271 111 16MB
German Pages 617 [620] Year 2006
Anja Wilke Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Hexenprozessakten
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Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Anja Wilke
Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Hexenprozessakten Ein Beitrag zur Geschichte der Modusverwendung im Deutschen
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-019097-7 ISBN-10: 3-11-019097-4 ISSN 1861-5651 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und für die Veröffentlichung leicht überarbeitet. Entstanden ist sie im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts, das unter der Leitung meines Doktorvaters, Prof. Jürgen Macha, für vier Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Meine Mitarbeit in diesem Projekt bereitete ohne Zweifel dem vergleichsweise zügigen Abschluss des Dissertationsprojektes den Weg. Doch ohne die vielen Begleiter auf diesem Weg, die mich alle auf ihre Weise unterstützt haben, wäre ich vielleicht nie so weit gekommen. Im Folgenden möchte ich daher allen, die mich entweder auf dem gesamten Weg oder aber über entscheidende Wegstrecken hinweg begleitet haben, danken. Prof. Jürgen Macha weckte mein Interesse an sprachgeschichtlichen Forschungen. Nach dem ersten Staatsexamen betraute er mich mit dem nicht ganz einfachen Konjunktivthema. Er verstand es stets, in der täglichen Hektik eines großen Instituts immer wieder Inseln der Ruhe für fachbezogene Gespräche zu schaffen, mich in seiner freundlichen Art stets neu zu motivieren und mich somit optimal zu betreuen. Bei Prof. Clemens-Peter Herbermann studierte ich Allgemeine Sprachwissenschaft. Er hat mich in vielen interessanten Seminare gelehrt, über den germanistischen Tellerrand hinauszublicken. Er übernahm überdies freundlicherweise das Korreferat. Zusätzlich hatte er immer ein offenes Ohr für meine Probleme und beriet mich in zahlreichen Gesprächen. Die Arbeit am Lehrstuhl von Prof. Macha bereitete mir über den gesamten Zeitraum große Freude, da dort ausschließlich ausgesprochen nette und hilfsbereite Menschen beschäftigt sind: Dag-
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mar Hüpper, Elvira Topalović und Prof. Stephan Elspaß (nunmehr Augsburg) gaben mir wertvolle Anregungen und beförderten neue Gedanken durch kritische Anmerkungen. Iris Hille ließ sich täglich von meinen Fortschritten und Problemen berichten; unsere Gespräche brachten mich oft auf neue Ideen. Auch unser stundenlanges gemeinsames Brüten über schwer lesbaren Wörtern und deren Bedeutung in den Originalhandschriften habe ich immer sehr genossen. Aufopfernde Korrekturarbeiten leisteten Brigitte Heeke, Iris Hille und Julia Kisker. Auch Viola Voß hat in der Endphase entscheidende Teile der Arbeit korrigiert. Fred Bertz half bei der Lösung eines schwierigen Rechenproblems. In der Rubrik „Technische Unterstützung“ ist vor allem zwei Menschen zu danken: Roger Sennert war stets zur Stelle, wenn es ein komplizierteres Soft- oder Hardwareproblem zu lösen galt. In allen Layoutfragen konnte ich mich immer an Wolfgang Kaspar vom Zentrum für Informationsverarbeitung der Universität Münster wenden. Er half – als LATEX-Experte meines Vertrauens – nicht nur mit dem Layout, sondern er begab sich mit mir auch auf die langwierige Suche nach der Quelle vergleichsweise kryptischer Fehlermeldungen. Von den Begleitern auf der allerletzten Strecke des Weges möchte ich Herrn Heiko Hartmann und Frau Angelika Hermann vom Verlag de Gruyter danken, Herrn Hartmann für die freundliche Fürsprache und Frau Hermann für die geduldige Beratung in allen Fragen der Drucklegung. Den Herausgebern der Studia Linguistica Germanica danke ich für die Aufnahme in diese renommierte Reihe. Zusätzlich zu allen oben bereits genannten Freunden möchte ich John Foyle und Yvonne Wasserloos für besondere Verdienste um seelischen Beistand danken. Ebenfalls für seelischen Beistand, doch auch für materielle Unterstützung möchte ich meiner Familie danken, aber ganz besonders meiner Mutter Renate Wilke. Sie hat mich stets unterstützt, meine Launen in besonders schweren Arbeitsphasen ertragen, mich aus der Ferne immer wieder aufgeheitert und mir so die Kraft gegeben, den Weg zu Ende zu gehen. Münster im September 2006
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis
XIII XV
1 Einleitung 1.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Untersuchung kanzleisprachlicher Gebrauchstexte 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 10
I
13
Forschungsüberblick
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache 2.1 Der Formenbestand des Konjunktivs . . . . . . . . . 2.2 Definition von Redewiedergabe . . . . . . . . . . . . 2.2.a) Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.b) Prototypische Formen der Redewiedergabe . . 2.2.c ) Gibt es eine Originaläußerung? . . . . . . . . 2.2.d) Mündliche, schriftliche und fiktive Originaläußerungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.e ) Konjunktiv und Modusambivalenz . . . . . . 2.2.f ) Identifikation durch Indizien . . . . . . . . . . 2.3 Der Modus in der Redewiedergabe . . . . . . . . . . 2.3.a) Indikativ und Konjunktiv . . . . . . . . . . . 2.3.b) Konjunktiv I und Konjunktiv II . . . . . . . . 2.3.c ) Exkurs: Die Modusverwendung in der Rechtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.d) Zusammenfassung: Die Komplexität der Modusverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 19 20 22 26 30 40 44 45 45 57 66 68
VIII
Inhaltsverzeichnis
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen 3.1 Darstellung in Grammatiken des 16. und 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Behaghel (1899) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.a) Behaghels Auffassung von Consecutio temporum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.b) Die Consecutio temporum in der „älteren Zeit“ (bis 1500) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.c ) Die Consecutio temporum nach 1500 . . . . . 3.2.d) Erklärung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . 3.3 Guchmann (1981) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.a) Indikativ und Konjunktiv (Guchmann) . . . . 3.3.b) Konjunktiv I und II (Guchmann) . . . . . . . 3.3.c ) Regionalverteilung der Konjunktivformen . . 3.3.d) Vergleich beider Zeitschnitte . . . . . . . . . . 3.4 Fernandez-Bravo (1976/1980) . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenschau der Studien am Beispiel des Simplicissimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Weitere Studien zur Consecutio temporum . . . . . . 3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Exkurs: Redewiedergabe im Mittelniederdeutschen . 3.9 Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II
Redewiedergabe in Hexenprozessakten
4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik 4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte . . . 4.1.a) Der Prozessverlauf . . . . . . . . . . . . . 4.1.b) Die Schreiber und ihre Arbeit . . . . . . . 4.1.c ) Textsorten und Textabschnitte . . . . . . 4.1.d) Mündlichkeit und Schriftlichkeit . . . . . 4.2 Die Größe des untersuchten Textkorpus . . . . . 4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus . 4.4 Grammatische Annotierung des Korpus . . . . . 4.4.a) Modusambivalente Formen . . . . . . . . 4.4.b) Afinite Konstruktionen . . . . . . . . . . .
71 71 73 75 77 82 96 103 106 109 118 122 124 129 135 139 146 148
149
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
151 151 151 157 163 170 181 183 194 198 205
Inhaltsverzeichnis
4.5
IX
Formen der Redewiedergabe . . . . . . . . . . . . . . 208 4.5.a) Einfache und eingebettete Redewiedergabe . . 210 4.5.b) Arten der Redeeinleitung . . . . . . . . . . . 219
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II 5.1 Die Frequenz der Konjunktivformen in den Quellen . 5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs . . 5.2.a) Die Verwendung des Konjunktivs in den Mundarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.b) Der oberdeutsche Präteritumschwund . . . . 5.2.c ) Der Sprachwechsel im niederdeutschen Gebiet 5.2.d) Konfessionsräume . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.e ) Zusammenfassende Einschätzung des Faktors „Region“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung . . . . . . . . . . 5.3.a) Anzahl der Redeeinleitungen . . . . . . . . . 5.3.b) Finite Redeeinleitungen . . . . . . . . . . . . 5.3.c ) Nicht finite Redeeinleitungen . . . . . . . . . 5.3.d) Afinite Konstruktionen nach einer Redeeinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.e ) Afinite Konstruktionen in dass-Sätzen . . . . 5.3.f ) Konjunktivwahl nach bestimmten Redeeinleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die Bedeutung der Morphologie . . . . . . . . . . . . 5.4.a) Verteilung der Verbarten auf Konjunktiv I und Konjunktiv II . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.b) Singular und Plural von sein . . . . . . . . . 5.4.c ) Die Bedeutung der Modusambivalenz . . . . . 5.4.d) Modusambivalenz nach finiter Redeeinleitung 5.5 Die Bedeutung der Textsorten . . . . . . . . . . . . . 5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen . . . 5.6.a) Konjunktiv I und II als freie Varianten . . . . 5.6.b) Übernahme des Konjunktivs aus der Originaläußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.c ) Konditionalsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.d) Eingebettete Redewiedergabe . . . . . . . . . 5.6.e ) Ersatzformen bei Modusambivalenz . . . . . . 5.6.f ) Der Konjunktiv als Distanzsignal . . . . . . .
225 225 228 236 238 247 256 268 274 277 280 303 306 312 319 327 327 332 334 356 358 369 372 375 378 382 385 387
X
Inhaltsverzeichnis
5.6.g) Konjunktiv I zum Bezug auf allgemeine Wahrheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 5.6.h) Temporale Bedeutung und Unterscheidung von Zeitebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 5.6.i ) Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 404 6 Die 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv Direkte Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezug auf allgemeine Wahrheiten . . . . . . . . Indikativ statt Konjunktiv . . . . . . . . . . . . Beschreibung oder Redewiedergabe? . . . . . . Indikativ unmittelbar nach einer Redeeinleitung
. . . . .
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. . . . .
409 411 419 422 425 427
7 Resümee und Ausblick 433 7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum Normalmodus . 433 7.2 Die Wurzeln heutiger Gebrauchstendenzen . . . . . . 442 7.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
III Anhang
449
A Tabellarische Übersichten A.1 Statistische Informationen zum Textkorpus . . . . A.2 Konjunktiv in indirekter Rede . . . . . . . . . . . . A.3 Indikativ in direkter und indirekter Rede . . . . . . A.4 Redeeinleitungen in den Sprachlandschaften . . . . A.5 Verben pro Redeeinleitung . . . . . . . . . . . . . . A.6 (Tempus-)Kombinationen . . . . . . . . . . . . . . A.7 Prinzipien der Konjunktivverwendung . . . . . . . A.8 Listen aller im Konjunktiv vorkommenden Verben A.9 Liste der Textsorten und Textabschnitte . . . . . . A.10 Liste aller vorkommenden Redeeinleitungen . . . . A.11 Beispielsätze für die Verwendung der Tags . . . . . B Quellen in Auswahl B.1 Editionsrichtlinien . . . . . B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.) B.3 Baden 1640–1642 (wobd.) . B.3.a) Baden 1640 (1) . . .
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451 451 452 456 458 463 467 475 480 484 488 492
. . . .
497 497 499 511 511
Inhaltsverzeichnis
B.4 B.5 B.6 B.7 B.8 B.9
B.3.b) Baden 1640 (2) . . B.3.c ) Baden 1642 . . . . Barby 1641 (omd.) . . . . Grünberg 1664 (omd.) . . Herborn 1630 (wmd.) . . . Laaber 1608 (oobd.) . . . Passow 1577 (nod.) . . . . Wartenburg 1614 (oobd.)
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. . . . . . . .
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XI
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C Quellenverzeichnisse C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen C.2 Die in Kapitel 3 zitierten Quellen . . . . . . . C.2.a) Quellen aus Behaghel (1899) . . . . . C.2.b) Quellen aus Guchmann (1981) . . . . C.2.c ) Quellen aus Fernandez-Bravo (1980) . Literatur
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512 516 519 532 539 549 553 556
. . . . .
561 561 576 576 580 582 583
Abbildungsverzeichnis 2.1 3.1
Redewiedergabe im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Die Konjunktivverwendungsgebiete der Mundarten (Behaghel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
4.1 4.2 4.3 4.4
Die räumliche Gliederung des Korpus . . . . Herkunftsorte der untersuchten Texte . . . . Quellen im Untersuchungszeitraum . . . . . Schema einer eingebetteten Redewiedergabe
. . . .
187 190 191 214
5.1 5.2
Die Regionalverteilung der Frequenztypen . . . . . . Die Verteilung der Frequenztypen auf die Sprachlandschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Konjunktiv in den drei Verwendungsgebieten . . Präteritalgrenze und Konjunktivverwendung . . . . . Konfession und Konjunktivverwendung . . . . . . . . Quellenorte im Behaghel’schen Konjunktiv-I-Gebiet . Schreibstätten und Textsorten . . . . . . . . . . . . . Konjunktivverwendung und Textsorten . . . . . . . .
229
5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
231 235 244 261 297 360 364
Tabellenverzeichnis 2.1 2.2 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14
Arten der Redewiedergabe nach Fabricius-Hansen . . Indizien zur Unterscheidung von direkter und indirekter Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absolute und relative Zeitengebung (Behaghel) . . . Consecutio temporum in den Mundarten (Behaghel) Tempuskombinationen mit modusambivalenten Formen (Behaghel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konjunktiv nach präteritalem Hauptsatz (Behaghel) Prozentuale Konjunktivverteilung nach Präteritum (Behaghel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Präteritumschwund nach Behaghel 1899 . . . . . Guchmanns Quellen für die indirekte Rede . . . . . . Indikativ im ersten Zeitschnitt (Guchmann) . . . . . Konjunktivformen in Guchmanns erstem Zeitschnitt Anzahl der Tempuskombinationen (Guchmann) . . . Arten der Tempuskombination (Guchmann) . . . . . Regionalverteilung Zeitraum I (Guchmann) . . . . . Regionalverteilung Zeitraum II (Guchmann) . . . . . Konjunktivverwendung im Simplicissimus (Fernandez-Bravo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 45 82 87 90 94 95 101 106 110 111 112 113 119 121 128
4.1 4.2 4.3
Textbausteine eines Verhörprotokolls . . . . . . . . . 165 Liste aller untersuchten Texte . . . . . . . . . . . . . 192 Liste der verwendeten Tags . . . . . . . . . . . . . . 196
5.1 5.2
Die sieben Frequenztypen der Quellen . . . . . . . . 227 Programmatische Graphien und Konjunktivverwendung in Gebiet B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tempora außerhalb der Redewiedergabe . . . . . . . 271
5.3
XVI
5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 5.12 5.13 5.14 5.15 5.16 5.17 5.18 5.19 5.20 5.21 5.22 5.23 5.24 5.25
Tabellenverzeichnis
Prozentuale Verteilung der Redeeinleitungsarten . . . Finite Verben pro Redeeinleitung . . . . . . . . . . . Tempuskombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . Konjunktiv unmittelbar nach Redeeinleitung und insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tempuskombinationen in einfacher Redewiedergabe . Consecutio temporum bei Behaghel und in den Prozessakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tempuskombinationen in eingebetteter Redewiedergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tempora nach nicht finiter Redeeinleitung . . . . . . Afinite Konstruktionen und Hilfsverben nach einer Redeeinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingeleitete Nebensätze nach einer Redeeinleitung . Afinite Konstruktionen in Verbendsätzen ohne Redeeinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufige Redeeinleitungen . . . . . . . . . . . . . . . Die häufigsten vier Redeeinleitungen . . . . . . . . . Tempus nach bestimmten Redeeinleitungen (Gebiet B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konjunktiv und Verbarten . . . . . . . . . . . . . . . Die 3. Person Singular und Plural von sein . . . . . Modusambivalenz in den Regionen . . . . . . . . . . Pluralformen von haben (Gebiet B) . . . . . . . . . . Schwache Verben in ausgewählten Quellen . . . . . . Die Teilkorpora „Urgichten“ und „Fragenkataloge“ . . Konjunktivverwendung in Fragenkatalogen und Urgichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsverben und afinite Konstruktionen in unterschiedlichen Textsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 278 281 285 288 300 302 304 309 315 319 320 322 325 329 333 338 341 348 362 367 369
6.1 6.2
Kontextarten für den Indikativ . . . . . . . . . . . . 410 Redeeinleitungen für indirekte Rede mit Indikativ . . 428
7.1
Faktoren der Begünstigung von Konjunktiv I oder II
441
A.1 Korpusgröße und untersuchte (Verb-)Formen . . . . 452 A.2 Konjunktivische Verbformen, Gebiet A . . . . . . . . 453
Tabellenverzeichnis
A.3 Konjunktivische Verbformen, Gebiet B . . . . . . . A.4 Konjunktivische Verbformen, Gebiet C . . . . . . . A.5 Verbformen im Indikativ in den einzelnen Quellen . A.6 Anzahl der Redeeinleitungen in den drei Gebieten . A.7 Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet A A.8 Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet B A.9 Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet C A.10 Verben pro Redeeinleitung, Gebiet A . . . . . . . . A.11 Verben pro Redeeinleitung, Gebiet B . . . . . . . . A.12 Verben pro Redeeinleitung, Gebiet C . . . . . . . . A.13 (Tempus-)Kombinationen in den drei Gebieten . . A.14 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet A, einfache Redewiedergabe) . . . . . . . . A.15 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet B, einfache Redewiedergabe) . . . . . . . . A.16 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet C, einfache Redewiedergabe) . . . . . . . . A.17 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet A, eingebettete Redewiedergabe) . . . . . . A.18 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet B, eingebettete Redewiedergabe) . . . . . . A.19 Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet C, eingebettete Redewiedergabe) . . . . . . A.20 Konjunktivverwendung (Frequenztyp EI) . . . . . . A.21 Konjunktivverwendung (Frequenztyp MIa, MIb und M) . . . . . . . . . . . A.22 Konjunktivverwendung (Frequenztyp MIIa und MIIb) . . . . . . . . . . . . A.23 Konjunktivverwendung (Frequenztyp EII) . . . . . A.24 Textteile der Quellen, Gebiet A . . . . . . . . . . . A.25 Textteile der Quellen, Gebiet B . . . . . . . . . . . A.26 Textteile der Quellen, Gebiet C . . . . . . . . . . .
XVII
. . . . . . . . . . .
454 455 457 459 460 461 462 464 465 466 468
. 469 . 470 . 471 . 472 . 473 . 474 . 476 . 477 . . . . .
478 479 485 486 487
Abkürzungsverzeichnis # = Σ ahd. DR frnhd. hchalem. HV idg. Imp. IR Jh. Jhs. K. KI KII md. mhd. mosfrk. mv nd. nhd. nnd. nobd. nod. nwd.
Anzahl entspricht Summe althochdeutsch direkte Rede frühneuhochdeutsch hochalemannisch Hilfsverb indogermanisch Imperativ indirekte Rede Jahrhundert Jahrhunderts Konjunktiv Konjunktiv I Konjunktiv II mitteldeutsch Mittelhochdeutsch moselfränkisch Modalverb norddeutsch neuhochdeutsch nordnorddeutsch nordoberdeutsch nordostdeutsch nordwestdeutsch
OÄ obd. ofrk. ohess. omd. oobd. Perf., Pf. Plqu., Pq. Präs., Ps. Prät., Pt. Qu. RE REfin REafin rip. RW Sk. stv swv V Vfin VK wmd. wobd.
Originaläußerung oberdeutsch ostfränkisch oberhessisch ostmitteldeutsch ostoberdeutsch Perfekt Plusquamperfekt Präsens Präteritum Quellen Redeeinleitung RE mit finitem Verb RE ohne finites Verb ripuarisch Redewiedergabe Synkope starkes Verb schwaches Verb Verb finites Verb finites Verb im Konjunktiv westmitteldeutsch westoberdeutsch
Kapitel 1
Einleitung 1.1 Problemstellung Die Redewiedergabe ist immer wieder Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschungen. In Untersuchungen zum Deutschen ist stets das Problem der Modusverwendung – d. h. der Einsatz von Indikativ und Konjunktiv1 – von zentraler Bedeutung. Dieses Gebiet der deutschen Grammatik gilt als besonders erklärungsbedürftig und schwer zu beschreiben (vgl. auch Schrodt 1983, S. 1). Zwar sind in den modernen Standardgrammatiken2 des Deutschen eine Reihe von Empfehlungen zur Modusverwendung sowie Gebrauchstendenzen zusammengestellt. Weil die Modusverwendung aber solch ein komplexes Thema ist, sind diese Darstellungen recht lang, auf unterschiedliche Kapitel verteilt, daher wenig übersichtlich und zudem teilweise widersprüchlich. Die Schwierigkeiten entstehen dadurch, 1
2
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Verwendung von Indikativ und Konjunktiv bzw. die Verwendung von Konjunktiv I und II im Mittelpunkt stehen. Der Begriff „Modus“ bezieht sich demnach hauptsächlich auf zwei der Modi der Verben als morphosyntaktische Kategorien, die im Deutschen zu beschreiben sind. Der Imperativ, die dritte Kategorie dieser Art, wird zwar erwähnt, nicht aber im Mittelpunkt des Interesses stehen. Alles das, was im weiteren Sinne unter „Modalität“ verstanden werden kann, lässt sich nicht vollständig aus der Diskussion des Verbmodus ausblenden; es wird aber nicht schwerpunktmäßig behandelt werden. Zu denken ist etwa an den Einsatz von Modalpartikeln, Kontextarten von Modalverben, deontische und epistemische Modalität u. v. m. (vgl. z. B. Palmer 2001, S. 1–18, EngströmPersson 1979, S. 18–19 sowie Lyons 1977, Bd. 2, S. 793–809 u. 823–831). Hier sind vornehmlich die folgenden Grammatiken gemeint: die DudenGrammatik (2005), die IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997), Eisenberg (1999) sowie Weinrich (2005).
2
1 Einleitung
dass sich die Funktion des deutschen Konjunktivs zwischen Syntax und Semantik bewegt. Zum einen kann er in der Redewiedergabe als rein syntaktisches Zeichen der „Zitatanzeige“ verstanden werden (vgl. Wichter 1978, S. 10). Zum anderen schwingen die Bedeutungen, die der Konjunktiv in anderen Zusammenhängen haben kann – Wunsch, Irrealität, Möglichkeit –, auch in der Redewiedergabe oft mit. Dieser Umstand legt es nahe, in der Sprachgeschichte nach dem Ursprung dessen zu suchen, was heute so schwer zu beschreiben ist. Ein besonders vielversprechender Zeitraum für diese Suche ist das Frühneuhochdeutsche – die Sprachstufe, in der die Weichen für die weitere Entwicklung des Deutschen gestellt wurden. Auf dem Weg zur neuhochdeutschen Standardsprache fanden komplizierte, vielschichtige Ausgleichsprozesse auf allen sprachlichen Ebenen sowie in allen Erscheinungsformen von Sprache statt, die zu einer Reduzierung der Variantenvielfalt führten.3 Bei der Untersuchung von Texten aus dieser Zeit ist zu erwarten, dass anhand der Häufigkeit bestimmter Strukturen erkannt werden kann, welche Varianten sich durchgesetzt haben (vgl. Guchmann 1981, S. 130). Doch vielleicht sind auch weniger häufige Varianten zu erkennen, die sich trotzdem bis heute gehalten haben, wodurch die Vielfalt heutiger Verwendungsweisen und Gebrauchsempfehlungen besser verstanden werden kann. Studien, die sich mit Moduswahl und Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen oder überhaupt in früheren Sprachstufen befassen, sind jedoch – gemessen an der Literatur zu Konjunktiv und Redewiedergabe in der Gegenwartssprache – vergleichsweise selten. So ist der Abschnitt, den Ebert/Erben im Forschungsbericht zur frühneuhochdeutschen Syntax speziell zur indirekten Rede bieten, nur kurz. Er beginnt mit den Worten: „Eine umfassende Untersuchung zur indirekten Rede im Frühneuhochdeutschen gibt es nicht“ (1987, S. 158). Dieses Forschungsdesideratum besteht bis heute, da sich in der Zwischenzeit niemand des komplexen Themas angenommen hat. Bezeichnenderweise ist das umfangreichste Werk, das sich im weiteren Sinne mit Redewiedergabe befasst, bereits älteren Datums. 3
Vgl. z. B. Keller 1995, S. 354–384, von Polenz 2000, S. 159–160, Besch 2003, S. 2262–2268.
1.1 Problemstellung
3
Es handelt sich um Otto Behaghels Monographie Der Gebrauch der Zeitformen im konjunktivischen Nebensatz des Deutschen aus dem Jahr 1899. Behaghel stellt die Consecutio temporum in den Mittelpunkt des Interesses, genauer ihre Ausprägungen im Deutschen und ihre Auflösung. Dabei beschreibt er im Rahmen einer Darstellung vom Germanischen bis zum Neuhochdeutschen unter anderem auch die indirekte Rede im Frühneuhochdeutschen in literarischen Texten. Das Besondere an Behaghels Darstellung ist, dass er für den Faktor „Region“ eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Modusverwendung nachweist. Eine weitere umfangreiche Studie zum Modusgebrauch im Frühneuhochdeutschen wurde von Mirra Guchmann (1981) vorgelegt. Guchmann sucht anhand eines zeitlich gestaffelten sowie nach Textsorten differenzierten Korpus nach dem Ursprung heutiger Normen. Neben anderen syntaktischen Mustern untersucht sie auch die indirekte Rede. In Anbetracht der Fülle verschiedenartiger Texte sind eindeutige Tendenzen der Modusverwendung in ihrem Entwurf nur schwer erkennbar. Nicole Fernandez-Bravo (1980) widmet ihre Untersuchung ausschließlich der indirekten Rede, streift jedoch nur die Endphase des Frühneuhochdeutschen, indem sie als einzigen frühneuhochdeutschen Text Grimmelshausens Simplicissimus untersucht.4 Sie kommt zu wiederum anderen Ergebnissen als Guchmann und Behaghel. Neben diesen umfangreicheren Untersuchungen gibt es eine Reihe von Aufsätzen und Abschnitten in Monographien, die jeweils andere Untersuchungsschwerpunkte setzen, sich aber auch zu Moduswahl und Redewiedergabe äußern. Die Autoren dieser Abhandlungen kommen ebenfalls jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen, indem sie sich auf einen Teilaspekt konzentrieren oder eine spezielle Textsorte untersuchen. Diese älteren Arbeiten bilden die Grundlage
4
Manchen Periodisierungen der deutschen Sprachgeschichte zufolge gehört Grimmelshausen allerdings bereits zum Neuhochdeutschen. Solche Einteilungen lassen das Neuhochdeutsche um 1650 oder noch früher beginnen (vgl. Hartweg 2001, S. 283). Nach jetzigem Stand der Diskussion kann jedoch von einer fließenden Grenze ausgegangen werden, die in etwa um die Wende vom 17. zum 18. Jh. angesetzt wird (vgl. ebd., S. 280). Demnach ist das Erscheinungsjahr von Grimmelshausens Simplicissimus (1669) noch dem Frühneuhochdeutschen zuzurechnen.
4
1 Einleitung
der heutigen Darstellungen frühneuhochdeutscher Syntax.5 Mit Bezug auf Semenjuk/Guchmann (1981), Behaghel (1928), FernandezBravo (1980) sowie Oubouzar (1974) äußert sich Ágel über die Möglichkeiten, die Entwicklung der Modus- und der mit dieser eng in Zusammenhang stehenden Tempusverwendung darzustellen, wie folgt: [. . .] allein die Verzahnung von Tempus und Modus bzw. von Temporalität und Modalität, verbunden mit der Umbruchsituation im Modussystem [. . .], macht die Annahme eines linear beschreibbaren Systems illusorisch (Ágel 2000, S. 1865).
Zugleich sieht auch er die damaligen Tendenzen als Ursprung heutiger Gebrauchsweisen: „Die neuen Tendenzen dauern bis heute an und bilden die historische Erklärung für die heutigen Unbestimmtheiten und Unsicherheiten im Konjunktivgebrauch“ (Ágel 2000, S. 1869). Umso mehr ist es also notwendig, diese Tendenzen systematisch zu beschreiben. Weder die erwähnten Studien für sich noch alle zusammen genommen sind jedoch in der Lage, ein klares Bild von der Modusverwendung im Frühneuhochdeutschen entstehen zu lassen. Die vorliegende Arbeit strebt nun nicht an, solch ein bis ins letzte Detail klares Bild zu zeichnen. In Anbetracht der Komplexität der Modusverwendung, der Fülle von Textsorten im Frühneuhochdeutschen und des Regionalitätsaspektes ist dieses ein Vorhaben, das mehr als nur einer Monographie bedarf. Was sie jedoch anstrebt, ist eine neue Perspektive auf die Modusverwendung im 16. und 17. Jh. zu eröffnen und einiges aufzudecken, was bislang aufgrund der Anlage der anderen größeren Untersuchungen zur indirekten Rede nicht erkannt werden konnte. Insofern wird sie einen Beitrag zur Geschichte der Modusverwendung, jedoch keine lückenlose Aufarbeitung derselben leisten. Die neue Perspektive wird in erster Linie durch zweierlei eröffnet: Zum einen sind die untersuchten Quellen kanzleisprachliche Gebrauchstexte, die bis vor kurzem nur in handschriftlicher Form vorlagen und daher der sprachwissenschaftlichen Forschung nicht zugänglich waren. Wurden bislang in erster Linie gedruckte und zumeist literarische Texte auf den Modusgebrauch 5
So nennt Ebert in der frühneuhochdeutschen Grammatik Behaghel (1899 und 1928) und Guchmann (1981) als Quelle (vgl. Ebert 1993, S. 453–455), und auch Erben greift auf Behaghel zurück (vgl. Erben 2000, S. 1585).
1.2 Die Untersuchung kanzleisprachlicher Gebrauchstexte
5
hin untersucht, so ist es nun möglich, auf diese völlig anderen Texte zurückzugreifen. Ihre besondere Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte wird sogleich (Abschnitt 1.2) erläutert werden. Zum anderen wird der Faktor „Region“ bzw. „Sprachlandschaft“ systematisch kontrolliert, da insbesondere mit Blick auf Behaghels Ergebnisse Grund zu der Annahme besteht, dass dieser Faktor bei der Entwicklung der Modusverwendung von entscheidender Bedeutung ist.
1.2 Die Untersuchung kanzleisprachlicher Gebrauchstexte Grundlage der Untersuchung bilden ausgewählte Texte aus dem münsterschen Korpus von Hexenprozessakten. Das Korpus ist im Rahmen des Projektes Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts: Untersuchungen zu Sprache und Kommunikation in Hexenverhörprotokollen entstanden, das von 2001 bis 2005 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde.6 Es besteht aus frühneuzeitlichen Hexenprozessakten des nahezu gesamten deutschen Sprachgebietes (in seiner Ausdehnung um 1600). Die meisten der gesammelten Texte sind Verhörprotokolle. Die Herkunftsorte dieser Texte befinden sich auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepubliken Deutschland und Österreich sowie dem der Schweiz und Polens. Sie sind vornehmlich in Form von Handschriften überliefert, von denen ein Großteil im Rahmen der Projektarbeit transkribiert wurde. Daneben enthält das Korpus Fremdeditionen, bei denen man davon ausgehen kann, dass der Herausgeber möglichst wenig in die originale Sprachform eingegriffen hat. Diese Fremdeditionen wurden digitalisiert. Die digitalen Texte – eigene Transkriptionen und Fremdeditionen zusammengenommen – umfassen insgesamt 600 000 Wörter, von denen ca. 450 000 aus Texten stammen, deren Entstehungsorte im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland liegen (vgl. Kanzleisprache 2005, S. XX).
6
Zur Geschichte des Projektes vgl. Kanzleisprache 2005, S. XIV.
6
1 Einleitung
Aus diesem Korpus wurden drei Arten von Texten7 ausgewählt: Verhörprotokolle, Urgichten8 , Fragenkataloge. Allen ausgewählten Texten ist gemeinsam, dass sie innerhalb der Institution „Gericht“ im Rahmen von Hexenprozessen entstanden sind und von professionellen Kanzleischreibern angefertigt wurden.9 Die Frage, warum sich gerade Hexenprozessakten für sprachhistorische Untersuchungen anbieten, ist leicht beantwortet. Zum einen fanden Hexenprozesse fast flächendeckend im gesamten ehemaligen deutschen Sprachgebiet statt, sodass eine großräumig angelegte Studie auf ihrer Grundlage möglich ist. Zum anderen sind sich die Akten und speziell die Verhörprotokolle inhaltlich sehr ähnlich: Die Angeklagten wurden stets nach bestimmten Elementen der Hexenlehre10 gefragt, sodass ein weitgehend invarianter Inhalt auf syntaktische Variation11 hin untersucht werden kann. Für eine Untersuchung der Modusverwendung bieten sich die Texte ganz besonders deswegen an, weil sie fast ausschließlich aus konjunktivischer indirekter Rede bestehen.12 Drittens ist es möglich, dass sie an sprachlichen Ausgleichsvorgängen beteiligt waren, da die Akten im Laufe des Gerichtsverfahrens an weiter entfernte Gerichte und andere Recht sprechende Instanzen 7
Der Begriff „Textsorte“ wird hier mit Bezug auf die untersuchten Quellen zunächst bewusst vermieden, da ihr Textsortenstatus nicht vorausgesetzt werden kann. Vgl. hierzu die genauere Bestimmung der Texte in Abschnitt 4.1.b) dieser Arbeit. 8 Urgichten sind u. a. Geständnisprotokolle. Vgl. genauer zu Etymologie und Bedeutung des Wortes Abschnitt 4.1.b), S. 161 dieser Arbeit. 9 Zur Begriffsbestimmung, zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Texte sowie der Legitimation, die Quellen als Textkorpus zu vereinen, vgl. ebenfalls Abschnitt 4.1.b) dieser Arbeit. 10 Nähere Informationen zur Hexenlehre sowie zum Prozessverlauf bietet Abschnitt 4.1.a) dieser Arbeit. 11 Es versteht sich von selbst, dass nicht nur syntaktische Variation erforscht werden kann. Beispielsweise untersucht Hille (2003) vorwiegend die lexikalische Variation in sprachlichen Handlungsmustern, die sich in Hexenverhörprotokollen im Zusammenhang mit den Kernelementen der Hexenlehre zeigen. Topalović (2004) fokussiert in ähnlicher Weise die Versprachlichung des Teufelspaktes in Westfalen. 12 Zwei Quellen des münsterschen Korpus sind überwiegend in direkter Rede und im Indikativ gehalten: Chur 1655 und Minden 1614. Diese beiden Quellen weisen eine besondere Sprachform auf, die völlig von der der übrigen Quellen abweicht.
1.2 Die Untersuchung kanzleisprachlicher Gebrauchstexte
7
versandt wurden. Viertens sind die Texte kanzleisprachlich und somit Zeugen einer Sprachform, die an der Entwicklung der deutschen Sprache entscheidenden Anteil hatte. Die bedeutende Rolle der Kanzleisprachen bei der Ausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache ist nach dem heutigen Stand der Sprachgeschichtsforschung allgemein anerkannt. So fasst beispielsweise Mattheier die Diskussion, ob der Sprachausgleich vornehmlich in der geschriebenen oder aber in der gesprochenen Sprache stattgefunden habe,13 prägnant mit den Worten zusammen: „Gemeinsprachenentstehung ist eine Angelegenheit der Schreibstube, der Kanzlei und später der Druckereien“ (Mattheier 1981, S. 276). Die Kanzleisprachen sind „wesentliche Bestandteile der spätmittelalterlichen Schreibsprachen“ (Bentzinger 2000, S. 1665), da sie zu dieser Zeit eine verstärkte Verbreitung erfahren. Der Ausbau vorhandener und die Entstehung neuer Institutionen in der Frühen Neuzeit führt sowohl zu einem Anstieg der Anzahl als auch zu einer Ausdifferenzierung von Textsorten, von denen viele kanzleisprachlich sind (vgl. Kästner et al. 2000, S. 1606–1607), wie zum Beispiel Urkunden und Erlasse, offizielle Briefkorrespondenzen, Beschwerdeschreiben, Einnahme- und Ausgabeinventare, Rechnungsbücher, Steuerlisten, Einwohnerverzeichnisse, Protokolle (Rats-, Gerichts-, Verhörprotokolle), Rechenschaftsberichte, Rechts- und Polizeiordnungen [. . .] (ebd., S. 1609).
Dabei sind es nicht nur die Großkanzleien, die an der Übernahme und Verbreitung von Neuerungen beteiligt sind. Manche kleinen Kanzleien können als ebenso progressiv betrachtet werden, während andere eher als konservativ gelten können. Die Sprache der großen Kanzleien diente aber in jedem Fall den kleineren als Vorbild (vgl. Bentzinger 2000, S. 1669). War im Hinblick auf den Sprachausgleich in der Anfangsphase des Frühneuhochdeutschen noch die Herkunft der Schreiber von Bedeutung – beispielsweise konnte ein einziger Schreiber beim Wechsel der Arbeitsstätte die Sprache seiner neuen Kanzlei nach dem Vorbild der vorherigen reformieren –, so dominiert in späterer Zeit der Schreibort über den Herkunftsort der Kanzleischreiber (vgl. ebd.). Hier muss in puncto Ausgleich eher 13 Mattheier bezieht sich hier speziell auf die Auseinandersetzung Beschs (1968, S. 425) mit der Theorie von Theodor Frings (1936). Vgl. hierzu auch Besch 2003, S. 2260–2262.
8
1 Einleitung
der Adressatenkreis eines bestimmten Schriftstücks mitberücksichtigt werden, da mitunter die Sprache an die des möglicherweise weit entfernt wohnenden Empfängers angepasst wurde (vgl. ebd. S. 1670). Die Bedeutung der Kanzleisprachen zeigt sich jedoch nicht nur in ihrer Verbreitung, sondern ebenfalls in ihrer Vorbildfunktion. Gerade im 17. Jh. werden sie oft von Grammatikern und Schriftstellern als Autoritäten auf dem Gebiet der Sprache dargestellt. So hat Josten für dieses Jahrhundert „ein deutliches Ansteigen des Kanzleivorbildes“ ermittelt (1976, S. 145). Zu dieser Zeit, als sich sprachliche Normen zu entwickeln beginnen, finden sich vermehrt dahingehende Äußerungen, dass „die Kanzleisprache in den qualifizierten Institutionen die eigentliche hochdeutsche Norm darstelle“ (ebd.). Die Kanzleisprache als solche gibt es damals allerdings nicht. Stattdessen existieren viele landschaftliche Ausprägungen von Kanzleisprache, und diese sind es, welche als Vorbild genannt werden.14 Ohne hier alle bei Josten aufgeführten Äußerungen anführen zu wollen, seien doch einige beispielhaft erwähnt: Schottel[ius] sagt mit Bezug auf die Sprache der Reichsabschiede, sie seien „die rechten Schulen, darinnen die teutsche sprache, soviel das Civilwesen betrifft, ausgeübet und auf’s Zierlichste offtmals ausgeschmücket worden.“ 15 Josten weist zu Recht darauf hin, dass Schottel[ius] sich offensichtlich auf Opitz bezieht, der die Kanzlei als „rechte lehrerinn der reinen Sprache“ bezeichnet (vgl. ebd., S. 300, Endnote 25, mit Bezug auf Opitz 1624). Im Folgekontext des erstgenannten Zitats von Schottel[ius] wird deutlich, dass er nicht nur die Sprache der Reichsabschiede lobt, sondern auch deren Sprache in anderen Texten vermisst: „[. . .] wäre hoch zu wünschen, daß auch in anderen Künsten und Wissenschaften ein Gleiches dieser Hauptsprache widerfahren möchte.“ 16 Allgemein zu den Kanzleien äußert sich Grimmelshausen in seiner e Schrift Prahlerey und Gepr ang mit dem teutschen Michel im Jahr 1671. Darin nennt er die fürstlichen Kanzleien den Ort, wo „das al14 Unter anderem sind in diesem Zusammenhang die Kaiserliche Kanzlei zu nennen, die Mainzer Kanzlei (Ursprungsort der Reichsabschiede) sowie die meißnische Kanzlei. Oft beziehen sich die Äußerungen jedoch allgemein auf „die Kanzleien“ (vgl. Josten 1976, S. 146–153 sowie S. 220, Tabelle I). 15 Schottelius 1663, zitiert nach Socin 1888, S. 342, vgl. Josten 1976, S. 149. 16 Zitiert nach Socin 1888 S. 342.
1.2 Die Untersuchung kanzleisprachlicher Gebrauchstexte
9
lerbeste aber beydes im Reden und Schreiben wird hin und wiedergefunden“.17 Da die Kanzleien auf diese Weise als Sprachautorität genannt werden, ist von einem entscheidenden Einfluss der Kanzleisprachen bei der Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache auszugehen. Die Forschung betrachtet die Rolle der Kanzleisprachen allerdings nicht selten bereits mit dem Jahr 1500 als abgeschlossen (vgl. von Polenz 2000, S. 171). Dieses ist nicht zuletzt deswegen der Fall, weil für diese Zeit eine weitgehende Einheitlichkeit der Kanzleisprachen angenommen wird. So hätten sie zwar zur Schaffung eines soliden Grundgerüsts der deutschen Sprache beigetragen, für ihren Ausbau seien dagegen „herausragende Autoren wie Luther, Schulmeister und Grammatiker“ verantwortlich (vgl. Bentzinger 2000, S. 1670, auch unter Bezug auf Moser 1978, S. 56). Allerdings betrachten gerade die Grammatiker, wie ausgeführt, die Kanzleisprachen als Vorbild, sodass sie zumindest über diesen Umweg für die Sprachentwicklung von Bedeutung sind. Zudem beziehen sich derartige Aussagen über die Kanzleisprachen stets nur auf diejenigen Texte, die bis dahin erschlossen waren. Die Untersuchungsgrundlage der vorliegenden Arbeit besteht dagegen aus Texten, deren Bedeutung für die Sprachgeschichte von der Forschung bislang kaum eingeschätzt worden ist. Sie dokumentieren zudem eindrucksvoll, dass die „Kanzleisprache“ als solche noch um 1600 nicht als einheitliche Größe existiert hat, sondern dass die Quellen stark regional geprägt sind.18 Gerade bei den Protokollen (und ähnlichen Texten) kann man annehmen, dass sie an sprachlichen Ausgleichsvorgängen beteiligt gewesen sind, da Akten, wie erwähnt, in der frühneuzeitlichen Gerichtspraxis vom Prozessort aus an weiter entfernt gelegene, urteilende Instanzen geschickt wurden. Es kann also als Grundannahme gelten, dass die Rolle der Kanzleisprachen bei der Entwicklung der deutschen Sprache noch nicht mit dem Jahr 1500 abgeschlossen ist, sondern dass sie über dieses Datum hinaus Einfluss ausgeübt haben.
17 Zitiert nach Josten 1976, S. 155. 18 Einen Eindruck von der regionalen Verschiedenheit vermitteln die Quellen, die in der Edition Kanzleisprache 2005 dargeboten werden. Vgl. des Weiteren die Quellen in Anhang B dieser Arbeit.
10
1 Einleitung
1.3 Aufbau der Arbeit Der erste, dem Forschungsstand gewidmete Teil der vorliegenden Arbeit ist in zwei Kapitel untergliedert: In Kapitel 2 wird zunächst eine Definition von „Redewiedergabe“ erarbeitet, die für die Untersuchung der Hexenprozessakten angemessen erscheint. Im Anschluss werden die heutzutage zu beobachtenden Gebrauchstendenzen, Konventionen und zum Teil auch Regeln der Modusverwendung in der Redewiedergabe dargestellt, wie sie aus den neuesten Grammatiken und Monographien zu entnehmen ist. Einige Standardwerke älteren Datums, die bis heute nicht ersetzt worden sind, werden ebenfalls herangezogen. Im Mittelpunkt stehen die Tendenzen bezüglich der Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv sowie zur Wahl zwischen Konjunktiv I und II. Kapitel 2 bildet hiermit die Folie, vor der die historische Darstellung des Konjunktivgebrauchs zu sehen ist. Für die Suche nach den Wurzeln der heute zu beobachtenden Tendenzen ist es notwendig, das zu kennen, nach dem gesucht werden soll. Dabei ist indes kein lückenloser Abriss der Forschungsgeschichte angestrebt.19 Vielmehr geht es darum, den Forschungsstand schlaglichtartig anhand ausgewählter Veröffentlichungen zu dokumentieren. Kapitel 3 ist dem Forschungsstand zur Modusverwendung im Frühneuhochdeutschen gewidmet. Einen Großteil dieses Kapitels nimmt die Auseinandersetzung mit den Arbeiten Behaghels (1899) 19 Solche vergleichenden Forschungsüberblicke sind bereits an anderer Stelle gegeben worden, so bei Graf (1977, S. 22–37), Bausch (1979, S. 27–55), Sommerfeld (1990, Abschnitt „Zur Entwicklung der Regeln“, S. 337–441), Becher (1989, S. 44–65) und – speziell zur Abgrenzungsproblematik von direkter und indirekter Rede – Fabricius-Hansen (2002, S. 27–29). Abgesehen von den in diesen Überblicken genannten zahlreichen Monographien und Aufsätzen sowie den Darstellungen in den genannten Standardgrammatiken sind für den Zusammenhang „Modus in der Redewiedergabe im Neuhochdeutschen“ (im engeren Sinne) in den letzten Jahren die folgenden Abhandlungen erschienen: Askedal 1997, Günthner 1997, Carlsen 1998, Fabricius-Hansen 2000, Günthner 2000, Leirbukt 2001, Günthner 2002, Golato 2002, Letnes 2002, die Sammlung Baudot 2002, Andersson 2004 und Helin 2004. Aus diesen Studien, die z. T. mit sehr speziellen Einzelproblemen befasst sind, muss eine Auswahl getroffen werden, um die angestrebte überblicksartige Darstellung nicht über ein vertretbares Maß hinaus auszudehnen.
1.3 Aufbau der Arbeit
11
und Guchmanns (1981) ein. Die Ausführlichkeit, mit der diese stattfindet, mag verwundern; sie ist jedoch notwendig, da das uneinheitliche Bild der Modusverwendung im Frühneuhochdeutschen unter anderem dadurch entstanden ist, dass die Autoren der einschlägigen Veröffentlichungen ihre Analysen jeweils unter verschiedenartigen Voraussetzungen vorgenommen haben. Sie unterscheiden sich in den Parametern Korpus, Untersuchungszeitraum und Schwerpunkt des Interesses, sodass sie auch untereinander nur bedingt miteinander vergleichbar sind. In Kapitel 3 wird daher versucht, die Vorgehensweise der Autoren detailliert nachzuzeichnen, wobei auch ihre (statistischen) Ergebnisse zusammenfassend dargeboten werden. So werden ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorgehoben sowie die Stellen aufgezeigt, an denen akuter Forschungsbedarf besteht. Die Behandlung der Studie von Fernandez-Bravo 1980 fällt dagegen knapper aus, da sie für den hier interessanten Zeitraum nur wenig Material bietet. Nicht zuletzt wegen ihres Anspruchs, die „Geschichte der indirekten Rede im Deutschen vom siebzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart“ zu schreiben, muss sie jedoch berücksichtigt werden. Im Anschluss werden in zwei kürzeren Abschnitten die Ergebnisse weniger umfangreicher Studien zusammengefasst, die jedoch alle wichtige Teilaspekte der Modusverwendung aufzeigen. Diese bieten wiederum Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen. Vor dem Hintergrund des Forschungsstandes werden in Teil II die Untersuchungsergebnisse dargelegt. Nach einer Einführung in den Untersuchungsgegenstand, in der u. a. der Entstehungsrahmen der Texte sowie die korpuslinguistische Analysemethodik erklärt wird (Kapitel 4), folgt in Kapitel 5 der größte Anteil der erzielten Ergebnisse. Dieses Kapitel ist mit der Wahl zwischen Konjunktiv I und II befasst, die nach unterschiedlichen Ansätzen zu erklären versucht wird. Als zentraler Faktor wird zunächst die regionale Ausprägung betrachtet; daraufhin folgen weitere mögliche Faktoren wie die Redeeinleitungen oder die Morphologie der Verben. Dabei geht es einerseits darum, die Modusverwendung im Frühneuhochdeutschen synchron darzustellen. Andererseits werden die Ursprünge der heutigen Tendenzen gesucht, was eine diachrone Perspektive eröffnet. Kapitel 6, das die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv in den Texten beschreibt, ist weitaus kürzer als Kapitel 5, da das Korpus
12
1 Einleitung
vergleichsweise wenig Formen im Indikativ enthält. Dennoch lassen sich auch hier Tendenzen erkennen, die auf heutige Verwendungsweisen hindeuten. Der Anhang schließlich bietet umfangreiches Tabellenmaterial, das die Untersuchungsergebnisse dokumentiert, sowie die Editionen einiger ausgewählter, bislang noch nicht gedruckter Quellen, die einen Eindruck von den untersuchten Texten vermitteln.
Teil I
Forschungsüberblick
Kapitel 2
Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache 2.1 Der Formenbestand des Konjunktivs Der Formenbestand des Konjunktivs ist nicht nur für die Frage der Moduswahl von Bedeutung, sondern bei manchen Forscher spielt er für die Definition von indirekter Rede eine besondere Rolle, und aus diesem Grund wird er hier als Erstes erwähnt. Dabei ist es insbesondere die Formenkonvergenz von Indikativ und Konjunktiv und daraus resultierende Modusambivalenz bestimmter Formen, welche die Darstellungen beschäftigt. Der folgende Abschnitt soll also dazu dienen, diese Konvergenz einführend in Erinnerung zu rufen. Morphologisch betrachtet verfügt jedes Verb über Formen von Indikativ und Konjunktiv in allen Tempora. Im Präsens unterscheiden sich die beiden Modi sowohl bei den starken als auch bei den schwachen Verben dadurch, dass im Konjunktiv ein e vor der Personalendung erscheint, wo noch keines im Indikativ ist. In der 3. Person Singular wird die Personalendung t durch das e ersetzt: ich du er wir ihr sie
Indikativ geh-e geh-st geh-t geh-en geh-t geh-en
Konjunktiv geh-e geh-est geh-e geh-en geh-et geh-en
Die beiden Paradigmen unterscheiden sich lediglich an drei Stellen, und zwar in der 2. und 3. Person Singular und der 2. Person Plural. Dieser Unterschied ist allerdings so nur in der Schriftsprache bemerkbar. Im Mündlichen wird das e als [@] realisiert und hat,
16
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
in seiner unbetonten Position, die Tendenz, gar nicht ausgesprochen zu werden. Darüber hinaus unterscheiden Verben, die auf Dental+e auslauten, auch nur die 3. Person Singular (z.B. du redest und du redest vs. er redet und er rede). Die einzige Konjunktivform, die sich also tatsächlich, im geschriebenen wie im gesprochenen Deutsch bei allen Verben vom Indikativ unterscheidet, ist die 3. Person Singular. Zudem kann man bei Verben, die in der 2. Person Singular Präsens einen e/i -Wechsel (z. B. geben) oder einen Umlaut (z. B. fahren) aufweisen, diese Form unterscheiden: du fährst → du fahrest. Die zuletzt genannte Form ist jedoch zumindest im mündlichen Sprachgebrauch relativ ungebräuchlich. Das Verb sein verfügt über ein vollständig vom Indikativ unterschiedenes Konjunktivparadigma, die Modalverben können, mögen, dürfen, müssen und das Verb wissen unterscheiden sich im Präsens Konjunktiv Singular vom Indikativ. Das bedeutet für die einzelnen Tempusformen1 im Konjunktiv, dass für das Präsens alle soeben aufgelisteten Unterscheidungen gelten. Formen im Konjunktiv Futur (werden+Infinitiv) unterscheiden sich vom Indikativ zusätzlich in der zweiten Person Singular, da werden einen e/i -Wechsel aufweist, und die Formen des Perfekts2 1
2
Unter Tempusform ist hier zunächst die morphologisch dem indikativischen Tempus entsprechende Form zu verstehen. Zur temporalen Bedeutung der Konjunktivformen vgl. weiter unten S. 52. Hier werden die aus der lateinischen Grammatik entlehnten Bezeichnungen der Tempora verwendet, obwohl neuere, das deutsche Tempussystem besser abbildende Bezeichnungen gerade beginnen sich durchzusetzen. Die traditionellen Bezeichnungen bieten sich insofern an, als im folgenden Kapitel 3 sehr viel ältere Literatur herangezogen wird, aus der u. a. Tabellen direkt zitiert werden, in denen die traditionellen Bezeichnungen auftreten. Diese müssten bei Verwendung der neuen Termini aufwendig als verändert gekennzeichnet werden, was ihre Übersichtlichkeit gefährden könnte. Die neuen Bezeichnungen werden in der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) und der Duden-Grammatik (2005) verwendet. In diesem Bezeichnungssystem dienen die beiden synthetischen Tempora Präsens und Präteritum als Basis unter Einbeziehung des einfachen Futurs werden+Infinitiv. Diese drei werden beispielsweise in der IDS-Grammatik als „einfache Tempora“ betrachtet. Die zusammengesetzten Tempora werden jeweils durch die Kombination der drei einfachen Basistempora mit einem Partizip II (Partizip Perfekt), bzw. einem Infinitiv II (Infinitiv Perfekt) im Fall des Futurperfekts gebildet (vgl. 1997, S. 1711). In dieser Einteilung gibt es demnach sechs Tempora: Präsens, Präteritum, Futur, Präsensperfekt, Präter-
2.1 Der Formenbestand des Konjunktivs
17
unterscheiden sich alle, sofern sie mit sein gebildet sind, beziehungsweise lediglich in der 3. Person Singular sowie der 2. Person Singular und Plural, wenn sie mit haben gebildet sind. Alle synthetischen und analytischen Tempora, die eine Form des Konjunktivs Präsens enthalten, bilden eine Funktionsgemeinschaft, die allgemein „Konjunktiv I“ genannt wird (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1732). Im Präteritum sind das Indikativ- und das Konjunktivparadigma der schwachen Verben identisch. Bei den starken Verben wird, wie im Präsens, ein e vor der Personalendung eingefügt, sofern sie noch keines enthält, sodass sich ähnliche Konvergenzen wie im Präsens ergeben, mit dem Unterschied, dass hier auch die 1. Person Singular eine distinktive Konjunktivform besitzt. In der Schriftsprache unterscheiden sich also die 1., 2. und 3. Person Singular sowie die 2. Person Plural, in der gesprochenen Sprache aber nur die 1. und 3. Person Singular: ich du er wir ihr sie
Indikativ schrieb schriebst schrieb schrieben schriebt schrieben
Konjunktiv schrieb-e schrieb-est schrieb-e schrieb-en schrieb-et schrieb-en
itumperfekt und Futurperfekt. Anstelle dieser Termini erscheinen hier die traditionellen Termini Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II für die letzten drei. Ungeachtet der Bezeichnungen wird auch hier von diesen sechs Tempora ausgegangen. Es sei jedoch angemerkt, dass weder die Annahme von sechs Tempora im Deutschen noch diese Bezeichnungen von der gesamten Forschung akzeptiert werden. So gehen zum Beispiel Thieroff (1992) und Jørgensen (1966) von einem System mit zehn bzw. acht Tempora aus, indem sie die Formen würde+Infinitiv und würde+Infinitiv Perfekt als sowohl dem Indikativ- als auch dem Konjunktivparadigma zugehörig betrachten. Thieroff nennt sie „FuturPräteritum I“ und „FuturPräteritum II“ (Jørgensens Bezeichnungen sind englisch), wohingegen er das „Futurperfekt“ der IDS-Grammatik traditionell „Futur II“ nennt und das einfache Futur „Futur I“. Thieroff und Jørgensen nehmen die relativ seltenen, eindeutig indikativischen Vorkommen von würde+Infinitiv (Perfekt) zum Anlass, den Formen einen Platz im Indikativparadigma einzuräumen, die IDS-Grammatik tut dieses hingegen nicht (vgl. 1997, S. 1736). Thieroff unterscheidet im Übrigen zehn Tempora, weil er auch die „superkomponierten“ Formen (auch „Doppelperfekt“ bzw. „Doppelplusquamperfekt“ genannt) mit in das Tempussystem einbezieht (vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 52 dieser Arbeit).
18
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
Starke Verben mit umlautfähigem Stammvokal verfügen hingegen über ein vollständiges Konjunktivparadigma, da sie außer dem eingefügten e durchweg einen Umlaut aufweisen. Zu diesen gehören auch die Verben sein, haben und werden sowie die Modalverben können, mögen, dürfen, müssen. Allerdings sind manche umgelauteten Formen veraltet, wie zum Beispiel kriechen – kröche, laden – lüde, verderben – verdürbe, sprießen – sprösse.3 Das bedeutet also für die Konjunktivformen der Präteritumgruppe, dass sich im Präteritum alle soeben aufgezählten Formen unterscheiden. Im Plusquamperfekt ist das Konjunktivparadigma vollständig different, da es entweder mit hätte oder wäre gebildet wird, welche beide in allen Personen und Numeri vom Indikativ verschiedene Konjunktivformen aufweisen. Auch das mit würde gebildete Futur ist in allen Formen vom Indikativ unterschieden. Die Konjunktivformen der Präteritumgruppe bilden ebenso wie die der Präsensgruppe eine Funktionsgemeinschaft, die „Konjunktiv II“ genannt wird. Zusätzlich zu diesen Konjunktivformen existiert die analytische Bildung würde+Infinitiv, die grammatisch betrachtet alle Konjunktivformen, d. h. sowohl die des Konjunktivs I als auch die des Konjunktivs II, ersetzen kann und deshalb auch Ersatzkonjunktiv genannt wird. Sie verfügt ebenfalls über ein vollständiges Konjunktivparadigma. Der analytische Konjunktiv mit würde gehört zwar zur Präteritumgruppe, da er mit dem Konjunktiv Präteritum des Verbs werden gebildet wird. Es sei aber angemerkt, dass er keine indikativische Entsprechung mehr hat, da es bekanntlich kein analytisches Präteritum mit werden gibt (*er wurde tun). Im Frühneuhochdeutschen gab es sie hingegen noch in der Form er ward tun. Daher steht der analytische Konjunktiv mit würde heute neben dem Paradigma (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1736), was aber seiner Produktivität keineswegs abträglich ist. Trotz der morphologischen Analogie zwischen den Indikativ- und den Konjunktivformen in den einzelnen Tempora haben die Konjunktivformen keine selbständige, temporale Bedeutung; Konjunktiv I und II sind damit temporal synonym. Temporale Verhältnisse können jedoch trotz der fehlenden tempora3
Vgl. z. B. Zifonun et al. 1997, S. 1734. Dort werden weit mehr ungebräuchliche Formen aufgezählt.
2.2 Definition von Redewiedergabe
19
len Bedeutung der Formen im Konjunktiv verdeutlicht werden. Auf welche Weise dieses realisiert wird, soll an anderer Stelle speziell für die indirekte Rede dargestellt werden.4
2.2 Definition von Redewiedergabe als Beschreibungsrahmen Um die Modusverwendung in der Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen angemessen beschreiben zu können, ist es besonders wichtig, direkte und indirekte Redewiedergabe auseinander halten zu können. Ideal wäre eine Definition, die beides klar umreißt und auf diese Weise die Analyse in geordnete Bahnen lenkt. Die Definition der beiden Arten von Redewiedergabe wirft jedoch immer wieder große Probleme auf.5 Die Probleme differieren je nachdem, auf welchem Gebiet Überlegungen angestellt werden, wie zum Beispiel Syntax, Semantik oder auch Sprachphilosophie. Im Folgenden wird auf philosophische Überlegungen, die sich unter anderem um das Problem der de dicto und de re Interpretationen (vgl. z. B. Coulmas 1986b, S. 3–6) von Äußerungen ranken, weniger Gewicht gelegt werden. Stattdessen ist eine Indiziensammlung6 angestrebt, mit deren Hilfe die beiden Wiedergabearten im Deutschen am sichersten, wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, voneinander unterschieden werden können. Dabei wird zunächst auf die prototypischen Formen7 von direkter und indirekter Rede ein schlaglichtartiger Blick geworfen. Sodann folgen Definitionen unter verschiedenen Fragestellungen, die möglicherweise bei der Abgrenzung all dessen, was sich zwischen den beiden Prototypen bewegt, hilfreich sein können.
4 5 6
7
Vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 52 dieser Arbeit. Vgl. z. B. von Roncador 1988, S. 53 und Fabricius-Hansen 2002, S. 6. Zur Idee der „›Indizien‹ referentiell verschobener deiktischer Ausdrücke und Expressiva [zur] Erfassung der Zwischenformen der Redewiedergabe“ vgl. von Roncador 1988, S. 85. Zur Prototypentheorie im Zusammenhang mit Redewiedergabe vgl. Fabricius-Hansen 2002, S. 10.
20
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
2.2.a) Terminologisches Bisher wurden die Begriffe „Redewiedergabe“, „direkte Rede“ und „indirekte Rede“ ohne vorhergehende Definition verwendet, da sie aus diversen Grammatiken des Deutschen als bekannt vorausgesetzt werden können. Sie sind jedoch nicht die einzigen Termini, die in diesem Zusammenhang gebraucht werden. Es stehen beispielsweise die klassischen Bezeichnungen „oratio recta“ und „oratio obliqua“ zur Verfügung oder auch „Referat“ statt Redewiedergabe, „Zitatkontext“ für die direkte Rede u. v. m. Auch die Bezeichnungen für die jeweiligen Sprecher/Schreiber und das, was gesagt/geschrieben und später wiedergegeben wird, bedürfen einer terminologischen Festlegung. Die Wiedergabe einer Äußerung lässt sich mit dem Teil des terminologischen Inventars, auf den hier die Wahl gefallen ist und der im Folgenden verwendet werden wird, darstellen, wie in Schema (2.1) zu sehen. Mit den bisher verwendeten Begriffen besteht die „Redewiedergabe“ aus der „Redeeinleitung“ in Verbindung mit einer „direkten“ oder „indirekten Rede“ als Arten der Wiedergabe einer „Originaläußerung“, wobei die Urheber der Äußerungen der „Originalsprecher“ und der „Reportersprecher“ sind. Der Zeitpunkt, zu dem (2.1)(a) geäußert wird, soll „Originalsprechzeit“ heißen, der Zeitpunkt der Äußerung von (2.1)(b) „Wiedergabezeit“. (2.1)
(a) A [Originalsprecher] zu B [Adressat1 ]: „Originaläußerung“ (b) B [Reportersprecher] zu C [Adressat2 ]: „A sagt [= Redeeinleitung] (1) »direkte Rede«.“ (2) indirekte Rede.“
Zunächst ist zu überlegen, ob der Begriff „Rede“ für die Wiedergabe der Originaläußerung angemessen ist. Der Begriff „Rede“ hat seinen Ursprung in der Übersetzung der lateinischen Bezeichnungen von „direkter Rede“ und „indirekter Rede“, „oratio recta“ und „oratio obliqua“, die in Anlehnung an „casus rectus“ und „casus obliquus“ gebildet sind. „Rede“ ist eine der möglichen Übersetzungen des Wortes „oratio“ und im Sinne von ‘Äußerung’ zu verstehen. Da „Äußerung“ aber nicht so kurz und prägnant wie „Rede“ ist, wurde letzterem
2.2 Definition von Redewiedergabe
21
Terminus vermutlich von den älteren Grammatikern der Vorzug gegeben. Zudem ist durch die Verwendung dieses Begriffs eine klare terminologische Trennung von Originaläußerung und Wiedergabe gewährleistet: Die Originaläußerung wird in direkter oder indirekter Rede wiedergegeben. Man muss sich aber bei der Verwendung des Wortes „Rede“ stets vor Augen halten, dass es um die Wiedergabe geht und damit „Rede“ als Abkürzung von „Redewiedergabe“ zu betrachten ist. Der längere Terminus „wiedergegebene Äußerung“ ist als Alternative ebenfalls denkbar. Anstelle des Oberbegriffs „Redewiedergabe“ ist in neueren Darstellungen die Bezeichnung „Referat“ zu finden8 , wo dann folglich die Hauptfunktion des Konjunktivs „Referatskonjunktiv“ genannt wird. Die Adjektive „direkt“ und „indirekt“ sind keine Übersetzung der klassischen Bezeichnungen. Die lateinischen Adjektive „rectus“ und „obliquus“ können ins Deutsche zunächst als ‘aufrecht, richtig’ und ‘schief, falsch’ übersetzt werden. Im Kontext der Grammatik kann ihre Bedeutung aber eher mit ‘eigenständig’ versus ‘abhängig’ gefasst werden, weswegen die indirekte Rede auch zum Teil als „abhängige Rede“ bezeichnet wird, weil sie, im idealtypischen Fall, von einem redeeinleitenden Hauptsatz abhängt und in Form eines Objektsatzes auftritt. Verwendet man, der lateinischen Grammatikbeschreibung folgend, die Adjektive „rectus“ und „obliquus“, ist es möglich, dass die oratio recta als Normalfall der Redewiedergabe erscheint – eben als „richtige“ Redewiedergabe –, was aber nicht unbedingt so sein muss. Überträgt man diesen Eindruck dann auf das deutsche Begriffspaar, kann man zu dem gleichen Schluss kommen, zumal „direkt“ gegenüber „indirekt“ ebenfalls positiver und normaler erscheinen kann. Eisenberg (1999) sieht zumindest in seiner Grammatik eben dieses Problem und lehnt das Begriffspaar ab. Direkte Rede sei keine treffende Bezeichnung, da sie den Normalfall suggeriere. Dabei müsse in der Alltagskommunikation Nichtwörtlichkeit (also indirekte Rede) nicht besonders angezeigt werden und sei deshalb der Normalfall. In der Regel zitiere man nicht wörtlich, sondern teile mit, „was jemand hofft, sagt, glaubt oder schreibt, indem man den Inhalt wiedergibt.“ Wörtliche Redewiedergabe werde hingegen durch eine besondere, die Wörtlichkeit explizit anzeigende Redeeinleitung markiert (vgl. Eisenberg 1999, S. 119). Eisenbergs Einwände 8
Vgl. z. B. Fabricius-Hansen 2005, S. 529 sowie Eisenberg 1999, S. 116.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
mögen in gewisser Weise berechtigt sein. Da aber das Adjektiv „direkt“ m. E. keine offensichtliche semantische Komponente normal enthält, wird im Folgenden an den etablierten Begriffen „direkte Rede“ und „indirekte Rede“ festgehalten. Die scharfe Trennung von Originaläußerung und direkter bzw. indirekter Wiedergabe derselben wird zuweilen, insbesondere in der älteren oder auch der didaktisch orientierten Literatur, nicht vorgenommen. In diesen Werken steht die Umformung der direkten Rede in indirekte Rede im Vordergrund, was beispielsweise für den Grammatikunterricht durchaus sinnvoll ist.9 Der Originaläußerung kommt dann geringere Bedeutung zu, weswegen die terminologische Trennung nicht zwingend notwendig erscheint und oft, wenn eigentlich die „Originaläußerung“ gemeint ist, „direkte Rede“ gesagt wird.10 In der Regel kann man jedoch nicht davon ausgehen, dass eine direkte Redewiedergabe der Originaläußerung exakt gleicht.11 Zudem kann es bei einer vergleichenden Darstellung von direkter und indirekter Redewiedergabe verwirren, ihren gemeinsamen Ursprung in Form der Originaläußerung zu vernachlässigen, und deshalb wird hier die Dreiteilung beibehalten.
2.2.b) Prototypische Formen der Redewiedergabe Wenn man das Schema (2.1) füllt, entstehen zwei Erscheinungsformen von direkter und indirekter Rede, die leicht voneinander zu unterscheiden sind, wie im folgenden Beispiel (2.2) zu sehen:12 9
So nimmt auch die vorherige, sechste Auflage der Duden-Grammatik (Duden-Grammatik 1998, S. 164) diese Trennung nicht vor. 10 Das scheint zumindest folgendes Zitat aus Thieroff (1992, S. 274) nahe zu legen: „Bei der Besprechung der Konjunktiv-Tempora in der indirekten Rede hat sich gezeigt, daß die Tempora hier nicht auf die Wiedergabezeit, sondern auf die Originalsprechzeit einer zugrunde liegenden direkten Rede bezogen sind.“ 11 Vgl. hierzu genauer weiter unten Abschnitt 2.2.d), S. 30 dieser Arbeit. 12 Beispiele wie dieses eignen sich gut zur Demonstration der soeben beschriebenen Doppeldeutigkeiten. Man muss jedoch bedenken, dass in realer Kommunikation stets ein zur Disambiguierung beitragender Kontext vorhanden ist. Becher/Bergenholtz (1985) meinen deshalb mit Blick auf den Modusgebrauch in der indirekten Rede, dass „einzelne Satzbelege ohne Textbezug oder gar selbst konstruierte Texte (Linguistenpoesie) [. . .] als Objekte von
2.2 Definition von Redewiedergabe
(2.2)
23
( a ) Hans (zu Peter): „Ich gehe morgen mit meiner Tante Clara ins Konzert.“ (b1 ) Peter (zu Tobias): „Hans hat gesagt: »Ich gehe morgen mit meiner Tante Clara ins Konzert.«“ (b2 ) Peter (zu Tobias): „Hans hat gesagt, dass er am nächsten Tag mit seiner Tante Clara ins Konzert gehe.“
Von Roncador (1988, S. 2) nennt die Art von Wiedergabe in (b1 ) und (b2 ) die „kanonische Form“ von direkter und indirekter Rede; diese kanonische Form definiert die Prototypen. Solche Beispiele finden sich auch in Schulgrammatiken für die beiden Arten von Redewiedergabe, da sie sich maximal unterscheiden und beide größtmöglich markiert sind. Bei der direkten Rede wird die Originaläußerung überhaupt nicht verändert, sondern wörtlich zitiert, folgend auf eine Redeeinleitung, aus der hervorgeht, wer der Urheber der Äußerung ist. Alle deiktischen Ausdrücke sind aus Sicht dieses Originalsprechers gewählt, er ist das deiktische Zentrum. Des Weiteren können auch Interjektionen, Modalpartikeln13 , Kraftausdrücke und Ähnliches von der Originaläußerung in die direkte Rede übernommen werden (vgl. Weinrich 2005, S. 900). Die indirekte Rede zeichnet sich hingegen durch vielfache Änderung der Originaläußerung aus: Sie wird syntaktisch integriert, indem sie in einen Nebensatz umgewandelt wird, der von der Redeeinleitung im Hauptsatz abhängt.14 Dieser Nebensatz kann durch Modusdiskussionen wenig geeignet“ seien. Dem ist natürlich einerseits zuzustimmen. Andererseits kann es aber in einem definitorischen Abschnitt wie diesem hilfreich sein, auf solch konstruierte Beispiele zurückzugreifen, um gewisse Mechanismen möglichst einfach zu illustrieren. Da die meisten Beispiele hier und in den folgenden Kapiteln authentisch sind, ist ein sparsamer Einsatz fiktiver Beispiele zu vertreten. Alle fiktiven Beispiele sind daran zu erkennen, dass sie keinen Zitatnachweis tragen. 13 Als Modalpartikeln oder auch Abtön(ungs)partikeln werden Wörter wie schon, wohl, ja u. a. verstanden, durch die der Sprecher seine „Einstellungen, Annahmen, Bewertungen und Erwartungen“ zum Ausdruck bringt (vgl. Nübling 2005, S. 597). 14 Hier wird vorerst auf die schulgrammatische Einteilung eines Satzes in Haupt- und Nebensatz zurückgegriffen, da sie in der Mehrzahl der zitierten Literatur, speziell auch der älteren, ebenfalls verwendet wird. An späterer Stelle (vgl. Abschnitt 5.3.b), S. 280) wird jedoch die Notwendigkeit entstehen, auch alternative Termini zu verwenden.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
eine Konjunktion wie dass oder ob eingeleitet werden. Der Modus des finiten Verbs kann vom Indikativ in den Konjunktiv umgewandelt werden. Der Reportersprecher ist das deiktische Zentrum, es werden also alle deiktischen Ausdrücke entweder an seinen Standpunkt angepasst oder aber auf eine neutrale, nicht deiktische Weise ausgedrückt. Vieles kann nicht aus der Originaläußerung in die indirekte Rede übernommen werden und muss gegebenenfalls umschrieben werden. Das gilt besonders für typische Kennzeichen der gesprochenen Sprache, aber auch für formelhafte Begrüßungen und dergleichen (vgl. Weinrich 2005, S. 908). So kann ein einfaches „Hallo“ beispielsweise in der indirekten Redewiedergabe als „X begrüßte Y“ erscheinen. Modalpartikeln wie wohl oder ja werden in der Regel nicht mit in die indirekte Rede übernommen, obwohl die Möglichkeit dazu besteht (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1759): (2.3)
Er sagte mir, ich solle doch mal bei ihm vorbeischauen.15
Allerdings ist meist nicht zu ermitteln, ob die Modalpartikeln aus der Originaläußerung entnommen sind oder ob der Reportersprecher sie als Kommentar hinzugefügt hat. Dasselbe gilt für andere „kommentierende Ausdrücke“ wie Schimpfwörter oder wertende Adverbien (ebd.): (2.4)
Ich habe von ihm erfahren, dass der Dummkopf glücklicherweise nicht kommt.16
Das Schimpfwort Dummkopf und das Adverb glücklicherweise könnten hier als Kommentar verstanden werden, sie wären jedoch auch als Teil der Originaläußerung denkbar. Wird ein Imperativ wiedergegeben, so wird er in der indirekten Rede mit den Modalverben sollen, mögen, müssen umschrieben („Komm her!“ → Sie sagte, er solle kommen.) (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1756). Nicht finite (Bsp. 2.5) und elliptische (Bsp. 2.6) Originaläußerungen erscheinen mitunter in ergänzter Form (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1757–1758). Nicht indirekt wiedergegeben werden können Vokative und Formelhaftes, wie z. B. der Wunsch „Gott behüte!“ (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1759). 15 Entnommen aus Zifonun et al. 1997, S. 1759 (Bsp. 25). Die Hervorhebung wurde hinzugefügt. 16 Entnommen aus Zifonun et al. 1997, S. 1759 (Bsp. 27). Die Hervorhebung wurde hinzugefügt.
2.2 Definition von Redewiedergabe
(2.5)
25
(a) Nicht hinauslehnen! (b) An dem Fenster befand sich ein Schild mit dem Hinweis, man solle sich nicht hinauslehnen.17
(2.6)
(a) Schade! (b) A meinte, das sei schade.18
Bei der Fülle von Veränderungen, welche die Originaläußerung bei indirekter Rede durchlaufen kann, ist die Anzahl der zu ihrer Identifizierung dienenden Indizien bereits beachtlich angestiegen. Von zentraler Bedeutung ist das unterschiedliche deiktische Zentrum, das zu einer Referenzverschiebung führt.19 Dabei sind die Pronomina oft die sichersten Indizien zur Trennung der beiden Arten von Wiedergabe.20 Zur Abgrenzung der Übergangsformen werden nun unterschiedliche Ansätze verfolgt. Einige beschäftigen sich mit der Originaläußerung, andere mit dem Reportersprecher, und speziell für das Deutsche werden Wiedergaben, die modusambivalente Formen enthalten, zum Teil von der Analyse der indirekten Redewiedergabe 17 Entnommen aus Zifonun et al. 1997, S. 1757 (Bsp. 15). 18 Zifonun et al. 1997, S. 1758 (Bsp. 17). 19 Von Roncador (1988, S. 55) sieht das Faktum der Referenzverschiebung bei der direkten Rede gegeben, da alle deiktischen Ausdrücke nicht aus der Sicht des Sprechers (des Reportersprechers also) gewählt sind, sondern aus der einer anderen Person, dem Originalsprecher. So hebe sich die direkte Rede von ihrer Umgebung durch „maximale Referenzverschiebung“ ab (vgl. ebd.). Sonst wird jedoch eher im Zusammenhang der Umwandlung einer Originaläußerung in indirekte Rede von Verschiebung oder Anpassung gesprochen, da im Vergleich zur Originaläußerung die Bezüge in der indirekten Rede „verschoben“, sprich an die Perspektive des Reportersprechers angepasst werden. Hier und im Folgenden wird entgegen von Roncadors Interpretation unter „Verschiebung“ im Sinne dieser letztgenannten Interpretation die Anpassung der deiktischen Bezüge an die Perspektive des Reportersprechers verstanden. 20 Dieses gilt im Übrigen nicht für das Deutsche alleine oder auch nur für die europäischen Nachbarsprachen. Laut Palmer ist in manchen außereuropäischen Sprachen – speziell den australischen, von denen oft behauptet wird, es gäbe keine indirekte Rede in ihnen – das einzige Indiz dafür, dass sie überhaupt indirekte Rede kennen, der „deictic shift“ der Pronomina (vgl. Palmer 2001, S. 197–198). Er zitiert ein überzeugendes Beispiel aus der australischen Sprache Ngiyambaa (vgl. ebd. mit Bezug auf Donaldson 1980, S. 280).
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
ausgeschlossen, um die Grenze zwischen beiden Wiedergabearten möglichst klar zu ziehen. Diese Arten von Definitionen werden im Folgenden kurz angesprochen, um festzustellen, ob sie gegebenenfalls noch weitere Indizien liefern können oder ob sie eine bessere Lösung zur Kategorisierung der Wiedergabearten bieten.
2.2.c ) Gibt es eine Originaläußerung? Wenn der erste Bestandteil des Kompositums „Redewiedergabe“ wörtlich genommen wird, sollte man davon ausgehen, dass eine wirkliche, d. h. real hör- oder lesbare Äußerung vorliegt. So eng wird der Begriff jedoch zumeist nicht verstanden. Zum einen können Originaläußerungen auch fiktiv, zum anderen nur gedacht sein.21 Die „nur gedachten“ lassen sich am besten anhand der Redeeinleitung erkennen, denn nicht nur Verben des Sagens und Fragens können Redewiedergabe einleiten, sondern allgemein gelten als Redewiedergabe auch solche Wiedergaben, die durch Verben des Denkens/Meinens oder Fühlens eingeleitet werden.22 Unter Einbeziehung dieser Verbgruppen als Redeeinleitung wird der Begriff „Rede“ weiter gefasst und ist nicht nur auf real getätigte Äußerungen bezogen (vgl. Weinrich 2005, S. 898). Auch kann man mit Helbig/Buscha argumentieren, dass nach solchen Verben ein Verb des Sagens ergänzbar ist und deshalb der Begriff „Rede“ durchaus gerechtfertigt werden kann:
21 In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise in jüngerer Forschung diskutiert, ob die „Wiedergabe“ zukünftiger Äußerungen überhaupt als Redewiedergabe gelten kann, was häufig zu der Schlussfolgerung führte, dass dem nicht so ist (vgl. zu diesen Ansätzen Thieroff 1992, S. 227). Solche Betrachtungsweisen sind jedoch mittlerweile überholt und bedürfen deshalb hier keiner genaueren Darstellung, zumal der Fall der zukünftigen Wiedergabe im untersuchten Korpus eigentlich nicht vorkommt; es gibt lediglich ein mehrdeutiges Beispiel, das eine Wiedergabe von Zukünftigem sein könnte, vermutlich jedoch nicht ist (vgl. Anmerkung 74 in Kapitel 5, S. 282 dieser Arbeit). 22 Diese Verbgruppen werden im Folgenden meist mit den deutschen Termini bezeichnet. In Auseinandersetzung mit der Literatur, besonders der älteren Datums, werden jedoch alternativ die lateinischen Bezeichnungen verwendet: Verba dicendi, Verba rogandi, Verba sentiendi.
2.2 Definition von Redewiedergabe
(2.7)
27
Er hat geglaubt/gewusst/gehofft/sich vorgestellt/geahnt . . . (und gesagt), dass . . .23
In eine ähnliche Richtung geht die Art und Weise, wie in der IDSGrammatik die Gedankenwiedergabe erfasst wird. Im Kapitel über den Konjunktiv unterscheiden die Autoren „Indirektheitskontexte“ und „Modalitätskontexte“. Modalitätskontexte stehen in Opposition zu Faktizitätskontexten, wobei sich Letztere auf etwas beziehen, was tatsächlich der Fall ist, Erstere hingegen auf einen konstruierten Redehintergrund24 ; sie sind ein wichtiger Funktionsbereich des Konjunktivs im Deutschen. Der andere wichtige Funktionsbereich des Konjunktivs sind die Indirektheitskontexte, zu denen einerseits die indirekte Rede und andererseits die Gedankenwiedergabe zählen. Ein Indirektheitskontext liegt dann vor, wenn ein Sprecher etwas wiedergibt, was er aus einer anderen Quelle bezieht. Wenn die Quelle ein anderer Sprecher oder auch er selbst jeweils zu einem anderen Sprechzeitpunkt ist, kann von indirekter Rede gesprochen werden. Handelt es sich hingegen um die Gedanken eines anderen Individuums – es muss kein Mensch sein – und somit um etwas, das einer möglichen Welt entstammt und nicht der realen, so liegt in der Terminologie der IDS-Grammatik ein indirekter Modalitätskontext vor. Eine Art von indirektem Modalitätskontext ist die Gedankenwiedergabe, und zwar solange, wie die Gedanken nicht explizit geäußert worden sind. Wenn sie geäußert werden, dann gibt es eine reale Originaläußerung, die auch dementsprechend wiedergegeben werden kann. Wird die Wiedergabe allerdings anstelle von Er sagt, dass er glaubt, dass . . . verkürzt zu Er glaubt, dass . . ., kann man nur anhand des Kontextes erkennen, dass ein Fall von indirekter Rede vorliegt. Auch wenn die betreffende Wiedergabe in einem Abschnitt zusammen mit anderen indirekten Redewiedergaben vorkommt, ist von indirekter Rede und keiner echten Gedankenwiedergabe auszugehen: 23 Entnommen aus Helbig/Buscha 2001, S. 177. 24 Vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1743–1753. Modalitätskontexte sind Konditionalgefüge, kontrafaktisches Argumentieren (z. B. Auf dem Mond würde sich der Unterschied aber sehr drastisch zeigen . . . , S. 1749), kontrafaktische Konsekutivsätze (Das Wasser ist zu kalt, als daß man darin baden könnte, S. 1750), kontrafaktische Vergleichssätze und Relativsätze sowie Höflichkeitskontexte.
28
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
(2.8)
Es sei dies der richtige Weg, die Mannschaft spiele nun so, wie er sich das gewünscht habe, erklärt Schönfeldt, „dafür habe ich gekämpft“. Schönfeldt denkt, dass die Leistung nun die Antwort sei auf die Diskussionen in den letzten Wochen.25
(2.9)
Sie macht sich Vorwürfe. Sie denkt, das sei ihrer Mama passiert, weil sie nicht brav war.26
Bei der echten Gedankenwiedergabe ist das Äußern im übertragenden Sinne zu verstehen – wie zum Beispiel, wenn der Autor eines Romans dem Leser die Gedanken einer Figur mitteilt und der Leser den Eindruck erhalten kann, er könne die Gedanken dieser fiktiven Figur als Äußerung hören. Aber auch eine fiktive Äußerung wird in der Wiedergabe syntaktisch nicht anders als eine reale behandelt. Die Wiedergabe von Realem und Fiktivem unterscheidet nur, dass sich die erste auf einen realen und die zweite auf einen imaginierten oder auch fiktiven Redehintergrund bezieht, nicht aber ihre sprachliche Umsetzung (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1762–1763). Insofern ist auch die „echte“ Gedankenwiedergabe an der syntaktischen Oberfläche mit der indirekten Redewiedergabe identisch und kann auf dieser Ebene mit ihr gemeinsam betrachtet werden. Selbstverständlich gilt das auch ohne die Einschränkung über den Redehintergrund, wenn eine Verkürzung von er sagt, dass er glaubt/glaube, dass . . . vorliegt. Hier ist jedoch eine Ausnahme zu betrachten: Sobald glauben in der ersten Person Singular Präsens verwendet wird, kann nicht mehr von Redewiedergabe gesprochen werden. Solche Sätze sind als reine Behauptungen zu verstehen, auch schließen sie den Konjunktiv aus (vgl. Helbig/Buscha 2001, S. 176).27 Steht das redeeinleitende Verb allerdings in einem Vergangenheitstempus, ist ein Konjunktiv möglich. 25 St. Galler Tagblatt, 29.12.1997, Ressort: TB-SPO; Bereit für die „Wochen der Entscheidung“, gefunden über COSMAS II. Das Institut für Deutsche Sprache Mannheim bietet via Internet das Programm COSMAS, d. h. „Corpus Search, Management and Analysis System“, zu sprachwissenschaftlichen Analysezwecken der Korpora geschriebener Sprache des IDS (zu finden über http://www.ids-mannheim.de/cosmas2/, Stand August 2006). 26 Frankfurter Rundschau, 31.08.1999, S. 7, Ressort: N; Die Bilder vom Erdbeben in der Türkei, gefunden über COSMAS II, vgl. Anm. 25. 27 Vgl. hierzu genauer Abschnitt 2.3.a), S. 50 dieser Arbeit.
2.2 Definition von Redewiedergabe
29
Redewiedergabe i. e. S.
Gedankenreferat/ -repräsentation syntaktisch (bei Verben des Sagens) (bei Verben des Denkens, untergeordnet Hoffens u. Ä.) (a) abhängige indirekte Rede: (b) abhängiges Referat: Konjunktiv/Indikativ Konjunktiv/Indikativ Er hat gesagt, dass er sie Er hoffte, dass sie ihm die leider enttäuschen müsse/ Lüge nicht allzu übel nehmen muss. Er hat gesagt, er müsse werde/wird/würde. Er hoffte, sie leider enttäuschen. sie werde/würde ihm die Lüge nicht allzu übel nehmen syntaktisch (c) berichtete Rede: (d) erlebte Rede: selbstständig Konjunktiv Indikativ (Tempusgruppe II) + würde-Form (. . . sagt der Bäcker.) Er sei Hoffentlich nahm sie es ihm doch nicht der Weihnachtsmann. nicht allzu übel. Hoffentlich Ob sie das sehr schlimm finde? würde sie nicht allzu enttäuscht sein.
Tabelle 2.1: Arten der Redewiedergabe nach Fabricius-Hansen
(2.10) Ich glaube, sie hat (*habe/*hätte) das Buch schon gelesen.28 (2.11) Ich dachte, du hättest das Buch schon gelesen. Anhand der Redeeinleitung ist es auch möglich, innerhalb der Redewiedergabe weiter zu differenzieren, indem man die Wiedergaben, die auf Verben des Glaubens oder Denkens folgen, von eigentlicher Redewiedergabe abgegrenzt als „Gedankenreferat“ bezeichnet. Bezieht man die syntaktische Integration mit ein, so entstehen vier Arten von Wiedergabe oder „Referat“ (vgl. Fabricius-Hansen 2005, S. 530). Diese vier Typen sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst.29 Zum einen sind zwei Arten von Redewiedergabe zu unterscheiden, syntaktisch integrierte und syntaktisch selbständige. Die „abhängige indirekte Rede“ besteht aus einer Redeeinleitung und einem Nebensatz mit entweder Verbzweit- oder Verbendstellung. Ihr Gegenstück ist die syntaktisch nicht integrierte berichtete Rede, d. h. Hauptsätze mit Verben im Konjunktiv, die zwar auf eine vorher genannte Redeeinleitung Bezug nehmen, syntaktisch jedoch nicht von ihr abhängen. Zum anderen sind ebenfalls zwei Arten von Gedankenreferat zu unterscheiden, und zwar zum einen das syntaktisch integrierte, 28 Entnommen aus Helbig/Buscha 2001, S. 176. 29 Diese Tabelle ist direkt zitiert aus Fabricius-Hansen 2005, S. 530.
30
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
das äußerlich der abhängigen indirekten Rede gleicht, nur als Redeeinleitung kein Verb des Sagens, sondern des Denkens hat.30 Das syntaktisch unabhängige Gegenstück dazu ist die erlebte Rede, ein literarisches Stilmittel, welches dem Leser die Gedanken einer Romanfigur als Referat durch den allwissenden Erzähler nahe bringt (vgl. ebd.). Abschließend kann also festgehalten werden, dass nicht unbedingt eine reale Originaläußerung als „Rede“ wiedergegeben werden muss, um von Redewiedergabe sprechen zu können. Zwar sind Unterschiede bezüglich des Redehintergrundes zu beachten, syntaktisch gleichen sich jedoch die Wiedergaben ungeachtet der Realität der Originaläußerung.
2.2.d) Mündliche, schriftliche und fiktive Originaläußerungen Obwohl einer Redewiedergabe keine reale Originaläußerung zugrunde liegen muss, ist dieses Kriterium dennoch in Definitionen weit verbreitet, und zwar insbesondere in solchen Ansätzen, die im Rahmen der Mündlichkeitsforschung von einer mündlichen Originaläußerung ausgehen. Da diese Arbeit die schriftliche Wiedergabe mündlicher Äußerungen untersucht, müssen die definitorischen Probleme, welche die Einbeziehung der Opposition Mündlichkeit/Schriftlichkeit in die Definition von Redewiedergabe mit sich bringt, hier betrachtet werden, und zwar anhand einiger Definitionen von unterschiedlichen Seiten. Zuerst soll hier Otto Behaghel zu Wort kommen, auf dessen Untersuchungen ein nicht geringer Teil dieser Arbeit aufbaut. Seine Definition ist dem dritten Band der Deutschen Syntax (1928) entnommen und nach heutigen Maßstäben der Schriftlichkeitsforschung zuzuordnen:
30 Diese können nach dem in der IDS-Grammatik vermittelten, oben dargestellten Verständnis entweder auf realen Äußerungen basieren oder den indirekten Modalitätskontexten und damit der echten Gedankenwiedergabe angehören.
2.2 Definition von Redewiedergabe
31
Unter direkter Rede verstehe ich die Erscheinung, daß die Rede, der Gedanke eines Menschen genau in der Form und in dem Sinn wiedergegeben wird, wie er sie selbst ausspricht oder denkt; unter indirekter Rede die Wiedergabe, die von der direkten Rede abweicht (eine positive Bestimmung der indirekten Rede erscheint nicht möglich).31
Behaghel definiert hier also den Extremtypus von direkter Redewiedergabe anhand der fehlenden Änderung der Originaläußerung, während er das Kontinuum in Richtung indirekter Rede in Anbetracht der Fülle von Realisierungsmöglichkeiten, die er durch literarische Beispiele illustriert, als „nicht direkte Rede“ fasst. Er geht also nicht von zwei Extrema aus, sondern nur von einem extremen Ausgangspunkt, der direkten Rede. Zwar verwendet Behaghel in der Definition die Verben aussprechen und denken. Dass er aber als diesen Nullpunkt die Redewiedergabe in der Schriftsprache und nicht die Wiedergabe etwaiger mündlicher Äußerungen und deren nicht stattfindende Änderung sieht, lässt sich leicht anhand seiner Beispiele erkennen. So nennt er das folgende Zitat aus der Lutherbibel (V. Mose 1, 6) als ein Beispiel für direkte Rede: „der Herr sprach: »Ir seid lange genug an diesem Berge gewesen«“ (1928, S. 695). Dieses Beispiel ist, rein syntaktisch betrachtet, in jedem Fall eine direkte Redewiedergabe, was in seiner schriftlichen Erscheinungsform an der Redeeinleitung, der Interpunktion und den unverschobenen Deiktika leicht erkennbar ist. Das Kriterium einer mündlichen, wie auch immer gearteten Originaläußerung ist hierfür jedoch nicht relevant.32 Behaghels Definition setzt damit als den Extrempunkt das 31 Behaghel 1928, S. 695, § 1336. Hervorhebung im Original durch Sperrung. 32 Die originale Äußerungssituation, die man sich zu diesem Beispiel vorstellen kann, sieht in etwa so aus: Gott hat zu Moses gesprochen, und Moses gibt nun das Gehörte an das Volk Israel weiter. Die Originaläußerung kennt also allein Moses. Als Sprache, in der sie gehalten ist, könnte man am ehesten das Phönizisch-Althebräische vermuten, da dieses die Sprache der zehn Gebote ist. Die Originaläußerung wird zunächst mündlich tradiert, was eine Vielzahl von Redewiedergaben mit sich bringt, bis sie schließlich aufgeschrieben wird. Nach ihrer schriftlichen Fixierung wird sie mehrfach übersetzt, ins Aramäische, ins Griechische, ins Lateinische und anschließend in unterschiedliche Sprachen, unter anderem ins Frühneuhochdeutsche. Dass das Bibelzitat, wie Luther es übersetzt hat, noch genau „die Form“ der Originaläußerung hat, kann man also ausschließen, und ob es „den Sinn“ der Originaläußerung hat, kann man nur hoffen, nicht aber wissen. Alles dieses ist Otto Behaghel selbstverständlich bewusst gewesen. Da es ihn jedoch nicht daran gehindert
32
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
schriftlich realisierte Zitat, in dem die Perspektive an den Originalsprecher angepasst ist. Die Form und Existenz der Originaläußerung interessieren hierbei nicht. Ein Extremtyp, die direkte Rede als Zitat von Schriftlichem, scheint somit festgelegt. Die Dudengrammatik bringt nun allerdings die Mündlichkeit ins Spiel, indem dort das Extrem als „wortwörtliche Wiedergabe, als Zitat dessen [. . .], was in einer anderen – eventuell gedachten – Kommunikationssituation geäußert (gesagt/geschrieben) worden ist oder geäußert wird“, charakterisiert ist (Fabricius-Hansen 2005, S. 531). An anderer Stelle ist in dieser Grammatik allerdings davon die Rede, dass „ein Gesprächs- oder Textbeitrag eines anderen möglichst unverändert übernommen, also zitiert“ wird (Gallmann 2005, S. 1052, Hervorhebung hinzugefügt). Diese leicht einschränkende Formulierung trägt der Tatsache Rechnung, dass zwar eine schriftliche Originaläußerung ohne Weiteres wortwörtlich zitiert werden kann, eine mündliche jedoch nicht ebenso leicht. Mag das in Form von Tonaufnahmen, die wieder abgespielt werden, möglich sein, so ist in der Alltagskommunikation die Genauigkeit des Zitats immer nur so gut wie das Gedächtnis und gegebenenfalls die mimetischen Fähigkeiten des Reportersprechers. Die Meinung, die Originaläußerung dürfe nicht verändert werden, ist dennoch in der Forschung, welche die Mündlichkeit in den Mittelpunkt des Interesses stellt, geläufig. So sagt Li (1986, S. 40), bei der direkten Rede würde die Originaläußerung imitiert, wohingegen sie bei der indirekten Rede paraphrasiert würde, wobei das Imitieren leichter sei: Direct speech involves reproducing or mimicking the speech of the reported speaker, whereas indirect speech involves rephrasing or paraphrasing the speech of the reported speaker. Clearly, mimicking is a simpler undertaking than paraphrasing.
Coulmas (1986b, S. 1) macht dagegen eine entscheidende Einschränkung. Er spricht davon, dass der Reportersprecher den exakten Wortlaut der Originaläußerung übernehme und die Rolle des Originalsprechers spiele, oder aber nur vorgebe, dieses zu tun, während hat, das genannte Beispiel für direkte Rede anzuführen, kann für ihn nur die syntaktische Form, welche das Beispiel als direkte Rede ausweist, ausschlaggebend sein, nicht aber die formale Identität mit der Originaläußerung.
2.2 Definition von Redewiedergabe
33
in der indirekten Rede die Originaläußerung der aktuellen Redesituation der Wiedergabe angepasst werde: [Direct quotation] evokes the original speech situation and conveys, or claims to convey, the exact words of the original speaker in direct discourse, while [indirect quotation] adapts the reported utterance to the speech situation of the report in indirect discourse.
Mit dieser Einschränkung weist Coulmas (1986b) darauf hin, dass es relativ schwer ist, den genauen Wortlaut zu wiederholen. Bei einer mündlichen Originaläußerung, die mündlich wiedergegeben wird, müssten für eine exakte, unveränderte Wiedergabe außer dem genauen Wortlaut auch die Sprache, gegebenenfalls der Dialekt, Intonation, Sprechpausen, Versprecher, Lautstärke, vielleicht sogar redebegleitende Gesten imitiert werden, was äußerst schwer beziehungsweise nahezu unmöglich ist, wenn man eine Äußerung wiedergibt, deren direkter Adressat man nicht gewesen ist. Plank (1986) geht einen Schritt weiter, indem er sagt, dass diese Faktoren bei der Wiedergabe nicht relevant sind. Sprechtempo oder Lautstärke können durch den redeeinleitenden Ausdruck wiedergegeben werden, wenn der Reportersprecher das wünschen sollte (Er schrie, flüsterte, brabbelte, . . . ) (vgl. S. 285). Plank führt ein anschauliches Beispiel dafür an, wie alle diese Faktoren eine Äußerung verändern können, obwohl die Wiedergabe immer noch syntaktisch als direkte Redewiedergabe kategorisiert werden kann. Wenn er selbst Descartes berühmten Satz gegenüber seinem schwerhörigen, aus Bayern stammenden und des Lateinischen nicht mächtigen Urgroßvater wiedergäbe – sehr laut, mitsamt Sprechpausen und Versprechern –, sähe dieser Satz etwa so aus (1986, S. 286): (2.12)
(a) Descartes: „Cogito ergo sum.“ (b) Plank: „Descartes hat scho gsagt: »I – dank äh denk, – also – bin – i.«“
Diese Wiedergabe hat in der Tat wenig mit dem Original zu tun. Formalsyntaktisch und ungeachtet der lateinischen Originaläußerung ist es also möglich, sie als direkte Rede zu betrachten. Im Übrigen ist eine gleichartige Veränderung zu beobachten, wenn ein Satz im Dialekt in der Wiedergabe in eine Standardvarietät überführt wird. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, eine Originaläußerung
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
gewollt nachahmend wiederzugeben, und zwar sind hier nicht nur Stimmimitatoren gemeint – obwohl diese eher den imitierten Personen Worte in den Mund legen, als Äußerungen von ihnen wiederzugeben. Auch in der Alltagskommunikation kann eine Art von Imitation vorkommen, zum Beispiel in einem Streitgespräch: (2.13)
(a) Sie: „Du bringst mich noch um den Verstand!“ (b) Er: „Du immer mit deinem: [affektiert ihren Tonfall nachahmend und mit hoher Stimme] »Du bringst mich noch um den Verstand!«“
Es fragt sich, ob Li (1986) von derartigen Beispielen ausgegangen ist, als er zu dem Schluss kam, Imitation sei einfacher als Paraphrase. Das Spektrum möglicher Redewiedergaben, die entweder direkt oder indirekt genannt werden können, ist also recht breit, und die Frage, ob Originaläußerung und/oder die Wiedergabe in mündlicher oder schriftlicher Form vorliegt, trägt zu dieser Breite einiges bei. Für den Fall, dass überhaupt eine Originaläußerung vorliegt, kann man verschiedene Typen von Wiedergabe definieren, die zwar nicht alle Zwischenformen der Redewiedergabe darstellen, aber doch einige speziell im Zusammenhang dieser Arbeit relevante Unterschiede aufzeigen. Die angesetzten Typen werden anhand des Schemas in Abbildung 2.1 sowie des nachfolgenden Textes veranschaulicht. Das Schema stellt die Wiedergaben von acht unterschiedlichen Originaläußerungen dar. Die vertikalen Pfeile symbolisieren, dass die Originaläußerungen, indem sie in direkter oder indirekter Rede wiedergegeben werden, eine Art von Veränderung durchlaufen. Die angesprochenen Typen sind allein durch die Kombinationen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit festgelegt; rein rechnerisch ergeben sich jeweils vier in direkter und indirekter Redewiedergabe. Die Zahlen 1–8 stehen für die Originaläußerungen, die Zahlen 1’–8’ für die Wiedergaben. Der waagerechte Balken in der Mitte soll das Kontinuum zwischen den beiden Extrempunkten „Direkte Rede“ und „Indirekte Rede“ andeuten. Die Pfeile, die von links nach rechts weisen, deuten eine Tendenz zur Veränderung der Originaläußerung an. Grundidee hierbei ist, dass die Originaläußerung tendenziell mehr verändert wird, wenn sie in indirekter Rede wiedergegeben wird, als wenn dieses in direkter Rede geschieht. Tendenzielle Veränderung bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass in der Wiedergabe 2’
2.2 Definition von Redewiedergabe
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Abbildung 2.1: Redewiedergabe im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
die Originaläußerung weniger verändert wird als in der Wiedergabe 3’. Die Wiedergaben 1’–4’ und 5’–8’ bilden weniger ein Kontinuum als vielmehr jeweils eine Gruppe. Der Extrempunkt „DR“ kann aber dennoch als die vollkommen identische Wiedergabe der Originaläußerung in direkter Rede betrachtet werden, wogegen der Extrempunkt „IR“ die maximale Veränderung der Originaläußerung in indirekter Rede darstellt. Die im Schema als 1’–4’ bezeichneten Wiedergaben sind der direkten Rede zugeordnet, weil sie das deiktische Zentrum „Originalsprecher“ eint, bei den Wiedergaben 5’–8’ ist es dagegen der Reportersprecher. Der Übergang von direkter zu indirekter Rede ist als gestrichelte vertikale Linie dargestellt, da die Zuordnung der Zwischenformen zum einen oder anderen Typ Probleme bereiten kann. Als reinste Form der direkten Rede kann die schriftliche Wiedergabe (1’) einer schriftlichen Originaläußerung (1) gelten, also ein wortwörtliches schriftliches Zitat. Hier kann man guten Gewissens von einer Wiedergabe de dicto sprechen, also genau den Wortlaut einhaltend, zumindest wenn der Reporterschreiber das zu zitierende Schriftstück vor Augen hat. Wird ein Schriftstück aus dem Gedächtnis des Reporterschreibers zitiert, kann die Originaläußerung bei der Umsetzung in direkter Rede durchaus verändert werden.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
Auch die mündliche Wiedergabe (2’) einer schriftlichen Originaläußerung (2) verändert diese im Wortlaut nicht (ein Beispiel hierfür wäre ein Zitat aus einem Buch im Rahmen einer Rede oder Vorlesung), solange nach einer vorhandenen Vorlage zitiert wird. Allerdings fügt der Reportersprecher durch das mündliche Zitieren der Äußerung Dinge wie Betonung, Sprechpausen etc. hinzu und lässt sie folglich nicht völlig unverändert. Es findet zudem ein medialer Wechsel vom Schriftlichen zum Mündlichen statt, was eine weitere Art von Veränderung darstellt. Bei schriftlicher Wiedergabe (3’) einer mündlichen Originaläußerung (3) erfolgt ebenfalls ein Wechsel des Mediums; Beispiele hierfür wären ein Zeitungsinterview oder ein modernes Vernehmungsprotokoll.33 Je nachdem, wie schnell nach dem Zeitpunkt der Originaläußerung die schriftliche Wiedergabe angefertigt wird, werden jedoch hier auch weitere, den Wortlaut betreffende Veränderungen stattfinden. So kann beispielsweise der Reporterschreiber die Originaläußerung „Ich friere“, wenn er sich an den genauen Wortlaut bei der Niederschrift nicht mehr erinnert, als Sie sagte: „Mir ist kalt“ wiedergeben und in dem Glauben befangen sein, eine unveränderte, direkte Redewiedergabe produziert zu haben, obwohl seine Wiedergabe nur noch de re, also die Sache betreffend, korrekt ist. Der Perspektive und der syntaktischen Struktur nach zu urteilen, hat er jedoch eine eindeutige direkte Redewiedergabe gestaltet. Wird eine mündliche Originaläußerung (4) mündlich in direkter Rede (4’) wiedergegeben, können die Veränderungen zahlreich sein. Zwar bleibt das Medium gleich, doch zählt man Dinge wie Stimmlage etc. mit zu den Eigenschaften der Originaläußerung, die verändert werden können, so werden diese durch den Sprecherwechsel in jedem Fall verändert, und zwar unabhängig von eventuell versuchter Stimmimitation. Auch bleibt der Wortlaut mitunter nicht derselbe, wenn das Gedächtnis des Originalsprechers ihn im Stich lässt. Für alle Wiedergaben, die allein aus dem Gedächtnis des Reportersprechers hervorgehen, gilt, dass 33 Bei einem Zeitungsinterview kann man indes davon ausgehen, dass das Gedruckte nicht dem entspricht, was der Befragte dem Interviewer erzählt hat, auch wenn es den Anschein wortwörtlicher Wiedergabe erweckt. Hier wird die Originaläußerung, obwohl die Wiedergabe in direkter Rede erfolgt, mitunter stark verändert, wogegen dieses bei einem Vernehmungsprotokoll nicht der Fall sein sollte.
2.2 Definition von Redewiedergabe
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sie sich immer mehr in Richtung de re der Originaläußerung verändern, je länger diese zurück liegt. Dasselbe gilt im Grunde auch für die Paare 5/5’ und 6/6’, nur dass bei der Umformung in indirekte Rede und der dabei notwendigen Anpassung an die Perspektive des Reportersprechers der Raum für Veränderungen von vornherein größer ist als bei der direkten Wiedergabe. Es wird nicht erwartet, dass der Wortlaut beibehalten wird, es ist generell eher eine de reWiedergabe intendiert, die mehr oder weniger das wirklich Gesagte wiedergibt. Dennoch ist eine Wiedergabe möglich, die recht nah am Wortlaut bleibt, bei der nur die für die Anpassung der Perspektive notwendigen Veränderungen vorgenommen wurden. Bei diesen beiden Paaren wären auch ähnliche Kontexte wie für 3/3’ und 4/4’ denkbar. Die mündliche Wiedergabe (5’) mündlicher Äußerungen (5) ist beispielsweise auch als indirekte Rede in der Alltagskommunikation recht häufig (Er hat aber gesagt, er würde mir helfen! ). Ein Kontext für 6 wäre vielleicht nicht direkt ein Zeitungsinterview, wohl aber die Äußerungen eines Politikers, die halb direkt, halb indirekt in der Presse wiedergegeben werden (vgl. unten Bsp. 2.18). Hier führt der Wechsel des Mediums zum Verlust der sprechsprachlichen Elemente. Sollte die Originaläußerung Modal- oder Abtönpartikeln, Stockungen, Versprecher oder Ähnliches enthalten haben, erscheinen diese in einer geglätteten indirekten Wiedergabe nicht. Die Originaläußerung in 7 könnte beispielsweise ein Zeitungsartikel sein, dessen Inhalt ein Leser als Reportersprecher zusammenfassend und ausschließlich in indirekter Rede (7’) wiedergibt (Da stand, es würde uns allen bald besser gehen). Der mediale Wechsel führt auch hier, wie bei dem Paar 2/2’, gegebenenfalls zu Hinzufügungen in Form von intonationsbedingter Interpretation des Wiedergegebenen. Ein abschätziger Tonfall kann der Originaläußerung beispielsweise in der Wiedergabe einen Sinn geben, den diese ursprünglich nicht hatte. Das Paar 8/8’ zeigt schließlich tendenziell die meisten Veränderungen bei der Überführung in Redewiedergabe. Vorstellbar wäre hier eine leicht paraphrasierende Wiedergabe eines geschriebenen Textes in indirekter Redewiedergabe, wie sie in wissenschaftlichen Arbeiten recht häufig vorkommt. Es wird gekennzeichnet, dass es sich um fremde Gedanken handelt, indem die Perspektive angepasst wird und meist – zumindest im Deutschen – der Konjunktiv verwendet wird, der Wortlaut kann und muss sogar
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
im Zuge einer interpretierenden Zusammenfassung verändert werden. Schriftliche indirekte Wiedergabe, die eher nah am Wortlaut bleibt, gibt es selbstverständlich auch. Die Änderung der Originaläußerung erfolgt demnach einerseits in Abhängigkeit vom Medium, in dem Originaläußerung und Wiedergabe gehalten sind. Findet ein medialer Wechsel bei der Wiedergabe statt, sind die Änderungen in der Regel noch zahlreicher, als sie es ohnehin bereits sind. Andererseits, und das gilt besonders für die direkte Rede, muss sie keine Wiedergabe de dicto sein, um als direkte Rede bezeichnet werden zu können, denn auch hier geht der genaue Wortlaut mitunter verloren, sei es durch mangelndes Erinnerungsvermögen des Reportersprechers oder auch durch seine bewusste Entscheidung, die Originaläußerung zu verändern. Das entscheidende Kriterium zur Unterscheidung von direkter und indirekter Rede ist also nicht die Änderung der Originaläußerung, sondern immer noch die Perspektive der Wiedergabe. Dieses gilt insbesondere deswegen, weil das Kriterium „Änderung der Originaläußerung“ gar nicht angelegt werden kann, wenn es keine reale Originaläußerung gibt. Zwar sind Originaläußerungen stets vorstellbar, und zwar sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form. Davon, dass diese vorgestellten „Äußerungen“ verändert würden, kann man in dem Fall jedoch nicht sprechen. Wenn die Originaläußerung nur fiktiv ist, entfällt also der gesamte obere Teil des Schemas in Abbildung 2.1, real sind lediglich die Wiedergaben 1’–8’, wodurch die Art der Typen letztendlich auf die Anzahl vier reduziert wird: Jeweils eine mündliche und eine schriftliche Wiedergabe in Form direkter oder indirekter Rede. Die Formen der Redewiedergabe, die es im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchen gilt, bewegen sich relativ weit entfernt vom linken Extrempunkt in Schema 2.1, der fast keine Veränderungen mit sich bringenden Wiedergabe der Originaläußerung. Bei der indirekten Rede ist das selbstverständlich, doch auch die direkte Rede stellt oft eine massive Veränderung der Originaläußerung dar, soweit man um ihre wahrscheinliche Form weiß. Zudem treten sowohl direkte als auch indirekte Wiedergaben auf, die mit Sicherheit auf keine reale Originaläußerung zurückzuführen sind. Speziell die Paare 3/3’ und 6/6’ sind hier interessant, da die frühneuhochdeutschen Protokolltexte zu einem großen Teil aus Überführungen gesprochener
2.2 Definition von Redewiedergabe
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Sprache in das Medium Schrift bestehen, wobei man nahezu mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass die Originaläußerungen bei dieser Überführung stark verändert worden sind. Das gilt nicht nur für die Wiedergabe in indirekter Rede, sondern auch für die Wiedergabe in direkter Rede. Beispielsweise treten direkte Redewiedergaben folgender Form auf: (2.14) [. . .] vnd In deme diese worter od[er] dergleichen gesprochen, Jetz gehen wir zu dießer dhoeren henauß, vnd wan daß kindt gestorben, alstan gehen wir auß der Andern dhoeren. (Ahaus 1608, fol. 97r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 3–4) Die Worte der Angeklagten werden hier in direkter Rede wiedergegeben, was eindeutig an den Pronomina zu erkennen ist. Dennoch muss die Äußerung eine große Anzahl von Änderungen durchlaufen haben, da das schriftlich festgehaltene Hochdeutsch sicherlich nicht die Sprache des Verhörs war, sondern in diesem speziellen Fall westfälisches Niederdeutsch. Der Schreiber hat diese Tatsache hier sogar kommentiert, indem der die Wiedergabe als diese worter od[er] dergleichen charakterisiert. Bei der Überführung der gesprochenen Sprache in indirekte Rede wird zusätzlich zur Veränderung der Perspektive ebenfalls der Dialekt in Hochsprache gewandelt, wobei der Wortlaut teilweise schon wegen des unterschiedlichen Lexikons der Varietäten gewandelt wird.34 Diese Wiedergabe bewegt sich dementsprechend nah am rechten Extrempunkt des Schemas 2.1 (S. 35). Zusätzlich ist nicht selten der Fall zu beobachten, dass keine reale Originaläußerung vorliegt. Die Angeklagten geben nämlich während des Verhörs Gespräche wieder, die sie mit dem Teufel geführt haben wollen, wobei diese mit Sicherheit nicht stattgefunden haben.35 Das sollte abschließend verdeutlichen, dass die Änderung der Originaläußerung sich in dieser Arbeit nicht als Definitionskriterium der direkten Rede eignet.
34 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.1.b), S. 160 dieser Arbeit. 35 Vgl. auch Abschnitt 4.5.a), S. 210 dieser Arbeit.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
2.2.e ) Konjunktiv und Modusambivalenz Dass die Änderung des Verbmodus vom Indikativ zum Konjunktiv eine der Veränderungen ist, die bei indirekter Rede vorgenommen werden können, ist allgemein bekannt und hier bereits mehrfach erwähnt worden. Diese Änderung ist allerdings in der Gegenwartssprache als optional anzusehen.36 Dennoch wird der Konjunktiv in manchen Definitionen als konstitutiv für die indirekte Rede dargestellt. Jäger (1971, S. 73–74) hält zum Beispiel in seiner Untersuchung des umfangreichen Mannheimer Korpus37 einerseits die Redeeinleitung, die aus einem Verb des Sagens bestehen muss, für obligatorisch und andererseits den Konjunktiv. Zudem sieht er aber die Möglichkeit, dass sich das Verb in der betreffenden potenziellen Redeeinleitung durch ein Verbum dicendi ersetzen lässt, falls es ein anderes sein sollte (beispielsweise ein Verbum sentiendi wie meinen). Dasselbe gilt ihm zufolge für den Konjunktiv: Wenn ein Satz, der wahrscheinlich eine indirekte Rede ist, an der Oberfläche keinen Konjunktiv enthält, und zwar speziell keinen Konjunktiv I, dieser aber ohne „wesentliche Sinnänderung“ eingesetzt werden könne, sieht Jäger die Möglichkeit, diesen Satz als indirekte Rede zu betrachten (vgl. ebd.). In diesen Fällen sei der Konjunktiv in der Tiefenstruktur38 ansetzbar. Jedoch weist er darauf hin, dass diese Ersetzbarkeit kein „eindeutiges Kriterium“ sei (ebd., S. 74). Auf diese Weise lässt seine Definition praktisch den Indikativ in der indirekten Rede zu, theoretisch aber nicht. Im Zuge seiner Definition von indirekter Rede hat Jäger auch den Begriff der „Mehrfachbestimmung“ geprägt. Syntaktisch geht er von der Form redeeinleitung + konjunktion + konjunktiv aus, was er als „Dreifachbestimmung“ bezeichnet. Bei der zweifach bestimmten indirekten Rede fehlt entweder die Konjunktion oder die Redeeinleitung, und einfach bestimmte indirekte Rede 36 Vgl. oben Abschnitt 2.2.b), S. 24 dieser Arbeit. 37 Es handelt sich hier um das Mannheimer Korpus, Bearbeitungsstand Ende der 1960er Jahre. Jäger untersucht ausschließlich geschriebene Sprache. Zur Größe des von ihm untersuchten Korpus vgl. Abschnitt 4.2, S. 181 dieser Arbeit. Obwohl seine Studie bereits über 30 Jahre alt ist, sucht sie heute ihresgleichen. 38 Das transformationsgrammatische Konzept der Tiefenstruktur war zur Zeit, als Jägers Publikation erschien, in dieser Grammatiktheorie noch aktuell.
2.2 Definition von Redewiedergabe
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wird lediglich durch ein Finitum im Konjunktiv angezeigt (vgl. ebd., S. 75–78). Dieser Konjunktiv kann aber, wie oben erwähnt, auch ein tiefenstruktureller sein. Die Definition über einen tiefenstrukturellen Konjunktiv I empfindet unter anderem Graf (1977) als zu problematisch und setzt ihr eine schärfere entgegen, die den Indikativ ausschließt. Er tut dies im Besonderen, um trotz der Tatsache, dass sich viele Konjunktivformen nicht von denen des Indikativs unterscheiden,39 eine klare Grenze zwischen indirekter Rede und einer Vielzahl anderer Arten von Redewiedergabe auf dem erwähnten Kontinuum zu ziehen. Es kann sicherlich vorteilhaft sein, die Beschreibung auf konjunktivische indirekte Rede zu beschränken. Aufgrund der Formenkonvergenz ist das aber ein schwieriges Unterfangen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass die Grenze, die man zwischen echten Indikativformen zieht und denen, die genauso gut ein Konjunktiv sein könnten, von anderen Wissenschaftlern nicht akzeptiert wird. So ist es zum Beispiel Jäger (1971) ergangen. Becher/Bergenholtz (1985, S. 446) werfen ihm vor, dass „seine umfangreichen statistischen Angaben“ durch seine Vorgehensweise „verzerrt“ werden, Formen als modusambivalent zu zählen, die in ihren Augen eindeutig als Indikativ Präsens zu gelten haben. Konkret bemängeln sie unter anderem sein Beispiel „. . . und ich kann nicht sagen, daß ich es billige . . . “, was Jäger als ein Beispiel für eine modusambivalente Form in indirekter Rede anführt.40 Der weitere Kontext dieses Beispiels hilft nicht unbedingt bei der Entscheidung, ob nun ein Indikativ oder ein Konjunktiv gemeint ist,41 womit man geneigt sein mag, der Kritik Recht zu geben. Andererseits wäre anstelle der modusambivalenten Präsensform auch ein analytischer würde-Konjunktiv denkbar. Die Auffassung von Becher/Bergenholtz ist somit zwar nachzuvollziehen, muss aber nicht unbedingt dazu führen, Jägers Ergebnisse vollständig abzulehnen, zumal er seine Vorgehensweise detailliert erklärt.
39 Vgl. Abschnitt 2.1, S. 15 dieser Arbeit. 40 Jäger 1971, S. 347. Das Beispiel bezieht sich auf seine Tabelle 9, S. 99. 41 Vgl. Thomas Mann, Die Betrogene, Fischer 1953, S. 52: „Aber Eduard“, entgegnete Frau von Tümmler rasch, ja anfänglich mit einiger Hast. „Was du da sagst, überrascht mich, und ich kann nicht sagen, daß ich es billige.“
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
Jäger geht davon aus, dass „in der Regel [. . .] alle vom regierenden Satz abhängigen Finita im gleichen Modus auf[treten]“ (1971, S. 90). Wenn also in einer Reihe von Konjunktiven eine modusambivalente Form erscheint, kann man vermuten, dass es sich hierbei um einen Konjunktiv handelt, obwohl es selbstverständlich auch Fälle von Moduswechsel innerhalb eines Satzes geben kann. Das eigene Sprachgefühl mag zur Favorisierung der einen oder anderen Lösung führen, Sicherheit kann es aber letztendlich nicht geben, und das sagt auch Jäger (vgl. ebd., S. 91). Letztendlich richtet sich Jäger nach, wie er sie nennt, „Leitkonjunktiven“ (ebd., S. 144), d. h. eindeutigen Konjunktivformen, in deren Nachbarschaft modusambivalente Verbformen als Konjunktiv verstanden werden können. Jäger ist nun nicht der einzige, der die modusambivalenten Formen in eine Konjunktivuntersuchung mit einbezieht. Beispielsweise interpretiert auch Schöndorf (1989) in seiner Untersuchung mittelniederdeutscher Syntax modusambivalente Formen in konjunktivischer Umgebung als Konjunktiv.42 Da die Modusambivalenz ein recht häufiges Phänomen ist, erscheint eine derartige Vorgehensweise akzeptabel; zu viele Belege müssten andernfalls unbeachtet bleiben. Eine Definition von indirekter Rede, die alle modusambivalenten Formen ausschließt und somit die Anwesenheit einer eindeutigen Konjunktivform erfordert, erscheint daher für eine umfassende Untersuchung des Modusgebrauchs nicht angebracht.43 Eine Art von Redewiedergabe verlangt jedoch in der Tat nach Konjunktiv, um sich gegen andere Arten der Wiedergabe abzusetzen, und zwar die berichtete Rede.44 Hier ist er weitgehend obligatorisch, denn es hängen mehrere Sätze von einer Redeeinleitung ab, und nur durch den Konjunktiv wird deutlich, dass es sich um Redewiedergabe handelt. Ein Beispiel hierfür ist das folgende:
42 Vgl. ebd., S. 85, vgl. auch Anmerkung 84 in Kapitel 4, S. 199 dieser Arbeit. 43 Zum exakten Umgang mit den modusambivalenten Formen in den in dieser Arbeit untersuchten Texte vgl. Abschnitt 4.4.a), S. 199. 44 Vgl. oben Abschnitt 2.2.c ), S. 29 dieser Arbeit.
2.2 Definition von Redewiedergabe
43
(2.15) Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wagner berichtet, niemand habe die Absicht geäußert, beim Parteitag in zwei Wochen gegen Kohl zu kandidieren. Es sei aber über die Möglichkeit einer Gegenkandidatur gesprochen worden.45 Würde hier auf den Konjunktiv verzichtet, wäre der zweite Satz nicht mehr eindeutig als Redewiedergabe erkennbar, und somit ist er unabdingbar (vgl. Bsp. 2.19, S. 48). Wenn jedoch in einer längeren Passage berichteter Rede, umgeben von vielen eindeutigen Konjunktivformen, eine modusambivalente Form auftritt, wirkt diese nicht unbedingt, wie in Beispiel (2.15), sofort wie ein Kommentar des Reportersprechers. In dem folgenden Beispiel fällt die modusambivalente Form haben kaum auf inmitten der vielen eindeutigen Konjunktive. (2.16) Er hasse den Krieg und während des Weltkrieges sei es ihm gelungen, trotz der Zensur vieles in der ›Fackel‹ zu drucken, das gegen den Krieg war. Er habe Übelstände aufgedeckt, Korruptionen bekämpft, über die alle anderen den Mund gehalten haben. Daß er nicht im Gefängnis gelandet sei, sei ein Wunder.46 In Passagen wie dieser scheint es nicht angebracht, die modusambivalenten Formen oder sogar gesamte Textstücke, die einige wenige modusambivalente Formen enthalten, nicht als indirekte Rede zu klassifizieren. Würde man modusambivalente Formen aus der Betrachtung ausklammern, so müsste die gesamte Passage unbeachtet bleiben. Auch in berichteter Rede sollte die Anwesenheit des eindeutigen Konjunktivs daher nicht als definitorisches Kriterium für indirekte Rede herangezogen werden. 45 Rhein-Neckar-Zeitung, 29.8.1989, S. 1. Zitiert nach Zifonun et al. 1997, S. 1764–1765, Hervorhebung hinzugefügt. Das Beispiel ist dort in zwei Teilen zitiert: zunächst bis zu kandidieren als Bsp. (1), S. 1764, und der Folgekontext als (1a), S. 1765. 46 Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921–1931. München 1980, S. 77 ff. Zitiert nach Weinrich 2005, S. 262–263. Im Original enthält diese Passage allerdings keine modusambivalente Form. Das ambivalente haben ist durch hätten ersetzt. Der Text handelt von Karl Kraus.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
2.2.f ) Identifikation der Wiedergabearten durch Indizien Zunächst ist festzuhalten, dass das Kriterium „Existenz einer Originaläußerung“ nicht zur grundsätzlichen Bestimmung von Redewiedergabe herangezogen werden soll. Für die vorliegende Untersuchung ist die syntaktische Form, die beschrieben werden kann, entscheidend und nicht der Redehintergrund. Zur Unterscheidung von direkter und indirekter Redewiedergabe ist das sicherste Erkennungsmerkmal die Perspektive der Darstellung, die wiederum am sichersten anhand der Wahl der Pronomina zu erkennen ist. Doch auch auf dieses Indiz ist nicht immer Verlass. Zuweilen sind nämlich die gewählten Pronomina aus der Sicht des Originalsprechers und aus der Sicht des Reportersprechers dieselben. Im folgenden Beispiel, das man anlässlich der Festlegung neuer Kriterien für den Planetenstatus unlängst in der Umgangssprache hören konnte, ist das demonstrativisch gebrauchte die in Originaläußerung und Wiedergabe dasselbe. (2.17)
(a) A: „Die haben Pluto zum Zwergplaneten degradiert.“ (b) B: „Sie hat erzählt, die haben Pluto zum Zwergplaneten degradiert.“
In Abwesenheit anderer Pronomina, einer eindeutigen Konjunktivform sowie eines mit dass eingeleiteten Nebensatzes kann man nicht entscheiden, ob es sich bei (2.17)(b) um direkte oder indirekte Rede handelt. Dieses Beispiel ist also eine nicht näher zu bestimmende Zwischenform der Redewiedergabe. Ansonsten lässt sich aber oft an der Anwesenheit eines oder mehrerer Indizien erkennen, was für eine Art von Redewiedergabe tendenziell eher vorliegt, sprich direkte oder indirekte. Je mehr Indizien vorhanden sind, als desto prototypischer ist die Redewiedergabe zu betrachten. Diese in den vorherigen Abschnitten eingeführten Indizien sind zusammenfassend in Tabelle 2.2 aufgeführt. Der Grad der Änderung der Originaläußerung ist nicht mit aufgeführt, da diese sich sowohl bei direkter als auch bei indirekter Rede stark verändern kann. Außerdem lässt sich der Grad der Änderung nicht als Indiz verwenden, wenn es keine Originaläußerung gibt. Die Gegenüberstellung in dieser Tabelle bedeutet allerdings nicht, dass die Elemente ausschließlich in einer der beiden Arten
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe Direkte Rede
Indirekte Rede
Indikativ syntaktisch selbständig Modalpartikeln deiktisches Zentrum: Originalsprecher → alle Deiktika (Pronomina, Orts- und Zeitangaben) sind aus seiner Sicht gewählt
Konjunktiv syntaktisch integriert keine Modalpartikeln deiktisches Zentrum: Reportersprecher → alle Deiktika (Pronomina, Orts- und Zeitangaben) sind aus seiner Sicht gewählt oder nichtdeiktisch ausgedrückt
45
Tabelle 2.2: Indizien zur Unterscheidung von direkter und indirekter Rede
von Redewiedergabe zu finden sind. Einige Wiedergaben sind möglicherweise gerade deswegen schwer dem einen oder anderen Typ zuzuordnen, weil sie wenige charakteristische, sondern vielmehr der Indizienzusammenstellung widersprechende Charakteristika aufweisen. Eine Häufung von Indizien in Verbindung mit der Perspektive hilft, Beispiele relativ sicher zu kategorisieren. Eine derartige Kategorisierung bildet die Grundlage für die Untersuchung direkter und indirekter Redewiedergabe in Kapitel 5.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe 2.3.a) Indikativ und Konjunktiv Der Normalmodus der direkten Rede ist der Indikativ. Der Konjunktiv wird nur dann verwendet, wenn er aus der Originaläußerung übernommen wird, d. h. etwa, wenn ein Konditionalsatz oder ein Wunschsatz indirekt wiedergegeben werden. In der indirekten Wiedergabe stehen Konjunktiv und Indikativ zur Verfügung. Der Konjunktiv hat im Kontext der Redewiedergabe eine spezifische Funktion, die Fabricius-Hansen wie folgt beschreibt: Mit dem Konjunktiv gibt der Sprecher (Erzähler) zu verstehen, dass er den Satzinhalt als indirekte Wiedergabe einer »fremden« Äußerung verstanden wissen will, für die er selber im Sprechzeitpunkt keinen Gültigkeitsanspruch erhebt (Fabricius-Hansen 2005, S. 538).
Dieses gelte sowohl für die berichtete Rede, wo der Konjunktiv das einzige Referenzsignal darstellt, als auch für die abhängige indi-
46
2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
rekte Rede (vgl. ebd.). Ähnlich wird diese Funktion in der IDSGrammatik umrissen: Ein Sprecher signalisiere durch die Verwendung des Konjunktivs in der indirekten Rede einen „abgeschwächten Verbindlichkeitsanspruch“, der sich paraphrasieren lasse als „x sagt, daß p, und ich lasse offen, ob ich sage, daß p“ (Zifonun et al. 1997, S. 1766). Weinrich bezeichnet diese Funktion als „Indirektiv“ und weist dem Konjunktiv in dieser Funktion das semantische Grundmerkmal einschränkung zu, ergänzt durch referenz, und damit eigne sich der „Indirektiv“ speziell „für eine indirekte Wiedergabe, bei der ein Sprecher die Verantwortung für die referierte Nachricht von sich fernhält“ (2005, S. 904–905). Der Indikativ kann prinzipiell nun auch diese Funktion erfüllen, denn der Konjunktiv ist, wie ausgeführt, nicht das einzige Mittel zur Kennzeichnung einer fremden Äußerung. Auch die Redeeinleitung und die syntaktische Integration der Originaläußerung in Form eines dass-Satzes signalisieren Indirektheit. Das bringt laut Helbig/Buscha (2001) „eine gewisse Freiheit in der Moduswahl“ mit sich (S. 175), bzw. es macht den Konjunktiv, wenn Indirektheit durch einen dass-Satz oder Interrogativnebensatz gekennzeichnet ist, im Grunde überflüssig (vgl. Fabricius-Hansen 2005, S. 539). In der berichteten Rede ist der Konjunktiv jedoch obligatorisch, und indem diese Obligatorik auf andere Kontexte übertragen wird, kann der Indikativ einen höheren Verbindlichkeitsanspruch signalisieren, wodurch eine Differenzierung zwischen der Ansicht des Reportersprechers und der des Originalsprechers möglich ist. Diese Differenzierung ist allerdings vornehmlich in besonderen Textsorten und nicht allgemein zu beobachten. In diesem Zusammenhang werden in der IDS-Grammatik im Hinblick auf Gebrauch der Modi zwei Verwendungstypen beschrieben: In Typ I wird vom Sprecher „den normativen Empfehlungen zum Umgang mit Indirektheit weitgehend gefolgt“, im Typ II ist das Gegenteil der Fall (Zifonun et al. 1997, S. 1767). Als Textsorten des Typs I nennen die Autoren solche der „öffentlichen Kommunikation, insbesondere in massenmedialen (Nachrichten-)Texten“ (vgl. ebd.). Zu Typ II gehören dagegen „Text- und Diskurssorten der nicht-öffentlichen, informellen Kommunikation“ (vgl. ebd., S. 1768). Den „normativen Empfehlungen“ zufolge gelte für Texte des Typs I,
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
47
dass die Redewiedergabe mindestens einfach markiert sein muss, also redeeinleitung + konjunktion oder redeeinleitung + konjunktiv.47 Dementsprechend werde auch in Nachrichtentexten häufiger auf den Konjunktiv verzichtet, wenn die Wiedergabe durch einen Konjunktionalsatz markiert ist (vgl. ebd.). Da es aber auch den Typ redeeinleitung+konjunktion+konjunktiv gebe, könne die Verwendung eines Indikativs im Konjunktionalsatz potenziell das Verlassen des Indirektheitskontextes signalisieren, da der Indikativ in Texten der öffentlichen Kommunikation „eher [. . .] der ›markiertere‹ Modus“ sei und der Konjunktiv der Normalmodus (vgl. ebd., S. 1768). Insofern sei die Redewiedergabe in öffentlichen Textsorten eine Gratwanderung zwischen redundanter Markierung (konjunktion+konjunktiv) und Übergang in direkte Wiedergabe oder in einen Kommentar des Reportersprechers (vgl. ebd.). So kann beispielsweise ein solcher Eindruck, als ob der Reportersprecher die Meinung des Originalsprechers teile, in dem folgenden Nachrichtentext entstehen: (2.18) In einem Interview sagte er: „Die internationale Messe in Leipzig, das ist schon eine Institution für sich. Sie ist in der ganzen Welt bekannt als ein einzigartiges internationales Treffen.“ Er selbst habe etwa zwanzigmal daran teilgenommen. Die Anziehungskraft der Messe bestehe darin, daß man dort sowohl die Produzenten treffen kann als auch führende Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft.48 Im Verwendungstyp II überwiegt laut der IDS-Grammatik der Indikativ. Hier, in nicht-öffentlichen Textsorten, die sich durch infor47 Anders als Jäger werten die Autoren die Redeeinleitung nicht als Markierung der Redewiedergabe. Nach Jäger 1971 wäre das jeweils Zweifachmarkierung (vgl. S. Abschnitt 2.2.e ), S. 41 dieser Arbeit. dieser Arbeit). 48 Neues Deutschland, 30.8.1984, S. 1; zitiert nach Zifonun et al. 1997, S. 1767– 1768 (dort Bsp. 2), Hervorhebung im Original durch Fettdruck. Der Eindruck, dass der Journalist als Reportersprecher hier die Meinung des Originalsprechers teilt, entsteht vor allem dadurch, dass die direkte Rede zunächst durch berichtete Rede fortgesetzt wird, in der dann ein dass-Satz auftritt, welcher in Ermangelung einer Redeeinleitung im Grunde ebenfalls ein finites Verb im Konjunktiv aufweisen müsste, damit der Referatstatus ausreichend gekennzeichnet wäre. Hier verwendet der Reportersprecher jedoch einen Indikativ.
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mellen Stil auszeichnen, wird Indirektheit nicht durchgehend, beziehungsweise „nicht konsequent“ gekennzeichnet, was umgekehrt heißt, dass die Verwendung des Indikativs nicht potenziell das Verlassen des Indirektheitskontextes anzeigt. Wenn der Reportersprecher seinem Hörer mitteilen möchte, dass er die Meinung des Originalsprechers teilt, hat er andere Möglichkeiten dieses zu verdeutlichen, wie zum Beispiel einen explizit bestätigenden Zusatz von der Art Das finde ich übrigens auch (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1769). Wenn allerdings in berichteter Rede, wo der Konjunktiv obligatorisch ist,49 in den Indikativ gewechselt wird, dann kann dieser Wechsel als Signal für das Verlassen der Indirektheit und den Übergang in eine Behauptung gewertet werden. Um dieses zu verdeutlichen, wiederholen die Autoren den hier als Beispiel (2.15) zitierten Zeitungsbeleg unter Veränderung des Modus vom Konjunktiv zum Indikativ im Folgekontext (vgl. ebd., S. 1770). (2.19) Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wagner berichtet, niemand habe die Absicht geäußert, beim Parteitag in zwei Wochen gegen Kohl zu kandidieren. Es ist aber über die Möglichkeit einer Gegenkandidatur gesprochen worden.50 Einen anderen Ansatz, und zwar einen, der die Funktion des Konjunktivs unabhängig von der Redewiedergabe (und auch von der Textsorte) zu bestimmen sucht, verfolgt Eisenberg. Entgegen den von anderer Seite vorgeschlagenen Funktionen des Konjunktivs in der indirekten Rede argumentiert er, der Konjunktiv zeige nicht Redewiedergabe an, sondern signalisiere generell Nichtfaktivität (vgl. Eisenberg 1999, S. 118). Für die Moduswahl bedeute dieses, dass sie vom Verb im übergeordneten Satz abhänge. Wenn in einem dassSatz ein Konjunktiv steht, so ist das einleitende Verb nicht-faktiv. Faktive Verben akzeptieren dagegen den Konjunktiv nicht. Faktive Verben sind zum Beispiel verstehen, entschuldigen, wissen, nichtfaktive behaupten, glauben, hoffen. Manche Verben haben jedoch eine faktive und eine nicht-faktive Variante, sodass sie sowohl mit Indikativ als auch mit Konjunktiv vorkommen können. Diese sind unter anderem die Verben des Sagens (behaupten, berichten). Verwende 49 Vgl. Abschnitt 2.2.c ), S. 29 sowie Abschnitt 2.3.a), S. 46 dieser Arbeit. 50 Zitiert nach Zifonun et al. 1997, S. 1770, Beispiel (1”). Hervorhebung im Original durch Fettdruck.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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ein Sprecher den Indikativ mit einem Verb, das sowohl faktiv als auch nicht-faktiv sein kann, so setze er „die Wahrheit des Komplementsatzes voraus“ (vgl. ebd., S. 117).51 Diese Flexibilität illustriert er durch die folgenden beiden Beispiele: (2.20)
(a) Bild behauptet, dass der Graf verhaftet worden ist. (b) Bild behauptet, dass der Graf verhaftet worden sei.52
An dieser Stelle knüpft Fabricius-Hansen an, indem sie hinzufügt, dass der Konjunktiv nach solchen Verben, die mit beiden Modi kombiniert werden können und zugleich als Redeeinleitung dienen (z. B. tadeln, loben, kritisieren, verantwortlich machen) der Aussage eine modale Dimension verleihen können (vgl. 2005, S. 539). Zur Illustration stellt sie zwei Beispielsätze gegenüber: (2.21)
(a) Nun erhob er [Einstein] gegen Bohrs Theorie »hundert Einwände«, meist schwieriger technischer Art, und er kritisierte energisch, dass Bohr voreilig die Erhaltungssätze und damit die Kausalität aufgegeben habe (. . .)
51 Das Begriffspaar „factive“ – „non-factive“ wurde von Kiparsky/Kiparsky (1971) eingeführt. Die Autoren entwickeln ein Modell, das einen Fehler in der Theorie der Generativen Transformationsgrammatik korrigiert, nämlich die Annahme, dass die Komplemente „that-clause“, „gerund“ und „infinitive“ dieselbe Tiefenstruktur hätten. Ihr Modell fördert dagegen semantische Unterschiede zwischen diesen dreien zu Tage (vgl. ebd., S. 365). Zentral für das Modell ist die Präsupposition des Sprechers den Inhalt des Komplements betreffend, die Frage also, ob er sie für wahr (d. h. für ein Faktum) oder für nicht wahr hält. Im ersteren Fall sprechen die Autoren von Faktivität, im letzteren von Nicht-Faktivität (vgl. ebd., S. 348). Die Verben, die im übergeordneten Satz erscheinen, teilen sie ebenfalls in eine Gruppe der faktiven und eine der nicht-faktiven Verben ein (vgl. ebd., S. 347). Auch sie zählen eine Reihe von Verben auf, die beides sein können („indifferent and ambiguous predicates“), darunter einige Verben des Sagens: „acknowledge, report, announce“ etc. (ebd., S. 360). Insofern folgt Eisenberg diesem Modell, auch wenn für Kiparsky/Kiparsky der Konjunktiv in Anbetracht ihres Untersuchungsobjektes, dem Englischen, keine Rolle spielt. An der Terminologie kritisiert Palmer (1986), dass das Adjektiv factive eher ‘gemacht’ bedeute und nicht ‘Fakten betreffend’. Er meint deshalb, der korrekte Begriff müsse factual sein (vgl. ebd., S. 11). Da aber viele Autoren (im Interessensbereich dieser Arbeit u. a. Schrodt 1983) den von Kiparsky/Kiparsky eingeführten Begriffen folgen, werden diese trotz Palmers berechtigter Kritik auch hier verwendet. 52 Eisenberg 1999, S. 117, Bsp. (9a) und (10a). Die Hervorhebung sowie die Punkte am Satzende wurden hinzugefügt.
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(b) . . . und er kritisierte energisch, dass Bohr voreilig die Erhaltungssätze und damit die Kausalität aufgegeben hatte/hat.53 In dieser Art von Kontext signalisiere der Indikativ wie in (2.21)(b) dem Adressaten, dass der Reportersprecher „den Inhalt des abhängigen Satzes als gegeben betrachtet wissen will“, wogegen er in (a) keine Stellung nimmt (ebd.). Eben dieses ist knapp 100 Jahre zuvor von Otto Behaghel in seiner Deutschen Syntax (1928) als ältester Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv dargestellt worden. In seiner Beschreibung des „alten Typus“ zur Verwendung beider Modi (bis ins 16. Jh.), welcher sich jedoch in Teilen bis heute fortsetze (vgl. ebd., S. 582), fasst er zum einen die Verben, auf welche Behauptungssätze54 folgen können, in die drei Gruppen der subjektiven, objektiven und indifferenten zusammen. Nach objektiven Verben, die „deutlich einer Anerkennung entsprechen“ (z. B. wissen), stehe der Indikativ, nach subjektiven, die „deutlich einen Zweifel, eine Ablehnung in sich schließen“ (z. B. wähnen), stehe zumeist der Konjunktiv, während der Gebrauch nach indifferenten Verben (z. B. Verben des Sagens) schwanke.55 Es seien jedoch nicht unbedingt diese Verbtypen, welche die Moduswahl steuern. Vielmehr sei es „die Art, wie sich das grammatische oder logische Subjekt des Hauptsatzes zu dem Inhalt des Nebensatzes verhält“ sowie die Einstellung des „Darstellers“ 56 diesem Inhalt gegenüber (vgl. ebd., S. 582). Die Einstellung kann sich als Über53 Fabricius-Hansen 2005, S. 539, Beispiele (c) und (c’). Die dortigen Hervorhebungen sind hier durch Kursivierung realisiert. Als Quellenangabe nennt sie „A. Fölsing“. 54 Unter Behauptungssätzen versteht Behaghel abhängige Nebensätze, die in der Terminologie der „alten Schulgrammatik [. . .] nach verba sentiendi und declarandi stehen“ (1928, S. 582). Die Verba dicendi sind eine Untergruppe von diesen (vgl. ebd., S. 590). 55 Vgl. ebd., S. 583 sowie 585, 588, 590, vgl. auch genauer zu den drei Verbgruppen sowie dem mittleren und dem neuen Typus der Modusverwendung nach Behaghel Abschnitt 3.7, S. 139 dieser Arbeit. 56 Als „Darsteller“ bezeichnet Behaghel denjenigen, „der das Satzgebäude, die Verbindung von Hauptsatz und Nebensatz, vorträgt“ (vgl. ebd., S. 582). Im Zusammenhang der Redewiedergabe entspricht der Darsteller also in der hier verwendeten Terminologie dem Reportersprecher. Das grammatische oder logische Subjekt des Hauptsatzes kann demnach der Originalsprecher sein, muss es aber nicht.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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einstimmung, Zweifel oder Ablehnung bzw. „Widerstreit“ ausprägen (vgl. ebd.); die drei Verbtypen machen solche Einstellungen transparent. Hier ist nun von besonderer Bedeutung, dass auf keinen Fall „Widerstreit“ (bzw. ein Konflikt) festgestellt werden kann, wenn das Subjekt des Hauptsatzes und der Darsteller ein und dieselbe Person sind, das finite Verb des Hauptsatzes also in der ersten Person Singular steht. Behaghels Beispiele für diesen Fall sind (ebd.): (2.22) ich weiß, daß mein Erlöser lebt (2.23) es scheint mir, es sei zu spät Gerade nach einem objektiven Verb wie wissen, wenn es zudem in der ersten Person Singular steht, sei kein Konjunktiv möglich (2.22). Bringt der Darsteller dagegen durch die Wahl des finiten Verbs Zweifel zum Ausdruck, so könne der Konjunktiv gesetzt werden (2.23). Wenn Darsteller und Subjekt nicht identisch sind – wenn Sätze wie diese also berichtet bzw. wiedergegeben werden – bestimme die oben erwähnte Einstellung des Darstellers (in Form von Übereinstimmung oder Ablehnung) die Moduswahl. Nach einem redeeinleitenden Verb wie leugnen kann demnach sowohl der Indikativ als auch der Konjunktiv stehen, selbst wenn, wie in Behaghels Beispiel, ein Naturgesetz der Inhalt des Nebensatzes ist (vgl. ebd., 583). Der Konjunktiv steht je nachdem, ob der Darsteller an dieses einstmals angezweifelte Naturgesetz glaubt oder nicht: (2.24)
(a) er leugnet, daß die Erde sich um die Sonne bewegt (b) er leugnet, daß die Erde sich um die Sonne bewege
In Analogie zu diesem Beispiel kann man das folgende formen, in welchem die Bezüge etwas eindeutiger sind. Zugleich werden die Sätze durch Austausch des einleitenden Verbs denen sehr ähnlich, die Eisenberg zur Illustration der Verben verwendet hat, die eine faktive und eine nicht-faktive Varianten haben (Bsp. 2.20): (2.25)
(a) Er sagt, dass die Erde sich um die Sonne bewegt. (b) Er behauptet, dass die Erde sich um die Sonne bewege.
In beiden Beispielen zeigt der Konjunktiv Nicht-Überseinstimmung an, während der Indikativ betont, dass der Darsteller von der Wahrheit des Inhalts des Nebensatzes überzeugt ist. Diese Verwendung
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
lässt sich jedoch heutzutage nur noch punktuell beobachten; es handelt sich, wie oben erwähnt, um den von Behaghel beschriebenen „alten Typus“. So ist beispielsweise der noch in der vorherigen Auflage der Dudengrammatik zu findende Hinweis, in eingeleiteten Nebensätzen stünde insbesondere dann der Indikativ, wenn im Nebensatz eine allgemeingültige Tatsache beschrieben wird (DudenGrammatik 1998, S. 782), nicht in die neue Auflage der Grammatik übernommen worden. Dort findet sich stattdessen der Hinweis, in eingeleiteten Nebensätzen sei der Konjunktiv ohnehin redundant (vgl. Fabricius-Hansen 2005, S. 539). Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der zeitlichen Perspektivierung, welche der Reportersprecher vornehmen will. Die Konjunktivformen selber haben keine temporale Bedeutung, im Sinne einer „Tempusmetapher“ (vgl. Schrodt/Donhauser 2003, S. 2509) können aber mit Hilfe der Konjunktivformen von haben, sein und werden analytische Konjunktivtempora gebildet werden und somit durch Konjunktiv Perfekt/Plusquamperfekt Vor-, durch Konjunktiv Präsens/Präteritum Gleich- und durch das Futur mit werde oder würde Nachzeitigkeit verdeutlicht werden.57 Ein Unterschied zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II herrscht dabei heute nicht,58 beide Arten des Konjunktivs können zur Verdeutlichung der Zeitstufen gleichermaßen gewählt werden: (2.26)
(a) A zu B: „Ich habe gerade dieses Buch, das ich schon immer haben wollte, ganz billig im Antiquariat gefunden und bin ganz glücklich!“ (b) B: „Als ich sie gestern traf, sagte sie, dass sie sich sehr über das Schnäppchen freue, das sie kurz vorher in einem Antiquariat erstanden hätte.“
Zur Verdeutlichung der Vorvergangenheit, der im Indikativ das Plusquamperfekt dient, kann bei den konjunktivischen Tempora, wo Perfekt und Plusquamperfekt temporal synonym sind, das Doppelperfekt verwendet werden (Fabricius-Hansen 2005, S. 537):
57 Vgl. die Übersicht in Fabricius-Hansen 2005, S. 536. 58 Mit den bestehenden Unterschieden beschäftigt sich der folgende Abschnitt 2.3.b).
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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(2.27) Im Rückblick behauptet er [Musil], er habe bei der Abfassung des »Törleß« »kein Vorbild gekannt«, er habe damals noch wenig gelesen gehabt [. . .]59 Wie in Abschnitt 2.2 ausgeführt, ist das sicherste Kennzeichen der indirekten Rede das Anpassen der deiktischen Bezüge an die Perspektive des Reportersprechers. Das Tempus der finiten Verben, das ebenfalls deiktisch ist, gehört im Deutschen nicht dazu, wenn die finiten Verben im Konjunktiv stehen. Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit bleiben im Vergleich zur Originaläußerung unverändert. Anders als die übrigen deiktischen Elemente wird die zeitliche Perspektive in der konjunktivischen indirekten Rede im Deutschen aus Sicht des Originalsprechers gewählt; sein Sprechzeitpunkt ist der zeitliche Bezugspunkt, von dem aus Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit gesehen werden.60 So kann beispielsweise Nachzeitigkeit aus Sicht des Originalsprechers für den Reportersprecher bereits in der Vergangenheit liegen, was jedoch an der Redewiedergabe nichts ändert: (2.28) Am Sonntag hat er noch gesagt, er würde den Brief am nächsten Tag abschicken. Heute ist nun schon Freitag, aber der Brief ist immer noch nicht hier. Zifonun et al. (1997) formulieren in diesem Zusammenhang das „Prinzip der kontextdependenten zeitlichen Interpretation in Indirektheitskontexten“, das lautet: Der Konjunktiv ist stets verlagernd. Als Bezugspunkt der temporalen Interpretation gilt nicht die Referatzeit, also die Sprechzeit des aktualen Sprechers/Schreibers, sondern die Ereigniszeit der referierten Rede oder der referierten bzw. interpretierten Gedanken und Einstellungen, also die Sprechzeit oder „Denkzeit“ des Originalsprechers oder -„denkers“ [. . .] 61
Jäger (1971) bezeichnet dieses Phänomen als „Verschiebung der temporalen Ebene“ (S. 107) und führt weiter aus, dass die Tempora in 59 Zitiert nach Fabricius-Hansen 2005, S. 537. Als Quelle nennt sie „K. Corino“. 60 Die Frage, ob das eine spezielle Eigenschaft des Deutschen ist oder auch in anderen, konjunktivlosen Sprachen ebenso geregelt ist, wird zum Teil kontrovers diskutiert. So sagt Thieroff 1992 beispielsweise, im Englischen und in den skandinavischen Sprachen würde im Gegensatz zum Deutschen stets die Perspektive des Reportersprechers gewählt (vgl. ebd., S. 228). Dagegen zeigt Comrie 1986, dass eine derartige Annahme für das Englische nicht zutrifft, obwohl sie eine Option wäre (vgl. bsd. S. 277–293). 61 Zifonun et al. 1997, S. 1778. Hervorhebung im Original durch Fettdruck.
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der indirekten Rede stets die Originalsprechzeit als Bezugspunkt haben, wobei dieser Zeitpunkt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft liegen könne.62 Diese Ebenenverschiebung könne aber nur eindeutig durch den Konjunktiv signalisiert werden (vgl. ebd., S. 112). Bei der Verwendung des Indikativs kann es dagegen zu Mehrdeutigkeiten kommen. Auf der einen Seite kann der Indikativ in indirekter Redewiedergabe ebenso verlagernd sein wie der Konjunktiv. Zifonun et al. (1997, S. 1780) formulieren dazu eine Erweiterung des soeben zitierten Prinzips: Der Indikativ ist in der Regel verlagernd. In indikativischer indirekter Rede sowie bei Gedankenrepräsentation findet in der Regel eine dem konjunktivischen Gebrauch entsprechende Verlagerung auf die referierte Zeit als Bezugszeit statt. Unterbleibt die Verlagerung, kann dies als Indiz für den Wechsel in einen Direktheitskontext (Behauptungs- oder Faktizitätskontext) gelten.
Findet Verlagerung statt, so verdeutlicht der Indikativ Präsens die Gleichzeitigkeit mit dem Originalsprechzeitpunkt, der Indikativ Futur die Nachzeitigkeit, Perfekt und Präteritum die Vorzeitigkeit. Dieses sind genau dieselben Formen, welche die Zeitverhältnisse bei Nicht-Verlagerung verdeutlichen. In Abhängigkeit vom Kontext können hier also mit Bezug auf die Indirektheit Zweideutigkeiten auftreten. Entweder liegt Indirektheit und Verlagerung vor oder Direktheit und keine Verlagerung. Insbesondere, wenn sowohl das Tempus des einleitenden Verbs als auch das des abhängigen Satzes das Präsens ist, kann die Grenze zwischen Behauptung und Redewiedergabe leicht verwischen. Ein einfaches Beispiel hierfür wäre: (2.29) Er sagt, dass das Wasser im See kalt ist. Dieser Satz könnte sich in entsprechenden Kontexten und besonders in der nicht öffentlichen Alltagssprache sowohl auf eine kurz zuvor getane Originaläußerung als auch auf eine weiter zurückliegende beziehen, was bedeutet, dass das Wasser zum Wiedergabezeitpunkt nicht unbedingt immer noch kalt sein muss. Auch das subjektive Empfinden ist hier von Bedeutung. Findet der Sprecher das Wasser ebenfalls kalt und ist diese Kälte zum Wiedergabezeitpunkt noch 62 Vgl. S. 110, wo er die Zeitverhältnisse auch graphisch veranschaulicht.
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aktuell, möchte der Sprecher ggf. keine Mittelbarkeit signalisieren und bedient sich daher nicht der Verlagerung. Er behauptet das, was er wiedergibt, ebenso wie der Originalsprecher. Mögliche Fortsetzungen von (2.29) wären demnach beispielsweise „und das finde ich auch“, gleichermaßen wäre jedoch „Im Moment finde ich es aber gar nicht mehr so kalt“ oder „Ich habe es noch nicht getestet“ denkbar. Steht die Einleitung im Präsens und der abhängige Satz im Präteritum, wird im Kontext leicht deutlich, ob Indirektheit oder Direktheit gemeint ist, wie in Beispiel (2.30). (2.30) Ich saß am Filmabend des Frauenvereins hinter Ihnen [. . .]. Sie fragten mich, ob mich ihr Hut stört.63 Der Filmabend ist offensichtlich ein weiter zurück liegendes Ereignis, der Indikativ Präsens in der wiedergegebenen Rede kann sich also nur auf die Originalsprechzeit beziehen. Allerdings gibt es auch Beispiele von Indirektheit, wo keine Verlagerung stattfindet und deren einleitendes Verb im Präteritum steht. Thieroff (1992) stellt einige solcher Beispiele, die der Literatur zum Thema entnommen sind, in einem Abschnitt zur temporalen Bedeutung von Konjunktiv Präsens und Präteritum in der indirekten Rede zum Vergleich nebeneinander (vgl. S. 232–234). Er zitiert dabei unter anderem Flämig (1959) und Jäger (1971), die beide Variationen desselben Satzes betrachten: (2.31) Er sagte/schrieb, daß er krank ist/war. (Flämig 1959, S. 71) (2.32) Mein Freund teilte mir mit, dass er krank sei/ist/war. (Jäger 1971, S. 113) Für Flämig ist der Satz mit Indikativ Präsens ambig, weil das Präsens die Gleichzeitigkeit des Krankseins mit der aus der Sicht des Reporters in der Vergangenheit liegenden Originalsprechzeit nicht verdeutlichen kann. In der Terminologie der IDS-Grammatik könnte bei Verwendung des Präsens also potenziell ein Übergang in einen Behauptungskontext vorliegen, in welchem das Präsens im Nebensatz als gleichzeitig mit dem Wiedergabezeitpunkt zu betrachten 63 Entnommen aus Fabricius-Hansen 1989, S. 169, Bsp. 26.
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wäre. Dass der Kontext hier zur Verdeutlichung beitragen könnte, erwähnt Flämig nicht, wohl aber Jäger. Dieser betrachtet die Sätze als Beispiele für „Geschehnisse, die für den ursprünglichen Sprecher gegenwärtig und für den Berichtenden vergangen sind“ und meint, der Konjunktiv signalisiere, dass der Freund nur zum Originalsprechzeitpunkt krank sei, der Indikativ Präsens zeige dagegen an, dass der Freund auch zum Wiedergabezeitpunkt noch krank sei. Wenn im abhängigen Satz nun ein Präteritum steht, sieht Jäger die Möglichkeit, dass das Kranksein als gleichzeitig zum Originalsprechzeitpunkt verstanden werden kann (vgl. Jäger 1971, S. 113).64 Das entspricht der Variante mit Konjunktiv (sei ) und zeigt somit das an, was oben als Verlagerung bezeichnet worden ist. Die andere mögliche Interpretation des Indikativs Präteritum in diesem Satz ist nicht-verlagernd, wo es Vorzeitigkeit zum Wiedergabezeitpunkt anzeigen würde. Thieroff schließt seine Darstellung dieser Beispielsätze in Abgrenzung von den Meinungen Jägers und Flämigs mit der Feststellung ab, sowohl das Präsens als auch das Präteritum könnten im Indikativ die zeitlichen Bezüge ohne Kontext nicht verdeutlichen, womit er die gleiche Meinung wie Zifonun et al. (1997) vertritt. Sätze mit Indikativ Präteritum, in denen keine Verlagerung stattfindet, treten häufig in präteritalen Erzähltexten auf. Dort ist diese Art der Redewiedergabe ein literarisches Stilmittel:65 (2.33) Die Uhr in der Schalterhalle sagte mir, daß es zwanzig nach vier war.66 Aus dem Kontext geht hier ganz klar hervor, dass das Präteritum im abhängigen Satz als gleichzeitig zum Sprechzeitpunkt verstan64 Als Bestätigung dieser Sichtweise und zugleich als Einschränkung kann eine Feststellung von Andersson (2004) gewertet werden. Andersson sagt, dass der Indikativ Präteritum hier in verlagernder Funktion ausschließlich von einigen norddeutschen Sprechern eingesetzt wird. Diese Verwendung entspräche der im Englischen, Niederländischen, den skandinavischen und romanischen Sprachen und sei vermutlich ein Reflex des Niederdeutschen (vgl. ebd., S. 161). Demzufolge ist Jägers Interpretation des Satzes zwar eine Möglichkeit, jedoch nur eine regional begrenzte. 65 Vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1781. Die Autoren nehmen Bezug auf die Studie von Solfjeld (1989). 66 Zifonun et al. 1997, S. 1781. Das Zitat stammt aus der Blechtrommel von Günter Grass (Frankfurt/Main: Fischer 1964, S. 181).
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den werden soll, wohingegen es verlagernd als vorzeitig zum Originalsprechzeitpunkt verstanden werden müsste. Da generell der Konjunktiv aber das sicherste Mittel ist um anzuzeigen, dass die zeitliche Perspektive des Originalsprechers gewählt werden soll, ist er „in temporaler Hinsicht eindeutiger und leichter zu verwenden [. . .] als der Indikativ“ (Fabricius-Hansen 2005, S. 539), was mitunter den Ausschlag bei der Wahl zwischen beiden Modi geben kann.
2.3.b) Konjunktiv I und Konjunktiv II In den heutigen Grammatiken herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Wahl zwischen Konjunktiv I und II in der indirekten Rede sowohl von der Morphologie des jeweiligen Verbs als auch von der Textsorte bzw. dem Sprachregister abhängt. Wie eben bereits erwähnt, besteht keine temporale Opposition zwischen den beiden Konjunktivarten, auch wird ihre Verteilung nicht von syntaktischen Regeln wie der Consecutio temporum67 beeinflusst. Von einem semantischen Unterschied wird im Allgemeinen ebenfalls nicht ausgegangen. Punktuell wird jedoch versucht, ein semantisch motiviertes Verwendungssystem zu beschreiben, in dem beiden Konjunktivarten unterschiedliche Bedeutungskomponenten zugewiesen werden wie neutralität oder distanz. Der morphologische Aspekt steht im Zusammenhang mit der Formenkonvergenz; die dazugehörige grammatische Regel wird oft als „Ersatzregel“ bezeichnet.68 Fabricius-Hansen (2005) formuliert 67 Diese Regel wird ausführlicher in Abschnitt 3.2.a) dieser Arbeit beschrieben. 68 Wenn man Hoegg (1854) Glauben schenken darf, so ist die Ersatzregel zu Beginn des 19. Jahrhunderts als grammatische Regel in den Mittelpunkt des Interesses gerückt: „Diese Regel scheint in der neueren Zeit die allgemeinste Anerkennung gefunden zu haben, wenigstens findet man in den besseren öffentlichen Blättern eine ziemlich consequente Beobachtung derselben, während in nicht wenigen Werken der neueren Literatur, in denen sonst eine stilistische Gewandtheit nicht zu verkennen ist, noch das bunte Gemisch der Formen herrscht, so daß sich ein leitendes Gesetz nicht ermitteln läßt.“ Hier hat Hoegg also beobachtet, dass der Regel in der Pressesprache Folge geleistet wird, in der Literatur hingegen nicht. Zu ihrem Ursprung fährt er fort: „Es hat bereits im J. 1828 F. K. Bernhard (Programm der höhern Stadtschule zu Sobernheim Ueber eine häufig übersehene Eigenheit der deutschen Sprache) aufmerksam darauf gemacht, daß die Armuth an scharf von einan-
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sie in der Duden-Grammatik als Empfehlungen für die geschriebene Standardsprache: (i) Konjunktiv I ist zu wählen, wenn die aktuelle Verbform formal eindeutig als Konjunktiv erkennbar ist (S. 541). (ii) Steht keine eindeutige Konjunktiv-I-Form zur Verfügung, erscheint der Konjunktiv II. In der 1./3. Person Plural kommt somit, außer im Fall sein, ausschließlich der Konjunktiv II infrage (S. 542).
Praktisch muss diese Regel auch für die geschriebene Sprache dahingehend ergänzt werden, dass aufgrund der erwähnten Formenkonvergenz mit dem Indikativ, welcher die Konjunktiv-II-Formen ebenfalls betrifft, eine weitere Ersatzform verwendet wird, und zwar der analytische Konjunktiv mit würde. Dieser ist somit sowohl im Präteritum der schwachen Verben als auch der meisten starken Verben (und insbesondere der ohnehin ungebräuchlichen Formen69 ) sowie der weniger gebräuchlichen „unregelmäßigen schwachen Verben“ (kennen, brennen) üblich (vgl. ebd., S. 547). Da die Fälle von Formenkonvergenz bzw. Unüblichkeit sehr häufig sind, ist die würdeForm dabei, sich zum Standardkonjunktiv zu entwickeln.70 Die Ersatzregel wird in einigen Textsorten befolgt, „vorzugsweise jedoch in schriftlichen Texten und in einem anspruchsvollen Stilregister“ (Weinrich 2005, S. 262). Weinrich zitiert beispielsweise eine lange Passage berichteter Rede aus einem literarischen Text71 , in der unterscheidenden Flexionsformen in unsrer neuhochdeutschen Sprache bewirkt habe, daß manche Form im Widerspruche mit dem ihr ursprünglich innewohnenden Begriffe gebraucht werde, und den oben angeführten wechselnden Gebrauch der Conjuncktivformen in der indirecten Rede als eine zum Sprachgesetz gewordene Eigenheit der deutschen Sprache zu strenger Beachtung empfohlen.“ Auch damals scheint es also schon eine Diskrepanz zwischen der Regel und der Sprachrealität gegeben zu haben. 69 Vgl. Abschnitt 2.1, S. 18 dieser Arbeit. 70 Beispielsweise sind in Jägers Korpus 39 % aller Konjunktiv-II-Formen in indirekter Rede analytische Konjunktive mit würde: Es enthält 412 Belege für die würde-Form, 114 für „Vollverben“ (d. h. starke und schwache Verben) sowie 527 Belege für „Hilfs- und Modalverben“ (vgl. Jäger 1971, S. 252, Tabelle 22). Zur Entwicklung des analytischen Konjunktivs zum Standardkonjunktiv vgl. auch Schecker 2002, S. 13. 71 Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921–1931. München 1980, S. 77 ff. Ein Teil dieser Passage wurde oben zitiert als Beispiel (2.16), S. 43 dieser Arbeit.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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dem sie konsequent angewendet wurde: Dort finden sich 47 Formen des Konjunktivs, darunter zwei Ersatzkonjunktive (vgl. ebd., S. 262–263). Es muss jedoch der Individualstil mancher Autoren beachtet werden, die den Konjunktiv II auch dort bevorzugen, wo eine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht (vgl. ebd., S. 542). Auf der anderen Seite werden modusambivalente Formen nicht konsequent vermieden. Möglicherweise hat diese Praxis Jäger (1971) veranlasst, die Existenz der Ersatzregel anzuzweifeln, da er sie in dem von ihm untersuchten literarischen Korpus nicht bestätigt fand.72 In der gesprochenen Sprache ist der Konjunktiv I selten außer bei den Verben haben und sein. Wird er doch verwendet, ist das vermutlich auf einen aus der Schriftsprache übernommenen Prestigeanspruch des Konjunktivs I zurückzuführen (vgl. Fabricius-Hansen 2005, S. 542). Im Normalfall wird in der gesprochenen Sprache jedoch, wenn in der Redewiedergabe überhaupt auf den Konjunktiv zurückgegriffen wird, der Konjunktiv II verwendet (vgl. ebd.), und am häufigsten ist dabei, wie Bausch (1979) ermittelt hat, der analytische Konjunktiv mit würde. In drei Viertel aller Fälle fällt die Wahl in der gesprochenen Standardsprache auch dann auf die analytische würde-Form, wenn eine gebräuchliche synthetische Form des Konjunktivs II zur Verfügung steht, weswegen Bausch sie als „Hauptvariante“ des Konjunktivs II bezeichnet (vgl. 1979, S. 184). Es besteht aber in den Dialekten bzw. der dialektal gefärbten Umgangssprache dahingehend ein Unterschied, dass in den nördlichen Varietäten der Konjunktiv II, im Süden dagegen der Konjunktiv I verwendet wird (vgl. Saltveit 1983a, S. 1225).73 72 Vgl. auch Zifonun et al. 1997, S. 1784. Jäger hat einerseits in einem Drittel aller Indirektheitskontexte einen Indikativ oder eine modusambivalente Form gefunden (vgl. 1971, S. 27, 98–100 und 132–133) und andererseits ermittelt, dass die Formen des Konjunktivs II gehäuft in der 3. Person auftreten, wo alle Verben über eindeutige Konjunktivformen verfügen (vgl. ebd., S. 135). 73 Vgl. hierzu auch Anmerkung 25 in Kapitel 3, S. 85 dieser Arbeit. Götz weist darauf hin, dass Informationen, welche die regionalen Varianten von Konstruktionen betreffen, in Grammatiken äußerst selten sind. Nur drei von den 13 Grammatiken, die sie hinsichtlich derartiger Hinweise untersucht hat, erwähnen den Konjunktiv II als regionale Variante für das Norddeutsche, und zwar Erben (1980), Helbig/Buscha (1993) und Heidolph et al. (1981) (vgl. Götz 1995, S. 229 und 236–237). Helbig/Buscha haben den betreffenden
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Neben diesen register- und morphologisch bedingten Verwendungstendenzen von Konjunktiv I und Konjunktiv II wird zuweilen ein semantischer Unterschied postuliert, der dem Konjunktiv II in der indirekten Rede dieselbe semantische Qualität wie dem in irrealen Konditionalsätzen zuschreibt. Als Beweis dafür, dass mit Hilfe des Konjunktivs II eine Distanzierung des Reportersprechers von dem, was er wiedergibt, intendiert sein kann, wird immer wieder das folgende Zitat aus Schillers Wallensteins Tod (II, 1) angeführt: (2.34) Mir meldet er aus Linz, er läge krank, Doch hab ich sichre Nachricht, daß er sich Zu Frauenberg versteckt beim Grafen Gallas.74 Aus dem Kontext geht hier eindeutig hervor, dass die Meldung „Er liegt krank“ nicht der Wahrheit entspricht und dass der Reportersprecher Wallenstein dieses weiß. Von daher kann man vermuten, dass Schiller seinen Wallenstein absichtlich den Konjunktiv II, der hier nicht in Ersatzfunktion auftritt, hat verwenden lassen, um die Falschheit der Meldung zu unterstreichen. Man kann auch sagen, Wallenstein distanziere sich vom Inhalt der Nachricht, was dem Konjunktiv II in diesem Zusammenhang die Bedeutung zweifel/distanz verleiht. Diese Sichtweise ist insofern nicht abwegig, als der Hauptverwendungsbereich des Konjunktivs II die irrealen Konditionalsätze sind, wo durch eben diese BedeutungskomHinweis auch in die neueste Auflage ihres Buches übernommen. Sie erklären, dass der Konjunktiv II eher umgangssprachlich sei, was „im Norden des deutschen Sprachgebiets auch dialektal bedingt“ sei (Helbig/Buscha 2001, S. 177). Dass im Südwesten verstärkt der Konjunktiv I in der Redewiedergabe verwendet wird, findet auch in der sprechsprachlich orientierten Arbeit von Graf (1977) Bestätigung. So ist der dortigen Tabelle 16 (S. 420) zu entnehmen, dass insgesamt betrachtet der Konjunktiv II in der indirekten Rede lediglich zu 23 % verwendet wird (1 071-mal Konjunktiv I, 327-mal Konjunktiv II), wobei sich die einzelnen Landschaften, die Graf untersucht hat, noch voneinander unterscheiden. Das heißt, dass der Konjunktiv II zwar nicht völlig in den südwestdeutschen Mundarten fehlt, aber recht selten vorkommt, und stattdessen der sonst als hochsprachlich angesehene Konjunktiv I verwendet wird. 74 Zitiert nach: Kürschner, Josef (Hrsg.): Deutsche Nationallitteratur. Historisch-kritische Ausgabe. 122. Band: Schillers Werke, fünfter Teil, erste Abteilung: Wallensteins Lager. Die beiden Piccolomini. Wallensteins Tod. Tübingen 1974, S. 202.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
61
ponente das Ausgesagte in eine andere, nicht reale Welt transportiert wird. Die Frage ist, ob diese Bedeutung auch in der Redewiedergabe mitschwingt oder ob es sich eher um eine fakultative, in erster Linie kontextabhängige Bedeutungsnuance handelt. Von einer konkreten Distanzbedeutung des Konjunktivs II sprechen zum Beispiel Jäger (1971), Morgenthaler (1998), Coulmas (1986b), Wunderlich (1972) und Viorel (1985). Wie oben bereits kurz erwähnt, hat Jägers Untersuchung des Mannheimer Korpus ergeben, dass der Konjunktiv II häufig in indirekter Rede verwendet wird, wenn kein Ersatz vonnöten ist, weswegen er eine semantische Erklärung dieses Abweichens von der Ersatzregel sucht. Er kommt dabei durch Abwägen der möglichen Bedeutungen verschiedener Beispielsätze (1971, S. 161–164) zu dem Ergebnis, dass „der Konjunktiv II [. . .] primär zur Distanzierung von Sachverhalten zu dienen [scheint]. Er ist Mittel des Autors, seine Stellung zu einem Sachverhalt auszudrücken“ (ebd., S. 165). An diese Einschätzung schließt er Überlegungen zur Bedeutung von Indikativ, Konjunktiv I und Konjunktiv II an. In indirekter Rede bedeutet laut Jäger der Konjunktiv II, dass der Reportersprecher „Zweifel an der Richtigkeit der Aussage eines oder mehrerer anderer bzw. der Realisierbarkeit des geäußerten Sachverhalts“ zum Ausdruck bringen möchte. Der Indikativ zeige an, „daß der Autor die Aussage, ohne davon abzurücken[,] berichtet“, und der Konjunktiv I vermittle „situationsgegebene Distanz“, indem er das Wiedergegebene einem anderen Sprechzeitpunkt zuweise (vgl. ebd., und S. 165 u. 128). Morgenthaler zufolge liegt ein falscher Konjunktivgebrauch vor, wenn der Konjunktiv II verwendet wird, obwohl eine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht – was eine normorientierte Interpretation der Ersatzregel darstellt – und wenn aus dem Kontext eindeutig hervorgeht, dass die wiedergegebene Aussage wahr ist. Der Beispielsatz, mit dem er seine Meinung unterstreicht, lautet (2.35) [. . .] der Wirt spricht davon, dass alle von seiner Unschuld überzeugt gewesen wären.75
75 Entnommen aus Morgenthaler 1998, S. 364.
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
Er fügt hinzu, dass im weiteren Kontext dieses Satzes deutlich wird, dass der Wirt in der Tat unschuldig war. Falsch sei dieser Gebrauch, weil „beim Hörer zunächst immer die Bedeutung der Potentialität/Irrealität mitschwingt“ (ebd., S. 364). Coulmas (1986b) listet eine Reihe von Sätzen auf, die er in absteigender Folge nach dem Sicherheitsgrad sortiert hat, welchen sie seiner Meinung nach als Bedeutungsnuancen enthalten:76 Er sagt, Er sagte, Er hat gesagt,
a) b) c) d) e)
er er er er er
kommt. werde kommen. komme. würde kommen. käme.
Dieser Übersicht zufolge ist Coulmas der Ansicht, dass sich ein Sprecher zum Beispiel vom Inhalt seiner Wiedergabe mehr durch Verwendung des Konjunktivs Präteritum distanziere, als wenn er den analytischen Konjunktiv mit würde verwende. Für Coulmas ist diese Bedeutungsdifferenzierung die Ausprägung der Consecutio temporum im Deutschen (vgl. Coulmas 1986b, S. 16). Er bezieht sich an dieser Stelle auf Wunderlich (1972), der allerdings nicht von einer automatischen Distanzierung durch den Gebrauch obiger Formen spricht und sie auch in keine derartige Reihenfolge bringt, sondern sagt, dem Reportersprecher stehe die Möglichkeit zur Distanzierung offen. Auch zeigen seine Beispiele keinen Wechsel zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II oder sogar zwischen würde-Form und Konjunktiv II, sondern lediglich zwischen Indikativ und Konjunktiv I, wobei er dem Konjunktiv I die mögliche Distanzbedeutung im Zusammenhang mit dem weiteren Kontext beimisst, indem er den Satz Strauß wies nach, daß die Bundesregierung die deutschen Ostinteressen verraten habe folgendermaßen interpretiert (Wunderlich 1972, S. 167): [I]n diesem Fall ist es allein Strauß, der die Behauptung des Verrats zu verantworten hat; der zitierende Sprecher könnte z. B. fortfahren: „Die begeisterten Zuhörer merkten gar nicht, daß Strauß in Wirklichkeit nur seine Unterstellungen in anderer Form wiederholte.“ 76 Vgl. Coulmas 1986b, S. 16, Beispiel 26. Die Hauptsätze sind mit den Nebensätzen laut Coulmas frei kombinierbar.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
63
Viorel misst dem Kontext eine große Bedeutung bei, sogar eine größere als dem Konjunktiv selbst: Ihr zufolge kann letztendlich nur der Kontext entscheiden, ob der Reportersprecher sich distanzieren möchte oder nicht. Unabhängig vom Kontext werde der Konjunktiv möglicherweise von einigen Sprechern als Distanzierungssignal eingesetzt, aber eine allgemeine Regel sei dieses nicht, da in der Umgangssprache zum Teil ausschließlich der Konjunktiv II in der indirekten Rede verwendet werde (vgl. Viorel 1985, S. 61).77 In dieselbe Richtung weist die Feststellung von Graf (1977), dass eventuelle Distanzierungsabsichten einzelner Sprecher durch den interpretierenden Sprachwissenschaftler im Nachhinein schwer festzustellen sind. Daher hat er in seinem Korpus gesprochener südwestdeutscher Umgangssprache78 zwischen Übereinstimmung des Sprechers mit dem Berichteten und Nicht-Übereinstimmung unterschieden, soweit es der Kontext zulässt. Eine Distanzierungsabsicht des Sprechers kann zwar vorliegen, und diese kann auch zur Wahl eines Konjunktivs II führen, aber hundertprozentig sicher kann man sich seines Erachtens bei der Interpretation nicht sein (vgl. ebd., S. 313–314 und 330). In den Fällen, wo er aufgrund des Kontextes Nicht-Übereinstimmung feststellen konnte, überwiegt aber in seinem Korpus süddeutscher,
77 Viorel bezieht sich hier auf Engelen 1974, S. 22. 78 Graf hat im Rahmen der Untersuchungen der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland Tonbandaufnahmen aus Baden-Württemberg, Bayrisch-Schwaben, Vorarlberg und Liechtenstein, genauer einem fränkischen, schwäbischen, bairisch-schwäbischen und liechtensteinischalemannischen Gebiet untersucht, sodass das eben verwendete Attribut „südwestdeutsch“ sich selbstverständlich lediglich auf Sprach-, nicht aber auf Landesgrenzen bezieht (vgl. Graf 1977, S. 274–276). Die Karte auf S. 275 seiner Arbeit zeigt die untersuchten Gebiete genauer. Im Zentrum des fränkischen Gebietes (F) liegt die Stadt Heidelberg, im bairischschwäbischen Gebiet (B) liegen die Städte Nördlingen und Augsburg, wobei der Lech nicht die Ostgrenze dieses Gebietes markiert, sondern es sich in etwa bis zum Starnberger See weiter nach Osten ausdehnt. Das schwäbische Gebiet (S) mit den Zentren Stuttgart und Ulm dehnt sich nach Süden bis zum Bodensee aus, dort beginnt das vorarlbergische bzw. liechtensteinisch-alemannische Gebiet (V), welches Dornbirn und Liechtenstein miteinschließt. Das verbleibende deutsch-alemannische Gebiet (A) umfasst den bundesdeutschen Teil des Bodenseegebietes sowie das Gebiet um Freiburg.
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gesprochener Umgangssprache der Konjunktiv II keineswegs,79 da eine Verwendung wie in dem folgenden Beispiel in 60 % der Fälle zu beobachten ist: (2.36) . . . då sin’ so inträssante Glimmerschtain für üs g’si, und als Kinder hem-m’r gmant, des sei des pure Gold natürlich.80 Damit ist im Grunde bereits die Position beschrieben, die in der IDSGrammatik vertreten wird. Mit Bezug auf das eingangs als (2.34) angeführte Wallensteinzitat heißt es dort, dass die Nicht-Faktizität in indirekter Rede „eine Domäne des Konjunktivs der Präteritumgruppe“ ist.81 In der Alltagskommunikation wird hingegen der Konjunktiv II ohne eine spezielle zusätzliche kommunikative Absicht verwendet. Er dient lediglich zur Anzeige von Indirektheit: In solchen Kontexten liegt kein Gebrauchsunterschied zwischen den Modi im Sinne unterschiedlich starker Distanzierung des aktualen Sprechers vom Gesagten vor. Negative, aber auch positive Sanktionierung aus Sprechersicht muß, sofern erwünscht, zusätzlich ausgedrückt werden.82
Auch hier messen die Autoren also dem Kontext die für eventuelle Distanzierung verantwortliche Bedeutung bei und nicht dem Konjunktiv an sich. Dasselbe gelte auch für die ebenfalls häufig postulierte Neutralitätsbedeutung des Konjunktivs I. Die gesamte indirekte Rede, bestehend aus redeeinleitung+komplementsatz, besitze eine bezüglich der Wahrheit des wiedergegebenen Inhalts nicht festgelegte Bedeutung, und zwar sowohl, wenn das finite Verb des Komplementsatzes im Indikativ, als auch, wenn es im Konjunktiv steht (vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1762–1763). Demzufolge besitzt der Konjunktiv I keine Bedeutungskomponente neutralität. Er wird lediglich registerabhängig in Indirektheitskontexten verwendet, 79 Von den insgesamt 98 Fällen von eindeutiger Nicht-Übereinstimmung verwendeten die Sprecher 59-mal den Konjunktiv I (60,2 %) und 39-mal den Konjunktiv II (39,8 %), vgl. Graf 1977, Tabelle 32, S. 452. Es bleibt zu überlegen, ob diese Verwendung eine süddeutsche Eigenart ist, da dort der Konjunktiv I in indirekter Rede häufiger ist als im übrigen Sprachgebiet (vgl. Anmerkung 73, S. 60 in diesem Kapitel). 80 Entnommen aus Graf 1977, S. 328, Beispiel (1); Hervorhebung im Original durch Unterstreichung. 81 Entnommen aus Zifonun et al. 1997, Band 3, S. 1773. Hervorhebung im Original durch Fettdruck. 82 Vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1774. Hervorhebung im Original durch Fettdruck.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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und dasselbe gilt auch für den Konjunktiv II; in dieser Hinsicht besteht also kein Unterschied zwischen den beiden. Ebenso kann der Konjunktiv II in Kontexten der Nicht-Faktizität eingesetzt werden, diese sind ihm aber nicht vorbehalten (vgl. ebd., S. 1774). Auch Thieroff (1992) kommt nach dem Abwägen der unterschiedlichen Forschungsmeinungen zu dem Schluss, dass es keinen semantischen Unterschied zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II in der indirekten Rede gibt, es sei denn, es werden Konditionalsätze wiedergegeben, die bereits in der Originaläußerung einen Konjunktiv II enthalten (vgl. S. 223–226). Eisenberg (1999) hält die Auffassung, der Konjunktiv II sei „die Form des Skeptikers“, für eine Erfindung der Normsetzer, die versuchen wollten, Struktur ins deutsche Modussystem zu bringen (vgl. ebd., S. 121). Sommerfeld (1990) kommt im Rahmen einer Untersuchung von Zeitungssprache wiederum zu dem Schluss, dass die Regel, „daß die Modi in der indirekten Rede wesentliches Mittel der Stellungnahme seien und auch zum Ausdruck der Distanzierung dienen“, vollständig geändert werden müsse, da er den Konjunktiv II nur in Ersatzfunktion gefunden habe (vgl. ebd., S. 342). Fabricius-Hansen (2005) warnt in diesem Zusammenhang vor Gefahren, die die Verwendung der beiden Konjunktivarten mit sich bringen kann, und zwar meint sie, dass der Konjunktiv II als Signal für Irrealität betrachtet werden kann, wenn lediglich indirekte Rede angezeigt werden soll, wobei aber auch der umgekehrte Fall möglich ist (vgl. ebd., S. 543). Das lässt darauf schließen, dass manche Sprecher in der Tat solche Unterschiede machen, da jedoch dieses System nicht ausreichend konventionalisiert ist, können Missverständnisse auftreten. Letztendlich ist es doch der Kontext, aus dem hervorgeht, ob der Reportersprecher sich vom Gesagten distanzieren möchte oder nicht.83 Was die Frage der möglichen Distanzierung betrifft, ist das Spektrum der Forschungsmeinungen also sehr breit. Doch auch wenn die Argumente der Distanzierungsgegner möglicherweise mehr überzeu83 Das belegt in eindrucksvoller Weise eine Untersuchung von Günthner (1997). In einem Korpus gesprochener Alltagssprache hat sie Kontexte festgestellt, in denen sich der Reportersprecher „sehr stark von der zitierten Rede distanzierte“, diese Rede aber in indirekter Form mit dem Indikativ realisiert (ebd., S. 255).
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
gen als die der Befürworter, lässt sich die Meinung, mit dem Konjunktiv II würden zumindest manche Sprecher in Unterstützung des Kontextes eine Art von Distanz zum Gesagten ausdrücken, nicht ignorieren. Dass diese Art der Distanzierung aber heutzutage nicht konventionalisiert ist, zeigen nicht zuletzt Sprecherbefragungen, bei denen keine Bedeutungsunterschiede zwischen den beiden Konjunktivarten ermittelt werden konnte.84 Die Möglichkeit, dass derartige Konventionen jedoch einmal bestanden haben, ist nicht auszuschließen, zumal sich die Distanzhypothese, insbesondere in Kreisen der Sprachkritik,85 hartnäckig hält.
2.3.c ) Exkurs: Die Modusverwendung in der Rechtssprache Da im Hauptteil dieser Untersuchung rechtssprachliche Texte analysiert werden, muss dieser Textsortengruppe auch mit Bezug auf die Gegenwartssprache besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Generell ist die Verwendung des Konjunktivs in der heutigen Rechtssprache sehr speziell. Er erscheint lediglich selten (vgl. Grosse 1983, S. 101), der Normalmodus ist demnach der Indikativ. In einigen Rechtstexten als Textsorte der öffentlichen Kommunikation kommt dem Konjunktiv allerdings in der Redewiedergabe eine bestimmte Funktion zu, insbesondere im Rahmen eines „Normierungsversuch[s]“ hinsichtlich einer Konvention zur Regelung der Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv. Der Konjunktiv I soll verwendet werden, wenn „strittige Sachverhalte“ referiert werden. Unstrittiges soll dagegen im Indikativ wiedergegeben werden. Bei dieser Norm 84 Vgl. Schecker 2002, S. 10. Bei der Bewertung unterschiedlicher Wiedergaben, in denen Verben in der 3. Person Konjunktiv I und Konjunktiv II auftraten, wurden lediglich diejenigen mit dem Merkmal distanz versehen, bei denen der Kontext eine solche Interpretation nahe legte. 85 Zum Beispiel stellt der Sprachkritiker und Journalistenlehrer Wolf Schneider ein Distanzierungssystem in einem seiner zahlreichen Bücher (1996, S. 297– 300) recht plastisch dar. Dass manchmal der Konjunktiv II als Ersatzform dient, sieht er dabei zwar als Problem, aber auch als nicht zu ändernde, bedauerliche Tatsache an. Da seinen hoch aufgelegten Büchern eine Breitenwirkung nicht abzusprechen ist, wäre es möglich, dass der eine oder andere Journalist anstrebt, das System zu verwenden. Allgemein anerkannt ist es jedoch, wie erwähnt, nicht.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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handelt es sich um eine „Übereinkunft“ 86 , die so weit reicht, dass sie Eingang in juristische Lehrbücher gefunden hat und speziell für Urteile gilt. Die entsprechende Passage aus einem solchen Lehrbuch heißt beispielsweise: Das Streitige, das so geschehen sein könnte (den Streitstand), stelle ich in der Möglichkeitsform (im Konjunktiv), in abhängiger (indirekter) Rede dar. Diesen Abschnitt leite ich durch einen Satz mit dem technischen Ausdruck „behaupten“ ein. Die streitigen – möglichen – Tatsachen bringe ich im Konjunktiv des Präsens oder Perfekts.87
Bei Entscheidungsgründen, die später im Urteil genannt werden, kommt dann der Konjunktiv II zum Einsatz. Beispiele für diese beiden Verwendungsweisen des Konjunktivs sind die folgenden zwei aus authentischen Urteilen: (2.37) Durch das [. . .] Schriftstück sei die Anrechnungsbefugnis nicht ausgeschlossen worden, denn hierbei habe es sich, wie schon aus der Verwendung des Konjunktivs ersichtlich, nicht um eine verbindliche Absprache gehandelt. (2.38) Das vorlegende Gericht hätte sich im Hinblick auf die Begründung seines Vorlagebeschlusses mit diesen Entscheidungen auseinander setzen müssen.88 Diese äußerst spezifisch-fachsprachliche Verwendungsweise des Konjunktivs ist außerhalb der juristischen Kreise kaum bekannt.89 In Urteilen wird demnach heute der Konjunktiv verwendet, in Vernehmungsprotokollen dagegen eher nicht. Auch sie sind rechtssprachliche Texte, doch werden sie oft nicht von ausgebildeten Juristen, sondern von Polizeibeamten aufgenommen. Um möglichen Missverständnissen, die durch mangelnde Beherrschung der indirekten Rede als grammatischem Phänomen aufkommen können, von vornherein 86 Vgl. Zifonun et al. 1997, S. 1768. Die Autoren verweisen auf Becher/Bergenholtz 1985, S. 451. 87 Sattelmacher/Sirp 1980, S. 204, zitiert nach Neumann/Hansen-Schirra 2004, S. 70. 88 Die Beispielsätze entstammen dem von Neumann/Hansen-Schirra 2004 untersuchten Korpus von Gerichtsurteilen, vgl. S. 76. 89 Zumindest legt das ein Experiment nahe, das Neumann/Hansen-Schirra durchgeführt haben (vgl. 2004, S. 79).
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2 Die Redewiedergabe in der deutschen Gegenwartssprache
vorzubeugen, gibt es Empfehlungen, Protokolle in direkter Rede aufzunehmen (vgl. Fischer 1975, S. 185). Auch haben Angeklagte bei Protokollen in direkter Rede weniger die Möglichkeit, das Gesagte anzuzweifeln, wogegen sie, wenn ihnen ihre Aussage in indirekter Rede vorgelegt wird, sagen können, das seien nicht ihre Worte (vgl. ebd., S. 184). Diese Praxis wird beispielsweise selbst bei kleineren Protokollen verfolgt, die im Zuge einer Anzeigenerstattung aufgenommen werden. Der Geschädigte unterschreibt am Ende ein Protokoll, in dem sein Bericht in der Ich-Form zu lesen ist. Doch auch bedeutendere Protokolle sind in dieser Form gehalten. In dem folgenden Auszug eines Protokolls aus der jüngeren deutschen Vergangenheit wird das Protokoll in Form eines Interviews schriftlich fixiert. Die Vernehmung wird in direkter Rede festgehalten, die Perspektive ist diejenige des Originalsprechers Sighard Pohl, eines Kunstlehrers, der von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verhört wird. (2.39) Was wollten Sie mit dem oberen Teil dieser Bleistiftzeichnung aussagen? Das habe ich doch bereits schon einmal in einer Vernehmung ausgesagt. Meine damaligen Aussagen entsprechen der Wahrheit.90
2.3.d) Zusammenfassung: Die Komplexität der Modusverwendung Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv sowie Konjunktiv I und II in der indirekten Rede wird, wie aus den vorangegangenen Abschnitten zu entnehmen, von einer großen Anzahl von Faktoren beeinflusst. Bei beiden Entscheidungen spielen Textsorte bzw. Stilebene eine entscheidende Rolle. In formelleren Registern und konzeptionell schriftlichen Texten wird man sich eher für den Konjunktiv und speziell für den Konjunktiv I entscheiden, in der (mündlichen) Umgangssprache eher für den Indikativ, und wenn für den Konjunktiv, dann für den Konjunktiv II oder aber den analytischen Konjunktiv mit würde. 90 Zitiert nach Pohl 1996, S. 1–2.
2.3 Der Modus in der Redewiedergabe
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Wenn ein Sprecher/Schreiber allerdings klar signalisieren möchte, dass er fremde Rede wiedergibt und das Wiedergegebene zum Wiedergabezeitpunkt nicht unbedingt mehr Gültigkeit besitzt (Stichwort Verlagerung), ist der Konjunktiv die sicherere Wahl. Zudem kommt der Mehrfachmarkierung der Redewiedergabe mit den optionalen Elementen Redeeinleitung, Verbendsatz und Konjunktiv eine größere Bedeutung zu. Des Weiteren ist die mögliche distanzierende Bedeutung des Konjunktivs II zu beachten. Auch wenn diese in der Forschung nicht durchweg akzeptiert wird, ist doch nicht auszuschließen, dass einige Sprecher den Konjunktiv II bewusst so einsetzen. Schließlich darf die Ersatzregel nicht aus dem Blick verloren werden. Wer Modusambivalenz in wiedergegebenen Äußerungen vermeiden will, wird zwangsläufig wegen der Formenkonvergenz von Zeit zu Zeit zu Ersatzformen greifen müssen.
Kapitel 3
Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen 3.1 Darstellung in Grammatiken des 16. und 17. Jahrhunderts Wenngleich die zeitgenössischen Aussagen zur Modusverwendung nicht gerade ausführlich sind, sollen sie doch den Anfang dieser Darstellung der Modusverwendung im 16. und 17. Jh. bilden. Was die damaligen Grammatiker zu den hier im Mittelpunkt des Interesses stehenden Themen geschrieben haben, ist bereits verschiedentlich zusammengestellt worden. Der nun folgende, kurze Abschnitt macht sich daher diese Zusammenstellungen zu Nutze. Kurz wird der Abschnitt, weil – wie angedeutet – die Grammatiker des 16. und 17. Jhs. den Konjunktiv noch nicht in demselben Maße zum Gegenstand ihrer Sprachbeschreibung bzw. -reglementierung gemacht haben, wie es in den heutigen Grammatiken der Fall ist. In den frühesten deutschen Grammatiken wie Fabian Frangks Orthographia (1531) oder Valentin Ickelsamers Teütsche Grammatica (1534) wird das Thema Modusgebrauch noch nicht behandelt, weil den Autoren korrekte Schreibung bzw. eine Hilfestellung, das Deutsche lesen zu lernen, das Hauptanliegen ist (vgl. Macha 2003a, S. 189). Eine erste detailliertere Darstellung findet sich bei Ölinger (1574) in Form einiger Beispiele, aus denen hervorgeht, dass Ölinger im abhängigen Satz der indirekten Rede den Konjunktiv mit Consecutio temporum empfiehlt. Er kontrastiert die deutschen Gegebenheiten mit dem lateinischen AcI (vgl. ebd., S. 189–190, Anmerkung 4). Jellinek (1913) zufolge „bezeichnen die Stufen in der Erkenntnis von der Anwendung des Konjunktivs“ Clajus (1578), Bödiker (1690) und Aichinger (1753), wobei Clajus’ folgende Bemerkung die „Keimzelle der deutschen Konjunktivtheorie“ darstelle:
72
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen Vt coniunctio caussalis eandem fere habet constructionem apud Germanos, quam apud Latinos, vt praesenti verbo praesens coniunctiui, et imperfecto imperfectum subijciatur.1
Das ist in erster Linie eine Äußerung, die auf die ungefähre Gleichförmigkeit der Consecutio temporum im Deutschen, genauer in den germanischen Sprachen, und Lateinischen hinweist: Einem Verb im Präsens wird ein Konjunktiv Präsens untergeordnet und einem im „Imperfekt“ ein „Konjunktiv Imperfekt“. Zudem ist ihr zu entnehmen, dass auf die Konjunktion dass ein Konjunktiv folgt (vgl. ebd.). Explizit wird die indirekte Rede hier demnach nicht erwähnt, doch sind zumindest alle Redewiedergaben, in denen ein mit dass eingeleiteter Nebensatz vorkommt, miteingeschlossen. Jellinek wendet sich zunächst allen Darstellungen zu, die die Verwendung des Konjunktivs gegenüber dem Indikativ behandeln und geht im Anschluss kurz auf die Consecutio temporum ein, wobei er auf Behaghels Monographie von 1899 verweist. Der Bemerkung zur Verwendung des Konjunktivs nach dass fügt Ritter (1616) hinzu, er stehe außerdem nach Konjunktionen wie vff das und damit, also in Finalsätzen, wogegen er in Konzessivsätzen (ob wol, ob schon, wie wol ) entgegen der Praxis im Lateinischen und Französischen nicht verwendet werde.2 Schottelius (1663) schließt sich dem weitgehend an, fügt jedoch hinzu, dass die Konjunktion dass mitunter auch vom Indikativ gefolgt werden könne.3 Außerdem stellt er eine Bedeutungskomponente zweifel fest, die aber deutlicher bei Ölinger (1574) beschrieben ist: er nennt diese Funktion des Konjunktivs explizit „modus dubitativus“.4 Auch Bödiker geht explizit nicht auf die indirekte Rede ein, sondern beschreibt ebenfalls die Modusverwendung nach gewissen Konjunktionen. Zu dass sagt er, dass dieser Konjunktion ein Indikativ folge, „wenn es eine Gewißheit bedeute oder gleich dieweil und nachdem sei, dagegen den Konjunktiv, wenn es einen Wunsch oder eine Endursache bezeichne oder so viel heiße wie auf daß und damit.“ 5 Hier schwingt also wieder die Zweifel- bzw. Distanzhypothese mit. 1 2 3 4 5
Zitiert nach Jellinek 1913, Band 2, S. 402. Vgl. ebd. mit Bezug auf Ritter 1616, S. 184. Vgl. Jellinek 1913, S. 402, mit Bezug auf Schottelius 1663, S. 788, X und XII. Vgl. Jellinek 1913, S. 402–403, mit Bezug auf Ölinger 1574, S. 98 f. und S. 121, VI sowie Schottelius 1663 S. 788, X und XII. Vgl. ebd., S. 403 mit Bezug auf Bödiker 1690, 63. Regel.
3.2 Behaghel (1899)
73
Zur Consecutio temporum äußert sich laut Jellinek in erster Linie Schottelius (1663). Ausgehend von dem oben angeführten Zitat des Clajus hält er fest, „das Imperfekt des daß -Satzes“ knüpfe nicht nur an eben diese Tempusform des übergeordneten Satzes, sondern an jedwedes dort auftretendes Vergangenheitstempus an.6 Ausführlichere Richtlinien zur Modusverwendung werden in die Grammatiken erst später aufgenommen, so zum Beispiel bei Gottsched (1748) (vgl. Macha 2003a, S. 190), der unter anderem die Consecutio temporum als feste Regel systematisch darstellt, obwohl sie in Wirklichkeit nicht immer befolgt wurde (vgl. Guchmann 1981, S. 226). Zusammenfassend erhellt der Blick auf die zeitgenössische Grammatikschreibung demnach die Modusverwendung im 16. und 17. Jh. nicht weiter.
3.2 Behaghel (1899) Otto Behaghels Monographie Der Gebrauch der Zeitformen im konjunktivischen Nebensatz des Deutschen (1899) war ursprünglich als leicht überarbeitete Neuauflage der 21 Jahre zuvor erschienenen Schrift Die Zeitfolge der abhängigen Rede im Deutschen geplant, wie der Autor in seinem Vorwort berichtet. Bei der Überarbeitung des komplexen Themas ist dann jedoch „anstelle des alten Buches ein neues“ entstanden, in dem „[k]ein Stein [. . .] auf dem anderen geblieben“ ist (1899, S. V). Deswegen wird das „neue“ Buch als Grundlage des nun folgenden Abschnitts dienen und das „alte“, weitaus weniger umfangreiche Werk hier nur am Rande konsultiert werden.7 Das Ziel seiner Studie definiert Behaghel folgendermaßen:
6
7
Vgl. ebd., S. 411, mit Bezug auf Schottelius 1663, S. 788, X. Das entsprechende Zitat wird auch von Behaghel 1899 (S. 147) angeführt, der dort zudem bemerkt, dass sich dieselbe Passage bereits in Schottels Deutscher Sprachkunst (1641) findet. Die oben bereits angeführte Bemerkung zum Indikativ ist jedoch in der Ausführlichen Arbeit . . . ergänzt (vgl. ebd.). Das Buch von 1899 hat gegenüber der ersten Fassung von 1878 zum Beispiel eine größere Materialbasis. Zudem sagt Behaghel, dass nur acht Paragraphen von den 52 des neuen Buches mit dem alten übereinstimmen. Neu hinzugekommen ist eine „Untersuchung des heutigen Sprachgebrauches“, die Darstellung der Zeitenfolge in Grammatiken vom 17. bis zum 19. Jahrhundert und die Auswertung älterer Mundartproben (vgl. Behaghel 1899, S. V).
74
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen Wir wollen also untersuchen, inwieweit im Deutschen eine mechanische Regelung der Konjunktive des Nebensatzes nach dem Tempus des Hauptsatzes bestanden hat, auf welche Weise sie zu erklären ist, welches Schicksal sie dann im Leben der deutschen Sprache gehabt hat. Daneben werden die Fälle, in denen eine solche relative Zeitgebung nicht besteht, die Wahl der Zeitform im Nebensatz ohne Rücksicht auf die Zeitform des Hauptsatzes stattfindet, gleichfalls ihre Erörterung zu erfahren haben (ebd., S. 18).
Behaghel untersucht also mit dem Ziel, das Werden und den Untergang der Consecutio temporum in der Sprachgeschichte des Deutschen zu beschreiben, die Wahl zwischen Konjunktiv I und II unter dem Aspekt eines mechanisch-syntaktischen Gesetzes, das wie der bloße Gebrauch des Konjunktivs heutzutage Verlagerung bewirkt, d. h. die Zeitverhältnisse werden relativ zum Originalsprechzeitpunkt ausgedrückt. Daneben gibt es offenbar Fälle, wo die Zeitverhältnisse absolut gesetzt werden und das mechanische, Verlagerung bewirkende Gesetz nicht greift, Fälle, in denen der Reportersprecher und der Wiedergabezeitpunkt der Ausgangspunkt, sprich das deiktische Zentrum sind. Seine Vorgehensweise ist nicht rein statistisch beschreibend, so wie die Auswertung in der vorliegenden Arbeit, sondern er vermittelt entweder den aus seinen Studien gewonnenen Eindruck unterstützt durch illustrative Beispiele, oder aber er nennt konkrete Häufigkeiten, konzentriert sich hier aber auf die von ihm als besonders interessant befundenen Formen, wobei in anderen Zusammenhängen möglicherweise interessante Formen nicht mit aufgeführt sind.8 So klammert er beispielsweise die indikativischen Sätze aus seiner Betrachtung aus, da er sich auf die „echte“, konjunktivische Zeitenfolge konzentriert, sodass seine Studie kein Licht auf die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv wirft (vgl. ebd., S. 14–15 und 20). Beim Vergleich seiner Ergebnisse mit den später in Teil II darzustellenden sind diese Faktoren demnach mit zu berücksichtigen.
8
Wo quantitative Ergebnisse zitiert werden, ist seine Vorgehensweise mit dokumentiert (vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 92 dieser Arbeit).
3.2 Behaghel (1899)
75
3.2.a) Behaghels Auffassung von Consecutio temporum Die Consecutio temporum kann als rein syntaktische Regelung verstanden werden, und in diesem Verständnis ist die temporale Bedeutung der Verbformen – so sie eine solche haben – nicht von Belang. Sie kann aber auch als Verständnis von der Verbindbarkeit von Haupt- und Nebensatz mit Blick auf die Gesamtbedeutung des Satzes betrachtet werden (vgl. Wierzbicka 2004, S. 47). Im Deutschen ist sie heutzutage beispielsweise in der Form, die der im Lateinischen zwar ähnelt, aber Indikativformen verwendet, für Temporalsätze relevant.9 Da Behaghel sich zur Erklärung seiner Ergebnisse auf die lateinische und griechische Consecutio temporum bezieht, soll hier zunächst die Regel, wie sie sich im Lateinischen darstellt, und daraufhin Behaghels Verständnis von ihr mit Bezug auf das Deutsche kurz erläutert werden. Die Grundregel lautet, dass das finite Verb in der indirekten Redewiedergabe vom Tempus des Verbs in der Redeeinleitung abhängt und folgendermaßen angepasst wird (vgl. Bolkestein 1996, S. 121). Zum einen erscheinen indikativische Aussagesätze im AcI: (3.1)
(a) Hostis venit. (b) Dicunt hostem venisse.10
Zum andern wird in allen anderen Haupt- und Nebensätzen der Modus des finiten Verbs vom Indikativ zum Konjunktiv verändert und die Regeln der Consecutio temporum greifen: Weist das finite Verb des Hauptsatzes ein Haupttempus auf (Präsens, Futur, Imperativ u. a., vgl. Menge 2000, S. 363), steht bei Gleichzeitigkeit der beiden Handlungen der Konjunktiv Präsens, bei Vorzeitigkeit der Konjunktiv Perfekt. Steht es dagegen in einem Nebentempus (Perfekt, Imperfekt, Plusquamperfekt u. a., vgl. ebd.), erscheint das Verb im abhängigen Satz bei Gleichzeitigkeit im Konjunktiv Imperfekt und bei Vorzeitigkeit im Konjunktiv Plusquamperfekt. Das historische 9
Vgl. Fabricius-Hansen 2005, S. 522 sowie Wierzbicka, die der indikativischen Consecutio temporum eine Monographie gewidmet hat. Mögliche Verbindungen der Tempora in Haupt- und Nebensatz stellt sie in einer Übersicht zusammen (vgl. 2004, S. 285). 10 Beispiel übernommen aus Bolkestein 1996, S. 121.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Präsens kann sowohl Haupt- als auch Nebentempus sein. Das Perfekt kann ebenfalls als Haupttempus verwendet werden, wenn sich das betreffende Verb gegen eines mit gleicher Bedeutung im Präsens austauschen lässt (vgl. ebd., S. 639). Bei der indirekten Rede gibt es auch die Möglichkeit einer Kombination von AcI und Consecutio temporum: (3.2)
(a) Hostis quem metuebant venit. (b) Dicunt hostem quem metuerent venisse.11
Diese Regelungen sind allerdings nicht immer bindend und damit „keineswegs so unumstößlich, wie es die Schultradition [. . .] suggerieren könnt[e]“ (Menge 2000, S. 636). So ist beispielsweise im frühen Latein ein schwankender Modusgebrauch zu beobachten, da sowohl Indikativ als auch Konjunktiv verwendet werden können, später wird der Konjunktiv dann zur Regel. Auch dann kann jedoch der Indikativ stets verwendet werden, und zwar „bei lebhafter Darstellung“ (ebd., S. 659). Es gibt eine Reihe von „Sonderfällen“ im Hinblick auf bestimmte Satzarten wie z. B. absolute Temporalsätze (vgl. ebd., S. 652–653). Nichtbeachtung der Consecutio temporum auch ohne temporalsemantische Gründe ist gerade in der indirekten Rede als Stilmittel zu beobachten. So können beispielsweise bei Caesar „nach einem Nebentempus diejenigen Tempora stehen, die in unabhängiger Formulierung stünden. [. . .] Ebenso ist nach einem Haupttempus die Nebenzeitenfolge möglich“ (ebd., S. 654). Hier scheint also, so wie im heutigen Deutschen, der Konjunktiv alleine und zusätzlich in Verbindung mit der Consecutio temporum Verlagerung anzuzeigen. Behaghel betrachtet nun, wie soeben (vgl. oben, S. 74) angeklungen, die Consecutio temporum als Ausdruck relativer Zeitgebung. Sätze, in denen die Tempora absolut gesetzt sind, gelten in diesem Verständnis nicht als Ausnahmen von der Consecutio temporum oder gar als ihre Widerlegung. Dieses ist jedoch weder heute noch damals Konsens.12 Die Auffassung, dass auch bei mechanischer 11 Beispiel übernommen aus Bolkestein 1996, S. 122. 12 Die gleiche Auffassung der Consecutio temporum wird bei Wierzbicka (vgl. 2004, S. 47) beschrieben, während Declerck (vgl. 1990, S. 513) heutige Positionen darstellt, die entweder die Existenz einer absoluten Zeitgebung oder
3.2 Behaghel (1899)
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Verschiebung temporale Bedeutung im Spiel wäre, wird ebenfalls zuweilen vertreten, doch von dieser Ansicht distanziert Behaghel sich. Als Vertreter der Position, die eine temporale Bedeutung annimmt, zitiert er unter anderem Hermann Lattmann (S. 14–15)13 : [In Anbetracht der einschlägigen Veröffentlichungen der letzten Jahre] dürfte die Mehrzahl der Philologen jetzt wohl darin übereinstimmen, dass die sog. Consecutio temporum nicht ein mechanisch wirkendes Gesetz sei, sondern dass die Conjunktive, wenigstens in weitem Umfang, den zugehörigen Indicativen temporal durchaus gleichwertig sind, und dass daher für jene keine anderen Gesetze maßgebend seien können als für diese (Lattmann 1890, S. III).
Behaghel antwortet auf diese Ansicht und noch zwei weitere, die er zitiert, mit den energischen Worten: Demgegenüber muss es so schroff als möglich ausgesprochen werden, dass diese Ansicht »unbedingt sicher« falsch ist (S. 15).
Sein wichtigstes Argument für die Untermauerung der Mechanitätsthese ist, dass der lateinische Konjunktiv Imperfekt keine Vergangenheitsbedeutung hat, weswegen sein Auftreten im konjunktivischen Nebensatz bei Gleichzeitigkeit zu einem Hauptsatz der Vergangenheit nicht „logisch“ durch seine Vergangenheitsbedeutung motiviert sein kann (vgl. S. 17). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Behaghel die Consecutio temporum als Mechanismus zur Verlagerung betrachet und die Fälle von absoluter Zeitengebung, die der Nicht-Verlagerung entsprechen, gesondert betrachtet.
3.2.b) Die Consecutio temporum in der „älteren Zeit“ (bis 1500) Behaghel hält zunächst fest, dass ein gravierender Unterschied zwischen der Consecutio temporum im Germanischen und im Lateinischen besteht, denn dem differenzierten Tempussystem im Lateinischen stehen die nur mit zwei Tempora – Präsens und Präteritum – ausgestatteten älteren germanischen Sprachen gegenüber. einer mechanischen Syntaxregel bestreiten, allerdings mit Bezug auf das Englische. 13 Hier und im Folgenden beziehen sich alle Seitenangaben im Text auf Behaghel 1899. Seitenzahlen, die im Zusammenhang mit Querverweisen innerhalb dieser Arbeit stehen, sowie Quellennachweise sind gesondert gekennzeichnet.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Wenn man aber diese Tatsache zunächst außer Acht lässt und sich auf Konjunktiv Präsens und Präteritum bzw. Imperfekt beschränkt, kann man für das Lateinische und die germanischen Sprachen dieselbe Regel formulieren: Nach einem einleitenden präsentischen Hauptsatz folgt ein Konjunktiv Präsens im Nebensatz und nach einem präteritalen Hauptsatz ein Konjunktiv Präteritum, wenn keine „Verschiedenheit der beiden Zeitsphären“ angezeigt werden solle, wenn also mit anderen Worten ein Gleichzeitigkeitsverhältnis zum Originalsprechzeitpunkt und damit Verlagerung verdeutlicht werden soll. Wenn dagegen eine Verschiedenheit der Zeitsphären signalisiert wird – wenn also der Bezugspunkt die Wiedergabezeit ist und keine Verlagerung stattfindet –, dann kann auch regelhaft der Konjunktiv Präsens auf einen präteritalen Hauptsatz folgen und der Konjunktiv Präteritum auf einen Hauptsatz im Präsens. Unter den Belegen, die er für die absolute Zeitengebung nennt, finden sich auch einige mit indirekter Rede. So könne die Kombination indikativ präteritum – konjunktiv präsens sowohl bei durch daz eingeleiteten Nebensätzen als auch bei uneingeleiteten vorkommen, wenn der Nebensatz ein „relatives Verb“ im Hauptsatz ergänzte. Dieses relative Verb könne zum einen ein Verb der „Aussage oder Wahrnehmung“ sein, und dann treten Fälle von Präteritum im Haupt- und Konjunktiv Präsens im Nebensatz auf, wenn sich der Inhalt des Nebensatzes auf (a) eine „Einzelthatsache der Gegenwart“ beziehe oder auf (b) eine „Thatsache von allgemeiner Gültigkeit“. Er nennt unter anderem folgende Beispiele aus dem Altenglischen und Mittelhochdeutschen (S. 23): (3.3)
Ðonne sægdon þæt sælieðnde, ¯ [. . .] þæt h¯e þr¯ıtiges manna mægencræft on his mund-gripe, heaþ¯o-rof hæbbe. (Beowulf, Z. 377–381).14
(3.4)
Unde daz daz wâr sî, daz sach der guote sant Johannes in apokalipsî. (Berthold von Regensburg, S. 233, Z. 23).
14 Übersetzung: Darüber hinaus sagten Seeleute Folgendes, (nämlich) dass er, der Ruhmreiche, im Griff seiner Hand die Kraft von 30 Männern habe. Alle in diesem Kapitel zitierten Quellen sind in Anhang C.2 nachgewiesen.
3.2 Behaghel (1899)
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Es gibt auch Beispiele für Fälle, in denen ein Konjunktiv Präteritum auf einen einleitenden Satz im Präsens folgt. Bei Behaghels Beispielen für indirekte Rede handelt es sich einmal vermutlich um ein durch Reimzwang bedingtes Präteritum. In einem anderen Beispiel wird aber durch eine direkte Kontrastierung mit dem Präsens deutlich, dass der Konjunktiv Präteritum offenbar eine temporale Eigenbedeutung hat und sich somit auf die Vergangenheit aus Sicht des Reportersprechers bezieht (absolute Zeitgebung, keine Verlagerung). In Beispiel (3.5) kann demnach, damit der Kontrast zu Tage tritt, nicht zweimal ein Präsens stehen (vgl. S. 24–25)15 : (3.5)
sô saget man uns danne, daz dehein getwerc wære noch sî kurzer danne Bîlêî (Erec Z. 2099–2101, S. 54–55)
Nach diesen regelhaften Fällen, in denen keine Consecutio temporum eintritt, widmet Behaghel sich den von ihm so genannten „besonderen Fällen“, wenn im Hauptsatz kein Präsens oder Präteritum steht, sondern ein Perfekt (vgl. S. 26–29) oder ein historisches Präsens (vgl. S. 29–30). Nach Perfekt stehe meist der Konjunktiv Präsens (3.7), aber auch der Konjunktiv Präteritum (3.6) (vgl. S. 28). Eben dieses Schwanken könne für das historische Präsens festgestellt werden.16 (3.6)
ouch ist mir mære geseit daz hie ein âventiure bî mit starkem gewinne sî (Erec Z. 8383–8385, S. 217)
(3.7)
des ir mich gevrâget hât, daz ich mich iu nande (Erec Z. 4761–4762, S. 124)
15 Hier steht allerdings zu überlegen, ob der Konjunktiv Präteritum nur deswegen präteritale Bedeutung in der Redewiedergabe erhält, weil der Indikativ Präteritum diese in der parallelen Konstruktion in der Originaläußerung hat. Es würde sich in diesem Fall nicht um eine echte, inhärente präteritale Bedeutung des Konjunktivs handeln, sondern um eine praktisch nur mit Blick auf die Originaläußerung zu verstehende. 16 Er weist auch darauf hin, dass dieses ebenfalls für das historische Präsens im Lateinischen gilt (vgl. S. 29–30), was mit dessen Doppelstatus als Hauptund Nebentempus zusammenhängt. Wie oben erwähnt, kann dasselbe für das Perfekt im Lateinischen beobachet werden (vgl. S. 76 dieser Arbeit).
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Des Weiteren stehe häufiger ein Konjunktiv Präteritum nach Präsens, wenn im Nebensatz eine prinzipiell gegenwärtige Tatsache berichtet wird, die aber „ein Nachklingen einer vergangenen Handlung“ ist. Als frühneuhochdeutsches Beispiel für indirekte Rede gibt Behaghel ein Zitat aus Johannes von Tepls Ackermann aus Böhmen an (vgl. S. 30): (3.8)
Du fragest, von wannen wir weren. (Johannes von Tepl, Kapitel 16, S. 34).
Hier kann man die Herkunft der Sprechenden im weiteren Sinne als vergangenes Geschehen verstehen. Im Hinblick auf relative und absolute Zeitengebung ist dieses Beispiel nicht leicht einzuordnen. Man könnte den Konjunktiv Präteritum sowohl als absolutes Tempus und damit bezogen auf den Wiedergabezeitpunkt annehmen als auch eine Synonymie von Konjunktiv Präteritum und Plusquamperfekt vermuten. In diesem letzten Fall wäre auch in diesem Beispiel relative Zeitengebung möglich.17 Die verbleibenden Seiten des Abschnitts zur Consecutio temporum in älterer Zeit widmet er den „scheinbaren“ und „wirklichen“ Ausnahmen von der Regel. Für den Zusammenhang der indirekten Rede ist die auf S. 34 erwähnte scheinbare Ausnahme von Bedeutung, und zwar steht laut Behaghel mitunter der Konjunktiv Präteritum nach einem präsentischen Hauptsatz, wenn indirekte Rede in direkte übergeht: (3.9)
und hiz im sagen vor wâr, hette he nu einen man, »der mich torste bestan, der von adele sie so vry, daz her myn genoze sie, mit deme wil ich alhir vehten« (Tristant, Z. 410ff., S. 34 u. 36)18
Auch Belegstellen, bei denen offenbar Reimzwang vorliegt, gehören zu den scheinbaren Ausnahmen19 (vgl. S. 28): 17 Vgl. auch ein ähnliches Beispiel aus dem Ackermann bei Guchmann, hier zitiert als (3.20), S. 116 dieser Arbeit. 18 In der konsultierten Ausgabe befinden sich die Anführungszeichen nicht am Beginn der direkten Redewiedergabe, wo sie in Behaghels Zitat stehen, sondern vor hette. 19 Hierzu muss ergänzend erwähnt werden, dass Schrodt davon ausgeht, dass der Reimzwang nicht zu einer vermehrten Verwendung des Konjunk-
3.2 Behaghel (1899)
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(3.10) und sage iu wie ich hân vernomen von im mir leidiu mære, daz er bekumbert wære (Erec, Z. 6973–6975) Abgesehen davon gebe es in der gesamten mhd. Dichtung keine Ausnahme von dem mechanischen Gesetz der Consecutio temporum. In der Prosa verzeichnet Behaghel allerdings einige wenige Belege für solche Ausnahmen, wie z. B. für Präsens nach Präteritum in einem Predigtbruchstück aus der Mitte des 13. Jh. (vgl. S. 24 und 38). Diese Beispiele zeigen bereits die heutige Gestalt, in der der Konjunktiv, unabhängig von seinem augenscheinlichen Tempus, ohne die Consecutio temporum Verlagerung anzeigt: (3.11) do er horte, daz er so grozen zeichen bege (Schönbach 1876, S. 183) (3.12) bat, daz er sich erbarme über den armen mennisch (Schönbach 1876, S. 193)20 Für den Konjunktiv Präteritum nach Präsens hat er genau zehn Belege für wirkliche Ausnahmen in der altdeutschen Prosa gefunden, wie zum Beispiel (S. 39): (3.13) zo seit diu von ir manne, diu von ir kinde: diz si müelich, daz næme niht zuo (Berthold von Regensburg, S. 86, Z. 32) Diese „wirklichen Ausnahmen“ sind insgesamt nicht besonders zahlreich. Die Consecutio temporum überwiegt bei Weitem, sie ist jedoch keine unumstößliche Regel, sondern das Vorkommen dieser Ausnahmen ist ein Vorbote des heutigen Zustands. Abschließend tivs II führe, sondern vielmehr umgekehrt zu Konjunktiv-II-Formen passende Reimwörter gesucht worden wären (vgl. 1983, S. 138–139). Speziell bezieht er sich hier auf Otfried von Weißenburg. Diese Feststellung ist jedoch kein Gegenargument, das Behaghels Erklärung entkräften würde. Auch wenn der Konjunktiv II vielleicht nicht vermehrt eingesetzt wurde – zumal in den beiden Denkmälern, die Schrodt analysiert hat – bedeutet dieses nicht, dass an anderer Stelle ein Konjunktiv II aus Reimgründen gewählt worden sein kann. 20 Bei diesem Beispiel könnte m. E. der Konjunktiv Präsens auch dadurch bedingt sein, dass hier ein Wunsch ausgedrückt wird. Damit wäre es eher ein Beleg für eine scheinbare Ausnahme.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen Zeitengebung: Erscheinungsform:
Verlagerung: Bezugspunkt: Erklärungen der Kombinationen Prät.–K. Präs. und Präs.–K. Prät.:
relativ Konjunktiv mit Consecutio temporum ja Originalsprechzeit Ausnahmen: 1) wirkliche (Verlagerung ohne Consecutio temporum) 2) scheinbare (z. B. Reimzwang)
absolut Konjunktiv (ohne Consecutio temporum) nein Wiedergabezeit keine Ausnahmen: 1) Konj. Präs. wegen allgemeiner Gültigkeit 2) Konj. Prät. wegen Vorzeitigkeit
Tabelle 3.1: Absolute und relative Zeitengebung mit und ohne Consecutio temporum (nach Behaghel 1899)
sind in Tabelle 3.1 die Mechanismen zusammengefasst, die Behaghel in seinen Beispielen darstellt, mit Bezug auf die moderne Sichtweise von der indirekten Rede hinsichtlich Perspektive und Verlagerung.
3.2.c ) Die Consecutio temporum nach 1500 Behaghel beginnt das Kapitel zur Consecutio temporum im Neuhochdeutschen – welches für ihn um 1500 beginnt – mit einem Blick auf die Lage in den Mundarten zu seiner Zeit. Obwohl die zeitgenössischen Mundartforscher21 syntaktische Fragestellungen entweder gar nicht oder lediglich nebenbei betrachten (vgl. S. 40), kommt er anhand des Studiums verschiedener Sammlungen von Mundartproben zu dem Schluss: Das allgemeine Ergebnis allerdings steht fest. Die heutigen Mundarten haben keine Ahnung mehr von der altdeutschen Regel der Zeitfolge; sie besitzen überhaupt im abhängigen Satze nicht mehr die beiden Konjunktive des Praesens und des Praeteritums; auch nicht in der Weise, dass etwa, wie in unserer heutigen Schriftsprache, in dem einen Teil der Formen der Conj. Praes., in dem andern der Conj. Praet erschiene; sondern es wird in sämtlichen Personen und Numeri ausschliesslich entweder die eine oder die andere Zeitform zur Anwendung gebracht (S. 40–41, Hervorhebung im Original durch Sperrung.)
21 Behaghel bezieht sich direkt auf Fischers Arbeiten zur schwäbischen Mundart sowie auf Wenkers Fragebogenerhebungen.
3.2 Behaghel (1899)
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In den Mundarten wird also, wie Behaghel es beschreibt, unabhängig vom Tempus im Hauptsatz und fern einer möglichen Ersatzregel jeweils nur einer der beiden Konjunktive gebraucht. Was diese Praxis der Konjunktivverwendung anbelangt, zerfällt der deutsche Sprachraum damit in zwei Gebiete, wie Behaghel anhand geschriebener Mundartproben ermittelt.22 Im größeren Teil des Gebietes werde ausschließlich der Konjunktiv Präteritum angewandt, während überall sonst ausschließlich der Konjunktiv Präsens verwendet werde. Das größere Konjunktiv-Präteritum-Gebiet bestehe aus dem niederdeutschen Sprachraum, dem mitteldeutschen sowie „den fränkischen Mundarten des Oberdeutschen“ (vgl. S. 41). Zu diesem zusammenhängenden Gebiet gehöre noch das Niederösterreichische, das Gebiet der Steiermark und Kärnten (vgl. S. 47). Daneben liegt das von ihm umrissene Konjunktiv-Präsens-Gebiet, bestehend aus dem alemannisch-schwäbischen Raum (vgl. S. 41) und dem Südwesten Bayerns (vgl. S. 45). Für den Rest des bayrisch-österreichischen Sprachraums setzt er den Konjunktiv Präteritum an, traut aber zugleich den dieses nahe legenden Quellen nur zum Teil (vgl. S. 47), sodass der Befund für Bayern nur unter Vorbehalt akzeptiert werden kann. Auch nennt er dort keine konkreten Orte oder Landschaften, sondern zitiert aus Firmenich die „Mundart Altbayerns“ (vgl. S. 46 sowie Firmenich Bd. II, 691 rechte Spalte) sowie Gedichte in oberbayrischer Mundart (Kobell). Allerdings werde im Bairischen generell eher der Indikativ als der Konjunktiv verwendet (vgl. S. 46). Auch für Niederösterreich, Kärnten und die Steiermark sind die Belege nicht zahlreich. Konkret nennt er Beispiele aus Riegersburg, Wien, Klagenfurt und Graz, wobei auch hier speziell für das Niederösterreichische ein Gedichtband als Quelle dient (Castelli). Wo die auf diese Weise und anhand zahlreicher Belege (vgl. S. 41–47) ermittelten beiden Konjunktivverwendungsgebiete in etwa im deutschen Sprachgebiet liegen, ist auf der Karte in Abbildung 3.1 (S. 84) zu sehen. Dort sind nicht nur die erwähnten Großregionen (wie z. B. das niederdeutsche Mundartgebiet) eingezeichnet, sondern auch andere Orientierungspunkte (kleinere Gebiete sowie Städte), aus denen Behaghel Belege anführt, und zwar insbesondere aus den 22 Behaghel bezieht sich auf Fritz Reuters gesammelte Werke, die Sammlung Germaniens Völkerstimmen von J. M. Firmenich sowie einige Gedichtbände und dramatische Werke. Für genauere Quellenangaben vgl. Anhang C.2.a).
84
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Abbildung 3.1: Die Konjunktivverwendungsgebiete der Mundarten (nach Behaghel 1899)
3.2 Behaghel (1899)
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Grenzregionen zwischen den beiden Gebieten. Die Unsicherheit bezüglich Bayerns ist mit einem Fragezeichen markiert. Behaghel führt nicht nur Belege für indirekte Rede an, sondern für das gesamte Spektrum konjunktivischer Nebensätze. Zwei Beispiele für indirekte Rede, eines mit Konjunktiv I und eines mit Konjunktiv II, sollen hier als Illustration genügen: o
(3.14) Dat Schniedake leet söck awascht nich aftröste on säd, he o hädd emal siene Kopp drop gesett on wull söck schonst helpe, – on ging dahenn, as wea de Wölt sien.23 (3.15) Du ällerweltliederlicher Tropf, daß de bischt! Wie oft haun i schau gsait, dei Sach sei nunz!24 In diesen Beispielen findet damit Verlagerung allein durch den Konjunktiv statt, ohne dass die Consecutio temporum eingesetzt würde. Bezüglich der Konjunktivverwendungsgebiete räumt Behaghel zwar ein, dass in beiden Ausnahmen zu beobachten seien, „die nicht zum Gesamtcharakter der Region stimmen“ (S. 47). Diese seien aber keine die Regel bestätigenden Ausnahmen, sondern auf „ungenaue Berichterstattung oder ungenügende Kenntnis der Mundarten“ zurückzuführen (vgl. S. 47–48).25 23 Firmenich 1865–66, Band 1, S. 109, linke Spalte (Hervorhebung hinzugefügt). Der Text heißt „Vom klooke Schniedake“ (Vom klugen Schneiderlein) und ist eine Mundartprobe aus „der Gegend um Rastenburg“ in Pommern, heute Polen. Behaghel zitiert dieses Beispiel auf S. 41. 24 Firmenich 1865–66, Band 2, S. 463, rechte Spalte (Hervorhebung hinzugefügt). Der Satz kommt in dem Schauspiel „Die Schulmeisters-Wahl zu Blindheim“ (Tübingen 1824) vor und ist eine Probe mittelschwäbischer Mundart. Behaghel zitiert ihn auf S. 45. 25 Behaghels Befund stimmt im Wesentlichen mit Saltveit (1983a) überein. Er hält für die modernen Dialekte (wie sie sich anhand von Mundartgrammatiken darstellen) fest, dass der Konjunktiv Präsens im Ober- und Niederalemannischen besonders verbreitet ist, während er im Bairischen selten und im Obersächsischen nahezu gar nicht vorhanden ist (vgl. ebd., S. 1222). Den Konjunktiv Präteritum gebe es überall, nur sei er im nördlichen und östlichen Niederdeutschen mit dem Indikativ zusammengefallen (vgl. ebd., S. 1223). In der indirekten Rede werde im Oberdeutschen der Konjunktiv Präsens verwendet (vgl. ebd., u. S. 1225), im Mittel- und Niederdeutschen hingegen der Konjunktiv Präteritum (vgl. ebd., S. 1225). Saltveit spricht jedoch nicht immer generell vom Oberdeutschen mit Bezug auf den Konjunktiv I. Einmal nennt er den „Süden“ und konkretisiert hier, der Konjunk-
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Um zu verstehen, warum die Mundarten die Consecutio temporum aufgegeben haben, böte sich eine Untersuchung der Mundarten in früheren Sprachstufen an. Das gestaltet sich jedoch schwierig, weil es, so Behaghel, keine mundartlichen Aufzeichnungen vor dem Ende des 16. Jh. gibt. Ab diesem Zeitpunkt gibt es sie zwar vereinzelt, aber hauptsächlich in dramatischer und lyrischer Dichtung, die grundsätzlich arm an Satzgefügen und damit an Consecutio temporum sei (vgl. S. 48–49). Zudem finde man häufig eine Mischsprache zwischen der Mundart und einer – wie auch immer gearteten – Schriftsprache26 , und schließlich gebe es weitaus mehr nieder- und mitteldeutsche als oberdeutsche Quellen. Trotz dieser ungünstigen Quellenlage gelingt es Behaghel, Belege früherer Mundart zu finden, die interessanterweise überwiegend eine Befolgung der Consecutio temporum erkennen lassen. Die belegreicheren Quellen fasst er in tiv I sei im Alemannischen besonders häufig, während er generell gegenüber dem Indikativ weniger gebräuchlich sei (vgl. ebd., S. 1223). Die verstärkte Verwendung im Alemannischen findet in der Arbeit von Graf (1977) Bestätigung, der in einem Gebiet, das in etwa mit dem von Behaghel beschriebenen Konjunktiv-Präsens-Gebiet übereinstimmt, weitaus mehr Konjunktiv I als Konjunktiv II in der gesprochenen Sprache gefunden hat (vgl. Anmerkung 73 in Kapitel 2, S. 60 dieser Arbeit). An anderer Stelle nennt Saltveit dagegen das „Oberdeutsche“ im Gegensatz zum Obersächsischen (vgl. 1983a, S. 1225). Seinem Literaturverzeichnis zufolge bezieht er sich mit der Bezeichnung „oberdeutsch“ jedoch vornehmlich auf den alemannischen Dialektraum. Aus dem bairischen bzw. fränkischen Raum finden sich dort lediglich Hinweise auf München und Nürnberg, der übrige ostoberdeutsche Raum (dieser entspricht in etwa der Ausdehnung der heutigen Bundesrepublik Österreich, jedoch ohne Vorarlberg) ist durch Grammatiken nicht vertreten. Eroms verweist auf den Formenreichtum, den das Bairische besonders im Hinblick auf stark flektierten Konjunktiv II bietet (vgl. 2003, S. 31). Auch werde der Konjunktiv II im Bairischen vielfältig eingesetzt. Unter den Verwendungsweisen, die Eroms mit Bezug auf Zehetner (1985, S. 104) aufzählt – unter anderem Wunsch, Hypothese, Bescheidenheit, Zweifel (vgl. Eroms 2003, S. 32) – ist die indirekte Rede jedoch nicht vertreten. Daher kann man davon ausgehen, dass zumindest heute der Konjunktiv II nicht der Standardkonjunktiv der indirekten Rede im Bairischen ist. Der Konjunktiv I hat diese Funktion jedoch offenbar laut Merkle heute auch nicht, da es ihn eigentlich gar nicht gebe, d. h. nur in festen Wendungen (vgl. Merkle 1975, S. 69). Ansonsten werde der Indikativ verwendet (vgl. ebd.), und das heißt auch in der indirekten Rede. 26 Behaghel macht diese Mischung fest am Vorkommen einzelner Konstruktionen wie z. B. dem Genitivus possessivus, der nur in der Schriftsprache vorkomme, wogegen die Mundart einen Dativus possessivus aufweisen müsste (vgl. S. 49).
3.2 Behaghel (1899)
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nach nach Präsens Perfekt
Pondo Heinrich Julius Cuno Rollenhagen Leseberg Pfeffer Rist Gryphius Bauernkomödien Hildegardis Klugheit der Obrigkeit Mutziger Protokoll Summe Bairisch Alemannisch Gesamt
1590 1593 1595 1609 1610 1621 1630/34 1660 17. Jh. 1641 1705 1746
omd, nd nd omd nd nd nd nd omd nd nd omd wobd
Ps. Pt. Ps. 6 4 1 32 9 4 4 1 2 4 1 – 8 1 1 3 – – 3 – – 3 2 – 7 6 – 1 1 – – 2 – – 1 – 71 28 8 10 2 6 10 – 5 91 30 19
Pt. 1 11 – – – 1 3 3 2 1 – 2 24 – – 24
nach Präsens historicum Ps. Pt. – 6 1 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 1 6 – – – – 1 6
Tabelle 3.2: Consecutio temporum in den Mundarten (15.–17. Jh.) nach Behaghel (1899)
einer Tabelle (vgl. S. 63) zusammen, an die die hiesige Tabelle 3.2 angelehnt ist.27 Behaghel räumt zwar ein, dass sich aus dieser Zusammenstellung wenig Erkenntnisse gewinnen lassen (vgl. S. 63). Er stellt aber dennoch fest, dass sich die Consecutio temporum im Niederdeutschen, Mitteldeutschen und Fränkischen schon gegen Ende des 16. Jhs. aufzulösen beginnt, wenngleich die Mehrzahl der Belege sie noch beobachten lässt.28 Auch die Tatsache, dass hier nach Perfekt und historischem Präsens der Konjunktiv Präteritum steht, sieht er als bemerkenswertes Faktum. „Ein Fortschreiten von einem älteren zu einem jüngeren Stand der Dinge“ – eine diachrone Entwicklung also – lasse sich aber nicht ausmachen (vgl. S. 64).
27 Diese Tabelle ergänzt diejenige Behaghels um Jahreszahlen und landschaftliche Zuordnung. Für genauere Literaturangaben s. Anhang C.2.a). Zur Quelle Heinrich Julius ist ergänzend anzumerken, dass dort fünf von allen Belegen nicht niederdeutsch sind sondern schwäbisch, und zwar viermal Konjunktiv Präsens nach Präsens und einmal Konjunktiv Präsens nach Perfekt (vgl. S. 63, Anmerkungen 1 und 2). 28 Insgesamt gesehen wird die Consecutio temporum in 75 % der Fälle nach einem Hauptsatz im Präsens eingehalten.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Nach den Mundarten betrachtet Behaghel „die Zustände der Gegenwart“ mit Bezug auf literarische Texte, wobei die Gegenwartssprache für ihn seinen Quellen nach zu urteilen um 1775 beginnt (vgl. S. 64–94). Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass normalerweise der Konjunktiv Präsens verwendet wird, wo früher das Gesetz der Zeitenfolge noch griff, wobei nur die mit dem Indikativ identischen Formen eine Ausnahme bilden und zwecks Deutlichkeit im Konjunktiv Präteritum stehen (vgl. S. 65). Damit beschreibt er als Sprachzustand zu seiner Zeit, was hier zuvor als noch heute geltende Empfehlung vorgestellt worden ist, und zwar die Ersatzregel.29 Der darauf folgende Abschnitt zur „älteren neuhochdeutschen Zeit“ (1550–1700) zeichnet die allmähliche Entwicklung von der im Althochdeutschen noch weit verbreiteten Consecutio temporum zu dem Zustand nach, in dem der Konjunktiv Präsens die Normal- und der Konjunktiv Präteritum die Ersatzform geworden ist, welche ab dem 16. Jahrhundert stattgefunden haben müsse. Da dieser Zeitraum mit dem hier untersuchten weitgehend übereinstimmt und Behaghel überdies dort ausschließlich Belege für indirekte Rede auswertet,30 ist dieser Abschnitt von besonderer Bedeutung. Behaghel betrachtet sogenannte „deutliche“ und „undeutliche“ (in der hier verwendeten Terminologie eindeutige und modusambivalente) Konjunktivformen getrennt voneinander, um den „zwei einander entgegengesetzte[n] Ströme[n]“ der Entwicklung des Konjunktivs gerecht zu werden. Der „Strom“ der modusambivalenten Konjunktive führe zur Verwendung des Präteritums, während der „Strom“ der eindeutigen Formen zur Präsensverwendung führe (vgl. S. 95). Zudem betrachtet er die Herkunft der Autoren seiner Quellen differenziert nach der Konjunktivverwendung in ihrer Heimatmundart, wodurch eine Gruppe von Autoren aus dem Konjunktiv-I- und eine Gruppe solcher aus dem Konjunktiv-II-Gebiet entsteht.31 Seine 29 Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 57 dieser Arbeit. 30 Die anderen konjunktivischen Nebensätze seien in seinem Korpus nicht so zahlreich, als dass ihre Analyse Einsichten bringen könnte (vgl. S. 94). 31 Behaghel bezeichnet die beiden Gebiete als Konjunktiv-Präsens- und Konjunktiv-Präteritum-Gebiet. Seine Beispielsätze legen aber nahe, dass er Konjunktiv I und II meint und auch Belege für Konjunktiv Perfekt und Plusquamperfekt gezählt hat. So enthalten einige Belege eindeutig Perfekt und Plusquamperfekt (S. 100–101): „etliche Lehrer seynd der Aussag, als habe der allmächtige Gott [. . .] keinen Befehl an die Weiber lassen ergehen, die
3.2 Behaghel (1899)
89
Hypothese ist also, dass die Schriftsteller vom Konjunktiv ihrer Heimatmundart beeinflusst werden und Ausnahmen von der Consecutio temporum durch solche mundartlichen Interferenzen hervorgerufen werden. Zu den Quellen, in welchen Behaghel Unterstützung für diese Hypothese sucht, muss Folgendes angemerkt werden. Zunächst sagt Behaghel selber, dass eine genaue Bestimmung des Gebietes, zu dem die Quellen zu rechnen sind, nicht in allen Fällen möglich ist. So sagt er über die Quellen, die er dem Konjunktiv-II-Gebiet zuordnet (vgl. Tabelle 3.4, S. 94 dieser Arbeit), dass sie „[d]em Boden des heutigen Conj. Praet. [. . .] entweder sicher, oder mit Wahrscheinlichkeit“ angehören (S. 107, Hervorhebung im Original durch Sperrung). Kein Verfasser dieser Quellen ist jedoch auf oobd. Boden zu Hause. Behaghel vergleicht hier also das Konjunktiv-I-Gebiet, welches in etwa mit dem wobd. Dialektraum übereinstimmt, mit einem KonjunktivII-Gebiet, das den Rest des deutschen Sprachraums umfasst mit Ausnahme des Oobd., insbesondere in Ausdehnung der heutigen Bundesrepublik Österreich.32 Möglicherweise hat er dieses Vorgehen gewählt, weil er sich bei der Zuordnung des größten Teils des Oobd. zum Konjunktiv-II-Gebiet nicht vollständig sicher war.33
Männer aber haben des scharffen Decrets ron [!] Nöthen gehabt“ (Abraham a Sancta Clara, S. 24), „der gantze context weiset, es haben solche heuchler, die der Apostel beschreibet, sich eingebildet“ (Spener, S. 40), „Es ist bekannt, dass alle Götter der Heyden vormals Menschen gewesen seyn sollten, die nur wegen ihrer Vortrefflichkeit unter die Einwohner des Himmels wären aufgenommen worden“ (Gottsched, S. 83). 32 Die Geburtsorte bzw. Herkunftsregionen der in den Tabellen 3.3 (S. 90) und 3.4 (S. 94) genannten Verfasser sind (soweit festzustellen): KonjunktivII-Gebiet: Nürnberg (Paumgartner), Nordhausen/Thüringen (Spangenberg), Schneeberg/Sachsen (Musculus), Glogau (Gryphius), Stavenhagen/Mecklenburg (Reuter), Königsberg (Gottsched), Landsberg (Hoffstetter), Deventer (Albertinus), Holstein (Ahlefeld), Nürnberg (Harsdörffer), Gelnhausen (Grimmelshausen), Dessau (Zesen), Heidelberg (Elisabeth Charlotte), Nimptsch/Schlesien (Lohenstein). Konjunktiv-I-Gebiet: Schwetzingen (Karl Ludwig), Leibertingen (Zimmer u. Abraham a Sancta Clara), Rappoltsweiler/Elsaß (Spener), Straßburg (Fischart), Tübingen (Breuning), Schwaben (Krafft), Ulm (Verfasser des Happel zugeschriebenen Romans) (vgl. auch Anhang C.2, S. 576). 33 Vgl. oben Abschnitt 3.2.c ), S. 83 dieser Arbeit.
90
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Gebiet
Konj. I
Konj. II
nach Präteritum Zimmersche Chronik Breunings Relationen Kraffts Reisebeschreibung
1546–66 1595 1616
KI KI KI
– 5 8
24 3 9
1546–66 1595 1616
KI KI KI
4 5 9
2 3 1
1546–66 1595 1616
KI KI KI
– 1 –
– – 1
nach Perfekt Zimmersche Chronik Breunings Relationen Kraffts Reisebeschreibung
nach historischem Präsens Zimmersche Chronik Breunings Relationen Kraffts Reisebeschreibung
nach temporal nicht eindeutig bestimmbaren Formen Zimmersche Chronik Breunings Relationen Kraffts Reisebeschreibung
1546–66 1595 1616
KI KI KI
12 3 2
7 1 2
1657–58 1687 1695 1582–98 1598 1555 1663 1695 1742
KI KI KI KII KII KII KII KII KII
6 5 9 2 5 3 3 – (1)
1 – 6 2 – – – 2 8
nach Präsens Karl Ludwig Abraham a St. Clara Spener Paumgartner Spangenberg Musculus Gryphius Reuter Gottsched
Kombinationen gesamt
Präsens Perfekt hist. Präs. Präteritum unbestimmt
Konj.-I-Gebiet Konj. I Konj. II 11 1 18 6 1 1 13 36 17 2
Konj.-II-Gebiet Konj. I Konj. II 21 18
Tabelle 3.3: Tempuskombinationen mit modusambivalenten Formen (nach Behaghel 1899)
3.2 Behaghel (1899)
91
Behaghels Ergebnisse für die modusambivalenten Formen sind hier in Tabelle 3.3 zusammengefasst.34 Sie bestätigen im Großen und Ganzen die Hypothese: Die Consecutio temporum wird grundsätzlich befolgt, Ausnahmen können durch den Einfluss der Konjunktivverwendungsgebiete erklärt werden. Nach präteritalen Hauptsätzen hat er dementsprechend allein im Konjunktiv-I-Gebiet Belege für Ausnahmen gefunden, und zwar 13 für die Kombination indikativ präteritum – konjunktiv präsens. Demgegenüber findet sich jedoch eine größere Anzahl von 36 Belegen für die der Consecutio temporum entsprechende Kombination indikativ präteritum – konjunktiv präteritum. Nach präsentischen Hauptsätzen35 treten zwar in den Werken beider Gruppen von Schriftstellern Ausnahmen auf, weitaus häufiger aber bei denjenigen, die im KonjunktivII-Gebiet beheimatet sind: Von 19 Ausnahmen stammen 18 aus dem Konjunktiv-II-Gebiet, in 34 Fällen wird die Consecutio temporum insgesamt befolgt. Nach Perfekt, historischem Präsens und temporal nicht eindeutigen Formen schwankt der Modusgebrauch. Behaghel interpretiert seine Ergebnisse dahingehend, dass mit Blick auf die Consecutio temporum „erst der Ausgang des 17. Jahrh. [. . .] einen entschiedenen Umschwung gegenüber dem altererbten Zustand herbeigeführt hat“ (S. 102). Diese Einschätzung ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass von diesem Jahrhundert an häufiger Ausnahmen von der Regel auftreten. Die „deutlichen“ Konjunktivformen sind in den Quellen weitaus stärker vertreten, und bei diesen hat Behaghel in Nebensätzen nach präsentischem Hauptsatz fast keine Ausnahmen von der Consecutio temporum finden können. Alle Beispiele für Ausnahmen (Konjunktiv Präteritum nach Präsens) finden auf etwas mehr als einer Seite Platz (vgl. S. 102–103), und zwar kommen fünf dieser Beispiele aus dem Konjunktiv-I- und 21 34 Behaghel selbst stellt nur die Ergebnisse nach präsentischem Hauptsatz als Tabelle dar. Hier wird diese Darstellung auch für die Belege mit anderen Hauptsatztempora verwendet, wobei Quellen mit nur einem Beleg nicht mit aufgeführt werden (vgl. S. 96–102). Behaghels eigene Tabelle wurde umsortiert und um die Konjunktivgebietszuordnung ergänzt (abgekürzt als KI und KII). 35 Nach präsentischem Hauptsatz ist Behaghel zufolge die Entwicklung schwerer nachzuvollziehen als nach präteritalem, weil hier öfter auch der Indikativ verwendet worden sei, weswegen es kaum möglich ist zu ermitteln, ob die Schreibenden einen Indikativ oder einen modusambivalenten Konjunktiv intendiert haben. Seine Beispiele seien jedoch relativ gesichert (vgl. S. 98).
92
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
aus dem Konjunktiv-II-Gebiet, was wiederum die Hypothese unterstützt. Die Quellen decken eine Zeitspanne von der Mitte des 16. Jhs. bis zum Beginn des 19. Jhs. ab. Behaghel stellt dem Abschnitt zur Entwicklung nach präteritalem Hauptsatz einige Bemerkungen voran, die es ermöglichen, die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen anderer Studien einzuschätzen. Zum einen weist er darauf hin, dass ein wechselnder Gebrauch von Konjunktiv Präsens und Präteritum nach präteritalem Hauptsatz im Grunde die Ausnahme darstelle (vgl. S. 103), und diese Ausnahme finde sich hauptsächlich im Konjunktiv-I-Gebiet (vgl. S. 107). Dieser wechselnde Gebrauch könne jedoch ebenfalls auf das Bedürfnis mancher Schriftsteller nach stilistischer Variation zurückzuführen sein, wie Behaghel vermutet. Wenn ein solcher Wechsel zu beobachten ist, dann trete er nicht nur bei normalerweise eher im Konjunktiv Präteritum stehenden Verben auf, sondern auch bei „völlig gleichartigen Verben“. Diese Fälle betrachtet er gesondert (vgl. S. 103–104); sie gehen nicht in seine umfassende tabellarische Übersicht ein (diese Tabelle befindet sich auf S. 133). Zum anderen klammert er diejenigen Formen aus der Darstellung aus, bei denen aufgrund der Umlautbezeichnung nicht eindeutig festzustellen ist, ob es sich um einen Konjunktiv I oder II handelt (S. 95).36 Ferner beachtet er bei einigen Modalverben nur auffällige Formen, was er folgendermaßen erklärt: Einzelne Verba nehmen so ziemlich die ganze Zeit hindurch eine sehr entschiedene Sonderstellung ein. Das gilt von mögen; der Conj. möchte ist ja noch heute in seiner potentialen Bedeutung wenigstens nicht durch den Conj. Praes. ersetzt und herrscht in der älteren Zeit fast ausschließlich, bis auf einige Beispiele von er möge in auffordernder Bedeutung; ich habe daher die Belege für möchte nicht verzeichnet, wo nicht besondere Gründe vorlagen. Auch bei werden habe ich für die ältere Zeit nur die seltenen Konjunktive des Praes., nicht die massenhaften Belege von würde angemerkt (S. 104).
Des Weiteren zählt er, wenn mehrere gleichartige Formen auf eine Redeeinleitung folgen, diese jeweils nur als eine Form (vgl. S. 105). Demzufolge kann man davon ausgehen, dass bei anderer Zählweise die Belegzahlen in seinen Texten noch höher gewesen wären. 36 Konkret bezieht sich Behaghel hier auf Formen, bei denen der Umlaut von /a/ durch ein e bezeichnet ist, sodass die Präsens- und Präteritumformen graphisch dieselbe Gestalt haben (begebe, geschehe, sehe).
3.2 Behaghel (1899)
93
Behaghels tabellarische Übersicht (S. 133) fasst, wie er sagt, „das Wichtigste aus den bisherigen Ergebnissen zusammen“, die er auf S. 104–132 ausführlich mit Belegen darstellt. In die Tabelle nicht mit eingegangen sind solche Quellen, in denen der Konjunktiv Präsens „kaum häufiger ist als in den Denkmälern des 15. Jahrh.“, und zwar Amadis, Buchholz und Rollenhagen (vgl. S. 132). Des Weiteren führt er nur die Belege auf, die auf einen eindeutig präteritalen Hauptsatz folgen, wobei historisches Präsens und Perfekt nicht mit aufgenommen sind. Behaghels Übersicht von S. 133 ist hier als Tabelle 3.4 (S. 94) leicht verändert und ergänzt zitiert.37 Zusätzlich zu dieser quasi zitierten Tabelle sind Behaghels Ergebnisse kompakt in Tabelle 3.5 (S. 95) zusammengefasst.38 Behaghel kommentiert und interpretiert seine Ergebnisse dahingehend, dass die Entwicklung des Konjunktivs Präsens zur Normalform von den Vollverben einerseits und andererseits von dem Singular des Verbs sein ausgeht, denn bei diesen Formen fällt die vermehrte Verwendung des Konjunktivs I in beiden Gebieten besonders auf. Bei allen anderen Verben überwiegt die Consecutio temporum, 37 Die Veränderungen sind die folgenden: Zum einen wurden die Quellen abgekürzt. Es handelt sich (von links nach rechts) um Albertus (1550), Hoffstetter (1611), Albertinus (1615), Ahlefeld (1617–1659), Harsdörffer (1656), Grimmelshausen (1669), Zesen (1670), Liselotte (1673–1682), Lohenstein (1689–1690), Till Eulenspiegel (1519), Zimmersche Chronik (1564–1566), Fischart (1575), Breuning (1595), Krafft (1616) und Happel (1691). Für genaue Literaturangaben der Ausgaben, die Behaghel verwendet hat, vgl. Anhang C.2, S. 578 dieser Arbeit. Ferner wurden die Bezeichnungen der Tempora und Modi der modernen Rechtschreibung angepasst. Ergänzt wurde die landschaftliche Zugehörigkeit der Quellen, die Behaghel im Text erwähnt, sowie eine Addition der Anzahl von Konjunktivformen. Den Simplicissimus ordnet Behaghel aufgrund von Grimmelshausens hessischem Geburtsort dem Konjunktiv-II-Gebiet zu (vgl. S. 115). Zugleich hält er es aber für möglich, dass seine Modusverwendung eher durch „den späteren Aufenthalt seines Verfassers auf oberdeutschem Boden“ beeinflusst ist (vgl. S. 135). Guchmann zählt den Simplicissimus dagegen von vornherein zum Westoberdeutschen (vgl. Tabelle 3.13, S. 121 dieser Arbeit). 38 In dieser Tabelle werden die Ergebnisse auch prozentual dargestellt, um eine leichtere Vergleichbarkeit mit anderen Ergebnissen zu ermöglichen. Daher werden die Verbarten, die sich laut Behaghel einerseits ähnlich in Bezug auf die Konjunktivwahl verhalten und andererseits zu selten vorkommen, dass man ihre Verteilung in Prozenten darstellen könnte, zu einer Gruppe zusammengefasst.
7
gesamt
4 3 7 3 – – 9 – 6
32
Vollverba hätte wäre wären dürfte müsste wollte könnte sollte
gesamt
K. Prät.
1 2 2 1 – – 1 – – – –
Vollverba habe sei seien dürfe müsse wolle könne solle werde möge
28
6 4 3 2 – 4 – 3 6
6
2 – – – – – – – – 4 –
94
52 9 2 2 1 4 1 4 19
12
5 1 1 – – – 3 – 2 – –
1615
Alb.
Ahl.
133
32 34 36 7 – 4 8 4 8
4
2 – – – 1 – – – – 1 –
1617–59
41
9 4 6 1 – – 7 4 10
15
3 2 2 – – 1 1 1 – 4 1
1656
Hrsd.
102
25 24 14 7 – 1 5 8 18
58
30 – 20 1 1 1 2 1 – 2 –
1669
Simp.
Zes.
88
32 15 4 6 – 8 4 3 16
40
(2?) 4 33 – – – – – – 1 –
1670
Lise.
68
17 10 18 6 – 2 3 10 2
24
5 – 12 – – – 3 – 3 – 1
1673–82
Loh.
186
55 33 46 17 1 9 5 12 8
51
16 11 16 – – – 1 6 1 – –
1689
189
189 – – – – – – – –
10
2 3 3 – – – 2 – – – –
1519
24
5 5 4 1 – – 3 – 6
3
– 1 2 – – – – – – – –
1564
Zim.
50
13 6 11 7 – 2 1 3 7
55
33 3 17 2 – – – – – – –
1575
Fis.
47
4 8 17 1 – 1 8 2 6
23
5 5 7 – – – 2 – 3 1 –
1595
Bre.
Eul.
1611
Hof.
Ats.
1550
K. Präs.
Konjunktiv-I-Gebiet
Konjunktiv-II-Gebiet Kra.
4
– – – – 1 – – 2 1
17
2 3 3 – – 1 2 – 2 4 –
1616
74
29 13 6 2 1 2 6 5 10
92
35 8 28 2 – 4 2 7 2 3 1
1691
Hap.
94 3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Tabelle 3.4: Konjunktiv nach präteritalem Hauptsatz in literarischen Texten (nach Behaghel 1899)
3.2 Behaghel (1899) Konjunktiv-II-Gebiet KI KII Σ %KI dürfen können mögen müssen sollen werden wollen haben sein Pl. Σ
2 8 2 2 6 12 11 20 2 65
2 48 – 32 93 – 42 136 51 404
4 56 2 34 99 12 53 156 53 469
13,86
sein Sg. Vollverben Σ
86 66 152
136 232 368
222 298 520
38,74 22,15 29,23
Σ gesamt
217
772
989
19,38
%KII
95
Konjunktiv-I-Gebiet KI KII Σ %KI
%KII
86,14
2 7 1 5 7 8 8 23 4 65
2 12 – 5 30 – 18 32 11 110
4 19 1 10 37 8 26 55 15 175
37,14
62,86
61,26 77,85 70,77
60 77 137
38 24 62
98 317 415
61,22 24,29 33,01
38,78 75,71 66,99
80,62
202
172
590
37,84
62,16
Tabelle 3.5: Prozentuale Konjunktivverteilung nach Präteritum (nach Behaghel 1899)
ist aber nicht ausschließlich zu beobachten. Die Mundartgebiete verhalten sich auffällig anders insofern, als im Konjunktiv-I-Gebiet bei können, sollen, sein im Singular und Plural sowie haben weitaus eher der Konjunktiv I verwendet wird als in den Quellen des KonjunktivII-Gebietes. Behaghel weist zudem darauf hin, dass sich der Anstieg der Konjunktiv-I-Verwendung in den Quellen des Konjunktiv-IIGebietes ebenfalls diachron nachweisen lässt. Während der Konjunktiv I im Konjunktiv-I-Gebiet schon vor 1669 nach Präteritum verbreitet ist, wird er im Vergleich dazu im Konjunktiv-II-Gebiet vor 1669 nahezu überhaupt nicht verwendet. Auch im KonjunktivI-Gebiet ist der Konjunktiv Präsens anfangs, d. h. im Eulenspiegel und der Zimmerschen Chronik, noch nicht so häufig, doch bereits bei Fischart (1575) ist der Anteil des Konjunktivs I nach Präteritum so hoch wie bei Happel (1691) (vgl. S. 134). Man kann also nach Behaghels Ausführungen zusammenfassend festhalten, dass seinen Ergebnissen zufolge der Konjunktiv I allmählich häufiger wird. Dieser Anstieg ist zunächst im mundartlichen Konjunktiv-I-Gebiet39 zu beobachten und 100 Jahre später dann 39 In der ersten Fassung des Buches führt Behaghel den ersten Beleg an, der ihm für Konjunktiv Präsens nach präteritalem Hauptsatz bekannt ist (1878, S. 52). Auch dieser Beleg – ein Zitat aus der Stretlinger Chronik, datiert
96
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
auch im Konjunktiv-II-Gebiet, wobei im gesamten Zeitraum und in beiden Gebieten der Konjunktiv II nach präteritalem Hauptsatz überwiegt. In Anbetracht dessen, was er bei der Analyse der literarischen Quellen ermittelt hat, kommt Behaghel zum Ende des ersten Teils seines Buches, Die Thatsachen, zu dem Schluss, dass die heutige mundartliche Konjunktivverwendung bereits im 16. Jh. so bestanden hat. Zwar könne man heute nicht mehr zweifelsfrei feststellen, ob dem wirklich so gewesen sei, da es keine objektiven Mundartproben aus dieser Zeit gibt. Ausgehend von der Tatsache, dass sich die Schriftsprache stets langsamer entwickelt als die gesprochene Sprache, meint Behaghel jedoch, dass eine Entwicklung, die sich erst allmählich in der Schriftsprache zu zeigen beginnt – wie zum Beispiel die Auflösung der Consecutio temporum und die Ausbreitung des Konjunktivs Präsens an ihrer Stelle – in der gesprochenen Sprache schon viel weiter fortgeschritten sein müsse (vgl. S. 158). Er räumt allerdings ein, dass dann bereits ebenso viel Präteritum nach Präsens im Konjunktiv-II-Gebiet zu finden sein müsste wie Präsens nach Präteritum im Konjunktiv-I-Gebiet, was jedoch in den von ihm untersuchten Quellen nicht der Fall ist. Diesen Umstand führt Behaghel auf mangelnde Berichterstattung zurück (vgl. S. 159). Seine die Entwicklung der Consecutio temporum in den Mundarten betreffenden Abwägungen beendet er mit den folgenden Worten: Ich komme also zu dem Schluss, es sei sehr wahrscheinlich, dass die heute in den Mundarten geltenden Verhältnisse schon im 16. Jahrhundert fertig vorlagen. In welcher Weise vor dieser Zeit die Entwickelung sich abgespielt hat, lässt sich mit den uns zu Gebote stehenden Hilfsmitteln nicht mehr entscheiden (S. 159, Hervorhebung im Original durch Sperrung).
3.2.d) Erklärung der Ergebnisse Zur Erklärung seiner Ergebnisse, welcher der zweite Teil seines Buches gewidmet ist, holt Behaghel relativ weit aus, indem er die Entwicklung der Zeitenfolge in den germanischen Sprachen mit der im Griechischen und Lateinischen vergleicht. Da sein Gedankengang für etwa um die Mitte des 15. Jhs. – entstammt einer Quelle des Konjunktivo I-Gebietes: „Darnach list man, wie der künig Rudolf gesach in sinem slaf oder trömen und als verzükt was in dem geist, wie ein grosse stat vor im si“ (Stretlinger Chronik, S. 65).
3.2 Behaghel (1899)
97
die Möglichkeit relevant ist, bei einigen frühneuhochdeutschen Konjunktivformen eine temporale Bedeutung vermuten zu können, wird dieser hier nachvollzogen, jedoch nur in knapper Form. Er beginnt mit Überlegungen zur Entstehung der indirekten, bzw. der „abhängigen Rede“, genauer der Personen-, Tempus- und Modusverschiebung. Den Ursprung der Modusverschiebung situiert er zeitlich vor der Entstehung der Nebensätze und sieht ihn in selbständigen Sätzen, die einen Zweifel anzeigenden Konjunktiv enthielten. Als sie später zu Nebensätzen wurden, blieb der Konjunktiv erhalten. Abhängige Sätze, durch die kein Zweifel angedeutet werden soll und die trotzdem im Konjunktiv stehen, können durch Wirkung von Analogie erklärt werden (vgl. S. 163–165). Behaghel zufolge ist die Personen- und Zeitverschiebung aus einem einfachen Bericht entstanden, der noch keine indirekte Rede ist, aber schon etwas Gehörtes wiedergibt. In einem solchen Bericht beziehen sich alle Deiktika, inklusive Ort- und Zeitbezügen, auf die Perspektive dessen, von dem berichtet wird (vgl. S. 173). Auch hier seien alle Redewiedergaben, die nicht direkt auf einen Bericht zurückzuführen sind, in Analogie genauso wie die geformt, die es sind (vgl. S. 174). In einem nächsten Schritt sucht Behaghel nun nach „Potentialen des Präteritums“, denn er geht davon aus, dass konjunktivische Nebensätze aus selbständigen Sätzen, die einen Optativ enthalten, entstanden sind. Demnach wäre die indirekte Rede er gab an, er sei krank aus den zwei selbständigen Sätzen Er machte eine Angabe. Er war wohl krank entstanden.40 Der Potentialis des Präteritums, nach dem Behaghel sucht, ist nun das, was in dem deutschen Beispiel durch war wohl repräsentiert ist, im Griechischen oder Lateinischen jedoch durch eine synthetische Verbform ausgedrückt werden kann. Wenn es also solche Formen mit präteritaler Bedeutung gäbe, dann wäre die Tempuswahl nach einem präteritalen Hauptsatz einleuchtend: Der Potentialis des Präteritums würde gewählt, weil er sich auf Vergangenes bezieht, ebenso wie die Verbform im Hauptsatz (vgl. S. 175). Solche präteritalen Formen des Potentialis findet Behaghel jedoch weder im Griechischen noch im Lateinischen noch
40 Vgl. S. 181. Zu Behaghels Auffassung von der Entstehung der Nebensätze vgl. S. 174–176.
98
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
im Deutschen, zumindest keine ursprünglichen.41 Das schließt allerdings nicht aus – und das ist während Behaghels Ausführungen zu den „wirklichen Ausnahmen“ von der Consecutio temporum deutlich geworden – dass im Alt- und Mittelhochdeutschen Verben im Konjunktiv Präteritum zu finden sind, bei denen eine präteritale Bedeutung feststellbar ist.42 Irreale Konjunktivformen mit präteritaler Bedeutung habe es hingegen von Alters her gegeben (vgl. S. 186). Da die potenzialen, äußerlich wie Präteritumformen anmutenden Konjunktive nun ursprünglich keine Vergangenheitsbedeutung hatten, müssen sie, so Behaghel, bereits im Althochdeutschen mit den Präsensformen in der indirekten Rede synonym gewesen sein. Ein lateinisches dicit se esse konnte demnach sowohl saget, si und saget, wâri auf althochdeutsch heißen, und für dixit se esse gab es ebenfalls die beiden Möglichkeiten sageta, si und sageta, wâri (vgl. S. 190).
41 Vgl. S. 183–190. Er hat einige Formen bei Herodot gefunden, jedoch keine bei Homer, was ihn zu dem Schluss kommen lässt, dass diese Formen keine ursprünglichen Formen sind, die als Grundlage der Entwicklung der abhängigen Rede, welche vorher eingesetzt hat, dienen können. 42 Vgl. hierzu auch Paul (1989) und Schrodt (2004). Mit Bezug auf die Zeitenfolgeregel weist Schrodt darauf hin, dass der Unterschied zwischen Präsensund Präteritalstamm des Konjunktivs nicht temporal beschrieben werden könne, „weil der K2 als ursprünglicher Optativ des Aorists zum AspektAktionsartensystem gehörte“ (2004, S. 132). Der Konjunktiv I sei dagegen die Fortsetzung des idg. Konjunktivs (vgl. ebd.). Das bedeutet für das Deutsche, dass man bereits im Althochdeutschen die Formen des Konjunktivs zu den Funktionsgruppen Konjunktiv I und II zusammenfassen kann, anstatt von Konjunktiv Präsens, Präteritum etc. zu sprechen, da sich in der Sprachgeschichte eine temporale Bedeutung der Konjunktivformen nicht nachweisen lässt. Zugleich kann der Konjunktiv II im Althochdeutschen jedoch, unabhängig von seiner ursprünglichen Bedeutung, zwei Funktionen haben: 1.) die Präteritumbedeutung des Präteritalstammes, von dem er abgeleitet ist und 2.) kann er im Sinne einer „Tempusmetapher“ die fehlende Gültigkeit eines Geschehens zum Sprechzeitpunkt ausdrücken und damit Irrealität (vgl. ebd., S. 131). Die präteritale Bedeutung muss daher eine Bedeutung sein, die in Analogie zum Indikativ an die Konjunktivform herangetragen wird. Ähnliches ist auch für das Mittelhochdeutsche festzuhalten. Ein Verb, das im Konjunktiv steht, ist sowohl hinsichtlich des Tempus als auch des Modus markiert. Jedoch kann die Tempusaussage mehr oder weniger stark vorhanden sein; insbesondere beim Konjunktiv Präteritum kann sie „bis zum ›Nullwert‹“ reduziert sein (vgl. Paul 1989, S. 301).
3.2 Behaghel (1899)
99
Wie kam es nun in Anbetracht der Synonymie der jeweiligen Möglichkeiten zur Ausbildung der Consecutio temporum, die ja im Grunde keine Zeitenfolgeregel im eigentlichen Sinne ist43 gewesen sein kann? Behaghel geht hier von einer „natürlichen Auslese“ der Formen aus, die bei Anwesenheit mehrerer synonymer Ausdrucksmöglichkeiten entweder die Bedeutung der beiden differenziert oder eine der Möglichkeiten untergehen lässt. Die Wahl fiel hier dann nach dem Analogieprinzip auf Konjunktiv Präsens nach Präsens und Konjunktiv Präteritum nach Präteritum, da bei Konstruktionen mit Indikativ, wenn Gleichzeitigkeit angezeigt werden soll, eben diese Kombinationen mit indikativischen Tempora obligatorisch sind. (vgl. S. 191). Die bedeutungsähnlichen Gruppen von jeweils drei Konstruktionen, die in der folgenden Übersicht in der linken Spalte zusammengestellt sind, wurden nach dem Ökonomieprinzip reduziert zu zwei Gruppen mit jeweils zwei Konstruktionen, an denen Verben mit einem gleichartigen oder ähnlichen Stamm beteiligt sind.44 saget
sageta
er si er wâri er ist
er si er wâri er was
−→
saget
−→
sageta
er si er ist
er wâri er was
Nach diesen im Grunde nur vorbereitenden Ausführungen wendet Behaghel sich im Folgenden der eigentlichen Frage zu, nämlich der, was im Deutschen zur Auflösung der Zeitenfolge und zur Durchsetzung jeweils eines Konjunktivs in den Mundarten geführt habe, bzw. 43 Vgl. auch Schrodt 2004, S. 132. Er weist darauf hin, dass wegen des sprachgeschichtlich nur als aspektuell, nicht aber als temporal zu bezeichnenden Unterschiedes zwischen beiden Konjunktiven (vgl. oben Anmerkung 42) die konjunktivische Consecutio temporum nur äußerlich wie eine Zeitenfolgeregel anmutet. In dieselbe Richtung weist der Vorschlag von Schrodt/Donhauser (2003), die Consecutio temporum wegen der fehlenden temporalen Bedeutung des Konjunktivs als Aspektkongruenzregel und eben nicht als Zeitenfolgeregel zu bezeichnen (vgl. ebd., S. 2509). Das bedeutet jedoch nicht, dass bei der indikativischen Consecutio temporum die temporale Bedeutung der Verbformen nicht von Bedeutung wäre. 44 Echte Ausnahmen von der Consecutio temporum könnte man nach diesem Ansatz so erklären, dass das Prinzip der sprachlichen Ökonomie nicht immer greift.
100
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
zur Durchsetzung des Konjunktivs Präsens in der Schriftsprache. Da der (auf den Optativ zurückgehende) Konjunktiv Präteritum niemals potenziale, präteritale Bedeutung gehabt hat, kann der Grund nicht im Verlust dieser Bedeutung liegen, was verschiedentlich vermutet wird.45 Behaghel meint vielmehr, dass die Entwicklung durch einen schwankenden Gebrauch in Gang gekommen sein muss, „wo beide Konjunktive, der des Praes. und der des Praet., im selben Satze möglich waren“ (S. 198). Solch einen schwankenden Gebrauch gab es nun, wie ausgeführt, einerseits nach historischem Präsens und andererseits nach dem Perfekt in präteritaler Bedeutung. Das historische Präsens ist morphologisch betrachet eine Präsensform, hat aber präteritale Bedeutung, weswegen ein schwankender Gebrauch im Nebensatz nach Hauptsätzen im historischen Präsens einleuchtet (vgl. S. 198). Gestützt wird seine Vermutung durch die Tatsache, dass das historische Präsens in literarischen Werken bereits häufiger wird, als die Zeitenfolge noch keine Auflösungserscheinungen zu zeigen beginnt, und deshalb als potenzieller Auslöser in Frage kommt (vgl. S. 204). Der schwankende Gebrauch nach dem Perfekt sei entstanden, nachdem dieses auch als Erzähltempus der Vergangenheit verwendet werden konnte, eine Rolle, die sonst dem Präteritum vorbehalten war. Im Süden hat es schon früh im Zuge des sogenannten Präteritumschwundes dessen Funktion weitestgehend übernommen. Die Gebietsbezeichnung „Süden“ soll jedoch nicht suggerieren, dass bei diesem Phänomen eine klare Nord-Süd-Trennung vorliege, sondern vielmehr handelt es sich um eine Abnahme der Präteritumverwendung von Norden nach Süden. Die Gebiete des Präteritumschwundes sind, wie Behaghel sie beschreibt (vgl. S. 208– 209), in Tabelle 3.6 zusammengestellt. Formal verlangt das Perfekt ebenso wie das historische Präsens einen Konjunktiv Präsens im Nebensatz, von der Bedeutung her jedoch ein Präteritum. Das erzählende Perfekt wird im 15. Jh. häufiger (vgl. S. 207), geht damit ebenfalls in seiner Entstehung der Auflösung der Zeitenfolge voraus und kommt als auslösender Faktor in Frage. Über die Ausbildung des Perfekts auf mitteldeutschem 45 Behaghel bezieht sich hier speziell auf O. Erdmanns Deutsche Syntax, Erste Abteilung, 1886 (vgl. S. 197). Diese Meinung gibt es auch heute noch (vgl. weiter unten Abschnitt 3.4, S. 125 dieser Arbeit sowie S. 129, Anmerkung 91 in diesem Kapitel).
3.2 Behaghel (1899) 1. Gebiet
Alemannisch, Bairisch
2. Gebiet
Mainz, Egerländisch, der Süden des Rheinfränkischen die Grenze des Gebietes verläuft nördlich von Mainz
3. Gebiet
4. Gebiet
der Grenzverlauf ist unklar
101
Präteritum nicht mehr vorhanden, einige Mundartforscher und Grammatiker wie Schmeller und Jellinek erwähnen allerdings einzelne Belege vereinzelt findet sich war und wollte neben dem Perfekt das Präteritum ist gebräuchlich, wenn keine Zweideutigkeiten durch seinen Gebrauch entstehen Perfekt und Präteritum sind gleichermaßen gebräuchlich
Tabelle 3.6: Der Präteritumschwund nach Behaghel 1899
und niederdeutschem Boden war Behaghel noch „nichts Genaueres“ bekannt (S. 210), weswegen er dort keine stützenden Argumente, dass es dort zum Beispiel auch bereits im 15. Jh. verbreitet gewesen ist, für seinen Erklärungsansatz finden kann. Nach heutigem Forschungsstand kann man aber davon ausgehen, dass das Perfekt bereits im gesamten Sprachgebiet verbreitet war.46 Es gab also Gründe für einen schwankenden Tempusgebrauch in konjunktivischen Nebensätzen. Die Durchsetzung der einen oder anderen Form geht nun laut Behaghel auf größere Deutlichkeit der Formen zurück, die sich in den unterschiedlichen Mundartgebieten jeweils anders gestaltet. Die Möglichkeit, dass im Süden mit dem 46 Semenjuk (1981) liefert ein solches Argument, indem sie feststellt, dass die Verbreitung des Perfekts nicht nur regional bedingt ist, sondern auch von der Textsorte abhängt: In dem regional differenzierten und verschiedene Textsorten enthaltenden Korpus, das sie gemeinsam mit Mirra Guchmann ausgewertet hat (vgl. Semenjuk/Guchmann 1981, S. 273–278), ist das Perfekt zwischen 1470 und 1530 bereits überall verbreitet. Dabei ist es im Süden nur geringfügig häufiger als in den anderen Gebieten (vgl. ebd., S. 60). Semenjuk hat zudem ermittelt, dass seine Frequenz am höchsten ist in Dialogen und Volksbüchern, Textsorten also, „die auf eine ziemlich lange literarische und sprachliche Tradition“ zurückgehen“ (ebd., S. 56). Betten deutet diese Feststellung dahingehend, dass eine vermehrte Verwendung des Perfekts mit der Nähe zum mündlichen Stil im Zusammenhang steht (vgl. 1987, S. 119). Zu diesem Argument passen wiederum Behaghels Ausführungen zum volkssprachlichen Charakter des Perfekts (vgl. Behaghel 1899, S. 159).
102
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Schwund des Indikativ Präteritum auch der Konjunktiv Präteritum als ihm im Nebensatz korrespondierende Form unterging, hält Behaghel für weniger wahrscheinlich, da in Teilen des Bairischen sich ja der Konjunktiv Präteritum durchgesetzt hat, obwohl der Indikativ Präteritum dort ebenso wie in den übrigen oberdeutschen Mundarten geschwunden ist. Der Deutlichkeit der einzelnen Formen nähert sich Behaghel durch Abwägen: Der Konjunktiv Präsens ist überall weitgehend mit dem Indikativ zusammengefallen, allein die 3. Person Singular macht durchgängig eine Ausnahme. Auch der Konjunktiv Präteritum ist weitestgehend mit dem Indikativ zusammengefallen, allerdings kann die temporale Bedeutung des Indikativs, die dem Konjunktiv fehlt, leicht beim Verständnis von abhängigen Sätzen helfen (vgl. S. 211).47 Im Mittel- und Niederdeutschen könne aufgrund dessen der Konjunktiv Präteritum trotz der ebenfalls weitgehenden Übereinstimmung mit dem Indikativ wohl deutlicher empfunden worden sein (vgl. ebd.). Im Alemannischen wurde hingegen länger an einem vom Indikativ unterschiedenen Konjunktiv Präsens in der 3. Person Plural festgehalten, den das Nieder- und Mitteldeutsche nicht gekannt habe und auch das Bairische kaum. Das Präsens hätte deshalb einen kommunikativen Vorteil gegenüber dem Präteritum, und im Alemannischen seien diese Formen bis heute bewahrt (vgl. S. 212).48 Ob das gleichermaßen für den Teil des Bairischen gilt, in welchem der Konjunktiv I verwendet wird, kann Behaghel nur vermuten, nicht aber feststellen; er hält es jedoch für wahrscheinlich (vgl. ebd.). Die Durchsetzung des Konjunktivs Präsens in der Schriftsprache erklärt Behaghel wie folgt: Der Konjunktiv Präsens sei im Süden aus der Mundart in die Schriftsprache gekommen, habe sich dort etabliert, und dem oberdeutschen Gebrauch hätten sich dann die anderen Sprachgebiete angeschlossen (vgl. S. 213). Im Norden 47 Behaghels Beispiel für einen solchen potenziell zweideutigen Satz ist der folgende niederdeutsche: „hei säd, sei wiren krank“, wo wiren formal sowohl Indikativ Präteritum oder Konjunktiv Präteritum sein kann. Behaghel meint jedoch, dass der Konjunktiv aufgrund der eindeutig nicht präteritalen Bedeutung der Form ohne Weiteres zu erkennen sei. Zu ähnlichen Beispielen und deren Interprätation vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 55 dieser Arbeit. 48 Es sei angemerkt, dass die oberdeutschen Mundarten, welche den Indikativ Präteritum aufgegeben haben, den Konjunktiv Präteritum bewahrt haben, vgl. Saltveit 1983a, S. 1226. Von daher hätte also gerade der Konjunktiv Präteritum deutlicher sein müssen als das Präsens.
3.3 Guchmann (1981)
103
setzte die „lebendig[e] Mundart“ (ebd.) der Schriftsprache jedoch Druck entgegen, was sich darin äußere, dass die dort beheimateten Schriftsteller den Konjunktiv Präteritum verwenden, sobald in ihren Werken volksnahe Sprache erscheine, zum Beispiel in Briefen oder eingeschobenen Reden (vgl. S. 214). Die Ersatzregel führt er allerdings wieder auf natürliche Sprachentwicklung zurück, genauer gesagt auf eine Auslese nach dem Kriterium der Deutlichkeit (vgl. S. 214). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in Behaghels Erklärung, wie die Consecutio temporum entstanden sein könnte und wie es zu ihrer Auflösung kam, der fehlenden temporalen Bedeutung der Konjunktivformen und dem Einfluss der Mundarten eine große Bedeutung zukommen. Insbesondere seiner Einteilung des Sprachgebietes in eine Konjunktiv-I- und eine Konjunktiv-IIRegion sowie dem schwankenden Gebrauch nach Perfekteinleitung wird nachzugehen sein.
3.3 Guchmann (1981) Im Mittelpunkt von Mirra Guchmanns Abhandlung zum Modus im Frühneuhochdeutschen steht die Entwicklung von Normen. Konkret geht es um den Ursprung der heutigen Modusverwendungsnormen, welcher möglicherweise im Frühneuhochdeutschen liegt. Guchmann wertet ein von der Textsorte her heterogenes Korpus aus, das in zwei Zeitschnitte untergliedert ist: 1470–1530 und 1670–1730. Das Korpus ist eine Sammlung verschiedenartiger Texte, die aus allen frühneuhochdeutschen sprachlichen Großregionen stammen. Für den ersten Zeitschnitt handelt es sich um Reisebeschreibungen, Chroniken, wissenschaftliche Prosa, Volksbücher, Flugschriften in Dialogform und Publizistik (Traktate, polemische Flugschriften, Sendbriefe). Fast keine von diesen Textsorten gibt es noch im zweiten Zeitschnitt. Dort untersucht Guchmann moralisch-didaktische Prosa, wissenschaftliche Prosa, Galante Romane und Schelmenromane sowie Briefe.49 49 Für genauere Literaturangaben der Texte, die aus Guchmanns Korpus in diesem Abschnitt zitiert werden, vgl. Anhang C.2.b). Die Texte sind ein Teil des Berliner Korpus, aus dem Guchmann und Semenjuk für ihre Abhandlung zu Tempus und Modus 49 Texte für den ersten und 24 für den zweiten
104
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Sie stellt sowohl synchron den Zustand des Sprachsystems in diesen jeweils 60 Jahren dar als auch die Veränderungen, die sich in der Periode zwischen den beiden Zeitschnitten ergeben haben. „[D]er Status der Literatursprache, die Bedingungen ihrer Existenz und Entwicklung, schließlich die Auswahl der Genres, in denen sie verwendet wird“ (S. 13)50 , ändere sich nämlich in den 140 Jahren grundlegend, da die sprachliche Entwicklung aufgrund des Dreißigjährigen Krieges gehemmt worden sei, was in krassem Gegensatz zu der geradezu rasenden Entwicklung während des Bauernkrieges und der Reformation stehe. Im 17. Jahrhundert begannen dazu die Grammatiker und Sprachgesellschaften, sich um die Beförderung der deutschen Sprache zu bemühen. Erst zu dieser Zeit nahmen Grammatiker Passagen über den Gebrauch der Modi in ihre Werke auf (vgl. S. 224).51 Die Normierung der Grammatiker laufe parallel zu sich ausbildenden Normen in der Literatursprache, was für Guchmann kein Zufall ist (vgl. S. 226).52 Aufgrund dieser sehr unterschiedlichen Voraussetzungen für Normen und Normierung in beiden Zeitschnitten nimmt sie von einer Untersuchung des Gesamtzeitraums 1470–1730 Abstand, denn durch diese könnten Ergebnisse verfälscht werden (vgl. S. 13). Zeitraum ausgewählt haben. Für eine Kurzbeschreibung des Berliner Korpus vgl. Besch 2003, S. 2273, für die genauen Angaben aller von Guchmann und Semenjuk untersuchten Texte vgl. Semenjuk/Guchmann 1981, S. 273– 278. 50 Hier und im Folgenden beziehen sich die Seitenangaben im Text auf Guchmann 1981. 51 Guchmann vergleicht hier die früheren Grammatiken von Albertus (1573), Clajus (1578) und Ölinger (1574) mit Bödiker (1690) und Gottsched (1748). Wo die älteren drei nur konjunktivische Verbparadigmen aus ihren Herkunftsgebieten aufnehmen, bieten die jüngeren zwei Bedingungen und Regeln des Gebrauchs. Vgl. auch Abschnitt 3.1, S. 71 dieser Arbeit. 52 In Anbetracht dessen, dass der von ihr vor dieser Feststellung ausführlich zitierte Gottsched seine „Sprachkunst“ erst nach dem Ende ihres zweiten Untersuchungszeitraumes veröffentlicht hat, kann man davon ausgehen, dass er ihrer Meinung nach allgemein im Sprachgebrauch erkennbare Tendenzen aufgegriffen und systematisiert hat, und nicht, dass sich die Schreiber des zweiten Zeitraums nach ihm gerichtet haben könnten. Bödikers Werk (1690) könnte hingegen das Schrifttum des zweiten Zeitraums beeinflusst haben. Deshalb ist davon auszugehen, dass Guchmann mit der nicht zufälligen Parallelentwicklung von Schriftsprache und Grammatikschreibung eine gegebenenfalls wechselseitige Beeinflussung meint.
3.3 Guchmann (1981)
105
Guchmann setzt sich zum Ziel, Anwendungsmodelle des Konjunktivs sowie Alternativen zu diesen zu finden, wobei sie die Variablen Landschaft und Textsorte mit berücksichtigt (vgl. S. 130). Zu diesem Zweck untersucht sie im ersten Zeitschnitt zunächst die Quellengruppen einzeln und im Anschluss daran einzelne syntaktische Modelle, in denen der Konjunktiv vorkommt. Eines der untersuchten Modelle ist die indirekte Rede (vgl. S. 195).53 Im zweiten Zeitschnitt lässt sie ihre Beobachtungen zur indirekten Rede in die Beschreibung der einzelnen Textsorten mit einfließen, anstatt ihr einen gesonderten Abschnitt zu widmen wie im Kapitel zum ersten Zeitschnitt. Da nicht alle Quellen im ausreichenden Maße indirekte Rede enthalten, beschränkt sie sich auf eine Auswahl. Die Quellen, anhand derer sie die indirekte Rede in beiden Zeiträumen untersucht, sind hier in Tabelle 3.754 (S. 106) zusammengestellt. Guchmann konzentriert ihre Betrachtung der indirekten Rede auf zwei Aspekte, die prinzipiell auch hier bislang im Vordergrund gestanden haben, und zwar zum einen auf das Verhältnis von Konjunktiv, Indikativ und modusambivalenten Formen sowie zum anderen auf das Verhältnis von Tempus und Modus (vgl. S. 200). Letzteres läuft im Grunde auf einen Vergleich von Konjunktiv I und Konjunktiv II hinaus, auch wenn sie selbst diese Gruppierung nicht vornimmt, sondern zwischen Konjunktiv Präsens, Perfekt, Präter53 Guchmann schränkt die Konstruktionen, die sie im Rahmen der indirekten Rede untersucht, anhand der möglichen redeeinleitenden Ausdrücke ein. Die in ihrem Korpus zu findenden Redeeinleitungen lauten sagen, sprechen, reden, melden, verkunden, berichten, schwetzen, mainen (synonym mit sagen), erklären, erzalen, antworten, ratschlagen, schreiben, fragen, anzeugen/anzeigen, außpreyten, vorgeben, setzen sowie Meinungen/meinung/mainung, Antwort, brachten Mähr, thetten Einredung, thet ein Vermanunge, wort lawten, gebt zeugnuss. Auch die Verben wollen, wünschen, sehen, hören, merken, hoffen, wissen können indirekte Rede einleiten, allerdings ist nach diesen Verben der Konjunktivgebrauch nicht so verbindlich wie nach den zuvor genannten. Gefüge mit diesen Verben seien dann eher im Sinne von „indirekter Modalität“ zu verstehen. Guchmann betrachtet zusätzlich die Verben leren, glauben, dencken, sich rühmen, gebieten, clagen und bitten (vgl. S. 195–196). 54 In dieser Übersicht werden sowohl Guchmanns Quellensiglen, die im Anhang C.2.b) aufgelistet sind, als auch ein sprechender Kurztitel verwendet. Die landschaftliche Zugehörigkeit richtet sich nach Druckort der Ausgabe oder Herkunftsort des Verfassers. Von den 73 Quellen des Gesamtkorpus enthalten also nur 18 genügend indirekte Rede für eine Untersuchung.
106
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Erster Zeitschnitt Chroniken
Volksbücher
Traktate
Dialoge
ChrA1 ChrA2 ChrSp ChrM VbPS1 VbPS2 VbF TrZw TrM TrCh DlK
Augsburg 1 Augsburg 2 Spittendorff (Halle) Mainz Pontus und Sidonia 1 Pontus und Sidonia 2 Fortunatus (Augsburg) Zwingli Müntzer Berthold von Chiemsee Karsthans
1512–1527 1512–1537 um 1480 Mitte 15. Jh. um 1500 1496 1509 1522 1524/25 1527 1521
wobd wobd omd wmd wmd oobd wobd wobd omd oobd wobd
Schupp A. a Sancta Clara Elisabeth v. Orleans Happel Ziegler Reuter Grimmelshausen
1657 1683 1676 1690 1689 1696 1669
wobd oobd wmd wmd omd omd wobd
Zweiter Zeitschnitt moralisch-didaktische Prosa Briefe Romane
BiSch BiAbr1 BrEl RoHap RoZig RoR RoGrC
Tabelle 3.7: Guchmanns Quellen für die indirekte Rede
itum und Plusquamperfekt unterscheidet, gleichzeitig aber von „sogenannten Zeitformen“ (S. 130) spricht. Um der besseren Vergleichbarkeit willen werden ihre Ergebnisse daher zusätzlich zu den beiden Konjunktivgruppen zusammengefasst und im Sinne der Wahl zwischen Konjunktiv I und II betrachtet.
3.3.a) Indikativ und Konjunktiv in Guchmanns Texten Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv in der indirekten Rede betreffend, stellt Guchmann gravierende Unterschiede zwischen den Textsorten fest. So überwiegen bei den Volksbüchern durchweg die Konjunktivformen. Beispielsweise finden sich in der ersten Fassung des Volksbuchs von Pontus und Sidonia unter 39 Formen nur zehn, die entweder modusambivalent oder eindeutig indikativisch sind (vgl. S. 201). Auch in der anderen Fassung von Pontus und Sidonia dominiert der Konjunktiv: Von insgesamt 15 Formen stehen 13 im Konjunktiv, zwei sind modusambivalent (vgl. S. 203). Auch im Volksbuch Fortunatus findet sich ausschließlich der Konjunktiv (vgl. ebd.). In den Texten, in welchen der Indikativ als Alternative
3.3 Guchmann (1981)
107
zum Konjunktiv auftritt, wird er meistens ohne besondere Motivation eingesetzt. Als Beispiel für einen derartigen, nicht motivierten Indikativ in einer mit sagen eingeleiteten indirekten Redewiedergabe zitiert Guchmann den folgenden Satz (S. 202): (3.16) . . . vnd sagen dem almechtigen gott lob . . ., das er vns so wol vsser der hende vnser fiande geholffen hait, vnd das er auch dem gutten ritter . . . sin gnade . . . mitdeyle (VbPS1 , S. 52) Für Guchmann ist der Indikativ hier durch die Verwendung der Konjunktion dass motiviert, die „häufig“ den Indikativ nach sich ziehe.55 Alles in allem kann der Konjunktiv in der indirekten Rede als Normalform bezeichnet werden, zumal die modusambivalenten Formen, die abwechselnd mit eindeutigen Konjunktiven vorkommen, auf diese Weise „modal festgelegt“ würden.56 Auch die Modusverwendung in den Chroniken57 unterscheide sich, und zwar gleichen sich weder die Chroniken unter sich, noch lassen sich Parallelen zur Verwendung in den Volksbüchern erkennen. Das kann aber auch auf den jeweiligen Inhalt der Chroniken 55 Man könnte hier allerdings auch überlegen, ob der mit das eingeleitete Nebensatz nicht eher ein Kausalsatz ist in dem Sinne wir loben Gott, weil er uns geholfen hat. Die Verwendung von dass als kausale Konjunktion ist zwar selten, aber mehrfach belegt (vgl. Ebert 1993, S. 475). Der darauffolgende Satz könnte ebenso gut ein Finalsatz sein. Das ganze Satzgefüge hätte dann eine Bedeutung, die in etwa folgendermaßen paraphrasiert werden könnte: wir loben Gott, weil er uns geholfen hat, und wir loben ihn, damit er dem guten Ritter Gnade gewähre. In diesem Fall wäre der Konjunktiv nicht durch Redewiedergabe, sondern durch diesen Finalsatz bedingt. Der Kausalsatz könnte dann nicht als Ausnahme von der Regel gewertet werden, dass in der indirekten Rede eine Konjunktivform erscheinen soll, da in Kausalsätzen kein Konjunktiv gefordert ist. In Anbetracht solcher Zweifelsfälle sind möglicherweise in den von Guchmann untersuchten Texten weniger Ausnahmen zu beobachten, als sie ermittelt hat. 56 Guchmann folgt also auch der Praxis, modusambivalente Formen in konjunktivischer Umgebung eher als Konjunktiv zu betrachten (vgl. Abschnitt 2.2.e ), S. 42 dieser Arbeit). 57 Zu dieser Textsorte bemerkt Guchmann an anderer Stelle (S. 161), dass sie sich „[t]eilweise [. . .] stilistisch der Kanzleisprache [nähern]“. Ergebnisse, die den Konjunktiv betreffend bei der Untersuchung der Chroniken auftreten, geben also möglicherweise einen Hinweis auf die Modusverwendung in der Kanzleisprache, die in Teil II dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen wird.
108
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
zurückzuführen sein und wäre damit semantisch motiviert. So enthalte die Mainzer Chronik vornehmlich die Korrespondenz zwischen dem Stadtrat und dem Mainzer Bischof. Die indirekte Rede werde vergleichsweise selten verwendet (elf Belege), und der Indikativ „erscheint [. . .] in formal ausreichend gekennzeichneter Weise als recht stabile Struktur“ in fünf Belegen von diesen elf (vgl. S. 205). Die Redeeinleitungen seien im Präsens gehalten und durch den Inhalt, den erwähnten Briefwechsel, motiviert. In den Augsburger Chroniken sei der Konjunktiv wieder sehr viel häufiger, sodass Guchmann ihn mit Bezug auf ChrA1 als „nichtkodifizierte Norm“ bezeichnet (S. 205). Sie führt diese Tatsache allerdings wiederum mehr auf den Inhalt des von ihr untersuchten Abschnitts zurück als auf syntaktische Gegebenheiten in der indirekten Rede. Konkret handele die Passage aus der Chronik von einer Schwindlerin, die sich als Heilige ausgibt. Der Konjunktiv diene hier nun, so Guchmann, „zum Ausdruck der Haltlosigkeit und Verlogenheit der Behauptungen der angeblichen Heiligen“. Der Indikativ trete hier nur einmal auf (vgl. S. 206). In der Halleschen Chronik (ChrSp) dominiere die konjunktivische indirekte Rede desgleichen, der Indikativ sei die Ausnahme (vgl. S. 208). Auch in einigen anderen Texten, die generell arm an indirekter Rede sind (Dialoge, politische Prosa), seien Indikative äußerst selten oder fehlten ganz, dagegen seien jedoch dort modusambivalente Formen wieder häufiger. Eine andere Gruppe mit niedriger Frequenz von indirekter Rede, die Traktate, enthalten wiederum eine größere Anzahl von Indikativen. Zum Beispiel sind von 19 Belegen in dem Traktat Bertholds von Chiemsee (TrCh) zwei Indikative (vgl. S. 209). Die Komplexität der semantischen Struktur der Konjunktivformen in der indirekten Rede wirkt, wie Guchmann festgestellt hat, auf die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv in der indirekten Rede ein. Sie stellt diese Struktur anhand der semantischen Zentren „Wirklichkeit“ und „Unwirklichkeit“ 58 dar. Ein Beispiel für einen eindeutig Unwirklichkeit bezeichnenden Konjunktiv wäre ihr zufolge das hier als (3.17) zitierte Beispiel (S. 212): (3.17) [. . .] und saget, ich wolle auffrur machen (TrM, S. 148) e
o
58 Diese Begriffe versteht Guchmann im weitesten Sinne; auch Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit gehören dazu (vgl. S. 211).
3.3 Guchmann (1981)
109
Hier wehrt Thomas Münzer sich gegen den falschen Vorwurf der Aufwiegelung. Guchmann erwähnt allerdings, dass ein solcher Satz in einigen Quellen mit derselben Bedeutung im Indikativ stehen könne, wodurch die Bedeutung des Konjunktivs gebrochen werde und damit die Modusopposition neutralisiert (vgl. S. 212).59 Diese Verhältnisse bilden die Grundlage aller weiteren Entwicklungen, so Guchmann in dem diesen Abschnitt beendenden Satz. Befördert würden diese durch die Tatsache, „daß in dieser Periode jede feste Zuordnung der Tempusformen des Konjunktivs und des Indikativs zu den inhaltlich bestimmten Spielarten der indirekten Rede fehlte“ (S. 212). Guchmann fasst nach diesen Ausführungen die Quellen in zwei Gruppen zusammen: Zum einen die, in denen der Konjunktiv die Normalform und der Indikativ die Ausnahme ist, und zum anderen diejenigen, in denen der Indikativ häufiger ist und somit eine Nebenform zum Konjunktiv darstellt (vgl. S. 211, vgl. hier Tabelle 3.8, S. 110). Die Variablen Textsorte und Landschaft scheinen auf die Gruppierung keinen Einfluss zu haben. Im zweiten Zeitschnitt sind die Indikativformen ebenfalls recht ungleichmäßig verteilt und werden weniger in Abhängigkeit von der Textsorte als von der individuellen Quelle verwendet, insgesamt sind sie aber weitaus seltener als im ersten Zeitschnitt. So kommen bei Schupp (BiSch) sowohl Indikative als auch modusambivalente Formen vor, während bei Abraham a Sancta Clara (BiAbr1 ) weder das eine noch das andere zu finden ist und der Konjunktiv damit absolut vorherrscht (vgl. S. 238). In den Romanen fehlen sie entweder komplett oder aber sie sind sehr selten (vgl. S. 250 und 252).
3.3.b) Konjunktiv I und II in Guchmanns Texten Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II betrachtet Guchmann vornehmlich unter dem Aspekt der Consecutio temporum, d. h. als syntaktisches Phänomen, sie rekurriert jedoch des Öfteren auf eine mögliche temporale Bedeutung der Konjunktivformen. Ihre Bemerkungen zur Temporalsemantik (vgl. S. 218–219 und 258–262) werden hier jedoch nicht eingehend erläutert, da sie im Wesentlichen 59 In ihrem Beispiel steht allerdings eine modusambivalente Form.
110
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen Gruppe 1: Konjunktiv ist Normalform, Indikativ ist selten VbPS2 Pontus und Sidonia 2 VbF Fortunatus ChrA1 , ChrA2 Chronik Augsburg 1 und 2 ChrSp Chronik Halle fast alle Traktate, Sendbriefe, Flugschriften
oobd wobd wobd omd (diverse)
Gruppe 2: Indikativ ist eine häufige Nebenform zum Konjunktiv ChrM Chronik Mainz wmd VbPS1 Pontus und Sidonia 1 wmd TrZw Traktat Zwingli wobd Tabelle 3.8: Verwendung des Indikativs im ersten Zeitschnitt nach Guchmann 1981
nicht über das bereits zum Thema „relative vs. absolute Zeitgebung“ Gesagte hinausgehen.60 Stattdessen liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Darstellung auf der Consecutio temporum sowie auf speziellen Fällen von temporalsemantischen Erklärungen, die weiterführend sind. Festzuhalten ist aber, dass Guchmann zuweilen vom Verlust der temporalen Bedeutung der Konjunktivformen spricht61 und damit eine andere Sichtweise auf die Geschichte des Konjunktivs hat als Behaghel. Für die Consecutio temporum im ersten Zeitschnitt stellt Guchmann ihre Untersuchung auf die Grundlage von 336 Belegen für indirekte Rede (vgl. S. 216), wobei sie modusambivalente Formen außer Acht lässt. Auch „mehrgliedrige Satzgefüge“ gehen in ihre Analyse zunächst nicht ein, da diese „eigene Gesetzmäßigkeiten“ haben. Nach diesen Abzügen verbleiben 273 Verbormen im Konjunktiv (vgl. S. 216). Wie sich diese auf die konjunktivischen sogenannten Tempusformen verteilen, ist in Tabelle 3.962 zu sehen: Präteritum und Präsens sind am häufigsten, wobei insgesamt betrachtet der Konjunktiv I im Vergleich zum Konjunktiv II leicht vermehrt auftritt. Im Folgenden untersucht Guchmann, ob die Wahl der Art 60 Vgl. oben Abschnitt 3.2.b) dieser Arbeit, insbesondere Tabelle 3.1, S. 82. 61 Vgl. z. B. S. 260: „Möglicherweise finden wir bei der gleichen Autorin [Pfalzgräfin Elisabeth] einen Anhaltspunkt für die Tendenz, daß dem Konjunktiv Präsens eine feste temporale Bedeutung verlorengeht“. 62 Guchmanns in den Text eingearbeitete Ergebnisse werden hier tabellarisch dargestellt und durch Prozentzahlen sowie die Konjunktivgruppierung ergänzt. Der „Konditional“ ist in Guchmanns Terminologie die würde-Form.
3.3 Guchmann (1981)
110 37 1 73 51 1
Präsens Perfekt Futur Präteritum Plusquamperfekt Konditional
40,29 % 13,55 % 0,36 % 26,74 % 18,60 % 0,36 %
111
KI
148
KII
125
Tabelle 3.9: Konjunktivformen in Guchmanns erstem Zeitschnitt
des Konjunktivs vom Tempus im Hauptsatz abhängt oder ob sie möglicherweise andere, gegebenenfalls semantische Gründe hat. Als Vergleich hat sie zuvor für die Finalsätze, die für sie im Gegensatz zur indirekten Rede eine semantisch invariante Bedeutungsstruktur haben, eine ausnahmslose Abhängigkeit vom Tempus des Hauptsatzes festgestellt (vgl. S. 213–216). Aufgrund der relativ hohen Belegzahl findet sie viele Kombinationsarten von Haupt- und Nebensatz (vgl. S. 216–217). Die genauen Belegzahlen sind hier in Tabelle 3.10 (S. 112) zusammengestellt.63 Diese Tabelle zeigt, dass Redeeinleitungen im Präsens eindeutig am frequentesten sind (139 Belege), gefolgt von denen im Präteritum (80 Belege), die somit etwa halb so häufig sind wie die Einleitungen im Präsens. An dritter Stelle folgen die Redeeinleitungen im Perfekt (34 Belege); diese machen weniger als die Hälfte der Einleitungen im Präteritum aus. Alle anderen Formen sind sowohl bei den Redeeinleitungen als auch bei den Konjunktivformen von untergeordneter Bedeutung. Bei den Konjunktivformen ist das Präsens ebenfalls die von der Häufigkeit her bedeutendste Form, gefolgt von Präteritum und Plusquamperfekt und schließlich Perfekt. Betrachtet man die Kombinationen und ihre Häufigkeitsausprägung unter dem Blickwinkel der „echten“ Consecutio temporum wie Behaghel sie untersucht hat, d. h. Präsens gefolgt von Konjunktiv I 63 Wiederum werden Guchmanns in den Text eingearbeitete Ergebnisse tabellarisch dargestellt. Die Diskrepanz von 10 Belegen zwischen dieser und der vorherigen Tabelle ergibt sich dadurch, dass drei Belege, in denen ein Präsens einen irrealen Konditionalsatz mit Konjunktiv Plusquamperfekt einleitet, nicht in ihre Übersichtsdarstellung eingegangen sind. Dasselbe gilt auch für die wenigen Belege von Konjunktiv Futur und Konditional, da sie „wenig aussagekräftig“ seien. Bei den übrigen Belegen handelt es sich um solche ohne Redeeinleitung, d. h. um berichtete Rede. Dort steht der Nebensatz im Konjunktiv Perfekt (vgl. S. 217).
112
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Präs. Perf. Prät. Plqu. Futur Imp. Σ
Präs. # % 78 29,66 23 8,75 2 0,76 1 6 110
Konjunktiv Perf. Prät. # % # % 25 9,51 25 9,51 8 3,04 3 1,14 42 15,97 1 0,38
0,38 2,28
2 33
73
Plqu. # 11
% 4,18
36
13,69
0,76 47
Σ 139 34 80 1 1 8 263
Tabelle 3.10: Anzahl der Tempuskombinationen nach Guchmann 1981
und Präteritum von Konjunktiv II, so ergibt sich ein Verhältnis von 83 % Beachtung zu 17 % Nicht-Beachtung der Consecutio temporum (in absoluten Zahlen 181 zu 38), was Behaghels Beobachtungen für die Zeit vor 1500 bestätigt.64 Für den zweiten Zeitschnitt lässt sich die Häufigkeit nicht ohne Weiteres nennen, da Guchmann jeweils nicht die gesamte Belegzahl aufführt, sondern einzelne Belege und andeutet, dass es noch weitere gibt (vgl. z. B. S. 235). Allerdings hält sie für viele Quellen fest, bzw. es lässt sich aus den von ihr zitierten Belegen entnehmen, dass die Consecutio temporum weitgehend eingehalten wird. In BiAbr1 überwiege beispielsweise einerseits die Befolgung der Consecutio temporum und andererseits der Konjunktiv I (vgl. S. 236), in BrEl ebenso, jedoch vermehrt mit Konjunktiv II (vgl. S. 242–243). In BiSch folge dagegen häufiger der Konjunktiv I auf eine Redeeinleitung im Präteritum (vgl. S. 234–235). Bei den Romanen gebe es solche, in denen sie befolgt wird wie RoR und RoZig, während sie in anderen (RoGrC und RoHap) weitgehend ignoriert werde (vgl. S. 247–252). Im zweiten Zeitschnitt scheint die Consecutio temporum also ein zunehmend instabiles Muster zu sein. Die Kombinationstypen von Tempus und Konjunktivart, die Guchmann in beiden Zeitschnitten ermittelt hat, sind in Tabelle 3.1165 64 Da Guchmann nicht in derselben Weise wie Behaghel nach scheinbaren und wirklichen Ausnahmen von der Consecutio temporum differenziert, wäre es sogar möglich, dass nach Behaghels Methode noch mehr Belege für eine regelhafte Anwendung der Consecutio temporum in Guchmanns Material aufzufinden sind. 65 Die Tabelle vergleicht die Kombinationen aus beiden Zeitschnitten (Z1 und Z2) miteinander und ist nicht, wie bei Guchmann (vgl. ebd., S. 122 für den ersten Zeitraum), nach der Häufigkeit dieser Kombinationen im ersten Zeit-
3.3 Guchmann (1981)
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21)
Indikativ Präsens Präsens Präsens Präsens Präsens Präsens Präteritum Präteritum Präteritum Präteritum Präteritum Perfekt Perfekt Perfekt Perfekt Plusquamperfekt Plusquamperfekt Plusquamperfekt Plusquamperfekt Futur Futur
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Konjunktiv Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Konditional Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Konditional Präsens Präteritum Perfekt Konditional Präteritum Plusquamperfekt Futur Konditional Präsens Perfekt
113 Z1 x ∼ x ∼ ∼ ∼ 0 x 0 x ∼ ∼ ∼ ∼ ∼ ∼ ∼ ∼ 0 ∼ 0
Z2 x ∼ x ? ? ? x x ∼ x ∼ 0 0 0 ? ? ? ? ∼ ∼ ∼
Tabelle 3.11: Arten der Tempuskombination in den Untersuchungszeiträumen Z1 und Z2 nach Guchmann 1981
zusammengestellt. Die Kombinationen Nr. (1), (3), (5) und (8), die der Consecutio temporum entsprechen, sind in beiden Zeitschnitten sehr häufig. Daneben hat sie dreizehn weitere Kombinationen im ersten Zeitschnitt ermittelt, wobei lediglich (2), (4), (12) und (13) mit einer gewissen Häufigkeit auftreten, die übrigen dagegen jedoch nur vereinzelt. Im zweiten Zeitschnitt treten neue Kombinationen hinzu, während andere, im ersten Zeitschnitt zu beobachtende, nicht mehr zu finden sind, zumindest nach dem zu urteilen, was die Quellen an Material bieten. Von besonderer Bedeutung ist für sie in diesem Zusammenhang, dass bereits im ersten Zeitschnitt die Kombination (2) (indikativ präsens – konjunktiv präteritum) zu finden schnitt geordnet, sondern nach dem Tempus des Verbs im übergeordneten Satz. Die Symbole zeigen die Häufigkeit des Auftretens an: „x“ entspricht häufig, „∼“ entspricht einer nicht übermäßigen Anzahl und ein „?“ bedeutet, dass Guchmann diese Kombination explizit nicht erwähnt. Eine „0“ zeigt an, dass die jeweilige Kombination gar nicht belegt ist. Die Kombinationen des zweiten Zeitschnitts stellt Guchmann nicht tabellarisch zusammen, sondern erwähnt sie im Zuge der Darstellung der einzelnen Textsorten auf den Seiten 235–237, 247, 252 sowie zusammenfassend auf S. 267–268.
114
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
ist, welche zwar temporal motiviert sein könnte (vgl. S. 221–222), aber auch die Fähigkeit des Konjunktivs Präteritum widerspiegele, wie das Präsens alle Zeitstufen symbolisieren zu können (vgl. S. 218). Guchmann geht, anders als Behaghel, davon aus, dass dem Konjunktiv Präteritum allmählich die präteritale Bedeutung verloren geht, womit sie die Existenz dieser Kombination als Indiz dieses Verlustes wertet (vgl. S. 221–222). Sie betrachtet es als Neuerung, dass der Konjunktiv Präteritum nach Präsens Gleichzeitigkeit mit dem Originalsprechzeitpunkt anzeigen kann (was der Verlagerung entspricht).66 Als eine weitere Entwicklung mit Blick auf die heutige Regelung, den Konjunktiv I in der indirekten Rede zu verwenden, sieht sie das Auftreten der Kombination (7) (indikativ präteritum – konjunktiv präsens) im zweiten Zeitschnitt (vgl. S. 267). Diese beiden Kombinationen wertet sie also als Vorboten des Verlusts der temporalen Bedeutung der Konjunktivformen, welche ihrer Meinung nach zur Auflösung der Consecutio temporum geführt hat. Dementsprechend versteht sie die Consecutio temporum nicht als syntaktisch-mechanische Regel, sondern als temporalsemantisch motivierte Regelung. Der bereits am Ende des 15. Jh. einsetzende Auflösungsprozess67 führe unter anderem zu der Fülle unterschiedlicher Tempuskombinationen im Satzgefüge, die dann später im ausgehenden 17. Jh. nicht mehr zu finden seien. Als Beispiele führt sie die vier Kombinationen an, in denen im Hauptsatz ein Indikativ Perfekt und im Nebensatz Konjunktiv Präsens, Präteritum, Perfekt oder Plusquamperfekt steht (vgl. ebd.).68 Allein die aus der Auflösung resultierende Variante indikativ präsens – konjunktiv 66 Die „wirklichen Ausnahmen“ von der Consecutio temporum, die Behaghel aufführt (vgl. oben S. 81) legen dagegen eher nahe, dass es schon immer der Consecutio temporum widersprechende Beispiele gegeben hat und dass solche Ausnahmen eben nicht durch einen Verlust temporaler Bedeutung, sondern durch ein Lockerung der rein syntaktischen Regel der Consecutio temporum bis hin zu ihrer Auflösung bedingt ist. 67 In Anbetracht der oben erwähnten 83 % Beachtung der Consecutio temporum kann Guchmann hier im Grunde nur meinen, dass der Auflösungsprozess um 1500 gerade erst begonnen hat. 68 Diese Aufstellung mag insofern etwas verwundern, als diese Kombinationen in der Gegenwartssprache zu finden sind. Ein Satz wie Er hat gesagt, er sei da gewesen ist nicht ungrammatisch. Möglicherweise bezieht sich Guchmanns Aussage, dass diese Kombinationen „bereits im 17. Jahrhundert wieder verschwinden“ (S. 267) auf das, was sie in ihren Texten vorfindet, nicht aber auf das Sprachsystem allgemein. Zudem erwähnt sie eine dieser vier
3.3 Guchmann (1981)
115
präteritum stabilisiere sich, und zu ihr trete im 17. Jh. die Variante indikativ präteritum – konjunktiv präsens (vgl. ebd.). Guchmann hat überdies eine Reihe von semantisch motivierten Ausnahmen von der Consecutio temporum ermittelt, welche sich zum Teil mit den von Behaghel aufgeführten „scheinbaren Ausnahmen“ 69 decken. Abweichend von Behaghel hat Guchmann zunächst als einen weiteren Faktor für die Wahl zwischen Konjunktiv I und II die „lexikalische Bedeutung“ des redeeinleitenden Verbs ausgemacht. So folge dem Verb fragen häufig ein Konjunktiv Präteritum (vgl. S. 218).70 Im Zusammenhang mit der Distanzhypothese71 stellt sie zum einen fest, dass der Konjunktiv Präteritum, wenn er nach einer Redeeinleitung im Präsens verwendet wird, zuweilen ausdrücke, dass eine Aussage „zweifelhaft“ oder „nur vermutet“ sei. Allerdings stehe an anderer Stelle in solchen Zusammenhängen auch der Konjunktiv Präsens, sodass man nicht von einer konsequenten semantischen Opposition von Konjunktiv Präsens und Konjunktiv Präteritum sprechen könne. Als Beispiel für Distanzierung mittels des Konjunktivs I zitiert sie aus Müntzers Traktat gegen Luther (vgl. S. 218):
Kombinationen, und zwar indikativ perfekt – konjunktiv plusquamperfekt, bei der Auflistung der Kombinationen im 16. Jh. nicht. 69 Vgl. Abschnitt 3.2.b), S. 80 dieser Arbeit. 70 Guchmann äußert sich nicht näher darüber, inwiefern die Semantik von fragen der Verwendung eines Konjunktivs II zuträglich sein sollte. Wenn man hier einen Zusammenhang annimmt, so müsste dieser zwischen der Bedeutung von fragen und der des Konjunktivs II bestehen. Da der Konjunktiv II jedoch, zumindest in der Redewiedergabe, im Grunde keine spezifische Bedeutung hat, ist dieser Zusammenhang m. E. schwer herzustellen. Die einzige, dem Konjunktiv II zuweilen zugeschriebene Bedeutung ist, wie in Abschnitt 2.3.b) (S. 60) ausgeführt, distanz, und die passt nicht unbedingt zu fragen. Zudem sagt Guchmann nicht, wie häufig der Konjunktiv Präteritum auf fragen im Präsens folgt, sondern nur, dass dem „in der Mehrzahl der Fälle“ so sei (S. 218). Auch spezifiziert sie die Quellen nicht näher. Folglich könnte es sich bei ihrer Beobachtung ebenso um einen Zufall handeln. Doch auch wenn es kein Zufall sein sollte und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen fragen als Redeeinleitung und einem nachfolgenden Konjunktiv II besteht, ist dieser wohl weniger durch die „lexikalische Bedeutung“ bedingt, sondern vielmehr durch eine – wie auch immer geartete – Konvention, welche Konstruktion auf das Verb fragen zu folgen habe. Möglicherweise handelt es sich auch um ein Spezifikum indirekter Fragesätze. 71 Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 60 dieser Arbeit.
116
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
(3.18) Aber dyser pott, des teüffels sicherlicher ertzkantzler, saget, . . . sey ich ein teüffel (TrM, S. 157) In manchen Texten, speziell in den Volksbüchern, sei sogar die „Fragwürdigkeit einer Behauptung“ allein durch Konjunktiv Präsens vertreten, während im Gegensatz dazu bei Präteritum- und Plusquamperfektformen eine solche Bedeutungskomponente nicht feststellbar ist (vgl. S. 204): o
(3.19) das aber der künig nicht thun will auß der Vrsach, sagt, er hab mir ainen grossen sold geben (VbF, S. 21) Vereinzelt stellt sie eine temporalsemantische Synonymie von Konjunktiv Präteritum und Plusquamperfekt fest. In dem folgenden Beispiel aus dem Volksbuch Fortunatus liegt damit nach Guchmanns Interpretation keine absolute Zeitengebung vor, sondern relative, da der Konjunktiv Präteritum keine Gleichzeitigkeit, sondern Vorzeitigkeit in Bezug zum Originalsprechzeitpunkt verdeutliche: (3.20) [. . .] vnd fragten den graffen, von wannen ym der hoflich e diener kam (VbF, S. 8)72 72 Der komplette Kontext dieses Zitats lautet: „Nun wieuil die fürsten vnd herren edler knecht oder sunst diener mitt yn auff die hochtzeit gebracht hetten, so was doch keiner under jn, des dienst vnd wesen gemainklich frawen vnnd mannen baß geuiellen, dann Fortunatus, vnd fragten den graffen, e von wannen ym der hoflich diener kam. er sagt yn, wie er zu ym kommen e o e war auf der widerfart von Jerusalem vnd sagt yn, wie der so ain guter jager e e e ware, die vogel in dem lufft vnd die thyer in den walden war kaines sicher vor ym, tzu dem das er sunst wol dienen kund vnd yederman halten e nach dem vnd er ware. durch solich lob, so jm sein herr gab, warde ym e vil geschenckt von fursten vnd von herren vnd von edlen frawen.“ (S. 8–9). Guchmanns Interpretation des Präteritums ist in Anbetracht dieses Kontextes m. E. nicht unbedingt die einzig mögliche. Nach heutigem Sprachempfinden könnte beispielsweise auch eine Originaläußerung wie Woher kommt der Diener? angesetzt werden und nicht notwendigerweise Woher kam der Diener /ist der Diener gekommen? Eine Annahme von Vorzeitigkeit ist also nicht zwingend notwendig. Des Weiteren nennt Behaghel ein ähnliches Beispiel (hier als (3.8), S. 80 zitiert), das er als besonderen Fall bezeichnet und in dem möglicherweise der Konjunktiv Präteritum als absolutes Tempus, bezogen auf den Wiedergabezeitpunkt, verstanden werden könnte. Bei Beispielen wie diesen ist der retrospektive Interpretationsspielraum demnach offenbar recht groß.
3.3 Guchmann (1981)
117
e
Statt k am würde man im Neuhochdeutschen gekommen sei/wäre, also eine zusammengesetzte Verbform verwenden, um die Vorzeitigkeit gegenüber dem Präteritum des Verbs im Hauptsatz zu verdeutlichen. Da der Konjunktiv Präteritum zu dieser Zeit sowohl Gleichzeitigkeit als auch Vorzeitigkeit im Verhältnis zum redeeinleitenden Hauptsatz anzeigen könne, sei er inhaltlich nicht festgelegt; seine Bedeutung werde, so Guchmann, durch den Kontext bestimmt (vgl. S. 218–219). Ähnliches hält sie für die Hallesche Chronik fest. Sie stellt heraus, dass auch hier Konjunktiv Präteritum und Plusquamperfekt temporal und modal synonym seien. Das Präteritum könne hier also Vorzeitigkeit verdeutlichen. Als Beispiel nennt sie folgenden Satz: (3.21) und sprachen auch beide bey waren worten, das sie die mas von ihren eltern hetten73 Unter Bezug auf den zweiten Untersuchungszeitraum erwähnt Guchmann eine zusätzliche Beobachtung die Modalverben betreffend. Fügungen mit Modalverben im Konjunktiv II sind ihren Ergebnissen 73 Vgl. Guchmann 1981, S. 208. Das Zitat ist aus der Halleschen Chronik des Marcus Spittendorf entnommen (ChrSp S. 25, Z. 33, 1474). Guchmann kommentiert das Beispiel mit den Worten: „[hier drückt] der Konjunktiv Präteritum offensichtlich die Vorvergangenheit aus [. . .].“ Eine derartige Interpretation ist jedoch wiederum nicht die einzige, die hier denkbar ist. Die Passage handelt von dem Streit über die Größe der Zuber über einem öffentlichen Brunnen, dem Hackenborn, und der umgebende Kontext des Beispielsatzes (welcher hier kursiv hervorgehoben wird) lautet: „Wie bestalten, das ein zuber und das mas vom Hackenborn auf das rathaus gebracht wart, und schickten auch nach Paul Fleischhauer und Mattes Penne, die die zuber pflegten zu machen. Sie brachten einen neuen zuber und beide ihre eyserne mas, darnach sie die zuber pflegten zu machen, uffs rathaus und sprachen auch beide bey waren worten, das sie die mas von ihren eltern hetten. Und Mattes Penne sprach, das sein vater vor 30 oder 40 jaren die zuber gemacht hette und nie anders den nach einem solchen mas, der eines uff die zeit uffn rathaus hatte, und Paul Fleischhauer auch eins hatte.“ Eine alternative Interpretation wäre hier, anstatt der Annahme von Vorzeitigkeit, hetten als Vollverb zu verstehen, womit der Satz die indirekte Wiedergabe einer Originaläußerung wir haben das maß von unseren Eltern sein könnte. In diesem Fall würde kein Partizip wie erhalten oder bekommen fehlen und der Satz hätte vielmehr Präsensbedeutung und es läge Verlagerung vor. Der Interpretationsspielraum ist also, wie soeben für das Beispiel (3.20) dargestellt, wiederum vergleichsweise groß.
118
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
zufolge textsortenspezifisch verteilt. Diese sind am häufigsten in den Briefen der Gelehrten, und zwar unabhängig von ihrem Herkunftsort, der im folgenden Abschnitt im Mittelpunkt steht. Zum Teil machen die Modalverbfügungen über die Hälfte aller vorkommenden präteritalen Konjunktivformen aus, wie zum Beispiel in BiSch, wo neun von zwölf Formen Modalverben sind (vgl. S. 229–231). Da Guchmann diese Verteilung jedoch für alle Konjunktivformen gemeinsam beobachtet hat und nicht nur für diejenigen der indirekten Rede und die Belegzahlen zudem vergleichsweise gering sind, ist ihre Beobachtung in dem hier interessierenden Zusammenhang lediglich von untergeordneter Bedeutung.
3.3.c ) Regionalverteilung der Konjunktivformen Die Regionalverteilung ist zwar auch ein Erklärungsmoment für die Wahl zwischen Konjunktiv I und II, da ihr aber bei Behaghel eine solch herausragende Bedeutung zukommt, sollen Guchmanns diesbezügliche Erkenntnisse gesondert aufgeführt werden. Sie untersucht die Regionalverteilung jedoch nicht allein am syntaktischen Muster „Indirekte Rede“, sondern betrachtet jeweils alle Konjunktivformen, die in den Quellen enthalten sind (vgl. z. B. S. 187). Folglich ist diese Variable in ihrer Darstellung des regionalen Vergleichs nicht kontrolliert. Guchmann betont zu Beginn des betreffenden Abschnitts zum ersten Zeitschnitt, dass die regionale Zuordnung der Texte äußerst schwierig ist, selbst wenn Autor und Verleger bekannt sind (vgl. S. 186).74 Für den zweiten Zeitschnitt gibt sie zu bedenken, dass hier zudem andere Faktoren als die Regionalität, wie Gattung, Grundtempus und Textstruktur eine Rolle spielen, welche die möglicherweise vorhandenen regionalen Einflüsse überlagern (vgl. S. 255). Mit Bezug auf Behaghels Bemerkungen zur Modusverwendung in den Mundarten75 untersucht sie ihre Quellen daraufhin, ob ausschließlich der Konjunktiv I oder der Konjunktiv II verwendet wird, 74 Als Beispiel nennt sie in diesem Zusammenhang Ulrich von Hutten, der bei Fulda geboren wurde und in Köln studiert hat, weswegen seine Sprache normalerweise als wmd. bestimmt werde. Seine Schreibsprache weise aber keine wmd., sondern vielmehr oobd. Merkmale auf (vgl. S. 186–187). 75 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 82 dieser Arbeit.
3.3 Guchmann (1981)
K. Ps. nd
wmd
omd
wobd
oobd
FprA VbTr2 VbKop Σ RsHar VbPS1 ChrM Σ Rs Hirsch VbSM ChrSp FprFr DlVS Σ DlK TrZw FprBr RsFab aber: VbEu Σ VbF VbPs2 TrCh Σ
43 9 6 58 4 10 46 60 12 33 5 24 14 88 51 56 46 17 16 186 23 10 60 93
%
65,91
41,38
40,55
67,39
48,44
119
K. Pt. 2 14 14 30 7 44 34 85 40 12 48 19 10 129 28 17 13 3 29 90 63 28 8 99
%
34,09
58,62
59,44
32,61
51,56
Tabelle 3.12: Regionalverteilung in Zeitraum I unabhängig vom Tempus im Hauptsatz nach Guchmann 1981
kommt jedoch zu dem Schluss, dass sie „keinesfalls ein genaues Bild“ (S. 187) ergeben. Ihre Ergebnisse (vgl. S. 187–188) sind hier in Tabelle 3.12 dargestellt.76 Allein die Texte aus dem Südwesten scheinen Guchmann die Besonderheit des Dialektgebietes, den Konjunktiv Präsens zu verwenden, widerzuspiegeln. Ansonsten sei der Modus-
76 Guchmann hat auch diese Ergebnisse in den Text eingearbeitet; sie werden hier wiederum in Form einer Tabelle zusammengefasst und um Prozentzahlen ergänzt. Da nicht eindeutig festzustellen ist, ob sie sich auf Konjunktiv I und II bezieht oder wirklich nur auf Konjunktiv Präsens und Präteritum, werden die letzteren Bezeichnungen in der Tabelle verwendet.
120
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
gebrauch weder gattungsspezifisch noch landschaftlich bedingt.77 Beim Blick auf die Prozentzahlen kann man jedoch wagen, im Omd. und Wmd. eine landschaftliche Präferenz des Konjunktivs Präteritum festzustellen. Nicht nur in Landschaften, sondern auch in einzelnen Texten dominiert die eine oder andere Form, wie zum Beispiel im Traktat Bertholds von Chiemsee (TrCh), der ganz eindeutig den Konjunktiv Präsens bevorzugt, oder auch in Breitingers Critischer Dichtkunst (FprBr) und der ersten Fassung von Pontus und Sidonia (VbPS1 ). Bei den Quellen des zweiten Zeitschnittes ergibt sich ebenfalls kein besonders klares Bild. Zwar erwähnt Guchmann im Abschnitt zur moralisch-didaktischen Prosa, dass „[d]ie niedrigen Zahlen für den Konjunktiv Präteritum in BiSch und BiAbr1 [. . .] auch auf regionale Faktoren zurückzuführen sein [können]“, weil „im Süden nicht nur der Indikativ Präteritum, sondern auch der Konjunktiv Präteritum immer mehr auf eine Randposition gedrängt worden [ist]“ (S. 238).78 Aber im Gesamtvergleich der literarischen und nichtliterarischen Quellen weisen ihre Ergebnisse (vgl. Tabelle 3.13)darauf hin, dass es keine Regionalverteilung der Formen gebe (vgl. S. 255– 256). Guchmann vergleicht zur Illustration die Prozentzahlen, die sie in den einzelnen Quellen ermittelt hat, und stellt dabei äußerst große Schwankungen fest, die sie zu der Annahme leiten, dass eine Regionalverteilung nicht existiert. Die hinter diesen Prozentzahlen stehenden absoluten Zahlen liegen allerdings fast durchweg unter Hundert, sodass sich die großen Schwankungen sehr leicht rein rechnerisch ergeben. In Tabelle 3.13, die hier Guchmanns Ergebnisse darstellt, sind daher die absoluten Zahlen den betreffenden Übersichtstabellen bei Guchmann entnommen79 und die Prozente werden für die 77 Vollends nachvollziehen lassen sich ihre Ergebnisse jedoch nicht, da sie nach Nennung der in Tabelle 3.12 aufgeführten omd. Quellen die Belege aus den übrigen durch „u. s. w.“ abkürzt (S. 187). 78 Diese Feststellung Guchmanns wirkt so, als wolle sie sich auf den Präteritumschwund beziehen. Wie bereits oben in Anmerkung 48 dieses Kapitels (S. 102) angemerkt, wird der Konjunktiv Präteritum nicht vom Präteritumschwund ergriffen. Es wäre also auch denkbar, dass sie hier mit Bezug auf Behaghel eine Abnahme der Verwendung des Konjunktivs Präteritum meint, nicht aber einen Verlust dieser Form. 79 Es handelt sich um die Tabellen 9–11 auf den Seiten 240, 245 und 254.
3.3 Guchmann (1981) Präs Perf
KII
%KI %KII
79 24 19 122
43 0 5 48
122 24 24 170
12 34 45 91
13 14 25 52
25 48 70 143
54,31 45,69
28 3 8 39
3 1 4 8
31 4 12 47
17 56 26 99
10 40 35 85
27 96 61 184
20,35 79,65
wobd BrBo BrGel BrSulz FprBr RoGrC Σ
2 11 8 11 28 60
0 2 2 4 3 11
2 13 10 15 31 71
19 15 17 8 30 89
3 9 26 2 1 41
22 24 43 10 31 130
35,32 64,68
oobd BiAbr1 RoB1 Σ
24 5 29
11 2 13
35 7 42
3 25 28
0 3 3
3 28 31
57,53 42,47
wmd BiSch BrEl RoHap Σ omd
BiG RoR RoZig Σ
KI
121
Prät Plqu
Tabelle 3.13: Regionalverteilung in Zeitraum II unabhängig vom Tempus im Hauptsatz nach Guchmann 1981
Gesamtanzahl an Konjunktivformen in den einzelnen Sprachlandschaften errechnet. Dabei werden lediglich diejenigen Quellen beachtet, die Guchmann in dem Abschnitt zur Regionalverteilung selbst erwähnt. Guchmann interpretiert ihre Prozentwerte dahingehend, dass zwar eine verstärkte Verwendung des Präteritums im Omd. und Wobd. auffalle, jedoch sei diese hauptsächlich durch Fügungen mit Modalverben bedingt und nicht durch synthetische konjunktivische Präteritalformen.80 Zusammenfassend hält Guchmann fest, dass der Gebrauch des Präteritums in den oobd. und omd. Quellen auf die Regionalsprache zurückgeführt werden kann, wenn auch berücksichtigt werden müsse, dass viele der Präteritumformen Fügungen mit Modalverben und keine synthetischen Verbformen seien (vgl. ebd.). Die wmd. und zum Teil die wobd. Quellen nähmen eine „mittlere Position“ ein, es müssten jedoch auch andere Faktoren wie Gattung 80 Diese Modalfügungen machen in RoB1 90 % und in BiAbr1 sogar 100 % der Präteritumformen aus (vgl. S. 256). Futur und Konditional sind in den Quellen zu selten, als dass ihre Verteilung aussagekräftig sein könnte, weswegen sie nicht erscheinen (vgl. S. 157).
122
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
und Inhalt der Werke mit in Betracht gezogen werden. Insgesamt sei der „Gebrauch der Konjunktivformen in den Texten der verschiedenen Gattungen und Landschaften instabil und in gewisser Weise widerspruchsvoll“, was das Erkennen von Normen erschwere (vgl. S. 257). Bezüglich der Vergleichbarkeit dieser Darstellung mit anderen Ergebnissen muss jedoch noch einmal betont werden, dass Guchmann bei der Untersuchung der regionalen Einflüsse einerseits, wie erwähnt, die syntaktischen Modelle gemeinsam betrachtet hat – sie untersucht hier also nicht lediglich die indirekte Rede, sondern alle Kontexte für den Konjunktiv – und dass sie eine Darstellung gewählt hat, die unabhängig vom Tempus des Hauptsatzes operiert. Diese Vorgehensweise könnte möglicherweise dafür verantwortlich sein, dass ihre Ergebnisse derart stark von denen Behaghels abweichen, der seine Beobachtungen anhand der indirekten Rede nach präteritalem Hauptsatz gemacht hat.
3.3.d) Vergleich beider Zeitschnitte Als Zusammenfassung und zugleich Weiterführung ihrer Untersuchungsergebnisse widmet Guchmann das letzte Kapitel ihrer Abhandlung einem Vergleich ihrer beiden Untersuchungszeiträume. Über die Auflösung der Consecutio temporum sagt Guchmann, dass diese den Weg zu heutigen Normen ebne. Die Wahl der Konjunktivformen in der indirekten Rede sei im ersten Zeitschnitt durch zwei „gegenläufige Gesetzmäßigkeiten“ geregelt: Zum einen durch das alte Gesetz der Consecutio temporum, das aber durch den fortschreitenden Verlust der temporalen Bedeutung des Präteritums nicht mehr so konsequent beachtet werde wie noch zu althochdeutscher Zeit, und zum anderen durch das freie Einsetzen der Formen, welches der Tempusverlust ermöglicht habe. Die Entstehung der zusammengesetzten Tempora und die durch sie ermöglichten Ausdrucksalternativen zum Präteritum spielen hierbei ebenfalls eine Rolle. Hier liegen, so Guchmann, die Wurzeln der heute zu beobachtenden Gebrauchsnormen. Die Möglichkeit des freien Einsatzes der Formen nutzen die Schreiber dazu, ungebräuchliche Strukturen wie den Konjunktiv Futur durch synonyme Formen zu ersetzen (vgl. S. 222 und 261–262).
3.3 Guchmann (1981)
123
Des Weiteren hält Guchmann die Beobachtung einer „gewissen Tendenz“ fest, modusambivalente Formen zu vermeiden (S. 263). Diese Tendenz sieht sie in der abnehmenden Verwendung von Formen wie het, hett, hette oder wurd sowie der von ambivalenten Formen schwacher Verben. Auch apokopierte Formen seien im zweiten Zeitraum im Vergleich zum ersten nicht mehr zu finden. Zum Teil würden anstelle dieser ambivalenten Formen Fügungen mit Modalverben verwendet, deren Anzahl im zweiten Zeitraum jedoch generell stark zunehme. Da diese zum Teil jedoch ebenfalls modusambivalent sind, können sie nicht immer als Ersatz für ambivalente Formen aller Art gewertet werden. Dennoch kann man Guchmann so verstehen, dass solche Entwicklungen als Beginn der heute im Gebrauch mancher Sprecher existierenden Ersatzregel zu deuten sind.81 Entgegen dieser Vermeidungstendenz entstehe aber eine neue Art von Ambivalenz, und zwar die durch afinite Konstruktionen82 . In Guchmanns Texten sind afinite Konstruktionen jedoch in Sätzen, in denen der Konjunktiv verwendet werden kann (also in der indirekten Rede und in Finalsätzen), vergleichsweise selten (vgl. S. 264). Mit Blick auf beide Zeitschnitte kommt Guchmann für die Regionalverteilung zu dem Schluss: „Nach unserem Material spielt der regionale Faktor [bei der Wahl der Konjunktivform] die geringste Rolle, doch darf er trotzdem nicht vernachlässigt werden“ (S. 268). Von größerer Bedeutung seien die Textsorte, der Individualstil des Autors und vor allem die Semantik, „der eigentliche Inhalt einer Aussage“ (ebd.). Zum Abschluss ihrer Abhandlung weist sie noch einmal auf die teilweise zu beobachtenden Widersprüchlichkeiten hin, die dadurch bedingt seien, dass die Textsorte der einzelnen Quellen und die Intention der jeweiligen konjunktivischen Aussage einen großen Einfluss auf die Moduswahl nähmen. Auch stilistische Eigenheiten der Autoren und in geringem Umfang die Sprachlandschaft machten ihren Einfluss geltend. Die Entwicklung der Normen, die Guchmann 81 Zur Existenz oder Nicht-Existenz der Ersatzregel vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 57 dieser Arbeit. 82 Als afinite Konstruktion werden durch Konjunktion eingeleitete Nebensätze ohne finites (Hilfs-)Verb bezeichnet. Das Fehlen einer finiten Form kann man als Modusambivalenz werten. Für eine genauere Beschreibung dieser Konstruktionen vgl. Abschnitt 4.4.b), S. 205 dieser Arbeit.
124
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
an ihrem Korpus untersucht hat, ist also aufgrund dieser Faktoren nicht leicht nachzuvollziehen. Sie meint, diese haben aber zu dem komplizierten Norm- und Bedeutungsgeflecht des Konjunktivs heute beigetragen. Für die Durchsetzung des Konjunktivs I als Normalmodus83 ist ihr zufolge „der Umbau der ganzen Bedeutungsstrukturen in der indirekten Rede“ verantwortlich, mit der die Entstehung „neuer Normative“ einhergeht (S. 268). Diese Bedeutungsstrukturen sind temporalsemantischer Art, d. h. letztendlich betrachtet Guchmann die konsequente Anwendung des auch heute zu beobachtenden Systems zur Verdeutlichung relativer Zeitverhältnisse als Neuerung für den zweiten Zeitraum und als Grundlage für heutige Normen (vgl. ebd.).
3.4 Fernandez-Bravo (1976/1980) Nicole Fernandez-Bravo hat die Ergebnisse ihrer Dissertation (Paris Sorbonne 1975) einerseits in Form einer Monographie (1976) und andererseits in Form eines Aufsatzes (1980) veröffentlicht. Beide Veröffentlichungen stellen ihre Ergebnisse zusammenfassend dar. Sie untersucht literarische Texte aus der Zeit von 1669 bis 1966,84 um die Geschichte der indirekten Rede nachzuzeichnen. Dem 17. Jh., das in dem hier untersuchten Zusammenhang hauptsächlich von Interesse ist, hat sie damit den kleinsten Teil ihrer empirischen Studie gewidmet. Im Folgenden werden in erster Linie Fernandez-Bravos Gedanken zur Wahl zwischen Konjunktiv I und II nachvollzogen. Zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv äußert sie sich zwar ebenfalls, ihre Bemerkungen zum 17. Jh. finden jedoch auf weniger 83 Streng genommen müsste man, wenn es um die Wahl zwischen Konjunktiv I und II in der Redewiedergabe geht, eher von „Normalkonjuktiv“ oder „Standardkonjunktiv“ sprechen, da sich der Begriff „Normalmodus“ eigentlich nur auf die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv, die unterschiedliche Modi sind, bezieht – die mitunter zu hörende Meinung, Konjunktiv I und II seien verschiedene Modi (vgl. S. 126 dieser Arbeit), wird hier nicht geteilt. In der Literatur wird jedoch das Wort „Normalmodus“ gegenüber den anderen, umständlicheren Begriffen bevorzugt (vgl. z. B. Elspaß 2005, S. 249), und so wird er auch hier und im Folgenden verwendet. 84 Der älteste Text ist Grimmelshausens Simplicissimus, der jüngste Bölls Ende einer Dienstfahrt.
3.4 Fernandez-Bravo (1976/1980)
125
als einer Seite Platz. Der Indikativ tritt ihrer Beobachtung zufolge im Simplicissimus nach einer Redeeinleitung im Imperativ sowie nach bestimmten Redeeinleitungsverben (hören, vernehmen, überlegen, finden) auf (vgl. 1980, S. 118–119). Dazu hält sie fest, dass offenbar kein semantischer Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv bestehe, was sie aus Belegen ableitet, in denen beide Formen einander abwechseln (vgl. ebd., S. 119). Um die Wahl zwischen Konjunktiv I und II in den geschichtlichen Gesamtkontext einzuordnen, beginnt Fernandez-Bravo ihre Darstellung in dem Aufsatz von 1980, anders als in der Monographie, mit einem Überblick der indirekten Rede „im Mittelalter und danach“ (Fernandez-Bravo 1980, S. 99), also der Zeit vor ihrem eigentlichen Untersuchungszeitraum. Dafür stützt sie sich auf die Ergebnisse von Fourquet (1969), Paul (1968) und Behaghel (1878)85 und macht dementsprechend ebenfalls den Unterschied zwischen relativer Zeitengebung mit Consecutio temporum und absoluter Zeitengebung, welche der Consecutio temporum nicht widerspricht. Als Grund für die Auflösung der Consecutio temporum nennt sie zum einen die Entstehung der zusammengesetzten Tempora, zum anderen meint sie jedoch mit Fourquet und entgegen Behaghel86 , dass auch dem Verlust der temporalen Bedeutung der Konjunktivformen eine entscheidende Rolle zukäme. Fernandez-Bravo geht davon aus, dass die temporale Opposition zwischen Konjunktiv Präsens und Präteritum zum Ende des 17. Jhs. hin aufgehoben ist, und damit trete an die Stelle der Consecutio temporum eine Tempus-Modus-Entsprechung, die sie bereits im ältesten Text ihres Korpus, dem Simplicissimus, beobachtet (vgl. 1980, S. 99–100). Diese Entsprechung ähnele der Zeitenfolge noch stark insofern, als auch weiterhin nach einem einleitenden Hauptsatz im Indikativ Präsens ein Konjunktiv Präsens oder Perfekt stehe und nach einem Hauptsatz im Indikativ Präteritum ein Konjunktiv Präteritum oder Plusquamperfekt. Der Unterschied zur Zeitenfolge bestehe darin, dass auch nach Hauptsätzen im Perfekt oder Futur Konjunktivformen der Präsensgruppe stehen und dementsprechend nach Haupt85 Diese Veröffentlichung aus dem Jahr 1878 ist die erste Fassung der hier zugrunde gelegten Monographie Behaghels zur Zeitenfolge aus dem Jahr 1899 (vgl. S. 73 dieser Arbeit). 86 Vgl. Abschnitt 3.2.d), S. 97 dieser Arbeit.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
sätzen im Plusquamperfekt die der Präteritumgruppe folgen. Und da den Konjunktivformen nunmehr die temporale Qualität fehle, fasst Fernandez-Bravo die Konjunktivformen zu Konjunktiv I und II zusammen und kommt deshalb zu der Bezeichnung Tempus-ModusEntsprechung: Die „zwei Modi“, als welche sie Konjunktiv I und II ebenso wie Fourquet (1969, S. 62) betrachtet, werden kongruent zu den Tempusformen verwendet. Neben diesem Übereinstimmungssystem finde sich dort jedoch auch ein anderes System, welches die Übereinstimmung „durchkreuzt“ (1980, S. 101). In diesem System werden ausschließlich die Formen des Konjunktivs I verwendet, und zwar unabhängig vom Tempus der Redeeinleitung. Allerdings meint Fernandez-Bravo, ein Muster in der Nichtübereinstimmung erkannt zu haben. Ihr zufolge verwende Grimmelshausen hauptsächlich das Hilfsverb sein und die schwachen Verben nicht der Tempus-Modus-Kongruenz entsprechend. Diese Tatsache erklärt sie anhand der Morphologie der betreffenden Verben: - Sein hat eindeutige Konj.-I-Formen in allen Personen, wird daher am meisten nichtkongruent verwendet [. . .] - Bei schwachen Verben begünstigt die formale Übereinstimmung zwischen Konj.-II-Formen und Indikativ Präteritum die Verwendung der eindeutigen Konj.-I-Formen (besonders in der 1. Person Singular und in der 3. Person Singular und Plural). - Bei starken Verben werden beide Systeme ziemlich willkürlich verwendet. - Allgemein treten einfache [Konj.]-I-Formen regelmäßiger auf. Zusammengesetzte Formen stehen eher im Konjunktiv II (ebd., S. 102).
Zur Illustration dieser Beobachtungen nennt sie einige Prozentzahlen.87 Nach einer Redeeinleitung im Präteritum hat sie im Simplicissimus demnach eine etwa gleiche Verteilung der einfachen Tempora festgestellt (53 % Präsens, 47 % Präteritum), wohingegen bei den zusammengesetzten Tempora das Plusquamperfekt überwiegt (32 % Perfekt, 68 % Plusquamperfekt). Es wird nicht ganz deutlich, ob sich diese letzte Beobachtung auf alle Verben, einschließlich Hilfs- und Modalverben, oder nur auf das Hilfsverb sein bezieht, 87 Vgl. Fernandez-Bravo 1980, S. 102, Anmerkung 11. Sie bezieht sich dort auf S. 59 der unveröffentlichten ersten Fassung ihrer Dissertation aus dem Jahr 1975.
3.4 Fernandez-Bravo (1976/1980)
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da sie die Zahlen zusammen mit dem Beispielsatz „Er dachte, er sei/wäre (gewesen)“ präsentiert. Der darauffolgende Beispielsatz aus dem Simplicissimus enthält allerdings einige Konjunktivformen von starken Verben, sodass anzunehmen ist, dass sie diese Tendenz unabhängig von der Art der Verben beobachtet hat. Eine Idee von der Größenordnung der absoluten Werte zu diesen Prozentzahlen vermittelt ihre Tabelle I (1980, S. 127). Die Tabelle vergleicht den Simplicissimus mit Heinrich Stillings Jugend und Anton Reiser. In dieser Tabelle fasst sie Präsens und Perfekt bzw. Präteritum und Plusquamperfekt allerdings jeweils zusammen. Die Werte für den Simplicissimus sind hier der Tabelle 3.14 (S. 128) zu entnehmen.88 Belege für das Kongruenzsystem findet sie in erster Linie dort, wo der Indikativ Präteritum im Hauptsatz steht und im abhängigen Satz nach relativer Zeitengebung entweder Vor- oder Nachzeitigkeit bezogen auf den Originalsprechzeitpunkt verdeutlicht werden soll (vgl. ebd., S. 102, Anmerkung 11 sowie S. 103), d. h. dass ihrer Beobachtung zufolge im Simplicissimus die Kombinationen des Indikativs Präteritum mit Konjunktiv Plusquamperfekt und einem mit einer finiten Verbform im Konjunktiv II gebildeten Futur besonders häufig sind. Vorzugsweise würden hierzu die Formen würde, müsste oder wollte im Nebensatz verwendet (vgl. S. 102). Wie Behaghel hat sie ein Schwanken der Modi nach historischem Präsens ermitteln können und deutet dieses mit Bezug auf ihr Modell dahingehend, dass das von ihr vermutete Tempus-Modus-Kongruenzmodell eingehalten wird, wenn der Konjunktiv II verwendet wird, und zwar mit Blick auf die präteritale Bedeutung der Präsensform. Werde der Konjunktiv I verwendet, sei er durch die Präsensform ohne Rücksicht auf die präteritale Bedeutung bestimmt. Die Modalverben werden ebenfalls meistens kongruent verwendet, das heißt nach präteritalem Hauptsatz stehen ihren Beobachtungen zufolge Modalverben im Präteritum (vgl. ebd., S. 103). Diese aus der Analyse von Grimmelshausens Simplicissimus gewonnenen Ergebnisse betrachtet Fernandez-Bravo als für „die Zeit um 1669“ repräsentativ. Sie findet sie überdies in ähnlicher Weise in den nächsten beiden von ihr untersuchten Texten bestätigt, die 88 Die Tabelle wurde um die Prozentzahlen ergänzt. Die Originaltabelle enthält zusätzlich die Werte der anderen beiden Romane sowie Prozentzahlen, welche die drei Werke vergleichen.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
sei /gewesen sei wäre/gewesen wäre habe/gehabt habe hätte/gehabt hätte werde würde andere Verben KI andere Verben KII Σ
# 101 118 3 167 4 32 115 120 660
% 15,30 17,88 0,45 25,30 0,61 4,85 17,42 18,18 100,00
Tabelle 3.14: Konjunktiv im Simplicissimus nach Fernandez-Bravo 1980
beide wesentlich jünger als der Simplicissimus sind: Christian Reuters Schelmuffsky (1696) und Christian Fürchtegott Gellerts Leben der schwedischen Gräfin G. (1750). Dort sieht sie das Kongruenzsystem einerseits „besonders gut attestiert“ (S. 103), findet aber auch andererseits Faktoren für das Abweichen vom System, die über die für den Simplicissimus ermittelten Faktoren hinausgehen. Zunächst stellt sie fest, dass in diesen beiden Werken eine neue Art von Nichtkongruenz auftauche, und zwar Konjunktiv Präteritum nach einem präsentischen Hauptsatz, was bedeute, dass nun „die beiden Modi“ nicht kongruent verwendet werden können (vgl. ebd., S. 103–104). Dass sie diese Kombination als „neu“ bezeichnet, belegt in eindrucksvoller Weise, dass ihre Annahme, der Simplicissimus sei repräsentativ für die Modusverwendung seiner Zeit, zu falschen Schlussfolgerungen führt; schließlich haben sowohl Behaghel als auch Guchmann dieselbe Kombination bereits weit vor der Entstehung des Romans festgestellt.89 Zudem scheint Fernandez-Bravo davon auszugehen, dass es keine Ausnahmen von der Consecutio temporum gibt. Ihren Ergebnissen zufolge ist diese „neue“ Art von Nicht-Kongruenz allerdings noch selten: So hat sie für die Kombination des Indikativs Präsens mit dem Konjunktiv Präteritum lediglich drei Belege in Gellerts Erzählung und zwei bei Reuter gefunden. Auch die umgekehrte Kombination indikativ präteritum – konjunktiv präsens sei in diesen beiden Texten selten (3 Belegen bei Gel-
89 Vgl. Tabelle 3.3, S. 90, Abschnitt 3.2.c ), S. 91 sowie Tabelle 3.10, S. 112 dieser Arbeit.
3.5 Zusammenschau der Studien am Beispiel des Simplicissimus
129
lert und 2 bei Reuter90 ). Nach einem Indikativ Perfekt kommt bei Reuter ebenfalls zweimal der Indikativ Präteritum vor. Aus diesen Beobachtungen zieht Fernandez-Bravo den Schluss, dass zu der Zeit, als die beiden Werke entstanden, der Modus der indirekten Rede noch nicht festgelegt gewesen sei und dass auch der Konjunktiv II zum Normalmodus der indirekten Rede hätte werden können. Dass er es nicht wurde, liegt ihrer Meinung nach daran, dass der Konjunktiv II auch für den Irrealis verwendet wurde und wird (vgl. ebd.).91
3.5 Zusammenschau der Studien am Beispiel des Simplicissimus Zunächst sei noch einmal zusammenfassend auf die Unterschiede bzw. die gegensätzlichen Ansätze der drei Studien hingewiesen: – Korpus: Behaghels Untersuchungsgegenstand sind vornehmlich literarische Texte, Guchmann untersucht ein gemischtes Korpus, FernandezBravo bezieht sich auf nur einen literarischen Text des 17. Jhs. – Zeitraum: Behaghel untersucht ein Korpus, das vom Althochdeutschen bis zum Ende des 19. Jh. reicht, und bezieht Überlegungen zum Griechischen und Lateinischen mit ein. Guchmann konzentriert sich auf die beiden Zeitschnitte 1470–1530 und 1670–1730 im Frühneuhochdeutschen, Fernandez-Bravo dagegen streift das Frühneuhochdeutsche anhand einer Quelle in seiner Endphase und konzentriert sich auf die Entwicklung zur Neuzeit hin. – Schwerpunkt: Im Mittelpunkt steht bei Behaghel die Zeitenfolge, bei Guchmann der Modus und bei Fernandez-Bravo die indirekte Rede. Allerdings behandeln alle drei die Forschungsschwerpunkte der anderen in ihren Untersuchungen ebenfalls, wenn auch weniger intensiv. 90 Diese beiden Formen sind allerdings modusambivalent (vgl. 1980, S. 104). 91 Eine ähnliche Argumentation bezüglich der doppelten Aufgabe des Konjunktivs II und des Verlustes der temporalen Bedeutung kann ausführlicher bei Valentin 1990 nachgelesen werden (vgl. insbesondere S. 367).
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
– Ergebnisse: a) Bedeutung der Variablen „Region“: Behaghel nützt die landschaftliche Zuordnung der Texte zur Erklärung seiner Ergebnisse, Guchmann beachtet sie, stellt aber fest, dass sie nahezu nicht relevant ist. Ihre Ergebnisse, die sie zu dieser Schlussfolgerung bringen, sind allerdings auf der Betrachtung aller syntaktischen Muster und nicht nur der indirekten Rede entstanden. Fernandez-Bravo berücksichtigt die Variable Landschaft nicht, was jedoch bei der Untersuchung lediglich eines Textes aus dem betreffenden Zeitraum auch nicht sinnvoll wäre. b) Entwicklung des Konjunktivs I zum Normalmodus der indirekten Rede: Guchmann und Behaghel meinen beide auf jeweils verschiedene Weise, dass der Konjunktiv I, der sich später für die indirekte Rede überall durchsetzt, aus der mündlichen Volkssprache in die Schriftsprache diffundiert ist. So findet ihn Guchmann im Zeitraum II verstärkt in Texten, die dem mündlichen Stil nah sind; zumindest ist das Ágels Interpretation von Guchmanns Ergebnissen (vgl. 2000, S. 1868–1869)92 . Behaghel geht dagegen davon aus, dass er im Südwesten des deutschen Sprachgebietes (schwäbisch-alemannisch, südwest-bairisch) aus der Mundart, wo er bereits die einzig mögliche Form in der indirekten Rede gewesen sei, in die Schriftsprache eingedrungen ist und sich von dort nach Norden ausgebreitet hat. Behaghel beobachtet zusätzlich, dass sich die Tendenz, den Konjunktiv I unabhängig von der Consecutio temporum zu verwenden, beim Singular des Verbs sein sowie bei den starken Verben zeigt. FernandezBravo beobachtet dasselbe beim Verb sein (ungeachtet des Numerus), nicht aber bei den starken Verben. Guchmann macht keine dementsprechenden Feststellungen, bemerkt aber, dass zu92 Ágel bezieht sich hier auf Guchmanns Bemerkungen zur Textsorte „moralisch-didaktische Prosa (Bildungsschrifttum)“ (vgl. Guchmann 1981 S. 235–336 und 258–259). Dort hält sie speziell für die Sprache der Quelle BiAbrl „Bildhaftigkeit und syntaktische Klarheit“ (ebd., S. 236) fest, konzentriert sich auf S. 258–259 hingegen eher auf die „Bedeutungsstruktur“ der Perfektformen in dieser Textsorte, als dass sie explizit einen Einfluss mündlicher Sprache feststellte.
3.5 Zusammenschau der Studien am Beispiel des Simplicissimus
131
weilen der Konjunktiv II eher bei Modalverben als bei anderen Verben auftritt, was umgekehrt dahingehend interpretiert werden kann, dass andere Formen eher im Konjunktiv I auftreten. Insgesamt macht sie den Bedeutungswandel, den die Konjunktivformen durchlaufen, für die neuen Normen verantwortlich. c) Der Status und das Ende der Consecutio temporum: Behaghel untersucht eine Consecutio temporum, die im modernen Beschreibungsmodell von indirekter Rede Verlagerung bewirkt und relative Zeitverhältnisse vermittelt. Er geht davon aus, dass sie ein rein syntaktisches Gesetz ist, da der Konjunktiv Präteritum keine ursprüngliche präteritale Bedeutung hat, die dementsprechend verloren gehen könne. Fernandez-Bravo stützt die Interpretation ihrer Ergebnisse dagegen auf die Annahme, die Consecutio temporum würde im Ahd. noch absolute Zeitverhältnisse vermitteln und wäre zudem ausnahmslos zu beobachten. Erst mit dem allmählichen Verlust der temporalen Bedeutung des Konjunktivs Präteritum würde diese im 17. Jh. durch die Tempus-Modus-Entsprechung abgelöst; Ágel (2000, S. 1868) nennt diese Erscheinung „Consecutio II“. Diese gestalte sich zwar formal wie die Consecutio temporum, könne aber in Abwesenheit temporaler Bedeutung nicht mehr so genannt werden. Für sie ist damit erst im 17. Jh. ein Zustand erreicht, in dem in der indirekten Rede normalerweise relative Zeitverhältnisse vermittelt werden, während im Sinne Behaghels das bereits ursprünglich so gewesen ist. Dementsprechend kann man die Consecutio temporum, wie Behaghel sie charakterisiert, von vornherein als eine Tempus-Modus-Entsprechung bezeichnen. Guchmanns Darstellung der Consecutio temporum kann man eher als näher bei Behaghel angesiedelt verstehen, auch wenn sie zum Teil von absoluter Zeitengebung ausgeht, indem sie Einzelbeispiele temporalsemantisch interpretiert. Diesbezüglich hält sie fest, dass im Zeitraum eins der Konjunktiv Präteritum noch Vorzeitigkeit anzeigen kann. Da das im zweiten Zeitraum nicht mehr möglich ist, könnte man auch implizit bei ihr die Annahme eines Übergangs zur Consecutio II vermuten, wie zum Beispiel Ágel (2000, S. 1868) dies getan hat.93 93 Ágel hält dort mit Bezug auf Guchmann (1981, S. 220–221) fest: „Die Consecutio II ist im wesentlichen schon um 1500 vorherrschend, nur wird sie
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Dass die Entstehung der zusammengesetzten Tempora im Zusammenhang mit der Auflösung der Consecutio temporum steht, nehmen alle drei Autoren an, allerdings vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen theoretischen Überzeugung. Behaghel konzentriert sich dabei auf das Perfekt als Redeeinleitungstempus, während Fernandez-Bravo das Nebensatztempus als Alternative zum Konjunktiv Präteritum ins Visier nimmt. Bei Guchmann sind beide Aspekte zu finden. d) Der Status des Indikativs: Behaghel klammert den Indikativ vollständig aus seiner Betrachtung aus. Fernandez-Bravo hat ihn in der indirekten Rede nach bestimmten einleitenden Verben beobachtet, stellt jedoch zugleich eine semantische Gleichheit von Indikativ und Konjunktiv fest. Guchmann sieht dagegen eine Verteilung hauptsächlich in Abhängigkeit der Variablen Textsorte, Individualstil und Bedeutung. Trotz dieser Unterschiede überschneiden sich die Denkansätze und Ergebnisse zum Teil, was allerdings auch daran liegen könnte, dass sowohl Guchmann als auch Fernandez-Bravo eines von Behaghels Büchern zur Consecutio temporum rezipiert und verarbeitet haben. damals noch nicht so konsequent gehandhabt wie um die Mitte des 17. Jhs.“ In Anbetracht dieser Interpretation kann man zu bedenken geben, dass Guchmann an der Stelle, auf die Ágel sich bezieht, für den ersten Untersuchungszeitraum zusammenfassend bezüglich der Hauptsatz-NebensatzKombinationen präsens – konjunktiv präteritum und präsens – konjunktiv plusquamperfekt äußert: „Das später von Gottsched [. . .] kodifizierte, aber im Sprachgebrauch nicht bewahrte Gesetz der Zeitenfolge wirkt schon im 16. Jahrhundert nur in einer begrenzten Zahl der oben aufgeführten Varianten. Gleichzeitig büßen Präsens und Präteritum in verschiedenen Fällen die ihnen zum Ausdruck ihrer temporalen Opposition eigenen inhaltlichen Merkmale ein.“ Da sie zuvor jedoch von den „sogenannten Zeitformen“ des Konjunktivs gesprochen hat (vgl. Guchmann 1981, S. 130), kann man im Grunde nicht davon ausgehen, dass sie dem Verlust einer temporalen Bedeutung der Konjunktivformen eine entscheidende Bedeutung bei der Auflösung der Consecutio temporum beimisst, zumal die Beispiele, in denen der Konjunktiv Präteritum als absolutes Tempus verstanden werden kann, nicht allzu zahlreich sind. An anderer Stelle spricht sie wiederum vom „Verfallsprozeß des alten Usus der Tempusfolge und damit verbundenen Änderungen in der Bedeutungsstruktur der einzelnen Komponenten des Konjunktviparadigmas“, was Ágels Verständnis ihrer Ausführungen bestätigt.
3.5 Zusammenschau der Studien am Beispiel des Simplicissimus
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Am besten werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Ergebnisse der drei Autoren am Beispiel des Simplicissimus deutlich, dem einzigen Text, der für alle drei Autoren Untersuchungsgegenstand ist.94 Behaghel hat auf 71 Seiten der Ausgabe von 1669 nach präteritalem Hauptsatz 58-mal Konjunktiv I und 102-mal Konjunktiv II gefunden (36,25 % zu 63,75 %). Zusätzlich kommen auf diesen Seiten häufig Sätze vor, wo die Tempora im Nebensatz abwechseln; es findet sich insgesamt 44-mal der Konjunktiv I und 41-mal der Konjunktiv II (51,76 % zu 48,24 %) (vgl. S. 115–116). Behaghel erklärt diese Mischung von Konjunktiv I und II damit, dass Grimmelshausen zwar im Konjunktiv-II-Gebiet geboren worden ist, aber ein „Vielgewanderte[r]“ sei (S. 115) und schließt später: „Wenn innerhalb seines Gebietes der Simplicissimus eine Sonderstellung einnimmt, mag das mit dem spätern [!] Aufenthalt seines Verfassers auf oberdeutschem Boden zusammenhängen“ (S. 135), denn in den anderen Quellen dieses Gebietes ist der Konjunktiv I nicht so stark vertreten wie im Simplicissimus.95 Guchmann hat 25 Seiten der Continuatio des Simplicissimus untersucht, also eine völlig andere Passage als Behaghel, und dort in der indirekten Rede fast ausschließlich und damit im Verhältnis weitaus häufiger als Behaghel Konjunktiv Präsens nach präteritalem Hauptsatz gefunden: Zwölfmal erscheint der Konjunktiv Präsens und zweimal der Konjunktiv Präteritum in dieser Position. Damit ist Grimmelshausen für Guchmann einer der wenigen Autoren, bei denen die im 17. Jh. aufkommende Tendenz zur Verletzung der Consecutio temporum „deutlich ausgeprägt“ ist (vgl. S. 262–263).96 Fernandez-Bravo untersucht, wie erwähnt, den Simplicissimus als einzigen Text aus dem 17. Jh., allerdings nicht nur eine Passage, sondern den gesamten Roman in der Urfassung von 1669, das heißt ohne die Continuatio. Das von ihr ermittelte Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II ist 223 zu 437 (33,79 % zu 66,21 %). Sie findet zum einen dort das von ihr postulierte Tempus-Modus94 Die von den drei Autoren jeweils verwendeten Ausgaben des Simplicissimus sind in Anhang C.2 aufgeführt. 95 Vgl. Tabelle 3.4, S. 94 dieser Arbeit. 96 Ágel (2000, S. 1869) nennt Grimmelshausen mit Bezug auf Guchmann einen „Vorreiter“ bei der Auflösung der Consecutio temporum.
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Entsprechungssystem bestätigt, zum anderen zeige sich die neue Tendenz, unabhängig vom Tempus der Redeeinleitung den Konjunktiv I zu verwenden (vgl. S. 101). Das von Behaghel und Fernandez-Bravo ermittelte Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II ähnelt sich also stark, Guchmann hat hingegen in der kürzeren Passage etwas völlig anderes ermittelt, was vermutlich entweder dem Zufall zugeschrieben werden kann oder dadurch bedingt ist, dass Guchmann einen anderen und dabei recht kurzen Abschnitt untersucht. Behaghels regionale Deutung unterscheidet sich aber völlig von der jeweils ähnlichen Interpretation der beiden Forscherinnen, dass hier die beginnende Entwicklung des Konjunktivs I zur Normalform dokumentiert sei. Oubouzar (1974), deren Untersuchung sich nur am Rande mit der Modusentwicklung beschäftigt, hat ebenfalls den Simplicissimus als Repräsentanten des 17. Jh. analysiert. Ihr ist in dem Werk eine erhöhte Anzahl von Konjunktiv Plusquamperfekt aufgefallen (vgl. 1974, S. 72). Gleichzeitig stellt sie aber auch eine Verwendung des Präsens/Perfekts als Erzähltempus nach einleitenden Sätzen im Präteritum fest. Das von ihr ermittelte Verhältnis ist 60 zu 150, also 28,57 % Präsens zu 71,43 % Präteritum. Auch das deckt sich weitgehend mit den von Behaghel und Fernandez-Bravo ermittelten Werten. Zudem stellt sie fest, dass die Zeitenfolge nach den Verba dicendi aufgegeben sei (besonders nach sagen, antworten, schwören, bitten, vermeinen), während sie bei dubitativen Verben (wie zweifeln) eingehalten würde. Des Weiteren stünden in der indirekten Rede die Modalverben eher im Präteritum als im Präsens (vgl. ebd., S. 73), eine Beobachtung, die sich mit der von Guchmann deckt. Oubouzar versucht also, ähnlich wie Guchmann, die Einleitungsverben mit in die Erklärung von Zusammenhängen einzubeziehen, obwohl Guchmann diese Erklärung im Falle des Simplicissimus nicht gibt. Abschließend klassifiziert sie den Roman als Zeugnis eines Übergangsstadiums, in dem sich die regelmäßige Verteilung von Konjunktivformen auszubilden beginnt. Diese Ausführungen sollten verdeutlicht haben, dass die unterschiedlichen Forschungsansätze zu relativ konträren Ergebnissen in Bezug auf ein und denselben Text führen. Die Unterschiede entstehen zum Teil dadurch, dass nur ein einzelner Ansatz verfolgt wird, während andere Variablen unkontrolliert bleiben. Auch die Anzahl
3.6 Weitere Studien zur Consecutio temporum
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der Belege darf offenbar nicht allzu gering gehalten werden, um repräsentative Resultate zu erzielen. Von den verfolgten Ansätzen erscheint beispielsweise der morphologische Fernandez-Bravos vielversprechend, wenn man ihn anhand einer größeren Anzahl von Texten auf die Probe stellte. Guchmanns Beobachtung die Modalverben im Präteritum betreffend müsste für jeweils eine Textsorte und zugleich höhere Belegzahlen überprüft werden. Behaghels sprachlandschaftlich orientierter Ansatz könnte anhand anderer Textsorten überprüft werden, und es ließe sich noch weitaus mehr in dieser Art aufzählen. Die hier nachgezeichneten Studien bieten demzufolge ein Fülle von Ansatzpunkten, um den bis hierher aufgeführten, zum Teil widersprüchlich anmutenden Ergebnissen nachzugehen und weitere Bestätigungen für sie zu finden oder sie aber als punktuell zu beobachtende Einzelphänomene betrachten zu können. Dieses wird in Teil II dieser Arbeit unternommen. Zuvor sollen jedoch weitere Studien, die zusätzliche Ansatzpunkte für die angestrebte Untersuchung der Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Gerichtsakten bieten könnten, kurz zur Sprache kommen.
3.6 Weitere Studien zur Consecutio temporum Hermann Paul (vgl. 1968, S. 310–312) stellt im Anhang zum Kapitel „Modusgebrauch“ mit dem Titel „Tempusgebrauch in abhängigen Konjunktivsätzen“ zunächst knapp die Ergebnisse von Behaghel (1899) dar: Im Ahd. und Mhd. hätte das Deutsche die Consecutio temporum nach lateinischem Vorbild gekannt, die Entstehung der zusammengesetzten Verbformen führe dann zu Unsicherheiten, die Mundarten mit ihrer Entscheidung für die eine oder andere Konjunktivform übten vermutlich ebenfalls Einfluss auf die Veränderungen in der Consecutio temporum aus, auch wenn die Entwicklung der Mundarten in historischen Sprachstufen nur vermutet werden könne. Überdies erwähnt Paul die Ersatzregel, welche die Verwendung eindeutiger Formen begünstige (vgl. ebd., S. 311). In Bezug auf die Konjunktivverwendung der Schriftsteller hält er fest, dass sich diese stark voneinander unterscheide, und zwar unter dem von Behaghel festgestellten Einfluss der Heimatmundart, der literarischen Tradition und zum Teil der lateinischen Grammatik (vgl. ebd.,
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
S. 311–312). Speziell zur Verwendung des Konjunktivs I im Gebiet des Konjunktivs II bietet er eine Erklärung an, welche diese Verwendung mit Sprachprestige in Verbindung bringt: Endlich aber scheint es, daß die Bevorzugung des Konj. Präs., wie sie viele Schriftsteller zeigen, deren Heimat dem Gebiete des Konj. Prät. angehört, durch ein dunkles Gefühl veranlaßt ist, daß das Präs. das Gewähltere, das Vornehmere sei, ein Gefühl, welches auch mitgewirkt haben mag bei dem Festhalten an dem Konj. gegenüber dem Ind. der Umgangssprache (ebd., S. 312).
So wie Behaghel (1899) einen Zusammenhang zwischen der Modusverwendung in den Mundarten und der in literarischer Sprache festgestellt hat, sieht Macha (2003a) einen Zusammenhang zwischen den Mundarten und der Kanzleisprache. Er untersucht die indirekte Rede anhand eines Korpus von knapp 100 Hexenverhörprotokollen97 , das ebenso wie das von Guchmann analysierte in zwei Zeitschnitte unterteilt ist (1450–1530 und 1580–1650; vgl. ebd., S. 184). Im ersten Zeitschnitt findet er ein Nebeneinander von Indikativ, Konjunktiv I und Konjunktiv II, das aber um 1600 nicht mehr zu beobachten ist; zu dieser Zeit weisen die Protokolle fast ausschließlich den Konjunktiv auf (vgl. S. 184–186 sowie 196). Jedoch ist die Verteilung von Konjunktiv I und II im zweiten Zeitschnitt nicht willkürlich, sondern Macha hat eine eindeutige Regionalverteilung beobachtet, die in etwa der von Behaghel postulierten entspricht. Indem er jeweils 100 Vorkommen von Konjunktivformen der Hilfsverben haben und sein 98 als Indikator verwendet, ermittelt er eine Nord-Süd-Verteilung von Konjunktiv I und Konjunktiv II: Im Norden, das heißt nördlich der Benrather Linie, enthalten die Protokolle 75–100 % Konjunktiv II, im Süden, und zwar bezeichnenderweise unterhalb der Präteritalgrenze99 , mehrheitlich 75–100 % Konjunk97 Dieses Korpus überschneidet sich zum Teil mit dem in dieser Arbeit analysierten Korpus, da es aus derselben Sammlung schöpft. Allerdings standen zum Zeitpunkt seiner Untersuchung noch nicht alle jetzt im Korpus enthaltenen Texte zur Verfügung, da es sich noch in der Ausbauphase befand (Bearbeitungsstand vom 1. September 2001, vgl. Macha 2003a, S. 192). 98 Nicht alle von Macha analysierten Texte können diese Anzahl bieten. 99 Die Grenze wird dort nach der DSA-Karte 82: „kamen“ bemessen (vgl. Macha 2003a, S. 197). Diese Karte zeigt die Tempusverwendung, die anhand der Übersetzungen des Wenker-Satzes 24 (Als wir gestern abend heim/zurück kamen, da lagen die anderen schon im Bett und waren fest eingeschlafen/am schlafen) ermittelt werden konnte.
3.6 Weitere Studien zur Consecutio temporum
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tiv I. Damit deckt sich dieses Konjunktiv-I-Gebiet nicht mit dem von Behaghel anhand der Mundarten umrissenen, da dieser das Ostoberdeutsche zum Konjunktiv-II-Gebiet rechnet (vgl. Karte 3.1, S. 84). Die verbleibenden Gebiete weisen eine Mischung beider Arten des Konjunktivs auf, jeweils 25–75 % (vgl. ebd., S. 194–199). Augenscheinliche Ausnahmen von dieser Nord-Süd-Verteilung lassen sich anhand der Sonderstellung einiger Mundarten erklären (vgl. ebd., S. 198–199).100 Somit hat Macha eine vorläufige Bestätigung für Behaghels Forschungsergebnisse anhand eines von der Textsorte her weitaus homogeneren und vor allem nicht aus literarischen Texten bestehenden Korpus gefunden. Topalović (2003) hat ebenso wie Macha Verhörprotokolle zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht. Beim Vergleich von Mitund Abschrift mehrerer Protokolle (Osnabrück 1636101 ) hat sie eine spezifische Verwendung des Konjunktivs ermittelt: Während die Mitschrift Redeeinleitungen im Präsens und Formen des Konjunktivs I enthält, hat der Schreiber für die Abschrift das Tempus der Redeeinleitungen ins Präteritum gewandelt und verwendet in der Redewiedergabe Konjunktiv II. Zwar ist diese Tempusänderung nicht völlig durchgängig in der Abschrift realisiert, aber sie ist „dennoch so häufig, daß die präsentischen Formen in der Mitschrift und die präteritalen in der Abschrift als jeweils dominant bezeichnet werden können“. Allerdings gelte das lediglich für die Mitschriften aus dem Jahr 1636, denn diejenigen des Jahres 1639 wiesen mehr Präteritalformen auf (vgl. Topalović 2003, S. 138–139). Die folgenden beiden Beispiele verdeutlichen einerseits die völlige Umformung (3.22) (der Konjunktiv II in der Mitschrift ist durch den Konditionalsatz bedingt) und andererseits die teilweise Umformung (3.23).
100 Die wobd. Protokolle aus Weierweiler (1599) und Lebach (1611) weisen entgegen den übrigen Quellen, die sich südlich der Präteritalgrenze befinden, nahezu 100 % Konjunktiv II auf. In diesem Teil des Moselfränkischen erscheinen jedoch einige Verben, unter anderem die Hilfsverben haben und sein, in der indirekten Rede ausschließlich im Konjunktiv II (vgl. Macha 2003a, S. 199 mit Bezug auf Labouvie 1938, S. 115). 101 In das hiesige Korpus ist eine Mitschrift aus dem von Topalović untersuchten Aktenkonvolut eingegangen. Vgl. auch Abschnitt 4.1.b), S. 159 dieser Arbeit.
138
(3.22)
3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
(a) Die Dumkersche negirtt solches, lest sich daß badt belieben, wan Sie fließe, solte man ihr, ihr rechtt thuen102 (Mitschrift) (b) Die dumkersche negirte solches ließ sich daß Badtt beliebenn, wann Sie fließe soltte mann ihr ihr rechtt thuen103 (Abschrift)
(3.23)
(a) Sagt sei 50. Jahr vngefehr alt, Habe 10. Jahr die Zauberei gekont die Alte Stallmansche habs ihr vor der Nottorfer Pfordten vfn wege geleret104 (Mitschrift) (b) Sagtte Sie were vngefehr 50. Jahr alt, hette 10 Jahr die Zauberey gekontt, Die Alte Stallmansche, habß Ihr vor der Norttorffer pforrten auffm wege gelehrett105 (Abschrift)
Topalović schlägt als Begründung des Tempuswechsels der Redeeinleitungen die zeitliche Distanz vor, die zwischen dem Verhör und dem Zeitpunkt des Abschreibens der Mitschrift liegt. Als rückschauender Berichterstatter verwende der Schreiber häufiger das Präteritum, zumal es eher ein Merkmal der geschriebenen Sprache sei als das Präsens (vgl. ebd., S. 141). Die Änderung der Konjunktivformen geschehe nach den Regeln der von Ágel postulierten Consecutio II (vgl. ebd., S. 140–141), die äußerlich und, wie erwähnt, im Grunde ohnehin mit der Consecutio temporum identisch ist.106 Diese Beispiele von Umformungen verdeutlichen also sehr anschaulich, dass die Consecutio temporum als syntaktische Regel nicht nur in der Grammatikschreibung existiert, sondern in der Schreibpraxis des 17. Jh. auch angewandt worden ist, wenngleich nicht durchgängig.
102 Zitiert nach Topalović 2003, S. 138. Das Beispiel ist den hier zugrunde gelegten Editionsrichtlinien (vgl. Anhang B.1, S. 497 dieser Arbeit) entsprechend typographisch verändert wiedergegeben. 103 Zitiert nach Topalović 2003, S. 139. 104 Zitiert nach Topalović 2003, S. 141. 105 Zitiert nach Topalović 2003, S. 141. 106 Vgl. oben Abschnitt 3.5, Punkt 3, S. 131 dieser Arbeit.
3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
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3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv Während Otto Behaghel in der Zeitenfolge (1899) wie ausgeführt ausschließlich die Wahl zwischen Konjunktiv Präsens und Konjunktiv Präteritum untersucht, wendet er sich in Band III der Deutschen Syntax (1928) der Verwendung von Indikativ und Konjunktiv im Nebensatz zu. Dabei unterscheidet er drei Typen: einen alten (germanische und altdeutsche Zeit), einen mittleren (17. und 18. Jh.) und einen modernen Typus (ab dem 19. Jh.). Der alte Typus werde jedoch nicht vom mittleren abgelöst und dieser vom modernen, sondern „sie bestehen zum Teil nebeneinander, insbesondere ragt der alte Typus bis in die Gegenwart hinein“ (Behaghel 1928, S. 581–582). Im alten Typus ist in indirekter Rede107 die Moduswahl einerseits durch die Einstellung des Reportersprechers – Behaghel nennt ihn „Darsteller“ 108 – zum Gesagten und andererseits durch das semantische Verhältnis des Subjekts109 des Hauptsatzes zum Nebensatz gesteuert. Einstellung und Verhältnis können entweder „anerkennend“ oder „vermutend, zweifelnd, befürchtend“ bzw. „ablehnend, missbilligend“ sein (vgl. ebd.). Das äußert sich unter anderem in einleitenden Verben, die eine Stellungnahme anzeigen, von denen es drei Gruppen gibt (vgl. ebd., S. 583 und 585–588): 1. objektive Verben: sprechen Anerkennung aus (anerkennen, erfahren, wissen, bekennen, bezeichnen, merken); 2. subjektive Verben: verdeutlichen Unsicherheit oder Zweifel (dünken, wähnen, sich einbilden, scheinen, träumen, vorgeben, hoffen, fürchten); 3. indifferente Verben: Verben des Sprechens, Berichtens, Vorstellens. 107 Behaghel spricht hier nicht von indirekter Rede, sondern im weiteren Sinne von Behauptungssätzen, die er als Sätze nach „verba sentiendi und declarandi“ definiert (vgl. S. 582). Von daher handelt es sich hier nach einer weiten Definition, die die Verba sentiendi mit einschließt, in der Tat um indirekte Rede. 108 Vgl. Anmerkung 56 in Kapitel 2, S. 50 dieser Arbeit. 109 Behaghel meint hier sowohl das grammatische als auch das logische Subjekt.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Diese Einteilung ist an einer Stelle jedoch nicht trennscharf: Behaghel räumt ein, dass die Grenze zwischen den objektiven und den indifferenten Verben fließend ist (vgl. ebd., S. 585). Dennoch legt er folgende Beobachtungen dar: Nach objektiven Verben stehe, so Behaghel, immer der Indikativ, und zwar ungeachtet des Tempus im Hauptsatz (vgl. ebd., S. 585–587). Allein, wenn Verben sowohl objektiv als auch indifferent sein können, trete manchmal der Konjunktiv auf.110 Nach subjektiven Verben stehe grundsätzlich der Konjunktiv. Erst im späteren Mhd. stehe zuweilen der Indikativ, wenn das subjektive Verb in der ersten Person erscheint (vgl. ebd., S. 589–590). Bei den indifferenten bedeute im alten Typus die Verwendung des Indikativs, dass der Reportersprecher „seine Ansicht über den Inhalt des Nebensatzes“ ausdrückt (ebd., S. 590).111 Steht der Konjunktiv, so „spricht der Darsteller keine Anerkennung für den Inhalt des Nebensatzes aus“, oder er zweifelt sogar bzw. distanziert sich von dessen Inhalt (vgl. ebd., S. 592–593).112 Demnach werden die indifferenten entweder wie subjektive oder wie objektive Verben gebraucht, und ihrem Gebrauch entsprechend folgt ihnen der Indikativ oder der Konjunktiv. Dieser alte Typus zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit der oben erwähnten Moduswahl, die durch eine Distanzierungsintention bestimmt wird.113 Es wäre also möglich, dass er tatsächlich, wie Behaghel es ausdrückt, bis in die heutige Zeit „ragt“ (ebd., S. 582), da diese Bedeutungskomponente noch heute für manche Sprecher vorhanden ist.114 Zum Abschluss erwähnt Behaghel, dass der Konjunktiv nach Verba dicendi ebenfalls stehen kann, „ohne daß damit eine bestimmt Absicht verbunden wird“, und zwar seit ältester Zeit (vgl. ebd., S. 594).
110 Eines der von Behaghel als Beispiel genannten Verben ist bekennen: „das bekenne ich, das es war sei“ (vgl. 1928, S. 588). 111 Als Beispiel nennt Behaghel unter anderem den Satz: „es wird erzählt, daß er kleinen Leuten den Lohn aus der Westentasche bezahlt“ (1928, S. 591). 112 Als illustratives Beispiel kann folgendes angeführt werden: nu sprechent ir daz lútzel priestere in sante Johans orden si; daz redent ir und wissent es vúr keine worheit nút (Nikodemus von Basel, zitiert nach Behaghel 1928, S. 592). 113 Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 60 dieser Arbeit. 114 Zum Gegenwartsbezug vgl. die Ausführungen zu Behaghel in Abschnitt 2.3.a), S. 52 dieser Arbeit.
3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
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Die hervorstechendste Neuerung vom alten zum mittleren Typus ist, dass der Konjunktiv in Bereiche vordringt, die vorher dem Indikativ vorbehalten waren. Dieser Vorgang geht so weit, dass der Konjunktiv „im 17. und 18. Jh., aber auch fast bis in unsere Zeit hinein, geradezu als Zeichen der Abhängigkeit im wesentlichen in gelehrter Schriftstellerei“ wird, was „schwerlich als Spiegel lebendiger Sprachentwicklung, sondern als Ergebnis grammatischer Schulung am Latein“ zu werten ist (vgl. ebd., S. 600). Behaghel macht hier also den Einfluss des Lateins für die Sprachentwicklung verantwortlich. Man kann vermuten, dass die Sprachentwicklung einen anderen Weg gegangen wäre, hätte die klassische Bildungssprache das Deutsche nicht beeinflusst, doch lässt sich eine solche Vermutung selbstverständlich nicht beweisen. Wie auch immer sie bedingt sei, die vermehrte und vom alten Typus abweichende Verwendung des Konjunktivs im 17. und 18. Jh. belegt Behaghel anhand zahlreicher Beispiele.115 Allerdings bedeutet dieses Vordringen des Konjunktivs nicht, dass er vor dem 17. Jh. nur in anderen Funktionen verwendet worden wäre. Schrodt hält bereits für das Althochdeutsche als eine seiner Funktionen „reines Dependenzeichen“ fest (1983, S. 314). Im jüngsten Typus nehme die Person des redeeinleitenden Verbs zusätzlich zu der Verbart Einfluss auf die Moduswahl. So stehe nach einem Verb in der 1. Person der Indikativ – eine Regel, die sich, wie erwähnt, bereits als Teil des alten Typus zu formen begann (vgl. ebd., S. 601). Konsequent beachtet sei diese Regel in den Briefen der Pfalzgräfin Elisabeth.116 Auch nach der 2. Person stehe im neuen Typus der Indikativ (vgl. ebd., S. 602). Allein nach der dritten Person wirke noch der Einfluss der subjektiven und objektiven Verben wie im alten Typus, wobei in der Umgangssprache eher durchgängig der Indikativ verwendet werde, insbesondere, wenn in der jeweiligen Mundart kein Konjunktiv mehr verwendet werde (vgl. ebd., S. 603).
115 Ein Beispiel für die Verwendung des Konjunktivs nach dem objektiven Verb wissen sei zur Illustration hier angeführt: ich weiß doch wohl, daß er einem vornehmen Fräulein aufwarte, ebd., S. 600. Das Beispiel stammt aus Heinrich Graf von Bünaus Probe einer genauer und umständlichen Teutschen Kayser- und Reichshistorie oder Leben und Thaten Friedrichs I. Römischen Kaysers (1722). 116 Nachweis vgl. Anhang C.2.b), S. 582.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Der Konjunktiv wird also Behaghel zufolge nach einer Phase der intensiven Anwendung im 17. und 18. Jh. wieder zurückgedrängt. Neben diesem System, das hauptsächlich von der Semantik der einleitenden Verben bestimmt ist, erwähnt Behaghel noch eine weitere Tendenz, die unabhängig davon existiere: Bei Sätzen, die mit daz oder mit Fragewörtern eingeleitet sind, lasse sich seit ältester Zeit beobachten, dass „ganz unabhängig vom subjektiven oder objektiven Charakter der Aussage“ nach einem Hauptsatz im Präteritum im Nebensatz der Konjunktiv verwendet werde. Diese Tendenz nehme sogar noch zu (vgl. ebd., S. 577). Boon (1978) untersucht die indirekte Rede anhand dreier Traktate von Stephan Prätorius.117 Unbeachtet lässt er dabei Sätze, die zwar einerseits als indirekte Rede verstanden werden können, andererseits jedoch eine eindeutig modale Komponente aufweisen, wobei nicht festzustellen ist, ob der Konjunktiv aufgrund dieser modalen Komponente oder zur Kennzeichnung der Abhängigkeit eingesetzt wird, so wie in dem folgenden Beispiel: (3.24) Vnd sol ich ja ins Bad kommen / so bitte ich dich / du wollest meine arme Seele behüten118 Er betrachtet ausschließlich „Obersatzverben, die den lateinischen ›verba sentiendi, declarandi aut rogandi‹ vergleichbar sind“ (vgl. Boon 1978, S. 331). Entgegen den beobachtbaren Regularitäten in der Gegenwartssprache, nach einer Redeeinleitung in der ersten Person Singular Präsens keinen Konjunktiv im abhängigen Satz zu verwenden,119 findet er in den Traktaten eine Fülle solcher Redewiedergaben. Er bezeichnet sie als „Rahmen sprengend“ (Rs) (ebd., S. 332): 117 Ein newer frölicher Danckpsalm/Für das geschenckte vnnd erkante Heyl, Seefahrer Trost und Witwen Trost. Sampt Einer Trostpredigt für betrübte Eltern/denen jhre Kinderlein abgestorben sind, zu finden in Arndt 1622, S. 216 ff., 377 ff. und 590 ff. 118 Arndt 1622, S. 394, zitiert nach Boon 1978, S. 331 (Hervorhebung hinzugefügt). 119 Vgl. hierzu beispielsweise Helbig/Buscha 2001, S. 176. Diese Regelung ist bislang hier nicht angesprochen worden, weil sie für die Untersuchung des Korpus von Hexenprozessakten nicht relevant ist. Dort erscheinen lediglich Redeeinleitungen in der 3. Person (vgl. Abschnitt 4.5.a), S. 210 dieser Arbeit).
3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
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(3.25) Ob ich mich schon hinunter lasse in die eusserste tieffe des Meers / so weiß ich doch . . . daß du mich da fassen vnd widerumb hervor bringen werdest 120 Nach der ersten Person Singular/Plural Präsens hat er die folgende prozentuale Verteilung von Rs-Konjunktiven ermittelt. Er unterscheidet dabei in aus dem Lateinischen übersetzte Sätze und nicht übersetzte Sätze (vgl. ebd., S. 334): Indikativ 58 % üb. nicht üb. 13 % 87 %
Rs-Konjunktiv 42 % üb. nicht üb. 23 % 77 %
Nach einer Redeeinleitung in der dritten Person Singular/Plural Präsens gestaltet sich die Verteilung von Indikativ und Konjunktiv nur leicht verändert: 46 % Konjunktiv zu 54 % Indikativ, Modusambivalenz und afiniten Konstruktionen. Dabei kommen keine aus dem Lateinischen übersetzten Sätze vor. Auch sind die Rs-Konjunktive weniger zahlreich, sie machen lediglich 5 % aus (vgl. ebd., S. 336– 337). Nach Redeeinleitungen im Perfekt und „Imperfekt“ stellt Boon dagegen eine weitaus höhere Anzahl von Konjunktivformen fest: 75 % Konjunktiv zu 25 % Indikativ nach Perfekt und 100 % nach „Imperfekt“, wobei hier einschränkend erwähnt werden muss, dass 60 % hiervon modusambivalente Formen sind. Nach historischem Präsens sind Konjunktiv- und modusambivalente Formen ebenfalls in der Mehrzahl (47 % und 37 %), während Indikative und afinite Konstruktionen jeweils 8 % ausmachen (vgl. ebd., S. 337). In einem Vergleich seiner Ergebnisse mit dem Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und der deutschen Gegenwartssprache kommt Boon zu dem Schluss, dass der Konjunktiv in den drei Taktaten die Abhängigkeit eines Satzes von einem anderen Satz verdeutlicht („Obliquitätskonjunktiv“) und nicht Konjunktiv der indirekten Rede genannt werden sollte. Hierbei bezieht er sich auf die dem Konjunktiv der indirekten Rede zuweilen zugeordnete Bedeutung „allgemein mittelbare Stellungnahme des Sprechers ohne Gewähr“ (vgl. ebd., S. 343). Auch nach einem Hauptsatz im „Imperfekt“, Perfekt oder historischem Präsens treffe diese Bedeutung oft nicht zu. So 120 Arndt 1622, S. 245, zitiert nach Boon 1978, S. 332 (Hervorhebung hinzugefügt).
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
stehe häufig der Konjunktiv in Lehrsätzen von Prätorius, welche durch eine solche Interpretation des Konjunktivs entkräftet würden, was schwerlich in der Absicht des Autors gelegen haben könne (vgl. ebd.): (3.26) derhalben wuste er gewiß . . . das der Satanas . . . jhm vnd den seinen . . . nicht müste ein Härlein krümmen121 Obwohl Boon im Grunde mit Behaghels Auffassung übereinstimmt, der Konjunktiv stelle im 17. und 18. Jh. ein Mittel dar, Abhängigkeit zu kennzeichnen, betont er, dass im Konjunktiv kein unerlässliches sondern vielmehr ein fakultatives Mittel dazu zu sehen sei. In den Sätzen, die „von einem der heutigen Konjunktiv-I-Formen ähnlichen Obersatz abhängen“, steht in 47 % der Konjunktiv, in 20 % eine modusambivalente Form, in 19 % der Indikativ und in 14 % der Fälle findet sich eine afinite Konstruktion (vgl. Boon 1978, S. 343–344). Boon schließt daraus, dass der Konjunktiv kein spezielles Zeichen von Abhängigkeit im 17. Jh. ist, und damit widerspricht er Behaghel (vgl. ebd., S. 341).122 Auch Behaghels Vermutung, der Einfluss der lateinischen Syntax auf die gelehrte Schriftsprache sei verantwortlich für die vermehrte Konjunktivverwendung in dieser Zeit, sieht Boon durch seine Ergebnisse nicht bestätigt: Er setzt dagegen, dass Prätorius’ Schriften nicht als „gelehrte Schriftstellerei“ (vgl. ebd.) bezeichnet werden können und dennoch Konjunktive enthalten, auch außerhalb von Übersetzungen aus dem Lateinischen. Eine indirekte Beeinflussung durch die Lateinische Syntax hält er jedoch für möglich (vgl. ebd., S. 342). Insgesamt lässt sich festhalten, dass in der von Boon untersuchten Traktatliteratur Indikativ und Konjunktiv in indirekter Rede in etwa gleich verteilt sind, wobei nach Hauptsätzen in Vergangenheitstempora der Konjunktiv leicht überwiegt. Nolting (2002) beleuchtet einen weiteren Aspekt des Modusgebrauchs in Hexenverhören. In den von ihr untersuchten Protokollmitschriften hat sie eine funktionale Verteilung von direkter und
121 Arndt 1622, S. 637, zitiert nach Boon 1978, S. 343. 122 Boon bezieht sich auf Behaghel 1928, S. 600 (vgl. auch oben S. 141 dieser Arbeit).
3.7 Weitere Studien zur Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
145
indirekter Rede festgestellt.123 Zwar tritt stellenweise die direkte Rede völlig unmotiviert und in direktem Wechsel mit indirekter Rede auf, wie zum Beispiel in (3.27) und (3.28), die nur fünf Zeilen voneinander trennen: (3.27) Nein jch hebbe jdt nicht gelehrt (3.28) sie hebbe idt nicht gelehrnet124 In solchen Fällen ist laut Nolting allein der Zeitdruck, unter dem der Protokollant gestanden hat, ausschlaggebend für die Verwendung der direkten Rede, da er so die Zeit für die Umformung in indirekte Rede einspart. Zudem seien Aufforderungs- und Wunschsätze eher in direkter Rede gehalten, vermutlich ebenfalls weil die Beibehaltung des Imperativs weniger zeitaufwendig ist als umschreibende Modalverbkonstruktionen.125 Abgesehen von diesen Einzelbeobachtungen hat Nolting jedoch ermittelt, dass alle Passagen, in denen besonders viel direkte Rede vorkommt, „Aussagen der Angeklagten unter der Folter dokumentieren“ (Nolting 2002, S. 85). Sie vermutet auch hier, dass letztendlich der erhöhte Zeitdruck des Protokollanten während der „in ihrer Intensität gesteigerten Zwangskommunikation“ die Verwendung der direkten Rede – und damit die des Indikativs – begünstigen. Hinsichtlich des Einsatzes der direkten Rede und damit des Indikativs stellt Macha in anderem Zusammenhang weitere Kontexte fest, in denen dieser möglich ist. Ab der Mitte des 16. Jhs. trete in Verhörprotokollen126 tritt der Indikativ fast ausschließlich in „Redewiedergabe zweiten Grades“ (vgl. Macha 2005, S. 426)127 auf, das heißt in Redewiedergabe, die innerhalb einer anderen Redewiedergabe vorkommt. Hier verwenden die Schreiber die direkte Rede mit 123 Im Gegensatz zu den bislang vorgestellten Studien ist ein Teilaspekt ihrer Untersuchung die Modusverwendung in der Redewiedergabe allgemein, nicht in der indirekten Rede im Speziellen. 124 Zitiert nach Nolting 2002, S. 85. 125 Zur Umformung des Imperativs in der indirekten Rede vgl. Abschnitt 2.2.b), S. 24 dieser Arbeit. 126 Die Untersuchungsgrundlage bilden Texte des münsterschen Korpus (vgl. Anmerkung 97, S. 136 in diesem Kapitel). 127 Auf dieses Phänomen und die diesbezüglich variierende Terminologie wird weiter unten in Abschnitt 4.5 näher eingegangen, vgl. besonders Anmerkung 105, S. 215 dieser Arbeit.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
Indikativ entweder, wenn „eine besondere Rechtserheblichkeit“ des genauen Wortlautes vorliegt, oder, wenn Wiedergabe in indirekter Rede zu Missverständnissen führen könnte (vgl. ebd.). Diese beiden Ursachen sind jedoch oft schwer auseinander zu halten, wie er anhand des folgenden angeführten Beispiels verdeutlicht: (3.29) [. . .] [habe] sie aber mit vielfaltigem aufstoßen ihres garders auf und abgehendt geroiffen komme herauß du hex vnd gehe mit zu der Gewalt.128 Ansonsten hält Macha fest, dass der Indikativ um 1600 „nur noch selten in ›Redewiedergabe ersten Grades‹ [erscheint]“ (ebd.). In älteren Protokollen kommen Indikativ und Konjunktiv in dieser Form der Redewiedergabe nebeneinander vor, ohne dass eine funktionale oder semantische Differenzierung festzustellen wäre (vgl. Macha 2003a, S. 186). Hier ist also innerhalb der Textsorte Verhörprotokoll eine Tendenz festzustellen, die sich mit den Beobachtungen Behaghels für literarische Texte deckt (vgl. oben S. 141), nämlich dass der Konjunktiv – vermutlich im Zuge der am Latein geschulten Schreibgelehrsamkeit – zum Zeichen der Abhängigkeit und ab dem 17. Jh. fast ausschließlich verwendet wird.
3.8 Exkurs: Redewiedergabe im Mittelniederdeutschen Da es möglich ist, dass die norddeutschen Quellen Reste mittelniederdeutscher Syntax aufweisen, soll diese hier nicht vernachlässigt werden. „Eine gute Orientierung“ selbige betreffend bietet immer noch Magnusson (1939) (vgl. Schöndorf 1989, S. 74), weswegen diese Abhandlung im folgenden Exkurs als Grundlage dienen wird. Magnusson hat rund 50 mittelniederdeutsche und altsächsische Texte verschiedenartigster Textsorten untersucht: Gesetzestexte, Arzneibücher, Gedichte, Chroniken u. a. m. (vgl. Magnusson 1939, S. XI). Im Bereich des Modus in der Redewiedergabe kommt er dabei zu folgenden Ergebnissen: Wie Behaghel unterteilt er die anführenden Verben in objektive, subjektive und indifferente Verben. Nach objektiven Verben ist der Konjunktiv129 als Normalmodus, also ledig128 Zitiert nach Macha 2005, S. 427. Der Satz aus dem Jahr 1629 ist aus dem Kölner Hexenbuch entnommen (Macha/Herborn 1992, S. 163). 129 Magnusson spricht hier von Optativ.
3.8 Exkurs: Redewiedergabe im Mittelniederdeutschen
147
lich als Zeichen der Abhängigkeit zu sehen. Auch wenn ein Sprecher hervorheben wolle, dass seine Aussage der Wahrheit entspricht, sei die Verwendung des Indikativs nicht notwendig (vgl. ebd., S. 123). Nach indifferenten Verben sei der Konjunktiv gleichermaßen der Normalmodus und damit solchen Redewiedergaben gleichzusetzen, die im Lateinischen mit AcI konstruiert werden (vgl. ebd., S. 128– 129). Nach subjektiven Verben werden dagegen sowohl Indikativ als auch Konjunktiv verwendet, je nachdem, ob der Sprecher unterstreichen will, dass es sich bei seiner Aussage um indirekte Redewiedergabe handelt, oder ob er dieses weniger stark zum Ausdruck bringen möchte (vgl. ebd., S. 129). Was die Consecutio temporum betrifft, so hat Magnusson keine Unterschiede zum Gotischen, Althochdeutschen, Altsächsischen, Mittelhochdeutschen und Mittelniederländischen feststellen können: Konjunktiv Präsens steht nach Präsens, Konjunktiv Präteritum nach Präteritum (vgl. ebd., S. 131). Eine Studie etwas neueren Datums, aber auf schmalerer Quellengrundlage, wird von Schöndorf (1989) vorgelegt. Er untersucht die Josefsgeschichte in drei mittelniederdeutschen Bibelfrühdrucken130 hinsichtlich des Modus in Nebensätzen. Er findet in den drei Bibelübersetzungen den Konjunktiv weitaus häufiger in der Redewiedergabe als den Indikativ.131 Auch die Consecutio temporum werde bisweilen befolgt, allerdings werde sie in der indirekten Rede flexibler gehandhabt (vgl. ebd., S. 87–88) als in den Finalsätzen, wo sie nahezu ausnahmslos gelte (vgl. ebd., S. 83).
130 Es handelt sich um die Kölner Bibel (1478), die Lübecker Bibel (1492) und die Halberstädter Bibel (1494) (vgl. Schöndorf 1989, S. 75). Die Bearbeiter dieser drei vorlutherischen deutschen Bibeln haben, anders als Luther, mehrere, bereits niederdeutsche Vorlagen zu deren Erstellung genutzt: Bei der Kölner Bibel sind es zum Beispiel fünf Vorlagen (vgl. Wiese 1984, S. 80). In Anbetracht dessen kann man vermuten, dass in diesen Drucken der mögliche Einfluss der lateinischen Syntax, der bei direkten Übersetzungen aus dem Lateinischen mitunter zu bemerken ist, fast völlig in den Hintergrund tritt. Überdies betont Wiese mit Bezug auf Ahlden (1937, S. 155, Anmerkung 3) und Ising (1976, S. 46), dass diese Bibelübersetzungen relativ unabhängig von der lateinischen Grammatik sind, und er bezeichnet sie als „gegenüber den oberdeutschen Bibeln [. . .] dem deutschen Sprachstil angemessenere Versionen“ (Wiese 1984, S. 86). 131 Vgl. ebd., Tabelle 6, S. 90: Jeweils 28 bis 39 Konjunktiv- bzw. modusambivalenten Formen stehen fünf bis sechs Indikative gegenüber.
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3 Redewiedergabe im Frühneuhochdeutschen
3.9 Zwischenbilanz Auch wenn es nicht leicht ist, den Forschungsstand in Anbetracht der Fülle von Meinungen und Ansätzen in knapper Form zusammenzufassen, sollen hier ein paar Punkte festgehalten werden. Es lassen sich beispielsweise Parallelen zwischen der Beschreibung der Modusverwendung in der Gegenwartssprache und im Frühneuhochdeutschen beobachten. So haben Ersatzformen für modusambivalente Verbformen in beiden Zeiträumen eine Bedeutung, auch eine Distanzbedeutung vom Konjunktiv wird für beide Sprachstufen vermutet. Im Frühneuhochdeutschen nimmt aber die Beschreibung der Consecutio temporum als syntaktische Regel eine wichtige Position ein, von der heute keine Rede mehr sein kann. Stattdessen sind heute Verwendungstendenzen von Konjunktiv I und II zu beobachten, die keinem derart geregelten Gesetz wie der Consecutio temporum folgen, sondern die Tendenzen sind relativ schwer überhaupt in eine Art von Regel zu bannen. Die Differenzierung nach Stilebenen und Textsorten mündlicher und schriftlicher Prägung, die in der Gegenwartssprache für die Beschreibung der Modusverwendung essenziell ist, kann im Frühneuhochdeutschen nur bedingt vorgenommen werden, da der Zugang zu gesprochener Sprache nur indirekt über das Geschriebene möglich ist. Textsortenbedingte Unterschiede bei geschriebenen Texten sind jedoch von Guchmann ermittelt worden.
Teil II
Redewiedergabe in Hexenprozessakten
Kapitel 4
Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik 4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte 4.1.a) Der Prozessverlauf Die Entstehung der Texte wird am besten deutlich, wenn man einen prototypisch vereinfachten Prozessverlauf betrachtet, auch wenn ein solcher Verlauf stets nur ein „Konstrukt“ sein kann, „da im Einzelfall sehr große Unterschiede bestanden“ (Behringer 2000, S. 268). Der Schwerpunkt der Darstellung wird hier auf den Abschnitten des Prozesses liegen, in denen die untersuchten Texte entstehen. Ein Hexenprozess ist eine Art von Inquisitionsprozess, dessen Verlauf weitgehend in der Constitutio Criminalis Carolina 1 geregelt ist, der bedeutenden, 1532 in Kraft getretenen reformorientierten frühneuzeitlichen Strafprozessordnung. Im hier untersuchten Zusammenhang sind die Einführung der geheimen, schriftlichen Prozessführung und die gesetzliche Bestätigung der Folter als Mittel zur Erlangung eines Geständnisses als besonders bedeutende Neuerungen dieser Gerichtsordnung hervorzuheben (vgl. Lieberwirth 1971, Sp. 594). Im Inquisitionsprozess steht „die Erforschung und Feststellung der materiellen Wahrheit“ (Schlosser, Sp. 381) im Mittelpunkt. Hierbei ist die Erlangung eines Geständnisses der Angeklagten besonders wichtig, da nur dieses zu einer Verurteilung führen kann (vgl. Holzhauer 1971, Sp. 1637). In einem Hexenprozess muss die angeklagte Person 1
Der vollständige Titel der Gerichtsordnung lautet: Keyser Karl des fünfften und des heyligen Römischen Reichs peinlich gerichts ordnung. Hier wird die Ausgabe von Schroeder (2000) verwendet.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
also selbst gestehen, eine Hexe zu sein bzw. einen Bund mit dem Teufel geschlossen zu haben: Hexereiverdächtigungen konnten letztendlich nicht durch Indizien oder Zeugenaussagen bewiesen werden, sondern allein durch „Selbstbezichtigung“ (Behringer 2000, S. 269). Das Geständnis sollte die Kernelemente des Hexereideliktes2 enthalten. Zu Beginn des Prozesses wird eine Person3 verhaftet, die bei ihren Nachbarn im Verdacht der Hexerei4 steht oder von anderen Angeklagten denunziert5 worden ist. Im ersten Teil des Prozesses, 2
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Diese Kernelemente sind Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexentanz, Hexenflug, Schadenszauber, Liebeszauber, Wetterzauber u. a. m. (vgl. auch Behringer 2000, S. 269). Die Charakterisierung des Hexereideliktes wird allerdings in der moderneren Forschungsliteratur oft nicht durch ein Zusammentragen möglicher Bestandteile, sondern weitaus rigider betrieben, um eine klare Abgrenzung vom „Zaubereiprozess“ zu erreichen. So bezeichnet beispielsweise Schormann Prozesse gegen vermeintliche Hexen nur dann als Hexenprozesse, wenn in ihnen „die voll entwickelte Hexenlehre mit den vier Bestandteilen Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Schadenzauber und Teufelstanz nachgewiesen ist oder aus guten Gründen unterstellt werden kann“ (1996, S. 53). Die Verdächtigten waren weitaus häufiger Frauen als Männer. Zwar gab es in den einzelnen Territorien des deutschen Reiches Unterschiede (vgl. Schulte 2000, S. 61–80), und vereinzelt war der Anteil der Männer an den Verfolgten sogar höher als der der Frauen (z. B. 60 % im Hochstift Salzburg, vgl. ebd., S. 67). Betrachtet man jedoch die geographischen Großregionen des Reiches, so liegt der Anteil zwischen 10 % im Nordwesten und 32 % im Südosten und durchschnittlich im ganzen Reich bei 24 % (vgl. ebd., S. 81). In den hier untersuchten Texten sind nur etwa 10 % der Angeklagten Männer (vgl. Anhang C.1 dieser Arbeit, wo alle Angeklagten namentlich genannt sind). Von daher wird im Folgenden in der Regel von „der (weiblichen) Angeklagten“ die Rede sein, oder aber allgemein von „den Angeklagten“. Verdächtigungen können dadurch entstehen, dass Einzelpersonen persönlichen Schaden erlitten haben (wie z. B. Todesfälle in der Familie oder auch Viehsterben), wofür sie jemanden verantwortlich sehen wollen und daher Personen, von denen sie denken, sie wollten ihnen schaden, anklagen (vgl. Behringer 2000, S. 268). Oft sind diese Verdächtigten in der Erinnerung der Kläger kurz vor dem über sie hereingebrochenen Unglück anwesend. Zudem sind sie ihren Nachbarn seit längerem aufgefallen, durch Andersartigkeit, Fremdartigkeit oder non-konformes Verhalten (vgl. Labouvie 1993, S. 201). Eine Zusammenstellung der Verdachtsmomente, die gegen jemanden für eine Hexereianklage vorliegen müssen, bietet auch § 44 der Carolina (vgl. Schroeder 2000, S. 45). Zum Teil kommt es regelrecht zu Prozessketten aufgrund der Denunziationen bzw. „Besagungen“ einer einzigen Person, die weitere Denunziationen
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
153
dem Vorverfahren, führen die beauftragten Richtern und Schöffen eine Untersuchung durch, in der Indizien gesucht, Zeugen befragt und Verhöre6 geführt werden (vgl. Schlosser 1978, Sp. 380). Die Verhafteten werden zunächst gütlich, also ohne Anwendung der Folter verhört, und die Aussage wird protokolliert. Dabei orientiert man sich an einem Fragenkatalog, der von Ort zu Ort variiert (vgl. Behringer 2000, S. 270).7 Da meistens beim ersten gütlichen Verhör noch mit keinem Geständnis zu rechnen ist, werden die protokollierten Aussagen als Grundlage zur Verurteilung zum peinlichen Verhör unter Anwendung der Folter verwendet. Dazu müssen, wenn die untersuchenden Richter und Schöffen nicht über ausreichende Kompetenzen
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(auch gegenseitige) auslösen (vgl. Labouvie 1993, S. 117–119, wo die Ausmaße solcher Besagungsnetzwerke graphisch darstellt sind). Auf den Unterschied zwischen dem Begriff Verhör und dem Terminus Vernehmung geht Topalović (2003) in einem Exkurs ein. In der modernen Strafgerichtsbarkeit werden sowohl die Befragung von Zeugen als auch die von Angeklagten als Vernehmung bezeichnet, wogegen der Begriff Verhör in diesem Zusammenhang fast nicht verwendet wird. Im 19. Jh. war er allerdings noch zur Bezeichnung der Befragung des Angeklagten üblich (vgl. ebd., S. 97). Vereinzelt werden heute jedoch auch beide Begriffe synonym verwendet, wie z. B. bei Fischer (vgl. 1975, S. 179). Moderne Definitionen des Begriffs Verhör lassen eine negative Konnotation erkennen, die mit „Zwang“ oder auch „Brutalität“ in Verbindung gebracht werden (Topalović 2003, S. 98). In der Frühen Neuzeit wurden hingegen Befragungen aller Art und nicht nur Befragungen unter Gewaltanwendung als verhoer bezeichnet (vgl. Topalović 2003, S. 101). Das ist auch aus den Definitionen ersichtlich, die das DWB bietet: Als Grundbedeutung wird dort „anhören erfragter antworten“ angesetzt, womit beispielsweise eine fürstliche „audienz“, eine „prüfung“, oder aber „gerichtliches verhör“ gemeint sein kann (DWB 1984, Bd. 25, Sp. 579). In den hier untersuchten Texten werden Befragungen mit dem Begriff Verhör bezeichnet, auch das davon abgeleitete Verb verhören erscheint häufig. Deswegen wird hier an dieser Bezeichnung festgehalten, auch wenn sie heute negativ konnotiert und durch den Begriff Vernehmung weitgehend ersetzt ist. Letzterer Terminus ist zudem offenbar überhaupt erst seit dem 19. Jh. mit der Bedeutung „gerichtliche Befragung“ gebräuchlich (vgl. DWB 1984, Bd. 25, Sp. 914), sodass er sich zur Bezeichung der frühneuzeitlichen gerichtlichen Befragungen nicht anbietet. Auch der Hexenhammer enthält Fragen, die als Richtschnur für solche Kataloge dienen können (vgl. Kramer [Institoris] 2001, S. 644–647). Wenn diese Vorlagen genutzt werden, ähneln sich die Kataloge mitunter stark. Gerade mit Bezug auf den Hexenhammer ist eine solche Vorbildwirkung wahrscheinlich, da er zwischen 1580 und 1650 erhöhte Popularität genoss (vgl. Levack 2003, S. 177).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
verfügen8 , die Akten, unter anderem die Verhörprotokolle, zu einem Spruchkollegium (z. B. Juristenfakultäten oder Schöffenstühle) geschickt werden, welches Rechtsbelehrungen ausspricht, peinliche Verhöre anordnet, für den Fall spezifische Fragenkataloge entwirft und Urteile fällt (vgl. Thümmel 1990, Sp. 1781). Diese Vorgehensweise ist in der Carolina vorgeschrieben (vgl. Schroeder 2000, § 219, S. 127–128).9 Prinzipiell ist der Einsatz der Folter zur Erlangung von Geständnissen streng geregelt. So dürfen die Angeklagten beispielsweise nicht während der Folter befragt werden, sondern nur danach, wenn sie zu erkennen gegeben haben, dass sie ein Geständnis ablegen wollen (vgl. Holzhauer 1971, Sp. 1638). Das führt zum Teil zu einem ständigen Wechsel von Folter, vorgeblicher Geständnisbereitschaft während der Folter, anschließender Befragung, in der die Angeklagten wiederum alles bestreiten, und erneuter Folterung. Auch dieser Vorgang wird stets genau protokolliert.10 Wenn die Angeklagten der Folter nicht mehr Stand halten und das Gewünschte gestehen, was in den allermeisten Fällen geschieht, wird ihr Geständnis, die Urgicht, wiederum mitprotokolliert und ihnen nach zwei oder drei 8
Das Hexereiverbrechen unterstand als eines der Kapitalverbrechen (Mord, Ketzerei, Landfriedensbruch, Kuppelei, Abtreibung, Bigamie u. a.) der Hochgerichtsbarkeit. Niedergerichte konnten allerdings die Untersuchungen durchführen (vgl. Rösler 1997, S. 189–190). Niedergerichte sind z. B. Zentgerichte, Gogerichte, Vogteigerichte, Dorfgerichte, wobei die Bezeichnungen regional variieren (vgl. Neef 1984, Sp. 984). Die Gerichte einiger Territorien hatten jedoch mehr Freiheiten als die anderer. Levack nennt als extremes Beispiel unabhängiger Rechtssprechung die Fürstpropstei Ellwangen. Das dortige Gericht wurde weder von der Kirche noch von weltlichen Obrigkeiten kontrolliert und ließ die Berufung an höhere Instanzen nicht zu. Dementsprechend fand dort eine der „radikalsten Hexenjagden der deutschen Geschichte“ statt (Levack 2003, S. 183). 9 Schulte 2000 weist allerdings darauf hin, dass in der Praxis dieser Weg nicht immer befolgt wurde und insbesondere Laienrichter ihre Kompetenzen überschritten, indem sie unter anderem die Folter ohne Rücksprache mit einer höheren Instanz durchführten und „kurzen Prozess“ mit den Angeklagten machten, wie der Hexenhammer es vorgeschlagen hatte (vgl. ebd., S. 59 sowie Lorenz 1994, S. 76). 10 Ein besonders eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Quelle Meßkirch 1641 (Kanzleisprache 2005, S. 371–383). Dort sind die Folterungen anhand von Marginaleinträgen in zwei unterschiedlichen Zählweisen genau dokumentiert.
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
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Tagen wieder vorgelesen, wo es dann noch einmal gütlich bestätigt werden muss. Wird diese Bestätigung (ratificatio) verweigert, können die Angeklagten erneut peinlich verhört werden, theoretisch bis zu drei Mal (vgl. Holzhauer 1971, Sp. 1638), in der Praxis jedoch weitaus öfter, indem die weiteren Folterungen als continuatio, also Fortsetzung der ersten Folterung deklariert werden. Diese Vorgehensweise wird sogar im Hexenhammer empfohlen (vgl. Behringer 2000, S. 270). Die Folter hat mitunter in den Hexenprozessen die besondere Funktion, den Dämon auszutreiben, von dem die angeklagte Person angeblich besessen ist (vgl. Merzbacher 1978, Sp. 145), weswegen den Richtern, Schöffen und Scharfrichtern die Schwere und Häufigkeit der Folter offenbar gerechtfertigt erschienen sind. Schließlich muss das Geständnis am endlichen Rechtstag11 , dem zweiten Teil des Inquisitionsprozesses, kurz vor der Vollstreckung des Urteils noch einmal verlesen und öffentlich bestätigt werden (vgl. Holzhauer 1971, Sp. 1638). Da diese Gerichtspraxis aus der Sicht eines heute lebenden Westeuropäers kaum nachzuvollziehen ist, ist ein zusätzlicher Hinweis angebracht: Das gesamte Verfahren war auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichtet, und als eine mögliche Wahrheit galt, dass Personen magische Kräfte haben und diese einsetzen, um Verbrechen zu begehen. Ferner dienten auch Gottesurteile als Mittel der Wahrheitsfindung (vgl. Esders/Scharf 1999, S. 21).12 Der Prozess endet in den meisten Fällen mit der Hinrichtung der Angeklagten durch Feuer oder Schwert, nachdem das Geständnis öffentlich bestätigt und das Urteil verkündet worden ist. Aber nicht alle Angeklagten werden hingerichtet; laut Schulte schwanken die „Hinrichtungsraten“ zum Teil sogar erheblich zwischen 35% und bis zu 90 %. (vgl. Schulte 2000, S. 51). Manche Angeklagten werden auch des Landes verwiesen oder freigesprochen, wenn sie trotz der Folter kein Geständnis abgelegt haben. In der Quelle Erkelenz 1598 aus dem untersuchten Korpus wird die Angeklagte beispielsweise
11 Der endliche, d. h. letzte Verhandlungstag, an dem das Urteil verkündet wurde (vgl. DRW 1935, Bd. 2, Sp. 1530 u. 1533). 12 Im Rahmen einer Konjunktivuntersuchung (und speziell mit Bezug auf dessen verschiedentlich angenommene Bedeutungsnuancen) darf also nie vergessen werden, dass Magie ein fester Bestandteil des frühneuzeitliches Weltbildes war und als Realität galt.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
freigesprochen. Dort ist folgendermaßen dokumentiert, dass mit der Folter wohl kein Geständnis zu erhalten ist: (4.1)
Weill d[er] Nah od[er] Scharp-Richter selbst erkliert sein Ampt An Styne[n] gedae[n] zu haben vnd das er Iro nitt mehr wiste [INT] zu doe[n], |. . . + od[er] muste Iro den halß Abhauwen. So kundten [INT] sie nitt erachten das ferner geg[en] sie scherpelick soll zu Procedere[n] sein. (Erkelenz 1589, S. 7, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 205)13
Im Zuge dieser schriftlich sehr genau dokumentierten Prozessführung können die Akten zu einer beachtlichen Größe anwachsen. Sie enthalten zunächst die Protokolle der gütlichen und peinlichen Verhöre. Des Weiteren ist dort die Korrespondenz mit den Spruchkollegien gesammelt – wenn diese angerufen wurden –, und dieser wurden Kopien aller relevanten Schriftstücke beigefügt, das heißt auch der Protokolle. Daneben finden sich Gutachten von Ärzten, Zeugenaussagen, Protokolle über den Verlauf der Konfrontation mit den Denunzianten, Bittgesuche von Verwandten der Angeklagten, Extrakte aus den Akten anderer Angeklagter, um zu dokumentieren, auf welche Weise genau denunziert wurde, Fragenkataloge, Urgichten, Urteile u. a. Alle diese Schriftstücke mit Ausnahme der Bittgesuche und privaten Gutachten sind von zumeist an Kanzleien beschäftigten Gerichtsschreibern angefertigt worden, denen deswegen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. 13 Hier und im Folgenden werden alle Quellen, die in Handschrift und Edition vorliegen, sowohl durch die Nennung der Paginierung (Seiten- oder Foliozählung) in der Handschrift als auch durch die Seitenzahl der Edition nachgewiesen. Nähere Angaben zu den Quellen sind dem Verzeichnis in Anhang C.1 (S. 561) zu entnehmen; zur Erklärung der Editionsrichtlinien vgl. Anhang B.1, S. 497 dieser Arbeit. Alle Beispiele werden hier ihrer Edition gemäß zitiert. Bei Beispielen aus der Edition Kanzleisprache (2005) wurden die Richtlinien jedoch der Praxis in dieser Arbeit angepasst, da sie einerseits mit der hier zugrunde gelegten Art der Hervorhebung durch Kursivierung kollidieren (vgl. ebenfalls Anhang B.1, S. 497 dieser Arbeit) und da andererseits zu allen Protokollen die Handschriften vorlagen, sodass Änderungen an der Editionspraxis vertretbar sind. Die Richtlinien werden jedoch nicht auf Beispielsätze übertragen, die Fremdeditionen entnommen sind, sondern diese werden so zitiert, wie sie im Druck erschienen sind. Auf Zeilentreue wird bei den Beispielsätzen verzichtet.
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4.1.b) Die Schreiber und ihre Arbeit Das Hauptaugenmerk soll zunächst der Protokollierung gelten, da die meisten Quellen im hier untersuchten Korpus Verhörprotokolle sind. Verhöre finden nicht immer in Anwesenheit desselben Personenkreises statt. Unter anderem können mehrere Schöffen, Richter, Rechtsgelehrte und gegebenenfalls ein Scharfrichter zugegen sein. Unabdingbar ist allerdings die Anwesenheit eines Schreibers, der Protokoll führt.14 Der mit der schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe der Protokollierung betraute Schreiber ist meist ein Kanzleiangestellter in gehobener Position, das heißt ein Pronotar, Sekretär oder auch Stadtschreiber, wenn er an einem Stadtgericht beschäftigt ist (vgl. Döhring 1953, S. 178).15 Diese Schreiber in höherer Position bilden hinsichtlich ihrer Ausbildung keine homogene Gruppe. Die an Obergerichten beschäftigten haben oft Jura studiert und stehen den Richtern und Räten an Bildung in nichts nach. Manchmal können sie auch in den Rat berufen werden.16 An kleineren Gerichten haben die Beamten, die sich zum Teil den Titel „Pronotar“ selbst zulegen (vgl. Döhring 1953, S. 178), ihre Bildung entweder auf einer Lateinschule erworben oder sind „bei einem bereits etablierten Schreiber in die Lehre“ gegangen, woraufhin sie sich langsam in verantwortungsvolle Positionen emporgearbeitet haben (Döhring 1990, Sp. 1492). Die schriftliche Prozessführung ist zu dieser Zeit bereits fester Bestandteil des Prozesses (vgl. Wesener 1990, Sp. 57). Sowohl sie als auch die Sorgfalt, die bei ihr angewendet werden muss, sind in der Carolina festgeschrieben (s. Schroeder 2000, § 181–189, S. 109– 111). Der Beginn der Passage charakterisiert die gewünschte Sorgfalt bereits besonders deutlich: Item eyn jeder gerichtschreiber soll inn peinlichen sachen bei seiner pflicht alle handlung, so peinlicher klag vnd antwurt halb geschicht, gar eygentlich, vnderschiedlich vnd ordentlich auffschreiben, [. . .] 14 Vereinzelt kann auch der Richter Protokoll führen. Da das Hinzuziehen eines Gerichtsschreibers aber in der Regel Pflicht ist, gelten ohne ihn erstellte Protokolle als „null und nichtig“. Vgl. Döhring 1953, S. 187. 15 An kleineren Gerichten waren zuweilen unabhängige Schreiber tätig, also keine Kanzleiangestellten (vgl. ebd.) 16 Vgl. ebd., S. 182. Vgl. auch Döhring 1990, Sp. 1493.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Nachlässigkeiten bei der Protokollführung, z. B. in Form von Zusammenfassungen des Ausgesagten, werden als dem Zweck der Wahrheitsfindung nicht zuträglich erachtet und daher nicht geduldet. In diesem Zusammenhang berichtet Lorenz von einem Notar namens Sommer, der 1621 gefangen genommen wurde, weil er mehrere Protokolle nicht korrekt geführt habe (vgl. Lorenz 1983, S. 364).17 Des Weiteren zitiert er aus einem Rostocker Spruch von 162918 , in dem ein Notar dazu verpflichtet wird, ein Protokoll erneut aufzunehmen (was zugleich bedeutet, dass das Verhör wiederholt werden muss), weil er die Aussagen der Angeklagten mit den Worten „Die gefangene leugknet alles“ beschrieben hat und somit „gar nicht observiert“ (vgl. Lorenz 1983, S. 367).19 Ein Verhörprotokoll wird in der Regel in ausformulierten Sätzen erstellt, seltener in stichpunktartigen Notizen (vgl. Döhring 1953, S. 179).20 Neben diesen Mitschriften gibt es nach Topalović 2003 17 Das Verfahren gegen den Notar wurde dann allerdings eingestellt, da man befand, die lange Inhaftierung während der gerichtlichen Untersuchung sei bereits Strafe genug gewesen, vgl. ebd., S. 366. 18 Der Spruch der Juristenfakultät Rostock ging an die von Wallenstein eingesetzten Amtsleute in Neukalen, vgl. ebd., S. 366. Es handelt sich um den Spruch Nr. 34 im WS 1629/30. 19 Vgl. auch Rösler 1997, S. 191. Die betreffende Passage ist bei Lorenz ausführtlich zitiert. Sie ist hochinteressant, weil an ihr deutlich wird, dass der Schreiber eine äußerst wichtige Rolle bekleidete, da die richtenden Instanzen anhand des Protokolls über Leben und Tod der Angeklagten entschieden. Im Folgenden wird sie daher in großen Teilen wiedergegeben. Der Rostocker Spruch ist allerdings in einer recht komplizierten Kanzleisyntax gehalten, die den Anschein erwecken mag, es sei falsch zitiert worden, was jedoch nicht der Fall ist: „[. . .], Demnach Erachten vnd Sprechen wihr darauf vor Recht, weil der notarius in dieser hochwichtigen Peinlichen sachen welche Menschen blut zu leib und leben angehett, den Jhm in vnserer vorigen responso deutlich genug vorgeschriebenen modum, das er All das Jenige was die gefangene vff die Articul vnd dan Jhrer Schwester Außage wurde bekennen, mitt fleiße solte vorzeichnen vnd nicht wie geschehen mit dem worte Die gefangene leugknet alles beschrieben gar nicht observiert vnd bei diesem abermahl angestaltem Actu confrontationis mehr nicht wie hiebefohr von Jhm vorrichtet worden, Demnach mußen der gefangenen articulatim vnd vmbstendlich alle vnd Jede Articul nochmaln vorgehalten, vnd was sie bey einem oder andern bekennet oder nicht gestehet mitt Jhren ausgeredeten worden beschrieben [. . .]“ (Lorenz 1983, S. 366–367). 20 Diese Seltenheit wird durch die Tatsache unterstrichen, dass sich im münsterschen Korpus im Grunde nur ein Protokoll befindet, das durch sein „auf-
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
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(S. 125–126) zwei weitere Überlieferungsformen von Verhörprotokollen, und zwar Reinschriften und Abschriften. Reinschriften sind überarbeitete Fassungen der Mitschriften, da diese durch die Eile des Schreibers gegebenenfalls von Streichungen und Verbesserungen durchsetzt sein können und daher nicht als Dokumentation des Verhörs aktentauglich sind.21 Im Prozessverlauf wird auf die Protokolle immer wieder Bezug genommen, weswegen sie als amtliche Dokumente klar und verständlich sein müssen; zu viele Verbesserungen sind der Verständlichkeit jedoch abträglich. Abschriften wiederum sind im Prozessverlauf benötigte Kopien der Reinschriften für alle am Prozess Beteiligten, wie zum Beispiel die Juristenfakultäten, den fiscalischen Anwalt oder die einzelnen Parteien (vgl. Topalović 2003, S. 125). Abschriften können auch von einer Schreibergruppe in weniger verantwortungsvoller Position, den schreibkundigen (aber nicht umfassend gebildeten) Kopisten, angefertigt werden.22 Ob man eine Mit- oder eine Ab- bzw. Reinschrift vorliegen hat, lässt sich nur mit letzter Sicherheit sagen, wenn man unterschiedliche Fassungen desselben Protokolls vorliegen hat, da die ausformulierte Simultanmitschrift eines geübten Schreibers ebenso sauber und fehlerfrei sein kann wie die Reinschrift.23 Beim ausformulierenden Protokollieren hat der Schreiber eine besonders komplexe Aufgabe zu bewältigen. Er muss simultan den
fällig konzeptionell wirkende[s] Erscheinungsbild“ hervorsticht (vgl. Nolting 2002, S. 55, die dieses Protokoll eingehend analysiert hat). 21 Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass mancherorts doch nur durch die Mitschriften, selbst wenn sie stichpunktartig waren, der Prozessverlauf dokumentiert wurde. Nolting (2002, S. 82) stellt auf Grundlage der von ihr untersuchten Quellen fest, dass konzeptionelle Mitschriften nicht lediglich als „Gedächtnisstütze“, sondern auch zur amtlichen, gerichtsinternen Dokumentation des Prozesses gedient haben, wogegen sie jedoch vermutlich nicht zum Aktenversand verwendet wurden. 22 Vgl. Döhring 1990, Sp. 1493 und Döhring 1953, S. 188–191. 23 Topalović (2003) hat Osnabrücker Mit- und Abschriften derselben Verhöre aus den dort überlieferten Protokoll- und Reinschriftbüchern miteinander verglichen. Zur Möglichkeit der Identifizierung von Mit- und Abschrift merkt sie an: „In den Osnabrücker Prozessen hat sich gezeigt, daß die Schreiber, je länger die Verfahren dauerten, eine Routine erlangten, so daß spätere Mitschriften – ohne notwendige Vorkenntnisse – als solche nicht so problemlos zu erkennen waren“ (ebd., S. 137).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
von allen Beteiligten gesprochenen Dialekt24 in überregional verständliche Schriftsprache umwandeln und zusätzlich in die indirekte Rede setzen, welche die Normalform der Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen darstellt (vgl. Macha 1991, S. 42 sowie Mihm 1995, S. 37). Sowohl Macha als auch Mihm halten fest, dass die indirekte Redewiedergabe den Normal- und direkte Redewiedergabe den Ausnahmefall darstellt. Nolting (2002) hat dagegen einen hohen Anteil direkter Rede in den von ihr untersuchten konzeptartigen Mitschriften festgestellt (vgl. ebd., S. 83). In Norddeutschland übersetzen die Schreiber sogar vom gesprochenen Niederdeutschen ins Hochdeutsche.25 Die Protokollanten transkribieren das Verhör also nicht wortwörtlich, sondern sie transponieren es, indem sie gesprochene Sprache in aktentaugliche Schriftsprache überführen.26 Nicht nur im niederdeutschen Gebiet, aber besonders dort, übersetzen die Schreiber das Gehörte also praktisch vom Dialekt (bzw. der niederdeutschen Sprache) in Kanzleisprache (vgl. Macha 1991, S. 40 und Rösler 1997, S. 195).27 Beim Anfertigen der Reinschriften 24 Macha (1991) weist darauf hin, dass um 1600 die Landschaftssprache allgemein das mündliche Kommunikationsmittel war. Nur wenige konnten die Schriftsprache sprechen (vgl. ebd., S. 40). 25 Der Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen hat gegen Ende des 16., Anfang des 17. Jhs. bereits weitgehend stattgefunden, mancherorts ist er jedoch noch im Werden begriffen (vgl. Gabrielsson 1983, bsd. S. 148–149). Im vorliegenden Korpus sind niederdeutsche Protokolle daher vergleichsweise selten: Von 36 Texten aus Orten, die sich oberhalb der Benrather Linie befinden, sind nur zwei (Flensburg 1608 und Uphusen 1565) überwiegend bis ausschließlich niederdeutsch, während die meisten vollends hochdeutsch mit einigen wenigen niederdeutschen Reminiszenzen gehalten sind. Diese Sprache lässt sich als der von Gabrielsson (1983) charakterisierten „Phase 3“ zugehörig beschreiben, in welcher der Übergang zum Hochdeutschen im Grunde vollzogen ist (vgl. S. 128). 26 Die wie auch immer gearteten Originaläußerungen der Verhörten werden im Zuge dieses Prozesses also stark verändert. Vgl. hierzu auch das Schema in Abbildung 2.1, S. 35 dieser Arbeit. 27 Diese Übertragungspraxis hat sich im Übrigen in gewisser Weise bis heute fortgesetzt. Moderne „Vernehmungsprotokolle“ müssen einerseits „inhaltlich mit größtmöglicher Genauigkeit das wiedergeben, was der Vernommene zum Sachverhalt ausgesagt hat“, wobei „[d]ie meisten Fehler bei der Protokollierung [. . .] ihre Ursache darin [haben], daß der Beamte nicht die wörtliche Aussage zu Papier bringt, sondern das in die Niederschrift aufnimmt, was er den Ausführungen des Vernommenen entnehmen zu können glaubt“. Andererseits soll alles Unwesentliche der Aussage des Vernommenen weggelassen
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besteht zudem die Möglichkeit zur Fehlerkontrolle. Der Schreiber kann Inkonsistenzen beseitigen, marginale Ergänzungen in den Text einarbeiten, eventuell bei der Protokollierung entstandene Wortwiederholungen eliminieren u. a. Bei der Erstellung der Abschriften steht dagegen die Vermeidung von Kopierfehlern und die Ordentlichkeit im Vordergrund der Schreibtätigkeit.28 Die Entstehungssituation der Abschriften ist weitaus weniger von Zeitdruck geprägt als die der Verhöre. Während der Schreiber bei letzteren den simultanen Transpositionsprozess koordinieren muss, also unter immensem Zeitdruck29 steht, hat er für die Abschriften der verschiedenen Schriftstücke und Erstellung der Fragenkataloge aller Wahrscheinlichkeit nach an seinem Arbeitsplatz in der Kanzlei mehr Zeit. Die Entstehung von Urgichten ähnelt der von Verhörprotokollen, obwohl man hier sorgfältig unterscheiden muss, da der Begriff „Urgicht“ nicht einheitlich verwendet wird. Das Wort bedeutet ursprünglich „Bekenntnis“ 30 und wird sowohl für das Geständnis einer angeklagten Person als auch für die schriftliche, protokollierte Fassung des Geständnisses verwendet. In diesem Fall unterscheidet sich eine Urgicht von einem Verhörprotokoll im Grunde nicht. Speziund ungeschickte oder unklare Formulierungen verbessert (vgl. Fischer 1975, S. 178) und damit auch eventuell verwendete, regional gefärbte Umgangssprache verhochdeutscht werden, was immer noch eine Art Transposition ist, wenn auch in abgemilderter Form. Der gravierendste Unterschied zur Frühen Neuzeit besteht darin, dass heutige Protokolle möglichst in direkter Rede abgefasst werden sollen, da Aussagen in indirekter Rede als anfechtbar gelten und überdies nicht alle protokollierenden Beamten der deutschen Sprache in einem Maße mächtig seien, die sie zur korrekten Verwendung der indirekten Rede befähige (vgl. ebd., S. 184–185 sowie Abschnitt 2.3.c ) dieser Arbeit). 28 Döhring (1953, S. 189) berichtet, dass die Kopisten zur Ordentlichkeit angehalten wurden: „[Man kann] aus den Mahnungen, welche die Prozeßordnungen an sie richteten, einige Schlüsse ziehen, welchen Versuchungen sie im besonderen unterlagen und welche Mißbräuche sich eingeschlichen hatten. So wurden sie z. B. häufig ermahnt, leserlich und sauber (ohne Verbesserungen) zu schreiben und die Abschriften sorgfältig mit der Urschrift zu vergleichen.“ 29 Nolting (2002) sieht sogar, wie erwähnt, das Protokollieren in direkter Rede im Zusammenhang mit dem Zeitmangel in der Verhörsituation (vgl. Abschnitt 3.7, S. 145 dieser Arbeit.). 30 Zu ahd. irgehan, mhd. erjehen ‘bekennen’, mhd. urgiht, mnd. oricht ‘Bekenntnis’ (vgl. DWB 1984 Band 24, Sp. 2425).
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ell wird unter „Urgicht“ manchmal nur das unter Folter erzwungene Geständnis verstanden, was an dem Entstehungsprozess jedoch nichts ändert. Noch genauer kann der Begriff „Urgicht“ nur die Ratifikation des Geständnisses meinen (vgl. Sellert 1998, Sp. 571), doch auch diese wird protokolliert. Andererseits gibt es auch eine weitere, „untechnisch[e]“ Auffassung, nach der sie „das gesamte mit dem Geständnis verbundene Vernehmungsverfahren bezeichnet“ (Sellert 1998, Sp. 571), was sie praktisch völlig mit dem Verhörprotokoll gleichsetzt. In der Carolina wird zudem festgelegt, dass der Schreiber die Urgicht verwahren soll, damit er sie gegebenenfalls später – zum Beispiel bei der Urteilsverkündung – vorlesen kann.31 In diesem Fall handelt es sich unter Umständen um eine extra zu dem Zweck des öffentlichen Vorlesens erstellte Abschrift aller im Verlauf der Verhöre gestandenen Punkte und wäre in etwa mit einer Reinschrift eines bzw. mehrerer Verhörprotokolle vergleichbar, wobei der Schreiber aufgrund des Verwendungszwecks besonders auf eine klare Struktur achten muss. Die Fragenkataloge gehören untrennbar zum Verhörprotokoll, da dieses anhand der Fragen geführt wird, und somit können sie als Grundlage des Verhörs betrachtet werden.32 Manchmal wird ein überlieferter Text für den heutigen Leser sogar erst durch die Fragen verständlich.33 Die Entstehung der Kataloge kann variieren. Wie bereits oben erwähnt, gibt es an manchen Orten standardisier31 Vgl. Sellert 1998, Sp. 571, Schroeder 2000, S. 25 (§ 5, Schreibers Eyde) und DWB 1984 Band 24, Sp. 2425–2427. 32 Nebenbei sei bemerkt, dass, da die Fragenkataloge auf hochdeutsch gehalten sind, sie im Verhör praktisch vom fragenden Richter in die jeweilige Mundart zurück übertragen werden müssen, um für die Angeklagten verständlich zu werden. Auf den Entstehungsprozess hat diese Tatsache jedoch offenbar keinen Einfluss. Vgl. hierzu auch den folgenden Abschnitt 4.1.d). 33 Ein extremes Beispiel für ein solches Verhörprotokoll ist Güstrow (1615), wo die Aussagen der Angeklagten teilweise summarisch protokolliert sind, wie zum Beispiel auf S. 14: „Ad XX. XXI. XXII. XXIII. Das wuste sie nicht“. Die dazugehörigen Fragen (fol. 14v–15r) sind dagegen sehr ausführlich (sie umfassen zum Vergleich 157 Wörter) und sind für das Verständnis der inhaltlichen Zusammenhänge in dieser Quelle unabdingbar. Die inhaltlichen Zusammenhänge wären zwar für eine rein statistische Analyse der Modusverwendung nicht notwendig. Da die Modusverwendung jedoch vom Kontext abhängen kann (vgl. Abschnitt 2.3 dieser Arbeit), muss der Inhalt klar zu erschließen sein.
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
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te Fragenkataloge, die zum Teil am Hexenhammer orientiert sind.34 Manchmal wird – allein oder zusätzlich – ein auf die spezifischen Anklagepunkte abgestimmter Fragenkatalog erstellt, entweder im Auftrag der Richter und Schöffen, die vor Ort die Untersuchung führen, oder vom Spruchkollegium.35 Ist Letzteres der Fall, so wird eine große Kanzlei damit betraut, bei lokalen Fragenkatalogen eher eine kleinere Kanzlei (z. B. die eines Niedergerichts). In jedem Fall haben die Schreiber jedoch zur Abfassung der Kataloge mehr Zeit als bei der Protokollierung. Sie befinden sich, wenn sie an Katalogen arbeiten, in der Kanzlei und nicht im Verhörzimmer. Die äußere Entstehungssituation der Fragenkataloge gleicht damit jener der Abschriften. Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Die Kataloge entstehen nicht durch die Umsetzung gesprochener Sprache. Zwar sind sie in der Form indirekter Fragen gehalten, die auch zu erwarten sind, wenn Zwischenfragen der Verhörenden ins Protokoll mit aufgenommen werden. Die Richter, Schöffen oder andere Amtspersonen, die den Katalog aufstellen, setzen jedoch keine Originaläußerungen in indirekte Rede um, sondern stellen Fragen zusammen, die sie dann in Form von indirekten Fragen aufsetzen und ggf. abschreiben lassen. Bei den Fragenkatalogen muss man folglich keinen Einfluss des Gehörten auf den schriftlichen Transpositionsprozess in Betracht ziehen. Die Verhörenden haben zwar vermutlich die indirekten, hochdeutschen Fragen im Verhör zu einfachen Fragen, vielleicht auch in den Ortsdialekt umgeformt. Dieser umgekehrte Transpositionsprozess ist aber in den Akten nicht dokumentiert.
4.1.c ) Textsorten und Textabschnitte Nicht alle in den Akten enthaltenen Schriftstücke eignen sich für eine Untersuchung der Redewiedergabe und speziell der Modusverwendung. Einen besonders hohen Anteil an indirekter Redewiedergabe im Konjunktiv enthalten alle Verhörprotokolle, die Urgichten und die Fragenkataloge, da fast ausschließlich einerseits in indirekter Rede protokolliert wird und andererseits die Fragen als indirekte 34 Vgl. Anmerkung 7, S. 153 in diesem Kapitel. 35 Vgl. oben Abschnitt 4.1.a), S. 154 dieser Arbeit.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Fragen formuliert sind. Anschreiben, Urteile, Bittgesuche und Gutachten enthalten dagegen in der Regel nur wenig oder gar keine Redewiedergabe, weswegen sie hier ausgeklammert werden. Auszüge aus Zeugenverhör- und Konfrontationsprotokollen werden nur in dem seltenen Fall mitberücksichtigt, dass sie kurze Einschübe im Verhörprotokoll der angeklagten Person darstellen und ihr Entfernen einen logischen Bruch im Gesamttext hervorrufen würde.36 Die verbleibenden Schriftstücke – gütliche und peinliche Verhörprotokolle, Urgichten, Fragenkataloge – weisen Gemeinsamkeiten auf, die im Entstehungsprozess begründet liegen. Ob diese jedoch ihre Zusammenfassung zu einem Textkorpus rechtfertigen, wird im Folgenden überlegt. Topalović hat die Textbausteine zusammengestellt, die in den von ihr untersuchten Osnabrücker Verhörprotokollen auftreten (vgl. 2003, S. 155–159). Auch wenn diese Auflistung sich speziell auf die dortigen Prozesse bezieht, so ist sie doch zum Teil auf Protokolle aus anderen Orten übertragbar.37 Die Aufzählung in Tabelle 4.1 fasst die Übersicht von Topalović zusammen, ohne dieselbe Ausführlichkeit anzustreben oder Beispiele zu nennen: Topalović stellt heraus, dass für die Bildung eines für die sprachwissenschaftliche Analyse bestimmten Korpus eine „textsortliche Bestimmung“ (2003, S. 111) der untersuchten Quellen unbedingt nötig ist. Sie charakterisiert das Verhörprotokoll als eine Art von „Gerichtsprotokoll“, das heißt ein im Rahmen der Institution „Gericht“ und innerhalb der Strafgerichtsbarkeit während eines Verhörs entstandener Text. Gerichtsprotokoll ist dabei ein Oberbegriff, unter den außer Verhörprotokollen zum Beispiel auch Protokolle von Zeugenvernehmungen oder Brüchten36 Zur Illustration kann hier eine kurze Passage aus der Quelle Lemgo 1632 angeführt werden, wo während des Verhörs eine kurze Konfrontation stattfindet: „[. . .] darauff sie bekant, sie were kein hexe vnd wolle die Jenigen sprechen, die sie beklafft, da sie dan bei die hauinschen vnd die Möllemanschen in persona gepracht, welche ihr beide ins gesichte geredet, sie were mit ihnen auffm dantze gewesen, beim stumpen tohrn vnd auffm steinwege [. . .]“ (fol. 47r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 68). 37 Der in Abschnitt 4.1.a) prototypisch beschriebene Prozessverlauf lässt bereits Gemeinsamkeiten mit den hier aufgelisteten Verhör-Teilen erkennen. Sie sind also nicht lediglich für Osnabrück gültig. Nicht alle Protokolle enthalten freilich alle diese Bausteine, auch erscheinen sie nicht immer in derselben Reihenfolge. Als beispielhaften Aufbau kann man die Auflistung jedoch verstehen.
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
1.
Prozess-Situierung
1.a) Titulatur 1.b) Verhör-Situierung
2.
Gegenüberstellung und/oder Wasserprobe
3.
Verhör
4.
Wiederholung(en) des Geständnisses
5.
Endgültige Ratifizierung des Geständnisses
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(mögliche Elemente der Situierung sind:) – Datum, Jahr, Uhrzeit, Anwesende – Name der Inhaftierten – Grund der Gefangennahme – Name der gefangennehmenden Obrigkeit – Bericht über den Verlauf der Gegenüberstellung mit den Denunzianten – Bericht über den Verlauf der Wasserprobe (Gottesurteil zur Ermittlung der Unschuld einer Angeklagten) – Aufforderung zum Geständnis – Verhör unter Anwendung der Folter, wenn dieses Geständnis nicht erbracht wird. – ohne Anwendung der Folter (das Geständnis muss gütlich bestätigt werden, vgl. S. 155 dieser Arbeit) – oft Urgicht genannt
Tabelle 4.1: Textbausteine eines Verhörprotokolls nach Topalović 2003
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
protokolle38 fallen (vgl. Topalović 2003, S. 107–112). Verhörprotokolle als solche können als eine selbständige Textsorte betrachtet werden. Urgichten und Fragenkataloge müssen folglich andere Textsorten sein, auch wenn sie in bisher vorgelegten Textsortentypologien nicht erscheinen.39 Eine genaue Bestimmung dieser Textsorten kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit, die ein anderes Ziel verfolgt, nicht geleistet werden.40 Daher werden sie im Folgenden in Abgrenzung zur Textsorte Verhörprotokolle ohne weitere theoretische Grundlage als eigenständige Textsorten betrachtet. Damit wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Modusverwendung in Abhängigkeit der Textsorte grundlegend unterscheidet. Die nachfolgenden Überlegungen werden deshalb damit befasst sein, ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten darzustellen, gegeneinander abzuwägen und schließlich zu entscheiden, ob es sie gemeinsam unter dem Aspekt der Modusverwendung untersucht werden können. 38 Das Wort brüchte bedeutet ‘Strafe’ bzw. ‘Geldstrafe’ (poena, mulcta, vgl. DWB 1984, Bd. 2, Sp. 414). Vgl. auch das Verb brüchen ‘sich vergehen’ (DRW 1935, Bd. 2, Sp. 527 u. 531). Brüchtenprotokolle sind demnach Protokolle, die im Rahmen der Verhandlung geringerer Vergehen, die lediglich durch ein Bußgeld bestraft wurden, entstanden sind. 39 Die Klassifikation von Textsorten ist eine komplexe, viel diskutierte Aufgabe (vgl. Vater 2001, S. 158–181. Vater stellt dort unterschiedliche Forschungsansätze zur Textsortenbestimmung und -klassifikation zusammen). Es gibt viele Vorschläge für Typologien von Textsorten. Eine Klassifikation moderner Textsorten im Bereich der Institution Gericht bietet beispielsweise Busse 2000. Er ordnet die Protokolle den „Textsorten des Rechtsfindungsverfahrens“ zu (S. 672). Die Zuordnung zu einer derartigen Oberklasse ist auch für die historischen Texte Urgicht und Fragenkatalog in Erwägung zu ziehen. In der Klassifikation der Textsorten des Frühneuhochdeutschen von Kästner et al. (2000) werden die Verhörprotokolle den institutionellen Textsorten zugeordnet (vgl. S. 1609), Fragenkataloge und Urgichten werden jedoch nicht genannt. Weitere Hilfestellung zur Klassifikation dieser Texte wird in der Forschung nicht gegeben. 40 Das ist schon deswegen der Fall, weil in der Forschung kein Konsens besteht, was als Textsorte zu gelten hat (vgl. Krause 2000, S. 30–33; zu Definitionen vgl. z. B. Vater 2001, S. 157–158). Brinker hält fest, dass eine Textsorte anhand sprachsystematischer oder kommunikationsorientierter Kriterien bestimmt werden kann (vgl. Brinker 1997, S. 131). Idealerweise werden Kriterien beider Arten zur Bestimmung einer angelegt, wie zum Beispiel Textfunktion, Kommunikationsform, Handlungsbereich oder auch ThemaRhema Struktur u. a. (vgl. ebd., S. 133–140). Wie aus dieser Aufzählung ersichtlich, ist dieses eine komplexe Aufgabe, die den Rahmen dessen, was hier geleistet werden soll, sprengt.
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
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Betrachtet man zunächst die Gemeinsamkeiten, so ist das stärkste Bindeglied zwischen den dreien wohl die Institution „Gericht“, ihr Entstehungsrahmen. Genauer sind sie alle als Teil eines Hexenprozesses entstanden. Alle Texte dieser Arten sind von professionellen Gerichtsschreibern angefertigt worden, alle sind kanzleisprachlich41 . Urgichten und Protokolle können als Mit- oder Abschrift vorliegen, ihr Entstehungsprozess ähnelt sich also ebenfalls. Fragenkataloge sind, wie erwähnt, in ihrer Entstehung vermutlich mit Abschriften zu vergleichen. Schließlich haben alle drei unmittelbar mit dem Verhör der Angeklagten zu tun: Der Katalog enthält die im Verhör gestellten Fragen, das Verhörprotokoll enthält die Antworten auf diese Fragen, die Urgicht – in einem Verständnis dieses Begriffes – ist das zusammenfassende Protokoll ihres Geständnisses. Demgegenüber ist ihnen auch vieles nicht gemein, jedoch treffen diese Unterschiede auch auf Texte, die zu diesen drei Gruppen gezählt werden können, untereinander zu. Zum einen wird die Institution „Gericht“ durch viele unterschiedliche Gerichte repräsentiert – vom Gericht der freien Reichsstadt Köln über das Pfleggericht Reichenberg zum Gericht der Stadt Crivitz, vom Hoch- zum Niedergericht. Die Kanzleien unterscheiden sich in der Größe, die Schreiber im Grad ihrer Bildung, Versiertheit und Routine. Die Verhörprotokolle sind gütlich oder peinlich, Mit- oder Abschrift, und das gilt ebenso für die Urgichten. Eine Ab- oder Reinschrift kann demnach potenziell einer Urgicht ähnlicher sein als einem Protokoll, das eine Mitschrift ist, und die Fragenkataloge können von Kanzleien unterschiedlicher Größe und Bedeutung angefertigt sein. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht in jedem Fall ohne Weiteres feststellbar ist, wer der protokollierende Schreiber war, da er nirgends in der Akte erwähnt wird. Zudem ist nicht immer klar erkennbar, ob es sich um Mit- oder Abschriften handelt. Zusammenfassend führen also die Variablen „Person des Schreiber“, „Art der Kanzlei“, „Art des Gerichts“, „Überlieferungsform“ und „Verhörsituation“ möglicherweise zu Unterschieden zwischen den Texten, während sie die Attribute „Institution Gericht“, „Kanzleisprachlichkeit“, „Teil eines Hexenprozesses“ und „vergleichbare Entstehungssituation“ einen. Durch die Kontrolle der zuerst genannten 41 Der Grad der Kanzleisprachlichkeit ist Gegenstand des folgenden Abschnitts 4.1.d).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Variablen Homogenität zu erreichen ist schwer, da nicht genügend Informationen zu den einzelnen Texten überliefert sind. Die zuletzt aufgezählten Eigenschaften können dagegen konstant gehalten werden und sind somit das bindende Moment zwischen den Gruppen. Neben den genannten existiert jedoch eine weitere verbindende Eigenschaft der Texte, die weniger mit ihrer Entstehung als vielmehr mit ihrer Sprachform als kanzleisprachliche Texte des 17. Jhs. im Zusammenhang steht. Ihre augenfälligste Gemeinsamkeit ist, dass sie alle einen hohen Anteil an konjunktivischer Redewiedergabe aufweisen. Diese Tatsache ist es im Grunde auch hauptsächlich, die sie für eine gemeinsame Betrachtung unter der Fragestellung der Modusverwendung für geeignet erscheinen lässt. Zusammen mit den soeben genannten Gemeinsamkeiten scheint es möglich, eine derartige Untersuchung anzugehen.42 Um jedoch ein größeres Maß Kontrolle auszuüben, könnte man sich nun dafür entscheiden, die Variable Textsorte zu kontrollieren, d. h. beispielsweise lediglich Verhörprotokolle oder Urgichten zu untersuchen. Allerdings sind, wie oben erwähnt43 , Protokolle ohne die Fragenkataloge oft unverständlich, und der Begriff „Urgicht“ wird so unterschiedlich verwendet, dass auch er für ein anderswo als Protokoll bezeichnetes Schriftstück stehen kann. Wie ähnlich sich Texte, die als vrgicht oder protocollum bezeichnet sind, mitunter sein können, sei an einigen Beispielen verdeutlicht. Bei einem mit protocollum überschriebenen Text kann man anhand textgliedernder Elemente ermitteln, dass es sich vermutlich um die Reinschrift (oder Abschrift) eines Protokolls handelt. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Schreiber text42 Einige der entstehungstechnischen Variablen entziehen sich allerdings der Kontrolle, und das ist zugegebenermaßen ein Unsicherheitsfaktor. Es könnte sein, dass die angestrebte Untersuchung keine Ergebnisse liefert, und dann könnten diese Störvariablen dieses hervorgerufen haben. Sollten sich jedoch trotzdem Ergebnisse zeigen, bedeutet das, dass die Variablen nicht als sonderlich gewichtig gewertet werden müssen. Ebenso kann es vorkommen, dass einzelne Quellen von ihren Ergebnissen her besonders auffällig sind, und für solche Auffälligkeiten könnte dann eine der oben genannten Variablen verantwortlich sein. Diese müssen also in jedem Fall als mögliche (unkontrollierbare) Störfaktoren mit berücksichtigt und gegebenenfalls als Erklärungsgrund in Betracht gezogen werden. 43 Vgl. oben Abschnitt 4.1.b), S. 162 und besonders auch Anmerkung 33, S. 162 in diesem Kapitel.
4.1 Entstehungsrahmen der untersuchten Texte
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gliedernde Elemente bereits bei der Mitschrift einfügen können. Sind sie vorhanden, hat der Schreiber bei seiner Tätigkeit genügend Zeit, den Text in eine logische Abfolge zu bringen und mit gliedernden Elementen wie Zum ersten bzw. Ad 1., weiters, folgends u. ä. zu versehen. Es werden auch Wendungen wie noch bekant, hierzue gutwillig bekant (Lemgo 1630, fol. 49r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 71) oder noch bestendigh bekant (ebd., fol. 49v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 72) zur Gliederung des Textes eingesetzt. Diese und ähnliche Elemente sind jedoch gleichermaßen in Texten zu finden, die vom Schreiber vrgicht genannt werden: (4.2)
Vnd Erstlichß Bekhendt und zaigt Sy ahn, d[er] Böse feind, so sich Feder hannß genant, sey Zu Ir in Ir gaden khommen44 (Riedlingen 1596, fol. 625v–626r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 391)
Daneben gibt es Urgichten, die sich, wenn sie nicht explizit als solche bezeichnet würden, in Ermangelung solcher textgliedernden Elemente schwer von einer geordneten Protokollreinschrift unterscheiden ließen: (4.3)
Urgicht Maria Kellhoferin von Wolfurt Bekhendt 1. Allß Sy noch Ledigs standts gewesen, sey Sy ainem Schmidtknecht marthin Schwarzen Sohn, Christian genant, gar hold worden (Bregenz 1628, fol. 309a)45
Manche Quellen enthalten, wie schon die Aufzählung in Tabelle 4.1 (S. 165) nahelegt, zudem sowohl ein Verhörprotokoll als auch eine 44 Am Ende der meisten in dieser Arbeit zitierten Beispiele wird auf Interpunktion oder Auslassungspunkte verzichtet. Lediglich, wenn der Schreiber tatsächlich an der betreffenden Stelle ein Satzende markiert, wird ein Punkt gesetzt. Zumeist befindet sich am Ende der zitierten Passagen jedoch kein Satzzeichen, da die Schreiber diese äußerst sparsam einsetzen. Außerdem sind die protokollierten Berichte oft in sehr langen Sätzen, die mehrfach mit und verknüpft sind, gehalten, sodass im Grunde immer Auslassungspunkte ans Ende gesetzt werden müssten. Daher soll hier die Abwesenheit eines Satzzeichens sowie die von Auslassungspunkten markieren, dass die Passage noch weiter geht. 45 Die einzige Gliederung stellt hier die Nummerierung dar. Eine derartige Nummerierung tritt aber häufig sowohl in Protokollen als auch in Urgichten auf, und daher kann sie nicht als Unterscheidungskriterium dienen.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Urgicht (in der Definition als letzte Ratifikation des Geständnisses) und ggf. zusätzlich einen Fragenkatalog, andere hingegen nicht. Auch die übrigen dort aufgezählten Textabschnitte sind nicht immer vorhanden, was die Vergleichbarkeit der Quellen ebenfalls gefährden könnte. Um dem vorzubeugen, wurde für jede Quelle festgehalten, welche Textsorten und Textabschnitte in ihr enthalten sind. Ob Fragenkataloge, Situierungen, eingeschobene Konfrontationsprotokolle oder Zeugenaussagen in den Quellen enthalten sind, ist in den Tabellen A.24–A.26 in Anhang A.9 (S. 485–487) zusammengestellt. Sie dienen dazu, die mitunter recht ungleiche Gewichtung der Textsorten und Textabschnitte als mögliche Entstehungsquelle von Störvariablen transparent zu machen. Wollte man dagegen die Textsorten und -abschnitte getrennt voneinander untersuchen, müsste man die Quellen in einzelne kürzere Passagen aufteilen, womit ihr Charakter als Gesamttext verloren ginge. Zudem würde es dann schwerer, gegebenenfalls doch stilistische Eigenheiten des Schreibers, die aus dem Text zu entnehmen sein können, klar zu erkennen. Letztendlich ist dieses, wie aus den soeben angeführten Beispielen für Urgicht und Protokoll genannte Texte hervorgeht, aufgrund ihrer Ähnlichkeit als grundsätzliche, vorbereitende Aufteilung der Texte nicht notwendig. Zusammenfassend kann Folgendes gesagt werden: Es soll hier nicht behauptet werden, dass Urgichten, Protokolle und Fragenkataloge Vertreter derselben Textsorte sind. Jedoch erscheint es aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten – institutioneller Rahmen, ähnliche Entstehungssituation, Sprachform – gerechtfertigt, sie in einer Textsortengruppe zusammenzufassen und unter dem Aspekt der Modusverwendung gemeinsam zu betrachten, zumal eine Abgrenzung zwischen ihnen sich zuweilen aufgrund der unterschiedlichen Benennungspraxis äußerst schwierig gestaltet. Der mögliche Einfluss störender Variablen ist jedoch stets im Gedächtnis zu behalten.
4.1.d) Mündlichkeit und Schriftlichkeit Da die hier untersuchten Quellen entweder in das Medium Schrift transponierte Verhöre (Protokolle/Urgichten) oder zum Vorlesen bestimmte Texte (Fragenkataloge/Urgichten) sind, kann man vermuten, dass sie Elemente der gesprochenen Sprache enthalten und
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daher möglicherweise die Bezeichnung „Kanzleisprache“ – als Inbegriff der Schriftsprache – sie nicht treffend charakterisiert. Dies ist umso mehr der Fall, als sich insbesondere mit den Protokollen einer der wenigen Untersuchungsgegenstände zur Erforschung der Geschichte der gesprochenen Sprache bietet.46 Allerdings muss man hier differenzieren. Einerseits kann an bestimmten Stellen der Protokolle auf die gesprochene Sprache der Frühen Neuzeit geschlossen werden. Andererseits überführen die Schreiber wie erwähnt die Aussagen der Angeklagten in Schriftsprache, und diese zeigt eindeutig die „typischen Elemente des Kanzleistils“ (Schwitalla 2002, S. 380). Um zu ermitteln, welche Art von Syntax hier untersucht werden soll, ist demnach zunächst eine Bestimmung notwendig, ob es sich bei den Quellen eher um geschriebene Sprache, gesprochene Sprache oder eine wie auch immer gewichtete Mischung aus beidem handelt. Man muss also, um die Terminologie von Koch/Oesterreicher (1994) zu verwenden, für eine präzise Einschätzung der zu erreichenden Ergebnisse feststellen, ob die untersuchten Texte eher konzeptionell mündlich oder schriftlich bzw. nähe- oder distanzsprachlich sind. Letztendlich muss demnach festgestellt werden, ob sie den Titel „Kanzleisprache“ mit allen Implikationen für deren Bedeutung beim Sprachausgleich zu Recht tragen können. Der wichtigste Aspekt dabei ist jedoch die Frage, ob für den Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung – die Modusverwendung und im Speziellen die konjunktivische indirekte Rede – durch den potenziellen Einfluss von Mündlichkeit irgendwelche Konsequenzen erwachsen. Zunächst sollen die kanzleisprachlichen Elemente, die in den untersuchten Texten vorkommen, in den Blick genommen werden. Schwitalla zufolge sind typische kanzleisprachliche Elemente unter anderem:47
46 Die Zeugnisse gesprochener Sprache in Verhörprotokollen untersuchten unter anderem Mihm (1995), Rösler (1997), Ramge (1999), Nolting (2002) und Macha (2005). 47 Schwitalla (2002) stellt diese Elemente auf S. 380–381 zusammen. Die hiesige Darstellung folgt Schwitalla, allerdings kommen einige der dort aufgezählten Elemente zwar in den Akten des münsterschen Korpus vor, jedoch nicht in den ausgewählten Texten. „Hervorhebungen der sozialen Differenz (unterthänigst bittend )“ findet man beispielsweise nur in Schreiben des untersuchenden Rates an das Spruchkollegium, nicht in Protokollen oder Urgichten.
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– Vorangestellte und mehrfach untergeordnete Nebensätze zu Beginn eines Schriftstückes („Vorgeschichte“), auf die im Hauptsatz die resultierende „Entscheidung“ vorgebracht wird. Solche Strukturen sind insbesondere zu Beginn eines Protokolls in der VerhörSituierung: (4.4)
Vff heudtt den 22 Aprilis A[nn]o p[erge] 1630 Ist Schmehlichs Eua von Neunkirchen, des zauberey Lasters Peinlich angeclagtte, Inn beysein des Ehrenvesten vnd hochgelerten Herrn Adolphen Baden, der rechten Doctorn, Churf[ürstlichen] Trierischen Ambtman zue Schwartzenburg vnd Dagstuell, Herrn Niclaßen Weckbehrn, Soeterischen kelnern zue Lehmberg ∼ Junckhern Geörg Adam Braun von Schmidtburg ∼ Meyer zu Selbach, Meyer zu Neunkirch[en], Schultheiß zue Gundeßweiller, Engeln Caspar, vnd dhiellen Clasen, beid[en] hochg[eric]htts Scheffen zue Neunkirch[en], vorgeprachtt, vnd erstlich in der gütte vf alle vber sie vorhande Indicia vnd denunciationes examiniret vnd erfragtt worden, [. . .] (Lemberg 1630, fol. 8v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 250)
– Reihungen und Doppelformen (4.5)
Auch wehr Ihr zu der Verrichtung vndt vbersendtung des befelchs geholffen vndt darzu rath vndt that gegeben? (Herborn 1630, fol. 2v, vgl. Anhang B.4, S. 539)
– deverbale Substantivableitungen, die eventuell durch ausgedehnte Attribute erweitert sind (vgl. Bsp. 4.4) (4.6)
hette den Kühen Widerthon zu Erlangung der Gesundtheit geben. Der Esaias Welzenbergerin durch Ertheilung eines Stückes vom Fürthuche ihren Kühen geholfen. Gutgesellens Weib durch Ertheilung eines Stückes ex antipendio zur Gesundheit verholffen. (Braunau 1617, S. 287–288)
(4.7)
Bekennt, sie habe dem Stickauf sein gehabtes Häusl [. . .] angezündet [. . .], die Ursach solches Anzündniss ist gewesen, dass er stättigst mit ihr greint, (Gutenstein 1641, S. 124)
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(4.8)
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Sagt auch, Als Ire Schwester hanßen Catharein vor vngefehr 3. Jahren ein schaden mit vff fallung eines balcken an einer handt bekommen, [. . .] (Lemberg 1630, fol. 10v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 253)
– formelhafte Adjektive als Hinweise auf die Legitimation (4.9)
Ist disen Puncten nicht gestendig, wie sie wißen wolte, was vor einem Erbarn rath gehandelt werde. (Laaber 1608, fol. 37r, vgl. Anhang B.6, S. 551)
(4.10) Articula, worüber uff Befehl der Chur- und Fürstl. Sächs. Henneberg. wohllöbl. Regirung Elisabetha, Hanßen von der Linden, sonst Menckel genant, Eheweib von Walldorff in Güte vernommen. (Meiningen 1659, S. 110) – formelhafte Ausdrücke o
(4.11) Kundt Vnd Z u wüssen Seie Jedermeniglichen hiermit das [. . .]48 (Baden 1640, fol. 8r, vgl. Anhang B.3.a), S. 511) Sätze wie in Beispiel (4.4) entstehen vor der eigentlichen Protokollierung. Hier verschriftlicht der Schreiber demnach keine gesprochene Sprache, sondern legt nach einem bestimmten Muster einen Kopf für das folgende Protokoll an. Folglich ist die Passage vollends kanzleisprachlich und enthält keine Elemente der gesprochenen Sprache. Beispiel (4.11) ist der Beginn einer zur Verlesung bestimmten Urgicht; die Formel wurde also aufgeschrieben, um später verlesen zu werden. Dasselbe gilt für Beispiel (4.10), das die Einleitung eines Fragenkataloges ist. Diese Beispiele dokumentieren demnach reine Kanzleisprache. Die übrigen Beispiele stammen aus den eigentlichen Verhören. Der Schreiber verwendet hier also kanzleisprachliche Elemente während des Transpositionsprozesses, wenn es sich um eine 48 Formelhafte Ausdrücke wie dieser stammen ursprünglich aus der mündlichen rechtssprachlichen Tradition. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie als Element der gesprochenen (Umgangs-)Sprache gewertet werden können. Vielmehr sind sie auf dem damaligen Entwicklungsstand der Rechtssprache als konzeptionell schriftlich zu werten.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Mitschrift handelt. Bei einer Abschrift wäre es auch denkbar, dass kanzleisprachliche Element nachträglich – quasi als stilistische Verbesserung – hinzugefügt worden sind. In den von Topalović (2003) untersuchten Osnabrücker Mit- und Abschriften sind in beiden Erscheinungsformen des Protokolls solche kanzleisprachlichen Elemente zu finden.49 Über die bereits genannten Elemente hinaus können auch die folgenden als charakteristisch für die Schriftsprache und hier speziell den Kanzleistil angeführt werden. Sie sind in den eigentlichen Protokollpassagen gleichermaßen häufig: – komplexe Satzgefüge (auch in Protokollpassagen) (4.12) Auf den andren Articul bekendt das sie nebenst Melcher Janckow[schen] welche itz verstorben Ihren Juncker Christof Falckenberge, vonn einer Adder vnd Schlangen, welche sie gebraten ins maltz gewies[en] das das bier vordorben mußen, vnd die vorbenante, vnd vor storbene Jannkowersche habe Ihr datzu gebracht, vnd mit Ihr auff dem borne, da das maltz gelegen gestiegenn. (Passow 1577, fol. 107v, vgl. Anhang B.8, S. 554) – Funktionsverbgefüge (4.13) anderen Tages, damit Sie nit in Verdacht khume, hab Sie Ime wider geholffen (Hechingen 1648, S. 3) e
(4.14) Zudem hab ihr ihr Bulteufl versprochen wieder zu helffen, vnd beinebens befolchen, auf Mittl zu denken, Damit sie sich umbs leben bringe (Eichstätt 1637, S. 99) (4.15) Gefragt, dweill gwist daß In Solchem verdacht vnd gerucht gwesen, wahrumb Sich nit bei d[er] Obrigkeit angeben vnd |sich+ verthetiget (Linz 1631, S. 5, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 258) – bildungssprachliche Euphemismen 49 Vgl. Topalović 2003, S. 236–259 sowie Bsp. (3.22), S. 137 dieser Arbeit.
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(4.16) Zum andern were sie wegen H[errn] Herman Mollers Pastoris auff der Neuwstat in der Leute rede komen, gleich alß sie mit ihme in vnpflicht geleebet haben solle, aber sie were daran vnschuldig, doch sie hetten miteinander woll gestanden, aber seines leibes nicht genoßen. (Lemgo 1630, fol. 48r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 70) – afinite Konstruktionen50 (4.17) Sie aber ihme mit allerhandt freündtl[ichem] gespräch, vrsach geben, das Er Sie vnehr angesonnen, welche sich sobaldten mit ihme in vnzucht eingelasßen, welche vermischung Er gar kallt empfundt[en] (Bamberg 1628, fol. 2v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 415) – lateinische rechtssprachliche Fachbegriffe und Versatzstücke (vgl. Bsp. 4.4 und 4.6) (4.18) Ad 7. gesteht fugam et quidem vi tormentorum intentatam. Ad 8. d[as] were nicht guit. Fisc[us] bat ind[itional]es et respo[nsion]es zuerwegen Vnd Torturam zuerkennen, submittens. (Alme 1630, fol. 12r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 14) Diese Beispiele vermitteln einen Eindruck von dem Stil, in dem die hier untersuchten Quellen gehalten sind. Von daher erscheint es nicht abwegig, sie als „kanzleisprachlich“ zu bezeichnen. Allerdings lassen sich neben diesen Elementen der Kanzleisprache auch solche der gesprochenen Sprache ausmachen, und zwar nicht nur in den relativ seltenen Fällen von direkter Rede, in denen die wirklich im Verhör verwendete Sprache durchscheint.51 So können beispielsweise Modalpartikeln, die heutzutage eher in direkter Rede zu erwarten 50 Afinite Konstruktionen sind konjunktionale Nebensätze ohne finites Verb (vgl. auch Abschnitt 4.4.b), S. 205 dieser Arbeit). Ebert (1993) weist sie als ein typisches Merkmal der ausgehenden frühneuzeitlichen Schriftsprache und insbesondere Kanzleisprache aus (vgl. ebd., § S 257, S. 442). 51 Besonders auffällig sind solche Stellen in norddeutschen Protokollen, die vornehmlich hochdeutsch sind, jedoch Einschübe direkter Rede in niederdeutscher Sprache enthalten, wie z. B. „[. . .] hette sie gesaget: Dat dek ok de Düvel hale, dar du steist“ (Göttingen 1649, S. 45, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 45). Vgl. hierzu auch Abschnitt 6.1, S. 415 dieser Arbeit.
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sind und zumindest nach heutigen Normvorstellungen in der indirekten Rede eher Verwirrung stiften, da sie ebenso gut ein Kommentar des Reportersprechers sein könnten,52 in den hier untersuchten Texten durchaus vorkommen, und zwar gerade in indirekter Rede: (4.19) Folgens Elisabet hilgenhaubts dergleichen In der gutte vorgenohmen vnd gfragt wurde wißen wahrumb sie gegenwertih Antworth wiste das Aigentlich nit (Linz 1631, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 258) Hier ist es die Modalpartikel Aigentlich, welche der gesprochenen Sprache angehört. Solche Modalpartikeln (auch wohl, ja, schon etc.) erscheinen immer dann, wenn der Schreiber trotz des Transformationsprozesses die wiedergegebene Äußerung sehr genau protokolliert und somit auch Modalpartikeln übernimmt.53 Nolting hat für das von ihr untersuchte Mindener Protokoll Merkmale der gesprochenen Sprache zusammengestellt.54 Obwohl dieses Mindener Protokoll als Spezialfall anzusehen ist, da es überproportional viel direkte Rede enthält,55 können diese Merkmale auch in anderen Protokollen und dort in indirekter Rede aufgefunden werden, wenn auch nicht in demselben quantitativen Ausmaß. Sie werden im Folgenden durch Beispiele aus dem hier untersuchten Korpus illustriert, wobei die meisten Beispiele neben dem exemplarischen auch andere Merkmale der gesprochenen Sprache enthalten: – Kontraktionen: (4.20) Ja, Er habß gesagt, vnd von seiner alten gehört, massen ers dann in deß Gerichtschreibers hauß, vor etlich tagen auch bekhent (Reichenberg 1653, fol. 1v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 473) 52 Vgl. Abschnitt 2.2.b), S. 24 dieser Arbeit. 53 In der Gegenwartssprache ist es nicht üblich, Modalpartikeln in die indirekte Wiedergabe zu übernehmen. Bei direkter Wiedergabe sind sie dagegen nicht auffällig. 54 Vgl. Nolting 2002, S. 105–112. Dieser Zusammenstellung wird hier gegenüber anderen (wie zum Beispiel der bei Koch/Oesterreicher 1985, S.27) der Vorzug gegeben, weil sie speziell auf frühneuzeitliche Hexenverhörprotokolle ausgerichtet ist. Das, was Koch/Oesterreicher als „universale Merkmale der Sprache der Nähe“ (ebd.) für die Gegenwartssprache aufzählen, überschneidet sich nur zum Teil mit der folgenden Aufzählung. 55 Vgl. Abschnitt 3.7, S. 144 dieser Arbeit.
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– geringe syntaktische Komplexität56 : (4.21) Hieruf sie de[m] Scharpffrichter vbergeb[en] word[en] khinde und wisse nichts Man solle sie endtlassen (Mergentheim 1629, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 451) – syntaktische Kurzformen: (4.22) Ob sie auch vf dem tantz geweßen, sagt ia ein mahl oder drei (Friedberg 1620, S. 8, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 214) (4.23) Kann auch wohl seyn, daß ihr Mann den Jacob Bötticher darauf gescholten (sie sey nicht dabei gewest) und er die Worte mag ihm zurückgegeben haben, wisse es ihr aber nicht zu erinnern (Grünholz 1641, S. 70) – Wiederholungen und Redundanzen (vgl. auch Bsp. 4.28): (4.24) Nein nein wüste gar nichts (Grünberg 1664, S. 121, vgl. Anhang B.3, S. 533) – pleonastische Verneinungen: (4.25) Sagt, hab mit Immen Butenwegs niemahls Keine vnnutze wortere od[er] scheldungh gepflogen (Ahaus 1608, fol. 100r–100v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 7–8) (4.26) Sie nehme die Hochgelobte dreyEinigkeit Zum Zeugen daß Sie von diesem Teuffelsberge niemahlß nichtß weiß (Grünberg 1664, S. 126, vgl. Anhang B.3, S. 536) 56 Diese führt auch Peilicke auf den Einfluss der gesprochenen Sprache zurück. Gerade die Passagen indirekter Redewiedergabe zeichnen sich in den Mühlhäuser Verhörprotokollen aus der Zeit des Bauernkrieges, die sie untersucht, durch eine „Aneinanderreihung kurzer Sätze“ aus (vgl. Peilicke 1980, S. 25–26). Baufeld stellt in Greifswalder Amtsprotokollen ebenfalls eine Syntax fest, die „von den ausgefeilten Sätzen Luthers“ abweiche, was „durch die die Sprechsprache gebrochen widerspiegelnden Aufzeichnungen“ bedingt sei. Andererseits überwiegt in den Amtsprotokollen in indirekter Rede die Hypotaxe, also Redeeinleitung gefolgt von einem Nebensatz (vgl. Baufeld 1988, S. 86–87).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
– Modalpartikeln: (vgl. auch 4.29) (4.27) So wehre sie doch keine Hexe, sonsten müsten alle die fluchen, Hexen sein. (Gommern 1660, S. 150) – Interjektionen: (4.28) Nein, Vrsule thue ihr gewalt, O weh o weh oweh (Leipzig 1640, fol. 25r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 305) – Affektivität und Bildhaftigkeit (vgl. auch 4.28): (4.29) Gotts sacrament Man werde ia die leütt nit also nauß führen und verbrenen lassen (Mergentheim 1629, S. 2, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 447) (4.30) It[em] Gestunde auch das er bey dem haug solcher gestaltt geflucht: Ey nun müße Gotts Sacrament schenden das es nun eben daher regnett (Dillenburg 1631, fol. 15v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 195) Die meisten dieser sprechsprachlichen Elemente hätten nach dem heutige Verständnis von indirekter Rede nicht in die Wiedergabe übernommen werden sollen, sie sind typischer für direkte Rede.57 Ihre Anwesenheit kann demnach dazu führen, dass die Grenzen zwischen direkter und indirekter Rede schwer zu bestimmen sind. Oft treten auch Merkmale der geschriebenen und gesprochenen Sprache nebeneinander auf, wie bereits aus den obigen Beispielen ersichtlich. Besonders plastisch wird dieses Nebeneinander in dem folgenden Auszug (4.31), wo beispielsweise Modalpartikeln mit hoher syntaktischer Komplexität und durchgängiger Verwendung des Konjunktivs einher gehen. (4.31) Andworttete, sie wisse wohl davon aber doch seyen sie in e der gutt endscheyden worden vnd daß sie itzunder mit einander gutte freundt vnd mit einander essen vnd trinken, gestehe gar wohl daß sie damahlß von Engels Petern wegen e e des boßen schadens ahm bein bezuchtigt vnd Zu dem endt 57 Vgl. Tabelle 2.2, S. 45 zur Indiziensammlung sowie Abschnitt 2.2.d), S. 37 dieser Arbeit.
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vor der Cantzley zu Budingen beKlagt gewesen, Jedoch so werde er Peter es itzt noch verandtwortten. (Lindheim 1631, S. 185–186) Vom Eindruck her, den Beispiel (4.31) vermittelt, kann man behaupten, dass die Texte in erster Linie konzeptionell schriftlich und kanzleisprachlich sind.58 Die Merkmale des Mündlichen sind eher im Vergleich zu anderer Kanzleisprache wie z. B. Urkundensprache als besonderes Kennzeichen der Protokolle zu werten, als dass sie sie einer konzeptionell mündlichen Schriftlichkeit näher brächten. Zudem sind es gerade die zum Vorlesen bestimmten Urgichten, in denen sich kanzleisprachlich Formelhaftes findet (vgl. Bsp. 4.11). Wenn man obendrein bedenkt, dass Schreiber beim Anfertigen der Abschrift die Merkmale der gesprochenen Sprache korrigiert (vgl. Topalović 2003, S. 142–143) und so ihre Texte weiter in Richtung Kanzleisprache verändert haben, können die Texte zurecht als kanzleisprachlich betrachtet werden. Um jedoch mit letzter Sicherheit ermitteln zu können, wie sich das Verhältnis von mündlichen und schriftlichen Charakteristika gestaltet, müssten unter anderem die durchschnittliche Satzlänge, das Verhältnis von deverbalen Substantiva zu anderen, das durchschnittliche Vorkommen von Modalpartikeln u. a. bestimmt werden, was jedoch innerhalb dieser Arbeit nicht geleistet werden kann.59 Das schlagkräftigste Argument dafür, dass anhand dieser Texte der schriftsprachliche Modusgebrauch untersucht werden kann, ist die Anwesenheit der konjunktivischen Formen in allen oben angeführten Beispielen, die zwecks Illustration der Elemente der Mündlichkeit angeführt worden sind. Heute gilt der Konjunktiv in der indirekten Rede als schriftsprachlich und es gibt einige Gründe anzunehmen, dass dieses auch auf das 17. Jh. zutrifft, zumal der An58 Denselben Eindruck gewinnt Macha in Anbetracht der Sprache der Kölner Hexenverhörprotokolle, die sich durch „relativ hohe Distanz zur gesprochenen Sprache“ auszeichnen (vgl. 1991, S. 40). 59 Es wurden lediglich einige stichprobenartige Zählungen vorgenommen, welche andeuten, dass von bestimmten Formen die schriftsprachlichen Varianten häufiger sind: So finden sich kontrahierte Formen mit dem Verb haben (vgl. Bsp. 4.20) 58-mal (53 habs, 2 habß, 3 hetts), nicht-kontrahierte Formen dagegen 86-mal (55 hette es, 1 hette eß, 10 habe eß, 18 habe es, 1 hab es, 1 hab eß ). Auch die kontrahierte Form der Pronomina sie und es ist seltener als die nicht kontrahierte (13 sies, 1 sieß gegenüber 89 sie es und 6 sie eß ).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
stieg der Konjunktivverwendung zu dieser Zeit auf den Einfluss des Lateins zurückgeführt worden ist.60 Es sind in den folgenden Kapiteln also Ergebnisse zum Modusgebrauch in der Schriftsprache zu erwarten. Diese Einschätzung hat direkte Auswirkungen auf die Nachvollziehbarkeit der Originaläußerungen aus heutiger Sicht. Diese gestaltet sich sehr schwierig, wenn man bedenkt, dass die Schreiber die Originaläußerungen im Transpositionsprozess kanzleisprachlich überformt haben. Nur bei direkter Redewiedergabe, die dialektale Elemente enthält, kann man im Rückblick erahnen, was die Angeklagten wirklich gesagt haben (vgl. Macha 2003a, S. 182), nicht aber wissen. So ist oft am Kanzleistil zu erkennen, dass es sich sicher nicht um die wortwörtlichen Aussagen der Angeklagten handelt, sondern um schriftsprachliches Nachempfinden des Gehörten bei der Wiedergabe: (4.32) hette Ihr auch darauff ein stuk gelts vff die handt geben welches aber alsbaldt staub zu sein befunden wordten, (Herborn 1630, fol. 3v, s. Anhang B.4, S. 541) Der kursivierte Teil diese Beispiels enthält eine typische kanzleisprachliche Formulierung mit einer komplizierten Infinitivkonstruktion, die in der gesprochenen Sprache nicht zu finden ist. Besonders deutlich wird die schriftsprachliche Überformung, wenn aus der bloßen Transposition eine Übersetzung ins Lateinische wird und die Antworten der Angeklagten lediglich zusammenfassend protokolliert werden. Beispielsweise ist die Antwort der Angeklagten in Erkelenz auf die Frage, ob sie jemanden etwas habe sagen hören,61 Negat se audiuisse (vgl. Erkelenz 1598, S. 3, Kanzleisprache 2005, S. 203). Dass die Angeklagte selbst Latein geredet hat, ist auszuschließen. Solche Belege bestärken die Entscheidung, die untersuchten Texte in erster Linie als schriftsprachlich zu betrachten.
60 Vgl. Abschnitt 3.7, S. 141 und 144 dieser Arbeit. 61 Diese Frage ist als Beispiel (6.29) auf S. 431 dieser Arbeit zitiert.
4.2 Die Größe des untersuchten Textkorpus
181
4.2 Die Größe des untersuchten Textkorpus Das hier zugrunde gelegte Teilkorpus des münsterschen Korpus umfasst rund 166 800 Wörter. Die Wortanzahl ist damit geringer als die anderer Textkorpora, anhand derer die Modusverwendung untersucht worden ist: So hat Jäger zum Beispiel in seinem Korpus von 600 000 Wörtern 6 842 Verbformen untersucht, von denen 544 Indikativ- und die übrigen 6 298 Konjunktivformen sind. Bei einer Gesamtanzahl von 82 400 Finita (vgl. Jäger 1971, S. 20) steht also durchschnittlich jedes 13. Verb im Konjunktiv. Auch EngströmPersson (1979), die in Anlehnung an Jäger ein 82 000 finite Verbformen umfassendes Korpus aus Texten der Zeit um 1800 untersucht, hat 2 868 eindeutige Konjunktiv- und 340 modusambivalente Formen ermittelt (vgl. ebd., S. 16 u. 53–54), was einem Verhältnis von eins zu 25 bzw. eins zu 28 entspricht, wenn man nur die eindeutigen Formen betrachtet. Die Redewiedergabe ist dabei nur ein syntaktisches Muster, in dem diese Konjunktivformen vorkommen können. Guchmann bemisst ihr Korpus nicht in Wörtern, sondern in Druckbögen, weswegen es schwer mit den beiden zuvor genannten zu vergleichen ist, zumal sie die Gesamtanzahl finiter Verben nicht mit angibt. Addiert man jedoch die Belegzahlen für Konjunktivformen aus den insgesamt elf Tabellen zu den unterschiedlichen Textsorten62 , so erhält man zumindest einen Vergleichswert von 3 175 Konjunktivformen (2 114 aus dem ersten, 1 061 aus dem zweiten Zeitraum), der sich demnach ungefähr in der Größenordnung dessen von EngströmPersson bewegt. Den Umfang von Behaghels Untersuchungsgegenstand zu ermitteln, gestaltet sich noch etwas schwieriger, da er wie Guchmann in Druckseiten rechnet und seine Darstellung zugleich auf bestimmte Formen konzentriert. In Tabellen und im Text ausgewiesen hat er davon knapp 2 00063 , die tatsächliche Anzahl von Konjunktivformen, inklusive aller Vorkommen von möchte und würde 64 , welche in den von ihm analysierten Texten zu finden sind, wird demnach leicht über diesem Wert liegen. 62 Vgl. Guchmann 1981, S. 145, 148, 153, 160, 169, 182, 240, 245 und 254. 63 Die Addition der Werte in den Tabellen 3.2, 3.3 und 3.5 in Abschnitt 3.2 dieser Arbeit ergibt 1 895, wobei in diese Tabellen die Einzelbelege, die Behaghel im Text nennt, nicht mit eingegangen sind. 64 Diese Formen hat er nicht mitgezählt (vgl. das Zitat auf S. 92 dieser Arbeit).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Das vorliegende Korpus ist im Vergleich zu denen von Jäger und Engström-Persson kleiner, und zwar nicht nur von der Gesamtzahl der Wörter, sondern auch von jener der finiten Verben. Den jeweils 82 000 Finita stehen hier lediglich 12 654 gegenüber. Allerdings enthält es, da es fast ausschließlich aus konjunktivischer, indirekter Rede besteht, einerseits mehr Finita, die in Erscheinungsformen der Redewiedergabe auftreten, und andererseits weitaus mehr Verbformen im Konjunktiv: 10 324 Finita erscheinen in der Redewiedergabe, davon 9 595 im Konjunktiv und 707 im Indikativ. Die genannte Anzahl von Konjunktivformen setzt sich aus 7 916 eindeutigen und 1 676 formal modusambivalenten Formen zusammen, wobei die Zahl der letzteren ausschließlich durch solche bestritten wird, welche im Wechsel mit eindeutigen Konjunktivformen vorkommen.65 Im Verhältnis ist das vorliegende Korpus also im Hinblick auf Zahl der Konjunktivformen trotz der vergleichsweise geringen Gesamtanzahl finiter Verben großzügiger ausgestattet als die anderen beiden, selbst wenn die modusambivalenten Formen nicht berücksichtigt werden: Wenn man nur die eindeutigen Konjunktivformen berücksichtigt, stehen die Finita insgesamt zu den Finita im Konjunktiv in einem Verhältnis von eins zu 1,6. Unter Einbeziehung der modusambivalenten Formen erreicht man sogar eins zu 1,3. Damit dürfte das Korpus die Voraussetzungen für eine Konjunktivuntersuchung erfüllen. Schließlich ist die Gesamtzahl von Wörtern nur im Vergleich zu Korpora moderner, gedruckter Texte niedrig. So umfasst beispielsweise das Korpus frühneuhochdeutscher Wochenzeitungen, anhand dessen Fritz die Verwendung der Modalverben untersucht hat, 194 000 Wörter (vgl. Fritz 1991, S. 29). Beim münsterschen Korpus ist zudem der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es hauptsächlich aus Handschriften besteht, die erst transkribiert werden müssen, ehe sie systematisch analysiert werden können – eine Vorarbeit, die bei Korpora gedruckter Texte entfällt. Von einer Untersuchung des gesamten münsterschen Korpus, welches ebenso wie das von Jäger 600 000 Wörter umfasst, wurde Abstand genommen, da die in ihm vereinigten Texte bei aller Bemühung um eine regionale Streuung einen Schwerpunkt im Westen des deutschen Sprachraums zeigen, wobei das Rheinland als Ursprungsort und damit Kernraum der Sammelphase des „Hexenpro65 Zur genauen Vorgehensweise vgl. den folgenden Abschnitt 4.4.a).
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
183
jektes“ besonders stark vertreten ist. Viele der rheinischen Texte wurden deshalb nicht mit berücksichtigt, sondern es wurde versucht die Texte so auszuwählen, dass die Anzahl von Wörtern aus den im Folgenden zu beschreibenden Großregionen sich in etwa gleicht. Umfassendere statistische Daten zu den untersuchten Verbformen sind aus allen Tabellen in den Kapiteln 5 und 6 sowie aus dem Anhang A zu entnehmen. Sie sollen an dieser Stelle nicht vorweg genommen werden.
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus In der Einleitung zum Frühneuhochdeutschen Wörterbuch betont Reichmann, wie schwer es ist, den deutschen Sprachraum zur frühneuhochdeutschen Zeit räumlich zu gliedern (FWB 1989, S. 117). Für eine Arbeit, die wie diese einen Beitrag zur Syntaxgeschichte des Deutschen leisten möchte, kann eine weitere Feststellung Reichmanns, nämlich dass „[d]ie Syntaxforschung des Deutschen [. . .] niemals ein syntaxgeographisches Paradigma entwickelt [hat]“ (Reichmann 2000, S. 1643), als weiteres Erschwernis gewertet werden. Laut Reichmann sind die Variablen, nach denen die frühneuhochdeutsche Syntax variiert, zum einen die Zeit und zum anderen die Textsorte. Nach dem Raum variiere sie „erst in dritter Linie“, und eine Syntaxgeographie des Frühneuhochdeutschen sei von daher nicht zu erwarten (ebd.). Die räumliche Aufgliederung des Korpus stellt somit ein Problem dar, sie ist aber zugleich notwendig, weil unter anderem die von Behaghel (1899) ermittelte Regionalverteilung der Konjunktivverwendung66 überprüft werden soll. Reichmann führt weiter aus, warum er Syntaxgeographie für problematisch erachtet und betont in diesem Zusammenhang die folgenden drei Punkte besonders (vgl. ebd.): 1. Die Mundarten (bzw. mundartliche Texte), die sich am ehesten für die Erstellung eines solchen Paradigmas eignen würden, da sie am stärksten regional geprägt sind, „[zeigen] alle Kennzeichen konzeptioneller Mündlichkeit [. . .], und deshalb [sind sie] methodisch nicht in dem Maße greifbar [. . .], wie dies für konzeptionell schriftliche Texte gilt“. 66 Vgl. Abschnitt 3.2.c ) dieser Arbeit.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
2. Eine Konstanthaltung der Größe „Textsorte“, die für eine Syntaxgeographie von Nöten wäre, ist aufgrund der Überlagerung dieser Größe mit sozio-pragmatischen, gruppenspezifischen Einordnungen sowie dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit problematisch. 3. Der Begriff „Textsorte“ wird sehr unterschiedlich definiert („Kanzleitext, Reimtext, Predigt, Brief, Text mit lateinischer Vorlage usw.“). An anderer Stelle charakterisiert Reichmann die „Schreibe“ im Frühneuhochdeutschen als gegenüber der gesprochenen Sprache weitaus einheitlicheres, identitätsstiftendes System. Jedoch ist dieses System nicht vollständig einheitlich, sondern variiert gerade im Bereich der Graphemik in unter anderem diesen Punkten (Reichmann 2000, S. 1633): – „eine Fülle von Graphen für ein einziges Graphem“ – „eine hohe Anzahl von Distributionsregeln“ – „eine geographisch, geschichtlich, sozialgeschichtlich, gruppentypisch, textsortenspezifisch dimensionierte Bindung von Graphemen und Graphen“. Für die Graphemik ist demnach in der Schriftsprache eine Variable „Raum“ anzusetzen, diese ist aber unter Umständen nicht ohne Weiteres auf andere sprachwissenschaftliche Teilgebiete übertragbar. Dementsprechend gestaltet sich das Finden einer geeigneten regionalen Aufteilung der Quellen des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches in gleicher Weise als schwierig, da es eine „lexikspezifische Raumgliederung“ (FWB 1989, S. 117) ebenso wenig gibt wie eine syntaxspezifische, sondern allein eine phonemspezifische in Ansätzen (vgl. ebd.). Da jedoch der Verzicht auf eine Raumgliederung nicht wünschenswert ist, hat man sich beim Frühneuhochdeutschen Wörterbuch als Arbeitsgrundlage für „eine Gliederung nach geschichtlichen Gegebenheiten, z. B. nach Stammes-, Territorial-, Kulturräumen oder auch nach irgendwie umgrenzten Sprachräumen“ (vgl. ebd.) entschieden. Die Basis dieser Gliederung bilden
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
185
die Dialekte des Deutschen, und zwar so, wie sie im 19. und beginnenden 20. Jh. gestaltet waren, da die genaue Ausdehnung der Dialekte zu frühneuhochdeutscher Zeit nur gemutmaßt werden kann. Wenn im frühneuhochdeutschen Wörterbuch eine Quelle als beispielsweise „obersächsisch“ bezeichnet wird, bedeutet das, dass sie aus einer Gegend stammt, die heute „nach phonemgeographischen Gesichtspunkten“ (vgl. ebd., S. 118) zum obersächsischen Dialekt des Neuhochdeutschen gehört. Das kann nur unter der Annahme geschehen, dass die Ausdehnung des Obersächsischen im Frühneuhochdeutschen derjenigen im Neuhochdeutschen in etwa entspricht, dass die frühneuhochdeutschen Texte überhaupt eine landschaftliche Bindung aufweisen und dass „die Wortgeographie zumindest partiell der Phonemgeographie folgt“ (vgl. ebd.). Ein weiteres Argument für eine solche Vorgehensweise ist, dass die frühneuhochdeutschen Schreiblandschaften geschichtlich eine dialektale Basis haben (vgl. z. B. Solms 2000, S. 1514), auch wenn sie sich im 17. Jh. bereits von dieser entfernt haben. Da Behaghels Ergebnisse vermuten lassen, dass die Phonemgeographie mit der Syntaxgeographie mit Bezug auf das spezielle Problem der Modusverwendung bzw. Konjunktivwahl in Teilen parallel läuft, wird auch hier eine räumliche Einteilung nach Sprachlandschaften, denen die Mundarten (Stand Ende 19./Anfang 20. Jh.) zugrunde liegen, vorgenommen. Als glücklicher Umstand kommt beim vorliegenden Korpus hinzu, dass zumindest eine der Variablen, die laut Reichmann die Raumgliederung behindern können, und zwar die Variable „Textsorte“, hier weitgehend kontrolliert ist.67 Trotz dieser mundartlichen Gliederung darf jedoch nie aus dem Blick verloren werden, dass es sich bei den untersuchten Texten um konzeptionell schriftliche handelt, die in einer Schreibsprache gehalten sind, die zwar in der Region verwendet wird, wo ein bestimmter Dialekt gesprochen wird, die aber nicht mit diesem Dialekt identisch sind. Die Schreibsprache ist eine „Abstraktionsstufe von der Vielfalt der gesprochenen Sprache“ (Mattheier 1981, S. 284). Zum Teil allerdings übt der Dialekt einen über seine Beteiligung an ihrer Entstehung hinausgehenden direkten Einfluss auf die Schreibsprache aus, beispielsweise durch Interferenzen mit der aktuell gesprochenen 67 Vgl. hierzu den vorangegangenen Abschnitt 4.1.c ).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Sprache, welche durch den Schreiber entstehen (lexikalische Interferenzen, Hyperkorrekturen), was sich mit den folgenden Worten prägnant zusammenfassen lässt: Schreibsprache ist in der Regel keineswegs eine Abbildung gesprochener Sprache. Sie hat eigene Verflechtungen in Raum und Zeit, wenn auch nie in völliger Lösung von der sprechsprachlichen Basis (Besch 2003, S. 2260).
Auf der Grundlage der neuzeitlichen Dialektgeographie wird hier der deutsche Sprachraum zunächst in drei Großregionen unterteilt: Norddeutsch als „hochdeutsch-niederdeutsche Varietätenmischung [. . .] auf niederdeutschem Dialektgebiet“ (FWB 1989, S. 118),68 Mitteldeutsch, Oberdeutsch. Wo sich diese Großregionen befinden und wie sie weiter untergliedert werden, ist Abbildung 4.1 zu entnehmen.69 Für die Zuordnung der hier untersuchten Quellen zu den einzelnen Regionen wurde die Karte Wiesingers zur Einteilung der deutschen Dialekte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. verwendet (Wiesinger 1983, Karte 4, ausklappbar, ohne Seitenzählung), wobei die Grenzen als Versuch eines Mittelwertes der dort angesetzten Übergangsgebiete gezogen sind. Bei der Auswahl der Quellen für die vorliegende Arbeit wurde versucht, die so definierten Sprachräume möglichst gleichmäßig durch Texte zu repräsentieren, was jedoch in Anbetracht der Geschichte der Hexenverfolgung und der Überlieferungslage nicht ohne Weiteres möglich ist. Prinzipiell eignen sich speziell Hexenprozessakten als Untersuchungsgegenstand für eine großflächig angelegte sprachhistorische Studie, weil Hexenprozesse im gesamten ehemaligen deutschen Sprachgebiet stattgefunden haben,70 wenngleich nicht überall in gleicher Intensität sowie zum Teil zeitlich versetzt. Als Kernzeitraum kann die Periode von 1580–1650 angesehen werden, doch auch 68 Die meisten der hier untersuchten Quellen des norddeutschen Gebietes sind in hochdeutscher Sprache verfasst, weswegen die Bezeichnung „norddeutsch“ treffender ist als „niederdeutsch“ (vgl. Anmerkung 25, S. 160 in diesem Kapitel). 69 Diese Gliederung ist etwas gröber als die im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch zugrunde gelegte (vgl. FWB 1989, S. 118–119). 70 Levack schätzt sogar, dass die Mehrheit aller Hexenprozesse Europas (um die 75%) in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden stattgefunden haben (vgl. 1999, S. 182).
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
1. NORDDEUTSCH 2. MITTELDEUTSCH a) nordnorddeutsch a) westmitteldeutsch (nnd) (wmd) – nordniederdeutsches – niederfränkisches Dialektgebiet – mittelfränkisches b) nordwestdeutsch – rheinfränkisches und (nwd) – hessisches – westfälisches und Dialektgebiet – ostfälisches b) ostmitteldeutsch Dialektgebiet (omd) c) nordostdeutsch – thüringisches, (nod) – obersächsisches und – mecklenburgisch– schlesisches vorpommersches, Dialektgebiet – brandenburgisches, – mittelpommersches und – ostpommersches Dialektgebiet
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3. OBERDEUTSCH a) nordoberdeutsch (nobd) – ostfränkisches Dialektgebiet b) westoberdeutsch (wobd) – alemannisches Dialektgebiet c) ostoberdeutsch (oobd) – bairisches Dialektgebiet
Abbildung 4.1: Die räumliche Gliederung des Korpus
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
vorher und nachher fanden Prozesse statt. Auf dem Gebiet der heutigen Länder Österreich, Ungarn, Böhmen und Polen befand sich die Verfolgung erst im ausgehenden 17. Jh. (nach 1675) auf dem Höhepunkt (vgl. Levack 2003, S. 180). Im übrigen deutschsprachigen Gebiet traten die Verfolgungswellen zwischen 1585 und 1595, um 1630 und um 1660 auf; mancherorts wurden sie durch die Kriegswirren vollständig beendet, während sie diese anderswo überdauerten (vgl. Schormann 1976, S. 55). Besonders verfolgungsintensiv waren Mecklenburg sowie ein zusammenhängendes Gebiet in den ungefähren Grenzen von Lothringen, Kurtrier, dem Herzogtum Westfalen, Minden, Schaumburg, dem Harz sowie der Bistümer Bamberg, Eichstätt und Augsburg mit dem bis zur Schweizer Grenze anschließenden Gebiet. Nicht völlig prozessfrei, aber doch verfolgungsarm waren Bayern, Kursachsen, Kurbrandenburg, die welfischen Fürstentümer sowie die Grafschaft Jülich-Kleve-Berg (vgl. ebd., S. 65).71 Schmidt betont zudem für die Kurpfalz, dass dort allgemein Skepsis gegenüber der Wirksamkeit von Zauberei herrschte, weswegen die Hysterie, die mitunter in anderen Territorien verbreitet wurde, dort nicht auf fruchtbaren Boden fiel und sie so ein relativ verfolgungsarmes Gebiet geblieben ist (vgl. Schmidt 2000, S. 476–480). Als grobe Orientierung, zugleich jedoch bildlicher und eingängiger, kann die Topographie dienen: Wenig verfolgt wurde in der norddeutschen Tiefebene (außer Mecklenburg) und am Niederrhein, viel dagegen in den bergigen Regionen (außer Bayern). Zugleich lässt sich eine ungefähre Korrelation von territorialer Zersplitterung und hoher Verfolgungsintensität bzw. territorialer weitgehender Einheit und geringer Verfolgungsintensität feststellen (vgl. Schormann 1976, S. 65). Die unterschiedliche Intensität der Verfolgung spiegelt sich zwangsläufig in der hier vorgenommenen Quellenauswahl wider: Die Suche nach Quellen, die im Rahmen des „Hexenprojektes“ stattgefunden hat, war in den verfolgungsintensiven Gebieten weitaus erfolgreicher als in den verfolgungsärmeren. So konnte beispielsweise das Erscheinen der umfangreichen Abhandlung zu den Hexenprozessen in Kursachsen von Manfred Wilde (2003) die dünne Quellenlage 71 Schormann betont hier, dass es sich um eine ungefähre und vorläufige Übersicht handelt, da vieles noch der Erforschung harrt.
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
189
im Ostmitteldeutschen nur bedingt aufbessern.72 Ähnliches gilt für die Monographie Karen Lambrechts zur Hexenverfolgung in Schlesien.73 Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Akten bis heute überlebt haben. Zwar hebt Schormann hervor, dass die Akten zunächst sorgfältig aufbewahrt wurden, da in ihnen die Besagungen dokumentiert waren, aus welchen neue Prozesse entstehen konnten. Auf der anderen Seite wird von gezielter Vernichtung der Akten, die dieses schwarze Kapitel der deutschen Geschichte dokumentieren, berichtet (vgl. Schormann 1976, S. 64). Auch überstanden nicht alle Akten die zahlreichen Kriege – nicht zuletzt den Dreißigjährigen Krieg sowie die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts – oder nicht-kriegsbedingte Katastrophen wie Brände oder Überschwemmungen.74 Schließlich findet man immer wieder Berichte darüber, wie für wertlos befundene Akten quasi „recycelt“ wurden. So schreibt beispielsweise der Autor einer Untersuchung der Hexenprozesse im Fürstentum Neiße Folgendes über die Aktenlage: Große Stöße derlei Hexenurtheile und Acten wurden in früherer Zeit von den Rathsgliedern aus dem Archive mit nach Hause genommen und dort zerrissen, auch in der Spezereyhandlung eines hiesigen Rathsgliedes Duten daraus angefertigt; durch Zufall gelang es dem Verfasser die jetzt im Besitze habenden Originalien vor ähnlichem Schicksal zu retten (Neisse 1836, S. 17). 72 Wilde weist sämtliche Hexenprozesse, die in Kursachsen stattgefunden haben, auf 200 Seiten nach, indem er zu jedem Prozess den Zeitraum, den Prozessort, die Angeklagten sowie, und diese Information war für die Projektarbeit besonders wertvoll, die überlieferten Aktenstücke (so denn welche überliefert sind) nennt (vgl. Wilde 2003, S. 457–657). Speziell Verhörprotokolle aus dem hier interessierenden Zeitraum sind jedoch derart selten, dass sich sogar mit Hilfe dieser detaillierten Auflistung Überlieferungslücken im ostmitteldeutsche Raum kaum schließen ließen. 73 Vgl. Lambrecht 1995, S. S. 532–536 (Verzeichnis der ungedruckten Quellen), wo ca. 10 Quellen ausgewiesen sind, die nach Autopsie vor Ort möglicherweise Protokolle zum betreffenden Zeitraum enthalten (vgl. auch Anmerkung 48 in Kapitel 5, S. 268 dieser Arbeit). 74 Beispielsweise brannte in Hamburg Mitte des 19. Jhs. das Archiv, wodurch sämtliche Prozessakten der frühen Neuzeit vernichtet wurden. Das hier in die Untersuchung eingegangene Dokument „Hamburg 1583“ ist dank der vorhergehenden Transkription durch Trummer erhalten geblieben (vgl. Quellenverzeichnis, Anhang C.1). Doch auch durch jüngere Ereignisse werden Aktenbestände in Mitleidenschaft gezogen, wie zum Beispiel die des Staatsarchivs Dresden im Zuge des „Jahrhunderthochwassers“ der Elbe im Jahr 2002, welche mühsam restauriert werden mussten.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Abbildung 4.2: Herkunftsorte der untersuchten Texte
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
191
Abbildung 4.3: Quellen im Untersuchungszeitraum
In Anbetracht all dieser widrigen Umstände war eine Ungleichgewichtung der Texte in den Sprachlandschaften kaum zu vermeiden. Wie sich die ausgewählten Texte gemäß dem Prozess- und damit Schreibort auf den deutschen Sprachraum verteilen, ist aus der Karte in Abbildung 4.2 ersichtlich. In Tabelle 4.2 (S. 192) sind zudem alle untersuchten Texte sowie ihre Zugehörigkeit zu den Sprachlandschaften aufgelistet.75 In dieser Tabelle wird die unterschiedliche regionale Gewichtung des münsterschen Korpus deutlich. Nach Möglichkeit wurde versucht, die Lücken gezielt aufzufüllen, wobei zum Teil ein Rückgriff auf Quellen nötig war, die hinsichtlich der in der Tabelle gleichfalls ausgewiesenen Prozesszeit mehr oder weniger aus dem Rahmen fallen. Sie über- oder unterschreiten also den Kernzeitraum der Hexenverfolgung 1580–1650, auf welchen sich das „Hexenprojekt“ konzentriert hat (vgl. Abb. 4.3). Die Mehrzahl der Quellen sind aus den Jahren um 1630 und sind damit Produkt von einer der großen Verfolgungswellen.76 Auch zu einer der anderen Wellen, und zwar der um 1580, lässt sich – verglichen mit dem Jahrzehnt davor und danach – eine geringe Häufung feststellen. Da die letzte Welle (um 1660) nach 75 Für die genauen Literaturangaben und Archivnachweise siehe Anhang C.1. 76 Vgl. oben, S. 188 dieser Arbeit.
4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
OBERDEUTSCH
MITTELDEUTSCH
NORDDEUTSCH
192
nordwestdeutsch Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 westmitteldeutsch Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehweiler 1610 Gerolstein 1633 Hamm 1592 Herborn 1630 Höchst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersheim 1630 Wallhausen 1628 Wittgenstein 1629 westoberdeutsch Augsburg 1625 Baden 1640 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brugg 1620 Günzburg 1613 Hechingen 1648 Leonberg 1641 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Rapperswil 1595 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629 Stein am Rhein 1667
nordnorddeutsch Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandf. 1614
nordostdeutsch Blankensee 1619 Borgfeld 1587 Crivitz 1642 Güstrow 1615 Passow 1577 Perleberg 1588 Schivelbein 1635 Schwerin 1620 Seehausen 1633 Stettin 1620 Stralsund 1630 Wüstenfelde 1590
ostmitteldeutsch Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618
nordoberdeutsch Bamberg 1628 Bettenhausen 1611 Coburg 1670 Hildburghausen 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 WolframsEschenbach 1630
ostoberdeutsch Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenberg 1653 Reichertshofen 1629 St. Lambrecht 1602 Wartenburg 1614
Tabelle 4.2: Liste aller untersuchten Texte, geordnet nach Sprachlandschaften
4.3 Räumliche und zeitliche Gliederung des Korpus
193
dem eigentlichen Kernzeitraum situiert ist, schlägt sie sich in den hiesigen Quellen nicht nieder. Die späteren Quellen wurden hauptsächlich um einer landschaftlich ausgewogenen Verteilung willen in das Korpus integriert, in einer Art Kompromiss zwischen einer zeitlichen Konzentration, die im Zuge einer synchronen Sprachbeschreibung notwendig erscheint, und einer geographisch breiten Streuung. Dieser Kompromiss wird insbesondere an der österreichischen Quelle Feldbach 1674 deutlich, welche die jüngste aller untersuchten ist aber dennoch wegen ihrer geographischen Lage aufgenommen wurde. Wie erwähnt findet die Hexenverfolgung in Österreich ohnehin erst später statt, sodass frühere Quellen schwerer aufzufinden sind. Der so entstandene Zeitraum erstreckt sich somit über etwa 100 Jahre (1565–1674), was einerseits mehr als die beiden von Guchmann untersuchten Zeitschnitte ist und andererseits einen Teil des Zeitraums abdeckt, den Guchmann unter anderem wegen der Kriegswirren ausgespart hat. In ihrer Studie wird die Entscheidung zur Aussparung der Zeit zwischen ihren Untersuchungsräumen unter anderem jedoch dadurch begründet, dass die Textsorten, die sie im ersten Zeitraum untersucht hat, im zweiten nicht mehr existieren. Im Gegensatz dazu sind die hier untersuchten Texte aus dem gesamten Zeitraum zahreich überliefert, und im Wesentlichen ändert sich auch ihre Gestalt im Verlauf der gut 100 Jahre nicht. Es wäre nun vielleicht einzuwenden, dass diese zeitlich breite Streuung der Quellen eine synchrone Sprachbeschreibung nicht ermöglicht. Dem ist entgegenzusetzen, dass sich die untersuchten Texte in der Tat stark ähneln, weswegen die synchrone Beschreibung dennoch in Angriff genommen wird. Sollten sich allzu starke Abweichungen zwischen den ältesten und den jüngsten Quellen ergeben, wird dem Altersunterschied freilich Rechnung getragen. In Anbetracht der Notwendigkeit zum Kompromiss zwischen landschaftlicher Ausgewogenheit und zeitlicher Konzentration ist die folgende Verteilung von Wörtern und Konjunktivformen in den Sprachlandschaften entstanden:77
77 Weitere überblicksartige statistische Angaben sind in Tabelle A.1 (S. 452) im Anhang dieser Arbeit zusammengestellt.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik Landschaft nnd. nwd. nod. wmd. omd. nobd. wobd. oobd.
Konjunktive 928 1386 934 1464 1088 842 1592 1361
Wörter 15388 22188 20891 28137 17128 12959 27497 22623
Die Werte bewegen sich also bei den Konjunktivformen zwischen ca. 850 und 1600, wobei die geringste Anzahl in der von der Fläche her kleinsten Region (dem Nobd., vgl. Abbildung 4.1, S. 187) zu finden ist. Die Verfolgungsintensität ist in diesen Werten insofern reflektiert, als im Gebiet der norddeutschen Tiefebene (nnd.) und im mittleren Osten (omd.) die Belegzahlen geringer ausfallen. Der mittlere und südliche Westen, wo viele Prozesse stattfanden, ist dagegen stärker vertreten. Die nod. Region ist wiederum geringer besetzt, was daran liegt, dass sie das sowohl verfolgungsintensive Mecklenburg als auch das verfolgungsarme Kurbrandenburg sowie Pommern vereint, wobei bezüglich der zuletzt genannten Region die Quellenlage ein Problem darstellt.
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus Um die Texte gezielt und mehrfach nach Formen durchsuchen zu können, die im Zusammenhang der Redewiedergabe interessieren – also insbesondere redeeinleitende Elemente, Formen des Konjunktivs I und II, Formen des Indikativs, modusambivalente Formen – wurden sie manuell bei dreimaligem Durchlesen mit grammatischen Annotierungen versehen. Für diese wird hier und im Folgenden der entsprechende englische Terminus „Tags“ gebraucht. Die verwendeten Tags sind in Tabelle 4.3 (S. 196) aufgeführt. Einige von ihnen mögen relativ durchsichtig sein, wie zum Beispiel [mv]1. Dieses Tag steht für „eindeutiger (d. h. modusdistinkter, nicht ambivalenter) Konjunktiv I eines Modalverbs in indirekter Rede“. Andere hingegen sind nicht undbedingt durchsichtig, und das trifft insbesondere auf die Redeeinleitungen zu. Damit die hier angewandte Methodik nachvollziehbar wird, sind in Anhang A.11 Beispielsätze zusammen-
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
195
gestellt, in denen die Tags belassen sind, damit diese im Kontext illustriert werden. In Tabelle 4.3 sind zu jeder Markierung die entsprechenden Beispiele vermerkt.78 Mit Tags versehen wurden alle Verbformen innerhalb und außerhalb der Redewiedergabe, die Redeeinleitungen sowie die afiniten Konstruktionen. Bei den Konjunktivformen wurde nach Konjunktiv I und II differenziert, etwaige Modusambivalenz sowie die Verbart markiert. Die 60 graphischen Varianten der Formen von haben und sein 79 wurden nicht mit Tags versehen, sondern für jede Quelle einzeln zusammengestellt, um gezielt nach ihnen suchen zu können. Was die Konjunktivformen anbetrifft, wurden alle in der Redewiedergabe auffindbaren Formen gezählt inklusive der in Konditional-, Final- oder Wunschsätzen. Zwar sind dies spezielle, den Konjunktiv erfordernde Satzarten. Da sie aber in der indirekten Redewiedergabe auftreten, ist nicht auszuschließen, dass die Verwendung der Konjunktivart auch in diesen Sätzen mit der in den übrigen, Aussagen wiedergebenden Sätzen übereinstimmt. Diese Vorgehensweise ist besonders deswegen erforderlich, weil auch eine regionale Verwendung des Konjunktivs in diesen Sätzen im Zusammenhang der Redewiedergabe untersucht werden soll. Zu den Formen des Indikativs innerhalb und außerhalb der Redewiedergabe wurde zusätzlich das Tempus vermerkt, bei denen außerhalb der Redewiedergabe unter anderem auch, um das Grundtempus der jeweiligen Quelle feststellen zu können. Imperative und Infinitive in der Redewiedergabe wurden ebenfalls gekennzeichnet sowie einige seltene AcI-Konstruktionen. Bei den Redeeinleitungen wurde einerseits das Tempus vermerkt, andererseits wurde die Abwesenheit finiter Verbformen gekennzeichnet, z. B. können sie aus einem Partizip oder einem Substantiv bestehen, auch können sie afinit konstruiert sein. Zusätzlich zu den Verbformen wurden in der Redewiedergabe auftretende Konditional- und Finalsätze gekennzeichnet, um diese später gesondert untersuchen zu können. 78 Die Nummern in der rechten Spalte der Tabelle beziehen sich auf die Beispielsätze A.1–A.22 auf den Seiten 492–495 in Anhang A.11. 79 Diese Varianten sind: hab, habe, haben, habn, habs, hadde, häete, haett, hät, hätt, hatte, hätte, hätten, hebb, hebbe, hebben, hedde, hedden, het, hete, heten, hett, hette, hetten, hetts, sei, seie, seien, seij, sein, sej, seje, sejen, seüe, sey, seye, seyen, seyest, seyn, seynnt, si, sie, sin, sy, sye, syn, wär, wäre, wären, wehr, wehre, wehren, wehrn, wer, were, weren, werest, werr, where, wheren.
196
4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Verbformen innerhalb von Redewiedergabe [stv] starkes Verb im Konjunktiv [swv] schwaches Verb im Konjunktiv [mv] Modalverb im Konjunktiv 1 Konjunktiv I 2 Konjunktiv II [ind] indikativische Verbform (bis auf wenige Ausnahmen durchweg im Präsens) [0] afinite Konstruktion [ne] modusambivalent (nicht eindeutig) [imp] Imperativ [inf] Infinitiv Redeeinleitungen einfacher Redewiedergabe [reps] Redeeinleitung im Indikativ Präsens [repf] Redeeinleitung im Indikativ Perfekt [rept] Redeeinleitung im Indikativ Präteritum [repq] Redeeinleitung im Indikativ Plusquamperfekt [re0] Redeeinleitung mit Auxiliarellipse (z. T. afinite Konstruktion) [reS] substantivische Redeeinleitung („Antwort: . . . “, „Illa: . . . “) [part] partizipiale Redeeinleitung („Gefragt, ob . . . “, „Bekannt, dass . . . “) [reA] adjektivische Redeeinleitung („Wahr, dass . . . “) [re?] abgekürzte, nicht näher bestimmbare Redeeinleitung („R“, „Rsp.“) Redeeinleitungen eingebetteter Redewiedergabe [reps]° Redeeinleitung im Konjunktiv Präsens [repf]° Redeeinleitung im Konjunktiv Perfekt [rept]° Redeeinleitung im Konjunktiv Präteritum [repq]° Redeeinleitung im Konjunktiv Plusquamperfekt [re0]° Redeeinleitung mit afiniter Konstruktion [reS]° substantivische Redeeinleitung („mit den Worten, . . .“) [part]° partizipiale Redeeinleitung („sagend /drohend /bittend, dass“) Verbformen außerhalb der Redewiedergabe [ps] finite Verbform im Indikativ Präsens [pf] finite Verbform im Indikativ Perfekt [pt] finite Verbform im Indikativ Präteritum [pq] finite Verbform im Indikativ Plusquamperfekt [00] afinite Konstruktion außerhalb der indirekten Rede Tabelle 4.3: Liste der verwendeten Tags
A.5 A.7 A.11 A.1 A.7 A.4 A.2 A.12 A.18 A.17
A.1 A.2 A.3 A.5 A.6 A.9 A.7 A.7 A.8
A.11 A.12 A.13 A.13 A.16 A.15 A.19
A.20 A.5 A.20 A.22 A.5
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
197
Nach diesen Vorarbeiten wurden mit Hilfe des Simple Concordance Program von Alan Reed80 für jede Quelle einzeln Konkordanzen erstellt, die alle relevanten Formen enthalten. Überdies wurden spezifische Konkordanzen für die einzelnen Verbarten und die Redeeinleitungen erstellt, in Tabellen zusammengefasst und mit zusätzlichen Markierungen versehen, wie etwa Ursprung (Quelle und landschaftliche Zugehörigkeit) des Beispielsatzes, Konjunktivart oder Tempus des im Kontext als nächstes folgenden Verbs, Numerus der Verbform etc. Anhand dieser Konkordanzen wurden dann Zählungen vorgenommen, und zwar jeweils doppelt – einmal für die Quellen im Einzelnen und zum anderen für die Verbarten und Redeeinleitungen einzeln –, sodass Fehler durch die Kontrolle des zweifachen Zählens umgehend entdeckt und vermieden werden konnten. Die Zählweise ist nicht selbsterklärend. Schon in Anbetracht der Kontroverse zwischen Jäger und Becher/Bergenholtz81 muss sie detailliert und nachvollziehbar dargestellt werden, damit die Ergebnisse dieser Arbeit später eingeschätzt und mit anderen Ergebnissen verglichen werden können. Insbesondere den Umgang mit der Modusambivalenz betreffend kann man unterschiedliche Entscheidungen treffen. Beispielsweise können modusambivalente Formen gänzlich außer Acht gelassen werden, sie können aber auch generell als Konjunktive betrachtet werden, oder sie werden neutral quasi als vierter Modus neben Indikativ, Konjunktiv und Imperativ als „Ambivalent“ betrachtet. Zusätzlich entsteht bei einer Untersuchung des Frühneuhochdeutschen das Problem, dass in den Texten einige Formen auftreten, die aus heutiger Sicht ambivalent wirken, von denen man aber nicht wissen kann, ob die Zeitgenossen diese Ambivalenz ebenso empfunden haben. Der Umgang mit der Modusambivalenz und die Behandlung der afiniten Konstruktionen sind Gegenstand der folgenden Abschnitte 4.4.a) und 4.4.b). Danach wird auf die Redeeinleitungen einzugehen sein, von denen die meisten einer weiteren Erklärung bedürfen.
80 Dieses Programm ist unter http://web.bham.ac.uk/a.reed/textworld/ scp/ kostenlos erhältlich (Stand: August 2006). 81 Vgl. Abschnitt 2.2.e ), S. 41 dieser Arbeit.
198
4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
4.4.a) Modusambivalente Formen Die vorliegende Untersuchung hat sich, wie alle Konjunktivuntersuchungen, mit dem Problem der Modusambivalenz potenzieller Konjunktivformen auseinanderzusetzen. Es gilt, die modusambivalenten Formen zu identifizieren und dann zu entscheiden, ob mit Hilfe des Kontextes der Modus mit annähernder Sicherheit bestimmt werden kann, oder ob die Form als unwiderruflich modusambivalent gesondert betrachtet werden muss. Mit Blick auf die Formen, die im Frühneuhochdeutschen überhaupt modusambivalent sind, kann festgehalten werden, dass die heute zu beobachtende weitgehende Konvergenz der Indikativ- und Konjunktivparadigmen bereits vorhanden war. Distinktiv sind demnach nur die folgenden Konjunktivformen: im 1) 2) 3)
Präsens alle Formen des Verbs sein die 3. Person Singular aller Verben alle Singularformen der ehemaligen Präteritopräsentien, d. h. der Modalverben sollen, können, mögen, müssen, dürfen sowie des Verbs wissen
im 1) 2) 3) 4)
Präteritum alle Formen des Verbs sein alle Formen des Verbs haben die Singularformen aller starken Verben die Pluralformen der starken Verben mit umlautfähigem Stammvokal 5) alle Formen der Modalverben mit umgelauteten Stammvokal (müssen, können, dürfen 82 ) zuzüglich werden 6) alle Formen der sogenannten „rückumlautenden“ schwachen Verben wie kennen, brennen 82 Zuweilen können die Konjunktiv-II-Formen von sollen und wollen im Frühneuhochdeutschen umgelautet und damit eindeutig sein (söllte, wöllte), da in manchen Mundarten auch bei diesen beiden Verben Umlaute im Konjunktiv eingetreten sind (vgl. Schirmunski 1962, S. 551). Hier sind diese Formen insgesamt jedoch sehr selten: Es tritt nur sechs Mal wöllte auf, sodass damit in der Regel alle Präteritumformen von sollen und wollen modusambivalent sind.
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
199
Ambivalent sind damit alle Pluralformen im Präsens, die Pluralformen der nicht umgelauteten starken Verben und Modalverben sowie alle Präteritumformen der übrigen schwachen Verben. Ein Vorteil des vorliegenden Korpus ist hingegen, dass fast ausschließlich Verbformen in der 3. Person in ihm enthalten sind. Auch sind mehr Singular- als Pluralformen zu finden, was die Anzahl modusambivalenter Formen relativ gering hält, wenngleich sie vorhanden ist.83 Die Ambivalenz kann dadurch aufgewogen werden, dass eine einzelne ambivalente Form inmitten vieler eindeutiger Konjunktivformen vorkommt.84 Das folgende Beispiel beweist, dass in solchen Fällen in der Tat ein Konjunktiv intendiert sein kann: (4.33) Diese dinger, |wehren+ hielten sich in alten Wänden auf. Seyen gewiß dem kinde die bößen dinger gewesen (Barby 1641, fol. 13v, vgl. Anhang B.2, S. 525) Der Schreiber wollte hier zunächst die eindeutige Konjunktiv-IIForm wehren setzen, hat diese jedoch gestrichen, weil er sich für eine andere Formulierung entschied, in der die ambivalente Form hielten auftritt. Da überdies die ambivalente Form inmitten eindeutiger Formen vorkommt, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Konjunktiv. Formen wie diese werden in der vorliegenden Untersuchung als modusambivalent betrachtet, gehen aber in alle Überblicksdarstellungen zur Konjunktivverwendung ein, da sie durch den Kontext ausreichend disambiguiert sind. Lediglich in speziellen Untersuchungen – wie zum Beispiel bei Beantwortung der Frage, ob es die Ersatzregel in den Texten gibt85 – werden die eindeutigen und modusambivalenten Formen gesondert betrachtet. Nicht als modusambivalent betrachtet werden hingegen diejenigen Formen, welche zwar aus heutiger Sicht ambivalent erscheinen, bei denen aber nicht sicher ist, ob sie im 17. Jh. als modusambivalent empfunden worden sind. Zusätzliche Ambivalenz erzeugende 83 Für die genauen Werte vgl. Abschnitt 5.4.c ), S. 335 dieser Arbeit. 84 Dieses Verfahren wird auch von Schöndorf (1989) angewendet, der zu den „ambivalenten Verbformen“ bemerkt, dass sie „nur dann eindeutig werden, wenn sie parallel zu einer Konjunktivform vorkommen“ (S. 85). Jäger (1971) ist ebenso vorgegangen, indem er sich an „Leitkonjunktiven“ orientiert (vgl. ebd., S. 144 sowie Abschnitt 2.2.e ), S. 42 dieser Arbeit). 85 Vgl. unten Abschnitt 5.4.c ), S. 334 dieser Arbeit.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Umstände sind die e-Apokope, die nicht immer durchgeführte Bezeichnung der Umlaute sowie Rundungs- und Entrundungsprozesse. Zwar wäre es möglich, dass diese Prozesse auch für die Zeitgenossen Ambivalenz erzeugt haben, jedoch kann man dies heutzutage nicht ohne Weiteres feststellen.86 Würden diese Formen in die Betrachtung mit einbezogen, könnten die Ergebnisse unter Umständen verfälscht werden und wären in jedem Fall einem Vergleich mit dem heutigen Ausmaß der Modusambivalenz abträglich. Zudem lässt sich die frühneuhochdeutsche zusätzliche Modusambivalenz relativ gut disambiguieren, indem andere Formen, an denen diese lautlichen Prozesse gleichermaßen zu beobachten sind, als Vergleich herangezogen werden. Auf diese Weise lässt sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmen, ob es sich bei den betroffenen Verbformen um Indikative oder Konjunktive handelt. Die Entscheidungsfindung ist im Folgenden für die einzelnen Prozesse dargestellt. e-Apokope und e-Epithese Die e-Apokope ist nicht in allen Sprachlandschaften und zu jeder Zeit gleich stark verbreitet. Ab dem Beginn des 13. Jhs. breitet sie sich, ausgehend vom Bairischen, langsam nach Norden und Osten aus. Im 15. Jh. erreicht sie auch das Omd., wo sie jedoch nicht so stark Fuß fasst wie weiter südlich (vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 80–81). Die Apokope kann einerseits Formen entstehen lassen, die uns als Indikativ oder zumindest ambivalent erscheinen, wie zum Beispiel beim Modalverb sollen, wo in nicht-apokopierter Form sich die erste bis dritte Person Präsens Singular Konjunktiv vom Indikativ unterscheidet, die erste und dritte jedoch durch die Apokope mit dem Indikativ zusammenfallen (ich/er soll vs. ich/er solle oder aber ich/er soll in apokopierter Form). Andererseits führt die Apokope nicht immer zu Modusambivalenz, da auch ein Nullmorphem als Modusindikator dienen kann, wie zum Beispiel beim starken Verb gehen in der dritten Person Singular Präsens (er geht vs. er geh, vgl. Guchmann 1981, S. 131).87 Ab der zweiten Hälfte des 16. Jh., aus86 Zeitgenössische Aussagen über Modusambivalenz, bzw. über die Ersatzregel, sind in den Grammatiken nicht zu finden. 87 Guchmann (1981) stellt in ihren Kapiteln zum Formenbestand die Konsequenzen der e-Apokope für die Modusambivalenz zusammen: Für ihren ersten Betrachtungszeitraum und das Präsens stellt sie im Nd. einige weni-
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
201
gehend vom Omd., lässt sich als ein der Apokope zuwider laufender Prozess die Restituierung des e beobachten; die e-Apokope geht somit langsam wieder zurück (vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 81). Zugleich entsteht eine weitere Gegentendenz, die über die Restituierung hinaus geht, und zwar die e-Epithese (auch unorganisches oder „falsches“ e genannt). Diese Erscheinung zeigt sich am häufigsten in der ersten und dritten Person Singular Indikativ Präteritum (ebd., S. 82).88 Dadurch kann es zu einer zusätzlichen augenscheinlichen Modusambivalenz des Indikativs kommen, wenn zum Beispiel ein Indikativ Präteritum wie rieth durch die Epithese zu riethe wird (vgl. Guchmann 1981, S. 227). Guchmann merkt dazu an, dass solche Formen jedoch oft mit Hilfe des Kontextes zu klären seien, wie zum Beispiel in dem folgenden Satz: (4.34) darum riethe er ihme, er solle wieder . . . kommen (BiSch, S. 10) Zur Entscheidung, ob eine solche Form indikativisch oder konjunktivisch ist, wurde einerseits betrachtet, ob sich in ihrer Umgebung Indikativ- oder Konjunktivformen befinden. Zusätzlich wurden ege apokopierte Formen fest, im Wmd. hingegen gar keine. Die omd. Texte ihres Korpus lassen sich in drei Gruppen einteilen: erstens ohne Apokope, zweitens überwiegend apokopiert und drittens Texte, in denen beide Varianten nebeneinander vorkommen. Im Wobd. überwiegen die apokopierten Formen, wobei es Unterschiede von Text zu Text gibt. Im Oobd. ist die Apokope dagegen wieder weniger häufig (vgl. Guchmann 1981, S. 130– 133). Guchmann stellt dabei fast keine Gattungsunterschiede fest: Allein die „volkstümlicheren Gattungen“ wie Dialoge und Volksbücher zeigen „eine besondere Neigung zu den Kurzformen“ (ebd., S. 134). Im Präteritum sehen die Verhältnisse ähnlich aus, nur im Wmd. ist die Form wer (= wäre) verbreitet (vgl. ebd., S. 135–136). Für den zweiten Zeitraum gelten sie gleichermaßen (vgl. ebd., S. 226–227). 88 Der Prozess der Restituierung des e ist ein weiterer Grund dafür, die durch Apokope als modusambivalent erscheinenden Formen nicht als solche zu betrachten. Es wäre zwar denkbar, Quellen, in denen viel derartige Ambivalenz zu finden ist, mit solchen Quellen zu vergleichen, in denen diese Art von Ambivalenz selten ist. Man wüsste dann jedoch nicht, ob die Schreiber zur Vermeidung von Modusambivalenz ein e verwendet haben oder ob die Restituierung dessen bereits eingesetzt hatte. Guchmann wertet die Abnahme der Apokope hingegen als bewusste Abnahme von Modusambivalenz (vgl. Guchmann 1981, S. 263 sowie Abschnitt 3.3.d), S. 123 dieser Arbeit).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Apokope und e-Epithese in anderen Positionen89 betrachtet. Waren beispielsweise die Apokopen selten oder ganz abwesend, wurde die Form als Indikativ gewertet, andernfalls als Konjunktiv. Bezeichnung des Umlauts Wie oben erwähnt, können im Präteritum Umlaute dazu dienen, den Konjunktiv eindeutig zu markieren, wie zum Beispiel in sprangen vs. sprängen oder wuste vs. wüste. Wenn der Umlaut allerdings nicht bezeichnet wird, ist diese Opposition nicht mehr vorhanden und die Form des Konjunktivs Präteritum mit dem Indikativ identisch. Die Umlautbezeichnung hat sich in den einzelnen Sprachlandschaften zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt: das Obd. war am progressivsten, dort ist bereits im 14./15. Jh. ein ausgebautes Bezeichnungssystem in Gebrauch. Im Md. geht die Entwicklung langsamer voran: Dort wird zunächst nur der Umlaut von /a/ durch ein e bezeichnet, zwischen Ende des 15. und Mitte des 16. Jhs. werden dann auch Umlaute von /o/ und /u/ bezeichnet. Im Norden blieb der Umlaut lange gänzlich unbezeichnet, und diese Praxis hat dem Einfluss der Schreibtradition aus dem Süden lange Stand gehalten. Ab dem 17. Jh. ist das Bezeichnungssystem der Umlaute in den Drucken dann weitgehend einheitlich geregelt (vgl. Reichmann/Wegera 1993a, S. 34–35). Was über die Drucke in der Frühneuhochdeutschen Grammatik ausgesagt wird, gilt allerdings nicht im gleichen Maße für die in dieser Arbeit untersuchten Handschriften. So ist unter anderem in manchen norddeutschen Quellen des 17. Jh. lediglich der Umlaut von /a/ in beispielsweise were oder hette bezeichnet, nirgends jedoch der von /o/ bzw. /u/, was die Formen des Konjunktivs Präteritum von können, wissen, müssen, um nur die am häufigsten vorkommenden zu nennen, wie Indikative erscheinen lässt. Wenn man aber die Beobachtungen zur Umlautbezeichnung, die anhand von Drucken gemacht werden können, auf die Handschriften überträgt, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Form wuste in einer nord- oder mitteldeutschen Quelle als 89 Zu denken ist hier zum Beispiel an die Apokope bei Substantiven im Nominativ Plural Mäus oder bei durch Umlaut als Konjunktiv ausgewiesenen Formen (kem = käme) sowie an die Epithese im Imperativ Singular (Komme her! ) oder im Präsens von Modalverben (ich mage) (vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 80–83).
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
203
Konjunktiv verstanden werden kann, wenn sie von eindeutigen Konjunktivformen umgeben ist und zudem in der betreffenden Quelle die Umlautbezeichnung generell fehlt oder selten ist. Bei manchen Verben kann es auch zum Formenzusammenfall von Konjunktiv I und II kommen, wenn der Umlaut von /a/ durch e bezeichnet ist.90 So sind zum Beispiel bei sehen oder auch sprechen Konjunktiv I und II identisch: er sehe – er sehe (= er sähe). Diese Fälle sind aber in den untersuchten Texten sehr selten, und auch hier helften die umgebenden Formen sowie ein Blick auf die Umlautbezeichnung in anderen Wörtern bei der Entscheidung, um welchen der beiden Konjunktive es sich handelt. Wenn zum Beispiel in einer Quelle der Umlaut von /a/ in vielen Wörtern durch ä bezeichnet ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sehe ein Konjunktiv I ist. Rundung und Entrundung Entrundungsprozesse zeigen sich in frühneuhochdeutschen Texten dadurch, dass anstelle der mhd. Schreibungen ü, iu, ö, oe, öu und üe im Frnhd. mitunter i, e, ei und ie erscheinen (vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 75). Allerdings ist dieses wiederum auf eine Anzahl von Sprachlandschaften beschränkt. Betroffen ist der hochdeutsche Sprachraum mit Ausnahme des Hchalem., Rip., Ofrk., Hennebergisch/Ohess. und nördlicher Teile des Mosfrk. Zugleich treten hyperkorrekte Schreibungen auf. So können in demselben Text entrundete Formen wie glick (Glück), kreiz (Kreuz) neben hyperkorrekten wie bösser (besser) stehen. Diese hyperkorrekten Formen sehen aus wie Rundungen, aber sie „müssen sehr sorgfältig von eigentlichen Rundungsprozessen unterschieden werden, obgleich das in der Praxis kaum möglich ist“ (ebd., S. 75, Anmerkung 1). Echte Rundungen finden sich in fast allen der Ausnahmegebiete von der Entrundung: im Hchalem., Ofrk., und Hennebergisch/Ohess. Sie betreffen vor allem die mhd. Schreibungen i, î, e und ê, an deren Stelle im Frnhd. ü oder ö in den Texten auftreten und zwar besonders nach w und vor l oder sch (vgl. ebd., S. 76). In Sachen Modusambivalenz ist nun von den Rundungsund Entrundungsprozessen insbesondere das Verb werden betroffen. 90 Aus diesem Grund klammert Behaghel diese Formen aus seiner Untersuchung aus, vgl. Anmerkung 36 in Kapitel 3, S. 92 dieser Arbeit.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
So kann die Form wird in einem Entrundungsgebiet eine apokopierte Variante des Konjunktiv Präteritum würde sein, obwohl sie wie Indikativ Präsens aussieht, ebenso wie die Form würd in einem Rundungsgebiet die Erscheinungsform des Indikativ Präsens wird sein kann, obwohl sie wie eine apokopierte Konjunktivform aussieht (vgl. Guchmann 1981, S. 137). Solche Formen sind allerdings im vorliegenden Korpus extrem selten, genauer gesagt erscheinen sie exakt zwei Mal. In dem folgenden Beispiel aus dem schweizerischen Baden ist die Form würd zum Beispiel eindeutig als Indikativ zu werten, da sie in indikativischer Umgebung (Urteilsverkündung) auftritt.91 (4.35) Also das Wo meine herrn einen Solchen In ihren gerichten angriffen, Sie alsdan über ihne richt[en] vnd urtheilen mögen, Wie über disse gegenwertige Persohn vff der heüttigen tag geurtheilt vnd gerichtet würd. (Baden 1640, fol. 9r, vgl. Anhang B.3.a), S. 512) Wiederum fällt die Entscheidung hier aufgrund des Modus im umgebenden Kontext sowie aufgrund anderer Rundungen und Entrundungen im betreffenden Text. Das Verb haben Das Paradigma von haben birgt spezielle Probleme der Modusambivalenz. Zum einen existiert im Frühneuhochdeutschen bereits dieselbe Modusambivalenz in der ersten Person Singular und allen Personen im Plural des Präsens, die auch in der deutschen Gegenwartssprache zu beobachten ist. In niederdeutschen Texten lautet die modusambivalente Pluralform des Präsens allerdings nicht haben, sondern hebben. Zudem ist in manchen Sprachlandschaften auch der Konjunktiv Präteritum mit dem Indikativ identisch. Im niederdeutschen Dialektgebiet dient die Formen hadde im Singular und hadden im Plural als Präteritum beider Modi. In rein niederdeutschen Texten kann eine eventuell intendierte Modalität also nur dem Kontext entnommen werden.92 Auch die Form hatte ist in norddeutschen 91 Weniger leicht fällt die Entscheidung jedoch beim zweiten Beispiel, das hier als (6.6) (S. 412) zitiert ist (vgl. dazu dort). 92 Vgl. Guchmann 1981, S. 137–138. Sie zitiert einen irrealen Konditionalsatz als möglichen Kontext, in dem die Form hadde vermutlich Konjunktiv Präteritum ist: „Vnde Jason hadde in dem middel des vures sin leuent gelaten,
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
205
Texten, die in einem Hochdeutsch mit niederdeutschen Relikten gehalten sind, aus dem Grund potenziell modusambivalent, weil es sich um eine verhochdeutschte Form vom modusambivalenten hadde handeln könnte. Im Wobd. und Oobd. sind zudem die Präteritumformen het, hett, hette(n) modusambivalent (vgl. Guchmann 1981, S. 138–138). Als Beispiel zitiert Guchmann einen Satz aus der Augsburger Chronik, in der eine potenzielle Konjunktivform neben einer potenziellen Indikativform vorkommt: (4.36) und war der widertaufer ainer, die im landt umbzogen, und hett [Indikativ] vil volcks verfuert im paurenkrieg in Francken und sich ausgeben, Got hett [Konjunktiv] mit im geredt (ChrA2 , S. 39) Auch hier wird der Kontext zur Disambiguierung herangezogen. Ein hett oder het, das inmitten von Indikativen vorkommt, ist ganz sicher ein Indikativ und wird als solcher betrachtet. Kommen in einem Protokoll dagegen sowohl die Form hette als auch were gehäuft vor und generell viel Konjunktiv II, ist hett wahrscheinlich ein Konjunktiv und wird deshalb zu den Konjunktivformen gezählt.93
4.4.b) Afinite Konstruktionen Eine gewisse Art von Modusambivalenz erzeugen auch die afiniten Konstruktionen, also eingeleitete Nebensätze ohne finite Verbform. Am häufigsten sind von solchen Ellipsen Perfekt- und Plusquamperfektformen sowie Passivkonstruktionen betroffen, hauptsächlich werden also die Hilfsverben ausgespart (vgl. Ebert 1993, S. 440), in seltenen Fällen sind es auch Modalverben (vgl. ebd., S. 441). Ohne finite Verbform fehlt der Träger des Modus, weswegen sich eine eventuelle modale Bedeutung lediglich annehmen lässt (vgl. Guchmann 1981, S. 227). Eine solche Annahme ist aber selbst in konjunktivischer Umgebung sehr gewagt – im Nachhinein ist schwer festzustelhadde he de vuchticheit nicht in der ossen munt geworpen/ (‘Und Jason hätte in der Mitte des Feuers sein Leben verloren, hätte er nicht die Flüssigkeit in den Mund des Ochsen gegossen’), VbTr2 , S. 90.“ 93 In Gutenhag 1661 tritt zum Beispiel ein hett neben 4 hete und 3 were auf. Indikativformen von haben sind auch zu finden, aber in der Form von hat. Hett wird daher als apokopierter Konjunktiv gewertet.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
len, ob ein Schreiber im 17. Jh. das finite Verb ausgelassen hat, weil er dachte, der Modus sei selbstverständlich oder weil er den Modus bewusst unbezeichnet lassen wollte. Deshalb werden afinite Konstruktionen hier nicht als modusambivalent, sondern als eine eigenständige Struktur betrachtet und gezählt. Eine typische afinite Konstruktion bietet das folgende Beispiel aus dem mecklenburgischen Güstrow. Zur Kennzeichnung der Ellipsen wird das fehlende Hilfsverb (in neuhochdeutscher Form) ergänzt: (4.37) 40. Wahr wie dieser Pries verschienen 4 Januarii deshalb vor dem Rahte zu Gustrow gewesen [wäre], das sein Sohn die Trine Polchowen geschlagen [hätte] (Güstrow 1615, fol. 17v) In diesem Satzgefüge fehlen nach modernem Sprachgefühl zwei Hilfsverben, und soweit man das heute sagen kann, fehlen auch nach frühneuhochdeutschem Sprachgefühl zwei. Deshalb sind hier zwei afinite Konstruktionen veranschlagt worden, eine pro untergeordnetem Satz. Nun gibt es aber eine Reihe von Konstruktionen, die zwar nach heutigem Empfinden stark elliptisch wirken, im Frühneuhochdeutschen einigen Forschungsmeinungen zufolge aber nicht elliptisch sind. Diese sind von den afiniten Konstruktionen, wie sie in Beispiel (4.37) dargestellt sind, zu unterscheiden. In diesen Konstruktionen ist jeweils nur ein Hilfsverb ausgelassen; es handelt sich also ebenfalls um eine Art Auxiliarellipse, jedoch um keine vollständige. Solche elliptischen Konstruktionsweisen sind von Ebert zusammengestellt worden. Seine Übersicht (vgl. Ebert 1993, S. 440–441) wird im Folgenden paraphrasiert wiedergegeben, durch die Darstellung von Schröder (1985) ergänzt und anhand einiger Beispiele, welche die beiden Autoren nennen, illustriert: 1. Zwei oder mehr Verben im Perfekt oder Plusquamperfekt sind in einer Aufzählung miteinander koordiniert, nur ein Hilfsverb wird genannt. a) Die Verben bilden die periphrastischen Formen mit demselben Hilfsverb, Person und Numerus sind identisch:
4.4 Grammatische Annotierung des Korpus
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Alleine uns der hochgeborn Rudolf hertzoge zu Ostrich, unsirre lieber sun und furste, gebeten habe flitzlich und darum sine botschaft zu uns getan 94 b) Die Verben bilden die periphrastischen Formen mit demselben Hilfsverb, Person und Numerus sind verschieden: . . . dz die laster vßgetrib¯e werden / vnd das fleisch gezempt 95 c) Einige der Verben bilden die periphrastischen Formen mit haben, die anderen mit sein: e Und wann ouch der egenant Johans Erbe in s ulcher meynung von uns und us unserm hofe geritten ist durch seines geschefftes willen, das er doheym zu schicken hat, und an seiner stat gelazzen Burgharten seiner bruder 96 2. Ein Verb im Perfekt oder Plusquamperfekt ist mit einer als Vollverb verwendeten Form von haben oder sein durch und verbunden und das ausgesparte Hilfsverb ist mit dieser identisch: nachdem daz von althers herkomen recht unnd gewonheit gewesen und noch ist 97 3. Ein im Hauptsatz verwendetes Hilfsverb ist mit dem im Nebensatz ausgesparten identisch: wie vnter dem Bapstumb geschehen ist / da der glaube gantz vnter die banck gesteckt / niemand Christum fur einen Herrn erkand hat 98 Auxiliarellipsen dieser Art gelten also nicht als afinite Konstruktionen. Demzufolge werden sie in der vorliegenden Untersuchung auch nicht als solche gezählt. In den folgenden beiden Sätzen ist zum Beispiel jeweils nur eine Ellipse anderer Art anzusetzen, nicht aber eine afinite Konstruktion. Die Art der Ellipse ist mit Bezug auf die obige Aufzählung genannt. (4.38) Heten Ihre Zu drinckehn geben, vnd [sie hätte] nur einmahl gedrunckhen (Feldbach 1674, S. 39) (zu 1b) 94 95 96 97 98
Karl IV, zitiert nach Ebert 1993, S. 440. Geiler von Kayserberg, zitiert nach Schröder 1985, S. 32. Karl IV, zitiert nach Ebert 1993, S. 441. Friedrich III, zitiert nach Ebert 1993, S. 441. Geiler von Kayserberg, zitiert nach Schröder 1985, S. 39.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
(4.39) was Ine zu sollichen Wettermach[en] verursacht [habe], was Er daran für freudt oder gewines hab (Mittersill 1575, S. 312) (zu 2) (4.40) [. . .] welge gesagt daß Dieser schaden von bossen leuithen e herKame gestaltden sie denselben auch vff selbiger Mengel auch geheyllet [hätte] vnd hette ihr zu dem Endt allerhand e Kreutter zu vberschlacK vnd rauchPulffer Zum berauchern verordnet [. . .] (Lindheim 1631, S. 189) (zu 3) e
Nicht selten lassen sich in den Hexenprozessakten jedoch Sätze finden, die nach einem der soeben aufgezählten Muster konstruiert sind, in denen aber überhaupt kein Hilfsverb erscheint. In solchen Sätzen ist folglich sowohl eine afinite Konstruktion als auch eine andere Art von Ellipse enthalten. Die folgenden Beispiele aus den Akten mögen diesen Fall illustrieren. Die andere Art von Ellipse, die in den Sätzen neben der afiniten Konstruktion enthalten ist, ist wiederum vermerkt. (4.41) [. . .], welche wie folget solche nochmahlen in guete bestetiget und bekanndt [hat]. (Stettin 1620, S. 7) (zu 1a) (4.42) [. . .] ein Stuckh Brotts gegeben, welchs er in sein Schapp gelegt [hätte] vnd [. . .] Perdtzdreckh gewesen [wäre]. (Essen 1589, S. 123) (zu 1c) Diese Beispiele enthalten zwar zwei Ellipsen, aber nur eine afinite Konstruktion. Deshalb wird in allen Sätzen, die den zitierten gleichen, jeweils nur eine afinite Konstruktion gezählt, obwohl zum Teil nach modernem Sprachgefühl zwei Hilfsverben elidiert sind.
4.5 Formen der Redewiedergabe Die typischen Formen der Redewiedergabe können anhand der Texte in Anhang B nachvollzogen werden. Beispielsweise zeigt das Verhörprotokoll aus Baden-Baden 1627 (Anhang B.2, S. 499) die äußerst häufig auftretende Form der berichteten Rede. Dort beginnt nach
4.5 Formen der Redewiedergabe
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einer kurzen situierenden Passage das Bekenntnis der Angeklagten, ohne dass es im eigentlichen Sinne syntaktisch von einer Redeeinleitung abhinge. Die Einleitung endet mit den Worten Auch in der güete bekhant, wie volgt. Alles Folgende ist damit gedanklich von dieser Einleitung und den wenigen gleichartigen, die im Verlauf folgen (fol. 27r u. 29r, S. 500 u. 502), abhängig. Syntaktisch sind die Sätze hingegen zum großen Teil selbständig: Das Verhör beginnt auf fol. 26v (S. 499) in berichteter Rede99 , ohne dass die Redeeinleitung von fol. 26r in Erinnerung gerufen oder wiederholt würde. Nach einer längeren Passage berichteter Rede kann eine weitere Redeeinleitung erscheinen. Diese wirkt wie eine Erinnerung an das hat außgesagt wie volgt vom Anfang (fol. 29v oben, vgl. S. 503). Insgesamt ist dieses Protokoll mit einer Gesamtanzahl von fünf Redeeinleitungen eines derjenigen, welche die wenigsten Redeeinleitungen von allen Texten im Korpus enthalten.100 Die nachfolgenden Urgichten aus Baden 1640–1642 (Anhang B.3, S. 511) enthalten ebenfalls wenige Redeeinleitungen. Zwar sind die Bekenntnisse der Angeklagten einzeln aufgeführt, vor diesen steht jedoch jeweils nur ein Erstlich, Zum 2., Zum 3. etc. und keine separate Redeeinleitung. Anders ist dies in Passow 1577 (Anhang B.8, S. 553). Diese Urgichten enthalten einerseits durchnummerierte Bekenntnisse der Angeklagten, andererseits ist jeder Punkt mit einer Redeeinleitung wie saget sie, hat sie bekandt, Auf die Sechste frage hat sie geandtwortet vnd bekandt o. ä. versehen. In dieser Quelle folgen auf eine Redeeinleitung im Durchschnitt lediglich fünf finite Formen, während es in Baden 28 und in Baden-Baden sogar 41 sind. Auch in einem weiteren im Anhang zu findenden Protokoll, Herborn 1630 (Anhang B.6, S. 539), sind relativ viele Redeeinleitungen enthalten. Dort folgen auf eine Redeeinleitung durchschnittlich neun Formen. Man kann also nicht von der Textsorte unmittelbar auf die Dichte der Redeeinleitungen schließen, die potenziell zu finden sind.
99 Vgl. Abschnitt 2.2.c ), S. 29 sowie 2.3.a), S. 46 dieser Arbeit. 100 Vgl. die Tabelle in Anhang A.5, 463 dieser Arbeit. Die Anzahl fünf betrifft jedoch nur die Einleitungen einfacher Redewiedergabe. Zum Unterschied zwischen einfacher und eingebetteter Wiedergabe vgl. den folgenden Abschnitt 4.5.a).
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
4.5.a) Einfache und eingebettete Redewiedergabe Im gesamten Korpus kommt ausschließlich Redewiedergabe der 3. Person vor, zumeist im Singular, selten im Plural. Gemäß der in Abschnitt 4.1 geschilderten Entstehungssituation der Texte sieht die Kommunikationssituation der Redewiedergabe zumeist aus wie folgt: Eine Angeklagte wird von Richtern, Schöffen, Räten oder anderen Amtspersonen mit oder ohne Anwesenheit eines Scharfrichters verhört, ein Gerichtsschreiber protokolliert das Verhör. Der Schreiber ist demnach der Reportersprecher/schreiber, und das bedeutet, dass deiktische Elemente (insbesondere die Pronomina) potenziell aus seiner Perspektive gewählt sind (Bsp. 4.43). Dementsprechend bezieht der Schreiber sich auf sich selbst in der ersten Person Singular, allerdings tut er das nicht häufig; die Beispiele (4.46) und (4.47) bieten zwei der seltenen Belege. Die Angeklagten sind in der Regel die Originalsprecher. Zuweilen protokolliert der Schreiber während des Verhörs gestellte Fragen oder Zwischenfragen bzw. Kommentare der Verhörenden, die in diesem Fall als weitere Originalsprecher auftreten (Bsp. 4.44). Diese sind nicht immer namentlich genannt (Bsp. 4.45); in solchen Fällen ist nur anhand der Redeeinleitung erkennbar, dass weitere Originalsprecher involviert sind. Sofern kurze Einschübe der Rede von Zeugen oder Denunzianten vorhanden sind, sind diese als weitere Originalsprecher zu betrachten (Bsp. 4.48). (4.43) Sagt habe sich Zwar dem Teufel ergeb[en], Aber Inn d[er] Jesuiter Kirch[en] habe sie Ihm wid[er] abgesagt (Augsburg 1625, S. 110, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 331) (4.44) Als aber Ihre Gestr[enger] d[er] H[err] Amptmann vff Sye [INT] . . . weiter getrungen zu bekennen wie [INT] [et] wo Sye zu ein solche laster kommen [et] wie es fernerner [!] ergangen seye, [. . .] (Hoechst 1631, fol. 166r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 236) (4.45) Hieruf ihr angedeütt worden Man lasse nit von ihr bissie die warheit ihrer verführung anzeige und Solle Man vier wuchen mit ihr vmbgehen (Mergentheim 1628, S. 4, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 449)
4.5 Formen der Redewiedergabe
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(4.46) Ist Inquisitin of vorhergehende 4 Articul abermals in der Güte befraget die hat auf alle vndt Jde Negative respondiret vndt etlichemal vermeldet Sie wehre keine Hexe. Daß Sie gefluchet, deßwegen möchte Sie, so hart, alß ich der Ambt Schößer wolte bestraffet werden (Gommern 1660, S. 154) (4.47) Drüber Sie mich den Stattschreiber gebetten für Sie bey d[en] herren examinatorn für Sie Zu intercedirn, d[a]s Sie möge abgelassen werd[en] (Baden-Baden 1627, fol. 26r, vgl. Anhang B.1, S. 499) (4.48) Darauff dan Albertt Helmichs frawe herauff geprachtt vnd mitt derselben confrontirt, sagt daß Sie ihr daß hexen vor anderthalb Jahren in ihren hause wie Sie Schwartze wöllen von Ihr gekaufft gelehret hette (Osnabrück 1636, fol. 94r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 108) Diese sechs Beispielsätze illustrieren die häufigste Form der in diesem Korpus vorkommenden Redewiedergabe: die einfache, indirekte Redewiedergabe. Daneben, in etwa einem Drittel aller Fälle (902 von 3 052), tritt die hier als eingebettete Redewiedergabe bezeichnete Art von Wiedergabe auf, die sich bezüglich der Kommunikationssituation von der einfachen Redewiedergabe insofern unterscheidet, als alle Gesprächsrollen, Äußerungen und Wiedergaben jeweils mindestens zwei Ausprägungen haben, eine primäre, eine sekundäre und ggf. noch weitere; der letztere Fall ist im Korpus jedoch nicht belegt. Die folgenden Beispielsätze vermitteln einen ersten Eindruck von dieser in den untersuchten Texten recht weit verbreiteten Form der Redewiedergabe.101 Sie kann sowohl als indirekte als auch als direkte Rede realisiert sein. Die eingebettete Redewiedergabe ist der häufigste Kontext, in dem in den Hexenprozessakten direkte Rede zu finden ist, in einfacher Redewiedergabe ist sie äußerst selten.102
101 In diesen Beispielen sind sowohl die eingebetteten Redewiedergabe als auch die ihnen zugehörigen Redeeinleitungen durch Kursivierung hervorgehoben. 102 Vgl. Abschnitt 6.1, S. 411 dieser Arbeit.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
(4.49) Sagt das hette der Ideschen ihr eigner gethan, wie ihr Hans ihr berichtet [. . .] vnd hette ihr Hans zu ihr gesagt, das die Idesche vff sie gelogen hette (Crivitz 1642, S. 8, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 151) (4.50) Bekande er, daß vor ein Vierteil iahr sein Herr Zu ihm gesaget, er solte ihme die hundewiedergeben, er wolte ihme ander bringenn, Welcheß er gethan, aber keine andere bekommen (Bettenhausen 1611, fol. 65v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 443) (4.51) Item bokant das Jacob Raue daruf zu seiner frowen gesagt, du loise hure, was hastu der frowen Ingegeben. (Perleberg 1588, fol. 106v) (4.52) Bekhendt Erstlichen, [. . .] wehre von der Magdalena Steßlin verfiehrt worden, die Habe gesagt, sye solle es mit halten, es wehre Lustig vnd sehr nuz (Feldbach 1674, S. 37) (4.53) Der Teuffel hab ihro hernach gesagt er hab dem medle wider geholffen (Meßkirch 1641, fol. 158r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 382) (4.54) Auf den Vierten: Sie hette ihr lebtage mit Damerath nicht zuthun gehabt: müste aber nachgehends gestehen, das sie sich wegen eins ihr auf dem Embeckischen markte zu nahe gesetzeten tische mit ihme gezanket [. . .], hette sie gesaget: Dat dek ok de Düvel hale, dar du steist. (Göttingen 1649, S. 45, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 35) Das Schema einer prototypischen, eingebetteten Redewiedergabe ist in Abbildung 4.4103 (S. 214) dargestellt, wo einerseits die typischen Besetzungen von Original- und Reportersprechern und andererseits 103 Das Schema ist wie eine Tabelle zu verstehen. Die Zeilen bezeichnen die jeweilige Redesituation, die ersten vier Spalten nennen die Personen, welche typischerweise die in den Zellen genannten Rollen innehaben. In der fünften Spalte ist die der Redesituation zugehörige Art der Wiedergabe dargestellt. Die tiefgestellten Zahlen stehen für primär, sekundär und tertiär; aus Platzgründen ist „Originaläußerung“ zum Teil als „OÄ“ abgekürzt.
4.5 Formen der Redewiedergabe
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ein Beispielsatz, der so oder so ähnlich häufig in den Texten auftritt, zur Illustration dienen. Ausgangspunkt ist die originale Sprechsituation, in der ein Originalsprecher1 , im Beispiel der Teufel, zu Adressat1 , der Angeklagten, etwas als Originaläußerung1 sagt. Im Beispiel ist es die Frage Was bist du so traurig? An dieser Konstellation kann man sehen, dass die Originaläußerung1 nicht real sein muss; in der Tat ist sie es oft nicht. Von der Wiedergabe her rückschließend hat man sich jedoch ein Gespräch zwischen dem Teufel und der Angeklagten oder dem Angeklagten vorzustellen.104 Zumeist geben die Angeklagten die angeblichen Drohungen, Versprechungen, Verführungen, Befehle des Teufels wieder (Bsp. 4.49, 4.52). Die originale Sprechsituation kann natürlich auch als ein Austausch zwischen zwei real existierenden Personen stattgefunden haben, wie zum Beispiel zwischen der Angeklagten und ihrer Lehrmeisterin (Bsp. 4.52). Ob das Gespräch allerdings so stattgefunden hat, wie die Angeklagte es wiedergibt, ist fraglich. Selten geben die Angeklagten sogar eigene Rede wieder (Bsp. 4.54). Die Originaläußerung1 wird im Rahmen des Verhörs zum ersten Mal wiedergegeben (primäre Wiedergabe). Die Angeklagte berichtet als Reportersprecher1 , was beispielsweise der Teufel (oder jemand anders) zu ihr gesagt hat. Empfänger dieser Wiedergabe ist der Protokollant, Adressat2 . Die Wiedergabe erfolgt in der Form einfacher Redewiedergabe, sprich durch eine Redeeinleitung im Indikativ (Der Böse Feind hat gefragt) und eine direkte oder indirekte Wiedergabe der Originaläußerung1 im Indikativ oder Konjunktiv (was bist du so traurig/was ich so traurig sei ). Die Variante in direkter Rede ist wohl die wahrscheinlichere, doch kann man sich dessen in Ermangelung genauerer Informationen das gesprochene Frühneuhochdeutsch betreffend nicht sicher sein. Diese Redewiedergabe der Angeklagten ist nun als Originaläußerung2 zu betrachten, die der Schreiber in seiner neuen Rolle als Originalsprecher/schreiber3 für Adressat3 , den Leser des Protokolls, als Originaläußerung3 schriftlich festhält. Im Protokoll wird die Ori104 Aus heutiger Sicht muss man sich erneut in Erinnerung rufen, dass die Begegnung der Angeklagten mit dem Teufel von allen beteiligten Gerichtspersonen als real verstanden worden ist. Für die Verhörenden waren die Gespräche mit dem Teufel, von welche die Angeklagten im Verhör berichteten, folglich authentisch.
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
Abbildung 4.4: Schema einer eingebetteten Redewiedergabe
4.5 Formen der Redewiedergabe
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ginaläußerung1 nun also zum zweiten Mal wiedergegeben (sekundäre Wiedergabe). Für diese Wiedergabe bedarf es eine neuen Redeeinleitung wie Die Angeklagte hat bekannt, von der die Redeeinleitung aus Originaläußerung2 in erster Ordnung syntaktisch abhängig ist. Diese Redeeinleitung wird in Form einfacher Redewiedergabe berichtet (der Böse Feind habe gefragt ). Die Originaläußerung1 erscheint hier nun in eingebetteter Wiedergabe. Sie ist in erster Ordnung von der wiedergegebenen Redeeinleitung von Originaläußerung2 abhängig und in zweiter Ordnung von der Redeeinleitung aus Originaläußerung3 : (4.55) [3 Die Angeklagte hat bekannt, [2 der böse Feind habe gefragt, [1 was sie so traurig sei/was bist du so traurig.]]] Auf den Begriff „Einbettung“ ist hier aus einer Fülle von Möglichkeiten die Wahl gefallen, weil er das Phänomen „Redewiedergabe innerhalb einer anderen Redewiedergabe“ möglichst knapp und treffend beschreibt.105 Die syntaktische Abhängigkeit der zweiten Redeeinleitung (der Böse Feind habe gefragt) hat nun für das beschreiben105 Die Begriffswahl bedarf allerdings noch weiterer Erläuterung, zumal der Begriff „Einbettung“ im Rahmen der Generativen Transformationsgrammatik etabliert ist, hier jedoch anders verwendet wird. Die zu benennende Art von Redewiedergabe haben die folgenden Autoren gleichermaßen in Protokollen festgestellt: Mihm (1994), Macha (2003a), Topalović (2003) und Rösler (1997). Die von ihnen gewählten Bezeichnungen variieren: „Dialog im Monolog“ (Topalović 2003, S. 193), „Redewiedergabe zweiten Grades“ (Macha 2003a, S. 182), „mehrfach eingebettet[e] direkt[e] Rede“ (Mihm 1994, S. 31). Röslers Interesse gilt den niederdeutschen „Alternanzen“ in den Protokollen, weswegen sie generell von „im Protokoll enthaltenen direkten Redewiedergaben“ spricht (1997, S. 198) und nicht nach dem Grad der syntaktischen Abhängigkeit differenziert. Die Bezeichnung als „Tertiäräußerung“ (im Vergleich zur „Primäräußerung“, der Originaläußerung, und der „Sekundäräußerung“, der einfachen Redewiedergabe), wird von Engelen (1973, S. 48) für die Gegenwartssprache vorgeschlagen (also außerhalb des Kontextes frühneuzeitlicher Verhörprotokolle). Bei der Wahl der hier verwendeten Terminologie wurde versucht, einen Kompromiss zwischen größtmöglich sprechenden und zugleich knapp-prägnanten Bezeichnungen zu finden. Von den soeben genannten Begriffen wären Engelens daher die knappsten, nicht aber die sprechendsten. Auch wenn oben in Analogie zu Engelen ebenfalls zum Teil mit Ordinalzahlen operiert wurde (primäre und sekundäre Wiedergabe), wird auf vollständige Übernahme seiner Terminologie verzichtet, zumal sie nicht kompatibel ist mit der Bezeichnung „Originaläußerung“ für die erste, noch nicht wiedergegebene Äußerung. Größtmöglich sprechend wäre das
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
de Muster der eingebetteten Redewiedergabe zur Folge, dass Redeeinleitungen eingebetteter Redewiedergaben in der Regel ein finites Verb im Konjunktiv enthalten. Somit unterscheiden sie sich von anderen Redeeinleitungen dadurch, dass sie keine temporale Bedeutung tragen. Sie werden hier trotzdem als „Redeeinleitung im Präsens, Perfekt etc.“ bezeichnet, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Tempus, welches diese Redeeinleitungen besitzen, wenn sie zuerst in der primären Wiedergabe im Indikativ erscheinen, die wiedergegebene Erscheinungsform der Originaläußerung beeinflusst. Wenn zum Beispiel, um noch einmal auf den Satz aus dem Schema in Abbildung 4.4 zurückzukommen, die primäre Wiedergabe lautet Der Böse Feind hat gefragt, was ich so traurig sei, so scheint die sekundäre Wiedergabe als der Böse Feind habe gefragt, was/warum sie so traurig sei die nahe liegende zu sein. Sollte die Angeklagte jedoch einen den Regeln der Consecutio temporum entsprechenden Satz wie Der Böse Feind fragte, was ich so traurig wäre geäußert haben, würde die Wiedergabe durch den Schreiber möglicherweise Begriffspaar „einfache Redewiedergabe“ – „verschachtelte Redewiedergabe“, da aber das Adjektiv verschachtelt negative Assoziationen hinsichtlich allzu großer (syntaktischer) Komplexität wecken kann, wird es nicht verwendet. Stattdessen fiel die Wahl auf das knappe und vergleichsweise durchsichtige Begriffspaar „einfach“ – „eingebettet“. Entgegen Mihm wird diese Wiedergabeart jedoch nicht als „mehrfach eingebettete“ Rede bezeichnet. Der Begriff der „Mehrfacheinbettung“ wird in der Generativen Transformationsgrammatik für Gefüge verwendet, die durch Rekursivität entstehen, d. h. unter anderem auch für mehrfach abhängige Nebensätze (vgl. z. B. Radford 1988, S. 128). Insofern ist Mihms Bezeichnungsweise gerechtfertigt. Würde hier jedoch von mehrfacher Einbettung gesprochen, so müsste die als „einfache Redewiedergabe“ bezeichnete Art im Rückschluss als „einfache eingebettete Redewiedergabe“ verstanden werden. Das wäre zwar insofern zu vertreten, als ein in erster Ordnung abhängiger Nebensatz (wiederum im Zusammenhang der GTG) als syntaktisch eingebettet verstanden werden kann, als „embedded clause“ (vgl. z. B. Radford 1981, S. 113). Da es sich bei dieser Wiedergabeart jedoch um den Prototyp handelt – Redeeinleitung plus in erster Ordnung abhängiger Nebensatz –, wäre es der Übersichtlichkeit abträglich, in diesem Zusammenhang von Einfach- und Mehrfacheinbettung zu sprechen, insbesondere als das, was unter syntaktischer Einbettung verstanden wird, nur einen Teil des hier zu Beschreibenden trifft. Schließlich geht es nicht nur um syntaktische Abhängigkeit – oder Einbettung –, sondern um den komplexeren, oben beschriebenen Vorgang, eine kommunikative Handlung innerhalb einer anderen wiederzugeben. Eben dieses soll hier unter „Einbettung“ verstanden werden.
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anders aussehen. Er könnte fragte sowohl in gefragt habe als auch gefragt hätte umwandeln, das wäre aber in beiden Fällen beibehalten oder ebenfalls ändern. Zwar ist es einerseits weniger wahrscheinlich, dass die Angeklagten ihre Redewiedergaben unter Beteiligung des Konjunktivs gestaltet haben, und andererseits ist die mögliche Beeinflussung des Tempus der ursprünglichen Redeeinleitung nur eine entfernte Möglichkeit. Da beides jedoch an dieser Stelle nicht ausgeschlossen werden soll, werden auch die konjunktivischen Redeeinleitungen nach Tempus differenziert, wenn diese Differenzierung auch rein morphologisch begründet ist und vermutlich keine temporale Restbedeutung vorhanden ist, zumal eine nachträgliche Gruppierung nach Konjunktiv I und II stets möglich ist. Es muss aber bedacht werden, dass diese Redeeinleitungen stets von einer übergeordneten, indikativischen Redeeinleitung abhängen und somit ein Teil der Gruppe von 9 595 konjunktivischen Verbformen und 5 273 afiniten Konstruktionen sind, die oben als Teil der Redewiedergabe ausgewiesen wurden. Einfache und eingebettete Redewiedergabe sind mitunter nicht leicht zu unterscheiden. Bei manchen Belegen kann die Verbwahl innerhalb der Redewiedergabe nämlich den Eindruck erwecken, es handle sich bei Nebensätzen, die von Hauptsätzen mit Verben wie bekennen oder glauben abhängen, um eingebettete Redewiedergabe: (4.56) 11. Sagt, wie ob Ihr muetter habe sie allso angelehrnet, die Heüchelerin ab[er] vnd d[as] Annalein sejen vnschuldig, vnd haltte darfür, Ihr muetter habe gemaint, man solle die böß vnd d[as] Annale [ver]brennen, damit sie leer ausgehen; bekenne, daß sie beed[en] vnrecht gethon habe, (Augsburg 1625, S. 111, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 332) Dieses Beispiel enthält zunächst eine Redeeinleitung im Indikativ Präsens (sagt). Daneben erscheinen die Verben dafürhalten und bekennen im Konjunktiv, d. h. als Teil indirekter Redewiedergabe. Von beiden Verben hängt jeweils ein Nebensatz ab, einmal mit Verbzweit-, einmal mit Verbendstellung. In dieser Form könnte man sie als eingebettete Redewiedergabe verstehen, in welcher die Angeklagte einerseits ihre eigenen Gedanken und andererseits ein Geständnis wiedergibt. Wenn man jedoch die mögliche Originaläußerung bedenkt, die dieser Wiedergabe zugrunde liegen könnte, wird
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leicht deutlich, dass es sich hier nicht um eingebettete Redewiedergabe handelt. Die Originaläußerung der Angeklagten wird sinngemäß etwa so ausgesehen haben: Ich meine/halte dafür/denke, Mutter hat gesagt/ gemeint, . . . bzw. Ich bekenne, dass . . . Die Verben müssen also in der Originaläußerung in der ersten Person Singular im Präsens aufgetreten sein. Das bedeutet aber zugleich, dass es sich um Behauptungssätze handelt und nicht um Wiedergabe eigener (gedachter) „Rede“.106 Eine wiedergegebene Behauptung erscheint in einfacher Redewiedergabe. Ebenso sind Beispiele zu werten, in denen in gleicher Weise keine Gedankenwiedergabe stattfindet, d. h. im Sinne einer Verkürzung der Wiedergabe Er sagt, (dass) er denkt, dass . . . zu Er denkt, dass . . .: (4.57) Ad quinquagesimum dixit, er wisse von der Hexerei nichts zu sagen, glaube nicht das mehr indicien vber ihme sein sollen (Coesfeld 1632, S. 22) (4.58) Decimum sextum glaubt nicht wahr zu sein, Gott der Herr wehre sein Hülff. (Coesfeld 1632, S. 18) (4.59) sagt allß sie auff den Stokh gelassen, vor 18 Jahren e ungefahrlich, nachdem ihr Mann einsmal aller bezecht anheimbs khommen, vnd ihr vnd ihren Khindern gewinscht, (zu deme sie in dem khindbeth gelegen) daß Jung vnd alt e der Teufl hinfuhren solle, vnd sie ihr gedacht, o wann er nur khem (Eichstätt 1637, S. 93) In Beispiel (4.57) ist eben dieses ausformuliert und nicht zu Ad quinquagesimum glaubt er nicht, dass mehr Indizien . . . verkürzt. In Beispiel (4.58) hat die Verkürzung dagegen stattgefunden. Das Verb glauben ist als Redeeinleitung zu werten, es wird von einer AcI-Konstruktion gefolgt, die im Lateinischen die Form der Redewiedergabe von Aussagesätzen ist.107 Glauben leitet im vorliegenden 106 Vgl. die Ausführungen zur Gedankenwiedergabe in Abschnitt 2.2.c ), S. 28 dieser Arbeit. 107 Die Konstruktion glaubt nicht whar zu sein ist eine der wenigen, insgesamt 29 AcI-Konstruktionen, die in den untersuchten Texten zu finden sind. Die Schreiber formen Aussagesätze nach dem Vorbild der lateinischen Grammatik in indirekte Rede um, wenn sie einen AcI verwenden (vgl. Abschnitt 3.2.a), S. 75 dieser Arbeit. In der Quelle Coesfeld 1632 sind sie am häufigs-
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Korpus jedoch äußerst selten einfache Redewiedergabe ein, genauer gesagt ist diese Verwendung nur in Coesfeld 1632 zu beobachten. Denken tritt gar nicht als redeeinleitendes Element einfacher Redewiedergabe auf. Beispiel (4.59) ist schließlich einer der wenigen Fälle, wo denken als Redeeinleitung eingebetteter Redewiedergabe gewertet werden kann. Die Angeklagte hat hier innerlich108 einen Wunschsatz geäußert, der im Original ebenso ausgesehen haben könnte wie in der unten zitierten Wiedergabe. Man könnte hier demnach von direkter Wiedergabe des Wunschsatzes nach der Redeeinleitung denken sprechen. Vereinzelt sind ähnliche Beispiele auch mit der Redeeinleitung glauben zu finden. Im Normalfall (4.56) werden derartige Beispiele jedoch nicht als eingebettete Redewiedergabe gewertet.
4.5.b) Arten der Redeeinleitung Von den in Tabelle 4.3 (S. 196) aufgelisteten Redeeinleitungs-Tags bedürfen insbesondere diejenigen ohne finiten Anteil weiterer Erklärung. Die einfache Redewiedergabe ist syntaktisch zumeist von einem Hauptsatz abhängig, welcher ein finites Verb im Indikativ Präsens oder Perfekt, seltener Präteritum und nur einmal Plusquamperfekt aufweist. In einem redeeinleitenden Satz kann das finite Verb jedoch ausgespart sein, wenn dieser selbst eben kein Hauptsatz, sondern ein abhängiger Satz ist. Im folgenden Beispiel hängt die erste Redeeinleitung Alß ihr nun angedeüt word[en] beispielsweise syntaktisch von der zweiten Einleitung R[espondit] ab:109
ten (15 Belege), hier erscheinen sie auch oft ohne zu. Ansonsten sind sie vereinzelt im Nwd., Wmd. und Wobd. zu finden. In weiterer Beleg ist in Beispiel (6.9), S. 416 enthalten; dort ist der Infinitiv mit zu konstruiert. Da sie insgesamt nur selten sind, werden sie nicht näher untersucht, sondern nur festgestellt. 108 Das Syntagma vnd sie ihr gedacht heißt in etwa so viel wie und sie (hat) bei sich gedacht. 109 In den folgenden Beispielsätzen sind die Tags belassen worden, um die unterschiedlichen Redeeinleitungen besser hervorheben zu können. Weitere illustrative Beispiele zu den Redeeinleitungen (und allen anderen Tags) sind, wie erwähnt, in Anhang A.11 zu finden, Beispiel (A.1)–(A.22) (S. 492–495). Im Anhang befindet sich auch eine Auflistung sämtlicher Redeeinleitungen (A.10, S. 488).
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(4.60) Alß ihr nun angedeüt word[en] [re0] dassie an mehrern vnderschiden ortten gewesen [0] [. . .] R[espondit] [re?] auß Neidtschafft Khinde [mv]1 einß balt also ein geben werd[en], (Mergentheim 1629, S. 3–4, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 449) Da hier ein Hilfsverb in einem eingeleiteten Nebensatz elidiert ist, kann [re0] in diesem Beispiel als Redeeinleitung in Form einer afiniten Konstruktion (oder auch als „afinite Redeeinleitung“) verstanden werden. Zuweilen werden Hilfsverben jedoch gleichfalls in redeeinleitenden Ausdrücken ausgespart, die offensichtlich keine Nebensatzkonstruktionen sind, wie in dem folgenden Beispiel bei der ersten der beiden Redeeinleitungen: (4.61) Pompanne ferner befragt [re0], ob sie nit die wallersteinische Kellerin betrauvlich ahngelassen vnd hernach ihr der Kellerin Zugesetzet [re0]°, daß sie vnderschiedlich viel e e blauvMaller ahm leib befunden Vnd daruber geKlagt habe (Lindheim 1631, S. 187) Der elliptische, redeeinleitende Satz Pompanne ferner befragt kann im Kontext des Protokolls nur sinnvoll als Hauptsatz verstanden werden (wie etwa Pompanne ist weiter befragt worden, ob . . .), da sich in der Umgebung dieses Satzes keine anderen Sätze befinden, von denen dieser möglicherweise als Nebensatz abhängen könnte. In dieser Form ähnelt er der Redeeinleitung durch ein einfaches, d. h. nicht durch Substantive oder Adverbien erweitertes Partizip (Gefragt, ob . . .), welches in der vorliegenden Untersuchung als Redeeinleitung [part] gekennzeichnet wird. Beide Redeeinleitungen sind sich damit sehr ähnlich, da beide kein finites Verb enthalten und so weder temporal noch modal festgelegt sind. Bei beiden ist zudem strukturell ein finites Verb angelegt, ohne dass es jedoch vom Schreiber gesetzt worden wäre. Unter die Kategorie [re0] fallen dabei in erster Linie die Redeeinleitungen in Form von afiniten Konstruktionen; sehr oft sind die redeeinleitenden Nebensätze mit einem als Konjunktion verwendeten darauf (vgl. DWB 1984, Bd. 2, Sp. 765) eingeleitet. Dass darauf hier wirklich als Konjunktion und nicht als Präpositionaladverb gebraucht ist, lässt sich in Beispielen erkennen, wo das finite Verb nicht ausgespart ist (4.63):
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(4.62) [. . .] hatt Sie nach langem bedenckhen geantwortt habe nit anderst vermaint dann Es seye der Pfarer zue dützingen, darauff Sie Weitter gefragt, worden, waß Er dann gesagt, [. . .] (Leonberg 1641, S. 10–11, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 359) (4.63) Gestund sie, das Damerath geantwortet [re0]°: Davor kan [mv][ind] ek mek segnen; darauf sie gleichfals gesaget hette [repq]°: Davor kan [mv][ind] ek mek ok segnen. (Göttingen 1649, S. 45, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 35) Insbesondere in der eingebetteten Redewiedergabe ist in den allermeisten Fällen ein elliptischer eingeleiteter Nebensatz, also eine afinite Konstruktion, anzusetzen. Des Weiteren bezeichnet die Kategorie [re0] elliptische Hauptsätze wie in (4.61), die lediglich aus einem Partizip Perfekt bestehen, welches jedoch erweitert ist, sodass die Ergänzung zu einem vollwertigen Satz relativ leicht vorstellbar ist. Syntaktisch unterscheiden sich diese Einheiten jedoch nicht von der Kategorie [part], die somit eine Unterkategorie von der zuerst genannten ist und zu dem Zweck angesetzt wurde, die Häufigkeit dieser Art der Redeeinleitung transparent machen zu können. Die Redeeinleitung [reA] bedarf ebenfalls einer zusätzlichen Erklärung. Offensichtlich handelt es sich um eine weitere Art von Ellipse. Sie wird in (Fragen-)Katalogen verwendet, die unterschiedlich betitelt werden: Articuli Inquisitionales (Rosenburg 1618, Schivelbein 1637), Indicionales (Güstrow 1615), Inditionalarticul (Perleberg 1588), Positional Art[icu]ln (Ahaus 1608), Ind[itiona]les (Alme 1630), Articul (Coesfeld 1632), Interrogatoria (Hildesheim 1628). Diese Begriffe stehen im Zusammenhang mit dem Artikelprozess, im Rahmen dessen der Kläger die Anklagepunkte „in scharf abgegrenzte Behauptungen einzelner Tatsachen“ zerlegt vorlegen muss und der Beklagte Punkt für Punkt zu ihnen Stellung nehmen muss (Buchda 1971, Sp. 233– 234). Die Anklagepunkte heißen zumeist positiones, die Stellungnahmen responsiones, ergänzende, von den erstgenannten verschiedene Fragen können als interrogatoria bezeichnet werden und schließlich ist mit articuli der Inhalt der Positionen und Responsionen zusammen genommen bezeichnet, welche später für die Beweisführung verwendet werden. Allerdings würden oft die einzelnen Positionen als „Artikel“ bezeichnet (vgl. ebd.). Diese Kataloge enthalten demnach
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4 Beschreibung des untersuchten Korpus und Methodik
einerseits die Anklagepunkte im Verfahren, nach denen andererseits jedoch gegebenenfalls im Verhör gefragt wird, um Antworten und Gegenpositionen zu erhalten. Dadurch ergibt sich eine Mittelstellung der mit [reA] eingeleiteten Konstruktionen zwischen indirekter Frage bzw. Behauptung und einer Verbindung von elliptischem, redeeinleitenden Hauptsatz und abhängigem Nebensatz. Die Kontexte, in welchen diese Art von Redeeinleitung auftritt, können variieren. In Coesfeld wird zum Beispiel aus einer Einleitung deutlich, dass der fiscalische Anwalt diese Artikel an die untersuchende Instanz schickt, „mit bitt denselben darauff gleichfahls richtig zu andtworten anzuhalten“ (Coesfeld 1632, S. 25–26). Die folgenden zu stellenden Fragen beginnen nun entweder mit der Konjunktion ob (Bsp. 4.64), oder aber sie beginnen nur mit dem Adjektiv (Bsp. 4.65): (4.64) 1. Ob woll wahr, dass wie articulo sexagesimo gesetzt das Mägdlein articulirter massen vergeben worden (Coesfeld 1632, S. 26) (4.65) 7. Wahr vnd erweisslich, dass Valentin Morlage vnd Jürgen Schwering ihm sothanes öffentlichs Geschrei vnd gemeine berüchtigung gleichfahls ins Angesicht vorgehalten. (Coesfeld 1632, S. 27) Im ersten Fall könnte man die Ellipse wie folgt ergänzen: Der fiscalische Anwalt lässt fragen, ob es wahr sei, dass . . . Ob woll wahr wäre damit der indirekte Fragesatz zu einem ausgelassenen redeeinleitenden Hauptsatz, der um einen Nebensatz erweitert ist. Im zweiten Fall bietet sich eher eine andere Ergänzung an: Der fiscalische Anwalt hält es für wahr und erwiesen, dass . . . Diese Art der Konstruktion ist in anderen Quellen belegt und stellt somit eine weitere Möglichkeit der Ergänzung dieser Ellipse dar: (4.66) Irstlich setzt churf[ü]r[stliche]r Fisc[us] whar daß Inq[ui]sita eine gerhawme zeit hero mit dem verthamblichen laster der Zauberey berüchtigt geweß[en] (Werl 1630, fol. 35r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 121) In Anbetracht des ersten Artikels könnte die Ellipse in (4.65) aber ebenso konsistent als indirekte Frage ergänzt werden, insbesondere
4.5 Formen der Redewiedergabe
223
als der dritte Artikel dieses Katalogs mit Ferners wahr beginnt und somit die folgenden Artikel als Fortsetzung des ersten nach demselben Muster betrachtet werden können. Als indirekte Frage hieße Satz (4.65) also: Der fiscalische Anwalt lässt fragen, ob es wahr und erwiesen sei, dass . . . In anderen Katalogen ist diese Art von Abwechslung jedoch nicht vorhanden, jeder Artikel beginnt mit dem Adjektiv wahr, auf das ein mit dass eingeleiteter Nebensatz folgt. Wie ein solcher Satz hätte ergänzt werden sollen – entweder als indirekter Fragesatz oder als Aussagesatz –, ist heute nicht mehr festzustellen. Allein die eben zitierten Satzfragmente lassen einen Schluss darauf zu, dass es sich bei vielen von den mit Wahr beginnenden Sätzen um indirekte Fragesätze handelt. Auch die Tatsache, dass manchmal vereinzelt wahr -Konstruktionen zwischen indirekten Fragesätzen zu finden sind (z. B. in der Quelle Hildesheim 1628, S. 1), spricht für diese Sichtweise. Dort wird der Katalog mit den Worten eingeleitet Interrogatoria Worauff die Lehnesche in gute Zue befragenn, worauf dann durchnummeriert die einzelnen Fragen als von dieser Einleitung abhängige Sätze aufgelistet werden: 1. Wie lange Sie mit ihrem Manne in der Stadt gewohnet, . . . 8. Ob nicht wahr das . . . 14. Dann wahr, . . . So gesehen ist [reA] keine Redeeinleitung im herkömmlichen Sinne. Die Markierung zeigt vielmehr, dass hier ein Nebensatz auf das Adjektiv wahr folgt, vor welchem eine wie auch immer geartete Redeeinleitung ausgelassen worden ist bzw. auch kollektiv für alle abhängigen Sätze einmal zu Beginn genannt wird, so wie in der Quelle Hildesheim 1628. Insofern ist dieser Typ zu den afiniten Einleitungstypen zu rechnen, da er eine vollständige Einleitungsellipse markiert.
Kapitel 5
Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II 5.1 Die Frequenz der Konjunktivformen in den Quellen Die Formen des Konjunktivs I und des Konjunktivs II sind insgesamt betrachtet in den untersuchten Texten annähernd gleichmäßig verteilt. Von den 9 595 Konjunktivformen erscheinen 5 142 im Konjunktiv I und 4 453 im Konjunktiv II, was einem Verhältnis von 54 % zu 46 % entspricht. In den einzelnen Quellen ist die Verteilung der Formen zumeist jedoch nicht ebenso gleichmäßig. Gegenstand dieses Kapitels wird es deshalb sein, nach den Faktoren zu suchen, die die Moduswahl in den einzelnen Quellen steuern. Auf diese Weise wird ermittelt werden, ob sich die Quellen unter bestimmten Gesichtspunkten gruppieren lassen, etwa nach regionalem Aspekt oder nach Befolgung der Consecutio temporum. Auch die Morphologie, die Semantik und die Textsorten kommen als mögliche Faktoren in Frage. Allem diesem wird in den folgenden Abschnitten nachzugehen sein. Zunächst muss die Konjunktivverwendung in den einzelnen Quellen jedoch fassbar gemacht werden. Dazu wurden alle Quellen einzeln anhand der Gesamtzahl von konjunktivischen Verbformen unabhängig von der Verbart daraufhin untersucht, ob einer der beiden Konjunktive bevorzugt wird. Dabei ergibt sich, dass sich die Quellen in dieser Hinsicht tatsächlich extrem voneinander unterscheiden. Ein Teil der Quellen weist eine nahezu ausschließliche Verwendung einer der beiden Arten des Konjunktivs auf, wogegen ein anderer Teil Mischungen zeigt, die entweder mehr Konjunktiv I oder mehr Konjunktiv II enthalten.Anhand dieser unterschiedlichen Konjunktivverwendung kann man die Quellen zu KonjunktivFrequenztypen zusammenfassen, die über den Grad dieser Verwen-
226
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
dung definiert sind. Diese Frequenztypen sollten einerseits feinere Unterschiede zwischen den Quellen zu Tage fördern, andererseits aber eine ausreichende Anzahl von Quellen beschreiben. Um dieser Forderung gerecht zu werden, sind die Frequenztypen über ein Voranschreiten von jeweils ±15 % auf einer Skala definiert, an deren Extrema die hundertprozentige Verwendung des Konjunktivs I bzw. des Konjunktivs II steht. Da diese ausschließliche Verwendung jedoch sehr selten ist, wird als Extremtypus die 85- bis 100-prozentige Verwendung jeweils einer Konjunktivart betrachtet, die 84- bis 70prozentige und 69- bis 54-prozentige als die jeweils zwei Mischtypen. Der Mitteltyp (Mischung von ±50 % zu ±50 %) bewegt sich demnach nicht zu 15 %, sondern zu 3 % um die Mitte der Skala.1 Auf diese Weise entstehen sieben Konjunktiv-Frequenztypen, auf die sich die Quellen verteilen, wie in Tabelle 5.1 zu sehen. Sie werden im Folgenden mit den ebenfalls in dieser Tabelle aufgeführten Abkürzungen bezeichnet: EI und EII sind die beiden Extremtypen des Konjunktivs I und II. MIa und MIIa stehen für die Typen, in denen entweder der Konjunktiv I oder der Konjunktiv II weitgehend überwiegt. MIb und MIIb sind die Mischtypen, in denen die Mischung der beiden Konjunktive stärker ausgeprägt ist, d. h. sich in Richtung einer kompletten Mischung der Formen bewegt, und diese vollständige Mischung schließlich wird mit M abgekürzt. 1
Zu dieser Prozentberechnung ist Folgendes anzumerken: Die Summe aller Konjunktivformen ist in den Quellen nicht gleich hoch. In 45 Quellen liegt der Wert über 100, in weiteren 6 zwischen 90 und 99, in 25 unter 90 und in 29 liegt er unter 50 Konjunktivformen. Für eine statistisch relevante Prozentberechnung sind die Werte also teilweise zu niedrig. Eine Option wäre nun gewesen, lediglich diejenigen Quellen in das Korpus zu integrieren, die jeweils über 100 Konjunktivformen aufweisen, was allerdings aufgrund der Quellenlage weniger empfehlenswert gewesen wäre, da so der deutsche Sprachraum nicht annähernd hätte repräsentiert werden können, insbesondere in den ohnehin schwach besetzten Regionen wie dem Omd. In den Einzeluntersuchungen der folgenden Abschnitte werden die Quellen deswegen zumeist zu größeren Gruppen zusammengefasst, wodurch die Werte auf eine prozentberechenbare Größe ansteigen. Hier geht es jedoch zunächst um eine grobe Darstellung der Verwendung von Konjunktiv I und II in den Quellen, weswegen auch von den Werten unter 100 die Prozente berechnet werden, da auf diese Weise das Verhältnis zwischen den beiden Konjunktivarten besser dargestellt werden kann als durch Dezimalzahlen. Die absoluten Werte sind aus den Tabellen A.2–A.4 in Anhang A.2 (S. 453–455) zu entnehmen.
5.1 Die Frequenz der Konjunktivformen in den Quellen Typ EI MIa MIb M MIIb MIIa EII
85–100 % KI 70–84 % KI 54–69 % KI 53–53 % KI/II 54–69 % KII 70–84 % KII 85–100 % KII
227
# Qu. 27 14 15 4 9 14 22 Σ 105
Tabelle 5.1: Die sieben Frequenztypen der Quellen
Tabelle 5.1 zeigt in einem ersten Überblick, dass es in den untersuchten Texten sowohl Extremtypen als auch Mischformen gibt und dass das Korpus mehr Quellen enthält, die tendenziell eher den Konjunktiv I als den Konjunktiv II zeigen. Es bietet sich nun nicht an, alle sieben Typen durch Beispielsätze zu illustrieren. Für die beiden Extremtypen ist dieses ohne Weiteres möglich, die Mischtypen aber unterscheiden sich eher auf die Gesamtlänge der jeweiligen Quelle hin gesehen voneinander. Es wechseln sich zwar zumeist Formen des Konjunktivs I und II in den Quellen der Mischtypen auch in einzelnen Sätzen ab, aber manchmal sind Formen auch innerhalb eines Satzes konstant in einer Konjunktivart gehalten, sodass einzelne Sätze in solchen Quellen wie Sätze eines Extremtypus erscheinen können. Daher folgt hier lediglich jeweils ein Beispiel für den Extremtypus I (5.1), den Extremtypus II (5.2) und einen der fünf Mischtypen, und zwar MIa mit einem Anteil von 70–84 % Konjunktiv I (5.3). (5.1)
Sey ein mahl beim hexentanz vfm heufelde vnd vngef. 8 mahl vfm Kölberge gewesen, 1 mahl am Freytag, habe die Spileüth nit erkhändt, sey Flaisch, brates, wein, auser Saltz vnd brot genueg vnd überflissig dagewesen. Seye vff einer Altten ofengabel durch den Camin außgefahren (Hechingen 1648, S. 34–35)
(5.2)
Sie wehre auch Nebst Trinen Vnd Lopenn Telke zu drey vnderschiedelichen mahlen auff dem Blocksberge gewesen, wehren von Cappel abe auff einen Schwarzen pferde welches gehincket, dahin geritten. Vnd hetten nur Ihrer zwener vffs pfertt sizen konnen, vnd so hette einer vmb den
228
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
andern beyher lauffen müßen, hetten auch Jedesmahl auff dem Blockeßberge, ihre Danze gehalten, Trinen Ihre Abgott, Kranz, wehre daselbst der Spielmann gewesen. (Schwabstedt 1619, S. 103) (5.3)
Bekendt wehre dreimahll nackendt uff den tantz gefahren, auch dreimahll die kertz ihm hinderen gehalten, und ein oder 3 pfeiffen gehabt. Der spilman habe uff einem pferdts kopff gespielet. (Drachenfels 1630, fol. 5v)
Diese drei kurzen Passagen handeln jeweils von den Transportmitteln, mit welchen die Angeklagten vorgeben, zum Hexentanz gelangt zu sein, und von den dortigen Aktivitäten (Essen, Musik etc.). Vom Inhalt her sind sie sich also ähnlich, die Konjunktivverwendung könnte dagegen verschiedener nicht sein. Das erste Beispiel stammt aus dem Südwesten des untersuchten Gebietes, das zweite aus dem Nordwesten, das dritte aus der Mitte, genauer aus dem wmd. Sprachraum. Diese Aufteilung deutet demnach auf eine Regionalverteilung hin, wie sie mehrfach in Kapitel 3 angesprochen worden ist und wie sie für das untersuchte Korpus in Anbetracht der Ergebnisse von Macha (2003a) zu erwarten war.2 Diese Verteilung gilt es im Folgenden zunächst darzustellen, um sie in einem zweiten Schritt nach verschiedenen Ansätzen – sei es der Konjunktivgebrauch in den Mundarten, das Tempus in den Originaläußerungen oder der Einfluss überregionaler, schreibsprachlicher Konventionen – zu versuchen, eine Erklärung für sie zu finden.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs Trägt man die sieben Typen von Quellen auf einer Karte ab, wird deutlich, dass die Verteilung der Konjunktivverwendung keinesfalls zufällig ist. Auf der Karte in Abbildung 5.1 sind die Typen durch Symbole dargestellt: Ein Kreis symbolisiert Bevorzugung des Konjunktivs I, ein Dreieck Bevorzugung des Konjunktivs II. Der Grad der Füllung dieser Symbole (schwarz – grau – weiß) stellt den Ex2
Vgl. Abschnitt 3.6, S. 136 dieser Arbeit.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
229
Abbildung 5.1: Die regionale Verteilung der sieben Konjunktiv-Frequenztypen der Quellen
230
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
tremtypus und die jeweils zwei Mischtypen unterschiedlicher Gewichtung dar. Das Symbol für den Typ absoluter Mischung (M) ist eine Verbindung von Dreieck und Kreis. Zur Orientierung sind die Flüsse sowie die Längen- und Breitengrade eingezeichnet. Das Muster, welches auf der Karte zu erkennen ist, zeigt deutlich, dass dem Faktor Region bei der Konjunktivwahl eine Bedeutung zukommt. Auf den ersten Blick fällt die Verteilung der Extremtypen ins Auge. Die des Konjunktivs I befinden sich vornehmlich südlich des 49. Breitengrades, die des Konjunktivs II vermehrt nördlich des 51., wobei die Dominanz des Konjunktivs I im Süden stärker ist als die des Konjunktivs II im Norden. In der Mitte des Sprachraums, und zwar besonders im Westen, sind besonders viele Mischtypen der einen oder anderen Gewichtung vorhanden, aber auch Extremtypen. Besonders auffällig sind die Quellen des Typs EI im äußersten Norden, da sie sich inmitten von Quellen des Typs EII befinden, sowie die drei Mischtypen des Konjunktivs I im äußersten Südosten des Untersuchungsgebietes, da sie von Quellen des Typs EI umgeben sind. Als ein erster möglicher Erklärungsansatz für diese Verteilung muss nun überprüft werden, ob diese Regionalverteilung mit den (Schreib-)Sprachlandschaften im Zusammenhang steht, die bei der Auswahl der Quellen zugrunde gelegt worden sind.3 Zwar sind diese Landschaften nicht anhand ihrer Gemeinsamkeiten auf dem Gebiet der Syntax definiert, sondern anhand lautlich-graphischer Übereinstimmungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass syntaktische Gemeinsamkeiten ausgeschlossen wären, auch wenn sie bislang nicht systematisch beschrieben worden sind.4 Die Karte in Abbildung 5.2 zeigt zusätzlich zu den Längen- und Breitengraden die Grenzen der Sprachlandschaften5 und dient somit dazu, eventuelle Parallelen 3 4 5
Vgl. Abschnitt 4.3 dieser Arbeit. Vgl. die oben zitierten skeptischen Äußerungen Reichmanns die Syntaxgeographie betreffend, Abschnitt 4.3, S. 183 dieser Arbeit. Wie bereits in Abschnitt 4.3, S. 185 ausgeführt, werden hier im Einklang mit der Vorgehensweise im frühneuhochdeutschen Wörterbuch die modernen Dialektgrenzen zugrunde gelegt (ausgehend von einer Beteiligung der Dialekte an der Entstehung der Schreibsprachen sowie von einer Kontinuität der Weiterentwicklung der Mundarten). Die Grenzen auf der Karte in Abbildung 5.2 sind demnach an eine moderne Dialektkarte (Karte 4 aus Wiesinger 1983, ausklappbar, ohne Seitenzählung) angelehnt. Übergangsgebiete zwischen den Dialektgebieten werden der Übersichtlichkeit halber
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
231
Abbildung 5.2: Die Verteilung der Frequenztypen auf die Sprachlandschaften
232
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
zwischen der Konjunktivverteilung und den Sprachlandschaften aufzuzeigen. Auf der Karte ist zu erkennen, dass im Süden, genauer im Wobd., der Konjunktiv I dominiert: Dort sind mit nur einer Ausnahme allein Quellen des Typs EI zu finden, und auch bei der Ausnahme überwiegt der Konjunktiv I. Im Wobd. findet sich also keine Quelle, in welcher der Konjunktiv II auch nur minimal überwöge. Dieses ist fast im gleichen Maße im Oobd. der Fall: Dort befinden sich vier Quellen der Mischtypen MIa und MIb. In allen anderen Regionen ist das Ergebnis nicht ganz so deutlich. Im Omd. und Nod. überwiegt der Konjunktiv II, und hier häuft sich der Extremtypus dieser Konjunktivart. Vereinzelt überwiegt der Konjunktiv I oder es liegt eine Mischung von 50 zu 50 vor. Auch im Nnd. gibt es viele Quellen des Typs EII, jedoch fallen dort, wie erwähnt, die beiden nördlichsten Quellen, Flensburg 1608 und Grünholz 1641, aus dem Rahmen, weil beide den Typ EI zeigen. Dieser kommt sonst lediglich an zwei weiteren Orten außerhalb des Wobd. und Oobd. vor, nämlich im Wmd. (Höchst 1631) und Nwd. (Essen 1589). Ansonsten sind das Nwd. und Nobd. Regionen, die zwar einen hohen Anteil von Quellen der Mischtypen erkennen lassen, die aber wiederum eine geographische Verteilung zeigen: Im Nobd. liegt eine Nord-Süd-Trennung zwischen Konjunktiv I und II vor, deren Grenze in etwa durch den Main markiert wird. Im Nwd. wird im Westen vermehrt der Konjunktiv I und im Osten eher der Konjunktiv II verwendet. Allein das Wmd. ist vollständig gemischt. Nach dem zu urteilen, wie sich die Konjunktivverteilung hier gestaltet, lassen sich demnach in den einzelnen frühneuhochdeutschen Sprachlandschaften Gemeinsamkeiten die Anwendung des Konjunktivs betreffend beobachten: Im Nnd., Nod. und Omd. überwiegt offenbar insgesamt der Konjunktiv II, im Wobd. und Oobd. der Konjunktiv I, während im Nwd., Wmd. und Nobd. eine Mischung vorliegt. Es besteht also die Möglichkeit, die Sprachlandschaften zu drei größeren Konjunktivverwendungsgebieten zusammenzufassen. Solche Verwendungsgebiete haben bereits Behaghel (1899) und Macha (2003a) beschrieben. Behaghels Vorschlag ist in Abbildung 3.1 (S. 84 dieser Arbeit) zu sehen. Beim Vergleich mit der Karte in nicht markiert, was jedoch ihre Existenz nicht bestreiten soll. Quellen, die nah an einer Grenze situiert sind, liegen folglich häufig in einem Übergangsgebiet. Für die Bezeichnungen der Sprachlandschaften vgl. Abbildung 4.1, S. 187 dieser Arbeit.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
233
Abbildung 5.2 (S. 231) wird deutlich, dass es zwar einige Übereinstimmungen gibt, doch auch viele Abweichungen, sodass Behaghels Einteilung keine zu bevorzugende Alternative zu der Einteilung nach Sprachlandschaften bietet. Macha, der die Formen von haben und sein anhand eines ähnlichen Korpus untersucht hat,6 unterteilt die Quellen in drei Typen: 75–100 % Konjunktiv I oder II bzw. Mischung der Konjunktivarten von 25–75 %. Mit dieser Einteilung stellt er unabhängig von der Redeeinleitung ein Konjunktiv-I-Gebiet im Süden bis zum 50. Breitengrad, ein Konjunktiv-II-Gebiet im Norden ab dem 52. Breitengrad fest sowie eine Mischregion, die zwischen diesen liegt (vgl. Macha 2003a, S. 196–198, bsd. Karte 3). Auch in der hier ermittelten Verteilung kann man nördlich des 52. und südlich des 50. Breitengrades vermehrt Konjunktiv II bzw. Konjunktiv I finden. Allerdings bietet sich bei der Einteilung in sieben Typen der 49. Breitengrad und nicht der 50. als südliche Grenze an, da zwischen dem 50. und 49. bereits die Region der Mischung beginnt und die dort zu findenden Mischformen nicht alle überwiegend Konjunktiv I aufweisen. Südlich des 49. Breitengrades treten dagegen nur vereinzelt Mischformen auf, in denen der Konjunktiv I überwiegt. Ansonsten dominiert der Typ EI absolut. Die nördliche Grenze des Mischgebietes zu bestimmen gestaltet sich schwieriger, da sie nicht, wie bei der von Macha festgestellten Verteilung, parallel zu einem Breitengrad verläuft. Nähme man beispielsweise den 53. Breitengrad als Grenzlinie, so würde mit dem Omd. eine der Regionen, in denen der Extremtypus des Konjunktivs II überwiegt, ausgeklammert. Den 50. Breitengrad als Grenze anzunehmen, südlich von dem lediglich ein Konjunktiv-I-Extremtyp vorkommt, würde wiederum der Tatsache nicht gerecht, dass nördlich von ihm im Westen sowohl zwei Extremtypen des Konjunktivs I als auch zahlreiche Mischtypen mit überwiegendem Konjunktiv I auftreten. Eine horizontale Grenze zu bestimmen ist also nicht ohne Abstriche möglich, wohl aber, wenn man die Verteilung der schwarzen Dreiecke genau betrachtet, eine vertikale: Die nördlicheren Regionen scheinen in ein östliches und ein westliches Gebiet getrennt zu sein, wobei die Grenze leicht diagonal in etwa entlang der Fulda und Weser bis zur südlichen Grenze des Nnd. und weiter entlang dieser Grenze horizontal in Richtung Westen verläuft. Es hat sich somit als sinnvoll erwiesen, die nord6
Vgl. Abschnitt 3.6, S. 136 dieser Arbeit.
234
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
deutschen Quellen gemäß den Mundartgrenzen aufzuteilen, da in allen drei Gebieten die Gesamtverteilung unterschiedlich aussieht: Im Osten dominiert der Konjunktiv II, im Norden auch, jedoch nicht ebenso stark, und im Westen liegt eine Mischung beider Konjunktivarten vor, wobei wiederum im Osten dieses Gebietes (etwa in Ausdehnung des Ostfälischen, d. h. östlich der Weser) der Konjunktiv II zu dominieren scheint. Da diese Region allerdings lediglich durch sechs Quellen repräsentiert ist, wäre eine dahingehende Hypothese jedoch allzu gewagt. Deswegen werden die Gebiete, wie oben zuerst vorgeschlagen, anhand der Sprachlandschaften definiert. Das ist umso mehr gerechtfertigt, als die prozentuale Verteilung von Konjunktiv I und II in den einzelnen Landschaften sich jeweils in den oben vorgeschlagenen Gruppen in auffälliger Weise gleicht. Diese sind auf der Karte in Abbildung 5.3 dargestellt, zusammen mit den drei Konjunktivverwendungsgebieten, die sie zusammen bilden und die hier und im Folgenden als Gebiet A, B und C bezeichnet werden. Das prozentuale Verhältnis der beiden Konjunktive in den drei Gebieten gestaltet sich dann wie folgt:
Gebiet A: Gebiet B: Gebiet C:
nnd., nod., omd. nwd., wmd., nobd. oobd., wobd.
Konj. I # % 756 25,63 1701 46,07 2685 90,88
Konj. II # % 2194 74,37 1991 53,93 268 9,12
Es ist demnach festzuhalten, dass es – gemessen an der Konjunktivverwendung – eine Syntaxgeographie zu geben scheint, die weitgehend mit den für das Frühneuhochdeutsche anzusetzenden sprachlandschaftlichen Großregionen korrespondiert. Aufgrund dieser Parallelität mit in der Forschung bereits etablierten Größen, d. h. den Sprachlandschaften, ist es möglich, die drei Gebiete der Konjunktivverwendung als erstes Ergebnis der vorliegenden Arbeit zu betrachten und alle weiteren Untersuchungen, die sich in den größeren Abschnitten dieses Kapitels anschließen werden (5.3–5.6), unter Konstanthaltung dieser Größen durchzuführen. Auch in den verbleibenden Unterabschnitten 5.2.a)–5.2.d) dieses Abschnitts, in denen weitere geographische Aspekte behandelt werden, wird die den Sprachlandschaften entsprechende Regionalverteilung der Verwendung des Konjunktivs als gegeben betrachtet, auch wenn sie bislang
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
Abbildung 5.3: Der Konjunktiv in drei Verwendungsgebieten
235
236
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
nur festgestellt, nicht aber erklärt ist. Dementsprechend wird des Öfteren vom „Normalmodus“ die Rede sein, womit jeweils die vornehmlich zu beobachtende Konjunktivart gemeint ist. Zu Klärung, warum sich der Normalmodus in den drei Gebieten und auch in einzelnen Quellen unterscheidet, werden diese folgenden Unterabschnitte beitragen.
5.2.a) Die Verwendung des Konjunktivs in den Mundarten Aufgrund der Ergebnisse von Behaghel (1899) bietet es sich an, zunächst zu überprüfen, ob die zu beobachtende Regionalverteilung durch die von ihm beschriebene Modusverwendung in den Mundarten erklärt werden könnte. Laut Behaghel beginnt die Consecutio temporum sich bereits im 16. Jh. in den Mundarten aufzulösen, d. h. dort wird entweder der Konjunktiv I oder der Konjunktiv II verwendet ohne Rücksicht auf das Tempus der Redeeinleitung.7 Zugleich geht er davon aus, dass der Konjunktiv I, der sich mittlerweile zur Normalform der indirekten Rede entwickelt hat, dereinst aus den Mundarten in die literarische Schriftsprache übernommen wurde, sodass Schriftsteller, deren Heimatmundart nur den Konjunktiv II kennt, zuweilen – aber nicht ausschließlich – entgegen der Consecutio temporum den Konjunktiv II verwenden, wobei dasselbe für die Verwendung des Konjunktivs I der Schriftsteller gilt, die aus dem Konjunktiv-I-Gebiet kommen. Im Zuge der Auflösung der Consecutio temporum und der Übernahme des Konjunktivs I im Südwesten des Sprachgebietes entwickelte er sich zunächst dort zur Normalform, von wo aus sich, Behaghels Theorie zufolge, diese Verwendung auf das restliche Sprachgebiet ausgebreitet hat.8 Sollte Behaghels Hypothese hier auch für die Kanzleisprache, bzw. die sie produzierenden Schreiber Bestätigung finden, so müsste im gesamten Konjunktiv-II-Gebiet, welches er umreißt (vgl. Abbildung 3.1, S. 84 dieser Arbeit), eine Tendenz abzulesen sein, eher den Konjunktiv II unabhängig von der Redeeinleitung zu verwenden. Im ungleich kleineren Konjunktiv-I-Gebiet müsste die umgekehrte Tendenz zu beobachten sein. 7 8
Vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 87 dieser Arbeit. Vgl. Abschnitt 3.2.d), S. 102 dieser Arbeit.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
237
Die Ergebnisse, welche die Karte in Abbildung 5.2 (S. 231) bietet, sind nur bedingt mit denen Behaghels zu vergleichen. Zum einen zeigt sie die Konjunktivverwendung ohne die Kontrolle der Variablen „Redeeinleitungstempus“, ohne die eine redeeinleitungsunabhängige Konjunktivverwendung nur schwer zu erkennen ist, da diese Variable als potenzieller Störfaktor präsent ist. Zum anderen sind die Fälle, die Behaghel als wirkliche oder scheinbare Ausnahmen von der Consecutio temporum charakterisieren würde,9 nicht aussortiert. Behaghel hat nach präsentischem Hauptsatz fast gar keine wirklichen Ausnahmen festgestellt, und zwar lediglich 21 Belege für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv präteritum im Konjunktiv-II-Gebiet.10 Nach präteritalem Hauptsatz ist die Anzahl der Ausnahmen dagegen höher, wobei die meisten Belege für die Kombination indikativ präteritum – konjunktiv präsens aus dem Konjunktiv-I-Gebiet stammen. Gerade mit Vollverben und dem Singular des Verbs sein ist die Kombination jedoch auch im Konjunktiv-II-Gebiet zahlreich belegt, wenngleich sie nicht, wie im Konjunktiv-I-Gebiet, überwiegt.11 Das bedeutet, dass auch in den Gebieten keine ausschließliche Verwendung des Konjunktivs II erwartet werden kann, in deren Mundarten diese Konjunktivart verwendet wird, und zwar auch bei Kontrolle der Variablen Redeeinleitungstempus. Überdies soll bereits hier vorgreifend angemerkt werden, dass etwa ein Drittel aller Redeeinleitungen im Präsens stehen,12 sodass, wenn die Regeln der Consecutio temporum in den untersuchten Texten eingehalten werden, ohnehin viel Konjunktiv I zu beobachten sein müsste. Jedoch kommen viele Formen unabhängig bzw. weit ab von einer Redeeinleitung vor (in Passagen berichteter Rede), sodass hier zunächst nur überprüft werden soll, ob die Konjunktivverwendung in den Gebieten Behaghels unabhängig von der Redeeinleitung in die eine oder die andere Richtung tendiert. Behaghels Konjunktiv-I-Gebiet, welches das Wobd. und den Südwesten Bayerns umfasst, ist hier ebenfalls mit Konjunktiv I besetzt, und zwar nahezu ausschließlich. Das Bild im Konjunktiv-IIGebiet gestaltet sich weniger einheitlich. In Gebiet A könnte der 9 10 11 12
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Abschnitt 3.2.b), S. 80 dieser Arbeit. Abschnitt 3.2.c ), S. 91 dieser Arbeit. Tabelle 3.5, S. 95 dieser Arbeit. Abschnitt 5.3, S. 274 dieser Arbeit.
238
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
verhältnismäßig hohe Anteil an Konjunktiv II wohl durch die mundartliche Verwendung bedingt sein. Besonders im Wmd., Oobd. und im Westfälischen tritt jedoch mehr Konjunktiv I auf, als man vermuten sollte, wenn man von einer starken Beeinflussung der Schriftsprache durch die Mundart ausgeht. Zwar könnte der hohe Anteil an Konjunktiv I in diesen beiden Sprachlandschaften an den zahlreichen Redeeinleitungen im Präsens liegen, nach denen Behaghel zufolge auch im Konjunktiv-II-Gebiet die Consecutio temporum befolgt wird. Redeeinleitungen im Präsens sind aber ebenfalls in Gebiet A zu finden, wo weitaus mehr Konjunktiv II verwendet wird. Diese Beobachtungen scheinen zunächst gegen eine Beeinflussung durch die mundartliche Konjunktivverwendung zu sprechen. Das ist umso mehr der Fall, als die Verwendung des Konjunktivs I von Süden nach Norden hin fast kontinuierlich abzunehmen scheint. Wenn man von einem mehr oder weniger klar umrissenen Konjunktiv-II-Gebiet ausgeht, so sollte man dagegen annehmen, dass sich der mundartliche Einfluss im gesamten Gebiet in etwa gleich gestaltet. Insgesamt betrachtet enthalten die untersuchten Texte folglich zu viele Ausnahmen, als dass man von einem ausschließlichen Einfluss der mundartlichen Konjunktivverwendung auf die Kanzleisprachen ausgehen könnte. Zwar lassen sich die Ergebnisse teilweise mit einer derartigen Annahme vereinbaren, da zumindest der hohe Anteil an Konjunktiv II in Gebiet A sowie der an Konjunktiv I im Wobd. genau zu der mundartlichen Verwendung passen. Die Ausnahmen und Abweichungen müssen aber anders entstehen. Sicherheit über eine Bestätigung von Behaghels Hypothese kann jedoch erst erlangt werden, wenn die Konjunktivverwendung in Abhängigkeit der Redeeinleitung untersucht wird, da dieses seiner Vorgehensweise entspricht. Dieser Fragestellung ist Abschnitt 5.3 gewidmet.
5.2.b) Der oberdeutsche Präteritumschwund Auch dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem mundartlichen Sprachgebrauch, dem in den untersuchten Texten eine besondere Bedeutung zukommt. Dem ist so, weil alle Originaläußerungen, die in den Protokollen und Urgichten wiedergegeben sind, in der Orts-
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
239
mundart gehalten gewesen sein müssen.13 Die Originaläußerungen der Angeklagten lassen sich aus den Protokollen nicht rekonstruieren. Wenn man jedoch von moderneren, dokumentierten Zuständen der Dialekte auf ihre Erscheinungsform zu frühneuhochdeutscher Zeit Rückschlüsse zieht und somit wie Behaghel davon ausgeht, dass einige Entwicklungen bereits damals vollzogen waren, kann man zumindest vermuten, welche Tempora die Verhörten als Erzähltempus verwendet haben, wenn sie von Vergangenem berichteten. Das kann man wagen, da die Entwicklung, welche allgemein als oberdeutscher Präteritumschwund bezeichnet wird, einerseits in der dokumentierten Schriftsprache in frühneuhochdeutscher Zeit zu beobachten ist und andererseits in den modernen Mundarten. Der Präteritumschwund betrifft ausschließlich die Formen des Indikativs, der Konjunktiv bleibt erhalten (vgl. Schrodt/Donhauser 2003, S. 2519). Der Präteritumschwund ist bereits in den Abschnitten über Behaghels Monographie (1899) und Machas daran anknüpfende Forschungsergebnisse (2003a) erwähnt worden.14 Durch diesen Schwund unterscheidet sich die alltägliche Kommunikation im Süden von der im Norden: Südlich der Präteritalgrenze wird das Perfekt als Erzähltempus verwendet, nördlich von ihr das Präteritum. Diese „Grenze“ ist freilich ein „relativ breites Übergangsgebiet [. . .], das im Süden keine Präteritalformen kennt [. . .] und in dem nach Norden hinein die Kenntnis und der Gebrauch von Präteritalformen immer mehr zunimmt“ (König 1994, S. 163). Überspitzt formuliert, berichtet ein Sprecher des Bairischen demnach über Vergangenes im Perfekt, ein Sprecher des Westfälischen dagegen im Präteritum, während jemand aus Südhessen beide Tempora verwendet. Heute ist dieses System im Zuge des Rückgangs der Mundarten, insbesondere im Norden, jedoch nicht mehr ausnahmslos zu beobachten.15 Es ist aber nicht auszuschließen, dass in der Frühen Neuzeit im Norden al13 Vgl. Abschnitt 4.1.b), S. 160 sowie Anmerkung 32 in Kapitel 4, S. 162 dieser Arbeit. 14 Vgl. Abschnitt 3.2.d), S. 100 sowie 3.6, S. 136 dieser Arbeit. 15 So berichtet ein Sprecher einer niederdeutschen Mundart heutzutage beispielsweise sowohl im Präteritum als auch im Perfekt und Präsens über Vergangenes (für diesen Hinweis danke ich Markus Denkler). Dabei ist nicht mehr festzustellen, ob dieser Tempuswechsel auf den Einfluss des Hochdeutschen zurückzuführen ist oder nicht.
240
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
lein im Präteritum erzählt wurde. Wenn dem so wäre, würde das für die Entstehung der Protokolle Folgendes bedeuten: Ein Protokollant müsste in den Gebieten, wo im Perfekt erzählt wird, bei der Transposition den Dialekt in regionale Schreibsprache umwandeln sowie Indikativ in Konjunktiv, kann das Tempus Perfekt jedoch belassen. Bei Verben, die das Perfekt mit haben bilden, kann sogar dieselbe Form verwendet werden: (5.4)
(a) Ich bin beim Hexentanz gewesen. (b) Sie sagt, sie sei beim Hexentanz gewesen.
(5.5)
(a) Ich habe mit dem Teufel getanzt. (b) Sie sagt, sie habe mit dem Teufel getanzt.
In Norddeutschland, wo das Präteritum Erzähltempus ist, müsste dagegen eine Umformung mehr stattfinden: erstens von Niederdeutsch zu Hochdeutsch, zweitens die von Indikativ zu Konjunktiv und drittens eine Umformung von Präteritum zu Plusquamperfekt, da aufgrund der fehlenden temporalen Bedeutung des Konjunktivs Präteritum nur eine zusammengesetzte Verbform Vorzeitigkeit anzeigen kann: (5.6)
(a) Ich war beim Hexentanz. (b) Sie sagt, sie wäre beim Hexentanz gewesen.
Ebenso wie der Konjunktiv Plusquamperfekt ist hier der Konjunktiv Perfekt möglich, und dieser wird auch von den Schreibern im Norden verwendet, wie man an den zahlreichen Quellen vom Typus MIIa und MIIb des Nordens sehen kann (vgl. Abbildung 5.2, S. 231). Auch war das Perfekt zu dieser Zeit bereits überall in der Schriftsprache verbreitet.16 Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der im niederdeutschen Dialektgebiet protokollierende Schreiber – sei er nun lokaler Herkunft oder ein zugereister hochdeutscher Muttersprachler – eine Umformung mehr vornehmen muss. Von daher ist es durchaus vorstellbar, dass er die Erzählung im Präteritum unter Verwendung des Konjunktivs II transponiert, da das ökonomischer erscheint; die in Beispiel (5.6) verwendeten Formen war und 16 Vgl. Anmerkung 46 in Kapitel 3, S. 101 dieser Arbeit.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
241
wäre sind sich zumindest von der (Laut-)Gestalt sehr ähnlich, da sie, anders als war und sei, denselben Wortstamm haben. Nun sind Formen aus dem fiktiven Beispiel beide hochdeutsch, während ein protokollierender Schreiber statt war im größten Teil von Gebiet A eher ein niederdeutsches was gehört hat, doch diese Form steht wäre gleichermaßen näher. Auch das niederdeutsche hadde steht hätte näher als habe, obwohl hier größere Ähnlichkeit aufgrund der Gleichartigkeit des Wortstammes besteht, und schließlich sind die Präteritumformen der Modalverben denen des Konjunktivs II nicht nur sehr ähnlich, sondern teilweise mit ihnen identisch, woran auch die erforderliche Übersetzung ins Hochdeutsche nur wenig ändert (vgl. z. B. scholde und sollte). Folglich ähneln sich bei den Verben haben, sein und den Modalverben die Formen des Erzähltempus Präteritum und des Konjunktivs II, während dieses bei den starken und schwachen Verben weniger der Fall ist: Eine Umformung von Ich flog zum Hexentanz zu Sie wäre zum Hexentanz geflogen oder auch (mit schwachem Verb) Ich tanzte mit dem Teufel zu Sie hätte mit dem Teufel getanzt lässt sich nicht ebenso leicht nachvollziehen. Hier besteht die Analogie lediglich zwischen dem Tempus Indikativ Präteritum in flog und dem morphologischen Tempus der Konjunktiv-II-Form wäre, welche Teil der zusammengesetzten Verbform ist, die in der indirekten Rede Vorzeitigkeit anzeigt. Sie besteht aber nicht zusätzlich in der ähnlichen Gestalt der Formen. Doch stellt auch parallele Konstruktionsweise eine Erklärungsoption dar. Wenn war bzw. was stets zu wäre gewesen und hatte bzw. hadde zu hätte gehabt umgeformt wird, ist die parallele Umformung von flog zu wäre geflogen nicht unwahrscheinlich. Nachvollziehbar wird dieses anhand des folgenden Beispiels, in dem der Schreiber zunächst die Verben sein und haben im Konjunktiv Plusquamperfekt (zur Anzeige von Vorzeitigkeit in indirekter Rede) verwendet und dann in gleicher Weise ein schwaches Verb: (5.7)
By Hulcke Clauß Maeß Wiben tho Ketelßbuttell wehre se einmall nacht gewesen, vndt hedde desulue Hulcke Clauß Maeß Wibe 1 kho gehat, dersuluen hedde se, Telse, |vht kortwill+ 9. natelen in den sterdt gesteken (Meldorf 1618 fol. 65v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 81)
242
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Allerdings müssten die Partizipien von haben und sein in den untersuchten Texten sehr häufig sein, um von einer derartigen Parallelkonstruktion als Haupterklärungsgrund ausgehen zu können. Übermäßig häufig sind sie jedoch nicht.17 In Anbetracht dessen kann die parallele Konstruktionsweise nur in Verbindung mit der soeben angesprochenen Analogie mit dem Tempus im Indikativ und ggf. der mundartlichen Konjunktivverwendung zur Erklärung der Tatsache beitragen, dass die Schreiber den Konjunktiv II verwenden. Bei Formen im Plusquamperfekt besteht hingegen wiederum eine Ähnlichkeit zum Konjunktiv II; wie häufig diese jedoch in der gesprochenen Sprache des 17. Jhs. gewesen sind, lässt sich nur schwer feststellen,18 weswegen ihr Einfluss auf die Moduswahl nicht eingeschätzt werden kann. Hört ein Schreiber beide Formen während des Verhörs, weil die Angeklagten sowohl im Präteritum als auch im Perfekt berichten, so ist es denkbar, dass er parallel dazu Konjunktiv I und II abwechselt – einmal wegen der Ähnlichkeit der Formen, aber auch aufgrund 17 In den Quellen des Gebietes A kommen 354-mal gewesen bzw. gewest und 154-mal gehabt, gehatt (und andere Formen) vor. Die Gesamtzahl aller Partizipien kann man in etwa schätzen, wenn man die Summe aller Formen von haben und sein, die als finite Hilfsverben in periphrastischen Verbformen verwendet werden, zu denen der afiniten Konstruktionen addiert. Für Gebiet A ergibt dies eine Anzahl von ca. 3150 Partizipien; der Anteil derer von haben und sein ist also relativ gering (16 %). 18 Perfekt und Plusquamperfekt sind erst vergleichsweise spät entstanden. Gab es im Ahd. bereits occasionelle Bildungen, so wurde die Verbindung von haben und sein mit Partizip Perfekt erst um 1300 systematisch Teil des Verbsystems (vgl. Fourquet 1969, S. 55). Die Häufigkeit dieser Verbformen im gesprochenen Frühneuhochdeutschen ist, wie auch die Konjunktivverwendung, nur im Rückschluss aus der Schriftsprache und vielleicht aus dem heutigen Zustand zu erahnen. Semenjuk hat in allen von ihr untersuchten Textsorten jeweils weitaus mehr Perfekt als Plusquamperfekt gefunden, und zwar in allen Sprachlandschaften, wobei das Plusquamperfekt im Omd. und Wmd. häufiger ist als im Oobd. und Wobd. (vgl. 1981, S. 60 und 98). Nun sind diese Tempusformen weder synonym noch kommen sie in denselben Kontexten vor, sodass ihre Vorkommenshäufigkeiten nicht miteinander vergleichbar sind. Auch kann man davon ausgehen, dass eine Verbform, die in der Schriftsprache noch nicht besonders häufig ist, in der gesprochenen Sprache bereits frequenter ist. Dafür spricht auch, dass das Plusquamperfekt im heutigen Niederdeutschen (als einem Großteil des hier angesetzten Gebietes A) genauso wie im Neuhochdeutschen verwendet wird (vgl. Saltveit 1983b, S. 292–293). Sicherheit hierüber kann man jedoch nicht erlangen.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
243
der Analogie zum Tempus im Indikativ, wo die Formen sich nicht ähneln. Gleichermaßen könnte er sich jedoch für einen der beiden Konjunktive entscheiden, um das Protokoll einheitlich zu gestalten. Dieses liegt insbesondere bei den Verbformen nahe, welche die Angeklagten höchstwahrscheinlich im Präsens geäußert haben, zum Beispiel in Originaläußerungen wie Ich bin keine Hexe. Wiedergaben, die auf solche und ähnliche Äußerungen zurückgehen, werden in einigen Quellen im Konjunktiv II (Bsp. 5.8), in anderen hingegen im Konjunktiv I protokolliert (Bsp. 5.9): (5.8)
Gott wolte es ir verZeihen, dan sie kein Zauberin were (Friedberg 1620, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 213)
(5.9)
Ob sie nicht eine so offenbahre Hechxe sey [. . .]? Sey kein, könne sich gewallts nicht erwehren (Hemau 1616, fol. 1r und 6r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 433 und 437)
In wieder anderen Quellen und zwar auch solchen, die überwiegend Konjunktiv II enthalten, wechseln sich die beiden Konjunktive in derartigen Kontexten ab. In diesem Fall ist es möglich, dass sich der Protokollant die konjunktivische Verbform analog zum Tempus der Originaläußerung wählt. Wenn der ein Präsens wiedergebende Konjunktiv jedoch, wie in Beispiel (5.8), ein Konjunktiv II ist, kann man von einer Analogiewirkung der oben beschriebenen Formen ausgehen – sprich der regionalen Erzähltempora. Eine analoge Bildung zum Wortstamm der in der Originaläußerung vermutlich verwendeten Form ist beim Verb sein dagegen nicht möglich, da zumindest alle Singularformen des Präsens Indikativ (bin, bist, ist) weder mit sei noch mit wäre Ähnlichkeiten des Wortstamms aufweisen. Beim Verb haben gibt es dagegen solche Ähnlichkeiten zum Konjunktiv I, besonders in der ersten Person Singular (ich habe → sie habe) und im Plural. Die Form der dritten Person Singular scheint dagegen gleichermaßen disponiert, in den Konjunktiv I wie in den Konjunktiv II umgewandelt zu werden (sie hat → sie habe/hätte). Gleichfalls wäre es möglich, dass bei diesen Formen weniger die Originaläußerung als vielmehr die im vorangegangenen Abschnitt angesprochene mundartliche Konjunktivverwendung den Hauptausschlag bei der Moduswahl gibt.
244
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Abbildung 5.4: Präteritalgrenze und Konjunktivverwendung
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
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Um die Bedeutung des Präteritumschwundes besser einschätzen zu können, zeigt die Karte in Abbildung 5.4 sowohl die ermittelte Regionalverteilung als auch die Präteritalgrenze.19 Auf den ersten Blick scheint die Grenze nicht unbedingt zwei unterschiedliche Gebiete zu markieren. Jedoch scheint der Anteil an Konjunktiv II in untersuchten Quellen kontinuierlich zuzunehmen, je weiter nördlich sie sich befinden, und dieses fällt bei der horizontalen Trennung durch die Grenze besonders auf. Zudem ist es bemerkenswert, dass südlich der Grenze keine Quelle des Typs EII zu finden ist und auch insgesamt nur vier Mischtypen (zweimal MIIa, einmal MIIb, einmal M). Quellen vom Typ EI sind dagegen lediglich südlich der Grenze häufig, nur drei von ihnen sind nördlich der Grenze zu finden. Wenn man nun einerseits bedenkt, dass man sich in einem breiteren Streifen nördlich und südlich von der Grenze ein Übergangsgebiet vorzustellen hat, in dem sowohl das Präteritum als auch das Perfekt als Erzähltempora verwendet werden, und sich andererseits in Erinnerung ruft, dass der Präteritumschwund eine sich von Süden ausbreitende Erscheinung ist,20 so scheint es eine Parallele zwischen der Konjunktivverwendung und den üblichen Erzähltempora zu geben, welche einen gangbaren Weg zur Erklärung der ermittelten Regionalverteilung darstellt. Zwar ist diese Erklärung nicht allein ausreichend, da sich im Norden zu viele Quellen befinden, die relativ viel Konjunktiv I enthalten. Zudem bietet die Parallele zum Präteritumschwund keine Erklärung dafür, warum im Omd. mehr Konjunktiv II verwendet wird als im Wmd., wo man eine in etwa gleiche Verteilung erwarten sollte, wenn man von einer nach Norden fortschreitenden Zunahme des Präteritumgebrauchs ausgeht.21 Auch ist die prozen19 Die Grenze ist nach dem Vorbild von Karte 82 des DSA (1927–1956) eingezeichnet (vgl. auch Anmerkung 99 in Kapitel 3, S. 136 dieser Arbeit). 20 Vgl. beispielsweise die Darstellung der Schwundgebiete nach Behaghel, hier in Tabelle 3.6 (S. 101) zusammengestellt. 21 Das Auftreten einer Mischform vom Typ MIIa südlich von der Grenze und recht weit entfernt von anderen derartigen Mischtypen lässt sich wiederum durch die mundartliche Verwendung erklären. Konkret ist hier die Quelle Lemberg 1630 gemeint, die auffällig weiter im Süden liegt als die anderen Mischtypen, wie beispielsweise Bamberg oder Schweinfurt. In der dortigen Ortsmundart wird der Konjunktiv II verwendet (vgl. Anmerkung 100 in Kapitel 3, S. 137 dieser Arbeit), was die Moduswahl in dieser Quelle erklären könnte. Dementsprechend kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
tuale Verteilung in den drei Konjunktivverwendungsgebieten, die im vorangegangenen Abschnitt anhand der Sprachlandschaften definiert worden sind, deutlicher als in den beiden Gebieten nördlich und südlich der Präteritalgrenze: Im Norden überwiegt der Konjunktiv II zu 63 % und im Süden der Konjunktiv I zu 82 %, jedoch ist der Gegensatz nicht ganz so offensichtlich. Es ist also davon auszugehen, dass mehr als ein Faktor die Regionalverteilung hervorruft. Auch ist die Einteilung anhand der Sprachlandschaften vorzuziehen, da so die Unterschiede deutlicher zu Tage treten, als wenn nur zwei Gebiete, eins nördlich und eins südlich der Präteritalgrenze, untersucht würden. Der Präteritumschwund kann aber ein determinierender Faktor sein, da die erzielten Ergebnisse mit der Hypothese, die Schreiber ließen sich vom Erzähltempus in den Verhören in Teilen beeinflussen, vereinbar ist. Zudem kann so der krasse Gegensatz zwischen dem Oberdeutschen und den nördlichen Gebieten erklärt werden. Für Behaghel ist der Präteritumschwund in Bezug auf die Redeeinleitungen von Bedeutung, da er nach Perfekt einen schwankenden Gebrauch der Tempora und damit ein Abweichen von der Consecutio temporum ermittelt hat. Macha stellt dagegen einen direkten Zusammenhang zwischen der Konjunktivverwendung in den Mundarten bzw. den Protokollen und dem Präteritumschwund fest,22 was dann möglich ist, wenn man das Erzähltempus der Angeklagten als auslösendes Moment der Konjunktivwahl betrachtet, da, wie bereits oben erwähnt, der Präteritumschwund nur den Indikativ betrifft. Zum Teil sind Konjunktivformen, die allgemein mit dem Indikativ zusammengefallen sind, im Süden nur eindeutig als Konjunktiv zu erkennen, weil sie aufgrund des Schwundes kein Indikativ sein können (vgl. Saltveit 1983a, S. 1224). Die beobachtete Verteilung von Konjunktiv I und II kann demnach lediglich indirekt etwas mit dem Präteritumschwund zu tun haben, sei es unter Einfluss der Redeeinleitungen im Perfekt oder durch den oben umrissenen Transpositionsprozess und damit das Grundtempus des Originaldie gesamte Konjunktivverteilung durch den Präteritumschwund erklären lässt. 22 In dem Teilkorpus, das Macha seiner Untersuchung zugrunde gelegt hat, sind fast ausschließlich Redeeinleitungen im Präsens zu finden (vgl. 2003a, S. 183, Anmerkung 1). Deswegen bietet sich dort die Annahme, das Perfekt könnte als Redeeinleitung die Consecutio temporum beeinflussen, nicht an.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
247
verhörs (Perfekt oder Präteritum). In Behaghels Untersuchung ist das Tempus der Originaläußerung hingegen im Grunde nicht von Bedeutung, da er literarische Texte untersucht hat, die naturgemäß ausschließlich fiktive Originaläußerungen enthalten.23 Es ist immer noch möglich, dass die Konjunktivverteilung auch mit einer Häufung von Redeeinleitungen im Perfekt zusammenhängt, nach denen Behaghels Ergebnissen zufolge der Konjunktivgebrauch schwankt. Da auf den Einfluss des Tempus der Redeeinleitungen jedoch erst weiter unten eingegangen wird (Abschnitt 5.3), soll diese Möglichkeit an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Festzuhalten ist, dass die Beeinflussung der Konjunktivwahl durch das im Verhör herrschende Tempus eine gute Erklärungsmöglichkeit für die Ergebnisse darstellt und mit großer Sicherheit einer der einflussreicheren Faktoren ist, welche die Regionalverteilung hervorrufen.
5.2.c ) Der Sprachwechsel im niederdeutschen Gebiet Zwischen dem späten 15. und dem 17. Jh. findet im Bereich der Schriftlichkeit auf niederdeutschem Boden der Sprachwechsel von den mittelniederdeutschen Schriftsprachen24 zum Hochdeutschen statt, und zwar überwiegend zur Schriftsprache ostmitteldeutscher Prägung (vgl. Gabrielsson 1983, S. 119). Für den hier zu beschreibenden Zusammenhang ist der Sprachwechsel in den Kanzleien von besonderer Bedeutung, und zwar im Speziellen die Fragen, wie lange sich das Niederdeutsche im Kanzleibetrieb erhalten hat und woher bzw. durch wen (etwa Kanzleiangestellte) das Hochdeutsche eingeführt wird. Nicht alle Kanzleien folgen jedoch dem gleichen Muster; es besteht zum Beispiel ein Unterschied zwischen fürstlichen und städtischen Kanzleien (vgl. Gabrielsson 1983, S. 131– 132). Auch der Adressatenbezug kann ausschlaggebend bei der Wahl 23 Man könnte sich allerdings vorstellen, dass ein Schriftsteller, wenn er sich eine fiktive Originaläußerung vorstellt, um diese in seinem Roman indirekt wiederzugeben, sich vom in seiner Heimatmundart üblichen Erzähltempus beeinflussen lässt. Das ist jedoch nur eine Vermutung. 24 Peters betont, dass eine einheitliche mittelniederdeutsche Schriftsprache bzw. die Hansesche Norm ein Mythos ist. Ihm zufolge müsse man vielmehr von einer Vielzahl regionaler niederdeutscher Schreibsprachen ausgehen (vgl. 1998, S. 118 und 122).
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
der Sprachform sein, beispielsweise wenn von kleineren Gerichten, wo der Sprachwechsel prinzipiell noch nicht stattgefunden hat, auf hochdeutsch geschriebene Akten an weit entfernte Spruchkollegien geschickt werden, weil dort das Niederdeutsche ggf. nicht verstanden wird. Nach Gabrielsson (1983) ist der Zeitraum des Übergangs von Ort zu Ort verschieden, es lassen sich aber auf dem hier interessierenden Areal fünf Gebiete mit Gemeinsamkeiten ausmachen: Brandenburg und Ostfalen, Pommern und Mecklenburg, die nordwestdeutschen Hafenstädte, Westfalen sowie das norddeutsche Küstengebiet (vgl. ebd., S. 138–145).25 In der folgenden Nachzeichnung seiner Ergebnisse, die durch neuere Forschungsergebnisse ergänzt werden, liegt der Schwerpunkt auf den Städten bzw. Gebieten, aus denen Quellen in die hiesige Untersuchung eingegangen sind.26 1. Brandenburg (Blankensee, Brandenburg, Passow, Perleberg) und Ostfalen (Celle, Göttingen, Helmstedt, Hildesheim, Wernigerode, Westerburg): Brandenburg wird bereits um 1500 von unmittelbar angrenzenden südlichen Gebieten stark hochdeutsch beeinflusst, wobei die Achse der Entwicklung von Leipzig nach Stettin verläuft. Beschleunigt wird der Übergang durch das ostfränkische Herrscherhaus der Hohenzollern, das in Brandenburg einzieht und einen „ausgedehnten Beamtenapparat“ mitbringt (ebd., S. 138).27 Die ostfälischen Städte werden ebenfalls um 1500 vom hochdeutsch schreibenden Braunschweigschen Herzogshaus beeinflusst. Kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen nach Süden und ein gleichzeitig abnehmender Kontakt zur Hanse verstärken auch hier den Einfluss der mitteldeutschen Schriftsprache. In den Städten Göttingen, Hannover, Hildesheim und Braunschweig beginnt der Sprachwechsel (zumindest in der Ratskanzlei) erst um die Mitte des 16. Jhs. (vgl. ebd., S. 138–139), damit aber immer noch früher als beispielsweise im 25 Das sechste von Gabrielsson umrissene Gebiet (Preußen, Livland, Finnland, Skandinavien) bleibt unbeachtet, da in das vorliegende Korpus keine Quellen aus diesem Gebiet eingegangen sind. 26 Die betreffenden Quellen werden im Folgenden den Gebieten ergänzend zugeordnet. 27 Vgl. auch Gessinger 2003, S. 2681.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
249
Westfälischen oder Nordniederdeutschen. Das „elbostfälisch-brandenburgisch[e]“ Gebiet kann, da hier und insbesondere an der Südgrenze das Hochdeutsche zuerst zu übernehmen begonnen wird, als „Einbruchstelle des Hochdeutschen“ bezeichnet werden (Peters 2000, S. 172, vgl. auch Gabrielsson 1983, S. 137 und 148). 2. Pommern (Schivelbein, Stettin) und Mecklenburg (Borgfeld, Crivitz, Güstrow, Schwerin, Stralsund, Wüstenfelde): Auch in Mecklenburg vollzieht sich der Wechsel etwas später als in Brandenburg: in Schwerin ist er um 1550 weitgehend abgeschlossen, die Küstenstädte Rostock und Wismar orientieren sich sogar noch länger an der Hanse und damit an den mittelniederdeutschen Schriftsprachen. Im pommerschen Stettin, dem Endpunkt der unter 5.2.c ) angesprochenen Entwicklungslinie, gehen sowohl die herzogliche als auch die städtische Kanzlei dagegen früher zum Hochdeutschen über, die herzogliche Kanzlei bereits 1534. Das dort eintreffende Hochdeutsch kommt von Leipzig und Wittenberg über Berlin nach Stettin und ist damit ebenfalls ostmitteldeutsch geprägt (vgl. Gabrielsson 1983, S. 139). 3. Nordwestdeutsche Hafenstädte (Bremen, Hamburg): Bremen, Hamburg und Lübeck bleiben, bedingt durch ihren Status als freie Reichsstädte, lange unbeeinflusst vom Sprachwechsel in den benachbarten Territorien. Hamburg pflegt zwar Beziehungen nach Leipzig und Augsburg, wichtiger sind jedoch die Verbindungen in die Niederlande und nach England, welche den „seit der Mitte des 16. Jh. in der Ratskanzlei erkennbaren h[och]d[eutschen] Tendenzen hemmend gegenüber stehen“ (ebd., S. 141). Auch Bremen ist eher mit den Niederlanden verbunden als mit den hochdeutschen Territorien, was einer vorläufigen Bewahrung des Niederdeutschen zuträglich ist. Erst um 1630 erfolgt dort der Sprachwechsel in der Ratskanzlei. 4. Westfalen (Ahaus, Alme, Coesfeld, Essen, Lemgo, Münster, Osnabrück, Werl): Westfalen ist bei der Übernahme des Hochdeutschen nicht am Ostmitteldeutschen orientiert, sondern am Oberdeutschen (vgl. ebd., S. 142). Peters stellt die „dynastischen Verbindungen“ der westfälischen Fürstenhöfe mit dem Süden heraus (vgl. Peters 2000, S. 168).
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
In Westfalen allgemein und insbesondere in Münster war der Blick zudem nach Köln gerichtet (vgl. ebd., S. 174), und Köln orientiert sich wiederum am Oberdeutschen, welches in Köln als „Prestigevarietät“ galt und auch dort die regionale Schreibtradition überschichtete (vgl. Mattheier 2003, S. 2328 sowie 1981, S. 295). Zudem beginnt der Übergang hier später, in der Mitte des 16. Jhs., und das nicht zuletzt, weil Westfalen weit von der bereits erwähnten „Einbruchsstelle“ des Hochdeutschen entfernt ist (vgl. Peters 2000, S. 172). 5. Norddeutsches Küstengebiet (Flensburg, Grünholz, Jever, Meldorf, Schwabstedt, Uphusen, Westerlandföhr): Auch zwischen den nordniederdeutschen Städten und dem elbostfälisch-brandenburgischen Gebiet liegt eine große räumliche Distanz, weswegen sie ebenfalls später zum Hochdeutschen übergehen. Insbesondere in Flensburg besteht ein großer zeitlicher Unterschied zwischen dem Übergang der Kanzlei des Rates im auswärtigen Schriftverkehr (1567) und im inneren Amtsverkehr (1626) (vgl. Gabrielsson 1983, S. 144 sowie Sodmann 2000, S. 1506). Daneben ist ganz Schleswig-Holstein im 16. und 17. Jh. noch Dänisch, man blickt also sprachlich nach Kopenhagen, wo die königlichen Verordnungen um 1560 beginnen, hochdeutsch verfasst zu werden (vgl. Gabrielsson 1983, S. 144). Zuletzt erreicht das Hochdeutsche Ostfriesland. Auch hier bestehen mit Bremen und Hamburg vergleichbare, stärkere Bindungen in die Niederlande als nach Süden. So hält sich das Niederdeutsche beispielsweise in der inneren Verwaltung der Stadt Emden bis 1650. Gebietsübergreifend wird die Rechtssprache bereits vergleichsweise früh vom Hochdeutschen beeinflusst. Die Einführung des römischen Rechts 1495 führt zu einem „regen Schriftverkehr der nordd[eutschen] Städte mit dem Reichskammergericht in Speyer“, der notwendigerweise auf Hochdeutsch stattfinden muss, da in Speyer das Niederdeutsche nicht verstanden wird (vgl. ebd., S 124). Daher studieren die zukünftigen Notare und Gerichtsschreiber Norddeutschlands an Universitäten, wo hochdeutsch gesprochen wird. Solange es in den Kanzleien Norddeutschlands noch an heimischem Personal fehlt, das ausreichend hochdeutsch spricht, werden Kanzler und Sekretäre aus Mittel- oder Süddeutschland in norddeutsche Kanzleien berufen, die somit aus leitenden Positionen auf die Kanzlei-
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
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sprache einwirken (vgl. ebd.).28 Des Weiteren ist zu beachten, dass die Kanzleien mitunter das Niederdeutsche für Interna und Schriftstücke, die für Sprecher des Niederdeutschen bestimmt waren, verwendeten, während der auswärtige Schriftverkehr auf hochdeutsch gehalten war (vgl. Sodmann 2000, S. 1505). In der hohen Gerichtsbarkeit findet so der Wechsel jeweils eher statt als bei der niederen Gerichtsbarkeit (vgl. Peters 2000, S. 172). Im Zusammenhang der Hexenprozesse sind damit Gesuche um Gutachten bei den Spruchkollegien Kandidaten für hochdeutsche Schriftstücke sowie Protokolle, die zum Versenden an übergeordnete Instanzen bestimmt sind. Insbesondere die Protokolle müssen aber Übersetzungen aus dem Niederdeutschen sein, da Verhöre in der Regel in der Volkssprache geführt worden sind. Auch diejenigen Urgichten, die zum Vorlesen bestimmt waren, können dagegen lange das Niederdeutsche bewahren (vgl. Maas 1985, S. 613 sowie Schütt 1919, S. 60–61). Zusammenfassend bestimmen folglich sprachliche Vorbilder, Adressaten, Zweck des Schriftstückes (beispielsweise zum Vorlesen) sowie der Umstand, dass die Kanzleiangestellten entweder niederdeutsche oder zugereiste hochdeutsche Muttersprachler sein können, die Sprache eines Protokolls bzw. einer Urgicht. Diese Überlegungen lassen die Konjunktivverteilung in den nördlichen Gebieten in einem besonderen Licht erscheinen: Die Quellen sind offenbar Einflüssen unterschiedlicher Herkunft ausgesetzt. Zum einen stehen sie vielleicht noch in mittelniederdeutscher Schreibtradition, und zwar nicht nur, wenn die Sprache noch spürbare niederdeutsche Reste erkennen lässt, sondern auch, wenn das Lexikon bereits völlig hochdeutsch geworden ist. Auch vornehmlich hochdeutsche Texte können noch niederdeutsche, vielleicht ausschließlich syntaktische Strukturen erkennen lassen. Die Volkssprache ist zudem als Sprache der Verhöre noch stets präsent, sodass sie vielleicht trotz Übersetzung ins Hochdeutsche noch durchscheint. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass die zugereisten, nach Norden berufenen mittel- und oberdeutschen Kanzleiangestellten, die mit der Protokollierung betraut sind und sowohl nieder- als auch hochdeutsch sprechen bzw. schreiben können, eher in der Schreibtradition ihrer hochdeutschen Muttersprache stehen. Hier fällt auch der Bezug auf hochdeutsch 28 Vgl. speziell für Brandenburg auch Gessinger 2003, S. 2681.
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sprechende Adressaten ins Gewicht. Unabhängig von anderen, im Folgenden zu besprechenden Faktoren liefern diese Überlegungen eigene Erklärungsmöglichkeiten für die Modusverwendung in den norddeutschen Quellen des vorliegenden Korpus, und zwar in Form eines Anhaltspunktes, der die Verbreitung hochdeutscher Schreibtraditionen und der Bewahrung niederdeutscher betrifft. Die Situation gestaltet sich wie folgt (vgl. wiederum Abbildung 5.2, S. 231): Insgesamt gesehen ist, wie bereits oben festgestellt, im Nnd. und Nod. als zwei Landschaften des Gebietes A der Konjunktiv II der Normalmodus. Im Nwd., der nördlichsten Landschaft des Gebietes B, überwiegt in den untersuchten Texten hingegen der Konjunktiv I, mehr jedoch in Westfalen als in Ostfalen. Daneben überwiegt in den Quellen des Gebietes A der Konjunktiv I punktuell, so in Stettin, Passow und Jever sowie den beiden nördlichsten Städten, Flensburg und Grünholz. Letztere fallen, wie erwähnt, besonders aus dem allgemeinen Rahmen, da sie als einzige Quellen im Konjunktiv-II-Gebiet den Typ EI aufweisen. Wenn man nun die Stoßrichtungen des Sprachwechsels rekapituliert, so ist Stettin (Typ MIa) der Endpunkt der oben angesprochenen Ausbreitungsachse des Hochdeutschen von Leipzig und Wittenberg aus nach Norden. Passow liegt in der Nähe von Stettin und weist ebenfalls mehr Formen des Konjunktivs I auf als die übrigen pommerschen und mecklenburgischen Quellen. Hier kann also eine schreibsprachliche Verbindung zwischen diesen beiden und ggf. Leipzig als Ausgangspunkt der Entwicklung vermutet werden. In Stettin wird jedoch der Konjunktiv I weitaus mehr (75 % zu 25 %) als in Leipzig (33 % zu 67 %) verwendet. Hier kann also nur unter Annahme weiterer Faktoren von einem Zusammenhang ausgegangen werden. Die Quellen aus Blankensee, Borgfeld, Brandenburg und Perleberg stammen alle aus den Gerichtsbüchern des Schöppenstuhls Brandenburg, und alle zeigen einen ähnlichen Konjunktivgebrauch (70–84 % Konjunktiv II, Typ MIIa).29 Hier könnte demnach der Adressatenbezug von Bedeutung sein: Die Protokolle und Urgichten sind in den kleineren Kanzleien der Prozessorte entstanden und 29 Die Verteilung in Perleberg ist 15,22 % zu 84,78 % und damit an der Untergrenze des Extremtypus.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
253
wurden nach Brandenburg geschickt.30 Ebenso lässt sich eine Orientierung der ostfälischen Quellen ins Ostmitteldeutsche erkennen, die den obigen Ausführungen entspricht: Wie bei den nahe gelegenen ostmitteldeutschen Quellen finden sich bei den ostfälischen einerseits Quellen vom Typ EII, andererseits der Mischtypus MIIb mit leichtem Überwiegen des Konjunktivs II. In Westfalen kann man aufgrund des Befundes eine Orientierung ins Rheinland – und über dieses, wie oben (S. 250) erwähnt, ins Oberdeutsche – annehmen: In beiden Landschaften überwiegt insgesamt der Konjunktiv I, womit Westfalen sich als relativ großflächiges Konjunktiv-I-Gebiet gegenüber dem übrigen Norddeutschland absetzt.31 Offenbar ist jedoch die Orientierung am Obd. weder in Westfalen noch im Rheinland so groß, dass dort wie in Bayern ausschließlich der Konjunktiv I verwendet würde. Es findet sich in Westfalen nur eine Quelle vom Typ EI (Essen 1589), die anderen sind Mischtypen. Punktuelles Überwiegen des Konjunktivs I inmitten von Konjunktiv-II-Quellen könnte durch einen hochdeutsch sprechenden Kanzleivorsteher bedingt sein, der eine von dem offenbar ansonsten im Norden üblichen Stilprinzip (d. h. die Verwendung des Konjunktivs II) abweichende Norm eingeführt hat. Da aber nicht bei allen Quellen der Name des Schreibers überliefert ist – ein oberdeutsch anmutender Name könnte bereits hilfreich sein, um die Herkunft seines Trägers zu ermitteln – kann die Person des Schreibers nur selten bei der Suche nach den Ursachen des Modusgebrauchs helfen. In Celle, das durch eine hohe Frequenz des Konjunktivs I auffällt (Typ MIa), ist der Name des Schreibers beispielsweise in der Quelle nicht überliefert.32 In Flensburg und Grünholz ist wahrscheinlich je30 Dass es sich um Versendungsakten handelt, ist in den Originalen anhand einer Reihe von Indizien zu erkennen. Zum einen wechseln die Handschriften, die Texte wurden also von einer großen Anzahl unterschiedlicher Gerichtsschreiber angefertigt. Zum anderen sind die gesiegelten Briefumschläge mit in den Akten abgeheftet, welche die Versendung vom Prozessort zum Spruchkollegium belegen. 31 Eine dichtere Quellenlage würde hier freilich größere Gewissheit bringen. 32 Eingehendere Recherchen in den Archiven, aus denen die Quellen stammen, könnten hier unter Umständen weiterführende Erkenntnisse bringen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Erstellung von 105 lückenlosen Vitae der Schreiber nicht zu garantierten Ergebnissen führt und ebenfalls Spekulationen mit sich brächte, wird hier von historischen Recherchen dieser
254
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
doch kein Import hochdeutscher Schreibkonventionen für das Überwiegen des Konjunktivs I verantwortlich. Das Flensburger Protokoll ist fast vollständig niederdeutsch, es ist also wahrscheinlich von einem Sprecher des Niederdeutschen aufgesetzt worden. Der Text aus Grünholz ist zwar hochdeutsch. Was die Syntax und insbesondere die Modusverwendung anbelangt, ähneln sich die Quellen aus den zwei sehr nahe beieinander liegenden Orten aber so stark, dass das Grünholzer Dokument eine Übersetzung aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche sein kann: (5.10) Bekent ock, Datt dußer Turn[us] si offtmalß bi Ehr gewesen vnd datt se mitt demsuluigen bi der Reperbane sy ethliche mall in einem Berge gewesen Vor Welchem Berge Eine Dhore si [. . .] In dußen Berge Segt se hebbe se ock mitt ehrem Turno boleret Vnd si desuluige Ruch vnd kolt gewesen. Segt ock Datt se der Turn[us] in dußem Berge gewaldigh geschlag[en], eth orsaken Datt se Karsten Andersen Fruwen vorgeuen scholde, Welches se nicht don Wollen. (Flensburg 1608, S. 252, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 28) (5.11) Bekennet, daß wie ihre Tochter einmal krank gewesen, habe sie ein Stück Rindfleisch von Hans Schmidts Frawe begehret, aber nicht alsobald bekommen, besondern gesagt, die Dirne sollte es ihr bringen, darauf sey es ihr den andern Tag geschicket, sey nicht zornig geworden und habe die Kuh kalben sollen, aber nicht davon kommen können, sey nicht schuldig daran gewest. (Grünholz 1641, S. 69) Beide Passagen werden durch das Verb bekennen im Präsens eingeleitet, es folgt ein dass-Satz, die folgenden Verben erscheinen als Konjunktiv I (oder sind elidiert), bis auf das Verb sollen, das von
Art Abstand genommen und stattdessen der Schwerpunkt auf sprachwissenschaftliche Deskription von beobachtbaren Strukturen gelegt. Nicht zuletzt ist dem Herkunftsort der Schreiber, wie eingangs erwähnt (vgl. S. 7 dieser Arbeit), in der Endphase des Frühneuhochdeutschen nicht mehr dieselbe Bedeutung beizumessen wie in seiner Anfangsphase. Vielmehr ist der Schreibort zu berücksichtigen (vgl. Bentzinger 2000, S. 1669).
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
255
beiden Schreibern in den Konjunktiv II gesetzt worden ist.33 Die Quelle aus Grünholz ist über 30 Jahre jünger als das Flensburger Dokument, sodass das Grünholzer Protokoll aufgesetzt wurde, nachdem der Übergang zum Hochdeutschen stattgefunden hatte. Da das Hochdeutsche aber hier, weitab vom Einbruchsgebiet, erst spät Einzug hielt, wären mittelniederdeutsche Schreibtraditionen als Grund für die Moduswahl denkbar. Immerhin ist in mittelniederdeutschen Drucken die Consecutio temporum als Regel zu beobachten.34 Ohne dem vornehmlich der Consecutio temporum gewidmeten Abschnitt vorgreifen zu wollen, ist es doch notwendig, bereits hier zu erwähnen, dass eben dieses auch in den beiden Quellen der Fall ist: Sie zeigen mehrheitlich Redeeinleitungen im Präsens, denen abhängige Sätze im Konjunktiv I folgen. Auch für Stettin lassen sich Consecutio temporum und mittelniederdeutsche Schreibtradition als Erklärung heranziehen.35 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die belastenden Zeugenaussagen, die der Aussage der Angeklagten Mette Jones aus Grünholz vorangestellt sind (Grünholz 1641, S. 66–69), im Konjunktiv II gehalten sind. Da zu dieser Quelle keine Handschrift vorliegt, wäre es möglich, dass Zeugenaussagen und Bekenntnis der Angeklagten von zwei verschiedenen Schreibern protokolliert wurden. Das bedeutet, dass entweder nicht alle Schreiber der mittelniederdeutschen Schreibtradition folgen, wenn die Protokolle der Zeugenaussagen und die der Aussagen der Angeklagten von verschiedenen Schreibern stammen, oder aber, dass in Grünholz nicht in allen Arten von Protokollen dieser Tradition gefolgt wird.36 Letzteres trifft natürlich nur dann zu, wenn sich die Konjunktivverwendung wirklich auf eine solche Tradition zurückführen lässt. In jedem Fall kann das Tempus der Redeeinleitung nicht zur Erklärung beitragen, weil es auch bei den Zeugenaussagen das Präsens ist. 33 Dieser Konjunktiv II dient in beiden Quellen zur Kennzeichnung eingebetteter Redewiedergabe. Vgl. unten Abschnitt 5.6.d). 34 Vgl. Abschnitt 3.8, S. 147 dieser Arbeit. 35 Zum möglichen Einfluss der Consecutio temporum in diesen Quellen vgl. unten Abschnitt 5.3.b), S. 289 dieser Arbeit. 36 Bei Zeugenverhörprotokollen aus anderen Orten (z. B. Hechingen und Coesfeld) lässt sich kein Unterschied zu den Verhörprotokollen der Angeklagten feststellen.
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Diese abwägenden Überlegungen haben gezeigt, dass der Sprachwechsel an mehreren Stellen für die beobachtete Verteilung der Modusverwendung verantwortlich sein kann, oder zumindest zur Erklärung beitragen kann. Sie ergänzen die vorangegangenen Überlegungen und eröffnen die Möglichkeit, dass – wenn tatsächlich das Erzähltempus für den hohen Anteil an Konjunktiv II in Gebiet A verantwortlich ist – die Orientierung der Schreiber an anderen Schreibtraditionen ihre Beeinflussung durch das Erzähltempus aufheben oder abschwächen könnte. Beispielsweise wäre es auch denkbar, dass in Westfalen ohne die Orientierung ins Rheinland im Konjunktiv II protokolliert worden wäre, so wie im übrigen Norddeutschland.
5.2.d) Konfessionsräume Es existiert ein weiterer räumlicher und zugleich politischer Aspekt, der als Erklärungsansatz für die zu beobachtende regionale Konjunktivverwendung herangezogen werden kann, und zwar die konfessionelle Raumbildung und damit einhergehende Konfessionalisierung37 in den frühneuhochdeutschen Schreibsprachen, die nicht unterschätzt werden darf, wie das folgende Zitat mit Bezug auf die Literatursprache nahe legt: Aber auch Konvertiten wie der Niederländer Aegidius Albertinus, der Brandenburger Procopius von Templin oder der Hesse Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen wechseln mit der Konfession zugleich die Sprache, sie schreiben Oberdeutsch (Breuer 1998, S. 189).
Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 hatten die weltlichen Reichsstände das Recht erhalten, die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen (Cuius regio, eius religio). Dadurch kam es zu einer Aufteilung des Reiches in protestantische und katholische Territo-
37 Der kirchengeschichtliche Begriff Konfessionalisierung (auch Konfessionalismus genannt) wird hier einer allgemeinen Definition zufolge so verstanden: „das Vordringen [. . .] eines rel[igiösen] Bekenntnisses in Bereiche, die außerhalb des Religiösen liegen, auch [. . .] konfessionelle Abschließung sowie strenge und ausschließliche Bekenntnistreue“ (vgl. Heim 1998, S. 266). Hier ist demnach speziell die sprachliche Abgrenzung der Territorien gegeneinander unter dem Einfluss der Konfession gemeint.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
257
rien, die sich immer mehr – auch sprachlich38 – gegeneinander abgrenzten.39 Auf die Sprachentwicklung wirkten unter anderem die unterschiedlichen Bibelübersetzungen ein: In den protestantischen Territorien wurde Luthers Bibelübersetzung verwendet, in den katholischen Territorien wurde dagegen, ausgehend von Bayern und Österreich, im Zuge der Gegenreformation die Lutherbibel verboten; an ihre Stelle traten katholische, oberdeutsche Bibelübersetzungen. Im äußersten Südwesten übte hingegen die Zwinglibibel Einfluss aus, die zunächst in die alemannische Sprachtradition eingebunden war (vgl. Besch 2003, S. 2276–2277). So sind drei Großräume umrissen, in denen jeweils tendenziell eine eigene Schreibsprache verwendet wurde, wobei lokale Variation miteinzukalkulieren ist: ein protestantisch-alemannischer, ein katholisch-ostoberdeutscher und ein protestantisch-ostmitteldeutscher. Die Konfessionalisierung brachte also in diesem Maße die zersplitterten Territorien zumindest sprachlich einander näher, was eine bedeutende Entwicklung für die Ausbildung überregional gültiger Normen darstellt (vgl. Solms 2000, S. 1517–1518). In diesem Zusammenhang zeigt Breuer (1971 und 1998), dass zwischen 1550 und 1750 in der Literatursprache eine protestantische und eine katholische Tradition nebeneinander bestanden haben. Dabei ist die protestantische Variante nicht mit dem Deutsch der Lutherbibel identisch, sondern vielmehr mit dem „Meißnischen“ im Allgemeinen,40 welches „in den 38 Reinhard nennt als eine Dimension der (katholischen) Konfessionalisierung (in einer Reihe mit „klares Glaubensbekenntnis“, „Propaganda“, „Zensur“, „Monopolisierung der Bildung“ u. a.) auch die „sprachliche Festlegung – sprachliche Ausschließung“ (vgl. 1995, S. 426). Allerdings ist Reinhard zufolge die „positive und negative konfessionelle Sprachregelung“ ein Gebiet, auf dem es noch viel zu erforschen gibt (vgl. ebd., S. 430–431). 39 Gänzlich schwarz-weiß ist diese Abgrenzung hingegen nicht zu verstehen: „Jeder Nuntius aus Rom, jeder weltliche Gesandte, alle Staatsmänner und Kirchenpolitiker wußten oder erfuhren bei ihrem ersten Betreten Deutschlands, daß es hier nicht nur protestantische und katholische Gebiete gab, sondern unter den katholischen Gebieten Säulen der alten Kirche und schwankende, halb verlorene Glieder, aber auch neu aufblühendes Leben, und unter diesen wieder jeweils ausstrahlende Zentren kirchlichen Lebens und matte, selbstgenügsame Zonen.“ So Ziegler (1995, S. 405) über die kirchenpolitische Realität im 16. und 17. Jh. 40 Die alemannische Tradition der Zwingli-Bibel war dagegen auf den Schweizer Raum begrenzt.
258
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
katholischen Ländern wie Bayern, Oesterreich und Teilen des Rheinlandes als lutherisches Deutsch und seine Verwendung als ketzerisch [galt]“ (Raab 1984, S. 19). Demgegenüber hält Wiesinger jedoch fest, dass Österreich und insbesondere Wien im 17. Jh. offener für das Omd. war als Bayern (vgl. Wiesinger 1987, S. 105). Wie in einem mitteldeutschen, katholischen Territorium die traditionelle Schriftsprache durch eine neue, katholisch-oberdeutsche Prestigevarietät überschichtet wurde, zeigt Mattheier (1981 und 2003) am Beispiel von Köln, einem Zentrum der Gegenreformation. Diese konfessionelle Aufteilung der Sprache ist im 17. Jh. in jedem Fall noch zu beobachten (vgl. Henzen 1954, S. 101).41 Macha (1998) verdeutlicht anhand rheinischer und westfälischer Verhörprotokolle, wie sich die Orientierung am katholischen Oberdeutsch im Einzelnen auswirken kann. Im Zusammenhang der allgemein sehr hohen graphischen Varianz im Frühneuhochdeutschen einerseits und andererseits der politischen und konfessionellen Zersplitterung des Reiches im Dreißigjährigen Krieg untersucht er eine systematische Verwendung „programmatischer Graphien“. Sein Ausgangspunkt ist folgende These: 41 Henzen weist darauf hin, dass die Behauptung von Raumers, auch die Katholiken würden gegen 1600 bereits das protestantische Lutherdeutsch verwenden, nicht zutrifft. Von Raumer bezieht sich unter anderem auf die Wirkung der Grammatik des Clajus, welche trotz ihres expliziten Bezuges auf Luther auch von Katholiken verwendet worden sei. Dieses zeige ein interessantes Exemplar von 1575 dieser Grammatik, das einst dem Jesuitenkolleg gehörte und das sich zu von Raumers Zeiten im Besitz der „Hauptbibliothek zu München“ befand. Die Jesuiten haben aus diesem Exemplar die plakativsten Bezüge auf Luther durch sauberes Ausschneiden entfernt, wie beispielsweise die Vorrede, aus der die glühende Verehrung des Clajus für Luther offensichtlich hervorgeht (vgl. 1873, S. 125). Die späteren Auflagen der Grammatik gestalten sich laut von Raumer immer neutraler, das heißt mit weniger offensichtlichem Bezug auf Luther (vgl. ebd., S. 126). Letztendlich sei es jedoch nicht die Grammatik, sondern Luthers Sprachgewalt selber, welche die frühe Einigung der Sprache bewirkt habe (vgl. ebd., S. 127). Bei aller Bedeutung, die Luther für die Einigung der deutschen Schriftsprache zukommt, ist dieser Enthusiasmus jedoch eine Überbewertung. Nach heutigem Forschungsstand ist klar, dass Luther als ein entscheidender Faktor, nicht aber als alleiniger „Schöpfer“ der neuhochdeutschen Schriftsprache betrachtet werden kann (vgl. z. B. Besch 2000, S. 1714–1717). Um 1600 war die Schriftsprache zudem noch nicht geeint, wie nicht zuletzt die hier untersuchten Texte eindrucksvoll belegen.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
259
Die Wahl einer bestimmten Graphie läßt den kulturellen Standort eines Schreibers durchscheinen bzw. sie zeigt an, welcher Fraktion ein Schreiber zugeordnet werden möchte (Macha 1998, S. 57).
Eine solche Annahme kann nur plausibel sein, wenn man den Schreibern ein ausgeprägtes Feingefühl für Graphien zugesteht, was jedoch gerade bei den Produzenten des münsterschen Korpus gerechtfertigt erscheint, da sie professionelle Schreiber sind (vgl. ebd.). Hinzu kommt, dass sie der Obrigkeit, also der Stadt oder einem Landesfürsten, verpflichtet sind. Auch die Orientierung an möglichen Adressaten ist von Bedeutung. So hat beispielsweise der Schreiber des Stadtgerichts Köln in einer Abschrift für das kurfürstliche Hochgericht ein Protokoll behutsam in Richtung bairisch-oberdeutscher Prestigevarietät verändert, ohne jedoch vollständig oberdeutsch zu schreiben (vgl. ebd., S. 59–60). Aufbauend auf dieser Beobachtung untersucht Macha weitere Protokolle hinsichtlich oberdeutscher Signalgraphien wie kh oder der schriftlichen Fixierung der Synkope. Diese Merkmale sind nicht in allen Protokollen des nördlichen Rheinlands und Westfalens vorhanden, aber in vielen. So werden sie in der erzbischöflichen Kanzlei Köln mehr verwendet als am Stadtgericht, in Münster wiederum verstärkt, dagegen weniger an den Dorfgerichten rund um Münster und Köln (vgl. ebd, S. 61–64). In Anbetracht eines solchen Befundes steht zu überlegen, ob es vielleicht neben graphischen und lautlichen Merkmalen noch andere Kennzeichen mit Signalwirkung gibt, die aus der Prestigevarietät des katholischen Oberdeutsch oder auch des protestantischen Lutherdeutsch in andere Schreibsprachen übernommen worden sind, wobei von einer den Schreibungen vergleichbaren Signalwirkung nicht mehr mit Sicherheit ausgegangen werden, diese aber vermutet werden kann. Genauer ist die Hypothese zu überprüfen, ob sich mit der katholisch-oberdeutschen Varietät der Konjunktiv I in die nördlicheren katholischen Territorien verbreitet hat, ebenso wie der Konjunktiv II, welcher im protestantischem Omd. überwiegend verwendet wird, sich in die protestantischen Territorien ausgebreitet haben könnte. Da es im Omd. jedoch, zumindest nach dem hier ermittelten Befund, auch Quellen der Mischtypen MIIa und MIIb gibt, kann man nicht mit derselben Sicherheit wie im Fall des Obd. davon ausgehen, dass in der omd. Schreibsprache ausschließlich der Kon-
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
junktiv II verwendet wird.42 Da im Omd. jedoch insgesamt der Konjunktiv II überwiegt, besteht die Möglichkeit, dass sich mit der omd. Kanzleisprache der Konjunktiv II verbreitet. Die Karte in Abbildung 5.5, welche die hier ermittelte Konjunktivverteilung im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Reformation zeigt, gestattet eine erste Überprüfung dieser Hypothese. Die Karte ist eine Kombination aus der Karte in Abbildung 5.1 und einer Karte, welche die „obrigkeitliche Einführung der Reformation in Deutschland bis 1570“ (Martin 2004, S. 73) zeigt.43 42 Auch durch Untersuchung Sprache Luthers kann keine weitere Sicherheit darüber erlangt werden. Wie oben erwähnt, orientiert man sich eher am Meißnischen und nicht einmal, seinem berühmtem Ausspruch „ich rede nach der sächsischen Canzley“ (Luther 1912, Tischreden Nr. 1040, S. 524) folgend, an eben dieser Wittenberger Kanzlei (vgl. von Polenz 2000, S. 166) oder an seinen Schriften. Diese wurden dennoch auf Luthers Umgang mit der indirekten Rede und der Consecutio temporum hin untersucht. Eine stichprobenartige Überprüfung der CD-ROM Ausgabe von Luthers Werken zeigt, dass er häufig indirekte Rede mit Indikativ verwendet, was für das frühe 16. Jh. normal ist (vgl. Abschnitt 3.7 dieser Arbeit). Hinzu kommt, dass Luther oft zur direkten Rede greift. So ist beispielsweise in der von Schöndorf (1989) untersuchten Josefsgeschichte (vgl. Abschnitt 3.8, S. 147) keine der 147 mit sprach eingeleiteten Redewiedergaben eine indirekte. Auf sagen folgt in drei von 36 Fällen eine indirekte Redewiedergabe, wobei die Consecutio temporum beachtet wird, nach drei weiteren redeeinleitenden Ausdrücken gleichermaßen: Nach meinen, wissen und ein Geschrei sein steht eine indirekte Redewiedergabe mit Consecutio temporum. Da aber die direkte Rede vorherrscht, können Luthers Schriften nicht die primäre Quelle der Vorbilder für die Kanzleischreiber des ausgehenden 16. und 17. Jhs. gewesen sein, und daher lassen sich keine weiterführenden Erkenntnisse zum Konjunktivgebrauch im Omd. aus ihnen gewinnen. 43 Für die Karte in Abbildung 5.5 musste die Originalkarte aus Martin (2004) bearbeitet und leicht ergänzt werden, da sie einen schmalen Streifen im Osten des deutschen Sprachraumes nicht zeigt und die schlesischen Territorien in einer Detailkarte „c“ darstellt. Diese Detailkarte wurde daher maßstabgetreu verkleinert und an die entsprechende Stelle verschoben. Die Karte ist im Original zudem bunt und verfügt über eine Legende. Durch die farbige Abstufung ist im Original zu erkennen, wo die Reformation bis 1545, bis 1555 und bis 1570 eingeführt wurde. Da im hier untersuchten Zusammenhang jedoch weniger die genaue Jahreszahl als vielmehr das Endergebnis interessiert, erscheinen alle protestantischen Territorien als dunkelgraue Fläche. Die hellgrauen Territorien sind katholisch. In manchen war die Reformation zwar laut Martins Karte bereits weit vorgedrungen, was aber höchstwahrscheinlich nicht bedeutet, dass von ihr die Obrigkeit und damit die Kanzleisprache beeinflusst worden ist.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
Abbildung 5.5: Konfession und Konjunktivverwendung
261
262
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Einschränkend muss zu dieser Zusammenfügung von Karten gesagt werden, dass sich die konfessionellen Verhältnisse während des Dreißigjährigen Krieges wiederum im Umbruch befanden, sodass die Karte zum Teil nicht mehr die zum Zeitpunkt der Protokollverfassung aktuelle Konfession vor Ort anzeigt. Andererseits sind alle dunkelgrau gefärbten Flächen zwischen mindestens 1570 und 1618 oder länger protestantisch gewesen, ebenso wie die hellen katholisch. Sollte die Konfessionalisierung Einfluss auf die Sprache gehabt haben, hat sie ihn 50 oder mehr Jahre lang ausgeübt und möglicherweise Spuren hinterlassen. Bei näherer Betrachtung der Karte in Abbildung 5.5 (S. 261) wird deutlich, dass sie – gemäß der soeben aufgestellten Hypothese – zuzüglich einiger ergänzender Informationen neue Erklärungsansätze für die räumliche Verteilung der Konjunktivverwendung bietet. Auf den ersten Blick scheinen sich in der Tat mehr Quellen des Konjunktiv-II-Typs auf protestantischem und mehr des KonjunktivI-Typs auf katholischem Boden zu befinden, wobei fast überall Ausnahmen zu beobachten sind. Interessante Beobachtungen ergeben sich in Gebiet B und den Grenzgebieten. Von diesen Grenzgebieten fällt beispielsweise der Nordrand des katholischen Südens auf, wo auf katholischem Gebiet noch der Typ EI vorherrscht. Ein wenig weiter nördlich, wo das protestantische Gebiet beginnt, überwiegt in den Quellen zwar noch der Konjunktiv I, es finden sich aber lediglich Mischtypen. Diese Grenze fällt jedoch mit der Präteritalgrenze nahezu zusammen, sodass das Beginnen der Mischung gleichfalls allein durch den Präteritumschwund bedingt sein könnte. In Gebiet B gilt es zu überprüfen, ob eine Parallele zwischen dem Auftreten von oberdeutsche Signalgraphien44 , wie Macha (1998) sie dort festgestellt hat, und der Verwendung des „oberdeutschen Konjunktivs I“ vorliegt. Zugleich wäre dann zu erwarten, dass Quellen, in denen hauptsächlich der Konjunktiv II auftritt, keine solchen Signalgraphien enthalten. In Tabelle 5.2 (S. 263) ist das Auftreten der kh-Schreibungen in 38 nwd., wmd. und nobd. Quellen45 sowie der 44 Zu kh-Schreibungen als Kennzeichen der obd. Schriftsprache vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 103, zur Synkope vgl. ebd., S. 85. 45 Die Quellen Bamberg 1628, Dillenburg 1631 und Köln 1629, in denen beide Konjunktivarten in etwa ausgewogen vorkommen (Typ M), werden hier nicht beachtet.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
263
nordwestdeutsch überwiegend Konjunktiv I % % KI
Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Münster 1635 Werl 1630
75,5 73,7 71,8 65,8 85,1 59,6 64,3
überwiegend Konjunktiv II % %
KII Sk. kh 24,5 9 26,3 28,2 1 34,2 3 14,9 1 7 40,4 22 1 35,7 11 3 Σ 37 21
Σ 9 1 3 8 23 14 58
Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesh. 1628 Lemgo 1632 Osnabrück 1636 Werniger. 1597 Westerb. 1624
KI
KII
11,6 9,9 25,0 26,5 19,4 32,6 38,0
88,4 90,1 75,0 73,5 80,6 67,4 62,0 Σ
Sk. kh Σ
1 7
1 7
8
8
westmitteldeutsch überwiegend Konjunktiv I % % KI
Blankenh. 1629 Dieburg 1627 Drachenf. 1630 Erkelenz 1598 Gaugrehw. 1610 Gerolstein 1633 Höchst 1631 Müddersh. 1630 Wallh. 1628
63,6 68,2 72,2 54,8 69,1 58,8 95,4 68,6 74,7
überwiegend Konjunktiv II % %
KII Sk. kh 36,4 1 31,8 27,8 3 45,2 1 1 30,9 41,2 4,6 31,4 2 27 25,3 7 Σ 14 28
Σ 1 3 2
KI
Friedberg 1620 Hamm 1592 Herborn 1630 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Wittgenst. 1629
19,1 12,5 14,6 25,7 39,4 27,4 15,7
29 7 42
KII Sk. kh Σ 80,9 87,5 12 37 49 85,4 74,3 2 2 60,6 72,6 16 2 18 84,3 1 1
Σ 29 41 71
nordoberdeutsch überwiegend Konjunktiv I % % KI
KII
Mergenth. 1629 87,7 12,3 Nördlingen 1593 71,2 28,8 W.-Eschb. 1630 57,4 42,6 Σ
überwiegend Konjunktiv II % % Sk. kh 46 4 6 20
4
72
Σ 46 10 20
76
Bettenh. 1611 Coburg 1670 Hildburgh. 1629 Meiningen 1659 Schweinf. 1616
KI
KII
29,3 26,7 39,4 31,8 40,2
70,7 73,3 60,6 68,2 59,8 Σ
Sk. kh Σ
0
0
0
gesamt überwiegend Konjunktiv I % % KI KII Sk. kh Σ 70,4 29,6 55 121 176
überwiegend Konjunktiv II % % KI KII Sk. kh Σ 25,5 74,5 37 41 79
Tabelle 5.2: Programmatische Graphien und Konjunktivverwendung in Gebiet B
264
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
schriftlich fixierten Synkopierungen im Vergleich zu dem prozentualen Verhältnis von Konjunktiv I und Konjunktiv II aufgeführt. Von den 38 Quellen weisen jeweils 19 überwiegend den Konjunktiv I oder Konjunktiv II auf. Diese jeweils 19 Quellen werden hier gemäß der überwiegenden Konjunktivart als Gruppe I und Gruppe II bezeichnet. Durchschnittlich zeigt Gruppe I ein Verhältnis von 70,4 % Konjunktiv I zu 29,6 % Konjunktiv II, Gruppe II eines von 25,5 % Konjunktiv I zu 74,5 % Konjunktiv II. In Gruppe II entspricht das Verhältnis also ungefähr dem im Konjunktiv-II-Gebiet, bei Gruppe I ist es dagegen weniger extrem ausgeprägt als im Wobd. und Oobd. Von den 19 Quellen aus Gruppe I kommen in zwölf (also ungefähr zwei Drittel) die besagten Merkmale der oberdeutschen Schreibsprache vor, und zwar 176, was durchschnittlich circa 14 pro Quelle bedeutet. In der anderen Gruppe kommen die Merkmale in lediglich sechs von 19 (etwa ein Drittel) der Quellen vor, die durchschnittliche Anzahl liegt aber, nur knapp unter der in den Konjunktiv-I-Quellen, bei genau 13. Damit scheint sich die Hypothese, dass programmatische, oberdeutsche Graphien mit der Verwendung des Konjunktivs I einhergehen, vorerst nicht durchgängig bestätigt zu haben, zumal sich in Gruppe I einige Texte befinden, die gar keine Synkopen oder kh-Schreibungen enthalten. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch Folgendes auf: In Gruppe I enthalten nur zehn der 19 Quellen lediglich sehr wenige oder gar keine (null bis drei) Signalgraphien, in Gruppe II sind es hingegen 16 von 19 Quellen. Für die meisten der 79 Vorkommen solcher obd. Signale, und zwar 74, sind in Gruppe II nur drei Quellen verantwortlich, während in Gruppe I der Großteil der 176 Signale aus neun Quellen kommt. Ein Vergleich von Beispielsätzen aus den Konjunktiv-I-Quellen des Gebietes B und solchen vom Typ EI aus dem oobd. Raum zeigt zudem, dass sie sich in der Konjunktivverwendung und den kh-Schreibungen sehr ähnlich sind. Zwar sind diese Schreibungen nicht völlig gleichmäßig verteilt; in der oobd. Quelle Eichstätt wird das Adjektiv kalt mit kh geschrieben, in der wmd. Quelle Müddersheim hingegen nicht, dafür jedoch andere Wörter: (5.12) Folgents nach verlauff vngefehr .14. tagn seye er zu Müederßhem wie ein groß, fesch, stattlicher Man bey sie Ins
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
265
hauß khommen, vndt mit seinen listigen reden so vill zu wege pracht, das sich miteinander fleischlich vermischt, so vnnatürlich vndt wie ein Kalt eißeren gestalt gewesen, wie ferner zum .2.[ten] bekhandt vnndt außgesagt. (Müddersheim 1630, S. 3) (5.13) Zwar sey er gleich in erster Nacht khommen, aber weilen man durchgehends ein licht Prent, vnd mit ihr nichts richten khinden, vnd sie vermeinet, er sey es, hab sie zu Nachts umb e 10 uhr die Ungebuhr mit ihm getriben. sey gar ein khaltes wesen. (Eichstätt 1637, S. 93) Beide Schreiber verwenden nicht nur kh-Schreibungen, sondern auch anlautendes /p/ statt /b/, was ebenfalls hauptsächlich für den oobd. Dialektraum charakteristisch ist, aber nicht als ebenso sicheres Zeichen für das Obd. gewertet werden kann.46 Beide Schreiber wählen zudem den Konjunktiv I. Nun ist nicht auszuschließen, dass der Protokollant in Müddersheim ein Zugereister aus dem obd. Raum ist, es ist jedoch ebenso möglich, dass er ein einheimischer Schreiber ist, der – aufgrund des Adressatenbezuges oder aber einer katholischen Norm – die obd. Signalgraphien und den Konjunktiv I verwendet.47 Jeweils eine korrespondierende Stelle aus einer Quelle aus Gebiet B, die überwiegend Konjunktiv II und keine als obd. Signal aufzufassende Graphie enthält, und aus Gebiet A soll als Vergleich zu den obigen Beispielen (5.12) und (5.13) dienen, damit der deutliche Unterschied zwischen ihnen zu sehen ist. Zusätzlich zu den Formen des Konjunktivs II sind alle Wörter, in denen kh-Schreibung auftreten könnten, kursiviert: 46 Anlautendes /p/ statt /b/ ist außer im Oobd. im Omd. und auch im Wmd. zu finden, seltener in norddeutschen Texten (vgl. Reichmann/Wegera 1993b, S. 84–85, vgl. auch Schirmunski 1962, S. 100–101). Die Verteilung auf diese Landschaften ist überdies bereits für die Zeit vor dem Augsburger Religionsfrieden belegt (vgl. ebd.), sodass sie nicht durch die Konfessionalisierung hervorgerufen sein kann. 47 Der Name des Schreibers ist aus dem Aktenzusammenhang nicht zu entnehmen, ebenso wenig der Adressatenbezug. Müddersheim befindet sich aber auf katholischem Boden, wie aus Karte 5.5 (S. 261), ggf. unter Zuhilfenahme von Karte 4.2 (S. 190), wo die Ortspunkte verzeichnet sind, ersichtlich ist.
266
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
(5.14) [. . .] darauff ihr gegeben 4 groschen, vnd mit ihr buhlirt were gantz kalt gewesen, aber nicht woll ihr bekommen were Teuffels Werck, die Lehrmeisterinne die Niebursche hette dabei gestanden, (Lemgo 1630, fol. 49r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 71) (5.15) Saget, Ehr wehre wie ein Pauerknecht im Schwarzen kleide gegangen, Wehre ein Altter Schelm, vndt wann ehr bei ihr gelegen, So wehre ehr gar kaltt vndt wie ein dröge fleisch anzugreiffen gewesen. (Ostrau 1628, fol. 83v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 313) Wenn man in Tabelle 5.2 (S. 263) die Regionen einzeln betrachtet, ist das Ergebnis noch klarer. Im Nwd. kommen weitaus mehr Signalgraphien in Gruppe I als in Gruppe II vor. Sie finden sich in sechs von sieben Quellen und konzentrieren sich im Westfälischen, wo die Schreiber, wie oben erwähnt, eine Affinität zur oberdeutschen Schreibsprache über das Rheinland zeigen. Festzuhalten ist jedoch, dass eine sich dem Konjunktiv-I-Extremtypus nähernde Konjunktivverwendung nicht unbedingt mit einer hohen Anzahl von Signalgraphien einhergeht. So ist beispielsweise die höchste Anzahl dieser Graphien in Münster 1635 zu finden, während der Konjunktiv I nur leicht überwiegt (60 % zu 40 %, Typ MIb). Im Wmd. kommt die Mehrzahl der Signalgraphien zwar aus Quellen der Gruppe II, dort aber überwiegend aus zwei der Quellen, Hamm 1592 und Linz 1631. Ansonsten treten nur in Wittgenstein 1629 und Lemberg 1630 ein bis zwei obd. Signale auf. Besonders zahlreich sind die Signalgraphien in den wmd. Quellen der Gruppe I jedoch nicht, in vier von ihnen sind zudem gar keine zu finden. Im Wmd. bestätigt sich die Hypothese somit für einige Quellen wohl, für andere jedoch nicht. Hier ist deshalb in jedem Fall zusätzlich mit anderen Faktoren, die die Moduswahl beeinflussen, zu rechnen. Diejenigen Quellen aus Gruppe II, welche laut Karte 5.5 auf protestantischem Boden entstanden sind – Friedberg, Herborn, Lindheim und Wittgenstein – zeigen gemäß der Hypothese keine oberdeutschen Graphien. Im Nobd. ist das Ergebnis wiederum eindrucksvoller: In Gruppe II sind keine obd. Signalgraphien zu finden. Dieser Befund könnte jedoch ebenfalls mit der (dialekt-)geographischen Verteilung der
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
267
Quellen im Zusammenhang stehen. Bis auf Schweinfurt kommen alle diese Quellen aus dem nördlichsten Gebiet des Nobd., das an das Thüringische grenzt, welches zum Omd. und damit zum KonjunktivII-Gebiet A gehört. Allerdings befinden sie sich ebenfalls auf protestantischem Gebiet, und das gilt gleichermaßen für die evangelische Reichsstadt Schweinfurt, die umgeben von einem katholischen Territorium ist. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Hypothese, oberdeutsche Signalgraphien und der Konjunktiv I treten gemeinsam auf, nicht durchgängig, aber teilweise bestätigt hat. Es wäre demnach möglich, dass Schreiber, die sich am katholischen Oberdeutsch orientieren, von ihren Vorbildern nicht nur Schreibungen, sondern auch Syntax übernommen haben. Folglich kann die Konfessionalisierung als ein Faktor neben anderen betrachtet werden. Nach diesen Ausführungen zum Mischgebiet B sollen noch einige Gedanken zu den Gebieten A und C angeschlossen werden. Die geringe Anzahl von Mischtypen in dem Teil des Gebietes C, welcher in etwa der heutigen Bundesrepublik Österreich entspricht, mag folgende Beobachtung von Wiesinger erhellen: Im Zuge der Reformation wird die omd. Schreibsprache zwar nach Österreich gebracht, aber bereits ab dem Jahr 1552 mit dem Einsetzen der systematischen Gegenreformation wieder zurückgedrängt. Die Gegenreformation führt – nicht nur in Österreich, sondern auch in Bayern – „zur Fortführung der bairisch-frühneuhochdeutschen Schriftsprache“, die sich „als ›katholische‹ oberdeutsche Schriftsprache im Gegensatz zur ›protestantischen‹ ostmitteldeutsch-norddeutschen Schriftsprache etabliert“ (Wiesinger 1998, S. 141). In „alpine Rückzugsgebiete“ drang die Gegenreformation indes nicht vor (vgl. ebd.), und es ist möglich, dass so auch die katholische Schreibsprache nicht bis dahin vorgedrungen ist. Nun ist es zugegebenermaßen sehr gewagt, anzunehmen, dass der leicht höhere Anteil an Konjunktiv II in St. Lambrecht und Feldbach auf den Einfluss der Luthersprache gegenüber dem sonst auch in der Mundart verankerten Konjunktiv I zurückzuführen ist; es müsste sich bei den Orten in diesem Fall um „alpine Rückzugsgebiete“ handeln. Feldbach ist jedoch die späteste Quelle des Korpus aus dem Jahr 1674. Zu dieser Zeit hat bereits die „kulturell führend[e] adelig[e] Oberschicht“ begonnen, sich dem „fortschrittlichen Norden“ zu öffnen (ebd., vgl. auch Wiesinger 1987, S. 105), und diese Tat-
268
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
sache vermag die Modusverwendung in der Quelle Feldbach 1674 vielleicht besser zu erklären. Allerdings weist Wiesinger auch darauf hin, dass „die oberdeutsche Schriftsprache bis um die Mitte des 18. Jhs. verbindlich“ bleibt (Wiesinger 1998, S. 141). Zu den beiden schlesischen Quellen sei noch bemerkt, dass sich beide in protestantischen Territorien befinden, und auch Grünberg war eine evangelische Reichsstadt. Um den Einfluss der Konfession einschätzen zu können, müssten jedoch mehr Quellen ausgewertet werden, was aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist.48
5.2.e ) Zusammenfassende Einschätzung des Faktors „Region“ Nachdem nun einige Aspekte der Regionalverteilung beschrieben worden sind, die potenziell die Konjunktivverwendung beeinflussen, können sie gegeneinander abgewogen werden. Ziel ist es, der Beantwortung der Frage näher zu kommen, warum sich drei Konjunktivverwendungsgebiete parallel zu den Sprachlandschaften beobachten lassen. Zu bedenken ist zunächst, dass die regionalen Schreibsprachen auf mundartlicher Grundlage entstanden sind, aber eine hohe Abstraktionsstufe von dieser darstellen.49 Dennoch werden beide oft in Teilen analog betrachtet, da davon auszugehen ist, dass sich Sprachwandel zunächst in der gesprochenen Sprache und später in der Schriftsprache äußert. So kommt beispielsweise Lindgren zu dem Schluss, dass der Präteritumschwund, der in der Schriftsprache zwischen ca. 1550 und 1600 zu beobachten ist (vgl. Ebert 1993, S. 389), in der gesprochenen Sprache bereits um 1530 abgeschlossen ist und 48 Karen Lambrechts Monographie zur Hexenverfolgung in Schlesien, der die Hinweise auf die hier verwendeten Handschriften aus Jägerndorf und Grünberg zu verdanken sind, enthält weitere Nachweise schlesischer Quellen. In circa 10 Akten, die im Verzeichnis der ungedruckten Quellen (1995, S. 532– 536) zu finden sind, könnten Verhörprotokolle oder Urgichten aus dem betreffenden Zeitraum enthalten sein. Erst nach Autopsie dieser Quellen in den polnischen Archiven könnte in einer nachfolgenden Untersuchung festgestellt werden, ob die Quellen sich für eine Analyse der Konjunktivformen eignen und was eine solche Analyse ergibt. Als interessante Nebenbemerkung sei angemerkt, dass in Lambrechts Quellenanhang Protokolle aus der Grafschaft Glatz aus dem Jahr 1680 enthalten sind, welche fast ausschließlich in direkter Rede gehalten sind. Wo allerdings indirekte Rede verwendet wird, steht der Konjunktiv II (vgl. ebd., S. 454–462). 49 Vgl. Abschnitt 4.3, S. 185 dieser Arbeit.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
269
somit ab dieser Zeit in den oberdeutschen Dialekten das Präteritum nicht mehr als Erzähltempus verwendet wird (vgl. Lindgren 1957, S. 111). Hier wird also ein direkter Zusammenhang zwischen der dialektalen Basis und der von dieser abstrahierten Schriftsprache hergestellt. Auch Behaghel zieht derartige Schlüsse, wenn er von der fehlenden Beachtung der Consecutio temporum in den von ihm untersuchten Texten auf die Modusverwendung in den Mundarten schließt. Zwar ist es von heutiger Warte nicht mehr recht vorstellbar, dass der synthetische Konjunktiv in der gesprochenen Sprache verwendet wird, da nach heutigem Entwicklungsstand zumeist spontan der analytische Konjunktiv oder aber der Indikativ verwendet wird.50 Es ist jedoch keinesfalls ausgeschlossen, dass vor 400 Jahren der synthetische Konjunktiv auch in der Alltagskommunikation bei der Wiedergabe fremder Rede einen festen Platz hatte. Die mundartliche Basis ist jedoch nicht der einzige Faktor, welcher auf die Gestalt der landschaftlichen Schreibsprachen einwirkt. Diese sind im 17. Jh. bereits so weit entwickelt, dass sie eigene Traditionen und auch Konventionen haben, bzw. dass sich Schreiber auch an prestigeträchtigen Schreibsprachen orientieren. Solche Traditionen und Orientierungen sind allerdings nur durch Analyse der Kanzleitexte zu erschließen. Aus heutiger Sicht ist es also schwer, zwischen Traditionen und einem möglichen Einfluss der Mundart zu unterscheiden. Um dem Problem des Erzähltempus näher zu kommen, ist es hilfreich, die in den Akten verwendeten Tempora außerhalb der Redewiedergabe zu betrachten, d. h. insbesondere in der Verhörsituierung51 , aber auch in kürzeren Sätzen, in denen in knapper Form beschrieben wird, was im Folgenden protokolliert ist.52 Zudem wird auch während des Verhörs das, was die Angeklagten tun, wenn sie nichts sagen, in Form eines Berichts protokolliert. Auch der Hinweis, die Angeklagten seien „ermahnt“ worden, die Wahrheit zu sagen, wird nicht in indirekter Rede wiedergegeben:
50 Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 59 dieser Arbeit. 51 Welche Quellen solche Situierungen enthalten, ist den Tabellen A.24–A.26 in Anhang A.9 (S. 485–487) zu entnehmen. 52 Hier sind Sätze wie der folgende gemeint: Vf eines jeden Articul folgt Beklagtene Andtwort hirnach (Coesfeld 1632, S. 18).
270
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
(5.16) Aber d[as] magdlin waint, wündt seine händ, vnd sagt, es seje war (Augsburg 1625, S. 112, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 333) (5.17) Bej disem fragst[ukh] seind muetter vnd tochter ernnstlich[en] vnd auffs höchsst erInnert worden, Aber ist Jede ob Ihrer mainung[en] [ver]blib[en] (Augsburg 1625, S. 116, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 334) Nun ist es, wie in Tabelle 5.3 (S. 271) zu sehen, nicht so, dass im Gebiet nördlich der Präteritalgrenze in solchen Sätzen ausschließlich das Präteritum verwendet würde. Zwar ist es stärker belegt als im Gebiet südlich der Grenze.53 Doch das Perfekt ist auch im Norden weitaus häufiger zu finden als das Präteritum, sodass man als Grundtempus der meisten Texte Präsens und Perfekt ansetzen kann. Eine weitgehende Abwesenheit des Präteritums in den obd. Texten bedeutet daher nicht, dass das Präteritum in denen nördlicherer Herkunft überwöge. Vielmehr hat sich das Perfekt bereits, wie oben erwähnt und wie auch die untersuchten Texte belegen, im gesamten Sprachgebiet verbreitet, ohne jedoch nördlich der Präteritalgrenze das Präteritum zu verdrängen. In Anbetracht dieser Tatsache muss man nicht vom vorherrschenden Tempus im Indikativ auf ein analoges, morphologisches Tempus im Konjunktiv schließen. Wenn in den nord- und mitteldeutschen Texten das Präteritum das häufigste Tempus wäre, könnte man davon ausgehen, dass der Konjunktiv II analog zum Präteritum gewählt wird, um Einheitlichkeit der Textgestalt zu erlangen. Nach dem hier ermittelten Befund ist es aber wohl am wahrscheinlichsten, dass der Konjunktiv II deswegen in vielen Texten der Gebiete A und B vorherrscht, weil ein im Präteritum gehaltener Bericht transponiert wird. Der Wechsel zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II wäre dann dadurch zu erklären, dass auch in dem Bericht der Angeklagten sich Perfekt und Präteritum abwechseln, was näher an der Präteritalgrenze wahrscheinlicher ist als weiter im Norden. Nun kann man nicht wissen, ob die Schreiber sich tatsächlich unmittelbar vom Tempus des Protokollierten haben beeinflussen lassen, oder ob der zu beobachtende Befund das Resultat eines Entwicklungsprozesses ist. Denkbar wäre beispielsweise, dass sich unter 53 Die zwölf Belege für das Präteritum im Obd. stammen aus den wobd. Quellen Memmingen 1665, Leonberg 1641 und Stein am Rhein 1667.
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
A B C Σ
Präs. 148 148 94 390
Perf. 128 160 85 373
Prät. 43 45 12 100
271
Plqu. 0 1 0 1
Tabelle 5.3: Tempora außerhalb der Redewiedergabe
diesem Einfluss in manchen Schreibsprachen eine Konvention ausgebildet hat, den Konjunktiv II oder Konjunktiv I vorzuziehen und dass die Schreiber dann auch unabhängig von dem, was sie an Tempora im protokollierten Bericht hören, im Einklang mit der Konvention den einen oder anderen Konjunktiv wählen. Für Gebiet B kann man demnach vermuten, dass sich eine Konvention herausgebildet hat, in Analogie zu den wechselnden Erzähltempora auch beide Konjunktive abzuwechseln, zumal so eine – vielleicht stilistisch wünschenswerte – Variation entsteht. Dieser Gedankengang wird nun nicht, wie man meinen könnte, dadurch ad absurdum geführt, dass mittelalterliche Verhörprotokolle in direkter Rede gehalten sind, sodass die deutschsprachige Protokollierung in direkter Rede beginnt (vgl. Ramge 1999, S. 388)54 und dass noch in nur ca. 100 Jahre älteren Verhörprotokollen nicht nur der Konjunktiv, sondern auch der Indikativ verwendet wurde.55 Vielmehr findet er in dieser Tatsache weitere Bestätigung. In den Verhörprotokollen, die für die Zeit um 1500 überliefert sind, ist teilweise bereits eine ähnliche Verwendung wie in den 100 Jahre jüngeren Protokollen zu beobachten. So ist beispielsweise ein Dokument aus Südtirol (1506, ediert in Behringer 2000, S. 111–112), d. h. aus dem hier angesetzten Gebiet C, fast komplett im Konjunktiv I gehalten, vereinzelt finden sich Indikativ Präsens und Perfekt. Ein anderes Dokument aus Gebiet A (Neu-Ruppin 1527)56 weist hauptsächlich den Indikativ auf in den Tempora Perfekt und Präteritum. Hier könnte man vermuten, dass die verhörte Person eben diese Tempo54 Ramge untersucht „das älteste Gerichtsprotokoll in deutscher Sprache“ (1999, S. 373), ein Wetzlarer Schöffenprotokoll. Es sind allerdings auch Protokolle aus dieser Zeit auf Latein überliefert, die indirekte Rede zeigen (vgl. Esders/Scharf 1999, S. 35). 55 Vgl. Abschnitt 3.7 dieser Arbeit, besonders S. 146 dieser Arbeit. 56 Dieses Dokument ist ediert in Stölzel 1901, Band 1, S. 110–112, vgl. Macha 2003a, S. 185.
272
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
ra verwendet hat. Zwar sind das nur punktuelle Beispiele – hier wäre eine großflächige Untersuchung früherer Dokumente notwendig. Doch wenn man bedenkt, dass mit der Entwicklung des Konjunktivs zum allgemeinen Zeichen der syntaktischen Abhängigkeit dieser dann auch in Protokollen durchgängig verwendet wurde,57 kann man von einer Schreibtradition ausgehen, die sich über mindestens 100 Jahre ausgebildet hat.58 Beispielsweise würde in dem Dokument aus Neu-Ruppin eine Verwendung des Konjunktivs zu einer Mischung beider Konjunktive führen – Indikativ Perfekt zu Konjunktiv I und Indikativ Präteritum zu Konjunktiv II – und damit erreicht man in etwa das, was in den brandenburgischen Quellen (wie Perleberg und Seehausen) zu beobachten ist, und zwar eine Mischung der beiden Konjunktive. So kann man sogar vermuten, dass eine Tradition, Verhöre im Indikativ und in dem vom Verhörten verwendeten Tempus zu protokollieren, durch die eigentlich davon unabhängige Entwicklung, syntaktische Abhängigkeit verstärkt im Konjunktiv anzuzeigen, die Protokollierungstradition überlagert und umgeformt hat. Doch auch dann würde die Konjunktivwahl vom Grundtempus des Verhörs bestimmt. Dieses, d. h. die Ausbildung und das Bestehen derartiger Konventionen, soll als Grundannahme gelten. Wenn man nun ergänzend die anderen geographischen Faktoren betrachtet, so wäre es beispielsweise vorstellbar, dass die mundartliche Konjunktivverwendung solche Konventionen befördert hat. Wenn in den Mundarten der Konjunktiv im 17. Jh. wirklich verwendet worden ist, dann ist es denkbar, dass sich in Gebiet A durch die Kombination von ökonomischer Transposition (unter Verwendung morphologisch ähnlicher Verbformen) und Verwendung in der mundartlichen Grundlage der Schreibsprache eine Konvention zur Verwendung des Konjunktivs II herausgebildet hat. Dasselbe gilt für den Konjunktiv I im Wobd. In den übrigen Gebieten ist der Befund nicht unbedingt durch solch einen Mechanismus zu erklären, da er weder die Verwendung des Konjunktivs I im Oobd. erklärt – obwohl es äußerst fraglich ist, ob 57 Vgl. Behaghels oben erwähnte Ausführungen zu diesem Thema, Abschnitt 3.7, S. 141 dieser Arbeit. 58 Eine längere Tradition mit Blick auf die verwendeten Tempora anzunehmen ist nicht angebracht, da der Präteritumschwund erst um 1450 einsetzte (vgl. Lindgren 1957, S. 110–111).
5.2 Die Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs
273
dort in der Mundart jemals der Konjunktiv II verwendet worden ist59 – noch generell die Mischung in Gebiet B. Dennoch bestätigt gerade eine Quelle aus Gebiet B diese Annahme, und zwar Lemberg 1630. Diese Quelle enthält mehr Konjunktiv II (Typ MIIa), als durch den Präteritumschwund erklärt werden kann, denn sie befindet sich weiter südlich der Präteritalgrenze, als alle anderen Mischtypen mit überwiegendem Konjunktiv-II-Anteil. Das Erzähltempus müsste dort also das Perfekt sein.60 Wenn sich solche Konventionen in den Schreibsprachen erst einmal herausgebildet haben, ist es weiterhin möglich, dass die Faktoren, die ursprünglich zur Ausbildung der Konventionen geführt haben, durch Orientierung an anderen Schreibsprachen überlagert werden. So ist es beispielsweise möglich bzw. sogar wahrscheinlich, dass alle Verhörten in Gebiet A im Präteritum berichtet haben. Wenn sich die Schreiber jedoch, wie zum Beispiel in Westfalen, an obd. Normen orientieren, verwenden sie nicht mehr die morphologisch näher liegende Konjunktivart im Protokoll, sondern vorwiegend die, welche andernorts entstandenen Konventionen entspricht. Auf diese Weise könnten die in Abschnitt 5.2.c ) und 5.2.d) angesprochenen Vorgänge der Orientierung an Konventionen anderer Schreibsprachen die punktuell zu beobachtende Abweichung in manchen Quellen gegenüber dem Normalmodus des jeweiligen Gebietes erklären. Auch ließe sich hier der Ansatz zu schreibsprachlichem Ausgleich mit dem Fernziel „Normalmodus Konjunktiv I in der Gegenwartssprache“ vermuten. Solche Vermutungen sind aber erst dann sinnvoll, wenn alle anderen möglichen Faktoren, welche die Konjunktivwahl beeinflussen könnten, betrachtet worden sind. Dieser Betrachtung widmen sich die folgenden Abschnitte. In diesen wird jeweils die Variable „Region“ kontrolliert, weil sich diese als Faktum im Untersuchungskorpus herausgestellt hat, wenn auch die Gründe für die Regionalverteilung an dieser Stelle nur vermutet werden können.
59 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), Anmerkung 25, S. 86. 60 Vgl. Anmerkung 21, S. 245 in diesem Kapitel.
274
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung Das Korpus enthält insgesamt 3 052 Redeeinleitungen. Wie häufig die einzelnen Einleitungstypen sind und wie sie sich auf die Sprachlandschaften verteilen, wird in der Tabelle A.6 in Anhang A.4 (S. 459) im Einzelnen dargestellt. Die Bedeutung der Redeeinleitung für die Moduswahl muss für die einfache und eingebettete Redewiedergabe einzeln ermittelt werden, um der Tatsache gerecht zu werden, dass nur die Redeeinleitungen der einfachen Wiedergabe wirklich ein Tempus aufweisen, während die anderen konjunktivisch sind.61 Außerdem ist es angebracht, die Redeeinleitungen, in denen ein finites Verb enthalten ist, von den afiniten, substantivischen und anderen Redeeinleitungen ohne finiten Anteil getrennt zu betrachten, da bei den finiten ein Einfluss des Tempus angenommen werden kann, bei den nicht finiten hingegen nicht. Finite und nicht finite Redeeinleitungen sind nicht gleich häufig: In einfacher Redewiedergabe sind die Einleitungen mit finitem Anteil in der Mehrzahl (1 331 zu 783 = 63 % finite RE), während in eingebetteter Redewiedergabe das Verhältnis zwischen finiten und nicht finiten Redeeinleitungen zwar in etwa ausgeglichen ist, die nicht finiten aber leicht überwiegen (410 zu 491 = 54 % nicht finite RE).62 Diese Beobachtung lässt sich jedoch nicht für alle Sprachlandschaften verallgemeinern: In einfacher Redewiedergabe sind die nicht finiten Redeeinleitungen im Nod., Wmd. und Omd. jeweils in etwa gleichmäßig verteilt. Im Nwd. und Nobd. haben die nicht finiten Redeeinleitungen in etwa einen Anteil von ein Drittel an der Gesamtanzahl, während sie in den verbleibenden Gebieten (Nnd., Wobd., Oobd.) eher selten sind. In eingebetteter Redewiedergabe überwiegen die nicht finiten Redeeinleitungen in vier Landschaften (Nod., Wmd., Omd., Nobd.), in zwei Landschaften sind finite und nicht finite in etwa gleich verteilt (Nwd., Wobd.), im Nnd. und Oobd. überwiegen dagegen die finiten Redeeinleitungen. 61 Vgl. hierzu die Ausführungen zur eingebetteten Redewiedergabe in Abschnitt 4.5.a), insbesondere S. 217 dieser Arbeit. 62 Die 37 Redeeinleitungen des Typs [re?] sind in diese Werte nicht eingegangen, da nicht festgestellt werden kann, ob sie abgekürzte finite oder nicht finite Redeeinleitungen sind. Die Summe dieser vier Werte ist demnach 3 015 und nicht 3 052.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung einfach reps repf rept # % # % # % A 363 74,85 79 16,29 43 8,87 B 343 66,22 97 18,73 77 14,86 C 256 78,05 63 19,21 9 2,74 Σ 962 72,28 239 17,96 129 9,69 eingebettet reps° repf° # % # % A 2 1,61 19 15,32 B 12 8,00 55 36,67 C 9 6,62 118 86,76 Σ 23 5,61 192 46,83
repq finit # % Σ 0 0,00 485 1 0,19 518 0 0,00 328 1 0,08 1331
re0+part Gesamt # % Σ 132 21,39 617 267 34,01 785 46 12,30 374 445 25,06 1776
rept° repq° finit # % # % Σ 6 4,84 97 78,23 124 5 3,33 78 52,00 150 3 2,21 6 4,41 136 14 3,41 181 44,15 410
re0°+part° Gesamt # % Σ 196 61,25 320 182 54,82 332 100 42,37 236 478 53,83 888
275
Tabelle 5.4: Prozentuale Verteilung der Redeeinleitungsarten
Diese ungleiche Verteilung entsteht jedoch allein dadurch, dass einige Typen nicht finiter Redeeinleitungen auf wenige Sprachlandschaften begrenzt sind. Der Typ [reA] ist ausschließlich im Nwd., Nod. und Omd. zu finden, [reS] kommt hauptsächlich im Nod., Wmd. und Omd. vor. Diese Typen gehen daher nicht in die folgende Überblicksdarstellung mit ein. Stattdessen werden als Vertreter der nicht finiten Redeeinleitungen zunächst nur die Typen [re0] und [part] betrachtet, die sich einerseits syntaktisch sehr ähnlich sind63 und andererseits in allen Sprachlandschaften vorkommen. Die Einteilung in die drei Konjunktivverwendungsgebiete wird beibehalten, damit die Variable Region in einer Weise kontrolliert wird, die diesen Abschnitt mit dem vorangegangenen vergleichbar macht. In Tabelle 5.4 sind die wichtigsten Werte (also die der finiten und häufigen nicht finiten Redeeinleitungen) für die drei Gebiete zusammengestellt und um Prozentwerte ergänzt.64 Diese Tabelle zeigt zu63 Vgl. Abschnitt 4.5.b), S. 221 dieser Arbeit. 64 Die absoluten Zahlen in Tabelle 5.4 stimmen mit denen in Tabelle A.6 in Anhang A.4 (S. 459) überein. In Tabelle 5.4 sind die Prozentwerte horizontal zu lesen. Sie stellen den Anteil dar, den die jeweilige Art von Redeeinleitung an der Gesamtanzahl der Redeeinleitungen in den drei Gebieten hat. Zudem sind zunächst die Werte für die Einleitungen mit finitem Anteil einzeln geboten, woraufhin in den rechten drei Spalten der prozentuale Anteil der nicht finiten Einleitungen an der Summe aller in dieser Tabelle aufgeführten Arten in den einzelnen Gebieten abzulesen ist. Somit beziehen sich die Prozentwerte der linken vier Spalten auf die Werte, die in Spalte fünf mit „finit Σ“ bezeichnet sind, wogegen die Anzahl „[re0]+[part]“ (und deren
276
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
nächst den hohen Anteil der Redeeinleitungen im Präsens; sie sind in allen drei Gebieten besonders häufig. In Gebiet B ist der prozentuale Anteil jedoch etwas geringer als in den beiden anderen, da hier die Redeeinleitungen im Präteritum mit 15 % auffällig stärker vertreten sind als sonst. Doch auch in Gebiet A sind einige Redeeinleitungen im Präteritum zu finden, dafür hingegen etwas weniger Einleitungen im Perfekt als in den anderen beiden Gebieten. In den Quellen des Gebietes C kommen insgesamt weitaus weniger Redeeinleitungen vor als in Gebiet A und B. Die nicht finiten Redeeinleitungen in einfacher Wiedergabe sind in Gebiet C ebenfalls am seltensten, viel häufiger in Gebiet B und recht häufig in Gebiet A. In diesen beiden Gebieten überwiegen sie gegenüber den ihnen strukturell ähnlichen Einleitungen im Perfekt. Die Verteilung in eingebetteter Redewiedergabe gestaltet sich anders als die in einfacher Redewiedergabe. Präsens und Präteritum sind selten, Perfekt und Plusquamperfekt werden demgegenüber oft verwendet, die Verteilung dieser beiden entspricht der Verteilung von Konjunktiv I und II zu großen Teilen. Jedoch ist in Gebiet A die Gewichtung in Richtung Konjunktiv II noch stärker ausgeprägt als bei Betrachtung aller Konjunktivformen (17 % zu 83 % gegenüber 26 % zu 74 %, vgl. S. 234), während das Verhältnis in den anderen Gebieten in etwa gleich bleibt.65 Die nicht finiten Redeeinleitungen haben hier einen um über 25 % größeren Anteil an der Gesamtzahl von Redeeinleitungen als in einfacher Redewiedergabe. Am meisten werden sie in Gebiet A verwendet, gefolgt von Gebiet B und C. Diese Beobachtungen lassen auf die zu erwartenden Ergebnisse schließen. Aufgrund der überaus hohen Anzahl präsentischer Redeeinleitungen wird die am besten dokumentierte Art der Consecutio temporum (bzw. der Abweichung von ihr) die mit präsentischem Hauptsatz sein. Ein Vergleich mit Behaghels Ergebnissen wird schwierig, da er sich auf die Consecutio temporum mit präteritalem Hauptsatz konzentriert, die hier nur in geringem Maße vorhanden sind. Es ist aber wahrscheinlich, dass sich mehr Ausnahmen von der Consecutio temporum abzeichnen als bei Behaghel, da zum Varianten in eingebetteter Redewiedergabe) auf die Werte in der letzten Spalte ganz rechts bezogen sind, die mit „Gesamt Σ“ bezeichnet ist. 65 Gebiet B: 45 % zu 55 % gegenüber 46 % zu 54 %; Gebiet C: 93 % zu 7 % gegenüber 91 % zu 9 %.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
277
einen viele Redeeinleitungen im Präsens und zum anderen, zumindest in Gebiet A, viel Konjunktiv II zu finden ist. Die Untersuchung der Kombinationen mit nicht finiten Redeeinleitungen verspricht für diejenigen Redeeinleitungen Erfolg, die in allen drei Gebieten zu finden sind. Bei den übrigen ist kein umfassender Gebietsvergleich möglich. Insgesamt ist die niedrige Anzahl von Redeeinleitungen im Obd. bemerkenswert, da sie mit einer vergleichsweise hohen Anzahl von Wörtern und finiten Verbformen einhergeht.66
5.3.a) Anzahl der Redeeinleitungen Auf die 3 015 Redeeinleitungen, die eindeutig bestimmt werden können (d. h. alle außer denen des Typs [re?]), folgen zusammengenommen 10 362 finite Verbformen (9 595 Konjunktive, 707 Indikative, 60 Imperative) und 5 273 afinite Konstruktionen in der Redewiedergabe (4 808 plus 465, die zusätzlich eine eingebettete Wiedergabe einleiten), was eine Summe von 15 635 finiten Verbformen und Leerstellen für solche ergibt. Das bedeutet, dass in der Regel mehr als eine Form auf eine Redeeinleitung folgt. Zwar gibt es Fälle, in denen auf eine Redeeinleitung ein Satz mit genau einer – finiten oder afiniten – Form folgt. Mehrheitlich folgt jedoch ein längerer Absatz mit einer Vielzahl von Formen, und zwar nicht zuletzt, da die Hauptform der Redewiedergabe in den untersuchten Texten die berichtete Rede ist. Eine Quelle enthält durchschnittlich 29 Redeeinleitungen; die wirklichen Zahlen bewegen sich zwischen null und 151 Redeeinleitungen, wobei 18 Quellen 0–10, 27 Quellen 11–19, 33 Quellen 21–39, 20 Quellen 40–57 und lediglich sieben Quellen 71–151 Redeeinleitungen enthalten. Coburg 1670 ist die Quelle mit null Redeeinleitungen, die meisten Einleitungen sind in Güstrow 1615 enthalten. Mit einzukalkulieren sind ebenfalls die 71 Redeeinleitungen, auf die überhaupt keine finite Verbform und auch keine afinite Konstruktion folgt, sondern lediglich ein Ja oder Nein, was die Zahl der für die Untersuchung der Consecutio temporum auswertbaren Kombinationen weiter reduziert. 66 Für die genauen Werte vgl. Tabelle A.1 Anhang A.1, S. 452.
278
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
RE nnd. 252 nod. 598 omd. 295 nwd. 499 wmd. 538 nobd. 204 wobd. 362 oobd. 267 Σ 3015
Vfin Vfin REfin RE 1009 4 139 1167 2 230 1157 4 216 1474 3 229 1532 3 206 887 4 82 1638 5 177 1498 6 151 10362 3 1430
K 928 934 1088 1386 1464 842 1592 1361 9595
REfin VK 7 4 5 6 7 10 9 9 7
Tabelle 5.5: Finite Verben pro Redeeinleitung
Die Zahl von finiten Verben, die auf eine Redeeinleitung folgt, ist ebenfalls verschieden, und das nicht nur in den einzelnen Quellen, sondern auch in den Sprachlandschaften allgemein. Wie Tabelle 5.5 zeigt, folgen in den beiden südlichen Regionen mehr finite Verbformen auf eine Redeeinleitung als in den übrigen, wobei von diesen im Nnd. anteilmäßig am wenigsten, im Nod. dagegen am meisten Einleitungen vorhanden sind.67 Betrachtet man lediglich die finiten Redeeinleitungen im Indikativ68 und nachfolgende finite Formen im Konjunktiv – diejenigen Formen also, von denen am ehesten eine Beeinflussung nach dem Prinzip der Consecutio temporum zu erwarten ist –, so wächst die Anzahl finiter Elemente, die durchschnittlich auf eine Redeeinleitung folgen, noch einmal erheblich, wie aus der rechten Spalte der Tabelle zu entnehmen ist. Das bedeutet, dass im Wobd. mit einer noch größeren Anzahl von Sätzen zu rechnen ist, in denen auf eine Redeeinleitung mehrere finite Verbformen folgen, als in den übrigen Regionen. 67 In Anhang A.5 (Tabelle A.10, A.11 und A.12, S. 463–466) ist dieses Verhältnis, unter Einbeziehung der afiniten Konstruktionen, für jede Quelle einzeln aufgeführt. Rechnet man die afiniten Konstruktionen dazu, so folgen durchschnittlich auf eine Redeeinleitung sieben Elemente. In den einzelnen Quellen schwankt dieses Verhältnis innerhalb der Landschaften allerdings stark. 68 Das sind die Redeeinleitungen im Präsens, Perfekt und Präteritum in einfacher Redewiedergabe.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
279
Im Durchschnitt folgen auf eine Redeeinleitung in den einzelnen Quellen zwischen zwei und 50 finite Formen und afinite Konstruktionen. Betrachtet man ausschließlich die finiten Verben, so folgen auf eine Redeeinleitung zwischen einer und 33 Formen, wobei in 88 Quellen zwischen zwei und zehn finite Verben auf eine Redeeinleitung folgen. Jeweils ein typisches Beispiel aus jedem Gebiet soll dieses illustrieren: (5.18) Gebiet A: Sagt [reps] ob dieselbe Angneta Sassen zeubern könne weis ehr nicht, sonsten hette dieselbe eine dulle mundt, so hette sie nicht bey seinem lebende ein par nacht bei Ihme gewesen (Borgfeld 1587, fol. 323r) (5.19) Gebiet B: Sagt [reps] wiße mehr nit alß daß Ihre Mutter etwas gesagt Haben solle, |weg[en]+ dauon diederich von Haußen etwas gewescht Haben solte, I[tem] daß die leuth Ihro nachgehalten [0], alß wehre Außgewißen wie vff Collen gezog[en] [0] (Linz 1631, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 258) (5.20) Gebiet C: Sonsten Zaigt [reps] Sie auch an, daß Sie fast alle Jahr dreymahl zue den täntz[en] khom[m]en [0]. Aber Sie seye sonsten nie bey kainer hochzeit gewesen, dann die Armen allwegen außgeschlossen gewes[en] So khenne Sie auch sonsten kaine hexen Weitters, dann Sie bereits namhafft gemacht od[er] angeben [0]. (Baden-Baden 1627, fol. 29v, vgl. Anhang B.1, S. 503) Diese Situation erfordert eine andere Vorgehensweise als diejenige Guchmanns, allein die Sätze zu untersuchen, in denen exakt eine finite Verbform auf eine Redeeinleitung folgt,69 denn so blieben nicht genügend Beispiele für eine Analyse der Consecutio temporum übrig. Stattdessen wird zunächst in Abschnitt 5.3.b) die unmittelbar auf die Redeeinleitung folgende Form erfasst unter der Annahme, dass, sollte das Tempus der Redeeinleitung auf die Form einwirken, die unmittelbar folgende Form eher davon beeinflusst wird als eine 69 Vgl. Abschnitt 3.3.b), S. 110 dieser Arbeit.
280
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
später im Text auftretende Verbform. Eben dieses ist in den obigen Beispielen, insbesondere (5.18) und (5.19), zu erkennen. In Beispiel (5.18) folgt unmittelbar auf die Redeeinleitung im Präsens sagt ein Modalverb im Konjunktiv I, im darauffolgenden Satz – und somit weiter entfernt von der präsentischen Redeeinleitung – steht dagegen ein Konjunktiv II. Auch in Beispiel (5.19) steht ein Konjunktiv II (wehre) erst wieder in gebührendem Abstand von der Redeeinleitung. Zudem sind die meisten Formen, die weiter entfernt von einer Redeeinleitung stehen, in Passagen berichteter Rede zu finden, und diese Formen sind zwar gedanklich, nicht aber syntaktisch von der Redeeinleitung abhängig, weswegen nicht von einem Einfluss der Consecutio temporum ausgegangen werden kann. Alle Quellen auf diese Weise einzeln zu analysieren, wäre jedoch weniger sinnvoll, da nur sieben Quellen eine für eine statistische Analyse ausreichende Anzahl von Redeeinleitungen enthalten. Nur wenn wie zuvor die Gesamtverwendung in den Sprachlandschaften bzw. in den drei Gebieten betrachtet wird, sind die absoluten Zahlen ausreichend hoch, um sie angemessen vergleichen zu können.
5.3.b) Finite Redeeinleitungen Zählt man alle Kombinationen von Redeeinleitung und nachfolgenden Formen zusammen, so enthält das Korpus 87 verschiedene Typen. Lässt man alle diejenigen außer Acht, die nicht finite oder substantivische Elemente enthalten, sinkt die Anzahl auf 39, und betrachtet man lediglich die Kombinationen mit finiten Elementen in der Redeeinleitung und Formen des Konjunktivs im abhängigen Satz, erhält man 19 Kombinationen und damit zwei mehr, als Guchmann für das ausgehende 16. Jh. ermittelt hat.70 Allerdings treten nicht alle Kombinationen aus Guchmanns Korpus auch hier auf, und damit sind die Ergebnisse unterschiedlicher als erwartet. In Tabelle 5.6 sind die 19 Kombinationen von Tempora der Redeeinleitungen und Tempus in den von diesen abhängigen Sätzen aufgeführt.71 70 Vgl. Tabelle 3.11, S. 113 dieser Arbeit. 71 An dieser Stelle können nun, wie oben angekündigt (vgl. Anmerkung 14 in Kapitel 2, S. 23), die bislang verwendeten Begriffe „Hauptsatz“ und „Nebensatz“ nicht mehr ausschließlich verwendet werden, da es sich bei den
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
281
SATZ
ABHÄNGIGER
REDEEINLEITUNG
Präs. 1. Präs. 2. Perf. 3. Prät. 4. Plqu. 5. Futur (werde)
Perf. 6. Präs. 7. Perf. 8. Prät. 9. Plqu. 10. Futur (werde)
Prät. 11. Präs. 12. Perf. 13. Prät. 14. Plqu.
Plqu. 15. Präs. 16. Perf. 17. Prät. 18. Plqu. 19. Futur (würde)
Tabelle 5.6: Tempuskombinationen
Im Vergleich zu Guchmann kommen hier weniger Kombinationen mit einer Redeeinleitung im Präsens vor. Die Kombination indikativ präsens – konditional fehlt bzw. der „Konditional“ (d. h. der analytische Konjunktiv mit würde ohne futurische Bedeutung) tritt nur in Konditionalsätzen auf, doch auch dort ist er nur selten. Konditionalsätze sind aber, auch wenn sie innerhalb von Redewiedergabe auftreten, ein spezieller Kontext für den Konjunktiv und dürfen daher nicht unterschiedslos gemeinsam mit wiedergegebenen zu beschreibenden Kombinationen nicht immer um Hauptsatz-NebensatzKombinationen im klassisch-schulgrammatischen Sinne handelt. Bei den oben vorgestellten Studien war dieses hingegen der Fall, weswegen die Begriffe in diesem Zusammenhang gerechtfertigt erschienen. Die hier aufgeführten Kombinationen sind einerseits in einfacher Redewiedergabe solche von Haupt- und Nebensätzen sowie andererseits in eingebetteter Redewiedergabe solche von in erster Ordnung abhängigen Nebensätzen und in zweiter Ordnung abhängigen Nebensätzen. Von daher ist eine Zusammenfassung aller übergeordneten Sätze unter einem Terminus notwendig. In einer Untersuchung, die fast ausschließlich der Redewiedergabe gewidmet ist, bietet sich hierfür eindeutig der Begriff „Redeeinleitung“ an. Der Terminus „Obersatz“, der z. B. von Boon (1978) und Andersson (2004) für übergeordnete Sätze aller Art verwendet wird, wird vermieden, da er zur Terminologie der formalen Logik gehört. Auch „Matrixsatz“ oder „Trägersatz“, die ebenfalls verwendet werden könnten, wecken allzu starke Assoziationen mit speziellen Syntaxtheorien, als dass sie als neutrale Termini verwendet werden könnten. Der Begriff „Redeeinleitung“ ist dagegen die naheliegendste Wahl. Allgemein muss zu den Kombinationen von Redeeinleitung und von ihr abhängigem Nebensatz zu bedenken gegeben werden, dass diejenigen Sätze, die eine eingebettete Redewiedergabe enthalten, doppelt in die Übersicht eingehen. So enthält zum Beispiel der fiktive Satz Die Angeklagte sagt, ihre Nachbarin habe gesagt, sie solle mit zum Tanz kommen zunächst die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i (sagt – habe) und zusätzlich die Kombination konjunktiv perfekt – konjunktiv i (habe gesagt – solle).
282
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Aussagesätzen betrachtet werden. Als Ersatzkonjunktiv außerhalb von Konditionalsätzen ist der würde-Konjunktiv im Grunde nicht zu finden.72 Direkt auf eine Redeeinleitung folgt nur ein mit würde konstruiertes Futur (das dieselbe Form wie der Konditional hat, also würde+Infinitiv), jedoch nie unmittelbar auf eine finite Redeeinleitung im Präsens, sondern nur auf eine im Plusquamperfekt.73 Für dieses Korpus bedeutet das, dass diese Kombination nur in eingebetteter Redewiedergabe vorkommt. Redeeinleitungen im Futur erscheinen hier ebenfalls nicht,74 stattdessen sind mehr Kombinationen mit Redeeinleitungen im Präteritum oder Plusquamperfekt zu beobachten. Die naheliegendste Erklärung hierfür ist der Inhalt der untersuchten Texte: In den Protokollen wird festgehalten, was die Angeklagten sagen oder gesagt haben, nicht aber, was sie sagen werden. 72 Lediglich bei einem Beleg könnte die würde-Form ein Ersatzkonjunktiv außerhalb von Konditionalsätzen sein. Bei diesem Beleg muss es sich aber nicht notwendig um die Form würde handeln, auch andere Interpretationsweisen sind möglich. Dieses Beispiel ist hier als (6.6) zitiert (vgl. S. 412 sowie Anmerkung 13 in Kapitel 6, S. 414). Ein weiterer Beleg, der als Beispiel (4.19) auf S. 176 zitiert ist, wirkt eher wie ein epistemisch verwendetes werden, das in indirekte Rede überführt worden ist (du wirst (wohl) wissen → sie würde (wohl) wissen. Im Übrigen sind auch die Belege, die Guchmann für Vorkommen des Konditionals anführt, Konditionalsätze, wie zum Beispiel o Wie meinst du dan, wan es dar zu kommen würt, das allein der gwalt recht wer (DlK 75, vgl. Guchmann 1981, S. 137). Guchmann untersucht jedoch, wie erwähnt, nicht nur die indirekte Rede, sondern das gesamte Spektrum der Modusverwendung im Frühneuhochdeutschen. 73 Futurformen sind insgesamt nicht besonders zahlreich in den Hexenprozessakten. Es finden sich genau 73 Belege mit werde und 81 mit würde. Das entspricht der Beobachtung Guchmanns, dass im Konjunktiv das Futur mit würde häufiger ist als das mit werde gebildete, wenngleich die Werte sehr nah beieinander liegen (vgl. Guchmann 1981, S. 263 sowie Ebert 1993, S. 392– 393). Alle übrigen Vorkommen von werde und würde treten entweder in Passivperiphrasen auf, die dem Präsens oder dem Präteritum zuzurechnen sind, oder aber es handelt sich um epistemische Verwendungsweisen von werden (vgl. die folgende Anmerkung 75). 74 Lediglich einmal folgt eine Art eingebettete Redewiedergabe auf die Einleitung sagen werden: Er wiße es nit, vndt lachete darzu, werde Keiner sagen, das er deren gegraben, noch auch das er die zu graben begehrett (Dillenburg 1631, fol. 14v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 193). Werden könnte hier jedoch ebenso verwendet worden sein, um eine Vermutung kundzutun: Es wird wohl niemand sagen, dass . . . Aufgrund dieser Unsicherheit wird die Kombination mit dem Futur nicht mit aufgenommen.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
283
Im Grunde kommt hier jedes der Tempora Präsens, Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt in Kombination mit jedem vor, wobei die drei zusätzlichen zu diesen 16 Kombinationsmöglichkeiten durch Kombinationen mit dem Futur im abhängigen Satz entstehen.75 Entgegen Guchmanns Ergebnissen sind hier einige Kombinationen zu finden, die in ihrem ersten Zeitschnitt noch nicht auftreten (Nr. 11, 12 und 19). Zugleich erscheinen einige Kombinationen, die nach Guchmanns Information im 17. Jh. bereits untergegangen sind (Nr. 6, 7, 8, und 9, also fast alle Kombinationen mit Redeeinleitung im Perfekt).76 Diese Kombinationstypen unterscheiden sich zusätzlich insofern von denen in Guchmanns Korpus, als die Redeeinleitungen der eingebetteten Redewiedergabe weder in einem Hauptsatz noch im Indikativ vorkommen. Bei der eingebetteten Redewiedergabe steht das finite Verb der Redeeinleitung, so vorhanden, zumeist im Konjunktiv. Dort kann man also streng genommen nicht vom Tempus der Redeeinleitung sprechen und somit auch nicht von einer Consecutio temporum. Allerdings sind die Formen in den konjunktivischen Nebensätzen nach einer Redeeinleitung im Indikativ ebenso wenig Tempusformen. Deshalb ist es trotz des fehlenden temporalen Bedeutungsunterschiedes zwischen Präsens/Präteritum und Perfekt/Plusquamperfekt vertretbar, auch in der eingebetteten Redewiedergabe von Tempus zu sprechen. Diese Vorgehensweise erfordert jedoch, die Redeeinleitungen der eingebetteten Redewieder-
75 Die Kombinationen mit werde und würde in futurischer Bedeutung sind allerdings äußerst selten: Nach finiter Redeeinleitung enthält das gesamte Korpus lediglich drei werde- und eine würde-Futurform (z. B. Ob aber ihr vorgethane Bekhandtniß wahr? Die sagt, ia leider, nit allein das, sondern auch noch alles, waß sie aussagen werde, Eichstätt 1637, S. 102. Weitere Belege: Hildburghausen 1629, S. 111, Osnabrück 1636, fol. 98r, Mergentheim 1629, S. 17, Göttingen 1649, S. 46). In den folgenden Übersichten und in Anhang A.6, Tabelle A.13 (S. 468) erscheinen diese wenigen Futurformen demnach nicht gesondert, sondern werden dem Konjunktiv Präsens und dem Konjunktiv Präteritum (quasi als Konjunktiv I und II) zugerechnet. 76 Dass Guchmann schwerlich einen kompletten Untergang der Kombinationen meinen kann, sondern vermutlich auf die Belege in ihrem Korpus Bezug nimmt, ist bereits in Anmerkung 68 in Kapitel 3 (S. 114 dieser Arbeit) diskutiert worden. Allerdings untersucht sie ausschließlich Quellen aus dem späten 17. Jh., sodass ohnehin ein anderer Zeitraum gemeint ist.
284
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
gabe getrennt zu betrachten.77 Das zu beschreibende Phänomen ist also in einfacher Redewiedergabe die von Ágel so genannte Consecutio II, welche Behaghel aber ebenfalls als Consecutio temporum bezeichnet,78 weswegen hier an diesem Begriff festgehalten wird. In eingebetteter Redewiedergabe wird dagegen die Kombination von Redeeinleitung im Konjunktiv mit konjunktivischen Nebensätzen betrachtet, die im Blick auf die Consecutio temporum von Behaghel, Guchmann und auch Ágel nicht untersucht wird. Im Unterschied zu Guchmanns Korpus, in dem vier Plusquamperfekt-Kombinationen mit mittlerer Häufigkeit belegt sind,79 kommt hier lediglich eine Redeeinleitung im Indikativ Plusquamperfekt vor,80 dagegen 181 im Konjunktiv Plusquamperfekt. Alle anderen Kombinationen sind jedoch in einfacher wie eingebetteter Redewiedergabe zu finden. Bevor die Sprachlandschaften in ihrer Tendenz überprüft werden, die Consecutio temporum zu befolgen, ist ein anderer Vergleich angebracht. Wenn das Tempus der Redeeinleitung auf die unmittelbar nachfolgende Verbform Einfluss ausübte, so müssten alle diese Formen eine andere prozentuale Konjunktivverteilung zeigen als die Formen des Konjunktivs I und II insgesamt in den Sprachlandschaften. Da die häufigste Form der Redeeinleitung das Präsens ist, wäre eine Verschiebung des Verhältnisses zugunsten des Konjunktivs I zu erwarten. Zugleich wird so überprüft, ob diese im Einfluss eines Redeeinleitungstempus stehenden Formen überhaupt eine Regionalverteilung beobachten lassen, oder ob sich die drei Gebiete gleich verhalten. Tabelle 5.781 zeigt, dass zwar eine Regionalverteilung zu beobachten ist. Diese gestaltet sich aber einerseits anders als bei Be77 Zur Entscheidung für diese Vorgehensweise vgl. auch Abschnitt 4.5.a), S. 216 dieser Arbeit. 78 Vgl. Abschnitt 3.5, S. 131 dieser Arbeit. 79 Vgl. Tabelle 3.11, S. 113 dieser Arbeit. 80 Diese eine Redeeinleitung im Indikativ Plusquamperfekt ist in Beispiel (A.5) in Anhang A.11 (S. 492) zitiert. 81 Die absoluten Zahlen der Konjunktivverwendung im linken Teil von Tabelle 5.7 sind aus den Zeilen in der Tabelle A.13 in Anhang A.6 (S. 468) entnommen, die dort die Summe von Konjunktiven in den drei Gebieten bezeichnet (d. h. aus den vier mit „Σ“ bezeichneten Zeilen). Es handelt sich um die Summe aller Konjunktive, die unmittelbar auf eine Redeeinleitung – finit, nicht finit oder substantivisch – folgen. Der rechte Teil der Tabelle, der mit „gesamt“ überschrieben ist, wiederholt die oben auf S. 234 genannten Werte
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
A B C Σ
# % # % # % # %
einfach KI KII 129 243 34,68 65,32 285 210 57,58 42,42 257 30 89,55 10,45 671 483 58,15 41,85
eingebettet KI KII 21 178 10,55 89,45 78 173 31,08 68,92 161 18 89,94 10,06 260 369 41,34 58,66
285
gesamt KI KII 756 2194 25,63 74,37 1701 1991 46,07 53,93 2685 268 90,88 9,12 5142 4453 53,61 46,39
Tabelle 5.7: Konjunktiv unmittelbar nach Redeeinleitung und insgesamt
trachtung aller Formen, und andererseits liegen gravierende82 Unterschiede zwischen einfacher und eingebetteter Redewiedergabe vor: In der einfachen Redewiedergabe wird nach einer Redeeinleitung insgesamt eher der Konjunktiv I verwendet als unabhängig von Redeeinleitungen (58 % statt 54 %), während in eingebetteter Redewiedergabe offenbar der Konjunktiv II bevorzugt wird (59 % statt 46 %). Bei Betrachtung der Gebiete im Einzelnen fällt auf, dass nur in Gebiet C die Verteilung der gesamten Konjunktivformen nahezu der Verteilung derjenigen Formen entspricht, die unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen, und zwar in beiden Arten von Redewiedergabe. In Gebiet A und B verschiebt sich das Verhältnis in dieselbe Richtung wie insgesamt, d. h. in einfacher Redewiedergabe zugunsten des Konjunktivs I, in eingebetteter Redewiedergabe zugunsten des Konjunktivs II. Dabei ist die Abweichung in der eingebetteten Redewiedergabe mit jeweils ca. 15 % höher als bei der einfachen mit jeweils ca. 10 %. In Anbetracht der zahlreichen Redeeinleitungen im Präsens, die in allen drei Gebieten zu finden sind, kann hier ein Einfluss des Redeeinleitungstempus vermutet werden, der anderen Faktoren – wie beispielsweise der Regionalität – entgegenwirkt. Bei der eingebetteten Redewiedergabe müssten dann andere Redeeinleitungen als das Präsens für die Verschiebung verantwortlich sein, des Konjunktivgebrauchs ingesamt, d. h. sowohl nach einer Redeeinleitung als auch in Passagen berichteter Rede. 82 Unter der Hypothese, dass die Verteilung auch der Verbformen, die unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen, von der landschaftlichen Zugehörigkeit abhängig ist, sind die ermittelten Ergebnisse mit weit weniger als 1‰ statistisch sehr signifikant.
286
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
wenn die Abweichung zur Gesamtverteilung denn durch den Einfluss des Redeeinleitungstempus bedingt ist. In der Tat hat sich oben bereits gezeigt, dass Redeeinleitungen im Präsens die eingebettete Redewiedergabe sehr selten beginnen und dass dort stattdessen [repf]°, [repq]°und [re0]° zum Einsatz kommen. Allerdings ist es ebenso möglich, dass das Mehr an Präsensformen nach einer Redeeinleitung in den Gebieten A und B aus Quellen stammt, in denen einerseits der Konjunktiv I überwiegt und die andererseits zufälligerweise mehr Redeeinleitungen aufweisen als die übrigen Quellen. Das Mehr an Konjunktiv II bei der Einbettung könnte auch durch einen besonderen syntaktischen Status dieser Wiedergabeform bedingt sein. Denkbar wäre auch, dass diese beiden Arten von Redeeinleitungstempus, zumal sie eigentlich keine Tempora sind, überhaupt keinen Einfluss auf die nachfolgenden Verbformen ausüben und diese von den Schreibern ausschließlich im Einklang mit dem Normalmodus der jeweiligen Quelle gewählt werden. Bei der eingebetteten Redewiedergabe ist in Gebiet C wiederum kein nennenswerter Unterschied festzustellen, wogegen er in Gebiet A und B noch größer ist als in einfacher Redewiedergabe. Hier ist das Verhältnis deutlich zugunsten des Konjunktivs II verschoben, und zwar jeweils um ca. 15 %. Ein möglicher Einfluss der Redeeinleitungstempora auf die Konjunktivwahl wird bei der Analyse der Tempuskombinationen von Redeeinleitung und abhängigem Satz überprüft werden. Zugleich ist jedoch bemerkenswert, dass die im vorangegangenen Abschnitt ermittelte Regionalverteilung weitgehend erhalten zu bleiben scheint, sodass der Einfluss des Tempus der Redeeinleitung in Abhängigkeit der drei Konjunktivverwendungsgebiete untersucht werden muss. Als Grundlage dienen die 16 Kombinationen mit den am häufigsten vorkommenden Tempora, wobei die Elemente im Nebensatz im Einklang mit Behaghels Vorgehensweise zu den Gruppen Konjunktiv I und Konjunktiv II zusammengefasst werden.83 Einfache Redewiedergabe Tabelle 5.8 (S. 288) bietet eine Zusammenfassung der Kombinationen von finiter Redeeinleitung und nachfolgender finiter Konjunktivform zunächst für die einfache Redewiedergabe. Die absoluten 83 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 91, Anmerkung 34 dieser Arbeit.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
287
Zahlen stimmen mit denen der Gesamtübersichten in Anhang A.6 (S. 467) überein. Der mit „CT ja“ bezeichnete Wert ist die Summe aus den Belegzahlen für die Kombinationen indikativ präsens – konjunktiv i und indikativ präteritum – konjunktiv ii. Als „CT nein“ werden die Belege für die Kombinationen des Präsens mit dem Konjunktiv II und des Präteritums mit Konjunktiv I bezeichnet. Des Weiteren sind für jedes Gebiet die Belegzahlen der Konjunktivverwendung nach einer Redeeinleitung im Perfekt zusammengestellt. Der Tabelle sind also einerseits die Werte für die „klassische“ Consecutio temporum zu entnehmen, auf der anderen Seite kann die (ggf. schwankende) Konjunktivwahl nach Perfekt beobachtet werden. Die Tabelle wird unter der Fragestellung betrachtet, ob die Consecutio temporum die Moduswahl der Schreiber beeinflusst. In der Gesamtverteilung ist sie in fast 70 % zu beobachten, was sie zu einem bedeutenden Muster bei der Konjunktivverteilung macht. Im Vergleich dazu hat Guchmann in ihren Quellen des Zeitraums I jedoch eine 83-prozentige Beachtung der Consecutio temporum feststellen können.84 Die Mehrzahl der Übereinstimmungen mit der Consecutio temporum entsteht hier durch die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i. Auf ein Präteritum folgt insgesamt in der einfachen Redewiedergabe nur 46-mal ein Konjunktiv II, wogegen die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i in 404 Fällen zu beobachten ist. Die Kombination mit Konjunktiv II hat demnach einen Anteil von 10 % an den 450 Belegen, in denen die Consecutio temporum von den Schreibern als syntaktisches Muster befolgt wird. Das liegt aber, wie oben erwähnt, an der generell geringen Anzahl von Redeeinleitungen im Präteritum, die das vorliegende Korpus bietet, und nicht daran, dass nach Präteritum grundsätzlich der Konjunktiv I verwendet würde. Diese Kombination ist sogar noch seltener als die Beachtung der Consecutio temporum nach Präteritum (23 Belege insgesamt). So besteht auch die Gruppe der Kombinationen, die der Consecutio temporum widerspricht, zum größten Teil aus Gefügen mit präsentischen Redeeinleitungen, denen jedoch abweichend ein Konjunktiv II folgt (189 von 212 = 89 %). Die Kombinationen mit Redeeinleitungen im Perfekt sind seltener als die 84 Vgl. Abschnitt 3.3.b), S. 112 dieser Arbeit.
288
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II KI
KII
Σ
A
reps rept repf Σ
98 3 14 115
101 20 28 149
199 23 42 264
# %
CT ja 118 53,15
CT nein 104 46,85
B
reps rept repf Σ
137 16 43 196
69 24 28 121
206 40 71 317
# %
CT ja 161 65,45
CT nein 85 34,55
C
reps rept repf Σ
169 4 39 212
19 2 6 27
188 6 45 239
# %
CT ja 171 88,14
CT nein 23 11,86
Σ
reps rept repf Σ
404 23 96 523
189 46 62 297
593 69 158 820
# %
CT ja 450 67,98
CT nein 212 32,02
Tabelle 5.8: Tempuskombinationen in einfacher Redewiedergabe
mit präsentischer Redeeinleitung, aber häufiger als mit präteritalen. Die Kombination des Perfekts mit dem Konjunktiv I scheint etwas üblicher als die mit Konjunktiv II: Nach Perfekt (insgesamt 158 Belege) erscheint zu 61 % ein Konjunktiv I (96 Belege). Dieses Ergebnis ist mit dem schwankenden Gebrauch, den Behaghel nach Redeeinleitungen im Perfekt festgestellt hat, durchaus vereinbar. Gegenüber der Gesamtverteilung zeigen sich in den drei Gebieten auffällige Unterschiede: In Gebiet A halten sich Befolgung und Nicht-Befolgung der Consecutio temporum mit jeweils um die 50 % die Waage, die Befolgung ist geringfügig häufiger. Bereits dieses Ergebnis weicht erheblich von der Gesamtverteilung ab. Betrachtet man ausschließlich die Kombinationen mit dem Präsens, so überwiegt sogar das Muster, das der Consecutio temporum widerspricht (101 von 199 = 51 %). Hier wäre also denkbar, dass sich die Schreiber zwar oft entschieden haben, nach einer Redeeinleitung im Präsens den der Consecutio temporum entsprechenden Konjunktiv I zu setzen, aber genauso oft und öfter den Konjunktiv II bevorzugen, was nach den bisherigen Erkenntnissen auf einen regionalsprachlichen Einfluss zurückgeführt werden kann. Ebenso wäre es möglich, dass nur manche Schreiber die Consecutio temporum befolgen, und zwar
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
289
insbesondere in den Quellen, in denen in Gebiet A der Konjunktiv I überwiegt, während die anderen Schreiber dieses nicht tun. Das wird bei einem Blick auf die Verhältnisse in den einzelnen Quellen deutlich.85 Von den 98 Kombinationen des Präsens mit dem Konjunktiv I, die in Gebiet A belegt sind, kommen ca. zwei Drittel aus den Quellen, in denen das Präsens überwiegt (63 Belege). Der größte Anteil ist in der Quelle Flensburg 1608 zu finden (23 Belege), doch auch in den übrigen Quellen mit hoher Frequenz von Konjunktiv I ist die Kombination häufig: Stettin 1620 (16), Passow 1577 (12), Jever 1592 (6), Grünholz 1641 (5). Unter den Quellen des Gebietes A weist sogar knapp über die Hälfte (16 von 33) die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i gar nicht auf.86 Bei den meisten von diesen ist die Abwesenheit der Kombination dadurch bedingt, dass stattdessen einem Präsens ein Konjunktiv II folgt. Nur in drei Quellen – Meldorf 1618, Westerlandföhr 1614, Braunau 1617 – fehlen Redeeinleitungen im Präsens; dort wird ein Perfekt als finite Redeeinleitung für einfache Redewiedergabe verwendet.87 Insbesondere in Flensburg 1608 und Stettin 1620 sind ungewöhnlich viele finite Redeeinleitungen enthalten, die zudem vornehmlich im Präsens gehalten sind: 34 in Flensburg, 51 in Stettin. In diesen beiden Quellen folgen damit durchschnittlich auf eine Redeeinleitung im Präsens 3 bzw. 2 finite Verbformen im Konjunktiv, was in diesem Gebiet über dem Gesamtdurchschnitt liegt.88 Es wäre demnach möglich, dass in diesen Quellen die Redeeinleitungen nicht 85 Alle Belegzahlen, die im Folgenden für die einzelnen Quellen genannt werden, können anhand der Tabellen A.14–A.19 in Anhang A.6 (S. 469–474) nachvollzogen werden. 86 Konkret handelt es sich dabei um die Quellen Braunau 1617, Bremen 1603, Gommern 1660, Grünberg 1664, Jägerndorf 1653, Jeßnitz 1635, Loccum 1638, Meldorf 1618, Rosenburg 1618, Schivelbein 1635, Schwabstedt 1619, Schwerin 1620, Seehausen 1633, Stralsund 1630, Westerlandföhr 1614, Wüstenfelde 1590. 87 Einen Überblick über die Redeeinleitungstypen, die in den einzelnen Quellen verwendet werden, bieten die Tabellen A.7–A.9 in Anhang A.4 (S. 460–462). 88 Diese Feststellung wird mit Bezug auf Tabelle 5.5 gemacht, wo unter anderem das Verhältnis von finiten redeeinleitenden Elementen im Indikativ und nachfolgenden Konjunktivformen dargestellt ist. Dieses beträgt im Nnd. sieben bzw. im Nod. vier und ist damit erheblich höher als in diesen beiden Quellen.
290
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
nur auf die unmittelbar nachfolgende Verbform einwirken, sondern auch auf die jeweils darauf folgenden 1–2 Verbformen. Das wäre ein Erklärungsansatz für den hohen Anteil an Präsens in diesen beiden Quellen. Ähnliches wäre auch für Passow 1577 denkbar, wo ebenfalls ein hoher Anteil finiter Redeeinleitungen vorhanden ist (16 Redeeinleitungen im Präsens, 40 Konjunktivformen, davon 14-mal Konjunktiv I direkt auf eine Redeeinleitung folgend). Für die Quellen Grünholz 1641 und Jever 1592 eignet sich dieser Ansatz jedoch nicht zur Erklärung, da dort nur 7 bzw. 8 Redeeinleitungen im Präsens und 83 bzw. 101 Konjunktive zu finden sind.89 Allein in zwei Quellen, in denen überwiegend der Konjunktiv II auftritt, fällt eine größere Anzahl von Belegen für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i auf, welche auf eine Beachtung der Consecutio temporum durch den Schreiber zurückzuführen sein könnte. In Blankensee 1619 und Borgfeld 1587 ist eine leichte Tendenz festzustellen, Konjunktiv I nach Präsens zu setzen, doch ist auch dort die Kombination indikativ präsens–konjunktiv i nicht ausschließlich zu finden. In der Quelle Blankensee sind finite Redeeinleitungen nicht besonders zahlreich vertreten – es überwiegt mit 25 Belegen der Typ [reA] –, auf die insgesamt acht Redeeinleitungen im Präsens folgt jedoch in sechs Fällen ein Konjunktiv I, dazu je einmal eine afinite Konstruktion und ein Konjunktiv II. Somit könnten sechs der zehn Formen, die in dieser Quelle abweichend vom Normalmodus im Konjunktiv I auftreten, durch die Befolgung der Consecutio temporum erklärt werden. In Borgfeld folgt zehnmal der Konjunktiv I auf eine präsentische Redeeinleitung und nur zweimal ein Konjunktiv II, was immerhin eine Erklärung für fast die Hälfte aller 26 Formen liefert, die in dieser Quelle im Konjunktiv I auftreten (dagegen stehen 80 Formen im Konjunktiv II). Ansonsten fallen in einigen Quellen des Gebietes A vereinzelte Formen im Konjunktiv I unmittelbar nach einer Redeeinleitung im 89 Vgl. zu den Gesamtbelegzahlen von Konjunktivformen in den einzelnen Quellen die Tabellen A.2–A.4 in Anhang A.2 (S. 453–455). Es sei auch daran erinnert, dass die Zeugenaussagen, die sich in der Akte Grünholz vor dem Verhör befinden, welches in dieses Korpus eingegangen ist, im Konjunktiv II protokolliert sind, obwohl sich dort Redeeinleitungen im Präsens finden (vgl. Abschnitt 5.2.c ), S. 255 dieser Arbeit). Von daher ist ein Einfluss des Redeeinleitungstempus noch weniger wahrscheinlich.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
291
Präsens auf, wobei gleich darauf wieder ein Konjunktiv II verwendet wird, und zwar je zwei in Crivitz 1642, Perleberg 1588 und Uphusen 1565 sowie jeweils eine in Mühlhausen 1660 und Ostrau 1628: (5.21) Sagt sie sei vber den Kirchhoff gegangen, vnd were ihr kein mensch begegnet (Crivitz 1642, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 150) Zwar könnte diese Abwechslung hier auch auf ein Bedürfnis des Schreibers nach stilistischer Variation90 zurückzuführen sein. Dann hätte er jedoch nicht unbedingt die Form des Konjunktivs I auf die präsentische Redeeinleitung folgen lassen müssen, sondern hätte auch umgekehrt zunächst were und dann sei verwenden können. Sei erscheint in dieser Quelle aber ausschließlich nach einer Redeeinleitung im Präsens, insgesamt dreimal. Ein weiteres Mal folgt ein starkes Verb im Konjunktiv I (S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 149), nur einmal folgt ein nicht anders zu erklärender Konjunktiv I auf eine Redeeinleitung des Typs [part] (S. 8, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 151). Allerdings ist in dieser Quelle auch die Kombination indikativ präsens – konjunktiv ii relativ häufig vertreten – insgesamt neunmal –, sodass der Schreiber, sollte er sich durch das Tempus der Redeeinleitung in der Konjunktivwahl beeinflussen lassen, diesem Einfluss nur punktuell nachgibt. Nach Redeeinleitungen im Perfekt überwiegt in Gebiet A insgesamt der Konjunktiv II, was der Gesamtverteilung in den drei Gebieten entgegensteht. Auch hier sind es jedoch bestimmte Quellen, durch die das Mehr an Konjunktiv II verursacht wird. Zum einen enthalten nicht alle Quellen Redeeinleitungen im Perfekt, und zwar auch einige von denjenigen nicht, die besonders viel Konjunktiv I enthalten (z. B. Barby 1641, Grünholz 1641, Leipzig 1640). Von denen, die Redeeinleitungen im Perfekt enthalten, zeigen diejenigen, in denen der Konjunktiv II überwiegt, häufiger einen Konjunktiv II als einen Konjunktiv I in der unmittelbar folgenden Verbform. Zum Beispiel ist das in Güstrow 1615 so, wo zehnmal der Konjunktiv II und zweimal der Konjunktiv I auftritt. In der Quelle Jever 1592, 90 Stilistische Variation ist einer der von Behaghel ermittelten Gründe für das Abweichen von der Consecutio temporum, vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 92 dieser Arbeit. Zur genaueren Untersuchung stilistischer Variation in den hiesigen Quellen vgl. Abschnitt 5.6.a), S. 372 dieser Arbeit.
292
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
wo generell mehr Konjunktiv I zu finden ist als in Güstrow 1615, erscheint dreimal der Konjunktiv I und zweimal der Konjunktiv II. Auch die anderen Belege lassen darauf schließen, dass die Konjunktivwahl nach einer Redeeinleitung im Perfekt in etwa mit der übereinstimmt, die in der jeweiligen Quelle auch unabhängig von der Redeeinleitung zu beobachten ist. Von daher kann man vermuten, dass das Tempus „Perfekt“ keinen Einfluss auf die Konjunktivwahl nimmt und stattdessen andere Faktoren wirken. Redeeinleitungen im Präteritum lassen nur einige der Quellen beobachten, in denen der Konjunktiv II überwiegt. Deshalb kann man nicht sagen, ob die 20 Belege für die Kombination indikativ präteritum – konjunktiv ii in Bremen 1603, Braunau 1617, Crivitz 1642, Jägerndorf 1653 und Loccum 1638 durch das Redeeinleitungstempus oder durch den Normalmodus der Quellen bedingt sind. In der Quelle Jägerndorf 1653, in welcher der Konjunktiv II zu 86 % überwiegt, finden sich daneben drei Belege für die Kombination mit Konjunktiv I, was darauf schließen lässt, dass sich der Schreiber manchmal durch das Redeeinleitungstempus nicht davon abhalten lässt, den anderen Konjunktiv zu verwenden, ebenso wenig, wie in anderen Quellen das Präsens die Verwendung des Konjunktivs II verhindert. Für Gebiet A lässt sich damit zusammenfassend festhalten, dass die Tendenz, die sich in den Tabellen 5.7 (S. 285) und 5.8 (S. 288) für den Konjunktiv I nach Präsens abzuzeichnen schien, doch nur auf die Belege aus einigen wenigen Quellen zurückzuführen ist und nicht als eine für das gesamte Gebiet gültige gewertet werden kann. Allerdings kann es sein, dass der hohe Anteil an Konjunktiv I in den Quellen, in denen die Mehrzahl der Belege für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i zu finden ist, durch die Consecutio temporum bedingt ist. In einigen Quellen des Typs EII scheint tatsächlich das Redeeinleitungstempus abweichende Formen erklären zu können. Das Perfekt scheint keinen Einfluss auf die Moduswahl zu nehmen; vielmehr entspricht der Konjunktiv nach Perfekt zumeist dem Normalmodus der Quellen, wenngleich auch ein Schwanken der Moduswahl zu beobachten ist. Um gesichertere Aussagen zu den Kombinationen mit Präteritum machen zu können, müssten mehr Belege vorhanden sein.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
293
Für Gebiet B stimmt die prozentuale Verteilung von Beachtung und Nichtachtung der Consecutio temporum in etwa mit der Gesamtverteilung überein. Der Großteil der Belege für die Position „CT ja“ wird wiederum durch Kombinationen mit dem Indikativ Präsens bestritten. Nach Präsens ist in Gebiet B ebenfalls weitaus mehr Konjunktiv I zu finden als in Gebiet A: Für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i gibt es 138 Belege, für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv ii dagegen nur 68. Auch hier könnte das Ergebnis zum Teil dadurch hervorgerufen sein, dass die Quellen unterschiedlich umfangreich sind und dementsprechend ungleiche Teile an Formen in das Gesamtergebnis einbringen. Die meisten Belege für die erste Kombination, 34 an der Zahl, stammen aus der Quelle Coesfeld 1632, einer Quelle mit überwiegendem Konjunktiv-I-Anteil (66 %). Doch auch ohne die Werte aus dieser umfangreichen Quelle überwiegt der Konjunktiv I in Gebiet B nach präsentischer Redeeinleitung. Die restlichen 103 Belege für die Kombination mit dem Konjunktiv I sind zudem weitaus gleichmäßiger auf die Quellen verteilt als in Gebiet A. Zwar finden sich hier in Gebiet B auch 13 Quellen, in denen die Kombination gar nicht belegt ist.91 Das sind jedoch nicht nur solche, in denen dem Präsens stets ein Konjunktiv II folgt, sondern auch solche, wo Redeeinleitungen im Perfekt am häufigsten sind. In sechs von diesen Quellen (und damit drei mehr als in Gebiet A) ist keine Redeeinleitung im Präsens belegt, was bei der ansonsten zu beobachtenden Frequenz dieser Redeeinleitung als Besonderheit gewertet werden kann. In Celle 1570, Coburg 1670, Essen 1589, Helmstedt 1578 und Müddersheim 1630 steht anstelle des Präsens ein Perfekt, in Bettenhausen 1611 dominieren dagegen die Redeeinleitungen im Präteritum. Bei den übrigen Quellen, die Redeeinleitungen im Präsens enthalten, folgt auf das Präsens zum Teil ein Konjunktiv II, oft sind es jedoch auch afinite Konstruktionen, die das unmittelbar auf die Redeeinleitung folgende Element darstellen. In der Quelle Alme 1630 folgt beispielsweise dreimal eine afinite Konstruktion auf das Präsens und nur einmal ein Präteritum. Insgesamt ist die Kombination 91 Die betreffenden Quellen sind Alme 1630, Bettenhausen 1611, Celle 1570, Coburg 1670, Dillenburg 1631, Essen 1589, Göttingen 1648, Helmstedt 1578, Köln 1629, Lemberg 1630, Müddersheim 1630, Wernigerode 1597, Westerburg 1624, Wittgenstein 1629.
294
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
indikativ präsens – konjunktiv ii, wie auch Tabelle 5.8 (S. 288) zu entnehmen ist, in Gebiet B mit 68 Belegen seltener als in Gebiet A (101 Belege), und das obwohl die Quellen in Gebiet B insgesamt mehr finite Verbformen enthalten. In den verbleibenden 28 Quellen aus Gebiet B ist die der Consecutio temporum entsprechende Kombination indikativ präsens – konjunktiv i überall mehr oder weniger stark vertreten. Die meisten Belege liefert die Quelle Münster 1635. In dieser Quelle überwiegt der Konjunktiv I zu 60 % und daher lässt sich nicht sagen, ob der Konjunktiv I nach Präsens durch das Redeeinleitungstempus oder den Normalmodus der Quelle bedingt ist. Auch in Osnabrück 1636 sind 12 Belege zu finden, wobei die Quelle sonst jedoch überwiegend Formen des Konjunktivs II enthält. Hier könnten also die in Anbetracht ihrer sonstigen Seltenheit auffälligen Formen des Konjunktivs I durch bewusste Beachtung der Consecutio temporum durch den Schreiber zu erklären sein.92 In zwölf Quellen93 sind die Belege nur selten (jeweils ein bis zwei) und können daher durch Zufall bedingt sein. Allerdings erscheinen die Belege zumeist in Quellen, in denen der Konjunktiv II der Normalmodus ist, sodass – ähnlich wie durch Beispiel (5.21) für Gebiet A illustriert – ein punktueller Einfluss der Redeeinleitung vorliegen könnte. In den übrigen 14 Quellen94 liegt die Anzahl der Belege bei 3–8. Da nicht in allen Quellen der Konjunktiv I generell überwiegt, könnte man diesen Befund – anders als in Gebiet A – als großflächigere Anwendung der Consecutio temporum nach Präsens werten, da nicht nur einige wenige Quellen an ihm beteiligt sind. Die Konjunktivwahl nach Perfekt scheint, ähnlich wie in Gebiet A, eher vom Normalmodus der Quelle abzuhängen als vom Einleitungstempus. In allen Quellen, die Redeeinleitungen im Perfekt 92 Das ist umso mehr der Fall, als Topalović für diese Quelle ermittelt hat, dass der Schreiber der Consecutio temporum gemäße Verbesserungen vorgenommen hat (vgl. Topalović 2003, S. 138–139 sowie Abschnitt 3.6, S. 137 dieser Arbeit). 93 Blankenheim 1629, Dieburg 1627, Gaugrehweiler 1610, Herborn 1630, Hildburghausen 1629, Hildesheim 1628, Lemgo 1632, Linz 1631, Meiningen 1659, Schweinfurt 1616, Werl 1630, Wolframs-Eschenbach 1630. 94 Ahaus 1608, Bamberg 1628, Drachenfels 1630, Erkelenz 1598, Friedberg 1620, Gerolstein 1633, Hamm 1592, Höchst 1631, Lindheim 1631, Mergentheim 1629, Nördlingen 1593, Wallhausen 1628, Werl 1630, Wernigerode 1597.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
295
enthalten, verwenden die Schreiber beide Konjunktivarten, doch die, die dem jeweiligen Normalmodus entspricht, ist die häufigere. Auch nach einem Präteritum kommen die beiden Konjunktive in etwa gleich häufig vor. Die Belege für die Kombination präterium– konjunktiv i stammen jedoch nicht, wie man vermuten könnte, ausschließlich aus denjenigen Quellen, in denen insgesamt der Konjunktiv I überwiegt. In den Quellen, in denen mehr als eine Redeeinleitung im Präteritum auftritt, wechselt das Tempus auch nach dieser, was den Regeln der Consecutio temporum widerspricht. Das ist in Osnabrück 1636, Lindheim 1631, Höchst 1631 und Bettenhausen 1611 der Fall, wobei von diesen vier Quellen nur in Höchst 1631 der Konjunktiv I überwiegt. Die folgenden Beispielsätzen aus der Quelle Lindheim 1631 illustrieren, wie die beiden Konjunktive in der Tat parallel verwendet werden. Zudem zeigen sie, dass nicht etwa absolute Zeitengebung vorliegt, welche die Consecutio temporum laut Behaghel aufheben kann. In beiden Sätzen folgt auf eine Redeeinleitung im Präteritum das Verb wissen, einmal im Konjunktiv I und einmal im Konjunktiv II.95 (5.22)
(a) Andworttete, sie wisse wohl davon aber doch seyen sie e in der gutt endscheyden worden vnd daß sie itzunder mit einander gutte freundt vnd mit einander essen vnd trinken (Lindheim 1631, S. 185) e
(b) [. . .] sagte sie, sie w uste nicht, ob daß Kindt Dott noch e auch daß sie deswegen beruchtigt. (Lindheim 1631, S. 187) Das Präteritum scheint als Redeeinleitungstempus demnach weder in Gebiet A noch in Gebiet B ein zwingender Grund zu sein, im Nebensatz einen Konjunktiv II zu verwenden, da auch in Quellen, wo der Konjunktiv II eigentlich der Normalmodus ist, nach Präteritum ein Konjunktiv I erscheint. Das lässt einen Schluss darauf zu, 95 Diese Beobachtung deckt sich mit der Feststellung Behaghels, dass die von ihm analysierten Schriftsteller, wenn sie denn beide Konjunktive nach Präteritum verwenden, „keine Bedenken [tragen], beides neben einander im selben Satz anzuwenden“ (vgl. Behaghel 1899, S. 103; vgl. auch Abschnitt 3.2.c ), S. 92 dieser Arbeit).
296
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
dass die Consecutio temporum keine bindende Regel für die Schreiber darstellt und dass Abwechslung der Konjunktive andere Gründe hat.96 In Gebiet C erscheint die Consecutio temporum eindeutig als das dominierende Muster. Nach einer Redeeinleitung im Präsens erscheint in 88 % der Fälle der Konjunktiv I (171 zu 23 Belege), doch dieser hohe Prozentsatz ist vornehmlich dadurch bedingt, dass Gebiet C die meisten Formen im Konjunktiv I aufweist, was in Kombination mit der insgesamt frequentesten Redeeinleitung viele Fälle für augenscheinliche Beachtung der Consecutio temporum ergibt, bei denen man jedoch nicht sicher sein kann, ob es sich um Zufall oder Absicht der Schreiber handelt. Betrachtet man nur die Konjunktivverwendung im Präsens, so stehen den 169 Belegen für Konjunktiv I lediglich 19 für Konjunktiv II gegenüber. Diese 19 finden sich einerseits, wie nicht anders zu erwarten, in einigen der wenigen Quellen der Mischtypen MIa und MIb, die es in Gebiet C gibt: Feldbach 1674 (2), Gutenhag 1661 (4), St. Lambrecht 1602 (6). Doch auch in einigen Extremtypen kann die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i beobachtet werden, so in Augsburg 1625, Eichstätt 1637, Hechingen 1648, Mittersill 1575, München 1600, Stein am Rhein 1667 und Wartenburg 1614 (jeweils ein Beleg). In Gebiet C ist die Consecutio temporum demnach nicht ausnahmslos zu beobachten, und zwar nicht nur in Quellen, die mehr Konjunktiv II als die übrigen enthalten, sondern auch in solchen des Typs EI. Allerdings sind die Ausnahmen sehr selten. Nach Perfekt dominiert mit 48 gegenüber sechs Belegen ebenfalls der Konjunktiv I im Einklang mit dem in diesem Gebiet vorherrschenden Normalmodus. Die sechs Belege für Konjunktiv II nach Perfekt befinden sich wiederum in beiden Arten von Quellen, d. h. sowohl Extremals auch Mischtypen: Hemau 1616, Laaber 1608 (je zwei), Leonberg 1641 und Memmingen 1665 (je ein Beleg). Für die Konjunktivverwendung nach Präteritum lassen sich in Gebiet C anhand des untersuchten Materials keine gesicherten Aussagen machen. Zwar steht mit 4 gegenüber 2 Belegen entgegen der Consecutio temporum öfter ein Konjunktiv I nach Präteritum, jedoch kann nicht gesagt wer96 Hier könnte man beispielsweise Behaghels Beobachtung, starke Verben stünden eher im Konjunktiv I, als erklärendes Moment anführen (vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 93 sowie den folgenden Abschnitt 5.4).
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
297
Abbildung 5.6: Quellenorte im Behaghel’schen Konjunktiv-I-Gebiet
den, wie die Werte ausfallen würden, wenn die Texte mehr Redeeinleitungen im Präteritum enthalten hätten. Fünf der insgesamt sechs Belege stammen zudem aus einer Quelle, Meßkirch 1644, wo folglich beide Konjunktive – viermal der Konjunktiv I und einmal der Konjunktiv II – verwendet werden. Der sechste Beleg für die Kombination indikativ präteritum – konjunktiv ii entstammt der oobd. Quelle Mittersill 1575. An dieser Stelle, d. h. vor der Betrachtung der eingebetteten Redewiedergabe, bietet sich nun ein direkter Vergleich mit den Ergebnissen Otto Behaghels zur Anwendung der Consecutio temporum an.97 Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden hier nur diejenigen Quellen Behaghels aus dem Zeitraum 1611–1670 für das Konjunktiv-II- und 1564–1616 aus dem Konjunktiv-I-Gebiet betrachtet. Die späteren und früheren Quellen, die Behaghel untersucht hat, werden dagegen ausgeklammert, damit die Zeitspanne in etwa derjenigen entspricht, die in der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt worden ist. Zudem werden aus dem Korpus von Hexenprozessakten zwei Teilmengen derjenigen Quellen gebildet, die aus Behaghels Konjunktivgebieten stammen. Die Karte in Abbildung 5.6 ist ein Ausschnitt aus der in Abbildung 3.1 (S. 84); sie 97 Da die eingebettete Redewiedergabe in Protokollen sehr häufig ist, in literarischen Texten jedoch weniger, sind die diesbezüglichen Ergebnisse nicht mit denen Behaghels zu vergleichen. Der Vergleich beschränkt sich daher auf die einfache Redewiedergabe.
298
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
zeigt Herkunftsorte der Quellen dieses Korpus, die sich in Behaghels Konjunktiv-I-Gebietes befinden.98 Da Behaghel keine Texte untersucht, deren Verfasser auf dem Boden des übrigen oobd. Dialektraumes, den er prinzipiell zum Konjunktiv-II-Gebiet rechnet, geboren sind,99 werden die Quellen dieses Raumes nicht zum Vergleich mit herangezogen. Das Konjunktiv-II-Gebiet ist damit durch alle Quellen besetzt, die nach dieser Aussonderung noch übrig bleiben. Behaghels Ergebnisse für die beiden Gebiete, die bereits in Abschnitt 3.2.c ) ausgeführt wurden, sollen hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden. Nach präsentischem Hauptsatz hat er vornehmlich eine Beachtung der Consecutio temporum beobachtet. Zwar nennt er keine konkreten Zahlen und auch keine Belege, doch das wäre in Anbetracht der Menge von Material, das er untersucht hat, wohl schwerlich möglich gewesen, zumal er für die präteritalen Hauptsätze alle Belege einzeln nachweist. Dass die Kombination indikativ präsens – konjunktiv i jedoch bei weitem überwiegt, lässt sich seiner Bemerkung „nach praesentischem Hauptsatz herrscht in der ganzen ältern [!] Zeit des Nhd. der Conj. Praes.“ (Behaghel 1899, S. 102) entnehmen. Die wenigen Belege für die Kombination indikativ präsens – konjunktiv ii fallen dagegen kaum ins Gewicht: Behaghel hat sechs im Konjunktiv-I- und 39 im Konjunktiv-II-Gebiet feststellen können.100 Auch ohne genaue Belegzahlen als Vergleichswert aus Behaghels Ergebnissen für die Kombination präsens – konjunktiv i zu haben, steht zumindest 98 Da das Behaghel’sche Konjunktiv-I-Gebiet nur in etwa anhand der im Text genannten Regionen bestimmt werden kann, ist die eingezeichnete Grenze eher als Übergangsgebiet zu verstehen. Aus diesem Grunde werden die Quellen, die auf der Grenze des ermittelten Gebietes liegen, mit hinzugezählt. Die Zuordnung von Eichstätt, München und Reichertshofen zu diesem Gebiet ist allerdings fraglich, da sich Behaghel selbst über den Grenzverlauf sehr unsicher ist und in Bezug auf einen Ort rechts des Flusses Lech (der in etwa die Grenze zwischen dem Alemannischen und dem Bairischen markiert) zweifelt, zu welchem Gebiet er zu zählen sei (vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 89, sowie Anmerkung 5, Anhang C.2, S. 579 dieser Arbeit). 99 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), bsd. Anmerkung 32, S. 89 dieser Arbeit. 100 Diese Werte setzen sich aus den in Abschnitt 3.2.c ), S. 91 und in Tabelle 3.3, S. 90 dieser Arbeit aufgeführten zusammen, d. h. die Werte für eindeutige und modusambivalente Formen sind zusammengerechnet. Zu den niedrigen Belegzahlen sagt Behaghel, dass er „die Möglichkeit zugeben will, dass mir ein oder das andere entgangen ist“ (Behaghel 1899, S. 102).
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
299
fest, dass in den Hexenprozessakten weitaus mehr Ausnahmen zu finden sind: Die Kombination präsens – konjunktiv ii, die Behaghel lediglich 45-mal beobachtet hat, ist in den Hexenprozessakten weitaus häufiger, wie im Folgenden mit Zahlen belegt wird. In den beiden Teilkorpora, die auf der Grundlage von Behaghels Konjunktivverwendungsgebieten definiert sind, wird der Konjunktiv nach Präsens insgesamt 174-mal nicht nach der Regel der Consecutio temporum gewählt, wobei 167 Belege aus Quellen des Behaghel’schen Konjunktiv-II-Gebietes kommen, d. h. den hiesigen Gebieten A und B mit Ausnahme einiger weniger nobd. Quellen. In den Quellen, die aus Behaghels Konjunktiv-I-Gebiet kommen, folgt nur siebenmal ein Konjunktiv II auf ein Präsens. Demgegenüber wird die Consecutio temporum in 387 Fällen nach Präsens befolgt, wobei 220 von diesen Belegen aus dem Konjunktiv-II-Gebiet Behaghels stammen und 136 aus dem Konjunktiv-I-Gebiet. Die Schreiber aus beiden Gebieten halten sich demnach nach präsentischem Hauptsatz meistens an die Regeln der Consecutio temporum, im KonjunktivI-Gebiet zu 94 %, im Konjunktiv-II-Gebiet jedoch nur zu 56 %. Man kann also durchaus vermuten, dass die im Vergleich zu Behaghels Ergebnissen weitaus häufigeren Abweichungen von der Consecutio temporum nach Präsens durch regionale Einflüsse bedingt sein können, zumal sie hauptsächlich im Konjunktiv-II-Gebiet zu finden sind. Insofern bestätigen diese Ergebnisse Behaghels Hypothese des mundartlichen Einflusses mehr, als es Behaghels eigene Ergebnisse tun. Seine Annahme, die Modusverwendung habe in den Mundarten bereits im 16. Jh. so bestanden, wie sie sich heute zeigt, findet zwar durch seine Belege aus dem Konjunktiv-I-Gebiet eine Bestätigung, nicht aber durch die vom Konjunktiv-II-Gebiet.101 Die hier zu beobachtenden Ergebnisse weisen hingegen in beiden Gebieten auf einen mundartlichen Einfluss hin – zumindest nach präsentischem Hauptsatz – und bieten damit die eine Bestätigung, die Behaghel gefehlt hat. Ob es jedoch, wie er vermutet hat, die mundartliche Modusverwendung ist, die hier ihren Einfluss geltend macht, oder zusätzlich, wie hier in Abschnitt 5.2.b) ausgeführt, die überwiegenden Erzähltempora in den Originaläußerungen, lässt sich anhand der Ergebnisse nicht sagen. Es kann lediglich vermutet werden, dass bei101 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 96 dieser Arbeit.
300
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Behaghel
KI-Gebiet KII-Gebiet
CT ja CT nein CT ja % CT nein % (Pt.–KII) (Pt.–KI) 125 98 56,05 43,95 486 135 78,26 21,74
Hexenprozessakten
KI-Gebiet KII-Gebiet
CT ja CT nein (Pt.–KII) (Pt.–KI) 1 4 44 19
Tabelle 5.9: Consecutio temporum bei Behaghel und in den Prozessakten
des eine Rolle spielt. Gleichzeitig scheint die Consecutio temporum einen Einfluss auf die Konjunktivwahl der Schreiber auszuüben. Nach präteritalem Hauptsatz, wo Behaghel mehr Ausnahmen ermittelt hat als nach präsentischem, gestalten sich seine Ergebnisse so, wie dem oberen Teil von Tabelle 5.9 zu entnehmen.102 Die Verstöße gegen die Consecutio temporum sind im Konjunktiv-I-Gebiet weitaus zahlreicher als im anderen Gebiet, was auf einen Einfluss der Mundart hinweist, gleichzeitig jedoch auch, wie Behaghel es deutet, auf die beginnende Entwicklung des Konjunktivs I zu seiner heutigen Funktion, dem gebietsübergreifenden Normalmodus der indirekten Rede. Laut Behaghel geht diese Entwicklung von den starken Verben und sei aus. Die Werte des hier untersuchten Korpus sind im unteren Teil derselben Tabelle aufgeführt. Jedoch sind die Werte, die anhand der Hexenprozessakten zu ermitteln sind, für einen Vergleich zu niedrig. Zudem finden sich alle Belege für Kombinationen mit Präteritum, wie erwähnt, in der Quelle Meßkirch 1644, sind also keineswegs repräsentativ.
102 Die Werte sind aus Tabelle 3.4, S. 94 dieser Arbeit übernommen. Wie soeben erwähnt, gehen nicht alle Werte in diesen Vergleich ein, sondern nur die aus dem relevanten Zeitraum. Konkret sind das für das Konjunktiv-I-Gebiet die Zimmersche Chronik, Fischart, Breuning und Krafft, für das Konjunktiv-IIGebiet Hofstetter, Albertus, Ahlefelt, Harsdörffer, Grimmelshausen, Zesen (für genaue Literaturangaben vgl. Anhang C.2, S. 576 dieser Arbeit).
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
301
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Consecutio temporum auf die Moduswahl in den Hexenprozessakten einzuwirken scheint. Eindeutige Ergebnisse lassen sich jedoch im vorliegenden Korpus nur für Sätze mit präsentischem Hauptsatz gewinnen. In Gebiet A ist in manchen Quellen ein Einfluss des Redeeinleitungstempus zu bemerken, in Gebiet B ist er dagegen in mehr als nur einigen wenigen Quellen zu beobachten. In Gebiet C ist nicht auszumachen, ob der Konjunktiv I aufgrund der präsentischen Redeeinleitungen oder aus anderen Gründen gewählt wird. Für Redeeinleitungen im Präteritum kann aufgrund der niedrigen Belegzahlen keine sichere Aussage gemacht werden. Da die oben festgestellt Regionalverteilung auch zu beobachten ist, wenn nur die Formen betrachtet werden, die unmittelbar im Einfluss eines Redeeinleitungstempus Präsens oder Präteritum stehen, kann man zugleich davon ausgehen, dass die Consecutio temporum zwar Einfluss auf die Konjunktivwahl ausübt, aber nicht der ausschlaggebendste Faktor ist. Nach Perfekt und Plusquamperfekt scheint sogar allein die Region bestimmend zu sein, weil die Werte für die Konjunktivverwendung denen entsprechen, welche unabhängig von der Redeeinleitung ermittelt werden können. Zwar schwankt der Gebrauch, hauptsächlich zeigt sich jedoch der Normalmodus. Eingebettete Redewiedergabe Vergleicht man die Tempuskombinationen in der einfachen Redewiedergabe (Tabelle 5.8, S. 288) mit der in der eingebetteten (Tabelle 5.10, S. 302), so fällt auf, dass die Consecutio temporum in der eingebetteten Redewiedergabe fast keine Rolle spielt, da die Schreiber diese fast ausschließlich im Perfekt und Plusquamperfekt beginnen. Die Kombinationen konjunktiv perfekt – konjunktiv i und konjunktiv plusquamperfekt – konjunktiv ii sind dabei die prominentesten mit jeweils knapp 100 Belegen, was über zwei Drittel der insgesamt 280 eingebetteten Redewiedergaben ausmacht, die mit einer finiten Verbform begonnen werden. Daneben erscheinen die Kombinationen konjunktiv perfekt – konjunktiv ii (41 Belege) und noch seltener konjunktiv plusquamperfekt – konjunktiv i (18 Belege). Die Gesamtwerte verteilen sich wiederum sehr unterschiedlich auf die drei Gebiete. In Gebiet A ist konjunktiv plusquamperfekt – konjunktiv ii die einzig be-
302
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
KI
Σ
reps° rept° repf° repq°
KI 12 1 97 18 128
KII 6 8 41 97 152
Σ 18 9 138 115 280
A
reps° rept° repf° repq°
B
reps° rept° repf° repq°
C
reps° rept° repf° repq°
2 4 6 6 15 11 32 6 1 80 3 90
KII 1 4 5 50 60 3 3 26 47 79 2 1 10 13
Σ 1 4 7 54 66 9 3 41 58 111 8 2 90 3 103
Tabelle 5.10: Tempuskombinationen in eingebetteter Redewiedergabe
deutende Kombination in eingebetteter Redewiedergabe, an der finite Verbformen beteiligt sind. Auch in Gebiet B ist sie die Kombination mit der größten Belegzahl, neben ihr stehen die Verbindungen des Perfekts mit beiden Konjunktivarten. Perfekt und Plusquamperfekt ziehen in etwa zu gleichen Teilen einen Konjunktiv I nach sich. In Gebiet C ist die Kombination konjunktiv plusquamperfekt – konjunktiv ii gar nicht belegt, dafür ist fast ausschließlich das Perfekt in Kombination mit Konjunktiv I zu finden. Da die Redeeinleitungen im Präsens und Präteritum so selten sind und sie zusätzlich auch bei den wenigen Belegen keinen Einfluss auf die Wahl der nachfolgenden Verbform zu haben scheinen, entspricht die Konjunktivverteilung insgesamt derjenigen, die bereits für die Summe aller unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgenden Verbformen ermittelt worden ist (Tabelle 5.7, S. 285). In Gebiet A ist das Verhältnis von Konjunktiv I zu II sechs zu 60 Belege, der Konjunktiv II dominiert also absolut. In Gebiet B stehen 32 Belege für Konjunktiv I 76 für Konjunktiv II gegenüber. Auch hier wird also der Konjunktiv II bevorzugt, wobei dieses jedoch am meisten nach Redeeinleitungen im Plusquamperfekt der Fall ist. In Gebiet C ist das Verhältnis mit 90 zu 13 eindeutig auf Seiten des Konjunktivs I. Auch in eingebetteter Redewiedergabe scheint damit die
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
303
Region ein bedeutenderer Faktor bei der Moduswahl zu sein als die Redeeinleitungstempora Perfekt und Plusquamperfekt – die in diesem Fall, um es noch einmal zu betonen, lediglich morphologisch als Tempus bezeichnet werden können. Allein in Gebiet B widerspricht die Verteilung in eingebetteter Wiedergabe dem, was in einfacher Wiedergabe zu beobachten ist. Möglicherweise gibt es hier für die eingebettete Redewiedergabe also besondere Konventionen der Verwendung. Die starke Präferenz des Konjunktivs II sowohl in Gebiet A als auch in Gebiet B könnte beispielsweise dadurch bedingt sein, dass einige Schreiber die eingebettete Redewiedergabe grundsätzlich im Konjunktiv II gestalten. Ehe nicht die Tempora nach nicht finiten Redeeinleitungen (die oft eingebettete Redewiedergaben beginnen) betrachtet worden sind, kann diese Frage allerdings nicht umfassend beantwortet werden.
5.3.c ) Nicht finite Redeeinleitungen Da die nicht finiten Redeeinleitungen ([re0], [reA], [reS], [part]) kein finites Verb und damit kein Tempus enthalten (allenfalls ein elliptisches), kann man an ihnen zwar keine Gesetzmäßigkeiten der Zeitenfolge untersuchen. Wohl ist es aber möglich, dass auch diese Einleitungen auf die Konjunktivwahl der Schreiber einwirken, und das gilt es entweder nachzuweisen oder auszuschließen. In Tabelle 5.11 (S. 304) sind alle Kombinationen der genannten nicht finiten Redeeinleitungen mit finiten Formen aufgeführt, wobei hier ebenso wie in Tabelle 5.8 (S. 288) auf sehr seltene Kombinationen verzichtet wurde.103 Die einzig häufige Redeeinleitung ohne finiten Anteil bei der eingebetteten Redewiedergabe ist [re0]°, weswegen nur sie für diese in der Tabelle aufgeführt ist. Betrachtet man die Gesamtverteilung104 für die einfache Redewiedergabe, so fällt auf, dass der Konjunktiv II häufiger als der Konjunktiv I auf eine nicht finite Redeeinleitung folgt. Das Verhältnis beträgt 45 % zu 55 % zugunsten des Konjunktivs II. Diese Bevorzugung des Konjunktivs II, die in einfacher Redewiedergabe nach finiten Redeeinleitungen nicht festzustel103 Die Gesamtübersicht über alle Kombinationen befindet sich in Anhang A.6, Tabelle A.13, S. 468. 104 In Tabelle 5.11 ist die Gesamtverteilung mit einem Summenzeichen (Σ) bezeichnet.
304
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
einfache Redewiedergabe K. Ps. K. Pf. [re0] 5 3 [part] 1 2 A [reA] 0 0 [reS] 1 0 Σ 7 5
K. Pt. 9 15 0 20 44
K. Pq. 4 5 0 30 39
Σ 21 23 0 51 95
[re0] [part] [reA] [reS] Σ
K. Ps. 26 11 0 15 52
K. Pf. 6 4 5 16 31
K. Pt. 47 12 0 6 65
K. Pq. 7 9 0 3 19
Σ 86 36 5 40 167
[re0] [part] [reA] [reS] Σ
K. Ps. 34 2 0 6 42
K. Pf. 2 0 0 0 2
K. Pt. 0 1 0 1 2
K. Pq. 0 0 0 1 1
Σ 36 3 0 8 47
[re0] [part] [reA] [reS] Σ
K. Ps. 65 14 0 22 101
K. Pf. 11 6 5 16 38
K. Pt. 56 28 0 27 111
K. Pq. 11 14 0 34 59
Σ 143 62 5 99 309
eingebettete Redewiedergabe K. Ps. K. Pf. A [re0]° 13 1
K. Pt. 86
K. Pq. 20
Σ 120
B
C
Σ
K. Pf. 4
K. Pt. 73
K. Pq. 17
Σ 127
B
[re0]°
K. Ps. 33
C
[re0]°
K. Ps. 59
K. Pf. 5
K. Pt. 4
K. Pq. 1
Σ 69
Σ
[re0]°
K. Ps. 105
K. Pf. 10
K. Pt. 163
K. Pq. 38
Σ 316
Tabelle 5.11: Tempora nach nicht finiter Redeeinleitung
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
305
len ist, wird jedoch dadurch verursacht, dass in Gebiet C weitaus weniger Kombinationen mit nicht finiten Redeeinleitungen zu finden sind als in den anderen beiden Gebieten, wobei in allen drei Gebieten das Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II nach nicht finiter Redeeinleitung in etwa der Regionalverteilung entspricht. In Gebiet A überwiegt der Konjunktiv II massiv zu 87 %, in Gebiet B sind beide Konjunktive zu genau gleichen Teilen vorhanden (jeweils 50 %), in Gebiet C überwiegt dagegen der Konjunktiv I (44 gegen 3 Belege), doch insgesamt ist die Kombination des Konjunktivs I mit nicht finiten Redeeinleitungen hier so selten, dass sie die Gesamtverteilung nicht zugunsten des Konjunktivs I zu beeinflussen vermag. Es zeigt sich also die in Abschnitt 5.2 ermittelte Regionalverteilung, doch sie ist stärker ausgeprägt, als wenn alle Formen gemeinsam betrachtet werden. Das lässt unter der Annahme, dass die Region wirklich einen großen Einfluss auf die Konjunktivwahl der Schreiber ausübt, einen Schluss darauf zu, dass die Regionalverteilung sich insbesondere in Gebiet A noch stärker zeigen würde, wenn die Schreiber nicht nach Präsens oft den Konjunktiv I verwendeten. Dasselbe könnte für Gebiet C gesagt werden, wenn dort einerseits mehr Redeeinleitungen im Präteritum und andererseits mehr nicht finite vorkämen. In Gebiet B ist die Mischung der Konjunktivarten vollständig, wenn die Redeeinleitung keinen temporalen Einfluss ausübt. Es ist demnach festzuhalten, dass die nicht finiten Redeeinleitungen nicht auf die Konjunktivwahl einwirken, sondern dass die regionale Verwendung von größerer Bedeutung ist. Um die Konjunktivwahl nach den einzelnen Arten nicht finiter Redeeinleitungen zu untersuchen, sind die Belegzahlen wiederum nicht ausreichend. Die meisten Formen kommen in Kombination mit [re0] vor, besonders in den Gebieten B und C. In Gebiet A steht häufiger ein einzelnes Substantiv (wie z. B. Antwort) als alleinige Redeeinleitung. Interessant ist, dass auf die Redeeinleitung [reA], die hauptsächlich in Gebiet A verbreitet ist, dort nie eine finite Verbform folgt. Das syntaktische Muster, welches aus der Redeeinleitung Wahr und einem mit der Konjunktion dass eingeleiteten Nebensatz besteht, ist dort demnach immer komplett nicht finit. Hierfür könnten kanzleiinterne Stilprinzipien verantwortlich sein, ebenso jedoch eine konkrete, syntaktische Regel.
306
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Bei der eingebetteten Redewiedergabe ist die Kombination einer nicht finiten Redeeinleitung mit einem finiten Nebensatz häufiger als bei der einfachen. Diese Tatsache ist insofern besonders bemerkenswert, als die eingebettete Redewiedergabe insgesamt weniger Redeeinleitungen aufzuweisen hat als die einfache. Das prozentuale Verhältnis beträgt bei der einfachen 72 % zugunsten der finiten (806 zu 309 Belege), während in der eingebetteten Wiedergabe die nicht finiten Einleitungen zu 53 % überwiegen (316 zu 278 Belege). Die nicht finite Einleitung [re0]° ist in allen Gebieten in eingebetteter Redewiedergabe zu finden, wenn auch in Gebiet C nicht ebenso häufig wie in den anderen Gebieten. Doch hier sind, wie erwähnt, die redeeinleitenden Elemente generell seltener als in Gebiet A und B. Die Konjunktivformen, die auf nicht finite Redeeinleitungen folgen, erscheinen sowohl in Gebiet A als auch in Gebiet B vermehrt im Konjunktiv II. In Gebiet A überwiegt der Konjunktiv II genauso stark wie in einfacher Redewiedergabe (106 von 120 Belegen = 88 %). Auch in Gebiet B wird vermehrt der Konjunktiv II eingesetzt (90 von 127 Belegen = 71 %). Da nun auch nach nicht finiter Redeeinleitung die Tendenz zum Konjunktiv II zu beobachten ist, scheint sich die bereits oben (S. 303) geäußerte Vermutung zu bestätigen, dass die Schreiber in Gebiet A und B die eingebettete Redewiedergabe durch Verwendung des Konjunktivs II gegenüber der einfachen Redewiedergabe hervorheben. In Gebiet C ist wiederum der Konjunktiv I die bei weitem überwiegende Art des Konjunktivs. Auch in eingebetteter Redewiedergabe zeigt sich damit die Regionalverteilung nach nicht finiten Redeeinleitungen. Allein in Gebiet B scheint das syntaktische Muster der Einbettung die Schreiber dazu zu veranlassen, den Konjunktiv II zu wählen.105
5.3.d) Afinite Konstruktionen nach einer Redeeinleitung Bei genauerer Betrachtung aller (finiten wie nicht finiten) Kombinationen von Redeeinleitung und abhängigem Satz fällt auf, dass vergleichsweise häufig auf nicht finite Redeeinleitungen eine afinite
105 In Abschnitt 5.6.d) wird die eingebettete Redewiedergabe gesondert untersucht werden.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
307
Konstruktion folgt.106 Es bietet sich daher ein Vergleich zwischen den finiten und den nicht finiten Redeeinleitungen an, um festzustellen, ob nicht finite Redeeinleitungen die Schreiber dazu veranlassen, auch bei der unmittelbar nachfolgenden Form das Hilfsverb auszusparen. In diesem Fall wäre weiterhin denkbar, dass eine finite Redeeinleitung die Wahl einer finiten Verbform im abhängigen Satz begünstigt. Wenn das jedoch nicht zutrifft, wäre es ebenso möglich, dass nach finiten wie nicht finiten Redeeinleitungen gleich viele afinite Konstruktionen vorkommen. Alle afiniten Konstruktionen kommen in eingeleiteten Nebensätzen vor, denn nur solche können überhaupt mit einem elidierten Hilfsverb konstruiert werden. Es handelt sich jedoch nicht ausschließlich um eingeleitete Nebensätze und indirekte Fragesätze nach dem Muster sagt, dass bzw. fragt, ob. Die Schreiber schieben oft zwischen der Redeeinleitung und dem Satz, der in erster Ordnung von der Redeeinleitung abhängt, mehrere Nebensätze ein, die von ihr in zweiter Ordnung abhängen, wie in den folgenden Beispielen zu sehen ist (die afiniten Konstruktionen und die Redeeinleitungen sind markiert107 ): (5.23) sagt [reps], weilen er anfangs ganz weiß herumbgeschwebt, e vnd nachmals sie eilends uberfallen, vnd wie beschrieben dermassen abgemattet [0], daß sie geforchten [0], er werde sie gar umbringen (Eichstätt 1637, S. 100) (5.24) Gefragt [part], dweill gwist [0] daß In Solchem verdacht vnd gerucht gwesen [0], wahrumb Sich nit bei d[er] Obrigkeit angeben vnd |sich+ verthetiget [0] (Linz 1631, S. 5, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 258) (5.25) Bekendt [reps], wie die Zaubergesellschaft vor vngefehr 2. Jahren, Irem zwey Jährig[en] Füllen ein tranck [0] einschütten wollen, vrsach deßen, daß sie Bartten Stephan ein kueh
106 Vgl. Tabelle A.13 in Anhang A.6, S. 468. 107 An dieser Stelle sei an Abschnitt 4.4.b) (S. 205–208) erinnert, in dem erläutert ist, wie die afiniten Konstruktionen in dieser Arbeit markiert und gezählt werden.
308
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
[0] vmbbreng[en] sollen, weiln dieselbe aber gesegnet geweßen [0], hetten sie daran nichts geschafft (Lemberg 1630, fol. 10r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 252) In Beispiel (5.23) lautet der Nebensatz, der in erster Ordnung von der Redeeinleitung [sie] sagt abhängt, daß sie geforchten, er werde sie gar umbringen. Vorher ist in zweiter Ordnung der Kausalsatz weilen . . . abgemattet als Begründung dafür eingeschoben, warum sie befürchtet hat, der Teufel werde sie umbringen. Dieser eingeschobene Kausalsatz ist afinit konstruiert und folgt unmittelbar auf die Redeeinleitung. Das Tempus der Redeeinleitung steht weit ab von der Leerstelle für ein finites Verb in dem dass-Satz, der unmittelbar von ihm abhängt. Die einzige finite Verbform werde steht in einem nicht eingeleiteten Nebensatz, für den eine afinite Konstruktion keine Option darstellt. Ob die Tatsache, dass der in erster Ordnung von der Redeeinleitung abhängige dass-Satz ebenfalls afinit konstruiert ist und nicht im Präsens steht, darauf zurückzuführen ist, dass das potenziell beeinflussende redeeinleitende Tempus durch den eingeschobenen Kausalsatz so weit von ihm entfernt steht, kann an dieser Stelle nur vermutet werden.108 Die hier als repräsentativ ausgewählten Beispiele lassen jedoch zumindest diesen Schluss zu. In Beispiel (5.24) sind ausschließlich afinite Konstruktionen zu beobachten, sowohl bei den in erster als auch in zweiter Ordnung abhängigen Sätzen. In Beispiel (5.25) ist die erste finite Verbform, die weit entfernt von der präsentischen Redeeinleitung auftritt, ein Konjunktiv II. Der Einfluss des Redeeinleitungstempus Präsens reicht also offenbar nicht über die vielen afiniten Konstruktionen hinweg bis zur finiten Verbform.109 Da sich zudem in Abschnitt 5.3.b) ein genereller Einfluss des Redeeinleitungstempus Präsens auf die unmittelbar nachfolgende Verbform gezeigt hat, werden auch hier die unmittelbar nachfolgenden Formen betrachtet, auch wenn sie in Sätzen auftreten, die in zweiter Ordnung von der Redeeinleitung abhängen. 108 Um das mit Sicherheit sagen zu können, bedarf es nachfolgender, speziell auf diese Fragestellung ausgerichteter Untersuchungen des Materials. 109 Lemberg 1630 gehört zum Mischtypus MIIa, dort wird zu 74 % der KII gegenüber dem KI bevorzugt (vgl. Tabelle A.3 in Anhang A.2, S. 454). Es wäre also durchaus möglich, dass dort auf Redeeinleitungen im Präsens ein Konjunktiv I folgt.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
309
einfache Redewiedergabe
[reps] [repf] [rept] Σ REfin % [re0] [part] [reA] [reS] Σ REafin % Σ
A B C Σ [0] HV [0] HV [0] HV [0] HV 111 137 99 124 46 134 256 395 29 24 20 48 12 26 61 98 31 19 31 20 0 2 62 41 171 180 150 192 58 162 379 534 48,72 51,28 43,86 56,14 26,36 73,64 41,51 58,49 13 8 48 29 7 12 68 49 67 20 60 23 1 4 128 47 101 1 52 5 0 153 6 17 34 10 21 4 4 31 59 198 63 170 78 12 20 380 161 75,39 24,61 68,55 31,45 69,96 30,04 369 243 320 270 70 182 759 695
eingebettete Redewiedergabe
[reps]° [repf]° [rept]° [repq]° Σ REfin % [re0]° [part]° [reS]° Σ REafin % Σ
A [0] HV 0 0 2 0 0 0 16 11 18 11
B [0] HV 3 5 4 16 2 3 9 13 18 37
C [0] HV 2 4 6 26 0 1 3 0 11 31
22 0 0 22
32 0 1 33
14 1 0 15
43 1 1 45
8 0 1 9
12 0 2 14
40
44
33
82
20
45
Σ [0] HV 5 9 12 42 2 4 28 24 47 79 37,30 62,70 44 87 1 1 1 4 46 92 33,33 66,67 93 171
Tabelle 5.12: Afinite Konstruktionen und Hilfsverben nach einer Redeeinleitung
310
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Tabelle 5.12 (S. 309) stellt die afiniten Konstruktionen im Vergleich zu den konjunktivischen Formen der Hilfsverben haben und sein (HV) dar, da afinite Konstruktionen in der Regel durch Auslassung dieser Hilfsverben entstehen.110 Sie ist nach Art der Redeeinleitung – mit und ohne finiten Anteil – sowie in einfache und eingebettete Redewiedergabe unterteilt. Das Verhältnis von afiniten Konstruktionen zu Hilfsverben ist für jedes Gebiet in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen angegeben, bei der eingebetteten Redewiedergabe allerdings nur für die Summe und nicht für die Gebiete im einzelnen. Betrachtet man zunächst die Summe der Kombinationen mit finiten und nicht finiten Redeeinleitungen in einfacher Redewiedergabe (rechte Spalte), so fällt auf, dass nach finiter Redeeinleitung häufiger finite Verbformen stehen als afinite Konstruktionen (534 zu 379 Belege = 58 %). Nach nicht finiter Redeeinleitung ist es hingegen umgekehrt, die afiniten Konstruktionen überwiegen bei weitem mit 70 % (380 zu 161 Belege). Die drei Gebiete verhalten sich dabei unterschiedlich: In Gebiet A sind die finiten Verben nach finiter Redeeinleitung kaum häufiger, in Gebiet B etwas mehr und in Gebiet C überdurchschnittlich. Insbesondere für die Schreiber aus Gebiet C scheint also die Verwendung einer afiniten Konstruktion nach finiter Redeeinleitung unangemessen zu sein; möglicherweise erfordern dort Stilprinzipien, dass eine Redeeinleitung im Präsens – die dort hauptsächlich verwendet wird – mit einer finiten Verbform verbunden wird.111 110 Da nur in seltenen Fällen Modalverben elidiert werden (vgl. Abschnitt 4.4.b), S. 205 dieser Arbeit), gehen die Werte für Modalverben nicht in die Tabelle mit ein. 111 Dieses Ergebnis wird im Übrigen nicht dadurch hervorgerufen, dass in Gebiet C generell weitaus weniger afinite Konstruktionen verwendet würden. Zwar bestehen geringe Unterschiede zwischen den drei Gebieten, in Gebiet C sind die afiniten Konstruktionen jedoch nur geringfügig seltener. Die entsprechenden Werte sind der Tabelle A.1 (S. 452) zu entnehmen, die Summen für die drei Gebiete sowie die prozentualen Verhältnisse sind in Tabelle 5.14 auf S. 319 im folgenden Abschnitt 5.3.e ) zu finden. In Gebiet A überwiegen die Konjunktivformen in indirekter Rede gegenüber den afiniten Konstruktionen zu 60 %, in Gebiet B zu 61 % und in Gebiet C zu 64 %. Diese Verteilung ist also keine Erklärung für die äußerst seltene Verwendung einer afiniten Konstruktion der obd. Schreiber nach einer finiten Redeeinleitung, da sie an sich in ausreichendem Maße vorhanden sind.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
311
Nach nicht finiter Redeeinleitung ist in Gebiet A der größte Anteil an afiniten Konstruktionen zu finden (75 %), in Gebiet B fällt er um 7 % geringer aus. Ein großer Teil (96 Belege) folgt in Gebiet A allerdings in Fragenkatalogen auf die Einleitung [reA], die dort besonders häufig ist, speziell jedoch nur in einigen Quellen, die für diesen hohen Anteil somit verantwortlich sind. Kalkuliert man dieses mit ein, so kann man davon ausgehen, dass der Anteil afiniter Konstruktionen nach nicht finiter Redeeinleitung in Gebiet A und B in etwa gleich ist. In Gebiet C sind die Werte zu niedrig, als dass man gesicherte Aussagen machen könnte. In diesem Gebiet, in dessen hier untersuchten Quellen die wenigsten Redeeinleitungen auftreten, scheinen auf diese besonders wenig Hilfsverben – d. h. vornehmlich Perfekt- oder Plusquamperfektkonstruktionen112 – oder afinite Konstruktionen zu folgen. Dabei überwiegen die finiten Verben jedoch leicht. Es hat insgesamt aber den Anschein, dass die Schreiber nach nicht finiten Redeeinleitungen häufiger afinit konstruieren als nach finiter Redeeinleitung. In eingebetteter Redewiedergabe sind offenbar (elliptische) Perfekt- und Plusquamperfektkonstruktionen recht selten. Im Vergleich zu den Werten in Tabelle 5.8 (S. 288) wird deutlich, dass nur etwa ein Drittel aller finiten Formen, die auf eine Redeeinleitung in eingebetteter Redewiedergabe folgen, Hilfsverben sind. Trotz ihrer Seltenheit sind sie noch einmal häufiger als die afiniten Konstruktionen in eingebetteter Redewiedergabe, und zwar sowohl nach finiter als auch nach nicht finiter Redeeinleitung; nach nicht finiter Redeeinleitung ist der Anteil der finiten Hilfsverben sogar noch etwas höher. Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass die Schreiber in einge112 Einige der Formen von haben und sein sind selbstverständlich nicht als Hilfs-, sondern als Vollverben gebraucht. Insgesamt (also nicht nur auf eine Redeeinleitung folgend) sind es 895 von 5 688 Formen (= 14 %), nach einer Redeeinleitung kommen also in etwa 121 Formen von haben und sein als Vollverben vor (121 sind 14 % von 695 plus 171, der Summe der Belege für haben und sein nach Redeeinleitung in einfacher und eingebetteter Redewiedergabe). Diese werden hier jedoch mit den Hilfsverben zusammen betrachtet, da afinite Konstruktionen nicht nur Hilfsverben betreffen, wie das folgende Beispiel zeigt: Man werde ia Keinß verbren[nen] lassen wan eß kein hex nit [sei] (Mergentheim 1629, S. 6, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 451). Da die meisten Formen jedoch als Hilfsverben gebraucht sind, wird hier kollektiv von Hilfsverben (HV) gesprochen.
312
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
betteter Redewiedergabe finite Verbformen generell bevorzugen.113 Das könnte daran liegen, dass die Einbettung eine aufwendige Konstruktion erfordert. Die Schreiber müssen immerhin zwei Originaläußerungen von zwei Originalsprechern in einem Satz wiedergeben, wobei deutlich werden muss, von wem welche Äußerung stammt (vgl. das Schema in Abbildung 4.4, S. 214). Dieses lässt sich – so sollte man meinen – mit Hilfe finiter Verben besser darstellen, insbesondere wenn es stimmen sollte, dass viele Schreiber aus Gebiet B (und auch aus Gebiet A) die Einbettung durch die Verwendung des Konjunktivs II hervorheben, was in Abwesenheit eines finiten Verbs selbstverständlich nicht möglich ist. Im Großen und Ganzen stimmt demzufolge die Annahme, dass die Schreiber sich in der Wahl der afiniten Konstruktionen von der Art der Redeeinleitung leiten lassen, wenn auch nur für die einfache Redewiedergabe. In eingebetteter Redewiedergabe werden dagegen eindeutig sowohl nach finiter als nach nicht finiter Redeeinleitung finite Verben bevorzugt.
5.3.e ) Afinite Konstruktionen in dass-Sätzen Im Gegenwartsdeutschen besteht eine Tendenz, die indirekte Redewiedergabe nicht redundant zu markieren. Daher wird häufig, wenn sowohl eine Redeeinleitung als auch ein mit dass eingeleiteter Objektsatz oder ein z. B. mit ob eingeleiteter Interrogativsatz die Redewiedergabe markieren, das finite Verb nicht in den Konjunktiv gesetzt, sondern im Indikativ belassen. Der Indikativ tritt in der Gegenwartssprache gerade in dass-Sätzen auf, weil die Redewiedergabe hier bereits durch die Redeeinleitung, den konjunktionalen Nebensatz und die Personenverschiebung gekennzeichnet ist, sodass der Konjunktiv im Grunde eine redundante Markierung ist und außerhalb spezieller Textsorten oft weggelassen wird.114
113 Die einzige Ausnahme bildet Gebiet A nach finiter (konjunktivischer) Redeeinleitung, da dort die afiniten Konstruktionen leicht überwiegen. Da jedoch die Werte niedrig sind, kann es sich hier um einen Zufall handeln. 114 Ein Beispiel hierfür sind Zeitungsartikel, wo Kennzeichnung fremder Rede von äußerst großer Bedeutung ist (vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 46 dieser Arbeit).
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
313
In den Hexenprozessakten tritt jedoch nicht verstärkt der Indikativ in eingeleiteten Nebensätzen auf, er wird in anderen Zusammenhängen verwendet.115 Es wäre aber möglich, dass die Redundanz der Markierung auch von den frühneuzeitlichen Schreibern empfunden worden ist und dass sie daher in dieser Art von Sätzen den Modus gar nicht markiert und dementsprechend afinite Konstruktionen verwendet haben. Konkret geht es in diesem Abschnitt also darum, festzustellen, ob speziell in dass- und ob-Sätzen, die unmittelbar auf eine wiedergabemarkierende Redeeinleitung folgen, häufiger afinite Konstruktionen verwendet werden als in durch diese Konjunktionen eingeleiteten Nebensätzen, die unabhängig von einer Redeeinleitung auftreten. Gleichermaßen bietet sich auch ein Vergleich mit den Werten in Tabelle 5.12 (S. 309) an, um den Einfluss finiter Redeeinleitungen kontrollieren zu können. Denen scheint, wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt, eher eine finite Form als eine afinite Konstruktion zu folgen. Würde sich diese Tendenz in dass-Sätzen nicht zeigen, so wäre das ein Indiz dafür, dass in redundant markierter Redewiedergabe häufiger afinite Konstruktionen auftreten als sonst. Der Unterschied zum vorangegangenen Abschnitt besteht darin, dass dort, wie ausgeführt, nicht nur dass-Sätze in den Blick genommen wurden, sondern alle Arten von Nebensätzen, sofern sie unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen und obwohl sie zum Teil nur in zweiter Ordnung von dieser abhängig sind. Dass die Redewiedergabe tatsächlich ausreichend gekennzeichnet ist, auch wenn das finite Verb ausgespart wird, zeigen die folgenden beiden Beispiele aus den Gebieten A und C: (5.26) Auf die erste frage hat sie geandtwortedt, das sie nichts anders gethan, dann das sie Borges Brueninge von d[er] Eyedißen zu eßenn gebenn (Passow 1577, fol. 107r, vgl. Anhang B.8, S. 553) (5.27) Vnd zueselbigem mahl Sie dahin gebracht, daß Sie seines Willens gethan. (Baden Baden 1627, fol. 29v, vgl. Anhang B.1, S. 499) 115 Die Vorkommensbedingungen des Indikativs werden in Kapitel 6 genauer untersucht. In eingeleiteten Nebensätzen ist unmittelbar nach einer Redeeinleitung lediglich viermal der Indikativ zu beobachten.
314
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Da sich im vorangegangenen Abschnitt 5.3.d) herausgestellt hat, dass nach nicht finiten Redeeinleitungen in einfacher Redewiedergabe häufiger eine afinite Konstruktion steht, wird die Variable „Finitheit der Redeeinleitung“ kontrolliert, indem die Redeeinleitungen in die zwei Gruppen der finiten (REfin ) und der nicht finiten (REafin ) zusammengefasst werden. Es werden zunächst die Formen in Abhängigkeit von der Redeeinleitung dargestellt und anschließend mit den Werten für diejenigen eingeleiteten Nebensätze verglichen, die nicht unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen. Zudem wird zwischen einfacher und eingebetteter Redewiedergabe unterschieden sowie nach den drei Gebieten. Die Belegzahlen für finite Verben und afinite Konstruktionen in eingeleiteten Nebensätzen, die unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen, sind in Tabelle 5.13 (S. 315) zusammengestellt. Die Darstellung ist auf die Werte für die mit dass eingeleiteten Objektsätze und die mit ob eingeleiteten indirekten Fragesätze beschränkt, weil nur diese beiden Konjunktionen in ausreichender Zahl vorkommen.116 Die Werte in Tabelle 5.13 bestätigen die Annahme in Teilen, und zwar wiederum in einfacher Wiedergabe. Sie eröffnen also die Möglichkeit, dass die Schreiber anstreben, die Redewiedergabe nicht reundant zu markieren, da sie in dieser Art von Sätzen auch nach einer finiten Redeeinleitung afinite Konstruktionen in der Redewiedergabe verwenden. In der einfachen Redewiedergabe überwiegen die afiniten Konstruktionen in dass-Sätzen insgesamt betrachtet zu 76 % nach finiter und zu 79 % nach nicht finiter Redeeinleitung. Das ist für beide Arten von Redeeinleitung ein weitaus höherer Prozentsatz, als er für die Gesamtheit der Nebensätze festgestellt worden ist (vgl. Tabelle 5.12, S. 309). Dass nach nicht finiten Redeeinleitungen noch mehr afinite Konstruktionen folgen, könnte dadurch zu erklären sein, dass auf afinite Redeeinleitungen eher afinite Konstruktionen folgen, auch unabhängig von der Art des Nebensatzes. Die Verteilung weicht in jedem Fall stark ab von dem Verhältnis von fi116 Von allen Konjunktionen, die abgesehen von diesen beiden häufiger auf eine Redeeinleitung folgen (z. B. wer, wie, was), ist warum die einzige, die noch für eine Untersuchung in Frage käme. Da sie jedoch insgesamt nur 70-mal vorkommt, und das nicht nur nach einer Redeeinleitung, sondern vornehmlich selbständig, wird von einer Untersuchung der übrigen indirekten Fragesätze abgesehen.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
315
dass-Sätze einfach REfin REafin Σ HV [0] HV [0] dass-S. A 10 48 7 63 128 B 5 21 12 44 82 C 11 13 2 26 26 82 19 109 236
eingebettet REfin REafin Σ HV [0] HV [0] dass-S. A 3 9 6 10 28 B 2 2 6 3 13 C 4 3 4 4 15 9 14 16 17 56
ob-Sätze einfach REfin REafin HV [0] HV [0] A 3 4 18 B 2 4 3 33 C 1 1 2 7 8 52
eingebettet REfin REafin fin. HV fin. HV A 2 2 2 B 6 5 5 C 1 6 2 7 8
Σ ob-S. 25 42 2 69
Σ ob-S. 6 16 1 23
Tabelle 5.13: Eingeleitete Nebensätze nach einer Redeeinleitung
niten zu afiniten Formen, die unabhängig von der Satzart nach einer Redeeinleitung zu beobachten sind. In einfacher Redewiedergabe folgen insgesamt 534 finite Formen und 379 afinite Konstruktionen direkt auf eine finite Redeeinleitung. Die finiten Verben überwiegen demnach zu 58 % und machen nicht, so wie hier, lediglich 36 % aus. Nach nicht finiten Redeeinleitungen überwiegen zwar in der Gesamtheit der Nebensätze die afiniten Konstruktionen zu 70 % (380 zu 161 Formen), doch ist das immer noch weniger als die 79 % in dass-Sätzen. Hier wirken womöglich Satzart und nicht finite Redeeinleitung als beeinflussende Faktoren zusammen. Betrachtet man die Werte für die drei Gebiete in Tabelle 5.13 gesondert für die drei Gebiete, lassen sich wiederum starke Unterschiede beobachten: In Gebiet A werden am meisten afinite Konstruktionen in der einfachen Redewiedergabe verwendet, und zwar sowohl nach finiter (48) als nach nicht finiter Redeeinleitung (63). In Gebiet B sind sie ebenfalls nach beiden Arten von Redeeinleitung zu finden, und nach beiden sind sie fast viermal so häufig wie die finiten Verben (21 zu fünf nach finiter und 44 zu zwölf nach nicht finiter Redeeinleitung). Lediglich in Gebiet C sind finite Verben und afinite Konstruktionen gleich verteilt.
316
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
In eingebetteter Redewiedergabe überwiegen – anders als bei der Betrachtung aller Nebensätze, wie sich im Vergleich mit Tabelle 5.12 (S. 309) zeigt – die afiniten Konstruktionen in dass-Sätzen, wenngleich nur geringfügig: 25 finite Verben stehen 31 afiniten Konstruktionen gegenüber, d. h. die afiniten Konstruktionen überwiegen leicht, während die finiten Verben in der Gesamtheit der Nebensätze fast doppelt so häufig sind wie die afiniten Konstruktionen (171 zu 93 Formen). Doch auch das geringe Überwiegen könnte bedeuten, dass die Kennzeichnung durch Redeeinleitung plus Konjunktion zumindest von einigen Schreibern als ausreichende Kennzeichnung der Einbettung empfunden wird. Höhere Belegzahlen würden hier für größere Klarheit sorgen. Zur Illustration, dass sowohl die Auslassung als auch die Setzung des Hilfsverbs vorkommt, zeigen die folgenden beiden Beispiele jeweils eine finit und eine afinit konstruierte eingebettete Redewiedergabe mit dass-Satz: (5.28) Eine mans persone seie darnach zu Ihr gekomenn, vor daß bett bei nacht, vnnd habe geglentzet, der hette Ihr gesagt, daß sie darnach am tag Gertrudis In daß Obbershauser holtz komen solte, da seie neben vorgemelten weibern auch erschienen (Celle 1570, fol. 90r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 23) (5.29) 8. Sagt weitter, ernendte Chriauizin habe gegen ihro, Mahrgaretha, vermelt, das die Koroschzin ihr ein dergleichen Pogätschen nach Hauss gebracht [habe] (Gutenhag 1661, S. 141) In Beispiel (5.28) ist die eingebettete Wiedergabe im Konjunktiv II gehalten – sonst wird in dieser Quelle zu 72 % der Konjunktiv I verwendet –, in Beispiel (5.29) ist das finite Verb ausgelassen. Unbedingt notwendig für das Verständnis ist die finite Verbform also nicht. Umso interessanter ist die Tatsache, dass doch die Mehrheit der Schreiber ein finites Verb bevorzugt. Die mit ob eingeleiteten indirekten Fragesätze sind nach einer Redeeinleitung seltener als die dass-Sätze. Dementsprechend sind die sie betreffenden Werte weniger aussagekräftig. Dennoch scheint sich hier nur nach nicht finiter Redeeinleitung die Tendenz zu zeigen, afinite Konstruktionen einzusetzen, und das könnte ebenfalls
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
317
durch den Einfluss der Redeeinleitung bedingt sein. In eingebetteter Redewiedergabe sind die finiten Formen wie auch sonst in dieser Wiedergabeform in der Überzahl, wenn auch nur leicht. Nun ist es an sich nicht bemerkenswert, dass afinite Konstruktionen in eingeleiteten Nebensätzen des 17. Jhs. auftreten. Während sie im frühen 16. Jh. in der Kanzleisprache noch relativ selten sind, werden sie im Laufe der Zeit immer häufiger verwendet und gerade im 17. Jh. erfreuen sie sich einer besonders großen Beliebtheit (vgl. Macha 2003b, S. 28). In manchen Kanzleitexten erscheinen sie sogar ohne Ausnahme (vgl. ebd. sowie Ebert 1993, S. 442). Insofern sind sie in den hier untersuchten kanzleisprachlichen Texten sogar vergleichsweise selten, wenngleich es auch dort Passagen gibt, in denen sie fast ausnahmslos zu finden sind: (5.30) Daruff sein Bule zu ihm kommen in schwartzen seiden kleideren, mit Nahmen luitger in weibes gestalt welche ihm 1 th[ale]r geben Vnd sei perdedreck worden, mit welcher er zuthuen gehabt, so kalter Natur gewesen. (Alme 1630, fol. 12r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 15) Die Frage, ob sie in eingeleiteten Nebensätzen nach einer Redeeinleitung häufiger zu finden sind als im Allgemeinen, lässt sich nur durch einen Vergleich mit den Nebensätzen klären, die nicht auf eine Redeeinleitung folgen. Tabelle 5.14 zeigt die Werte für die Verwendung afiniter Konstruktionen nach dass und ob, wenn die Sätze nicht unmittelbar von einer Redeeinleitung abhängen. Bei den dassSätzen ist dieses beispielsweise oft in Passagen berichteter Rede der Fall, wie in Beispiel (5.31) zu sehen. Hier muss also nicht, so wie in der Gegenwartssprache, die berichtete Rede mittels eines durchgängigen Konjunktivs markiert werden. Er kann auch mitunter in Form einer Auxiliarellipse ausgelassen werden.117 Dieses trifft natürlich nur für die in der berichteten Rede befindlichen eingeleiteten Nebensätze zu. Indirekte Fragesätze, die von keiner Redeeinleitung abhängen, sind dagegen hauptsächlich in Fragenkatalogen zu finden (Bsp. 5.32). 117 Beispiele für längere Passagen berichteter Rede mit afiniten Konstruktionen bietet das Protokoll Baden-Baden 1627 in Anhang B.1 (vgl. z. B. den letzten Abschnitt von fol. 27r, S. 500).
318
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
(5.31) I[tem] Sie hab Ihren saligen man Alß derselb lange kranck geleg[en] mit b[emelte]r materi vergib[en] Ex ca[us]a, das er sie ofters geschlagen (Werl 1630, fol. 36v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 123) (5.32) 17. Ob sie nicht der Furtnerin gespülin nicht Vor 8 oder 10. Jahren hero gewesen Vnd mit derselben auch inn hannsen Sachsen keller gefahren? (Hemau 1616, fol. 2r–2v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 434– 435) Tabelle 5.14 bestätigt die Annahme, die Verwendung von afiniten Konstruktionen könnte durch ein Zusammentreffen von Redeeinleitung und eingeleitetem Nebensatz begünstigt werden. Zwar sind afinite Konstruktionen allgemein in dass-Sätzen üblich: In Gebiet A und B erscheinen sie in 77 % aller dass-Sätze, bei den ob-Sätzen sind es sogar 85 % bzw. 89 %. Hier wird also der Kanzleistandard, gar keine finiten Verben zu verwenden, annähernd erreicht. In Gebiet C ist der Anteil der afiniten Konstruktionen in beiden Satzarten zwar geringer, sie machen aber jeweils über zwei Drittel aus. Nach einer Redeeinleitung sind sie jedoch nicht gerade häufiger. Betrachtet man die Werte aus Tabelle 5.13 für die einfache und eingebettete Redewiedergabe zusammen, so ergibt sich für die dass-Sätze lediglich eine 76-prozentige Bevorzugung (222 von 292) und damit weniger als bei den Sätzen, die nicht auf eine Redeeinleitung folgen. Auch bei den ob-Sätzen überwiegen die afiniten Konstruktionen nur zu ca. 75 %, was weitaus weniger als die tendenziell 80–90 % in Sätzen ohne Redeeinleitung ist. Somit wäre es möglich, dass die Schreiber sich so weit von den finiten Redeeinleitungen beeinflussen lassen, dass sie in den nachfolgenden Sätzen die afiniten Konstruktionen öfter vermeiden, als sie es normalerweise tun würden. Vergleicht man jedoch die Gesamtwerte für die Verwendung afiniter Konstruktionen nach finiter Redeeinleitung in einfacher Redewiedergabe in dass-Sätzen (Tabelle 5.13, S. 315) mit denen für deren Verwendung in allen Sätzen (Tabelle 5.12, S. 309), so sind in den dass-Sätzen die afiniten Konstruktionen insbesondere nach einer finiten Redeeinleitung weitaus häufiger. Die Kombination redeeinleitung+konjunktion zur Markierung der Redewiedergabe kann demnach doch einen Einfluss auf die nachfolgende Konstrukti-
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
319
HV
[0]
HV %
[0]%
dass-Sätze
A B C Σ
109 97 106 312
364 321 231 916
23,04 23,21 31,45 25,41
76,96 76,79 68,55 74,59
ob-Sätze
A B C Σ
17 27 32 76
137 148 83 368
11,04 15,43 27,83 17,12
88,96 84,57 72,17 82,88
RW gesamt
A B C Σ
1721 2072 1895 5688
1525 2139 1609 5273
53,02 49,20 54,08 51,89
46,98 50,80 45,92 48,11
Tabelle 5.14: Afinite Konstruktionen in Verbendsätzen ohne Redeeinleitung
on nehmen. Offenbar empfinden die Schreiber die redundante Kennzeichnung der Redewiedergabe ähnlich wie heute. Heute führt dieses Empfinden allerdings zur Wahl des Indikativs, während die frühneuzeitlichen Kanzleischreiber afinite Konstruktionen einsetzten. Mit den hier ermittelten Werten lässt sich diese Aussage jedoch lediglich bezüglich der einfachen Redewiedergabe und der dass-Sätze machen. Um gesicherte Ergebnisse zu erlangen, müssten weitere Quellen herangezogen werden.
5.3.f ) Konjunktivwahl nach bestimmten Redeeinleitungen In diesem letzten Abschnitt, der sich mit dem Einfluss der Redeeinleitungen beschäftigt, soll überprüft werden, ob Guchmanns Beobachtung bezüglich der Konjunktivverwendung nach dem Verb fragen auch für die Hexenprozessakten zutrifft. Dieses wäre ein zusätzlicher Entscheidungsfaktor bei der Moduswahl neben den bereits ermittelten. Guchmann hat anhand ihrer Texte aus den Jahren 1470–1530 einen offenbaren Zusammenhang zwischen dem redeeinleitenden Verb fragen und der Verwendung des Konjunktivs Präteritum im abhängigen Nebensatz ermittelt.118 Auch wenn Guchmanns Meinung, die Semantik des Verbs fragen beeinflusse die Konjunk-
118 Vgl. Abschnitt 3.3.b), S. 115 dieser Arbeit.
320
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
sagen bekennen fragen Wahr antworten
992 434 198 190 175
32,52 % 12,14 % 6,43 % 6,14 % 5,74 %
Tabelle 5.15: Häufige Redeeinleitungen
tivwahl, hier nicht geteilt wird,119 soll doch untersucht werden, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden existiert, wie auch immer dieses motiviert sein mag. Die Untersuchung wird aber nicht auf das redeeinleitende Verb fragen beschränkt sein, da so lediglich indirekte Fragesätze in den Blick genommen würden. Die Hexenprozessakten zeichnen sich durch eine Fülle verschiedenartiger Redeeinleitungen aus. Allerdings kommen nur wenige Konstruktionen in ausreichender Anzahl für einen statistischen Vergleich vor.120 Die häufigsten von ihnen sind in absteigender Reihenfolge in Tabelle 5.15 zusammengestellt. Drei dieser fünf Redeeinleitungen (sagen, fragen, antworten) sind die vielleicht prototypischsten redeeinleitenden Verben. Wahr ist dagegen ein redeeinleitender Ausdruck, der einerseits als Spezifikum von Gerichtsakten betrachtet werden kann.121 Andererseits gelten für ihn besondere Vorkommensbedingungen: Zum einen ist er nur in einigen nördlichen Regionen des Untersuchungsgebietes verbreitet,122 zum anderen erscheint er fast ausschließlich in Verbindung mit afiniten Konstruktionen.123 Bekennen ist nicht auf den ersten Blick als Verbum dicendi zu erkennen. Ein naheliegender Kontext für dieses Verb, ebenfalls der Rechtssprache entnommen, wäre beispielsweise eine Aussage eines Angeklagten wie Ich bekenne mich schuldig. In den Hexenprozessakten wird bekennen jedoch in Verkürzung der Redewiedergabe Sie sagt, dass sie bekennt, dass . . . in dieser Funktion verwendet: Sie
119 Vgl. Anmerkung 70 in Kapitel 3, S. 115 dieser Arbeit. 120 Eine Liste aller redeeinleitenden Ausdrücke befindet sich in Anhang A.10 (S. 488). Die Liste ist alphabetisch geordnet. Die Vorkommenshäufigkeit ist hinter jeder Redeeinleitung in Klammern vermerkt. 121 Vgl. Abschnitt 4.5.b), S. 221 dieser Arbeit. 122 Vgl. Tabelle A.6 in Anhang A.4, S. 459 dieser Arbeit. 123 Vgl. Tabelle 5.11, S. 304 sowie Tabelle 5.12, S. 309 dieser Arbeit.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
321
bekennt, dass . . . 124 Das sechsthäufigste redeeinleitende Verb ist respondere bzw. dessen verdeutschte Form respondieren mit 87 Vorkommen, von denen allerdings in 30 Fällen das Tempus – Präsens, Perfekt oder Präteritum – nicht feststellbar ist, da es lediglich in abgekürzter Form (Rsp oder R) auftritt, sodass der mögliche Einfluss des redeeinleitenden Ausdrucks nicht von dem des Tempus getrennt werden kann.125 Es böte sich allenfalls an, die verbleibenden 57 gemeinsam mit antworten zu betrachten. Da man aber nicht ohne Weiteres davon ausgehen kann, dass die Schreiber die lateinische Verbform genauso wie die deutsche gebrauchen, werden diese Formen hier nicht betrachtet. Ebenso wenig ist es sinnvoll, die mit Wahr eingeleiteten Fragstücke hier zu untersuchen, obwohl sie in ausreichender Zahl vorhanden sind, da das einer Untersuchung der Redeeinleitung [reA] gleichkäme, die fast ausschließlich im Norden vorkommt und nur in einem speziellen Textteil, dem Fragenkatalog. An der Anzahl der vier verbleibenden redeeinleitenden Verben haben die Sprachlandschaften einen unterschiedlichen Anteil, wie in Tabelle 5.16 (S. 322) zu sehen ist. Dort sind die Werte für die einzelnen Sprachlandschaften mitsamt den dazugehörigen Prozentwerten des Anteils, den die drei Gebiete an der Gesamtanzahl der jeweiligen Redeeinleitung haben, aufgeführt. Die Verteilung ist auch hier nicht gleichmäßig. In Gebiet C, das insgesamt die geringste Dichte an Redeeinleitungen aufweist, sind auch diese vier im Vergleich zu Gebiet A und B seltener. Die meisten dieser Redeeinleitungen kommen aus den Texten des Gebietes B, und hier sind es besonders fragen und antworten, die in erster Linie dort verwendet werden. Über die Hälfte aller Belege für beide Verben in redeeinleitender Funktion stammen aus diesem Gebiet. Antworten und bekennen, die jeweils als Einleitungen der Antworten der Angeklagten verwendet werden, sind in manchen Regionen tenden124 Vgl. Abschnitt 4.5.a) (S. 218) sowie zum Indikativ nach bekennen Abschnitt 6.5, S. 428 dieser Arbeit. 125 Die Abkürzung R kann zudem für Rea (die Angeklagte) stehen. Verwendet ein Schreiber durchgängig diese Abkürzung, ohne dass das abgekürzte Wort einmal in langer Form auftritt, kann man sich demnach nicht sicher sein, ob er ein Verb oder ein Substantiv abkürzt. Deshalb ist beispielsweise bei der Edition der Quelle Grünberg 1664 darauf verzichtet worden, diese Abkürzung aufzulösen (vgl. Anhang B.5, S. 532).
322
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
A
B C
antworten bekennen fragen # % # % # % nnd. 10 66 24 nod. 21 74 26 omd. 11 32 12 Σ 42 24,00 172 39,63 62 31,31 nwd. 44 31 24 wmd. 47 43 79 nobd. 16 81 14 Σ 107 61,14 155 35,71 117 59,09 wobd. 24 56 13 oobd. 2 51 6 Σ 26 14,86 107 24,65 19 9,60 ΣΣ
sagen # % 89 216 79 384 38,71 192 137 78 407 41,03 116 85 201 20,26
175 100,00 434 100,00 198 100,00 992 100,00
Tabelle 5.16: Die häufigsten vier Redeeinleitungen
ziell komplementär verteilt, wie zum Beispiel im Nobd. und Oobd. Tatsächlich schließen sich beide Einleitungen in manchen Quellen, nicht nur aus diesen beiden Gebieten, gegenseitig aus,126 in anderen wieder erscheinen beide nebeneinander. Sagen ist dagegen in allen Regionen häufig, da es neutral als einleitendes Verb für Antworten verwendet wird. Fragen tritt nicht überall gleich häufig auf. Oft erscheint es als Partizip Gefragt, ob . . ., und zwar eher dort, wo kein separater Fragenkatalog (im Nod. mitunter aus Wahr -Fragen bestehend) überliefert ist, sondern die Fragen, welche die anwesenden Gerichtsherren im Verlauf des Verhörs stellen, protokolliert werden. Wo Wahr Fragen häufiger sind, ist das Verb fragen seltener, aber in ausreichendem Maße für einen Vergleich der drei Konjunktivverwendungsgebiete vorhanden. Bemerkenswert ist zudem, dass es fast nie im Präsens verwendet wird (insgesamt nur dreimal), sondern weitaus häufiger als Partizip, in der Redeeinleitung [re0] oder in der eingebetteten Redewiedergabe als Perfekt oder Plusquamperfekt. Bekennen steht dagegen hauptsächlich im Präsens (166 Belege), doch auch oft ohne eine finite Form (99 Belege).127 Antworten tritt auch eher ohne finite Form als im Präsens auf (91 zu 44 Bele126 Das ist zum Beispiel in Gutenhag 1661, Gerolstein 1633, Lindheim 1631, Münster 1635 der Fall. 127 Auffällig sind 45 Belege für bekennen als Redeeinleitung im Präteritum, was 31 % aller Redeeinleitungen im Präteritum sind. Jedoch ist diese Verwendung wohl weder verb- noch regionenspezifisch, sondern eher textspezifisch:
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
323
ge). Nach den bisherigen Erkenntnissen müssten die finiten Formen, die nach den drei Redeeinleitungen erscheinen, also größtenteils die Regionalverteilung reflektieren. Lediglich bei bekennen, das oft als Redeeinleitung im Präsens auftritt, wäre es möglich, dass punktuell die nachfolgende Verbform nach den Regeln der Consecutio temporum gewählt wird, und zwar auch in den Quellen aus dem Konjunktiv-II-Gebiet A. Um festzustellen, ob – wie in Guchmanns Texten – auch hier nach fragen eher ein Präteritum verwendet wird als ein Präsens, werden außer den Kombinationen mit diesem redeeinleitenden Verb auch diejenigen mit antworten und bekennen als Vergleichsgrößen untersucht. Sagen wird dagegen ausgespart, da sein Vorkommen so zahlreich ist, dass kein Abweichen von der Gesamtverteilung, wie sie sich in den Tabellen 5.8 (S. 288) und 5.10 (S. 302) darstellt, zu erwarten ist. Wenn man die Sätze, welche diese Verben als Redeeinleitung enthalten, nach Konjunktivverwendungsgebiet sowie nach einfacher und eingebetteter Redewiedergabe sortiert und dann auf ein mögliches Abweichen von den bislang festgestellten Tendenzen überprüft – d. h. von regionalgebundener, durch Consecutio temporum bedingter oder durch syntaktische Hervorhebung der Einbettung hervorgerufener Konjunktivverwendung –, ergibt sich für die Gebiete A und C eindeutig keine Abweichung. Nach antworten, fragen und bekennen folgt in Gebiet A auf eine zusammengesetzte Tempusform bzw. eine nicht finite Redeeinleitung in der Regel ein Konjunktiv II, nach einem Präsens gegebenenfalls ein Konjunktiv I, in Gebiet C dominiert der Konjunktiv I. In Gebiet B ist das Bild dagegen auf den ersten Blick nicht ebenso klar, sodass eine nähere Untersuchung erforderlich ist. Dieses ist umso leichter möglich, als die meisten Belege für antworten und fragen sowie nicht wenige von bekennen aus Texten dieses Gebietes kommen. Tabelle 5.17 (S. 325) zeigt die Tempusverwendung im Nwd., Wmd. und Nobd. nach den drei Verben, wie sie als Redeeinleitung vorkommen, d. h. weniger im Präsens (außer bei bekennen), sondern mehr in zusammengesetzten Tempora einschließlich der afiniten und partizipialen Konstruktionen, die hier zusammengenommen werden 35 der 45 Belege kommen aus nur drei Quellen: Bettenhausen 1611, Crivitz 1642 und Jägerndorf 1653.
324
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
(in der Tabelle als „[repf] etc.“ bezeichnet).128 Zudem wird wie zuvor nach einfacher und eingebetteter Redewiedergabe differenziert. Bei bekennen bewegen sich die Werte in eingebetteter Redewiedergabe allerdings im einstelligen Bereich, sodass sich eine tabellarische Darstellung nicht anbietet. Insgesamt sind die Werte in Tabelle 5.17 niedriger als die soeben für die Sprachlandschaften einzeln aufgeführten, da alle abhängigen Sätze, die eine afinite Konstruktion oder einen Indikativ aufweisen bzw. nur in Form einer Ja/Nein-Antwort realisiert sind, ausgespart bleiben. Bei dem Verb fragen lassen sich die Werte für die Beachtung der Consecutio temporum nicht mit denen in Tabelle 5.8 (S. 288) vergleichen, da es viel zu selten im Präsens oder Präteritum vorkommt, als dass ausreichende Werte erzielt werden könnten. Gleichzeitig bedeutet dieses, dass Abweichungen der Modusverwendung vom allgemein zu Beobachtenden durch den redeeinleitenden Ausdruck bedingt sein könnten, da das Redeeinleitungstempus Präteritum nicht für ein vermehrtes Auftreten von Präteritum und Plusquamperfekt in den abhängigen Sätzen verantwortlich sein kann und die abhängigen Tempora bislang nach zusammengesetzten Redeeinleitungen lediglich durch den regionalen Konjunktivgebrauch beeinflusst schienen. In der einfachen Redewiedergabe ist der Gebrauch des Konjunktivs II nach zusammengesetzter Redeeinleitung nun leicht höher als der des Konjunktivs I, was aber durchaus der Verteilung nach nicht finiter Redeeinleitung (vgl. Tabelle 5.11, S. 304) entspricht. Für diesen vermehrten Gebrauch des Konjunktivs II könnte das Verb fragen als Redeeinleitung also verantwortlich sein, so wie Guchmann es vermutet hat. Es ist aber ebenso möglich, dass die Art der Redeeinleitung – und damit letztendlich die Region – für den Gebrauch des Präteritums bzw. des Konjunktivs II verantwortlich ist. Der vermehrte Konjunktiv-II-Anteil bei der eingebetteten Redewiedergabe
128 Da sich in Abschnitt 5.3.c ) gezeigt hat, dass, wenn einer nicht finiten Redeeinleitung eine finite Verbform folgt, diese dem regionalen Gebrauch entsprechend gewählt wird, werden die nicht finiten Redeeinleitungen hier mit denen im Perfekt und Plusquamperfekt zusammen betrachtet. Nach diesen ist gleichfalls eine Konjunktivverwendung zu beobachten, welche dem Normalmodus der jeweiligen Quelle entspricht, der oft mit dem Normalmodus der Region übereinstimmt.
5.3 Die Bedeutung der Redeeinleitung
fragen einfach [reps] [repf] [rept] [re0], [part] Σ
K. Ps. K. Pf. K. Pt. K. Pq. Σ 1 1 1 1 2 2 1 3 12 1 12 4 29 15 1 14 5 35
eingebettet K. Ps. K. Pf. K. Pt. K. Pq. Σ [reps]° 1 1 [repf]° 4 3 2 9 [rept]° 1 1 [repq]° 1 1 1 3 [re0]°, [part]° 6 6 5 17 Σ 12 0 11 8 31
325
CT ja 2 [repf] etc.–KI 13
CT nein 2 [repf] etc.–KII 18
CT ja 2 [repf] etc.–KI 11
CT nein 0 [repf] etc.–KII 18
bekennen einfach [reps] [repf] [rept] [re0], [part] Σ
K. Ps. K. Pf. K. Pt. K. Pq. Σ 6 1 2 9 4 4 1 9 1 2 4 7 1 3 5 4 13 5 14 9 10 38
CT ja 12 [repf] etc.–KI 12
CT nein 4 [repf] etc.–KII 10
antworten einfach [reps] [repf] [rept] [re0], [part] Σ
K. Ps. K. Pf. K. Pt. K. Pq. Σ 6 7 3 7 23 1 1 2 4 1 1 8 8 2 18 16 8 11 11 46
CT ja 13 [repf] etc.–KI 10
CT nein 11 [repf] etc.–KII 12
eingebettet K. Ps. K. Pf. K. Pt. K. Pq. Σ [reps]° 0 [repf]° 2 3 5 [rept]° 0 [repq]° 1 1 2 [re0]°, [part]° 3 14 3 20 Σ 6 0 17 4 27
CT ja CT nein 0 0 [repf]° etc.–KI [repf]° etc.–KII 6 21
Tabelle 5.17: Tempus nach bestimmten Redeeinleitungen in Gebiet B
326
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
entspricht der allgemeinen Tendenz, wie den beiden Referenztabellen zu entnehmen ist. Bekennen wird öfter als fragen in Sätzen, die eine Consecutio temporum beobachten lassen, und damit öfter im Präsens und Präteritum verwendet. Die Befolgung der Consecutio temporum ist dabei häufiger als Nicht-Befolgung, was dem Durchschnitt nach finiter Redeeinleitung in einem synthetischen Tempus entspricht, wie er in Tabelle 5.8 (S. 288) dargestellt ist. Dort stehen 160 Belege für die Beachtung der Consecutio temporum 84 Belegen für ein Abweichen von ihr gegenüber, was 65 % entspricht. Hier ist die Befolgung dreimal so häufig wie die Nicht-Befolgung. Auch die Modusverteilung nach zusammengesetzten Redeeinleitungstempora entspricht in etwa dem Durchschnitt; der Konjunktiv II ist etwas seltener nach Perfekt anzutreffen als der Konjunktiv I. Bei antworten in einfacher Redewiedergabe beträgt das Verhältnis 10 zu 12 zugunsten des Konjunktivs II und ist damit etwas in die entgegengesetzte Richtung verschoben, doch in Anbetracht der niedrigen Werte kann man nicht von einem Einfluss des Verbs antworten auf die Konjunktivwahl im abhängigen Satz sprechen, es könnte sich auch um einen Zufall handeln. In eingebetteter Redewiedergabe verhält sich antworten ebenso, wie wenn alle Redeeinleitungen zusammengenommen betrachtet werden: Der Konjunktiv II überwiegt. Diese Tatsache ist demnach auch hier nicht auf eine Beeinflussung des redeeinleitenden Ausdrucks zurückzuführen. Insgesamt betrachtet kann Guchmanns Beobachtung, dass in ihren Texten auf fragen häufig ein Präteritum folgt, hier nicht bestätigt werden. Auch für die anderen beiden Verben lassen sich keine sicheren Ergebnisse gewinnen, die darauf schließen lassen könnten, dass ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen redeeinleitenden Ausdruck und der Moduswahl bestünde. Die minimalen Verschiebungen könnten zwar auf einen solchen Zusammenhang zurückzuführen sein, sie könnten aber ebenso gut zufällig sein. Der Einfluss der Region, des (fehlenden) Tempus der Redeeinleitung und der Art der Redewiedergabe ist als stärker zu bewerten.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
327
5.4 Die Bedeutung der Morphologie In Kapitel 3 wurde angedeutet, dass sowohl Behaghel als auch Fernandez-Bravo der Verbmorphologie eine Bedeutung bei der Entwicklung des Konjunktivs I zum Normalmodus der indirekten Rede in der neuhochdeutschen Schriftsprache beimessen. Insbesondere richtet sich das Interesse auf das Verb sein und die starken Verben. Behaghel hat sowohl bei den starken Verben insgesamt als auch bei den Singularformen des Verbs sein eine Tendenz zum Konjunktiv I festgestellt. Fernandez-Bravo hat nur bei sein Dementsprechendes beobachtet, allerdings sowohl im Singular als auch im Plural. Ihre Beobachtungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf Grimmelshausen. Zudem hat Guchmann bei einigen Autoren eine Tendenz ermittelt, Modalverben eher in den Konjunktiv II zu setzen.129 Es wäre demnach möglich, dass auch in den Hexenprozessakten Tendenzen zu erkennen sind, unabhängig von Region oder Redeeinleitung bestimmte Verben im Konjunktiv I oder II zu verwenden. Abgesehen davon darf das (ebenfalls morphologische) Problem der Modusambivalenz nicht aus dem Blick verloren werden. Entsprechend der Ersatzregel könnte es sein, dass die Gerichtsschreiber modusambivalente Formen des Konjunktivs I durch Einsatz des Konjunktivs II zu vermeiden suchen. Diese Auslegung der Ersatzregel hat allerdings zur Voraussetzung, dass der Konjunktiv I bereits der Normalmodus der indirekten Rede ist, was jedoch ganz offensichtlich nicht in allen Regionen der Fall ist. Daher wäre es ebenso denkbar, dass Schreiber modusambivalente Formen des Konjunktivs II durch solche des Konjunktivs I ersetzen, beispielsweise bei den schwachen Verben.
5.4.a) Verteilung der Verbarten auf Konjunktiv I und Konjunktiv II Ein erster Anhaltspunkt dahingehend, ob auch die Morphologie der Verben einen Einfluss auf die Moduswahl der Schreiber hat (neben Region und Redeeinleitung), lässt sich dadurch gewinnen, dass 129 Vgl. Punkt 2 des zusammenfassenden Vergleichs der drei Untersuchungen (Abschnitt 3.5, S. 130 dieser Arbeit).
328
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
man die einzelnen Verbarten im Hinblick auf die vorkommenden Modusformen vergleicht, und zwar zunächst unabhängig von den drei Gebieten und den Redeeinleitungen. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass schwache Verben eher im Konjunktiv I vorkommen, weil die Präteritalformen fast alle modusambivalent sind. Gleichfalls könnten die Beobachtungen Behaghels hier Bestätigung finden und die starken Verben öfter im Konjunktiv I erscheinen. Die Gesamtverteilung lässt bereits Derartiges erkennen:130 starke Verben schwache Verben Modalverben haben sein Σ
KI 695 271 1025 1838 1312 5142
KII 409 181 1325 1583 955 4453
KI % 62,95 59,96 43,62 53,77 57,87 53,60
KII % 37,05 40,04 56,38 46,23 42,13 46,40
Das einzige Verb, das genau so wie in der Gesamtverteilung verwendet wird, ist haben. Alle anderen weichen mehr oder weniger in die eine oder andere Richtung ab. Besonders auffällig ist diese Abweichung bei den starken Verben, dort beträgt sie fast 10 %. Das könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass hier tatsächlich die Verbart Einfluss auf die Konjunktivwahl nimmt. Doch auch die schwachen Verben und sein scheinen eher in den Konjunktiv I gesetzt zu werden, wenn auch nicht im gleichen Maße wie die starken Verben. Der Abweichung zugunsten des Konjunktivs I entsprechend muss die letzte Verbgruppe eher im Konjunktiv II vorkommen, und das ist bei den Modalverben tatsächlich der Fall, wo sich das Verhältnis um 10 % zugunsten des Konjunktivs II ändert. Diese Übersicht scheint damit alle oben geäußerten Vermutungen zu bestätigen. Es wäre allerdings möglich, dass die Ergebnisse lediglich auf eine ungleiche Verteilung der Verbarten auf die drei Gebiete zurückzuführen sind, dass also zum Beispiel die Mehrzahl der Modalverben aus Quellen des Gebietes A kommt. Sie bestätigen sich jedoch zum großen Teil auch, wenn man die Werte nach Regionen differenziert. Eine dementsprechende Übersicht zeigt Tabelle 5.18. 130 Zu dieser Übersicht ist die Anmerkung nötig, dass das Verb werden sich in der Gruppe der Modalverben befindet. Für eine genaue Erklärung dieser Vorgehensweise vgl. Anhang A.8, besonders Anmerkung 2, S. 481.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
A B C Σ
gesamt KI KII 756 2194 1701 1991 2685 268 5142 4453
KI% 25,63 46,07 90,88 53,60
KII% 74,37 53,93 9,12 46,40
329
A B C Σ
starke KI 131 275 289 695
Verben KII KI% 216 37,75 173 61,38 20 93,55 409 62,95
KII% 62,25 38,62 6,45 37,05
A B C Σ
schwache Verben KI KII KI% 54 87 38,30 97 80 54,80 121 14 89,55 272 181 59,96
KII% 61,70 45,20 10,45 40,04
A B C Σ
Modalverben KI KII KI% 97 644 13,09 407 588 40,90 521 93 84,20 1025 1325 43,62
KII% 86,91 59,10 15,80 56,38
A B C Σ
haben KI 280 495 1063 1838
KII 806 707 70 1583
KI% 25,78 41,18 94,07 53,77
KII% 74,22 58,82 5,93 46,23
A B C Σ
sein KI 194 427 691 1312
KII 441 443 71 955
KI% 30,55 49,08 90,68 57,87
KII% 69,45 50,92 9,32 42,13
Tabelle 5.18: Konjunktiv und Verbarten in den drei Verwendungsgebieten
330
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Im linken Teil dieser Tabelle sind die absoluten Zahlen und Prozentwerte der Konjunktivverwendung in den einzelnen Regionen zusammengestellt. Diese Übersicht dient als Vergleich zu den Werten rechts, die sowohl nach Gebiet als auch nach Verbart aufgeschlüsselt sind. In Gebiet A überwiegt bei den starken Verben immer noch der Konjunktiv II, jedoch um 12 % weniger als in der Gesamtverteilung in diesem Gebiet. Das heißt, auch im Konjunktiv-II-Gebiet A stehen starke Verben häufig im Konjunktiv I. In Gebiet B ist die Diskrepanz mit 15 % noch höher, aber durchaus mit Gebiet A vergleichbar. Selbst in Gebiet C steigt der ohnehin größte Anteil an Konjunktiv I um noch einmal 3 %. Auch in der regionalen Differenzierung bleibt demnach die Tendenz bestehen, starke Verben im Konjunktiv I zu verwenden. Bei den schwachen Verben ist in Gebiet C keine Änderung der Verwendung gegenüber der Gesamtverteilung zu beobachten. In den beiden anderen Gebieten setzen die Schreiber jedoch wie bei den starken Verben vermehrt den Konjunktiv I ein, in Gebiet A wiederum fast um 12 % mehr als durchschnittlich, in Gebiet B hingegen mit 8 % etwas weniger stark. Auch bei den Modalverben ist in allen drei Regionen die Tendenz zu beobachten, die sich insgesamt zeigt, d. h. die Tendenz zur Verwendung des Konjunktivs II. Allerdings ist sie in Gebiet A am stärksten ausgeprägt (12,5 %), in Gebiet C mit knapp 7 % weitaus weniger deutlich, was jedoch in Anbetracht der ansonsten dort eindeutigen Präferenz des Konjunktivs I bemerkenswert ist. In Gebiet B fällt der Unterschied noch einmal geringer aus (5 %). Haben und sein zeigen von allen Gruppen die größte Übereinstimmung mit der Gesamtverteilung. Fast genau mit dieser stimmt die Verwendung von haben in Gebiet A sowie von sein in Gebiet B und C überein. In Gebiet A wird sein dagegen um 5 % häufiger in den Konjunktiv I gesetzt, während haben in Gebiet B ein wenig häufiger im Konjunktiv II erscheint. In Gebiet C steht haben dagegen um 4 % eher im Konjunktiv I, doch das ist lediglich eine kleine Abweichung. Aus diesen Beobachtungen lässt sich ableiten, welche der oben geäußerten Vermutungen es wert sind, näher untersucht zu werden. Es scheint tatsächlich eine Tendenz zu bestehen, sein und die starken Verben eher im Konjunktiv I als im Konjunktiv II zu verwenden. Laut Behaghel ist es jedoch nur der Singular von sein, für den dieses zutrifft, während Fernandez-Bravo meint, es träfe auf Singular
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
331
und Plural zu. Das muss für die Gebiete A und B überprüft werden, in Gebiet C ist dagegen keine Abweichung zu beobachten. Bei den starken Verben kann die Tendenz zum Konjunktiv I dagegen vorerst akzeptiert werden ohne sie weiter zu untersuchen, da kein anderer Erklärungsgrund als eine durch die Verbart bedingte Präferenz des Konjunktivs I vorliegt. Weder die Region noch eine erhöhte Anzahl präsentischer Redeeinleitungen können den Konjunktiv I hier erklären. Auch die Vermeidung von Modusambivalenz eignet sich nicht als Erklärung, da die starken Verben sowohl im Konjunktiv I als auch im Konjunktiv II viele modusambivalente Pluralformen aufweisen und somit der Konjunktiv I den Konjunktiv II nicht ersetzen kann. Im Konjunktiv II sind sogar weniger Formen modusambivalent (alle Pluralformen in Formen mit umgelautetem Stammvokal sind eindeutig), sodass eher ein Ersatz des Konjunktivs I durch den Konjunktiv II zu erwarten wäre, der jedoch in der prozentualen Verteilung nicht sichtbar ist.131 Bei den schwachen Verben wäre es dagegen möglich, dass die fast durchgängig modusambivalenten Konjunktiv-II-Formen von den Schreibern in Gebiet A und B vermieden werden, was die vermehrte Verwendung des Konjunktivs I erklären könnte. Da dieses nicht nur die Pluralformen, sondern alle Formen betrifft, muss dem ebenfalls nicht weiter nachgegangen werden, sondern kann als Erklärung festgehalten werden. Es kann stattdessen allein aufgrund der Zählung als mögliche Erklärung festgehalten werden. Schließlich könnte das auffällige Mehr an Konjunktiv II beim Verb haben in Gebiet B damit zusammenhängen, dass die Schreiber die ambivalente Pluralform haben vermeiden und durch hätten ersetzen. Bei den Modalverben liegt dagegen vermutlich kein Ersatz vor, da die Formen des Konjunktivs II eher modusambivalent sind als die des Konjunktivs I. Hier kann man, wie bei den starken Verben, lediglich feststellen, dass sich diese Tendenz im Einklang mit Guchmanns Beobachtungen auch in den Hexenprozessakten zeigt. Allen Punkten, die soeben als überprüfenswert genannt wurden, sind die anschließenden Abschnitte gewidmet.
131 Es soll nicht ausgeschlossen werden, dass punktuell ein solcher Ersatz stattfindet. Dieser Frage wird in Abschnitt 5.6.e ) nachgegangen.
332
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
5.4.b) Singular und Plural von sein Bevor im folgenden Abschnitt näher auf den Komplex Modusambivalenz und Ersatzregel eingegangen wird, soll zunächst überprüft werden, ob eher der Singular oder der Plural des Verbs sein im Konjunktiv I erscheint, d. h. ob eher die von Behaghel oder die von Fernandez-Bravo beobachtete Tendenz bezüglich der Entwicklung des Konjunktivs I zum Normalmodus der indirekten Rede im modernen Schriftdeutsch hier Bestätigung findet. Die Belegzahlen für die Gebiete A und B und die einzelnen, zu den Gebieten gehörigen Sprachlandschaften sind in Tabelle 5.19 zusammengestellt. Betrachtet man zunächst die summierten Vorkommen von sei und wäre im Vergleich zu seien und wären in den beiden Gebieten, so fällt eine sehr unterschiedliche Konjunktivverteilung zwischen Singular und Plural auf, die die Annahme zunächst zu bestätigen scheint. Während sich der Anteil von Konjunktiv I und II bei den Pluralformen fast genauso gestaltet wie in der (hauptsächlich regionalbedingten) Gesamtverteilung,132 wird sei gegenüber wäre von den Schreibern eindeutig bevorzugt verwendet. Betrachtet man in Gebiet A jedoch die einzelnen Sprachlandschaften, wird deutlich, dass die Tendenz zum Konjunktiv I allein im nnd. Gebiet ausgeprägt ist, und zwar sehr stark. Der Konjunktiv I wird um fast 20 % häufiger als im Gesamtdurchschnitt von Gebiet A verwendet. Dieses gilt jedoch nicht einmal für das gesamte nnd. Gebiet, sondern hauptsächlich für drei Quellen: Flensburg 1608, Grünholz 1641, Jever 1592.133 Für diese drei Quellen wurde oben vermutet, dass die auffällige, dem Gebrauch der übrigen Region entgegenstehende Konjunktivverwendung mit dem Einfluss der mittelniederdeutschen Schreibtradition und das heißt der Consecutio 132 Beide Gebiete zeigen jeweils 3–4 % Abweichung zugunsten des Konjunktivs II gegenüber dem Gesamtdurchschnitt: In Gebiet A 78 % wären gegenüber 74 % Konjunktiv II gesamt, in Gebiet B 57 % wären gegenüber 54 % Konjunktiv II gesamt (vgl. den linken Teil von Tabelle 5.18, S. 329). In Tabelle 5.19 (S. 333) sind die Prozentzahlen für die Pluralformen von sein errechnet worden, obwohl die Summe knapp unter 100 liegt. Durch die Prozentberechnung fällt ein Vergleich mit den Werten für die Singularformen leichter. Sofern dieser Vergleich behutsam vorgenommen wird, ist eine derartige Vorgehensweise möglich. 133 Vgl. Anhang A.2, S. 452 dieser Arbeit.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
KI 79 36 60 175
KII 107 95 172 374
A
nnd. nod. omd. Σ
B
nwd. 135 162 wmd. 175 163 nobd. 79 68 Σ 389 393
Σ A+B
333
sei Σ 186 131 232 549
%KI 42,47 27,48 25,86 31,88
%KII 57,53 72,52 74,14 68,12
KI KII 10 21 4 8 5 38 19 67
86 22,09 77,91
297 338 147 782
45,45 51,78 59,28 49,74
54,55 48,22 40,72 50,26
9 25 4 38
88 43,18 56,82
564 767 1331 42,37 57,63
15 22 13 50
seien Σ %KI %KII
57 117 174 32,76 67,24
Tabelle 5.19: Die 3. Person Singular und Plural von sein
temporum zusammenhängt.134 Die Quellen enthalten einen großen Anteil präsentischer Redeeinleitungen, in Flensburg 1608 sind sie sogar fast ausschließlich zu finden (35 Redeeinleitungen im Präsens, sechs in zusammengesetzten Tempora). Die Bevorzugung des Konjunktivs I muss daher nicht mit der Verbart in Verbindung stehen, zumal in diesen drei Quellen auch haben nahezu ausschließlich im Konjunktiv I auftritt. Ohne die drei Quellen wäre also fast gar keine auffällige Tendenz zum Konjunktiv I in Gebiet A bei sein zu beobachten, weder im Singular noch im Plural. In Gebiet B sind nicht nur einige wenige Quellen an der Gesamtzahl der Konjunktiv-I-Formen beteiligt. In zwei Landschaften dieses Gebietes, dem Wmd. und dem Nobd., überwiegt der Konjunktiv I bei den Singularformen von sein. Im Wmd. ist er jedoch nur minimal häufiger zu finden, und dort sind auch die Pluralformen gleichermaßen geringfügig häufiger. Ein Unterschied zwischen Singular und Plural besteht also nicht, und auch weicht das Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II nur wenig vom Durchschnitt ab. Im Nwd. ist sogar im Singular wie im Plural der Konjunktiv II die bevorzugte Form. Im Nobd. bestätigt sich dagegen die Annahme: sein erscheint im Singular überdurchschnittlich häufig im Konjunktiv I, während die wenigen Pluralformen überwiegend den Konjunktiv II zeigen. Insgesamt scheint sich demnach auch in Gebiet B nicht zu bestätigen, dass die Singularformen von sein bevorzugt im Kon134 Vgl. Abschnitt 5.2.c ), S. 255 dieser Arbeit.
334
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
junktiv I verwendet werden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass eine Reihe von Schreibern dieses Gebietes diese Strategie anwenden, insbesondere in nobd. Quellen, doch auch in wmd. Das könnte die leicht erhöhten Werte für sei in dieser Landschaft erklären. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nicht auszuschließen ist, dass die Singularformen von sein von manchen Schreibern bevorzugt im Konjunktiv I eingesetzt werden. Eine größere, regionale Tendenz lässt sich jedoch kaum feststellen. Es ist daher ratsam, auf die Möglichkeit einer Bevorzugung des Konjunktivs I bei sein (und auch die bei den starken und schwachen Verben) als individuelle Strategie zurückzukommen, wenn später in Abschnitt 5.6 die funktionale Distribution der Konjunktivformen in den Blick genommen wird.
5.4.c ) Die Bedeutung der Modusambivalenz In diesem Abschnitt soll überprüft werden, ob die Schreiber aus den drei Gebieten eventuell den Konjunktiv so gewählt haben, dass modusambivalente Formen in ihren Texten möglichst selten sind. Damit die frühneuhochdeutsche Formenwahl mit derjenigen verglichen werden kann, die heute zum Teil im Einklang mit der Ersatzregel135 zu beobachten ist, werden hier nur diejenigen Formen untersucht, die sowohl aus heutiger Sicht als auch aus zeitgenössischer als modusambivalent eingestuft werden können. Dagegen werden die Formen ausgeklammert, bei denen vermutlich nur der moderne Leser eine Ambivalenz empfindet.136 Es sei zudem daran erinnert, dass die Ersatzregel laut Jäger (1971) ein Mythos ist. Von einigen Autoren wird sie jedoch konsequent befolgt, und zudem sprechen sich einige Grammatiken in Form einer Empfehlung für sie aus.137 Vermutlich hat die Ersatzregel ihren Ursprung in der Grammatikschreibung des 19. Jhs.,138 wobei noch nicht geklärt ist, ob die Grammatiker dieser Zeit die Regel anhand des zu beobachtenden Sprachgebrauches entwickelt haben oder meinten, der Modusambivalenz müsse mittels ei135 136 137 138
Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 57 dieser Arbeit. Zu dieser Vorgehensweise vgl. Abschnitt 4.4.a), S. 199 dieser Arbeit. Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 58 dieser Arbeit. Vgl. Anmerkung 68 in Kapitel 2, S. 57 dieser Arbeit.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
335
ner Regel beigekommen werden. Sollten sie sich am Sprachgebrauch (welcher Art auch immer) orientiert haben, so ist es nicht auszuschließen, dass ein solcher Gebrauch bereits vor dem 19. Jh. existiert hat. Und da Mythen schließlich mitunter einen wahren Kern haben, wird hier von der Möglichkeit der Existenz einer Ersatzregel, zumal im 17. Jh. und damit weit vor Jägers Untersuchungszeitraum, ausgegangen. Das Korpus enthält insgesamt 3 830 Formen der starken und schwachen Verben, Modalverben und haben im Konjunktiv I, von denen 66 starke Verben, 39 schwache, 82 Modalverben, und 100-mal die 3. Person Plural von haben modusambivalent sind (insgesamt 287 Formen = 7,52 %). Im Konjunktiv II sind von 1 915 Formen der starken und schwachen Verben sowie der Modalverben 835 (43,60 %) nach heutigen Maßstäben modusambivalent, und zwar 11 starke, 156 schwache Verben und 668 Modalverben. Die Ambivalenz ist somit im Konjunktiv II viel weiter verbreitet, wobei die meisten der Formen Modalverben sind. Im Konjunktiv I sind dagegen die Pluralformen von haben die größte Gruppe ambivalenter Formen. Da alle untersuchten Formen solche der 3. Person sind – d. h. sie kommen von der Stelle des Paradigmas, an der die meisten modusdistinkten Formen zu finden sind –, ist die Modusambivalenz allgemein eher selten. Die Formen, die aber speziell in den untersuchten Texten doch mit dem Indikativ identisch sind, können wie folgt zusammengefasst werden. Zum einen sind es Pluralformen im Konjunktiv I (z. B. wollen, gehen, kennen, sagen, haben). Im Konjunktiv II wird ein relativ geringer Anteil modusambivalenter Formen aus der Gruppe der starken Verben bestritten. Hier sind es Pluralformen derjenigen Verben, die im Präteritum keinen umlautfähigen Vokal enthalten, wie z. B. gingen. Diese sind jedoch nicht zahlreich, wie aus den Verblisten in Anhang A.8 (S. 480–483) hervorgeht. Konkret handelt es sich um neun Verben (fangen, gehen, halten, heißen, laufen, reiten, rufen, scheinen, weisen), von denen alle bis auf weisen und rufen jeweils einmal oder mehrmals in ambivalenten Pluralformen auftreten. Das kann daran liegen, dass Pluralformen generell selten sind und nicht nur beim Verb sein (vgl. oben S. 333). Generell ist die Seltenheit ambivalenter Formen der starken Verben im Konjunktiv II jedoch auch dadurch bedingt, dass fast die Hälfte aller Formen die eines Verbs mit eindeutigen Konjunktivformen
336
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
sind, des Verbs wissen. Dass gerade dieses Verb verstärkt in den Texten vorkommt, liegt an deren Inhalt. Im Gerichtsverfahren ist von zentraler Bedeutung, was die Angeklagten gewusst haben und was nicht, auch bestreiten sie oft jegliches Wissen. Daher ist wissen sowohl im Konjunktiv I als auch im Konjunktiv II das frequenteste starke Verb: (5.33) Sie wisse von keiner zauberei, oder von geselschafft (Celle 1570, fol. 89r) (5.34) wiße nicht aigendlichen wie alt Sie sey (Coburg 1670, S. 92) (5.35) Von weme Sie solche Zauberey gelernt? Antwort: Sie wüste von keiner Zauberey. (Mühlhausen 1659, S. 97) Einen weitaus größeren Anteil an den modusambivalenten Konjunktiv-II-Formen haben die schwachen Verben, denn dort sind alle Formen außer den „rückumlautenden“ (vornehmlich kennen) betroffen. Eindeutig die meisten ambivalenten Formen im Konjunktiv II sind Modalverben, da hier alle Singular- und Pluralformen ohne umgelauteten Wurzelvokal, d. h. sollen und wollen, keine eindeutigen Konjunktivformen sind. Da diese beiden Verben zudem die häufigsten Modalverben sind, die in den Hexenprozessakten auftreten, erklärt sich die äußerst große Anzahl modusambivalenter Modalverben im Konjunktiv II. In Anbetracht der zu beobachtenden Regionalverteilung der Konjunktivformen bietet es sich zunächst an, einen Zusammenhang zwischen dieser und der Modusambivalenz zu ermitteln. Zu vermuten wäre, dass die modusambivalenten Konjunktiv-I-Formen hauptsächlich im Süden des untersuchten Gebietes vorkommen, da dort der Konjunktiv I fast ausschließlich verwendet wird und somit die nach der Ersatzregel mögliche Alternative, die Verwendung des Konjunktivs II, unüblich ist, wenn sie auch zur Verfügung steht. Dasselbe gilt für die nördlicheren Sprachlandschaften, das heißt speziell für die Quellen, die einen besonders hohen Anteil von Konjunktiv II aufweisen. Dort werden vermutlich eher die Formen des Konjunktivs II verwendet, auch wenn sie modusambivalent sind, weil der alternative
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
337
Konjunktiv I nicht üblich ist. Ebenso wäre es möglich, dass diejenigen Quellen, in denen Konjunktiv I und II nebeneinander auftreten, kaum modusambivalente Formen enthalten, da die Schreiber die Ersatzregel konsequent angewandt haben. So etwas ist bevorzugt in Gebiet B zu erwarten, da dort die meisten Quellen der Mischtypen zu finden sind. Schließlich wäre es ebenfalls denkbar, dass eindeutige Konjunktiv-I-Formen modusambivalente Formen des Konjunktivs II ersetzen. Eine solche Strategie kann selbst in Quellen vermutet werden, die hauptsächlich den Konjunktiv II zeigen, da auch die Extremtypen dieser Konjunktivart fast immer einen kleinen Anteil an Konjunktiv I aufweisen. Die Frage, ob es Quellen gibt, die wenige oder gar keine modusambivalenten Formen enthalten, ist leicht beantwortet: Gar keine ambivalenten Formen enthalten lediglich vier Quellen: Bregenz (1628), Garmisch (1590), Blankenheim (1629) und Gerolstein (1633). Dieser Umstand kann jedoch bei Garmisch, der kürzesten Quelle des Korpus, durch Zufall bedingt sein. Immerhin zwei dieser vier sind Quellen des Gebietes B, für das soeben die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, es könnte dort Quellen mit wenigen oder gar keinen ambivalenten Formen geben. 14 Quellen enthalten null bis zwei ambivalente Formen, von denen zwei im nnd., eine im nod., drei im wmd., sechs im wobd. und zwei im oobd. Gebiet liegen, also nur drei in Gebiet B, die übrigen aus den anderen beiden Gebieten, für die eine erhöhte Anzahl ambivalenter Formen vermutet wurde. Es gibt also in der Tat Quellen, in denen modusambivalente Formen sehr selten sind, und diese sind im gesamten Sprachgebiet verteilt. In den anderen Quellen ist die Modusambivalenz jedoch relativ häufig, beim Konjunktiv I allerdings nicht in dem Maße wie beim Konjunktiv II. Da diese Beobachtungen noch zu keinen schlüssigen Ergebnissen führen, werden die ambivalenten Formen, differenziert nach Verbarten und Sprachlandschaften bzw. Konjunktivverwendungsgebieten, vergleichend betrachtet. Eine dementsprechende Übersicht bietet Tabelle 5.20 (S. 338). In dieser Übersicht kann man nun deutlich erkennen, dass die oben genannten Vermutungen zur Verteilung der ambivalenten Formen nicht durchgängig zutreffen, zum Teil jedoch schon. In Gebiet C sind insgesamt die meisten ambivalenten Formen des Konjunktivs I zu finden, und zwar etwas über die Hälfte. Jedoch überrascht der
338
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II Konjunktiv I stv swv mv 5 0 9 4 5 6 2 5 5 11 10 20
haben 9 5 1 15
Σ 23 20 13 56
Konjunktiv II stv swv mv 1 18 121 0 32 119 2 28 80 3 78 320
Σ 140 151 110 401
A
nnd. nod. omd. ΣA
B
nwd. wmd. nobd. ΣB
4 13 8 25
6 8 4 18
4 5 10 19
7 10 2 19
21 36 24 81
1 4 2 7
24 24 18 66
144 95 82 321
169 123 102 394
C
wobd. oobd. ΣC
12 18 30
5 6 11
13 30 43
21 45 66
51 99 150
0 1 1
5 7 12
14 13 27
19 21 40
Σ
66
39
82
100
287
11
156
668
835
Tabelle 5.20: Modusambivalenz in den Regionen
niedrige Anteil ambivalenter Formen im Wobd., der nur die Hälfte derjenigen im Oobd. ausmacht, obwohl mehr finite Verben in den wobd. Quellen enthalten sind.139 Die übrigen ambivalenten Konjunktiv-I-Formen sind auf die anderen beiden Gebiete verteilt, wobei Gebiet B ein größerer Anteil zukommt; dort sind auch mehr Mischtypen des Konjunktivs I sowie einige Extremtypen vorhanden, die für diese dem Gebiet C, d. h. genauer nur dem Oobd., gleichkommende Tendenz zu ambivalenten Konjunktiv-I-Formen verantwortlich sein könnten. In Gebiet B ist von jeder Verbart fast dieselbe Anzahl ambivalenter Formen vorhanden, wobei die starken Verben etwas häufiger sind als die übrigen Formen. Da, wie Tabelle 5.18 (S. 329) zu entnehmen ist, die Gesamtanzahl der Belege für die einzelnen Verbgruppen nicht gleich groß ist, ist der Anteil modusambivalenter Formen bei den schwachen Verben am höchsten, da diese die am seltensten belegte Verbgruppe darstellen, und am geringsten bei haben, die von den vier Gruppen die größte ist. In Gebiet A sind eher die Modalverben ambivalent als die anderen Gruppen, und in Gebiet C sind es die Formen von haben sowie ebenfalls die Modalverben. Die ambivalenten Formen des Konjunktivs II sind fast gleichmäßig auf die Gebiete A und B verteilt, ein kleiner Restanteil von 40 Belegen kommt aus Gebiet C. Diese gleiche Verteilung zeigt sich in allen drei Verbgruppen, die schwachen Verben und die Modalverben 139 Die entsprechenden Werte sind in Tabelle A.1 (S. 452) zu finden.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
339
sind hier jedoch allein relevant, da die Belegzahl für modusambivalente starke Verben zu gering für etwaige Verallgemeinerungen ist. In Gebiet A und B scheint die Schreiber weder die Ambivalenz der schwachen Verben noch der Modalverben sollen und wollen zu stören. Da die Schreiber diese Modalverben besonders häufig einsetzen, könnte man sogar vermuten, dass sie die Ambivalenz gar nicht empfunden haben oder dass sie die Formen sogar als Ersatzformen (ähnlich der heute so häufigen Bildung mit würde+Infinitiv) verwendet haben. Zudem bedeutet dies, dass die Vermutung, diese Verben würden eher im Konjunktiv I verwendet, um die fast durchgängig modusambivalenten Präteritumformen zu vermeiden, sich großflächig eher nicht bestätigt. Zwar besteht immer noch die Möglichkeit, dass einzelne Schreiber eine dementsprechende Strategie verfolgen. So könnte sich dann ebenfalls die Tendenz erklären, dass insgesamt die schwachen Verben eher im Konjunktiv I als im Konjunktiv II erscheinen, und zwar in Gebiet A um 13 % und in Gebiet B um fast 9 % häufiger als in der Gesamtverteilung.140 Die Tendenz, dass die starken Verben eher im Konjunktiv I modusambivalent vorkommen, entspricht der allgemeinen Tendenz, starke Verben überhaupt eher im Konjunktiv I zu verwenden und hat allem Anschein nach nichts mit einer Art von Ersatz zu tun. Ein möglicher Ansatzpunkt für die Suche nach der Ersatzregel nach heutigem Vorbild bietet sich nun beim Verb haben, und zwar besonders in Gebiet B. Hier stehen den 19 in Tabelle 5.20 aufgeführten ambivalenten Formen 78 eindeutige Konjunktivformen hetten gegenüber, was einen Anteil von etwa 80 % ausmacht. In Gebiet A ist es nicht weiter verwunderlich, dass nur wenige Belege für modusambivalentes haben zu finden sind, da der Konjunktiv II bei diesem Verb dort zu 75 % überwiegt. Zudem kommen fast alle diese ambivalenten Formen aus denjenigen Quellen, die schon des Öfteren durch ihren hohen Anteil an Konjunktiv I aufgefallen sind, sprich Flensburg 1608, Grünholz 1641, Jever 1592 und Passow 1577. In Gebiet C ist allgemein nicht mit Ersatz zu rechnen, da dort die ambivalenten Pluralformen überwiegen (15 eindeutige gegenüber 66 ambivalenten). Im Einzelfall ist er allerdings möglich. In Gebiet B dagegen, wo an sich der Anteil an Konjunktiv-I-Formen von haben 140 Vgl. Tabelle 5.18, S. 329 dieser Arbeit.
340
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
insgesamt weitaus höher ist (41 %) als in Gebiet A, sind ebenso wenige modusambivalente Belege für den Plural haben zu finden wie in Gebiet A. Diese Beobachtungen eröffnen die Möglichkeit, dass auch frühneuhochdeutsche Schreiber bereits punktuell Ersatzformen für ambivalente Konjunktivformen eingesetzt haben. Von diesen anhand der Gesamtübersicht beobachtbaren Tendenzen erscheint es lohnenswert, zunächst den ambivalenten und eindeutigen Pluralformen von haben in Gebiet B auf den Grund zu gehen. Des Weiteren könnte die Suche nach einer Vermeidungsstrategie ambivalenter Präteritumformen durch Verwendung des Konjunktivs I bei den schwachen Verben und im Einzelfall vielleicht auch bei den Modalverben sollen und wollen Ergebnisse bringen, und schließlich soll überprüft werden, ob die große Anzahl von Modalverben im Konjunktiv II, ambivalente wie nicht ambivalente, dadurch zustande kommt, dass sie als Ersatzformen eingesetzt werden. haben und hetten Ob in Gebiet B flächendeckend eine Ersatzstrategie angewandt wird, zeigt ein Vergleich der Pluralformen des Verbs haben, sprich der modusdistinkten Form hetten und der modusambivalenten Form haben, die in Tabelle 5.21 für die einzelnen Quellen aus Gebiet B zusammengestellt ist. Die Quellen sind dort nach der Anzahl der Belege für haben und hetten sowie nach dem Alphabet geordnet. Zu jeder Quelle ist als Vergleichsmöglichkeit der prozentuale Anteil des Konjunktivs II, wenn alle Formen zusammen betrachtet werden, vermerkt. Zunächst ist festzuhalten, dass in 10 Quellen dieses Gebietes Pluralformen von haben völlig ausgespart sind. Das hat jedoch weniger etwas mit einer Vermeidung des Plurals, als vielmehr mit dem Inhalt der Texte zu tun. Die Geständnisse der Angeklagten beziehen sich hauptsächlich auf sie als Einzelpersonen, was in der Regel den Singular erfordert. Dagegen tritt vornehmlich in den Passagen, die von den gemeinsamen Unternehmungen der Hexengesellschaft wie Tanz oder Wetterzauber berichten – doch die sind nicht in jeder Quelle enthalten – verstärkt der Plural auf.141 In diesen Quellen, 141 Für einige Beispiele vgl. die im Anhang edierten Quellen: B.2 Baden-Baden 1627, fol. 28r (S. 501) und fol. 29r (S. 503), B.6 Herborn 1630, fol. 5r (S. 542), B.8 Passow 1577, fol. 108r (S. 555), um nur einige zu nennen. Vor und nach
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
nordwestdeutsch %KII
Essen Helmstedt Werl Westerburg Ahaus Alme Celle Coesfeld Göttingen Hildesheim Lemgo Münster Osnabrück Wernigerode
Σ
15 90 36 62 24 26 28 34 88 75 74 40 81 67
341
westmitteldeutsch
KI
KII
1 3 2 1 1 1 3 1 6 1
7
13
%KII
Drachenfels Erkelenz Gerolstein Linz Gaugrehw. Müddersheim Lindheim Köln Dillenburg Herborn Lemberg Friedberg Blankenheim Dieburg Hamm Wallhausen Wittgenstein Höchst Σ
28 45 41 73 31 31 61 51 51 85 74 81 36 32 88 25 84 5
KI
1 3
1 1 1 3 10
nordoberdeutsch %KII
Meiningen Nördlingen Mergenth. Bamberg Bettenh. Coburg Hildburgh. Schweinfurt Wolframs-Eschenb. Σ
68 29 12 55 71 73 61 60 43
KI
KII
2
2
KII
1 2 5 1 1 9 19
Tabelle 5.21: Pluralformen von haben in Gebiet B
1 3 4 4 4 5 6 7 7 2 1 2 46
342
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
die aufgrund ihres Inhalts keine Pluralformen enthalten, können demnach keine Ersatzformen für haben angewandt werden. In 27 Quellen schließen sich die beiden Pluralformen gegenseitig aus. In sieben von diesen ist ausschließlich das ambivalente haben zu finden.142 Zugleich überwiegen in diesen sieben Quellen die Formen des Konjunktivs I, und für alle von ihnen ist in Abschnitt 5.2.d) (vgl. bsd. Tabelle 5.2, S. 263) vermutet worden, dass ihre Schreiber sich am Obd. orientieren. Das könnte die ambivalenten Konjunktiv-I-Formen erklären, denn diese sind im Obd. ebenfalls häufig und werden in der Regel nicht ersetzt. Von den übrigen 20 Quellen, die nur die Form hetten aufweisen, gehören zwei (Göttingen und Herborn) dem Typ EII an. Bei ihnen ist die Form also nicht weiter auffällig. Auch bei der Mehrzahl der übrigen von diesen Quellen (insgesamt elf143 ) überwiegt der Konjunktiv II, sodass die Abwesenheit von haben darauf zurückzuführen sein könnte. Allerdings ist bei einem Konjunktiv-I-Anteil von 25–40 % auch die Möglichkeit gegeben, diese Form zu verwenden, was die Schreiber jedoch nicht tun. Die Annahme, dass sie den nicht ambivalenten Konjunktiv II bevorzugen, ist demnach keineswegs abwegig. In den verbleibenden sieben Quellen144 , wo Konjunktiv I und II gleich verteilt sind oder aber der Konjunktiv I überwiegt, sind die Belege für hetten ohne haben sogar mit annähernder Sicherheit als Ersatzformen zu werten, da den Schreibern die Alternative als übliche Form zur Verfügung steht. Zudem gelten für den Konjunktiv II keine besonderen Vorkommensbedingungen, die diese Konjunktivart erfordern würden, wie z. B. in Konditionalsätzen. Sie erscheinen neben dem Konjunktiv I: (5.36) Auß dem zauberduppen habe fruchtten vndt bluet verderbtt 6 oder 7 personen seien bei Ihm gewesen bei Schmidtheim diesen kurzen Abschnitten, welche vom Hexentanz o. ä. berichten, dominieren die Singularformen. 142 Ahaus 1608, Alme 1630, Celle 1570, Coesfeld 1632, Gaugrehweiler 1610, Müddersheim 1630 und Mergentheim 1629. 143 Es handelt sich um Hildesheim 1628, Lemgo 1630, Osnabrück 1636, Wernigerode 1597, Lindheim 1631, Lemberg 1630, Friedberg 1620, Bettenhausen 1611, Coburg 1670, Hildburghausen 1629 und Schweinfurt 1616 (in der Reihenfolge ihres Auftretens in Tabelle 5.21). Aus jeder der drei Landschaften sind also Quellen vertreten. 144 Münster 1635, Köln 1629, Dillenburg 1631, Blankenheim 1629, Dieburg 1627, Bamberg 1628, Wolframs-Eschenbach 1630.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
343
ahn dem Gerichtt hetten einmaln die fruchtt[en] verderbtt seie fur ettwa 7 od[er] 8 Jahr bescheh[en] (Blankenheim 1629, fol. 4v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 188) (5.37) Ob salz da, hab sie nit geachtet, weillen sie nit gern sauer eße, Könne nit sagen woher alles zugetragen worden, die Braunketten unnd Endres Ditterichs Fraw hätten einen Zuber voll Fleisch uf der schindkauten geholt. (Dieburg 1627, S. 79) Allerdings kommen diese Pluralformen nicht immer inmitten zahlreicher Formen des Konjunktivs I vor. In der Quelle Wolframs-Eschenbach 1630 wechseln sie sich beispielsweise in den betreffenden Passagen mit dem Konjunktiv II Plural von sein ab, der keine Ersatzform ist. Von daher bleibt dort zwar die Tatsache bestehen, dass kein Beleg für ambivalentes haben vorhanden ist, die Belege für hetten sind aber dort nicht gleichermaßen auffällig wie in Blankenheim (Beispiel 5.36). Bei den vier verbleibenden Quellen, in denen beide Formen nebeneinander vorkommen, ist eine Aussage bezüglich Ersatz dagegen nicht möglich, zumal in Hamm als der Quelle, welche die meisten Belege für hetten enthält, insgesamt der Konjunktiv II überwiegt. Abschließend soll eine Hypothese getestet werden, welche die völlige Abwesenheit von ambivalentem haben in den Quellen betrifft, die ansonsten viel Konjunktiv I enthalten. Es besteht die Möglichkeit, dass der Plural des Konjunktivs I haben dadurch vermieden wird, dass die Schreiber vermehrt afinite Konstruktionen einsetzen, wo eigentlich eine solche ambivalente Pluralform stehen müsste.145 Diese Vermutung ließe sich auch als Erklärung für die vergleichsweise niedrige Belegzahl dieser Form im Wobd. heranziehen. Die Hypothese wird anhand derjenigen Quellen getestet, die besonders 145 Diese Annahme steht der Beobachtung Guchmanns nicht entgegen, dass generell seltener afinite Konstruktionen in Satzgefügen, die einen Konjunktiv erfordern, eingesetzt werden (vgl. Abschnitt 3.3.d), S. 123 dieser Arbeit). Auch wenn sie seltener wären, was aufgrund der geringen Anzahl von Indikativformen im hier untersuchten Korpus nicht festgestellt werden kann, wäre es dennoch möglich, dass die Hilfsverben gerade an den Stellen ausgespart werden, wo ansonsten ein modusambivalenter Konjunktiv stehen sollte.
344
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
auffallen: In zwei Quellen aus dem Gebiet B, Werl 1630 und Gerolstein 1633, kommen gar keine ambivalenten Pluralformen vor, weder von haben noch andere. Werl enthält 29 finite Verben und 49 afinite Konstruktionen in indirekter Rede, was der höchste Anteil an afiniten Konstruktionen im gesamten nwd. Gebiet ist; der Durchschnitt liegt hier bei 31 % afiniten Konstruktionen. In Gerolstein sind finite und afinite Anteile nahezu gleich verteilt (34 zu 39), womit auch hier der Anteil leicht über dem durchschnittlichen liegt, der im Wmd. 38 % beträgt. In Werl sind an vier Stellen afinite Konstruktionen verwendet, wo ansonsten ein ambivalenter Plural oder eine Ersatzform hätte verwendet werden müssen. Diese vier Fälle werden durch die folgenden beiden Beispiele illustriert (die elidierten Formen sind, dem Normalmodus dieser Quelle entsprechend, im Konjunktiv I aufgelöst): (5.38) Whar d[as] nachgesetzte Als die Steuensche, Trine in den Boisen Gert Berendtz, Herman Osthoff vnd Peter Moller Sie Inq[ui]sitam In vnd Außerhalb der tortur fur eine zaubersche denunciirtt [haben] (Werl 1630, fol. 35r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 121) (5.39) Bekennet wie daß fur vngefehr 5 vnnd mehr Jahren der hingerichteter Gert Gerdes alß sie zusamen fur Ihrer thueren |. . .+ gegeß[en] [haben] Ihr die |thue+ zauberkunst gelehrnet [habe] (Werl 1630, fol. 36r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 122–123) Allein weil viermal eine potenziell ambivalente Pluralform durch die afiniten Konstruktionen vermieden worden ist, muss der Schreiber sie an diesen Stellen jedoch nicht bewusst eingesetzt haben. Da sie in der Quelle in der Überzahl sind, kann es sich ebenso um einen Zufall handeln. In Gerolstein, wo nur einmal auf diese Weise eine Pluralform eingespart worden ist, ist ein Zufall noch wahrscheinlicher. In gleicher Weise sind die seltenen ambivalenten Pluralformen im Wobd. nicht unbedingt auf einen systematischen Ersatz durch afinite Konstruktionen zurückzuführen. Zunächst liegt der durchschnittliche Anteil afiniter Konstruktionen im Wobd. zwischen denen im nwd. und wmd. Gebiet bei 34 %; damit ist er nicht sonderlich
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
345
hoch. Eine stichprobenartige Durchmusterung der wobd. Quellen, in denen Pluralformen zu erwarten sind, hat zudem ergeben, dass punktuell einige Schreiber eine solche Vermeidungsstrategie verfolgen könnten. Beim folgenden Beispiel aus Riedlingen (wobd.) kommt neben modusambivalentem haben auch eine eindeutige Form hetten vor, welche entweder als Ersatz oder lediglich als stilistische Variation gewertet werden kann, sowie eine afinite Konstruktion, wo ein Plural zu erwarten wäre. Bei dieser könnte es sich jedoch auch um Singularformen handeln, da aus der Passage nicht eindeutig hervorgeht, ob sie zunächst nur von sich oder bereits von der ganzen Hexengesellschaft berichtet: (5.40) Zum .18. seye sy auf ainem geschmirbten steckhen, auf ainen berg bey dem dörfflin hohenberg, auf der Alb, der Heuberg genant, gefahren, daselbsten Sy gedantzet, einen Sackhpfeiffer gehabt [haben/habe]146 , vnd wann sy also auß Tantzet147 , haben sy an ainem Klainen Tisch allweg gessen vnd trunckhen, Wein vnd brates gehabt, daß brates hab rotlet gesehen, vnd v ¨bel geschmeckht, Aber weder Saltz noch brot verhanden gewesen, dann Sy hetten dieselben zway stuckh nit gehaben khind[en]. (Riedlingen 1596, fol. 628r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 394) Insgesamt betrachtet bleibt offen, ob manche Schreiber bewusst ambivalente Formen durch eindeutige oder auch durch afinite Kon146 Das Hilfsverb wird an dieser Stelle ergänzt, da daselbsten in den Quellen häufiger als Konjunktion gebraucht wird, wenngleich diese Verwendungsweise weder in der Frühneuhochdeutschen Grammatik noch im DWB ausgewiesen ist. Ein Beispiel biete die Urgicht Baden 1642, S. 2 (vgl. Anhang B.3.c ), o S. 516): Zum dritten seie der böse feindt wiederumb z u ihro kommen In dem gstüel als sie spön vffleser wöllen daselbsten sie abermahl zwüschen zwohen scheuer In einem gässli vnzucht mit ihme getriben vnd darnach vff sein begeer Gott vnd alle Liebe heiligen verlaugnet habe. Durch die Endstellung des finiten Verbs wird deutlich, dass daselbsten als Konjunktion gebraucht ist. Dementsprechend wird auch in dem obigen Beispiel daselbsten nicht als Adjektiv, sondern als Konjunktion (im Sinne von wo) verstanden, zumal es sich hier sonst um keine afinite Konstruktion handeln würde. 147 Entsprechend der in Abschnitt 4.4.b) dargelegten Vorgehensweise wird an dieser Stelle keine afinite Konstruktion angesetzt. Es handelt sich um den Fall, dass ein im Nebensatz ausgespartes Hilfsverb mit dem im Hauptsatz verwendeten identisch ist (vgl. S. 206 dieser Arbeit).
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5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
struktionen ersetzt haben. In einzelnen Quellen sprechen die Indizien sicherlich dafür, besonders bei den sich gegenseitig ausschließenden Formen von haben. Der Gebrauch finiter Verbformen in diesen Quellen lässt sich kaum anders erklären, als dass hier bereits eine Ersatzregel bestanden hat. In anderen Quellen vermeiden die Schreiber die Modusambivalenz nicht, auch nicht durch den Einsatz afiniter Konstruktionen. Da diese im 17. Jh. besonders populär und häufig sind, kann es sich überall, wo eine afinite Konstruktion statt einer modusambivalenten Form steht, um einen Zufall handeln. In zwei Quellen, einer wmd. und einer oobd., ist wiederum eine andere Art von Ersatz zu beobachten, und hier könnte es sich in der Tat um Absicht handeln. In den Quellen Reichertshofen 1629 und Dieburg 1627 protokolliert der Schreiber den Bericht vom Hexentanz im Singular unter Verwendung des unpersönlichen Pronomens man. In dem Protokoll aus Reichertshofen ist zudem eine Pluralform ausgespart, wo eigentlich in Kongruenz zu zwei Substantiven eine gewählt werden könnte. Auf diese Weise vermeidet der Schreiber modusambivalente Pluralformen; ein derartiges Vorgehen ist aber auf diese Quelle beschränkt: (5.41) Draußen sey man gueter ding gewest danzt, vnd ein mahl zeit gehalten. Fleisch Brattens vnd gefligel seye thails eingemacht in schwarzen Praunen Prüe. [. . .] Man rede miteinander d[as] man woll lustig vnd gueter ding sein (Reichertshofen 1629, fol. 7v–8r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 494–495) Schwache Verben Die Anzahl von Quellen, bei denen man vermuten kann, dass die Schreiber schwache Verben im Konjunktiv I verwenden, um ambivalente Konjunktiv-II-Formen zu vermeiden, ist recht gering. Zunächst kommen hierfür nur die Quellen in Frage, in denen der Konjunktiv II überwiegt. In Konjunktiv-I-Quellen sind schwache Verben, die in diesem Konjunktiv erscheinen, als Normalformen zu werten. Viele der Quellen, die hauptsächlich oder überwiegend den Konjunktiv II enthalten, weisen jedoch auch viele schwache Verben im Konjunktiv II auf. Die Modusambivalenz scheint die Schreiber nicht davon abzuhalten, diese Formen einzusetzen. In einigen wenigen Quellen
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kann man jedoch vermuten, dass der Konjunktiv I als Ersatzform fungiert. Es handelt sich um jeweils fünf Quellen aus den Gebieten A und B. In Tabelle 5.22 (S. 348) sind die eindeutigen und ambivalenten Formen des Konjunktivs I und II für diese zehn Quellen zusammengestellt. Bei denjenigen Quellen, die den größten Anteil an Konjunktiv II aufzuweisen haben, ist ein solcher Ersatz am wahrscheinlichsten, da der Konjunktiv I sonst relativ selten erscheint. Konkret trifft das auf Jägerndorf 1653, Wüstenfelde 1590 und Helmstedt 1578 zu. In Jägerndorf 1653 sind die beiden schwachen Verben im Konjunktiv I zwar ambivalent und somit Pluralformen, sie müssten sich jedoch in einer Umgebung von Formen des Konjunktivs II als andersartig abheben. Das ist im Grunde auch der Fall, wie aus Beispiel (5.42) hervorgeht: (5.42) Pflegen des iahrs dreymal zuesammen kommen: als Philipp Jacobi, Johann Bapt., vndt Wenceslai. Sie hette mitt ihr Gallan Christen gar offt zue thuen gehabt (Jägerndorf 1653, S. 7) Der Konjunktiv I kommt hier in einer Passage berichteter Rede vor, es kann also keine Beeinflussung durch das Redeeinleitungstempus vorliegen. Jägerndorf ist zudem eine der wenigen Quellen, die überwiegend Redeeinleitungen im Präteritum enthalten. Die nächstfolgende finite Verbform ist ein Konjunktiv II. Im Satz vorher befinden sich zwar nur afinite Konstruktionen, im Satz vor diesem erscheint aber ein were. Es wäre also möglich, dass pflegen hier im Konjunktiv I steht, um einen ambivalenten Konjunktiv II zu vermeiden. Ebenso kann es sich hier jedoch um einen Indikativ handeln, oder es wäre möglich, dass eine spezielle Verwendungsweise des Konjunktivs I vorliegt.148 Dieses Beispiel ist demnach nicht schlüssig. In Wüstenfelde befindet sich das schwache Verb im Konjunktiv I in einer stark kanzleisprachlichen Passage, die davon handelt, dass der Angeklagten ihr Geständnis wieder Punkt für Punkt vorgelesen worden ist und (5.43) jnsonderheit befragt worden, was sie darzu sage. (Wüstenfelde 1595, S. 64) 148 Zu derartigen besonderen Verwendungsweisen des Konjunktivs I vgl. weiter unten Abschnitt 5.6.g), S. 393 dieser Arbeit.
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A
B
Borgfeld 1587 Güstrow 1615 Jägerndorf 1653 Leipzig 1640 Wüstenfelde 1590
% KII 75 88 86 67 97
Coburg 1670 Helmstedt 1578 Köln 1629 Linz 1631 Wernigerode 1597
73 90 51 73 67
Konj. I Σ eind. amb. 5 5 10 7 3 2 2 7 6 1 1 1
Konj. II Σ eind. amb. 6 6 8 2 6 1
1
3 1 10 3 1
1
1
3 1 10 3 1
4
1
3
Tabelle 5.22: Schwache Verben in ausgewählten Quellen
Außer dem einen Konjunktiv I finden sich in der Passage nur Indikativformen des Präsens und afinite Konstruktionen. Der Konjunktiv I hebt sich also nicht in einer Umgebung von Konjunktiv-II-Formen ab, wie oben vermutet. Allerdings würde ein Konjunktiv II hier in der Tat wie ein Indikativ Präteritum verstanden werden, was dieser Präsens-Passage nicht angemessen wäre. Aufgrund dieses möglichen Missverständnisses könnte man also von Ersatz sprechen, doch kann man nicht sicher sein, ob der Schreiber wirklich wegen der Ambivalenz den Konjunktiv I verwendet hat. Auch in Helmstedt hebt sich der Konjunktiv I nicht gegen den Konjunktiv II ab, er steht vielmehr in einer eingebetteten Redewiedergabe zusammen mit einer anderen Form des Konjunktivs I. Die Konjunktivwahl könnte hier also auch durch die Einbettung bedingt sein.149 Alles in allem führt dieser Weg also ins Leere. Auch bei den anderen in Tabelle 5.22 aufgeführten Quellen scheinen eher besondere Vorkommensbedingungen des Konjunktivs I vorzuliegen, als dass die Formen als Ersatzkonjunktiv gewertet werden könnten. Beispielsweise sind die meisten der schwachen Verben, die in Güstrow im Konjunktiv I erscheinen, pflegen und wohnen, die habituelle Handlungen bezeichnen, was eher auf ebensolche Bedingungen hindeutet, denen später nachgegangen wird.
149 Vgl. hierzu genauer weiter unten Abschnitt 5.6.d), S. 382 dieser Arbeit.
5.4 Die Bedeutung der Morphologie
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Modalverben und Konjunktiversatz durch Modalverbkomplexe Der größte Anteil der Modalverben im Konjunktiv II wird in den Quellen des Gebietes A verwendet, der zweitgrößte in denen des Gebietes B. Sie treten verstärkt in Quellen auf, in denen der Konjunktiv II der Normalmodus ist. Das bedeutet, dass es in diesen Quellen im Grunde keine geläufige alternative Ausdrucksweise zu Modalverbkomplexen im Konjunktiv II gibt. Zwar wäre ein Ersatz durch die überwiegend eindeutigen150 Formen des Konjunktivs I möglich, doch im großen Stil wird dieser offensichtlich in Anbetracht der Fülle von Konjunktiv-II-Formen nicht durchgeführt. Die Tatsache, dass Modalverben im Konjunktiv II häufig sind, lässt sich also nicht verallgemeinern; sie trifft auf die Gebiete A und B zu, nicht aber auf Gebiet C. Zur Illustration, in welchen Zusammenhängen die Modalverben sollen und wollen in den Texten vorkommen und nicht ersetzt werden, sind einige Beispiele nötig. Das häufigste Modalverb ist sollen,151 es erscheint vorzugsweise im Konjunktiv II, ist jedoch auch im Konjunktiv I die zweithäufigste Form. Sein verstärktes Auftreten erklärt sich relativ leicht aus dem Inhalt der untersuchten Texte. Ein großer Teil des Geständnisses der Angeklagten besteht aus einer Aufzählung der Übeltaten, die ihnen der Teufel (angeblich) zu begehen befohlen hat und die sie aus eigenem Antrieb nie begangen hätten. Der Imperativ ist daher ein wichtiger Bestandteil der Geständnisse. Gegebenenfalls kann es sich strafmildernd auswirken, wenn deutlich wird, dass sie zu den Taten gezwungen wurden. Ein Imperativ wird, wie in Abschnitt 2.2.b) (S. 24) angesprochen, durch eine Umschreibung mit Modalverb wiedergegeben, vorzugsweise mit sollen. So enthält jeder Text eine Fülle solcher indirekt wiedergegebener Befehle:152 (5.44) Grete Stalmanningk, hette Zu ihr gesagt sie solte 3. fuß zurucke tretten (Osnabrück 1636, fol. 100v, vgl. Topalović 2003, S. 245) 150 Lediglich die Pluralformen dieser beiden Verben sind im Präsens ambivalent, die Singularformen würden sich daher als Ersatz eignen. 151 Auch in der deutschen Gegenwartssprache ist sollen eines der am häufigsten verwendeten Modalverben (vgl. Weinrich 2005, S. 305). 152 Daneben finden sich 60 Imperative, die in direkter Rede auftreten.
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(5.45) der deubell hette Ihro offtermahlen sachen geben vnd haben wollen, solte damit Ihren Schwinen vnd Kohen vergeben (Linz 1631 S. 8, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 260) (5.46) Der böße feindt hab ihro zue gemuetet solle Gott vnnd alle heilig[en] verleugnen (Meßkirch 1644, fol. 155v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 377) (5.47) der boße Gaist [. . .] Iro ein rietlin zugestelt und befohlen, solle Hans henßlen Wirtkhendorffers Roß so ein braune Stuet gewesen in seinem nahmen darmit schlagen (Rottweil 1615, S. 3) e
Zudem müssen die Schreiber den Imperativ indirekt wiedergeben, wenn die Angeklagte (vermutlich hochgradig verzweifelt mit Worten wie Lasst mich los! ) bittet, dass sie nicht mehr gefoltert werden möge. Auch solche Stellen sind sehr häufig in den Texten, sie erscheinen in den peinlichen Verhören zumeist mehr als einmal. (5.48) Man solle mitt der Marter nachlassenn, sie wolle Alles sagenn, was sie gethan hette. (Georgenthal 1597, S. 1, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 291) Des Weiteren und im ähnlichen Zusammenhang kommen umschriebene Imperative häufig vor, wenn die Angeklagten zunächst ihre Unschuld beteuern. Die Originaläußerung muss etwa dem Satz Macht, was ihr wollt entsprochen haben: (5.49) vnd [INT] hat Ihr vnschuld hoch betheürt, man solle Ihr thuen, wie man wolle, so seje Sie doch vnschuldig (Augsburg 1625, S. 116, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 335) Selten wird sollen eingesetzt, um eine Aussage als Gerücht bzw. Hörensagen zu kennzeichnen. Wegen ihrer Nähe zur Redewiedergabe wird diese Funktion von sollen auch quotativ genannt (vgl. z. B. Diewald 1999, S. 278).153 Diese Variante ist in anderen frühneuhochdeutschen Texten, speziell den ersten Zeitungen, dagegen 153 Nicht nur derartige Konstruktionen werden als quotativ bezeichnet. So nennt Palmer beispielsweise in der ersten Auflage seines Buches Mood and Modality eine Passage berichteter Rede (auf deutsch) als Beispiel für einen Quotativ (1986, S. 71). In der zweiten Auflage weist er zudem darauf hin,
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neben den wiedergegebenen Befehlen eine Hauptvariante (vgl. Fritz 1997, S. 284). Hier steht das Verb oft im Indikativ, manchmal jedoch auch im Konjunktiv. (5.50) Das sie Aber der Bade Magdt das Vngeziffer mitt den leusenn zu gepracht haben soll, das habe sie nicht gethan (Georgenthal 1597, S. 3, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 293). (5.51) [. . .] vnd nicht sein tage von Ihr gehöret, das sie sollte Etwas böses gethan, oder Jemandt beleidiget haben, viel weinig[er] das sie dem kraseman solte vier kühe abgezauberdt haben (Borgfeld 1587, fol. 322v) Auch die übrigen Modalverben werden entweder zur Umschreibung von Befehlen eingesetzt, oder aber sie sind aus der Originaläußerung übernommen, beispielsweise wenn berichtet wird, was der Teufel angeblich gesagt hat, was die angeklagte Person alles tun müsse. Wollen tritt zum einen häufig in der formelhaften Wendung Wolle darauf leben und sterben auf, mit der die Angeklagten die Richtigkeit ihres Geständnisses unterstreichen.154 Ansonsten sind die meisten Formen vermutlich aus der Originaläußerung übernommen; sie dienen, wie für dieses Verb üblich, zum Ausdruck von „Absichten und Wünschen“ (vgl. Fritz 1997, S. 293): (5.52) wan[n] man alle d[ie] wolte nen[n]en so im verdacht müeste d[ie] halbe statt herhalten. (Stein am Rhein 1667, S. 5) dass keine terminologische Einigkeit bezüglich dieses Begriffs besteht und dass er widersprüchlich verwendet wird. Eine Möglichkeit ist, zwischen „quotative“, „hearsay“ und „folklore“ zu unterscheiden, wobei der Quotativ Informationen aus zweiter Hand, das Hörensagen Informationen aus dritter Hand und Folklore etwas mündlich Tradiertes bezeichnet (vgl. Palmer 2001, S. 40). Die von Diewald angesprochene Verwendung von sollen nennt er allerdings auch im Zusammenhang des Quotativs, und zwar mit Bezug auf Hammer 1983, S. 231–232. Der betreffende Beispielsatz lautet: Er soll steinreich sein. 154 Nicht immer erscheint diese Formel mit dem Modalverb wollen. In der Quelle Grünberg 1664 steht beispielsweise stattdessen die Formel ohne Modalverb im Konjunktiv II: Sie lebete und stürbe auch darauf (S. 126, vgl. Anhang B.3, S. 536 dieser Arbeit). Es ist folglich möglich, solche Formeln doch dem Normalmodus anzupassen und ihrer ursprünglichen Gestalt gegenüber mehr oder weniger stark zu verändern.
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(5.53) ihme die rechte hanndt drauf geben, auch gesagt, Er wolte dem Herrn Christo nicht mehr, sondern ihme dienen vndt sein zu sein (Bettenhausen 1611, fol. 66r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 443) Im Übrigen ist die heute zu beobachtende „höfliche“ Verwendungsweise vom (Konjunktiv) Präteritum von sollen, welche zu weiteren Ambivalenzen führen könnte,155 im Korpus nicht belegt. In allen diesen Verwendungsweisen kommen sollen und wollen in der Regel also je nach dem, ob der Schreiber generell den Konjunktiv I oder Konjunktiv II als Normalmodus verwendet, als eindeutiges solle/wolle oder ambivalentes sollte/wollte vor. Die Konstruktionen sind weitgehend parallel, wie besonders in den Beispielen (5.44)–(5.47) und (5.50)–(5.51) zu erkennen ist. Die Schreiber, welche die aus heutiger Sicht ambivalenten Formen verwenden, empfinden die Ambivalenz vielleicht gar nicht. Die Wiedergabe eines Imperativs mit sollen ist anscheinend ausreichend konventionalisiert, sodass der Formenzusammenfall mit dem Indikativ nicht zu Doppeldeutigkeiten führen kann. Allerdings gibt es eine Quelle, in welcher der Schreiber systematisch sollte und wollte vermeidet. Es handelt sich um das Dokument aus Lemgo, das zu 75 % Formen des Konjunktivs II enthält. Die verbleibenden 25 % (32 Formen) sind größtenteils Modalverben (26), und von diesen sind wiederum die meisten (22) Formen von sollen und wollen. Diese treten jeweils nur einmal im Konjunktiv II auf. Diese Verteilung erweckt den Anschein, als habe der Schreiber sie bewusst vermieden. Im folgenden Beispiel befindet sich die Form solle inmitten von Formen des Konjunktivs II:
155 Für die Gegenwartssprache hat dieses Phänomen Scheidweiler untersucht. Er weist darauf hin, dass die Form sollte in der Redewiedergabe stets doppeldeutig ist. In Sätzen wie Der Lehrer sagte, ich sollte mehr arbeiten (Scheidweiler 1980, S. 41) vermutet er, dass die „höfliche Empfehlung“ immer mitschwinge. Diesen Satz kann man einerseits „kategorisch“ interpretieren, also als wiedergegebenen Befehl, aber auch „höflich“, als Empfehlung, dass er mehr arbeiten möchte. Hier existiert also eine Ambivalenz, jedoch keine zwischen Indikativ und Konjunktiv, sondern zwischen zwei Interpretationsweisen von sollen im Konjunktiv II.
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(5.54) Das sie bekant vff Mejers frauwen sagt sie, were nicht gesagt auß feindschafft, sondern man solle ihr thun wie ihr gescheen, sie were so schuldig alß sie (Lemgo 1632, fol. 50r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 73) Alle anderen Schreiber tun dieses jedoch nicht, und das lässt stark darauf schließen, dass die Modusambivalenz von ihnen nicht als ein so großes Problem empfunden worden ist, wie es sich in der heutigen (normativen) Grammatik darstellt.156 Die Tatsache, dass die meisten Schreiber die modusambivalenten Formen der Modalverben wie die eindeutigen häufig verwenden, eröffnet eine weitere Möglichkeit, die ihre hohe Frequenz erklären könnte. Da es sich um Modal verben handelt, die mit den Worten Lührs ebenso wie der Modus Konjunktiv „zum Modalfeld gehören und semantische Kategorien des Konjunktivs wie Potentialis, Optativ, Jussiv, Prospektiv“ ausdrücken können (Lühr 1997, S. 178), steht sogar zu überlegen, ob diese überaus große Anzahl von Modalverben im Konjunktiv II das Gegenteil von modusambivalenten Formen sind, und zwar Ersatzformen und damit dem heutigen analytischen Konjunktiv mit würde vergleichbar. Dieser ist zwar im gesamten Korpus nicht belegt, zumindest nicht als Ersatzkonjunktiv in der indirekten Rede.157 Der Konjunktiv II von werden tritt hauptsächlich in Passiv- und Futurperiphrasen auf, daneben erscheint das Verb in epistemischer Funktion.158 Es wäre aber möglich, dass Konstruktionen mit den Modalverben wollen, sollen und müssen, die 156 Ein weiteres Argument dafür, dass die Mehrheit der Schreiber womöglich keine Modusambivalenz insbesondere bei sollen empfunden hat, liefert die Tatsache, dass sich bis heute keine analytische Ersatzform für sollte entwickelt hat, für wollte hingegen schon. Dort ist ein analytischer Konjunktiv wollen würde möglich (vgl. Weinrich 2005, S. 293). Ansonsten schlägt Jäger vor, den Kontext zur Disambiguierung von sollte hinzuzuziehen, da sonst keine Möglichkeit dazu besteht (vgl. Jäger 1971, S. 145). 157 Es finden sich lediglich vereinzelte Belege in Konditionalsätzen, die jedoch für diese Satzart spezifisch sind: und hette der böse feind gesaget, wenn Sie daß dahin strewen würde vndt gedachter Braunschweiger dorüber ginge, wurde er krank werden (Mühlhausen 1659, S. 111). 158 Vgl. Abschnitt 5.3.b), Anmerkung 75, S. 283. Ein Beispiel für eine epistemische Verwendung von werden ist z. B. in der Quelle Linz 1631 enthalten: Sie werde zweiuels ohne die vrsach Selbst woll wißen warumb Sie hiehin gfordert, (Linz 1631, S. 5, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 257).
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den größten Anteil der Modalverben in den Hexenprozessakten ausmachen,159 als Ersatz für synthetische Konjunktivformen dienen. Einen derartigen Ersatz hat Lühr für das Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutsche in unterschiedlichen konjunktivischen Sätzen beobachtet.160 Unter „Ersatz“ ist dabei jedoch nicht eine Art von Ersatzregel zu verstehen, die nur um der Vermeidung von Modusambivalenz willen besteht. Die Modalverbkomplexe können zwar modusambivalente Formen ersetzen, stehen aber manchmal als morphologisch nicht motivierte Alternative (vgl. Lühr 1997, S. 206). Auch sind nicht alle diese Ersatzformen solche des Konjunktivs II. Als Beispiel für einen im Grunde nicht erforderlichen Ersatz bzw. ein redundantes oder auch pleonastisches Modalverb nennt Lühr unter anderem den folgenden Satz: (5.55) [. . .] vnnd da si yhn sahen, baten sie yhn, das er weychen wolt von yhr grentze161 Anstelle des Modalverbkomplexes weychen wolt könnte hier ebenso der Konjunktiv von weichen eingesetzt werden. Wenn sich derartige Beispiele auch in den Hexenprozessakten fänden, könnte das den großen Anteil an Modalverben, eindeutig und ambivalent, erklären. Zudem wäre es möglich, dass sie modusambivalente Formen der starken und schwachen Verben ersetzen. Ein Blick auf die Kontexte, in denen Modalverben in den Hexenprozessakten hauptsächlich verwendet werden, zeigt jedoch, dass dem nicht so ist. In erster Linie werden sollen und wollen in den bereits oben durch die Beispiele (5.44)–(5.53) illustrierten Kontexten verwendet. Können wird hauptsächlich als Vollverb im Zusammenhang mit Fähigkeiten verwendet, müssen mit Notwendigkeiten:162 159 Vgl. die Übersicht in Anhang A.8, S. 480. 160 Ein Aufsatz von 1994 beschäftigt sich mit Wunschsätzen, in einem weiteren Aufsatz aus dem Jahr 1997 betrachtet Lühr die „Hypotaxe“, d. h. unterschiedliche Arten von Nebensätzen. Am Rande erwähnt sie auch die indirekte Rede. 161 Martin Luthers Werke, Bibelübersetzung 1522, Matth. 8,34. Zitiert nach Lühr 1997, S. 202 (dort Bsp. Nr. 60, Hervorhebung hinzugefügt). 162 Diese Verwendungsweisen decken sich mit denen, die Fritz für den nichtepistemischen Gebrauch der Modalverben in den ersten deutschen Wochenzeitungen beschrieben hat (vgl. Fritz 1997, S. 261 und 281).
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(5.56) Sagt ob dieselbe Angneta Sassen zeubern könne weis ehr nicht (Borgfeld 1587, fol. 323r) (5.57) Mann müste eine gelbe weiden nehmen, vndt das schwartze Mennlein fein dapffer behawen. (Schweinfurt 1616, fol. 13r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 507) Daneben finden sich auch epistemische Verwendungsweisen, doch diese sind nicht ebenso häufig: (5.58) Ob sie dafür halte, wan solches geschehen, daß Vrsula Cüsterin gewißlich dieselb gezauberin sein müste (Barby 1641, fol. 8v, vgl. Anhang B.2, S. 520) Mögen wird oft wie können zum Ausdruck von Fähigkeiten verwendet (vgl. Fritz 1997, S. 261), öfter erscheint es jedoch in epistemischer Verwendungsweise: (5.59) daruff geantwordet mochtte woll zwolff Jahr sein daß Sie es gelehrnet (Linz 1631, S. 11, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 263) Dürfen ist das seltenste Modalverb im untersuchten Korpus. Es ist insgesamt nur elfmal belegt und steht im Zusammenhang der Erteilung von Erlaubnis, also in nicht-epistemischer Verwendung. Neben diesen zahlreichen Anwendungsweisen von Modalverben finden sich vereinzelt Belege, wo man vermuten kann, dass ein an sich redundantes Modalverb eingesetzt worden ist. Im folgenden Beispiel (5.60) könnte das der Fall sein, aber ebenso wäre es möglich, dass sollen hier wiederum zur Kennzeichnung eines Gerüchtes verwendet wurde. Bei wolte, das in dem mit das eingeleiteten Finalsatz in Beispiel (5.61) steht, handelt es sich jedoch wirklich um eine Ersatzform; der Schreiber hätte ebenso gut besehe statt des Modalverbkomplexes verwenden können. Ersatz einer modusambivalenten Form liegt also nicht vor. Auch in Beispiel (5.62) ist dieses der Fall. Hätte der Schreiber in diesem Finalsatz den einfachen Konjunktiv gesetzt, wäre die Form sowohl im Konjunktiv I als auch im Konjunktiv II nicht ambivalent gewesen (bekomme oder bekäme).
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(5.60) Ob Man dan meine weill[en] ihr bruder vnd schwester verbrandt dassie auch ein solcheß Mensch sein Solle (Mergentheim 1629, S. 1, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 447) (5.61) vnd [der Tanz] wehr zu dem ende Angstelt, das ein Jeder teuffel seine braut besehen wolte, welche die hubschte wehre (Wernigerode 1597, fol. 11v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 129) (5.62) bekendt daß sie mhergedachtem Cappellanen auß armuth gebeichtet [. . .] daß sie eine hex were, hette aber Vnrecht gebeichtet vnd solches nur allein gesagt damitten sie Vnderhalt bekommen mochte, were sonsten deß lasters nit schuldig (Köln 1629, fol. 33v, vgl. Macha/Herborn 1992, S. 66) Alles in allem können solche Umschreibungen demnach nicht für die große Anzahl von Modalverben verantwortlich gemacht werden, auch nicht für den größeren Anteil an Modalverben im Konjunktiv II. Ein dem nhd. Gebrauch des analytischen Konjunktivs mit würde vergleichbarer Ersatz liegt in den untersuchten Texten demnach nicht vor, vielmehr erscheinen solche Ersatzformen sporadisch und nicht unbedingt, um modusambivalente Formen zu ersetzen.
5.4.d) Modusambivalenz nach finiter Redeeinleitung Laut Behaghel (1899) bestehen Unterschiede bei der Befolgung der Consecutio temporum in Abhängigkeit von der Modusambivalenz. Deshalb hat er „deutliche“ und „undeutliche“ Verbformen, die auf einen präsentischen oder präteritalen Hauptsatz folgen, getrennt voneinander untersucht.163 In den Hexenprozessakten folgt in 1 081 Fällen unmittelbar auf eine finite Redeeinleitung eine finite Verbform im Konjunktiv, davon befinden sich 818 Belege in einfacher und 263 in eingebetteter Redewiedergabe. In diesen Gruppen ist das Verhältnis von eindeutigen zu modusambivalenten Verbformen 745 zu 73 bzw. 180 zu 83. Die Modusambivalenz ist also diesen Werten zufolge in eingebetteter Redewiedergabe mit 31,55 % weitaus häufiger als in einfacher mit lediglich 8,92 %. Von den 83 modusambivalenten 163 Vgl. Abschnitt 3.2.c ), S. 88 dieser Arbeit.
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Formen in der eingebetteten Redewiedergabe sind jedoch nur neun starke und schwache Verben, die übrigen 72 sind Modalverben, von denen 70 im Konjunktiv II und zwei im Konjunktiv I stehen. In der einfachen Redewiedergabe stehen 23 andere Verben 50 Modalverben gegenüber, von denen wiederum zwei im Konjunktiv I und die übrigen im Konjunktiv II stehen. Diese neun bzw. 23 Verben haben einen Anteil von 5 % bzw. 3 % an allen Verbformen in einfacher und eingebetteter Redewiedergabe, womit sich die beiden Arten von Redewiedergabe nicht mehr sonderlich voneinander unterscheiden. Wenn nun in der Tat, wie oben vermutet, der Konjunktiv II von Modalverben nicht als modusambivalent im üblichen Sinne gelten kann, da für den Modus von Modalverben stets besondere Bedingungen gelten, so bleiben nicht viele Formen für eine Untersuchung übrig. Insgesamt sind die Werte also zu niedrig, sodass an eine Betrachtung dieser Formen in puncto Consecutio temporum allzu große Erwartungen gerichtet werden dürfen, insbesondere, wenn man die Modalverben ausklammert. Behaghel hat in den literarischen Texten, die ihm als Untersuchungsgrundlage dienten, Ausnahmen von der Consecutio temporum in Abhängigkeit der Sprachlandschaft festgestellt. Die Annahme, die ihn dazu bewegt, modusambivalente und eindeutige Formen getrennt voneinander zu untersuchen – nämlich dass die Existenz modusambivalenter Präsensformen zur Entstehung der Ersatzregel geführt habe –, sieht sich in seinen Ergebnissen jedoch im Grunde nicht bestätigt. Seine Ergebnisse lassen sich sämtlich durch den Einfluss der Konjunktivverwendungsgebiete erklären. Im Konjunktiv-I-Gebiet sind einige Ausnahmen von der Consecutio temporum nach präteritalem Hauptsatz zu finden, im KonjunktivII-Gebiet hingegen nach präsentischem (vgl. Tabelle 3.3, S. 90 dieser Arbeit). Das entspricht dem Ergebnis, das zu beobachten ist, wenn eindeutige Formen im Nebensatz auftreten. Auch in den hier untersuchten Texten lässt sich, soweit man das bei den wenigen Belegen behaupten kann, die Regionalverteilung erkennen. Die modusambivalenten Formen des Konjunktivs II, die unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgen, stammen fast alle aus Quellen, die auch insgesamt hauptsächlich diese Konjunktivart aufweisen. Die meisten von diesen kommen wiederum aus den Gebieten A und B. Vereinzelt ist auch eine solche Form in einer Quelle aus Gebiet C zu finden, und zwar konkret nach einer Redeeinleitung im
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Perfekt in eingebetteter Redewiedergabe. Hier könnte es sich sogar um eine Ersatzform handeln, da sie ein schwaches Verb im Plural ist. Zusätzlich steht diese Form jedoch in einem potentialen Konditionalsatz, der den Konjunktiv II fordert, sodass Modusambivalenz und Redeeinleitung wohl nicht im Zusammenhang stehen: (5.63) [. . .] Habe Er Pfarrer Zu Ihme gesagt, Wan die Leith nur e Vollgeten, sye Khindten Vill bosßere tag auf disßer Weldt haben (Feldbach 1674, S. 42) Man kann vermuten, dass die seltene Kombination von Redeeinleitung und modusambivalenten Formen als nächstfolgende finite Verbform eher auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass sowohl die Kombination von finiten Redeeinleitungen mit finiten Verbformen an sich als auch modusambivalente Formen nicht besonders zahlreich sind. Eine konkrete Vermeidung ambivalenter Formen nach einer Redeeinleitung könnte zwar vorliegen, doch um so etwas mit Sicherheit behaupten zu können, müssten weitaus mehr Belege untersucht werden. Die Redeeinleitungen stehen hauptsächlich im Präsens, Perfekt und Plusquamperfekt, vereinzelt tritt ein Präteritum auf. Die nachfolgenden Verbformen scheinen ungeachtet ihrer Ambivalenz entweder der Region oder dem Redeeinleitungstempus entsprechend gewählt zu sein. Die Ambivalenz scheint hier demnach nicht ins Gewicht zu fallen.
5.5 Die Bedeutung der Textsorten In Abschnitt 4.1.c ) (S. 170) wurde festgehalten, dass die Textsorten Urgicht (verstanden als Geständnisprotokoll), Fragenkatalog und Verhörprotokoll so viele Gemeinsamkeiten haben, dass sie als Textsortengruppe hier gemeinsam unter dem Aspekt der Modusverwendung untersucht werden können. In diesem Abschnitt wurde jedoch auch erläutert, dass die Texte zum Teil unter verschiedenartigen Bedingungen entstehen. Die Verhörprotokolle und Urgichten sind entweder Texte, welche die Schreiber als Mitschrift während eines Verhörs produziert haben, oder Abschriften solcher Verhörmitschriften. Außerdem kann es sich auch um Geständnisprotokolle handeln,
5.5 Die Bedeutung der Textsorten
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die wiederum als Mit- oder Abschriften vorliegen können. Die Texte sind damit entweder während eines Verhörs in der „Verhörstube“ entstanden, in Anwesenheit der Verhörenden, des Scharfrichters und der Angeklagten, oder aber nach einem Verhör bzw. im Vorfeld eines solchen in der Kanzlei. Die Fragenkataloge sind jeweils vor einem Verhör entstanden und wurden als schriftlich fixierte Leitlinie der Befragung verwendet. Die Arbeit der Schreiber unterscheidet sich beim Erstellen dieser Texte also voneinander: Beim Erstellen von Fragenkatalogen arbeiten sie in der Kanzlei, ggf. anhand der Vorlage eines Richters, und werden in der Regel Zeit für ihre Aufgabe gehabt haben. Auch Abschriften und Reinschriften entstehen in der Kanzlei, anhand von stichpunktartigen oder auch ausformulierten Mitschriften, und hier kann ebenfalls damit gerechnet werden, dass kein großer Zeitdruck bestand. Insbesondere, wenn die Schreiber Abschriften zum Versenden an die Spruchkollegien angefertigt haben, werden sie besondere Sorgfalt haben walten lassen; auch spezielle Textgestaltung mit Rücksicht auf die Adressaten ist hier nicht ausgeschlossen. Bei einer Mitschrift steht der Schreiber dagegen potenziell sehr unter Zeitdruck, da er alles Gesagte simultan transponieren muss. In Abbildung 5.7 (S. 360) sind die Lokalitäten der Entstehung für die verschiedenen Texte zur besseren Übersicht zusammengefasst, auch mit Bezug auf das in Abschnitt 4.1.c ) zusätzlich zu den Schreibprozessen, den Textsorten und ihren Erscheinungsformen als Mit-, Ab- oder Reinschrift Ausgeführte. Bei einer Mitschrift befindet sich der Schreiber zudem im unmittelbaren Einfluss dessen, was er hört. Diese Anmerkung mag trivial erscheinen, doch soll sie verdeutlichen, dass ein Schreiber beim Transponieren des Gehörten – also von dialektaler Sprache – mehr in dessen Einfluss steht, als im Einfluss wie auch immer gearteter Sprachnormen. Da verschiedentlich bewiesen wurde, dass Schreiber in der Tat bei der Abschrift von Protokollen ihren Text auf mehreren Sprachebenen verbessert haben,164 ist diese Annahme im Umkehrschluss nicht abwegig. Eine separate Untersuchung der Textsorten ist daher angebracht, um eine verschiedenartige Handhabung 164 Es sei an die Untersuchungen von Topalović 2003 zur Anpassung des Konjunktivs nach dem Muster der Consecutio temporum (vgl. Abschnitt 3.6, S. 137) und Macha 1998 zur graphischen Anpassung eines Protokolls an die oberdeutsche Sprachnorm (vgl. Abschnitt 5.2.d), S. 259) erinnert.
360
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Abbildung 5.7: Schreibstätten und Textsorten
des Moduseinsatzes der Schreiber entweder festzustellen oder ausschließen zu können. Eine derartige Untersuchung kann auf unterschiedliche Weise unternommen werden. Zum einen ist es möglich, Mit- und Abschriften miteinander zu vergleichen, wofür es aber erforderlich ist, mit letzter Sicherheit bestimmen zu können, ob ein Text eine Mitschrift oder eine Abschrift ist. Da nicht überall die Quellenlage so günstig ist wie in Osnabrück, wo Mit- und Abschrift überliefert und als solche gekennzeichnet sind,165 ist eine solche Trennung hier jedoch nur schwer möglich. Vereinzelt wird zwar das Wort „Abschrift“ ausdrücklich im Text genannt – Meßkirch 1641 ist beispielsweise ein solcher Einzelfall166 –, aber zumeist kann nur das Schriftbild der Quellen als alleiniger Anhaltspunkt zur Bestimmung des Entstehungszusammenhangs dienen, und das ist bisweilen trügerisch, da die Abschrift eines weniger geübten Schreibers theoretisch ebenso aussehen kann wie die Mitschrift eines geübten Schreibers. Zudem kann das Unterscheidungskriterium Schriftbild nur da hilfreich sein, wo die Handschrift auch vorliegt, und das trifft auf die untersuchten Fremdeditionen nicht zu. Von einer separaten Untersuchung von Mit- und Abschriften wird deshalb hier Abstand genommen. 165 Vgl. Abschnitt 4.1.b) S. 159 sowie Anmerkung 23 in Kapitel 4, S. 159 dieser Arbeit. 166 Dieses Protokoll ist überschrieben mit den Worten Abschrifft Mößkhürchischen Ampts Prothocoll den 21. May Anno 1644 (Meßkirch 1644, fol. 153r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 372).
5.5 Die Bedeutung der Textsorten
361
Stattdessen werden von den zur Verfügung stehenden Textsorten die Fragenkataloge und die – entweder zum Vorlesen oder zur Versendung bestimmten – Urgichten ausgesondert und einzeln analysiert. Bei den Fragenkatalogen kann man davon ausgehen, dass sie in der Ruhe oder auch der geschäftigen Emsigkeit der Kanzlei aufgesetzt wurden, mit Zeit für Formulierungen und stilistische Feinheiten. Bei aller Bezeichnungsproblematik167 kann man auch für die hier analysierten Urgichten davon ausgehen, dass sie als Abschrift des urteilsrelevanten Bekenntnisses höchstwahrscheinlich auf Grundlage von Mitschriften, die verfasst wurden, während die Angeklagten ihr letztes Geständnis ablegten, im Nachhinein in der Kanzlei entstanden sind. Die Art von Urgichten, die bei der Urteilsverkündung öffentlich vorgelesen worden sind und ebenfalls „Bekenntnis“ genannt worden sind, sind relativ einfach zu erkennen: Zu Beginn steht der Name der Angeklagten sowie das Datum und der Ort ihres Geständnisses. Darauf folgt ein zumeist durchnummerierter Katalog all dessen, was sie gestanden hat. Den Abschluss bildet die Verkündung der richterlich verfügten Hinrichtungsart.168 Andere Bekenntnisse und Urgichten beginnen mit einem einleitenden Satz, der über den Namen, Herkunftsort und das Vergehen der Angeklagten informiert, worauf in durchnummerierter Form die gestandenen Punkte folgen.169 Ein Problem bei dieser Textauswahl ist, dass zwar aus allen Sprachlandschaften Fragenkataloge in das Korpus mit eingegangen sind, Urgichten jedoch nicht. Anhand der Konjunktivverwendungsgebiete lässt sich die Variable Region aber dennoch kontrollieren, da aus allen drei Gebieten entsprechende Texte vorhanden sind. Welchen Textsorten die Quellen angehören – bzw. aus welchen sie sich 167 Vgl. Abschnitt 4.1.b), S. 161 dieser Arbeit. 168 Als Beispiele für solche Texte vgl. die drei Dokumente aus Baden in Anhang B.3. 169 Ein Beispiel für solche Urgichten bzw. Bekenntnisse, die nicht zum Vorlesen, sondern zum Versenden gedacht waren, ist Ellingen 1590 (ediert in Kanzleisprache 2005, S. 422–431). In Ellingen wurden Weißenburger Bürger verurteilt und gerichtet. Die Abschriften der Urgichten wurden danach von Ellingen nach Weißenburg geschickt (diesen Hinweis verdanke ich Herrn Reiner Kammerl vom Stadtarchiv Weißenburg i. Bay.). Zum Versenden bestimmte Akten sind oft an Spuren früherer Faltungen auf Briefgröße zu erkennen.
362
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Urgichten und Bekenntnisse A (10) B (2) C (13) Bremen Bettenhausen Baden Flensburg Celle Bregenz Georgenthal Feldbach Hamburg Garmisch Meldorf Gföhl Passow Gutenhag Perleberg Gutenstein Schwabstedt Memmingen Schwerin Rapperswil Seehausen Riedlingen Rosenfeld Rottweil St. Lambrecht
Fragenkataloge A (12) B (10) Barby Ahaus Blankensee Alme Crivitz Coesfeld Gommern Herborn Güstrow Hildesheim Leipzig Meiningen Mühlhausen Müddersheim Ostrau Wallhausen Perleberg Werl Rosenburg Westerburg Stettin Uphusen
C (9) Augsburg Feldbach Günzburg Hemau Laaber Leonberg Mittersill München Wartenburg
Tabelle 5.23: Die Teilkorpora „Urgichten“ und „Fragenkataloge“
zusammensetzen, denn in manchen sind sowohl Verhörprotokolle als auch Urgichten und Fragenkataloge vorhanden –, ist in Anhang A.9 zusammengestellt. Im Folgenden werden nur die separaten Fragenkataloge untersucht, ins Verhör eingestreute Fragen werden nicht beachtet, da man hier nur vermuten kann, dass dem Verhörenden ein schriftlicher Fragenkatalog vorlag und dessen Wortlaut nur durch den Filter der Protokollierung zugänglich ist. Das Teilkorpus „Urgichten und Bekenntnisse“ umfasst ausschließlich Quellen, die nur aus diesen Textsorten bestehen und nicht aus einer Mischung von Verhörprotokollen und (kürzeren) Bekenntnissen, die nicht unbedingt die soeben beschriebene Form aufweisen, denn bei diesen kann die Entstehungssituation wiederum nicht hundertprozentig nachvollzogen werden. Für das Teilkorpus „Fragenkataloge“ werden jeweils die zusammenhängenden Kataloge aus den einzelnen Quellen entnommen und gemeinsam betrachtet. Die so ausgewählten Quellen sind in Tabelle 5.23 zusammengestellt. Bei den Fragenkatalogen ist das Verhältnis ausgewogener als bei den Urgichten, wo hauptsächlich im Vergleich von Gebiet A und C mit Ergebnissen gerechnet werden kann. Zunächst bietet es sich nun an, zu überprüfen, ob einige dieser Quellen eine nicht mit der durchschnittlichen regionalen Verwendung übereinstimmende Konjunktivverteilung zeigen und somit, insbesondere in Gebiet A, ein neues Licht auf die Quellen, die hauptsächlich Konjunktiv I zeigen, geworfen werden kann. Denkbar wäre beispielsweise, dass alle diese Quellen entweder Urgichten bzw.
5.5 Die Bedeutung der Textsorten
363
Bekenntnisse sind oder zu einem großen Teil aus einem Fragenkatalog bestehen. Dann hätte man einen Hinweis darauf, dass Texte, die weniger unter dem Einfluss der gesprochenen, wahrscheinlich viele Präteritumformen enthaltenden Sprache entstehen, anderen Stilprinzipien die Konjunktivverwendung betreffend folgen. Die Karte in Abbildung 5.8 (S. 364) lässt jedoch ohne Weiteres erkennen, dass dem nicht so ist. Sie zeigt wiederum die bereits auf den vorherigen Karten angeführte Regionalverteilung des Konjunktivgebrauchs, ist aber ergänzt um eine Kennzeichnung der Textsorten in den Quellen. Fragenkataloge und Urgichten/Bekenntnisse sind durch ein Quadrat bzw. eine Ellipse markiert, alle übrigen Quellen sind Verhörprotokolle. Von den Quellen des Gebietes A, deren Status bislang nicht schlussendlich geklärt ist (wie zum Beispiel Flensburg), sind zwar einige Urgichten/Bekenntnisse oder sie enthalten Fragenkataloge, doch bei Weitem nicht alle. Auch zeigen einige Urgichten/Bekenntnisse überwiegend oder fast komplett Konjunktiv II. Die westfälischen Quellen aus Gebiet B, die anders als die ostfälischen überwiegend Konjunktiv I enthalten, sind bezüglich der Textsorte ebenso wenig homogen, und diese könnte potenziell das Verhältnis zugunsten des Konjunktivs I verschieben. Dasselbe gilt für die Quellen im äußersten Südosten des untersuchten Gebietes, die abweichend von der Mehrzahl der übrigen Quellen des Südens weniger Konjunktiv I aufweisen. Zwar sind alle drei Quellen Urgichten – Feldbach enthält zusätzlich einen Fragenkatalog –, doch befinden sich in unmittelbarer Nähe zwei weitere Orte, aus denen Urgichten überliefert sind, in welchen sich die Konjunktivverwendung im Einklang mit dem Rest des Gebietes befindet. Der Einfluss der Textsorte und damit der Entstehungssituation der Quellen scheint also nicht so stark zu sein, dass er der Regionalität Zuwiderlaufendes erklären könnte. Es wäre aber dennoch möglich, dass die Fragenkataloge und Urgichten einzeln betrachtet (und nicht gemeinsam mit den anderen in den Quellen vorhandenen Textsorten) doch eine andere Konjunktivverteilung zeigen, als allgemein in den drei Gebieten üblich. Diese Vermutung lässt sich anhand von Tabelle 5.24 (S. 367) überprüfen. Sie stellt für alle drei Verwendungsgebiete die Anzahl von Konjunktivformen in den Quellen der beiden Teilkorpora (abgekürzt als Urg. und Frag.) dar. Zum Vergleich werden die Gesamtwerte aus Tabelle 5.18 (S. 329) für die einzelnen Sprachland-
364
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Abbildung 5.8: Konjunktivverwendung und Textsorten
5.5 Die Bedeutung der Textsorten
365
schaften inklusive der Prozentwerte aus dieser Tabelle wiederholt, weil das Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II aus den recht hohen Gesamtwerten nicht ohne Weiteres zu erkennen ist. Die Tabelle ist nach Verbarten aufgeschlüsselt, da sich eine Darstellung beispielsweise der Kombinationen von Haupt- und Nebensatztempora aufgrund der zu geringen Anzahl von finiten Redeeinleitungen in einfacher Redewiedergabe für den Überblick nicht anbietet.170 In Gebiet A ist insgesamt in beiden Teilkorpora eine Verschiebung zugunsten des Konjunktivs I zu beobachten, besonders auffallend ist sie aber mit fast 10 % bei den Fragenkatalogen. An dieser Verschiebung sind in erster Linie die starken Verben und die schwachen Verben sowie das Verb haben beteiligt. Auch in Gebiet B ist in den Urgichten mehr Konjunktiv I als Konjunktiv II vorhanden, doch sind, wie erwähnt, nur zwei Quellen an diesen Werten beteiligt, sodass man nicht von einer generellen Tendenz bei Urgichten in Gebiet B sprechen kann. In Gebiet C ist in den Fragenkatalogen auffällig viel Konjunktiv II zu finden. Jedoch stammen die meisten verzeichneten Formen aus der Quelle Leonberg, sodass hier nicht von einer regionalen Tendenz gesprochen werden kann. Allein in der Quelle Leonberg ist der Fragenkatalog entgegen dem sonstigen Gebrauch im Konjunktiv II gehalten. Zudem ist die Tatsache bemerkenswert, dass von den insgesamt 71 Belegen für wäre(n) und 70 für hätte(n) des oobd. Gebietes jeweils mehr als die Hälfte (52 bzw. 42) aus den Urgichten stammen.171 In erster Linie entstammen diese den drei Quellen des äußersten Südostens, wobei, wie erwähnt, in näherer Nachbarschaft zu diesen auch Urgichten zu finden sind, die dem Konjunktiv-I-Extremtypus angehören. Da sich zudem im Nordosten 170 In den Fragenkatalogen finden sich lediglich 21 finite Redeeinleitungen. In den Urgichten sind zwar mehr finite Redeeinleitungen enthalten. Von den beiden für die Consecutio temporum relevanten Tempora ist in Gebiet A 168-mal das Präsens und einmal das Präteritum zu finden, in Gebiet C 68mal das Präsens. Die zwei Quellen des Gebietes B enthalten weder das eine noch das andere. Auf diese Redeeinleitungen folgen jedoch relativ selten finite Verbformen im Konjunktiv, und zwar 78-mal in Gebiet A und 54mal in Gebiet C. Diese Werte liegen aber wiederum unter der für sinnvolle Prozentberechnungen notwendig einzuhaltenden Marke von 100 und können daher nur schwer mit den Werten in Tabelle 5.8 (S. 288) verglichen werden. 171 Für eine genaue Übersicht, aus welcher Quelle wie viele Formen kommen, vgl. Tabelle A.4 (S. 455) in Anhang A.2.
366
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
des Oobd. eine Quelle befindet, die ebenfalls überdurchschnittlich viel Konjunktiv II enthält und keine Urgicht ist, scheint ein Zusammenhang zwischen Textsorte und Konjunktiv-II-Verwendung in diesem Gebiet nicht zu bestehen. Bezüglich der Verwendung des Konjunktivs I in Gebiet A und auch Gebiet B sich ähneln sich die Teilkorpora jedoch tatsächlich in der insgesamt festzustellenden Konjunktivverwendung. Diese Abweichungen von der Gesamtverteilung könnten daher durch die Textsorte bedingt sein. Besonders in Gebiet A wäre es möglich, dass die Schreiber eher den Konjunktiv II verwenden, wenn sie eine Aussage transponieren, die viele Präteritumformen enthält. Bei der Abschrift wäre es hingegen möglich, dass sie öfter den Konjunktiv I verwenden, insbesondere wenn das Grundtempus der Redeeinleitungen das Präsens ist. Hierbei könnte, wie oben angedeutet, von Bedeutung sein, dass sie eher die Consecutio temporum befolgen, wenn sie weniger unter Zeitdruck stehen. Diese Vermutung befindet sich im Einklang mit der Beobachtung Topalovićs, dass die Schreiber in Abschriften ihre Texte dahingehend verändern, dass die Consecutio temporum beachtet wird. Allerdings handelt es sich dort um die Veränderung des Grundtempus zum Präteritum und einen nachfolgenden Einsatz des Konjunktivs II.172 Es sind, wie erwähnt,173 nicht sonderlich viele Kombinationen mit finitem Anteil in den Texten enthalten, jedoch folgt 56-mal ein Konjunktiv I auf ein Präsens und 22-mal ein Konjunktiv II, was über die auch in Gebiet A zu beobachtende Praxis der Schreiber hinausgeht, nach einer präsentischen Redeeinleitung die Consecutio temporum zu beachten. Somit kann der verstärkte Einsatz des Konjunktivs I in Gebiet A vorsichtig als Spezifikum gewertet werden.174 Unter der Hypothese, dass die Schreiber sich mehr Zeit zum Formulieren nehmen, wenn sie in der Kanzlei arbeiten, kann noch eine 172 Vgl. Abschnitt 3.6, S. 137 dieser Arbeit. 173 Vgl. oben Anmerkung 170 (S. 365) in diesem Kapitel. 174 In Tabelle 5.8 (S. 288) ist ausgewiesen, dass in Gebiet A in einfacher Redewiedergabe – und um die handelt es sich auch hier – die Consecutio temporum insgesamt zu 43 % beachtet wird, nach Präsens mit 96 zu 100 Belegen zu 49 %. In den Urgichten sind die Werte zu niedrig für eine Prozentberechnung, doch hier steht mehr als doppelt so häufig ein Konjunktiv I nach einer präsentischen Redeeinleitung, was mehr als 50 % wäre. Deswegen kann man von einer noch stärkeren Befolgung der Consecutio temporum nach Präsens in den Urgichten ausgehen.
5.5 Die Bedeutung der Textsorten
A Urg. Frag.
stv KI KII 21 27 30 22
Σ K. 131 216 % 37,7 62,3
B Urg. Frag.
stv KI KII 8 2 15 2
Σ K. 275 173 % 61,4 38,6
C Urg. Frag.
stv KI KII 72 3 6 6
swv KI KII 4 16 16 8
mv KI KII 16 178 21 95
haben KI KII 116 189 18 30
sein Σ Konj. % Konj. KI KII KI KII KI KII 62 91 219 501 30,42 69,58 16 39 101 194 34,24 65,76
54 87 97 644 280 806 194 441 38,3 61,7 13,1 86,9 25,7 74,3 30,5 69,5 swv KI KII 3 1 8 4
mv KI KII 7 35 17 31
haben KI KII 61 19 11 8
367
756 2194 25,63 74,37
sein Σ Konj. % Konj. KI KII KI KII KI KII 27 9 106 66 61,63 38,37 9 9 60 54 52,63 47,37
97 80 407 588 495 707 427 443 1701 1991 46,07 53,93 54,8 45,2 40,9 59,1 41,1 58,8 49,1 50,9 swv mv KI KII KI KII 17 6 218 34 4 4 8 5
haben sein Σ Konj. % Konj. KI KII KI KII KI KII KI KII 449 42 252 52 1008 137 88,03 11,97 44 5 22 8 84 28 75,00 25,00
Σ K. 289 20 121 14 521 93 1063 70 691 71 2685 268 90,88 9,12 % 93,5 6,5 89,5% 10,5 84,2 15,8 94,1 5,9 90,7 9,3%
Tabelle 5.24: Konjunktivverwendung in Fragenkatalogen und Urgichten
weitere Vermutung überprüft werden. Die afiniten Konstruktionen sind ein Kennzeichen der Kanzleisprache. Gerade im 17. Jh. sind sie sehr weit verbreitet in kanzleisprachlichen Texten, wenn auch nicht nur dort.175 Doch sind sie nicht nur besonders häufig, sondern werden als stilistisch hochwertig erachtet. Lötscher zählt sie zu den syntaktischen Prestigesignalen176 des 16. Jhs., die beispielsweise in Bittgesuchen eingesetzt werden, um die Obrigkeit zu beeindrucken. Von der Obrigkeit werden sie dagegen als Statussymbol eingesetzt (vgl. Lötscher 1990, S. 22).
175 Afinite Konstruktionen sind, wenn sie auch vermutlich in der Kanzleisprachlichkeit ihren Ursprung haben (vgl. Lötscher 1990, S. 35), auch in anderen Textsorten des 17. Jhs. (wie z. B. Reisebeschreibungen) verbreitet, wogegen sie in Romanen eher selten sind (vgl. Admoni 1990, S. 196 sowie Macha 2003b, S. 33–34). Auch in den vorwiegend nicht kanzleisprachlichen Texten, die Guchmann als Untersuchungsbasis dienen, sind afinite Konstruktionen enthalten (vgl. Abschnitt 3.3.d), S. 123 dieser Arbeit). 176 Lötscher (1990) definiert den Begriff „Prestigesignal“ wie folgt: „Sprachstilelemente, denen im Sprachsystem ein besonderer Ausdruckswert zuerkannt wird, indem sie als typisch für eine besonders elaborierte oder anspruchsvolle Sprache betrachtet werden, und dementsprechend eingesetzt werden, um einem Text einen besonderen kommunikativen oder sozialen Stellenwert zu geben“ (vgl. ebd., S. 22).
368
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Wenn diese Erscheinung also als Zeichen guten Schreibstils eingeschätzt worden ist, könnte es sein, dass sich die Schreiber darum bemüht haben, sie möglichst zahlreich in ihren Texten zu verwenden,177 vielleicht insbesondere dann, wenn Akten an die übergeordnete Instanz (Spruchkollegium) gesendet wurden. Dann sollte man erwarten, dass insbesondere in den Texten, die unter weniger Zeitdruck entstehen und zudem für höher gestellte Adressaten bestimmt sind, verstärkt afinite Konstruktionen enthalten sind, da die Schreiber mehr Gelegenheit für stilistische Textgestaltung haben. Ebenso kann es sein, dass Fragenkataloge, die von eben dieser übergeordneten (höhergestellten) Instanz an kleinere Gerichte geschickt werden, als Zeichen ihres höheren Status besonders viele dieser Konstruktionen enthalten. Einen Aufschluss darüber, welche der beiden Annahmen zutreffen könnte, gibt Tabelle 5.25, in der die Gesamtsumme aller Belege der Konjunktivformen der Hilfsverben haben und sein, die vorzugsweise durch afinite Konstruktionen ersetzt werden, und für afinite Konstruktionen mit den Belegen in den beiden Teilkorpora verglichen wird. Die Prozentwerte zeigen den Anteil der afiniten Konstruktionen an der Summe aus Hilfsverben und afiniten Konstruktionen. Die in der Tabelle zusammengestellten Werte zeigen eindeutig, dass die Urgichten sich nicht sonderlich von der Gesamtverteilung unterscheiden, die Fragenkataloge dagegen sehr. In Gebiet A und B enthalten die Urgichten und Bekenntnisse eher weniger afinite Konstruktionen, als insgesamt zu beobachten sind. In Gebiet B sind es auffällig weniger, doch repräsentieren wie erwähnt die Werte nur zwei Quellen. In Gebiet C entspricht der Prozentwert dem der Gesamtverteilung. In den Fragenkatalogen sind in Gebiet A und B dagegen jeweils ca. 30 % mehr afinite Konstruktionen enthalten als im Gesamtkorpus, und auch in Gebiet C ist der Anteil der afiniten Konstruktionen leicht gestiegen. 177 Die Tatsache, dass die Grammatiker des 17. und 18. Jhs. sich gegen diese Konstruktion aussprachen (vgl. Macha 2003b, S. 32–33), steht dem nicht entgegen, dass sie kanzleiintern als stilistisch gut gegolten haben könnte. Zudem finden sich Äußerungen zu den afiniten Konstruktionen erst in späteren Grammatiken bei Stieler (1968), Gottsched (1748), Aichinger (1753) und Adelung (1977), und nicht zur Entstehungszeit der hier analysierten Quellen (vgl. ebd., bsd. Anmerkung 23).
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
Urgichten Fragenk. gesamt
Gebiet HV [0] 458 434 103 454
A [0]% 48,65 81,51
Gebiet HV [0] 116 39 37 213
B [0]% 25,16 85,20
Gebiet HV [0] 795 615 103 108
369 C [0]% 43,62 51,18
1721 1837 51,63 2072 1955 48,55 1895 1481 43,87
Tabelle 5.25: Hilfsverben und afinite Konstruktionen in unterschiedlichen Textsorten
Im Hinblick auf die zu überprüfende Hypothese hat sich also herausgestellt, dass sie auf die Fragenkataloge zutreffen könnte, auf die Urgichten hingegen nicht. Gerade wegen des Ergebnisses die Urgichten betreffend ist aber die Annahme, die Schreiber würden mehr afinite Konstruktionen verwenden, wenn sie mehr Zeit zum stilistisch hochwertigen Formulieren haben, offenbar nicht zutreffend. Das Moment des Prestigesignals, d. h. die Adressatenorientierung beim Schriftverkehr kleinerer Gerichte mit Obergerichten sowie die sprachliche Statussicherung dieser letztgenannten, bietet dagegen einen besseren Erklärungsansatz. Im Übrigen erklärt sich so auch der erhöhte Anteil afiniter Konstruktionen in ob-Sätzen (vgl. Tabelle 5.14, S. 319), da diese vornehmlich in Fragenkatalogen auftreten, wobei die Fragenkataloge dagegen nicht ausschließlich aus solchen Sätzen bestehen. Das Mehr an Afinitheit ist dort also nicht durch die Satzart und auch weniger dadurch bedingt, dass die indirekten Fragen redundant markiert wären, sondern durch die Textsorte.
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen Bislang konnte ein großflächiger Einfluss in erster Linie der Region, in geringerem Maße auch der Verbmorphologie, der Consecutio temporum und auch der Textzusammensetzung hinsichtlich der Konjunktivverwendung festgestellt werden. Die letztgenannten drei Faktoren sind aber, betrachtet man die drei Konjunktivregionen gemeinsam, nirgends stark genug, die Regionalität zu verdrängen. Und doch stellt die Konjunktivverwendung in manchen Quellen eine Ausnahme gegenüber der mehrheitlichen Verwendung in den drei Gebieten dar. Es ist daher möglich, dass in Einzelfällen der jeweilige Schreiber beispielsweise konsequent alle starken Verben in den
370
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Konjunktiv I gesetzt hat, was einige bislang ungeklärte Konjunktivverwendungen erhellen könnte. Zudem kann es sein, dass die Formen, die in den Quellen des Typs EI, EII und vielleicht auch MIa und MIIa vom Normalmodus abweichen, vom Schreiber bewusst gewählt worden sind. So gibt es vielleicht spezielle Kontexte für den Konjunktiv II in Gebiet C und eben solche für den Konjunktiv I in Gebiet A. Auch in Gebiet B könnten solche Kontexte, sobald sie ermittelt sind, zur Erklärung des hohen Grades der Formenmischung beitragen. Jede Quelle muss nun, als Abschluss der Untersuchung zur Verwendung von Konjunktiv I und II, einzeln unter der Fragestellung betrachtet werden, ob wie auch immer geartete Normen befolgt wurden. Die praktikabelste Vorgehensweise hierbei ist nun, in den Quellen nach den Formen zu suchen, die jeweils in der Minderheit sind, bzw. nach Prinzipien zu suchen, welche die Abwechslung der beiden Konjunktive bedingen könnten. Bei der Durchmusterung aller in dieser Weise auffälligen Formen lassen sich neun Grundprinzipien feststellen. Die folgende Liste stellt diese Typen und die für sie in der nachfolgenden Tabelle verwendeten Abkürzungen vor. 1. VAR: Konjunktiv I und II sind freie (stilistische) Varianten (53 Quellen). 2. OÄ: Konjunktiv I und II werden wie in der Originaläußerung verwendet (17 Quellen). 3. KS:
Die Formen treten in Konditionalsätzen auf (23 Quellen).
4. RW°: Der vom Normalmodus abweichende Konjunktiv dient zur Hervorhebung eingebetteter Redewiedergabe (19 Quellen). 5. E:
Es werden vermutlich Ersatzformen verwendet (10 Quellen).
6. D:
Es liegt wahrscheinlich Distanzierung vor (4 Quellen).
7. W:
Der Konjunktiv I wird zum Bezug auf allgemeine Wahrheiten oder habituelle Handlungen verwendet (12 Quellen).
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
371
8. T:
Möglicherweise liegt der Konjunktivverwendung ein temporalsemantisches Gestaltungsprinzip zugrunde (20 Quellen).
9. S:
Punktuell zu beobachtende Sonderregelungen werden angewendet (19 Quellen).
Wie aus der Quellenanzahl für jedes Prinzip erkennbar ist, kann in manchen Quellen mehr als ein Prinzip beobachtet werden. Die folgende kleine Tabelle dient als erster Überblick, wie viele Prinzipien in den Quellen jeweils zu beobachten sind, um die auffälligen Formen zu erklären. Die vier Quellen, die zu 100 % entweder Konjunktiv I oder Konjunktiv II zeigen,178 sind für den Unterschied zur ebenfalls aufgeführten Gesamtzahl (ΣΣ) der Quellen verantwortlich. In den Tabellen A.20–A.23 (S. 476–479) in Anhang A.7 sind für jede Quelle die in ihr zu beobachtenden Prinzipien aufgeführt. Anzahl der Prinzipien
A B C Σ
1 17 16 14 47
2 10 18 8 36
3 3 5 5 13
4 2 1 1 4
Quellen
Σ 32 41 28 101
5 1 1
ΣΣ 33 41 31 105
Diese Übersicht zeigt zunächst, dass aus Gebiet B, welches insgesamt den höchsten Anteil an Quellen der Mischtypen aufweist, die meisten Quellen stammen, in denen mehr als ein Prinzip verwirklicht wird. Der Anteil Quellen, in denen nur ein Prinzip realisiert ist, ist dagegen in den drei Gebieten in etwa gleich. Anders verteilen sich jedoch die einzelnen Prinzipien selbst auf die Gebiete:
A B C Σ
1 VAR 16 28 10 53
2 OÄ 4 5 8 17
3 KS 3 4 16 23
4 RW° 3 11 5 19
5 E 1 6 4 10
6 D 0 1 3 4
7 W 10 2 0 12
8 T 9 11 0 20
9 S 8 8 3 19
Σ 54 76 49 179
178 100 % Konjunktiv II: Jeßnitz 1635 (Gebiet A); 100 % Konjunktiv I: Garmisch 1590, Gutenstein 1641, Wartenburg 1614 (alle Gebiet C).
372
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Das Prinzip der (stilistischen) Variation ist in Gebiet B auffällig häufiger als in den anderen beiden Regionen, was nicht weiter verwundert, da dort die meisten Quellen der Mischtypen vorkommen. Doch stellt sich hiermit nun heraus, dass für den Wechsel von Konjunktiv I und II keine Gründe genannt werden können, die aus dem Kontext der betreffenden Verbformen abgeleitet werden können. Die einzig denkbaren Gründe sind Stilprinzipien, die in einer Schreibtradition stehen können oder aber durch Mischung zweier Traditionen entstanden sind, wie es in Abschnitt 5.2 verschiedentlich angeklungen ist. Die Prinzipien werden im Folgenden einzeln unter Beachtung der Konjunktivverwendungsgebiete vorgestellt. Dabei sind zudem die Verwendungstypen zusätzlich zu beachten. Die Analyse soll zeigen, welche Prinzipien die wenigen Formen des anderen Konjunktivs, die jeweils in den Extremtypen auftreten, erklären können, sowie ein Licht auf die Faktoren werfen, die zu einer mehr oder weniger großen Mischung der beiden Konjunktivarten führen.
5.6.a) Konjunktiv I und II als freie Varianten Das Prinzip der freien Variation ist in zehn Quellen des Gebietes A, zwölf des Gebietes B und fünf aus Gebiet C das allein für die abweichenden Formen verantwortlich zu machende Prinzip, und zwar sowohl in Extrem- als auch in Mischtypen. Das bedeutet, dass manchmal einzelne Formen, die vom Normalmodus abweichen, durch das Prinzip der freien Variation erklärt werden können. Manchmal ist es jedoch in dem Maße angewendet, dass es zu einer fast vollständigen Mischung der Konjunktivarten führt. Einzelne Formen des Konjunktivs II erklärt es zum Beispiel in Bregenz 1628, Grünholz 1641, Gutenhag 1661, Memmingen 1665, Mittersill 1575, St. Lambrecht 1602. Vereinzelte Belege für den Konjunktiv I scheinen in Brandenburg 1633, Coburg 1670, Friedberg 1620, Güstrow 1615, Helmstedt 1578, Hildesheim 1628, Jägerndorf 1653, Lemgo 1630, Osnabrück 1636 und Rosenburg 1618 auf dieses Prinzip zurückzuführen zu sein. Alle diese Quellen sind Extremtypen oder Mischtypen mit hohem Anteil des einen oder anderen Konjunktivs. In Gebiet B erzeugt das Prinzip dagegen in elf Fällen Mischtypen, die zu einer kompletten
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
373
Mischung der Formen tendieren (50 %–60 %). In Gebiet A findet es sich in fünf Mischtypen, Georgenthal 1579, Jever 1592, Seehausen 1633 und Stettin 1620, in denen das Prinzip unter anderem für die Mischung verantwortlich zu machen ist. In Gebiet C ist bemerkenswert, dass von den dort vorkommenden insgesamt nur fünf Mischtypen drei das Prinzip der freien Variation als einziges erkennen lassen. Ein semantischer Unterschied zwischen den beiden Arten des Konjunktivs ist in keiner dieser Quellen festzustellen. So kommt beispielsweise in Jever der Konjunktiv II nicht oft zum Einsatz, doch wo er steht, tritt er in unmittelbarer Nachbarschaft zum Konjunktiv I auf (Bsp. 5.64). Oft sind es sogar dieselben Verben, die innerhalb einer Quelle unterschiedslos gebraucht werden, wie in Beispiel (5.65) (a) und (b), in denen die Angeklagte über ihre derzeitige Verfassung bzw. eine gewohnheitsmäßige Handlung berichtet. Von diesen Verben könnte erwartet werden, dass sie in derselben Konjunktivart gehalten sind, da weder die Consecutio temporum, noch Ersatz, Distanzierung o. ä. im Spiel ist: (5.64) Etta Lukenn zu Garmeßenhusen, derselbenn habe sie eß zusamen, vor 3. oder 4. Jairn bei daß hoff geleret, vnd hett[en] ir einen Bolen gebenn, der heiße Cortt (Jever 1592, fol. 44v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 62) (5.65)
(a) müste da elend sizen, und hette nichts zu zehrens, es ginge ihr vbell. (Barby 1641, fol. 15r, vgl. Anhang B.4, S. 527) (b) Seider sey sie nicht hin gewesen, gehe das Jahres nur ein mahl hin. (Barby 1641, fol. 17r, vgl. Anhang B.4, 531)
Im folgenden Beispiel (5.66)(a) aus Gebiet C könnte man vermuten, dass der Konjunktiv II eine temporale Komponente in sich trägt und gewählt wurde, um zeitliche Distanz anzuzeigen. Allerdings steht in Beispiel (5.66)(b) in einem ganz ähnlichen Zusammenhang, wo sogar eine noch größere zeitliche Distanz verdeutlicht wird, der Konjunktiv I: (5.66)
(a) Vnd were dieses Puncten halb[er] mit dem platner gewesenen wächtern Zue Paindten, Vor heeren Pfle-
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gern alhier zue hembaw fürgestanden, welcher blattner |sich+ [INT] Sie entschuldigt (Hemau 1616, fol. 6v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 438) (b) Ja, sey vf Ostern, vor 9. Jahren Vnnd bey Zeiten Ires Jezigen Manns geschehen (Hemau 1616, fol. 4v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 436) In einigen Quellen kommen allerdings nur bestimmte Verbarten in freier Variation vor. In Anbetracht der Ergebnisse aus Abschnitt 5.4.a) sollte man erwarten, dass insbesondere die starken Verben und die Formen von haben und sein tendenziell in manchen Quellen eher im Konjunktiv I vorkommen könnten, da sich insgesamt eine leichte Bevorzugung dieser Formen ergeben hat.179 In manchen Quellen ist genau das der Fall: In Wolframs-Eschenbach 1630 und Dillenburg 1631 stehen die starken Verben, in Dillenburg 1631 auch die schwachen Verben eher im Konjunktiv I. Wolframs-Eschenbach 1630 gehört dem Mischtypus MIb an, Dillenburg 1631 ist eine der vier Quellen, in denen Konjunktiv I und II gleichmäßig verteilt sind (Typ M). In einigen Quellen der Mischtypen MIIa und MIIb wie Wittgenstein 1629 und Bremen 1603 erscheinen die Formen von haben und sein als seltene Variante im Konjunktiv I, doch ist ihr Einsatz dort nicht anders motiviert als durch die Verbart. In Dillenburg 1631 stehen die Formen von haben und sein allerdings eher im Konjunktiv II; dort ist bezüglich dieser Verben also keine Mischung zu beobachten. Das ausgeglichene Verhältnis zwischen den beiden Konjunktivarten ergibt sich dort also dadurch, dass die starken und schwachen Verben eher im Konjunktiv I stehen, die Modalverben in beiden Arten vorkommen und die Hilfsverben eher im Konjunktiv II stehen. In einigen Quellen aus Gebiet C (z. B. Rosenfeld 1603 und Laaber 1608) bilden die Formen hätte und wäre die einzige, wiederum nicht durch Consecutio temporum, Semantik o. ä. motivierte Ausnahme vom Normalmodus der jeweiligen Quelle. Das widerspricht der allgemein vermuteten Tendenz, die Hilfsverben stünden eher im Konjunktiv I, da man annehmen sollte, dass in einer Quelle, die ohnehin fast ausschließlich den Konjunktiv I aufweist, dieser gerade bei den Hilfsverben angewendet wird. In drei Quellen – Celle 1570, Passow 1577 und Wernigerode 1597 – stehen ausnahmslos 179 Vgl. Tabelle 5.18, S. 329 dieser Arbeit.
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alle Modalverben im Konjunktiv II. Für Celle ist noch eine Besonderheit anzumerken. Zwar variieren insgesamt gesehen dort habe, sei, hätte und wäre, der Konjunktiv II findet sich aber nur auf vier aufeinander folgenden Seiten180 von acht Seiten Protokoll, ohne dass ein Grund – ein Schreiberwechsel wäre hier beispielsweise denkbar – dafür zu erkennen wäre. Der Wechsel von Konjunktiv I und II lässt sich in diesen Texten anders als durch (wie auch immer entstandene) stilistische Variation nicht erklären.
5.6.b) Übernahme des Konjunktivs aus der Originaläußerung Da ausnahmslos alle Konjunktivformen, die in der Redewiedergabe auftreten, betrachtet und nicht diejenigen aussortiert wurden, die auch außerhalb der Redewiedergabe auftreten würden, ist es nicht verwunderlich, dass diese Formen mitunter diejenigen sind, die vom Normalmodus der Quellen abweichen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass der regionale Modusgebrauch in manchen Fällen nur für die Redewiedergabe, nicht aber für andere Kontexte des Konjunktivs gilt. Somit fallen Konjunktivformen in Kontexten, die den Konjunktiv I erfordern, in Gebiet A und einigen Quellen des Gebietes B auf. In Gebiet C und in anderen Quellen des Gebietes B fällt dagegen ein kontextspezifischer Konjunktiv II auf. Alle diese auffälligen Konjunktivformen treten im Zusammenhang von Wunschäußerungen auf.181 In Gebiet A treten Formen des Konjunktivs I, die vom Normalmodus der Quelle abweichen, in vier Quellen zum Ausdruck von Wünschen auf. Drei von diesen gehören dem Frequenztyp EII an. In der vierten Quelle, Barby 1641 (Typ M), ist zwar in erster Linie das Prinzip der freien Variation zu beobachten, der Wunsch-Konjunktiv tritt allerdings in einem Abschnitt auf, in dem der Schreiber sonst nur den Konjunktiv II und afinite Konstruktionen verwendet, und von daher fällt die Form auf: Im folgenden Beispiel (5.67) ist 180 Fol. 89r–91r. Dieser Abschnitt entspricht vier Seiten, da fol. 90r leer ist (vgl. Kanzleisprache 2005, S. 21–23). 181 Die Konditionalsätze, in denen ebenfalls aus der Originaläußerung übernommene Formen vorkommen können, werden, wie oben angedeutet, als spezifischer Kontext betrachtet und gesondert in Abschnitt 5.6.c ) behandelt.
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das formelhafte Gott behuete nicht in indirekte Rede umgewandelt worden, es verbleibt in der Form, in der es auch in der Originaläußerung aufgetreten sein kann.182 (5.67) Gott behuete Sie vor solche Kräen, die zu ihr durchs Ambtschr[eibers] küchen gekommen, wehre keine rechte kräen gewesen (Barby 1641, fol. 15r) Der Schreiber hätte hier ebenfalls den Konjunktiv II verwenden können, indem er den Wunsch Gott behüte mit einem Modalverb umschreibt, etwa in der folgenden Art: Bittet, Gott möchte Sie behüten vor solchen Krähen. In dieser Weise umschreiben andere Schreiber ähnliche Wünsche und haben so die Möglichkeit, nahezu durchgängig im Konjunktiv II zu protokollieren: (5.68) Wolte Ihr ietzo auch noch einen Schandtflecken anhengen, des[sen] sich dann Gott erbarmen möchte. (Hildesheim 1628, S. 11, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 55) (5.69) do müßte es sein Teuffel geweßen dafür ihnn gott behütten wolte (Hildburghausen 1628, S. 110) In Anbetracht dieser beiden Beispiele erscheint die Verwendung des Konjunktivs I allerdings als die ökonomischere Variante. Der voluntativ gebrauchte Konjunktiv I erscheint jedoch nicht nur in formelhaften Wendungen. In der Quelle Perleberg 1588, wo der Konjunktiv I lediglich 15 % ausmacht, findet er sich in einem Bötespruch183 , der wohl annähernd im genauen Wortlaut dokumentiert ist. (5.70) höret her gi vndererdisch[en] höret her gi auerersch[en], [. . .] die sollen184 an den menschen, oder viehe sein blutt nicht beginnen, oder sein fleisch nicht zu brechen, vorbeutt euch der herr Jesus, gott vater, son vnd die werde heilige geiste. (Perleberg 1588, fol. 114r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 170) 182 In der Gegenwartssprache gelten diese formelhaften Wendungen als nicht in die indirekte Rede übertragbar, vgl. Abschnitt 2.2.b), S. 24 dieser Arbeit. 183 Ein Bötespruch ist ein Segensspruch, der heilende Wirkung haben soll. 184 Diese modusambivalente Pluralform ist wahrscheinlich ein Indikativ.
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Die Verwendung des Konjunktivs I in voluntativer Bedeutung ist auch in Quellen des Gebietes B zu beobachten, allerdings ist sie dort eher selten. Das muss jedoch kein Spezifikum der nwd., wmd. und nobd. Quellen sein, sondern kann auf einen Zufall zurückgeführt werden. Nicht in jeder Quelle werden beispielsweise Böte- oder Zaubersprüche wiedergegeben, in denen häufiger solche Formen des Konjunktivs I erscheinen. Auch sind Formeln wie Gott behüte dort nur sehr selten zu finden, und zudem werden sie zum Teil durch Modalverben umschrieben – eines der wenigen Beispiele ist oben als (5.69) zitiert. Es wäre möglich, dass die Schreiber der betreffenden Quellen derartige Wünsche nicht in das Protokoll mit aufgenommen haben, wenn sie im Verhör auch geäußert worden sind. Das lässt sich jedoch verständlicherweise nicht mehr überprüfen. Auch in Gebiet C wird der Konjunktiv I in Wünschen verwendet, nur ist er hier oft keine auffällige Form. In Brixen berichtet der Angeklagte Christoph Gostner beispielsweise von einem Spruch, der die Verfolgung von Dieben ermöglichen soll: (5.71) O Herr Jesu Christ, [. . .] schickh du dem dieb [. . .] der besisten teufel drei, der erst zwing dich, der ander dring dich, der drit gehe dir in deine schuech (Brixen 1597, S. 41) Einige Formen können in Gebiet C dennoch auf die Übernahme aus der Originaläußerung im Kontext eines Wunsches zurückgeführt werden, und zwar abweichende Konjunktiv-II-Formen in irrealen Wünschen: (5.72) sagt [. . .] vor 18 Jahren ungefahrlich, nachdem ihr Mann einsmal aller bezecht anheimbs khommen, vnd ihr vnd ihren Khindern gewinscht, (zu deme sie in dem khindbeth e gelegen) daß Jung vnd alt der Teufl hinfuhren solle, vnd sie ihr gedacht, o wann er nur khem (Eichstätt 1637, S. 93)185 e
Im irrealen Wunschsatz o wann er nur khem wird, dieser Satzart auch nach heutigen Normen angemessen, der Konjunktiv II verwendet. Diese Konjunktiv-II-Form ist eine der wenigen, die in der Quelle 185 Dieses Beispiel wurde bereits als (4.59) in Kapitel 4 (S. 218) im Rahmen der Überlegungen zur „Gedankenwiedergabe“ zitiert.
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Eichstätt 1637 (Typ EI) überhaupt auftreten. Ähnliche Sätze finden sich auch in den Protokollen aus Leonberg 1641 und München 1600, wo der Normalmodus ebenfalls der Konjunktiv I ist. Das folgende Beispiel (5.73) ist insofern ein Sonderfall, als der voluntative Konjunktiv hier in einem Einschub desjenigen, der das Interrogatorium verfasst hat, auftritt. Hier handelt es sich also nicht um einen wie in der Originaläußerung verwendeten Konjunktiv I, sondern der Begriff Teuffel ist mit einem Zusatz versehen, der wie Schutz vor der bloßen Aussprache (bzw. schriftlichen Manifestation) des Namens wirkt. Mit der eingebetteten Redewiedergabe, in die dieser Einschub integriert ist, hat er jedoch nichts zu tun: (5.73) Ob nicht war, das gemelte Grete Iden ebenmeßig bekant, das dorothea dunckers Valentin Ertmans frawen, den Teuffel (Gott behuete vns) in den Leib gewesen (Crivitz 1642, S. 1, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 145) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass voluntativ gebrauchte Konjunktive in einigen wenigen Quellen aus der Originaläußerung übernommen werden und das Auftreten abweichender Formen erklären können, in den meisten Quellen stimmen sie hingegen mit dem jeweiligen Normalmodus überein.
5.6.c ) Konditionalsätze Konditionalsätze sind alternative Kontexte für den Konjunktiv; dasselbe gilt für Finalsätze. Wenn diese Sätze in der indirekten Redewiedergabe auftreten, erfordern sie also in zweifacher Weise den Konjunktiv. Ob diese Konjunktive bereits in der Originaläußerung vorhanden waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. In der (mündlichen) Gegenwartssprache ist in Finalsätzen eher der Indikativ üblich und in Konditionalsätzen der „Konditional“, also der analytische würde-Konjunktiv. Die Angeklagten könnten daher sowohl den Konjunktiv als auch den Indikativ verwendet haben. Aufgrund dieser Unsicherheit werden diese beiden Satzarten nicht mit den voluntativ verwendeten Konjunktiven, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Originaläußerung übernommen sind, gemeinsam behandelt.
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
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Konditionalsätze sind in Quellen beider Arten von Extremtypen ein Kontext für auffällige Formen. In Gebiet A stehen in Uphusen 1565 und Braunau 1617, die beide zum Extremtypus des Konjunktivs II gehören, die meisten abweichenden Konjunktiv-I-Formen in realen Konditionalsätze, die indirekt wiedergegeben sind: (5.74) ßo he se to Echte neme, vormeide se nicht anders, den ohrer Grotemoder Haer (Uphusen 1595, S. 4) Das folgende Beispiel (5.75) aus der Quelle Braunau 1617 ist allerdings ein Grenzfall, da zwei modusambivalente Formen in dem Satz auftreten, die nur durch die unmittelbare Nachbarschaft zum folgenden Konjunktiv II zu diesem Modus gerechnet werden können. Da der Satz jedoch eine – im Volksglauben der Verhörten – allgemeingültige Tatsache beschreibt (es handelt sich um einen realen Konditionalsatz), gehört das Beispiel gleichermaßen zum siebten Verwendungsgebiet des Konjunktivs I, dem Bezug auf allgemeine Wahrheiten. Hier wäre ebenso gut der Indikativ möglich,186 und der wurde höchstwahrscheinlich in der Originaläußerung verwendet. Da der Konditionalsatz indirekt wiedergegeben wird, könnte hier jedoch trotzdem ein Konjunktiv I vorliegen: (5.75) Wann diese Wurzeln verdorren, so habens keine Macht mehr, müssten alle in Teufels Namen gegrüsset und gegraben werden. (Braunau 1617, S. 288) In Gebiet B treten in Mergentheim 1629 und Nördlingen 1593 Formen im Konjunktiv II als abweichend vom sonst zu beobachtenden Konjunktiv I in irrealen Konditionalsätzen auf, und in beiden Quellen sind sie der einzige Kontext, in dem überhaupt der Konjunktiv II im Text verwendet wird. Als eines unter mehreren Prinzipien ist die Tendenz, Konditionalsätze im Konjunktiv II zu halten, in WolframsEschenbach 1630 und Ahaus 1608 zu beobachten. In Mergentheim 1629 finden sich ungewöhnlich viele Konditionalsätze, weil die Angeklagte Anna Mazeth versucht, die Absurdität ihrer Verhaftung und des Prozesses zu verdeutlichen. Tatsächlich sind es allein die 186 Vgl. hierzu genauer Abschnitt 6.2, S. 419 dieser Arbeit.
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Konditionalsätze, deren Verwendung die Quelle zu einem Konjunktiv-Mischtypus machen. Ohne diese würde sie dem Extremtypus I angehören. Anna Mazeth spricht zum Gericht in Konditionalsätzen wie dem folgenden: (5.76) Vnd wan ihr hochF[ürstlich] G[naden] selbsten da sezen würdten sie es doch nit geschegen lassen od[er] vber ihr herzen bring[en] khinden d[as] ein vnschuldigen etwaß geschegen vnd wiederfahren solle (Mergentheim 1629, S. 2) Dass sie in der Originaläußerung ebenfalls den Konjunktiv II verwendet hat (d. h. die würde-Umschreibung), kann nur vermutet werden, es ist jedoch wahrscheinlich.187 In Gebiet C sind die Konditionalsätze in fünf Quellen der einzig mögliche Kontext für den Konjunktiv II, und zwar in Augsburg 1625, Brugg 1620, Günzburg 1613, Rapperswil 1595 und Reichertshofen 1631. Diese fünf sind Quellen des Typs EI. Dabei müssen die Konditionalsätze im Konjunktiv II erscheinen, wenn es sich um irreale Gefüge handelt; im Konjunktiv I würden sie einen anderen Sinn erhalten. Ein Konjunktiv I könnte nur als wiedergegebener Indikativ verstanden werden und das Konditionalgefüge würde real, nicht irreal verstanden. In Augsburg 1625 kommen beide Arten von Konditionalgefügen vor, sowohl wiedergegebene reale im Konjunktiv I (Bsp. 5.77) und ebenfalls wiedergegebene, doch vermutlich hinsichtlich des Modus nicht veränderte irreale im Konjunktiv II (Bsp. 5.78): (5.77) [. . .] vnd ob wol d[as] mägdlin hoch erjnnert word[en], wie sie ein solche grosse sünd büessen wolle, wenn sie nemlich Ihr muetter vnrecht thue, [INT] hat sie nochmaln standhafftig gesagt, thüe Ihr nicht vnrecht (Augsburg 1625, S. 116, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 334)
187 Zum einen gibt es in Konditionalsätzen auch im Mündlichen (zumindest heute) keine Alternative. Zum anderen war Anna Mazeth eine gebildete Frau, was man daran erkennen kann, dass am Ende der Akte ein von ihr verfasster Brief in klarer Handschrift angefügt ist. Von ihr kann man erwarten, dass sie auch in der Alltagskommunikation den Konjunktiv verwendet.
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(5.78) Sagt, die muetter, woltte die sach nicht so weitt hab[en] ko[m]men lassen, wenn sie schuldig were, d[as] mägdlin ab[er] bleibt ob seiner aussag bestendig (Augsburg 1625, S. 115, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 334) In neun weiteren Quellen dieses Extremtypus sind die Konditionalsätze einer von zwei oder mehreren Kontexten, die den Konjunktiv II enthalten können. Damit sind die irrealen Konditionalsätze in diesem Gebiet der ausschlaggebendste Faktor für den Einsatz des Konjunktivs II. In Gebiet A sind ebenfalls irreale Konditionalsätze mit Konjunktiv II zu finden, doch dort fallen sie nicht auf zwischen den anderen Formen im dortigen Normalmodus der Redewiedergabe. Ein Konflikt der irrealen Bedeutung der Konjunktivformen in diesen Konditionalsätzen und dem Normalmodus der Redewiedergabe wird dort offenbar nicht empfunden, da beides selbstverständlich nebeneinander gebraucht wird. Auffällig sind dort die realen Konditionalsatzgefüge, die ihrer Semantik entsprechend im Konjunktiv I erscheinen, der in indirekter Rede den Indikativ repräsentiert, so z. B. in Uphusen 1595 (Bsp. 5.74) oder Braunau 1617 (Bsp. 5.75). Bei den Finalsätzen wird generell nicht zwischen realer und irrealer Bedeutung unterschieden. Es ist also durchaus möglich, dass der Konjunktiv in diesen Sätzen im Einklang mit dem Normalmodus der jeweiligen Quelle gewählt wird, und das scheint in der Tat durchgängig der Fall zu sein. In Güstrow 1615, wo der Konjunktiv II zu 88 % überwiegt, stehen Finalsätze beispielsweise im Konjunktiv II, wogegen sie in Eichstätt 1637, wo zu 89 % der Konjunktiv I überwiegt, im Konjunktiv I stehen. Das gilt im Übrigen auch für die Quellen aus Gebiet B. In der Quelle Coesfeld 1632 beispielsweise, die 66 % Konjunktiv I aufzuweisen hat, stehen auch die Finalsätze im Konjunktiv I (5.81): (5.79) Zudem hab ihr ihr Buelteufl [. . .] beinebens befolchen, auf Mittl zu denken, Damit sie sich umbs leben bringe (Eichstätt 1637, S. 99) (5.80) [. . .] vnnd den Knechtt auch vermahnet sich in acht zuhaben, damit sie Ihme auch keiner schour beibrengen muchte (Güstrow 1615, fol. 16r–16v)
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(5.81) er sei nicht trunken gewehsen, er wahre sich nüchtern, damit er wisse, was er sagen solte (Coesfeld 1632, S. 23) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Konjunktivformen in den Finalsätzen im Einklang mit der Konjunktivform gewählt werden, die überwiegend in den Quellen vorhanden sind und damit nicht zur Erklärung auffälliger Formen beitragen können. Die Konditionalsätze können aufgrund ihrer Semantik nicht an den Normalkonjunktiv angepasst werden und vermögen eine Reihe von auffälligen Formen zu erklären.
5.6.d) Eingebettete Redewiedergabe Es wurde bereits mehrfach angedeutet, dass manche Schreiber es für notwendig halten, die eingebettete Redewiedergabe durch die Wahl spezieller Formen hervorzuheben. Insbesondere gilt das der quantitativen Analyse zufolge in Gebiet B, bedingt jedoch auch in Gebiet A.188 Jedoch wird nicht nur der Konjunktiv II zur Hervorhebung verwendet, sondern manche Schreiber, die ihre Texte im Konjunktiv II halten, verwenden hierzu ebenfalls den Konjunktiv I. Das ist bislang aus der quantitativen Analyse nicht hervorgegangen. Zudem sei daran erinnert, dass die Haupterscheinungsform der direkten Rede die eingebettete Redewiedergabe ist,189 was selbstredend als andere Art der Hervorhebung eingebetteter Wiedergaben mit syntaktischen Mitteln zu betrachten ist. Dieses Mittels bedienen sich in erster Linie die Schreiber in Gebiet A und im Oobd., doch darauf wird genauer an anderer Stelle einzugehen sein.190 Von den Quellen aus Gebiet A, in denen in eingebetteter Redewiedergabe der Konjunktiv II verwendet wird, heben sich diese Konjunktivformen insbesondere in den Quellen ab, die zu den Typen EI, MIa und MIb gehören. Konkret ist das in Flensburg 1608 und Stettin 1620 der Fall: 188 Vgl. z. B. Abschnitt 5.3.c ), S. 306 sowie die Tabellen 5.8 (S. 288) und 5.11 (S. 304). 189 Vgl. oben Abschnitt 4.5.a), S. 211. 190 Vgl. weiter unten den Abschnitt 6.1.
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(5.82) Darup se ehr geantwortet se scholde Schwertschlim vnd Söuenbom Nemen vnd dattsuluige gebruken, Welches so ok gedan vnd hirmit der Frucht onigh geword[en]191 (Flensburg 1608, S. 250, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 27) Diese beiden Quellen können jedoch nicht allein dafür verantwortlich sein, dass insgesamt in Gebiet A mehr Konjunktiv II in eingebetteter Redewiedergabe zu beobachten ist als in einfacher. Daher muss auch in den Quellen, die generell überwiegend den Konjunktiv II beobachten lassen, in der eingebetteten Redewiedergabe nahezu ausschließlich dieser Konjunktiv verwendet werden und sich weniger, wie in der einfachen Redewiedergabe, mit dem Konjunktiv I abwechseln. Zu beobachten ist dieses beispielsweise bei den Quellen, in denen sich Konjunktiv I und II nach dem Prinzip der freien Variation abwechseln, aber doch einer der beiden Konjunktive überwiegt. Beispielsweise in Bremen, Güstrow, Loccum und Perleberg ist nie ein Konjunktiv I in eingebetteter Redewiedergabe zu finden, in einfacher Redewiedergabe hingegen als Ausnahme. Das bedeutet zwar nicht, dass abweichende Formen erklärt werden könnten, da der Konjunktiv II in diesen Quellen der Normalmodus ist. Es bedeutet jedoch stattdessen, dass die eingebettete Redewiedergabe offenbar ein Kontext ist, in dem in den meisten Quellen des Gebietes A tendenziell kein Konjunktiv I auftritt, was zu dem hohen Anteil an Konjunktiv II in eingebetteter Redewiedergabe führt. Auch in einigen Mischtypen dieses Gebietes wird ausschließlich der Konjunktiv II zur Einbettung von Wiedergabe verwendet. In Leipzig 1640 zum Beispiel, wo die beiden Konjunktive zu einem hohen Grad gemischt sind (Typ MIIb), ist das überwiegend der Fall. In Gebiet B sind es sechs der Quellen, in denen der Konjunktiv I überwiegt, wo die eingebettete Redewiedergabe in auffälliger Weise durch den Konjunktiv II hervorgehoben wird (Ahaus 1608, Celle 1570192 , Essen 1589, Gaugrehweiler 1610, Müddersheim 1630, Müns191 Es handelt sich hier um eingebettete Redewiedergabe, weil die gesamten Aussagen der Angeklagten Anna Kockes von einem einleitenden Satz abhängen, der zu Beginn des Textes steht: Vnd bekent wo folget. 192 Für diese Quelle wurde oben festgestellt, dass die Konjunktiv-II-Formen der Hilfsverben nur auf den vier letzten Seiten der Quelle vorkommen. Andere Konjunktiv-II-Formen, insbesondere von Modalverben, erscheinen jedoch bereits vorher in eingebetteter Redewiedergabe. Man könnte daher vermu-
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ter 1635). Der Wechsel ist dabei ganz offensichtlich zu erkennen, wie im folgenden Beispiel aus Ahaus. (5.83) ad 2 Sej dabej ein SterckenKalb geweßen, so sie Ime Tuschauße geraten, das eß von guter artt were, Er solte es aufferziehen, vnd habs Ime fur gutt zugesacht (Ahaus 1608, fol. 98v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 5) In diesem Beispiel folgt auf die eingebettete Redeeinleitung so sie Ime Tuschauße geraten eine Wiedergabe, in der zwei finite Verben im Konjunktiv II auftreten, were und solte. Die Verbformen, die vor und nach der eingebetteten Rede stehen, sind Teil der einfachen Redewiedergabe, die hier die Form berichteter Rede hat. Sie stehen wie die meisten übrigen Verbformen in diesem Protokoll im Konjunktiv I. In drei Quellen, in denen insgesamt der Konjunktiv II überwiegt, wird die eingebettete Redewiedergabe dagegen vermehrt in den Konjunktiv I gesetzt (Göttingen 1649, Herborn 1630, Lemgo 1630). Dort ist der genau umgekehrte Fall zu beobachten: Die Passagen berichteter Rede sind im Konjunktiv II gehalten, eingebettete Reden dagegen im Konjunktiv I: (5.84) Zu ihr gesprochen sie solle seine sein, sie ihme geantwortet Ja, sie wolle seine sein, darauff ihr gegeben 4 groschen, vnd mit ihr buhlirt were gantz kalt gewesen, aber nicht woll ihr bekommen were Teuffels Werck, die Lehrmeisterinne die Niebursche hette dabei gestanden (Lemgo 1630, fol. 49r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 71) In Herborn erscheinen auch einige Formen in eingebetteter Wiedergabe im Konjunktiv II, die meisten stehen jedoch im Konjunktiv I. Dort trennt der Schreiber folglich die beiden Arten von Redewiedergabe nicht ganz so konsequent wie andernorts. Daneben gibt es in Gebiet B noch zwei Quellen (Schweinfurt 1616 und Wernigerode 1597), in denen insgesamt der Konjunktiv II leicht überwiegt, aber dennoch in der eingebetteten Redewiedergabe verwendet wird. Hier ten, dass der Schreiber im gewissen Sinne analog zu dieser Verwendung dann später auch in einfacher Redewiedergabe den Konjunktiv II der Hilfsverben verwendet hat. Dadurch könnte der plötzliche Übergang vom Konjunktiv I zum Konjunktiv II bedingt sein.
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wird die Einbettung also ebenso (wenig) wie in machen Quellen des Gebietes A gekennzeichnet. In Gebiet C ist die Kennzeichnung der Einbettung insgesamt viel seltener, zumal durch den Konjunktiv II, was schon dadurch zu erkennen ist, dass er dort so selten vorkommt. In Rottweil 1629 ist die Kennzeichnung der eingebetteten Redewiedergabe jedoch der einzige Kontext, in dem überhaupt der Konjunktiv II eingesetzt wird. Auch in Rosenfeld 1603 erscheinen zu diesem Zweck einige Formen im Konjunktiv II. In allen anderen wobd. Quellen wird eingebettete Rede wie einfache wiedergegeben: (5.85) Bekennt, dass [. . .] angeregter beser Geist Federlin [. . .] ihr befohlen, weiln solche Verübung mit ihme beschehen, müsse [sie] daraufen Gott den Allmächtigen, alle Heiligen und die Mueter Gottes verleugnen. (Bräunlingen 1632, S. 13) Damit ist diese Art der Hervorhebung eingebetteter Redewiedergabe in Gebiet B eindeutig am stärksten belegt und trägt vor allem dort neben anderen Faktoren zur Tendenz bei, die Konjunktivarten zu mischen. Es fragt sich, ob dem Konjunktiv II, wenn er zur Hervorhebung der Einbettung dient, auch eine temporale Komponente zugeschrieben werden kann. Der Originalsprechzeitpunkt der eingebetteten Wiedergaben liegt immerhin stets weit vor dem Wiedergabezeitpunkt, welcher das Verfassen des Protokolls ist. Eine solche temporalsemantische Komponente wäre allerdings allenfalls in Analogie zu den Indikativformen anzusetzen. Dieser Interpretation steht außerdem die Tatsache entgegen, dass in manchen Quellen der Konjunktiv I zur Hervorhebung dient, der eindeutig keine, wenn auch nur analoge, vorzeitige Bedeutung in sich trägt.
5.6.e ) Ersatzformen bei Modusambivalenz In Abschnitt 5.4.c ) wurde bereits die Möglichkeit diskutiert, dass manche Schreiber Formen verwenden, die vom Normalmodus abweichen, um modusambivalente Konjunktivformen zu vermeiden. Die Pluralformen des Verbs haben scheinen einige Schreiber wirklich bewusst vermieden zu haben, wie es für das Gebiet B exemplarisch gezeigt werden konnte. Nun ist es aber überdies möglich, dass in
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einzelnen Quellen auch in den anderen beiden Gebieten Ersatzformen dieser Art auftreten, d. h. insbesondere in Gebiet C und in Gebiet A in denjenigen Quellen, wo der Konjunktiv I Normalmodus ist. In Gebiet A kommen also wiederum die Quellen in Frage, die bereits mehrfach auf Besonderheiten hin untersucht worden sind: Flensburg 1608, Grünholz 1641, Jever 1592, Passow 1577 und Stettin 1620.193 In den Quellen Flensburg 1608, Grünholz 1641 und Passow 1577 sind alle Pluralformen von haben ambivalent. In Jever 1592 steht ein ambivalentes haben zwei Belegen für hetten gegenüber, was in Anbetracht des hohen Mischungsgrades beider Konjunktive, insbesondere bei den Hilfsverben, ein Zufall sein kann. In Stettin ist der Plural von haben weder im Konjunktiv I noch im Konjunktiv II belegt. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass eher kein Ersatzmechanismus existiert, und zwar insbesondere deswegen, als den Schreibern der Konjunktiv II zur Verfügung gestanden hätte. Es ist allerdings auffällig, dass allein in diesen fünf Quellen zuzüglich Hamburg 1583 ambivalente Pluralformen von haben zu finden sind. In allen übrigen Quellen des Gebietes A, die nicht durchgängig dem Frequenztypus EII angehören und teilweise gerade im Bereich der Hilfsverben Variation erkennen lassen, kommen keine Pluralformen von haben im Konjunktiv I vor. Diese Tatsache lässt sich vorsichtig in Richtung eines Ersatzmechanismus deuten in dem Sinne: Von haben können zwar beide Konjunktivformen verwendet werden, jedoch nicht im Plural. Hetten ist nämlich in diesem Gebiet 80-mal belegt, was bei der generellen Seltenheit von Pluralformen eine bemerkenswerte Anzahl ist. In Gebiet C ist es möglich, dass die Schreiber manchmal eine Ersatzstrategie bewegt hat, den Konjunktiv II zu verwenden, sicher ist es jedoch nicht. So verwendet der Schreiber des Protokolls München 1600 viermal hetten, aber auch das modusambivalente haben. Allerdings sind die vier Belege für den Konjunktiv II fast die Hälfte der insgesamt neun; die übrigen sind Modalverben, die vornehmlich im speziellen Kontext des irrealen Wunschsatzes erscheinen. Da der Konjunktiv II von haben nicht anders motiviert zu sein scheint, 193 Hamburg 1583 wird hier ausgeklammert, weil diese Quelle für eine Einzelanalyse zu wenige Formen enthält.
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könnte es sich um Ersatzformen handeln. In diesem Fall hätte der Schreiber den Ersatz nicht konsequent durchgeführt. Dasselbe gilt für die Quelle Baden-Baden 1627. In ihr erscheinen lediglich drei Formen im Konjunktiv II, und zwar dreimal die Form hetten. Das lässt sich trotz der Tatsache, dass auch einmal haben verwendet wird, ebenfalls hinsichtlich einer Ersatzform deuten. In Riedlingen 1593, das äußerst arm an Konjunktiv I ist, erscheint sogar einmal hetten und keinmal haben. Die Quelle Feldbach 1674 enthält fünfmal hetten und nur einmal haben, was ebenfalls den Anschein einer Systematik erweckt, von der in nur einem Fall abgewichen worden ist. In Mittersill 1575 treten ebenfalls ein haben und ein hetten auf, sodass letztere Form wohl eine Ersatzform sein könnte, aber nicht sein muss. Das gleiche gilt für Meßkirch 1644, wo neben zwei haben auch ein nicht anders zu erklärendes heten zu finden ist. In Hemau schließen sich haben und hetten ebenfalls aus, doch erscheinen dort auch einige Singularformen im Konjunktiv II. Insgesamt gesehen sind die Ergebnisse für das Gebiet B zwar schlüssiger. Aufgrund des hohen Prozentsatzes an Konjunktiv I in Gebiet C sind die Belege für hetten, die nicht semantisch motiviert sind, jedoch hochgradig auffallend. Von daher lassen sie sich als punktuell zu beobachtende Ersatzformen deuten.
5.6.f ) Der Konjunktiv als Distanzsignal Der Konjunktiv ist in erster Linie als Zeichen syntaktischer Abhängigkeit zu sehen. Ihm darüber hinausgehend semantische Komponenten zuzuweisen, ist daher problematisch. Insbesondere mit Blick auf die Distanzierungshypothese194 sind derartige Interpretationsversuche in der Rückschau nur äußerst vorsichtig zu unternehmen. Jahrhunderte nach dem Entstehen der hier untersuchten Texte lassen sich subtile, semantische Abstufungen wie mögliche Distanzierung nur sehr schwer nachträglich feststellen. Zwar hat Guchmann (1981) einige Beispiele für eine solche distanzierende Bedeutung des Konjunktivs II ermitteln können, gleichermaßen sind ihr ähnliche Beispiele jedoch mit Konjunktiv I begegnet, wie z. B. das hier als 194 Vgl. Abschnitt 2.3.b), S. 60 dieser Arbeit.
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(3.18) wiedergegebene Beispiel von Thomas Müntzer195 , in dem eine eindeutige Distanzbedeutung mit einem Konjunktiv I einher geht. Letztendlich kann man aus heutiger Perspektive spekulieren, welchen Zweck ein Schreiber mit dem Einsatz des Konjunktivs als abweichende Form verfolgt hat, ohne jedoch jemals Sicherheit erlangen zu können. Zuweilen kann Distanzierung aber doch als Erklärung für auffällige Formen beider Arten von Konjunktiv dienen, besonders in den Quellen der Frequenztypen EI und EII. Dass auch ohne auffällige Konjunktivformen Distanzierung in einigen Quellen festgestellt werden kann, ist nicht verwunderlich. So lassen sich zum Beispiel in Quellen der Frequenztypen EII, MIIa und MIIb ohne Weiteres Beispiele finden, in der sich die Originalsprecher vom Gesagten zu distanzieren scheinen, doch kann hier keine Unterscheidung zwischen dem Normalmodus der jeweiligen Quelle und ggf. distanzorientiertem Konjunktiv II vorgenommen werden. Nach der Redeeinleitung leugnen kann man beispielsweise Distanzierung erwarten: (5.86) die Bergersche leugknete solches, vnd sagte, das es gelogen were, dorothea dunckers aber, blieb bei ihren worten.196 (Crivitz 1642, S. 11, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 154) (5.87) dan auch leugnete, das sie |iemahls+ [INT] in langer zeit vor Dameraths haus vorbey gangen sein, od[er] demselben übers fenster gekucket haben solte. (Göttingen 1649, S. 45, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 35–36) Beide Beispiele wirken so, als hätte sich der Originalsprecher vom Inhalt der Äußerung distanzieren wollen, doch wird das nicht in erster Linie durch den Modus verdeutlicht, denn dieser entspricht dem Normalmodus Konjunktiv II der beiden Quellen. Der Schreiber hätte hier zur Hervorhebung den Konjunktiv I wählen können, und eben dieses tun Schreiber anderer Protokolle. Dort kann an abweichende Formen des Konjunktivs I die semantische Komponente der Distanzierung herangetragen werden, wie in Guchmanns eben erwähntem Beispiel von Thomas Müntzer. Wie schwer sich die Interpretation historischer Quellen dahingehend gestalten kann, hat 195 S. 115 dieser Arbeit sowie Guchmann 1981, S. 218. 196 In diesem Beispiel kann der Konjunktiv II außer durch den Normalmodus der Quelle auch durch das Redeeinleitungstempus „Präteritum“ bedingt sein.
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
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bereits die Auseinandersetzung mit Guchmann gezeigt.197 Die im Folgenden angesetzten Interpretationen sind also als Vorschläge zu betrachten. Andererseits wurden die Beispielsätze äußerst vorsichtig ausgewählt, sodass diese Vorschläge bei Beachtung aller Faktoren akzeptabel sein sollten. In manchen Passagen kann man vermuten, dass ein Schreiber die Aussage der Angeklagten im Lichte der Unglaubwürdigkeit hat erscheinen lassen wollen. Ein abweichender Konjunktiv I ist beispielsweise in der Quelle Lemgo 1632 belegt. Dort beschreibt der Schreiber aus der Rückschau (das Protokoll könnte also eine Abschrift sein), wie die Angeklagte sich zunächst nicht hat schuldig bekennen wollen, es bald darauf jedoch getan hat. Sie nennt in kurzer Folge vier unterschiedliche Frauen als Lehrmeisterinnen: (5.88) Sie aber lange zeitt geantwortet sie sei Vnschuldig der zauberij, vnd könne nicht zaubern. [. . .] sie dan so palt bekent freiwillig, daß Johannis Mejers frauwe ihr das zaubern gelehret [. . .] mugte vngefehr sein 3. Jhar; [. . .] Endtlich auch wiederuffen vnd bekant, es hette die Haspelmatsche gethaen (Lemgo 1632, fol. 47r–47v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 68) Auf den Konjunktiv I folgt in dieser Passage bis zum Ende von fol. 47v neben einigen afiniten Konstruktionen sechsmal der Konjunktiv II. Auch der Konjunktiv I erscheint zweimal, jedoch ist er einmal Teil einer eingebetteten Redewiedergabe und das andere Mal die Form wolle. Für beides wurde oben198 festgehalten, dass in Lemgo dort eher der Konjunktiv I steht, d. h. bei sollen und wollen und in eingebetteter Redewiedergabe. Von daher könnte es sein, dass der Konjunktiv I in Beispiel (5.88) eine Signalwirkung haben soll. Vom Inhalt her ist es möglich, dass der Schreiber hier Zweifel markieren wollte, da kurz nach der protokollierten Aussage sie sei Vnschuldig ein Schuldbekenntnis folgt. Für den Schreiber ist die Angeklagte also bereits schuldig, als er ihre Aussage die Unschuld betreffend aufschreibt. Allerdings muss eingeräumt werden, dass eine der sechs Formen des Konjunktivs II in einem mit Beispiel (5.88) vergleichbaren Kontext auftritt:
197 Vgl. Kapitel 3, Anmerkung 72 (S. 116) und 73 (S. 117) dieser Arbeit. 198 Vgl. Abschnitt 5.4.c ), S. 352 dieser Arbeit.
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(5.89) aber sie were deßen gantz vnschuldig (Lemgo 1632, fol. 47v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 69) Zwar ist dieser Satz Teil der Passage berichteter Rede, weswegen der Konjunktiv II hier durch diese Wiedergabeart bedingt ist. Da er aber nur wenige Zeilen unter dem Satz geantwortet sie sei Vnschuldig der zauberij erscheint, wirkt der Wechsel von Konjunktiv I und II eher wie freie Variation. Die Möglichkeit, den Konjunktiv I als Distanzierungssignal zu interpretieren, bleibt zwar bestehen, sie ist jedoch eher eine entfernte Möglichkeit. In den Quellen des Gebietes C können jedoch, bei aller gebotenen Vorsicht, zwei Textstellen isoliert werden, in denen man mit größerer Sicherheit davon ausgehen kann, dass Distanzierung des Reportersprechers (in diesen Fällen des Gerichtsschreibers) vorliegt. In Meßkirch 1644 sind die Formen des Konjunktivs II sehr selten, sie machen lediglich 5 % aus. Nur vereinzelt erscheinen Modalverben nach dem Variationsprinzip im Konjunktiv II. An einer weiteren Stelle, wo der Schreiber den Konjunktiv II verwendet, scheidet diese Erklärung jedoch aus, denn hier handelt es sich um eine Singularform hette. Diese kann, weil es sich um einen Singular handelt, also auch keine Ersatzform sein. Die betreffende Textstelle lautet: (5.90) Sye werde befragt, wie vnd mit waß zue standt, Sie vmb d[as] eine Aug kom[m]en, darüber gab sie andtwort hette selbiges durch vilfeltiges wainen also gewüst, daß sie es verlohren (Meßkirch 1644, fol. 153v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 373) Vor und nach diesem Satz verwendet der Schreiber nur den Konjunktiv I, weswegen das hette hier als besonderes Signal gewertet werden kann. Zwar könnte auch die Redeeinleitung im Präteritum für den Konjunktiv im Rahmen der Consecutio temporum verantwortlich sein. Auf die anderen sieben Redeeinleitungen im Präteritum, die Meßkirch 1644 als Besonderheit für eine süddeutsche Quelle enthält, folgt aber entweder ein Präsens oder aber eine afinite Konstruktion, sodass die Consecutio temporum als erklärendes Moment hier nicht unbedingt herangezogen werden kann. Der Inhalt lässt jedoch vermuten, dass der Schreiber die Aussage der Angeklagten anzweifelt.
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Sie wird gefragt, wie sie ihr eines Auge verloren habe, worauf sie antwortet, sie habe es durch starkes Weinen beschädigt und daraufhin verloren. Das Weinen ist nun in einem Hexereiprozess ein schlagkräftiges, entlastendes Moment. Angeklagte, die nicht weinen konnten, belasteten sich selber, da dieser Umstand auf ein Mitwirken des Teufels zurückgeführt wurde.199 Kurz zuvor hat Dorothea Burger, die Angeklagte, berichtet, sie könne nicht mehr weinen, da sie zuvor bereits so viel geweint habe, daß sye anietzo nit mehr könne (fol. 153r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 372). Die nachfolgende Erklärung, wie sie ihr Auge verloren habe, stimmt mit dieser Aussage überein, wirkt aber nicht recht glaubwürdig und damit eher wie eine verzweifelte Notlüge, um sich selbst zu entlasten. Wenn der Schreiber den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage ebenso empfunden hat, so ist es möglich, dass er als Zeichen seines Zweifels den Konjunktiv II entgegen seines ansonsten zu beobachtenden Modusgebrauches verwendet. Andere Beispiele, in denen Distanzierung vorliege könnte, sind in Hechingen 1648 zu finden. In dieser Quelle des Frequenztypus EI sind 186 Formen im Konjunktiv I und nur acht im Konjunktiv II enthalten. Zumindest eine dieser Formen im Konjunktiv II könnte Zweifel des Schreibers zu bedeuten haben. Das einzige hete 200 , das in der Quelle vorkommt, befindet sich zwischen einer Redeeinleitung im Präsens und nachfolgenden Präsensformen. Die Angeklagte berichtet, dass ihr Mann sie geschlagen habe:
199 Die entsprechende Stelle aus dem Hexenhammer lautet: „Fünfzehnte Frage. Über die Fortsetzung der Folter und die Vorsichtsmaßnahmen und Zeichen, an denen der Richter die Hexe erkennen kann. [. . .] Wenn er erforschen will, ob [die Hexe] vom Schweigezauber geschützt wird, achte er darauf, ob sie weinen kann, wenn sie vor ihm steht oder er sie den Foltern aussetzt. Es ist nach alter Überlieferung glaubwürdiger Leute und eigener Erfahrung das sicherste Zeichen, daß, selbst wenn er [der Inquisitor] sie zum Weinen unter Beschwörung antreibt, sie keine Tränen vergießen kann, wenn sie eine Hexe ist. Sie wird freilich weinerliche Laute von sich geben und versuchen, Wangen und Augen mit Speichel zu benetzen, wie wenn sie weinte, bezüglich dessen die Anwesenden genau aufpassen müssen“ (Kramer [Institoris] 2001, S. 678–679). 200 Diese Form könnte zwar auch ein Indikativ sein (vgl. Abschnitt 4.4.a), S. 204), da die Form aber inmitten anderer Konjunktive vorkommt und obendrein einer der zwei vorkommenden Indikative ein Präteritum hatten mit a ist, wird hete hier als Konjunktiv gewertet.
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(5.91) Ferner bekhänndt sie güetlich, Alß Ihr Mann mit Ihro sich entzweyt, hete Er sie Erbärmlich geroffen vnd geschlagen, hab in Stall gehen vnd die Khue melckhen wollen, seye er Ihr nachgelauffen [. . .] (Hechingen 1648, S. 2) Auch wenn nicht notwendigerweise angenommen werden muss, dass der Schreiber nicht glaubt, dass dieser Mann seine Frau schlägt, so ist es doch auffällig, dass gerade hier der Konjunktiv II zum Einsatz kommt. Distanzierung bzw. Zweifel können als Motiv zur Konjunktivwahl hier also nicht ausgeschlossen werden. Bei einem letzten Beispiel ist die Interpretation zwar noch weniger gesichert, da in der betreffenden Quelle Mittersill 1575 auch Formen des Konjunktivs II in Variation vorkommen. Vom Inhalt her könnte man jedoch vermuten, dass es sich – wenn die Form wirklich ein Konjunktiv II ist und kein Indikativ, was rein morphologisch ebenfalls möglich ist – um Distanzierung handelt: (5.92) Ainmal wiss Er, bej seiner sell seligkheit vmb solliche Zueberaithe stuckh, so er seiner Köchin zum Wetter mach[en] geben hett nichts, sondern obvermuet Es sey nur ain Mundt fabl vnd gedicht. (Mittersill 1575, S. 315) Die Form hett ist hier umringt von Formen des Konjunktivs I. Der angeklagte Pfarrer bestreitet, dass er seiner Köchin Utensilien zum Wettermachen gegeben habe. In Anbetracht dieses Inhalts würde man in der Gegenwartssprache eher eine Konstruktion mit Modalverb erwarten, welche betont, dass diese Aussage nicht zutrifft und er sich folglich davon distanziert, etwa die er seiner Köchin gegeben haben soll(e). Das wird noch unterstrichen durch den Nachsatz Es sey nur ein Mundt fabl vnd gedicht. Insofern könnte der Konjunktiv II hier wohl Distanzierung signalisieren. Weil in der Quelle jedoch, wie erwähnt, der Konjunktiv II als freie Variante erscheint, muss dem nicht so sein. Insgesamt betrachtet stellen derartige Interpretationen eher eine Möglichkeit dar, als dass sie gesichert als Grund für die Konjunktivwahl der Schreiber betrachtet werden könnten. Doch auch heute ist die Distanzierung mittels des Konjunktivs II nicht ausreichend
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konventionalisiert, um eine Regel genannt werden zu können, sie kann aber dennoch im Sprachgebrauch beobachtet werden. Von daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass manche Schreiber derartige Strategien verfolgt haben.
5.6.g) Konjunktiv I zum Bezug auf allgemeine Wahrheiten Bereits in der Darstellung von Otto Behaghels Abhandlung zur Zeitenfolge201 ist die Funktion des Konjunktivs I zur Sprache gekommen, zum Bezug auf „allgemeine Wahrheiten“ – d. h. allgemeingültige Tatsachen, zum Wiedergabezeitpunkt ebenso wie zum Originalzeitpunkt zutreffende Tatsachen oder auch gewohnheitsmäßige Handlungen – verwendet zu werden. Tritt ein solcher Konjunktiv I nach einer Redeeinleitung im Präteritum auf, so handelt es sich nicht um eine Ausnahme von der Consecutio temporum, sondern um einen Fall von absoluter Zeitengebung. Durch die Verwendung einer Verbform, die von der Consecutio temporum abweicht, wird dann Gleichzeitigkeit mit dem Wiedergabezeitpunkt zum Ausdruck gebracht (vgl. auch Tabelle 3.1, S. 82 dieser Arbeit). Nun enthält das hier untersuchte Korpus keine ausreichende Anzahl an Redeeinleitungen im Präteritum, um anhand dieses Kriteriums die Fälle, in denen einem Präteritum ein Konjunktiv I folgt, auf absolute Zeitengebung hin zu untersuchen. Allerdings ist die Redeeinleitung im Präteritum auch keine notwendige Voraussetzung dazu, da der Konjunktiv I auch nach präsentischen Redeeinleitungen zum Bezug auf allgemeine Wahrheiten u. ä. verwendet wird. Auch dann liegt absolute Zeitengebung vor, nur fällt sie nicht auf. Formal sind diese Konjunktivformen nämlich nicht von solchen zu unterscheiden, die nach präsentischer Redeeinleitung im Einklang mit der Consecutio temporum gewählt werden, inhaltlich ist eine Unterscheidung hingegen sehr wohl möglich. In den untersuchten Texten fallen solche Formen (unabhängig von der Redeeinleitung) naturgemäß in den Quellen auf, die überwiegend den Konjunktiv II zeigen. Die Zusammenhänge, in denen der Konjunktiv I zum Bezug auf Allgemeines, Aktuelles oder Gewohnheitsmäßiges verwendet wird, lassen sich anhand bestimmter Schlüsselwörter leicht finden. Zum 201 Vgl. Abschnitt 3.2 dieser Arbeit.
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einen handelt es sich um das Verb heißen, denn die Namen, welche die Angeklagten nennen – seien es die eigenen Namen oder die derjenigen Personen, welche sie denunzieren – sind zum Wiedergabezeitpunkt immer noch zutreffende Tatsachen. Des Weiteren sind es die Beschreibungen von Wohnstätten, die häufig im Konjunktiv I erscheinen, zu finden anhand des Verbs wohnen. Gewohnheitsmäßiges wird oft unter Verwendung des Verbs pflegen beschrieben, und schließlich fallen auch Altersangaben unter die Kategorie des zum Wiedergabezeitpunkt noch Gültigen. Diese sind anhand des Adjektivs alt und des Genitivs des Substantivs Alter aufzufinden.202 Wie in den Verblisten in Anhang A.8 (S. 480–483) zu erkennen ist, erscheint das Verb heißen weitaus häufiger im Konjunktiv I als im Konjunktiv II (69 gegenüber 11 Belegen), woran zu erkennen ist, dass es sich um einen speziellen Fall zu handeln scheint. Bei den beiden schwachen Verben überwiegt der Konjunktiv I nicht ganz so deutlich, aber merklich: pflegen steht 15-mal im Konjunktiv I und nur dreimal im Konjunktiv II, bei wohnen ist das Verhältnis zehn zu sechs.203 Bei den Altersangaben finden sich insgesamt 25, die mit einem finiten Verb im Konjunktiv verbunden werden, und zwar 18mal mit Konjunktiv I und siebenmal mit Konjunktiv II. Von den 11 Belegen für hieße kommen neun aus Gebiet A und zwei aus Gebiet B. Die 69 Formen im Konjunktiv I sind jedoch nicht alle in Gebiet C zu finden, sondern zu einem nicht geringen Anteil von 32 Formen in Gebiet A und dort zwar vermehrt in Quellen des Mischtypus, aber auch des Frequenztypus EII, wie zum Beispiel in Mühlhausen 1659: (5.93) Articulum 1: Wie Inquisitin mit Tauff und Zunahmen heiße? Antwort: Sie heiße nach ihrem Letztem Mann Anna Fuhrerin, nach dem ersten Mann Felingin, die Halungsche were ein zugelegter Nhame. (Mühlhausen 1659, S. 97) 202 Häufig werden Altersangaben in den Texten, insbesondere unter Verwendung von Alters, ohne finite Verben protokolliert: er haiss Hännssl auss der Metniz, seines Alters bey 3 oder 74 Jarn (St. Lambrecht 1602, S. 134), Jacob Puckhl Seines Alters bey 40 Jahre, Wonhafft zu Oberhazendorff (Feldbach 1674, S. 74). 203 Das Verb hausen als Alternative zu wohnen ist insgesamt nur viermal, und zwar ausschließlich im Konjunktiv I belegt. Alle Belege entstammen oobd. Quellen es Typs EI (Eichstätt 1637, München 1600, Reichenberg 1653), sodass sie hier nicht zur Klärung herangezogen werden können.
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Dieses Beispiel eröffnet obendrein die Möglichkeit, dass der Schreiber zwischen amtlich relevanten Vor- und Nachnamen und individuellen Beinamen unterscheidet, da er das Prädikat bei Nennung des „zugelegten Namens“ in den Konjunktiv II setzt. Allerdings könnte es sich hier auch um Variation handeln. Auch in Grünberg 1664, einer weiteren Quelle des Extremtypus II, steht das Verb heißen ebenfalls ausschließlich im Konjunktiv II. In den Quellen der Mischtypen kann durch diese Verwendung des Konjunktivs I eine relativ große Anzahl von Formen erklärt werden, die sonst wie Variation wirken könnte. Beispielsweise steht in der Quelle Barby 1641, wo beide Konjunktive zu fast gleichen Teilen auftreten, viermal heißen im Konjunktiv I, aber niemals im Konjunktiv II. Dasselbe gilt für Stettin 1620, wo allerdings generell der Konjunktiv I überwiegt. In anderen Quellen des Typs EII steht das Verb hingegen im Konjunktiv II, weswegen nicht behauptet werden kann, alle Schreiber sähen die Notwendigkeit, Dinge wie Namensangaben im Konjunktiv I zu protokollieren, um Gleichzeitigkeit mit dem Wiedergabezeitpunkt zu signalisieren. In Gebiet B kann diese Erklärung besonders einige abweichende Formen in den nobd. Quellen Hildburghausen 1629 und Coburg 1670 erklären. Insgesamt ist das Verb in Gebiet B jedoch recht selten. Im Nwd. und Wmd. tritt es viermal auf, und zwar in vier der Quellen, in denen der Konjunktiv I ohnehin überwiegt (Alme 1630, Dieburg 1627, Jever 1592 und Wallhausen 1628). Dort fällt die Form also nicht auf. Die übrigen Konjunktiv-I-Formen von heißen stammen aus Quellen des Gebietes C, wo sie ebenfalls keine auffälligen Formen darstellen. Beim schwachen Verb wohnen muss beachtet werden, dass die Formen des Konjunktivs II mit denen des Indikativs Präteritum identisch sind, dass sie also modusambivalent sind. Dennoch verwenden es einige Schreiber, und zwar offenbar nicht in präteritaler Bedeutung, da eindeutig aktuelle Wohnstätten beschrieben werden: (5.94) [. . .] ob Sie die Greuische die Moddemansche woll kente. [INT] Sie Sagt Ja die kente Sie woll wohnete in der Lohestraße were ein lange frawe (Osnabrück 1636, fol. 96r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 111) Hier ist die Form wohnete durch die Nachbarschaft zu anderen Formen des Konjunktivs II eindeutig als Konjunktiv zu erkennen. Hier
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wird also der Konjunktiv II eingesetzt, wo manch anderer Schreiber zur Kennzeichnung des Bezugs auf die Gegenwart (den Wiedergabezeitpunkt) den Konjunktiv I verwenden würde, wie im folgenden Beispiel: (5.95) Ad 1. Sagtt Ja wohne daselbst (Güstrow 1615, S. 1, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 162) In der Quelle Barby 1641 kommt allerdings jeweils einmal wohne und wohnte vor, wobei sich letztere Form mit eindeutigen Formen des Konjunktivs I in einem Satz abwechselt. Bei wohnen machen die Schreiber also offenbar in Gebiet A nur manchmal die Tatsache, dass das Beschriebene zum Wiedergabezeitpunkt noch aktuell ist, durch Verwendung des Konjunktivs I deutlich. Bei den Altersangaben hingegen ist der Konjunktiv I allgemein weitaus üblicher, und zwar in allen drei Gebieten. In Gebiet B steht niemals der Konjunktiv II bei einer Altersangabe, dagegen achtmal der Konjunktiv I. Auch in Gebiet A finden sich acht Belege, und zwar vornehmlich in Quellen, in denen der Konjunktiv II überwiegt: (5.96) 3. Wie alt inquisitin sey? Ihres alters im 51ten Jahre, gebohr[en] a[nn]o 13 zu Lautersdorf im Croßnisch[en] furstenth[um] (Grünberg 1664, S. 120, vgl. Anhang B.3, S. 532) In der Quelle Leipzig 1640 wechseln sich beide Konjunktive bei der Bezeichnung des Alters ab, jedoch wird für das aktuelle Alter der Konjunktiv I, für eines zu einem vergangenen Zeitpunkt der Konjunktiv II verwendet. Hier könnte man demnach sogar davon ausgehen, dass zwei temporale Ebenen durch die eigentlich tempuslosen, den tempushaltigen Indikativformen jedoch äußerlich ähnlichen Formen unterschieden werden sollen: (5.97) Wiße nicht wie alt sie sey, hette sich auch nicht drümb bekümmert, Zwey Männer hette Sie gehabt, were etwa 20 jahr alt gewesen, wie sie das erste mahl geheyrathet (Leipzig 1640, fol. 23r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 302) Freilich wäre der Konjunktiv II hier nicht notwendig; hieße der Satz sei etwa 20 jahr alt gewesen . . . , wäre er ebenso verständlich, da die Vorzeitigkeit durch die zusammengesetzte Verbform sein+Infinitiv
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ausreichend markiert ist. Es könnte sich daher hier ebenfalls um freie Variation handeln. Interessant ist zudem ein Beleg aus der Quelle Braunau 1617, wo die Angeklagte ebenfalls sagt, sie wisse nicht, wie alt sie sei, was eben keiner amtlich verwertbaren Altersangabe gleichkommt und möglicherweise deswegen im Konjunktiv II belassen werden kann. Beim Parallelfall in Beispiel (5.97) aus Leipzig steht allerdings der Konjunktiv I: (5.98) Eva, sonst Backofenfraw genandt, Erasmen Eybners Tochter von Hermansdorf, wüsst nicht, wie alt sie were (Braunau 1617, S. 287) Im Übrigen kann diese Verwendung des Konjunktivs I nicht ausschließlich bei Altersangaben beobachtet werden, sondern auch bei Zeitangaben im Allgemeinen. Ein Beispiel hierfür ist in der Quelle Herborn 1630 zu finden, wo die Angeklagte sagt, wie lange ihr Mann bereits tot sei. Die Angabe, obwohl sie nicht gerade präzise ist, soll offenbar vom Wiedergabezeitpunkt rückwärts gerechnet verstanden werden: (5.99) Sagt seyen ahn die etzliche vndt zwantzig Jhar ohngefehr ein Jhar nach Ihres Mans S[eelig] todt. (Herborn 1630, fol. 4r, vgl. Anhang B.4, S. 541) Das Verb pflegen steht zur Bezeichnung gewohnheitsmäßiger Handlung fast ausschließlich im Konjunktiv I, wodurch beispielsweise in der Quelle Güstrow 1615 drei weitere abweichende KonjunktivI-Formen erklärt werden können. Ansonsten treten diese Formen jedoch in Quellen auf, in denen ohnehin der Konjunktiv I überwiegt.204 Dort könnten die Formen also auch durch den Normalmodus in der Quelle bedingt sein. In Jägerndorf 1653, wo der Konjunktiv II überwiegt, fällt das Verb pflegen im Konjunktiv I wie in Güstrow aus dem Rahmen und könnte auf die übliche Verwendung von pflegen mit dem Konjunktiv I zurückzuführen sein.205 204 Konkret handelt es sich um Münster 1635, Celle 1570, Dieburg 1627, Müddersheim 1630 und Wallhausen 1628. 205 Die betreffende Stelle wurde oben auf S. 347 bereits als Beispiel (5.42) zitiert, und zwar im Zusammenhang mit möglichem Ersatz ambivalenter Formen des Konjunktivs II durch eindeutige des Konjunktivs I. In Anbetracht der Tatsache, dass in dem Beleg ein ambivalenter Plural steht und keine eindeutige Konjunktiv-I-Form, erscheint die Erklärung über die besondere Verwendung von pflegen plausibler.
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(5.100) Pflegen des iahrs dreymal zuesammen kommen: als Philipp Jacobi, Johann Bapt., vndt Wenceslai. Sie hette mitt ihr Gallan Christen gar offt zue thuen gehabt (Jägerndorf 1653, S. 7) Da pflegen überwiegend mit dem Konjunktiv I verwendet wird, ist es interessant, zu ermitteln, ob für die dreifache Verwendung im Konjunktiv II besondere Gründe vorliegen. Zwei der drei Belege, in denen pflegen im Konjunktiv II verwendet wird, stammen aus Quellen des Typs EII, und zwar Crivitz 1642 und Stralsund 1630, der dritte ist in der Quelle Dieburg 1627 zu finden, die überwiegend Konjunktiv I enthält (Typ MIb). In der Quelle Dieburg folgt die Form auf die einzige Redeeinleitung im Plusquamperfekt, die im Korpus enthalten ist, und steht zwischen weiteren schwachen Verben im ambivalenten Konjunktiv II/Indikativ Präteritum. Als erste Form nach der Redeeinleitung steht allerdings ein ambivalenter Konjunktiv I/Indikativ Präsens kommen wo die Angeklagte berichtet, dass sie mehrmals im Jahr zum Hexentanz zusammenkommen.206 (5.101) Woruff sie extra torturam fernerrs außgesagt hatte , daß sie daß Ihars 2 od[er] 3 mahl ohngefehr umb Wallburgis Joannis und Bartholomae gemaingtich uf dem Aychwasen, weniger aber Ufm Riebt zusammen kommen aber nit alle zu erscheinen pflegten (Dieburg 1627, S. 80) Unmittelbar nach dieser Form wirken die schwachen Verben ebenfalls, als bezeichneten sie gewohnheitsmäßige Handlungen und keine vergangenen, sodass eher im Vergleich zu den anderen Quellen ein Konjunktiv I zu erwarten gewesen wäre. Daher könnte entweder ein temporaler Einfluss der Redeeinleitung vorliegen, oder aber der Schreiber wollte die ambivalenten Pluralformen pflegen, anstellen und beratschlagen vermeiden und hat daher den Konjunktiv II verwendet, der sich bei der generellen Fülle von Formen des Konjunktivs I als andersartig absetzt. In dem Beleg aus Crivitz (S. 10, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 153) erscheint die Form in einem irrealen Konditionalsatz; dort wäre also ein Konjunktiv I nicht möglich. 206 Die Passage ist ausführlicher in Anhang A.11 (S. 492 dieser Arbeit) als Beispiel (A.5) zitiert.
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In Stralsund könnte es sich schließlich um einen Indikativ Präteritum handeln, da die Person, von der die Rede ist, bereits verstorben ist. (5.102) Illa wehre |mit S[eligem] Doctor+ dahero bekantt word[en], daß sie ihme etzliche kreuter zubringen pflegte (Stralsund 1630, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 179) Insgesamt kann also festgehalten sein, dass diese Art von Kontexten im gesamten Gebiet vorzugsweise mit Konjunktiv I besetzt sind, auch wenn sich einzelne Ausnahmen beobachten lassen. Bei den Angaben von Alter, Namen und Gewohnheiten ist das jedoch mehr der Fall als bei der Angabe von Wohnstätten.
5.6.h) Temporale Bedeutung und Unterscheidung von Zeitebenen Es ist nicht auszuschließen, dass einige Schreiber Konjunktiv I und Konjunktiv II abwechseln, um zeitliche Ebenen zu unterscheiden, da an den Konjunktivformen morphologisch das Tempus ebenso wie bei den Indikativformen markiert ist, obwohl die Ersteren keine temporale Bedeutung mehr haben (und auch nie in diesem Sinne hatten). Trotzdem sind Fälle von absoluter Zeitengebung mit Konjunktivformen zu beobachten.207 Da auch in anderen Zusammenhängen, genauer gesagt bei der eingebetteten Redewiedergabe, unterschiedliche zeitliche Ebenen unterschieden werden – die Originaläußerungen, die der eingebetteten Redewiedergabe zugrunde liegen, liegen stets weiter in der Vergangenheit als die einfach wiedergegebenen – kann man vermuten, dass einige Schreiber auch in einfacher Redewiedergabe die beiden Konjunktive verwenden, um temporale Distanz zu verdeutlichen.208 Sicherheit über solche Strategien kann man hier jedoch, ebenso wie bei der Distanzierung nicht erlangen. Relativ wahrscheinlich ist eine solche Kennzeichnung allerdings in 207 Vgl. auch Tabelle 3.1, S. 82 dieser Arbeit. 208 Die Beispiele, die in Kapitel 3 von anderen Autoren übernommen wurden, lassen zum Teil eine solche Interpretation offen, jedoch sind nicht alle einsichtig, vgl. Bsp. (3.5) S. 79, (3.8) S. 80, (3.21) S. 117, (3.20) S. 116 in Kapitel 3. Hier wird dennoch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es eine Kennzeichnung temporaler Ebenen auch durch Konjunktivformen geben kann.
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Bamberg 1628. Der Angeklagte Johannes Junius leugnet zunächst alles, was ihm vorgeworfen wird. Dieses erste Verhör ist im Konjunktiv I gehalten: (5.103) sagt Er habe niemahls Gott seinen erlöeser verlaugnet, sich andterst nicht thauffen laßs[en] (Bamberg 1628, fol. 1r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 414) In einem späteren Verhör gesteht er dann jedoch unter Folter die typischen Hexereidelikte. Seine Aussage ist einerseits im Stil einer Erzählung vollständig in berichteter Rede und andererseits im Konjunktiv II protokolliert: (5.104) der fengt Endtlich an vnd bekennet, Alß Anno 1624. ihne die die [!] Commission wegen seiner strittig[en] sachen zue Rothweil vff die 600 f[loren] gecostet, wehre Er im Aug[u]st Monat, hinauß zum friderichsbronnen in sein Baumbfeldt gangen, vnd alß Er sich aldta in gedankh[en], nidergesetzt, wehre ein weibsbildt, wie ein Graßmagdt zu Ihme kommen welche ihne gefragt, warumb Er also trawrig aldta Sässe, Er ihr geantworttet, das Er nicht melanolisch [!] wehre, [. . .] (Bamberg 1628, fol. 2v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 415) Hier wäre es also möglich, dass im Erzählstil, in dem diese vergangenen Ereignisse berichtet werden, bewusst zur Verdeutlichung der zeitlichen Distanz der Konjunktiv II verwendet wird, auch wenn er im Grunde keine temporale Bedeutung hat. Auch in Celle 1570 wird in einer erzählenden Passage der Konjunktiv II verwendet, daneben jedoch auch der Konjunktiv I, sodass dort keine so klare Trennung wie in der Quelle Bamberg 1628 vorliegt. In diesen beiden Protokollen wäre also der Versuch, Erzählebenen zu kennzeichnen, ein möglicher ausschlaggebender Faktor für die Konjunktivwahl. Der Einfluss eines Tempus, das im Konjunktiv analog zum Indikativ verstanden worden ist, bildet jedoch nicht die einzige Möglichkeit der temporalen Beeinflussung. Es wurde bereits mehrfach angesprochen,209 dass das Tempus, welches die Angeklagten in der Originaläußerung verwenden, auf die Tempuswahl des Schreibers in 209 Vgl. Abschnitt 4.5.a), S. 216 sowie Abschnitt 5.2.b), S. 238 dieser Arbeit.
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
401
der Wiedergabe einwirkt. Die Erzähltempora in den Mundarten unterscheiden sich insofern, als südlich der Präteritalgrenze das Perfekt verwendet wird und nördlich von ihr das Präteritum. Nun sind jedoch nicht alle Tempora, die in den Verhören potenziell von den Angeklagten verwendet worden sind, Erzähltempora. Das Perfekt kann überall zur Verdeutlichung der folgenden drei Zeitverhältnisse verwendet werden (vgl. Ebert 1993, S. 387–388): 1. Ein zur Sprechzeit abgeschlossener Vorgang ist zu diesem Zeitpunkt noch von besonderer Bedeutung. 2. Etwas Vergangenes wird vom Sprechzeitpunkt aus subjektiv rekapituliert. 3. Eine vergangene Handlung reicht bis in die Gegenwart hinein. In Anbetracht dieser Verwendungsweisen des Perfekts wäre es zum Beispiel möglich, dass die Schreiber bei der Transposition das Perfekt beibehalten haben, wenn es so im Verhör verwendet worden ist. Damit wäre ein weiterer Grund gegeben, warum die Schreiber in Gebiet A und zum Teil in Gebiet B den morphologischen Konjunktiv Perfekt gegenüber dem Konjunktiv Plusquamperfekt bevorzugen. So könnten auch einige Fälle geklärt werden, wo der Wechsel von Konjunktiv I und II bei den Hilfsverben zunächst wie freie Variation anmutet. Diese Hypothese lässt sich testen, indem die Formen des Konjunktivs Perfekt, die in einer Konjunktiv-II-Umgebung in den Gebieten A und B auftreten, näher betrachtet werden. In der nnd. Quelle Loccum 1638 erscheint beispielsweise nur ein habe in indirekter Rede, und dieses steht unmittelbar neben einer Form des Konjunktivs II (Bsp. 5.105). Man könnte hier freie Variation vermuten. Da aber der Inhalt des ersten Satzes habe davon wohl gehört auf die Gegenwart (den Originalsprechzeitpunkt) bezogen ist – diese Aussage ist im Verlauf des Verhörs wahrscheinlich relevant –, ist es möglich, dass die Angeklagte auch in der Originaläußerung das Perfekt verwendet hat. Die naheliegendste, unkomplizierteste Art, die Originaläußerung zu transponieren, wäre für den Schreiber in diesem Fall, auch in der Wiedergabe das Perfekt zu verwenden (ich habe/ik heb → sie habe).
402
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
(5.105) Habe davon wohl gehört, wehre aber Vnschuldig. (Loccum 1638, S. 10) Auch in Hildesheim 1628 wäre es möglich, dass das Perfekt vom Schreiber bewusst gesetzt wurde (5.106). Es tritt beispielsweise auf, wo die Angeklagte Vorwürfe vehement von sich weist, und damit ist das Vergangene, auf dass sie sich bezieht, auch hier von besonderer Bedeutung, bzw. reicht in die Gegenwart hinein. (5.106) 13. Sie habe ihme nichts beygebracht, Jesus Chr[i]s[tus] solle Sie dafur behuten vnd bewahren, (Hildesheim 1628, S. 9, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 54) Andererseits wird in einem ähnlichen Zusammenhang später im Text der Konjunktiv II verwendet, was den bewussten Einsatz des Perfekts fragwürdig erscheinen lässt (Bsp. 5.107). Zudem wird das Perfekt wie das Plusquamperfekt in Passagen eingesetzt, die eher berichtenden Charakter haben (Bsp. 5.108): (5.107) 32. Wiße nicht was das fur dinger sein, Hette Ihr lebelang nicht damit vmbgangen (Hildesheim 1628, S. 12, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 56) (5.108) (a) 7. Sie habe Ihme nurt drey Kruge voll gelenget (Hildesheim 1628, S. 9, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 54) (b) 22. Wiße daßelbe nicht, Hette ihr woll ehe in ihrem Krancke bette ehr vnd gutt gethaen. (Hildesheim 1628, S. 11, vgl. Kanzleisprache 2005,S. 55) Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine bestimmte Stelle in der Quelle Hildesheim. Auf einen recht langen Frageartikel, in dem die Angeklagte sinngemäß gefragt wird, ob sie öffentlich alle Bürger dazu aufgefordert habe, sie als Hexe zu denunzieren, wenn sie sich trauten, kommt nur eine finite Verbform in eingebetteter Redewiedergabe vor, ansonsten hat er ausschließlich afinite Konstruktionen aufzuweisen.210 Die Antwort der Angeklagten auf diese 210 Der vollständige Frageartikel lautet: „25. Dann wahr ehr Sie zu viell verschiedene mahlen fur eine Zeuberin gescholtten, Auch offnes Mundes sich gegen Sie vernehmen laßen, Wann ehr gehen v[n]d stehen Könte, Welte ehr mitten vffs Marckt tretten Vnd Sie vngeschewet, gegen Jedermenniglich, fur eine Hexen od[er] Zeuberschen, außrueffenn“ (Hildesheim 1628, S. 5, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 51–52).
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
403
Frage wird mit den Worten Affirmat, Habe protokolliert (Hildesheim 1628, S. 11, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 55). Auf welche Art von Originaläußerung sich diese stark verkürzt protokollierte Antwort bezieht, kann kaum vermutet werden. Das (elliptische) Perfekt ist zumindest nicht aus dem Frageartikel übernommen, da dort keines auftritt, sondern nur afinite Konstruktionen. Die Angeklagte könnte auch lediglich Ja geantwortet haben, dann wäre das habe eine Hinzufügung des Schreibers. Schließlich wäre auch hier möglich, dass sie in der Originaläußerung etwas Ja, das habe ich getan Entsprechendes gesagt hat, und dann könnte das protokollierte habe aus der Originaläußerung übernommen worden sein. Derartige Überlegungen bewegen sich jedoch lediglich auf der Ebene der Spekulation. Dieser Erklärungsansatz lässt sich also nicht immer eindeutig von der „Freien Variation“ trennen. In einer Quelle des Gebietes A, in der ohnehin viel Konjunktiv I zu finden ist, wird der Konjunktiv Perfekt auch in den oben angeführten drei Verwendungsweisen eingesetzt. Ob der Schreiber hier aus diesem Grund im Perfekt protokolliert hat oder aber, weil er generell eher zum Konjunktiv I greift, ist im Nachhinein nicht feststellbar. In Einzelfällen ist aber eine Übernahme des Perfekts aus der Originaläußerung als Erklärung für Formen des Konjunktivs Perfekt möglich, und zwar speziell in Quellen, in denen viele Formen des Konjunktivs Plusquamperfekt (19–108) wenigen Formen des Konjunktivs Perfekt (1–5) gegenüberstehen. Konkret ist das in folgenden Quellen der Fall: Crivitz 1642, Gommern 1660, Göttingen 1649, Güstrow 1615, Hamm 1592, Lemberg 1630, Lemgo 1630, Linz 1631, Loccum 1638, Osnabrück 1636, Perleberg 1588, Schwabstedt 1619, Schwerin 1620, Stralsund 1630, Westerburg 1624. Der korrespondierende Fall mit Konjunktiv Plusquamperfekt in Gebiet C und zum Teil Gebiet B ist im Übrigen nicht belegt. Kein Schreiber setzt einen Konjunktiv Plusquamperfekt neben Konjunktiv Perfekt, um beispielsweise die im System nur in Form des Doppelperfekts (bzw. -plusquamperfekts) angelegte Vorvergangenheit in indirekter Rede ausdrücken zu können. Das Doppelperfekt erscheint dagegen mitunter, jedoch im ganzen Korpus nur achtmal, wobei drei Belege aus der Quelle Wittgenstein 1629 kommen. Die anderen sind vorwiegend im Norden des Sprachgebiets zu finden, die einzige süd-
404
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
deutsche Quelle, die es aufweist, ist Rosenfeld 1603. Oft sind diese Doppelformen zur Bezeichnung der Vorvergangenheit auch als afinite Konstruktion gebildet (5.110, 5.111). (5.109) Sie hette alda niemandts gekennet als Johenche Bekern, doch hette sich derselbe sehr verrüst gehapt (Wittgenstein 1629, fol. 3v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 275–276) (5.110) Ad 7. Das Meister Jacobi des Barbiers knecht, wie sie in vorigen banden ihren fuß verrenket gehabt, sie gefraget; ob sie den hexen könne? welches sie verneinet. (Göttingen 1649, S. 46, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 36) (5.111) Item In Ledigern stanndt, habe sie bey dem Pauren vff dem Ramstain gedient, welcher sie vbel geschlagen, Nachgenntz habe sie Allß sie sich An denn Theüfel ergeben gehabt, solchem Pauren Auch Ain Rosß Inns Theüfels Nammen Zue Todt geschlagenn. (Rosenfeld 1603, S. 10, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 404)
5.6.i ) Sonderregelungen Zuletzt seien einige nur in einzelnen Protokollen beobachtbare Strategien oder auch Auffälligkeiten – ob es sich immer um Strategien handelt, ist nicht mit Sicherheit festzustellen – erwähnt. Oben in Abschnitt 5.5 wurde bei der Untersuchung, ob in unterschiedlichen Textsorten verschiedenartige Konjunktivverwendung vorliegt, vermutet, dass in Fragenkatalogen tendenziell eher der Konjunktiv I zur Anwendung kommt. Überprüft man diese aus den Belegzahlen sich abzeichnende Tendenz anhand der einzelnen Quellen, so ergibt sich, dass in manchen Quellen fast nur die Fragenkataloge den Konjunktiv I enthalten, während in den Verhören der Konjunktiv II überwiegt. Ebenso kommt es vor, dass nur in den Fragenkatalogen beide Konjunktive variieren. In der Quelle Herborn 1630 erscheint zum Beispiel, wie berichtet, des Öfteren der Konjunktiv I zur Hervorhebung eingebetteter Redewiedergabe. Er ist dort aber auch in Fragen zu finden, und zwar dort
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
405
ausschließlich und nur im Wechsel mit (einer großen Anzahl) afiniter Konstruktionen (vgl. fol. 2r–2v, Anhang B.6, S. 539–540). Stellt man Fragen und Antworten nebeneinander, fällt der Unterschied besonders auf. (5.112) 7. Was der teufell Ihr ahn menschen vnd viehe zu verrichten vfferlegt vndt befohlen, Auch Ob vndt wie Sie solchem nachkommen sey od[er] nicht? (Herborn 1630, fol. 2r, vgl. Anhang B.4, S. 539) (5.113) Ad 7. Sagt er hett Ihr anfangs in der Scheur ein klein dopfgin mit Salben gegeben, damit Sich zu schmiren wen Sie vff die dantz fahren sollen hette Ihr hiermit Theißen frawen vndt Ihrer dochter Elßbethen vfm dantz vorm Roden Stein gifft in einem dutgen gegeben (Herborn 1630, fol. 4v, vgl. Anhang B.4, S. 542) Ähnliches ist in den Quellen Güstrow 1615, Hildesheim 1628 und Grünberg 1664 (vgl. Anhang B.5) zu beobachten, obgleich in Grünberg vereinzelt auch ein Konjunktiv II eingesetzt wird. In Mühlhausen 1660 kann ein Beispiel dahingehend interpretiert werden, dass in Fragenkatalogen häufiger der Konjunktiv I verwendet wird. In dieser Quelle überwiegt der Konjunktiv II insgesamt zu 96 %. Vereinzelt findet sich ein Konjunktiv I in absoluter Zeitengebung, so zur Nennung des Namens der Angeklagten (vgl. Mühlhausen 1660, S. 97). Eine Frage bezieht sich auf ihren Lebensunterhalt und ist im Konjunktiv I gehalten: (5.114) Artikel 3: Weßen Sich Inquisitin nehre? (Mühlhausen 1660, S. 97) In fast unmittelbarer Nachbarschaft zu dem absolut gebrauchten Konjunktiv I (dieser steht in Artikel 1) könnte auch in dieser Frage das Verb nähren absolut gebraucht sein, ähnlich dem oben für pflegen beschriebenen Einsatz des Konjunktivs I. Die Antwort auf diese Frage lautet allerdings: (5.115) Antwort: Nehrete sich von den Kreutern, so sie auff dem Marckte verkauffete. (Mühlhausen 1660, S. 97)
406
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
Hier wird also in beiden Fällen der (ambivalente) Konjunktiv II eingesetzt, wo ebenso der (eindeutige) Konjunktiv I hätte verwendet werden können. Sollte es sich bei nähren in der Frage um absolute Zeitengebung handeln, so fällt doch auf, dass diese nur im Fragenkatalog zu beobachten ist und damit als Spezifikum des Katalogs gewertet werden kann.211 In den Quellen Crivitz 1641 und Schivelbein 1635, in denen der Konjunktiv II überwiegt und die beide im nod. Raum liegen, fallen ebenfalls vereinzelte Belege für den Konjunktiv I auf, die anders nicht erklärt werden können, als dass sie in Fragen stehen. Allerdings stehen in diesen Quellen auch viele Formen des Konjunktivs II in den Fragenkatalogen, sodass der Konjunktiv I nicht durch die Textsorte bedingt sein muss. Man könnte hier auch mit absoluter Zeitengebung argumentieren, da in beiden Fällen aktuelles Wissen beschrieben wird. Oft steht in solchen Zusammenhängen jedoch auch der Konjunktiv II. (5.116) Unter andern auf den 15ten Articul befraget, wie daß wahr sey, daß sie die Kuhlische von Einem Jedermann in der Stadt e vor einer offentlichen Zauber Hex gehalten (Schivelbein 1637, S. 436) (5.117) Interr[ogata] woher sie solches wiße? Respond[et]: Ihr Teufel so do nocheins alhie vffs Rahthauß zu ihr gekommen hette es ihr gesagt (Crivitz 1641, S. 8, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 151) Bezüglich der soeben beschriebenen Tendenz, dass in Interrogatorien eher der Konjunktiv I verwendet wird, ist die Quelle Leonberg 1641 hervorzuheben, denn dort wird im gesamten Fragenkatalog der Konjunktiv II verwendet. Nun ist dieser Fragenkatalog allerdings oh211 Zur Anordnung von Fragen und Antworten muss noch Folgendes erklärt werden: Der Herausgeber der Quelle hat in seiner Edition die Fragenkataloge, die im Original einzelne Aktenstücke sind, so geordnet, dass die Antworten immer direkt auf die Fragen folgen (vgl. von Kauffungen 1906/1907, S. 97; Nachweis im Quellenverzeichnis unter „Mühlhausen 1660“, Anhang C.1). Dennoch sind es separate Fragenkataloge, die unter Umständen von einem anderen Schreiber verfasst worden sind, wenn sie beispielsweise vom Schöppenstuhl Jena nach Mühlhausen geschickt worden sind. In der Originalquelle folgt also auf den Konjunktiv I aus der Frage nicht unmittelbar der Konjunktiv II aus der Antwort.
5.6 Funktionale Distribution der Konjunktivformen
407
nehin auffällig, da er nicht die typischen Hexereidelikte erfragt, sondern den rechten christlichen Glauben der Angeklagten, genauer den protestantischen. Hier wäre also möglich, dass gemäß der Vermutung aus Abschnitt 5.2.d) die konfessionell geprägte Schreibsprache den Konjunktiv II bedingt, zumal das Interrogatorium von einem anderen Schreiber verfasst worden ist als das Protokoll, das eine andere Schreibsprache aufweist. Hier wäre allerdings hilfreich zu wissen, woher das Interrogatorium genau stammt, jedoch ist dieses nicht zu ermitteln. Neben der auffälligen Verwendung des Konjunktivs in Fragenkatalogen lassen sich auch andere Besonderheiten in einigen Quellen beobachten. In Essen 1589, einer Quelle des Extremtypus I, ist allein der Widerruf des Geständnisses des Angeklagten im Konjunktiv II gehalten. Der Angeklagte gesteht, dass er lediglich um der Folter zu entrinnen das bekannt habe, was von den Hexen allgemein angenommen wird: (5.118) Itzgenannter Heerßkamp obinserirte seine gethone Bekentnuß revocirt vnnd was er bekendt uß Noth vnnd unleidlicher Pein beschehen zu sein angeben vnd gesagt, Diweilh er etwas hette bekennen müssen da er aus der Pein gewillt, hette er bekennt, was Idermann gemeinlich alhie von den Zauberschen reden. Er hette aber sein Lebtagh keinen Teuffell gesehen oder einige Gemeinschaft damit gemacht oder von Jemand zaubern gelernt. (Essen 1589, S. 125) In dieser Quelle treten zwar neben den Formen des Konjunktivs II vereinzelt Modalverben dieser Art auf, die drei Vorkommen von hette sind jedoch auf diese kurze, bemerkenswerte Passage konzentriert. Wenn der Schreiber hier eine Strategie verfolgt, so ist es am ehesten eine Art Infragestellen des Widerrufs von Diederich Heerßkamp. Der Konjunktiv I reden, der in dieser Passage auftritt, wird im Übrigen zum Ausdruck einer allgemeingültigen Tatsache (was die Leute reden) verwendet und steht damit im Kontrast zu den anderen Konjunktiven. In der Quelle Coesfeld 1632, in welcher der Konjunktiv I überwiegt, fällt eine Reihe von starken Verben im Konjunktiv II auf, die nicht durch die übrigen Prinzipien erklärt werden können. Die-
408
5 Die Wahl zwischen Konjunktiv I und II
se starken Verben erscheinen fast ausschließlich in festen, idiomatischen Wendungen und fallen daher besonders auf inmitten der übrigen starken Verben, die sämtlich im Konjunktiv I erscheinen – vornehmlich sind es die Verben wissen und verstehen. In nur zwei weiteren Fällen treten starke Verben im Konjunktiv II in irrealen Konditionalsätzen auf. Die idiomatischen Wendungen, mit denen der Angeklagte seine Unschuld zu beteuern sucht, sind die folgenden: (5.119) So wahr er seine Augen auf vnd zu schlöege, wisse er von solchen Handel nicht. (Coesfeld 1632, S. 18) (5.120) Ess sei nicht so viel damit alss er im Auge halten könne, vnd so gewiss er die Hände bei einander thete. (Coesfeld 1632, S. 20) (5.121) so wahr alss er dah seesse, wehre von allen kein litter wahr. (Coesfeld 1632, S. 18) Wenn man bedenkt, dass in solchen Wendungen in der Originaläußerung der Indikativ Präsens verwendet worden ist (so wahr ich hier sitze, so wahr ich meine Augen auf und zu schlage usw.), verwundert die Konjunktivwahl noch mehr. Beispielsweise scheidet als erklärendes Moment hier auch Distanzierung aus, denn obwohl der Angeklagte seine Unschuld beteuert, während der Schreiber von seiner Schuld überzeugt sein kann, so sind doch die in den Wendungen beschriebenen Dinge wie das Sitzen unweigerlich wahr und bedürfen keiner Distanzierung. Hierbei kann es sich folglich im Grunde nur um eine persönliche Eigenart des Schreibers handeln.
Kapitel 6
Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv Der Indikativ hat in den untersuchten Texten einen Anteil von rund 7% an allen finiten Verbformen, die in der Redewiedergabe auftreten. Damit ist er zwar vergleichsweise selten, aber dennoch ausreichend vorhanden, um seinen Einsatz beschreiben zu können. Diese Seltenheit wurde bereits in Kapitel 3 angesprochen und steht vermutlich im Zusammenhang mit der am Latein geschulten Schreibgelehrsamkeit.1 So sind die meisten Formen des Indikativs auch nicht in indirekter, sondern in direkter Rede zu finden. Wie bereits oben erwähnt,2 ist die direkte Rede eines der Mittel der Hervorhebung eingebetteter Redewiedergabe zum Zweck der syntaktischen Übersichtlichkeit. Doch auch in indirekter Rede hat der Indikativ spezielle Vorkommenskontexte in den Hexenprozessakten. Nicht alle Quellen enthalten jedoch Formen des Indikativs, bzw. ihre Anzahl ist in manchen Quellen nur gering.3 Acht Quellen enthalten keine Verbform im Indikativ,4 in weiteren 19 findet sich jeweils lediglich eine. Diese 19 sind auf das gesamte Untersuchungsgebiet verteilt, wenn sie auch in Gebiet B (8 Belege) und C (9 Belege) häufiger sind als in Gebiet A (2 Belege).5 Dagegen liegt die An1 2 3
4 5
Vgl. Abschnitt 3.7, S. 141 und S. 146 dieser Arbeit. Vgl. Abschnitt 5.6.d), S. 382 dieser Arbeit. Gemeint sind hier lediglich die Formen, die sich eindeutig als Indikative klassifizieren lassen, nicht die modusambivalenten Formen. Eine Übersicht, wie viele Formen des Indikativs in den Quellen enthalten sind, bietet die Tabelle A.5 in Anhang A.3, S. 457. Bettenhausen 1611, Dieburg 1627, Garmisch 1590, Gommern 1660, Hamburg 1583, Jeßnitz 1635, Loccum 1638, Münster 1635. Bei der Untersuchung des Indikativs wird, um eine Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen zur Konjunktivverwendung zu gewährleisten, die Einteilung in die drei Gebiete beibehalten.
410
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv 1.
2.
3.
4.
Σ
Σ
%
DR
W
VAR
RW?
Ind.
Konj.
Ind.
nnd. ndo. omd. Gebiet A
33 106 18 157
9 37 19 65
22 39 6 67
12 29 23 64
76 211 66 353
928 934 1088 2950
7,57 18,43 5,72 10,69
ndw. wmd. nobd. Gebiet B
57 28 22 107
11 21 7 39
6 9 9 24
4 7 3 14
78 65 41 184
1386 1464 842 3692
5,33 4,25 4,64 4,75
wobd. oobd. Gebiet C
18 51 69
5 45 50
13 26 39
5 7 12
41 129 170
1592 1361 2953
2,51 8,66 5,44
333
154
130
90
707
9595
6,86
Σ
Tabelle 6.1: Kontextarten für den Indikativ
zahl der Indikativformen in 25 Quellen über zehn und ist damit vergleichsweise hoch, von diesen gehören jedoch 15 zu den längeren Quellen, die auch über 100 Belege für den Konjunktiv enthalten. Viele Belege für den Konjunktiv bringen jedoch nicht zugleich viele Belege für den Indikativ mit sich: Von den 45 Quellen, die mehr als 100 Formen des Konjunktivs enthalten, finden sich in elf nur null bis einen Beleg für den Indikativ (drei in Gebiet A, fünf in Gebiet B, zwei in Gebiet C). Dagegen gibt es auch kürzere Quellen (14–40 Belege für den Konjunktiv), die im Vergleich viele Formen des Indikativs enthalten. In vier von diesen 17 Quellen hat er zum Beispiel einen Anteil zwischen einem Drittel und der Hälfte,6 während acht von ihnen null bis einen Beleg für den Indikativ enthalten.7 Ohne hier weitere statistische Details darlegen zu wollen, sollten diese vorbereitenden Ausführungen verdeutlicht haben, dass die Formen des Indikativs in wechselnder Frequenz in den Quellen des gesamten Untersuchungsraumes vorhanden sind. Zugleich steigt der Anteil des Indikativs nicht unbedingt proportional zur Länge der Quelle. 6
7
Auch diese Quellen sind nicht unbedingt regional gebunden, auch wenn die meisten aus Gebiet A stammen: Bettenhausen 1611, Passow 1577, Wartenburg 1614, Westerlandföhr 1614. Garmisch 1590, Gerolstein 1633, Günzburg 1613, Gutenstein 1641, Hamburg 1583, Jeßnitz 1635, Lemberg 1630, Werl 1630, also zwei aus Gebiet A und jeweils drei aus Gebiet B und C.
6.1 Direkte Rede
411
Es ist also möglich, dass die Verwendung des Indikativs in engem Zusammenhang mit dem Individualstil des Schreibers steht. Dessen ungeachtet lassen sich jedoch spezifische Kontextarten beobachten, in denen der Indikativ vornehmlich auftritt. Diese gilt es im Folgenden, unter Kontrolle der Variablen „Region“, zu beschreiben. Die Arten von Kontext, in denen die Indikativformen auftreten, können eindeutig in vier Gruppen eingeteilt werden: 1. DR:
direkte Rede (333 Belege)
2. W:
Bezug auf eine allgemeine Wahrheit in indirekter Rede (154 Belege)
3. ALT: Indikativ als syntaktisch und semantisch mit dem Konjunktiv identische Ausdrucksalternative (131 Belege) 4. RW?: Indikativ in Sätzen, die zwar als Redewiedergabe gewertet werden können, eher jedoch einer Beschreibung der Verhörsituation gleichkommen (90 Belege) Diese Kontextarten sind nicht in allen Sprachlandschaften gleich stark vertreten. Zwar ist die direkte Rede insgesamt der häufigste Kontext, in dem der Indikativ verwendet wird, in den Landschaften hat sie jedoch einen wechselnden Anteil, von über der Hälfte aller Indikative bis zu lediglich knapp einem Viertel (vgl. Tabelle 6.1). Mit dieser Verteilung beschäftigen sich die folgenden Abschnitte.8
6.1 Direkte Rede Die erste Gruppe ist, wie bereits in Abschnitt 4.5.a) (S. 211) kurz erwähnt, fast ausschließlich in eingebetteter Redewiedergabe zu finden. Nur 27-mal steht in einfacher Redewiedergabe der Indikativ, wobei bei manchen Belegen ihr Status als direkte Rede nicht sicher ist. Dort fehlt das einzig verlässliche Zeichen zur Unterscheidung, die Anpassung der Pronomina an die Perspektive des Reportersprechers, da keine Pronomina vorhanden sind, die seiner Sicht entsprechend anders gewählt werden müssen als aus Sicht des Originalsprechers. So bleibt beispielsweise das es aus (6.1) oder das man aus 8
Die Unterschiede, die sich in den einzelnen Gebieten beobachten lassen, sind nicht durch einzelne Quellen hervorgerufen. Die Tendenzen treffen jeweils auf die Mehrzahl der Quellen eines Gebietes zu.
412
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
(6.2) in der Wiedergabe unverändert. Bei diesen nicht anhand der in Abschnitt 2.2 zusammengestellten Indizien bestimmbaren Beispielen lässt aber der Sprachduktus, der näher am Gesprochenen als am Geschriebenen ist, auf direkte Rede schließen (6.1–6.4). In den anderen Beispielen (6.5–6.7) sind hingegen Pronomina vorhanden, welche die Redewiedergabe eindeutig als direkte ausweisen. (6.1)
es sei reverender alles erlogen, es helft nicht (Brixen 1595, S. 41)
(6.2)
3. Ob Sie nicht underschiedlich eine Hexe geschendet worden und von weme? Ja Herr Centgraff wie bald heißet mann einen eine Hexe hetten die Leüthe Sie geschendet so were es ihr unwißendt gescheen dann Sie mit niemand gehadert noch gezancket (Coburg 1670, S. 92)
(6.3)
S[agt]: Nein, Vrsule thue ihr gewalt, O weh o weh oweh, der gerechte schreyhet im himmell Sie wüste bey ihrem Eyde nicht, d[as] Sie der Vrsulen begegnet were (Leipzig 1640, fol. 25r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 305)
(6.4)
Spricht ferner, das er Ihr einen heßlichen nhamen geben nemblich Schirr [. . .] Pitt deroweg[en] Jesus Christus will sich erbarm (Hamm 1592, fol. 49v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 228)
(6.5)
were ein lange frawe, die Moddemansche sagt fudian, du schant Sack waß sagstu, Sie sagt dar will Ich vff leben vnd sterben (Osnabrück 1636, fol. 96r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 111)
(6.6)
Alls man ihro ein anders Agnus dei angehenkht, sagt sye ietz würdt ich schwitz[en], ey wie Zittere ich. habe mit dem Teuffel nichts zue thuen seye kein hex (Meßkirch 1644, fol. 153r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 372)
6.1 Direkte Rede
(6.7)
413
Verena sagt: „Weißt’s nit? Im Oeschingerberg“. Madlena antwortet drauf, wöll sterben, dass ein solches nit wahr sei.9 (Bräunlingen 1632, S. 11)
Bei drei von diesen Beispielen haben die Schreiber bei der Protokollierung emotionaler Exklamationen auf eine Umformung in die indirekte Rede verzichtet. Dieses ist auch nur durch umständliche Umformungen möglich.10 Der resignierte Ausruf es helft nicht (es hilft nichts) in Beispiel (6.1) wäre mit einem finiten Verb im Konjunktiv nicht mehr ohne Weiteres als Ausruf zu erkennen. Hier könnte die fehlende Umformung des finiten Verbs also an den dezidiert sprechsprachlichen Elementen liegen, bei denen eine Umformung in die indirekte Rede mit finitem Verb im Konjunktiv ein sonderbares Resultat erzielen bzw. zu einer missverständlichen Konstruktion führen würde. Dasselbe gilt für das Beispiel aus Leipzig (6.3). In Beispiel (6.2) hätte der Schreiber für eine Umformung in die indirekte Rede dagegen eine ausführliche Redeeinleitung und Umschreibung dessen, was die Angeklagte gesagt hat, etwa folgender Art formulieren müssen: Die Angeklagte wendet sich an den Herrn Centgrafen und behauptet, dass jedermann leicht (von den Leuten) für eine Hexe gehalten werden könnte. Dagegen ist die direkte Rede eindeutig die ökonomischere Lösung.11 In Beispiel (6.4) wäre eine Umformung im Gegensatz zu (6.2) möglich, zumal der wiedergegebene Stoßseufzer auch in direkter Rede einen Konjunktiv enthalten könnte: Jesus Christus erbarme sich. Spekulativ wäre hier eine Umformung eines 9
Es wäre möglich, dass die Anführungszeichen in diesem Beispiel vom Herausgeber der Quelle hinzugefügt worden sind, da Redeanführung in den untersuchten Texten sonst nirgends vorhanden ist und sie demnach nicht zur Identifizierung direkter Rede herangezogen werden kann. Sollten sie nachträglich hinzugefügt worden sein, sah der Herausgeber offenbar die Notwendigkeit, die eingebettete direkte Rede klar hervorzuheben. 10 Vgl. für die Gegenwartssprache Abschnitt 2.2.b), S. 24 dieser Arbeit. 11 Man könnte hier überlegen, ob der Schreiber vielleicht aus Zeitmangel die ökonomische Lösung gewählt hat, wenn die Quelle eine Mitschrift und damit eine simultane Transposition wäre. Jedoch kann, da es sich bei der Quelle Coburg 1670 um eine Edition handelt, nicht an den Originalakten überprüft werden, ob das Schriftbild durch zahlreiche Verbesserungen, Ergänzungen oder Streichungen Schlüsse auf den Entstehungsprozess zulässt (vgl. hierzu Abschnitt 4.1.b), S. 159 dieser Arbeit). Man könnte auch argumentieren, dass die ökonomischere Lösung stets die naheliegendere ist, auch in Abund Reinschriften.
414
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
Konjunktivs der Originaläußerung in eine indikativische Modalverbumschreibung in der Wiedergabe denkbar. Allerdings könnte der Seufzer gleichermaßen Jesus Christus will sich erbarm gelautet haben und damit unverändert wiedergegeben worden sein. In Beispiel (6.6), (6.5) und (6.7) scheint ein anderer Grund für den Wechsel zur indirekten Rede vorzuliegen. Beispiel (6.6) aus der Quelle Meßkirch 1644 steht im weiteren Kontext der Indiziensammlung vor dem eigentlichen Verhör. Die Angeklagte wird gefragt, warum sie ihr Agnus dei 12 nicht umgehabt habe, vermutlich während der Verhaftung, worauf sie erwidert, sie habe gerade inß bad steig[en] wollen. Zur Probe, ob sie den geweihten Gegenstand wirklich nur aus diesem Grunde vom Hals genommen hat oder vielleicht vielmehr, weil sie, seitdem sie mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hat, keine geweihten Gegenstände mehr anfassen oder gar um den Hals tragen kann, wird ihr ein anderes umgehängt. Ihre Reaktion auf dieses wird nun peinlich genau dokumentiert, wofür der Wortlaut offenbar von besonderer Bedeutung ist. Eine Dokumentation nach der Art Die Angeklagte berichtet, ihr würde nach Umhängung des Agnus dei heiß, wäre weniger plastisch. Möglicherweise ist für den weiteren Prozessverlauf ihre Reaktion als Indiz zu verwerten, weswegen sie direkt dokumentiert werden muss. Allerdings hat es den Anschein, dass der Schreiber diesen Satz nicht unbedingt von vornherein als direkte Rede geplant hat. Unmittelbar auf die Redeeinleitung folgt ein Konjunktiv II (würdt), nach dem man indirekte Rede erwarten könnte, auf den aber das Personalpronomen ich folgt.13 Der Satz wirkt dadurch wie eine Übergangs12 Ein Agnus dei ist eine Devotionalie aus dem Wachs der Osterkerze. 13 Es ist zu überlegen, ob es sich bei der Form würdt um eine gerundete Form von wird (also der dritten Person Singular Präsens des Verbs werden) handelt und damit nicht um einen Konjunktiv II. In dem Meßkircher Protokoll finden sich zahlreiche Rundungen, beispielsweise wird der Name der Stadt in der Überschrift Mößkhürch geschrieben (fol. 153r). Doch selbst wenn es sich hier um ein gerundetes wird handelt und damit eine futurische Konstruktion entsteht, kongruiert die dritte Person nicht mit dem Personalpronomen ich, sondern mit dem Personalpronomen sie. Auch kommen in dem Protokoll weitere Formen des Konjunktivs II vor, wenngleich sie nicht zahlreich sind. Allerdings wäre, wenn man würdt als Konjunktiv II interpretiert, dies das einzige Vorkommen der heute so weit verbreiteten würde-Umschreibung im gesamten Korpus, was diese Interpretation zwar nicht ausschließt, aber dennoch weniger wahrscheinlich werden lässt.
6.1 Direkte Rede
415
form zwischen direkter und indirekter Wiedergabe, bei welcher der Schreiber, noch während er das finite Verb schreibt, eine indirekte Wiedergabe konzipiert, dann jedoch zur direkten wechselt. Da es sich allerdings bei dem Protokoll, wie aus der Überschrift (fol. 153r) hervorgeht, um eine Abschrift handelt, in der man solche Fehler vielleicht weniger erwarten sollte, kann letztendlich keine Sicherheit hierüber erlangt werden. Das Bräunlinger Beispiel (6.7) ist einem eingeschobenen Konfrontationsprotokoll entnommen. Auch hier ist der Grund der wörtlichen Wiedergabe der Denunziantin Verena in Zeitersparnis seitens des Schreibers zu suchen. Eine Umformung der Art Verena fragt, ob sich die Beklagte nicht erinnere, dass sie im Oeschingerberg zum Tanz gewesen seien wäre länger und umständlicher; eine bloße Umformung der Aussage in indirekte Rede ohne erklärend Hinzugefügtes (fragt, ob sie es nicht wisse, im Oeschingerberg) wäre dagegen zwar kürzer, aber auch unverständlicher als die direkte Wiedergabe. Insgesamt ist bei allen diesen Beispielen besonders auffällig, dass vor und nach diesen indikativischen Einschüben der Konjunktiv steht, der Wechsel in den anderen Modus also nur punktuell zu beobachten ist. In Beispiel (6.5) liegt dagegen wiederum die Bedeutung des genauen Wortlauts, in diesem Falle einer Beschimpfung, als Grund für die Verwendung des Indikativs näher. Die Gründe für die Verwendung der direkten Rede sind also, dass entweder die wiederzugebende Konstruktion schwer oder nur missverständlich in indirekte Rede umgeformt werden kann oder aber dass der genaue Wortlaut für den Fortgang des Gerichtsverfahrens von Bedeutung ist. Eben diese Gründe als einerseits „textpragmatische Erfordernis“ und andererseits „Rechtserheblichkeit der wörtlichen Rede“ hat Macha für den Einsatz der direkten Rede in eingebetteter Redewiedergabe festgestellt.14 Da sie sich in den soeben angeführten Beispielen direkter Rede in einfacher Redewiedergabe bestätigt sehen, greifen sie gleichfalls dort und nicht nur in eingebetteter Redewiedergabe, d. h. die Gründe für den Einsatz der direkten Rede scheinen sich in einfacher und eingebetteter Redewiedergabe 14 Vgl. Macha 2005, S. 426, vgl. auch Rösler 1997, S. 196–199 sowie Abschnitt 3.7, S. 146 dieser Arbeit.. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache interssant, dass heutzutage in direkter Rede protokolliert wird, vgl. Abschnitt 2.3.c ), S. 66 dieser Arbeit.
416
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
zu entsprechen. Demgemäß sind sie in eingebetteter Redewiedergabe in diesem Korpus ebenfalls zahlreich belegt. Weitere Kontexte für diese Rechtserheblichkeit sind zum Beispiel die Wiedergabe von Zaubersprüchen (6.10), des genauen Wortlauts des Teufelspaktes (6.8), sonstiger Aussprüche des Teufels (6.9), von Beschimpfungen (6.11) oder Denunziationen (6.7).15 Bei den Zaubersprüchen greift jedoch gleichermaßen das Kriterium des textpragmatischen Erfordernisses, da sich die zuweilen „poetisch geformten“ Sprüche insbesondere aus dem Niederdeutschen nicht ins Hochdeutsche übertragen lassen (vgl. Rösler 1997, S. 197). (6.8)
[. . .] auf welches erschrökhliches betrohen vnd zured[en], Er diese formalio od[er] wörtter sprechen müss[en]. Ich sage Gott im himel vnd seinem heer ab, vnd will hinfür den teüfel für meinen Gott erkennen. (Bamberg 1628, fol. 3r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 416)
(6.9)
Sagt solches gschehen zu sein etliche tagh vor nechstverwichenem ChristFest In Ihrem hauß vff d[er] Schlaffkammer daselbsten Er Sie gschlag[en] mit den wortten warumb gehest du In die Kirch, welches ich dir Verpotten daruber Sie Ihme entwichen (Linz 1631, S. 8)
(6.10) die Worte des buestens wehren, Bein Ich bueße dich, meines hern Christi geniese Ich, im nahmen des Vaters (Barby 1641, fol. 12r, vgl. Anhang B.2, S. 522)16
15 Rösler weist darauf hin, dass der genaue Wortlaut zumeist dann in das Protokoll aufgenommen wird, wenn Dinge berichtet werden, die laut Artikel 44 der Carolina als Indizien für Zaubereiverdacht gelten (vgl. 1997, S. 196–197). Speziell werden in diesem Artikel Indizien aufgeführt, die eine Verurteilung zur peinlichen Frage rechtfertigen können. Dazu gehören das Lehren der Zauberei, der Umgang mit „verdechtlichen dingen, geberden, worten vnd weisen“ (d. h. auch Zauber- und Bötesprüche, Verwünschungen u. v. m.) (vgl. Schroeder 2000, S. 45). 16 Die Vermutung der Rechtserheblichkeit bestätigt sich bei diesem Beispiel in besonderem Maße: Der Schreiber hat den Bötespruch am Rand durch Doppelstriche in jeder Zeile gekennzeichnet, was auf eine hervorgehobene Bedeutung schließen lässt.
6.1 Direkte Rede
417
(6.11) Kuhlische hette zu der gefangenen gesaget, Due Schandsack du bringst mich umb mein leben (Schivelbein 1637, S. 440) Allerdings ist der vornehmlich in direkter eingebetteter Redewiedergabe vorkommende Indikativ nicht in allen Regionen gleich weit verbreitet. Das lässt einen Schluss darauf zu, dass das wie auch immer geartete Erfordernis zur syntaktischen Verdeutlichung, sei es textlicher oder rechtlicher Natur, nicht überall gleich stark empfunden worden ist. Zugleich muss man bedenken, dass diese beiden Gründe zum Einsatz der direkten Rede nicht immer voneinander zu trennen sind, d. h. zuweilen wird man davon ausgehen, dass nur syntaktische Gründe und keine rechtlichen vorliegen. Scheint aber die Beweisführung der Grund für die Wörtlichkeit zu sein, so ist die betreffende Redewiedergabe stets automatisch besonders hervorgehoben. Die folgende Übersicht dient in Ergänzung der Tabelle 6.1 (S. 410) dazu, den Anteil, den die direkte Rede an der Gesamtanzahl von Indikativen in den drei Gebieten hat, prozentual darzustellen.
A B C Σ
DR 157 107 69 333
Σ Ind 353 184 170 707
% DR 44,48 58,15 40,59 47,10
Hier ist erkennbar, dass die direkte Rede in Gebiet B den größten Anteil an den dort zu findenden Indikativformen hat. Wenn in diesem Gebiet also ein Indikativ auftritt, so tut er dieses zumeist in direkter Rede. In diesem Gebiet wird damit als Mittel der syntaktischen Hervorhebung der Einbettung nicht nur der Wechsel in die jeweils andere Art des Konjunktivs verwendet, sondern auch die direkte Rede. Dasselbe trifft auch auf Gebiet A zu. Von den drei Landschaften dieses Gebietes wird die direkte Rede jedoch am häufigsten im Nod. eingesetzt (ca. 50%). In Gebiet C ist die direkte Rede insgesamt seltener als in den anderen beiden Gebieten, wobei sich, wie Tabelle 6.1 zu entnehmen, das Oobd. vom Wobd. insofern unterscheidet, als sie dort etwas frequenter ist. Die Unterschiede im Empfinden der Notwendigkeit, die eingebettete Redewiedergabe syntaktisch kenntlich zu machen, zeigt nicht
418
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
nur ein Vergleich der Werte in den einzelnen Landschaften bzw. Gebieten, sondern auch ein Vergleich der Moduswahl in spezifischen Kontexten, in denen häufig die direkte Rede auftritt, wie zum Beispiel bei der Beschreibung des Teufelspaktes oder anderen (angeblichen) Gesprächen mit dem Teufel. In Quellen, deren Protokollanten die eingebettete Redewiedergabe nicht besonders hervorheben, erscheinen diese Passagen im Normalmodus der jeweiligen Quelle.17 Dabei kann man nicht sagen, dass diese Passagen unverständlicher wären als die in direkter Rede oder aber im von der Normalform abweichenden Konjunktiv. (6.12) Item An Jungstuerschinen Weyhenachtenn seye es Ain Jar gewesen, Daß sie Auch zu dem Haüligen Abentmahl gehn wollen, da der Theüfel zuuor auch zu Ir khom[m]en habe gesagt sie seye nit würdig daß sie daß Nachtmal Christi empfahe sie solches nicht In sich nemmen, sonnder Ime geben (Rosenfeld 1603, S. 5, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 401) (6.13) Nach welchem Sye ihme habe mussen die handt geben, von Gott dem Allmechtigen abschwehren, vnnd ihme verhayssen Sye wolle vnndt muße sein sein, [INT] [et] pleiben vnndt nimermehr von ihm ablassen (Höchst 1631, fol. 166v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 236) (6.14) 2. Bekante er [. . .] Er geantwortet Ja, die wolte er ihme Ver keuffen, mit dem gedinge, daß er wolte sein sein, vndt hergeg[en] Gott verleugnen (Bettenhausen 1611, fol. 65v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 442–443) (6.15) [. . .] vndt hette ihr alle mal hartt verbothen, das sie nicht Gott, sondern ihn anbethen solte (Jägerndorf 1653, S. 7) Man kann also nicht sagen, dass generell bei potenzieller Rechtsrelevanz oder möglichen syntaktischen Missverständnissen die Schreiber zur direkten Rede greifen. Vielmehr ist dieses Mittel landschaftlich in unterschiedlichem Maße im Gebrauch. Zwar kommt es überall vor, im Norden ist es aber weitaus häufiger als im Süden. Umgekehrt 17 Vgl. genauer zu dieser Verteilung Abschnitt 5.3.
6.2 Bezug auf allgemeine Wahrheiten
419
ist jedoch die eingebettete Redewiedergabe der häufigste Kontext, in dem direkte Rede und damit der Indikativ in den untersuchten Protokollen und Urgichten auftritt.
6.2 Bezug auf allgemeine Wahrheiten In Abschnitt 5.6.g) wurde als eine der Funktionen des Konjunktivs I die Beschreibung allgemeingültiger Tatsachen, gewohnheitsmäßiger Handlungen oder solcher Dinge, die zum Originalsprechzeitpunkt wie zum Wiedergabezeitpunkt gleichermaßen zutreffen, festgehalten. Vorzugsweise wird der Konjunktiv I zur Nennung von Altersangaben, Namen, Wohnstätten u. ä. in indirekter Wiedergabe verwendet. In Quellen, wo der Konjunktiv II vorherrscht, heben sich diese Konjunktiv-I-Formen als andersartig ab. Zwar insgesamt seltener, aber doch als zweithäufigste Kontextart, wird in manchen Quellen für Derartiges der Indikativ verwendet, den man auch in der Gegenwartssprache in solchen Zusammenhängen erwarten kann.18 In indirekter Redewiedergabe ist diese Kontextart sogar die häufigste für den Indikativ. Von den drei Gebieten wird der Indikativ vermehrt in Gebiet A auf diese Weise eingesetzt, doch dort sind ohnehin die meisten Belege für den Indikativ vorhanden. Auffallend häufig sind diese Formen daneben in oobd. Quellen zu beobachten. Der Anteil, den die Belege an allen Indikativbelegen in den drei Gebieten haben, ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. A B C Σ
W 65 39 50 154
Σ Ind 353 184 170 707
%W 18,41 21,20 29,41 21,78
Aus ihr geht hervor, dass im Verhältnis zu den übrigen Indikativbelegen diese Kontextart auch in Gebiet B von Bedeutung ist, sogar mehr noch als in Gebiet A. Die Sätze, in denen der Indikativ so verwendet wird, gleichen in auffälliger Weise denen, die oben 18 Vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 51 dieser Arbeit. Allerdings kann heute der Indikativ nicht nur im Zusammenhang allgemeiner Wahrheiten, sondern immer verwendet werden (vgl. ebd.).
420
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
für die abweichende Verwendungsweise des Konjunktivs I genannt wurden.19 Auch hier handelt es sich um Namensnennungen (6.16), Ortsangaben (6.18), aber auch aktuelle Gegebenheiten in der näheren Umgebung der Angeklagten (6.19). Zusätzlich finden sich mit dem Indikativ Bezüge auf den christlichen Glauben (6.17). Bei diesem Beispiel kann man, bedingt durch den Inhalt, ganz besonders davon ausgehen, dass der Schreiber den Konjunktiv bewusst vermieden hat. Offenbar hat er sich gescheut, die Tatsache (Christus ist das Haupt der heiligen christlichen Kirche) im Konjunktiv wiederzugeben.20 Zuweilen erscheinen allgemeingültige Tatsachen in Form von realen Konditionalsätzen, wie in Beispiel (6.21) oder (6.20). Dabei wird im letzteren eine lebensnahe Tatsache beschrieben, wogegen es beim Beispiel aus Brixen um die Wirkung von Zaubersprüchen geht. Bei diesem Beispiel ist im Übrigen bemerkenswert, dass die Zauberkraft des Angeklagten sowie die Methode, das Unwetter zu vertreiben, hier offenbar als Realität betrachtet werden. Alle diese Belege zeigen, dass der Konjunktiv nicht von allen Schreibern als bloßes Zeichen der syntaktischen Abhängigkeit betrachtet wird, sondern dass manche ihm eine bestimmte semantische Qualität zuzubilligen scheinen. (6.16) Wahr das [. . .] auch Ihre beide tochtere, dauon die eine Claus Sandtmans hausfrawe, die andere noch eine Magtt ist vnnd Trine Polchowen heist, beruchtigt, vnd von menniglich im dorffe Glaseuitz [. . .] darfuer gehalten vnnd des halb gemiedet worden (Güstrow 1615, fol. 11r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 157) (6.17) Wollte auch leben vnd sterben als ain glid der hailigen Christlichen kirchen, In welcher Christus das haubt ist. (Leonberg 1641, S. 1) (6.18) Ins Vorwerk Ottendorff hette sie auch ermelte drey Stücke beim Eingange zur Rechten, wenn man herausgehett, eingesteckt (Braunau 1617, S. 288) 19 Vgl. Bsp. (5.93)–(5.102), S. 394–399 dieser Arbeit. 20 Ähnliche Belege hat Schrodt auch im Alt- und Mittelhochdeutschen mit Indikativ gefunden (vgl. 1983, S. 225).
6.2 Bezug auf allgemeine Wahrheiten
421
(6.19) Wie dan wahr das ihm noch an itzo diese Zeit viel Pferde versterben (Güstrow 1615, fol. 17r) (6.20) Ad 1 Sei wahr, das Sie mit dem teufel verbundtnus gehabt und habe bey ihme geschlaffen zweymahl in ihrer Kammer. Ad 2 Wie es zugegangen respondit , das die H[errn]21 es doch wißen, als wen ein Man mit der frawen zu thunde hat (Stettin 1620, S. 2) (6.21) 4. Fr. Ob ers gesehen, das das wetter umb und umb gangen und sich volgents auff das hohe gebürg begeben? Antw. Sagt und vermeldt: Wan man die vier evangeli list, so gees gleich umb und umb und verschwindt, das er ein oder zweimal gesehen (Brixen 1597, S. 39–40) Die Frage, ob solche Sätze häufiger im Indikativ oder im Konjunktiv erscheinen, lässt sich anhand der Häufigkeit der bereits in Abschnitt 5.6.g) herausgestellten Verben beantworten. Beispielsweise kommt das Verb heißen 69-mal im Konjunktiv I vor und elfmal im Konjunktiv II, aber nur fünfmal im Indikativ. Auch pflegen wird nur einmal in einem eindeutigen Indikativ eingesetzt, wohnen fünfmal. Die Schreiber, die den Indikativ anwenden, sehen den Konjunktiv also möglicherweise nicht als ausreichend neutral an (d. h. als bloßes Zeichen syntaktischer Abhängigkeit), um für die Wiedergabe allgemeingültiger Tatsachen zu taugen. Das bedeutet, dass sich trotz der massiven Zunahme der Konjunktivverwendung als Zeichen syntaktischer Abhängigkeit auch im 17. Jh. Kontexte finden, in denen manche Schreiber dessen ungeachtet den Indikativ bevorzugen. Diese Art, den Indikativ zu gebrauchen, ist freilich keine Neuerung; ähnliche Beispiele finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen, z. B. nach dem redeeinleitenden Verb sagen (vgl. Schrodt 21 In der verwendeten Edition steht hier die Abkürzung „Hl.“. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Angeklagte Ordensschwester Sidonia von Borck hier nicht die „Heiligen“ anruft, sondern sich an die anwesenden, verhörenden Gerichtsherren wendet, zumal die Abkürzung, die in vielen Handschriften für das Wort Herren verwendet wird, so aussieht wie eine Kombination von H und l. Die l-artige Schlaufe ist jedoch lediglich ein Abkürzungszeichen.
422
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
1983, Abschnitt 4.7.1.2, S. 230–256). Heute steht in solchen Kontexten ebenfalls häufig der Indikativ, worin somit eine Fortsetzung einer Verwendungsweise zu sehen ist, die sich auch im Jahrhundert des Konjunktivs nie ganz hat zurückdrängen lassen. Möglicherweise bevorzugen die Schreiber jedoch den Indikativ, da er die temporale Bedeutung der Gleichzeitigkeit mit dem Wiedergabezeitpunkt in sich trägt, während der Konjunktiv die Gleichzeitigkeit mit dem Originalsprechzeitpunkt anzeigt.22 Diese beiden liegen in der Regel jedoch nicht weit voneinander entfernt, sodass kaum ein zeitlicher Unterschied besteht. In anderen Protokollen wird an solchen Stellen unterschiedslos der Konjunktiv verwendet, und er ist insgesamt häufiger als der Indikativ.
6.3 Indikativ statt Konjunktiv Der dritthäufigste Zusammenhang, in dem der Indikativ in indirekter Rede auftritt, kann nicht als spezifischer Kontext gewertet werden. Er ist lediglich eine Variante zum Konjunktiv, so wie sich auch Konjunktiv I und II in manchen Quellen unterschiedslos abwechseln. Insgesamt ist diese Variante mit 130 Belegen, welche den 9 595 Formen im Konjunktiv gegenüberstehen, vergleichsweise selten, und dennoch ist es in Anbetracht dieser ungleichen Verteilung bemerkenswert, dass der Indikativ überhaupt im Wechsel mit dem Konjunktiv erscheint. An den folgenden Beispielen lässt sich leicht erkennen, dass es sich wirklich um keinen semantisch, syntaktisch oder anders motivierten Wechsel zwischen beiden Modi handelt. (6.22)
(a) Solches ist bei des herren Künigls zeitten beschehen und in obgemelte straff ainkhomen (Brixen 1595, S. 39) (b) das sei bei zeiten des herren Künigls beschehen und auch in vorbeschriben straff khomen. (Brixen 1595, S. 43)
22 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.3.a), S. 52–57 dieser Arbeit.
6.3 Indikativ statt Konjunktiv
(6.23)
423
(a) Mer sagt vnnd behennt, das er auf ein Zeit in einer Halt zu einen schwarzen zottetten Männdl sey khumen, wöliches ime gelernet hat, wötter zumachen. (St. Lambrecht 1602, S. 134) (b) vnd waß ir Sone konne, daß habe sie Rixste Ihme auch gelernt (Jever 1592, fol. 43v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 60)
Die Beispielsätze unter (6.22) sind beide aus demselben Protokoll (Brixen 1595) entnommen und illustrieren damit, wie manche Schreiber in exakt demselben Zusammenhang einmal den Konjunktiv und einmal den Indikativ verwenden. Aber auch anhand der anderen Beispiele ist zu erkennen, dass der Kontext hier offenbar keinen Einfluss auf die Moduswahl hat. Betrachtet man die regionale Verteilung dieser so verwendeten Indikativformen, zusammenfassend dargestellt in der folgenden Tabelle, so fällt Gebiet B durch seine gegenüber den anderen Gebieten sehr geringe Belegzahl auf. A B C Σ
VAR 67 24 39 130
Σ Ind 353 184 170 707
% VAR 18,98 13,04 22,94 18,39
Auch hat diese alternierende Verwendung dort den geringsten Anteil von den drei Sprachlandschaften. Am meisten ist der Indikativ in Gebiet C zu finden, doch steht der relativ hohe Anteil bei vergleichsweise geringer Belegzahl damit im Zusammenhang, dass in Gebiet C die direkte Rede seltener ist als in Gebiet A und B. Von daher kann man diese Art der Indikativverwendung in keinem der drei Gebiete als häufig bezeichnen. In Anbetracht der oben (S. 409) in Erinnerung gerufenen Tatsache, dass die Verwendung des Indikativs in Verhörprotokollen vom 16. zum 17. Jh. abzunehmen scheint, wäre es möglich, dass weniger die Region als vielmehr die Entstehungszeit der Protokolle das hier beobachtete Ergebnis beeinflussen. Diese Hypothese bestätigt das hiesige Hexenverhörkorpus bedingt: Von den 132 Indikativformen befinden sich 43 in den 21 Texten, die vor 1600 aufgesetzt wurden (1565–1598), die übrigen 89 Indikative entstammen den 86 Texten
424
6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
aus der Zeit von 1600–1661. Vergleicht man den Anteil an Indikativformen mit der Gesamtanzahl von Konjunktiven in diesen beiden Quellengruppen, so ergibt sich für die Zeit vor 1600 ein Verhältnis von 43 zu 1 521 (= 2,75%), während nach 1600 der Indikativ noch weniger zum Einsatz kommt, und zwar in 88 Fällen zu 8 071 (= 1,09%). Der Konjunktiv hat demnach bereits um 1565 begonnen, den Indikativ massiv zu verdrängen, und dieser Prozess setzt sich nach 1600 noch fort. Eine weitere Erklärung könnte in der Tatsache gefunden werden, das 65 der Formen und damit knapp die Hälfte aus nur 7 Quellen stammen, während die übrigen 66 sich auf 31 Quellen verteilen. 49 der 65 Formen stammen aus Uphusen 1565 (11), Westerlandföhr 1614 (5), Passow 1577 (12), Perleberg 1588 (6) und Stettin 1620 (15), Quellen aus dem Nnd. und Nod. also, wobei im Nod. diese Art der Indikativverwendung am stärksten vertreten ist. Hier könnte also die Region einen Einfluss auf die Moduswahl ausüben. Da jedoch die drei Quellen aus dem Gebiet des Nod. mit 33 den weitaus größten Anteil an den ingesamt dort zu findenden 40 Formen ausmachen – die übrigen sieben Formen verteilen sich auf ebenfalls drei Quellen – scheint eher der Individualstil des Schreibers als die Region oder der Zeitpunkt des Abfassens eine entscheidende Rolle bei der Moduswahl zu spielen. Auch in den nnd. Quellen stehen die 16 Indikative aus Uphusen und Westerlandföhr sieben Indikativen aus vier weiteren Quellen gegenüber, was den für das Nod. gewonnenen Eindruck bestätigt, wenn auch nicht in demselben Ausmaß. Der Entstehungszeitpunkt könnte allerdings bei der ältesten Quelle des Korpus, Uphusen 1565, von Bedeutung sein. Die anderen beiden, an der knappen Hälfte aller Indikativformen dieser Art beteiligten Quellen sind oobd. und wmd.: St. Lambrecht 1602 (11) und Erkelenz 1598 (5). Da sie die einzigen Quellen in ihren Ursprungsregionen sind, die einen erhöhten Anteil dieser Indikativart aufweisen, ist auch hier der Individualstil des Schreibers die einzig mögliche Erklärung. Als spezieller Kontext für den alternativen Indikativ lässt sich vielleicht noch der Quotativ anführen, wie er bereits in Beispiel (5.50) mit einem Indikativ zitiert wurde.23 Eine derartige Verwendung lässt sich insgesamt achtmal beobachten. Häufiger wird auch hier der Konjunktiv verwendet. 23 Vgl. Abschnitt 5.50, S. 351 dieser Arbeit.
6.4 Beschreibung oder Redewiedergabe?
425
Insgesamt lässt sich sagen, dass der Indikativ, der heutzutage in der indirekten Rede nicht auffällig und recht häufig ist, es sei denn in spezifischen öffentlich-schriftlichen Textsorten, und der auch im 15. und frühen 16. Jh. im Wechsel mit dem Konjunktiv auftrat, in den hier untersuchten Texten – bis auf die eben erwähnten Ausnahmen – hinter der Häufigkeit des Konjunktivs massiv zurücksteht. Diese Beobachtung bestätigt das Ergebnis der anderen Untersuchungen. Dass er aber doch als Alternative zum Konjunktiv vorkommt, zeigt, dass keine vollständige Verdrängung durch den Konjunktiv möglich gewesen ist.
6.4 Beschreibung oder Redewiedergabe? In den folgenden Beispielen kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, ob der Schreiber die Rede der Angeklagten wiedergibt oder das Verhör beschreibt, indem er über die Angeklagte und ihr Verhalten redet. Diese Unsicherheit ist vor allem durch den Indikativ bedingt. Stünden die finiten Verben im Konjunktiv, so würde es sich eindeutig um Redewiedergabe handeln: (6.24) den 9.[ten] Novembr[is] Ist Elsa Leisen Clausen Frau abermals vorgeford[er]t vndt in der güte v[er]hört word[en], blibe in allen bey ihrer vorig[er] Außsag, Berewet es sehr daß Sie küm[m]erlich durch die hingerichtete Große Margreth in solch elendt gerahten, (Wittgenstein 1629, fol. 4r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 276) (6.25) Habe den Pastoren nicht umbgebracht, aber Wolde mag es woll gethan haben, Sie aber weis nicht, wie es zugegangen (Stettin 1620, S. 2) (6.26) bittet vmbs jüngsten Gericht willen, man soll ihr doch nur d[as] leben nemen, Weiß kein mittell, will gerne sterben (Leipzig 1640, fol. 26r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 307) In Beispiel (6.24) ist der Status von Berewt unklar. Einerseits kann es sich hier um Redewiedergabe handeln, wenn die Angeklagte gesagt hat, ich bereue, dass ich . . . in solch Elend geraten bin. Man könnte gleichermaßen die vorhergehende Form blibe als modusambivalenten Konjunktiv II des Verbs bleiben verstehen, wodurch die
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6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
gesamte Passage als berichtete Rede erscheint. Eine mögliche Originaläußerung wäre dann ich bleibe bei meiner Aussage und bereue . . . Andererseits kann Berewt es sehr ebenso als Redeeinleitung verstanden werden, wobei offen bleibt, ob sie das Verb bereuen selber verwendet hat oder nicht. Schließlich kann ihre Originaläußerung völlig anders ausgesehen haben und der Schreiber die Reue aus ihrem Verhalten geschlossen haben, in welchem Fall das Verb im Indikativ hier zur Beschreibung der Situation verwendet worden wäre. Dasselbe ist auch für Beispiel (6.25) denkbar. Die hier zitierte Antwort steht im Protokoll ohne eigentliche Redeeinleitung, nur mit Ad 5. Art. gekennzeichnet. Der erste Satz wirkt durch den Konjunktiv habe wie indirekte Rede, im zweiten steht das Modalverb mag im Indikativ, so kurz nach dem Satz mit Konjunktiv und besonders durch die Modalpartikel woll wirkt der zweite Satz ebenfalls wie Redewiedergabe. Der dritte Satz Sie aber weis nicht, wie es zugegangen könnte dagegen sowohl Redewiedergabe als auch eine beschreibende, ergebnisorientierte Zusammenfassung dessen sein, was sie gesagt hat – es wäre möglich, dass sie den Mordvorwurf aufgeregt und wortreich von sich weist. In diesem Fall könnte man den dritten Satz nicht als Redewiedergabe bezeichnen. Die Indikative in Beispiel (6.26) stehen mit größerer Wahrscheinlichkeit in indirekter Redewiedergabe. Es zeigt zudem die häufigsten Verben, die in diesem Zusammenhang protokolliert werden, wissen (28) und wollen (23), welche die Hälfte aller Belege ausmachen. Wollen ist auch deshalb so häufig, weil es Teil der formelhaften Wendung leben und sterben wollen ist. Diese wurde bereits oben erwähnt im Zusammenhang typischer Kontexte für Modalverben.24 Die Wendung wird von manchen Schreibern im Indikativ verwendet. Hier könnte man, wie bei der direkten Rede, auch an Rechtserheblichkeit als Grund für die Wahl des Indikativs denken. Nicht alle Schreiber sehen jedoch die Notwendigkeit, in diesem Kontext auf den Konjunktiv zu verzichten. Tabelle 6.1 (S. 410) zeigt, dass der Indikativ in dieser Art von Kontext in allen Regionen nicht besonders oft auftritt, im Nnd., Nod. und Omd. aber leicht vermehrt. Hier sind es indes wiederum nur einige wenige Quellen, in denen die meisten dieser Formen zu finden sind. 37 Formen stammen aus 31 Quellen, wobei jeweils zwei 24 Vgl. Abschnitt 5.4.c ), S. 351 dieser Arbeit.
6.5 Indikativ unmittelbar nach einer Redeeinleitung
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bis sieben Formen aus allen acht Regionen bestritten werden. Man kann also sagen, dass hier Indikative in diesen nicht eindeutig zu bestimmenden Kontexten nur vereinzelt zu beobachten sind. Die übrigen 62 Indikative kommen dagegen aus sechs Quellen: den drei nod. Quellen Güstrow 1615 (5), Passow 1577 (8) und Stettin 1620 (19), den beiden nnd. Quellen Jever 1592 (5) und Grünholz 1641 (6) sowie dem omd. Leipzig 1641 (19). Zudem kommen in diesen Quellen 39 der Formen von wollen und wissen vor und damit weit über die Hälfte. In diesen Quellen greifen die Schreiber demnach häufiger zu dieser beschreibenden Wiedergabe mit Indikativ und verwenden dabei hauptsächlich die beiden erwähnten Verben.
6.5 Indikativ unmittelbar nach einer Redeeinleitung Abschließend soll überprüft werden, ob vielleicht über die beschriebenen Kontexte hinaus die Semantik der Redeeinleitung Einfluss auf die Wahl der Schreiber zwischen Indikativ und Konjunktiv nimmt. Dieses wäre zumindest dann eine Möglichkeit, wenn sich die redeeinleitenden Verben in die mehrfach erwähnten Gruppen der objektiven, subjektiven und indifferenten Verben einteilen ließen.25 Unmittelbar auf eine Redeeinleitung folgt 183-mal der Indikativ, 146-mal davon in direkter Rede, 37-mal in indirekter. Die 27 Belege für direkte Rede in einfacher Redewiedergabe folgen alle direkt auf eine Einleitung; demnach sind 119 in eingebetteter Wiedergabe zu finden. Die 37 Belege für indirekte Wiedergabe mit Indikativ, die direkt auf eine Redeeinleitung folgen, sind alle in einfacher Redewiedergabe zu finden, in eingebetteter Redewiedergabe gibt es dagegen keine indirekte Redewiedergabe mit Indikativ. Betrachtet man nun die redeeinleitenden Ausdrücke, so erscheint es zunächst weniger wahrscheinlich, dass ihre Semantik einen Einfluss auf die Wahl der direkten Rede nimmt: Die hier auftretenden Redeeinleitungen sind solche, die häufig auch indirekte Rede einleiten wie sagen (88), antworten (12), fragen (5), reden (4) und vermelden (8). Es sind demnach wohl eher die oben beschriebenen Erfordernisse – klare Syntax oder Rechtserheblichkeit –, welche die Verwendung der direkten Rede motivieren. Bei den 37 Fällen 25 Vgl. Abschnitt 2.3.a), S. 48 sowie Abschnitt 3.7, S. 139 dieser Arbeit.
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6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
17 4 4 3 2 1 1
sagen bekennen Wahr fragen berichten auf ernstliches Erfragen auferlegen
1 1 1 1 1 1
berufen bitten Dank sagen denken erkennen kundtun
Tabelle 6.2: Redeeinleitungen für indirekte Rede mit Indikativ
von indirekter Rede mit Indikativ ist das jedoch anders. Die entsprechenden Redeeinleitungen sind in Tabelle 6.2 zusammengestellt. Vergleicht man sie mit den in Anhang A.10 (S. 488) aufgelisteten, so wird deutlich, dass die meisten dieser Verben auch mit Konjunktiv vorkommen. Sagen und fragen gehören zu den vier häufigsten Redeeinleitungen überhaupt, aber auch die anderen wie bekennen und bitten treten häufig auf. Von allen diesen Verben gehört allein bekennen der Gruppe der objektiven Verben an. Bekennen ist hier allerdings zumeist analog zur augenscheinlichen Gedankenwiedergabe als Verb des Sagens gebraucht, indem der Schreiber den Satz Sagt, sie bekenne, dass . . . zu Bekennt, dass . . . verkürzt. Der Indikativ könnte daher hier zwar durch das redeeinleitende Verb bedingt sein, in Anbetracht von 366 Fällen, in denen auf bekennen ein Konjunktiv folgt, kann jedoch ebenfalls eine zufällige Abwechslung der beiden Modi vorliegen. Zwei der redeeinleitenden Ausdrücke kommen allerdings nirgends mit Konjunktiv vor, und zwar auferlegen und Dank sagen. Auf Letzteres folgt jedoch einerseits ein mit der Konjunktion dass eingeleiteter Verbendsatz, dessen Struktur zumindest in der Gegenwartssprache der Verwendung des Indikativs zuträglich ist, und andererseits enthält der Nebensatz eine religiös motivierte, allgemeine Wahrheit, die wohl eher der Grund für den Indikativ sein dürfte. Auferlegen wird hingegen von einem Befehl gefolgt, der offensichtlich im Indikativ eine bindendere Wirkung hat. Insgesamt lässt sich die Semantik der Redeeinleitungen somit nicht zur Erklärung der Moduswahl heranziehen. Nun könnte auch das Tempus der Redeeinleitungen für die Moduswahl verantwortlich sein. Ein Tempus weisen jedoch nur die 37 Redeeinleitungen auf, die Teil einfa-
6.5 Indikativ unmittelbar nach einer Redeeinleitung
429
cher Redewiedergabe sind. Die Belegzahlen sind also zu niedrig, um aussagekräftige Ergebnisse anhand der Tempuskombinationen von Haupt- und Nebensatz erwarten zu können. Die direkte, eingebettete Redewiedergabe ist zwar zahlreicher, doch ist eine Untersuchung nicht ebenso vielversprechend, da wie auch zuvor bei der Betrachtung der Semantik der Redeeinleitungen davon ausgegangen werden kann, dass weniger das (morphologische) Tempus als vielmehr das syntaktische oder verfahrenstechnische Erfordernis die Schreiber dazu bringt, in direkter Rede zu protokollieren. Zudem hat sich kein Einfluss der konjunktivischen Redeeinleitungstempora auf die Wahl der Konjunktivformen in den abhängigen Sätzen gezeigt,26 sodass die Vermutung nahe liegt, dass sich auch hier kein Zusammenhang zeigen wird. Bei der einfachen direkten Redewiedergabe ist die Verteilung der Redeeinleitungen, die sich insgesamt beobachten lässt, direkt reflektiert: Es überwiegen die Redeeinleitungen im Präsens (10), gefolgt von denen des Typs [re0] (9), Perfekt (6) und jeweils einer Redeeinleitung im Präteritum und in Form eines Substantivs. Auch in eingebetteter direkter Wiedergabe sind dieselben Redeeinleitungen wie in den Kombinationen mit Konjunktiv zu beobachten: Es überwiegen die im Perfekt (25) und Plusquamperfekt (31), noch häufiger ist [re0]° (60), die restlichen verteilen sich auf das Präteritum (1) und zwei nicht finite Redeeinleitungen vom Typ [reS]°und [part]°. Dasselbe lässt sich für die Redeeinleitungen sagen, denen ein indirekt wiedergegebener Satz folgt: Das Präsens überwiegt (18), neben Perfekt (7) und Präteritum (1). Von den nicht finiten Redeeinleitungen ist keine so häufig wie das Präsens; insgesamt sind es elf Belege, wobei [part] und [reA] den größten Anteil haben (jeweils 4), daneben finden sich [re0] (2) und [reS] (1). Die Redeeinleitungen, die in Kombination mit Indikativ verwendet werden, sind also dieselben, die mit Konjunktiv vorkommen (vgl. Tabelle A.13 in Anhang A.6, S. 468). Bemerkenswert ist nun, dass die meisten Indikativformen im Präsens und Perfekt vorkommen, und zwar in Kombination mit allen oben aufgeführten Redeeinleitungen, weswegen diese offenbar keinen Einfluss auf die Tempuswahl nehmen. Das gilt in gleicher 26 Vgl. Abschnitt 5.3.b), S. 280 dieser Arbeit.
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6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
Weise für die direkte wie für die indirekte Rede. Nur ganz vereinzelt tritt das Präteritum auf, beispielsweise in dem folgenden Bötespruch in direkter Rede: (6.27) Ad. 1 Sagt nein, sie sei nicht berüchtigt gewesen, sonst konte sie das heilige dingk stillen, mit diesen worten: Petrus vnd Paulus gingen aus das kraut zusuchen, damit wolten sie das heilige dingk stillen vnd böten, [. . .] (Crivitz 1642, S. 6) Zudem erscheint der Indikativ Präteritum fast nur in Gebiet A, lediglich eine Form ist in Gebiet B zu finden. Daher scheinen sich das Präsens und das Perfekt im Indikativ den Schreibern eher angeboten zu haben als das Präteritum. Das bedeutet zugleich, dass direkt wiedergegebene Aussagen der Angeklagten ebenfalls in diesen Tempora gehalten sind, und das könnte bedeuten, dass die Angeklagten diese Tempora auch in der Originaläußerung verwendet haben. Beim Präsens ist das nicht weiter verwunderlich: Allgemeingültige Aussagen wie Ich heiße . . . können beispielsweise in allen drei Gebieten nur im Präsens (Konjunktiv oder Indikativ) wiedergegeben werden, nicht aber in einem Vergangenheitstempus. In Gebiet C liegt es nahe, dass auf Vergangenes in direkter Rede mit dem Perfekt Bezug genommen wird. Sowohl das Oobd. als auch das Wobd. befinden sich südlich der Präteritalgrenze, als Erzähltempus ist dort also das Perfekt zu erwarten. Dass jedoch auch in den Gebieten A und B in direkter Rede das Perfekt verwendet wird, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Hier, nördlich der Präteritalgrenze, wäre ein größerer Anteil an Präteritum zu erwarten gewesen. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass das Perfekt nicht als Erzähtempus (d. h. in längeren Passagen des Berichts, die ohnehin eher im Konjunktiv wiedergegeben werden) eingesetzt wird, sondern lediglich mit Bezug auf gerade Vergangenes, zum Sprechzeitpunkt noch Bedeutendes. Dahingehende Überlegungen sind bereits in Abschnitt 5.6.h) (S. 401) für den Konjunktiv Perfekt angestellt worden. (6.28) [. . .] undt zu ihr gesaget: Nein Lyse, Ich habe mich mein e lebetage mit euch nicht verzurnet (Schivelbein 1637, S. 436)
6.5 Indikativ unmittelbar nach einer Redeeinleitung
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(6.29) Ob sie domals nitt gehoertt das die schwiegersch[en] [. . .] geruff[en] Stynn Knoicken haitt den hundt bezaubertt. (Erkelenz 1598, S. 3) Die Verwendungsweisen des Perfekts in Beispiel (6.28) und (6.29) passen zu den in Abschnitt 5.6.h) (S. 401) aufgeführten. In Beispiel (6.28) weist die Angeklagte wiederum einen Vorwurf von sich, der unmittelbare Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Dasselbe gilt für Beispiel (6.29). In der eingebetteten Redewiedergabe wird behauptet, die Angeklagte habe einen Hund verzaubert, und gemäß der Meinung der Frau, die diesen Vorwurf äußert, ist der Hund zum Originalsprechzeitpunkt verzaubert, weswegen auch hier das Perfekt die angemessene Tempuswahl darstellt. Der Mangel an Indikativ Präteritum könnte somit durch die untersuchten Textsorten erklärt werden: In erzählenden Passagen, wo der Indikativ Präteritum verwendet werden kann, wird hier der Konjunktiv verwendet. Bei den präsentischen Redeeinleitungen ist zu beachten, dass keine Verlagerung stattfindet, wenn ein Indikativ Präsens von einer indirekten Redewiedergabe mit Indikativ Präsens gefolgt wird. Der zeitliche Bezugspunkt ist die Wiedergabezeit, alles so wiedergegebene ist also als gleichzeitig mit diesem zu verstehen. Hier finden sich vornehmlich Kontexte aus der Gruppe 4, die ebenso eine Beschreibung der Verhörsituation sein könnten. So folgt beispielsweise auf die präsentische Redeeinleitung das Verb wissen im Indikativ, im Anschluss wird jedoch eine Redewiedergabe mit Konjunktiv II fortgesetzt: (6.30) ad 14: S[agt]: Weiß nichts daruon, Magdalena hette wohl offt zu inq[ui]sitin gesagt, d[as] Vrsula so über sie schriehe, [. . .] (Leipzig 1640, fol. 25r) Schließlich sind zehn der 37 Sätze indirekter Redewiedergabe mit Indikativ dass-Sätze, also Verbendsätze und somit nach heutigem Standard aufgrund der Redeeinleitung und der Konjunktion ausreichend als Wiedergabe gekennzeichnet, sodass der Konjunktiv redundant und der Indikativ durchaus üblich ist. Die Indikative in den hier vorkommenden dass-Sätzen lassen sich jedoch eher über die oben genannten Kontextarten erklären als rein syntaktisch, weshalb
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6 Die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv
die Tendenz, in dass-Sätzen in der Redewiedergabe den Indikativ zu verwenden, in diesem Untersuchungszeitraum nicht prominent scheint.
Kapitel 7
Resümee und Ausblick Dieses letzte Kapitel der vorliegenden Arbeit verfolgt drei Ziele. Erstens soll die Frage beantwortet werden, welche Erkenntnisse bezüglich der Entwicklung des Konjunktivs I zum Normalmodus der indirekten Rede in der neuhochdeutschen Schriftsprache insbesondere aus Kapitel 5 gewonnen werden können. Zweitens muss überlegt werden, inwieweit die Erkenntnisse aus den Kapiteln 5 und 6 einen neuen Blick auf das Normen- bzw. Konventionsgeflecht der neuhochdeutschen Verwendung der Modi Indikativ und Konjunktiv eröffnen. Drittens werden sich aus diesen Überlegungen zahlreiche Ansatzpunkte für weiterführende Forschungen ergeben, die es aufzuzeigen gilt.
7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum gegenwartssprachlichen Normalmodus der schriftlichen Redewiedergabe Zunächst ist eine Rekapitulation aller Faktoren notwendig, welche die Moduswahl in den untersuchten Texten steuern. Nicht erneut erwähnt werden jedoch die zahlreichen Einzelergebnisse; vielmehr geht es um eine Nachzeichnung der wichtigsten Erkenntnisse. Als bedeutendstes Verwendungsmuster hat sich die regional differenzierte Konjunktivwahl ergeben. Es ist davon auszugehen, dass sie durch ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren hervorgerufen wird. Der Befund der Konjunktivverwendung – d. h. der Befund einer mehr oder weniger kontinuierlichen Abnahme des Konjunktivs I von Süden nach Norden – lässt sich mit dem Präteritumschwund in Ver-
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7 Resümee und Ausblick
bindung bringen. Da dieser jedoch nur die Formen des Indikativs betrifft, bietet sich als Erklärung an, dass die Verteilung durch die Transposition des hauptsächlichen Erzähltempus im Verhör entsteht: Im Norden ist es das Präteritum, im Süden das Perfekt, in einem breiteren Übergangsgebiet um die Präteritalgrenze herum sind dagegen beide Tempora für Erzählungen in Gebrauch. Die naheliegendste Art, das Perfekt zu transponieren, ist der Konjunktiv I, während beim Präteritum der Konjunktiv II näher liegt, wenngleich nicht ebenso offensichtlich wie beim Perfekt. Es sind vielmehr Annahmen unterschiedlicher Analogiewirkungen nötig, um den Zusammenhang zwischen Präteritum und zusammengesetzten Verbformen im Konjunktiv II herzustellen. Zudem ist es wahrscheinlich, dass nicht immer nur Erzähltempora zum Einsatz gekommen sind. Das Perfekt ist im 17. Jh. bereits im gesamten Sprachgebiet verbreitet und wird dort, wo es nicht Erzähltempus ist, in speziellen Kontexten verwendet, etwa zum Bezug auf Ereignisse, die zum Sprechzeitpunkt noch gültig sind oder denen eine besondere Bedeutung für die Gegenwart zukommt. Das Plusquamperfekt ist ebenfalls bereits überall verbreitet, insgesamt jedoch seltener als das Perfekt. Dementsprechend kann sein Einfluss auf die Wahl des Konjunktivs nicht bedeutend gewesen sein. Formen des Präsens müssen ebenfalls in den Verhören vorgekommen sein, doch auch bei diesen (ebenso wie bei den Präteritumformen) besteht nicht immer eine strukturelle Disponiertheit, in einen der beiden Konjunktive umgewandelt zu werden. Das Präsens kann analog zum indikativischen Tempus im Konjunktiv I, analog zur Mehrheit der übrigen Konjunktive im Konjunktiv I oder II sowie teilweise in der strukturell naheliegendsten Art (wiederum Konjunktiv I) wiedergegeben werden. So gibt es vermutlich im gesamten Untersuchungsraum – d. h. nicht nur in Gebiet C – das Potenzial, im Konjunktiv I zu transponieren. Die Grundtendenz der Verteilung der Konjunktive von Norden nach Süden kann demnach durch die wahrscheinliche Transposition der indikativischen Tempora erklärt werden. Als unterstützendes Moment tritt der Faktor der mundartlichen Konjunktivverwendung zu dieser regionalen Verteilung hinzu. Auch heute ist in der regional gefärbten Umgangssprache die Neigung zu beobachten, nur einen Konjunktiv in der indirekten Rede zu verwenden – wenn der Konjunktiv überhaupt verwendet wird. Im alemannischen Sprach-
7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum Normalmodus
435
raum ist es der Konjunktiv I, in Norddeutschland der Konjunktiv II. In den Mundarten der Mitte Deutschlands wird ebenfalls der Konjunktiv II verwendet, auch wenn er sich hier nicht unbedingt merkbar in der regionalen Umgangssprache niederschlägt (von Grammatiken wird dieses zumindest nicht beschrieben). Im oobd. Gebiet (d. h. vornehmlich Bayern und Österreich) wird die indirekte Rede wahrscheinlich im Indikativ realisiert. Wenn man nun mit Behaghel davon ausgeht, dass diese heute zu beobachtende regionale Verwendungsweise bereits im 17. Jh. und früher bestanden hat, kann man sich vorstellen, dass sie auch in die regionalen Schreibsprachen eingegangen ist, da diese auf Grundlage der Mundarten entstanden sind. Auch wäre es möglich, dass sich die Kanzleischreiber von ihrem eigenen mündlichen Sprachgebrauch bei der Protokollierung haben beeinflussen lassen, wie Behaghel es für die Schriftsteller vermutet hat. So lässt sich der hohe Anteil an Konjunktiv II in Gebiet A (und zwar gradliniger als anhand des Erzähltempus) sowie der noch höhere Anteil an Konjunktiv I im Südwesten erklären. Speziell liefert dieser Ansatz auch eine Erklärung für die Konjunktivverwendung in Lemberg 1630, der einzigen Quelle des Mischtyps MIIa, die weiter südlich von der Präteritalgrenze liegt als alle anderen Mischtypen dieser Art. Dort wird in der Mundart der Konjunktiv II verwendet, das Erzähltempus müsste dagegen das Perfekt sein. Was dieser Ansatz jedoch nicht zu erklären vermag, ist die Tendenz im Nwd., Wmd. und Nobd., beide Konjunktive zu mischen. Wären die Orientierung am Tempus der Originaläußerung und der Konjunktivgebrauch in den Mundarten die allein bestimmenden Faktoren, müsste die Verteilung der beiden Konjunktive gleichmäßiger aussehen, als sie sich tatsächlich gestaltet. Folglich müssen noch weitere Faktoren an der Konjunktivverwendung beteiligt sein. Gerade im Kontext der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache ist hierbei an Vorgänge wie Sprachwechsel und Sprachausgleich zu denken. Insbesondere wurde in dieser Arbeit versucht, einen Zusammenhang zwischen dem Sprachwechsel im niederdeutschen Raum und dem zu beobachtenden Verteilungsmuster des Konjunktivs herzustellen sowie zwischen ihm und der Konfessionalisierung. Im Zuge des Sprachwechsels im niederdeutschen Raum werden die bis dahin bestehenden mittelniederdeutschen Schriftsprachen nach und nach durch andere abgelöst. Zumeist ist es ein Hoch-
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7 Resümee und Ausblick
deutsch ostmitteldeutscher Prägung, das übernommen wird, speziell in Westfalen ist es jedoch oberdeutsches Hochdeutsch. Dem beobachteten Verteilungsmuster entsprechend kann man davon ausgehen, dass mit der oberdeutschen Schriftsprache die Verwendung des Konjunktivs I befördert wird. Was die „ostmitteldeutsche Prägung“ dagegen für die Konjunktivverwendung bedeutet, ist nicht völlig klar, da dort zwar insgesamt der Konjunktiv II überwiegt, es aber auch Quellen des Mischtyps MIIb gibt, die also relativ viel Konjunktiv I enthalten. Zudem ist in diesem Gebiet die Quellenlage nicht so dicht, wie es wünschenswert gewesen wäre. Folglich ist bei allen Aussagen über den wahrscheinlichen Normalmodus des Omd. Vorsicht angebracht. Die beobachtete Konjunktivverteilung ist mit der Annahme vereinbar, dass mit der omd. Schreibsprache der Konjunktiv II ins niederdeutsche Gebiet getragen wurde, wo er jedoch vermutlich aufgrund der bereits genannten beiden Faktoren schon in Gebrauch war. Es ist aber auch möglich, dass sich eine Protokollierungspraxis mit einem Konjunktiv-II-Mischtypus verbreitet hat, so wie sie beispielsweise in Leipzig zu beobachten ist. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, dass einige norddeutsche Quellen, die immer wieder durch einen hohen Anteil an Konjunktiv I aufgefallen sind (Grünholz 1641, Jever 1592, Passow 1577, Stettin 1620), dieselbe Indikativverwendung wie in der Quelle Leipzig 1641 aufweisen. Man kann daher festhalten, dass diese Quellen eine Gruppe ähnlichen Protokollstils bilden, und es wäre möglich, dass ihre Gemeinsamkeiten durch den Sprachwechsel entstanden sind. Eine weitere Möglichkeit, den höheren Anteil an Konjunktiv I in einigen norddeutschen Quellen zu erklären, ist die Annahme einer die Konjunktivwahl betreffenden mittelniederdeutschen Schreibtradition. Im Mittelniederdeutschen wurde die Consecutio temporum befolgt, und so wäre es möglich, dass noch stark niederdeutsch geprägte Quellen, die zudem ein hohes Maß an Redeeinleitungen im Präsens enthalten – wie z. B. Flensburg – deswegen mehr Konjunktiv I zeigen als andere norddeutsche Quellen. Die omd. und die oobd. Schreibsprache sind auch für die Konfessionalisierung von Bedeutung, da beide als nachahmungswürdige Prestigenorm zu gelten haben: das „meißnische“ Omd. in den protestantischen Territorien und das katholische Obd. in den ka-
7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum Normalmodus
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tholischen. Anhand der Konfessionalisierung lässt sich insbesondere der relativ hohe Anteil an Konjunktiv I im Wmd. erklären, für das eine Orientierung am Oberdeutschen seit Längerem erwiesen ist. Da im gesamten obd. Gebiet der Konjunktiv I verwendet wird, ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich mit der obd. Schriftsprache auch dieser verbreitet. Auch konnte ein Zusammenhang zwischen der Konjunktivverwendung und dem Auftreten als obd. geltender Graphien nachgewiesen werden. Beim Omd. besteht hingegen dasselbe Problem, das soeben bei der Diskussion des Sprachwechsels angesprochen wurde. Es ist nicht sicher, dass sich der ausschließliche Gebrauch des Konjunktivs II mit dem Omd. ausbreitet, es kann ebenso ein Mischtyp sein. Von daher ist die Prestigenorm „Oberdeutsch“, welche die Verwendung des Konjunktivs I zu begünstigen scheint, in diesem Zusammenhang als gewichtiger zu bewerten. Diese vier regionalen Faktoren können das Bild der Konjunktivverteilung, das sich anhand der untersuchten Quellen zeigt, bereits annähernd erklären: Das Überwiegen des Konjunktivs II im Norden bzw. in Gebiet A und des Konjunktivs I im Süden bzw. in Gebiet C lässt sich durch eine Kombination aus Transposition des hauptsächlichen Erzähltempus und mundartlicher (potenziell regionalschreibsprachlicher) Konjunktivverwendung erklären. Die Mischung in Gebiet B kann durch Orientierung an der obd. Schreibsprache entstanden sein, bei der bestehende Traditionen jedoch nie gänzlich aufgegeben wurden. Abweichungen in Gebiet A vom eigentlich vorwiegend zu erwartenden Konjunktiv II können durch den Sprachwechsel zum Hochdeutschen erklärt werden, aber auch durch Spuren älterer Schreibtraditionen. Wie sich aber im weiteren Verlauf des Kapitels 5 gezeigt hat, tragen andere, nicht-regionale Faktoren zur Mischsituation in Gebiet B und in manchen Quellen des Gebietes A bei. Da ist zunächst die Regel der Consecutio temporum zu nennen. Für Gebiet B konnte in vielen Quellen nachgewiesen werden, dass eine präsentische Redeeinleitung die Moduswahl der unmittelbar nachfolgenden Verbform beeinflussen kann. In Gebiet A lässt sich dieselbe Tendenz in einigen Quellen beobachten, wenngleich nicht in allen. Andere Redeeinleitungen – solche im Perfekt oder solche ohne finites Verb – scheinen dagegen keinen Einfluss auf die Konjunktivwahl zu haben. Wie Vorgängeruntersuchungen gezeigt haben, schwankt der Konjunktivge-
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7 Resümee und Ausblick
brauch nach Perfekt. Dass er dieses auch nach anderen, vornehmlich nicht finiten Redeeinleitungen tut, ist dagegen eine neue Erkenntnis. Zudem ist neu, dass sich nach diesen Redeeinleitungen mehrheitlich der Normalmodus der Quelle beobachten lässt, welcher zumeist mit dem Normalmodus des jeweiligen Gebietes übereinstimmt. In Quellen aus Gebiet B, wo beide Konjunktive Normalmodus sind, schwankt der Gebrauch ohnehin. Die Tempuswahl nach dem Redeeinleitungstempus „Perfekt“ scheint also nicht an der Durchsetzung des Konjunktivs I als Normalmodus der indirekten Redewiedergabe in der neuhochdeutschen Schriftsprache beteiligt zu sein. Für die Konjunktivwahl nach Präteritum lassen sich keine gesicherten Erkenntnisse anhand des vorliegenden Korpus gewinnen, da sie zu selten sind. Auch die Morphologie der Verbformen spielt offenbar bei der Moduswahl eine Rolle. Insbesondere in Gebiet A und B kommen starke Verben vorzugsweise – abweichend vom Normalmodus – im Konjunktiv I vor. Die Modalverben sind dagegen etwas häufiger im Konjunktiv II zu beobachten. Die Anwendung der ebenfalls eng mit der Morphologie zusammenhängenden Ersatzregel konnte in einigen Quellen des Gebietes B für das Verb haben mit Sicherheit nachgewiesen werden, in anderen hat sich die Regel als wahrscheinlich angewandt erwiesen. Auch dieser Ersatzmechanismus trägt in Gebiet B zur Mischung der beiden Konjunktivarten bei. Zudem steht nun fest, dass diese Regel nicht erst im 19. Jh., als sie von Grammatikern beschrieben wurde, entstanden ist. Auch scheint sie nicht erst dann sprachplanerisch erdacht zu sein; zumindest hatten einige Kanzleischreiber bereits im 17. Jh. das Bedürfnis, Modusambivalenz durch Anwendung der Ersatzregel zu vermeiden. Das sind die Faktoren, die auf die Moduswahl jeweils einer größeren Anzahl von Quellen einwirken und so zum Gesamtbild beitragen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass mehr Faktoren den Konjunktiv I befördern als den Konjunktiv II. Diese Beobachtung kann gleichfalls bei der Einzelbetrachtung der Quellen gemacht werden, welche zum Abschluss von Kapitel 5 u. a. gezeigt hat, welche Funktion die vom Normalmodus abweichende Formen in den einzelnen Quellen haben. Die Schreiber setzen den Konjunktiv I ein zum Bezug auf allgemeine Wahrheiten, zur Wiedergabe realer Konditionalsätze, in Übernahme aus der Originaläußerung, vermutlich bei Transposition des Perfekts
7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum Normalmodus
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sowie des Öfteren in Fragenkatalogen. Der Konjunktiv II erscheint dagegen abweichend vom Normalmodus nur in irrealen Konditionalsätzen, ganz selten zum Zweck der Distanzierung in einigen Quellen des Gebietes C oder als Übernahme aus der Originaläußerung, beispielsweise in einem irrealen Wunschsatz. Solche und andere Verwendungsweisen treten jedoch jeweils lediglich punktuell auf. Ein bedeutenderer Faktor, der hingegen die Verwendung des Konjunktivs II begünstigt und der gerade in Gebiet B zusätzlich dazu beiträgt, dass beide Konjunktive zu gleichen Teilen vorhanden sind, ist die syntaktische Hervorhebung der eingebetteten Redewiedergabe durch jeweils den Konjunktiv, der nicht der Normalmodus der jeweiligen Quelle ist. In den allermeisten Fällen dient hierzu der Konjunktiv II, nur punktuell ist es der Konjunktiv I. Andernorts, d. h. vornehmlich in Gebiet C, wird die eingebettete Redewiedergabe dagegen nicht besonders gekennzeichnet. Allenfalls wird die Einbettung durch direkte Redewiedergabe hervorgehoben, also u. a. durch den Indikativ. In Gebiet A wird entweder direkte Rede eingesetzt, oder aber die Einbettung ist ebenfalls im dort häufigen Normalmodus Konjunktiv II gehalten. Nur in Gebiet B trägt die Praxis also zur Mischung der Konjunktive bei. Mit Blick auf die Entstehung des Normalmodus im Neuhochdeutschen hat dieser spezielle Kontext für den Konjunktiv II wohl jedoch keine begünstigende Wirkung, da die eingebettete Redewiedergabe eine spezielle, hauptsächlich in Verhörprotokollen zu findende Erscheinung ist. Diese funktionale Trennung ist also für Texte, in denen keine eingebettete Redewiedergabe auftritt, nicht relevant, weswegen sie keine übermäßig große Wirkung auf die Ausbildung der heutigen Konventionen gehabt haben kann. Beide Konjunktive werden dagegen begünstigt, wenn ein Schreiber den Konjunktiv hauptsächlich oder sogar ausschließlich anhand des Stilprinzips der freien Variation wählt. Hier verwischen die Grenzen zwischen den Funktionen der beiden Konjunktive. Es ist allerdings möglich, dass diese Art der Variation auch in einer schreiblandschaftlichen Tradition steht; in den Regionen, die sich nahe an der Präteritalgrenze befinden, ist das in Anbetracht der oben angestellten Überlegungen zur Transposition der Erzähltempora nicht abwegig. Doch wo beide Konjunktive gleichwertig verwendet werden, während anderswo eine klare funktionale Trennung entsteht,
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7 Resümee und Ausblick
wird schließlich nur noch einer der Konjunktive als Normalmodus übrig bleiben. Die Faktoren, welche jeweils einen der beiden Konjunktive begünstigen, sind in Tabelle 7.1 zusammengestellt. Es ist klar erkennbar, dass eine größere Anzahl von Faktoren für die Verwendung des Konjunktivs I spricht bzw. dass diese Faktoren stärker wirken oder aber dass ihre Existenz wahrscheinlicher ist; weniger Wahrscheinliches wird durch ein „(?)“ gekennzeichnet. Wenn man sich nun zunächst vorstellt, dass die hier untersuchten Texte maßgeblich an der Entstehung des Normalmodus der indirekten Rede im Neuhochdeutschen beteiligt gewesen sind, dann kann die Frage, warum sich gerade der Konjunktiv I zu diesem Normalmodus entwickelt hat, auf die folgende Weise beantwortet werden. Dem hier untersuchten Material zufolge hat zwar eine Regionalverteilung der Konjunktivverwendung bestanden, welche in einem Teil des Sprachgebietes den Konjunktiv I, in einem anderen den Konjunktiv II und im dritten beide Konjunktive nebeneinander zuließ. Durch Ausgleichsvorgänge verschiedener Art wurde das Konjunktiv-I-Gebiet ausgedehnt, wenngleich nicht in einem vollständig zusammenhängenden Gebiet, sondern vielmehr durch Orientierung mancher Kanzleien an oberdeutschen Vorbildern, die den Konjunktiv I verwendet haben. Das Konjunktiv-II-Gebiet wurde dagegen nicht ausgedehnt, da sich das Omd. nach Norden und bedingt nach Westen verbreitete, wo aber aufgrund des Erzähltempus und der mundartlichen Konjunktivverwendung der Konjunktiv II ohnehin die wahrscheinlichere Konjunktivform gewesen sein müsste. Zudem wurde in der omd., vorbildhaften Sprache womöglich nicht ausschließlich der Konjunktiv II verwendet. Der Konjunktiv I wurde demnach in einem größeren, nur zum Teil zusammenhängenden Gebiet als Normalmodus der indirekten Rede eingesetzt. Doch auch dort, wo eigentlich der Konjunktiv II der Normalmodus war, gab es stets spezifische Kontexte oder Bedingungen, die den Konjunktiv I beförderten: der Bezug auf allgemeine Wahrheiten, die Tendenz, starke Verben im Konjunktiv I zu verwenden, die ökonomische Umformung des Perfekts oder auch die analoge Umformung des Präsens in indirekte Rede, die der Consecutio temporum entsprechende Moduswahl nach Redeeinleitungen im Präsens. Zusätzlich hat auch der Konjunktiv II neben seiner Aufgabe als Normalmodus spezifische Kontexte, wie die Hervorhebung der
7.1 Der Konjunktiv I auf dem Weg zum Normalmodus
Konjunktiv I Mundart Erzähltempus Transposition des Perfekts Morphologie
Gebiet C (sicher: Wobd.) Gebiet C, Teile von Gebiet B alle Gebiete
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Konjunktiv II Gebiet A und B Gebiet A, Teile von Gebiet B
starke Verben Modalverben (Gebiet A u. B) (Gebiet A u. B) sei (einzelne Quellen) Ersatzregel Ersatzformen (bsd. Gebiet B) eingebettete Hervorhebung im KI Hervorhebung im KII Redewiedergabe (selten) (bsd. Gebiet B) im KI als Normalim KII als Normalmodus modus ohne ohne Hervorhebung Hervorhebung (oft) (bsd. Gebiet A) Prestigesprache Obd. → KI Omd. → KII (?) Omd.→ KI+KII (?) Sprachwechsel Obd. → KI Omd. → KII (?) Omd. → KI+KII (?) mittelniederdeutsche Consecutio temporum Schreibtradition nach Präsens (?) Textsorten KI in Fragenkatalogen KII in einem Fragenkatalog Consecutio KI nach Präsens KII nach temporum (Gebiet A u. B) Präteritum (?) spezielle Kontexte Wiedergabe realer irreale Konditionalsätze Konditionalsätze voluntative Distanzierung Konjunktive (Gebiet C, selten) allgemeine Wahrheiten Tabelle 7.1: Faktoren der Begünstigung von Konjunktiv I oder II
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7 Resümee und Ausblick
eingebetteten Redewiedergabe oder den Ersatz modusambivalenter Formen. Diese treten besonders deutlich in den Quellen des Gebietes B zutage. So könnte es auch sein, dass sich hier eine Trennung der Funktionen der beiden Konjunktive ausgebildet hat: Konjunktiv I zur einfachen Redewiedergabe, Konjunktiv II für die eingebettete Redewiedergabe und als Ersatzform. Für die funktionale Trennung spricht auch das mehrfach von anderer Seite vorgebrachte Argument der Doppelbelastung des Konjunktivs II. Da ihm durch seine Funktion in irrealen Konditionalsätzen und Wunschsätzen die semantische Komponente zweifel oder auch unwirklichkeit zugeschrieben werden kann, eignet er sich nur bedingt für die Redewiedergabe; immerhin besteht eines der Probleme, die heutzutage mit der Ersatzregel und der möglichen Bedeutung des Konjunktivs II entstehen, eben darin. In den untersuchten Texten zeigt sich insbesondere in den Quellen des Typs EI, dass ein Einsatz des Konjunktivs II allein für irreale Konditionalsätze und zur Distanzierung möglich ist, während dem Konjunktiv I die Kennzeichnung der indirekten Rede vorbehalten ist. Da in diesen Quellen keine Ersatzformen auftreten, sind die beiden Konjunktive funktional klar getrennt. Die Voraussetzungen für die Durchsetzung des Konjunktivs I als Normalmodus der indirekten Redewiedergabe im Schriftdeutschen waren also insgesamt – wenn auch ausschließlich anhand des vorliegenden Materials betrachtet – ausgesprochen günstig.
7.2 Die Wurzeln heutiger Gebrauchstendenzen Aus der Situation der Modusverwendung, die in Kapitel 5 und 6 dargestellt werden konnte, ergeben sich nicht nur Anhaltspunkte für die Gründe der Durchsetzung des Konjunktivs I als Normalmodus, sondern es lassen sich auch eine Reihe von Indizien für die Entstehung der komplexen Gebrauchsweisen in der Gegenwartssprache finden. Einige von diesen sind zugleich für die Begünstigung des Konjunktivs I als Normalmodus von Bedeutung. Die Grundsituation kann – nun mit Blick auf Indikativ, Konjunktiv I und Konjunktiv II – wie folgt beschrieben werden: Der Konjunktiv wird im gesamten Sprachgebiet als Zeichen syntaktischer Abhängigkeit verwendet; er hat ei-
7.2 Die Wurzeln heutiger Gebrauchstendenzen
443
ne rein grammatische Funktion. Welcher der beiden Konjunktive als Normalmodus zur Indikation dieser Abhängigkeit zum Einsatz kommt, ist durch unterschiedliche Faktoren determiniert. Der Konjunktiv ist in der indirekten Rede fast ausschließlich zu beobachten; nur in vergleichsweise wenigen Ausnahmefällen wird der Indikativ alternativ zum Konjunktiv eingesetzt. Gegenüber dem Indikativ bietet der Konjunktiv zudem den Vorteil, dass er eindeutig Verlagerung anzeigt (und das könnte einer der Gründe sein, warum er sich bis heute, anders als in den europäischen Nachbarsprachen, in der indirekten Rede gehalten hat). Der Indikativ erscheint aber nicht nur als offenbar nicht motivierte Alternative zum Konjunktiv, sondern auch in speziellen Kontexten, wie zum Beispiel zum Bezug auf Allgemeingültiges. Hierzu wurde er bereits vor dem 17. Jh. verwendet, und auch heute ist er in dieser Funktion gebräuchlich. Im 17. Jh. stellt diese Verwendung jedoch eine Ausnahme dar. Schreiber, die ihn so (als Ausnahme) einsetzen, meinen offenbar, der Konjunktiv sei nicht angemessen, um im Zusammenhang mit Allgemeingültigem verwendet zu werden, und dieses lässt einen Schluss darauf zu, dass für sie der Modus Konjunktiv eine – wie auch immer geartete – Bedeutung trägt. Ob diese Bedeutung sich mit dem heute manchmal vorgeschlagenen ohne gewähr fassen lässt, kann im Rückblick nicht mit Sicherheit gesagt werden, zumal es keine dementsprechenden metasprachlichen Äußerungen aus der Zeit gibt. Andere Schreiber (und zwar die Mehrheit) nehmen eine solche Konjunktivsemantik jedoch nicht an, da sie in vergleichbaren Kontexten den Konjunktiv einsetzen. Nicht alle Schreiber verwenden hierfür jedoch den Normalmodus. In einigen Quellen, die hauptsächlich den Konjunktiv II zeigen, wird zum Bezug auf Allgemeingültiges der Konjunktiv I eingesetzt. Diese Schreiber scheinen also einen Unterschied zwischen dem Konjunktiv II, den sie als syntaktisches Zeichen der Abhängigkeit einsetzen, und dem Konjunktiv I zu machen, welcher wie der Indikativ in anderen Quellen gebraucht wird. Man könnte mit Bezug auf diese Quellen also vermuten, dass die Schreiber den Konjunktiv I als weniger unverbindlich als den Konjunktiv II ansehen. Der Konjunktiv I hat für diese Schreiber nicht nur eine syntaktische Funktion, sondern auch eine semantische Komponente, die ihn für das Äußern von allgemeinen Wahrheiten angemessen erscheinen lässt.
444
7 Resümee und Ausblick
In wieder anderen Quellen, und zwar solchen des Typs EI, kann eine spezifische Semantik des Konjunktivs II angenommen werden. Die Produzenten dieser Texte setzen den Konjunktiv II hauptsächlich in irrealen Konditionalsätzen ein, was zunächst den beiden Arten des Konjunktivs verschiedene syntaktische Funktionen zuweist: Konjunktiv I für indirekte Rede, Konjunktiv II für Konditionalsätze. Es lassen sich jedoch Beispiele finden, in denen sich der Schreiber offensichtlich vom Wiedergegebenen distanziert und hierfür den Konjunktiv II anwendet. Hier kann man also annehmen, dass für Schreiber der Konjunktiv II eine semantische Komponente trägt, die wahrscheinlich als distanz beschrieben werden kann. Das rein syntaktische Zeichen, abhängige Rede zu kennzeichnen, ist dagegen der Konjunktiv I. Einige Quellen des Gebietes B lassen eine Verteilung der beiden Konjunktive erkennen, die nicht durch mögliche Modusbedeutungen determiniert ist, sondern durch eine Vermeidung von Modusambivalenz. In manchen Fällen lässt sich ein systematischer Ersatz ambivalenter Präsensformen durch den Konjunktiv II feststellen. In anderen dagegen werden beide Arten von Konjunktiv frei variiert, ohne dass sich eine andere Motivation erkennen ließe, als den Text durch Abwechslung der Formen interessanter zu gestalten. Dass dies mit dem Präteritumschwund und einer entsprechenden Tradition der Protokollierung in Verbindung stehen könnte, ist dabei nicht von Belang. Wichtig ist lediglich die Tatsache, dass es im 17. Jh. diese Variation gegeben hat. Fest steht, dass sich der Konjunktiv I in der nhd. Schriftsprache als Normalmodus der indirekten Rede durchgesetzt hat. Oben wurde eine Reihe von Gründen genannt, warum es so gekommen sein kann. Zugleich muss irgendwann zwischen dem 17. Jh. und heute der Indikativ in der indirekten Rede wieder vermehrt verwendet worden sein. Um zu ermitteln, wann und vor allem in welchen Arten von Texten dieses geschehen ist, bedarf es weiterer Untersuchungen. Die prinzipielle Durchsetzung des Konjunktivs I bedeutet nun aber nicht, dass die anderen Verwendungsprinzipien der beiden Konjunktive und des Indikativs aufgegeben worden wären. Vielmehr lassen sich eigentlich alle in den Grammatiken und Darstellungen wiederfinden, die in Kapitel 2 dieser Arbeit zur Sprache gekommen sind. Diese Prinzipien sind jedoch nur innerhalb von Texten sinnvoll, die in den regional
7.2 Die Wurzeln heutiger Gebrauchstendenzen
445
ausgebildeten Traditionen stehen, in denen es jeweils – zumindest in manchen Quellen – eine klare funktionale Trennung zwischen Konjunktiv I, Konjunktiv II und Indikativ gibt, bzw. eine einigermaßen nachvollziehbare Bedeutungsopposition. Einige der regional ausgebildeten Traditionen haben sich zudem offenbar weiter verbreitet, wie zum Beispiel die Ersatzregel. Bleiben diese in der regionalen Tradition stehenden Verwendungsprinzipien bestehen, wenn sich zugleich der Konjunktiv I als Normalmodus der indirekten Rede immer mehr – im Zuge sprachlicher Ausgleichsvorgänge – einbürgert, so muss es zu Konflikten zwischen den bestehenden Prinzipien und dem neuen, nun im gesamten Sprachgebiet verwendeten Normalmodus kommen. Diese Konflikte stimmen mit den Hauptpunkten der heutigen Modusdiskussion überein: Eigentlich ist der Konjunktiv I der neutrale Normalmodus, er kann aber verbindlicher erscheinen als der Konjunktiv II. Konjunktiv I und Indikativ können eigentlich beide zum Bezug auf Allgemeingültiges verwendet werden, doch der Indikativ wirkt vielleicht verbindlicher. Der Konjunktiv II kann zur Distanzierung verwendet werden, im Grunde ist er jedoch ein ebenso neutrales grammatisches Zeichen wie der Konjunktiv I, zumal er als Ersatz für diesen bei Modusambivalenz dient. Auch zur Kennzeichnung eingebetteter Redewiedergabe ist er als Zeichen syntaktischer Abhängigkeit zu werten, und in dieser Verwendungsweise erscheint in den Quellen oft der Konjunktiv II. Zwar ist eine Kennzeichnung der eingebetteten Redewiedergabe heute nicht mehr zu beobachten, aus dieser Verwendungsweise könnte aber die rein syntaktische Funktion des Konjunktivs II bis heute erhalten geblieben sein. Zudem ist er immer noch der neutrale Normalmodus in der norddeutschen Umgangssprache. So gesehen ist es wahrscheinlich, dass lokale Traditionen, die auch weiter bestanden, als der Konjunktiv I bereits der Normalmodus der indirekten Rede geworden war, für das heutige Konventionsgeflecht verantwortlich sind. Dementsprechend ist es denkbar, dass diese Verwendungsprinzipien irgendwann in die Grammatikschreibung Eingang gefunden haben. Dazu müssen sie nur zu dem (regionalen) Sprachgebrauch des jeweiligen Grammatikers gehören. Auf diese Weise ließe sich auch ihre Verbreitung und Tradierung erklären. So wird die Ersatzregel, wie ausgeführt, zuerst im 19. Jh.
446
7 Resümee und Ausblick
systematisch in Grammatiken beschrieben, d. h. 200 Jahre nach dem in dieser Arbeit angesetzten Untersuchungszeitraum. Um zu ermitteln, ob auch die anderen Tendenzen letztendlich so den Weg in die heutigen Grammatiken gefunden haben, bedarf es eingehender Untersuchungen der gesamten Grammatiktradition vom 17. bis zum 20. Jh.
7.3 Ausblick Inwiefern Teile dieser Theorie zutreffen können, hängt davon ab, welche Bedeutung für die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache den Protokollen als Zeugen der frühneuzeitlichen Kanzleisprache zukommt. Das kanzleisprachliche Vorbild ist im 17. Jh. immer noch präsent, Grammatiker nennen die Kanzleisprache beispielhaft als nachahmungswürdige Sprachform. Wenngleich die Forschung früheren Entwicklungsstufen der Kanzleisprachen eine größere Bedeutung bei der Entwicklung zum Neuhochdeutschen beimisst, kann doch auch für das 17. Jh. ein Einfluss angenommen werden – zumal bei Texten, die bislang noch nicht erforscht wurden, und in Anbetracht der Äußerungen der Grammatiker zum Kanzleivorbild. Entscheidend ist nun die Frage, ob die hier untersuchten Texte überhaupt an die Öffentlichkeit gelangten, sodass sie als Vorbild dienen konnten. Für eine Art der untersuchten Texte kann man das mit Sicherheit annehmen, und zwar für die Urgichten, die kurz vor der Urteilsvollstreckung öffentlich verlesen wurden. Hinrichtungen waren nicht nur in der Frühen Neuzeit ein gesellschaftliches Ereignis, dem stets viel Publikum beiwohnte. Die Urgichten waren also jedermann (zumindest auditiv) zugänglich und demjenigen stets präsent, der oft zur Hinrichtung vermeintlicher Hexen ging. Ob die Urgichten von Personen, die wegen anderer Verbrechen verurteilt wurden, dieselbe Modusverwendung wie die Hexerei-Urgichten aufweisen, muss in nachfolgenden Untersuchungen systematisch ermittelt werden. Die Sprachform der Urgichten vermeintlicher Hexen steht dagegen fest, ebenso wie die Tatsache, dass sie der Öffentlichkeit zugänglich war und folglich nachgeahmt werden konnte. Im Großen und Ganzen zeigen die Urgichten, wie sich herausgestellt hat, dieselbe Modus-
7.3 Ausblick
447
verwendung wie die Protokolle, das heißt alles hier Ermittelte – die regionalen Faktoren, die Sprachvorbilder, die Consecutio temporum nach präsentischer Redeeinleitung – gilt auch für sie. Zum Teil ist geringfügig mehr Konjunktiv I in ihnen enthalten, was als weiterer Faktor betrachtet werden kann, der die Ausbreitung des Konjunktivs I befördert. Der Einfluss dieser frühneuzeitlichen Texte, die so reich an indirekter Rede mit Konjunktiv sind, auf die Art und Weise, wie sich die indirekte Rede heutzutage im Schriftdeutschen gestaltet, kann aber erst abschließend bewertet werden, wenn andere (Gebrauchs-)Texte derselben Zeit sowie der vorhergehenden und nachfolgenden Jahrhunderte auf die Existenz ähnlicher Verwendungsmuster hin untersucht worden sind. In den bislang zu diesem Zweck analysierten Korpora haben sich die hier ermittelten Tendenzen nicht in dem Maße gezeigt, was jedoch an der Zählweise, der Korpuszusammensetzung und den Fragestellungen liegen kann. Es könnte demnach sein, dass erneute Auszählungen auf größerer Materialbasis mit erhöhter Kontrolle von Variablen vergleichbare Ergebnisse liefern. Die Untersuchung anderer Textsorten aus anderen Jahrhunderten wird unter Umständen auch völlig andere Verwendungsweisen des Konjunktivs zu Tage fördern. Während sich die vorliegende Arbeit vorwiegend mit der Nachzeichnung der Entwicklung des Konjunktivs I zum Normalmodus in der modernen deutschen Schriftsprache beschäftigt, lassen sich in nähersprachlicheren Texten als den vorliegenden Protokollen womöglich Indizien dafür finden, wie es kam, dass heutzutage in der Umgangssprache fast ausschließlich der Konjunktiv II und der Indikativ verwendet werden und eben nicht der Konjunktiv I (vgl. S. 59 dieser Arbeit). Ein in diesem Zusammenhang äußerst interessantes Forschungsergebnis ist in Elspaß’ Monographie zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jh. zu finden (2005). Elspaß hat ermittelt, dass in privater Schriftlichkeit des 19. Jhs. (d. h. genauer in vorwiegend stark nähesprachlich geprägten Auswandererbriefen) doppelt so häufig der Konjunktiv II in indirekter Redewiedergabe verwendet wird wie der Konjunktiv I (vgl. ebd., S. 248). Auch der Indikativ kommt zum Einsatz, und zwar fast so häufig wie der Konjunktiv I. Das deutet darauf hin, dass bereits im 19. Jh. der Konjunktiv II auf dem Weg war, zum Normalmodus der
448
7 Resümee und Ausblick
nähesprachlichen Redewiedergabe zu werden und dass der Indikativ ihm auf diesem Weg folgte. Ob diese Entwicklung vielleicht schon früher eingesetzt hat, müsste anhand nähesprachlicher Textsorten auf breiter Materialbasis untersucht werden. Für eine annähernd lückenlose Aufarbeitung der Geschichte der Modusverwendung ist es weiterhin von essenzieller Bedeutung zu ermitteln, ob vor und nach dem hier angesetzten Untersuchungszeitraum eine Regionalverteilung bestanden hat und ob in solchen regional geprägten Texten dieselbe funktionale Trennung zu beobachten ist wie in den Protokollen des 17. Jhs. Es gibt Indizien, dass auch später noch eine Regionalverteilung in der Schriftsprache bestanden hat. So hat Elspaß in der privaten Schriftlichkeit des 19. Jhs. eine klare Nord-Süd-Verteilung von Konjunktiv II und Konjunktiv I ermittelt (vgl. 2005, S. 252). In literarischen Texten findet Behaghel die Regionalverteilung ebenfalls noch im 19. und frühen 20. Jh. bestätigt (vgl. Behaghel 1899, S. 64–94), weswegen auch die hier ermittelten Funktionen des Konjunktivs vielleicht dort aufzufinden sind. Wenn dem so wäre, dann könnten die angesprochenen Verwendungsprinzipien als ein fester Teil der regionalen Tradition betrachtet werden und somit wäre es noch wahrscheinlicher, dass sie sich in einer Form bis heute gehalten haben bzw. von Grammatikern aufgenommen und beschrieben worden sind. Zudem ist es erforderlich, weitere Texte gleicher und anderer Art aus dem 17. Jh. zu untersuchen: Die Hinzuziehung weiterer omd. Quellen (auch solcher aus schlesischen, pommerschen und weiteren östlichen Territorien) und oobd. Quellen könnte neue Erkenntnisse bringen oder aber die gewonnenen Ergebnisse bestätigen. Erst dann, nach Abschluss all dieser Untersuchungen, kann sich ein wirklich klares Bild der Geschichte der Modusverwendung ergeben, das die Gründe für die heutigen, wenig übersichtlichen Tendenzen darstellt. Der Entwurf dieses Bildes wurde mit der vorliegenden Arbeit indes begonnen.
Teil III
Anhang
Anhang A
Tabellarische Übersichten A.1 Statistische Informationen zum Textkorpus Die folgende Tabelle A.1 zeigt das Verhältnis der Gesamtanzahl von Wörtern im untersuchten Textkorpus zu den Verbformen. Die Tabelle ist zum einen in die drei Konjunktivverwendungsgebiete und jeweils in die Sprachlandschaften untergliedert, zum anderen nach der Art der untersuchten Formen. Die Werte für die Verbformen innerhalb der Redewiedergabe, die in Spalte drei bis fünf aufgeführt sind (Verbformen im Konjunktiv, Imperativ und Indikativ) ergeben, von links nach recht addiert, den Wert für die finiten Verben in Spalte sechs. Darauf folgen in Spalte sieben die Werte für afinite Konstruktionen in der indirekten Rede, und in Spalte acht ist zu diesem Wert der derjenigen afiniten Konstruktionen addiert, die in der Redewiedergabe als Redeeinleitung für eingebettete Redewiedergabe dienen, um den Gesamtwert für afinite Konstruktionen in der Wiedergabe zu erhalten. Spalte neun zeigt die Werte für die Redeeinleitungen, und zwar die Summe der Einleitungen einfacher und eingebetteter Redewiedergabe. Spalte zehn zeigt den Wert der Wörter pro Sprachlandschaft und insgesamt.
452
A
B C
A Tabellarische Übersichten
nnd. nod. omd. ndw. wmd. nobd. wobd. oobd.
Konj. Imp. Ind. fin. V. [0] [0]+[re0]° RE Wörter 928 5 76 1009 390 422 266 15388 934 22 211 1167 744 860 598 20891 1088 3 66 1157 509 555 290 17128 1386 10 78 1474 602 664 499 22188 1464 3 65 1532 874 942 553 28137 842 4 41 887 305 349 207 12959 1592 5 41 1638 800 867 366 27497 1361 8 129 1498 584 614 268 22623 9595 60 707 10362 4808 5273 3047 166811
Tabelle A.1: Korpusgröße und untersuchte (Verb-)Formen
A.2 Konjunktiv in indirekter Rede Die folgenden drei Tabellen A.2, A.3 und A.4 zeigen für jede Quelle die Anzahl der Formen im Konjunktiv. Geordnet ist die Übersicht einerseits nach den drei Verwendungsgebieten und andererseits nach den Sprachlandschaften. Es sind jeweils die Werte für die einzelnen Verbarten (starke und schwache Verben, Modalverben, die Hilfverben haben und sein) im Konjunktiv I und Konjunktiv II abzulesen sowie das prozentuale Verhältnis von Konjunktiv I zu Konjunktiv II.
Tabelle A.2: Konjunktivische Verbformen in Gebiet A
Blankensee 1619 Borgfeld 1587 Brandenburg 1633 Crivitz 1642 Güstrow 1615 Passow 1577 Perleberg 1588 Schivelbein 1635 Schwerin 1620 Stettin 1620 Stralsund 1630 Wüstenfelde 1590 Σ nod.
Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618 Σ omd.
Σ Gebiet A
Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandföhr 1614 Σ nnd.
nordnorddeutsch
nordostdeutsch
ostmitteldeutsch
Gebiet A
131
11 4 2 1 46
5 3
18 1 1
42
11 1
54
21
7 1
2
9 2
4 1 1 24
1 1
1 10
5
26
97
3
5 2 39 280
84
10
3
42 1 25
70
2 32 1
2 21
5
7 1 1 6
12
32
2 1 1 17 1
1
1 7 1
5 4 3
126
6
1 1 9
2 6 2 5 9 3 3
2
8 1 1
4 6
2
hab 1 59 28 5 29 2
5 1 1 1 6 1 43
mv
swv 1 2 2
stv 9 1 18
Konjunktiv I
194
2 2 65
6
16 1 5 5
28
40
24
2 4 2 3 1 1 1 2
89
1 4
sei 7 30 24 4 19
756
39 5 12 5 255
109 4 49 2 11 19
10 26 8 9 23 25 7 4 3 88 4 1 208
Σ 18 96 78 9 63 4 2 2 19 2 293
216
8 93
15 7 3 13 16 3 2 16 10
5 8 2 16 3 84
9 26 1
3 11
1 5 3 5 15 3 39
stv 6 1
87
3 33
2 1 5
11
8 3
35
3 1 6 1 6
4 8
6
1 4 2 19
1 3 3
swv 5
644
30 11 14 26 5 16 14 22 19 5 21 183
22 28 3 30 45 10 15 13 22 23 32 4 247
mv 47 8 2 7 6 33 12 40 50 9 214
Konjunktiv II
806
25 55 8 17 24 68 5 26 49 9 28 314
6 24 15 48 58 4 11 15 10 2 38 26 257
2 2 13 46 19 60 28 5 235
het 60
441
30 32 13 16 18 29 9 14 30 7 12 210
10 4 4 1 17 4 103
8 11 1 19 24
15 32 12 32 11 6 128
1
wer 19
2194
108 108 38 72 74 116 32 79 113 21 72 833
39 80 19 110 161 15 39 38 50 29 109 37 726
Σ 137 9 5 10 38 119 46 138 108 25 635
26
33 4 36 6 23
50 4 56 3 13 14
20 25 30 8 13 63 15 10 6 75 4 3 22
KI 12 91 94 47 62 3 4 1 15 7 32
74
50 96 44 97 87 86 100 67 96 64 94 77
80 75 70 92 88 38 85 90 94 25 96 97 78
KII 88 9 6 53 38 97 96 99 85 93 68
%
M EII MIb EII EII EII EII MIIb EII MIIb EII
MIIa MIIa MIIa EII EII MIb EII EII EII MIa EII EII
Typ EII EI EI M MIIb EII EII EII EII EII
A.2 Konjunktiv in indirekter Rede 453
Tabelle A.3: Konjunktivische Verbformen in Gebiet B
Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehw. 1610 Gerolstein 1633 Hamm 1592 Herborn 1630 Höchst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersheim 1630 Wallhausen 1628 Wittgenstein 1629 Σ wmd.
Bamberg 1628 Bettenhausen 1611 Coburg 1670 Hildburghausen 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 W.-Eschenbach 1630 Σ nobd.
Σ Gebiet B
Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1630 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 Σ nwd.
nordwestdeutsch
westmitteldeutsch
nordoberdeutsch
Gebiet B
275
17 17 2 15 83
6 4 14 8
97
3 4 2 9 8 1 2 29
3 1 5 3 42
10
1
7 5 2 3 5 1 12 3 108
5 4 2 2 2
7 84 3 14 2
1 2 26
11 38 6
2 2
stv 2 4 4 27 6 2 2 4 4 15 7
swv 1 2 3 5 2 4 1 1
Konjunktiv I
407
16 3 6 12 1 61 27 3 23 152
9 16 19 8 1 2 7 5 4 4 4 16 5 5 5 1 10 4 125
20 130
mv 3 3 4 23 7 4 4 5 26 11 20
495
7 2 4 8 11 17 14 16 4 83
12 41 4 16 5 10 10 10 2 1 27 28 1 6 1 16 12 2 204
427
5 3 5 7 7 17 8 17 14 83
9 24 6 1 14 3 5 26 5 200
21 43 5 2 6 17 10 3
144
2 2 14 14 2 3
11 23 8 16 10 1 208
sei 15 17 24 37 13 1
hab 16 16 59 35 12 1
1701
34 12 32 39 21 121 74 39 58 430
56 152 36 26 17 33 29 20 9 14 62 65 9 28 17 24 65 17 679
Σ 37 42 94 127 40 12 7 23 32 65 51 18 14 30 592
173
8 9 3 1 6 7 2 37
1
3 6 83
4 2 8 4
7 4 1 6 15 1 2 8 12
1 8 53
7 4 2 3 3 12
stv 1 1 2 9
80
2 4 9 1 21
1 1 3
2 25
3
4
7
2
7
2 34
17 1
3 2
4
4
1
swv
588
9 16 22 29 10 7 15 26 17 151
25 6 12 22 6 13 13 189
2 19 11 3 2 20 8 1 19 7
mv 4 5 19 29 4 36 15 23 10 17 56 8 13 9 248
Konjunktiv II
707
14 10 30 7 24 1 1 14 21 122
28 28 18 1 3 57 3 4 16 43 3 12 13 15 7 2 2 48 303
het 3 4 9 5 3 29 38 27 36 16 82 1 5 24 282
443
18 2 27 12 8 6 4 2 2 81
23 5 5 12 3 4 22 185
2 10 4 5 3 46 1 7 13 20
10 6 177
15 7 14 38 8 45
wer 4 4 7 19
1991
42 29 88 60 45 17 30 58 43 412
32 71 37 10 14 140 13 14 63 82 3 68 26 43 45 11 22 91 785
Σ 12 15 37 66 7 91 64 69 89 44 212 10 29 49 794
46
45 29 27 39 32 88 71 40 57 51
64 68 49 72 55 19 69 59 13 15 95 49 26 39 27 69 75 16 46
KI 76 74 72 66 85 12 10 25 26 60 19 64 33 38 43
54
55 71 73 61 68 12 29 60 43 49
36 32 51 28 45 81 31 41 88 85 5 51 74 61 73 31 25 84 54
KII 24 26 28 34 15 88 90 75 74 40 81 36 67 62 57
%
MIIb MIIa MIIa MIIb MIIb EI MIa MIIb MIb
MIb MIb M MIa MIb MIIa MIb MIb EII EII EI M MIIa MIIb MIIa MIb MIa MIIa
Typ MIa MIa MIa MIb EI EII EII MIIa MIIa MIb MIIa MIb MIIb MIIb
454 A Tabellarische Übersichten
15 13 7 2 6 6 3 7 9 20 14 25 12 10 9 158 289
Augsburg 1625 Baden 1640 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brugg 1620 Günzburg 1613 Hechingen 1648 Leonberg 1641 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Rapperswil 1595 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629 Stein am Rhein 1667 Σ wobd.
Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenberg 1653 Reichertsh. 1629 St. Lambrecht 1602 Wartenburg 1614 Σ oobd.
Σ Gebiet C
westoberdeutsch
ostoberdeutsch
Tabelle A.4: Konjunktivische Verbformen in Gebiet C 121
1 2 10 6 15 3 8 62
4
3 9 1
2 3 8 22 3 9 2 2 1 1 2 59
swv 2 1 1
Konjunktiv I stv 21 5 1 6 3 9 6 10 15 7 21 7 6 5 4 5 131
Gebiet C
521
17 32 12 1 26 21 5 8 4 14 15 23 19 14 4 215
mv 30 16 10 27 15 10 5 16 23 17 35 25 12 13 41 11 306
1063
36 33 44 6 54 49 17 10 16 21 42 32 66 33 11 470
hab 61 61 51 27 35 7 17 97 20 17 42 39 27 59 8 25 593
691
22 24 8 4 20 28 9 5 9 20 24 27 54 33 4 291
sei 38 25 47 14 34 14 7 59 19 11 41 19 10 29 22 11 400
2685
93 111 72 13 106 108 34 30 39 77 105 113 166 93 36 1196
Σ 152 108 110 74 87 42 38 190 99 55 148 92 57 107 76 54 1489
20
8
2
1 1
1
1 2
1 12
6 1
2
stv 1 1
14
7
1
1
1
2
1 1
7
1
4
swv 1 1
Konjunktiv II
93
50
70
41
6
5 4
4
1 5
2 9 4 3 2 4 6 3 6
2 14
1 10 3 1 29
1 1 5 1 2
1 3
het
2 6 3
6 43
4
3 8 2 5 1
2 2 2
mv 3 5
71
59
7
1 1
6 3
1 3
1 3 33
12
5
2
wer 2 3
268
4 14 51 0 4 20 0 15 7 9 9 9 3 20 0 165
Σ 7 11 3 2 2 4 1 4 25 4 7 2 1 19 3 8 103
91
96 89 59 100 96 84 100 67 85 90 92 93 98 82 100 88
KI 96 91 97 97 98 91 97 98 80 93 95 98 98 85 96 87 94
%
9
4 11 41 0 4 16 0 33 15 10 8 7 2 18 0 12
KII 4 9 3 3 2 9 3 2 20 7 5 2 2 15 4 13 6 EI EI MIb EI EI MIa EI MIb EI EI EI EI EI MIa EI
Typ EI EI EI EI EI EI EI EI MIa EI EI EI EI EI EI EI
A.2 Konjunktiv in indirekter Rede 455
456
A Tabellarische Übersichten
A.3 Indikativ in direkter und indirekter Rede Die folgende Tabelle A.5 gibt eine Übersicht darüber, wie viele Verbformen im Indikativ die einzelnen Quellen enthalten. Die Werte gelten nur für die Formen, die innerhalb von Redewiedergabe auftreten (sowohl direkt als auch indrekt) und die sich eindeutig als Verbformen im Indikativ identifizieren lassen, d. h. modusambivalente Formen sind ausgenommen. In dieser Tabelle werden die Indikativformen der Modalverben (M) getrennt von den sonstigen Verben (V) aufgeführt.
A.3 Indikativ in direkter und indirekter Rede
Gebiet A nnd. Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandf. 1614 Σ
Gebiet B nwd. Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624
Σ
V M Σ nod. V 12 2 14 Blankensee 1619 4 1 1 Borgfeld 1587 8 4 4 8 Crivitz 1642 21 0 Güstrow 1615 28 3 7 10 Passow 1577 14 0 Perleberg 1588 15 1 1 2 Schivelbein 1635 10 3 3 Schwerin 1620 2 12 2 14 Seehausen 1633 4 16 8 24 Stettin 1620 33 Stralsund 1630 1 Wüstenf. 1590 4 52 24 76 Σ 144 V M Σ wmd. 17 4 21 Blankenh. 1629 1 1 Dieburg 1627 2 2 Dillenburg 1631 2 1 3 Drachenf. 1630 2 2 Erkelenz 1598 12 5 17 Friedberg 1620 4 1 5 Gaugrehw. 1610 1 1 2 Gerolstein 1633 1 1 Hamm 1592 0 Herborn 1630 15 4 19 Höchst 1631 1 1 Köln 1629 2 2 Lemberg 1630 2 2 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersh. 1630 Wallhaus. 1628 Wittgenst. 1629 61 17 78 Σ
Σ 8 13 32 42 20 20 13 4 6 46 3 4 67 211
M 4 5 11 14 6 5 3 2 2 13 2
V M 2 2 3 4 6 1
10 3 2 1
9 2 1 3
1 2 3 2 6 1 1 46 19
Σ 4 0 3 4 15 1 2 1 13 3 2 1 1 2 3 2 6 2 65
457
omd. Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618
18 10 1 2 2 3 1
Σ 10 6 6 0 2 5 0 28 1 4 4
Σ
49 17
66
nobd. Bamberg 1628 Bettenh. 1611 Coburg 1670 Hildburgh 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 W.-Eschenb. 1630
V M 3 2
2
Σ 5 0 1 12 5 5 2 5 6
Σ
27 14
41
oobd. Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenb. 1653 Reichertsh. 1629 St. Lambr. 1602 Wartenburg 1614
V M 17 2 4 3 5 3
Σ 19 7 8 0 11 10 1 1 1 3 8 25 2 17 16
V M 9 1 5 1 4 2 2 5
1 7 5 2 5 4
5 5
Gebiet C
wobd. V M Σ Augsburg 1625 2 2 Baden 1640 1 1 B.-Baden 1627 4 4 Bräunlingen 1632 2 2 Bregenz 1628 1 2 3 Brugg 1620 2 2 Günzburg 1613 1 1 Hechingen 1648 2 2 Leonberg 1641 8 1 9 Memmingen 1665 1 1 Meßkirch 1644 1 1 Rapperswil 1595 2 2 Riedlingen 1596 1 1 Rosenfeld 1603 4 3 7 Rottweil 1629 2 2 Stein a. Rh. 1667 1 1 Σ 34 7 41
Σ
9 10 1 1 1 2 7 20 1 15 16
2
1 1 5 1 2
109 20 129
Tabelle A.5: Verbformen im Indikativ in den einzelnen Quellen
458
A Tabellarische Übersichten
A.4 Redeeinleitungen in den Sprachlandschaften Die folgenden vier Tabellen zeigen die Anzahl der Redeeinleitungen sowohl in den drei Gebieten zusammengenommen (Tabelle A.6) als auch für jede Quelle einzeln (Tabelle A.7, A.8 und A.9). Geordnet sind die Werte nach Verwendungsgebieten, Sprachlandschaften und danach, ob sie ein finites Verb enthalten oder nicht.
A.4 Redeeinleitungen in den Sprachlandschaften
einfach
A B C
nnd nod omd nwd wmd nobd wobd oobd Σ
eingebettet
A B C
nnd nod omd nwd wmd nobd wobd oobd Σ
gesamt
A B C
mit finitem Anteil reps repf rept 107 29 3 171 43 16 85 7 24 173 40 16 126 36 44 44 21 17 123 46 8 133 17 1 962
129
1
mit finitem Anteil reps° repf° rept° 0 6 2 1 4 3 1 9 1 1 21 2 5 18 3 6 16 0 1 70 0 8 48 3
repq° 44 34 19 47 20 11 1 5
23
239
repq 0 0 0 0 1 0 0 0
192
14
nnd nod omd nwd wmd nobd wobd oobd
mit finitem Anteil fin fin° Σ 139 52 191 230 42 272 116 30 146 229 71 300 207 46 253 82 33 115 177 72 249 151 64 215
Σ
1331
410
1741
181
ohne finiten Anteil reA re0 part reS 0 12 15 2 96 16 74 21 34 13 2 52 57 47 26 6 0 83 72 55 0 38 1 2 0 27 5 8 0 12 2 5
459
re? 14 0 0 0 15 3 4 0
Σ 182 437 217 365 432 126 221 170
151
36
2150
ohne finiten Anteil re0° part° reS° 32 0 0 116 1 2 46 1 1 62 1 0 68 6 1 44 1 3 67 0 6 30 3 0
re?° 0 0 0 0 0 0 0 1
Σ 84 161 78 134 121 81 145 98
1
902
187
248
465
197
13
13
ohne finiten Anteil afin afin° Σ 29 32 61 207 119 326 101 48 149 136 63 199 210 75 285 41 48 89 40 73 113 19 33 52 783
491
1274
Tabelle A.6: Anzahl der Redeeinleitungen in den drei Gebieten
Σ 252 598 295 499 538 204 362 267 3015
Tabelle A.7: Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet A 43
Σ Gebiet A 79
363
Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandföhr 1614 Stangenhagen 1619 Borgfeld 1587 Crivitz 1642 Güstrow 1615 Passow 1577 Perleberg 1588 Schivelbein 1635 Schwerin 1620 Seehausen 1633 Stettin 1620 Stralsund 1630 Wüstenfelde 1590 Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618 2
1
1
19
1
5
3
1
2
3 1
6
1
1
1
1
1
97
3
5 1
3
1
5 3 4 2
3 4 1 1
2 5 5 5
4 8 4 10 4
eingebettete Redewiedergabe reps° repf° rept° repq° 1 14 1 2
finite Redeeinleitungen einfache Redewiedergabe reps repf rept repq 31 1 1 34 1 7 6 1 8 7 2 4 2 2 16 2 3 11 8 1 20 18 2 16 33 17 16 5 10 4 5 4 1 1 51 8 5 1 3 1 5 1 1 2 3 2 4 2 3 1 2 1 21 7 28 10 22 1
Gebiet A
41
2
6
5
3 2 2
5
3 1
3
4 5
91
2
4 14 1
6
35
1 13
15
75
1
51
15 1
1 4
2
130
23
6
5
16
55
25
14
14
einfache Redewiedergabe re0 part reS reA re?
194
2 1 7 6 3 3 12
5
7
1 4 2
17 16 28 25 1 14 8
2
1
1
3
1
1
1
eingebettete Redewiedergabe re0° part° reS° re?° 5 4 1 5 4 3 2 1 7
nicht-finite Redeeinleitungen
460 A Tabellarische Übersichten
Tabelle A.8: Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet B
Σ Gebiet B
Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehweiler 1610 Gerolstein 1633 Hamm Herborn 1630 Höchst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersheim 1630 Wallhausen 1628 Wittgenstein 1629 Bad Mergentheim 1629 Bamberg 1628 Coburg 1670 Hildburghausen 1629 Meiningen 1611 Meiningen 1659 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 Wolframs-Eschenbach 1630
Gebiet B
343
1
4 6 9 3 97
4 1
8
1 4 1 5 7
1 1 1 3 3
1 2 7 3
3
1
2
17 1 13 7
1 6 1 1 11 8 10 3 9 19 17 4 2 6 7 4
77
2
11 4
1
12
2
2
2
1
19
1
1
2
1
1
55
6 4
2 1
2 1
1
1
3 8
1 2
2
4
5
1 1
1
78
1 3
2 2
3
1
1
1
5 2
2 2
1 3 2 1
eingebettete Redewiedergabe reps° repf° rept° repq° 3 1 1 4 3 7 1 1 2 19 8 5 1 1 1 2 6
1 4
4
1 11 1 1 1
einfache Redewiedergabe reps repf rept repq 11 1 5 1 3 71 18 4 4 2 4 6 2 1 1 3 33 2 1 39 3 4 7 1
finite Redeeinleitungen
168
1 3 1
24
3 9 4 7 12 10 1 1 9
1
1 2 7 6 5 3 6 6
99
2 28 3 4 5 3 1 1 1
8 2 7
3 1 2 2
63
1
1
6 12 1
1 31
1
1
1 1
57
18
3
15
einfache Redewiedergabe re0 part reS reA re? 1 20 4 2 1 7 1 1 18 6 5 3 1 2 7 11 20 1 2 2 10 1 1 3 5
174
6 8
2 11 3
7 7
3 6 1 15 1 6 4 4 3
7 4 7 2 11 3 4 5 2 2 1 2 2 4 2 8 3 4
8
1
2 1
1
1 1
1
4
1
2
1
eingebettete Redewiedergabe re0° part° reS° re?° 12 2
nicht-finite Redeeinleitungen
A.4 Redeeinleitungen in den Sprachlandschaften 461
9
Σ Gebiet C 63
256
Augsburg 1625 Baden 1640-42 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brugg 1620 Günzburg 1613 Hechingen 1648 Leonberg 1641 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Rapperswil 1595 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629 Stein am Rhein 1667 Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenberg 1653 Reichertshofen 1629 St. Lambrecht 1602 Wartenburg 1614 9
1 1 1
1 1 1 1
1
1
118
2 3 7 1 1
1
7 6 2
1 1 3 7 3 3 14 20 4 2 3 13
1 4 1
3
2
1
6
1
2
2
1
eingebettete Redewiedergabe reps° repf° rept° repq° 4 4
finite Redeeinleitungen einfache Redewiedergabe reps repf rept repq 27 5 1 5 3 1 39 2 7 3 7 2 1 5 4 5 17 6 8 1 9 2 7 1 1 2 6 5 37 3 12 2 1 5 17 15 1 3 4 12 2 1 4 1 2 3 19 2
Gebiet C
39
1 1
1 2 1
6
4
2
1 1 3 1
3 1
1 2
7
2
2
1
13
1
1 1 1
1
1
3
2
2
4
4
einfache Redewiedergabe re0 part reS reA re? 8 2
97
5 1
3 5 3
1 3 5 10 2 3 2 2 5 2 2 6 15 7 2 1 3 1 1 1 6
3
2
1
6
1 2
1
2
1
1
eingebettete Redewiedergabe re0° part° reS° re?°
nicht-finite Redeeinleitungen
462 A Tabellarische Übersichten
Tabelle A.9: Arten der Redeeinleitung in den Quellen, Gebiet C
A.5 Verben pro Redeeinleitung
463
A.5 Verben pro Redeeinleitung Die Tabellen A.10, A.11 und A.12 auf den folgenden Seiten zeigen die folgenden Werte: Zum Ersten wird die Anzahl der finiten Verben plus die der afiniten Konstruktionen in indirekter Rede angegeben (0+fin). Diese errechnet sich aus der Summe aller Konjunktiv-, Indikativ- und Imperativformen und afinten Konstruktionen inklusive derer, die als Redeeinleitung einer eingebetteten Wiedergabe verwendet werden. Der zweite Wert zeigt die Anzahl der Redeeinleitungen (RE), denen eine einfache Redewiedergabe folgt, ungeachtet der Tatsache, ob wirklich eine finite Verbform auf diese folgt oder aber nicht. Der dritte Wert ist schließlich der gerundete Quotient aus beiden (Q), welcher zeigt, wie viele finite und nicht finite Formen durchschnittlich auf eine Redeeinleitung folgen. Die Werte sind für die Quellen einzeln aufgeführt und nach Landschaften geordnet. Für jede Landschaft ist die Summe der Werte errechnet und aus dieser wieder der Quotient. So ist beispielsweise ersichtlich, dass wenn alle Formen zusammen genommen betrachtet werden, durchschnittlich im Oobd. pro Redeeinleitung mit 12 Formen zu rechnen ist, während es im Nod. nur 5 sind. Da das Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der eingebetteten Redewiedergabe eine eigene Dynamik hat, wird hier ausschließlich das Verhältnis von Redeeinleitungen im Indikativ, die einfache Redewiedergabe einleiten, zu den finiten Verbformen innerhalb der Redewiedergabe festgestellt. Insgesamt gestaltet sich dieses Verhältnis wie folgt:
Gesamt
0+fin 15635
RE 2150
Q 7
Σ
RE 33 35 7 7 21 42 2 18 3 14
1437 182
fin+0 Bremen 1603 233 Flensburg 1608 151 Grünholz 1641 119 Hamburg 1583 47 Jever 1592 152 Loccum 1638 211 Meldorf 1618 74 Schwabstedt 1619 213 Uphusen 1565 183 Westerlandf. 1614 54
nordnorddeutsch
Gebiet A
8
Q 7 4 17 7 7 5 37 12 61 4
2027 437
5
fin+0 RE Q Blankensee 1619 103 34 3 Borgfeld 1587 200 20 10 Brandenb. 1633 67 1 67 Crivitz 1642 284 37 8 Güstrow 1615 446 121 4 Passow 1577 101 22 5 Perleberg 1588 175 66 3 Schivelb. 1635 94 18 5 Schwerin 1620 67 7 10 Stettin 1620 259 66 4 Stralsund 1630 154 37 4 Wüstenf. 1590 77 8 10
nordostdeutsch Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlh. 1659 Ostrau 1628 Rosenburg 1618
RE 6 3 12 6 55 30 7 28 17 22 26
1716 212
fin+0 355 142 146 85 155 169 57 187 191 74 155
ostmitteldeutsch
8
Q 59 47 12 14 3 6 8 7 11 3 6
464 A Tabellarische Übersichten
Tabelle A.10: Verben pro Redeeinleitung, Gebiet A
Tabelle A.11: Verben pro Redeeinleitung, Gebiet B 2138 365
6
fin+0 RE Q Ahaus 1608 129 33 4 Alme 1630 122 20 6 Celle 1570 146 5 29 Coesfeld 1632 229 111 2 Essen 1589 100 10 10 Göttingen 1649 148 17 9 Helmstedt 1578 96 7 14 Hildesheim 1628 186 10 19 Lemgo 1632 204 34 6 Münster 1635 171 41 4 Osnabrück 1636 339 58 6 Werl 1630 78 16 5 Wernigerode 1597 63 0 0 Westerburg 1624 127 3 42
nordwestdeutsch
Gebiet B fin+0 RE Blankenheim 1629 128 12 Dieburg 1627 280 15 Dillenburg 1631 99 35 Drachenfels 1630 101 21 Erkelenz 1598 100 14 Friedberg 1620 241 24 Gaugrehw. 1610 90 20 Gerolstein 1633 74 16 Hamm 1592 133 28 Herborn 1630 168 19 Höchst 1631 96 15 Köln 1629 208 73 Lemberg 1630 74 16 Lindheim 1631 129 43 Linz 1631 113 34 Müddersheim 1630 78 18 Wallhausen 1628 220 20 Wittgenstein 1629 153 9 2485 432
westmitteldeutsch Q 11 19 3 5 7 10 5 5 5 9 6 3 5 3 3 4 11 17 6 Bamberg 1628 Bettenh. 1611 Coburg 1670 Hildburgh. 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 W.-Eschenb. 1630
RE 7 11 0 35 10 33 7 18 5
Q 18 6 0 3 13 7 16 8 25
1237 126 10
fin+0 123 67 182 114 125 241 111 150 124
nordoberdeutsch A.5 Verben pro Redeeinleitung 465
fin+0 RE Q Augsburg 1625 179 42 4 Baden 1640 169 6 28 Baden-Baden 1627 203 5 41 Bräunlingen 1632 136 44 3 Bregenz 1628 165 2 83 Brugg 1620 67 13 5 Günzburg 1613 89 8 11 Hechingen 1648 303 3 101 Leonberg 1641 173 12 14 Memmingen 1665 104 6 17 Meßkirch 1644 215 37 6 Rapperswil 1595 125 11 11 Riedlingen 1596 98 2 49 Rosenfeld 1603 250 9 28 Rottweil 1629 161 4 40 Stein am Rhein 1667 65 17 4 2502 221 11
westoberdeutsch
Gebiet C
Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenb. 1653 Reichertsh. 1629 St. Lambr. 1602 Wartenb. 1614
Tabelle A.12: Verben pro Redeeinleitung, Gebiet C RE 5 49 12 3 5 17 15 5 7 17 6 3 4 20 2
Q 35 4 13 10 34 12 3 19 13 7 30 75 51 8 35 2112 170 12
fin+0 175 202 159 29 170 204 48 94 93 111 179 224 204 150 70
ostoberdeutsch
466 A Tabellarische Übersichten
A.6 (Tempus-)Kombinationen
467
A.6 (Tempus-)Kombinationen von Redeeinleitungen und abhängigen Sätzen Die folgende Tabelle A.13 zeigt die Kombinationen von Redeeinleitung und abhängigem Satz. Da nicht bei allen Formen ein Tempus markiert ist, können sie nicht durchweg als Tempuskombinationen bezeichnet werden. Die Tabelle ist in einfache und eingebettete Wiedergabe untergliedert und zeigt die Werte für die drei Gebiete sowie die Summe der Gesamtwerte aus den drei Gebieten. Die danach folgenden sechs Tabellen zeigen die Kombinationen von Redeeinleitung und abhängigem Satz in den einzelnen Quellen. Die Tabellen A.14, A.15 und A.15 zeigen die Werte der Quellen aus den drei Gebieten in einfacher Redewiedergabe, die Tabellen A.17, A.18 und A.19 zeigen die Werte in eingebetteter Wiedergabe.
468
A Tabellarische Übersichten
A
B
C
Σ
einfache Redewiedergabe KI KII IND 0 reps 98 101 17 111 rept 3 20 1 29 repf 14 28 9 31 re0 8 13 1 13 part 3 20 2 67 reA 4 96 re? 2 11 reS 1 50 17 Σ 129 243 34 364
Σ 327 53 82 35 92 100 13 68 770
KI KII IND 0 137 69 6 99 16 24 1 20 43 28 4 31 32 54 9 48 15 21 2 60 5 52 6 5 6 31 9 1 10 285 210 23 326
Σ 311 61 106 143 98 57 17 51 844
KI KII IND 169 19 5 4 2 39 6 36 1 2 1
Σ 239 18 45 44 4 0 2 13 365
reps rept repf re0 part reA re? reS Σ
reps rept repf re0 part reA re? 1 reS 6 Σ 257 reps rept repf re0 part reA re? reS Σ
2 30
1 7
0 46 12 7 1 1 4 71
KI KII IND 0 Σ 404 189 28 256 877 23 46 2 61 132 96 62 13 62 233 76 67 11 68 222 20 42 4 128 194 5 4 148 157 9 16 7 32 38 61 2 31 132 671 483 64 761 1979
eingebettete Redewiedergabe KI KII IND 0 IMP Σ reps° 1 1 rept° 4 1 2 1 8 repf° 2 5 5 1 13 repq° 4 50 23 16 4 97 re0° 14 117 32 22 4 189 part° 1 1 2 reS° 1 1 1 3 Σ
21 178
reps° rept° repf° repq° re0° part° reS°
KI KII IND 0 IMP Σ 6 3 3 12 3 2 5 15 26 8 2 51 11 47 8 9 1 76 38 92 18 14 4 166 4 1 1 1 7 4 1 5
63 40
Σ
78 173
reps° rept° repf° repq° re0° part° reS°
KI KII IND 6 2 1 1 80 10 12 3 66 5 10 2 5
34 31
11 313
6 322
1
Σ 9 13 102 5 1 90 2 6
22 20
6 229
0 IMP 2 6 5 3 8
Σ
163
reps° rept° repf° repq° re0° part° reS°
KI KII IND 0 IMP Σ 11 6 5 22 1 8 1 10 6 26 97 41 25 2 1 166 17 97 31 28 5 178 118 214 60 44 9 445 6 1 1 1 2 11 10 2 1 1 14
Σ
260 369
18
119 91
23 862
Tabelle A.13: (Tempus-)Kombinationen in den drei Gebieten
A.6 (Tempus-)Kombinationen
ostmitteldeutsch
nordostdeutsch
nordnorddeutsch
Gebiet A Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandföhr 1614 Blankensee 1619 Borgfeld 1587 Crivitz 1642 Güstrow 1615 Passow 1577 Perleberg 1588 Schivelbein 1635 Schwerin 1620 Seehausen 1633 Stettin 1620 Stralsund 1630 Wüstenfelde 1590 Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618 Σ
[reps] KI KII 9 23 5 2 6 1
469
[rept] KI KII 1
[repf] KI KII 1
3 1
5
2 2 1 1
2 6 10 2 1 12 2
1 2 10 27
16
4 1
2
1
1
1 4 2 2
5 1 5 2 2 1
2 3 1
1 10 1 1
2 1 2
6 1 1
11 5 8 1
98
101
1
1 1
1 3
11
3
20
1
14
Tabelle A.14: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet A, einfache Redewiedergabe)
28
470
A Tabellarische Übersichten
nordoberdeutsch
westmitteldeutsch
nordwestdeutsch
Gebiet B Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehweiler 1610 Gerolstein 1633 Hamm 1592 Herborn 1630 Höchst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersheim 1630 Wallhausen 1628 Wittgenstein 1629 Bamberg 1628 Bettenhausen 1611 Coburg 1670 Hildburghausen 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 Wolframs-Eschenbach 1630
[reps] KI KII 5 1 34
6
[rept] KI KII
3
1 1 1 18 11 2 2 1 6 5 6 1 8 2 1 4 4 1
1 7 14
5 1
2
[repf] KI KII 1 1 2 13 5 2 2 1
1 1
1 2 1
1 1
1 1
1 1 1 3
2 1
1 1
1 2
1
1
3
1
2
4
3 1
5 14 1 2 1
1 1 2
2
1 1 1 2
2
5
1 3
3
3
2
1 1 1 1 8 5 2 1 137
1
3
3
1 3 1 1
4 1
69
16
24
2 1 43
Tabelle A.15: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet B, einfache Redewiedergabe)
2 28
A.6 (Tempus-)Kombinationen
ostoberdeutsch
westoberdeutsch
Gebiet C Augsburg 1625 Baden 1640 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brugg 1620 Günzburg 1613 Hechingen 1648 Leonberg 1641 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Rapperswil 1595 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629/15 Stein am Rhein 1667 Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenberg 1653 Reichertshofen 1629 St. Lambrecht 1602 Wartenburg 1614
[reps] KI KII 24 1 1 1 31 1 4 3 1 1 4 9 1 2 7 1 4 26 7 1 7 12
471
[rept] KI KII
[repf] KI KII 5 5 1
3
4
1
1 2 1 2 8
1
4
1 2
2
1 1
1 4 1
6 1 2
1 1
12 1 169
6 1 19
1
2 2
2
1
4
2
39
Tabelle A.16: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet C, einfache Redewiedergabe)
6
472
A Tabellarische Übersichten
[repf]° [repq]° [re0]° RE° RE° KI KII KI KII KI KII KI KII IND Bremen 1603 10 4 14 5 Flensburg 1608 1 3 1 3 Grünholz 1641 1 1 1 1 1 Hamburg 1583 4 4 Jever 1592 1 1 1 2 2 3 2 Loccum 1638 7 3 10 Meldorf 1618 3 2 5 1 Schwabstedt 1619 6 1 7 2 Uphusen 1565 1 2 1 6 2 8 1 Westerlandföhr 1614 1 1 2 Blankensee 1619 1 1 9 1 10 2 Borgfeld 1587 4 2 7 2 11 4 Crivitz 1642 1 2 15 2 16 6 Güstrow 1615 11 11 13 Passow 1577 1 1 1 Perleberg 1588 6 6 5 Schivelbein 1635 1 2 3 2 4 4 Schwerin 1620 1 1 Seehausen 1633 1 Stettin 1620 1 1 3 1 4 Stralsund 1630 2 2 4 1 Wüstenfelde 1590 1 Barby 1641 1 1 1 4 1 6 2 Braunau 1617 1 1 1 Georgenthal 1597 1 1 3 2 3 1 Gommern 1660 Grünberg 1664 2 2 Jägerndorf 1653 1 2 1 1 3 Jeßnitz 1635 6 6 Leipzig 1640 1 4 5 10 1 Mühlhausen 1660 1 3 4 Ostrau 1628 2 2 1 Rosenburg 1618 2 11 13 1
ostmitteldeutsch
nordostdeutsch
nordnorddeutsch
Gebiet A
2
5
4
50 14 117
20 172
Tabelle A.17: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet A, eingebettete Redewiedergabe)
59
A.6 (Tempus-)Kombinationen
nordoberdeutsch
westmitteldeutsch
nordwestdeutsch
Gebiet B Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1578 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehw. 1610 Gerolstein 1633 Hamm 1592 Herborn 1630 Höchst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersh. 1630 Wallhausen 1628 Wittgenst. 1629 Bamberg 1628 Bettenh. 1611 Coburg 1670 Hildburgh.1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 W.-Eschenbach 1630
473
[repf]° [repq]° [re0]° RE° RE° KI KII KI KII KI KII KI KII IND 1 1 5 1 6 7 1 2 3 2 2 3 2 5 2 4 2 4 1 2 1 3 1 1 3 11 2 3 5 15 7 2 3 2 2 5 1 4 1 8 1 12 3 3 1 4 5 6 1 1 1 7 3 2 2 4 2 6 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 3 1 4 4 1 1 1
2 2
2
2 1 2 1
2 1 3
6 1
1 1 3 1
1
1
1 1 2 15
2 4 1 2 26 11
3 2 2 6
1 1 3 47 38
2 2 2 2 3 12 1 1 3 4 1 3 8 6 1 1 5 2 92
1 2 3 3 4
1 3 4 3 7
2 5 4
3
4 3
1 1 1
18 1 2 3 4 1 1 6 9 6 1 3
10 7 4 64 165
Tabelle A.18: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet B, eingebettete Redewiedergabe)
1
2 1 1
2 2 34
474
A Tabellarische Übersichten
[repf]° [repq]° [re0]° KI KII KI KII KI KII Augsburg 1625 4 Baden 1640 3 1 1 Baden-Baden 1627 3 Bräunlingen 1632 5 Bregenz 1628 2 9 Brugg 1620 2 Günzburg 1613 1 Hechingen 1648 1 2 Leonberg 1641 1 1 Memmingen 1665 2 1 4 1 Meßkirch 1644 7 2 Rapperswil 1595 2 2 Riedlingen 1596 3 5 Rosenfeld 1603 10 6 1 Rottweil 1629/15 15 2 7 Stein am Rhein 1667 2 Brixen 1597 1 1 Eichstätt 1637 3 1 1 Feldbach 1674 5 4 1 1 Garmisch 1590 1 Gföhl 1593 5 1 1 Gutenhag 1661 3 1 2 Gutenstein 1641 2 Hemau 1616 1 Laaber 1608 1 4 Mittersill 1575 3 München 1600 1 Reichenberg 1653 1 2 Reichertshofen 1629 6 1 St. Lambrecht 1602 1 Wartenburg 1614 1
RE° RE° KI KII IND 4 3 2 3 5 1 11 2 2 1 1 1 3 2 6 2 9 4 8 16 1 5 22 2 2 1 1 1 4 1 7 4 1 1 6 1 1 6 2 2 1 1 4 1 3 1 1 3 4 7 1 1 1
80
15
ostoberdeutsch
westoberdeutsch
Gebiet C
10
3
66
5 149
Tabelle A.19: Redeeinleitungen und abhängige Sätze (Gebiet C, eingebettete Redewiedergabe)
22
A.7 Prinzipien der Konjunktivverwendung
475
A.7 Prinzipien der Konjunktivverwendung Auf den folgenden Tabellen basiert die Darstellung der funktionalen Distribution der Konjunktivformen in Abschnitt 5.6. Ihnen ist zu entnehmen, welche und wie viele verschiedene Prinzipien der Konjunktivverwendung in den Quellen zu beobachten sind. Die Tabellen sind nach den auf fünf Typen reduzierten Quellenarten und nach Konjunktivverwendungsgebieten sortiert. Die fünf Typen sind: 85–100-prozentige Verwendung von Konjunktiv I oder II (Extremtypus I und II), 84–55-prozentige Mischung zugunsten der einen oder anderen Konjunktivart (Mischtypus I und II) sowie eine um die 50prozentige Mischung der beiden Konjunktivarten (Mischtypus). Die Abkürzungen für die Prinzipien entsprechen den in Abschnitt 5.6, S. 370 eingeführten.
476
A Tabellarische Übersichten
Typ EI
A B C
Flensburg 1608 Grünholz 1641 Essen 1589 Höchst 1631 Mergentheim 1629 Augsburg 1625 Baden 1640 2 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brixen 1597 Brugg 1620 Eichstätt 1637 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Günzburg 1613 Gutenstein 1641 Hechingen 1648 Laaber 1608 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Mittersill 1575 München 1600 Rapperswil 1595 Reichenberg 1653 Reichertsh. 1629 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629 Stein am Rh. 1667 Wartenburg 1614
VAR OÄ KS RW° E D W T S Σ x 1 x 1 x x 2 x 1 x 1 x 1 x x x 3 x 1 x 1 x 1 x x 2 x 1 x x 2 0 x x 2 x 1 0 x x 2 x x x 3 x 1 x x 2 x x x x 4 x x x 3 x 1 x x 2 x 1 x 1 x x x 3 x 1 x x 2 0
Tabelle A.20: Prinzipien der Konjunktivverwendung in den Quellen des Frequenztyps EI
A.7 Prinzipien der Konjunktivverwendung
Typ MIa und MIb
A
B
C
Georgenthal 1597 Jever 1592 Passow 1577 Stettin 1620 Ahaus 1608 Alme 1630 Blankenheim 1629 Celle 1570 Coesfeld 1632 Dieburg 1627 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Gaugrehweiler 1610 Gerolstein 1633 Müddersheim 1630 Münster 1635 Nördlingen 1593 Wallhausen 1628 Werl 1630 Wolframs-Eschenbach 1630 Feldbach 1674 Gutenhag 1661 Hemau 1616 Leonberg 1641 St. Lambrecht 1602
Typ M
A B
Barby 1641 Hamburg 1583 Dillenburg 1631 Köln 1629
477
VAR OÄ KS RW° E D W T S Σ x 1 x 1 x x 2 x 1 x x x 3 x x 2 x x 2 x x 2 x x 2 x x 2 x 1 x 1 x x 2 x 1 x 1 x x 2 x 1 x x 2 x 1 x x x 3 x x 2 x 1 x 1 x x x 3 x 1
VAR OÄ KS RW° E D W T S Σ x 1 x x 2 x x 2 x 1
Tabelle A.21: Prinzipien der Konjunktivverwendung in den Quellen des Frequenztyps MIa, MIb und M
478
A Tabellarische Übersichten
Typ MIIa und MIIb
A
B
Blankensee 1619 Borgfeld 1587 Brandenburg 1633 Leipzig 1640 Ostrau 1628 Bamberg 1628 Bettenhausen 1611 Coburg 1670 Friedberg 1620 Hildburgh. 1629 Hildesheim 1628 Lemberg 1630 Lemgo 1630 Lindheim Linz 1631 Meiningen 1659 Osnabrück 1636 Schweinfurt 1616 Wernigerode 1597 Westerburg 1624 Wittgenstein 1629
VAR OÄ KS RW° E D W T x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x
Tabelle A.22: Prinzipien der Konjunktivverwendung in den Quellen des Frequenztyps MIIa und MIIb
S Σ 1 1 1 2 1 2 1 x 2 1 1 x 4 2 5 1 2 1 3 2 2 x 3 1
A.7 Prinzipien der Konjunktivverwendung
Typ EII
A
B
Braunau 1617 Bremen 1603 Crivitz 1642 Gommern 1660 Grünberg 1664 Güstrow 1615 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Loccum 1638 Meldorf 1618 Mühlhausen 1660 Perleberg 1588 Rosenburg 1618 Schivelbein 1635 Schwabstedt 1619 Schwerin 1620 Stralsund 1630 Uphusen 1565 Westerlandf. 1614 Wüstenfelde 1590 Göttingen 1649 Hamm 1592 Helmstedt 1578 Herborn 1630
VAR OÄ KS RW° E D W T S Σ x x 2 x 1 x x x x 4 x x x 3 x 1 x x x x 4 x 1 0 x x 2 x 1 x x 2 x x x 3 x x 2 x 1 x x 2 x x 2 x x 2 x x x 3 x 1 x 1 x x x 3 x x 2 x 1 x x 2
Tabelle A.23: Prinzipien der Konjunktivverwendung in den Quellen des Frequenztyps EII
479
480
A Tabellarische Übersichten
A.8 Listen aller im Konjunktiv vorkommenden Verben Die Verben erscheinen hier geordnet je nachdem, ob sie im Konjunktiv I oder Konjunktiv II vorkommen, und absteigend der Häufigkeit nach. Innerhalb der Häufigkeitsgruppen sind die Verben alphabetisch angeordnet. Die Verben sind ihrer Flektion gemäß angeordnet, d. h. starke Verben, die schwach flektiert auftreten, werden zu den schwachen Verben gezählt, wie zum Beispiel befehlen.1 Zudem sind die Verben hier durch ihre neuhochdeutsche Form repräsentiert, da jedes Verb in den Texten in einer Fülle von graphischen Varianten vorkommt. Da der Zweck der Darstellung in diesem Abschnitt jedoch nicht die Dokumentation dieser Fülle ist, sondern die Zusammenstellung der unterschiedlichen Verben (auch mit Blick auf die mögliche Modusambivalenz ihrer Konjunktivformen), werden die neuhochdeutschen gegenüber den frühneuhochdeutschen Formen bevorzugt. 1. haben und sein (5688) Die folgende Tabelle zeigt die Häufigkeit der Verwendung der Verben haben und sein als Voll- und als Hilfsverben.
habe sei
Konjunktiv I Präs. Perf. 63 1775 414 898
Σ 1838 1312
hätte wäre
Konjunktiv II Prät. Plqu. 104 1479 314 641
Σ 1583 955
2. Modalverben (2350) In dieser Untersuchung wird das Verb werden hier bei den Modalverben aufgeführt, obwohl es in erster Linie in Funktion eines Hilfsverbs auftritt, hauptsächlich im Passiv, seltener im Futur. Von daher hätte es auch gemeinsam mit den Hilfsverben haben und sein betrachtet werden können. Zudem gehört es nicht zur Gruppe der ehemaligen 1
Das Verb befehlen wird in dem folgenden Beispiel schwach flektiert: „[. . .] vnd vertrauthe die Juliana dabey diser, das ein jedes Glidt des Supans damit verpanth sey, beuelchte anneben disser, sie solte ein Pohrer, mit wellichen ein Tottentrag gemacht vnnd geborth worden, nemben, ain Loch in ain weissen Alber Paumb einpohrn, die Haar sambt dem angesprochnen Holz in das Loh hat verschlagen vnnd des Supanss Leib mit ihren zauberischen Spruch angesprochen, also werde der Supan darauf erkhrankhen“ (Gutenhag 1661, S. 140).
A.8 Listen aller im Konjunktiv vorkommenden Verben
481
Präterito-Präsentien, wie die übrigen Modalverben. Da es jedoch auch eine epistemische Verwendungsweise hat, die den Modalverben gleich kommt (es wird wohl so sein), und in dieser Funktion sowie als futurbildendes Hilfsverb syntaktische Ähnlichkeiten mit den Modalverben aufweist (kein Partizip Perfekt, Verbindung mit Infinitiv ohne zu), ist eine gemeinsame Betrachtung von werden und den Modalverben nicht unüblich.2 In erster Linie wird werden hier mit den Modalverben gemeinsam betrachtet, weil die tendenzielle Konjunktivverwendung und seine Häufigkeit eher mit den Modalverben als mit den anderen beiden Hilfsverben vergleichbar ist. Wie in der folgenden Übersicht zu sehen, wird sowohl bei den Modalverben als auch bei werden der Konjunktiv II bevorzugt. Zudem kommt es ungefähr so oft vor wie müssen oder mögen, ist also weitaus seltener als haben und sein. Zugleich kommt es häufiger vor als die meisten starken Verben – mit Ausnahme des ehemaligen Präterito-Präsens wissen. Wissen wird dagegen, so wie die starken Verben im Allgemeinen, eher im Konjunktiv I verwendet, sodass es dort eingereiht wurde. Konj. I (1025) 320 wollen 286 sollen 193 können 123 werden 64 müssen 32 mögen 7 dürfen
2
Konj. II (1325) 410 sollen 321 wollen 195 können 161 werden 147 mögen 87 müssen 4 dürfen
Engel zählt werden beispielsweise in der ersten Auflage seiner Deutschen Grammatik (1988) zu den acht Modalverben, die das Deutsche kennt, und bespricht es im Abschnitt über „Modalverbkomplexe“ (vgl. S. 463 sowie 468– 470). In der Neubearbeitung dieser Grammatik (2004) zählt er es nicht mehr zu den Modalverben, beschreibt seine unterschiedlichen Verwendungsweisen jedoch in demselben Abschnitt wie die Modalverben (vgl. S. 246 u. 248–249). Fritz (1991) behandelt mit Bezug auf die epistemischen Verwendungsweisen der frühneuhochdeutschen Modalverben werden ebenfalls gemeinsam mit den Modalverben (vgl. S. 43–44).
Konjunktiv I (695) 264 wissen 3 69 heißen 3 42 tun 3 32 gehen 2 30 halten 2 24 geben 2 24 kommen 2 21 stehen 2 13 geschehen 2 12 liegen 2 12 nehmen 2 10 bitten 2 8 lügen 2 8 sehen 1 7 bringen 1 7 lassen 1 6 beschehen 1 6 helfen 1 5 denken 1 5 fangen 1 5 laufen 1 5 tragen 1 4 bleiben 1 4 sterben 1 4 treiben 1 3 betrügen 1 fliegen rufen schlagen fahren fressen greifen meiden saufen schlafen schwinden schwören treten verfahren backen bersten bestehen bieten brechen dringen essen fallen finden frieren gelten graben holen
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
kriechen legen messen reiben reiten scheinen schließen schreiben schreien schwimmen singen sitzen sprechen springen stehlen streichen verbieten verhalten verstehen wachsen weisen ziehen zwingen
Konjunktiv II (409) 192 wissen 1 brechen 32 tun 1 denken 32 kommen 1 fahren 21 stehen 1 frieren 18 gehen 1 gelten 17 halten 1 gießen 11 heißen 1 helfen 7 bleiben 1 laufen 7 sitzen 1 leiden 5 lassen 1 lügen 4 bitten 1 reiten 4 fangen 1 rufen 4 ziehen 1 scheinen 3 führen 1 schreien 3 geben 1 schwören 3 legen 1 sehen 3 liegen 1 sieden 3 nehmen 1 sprechen 3 sterben 1 springen 3 trinken 1 tragen 2 bringen 1 weisen 2 finden 1 werfen 2 geschehen 2 graben 2 schlagen 2 wachsen
482 A Tabellarische Übersichten
3. starke Verben (1104)
Konjunktiv I (272) 36 kennen 2 böten 18 sagen 2 dünken 15 meinen 2 fragen 15 pflegen 2 kranken 10 machen 2 schmieren 10 wohnen 2 sorgen 9 hüten 2 stecken 8 brauchen 2 vermeinen 8 glauben 2 weinen 7 reden 2 wenden 6 begehren 2 zeigen 5 hoffen 1 achten 5 tanzen 1 ahnden 4 hausen 1 behüten 4 kaufen 1 beichten 3 bedeuten 1 beleidigen 3 erbarmen 1 beschuldigen 3 holen 1 brennen 3 hören 1 danken 3 lauten 1 deuten 3 leben 1 dienen 3 nähren 1 dorren 3 trauen 1 eignen 3 trösten 1 erbauen 3 währen 1 fürchten 2 bekennen 1 gnaden 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
gönnen hängen harren krümmen kümmern lahmen leugnen legen lehnen lernen löschen nennen nützen rennen rücken rühren säen sammeln säumen schaden schenken schlagen segnen setzen spielen statten
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
stellen stiften strecken taugen trachten trauern verdienen vermuten wachen wahren wandeln warten wehen wundern wünschen zeugen zweifeln
Konjunktiv II (181) 20 kennen 2 15 begehren 2 12 sagen 2 8 machen 1 6 brauchen 1 6 meinen 1 6 wohnen 1 5 glauben 1 4 fragen 1 4 hoffen 1 4 hören 1 4 kaufen 1 4 leben 1 4 reden 1 3 setzen 1 3 stellen 1 3 zweifeln 1 3 beratschlagen 1 2 beschuldigen 1 2 dienen 1 2 finden 1 2 freuen 1 2 holen 1 2 kehren 1 2 mangeln 1 2 nennen 1 leugnen rühren streuen anmelden beleidigen beten befehlen begegnen blitzen brennen buttern entwenden erinnern fertigen folgen fühlen gebrauchen gebühren girren gönnen grimmen hüllen hüten klagen kullern kümmern
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
lachen lahmen legen loben martern nähren rauschen schicken schmieren schwätzen richten säen sparen spünden spüren tanzen taugen urteilen wandeln weben wenden wünschen A.8 Listen aller im Konjunktiv vorkommenden Verben
4. schwache Verben (453)
483
484
A Tabellarische Übersichten
A.9 Liste der Textsorten und Textabschnitte Die folgenden Tabellen A.24, A.25 und A.26 stellen dar, welche Textsorten und -abschnitte in den Quellen vorhanden sind. Ein „x“ markiert das Vorhandensein der Textsorten, ein „?“ Unsicherheit bezüglich der Art des Verhörs (gütlich oder peinlich). In den Spalten ist vermerkt, ob 1. die Quelle unvermittelt beginnt oder mit einer Situierung einsetzt, 2. die Befragung anhand eines beiliegenden, separaten Fragenkatalogs geführt wird, 3. die im Verlauf des Verhörs gestellten Fragen mitprotokolliert sind, 4. es sich bei der Quelle um ein Verhörprotokoll oder 5. ein Geständnisprotokoll handelt (wobei zum Teil die Übergänge fließend sind), 6. es im Protokoll eingeschobene Zeugenaussagen gibt oder 7. ein kurzes Konfrontationsprotokoll.
A.9 Liste der Textsorten und Textabschnitte
485
Gebiet A Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
nnd.
katalog
Bremen 1603 Flensburg 1608 Grünholz 1641 Hamburg 1583 Jever 1592 Loccum 1638 Meldorf 1618 Schwabstedt 1619 Uphusen 1565 Westerlandföhr 1614
Prot.
Bekennt.
x x
x
x x
x
x x
x x x
x
x x
x x x
x x
x x
x
x x x
x x x x x
x
x
x
Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
nod.
katalog
Blankensee 1619 Borgfeld 1587 Seehausen 1633 Crivitz 1642 Güstrow 1615 Passow 1577 Perleberg 1588 Schivelbein 1635 Schwerin 1620 Stettin 1620 Stralsund 1630 Wüstenfelde 1590
Prot.
x
x
x x
Bekennt.
x x x x
x
x
x x x
x
x
x x
x x x
x x
? x
x x
? x x
x x x x x
x x
x ? x x x
Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
omd.
katalog
Barby 1641 Braunau 1617 Georgenthal 1597 Gommern 1660 Grünberg 1664 Jägerndorf 1653 Jeßnitz 1635 Leipzig 1640 Mühlhausen 1660 Ostrau 1628 Rosenburg 1618
Prot.
x
Bekennt.
x x x
x x
x
x x x x
x x x x x x x x
x x x x
x
x x x x x x x x x x x
Tabelle A.24: Textteile der Quellen in Gebiet A
x x x
486
A Tabellarische Übersichten
Gebiet B Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
nwd.
katalog
Ahaus 1608 Alme 1630 Celle 1570 Coesfeld 1632 Essen 1589 Göttingen 1649 Helmstedt 1587 Hildesheim 1628 Lemgo 1632 Münster 1635 Osnabrück 1636 Werl 1630 Wernigerode 1597 Westerburg 1624
x
Prot.
Bekennt.
x x
x x
x
x
x x x x x x x x x
x
x
x x x
x
x x x x x
x x x x
x x x x x
x x x
x
x x x
x
x
x
Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
wmd.
katalog
Blankenheim 1629 Dieburg 1627 Dillenburg 1631 Drachenfels 1630 Erkelenz 1598 Friedberg 1620 Gaugrehweiler 1610 Gerolstein 1633 Hamm 1592 Herborn 1630 Hoechst 1631 Köln 1629 Lemberg 1630 Lindheim 1631 Linz 1631 Müddersheim 1630 Wallhausen 1628 Wittgenstein 1629
Prot.
x x
x
x
x x x x
x x x x x x x
Bekennt.
x x x x x x x x x x x x x x x x x x
x x
x
x x
x
x x x x x x x ? x x x
x x
x
x
x
Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
nobd.
katalog
Bamberg 1628 Bettenhausen 1611 Coburg 1670 Hildburghausen 1629 Meiningen 1659 Mergentheim 1629 Nördlingen 1593 Schweinfurt 1616 Wolfr.-Eschenb. 1630
Prot.
Bekennt.
x x x x x
x
x
x x x x x x x
x ? x x x
x ? x
x
x x x x x
x
Tabelle A.25: Textteile der Quellen in Gebiet B
x
x x
A.9 Liste der Textsorten und Textabschnitte
487
Gebiet C Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
wobd.
katalog
Augsburg 1625 Baden 1640 Baden-Baden 1627 Bräunlingen 1632 Bregenz 1628 Brugg 1620 Günzburg 1613 Hechingen 1648 Leonberg 1641 Memmingen 1665 Meßkirch 1644 Rapperswil 1595 Riedlingen 1596 Rosenfeld 1603 Rottweil 1629 Stein am Rhein
Prot.
x
Bekennt.
x
x
x
x
x
x x x
x x x x x x x
x
x
x
x
x
x x x x
x
x x
x
x
x x
x
x x
x x x x
x x x ? x ?
x
x x x ? ? x
Situ. Fragen- Frag. i. Verhör Urgicht/ peinlich gütlich Zeugen Konfr.
oobd.
katalog
Brixen 1597 Eichstätt 1637 Feldbach 1674 Garmisch 1590 Gföhl 1593 Gutenhag 1661 Gutenstein 1641 Hemau 1616 Laaber 1608 Mittersill 1575 München 1600 Reichenberg 1653 Reichertshofen 1629 St. Lambrecht 1602 Wartenburg 1614
Prot.
x x
Bekennt.
x x
x
x
x
x x x x
x
x x x x x x x
x x x x
x
x ?
x x x x x x x
x x x x x x x x ? x x ? x
Tabelle A.26: Textteile der Quellen in Gebiet C
488
A Tabellarische Übersichten
A.10 Liste aller vorkommenden Redeeinleitungen Auf alle in dieser Liste enthaltenen redeeinleitenden Elemente folgt unmittelbar entweder eine direkte Redewiedergabe oder eine indirekte mit Verbzweit- oder Verbletztsatz (eingeleitet durch dass oder ob). Bei Elementen, bei denen ein solcher Anschluss nach modernem Verständnis nicht mehr ohne Weiteres vorstellbar ist, wird ein Beispielsatz zitiert. Da die Redeeinleitungen hier zu Typen zusammengefasst sind – beispielsweise werden alle Vorkommen des Adjektivs wahr (war, whar, wahr ) einheitlich betrachtet –, wird auf frühneuhochdeutsche Schreibung verzichtet. abbitten (1) abfragen (2) abwehren (1) addieren (1) affirmare (3) anbefehlen (1) anbieten (1) anbringen lassen (1) andeuten (4) anerbieten (1) anfangen (2) angeben (2) anhalten (2) anhängen (1) ankündigen (1) anlangen (2) anlegen (1) anloben (1) anmelden (1) anmuten (1) annehmen (2) anreden (4) ansagen (1) ansprechen (7) Antwort (40) Antwort geben (7) antworten (174) 3
anweisen (2) Anzeige (1) anzeigen (17) Anzeigung geben (1) auf Befragen (2) auf (ernstliches) Erfragen (2) auf diesen Artikel3 (1) auf den letzten Seufzer nehmen (1) auferlegen (1) auf erteilte Kommission (1) auf vielfältige Erinnerung (1) aufhaben (1) Aussage (1) aussagen (19) avisieren (1) beantworten (3) bedenken (2) bedingen (1) bedrohen (1) befehlen (29) befinden (1) befragen (52) begehren (25) beharren (3) beharrlich bleiben (1) beichten (1) bekennen (371)
11. Auf disen Articl, das er vnd Köchin das negste Wetter mitein ander sollen gemacht haben [. . .] (Mittersill 1575, S. 315).
A.10 Liste aller vorkommenden Redeeinleitungen
Bekennung tun (1) Bekenntnis tun (2) beklagen (3) beratschlagen (1) bereden (1) Bericht geben (1) Bericht tun (1) berichten (49) berüchtigt sein (1) berufen (2) besagen (2) Bescheid geben (2) beschließen (1) beschuldigen (2) beschwören (1) Beschwörung gebrauchen (1) besprechen (3) besprochen werden (1) bestätigen (1) bestehen (3) beteuern (6) bewusst sein (1) bezeugen (1) bezichtigen (2) bitten (49) bleiben (1) dafürhalten (3) Dank sagen (1) dazu setzen (1) decretieren (1) defendieren (1) denken (9) denunzieren (1) deponieren (2) dicere (6) die Wahrheit sagen sollen (1) dimittieren (1) dringen (2) drohen (4) eingeben (1) 4
489
einreden (1) entbieten (1) entgegen halten (1) entgegnen (1) entschuldigen (4) erachten (1) erbieten (3) erfolgen (4) erfragen (2) erinnern (11) erkennen (13) erklären (6) erläutern (1) ermahnen (21) erwägen (1) erzählen (1) fatere (1) fluchen (1) folgen (1) fordern (1) Formalien brauchen (1) Formalien tun (1) Frage (1) fragen (198) fürchten (1) geben (3) gebieten (4) geloben (4) geraten (1) Geschrei gehen (1) Geschrei sein (1) geständig sein (3) gestehen (37) glauben (4) hinzutun (1) hören (2) in Abrede sein (2) in Meinung (1) in Meinung sein (1) in Worte herausfahren4 (1)
Sie die alte Ziesingische, in solche oder dergleichen wort heraußgefahren: Ich woltte, daß [. . .] (Rosenburg 1618, fol. 17v).
490
A Tabellarische Übersichten
interrogare (12) klagen (11) kundtun (2) lachen (2) lassen (1) leugnen (11) meinen (3) melden (5) mit Anhang (4) mit einhelliger Stimme5 (1) mit Befehl (1) mit Bitte (2) mit Erklärung (1) mit Ermahnung (1) mit Vermelden (1) mit Vorwenden (1) mit Wünschung (1) mit (den/diesen) Worten (5) cum monitione (1) nach Erholen (1) nachsagen (1) [Name] (23) neben Vermeldung (1) negare (2) nennen (1) nescere (1) nicht ohne sein werden6 (2) nichts wissen wollen (1) nötigen (1) offenbaren (4) pochen (1) quaesitus (6) raten (4) ratifizieren (1) ratschlagen (1) 5
6
Rea (51) reden (24) referieren (1) rekapitulieren (1) remonstrieren (1) repetieren (9) resolvieren (1) respondere (87) revozieren (1) richten (2) rufen (16) sagen (992) schelten (2) schließen (2) schreien (9) Schuld geben (2) schwören (1) sich erklären (3) sich vernehmen lassen (1) sie darüber (1) sorgen (1) sprechen (24) stehen (1) trösten (2) tun (1) unter Augen halten (1) unterweisen (2) verbieten (2) verbleiben (5) verflüchtigen (1) vergehen (2) verharren (1) verheißen (3) verlauten lassen (4) vermahnen (6)
Dise Greschl ist mit ainhölliger Stimb [. . .] das sy in ein Frauen oder Nonnen Closter soll befürdert werden [. . .] (St. Lambrecht 1602, S. 133). Dieser relativ lange Satz wirkt so, als sei hier mehr als nur ein finites Verb ausgelassen. Der Sinn ist in etwa: Was Greschl anbetrifft, so ist mit einhelliger Stimme vom Rat beschlossen worden, dass . . . Mit ainhölliger Stimb ist der Teil des Satzes, der einer Redeeinleitung am nächsten kommt. 2. So wirt gleichwoll nicht ohne sein, [. . .] dass er gedachtes Mägdlein [. . .] durch hülff des boesen feindts vergeben habe (Coesfeld 1632, S. 26).
A.10 Liste aller vorkommenden Redeeinleitungen
vermeinen (6) vermelden (30) vermerken (1) vermuten (1) vermutlich (1) vernehmen (2) verneinen (1) verpflichten (1) verschwören (1) versprechen (14) verstehen (3) vertrösten (2) verweisen (4) vorbringen (1) vorgeben (13) vorhalten (15) vorsagen (1) vortragen (2) Vorwand (1) vorwenden (1) vorwerfen (2) wahr (185)
7
491
wahr setzen (1) währen (1) weisen (1) Widerspiel anzeigen (1) widersprechen (7) wissen (4) wollen7 (2) Worte gebrauchen (4) wünschen (1) zeigen (2) zeugen (4) zu Gemüt führen (1) zu verstehen geben (1) zu wissen sein (1) zugestehen (1) zumuten (2) zur Antwort geben (2) zur Rede stellen (1) zureden (1) zusagen (8) zusetzen (1) zusprechen (8)
Haben herren Commissarii die verhafftInne Giertgen Peter hemmeßheims hausfraw ante meridiem vf der kleinen stauben vorkommen laßen, vnd gewolt das Ihre gesterigen tags |gethane+ guetliche, vnd extra Torturam gethane bekandtnus [. . .] nochmalß allerdings repetieren soltte (Linz 1631, S. 9, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 261).
492
A Tabellarische Übersichten
A.11 Beispielsätze für die Verwendung der Tags Einfache Redewiedergabe (A.1)
Ad 14. Sagtt [reps] Ihres Sohns beruchtigung vnd solcher wörtter halber, hab sie solchs nit gesacht, daß wisse [stv]1 sie woll, haben [ne] es die leute von Ihme gesacht (Ahaus 1608, fol. 99v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 7)
(A.2)
Hernach ahm Freitagh den 2. Juni bynnen Steelh ist [pf] vorgenannte Huttmansche Tochter zur Pein gestellt; dawilche zu Anfangh der Pein bekandt hatt [repf]: Eß sey ungefehr drie Jar verlitten, daß Ire Mutter die Huitmansche sie zu der Zauberey gereitzt [0] (Essen 1589, S. 122)
(A.3)
Alsdann auf weitere Ermahnung bekannte [rept] sie, dass diese auch solche weren: Die alte Hans Schegelin, die Michel Häuslerin vor der Stadt (Braunau 1617, S. 289)
(A.4)
Bekantte [rept] derowegen güttlich auff die Lude Polkin, ihr Man heist [ind] Geörge, ist [ind] der Adam Kretschmerin Schwester (Jägerndorf 1653, S. 8)
(A.5)
Alß Sie Bei diesem Punten [!] Varirt und nit ad formam [00] antworten wöllen, Ist [pf] sie abermahlß ein zwey Vater Unser Lang ohngefährlich mit dem Krebß an gegriffen worden, Woruff sie extra torturam fernerrs außgesagt hatte [repq], daß sie daß Ihars 2 od[er] 3 mahl ohngefehr umb Wallburgis Joannis und Bartholomae gemainiglich uf dem Aychwasen, weniger aber Ufm Riebt zusammen kommen [stv]1 [ne] aber nit alle zu erscheinen pflegten [swv] [ne], wobey sie alles Böses Ahnstellten [swv] [ne] und Beratschlagten [swv] [ne] (Dieburg 1627, S. 80)
A.11 Beispielsätze für die Verwendung der Tags
493
(A.6)
Darüber gedachte Verena wiederumb gefragt worden [re0], solle 1 etwas, und was wahr sei, uf selbige sagen (Bräunlingen 1632, S. 11)
(A.7)
Gef[ra]g[t] [part] ob Pater Lem sie vmb keine Persohnen in specie gefragt [0]? Ant: [reS] Nein hab ihro sonsten ins gemein gefragt, Sie aber geantworth [0] daß ihrer viell weren welche sie nit kendte [swv]2 (Köln 1629, fol. 35v, vgl. Macha/Herborn 1992 S. 70)
(A.8)
Wahr [reA], daß Meierinck auch dieselbige hille fur eine zeuberInne geschulden (Ahaus 1608, fol. 97r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 3)
(A.9)
[. . .] dasselbig alles nit mehr bestendig gewesen [00], mit Anhang [reS], seie kein Hex (Bräunlingen 1632, S. 14)
(A.10) Rsp. [re?] Weren zwei Jahr verfloßenn. (Loccum 1638, S. 247) Eingebettete Redewiedergabe (A.11) Bekennt [reps] zum neunten, der bes Geist hab ihren stark befohlen [reps]°, sie solle [mv]1 lähmen, auch ihren selbsten mit dergleichen Lähmen ein Kind hinrichten. (Bräunlingen 1632, S. 14) (A.12) Ihr büehlgeist hab zu ihr gesagt [repf]° Ob sie sein wöllte [mv]2 sein, daruf sie gesagt [re0]° nein, Er geantwort [re0]°, sie muste [mv]2 [ne] es thun, die Muter wolte [mv]2 [ne] es haben (Dieburg 1628, S. 75) (A.13) Sagt [reps] [. . .], er habe an das Schuester Jacels Hochzeit alhier [. . .] bey der Haubnerin alte Schue gesambelt, hete sie ihme gefragt [repq]°, was sein Meister thete [stv]2 (Wolframs-Eschenbach 1630, S. 125)
494
A Tabellarische Übersichten
(A.14) Bekhendt [reps] wider die Appoloniam, vor anderthalben Jahrn beclagte [swv] [ne] [rept]° sich Appolonia gegen der Margaretha, dass man ihr aller Orth feindt seye (Gutenhag 1661, S. 140) (A.15) mit ausdrücklichen Worten [reS]° „dass dir der Teufel dreinfahre [stv]1, dass du niemehr nichts weiter thun kannst [mv] [ind]“. (Braunau 1617, S. 288) (A.16) Darup Grete geantwortet [re0]°, idt weren latinsche wörde darmede vnd hetede alßo: Peter Paul, segget [ind] Kirieleison (Uphusen 1565, S. 2) (A.17) Jedoch der Kerlle befohlen [re0]°, solches der Gemeine zue Stangenhagen nicht ehe Zuberichten [inf] dan es geschehe [stv]1 (Blankensee 1619, fol. 678r–678v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 137) (A.18) vnd zu Ihr gesachtt [re0]°, du offenbare zeubersche behalt [imp] du deine Khöe (Ahaus 1608, fol. 96v, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 3) (A.19) R[espon]dit [repf] Es sey geschehen d[as] er Zu Ir Appolonien kommen sagende [part]° wie Ime eine schaden Zu haus kommen [0] er d[er] kuehirt gehört hette [repq]° sie solte [mv]2 [ne] es Ime kehren können (Gaugrehweiler 1610, fol. 11r, vgl. Kanzleisprache 2005, S. 222)
A.11 Beispielsätze für die Verwendung der Tags
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Übrige Formen außerhalb der Redewiedergabe (A.20) 5. Ad 5. affirmat. [ps] (Alme 1630, fol. 4v) (A.21) Sambstags ahm zwelfften Monats Juny [. . .] erschiennen fiscus vnd vbergab [pt] etzliche Additional-Articuln mit bitt Verstrickten gleichfahls darüber zuuerhoeren (Coesfeld 1632, S. 25) (A.22) Er Verhafftn doch seines bruchs halb darmitt nicht hatte [pq] belegen Undt auffgezogen werden können (Hildburghausen 1628, S. 112) s. auch Bsp. (A.2) und (A.5)
Anhang B
Edition ausgewählter Quellen Viele der Quellen, die in das vorliegende Korpus eingegangen sind, lagen am Anfang dieses Dissertationsprojektes lediglich als Handschriften vor. Ein großer Teil dieser Handschriften wurde während der Entstehung dieser Arbeit im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts transkribiert und liegt mittlerweile als Edition vor (Kanzleisprache 2005). In Ergänzung zu diesen Texten war es jedoch nötig, weitere Handschriften zu transkribieren, um eine geographisch möglichst breite Streuung der Prozessorte zu erreichen. In diesem Teil des Anhangs werden einige dieser selbst transkribierten Zusatztexte in Edition dargeboten. Sie erscheinen in alphabetischer Reihenfolge, ihre sprachlandschaftliche Zugehörigkeit ist in Klammern vermerkt. Jedes der drei Konjunktivverwendungsgebiete ist mit jeweils mehr als einer Quelle vertreten. Zudem wird für jeden Text festgehalten, ob es sich um eine Urgicht oder ein Verhörprotokoll handelt und ob ein Fragenkatalog vorhanden ist.
B.1 Editionsrichtlinien Die Richtlinien stimmen weitgehend mit den in Kanzleisprache (2005) angewandten überein (vgl. ebd., S. XVI–XIX). Es gelten folgende Grundprinzipien: 1. Die Quellen werden zeilen-, aber nicht seitengetreu abgebildet. Seitenwechsel werden in eckigen Klammern vermerkt. Bei den im Text zitierten Beispielen wird jedoch auf zeilengetreue Darstellung verzichtet.
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B Quellen in Auswahl
2. Wird eine Zeile durch nachträgliche Einfügungen oder eine große Anzahl aufgelöster Abkürzungen länger als die übrigen, wird sie in der folgenden Zeile fortgeführt. Solche überlangen Zeilen werden durch linken Einzug gekennzeichnet. 3. Abkürzungen werden in der Regel aufgelöst. Wenn sie jedoch ambivalent sind, werden sie in abgekürzter Form belassen. 4. Marginalien erscheinen an der Stelle, wo der Schreiber sie im Original platziert hat. Wo er eine kleinere Schriftgröße verwendet, wird sie auch hier angepasst. Es werden – zum Teil abweichend von der Edition Kanzleisprache (2005)1 – die folgenden Kennzeichnungen verwendet: Kennzeichnungen der Ergänzungen und Streichungen in der Handschrift Hexen Marginaleintrag, der an einer bestimmten Stelle im Text eingefügt werden soll interlineare nachträgliche Einfügung [INT] Zauber |Hexe+ gestrichene Textstelle |. . .+ durch Streichung unkenntlich gemachter Text Editorische Ergänzungen [21r] Seiten- und Folioangaben [und], [et], H[err] Wortergänzungen, Auflösung von Abkürzungen wehclagen [?] unsichere Lesart oder sinngemäße Ergänzung am Seitenrand nicht sichtbarer Wörter melanolisch [!] offensichtliches Schreibversehen
unlesbare Textstelle [. . .] Auslassung Kennzeichnung der Schriftarten Protocoll Gotische Kurrentschrift Protocoll Fraktur protocollum Antiqua Darstellung typographisch nur schwer nachzubildender Zeichen ∼ Schlusszeichen 1
Gegenüber den dortigen Richtlinien war eine entscheidende Änderung erforderlich. Der Schriftypus Antiqua wird dort durch Kursivierung gekennzeichnet. Da hier die Kursivierung innerhalb der durchnummerierten Beispielsätze zur Hervorhebung dient, wird stattdessen serifenlose Schrift verwendet. Zudem wird der Schrifttyp Fraktur anstatt durch Sperrung mittels Kapitälchen gekennzeichnet.
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.)
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B.2 Baden-Baden 1627 (wobd., Gebiet C, Verhörprotokoll) [26r] .3. Margaretha Zuuor Jacob Brasings, sonsten |deß+ WälschJacob genant, letztmahlß aber Hannß Stainlins Weib
Eodem die, hat beysein vorehegeSagten beed[er] Herren, mit diser Margarethen d[as] examen seinen anfang genom[m]en. Die hat außgesagt wie volgt. Alß Sie auff vilfältiges güetlichs zuesprechen, vnd vorgehaltene incidia nichtzit bekhennen wöllen, ist Sie durch den Maister Thoman gebund[en], vnd vmb etwaß doch lör [?] und nit von dem bod[en] auffgezogen worden. Vnd nachdem Sie ain klaine weil also gestand[en], vnd den schmertzen |vmb+ etlichen massen entpfund[en], hat Sie gebetten, Sie nid[er] zulassen, wolle alßdenn die Warheit sagen. Welliches geschehen. Hat aber doch nichtzit bekhennen wöllen. derhalbe[en] Sie d[er] Maister Wid[er]umben |vmb+ ain Wenige angezogen, vnd doch auff dem bod[en] stehen lassen. Drüber Sie mich den Stattschreiber gebetten, für Sie bey d[en] herren examinatorn für Sie zu intercedirn, d[as] Sie möge abgelassen werd[en] so wolle Sie anzaigen was Sie wisse. Auff welliches hin Sie alßbald[en] nid[er] gelassen |worden+ vnd gantz ledig gelassen word[en], Auch in der güete bekhent, wie |voh+ volgt. [26v] Eß seye vngefahrlich ain Jahr, alß Sie ain mahl gegen abend in ihrer Scheüeren gewesen, vnd dem Vieh zuessen geben wöllen, Auch in großsen bekhumernuß gewesen, seye d[er] böse feindt in grüenen klaideren daselbsten zue ihrer Kham[m]er, vnd zue ihren gesagt, wann sie Ihme volgen wölle, so wölle Er ihren auß Ihren nöthen helffen. Vnd zueselbigem mahl
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Gotteß Verleügnung.
B Quellen in Auswahl Sie dahin gebracht, daß Sie seines willens gethan. Sey nit genaturt gewesen, wie sonsten and[er] Mannßbild[er] sond[er]n gar kalt. Drüber habe Sie sich gleich alßbalden Gottes vnd Allerheyligen Verleügnen müssen. Ihr Buel hab Hannß gehaissen. Hab Ihren daß Zaichen an d[er] Scham, auff den linkhen seithen geben. [27r] Nachmittag. Abermahlen bey wesend vileherngedachten beed[er] herren Eschbachß vnd Vnderuoglerß. Hat Sie Margaretha abermahlen in abwesenhait deß Maisters, gantz güetlich außgesagt, wie Volgt. Sie seye zue Salbach dahaimen. Ihr Vatter hab Lorentz Schattenwein gehaissen, vnd seye ain Rebman geweßen, auch Catholisch getaufft word[en]. Hab zue Muggensturm [INT] .7. Jahr gedient bey den Schultheüsen, hab Wedel gehaissen, seines handtwerckhß ein Wöber. daselbsten seye Sie auch Luttherisch zugang[en]. Eß seye beyleuffig 30 Jahr, alß Sie ihren Jacob seeligen schon gehabt, Sie beede auch allerdingß außgeschätzt word[en], die Ross vnd and[er] Vieh nachainand[er] ihnen gestorben. Vnd Sie dahero in grosse Armueth vnd hertz[en]laid gerathen. damahlen seye d[er] böse feindt zue ihren khom[m]en, In ihrer Scheürren, Sie gefragt |waß+ worumb[en] Sie also bekhümert seye [27v] Mit dem Versprechen, wann Sie ihm volgen, vnd thun wölle waß Er wölle, so wolle Er ihren darauß helffen, vnd gelt geben. Auch ihren zugemuet-
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.)
abnegatio
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tet, seines willens zuthun. Dann habe Sie verwilliget. Er d[er] böse Gaist habe Ihren auch darauff (wie Sie vermaint hat) gelt geben, alß ob es halbe batz[en] weren. Alß Sie aber d[as] gelt |an+ [?] von dem Fassbod[en], dahin Er selbiges gelegt, auffheben wöllen, seye es nit gelt sond[er]n Ross Koth gewesen. Hat Jedoch ehe Er ihren d[as] vermeinte gelt geben, Sie beschlaffen. Damahlen Sie in actu venerio wol gemerckht d[as] sein Natur gar kalt vnd nit wie mit and[er]n Mannß bildern beschaffen. Gleich darauff habe Sie Gott vnd allen heyligen abgesagt, auff antrieb deß bösen Gaistes, ob Sie wolen selbiges anfänglichen nit verwilligen wöllen. Sich habe Er hannß genant. Daß zaichen habe Er ihren an den vord[er] haimlichen orth zur linkhen seithen geben. [28r] Ihr hochzeit seye auff dem dumel platz alhie gewesen zur nacht vmb .8. vhren, winthers zeiten, vnd ihren Ihr Buel abermahlen |ge+ in grüenen klaid[er]n. der böse feindt aber d[er] Sie zuesamen geben in schwartz[en] kleid[er]n erschinen. der habe Sie in Tausent düeffels Namen zuesamen geben. Vnd habe Sie Ihr Buel abermahlen beschlaffen. Disem nach hetten Sie ainen dantz gehalten, vnd ainen Gaiger, wellicher d[er] Teüffel gewes[en], gehabt. Darbey hetten sie gesotten vnd gepratten flaisch, so zwar hesslich, od[er] nit vil hüpsch |gewesen,+ aber|auch+ Ihres bedünnkhens von ainer Sau gewesen, vnd Wein aber wed[er] Brodt noch saltz gehabt. Zue vnd von der hochzeit seye Sie auff ainem schwartzen steckhen, den ihren ihr Buel geben, vnd
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B Quellen in Auswahl geschmiret, vor ihrem hauß, scheitlung gefahren
Denunciatæ personæ der Alte Kutel. daß klain Weiblein so sich bey Hannß Martin Bauman auffgehalten. des Alten Michael Eckhstainß Weib. die Alte Schmaltzhäfin. daß Grempen Bärbel. die Zimmermannin bey den brodthauß.
Die Bluemeneckherin Denunciatæ
die Spieß Würthin Deß SchuehMatthißen Weib. Die Lange Naß. Stoffel Pantelß Weib. Dorothea die vnd[ere] bäderin Die alte Schmaltzhäfin Die Jung Die Alte Karcherin. Ihre zwo döchtere die zimmer Anna Die Alte Schmellin
}
Bey ihrer hochzeit seye gewesen, d[er] Alte Kutel. Daß klain Weiblin, so bey dem hannß Jacob Bauman dem Schreiner sich ain zeitlang auffgehalten. vnlangsten auff dem Lasterstein gestanden, vnd ainen Pastarden gehabt. deß Alten Michael Eckstains Weib. die Alte Schmaltzhäfin d[as] Grämpen Bärbel. die Zimmermannin vor dem Oster thor. [28v] Vngefahr vor and[er]halb Jahren, seye Sie bey ainem tantz auff dem alhiesigen dum[m]elplatz gewesen, darbey haben sich finden lassen: Die statlich frau so bey dem Bolerich wohne. vnd zuuor ob d[er] |Stu+ Burger stuben gesessen, Ain Junge stätliche, gar ain hupsche [INT] kurtze frau. Hab ainen schönen hoh[en] Pöltz an. Hab lang Wein außgeschenckht. Die Spieß Würthin, Item Ihr schwester deß SchuehMatthißen Weib. Maria, die lang Naß genant. Deß Stoffel Pantelß deß Zimermanß Weib. Die Jetzige vndtere Bäderin, dorlein genannt. Die Alt- und Jung Schmaltzhafin. Die Alte Kärcherin, vnd ihr zwo döchter. Die Schmellin. Die zimer Anna. Zueselbigem mahl habe Sie , vnd die zimer Anna nit dantzen dörffen, sond[er]n nur zünden müessen, die liechter hetten Sie in den hindern steckhen gehabt. [29r] Dinstagß den 28ten dicti 1627 haben offtehengedachte beede herren mit Ihren d[er] Wälsch Jacobin d[as] examen od[er] die inquisition, in der güete fortgesetzt.
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.)
Frantz Zitterschlagers verheürathe .3. döchtere. Die Apoteckherin. Die Betschin Adolphi Schindlerß Weib Bluemenekherin Färberin. Bauern Schmidin. Wurtz Krämerin. Kisten Cäth |Stoffel Pantels Weib+ Wöber Jergen frau. Zimmermännin bey dem brodt hauß. Der Alte Kutel.
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Drey Jahr seye es Vngefahrlich, daß Sie auch bey ainen tantz auff dem Alten Schloss gewesen. Darbey haben Sich auch befund[en] deß Frantz zitterschlägers drey döchter. Die Apoteckherin Petri Betschen Weib. Die Grempen Berbel. Die schön kurtz frau mit dem hohen Pöltz, So vor disem bey d[er] Burgerstub[en] gesessen, vnd Neülich auch zeitlang wein außgeschenckht hat. Die Färberin. Des Baueren Schmidts weib, sonsten die Zöpfflerin genant, so grämperey treibt. Die Wurtz Krämerin. Die Kisten Cäth. Stoffel Pantels frau. Deß Wöber Jergen Weib. Die Zimermännin bey dem Korkhauß. Der Alte Kuttel. Damalhen hab[en] die statlichen flaisch vnd gepratens zuessen, Auch wein zutrinckh[en] Aber wed[er] Saltz noch brodt gehabt. Zue vnd von disem tantz seye Sie auff ainem |steckh+ schwartzen steckhen gefahren, in des Teüffels namen, den ihren ihr Buel geben. [29v] Sonsten zaigt Sie auch an, daß Sie fast alle Jahr dreymahl zue den täntz[en] khom[m]en. Aber Sie seye sonsten nie bey kainer hochzeit gewesen, dann die Armen allwegen außgeschlossen gewes[en] So khenne Sie auch sonsten kaine hexen weitters, dann Sie bereits namhafft gemacht od[er] angeben. Wann sie von ihrem Mann gefahren, habe Sie in deß dieb henckhers Namen ain Büschelein Stro neben ihn in daß Peth gelegt. Beyleüffig vor Ainem halben Jahr, seye Sie bey dem Alten Schloss, bey ainem Wetther machen gewesen. dasselbige seye in dreyen pfannen gekocht word[en]. Waß in |od[er]+ den Pfannen gewesen, habe Sie für Erbsen angesehen. Die die Pfannen gehabt, seye die Kisten Cäth. Deß
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B Quellen in Auswahl StoffelPantels Weib, vnd die zimmermännin vor dem Oster thor, bey dem Brodthauß, vnd haben selbige vmbeschütt. Darauff es dann |geregnet+ gedönnert, gewetterloicht, vnd ain starckhen regen abgeben. Vnd seye daß Wöber Jergen frau damahlen auch darbey gewesen [30r] Bey den Eyberg, vor ainem Jahr beyleüffig, Seye Sie auch bey ainem Wetter gewesen, welliches in ainem hafen gekocht worden. In selbigem hafen seyen schlosen gewesen, aber nit nahent bey dem fewer gestand[en]. Die Kisten Cäth habe den hafen vmbgeschütt. Vnd seyen eben zueselbigem mahl die Zimmermännin bey dem Brodthaus, vnd die v ¨berige Personen, so sie allererst angeben, vnd namhafft gemacht. auch gewesen. Zue selbigem mahl habe es regen vnd schloßen geben, daß d[as] Eckhraut ver derbt worden. Von vnd zue disen täntzen seye Sie auff dem steckhen, den Sie von ihrem Buelen gehabt, gefahren. [30v] Nachmittag In dem [INT] obern hortberg seye vngefahrlich voren einem Jahr auch ain wetther gemacht, d[er] gekocht word[en] in ainem hafen, dareinen seyen allerhandt Prossen vnd schoss von den Bäumen vnd Reben gewesen. Seye feüer darbey gewesen. vnd von der zimmermännin vor dem Oster thor vmbgeschittet worden. darauff seyen die Reben vnd Eichpaüm verderbt worden. Darbey Seye auch Die Färberin. Stoffel- und Michael Pantels beed[er] zimmermänner Weiber, vnd die Kisten Cäth gewesen.
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.) Homicidia 1.
.2.
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Eß Seye vor vngefahr dreyen jahren ain Armen Mann bey ihren v ¨ber nacht gelegen mit ainem Mädlein, beyläuffig aines Jahrs alt. Deme habe Sie ain Milch geben. In selbigs habe Sie Teüffels samen, die ihren ihr Buel geben. vnd schwarth gewesen, gethan. Alß d[as]selb khindt von selbiger Milch gessen, seye d[as] khindt gleich in 3. od[er] 4. tagen darnach gestorben. [31r] Deß Klemlinß Frawen auff der Landtschreiberin hof gewesem Rebman alhie, habe Sie vor vngefahr .4. Jahren, Milch Zue |ainem+ zwey knäblein, d[as] ain zwey- daß and[er] .4. Jährig |Jährigen Knäblein+ geben, vnd in selbige Milch auch deß vorgenanten Puluers, welliches ihren ihr Buel |geben+ [INT] |gethan+ in des bösen feindts Namen gethan. Dauon [INT] beede khinder |d[as] khind+ auffgeloffen od[er] geschwollen, vnd innerhalb 3n tagen |gestorben+ d[as] And[er] aber beyläuffig in Monats frist gestorben.
.3.
Eß seye beyläuffig ain Jahr, daß des Christoph Weyhen deß Cantzley dieners frau bey ihren Milch geholt |dauon+ darein habe Sie Margaretha ain weing grüenes Püluerlein, so ihren ihr Buel geben, in deß Teüffels namen gethan. dauon seye nachgehents ihren ain Khindt, Ihres erachtens .2. Jährig, gestorben.
.4.
Eben auff solliche weiß habe Sie auch vor .10. Jahren vngefahrlich ainen Rebman auff d[er] Landtschreiberin hof, ain .3. Jähriges Kneblein vmb d[as] leben gebracht.
.5.
[31v] Vor .18. Jahren beyläuffig seye auff Joseph Schillers hof den d[er] Wötzel
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B Quellen in Auswahl ietztmahls hat, ain Rebman gewesen. Dessen frau habe Sie auch deß Schwartzen Püluerleinß in d[er] Milch geben. Daß Sie dauon kranckh worden vnd lange alhie geserbt, Auch darauff von hin[n]en weckh khom[m]en, vnd derenthalben gestorben. .6.
.7.
.8.
Vor vilen Jahren seye ain Wöber alhie auff dem Katzenberg mit hauß gesessen, so ihres behaltens Wilhelm gehaissen, vnd von Ottenau hirher khom[m]en. Der hab ihren leinin durch geweben. vnd mit ihren vnd ihren Mann gessen. Dem habe Sie auch des schwartzen Puluers für sein orth in ain Erbsen Supp gethan, in des bösen Namen, |gethan+, Weilen Er ihren d[as] duech wol auff die and[er]halb Jahr in dem Hauß gehabt, vnd nit gemacht. Derhalben Er dann dauon kranckh worden, vngefahrlich ain halb Jahr geserbt, vnd darnach gestorben. [32r] Eß seye schon gar lang, d[as] ain hebamm so von Straßburg alhero khom[m]en, ain feine grosse starckhe frau gewesen, vnd alhie in d[er] Ober Statt gewohnt, hernacher aber hie wid[er] weckh khom[m]en, die habe bey ihren Margarethen auch Milch gehabt. In welliche gleichfahls deß schwartzen Puluers gethan, von sollichen ihren ain zway Jähriges Mädlein gestorben, irgent in ainem viertel Jahr. In dem Sauhauß alhie, seye ain Altes Weiblein, so ain Wittib gewesen, vnd ainen sohn gehabt, wellicher ain Jäger gewesen, gesessen. Die habe alß in ihrem hauß vnd bey ihrem holtz gekocht. vnd dessen vngeachtet, ihren doch noch darzue ihr holtz genom[m]en, vnd auß dem hauß getragen. Derhalben Sie zornig
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.)
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worden, vnd auf ain zeit, alß Sie bey ihren wid[er] ainen haber prey gekocht, ihren in deß bösen gaists namen, deß schwartzen Puluers gethon d[as] Sie beyleüffig ain Viertel Jahr lang geserbt, vnd darnach gestorben.
.9.
10.
[32v] Deß drehers Sohnß |khindt+ frau, alß Sie noch an dem Pockhberg gesessen, seye |vnlengsten+ auff ain zeit |zue+ in deß Schreiners hauß vor dem Oster thor khom[m]en, vnd habe ain khindt vngefahrlich halb Jährig, auff dem arm gehabt, |zu+ so kranckh gewesen, zue selbigem mahl seye Sie auch zue ihren in ihr hauß khom[m]en. Da habe Sie d[as]selbige khindt in des bösen feindts namen gestossen. Dauon hernacher selbiges gestorben. Deß Kasten Veltinß frau, seye auch vilmahl mit ihrem khindt od[er] Mädlein so .2. Jährig gewesen, zue ihren inß hauß khom[m]en demselb[en] habe sie auch auff ain zeit von dem grüenen Püluerlein in d[er] Milch, nach ihrer bösen art zuessen geben. Dauon es fast ain gantzes Jahr geserbt vnd gestorben. Es seye gar nahent 14 Jahr. 11. Vor vngefahr .20. Jahren seyen Arme leüthe bey ihren v ¨ber nacht, bliben, die haben ain Kneblein gehabt, deme habe Sie auch deß schwartzen Puluers in d[er] Milch eingeben d[as] es dauon gestorben. |Wil rund nit gestehn, daß Sie den Menschen Jung od[er] alten, Mann od[er]Weibern schaden, od[er] leibß Verletzung zuegefüegt habe.+
a.
[33r] Bey ainem Jahr vngefahrlich, seye ihren deß Grempen Stoffels Sau in den Garten khom[m]en, zwey Jährig vngefahr-
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B Quellen in Auswahl lich, [INT] die |daß+ habe Sie mit Ihren Steckh[en] darauff sie von und zue den täntz[en] gefahren, geschlagen in deß Teüfels namen, dauon eß vmbgefallen .b.
Der Kisten Cäthen dochterman habe vor d[er] Zeit ain Ross gehabt, daß seye ihren ainß mahls vor seinem hauß, alß Sie in die ziegen hütthen gangen bekhom[em]en [INT] So |vnd+ Sie mit dem linkh[en] arm in deß diebhenckhers namen gestossen, d[as] es lamb khom[m]en.
.c.
Frantz Fritz alhie habe sie auch vor .2. Jahren, vndter dem Beüeren thor ain Ross angestossen, vnd dasselbige auch mit dem |d[er]+ linkhen |handt+ arm in deß bösen feindts namen schlagen, d[as] eß vmbgefallen.
.d.
Deß Alten Michael Eckhstainß Weib ihr geschwager, hab Sie auch vor .2. Jahren in ihren gartten mit ihrem steckhen ain kälbin geschlagen, d[as] Sie abgestand[en].
.e.
.f.
[33v] Dem Caspar Eckhstain seye ain Khue in ihr Scheueren khom[m]en, vor 4. Jahren. Die habe Sie auch auff sollich Weiß |auff+ vmbgebracht. vor .5. Jahren habe Sie deß Frey [INT] hansen Jarlinß Khue, so ihren in ihren gartten zum Bilselen Baum [INT] khomen, obgezehlten massen geschlagen mit dem steckh[en].
B.2 Baden-Baden 1627 (wobd.) .g.
Vor 12 Jahren vngefahr, alß Sie auß d[er] Vndteren badstub[en] haimb gehn wöllen, vnd der Khüe hürth eingefahren, habe Sie deß Frey hansen Khue auch mit den linkhen arm obiger Weiß, gestossen, d[as] Sie gestorben.
.h.
Alß Sie ain mahl vor 10. Jahren in d[er] hanß Cuanlerin [?] gueth gewesen, vnd haimb gehn wöllen, seye ihren deß Kohl Martinß Khue bey seinen hauß |ihren+ bekhom[m]en. Daselbsten habe Sie dieselb obiger böser Weiß, mit dem linkhen arm gestossen, vnd vmbgebracht.
.i.
[34r] Donnerstagß den letsten 7bris 627. Vilehergedachte beede herren Eschbach vnd Vnderuoglerß, haben besagte Margarethen, deß Welsch Jacobß Weib in d[er] güette, vnd in abwesenheit des Scharpff richters ferners befragt. die hat weiters außgesagt wie volgt. Die hostias oder daß Nachtmahl habe Sie auff ihres Buelen gehaiß vnd antrieb allwegen in deß teüffels namen genom[m]en. darnach wied[er] auß dem Mundt in die diechel gethan, |daß+ selbige darnach ainmahl in ihrem gartten, im hanff Ackher vergraben, der mainung, d[as] darauff ain sterben volgen soll. Item [INT] vngefahrlich 8. |4+ mahl habe Sie dieselbigen verprent, auff daß dardurch hungerß noth od[er] theüerung khom[m]en sollen Etliche habe Sie in den Saukübel [INT] geschütt |geworffen+, dauon habe Sie
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B Quellen in Auswahl auff die gass geworffen vnd mit dem schwartzen Puluer daß ihren d[er] böse feindt geben, besprengt d[as] die schwain im ausfahren daruon gefressen, vnd irgent auff die .20. Sau vmbgefallen.
.k.
N[ota]B[ene]
[34v] Eben auff die weiß habe Sie eß auch mit etlichen and[er]n hostiis gehandlet, die Sie vnder daß heu gethan, vnd mit selbigem Puluer vormischt, dauon auff die gass gestrüet, d[as] daß Rindt Vieh, wann d[er] hürth auß vnd eingefahren, daruon gessen, vnd gar vil Vieh, auch ihren selbsten .3. khüe gestorben. Vngefahrlich vor .5. Jahren habe hannß Georg Tempelß frau, bey ihren Milch geholt, darein habe Sie deß schwartzzen Puluers gethan. Dauon dieselb lange Zeit gar kranckh gewesen Auff wellichs dieselb Zu ihren Margarethen khom[m]en, Sie vmb Gottes willen gebetten, d[as] Sie ihren wid[er] helffen soll. darüber Sie ihren düere Amerellen geben, die Sie mit ain nem Wasser, darinen Sie Tymian [?] zergehn lassen, genetzet, vnd dardurch ihren wid[er] gehollfen. Im Übrigen beteüert Sie hoch daß Sie Niemandts verfürhet, Auch sonsten nichts weiters wisse od[er] gethan habe. Ist auch wegen zu Wilhelm Stephain ietzige hausfrauen zufragen
B.3 Baden 1640–1642 (wobd.)
B.3 Baden 1640–1642 (wobd., Gebiet C, Urgichten) B.3.a) Baden 1640 (1) [8r]
Zum
Zum
Zum
Zum
Zum
Zum
Alle meine herrn arm und Reich o Kundt Vnd Zu wüssen Seie Jedermeniglichen hiermit das Vrsul Küngin von Rebenstorff, so hie vnder augen Nach deme sie umb bößen Lümbdes willen In der statt Baden gefangenschafft kommen, so wol güettlich als peinlich bekennt hatt wie volgt. Erstlich seie ohngefahr vor vier oder fünff vnd zwantzig iahren o der böße feindt In das schallers hauß zu ihr kommen o alß sie zumahl vff dem stalle sacklage der seie aber o nach dem sie Gott vnd Mariane angeruffen selbiges mahls widerumb von ihren gewichen. .2. seie ohngefahr drey oder vier wochen darnach vff der o Müsseren In einem gässlin wiederumb zu ihr kommen der böse feindt In gestalt eines mans mit grüen bekleidet mit nammen Petterlin mit ohnn|aturlichen+ [INT] menschlich[en] füessen der o o habe ihren zugemuttet da [INT] sie seines willens pflegen wolle welches sie gethon vnd nachdem ßelbigen auch Gott vnd alle heiligen verlaugnet o 3. habe er ihren dazumahlen ein gelbe Salben geben welche sie hinweggeworffen, darauß etwas regens ero volget, vnd habe Ihr der böße geist dazumaheln einen Ribbstoff geben dieweil sie die salben nit behalten wöllen 4 habe er ihren auch zwey oder dreimahl ein Briefflin geben In welchem etwas gelts sein sollen, seie aber nur RossKoth geweßen. 5 habe er ihren ein Bulffer geben welches sie dem weg nach bey der Rütti biß auff die alment verseiet In mei [8v] o nung das vieh darmit zuverderben 6 habe sie von demselbigen samen so ihren ein ander mahl der böße feindt geben des schallers Rossen vnder o o das futter geschüttet In meinung dieselbig[en] zu verderben. 7 seie sie vff einer Gablen welche der böse geist ange salbet vilmahlen In des H[errn] stattschreibers saligen o vnd Buherrn mattlers trotten, wie auch zu der Pfann[. . .] o zu dem dantz gefüert worden, daselbst[en] sie sampt andern lasterliche werck verüebt.
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B Quellen in Auswahl
Zum 8 habe sie des hanßen vff dem Bergs kind In des bösen geists nammen angerüert, seie deme aber nichts übels darvon Wider fahren. Vmb solche von dissen armen menschen begangene mißhandlungen haben meine herrn der Schuldtheiss Raht vnd die viertzig sich Zu recht irkent vnd von ihren gesprochen vnd gericht das namlich sie dem Nachrichter solle In seine bandt bevohlen werden, der solle sie vff die gewohnliche Richtstatt füehren, vnd auß sonderbaren gnaden meiner herrn Schuldtheissen vnd Rahts ihren das haupt von dem Cörpel geschlagen, Nach deme solle er denselben Cörpel mit sampt dem abgeschlagnen haupt In ein feür o stossen zu Bulffer vnd äschen verbrennen vnd dan die aschen In das Erdreich wol vergraben das dardurch Weder leut noch vieh beschediget werde, vnd wan das beschicht das sie als dan gebüest habe Nach dem Kais[erlichen] rechten vnd nach Gnaden. [9r] Es sollen auch die Jenigen Welche den dott disses armen mensche, es seie gleich mit wort[en] oder mit wercken o o o o zu rächen oder zu afferen vnderstundt[en], In ihro fustapffen stehen vnd tretten, Also das wo meine herrn einen solchen In ihren gerichten angriffen, sie alsdan über ihne richt[en] vnd urtheilen mögen, wie über disse gegenwertige Persohn vff der heüttigen tag geurtheilt vnd gerichtet würd. Hälff dir Gott
B.3.b) Baden 1640 (2) [1] Alle meine Herrn Arm und Reich. o Kundt und zu wissen seie Meniglichen hirmit das Vrßul Frölichin von Rieden, so hie vnder augen nach deme sie vmb bösen lümbdens vnd verdechtiger thaten willen in der statt Baden gefangenschafft komme[n] so wol guettlich als peinlich bekent hatt wie volgt. Erstlich als sie ohngefahr vor |sechs oder siben vnd+ zwantzig Jahren von ihrem man übel tractiert worden, habe ihren o In des mans abwesenheit zu Nacht getraumbt Alß man o o etwar zu ihren In das bett zu liggen begerete, alß sie o aber den nammen Gottes angeruffen, seie solches von ihren gewichen, vnd habe sie gehört etwar auß der kammer o gehen vnd die thüre zuschliessen.
B.3 Baden 1640–1642 (wobd.) Zum anderen seie vngefahr ein halb Jahr darnach bey tags o zeit zu ihren in ihr hauß komme[n] namme[n] Baschi Teüffel der böße Geist in gestalt einer gestanden Mansperßohn mit blaw bekleidet mit der habe sie angeredt das sie seines willens pflegen wolte, vnd alß er ihren etwas gelts geben welches aber nur Roßkoth geweßen, habe sie den bößen feindt In seinem begeren eingewilliget vnd nach dem ßelbig[en] o auch Gott, sein würdige mutter vnd alle heiligen ver laugnet. Zum dritten seie der böße feindt nach etwas zeit wideru[m]b o zu ihr in das hauß komme[n] vnd habe ihren einen same[n] geben, welchen sie Auff die weiden sprengen sollen, sie habe aber denßelbigen in den Bach bey der Limmat geworffen, vnd alß er Ein wenig geßotten, seie ein Nebel darauß ervolget.
[2] Zum vierten habe sie der böße feindt vmb das sie den samen in das wasser geworffen übel tractiert vnd geschlagen, auch ihren ein salben geben, welche sie auff die strassen gelegt, darauß Nebel ensprungen. Zum fünfften habe ihren der böße feindt wiederumb eine[n] samen geben darvon sie dem hanß Jeüchen ein wenig In den letsten bissen die speiss geworffen vnd seien ihme grosse schmertzen vnd wehclagen [?] darauß entstanden. Zum Sechsten habe sie von demßelbigen same[n] den hanß Vlrich heckarten In einem krießegumbest geben dar von er arbeitßelig worden vnd sterben müessen. Zum Sibenden habe sie auch ihrem Ehman von demßelbig[en] Samen In der speiss geben, darvon er ebenmessig arbeitßeliger weiß sterben müessen. o Zum Achten habe sie des Caspar Buchers Fraw In des bösen feindts namme[n] an einem arm angerüert, darvon sie noch vff die stundt arbeiselig krank ligge. Zum Neündten habe sie mit einem von Klaruß In des hanß |vschniß+ Mullers matten die ehe gebrochen. Zum zehnden habe sie ahngefahr vor vier Jahren vmb Johannis In beißein des bößen geists Wasser vor ihrem hauß außgeschüttet darüber ein Regen Rißel vnd etwas hagels gevolget, welcher den Rüben vnd dem o Kraut schaden zugefuegt vnd etwas geflötzt.
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[3] Zum eilfften habe sie des Hanß Jeüchen Fraw so In kindsnöthen gelegen mit sampt dem kind verderben wöllen, seie aber nit In das hauß gelassen worden Wiewol sie das fürwort gehabt alß wolte sie wein haben. Zum zwölfften habe sie des hanß Jeüchen kind alß o man es zu tauff getragen auff der bruggen auffdeckt vnd die windlein mit des teüffels Salben bestrichen darvon das Kind krank worden vnd arbeitselig sterben müessen. Zum dreizehnden habe sie der Vrßul Schallerin küehlin gebachen, vnd darunder des teüffels Same[n] vermischt, darvon sie ausserben vnd sterben müessen. Zum vierzehenden habe sie dem Casper zimmerman o vor einem offenkuchen, darnach des bemelten Samens o war zuessen geben darvon er gemeint müesse sich selbst Entleiben. Zum fünffzehenden habe sie des Ritters frawen Innam[m]en des bößen feindts den Ruggen vnder der Badrohren gewäschen, darvon ihren groß Ruggenweh entstand[en] Zum Sechzehenden habe sie des Ritters frawen wie auch dem In der keere In einem krießegumbest von des Teüffels samen geben darvon sie beede ausserben vnd sterben müessen. Zum Sibenzehenden habe sie dem Janß Jogks Grieß von o einer Dunnen geben In meinung ihne zu verhindtern das er nit In Krieg ziehe darvon er gestorben, |vnd+ daru[m]b o ligge sein mutter so auch darvon geessen noch krank
[4] Zum achtzehenden habe sie das |daßiß[?]+[INT] Dauid Hanßen kindt |Im siggen+ zu Rieden |thal+ Einen eierweggen geben, mit des teüffels Salben bestrichen, darvon es ausserben vnd sterben müessen. Zum Neünzehnden habe auß ihrem befelch der böße feindt des Capar Bodmers weinwagen vor ihrem Hauß nider o geworffen, willens ein fass zuversprengen. Zum zwantzigsten habe sie auß Neid vnd hass den Caspar o Bodmer begert zu beschedigen, darzu aber kein gelegenheit haben könne[n]. Zum Ein vnd zwantzigsten habe sie dem Anthoni o o Bucher, stratte zu kauffen geben, darinnen des obbemelten
B.3 Baden 1640–1642 (wobd.) o
Samens Ware darvon sein Kuh des kalbs nit habe können ledig werden. Zum zwey vnd zwantzigsten, habe sie Innamme[n] des bößen feindts Wasser auff ihren mist geschüttet, daruff o o kraut gelegen darvon des Caspar Buchens Ku gessen vnd alßo des kalbs nit abkomme[n] können, das man sie schlachten müessen. Zum drei vnd zwantzigsten, habe sie auff des Pfeiffers o kuh wasser geschüttet darvon sie nit habe kalberen könne[n] alßo das man sie schlachten müssen. Zum vier vnd zwantzigsten habe sie von dem samen etlichen Schweinnen geben sollen, vnd es an ihren aignen schweine[n] probiert welche taubsüchtig worden biß sie ihnen mit ostertauff wiederumb geholffen.
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[5] Fünff vnd zwantz[igsten] habe sie dem Bößen Geist befohlen den Malher Eschenbach über die Brugg bey ihrem hauß o hinab zuwerffen darvon ihme aber nichts schädlichs wider fahren. 26 seie sie von dem bößen Feindt In gestalt eines Geißbocks In etliche mahlen In des Stattschreibers trotten o vnd zu dem Bronne[n] o zu nacht gefüret worden, daselbsten habe sie samt andern bößen weibern dem dantz vnd andern lasterlichen sachen beigewohnt Siben Vnd zwant[zigsten] habe sie In bemelter trotten vnd bey dem Bronnen geßehen Vnd erkent etliche böße weiber welche theils hingerichtet worden, theils sonst gestorben. acht Vnd zwantzigsten habe sie auch so offt sie dahin komme[n] angetroffen vnd erkent Dorothe Ehrßam des leisten |. . .+ [INT] Sommer sälige, fraw so dissmahl In meiner herrn Verhafftung. [. . .]
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B.3.c ) Baden 1642 [1] All Meine Herrn Arm vnd Reich
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Barbel Maria Rittereisen so alhie vnder augen, nach Deme sie vmb böses Lümbdens vnd verdachts willen In meiner herrn gefangenschafft kommen, hatt güettlich vnd Peinlich bekennt wie volgt. o Namlich als sie ohngefahr vor zehen Jahren voller vnmutts vnd kleinmüettikeit In den Weilerberg zu holtz gangen o seie zu ihro kommen der böse feindt, In gestallt einer Jungen Manspersohn Schwartz bekleidet mit namen o hänsli, den habe ihro vil gutts vnd gelts versprochen Wan sie seines willens Pflägen wurde, wardurch sie beredt seinen bösen willen gleich an selbigem ohrt hinder einer Eiche mit ihme volbracht habe. Damahlen habe er ihro In einem Papier etwas geben welches sie für gelt angesehen, es seie aber darnach Lautter Laub gewesen. o Zum anderen seie er widerumb zu ihro kommen In o dem gstüel vnd mit ihro gangen bis zu s[ank]t Ehrhart Da habe sie ihme verwisen warumb er sie mit dem gelt also betrogen, habe, warüber er geantwortet, Wan sie das gelt gleich gebraucht hette, were sie des
[2] selbigen mit nutzen abkommen, es seie aber vnderzwüschen widerumb verschwund[en], vnd habe ihro daruff geoffenbart das er der Teuffel sie, vnd |sie+ ihro gesagt sie könne o nit mehr von ihme ablass[en], vnd müesse thun was er wölle Da dan sie widerumb seinen bösen willen mit ihme volbracht habe. |5+ Nach welchen |sie+ er ihro einen Kamen oder bulffer geben o mit befelch dasselbig vff dem gstüel auszusprengen, o
Darab werde das vieh zugrundt gahn, welches sie gethon vnd den Kamen In dem gstüel der lenge nach zerstrewt ¨ habe. o 4 3 Zum dritten seie der böse feindt wiederumb zu ihro kommen In dem gstüel als sie spön vfflesen wöllen daselbsten sie abermahl zwüschen zwohen scheuer In einem gässli vnzucht mit ihme getriben vnd darnach vff sein begeer Gott vnd alle Liebe heiligen ver laugnet habe.
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Item habe ir ihro dazumahlen etwas In einem Papier geben das sie es vff die matter strewen sollen, sie aber solches vff ein thünten Im hasel gesprengt. |wehr+ habe er ihro widerumb Ir einem Papeirlin ein grüo ne salben geben solche an die stiglen zu streichen, die sie aber Ins Wasser geworffen habe.
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Habe sie vor dem bösen feindt ein bulffer entpfangen o solches vff die beeden stägen gen St. Victausen zu sprengen Welches sie verrichtet In meinung die leüt so darüber gangen o zubeschedig[en], es seie aber disser Samen zeiblich hinwegge wiescht worden. Habe sie vs befelch des bösen Geistes |hans+ heinrich Kellers Frawen, |vnd Melscher Merklins tochter+ In seinem nammen angerüert, darab sie In schwere Kranckheitten gefallen. Item habe sie aus geheiss des bösen Geists Melcher Merckling[en] tochter In seinem nammen In dem gestüel an der Achslen angerüert, darab es gleich schmertzt, In derselben seitten entpfund[en]. o seie In der Metzg zu ihro kommen, der böse Geist vnd von dannen mit ihro gangen bis vnder Ludi Sürlaulinshus vnd habe ihro dasebst etwas In einem Papier geben solches o o In die Würst zuwerffen, welches sie zwar thun wöllen, o Dieweil aber die Magt mit Weichwasser darzukommen, habe sie das briefflin zum fenster hinaus geworffen vnd die würst mit Weichwasser besprengt. Seie sie bei nacht von dem bösen feindt in das gstüel bescheid[en] word[en], daselbsten vff einen stäcken gesess[en] welcher alsbald In gestallt eines Bocks verwandelt word[en], vff
[4] welchem sie dan gegen der Pfannen vff den tantz ge fahren seie, dasebsten sie neben anderen hingerichteten o o vnholden ihren muttwillen verwbt, ¨ auch vermeint zu o ess[en] und zutrincken, habe aber darnach eben gehungert als o zu vor ∼. 10 Habe sie aus geheiss des bösen feindts In dem gstüel mit einem alten bäsen fünffmahl In ein güllen ge schlag[en], daraus ein rägen entsprung[en]. vmb solcher Mishandlung[en] Willen haben meine herrn schuldtheis klein vnd grosse Räth sich zu recht erkennt
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B Quellen in Auswahl vnd von disser Armen Persohn also geurtheilt vnd gerichtet, das sie dem Nachrichter In seine händ be fohlen werde, der solle ihro die händ vff den Ruggen bind[en] sie hinaus auff die gewohnliche Richtstatt füeren, ihro daselbsten das haubt von dem Leib schlagen das ein Wagen Rad darzwüschen gahn möge als dan den Cörpel
[5] o Mit sambt dem haubt In ein feür stoss[en], vnd zu Bulffer vnd Äschen verbrennen, die Äschen wol verwahren damit weder Leütt noch vieh davon beschediget werde vnd Wan das beschit, das sie alsdan gebüest habe nach dem Kaiserlich[en] Rechten vnd nach Gnad[en]. so auch Jemandt were, der den Todt disser Armen Per o o sohn mit worten oder Werken zu rächen vnd zu Äfferen vnderstunde das alsdan der oder dieselbige o In ihro fustauffen tretten vnd so er In meiner herrn gerichte ergriffen wurde von ihme gerichtet werd[en] solle Wie heittiges tags von diesser Armen Persohn ge richtet word[en] ist. Gnade dir Gott.
B.4 Barby 1641 (omd.)
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B.4 Barby 1641 (omd., Gebiet A, Fragenkatalog und Verhörprotokoll) [8r]
1. 2. 3.
4. 5. 6. 7. 8. 9.
10.
11.
Articuli inquisitionales in p[unct]o incantationis c[ontra] Barbara Heßen von Hall Wie zeigin heiße, wie alt vnd woher sie bürtig sey Wo sie sich bißanhero auffgehalten vnnd waß ihro Nahrung gewees vnndt handthierung sey Ob sie nicht insonderheit sich auff allerley Kranckheiten zuheilen verstehe, vnd insonderheit auch den bezauberten Leüthen zuhelffen wiße, vnd vielfältig gehoffen habe vnd waß es vor Leüthe gewesen, Wo sie solche Künste gelernet habe. Wielange es sey daß sie solche Künste vnd Curen gekönnet vnd dann sich gebrauchet habe Ob sie deß Ambtschreiberß zu Barby nunmehr verstorbenes Söhnlein wol gesehen, vnnd deßen Krannckheit erwogen habe Ob sie gewiß dafür halte, daß selbiges Kindt also bezaubert gewesen, vnd von solicher zauberey sterben müßen Woher sie wiße, daß daß kindt bezaubert gewesen oder waß sie deßwegen vor anzeig vnd nachricht habe Waß vor eine arth zauberey sie es halte, ob sie vermeinet daß etwa dem Kindt die bösen dinger, wie es genennet werd[en], oder waß sonsten zu gebracht gewesen Ob sie nicht vermeinet hette demselbigen Kinde, solche zauberey zubenehmen, vnnd ihm zuhelffen, deßen sie eher alß geschehen darzu kommen Ob sie nicht vermeinet daß in selbigen hause etwa eine zauberey verstecket oder vergraben sey, vnd ob sie nicht wiße wo oder wie dieselbige zufinden, vnnd wiederumb hinweg zubringen sein möge,
[8v] 12. Ob sie nicht berichten könne, von wem daßelbige Kindt vnndt hauß also bezaubert sey vnnd ob sie gewiß dafür halte es sey Vrsula Cüsters die Thäterin 13. Waß sie deßen vor anzeig vnnd Vrsach habe, daß sie gedachte Vrsula damit beschuldige 14. Wan sie solches erfahren habe, daß Vrsula Cüsterin die Thäterin sey vnnd ob sie solches nicht eher vnd zuvorhero gewust vnd ihre Persohn beschreiben können ehe sie iemalß selbiges weib nennen hören, 15. Waß sie vor Kunst gebrauchet d[as] sie solches erfahren habe
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B Quellen in Auswahl 16. Ob sie nicht andere mehr zauberinnen alhier oder in benachbarthen Ortern zubenennen wüße 17. Ob nicht in dem sie solche Kunst gebrauchet ein hauffen schwartze Krähen ihr vmb den Kopff geflogen, vnd waß sie vermeine ob es rechte Kräen, od[er] w[as] es sonst gewesen 18. Ob sie nicht vermeinet vnd vorhabenß gewesen, Vrsula Cüsterin zuzwingen oder zu bannen in deß Ambtschreiberß hauß zukommen vnd etwaß darauß zu enthlehnen 19. Durch waßerley Kunst sie solches zuwege zubringen vermeinet vnd ob sie nicht mit einer barte inß fewer gehacket vnd warumb, 20. Ob sie dafür halte, wan solches geschehen, daß Vrsula Cüsterin gewißlich dieselb gezauberin sein müste vnd warumb 21. Ob sie nicht auch etwaß gekochet gehabt vnd was es gewesen 22. Ob sie nicht alß sie den Kessel vom Fewer abgehoben denselbigen, vnd andre zu solcher Kocherey gebrauchte sachen an einen absonderlichen verborgenen orthe beygesetzett vnnd verbohten davon innerhalb 9 tagen nicht anzuruhren, vnnd warumb solches geschehen. 23. Was sie mit solchen Kochen thun, oder wozu sie solches gebrauchen wollen 24. Waß sie sonst vor sachen vnd Kunst bey ihren Curen gebrauche vnd ob sie nicht insonderheit auch geröstet brodt gebrauchet dem Kinde die fueßsohlen damit bestrichen, vnd vorgewandtt, es zögen sich etzliche härlein dahin, welche sie mit dem brodt müste, abstreichen, nachgesendes auch solch brodt anzuruhren verbothen vnd daßelbige an einen verborgen orth gebracht, damit es von keinen menschen nicht gefunden werde, vnd warumb, 25. Ob sie nicht darbey vielerley segen, vnnd worth spreche, [9r] 26. Ob alß sie vorgangenes Sontags in Andreaß Berents Hause auffen strohe gelegen, eine schwarze Katze zu ihr gekommen, vnd mit gewaldt an sie gewoldt, vnnd endlichen einen strohalm inß maul genommen, vnd damit davon gelauffen, 27. Ob sie nicht wiße oder vermute, waß es vor eine Katze gewesen, ob es natürlich oder zauberey gewesen vnd woher dieselbige kommen sein möchte 28. Ob sie nicht solches dahin gedeütet, daß sie in Kurtzen werde vorgericht müßen, vnd woher sie solche deütung genommen, ob ihr dergleichen zuvor mehr begegnet gesehen oder gehört habe vnd wo 29. Ob sie nicht selbst mit dem Teuffel gewißen
B.4 Barby 1641 (omd.) verstendnüß habe, vnd denselbigen zu ihren dienste zwingen oder gebrauchen könne, [. . .] [11r] 2. Juny A[nn]o 641 Vf die Aus Gräff[icher] Barb[yischer] Canzley, Vns zugeschickte Inq[ui]sitional Articul, ist Barbara hessin v[on] halle examiniert, vnnd Lautet Ihre Antwort, wie folgendts zuersehen: Ad Art[icul] 1. Heiße Barbara Hessin, sey 24. Jahr alt, zu Halle burtig Ad 2. sey in ihrer Jugendt da sie etwa 8 oder 9 Jahr alt gewesen, von zygeunern mitgeno[m]men, in Vngarn, alda ein ganzes Jahr verblieben, ferner in Welschlandt zu Mantua, von dannen in Osterreich nach Wien, vnd Pragu, wieder hernach vf halle, Von da in Preußen wiederumb zu Leipzig mit Soldaten Volck vnd nicht mit zygehnern, alda gefreyhet einen Jacob schneider genant, einen Soldat, derselbe vor 5. Jahren in der Werbenschen Schanze erschoßen hernach sie wieder nach halle mit ihren 2 kind[er]n gezogen, vnd in den Thalen mit salz arbeit sich ernehret, den Ihr Vater auch ein Werck- oder Kethmeister alda gewesen Lezstmals von halle vf zerbst vor |. . . + 2 Jahren |erst+ gezogen, vnd alda 1. Jahr gewesen, in der spittalbude bey Lorenz R. deßen weib Anna Klüegers heiße, Von zerbst nach Anken, alda ein Viertel Jahr im spittal gewes[en], zu zerbst habe sie ihr leibes brodt vor den Thüren gesucht, zu Anken hab sie einen Mechmeister weiß seinen Nahmen nicht, sey einer v. Adel, deßen |. . . + hausfraw, des alten Xanthires stieftoch[11v] ter sey, habe Ihm ein bein geheilet, welches Ihm in heüler haut |zu+ [INT] ent gestanden, dafur Ihr nur 4 [?] [Thaler] zu Thane worden, nebst der speißung
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B Quellen in Auswahl habe 5 wochen daruber geheilet, Von Anken nach Calbe, inß hospital, sey sie der Faßnachten biß anhero da gewesen, daselbst sie den scharffrichter M[eist]er Melchior[n] geheilt, der Ihr |10+ 3. [Thaler] geben, wehre bezeubert geweßen im rechten bein, der habe es selber, wer die Persche gewesen, die Ihn bezeubert gehabt, ohne ihren brucht gewust, den vor 2. Jahren Er einem zu Calbe gerichtet mit dem Rade, da wehre die Persche in seine Fustabben getretten, vnd Ihnen also was angethan, sol die Alte Berßi heißen, alß der scharffrichter selbst ihr berichtet hette, habe sie nicht belangen wollen, sondern gesagt, d[as] Er sie doch noch woll in seinen henden bekom[m]en wolte, Ihre Nehrung wehre sonsten, daß wen sie was zu arbeiten bekehme, vorrichtete, Aber sie wehre fast vngesund wegen des schosses im Kopffe, derhalben sie sich müste behelffen wie sie konte Der hofmeister zu Wedeliz in Preußenn soll gahr krum gehen, Ihr dahinzukom[m]en, vnd Ihn zuhelffen, fordern laßen, Ad 3. Was anlangen thete, das Fieber, auch sausen so wie von schaden habe, könte sie heilen, auch die behexet vnd bezaubert sein, wie eines wieder ander, auch welches geholffen habe, als M[eister] Mel[12r] 1. chiorn Scharffrichtern, It[em] Valtin Campen knecht zu Calbe, der hette sich 2. Jahr mit einem bosen bein 2. geschlepftt, sie daßelbe nur mit brandwein gestrichen erst zwar gebueßet, die Worte des bueßens wehren, Bein Ich bueße dich, meines hern Christi geniese Ich, im Nahmen des Vaters 3. Noch einen den rothbertigen Jurgen zu Calbe; welcher das bein außen gelenke vertreten, 4. It[em] Andreaßen einem trescher vfm schloße eine[n] schenkel aber |. . . + an der dicke, welches der, selbe vertreten, vnd mit bueßen, vnd branndtwein geheilet, 5. Einem Soldat[en] Weibe vnterm Obersten stricke welche oben das gelenke außgefallen, auch
B.4 Barby 1641 (omd.) geholffen, aber mit Putter vnd Brandtwein gewaschen. 6. Einen Reuther Vnterm Oberisten kerer, welcher Vom Pferde gefallen, vnd sehr geschwollen gewesen, denselben mit baumwol vnd eßig curiert, vnd gestrichen, 7. zu Stesfurth vorm Jahr im Som[m]er, einer Armen Frawen so in der Kunst alda mit ihrem Manne gewont, vf haubten im hekesbeschren [?], der Sie hette wollen curiren laßen, vnd ihr 2. Th[aler] versprochen, aber Sie nichts haben wollen, die Fraw heiße katharinin in der kunst, |hettens+ wehr in beyden knien bezaubert |gehabt+ gewesen, welche sie nur mit Neunderley holz gewaschen, des holzes gleich viel was es sey, aber nach der Sonnen vntergangk, muß es der thanin hohlen. Daselbst sey sie bey des haubtmans kathreinster Jurgen [?] Belruchstein [?] zur herberge gewes[en] Ad 4. Habe solche Kunst bey ihren Vettern zu Caspar [12v] Bertenstein sey ein Barbierer in Torgaw gewohnt |wesen+, bey dem sie 1 Jahr gewesen, vnd bey vorfertigung Salben vnd Pflaster, so Sie mit helffen machen mußen, gelernet, Dieser Berthenstein wehre izo ein haubtman bey den Schwedisch[en] vnter den Obristen Wincklern, blawes Regiments. Ad 5. Weil sie ist gesundt gewesen, habe Sie es nicht gebraucht, zwar gekont, aber sieder Sie geschoßen vnd nicht arbeiten konnen, es gebraucht, sey nun 2. Jahr. Ad 6. Habe sie gesehen, Aber wan sie vor 4. Woch[en] wie sie vom Ambtschr[eiber] erfordert worden hette herkom[m]en können, so hette demselben noch wol verhoffentlich geholffen haben, Aber wegen Schwedischer Völcker nicht kom[m]en können, Sey behext gewesen, sage Sie noch einmahl.
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B Quellen in Auswahl Ad 7. Sey freylich wahr gewesen, vnd d[as] es davon habe sterben mußen, das vngemach wehr dem kinde auch endlich inß linker auge getreten alda wehre eine Sehnader, darinnen der schmerzen sich gezogen. Ad 8. habe es, sobaldt Sie inß hauß gekom[m]en vnd d[as] kindt gesehen, daß es bezaubert gewesen, |habens[?]+ dahero wißenschaft, wen sie in ein hauß kehme, so wendte sie sich zur rechten handt, alßdan konte sie sehen, ob Gott der herr [13r] noch vber das hauß hielte sonderlich wen sie vf die benente rechte |. . . + seithe kein merckmahl verspuerte, Wen Sie aber zur linken seithe sich wendete, vnd es nicht richtig wehr befünde sie ein zeichen, wie sie den in des Ambtschreibers hauß 3. schwarze tropffen gefunden vf der Erden, Nun aber das kindt gestorben wehren sie auch wegk, wie sie vormeinet, man konte darnach sehen, wehren ethwa 3. finger breit von einander gewesen, dreyangelicher weiße, Vber dieselbe sey das verstorbene kindt am ersten vber gegangen, vnd die krannkheit bekom[m]en Die wißenschafft solcher dinge, habe sie v[on] keinem erlernet, sondern nur aus ihre[m] Kopffe genom[m]en. Ad 9. Wie sie zur Ambtschreiberey gekom[m]en, wehre |hett+ |dieselbe+ sie zur Probe gefragt worden, wie lange das kindt solche vngelegenheit gehabt, daruf sie geantwortet: sieder Weyhnacht[en] darnach Sie weiter gefraget, obs den bezaubert wehre, diese geantwortet, Ja den es hette es ein Weib gethan, die vor dem großen |. . . + hoff wohne |Vnd+ anfengklichen aber habe diß weib, die Ambtschreiberin gefraget, ob nit das kindt mit dem Wägelein gefallen, darauf Sie ihr Ja geantwortet, den ihre wißenschafft von dem Wägelein kehme daher, alß die Ambtschreiberin , ihrer Schwe-
B.4 Barby 1641 (omd.) ster (der ) Magdt gehn Calbe zu ihr geschicket, hette dieselbe berichtet, d[as] das [13v] kindt mit dem Wagen vmbgeworffen wehre|n+ das kindt habe von der zauberey die Älben gehabt, wehren dinger alß ein gliedt vom finger langk, hetten schwartze meuler, rothe köpffe lange schwenze, wehren rauh, den Sie ein solch ding einem Megdchen zu Calbe, bey Meister hansen den Schneider, am Branburgisch thore außem Kopffe, mit einem Stöcklin lebendig heraus genom[m]en, in deme wie es heraus gekom[m]en, das ding sich wie eine Schlange gekrümmet vnd wegkgesprung[en] vnd verschwunden, Sie aber habe es dafur gehalten, d[as] es den Megdchen nicht hinein gezaubert gewesen, sonder weil d[as] Megdchen sich mit einem Jungen gefranget oder gerungen, vnd 1 loch im kopf gefallen, wehre vnzweyfelich demselben das ding herin gekrochen, den was im kopffe gewachsen, wehre dem Megdch[en] nicht zu helffen gewesen, hette Ihme d[as] gehirn durchfreßen, Diese dinger, |wehren+ hielten sich in alten Wänden auf. Seyen gewiß dem kinde die bößen dinger gewesen, nemblich die verbrannt sein, Sonsten, wen man Neunderley holz in eine[m] baum spündete, wurden die dinger |daraus+, die holden daraus, vnd wen dan eine hexe solchen dinger den Menschen beygebracht, |werd+ werden sie die |El+ Älben genannt. Ad 10. Affirmat, den Sie schon der eben enwehung gethan habe. [14r] 11. Art. Vrsula Custers, hette es gegen Michael Sochfens [?] des Stadtknechts Weibe gedacht, Sie wüste woll, daß noch was zauberey |in+ in des h[errn] Ambtschr[eibers] hause vor-
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B Quellen in Auswahl
graben sey, Sonsten habe sie darnach gesucht vnter der schwellen der haußthüre, vnd alda gescharret, aber nur Eyerschahlen vnd |. . . + 3. |ein+ stücklein holz, welche dreyangelich alß ein kestlein zusahmen geleget gewesen, vnnd mit eyerschalen, schwarzer Erde, welches ineinander gehengt wie hahre, befunden, aber Sie habe es verbranndt, habe es aber, wie |. . . + Sie es gefunden, des Ambtschreibers Fraw gewiesen, Auch weiter zusuchen, willens gewesen, hette sie nicht weiter suchen mugen, den viel volck alda aus vnd eingegangen, doch sagt Sie vorhero hette nicht lenger suchen wollen, den der Ambtschreiber gescholten, daß man das bey oder Vohr-schwellichen vfgerißen doch wehrens daßmahl nicht |ges+ gewesen, sondern, wie Er sie abgefertiget, die abfertigung aber wehre deßwegen geschehen, daß Sie dem Kinde nichts helffen können, sondern es immer kräncker wurde, Berichtet auch hierbey daß Vrsul Custers alle tage 11. [ten] aus des Ambtschreibers hause bekom[m]en, welche dadurch Ihm vnndt seine Nahrung zubring[en] vormeinet, N[ota] Halte es auch dafur daß daselbst vnter der rechten haußschwelle (vnd nicht vnter vorbenannten fürgelegtem schwellich[en]) zur rechten handt nachem hofe, noch was vor[14v] handen sey, man solte nur suchen, Ad 12. Dieselbe Persohn, wie der Ambtschreiber das hauß gebawet, vnd die Erste Fraw noch gehabt, habe |sey+ dieselbe im Hause Mietheriste, vorher gedienet, vnd (wie Er zu schloße gewesen vnd gewohnet), drinnen geblieben, vnd d[as] Vrsul Cüsters die Theterin sey, es dafur gewiß halte.
B.4 Barby 1641 (omd.) Ad 13. Die Probe |se+ habe Sie schon berurt, daß sie beym Fewr solches haben könte. Ad 14. Beschuldige |Sie nicht+ die Vrsula nicht mit luegen, sondern es wurde noch wol mehr am tage kom[m]en, den daß Sie ihrenthalben sich solte einen Staupbehsen geben laßen! Ja, Ja, p[erge] den Sie wuste Vrsula schon vor 4. Jahren in zerbst, wie diese Vrsul bey [INT] B. Burcher [?] Pulzen gearbeitet, aus vnd eingangen, woll gekant, den damals diese vrsul, von Ihr hellisch Salz gekaufft Wie Sie aber gefraget worden, was must[en] Sie dan eines ihr alda bekant worden, Machte sie sich vnnütze sagend, Sie hette schon mehr alß zu viel geredet, Vnd wolte nicht mehr darzu reden, ienen solte Sie geg[en] einander bringen munnd gegen munndt, der Kopff werde ihn von allen frag[en] erweisch[en], vnd hette keinen Menschen vf ihrer seiten alß Gott allein, Wen sie sich mit ihren gebet nicht erhörte, d[as] Sie mach[en] [15r] wolte, wuste nicht wer sie hette stecken laßen; müste da elend sizen, vnd hette nichts zu zehrens, es ginge ihr vbell. Ad. 15. Habe schon vorm halben Jahre es gewust, d[as] Vrsul solche Sach[en] gekonnt, Vnd |wen+ Vrsul wurde das schon wißen, wen man sie bey ihren Nahmen nennete, sonderlich des Donnerstags. Vrsulen Nahmen habe Sie vorhero nicht geruf, Nur das die Backofensche ihren Nahmen genannt, aber strifen am gesichte, nemblich[en] daß Sie |große Au+ rothe Augen habe,, ein klein weib wehre, vnd an dem großen hof wohnete beschreiben können, daruf die Backofensche sich gefunden oder erinnert Ad 16. Negat
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Ad 17. Gott behuete Sie vor solche Kräen, die zu ihr durchs Ambtschr[eibers] küchen gekommen, wehre keine rechten kräen gewesen, sondern wie kräen, doch nicht eigentlich |gewesen+, aber wie sie erschrocken, vnd die hende zusahmen geschlagen sagend, ach hilff Gott, da wehren Sie wegk gekom[m]en, Ad 18. Habe des kindes Mist, It[em] weisen sompff knoblauch vnd hampff, vnd es gereuchert vnd darunter oder dabey vrsulen Nahmen genant, das |gespen[?]+ Gebeth geproch[en], wehren die kräen gekom[m]en, [15v] Vnd wen das Kindt nicht wehre gestorben wolte Sie es wol dazu gebraucht haben daß Sie hette sollen kom[m]en, den eben in sprechung des gebeths vnd vorbrennte reucherung vorrichtet, hette Sie |gesagt+, alß die kräen gekom[m]en, gesagt, hilff Gott das Weib ist nicht weit, vnd eben zurselbigen im Mittage zwischen 11 vnd 12 wie diß geschehen, wehre die vrsul bey der Backofin (welche zu nechst wohnet) geseßen, die hendt im kopffe gehabt, Vnd den ganzen tagk schwermutig gewesen, wie solches vfn abendt, alß Inqisitin in ihre herberge bey Marien Palus gekom[m]en, die Backofin ihr berichtet hette. 19. Art[icul]. Durch des reuchern vnd gebeth, habe mit der Berthe inß fewer creuz weise gehenkt, |ihr der+ vnd gefragt: Vrsul bistu die Jehnige die es dem kinde zugebracht, ist laß |. . . + d[as] zeichen sehen, Vnd damit wolte sie sie vmb gebracht haben, hette auch damals einen |Ad. 20.+ strumpfbehsen der nichts nüze, zerhawen, dafur fewr damit angemacht.
B.4 Barby 1641 (omd.)
Ad 20. affir[mat] Ad 21. Negat, Nichts alß damit Sie d[as] kindt gewasch[en] Ad 22. Affirmat. Damit innerhalb 9 tage nicht ein and[er] [16r] Von solchen sachen, da das Kindt mitgewaschen, was bekom[m]en möchte. Ad 23. Schwarzen kümmell, Dill, borussenkraut, Grant, braune Dusten, goldt gehlen viederthen, Creuzsalbey, Isopffrauthe, grünen |M. . . + Merckh, Baldrian, , gehln winterbluhmen, weisen Grensch, Knoblauch, vnd bier. Hiermit könne Sie meherley gebrech[en] curiren. Ad 24. Habe das kindt mit rösten brodt gestrich[en] an der seithe des lincken beins da der schaden gewesen, da sich damals gleich wie kleine härlein auß brodt ereugett [?] habe das brodt in einen wusten brun hernach (ufm keuleich [?]) geworffen, damit nicht einem andern |nicht+ dergleich[en] schaden wiederfuhre, den der Ambtschreiber ihr es geheißen, vnd Rebecca (die kinder Wärtherin) ihr den brun zeigen mußen. Ad 25. Nichts zusag[en] Ad 26. affirmat. Habe zwischen 9. vnd 9. Vfm Stro geseß[en] vnd Sallat geßen, Vnd der kazen auch w[as]
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B Quellen in Auswahl hingeworffen, die kaze es vfgefres[en] vnd stracks ihr vfn halß gewolt, Sie aber abgewehret, da |weh+ hette die [16v] kaze |da+ ein Strohhalm zimblicher Lenge genom[m]en, vnd die Treppe damit hinan gelauffen, Sie derselben gefolget zu seh[en] wo sie bleibe, da wehre dieselbe schwarze kaze aber zum fenster hinaus gesprung[en] nachem Gartten. Vnd wie es ihrer Wirthin berichtet, hette die gesagt d[as] es ihre katze nicht wehre gewesen, |d[as]+ den sie keine schwarze kaze hette. Vnd Sie zur Wirthin gesagt, Was gilts Maria, we Mir nicht wirdt ein Vngluck drauf wiederfahren. Ad 27. Sey mal nichts guts gewesen, wehme sie aber zugehoret, oder wehr, wiße sie nicht Ad 28. Vor die Herrn zugehen, wie sie hier bleiben wurde, hette Sie gemuthmaßet, Sey ihr aber ihr Tage nicht wiederfahren. Ad 29. Da behuete Sie der Allmechtiger Gott dafur, wurde Sie wol behuten, trawet ihrem herrn vnd Gott der Sie erschaffen vnd erloset, werde sie auch wol dafur behueten, wie sie in all[en] ihren gebethen darumb bitten thete N[ota] Wie sie gefraget wardt, wie neulich sie zum Tische des herrn gewesen, |. . . + Sagt sie, daß Sie vorm Jahre zu Anken [17r] zugangen, Vnd bey einem Manne darin seinen besten Jahren gebeichtet, vnd d[as] Sacrament empfang[en].
B.4 Barby 1641 (omd.) Der Pfarrer habe nur 1 kindt, mochte wol mehr haben, Seider sey sie nicht hin gewesen, gehe das Jahres nur ein mahl hin. Vnd hiermit beschlos[en]
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B.5 Grünberg 1664 (omd., Gebiet A, Urgichten mit Fragen) [120]
N[umero] 32 Articuli Inquisitionales der Elisabeth Crucigern Nebst ihrem rechtlichen Eingeben sub N[umero] 29 worauff ein Urthel erholet. Wir Bürgermeister und Rathmanne auch Richter undt Schöppen der Kay[serlichen] undt König[lichen] Stadt Grünberg uhrkunden undt bekennen hiermit daß an untrigem dato Elisabeth Crucigern Christian Graßes Ehweib Gerichtlichen wegen ihrer inculpation der Zauberey examiniret worden, welche über nachfolgende inquisitional articul folgende außagen deponiret 1.Wie inquisitin heiße? Elisabeth Crutzigern, 2.Wer ihr Eltern gewesen? Palus Cruciger weyland Pfarr zu deutschen netka, die mutter Elisabeth Crampzen eines schwartz färbers tochter von Craßen. 3. Wie alt inquisitin sey? Ihres alters im 51ten Jahre, gebohr[en] a[nn]o 13 zu Lautersdorf im Croßnisch[en] furstenth[um] 4. Wo Inquisitin gewohnet und R Erzogen bey ihren Eltern zur wen sie zum ersten geheyrathet? deutschen Netka, alda nach der Cosell H[errn] Christoff Leüchtanbergern Pfarrherrn undt witber damahlß A[nn]o 32. geheiratet; 5. Waß ihr thun und gewerbe Hette mit ihrem Ehemanne alß gewesen? eine Christl[iche] wirtin gelebet, were in kriegszeiten im Pollnischen Pfarrhause a[nn]o 42. gestorben, hernach im wittib stande 1. Jahr 21 wochen im Pfarrhause gewohnet, biß sie sich mit Christian Graßen a[nn]o 44ten Jahre geheyratet. 6. Wan Inquisitin Zum Hochwür R A[nn]o 63. am Grünnendonnerstage digen Abendtmahl gewesen? bey der mühle Zum Tische deß herren gewesen. [121] 7. Ob Inquisitin Anna Stachin und ursula Gutzschin gekennet und mit denen viel zuthun und zu schaffen gehabt?
R Hette von ihr der Stachin zweymahl grütze vor die hün[er] einmahl hanf ihrem man zu den vogeln 12 metze wie auch
B.5 Grünberg 1664 (omd.) 1 einmal [per] [?] groschen pflanzen ge kauft, sonst mit ihr nichts zuthun gehabt; die ursula Gutzschin aber hette sie nur vor gesicht gekenn[et] aber sonst nichtß mit ihr gen
8. Ob wahr, daß inquisitin mit R Nein nein wüste gar nichts auf dem blocksberge gewevon solchem berge, hette auch sen und der hexerey, wie mit alten weibern also hexen sie von beyden bezüchtiget nichtß zuthun auch deßwegen theilhafftig? keine anfechtung gehabt. Womit sie ihre außage geschlossen Zu mehrer uhrkundt aller fideliter notirten außagen sind sie Sub Sigillo außgefertiget worden. Actum Grünberg den 8 Februar Anno 1664. LS NN Bürgermeister Rathmanne und Gerichten daselbst. [122]
N[umero] 33.Der Barbara Marschnerin undt Dorothea Neumannin Inquisitional-articul, darüber die gericht[lich] befraget undt ein urthel erholet. Die Bürgermeister undt Rathmanne auch Richter und Schöppen der Kays[erlichen] und König[lichen] Stadt Grünberg, uhrkunden und hiermit bekennen. Daß nachbenante der hexerey inculpierte Personen gerichtlich examinieret, undt Erstlich Barbara Adam Klegeß Ehweib auß der Crampe über nachfolgende interrogatoria und Inquisitional Articul diese außagen deponieret. 1. Wie Inquisitin heiße? R Barbara Marschnerin. 2. Wo [!] Ihre Eltern gewesen? R Martin Marschner were E[ines] E[hrbaren] Rathßhoffman in die 35. Jahr gewesen, die mutter Catharina Leckigen eineß Pauren Tochter von Mohsen 3. Wie alt Inquisitin sey? R Ohngefehr etliche 40. Jahr. 4. Wo inquisitin gewohnet R Allezeit in der Crampe bey und sie geheyrahtet? ihren Eltern gewesen und hette ihren Mann ohngefehr vor 28, Jahren geheyrahtet. 5. Waß ihr thun und gewerbe? R Auf der Kuetschen welche Sie verkauft hetten mit der handt arbeit genähret.
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B Quellen in Auswahl
6. Wan Inquisitin zum hochwürdigen Abendmahl gewesen? 7. Ob Inquisitin die Vrsula Magnußin gekennet undt viel mit zuthun gehabt?
R Drey wochen vor Weynachten 1663ten Jahres im walde Zum Tisch deß Herren gewesen. R hette sie wol gekennet und ihr Mann were ihrer Kinder Pate gewesen, die Magnußin aber einmahl zu einem Kinde Bey ihr gefatter gewesen. R Negat constantissime und hette die Vrs[ula] Magnußin auß haß bezüchtiget, weile Sie sich mit ihr zuvor gezancket.
8. Ob wahr daß Inquisitin mit auf dem blockß berge gewesen, und wie sie die Magnußen bezüchtiget der Hexerey theilhaftig sey? Womit Sie ihre außage beendiget ∼ [123]
Eodem Die ist Dorothea Neumannin Greger damaschkeß Ehweib auß der waschecke über nachfolgende interrogaroria oder Inquisitional-Articul Gericht[lich] befraget worden. 1. Wie Inquisitin heiße? R Dorothea Neumannin. 2. Wer Ihre Eltern gewesen? R Barthel Neuman zu Scherten dorf were ein gärtner gewesen ihre mutter Barbara Crausin geheißen 3. Wie alt Inquisitin sey? R Ohngefehr etliche 60. Jahr. 4. Wo Inquisitin gewohnet R Hette zu Scherttendorf gewohnet und Sie geheyrahtet? auch 2. Männer daselbst geheyratet den ersten hette Sie vor der Peste genommen, so Christoff Hartmann geheißen, der ander Jergen Da[INT] maschke den itzigen Mann genommen. 5. Waß ihr thun und gewerbe? R Zue Scherttendorf weren sie anfang[s] auf einen garten gezogen, welchen sie nicht bezahlen können, solichen wieder fahren Laßen mußen, undt hetten zu hause inne ein Jahr oder 3. und in allem daselbst etliche 20 Jahr gelebet, darnach ohngefehr Anno 47. in der Crampe 2. Jahr undt die übrige Zeit biß dato in der waschecke E[ines] E[hrbarn] Rahtß fischer gewesen. 6. Wan Inquisitin Zum hochR Vergangen Ostern 1663 in der Kirchen würdigen Abendmahl gewesen? bey der mühle zum hochw[ürdigen] Abendmahl
B.5 Grünberg 1664 (omd.)
7. Ob inquisitin die ursula Magnußin gekennet und viel mit ihr zuthun gehabt? 8. Ob wahr daß Inquisitin, mit auf dem blockßberge gewesen, und wie sie die Magnusin bezüchtiget, der hexerey schuldig und teilhafftig?
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gewesen. R hette ir gekennet weil sie kreuter feil gehabt, aber sonst ihr Lebtage mit ihr nichtß zuthun gehabt eineß hanfkörnleins werth. R negando were nicht mit gewesen undt wan sie hundert 1000 mahl auf sie bekennet, so wer Sie doch niemahlß mit gewesen. Mit diesem Sie ihre außage geschloßen.
[124] Urkündlichen undt zu mehrer beglaubigung solcher fideliter notirten Außagen, ist der Stadt Insiegel herren gedruckt. Actum Grünberg den 8. Febr[uar] 1664. LS N.N. Bürgermeist undt Rathmanne auch Stadt Gerichten daselbst. [125]
N[umero] 34. Articul und fragstücke worüber H[err] N. Reuthe und M. Apeltß Eheweiber Gericht[lich] Examiniret werden. Anno 1664 den 16. Februarii seindt über nachfolgende Articul und fragstücke, herr Nicolauß Reutes und Michael Apelts Eheweiber Jede a parté Gerichtlichen Examinieret worden 1. Wie Examinanda heiße? 2. Wer ihre Eltern gewesen?
3. Wo Sie gebohren und wen Sie geheyrahtet?
4. Waß ihr thun undt gewerbe? 5. Wan Sie und wo Zum hochwürdigen Abendmahl gewesen? 6. Ob Sie sich eines offentlichen oder heimlichen Lasters schuldig befindete?
R Dorothea Beckerin. R fromme aufrichtige Leute, wie männigl[ich] bekandt, Georg Becker der Vatter, die Mutter dorothea Schubartin. R Alhier zu Grünberg gebohren und zue Möseritz in Pohlen bey ihren Eltern, so im Exilo gewesen, Geheyrahtet. H[errn] Nicolauß Reuten. R hetten sich beiderseits bald in den handel gerichtet. R vor 8. wochen were Sie zu dernaw in der Marck 1 12 meil vom hier zum Tisch deß herren gewesen. R die Zeit ihres Lebenß nicht weder heimblich noch offentlich.
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B Quellen in Auswahl
7. Wie hoch sie wohl vermeinte R Wüste eß so genaw nicht, waß Ihr Ihre nahrung und vermögen zu sein? Gott gegeben stünde meinstentheilß in der handelschafft unter den Leuten. 8. Durch Waß Mittel Sie R Durch Gotteß Segen fleißige ardarzu gelanget? beit und hette daß ihrige wol in acht genommen, wen Sie Ihr Gebeten verrichtet, hette alle tage abend v[nd] morgents mit dem h[eiligen] Creutze gesegnet und darauf in ihren beruff geschritten, wozu Sie Gott gesetzet und nicht der Teuffel. 9. Ob Sie vor mehrmahlen R Dieses wäre daß erstemahl, vor Gerichte gestanden undt sonst die Zeit ihres Lebens niemahlß. Warumb? [126] 10. Ob Sie mit der Anna Stachin die grütznerin genandt vorhin in freund undt feindschaft gelebt? 11. Ob Sie sich ob der ergangenen und noch wehrenden Inquisistion undt Execution wieder die Hexen erfrewete und solche gerne sehen thäte? 12. Ob Sie auch mit den andern verhaften etwan heimliche gemeinschafft gehabet? 13. Ob wahr, daß wie Sie die Anna Stachin beschuldiget der Zauberey schuldig undt mit auf dem Teüffelsberg gewesen sey?
14. Warumb Sie beide sich miteinander in dieser bezüchtigung verbunden, und eine nebst der andern stünde? 15. Ob Sie sich dann der andern alß wie ihrer eignen unschuld zuversichern wüste? 16. Warumb oder auß waß ursache
R Hette die Zeit ehers Lebenß nie in freund noch feindschaft mit ihr gelebet, auch nichts mit ihr zu thun gehabet. R Sie wunschete nicht mehr, alß daß alle solche schandbälge, möchten inß helle tage licht kommen, undt die seinigen Gotte wolle beschuzten. R Die Zeit ihres Lebens nicht wüste auch nichtß von solchen Sachen. R Sie nehme die Hochgelobte dreyEinigkeit Zum Zeugen daß Sie von diesem Teuffelsberge niemahlß nichtß weiß wo oder wie Sie ihn hetten, auch Sie niehmalß auf ihren Teufels[-] berge in wahrheit gesehen hetten, Sie lebete und stürbe auch darauf. R Sie hetten ihre kinder mit einander versprochen, so weren sie zusammen kommen. R Sie wüste vor Sich und vor keine andere die unschuldt. R Dieses were die Zeit ihres
B.5 Grünberg 1664 (omd.) ihre wahre auch oftermahlß Lebens bey ihr vor den kauffalso reißende abgegangen, daß leuten nicht geschehen, undt man vor den käuffern nach hette Lieber die thur aufgegemeiner Sage, die Thuren Zu macht den zugeschloßen. sprerren müßen? Et sic audita et imposito silentio dimissa. [127] In Simili ist Elisabeth Bramkin Michäel Apeltß Ehewürtin über nachfolgende interrogatoria und articul Gerichtl[ich] Examiniret worden. 1. Wie Examinanda heiße? 2. Wer ihre Eltern gewesen?
1. R Elisabeth Bramkin. 2. R Ihr vatter hette Georg francke und ihre mutter Eva woyten geheißen, welche gebürtig von der Cosel im Sag[anischen] fürstenthumb. 3. Wo Sie gebohren und wan 3. R Sie wehre Zue Cosell a[nn]o Sie geheyrahtet? 1604 mense Aprilis gebohren und hette a[nn]o 19 Georg fiedlern und [INT] denandern a[nn]o 29. H[errn] Jeremiaß Cyeußen 3 wochen vor Weynachten am tage Elisabeth undt endlichen den detter Michael Apelten vor 20 Jahren geheyratet. 4. Waß ihr thun undt 4. R Anfangß hetten Sie sich von gewerbe? einem güttichen vorm niederthore durchß Tuchmacher hanwerck und bräwhoff, weinberg und von anderen äcker genähret. 5. Wan undt wo Sie zum 5. R Kurtz nach dan weynachten hochwürdigen Abendmahl gewesen? were Sie zu dernaw 1 12 meilen von hier zum tische deß herren gewesen. 6. Ob Sie sich eineß offentlich[en] 6. R Gar ihr Lebetage nicht. oder heimblichen Lasters schuldig befindete? 7. Wie hoch Sie wol ver7. R Ihre Gütter weren hier meinte ihr nahrung undt männigl[ichen] bekant. vermögen zu sein? [128] 8. Durch waß mittel Sie darzu gelanget?
8. R were von ihrm ersten und andern herren an
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B Quellen in Auswahl
9. Ob Sie vor Gerichte gestanden und warumb?
10. Ob Sie mit der Anna Stachin oder der Gruztnerin vorhin in freund oder feindschafft gelebet? 11. Ob Sie sich ob der ergangenen und noch wehrenden Inquisition und Execution wieder die hexen erfrewete und solche gerne sehen thäte? 12. Ob Sie auch mit den andern verhafften etwan heimliche gemeinschafft gehabet? 13. Ob wahr daß wie Sie die Anna Stachin beschuldiget der zauberey schuldig und mit auf dem Teuffelsberge gewesen? 14. Warum Sie beide sich mit einander in dieser bezüchtigung verbunden und eine nebst der andern stünde? [129] 15. Ob Sie sich dan der andern wie ihren eigene unschuldt zuversichern wüste?
16. Warum oder auß waß ursache ihre wahre auch offtermahlß alßo reißende abgegangen, daß man vor den käufern nach gemeiner sage die thüre zusperren müßen?
Sie gestorben. 9. R Sonst niehmalß alß wan Sie Jemanden verklaget Sie aber were ihres wißen[s] niehmal[en] verklaget worden 10. R Wüste ihr Lebetage nicht ohne daß Sie küchelspeise von ihr holen laßen, welches sie ehrlich bezahlet. 11. R Ja, ja, Sie weren gar nichtß nütze auf der welt und were gar billich daß sie gestrafft würden. 12. R Nein gar ihr Lebetage nicht, 13. R Solcheß were nicht wahr und wüste von ihrem berge und ihrer zusammenkunft nun und nümmerhs nicht. 14. R Daß Sie S. [INT] chwiege-vatter undt mutter zusammen worden.
15. R Sie redete vor ihr gewißen und könte vor ein anderß nicht, ob Gott wolte! würde weder Sie noch die fr[auen] Leuten unholden sein sondern ehrliche weiber bleiben. 16. R Andwortet darauf Ja daß ihr die Leute gerne abkäuften, und gutte wahr hette und nicht waßer verkauffete, sondern Bierhaabe unter daß Tischbier gießen thäte.
Ist alßo angehöret und mit aufferlegtem stillschweigen beurlaubet worden. Actum ut supra in Grünberg.
B.6 Herborn 1630 (wmd.)
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B.6 Herborn 1630 (wmd., Gebiet B, Fragenkatalog und Verhörprotokoll)
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[2r] Interrogatoria daruff klein Bestgins Stein, wie folgendt zusehen dem 5 [ten] Iunii A[nn]o p[erge] 1630 abgehört wordten. Ob P[ersona] B[eclag]tin mit dem Abscheulich[en] laster der zauberey behafftet sey? Wie Sie zu Solchem kleglichen fall komm[en] vndt was die vrsach solches gewesen? Ahn welchem Ortt vnd mit was vor wortten vnd vmbstenden Solches geschehen sey? Wie lang es Sey das Sie das erste mahl zu fall kommen? Was P[ersona] B[eclag]tin dem Teuffell vnt herJegen Er Ihr verheißen mußen? Was Er der teuffell vor einen nahmen von Sich gegeben? Was der teufell Ihr ahn menschen vnd viehe zu vernichten vfferlegt vndt befohlen, Auch Ob vndt wie Sie solchem nachkommen sey od[er] nicht? [2v] Durch was vor mittell Sie des teuffels befelch vndt geheiß ins werck gerichtet habe? Wer Ihr solche Mittell gegeben, wie Sie gesehen vndt gestalt gewesen, Auch wehr Ihr zu der verrichtung vndt vbersendtung des befelchs geholffen vndt darzu rath vndt that gegeben? Woher Sie abnehmen könne oder nicht, das Ihre angewente mittell Ihre wirckung vndt effect bekommen? Ob Sie Auch vf teufelische nachtäntz vndt wie Sie dahin kommen?
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B Quellen in Auswahl 12.
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Ahn welchen Orten solche dantz Platz gewesen vndt wie Sie mit namen heißen? Was Sie vff solchen dantz Platzen verrichtet vndt wie Sie wie[der] nach haus kommen? Wehr mehr als Sie vff solchen dantz Platzen gewesen Vndt wen sie eigentlich geseh[en] vnd gekant? Ob Sie auch sonsten Jemant die zauberey gelernet Oder darzu vrsach vndt gelegenheit geben? [3r] Den 3 tag Junii A[nn]o p[erge] 1630 Ist klein Bestgins Stein P[ersona] B[eclag]tin von mir Otto Wilhelm Appellern als Adjuncto Commissario in beysein beyder Schapffen hern Jost Glasners vndt Gerlach Lanii wie auch hern doctor Erlens, vor genommen vndt weil Sie schon zu vnt[er]schiedenen mahlen einen anfang Ihrer bekendtnuß vorm hern Schultheißen vndt Ihre gedacht[en] hern doctor Erlen freywillig gemacht, vff vorhergesetzte Interogatoria befragt wordten, Ad 1. Sagt Ja. Ad 2. [et] 3. Sagt In Ihrer vndersten Stuben nach Ihres Mans Todt, Alda Sie Sehr bekummert geweßen wegen Ihres Mans S[eelig] rechnung, so Sie noch zu thun gehabt, vndt der teuffel da[-] mahls in gestalt eines Jungen [3v] gesellen so Schwartz gekleidet gangen, zu Ihr kommen vndt Sie in Ihrer bekummernus
B.6 Herborn 1630 (wmd.) getröstet, Sagendt, Sie solle nur zufrieden sein vndt nicht also bekummert, wehr aber deßmahls ehe Sie sich vmbgesehen von Ihr kommen vndt hette Sie nicht and[er]s gemeinet als wehr es ein gung gesell gewesen, Vber ein tag od[er] 14 wehre Er zum 2ten mahl zu ihr in Ihre Scheun kommen, Sie gefraget Ob sie noch wie das erste mahl bekummert sey, daruff Sie Ihm zur Antwortt geben Nein Sie wehr nun beßer zu muth, daruff Er gesagt Sie solle nur zufrieden [INT] sein vndt wen Ihr gelt vonnöthen thete wolte Er Ihr gnugsam geben hette Ihr auch darauff ein stuk gelts vff die handt geben welches aber alsbaldt staub zu sein befunden wordten, [4r] Daruff Er ahn Ihr begenet daß Sie Ihm sein zu sein verheißen solte, welches Sie gethan Auch daruff Gott dem Almechtigen |almechtigen+ absagen vndt der gantzen welt feindt zu sein verheißen Vndt versprochen auch daruff teuffelische buhl schafft mit Ihm treiben mußen vndt hette Sie ahn solchen buhl schafft, ahn händen, fußen vndt dem gentzen leib gespuret, daß es keine rechte Sach geweßen, hette deßmahls seinen nahmen von sich geben vndt sich hans geheißen. Ad 4. Sagt seyen ahn die etzliche vndt zwantzig Jhar ohngefehr ein Jhar nach Ihres Mans S[eelig] todt.
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B Quellen in Auswahl Ad 5. Ist droben beandtwortet word[en] beym 2ten vndt 3ten Interrogatorium Ad 6. Ist Schon beandtwortet wordten beym 3ten daß Er Sich hans genennet. [4v]
P[ersona] B[eclag]tin, mit hulff vndt rath Ihrer dochter Elßbethen Vndt henrich Theißen frawen Ihr Elßbethen ein kindt vmb bracht
Noch Sie drey obgedacht henrich Theißen ein kindt mit gift vmbbracht,
Ad 7. Sagt er hett Ihr anfangs in der Scheur ein klein dopfgin mit Salben gegeben, damit Sich zu schmiren wen Sie vff die dentz fahren sollen hette Ihr hiermit Theißen frawen vndt Ihrer dochter Elßbethen vfm dantz vorm Roden Stein gifft in einem dutgen gegeben, vndt hette solches weiß gesehen, damit Ihrer dochter Elsbethen ein kindt mit nahmen Olbertt genannt vmb [INT] zu bring[en] sollen, daruff Sie drey in Ihren haus darin Wilhelm Nunendorff ahn Jetzo wohnet, zusamen kommen, hetten das gifft sammetten handt in ein glasgin mit waßer gethan vndt hielte Sie B[eclag]tin darfür, daß Sie es dem kindt ein gegeben, hielt auch darfür es sey in gedachtem hauß geschehe[en], vber kurtz darnach hette Sie der teuffell beneben Ihrer dochter Elßbetten vndt hinrich Theißen frawen dahin getrieben daß [5r] Sie henrich Theißen ein Megtg[en] mitnahmen tettgin gleichfals mit gift so weiß gesehen in einem glasgin mit waßer vmbgebracht Sagt Sie hielt darfür es wehr waßer gewesen, Sie drey hetten den rath zusammen geschloßen wuste aber nicht Ob es in Ihrem
B.6 Herborn 1630 (wmd.) od[er] henrich Theißen hauß geschehen, wuste eigentlich nicht zusagen wehr dem kindt das vergifte dräncklein eingegeben. Sagt Sie vndt henrich Theißen fraw Elß hetten vber langs hernacher zwo Saw vmbgebracht, wuste nicht eigentlich zusagen, ob solche Ihr Elßen selbsten od[er] Ihren Eidam Wilhelmen geweßen, hette den rath in Ihren haußern alda Sie stetig zusammen kommen geschloßen, Sagt ferner der teuffell hette Sie dahin getrieben, Alß Sie ein|en+ Pferdt so ein schimmell gewesen, könte nicht eigentlich Sagen Ob solcher Mud[er]sbachen od[er] Bestgin kuchenbeckers gewe sen, nicht vmbbringen wöllen
Item Sie P[ersona] B[eclag]tin vnd Ihre dochter Elßbeth Ihr P[ersona] B[eclag]tin selbst ein kindt mit gifft vmbgebracht
Wie Ihre dochter Elßbeth Zu fall kommen
[5v] daß Sie Ihr selbsten ein kindt mit nahmen Eißwart mit gifft so Sie bei Gerharten dem Apoteker geholt vndt vor gewendet, Sie wolte ein Salb damit machen dem kinde die leuß damit zu verdreiben. in einem drunck bier vmbgebracht, Sie hette Ihrer Elßbethen solches offenbahret wehr nicht allein damit wohl zufrieden gewesen, vndt eingewilliget, Sondern auch darbey gewesen, wie Sie dem kindt daß gifft eingegeben, Sey in Ihren Jetzigen hauß in Ihrer kleinen Stube gesessen die vrsach wehr geweßen weil das kindt die Schwachheit allezeit gehabt. Sagt der böse Feindt hette Sie dahin getrieben daß Sie Ihre dochter Elßbethen verfüren mußen, Sie hette Ihrer dochter angelegen, daß Sie doch mit Ihr vfm dantz alda ein
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B Quellen in Auswahl groß weßen vf wehre, fahren wölte, darin Sich aber Ihr dochter Anfangs sehr geweig[er]t vndt nicht eingehen wollen, hette Sie aber endtlich dahin beredet daß Sie mit Ihr vfn dantz Platz vorm Roden Stein gefahren, Alda der teuffel Ihr der dochter ein [6r] Jungen gesellen so schwartz gekleidet gangen vndt einen Pusch feddern vfm hut gehabt, zugefuhret welchem Sie mit leib vndt Seel eigen zusein verheißen mußen hette desmahls nicht weiters acthung [!] geben was weiter vorgelauffen, Als sie nun wid[er] nach haus kommen hette sich Ihr döchter Sehr bekummert vndt geschrien daß Sie in solchen fall gebracht wordten, Sie die Mutter hette Sie getröstet, Ihr dochter buhl hette endtweder Jost-Henrich od[er] hans henrich geheißen, wuste es nicht eigentlich zu sagen. Sie hette Solches ahn Ihr dochter In Ihrem haus in d[er] vnd[er]sten stuben ahm ersten gesonnen. Sagt Ihre dochter wehre oft Zu Ihr kommen, als man angefangen d[as] laster zustraffen vndt gantz bekummert zu Ihr gesagt, lieb mutter die Sag gehet wie daß wir beyde schon allweidt besagt seyen, daruff Sie die Mutter Ihr solches aus dem sin zureden, [6v] gesagt, Sie solte nur zufrid[en] sein, den wenn die herren Anfungen zu kriegen, so fung[en] die leut an|zufangen+ zu ligen, Sagt vor ohngefehr dreyen
B.6 Herborn 1630 (wmd.) Jahren hette sie Ihr dochter angesprochen mit vfn dantz Platz vorm Roden Stein zu Fahren, welches Sie auch gethan Schlentners Christine hette Sie P[ersona] B[eclag]tin vfm dantz zuerscheinen angesaget, Sagt mit dieser Christinen hette Sie Ihr Christen selber ein kindt mit nahmen Gutgin mit gifft in etwas zu trinken vmbgebracht, Sie Christine hette Ihr B[eclag]tin als Sie vor ohngefehr in Ihren garten gehen wöllen, ins haus geruffen vndt gesagt, es wölle sich mit Ihrem |gift+ kindt [INT] nicht besern, daruff Sie den rath geschlosen das kindt vmbzubringen, Sie P[ersona] B[eclag]tin hette newlicher zeitt |Seithe+ als man die [7r] garten auszufellen angefangen, zu Ihr gehen wöllen auch gangen in willens Sie zu fragen, wer vnder Ihren beyden doch d[as] gifft gehabt hette, damit Sie, weil Sie gewust das Sie besagt gewes[en] deswegen, Andtwortt [INT] zu geben wuste hette Aber darzu nicht kom[m]en könen, Solches Sie zu fragen. Ad 8. Ist droben beandtwortet beym Siebenden. Ad 9. Ist schon droben beandtwortet beym Siebenden. Ad 10. Sagt [INT] dahero weil die kinder vndt viehe wehren als baldt nach in bekommennen gifft gestoben. Ad 11. Sagt Ja, Sie hette Sich mit obgedachter Salben geschmieret vndt
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B Quellen in Auswahl als dan zum Schornstein hinnauß gefahren, obgedachte Christine hette Sie alle zeitt zu solchen dentzen beruffen, so lang
1.
2. 3.
[7v] Sie mit solchen laster vmb gangen. Ad 12. der Erste darauff Sie das erste mahl gefahren, wehre vor der |vfm hiffholder+ vorm Roden Stein gewesen. Der zweite vffm hiffhold[er] der dritte wehre in einem großen baumgarten gewesen hielte Es wehre vonn Aspen gewesen. Ad 13. Sagt Sie hette alda getantzet geßen vndt getruncken vndt buhlschafft getriben, wehre alda weißbrott, bier vndt wein geweßen, Son vndt Spatzen Bertrandt hetten mannchmahl einem korb getragen darin Sie weis brodt ligen geseh[en] So vff den disch gelegt word[en]. Henrich Theisen fraw hette einen korb mit eßenspeis vff getragen, darin allerley eßen [8r] speis ahn gebraten vndt gesotten gewesen. Wehre gleichsam in einem augenblick zugangen, vndt wehren auch von einand[er] wie Sie dahin, gefahren. Ad 14. Sagdt Sie hette nachfolgende Personen vfn dantz Platze gesehen
1.
Herborn. Hans lotten fraw hette Sie gemeiniglich gesehen.
B.6 Herborn 1630 (wmd.) 2.
Eiswart Johans Magt hette Ihr zur weile zur handt gang[en] 3. Eiswarts Johans fraw. 4. hartmans Bertrandten [?] 5. 7. Schlandtmans zwo hingerichte dochter. 8. Francken fraw in der Portten. 9. Leißgin so hingericht wordten. 10. Curt Bahren Immel 11. Die Albersche. 12. Johan Meunen fraw Anna 13. Ferschen fraw Anna 14. Rudolffs Jetzige fraw. vor Roden Stein.
15.
16.
17.
18.
[8v] Bestgin kuchen Beckern, von dießem Sagt Sie, Cammeß Godtfriedt hette eins mahls diesem holtz [INT] in Ihrem haus so [ver]kaufft |Von Ihren Man bege+ |ret+, wie Sie nun desmahls getruncken wehre Er Bestgin auch darbey, gewesen, wie Sie nun allerseits rausch gehabt vndt von einand[er] geschieden, hette Er Sie vberredet, daß Sie mit Ihm die ehe gebrochen. Sonsten hette Er mit Ihr vf dem teufels dentsen gebuhlet, vndt Ihr buhl gewesen. Curtt behr dieser wehr nach obgedachtens Bestgins todt Ihr buhl vff den teufels nachttäntzen gewesen. Franck will, dieser wehr noch Curtt Behren todt Ihr buhl vfn nachttentzen geweßen vndt mit Ihr |teufelische+ buhlschafft getrieben. Stro Schniders heitzen Sohn von Ballers bach wehr Peiffer gewesen.
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B Quellen in Auswahl
[9r] 19. Philips Beeren Jetzige Fraw |20.+ Die Jenigen Personen, so Sie erstmahls vorm Blumen genant daß Sie, Sie vfm dantz Platzen gesehen haben solte, Auch solches vorm hern Schultheißen vndt hern doctor [INT] Erlen nachmahls gestanden, hat [INT] Sie Jetzunt wider ruffen vndt gesagt |gesagt+ Sie hette Solche nicht gesehen, Jost Blum hette Ihr so hart getreuet mit der Folter, Sie auch mit dem armen genommen vndt Sie nach der folter Zu fuhren sich angenommen, Ihr das eßen vom bett weg genomN[ota]B[ene] men, Ihr auch die gaßen genant dardurch Sie gehen vndt Sich bedenken solte, Ob Sie in solchen auch einige Persohn gesehen. Ad 15. Hat droben beym Siebenden bekandt daß Sie Ihr dochter Elßbethen Zu dem laster der Zauberey verfuhret, Sonsten [9v] hette Sie es niemandt mehr gelernet noch darzu vrsach vnd gelegenheit geben.
B.7 Laaber 1608 (oobd.)
B.7 Laaber 1608 (oobd., Gebiet B, Fragenkatalog und Verhörprotokoll) [35r] Interrogatoria Darauff die alhie Verhaffte Maria Waltherin von Calmüntz gefragt worden. 1. Warumb sie Zu Calmüntz sovil zanckh händel gehabt? 2. Warumb sie die letztere nacht do der Winckelmann krankh gelegen vor seiner thür biß vmb 2 vhr vmbgang[en]? 3. Warumb sie sich auff des Winckhelmanns grab gesetzt, vnnd in der erden gescharret? 4. Warumb sie den ihr vom bösen geist angezeigten Schatz nicht gegraben habe? 5. Ob sie mit dem Sathan nicht vnzucht getriben? 6. Weil sie gesagt, sie habe noch vil böser thatten auf ihr Item, sie sey In einem Spil dergleichen keins gewest, weil die welt gestanden, was es dann für thatt[en] sein müeßen? 7. Warumb Ihr Son bei nachtlich[er] weil mit ihr umbgezog[en]? 8. Ob sie auch nicht diebliche angriff gethon, wie sie denn dem herren Pflegern alß er zu ihr Inns Ambthauß gangen, bekannt, das sie waitzen äher vff dem
9. 10. 11. 12. 13. 14.
15. 16.
[35v] feldt abgeschnitten, vnnd etliche Metzen korn, wie auch etliche löden thuech auff der blaich entfrembdt, vnd Schürz darauß gemacht habe? Warumb sie allemal ehe sie außgang[en] gebadet habe? Ob sie sich nicht dem Sathan ergeben, vnnd villeicht Ihr zeit zu end laufen möchte? Ob sie gewust was Jedes mals vor einem E[hrwürdigen] Raht zu Calmüntz gehandelt worden? Ob sie nit 3. Burg[er] zu Calmüntz vmb ihr leben gebracht? Ob nicht leuth zu ihr komen, denen sie wahr gesagt? Ob sie nicht damals alß sie bey Lenhard[en] Am[m]ann gewesen zu nachts ein schwartzes Männlein angeruffen, vnnd w[as] es für ein Männlein gewesen? Warumb sie dem Winckelmann alß er in todts nöthen gelegen, so offt für sein behausung komen? Ob sie nicht, wie sie ohne langsten dem heren Pflegern alß er Zu ihr ins Ambthauß gang[en] bekannt, ein kindt außgraben, vnnd w[as] sie damit gethon?
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B Quellen in Auswahl [36r] 18 July Anno 1608 In beysein, Hansen Jobsts
Guetliche Aussag beed[er] alhie Verhafften Maria burgerWaltherin Von Hansen Reinhards maister Christophori Lörhings beed[er] Calmüntz des Georg[en] Zemerls Raths 1. Sie wiße sich einich[er] Zu Calmüntz gehabten Zanckhhändel nicht zu erinnern.
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2. Nach dem der Winckelmann lang kranck gelegen, hab sein weib vnnd seine dochter Elisabethen sie begert, Ihme Winckelmann eine salben zu machen, dar auf hab sie kundelkraut, Nußlaub vnd Aichen Laub genommen, vnnd dieselb zu beraittet, welche auch bei Ihr abgeholt worden, ob Ers aber gebraucht, wiß sie nicht. 3. Alß man ein guete weil nach des Winckelmanns absterben ein leiche zur erden bestettigt, hab sie vor menge des volckhes so mit der leich gang[en], nit in das Kerchlein komen können, darub sie sich ohne alle gedanckhen neben andern leuthen vff sein grab deckhel gesetzt, wiß aber nicht, ob sie In der Erdten gescharret. 4. Alß der bose geist Ihr einsmals angezeigt, das bey Lauff zwischen zweyen martter seulen ein schatz begraben lige, vnnd das sie denselben graben solle, sey sie hinauß gangen mit einer hawen vnnd raißhackh[en] angefangen zue graben. Alß Sie sich aber erinnert das sie zuuor 2 f[loren] von Ihme empfangen, hab sie zu graben nachgelaßen. [36v] 5. Hab mit dem bösen geist niemals vnzucht getriben. 6. Ob sie wol hirbeuor bekennt haben soll, das sie gesagt, sie habe vil böser thaten auf ihr, vnnd das sie In einem Spil sey dergleichen keins gewest, weil die welt gestanden, wiße sie sich doch solcher reden nicht mehr zu erinnern.
B.7 Laaber 1608 (oobd.)
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7. Ihr sohn sey anderer gestalt nicht mit Ir vmbgezogen, dann d[as] Er Ihr Schürtz vnnd ander Lainrath habe trag[en] helffen. 8. Ob sie wol herrn Pflegern bekennt haben soll, das sie waitzen äher vff dem feldt abgeschnitten, vnnd etlich metzen korn, wie auch etlich löden tuech vff der bleich entfrembdt, vnnd Schurtz darauß gemacht, wiße sie sich doch solcher reden nicht zu erinnern, wie sie dann auch niemals diebliche angeriff gethon habe. 9. Hab nicht vor Irem außraisen, sondern allemal, wenn sie heimkomen, Ihrer notturfft nach gebadet. 10. N[ota]B[ene] Sey gestendig das Ir vom bösen geist, an 3. vnnd halb Nach dem Ihr dieser Punct verlesen worden, hatt sie nicht gestendig sein wollen, das sie sich dem Sathan ergeben, so sie es doch anfenglich bekennt hatt.
kreutzern nachts im betth, 2 f[loren] gelts gegeben worden, vnnd sie sich darauf Ime ergeben, darub sie holtz vnnd Meel kaufft, So sey er verschinen Sambstag nachts (wie sie vermeine) vff eine weißen Schimel zu Ir in die Kammer geritten, vnnd an eine groeße Aichen so darinnen gestanden, ein Ketten geschlagen, die Aichen vmbgezogen, weren vil schaaff herund[er] gefallen, volgents hab er dem Roß den Kopff abgehawen, vnnd hab sein bey sich gehabt köchin geschwind 2 Stückh fleisch [37r] dauon gesotten, vnnd sie von beeden stuckehn ein wenig geeßen, hab zu der köchin gesagt, es wer gar ein vbels fleisch. 11. Ist disen Puncten nicht gestendig, wie sie wißen wolte, was vor einem Erbarn rath gehandelt werde. 12. Dises fürgeben sey reuerenter auch erlogen, die von Calmüntz seyen selber nichts nutz, es hab wol einer 3 heuser mit vortheil vnnd betrug an sich gebracht. Alß sie aber gefragt worden, wer solche betrügliche leuth seyen, hatt sie vermeldt, es were der teuffel. 13. Hab sich des segensprechens od[er] warsagens nie beflißen.
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B Quellen in Auswahl
14. Wiß sich nicht zu erinnern, das Ir bei nächtlich[er] weil ein Schwartzes männlein erschinen od[er] sie dasselbig angeruffen hab. 15. Sey in keinem argen dahin komen, dann sie den weg d[er] ortten auf den brunnen zu nem[m]en müeßen. 16. Ob sie wol (wie sie vom herren Pfleg[er] verneme) Im Ambthauß geredt haben soll, alß wann sie ein kindt außgraben, so wiße sie sich doch deßen nicht zu erinnern vnnd daruff mit großem klagen, weinen vnnd schreyen angefang[en] O Obrigkeit, wie thuestu mir so vnrecht mit weitterm vermelden, wann es Ir from[m]er Landtsfürst wüste, er werde Ir nicht vnrecht geschehen laßen.
B.8 Passow 1577 (nod.)
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B.8 Passow 1577 (nod., Gebiet A, Urgichten) [107r] Bekendtnues Chun Wenderschen zu Passow wonhafft, Welche von dem Scharffrichter Peinlich ist verhort worden d[en] 10. Aprilis A[nn]op[erge] 77 ∼
1. Erstlich saget sie wiße nicht anders, den von dem Mulcken, welches sie Jacob Kasten benommen, vnd hat solches ins teuffels nahmen gethann, 2. Zum andren saget sie hat Torban hafemanne sein vhie Serben laßen dann sie hette Ihme den boesen geist auf den hals gewiesen, vnd hette es darumb gethan, das ehr den Roggen so vur geben, vnd solches in des teufels nahmen gethan 3. Zum dritten hat sie bekandt, das Bartholmeus Meiersche Ihr solches gelernedt, welche auch in dem dorfe so obbemeldt wohnet 4. Auf die vierte frage hat sie abermaln bekant, Sie habe vorbenanten Torban hafemanne, daselbst wonhaft darumb den boesen Geist auf denn Hals gewiesen, das er Ihr die Pferde so teur gebenn, hat Ihr auch nicht einen thaler stunden willen, Solches alles aber ist Ihr leidt, 5. Zum funften Saget sie habe dem bosen feinde gelobedt mit leib vnd sel sein eigen zu sein 6. Auf die Sechste frage hat sie geandtwortet vnd bekandt, Sie habe Wulf Ricken, darumb das ihr vor Ihrer thuer gefluchen von der Erdtkroeten zueßen geben, aber es konte Ihm an seiner gesundtheit nicht schadenn, 7. Zum Siebenden bekandt, das sie Jurgen Ellermanne, welcher im Dorf daselbst wohnet, darumb das ehr Ihr dieberei zugesagedt den boesen geist auf d[en] hals gewiesen hette den boesen geist auch getzwungen, das ehr seinen Pferden muste die macht nehmen, vnnd hette auf seinem hoffe einen Top mit Ertkröeten, hart bei dem Back offen vnnd zaune begraben, wann ehr denselben auffgruebe so konte es ihme nichts schadenn. Bekendtnues Thomas Tilschen zu Passow wohnhafft welche auch durch den diebhenker Peinlich verhort ist worden den 12. Aprilis Anno p[erge] 77 ∼
1. Auf die erste frage hat sie geandtwortedt, das sie nichts anders gethan, dann das sie Borges Brueninge von d[er] Eyedißen zu eßenn gebenn, welche sie beim putten gefunden, darumb das ehr Ihr nicht ein stuck holtz geben wollen. 2. Zum anderen Saget sie habe Selwinder [INT] zwee kind[er] welche nur 8 dage alt gewesen vmbgebracht, dann sie von d[er] adder vnd Schlangen vors bedde gegeßen, hat es auch der meinunge gethan, das seine frawe
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B Quellen in Auswahl auch verprennen solte vnd hat solches in Ihrenn vnd des teuffels nahmen gethan.
[107v] 3. Zum dritten Saget sie hat Bastian Hasemanne nichts gethan die Bartolmeus Meinische aber, habe Ihr solches borichtet, das sie es Ihm gethann, 4. Saget die Zieglersche habe Ihr solches gelernet, welche auch vorbrann[t] wordenn, vnnd habe Ihr auch vertrawedt, das sie es jemandt wan sie wolte eingeben konte, das ehr dauonn aufberste V. Auf die funfte frage andtwortedt sie das sie vorbeschriebenenn Selwinder zu Paßow wonhaft ein Mueder vmbgebracht dan sie von der Adder vor in das ende des dorfes vnd vors pferdt großen Auf diese bekendtnus wil sie auch leben vnd sterben. Bekendtnues Bartohlmeus Merrschen welche gleichsfals Peinlich vorhort worden am 15. Aprilis Anno p[erge] 77 ∼
2.
3.
4.
Auf den ersten Articel Saget sie habe es Chun Wendischen, alles so sie in der tortur bekandt gelernet, dann sie ehr gesaget wie sie Torban hafemanne den boesen geist auf den hals weisen solte, es konte Ihm aber nicht schaden geben, Auf den andren Articul bekendt das sie nebenst Melcher Janckow[schen] welche itz verstorben Ihren Juncker Christof Falckenberge, vonn einer Adder vnd Schlangen, welche sie gebraten ins maltz gewies[en] das das bier vorderben mußen, vnd die vorbenante, vnd vor storbene Jannkowesche habe Ihr datzu gebracht, vnd mit Ihr auff dem borne, da das maltz gelegen gestiegenn. dann sie dreister vnd bekandter auf dem hofe gewesen als sie habe dem Junckern auch in seinem hofe zu Paßow, vndter seinem dorwege einenn fues oder zwei langk von dem Styele von einer Adder Schlang[en] vnd Ertpadden, welches sie im ofen gebraten, darnach gestampet vnd in einem Toppe begraben, vnd solches gethan, darumb das ehr Ihr scheschulden das sie zu dienste zechen solte, wil aber die stete wo es begrab[en] zeigen, das mans aufgrabe, Solches achts hade sie in des teüffels nahmen gethan. Auf das dritte fragstucke Saget sie vnd die Melcher Jannkowesch[e] haben obgedachten Junckers frawen vorgeben, das sie wol drei Jhar langk queenen mußen, wes aber nicht war midt dann die Jannkowesche solches gemacht vnd zugericht. Zum vierden hat sie auch bekandt, das sie Jurgen Ellemanne welcher Ihrem manne gefluchet von menschen knochenn etwas in einem Toppe außen vor dem khuestal begraben
B.8 Passow 1577 (nod.)
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[108r] das Ihme die Kuhe sterben mußen, vnd leicht ein Steinchen auf dem Toppe hat auch solches ins teuffels nahmen, mit einem Spitzen pole begraben 5. Auf dem fünften Articul, Saget sie habe Jurgen Otten darumb das ehres Ihr zugemeßen, Als solte sie Ihme die boeme vorfaeret habenn (welches sie auch gethan) von menschen knochen vnd einer Adder vnter dem stuel begraben in einem Toppe, hat auch von Addern vnnd Schlagenn vnter die beume goßen, das sie Vorfaren mußen, 6. Zum Sechsten Saget Ihre mutter welche vorbrandt habe Ihr solches gelernedt 7. Saget Clawers Heekemanschen zu Gronow habe sie zu einem gesellen dann sie Ihr alles was sie bekandt vnd was auf Ihrem hofe gelernt vnd hat Ihr ein vierteil weitzen dauor geben vor ein Jhar od[er] Finfe Solches alles wil sie Ihr vnders angesicht sagen, 8. Zum achten Saget sie, der boese feindt habe sie zu wolterßdorff aufgeloeset vnd aus dem fenster gefueredt, vnd ist auch allenthalben wo sie gewesen vor Ihr gangen vnd sie geleitedt, 9. Saget die Peter Braunsche habe Ihr ein molder kese gebenn, das sie Ihr alles was sie gewust lehrnen mußenn 10. Saget sie, die Kopmansche Poltznische, damesche, Ihre Schwester so verbrandt, dinninges Ottische, vnd Jurgen zachowische Seinn zusamen aufn blocksberge von boesen gefuerett, daselbst haben sie getzantzet [!], mit Schwingen gefochten, haben auch einen SPilman, welchem feurflammen aufm hals geflog[en] daselbst gehabt, darnach hat ehr sie wider vbers waßer wegk gefueredt, vnd wann sie wech wollen, haben sie diese wordt gesprochen, Nun wil ich auf und wegk, wilstu midt so mach dir baldt fertigk, dinniges Ottsche ist eine Reise od[er] vier mit gewesen, die Poltznische aber eine Reise od[er] Siebenn. Weis itz nicht mehr zubekennen, Wil aber alles was sie hierbeuor bekandt auch vor godt bekandt sein. ∼
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B Quellen in Auswahl
B.9 Wartenburg 1614 (oobd., Gebiet C, Fragenkatalog und Verhörprotokoll) [22] Auf volgende Fragstuckh ist die dischlerin am wartperg den .10. July 1614 beisein Ires Manß. Sowol Herrn Trepta Richter daselbst vnd Caspern Puchingers schiffer zu khefermarckht durch mich Pflegern güetig Examiniert Worden ∼ 1.
Waß Sy am verschienen ersten Sontag vor Irer Hauß Thier vber die Straß vnd weg gegen der Hofgarten Maur gesäd hab
2.
Warfier vnnd worumben Sy solchs gethan.
3.
Warumben Sy also geschwind vber bemelden wegg am Saäen [!] glafen auch waß das bedeit das Sj vorher oben vnd vnden also eben geschaud. obs Niemands sehen thue.
4.
Was das bedeit oder worauf Siß thuet das Sy Ir khue zu gwißer zeit vnd tag Im Stall also v ¨ber vnd v ¨ber waschen vnd Paden thue. Item wanß Si solche hernach außlöst das Ir alles vieh so im feldt ist zuegehet vnd An zu
5
[23] Warzue Sy Reuerendo die mistlockhen [?] Praucht so Sy verschiner zeit im schloß wartperg vor den Stoln genomen.
.6.
Waß das bedeit, das Sy auf And[er] leit wißen vnd gärtten so gern graß vnd Ploimen abraufen vnd haimbtragen thue. firwehe Sy solches gebrauch.
.7.
Waß auß dißen Abzunemen das Reuerendo die Praiten oder große Khroden bej Ir Im haus also ein vnd auß khriechen.
B.9 Wartenburg 1614 (oobd.) Dan wieder vnd[er] her von Jelckhing [perge] am wartperg gehaust vnd die frau selige Ainßmals mit Irem frauen zimer |vnd[er] her+ vom Schloß |hernach+ herab gegen des schnelers hauß Sporiren gangen ist vost vom schloß an biß Zu dem Tischler ain gar große Praide alleweil vor Iren herab |. . . + gegangen vnd wie Sy neben der Tischlerin Haußtier khumbt gehets vorstunden vber den Schwel er Ins Hauß alß Ir nun das frau zimer Also Zuesicht gehet ein soliches vnzifer vom schnelerischen haus auch im weg dem hauß zue. Driben hat der hofschneider so bei der frauen selligen gwest dieselb Spisen wollen. Die Tischlerin aber hatt [24] auf ir geschrieen man soll solchen dierlen nichts thoin dan werß Peloidig hett nit vill glickh vber welche zuo sehr Iren das frau zimer manen vndt [25] 1.
Aussag. Zeigt auf das erst fragstuckh an Sy het Irer khue am Negst verschinen Sontag frue biß auf Predig zeit bej der schieß hiden am Wartperg gehiet hernach hab Siß heimbdriben vnd sej zum khößlpoden Zu d[er] Predig gangen Alß es aber Auf den Abendt Khiel worden hab Sj solche mer Anbemelds orth gedriben |w+ driben khemb deß Richter Am Wartperg mersch mit Iren khieen auch zu Ir vnd Alß das mersch ain |gelbe+ Ploimben so gelb vnd weiß gewest. Abprech. vnd gesehen ob die Plädl |od[er]+ ort od[er] gleich sein. hab Si die Tischlerin hernach auch etliche solche Ploimben abgestraifft. wie nun Ir khue vnd des Richters von schloß herab in der goßen also geeßen. vnd Sie Tischlerin von herab Irem hauß zuegehe hab Sy bemelte Abgestraiffte Ploimen in wegg |. . . + Ain
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B Quellen in Auswahl Alß geför von Ir gesädt, Anders hab Sj nichts gehabt. sej auch auf nichts Peß angesehen gewest. 2. 3. vnd 4.Auf das Andt[er] [INT] |vnd+ 3. vnd 4. wil Sy nichts Aussagen sondern zeuchts alles in Ain vnwißenhait. 5
Das wail waßer hab |Ih+ Ir die Aldt Moirin am wartperg erlaubt. vnd hab solches Zu Irer khue so v ¨bel aufge gepraucht.
[26] 6. vnd .7. vmb dise zwen Punten wil Sy gar nichts wißen ∼ Hergegen Aber sagen volgende P[er]sonen Auß. Erstlich wil bemelder Richter am Wartp[erg] mit ainen Iurament begäg[nen] das die Tischlerin negsten Sontag abendt nit Allain vor Irer dier Hinauf gegen dem Schloß vnd herab gegen den Tofern mit flaiß gesehen ob nit leit verhanden. vnd wie Sj Niemands vernemen Sehn Sj vbern Weg. welches der Ain Moirkhnecht so bej Im gestanden auch gesehen vnd Sä dreimal am Lauf vber Weg waß es Aber gwest khön er nit wißen kheine Ploimben wie Sj fiergibt hab Er wol nit gesehen. Vber diß Lain Sy sich fierwerts auf die garten maur vnd schaw hierin alß wan Sy nichts gethan vnd wie Richter sieht das sein mersch die khie wil herab vnd Zu hauß treiben Lauff er Zu entgegen soll das viech vber dieße sachen so die Tischlerin gesträäd nit dreiben das mersch aber hab [27] nit recht verstanden vnd dreib die khie fort. driber haben Sy sich alspaldt verkhert. vnd zu morgens ain solche milch geb[en] welche im Sechter gewoldt vnnd geseist |das+ alß wanß haissiedet gewest man auch daß Seißen auß dem Stall gar In hof gehert. wie er dan diße
B.9 Wartenburg 1614 (oobd.) milch reuerendo Ins schwein dranckh miesen gießen Lasen. vnd sej Im nur vmb die Khie welche er Lange zeit nichts geniesen khon sondern von tag zu tag Anemen könde. Wie Dan solches meniglich am Wartperg |I+ sowol die Zeigin Moirin deren die hofkhie auch also verderbt vnd nichts Essen wollen sehr Clagen thuet.
559
Anhang C
Quellenverzeichnisse C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen Ahaus 1608 (nwd.) Angeklagte: Hille Blomers Archivnachweis: Staatsarchiv Münster, Altertumsverein Nr. 317c, fol. 96v–100r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 1–9. Alme 1630 (nwd.) Angeklagte: der Alteman, Schäfer Godert Archivnachweis: Archiv Graf von Bocholtz-Asseburg, Akte F 28, fol. 10r–13v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 10–18. Augsburg 1625 (wobd.) Angeklagte: Maria Bräunin Archivnachweis: Stadtarchiv Augsburg, Bestand Reichsstadt, Urgichten K 204, S. 109–113, 115–117 (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 328–336. Baden 1640/16421 (wobd.) Angeklagte: Ursula Küng, Ursula Frölich, Barbel Maria Rittereisen Archivnachweis: Historisches Museum Baden, Stadtarchiv, Bestand A 38.22. Seitenzählung der drei Dokumente: Baden 1640 (1) fol. 8r–9r (Archivzählung), Baden 1640 (2) S. 1–5 (eigene Zählung), Baden 1642 S. 1–5 (eigene Zählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.3, S. 511–515.
1
Quellen, die sich wie diese über mehrere Jahre erstrecken, werden im Text der Übersichtlichkeit halber nur mit einem Kurztitel (Baden 1640) zitiert.
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C Quellenverzeichnisse
Baden-Baden 1627 (wobd.) Angeklagte: Margaretha Brasings Archivnachweis: Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 61, Nr. 5047 I , fol. 26r-34v (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.2, S. 499–510. Bamberg 1628 (nobd.) Angeklagter: Johannes Junius Archivnachweis: Staatsbibliothek Bamberg, R.B. Msc. 148, Nr. 299, fol. 1r–5v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 412–321. Barby 1641 (omd.) Angeklagte: Barbara Heß Archivnachweis: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Wernigerode, Rep. A 31a, Grafschaft Barby, Nr. 738, fol. 8r–17r (Archivzählung) verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.4, S. 519–531. Bettenhausen 1611 (nobd.) Angeklagter: Erhard Dreißigacker Archivnachweis: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Bestand Gemeinschaftlich Hennebergisches Archiv (GHA), Sektion VI Nr. 705, fol. 65r–67r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 441–445.2 Blankenheim 1629 (wmd.) Angeklagter: Johann Schrentzges Archivnachweis: Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 29A, Nr. 491, fol. 2r–5v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 184–191. Blankensee 1619 (nod.) Angeklagte: Ursula Riecken Archivnachweis: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 4 D, Schöppenstuhl zu Brandenburg/Havel, Nr. 66, fol. 676r–682r und 701r–702v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 134–143.
2
Die Quelle wurde in der Edition Kanzleisprache 2005 „Meiningen 1611“ genannt. Da der Prozessort jedoch nicht festzustellen ist und der Angeklagte aus Bettenhausen kommt, wird sie hier „Bettenhausen 1611“ genannt.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
563
Borgfeld 1587 (nod.) Angeklagter: Steffan Wordergken Archivnachweis: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep 4D, Schöppenstuhl zu Brandenburg/Havel, Nr. 24, fol. 317v– 324v (Archivzählung). verwendete Edition: Transkription im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts. Braunau 1617 (omd.) (heute: Broumov) Angeklagte: Eva Eybner verwendete Edition: Zwei Hexenprozesse zu Braunau (1895). In: Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 33, S. 285–292 (Ausschnitt: S. 287–290). Bräunlingen 1632 (wobd.) Angeklagte: Verena Hornung, Madlena Schwenckh verwendete Edition: Balzer, Eugen (1910): Die Bräunlinger Hexenprozesse. In: Alemannia. Zeitschrift für alemannische und fränkische Volkskunde, Geschichte, Kunst und Sprache Heft 2, 3. Folge, S. 1–42 (Ausschnitt: S. 9–15 und 18). Bregenz 1628 (wobd.) Angeklagte: Katharina Zwiseler Archivnachweis: Stadtarchiv Bregenz Akt 202, fol. 285r–292v verwendete Edition: Transkription im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts. Bremen 1603 (nnd.) Angeklagte: Grete Kramers, Pelleke Stubben verwendete Edition: Tardel, Hermann (1938): Ein bremischer Hexenprozeß vom Jahre 1603. In: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 16, S. 41–47. Brixen 1597 (oobd.) Angeklagter: Christoph Gostner verwendete Edition: Behringer 2000, S. 39–42. Brugg 1620 (wobd.) Angeklagte: Madlena Fry Archivnachweis: Stadtarchiv Brugg, Band 31, S. 1–4 (eigene Zählung). verwendete Edition: eigene Transkription Celle 1570 (nnd.) Angeklagte: Ilsche Luders Archivnachweis: Stadtarchiv Celle, 12 B 52, fol. 88r–91v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 19–25.
564
C Quellenverzeichnisse
Coburg 1670 (nobd.) Angeklagte: Elsa Henneberger verwendete Edition: Friedrich, Egbert (1995): Hexenjagd im Raum Rodach und die Hexenprozeßordnung von Herzog Johann Casimir. Spezieller Beitrag zur Geschichte des Coburger Landes. Coburg (= Schriften des Rodacher Rückert-Kreises e.V. 19) (Ausschnitt: S. 92–98). Coesfeld 1632 (nwd.) Angeklagter: Georg Köbbing verwendete Edition: Niesert, Joseph (1827): Merkwürdiger Hexen-Process gegen den Kaufmann G. Köbbing an dem Stadtgerichte zu Coesfeld im Jahre 1632 geführt. Vollständig aus den Original-Acten mitgetheilt und mit einer Vorrede begleitet. Coesfeld, S. 4–32. Crivitz 1642 (nod.) Angeklagte: Dorothea Dunckers Archivnachweis: Landeshauptarchiv Schwerin, 2.12-2/3 Gesetze und Edikte in Zivil- und Kriminalrechts-, Fiskalats- und Polizeiangelegenheiten, Nr. 2039, S. 1–12 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 144–155. Dieburg 1627 (wmd.) Angeklagte: Anna Padt verwendete Edition: Steiner, Johann Wilhelm Christian (1829): Geschichte der Stadt Dieburg und Topographie der ehemaligen Centen und Aemter Umstadt, Babenhausen und Dieburg. Darmstadt (= Alterthuemer und Geschichte des Bachgaus im alten Maingau 3), S. 71–90 (Ausschnitt: S. 71–83). Dillenburg 1631 (wmd.) Angeklagter: Hans Holttschenhäwer Archivnachweis: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 369, Nr. 44, fol. 14v–17v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 192–199. Drachenfels 1630 (wmd.) Angeklagte: Trein Aßenmechers Archivnachweis: Archiv Graf von Mirbach-Harff (Drachenfels XI, Nr. 72), 3v–8v und 10v–11v (Archivzählung). verwendete Edition: Transkription von Dr. Peter Arnold Heuser. Eichstätt 1637 (oobd.) Angeklagte: eine anonyme, vierzigjährige Frau verwendete Edition: Abano, Petrus de (1811): Abdruck aktenmaeßiger Hexenprozesse, welche in den Jahren 1590, 1626, 28, 30 und 1637 gerichtlich verhandelt worden. Eichstätt (Ausschnitt: S. 90–115 und 118– 120).
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
565
Erkelenz 1598 (wmd.) Angeklagte: Stynn und Mergen Knoicken Archivnachweis: Stadtarchiv Erkelenz, Bestand 1C 22c, S. 1–8 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 200–207. Essen 1589 (nwd.) Angeklagter: Reinhold Pott verwendete Edition: Seemann, Otto (1886): Über einige Hexenprozesse im Stift Essen. In: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, Heft 10, S. 113–131 (Ausschnitt: S. 118–125). Feldbach 1674 (oobd.) Angeklagte: Ursula Peuer, Michael Zotter, Eva Kren, Jacob Puckhl verwendete Edition: Hammer-Purgstall, J. von (1845): Die Gallerin auf der Riegersburg. Historischer Roman mit Urkunden. In drei Theilen. Erster Theil: Die Burgfrau und das Erbfäulein. Wien (Ausschnitt: S. 37–42). Flensburg 1608 (nnd.) Angeklagte: Anna Kockes Archivnachweis: Stadtarchiv Flensburg, Bestand A 33a, Blatt 250–256 (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 26–33. Friedberg 1620 (wmd.) Angeklagte: Elisabeth Geyer Archivnachweis: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestand E 9, Nr. 1730, S. 1–12 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 208–218. Garmisch 1590 (oobd.) Angeklagte: Anna Lidl verwendete Edition: Kuisl, Fritz (2002): Die Hexen von Werdenfels. Hexenwahn im Werdenfelser Land. Rekonstruiert an Hand der Prozeßunterlagen von 1589–1596. Garmisch-Partenkirchen (Ausschnitt: S. 20– 21). Gaugrehweiler 1610 (wmd.) Angeklagte: Appolonia Hess Archivnachweis: Landesarchiv Speyer, Bestand C 41, Nr. 23/1, fol. 10r– 12r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 219–224.
566
C Quellenverzeichnisse
Georgenthal 1597 (omd.) Angeklagte: Christina Thymen Archivnachweis: Stadtarchiv Zella Mehlis, HA 6479, S. 1–7 (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 290–298. Gerolstein 1633 (wmd.) Angeklagte: Grete Schmidt verwendete Edition: Kettel, Adolf (1986): Von Hexen und Unholden. Hexenprozesse in der West- und Zentraleifel. Prüm (Ausschnitt: S. 39– 42). Gföhl 1593 (oobd.) Angeklagte: Barbara Stierpaur, Margarete Greis verwendete Edition: Winkelbauer, Thomas (1986): Robot und Steuer. Die Untertanen der Waldviertler Grundherrschaften Gföhl und Altpölla zwischen feudaler Herrschaft und absolutistischem Staat (vom 16. Jahrhundert bis zum Vormärz). Horn (= Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 25) (Ausschnitt: S. 36–43). Gommern 1660 (omd.) Angeklagte: Anna Even verwendete Edition: Röhner, Regina (2000): Hexen müssen brennen. Geschichten vom Hexenwahn in Sachsen. Chemnitz (Ausschnitt: S. 149–154). Göttingen 1649 (nwd.) Angeklagte: Margarete Timann Archivnachweis: Stadtarchiv Göttingen, Altes Aktenarchiv, Recht, Criminalia, Nr. 33, S. 44–51 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 34–41. Grünberg 1664 (omd.) (heute: Zielona Gora) Angeklagte: Elisabeth Crutzigern, Barbara Marschner, Dorothea Neumann, Dorothea Becker, Elisabeth Bramkin Archivnachweis: Naczelna Dyrekcja Archiwów Panstwowych Warsaw, Bestand Extract: Protocolli Judicij Grünbergensis, 1 G a11, S. 120–129 (Archivzählung). Lambrecht (1995, S. 217) zufolge ist das die Signatur des Lubuskie Muzeum Okregowe, in dessen Schatzkammer sich die Originale befinden. verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.5, S. 532–538. Grünholz 1641 (nnd.) Angeklagte: Maria Tiels, Mette Johnes verwendete Edition: Bremer (1847): Ein Hexen-Proceß aus dem Jahre 1641. In: Biernatzki, Hermann (Hrsg.): Schleswig-Holstein-Lauenburgische Landesberichte, 1847, März–April, Altona, S. 66–75.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
567
Günzburg 1613 (wobd.) Angeklagte: Margaretha Götz Archivnachweis: Stadtarchiv Günzburg, Bestand SAG 5.276, S. 17–20 und 77–79 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 344–350. Güstrow 1615 (nod.) Angeklagte: Trine Vielhueten (die alte Polchowsche) Archivnachweis: Stadtarchiv Güstrow L VI b, fol. 11r–20v sowie S. 1–15 (Archivzählungen). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 156–164, Transkription Dr. Katrin Moeller, eigene Transkription. Gutenhag 1661 (oobd.) Angeklagte: Margaretha Kheyditsch verwendete Edition: Zahn , J. von (1882): Von Zauberern, Hexen und Wolfsbannern. Actenstücke, Processe wider Zauberer und Hexen betreffend, 1602–1701. In: Steiermärkische Geschichtsblätter. III. Jahrg. 3. Heft, Juli–Semptember, S. 138–144. Gutenstein 1641 (oobd.) Angeklagte: Brigida Prandtstetter verwendete Edition: Newald, Johann (1868): Hexenprozess aus dem Jahre 1641. In: Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich II, Heft 9, S. 124–125. Hamburg 1583 (nnd.) Angeklagte: Abelke Bleken verwendete Edition: Trummer, Dr. C. (1844): Vorträge über Tortur, Hexenverfolgungen, Vehmgerichte, und andere merkwürdige Erscheinungen in der Hamburgischen Rechtsgeschichte. Gehalten in der juristischen Section des geschichtlichen Vereins in Hamburg. Erster Band. Mit vielen bisher ungedruckten Urkunden und Criminalfällen. Hamburg (Ausschnitt: S. 145–147). Hamm 1592 (wmd.) (heute: Hamm/Eifel) Angeklagte: Trein Jonckers Archivnachweis: Archives nationales de Luxembourg, Abt. 15, Nr. 233, fol. 49r–50v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 225–232. Hechingen 1648 (wobd.) Angeklagte: Anna Küentzler verwendete Edition: Thele (1881/82): Ein Hexenprozeß zu Hechingen a. 1648. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 15, S. 32–42.
568
C Quellenverzeichnisse
Helmstedt 1578 (nwd.) Angeklagte: Geße Frücken Archivnachweis: Stadtarchiv Helmstedt, B VII 23, S. 37–41 (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 42–47. Hemau 1616 (oobd.) Angeklagte: Euphrosina Koler Archivnachweis: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Hexenakten 20, fol. 1r–2v, 4r–7v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 432–440. Herborn 1630 (wmd.) Angeklagte: klein Bestgins Stein Archivnachweis: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 369, Nr. 117, fol. 2r–9v (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.6, S. 539–548. Hildburghausen 1629 (nobd.) Angeklagter: Caspar Herold verwendete Edition: Friedrich, Egbert (1995): Hexenjagd im Raum Rodach und die Hexenprozeßordnung von Herzog Johann Casimir. Spezieller Beitrag zur Geschichte des Coburger Landes. Rodach (= Schriften des Rodacher Rückert-Kreises e.V. 19) (Ausschnitt: S. 109–112). Hildesheim 1628 (nwd.) Angeklagte: die Ehefrau von Andreas Lehne (die Lehnesche) Archivnachweis: Stadtarchiv Hildesheim, Best. 100–38, Nr. 109, 23–36, S. 1–13 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 48–57. Höchst 1631 (wmd.) (heute: Frankfurt-Höchst) Angeklagte: Anna Beltz, Ursula Daus Archivnachweis: Staatsarchiv Würzburg, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 360/X, Nr. 2, fol. 165r–168r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 233–240. Jägerndorf 1653 (omd.) (heute: Krnov) Angeklagte: Susan Thomann Archivnachweis: Hausarchiv Stiftung Fürst Liechtenstein, Karton H 1095, S. 1–9 (eigene Zählung). verwendete Edition: Transkription im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
569
Jeßnitz 1635 (omd.) Angeklagte: Margarethe Petzsch3 Archivnachweis: Stadtarchiv Leipzig, Bestand Richterstube – Strafakten, Rep I, Nr. 475, fol. 12r–14r (Archivzählung). verwendete Edition: Transkription im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts. Jever 1592 (nnd.) Angeklagte: Rixte Gralefs Archivnachweis: Staatsarchiv Oldenburg, Bestand 90-6, Nr. 43, fol. 43r– 46v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 58–66. Köln 1629 (wmd.) Angeklagte: Sophie Haaß, Catharina sine cognomine Archivnachweis: Stadtarchiv Köln, Bestand Verfassung und Verwaltung, G 187, fol. 31r–36r (Archivzählung). verwendete Edition: Macha/Herborn 1992, S. 61–71. Laaber 1608 (oobd.) Angeklagte: Maria Walther Archivnachweis: Bayrisches Hauptstaatsarchiv München, Bestand Hexenakten, Nr. 18 (Pfalz Neuburg), fol. 35r–37r (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.7, S. 549–552. Leipzig 1640 (omd.) Angeklagte: Margarethe Petzsch Archivnachweis: Stadtarchiv Leipzig, Bestand Richterstube – Strafakten, Rep I, Nr. 475, fol. 21r–26r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 299–308. Lemberg 1630 (wmd.) (heute: Lemberg/Pfalz) Angeklagte: Eva Schmehlich Archivnachweis: Bistumsarchiv Trier, Abt. 95, Nr. 268 Varia Analecta, F. 4, fol. 8v–11v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 249–255. 3
Diese Quelle stammt aus demselben Aktenkonvolut wie Leipzig 1640, auch wird dieselbe Person verhört. Margarethe Petzsch wurde im Jahr 1635 durch ihre Nachbarin, Ursula Bieling, der Hexerei beschuldigt. Die Anklage wurde jedoch fallen gelassen, weil der Rat der Stadt Jeßnitz in Anbetracht des Kriegsgeschehens, das über die Stadt hereinbrach, sich mit anderen Dingen beschäftigen musste. Als sich die beiden Frauen fünf Jahre später in Leipzig wiedertrafen, beschuldigte Ursula Margarethe erneut der Hexerei, woraufhin ein zweites Verfahren in Leipzig aufgenommen wurde (vgl. Kanzleisprache 2005, S. 299). Das Protokoll „Jeßnitz 1635“ ist eine Abschrift, die in Jeßnitz entstanden ist und von dort nach Leipzig geschickt wurde, um dort als Beweis in dem neuen Verfahren zu dienen.
570
C Quellenverzeichnisse
Lemgo 1632 (nwd.) Angeklagte: Ermgard Roleffs Archivnachweis: Stadtarchiv Lemgo, A 3693 (Hexenprozessakte Ermgard Roleffs), fol. 47r–52r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 67–77. Leonberg 1641 (wobd.) Angeklagte: Maria Kautz und ihre zwei Töchter Catharina und Maria Archivnachweis: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A 309, Bü 234, S. 1–13 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 353–362. Lindheim 1631 (wmd.) Angeklagte: Anne Pomp verwendete Edition: Horst, Georg Conrad (1826): Zauber-Bibliothek oder von Zauberei, Theurgie und Mantik, Zauberern, Hexen und Hexenprocessen, Dämonen, Gespenstern und Geistererscheinungen. Band 1. Mainz, S. 183–204. Linz 1631 (wmd.) Angeklagte: Giertgen Hemmeßem, Elisabeth Hilgenhaupt Archivnachweis: Stadtarchiv Linz , Bestand F4, S. 4–11 (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 257–264. Loccum 1638 (nnd.) Angeklagte: Ilsche Giesekingk verwendete Edition: König, Bruno Emil (1966): Hexenprozesse. Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel der Hexenprozesse und der Autodafés. Wiesbaden (Ausschnitt: 246–253). Meiningen 1659 (nobd.) Angeklagte: Else von der Linden verwendete Edition: Mötsch, Johannes (2003): Archivalien zu den Hexenverfolgungen in der Grafschaft Henneberg. In: Meininger Museen (Hrsg); Andrea Jakob (Red.): Hexen und Hexenverfolgung in Thüringen. Begleitbuch zur Ausstellung „Hexen in Thüringen“ im Schloß Elisabethenburg Meiningen vom November 2003 bis April 2004. Bielefeld (= Südthüringische Forschungen 32; Hexenforschung 8), S. 99–125 (Ausschnitt: S. 110–115). Meldorf 1618 (nnd.) Angeklagte: Maes Telse Archivnachweis: Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig, Abt. 102.1, Nr. 163, fol. 64r–66r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 79–83.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
571
Memmingen 1665 (wobd.) Angeklagte: Barbara Bachmann, Barbara Beltzer, Barbara Fischer, Archivnachweis: Stadtarchiv Memmingen, A Bd 43C, fol. 116r–121v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 363–370. Mergentheim 1629 (nobd.) Angeklagte: Anna Mazeth Archivnachweis: Staatsarchiv Ludwigsburg, B 262 Bü 98, Urgicht Anna Matzet, S. 1–18 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 446–460. Meßkirch 1644 (wobd.) Angeklagte: Dorothea Burger Archivnachweis: Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 65/728, fol. 153r–158r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 371–383. Mittersill 1575 (oobd.) Angeklagter: Kristof Müller verwendete Edition: Schwillus, Harald (1992): Kleriker im Hexenprozeß. Geistliche als Opfer der Hexenprozesse des 16. und 17. Jahrhunderts in Deutschland. Würzburg (= Forschungen zur fränkischen Kirchen- und Theologiegeschichte 16) (Ausschnitt: S. 312–316). Müddersheim 1630 (wmd.) Angeklagte: Margaretha Kemmerlings Archivnachweis: Archiv Freiherr von Geyr Burg Müddersheim, Blatt 1–8 (eigene Zählung). verwendete Edition: Transkription von Dr. Peter Arnold Heuser. Mühlhausen 1660 (omd.) Angeklagte: Anna Fuhrer verwendete Edition: Kauffungen, Kunz von (1906/07): Mühlhäuser Hexenprozesse aus den Jahren 1659 und 1660. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte. In: Mühlhäuser Geschichtsblätter. Zeitschrift des Altertumsvereins für Mühlhausen in Thüringen und Umgegend 7, S. 84– 119 (Ausschnitt: S. 97–116). München 1600 (oobd.) Angeklagter: Paulus Pämb Archivnachweis: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Hexenakten 2, fol. 1r–1v; 3r–7r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 461–471.
572
C Quellenverzeichnisse
Münster 1635 (nwd.) Angeklagte: Greta Bünichmann Archivnachweis: Stadtarchiv Münster B II, Kriminal-Protokolle Bd. VI, fol. 74r–75r; 76r–79r (Archivzählung). Stadtarchiv Münster A II, Nr. 20, Bd. 67 (1635), fol. 132r; 134v–135r (Archivzählung). verwendete Edition: Transkription von Sabine Alfing. Nördlingen 1593 (wobd.) Angeklagte: Maria Holl Archivnachweis: Stadtarchiv Nördlingen, Hexenakte Maria Holl, S. 1–4 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 384–389. Osnabrück 1636 (nwd.) Angeklagte: Anna Ameldung, Anna Modemann Archivnachweis: Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Dep. 3b IV Nr. 3488, fol. 94r–102r (Archivzählung). verwendete Editionen: Kanzleisprache 2005, S. 107–119, Topalović 2003, S. 245–247. Ostrau 1628 (omd.) Angeklagte: die Frau von Michael Körting Archivnachweis: Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Handschriftenabteilung, Peinliche Zaubersachen die Körtingin betreffend, ThSGV 3103, fol. 80r–85v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 309–316. Passow 1577 (nod.) Angeklagte: Die Ehefrauen von Chun Wender, Thomas Til und Bartohlmeus Merr Archivnachweis: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep 4D Schöppenstuhl zu Brandenburg/Havel Nr. 19, fol. 107r– 108r (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.8, S. 553–555. Perleberg 1588 (nod.) Angeklagte: Catharina Peters, Witwe des Berndt Bohnen Archivnachweis: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep 4D Schöppenstuhl zu Brandenburg/Havel Nr. 30, fol. 106r– 114v (Archivzählung). verwendete Editionen: Kanzleisprache 2005, S. 165–172, Stölzel 1901, Band 2, S. 113–115. Rapperswil 1595 (wobd.) Angeklagte: Anna Spörin Archivnachweis: Stadtarchiv Rapperswil verwendete Edition: eigene Transkription.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
573
Reichenberg 1653 (oobd.) Angeklagte: Georg Kilian, Anna Maria Keller Archivnachweis: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Hexenakten 6, 1r–7v, 9r–10v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 472–484. Reichertshofen 1629 (oobd.) Angeklagter: Hans Zollner Archivnachweis: Pfarrarchiv Reichertshofen, Fach I, 3 (Mikrofilm im Diözesanarchiv Ingolstadt), fol. 2r–9r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 485–498. Riedlingen 1596 (wobd.) Angeklagte: Catharina Merckh Archivnachweis: Stadtarchiv – Spital Riedlingen, Strafsachen, Kopialbuch Nr. 191*, fol. 624v–629r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 390–396. Rosenburg 1618 (omd.) Angeklagte: Christina Ziesing Archivnachweis: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, Rep. A 31a, Nr. 504, fol. 17r–23r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 317–326. Rosenfeld 1603 (wobd.) Angeklagte: Margretha Stainer Archivnachweis: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A 209, Bü. 1753, S. 1–17 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 397–409. Rottweil 1615/1629 (wobd.) Angeklagte: Anna Huenckherin, Anna Gritzerin verwendete Edition: Langen, Karl von (1821): Beiträge zur Geschichte der Stadt Rotweil am Neckar. Rottweil, S. 431–444. Schivelbein 1635/1648 (nod.) (heute: Swidwin) Angeklagte: Engel Mähden verwendete Edition: Jarcke, Karl Ernst (1928): Ein Hexenprozeß, aus dem in der Mitte des 17ten Jahrhunderts zu Schiefelbein verhandelten, etwas beschädigten Originalakten mitgetheilt, und mit einer Nachricht über das Verbrechen der Zauberei begleitet. In: Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechtspflege 1, S. 431–456. Schwabstedt 1619 (nnd.) Angeklagte: Grete Wedelman, Meye Muhl verwendete Edition: Meyer, H. (1935): Drei Hexenprozesse in Schawbstedt. In: Jahrbuch Nordfriesland 22, S. 100–106.
574
C Quellenverzeichnisse
Schweinfurt 1616 (nobd.) Angeklagte: Susanne Pfister, Niclaus Knies Archivnachweis: Stadtarchiv Würzburg, Reichsstadt Schweinfurt, Sig. 7/75 I, fol. 7r–14r (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 499–509. Schwerin 1620 (nod.) Angeklagte: Dorothea Trapp Archivnachweis: Landesarchiv Schwerin, Akte 2023, S. 1–4 (eigene Zählung). verwendete Edition: Transkription im Rahmen des Projekts Kanzleisprache des 17. Jahrhunderts. Seehausen 1633 (nod.) Angeklagte: Maria Vagts verwendete Edition: Stölzel, Adolf (Hrsg.) (1901): Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten. Band 2. Berlin, S. 682–685. St. Lambrecht 1602 (oobd.) Angeklagter: Dyonisy aus Altenhofen verwendete Edition: Zahn, J. von (1882): Von Zauberern, Hexen und Wolfsbannern. Actenstücke, Processe wider Zauberer und Hexen betreffend, 1602–1701. In: Steiermärkische Geschichtsblätter. III. Jahrg. 3. Heft, Juli–Semptember, S. 129–133. Schreiber: Ponrichter Georg Schaller Stein am Rhein 1667 (wobd.) Angeklagte: Catharina Olbrecht Archivnachweis: Stadtarchiv Stein am Rhein, J 217/218, S. 1–9 (eigene Zählung). verwendete Edition: Transkription von Iris Hille. Stettin 1620 (nod.) (heute: Szczecin) Angeklagte: Sidonia von Borck verwendete Edition: Oelrichs, D. (1788): Beschluß des Beitrags zur Ergänzung der so berüchtigten Hexengeschichte, von der verbrannten Pommerschen Klosterfräulein, Sidonia von Borck. In: Historisches Portefeuille auf das Jahr 1787 7, 5. Stück, S. 552–562. Stralsund 1630 (nod.) Angeklagte: Trine Fehrmans Archivnachweis: Stadtarchiv Stralsund Rep. 3 Nr. 6364, S. 1–8 (eigene Zählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 173–181.
C.1 Alphabetische Liste der untersuchten Quellen
575
Uphusen 1565 (nnd.) Angeklagte: Gertrud Focken verwendete Edition: Hahn, Louis (1938): Uphuser Hexenprozesse. In: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 26, S. 57–83. Wallhausen 1628 (wmd.) Angeklagte: Christine Jung verwendete Edition: Baumgarten, Achim R. (1987): Hexenwahn und Hexenverfolgung im Naheraum. Ein Beitrag zur Sozial- und Kulturgeschichte. Frankfurt (Main) (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 325) (Ausschnitt: S. 191; 194–197; 199–203). Baumgarten folgt Graef (1924/25): Ein Hexenprozeß vor dem Gericht zu Wallhausen. Teil I und II. In: Kreuznacher Heimatblätter. Beilage zum Öffentlichen Anzeiger, Heft 4 (22.05.1924) S. 1–3, Heft 5 (26.02.1925), S. 1–2. Wartenburg 1614 (oobd.) Angeklagte: die dischlerin am wartperg Archivnachweis: Landesarchiv Linz, Herrschaftsarchiv Wartenburg, Schachtel 9, Nr. 25, Hexen 1604–1715, S. 22–27 (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription, s. Anhang B.9, S. 556–559. Werl 1630 (wmd.) Angeklagte: Agatha vf der Öuertrifft Archivnachweis: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster, Mscr. VI, 264 A, fol. 35r–37r. verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 120–126. Wernigerode 1597 (nwd.) Angeklagte: Katharina Bernburg Archivnachweis: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg Rep. H Gutsarchiv Stolberg-Wernigerode C 138a Fach 7 Nr. 8, fol. 11r–12v (Archivzählung). verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 127–131. Westerburg 1624 (nwd.) Angeklagte: Gretha Ortleben Archivnachweis: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Wernigerode, Rep. Da, Westerburg, Nr. 268, fol. 5r–12v (Archivzählung). verwendete Edition: eigene Transkription Westerlandföhr 1614 (nnd.) Angeklagte: Gundell Knutzen verwendete Edition: Falck, N. (1826): Dingswinde der Kirchneffninge auf Westerlandföhr, Hexerei betreffend, vom Jahre 1614. In: Staatsbürgerliches Magazin 6, Heft 3 u. 4, S. 703–705.
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C Quellenverzeichnisse
Wittgenstein 1629 (wmd.) Angeklagte: Elsa Leisen Archivnachweis: Archiv zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, C 82, 2r–6r (Archivzählung) verwendete Edition: Kanzleisprache 2005, S. 272–280. Wolframs-Eschenbach 1630 (oobd.) Angeklagter: Hans Steinlein verwendete Edition: Geidner, Oskar (2003): „. . . aus Pein und Marter bekhendt . . . “ Hexenverfolgung in der Stadt und im Vogteiamt Eschenbach. Selbstverlag des Heimatvereins Wolframs-Eschenbach e.V. Wolframs-Eschenbach (Ausschnitt: S. 125–128). Wüstenfelde 1590 (nod.) Angeklagte: Margaretha Schorsow verwendete Edition: Beyer, Carl (1903): Kulturgeschichtliche Bilder aus Mecklenburg. Zauberei und Hexenprozesse im evangelischen Mecklenburg. Unter den Elenden und Ehrlosen. Berlin, S. 62–64.
C.2 Die in Kapitel 3 zitierten Quellen C.2.a) Quellen aus Behaghel (1899) Die folgende Auflistung gestaltet sich so, wie Behaghel seine Quellen im Textverlauf nachgewiesen hat. Gegenüber Behaghels Monographie bietet sie also den Vorteil, alle Quellen an einer Stelle zusammengetragen zu wissen. Es ist jedoch nicht sicher, dass alle Werke heute noch in der Form zu bekommen sind. Wo Behaghel die von ihm verwendete Ausgabe einzelner Quellen nicht nennt, was beispielsweise bei den mittelalterlichen Romanen der Fall ist, wurden die Zitate anhand einer moderneren Ausgabe überprüft und diese als Nachweis angegeben. Die Alte Zeit (bis 1500) Beowulf: Ed. by. C. L. Wrenn and W. F. Bolton. Exeter: University of Exeter Press. 1992. Berthold von Regensburg: Vollständige Ausgabe seiner Predigten mit Anmerkungen von Franz Pfeiffer. Erster Band. Berlin: de Gruyter. 1965. Tristant: Eilhart von Oberg: Tristant. Edition diplomatique et traduction en francais moderne avec introduction, notes et index par Danielle
C.2 Die in Kapitel 3 zitierten Quellen
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Bachinger. Göppingen: Alfred Kümmerle (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 202). 1976. Erec: Hartman von Aue: Erec. Herausgegeben von Alberg Leitzmann. 5. Aufl., besorgt von Ludwig Wolff. Tübingen: Niemeyer (=Altdeutsche Textbibliothek). 1972. Schönbach: Anton Schönbach: Predigtbruchstücke. In: Zeitschrift für Deutsches Alterthum und Literatur (19), 181–208. 1867. Johannes von Tepl: Der Ackermann aus Böhmen. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Christian Kiening. Stuttgart: Reclam. 2000.
Die neuhochdeutsche Zeit: Die Mundarten Reuter, Fritz: (1863–1875) Sämtliche Werke, Achter Band, 11. Auflage. Wismar. Firmenich, Johannes Matthias (1865–66): Germaniens Völkerstimmen in drei Bänden, Berlin: Schlesische Buchhandlung. Kobell, Franz von: (1882) Gedichte in oberbayerischer Mundart 9. Aufl. Castelli, J. F. (1828): Gedichte in niederösterreichischer Mundart. Wien. Prechtl, Joh. B. (1850): Chronik der ehemals bischöflich freisingischen Grafschaft Werdenfels in Oberbaiern, mit ihren drei Untergerichten und Praffeien Garmisch, Partenkirchen und Mittenwald. Augsburg. Hartmann, August (um 1880): Bairische Volksschauspiele.
Die Mundarten in älterer Zeit Pondo, Georg: Die Griseldis (1590), Comoedia von Isaacs Heyrath (1590), Speculum puerorum (1596). Heinrich Julius (1593–1594): Dramen des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig (hsg. von Holland). Cuno, Johannes (1595): Ein schön christlich Action von der Geburt vnd Offenbarung vnseres Herrn vnd Heylandts Jhesu Christi. Magdeburg. Rollenhagen, Gabriel (1609): Amantes amentes. Magdeburg. Leseberg, Joachim (1610): Jesus dudecennis. Jesus Zwölff jahr alt. Helmstedt. Pfeffer, Marcus (1621): Esther. Wolfenbüttel. Rist, Johann: Irenaromachia (1630), Perseus (1634), Dem Friedejauchzenden Deutschland (1653). Widerabdruck der niederdeutschen Bestandteile von Gaedertz, Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung VII, S. 100ff. Gryphius, Andreas (1660): Geliebte Dornrose.
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C Quellenverzeichnisse
Bauernkomödien: Niederdeutsche Bauernkomödien des 17. Jahrhunderts, hsg. von H. Jellinghaus, Bibliothek des literarischen Vereins CXLVII. Hildegardis (1641): Hildegardis magnae comedia, hsg. von H. Bolte. In: Altpreußische Monatsschrift XXVII, S. 116. Klugheit der Obrigkeit (1705): Die Klugheit der Obrigkeit in Anordung des Bierbrauens, wurde auf gnädigste Erlaubniss des Hochgebohrnen Grafen und Herrn, Herrn Anthon Günthers [. . .] in folgender Operette vorgestellt [. . .]. In: Papst (1846), Programm des Gymnasiums zu Arnstadt für das Jahr 1846. Mutziger Protokoll (1746): Protokoll in Elsässischem Judendeutsch aus dem Gerichtsbuch des Rabbiners in Mutzig. Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Literatur von Elsaß-Lothringen XII, S. 169.
Frühneuhochdeutsche, vornehmlich literarische Quellen Abraham a Sancta Clara (1687): Judas der Erzt-Schelm. S. 1–25. Albertus (1550): Die Fabeln des Erasmus Albertus (Wetterauer; Abdruck der Ausgabe von 1550, von Braune). Albertinus, Aegidius (1615): Der Landstörzer Gusman von Alfarche, S. 1– 194. Ahlefeld (1617–1659): Geheimrath Detlev von Ahlefeldts Memoiren aus den Jahren 1617–1659, hsg. von Louis Bobé. Kopenhagen 1896, S. 1–73. Amadis (1569). Erstes Buch (nach der ersten deutschen Ausgabe von 1596, hsg. von A. Keller, Bibliothek des literarischen Vereins Bd. 40), S. 1–62, 125–191, 303–328. Breuning (1595): Hans Jacob Breunings von Buchenbach Relationen über seine Sendung nach England im Jahr 1595 (Bibl. des lit. Vereins Bd. 81), S. 1–60. Buchholz, A. H. (1693): Des christlichen Deutschen Königes Herkules und der Deutschen Königin Valiska Wunder-Geschichte. Ander Theil. Braunschweig, S. 1–50. Fischart, Johann (1575): Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtsklitterung(Neudrucke No. 63–71), S. 1–300. Gottsched, Johann Christoph (1742): Versuch einer kritischen Dichtkunst, dritte Auflage, Leipzig, S. 1–125. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1669): Simplicissimus Teutsch, S. 91–162.
C.2 Die in Kapitel 3 zitierten Quellen
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Happel (1691): E. G. Happel, Des Bayerischen Max oder sogenannten europäischen Geschichtsromans auf das 1691. Jahr dritter Teil. Ulm 1692.4 Harsdörffer, Georg Philipp (1656): Der große Schaup-Platz jämmerlicher Mordgeschichte. Zum drittenmahl gedruckt 1656. S. 1–130. Hoffstetter, Mathaeus (1611): Der edele Sonnenritter. Gießen.5 Krafft (1616): Reisen und Gefangenschaft Hans Ulrich Kraffts (1616 vollendet) (Bibliothek des literarischen Vereins Bd. 61), S. 5–48. Liselotte (1673–82): Briefe der Elisabeth Charlotte von Orleans, hgs. von L. Geiger, Stuttgart, Spemann, S. 16–40. Lohenstein, Kaspar von (1689–90): Arminius und Thusnelda, 1731, Bd. I, S. 1–27. Karl Ludwig (1657–1658): Schreiben des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz (Bibliothek des literarischen Vereins Bd. 167), S. 1–120. Musculus, Andreas (1555): Vom Hosenteufel (Neudrucke No. 125). Paumgartner (1582–1598): Briefwechsel Balthasar Paumgartner des Jüngeren mit seiner Gattin Magdalena (Bibliothek des literarischen Vereins Bd. 124), S. 1–67. Spangenberg, Cyriacus (1598): Von der Musica und den Meistersängern. (Bibliothek des literarischen Vereins Bd. 52), S. 1–60. Spener, Philipp Jacob (1695): Freudigen Gewissens Frucht. Berlin. Stretlinger Chronik (15. Jh.): Herausgegeben in der Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz Bd. I. Till Eulenspiegel (1519) (nach dem ersten Druck hsg. von Lappenberg), S. 1–100. Zimmersche Chronik: Zimmern, Froben Christof von: Zimmersche Chronik, urkundlich berichtet von Graf Froben von Zimmern, verfasst 1564– 66. Bd. II., S. 29–50. Zesen, Philipp von (1670): Assenat. S. 17–143. 4
5
Behaghel bemerkt zu diesem Werk auf S. 98: „Happel ist zu Marburg i/H. geboren; aber das vorliegende Werk rührt gar nicht von ihm her, sondern hat bloß seinen angesehenen Namen als Aushängeschild benützt.“ Es ist demnach dem Konjunktiv-I-Gebiet zuzuordnen. Auf S. 109 bemerkt Behagel (1899) zur Heimatmundart Hofstetters, dass dieser aus Landsberg in Bayern stammt. Landsberg liegt am rechten Ufer des Lech, also im bairischen Dialektraum. Behaghel ordnet Hoffstetter in die Gruppe der Schriftsteller ein, deren Heimatmundart den Konjunktiv II verwendet. Er bezeichnet diese Einordnung jedoch selbst als „zweifelhaft“, da der Verlauf der „für uns in Betracht kommende[n] syntaktische[n] Grenze“ (Behaghel 1899, S. 110), d. h. der Verlauf der Grenze zwischen dem Konjunktiv-I- und dem Konjunktiv-II-Gebiet, nicht bekannt ist.
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C Quellenverzeichnisse
C.2.b) Quellen aus Guchmann (1981) Der erste Zeitraum 1470–1530 ChrA1 : Cronica newer geschichten von Wilhelm Rem (1512–1527). In: Die Chroniken der deutschen Städte (Augsburg), Bd. 25. Leipzig 1896. S. 3– 265. ChrA2 : Die Chronik des Augsburger Malers Georg Preu des Älteren (1512–1537). In: Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 29. Leipzig 1906. S. 18–83. ChrM: Chronik von alten Dingen der Stadt Mainz (Mitte 15. Jh.). In: Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 17, Leipzig 1881. S. 326–343. ChrSp: Denkwürdigkeiten des Hallischen Rathsmeisters Spittendorff (um 1480). Bearb. v. Julius Opel. Halle 1880, (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 11). S. 1–17 und 18–34. DlK: Karsthans (1521). In: Die Reformation im zeitgenössischen Dialog. Bearb. und eingel. von Werner Lenk. Berlin 1968, S. 67–90, DlVS: Eynn Dialogus ader gesprech zwischen einem Vatter vnnd Sun dye Lere Martini Luthers . . . belangende (1523). In: Die Reformation im zeitgenössischen Dialog. Bearb. und eingel. von Werner Lenk. Berlin 1968. S. 151–167. FprA: Ein Stockholmer mittelniederdeutsches Arzneibuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Agi Lindgren. Stockholm, Göteborg, Uppsala 1967. S. 91–110. (= Stockholmer Germanistische Forschungen. 5 ). FprBr: Das Buch der Cirurgia des Hieronymus Brunschwig (1497). Begleit-Text von Gustav Klein. München 1911. S. 13–30 und 30–39. FprFr: Fabian Frangk, Orthographia (1531). In: Johannes Müller, Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichtes. Gotha 1882. S. 92–110. RsFab: Felix Fabri, Geistliche Pilgerfahrt (1492). In: Deutsche Pilgerreisen Nach dem Heiligen Lande. Hrsg. und erl. von Reinhold Röhricht und Heinrich Meisner. Berlin 1880. S. 278–296. RsHirsch: Des Ritters Bernhard von Hirschfeld im Jahre 1517 unternommene und von ihm selbst beschriebene Wallfahrt zum heiligen Grabe. Hrsg. von A. von Minckwitz. In: Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig. Bd. 1. Leipzig 1856. S. 31–60. TrCh: Berthold von Chiemsee, Tewtsche Theologey (1527). Neu hrsg. von Wolfgang Reithmeier. München 1852. S. 9–23 und 25–41.
C.2 Die in Kapitel 3 zitierten Quellen
581
TrM: Thomas Müntzer, Hochverursachte schutzrede und antwwort wider das gaistioße, sanfftlebende fleysch zu Wittenberg (1524). In: Thomas Müntzer, Politische Schriften, Manifeste, Briefe 1524/25. Eingeleitet, kommentiert und hrsg. von Manfred Bensing und Bernd Rüdiger. Leipzig 1973. S. 142–162. TrZw: Huldrich Zwingli, Von Freiheit der Speisen (1522). Hrsg. von Otto Walther. Halle/Saale. 1900. S. 3–20. VbEu: Till Eulenspiegel. Abdruck der Ausgabe vom Jahre 1515. Hrsg. von Hermann Knust. Halle/Saale. 1884. S. 5–29. VbF: Fortunatus. Nach dem Augsburger Druck von 1509. Hrsg. von Hans Günther. Halle/Saale. 1914. S. 6–26. VbKop: Eyne schone historie van twen kopluden vnde eyner thuchtigen framen frauwen (um 1493). In: Josef Raith, Die Historie von den vier Kaufleuten. Leipzig 1936. S. 65–77. VbPSl : Pontus und Sidonia in der Verdeutschung eines Ungenannten aus dem. 15. Jahrhundert. Hrsg. von Karin Schneider. Berlin 1961. S. 45– 155. (= Texte des späten Mittelalters 14). VbPS2 : Pontus und Sidonia in der Übersetzung der Erzherzogin Eleonore von Österreich. Handschrift Gotha, Char. A 590 (Handschrift geschrieben 1465 von Nikolaus Huber, Priester in der Diözese Brixen). S. 1–10 und 22–32. VbSM: Salomon und Markolf, o. J. (um 1495), o. O. u. J. (Leipzig, C. Kacheloven, 14 Bl. (Nach der Fotokopie des Exemplars aus der UnivBibl. Leipzig.) S. 1–13. VbTr2 : Historie von der vorstorynge der stat Troye. Ein mittelniederdeutsches Volksbuch. Textausgabe mit einer sprachlichen Einleitung von Gunver Krogerus. Helsingfors 1951. S. 75–90.
Der zweite Zeitraum 1670–1730 BiAbrl : Abraham a Sancta Clara, Auf, auf ihr Christen (1683). Wien 1883. S. 27–47 und 21–32. BiAbr2 : Neun neue Predigten von Abraham a Sancta Clara. Hrsg. von Karl Bertsche. Halle/Saale. 1930. BiG: Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift, Erster Theil. Halle 1748. S. 49–64 und 205–208. BiSch: Johann Balthasar Schupp, Der Freund in der Not. Abdruck der ersten Ausgabe (1657). Hrsg. von Wilhelm Brauen. Halle/Saale. 1878. S. 3–20. BrBo: s. BrSulz
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C Quellenverzeichnisse
BrEl: Briefe der Prinzessin Elisabeth Charlotte von Orleans an die Raugräfin Louise, 1676–1722. Hrsg. von Wolfgang Menzel. Stuttgart 1843. S. 6–27. BrGel: Briefe von Gelehrten aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts. Tartu 1973. (= Publicationes bibliothecae universitatis litterarum Tartuensis 1). BrSulz: Briefe der Schweizer Bodmer, Sulzer, Geßner, Aus Gleims literarischem Nachlasse. Hrsg. von Wilhelm Körte. Zürich 1804. S. 5–41. FprBr: Johann Jacob Breitinger, Critische Dichtkunst. Zürich 1740. RoBl : Johann Beer, Printz Adimantus und der Koniglichen Princessin Ormizella Liebes-Geschicht. Halle/Saale. 1678. RoGrC: Grimmelshausens Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi oder Schluß desselben. Hrsg. von J. H. Scholte. Halle/Saale 1939. (= Neudrucke dt. Literaturwerke 310–314). S. 6–12 und 25–42. RoHap: Eberhard Werner Happel, Der Academische Roman. Ulm 1690. RoR: Christian Reuter, Schelmuffsky. 2., verb. Aufl. Abdruck der Erstausgaben (1696–1697) im Parallel-Druck. Hrsg. Wolfgang Hecht. Halle/Saale. 1956. S. 7–24, RoZig: Heinrich Anselm von Zi(e)gler und Kliphausen, Asiatische Banise. Hrsg. von Felix Bobertag. Berlin, Stuttgart 1883. S. 35–53.
C.2.c ) Quellen aus Fernandez-Bravo (1980) Grimmelshausen Urfassung: Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1954): Simplicissimus Teutsch. Hg. J. H. Scholte. 3. Aufl. Tübingen (Urfassung 1669).
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