhängig sind. Dadurch ist es möglich, dass sich jedes einzelne dieser Kriterien als empirisch inadäquat herausstellt, da man ja innerhalb der Gesamtheit an Zuordnungsprinzipien auf andere unabhängige Weisen zurückgreifen kann, deren Zutreffen man voraussetzt, und mit deren Hilfe man daher die Interpretation einer Aussage zustande bringen kann, die das Nichtzutreffen des entsprechenden Kriteriums behauptet. Dies war ja bereits im ersten Teil deutlich geworden, erfährt nun jedoch eine Vertiefung, da dieselbe Feststellung nun als Argument dafür zu werten ist, dass auch eine noch so klare konventionelle Entscheidung, selbst dann, wenn sie nicht auf die Beobachtung zurückführbar sein sollte, nicht per se dazu in der Lage ist, die Verwendung eines bestimmten Ausdruckes in erfahrungswissenschaftlichen Kontexten vollständig zu bestimmen. Denn zwar stellt es sich damit als berechtigt heraus, dass die Bestimmung der Verwendung der Grundbegriffe grundsätzlich nur auf eine Entscheidung zurückführbar ist, und dass es dafür unterschiedliche, prinzipiell gleichwertige Kandidaten gibt. Doch es stellt sich weiterhin heraus, dass nicht zugleich mit der Entscheidung klar ist, ob das entsprechende Kriterium, bzw. die entsprechende Zuordnungsregel auch zutrifft, d.h. mit ihr überhaupt ein Gegenstand individuiert wird, auf den man den Begriff anwenden soll: Distance cannot be Operationally defined' as distance according to a wooden ruler, nor as distance according to an iron ruler, nor as distance according to an optical measuring instrument, nor in terms of any other one operational criterion. The criteria we have for distance define the notion collectively, not individually, and the connection between any one criterion and the rest of the bundle may be viewed as completely synthetic.145
Was damit gemeint ist, kann man anhand einer den Überlegungen zu den Rahmenprinzipien analogen Betrachtung näher erläutern. Besonders charakteri145
"It Ain't Necessarily So",
243.
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stisch für die hier gemeinten Zuordnungsprinzipien sind die grundsätzlichen Strukturen von quantitativen Messaussagen, die, wie aus dem vorigen Zitat hervorgeht, die Identität oder Äquivalenz zweier Interpretationen beschreiben. Eine theoretische Aussage wird hier z.B. einmal über dem Bereich der reellen Zahlen interpretiert (d.h. die Erfüllung der hier geltenden Ordnungsgesetze vorausgesetzt) und einmal über dem Phänomenbereich. Dabei kommt es dann zu solchen Aussagen wie "Die Quecksilbersäule ist vier cm hoch" und "Die Quecksilbersäule hat eine bestimmte Temperatur". Beide Aussagen ergeben semantische Interpretationen, wenn man eine Zuordnung zwischen dem Ausdruck "Zustand der Quecksilbersäule" und Zahlen bzw. Wärmegraden vornimmt. Damit nun die Handlung des Messens überhaupt Sinn hat, muss man annehmen, dass die in beiden Zuordnungen vorausgesetzten 'Universen' hinsichtlich der jeweils in den Interpretationen zugeschriebenen Gegenstände innerhalb bestimmter Grenzen dieselbe Struktur aurweisen, dass also ein aus Zahlen bestehendes Universum und ein aus Wärmegraden bestehendes Universum strukturähnlich sind. Unter dieser Voraussetzung kommt es dann zu einer 'Übersetzung1 der Aussage über die Höhe der Quecksilbersäule in eine Aussage über die Temperatur. Schliesslich können beide Aussagen, wenn es sich um eine generelle Zuordnung handelt, in eine Objektsprache rückübersetzt werden und zur Formulierung eines Gesetzes der Form "Wenn die Quecksilbersäule vier cm hoch ist, dann hat das Quecksilber eine Temperatur von 20 C" verwendet werden. Willkürlich hierbei ist natürlich, wie gesagt, welche der praktisch durchführbaren Ordnungsmethoden des Phänomenbereiches man wählt.146 Dies ist die Entsprechung zu der Veränderbarkeit der Rahmentheorien: Messmethoden sind, wenn sie Meßmethoden sind, dann plural. Alle in einem Bereich zulässigen Methoden sind gleich erlaubt, so lange es der Fall ist, dass, wenn eine von ihnen in einer bestimmten Situation zu einer wahren Aussage fuhrt, dann alle Messmethoden im selben Präzisionsbereich zu einer wahren Aussage führen. Putnam nennt die den als Zuordnungsprinzipien gebrauchten Messmethoden zugrundeliegenden Reduktionsäquivalenzen wie gesehen 'synthetic identities' oder (unter Annahme der Notwendigkeit der Identität) "synthetic necessary Statements" (vgl. "It Ain't Necessarily So", 239ff.). Da er jedoch "notwendig wahr" in einem relativierten Sinne als "Sonderstatus innerhalb einer Wissensgesamtheit" auffasst (s.o.), liegt es nahe, seine Verwendung von "notwendig wahr" und "analytisch, aber keine Definition" im Sinne des bereits im Rahmen der Diskussion der Rahmenprinzipien Gesagten und auch im Sinne seiner späteren Arbeiten als "kontextuell a priori" zu lesen.147 "Analytisch" ist, wie gesagt, im herkömmliHempel, C.G.: Fundamentals of Concept Formation in Empirical Science, Chicago 1952,62-78. Eine solche Lesart schlägt beispielsweise J.M.E. Moravscik in seinem Aufsatz "The Analytic and the Non-Empirical" (Journal of Philosophy 62 (1965), 415-29) vor, wenn er in einer etwas über die Ungenauigkeiten in der Verwendung dieser Begriffe in Putnams Artikel verärgerten Weise zusammenfassend bemerkt: "to describe certain propositions as necessary within (...) systems is
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eben Sinne als "zur Logik und den Definitionsaussagen einer Sprache gehörig" aufzufassen. Dass Putnam in diesem Sinne apriorische Aussagen als "notwendig wahr" bezeichnet, hat vielleicht einen weiteren Grund darin, dass mit dieser Formulierung besser zum Ausdruck kommt, dass es sich bei diesen Aussagen nicht nur um solche mit einem epistemischen Sonderstatus handelt, sondern auch, gerade wenn man die Erkenntnisvoraussetzungen im Sinne der sprachlichen Voraussetzungen der empirischen Erkenntnis auffasst, um Voraussetzungen der Interpretation von Begriffssystemen. Anhand der zuvor kurz umrissenen Strukturen der Messbegriffe wurde ja bereits deutlich, dass es sich bei den entsprechenden Äquivalenzen genau dann um wahre Aussagen handelt, wenn die numerischen und die empirischen Ausdrücke eine gegenseitige relative Interpretation haben. Solche Aussagen sind normativ verstandene Zuordnungsprinzipien, mit denen der Gebrauch der Grundbegriffe in allen Situationen festgelegt werden soll. In explizit interpretative Formulierungen gebracht bedeutet die Aussage, dass es notwendig ist, dass die Quecksilbersäule eines bestimmten Thermometers genau dann eine Temperatur von 20°C aufweist, wenn sie vier cm hoch ist, dass dem Ausdruck "vier cm hoch an diesem Thermometer" in der auf Längenausdrücke und Zahlen aufgebauten Theorie grundsätzlich der Wärmegrad 20°C im Universum der in Celsiusgrade aufgeteilten Wärmegrade zuzuordnen ist (oder, dass '4cm Quecksilbersäule an Thermometer T' in dieser Situation auf alle Dinge 'referiert'/'anwendbar ist', die 20°C warm sind). Auf der anderen Seite jedoch sind solche Aussagen nur dann gültig, wenn der empirische Gegenstandsbereich tatsächlich die mathematische Ordnung aufweist, die ihm mit der Äquivalenz zugeschrieben wird. Ihre Wahrheit ist also nicht unabhängig von empirischen Gegebenheiten (bzw. den Ergebnissen der Anwendung des mit ihnen charakterisierten Verfahrens) begründbar. Sie beruht auf der empirischen Gültigkeit von Gesetzmäßigkeiten wie der, dass die Ausdehnung einer Flüssigkeit in einem Glasbehälter mit der Temperatur der Flüssigkeit kovariant nothing over and above saying that they are axioms, definitions, or theorems in these systems. Again, instead of saying that some propositions are analytic relative to a certain system, or analytic within a given context, we can say simply that systems contain definitions, axioms, etc., and that in given contexts we take certain truths for granted. This - though trivial - is relatively clear." (424) Weniger trivial ist allerdings die Frage, um die es im bisherigen ja auch gegangen war, ob, und wenn welche Art von Sätzen innerhalb der empirischen Wissenschaften (nach Quines Kritik) überhaupt in einem klaren Sinne Definitionen sind. Und um die Klärung diesen Sachverhaltes und die Abwehr anderslautender Vereinfachungen geht es Putnam. Dass es sich bei Moravsciks Feststellung keineswegs um eine unkontroverse Ansicht handelt, sobald man den Axiomen und Definitionen einen epistemischen Sonderstatus in einer Situation zuschreibt, scheint mir aus Putnams wiederholter Betonung der Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen empirischen Aussagen und "synthetisch notwendigen" Aussagen in einem Begriffssystem hervorzugehen, die gegen "ausverkaufsholistische" bzw. nonkognitivistische Folgerungen aus der Umstellung auf eine pragmatische Perspektive gerichtet ist. Ansonsten trifft Moravsciks nüchterne Bemerkung jedoch meiner Ansicht nach ziemlich genau das, was Putnam im Auge zu haben scheint.
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ist. Die betreffenden 'notwendigen1 Aussagen zur Bestimmung eines Messverfahrens (und damit einer indirekt verfahrenden Zuordnung von Zahlen und Wärmegraden) sind in zwei Hinsichten "synthetisch". Einerseits ist es ein (bei der Eichung in Anspruch genommenes) Faktum, das bestehen kann oder nicht, dass die Quecksilbersäule des betreffenden Thermometers bei einer bestimmten Ausdehnung eine bestimmte Wärme hat und keine andere. Andererseits beinhaltet die Akzeptierung einer Zuordnung von numerischen Ergebnissen von Längenmessungen an Thermometersäulen und Temperaturen die allgemeine Aussage über die Welt hinsichtlich der in ihr vorkommenden Temperaturwerten, dass sie - innerhalb des Funktionsbereichs des Thermometers - in derselben Weise mathematisch stückelbar und kombinierbar sind wie Längen einer Quecksilbersäule in einem bestimmten Messinstrument. In der Festlegung einer Messmethode für Temperatur muss also auf einen bestimmten Gegenstand und seine Eigenschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt bezug genommen werden, und zugleich, wenn es sich dabei um eine Messmethode für einen metrischen Begriff handeln soll, vorausgesetzt werden, dass die gemessene Eigenschaft eine bestimmte Struktur hat. In diesem Sinne ist ein Messverfahren auf synthetischen Annahmen aufgebaut, denn es wäre möglich (nicht logisch widersprüchlich, d.h. nicht analytisch falsch), dass man einen anderen Messkörper nimmt oder der Gegenstandsbereich nicht diesem Gesetz gehorcht. Wenn überhaupt von "Notwendigkeit" in diesem Zusammenhang die Rede sein kann, dann ist dies offenkundig nur im Sinne eines naturgeseizlichen Zusammenhanges sinnvoll wie dem zwischen Temperatur- und Volumendifferenzen. Hat man sich jedoch einmal für eine Methode entschieden, dann ist es unter Annahme dieser Voraussetzungen nicht mehr möglich, dass man bei einer fehlerlosen Messung zweier Gegenstände gleicher Wärme zu unterschiedlichen Längen der Quecksilbersäule im selben Thermometer kommt (oder eben umgekehrt notwendig, dass man bei der Messung zweier Gegenstände gleicher Temperatur mit demselben Thermometer immer zur selben Länge der Quecksilbersäule kommt). In diesem Sinne sind die die Festlegung eines Begriffs leistenden Aussagen notwendig wahr (wenn die Gesetze gelten und der Messkörper festliegt), und die Bezüge der durch das Verfahren festgelegten Begriffe ('4cm Quecksilbersäule in T') bestimmt. All das bedeutet jedoch nicht, dass man denselben Begriff ('temperature' im Rahmen derselben mathematischen Struktur) im Rahmen desselben Phänomenbereichs ('felt warmth1) nicht auf ein anderes Verfahren, d.h. einen anderen Messkörper festlegen könnte. Man kann eine skalierte Alkoholsäule nehmen, einen zur Feder gebogenen Bimetallstreifen mit einer Nadel daran, die über eine Skala läuft, etc. Man kann auch auf andere Gesetzmäßigkeiten zurückgreifen, z.B. Strahlungswärme, und ein Verfahren wählen, das die Strahlungseffekte von Körpern quantifiziert und auf Temperaturgrade abbildet. Derselbe Begriff kann also unterschiedlich realisiert werden, und diese Möglichkeit liegt darin begründet, dass die Grundbegriffe physikalischer Theorien auf Phänomene bezugnehmen,
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die mehreren unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Dadurch kann man die Inhalte der vorausgesetzten 'notwendigen Wahrheiten' (d.h. Gesetze) in einer Situation verändern, indem man beispielsweise denselben Körper mit unterschiedlichen Verfahren misst. Wenn man nun den Temperaturbegriff beispielsweise auf Grundlage der Geltung von Strahlungsabsorptionsgesetzen auf ein Verfahren der Messung von Strahlungswärme festlegt, so kann man damit die Ergebnisse der Messungen mit einem Thermometer kontrollieren. Das ist möglich, weil die Wahrheit der Strahlungsabsorptionsgesetze, die man voraussetzt, unabhängig von der Wahrheit der thermodynamischen Gesetze ist, die in einer solchen Situation nicht vorausgesetzt, sondern als deskriptive Hypothese über den Zusammenhang von Volumen, Temperatur und Druck verwendet werden. Ein Messergebnis mit einem Thermometer ist in einer Situation, in der der Temperaturbegriff auf ein Strahlungsmessgerät festgelegt ist, eine empirische Aussage und kann als solche mit einem mittels des Strahlungsmessverfahrens erhaltenen Messergebnis verglichen werden. Wenn die Thermometermessung in der Mehrzahl der Fälle, in denen beides anwendbar ist, ungefähr dasselbe Ergebnis erbringt wie die Strahlungsmessung, und der Temperaturbegriff auf ein Strahlungsmessverfahren festgelegt ist, dann kann man dies also sogar als Bestätigung des Thermometerverfahrens im Rahmen der Strahlungsmessung begreifen. Die Bezugsphänomene der jeweils verwendeten Ausdrücke des Typs '20°C' sind in einer solchen epistemischen Situation nicht mehr leicht als abhängig vom Verfahren oder durch das Verfahren bestimmt zu qualifizieren, da sie aufgrund zweier unabhängiger Verfahren befriedigend bestimmbar sind.148 Parallel zur vorherigen Diskussion des geometrischen Falles ist hierbei Voraussetzung, dass beide Verfahren dasselbe "vortheoretische" Phänomen betreffen und dass dieselben Körper mit zwei 148
Es ist dann ein erkenntnistheoretisch wenig befriedigender Einwand, dass der Bezug des Ausdrucks 'genau 20°C' in der Tat nur dann festliegt, wenn ein bestimmtes Verfahren, d.h. ein bestimmtes Messinstrument, seine Skala und sein Nullpunkt festliegen, denn wenn man die Temperaturmessung mittels eines Thermometers festlegt, dann ist es unmöglich, dass ein Körper, für den die fehlerlose Messung das Ergebnis 'genau 20 0 C' ergibt, nicht genau 20°C warm ist, auch wenn die Strahlungsmessung den Wert '20,005°C' ergibt. Das ist dann eine empirisch falsche Aussage, die nur dann als wahr anerkannt werden kann, wenn man sagt, dass es einem auf die dritte Stelle hinterm Komma nicht ankommt. Um aber sagen zu können, dass man solche Begriffe nicht miteinander identifizieren dürfte, müsste man ein allgemeines Argument vorbringen, weshalb die kontextuelle Festlegung auf Präzisionsgrade und die damit einhergehende Identifikation von Ergebnissen unabhängiger Messverfahren generell unvernünftig oder unzulässig ist. Da ein solches Argument nicht ohne praxisexternen Legalismus zu erwarten ist, scheint es viel eher angemessen zu sein, dass erfahrungswissenschaftliche Messgrößen nie nach dem Vorbild von 'genau 20°C' verstanden werden, sondern immer nach dem Vorbild 'mit Verfahren T als genau 20°C bestimmt und in unserem Kontext mit der Genauigkeit +/-0,005°C zu bestimmen' (worunter dann im Beispiel auch der mit dem Strahlungsverfahren gemessene Wert fallt und das im Text genannte Argument gilt). Zu den äusserst spannenden erkenntnistheoretischen und begriffstheoretischen Fragen im Zusammenhang mit der Festlegung von Normkörpern und Standardmessinstrumenten vgl. Van Brakel, J.: "Units of Measurement and Natural Kinds: some Kripkean Considerations", Erkenntnis 33 (1990), 297-317.
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unabhängigen Verfahren gemessen werden. Im Gegensatz zu den Rakmenprinzipien, die ja die Konstitution der Gegenstände in wesentlich allgemeinerer Form angehen, kann man hier jedoch davon ausgehen, dass Körper nicht nur über ihre thermischen Eigenschaften identifizierbar sind. Daher ist die zweite Voraussetzung auch dann erfüllbar, wenn wir nichts über den Körper voraussetzen ausser dass seine Temperatur in einer bestimmten Situation lediglich einen Wert hat (welcher auch immer dies sein mag). So ergibt sich auch für den epistemischen Status der Voraussetzungen für die Bestimmung der Bezugsrelation, dass für einen Verwender der Sprache in dieser Situation bestimmte, besonders wichtige Methoden a priori als Bestimmungsweisen des Bezuges gelten, zugleich aber, wie bemerkt, einen komplizierten empirischen "claim" enthalten. So lange man nun davon überzeugt ist, dass die in der Gesamtheit der interpretativen Aussagen und Identifikationen implizierten Strukturen und Gegenstände wirklich sind, d.h. dass es sich bei ihnen um dasjenige handelt, was die Erfahrungswissenschaften beschreiben, gelten die diese Strukturen beschreibenden Aussagen als wahr. Sie stellen, in diesem qualifizierten Sinne, im Gebrauch der zu einem Begriffssystem gehörigen Ausdrücke und ihrer referentiellen Interpretation enthaltene Wirklichkeitsunterstellungen dar. Auf der anderen Seite sind sie aber ohne die (mittels eines logisch und physikalisch unabhängigen Verfahrens zustande gekommene) Kenntnis des Gegenstandes bzw. des Phänomenbereiches, auf den sie festgelegt werden, nicht eindeutig bestimmt. Sie stellen also für sich genommen keine unbedingten Einsichten in die Ausstattung des Universums dar und erlauben auch nicht die Postulierung solcher Einsichten. Einzelne Zuordnungsprinzipien bestimmen nicht bereits als solche die Identität des Wirklichkeitsaspekts, für den ein gegebener Ausdruck steht. Wie gesehen beruht ihr Funktionieren auf der Annahme des Zutreffens einer relativen Interpretation, z.B. einer Zuordnung zwischen Zahlen und Gegenständen. Dieses Zutreffen wiederum ist bei Messverfahren erst dann berechtigt voraussetzbar, wenn man über voneinander logisch und physikalisch unabhängige Messverfahren verfügt, die gegenseitig bestätigbar sind. Deswegen sind Zuordnungsprinzipien nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit in einer bestimmten Situation vorausgesetzten Konstitutionsprinzipien, auch wenn sie erkenntnistheoretisch in einer Situation für einen bestimmten Sprecher denselben Status haben können. Es handelt sich bei den Zuordnungsprinzipien schlicht um Überzeugungen über den (von einer als wahr betrachteten Gesamtheit an Verfahren gleicherweise vorausgesetzten) intendierten Referenten und seine Eigenschaften, die dabei helfen, ihn zu identifizieren. Sie haben, wie gesehen, die Form relativ einfacher und zuverlässiger Verallgemeinerungen über die Eigenschaften der intendierten Bezugsobjekte. Sie bestimmen die Bedingungen der Verwendung eines bestimmten gegebenen Ausdruckes in einer bestimmten Situation, während die Konstitutionsprinzipien oder Rahmentheorien die Struktur dessen mitcharakterisieren, was mit jeder wie auch immer näher be-
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schreibenden, korrekten Verwendung empirischer Begriffe im allgemeinen gemeint ist. 3.4.2. "Law-cluster concepts": Pluralismus von Anwendungsverfahren und Objektivität der Erkenntnis Der Umstand, dass die Pluralität für die Zuordnungsprinzipien sogar noch charakteristischer ist als für Rahmentheorien ist nun erkenntnistheoretisch äusserst folgenreich. Erne Größe ist nämlich normalerweise erst dann akzeptabel in auf intersubjektive Prüfbarkeit bedachten erfahrungswissenschaftlichen Praktiken, wenn es mindestens zwei voneinander unabhängige Weisen ihrer Ermittlung gibt. Sonst liesse sich ja vermuten, dass die aufgetretenen (und als 'gemessen' behandelten) Effekte vom Messverfahren selbst herbeigeführt worden sind. Konnte man bei den Rahmentheorien noch von der faktischen Geltung aus Alternativlosigkeit ausgehen und diese wiederum mit der Apodiktizität verwechseln, so ist dies in bezug auf die Zuordnungsprinzipien nicht mehr möglich, ohne zugleich den Teilnehmern zu unterstellen, dass sie bezüglich der betreffenden Größe davon ausgehen, dass es sich nicht um eine objektive Gegebenheit handelt, wenn die Messeffekte auftreten. Die entsprechende Verwechslung hat also hier erhebliche Einbussen an pragmatischer Plausibilität zur Folge. Die Pluralität hat in diesem Zusammenhang nämlich gerade eine methodologisch äusserst wichtige Funktion dafür, dass wir aus dem Vollzug epistemischer Zuordnungsverfahren heraus zu der Auffassung gelangen können, dass es sich bei den Phänomenen, die wir den Begriffen zuordnen, um wirkliche Phänomene handelt, die unabhängig von unseren Zuordnungsverfahren auftreten. Diese Idee der Unabhängigkeit ist freilich nicht so zu verstehen, dass diese Phänomene absolut oder vorgegeben wären und wir sie so vorfinden und abkopieren würden, wie sie nun einmal sind. Vielmehr handelt es sich bei dieser Version der Unabhängigkeitsidee um die induktiven Praktiken selbst interne Norm, dass die durch logisch und physikalisch unabhängige Verfahren oder Verfahrensanwendungen erlangte Bestätigung einer bestimmten induktiven Konklusion notwendige Bedingung dafür ist, die Konklusion als wahr anzuerkennen und somit als Tatsachenaussage auffassen zu können. Der betreffende Sachverhalt ist dabei in dem Sinne verfahrensunabhängig, dass er sowohl m einem als auch in einem anderen Verfahren auf epistemisch gleichwertige (d.h. gleich überzeugende) Weise erkannt werden kann. Daher hängt seine Erkenntnis nicht vom einzelnen Verfahren ab. Da die Rechtfertigung der Behauptung der Wahrheit der entsprechenden Aussage damit auch relativ verfahrensunabhängig ist, gilt dies auch für die Annahme des Bestehens des betreffenden Sachverhalts. Erst durch diese Verschränkung der Pluralität von Messverfahren und der Rechtfertigung empirischer Aussagen also gelangen wir zum Begriff objektiv bestehender Sachverhalte ohne dafür einen unmittelbaren Zugang zu den
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Tatsachen an sich postulieren zu müssen. Putnam macht diesen Zusammenhang in "Dreaming and 'Depth Grammar'" klar, wenn er sagt "the conclusion of an inductive inference must be capable of further, independent confirmation and disconfirmation. This is a universally accepted requirement." Aus diesen Gründen begreift Putnam die erfahrungswissenschaftlichen Grundbegriffe in der ersten Phase semer Arbeiten als 'law-cluster concepts'. Diesen terminus technicus erläutert er in "The Analytic and the Synthetic" wie folgt: Law-cluster concepts are constituted (...) by a cluster of laws which, as it were, determine the identity of the concept. The concept 'energy' (...) enters into a great many laws. It plays a great many roles, and these laws and inference roles constitute its meaning collectively, not individually. I want to suggest that most of the terms in highly developed science are law-cluster concepts (...)it is difficult to have an analytic relationship between law-cluster concepts (...) such a relationship would be one more law. But, in general, any one law can be abandoned without destroying the identity of the law-cluster concept involved (...) The extension of the term 'kinetic energy' has not changed [in the transition from Newtonian to Einsteinian physics, A.M.]. (...) The forms of energy and their behavior are the same as they always were, and they are what physicists talked about before and after Einstein. (...) In the case of a law-cluster term such as 'energy', any one law (...) can be abandoned, and we feel that the identity of the concept has, in a certain respect, remained. (53)
Dies bedeutet allerdings - entgegen Putnams eigenen späteren Einschätzungen - nicht, dass Putnam jemals die Meinung vertreten hätte, dass man einen 149
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Angesichts der Theorie Putnams aus den sechziger Jahren ist es ein wenig merkwürdig, wenn Putnam selbst im Jahre 1973 in "Language and Reality" schreibt: "In The analytic and the synthetic' I characterized such terms as 'man' and 'swan' as cluster terms - that is, 'man' was supposed to be synonymous [Herv.v.mir] with 'entity possessing sufficiently many of the following properties: — (list)'" (282) Mit dieser Konzeption sei er nicht mehr einverstanden: "these accounts now seem incorrect." (ibid.) Doch im Grunde war er nie mit ihr einverstanden. Das erweist sich auch, wenn man sich seinen Kommentar zur Analytizität der Kriterien ansieht: "a theoretical magnitude term, or particle term, etc., can keep fixed denotation even though we change our minds about the laws it obeys. This point was made in 'The Analytic and the Synthetic'" (282) Doch wenn dies seiner Meinung aus dem Jahre 1973 nach seine Auffassung im Jahre 1957 gewesen sein sollte, dann kann die erste genannte Auffassung keinesfalls zugleich gegolten haben. Denn synonyme Aussagen sind analytisch in der Sprache, in der sie gelten, auch nach Putnams Ansicht. Ich schließe daraus, dass Putnam in diesen Bemerkungen nichts für den gegenwärtigen Zusammenhang entscheidendes revidiert, und dass seine spezielle Auffassung empirisch intendierter Begriffe als 'law-cluster terms' eine Konstante in seinem Werk ist. Putnams Auffassung von Gesetzesbündeln hat allerdings nichts mit der in der Referenztheorie behandelten " Bündeltheorie der Bedeutung" zu tun, da er ja mit ihr keine Synonymiebehauptung verbindet. Die Selbstzuschreibung dieser Theorie aus Putnams entsprechenden Texten keine Stütze erfährt. Daher ist auch Kripkes (sowieso nur angedeutete) Kritik an dieser Auffassung in Naming and Necessity (Cambridge 1980), 122, als für Putnams Fall unzutreffend anzusehen bzw. dieser Konfusion in Putnams eigener Einschätzung zuzuschreiben. Putnam selbst bereinigt sie noch später (1985) in "Meaning Holism", Fussnote 5, in Abwehr eben dieser Kripkeschen Zuschreibung. Nichts an den Bündeln oder ihrer Vorhandenheit verbürgt die Bezugsstabilität des mit ihnen assoziierten Begriffs. Das erreicht nur die Identität der Ergebnisse der Anwendung der Kriterien, d.h. der Referenten.
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empirisch intendierten Begriff mittels einer bestimmten Menge von Kriterien vollständig ersetzen könnte. Dass diese Auffassung nicht in Putnams Sinne in der ersten Phase ist, wird deutlich, wenn man sich erneut die bereits zitierten Stellen aus dem 1963 erschienenen Aufsatz "Brains and Behavior" vergegenwärtigt: the application of the word (...) is controlled by a whole cluster of criteria, all of which are synthetic. [Fussnote:] I mean not only that each criterion can be regarded as synthetic, but also that the cluster is collectively synthetic, in the sense that we are free in certain cases to say (for reason of inductive simplicity and theoretical economy) that the term applies although the whole cluster is missing [Herv.v.mir]. (328)
Daraus schliesst Putnam, ganz im Sinne der Unterbestimmtheitsthese: As a consequence, there is no satisfactory way of answering the question 'What does ['a', A.M.] mean?' except by giving an exact synonym (e.g. 'Schmerz'); but there are a million and one different ways to say what [a, A.M.] is. (ibid.) Daraus folgt nach der pragmatischen Transformation der Modalitäten, dass die das Bündel und den entsprechenden Ausdruck verbindende Aussage nicht logisch wahr ist, d.h. keine Definition, sondern höchstens eine Reduktion (eine "synthetische Identität") ist.150 Es handelt sich bei der Antwort auf die unrelativiert gestellte Frage nach einer notwendigen und hinreichenden Bedingung der Anwendung des entsprechenden Ausdrucks entweder um eine analytische, aber uninformative, oder eben um eine synthetische und entsprechend nur bedingt auf gewisse Vorannahmen gültige. Damit kann sie höchstens kontextuell a priori (und synthetisch) sein, weswegen sie auch revidierbar ist. In dieser Situation kann man nun die Sprache so rekonstruieren, dass ein oder mehrere Mitglieder des Bündels konstant gehalten (d.h. als Definitionen behandelt) werden und die anderen Mitglieder als variabel oder gar unter diesen Bedingungen zu prüfende empirische Verallgemeinerungen aufgefasst werden. Deshalb fährt Putnam fort: This is completely compatible with saying that the cluster serves to fix the meaning of the word, (ibid., Herv.v.mir)
Doch bereits 1963 beeilt sich Putnam, hinzuzufügen, dass diese sprachtheoretische Aussage nur unter bestimmten Bedingungen gilt, die wesentlich normativpragmatischen Charakters sind: The point is that when we specify something by a cluster we assume that people will use their brains. That criteria may be overridden when good sense demands is the sort of thing we may regard as a 'convention associated with discourse' (Grice) rather than as something stipulated in connection with the individual words, (ibid.) 1 SO
Von dieser Unterscheidung und den erkenntnistheoretischen Konsequenzen, die Putnam aus ihr in bezug auf die Frage der Ermittlung von Interpretationen zieht, wird weiter unten (Kap. 4.1.) ausführlicher die Rede sein.
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Das bedeutet, dass das "serves to fix the meaning" nicht als externes Urteil zu verstehen ist, etwa im Sinne einer von außen als rationale Rekonstruktion an die entsprechende Praxis herangetragene Bestimmung der Bedeutung in Form eines analytischen, aber den Teilnehmern verborgenen Satzes. Im Gegenteil sollte man das Bündel meiner Ansicht nach diesen Äußerungen zufolge als den Teilnehmern verfügbaren Vorrat an Mitteln betrachten, derer sie sich bedienen können, um anderen und sich selbst den Gebrauch des Zeichens innerhalb der induktiven Praktiken zu verdeutlichen, in denen es zur Anwendung kommt. Ich interpretiere Putnams Formulierung mit anderen Worten als Ellipse für "serves the practitioners to fix the meaning of the word". Denn dann ist auch verständlich, weshalb das funktionieren kann, wenn das ganze Bündel (wegen Unanwendbarkeit aller seiner Elemente in einem bestimmten Kontext etwa) ausfällt. In diesem Fall ist es ein Ergebnis des Versuches, den Begriff anzuwenden, dass sein Gebrauch bislang dafür nicht geklärt ist, d.h. eine Hinzufügung von Regeln oder eine Gesetzeshypothese erforderlich ist. In diesem Sinne bestimmt man die Anwendung auch dann, eben nur negativ, durch die Mittel im Bündel. Ein Begriff kann dieser Auffassung nach also nicht genauer, besser, oder bestimmter werden als es die Fähigkeiten und theoretischen Möglichkeiten seiner Verwender erlauben. Umgekehrt heisst dies aber auch, dass damit nicht absolut a priori entschieden ist, dass bestimmte Phänomene 'auf keinen Fall1 unter den Begriff gezählt werden können. Die Anwendung und Erweiterung empirisch intendierter Begriffe wird also als genuin reflexives und selbst an induktive Urteile gebundenes Unternehmen sichtbar. Die Anwendung oder pragmatische Bestimmung der referentiellen Interpretation dieser Begriffe erfolgt durch plurale Regelsysteme, von denen jedes so lange gleich gut wie jedes andere ist, wie es einen Sprecher dazu in die Lage versetzt, die (aus dem bisherigen Gebrauch des Ausdrucks vertraute) intendierte Referenz einigermaßen zuverlässig zu treffen (und bestenfalls um weitere Fälle zu erweitern). Diese, alle in induktiven Praktiken verwendeten und empirisch intendierten Begriffe betreffende Voraussetzung ist eine Eigenschaft des Gebrauchs dieser Ausdrücke und der mit diesem verbundenen Erwartungen und in diesem Sinne Teil der Bedeutung' bzw. eine 'convention associated with discourse'. Putnam wird dies später in der Form zum Ausdruck bringen, dass er solche Gebrauchsvoraussetzungen als 'Marker' in eine Darstellung der 'Bedeutung' der Ausdrücke einbezieht. Dass als mittels in einer Situation als gültig betrachteter Gesetzmäßigkeiten definierbar betrachtete Begriffe 'law-cluster-terms1 sind, heisst also nicht, dass die Identität des Begriffs durch ein bestimmtes Bündel von Gesetzen erschöpfend bestimmt werden könnte. Vielmehr bedeutet die Einschätzung ernes Begriffs als 'law-cluster-term1, dass die Verwendung des Ausdrucks so intendiert ist, dass sie in jedem Kontext mittels eines solchen Bündels erfolgt (da wenigstens zwei unabhängige Anwendungsverfahren erforderlich sind, um Mess- bzw. Anwendungsergebnisse ihrerseits prüfen zu können), das Bündel selbst jedoch ohne
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Veränderung des Begriffs in unterschiedlichen (meist zeitlich voneinander unterscheidbaren) Zusammenhängen durch unterschiedliche Gesetze konstituiert werden kann. Die semantische Funktion des Bündels besteht dabei darin, die aus dem Begriffssystem folgenden notwendigen Bedingungen, in denen der betreffende Ausdruck als Grundbegriff gegenüber anderen Grundbegriffen durch Kontraste und logische Verhältnisse bestimmt wird, zu empirisch in einer Situation als hinreichend betrachteten Bedingungen erweitern. Erst dann können dem Ausdruck überhaupt irgendwelche empirischen Gegenstände systematisch zugeordnet werden. Ein Teil der Kontinuität des Begriffs durch unterschiedliche Bündel von operationalen Anweisungen zu ihrer Anwendung hindurch besteht demnach in der logischen Struktur, die bei seiner Verwendung von Seiten des Begriffssystems für alle solche Bündel vorausgesetzt ist. Ein anderer Teil jedoch besteht in der empirisch begründeten Identifizierbarkeit der Ergebnisse der mittels der durch die Gesetzmäßigkeiten im Bündel ermöglichten Anwendungen auf den Phänomenbereich. Diese Ergebnisse wiederum sind Gegenstände, die sich so verhalten, wie die Gesetze es erwarten lassen, und daher unter den Begriff fallen, und für die das eventuell hinsichtlich mehr als eines Bündels der Fall ist. Der Grundgedanke dabei ist derselbe wie der, der gegen die kriteriale Rekonstruktion spricht: genauso, wie es erkenntnispragmatisch bzw. methodologisch erforderlich ist, synchronisch über mehr als ein Verfahren zur Anwendung eines Ausdrucks zu verfügen, ist es diachronisch erforderlich, über mehrere individuelle Bündel von Anwendungen verfügen zu können, wenn man die Ergebnisse der Anwendung der entsprechenden Begriffe nicht allein als Folgen der epistemischen Kontexte ihrer Verwendung betrachten will, sondern unterschiedliche Anwendungen miteinander epistemisch vergleichen (und durcheinander prüfen) können will. Dieses Interesse wird immer dann bestehen, wenn man Begriffssysteme als Vorgängertheorien der eigenen Theorie betrachtet und hinsichtlich ihres Geltungsbereichs bestimmen will, oder allgemein Aussagen anderer Theorien einer epistemischen Bewertung aus dem Kontext der eigenen Theorie derselben Phänomene unterziehen will. Die Behandlung von theoretischen Grundbegriffen als 'law-cluster-tenns' ist also bedingt auf dieses erkenntnistheoretisch-praktische Ziel und die Annahme seiner Erfüllbarkeit. Wenn man dieses Interesse oder diese Erwartung nicht hat, und nicht an der Zuordnung von innerhalb der eigenen theoretischen Rahmenbedingungen zugänglicher Gegenstände mit Ausdrücken im Rahmen anderer Begriffssysteme interessiert ist, dann kann man die Gesamtheit von Begriffssystem und Anwendungsbündel als Definitionen des Gegenstands und den daraus und aus dem Ausdruck sich ergebenden Begriff hinsichtlich seiner Rolle im Begriffssystem betrachten. Das wird sich meist dann als empfehlenswert
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Putnams Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus
erweisen, wenn man aus anderen Gründen nicht davon ausgeht, dass so definierte Gegenstände empirische Gegenstände approximieren.151 Sobald man jedoch an einem begründungsfahigen epistemischen Urteil über Behauptungen in anderen Begriffssystemen über bestimmte Phänomene interessiert ist, bedarf es der Reinterpretation von dessen Begriffen durch kontrollierbare Anwendungen innerhalb des unsrigen. Dann ist es seinerseits möglich, in bezug auf eine bestimmte, zur zuverlässigen Verwendung eines Ausdruckes herangezogene Gesetzmässigkeit auf der Basis anderer, ebenfalls anerkannter Zuordnungsprinzipien zu sagen, man habe sich geirrt. Dies geschieht, indem man die entsprechende Aussage statt als interpretatives Prinzip als empirisches Gesetz über mittels des Ausdruckes beschriebene Gegenstände behandelt und feststellt, dass es in bestimmten Fällen nicht zutrifft, in denen alle seine Geltungsbedingungen erfüllt sind. Insbesondere kann sich das erweisen, wenn man die Anwendungsbedingungen des interpretierten Systems hypothetisch in das eigene einbaut. Auf diese Weise werden gegenseitige Lernprozesse zumindest möglich bzw. ans pragmatisch akzeptablen Prämissen erklärbar. Den Zusammenhang zwischen erkenntnisnormativen und referentiellen Unterstellungen bringt Putnam in einer Zusammenfassung der Motive seiner gegen den Konventionalismus gerichteten begriffstheoretischen Anstrengungen noch klarer wie folgt zum Ausdruck: scientific terms have (...) a normative force (...) When we say that the distance from to y is such and such, we are not (...) just saying that the distance from to y is such and such according to this, that, or the other conventionally chosen metric; we may also be prescribing that that metric ought to be chosen. (...) the Ought' simply means that given the aims and procedures of science, given what features we are actually interested in, regard as important, etc., this particular choice is the optimal one. (...)! think that in general in science when we introduce a term we understand that that term is to refer (...) to whatever optimally meets [certain stated, A.M.] constraints. (...)! would (...) say that the term is used descriptively to refer to whatever optimally meets the constraints in question (...)(...) being used [in that way, A.M.] in a case in which it is clear which reference is optimal [Herv.v.mir] is to have an objective reference.152
Das Problem in bezug auf die Zuordnungsprinzipien besteht nun in genau demjenigen, was Reichenbach die "ersten Zuordnungen" genannt hatte, und was
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Putnam macht dies später in bezug auf die sog. 'conceptual role semantics' deutlich, wenn er in Representation and Reality schreibt: "'Phlogiston' was intended to be the name of a natural kind, but it turned out that there was no such natural kind. And similarly for 'ether' and 'caloric1. In these cases it does seem that something like conceptual role is the dominant factor in meaning, for obvious reasons; we don't want to say that the word 'ether1 and 'caloric' and 'phlogiston' are synonymous because they have the same (empty) extension. Not having an extension (that is, lacking a nonempty extension) to constitute the, so to speak, individuality of the word, one naturally falls back on the conceptual role. Indeed, the conceptual role theory comes closest to being true in the case of words with an empty extension." (50) "Reply to Gerald Massey" (Orig. 1974), PPII, 192-5, 193-4.
Putnams Verständnis der Bestimmung der Grundbegriffe
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Putnam hier in der Voraussetzung der Annahme Objektiven Bezuges1 impliziert, wenn er sie unter die Bedingung stellt, dass es klar sein müsse, welche Bezugsrelation die 'beste' ist. Denn selbst, wenn es eine Korrelation zweier oder mehrerer Verfahren gibt, benötigt man für die Aussage, dass beide dasselbe messen, zusätzlich Auskunft darüber, was es denn ist, worauf sie beide reagieren. Die 'law-cluster'-Theorie ist also Teil einer normativen Theorie des Bezuges empirisch intendierter Begriffe und von dessen Bestimmung. Das Gesetzesbündel hat innerhalb dieser Theorie die Funktion, den empirischen Bezug eines aufgrund der weiter oben genannten pragmatischen Erkenntnisinteressen in einem Kontext eingeführten Begriffs zunächst einmal exemplarisch festzulegen ('the cluster serves to fix the reference'). Die dabei gebrauchte spezielle Gesetzesgesamtheit beansprucht jedoch nicht, die intendierten Bezugsobjekte vollständig oder auch nur Optimal' zu charakterisieren (und demnach den neu eingeführten Terminus eliminierbar im restlichen Vokabular zu machen) und dadurch die Bezugnahme ein für alle Mal zu bestimmen. Der Begriff wird vielmehr so verstanden, dass er auf dasjenige bezugnimmt, was unter den in einer Situation angebbaren Rahmenbedingungen und theoretischen Strukturen optimal erfüllt. Es ist durchaus möglich, dass die den Bezugsgegenstand in einer bestimmten epistemischen Situation charakterisierenden Gesetzesaussagen nicht diese Optimale' Extension, sondern nur einen Teil davon trifft und spätere Gesamtheiten von Gesetzesaussagen erklären, weshalb einige der zuvor operational als Fälle von Bezugsobjekten des Begriffs gezählte Objekte besser nicht zur Extension zu zählen sind und andere zuvor ausgeschlossene besser hinzuzurechnen sind. Wenn die intendierte Extension eines empirischen Begriffs das ist, 'was auch immer die faktisch zugrundegelegten Gesetzesgesamtheiten (unter gegebenen Interessen) optimal erfüllt', dann ist es nicht selbstwidersprüchlich zu sagen, dass dasjenige, was die gegebenen, interpretativ verwendeten Gesetzesaussagen optimal erfüllt, von einer anderen Beschreibung genauer oder besser spezifiziert wird, d.h. dass der Bezug des Begriffs verschieden von demjenigen sein kann, was die faktisch zugrundegelegten Gesetzesgesamtheiten erfüllt. Der Bezug eines empirisch intendierten Begriffs ist nämlich dann nicht all das, was die Gesetzesbündel tatsächlich erfüllt, was auch immer es sein mag, sondern das, was die Gesetzesbündel optimal erfüllt, wie auch immer es am besten durch Gesetzesbündel beschrieben werden mag. In diesem Sinne transzendiert der intendierte Bezug die faktisch ennittelbare Extension, da er partiell unabhängig vom faktisch verwendeten Gesetzesbündel wird. Zur Rekonstruktion eines positiven diesbezüglichen Urteils aus der aus der Teilnehmerperspektive ist es notwendig, erstens den pluralen Charakter der Referenzbestimmungsweisen und zweitens den falliblen Charakter jeder einzelner dieser Bestimmungen zugleich zu erfassen, ohne jedoch auf der anderen Seite die Identität des intendierten Referenten von einer bestimmten Bestimmungsweise abhängig zu machen. Gibt es solche Urteile in der Praxis, und lassen sie sich als
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Putnams Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus
Ausdruck pragmatisch plausibler Fähigkeiten darstellen, so wäre dies ein gewichtiges Argument dafür, dass Putnams Konzeption nicht nur die Schwierigkeiten von Konventionalismus und Naturalismus umschifft, sondern zugleich eine gute Rekonstruktion von Urteilsstrukturen bietet, die Sprachbenutzer alltäglich oder zumindest in Zweifelsfallen aktivieren können, um die Interpretation der von ihnen verwendeten Begriffe zu spezifizieren. Dass es sich bei der Fähigkeit zu solchen Urteilen um eine solche handelt, die den Teilnehmern reflexiv verfügbar ist, macht Putnam deutlich, indem er angibt, wie man denn bezüglich eines gegebenen Ausdruckes herausfindet, ob er diesen Prinzipien gemäss zu verstehen ist. Er geht dabei vom umgekehrten Fall aus, nämlich einem Wort, das kein 'law-cluster concept' repräsentiert: preserving the interchangeability of 'bachelor' and 'unmarried man' in all extensional contexts can never conflict with our desire to retain some other natural law (...), aber this is not to say that there are no laws underlying our use of the term 'bachelor'; there are laws underlying our use of any words whatsoever. But it is to say that there are no exceptionless laws of the form 'All bachelors are...' except 'All bachelors are unmarried, 'All bachelors are male', and consequences thereof.153
Die 'Benutzung des Gehirns1, die den Teilnehmern an solchen Praktiken zugemutet wird, besteht also darin, innerhalb der sprachlichen Mittel mehr oder weniger sicher zwischen denjenigen Ausdrücken zu unterscheiden, bei denen die Voraussetzungen über die Reichweite und den epistemischen Status der Kriterien zur Anwendung kommen und denen, in denen dies nicht der Fall ist. Es bedarf also für die Einordnung der Begriffe des Rückgriffes auf ein Vorwissen hinsichtlich der innerhalb einer Sprache und einer epistemischen Situation vorhandenen und plausiblen Urteilsmöglichkeiten, einer reflexiven Fähigkeit also. Im Falle von Junggesellen ergibt sich, dass sie "are grouped together by ignoring all aspects except a single legal one." (57) Die Frage ist natürlich, woher bzw. wie man denn so etwas seinerseits wissen kann, denn nur dann wäre ja eine Einordnung der Begriffe in 'Gebrauchssorten' sicher: even if we grant that 'bachelor' is not now a law-cluster-term, how can we be sure that it will never become such a term? This leads (...) to a further remark, use what I know'. It is logically possible that all bachelors should have a certain neurosis (...); it is even possible that we should be able to detect this neurosis at sight. But, of course, there is no such neurosis. This I know in the way I know most negative propositions. (...) I have no good reasons to suppose that there might be such a neurosis. (...) I think we can say that, although it is logically possible that it might become law-cluster concept, in fact it will not. (57-8)
Ganz offensichtlich kommt es hierbei zu einer Relativierung der Zuordnung von in einer von einer Person zu einem Zeitpunkt verwendeten Sprache bereits 153
"The Analytic and the Synthetic", 57.
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interpretierten Begriffen in empirisch folgenlose und empirisch gehaltvolle Begriffe auf die Person (in diesem Falle Putnam) und einen Zeitpunkt (1957), und dieses wird von Putnam als Grundlage des Urteils über den Charakter der entsprechenden Begriffe konstruiert. Andererseits wird anhand dieser Relativierung des Urteils über den Status bestimmter Teile eines gegebenen Begriffssystems deutlich, dass es sich bei solchen Urteilen nicht ihrerseits um 'apodiktische1 Urteile handelt, sondern um Folgerungen aus der reflexiv vorgenommenen Beurteilung der Struktur eines bestimmten Begriffssystems, das man aus theoretischen, empirischen, epistemologischen Gründen akzeptiert. Weder die Teilnehmer noch Putnam antizipieren also ein einziges Begriffssystem als das System der empirischen Begriffe. Der entsprechende epistemische Charakter ernes Begriffs der Bestimmung seiner Verwendung innerhalb eines solchen Systems ist selbst bedingt durch die Annahme des Begriffs- und Überzeugungssystems (genauer: einer Pluralität von Begriffssystemen wechselseitigen Reduktionsbeziehungen), dem er angehört. Die Einschätzung dieses Charakters hat weniger Gewissheitscharakter als denjenigen der Beurteilung der normativen Struktur eines empirisch gegebenen Aussagensystems. Je nachdem, wie die Erfahrungen mit seiner Benutzung in verschiedenen Erkenntnissituationen dann verlaufen, kann und muss sich dieses Urteil ändern.154 Deswegen handelt es sich meiner Ansicht nach um eine Fehlinterpretation Putnams, wenn man ihm nach Art der 'Empiristen' vorwirft, er behaupte, dass es dann eben doch apodiktisches Wissen gäbe, das man durch die Intuitionen des Sprechers einer natürlichen Sprache begründe, aber aus den Begründungszusammenhängen herausnehme, in denen die Sprache verwendet wird. So meint etwa E.S. Shirley in "Putnam on Analyticity" (Philosophical Studies 24 (1973), 26&-71), dass Putnam "does not fully appreciate one of the reasons for denying the analytic-synthetic distinction. (...) it is impossible in principle to distinguish between changes in factual beliefs and changes in the meaning of terms." (269) Dagegen bin ich der Meinung, dass Putnam anders herum die Pointe Quines sehr wohl vollständig erkannt hat, aber, wie er auch in dem fraglichen Artikel wieder und wieder betont, aus pragmalischen Gründen nicht zu akzeptieren bereit ist. Es ist nämlich, wie gesehen, eine Sache zu sagen, eine bestimmte Aussage bzw. die Zuschreibung einer bestimmten Eigenschaft sei zum Zeitpunkt t„ als Teil der Bedeutung behandelt worden, und zu Zeitpunkt t, als empirische Aussage, und eine andere, wesentlich stärkere Behauptung zu sagen, zu allen Zeitpunkten gelte, dass wir nicht zwischen beidem unterscheiden könnten (und die entsprechenden erkenntnistheoretisch-normativen Folgen mit der Akzeptierung eines Begriffssystems im Rahmen eines wohlerwogenen Urteils mitakzeptieren könnten). Diese Behauptung bedarf eines weiteren Arguments, was jedoch häufig in der nach-Quineschen Literatur übersehen worden ist (freilich nicht von Quine oder Putnam selbst). Ernster ist dagegen der Einwand J.M.E. Moravsciks in "The Analytic and the Non-Empirical", dass eine "lediglich" gesetzliche Einteilung nur deshalb, weil sie in von Menschen geschaffenen Gesetzeswerken erscheint oder aus ihnen zu folgen scheint, bereits von der Veränderung ausgenommen und in diesem Sinne 'analytisch' oder 'konventionell' sei. Auch mit gesetzlichen Einteilungen der Welt sozialer Systeme kann man ja schliesslich Erfahrungen machen, und die aus ihnen in der Sprache sedimentierten Kategorisierungen unterliegen sicherlich der Veränderung, wenn die Kriterien, nach denen die Einteilungen vorgenommen werden ("verheiratet", "mit magischen Kräften begabt", "pervers") kritisch unter die Lupe genommen und durch erfinderische Lebensstile sozusagen empirisch entkräftet werden. So bemerkt Moravscik: "we might have a combination of factors which would make it reasonable to abandon the equivalence that Putnam thought to be inviolable, there may be conditions under which it would be reasonable to change the sense of one
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Putnams Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus
Die in der Konzeption der 'law-cluster concepts' enthaltene nondetermnistiscke bzw. nichtepistemsche Präsupposition der Begriffskonstanz unter kriterialer Varianz wird also nur dann sichtbar und behauptbar, wenn sie auf ein aus der Binnenperspektive vorgenommenes Urteil bezogen werden kann, und andererseits ist die Praxis erfahrungswissenschaftlichen Urteilens Putnam zufolge ohne die Einsicht in diese Unterstellung nicht adäquat rekonstruierbar. Nimmt man diese Bemerkungen zusammen mit dem, was Putnam zuvor zu den kontextuell-apriorischen Urteilen zu sagen hatte, dann wird zudem klar, dass es sich bei dem Wissen um diese Eigenschaft der entsprechenden Begriffe, nämlich ihre Reinterpretierbarhät unter relativer Bewgskonstanz, um eine Voraussetzung handelt, die erkenntnistheoretisch "necessary relative to a body of knowledge" ist. Dieser Wissenskorpus ist hier schlicht die Gesamtheit der Erfahrungswissenschaften bzw. induktiven Praktiken und der in ihnen gültigen Prinzipien, d.h. die Gesamtheit von Praktiken, in denen wir am Lernen aus Erfahrung interessiert sind. Diese Einschätzung ist durchaus folgerichtig, denn schliesslich gehen ja in sie auch Urteile über die Welt und die in ihr vorhandenen Dinge ein, auf die die Begriffe in dieser oder jener Weise angewandt werden. Putnam stimmt also der ersten Generation der analytischen Tradition insoweit zu, als dass die sprachlichen Voraussetzungen der Erkenntnis in der Tat in einer Nachfolgebeziehung zu Kants synthetischen Urteilen a priori zu sehen sind. Er bestimmt aber die Substanz der sprachlichen Voraussetzungen der Erfahrungserkenntnis wesentlich weiter im Sinne eines metainterpretativen Prinzips, das die Form der Interpretation betrifft. Beide Ebenen, auf denen die Begründer der analytischen Tradition auf pragmatische Elemente hingewiesen hatten, Konstitution und Interpretation, stellen sich im Lichte von Putnams Untersuchungen als durch den Konventionalismus nicht adäquat beschreibbar heraus. An beiden Stellen werden im Verlaufe von Pumams Argumentation Urteile erkennbar, und zwar, im Reichenbachschen korrigierten Sinne, synthetisch-apriorische Urteile. Das aber ist auch und gerade dann eine folgenreiche Einsicht, wenn man davon absieht, dass sich hier die Wiederkehr von Elementen des im Verlaufe der Entwicklung des logischen Empirismus verdrängten, aber dennoch von seinen Proponenten ererbten Kantischen Erkenntnisbildes abspielt. Denn als synthetischapriorische Urteile sind die entsprechenden Aussagen (a) reflexiv einholbar, und of the words and not change the sense of the other. (...) Thus, a man with a happy home life involving six children and a common-law wife would not be described as a bachelor by the normal speaker of English even if reasons could be adduced for not calling him married in any sense. (...) implicit in my upholding of a definition is the belief that that definition is reasonable." (422) Diese Beobachtung unterstreicht nochmals, dass ein Begriffssystem in empirischer Anwendung, egal ob es sich um ein rechtliches oder wissenschaftliches handelt, Veränderungen unterworfen ist, und dass keine der jeweils als ausgezeichnet behandelten Aussagen immun gegenüber Veränderungen unter kognitiv und/oder empirisch geeigneten Bedingungen ist.
Putnams Verständnis der Bestimmung der Grundbegriffe
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(b) innerhalb eines von normativen Einstellungen zu einem bestimmten Rechtfertigungstyp (dem erfahrungswissenschaftlichen nämlich) geprägten praktischen Zusammenhanges begründbar und verwerfbar.
Aussagen über das Funktionieren bestimmter Begriffe stehen also im Rahmen dieser Praktiken in kognitiver Kontinuität mit den innertheoretischen Rechtfertigungspraktiken und sind deshalb genau dann einer kognitivistischen Analyse zugänglich, wenn es jene auch sind. Putnam macht also die Ergebnisse von in beiden Bereichen gefällten Entscheidungen als erkenntnisleitende Prinzipien erkennbar. Dies eröffnet nun die nächste Stufe seiner Überlegungen, in der es um die nähere Bestimmung der Voraussetzungen und Strukturen der Prinzipien geht, dank derer wir eine vernünftige Abwägung verschiedener Theorien, und damit eine ausreichende Bestimmung des Bezuges der Begriffe vornehmen können, mittels derer wir unser empirisches Wissen ausdrücken. Zentral dabei ist selbstverständlich die genannte Reinterpretierbarkeitsvoraussetzung. Putnams äußerste Vorsicht bei der Formulierung in diesem 1957 verfassten Aufsatz, dass wir "das Gefühl hätten", dass durch die verschiedenen Veränderungen der physikalischen Theorien "der (Vor-)begriff in gewisser Weise derselbe geblieben" sei, ist allerdings mehr als berechtigt. Denn auch wenn sich hier klar das Desiderat einer nichtepistemischen Interpretationstheorie abzeichnet, die dazu dient, die Übergänge zwischen Theorien als Lernprozesse zu begreifen, bleiben doch einige wichtige Fragen offen. Einerseits fragt sich, wie die "ersten Zuordnungen", von denen Reichenbach gesprochen hatte, festgelegt werden können, und welche Rolle sie bei der weiteren Verwendung der Begriffe spielen. Andererseits fragt sich also, in welcher "Hinsicht" der Begriff unverändert weiterverwendet werden kann, wenn die "Identität des Begriffs" an das Vorliegen bestimmter, wenn auch pluraler, Bestimmungen gebunden ist. Es ist bereits hier klar, dass es sich dabei um den mit dem Vorbegriff intendierten Bezug (die "Extension") handelt. Doch bedarf es durchaus näherer Erläuterung, wie diese denn überhaupt erst für den Ausdruck festgelegt werden soll. Wenn sie nämlich von keinem einzigen der zur Verwendung des Begriffes herangezogenen Zuordnungsprinzipien bestimmt wird, die Identität des Begriffs (und damit des von ihm intendierten Referenten) aber andererseits doch wieder von der Gesamtheit der Zuordnungsprinzipien determiniert wird, ist dies eine keineswegs einfach zu beantwortende Frage. Diese Schwierigkeiten folgen hauptsächlich aus der Unterbestimmtheit der empirisch konstanten Verwendung erfahrungswissenschaftlicher Ausdrücke durch induktive Prinzipien der Bestimmung der Bezugsobjekte, an der Putnam ja bislang sowohl den Verifikationismus bzw. Operationalismus als auch den Konventionalismus scheitern sah. Das Ausmaß der Probleme mit diesen einsichten erweist sich nun gerade angesichts des Ausscheidens dieser Strategien als wesentlich dramatischer als zuvor. Obwohl Putnam bereits über eine nicht-empiristische Erkenntnistheorie verfügt, die die Objektivitätsunterstellungen an das Stattfinden und bewusste Verarbeiten von Lernprozessen zu-
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Putnams Auseinandersetzung mit dem Konventionalismus
rückbindet, bleiben diese Ansätze ebenso zum Scheitern verurteilt, so lange er nicht auch über eine nicht-verifikationistische und nicht-konventionah'stische Begriffstheorie verfugt. Entsprechend radikal wird daher Putnams sprachphilosophischer Ansatz versuchen, das Übel an der Wurzel zu packen. Putnams Sprachphilosophie stellt sich offen dem Problem, für das das Scheitern der kritisierten Theorien nur ein Symptom war, nämlich der Erklärung, wie die für Lernprozesse ausreichend bestimmte Bezugnahme mittels empirisch intendierter Begriffe funktioniert und zustande kommt. Dies zu erklären ist das Ziel der Putnamschen Konzeption der Bezugnahme, die den Gegenstand der nächsten beiden Teile bildet. Im nächsten, die destruktiven Argumente von Putnams Sprachphilosophie entwickelnden Teil soll geschildert werden, wie die konsequente Fortsetzung der erkenntnistheoretischen Einsichten Putnams im Bereich der Sprachphilosophie eine nicht deterministische Konzeption der Bezugsbestimmung für Begriffe hervorbringt. Im übernächsten Teil soll dann näher untersucht werden, welche von Teilnehmern an interpretativen Prozessen in induktiven Praktiken zu akzeptierende normativen Voraussetzungen diese Sprachphilosophie ex negative sichtbar macht. Wenn man es als Faktum voraussetzt, dass die Interpretation empirisch intendierter Begriffe zwar aus prinzipiellen Gründen nicht ein für alle Male und voraussetzungslos epistemisch determiniert werden kann, und wenn man es als Ziel formuliert, dass Prozesse der Überzeugungsbildung als Lernprozesse rekonstruierbar bleiben sollen, die man normalerweise als solche betrachtet, dann erweist sich die Verteidigung der These, dass die Verwendung der empirischen Begriffe trotzdem nicht als entweder nur kontextuell festgelegt oder aber gänzlich unbestimmbar betrachtet werden kann, als Einstieg in eine normative Theorie der Bezugnahme.
Teil II. Putnams Transformation der Bedeutungstheorie Im Zusammenhang mit Putnams Kritik an operationalistischen Versuchen der Erklärung der Interpretation von Ausdrücken, deren Erfülltheit auf der Hand zu Hegen scheint, trat bereits in der ersten Phase ein Merkmal der Pumamschen Philosophie zu Tage, das er nun ausführlich und detailliert behandelt. Putnams Kritik fußte ja, wie gesehen, darauf, dass der Bedeutungsbegriff, der aus einem operationalistischen, behaviouristischen oder anderweitig epistemisch-deterministischen Ansatz folgt, nicht zusammenfallt mit den Begriffen der Verständlichkeit, der Bedeutung und der Bezugsfahigkeit, die innerhalb der Praktiken verwendet werden, in denen es darum geht zu ermitteln, ob und was jemand gesagt hat, was er mit dem, was er gesagt, gemeint hat und wie man das, was er gemeint hat, herausfinden kann. Die dort von Putnam kritisierten Ansätze krankten alle an dem, was er in "Craig's Theorem" ein "unintelligible concept of intelligibility" genannt nannte. Sie führten zu unzutreffenden oder zumindest nicht ohne weiteres akzeptablen Behauptungen bezüglich der Ambiguität und Synonymie (im linguistischen Sinne) von in bestimmten Situationen gebrauchten und als interpretiert vorausgesetzten Ausdrücken usw. All dies sind nun Symptome dafür, dass mit den theoretischen Voraussetzungen etwas nicht stimmen kann, die zu solchen unangemessenen - und, wie Putnam betont, auch von der Linguistik nicht gedeckten - Aussagen führen. In der ersten Phase verwendet Putnam zunächst nur einen aus Theorieelementen des linguistischen Bedeutungsbegriffes und relativ klaren Sprecherintuitionen gespeisten Bedeutungsbegriff, ohne ihn selbst theoretisch zu beschreiben. Es wäre nun eine ziemlich unbedeutende Angelegenheit, wenn es sich bei den Irrtümern der von Putnam kritisierten Ansätze der Rekonstruktion metalinguistischer Praktiken bloß um eine unangemessene Explikation des Bedeutungsbegriffes handelte und es dabei sein Bewenden hätte. Philosophisch wichtig wird diese Feststellung erst in dem Moment, in dem gezeigt wird, dass es sich bei diesen metalinguistischen Praktiken zugleich um reflexive handelt, und dass diese wiederum nicht nur auf die Sprache, sondern auf die Möglichkeiten, Grenzen und Strukturen der Herausbildung der Erkenntnis bezogen werden müssen. Genau dies war das sozusagen in der Tiefenstruktur von Putnams Argumenten angelegte Motiv, das er in dem Schlagwort "it is hopeless to separate reasoning ability completely from language using ability" zusammenfasste. Im zweiten und dritten Kapitel war dann entsprechend zu sehen, dass genau dieselben Symptome in den wissenschaftstheoretischen Arbeiten auftauchen, in
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Putnams Transformation der Bedeutungstheorie
denen von einem ähnlichen Vorbegriff sprachlicher Bedeutung ausgegangen wird wie dies in den kommunikationsanalytischen Arbeiten beispielsweise Malcolms der Fall war. In diesem Kontext zeigt sich die Flächenwirkung der Konzeption, die Putnam zu jener Zeit als "idea of language as criterion-governed" bezeichnet hatte. Sie tritt genauso in der erkenntnistheoretischen Konzeption der Analytizität nichttrivialer Aussagen in den Wissenschaften in Erscheinung wie in dem Versuch, die referentielle Interpretation der errahrungswissenschaftlichen Grundbegriffe auf erkenntnistheoretisch als unproblematisch betrachtete «i'c/tfsprachliche Zugangsmodi zu den Bezugsgegenständen zu fundieren und damit die Bestimmtheit der Bezugnahmen zu garantieren. Wie gesehen bedeutet auch dies die Akzeptierung von Folgerungen, die nicht mit zentralen Ideen hinter den entsprechenden Praktiken zusammenpassen. Der erste Ansatz, ausgebaut zur Theorie des Konventionalismus, und der zweite, ausgebaut zur Zwei-Stufen-Konzeption wissenschaftlicher Theorien, erfordern beide die Postulierung einer besonderen Rechtfertigungsmethode (Festsetzung, direkt interpretative Beobachtung), für deren Existenz die induktiv und fallibilistisch verfahrenden erfahrungswissenschaftlichen Praktiken keinerlei Indiz aufweisen. Hierin lag die Pointe der pragmatischen Transformation der Modalitäten sowie des Aufweises der interpretativen (oder "theoriebeladenen") Struktur der Erfahrung überhaupt. Doch in der ersten Phase geht es Putnam, wie gesagt, zunächst einmal um die Erforschung der Reichweite des Schadens, und weniger um eine konzise und theoretisch fassbare Beschreibung der Ursache. Putnams erkemtnistheoretischer Standpunkt der ersten Phase erhält durch seine bedeutungs- und referenztheoretischen Überlegungen eine sprachphilosophische Dimension, indem sie um eine Konzeption des Erwerbs, der Lehre und der Verwendung von Begriffen erweitert wird, die fortan den Kem seines philosophischen Standpunktes ausmachen wird. Das Ziel von Putnams Interpretationstheorie besteht darin, einen Bedeutungsund Bezugsbegriff aufzubauen, dessen Verwendung es erlaubt, zumindest fallweise ausreichend klar zwischen solchen Überzeugungen zu unterscheiden, die man als wahr anerkennt, weil sie eine Erkenntnis über die Welt darstellen, und solchen, bei denen man dies tut, weil man eine bestimmte Sprachform akzeptiert. Dass es sich dabei um eine genuin kognitivistische Zielsetzung handelt, dürfte offensichtlich sein, da es ja darum geht, zwischen Erkenntnissen, die nicht allem abhängig von der Sprachfonn sind (d.h., in deren Annahme als wahr ein denkformunabhängiges Element eingeht) und Entscheidungen oder Konventionen zu unterscheiden, für die dies nicht gilt. Letzteres fordert eher eine Gemeinsamkeit schaffende Regelung als eine eine "Wirklichkeit" oder einen Bezugsbereich für die die Überzeugung formulierenden Worte voraussetzende Erkenntnis, wenn verschiedene Auffassungen herrschen. Ein Konflikt wird im ersten Falle durch eine Einsicht erfordernde Regelung geregelt, im letzteren durch eine Erkenntnis. Der Gegenstand der Überzeugung besteht im ersten Falle in einer Regelung
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sprachlichen Verhaltens, im letzteren hingegen in einer Tatsache. Mit anderen Worten geht eine notwendige Voraussetzung der anerkennungswürdigen Lösung einer Kontroverse in einem solchen Fall über die Explikation der kundigen Verwendung sprachlicher Zeichen innerhalb einer Sprachgemeinschaft und deren Regeln hinaus. Eine Überzeugungsveränderung besteht im ersten Falle nicht unbedingt, wie im zweiten Falle, in einer Korrektur einer irrigen Annahme durch eine bessere Einsicht in die Fakten, sondern möglicherweise bloß in einer Anerkennung der Mehrheitsregel oder der Notwendigkeit gemeinsam befolgter Regeln für bestimmte Handlungsziele. Putnam macht in seinen zunehmend explizit sprachphilosophischen Problemen gewidmeten Arbeiten neben den Wissenschaften besonders die Praktiken des Spracherwerbs als Kontexte aus, in denen diese Voraussetzungen ihren Ort haben. Dies führt zu einer Verlagerung seiner theoretischen Interessenlage von der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie zur Sprachphilosophie im engeren Sinne und dort zum Versuch der Explikation eines Lernpraktiken angemessenen Interpretationsbegriffes. Lernen, ob nun über sprachliche oder nichtsprachliche Gegenstände und ihren Gebrauch, kann ohne die Voraussetzung eines nichtepistemischen Interpretationsbegriffs nicht erläutert werden, so das Grundresultat.155 Putnams Arbeiten etwa ab 1970 können unter diesem Gesichtspunkt als eine aus pragmatischer Perspektive vorgenommene Entkräftung des explikativen Werts der kriterialen Bedeutungsbegriffe betrachtet werden. Sie sind denen der ersten Phase darin komplementär, dass Putnam in seinen eher erkenntnistheoretisch ausgerichteten Schriften der sechziger und frühen siebziger Jahre eher den engen Zusammenhang von Erkenntnis- und Spracherwerbsvoraussetzungen betonte, während er sich nun um die Unterscheidung von Bedeutungs- und Überzeugungsveränderungen bemüht156, die sich letztlich nur an einer nicht von Überzeugungsveränderungen abhängigen Komponente der 'Bedeutung' festmachen lässt, nämlich dem intendierten und zu erhaltenden empirischen Bezugsob1
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Wenn im Folgenden von "Interpretation" die Rede ist, dann ist damit generell die Herstellung der Zuordnung zwischen sprachlichen Ausdrücken und außersprachlichen Gegenständen oder deren Ergebnis in bezug auf eine ganze Sprache bzw. einen Text gemeint. Deswegen sollte bei der "Interpretation eines deskriptiven Ausdrucks einer Sprache" eigentlich in bezug auf den Prozess genauer von der "Bestimmung der Bezugsobjekte innerhalb der Gesamtinterpretation I der Sprache" die Rede sein, und in bezug auf das Ergebnis vom "Bezug des deskriptiven Zeichens unter der Interpretation I über dem Bereich U"; da in der Mehrzahl der Fälle diese Präzisierungen aber ausser stilistischen Problemen keine Effekte haben, bin ich bei der vereinfachenden kurzen Formulierung geblieben. Was von beidem - Text- oder Wortinterpretation - jeweils gemeint ist, ergibt sich in den meisten Fällen aus dem Zusammenhang. Wo dies nicht der Fall ist, weiche ich auf naheliegende Ersatzformulierungen aus. Intern erklärt sich dies sehr einfach daraus, dass die Behauptung eines engen Zusammenhanges zwischen zwei Bereichen die Unterscheidbarkeit beider voraussetzt, wenn man nicht ihre Identität behaupten will. Wenn Lernen aus der Erfahrung und Spracherwerb also, wie Putnam in der ersten Phase immer wieder betont, in engem Zusammenhang stehen, aber nicht identisch sind, dann können sie nicht zugleich zusammenfallen.
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Putnams Transformation der Bedeutungstheorie
jekt eines Ausdrucks. In seinen sprachphilosophischen Überlegungen arbeitet Putnam den Begriff der Bezugnahme als für die Explikation interpretativer Praktiken mit erkenntnistheoretisch interessanten Implikationen unverzichtbaren und nicht durch intensionalistische Substitute ersetzbaren Grundbegriff des Kognitivismus heraus. Aus semer Zugrundelegung folgende Voraussetzungen wie die a) der Unabhängigkeit von Zeichen und Bezeichnetem, b) der Möglichkeit einer relativen Interpretation selbst oberflächlich inkompatibler Theorien, die zur Annahme der Bezugskonstanz bestimmter deskriptiver Ausdrücke führen, c) der Pluralität von Bezugsbestimmungsweisen für ein und denselben Begriff (d.h. die relative Unabhängigkeit von Begriffsidentität und Identität des Uberzeugungssystems)
sind den Teilnehmern an solchen Praktiken zuzuschreiben, denen gegenüber erne kognitivistische Haltung unentbehrlich ist. In diesem und dem nächsten Teil soll es um die Entwicklung solcher Präsuppositionen in pragmatischer Hinsicht gehen. Dieser zweite Teil der Arbeit geht mit dem Versuch der Darstellung des Kerns der Putnamschen Sprachphilosophie und ihrer Motivationen zugleich noch ein Stück weiter als der erste Teil über eine chronologisch exakte Schilderung der Werkphase hinaus, da die Auffassung von den aus kognitivistischer Sicht notwendigen Strukturen der Interpretationspraktiken, die Putnam hier entwickelt, von ihm bis heute im Grundsatz unverändert geltend gemacht werden. Eine besonders klare Formulierung findet Putnams Zielsetzung in der Einleitung zum zweiten Band seiner Philosophical Papers: If meaning is conflated or confounded with evidence, and what is evidence for a statement is a function of the total theory in which the statement occurs, then every significant change in theory becomes a change in the meaning of all the constituent words and statements of the theory. (...) But the distinction between the meaning of a man's words and what he believes about the facts, (...) is precisely central to any concept of linguistic meaning.157
Dieses Desiderat ist, wie bereits angedeutet, eine Konstante in Putnams Werk, die seine gesamten interpretationstheoretischen Bemühungen in der Folge bestimmt: eine mit dem Kognitivismus vereinbare Bedeutungstheone und ihre Voraussetzungen herauszuarbeiten. Parallel damit ist Putnam an der Ausarbeitung der Präsuppositionen einer im Grunde recht einfachen Theorie der Begriffsbildung interessiert, mit der er die pragmatischen Grundlagen kontinuierlicher Bezugnahme ohne aprioristische oder individualistische Vorurteile explizieren kann. Diese ist Gegenstand des dritten Teils dieser Arbeit. 157
"Introduction: Philosophy of Language and the rest of philosophy", in PPII, vii-xvii, ix.
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In diesem Teil sollen zunächst die Schritte Putnams zu einer Rekonstruktion des Begriffs der "Intension" auf der Grundlage der im Bisherigen geschilderten erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Einsichten dargestellt und motiviert werden. Im Verlaufe dieser Rekonstruktion schlägt Putnam vor, diesen Begriff im Sinne der epistemischen Bedingungen zu erläutern, unter denen die Interpretation eines bestimmten empirisch intendierten Begriffes stattfindet. Es erweist sich, dass so verstandene "Intensionen" Teile des Hintergrundwissens des Interpreten sind, und dass die Auszeichnung bestimmter Teile dieses Hintergrundwissens als Bedeutungswissen lediglich kontextuell motiviert werden kann, jedoch keinen allgemeinen normativen Status für das Gelingen einer referentiellen Interpretation hat. Auch für die Erklärung der Kommunikation greift der Konventionalismus zu kurz. 'Bedeutungen' machen Worte zu Begriffen, indem sie dabei helfen, dass Worte verstanden werden und auf Dinge bezogen werden können. Sollen sie dies jedoch vermögen, dann müssen sie empirisch gehaltvolle Überzeugungen enthalten, die als solche den unwillkürlichen Veränderungen empirischer Erkenntnisse gegenüber offen sind. Sie sind daher nicht zu verwechseln mit "Bedeutungsstrukturen", die die Festlegung der Bedeutung von Ausdrücken für alle Kontexte im Sinne der Herstellung eines Kerns "wörtlicher Bedeutung" leiten würden. Es wird eines der Ergebnisse von Putnams Analyse sein, dass diese Idee keinen über empirische Regelhaftigkeiten des Sprachgebrauchs hinausgehenden klaren Gehalt hat, und dass sie, wenn sie unter holistischen Prämissen als Instrument der epistemischen Analyse von Überzeugungssystemen und deren Verhältnis zueinander verwendet wird, zu zweifelhaften Thesen wie der der Inkommensurabilität von Überzeugungssystemen führt. Dem aus der konventionalistisch ins Normative überhöhten Idee wörtlicher Bedeutung gefolgerten Partikularismus sich selbst absolut setzender Überzeugungssysteme setzt Putnam eine differenzierte Analyse der inneren Struktur der Begriffsbildung jedes kollektiv geteilten, sprachlich strukturierten und im Rahmen von Praktiken der Überzeugungsfestlegung und des Spracherwerbs am Leben erhaltenen Überzeugungssystems entgegen, aus der sich eine notwendig pluralistiscke Struktur der Praxis der Begriffsverwendung ergibt, ohne die weder der Erwerb noch die verständliche Verwendung von Ausdrücken innerhalb einer Sprachgemeinschaft erklärbar sind. Zentrale These dabei ist die Hypothese von der sprachlichen Arbeitsteilung. Ist jedoch bereits das Innere von Sprachgemeinschaften pluralistisch in epistemisch differenzierte und einander erfolgreich interpretierende und kritisierende Überzeugungssysteme strukturiert, dann ist nicht einzusehen, weshalb dasselbe nicht zwischen historisch und/oder territorial getrennten Sprachgemeinschaften zumindest möglich sein soll. Danach sollen zuerst Putnams Argumente für die Annahme der Unabhängigkeit der Extension von der Intension (unter welcher rationalen Reinterpretation auch immer) skizziert werden, um dann deren Unverzichtbarkeit für den kognitiven Sprachgebrauch aufzuzeigen. Beides zusammen bedeutet, dass eine auf die
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Extension gerichtete Interpretationstheorie zwar integraler Bestandteil der Rekonstruktion kognitiver Praktiken ist, aber nicht durch eine Theorie der epistemischen Voraussetzungen des Sprachgebrauchs geliefert werden kann.
4. Rahmen und Hintergrund von Putnams bedeutungstheoretischen Überlegungen Putnams explizite Beschäftigung mit Fragen der philosophischen und linguistischen Bedeutungstheorie reift zwar seinen eigenen Aussagen bereits 1966158 heran, und stellt sowieso, wie im ersten Teil bereits bemerkt, einen ununterbrochen in Anspruch genommenen Hintergrund aller seiner Arbeiten dar. Diese Beschäftigung nimmt jedoch besonders in den Jahren zwischen 1970, dem Erscheinungsjahr von "Is Semantics Possible?"159, und 1976, dem Erscheinungsjahr von "Reference and Understanding"160 das Zentrum seiner philosophischen Theoriebildung ein. Putnams Entwicklung einer sprachphilosophischen Alternative zu den Versuchen der Erklärung sprachlicher Bedeutung seiner Vorgänger steht zu dieser Zeit ganz im Zeichen seiner Entwicklung einer Philosophie der Psychologie, die weder materialistisch noch mentalistisch verfährt, dem sogenannten "Funktionalismus". Die Sprachtheorie, an deren Entwicklung er zu dieser Zeit fieberhaft arbeitet, soll dabei dazu dienen, die entsprechenden Thesen über die Lernfähigkeit und Überzeugungsbildung durch Fakten aus der Sprachverwendung in menschlichen Kommunikations- und Lernprozessen zu erhärten. Auch in dieser Orientierung kann man also das Motiv wiedererkennen, erkenntnistheoretische Fragen und sprachphilosophische Fragen parallel zu behandeln, und zwar spezifisch Fragen der Bedingungen von Lernprozessen und Fragen der Bedingungen der referentiellen Interpretation sprachlicher Zeichen. Für das folgende wird jedoch von Putnams Thesen zur Philosophie der Psychologie ganz abgesehen. Das hat einerseits den Grund, dass Putnam selbst diese Theorie restlos aufgegeben hat, ohne dass dies für seine ab ende der sechziger Jahre entwickelte Sprachphilosophie gälte. Das bedeutet zunächst einmal, dass die Sprachphilosophie zumindest seiner Ansicht nach wesentlich allgemeiner verwendbar ist als im Rahmen des Funktionalismus. Deswegen allein empfiehlt es sich nicht, sie daher in das Korsett einer spezifischen Theorie der Psychologie gezwängt darzustellen. Doch damit hat es nicht sein Bewenden. Denn Putnam gibt den Funktionalismus nicht nur im Sinne eines Meinungswandels auf, sondern mit besonderen Gründen. Und diese wiederum stammen aus genau derselben Sprachtheorie, die er zwischen 1970 und 1976 in der Absicht einer Stützung des 158
"Replies", 342. , 139-53. 160 Meaning and the Moral Sciences, 97-122. 159
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Funktionalismus entwickelt. So schreibt er 1992 in "Why Functionalism Didn't Work"161 rückblickend: "The first difficulty I encountered with my functionalist views was that they were incompatible with the account of meaning that I myself put forward in 'The Meaning of 'Meaning"." (443) Ahnlich heisst es in dem für dieses Thema und die Beurteilung von Putnams Motivationen bei der Entwicklung und auch bei der Preisgabe des Funktionalismus zentralen, themenspezifischen autobiographischen Abriss "Putnam, Hilary"162: "The degree of utopianism required to be a functionalist becomes all the greater when one recognises something that I had emphasized in my writings on the philosophy of language from 1970 on (...), namely that the meanings of our words (...) are not determined simply by our functional organisation (...) According to the semantic externalism that I defended (and still defend [Herv. v. mir]), the content of our thoughts is partly determined by our relations with things in our environment (including other people). "(511)163 161 152
Wiederabgedr. in Putnam, H.: Words and Life, 441-59. In Guttenplan, S. (ed.): A Companion to the Philosophy of Mind, Oxford 1994, 507-13. Versuche, diese Einsichten vereinbar mit dem Funktionalismus zu machen, indem man zwischen umweltabhängigem und umweltunabhängigem Teil des psychologischen Zustandes unterscheidet, schlugen allesamt fehl. Die entscheidenden Argumente hierfür hat im einschlägigen Kontext, dem der Unterscheidung zwischen psychologischen Zuständen im engeren und im weiteren Sinne, Tyler Bürge in einer Reihe von Artikeln ausgeführt (vgl. besonders "Individualism and the Mental", Midwest Studies in Philosophy 4 (1979), 73-120, 108). Putnam hat diese Argumente ohne Einschränkung angenommen (zuletzt ausdrücklich in "Introduction" zu Pessin,A./Goldberg,S. (eds.): The Twin Earth Chronicles. Twenty Years of Reflection on Hilary Putnam's "The Meaning of'Meaning'", Armonk 1996, xv-xxii, xxi, zuvor in Representation and Reality, 55, u.a.) und in seiner Auseinandersetzung mit der mentalistischen Theorie seines Schülers Fodor (seit The Language of Thought (N.Y. 1975) in unzähligen Veröffentlichungen und Versionen) zusätzlich weitere entwickelt (vgl. Representation and Reality, Kap,2f.). Ohne die Unterscheidung zwischen psychologischen Zuständen, die nur die Existenz des Individuums voraussetzen, das sie hat, und solchen, die mit weiteren, nur in diesem Individuum "verarbeiteten" Objekten und Zusammenhängen rechnen, bricht jedoch der Funktionalismus im Sinne einer erklärenden Theorie, aus welchen Strukturen der lernenden Organismen oder Maschinen sich der Erfolg des Lernverhaltens - und allgemein der Festlegung einer Überzeugung (im Jargon der "cognitive science": der Individuierung eines Inhalts) - sich ableiten lässt, in sich zusammen (vgl. hierzu auch Burges kritische Bemerkungen im genannten Artikel sowie seine Polemik gegen Fodor in "Two Thought Experiments Reviewed", Notre Dame Journal of Formal Logic 23 (1982), 284-93, bes. der Vergleich mit "Christian Science" auf Seite 286). Denn dann gehen ja in die Beschreibung solcher Strukturen immer schon weitere Parameter mit ein, die eine unabhängige Beschreibung verlangen, so dass das Programm, wie Putnam pointiert sagt, zu der immensen Aufgabe anwächst, "general intelligence" in Form eines Computerprogramms zu simulieren (vgl. Representation and Reality, Kap. l, 11 ff.). Dies jedoch ist, wiegesehen, bereits mit Hilfe der Argumente Putnams aus der ersten Phase als illusorische Vision zu entlarven (vgl. die gegen Ende von 1.1.2. bereits zitierte Stelle aus "Dreaming and 'Depth Grammar'" (Orig. 1962)). Putnams entsprechende, auf Gödels Ergebnisse zurückgehende Argumentation findet sich im Aufsatz "Reflexive Reflections" (Erkenntnis 22 (1985), 143-53). Sie führt zu dem prinzipiellen Einwand gegen ein solches Vorhaben wie einen globalen Funktionalismus, den er in Representation and Reality in folgender Formel zusammenfasst: "reason can go beyondwhatever reason can formalize (...) Reason can transcend whatever it can survey" (119). Damit verwandt ist Goodmans Problem der zerrütteten Prädikate. Goodmans Argumente im dritten Kapitel von
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Es wäre also im Lichte von Putnams späteren Einsichten zudem höchst unfair, seine Sprachtheorie an der Plausibilität des Rahmens zu messen, in dem sie entsteht (aber Putnam nach nicht gilt). Gegenstand dieses zweiten Teils meiner Arbeit sollen daher nur die Putnamschen Überlegungen zu den systematischen Konsequenzen aus der Einsicht in den Bedeutungsholismus sein. Das bedeutet zunächst, seine Analyse des Bedeutungsbegriffes nachzuvollziehen, in der er deutlich machen kann, in welchem Sinne die von den interpretierten Zeichen unabhängigen Bezugsobjekte "Teil der Bedeutung" sind, wenn die Erkenntnispraktiken funktionieren sollen, in denen diese Zeichen zu Begriffen heranreifen. Was also, in Fortsetzung der Perspektive aus dem ersten Teil, eine entscheidende Rolle spielen wird, ist die hinter Putnams Bemühungen um eine empinsch psychologische Explikation der Strukturen induktiver Sprach- und Wissenserwerbsmechanismen stehende philosophische Idee der Situierwg der Sprachphilosophie im Rahmen der Bedingungen der Möglichkeit des Lernens (im allgemeinen, nicht nur im psychologischen Sinne). Ich behandele seine Theorie der epistemischen Bedingungen der kollektiven Bezugsfestlegung also als Element seiner Erläuterung der kognitiven und ontologischen Voraussetzungen, die Teilnehmer in Sprachverwendungsraktiken machen, wenn sie davon ausgehen, dass sie in der Sprache von anderen über die Welt lernen und mit anderen über die Welt urteilen. Diese Überlegungen sind es, die Putnam seither beschäftigt haben. Daher sollte man meiner Ansicht nach aus hermeneutischer Sicht diesen Weg wählen. Das gibt einem zugleich auch einen Leitfaden an die Hand, an der man die Ergebnisse dieser Sprachtheorie messen kann: nämlich daran, ob sie vereinbar mit den von Putnam in der ersten Phase geltend gemachten Voraussetzungen und Prinzipien des pragmatischen Kognitivismus ist, d.h. Fact Fiction and Forecast laufen nach Ansicht der meisten Kommentatoren (und zwar auch derjenigen, die sie für überwindbar halten) auf den Nachweis hinaus, dass es zumindest keine voraussetzungsfreie, und schon gar keine formale vollständige Beschreibung der Voraussetzungen geben kann, die für die Möglichkeit oder gar den Erfolg von Lernprozessen anzusetzen sind (dies kommt hauptsächlich durch die definitioneile Symmetrie zwischen unerwünschten und erwünschten Prädikaten zustande) (besonders ausführlich: Gaifman, H.: "Subjective Probability, Natural Predicates and Hemple's Ravens", Erkenntnis 14 (1979), 105-47, §3, bes. 123). Vielmehr braucht man dafür immer eine informelle Entscheidung über die Rationalität der Begriffsstruktur. Das "Computerprogramm" Fodorschen Typs müsste demnach zumindest einen Teil haben, der eine allgemeine und zugleich endliche Lösung für das Problem der zerrütteten Prädikate darstellt. Da das Goodmansche Problem reflexiver bzw. selbstanwendbarer Natur ist, kann jede vorgeschlagene und als realisiert betrachtete Lösung allerdings wiederum einer Zerrüttung unterworfen werden (ein sehr anschauliches Beispiel der iterativen Verwendung des Goodman-Arguments bietet Ken Gemes' "The World in Itself: Neither Uniform Nor Physical", Synthese 73 (1987), 301-18). Sowohl bezüglich der Charakterisierungen der Prozeduren der Überzeugungsfestlegung als auch bezüglich der Ergebnisse solcher Prozeduren (Überzeugungssysteme) sieht sich ein (sich auf endliche Reduktionsbasen stützendes und damit nicht selbst trivialisierendes) funktionalistisches Programm also formidablen Grundlagenproblemen gegenüber.
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(1) mit der generellen Revidierbarkeitsthese bzw. dem Antifundamentalismus, (2) mit dem Antiapriorismus bzw. -absolutismus, (3) mit der Voraussetzung von echten Alternativen, unter denen eine urteilende Wahl getroffen werden muss und schliesslich (4) mit der normativen Idee der Bezugskontinuität der deskriptiv verwendeten und empirisch intendierten Begriffe in (5) in der Urteilssituation als identisch oder überlappend vorausgesetzten Bereichen.
4.1. Die Grundstruktur kriterialer Bedeutungstheorien In "The Meaning of 'Meaning'" fasst Putnam die allen von ihm kritisierten Bedeutungstheorien gemeinsamen Grundthesen zusammen. Seiner Ansicht nach behaupten sie zugleich (T) That knowing the meaning of a term is just a matter of being in a certain psychological state (...) ( ) That the meaning of a term (in the sense of 'intension') determines its extension (in the sense that sameness of intension entails extension). (219)164
Putnams Benennungen dieser Thesenkombination, die in seiner Philosophie an den entsprechenden Stellen immer wieder auftaucht, reicht von "traditional view"165, "Aristotelian theory of meaning"166, über "17th century theory of concepts"167 bis hin zu der fast expliziten Beschreibung als "model of reference as fixed by concepts in individual minds".168 Da es sich bei ihr um eine "idea of language as criterion-governed" handelt, und es, wie gleich zu sehen sein wird, dies ist, woran Putnam Anstoß nimmt bzw. wozu er eine Alternative vorschlagen möchte, soll sie im Folgenden zunächst einfach als "kriteriale Theorie der Bedeutung" oder "deterministische Theorie der Bezugsfestlegung" bezeichnet werden, und später aus dann einsichtigen Gründen "epistemische Theorie der Bezugsbestimmung ". Diese beiden Bedingungen sind nahezu wörtliche Wiedergaben von Passagen aus Camaps Aufsatz "Meaning and Synonymy in Natural Languages" (in Carnap, R.: Meaning and Necessity, 23348), in dem dieser in Antwort auf Quine ein pragmatisches Korrelat der Begriffe der Synonymie und der Analytizität zu entwickeln versucht. Die (I) entsprechende Stelle findet sich auf Seite 246, die ( ) entsprechende auf 234. 165 "The Meaning of 'Meaning'", 219. 166 Representation and Reality, 20. 167 Realism with a Human Face, 108. 168 Ibid.
Grundstruktur kriterialer Bedeutungstheorien
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Der Begriff "Intension" in diesem Zusammenhang ist zunächst einmal bloß im Sinne von "Kriterium zur Ermittlung der Extension" oder "Kriterium zur Feststellung der Mitgliedschaft eines gegebenen Gegenstandes in einer von einem Terminus bezeichneten Klasse" zu verstehen.169 In bezug auf Allgemeinwörter in natürlichen Sprachen beschreibt Putnam die von kriterialen Bedeutungstheorien intendierten sprachlichen Realisierungen solcher zugleich als Bezugsfestlegungen funktionierenden Voraussetzungen in "Is Semantics Possible?" folgendermaßen: In the traditional view, the meaning of, say, 'lemon', is given by specifying a conjunction of properties. For each of these properties, the statement 'lemons have the property P' is an analytic truth; and iff,, P2, ..., Pa are all the properties in the conjunction, then 'anything with all of the properties P,,..., />„ is a lemon' is likewise an analytic truth. (140)
Wegen Zirkularität ausgeschlossen als P sind dabei zunächst einmal nur Eigenschaftsausdrücke, die mit dem Determinandum (in diesem Falle 'Zitrone') gebildet werden. Erkenntlich handelt es sich bei einer solchen Angabe eines Anwendungskriteriums um genau solche Sätze, wie sie Putnam bereits 1957 analysiert und überzeugend kritisiert hatte (s.o., Kap. 1.1.f.). Auch die Analytizitätsbehauptung, die sich ja bereits im Rahmen seiner Konventionalismuskritik als Verschleierung synthetisch-apriorischer Annahmen erwiesen hatte, ist in dieser Beschreibung an der entsprechenden theoretischen Stelle enthalten. Das "System von Aussagen", das ein Sprecher beherrschen muss, um über die Fähigkeit zu verfugen, ein bestimmtes Wort richtig zu verwenden (sein "Sprachwissen"), besteht laut kriterialen Theorien der Bedeutung aus analytischen Aussagen. Mit Hilfe der Annahme ( ) ergibt sich, dass es sich bei dem Kriterium um ein Mittel der Festlegung des Bezuges handelt, ganz parallel zu der Vorstellung des Konventionalismus. Die Funktion solcher laut der kriterialen Bedeutungstheorien analytischen Identitäten besteht darin, den Bezug zu bestimmen: the intension amounts to a necessary and sufficient condition for membership in the extension.170 159
170
Er hat auch eine technische Bedeutung in der Semantik (als "Funktion von Ausdrücken zu Extensionen in möglichen Welten"). Dieser auf Carnaps Meaning and Necessity zurückgehende Begriff spielt allerdings im derzeitigen Kontext keine Rolle. Sie ist von Putnam auch nur an von ihm mit entsprechenden Zusätzen indizierten Stellen gemeint, so z.B. in "The Meaning of 'Meaning'", 262-6. In bezug auf den technischen Begriff der Intension, der Interpretationsrelationen zwischen Sprachen und Extensionen formal charakterisiert, ist Putnam übrigens kein "Antiintensionalist". Er macht von dieser Konstruktion sogar ausgiebig Gebrauch, um seine später entwickelten "modelltheoretischen" Argumente aufzubauen. Allerdings entsprechen diesen Intensionen nicht ipso facto spezielle Entitäten, die nicht in einer ausreichend starken Sprache als Extensionen darstellbar wären (was sie jedoch noch nicht faktisch beschreibbar machen muss, und auch nicht als physikalische Extensionen beschreibbar machen muss (vgl. "Model Theory and the Tactuality' of Semantics", in Words and Life, 351-75, 360)). "The Meaning of 'Meaning'", 222.
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Rahmen und Hintergrund von Putnams Bedeutungstheorie
Aus dieser Erläuterung der Worterklärungen mittels unabhängiger Merkmale der intendierten Bezugsgegenstände ergibt sich zudem, wenn man umgekehrt die übliche semanüsche Bestimmung des Analytizitätsbegriffes (s.o.) ansetzt, dass Determinandum und Eigenschaftskonjunktionsangabe miteinander synonym sein müssen, da es sich ja bei dem entsprechenden Satz, wenn er in diesem Sinne analytisch sein soll, um eine Definition oder eine logische Wahrheit handeln müsste. Da die in ihm essentiell vorkommenden Ausdrücke außerlogische Konstanten oder Prädikatvariablen sind, kann es sich nicht um letzteres handeln. Es kommt also zu der gleichen Abbildung der Festlegung der Beziehung zwischen als sprachlich vorausgesetzten Gegenständen und im gegebenen Zusammenhang als von ihnen unabhängig betrachteten außersprachlichen Gegenständen in eine Festlegung der Relation zwischen unterschiedlichen sprachlichen Zeichen auf einer Stufe bzw. in derselben Sprache (denn sonst handelte es sich ja nicht um eine Synonyme im logischen Sinne). Putnams Zusammenfassung des deterministischen Standpunktes der Bezugsfestlegung empirisch angewendeter und als von ihren Verwendern als interpretiert vorausgesetzten Ausdrücken erfasst so die wesentlichen Strukturen der Standpunkte, die er in der ersten Phase unter intuitiver Inanspruchnahme bestimmter Thesen über die Bedingungen des Sprachgebrauches kritisiert hatte. Seine Kritik an diesem Standpunkt ist nicht nur äusserst vielschichtig und geduldig, sondern auch in jeder einzelnen dieser Schichten zumeist fundamental. In den folgenden drei Abschnitten will ich zunächst auf einen Punkt eingehen, der weniger in seinen Arbeiten zur Sprachphilosophie als in seinen methodologischen Ausführungen zum Verhältnis von psychologischen und physischen Entitäten eine Rolle spielt. Es handelt sich dabei um seine in diesem Zusammenhang eher kollateral durchgeführte Klärung des Begriffs notwendiger und hinreichender Bedingungen, die ein Gegenstand oder Vorgang aufweisen muss, um als Mitglied der Extension eines gegebenen Begriffs zu zählen. Was im Feld der Philosophie des Geistes eher ein Nebenprodukt oder eine präliminare Angelegenheit zu sein scheint, erhält jedoch im Zusammenhang der Klärung der Bezugsbestimmung mittels des Gebrauchs unabhängiger Beschreibungen der Bezugsgegenstände eine zentrale Bedeutung. Putnams diesbezügliche Untersuchungen werden hier also als Beitrag zur Analyse der venfikationistischen Konzeption der Relation von Intension und Extension aufgefasst. Im ersten dieser beiden Abschnitte will ich zunächst zeigen, was aus sprachphilosophischer Perspektive dabei impliziert ist, wenn Putnam von "synthetischen Identitäten" (also Äquivalenzen zwischen Bezugnahmen unterschiedlicher Theorien) spricht. Im darauffolgenden Abschnitt soll angedeutet werden, inwiefern das Festhalten an der Idee der epistemischen Bezugsbestimmung von der Annahme der Richtigkeit des Verifikationismus motiviert ist. Danach will ich Putnams nächsten Schritt nachvollziehen, der darin besteht, aus erkenntnistheoretischer Perspektive zu zeigen dass selbst dann, wenn man diesen Implikationen gerecht wird, die entsprechenden Anweisungen zum Gebrauch der
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Grundbegriffe nicht als Kriterien für die erfolgreiche Bezugnahme mit den betreffenden Begriffen gelten können. Mit diesen Vorüberlegungen wird die Idee einer vom Gebrauch der Grundbegriffe selbst unabhängigen, kriterialen Bestimmung der erfolgreichen Bezugnahme nachhaltig erschüttert, die sich in der These ( ) wiederfindet. Dadurch gelingt es Putnam klarzumachen, wie dringend das Bedürfnis nach einer grundsätzlich neuen Erläuterung unserer Bezugspraktiken tatsächlich ist, die nicht mehr dem Verifikationismus verpflichtet ist. hu Anschluss daran ist es dann verständlich, dass Putnam nicht nur eine eigene Theorie der Bezugnahme, sondern auch eine sozusagen "postverifikationistische" Bedeutungstheorie zu entwerfen versucht, die den von ihm aufgezeigten Problemen gerecht wird. Am Ende wird sich zeigen, dass Putnam sich Schritt für Schritt gezwungen sieht, nicht nur den Begriff der "Bedeutung" im Sinne der Intension, sondern auch deren Verhältnis zur Extension, und sogar den Begriff der Extension einer pragmatischen Transformation zu unterziehen. 4.1.1. Sprachphilosophische Probleme des Begriffsverifikationismus: "Notwendige und hinreichende Bedingungen" Wie eingangs gesehen, besteht Putnams Bestreben im Rahmen seiner sprachphilosophischen Arbeiten darin, den Unterschied von epistemischen und semantischen Bedingungen der Verwendung empirisch intendierter Begriffe zu erläutern, oder, wie er sagt, für die Bestätigung von Aussagen empirisch relevante Elemente ("evidence") von für deren korrekte Verwendung und Verständnis relevanten Merkmalen ("meaning") zu unterscheiden. Im derzeitigen Zusammenhang lässt sich dies sehr gut nachvollziehen, wenn man die zuvor umrissene Konzeption aus unterschiedlichem Blickwinkel betrachtet. "Notwendige und hinreichende Bedingung" kann man nämlich wiederum in zweierlei Sinne verstehen: entweder 1) als semantisch notwendige und hinreichende Bedingung oder 2) als empirisch notwendige und hinreichende Bedingung. 4.1.1.1. Begriffsexplikation über Merkmalsmengen als Definition Sind die Identitäts- bzw. Äquivalenzaussagen zwischen Merkmalsmengen und dem jeweiligen Begriff einer empirisch angewandten Theorie streng analytisch und damit wirklich synonyme Ersetzungen der durch sie definierten Begriffe, so können sie nichts zur Festlegung des Bezuges beitragen. Es handelt sich nämlich dann bei der Behauptung, eine Merkmalsangabe sei "die Angabe der Bedeutung" eines bestimmten Ausdruckes einer Sprache, um eine metasprachliche Behauptung über die Sprache, und zwar genauer um die Behauptung, der fragliche Ausdruck sei in der betreffenden Sprache durch die Merkmalsausdrücke definierbar,
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d.h. eliminierbar und erweiterungslos ersetzbar. Dies kann in bezug auf die Sprache zutreffen oder nicht, was wiederum bloß von empirisch-linguistischem Interesse ist, da sowohl die Struktur der Sprache als auch die Bedeutungsverhältnisse vorausgesetzt werden. Eine solche Strategie der Auffassung von Merkmalsangaben als "notwendigen und hinreichenden Bedingungen" im logisch-semantischen Sinne kann also keine Analyse der Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks liefern. 4.1.1.2. Begriffsexplikation über Merkmalsmengen als "analytische Interpretation" Werden auf der anderen Seite interpretative Aussagen nach dem Modell von Definitionen verstanden, so muss man behaupten, dass interpretative Aussagen logische Wahrheiten darstellten. Interpretative Aussagen sind (auf Normalumstände und andere Rahmenbedingungen bedingte) Äquivalenzen zwischen Ausdrücken aus unterschiedlichen Begriffssystemen, die zumindest behaupten, dass beide Relata koextensional sind (in diesem Sinne also "dasselbe bedeuten"). Werden solche Aussagen als Explikationen verwendet, so hat man es meist bei einem der Relata mit einer weniger problematischen und beim anderen mit einer problematischeren Art und Weise der Bezugnahme auf die jeweils intendierten Bezugsgegenstände zu tun. Sollen nun zudem bestimmte interpretative Aussagen als Festlegung eines Begriffs verstanden werden, so muss man zusätzlich behaupten, dass es für jeden Begriff eine interpretative Aussage gibt, deren eines Relatum konstant ist. Da es sich im definitorischen Modell bei dieser interpretativen Aussage um eine logische Wahrheit handelt, heisst dies, dass es eine Beschreibung der Extension gibt, die notwendig auf die Extension zutrifft. Deswegen kann man, wenn man diese Extension intendiert und die entsprechende Beschreibung kennt, diese an Stelle des Begriffs setzen, ohne damit die Wahrheitsbedingungen der entsprechenden Aussage zu verändern. Die Klasse aller Dinge, die sich aus den zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Theorien vorgenommenen Bestimmungen der Extension eines plural definierbaren und epistemisch identifizierbaren Ausdrucks ergibt, lässt sich in diesem Modell nicht von vornherein durch eine (interpretative) "Definition-in-L" (d.h. notwendig wahre Zuordnungsaussage) angeben, ohne dass es sich bei diesem L um erne umfassende und wahre Beschreibung der Welt handelte, zu der keine ontologisch andere Voraussetzungen für ihre Erfüllung erfordernde Alternative möglich ist, die L erfüllt, und in die alle theoretischen Vokabulare übersetzbar sind (denn nur dann wären die Übersetzungen der in unterschiedlichen Theorien auf unterschiedliche Weise definierten Begriffe in sie eindeutig). Diese Möglichkeit könnte man diejenige der Voraussetzung epistemscher Vollkommenheit nennen. Unter dieser Voraussetzung gäbe es kerne Reinterpretation bzw. Re-
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definition eines gegebenen Begriffs, die nicht entweder mit derjenigen zusammenfiele, die man bereits besitzt oder aber die intendierte Extension des Begriffes nicht trifft. Will man also behaupten, dass die referentielle Intention der Teilnehmer an induktiven Praktiken sei, dass der von ihnen jeweils verwendete deskriptive Ausdruck synonym mit einer in einer epistemischen Situation gegebenen Merkmalsmenge sei, dann behauptet man damit unweigerlich, dass die jeweilige epistemische Situation vollkommen hinsichtlich dieses Begriffs sei. Wenn es sich bei der jeweiligen philosophischen Position um eine Rekonstruktion der Intention handeln soll, schreibt man diese Überzeugung auch den Teilnehmern an induktiven Praktiken zu. Solche Erkenntnissubjekte wären nun aber schlecht beraten, zugleich Alternativen zu ihrer epistemischen Situation als möglich zu betrachten, da sie dann zu Widersprüchen kämen. Die Annahme der Vollkommenheit der epistemischen Situation und die Annahme von möglicherweise akzeptablen Alternativen schliessen einander also aus (d.h. unter diesen Annahmen wird (3) des pragmatischen Kognitivismus unerfüllbar). Doch nur die Annahme epistemischer Vollkommenheit ergibt ein Argument dafür, dass eine gegebene theoretische Bestimmung, die als Anwendungskriterium gebraucht wird, endgültig (und der damit bestimmte Begriff somit eliminierbar in diesem Vokabular) ist. Ein Argument mit dem Ziel zu zeigen, dass die Bedeutung eines Begriffes in seiner Definition bestehe und "daher" eine Veränderung der Theorie einer absoluten Veränderung der Bedeutung bestehe, und "da" die Bedeutung die Bezugnahme bestimme, auch des Bezuges, und dass wir "deswegen" epistemisch bescheiden in bezug auf die Reichweite unserer Objektivitätsansprüche sein sollten, tut dies also immer unter der stillschweigenden Annahme, dass jede Theorie in der Illusion epistemischer Vollkommenheit und des dogmatischen Ausschlusses von Alternativen praktiziert werden müsse. Daher ist die Engführung von Eigenschaften der Definition und der Interpretation genau dann nicht zu empfehlen, wenn man die in Falübilismus und Pluralismus zum Ausdruck gebrachte epistemische Bescheidenheit kohärent rekonstruieren will. Die Identifikation von Bezugsfestlegungen und Definitionen ist also entweder leer (wenn man den Definitionsbegriff eng genug fasst, damit er einen klar angebbaren Gehalt hat) oder unzutreffend für die real existierenden Erkenntnispraktiken, in denen man ohne Bezugsfestlegung nicht arbeiten kann (wenn man die Eigenschaften des Definitionsbegriffs auf die interpretativen Situationen überträgt). 4. l. l.3. Begriffsexplikation über Merkmalsmengen als Reduktion (Übersetzung) Andererseits könnten die Merkmalsangaben im Sinne des vorigen Teils synthetisch und in einer Situation vom Interpreten eines Ausdruckes vorausgesetzt
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("vor der Erfahrung", wie Reichenbach sagte) sein. Vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus handelte es sich um, wie Putnam sie nannte, "synthetic identities" (s.o., Kap.2.4.). So verstanden, würde der genannte deterministische Grundsatz besagen, dass genau dann, wenn dasjenige, was in den Merkmalsmengen benannt wird, beobachtet werden kann bzw. existiert, dasjenige, was mit dem erläuterten Begriff benannt ist, auch existiert oder postuliert werden kann. In diesem Sinne handelte es sich also um eine Reduktion oder um einen gesetzesartigen Zusammenhang von Oberflächenmerkmalen und (normalerweise) deren Struktur und Auftreten erklärender Gegenstandsuniformitäten. Unter Annahme dieser Interpretation von "notwendigen und hinreichenden Bedingungen" hatte Putnam ja die Grundbegriffe avancierter wissenschaftlicher Theorien als "law cluster terms" verstanden, was er nun allerdings durch den Vorbehalt ergänzt, dass eine bestimmte gegebene Menge von solchen empirisch notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Postulierung des mit einem bestimmten Begriff benannten Gegenstandes oder einer Klasse derselben auf einen epistemischen Kontext zu relativieren ist. Daher präjudiziert sie nicht unbedingt alle zukünftigen oder möglichen Verwendungen des Begriffs mit referentiellen Intentionen, da sich ja sowohl von der Seite des intendierten Gegenstandes bzw. der Klasse derselben als auch von der Seite der ihn mittels gesetzesartiger Aussagen beschreibenden Theorien Erweiterungen ergeben können, die in einer bestimmten epistemischen Situation nicht vorhersehbar sind. Wir können sowohl zuvor unbekannte oder missverstandene Gegenstände auffinden, die nach allem, was wir wissen, zu der intendierten Klasse zu zählen sind, als auch zuvor nicht erdachte oder unklar skizzierte theoretische Alternativen entwickeln, die dasjenige verändern, was wir als Gesamtheit gültiger gesetzesartiger Aussagen anerkennen, und wir können dies, ohne deshalb unsere referentiellen Intentionen zu verlieren. Mehr noch, normalerweise ist es sogar so, dass wir nach solchen Veränderungen der epistemischen Situation streben, um die Objekte dieser Intentionen, die Extensionen der betreffenden Begriffe, aufzuklären und zu präzisieren. Putnam schreibt dementsprechend in "Language and Reality": "the 'law cluster' theory (...) could not be correct as an account of what every speaker implicitly 'means'. (...) a theoretical magnitude term, or particle term, etc., can keep fixed denotation even though we change our minds about the laws it obeys. (...) we can change our minds about the laws, and we do not have to say that we have changed the denotation of our terms. Thus, (...) we can say that we are discovering more and more facts (...) and we do not have to say we are progressively inventing (...) or stipulating (...) or anything like that." (282) Merkmalsangaben dieser Art können allerdings nur auf das verfügbare Wissen bedingte epistemsche Erläuterungen bzw. Kriterien, darstellen wie man verifiziert, dass ein gegebener Gegenstand einer bestimmten Klasse angehört. Als solche sind sie jedoch nur in einem auf das verfügbare Wissen relativen Sinne empirisch "notwendige und hinreichende Bedingungen" der Zuordnung von Gegen-
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ständen und Extensionen, deren Geltungsallgemeinheit nicht semantischer Natur ist, sondern von der vorausgesetzten Gültigkeit von (mindestens) einer naturgesetzartige Aussagen formulierenden und systematisierenden Theorie abhängt: The relation of reduction is not extensional. Water reduces to H2O, and H2O is coextensive with (H2O v Unicorn), but water does not reduce to (H2O v Unicorn). The difficulty is simply that (x)(x is water = is an aggregation of H2O molecules) is not only true but nomological ('law-like'), while (x)(x is water = is an aggregation of H2O moleculesvx is a unicorn) is extensionally true (assuming there are no unicorns [Herv.v.mir]), but not lawlike171
Wie man solche naturgesetzartigen Aussagen im Einzelnen rechtfertigt, ist immer noch ein offenes Problem, es sind jedoch aus den auf Goodmans Forschungen172 folgenden Arbeiten neben Anwendungen auf wissenschaftstheoretische Fragen auch formale Argumente vorgebracht worden, dass die Begründung naturgesetzartiger Aussagen nicht rein formal erfolgen kann173, sondern ihrerseits Voraussetzungen über die Struktur des Gegenstandsbereichs (und damit eine diesen beschreibenden Vortheorie) impliziert ('assuming there are no unicorns'). Reduktionen verlangen für ihre Gültigkeit nicht nur nach der Herstellbarkeit einer strukturellen Ähnlichkeit der Sprachen, der jeder der beiden Termini in einer synthetischen Identitätsaussage angehört, sondern nach epistemisch komplexen strukturellen Beziehungen der intendierten Referenten, die die Annahme von deren Identifizierbarkeit miteinander in angebbaren Grenzen rechtfertigen. Sie haben selbst den epistemischen Charakter von Aussagen in einer empirischen Theorie und präsupponieren die für deren explanatorischen Wert entscheidenden Strukturen. Es handelt sich bei Reduktionen um selbständige und eigens (durch Angabe von Transfonnationsregeln) zu rechtfertigende Behauptungen oder Hypothesen über den Gegenstandsbereich. Putnam präzisiert dies anhand der Re171
"On Properties", 307. Fact, Fiction, and Forecast, bes. Kap. I ("The Problem of Counterfactual Conditionals"). 173 Eine besonders ausführliche Behandlung dieser Frage findet sich in Essler, W.K., Induktive Logik . Dort wird der formale Nachweis für die Richtigkeit des intuitiven Arguments gebracht, dass Aussagen des Allgemeinheitsgrades, den Naturgesetze beanspruchen, nicht rein formal induktiv gerechtfertigt werden können, d.h. als Konklusionen eines auf endlichen Datenmengen basierenden, den Anforderungen an adäquate Methoden genügenden induktiven Urteils keinen "normalen" Bestätigungswert erhalten, sondern entweder 0 oder l zugeschrieben bekommen müssen. Damit kann man die Akzeptanz oder Verwerfung solcher Sätze aber nicht allein aus einem bestimmten induktiv geführten Argument rechtfertigen, da sich der dort erreichte Bestätigungsgrad nicht von allen anderen widerspruchsfrei führbaren induktiven Argumenten unterscheidet. De facto heisst das, dass die bei der Annahme naturgesetzartiger Aussagen relevanten Gesichtspunkte den Charakter von Voraussetzungen, nicht den von Ergebnissen induktiver Praktiken haben. 12
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duktionsbeziehung zwischen den beiden Größen Temperatur und mittlere kinetische Energie von Molekülen in idealen Gasen in folgender Weise: When we say that temperature has been reduced to mean molecular kinetic energy, we are claiming more than just that 'temperature' is coextensional with suitably measured mean molecular kinetic energy. (...) [we] are claiming that (1) the relation between mean molecular kinetic energy and temperature is lawlike; there is no physically possible situation in which a body has a certain temperature and does not have the corresponding mean molecular kinetic energy; (2) the laws which 'unreduced' (...) temperature was supposed to obey are approximately obeyed by mean molecular kinetic energy; and (3) the effects that 'unreduced' temperature was supposed to explain are (to the extent that they really exist) explained by mean molecular kinetic energy. [Herv.v. mir]174
Interpretative Aussagen, deren synthetischer Charakter zugleich mit deren Allgemeinheit behauptet wird, sind also zumindest auch theoretisch-empirischen, aber keinesfalls rein syntaktischen oder semantischen Charakters. Die interpretierende und die interpretierte Sprache müssen empirisch geltende Aussagen enthalten (und das bedeutet, dass sie gedeutet sein müssen). Weiterhin muss, aufgrund der Forderung nach explikativer Adäquatheit, eine Reduktion eines Begriffs in einem anderen Begriffssystem die Wahrheitsbedingungen für die wichtigsten Teile der Theorie darstellen können, die man mittels des reduzierten Begriffs formulieren konnte. Reduktionen können daher a) nicht mittels für alle Gegenstandsbereiche (alle Interpretationen) geltender Identitätsaussagen miteinander in Korrelation gebracht werden, b) nichts zu einer grundsätzlichen Erklärung der Festlegung des Bezuges empirischer Begriffe beitragen, da sie beiderseits bereits gedeutete Begriffe voraussetzen und müssen c) ihrerseits Aussagen empirischer Theorien des Bezugsbereichs implizieren, aus dem die zur Interpretation dienenden Gegenstände und Klassen stammen. Vom sprachphilosophischen Standpunkt aus handelt es sich bei solchen Aussagen in natürlichen, d.h. als interpretiert vorausgesetzten und empirisch angewandten, Sprachen de facto um Übersetzungen von einer zu interpretierenden in eine als verstanden vorausgesetzte (Teil-)Sprache. Damit sind es in der Tat interpretative Aussagen unter Voraussetzung von Erfahrungswissen über den Interpretationsbereich. Sie machen jedoch zugleich objektsprachliche Behauptungen über die Reduzierbarkeit bestimmter Eigenschaften im intendierten Anwendungsbereich einer deskriptiv gebrauchten Theorie auf Eigenschaften, die in einer interpretativ gebrauchten Theorie spezifiziert werden. Dabei ist es wichtig zu bemerken, dass solche Reduktionen nur dann hinsichtlich ihrer Akzeptierbarkeit geklärt sind, wenn reduzierte und reduzierende Theorie einen gemeinsamen Gegenstandsbereich zugeschrieben bekommen. Beide Eigenschaften sind aufeinander reduzierbar, wenn sie unter denselben (d.h. in denselben Parametern beschreibRepresentation and Reality, 76-7.
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baren) Umständen hinsichtlich ihrer Wirkungen und naturgesetzlichen Struktur ununterscheidbar sind. Das bedeutet, dass die Reduktionsaussage unter anderen Umständen entweder unanwendbar oder falsch werden kann, ohne dass sie deswegen kein Naturgesetz in dem beschriebenen Rahmen wäre. Die Anerkennung von Reduktionen setzt also einen für beide miteinander verknüpften Begriffe denselben intendierten Anwendungsbereich voraus.175 Eine solche Angabe des gemeinsamen Geltungsbereichs von reduzierter und reduzierender Theorie ermöglicht eine Approximation beider Theorien, indem man der alten Theorie eine Bedingung, eben die des Geltungsbereichs und der Fehlergrenzen, voranstellt und sagt, dass unter diesen Bedingungen die Begriffe beider Theorien die Formulierung äquivalenter Voraussagen und Erklärungen erlauben. Die Interpretation empirischer Begriffe mittels der Angabe empirisch notwendiger und hinreichender Bedingungen ist demnach praktisch möglich, wenn eine solche Übersetzung akzeptabel ist. Demgegenüber leisten logisch notwendige und hinreichende Bedingungen keine Interpretation, sondern gehören dem strukturellen Apparat der Sprache an. Wenn also in bezug auf die bezugsbestimmende Funktion von "Intensionen" oder Bedeutungen von "notwendigen und hinreichenden Bedingungen" die Rede ist, die eine solche Bestimmung leisten sollen, dann ist die bestmögliche Interpretation diejenige, die dies im Sinne empirisch oder epistemisch, aber nicht im Sinne semantisch oder logisch notwendiger und hinreichender Bedingungen versteht. Dies besagt seinerseits, dass die Interpretation "theoriegeladen" zu sein hat. Die Frage ist dann nicht so sehr, ob es solche Interpretationen gibt, d.h. Reduktionen (und andere, schwächere Inbezugsetzungen von Bezeichnungsausdrücken unterschiedlicher Theorien) akzeptierbar sind, sondern wie man das Faktum von durch Reduktionen vorgenommenen Interpretationen versteht und welches ihre Bedingungen sind. 4.1.2. Die Unverzichtbarkeit des Verifikationismus für kriteriale Theorien Bei den reduzierenden Aussagen handelt es sich wie gesehen um empirische Behauptungen, deren Zutreffen als ausreichender Grund dafür angesehen wird, unabhängige theoretische Behauptungen für wahr zu halten. Der kriterialen Theorie zufolge ist dies die einzige Möglichkeit, um im Gebrauch problematischer Begriffe sicher sein zu können, dass man sich auf die mit ihnen intendierten Gegenstände bezieht. Da die kognitive Bedeutung eines solchen Begriffs "F" in der Putnam erläutert diese wichtige Beschränkung wie folgt: "Temperature is mean molecular translational kinetic energy in the case of substances that consist of molecules. But the concept of temperature has been extended, for example to radiation, and who knows how much further it might be extended to hypothetical situations? (...) it is doubtful that temperature is one single property in the case of both molecules and radiation." ("Possibility and Necessity", 46-68, 63).
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Angabe derjenigen Bedingungen besteht, die Einzelbezugnahmen der Form "dies ist ein F" systematisch gelingen lassen, stellt die Angabe von solchen Aussagen bestätigenden Umständen zugleich und vor allem eine Angabe der Bedeutung der entsprechenden Begriffe dar. Um Tatsachen über die Bestätigung bestimmter Aussagen wie etwa synthetischer Identitäten oder reduzierender Übersetzungen nun zugleich als Aussage über die Bedeutung des fraglichen Ausdruckes auffassen zu können, muss man also die (entweder holistisch oder atomistisch gefasste) Verifikationstheorie oder eine verwandte, epistemsche Theorie der Bedeutung bzw. Bezugsfestlegung akzeptieren. Ihr zufolge besteht die Angabe der Bedeutung eines Begriffs in der Angabe notwendiger und hinreichender Bedingungen für die Bestätigung von allen (oder den meisten) Aussagen des Typs "dies ist ein F". In diesem Falle wird das System von induktiv gestützten und hypothetischen Reduktionen an ein a priori gültiges semantisch-formales Entscheidungsverfahren für die Akzeptierung der genannten Aussagen assimiliert. Die Merkmalsangaben werden "a criterion for belonging to the extension (not just in the sense of 'necessary and sufficient conditions', but in the strong sense of way of recognizing if a given thing falls into the extension or not)."176 Diese Funktion haben Reduktionen zwar durchaus, doch - wie im ersten Teil gesehen - immer nur in einem bestimmten, erfahrungsbeeinflussten und der Reflexion auf die Erkenntnisbedingungen zugänglichen Kontext. Eine bestimmte Gesamtheit von Reduktionen bestimmt also zunächst einmal de facto nicht notwendigerweise alle a posteriori als korrekt beurteilbaren Erweiterungen der Anwendung eines gegebenen Begriffs vorher. Betrachtet man sich die Rolle und Funktion von Zuordnungsverfahren bzw. als Kriterien gebrauchten synthetischen Identitätsaussagen genauer, so wird klar, weswegen eine pragmatische Theorie der Bezugsbestimmung sie auch nicht so konstruieren sollte, dass sie die Erweiterungen vorbestimmen. In einem weiteren Analyseschritt untergräbt Putnam die nun noch offenstehende Möglichkeit des Begriffsverifikationismus mittels des Hinweises auf zwei faktische Bedingungen, unter denen die Merkmalsfeststeltung selbst stattfindet. Zu diesem Zweck beutet Putnam die Tatsachen der Pluralität und der Fallibilität bzw. Idealisierungsgebundenheit der Feststellungsvej/ä/zren (im Gegensatz zum Gemeinplatz der Fallibilität von deren Ergebnissen) aus. 4.1.3. Erkenntnistheoretische Probleme des Begriffsverifikationismus Putnam macht im Wesentlichen drei Tatsachen aus der Pragmatik von Zuordnungsverfahren geltend, um Problemlösungsfähigkeiten aufzuzeigen, die Teilnehmer an Praktiken des Lernens aus der Erfahrung besitzen, die man aber unter Annahme des Umkehrschlusses vom Verifikationsverfahren auf die tatsächliche 176
"The Meaning of 'Meaning'", 219.
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Struktur des Bezugsobjekts nicht als solche rekonstruieren kann. Dieser Umkehrschluss sagt im Sinne einer epistemischen Theorie der Bezugsbestimmung, dass das Bezugsobjekt bzw. die Klasse korrekter Anwendungen all das ist, was eine gegebene Gesamtheit der in einem theoretischen System gegebenen Überzeugungen erfüllt. Dies impliziert, dass jeder Gesamtheit aus Zuordnungsverfahren und theoretischer Struktur ein Begriff entspricht, und jedem auf diese Weise individuierten Begriff eine durch die Zuordnungsverfahren eindeutig determinierte Extension. Die epistemische Intension determiniert also die Extension, ist aber im Sinne eines strukturierten, theoretischen Überzeugungssystems zu rekonstruieren, das die Merkmalsmengen operational auf den theoretischen Begriff bezieht. Die für diese Schlusskette entscheidende These besteht darin, dass die Identität des Bezugsobjekts direkt abhängt von der Identität des Verfahrens. Vom pragmatischen Standpunkt aus werden vor diesem Hintergrund drei die erkenntnistheoretischen Strukturen der Inierpretationsennittlung betreffende Umstände interessant: (A) Wie ist es zu verstehen, wenn mehrere Verfahren zur Feststellung miteinander identifizierter theoretischer Entitäten angewandt werden? (B) Wie ist es zu verstehen, wenn ein determinierendes Verfahren nicht garantierend, d.h. unzuverlässig aber nicht falsch ist? (C) Wie lassen sich unverzichtbare Idealisierungen verstehen? (A) Die erste Überlegung betrifft die Erweiterung der Anwendung von Begriffen auf bislang in bestimmten Hinsichten unerprobte Gegenstände. Die erkenntnistheoretisch-metaphysische Voraussetzung dieses Arguments lautet, dass es in für die Ermittlung des Bezuges eines gegebenen Begriffes in einem gegebenen epistemischen Kontext als entscheidend erachteten Hinsichten unerprobte Gegenstände und unerprobte relevante Hinsichten gibt. Putnam bringt die relativ nichtepistemische Natur der Annahme unerprobter Hinsichten und/oder Gegenstände in "The Meaning of 'Meaning1" wie folgt zum Ausdruck: The fact is that there are a host of situations that we can describe (using the very theory that tells us that X isn't gold) in which X would have behaved quite unlike the rest of the stuff Archimedes classified as gold. (...) The point is that even if something satisfies the criteria used at a given time to identify gold (i.e., to recognize if something is gold), it may behave differently in one or more situations from the rest of the stuff that satisfies the criteria. This may not prove that it isn't gold, but it puts the hypothesis that it may not be gold in the running, even in the absence of a theory.177
Das Dilemma lautet nun, dass man dies entweder, wenn man abgeschlossene Systeme voraussetzt, als erkenntnistheoretisch nicht einholbare Veränderung des Überzeugungssystems und seiner Gegenstände auffassen muss, so dass die epistemische Zugänglichkeit dieser neuen Objekte der Überzeugungsbildung aus dem "alten" System unerklärbar wird. Oder aber man muss die Annahme abge177
"The Meaning of 'Meaning'", 238.
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schlossener, definitiv die Identität der Begriffe bestimmender Systeme aufgeben und solche Erweiterungen als innersystematisch erlauben. Dafür spräche, dass die bloße "Unerprobtheit" von Gegenständen sicherlich noch keine bestimmte Aussage a priori über deren Zugänglichkeit erlaubt, da ja Erprobungen von Gegenständen immer in gewissen Hinsichten unter Annahme anderer geschehen, und es keineswegs ausgeschlossen ist, dass ein Gegenstand zwar in einer bestimmten Hinsicht unerprobt, aber in anderen, innersystematischen Hinsicht bereits zugänglich ist. Damit ist ein Gegenstand nicht schon allein wegen seiner Unerprobtheit - die in der Neuigkeit der Hinsicht oder der des Gegenstandes bestehen kann - "eigentlich unerkennbar" und sein Auftreten Anlass für die Annahme einer epistemisch veränderten Sachlage (auch wenn eine gut operationalisierbare neue Hinsicht in eine solche führen kann, wenn neue Naturgesetze formulierbar werden). Neue Hinsichten und neue Anwendungsbereiche für alte Begriffe interpretierende Tests sind, wenn man diese Ansicht vertritt, durchaus Teil erkenntnistheoretisch und interpretativ adäquater Praktiken.178 Doch dann kann man nicht mehr ohne weiteres dafür argumentieren, dass jede Veränderung der Anwendungsbedingungen eine Veränderung der Urteilssituation bedeutet. Die Annahme eines Pluralismus der Hinsichten ergibt also von selbst noch kein Argument für eine unüberbrückbare Mannigfaltigkeit von der Erkenntnis zugrundeliegenden Bezugsbereichen (schliesst diese allerdings auch nicht aus, doch muss man sie in diesem Falle aus der Unmöglichkeit einer Rekonstruktion des Bezuges eines Begriffes rekonstruieren). (B) Ein weiteres, praktisch greifbares Symptom für die Möglichkeit der Inbezugsetzung sieht Putnam in einem Faktum, das in der Zielsetzung eines Tests als solcher implizit ist. Ziel eines als Zuordnungsprinzip gebrauchten Tests ist es, eine Zuordnung zwischen im Test isolierten Phänomenen und sprachlichen Ausdrücken herzustellen, deren Anwendbarkeit auf diesen Fall dadurch innerhalb der Fehlergrenzen bestimmt wird. Das fragliche Faktum ergibt sich aus der in dieser Aufgabenstellung enthaltenen Klausel der Fehlergrenzen und der Isolierung von Phänomenen. Es ist eine Tatsache, dass kein Test perfekt ist. Das ist zwar ein ziemlich trivialer Umstand, hat aber eine auch für den radikalen Deterministen 17R
C.Z. Elgin schreibt dementsprechend in With Reference to Reference (Indianapolis, 1983) über das Verhältnis von wissenschaftlicher und Alltagssprache, falls sie in das Verhältnis von interpretativ verwendeter und deskriptiv verwendeter Theorie gebracht werden: "A system for the interpretation of a used language should, as far as is plausible, be faithful to prior usage, but beyond that it is authoritative. It is a feature of language that old terms are applied in new situations, so prior usage is never sufficient to determine the limits of a term's application. (To so restrict its application, we have to stipulate that it is not projected beyond various uses. [Herv.v.mir]) The caveat "as far as is plausible" is required because systems do not merely reflect linguistic practices. They refine and extend those practices as well. They disambiguateambiguous expressions, and sharpen the boundaries of vague ones. And, as the classification of whales as mammals shows, they occasionally correct linguistic practice in order to simplify theory." (42)
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schwer abweisbare Folge. Denn angesichts dieser konzeptuellen Verbindung von Testen und Irrtum ist in der Konzeption jedwelchen Tests bereits die Idee seiner eigenen Verbesserung enthalten. Dies jedoch kann dann, ohne unplausible Reinterpretation der epistemischen Eigenschaften von Operanonausierungen von Kriterien nicht mit dem Vorwurf gekontert werden, bei einer solchen Beurteilung nehme man einen externen Standpunkt ein. Bei einer Verminderung der Fehlergrenzen oder einer präziseren Isolation der Situationselemente in ein und demselben Testaufbau, der sozusagen "nur poliert" wurde, kann sicherlich nur in einem sehr übertragenen Sinne von einer Verbesserung aufgrund externer Beurteilungen von Tests überhaupt die Rede sein. Metaphorisch gesprochen kann es einfach nicht stimmen, dass das Putzen einer Blasenkammerscheibe als prinzipielle Veränderung des Versuchsaufbaus zählt, doch es kann zu einer entscheidenden Verbesserung der Beurteilung der Gegebenheit oder Nichtgegebenheit der relevanten Umstände für die gerechtfertigte Äußerung von "Huch, ein Elektron!" fuhren. Wenn diese Veränderungen allerdings zulässig sein sollen, dann besteht auch kein prinzipieller Grund dafür, weshalb es zu einer Veränderung des Bezuges führen muss, wenn ein Test erfunden wird, der eine Beurteilung der Akkuratheit der anderen Tests erlaubt. Der Unterschied zwischen einer Verbesserung desselben Tests und einer Veränderung des Tests ist sicherlich eher gradueller, nicht aber prinzipieller Natur, weswegen auch dieselben Zulässigkeitskriterien Anwendung finden sollten (was natürlich Differenzen in den kontextuellen und durch Gründe verteidigten Einzelfallen nicht ausschließt). (C) Das den Methodenpluralismus konstituierende Faktum der Imperfektion der Tests ist keine Lappalie, die man mit dem schlecht gelaunten Hinweis auf die Unordentlichkeit der Praxis vom Tisch wischen kann. Denn es ist nicht nur der Fall, dass auf bestimmte Weise konstruierte Tests nur "ungenau realisiert" werden und insofern ihren Anweisungen nicht gerecht werden und sie insofern "falsifizieren". Vielmehr beruhen alle Tests und deren Einzelrealisierungen auf Idealisierungen. Und Idealisierungen sind nichts weiter als empirisch falsche Aussagen, deren Wahrheit man aus kontextuell verteidigbaren Gründen annimmt, wenn man ein gegebenes Resultat als positiv oder negativ beurteilt. Idealisierungen werden immer mehr oder weniger, aber niemals vollkommen erfüllt. Es ist Testverfahren generell intern, dass die Veränderung der Testumstände hinsichtlich derselben, gleichbleibenden Idealisierungen nicht ohne weiteres zur Veränderung des untersuchten Bezugsbereich führt. Ein Test kann demnach selbst dann kein eindeutiges und voraussetzungsloses Anzeichen für das Vorliegen eines bestimmten Gegenstandes oder einer bestimmten Eigenschaft sein, wenn man die untersuchten Eigenschaften und Hinsichten festhält und als optimal (d.h. alternativlos) ansieht. Dies ist jedoch genau, was ein die Eindeutigkeit der Begriffsanwendung auf empirische Umstände garantierendes Verfahren leisten sollte. Daher sprechen die trivialen Fakten der Fallibilität und Idealisierungsgebundenheit von Operationalisierungen ziemlich direkt gegen die Plausibilität eines Standpunktes, der die
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Identität eines Begriffs von einem bestimmten Test und die Identität der Bezugsobjekte von der Identität des Begriffs abhängig macht. Ein solcher Standpunkt kann nicht einmal verschiedene Versionen desselben Tests ohne Einschränkungen an der prinzipiellen Erklärungsstrategie der Möglichkeit der Bezugskontinuität miteinander identifizieren. Putnam schreibt dementsprechend: The fact is that no set of operational criteria can totally fix the meaning of the word 'gold'; for as we develop (...) more elaborate tests for the behaviour of substances (including the behaviour in respects that we were not previously able to measure), we can always discover defects in the tests we had before.179
Die Falübitität der Operationalisierungen von Zuordnungsprinzipien, die zu deren eigener Revidierbarkeit hinzutreten, wenn es um die Festlegung des Bezuges eines empirisch intendierten Begriffes geht, und ihre nach allen Maßstäben interne Korrigierbarkeit schränken die Plausibilität deterministischer Theorien der Bezugsfestlegung (und damit der Bezugskontinuität) noch weiter ein, da sich aus den dort gegebenen Prämissen nicht klären lässt, wie Korrekturen stattfinden sollten, ohne die Begriffe zu verändern.180 Die von Putnam aufgeworfenen Probleme für eine Identifikation von Fragen der Bestätigbarkeit und der Bedeutung von Aussagen und in ihnen enthaltenen Ausdrücken gelten also auch für die Interpretation der Rolle der Merkmalsbedingungen. Putnam sagt so in bezug auf den Verifikationismus: I am personally very unhappy with verificationism, the doctrine that something is wrong with a hypothesis, in terms of meaning, if there is in principle no way one could verify it. (...) The claim that any such hypothesis either lacks meaning or truth-value makes me very unhappy. I'm unhappy for many reasons. I'm unhappy as an inductive logician. I'm unhappy as a philosopher of language. I'm unhappy as a realist.181
Als auf die eingangs zitierten beiden Annahmen aufbauender kriterialer Begriff kann der Bedeutungsbegriff keine befriedigende Erklärung der interpretativen Aspekte empirisch intendierter Begriffe leisten. Als explikative Strategie für die Pragmatik der Interpretation ist der Verifikationismus schon allein wegen seiner methodologischen Unstimmigkeiten nicht mehr attraktiv.
179 180
181
Representation and Reality, 37. Es sollte hervorgehoben werden, dass die beiden von Putnam identifizierten Problemstellungen nicht auf einer Forderung nach einer Einschränkung der "Theoriebeladenheit" der Interpretation (bzw. der 'linguistischen Wende') beruhen. Im Gegenteil spielt die "Theoriebeladenheit" der Interpretation in Putnams Rekonstruktion von Zuordnungspraktiken eine ausgezeichnete Funktion: irgendein Test muss ja auch fur Putnam zur Verfügung stehen. Doch Putnam macht mehr aus der Unterbestimmtheitsthese, da er zeigt, dass die Notwendigkeit der Tests mit der Möglichkeit von deren Pluralität und der Unbestimmtheit der Interpretation ihres faktischen Ausgangs einhergeht, letztere aber wegen der Unterbestimmtheit des Ergebnisses durch das Verfahren für sich gesehen noch nichts für oder gegen die Behauptung Identität des Bezugsgegenstandes besagt. "Comment on Wilfrid Sellars", Synthese 27 (1974), 445-55, 454.
Grundstruktur kriterialer Bedeutungstheorien
181
Dieses Misstrauen vertieft sich Putnams Ansicht nach noch weiter, wenn man die Folgerungen aus den beiden eingangs zitierten Thesen betrachtet die unvereinbar mit einer Erklärung induktiver Praktiken sind: I don't want to say that either of the two assumptions is false just like that. (...) What I do want to say is that those two assumptions jointly imply something which is not true. What they imply jointly is that what a speaker knows and believes determines the extension of every term in his language.182
Diese Konsequenz lässt sich ohne weiteres als die Grundidee epistemischer Bedeutungstheorien bezeichnen. Wäre diese Folgerung wörtlich zu nehmen, dann käme die Annahme der zwei Grundthesen zur Bedeutungstheorie zugleich einem Unmöglichkeitsbeweis für Kommunikation und einem für die kognitive bzw. prozedurale empirische Überzeugungsbildung gleich. Dies folgt zwar nicht direkt aus dieser Konsequenz, ist aber leicht verständlich zu machen. Es wäre für den Fall, dass die Bezugsgegenstände abhängig von den Überzeugungen über den Zeichengebrauch im Geiste eines Individuums bestimmt sind, unvernünftig für einen anderen Sprecher, der dies wüsste, anzunehmen, dass er sich auf dasselbe wie der andere bezöge, da die Annahme problemlos ist, dass es sich bei den Überzeugungssystemen beider um verschiedene handelt. Es wäre dann ein reiner und a priori nicht feststellbarer Zufall, wenn das Ergebnis der Überzeugungsbildung beider identisch oder relevant gleich wäre. Es wäre zudem irrelevant für jeden der beiden, denn es wäre ja auch nicht durch sprachliche Mittel zu vermitteln, dass dies der Fall ist. Der Grenzfall des Verifikationismus (oder allgemein: des semantischen Determinismus) zusammen mit dem epistemischen Individualismus ist demnach der Solipsismus. Eine deterministische Bedeutungstheorie kann diesem zumindest nichts prinzipielles entgegensetzen. Der Grund dafür ist, dass für eine epistemische Bedeutungstheorie Gegenstand und Erkenntnis entweder ganz zusammenfallen oder aber ersterer vom auf eine erkenntnistheoretisch privilegierte Überzeugungsgesamtheit von Individuen geschrumpften Begriff bestimmt ist. Ist die Entstehung dieser Gesamtheit im Individuum zudem nur als Aufnahme einer Konvention verständlich zu machen (da ja eine Motivation durch andere oder Gegenstände einer petitio principii gleichkäme), dann versteht man auch nicht mehr, inwiefern die Sprachverwendung Irrtümern ausgesetzt sein könnte. Putnams Intuition lautet mit Blick auf die soziale, faUibüistische und gegenstandsorientierte Praxis empirischer Überzeugungsbildung: "that just isn't true." (Ibid.) Für eine solche Praxis ist die Ableitung des Solipsismus aus den Grundprämissen eines Rekonstruktionsversuchs nämlich eine reductio ad absurdum. Es ist daher herauszufinden, welche der beiden Thesen (semantischer Determinismus oder epistemischer Individualismus) unter welchen Bedingungen zu verwerfen ist, um diese Konklusion zu umgehen, oder ob es sogar unabhängige Gründe für die 182
"Comment on Wilfrid Sellars", 448. Bekannt geworden ist diese Überzeugung unter dem Slogan "Meanings Ain't In the Head" (vgl. "The Meaning of 'Meaning'", 227).
182
Rahmen und Hintergrund von Putnams Bedeutungstheorie
gleichzeitige Verwerfung beider gibt. In Putnams Fall fragt sich, wie eine bedeutungstheoretische Konzeption kompatibel mit den Prinzipien des pragmatischen Kognitivismus bleiben und die Probleme des Verifikationismus vermeiden kann. Der Adäquatheitstest ist damit: die Konzeption muss einen rationalen Umgang mit einer pluralistischen, epistemisch heterogenen, induktiv und falh'bilistisch verfahrenden öffentlichen Praxis der Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem erläutern können, ohne beide voneinander abhängig zu machen.
5. Putnams Problematisierung kriterialer Theorien der Bedeutung Putnam versucht daher zunächst, eine grundlegende pragmatische Transformation des Bedeutungsbegriffes durchzufuhren. Im Feld der Erklärung der Kommunikation ist dabei die allgemeinste Fassung des Projekts, dass der entsprechende Begriff Bedingungen des "normal use" von als interpretiert vorausgesetzten sprachlichen Ausdrücken angibt: "any successful and developed theory of language-use will in one sense be a theory of meaning; but not necessarily in the sense that it will employ any such notion as 'meaning1 of a word or of an utterance."183 Die Angabe des "normal use" kann nun aber vor dem Hintergrund des epistemischen Holismus nur so geschehen, dass man direkt die von Teilnehmern an Kommunikationspraktiken gemachten Voraussetzungen über sich selbst und andere untersucht und die in diesen Voraussetzungen enthaltenen Idealisierungen ausfindig zu machen versucht. 5.1. Putnams Pragmatisierung der "Intension" als epistemische Umgebung der Bezugsbestimmung Der Kernbegriff für die Gesamtheit dessen, was ein Sprecher einem anderen zuschreibt, wenn er davon ausgeht, dass er sich mit ihm unter Verwendung derselben Zeichen verständigen kann, war für die von Putnam kritisierten Theorien wie gesehen der der "Intension". Deren "Kenntnis" war die Erklärung dafür, dass die eben genannte Voraussetzung von Teilnehmern gerechtfertigt ist. 5.1.1. Metatheoretische Überlegungen Versteht man "Intension" im Sinne eines Kriteriums, dann bleibt auf der pragmatischen Ebene offen, um die Zuschreibung welches Wissens an kommunikativ kompetente Teilnehmer. Es sich eigentlich handelt. Handelt es sich bei der assoziierten, in anderen Worten ausgedrückten Verwendungsbedingung um ein Synonym des entsprechenden Ausdrucks derselben Sprache, dann kennt der entsprechende Sprecher die Sprache bereits, wenn er die Bedeutung des Ausdrucks kennt, da er bloß die bekannten Bedeutungen der anderen Ausdrücke zusammen183
"Is Semantics Possible?", 147.
184
Putnams Problematisierung kriterialer Bedeutungstheorien
zusetzen braucht. Das so vermittelte Bedeutungswissen wäre mithin nahezu syntaktischer Natur. Von einem "Erwerb" oder einem "Erlernen" des Gebrauchs des Ausdrucks kann also nur insoweit die Rede sein, dass der Sprecher eine Zeichenfolge als Abkürzung für eine andere kennen - und zu realisieren lernt. Zählt der zu erlernende Ausdruck aber zu so etwas wie dem "Grundvokabular" einer Sprache, dann bleibt die Möglichkeit des Sprachenlernens vollkommen unbeleuchtet. Doch im Falle einer Theorie natürlicher, oder allgemein: empirisch und kommunikationsintendierter Sprachen ist dies ein zu ihrer Unbrauchbarkeit führender Mangel. Wie bereits im ersten Teil gesehen, muss eine solche Theorie als Theorie des interpretativen und induktiven Verhaltens von sprachfahigen ErkenntnisSubjekten auch erklären, wie der schrittweise Erwerb sprachlicher Mittel möglich ist. Putnam stellt in diesem Sinne fest: It is a fact, and one whose importance to the subject [of a theory of meaning, A.M.] I want to bring out, that the use of words can be taught. If someone does not know the meaning of 'lemon', I can somehow convey it to him. !(...) suggest that in this simple phenomenon lies the problem, and hence the raison d'etre, of 'semantic theory'. (...) The fact that one can acquire the use of an indefinite number of new words, and on the basis of simple 'statements of what they mean', is an amazing fact: it is the fact, I repeat, on which semantic theory rests.184
Die deduktiv oder 'analytizitätstheoretisch1 verstandene kriteriale Theorie (die man auch als 'deduktivistischen Verifikationismus' bezeichnen könnte) gerät also genau dann in Schwierigkeiten, wenn es um die Erklärung des für Putnam zentralen Erklärungsziels geht, wie man aus der Erfahrung lernen kann. Sie tut dies jedoch, wie er in seiner ausdrücklich sprachphilosophisch-ünguistischen Auseinandersetzung mit ihr zeigt, nicht nur deshalb, weil sie mit den innerhalb von induktiven Praktiken anzusetzenden erkenntnistheoretischen Voraussetzungen in Konflikt gerät (da sie eine andere Art von Wissen postulieren muss, ein infallibles, statisches "Bedeutungswissen") und daher in diesen unanwendbar. Vielmehr scheitert sie auch auf dem Gebiet, das eigentlich ihre Domäne sein müsste, nämlich der Erläuterung der Voraussetzungen interpretativer Praktiken im allgemeinen. Die kriteriale Theorie ist mit dem Faktum des Sprachwissenserw&fos ebenso unvereinbar wie mit dem jegüchen anderen Wissens. Sie braucht den - in den Rationalitätsvoraussetzungen induktiver Praktiken explizit negierten - Begriff perfekten Wissens (auch wenn er auf eine Sprache relativiert ist). Doch das Erlernen des lexikalischen Apparats einer empirisch intendierten Sprache ist, wie bereits Goodman gesehen und der Putnam der ersten Phase unterstrichen hatte, induktiver Natur.
184
"Is Semantics Possible?", 149.
Pragmatisierung der Intension
185
5.1.2. Der pragmatische Grundbegriff des "Verfügens über einen Begriff1 Putnams Ansatz besteht entsprechend darin, die bedeutungstheoretischen Aussagen kriterialer Theorien an ihren faktisch-linguistischen Realisierungen zu messen. Es sind ja nach dem gerade Gesagten nur von da aus, wo Sprache in der Tat erworben und verwendet wird, Hinweise für den Aufbau einer Sprachtheorie zu erwarten. Dabei kommt es zu einem Vergleich zwischen den an diesen vor dem Hintergrund seiner erkenntnistheoretischen Einsichten aus der ersten Phase feststellbaren Eigenschaften und denen, die kriteriale Theorien den Voraussetzungen des Sprachgebrauchs zuschreiben. Putnams Vorgehen ist in dem Sinne konstruktiv, dass er dasjenige aus den Realisierungen zu extrahieren versucht, was man innerhalb eines den induktiven Strukturen des Spracherwerbs und der Sprachverwendung behaupten kann. Ziel ist also eine rationale Rekonstruktion und Reorganisation195 der an der Fähigkeit der Sprachverwendung zur Verständigung und dem Erheben von Behauptungen etc. beteiligten kognitiven Elemente. Für kriteriale Theorien der Bedeutung besteht, wie gesehen, die Beherrschung des Gebrauchs eines Ausdrucks in der Kenntnis einer bestimmten 'Intension1, die im Falle von Allgemeinbegriffen in einer bestimmten als für die Identifikation der Referenten notwendigen und hinreichenden Menge an Merkmalsangaben besteht. Die Verfügung über dasselbe Kriterium sichert dabei, dass der entsprechende Ausdruck innerhalb einer Sprachgemeinschaft als derselbe Begriff angesehen wird, und dies wiederum ist die Basis für die Verständigung mittels sprachlicher Gegenstände. Für die Identität des Begriffs ist die Verfügung über ein und dasselbe Kriterium zur Identifikation von Gegenständen als unter den Begriff fallend erfordert. Die Kriterien sind also die normative Basis der Sprachgemeinschaft und dienen zugleich für die Bestimmung der Bezugsrelation der Sprache. Diese ist identisch für alle, solange die Kriterien identisch für alle sind. In den zuvor genannten Thesen ausgedrückt Hesse sich die Struktur kriterialer Theorien der Bedeutung so fassen, dass sie mit den Bedingungen (l)-(3) von Putnams pragmatischen Kognitivismus unvereinbar sind, aber die Erfüllung von (4) und (5) zum Ziel haben; sie leitet sich in kriterialen Theorien allerdings deduktiv aus der Sprachauffassung ab, nämlich in Form einer deterministischen Theorie der Bezugsfestlegung. Putnam muss also bei der Entwicklung seiner Sprachtheorie versuchen, die Erfüllung von (l)-(3) zu erreichen, ohne dass dabei die Erfüllbarkeit von (4) und (5) vereitelt wird. Um die kriteriale Konzeption zu prüfen, setzt Putnam zunächst einmal bei einer Analyse dessen an, was man aus den Urteilen kompetenter Sprecher über andere kompetente Sprecher entnehmen kann, die sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft befinden, in der die Sprache erlernt wird. Denn dies ist ja, wie gesehen, das Grundfaktum, das einer Erklärung bedarf, und muss daher zunächst 185
Vgl. "Replies", 386.
186
Putnams Problematisierung kriterialer Bedeutungstheorien
einmal adäquat und so unparteilich wie möglich beschrieben werden. Um nichts vorwegzunehmen, setzt er statt des Begriffes der Kenntnis der Intension den des "Verfügens über einen Begriff' bzw. den des "Erwerbs eines Wortes": "henceforth, we will 'acquire' words, rather than 'learn their meaning'."186 Erne kurze Erläuterung dieses pragmatischen Verständnisses wird zeigen, dass "Intension" in den hier in Frage stehenden Zusammenhängen wohl am besten generell als "Begriff* in diesem Sinne187 verstanden werden sollte. Putnam selbst suggeriert dies in "The Meaning of 'Meaning'", wenn er schreibt, dass Frege und Carnap "concepts (and hence 'intensions' or meanings)" (Herv.v. mir)188 als mentale Gegenstände aufgefasst hätten, und in "Language and Philosophy", wenn er von einer "theory of meaning (i.e. [Herv.v.mir] of what it is to have a concept of something)" (16) spricht. Im letztgenannten Artikel umreißt Putnam sein Verständnis von "Begriff" wie folgt: the main question is not what concepts 'are'. (...) The important things that we say, when we employ the notion of a concept, is that someone has (does not have) such and such a concept, and that two concepts are the same (are different). (13) Wie diese Fragen in der Praxis zu beantworten sind, schildert Putnam wie folgt: someone possesses a concept (...) if he knows how to use the word. (...) having the same concept, in this sense, is (...) having the same set of linguistic and nonlinguistic abilities in a certain respect. (...) if discovering that someone has a concept is discovering that someone has a certain ability, then (...) we can discover that someone has a certain ability by seeing him exhibit this ability. (...) At this point on begins to feel serious doubts about (...) [the, A.M.] distinction (...) between the concept (...) and the word. (...) It seems that all we in fact have is the word, or rather, the ability to use a system of sentences [Herv.v.mir]. (...) we decide whether or not two people have the same concept (...) by seeing whether or not their usages are in certain respects similar. (...) Concepts aren't words (although having a concept is being able to use certain words, (...)). Neither are concepts abilities; although having a concept is, or at least involves, an ability. (...) In this sense, then, anything that can be said about 'concepts' may equally well admit of a formulation in terms of statements about synonymy of expressions and ability to use expressions [Herv.v.mir]. (8-13)189 186
"The Meaning of 'Meaning'", 248. Putnams eigener Gebrauch des Ausdrucks "concept" ist allerdings nicht homogen. Er verwendet ihn häufig - besonders, wenn diese Verwendung von den im jeweiligen Kontext anzugreifenden Gegnern bevorzugt wird - auch in der Bedeutung, die ihm innerhalb mentalistischer Sprachtheorien gegeben worden ist, also etwa im Sinne von "Vorstellung" (im Jargon der "cognitive science": "mentale Repräsentation"). Diese Verwendungen sind fast durchgängig als polemisch zu erkennen und insofern als zitierende Verwendungen anzusehen. An der Stelle, um die es hier geht, macht Putnam dagegen klar, was man seiner Meinung nach unter "Begriff1 verstehen sollte. 188 "The Meaning of 'Meaning'", 218. Diese pragmatische Konzeption von "Begriff1 bzw. "Bedeutung" bleibt konstant in Putnams Werk. So finden sich fast wörtlich dieselben Überlegungen (nur mit dem Grundbegriff
Pragmatisierung der Intension
187
Diese bereits im ersten Teil angesprochenen Anforderungen an einen pragmatischen Bedeutungsbegriff entwickelt Putnam nun zu einer mit den Lehren aus der holistischen Analyse der Rolle des Hintergrundwissens vereinbaren Konzeption der Merkmalsgesamtheiten bzw. "systems of sentences" für die Worterklärung, die mit sprachlich gegebenen Ausdrücken assoziiert sind. Seme Leitidee dabei ist es, die kognitiven Strukturen herauszufinden, auf die sich kompetente Sprecher einer natürlichen Sprache bei ihren Beurteilungen des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke nach Gleichheit und Verschiedenheit (bei ihrer "Disambiguierung") stützen können. Dabei werden jedoch in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Anforderungen gestellt. Putnam macht darauf aufmerksam, dass to know the meaning of a word may mean (a) to know how to translate it, (b) to know what it refers to, in the sense of having the ability to state explicitly what the denotation is (other than by using the word itself), or (c) to have tacit knowledge of its meaning, in the sense of being able to use the word in discourse. The only sense in which the average speaker of the language 'knows the meaning' of most of his words is (c). (...) 'Knowing the meaning' in this sense isn't literally knowing
Über ein Wort in einer natürlichen Sprache (d.h. einer, die als interpretiert vorausgesetzt und in der Kommunikation verwendet wird) bzw. einen Begriff zu verfügen besteht demzufolge überwiegend darin, über die Voraussetzungen bzw. Bedingungen zu verfügen, die für die erfolgreiche Unterbeweisstellung der Fähigkeit zu seiner Verwendung in der Kommunikation und im Aufstellen von Behauptungen etc. nötig sind. Diese Bedingungen äussem sich darin, dass ein Sprecher bestimmte Sätze in bestimmten Situationen angemessen verwenden kann, wenn klar ist, dass es z.B. um das Aufstellen von Behauptungen geht. Ihre Struktur dagegen hat die Form eines (empirisch gehaltvollen) Systems sprachlicher, außersprachlicher, allgemeiner und spezifischer Fähigkeiten und Überzeugungen (das dem Sprecher nicht unbedingt in Form eines bewussten Regelsystems verfügbar sein muss), nach dem man Ausdrücke bildet und empirisch verwendet, um z.B. Aussagen zu machen, die nach wahr oder falsch beurteilbar sein sollen. Putnam führt in diesem Sinne an späterer Stelle aus: It is true that a competent speaker may not know that 'water' means what a good dictionary says it means (may not know that description); but she does know how to use the word 'water' in her own environment (...) possession of a concept isn't simply a case of knowledge that (...) It is primarily knowing how to use a word (...) and it is a feature of a great deal of knowing how (...) that the person who knows how may be unable to explain the ability in words (or even recognize a good description if someone gives it, if the ability is very complex).191
"Bedeutung" statt "Begriff") in Putnams 1995 verfasster Einleitung zu Pessin.A./Goldberg,S. (eds.): The Twin Earth Chronicles, bes. xix. 190 Representation and Reality, 32. 191 "Replies", 389.
188
Putnams Problematisierung kriterialer Bedeutungstheorien
Diese Erläuterung schliesst natürlich die Kenntnis von Überzeugungen an, nicht aus, wie Putnam hinzufügt, wenn er sagt, dass das Verfügen über einen Begriff zwar kein einfacher Fall von know-that sei, "although it may involve a certain amount of knowing that" (ibid.). Eine gezielte Vermittlung des "normal use" eines bestimmten Begriffs innerhalb eines durch allgemeinere Fähigkeiten strukturierten Feldes kann manchmal sicherlich nur dadurch geschehen, dass man dem Sprecher bestimmte Überzeugungen mitteilt, deren Übernahme in das Gesamtsystem seiner Überzeugungen (deren "Erwerb") ihn dazu in Stand setzt, einen entsprechenden Ausdruck mit Hilfe dessen, was er bereits weiß, korrekt zu verwenden: "when I tell someone what a tiger is I 'simply tell him certain sentences'".192 Er muss also lernen, dass gewisse Aussagen in normalen Umständen empirisch gelten müssen, wenn es sich um Situationen handeln soll, in denen ein Tiger vorhanden ist und in den entscheidenden Situationen prüfen, ob diese Situationen (deren Normalität meist nicht in Frage steht) unter die Beschreibung fällt, die mit der Verwendung des Ausdrucks assoziiert ist: "Significant communication requires that people know something [Herv.v. mir] of what they are talking about."193 Putnams Konzeption des Verfügens über einen Begriff ist, wie man etwas scherzhaft sagen könnte, keine auf Rylescher Theorieagnostik aufgebaute Theorie des prepositional unaufklärbaren know-how, und keine auf der wissenschaftlichen Utopie der Reduktion interpretativen Erfolges auf "implizites" know-that aufgebaute Theorie zuschreibbarer Interpretationsalgorithmen, sondern eine Theorie des "knowing something" ("as to know how to apply knowing that", wie man hinzufügen könnte): 'Knowing the meaning' of a word in the sense of being able to use it is implicitly knowing something; but it isn't knowing nearly as much as philosophers tend to assume. 1