Rede und Unendlichkeit: Modelle der Religionskommunikation zwischen Literatur, Rhetorik und Predigt bei Friedrich Schleiermacher 9783110640960, 9783110639421

Schleiermacher’s religious writings and sermons are both a theoretical unfolding and literary-rhetorical perfection of r

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German Pages 215 [216] Year 2021

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
I Fragliche Rede. Herausforderungen für Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne – Einleitung
II ‚Darstellung und Verweis‘. Friedrich Schleiermachers Reden
III ‚Erbauung und Edukation‘. Friedrich Schleiermachers Predigten
IV ‚Darstellung und Verweis‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee
V Bildung des Individuums. Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs
VI ‚Hypersensible Medialität‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800
VII Rede und Unendlichkeit. Schleiermachers Beitrag zu einer Theologie religiöser Rede in der Spätmoderne – Zusammenfassende Schlussthesen
Quellenverzeichnis
Sekundärliteratur
Index
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Rede und Unendlichkeit: Modelle der Religionskommunikation zwischen Literatur, Rhetorik und Predigt bei Friedrich Schleiermacher
 9783110640960, 9783110639421

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Mirjam Sauer Rede und Unendlichkeit

Schleiermacher-Archiv

Herausgegeben von Notger Slenczka und Andreas Arndt, Jörg Dierken, Lutz Käppel, André Munzinger

Band 29

Mirjam Sauer

Rede und Unendlichkeit Modelle der Religionskommunikation zwischen Literatur, Rhetorik und Predigt bei Friedrich Schleiermacher

Die Erstellung und Veröffentlichung der Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – 250805958 / GRK2041 gefördert.

ISBN 978-3-11-063942-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064096-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064076-2 ISSN 1861-6038 Library of Congress Control Number: 2021933487 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Für Johannes, Emma und Moritz

Vorwort Unter dem Titel Religionskommunikation. Friedrich Schleiermachers „Reden“ und Predigten um 1800 wurde der hier in Überarbeitung vorliegende Text im Januar 2018 bei der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation eingereicht. Den Weg, den ich von der ersten Idee bis zu diesem Moment gegangen bin, habe ich nicht alleine bewältigt. Mein besonderer Dank gilt meiner geschätzten Doktormutter Prof. Dr. Miriam Rose, die mir als wissenschaftliche Mitarbeiterin an ihrem Lehrstuhl die ersten Schritte im Bereich akademischer Forschung und Lehre ermöglichte. Sie hat mir als präzise Wissenschaftlerin, innovative Denkerin und professionelle akademische Wegweiserin so manche Türe zu neuen geistigen Räumen aufgestoßen. Die an ihrem Lehrstuhl praktizierte Wissenschaftskultur ist mir beispielhaft geworden und bis heute empfinde ich es als Geschenk, sie als Gesprächspartnerin zu haben. Das DFG-Graduiertenkolleg Modell ‚Romantik‘ wurde zur akademischen Heimat der intensiven Arbeit an dem mit diesem Buch abgeschlossenen Projekt. Die vielfältigen Anregungen interdisziplinärer Provenienz durch die beteiligten BetreuerInnen und KollegInnen haben mich in unterschiedlicher Hinsicht gefördert und inspiriert. Hier wurde modellhaft deutlich, wie Interdisziplinarität eine konstruktive wissenschaftliche Praxis sein kann. Diesem Kreis zugehörig ist Prof. Dr. Dirk von Petersdorff, dem ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine Beteiligung am Promotionsverfahren zu großem Dank verpflichtet bin. In Marburg wurde mir im Arbeitskreis Systematisch-theologische Predigtforschung ein weiterer Ort akademischen Austausches zugänglich gemacht.Viele kluge Hinweise und manch produktives Zweifeln sind von dort in mein Denken geflossen. Dies betraf in besonderer Weise auch die Überarbeitung meines Manuskripts. Ich darf mich glücklich schätzen, dass Prof. Dr. Claus-Dieter Osthövener als intimer Kenner der Aufklärung und deren Predigtkultur mir wertvolle Hinweise und bisweilen bedenkenswerten Widerspruch zuteilwerden ließ. Für die Korrekturarbeiten an der Erstfassung gilt Dr. Hendrick Heimböckel, Kerstin Krauß, Dr. Lisanne Teuchert und Katharina Wörn mein großer Dank.Wohl der, die solche akademische WegbegleiterInnen hat! Auf Seiten des Verlags danke ich den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe Schleiermacher-Archiv sowie Eva Frantz für die verlegerische Begleitung der Publikation, das Korrektorat war in den Händen von Cordula Hubert gut aufgehoben. Mitgetragen und, wo es nötig war, auch ertragen hat mein wissenschaftliches Ansinnen stets meine Familie: meine Eltern und Schwestern mit ihren PartnerInnen sowie mein Mann und meine Kinder. Diese Familie ist Ort geselliger und kontroverser Kommunikation, nicht nur, aber auch die Religion betreffend. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

https://doi.org/10.1515/9783110640960-001

Inhalt Abkürzungsverzeichnis

XI

I

Fragliche Rede. Herausforderungen für Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne – Einleitung 1

II   .

‚Darstellung und Verweis‘. Friedrich Schleiermachers Reden 9 Redekultur um 1800 9 12 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation Fraglichkeit der Rede in religions- und bildungstheoretischer 12 Perspektive Affekt, Deutung und Unendlichkeit 13 Religionsaffine Bildung 22 34 Intersubjektivität und resonante Rede Religiöse Geselligkeit 35 39 Schrift, Sprache und Bild 51 Literarischer Vollzug von Religionskommunikation Konstruierte Kommunikationssituation und doppelte 51 Redestrategie Mittler und Fähige 52 Kritik und Affirmation 60 66 Hybride Gestalt literarischer Rede Selbstreflexive Medialität 67 73 Literarische Rede Rede als ‚Darstellung und Verweis‘ 77

.. .. . .. ..  . .. .. . .. ..  III    . .. .. .. . .. .. .. 

81 ‚Erbauung und Edukation‘. Friedrich Schleiermachers Predigten Predigtkultur um 1800 81 Herausforderungen systematisch-theologischer Predigtanalyse 84 Friedrich Schleiermachers Predigten über Gottesdienst und Gebet 88 „Der Wert des öffentlichen Gottesdienstes“ 93 Historische Einordnung 93 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation 95 Rhetorischer Vollzug von Religionskommunikation 103 „Die Kraft des Gebetes“ 107 Historische Einordnung 107 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation 109 Rhetorischer Vollzug von Religionskommunikation 114 Rede als ‚Erbauung und Edukation‘ 116

X

Inhalt

IV

‚Darstellung und Verweis‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee 120

V

Bildung des Individuums. Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs 124 Briefkultur um 1800 126 Friedrich Schleiermacher an Henriette Herz am 15. Februar 1799 128 Theoretische Entfaltung von Kommunikation 129 Schriftlicher Vollzug von Kommunikation 129 Friedrich Schleiermacher an Charlotte Schleiermacher am 23. März 131 1799 Theoretische Entfaltung von Kommunikation 131 Schriftlicher Vollzug von Kommunikation 132 133 Schreiben als Bildung des Individuums

  . .  . .  VI  . . .  . . . 

VII

‚Hypersensible Medialität‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800 137 ‚Unendlichkeit erschreiben‘. Rede und Unendlichkeit im literarischen 138 Umfeld von Friedrich Schleiermachers Reden Emphatische Utopie. Novalis’ „Die Christenheit oder Europa“ 142 Metadiskurs und Vollzug. Friedrich Schlegels „Gespräch über Poesie“ 146 ‚Hypersensible Medialität‘ als Modell 149 ‚Erbauung und Edukation‘. Unendlichkeit und Rede im homiletischen Umfeld der Predigten Friedrich Schleiermachers 151 „Die […] Verehrung Gottes“. Franz Volkmar Reinhard 153 „Das Gebet“. Franz Volkmar Reinhard 160 ‚Erbauung und Edukation‘ als Modell 166 Modellhafte Religionskommunikation zwischen Aufklärung und Romantik 168 Rede und Unendlichkeit. Schleiermachers Beitrag zu einer Theologie religiöser Rede in der Spätmoderne – Zusammenfassende 176 Schlussthesen

Quellenverzeichnis Sekundärliteratur Index

203

185 189

Abkürzungsverzeichnis KFSA KGA SpKA WA

Friedrich Schlegel. Kritische Ausgabe seiner Werke. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe. Johann J. Spalding. Kritische Ausgabe. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimarer Ausgabe.

https://doi.org/10.1515/9783110640960-002

I Fragliche Rede. Herausforderungen für Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne – Einleitung An der Schwelle zur Moderne¹ ereignen sich komplexe Transformationsprozesse, die auf alle Lebensbereiche des Menschen nachhaltigen Einfluss ausüben. Ursächlich dafür ist ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, wozu zweifelsohne an exponiertester Stelle die Aufklärung und die Französische Revolution² gehören. Im zeitgenössischen Echo wird besonders Letztere als markanter Einschnitt empfunden.³ Um 1800 werden existentielle Referenzgrößen menschlichen Seins und Handelns sowohl konzeptionell als auch institutionell hinterfragt. In der Welt der Wissenschaften, die sich in dieser Zeit zunehmend professionalisieren,⁴ schlagen sich diese Veränderungen sowohl in Form einer emanzipierten Philosophie nieder, die zunehmend einen Antipol zur akademischen Theologie darstellt, als auch im Siegeszug der Naturwissenschaften. Im akademischen wie auch im gesellschaftlichen

 Über den konstruierten Charakter solcher Kategorien besteht weitestgehend Konsens, ohne sie jedoch komplett preisgeben zu wollen. Bezüglich der literarischen Moderne äußert dieses Bewusstsein: Manfred Engel, „Wir basteln uns eine Großepoche: Die literarische Moderne,“ in Literaturgeschichte: Theorien – Modelle – Praktiken, hg. v. Matthias Buschmeier, Walter Erhart und Kai Kauffmann, Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 138 (Berlin: Walter de Gruyter, 2014) 246 – 264, 247. Bonacker/Reckwitz sprechen in soziologischer Perspektive von der Moderne als „Beobachtungskategorie“, wodurch besonders ein heuristisches Interesse in der Begriffsverwendung deutlich wird.Vgl.: Thorsten Bonacker und Andreas Reckwitz, „Das Problem der Moderne: Modernisierungstheorien und Kulturtheorien,“ in Kulturen der Moderne: Soziologische Perspektiven der Gegenwart, hg. v. dens. (Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2007), 7– 18, 7.  Hiermit ist im Besonderen der Zeitraum von 1789 bis 1799 im Sinne einer Dekade als Französische Revolution zu begreifen. Vgl. Susanne Lachenicht, Die Französische Revolution (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 20162), 10.  Das Bild einer ereignishaften Zeitenwende ist in geschichtswissenschaftlicher Perspektive einer differenzierteren Betrachtung der Revolution gewichen. Diese wird als Ergebnis unterschiedlicher demographischer, ökonomischer und politischer sowie kultureller und philosophischer Entwicklungen auch in transnationaler Perspektive eingeordnet. Vgl.: Simon Burrows, „Books, Philosophy, Enlightenment,“ 74– 91; Lauren R. Clay, „The Bourgeoisie, Capitalism, and the Origins of the French Revolution,“ 21– 39; Annie Jourdan, „Tumultuous Contexts and Radical Ideas (1783 – 89): The ‘PreRevolution’ in a Transnational Perspective,“ 109 – 127, alle in The Oxford Handbook of the French Revolution, ed. David Andress (Oxford: Oxford University Press, 2015). Gleichzeitig wird die Revolution in ihrer Wirksamkeit verstärkt als Momentum verstanden, das sich nicht nur auf Europa, sondern auf die „atlantische Welt“ erstreckt und das zu den nachfolgenden Entwicklungen sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität zu verorten ist. Vgl.: David A. Bell, „Global Conceptual Legacies,“ 642– 658; Jennifer Ngaire Heuer, „Did Everything Change? Rethinking Revolutionary Legacies,“ 625 – 641; beide in The Oxford Handbook of the French Revolution, ed. David Andress (Oxford: Oxford University Press, 2015); Lachenicht, Die Französische Revolution, 124.  Vgl. Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland 1740 – 1890 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984). https://doi.org/10.1515/9783110640960-003

2

I Fragliche Rede

Diskurs findet eine Verschiebung statt. Was ist die Welt? Was ist der Mensch? Und wie stehen diese Größen im Verhältnis zueinander? Diesen Fragen wird nun mit deutlicher Akzentverlagerung nachgegangen: unter Infragestellung und auch losgelöst von metaphysischen Referenzgrößen. Der sich an der Schwelle zur Moderne abzeichnende Paradigmenwechsel stellt den Menschen als verantwortliches Subjekt in den Mittelpunkt. Auch die Entstehung und Entwicklung des Religionsbegriffs in Deutschland durch die Aufklärung lässt sich aus dieser Perspektive verstehen. Das anthropologische Phänomen der Religion tritt in Konkurrenz zu einem streng theologischen Offenbarungskonzept. Maßgeblich für die Entwicklung eines elaborierten Religionskonzeptes ist die europäische Aufklärungstheologie. Typologisierend wurden in der theologischen Aufklärungsforschung drei Phasen der Aufklärungstheologie voneinander unterschieden. Demnach stellt eine frühe Form der Aufklärungstheologie die sogenannte Übergangstheologie⁵ dar. Als Hauptformen können die Neologie und der theologische Rationalismus voneinander unterschieden werden. Sie sind jeweils von divergierenden Bedingungen geprägt. Während in der Übergangstheologie vor allem die Kritik und Angleichung der Lehrbestände der altprotestantischen Orthodoxie im Mittelpunkt stehen, wird in der Neologie die Vorstellung einer natürlichen Religion zum Ausgangspunkt der Reflexion biblischer Lehrbestände. In der dritten Phase, dem theologischen Rationalismus, werden schließlich die theologischen Vorstellungen im Sinne von Vernunftwahrheiten entwickelt, wobei hier die durch Kant angeregten Fragestellungen und Diskurse den Rahmen der Debatten bilden.⁶ Jenseits dieser Typologisierung wird im Anschluss an Positionen der britischen Aufklärungsforschung⁷ zunehmend die Bedeutung der Frühaufklärung für die weitere

 Der Begriff der Übergangstheologie ist umstritten. U. Barth verwendet ihn ohne Problematisierung: vgl. Ulrich Barth, „Religion in der europäischen Aufklärung: England, Frankreich, Deutschland,“ in Kritischer Religionsdiskurs, hg. v. dems. (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 77– 96, 91. Sparn will diesen durch den Begriff der „eklektischen Theologie“ ersetzen: Vgl. Walter Sparn, „Auf dem Weg zur theologischen Aufklärung in Halle: Von Johann Franz Budde zu Siegmund Jakob Baumgarten,“ in Zentren der Aufklärung. Bd. 1, Halle: Aufklärung und Pietismus, hg. v. Norbert Hinske,Wolfenbüttler Studien zur Aufklärung 15 (Heidelberg: Schneider, 1989), 71– 89, 72. Schäufele plädiert ebenso für den Verzicht auf den Begriff: vgl.Wolf-Friedrich Schäufele, Christoph Matthäus Pfaff und die Kirchenunionsbestrebungen des Corpus Evangelicorum 1717 – 1726, Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz 172 (Mainz: P. von Zabern, 1998), 4– 10. Beutel sieht darin schließlich eine nicht unproblematische Verlegenheitslösung, welche er jedoch mangels einer passenderen begrifflichen Beschreibung beibehält. Er verhandelt diese Übergangstheologie neben der Physikotheologie, dem Pietismus und Christian Wolff samt Schule unter der Kategorie „Frühformen“. Vgl. Albrecht Beutel, Aufklärung in Deutschland, Die Kirche in ihrer Geschichte 4 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 234.  Vgl.: Beutel, Aufklärung in Deutschland, 232– 305; Barth, „Religion in der europäischen Aufklärung,“ 91.  Vgl. Jonathan Israel, Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity 1650 – 1750 (Oxford: Oxford University Press, 2001); Isabel Rivers, Reason, Grace and Sentiment: A Study of the Language of Religion and Ethics in England (1660 – 1780), 2 Volumes (Cambridge: Cambridge University Press, 2000).

I Fragliche Rede

3

Theoriebildung der Zeit hervorgehoben. Für die theologische Aufklärungsforschung wird hierbei geltend gemacht, dass ein angemessenes Verständnis der gemeinhin als klassische Vertreter angesehenen Autoren wie Friedrich Wilhelm Jerusalem, Johann Salomo Semler und Johann Joachim Spalding ohne die Erforschung von Johann Franz Buddeus, Alexander Gottlieb Baumgarten und Johann Lorenz von Mosheim nicht gelingen kann. Hinzu komme die Notwendigkeit, die Aufklärung im europäischen Horizont und hier auch jenseits von England, Frankreich und Deutschland zu beleuchten.⁸ Bei Johann Salomo Semler, der neben Johann Joachim Spalding maßgeblich für die Entwicklung des Religionsbegriffes in der deutschen Aufklärungstheologie steht, erfährt der Religionsbegriff eine wichtige und differenzierte Entfaltung, wobei der Ausdruck ‚Religion‘ keineswegs eine Erfindung der Aufklärung ist, sondern bereits in der vorneuzeitlichen Geschichte existiert. Im europäischen Kontext sind unter anderem John Locke und Edward Herbert von Cherbury ebenso Geburtshelfer eines modernen Religionsbegriffes wie Voltaire.⁹ Im Jahr 1786 erscheint Semlers zweite große Publikation, die den Titel Über historische, gesellschaftliche und moralische Religion der Christen¹⁰ trägt. Sie präzisiert seine bereits vorher formulierte Differenzierung von einerseits historischer, moralischer und gesellschaftlicher und andrerseits öffentlicher und privater Religion. Die Funktion dieser Differenzierung besteht unter anderem in der Anleitung fähiger und mündiger Christen zu einer in Freiheit vonstatten gehenden Überprüfung der Religionsbestände, welche mittels der Ausprägung einer dieser Überprüfung entsprechenden privaten Sprache die Privatreligion und durch sie auch das Christentum im Sinne einer öffentlichen Religion befördern solle.¹¹ Indem Semler die individuelle Aneignung der objektiven Religionsbestände in der Privatreligion an die Entwicklung einer ebenso privaten Sprache bindet, wird bei ihm sichtbar, wie das Problem des Ausdrucks von Religion in der Aufklärungstheologie thematisiert wird. Die traditionelle dogmatische Rede, die über Jahrhunderte die theologische Tradition bestimmt hat, wird fraglich.Wird Religion zunehmend als anthropologisches Phänomen subjektiver Natur gefasst, kann auch die ihr korrelierende Rede dementsprechend nicht dogmatisch vorgegeben werden. Religiöse Rede wird damit zum Problem, das auf einer neuen erkenntnistheoretischen Grundlage religionstheoretisch reflektiert werden muss.

 Vgl. Claus-Dieter Osthövener, „Schleiermachers kritisches Verhältnis zur theologischen Aufklärung,“ in Aufgeklärte Religion und ihre Probleme, hg. v. Ulrich Barth (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2013), 513 – 541, 514.  Vgl. Ulrich Barth, „Religion in der europäischen Aufklärung,“ 78 – 95.  Johann Salomo Semler, „Ueber historische, gesellschaftliche und moralische Religion der Christen (1786),“ in Religionsgeschichte der frühen Neuzeit, Bd. 10, hg. v. Dirk Fleischer (Nordhausen: Bautz, 2009).  Vgl. Marianne Schröter, Aufklärung durch Historisierung: Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums, Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 44 (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2011), 29.

4

I Fragliche Rede

In der „Religionsphilosophischen Sattelzeit der Moderne“¹² verdichten sich schließlich die theologischen Verständigungsprozesse im Pantheismusstreit von 1785, dem Atheismusstreit von 1798/99¹³ und dem Theismusstreit von 1811/1812. Den Kern dieser Diskussionen bildet auf der Sachebene die Frage nach einem angemessenen Gottesgedanken und dem diesem zu Grunde liegenden erkenntnistheoretischen Fundament. Gleichzeitig wird hier jedoch um menschliche existentielle Lebens- und Weltdeutungskonzepte gerungen, vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesellschaft. An ihnen kann exemplarisch die Verständigung der „Moderne über sich selbst im Medium ihres Verhältnisses zur Religion“¹⁴ verfolgt werden, so dass der Erörterung dieser genuin theologischen Fragen eine modernespezifische Signatur anhaftet. Während in den genannten Debatten letztlich weiterhin mit philosophischtheologischen Argumentationsmustern und mit demzufolge kognitiven Mitteln versucht wird, eine vor den Bedingungen der Moderne plausible Weltdeutung zu entfalten, erweitert die Romantik ihr Erkenntnisinstrumentarium um die Literatur und die Poesie und steht damit sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität zur Aufklärung. Sie sucht eine Bewältigung der Frage nach einem sinnstiftenden Gesamtzusammenhang auch mittels Literatur. Die fraglich gewordene Rede findet in ihr ein neues Medium. Produktiver Ausgangspunkt für die Arbeiten der Frühromantiker sind weiterhin der skizzierte gesellschaftliche Relevanzverlust religiöser Metaerzählungen und die Kritik eines Zugangs zu metaphysischen Fragestellungen durch die theoretische Vernunft. Damit sind ihre Arbeiten durch einen affirmativen Anschluss an Kant gekennzeichnet, insofern sie die erkenntnistheoretische Unhintergehbarkeit von Subjektivität und die Neubegründung der Metaphysik anerkennen. Gleichzeitig besteht ihr Projekt in „einer sprachlich künstlichen Fortschreibung der von der Aufklärung kaum mehr zu leistenden einheitlichen, umfassenden Sinnstiftung“¹⁵. Diese Erkundung von Sinnelementen und diese Einheitsstiftung geschehen nicht mehr nur in vernunfttheoretischen Abhandlungen, sondern werden im Spiel mit literarischen Formen fortgeführt. Mit dem Medium fragmentarischer Gedankenführung, durch die Poesie und die märchenhafte Narration schaffen sie innovative Sprachformen, um das

 Walter Jaeschke, „‚Um 1800‘: Religionsphilosophische Sattelzeit der Moderne,“ in Philosophischtheologische Streitsachen: Pantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit, hg. v. Georg Essen und Christian Danz (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012), 7– 92, 7.  Vgl. zu Pantheismusstreit und Atheismusstreit: Kap II.2.1.1.  Georg Essen und Christian Danz, Philosophisch-theologische Streitsachen: Pantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012), 3.  Stefan Matuschek und Sandra Kerschbaumer, „Romantik im Modell,“ in Aufklärung und Romantik: Epochenschnittstellen, hg. v. Daniel Fulda, Stefan Matuschek und Sandra Kerschbaumer (Paderborn: Wilhelm Fink, 2015), 141– 155, 142. Hervorgehoben wird hier, dass einerseits die in Deutschland im Anschluss an Luhmann arbeitende Literaturwissenschaft und andrerseits die angelsächsische Philosophie – besonders Charles Taylor – trotz unterschiedlicher disziplinärer Verortung in dieser Einschätzung der Romantik übereinkommen.

I Fragliche Rede

5

‚Unendliche zu erschreiben‘¹⁶. Einend ist allen, dass sie eine spezifische Sensibilität für ihr eigenes Medium, die Sprache, entwickeln und diese in ihre literarische Wirksamkeit integrieren. Die Sprache und die Literatur werden damit in besonderer Weise zum Ausdrucksmittel für ein geändertes Weltverhältnis des Menschen. Eng verknüpft mit der Frage nach einem der Moderne angemessenen Welt- und Unendlichkeitsbezug des Menschen, wie er in der aufklärerischen Neubegründung des Religionskonzeptes und den philosophisch-theologischen Konflikten um 1800 sichtbar wird, ist damit auch die Frage nach den Mitteln, die einem solchen Verhältnis Ausdruck verleihen. Bei Semler wird im Zuge der Formulierung seiner Religionstheorie auch Sprache als Medium dieser Religion thematisiert, innovativ wird der Unendlichkeitsbezug als literarischer Vollzug und dessen Reflexion bei den Frühromantikern im Sinne einer Literaturprogrammatik integriert. Dies geschieht auch mit dem Mittel literarischer Rede. Es zeigt sich, dass der Plausibilitätsverlust theologischer Gewissheiten in Aufklärung und Romantik keineswegs zum Kollaps der Religion führt, sondern produktives Potential freisetzt, das besonders Sprache und Literatur als Medien der Stabilisierung bzw. Wiederherstellung einer verlorenen Ganzheit entdeckt. Insofern können die skizzierten aufklärerischen und frühromantischen Bestrebungen als eine spezifische Form der engen Verschränkung von Modernisierung der Religion und deren Rhetorisierung verstanden werden, wie sie Markus Buntfuß im Anschluss an Hans Blumenberg konstatiert.¹⁷ An den avantgardistischen Aufbrüchen junger Intellektueller um 1800 ebenso wie am geistigen Erbe der Aufklärung partizipiert Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Bei ihm finden beide angesprochenen Problemkomplexe, der religionstheoretische und der kommunikationstheoretische, eine programmatische Bearbeitung. Dies geschieht bei ihm sowohl in der Gestalt einer theoretischen Entfaltung von Religion und deren Ausdrucksweisen als auch in Form eines rhetorischen und literarischen Vollzugs. Schleiermachers Programm von Religionskommunikation geht diese Arbeit in seiner zweifachen Gestalt nach: Sie fragt, wie in theoretischer Hinsicht ein Konzept von Religionskommunikation entfaltet wird, und untersucht die jeweiligen Texte jeweils als literarischen, rhetorischen und homiletischen Vollzug von Religionskommunikation. Die Erstauflage seiner Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern ¹⁸ aus dem Jahr 1799 und ausgewählte Predigten aus dem Zeitraum zwischen

 Vgl. Kap. V.1.  Vgl. Markus Buntfuß, „‚Moderne Religion‘ als Antwort auf die ‚rhetorische Situation‘ des neuzeitlichen Christentums,“ in Rhetorik, Bd. 34, Rhetorik und Religion, hg. v. Philipp Stoellger (Berlin: Walter de Gruyter, 2015), 143 – 153, 151.  Friedrich Schleiermacher, „Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799),“ in Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, KGA Abt. I Bd. 2, hg. v. Günter Meckenstock (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1984), 185 – 326. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird diese Religionsschrift Schleiermachers mit dem kursiv gesetzten Begriff Reden abgekürzt. Kursiv werden auch alle anderen Titel gesetzt.

6

I Fragliche Rede

1796 und 1802¹⁹ werden auf deren Bearbeitung der Infragestellung eines Verhältnisses von Rede und Religion, als ein Antwortversuch auf die notwendige Neujustierung der Artikulationsformen für Unendlichkeit und Transzendenz gelesen. Dieser umfassende Antwortversuch wird in der vorliegenden Arbeit allgemein mit dem Begriff Religionskommunikation bezeichnet. Dass das Programm von Religionskommunikation sowohl in einer bestimmten rhetorischen als auch literarischen Gestalt theoretisiert wird, ist kein Zufall. Vielmehr handelt es sich bei der Verschränkung dieser Aspekte um eine konzeptuelle Aussage, die es zu berücksichtigen gilt. Die vorliegende Studie bündelt einerseits bisherige Erkenntnisse zu theoretischer Entfaltung und praktischem Vollzug von Religionskommunikation bei Schleiermacher und leistet andrerseits einen Beitrag zu Schließung einer Lücke, indem sie beides auf ihren Zusammenhang hin untersucht.²⁰ Der Grund für diese Lücke in der sonst sehr gut aufgestellten Erforschung der Reden mag am disziplinären Zuschnitt des Faches liegen, das sich in der Regel exklusiv mit den Theoriekonzepten innerhalb bestimmter Texte beschäftigt und deren Gestalt nicht oder nur peripher im Modus einleitender Bemerkungen wahrnimmt.²¹ Ein solches Vorgehen stößt jedoch bei den Reden insofern an seine Grenzen, als es das innovative Potential der spannungsreichen Integration von Form und Inhalt zu einer Kommunikationsprogrammatik nicht ausschöpfen kann. Das theoretische Konzept der Religionskommunikation Schleiermachers erschließt die praktisch-theologische Arbeit Martina Kumlehns²², die im Blick auf das Gesamtwerk Schleiermachers mit dem Leitbegriff des Symbolisierenden Handelns arbeitet. Als eine Kritik des Atheismusstreits, in dem er eine misslungene Gestalt der

 Diese Eingrenzung ist jedoch nicht im Sinne einer Werkperiodisierung zu verstehen, wie sie bei Dilthey für die Jahre 1796 – 1802 oder Herms für die Jahre 1797– 1804 vorgenommen wird. Vgl.: Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers (1870), Bd. I/1, 1768 – 1802, hg. v. Martin Redeker (Berlin: Walter de Gruyter, 1970), 182; Eilert Herms, Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher (Gütersloh: Mohn, 1974), 165. Vielmehr bildet sie das zeitliche Fenster, innerhalb dessen nach thematisch geeigneten Predigten gesucht wird. Insofern wird hierbei die biographische Schwelle berücksichtigt.  Dieses Desiderat formuliert für die Reden Buntfuß, „‚Moderne Religion‘,“ 147.  Eine Ausnahme hiervon stellen die Arbeiten Klaas Huizings dar, der unter dem Titel einer „Ästhetischen Theologie“ ein explizites Interesse an literarischen Formen der Theologie artikuliert. Vgl. Klaas Huizing, Ästhetische Theologie: Der erlesene Mensch – der inszenierte Mensch – der dramatisierte Mensch (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2015); zu Schleiermachers Monologen und der Weihnachtsfeier vgl.: Ders., „Schleiermachers ursprüngliche Einsicht: Über literarische Formen der Theologie,“ in Der Mensch und seine Seele: Bildung – Frömmigkeit – Ästhetik. Akten des Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Münster, September 2015, hg. v. Arnulf von Scheliha u. Jörg Dierken, Schleiermacher-Archiv 26 (Berlin: Walter de Gruyter, 2017), 9 – 32.  Martina Kumlehn, Symbolisierendes Handeln: Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Religionspädagogik (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999).

I Fragliche Rede

7

Kommunikation über Religion sieht, deutet Folkart Wittekind die Reden. ²³ In seiner philosophiegeschichtlichen Untersuchung wird das Anliegen der Reden als Versuch der Ermöglichung einer neuen Redeweise über Religion beschrieben, dem eine religionstheoretische Neubestimmung zu Grunde liegt. Religiöse Kommunikation werde in den Reden als eine „integrierende offene und zweckfremde Verständigungsebene“²⁴ entfaltet, indem sie vor allem eine relativierende Funktion hinsichtlich konkurrierender Positionen und Haltungen einnehme. Zugleich weist Wittekind darauf hin, dass die Reden auch durch ihre Struktur im Dienste dieser religiösen Kommunikation stehen, wobei hiermit besonders der innere Aufbau der Reden gemeint ist. Somit beschränken sich beide auf eine theoretische Entfaltung einer religiösen Kommunikationstheorie, die einerseits aus einer Gesamtperspektive auf Schleiermachers Werk gewonnen und in religionspädagogischer Perspektive fruchtbar gemacht wird und andrerseits in philosophiegeschichtlicher Perspektive eingebettet und anhand der ersten drei Reden analysiert wird. In der vorliegenden Arbeit wird ein umfassendes Kommunikationsprogramm Schleiermachers als Antwort auf eine historisch zu verortende und bis heute nachwirkende geistesgeschichtliche Umwälzung in theoretischer Entfaltung und praktischem Vollzug analysiert, wie es sich in Schleiermachers Reden und zwei ausgewählten Predigten darstellt. Das Vorgehen dieser Arbeit ist textnah im Sinne eines close reading. Damit wird eine differenzierte Wahrnehmung der einzelnen Positionen in den unterschiedlichen Textgestalten ermöglicht. Die geistesgeschichtliche Einordnung dieser Positionen erfolgt erst in einem zweiten Schritt, um der spezifischen Gestalt der jeweiligen Texte gerecht zu werden. So wird es nicht nur möglich, unterschiedliche Typen von Religionskommunikation zu unterscheiden, sondern diese auch in Identität und Abgrenzung zu historischen Referenzpositionen zu untersuchen. Der Ertrag dieser Arbeit kann in drei Bereichen zusammengefasst werden: Erstens: Es wird deutlich, dass die Reden im Sinne eines umfassenden Programms von Religionskommunikation verstanden werden müssen, das nur in der integrativen Sicht auf literarischen Vollzug und theoretische Entfaltung angemessen gewürdigt werden kann. Damit kommt eine in der theologischen Schleiermacherforschung bislang unberücksichtigte Perspektive auf das Konzept von Religionskommunikation in den Reden zum Vorschein. Gleichzeitig eröffnen die Reden dadurch eine Perspektive auf die erkenntnistheoretische Frage nach den Möglichkeiten von Religionskommunikation und somit ist dieses Programm systematisch-theologisch zu würdigen. Die Reden besitzen ein spezifisches Verhältnis zu ihrer Medialität, welches sie in Form selbstreflexiver lite-

 Vgl. Folkart Wittekind, „Die Vision der Gesellschaft und die Bedeutung religiöser Kommunikation: Schleiermachers Kritik am Atheismusstreit als Leitmotiv der ‚Reden‘,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion:“ Halle 14. bis 17. März 1999, hg. v. Ulrich Barth und Claus-Dieter Osthövener, Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher Gesellschaft 1/ Schleiermacher-Archiv 19 (Berlin: Walter de Gruyter, 2000), 397– 415.  Ebd., 414.

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I Fragliche Rede

rarischer Rede entfalten. Damit ist die These Peter Groves zu stützen, Schleiermacher dürfe nicht nur als in irgendeiner Form durch die Frühromantik beeinflusst betrachtet, sondern müsse als Vertreter frühromantischer Philosophie verstanden werden.²⁵ Diese Einschätzung wird in dieser Arbeit insofern gestützt, als sich diese Zugehörigkeit zur Frühromantik auch in der als inhaltliche Aussage zu verstehenden Gestalt der Reden widerspiegelt. Diese besteht in der Verschränkung einer theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation mit ihrem tatsächlichen literarischen und fiktiv rhetorischen Vollzug, wobei die theoretisch geforderte Idealform religiöser Rede dann keineswegs durchgehend umgesetzt wird.²⁶ Vielmehr ist der literarisch-rhetorische Vollzug der Reden hybriden²⁷ Charakters. Diesen begreift die vorliegende Arbeit als ein philosophisch-theologisches Programm eines innovativen Neuansatzes der Annäherung an Absolutheit unter den Vorzeichen der Moderne. Zweitens: Schleiermachers Predigten sind relevant für systematisch-theologisches Arbeiten. Damit ist die Arbeit als Teil eines Aufbruchs innerhalb der Systematischen Theologie zu verorten, die zunehmend Predigten als Orte systematisch-theologischer Reflektion akademisch fruchtbar macht. Die Arbeit stellt deswegen nicht nur einen Beitrag zur inhaltlichen Erforschung der Predigten Schleiermachers dar. Der eigentlichen Erschließung des Kommunikationsprogramms vorangestellt erfolgt eine grundlegende Erörterung der Prämissen und Möglichkeiten systematisch-theologischer Predigtanalysen. Drittens kann aus dieser Perspektive durch die Akzentuierung auf die Verschränkung von Theorie und Praxis eine Alternative für die Verhältnisbestimmung von philosophischem und theologischem Werk Schleiermachers aufgezeigt werden, die jenseits der verdienstvollen Arbeiten zu einer philosophisch-theologischen Verhältnisbestimmung ein Programm hinter beiden Textgattungen sichtbar macht. Dieses erfährt in unterschiedlichen Kommunikationssituationen eine angemessene, wenn auch schlüssigerweise voneinander abweichende Umsetzung. Schleiermachers Arbeiten so zu lesen, eröffnet die Möglichkeit, das integrale Religionskommunikationskonzept bei Schleiermacher um 1800 nachzuzeichnen, der im Ringen um angemessene Artikulationsformen theologischer Gehalte an der Schwelle zur Moderne in enger Auseinandersetzung mit philosophischen und literarischen Programmen einen innovativen Neuansatz leistet. Bis heute kann dies wichtige Perspektiven zu einem Diskurs um theoretische Konzepte und vollzogene Religionskommunikation hinzufügen. In welcher Hinsicht dies möglich ist, wird in den Schlussthesen der Arbeit zusammengefasst. Durch diese Gesamtausrichtung sucht die Arbeit Anschluss sowohl an die theologische als auch nichttheologische Schleiermacherforschung und sucht damit einen Beitrag zur Erforschung dieses in heutigen Worten gesprochen außerordentlich interdisziplinären Denkers zu leisten.  Vgl. Peter Grove, Deutungen des Subjekts: Schleiermachers Philosophie der Religion, Theologische Bibliothek Töpelmann 129 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2004), 161.  Beides wurde in der Forschungsdebatte zu den Reden bislang nur am Rande thematisiert.  Eine nähere Bestimmung des Begriffs des Hybriden erfolgt in Kap. II.3.2.1.

II ‚Darstellung und Verweis‘. Friedrich Schleiermachers Reden 1 Redekultur um 1800 In den Städten avanciert im ausgehenden 18. Jahrhundert neben Vereinen, Theatern und Konzerten vor allem das bürgerliche Haus zu einem Ort „bürgerlicher Selbstfindung und Selbstdefinition“²⁸. Als offener Ort des Austausches stellt es eine Form des gleichzeitig halböffentlichen und privaten Raumes dar. Hier entsteht ein kreatives Vakuum, in dem das Bürgertum sich und seine Ausdrucksformen entwirft. In dieser halböffentlichen Sphäre bilden sich unterschiedliche Gesprächsformate wie Teegesellschaften, Lesezirkel und Salons. Die Vorläufer dieser sich in Europa ausbreitenden Salons, die sich in Deutschland mit einem Schwerpunkt in Berlin gründen, liegen in der französischen Salonkultur, deren Anfänge im 17. Jahrhundert liegen. In seiner Funktionsweise ist der Salon der Madame de Rambouillet (1588 – 1665) für diese exemplarisch, der den Namen Le Chambre bleu trug.²⁹ Im Gegensatz zu den in der Regel männlich dominierten Vereinen stehen in den Salons oftmals Frauen in der Rolle der Gastgeberin im Mittelpunkt. Bemerkenswert ist hierbei das ambige Moment, welches diese Rollenausübung kennzeichnet. Einerseits nehmen diese Frauen eine exponierte Stellung ein, da die Salons durchaus öffentliche Strahlkraft besitzen und ihrer Rolle der Gastgeberin damit ein emanzipatorisches Moment innewohnt. Gleichzeitig bewegen sie sich durch die Verortung der Salons im bürgerlichen Haus im Rahmen traditioneller bürgerlicher Geschlechterideologie.³⁰ Bei wöchentlichen Treffen werden die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit liquide, bestimmte gesellschaftliche Grenzen zu Gunsten einer Gleichheit der Anwesenden aufgelöst. Die hier praktizierte Konversation hat sich gemäß dem bürgerlichen

 Gisela Mettele, „Der private Raum als öffentlicher Ort: Geselligkeit im bürgerlichen Haus,“ in Bürgerkultur im 19. Jahrhundert: Bildung, Kunst und Lebenswelt, hg. v. Dieter Hein und Andreas Schulz (München: Beck, 1996), 155 – 169, 155. Einen entscheidenden Rahmen dieser Entwicklung stellt die Entstehung unterschiedlicher Gestalten von Öffentlichkeit dar. Habermas beschreibt als Ergebnis eines Strukturwandels im 18. Jahrhundert: Aus einer höfischen repräsentativen Öffentlichkeit sei eine bürgerliche, am Räsonnement orientierte Öffentlichkeit entstanden. Vgl.: Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Neuwied/ Berlin: Suhrkamp, 1990), 86.  Vgl. Karin Schulz, Konversation und Geselligkeit: Praxis französischer Salonkultur im Spannungsfeld von Idealität und Realität (Bielefeld: Transcript-Verlag, 2019), 15, Fußnote 10. Die europäische Vernetzung dieser Salons als Kulturraum beleuchten die Beiträge des Sammelbandes: Rita Unfer Lukoschik, Hg., Der Salon als kommunikations- und transfergenerierender Kulturraum, Interkulturelle Begegnungen 3 (München: Meidenbauer, 2008). Eine ausführliche sozialgeschichtliche Rekonstruktion der Salonkultur bietet und einschlägig für die Fragestellung ist weiterhin: Detlef Gaus, Geselligkeit und Gesellige: Bildung, Bürgertum und bildungsbürgerliche Kultur um 1800 (Stuttgart: Metzler, 1998).  Vgl. Mettele, „Der private Raum,“ 156. https://doi.org/10.1515/9783110640960-004

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II Friedrich Schleiermachers Reden

Ideal an der Zugänglichkeit für alle zu orientieren. Im Laufe des 18. Jahrhunderts stellt sich eine zunehmende Formalisierung im Bereich der Wohn- und Besuchskultur ein, die wiederum Regeln und Verfahren des bürgerlichen Lebens garantiert. Zu besonderer Berühmtheit gelangen die literarischen Salons Berlins, die dort um 1780 Fuß fassen.³¹ In diesen Salons erhält ein Medium Wirkung, das zu dieser Zeit einen rasanten Aufstieg erfährt: die Literatur. Sie bietet durch die dichterische Fiktion einen Ort, an dem frei gesprochen werden kann.³² Im Laufe des 18. Jahrhunderts trat die Literatur einen wahrhaften Siegeszug an. Zwischen den Jahren 1740 und 1800 verdreifacht sich die Menge der jährlich erscheinenden Bücher³³, damit erhält die Literatur einen neuen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft und avanciert zum öffentlichen Medium. Diese Entwicklung wird flankiert durch die Entstehung eines Zeitschriftenwesens, das unter anderem die Funktion der Besprechung und Kritik dieser Bücher vornimmt. In den zeitgenössischen Publikationen ist ein deutlicher Anstieg dialogischer Textformen zu verzeichnen. Im Medium der Schrift findet auch die Rede eine literarische Heimat. Teilweise bestehen in der Literatur die klassischen Gestalten der Rede fort³⁴, gleichzeitig werden diese fortentwickelt, so dass die Rhetorik in die Gestalt der „Theorie einer Kunstprosa“³⁵ gekleidet wird. Bei Friedrich Schlegel etwa wird die Rhetorik der Ästhetik untergeordnet. Explizit geht Schlegels programmatischer Entwurf einer Universalpoesie auf die Rhetorik ein, indem die Trennung von Poesie und Rhetorik aufgehoben wird. Diese Einordnung der Rhetorik geht einher mit den beiden ebenso folgenschweren Verschwisterungen von Philosophie und Poesie sowie Philosophie und Rhetorik. Damit vereinigen sich in diesem Programm „das Wahre und das Schöne“³⁶, die Philosophie wird praktisch, und all das wird unter dem Oberbegriff der Poesie zusammengefasst. Mit der Rhetorik, der Lehre von der Redekunst, die von der im 18. Jahrhundert als Beredsamkeit bezeichneten Redepraxis unterschieden ist, setzt sich jedoch nicht erst die Romantik  Vgl. Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780 – 1914), Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 73 (Berlin: Walter de Gruyter, 1989), 33.  Vgl. Peter P. Riedl, Öffentliche Rede in der Zeitenwende: Deutsche Literatur und Geschichte um 1800, Studien zur deutschen Literatur 142 (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1997), 1.  Vgl. Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland (München: C.H. Beck, 2005), 97. Anhand theologischer Rezensionsjournale zeichnet diese Entwicklung nach: Christopher Spehr, „Gelehrte Buchkritik: Der Beginn der theologischen Rezensionsjournale im 18. Jahrhundert,“ in Religion und Aufklärung: Akten des Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie. Münster, 30. März bis 2. April 2014, hg. v. Albrecht Beutel und Martha Nooke, Colloquia Historica et Theologica 2 (Tübingen: Mohr Siebeck 2016), 269 – 284.  Vgl. Riedl, Öffentliche Rede, 1. Dort wird darauf hingewiesen, dass in den Bildungsplänen die Rhetorik zunächst durch nationalsprachliche Redebildung erweitert und schließlich substituiert wurde. Demnach ist es unangemessen, ein rhetorisches Zeitalter bis 1750 scharf von einem daran anschließenden ästhetischen Zeitalter abzugrenzen.  Helmut Schanze, „Transformationen der Rhetorik: Wege der Rhetorikgeschichte um 1800,“ in Rhetorik im 19. Jahrhundert, hg. v. Joachim Dyck (Tübingen: Niemeyer, 1993), 60 – 72, 61.  Ebd., 65.

1 Redekultur um 1800

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produktiv und kritisch zugleich auseinander. Im Rahmen der philosophischen Umwälzungen der Aufklärung wird der manipulative Charakter künstlerisch gestalteter Rede kritisiert. Unter dem wolffschen Postulat der Vernunft wird darüber nachgedacht, wie eine „vernünftige Beredsamkeit“³⁷ beschaffen sein müsse, deren Nutzen in der Verstandesübung wie auch in ihrem sprachbildenden Potential gesehen wurde. In ähnlicher Weise wird die Rhetorik auch bei Kant eingeordnet.³⁸ In seiner Kritik der Urteilskraft von 1790 wird, auch rezeptionsgeschichtlich wirksam, besonders die problematische Seite der Rhetorik ausführlich besprochen. Kant weist der Dichtkunst im Sinne einer Kunst der Rede eine höhere Bedeutung zu als der klassischen Rednerkunst, da sie als an der Überredung orientierte Gestalt der Rede im Gegensatz zur freien Dichtkunst zweckgebunden sei. Als Rednerkunst sei sie anfällig für Missbrauch, indem sie Mittel zur Manipulation der Vernunft werden könne und letztlich den Menschen als Adressaten dieser Rede im Sinne willenloser „Maschinen in wichtigen Dingen zu einem Urteile zu bewegen versteht“³⁹. Mit dieser Einordnung steht er auch er in der Tradition des Plädoyers für einen vernünftigen Gebrauch der Rhetorik, der dann das ethische Subjekt im Sinne einer „ethisch fundierten Rhetorik“⁴⁰ stärken könne. Neben diesem Aspekt wird in den Rhetoriken des 18. Jahrhunderts besonders die Affektenlehre weiterentwickelt.⁴¹ Das erste literarisch ambitionierte Projekt des Charitépredigers Friedrich Schleiermacher verdichtet diese Entwicklungen paradigmatisch in nuce: Es trägt fünf Reden im literarischen Gewand vor. Den Anstoß dazu erhält er durch eine Bekanntschaft aus der Berliner Salonszene des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die als „realer Erfahrungshintergrund der frühromantischen Gesprächskultur“⁴² für Schleiermacher prägend ist. Dort lernen sich Friedrich Schlegel und Friedrich Schleiermacher kennen und dieser ist es auch, der Schleiermacher zur Abfassung der Reden drängt. Die im Jahr 1799 verfassten Reden werden 1806, 1821 und 1831 überarbeitet, wobei sich zwischen den insgesamt vier Fassungen erhebliche inhaltliche Veränderungen feststellen

 Stefanie Arend, Einführung in Rhetorik und Poetik (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012), 41.  Kants Bearbeitung der Rhetorik kann in drei Bereiche gegliedert werden: Erstens als Kritik an der Rhetorik als Wahrscheinlichkeitslogik, die logisch, epistemologisch und methodologisch ist. Zweitens als ästhetische Kritik entsprechend dem in der Kritik der Urteilskraft entwickelten Begriff der schönen Kunst, einschließlich der damit verbundenen ethischen und politischen Ablehnung. Drittens die Rhetorik als Problem innerhalb der Philosophie. Vgl. Tobia Bezzola, Die Rhetorik bei Kant, Fichte und Hegel: Ein Beitrag zur Philosophiegeschichte der Rhetorik, Rhetorik-Forschungen 5 (Berlin: Walter de Gruyter, 1993), 6.  Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft und naturphilosophische Schriften, Werke Bd. 10.2, hg. v. Wilhelm Weischedel (Wiesbaden: Insel Verlag, 1957), 184.  Riedl, Öffentliche Rede, 8.  Arend, Einführung in Rhetorik, 49.  Stefan Matuschek, „Wie berlinerisch ist das Athenaeum? Zum Ort der Frühromantik,“ in Provinz und Metropol: Zum Verhältnis von Regionalismus und Urbanität in der Literatur, hg. v. Dieter Burdorf und dems. (Heidelberg: Winter, 2008), 103 – 127, 104.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

lassen.⁴³ Diese betreffen nach Ulrich Barth vorwiegend drei Aspekte: Erstens wird der anthropologische bzw. geistphilosophische Ort der Religion von der Anschauung auf das Gefühl verschoben. Dies hat zur Folge, dass sich die Bestimmtheit des Korrelates von Anschauung und Gefühl ändert. Zweitens findet eine Desintegration von Weltidee und Gottesidee im Begriff des Universums statt, die Ulrich Barth auf die philosophische Auseinandersetzung mit der Dialektik zurückführt. Drittens dürfte sich die Transformation des Religionsverständnisses Schleiermachers hin zu einem spezifischen Abhängigkeitsgefühl, welches erstmals in seinem Dogmatiklehrbuch so bestimmt wird,⁴⁴ ebenfalls auf die dritte und vierte Auflage der Reden ausgewirkt haben. Da das Programm der Religionskommunikation und deren modelltheoretisch fundierte konkrete historische Einordnung im Fokus der Untersuchung steht, berücksichtigt diese Arbeit ausschließlich die Erstauflage der Reden. Nach Religionskommunikation fragt die Arbeit in doppelter Hinsicht. Der erste Abschnitt analysiert die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation in den Reden. Erstens wird die religionstheoretische und bildungstheoretische Fraglichkeit des Verhältnisses von Rede und Unendlichkeit bestimmt. Hierzu gehört zum einen das spezifische Religionskonzept der hier behandelten Erstauflage der Reden, das zwischen vorsprachlichem Entgrenzungsmoment und menschlicher Deutungspraxis zu stehen kommt. Zum anderen wird die Möglichkeit von Religionskommunikation durch eine religionsaffine Bildung bedingt. Zweitens wird nach dem inhaltlich vorgestellten Konzept von Religionskommunikation gefragt. Religionskommunikation wird hierbei hinsichtlich ihrer Formen und ihrer spezifischen Medialität behandelt. Im zweiten Abschnitt werden die Reden selbst auf ihre Form und Gestalt im Sinne eines literarischen Vollzugs von Religionskommunikation hin untersucht. Analysiert werden dabei die beiden verschränkten Ebenen der konstruierten Redesituation zwischen Redner und gebildeten Religionsverächtern und die Reden als literarisierte Reden, die sowohl einen hybriden Charakter aufweisen als auch hinsichtlich ihrer Medialität selbstreflexiv sind. Zusammenfassend wird das kommunikative Programm der Reden schließlich unter den Begriffen ‚Darstellung und Verweis‘ zusammengefasst.

2 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation 2.1 Fraglichkeit der Rede in religions- und bildungstheoretischer Perspektive Kommunikation ist in den Reden Aufgabe und Problem zugleich, in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht. Der Titel der Schrift impliziert das Projekt, Über die Religion in  Vgl. Ulrich Barth, „Was heißt ‚Anschauung des Universums‛? Spinozanische Hintergründe von Schleiermachers Jugendschrift,“ in Kritischer Religionsdiskurs (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 222– 244, 224.  Vgl. Claus-Dieter Osthövener, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, Theologische Bibliothek Töpelmann 76 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1996), 12– 19.

2 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation

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Form von Reden zu sprechen. Damit erfolgt die Setzung der Agenda. Sie macht dem Redner die rhetorische Vermittlung des Themas Religion zur Aufgabe. Ein solches Anliegen ist jedoch aus zwei in den Reden thematisierten Gründen höchst fraglich: Die Religionsverächter sind dem Thema per se abgewandt und Religion lässt sich auch nicht ohne weiteres mitteilen, geschweige denn vermitteln. Die Apologie geht besonders auf den ersten Aspekt vom ersten Absatz an ein, indem sie zuerst die Einwände und Haltungen der gebildeten Religionsverächter gegenüber der Religion aufnimmt und im Verlauf der ersten Rede zu widerlegen sucht. Im Gegensatz zu den unsachgemäßen Einwänden der Adressatenschaft der Reden, die sich auf ein falsches Verständnis der Religion beziehen, gilt es jedoch die tatsächlichen Probleme im Verhältnis von Rede und Religion bzw. Rede und Unendlichkeit zu überwinden. Die Apologie bereitet damit den Boden für die tatsächlichen theologischen Probleme, die der Redner in den weiteren Reden in religionstheoretischer und bildungstheoretischer Perspektive reflektiert. Im Rahmen der Entwicklung der Religionstheorie wird in der zweiten Rede das Wesen der Religion behandelt. Religion wird hier mit den „immanent-duplizitär[en]“⁴⁵ strukturierten Begriffen von „Anschauung und Gefühl“⁴⁶ und der Formulierung von „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“⁴⁷ beschrieben. In kommunikationstheoretischer Sicht ist dies entscheidend, weil Religion in diesen Formeln als Unendlichkeitsverhältnis des Menschen zwischen Affekt und Deutung beschrieben wird und somit zwischen Vorsprachlichkeit und Deutung changiert. Das Problem, eine sich selbst mitteilende Religion⁴⁸ in ein Verhältnis zu den eigenen rednerischen Bemühungen des Rhetors zu setzen, sucht die dritte Rede, indem sie bildungstheoretisch argumentiert und die Perspektive einer spezifischen Gestalt von religionsaffiner Bildung im Gegensatz zu einem fehlgeleiteten zeitgenössischen Bildungsverständnis entfaltet.

2.1.1 Affekt, Deutung und Unendlichkeit Die Religion als Thema der Reden trifft an der Schwelle zur Moderne einen Nerv. Am Ende des 18. Jahrhunderts empfinden Intellektuelle wie Lessing, Hamann, Herder, Schiller und Goethe ein Defizit, es fehlt an Gehalten, welche die Grundlage einer die gesellschaftlichen Schichten einenden „geistigen Kultur“⁴⁹ bilden könnten. Hegels Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus von 1797 endet mit der Forderung

 Jörg Dierken, „‚Daß eine Religion ohne Gott besser sein kann als eine andre mit Gott‘: Der Beitrag von Schleiermachers ,Reden‘ zu einer nichttheistischen Konzeption des Absoluten,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion,“ 668 – 684, 672.  Schleiermacher, Reden, 211.  Ebd., 212.  Vgl. die hypostasierenden Anmerkungen zu Beginn der Dritten Rede: Ebd., 248.  Jürgen Stolzenberg, „Weltinterpretationen um 1800,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion,“ 58 – 78, 73.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

nach einer neuen Mythologie. Dieses Bedürfnis ist als Symptom einer geistesgeschichtlichen Umwälzung zu verstehen, die es angesichts der kantschen Kritiken notwendig macht, neu über die Bedingungen, Möglichkeiten und den materialen Gehalt von Theologie und Religion nachzudenken. Die explizit zeitdiagnostischen Aussagen der Reden stehen paradigmatisch für diese Notwendigkeit. Sie fußen auf einer spezifischen Analyse der Zeit, die sich einerseits mit den kulturellen Folgen der europäischen Aufklärung auseinandersetzt, welche konkret an der religionssoziologischen Situation in Frankreich, Deutschland und England zu beobachten sind. Andrerseits kommt auf der Theorieebene die Krise theistischer Religionskonzepte zur Sprache.⁵⁰ Die Reden verarbeiten beides in Form jener Problemkonstellationen, die in der Dekonstruktion der Metaphysik durch Kant, im Atheismusstreit und im Pantheismusstreit ihren Ausdruck fanden. Diese haben jeweils einen bedeutenden Einfluss auf die Formulierung des Religionskonzeptes der Reden. In Anlehnung an die Überlegungen Ulrich Barths werden drei Problemkreise identifiziert, vor deren Hintergrund eine weitergehende Entfaltung der Religionstheorie erfolgt. Der erste Problemkreis betrifft Kant. Mit dem Ende der klassischen Metaphysik durch seine transzendentale Vernunftkritik ist die Schwelle zur Moderne erreicht. Das Religionskonzept der Reden bejaht diese Grunderkenntnis und lehnt jegliche Identifikation von Religion und Metaphysik im Sinne der in den Reden selbst vorgebrachten Bestimmung ab. Gleichzeitig bedeutet die Bestimmung der Religion in den Reden durch die Momente Anschauung und Gefühl eine Abwendung vom kantschen Vorschlag einer Ethikotheologie. Programmatisch wählt Schleiermacher einen anderen Weg und grenzt sich somit von Kants Position ab. Religion ist nicht nur von der Metaphysik zu unterscheiden, wie es Kant tut, sondern auch von der Moral.⁵¹ Das Verhältnis von Religion und Moral wird in den Reden konkret neu formuliert. Die Religion möge eine fortwährende Begleiterin jeglicher Handlung des Menschen sein, er solle gleichsam „alles mit Religion thun, nichts aus Religion“⁵². Damit ist eine kausale Abhängigkeit der beiden von vornherein ausgeschlossen. Die Formulierung der Religionstheorie in den Reden erfolgt damit in Kontinuität und Differenz zum kantischen Denken. Die durch Kant vollzogene Kritik der klassischen Metaphysik markiert den ersten Eckpfeiler der Neujustierung von Religion in den Reden. An zweiter Stelle folgt die Ablehnung der Notwendigkeit einer theistischen Gottesvorstellung für ein wahres Religionskonzept. Sie ist eine Reaktion auf den in den Jahren 1798/1799 in Jena ausgetragenen Atheismusstreit. In Rezeption der fichteschen

 Vgl. Ulrich Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘: Schleiermachers theologisches Modernisierungsprogramm,“ in Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 259 – 289, 279. Dieser Aufsatz bietet eine brillante Darstellung, Analyse und Klassifikation der Verzahnung von Religionstheorie und Zeitdiagnose in den Reden. An ihr orientiert sich die Einordnung.  Allerdings ist es fraglich, ob deswegen sinnvoll ist, von einem „autonomen Status“ der Religion zu sprechen.Vgl. Hermann Timm, Die heilige Revolution: Das religiöse Totalitätskonzept der Frühromantik. Schleiermacher – Novalis – Schlegel (Frankfurt am Main: Syndikat, 1978), 24.  Schleiermacher, Reden, 219.

2 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation

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Position bestimmt Schleiermacher Religion nicht zwangsläufig als Beziehung zu einer theistischen Gottesvorstellung, sondern als eine unbestimmt gehaltene und durch die Endlichkeit vermittelte Beziehung zum Unendlichen. Ob eine ihr korrelierende, konkrete Vorstellung von diesem Unendlichen theistisch gedacht wird oder nicht, ist für Schleiermacher Sache der Fantasie jedes Individuums. Schleiermacher steht insofern auf der Seite Fichtes. Schleiermachers Position unterscheidet sich von Fichte allerdings hinsichtlich der zu Grunde liegenden Bewusstseinstheorie und des darauf aufbauenden Gedankengangs einer transzendentalphilosophischen Begründung eines Gottesgedankens.⁵³ Und schließlich ist mit dem Pantheismusstreit im Herbst 1785, der zu einer Aufwertung Spinozas im Sinne einer Denkoption führt, das dritte Ereignisdatum zu benennen. Spinozas Verschränkung von Endlichem und Unendlichem wurde zu einer Alternative zwischen radikaler Aufklärung und überkommenem Christentum, indem sie die Möglichkeit einer dem „Denken selbst nachvollziehbare[n] Gewißheit der Immanenz des Absoluten“⁵⁴ bot. Die Rezeption Spinozas bei Schleiermacher ist sowohl konzeptioneller Art, wie die Verschränkung von Weltidee und Gottesidee im Universum zeigt, als auch begrifflicher Natur, was am deutlichsten im Begriff der Anschauung zu erkennen ist.⁵⁵ Auf der Grundlage dieser Problemkonstellationen, die sich in der Religionstheorie in einer abgrenzenden Verhältnisbestimmung zu Metaphysik und Moral, einer Ablehnung der Notwendigkeit einer theistischen Gotteskonzeption und der Rezeption Spinozas im Sinne einer Vermittlungsoption von Immanenz und Transzendenz ausdrücken, gilt es nun die für die Religionskommunikation zentralen Aspekte der Religionstheorie herauszuarbeiten. Für eine philosophiegeschichtliche Einordnung von Schleiermachers Religionstheorie dürfte bereits durch die skizzierten Problemkreise deutlich geworden sein, dass eine einseitige Einordung dieses Konzeptes in die Romantik nicht zielführend ist, sondern auch Impulse aus Schleiermachers Bildungsgeschichte ausschlaggebend gewesen sein dürften, wie die Auseinandersetzung mit der Hallenser Spätaufklärung oder die Begegnung mit dem Herrnhuther Pietismus.⁵⁶ Die Interpretation der darzustellenden Religionstheorie der Reden ist Gegenstand eines sehr lebendigen Forschungsinteresses. Eine Systematisierung zentraler For-

 Schleiermachers Kritik am Atheismusstreit erklärt Wittekind zu einem „Leitmotiv“ der Reden, welche im Sinne eines Gegenentwurfes anknüpfen an die „grundsätzliche Kommunikationssituation des Atheismusstreits und die von beiden Gegnern beanspruchte Definitionshoheit über den Gottesbegriff“. Vgl. Wittekind, „Die Vision der Gesellschaft,“ 397– 399.  Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 276.  Eine monographische Analyse der frühen Religionstheorie Schleiermachers vor dem Hintergrund von Spinozas Konzept intuitiver Erkenntnis bietet: Christof Ellsiepen, Anschauung des Universums und Scientia intuitiva: Die spinozistischen Grundlagen von Schleiermachers früher Religionstheorie, Theologische Bibliothek Töpelmann 135 (Berlin: Walter de Gruyter, 2006), 272– 415.  Vgl. Ulrich Barth, „Schleiermachers ‚Reden‘ als religionstheoretisches Modernisierungsprogramm,“ in Ästhetische Moderne in Europa: Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik, hg. v. Silvio Vietta und Dirk Kemper (München: Wilhelm Fink, 1997), 441– 474, 447.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

schungshypothesen zur Religionstheorie leistet Christian Albrecht in seiner Arbeit zu Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit. ⁵⁷ Homogenität stellt er hinsichtlich des Ansatzes eines Großteils der Forschungsvorhaben fest. Diese bestehe in einem gemeinsamen Ausgangspunkt von der Hauptthese der Selbstständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Religion, einer Bearbeitung dieses Sachverhaltes im Rahmen der inhaltlichen und begrifflichen Vorgaben des Textes und ihres begriffsanalytischen Zugriffs. Dem gegenüber steht eine deutlich kleinere Zahl an Arbeiten, welche weniger die inhaltliche, sondern mehr die formale Gestalt der Religion zum Interpretationsgegenstand erklären. Im Rahmen der ersten Überlegungen macht Albrecht drei Themengebiete aus: die Wesensbestimmung der Religion als Anschauung und Gefühl, das Verhältnis Schleiermachers zum Christentum über die Begriffe des Universums und der Gottesvorstellung und die Formanalyse des wissenschaftlich-sprachlichen Ortes sowie einige erweiternde Einzeluntersuchungen. Im Folgenden orientiert sich die Darstellung ausgehend von einer Bestimmung des Religiösen durch zentrale Formeln der Reden an der Frage nach der Bedeutung der Religionstheorie für Religionskommunikation. Herausgestellt wird, dass die Religionstheorie der Reden durch ihre polare Verfasstheit zwischen Aktivität und Passivität, Unendlichkeit und Endlichkeit bereits selbst eine kommunikationstheoretische Akzentuierung aufweist, die zwischen vorsprachlichem Affekt und reflektiertem Sprachgeschehen changiert. Mit der „Anschauung des Universums“⁵⁸ wird in der zweiten Rede eine der zentralen religionstheoretischen Formulierungen eingeführt.⁵⁹ Durch die direkte Anrede der gebildeten Religionsverächter und eine invertierte Satzstellung stilistisch hervorgehoben wird diese Formel als zentrale Gedankenfigur eingeführt, mit der sich die Religionsverächter anfreunden sollten. Hinter diesem Anschauen, das im Sinne einer Bewusstseinsfunktion des Menschen verstanden werden muss, steht eine Prämisse, die auf die externe Referentialität der Anschauung hinweist: „Alles Anschauen geht aus von einem Einfluß des Angeschauten auf den Anschauenden, von einem

 Vgl. Christian Albrecht, Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit: Ihr wissenschaftlicher Ort und ihr systematischer Gehalt in den Reden, in der Glaubenslehre und in der Dialektik, Schleiermacher-Archiv 15 (Berlin: Walter de Gruyter, 1994), 107– 117. Ergänzend hierzu sind Sammelrezensionen erschienen, die zentrale Monographien besprechen: Ulrich Barth, „Schleiermacher-Literatur im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts,“ Theologische Rundschau 66/4 (2001): 408 – 461; Gunther Wenz, „Aktuelle Arbeiten zu Schleiermacher,“ Theologische Revue 99 (2003): 451– 460.  Schleiermacher, Reden, 213.  Die zentrale Stellung, die dieser Formel in der liberalen Schleiermacherforschung für das Religionsverständnis eingeräumt wird, kritisiert Bauer, da es sich hier um Religionstheorie und nicht um religiöse Rede handle, welche Bauer im Gegensatz zur historischen Kommunikationssituation der Adressaten zum eigentlichen Gegenstand seiner Forschung macht. Vgl. Daniel Tobias Bauer, Das Bildungsverständnis des Theologen Friedrich Schleiermacher, Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 16 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 45. Dadurch zerreißt Bauer jedoch auf problematische Weise den unablässigen Zusammenhang von religiöser und religionstheoretischer Rede, welche methodisch begründet geradezu wesenhaft für die Reden sind.

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ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem lezteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird.“⁶⁰ Was hier auf abstrakter Ebene formuliert wird, ist die notwendige Vorgängigkeit eines externen Impulses für die Anschauung und Wahrnehmung. Diesen Gedanken entfalten die Reden im Weiteren anhand von naturwissenschaftlichen Beispielen. So könne der Mensch ohne die Einwirkung des Lichtes auf das Auge nicht sehen, nicht fühlen ohne den Druck des Gegenstandes, der auf die Hand wirkt. Insofern wird die Wirksamkeit des Universums als der Anschauung des Menschen vorgängig eingeführt. Die Begründung der Religion ist somit extern, sie speist sich nicht aus dem Menschen allein, dem in den Reden eine Anlage zur Religion zugesprochen wird. Sondern sie ist stets auf die primäre Wirksamkeit des Universums verwiesen, auf dessen „Allgewalt“⁶¹. Charakteristisch für die Religionstheorie der Reden ist ihre erkenntnistheoretische Einordnung. Die Anschauung richtet sich nicht auf das Wesen des Angeschauten, will und kann also keine Aussagen zum Wesen und Sein Gottes machen, sondern sie richtet sich auf die Wirkweise dieses Anderen auf den Anschauenden, Sehenden und Fühlenden. Religion kann deswegen keine substantiellen Aussagen über das Wesen des Unendlichen machen, sondern richtet sich stets auf das Verhältnis dieses Unendlichen zum Endlichen. Religion hat ihren Impuls in der unmittelbaren Affiziertheit des Menschen durch die darstellende Wirksamkeit des Universums, welche an die Stelle klassischer Offenbarungsbegrifflichkeit tritt. Dennoch wird Religion keineswegs ausschließlich im Sinne eines passiven und rezeptiven Geschehens konzipiert, sondern vielmehr in ein Wechselspiel aus Passivität und Aktivität, Rezeptivität und Produktivität, Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit zwischen Universum und Mensch eingezeichnet. Deutlich wird dies in der Schilderung „religiöse[r] Anschauungen und Gefühle“⁶², wie sie sich im originären Entgrenzungsmoment darstellen und zur „höchste[n] Blüthe der Religion“⁶³ führen. Die Beschreibung dieses Entgrenzungsmoments wird eingeleitet mit dem Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit der beiden Bewusstseinsfunktionen von Anschauung und Gefühl.

 Schleiermacher, Reden, 213.  Ebd., 256. Die Verwendung des Begriffs des Universums an Stelle eines klassischen Gottesbegriffs ist in Vergangenheit und Gegenwart vielfach auf Ablehnung und Kritik gestoßen. Vgl. hierzu etwa die Anmerkungen bei Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher: Eine Analyse der Beziehungen und des Widerstreits zwischen den ‚Reden über die Religion‘ und den ‚Monologen‘ (Göttingen: V&R unipress, 2005), 29. Einerseits wird im Begriff des Universums, und hier besonders im Zusammenfallen von Weltidee und Gottesidee, Spinozas Lehre von der All-Einheit rezipiert. Gleichzeitig besitzt die dem Universum zugeschriebene Allgewalt in der Allmacht ihr Pendant in der klassischen christlichen Lehre von Gottes Eigenschaften.  Schleiermacher, Reden, 221.  Ebd., 222.

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Nur denkt nicht – dies ist eben einer von den gefährlichsten Irrtümern – daß religiöse Anschauungen und Gefühle auch ursprünglich in der ersten Handlung des Gemüths so abgesondert sein dürfen, wie wir sie leider hier betrachten müßen. […] beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und wie sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind. Jener erste geheimnisvolle Augenblik, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt, ehe noch Anschauung und Gefühl sich trennen, wo der Sinn und sein Gegenstand gleich in einander gefloßen und Eins geworden sind, ehe noch beide an ihren ursprünglichen Plaz zurückkehren […]⁶⁴.

Damit bringen die Reden jenes ursprüngliche Moment der Religion als Zustand der Einheit des Bewusstseins zur Sprache. Jenes Moment bezeichnet die Überwindung dichotomer Differenzstrukturen des menschlichen Bewusstseins, wie sie von Kant, Reinhold und Fichte vorgetragen wurden.⁶⁵ Es ist präreflexiv und damit zwangsläufig vorsprachlich. Der eigentlichen Darstellung bzw. Versprachlichung ist der Zweifel an jeglicher Artikulierbarkeit dieses originären religiösen Momentes vorangestellt, das sehnsüchtig artikuliert wird: „ich weiß wie unbeschreiblich er ist, und wie schnell er vorüber geht, ich wollte aber Ihr könntet ihn festhalten und auch in der höheren und göttlichen religiösen Thätigkeit des Gemüths ihn wieder erkennen. Könnte und dürfte ich ihn doch aussprechen, andeuten wenigstens, ohne ihn zu entheiligen.“⁶⁶ Dieser noch vergleichsweise analytisch gehaltenen Passage folgt jener Absatz, den Dirk von Petersdorff zutreffend als „Versprachlichung der Idee der intellektuellen Anschauung“⁶⁷ beschreibt. Aus dem Mund des Redners kann er verstanden werden als Moment fiktiver religiöser Erfahrung des in der entsprechenden Passage mehrfach hervorgehobenen fiktiven Ichs des Redners.⁶⁸ Flüchtig ist er und durchsichtig wie der erste Duft womit der Thau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dieses selbst. Schnell und zauberisch entwikelt sich eine Erscheinung eine Begebenheit zu einem Bilde des Universums. So wie sie sich formt, die geliebte und immer gesuchte Gestalt, flieht ihr meine Seele entgegen, ich umfange sie nicht wie einen Schatten, sondern wie das heilige Wesen selbst. Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblik ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes, sie ist in diesem Augenblike mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahndung wie die meinigen. Die geringste Erschütterung, und es verweht die heilige Umarmung, und nun erst steht die Anschauung vor mir als eine abgesonderte Gestalt, ich meße sie, und sie spiegelt sich in der offnen Seele, wie das Bild der sich entwindenden Geliebten in dem

 Ebd., 221.  Vgl. Timm, Die heilige Revolution, 53.  Schleiermacher, Reden, 221.  Dirk von Petersdorff, Mysterienrede: Zum Selbstverständnis romantischer Intellektueller, Studien zur deutschen Literatur 139 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1996), 256.  Hermann Timm weist in seiner Analyse des „Herzstück[es]“ der Reden zutreffend auf den indifferenten Status dieses Absatzes hin: „Die Darstellung muß ihre eigene Unerschöpflichkeit mit thematisch machen“. Dies geschehe, indem sich der Text programmatisch jener Frage entzieht, die er eigentlich beantworten soll. Timm, Die heilige Revolution, 52– 53.

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aufgeschlagenen Auge des Jünglings, und nun erst arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor, und verbreitet sich wie die Röthe der Schaam und der Lust auf seiner Wange.⁶⁹

In diesem Entgrenzungsmoment, das den Menschen in eine Unendlichkeitsperspektive stellt⁷⁰, ist Religion lebendig: Anschauung und Gefühl sind ungetrennt, Sinn und Gegenstand vereint, zurückgeführt auf einen Urgrund. Dirk von Petersdorff identifiziert in der Auswahl der Metaphorik einen transformierenden Zugriff auf mystische Tradition und hier besonders der unio mystica. Der Tau, die Umarmung und die körperliche Verschmelzung sind Motive, die in ihrer Verwendung in den Reden durch eine „inhärente Selbstreflexivität“⁷¹ gekennzeichnet sind, im Gegensatz zu den „monistischen Einheitserfahrungen“⁷² der Mystik. Ausdruck erfährt diese Selbstreflexivität besonders durch den Wechsel von ästhetischer und reflektierender Rede und die damit einhergehende spezifische Strukturierung des Textes. Die Unverfügbarkeit dieses Momentes kommt neben den Beteuerungen der Unaussprechlichkeit auch durch die Beschreibung der zeitlichen Dimension jenes Momentes, jenes „erste[n] geheimnisvolle[n] Augenblick[es]“⁷³, zum Ausdruck: Das Punktuelle, Vergängliche steht im Vordergrund der hochgradig stilisierten und metaphorisch aufgeladenen Schilderung. Es beschreibt gleichsam den immer gültigen Kern der Religion, ihr Wesen im Modus eines „fliehenden Ist-Zustandes“⁷⁴. Beides verdichtet sich im Begriff des Augenblickes⁷⁵. Die menschliche Anschauung wird demnach als eine bereits entwickelte Stufe des primär wirksamen Eindruckes eines Bildes des Universums beschrieben und korreliert damit mit der Darstellung des kognitiv nicht zugänglichen Unendlichen. Im Sinne der oben beschriebenen Verortung der Religion zwischen Mensch und Universum drückt der Anschauungsbegriff eine „beide Richtungen übergreifende Struktur religiösen Verhältnisses“⁷⁶ aus. Die Anschauung ist insofern passiv, als sie einem externen Moment, jener Wirksamkeit des Angeschauten auf den Anschauenden, unterworfen ist. Gleichzeitig ist es jedoch der Mensch in aktiver Weise, der in der Anschauung die übergreifende Struktur von Einzelnem und Ganzem qualifiziert,

 Vgl. Schleiermacher, Reden, 221.  Vgl. Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 187.  Petersdorff, Mysterienrede, 265.  Ebd., 258.  Schleiermacher, Reden, 221.  Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher, 35.  Eine pietistische Füllung des Begriffs „Augenblick“ konstruiert Moretto auf der Grundlage der vielseitigen Verwendungen des Begriffs in den Reden: Im Augenblick verdichtet sich sowohl die Schöpfung des Menschen als auch die Erfüllung seiner eigenen Bestimmung. Vgl. Giovanni Moretto, „Der Augenblick bei Sören Kierkegaard und Friedrich Schleiermacher,“ in Schleiermacher und Kierkegaard: Subjektivität und Wahrheit, hg. v. Niels Jørgen Cappelørn, Richard Crouter, Theodor Jørgensen und Claus-Dieter Osthövener, Schleiermacher-Archiv 21 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2008), 299 – 312, 310.  Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 287.

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wodurch sie zu einer „spezifischen Deutungsleistung“⁷⁷ wird. Es geht darum, die Welt als endliche Darstellung des unendlichen Universums zu betrachten, jedes Teil in den Zusammenhang mit dem Ganzen zu stellen, einschließlich des anschauenden Subjektes. Im Gegenstandsbereich des menschlich Wahrnehmbaren ist das „unendliche Noumenon in der Gestalt endlicher Phainomena anzuschauen“⁷⁸. Die vom Menschen ausgehende religiöse Anschauung des Universums ist damit ausschließlich auf einzelne endliche Erscheinungen gerichtet, da das ganze Unendliche per se jeglichem unmittelbaren endlichen Zugriff entzogen ist. Der Mensch nimmt gleichsam in jener Partikularität eine übergeordnete Struktur wahr. Somit ist gerade der Anschauung stets ein grundlegendes Differenzbewusstsein eingeschrieben. In seiner Ausrichtung auf das Universum ist der Anschauungsbegriff gegenständlich ausgerichtet. Dem gegenüber ist das sich „aus dem Innern“⁷⁹ emporarbeitende Gefühl auf den Menschen bezogen. Das Gefühl hat insofern eine Reintegrationsfunktion, da es die abgesonderten Anschauungen „zur Imagination des Universums“⁸⁰ erhebt und die Religion so zu „höchste[r] Blüthe“⁸¹ gelangt. Religion ist damit weder auf das unmittelbare Erfahren noch auf die Reflexion reduzierbar, sondern beide Momente sind füreinander notwendig, was in den Reden nicht zuletzt durch das Ineinander von religiöser und religionstheoretischer Rede ihren Ausdruck erfährt. Es ist, besonders angesichts der bewussten, geradezu poetischen Umschreibung dieses sprachlich unverfügbaren Momentes höchst problematisch, das religiöse Moment ausschließlich im unmittelbaren Erfahren oder dem reflexiven Moment zu identifizieren. Vielmehr sollte das unmittelbare religiöse Erleben als religiöses Ursprungsmoment gelesen werden, welches durch das Auseinandertreten von Anschauung und Gefühl eine notwendige Transformation erfährt. In diesem religiösen Ursprungsmoment kommt auf nicht begriffliche Weise jener Ordnungszusammenhang zu Bewusstsein, den die Anschauung vermittelt, so dass ihm eine „spezifische, subjektunabhängige Form von Rationalität“⁸² zu eigen ist. Auch das Gefühl ist nicht ausschließlich passiv, sondern beruht auf einer „Selbsttätigkeit des Geistes“⁸³. Eine Bestimmung erfährt dieses Gefühl vor allem durch seine Intensität, die mit der Intensität der Religiosität korreliert. Im Rahmen der Entfaltung der Religionstheorie in den Reden werden, so Roderich Barth, neben begriffsanalytischen Erwägungen auch weniger abstrakte Ausführungen angestellt, die konkrete Gefühle einschließen. Sie entsprechen einerseits den Konkretionen im Anschau-

 Stolzenberg, „Weltinterpretationen um 1800,“ 70.  Barth, „Was heißt ‚Anschauung des Universums‘,“ 233.  Schleiermacher, Reden, 222.  Jörg Dierken, „Das zwiefältige Absolute: Die irreduzible Differenz zwischen Frömmigkeit und Reflexion im Denken Friedrich Schleiermachers,“ Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte/Journal for the History of Modern Theology 1 (1994): 17– 46, 23.  Schleiermacher, Reden, 222.  Stolzenberg, „Weltinterpretationen um 1800,“ 71.  Schleiermacher, Reden, 218.

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ungsbegriff und leisten gleichzeitig eine Ausdifferenzierung desselben.⁸⁴ Der Gefühlsbegriff hat in den Reden die Funktion einer anthropologischen und subjekttheoretischen Verortung der Religion.⁸⁵ Insofern sind beide, sowohl Anschauung als auch Gefühl, referentielle Größen, die den Religionsbegriff im Subjekt verorten und gleichzeitig eine Orientierung auf etwas anderes, das unendliche Universum, implizieren. Zwischen diesen beiden Polen entfaltet sich das Religionskonzept der Erstauflage der Reden. ⁸⁶ Indem also die Reden Religion als genuin vorsprachliches Entgrenzungsmoment verorten, wird die Rede über Religion zum Problem. Gleichzeitig besteht jedoch Religion in einer spezifischen Perspektivierung der Wirklichkeit und ist damit eine Deutungsleistung, die in ihrer kognitiven Verarbeitung begrifflicher Natur ist. Im menschlichen Lebensvollzug drängt diese Deutungsleistung des Menschen in die Interpersonalität. Damit sind Rede und die sie konstituierende Sprache Problem und Notwendigkeit zugleich. Ausführlich widmet sich die Dritte Rede Über die Bildung zur Religion diesem Zusammenhang. Die hier gemachten Äußerungen zur Religion oszillieren. Einerseits wird die Religion in gewisser Weise hypostasierend beschrieben: Wenn sie [die Religion, Anm. M.S.] sich mit aller ihr eignen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen des eignen Gemüths in dem Strom dieser Bewegung zu ihrem Dienst mit fortreißt: so erwartet sie auch daß sie hindurch dringen werden bis ins Innerste eines jeden Individuums welches in ihrer Atmosphäre athmet, daß jedes homogene Theilchen werde berührt werden, und von derselben Schwingung ergriffen zum Bewußtsein seines Daseins gelangend durch einen antwortenden, verwandten Ton das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde. Nur so durch die natürlichen Äußerungen des eignen Lebens will sie das Ähnliche aufregen, und wo ihr das nicht gelingt verschmäht sie stolz jeden fremden Reiz, jedes gewaltthätige Verfahren, beruhigt bei der Überzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihr verschwistertes regen könne⁸⁷.

 Vgl. Roderich Barth, „‚Frömmigkeit nannten sie all diese Gefühle‘: Schleiermacher und die moderne Emotionsdebatte,“ in Der Mensch und seine Seele, 257– 275, 57.  Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 275. Indem der Gefühlsbegriff demnach den Religionsbegriff im Subjekt verortet, überbrückt er die Grenzen zwischen Selbstbezug und Weltbezug, der im Religionsbegriff immer mitgedacht werden muss. Thorsten Dietz sieht gerade in dieser Brückenfunktion einen entscheidenden Beitrag von Schleiermachers Gefühlsbegriff zur modernen Emotionsdebatte: Thorsten Dietz, „Emotions between Body and Mind: Philosophy of Emotion and Schleiermacher’s Concept of Feeling,“ in Interpreting Religion: The Significance of Friedrich Schleiermacher’s ‘Reden über die Religion’ for Religious Studies and Theology, ed. Dietrich Korsch and Amber L. Griffioen, Religion in Theology and Philosophy 57 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011), 19 – 36, 36.  In der Fortentwicklung seiner Theoriebildung verzichtet Schleiermacher, wie bereits benannt, zunehmend auf den Anschauungsbegriff, und der Gefühlsbegriff wird der vornehmliche anthropologische und geistphilosophische Ort der Religion: vgl. Barth, „Was heißt ‚Anschauung des Universums‘,“ 224. Für die Entwicklung des Gefühlsbegriffs sieht Jörg Lauster in der Dialektik und der Glaubenslehre die wichtigsten Quellen. Im Anschluss an Schleiermachers Gefühlsbegriff plädiert er für eine Neuformulierung dogmatischer Theologie unter den Bedingungen der Moderne, deren Grundlage Gefühle als sekundärer Ausdruck der inneren Erfahrung unmittelbaren Selbstbewusstseins sind. Vgl. Jörg Lauster, „Religion as Feeling: Schleiermacher’s Program as a Task for Theology,“ in Interpreting Religion, 73 – 84, 74. 82– 84.  Schleiermacher, Reden, 248.

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Der Religion wird eine Selbsttätigkeit zugeschrieben, gleichsam eine Kraft und Wirkweise, mit der sie sowohl zur freien Selbstmitteilung als auch zur Wirkung im Menschen fähig ist. Andrerseits ist die rhetorische Vermittlung von Religion klar durch den Redner bestimmt, der jene sprachlich zum Ausdruck bringt, auch wenn diese Äußerung schließlich wieder über externe Bedingungen charakterisiert wird. Für die religionstheoretische Einordnung dieser Aussagen ergibt sich damit der Befund, dass Religion zwischen dem religiösen Affekt, einem entgrenzenden Primärmoment und einer spezifischen Vermittlungsleistung zwischen Endlichem und Unendlichem im Sinne einer Deutung oszilliert. Anschauung und Gefühl sind hierbei „primäre religiöse Repräsentationsmodi am Orte des Subjektes“⁸⁸, welche erst in einem nachgeordneten Schritt zur Sprache kommen können. Bedingt wird sowohl der gelingende Ausgang dieser Selbstmitteilung der Religion als auch die Möglichkeit der rhetorischen Vermittlung durch Art und Maß der Bildung des Menschen.

2.1.2 Religionsaffine Bildung Obgleich die Reden ihr Thema expressis verbis in der Religion haben, ist das subkutane Thema − Bildung und Religion − als personifizierte Problemkonstellation im Untertitel enthalten. Beinahe wie eine Selbstvergewisserung buchstabiert Schleiermacher dieses Verhältnis von Bildung und Religion in seinen Texten wieder und wieder durch, jeweils in unterschiedlicher Akzentuierung, weswegen Ebeling dem Thema eine leitmotivische Prägekraft für Schleiermachers Wirksamkeit zuschrieb.⁸⁹ Zweifelsohne dürfte es sich bei der in den Reden beklagten Diskrepanz von zeitgenössischer Bildung und Religion, die hier in gewisser Weise als Symptom der Zeit verstanden wird⁹⁰, auch um eine biographisch aufgegebene Problemstellung Schleiermachers handeln, zu der ihn nicht erst das provokante Fazit seines AthenaeumsKollegen und Mitbewohners Friedrich Schlegel „je mehr Bildung, je weniger Religion“⁹¹ gebracht haben dürfte. Denn Schleiermacher war selbst während seiner Zeit im theologischen Seminar in Barby an die Grenzen der dort restriktiv gelehrten und gelebten herrnhutischen Frömmigkeit gestoßen, die sich mit seinem Fragen und Verstehen, mit seinem gebildeten Selbstverständnis, nicht in Verbindung bringen ließ.

 Kumlehn, Symbolisierendes Handeln, 56.  Gerhard Ebeling, „Frömmigkeit und Bildung,“ in Wort und Glaube, Bd. 3, Beiträge zur Fundamentaltheologie, Soteriologie und Ekklesiologie (Tübingen: Mohr, 1975), 60 – 95. Als Lebensthema Schleiermachers identifiziert Ebeling Frömmigkeit und Bildung, wobei der Terminus Frömmigkeit in den Reden und den Monologen kaum auftaucht. Für die Untersuchung des Verhältnisses von Frömmigkeit und Bildung in Schleiermachers Frühwerk legt er deswegen den – nicht identischen – Begriff der Religion zu Grunde.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 189. „Jetzt besonders ist das Leben der gebildeten Menschen fern von allem was ihr [der Religion; Anm. M.S.] auch nur ähnlich wäre“.  Friedrich Schlegel, „Athenäums-Fragment 233,“ in Friedrich Schlegel: Charakteristiken und Kritiken I (1796 – 1801), KFSA Abt. I Bd. 2, hg. v. Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jaques Anstett und Hans Eichner (München/Paderborn/Wien: Schöningh, 1967), 203.

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Die viel zitierten Briefe an seinen Vater, in welchen er die dort genährten Zweifel am zentralen Glaubensinhalt des stellvertretenden Sühnetodes und der Göttlichkeit des Menschen Jesus formuliert, geben davon lebendiges Zeugnis.⁹² Schleiermacher wird die Frage der Vereinbarkeit von Bildung und Glauben sein Leben lang traktieren. Insofern wollen die Reden erweisen, dass Religion nicht im Gegensatz zu Bildung steht, sondern wahre Bildung mit wahrer Religion in hohem Maße kompatibel ist.⁹³ In der Entstehungszeit der Reden befindet sich der Bildungsbegriff allerdings in einem virulenten Aushandlungsprozess.⁹⁴ Bildung verweist zu dieser Zeit noch nicht auf einen festgelegten pädagogischen Begriff. Im Gegenteil: Vielmehr avanciert Bildung zu einem theoretischen Konzept, das nach menschlicher Vergewisserung fragt und deren jeweilige historische Gestaltung sich abhängig von religiösen, philosophischen und politischen Gegebenheiten entwickelt.⁹⁵ Der Bildungsbegriff fungiert in diesem Zusammenhang als ein Diskursort, an dem das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und sich selbst neu bestimmt werden muss. Auch das menschliche Verhältnis zu Gott oder einer abstrakter zu beschreibenden externen Größe des Menschen wird darin fraglich und neu mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen verhandelt. Insofern können die bildungstheoretischen Entwürfe um 1800 als „kreative Antworten auf eine geistesgeschichtliche und realgeschichtliche Problemsituation“⁹⁶ verstanden werden. Diese Antworten können aufgrund der durch die Aufklärung versursachten tektonischen Verschiebung auf dem geistesgeschichtlichen Globus nicht mehr allgemein verbindlich mit der jüdisch-christlichen Tradition gegeben werden. Bildung wurde in christlicher Perspektive über die Annahme der Gottebenbildlichkeit oder die Bestimmung einer Nachbildung gemäß Christi Vorbild bestimmt. Die in der Geschichte der Kirche aus der Tradition des Alten und des Neuen Testaments entwickelten Theologoumena stellen die Entwicklung des Menschen in den Horizont der göttlichen  In einem Brief an seinen Vater aus dem Seminar in Barby schreibt er: „Ich kann nicht glauben, daß der wahrer ewiger Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte; ich kann nicht glauben, daß sein Tod eine stellvertretende Versöhnung war, weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat, und weil ich nicht glauben kann, daß sie nöthig gewesen, denn Gott könne die Menschen, die Er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind“. Friedrich Schleiermacher, „Brief 53, An J.G.A. Schleyermacher. Barby, Sonntag, 21.1.1787,“ in Briefwechsel 1774 – 1796 (Briefe 1 – 326), KGA Abt. V Bd. 1, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1985), 49 – 52, 50.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 242.  Vgl. Ursula Frost, „Das Bildungsverständnis Schleiermachers und Humboldts im Kontext der Frühromantik,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion,“ 859 – 877; Jens Brachmann, Der pädagogische Diskurs der Sattelzeit: eine Kommunikationsgeschichte, Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaften 30 (Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 2007).  Vgl. Michael Winkler, „Schleiermachers und Hegels Bildungsverständnis,“ in Reformation heute 1: Protestantische Bildungsakzente, hg. v. Christopher Spehr (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2014), 74– 96.  Frost, „Das Bildungsverständnis Schleiermachers,“ 859.

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Schöpfungs- und Heilsordnung, die durch eben jenen Schöpfergott und seine Inkarnation in Jesus Christus bestimmt ist. In dieser Traditionslinie wird in der deutschen Mystik des 14. Jahrhunderts der Begriff „bilden“ durch den Vorstellungsgehalt der Imago-Dei-Lehre angereichert und stellt damit eine zentrale Weiche für den spezifischen deutschen Sprachgebrauch des Wortes Bildung. Der Dominikanermönch Meister Eckhardt verbindet einerseits eine thomistische Interpretation der Imago-DeiLehre mit einer die Unsagbarkeit Gottes ins Zentrum rückenden negativen Theologie und überführt diese andrerseits in ein Bildungsverständnis mit „paradoxale[m] Charakter“⁹⁷. Im Zentrum dieses Bildungsverständnisses steht die „mystische Geburt des Sohnes in der Seele“⁹⁸. In der unio mystica kann der Mensch so gnadenhaft, aber nicht naturhaft „gottförmig“⁹⁹ werden. Obwohl diese Vorstellung bei Eckhart durch die mystische Rezeption einer negativen Theologie eine bildnegierende Wendung einnimmt, der Mensch „bilde sunder bilde“¹⁰⁰ wird, enthält dieses Denken eine teleologische Ausrichtung. Die Zielperspektive ist, wenn auch nicht bildlich, Gott und dessen Heilswirklichkeit. Davon abgrenzend wird die Bildung des Menschen in den bildungstheoretischen Entwürfen am Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr als Einordnung des Menschen in eine solche extern gestiftete Ordnung gedacht, sondern wird selbstreferentiell. Es ist nicht mehr Gottes Ordnung, die die Zielperspektive des Menschen im Sinne einer Verwirklichung als Ebenbild Gottes oder gnadenhaft angenommener Sünder bestimmt, sondern dieser Prozess ist letztlich an den Menschen selbst rückgebunden. Bildung des geschichtsoffenen Wesens Mensch besteht in der selbsttätigen Hervorbringung von Welt und Selbst in sich und darin, sowohl für Weg als auch Ausrichtung dieses Werdens selbst verantwortlich zu sein.¹⁰¹ Für das Erziehungsdenken der Sattelzeit liefert Schleiermacher vor allem mit seinen späteren Vorlesungen und unterschiedlichen Gutachten, die er in seiner Funktion als Direktor im preußischen Kulturministerium anfertigt, zentrale Impulse, weswegen Jens Brachmann zu dem Schluss kommt, dass sowohl die Entwicklung der preußischen humanistischen Gymnasien als auch die Verwissenschaftlichung des Erziehungswesen ohne Schleiermacher „wenig denkbar“¹⁰² seien. Die Äußerungen in den Reden stehen biographisch vor dem Erziehungstheoretiker der späteren Jahre. Dennoch bieten sie nicht nur einen Vorschlag zu einer den Bedingungen der Moderne entsprechenden Religionstheorie, sondern sind ebenso ein Beitrag zur aufgeworfenen Frage nach einer dem Menschen angemessenen Gestalt-

 Hans Schilling, Bildung als Gottebenbildlichkeit: Eine motivgeschichtliche Studie zum Bildungsbegriff, Grundfragen der Pädagogik 15 (Freiburg: Lambertus-Verlag, 1961), 24.  Ebd., 25  Ebd., 27.  Meister Eckhart, „Predigt XCV,“ in Deutsche Mystiker des Vierzehnten Jahrhunderts, Bd. 2, Meister Eckhart: Predigten, Traktate, hg. v. Franz Pfeiffer (Aalen: Scientia-Verl., 1962), 307– 309, 308.  Vgl. Frost, „Das Bildungsverständnis Schleiermachers,“ 859 – 877.  Brachmann, Der pädagogische Diskurs der Sattelzeit, 459.

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werdung und Entwicklung seiner selbst. Die Reden und andere frühe Schriften Schleiermachers sind durch die Verwendung des Begriffs Bildung an dieser Aushandlung beteiligt. Allerdings bieten auch die Reden noch kein abgeschlossenes Bildungskonzept. Riemer weist darauf hin, dass die Verwendung von Bildung und Bilden in den Reden nicht identisch ist mit einem durchgearbeiteten und systematisch reflektierten Bildungsbegriff.¹⁰³ Im Gegensatz zu einem solchen Bildungsbegriff wird in den Reden oftmals in einem unspezifischen Sinn von Bildung und Bilden gesprochen. Hinzu kommt, dass die Reden noch keine durchgearbeitete Bildungstheorie beinhalten, weswegen jegliche Erschließung einer Bildungstheorie aus den Reden stets auch deutlich produktive Teile aufweisen muss und deswegen von Bauer zu Recht als „Entwicklung des Darstellers“¹⁰⁴ beschrieben wird. Die entsprechenden Monographien zu Schleiermacher und Bildung gehen deswegen zwei Wege. Sie reduzieren die Fragestellung nicht auf den Bildungsbegriff in den Reden, sondern setzen sich mit dem Bildungsverständnis¹⁰⁵, dem Bildungsgedanken¹⁰⁶ oder der Bildungstheorie¹⁰⁷ bei Schleiermacher auseinander. Wo eine starke Fokussierung auf die Begriffsverwendung stattfindet, geht die Gesamtfrageperspektive dennoch deutlich darüber hinaus und analysiert vergleichend verwandte Begriffe in Differenz und Identität. Solch ein Vorgehen weist die Arbeit Ehrhardts auf.¹⁰⁸ Zum anderen beschränken sie sich nicht auf Bildung in den Reden, sondern erweitern den Untersuchungsgegenstand auf unterschiedliche Schriften, oftmals im Sinne einer werkgenetischen Untersuchung, wofür ebenfalls die zitierte Monographie Bauers exemplarisch steht. In den Reden gibt es demnach unterschiedliche Ebenen, auf denen Bildung begrifflich und konzeptionell anklingt. In einem unspezifischen Sinn beschreiben der Begriff Bildung und seine Derivate in den Reden einen Prozess des Werdens, Formens und Gestaltens sowie zugleich das Ergebnis dieses Prozesses. Dieser kann entweder im Sinne eines organischen Werdens aus sich heraus stattfinden oder aber in einer „künstlichen“¹⁰⁹ Art und Weise erzeugt werden, wobei Letztere stets kritisch konnotiert ist. Dieses Werden beschreibt die Grunddynamik des Universums, weswegen das Universum sowohl als Akteur als auch als Gegenstand dieser Bildung beschrieben werden kann.¹¹⁰ Von dieser übergeordneten schöpferischen Bildungstätigkeit des

 Vgl. Matthias Riemer, Bildung und Christentum: Der Bildungsgedanke Schleiermachers (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989), 9.  Bauer, Das Bildungsverständnis des Theologen Friedrich Schleiermacher, 7.  Vgl. ebd.  Vgl. Riemer, Bildung und Christentum, 1989.  Vgl. Ursula Frost, Einigung des geistigen Lebens: Zur Theorie religiöser und allgemeiner Bildung bei Friedrich Schleiermacher (Paderborn/München/Wien/Zürich: Ferdinand Schöningh, 1991).  Vgl. Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher.  Schleiermacher, Reden, 290.  Diese umfassende Dimension wird in der Darstellung von Schleiermachers Bildungsbegriff abgebildet bei: Eilert Herms, „Schleiermachers Bildungsbegriff und seine Gegenwartsrelevanz,“ in Bildung in evangelischer Verantwortung auf dem Hintergrund des Bildungsverständnisses von F.D.E.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

Universums sind zwei unterschiedliche Perspektiven auf Bildung zu eröffnen, welche im Zentrum der Überlegungen der Reden steht. Ihr spezifisches Kennzeichen ist ihre Affinität zur Religion, das heißt hier, dass sie Religion begünstigt und somit in gewisser Weise eine Neigung zu ihr aufweist. Damit ist Religionsaffinität hier eine bestimmte Qualität, die Bildung charakterisiert.¹¹¹ Die beiden Formen religionsaffiner Bildung sind einerseits Abwesenheit von Bildungshemmnissen und andrerseits eine spezifische kommunikative Vermittlungsleistung. Indem das Werden des Universums als übergeordnete Wirksamkeit desselben gedacht wird, sind menschliche Bildungsbestrebungen obsolet. In dieser Perspektive ist Bildung zur Religion, oder eben eine religionsaffine Bildung, durch die Abwesenheit von Bildungshemmnissen gekennzeichnet. Sofern der Mensch sich im Rahmen des fortdauernden Werdens des Universums entfaltet, wird er auch aufgrund seiner religiösen Anlage aus sich heraus ein Verhältnis zum Universum entwickeln. Darüber hinaus wird das Werden des Menschen im Sinne personaler Bildung als kommunikative Vermittlungsleistung beschrieben, die in den kosmologischen Gesamtwerdungsprozess eingeschlossen ist. In einem ersten Schritt wird nun Bildung als Abwesenheit von Bildungshemmnissen analysiert, worauf in einem zweiten Schritt eben jenes personale Werden des Menschen als Teil der Wirksamkeit des Universums zur Sprache kommt. In erster Linie besteht religionsaffine Bildung also darin, die freie Entfaltung der Religion des Menschen zu gewähren. Die Reden kennen unterschiedliche anthropologische Größen, welche diese Gestalt der Bildung bedingen. Die freie Entfaltung der Religion im Sinne religionsaffiner Bildung wird gemäß der anthropologisch verorteten Religionstheorie insofern auch als Thema eben dieser Anthropologie behandelt. In den Reden wird der Menschen per se zum homo religiosus erklärt: Er sei mit einer Anlage zur Religion ausgestattet.¹¹² Als anthropologische Disposition zur Religion ist sie angeboren und kann dem Menschen nicht von außen vermittelt werden. Bei der Entfaltung dieser Anlage kommt dem religiösen Sinn und dem ihn schützenden Trieb

Schleiermacher: Eine Studie des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union, hg. v. Joachim Ochel (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 151– 176.  Religionsaffine Bildung als Abwesenheit von Bildungshemmnissen und Bildung des Individuums durch Interpersonalität kann damit vorsichtig als Bedingung einer Religionsaffinität verstanden werden, wie sie Claus-Dieter Osthövener in seinem gleichnamigen Aufsatz entwickelt. Er bestimmt Religionsaffinität im Sinne eines kulturwissenschaftlichen Konzeptes als „Interesse an der wechselseitigen Transparenz von Sinnressourcen“ und „Synkretismus als Chance der produktiven Grenzüberschreitung“ zwischen religiöser und areligiöser Sphäre, die „die kulturelle Kompetenz eines konstruktiven Umgangs mit der religiösen Ausdruckskultur zu befördern“ vermag. Claus-Dieter Osthövener, „Religionsaffinität: Erkundungen im Grenzbereich von Theologie und Kulturwissenschaften,“ Zeitschrift für Theologie und Kirche 112 (2015): 358 – 377, 370. Während jedoch Osthövener hervorhebt, dass dieser Religionsaffinität ein eigenes Recht zukomme, basieren die bildungstheoretischen Überlegungen der Reden auf der Annahme einer alles umfassenden Unendlichkeit, welche sich dem Individuum mittels religionsaffiner Bildung erschließen solle.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 252.

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sowie der die konkrete Religion gestaltenden Fantasie zentrale Bedeutung zu. In der Art und Weise, wie ihr Zusammenspiel im Organismus des Menschen bestimmt wird, klingt die im 18. Jahrhundert weit verbreitete Ansicht nach, dass der Mensch in gewisser Weise als „Mechanismus von Funktionen“¹¹³ zu begreifen sei. Die Beschreibung des Sinns bleibt vage und bewegt sich auf einer phänomenologischen Ebene.¹¹⁴ Der religiöse Sinn in den Reden richtet den Menschen auf das Universum aus und ermöglicht damit religiöse Entfaltung. Zeitgenössisch verwandt ist diese Vorstellung mit der Bestimmung des Sinns in Novalis’ Die Christenheit oder Europa. Hier fungiert der Sinn als „Schlüsselbegriff“¹¹⁵ für die Erneuerung der Menschheit aus der Religion heraus. Gleichzeitig stellt Schleiermachers religiöse Kodierung des Sinns auch eine philosophiegeschichtliche Abgrenzung dar. Roderich Barth interpretiert die in den Reden vorgenommene Explikation eines genuin religiösen Sinns als Gegenentwurf zu den moral sentiments in der britischen Philosophie, die auch in Deutschland breite Rezeption erreichte.¹¹⁶ Der Sinn wird in den Reden in gewisser Weise als Organ des Menschen beschrieben. Zwischen dem Sinn und der die Religion konstituierenden Anschauung des Einzelnen besteht ein Korrelationsverhältnis. Desto mehr die „Schärfe und Weite“ des Sinns ausgeprägt ist, desto größer auch „Umfang und Wahrheit“ ¹¹⁷ der Anschauung jedes Einzelnen. Für den Sinn ist ein vermitteltes Verhältnis von Freiheit und Beschränkung zentral. Vorrangig behandeln die Reden die Freiheit des Sinns, die als Universalität desselben „erste und ursprüngliche Bedingung der Religion“¹¹⁸ ist. Genau sie wird jedoch nicht gewährleistet, da der Sinn in „Sklaverei“ gehalten wird. Weder Verständnis, Erklärung noch Differenzierung folgen den „Verstandesübungen“¹¹⁹, in denen Schleiermacher das Gefängnis des Sinns sieht. Nicht das eigene Betrachten, sondern das Vorzeichnen¹²⁰ ist ihr Verfahren. Der freie Sinn bedarf allerdings auch zwangsläufig einer Richtung. Ist diese Richtung bereits eine Einschränkung der Freiheit des Sinns? Ja und nein. Beschränkt wird letztlich der Sinn in seiner „Thätigkeit“¹²¹, in seiner „Kraft“. Gerade durch diese Beschränkung gelangt der Sinn paradoxerweise zu größtmöglicher „Allgemeinheit“¹²². Die Bildung des Sinns ist jedoch nicht nur eine Notwendigkeit zur Beförderung der Religion, sondern vielmehr eine Notwendigkeit zur Selbsterhaltung. Eine einseitige Selbstreferentialität des Sinns führt zu einem Mangel an Anschau-

 Arend, Einführung in Rhetorik, 45.  Vgl. Dierken, „‚Daß eine Religion,“ 683.  Hans Joachim Mähl, „Die Christenheit oder Europa,“ in Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Bd. 3., hg. v. Hans Joachim Mähl, Hans Jürgen Balmes und Richard Samuel (München/Wien: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987), 579 – 604, 596.  Vgl. Barth, „‚Frömmigkeit nannten sie all diese Gefühle,“ 259.  Schleiermacher, Reden, 260.  Ebd., 271.  Ebd., 260.  Vgl. ebd., 258.  Ebd., 260.  Ebd., 261.

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ungsgegenständen. Der Sinn, der nur sich selbst betrachtet, verkümmert, da er keine Stärke aus der Betrachtung weiterer Objekte ziehen kann. Genauso führt eine gegenteilige Außenorientierung des Sinns zu dessen Ende. Der Sinn verliert sich in den Weiten ungerichteter Betrachtung, er gerät in Verwirrung. Das Ende des Sinns in diesem Fall ist ein „sthenischer Tod“¹²³, der voller Tätigkeit und Kraft geschieht. Hier wie dort ist es letztlich der Zusammenhang, der nicht wahrgenommen wird. Die reine Gegenüberstellung der beiden Größen von Außen und Innen, von Endlichem und Unendlichem würde jedoch ebenso wenig zu tieferem Verständnis führen. Vielmehr wirkt Sinn sowohl nach innen als auch nach außen. Die dritte Richtung ist die Verbindung dieser beiden Bereiche. Alternierend muss der „Sinn in ein stetes hin her Schweben zwischen beiden“¹²⁴ versetzt werden. Die Richtungen des Sinnes implizieren tatsächlich seine Bewegung, sich in die Dinge hineinzugeben, wobei das Ziel eine Vereinigung aller Richtungen darstellt. Nur indem der Sinn alle Richtungen hat, kann er „den ungetheilten Eindruk von etwas Ganzem […] faßen“, dabei jedoch immer den „eigenthümlichen Charakter“¹²⁵ begreifen. Über das Ziel des Sinns ist damit ebenfalls einiges gesagt. Der Sinn will wahrnehmen: „ungetheilten Eindruk von etwas Ganzem“, „erschauen“, das Spezielle in jedem Einzelnen „erkennen“. Als solcher ist der Sinn „epistemologisches Vermögen“¹²⁶. Dieses Vermögen wirkt aktiv und passiv: „will finden und sich finden lassen“¹²⁷. In diesem wechselseitigen dynamischen Prozess geschieht eine gegenseitige Aneignung der spezifischen Eigentümlichkeit des jeweiligen Gegenübers. Aneignung bedeutet deswegen immer Veränderung des Sinns und seines Gegenstandes. Gebildet werden in diesem Geschehen beide Seiten. Der Sinn ist produktiv-ästhetisches Vermögen des Menschen.¹²⁸ Sinnesbildung ist immer gleichzeitig Bildung durch den Sinn und Bildung des Sinnes. Sie resultiert in einer vermittelten Wahrnehmung der Welt, zu genau jener spezifischen Welthermeneutik, die die höchste Bildungsstufe der Religion darstellt. Auf ihr wird alles Einzelne als ein spezifischer Teil des Ganzen wahrgenommen. Um den Sinn vor der Zerstörung zu schützen, besitzt jeder Mensch einen Trieb¹²⁹, dessen Hauptfunktion Retardierung ist.

 Ebd., 259.  Ebd., 261. Da jedoch besonders diese alternierende Richtung eine zentrale Bedeutung für eine religionsaffine Bildung des Sinns hat, ist es einseitig, lediglich von einer „Entschränkung der Sinne“ zu sprechen, wie dies bei Nowak geschieht. Vgl. Kurt Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik: Eine literaturgeschichtliche Studie zum romantischen Religionsverständnis und Menschenbild am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986), 190.  Schleiermacher, Reden, 254.  Manuel Bauer, Schlegel und Schleiermacher: Frühromantische Kunstkritik und Hermeneutik, Schlegel-Studien 4 (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2011), 228.  Schleiermacher, Reden, 254.  Den Sinn als ein „rezeptives Vermögen des Menschen“ zu beschreiben, wie dies mehrfach bei Manuel Bauer geschieht, dürfte die herausgearbeitete produktive und damit auch ästhetische Dimension des Sinns unterbestimmen. Vgl. Bauer, Schlegel und Schleiermacher, 225.  Schleiermacher, Reden, 253.

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Der Trieb veranlasst den Menschen zu Ruhe und Kontemplation, zur Öffnung für die Unendlichkeit. Dadurch ermöglicht er dem Sinn Anschauung. Während demnach der „Maßstab für die Art der Religiosität“¹³⁰ der Sinn des Menschen ist, gestaltet die Fantasie individualisierte Religion: „Ich habe Euch selbst auf verschiedene Grade in der Religiosität aufmerksam gemacht, ich habe auf zwei verschiedene Sinnesarten hingedeutet und auf verschiedene Richtungen nach denen die Fantasie sich den höchsten Gegenstand der Religion individualisirt.“¹³¹ Ausgangspunkt für diese individualisierte Religion ist das religiöse Grundaxiom der primären Wirksamkeit des Universums, da in ihr als religiöse Grundanschauung das Universum „als ursprünglich handelnd auf den Menschen“¹³² gesetzt wird. Die Individualisierung von Religion ist somit keine völlig beliebige Tätigkeit des Geistes, sondern abhängig von diesem Grundaxiom und individuellen Setzungen, woraus sowohl theistische als auch nicht-theistische Gottesvorstellungen als gerichtete Wirksamkeit der Fantasie resultieren können. Die theistische Gottesvorstellung stellt jedoch weiterhin eine mögliche Anschauung des Universums dar. Der für das Christentum zentrale Nexus von Gott und Religion wird in den Reden zu einer möglichen Option von Religion. Jörg Dierken spricht deswegen von einer „Enttheologisierung des Religionsbegriffs“¹³³, wobei, dies präzisierend, auch von einem optionalen Theismus hinsichtlich der Position der Reden gesprochen werden kann. Ohne Fantasie ist schlechterdings keine konkrete und individuelle Religion denkbar, sie ist das „höchste und ursprünglichste im Menschen“¹³⁴ und Konstrukteur der den Menschen umgebenden Welt und der ihr korrelierenden Religion. Diese weltkonstituierende Dimension wird noch übertroffen durch die Vorstellung der Offenbarung einer zukünftigen Gestalt der Menschheit durch die Fantasie.¹³⁵ Insbesondere im Blick auf die Gottesvorstellung, aber auch im Blick auf das Religionsverständnis der Reden, steht die Fantasie für ein freiheitliches Momentum.¹³⁶ Kritisch ist es demgegenüber, sich „zügellosen Fantasien“¹³⁷ in Verbindung mit einem ungebildeten Sinn hinzugeben. Hieraus resultiert keine durch die Fantasie gebildete Religion,

 Ebd., 245.  Ebd., 270.  Ebd., 245. An diesem entscheidenden Punkt wird deutlich, wie hermeneutisch reflektiert die Religionstheorie Schleiermachers ist. Denn die Setzung dieses handelnden Universums impliziert nicht nur die Annahme der primären Kausalität des Universums, sondern auch des religiösen Subjektes, welche diese Annahme vorgeordnet zu setzen hat. Insofern ist die Frontstellung zu den Gebildeten, welche sich ihr Universum selbst geschaffen haben, zwar deutlich, aber nicht unüberbrückbar. Gleiches gilt für die viel zitierte Gegenposition Fichtes, deren Ich die Welt setzt. Unberücksichtigt bleibt diese hermeneutische Wendung des Satzes bei Schleiermacher durch: Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher, 28.  Dierken, „Daß eine Religion,“ 669.  Schleiermacher, Reden, 245.  Vgl. ebd., 230.  Vgl.Wayne Proudfoot, „Intuition and Fantasy in ‚On Religion’,“ in Interpreting Religion, 87– 98, 95.  Schleiermacher, Reden, 245.

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sondern Wahnsinn, letztlich eine völlige Überreizung des Menschen. Strukturanalog zum Sinn wird demnach eine unbegrenzte Freiheit der Fantasie ebenfalls als defizitärer Gebrauch gewertet. Damit bedingt die Fantasie als produktives Vermögen die Ausbildung individualisierter Religion und besonders der darin enthaltenen Gottesvorstellung. Dies geschieht, indem sie gemäß den Axiomen der individuellen Vorstellungskraft eines Individuums die Wirklichkeit als Beziehung des Unendlichen zum Endlichen konstruiert und deutet. Während die Reden die Fantasie hinsichtlich ihrer gestaltenden produktiven Funktion für die Religion entfalten, wird in Friedrich Schlegels Rede über die Mythologie die Bedeutung der Fantasie für die Poesie entfaltet. In der Arabeske erkennt er „die älteste und ursprünglichste Form der menschlichen Fantasie“¹³⁸. Aus ihr muss die neue Mythologie entspringen, welche im Gegensatz zu vernünftiger Gesetzlichkeit steht und „in das ursprüngliche Chaos menschlicher Natur“¹³⁹ zurückführt. Es wird deutlich, dass in Schlegels Rede „der universale Einheitszusammenhang des Wirklichen im poetologischen Kunstwerk an einem individuell gebildeten Stoff seinen symbolischen Ausdruck findet“¹⁴⁰. Damit findet die Konzeptualisierung in den Reden und der Rede deutlich strukturanalog statt und die Fantasie erhält einen zentralen Stellenwert im Blick auf die jeweilige individuelle Ausprägung von Religion und Poesie im von Schlegel intendierten umfassenden Sinne.¹⁴¹ Bezeichnend ist hier, dass Schleiermacher in den Reden überwiegend die frühromantische Vorzugsvokabel der Fantasie verwendet und kaum von der Einbildungskraft spricht. Von dem im 18. Jahrhundert festzustellenden „Siegeszug der Einbildungskraft“¹⁴², welcher sich in den Theoriebildungen der Ästhetik, der Poetologie und des Erkenntnisvermögens durch eine Aufwertung des produktiven ästhetischen Vermögens äußert, sind die Reden demnach unbeeinflusst. Umso deutlicher wird dies, berücksichtigt man, dass Schleiermacher in den seinerzeit unveröffentlichten philosophischen Jugendmanuskripten in unterschiedlichen Zusammenhängen auf das Bildvermögen des Menschen unter dem in anderer philosophischer Tradition stehenden Begriff der Einbildungskraft rekurriert, so in folgenden Texten: Über das höchste Gut (1789)¹⁴³, Freiheitsgespräch (1789)¹⁴⁴, Über die Freiheit (zwischen 1790 – 1792)¹⁴⁵, Entwurf zur Abhandlung über den Stil (1790/91)¹⁴⁶, Über den Stil (1790/

 Friedrich Schlegel, „Gespräch über die Poesie,“ in Charakteristiken und Kritiken, 284– 351, 319.  Ebd.  Stolzenberg, „Weltinterpretationen um 1800,“ 75.  Neben der Hervorhebung der Individualität wird auch der Aspekt der Fragmentarizität religiöser Anschauung als konzeptioneller Anknüpfungspunkt in den Vorstellungen von Fantasie bei Schlegel und Schleiermacher benannt: vgl. Proudfoot, „Intuition and Fantasy,“ 95.  Ulrich Barth, „Ästhetisierung der Religion – Sakralisierung der Kunst: Wackenroders Konzept der Kunstandacht,“ in Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 225 – 256, 240.  Friedrich Schleiermacher, „Über das höchste Gut (1789),“ in Jugendschriften 1787 – 1796, KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1984), 81– 128, 117.  Ders., „Freiheitsgespräch (1789),“ in ebd., 135 – 164, 151 f., 155 – 157. 162.  Ders., „Über die Freiheit (Zwischen 1790 und 1792),“ in ebd., 217– 356, 241.

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91)¹⁴⁷, Über den Wert des Lebens (1792/93)¹⁴⁸ und Über den Geschichtsunterricht (1793)¹⁴⁹. In der Frühromantik wird in Abgrenzung zur regulierten Einbildungskraft die entgrenzte Fantasie zum Medium kreativer Weltaneignung schlechthin. Die Begriffe Religion und Romantik dienen als „rotierende Signifikanten einer neuen Terminologie“ genauso wie „als einander auffangende Medien zur Darstellung einer brüchig werdenden Wirklichkeit“¹⁵⁰. Die Reden formulieren demnach eine religionstheoretische Fassung der Fantasie, welche jedoch nur zum Teil die Entgrenzungsprogrammatik der Frühromantik teilt. Für die Entfaltung positiver und individualisierter Religion hat die Fantasie großes theoretisches Gewicht. Sinn und Trieb sowie Fantasie sind demnach im menschlichen Organismus die anthropologisch relevanten Größen für eine religionsaffine Bildung, die eine freie Entfaltung der Religion ermöglichen. Der Sinn dient der Entfaltung der religiösen Anlage, indem er der Katalysator des Bildungsprozesses ist, und wird vom Trieb geschützt. Die Fantasie schließlich bildet Religion in einer konkreten und individuellen Form. Der in dieser Weise religiös konstituierte Mensch müsste diese Religion frei entfalten können. Allerdings wird in den Reden ein fehlgeleitetes Konzept von Erziehung dafür verantwortlich gemacht, die naturgemäße menschliche Entfaltung der Religion zu behindern, in einer dem „Extrem des Nützlichen“¹⁵¹ unterworfenen Zeit. Am schädlichsten für die Religion sind nicht die kritischen Geister, noch die Herablassenden, sondern allen voran die „Verständigen und praktischen Menschen“¹⁵². Sie stellen in der gegenwärtigen Situation die Mehrheit der Menschheit dar und werden deswegen direkt für den schlechten Entwicklungszustand der Religion verantwortlich gemacht. In ihrem bürgerlichen Ethos und dem damit verbundenen Weltverhältnis kritisiert der Redner sowohl die Methode der Welterschließung in der Form des Verstehens als auch ihre Wirksamkeit.¹⁵³ Die durch sie beförderte pragmatische und geschäftige Ausrichtung von Bildung ist ein Antipol zur positiv besetzten sinngeleiteten und damit religionsaffinen Bildungstheorie der Reden. An Stelle von Bildung und Erziehung sieht der Redner eine „Wuth des Verstehens“¹⁵⁴ am Werk, die in einer für die

 Ders., „Entwurf zur Abhandlung über den Stil (1790/1791),“ in ebd., 357– 362, 361.  Ders., „Über den Stil (1790/1791),“ in ebd., 363 – 390, 373.  Ders., „Über den Wert des Lebens (1792/1793),“ in ebd., 391– 472, 399.  Ders., „Über den Geschichtsunterricht (1793),“ in ebd., 487– 498, 493. 495.  Christian Senkel, „Die Macht der Phantasie und der theologische Diskurs,“ in Der Mensch und seine Seele, 485 – 508, 485.  Schleiermacher, Reden, 256.  Ebd., 252.  Vgl. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 190.  Ebd. Jochen Hörisch hat die Formel der „Wut des Verstehens“ zum Schlagwort für eine Rezeption des Frühromantikers Schleiermacher als Anti-Hermeneutiker gemacht. Vgl. Jochen Hörisch, Die Wut des Verstehens: Zur Kritik der Hermeneutik (Frankfurt: Suhrkamp, 1988). Für die kritische Auseinandersetzung mit dieser begrifflichen Fehlinterpretation sei hier auf Manuel Bauer verwiesen. Er versteht die Formel der Wut des Verstehens als eine Polemik gegen den aufklärerischen Verstandesbegriff. Vgl.

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Religion ungünstigen Weise wirkt. Die Erziehung¹⁵⁵ besteht in einer kleinteiligen Betrachtung und Analyse der Welt, die dem Anschauen konträr gegenübersteht. Unter dem „Joch des Verstehens und Disputirens“¹⁵⁶ kann keine Anschauung entstehen. Somit wird auch der Sinn gehemmt. Das Verstehen hat eine kategorisierend-analytische Funktion, es will aufzählen und definieren und alles kleinteiliger Betrachtung unterziehen. Die so ausgerichtete Bildungshermeneutik bzw. die darin enthaltene erkenntnisleitende Methode steht der produktiv-ästhetischen Dimension des religiösen Sinns diametral gegenüber und verhindert seine Wirkweise. Das Verstehen ist demnach grundsätzlich gegenläufig zu der durch die Reden angestrebten differenzierten Synthese, die alles in seiner individuellen Ausprägung in den Zusammenhang des Weltganzen einordnet und die auch bei anderen Frühromantikern wie Schlegel und Novalis in Form einer „Reintegration der disparaten und segmentierten Elemente in einer höheren […] Synthesis“¹⁵⁷ eine zentrale Rolle spielt. Als Lebensweise korreliert mit diesem kritisierten Bildungsmodell ein gewisser Pragmatismus, der vor allem darauf bedacht ist, allen Handlungen „Absicht und Zweck“¹⁵⁸ zu unterlegen und Bildung vermeintlich lebensdienlich zu gestalten. Dies bedeutet faktisch jedoch eine Abwendung vom Universum als Gegenstand der Religion bzw. Weltbetrachtung unter den skizzierten falschen hermeneutischen Prämissen. Diese Richtung der Bildung ist religionshinderlich. Durch die Art und Weise des Verstehens werden die Gegenstände der Betrachtung eingeschränkt: Das Unendliche gerät aus dem Blick, an dessen Stelle tritt das Endliche in seiner äußersten Differenziertheit. Diese Festlegung führt zu einem Mangel an Anschauungsgegenständen bzw. einer ungenügenden Weise der Anschauung: „alles nur in der schlechten Manier der gemeinen Erkenntniß vorgezeichnet“¹⁵⁹ und nicht gezeigt. Somit wird weder der Zusammenhang der Sache noch ihr eigenes Wesen betrachtet. Die Einseitigkeit der jeweiligen Betrachtung, die am Zusammenhang des Ganzen kein Interesse hat, führt zur Reduktion der Richtungen des Sinns und damit zu seiner Verkümmerung bzw. seinem Verlust. Die erste Dimension von Bildung in den Reden wurde somit als freie Entfaltung der Anlage, des Sinns, des Triebs und der Fantasie dargestellt. Sie sind Teil des bildenden Werdens des Universums. Deutlich wurde, dass die Anlage eine anthropologische Disposition zur Religion darstellt. Durch den Sinn, der als epistemisches Vermögen verstanden werden muss, wird der Menschen auf die umfassende Wirklichkeit des Universums ausgerichtet. Aufgezeigt wurde darüber hinaus, dass dieser Sinn

Bauer, Schlegel und Schleiermacher, 227. Allerdings wird auch hier zu wenig darauf verwiesen, dass es nicht nur andere Verständnisweisen sind, die Schleiermacher in Position bringt, sondern – wie auch der Titel der dritten Rede besagt – ein besonderes Bildungskonzept.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 252.  Ebd., 253.  Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 190.  Schleiermacher, Reden, 253.  Ebd., 258.

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durch einen Trieb geschützt wird. Die Fantasie deutet schließlich die Wirklichkeit im Sinne eines Gottesbildes und der ihm korrelierenden Religion. Bildungshinderlich ist demgegenüber ein an bürgerlichem Arbeitsethos ausgerichtetes Verständnis von Bildung, das die Öffnung des Menschen zum Universum durch eine fragmentierte Wahrnehmung der Wirklichkeit verstellt.¹⁶⁰ In einer zweiten Dimension wird nun Bildung als personale Bildung beschrieben, die in den übergeordneten Prozess des stets werdenden Universums eingebettet ist. Als Theoriekonzept wird im Begriff der Bildung das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und das Verhältnis von Mensch und Unendlichkeit neu verhandelt. Bildung ist damit eine spezifische Form von Relationierung. In den Reden ist diese Relationierung doppelt zu beschreiben: Als erste Gestalt wird hier das Werden des Universums im Sinne einer fortschreitenden Darstellungstätigkeit als Bilden bezeichnet. Bildung findet dann zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit statt und ist ein transpersonaler Prozess. Dieser transpersonale Bildungsprozess ist als Bedingung der Rede über Religion kaum relevant, sondern stellt vielmehr eine übergeordnete Theorieannahme für den personalen Bildungsprozess dar, die zweite Gestalt von Relationierung. Bildung ist so zu bestimmen als das Werden des Menschen. Einerseits ist diese Bildung als Individualitätsbildung zwischen Mensch und Menschheit und als Bildung zur Religion zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit zu verorten. Anders als Daniel Tobias Bauer, der in seiner Arbeit menschheitliche und religiöse Bildung durch einen doppelten Religionsbegriff und einen doppelten Menschheitsbegriff getrennt voneinander angelegt sieht, wird hier von einem aufeinander aufbauenden Bildungsverständnis ausgegangen. Die Bildung des Menschen zur Menschheit stellt einen Schritt auf dem Weg zu vollendeter Bildung dar. Sie wird im Konzept der Reden jedoch durch die Vorstellung vollendet gebildeter Religion eines Menschen übertroffen. Das Bewusstsein für diese Abhängigkeit des Menschen vom Universum ist die höchste Stufe der Bildung. Die in den Reden entfaltete Theorie der Individualitätsbildung vermittelt den Menschen mit der Menschheit. Sie geht davon aus, dass jeder Mensch ein „Compendium der Menschheit“¹⁶¹ ist, wobei fraglich bleibt, welche Elemente diese Menschheit konstituieren. Die These dieser Zusammenfassung aller Elemente der Menschheit in jedem Individuum hat jedoch großes theoretisches Gewicht, da so der Zusammenhang von Menschheit und Mensch grundgelegt wird. Dadurch steht der Mensch per se in einem bestimmten Verhältnis zur Menschheit. Die Wahrnehmung dieses Sachverhaltes in Form eines Selbstbewusstseins und die spezifisch relational bedingte Ausprägung aller Elemente der Menschheit wird dann als Bildung des Individuums bestimmt. „Ihr wißt die Art wie jedes einzelne Element der Menschheit in  Die in den Reden vorgetragenen Kritikpunkte treffen weniger die Aufklärungspädagogik im Kern, sondern sind größtenteils Polemik. An mangelnder Kenntnis lag es vermutlich nicht. Bereits der frühe Schleiermacher beschäftigt sich mit den pädagogischen Erziehungskonzepten der Aufklärung. Vgl. Brachmann, Der pädagogische Diskurs der Sattelzeit, 473.  Schleiermacher, Reden, 232.

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einem Individuo erscheint, hängt davon ab, wie es durch die übrigen begrenzt oder frei gelaßen wird.“¹⁶² Vermittelt wird diese Bildung durch Intersubjektivität. In einem anderen Menschen muss die Menschheit angeschaut werden, um sie dann schließlich an sich entdecken und in besonderer Weise ausprägen zu können. Unabdingbare Voraussetzung dieser Betrachtung des anderen Menschen ist die Liebe, da sie den Menschen auf einen anderen ausrichtet: „in Liebe und durch Liebe“¹⁶³ findet ein Mensch die Menschheit. Die Menschheit stellt das Vermittlungskorrelat des Menschen dar und ist wie auch der Mensch eine dynamische Größe, die „eine größere Bahn […] fortschreitend durchläuft“¹⁶⁴ und so beständiger Vervollkommnung unterworfen ist. Damit ist die Menschheit ein vom menschlichen Individuum her mittels weiterer Vermittlungsstufen zu füllender Totalitätsbegriff. Dementsprechend ist hier eine wechselseitige Kausalität des Bildungsgeschehens impliziert. Denn jede Veränderung eines Teils wirkt im Korrelationsverhältnis auf die anderen Teile und führt zu einer fortlaufenden Bewegung. Eine klare Grenze zieht Schleiermacher zwischen der Menschheit und dem Universum. So wie der Mensch stets nur ein spezifischer Ausdruck, eine konkrete Darstellung der Menschheit sein kann, ist auch die Menschheit ein spezifischer und konkreter Ausdruck des Universums und als solcher endlich. Die Relation von Mensch und Menschheit ist derjenigen von Menschheit und Universum strukturanalog, das Universum als Unendliches steht jedoch der Menschheit als endliche Darstellung desselben gegenüber. Die Menschheit ist demnach eine Vermittlungsstufe zwischen Mensch und Universum und damit unendlich und endlich zu zugleich. Zusammenfassend ist festzuhalten: Bildung wird im Sinne einer religionsaffinen Bildung als Abwesenheit von Bildungshemmnissen zum einen vom Konzept einer zweckrationalen Bildung abgegrenzt und soll als Bildung zur Religion dem Menschen zum anderen vor allem eine freie Entfaltung seiner Anlage ermöglichen. Gleichzeitig ist der interpersonale Austausch ebenso als Bildungsgeschehen zu begreifen, das am Gegenstand der Religion in einer geselligen und religiösen Konstitution des Menschen gründet und ein spezifisches Kommunikationsgeschehen beinhaltet.

2.2 Intersubjektivität und resonante Rede In den Reden wird Religion durch ein vorsprachliches Moment begründet. Dieses besteht in der vorreflexiven Einheit von Anschauung und Gefühl. Die Vergänglichkeit dieses mystisch beschriebenen Urmoments der Religion im Menschen wird in ein Bewusstsein für den Zusammenhang von eigener Endlichkeit und universaler Un-

 Ebd., 251.  Ebd., 228.  Ebd., 232.

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endlichkeit überführt. Aus diesem Bewusstsein resultiert eine spezifische Wirklichkeitshermeneutik: Alles Einzelne wird als Teil des Ganzen gedacht. Ihre Begründung erfährt Religionskommunikation dabei sowohl in der Religion als auch in der geselligen Konstitution des Menschen. Im Raum zwischen individuellem Ausdruck und sozialer Interaktion ist sie nicht nur, aber auch auf Sprache verwiesen und besitzt eine besondere Form der Medialität. Diese Aspekte der Begründung, der sozialen Verortung, der sprachlichen Verfasstheit und der resonanzbasierten Medialität von Religionskommunikation gilt es zu analysieren.

2.2.1 Religiöse Geselligkeit Die Überführung der Religion in Rede entspringt der Kernthese von der Selbstmitteilsamkeit und kommunikativen Konstitution der Religion. Der gesellige Charakter der Religion hasse – um es mit den Worten des Redners auszudrücken – die Einsamkeit¹⁶⁵: „Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen“¹⁶⁶. Das gesamte Projekt der Reden wird demnach als notwendiger konstruierter Kommunikationsakt eines religiösen Individuums sowohl durch die Natur des Menschen als auch durch das Wesen der Religion begründet. Gleichzeitig werden die Reden zum göttlich vermittelten Ausdruck der Religion stilisiert, indem die prophetische Sendung des Redners bzw. ein externer Redezwang behauptet wird. Da sowohl der Mensch als auch die Religion ein auf Intersubjektivität ausgerichtetes Wesen besitzen, aus welchem die Notwendigkeit zu kommunizieren resultiert, ist Rede über Religion ein dem Menschen wie der Religion naturgemäßer Sachverhalt. Die Geselligkeit des Menschen ist eines der beiden Ursprungsmomente einer Theorie der Religionskommunikation in den Reden. In ihnen bleibt das gesellige Wesen des Menschen jedoch wenig greifbar. Ausführlicher beschäftigt Schleiermacher sich damit im Versuch einer Theorie des geselligen Betragens ¹⁶⁷, welcher im Januar und Februar 1799 in zwei Teilen im Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmaks veröffentlicht wird.¹⁶⁸ Die Geselligkeit des Menschen wird hierin als konkretisierte und individualisierte Form der „natürliche[n] Tendenz“¹⁶⁹ einer allgemeinen Geselligkeit verstanden. Die „Freie, durch keinen Zweck gebundene und bestimmte Geselligkeit“

 Vgl. ebd., 325.  Ebd., 267.  Die hier skizzierte Theorie des geselligen Betragens stellt das theoretische Konzept zur bürgerlichen Geselligkeit dar. Vgl. Kap. II.1.  Obgleich die Geselligkeitstheorie wegen der Arbeit an den Reden unvollendet bleibt, kann auf der Grundlage anderer Notizen eine Einordnung des Gedankenganges in die geplante Gesamtkonstruktion vorgenommen werden, vgl. Günter Meckenstock, „Historische Einführung,“ in Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, KGA Abt. I Bd. 2 (Berlin/New York 1984), IX – LXXXVII. LI. LIII.  Friedrich Schleiermacher, „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799),“ in Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, 163 – 184, 168.

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ist in der Geselligkeitstheorie eines der „ersten und edelsten Bedürfnisse“ gebildeter Menschen. Dieses resultiert aus der Notwendigkeit des Austausches, um sich „dem höheren Ziel menschlichen Daseins“¹⁷⁰ anzunähern.Vermittelt durch den beständigen Austausch mit anderen Individuen wird die eigene Individualität als ein Ausdruck der einen Menschheit begriffen, so wie dies auch für jedes andere dieser Individuen in der Gemeinschaft gilt.¹⁷¹ Die für Schleiermachers Denken konstituierende Figur des polaren Oszillierens, die in den Reden als Grundkonstitution des Kosmos eingeführt wird, drückt sich im Fall der Religionskommunikation in der polaren Konstellation von Individuum und Gemeinschaft aus.¹⁷² Für den Fall der Religionskommunikation gilt es jedoch neben der geselligen Konstitution des Menschen auch den spezifischen Charakter der Religion zu berücksichtigen. Dieser ist das andere Ursprungsmoment der Religionskommunikation in der theoretischen Entfaltung der Reden. Sie unterscheiden zwei unterschiedliche Formen von Mitteilungsgegenständen menschlicher Kommunikation: Erstens sind dies durch den Menschen selbst erzeugte Dinge und zweitens jene Gegenstände, die aus einem Erleiden resultieren, die ihm äußerlich zukommen. Werden interne Gegenstände in die Intersubjektivität überführt, schließt diese Kommunikation sowohl den Ausdruck des Eigenen als auch das Anschauen des Fremden ein. Ziel ist jedoch keine Vereinheitlichung, sondern sich „des Verhältnißes unserer besondern Ereigniße zur gemeinschaftlichen Natur inne zu werden“.¹⁷³ Dabei wird das eigene Individuelle mit der Gattung der Menschheit vermittelt, die Entstehung eines Selbstbewusstseins ist in diesem Konzept nur unter Einschluss der Gattung denkbar. Der nach solchem Bewusstsein strebende Mensch ist auf seine Umwelt ausgerichtet. Da zur Entstehung des menschlichen Gattungsbewusstseins kommunikative Vollzüge mit möglichst vielen in Teilaspekten identischen und differenten Individuen notwendig sind, bedarf das Kommunizieren interner Gegenstände einer menschlichen Kommunikationsgemeinschaft, die jedoch inhaltlich nicht weiter zu spezifizieren ist. Allein das MenschSein ist Kriterium für die Zugehörigkeit zu dieser Kommunikationsgemeinschaft. Ihr Ziel ist die Ausprägung eines reflektierten Selbstbewusstseins, das die eigene Individualität in Differenz und Identität zur eigenen Gattung wahrnimmt. In dieser Weise wird menschliche Kommunikation und Vereinigung auch in der Geselligkeitstheorie beschrieben.

 Ebd., 165.  Dass die Ermöglichung dieser hier entworfenen Geselligkeit auf einen gemeinsamen Lebenshintergrund im Sinne geteilter Erfahrung, Stil und sozialer Verortung verwiesen ist, hebt hervor: Gaus, Geselligkeit und Gesellige, 105 – 111. Damit kennzeichnet er die Begrenztheit dieses Theoriekonzeptes.  Diese Denkfigur findet sich sowohl in den philosophischen als auch den theologischen Schriften Schleiermachers wieder. In der Ethik erfährt diese Denkfigur eine philosophische Begründung. Die Trennung der korrelierenden Pole beider stellt bereits eine Abstraktionsleistung dar, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Vgl. Kumlehn, Symbolisierendes Handeln, 36.  Schleiermacher, Reden, 267.

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Demgegenüber unterliegen Mitteilungsgegenstände, die der Mensch erleidet, einem ungleich höheren Kommunikationsdrang. Darunter zählen das sich selbst mitteilende Universum und das Verhältnis eines Menschen zu eben jenem als Gegenstand von Religionskommunikation. Der besondere Kommunikationsdrang im Fall von Religionskommunikation ist erstens dadurch begründet, dass mit dem Maß der Affiziertheit auch der Drang zur Mitteilung steigt. Deswegen werden im Besonderen „Anschauung und Gefühle“¹⁷⁴ kommuniziert, die den Menschen mit besonderer Intensität erreichen. Das religiöse Initial der permanenten Einwirkung des Universums auf den Menschen wird in den Reden damit in besonderer Weise zur fortwährenden Ursache der Notwendigkeit kommunikativer Praxis. Das Universum ist jedoch nicht nur Ursache, sondern auch Bezugspunkt dieser Kommunikation, genauer: die religiösen Anschauungen und Gefühle, die eine spezifische Relationierung des Menschen zu eben jenem Universum darstellen. Damit sind die Gegenstände der religiösen Rede dem Menschen nicht ursächlich. Seine eigenen Erkenntnismöglichkeiten sind deswegen in besonderer Weise defizitär und ergänzungsbedürftig. Hierin besteht der zweite Grund für die besondere Notwendigkeit von Religionskommunikation, religiöse Menschen haben insofern ein besonderes Bedürfnis, in den Austausch mit anderen religiösen Individuen zu treten.¹⁷⁵ Damit zielt dieses Kommunikationsmodell auf Komplementarität ab. Um diese Komplementarität erzeugen zu können, ist wiederum eine besondere Form der Geselligkeit vonnöten. Religionskommunikation kann nicht in jedem beliebigen Rahmen stattfinden. Damit wird die Existenz religiöser Gemeinschaften aus dem fragmentarischen Charakter religiöser Anschauungen und Gefühle und dem damit korrelierenden Bewusstsein dieses Defizits begründet. Kriterium der Zugehörigkeit stellt, gemäß der Entsprechung von Mittlern und deren Jüngern, die Gleichheit des Sinns dar. Kommunikation, die auf dieser Haltung beruht, erhält ihre Gestalt durch den Austausch im Wechsel von religiöser Individualität und Gemeinschaft. Aus der notwendigen Kommunikation resultiert zugleich ein gesteigerter Erkenntnisgewinn. Das leiseste Wort würde verstanden, da jetzt die deutlichsten Äußerungen der Misdeutung nicht entgehen. Man könnte gemeinschaftlich ins Innere des Heiligthums eindringen, da man sich jetzt nur in den Vorhöfen mit den Elementen beschäftigen muß. Mit Freunden und Theilnehmern vollendete Ideen tauschen, wie viel erfreulicher ist dies, als mit kaum entworfenen Umrißen herausbrechen müßen in den leeren Raum!¹⁷⁶

Die religiöse Kommunikation erfährt einen qualitativen Zuwachs im Kontext einer religiös gebildeten Gemeinschaft. Demgegenüber besitzt die resonanzarme Kommunikation im Forum religiös Ungebildeter gewaltsamen Charakter, welcher auf der

 Ebd.  Vgl. ebd. 268.  Ebd., 194.

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Basis grober Aussagen verharren muss und deren Mitglieder aufgrund ihrer passiven Haltung als „negativ religiös“ bezeichnet werden.¹⁷⁷ Ihre Kommunikation drängt nicht auf ein wechselseitiges Geschehen, sondern gründet auf dem Bedürfnis, wahre Religion „im Spiegel einer fremden Darstellung“¹⁷⁸ anzuschauen, verharrt also auf einer rezeptiven Ebene, welche keine Beteiligung des anschauenden Individuums mit sich bringt. In der wahren religiösen Gemeinschaft hingegen besteht die Möglichkeit, zu höherer religiöser Erkenntnis zu gelangen, da eine gemeinsame Gesprächsbasis vorausgesetzt werden kann und dieser kommunikative Vollzug auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit beruht. Ermöglicht wird dies durch wahrhaft religiöse Mitglieder dieser Gemeinschaft, die sich aktiv am Geschehen der religiösen Kommunikation beteiligen. Der spezifischen Konstitution dieser religiösen Geselligkeit ist ein elitärer Zug inhärent, der in einem Spannungsverhältnis zum Postulat der Religion als anthropologische Konstante steht. Das ambitionierte Konzept resonanter religiöser Kommunikation in den Reden ist voraussetzungsreich: Die Kompatibilität des religiösen Sinnes bedingt das Kommunikationsgeschehen ebenso wie der Aktivitätsgrad der Gemeinschaft der Hörenden. Fraglich sind vor allem die abgrenzenden rhetorischen Spitzen, mittels denen Mündige und Unmündige sowie wahre Religiöse von anderen abgegrenzt werden. Hierbei handelt es sich um eine spezifische Kommunikationsstrategie der Reden, welche zwischen Kritik und Affirmation der Adressaten der literarischen Kommunikationssituation im folgenden Kapitel verortet wird.¹⁷⁹ Gleichzeitig rezipieren die Reden, indem sie auf das spezifische Verhältnis von Priester und Laien abheben, ein Konzept mündiger Religionszugehörigkeit, wie es in der Tradition lutherischer Theologie in Abgrenzung vom Katholizismus unter dem Schlagwort des Priestertums aller Getauften verhandelt wird. Als „priesterliches Volk“ und „vollkommne Republik“ bezeichnet Schleiermacher diese Gemeinschaft, in der es keinen Unterschied zwischen „Personen“ gibt. Die Differenz sieht der Redner demgegenüber hinsichtlich des „Zustandes und der Verrichtungen“, im Sinne einer Gabenorientierung. Jeder ist Priester, indem er die Andern zu sich hinzieht auf das Feld, welches er sich besonders zugeeignet hat, und wo er sich als Virtuosen darstellen kann: jeder ist Laie, indem er der Kunst und Weisung eines Andern dahin folgt, wo er selbst Fremder ist in der Religion.¹⁸⁰

In dieser idealen Gemeinschaft der Gläubigen wird mit dem Begriffspaar von Virtuosität und Fremdheit ein auf institutionelle Beauftragung verzichtendes Konzept des Priestertums entwickelt. Damit transformieren die Reden das Verständnis eines Priestertums aller, wie es bei Luther in Rezeption spätmittelalterlichen mystischen

   

Ebd., 274. Ebd., 275. Vgl. Kap. II.3.1.1. Schleiermacher, Reden, 270.

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Denkens¹⁸¹ bereits in seiner Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen ¹⁸² mit der Ausweitung des Priesterbegriffs auf das gemeine Volk angelegt und schließlich in der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation ¹⁸³ durch das Kriterium der Taufe konkretisiert wird. Nach Luther ist jeder gläubige Christ dem Stande nach ein Priester. An die Stelle einer Weihe tritt das Amt, welches eine funktionale Bestimmung erfährt. Dadurch führt die in der Freiheitsschrift ins Zentrum des christlichen Glaubens gestellte von Christus gnadenhaft vermittelte Freiheit zu einer unmittelbaren Beziehung zwischen Christus und Gläubigen¹⁸⁴, die keiner vermittelnden durch einen geweihten Stand vertretenen Institution zur Heilsvermittlung mehr bedarf. Vielmehr besteht die Differenz von Priestertum und Laien in der Ausübung eines Amtes¹⁸⁵ und ist somit funktional bestimmt. So weit sind sowohl das skizzierte Verständnis des Priesters in den Reden und die reformatorische Akzentuierung deckungsgleich. In beiden Konzepten resultiert daraus damit keine besondere Dignität der Person. Allerdings gewinnt der religiöse Virtuose der Reden ein höheres Maß an externer Unabhängigkeit. So wird die institutionenkritische Stoßrichtung der lutherischen Schriften einerseits weitergeführt und andrerseits überschritten. Während der lutherische Priester in seinem Schaffen, Dienen und Predigen¹⁸⁶ weiterhin auf das externe Evangelium verwiesen ist, wird im religiösen Virtuosentum Schleiermachers die individuell geprägte Anschauung Gegenstand der Darstellung. Der Virtuose stellt damit vor allem sein Inneres dar. Die Funktion dieser Darstellung besteht in der Erweiterung der Anschauungsgegenstände des religiösen Gegenübers und sie kann unter allen religiösen Virtuosen wechselseitig ausgeübt werden. Das zentrale, wenn auch nicht exklusive Mittel dieser Darstellung ist die Sprache, welche dazu dient, ein resonantes Kommunikationsgeschehen zu initiieren.

2.2.2 Schrift, Sprache und Bild Das Verhältnis der Reden zu ihrer eigenen Sprachlichkeit ist mindestens ambivalent.¹⁸⁷ Die Sprache wird dem Redner zum Problem, ihre Begrenztheit ist Gegenstand

 In metaphorischer Art verweist bereits Tauler darauf, dass das Priestertum den geistlichen Stand übertreffe, vgl.: Volker Leppin, „Evangelium der Freiheit und allgemeines Priestertum: Überlegungen zum Zusammenhang von Theologie und Geschichte in der Reformation,“ Materialdienst 6 Jg. 58 (2017), 103 – 107, 105.  Vgl. Martin Luther, „Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520),“ in WA Abt. 1 Bd. 7 (Weimar: Herman Böhlaus Nachfolger, 1897), 12– 38.  Vgl. Martin Luther, „An den christlichen Adel deutscher Nation und des christlichen Standes Besserung (1520),“ in WA Abt. 1 Bd. 6 (Weimar: Herman Böhlau, 1888), 381– 469, besonders 408.  Vgl. Leppin, „Evangelium der Freiheit,“ 104.  Vgl. Luther, „Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520),“ 28; vgl. ders., „An den christlichen Adel deutscher Nation,“ 408.  Vgl. ebd., 409.  Das Sprachkonzept der Reden wird nicht explizit entwickelt, sondern implizit in der Bestimmung des Wesens von Religion und der religiösen Rede mitkonstruiert. Vielleicht erklärt sich daher die ge-

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der Reflexion. Gleichzeitig enthalten die Reden einen konstruktiven Vorschlag für einen der Religion angemessenen Sprachtypus. Insofern gilt es das Verhältnis von Sprache und Religion so darzustellen, dass einerseits die Sprachkritik deutlich und andrerseits der konstruktive Vorschlag einer angemessenen Sprache von Religion gewürdigt wird: die religiöse Rede. Darauf folgend gilt es die spezifische Medialität dieser Sprache aufzuzeigen. Die Reden sind gesättigt von einer grundlegenden Skepsis, die jegliche menschliche Vermittlung von Religion, insbesondere in rhetorischer Gestalt, in Frage zu stellen scheint. Die Dritte Rede beginnt mit einer Absage an menschlich initiierte Kommunikationsvollzüge mit dem Ziel einer Bildung zur Religion und verweist gleichzeitig auf die Selbsttätigkeit und Selbstmitteilung zur Religion.¹⁸⁸ Ihren Kern hat diese Kritik in der mangelnden Struktur- und Theorieaffinität der Religion. So wie bestimmte Aspekte von Religion durch die Reden in der Präreflexivität verortet werden, so entzieht sie sich an einem gewissen Punkt dem sprachlichen Ausdruck. Deutlich tritt dieser Gegensatz in den Passagen der zweiten Rede hervor, in denen die Differenz von Metaphysik und Moral einerseits und Religion andrerseits erarbeitet wird. Religion als Anschauung, die in diesem Zusammenhang als „unmittelbare Wahrnehmung“ bestimmt wird, steht dem Geschäft von Metaphysik und Moral diametral gegenüber. Religion bleibe „bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums, bei den einzelnen Anschauungen und Gefühlen“¹⁸⁹ stehen. Nicht so Metaphysik und Moral. Bestimmungen von Natur und Wesen des Universums, Begründungsfiguren und Deduktionen sowie Ursachen- und Wahrheitssuche sind Geschäft der Metaphysik. Die Moral hingegen entwickelt Pflichtsysteme, erklärt sie zum obersten Prinzip und artikuliert damit einen Geltungsanspruch für den Menschen.¹⁹⁰ Während also Sprache im Bereich der Metaphysik und der Moral durchaus leistungsfähig sein kann, gelangt sie auf dem unmittelbaren und präreflexiven Feld der Religion an ihre Grenzen, weil sie sich in ihren unterschiedlichen Gestalten dem Präreflexiven nur annähern kann. Dahinter steht eine grundsätzliche Absage an die Möglichkeit, das Unendliche mit den Mitteln der endlichen Sprache ausdrücken zu können, eine „fundamentale Kritik

ringe Beachtung des Sprachkonzeptes in der Sekundärliteratur. Ausnahmen bilden: Petersdorff, Mysterienrede; Richard Crouter. „The ‚Reden’ and Schleiermacher’s Theory of Language: The Ubiquity of a Romantic Text,“ in Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, Theologische Bibliothek Töpelmann 51, hg. v. Günter Meckenstock und Joachim Ringleben (Berlin: Walter de Gruyter, 2019), 335 – 348. Zum Sprachverständnis in den späteren Werken gibt es demgegenüber zahlreiche Untersuchungen unterschiedlichen disziplinären Zuschnittes. Eine systematische Untersuchung der Textstrukturierung und Hermeneutik bei Schleiermacher leistet: Manfred Frank, Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001), 145.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 248.  Ebd., 215.  Vgl. ebd., 208.

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begrifflich-diskursiver Rede“, wie sie signifikant für viele Theorieentwürfe an der Schwelle zur Moderne ist. Die Reden wenden genau diese Kritik auch gegen sich selbst an, kritisieren den eigenen Umgang mit Sprache und benennen die Grenzen derselben. Dirk von Petersdorff prägt deswegen den Begriff einer „antirhetorischen Grundierung“¹⁹¹ derselben, die sich in wenigen anderen Reden in dieser Art finden lassen dürfte. Gleichzeitig bewegen sich die Reden jedoch auf dem schmalen Grat zwischen der Behauptung der Unaussprechlichkeit von Religion und ihrem Programm, Rede über Religion zu sein. Während exakter Sprache und begrifflicher Präzision eine Absage erteilt wird, muss sie am Gegenstand der Religion in eine subjektiv geprägte und ästhetisch codierte Rede überführt werden, die eine existentielle Rückbindung auf den Redner selbst besitzt, um den einzig möglichen und sinnvollen Ausdruck von Religion zu gewährleisten. Diese dem Theoriekonzept der Reden angemessenste Artikulationsform der Religion soll im Fortgang mit dem Begriff der religiösen Rede benannt und entfaltet werden. Sie stellt eine spezifische Form der Rede über Religion dar, die im weiteren Verlauf der Argumentation von der religionstheoretischen Rede zu unterscheiden sein wird.¹⁹² Die religiöse Rede, wie sie durch die Reden theoretisch begründet wird, ist in erster Linie auf Mündlichkeit angewiesen, „da alle Mittheilung der Religion nicht anders als rhetorisch sein kann“¹⁹³. Damit ist die angemessenste Vermittlungsform der Religion die Rede als sprachlich vermittelter Ausdruck. Aber religiöse Mittheilung ist nicht in Büchern zu suchen, wie etwa andere Begriffe und Erkenntniße. Zuviel geht verloren von dem ursprünglichen Eindruk in diesem Medium, worin alles verschlukt wird, was nicht in die einförmigen Zeichen paßt, in denen es wieder hervorgehen soll, wo Alles einer doppelten und dreifachen Darstellung bedürfte, indem das ursprünglich Darstellende wieder müßte dargestellt werden, und dennoch die Wirkung auf den ganzen Menschen in ihrer großen Einheit nur schlecht nachgezeichnet werden könnte durch vervielfältigte Reflexion; nur wenn sie verjagt ist aus der Gesellschaft der Lebendigen, muß sie ihr vielfaches Leben verbergen im todten Buchstaben.¹⁹⁴

Schriftliche Religionsdarstellung führt gegenüber mündlicher Rede zwangsläufig zu einer Reduktion des Gehaltes der unmittelbaren darzustellenden Gefühle und ist ihr deswegen qualitativ nachgeordnet, obgleich Schriftlichkeit im besonderen Fall des Verschwindens der Religion aus der Gesellschaft das letzte Mittel ist. Der personal mitgeteilten Religion und dem ihr korrelierenden interpersonalen Sprachgeschehen wird demnach ein Surplus zugesprochen, welches das Medium Buch nicht transportieren kann. Mit diesem Interesse an einer rhetorischen, das heißt mündlichen Mit-

 Petersdorff, Mysterienrede, 260. Die hier festgestellte Kritik richtet sich aber nicht grundsätzlich gegen Systeme und Begriffe, sondern nur auf deren Verwendung im Bereich der Religion und der Theologie, insbesondere als sprachliche Verfahren.  Vgl. Kap. II.3.2.1  Schleiermacher, Reden, 211.  Ebd., 268.

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teilung der Religion und ihrer gleichzeitigen Verwiesenheit auf die Schrift lässt sich von den Reden ein Bogen zur protestantischen Tradition der Lehre von der viva vox evangelii zurückspannen. Zur Vermittlung des Heils ist die Heilige Schrift für Luther unabdingbar, aus ihr spricht Gott zu den Menschen in seinem „Sichübersetzen von Geschriebenem […] in lebendige Anrede“¹⁹⁵. Durch seine Materialität wird dieses Sprechen Gottes zu den Menschen fortwährend gewährleistet sowie schriftlich tradierbar im Sinne von Auslegung, Übersetzung und theologischer Verteidigung.¹⁹⁶ Darüber hinaus besitzt die Bibel als geschriebenes Wort eine „gesteigerte Externität“¹⁹⁷ sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Perspektive, wobei sie durch die Kontinuität ihres schriftlichen Gehaltes gleichzeitig jener Zeitlichkeit und Räumlichkeit enthoben ist und durch die so erreichte Erweiterung des Gedächtnisses zu einer Veränderung der Wissenskultur allgemein führt. Dennoch hebt Luther auch die Bedeutung der „Mündlichkeit als Evangelium“¹⁹⁸ hervor. In seiner Epistel Sancti Petri gepredigt und ausgelegt ¹⁹⁹ bestimmt Martin Luther Evangelium als „eygendlich nicht das, das ynn büchern stehet und ynn buchstaben verfasset wirtt, sondernn mehr eyn mundliche predigt und lebendig wortt, und eyn stym, die da ynn die gantz wellt erschallet und offentlich wird außgeschryen, das mans uberal höret“²⁰⁰. Ringleben deutet dieses Geschrei einerseits als eine Referenz auf die gesprochene Verkündigung Jesu, andrerseits auf die öffentliche Dimension, die dem verkündigten Wort zukommt. Dadurch erhält das Wort „Ereignischarakter“²⁰¹. Das hinter der Schrift stehende Wort Jesu genießt einen Vorzug gegenüber der Schrift und ist die eigentliche viva vox evangelii.²⁰² Hierbei spielt es auch eine Rolle, das je Neue am Evangelium zum Ausdruck zu bringen, durch die Vergegenwärtigung im Sprecher. Schließlich wird auch hier die Interpersonalität als Ort des Evangeliums gewürdigt, im Sinne der gegenseitigen Beratung unter Brüdern.²⁰³ Im Vergleich des jeweiligen Verhältnisses von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zwischen Luthers Epistel und den Reden fallen folgende Punkte auf. Auf der strukturellen Ebene verweisen beide Konzepte auf die hohe Bedeutung des gesprochenen Wortes. Der Schrift kommt demgegenüber vor allem eine konservierende Bedeutung zu. Allerdings erfährt die Heilige Schrift bei Luther eine höhere Wertschätzung als in den Reden, da sie bei Luther stets der gegenwärtigen Verkündigung vorläufig gedacht ist. Glaube speist sich elementar aus der schriftlich fixierten Bibel bzw. der in ihr  Joachim Ringleben, Gott im Wort: Luthers Theologie von der Sprache her, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 57 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 379.  Vgl. ebd., 380.  Ebd., 384.  Ebd., 378.  Martin Luther, „Epistel Sancti Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung 1523,“ in WA, Abt. 1 Bd. 12 (Weimar: Herman Böhlau, 1891), 249 – 399. Im Weiteren mit Epistel abgekürzt.  Ebd., 259.  Ringleben, Gott im Wort, 407.  Vgl. ebd., 411.  Vgl. ebd., 412.

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enthaltenen und sich mitteilenden viva vox. Demgegenüber fungiert die Schrift in den Reden im Sinne einer ultima ratio, die ihren Zweck lediglich in Zeiten völliger Absenz der Religion hat. Während bei Luther die Schrift und das in ihr enthaltene Wort Jesu Ausgangspunkt und Gegenstand der Verkündigung ist, tritt an diese Stelle im religiösen Kommunikationskonzept der Reden die religiöse Erfahrung im Sinne von Anschauungen und Gefühlen. Eine zentrale Stelle besitzt bei beiden die Überführung der Rede in eine wechselseitige Kommunikation, wobei diese im Konzept der Reden einen vermittelnden, in der lutherischen Tradition einen beratenden Charakter hat. Damit lässt sich eine Verschiebung vom Vorrang der Schrift bei Luther zu einem Vorrang der Erfahrung in den Reden feststellen. Da jedoch diese, im Gegensatz zur zeit- und ortsungebundenen Schrift, stets eine individuelle sein muss und soll, ist zu fragen, wie die Versprachlichung dieser Erfahrung erfolgt. Entsprechend der individuellen Signatur, welche der Ausgangspunkt religiöser Rede besitzt, müssen die Reden auch eine Sensibilität für die Subjektgebundenheit sprachlicher Vollzüge besitzen, wie sie in der Gestalt des Redners auch benannt werden.²⁰⁴ Gerade diese subjektive Dimension der Sprache macht sich religiöse Rede zu eigen: Als individueller und endlicher Ausdruck des unendlichen Universums wird diese Subjektivität der Sprache programmatisch. Damit schließt sie eine deskriptive Funktion der Sprache aus. Religiöse Rede ist stets teilhabende Rede, die auf einer spezifischen Erfahrung beruht, welche bezeugt werden kann. Sie ist somit zwangsläufig Testimonium. Eine Konsequenz dieses spezifischen Kommunikationskonzeptes, innerhalb dessen der Mensch sich mit seiner endlichen Äußerung in den Horizont der Unendlichkeit des Universums gestellt sieht, ist eine diesem Gefühl entsprechende spezifische Haltung. „Religion Sprechen“²⁰⁵ steht in einem Gegensatz zu stolzer Überheblichkeit. Über diese subjektive Dimension religiöser Rede, mit der eine programmatische Subjektbindung der Sprache korreliert, besitzt die religiöse Rede eine besondere ästhetische Signatur, die ihren Ausdruck „in einem größern Styl“²⁰⁶ der religiösen Mitteilung findet. Es gebührt sich auf das höchste was die Sprache erreichen kann auch die ganze Fülle und Pracht der menschlichen Rede zu verwenden, nicht als ob es irgend einen Schmuk gäbe, deßen die Religion nicht entbehren könnte, sondern weil es unheilig und leichtsinnig wäre nicht zu zeigen, daß Alles zusammengenommen wird, um sie in angemeßener Kraft und Würde darzustellen. Darum ist es unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzutheilen als rednerisch, in aller

 Aus dieser Perspektive wird die Camouflage des Redners in der Apologie, in der er kundtut, dass seine Sprache seine Zugehörigkeit zum Priesterstand nicht offengelegt haben dürfte, als rhetorisches ironisches Manöver enttarnt. Vgl. Schleiermacher, Reden, 192.  Ebd., 195.  Schleiermacher, Reden, 269.

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Anstrengung und Kunst der Sprache, und willig dazu nehmend den Dienst aller Künste, welche der flüchtigen und beweglichen Rede beistehen können.²⁰⁷

Der spezifische Sprachgebrauch religiöser Rede soll damit die Mittel sprachlichen Vermögens ausschöpfen und kann als solche auch kunstvolle Rede sein.²⁰⁸ Indem Schleiermacher einerseits von „Kunst“ und andrerseits von „Künsten“ spricht, verweist er darüber hinausgehend wohl auch auf die artes und damit auf sprachliche Techniken wie Grammatik, Rhetorik und Logik bzw. Dialektik, die dazu geeignet sein könnten, dem Fluiden und Vergänglichen der Rede etwas Stabilisierendes beizubringen. Die Argumentation geht hierbei darauf ein, dass die Religion dieser Ausschmückung nicht bedürfe, und greift damit eine Debatte der Aufklärung auf. Spalding etwa rät davon ab, schmückende Elemente für die Predigt zu verwenden.²⁰⁹ Entgegen dieser Position wird hier vorgebracht, dass die Verwendung rhetorischer Mittel keineswegs der Religion unangemessen ist, sondern genau das Gegenteil – nämlich ihre Nicht-Verwendung „unheilig und leichtsinnig“ sei. Kunst ist hier vor allem Mittel zur Darstellung der Religion und kein Selbstzweck. Insofern unterscheidet sich Schleiermachers Vorstellung der Ausschöpfung sprachlicher Mittel zur Darstellung von Religion von Konzepten frühromantischer Kunstreligion. Gleichzeitig scheint dem Redner zur Darstellung der Religion eine umfassende Gestalt der Rede vorzuschweben. Gefragt werden kann hier, inwiefern diese Vorstellung religiöser Rede eine Schnittstelle zur Vorstellung einer progressiven Universalpoesie Friedrich Schlegels aufweist.²¹⁰ Ziel dieser Progressiven Universalpoesie ist eine kunstvolle Gattungsverschmelzung, in der es gewollt ist, „alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und der Rhetorik in Berührung zu setzen“²¹¹. Während jedoch die Reden eine Steigerung an Würde und Ernsthaftigkeit der religiösen Rede durch die kunstvolle sprachliche Anreicherung intendieren, ist die Funktion der romantischen Poesie, wie sie im Athenäums-Fragment 116 konzipiert wird, dem geradezu gegenläufig auf eine umfassende Poetisierung des Lebensalltages ausgerichtet. Hierin findet der Witz in einer poeti-

 Ebd., 269. Wichtige Hinweise zur Interpretation dieser Textstelle verdanke ich Claus-Dieter Osthövener.  Kunst ist zur Darstellung der Religion in besonderer Weise geeignet, da Erkenntnis und Wahrnehmung in ihr strukturell ähnlich angelegt sind. Vgl. Martina Kumlehn, „Individuelles Symbolisieren und religiöse Kommunikation: Schleiermachers Theorie religiöser Bildung und ihre Impulse für die Debatte um religiöse Kompetenzen und Bildungsstandards,“ in International Journal of Practical Theology 12 (2008), 3 – 22, 11.  Vgl. Johann Spalding, „Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung,“ in SpKA, Abt. I Bd. 3, hg. v. Tobias Jersak (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 272.  Eine Untersuchung des frühromantischen Sprachgebrauchs unter besonderer Berücksichtigung Friedrich Schlegels bietet: Jochen A. Bär, Sprachreflexion der deutschen Frühromantik: Konzepte zwischen Universalpoesie und Grammatischem Kosmopolitismus, Studia Linguistica Germanica 50 (Berlin: Walter de Gruyter, 2012), 100 – 142.  Friedrich Schlegel, „Athenäums-Fragment 116,“ in Charakteristiken und Kritiken, 182– 183.

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sierten Fassung ebenso seinen Ort wie der Humor. Gerade diese in den Kern frühromantischer Programmatik führenden Aspekte von Poesie und Witz, deren Funktion es ist, Sprache durchsichtig zu machen für Unendlichkeit, stehen dem Konzept religiöser Rede entgegen. Darauf wird in den Reden explizit hingewiesen. „Wo Freude und Lachen auch wohnen, und der Ernst selbst sich nachgiebig paaren soll mit Scherz und Wiz, da kann kein Raum sein für dasjenige, was von heiliger Scheu und Ehrfurcht immerdar umgeben sein muss.“²¹² Damit ist der ästhetisierte Sprachgebrauch in der Kommunikationstheorie der Reden Mittel, um der Sprache Dignität zu verleihen.²¹³ Schlegels Entwurf atmet demgegenüber durch den spielerischen Umgang mit Sprache und Gattungen Leichtigkeit und hat unter anderem durch das Mittel des poetisierten Witzes ein Interesse an der Ausweitung des Geltungsbereiches der Poesie auf das gesamte Leben, um so einer in begriffslogischer Erarbeitung nicht mehr aussagbaren Ganzheit Ausdruck zu verleihen. Der Gemeinsamkeit eines ästhetisierten Konzeptes von Rede und deren Nutzung in der Literatur steht die Differenz in der Funktion und der Intention derselben gegenüber: Die Entgrenzungsprogrammatik der Universalpoesie kontrastiert die Einhegungsstrategie des religiösen Kommunikationskonzeptes der Reden. Die Beschreibung und Entfaltung des religiösen Kommunikationskonzeptes der Reden wird oftmals in metaphorische Rede überführt. Dies geschieht besonders häufig in den Metaphern von Licht²¹⁴, Glut/Feuer²¹⁵ und unter Verwendung von Begrifflichkeiten aus der Musik²¹⁶. Doch auch jenseits des Themas religiöser Kommunikation werden in den Reden zahlreiche Metaphern und Vergleiche verwendet. Der Gegenstandsbereich, aus dem die Bilder verwendet werden, ist breit. Exemplarisch sei auf

 Ebd.  Diese in den Reden angelegte Sprachtheorie findet sich auch in der Praktischen Theologie wieder. Vgl. hierzu die weiterführenden Hinweise zum religiösen Stil bei: Simon Gerber, „Ästhetische Probleme des Gottesdienstes nach Schleiermachers Praktischer Theologie,“ in Der Mensch und seine Seele, 607– 617.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 293: „der […] von den Einwirkungen deßelben [d. Universums, Anm. M.S.] durchdrungen und Eins mit ihm geworden […] den himmlischen Strahl unverfälscht auf Euch zurükwirft“.  Vgl. ebd., 194: „Wenn das heilige Feuer überall brennte, so bedürfte es nicht der feurigen Gebete, um es vom Himmel herabzuflehen, sondern nur der sanften Stille heiliger Jungfrauen um es zu unterhalten, so dürfte es nicht in gefürchtete Flammen ausbrechen, sondern das einzige Bestreben desselben würde sein, die innige und verborgene Gluth ins Gleichgewicht zu sezen bei allen.“ Religiöse Inspiration beschreibt auch Novalis als Feuer, in dessen Die Christenheit oder Europa ein „feuerfangender Kopf“ die Reformation anzettelt. Vgl. Novalis, „Die Christenheit oder Europa. Ein Fragment (1799),“ in Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, Das philosophischtheoretische Werk, hg. v. Hans- Joachim Mähl (München/Wien: Hanser Verlag, 1978), 729 – 750, 736.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 231: „Ist es nicht genug, wenn es unter dieser unzähligen Menge doch immer Einige giebt, die als ausgezeichnete und höhere Repräsentanten der Menschheit der eine den, der andre jenen von den melodischen Accorden anschlagen, die keiner fremden Begleitung und keiner spätern Auflösung bedürfen, sondern durch ihre innere Harmonie die ganze Seele in einem Ton entzüken und zufriedenstellen“.

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einige verwiesen: Mit Bildern aus der Erotik wird die Einheit von Anschauung und Gefühl beschrieben²¹⁷, aus der Anatomie stammen Metaphern für die anthropologische Konstitution des Menschen zur Religion und seine Öffnung für das Universum²¹⁸. Die Fülle der Menschheit und das schöpferische Wirken des Universums werden durch Bilder aus der Kunst ausgedrückt²¹⁹, Fortgang von Welt und Menschheit erfahren ihren Ausdruck in Bildern aus Mechanik und Handwerk²²⁰. Die antike Götterwelt²²¹ dient für zahlreiche Bildentlehnungen, Astronomie und Physik können zur Beschreibung der Abgesondertheit religiöser Empfindungen und Ereignisse bei Einzelnen dienen, ebenso wie die Chemie²²². Botanische Metaphern sind in besonderer Weise geeignet, das Entstehen und Wachstum der Religion zu umschreiben.²²³ Schließlich wird auch der Bereich der Medizin zur Entlehnung von Bildern und Metaphern genutzt: Zu Beginn der vierten Rede wird die Religion im Munde ihrer Spötter gar als „Krankheit des Gemüths“²²⁴ bezeichnet. Dass diese Bilder immer wieder auftauchen, lässt sich auch darauf zurückführen, dass die Abfassung der Reden, unterbrochen durch die Zeit in Potsdam, mit Schleiermachers Tätigkeit in der Charité zusammenfällt. Ein ganz eigenes Thema ist die Rezeption von christlicher Motivik und Bildsprache in den Reden, deren differenzierte Erforschung ein Desiderat darstellt. Aus der Vielzahl der Beispiele wird deutlich, dass die Gegenstandsbereiche der Metaphern und Vergleiche keineswegs vorrangig aus dem Bereich der Kunst entnommen sind. Vielmehr ist ein Nebeneinander der Gegenstandsbereiche von Natur, Kunst und vielen anderen zu beobachten. Damit vollziehen die Reden gerade nicht in  Vgl. ebd., 221: „Jener erste geheimnißvolle Augenblik […] schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung“.  Vgl. ebd., 293: „so würdet Ihr doch Demjenigen Achtung und Ehrfurcht nicht versagen können, deßen Organe dem Universum geöfnet sind“.  Vgl. ebd., 264: „Das größte Kunstwerk ist das, deßen Stof die Menschheit ist welches das Universum unmittelbar bildet und für dieses muß Vielen der Sinn bald aufgehn. Denn es bildet mit jetzt eben mit kühner und kräftiger Kunst, und Ihr werdet die Neokoren sein, wenn die neuen Bilde aufgestellt sind im Tempel der Zeit. Leget den Künstler aus mit Kraft und Geist“.  Vgl. ebd., 231: „Beobachte ich wiederum die ewigen Räder der Menschheit in ihrem Gange, so muß dieses unübersehliche Ineinandergreifen, wo nichts Bewegliches ganz durch sich selbst bewegt wird, und nichts Bewegendes nur sich allein bewegt, mich mächtig beruhigen über Eure Klage, daß Vernunft und Seele, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Verstand und blinde Kraft in so getrennten Maßen erscheinen.“  Vgl. ebd., 224: „Jupiters Blize schreken nicht mehr seitdem Vulkan uns einen Schild dagegen verfertigt hat. Vesta schüzt was sie dem Neptun abgewann gegen die zornigsten Schläge des Tridents, und die Söhne des Mars vereinigen sich mit denen des Äskulaps, um uns gegen die schnelltödtenden Pfeile Apollo’s zu sichern.“  Vgl. ebd., 201: „Ein Atom von einer überirdischen Kraft geschwängert, fiel in ihr Gemüth, verähnlichte sich dort alles, dehnte es allmächtig aus, und es zersprang dann wie durch ein göttliches Schiksal in einer Welt deren Atmosphäre ihm zu wenig Widerstand leistete, und brachte noch in seinen lezten Momenten eines von jenen himmlischen Meteoren, von jenen bedeutungsvollen Zeichen der Zeit hervor, deren Ursprung niemand verkennt, und die alle Irdischen mit Ehrfurcht erfüllen.“  Vgl. ebd., 252: „das Gedeihen der Religion“.  Ebd., 266.

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letzter Konsequenz eine Verschiebung des Orientierungspunktes des Ästhetischen von der Natur zur Kunst, wie sie für Wackenroder exemplarisch in Abgrenzung zur Aufklärung zu beobachten ist.²²⁵ Wie eingangs benannt, sind für die Religionskommunikation die Gegenstandsbereiche Musik, Licht und Feuer/Glut von besonderer Relevanz. So wird der Idealzustand religiöser Kommunikation unter religiösen Individuen im Bild eines „heiligen Feuers“ und einer „verborgnen Gluth“ beschrieben: „Jeder leuchtete dann in der Stille sich und den Andern, und die Mittheilung heiliger Gedanken und Gefühle bestände nur in dem leichten Spiele, die verschiedenen Strahlen dieses Lichts jezt zu vereinigen, dann wieder zu brechen, jezt es zu zerstreuen und dann wieder hie und da auf einzelne Gegenstände zu konzentrieren.“²²⁶ In diesem Bild finden zwei inhaltliche Aspekte besondere Entfaltung: Zum einen wird religiöse Kommunikation durch den Wechsel von Vereinigung und Trennung der Strahlen in einen Wechsel von Individualität und Allgemeinheit, Vielfalt und Einheit eingezeichnet. Zum anderen wird auf den Wechsel von Konzentration und Zerstreuung hingewiesen. Während die Metapher des Feuers, der Flamme und des Lichts vor allem für die Religion selbst verwendet wird, bezeichnen vor allem Metaphern aus dem Wortfeld der Musik die Religionskommunikation. Die Darstellung religiöser Gefühle wird mit dem Anstimmen „der Musik meiner Religion“ metaphorisch umschrieben, gleichsam „von einzelnen leisen Tönen anhebend und mit jugendlichem Ungestüm sehnsuchtsvoll fortschreitend bis zur vollsten Harmonie der religiösen Gefühle“.²²⁷ Die so beschriebene Steigerung der Intensität besitzt ihre Parallele in der Glut-Metapher und der unterschiedlichen Bündelung der Strahlen. Und auch hier wird das Thema der interpersonellen Interaktion in der metaphorischen Sprache ausgedrückt. Während das Anstimmen der Musik durch den Menschen keine oder nur mindere Resonanz beim Gegenüber erreicht, führt die Selbstäußerung der Religion zu „einem antwortenden verwandten Ton[, der, Anm. M.S.] das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde“²²⁸. Die interpersonelle Dimension erfährt in dieser Metapher eine deutlichere Konturierung. Die angesprochenen religiösen Individuen werden zu Antwortenden: „gleichsam ein höheres Chor, das in einer eignen erhabenen Sprache der auffordernden Stimme antwortet. Aber nicht nur gleichsam: So wie eine solche Rede Musik ist auch ohne Gesang und Ton, so ist auch eine Musik unter den Heiligen, die zur Rede wird ohne Worte.“²²⁹ Den sprachlichen Vollzug übersteigend, besitzt das Kommunikationsgeschehen in religiösen Gemeinschaften einen Überschuss: Die ausgedrückten Gefühle und Ansichten erfahren auf einer nicht-sprachlichen Ebene eine Antwort. Damit klingt in diesem Bild die spezifische Medialität religiöser Rede an. Sie setzt sich von einer     

Vgl. Barth, „Ästhetisierung der Religion,“ 229. Schleiermacher, Reden, 194. Ebd., 248. Ebd. Ebd., 269.

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fremdinduzierten und gewaltsamen Form von religiöser Bildung ab, welche etwa durch den Prediger erzeugbar wäre. Wenn sie [die Religion, Anm. M.S.] sich mit aller ihr eignen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen des eignen Gemüths in dem Strom dieser Bewegung zu ihrem Dienst mit fortreißt: so erwartet sie auch daß sie hindurch dringen werde bis ins Innerste eines jeden Individuums welches in ihrer Atmosphäre athmet, daß jedes homogene Theilchen werde berührt werden, und von derselben Schwingung ergriffen zum Bewußtsein seines Daseins gelangend durch einen antwortenden, verwandten Ton das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde. Nur so durch die natürlichen Äußerungen des eignen Lebens will sie das Ähnliche aufregen, und wo ihr das nicht gelingt verschmäht sie stolz jeden fremden Reiz, jedes gewaltthätige Verfahren, beruhigt bei der Überzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihr verschwistertes regen könne. Nicht neu ist mir dieser mißlingende Ausgang. Wie oft habe ich die Musik meiner Religion angestimmt um die Gegenwärtigen zu bewegen, von einzelnen leisen Tönen anhebend und mit jugendlichem Ungestüm sehnsuchtsvoll fortschreitend bis zur vollsten Harmonie der religiösen Gefühle: aber nichts regte sich und antwortete in ihnen!²³⁰

Über die Metaphorik der Musik wird religiöse Rede als ein Klanggeschehen beschrieben, welches auf Resonanz abzielt. Damit dient diese Metaphorik in erster Linie dazu, das Bild eines wechselseitigen und anregenden Kommunikationsaktes zu evozieren, in dessen Zentrum nicht der Inhalt des Gesagten steht. Nicht der Austausch von Informationen bildet den Kern dieses kommunikativen Geschehens, sondern „die Anregung religiöser Produktion in den Hörern“²³¹. Die Metaphern vom Licht und der Musik der Religion machen, so ist für die Ausführungen zum Gebrauch in den Reden zusammenzufassen, auf zwei Ebenen Aussagen: bezüglich der Intensität und dem Verhältnis von Speziellem und Allgemeinem. Sie thematisieren erstens die Möglichkeit unterschiedlicher Intensität des religiösen Ausdrucks, wobei in der Musik-Metapher das Bild einer fortschreitenden Steigerung aufgerufen wird, während im Bild der Bündelung und Zerstreuung ein wechselhaftes Geschehen beschrieben wird. Hinsichtlich des Verhältnisses von Speziellem und Allgemeinem wird zweitens durch das Licht ein spielerischer Wechsel beschrieben: Die Metapher der Musik zielt hier deutlich auf ein Resonanzgeschehen ab, das jedoch explizit sprachliche Vollzüge übersteigt. Durch die personale Kodierung der Metapher der Musik wird hier darüber hinaus religiöse Kommunikation als

 Ebd., 248.  Folkart Wittekind, „‚…die Musik meiner Religion‘: Schleiermachers ethische Funktionalisierung der Musik bis zur ,Weihnachtsfeier‘ und seine Kritik der frühromantischen Kunstreligion,“ in Christentum – Staat – Kultur: Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006, hg. v. Andreas Arndt, Ulrich Barth und Wilhelm Gräb, Schleiermacher-Archiv 22 (Berlin/ New York: Walter de Gruyter, 2008), 271– 302, 291. Der spielerische Gebrauch der Metaphern aus dem Bereich der Musik in den Reden korreliert mit dem engen Verhältnis, in welchem Schleiermacher Musik und Religion sieht. Musik und Religion seien beide unterschiedliche Ausdrucksweisen für das Unendliche. Vgl. Thomas Erne, „Schleiermacher on Music and Religion: The Sound of Schleiermacher in Felix Mendelssohn-Bartoldy’s Music,“ in Interpreting Religion, 113 – 121, 115.

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Resonanzgeschehen qualifiziert, dessen Ziel eine wechselseitige Medialität von Interesse ist – anders als beim Bild der Glut. Durch die Überführung der theoretischen Abhandlungen zur religiösen Rede in diese metaphorische Rede wird die nichtsprachliche und nicht-begriffliche Ebene religiöser Kommunikation betont zum Ausdruck gebracht und umgesetzt. Religiöse Kommunikation erhält ihre Medialität nicht zuletzt durch das Erfassen des gesamten Menschen, indem er auf einer affektiven und sinnlichen Ebene angesprochen wird. Die Rede wirkt vor einem unbekannten Publikum im Sinne eines Stimulans. Religion im Anderen erzeugen kann sie demgegenüber nicht.²³² Zentral für dieses Geschehen sind die Termini des „Aufregens“ und „Anregens“. Die Möglichkeiten dieser Rede im Resonanzraum einer religiösen Gemeinschaft werden jedoch in den Schilderungen der Vierten Rede, welche die Idealsituation religiöser Kommunikation religiöser Gemeinschaften umschreibt, ungleich euphorischer eingeschätzt. Die Rede eines Anderen dient in diesem Rahmen dazu, die Religion „durch ein fremdes Medium“²³³ wahrzunehmen. Damit wird das andere religiöse Individuum zum Mittel einer allgemeinen Religionsanschauung²³⁴ in einem die Sprache übersteigenden Resonanzgeschehen. Dessen Ausdruck dient die metaphorische Rede von Licht, Glut und Musik: Der Aussageraum wird in den der Deutung bedürftigen Bereich bildlicher Rede verschoben. An diesem Punkt tritt die Nähe des Sprachverständnisses der Reden und der Frühromantik deutlich hervor. Das vorgestellte Konzept religiöser Rede entspricht der frühromantischen Artikulationsform im programmatischen Modus einer „[q]ualifizierte[n] Unschärfe“²³⁵, die durch die Verortung der Religion außerhalb des objektsprachlich artikulierbaren Bewusstseins notwendig wird. Durch sie wird der individuelle Ausdruck religiösen Bewusstseins die einzig methodisch verantwortete Darstellungsform der Religion. Ziel der so erzeugten „enzyklopädisch-syndromatisch[en] Fülle“ ist es, einen Resonanzraum zu schaffen, in dem die klassischen philosophischen Dichotomien zwangsläufig einer „Sphäre polyperspektivischer Äquivalenzen“ weichen, um eine Fülle und Gesamtheit auszudrücken, die keine Eindeutigkeit zulässt, sondern gleichsam einem akrobatischen Akt schwebend zwischen den Elementen steht.²³⁶

 Vgl. Schleiermacher, Reden, 248.  Ebd., 268.  Dieses Kommunikationskonzept wurde insofern vielfach kritisiert, weil es keinerlei individuelle Religion denkbar macht. Diese Kritik ist allerdings nur teilweise zutreffend. Richtig ist, dass aufgrund der Vorstellung einer allgemeinen Religionsauffassung Religion in ihrer vollendeten Gestalt als eine alle verbindende Größe gedacht werden muss. Dies ist jedoch zu unterscheiden von einem Aufdrängen einer vorherrschenden Religionsauffassung gegenüber anderen religiösen Subjekte, wovon sich der Redner kategorisch abgrenzt: Vgl. Schleiermacher, Reden, 267. Vielmehr existiert im Rahmen des Religionskonzeptes der Reden in der höchsten Vollendung nur jene in der Gemeinschaft artikulierbare Religion.  Timm, Die heilige Revolution, 11.  Ebd., 15.

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Dass damit eine „proportionale Konturschwäche“²³⁷ einhergeht, ist nicht billigend in Kauf genommen, sondern programmatisch gewollt. Darin geht die Frühromantik über die Aufklärung hinaus, die in der Person Kants die Religion als Postulat der Praktischen Vernunft zwar in ihrer orthodoxen Metaphysik radikal kritisiert hatte, ihr aber weiterhin durch ihre moralische Neukodierung einen theoretischen Ort im wissenschaftlich-philosophischen System gesichert hatte.²³⁸ Demgegenüber wird Religion, so Herrmann Timm, in der Frühromantik im analogen Bild der Hochseilakrobatik artikuliert, als „eine frei schwebende Intelligenz, ohne das Netz einer institutionellen Absicherung, einer funktionalen Unentbehrlichkeit oder das prinzipiell entschiedene ‚hier stehe ich!‘“²³⁹. Somit ist die Theoriebildung religiöser Rede in den Reden deutlich an romantische Sprach- und Kommunikationskonzepte angelehnt, obgleich sie auch Differenzen zu ihr aufweist. Die Analyse der theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation hat mit den hier angestellten Überlegungen einen zweifachen Bogen gespannt. Anhand von Religions- und Bildungstheorie der Reden wurde an den zwei für das frühe theologische Denken Schleiermachers grundlegenden systematischen Orten deutlich, dass die Religionstheorie sowohl für eine kommunikationstheoretische Entfaltung als auch für eine Sprachskepsis Anknüpfungspunkte bietet. Im Rahmen der Analyse des Religionskonzeptes der Reden wurde einerseits die Vorsprachlichkeit der Religion herausgearbeitet und andrerseits ihre kommunikative Akzentuierung aufgezeigt, indem Religion als eine spezifische Deutungsleistung religiöser Individuen dargestellt wurde. In den daran anschließenden bildungstheoretischen Überlegungen wurde deutlich, dass freie Religionsentfaltung im Sinne von Anschauung und Gefühl vor allem der Abwesenheit von Bildungshemmnissen bedarf. Kann der Mensch sich frei entfalten, so drängt ihn sowohl sein geselliges Wesen als auch die gesellige Verfasstheit der Religion zur sprachlichen Vermittlung dieser seiner Religion. Die von der religionstheoretischen Rede zu unterscheidende religiöse Rede ist damit Ausdruck individueller Religion. Hierfür ist sie auf das Mittel der Sprache verwiesen, welches künstlerische Mittel nutzt, um der objektsprachlich nicht fassbaren Religion angemessen Ausdruck zu verleihen. Die religiöse Rede verweist damit einerseits auf das sich ausdrückende Individuum wie auf das unendliche Universum. Damit entwerfen die Reden eine Theorie der religiösen Rede mit hohen literarischen Ansprüchen. Wie sich der Vollzug der Reden Über die Religion im Medium literarischer Rede darstellt, ist Gegenstand der nachfolgenden Analyse.

 Ebd.  Als Antwort auf ein geistesgeschichtliches Ereignisdatum ordnet Wittekind das Kommunikationskonzept der Reden als Antwort auf den Atheismusstreit ein, der ihm zufolge für Schleiermacher „Ausdruck eines der Religion nicht angemessenen Gesprächs“ ist: Wittekind, „Die Vision der Gesellschaft,“ 406. Demgegenüber liest er die Reden als konstruktiven Alternativvorschlag. Allerdings geht er nicht auf die Diskrepanz von Kommunikationstheorie in den Reden und Kommunikationsvollzug durch die Reden ein.  Timm, Die heilige Revolution, 11.

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3 Literarischer Vollzug von Religionskommunikation Der geistesgeschichtliche Zusammenhang der Reden ist nicht nur durch eine „Krise der Religion“, sondern auch durch eine „Krise der Mitteilung von Religion“²⁴⁰ gekennzeichnet. Die Reden selbst benennen den Verlust von Autorität und Legitimität institutioneller Vertreter der Kirchen und damit einhergehend einen Mangel an Artikulation religiöser Sprache im öffentlichen Raum.²⁴¹ Dies gilt besonders für die spezifische Adressatenschaft der Reden. Damit sind die Reden auch in dieser Hinsicht ein Echo der religionssoziologischen gesellschaftlichen Debattenlage. Gleichzeitig bieten sie auf theoretischer Ebene sowohl in sprachphilosophischer und kommunikationstheoretischer als auch in religionstheoretischer Hinsicht einen umfassenden Neuansatz. Allerdings geht der in den Reden gelieferte Antwortversuch über die Theorieebene hinaus. Hier soll nicht nur die Möglichkeit dieser Rede ausgehandelt und theoretisch entfaltet, sondern ebenfalls vollziehend erprobt werden. Insofern ist es notwendig, den Analysefokus zu erweitern und nicht auf der theoretischen Entfaltungsebene der Religionskommunikation zu verharren. Vielmehr kann das innovative Potential der Reden nur ausgeschöpft werden, wenn ihr sprachlich rhetorischer Vollzug als integraler Bestandteil dieses Neuansatzes verstanden und analysiert wird. Damit richtet sich das Frageinteresse des folgenden Teilkapitels auf den tatsächlichen Vollzug der Reden. In einem ersten Schritt wird der konstruierte Kommunikationsakt dargestellt, der die Reden kennzeichnet. Neben der personalen Konstruktion eines Kommunikationsgeschehens zwischen Redner und Adressaten, Mittler und gebildeten Religionsverächtern wird hier der Kommunikationsstrategie unter dem Begriffspaar ‚Kritik und Affirmation‘ nachgegangen. Im zweiten Schritt wird die Gestalt der Reden analysiert. Zur Sprache kommen hier die hybride Form der Reden und ihr medial selbstreflexiver Charakter. Beide weisen darauf hin, dass die Reden weniger im Sinne einer rhetorisch zu vollziehenden Rede verfasst wurden, sondern als Literatur aufgefasst werden müssen. Dementsprechend ist der Kommunikationsakt zwischen Redner und gebildeten Religionsverächtern, zwischen Mittler und Fähigen kein tatsächlicher, sondern literarischen Charakters.

3.1 Konstruierte Kommunikationssituation und doppelte Redestrategie Die Reden, so verrät es der Titel des Textes, richtet der Rhetor an die Religionsverächter. Während in der ersten Ankündigung der Reden noch die aufgeklärten Religionsverächter adressiert wurden, verzichtet der schließlich gedruckte Titel auf diese nähere Bestimmung der Religionsverächter.

 Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 280.  Vgl. ebd., 190.

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Die Klassifikation der Art des kommunikativen Aktes geschieht durch die Überschrift. Die ersten Sätze der Apologie konstituieren die Kommunikationssituation: Sich dem Publikum und seiner Position nicht ganz ohne Ironie unterwerfend, wendet sich der Redner zuerst an das „Ihr“ seiner Zuhörer, um dem im zweiten Satz konfessorisch ein „Ich“²⁴² gegenüberzustellen. Der Auftakt der ersten Rede, der Apologie, erhält seinen pointierten Rhythmus durch ein positionelles Wechselspiel zwischen jenen beiden Polen von Einzelnem und Gruppe.²⁴³ Das vorgelagerte Ihr/Euch der Adressaten prallt förmlich auf das kontrapunktische Ich des Redners. Damit konstruieren die Reden eine spezifische Form der Interpersonalität, welche sich zwischen einem in den Reden konkret greifbaren Rhetor und einer ebenso deutlich skizzierten Adressatenschaft aufspannt. Das Verhältnis dieser beiden Größen wird durch die durch Kritik und Affirmation bestimmte Kommunikationsstrategie der Reden definiert.

3.1.1 Mittler und Fähige Die Reden erscheinen im Jahr 1799 anonym. An die Stelle eines Verfassernamens tritt die stilisierte Identität des Redners. In der Forschungsdiskussion wurden dafür unterschiedliche Begründungen ins Feld geführt. Eine Position sieht die Begründung für die Anonymität in der Angst vor der Zensur und der kirchlichen Obrigkeit. So könnte die Sorge um Schleiermachers Ruf als Prediger eine Rolle gespielt haben.²⁴⁴ Gegen diese Begründung drängen sich jedoch historisch fundierte Zweifel auf. Mit dieser These ist nicht in Einklang zu bringen, dass Schleiermacher seine Texte bald im Freundeskreis zirkulieren lässt und damit eine begrenzte Öffentlichkeit sucht, die seinem Anliegen nach Anonymität der Reden nicht zuträglich ist. Möglich wäre es auch, das Verschwinden der Identität als Ausdruck romantischer Symphilosophie zu deuten. Im Rahmen dieses Theoriekonzeptes werden Letztbegründungsfragen in ihrer metaphysischen und theologischen Form sowohl theoretisch als auch praktisch in die intersubjektive Vermittlung überführt.²⁴⁵ Die historisch greifbaren Sozialgestalten der Symphilosophie sind die Kommunen und literarischen Salons in Berlin und Jena sowie die Zeitschrift Athenäum (1798 – 1800). Spannungsvoll treffen in der Zeitschrift „höchst individualistische ambitionierte Autoren“²⁴⁶ aufeinander, deren subjektive

 „Ich bekenne“, Schleiermacher, Reden, 189. Explizit und am konkretesten greifbar wird hierin eine „konfessorische[…] Sprache“: Kurt Nowak, Schleiermacher: Leben, Werk und Wirkung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 99.  Vgl. Claus-Dieter Osthövener, „Anonyme Theologie von Toland bis Schleiermacher,“ in Anonymität und Autorschaft: Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, hg. v. Stephan Pabst, Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 126 (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2011), 217– 234, 228.  Vgl. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 145.  Vgl. Timm, Die heilige Revolution, 17.  Ebd., 18.

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Geisttätigkeit in die Kooperation dieser Geister überführt werden soll. Vor dem Forum literarischer Öffentlichkeit werden die Texte im Athenäum unter Pseudonym oder anonym veröffentlicht. Oftmals überarbeiten die Verfasser und Herausgeber die Texte anderer, ohne dabei das eigene oder das fremde geistige Eigentum kennzeichnen zu wollen. Die dort erscheinenden Beiträge, unter ihnen auch Schlegels Rezension der Reden ²⁴⁷, verstehen sich selbst als Umsetzung genau dieses Konzeptes einer Symphilosophie. Damit steht das Athenäum im Zusammenhang einer poetologischen Entwicklung, in der der Dialog zum „bevorzugten Medium literarischer und philosophischer Darstellung wird“²⁴⁸. Auch Schleiermacher, der im Kreis der Gebrüder Schlegel verkehrte, verstand sich durch seine Veröffentlichungen in der Zeitschrift Athenäum als Teil dieses symphilosophischen Zirkels. Die Anonymität der Reden als Ausdruck symphilosophischen Schreibens zu verstehen, ist jedoch wenig plausibel. Das Individuum des Redners tritt gerade nicht hinter ein Kollektiv zurück. Vielmehr sind die Reden durch einen sehr selbstbewussten und individuell reflektierten Aussagemodus gekennzeichnet. Genau dieser Aussagemodus wird in den Reden zum Programm von Religionskommunikation erhoben und in der Person des Redners unter anderem durch die gezielte Thematisierung konkreter biographischer religiöser Erfahrung konstituiert. Herrmann Timm sieht in der Anonymität der Reden ein Mittel, „den Schein heteronomer Indoktrination zu vermeiden“. Ihr Ziel sei es vielmehr, „das kreative Vakuum“ zu öffnen. Somit bestünde das Interesse der Autorverschleierung darin, den Rahmen für eine „sich selbst unbegreifliche Subjektivität einer derartigen Literaturreligion des Absoluten“ zu schaffen.²⁴⁹ Damit verweist Timm auf das spezifische Religionsverständnis der Reden, welches einen dem Text inhärenten Begründungsvorschlag für die Anonymität liefert. Claus-Dieter Osthövener begründet schließlich die „Namenlosigkeit“ des Verfassers ebenfalls im Gegenstand der Religion. Er verweist jedoch explizit darauf, dass diese nicht mit einer „Entindividualisierung“²⁵⁰ zu verwechseln sei. In den Reden kommt eine religiöse Individualität zur Sprache, die in den größtmöglichen Artikulationszusammenhang, den von Mensch und Menschheit, eingezeichnet und durch eine prophetisch akzentuierte Aufgabe integriert wird. Damit wird auch innerhalb dieser Ich-Perspektive die Möglichkeit abstrakter Verallgemeinerung erreicht²⁵¹, wie es für frühromantische Autoren typisch ist. Im Falle des Redners erhält damit die Religion einen unhintergehbar subjektiven Aussagemodus. Dieser ist jedoch gleichzeitig für alle Menschen in ihrer jeweiligen individuellen Aneignung aussagekräftig. Indem Osthövener damit sowohl das anonyme Erscheinen als auch den subjektiven Aussa-

 Vgl. Friedrich Schlegel, „Athenäums-Notiz,“ in Charakteristiken und Kritiken, 275 – 281.  Dorit Messlin, Antike und Moderne: Friedrich Schlegels Poetik, Philosophie und Lebenskunst (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2011), 286.  Alle Zitate: Timm, Die heilige Revolution, 37.  Osthövener, „Anonyme Theologie,“ 227.  Vgl. Petersdorff, Mysterienrede, 431.

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gemodus erklären kann und beides durch den Theorierahmen der Reden begründet, ist sein Deutungsvorschlag höchst plausibel. Schließlich ist es gerade die Verschränkung eines konstruierten Kommunikationsaktes mit einem sehr konkret und subjektiv sprechenden Redner, die den Reden ihr spezifisches Gepräge verleiht. Thematisiert wird die Identität des Redners besonders in der Apologie, die einerseits das Anliegen der Reden verteidigt und andrerseits maßgeblich die Kommunikationssituation der Reden konstituiert. In den weiteren Reden, die auf die Religion fokussiert sind, tritt diese Selbstthematisierung deutlich zurück. Der Redner führt sich selbst in die Kommunikationssituation ein. Als „Mitglied dieses Ordens“²⁵² rede er als einer von denen über Religion, die die Gebildeten ihrem eigenen Vorgehen gemäß befragen müssten. Es sei gerade die Vorliebe der Gebildeten zu einem bestimmten Thema jene zu befragen, „welche ihm ihr Leben und ihre Geisteskräfte gewidmet haben“. Dass die Reden Ausdruck genau dieser seiner Denkbewegung sind, macht der Redner deutlich. Seine spezifische Ansicht des Unendlichen sei Gegenstand seiner Rede, in einer subjektiv angeeigneten Form, die seinen gesamten Lebensvollzug bestimmt. Als Mensch rede ich zu Euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht, von dem was in mir war als ich noch in jugendlicher Schwärmerei das Unbekannte suchte, von dem was seitdem ich denke und lebe die innerste Triebfeder meines Daseins ist, und was mir auf ewig das Höchste bleiben wird, auf welche Weise auch noch die Schwingungen der Zeit und der Menschheit mich bewegen mögen.²⁵³

Der Redner weist sich als Fachmann religiöser Belange aus, als Religionsprofessioneller, ohne jedoch Solidarität mit seinen Berufsgenossen und deren Arbeit zu bekennen. Um nicht die dem Klerus gemeinhin zugedachte Verachtung der Gebildeten zu ernten, grenzt er sich ab: Sein Priesterstand sei zufällig und aufgrund seiner vollständigen dogmatischen Freiheit dem Sujet gegenüber keine ihn von den Gebildeten trennende Dimension. Nicht seine institutionelle Beauftragung, sondern seine eigene Erfahrung, seine Religion macht den Redner zu einem geeigneten gebildeten Gesprächspartner für die Religionsverächter. Diese Erfahrung stellt die unabdingbare Voraussetzung für eine authentische Rede von Religion dar. Wenn von andern Vorzügen und Eigenschaften der Menschen die Rede ist, so weiß ich wohl, daß es vor Eurem Richterstuhle Ihr Weisen und Verständigen des Volks, wenig beweiset, wenn einer sagen kann wie er sie besitzt; […] aber so liegt die Sache der Religion und so selten sie ist, daß wer von ihr etwas ausspricht, muß es nothwendig gehabt haben […].²⁵⁴

Hier wird die Bedingung für die Rede über Religion benannt. Dass er diesem Kriterium entspreche, macht der Redner in der vorhergehenden Passage deutlich. In ästheti-

 Schleiermacher, Reden, 190.  Ebd.  Ebd., 195.

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sierter Rede wird eine religiöse Biographie angerissen, die der kundigen Leserschaft bestimmte Aspekte des Lebens Schleiermachers vor Augen führt. Der Vortrag den Religionsverächtern gegenüber erhält damit biographische Rückendeckung und diese wird herangezogen, um den Redner für seine Aufgabe zu qualifizieren: Religion war der mütterliche Leib in deßen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf die ihm noch verschloßene Welt vorbereitet wurde, in ihr athmete mein Geist, ehe er noch seine äußere Gegenstände, Erfahrung und Wißenschaft gefunden hatte, sie half mir als ich anfing den väterlichen Glauben zu sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt, sie blieb mir, als Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden, sie leitete mich ins thätige Leben, sie hat mich gelehrt mich selbst mit meinen Tugenden und Fehlern in meinem ungetheilten Dasein heilig zu halten, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt.²⁵⁵

Der Redner bringt sich mit seiner konkreten, biographisch bedingten religiösen Erfahrung ins Gespräch. Krise und Genese des religiösen Individuums erhalten somit ihren verschlüsselten Ausdruck. Die Äußerungen verweisen auf den Autor Friedrich Schleiermacher. Sein eigener Weg führte aus einem religiösen Elternhaus über die krisenhafte Entfernung von seinen eigenen religiösen Wurzeln, vermutlich in Barby, in die Gegenwart. Damit kennzeichnet und legitimiert der Redner sich als authentischen religiösen Redner, dessen Aussagemodus damit kein anderer sei als ein subjektiver. Relevant für die Adressatenschaft wird dieser Aussagemodus, indem dieses religiöse Individuum sein Verhältnis zu diesem gemeinsamen Gattungszusammenhang bestimmt. Die Betonung der trennenden individuellen Dimension der Rede wird damit in den verbindenden Zusammenhang der Menschheit eingeordnet: „Als Mensch rede ich zu Euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht“²⁵⁶. Ausdruck dieser Ansicht ist nicht das Resultat einer beliebigen subjektiven Entscheidung, vielmehr widerspricht sie der Einsicht einer mangelnden Erfolgsperspektive. Denn Religion und religiöse Bildung sind strukturell nicht von Mensch zu Mensch vermittelbar, sondern bedürfen der Selbsttätigkeit der Religion. Es ist die Aufgabe des Redners, er ist extern bestimmt: Seine Rede ist notwendig, insofern er selbst ein Bedürfnis nach „Mittheilung und Geselligkeit“²⁵⁷ empfindet. Die Rede wird aus dem Wesen der Religion begründet, sie ist „göttlich beherrscht“²⁵⁸. Damit artikuliert der Redner ein Sendungsbewusstsein und kennzeichnet sich zugleich als Mittler zwischen den genannten Polen Mensch und Menschheit. Er entspricht dadurch exakt der

 Ebd.  Ebd., 190. Bemerkenswert ist an dieser Formulierung, dass auch Spalding in seinen Vertrauten Briefe, die Religion betreffend als Mensch und nicht als Geistlicher schreibt. Vgl.: Johann L. Spalding, Vertraute Briefe, die Religion betreffend, SpKA, I/4, hg. v. Albrecht Beutel und Dennis Prause (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004). Darüber hinaus verweist Nowak auf die Nähe der Titel und die Anonymität beider Autoren. Er vermutet, Schleiermacher habe sich an Spalding orientiert: Nowak, Schleiermacher, 79.  Schleiermacher, Reden, 194.  Ebd., 190. „Sei es also weder schiklich noch rathsam von der Religion zu reden, dasjenige was mich also dringt, erdrükt mit seiner himmlischen Gewalt diese kleinen Begriffe“.

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göttlich bestimmten Aufgabe der Mittler, die darin besteht, „durch ihr bloßes Dasein“²⁵⁹ die genannte Vermittlungsleistung zu erbringen. Zweck dieser Darstellung ist es nicht, ein ideales Vermittlungsverhältnis aufzuzeigen, sondern jeden Menschen zur spezifischen Darstellung eines bestimmten Verhältnisses zwischen den bipolaren Kräften der Welt anzuregen und sie so dazu zu bringen, als Mensch die Menschheit in individueller Art und Weise darzustellen. Dies geschieht allein durch die Handlungen und Darstellungen der Individualität des Mittlers. Die Darstellungen einer religiösen Idealgestalt erfahren in der vierten Rede Konkretisierung und machen deutlich, dass diese in eine Haltung überführt werden, eine „stumme Sprache“²⁶⁰. Die Darstellung der eigenen Individualität ist letztlich Bewusstsein für ein spezifisches Verhältnis zum Universum. Gekennzeichnet ist dieses durch eine „majestätische Ruhe“ und eine „lächelnde Heiterkeit“²⁶¹, die Gelassenheit eines auf diese Weise religiösen Individuums, einer „heiligen Person“²⁶² gegenüber irdischen Wertungen und Vergänglichkeiten angesichts der unwandelbaren Unendlichkeit des Universums. Damit ist diese Person selbst in dieser individuellen konkreten Lebenshaltung ein Verweis auf das Universum in seiner unendlichen Gestalt. Die Funktion des Mittleramtes ist damit gerade nicht an objektive Gehalte der Darstellung gebunden, wie etwa Glaubenssätze, sondern ist durch den verweisenden Charakter gekennzeichnet.²⁶³ Insofern besitzt die Konzeption des Mittlers in den Reden eine hermeneutische Akzentuierung.²⁶⁴ Die literarische Kommunikationssituation überschreitend, entstehen durch die Aufrufung der Mittler-Figur intertextuelle Bezüge zwischen Klopstocks Messias, der 1798 eine Neuausgabe erfährt, und Schleiermachers Reden. Die Aufrufung dieser Mittlerfigur führt zu einer semantischen Anreicherung des Motivs über den Text hinaus, wobei Manuel Bauer diese Spur bis zu Goethes Wahlverwandtschaften verfolgt.²⁶⁵ Während bei Klopstock der klassischen christlichen Tradition entsprechend der Mittler mit dem Messias identifiziert wird, erfährt diese Vorstellung bei Schleiermacher eine christologisch folgenreiche Transformation. Schleiermacher hebt die Singularität des Mittlers auf und weitet das Konzept auf den Bereich bestimmter Personen aus. Dementsprechend kann er Mittler als „Dichter oder Seher, […] Redner oder […] Künstler“²⁶⁶ beschreiben. Herausgehoben bleibt Jesus als Mittler, der „Urheber des Herrlichsten ist, was es bis jetzt giebt in der Religion“²⁶⁷, und in dem die Idee der Vermittlungsbedürftigkeit alles Endlichen hin zu Gott in seiner

 Ebd., 193.  Ebd., 289.  Ebd.  Ebd., 288.  Vgl. Wittekind, „Die Vision der Gesellschaft,“ 402.  Vgl. Bauer, Schlegel und Schleiermacher, 241, Fußnote 23. Dies steht im Gegensatz zur künstlerischen Akzentuierung des Mittlertums bei Schlegel.  Vgl. ebd., 233.  Schleiermacher, Reden, 193.  Ebd., 321.

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Person und insbesondere seiner Seele die klarste Ausbildung erfahren habe. Trotz dieser Wertschätzung strebt das Ideal auf ein Zeitalter und eine Menschheit zu, welche keines Mittlertums mehr bedarf, da in ihr das Mittlertum zu Gunsten einer allgemeinen und universalen Priesterschaft zurücktreten könne. Die religiöse Rede des Mittlers wird obsolet in ihrer „lehrhaft-pädagogischen Funktion“²⁶⁸: In der idealen Gemeinschaft wahrhaft Religiöser steht vielmehr die verweisende spezifische Darstellung jedes mündigen Individuums im Vordergrund. Insofern ist das Mittlertum ein transitorisches Phänomen, dessen Ende herbeigesehnt wird und wodurch „das Priesterthum der Menschheit eine schönere Bestimmung bekäme“²⁶⁹, indem alle Menschen selbst ihrer Religion vollendet Ausdruck verleihen. Die Kritische Gesamtausgabe stellt diese Äußerung der Reden in den Horizont alttestamentlicher und neutestamentlicher Traditionen in Jeremia 31, 34, Hebräer 8,11 und Johannes 6,45. Die Reden selbst liefern den vagen Hinweis auf „eine alte Weissagung“, dass eine Zeit kommen werde, in der „keiner bedürfen wird, daß man ihn lehre, weil alle von Gott gelehrt sind“.²⁷⁰ Mit der Vorstellung eines Mittlertums rezipiert Schleiermacher eine für die Frühromantik zentrale Figur. Auch bei Novalis nimmt das Mittlertum einen wichtigen Stellenwert ein. Es stellt für ihn das Zentrum der Religion überhaupt dar: „Nichts ist zur wahren Religiosität unentbehrlicher als ein Mittelglied – das uns mit der Gottheit verbindet. Unmittelbar kann der Mensch schlechterdings nicht mit derselben in Verhältniß stehn.“²⁷¹ Die Funktion eines Mittlers besteht für Novalis in der Vermittlung zwischen Gott und Mensch, die nur auf diesem Wege, nicht aber unmittelbar denkbar ist. Obgleich die Formulierungen sich teilweise unterscheiden, sind die Mittlerkonzepte der Reden und Novalis’ Mittlerfragment in weiten Teilen deckungsgleich. Erstens spielt die Kongruenz von Mittlern und zu vermittelnden Personen sowohl in den Reden als auch im Mittlerfragment eine herausgehobene Rolle: Die Wahl des Mittlers muss in Freiheit geschehen und gleichzeitig „karakteristisch“²⁷² sein. Nur durch diese Kongruenz  Wittekind, „Die Vision der Gesellschaft,“ 406.  Schleiermacher, Reden, 194.  Ebd. In den Reden findet sich kein ausgefeiltes Konzept biblischer Hermeneutik. Vielmehr praktizieren sie eine eklektische Form der Aneignung biblischer Traditionszusammenhänge und bringen diese in ein implizites Gespräch mit frühromantischen Begrifflichkeiten und Gedankenformen. Dem gegenüber steht die ausgefeilte und mit der allgemeinen Hermeneutik verzahnte Bibelhermeneutik des späten Schleiermacher. Weiterführende Ausführungen hierzu bieten: Günther Meckenstock, „Schleiermachers Bibelhermeneutik,“ in Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie: Beiträge zu einem interdisziplinären Symposion in Tübingen, 29. September bis 1. Oktober 1999, hg. v. Jan Schröder, Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 58 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2001), 249 – 264; Andreas Arndt und Jörg Dierken, Hg. Friedrich Schleiermachers Hermeneutik: Interpretationen und Perspektiven (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2016).  Novalis, „Blüthenstaub-Fragment 74,“ in Novalis Schriften: Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, Das philosophische Werk I, hg. v. Richard Samuel (Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer, 1981), 441– 445, 442.  Ebd., 443.

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können die Mittler ihr Amt erfüllen. Zweitens ist das Mittlertum in beiden Fällen ein Kriterium für „wahre Religiosität“²⁷³ und jene Mittler sind im Sinne prophetischer Sendung göttlich inspiriert. Dies führt dazu, dass sie die Partizipation an einem „wahre[n] Sein in der Zeit“²⁷⁴ vermitteln können. Und schließlich wird in der MittlerReligion eine Integrationsfunktion von Pantheismus und Monotheismus geleistet. Daran anschließend kann der übereinstimmende Kern der Mittlertheorien bei Novalis und Schleiermacher in der „sich annäherungsweise vollziehenden Teilhaberschaft des religiös aufgeschlossenen Menschen am Göttlichen“²⁷⁵ gesehen werden. Deutlich wird insofern, dass die Mittler-Religion einen inhaltlichen Brennpunkt frühromantischer Religionsvorstellung bildet. Dem Mittlertum des Redners stehen die Gebildeten unter den Religionsverächtern als eine sehr spezifische Adressatengruppe gegenüber. Die Gebildeten der Reden sind zu Selbstbewusstsein gekommen, das Vorgaukeln einer nicht vorhandenen Religiosität ist ihnen nicht mehr notwendig. Dennoch ist der Redner davon überzeugt, dass gerade sie der durch die Aufklärung desavouierten Religion zu neuem Ruhm verhelfen können. Um diese Adressatengruppe genauer zu fassen, lohnt ein Blick in die Apologie, die erste der fünf Reden. Sie arbeitet mit einem doppelten Begriff der Gebildeten und unterscheidet dabei Kenntnisreiche und Fähige voneinander. Der Redner hält fest, dass die Gebildeten sich durch ihre Kenntnis von Poesie und die Verehrung von „Menschheit und Vaterland, Kunst und Wissenschaft“²⁷⁶ ein Distinktionsmerkmal geschaffen haben. Damit werden die Gebildeten zunächst im Rekurs auf das zeitgenössische Bildungsverständnis bestimmt als diejenigen, welche ein Interesse und Anteil an allgemeinen Kulturgütern haben. Diese kenntnisorientierte Bildung der Religionsverächter steht in einem Missverhältnis zur Religion. Sie ist ihr Substitut. An die Stelle des schöpfungsursächlichen Universums sei die schöpferische Kraft der Gebildeten getreten. Damit unterstellt der Redner eine Kausalverkehrung des Weltzusammenhangs – solch ein Standpunkt sei weder wahrhaft gebildet, noch zeuge er von einer Einsicht in die wahre Religion. Den Grund der Religionsverachtung seiner Adressaten sieht der Redner in ihrer mangelnden Auseinandersetzung mit der wahren Religion. Bildung ohne Religion, so die Grundthese der Reden, kann nie vollendete

 Ebd., 441.  Hans Dierkes, „‚Schleyermacher hat Eine Art von Liebe, von Religion verkündigt‛. Hat er das? Novalis’ Rezeption der Reden ,Über die Religion‘,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion,“ 534– 558, 543.  Wolfgang Sommer, Schleiermacher und Novalis: Die Christologie des jungen Schleiermacher und ihre Beziehungen zum Christusbild des Novalis, Europäische Hochschulschriften, Reihe XXII Theologie 9 (Berlin: Herbert Lang, 1973), 144. Im Grundbestand zustimmend, kritisiert Uerlings die hier vorgenommene Verhältnisbestimmung zu Fichte. Vgl. Herbert Uerlings, Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis: Werk und Forschung (Stuttgart: J.B. Metzler, 1991), 274. Eine präzise Darstellung der Religionstheorie Novalis., in deren Zentrum er das Mittlerfragment verortet, bietet: Andreas Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis: Eine ideengeschichtliche Studie in ästhetischer und theologischer Absicht (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 311– 323.  Schleiermacher, Reden, 189.

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Bildung sein. Deswegen werden die Religionsverächter dazu aufgefordert, in ihrer Religionsverachtung „recht gebildet und vollkommen“²⁷⁷ zu werden. Auf diese Weise soll den Adressaten deutlich werden, dass ihre Verachtung sich nicht gegen die wahre Religion richtet. Denn wahre Bildung, so der umgekehrte Gedankengang der benannten Grundthese der Reden, ist in höchstem Maße religionsaffin. Gebildet sind deswegen auch nicht alle Religionsverächter, sondern nur jene fähigen Adressaten, die konkret angesprochen werden: „Nur Euch also kann ich zu mir rufen, die ihr fähig seid Euch über den gemeinen Standpunkt zu erheben, die Ihr den beschwerlichen Weg in das Innere des menschlichen Lebens nicht scheuet, um den Grund seines Thuns und Denkens zu finden.“²⁷⁸ Religionsaffin ist nur jene Bildung, welche Freiheit von allgemein menschlichen Zusammenhängen bringt, zur Abstraktion befähigt und durch eine Offenheit für die Fragen nach dem Grund von Sein und Handeln gekennzeichnet ist. Und nur diese Bildung ist auch wahre Bildung. Demgegenüber sind die Ungebildeten in den irdischen Vollzügen gefangen und so nicht in der Lage, sich selbst als Teil des Ganzen zu sehen. Ihre Orientierung an reiner Kenntnis und Empirie versperrt ihnen den Sinn, welcher für die Religion maßgeblich ist. Nicht jeder im zeitgenössischen Verständnis Gebildete ist zur Auseinandersetzung mit diesen Fragen in der Lage. Explizit nicht ansprechen will der Redner jene, deren Wissenschaftseifer zweckgerichtet ist: sei es auf Gewinn, Genuss oder jedweden einfachen Nutzen. Diese Bemühungen enden in Empirie, in der Materialität, und können nicht erreichen, was Religion eigentlich ist. Ebenso wenig zählt er jene zu den Gebildeten, die der Religion gegenüber aus „Gleichgültigkeit“ und „Übermuth“²⁷⁹ unempfänglich geworden sind. Der innerhalb der Reden konstruierte Kommunikationsakt spannt sich zwischen einem Mittler und den Fähigen unter den Religionsverächtern auf. Das Verhältnis dieser beiden muss durch eine spezifische Passgenauigkeit gekennzeichnet sein. Es „muß der heilige Redner seine Zuhörer bekommen, […] nach einer gewißen Ähnlichkeit der Fähigkeiten und der Sinnesart“²⁸⁰. Die Kommunikationssituation zielt damit auf eine Interpersonalität ab, in der sich Fähigkeiten und Sinn von Redner und Adressaten entsprechen. Die innerhalb der Reden rekonstruierbare Kommunikationssituation wurde bezüglich des Redners, der Adressaten und der diese beiden Gruppen verbindenden Interpersonalität analysiert. Ihre theoretische Verankerung erfolgt auf drei Ebenen: im Konzept des sinnlichen Mittlers, im Konzept der Gebildeten, die über spezifische Fähigkeiten verfügen, und im Konzept religiöser Kommunikation, wie es im ersten Abschnitt des Kapitels analysiert wurde. Die so konstruierte Interpersonalität erfüllt all jene Kriterien, die im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten sprachlicher religiöser Vermittlung eine wechselseitige individuelle    

Ebd., 198. Ebd., 197. Ebd., 196. Ebd., 285.

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Bildung ermöglichen. Nur indem dies auch gelingt, können jene dann tatsächlich Gebildeten wiederum selbst ihre Berufung als Mittler erfüllen.²⁸¹ Die literarische Fiktion der Reden suggeriert damit die Idealsituation religiöser Kommunikationsprozesse.

3.1.2 Kritik und Affirmation Die Idealsituation einer resonanten Kommunikationssituation unter religiös Gebildeten, deren religiöse Sinne wechselseitig kompatibel sind, ist jedoch keinesfalls gegeben. Es ist das Ziel der Reden, ein Bewusstsein für die wahre Religion zu schaffen und ihre Adressatenschaft von der Notwendigkeit einer dieser Religion angemessenen Redegestalt zu überzeugen. Hierzu, so die These, verfolgen die Reden eine kommunikative Doppelstrategie. Einerseits kritisieren sie die Position der Religionsverächter, andrerseits affirmieren sie die Haltung der Adressaten als unwissentliche zukünftige Trägerschaft der wahren Religion. Diese durch die Reden angewendete Kommunikationsstrategie wird im Folgenden analysiert. Besondere Berücksichtigung erfahren hierbei das Verhältnis von Mittler und Rhetor, die wahre Religion und die wahren Religiösen. Diese Themen werden entlang der einzelnen Reden entfaltet. In der Analyse der theoretischen Entfaltung wurde deutlich, dass der wahre religiöse Redner im Kommunikationskonzept der Reden der Mittler ist. Er spricht subjektiv und erfahrungsbasiert. Neben diesem Mittler kommt in den Reden jedoch auf der Ebene des Vollzugs noch ein anderer Stil des Redens zum Tragen: der eines antiken Rhetors. Während das Amt des Mittlers die Darstellung individueller Anschauungen und Gefühle zur Evokation von Religion im Gegenüber ist, will der Rhetor verteidigen und überzeugen. Er spricht in der Tradition antiker Rhetorik. Explizit wird dies durch den Titel der Ersten Rede deutlich. Die Apologie stellt eine Anlehnung an das antike genus iudiciale dar, dessen klassische Funktion die Verteidigung ist. Nach der im Sinne einer captatio benevolentiae fungierenden Einleitung, die die Adressaten umschmeichelnd als jene anspricht, welche „von der Weisheit des Jahrhunderts durchdrungen sind“, folgt eine längere Passage, in der der Redner seine Kenntnis des Standpunktes der Gebildeten behauptet.²⁸² Suggestiv wird hier eine gemeinsame Gesprächsbasis unterstellt, die jedoch dem Redner nur als Sprungbrett für die eigene, überlegene Argumentation dient. Es ist ein Wechselspiel aus sprachlicher Unterwerfung unter die Position der Gebildeten und Behauptung eines eigenen Standpunktes. Innerhalb dieses Wechselspiels changiert die Kommunikationstaktik zwischen den klassischen persuasiven Verfahren von docere, delectare und movere.

 Vgl. ebd., 202. Zu beachten ist die exponierte doppelte Voranstellung des Personalpronomens: „Ihr, die Ihr dazu berufen seid die andern zu bilden und sie Euch ähnlich zu machen“.  Ebd. „Ich weiß daß Ihr eben so wenig in heiliger Stille die Gottheit verehrt, als Ihr die verlaßenen Tempel besucht“; „Ihr seid darüber einig, ich weiß es, daß nichts Neues und nichts Triftiges mehr gesagt werden kann über diese Sache“; „Dies alles weiß ich“: Schleiermacher, Reden, 190. Hervorhebung M.S.

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Eine Steigerung erfährt diese kommunikative Strategie im Laufe der Apologie, indem der Kenntnisstand der Gebildeten Schritt für Schritt als Missverständnis kenntlich gemacht wird. Ihren vorläufigen Kulminationspunkt erfährt sie gegen Ende der ersten Rede. Hier werden die Religionsverächter dazu aufgefordert, ihre bisherigen Religionsbegriffe aufzugeben, um dem Wesen der Religion näher zu kommen: „Ich fordere also, daß Ihr von allem, was sonst Religion genannt wird, absehend Euer Augenmerk nur auf diese einzelne Andeutungen und Stimmungen richtet, die Ihr in allen Äußerungen und edlen Thaten Gottbegeisterter Menschen finden werdet.“²⁸³ Am Ende der ersten Rede wird sich der Redner als Meister des Genres erweisen: Seine zuerst hoch gepriesenen Gebildeten werden des Irrtums überführt. Das, was sie für Religion halten und verachten, ist eine historisch gewachsene Form derselben, „ein Erzeugniß der Zeit und der Geschichte“²⁸⁴, aber keineswegs das Wesen der Religion. Mit diesem argumentativen Schachzug nimmt er seinem Publikum die selbst in den Mund gelegten Argumente, die ihre Verachtung für die Religion begründen. Gemäß dem Prinzip sokratischer Dialoge führt der Redner seinen Adressaten den eigenen Irrtum vor Augen. Sein Ergebnis muss die „Kapitulation des herrschenden Expertentums“²⁸⁵ sein, die Dekonstruktion der Wissensphysiognomie. Damit gelangt ihre Kritik an ihr Ende. Die erste Rede bewegt sich damit in einem steten Hin und Her gemäß der benannten Doppelstrategie. Die Kritik an vielem, das als Religion bezeichnet wird, affirmiert der Redner. Gleichzeitig kritisiert er jedoch die Identifikation dieser falschen Religionsauffassung mit der wahren Religion. Was wahre Religion ist, wird in der zweiten Rede entfaltet. Aufgabe der gebildeten Religionsverächter ist es, zu einem angemessenen Religionsverständnis zu gelangen, mittels dessen eine gebildete Religionsverachtung²⁸⁶ möglich sei. Damit setzt sich die skizzierte Doppelstrategie auch in der zweiten Rede fort. Es müsse auch Anliegen der Religionsverächter sein, so der Redner, zu einem der Sache angemessenen Religionsverständnis zu gelangen: „Ihr mögt die Religion nicht, davon sind wir schon neulich ausgegangen; aber indem Ihr einen ehrlichen Krieg gegen sie führt, der doch nicht ganz ohne Anstrengung ist, wollt Ihr doch nicht gegen einen Schatten gefochten haben, wie dieser, mit dem wir uns herumgeschlagen haben.“²⁸⁷ Die extensiv vorgetragene Kritik des Redners am Religionsverständnis der gebildeten Religionsverächter lässt jedoch die Frage aufkommen, was sein Kriterium für ein angemessenes Verständnis von Religion ist. Wie wird zwischen wahrer und falscher Religion, zwischen wahrer und falscher Bildung, ja, zwischen wahren und falschen Pfaffen unterschieden? Der vom Redner entwickelte Argumentationsstrang stellt hierbei die Religion ins Zentrum der Überlegungen: Von ihr aus sind auch Bildung und Gebildete als wahr oder falsch zu klassifizieren. Wahre Bildung ist jene,     

Ebd., 201– 202. Ebd., 198. Timm, Die heilige Revolution, 36. Vgl. Schleiermacher, Reden, 198. Ebd., 210.

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welche auf ein wahres Religionskonzept rekurriert bzw. es integriert. Der wahre Mittler ist jener, welcher die wahre Religion fördert. Wahre Religion hingegen ist individuell vermittelt und damit prinzipiell durch jeden Menschen beurteilbar. Während also die erste Rede vor allem der Korrektur vorangegangener Fehlannahmen diente, gilt es in der zweiten Rede diese wahre Religion zu entfalten. Das Religionskonzept der ersten Auflage der Reden beansprucht mit der unablässigen Darstellungstätigkeit des Universums eine höhere und extern begründete Wahrheit und tariert diese durch die individuelle Anschauung eben jenes Universums mit der Subjektivität jedes Menschen aus. Das religiöse Gefühl und die Anschauung sind unmittelbare Erfahrungen des Menschen. Insofern kann in den Reden die Religion zu einem subjektiven, da erfahrungsbasierten, Wahrheitskriterium werden, das jedoch – entgegen einem absoluten Subjektivismus und in Abgrenzung zur Position Fichtes – seinen Ursprung in einem originär externen Moment besitzt. Grundbedingung für die Plausibilität dieser Argumentation ist die These von der Autonomie der Religion: Das natürliche Vorhandensein der Religion in jedem Menschen, ihr Entspringen „aus dem Innern jeder beßern Seele“²⁸⁸. Der Redner muss, seinen eigenen Postulaten gemäß, auf die Selbsttätigkeit der Religion vertrauen. Dass sie sich regt, ist für den Rhetor keine Frage, wird Religion doch zur anthropologischen Grunddimension erhoben: „ob also die ganze Religion in ihrer Unendlichkeit in ihrer göttlichen Kraft Euch hingerißen hat zur Anbetung; darüber frage ich Euch nicht, denn ich bin der Kraft des Gegenstandes gewiß der nur frei gemacht werden durfte, um auf Euch zu wirken“²⁸⁹. Es ist deswegen letztlich die Erfahrung jedes Einzelnen mit dieser sich artikulierenden Religion, die darüber entscheiden wird, wie viel Evidenz den Ausführungen des Redners seitens seiner Adressaten zugebilligt wird. Somit ist das Urteil über die Religion an die Subjekte delegiert. Ihren rhetorischen Ausdruck erhält diese religionstheoretische Erkenntnis darin, dass der Redner am Ende der Ersten und der Dritten Rede, wenn auch nach Hinweis auf die unterschiedlichsten Missverständnisse und Fehlannahmen der Gebildeten, das schlussendliche Urteil an seine Adressaten abgibt: „und Euch liegt es nun ob, zu entscheiden, ob es der Mühe werth sein wird, mich zu hören, ehe ihr Euch in Eurer Verachtung noch mehr befestigt“²⁹⁰. Durch den Hinweis auf die notwendige subjektive Plausibilisierung erfährt die stellenweise mit einem gewissen Überlegenheitsanspruch vorgetragene Position eine Relativierung. Das letztendliche Urteil muss von den Religionsverächtern gefällt werden. Damit hebt sich der Redner in gewisser Weise auch von seinen romantischen Weggefährten ab, deren „seltsam naive Gewißheit“²⁹¹ davon gespeist wird, eine tiefere Freiheit und eine reinere Vernunft behalten zu haben als die entsprechenden Zeitgenossen. Obgleich die Reden auch jenen Anspruch auf exklusive Wahrheit kennen    

Ebd., 204. Ebd. Ebd., 204– 205. Petersdorff, Mysterienrede, 6.

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und auf dieser Grundlage heftige Kritik üben, wird dieser dennoch an die konkrete Adressatenschaft rückvermittelt und damit gebrochen. Somit steht die skizzierte Kommunikationssituation in einer eigentümlichen Spannung zwischen emanzipatorischem Gestus und elitärer Haltung. Einerseits ist das Anliegen des Redners elitenkritisch: Es will durch Analyse und Kritik jenen, welche sich als gebildet ansehen, aufzeigen, dass dies nicht zutrifft, solange nicht auch die Religion Teil ihrer Bildung wird. Gleichzeitig ist gerade das Urteil über diese Religion an die Subjekte delegiert. Andrerseits überbieten die Reden besonders durch ihren Anspruch auf eine höhere Wahrheit jeglichen elitären Bildungsanspruch durch die Aufrichtung eines neuen Elitentums im Sinne eines frühromantischen Avantgardismus unter Integration des Religiösen. Diesem Avantgardismus ist gleichsam ein gewisser „hektische[r] Öffentlichkeitswillen“ zu eigen, dessen Ziel es ist, „dem weltweiten Auditorium die eigene Autorschaft als Endlösung fast aller Nöte anzudienen“²⁹². Gemäß diesem Selbstverständnis erhebt der Redner den Anspruch, von der wahren Religion zu sprechen, zu den echten Gebildeten, als wahrer Mittler. Allerdings – und hierin besteht eine der Pointen der Reden – existiert dieses Elitentum bereits. Unwissend verkörpern es die spezifischen Adressaten der Reden. Nachdem also die Kommunikationsstrategie der Reden bisher einerseits am Verhältnis von Mittler und Rhetor und andrerseits anhand der Entfaltung der Vorstellung des wahren Religionsverständnisses analysiert wurde, schreiten die Überlegungen nun zum Thema der wahren Religiösen voran. Nach der massiven Kritik am falschen Religionsbegriff wechselt der Redner in einen nahezu flehenden Redemodus. Den Religionsverächtern muss deutlich gemacht werden, dass auch durch sie das Universum wirksam ist: „ich wollte, Ihr könntet Euch bewußt werden wie auch Ihr durch Euer Sein und Wirken zugleich Werkzeuge des Universums seid und wie Euer auf ganz andre Dinge gerichtetes Thun Einfluß hat auf die Religion und ihren nächsten Zustand“²⁹³. Während in der Apologie über weite Passagen die Kritik deutlich überwiegt, tritt gerade diese anfängliche Frontstellung, beginnend ab der dritten Rede, im weiteren Verlauf zurück. An die Stelle der Adressaten, gegen deren Positionen sich ein Großteil der Passagen der ersten und zweiten Rede richtete, treten in der dritten Rede jene, welche Bildung zu einem zweckrationalen Prinzip deformiert haben. Zu dem kritisierten „Ihr“, in der zweiten Person Plural angesprochen, tritt eine neue Konfliktpartei, das „Sie“ der dritten Person Plural: Alles, was sie gelten lassen wollen, ist ein kleiner und unfruchtbarer Kreis ohne Wißenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne Geist, und wahrlich auch ohne Buchstaben; kurz, ohne Alles, von wo aus sich die Welt entdeken ließe, wenn gleich mit viel hochmüthigen Ansprüchen

 Timm, Die heilige Revolution, 13.  Schleiermacher, Reden, 252. Hervorhebung M.S.

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auf alles dieses. Sie freilich meinen, sie hätten die wahre und wirklich Welt, und sie wären es eigentlich, die Alles in seinem rechten Zusammenhang nähmen.²⁹⁴

Die Kritik an einem an kleinteiliger Analyse ohne Berücksichtigung des gesamten kosmischen Zusammenhanges interessierten Konzept von Bildung in der dritten Rede, welches durch die Destruktion des Sinnes das Gegenteil von religionsaffin ist, trifft letztendlich nicht die Adressaten der Reden. Ihr Streben hat eine religionsförderliche Richtung. Ihr Streben nach „ganz andre[n] Dingen“²⁹⁵ erfährt eine Affirmation. Die wirkliche Welt lässt sich nur in ihrem Zusammenhang gänzlich erschließen: „Möchten sie doch einmal einsehn, daß man jedes Ding, um es als Element des Ganzen anzuschauen, nothwendig in seiner eigenthümlichen Natur und in seiner höchsten Vollendung muß betrachtet haben. Denn im Universum kann es nur etwas sein durch die Totalität seiner Wirkungen und Verbindungen.“²⁹⁶ Die Wirklichkeit als Totalität von Wirkungen und Verbindungen des Universums anzuschauen, ist jedoch genau das, was der Redner als Religion eingeführt hat. Damit ist Religion nicht nur eine Teilperspektive von Wirklichkeit, sondern ein umfassendes Konzept, welches exklusiv die Wirklichkeit in ihrer Tiefendimension erschließbar macht. Die eingangs kritisierten gebildeten Religionsverächter besitzen dem Redner zufolge jedoch eine Affinität zu eben einer solchen Betrachtungsweise. Die kommunikative Strategie zwischen Affirmation und Kritik wird deswegen nicht aufgelöst, verlagert sich ab der dritten Rede jedoch zu Gunsten einer verstärkten Affirmation der Adressaten, welche dort als „unbeabsichtigte Retter und Pfleger der Religion“²⁹⁷ beschrieben werden. Die vierte Rede hebt mit einer Klassifikation unterschiedlicher Religionsverächter an. Neben denen, welche Religion als Krankheit betrachten, werden jene angesprochen, die weniger Gefahr von der Religion ausgehen sehen und sie vielmehr für eine „Sonderbarkeit […] eine unbedeutende […] Erscheinung halten“²⁹⁸. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie wie auch die Apologie in der Bekundung der Kenntnis des Standpunktes der Gebildeten. Und auch hier geht der Redner mit der Zielvorgabe ans Werk, bestimmte Fehlannahmen zu korrigieren, um den gebildeten Religionsverächtern eine seines Erachtens angemessene Perspektive zu vermitteln. Dennoch unterscheidet sich der Charakter der vierten Rede in ihrem deutlich konzilianteren Ton von der konfliktuöseren und kämpferischen Apologie. Während die Apologie auf die wahre Religion abzielt und damit den Kernpunkt der Gesamtrede verteidigt, ist das Interesse der vierten Rede, die Vision einer religiösen Gemeinschaft zu entwerfen, „den ganzen Begriff […] aufs neue [zu] erschaffen“, wobei der Redner gleichsam beteuern kann,

    

Ebd., 255. Ebd., 252. Ebd., 255. Ebd., 263. Ebd., 257.

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dass seine Rede von der „wahren Kirche“ keine utopische ist.²⁹⁹ Vielmehr habe diese immer Bestand und werde diesen auch forthin haben. Zur Plausibilisierung derselben Gemeinschaft beruft sich der Redner auf die klassische ekklesiologische Unterscheidung zwischen der „streitenden“ und der „triumfirenden Kirche“³⁰⁰, wobei sich die bis dahin gemachten Aussagen zu religiösen Gemeinschaften auf diese Kirche beziehen. Und schließlich räumt er ein, dass die wahre Kirche ein „Bindemittel“³⁰¹ zu ihrer empirischen und in ihren Defiziten zu beklagenden Kirche haben muss. Wiederum artikuliert der Redner demnach Übereinstimmung mit der Kritik der Religionsverächter und begegnet dieser mit einem anderen Konzept von Religion, bis sie schließlich hymnisch in der Schlusspassage der Fünften Rede kulminiert. Wenn sie [die Religion, Anm. M.S.] sich in Euch entwickelt, wenn Ihr die ersten Spuren ihres Lebens inne werdet, so tretet gleich ein in die Eine und untheilbare Gemeinschaft der Heiligen, die alle Religionen aufnimmt, und in der allein Jede gedeihn kann. Ihr meint, weil diese zerstreut ist und fern, müßtet Ihr denn auch unheiligen Orten reden? Ihr fragt, welche Sprache geheim genug sei, die Rede, die Schrift, die That, die stille Mimik des Geistes? Jede, antworte ich, und Ihr seht, ich habe die lauteste nicht gescheut. In jeder bleibt das Heilige geheim, und vor den Profanen verborgen. Laßt sie an der Schale nagen, wie sie mögen; aber weigert Uns nicht den Gott anzubeten, der in Euch sein wird.³⁰²

Die gebildeten Religionsverächter werden gegen die Unverständigen („sie“) als jene adressiert, in welchen Gott sein wird, gleichsam den „Neokoren“³⁰³ der Religion, als die sie bereits in der Schlusspassage der vierten Rede bezeichnet wurden. Damit wird ihr religiöses Potential in einer Art performativer Rede direkt angerufen. Insofern kann die Aufgabe des Mittlers, als welcher der Redner zweifelsohne im Sinne eines neuen Prophetentums fungiert, in einem Bewusstseinsbildungsprozess gefasst werden. Der Redner adressiert also, so kann zusammengefasst werden, seine Rede an die gleichsinnigen und fähigen religionsaffinen Gebildeten, deren Urteil nach seinem Ermessen nur zu Gunsten eben jener wahren Religion ausfallen kann. Die mit der Aufdeckung vorhandener Fehlannahmen der Adressaten verbundene Kritik, die besonders deutlich in den ersten beiden Reden hervortritt, verblasst zunehmend zu Gunsten einer Affirmation der Position der Gebildeten ab der dritten Rede. Im Sinne einer Avantgarde ist es dann jene Elite, deren Aufgabe die universelle Verbreitung dieser Religion ist.³⁰⁴ Die Ausweitung dieses universellen Konzeptes überführt er in

 Ebd., 267.  Ebd.  Ebd., 277.  Ebd., 326.  Ebd., 268.  Dirk von Petersdorff beschreibt eine doppelte Tendenz: Einerseits ist die „romantische Akademie“ den Eliten ein zurückgezogener Ort der Kontemplation im Sinne einer Abgeschiedenheit von der Welt. Andrerseits wird einer neuen religiösen Avantgarde eine spezifische Bedeutung für die universalistische Öffnung der wahren Religion zugerechnet. Für die Überlegungen zur Bildungstheorie ist letztere Tendenz relevant. Vgl. Petersdorff, Mysterienrede, 266 – 272.

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der vierten Rede in ein Kirchenreformprogramm, mit welchem eine „andere Art von Gesellschaft“³⁰⁵ entworfen wird, in der sich die wahren Religiösen zum Zwecke der individuellen religiösen Bildung mittels Kommunikation treffen. Schließlich werden diese Überlegungen in der fünften Rede in den Zusammenhang einer Religionstheorie überführt, welche auf das Verhältnis unterschiedlicher Religion reflektiert. Somit werden einerseits die einzelnen Themen mittels einer zwischen Kritik und Affirmation wechselnden Strategie entfaltet. Andrerseits kann im argumentativen Fortgang über die einzelnen Reden hinweg eine Tendenz weg von der Kritik und hin zu der Affirmation der gebildeten Religionsverächter festgestellt werden. Das Ende der fünften Rede verdichtet Kritik³⁰⁶ und Affirmation in nuce. Einerseits betont der Redner hier, dass das „Heilige“ in jedweder Sprache dem „Profanen“ verborgen bleibe. Gleichzeitig ergeht der Schlusssatz der Reden in der Gewissheit, dass ihre Adressaten letztlich zur Gemeinschaft derer gehören werden, welche dieses Heilige vernehmen. Inkludierend heißt es dort: „weigert Uns nicht den Gott anzubeten, der in Euch sein wird“³⁰⁷.

3.2 Hybride Gestalt literarischer Rede Die bisherigen Überlegungen haben den literarischen Vollzug der Religionskommunikation hinsichtlich des Kommunikationsaktes und der Kommunikationsstrategie innerhalb der Reden analysiert. Dabei wurde deutlich, dass den Reden eine konstruierte Kommunikationssituation eingeschrieben ist, innerhalb derer Gleichsinnige ins Gespräch treten. Der Mittler erhebt den Anspruch, auf der Basis unmittelbarer religiöser Erfahrung zu kommunizieren, deren Vermittlung in subjektiver Rede stattfindet. Die von ihm in dieser Kommunikationssituation intendierten Adressaten zeichnen sich durch eine besondere Freiheit sowie ein tiefes Interesse an den Zusammenhängen des Universums – schlichtweg die Weite ihres gebildeten Sinnes – aus. Die kommunikative Strategie des Redners ist, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, durch den Wechsel zwischen Affirmation und Kritik der Position der Gebildeten gekennzeichnet. Im Rahmen dieser Kommunikationssituation entfalten sich die fünf Reden, deren Gegenstände die Verteidigung der Religion, das Wesen der Religion, die Bildung zur Religion, religiöse Gemeinschaften sowie das Verhältnis von Religion und Religionen sind. Gemäß der beschriebenen kommunikativen Strategie haben diese fünf Reden über weite Strecken einen argumentativen Charakter. Das Interesse dieser Reden ist demnach nicht nur das der individuellen Darstellung religiöser Anschauungen und Gefühle, so wie es die im ersten Abschnitt des

 Schleiermacher, Reden, 269.  Am Schluss der fünften Rede ist das kritische Momentum der Kommunikationsstruktur jedoch bereits so weit abgeschwächt, dass es nur noch im Sinne eines Vorbehaltes artikuliert wird, der jedoch nicht mehr den eigentlich Religiösen gilt: den wahren Religiösen, die als Verächter einer falschen Religion erwiesen wurden.  Ebd., 326.

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Kapitels erschlossene religiöse Kommunikationstheorie der Reden ³⁰⁸ zum Idealzustand der Religionskommunikation erhebt. Vielmehr weisen die Reden trotz aller Polemik gegen eine Systematisierung auf dem Felde der Religion ein durchaus theoretisches Interesse auf, mit Schwerpunkten in den Bereichen Religionsphilosophie, Ekklesiologie und Religionspädagogik. Im Anschluss an diese Überlegungen ist daher zu fragen, inwiefern der rhetorische Vollzug der Reden tatsächlich mit der eigenen religiösen Kommunikationstheorie korreliert. Es gilt deswegen zu erschließen, welche Redeformen die Reden bestimmen. Hierzu wird in einem ersten Schritt religiöse Rede von religionstheoretischer Rede unterschieden. Der Analysefokus des kommunikativen Vollzugs der Reden wird so auf die Ebene der formalen Bestimmtheit gelenkt. Im Anschluss an die Überlegungen zu religiöser und religionstheoretischer Rede schließt sich die Frage nach der Bestimmung der äußeren Gestalt der Reden an, die an der Schnittstelle von Rhetorik und Literatur zu suchen ist.

3.2.1 Selbstreflexive Medialität Die Reden besitzen einen sowohl formal als auch inhaltlich hybriden Charakter.³⁰⁹ Rudolf Otto beschreibt diesen in seiner Werkeinführung zum Nachdruck der Erstauflage der Reden, der anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums 1899 von ihm verantwortet wurde: Es sei ein „Erbauungsbuch solcher, die sonst keine Erbauungsbücher lesen“³¹⁰, „eins der klassischen Werke der theologischen Literatur“³¹¹ und eine „Streitschrift“³¹² zugleich. Ottos Bestimmungen verweisen damit auf die sich voneinander unterscheidenden Gestalten der Reden. In ihnen findet die erbauliche Rede von absoluter Ganzheit in den erotischen Bildern einer Verschmelzung des Redners mit der Seele der unendli Vgl. Kapitel II.2.  Der Begriff des Hybriden gewinnt in den postkolonialen Diskursen ab 1980 in den Kulturwissenschaften an Bedeutung. Vgl. Julika Griem, „Hybridität,“ in Metzler Lexikon Literatur und Kulturtheorie: Ansätze, Personen, Grundbegriffe, hg. v. Ansgar Nünning (Stuttgart: Metzler 20084), 297– 298, 298. In literaturwissenschaftlichen Diskursen wird er unter anderem zur Beschreibung von literarischen Formen verwendet, die weder eindeutig der Poesie noch der Prosa zuzuordnen sind. Vgl.: Rüdiger Zymner, „Texttypen und Schreibweisen,“ in Handbuch Literaturwissenschaft: Gegenstände, Konzepte, Institutionen, Bd. 1, Gegenstände und Grundbegriffe, hg. v. Thomas Anz (Stuttgart: Metzler, 2007), 25 – 80, 74; Ulrich Johannes Beil, Die hybride Gattung: Poesie und Prosa im europäischen Roman von Heliodor bis Goethe (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2010), 11– 42. Die hier angestellten Überlegungen dienen dazu, die Gestalt der Reden genauer zu erfassen. Der Begriff des Hybriden wird verwendet, um sowohl die inhaltlich und stilistisch differenten Formen der literarischen Rede in Gestalt religiöser und religionstheoretischer Rede einzuholen als auch deren Integration zu einem neuen Ganzen auszudrücken, ohne diese Differenzen zu nivellieren.  Rudolf Otto, „Vorwort,“ in Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1899), VII.  Ebd.  Ebd.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

chen Welt³¹³ ebenso ihren Ausdruck wie der emphatische, an den Frühromantiker Schlegel angelehnte Ruf zur Errichtung eines neuen Zeitalters der Religion, in welchem sich „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschlingen“³¹⁴. Die religionsphilosophische Bestimmung der Religion „weder [als] Denken und Handeln, sondern [als] Anschauung und Gefühl“ steht neben der schroffen und kämpferischen Äußerung: „Ihr habt mich mit Euerem gemeinen Begriff gestört; er ist abgethan, hoffe ich, unterbrecht mich nun nicht weiter“³¹⁵. Gerade hier scheint doch ein Interesse an der zuvor abgelehnten Begriffsarbeit auf. Insofern benennt Otto zentrale, für die Einordnung der Reden weiterführende Aspekte.³¹⁶ Die Reden oszillieren zwischen Kognition und Affekt, zwischen hitziger Streitrede, metaphorischem Schwelgen und kühler Analyse, zwischen Subjektivität und Objektivität. In dem Bestreben, eine Einordnung der Gestalt der Reden vorzunehmen, werden diese Aspekte durch die Forschung unterschiedlich gewichtet. In der neueren Debatte wurde vor allem auf ihren Zusammenhang mit der Frühromantik hingewiesen. Für Kurt Nowak steht fest, dass die Reden mit der tatsächlichen Intention geschrieben wurden, fiktive Rede zu sein. Den Grund dafür sucht er in den begrenzten schriftstellerischen Fähigkeiten Schleiermachers.³¹⁷ Aufgrund dieser Einschätzung kommt Nowak zu dem Schluss, die Reden „zwischen kunstvoll stilisierter Rhetorik und […] Traktat“ einzuordnen. Hinsichtlich des Traktates differenziert er noch einmal und verortet die Reden zwischen „Abhandlung und Erbauungsschrift“.³¹⁸ Dirk von Petersdorff interpretiert die Reden vor dem Hintergrund eines avantgardistischen Selbstverständnisses frühromantischer Intellektueller und deutet sie als Adaption antiker Mysterienrede, deren Ziel die Etablierung einer geheimen Mysteriengemeinde ist. Herrmann Timm wiederum beschreibt die Reden als „neue Literaturform einer programmatischen Homilie“³¹⁹ und betont deren Nähe zu Novalis’ Christenheit oder Europa. Timms Interesse ist es dabei, besonders die formale Innovation zu betonen, wogegen der gemeinsame Rückbezug der Frühromantiker auf die Antike im Mittelpunkt des Interpretationsansatzes von Petersdorffs steht. In Rückbindung an die Theorie religiöser Rede, wie sie die Reden selber entwerfen, bestimmt Matthias Riemer

 Vgl. Schleiermacher, Reden, 221.  Ebd., 265.  Ebd., 211.  Damit weisen die Reden eine Sprachstruktur auf, welche als Integration des dichterischen, des rednerischen und des darstellend belehrenden Sprachgebietes aufgefasst werden könnte, wie sie in der zweiten Auflage der Glaubenslehre in den §§ 15.2 und 16.1 dargestellt wird. Da diese begriffliche Kategorisierung weder in den Reden noch in den Predigten explizit entfaltet wird und das Vorgehen dieser Arbeit an der theoretischen Entfaltung innerhalb dieser beiden Textformen interessiert ist, wird auf die Einführung dieser Begriffe verzichtet. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830/1831), KGA Abt. I Bd. 13.1, hg. v. Rolf Schäfer (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2013), 128 – 131.  Vgl. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 149.  Beides: ebd., 148.  Timm, Die heilige Revolution, 24.

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die Reden als „Darstellungsform des gebildeten Selbstverständnisses“ und „Inanspruchnahme der Gemeinsamkeit der Gebildeten“³²⁰. Gemeinsam ist allen Positionen, dass sie die interpersonale Dimension der Reden hervorheben. Dabei kommt in unterschiedlicher Ausprägung ein erbaulicher, edukativer oder persuasiver Anspruch des Redevollzuges zur Sprache. Hinsichtlich der in dieser Arbeit verfolgten Fragestellung nach dem Verhältnis von Religion und Rede sind zwei zentrale Grundtendenzen des Textes zu benennen³²¹, die die Reden in einer doppelten Verfasstheit bestimmen: eine in gewisser Weise spirituelle, erbauliche und nicht zuletzt affektiv religiöse Dimension auf der einen und eine theorieorientierte und analytische Dimension auf der anderen Seite. Hinsichtlich der rhetorischen Umsetzung der Religion ergeben sich dadurch die bereits im Theoriekonzept der Reden benannte religiöse Rede³²² und die hier nun ebenfalls zu benennende religionstheoretische Rede. Diese Unterscheidung führt Daniel Tobias Bauer in seiner Dissertationsschrift ein. In der Grundtendenz weist aber bereits Joachim Ringleben auf die „philosophisch[e]“ und „verkündigend[e]“³²³ Anlage der Reden hin. Da Bauer auf den unauflöslichen Zusammenhang der Rede von Religion und der Religion selbst verweist, ist es umso überraschender, dass er behauptet, der Schwerpunkt der Reden hinsichtlich der Religionsverächter liege auf der religionstheoretischen Rede im Gegenüber zur religiösen Rede. Besteht die Intention der Reden darin, die Religionsverächter zu jenem vollendeten und gebildeten Standpunkt hinsichtlich der Religion anzuleiten, ist es zwangsläufig notwendig, so die These dieser Arbeit, dass die Reden sowohl religiöse als auch religionstheoretische Rede sind. Zwar sind den Reden beide Gestalten der Rede inhärent und diese können und müssen in der Analyse unterschieden werden. Für das religiöse Kommunikationsprogramm der Reden ist jedoch gerade die Verschränkung dieser beiden Ebenen signifikant. Darauf wird nochmal zurückzukommen sein. Die von Bauer geforderte strikte methodische Trennung dieser beiden Redeformen wird an einer dafür nicht ergiebigen Textgrundlage begründet. Hierzu zitiert Bauer eine Passage, in der das Verhältnis von Dogmen und theologischer Reflexion einerseits und das Wesen der Religion bzw. deren individueller Lebensvollzug andrerseits beschrieben werden: „Den Inhalt einer Reflexion für das Wesen der Handlung zu nehmen, über welchen reflektirt wird, das ist ein so gewöhnlicher Fehler, daß es Euch

 Riemer, Bildung und Christentum, 73.  Mit der Unterscheidung der beiden Tendenzen religionstheoretischer und religiöser Rede ist nicht intendiert den Text in seiner Gesamtheit zu erfassen, sondern lediglich die für die Fragestellung nach dem Verhältnis von Religion und Rede relevanten Aspekte. Über diese beiden Aspekte hinaus sind die Reden heterogen, wie es sich exemplarisch an den Bereichen ablesen lässt, aus denen die Metaphern stammen.  Vgl. Kap. II.1.2.2.  Joachim Ringleben, „Die Reden über die Religion,“ in Friedrich Schleiermacher 1768 – 1834: Theologe, Philosoph, Pädagoge, hg. v. Dietz Lange (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1985), 236 – 258, 237.

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wohl nicht Wunder nehmen darf ihn auch hier anzutreffen.“³²⁴ Die Reden eröffnen an dieser Stelle die Differenz theologischer Aussagen im Sinne von begrifflicher Theoriebildung und Lehrentwicklung, die hier mit den Termini „abstrakte Ausdrücke religiöser Anschauungen“ und „freie Reflexion über die ursprüngliche Verrichtung des religiösen Sinnes“³²⁵ näher bestimmt werden. Insofern geht es an dieser Stelle nicht darum, Redeformen voneinander zu trennen, sondern vielmehr, den Inhalt einer Reflexion nicht mit dem Wesen der Handlung, also ihrem religiösen Leben und Vollzug, zu verwechseln. Es ist zutreffend, hier geltend zu machen, dass beide Ebenen für Schleiermacher geschieden sind, woraus Bauer einen „hermeneutischen Dualismus von Kern […] und Schale“³²⁶ ableitet. Es stellt jedoch eine fragliche Interpretation der zitierten Stelle dar, von ihr ausgehend für eine Trennung von religionstheoretischer und religiöser Rede zu plädieren. Vielmehr geht es im Kern des zitierten Textes darum, die Religion von ihrem sprachlichen Vollzug zu unterscheiden. Jener kontinuierliche Kern ist nicht die religiöse Rede, sondern der religiöse Vollzug, die Erfahrung selbst. Somit ist der von Bauer zitierte Satz nur begrenzt dazu dienlich, eine methodische Trennung zwischen religiöser und religionstheoretischer Rede zu begründen. Denn hier geht es um die Ebenen von sprachlich vermittelter theoretischer Reflexion einerseits und der Erfahrung bzw. dem Lebensvollzug von Religion andrerseits. Sobald diese religiöse Erfahrung jedoch sprachlich vermittelt wird, stehen beide, religionstheoretische und religiöse Rede, vor genau jenem Differenzproblem von Sprache und Erfahrung.³²⁷ Darüber hinaus ist es weder sinnvoll noch in vielen Fällen möglich, innerhalb der Reden die Ebenen der religiösen und der religionstheoretischen Rede zu trennen. Vielmehr bestimmt die Verschränkung der beiden Redeformen entscheidend die literarische Signatur der Reden. Gleichzeitig ist es jedoch hilfreich, beide Aspekte im Sinne literarischer Tendenzen des Textes zu begreifen, um den Innovationswert der Reden im Bereich der Religionskommunikation zu verdeutlichen. Insofern ist die von Bauer eröffnete begriffliche Unterscheidung hilfreich, muss jedoch modifiziert werden. Dabei muss erstens deutlich bleiben, dass alle Formen sprachlicher Vermittlung von Religion jenem primären religiösen Affekt nachgeordnet sind. Zweites gilt es, religiöse Rede und religionstheoretische Rede nicht als vollständig voneinander zu trennende Formen der Rede zu verstehen, sondern sie als Tendenzen zu begreifen, die besonders durch ihre Verschränkung die spezifische Signatur des literarisch-rhetorischen Vollzugs der Reden konstituieren. Unter diesen Bedingungen gilt es nun, beide Tendenzen der Rede hinsichtlich ihres Gegenstandes, den daraus resultierenden methodischen Bedingungen und der sprachlichen Verfasstheit zu analysieren. In einem ersten Schritt werden die Reden als religiöse Rede dargestellt. In einem zweiten Schritt wird erläutert, inwiefern die Reden    

Schleiermacher, Reden, 239. Ebd. Bauer, Das Bildungsverständnis des Theologen Friedrich Schleiermacher, 45. Vgl. Kap. II.2.2.2.

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religionstheoretische Rede sind. Beides wird in einer abschließenden Betrachtung zusammengeführt. Die spezifische Gestalt der Reden wird hierbei mit dem Begriff selbstreflexiver Medialität bezeichnet. Die Reden sind religiöse Rede, indem in ihnen eine spezifische individuell artikulierte Religiosität ihren Ausdruck findet. Gegenstand dieser Rede sind Sprache gewordene religiöse Anschauungen und Gefühle. Indem diese im allerersten Moment vorsprachlich verfasst sind, muss, laut Theorieentfaltung der Reden, eine auf Resonanz abzielende ästhetisierte Sprache verwendet werden. Ihr Ziel ist der Ausdruck einer unendlichen Wirklichkeitsqualität, einer vermittelten Form unmittelbarer Entgrenzung. In der Beschreibung Ottos lassen sich diese Passagen unter die Formen des Erbauungsbuches und der romantischen Prosa fassen. Die zentrale Belegstelle hierfür ist die Beschreibung des ersten religiösen Augenblicks, der sich vielseitiger Bilder und Metaphern bedient³²⁸, während weitere lange Passagen dieser Redegestalt im übrigen Text kaum zu finden sind. Allerdings weisen die Reden an vielen Stellen kurze metaphorische Einstreuungen auf, die genau solch eine religiöse Rede sind. Ein Grund für diesen Befund könnte darin liegen, dass die religiösen Individuen gerade zur eigenen individuellen Religion fortschreiten müssen und insofern nur bedingt durch fremde Anschauung zu eigener angeregt werden können.³²⁹ An der genannten Stelle wird in den Bildern des morgendlichen Duftes, der die Blumen weckt, eines jungfräulichen Kusses und der bräutlichen Umarmung der erste Augenblick der Religion beschrieben, wobei die Metaphorik in die einer mystischen Vereinigung überführt wird³³⁰, und die Art und Weise, wie dieses Moment verbalisiert wird, korreliert mit dem favorisierten Sprachkonzept der Reden. Diese Form der Rede will zu eigener Anschauung anregen und hat ein Interesse daran, dass Redner und Hörer sich gegenseitig im resonanten Kommunikationsgeschehen zum Medium der Religion werden.³³¹ Im Sinne eines Vermittlungsgeschehens wird Bildung durch den sich dieser Sprache bedienenden Mittler angeregt. Diese Darstellungstätigkeit bewirkt bei den Adressaten, den religiös Gleichsinnigen, ein Bewusstsein sowohl für ihre eigene Individualität als auch für ihr Verhältnis zur Menschheit, welches wiederum für das Universum durchsichtig werden kann. Ziel dieser Bildung ist damit sowohl ein spezifisches Gattungs- und Individualitätsbewusstsein als auch ein Verständnis für das eigene Verhältnis zum Universum. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die analysierte Gestalt religiöser Rede besteht in der Darstellung der Frömmigkeit eines religiösen Individuums mit ästhetischen Mitteln, deren Ziel eine resonante Menschheits- und Weltbeziehung ist. Die Reden weisen diese Gestalt der Rede an einigen wenigen Stellen auf. Somit entsprechen sie zumindest punktuell in ihrem Redevollzug dem Idealkonzept religiöser Rede.

   

Vgl. Schleiermacher, Reden, 221; Kap. II.2.2.2. Vgl. Ringleben, „Die Reden über die Religion,“ 248. Vgl. Schleiermacher, Reden, 221. Vgl. Kap. II.2.2.2.

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Dem steht die analytische, theorieorientierte Rede gegenüber: die religionstheoretische Rede. Ihr Gegenstand ist nicht nur die Bestimmung eines Wesens der Religion im engere Sinne als „reflexiv-begrifflich verfahrende Religionstheorie“³³², wie sie programmatisch in der zweiten Rede behandelt wird, sondern auch die Möglichkeiten und Grenzen edukativer Einwirkung auf den Menschen, die Bedeutung der Interpersonalität und die Vergesellschaftung von Religion im Sinne einer Kirche und deren Verhältnis zu anderen Religionen. Der Zugang zu diesen Themen, wie sie auch durch die Überschriften der jeweiligen Reden zum Ausdruck kommen, ist durch ein metatheoretisches Interesse geprägt, welches gegenüber der religiösen Rede und deren subjektiver Qualität auf einer transsubjektiven Ebene zu verorten ist. Diese Redeanteile entsprechen am ehesten der ottoschen Bestimmung als Streitreden und religionsphilosophischen Abhandlungen, etwa wenn die Differenz von Religion, Metaphysik und Moral traktiert wird.³³³ Diese vom Redner als der Religion unangemessene Form der Religionskommunikation qualifizierte Rede ist unter anderem durch eine an Begrifflichkeit interessierte Arbeit geprägt, um sich von einem „gemeinen Begriff“³³⁴ der gebildeten Religionsverächter abzugrenzen. In gewisser Weise gegenläufig zu dem ästhetisierten Konzept der religiösen Rede mit dem ihr korrelierenden Verständnis von Bildung als ästhetisch akzentuierter Vermittlung betreibt der Redner hier nun Bildung seines Forums im Sinne klassischer antiker Rhetorik, deren Ziel Überredung und Überzeugung ist. Karl Barth hebt diesen Aspekt der Reden in seiner Göttinger Vorlesung zur Theologie Schleiermachers von 1923/1924 hervor, in den Reden sieht er den „Versuch zu überreden, zu überzeugen, zu gewinnen, zu verteidigen, anzupreisen, von den Angeredeten ein Zugeständnis zu erlangen“³³⁵. In den Reden überwiegt die Tendenz der religionstheoretischen Rede. Dieser Befund steht jedoch im Gegensatz zur eigenen Wertung der Reden, gemäß deren theoretischem Anspruch vor allem in der religiösen Kommunikationstheorie die religiöse Rede als angemessener Ausdruck für Religion gilt. Sich der Religion begrifflich-analytisch, via negationis zu nähern, ist den Reden eine nachrangige Strategie, die zwar in gewissen Situationen notwendig, aber zweifelsohne weniger angemessen ist.³³⁶ Das Besondere an den Reden ist jedoch nicht die Trennung dieser beiden Tendenzen, sondern ihre Gleichzeitigkeit. Dies gilt es im Folgenden auszuführen, um das spezifische Kommunikationsprogramm der Reden zu verdeutlichen. Als religionstheoretische Rede tangieren und reflektieren sie klassische Themen theologischen Nachdenkens wie Christologie, Gotteslehre, Anthropologie, religiöse Bildungstheorie, Ekklesiologie und Religionsphilosophie. Akzentuiert ist dieses Nachdenken durch

 Dierken, „Daß eine Religion,“ 671.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 207.  Ebd., 211. Damit ist ein fehlgeleitetes Verständnis der Religion gemeint.  Karl Barth, Die Theologie Schleiermachers: Vorlesung Göttingen Wintersemester 1923/1924, Karl Barth Gesamtausgabe II: Akademische Werke 1923/25, hg. v. Dietrich Ritschl (Zürich: Theologischer Verlag, 1978), 437.  Vgl. Schleiermacher, Reden, 211.

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einen metatheoretischen Zugang, der diese Fragen auf der Grundlage einer Reflexion transzendentaler Ermöglichungsbedingungen aufgreift. Als religiöse Rede setzen sie den entfalteten Theorieelementen einen rhetorischen Vollzug gegenüber, der jedoch nicht nur in der beschriebenen Darstellung der Anschauungen und Gefühle besteht, sondern auch die gesamte literarische Fiktion des kommunikativen Settings einschließt. Sie geben dadurch vor allem eine Antwort auf die erkenntnistheoretische Infragestellung von Religionskommunikation durch die Aufklärung. Die Reden entfalten das Konzept eines religiösen Mittlers und sind zugleich die Rede eines solchen: Sie verneinen die Notwendigkeit theistischer Gottesvorstellungen und beschwören emphatisch die Erhabenheit des Universums, sie erklären die Möglichkeit religiöser Stimulation im Forum Gleichsinniger und wollen eben solche sein. Auf der Grundlage der theoretischen und metatheoretischen Bedingungen spricht der Mittler als Idealtypus eines Priesters über seine Religion zum Forum der sinngleichen Religionsverächter, die qua Ansprache und unter der Bedingung der Akzeptanz der Religion zur Gemeinde werden. Damit reflektieren die Reden sich im Medium der Rede. Die theoretische Entfaltung ist zugleich rhetorisch-literarischer Vollzug, die Reden als Ganzes sind durch die Verschränkung von Metadiskurs und Vollzug medial selbstreflexiv. Im Zentrum der Reden steht deswegen nicht etwa die Religion, sondern eine Programmatik von Religionskommunikation, die einerseits eine darstellende und andrerseits eine spezifisch verweisende Signatur besitzt. Indem die Reden den Metadiskurs über Möglichkeiten und Grenzen von Religionskommunikation mit dem Vollzug dieser Religionskommunikation synchronisieren, integrieren sie in ihren Vollzug einen fortlaufenden Verweis auf die eigene Medialität. Nicht in der Trennung von religionstheoretischer und religiöser Rede, sondern in ihrer Verschränkung besteht also der innovative Neuansatz der Reden. Während dieser Neuansatz strukturierend im Resümee des Kapitels zusammengefasst wird, öffnet die vorliegende Arbeit am Ende die Perspektive und ordnet das hier vorgestellte Programm von Religionskommunikation in den Rahmen frühromantischer Textproduktion ein.³³⁷

3.2.2 Literarische Rede Die vorhergehenden Überlegungen haben deutlich gemacht, dass die Reden in der Verschränkung unterschiedlicher Redeformen eine hybride Gestalt aufweisen. Diese hat in der Forschung dazu geführt, dass die Bestimmung der Gestalt unterschiedlich ausfiel. Im Anschluss an die angeführten unterschiedlichen Forschungspositionen wurde zudem verdeutlicht, dass die Reden edukative, persuasive und erbauliche Aspekte beinhalten. Es ist deswegen nicht überraschend, dass die Reden auch in die

 Vgl. Kap. II.4 und VI.

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II Friedrich Schleiermachers Reden

Nähe von Predigten gerückt wurden.³³⁸ Im Folgenden gilt es diese Verortung im Gespräch gattungstheoretischer und theologischer Bestimmungen der Predigt zu diskutieren. Die Predigt, so lautet Fasbenders gattungstheoretische Einordnung, ist ein „mündliche[r] Vortrag geistlicher Lehre oder die verschriftete Form dieses Vortrages“³³⁹. Zu berücksichtigen sei hierbei, so Burdorf, dass ab dem Mittelalter die Predigt zunehmend in die fiktionale Literatur auswandert.³⁴⁰ Die Bestimmung der Predigt erfolgt somit in der benannten Definition vor allem durch die Vermittlung einer geistlichen Lehre in mündlicher oder sekundär zukommender schriftlicher Form. Obwohl die Reden auch in der zitierten Gattungsbestimmung exemplarisch angeführt werden, ist es problematisch, die Reden auf der Grundlage dieser Bestimmung als Predigt zu klassifizieren. Die Reden sind ihrem Selbstverständnis nach explizit keine geistliche Lehre. Vielmehr verstehen sich die Reden sowohl ihrer Religionstheorie als auch ihrer Kommunikationstheorie entsprechend als ein Plädoyer für individualisierte Religion. Auch jenseits ihres Selbstverständnisses sind die Reden durch ein ausgeprägtes Metainteresse geprägt, das sich eher auf die Möglichkeiten, Gestalten und Strukturen von Religion und Kirche bezieht, weniger jedoch auf deren konkrete inhaltliche Ausführung.³⁴¹ Die Reden sind vor dem Hintergrund der zitierten Bestimmung nicht sinnvoll als Predigten zu bezeichnen. Auch auf der Grundlage eines theologischen Verständnisses von Predigten sind die Reden nicht in diese Gattung einzuordnen. Um dies aufzuzeigen, werden folgend zwei zentrale Aspekte eines protestantischen Predigtverständnisses benannt, vor deren Hintergrund die Gestalt der Reden diskutiert wird. Erstens konstituiert nach theologischem Verständnis die institutionelle Beauftragung die Predigt, wie sie erstmals 1530 in der Confessio Augustana, einem der Gründungsdokumente des Protestantismus, zur Vermeidung einer sich zunehmend verselbstständigenden Reformation formuliert wurde.³⁴² Zweitens spielt für ein Predigtverständnis aus protestantischer Perspektive der sprachliche Vollzug dieser Predigt eine zentrale Rolle.³⁴³ Hinsichtlich der institutionellen Beauftragung und der

 Vgl. Dieter Burdorf, „Predigt 2,“ in Metzler Lexikon Literatur: Begriffe und Definitionen, hg. v. dems., Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff (Stuttgart: Metzler, 20073), 607; in den Reden sieht einen zentralen Zugang zum „romantisch konnotierten Predigtverständnis“: Arend, Einführung in Rhetorik, 48.  Christoph Fasbender, „Predigt 1,“ in Metzler Lexikon Literatur, 607.  Vgl. Burdorf, „Predigt 2,“ 607.  Gräb hebt ein metatheoretisches Interesse der Reden in den Bereichen der Religionsphilosophie und Ekklesiologie hervor und grenzt die Reden damit bewusst von der Predigt ab. Vgl. Wilhelm Gräb, Predigt als Mitteilung des Glaubens: Studien zu einer prinzipiellen Homiletik in praktischer Absicht (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn, 1988), 168 – 185.  Vgl. „Confessio Augustana,“ in Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 193012), 33 – 137, 69.  Vgl. ebd., 58; Kap II.2.2.2.

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damit zumindest in der Reformation intendierten Rechtmäßigkeit der Lehre vertreten die Reden eine deutlich ablehnende Position. Weder die institutionelle Zugehörigkeit des Redners zum Priesterstand der Kirche ist für die Reden von besonderem Interesse noch die Rechtmäßigkeit ihrer Inhalte.³⁴⁴ Im Gegenteil erheben sie den Anspruch gedanklicher Freiheit. Bezüglich der Mittlerfigur wurde in den Ausführungen zur theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation in den Reden gezeigt, dass sie der Vorstellung einer singulären Heilsgestalt am theologisch zentralen Topos der Christologie explizit wiedersprechen.³⁴⁵ Auch die formale Verfasstheit der Reden spricht eher gegen eine Einordnung als Predigt, deren primärer Ort die Mündlichkeit oder die Überführung mündlicher Rede in die Literarizität ist. Die Gattungszuschreibung der Reden als Reden ist, trotz der expliziten Konzeption zwischen Redner und Adressaten, zuallererst eine inhaltlich begründete Fiktion, die jedoch literarisch sehr konsequent konstruiert wird. Die Reden wollen ihrem eigenen Kommunikationskonzept gemäß eben jene individuelle rednerische „performierte Proklamation der Religiosität“³⁴⁶ sein, welche aus den Adressaten religiös sprachfähige Individuen macht. Hierin besteht die einzige angemessene Artikulationsform von Religion. Als reiner Text würde die Rede verkommen, die Religion zu „todten Buchstaben“³⁴⁷ erstarren. Auch die Dialogform verbietet sich, da diese eine tatsächliche Aushandlung des Gegenstandes implizieren würde. Die kommunikative Suggestion von Rede und Intersubjektivität wird in den Reden gesteigert, indem der fiktive Einspruch der Adressaten für die Leser in den Text eingeschrieben wird. Zur Einleitung einer Passage, die sich mit dem Verhältnis von Priestertum und Kirchenverfall beschäftigt, werden die gebildeten Religionsverächter für den Redner auditiv wahrnehmbar: „Jedoch eben höre ich Euch einen neuen Einwurf machen, der alle diese Vorwürfe wieder auf die Religion zurükzuwälzen scheint“³⁴⁸. Der Einwurf verweist auf einen tatsächlichen mündlichen Akt des Redens und Hörens und verstärkt durch den Einbezug weiterer Sinneswahrnehmungen die Fiktion der tatsächlichen Rede. Gleichzeitig wenden die Reden als literarische Rede in Ermangelung eines tatsächlichen Forums große Sorgfalt auf die Konstruktion ihrer Adressatenschaft auf.³⁴⁹

 Vgl. Schleiermacher, Reden, 190.  Vgl. die Analyse des Mittlerkonzeptes in Kap. II.3.1.1.  Bauer, Schlegel und Schleiermacher, 234.  Schleiermacher, Reden, 268. Vgl. hierzu die Anmerkungen zur Lehre von der viva vox evangelii in Kap. II.2.2.2.  Ebd., 278. Eine ähnliche Bezugnahme gibt es auch in der zweiten Rede, vgl. Schleiermacher, Reden, 211.  Die ideengeschichtliche Einordnung genau dieser intendierten Adressatenschaft ist jedoch umstritten. Hinter den Adressaten vermutet die religionskritischen Vertreter der philosophischen Aufklärung: Friedrich Gundolf, „Schleiermachers Romantik,“ Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1924), 418 – 509, 424. Die ‚Reden‘ seien Schleiermachers frühromantischen Freunden zugeschrieben, postuliert: Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei

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II Friedrich Schleiermachers Reden

Die Schriftlichkeit ist gewollt: als Zusammenstellung von Reden konzipiert und überschrieben, sind die Reden viel zu komplex und reich, um in einer gesprochenen Übermittlung ihre Thematik zu entfalten. Diese Gründe sprechen dagegen, die Reden als mündliche Vorträge anzusehen: Vielmehr ist „[d]ie Rede […] literarische Form geworden“³⁵⁰. Damit folgen die Reden der Tendenz der Abwanderung des „öffentliche[n] Kommunikationsmonopol[s]“³⁵¹ in die Literatur im Zeitalter der Schriftlichkeit, in welchem in bisher nie dagewesenem Maß gedruckt und gelesen wurde. Durch eine „Literarisierung des Mündlichen“³⁵² wird die Schriftlichkeit zentrales Medium im öffentlichen Diskurs.³⁵³ Das inflationäre Erscheinen gedruckter Reden ist lebendiges Zeugnis dieses Medienwechsels. In diese Reihe ist auch Schleiermachers Religionsschrift einzuordnen – als Reden, die nicht zur mündlichen actio fortgeschritten sind, die niemals gehalten wurden.³⁵⁴ Vielmehr sind Schleiermachers Reden, wie Schanze für die romantische Rhetorik beschreibt, an der Position einer „lesenden Öffentlichkeit“³⁵⁵ orientiert, sie sind an die Adresse der Religionsverächter gerichtet. Als Literatur weisen die Reden jedoch ebenfalls einen sehr spezifischen Charakter auf. Auch dies wird am zitierten Einwurf gegen den gehörten Einwand der Religionsverächter deutlich: Indem die Leserschaft an der sinnlichen Wahrnehmung des Hörens keinen Anteil nehmen kann, evoziert dieser direkte Verweis auf eine dem literarischen Akt externe Intersubjektivität das besondere Bewusstsein für den kon-

Schleiermacher, 19. Zu den „Schüler[n] Herders, Goethes, Kants und besonders Fichtes“ rechnet die Adressaten: Otto, „Zur Einführung,“ 11.  Helmut Schanze, „Romantische Rhetorik,“ in Literarische Romantik, hg. v. dems. (Stuttgart: Kröner, 2008), 159 – 173, 167. Schanze macht deutlich, dass sich die Kommunikationsstrategien von mündlichen Reden von denen der Reden unterscheiden.  Peter Detlef Krause, Unbestimmte Rhetorik: Friedrich Schlegel und die Redekunst um 1800 (Tübingen: Niemeyer, 2001), 294.  Schanze, „Romantische Rhetorik,“ 170.  Dennoch bedeutet dies keinen Verfall der Redekultur, gerade für das Bürgertum verbessern sich durch die Entstehung einer aufklärerischen Öffentlichkeit die Möglichkeiten der Artikulation enorm. Sprache und Rede erfahren als Mittel der erfolgreichen Revolution eine Aufwertung in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Vgl. Monika Schmitz-Emans, Einführung in die Literatur der Romantik (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 20072), 2– 3.  Vgl. Dieter Burdorf, „Schleiermachers Schreibweisen,“ in Dialogische Wissenschaft: Perspektiven der Philosophie Schleiermachers, hg. v. dems. und Reinhold Schmücker (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1998), 19 – 34, 29.  Schanze, „Romantische Rhetorik,“ 161– 162. Schanze weist der romantischen Rhetorik eine Schwellenfunktion in der neuzeitlichen Rhetorikgeschichte zu. Er unterteilt sie deswegen in eine vorromantische, romantische und postromantische Rhetorik. Die vorromantische Rhetorik sei durch das Problem der Sprachen gekennzeichnet, die sich trotz der Dominanz des Lateinischen öffnet. Die romantische Rhetorik sei demgegenüber durch die Entwicklung eines „buchzentrierten Kommunikationssystems“ besonders beeinflusst, das sich von einem Regelsystem verabschiedet und an dessen Stelle die Originalität setzt, welche es in der Schrift zu fixieren gilt. Die dritte Phase ist wiederum durch eine besondere Sprachskepsis gekennzeichnet, die klassische Rhetorik wird hier schließlich zu einem historischen Phänomen.

4 Rede als ‚Darstellung und Verweis‘

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struktiven Charakter dieser Kommunikationssituation und die Literarizität der Reden. Damit überschreiten die Reden durch diese Überspitzung bewusst ihre eigene Fiktion einer Redesituation zwischen Redner und Adressaten. Ihre formale Bestimmtheit ist deswegen als literarische Rede zu beschreiben und unterscheidet sich auch in diesem Punkt von einer für eine Redesituation formulierte Predigt. Große Nähe weisen die Reden hingegen zu frühaufklärerischer Erbauungsliteratur auf. Hierbei handelt es sich um eine von vornherein schriftlich gedachte Gattung, welche in Stil und Inhalt viele der bereits genannten Aspekte ebenfalls abbildet. In den vorangegangenen Überlegungen wurde deutlich, dass Schleiermachers Reden als literarische Reden aufzufassen sind. Sie weisen durch die Integration unterschiedlicher Redeformen eine hybride Gestalt auf, die durch eine selbstreflexive Medialität gekennzeichnet ist. Im Folgenden werden die Ergebnisse der theoretischen Entfaltung und des literarischen Vollzugs der Reden zusammengefasst.

4 Rede als ‚Darstellung und Verweis‘ Friedrich Schleiermachers Reden sind Ausdruck eines Programmes von Religionskommunikation, das als Antwort auf die erkenntnistheoretische Kritik Kants verstanden werden kann. Er verortet die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Kant bietet die Prämissen, von denen Schleiermachers Reflexionen ausgehen. Er berücksichtigt die gesetzten Grenzen zwischen Glauben und Wissen und nutzt den Spielraum, der dadurch eröffnet wird.³⁵⁶ Für die sprachliche Artikulation von Religion bedeutet dies, dass sie keine Artikulation reinen Wissens sein kann, sondern Ausdruck eines subjektiven Bewusstseins des Verhältnisses von Selbst und Wirklichkeit. Schleiermacher entwirft auf dieser Grundlage seine Reden, in denen er sprachliche Religionskommunikation in Gestalt darstellender und verweisender Rede sowohl theoretisch entfaltet als auch literarisch vollzieht. Die Ergebnisse der vorhergehenden Analysen zu Schleiermachers Religionsschrift werden im Folgenden unter dem Begriffspaar ‚Darstellung und Verweis‘ zusammengefasst.³⁵⁷

 Vgl. Volker Gerhardt, „Faith: A Feeling Borne by Reason,“ in Interpreting Religion, 1– 16, 6.  Schleiermachers Reden können damit in die Nähe epideiktischer Rede gerückt werden, wie sie in der Frühromantik bestimmt wird. Eine Ausformung dieses Aussagemodus ist die schlegelsche Ironie: „Ironie ist gleichsam die επιδειξις d[er] Unendlichkeit, d[er] Universalität, vom Sinn fürs Weltall“: Friedrich Schlegel, „Fragment 76,“ in Friedrich Schlegel: Philosophische Lehrjahre (1796 – 1806): nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796 – 1828 I, KFSA Abt. II Bd. 18, hg. v. Ernst Behler (München/Paderborn/Wien/Zürich: Schöningh, 1963), 128.Vergleiche auch die historisch informierten Ausführungen zur epideiktischen Beredsamkeit bei: Stefan Matuschek, „Epideiktische Beredsamkeit,“ in Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Bie–Eul, hg. v. Gert Ueding (Tübingen: Niemeyer, 1994), 1258 – 1266. Diese Form der Epideixis ist zu unterscheiden von einer epideiktischen Rede, die lediglich der Demonstration der Virtuosität des Redners dient und von der sich Schleiermacher in der Praktischen Theologie abgrenzt. Vgl. Gerber, „Ästhetische Probleme des Gottesdienstes,“ 610. Mit dem Begriffspaar ‚Darstellung und Verweis‛ wird eine für die Reden zentrale Redeintention bezeichnet. Aus-

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II Friedrich Schleiermachers Reden

Als theoretische Entfaltung von Religionskommunikation entwerfen die Reden ein Konzept der religiösen Rede, welches von der für die Religion unangemessenen religionstheoretischen Rede unterschieden werden muss. Grundlage dieses Kommunikationskonzeptes ist eine spezifische Religionstheorie, die mit den Formeln von Anschauung und Gefühl zwischen einer primär durch das Universum vermittelten Ereignishaftigkeit und einer Deutungsleistung verortet ist. Jeder Mensch, so die These der Reden, habe Religion, insofern sein Zugang zum Universum nicht durch fehlgeleitete Bildung verschlossen ist. Die Religionstheorie weist damit Ansatzpunkte sowohl für eine Sprachskepsis als auch für eine Theorie der Religionskommunikation auf. Indem die Religion in ihrem ursprünglichsten Moment als Einheitserfahrung jenseits kognitiver Differenzstrukturen beschrieben wird, verschließt sie sich der Sprache. Als anthropologische Deutungsleistung ist sie jedoch gleichzeitig per se expressiv konstituiert und damit auch auf Sprache verwiesen. Während Religion und Sprache somit in einem ambivalenten Verhältnis zueinander stehen, bedarf gleichzeitig der Mensch als geselliges und religiöses Wesen des intersubjektiven Austausches. Der Mensch ist insofern kommunikativ, als er sowohl durch seine gesellige Anlage als auch durch den spezifisch extern vermittelten Charakter der Religion das Bedürfnis verspürt, seine Anschauungen in die Intersubjektivität zu überführen. Dies geschieht sowohl durch sprachliche Vermittlung der Religion als auch durch eine Haltung des Individuums, die in den unmittelbaren Lebensvollzügen das eigene Verhältnis zum Universum sichtbar werden lässt. Was in beidem zum Ausdruck kommt, ist die individuell geprägte Anschauung des Unendlichen im Endlichen. Von besonderem Interesse für diese Untersuchung, deren Gegenstand theoretische Entfaltung als auch praktischer Vollzug der Reden ist, ist die sprachliche Gestalt dieser Religionskommunikation. Die religiöse Rede, welche im Theorierahmen der Reden als die angemessenste Gestalt der Religionskommunikation dargestellt wurde, ist auf zweifache Weise zu beschreiben: Als Ausdruck individualisierter Religion verweist sie einerseits auf das sprechende Individuum, dessen innerster Ausdruck sie ist. Als Ausdruck des Unendlichen mit endlichen Mitteln verweist sie andrerseits auf das Universum.³⁵⁸ Dazu nutzt die religiöse Rede die Mittel der Kunst. Ihr ist damit eine ästhetische Struktur inhärent. Sprachlich vermittelte religiöse Geselligkeit wird in den Reden im Bild der Musik und der Resonanz ausgedrückt. In den individuellen Ausdrücken der Anderen erlauschen die sinngleichen religiösen Individuen mittelbar das unendliche Universum.

drücklich sei darauf hingewiesen, dass die Reden gemäß ihrem hybriden Charakter darüber hinaus auch belehrend und erbauend sein können.  Jørgensen fasst den Aspekt des Verweisens religiöser Rede als Darstellung am Beispiel der Predigt als „Hinweis- oder Zeugnischarakter“ auf. Er betont zur Verteidigung Schleiermachers gegen eine dialektisch motivierte Kritik besonders, dass dieser Hinweis Gott gelte: Vgl. Theodor Jørgensen, „Predigt als Selbstdarstellung,“ in Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, hg. v. Günter Meckenstock, Theologische Bibliothek Töpelmann 51 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1991), 173 – 185, 176.

4 Rede als ‚Darstellung und Verweis‘

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Die Theorie religiöser Rede in Schleiermachers Erstausgabe der Religionsschrift wird damit religionstheoretisch grundgelegt. Als menschliche Rede ist sie sprachlich vermittelter Ausdruck individueller Anschauungen unter Zuhilfenahme künstlerischer Mittel, die in die Intersubjektivität überführt Resonanzen erzeugen soll. Die so verfasste religiöse Rede ist ‚Darstellung und Verweis‘, indem sie mittels des sprechenden religiösen Individuums auf das unendliche Universum zeigt. Diese auf der Analyseebene der Entfaltung aufgezeigte doppelte Darstellungs- und Verweisstruktur wird um eine weitere Dimension auf der Ebene des literarischen Vollzugs ergänzt. Der rhetorisch-literarische Vollzug der Reden ist vor das in der Religionstheorie benannte Problem der Unmöglichkeit objektsprachlicher Vermittlung von Religion gestellt, bei einem dennoch vorhandenen Drang, eben diese mitzuteilen. Um auf diese Problemstellung zu antworten, bieten die Reden nicht nur einen theoretischen Vorschlag im soeben beschriebenen Sinne, sondern auch einen literarischen Vollzug von Religionskommunikation. Dazu werden die fünf Reden in einen konstruierten Kommunikationsakt eingezeichnet, der sich zwischen den gebildeten Religionsverächtern, die über eine religionsaffine Bildung verfügen, und dem religiösen Mittler aufspannt. Die Kommunikationsstrategie ist zwischen Kritik und Affirmation der Position der Religionsverächter zu verorten. Der Charakter der Reden changiert damit zwischen Streitschrift und Elegie, zwischen theoretischem Traktat und erbaulicher Predigt und kann deswegen nur als hybrides Ganzes verstanden werden. Schleiermachers Religionsschrift ist mehr Literatur als für den Vortrag geschriebene Rede. In dieser Konstitution ist sie Ausdruck einer Transformation von Redekunst und Rhetorik um 1800. Die klassische Rhetorik wird an der Schwelle zur Moderne einerseits als Mittel der Manipulation menschlicher Vernunft kritisiert. Andrerseits tritt im Zuge der Literarisierung der Redeformen die antike Redekunst und die ihr zu Grunde liegende antike Rhetorik zurück. In Gestalt literarisierter Reden hybriden Charakters ist Schleiermachers Religionsschrift genau an dieser Schwelle von Literatur und Rede zu verorten. Als literarischer Redevollzug weist sie hierin eine spezifische Signatur auf, die sich in einer bestimmten Textqualität ausdrückt. Dies wird am Gegenstand der Religionskommunikation besonders deutlich. Den Reden sind zwei zentrale Grundtendenzen inhärent: Sie sind sowohl religiöse Rede im Sinne individueller Darstellung religiöser Anschauungen als auch religionstheoretischer Text, kurzum: religiöse Rede und religionstheoretische Rede. In dieser Verschränkung erweist sich der besondere Charakter des Textes, dem hinsichtlich seines eigenen Vollzuges als Rede über Religion ein selbstreflexiver Zug bezüglich seiner Medialität zu eigen ist. Der Text verweist in dieser hybriden selbstreflexiven Struktur schließlich auf seine begrenzte sprachliche Verfasstheit, seine Medialität. Damit wird die Darstellungs- und Verweisstruktur neben dem Hinweis auf das Individuum und die Unendlichkeit um die zwischen den beiden anderen Ebenen stehende Ebene der Medialität des Textes ergänzt.³⁵⁹ In dieser auf drei Ebenen zu verortenden Struktur

 Durch die Nutzung der literarischen Mittel selbstreflexiver Medialität und hybrider Gestalt weisen

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II Friedrich Schleiermachers Reden

besteht das innovative Potential des Programms der Religionskommunikation der Reden an der Schwelle zur Moderne. Die Reden wurden als darstellender und verweisender Text dargestellt. Damit können sie als ein Programm von Religionskommunikation aufgefasst werden, welches durch seine hybride Gestalt ein selbstreflexives Verhältnis zur eigenen Medialität beinhaltet. Dies mag einer der Gründe sein, weswegen in den Reden der „Schlüssel für das romantisch konnotierte Predigtverständnis“³⁶⁰ gesehen wird. Obgleich in der Bestimmung der Form der Reden darauf hingewiesen wurde, dass ihre Kategorisierung als Predigt wenig zur Klärung ihrer Gestalt beizutragen hat, ist ihre Nähe zu Predigten gleichzeitig nicht von der Hand zu weisen. Im Begriff der Religionskommunikation, unter dem in dieser Arbeit sowohl Schleiermachers Reden als auch seine Predigten aufgefasst werden, kommt diese Ähnlichkeit zum Ausdruck. Allerdings sind hinsichtlich des Kommunikationsprogrammes der Predigten auch deutliche Differenzen zwischen Reden und Predigten festzustellen. Bevor auf beides, Identität und Differenz, eingegangen werden kann, gilt es die Predigten Schleiermachers vor dem Hintergrund der Predigtkultur um 1800 wahrzunehmen.

die Reden Berührungspunkte mit Friedrich Schlegels Konzepten der romantischen Universalpoesie und romantischer Ironie als Epideixis auf. Vgl. Kap. VI.1.3.  Arend, Einführung in Rhetorik, 48.

III ‚Erbauung und Edukation‘. Friedrich Schleiermachers Predigten 1 Predigtkultur um 1800 Die Aufklärung markiert nicht nur in philosophiegeschichtlicher Hinsicht einen wichtigen Meilenstein, sondern leistet auch einen Beitrag zur Umprägung der Predigtkultur. Dies betrifft unter anderem die Bedeutung und die Stellung der Predigt im Gottesdienst. Exemplarisch lässt sich die aufklärerische Aufwertung der Predigt innenarchitektonisch an der Vorliebe für den Kanzelaltar im Gottesdienstraum ablesen. An ihr wird der Vorzug des Wortes vor dem Ritus sichtbar.³⁶¹ Gleichzeitig ist unter anderem durch strukturelle Veränderungen der Öffentlichkeit und der kirchlichen Gemeinde von einem die Predigt betreffenden „vielschichtigen Relativierungsprozeß“³⁶² zu sprechen. Dieser wird nicht zuletzt durch gesellschaftshistorische und kulturgeschichtliche Aspekte verursacht. Drei davon benennt Lucian Hölscher, indem er den Strukturwandel der kirchlichen Gemeinde unter anderem auf die geänderten Rahmenbedingungen einer größeren Mobilität der Bevölkerung, einen Wandel bürgerlicher Geselligkeit und den Aufschwung der Literatur³⁶³ sowie auf den Aufbau außerkirchlicher Bildungseinrichtungen zurückführt. Er macht deutlich, wie sich beispielsweise durch den Abriss mittelalterlicher Stadtmauern und den damit wegfallenden Schließstunden an den Toren der Gottesdienstbesuch reduzierte.³⁶⁴ Schließlich zeigen theologiegeschichtliche Verschiebungen Konsequenzen für die Predigt. Die Aufklärungstheologie bewirkt im 18. Jahrhundert eine Abkehr vom Supranaturalismus und eine Transformation christlicher Glaubens- und Lehrbestände. Dies geschieht insbesondere durch die Kritik und Abschwächung der altprotestantischen Orthodoxie und die Reflexion kirchlicher Lehrbestände vom Standpunkt der natürlichen Religion aus. Diese Transformationen betreffen das Ganze der Theologie und wirken sich auch auf die Predigt als Gestalt öffentlicher Religionskommunikation aus. Ihre Zielsetzung, die sowohl in der Erbauung als auch in der Anleitung in lebenspraktischen Fragen besteht, teilt die Aufklärungspredigt weiterhin mit dem Pietismus, wobei ihre anthropologischen Grundlagen voneinander zu unterscheiden sind.³⁶⁵ Ein didaktisches Moment tritt stärker in den Vordergrund. Die Aufklärungs-

 Vgl. Beutel, Aufklärung in Deutschland, 365.  Albrecht Beutel, „Predigt VIII: Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert,“ in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 27, Politik/Politologie – Publizistik/Presse, hg. v. Horst Balz, Gerhard Müller und Gerhard Krause (Berlin: Walter de Gruyter, 1997), 304.  Vgl. Kap. II.1.  Vgl. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 95 ff.  Vgl. Udo Sträter, „Predigt III., Neuzeit 1. Reformation bis Gegenwart: Protestantische P.“ in Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, Pos–Rhet, hg. v. Gert Ueding (Berlin: Walter de Gruyter, 2005), https://doi.org/10.1515/9783110640960-005

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III Friedrich Schleiermachers Predigten

predigt hat ein Interesse an einer rationalen Vermittlung der Predigtinhalte, die sich an den Verständnismöglichkeiten der Hörenden, deren Rückbindung an die Gemeinde und der aktuellen Situation orientiert und dadurch Plausibilitäten zu erzeugen sucht.³⁶⁶ Eine solche Einschätzung korrigiert eine schemenhafte Darstellung der Aufklärungspredigt, in der sie als „kühle Auseinandersetzung über die Grundsätze der Moral und des Glaubens […] eine Art von Katechismusunterricht für die Erwachsenen“³⁶⁷ beschrieben wurde. Die Bedeutung des Affektiven für die Aufklärungspredigt hebt Claus-Dieter Osthövener in seinen Studien differenzierend hervor. Die Aufklärungspredigt strebe danach, den Menschen als Ganzen anzusprechen, „zugleich Verstand, Wille und Herz“.³⁶⁸ Eine für die protestantische Predigt prägende Gestalt der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist Johann Lorenz Mosheim, der in einer älteren Publikation als „Bahnbrecher der Modernen Predigt“³⁶⁹ bezeichnet wurde. Geschult durch die Übersetzung zahlreicher englischer Aufklärungspredigten, entwickelt er einen selbstständigen, sprachlich versierten Predigtstil und arbeitete Predigten konsequent nah an den Regeln der Rhetorik aus.³⁷⁰ Über seine Predigten, die als Heilige Reden ³⁷¹ in mehreren Auflagen erscheinen, übersetzt werden und sich einer großen Leserschaft erfreuen, schreibt Martin Schian: „Er betrachtet als Hauptaufgabe die Ueberzeugung der Hörer durch gute Gründe, ohne leeres Pathos, wobei er immer die Wahrheit der

74. Als Distinktionsmerkmal der Predigten von Aufklärung und Pietismus macht er eine anthropologische Verlagerung aus dem affektiven in dem intellektuellen Bereich geltend.  Vgl. Beutel, Aufklärung in Deutschland, 365.  Johannes Bauer, Schleiermacher als patriotischer Prediger: Ein Beitrag zur Geschichte der nationalen Erhebung vor hundert Jahren (Gießen: Töpelmann, 1908), 252.  Claus-Dieter Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ Herbergen der Christenheit, Bd. 36/37, Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte (2012/2013), hg. v. Markus Hein (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2015), 229 – 248, 230. Beutel verweist in derselben Argumentationsrichtung darauf, dass die Inhalte der Predigt bei Sack, Jerusalem und Spalding sich darauf richteten, „die Verstand und Gefühl der Hörer zu berühren und deren praktische Religiosität zu befördern vermochten“. Vgl. Beutel, Aufklärung in Deutschland, 365.  Martin Peters, Der Bahnbrecher der modernen Predigt: Johann Lorenz Mosheim in seinen homiletischen Anschauungen dargestellt und gewürdigt. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Homiletik (Leipzig: Deichert, 1910). Bezüglich dieser Einordnung wurde zu bedenken gegeben, dass sie ohne einen Abgleich mit pietistischen und orthodoxen Predigten erfolge, wodurch bis heute ein „nicht behobener Mangel im Umgang mit Mosheims Predigtwerk“ bestehe: Johann Anselm Steiger, „Johann Lorenz von Mosheims Predigten zwischen reformatorischer Theologie, imitatio-Christi-Frömmigkeit und Gesetzlichkeit,“ in Johann Lorenz Mosheim: Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte 1693 – 1755, hg. v. Martin Mulsow, Ralph Häfner, Florian Neumann und Helmut Zedelmaier, Wolfenbütteler Forschungen 77 (Wiesbaden: Harassowitz, 1997), 297– 327, 297, Fußnote 1. Bei Steiger findet sich auch eine aufschlussreiche Darstellung der unterschiedlichen Forschungstendenzen in der Geschichte der Erforschung Mosheims.  Vgl. Sträter, „Predigt III,“ 74; vgl. Karl Heussi, Johann Lorenz Mosheim: Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des Achtzehnten Jahrhunderts (Tübingen: Mohr Siebeck, 1906), 115.  Johann Lorenz Mosheim, Sämmtliche heilige Reden über wichtige Wahrheiten der Lehre Jesu Christi (Hamburg: Bohn, 1765).

1 Predigtkultur um 1800

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christlichen Lehre aus ihren Wirkungen zu erweisen liebt[…]“.³⁷² Seine Anweisung erbaulich zu predigen ³⁷³ stellt einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Homiletik dar. Wie später auch Schleiermacher, adressiert und erreicht Mosheim insbesondere Gebildete.³⁷⁴ Die Aufklärungspredigt sucht nicht nur anhand der Inhalte und des Zieles der Predigt nach neuen Formen rationaler Plausibilisierung, sondern ist in besonderer Weise an der Ausprägung einer neuen Gestalt von religiöser Sprache beteiligt. Im Zentrum steht die Klarheit und Verständlichkeit der Rede. Dadurch wird die Predigt in der Aufklärung zur „sprachbildenden Kraft“³⁷⁵. Während damit vor allem die Ebene des Predigtvollzuges anklingt, ist eines der zentralen Kennzeichen protestantischer Predigten seit der Reformation auf der inhaltlichen Seite zu suchen. Es besteht in der theologisch begründeten Bindung an die Schrift, durch deren Auslegung im öffentlichen Gottesdienst das Wort zur Verkündigung Jesu Christi wird.³⁷⁶ In der Art und Weise des Schriftbezuges können auch die Predigten protestantischer Geistlicher vor und um 1800 in zwei Gruppen unterschieden werden: in analytische und synthetische Predigten. Analytische Predigten stellen eine meist sehr genau an einem Text orientierte Auslegung der entsprechenden Perikope dar. Synthetische Predigten sind demgegenüber themenorientiert und verweisen anhand dieses Themas auf biblische Referenzstellen.³⁷⁷ In der Aufklärung erfahren die synthetischen Themenpredigten eine Aufwertung, die analytischen Predigten verlieren an Popularität und verschwinden beinahe. Auch im europäischen Vergleich wird deutlich, dass die Kanzel in Deutschland zu dem Ort wird, an dem eine neue Sprache für die Darstellung des Religiösen gesucht und gefunden wird. Das liegt daran, dass einerseits die Entwicklung der Literatur langsamer vorangeht als in England und Frankreich, andrerseits Latein länger Gebildetensprache bleibt. Damit kommt der Predigt als öffentliche Rede eine exponierte Stellung zu, die zu einem Laboratorium für die rhetorische Darstellung der Religion  Martin Schian, „Predigt, Geschichte der christlichen.“ in Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 15, hg. v. Albert Hauck (Leipzig, 1904), 692.  Johann Lorenz Mosheim, Anweisung erbaulich zu predigen (Erlangen: Walther, 1771).  Vgl. Heussi, Johann Lorenz Mosheim, 107.  Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ 229. Eine grundlegende Klärung dieser Sprache findet bei Spalding statt. Die Entwicklung einer „angemessenen“ theologischen Sprache in theoretischer Hinsicht bei ihm untersucht: Laura Balbiani, „‚ohne Zweifel würden unzählige eben so gut schreiben‘: Johann Joachim Spalding. Eine neue Sprache für eine neue Theologie“ in Religion und Aufklärung, 313 – 326, 322– 324. Die Wirkung der Aufklärungspredigten auf die Literatur und das allgemeine ästhetische Empfinden ist bisher noch nicht Gegenstand monographischer Untersuchungen gewesen.Vgl. Andres Straßberger, Johann Christoph Gottsched und die „philosophische“ Predigt: Studien zur aufklärerischen Transformation der protestantischen Homiletik im Spannungsfeld von Theologie, Philosophie, Rhetorik und Politik, Beiträge zur Historischen Theologie 151 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 535, Anm. 1.  Vgl. die Ausführungen zur Schrift und deren Verhältnis zur Mündlichkeit bei Schleiermacher und Luther in Kap II.2.2.2.  Vgl. Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ 237; Sträter, „Predigt III,“ 74.

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III Friedrich Schleiermachers Predigten

wird. Die Ausdifferenzierung theologischer Positionen um die Jahrhundertwende führt wiederum zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Predigt und deren Zielen, Inhalten und Gestalten. Durch das vermehrte Erscheinen von Predigtbänden und deren produktive Auswirkungen auf die Predigttätigkeit auf den Kanzeln gelangt die Predigt im 19. Jahrhundert zu besonderer Blüte.³⁷⁸ Während die klassische Beredsamkeit im Nachgang der Aufklärung im öffentlichen Raum eher an Bedeutung verliert, behält sie auf der Kanzel in Gestalt der protestantischen Rede weiterhin einen öffentlichen Ort.³⁷⁹ Vor dem Hintergrund dieser Transformationsprozesse stehen Friedrich Schleiermachers Predigten. Er ist nicht nur ein herausgehobener Exponent der theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation, wie es an der spezifischen Programmatik der Reden dargestellt wurde. Auch als Prediger erreicht er besonderen Rang. In welcher Gestalt diese Darstellung der Religion durch Schleiermachers Predigten vollzogen wird und inwiefern in diesen Predigten auch eine theoretische Entfaltung dieser Darstellung geschieht, steht im Zentrum der nachfolgenden Überlegungen. Damit wird auch hier ein systematisch-theologisches Frageinteresse an die Predigten herangetragen.³⁸⁰ Gegenstand der Analysen sind zwei Predigten Schleiermachers, die sich inhaltlich mit dem Gebet und dem Gottesdienst auseinandersetzen. Es wird zu fragen sein, inwiefern und wie diese beiden durch kommunikative Vollzüge bestimmten Momente kirchlicher Praxis in den Predigten als Religionskommunikation bestimmt werden. Die Analysen schließen mit einer Zusammenfassung. Der eigentlichen Untersuchung der Predigten ist eine Reflexion der Spezifika eines systematischtheologischen Zugriffs auf diese vorangestellt.

2 Herausforderungen systematisch-theologischer Predigtanalyse Predigtanalyse ist im akademischen Kanon theologischer Disziplinen traditionell nicht in der systematischen Theologie beheimatet, sondern findet in der Praktischen Theologie statt.³⁸¹ Insofern stellt sich die Frage, wie mit systematisch-theologischer

 Vgl. Friedrich Wintzer, „Predigt IX: Evangelische Predigt im 19. und 20. Jahrhundert.“ in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 27, Politik/Politologie – Publizistik/Presse, hg. v. Horst Balz, Gerhard Müller und Gerhard Krause (Berlin: Walter de Gruyter, 1997), 311– 333, 311.  Gert Ueding, Moderne Rhetorik: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart (München: Beck, 2000), 37.  Die Predigten sind jedoch auch zeitgeschichtlich aussagekräftig, wie Günter Meckenstock an Predigten aus den Jahren 1808 – 1810 für die preußische Reform zeigt: Günter Meckenstock, „Zeitgeschichtliche Bezüge in Schleiermachers Predigten 1808 – 1810,“ in Wissenschaft, Kirche, Staat und Politik: Schleiermacher und die preußische Reform, hg. v. Andreas Arndt, Simon Gerber und Sarah Schmidt (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2019), 257– 275.  Einen Überblick über die Entwicklung der Predigtanalyse in historischer Perspektive bietet: Wilfried Engemann, Einführung in die Homiletik (Tübingen: UTB, 20112), 363 ff. Hier wird deutlich, dass die methodische Reflexion der Predigtanalyse gegenwärtig, nach einem Höhepunkt in den späten siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, erneut starkes Interesse erfährt. Die praktisch-

2 Herausforderungen systematisch-theologischer Predigtanalyse

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Fragestellung – also einem in erster Linie an systematischen Inhalten orientierten Interesse – angemessen mit Predigten umgegangen werden kann. Für die Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, die Differenzen von Predigten und genuin systematisch-theologischen Texten wie beispielsweise Dogmatiken und wissenschaftlichen Aufsätzen zu benennen. Predigten weisen hierbei drei für die Analyse zu berücksichtigende Spezifika auf. Die Kommunikationssituation der Predigt ist erstens durch einen wesentlich höheren Grad der Konkretion bestimmt. Diese wird durch die Funktion des Predigers, eine konkrete Adressatengemeinde, einen kirchenjahreszeitlichen und liturgischen Zusammenhang sowie u.U. durch eine durch die Perikopenordnung vorgegebene biblische Textgrundlage konstituiert. Zweitens sind Predigten durch ihren Ort im Gottesdienst und die Hörgewohnheiten der Gemeinde zeitlich begrenzte Ausführungen, die in einen geschlossenen Gesamtargumentationsgang integriert sind. Werden systematisch-theologische Fragen an den Predigttext gerichtet, gilt es, diesen Gesamtargumentationszusammenhang ebenfalls zu berücksichtigen und die im Zentrum stehenden Inhalte vor diesem Hintergrund wahrzunehmen. Schließlich haben Predigten durch ihre konkrete Adressatenfokussierung und den Charakter im Gottesdienstgeschehen eine andere Aussageintention als systematisch-theologische Texte³⁸². Systematisch-theologische Predigtanalyse steht somit vor der Herausforderung, die Kommunikationssituation der Predigt, ihren konkreten, in der Predigt als Ganzer enthaltenen Argumentationsgang und deren spezifische Aussageintention zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Analysegegenstandes können allgemein zwei Arten der Analyse unterschieden werden: solche Verfahren, die sich auf die Textgestalt einer Predigt beziehen, und solche, deren hauptsächliches Interesse auf den tatsächlich stattfindenden interpersonalen Akt abzielen und damit die Interaktion von Predigt, Hörer und Prediger aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nehmen. In vielen theologische Predigtforschung wird in zwei Richtungen vertieft und erweitert. Einerseits findet eine stärkere Systematisierung der Zugänge zur Predigtanalyse statt, die in Form von Analysemodellen besser zugänglich gemacht wurden und zu einer Standardisierung von Verfahren führt. Wöhrle kategorisiert in diesem Sinne Analyseverfahren als Analysen der Selbstäußerung des Predigers, der Signalfunktion von Predigten und der Darstellungsfunktion von Predigten: Vgl. Stefanie Wöhrle. Predigtanalyse: Methodische Ansätze, homiletische Prämissen, didaktische Konsequenzen (Münster: LITVerlag, 2006), 9 – 192. Andrerseits werden diese Verfahren ausdifferenziert und erweitert. Exemplarisch für diesen Prozess kann die empirische Predigtforschung angeführt werden, welche im Rahmen der Digitalisierung auch durch elektronisch gestützte Verfahren eine starke Veränderung erfährt.  Die Intention von Predigten wurde in der Geschichte der Predigt unterschiedlich bestimmt. Bei Augustin rückt die Wirksamkeit beim Prediger in den Fokus, welche dreifach bestimmt ist: „Verständnis zu wecken (docere), Aufmerksamkeit zu erregen (movere), Gehorsam zu finden (flectere)“ (629). Luther fasst die Predigt selbst als Heilsmittel, sie ist damit Rede von Jesus Christus. Im Pietismus wird die Predigt als lebendige und frische Darstellung innerlicher Frömmigkeit bestimmt. Vgl. Birgit Weyel, „Predigt,“ in Handbuch Praktische Theologie, hg. v. Wilhelm Gräb und Birgit Weyel (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007), 629 ff. In allen Fällen ist diese Rede durch ein gemeinsames Glaubensfundament begründet.

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III Friedrich Schleiermachers Predigten

Fällen wird dieser Akt für eine systematisch-theologisch interessierte Predigtanalyse nur von peripherem Interesse sein, da diese auf die theoretische Entfaltung einer systematisch-theologischen Thematik fokussiert sind. Hinzu kommt, dass dieser Sprechakt bei der Analyse historischer Predigten, wie sie in dieser Arbeit durchgeführt wird, in seinem tatsächlichen Vollzug nicht mehr zugänglich ist. Auch die vorliegende Analyse und Interpretation kann aus Gründen der historischen Distanz nur auf die schriftliche Form beider Predigten zugreifen. So wie die im zweiten Kapitel analysierten Reden müssen auch die beiden ausgewählten Predigten als schriftlich überlieferte Größen wahrgenommen werden. Dennoch wird an sie das zweifache Frageinteresse nach einer theoretischen Entfaltung systematischer Gedanken zur Religionskommunikation ebenso wie nach deren literarischem und zu Text gewordenem rhetorischen Vollzug gerichtet. Entsprechend der vorgetragenen spezifischen Gestalt gilt es, für sie als Quellen systematisch-theologischer Reflexion ein angemessenes Analyseschema zu entwickeln. Die neueste Arbeit zu den frühen Predigten Schleiermachers, die eine explizite Methodenreflexion ihrer systematisch-theologisch motivierten Analyse bietet, hat Dorothee Godel vorgelegt.³⁸³ Der Fokus ihrer Arbeit richtet sich auf eine „inhaltliche Untersuchung der […] Predigten auf einzelne exemplarische praktisch-philosophische bzw. sittlich-religiöse oder sittlich-theologische Aspekte“.³⁸⁴ Hierzu entwickelt sie ein Analyseschema bestehend aus sieben Schritten. Im ersten Schritt erfolgt eine Analyse der Predigtsituation. Sowohl Predigtort und Gemeinde als auch kirchenjahreszeitlicher und ggf. liturgischer Kontext werden hierfür dargestellt. Damit wird einleitend die „Entstehungs- und Redesituation“³⁸⁵ bestimmt. Im Anschluss erfolgt die Erschließung von „Struktur und Inhalt“³⁸⁶, deren Ziel die Erschließung der Gesamtkonzeption der Predigt ist und die in einer doppelten ersten Bündelung mündet: in einer Skizze des Gedankenganges, die bereits erste Beobachtungen zu Strukturierung und rhetorischen Mitteln einschließt, und daran anschließend die Darstellung der Predigtdisposition. Bewusst werden in diesem Doppelschritt „Gesamtgehalt“ und „Gesamtgestalt“³⁸⁷ als eigenständige und aufeinander verwiesene Größen bestimmt. Im nächsten Schritt werden dann „grundlegende rhetorisch-homiletische Beobachtungen“³⁸⁸ gemacht. Aus der Gesamtperspektive wird der Blick nun auf einzelne sprachliche, motivische oder rhetorische Elemente gelenkt. Darauf folgend ist zu fragen, in welchem Verhältnis das Thema der Predigt zu ihrer Intention steht. Hierauf folgt die Erschließung des theoretischen Konzeptes, welche bei Godel in zwei Schritten

 Vgl. Dorothee Godel, Predigt als Vermittlung: Studien zum Verhältnis von Theologie und Philosophie in Schleiermachers ersten Predigten, Theologische Bibliothek Töpelmann 171 (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2015), 18 f.  Ebd., 19.  Ebd., 20.  Ebd.  Ebd., 21.  Ebd.

2 Herausforderungen systematisch-theologischer Predigtanalyse

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die philosophisch-ethische Konzeption untersucht. Abgeschlossen wird diese Analyse durch die Einordnung der inhaltlichen Theorieelemente in den geistesgeschichtlichen Hintergrund. Damit beinhaltet Godels Vorgehen 7 Analyseschritte:³⁸⁹ (1) Zum historisch-biographischen Ort der Predigt (2) Zur liturgischen, jahreszeitlichen oder kasualen Redesituation (3) Zu Inhalt und Struktur der Predigt (4) Zu den rhetorisch-homiletischen Eigenheiten der Predigt (5) Zum Verhältnis von Thema und Predigtintention (6) Zur ethischen Konzeption der vorliegenden Predigt (7) Zur Bedeutung von Theologie und Philosophie in der Predigt Dieses Schema gilt es, für die eigene Arbeit zu überarbeiten und anzupassen. Hierbei ist ein zentraler Unterschied in der durch die Fragestellung gebotenen Herangehensweise zu berücksichtigen. Godel stellt den Predigten vor allem deswegen eine rhetorische Analyse voran, weil sie davon ausgeht, dass eine sinnvolle thematisch und begrifflich orientierte Analyse nur auf der Grundlage des literarischen Gesamtkonzeptes erfolgen kann.³⁹⁰ Damit wird die rhetorische Analyse zum Zweck einer fundierten thematischen Analyse durchgeführt. Sie ist der eigentlichen inhaltlichen Analyse jedoch vorgeordnet und besitzt so hinführenden Charakter. Dadurch besteht die Gefahr, dass die auf die Gestalt des Textes gerichteten Analyseschritte keinen Zusammenhang mit den anschließend entfalteten inhaltlichen Ausführungen haben. Im Gegensatz dazu verfolgt diese Arbeit eine doppelte Fragerichtung, die sich auf die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation und deren literarischen und rhetorischen Vollzug im Medium der Texte richtet. Damit sind die thematischen und die rhetorischen Analysen gleichwertig beigeordnet. Entsprechend ergibt sich für die Analysen in dieser Arbeit die Anwendung eines modifizierten Schemas. Erstens werden Godels Schritte auf drei der Fragestellung der Arbeit angemessene Teile aufgeteilt. Die Analyse erfolgt in den beiden Hauptteilen: Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation in der Predigt und Entfaltung von Religionskommunikation durch die Predigt. Diesen beiden Hauptteilen werden Godels Bestimmung des historisch-biographischen Ortes (1) und der liturgischen, jahreszeitlichen oder kasualen Redesituation (2), zusammengefasst als Historische Einordnung im Sinne einer Hinführung, vorgeordnet. Die Teile der Analyse lauten demnach: I Historische Einordnung, II theoretische Entfaltung religiöser Rede und III Vollzug von Religionskommunikation in der Predigt. Zweitens erfolgt die Analyse in zwei Hauptteilen (II u. III) zwar durchaus an Godels Analyseschema orientiert. Um jedoch einerseits den Zusammenhang rhetorischer und inhaltlicher Analyse zu verdeutlichen und andrerseits Redundanzen zu vermeiden, werden die Schritte neu geordnet, teilweise zusammengezogen und ergänzt. Die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation der

 Vgl. ebd., 25.  Vgl. ebd., 20.

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III Friedrich Schleiermachers Predigten

Predigt (II) beginnt mit einer Darstellung von allgemeinem Inhalt und Struktur der Gesamtpredigt, wie es Godel unter Schritt drei vorsieht. Dadurch wird eine dem Argumentationsgang der Predigt entsprechende Analyse von Religionskommunikation vorbereitet und ermöglicht. Auf dieser Grundlage erfolgt die Analyse der theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation, wie sie in der Predigt zur Sprache kommt. Dies entspricht den Analyseschritten sechs und sieben bei Godel. Im zweiten Hauptteil, welcher die rhetorische Entfaltung von Religionskommunikation durch die Predigt (III) zum Gegenstand hat, werden die rhetorisch-homiletischen Eigenheiten der Predigt (4) und Thema und Intention der Predigt (5) untersucht. Letzteres geschieht hierbei im Sinne einer Zusammenfassung der einzelnen Analysen und nimmt vor allem das Verhältnis von Rede und Religion in der theoretischen Entfaltung und dem rhetorischen Vollzug der Predigt in den Blick und spitzt letztlich den Charakter der Predigt zu. Dieser zweite Hauptteil wird durch die Analyse der Konstruktion der Kommunikationssituation erweitert. In diesem Punkt wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass Predigten immer ein Interaktionsgeschehen zwischen Hörern und Predigern darstellen. Predigten werden stets in eine bestimmte Kommunikationssituation eingeschrieben. Gleichzeitig konstruieren sie diese Kommunikationssituation durch die Art und Weise, wie sie die Gemeinde adressieren, durch die Verhältnisbestimmung von Prediger und Gemeinde und durch die Bilder, die in der Predigt für die beteiligten Interakteure aufgerufen werden. Die Einschreibung in den tatsächlichen kommunikativen Akt zwischen Schleiermacher und seinen historischen Adressaten lässt sich durch eine historische Einordnung zwar einsichtig machen, als komplexes interpersonales Geschehen allerdings letztlich nicht rekonstruieren. Demgegenüber ist es jedoch möglich, den zweiten Aspekt zu analysieren: die Konstruktion eines Prediger-Hörer-Verhältnisses, das in den Text der Predigt eingeschrieben ist. Diese Kommunikationssituation ist gelöst vom tatsächlichen kommunikativen Akt auf der Textebene nachvollziehbar. Sie steht in den hier vorliegenden Predigtanalysen an erster Stelle des ersten Analysehauptteils.

3 Friedrich Schleiermachers Predigten über Gottesdienst und Gebet Anders als die Reden, die durch die doppelte Bestimmtheit der Kommunikationssituation als Literatur an Leser und als literarisch konstruierte Rede auch an ein literarisch konstruiertes Auditorium gerichtet sind, entstehen Schleiermachers Predigten ausschließlich für eine Hörerschaft im Rahmen eines gottesdienstlichen Geschehens. Die Literarizität ist ihnen erst sekundär zukommende Gestalt. Über die Bedeutung der Mündlichkeit für Schleiermachers Predigten gibt seine eigene Praxis der Predigtproduktion Auskunft. Auf der Grundlage einer sprachlich und gedanklich erarbeiteten Disposition hält er seine Predigten frei. Über dieses Verfahren gibt er in einem Brief an seinen Vater Auskunft, anlässlich einer für ihn ausformulierten und übersandten Predigt:

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Ich habe nämlich schon seit einiger Zeit aufgehört meine Predigten wörtlich zu conzipiren; ich mache eine vollständige Disposition, worin kein Gedanke und kein Uebergang ausgelassen ist; die Diction aber schreibe ich nur bei solchen Stellen auf, die mir schwierig scheinen, bei den übrigen wird sie nur auf mannigfaltige Weise durchgedacht und dann höchstens die Art des Satzes bestimmt. Aus diesen Angaben habe ich die Predigt, die Sie verlangten, hergestellt und so werde ich auch die andern herstellen müssen.³⁹¹

Erst nachdem diese Predigten gehalten wurden, schreibt er sie zum Zwecke der Dokumentation oder um sie anderen Leuten übersenden zu können auf. Mit Beginn Schleiermachers Dienst als Pfarrer in der Berliner Dreifaltigkeitskirche im Jahr 1809 verfassen Gottesdienstbesucher Mitschriften, welche er bei der schriftlichen Niederlegung seiner Predigten im Nachgang der gehaltenen Predigten zu Rate zieht. Mit steigender Bekanntheit Schleiermachers sind vermehrt Mitschriften überliefert.³⁹² Aus dieser Vorbereitungs- und Vortragspraxis Schleiermachers lässt sich für die Analyse eine gewinnbringende Beobachtung machen. Während die Gedanken durch die Dispositionen vorstrukturiert wurden, entlässt er die Fertigstellung seiner Predigt in die gottesdienstliche Interpersonalität, die durch den Gemeingeist geprägt ist. Damit operationalisiert Schleiermacher in besonderer Weise im Prozess der Predigtentstehung die bereits in den Reden deutlich gewordene Wertschätzung der Intersubjektivität für Religionskommunikation. Hinsichtlich der Predigt erhält folgerichtig der Vortrag selbst auch in der theoretischen Ausarbeitung seiner Homiletik einen besonderen Stellenwert, wie es sich in Schleiermachers Praktischer Theologie exemplarisch in der Ausarbeitung der Aspekte von sprachlichem Vollzug und Gebärden zeigt.³⁹³ Schleiermacher ist sich der Bedeutung des Vollzuges der Predigt in seiner Funktion für das religiöse Bewusstsein der Gemeinde bewusst, was in seiner Predigttheorie zu einer „Emphase der actio“³⁹⁴ führt. Im Echo der geistesgeschichtlichen Rezeption wird Schleiermacher als Predigtgenie geachtet, dem es durch seine Kanzelrede gelingt, Kirchen zu füllen. Seine Predigten gelten dem zeitgenössischen Berlin als „gesellschaftliches Ereignis von Rang“.³⁹⁵ Das mag auch an seiner Auffassung der Predigt selbst gelegen haben.³⁹⁶

 Friedrich Schleiermacher, „Brief 216, An J.G.A. Schleyermacher. Schlobitten, Sonntag, 5.5. bis Dienstag, 14.5.1793,“ in Briefwechsel 1774 – 1796, 291– 295, 291.  Reiner Preul, „Predigten,“ in Schleiermacher Handbuch, hg. v. Martin Ohst (Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 411– 426, 412.  Vgl. Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt: Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, Sämmtliche Werke Abt. 1 Bd. 13, hg. v. Jacob Frerichs (1850) (Nachdruck Berlin: Walter de Gruyter, 1983), 309 ff.  Manuel Stetter, „Argumentation und Erbauung: Ein homiletischer Beitrag zur Interpretation der Predigten Schleiermachers,“ in Zeitschrift für Theologie und Kirche 116 (2019), 77– 97, 79.  Preul, „Predigten,“ 411.  Auf eine ausführliche Darstellung von Schleiermachers Predigttheorie im Kontext seiner Homiletik wird hier verzichtet, da die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation im Rahmen spezifisch kommunikativer Textgattungen Gegenstand dieser Untersuchung ist. Für eine Darstellung

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Schleiermacher verwendet parallel zum Begriff der Predigt den der religiösen Rede³⁹⁷ und nutzt diesen als einen Oberbegriff, wie aus dem Titel seiner Homiletik „Theorie der religiösen Rede“³⁹⁸ deutlich hervorgeht. Plausibel vermutet Reiner Preul, dass Schleiermacher die Predigt als religiöse Rede in den Rahmen „allgemeiner Redekultur“³⁹⁹ einordnen und ihr in diesem Zusammenhang eine eigenständige Begründung verleihen will. In der zweiten Auflage der Kurzen Darstellung des theologischen Studiums begründet Schleiermacher die Begriffsbestimmung mit dem Anliegen, die Homiletik auf eine „allgemeinere und freiere Weise“⁴⁰⁰ zu behandeln. Schleiermacher macht mit diesem Begriff gemäß seiner eigenen Erklärung deutlich einen innovativen Anspruch für seine Homiletik bei der Neuordnung der theologischen Disziplinen geltend. Er besitzt für das Predigen eine Passion und empfindet seine eigene Predigttätigkeit als eine notwendige Ergänzung seiner Wirksamkeit, wie sich in einem Brief vom Dezember 1806 an Eichstädt zeigt: „Soll ich mich auf einer Universität wol befinden so brauche ich neben einem philosophischen Lehrstuhl auch einen theologischen, und neben beiden eine Kanzel.“⁴⁰¹ Das Predigen bleibt für Schleiermacher zeit seines Lebens ein zentrales Anliegen, das sich auch in der Identifikation der Predigt als Zentrum des Gottesdienstes ausdrückt.⁴⁰² Seine Predigttätigkeit beginnt mit seinem Ersten Examen 1790 und endet kurz vor seinem Tod im Jahr 1834.⁴⁰³ Biographisch bedingt ist Schleiermacher seit frühester Kindheit mit der Redeform der Predigt vertraut. Er selbst entstammt in dritter Generation einer Predigerfamilie und dürfte auch in den herrnhutschen Bildungseinrich-

der Predigttheorie Schleiermachers vgl.: Gräb, Predigt als Mitteilung des Glaubens, 168 ff. Er bestimmt die prinzipielle Gestalt von Schleiermachers Homiletik als „Faktizität der Predigt in der kommunikativen Kompetenz ihres Subjekts“ (168). Eine komprimierte Darstellung bietet: Christian Albrecht, „Schleiermachers Predigtlehre: Eine Skizze vor dem Hintergrund seines philosophisch-theologischen Gesamtsystems,“ in Klassiker der protestantischen Predigtlehre, hg. v. Albrecht Beutel u. Martin Weeber, (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 93 – 118.  Dies ähnelt Mosheim, der seine Predigten auch unter dem Titel der heiligen Reden veröffentlicht hatte. Vgl. Johann Lorenz Mosheim, Sämmtliche heilige Reden über wichtige Wahrheiten der Lehre Jesu Christi (Hamburg: Bohn, 1765).  Friedrich Schleiermacher, Die Praktische Theologie, XVI.  Reiner Preul, „Schleiermacher als Prediger,“ in Schleiermacher-Tag 2005: Eine Vortragsreihe. Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, I. Philologisch-historische Klasse, hg. v. Günter Meckenstock (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006.) 253 – 260, 256.  Friedrich Schleiermacher, „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (18111; 18302),“ in Universitätsschriften, Herakleitos, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, KGA Abt. I Bd. 6, hg. v. Dirk Schmid (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1998), 317– 446, 427.  Schleiermacher, „Brief 2367, An H.K.A. Eichstädt. Halle, Montag, 22.12.1806,“ KGA Abt. V Band 9, hg. v. Andreas Arndt und Simon Gerber (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2011), 278 – 297.  Vgl. Schleiermacher, „Kurze Darstellung des theologischen Studiums“, §284.  Vgl. Günter Meckenstock, „Einleitung in die III. Abteilung,“ in Predigten: Erste bis Vierte Sammlung: (1801 – 1820), KGA Abt. III Bd. 1, hg. v. dems. (Berlin: Walter de Gruyter, 2012) IX.

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tungen in Niesky und Barby zahlreiche Predigten gehört haben. Schleiermacher besitzt also, so würde man heute sagen, eine solide kirchliche Sozialisation. Der junge Theologe legt im Juli 1790 sein erstes theologisches Examen vor dem Reformierten Kirchendirektorium ab. Durch dieses Examen erhält er für die BrandenburgischPreußische Reformierte Kirche die Erlaubnis, öffentlich zu predigen. 1794 legt er sein zweites Examen ab, im selben Jahr erfolgt die Ordination in der Berliner Domkirche. Seine erste Predigerstelle tritt er im April 1794 in der reformierten Gemeinde in Landsberg an der Warthe an, wo er den Prediger Johann Lorenz Schumann als Hilfsprediger gut zwei Jahre unterstützen wird. Im September 1796 wechselt Schleiermacher auf seine zweite Stelle nach Berlin, wo er reformierter Prediger an der Charité wird, die zum Zeitpunkt seines Antritts Krankenhaus, Altenheim und medizinische Ausbildungsstätte ist. Aufgrund diverser Missstände wird die Charité im Oktober 1799 umstrukturiert und fungiert nur noch als Krankenhaus und Lehrinstitut. Im Zuge dieser Veränderungen wird auch die Neuorganisation des gottesdienstlichen Lebens und der Betreuung durch die beiden Pastoren – der Dienst an der Charité wurde im Sinne einer Simultankirche von einem reformierten und einem lutherischen Prediger gleichzeitig versehen – angestoßen. Es ist bemerkenswert, dass Schleiermacher bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen deutlichen Reformwillen an den Tag legt – der Vorschlag sieht auch ein lutherischreformiertes Abendmahlsformular vor – und diesen gemeinsam mit seinem Kollegen auch dem Waisenhaus kommuniziert. Für Schleiermacher endet seine Zeit in Berlin im Mai 1802. Den größten Ausschlag dafür dürfte seine unglückliche Liebschaft mit der mit einem lutherischen Prediger verheirateten Eleonore Grunow gewesen sein. Er nimmt im Februar 1802 eine Stelle als Prediger im hinterpommerschen Stolp an. Für die Analyse kommen jene Predigten in Frage, die Schleiermacher um die Jahrhundertwende hält oder veröffentlicht. Es handelt sich demnach um jenen Zeitraum, der durch Schleiermachers Wechsel nach Stolp beendet wird. Grund für diese zeitliche Eingrenzung ist die Veröffentlichung der Reden 1799, welche die Referenz für das zu ermittelnde Konzept von Religionskommunikation in theoretischer Entfaltung und praktischem Vollzug darstellen. Die Auswahl der Predigten ist themengeleitet und sucht nach Predigten, die zwar per se immer Vollzug von Religionskommunikation sind, aber diesen Vollzug nicht auch zwangsläufig thematisieren. Hinzu kommt, dass der Überlieferungsstand eine gewisse Herausforderung für die Auswahl darstellt. Schleiermacher sammelt seine eigenen Predigtentwürfe in Heften, seit er in Landsberg an der Warthe als Prediger arbeitet.⁴⁰⁴ Es scheint ein Heft mit ersten Predigten Schleiermachers in der Charité und der Invalidenhauskirche von September bis Dezember 1796 gegeben zu haben, es ist jedoch nicht erhalten. Für das Jahr 1797 werden insgesamt 66 Predigtentwürfe für Januar bis September in einem Heft überliefert. Die

 Für die Angaben zum Überlieferungsstand der Predigten Schleiermachers vgl.: Günter Meckenstock, „Historische Einführung,“ in Predigten 1790 – 1808, KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. dems. (Berlin/ Boston: Walter de Gruyter, 2013), VIII – XXXVIII.

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erste gedruckte Predigt Schleiermachers erscheint im Jahr 1799 in einem Sammelband, herausgegeben von Philipp Karl Buttmann, der Predigten von Ammon, Bartels, Diterich, Löffler, Marezoll, Sack, Schleiermacher, Spalding, Teller, Zöllner und Zollikofer enthält. In den Jahren 1798 und 1799 sammelt Schleiermacher keine Predigten. Erst für das Jahr 1800 und den darauffolgenden Jahreswechsel liegt eine Sammlung vor, die 93 Predigtentwürfe für den Zeitraum Januar bis November 1800 und weitere vier Predigtentwürfe aus dem Januar 1801 enthält. Hinzu kommt eine Predigt, die vermutlich zwischen Januar und Mai 1802 entstanden ist und deswegen noch in die Zeit in Berlin fällt. Sie ist in Schleiermachers fünftem Gedankenheft unter der Nummer 1 festgehalten. Weitere undatierte Predigten gehören vermutlich nicht mehr in den relevanten Zeitraum. Insgesamt sind für diesen Zeitraum also 165 Predigtentwürfe zugänglich. Diesem zunächst sehr satten Befund steht der ernüchternde Sachverhalt eines sehr geringen Anteils an ausformulierten Predigten gegenüber. Schleiermacher hat sein gesamtes Leben nach dem skizzierten Verfahren gearbeitet und jeweils nur gedankliche Gliederungen der Predigten schriftlich niedergelegt. Seine ausformulierten Mitschriften hatten ursprünglich am ehesten das Ziel einer nachträglichen „Selbstvergewisserung“⁴⁰⁵ oder wurden anderen mitgeteilt, die beim Predigtvortrag selbst nicht anwesend waren. Für die heutige Quellenlage hat diese Predigtpraxis zur Folge, dass viele der frühen Predigten zwar im gedanklichen Gerüst, nicht aber in ihrem tatsächlich vollzogenen Wortlaut nachvollziehbar sind. Zur Gestalt der Predigten Schleiermachers lässt sich allgemein anmerken, dass alle Predigten eine thematische Fokussierung mit biblischem Bezug aufweisen. Den Predigttext kann er frei wählen, da er als reformierter Prediger nicht an die Perikopenordnung gebunden ist. Schleiermacher bevorzugt es, über wenige Verse zu predigen, wobei diese Verse vor allem einer thematischen Anknüpfung dienen und selten exegetisch analysiert werden. Damit sind Schleiermachers Predigten aus diesem Zeitraum überwiegend synthetische Predigten und entsprechend in diesem Punkt der vorherrschenden Tendenz. Auch in der Dreiteilung entsprechen Schleiermachers Predigten der gängigen Vortragspraxis und gliedern sich in Exordium, Tractatus und Usus. Das Exordium führt zu Predigttext und Thema hin, wozu meist ein allgemeiner oder exemplarischer Sachverhalt herangezogen wird. Der Tractatus entfaltet das Thema, das sich entweder an einer begrifflichen Unterscheidung orientiert oder aus der biblischen Grundlage gewonnen wird und selbst schon die Gesamtaussage der Predigt widerspiegeln kann.⁴⁰⁶ Die Ausführungen zu diesem Thema sind in den meisten Fällen jeweils in zwei Hauptaspekte untergliedert, stellenweise kommen bis zu vier Aspekte vor und werden jeweils nochmal genauer untergliedert. Der Usus, der Schlussteil der Predigt, erfährt bei Schleiermacher unterschiedliche Gestaltung. Er trägt in sehr vielen Fällen

 Meckenstock, „Einleitung in die III. Abteilung,“ XXV.  Vgl. Preul, „Schleiermacher als Prediger,“ 254 f.

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einen appellativen Charakter, der zu ethischen Konsequenzen auffordert. In seltenen Fällen kann der Schluss auch mit dem letzten Punkt des Hauptteils zusammenfallen. Meist werden hier direkte Konsequenzen für die Hörer aufgezeigt. Schleiermachers Predigten verbinden Text und Thema und zielen letztlich darauf, eine für den Hörer relevante Perspektive auf die Wirklichkeit zu eröffnen. Die Auswahl der zu analysierenden Predigten folgt zunächst der zeitlichen Abgrenzung und fokussiert jene Predigten, die in Berlin zwischen 1796 und 1802 verfasst oder veröffentlicht wurden, Schleiermachers erstem Aufenthalt in Berlin. In dieser Zeit entstehen auch die im zweiten Kapitel analysierten Reden. Berücksichtigt werden aus diesem Zeitraum nur solche Predigten, die in ausformulierter Gestalt überliefert sind. Entsprechend Schleiermachers Verständnis ist die Predigt „religiöse Rede im Gottesdienst“⁴⁰⁷, weswegen der Vollzug von Religionskommunikation durch die Predigt an allen vollständig überlieferten Predigten untersucht werden kann. Dies gilt jedoch nicht für die Frage nach einer theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation in der Predigt. Aus dem Textbestand der vollständig überlieferten Predigten wurden deswegen zwei Texte ausgewählt, deren Gegenstand Ansätze einer theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation sind. In sehr unterschiedlicher Akzentuierung geschieht dies in den beiden erstmals in Landsberg an der Warthe gehaltenen Predigten über Psalm 26,6 und über Matthäus 26,36 – 46. Während die erste Predigt im Jahr 1802 in Berlin gedruckt wird und dadurch in den Fokus der Untersuchung rückt, wird die zweite genannte Predigt mehrmals in Berlin gehalten und schließlich ebenfalls im ersten veröffentlichten Predigtkalendarium gedruckt.

3.1 „Der Wert des öffentlichen Gottesdienstes“ 3.1.1 Historische Einordnung Über Psalm 26,8 predigt Schleiermacher am Sonntag nach Weihnachten. Es ist der 28. Dezember 1794. Ausformuliert ist diese Predigt in zwei leicht abweichenden Fassungen überliefert. Zum einen gibt es ein Autograph Schleiermachers mit der Archivsignatur SAr 10, Bl. 65r – 68v, welches unter der Überschrift Frühe Predigten 1790 – 1797 in KGA Abteilung III Band 3, 287– 295 mit der Nummer 35 abgedruckt ist. Ihr entspricht der Predigtentwurf in KGA Abteilung III Band 3, 386. Neben dieser liegt eine Fassung vor, welche in der ersten Predigtsammlung im Jahr 1801 unter der Nummer XII abgedruckt wurde. Im Gegensatz zum Autograph trägt dieser Text eine wohl der Veröffentlichung geschuldete Überschrift: Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes. Er wurde in Band III/1 der Kritischen Gesamtausgabe auf den Seiten 181– 197 veröffentlicht. Der Titel der in der Sammlung veröffentlichten Predigt wird im Entwurf als ihr Thema angegeben. Für die Analyse wird die 1801 erschienene Fassung verwendet: Dafür spricht, dass sie vollständig ausformuliert ist

 Ebd., 415.

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und sich in größerer zeitlicher und geistiger Nähe zu Schleiermachers Religionsschrift befindet. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Predigt im Dezember 1794 ist Schleiermacher seit über einem halben Jahr Gehilfe des reformierten Predigers Schumann der Gemeinde in Landsberg an der Warthe, wo er Mitte April desselben Jahres seine Antrittspredigt gehalten hat. Die Predigt fällt damit liturgisch in die Weihnachtszeit und steht am Beginn des Kirchenjahres. Dies spielt jedoch in der Predigt keine Rolle. Vielmehr stellt das Ende des Kalenderjahres die Referenzgröße des Predigtbeginns dar. Mit dem Verweis auf das Ende des Jahres wird die Predigt eingeleitet, dieser Zeitpunkt diene der Gemeinde zur Reflexion des Vergangenen.⁴⁰⁸ Dem Landsberger Prediger Schumann war aufgrund seines Alters im Februar jenes vergangenen Jahres durch das reformierte Kirchendirektorium Hilfe für die Verrichtung seines Dienstes zugesprochen worden. In Landsberg tritt Schleiermacher seine erste Stelle als ordinierter Pfarrer an. Im Vergleich zu ihm war der begabte und junge Prediger für die Gemeinde eine erfrischende und beliebte Gestalt auf der Kanzel. Die Konkordienkirche ist zum damaligen Zeitpunkt eine Simultankirche, in welcher jeweils wechselnd vormittags und nachmittags lutherische und reformierte Gottesdienste stattfinden. Nach dem Tod Schumanns im Juni 1795 wird die Stelle in Landsberg neu besetzt, Schleiermachers Wunsch, die Nachfolge dort anzutreten, erfüllt sich nicht, weswegen Schleiermacher zum September 1796 an die Charité in Berlin wechselt. Zu seinen Aufgaben dort gehören sowohl Predigten und Betstunden in der Charité als auch Vertretungen im Invalidenhaus. Die nicht besonders gut bezahlte Stelle ist neben den Gottesdiensten durchaus mit einer Fülle von Aufgaben ausgestattet, die die Seelsorge an den PatientInnen und BewohnerInnen ebenso einschließt wie Unterweisungen in den umliegenden Stadtteilen. Damit ist eine deutliche berufliche Umstellung für den jungen Schleiermacher verbunden. Deutlich folgenreicher ist jedoch das Umfeld, welches sich dem jungen Geistlichen in den Berliner Salons erschließt. Aus einer der dortigen Begegnungen erwächst Ende 1797eine Wohngemeinschaft am Oranienburger Tor mit Friedrich Schlegel. Es ist eine Laune der Geschichte, dass gerade diese für Schleiermacher durchaus folgenreiche gemeinschaftliche Wohnung durch Baumaßnahmen an der Charité ermöglicht wird, weshalb die beiden Prediger ab Juli 1797 ihre Dienstwohnung in der Charité nicht mehr bewohnen können und eine andere Wohnung für die beiden Geistlichen angemietet wird.⁴⁰⁹ Zwischen diesen beiden historischen Eckpunkten, Schleiermachers Tätigkeit in Landsberg und dem Wechsel nach Berlin, ist die Predigt zu verorten. Verfasst und erstmals gehalten wird sie in Landsberg, überarbeitet und gedruckt in Berlin. Zwischen Erstabfassung und Druck liegen sieben Jahre.

 Vgl. Friedrich Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes: Am Sonntage nach Weihnachten,“ in Predigten: Erste bis Vierte Sammlung (1801 – 1820), 181– 197, 181.  Vgl. Meckenstock, „Einleitung in die III. Abteilung,“ XXXI.

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3.1.2 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation Schleiermachers skizzierter Predigtentwurf ⁴¹⁰ von 1794 bietet den gedanklichen Aufriss der Predigt, nahezu so, wie sie ausformuliert in der ersten Predigtsammlung 1801 veröffentlicht wurde. Einige kleine Abweichungen sind zu verzeichnen, die durchaus auf einen theologischen Veränderungsprozess hinweisen können. Als Thema wird Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes angegeben. Die Einleitung schließt an das Ende des Jahres an. In ihr werden die Gottesdienstbesucher dazu aufgefordert, ihren rückblickenden Gedanken zum Jahresende im Rahmen des Gottesdienstes „eine höhere Richtung“⁴¹¹ zu verleihen, um alles als Teil göttlicher Fügung zu betrachten. Damit fordert er die Gemeinde einerseits dazu auf, ihre Erlebnisse in einer theologischen Perspektive zu betrachten, gleichzeitig und darüber hinausgehend gilt es zu prüfen, ob der eigene Umgang mit dem Empfangenen „treu und weislich“⁴¹² vonstatten gegangen sei. Diese Gedanken sind durch die Anknüpfung an die Retrospektion am Ende des Jahres vor allem dazu geeignet, der Gemeinde eine Identifikation mit dem Anliegen der Predigt zu ermöglichen. Die eigentliche Pointe der Predigt ist konkreter. Der Prediger verweist darauf, dass nicht nur die offensichtlichen Wohltaten zu bedenken seien, wie sie im privaten Bereich in Form von günstigen Wendungen oder der Auflösung von Sorgen geschehen und im öffentlichen Bereich vor allem in der Stabilität eines nach innen und außen friedensstiftenden Staates erkannt werden. Es gelte insbesondere zu bedenken, welche „Unterstützung im Guten und Erhebung des Gemüthes“⁴¹³ den Menschen durch den Gottesdienst zugutegekommen sei. Die Wirkung des Gottesdienstes gerate allzu leicht in Vergessenheit und dementsprechend sei er, einschließlich der für das Feiern von Gottesdiensten hilfreichen und notwendigen Feiertage, zu selten Gegenstand der Dankbarkeit. Insofern ergeht eine doppelte Aufforderung zur Selbstprüfung an die Gemeinde: ob nicht genau wie beschrieben der Gottesdienst Anlass zur Dankbarkeit gebe, da er jedem Gläubigen einen „sichtbaren Nuzen“⁴¹⁴ biete und ob der Gottesdienst bereits gut genutzt worden sei. Der Prediger fügt an dieser Stelle den biblischen Referenztext ein: Psalm 26 Vers 8 dient ihm als Hinweis auf die Wertschätzung des Gottesdienstes bereits zu alttestamentlicher Zeit. Damit wird der Predigttext weniger im Sinne eines auslegungswürdigen Textes herangezogen, sondern dient eher einer prinzipiellen Stütze der bisherigen Argumentation. Dass es sich bei der biblischen Textgrundlage um einen alttestamentlichen Text handelt, ist selten. In den wenigen Fällen, in denen Schlei-

 Vgl. Friedrich Schleiermacher, „Predigt am Sonntag nach Weihnachten Ps. 26,8,“ in Predigten 1790 – 1808, 386 – 387.  Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes, 181.  Ebd.  Ebd., 182.  Ebd., 183.

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ermacher auf das Alte Testament zurückgreift, entstammen die meisten Texte dem Psalter.⁴¹⁵ Dem Einwand eines überholten Religionsbegriffes im Alten Testament, der die Aussagekraft für die gegenwärtige Predigt schmälere, begegnet der Prediger in Gestalt einer Überbietungsargumentation. Tatsächlich sei die alttestamentliche Zeit durch einen übersteigerten Ritenglauben geprägt gewesen, welcher sich in deutlicher Weise von der „Religion des Herzens“⁴¹⁶ der Gegenwart unterscheide, die durch eine höhere Reinheit des Religionsbegriffes ausgezeichnet sei. Dieser sei auch dem Gottesdienst in der Gegenwart dienlicher. Damit gelangt die Einleitung an ihren entscheidenden Punkt. Alles im Gottesdienst diene dazu, „eben jene Gesinnungen in uns [der Predigtgemeinde einschließlich Prediger, Anm. M.S] zu beleben und zu befestigen“.⁴¹⁷ Dies geschehe in drei Weisen: Der Gottesdienst sei „Anstalt zur Belehrung“, er befestige „unsere guten Entschlüße aufs Neue“ und stärke und erneuere die „religiösen Gefühle“.⁴¹⁸ Diesen drei Aspekten entsprechend entwickelt der Prediger den Gedankengang im Hauptteil in drei Teilen. Erstens wird der Gottesdienst als Ort der Belehrung thematisiert, an dem geklärt werden kann, „was zur Geschichte und zur äußern Gestalt der Religion gehört“.⁴¹⁹ Deutlich wird in diesem Zusammenhang der Vorzug des Gottesdienstes gegenüber einer freundschaftlichen und einer Selbstbelehrung ausgeführt. Der Gottesdienst sei für die Gläubigen der einzige Ort, an dem die eigenen ethischen Vollzüge und Entscheidungen auf professionelle Weise in Übereinstimmung mit der Schrift gelehrt werden.⁴²⁰ Zu der angestrebten Besserung gehört ebenso eine reflektierte Wahrnehmung der eigenen sittlichen Verfassung, eine „innige Bekanntschaft

 Vgl. Wolfgang Trillhaas, „Schleiermachers Predigten über alttestamentliche Texte,“ in Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums, Theologische Bibliothek Töpelmann 51 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1991), 279 – 289, 283. Zu berücksichtigen ist, dass die hier gemachten Angaben sich auf einen weitaus geringeren Quellenbestand beziehen, als er heute durch die Abteilung III der Kritischen Gesamtausgabe Schleiermachers Werke verfügbar ist. Allerdings lässt sich die Tendenz auch durch die neu erschlossenen Texte bestätigen.  Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 183. Die theologische Problematik dieser Aussage kann als exemplarisch für den schwierigen Umgang Schleiermachers mit dem Alten Testament durch seine und in seinen Predigten gewertet werden. Vgl. zu diesem Problemzusammenhang: Trillhaas, „Schleiermachers Predigten,“ 280.  Friedrich Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 184.  Ebd. Demgegenüber thematisiert der dritte Hauptteil im Predigtentwurf von 1794 den Gottesdienst als Ort des Trostes. Die 1801 gedruckte Fassung behandelt anstelle der vormals konkret ethischen Erwägungen am Ende der Predigt die allgemeine religiöse Konstitution des Individuums mittels seiner religiösen Gefühle.  Ebd. Für den Gottesdienst kommt Schleiermacher damit zu einer positiven Einschätzung der Belehrung. Johannes Bauer stellt in seiner älteren Monographie zu Schleiermachers patriotischen Predigten heraus, dass Schleiermacher demgegenüber in seiner Einschätzung bzgl. des Wertes der Belehrung für die Predigttheorie widersprüchliche Positionen vertreten habe. Vgl.: Bauer, Schleiermacher als patriotischer Prediger, 250, Fußnote 3.  Vgl. Friedrich Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 184, 186 ff.

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mit dem Zustande des Herzens“.⁴²¹ Der Vorzug einer Belehrung im Gottesdienst gegenüber einer Belehrung durch einen Freund bestehe in der ruhigen Gemütsverfassung, in der die Gemeinde sich im Gottesdienst befinde. Die religiösen Individuen liefen deswegen nicht Gefahr, sich in der Erregung selbst verteidigen zu müssen, sondern könnten den Gedanken der Predigt folgen und für sich abwägen, ob diese Äußerungen auf sie zuträfen. Gegenüber der Selbstreflektion habe der Gottesdienst den Vorzug, dass er in abstrahierender Weise von einem Fremden geleitet werde: „hier werdet ihr zu solchen Ansichten geführt, auf welche sonst Euer Auge nicht leicht würde gefallen sein“.⁴²² Damit ist diese Funktion des Gottesdienstes vor allem auf das Defizit der religiösen Individuen gerichtet. Zweitens wird die Funktion des Gottesdienstes als Aufmunterung zum Guten beschrieben. Dieses gilt wiederum in zwei Hinsichten, die sich auf das Innere jedes Menschen und die Geselligkeit beziehen. Die Predigt hebt an dieser Stelle hervor, dass die einmalige Hinwendung zum Guten der Bekräftigung bedürfe, da sie durch sinnliche Eindrücke und Wünsche stets aufs Neue gefährdet werde.⁴²³ Die gemeinschaftliche Bestärkung garantiere eine besondere Motivation für die „gutgearteten Menschen“, da sie dann den Zweck ihres sittlichen Handelns nicht nur zu eigenen Gunsten, sondern als „eine gemeinschaftliche Angelegenheit“⁴²⁴ betrachten könnten. Sowohl die Hausgemeinschaft als auch die Orientierung am Vaterland könnten gemäß der Predigt zu sittlichem Denken und Handeln treiben, dies jedoch nicht in gleicher ganzheitlicher Weise, wie es im Gottesdienst gelinge. Dieses wird in der Predigt im Bild von der Hausgenossenschaft jedes einzelnen Christen im Hause Gottes umschrieben. Daraus resultiere, so die Predigt, der Auftrag, in allen Lebensvollzügen Teil der ReichGottes-Verkündigung zu sein. Diese Familie Gottes werde im Gottesdienst in einzigartiger Weise sichtbar. Er werde so zum Ort einer umfassenden Besinnung auf das Gute, von welchem aus das Leben der Gemeinde durchdrungen werden könne: In eurem Hause, in eurem Beruf, in allem was Ihr richtet, sollt Ihr das Dasein dieses Reiches Gottes verkündigen, das Beste dieser göttlichen Familie fördern, und wenn Ihr hierher kommt, wo sie sich sichtbar versammelt, soll an Euch haften das Andenken an gute Werke, die ihr verrichtet habt, an liebliche Lehren, die von Euch ausgegangen sind, an fromme Gesinnungen, die Ihr geäußert, an muthige Bekenntniße des Glaubens, die Ihr abgelegt habt. Wenn Ihr hier den Gedanken an die höchste menschliche Vollkommenheit faßt: so wird Alles was Ihr dem zufolge thun werden könnt, in Anspruch genommen durch die Gemeinde Christi; jeder gute Entschluß erscheint Euch als ein theures Gelübde, abgelegt in ihre und des Erlösers Hände.⁴²⁵

Die gottesdienstliche Versammlung wird so zur Rückversicherung jedes Individuums, Entscheidungen und Taten sind an diese Gemeinschaft rückgebunden. Die Konstitu-

    

Ebd., 185. Ebd., 189. Ebd., 190. Ebd. Ebd., 191.

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tion dieser Gemeinschaft zeichnet die Predigt im idealtypischen Modus, geeint durch ein Gefühl, welches nach Gnade verlangt. Die Situation der alltäglichen Anfechtung eint diese sich im Gottesdienst treffende Gemeinde, die gemeinsam erschaudert „bei dem lebendigen Gedanken an das allein heilige und weise Gesez Gottes“.⁴²⁶ Die religiösen Individuen vergewissern sich demnach in der gottesdienstlichen Gemeinschaft sowohl ihrer Gnadenbedürftigkeit als auch der Gleichheit vor dem göttlichen Gesetz. Schließlich wird der Gottesdienst, drittens, sowohl als Belebung als auch Erhöhung religiöser Gefühle bezeichnet. In diesem letzten Punkt weicht die Druckfassung von 1801 sowohl vom Entwurf als auch vom skizzenhaften, mit dem Entwurf übereinstimmenden Autographen aus dem Jahr 1794 ab. Beide überschreiben den dritten Hauptteil nicht mit „Belebung und Erhöhung religiöser Gefühle“, sondern beschreiben hier den Gottesdienst als „Ort des Trostes“.⁴²⁷ Auch hier finden sich Hinweise auf die erbauliche Dimension des Gottesdienstes, da dort „Beispiele von der Kraft der Religion“⁴²⁸ dargestellt werden und in gemeinschaftlichem Gebet und Gesang auch die „halberstickten Seufzer“⁴²⁹ eines Einzelnen zum Tragen kommen können. Allerdings wird dieses Motiv, das den dritten Hauptteil der 1801 veröffentlichten Fassung prägt, in der ersten Fassung von 1794 einer anderen Argumentation untergeordnet. In der Fassung von 1801 wird ausgeführt, weswegen eine gemeinschaftliche gottesdienstliche Versammlung einer „einsamen Andacht“⁴³⁰ vorzuziehen sei. Dieser Gedankengang wird in einem ersten Schritt über das Argument gestützt, dass einsames Nachdenken den Einzelnen in Trübsal zurücklasse. Hierauf folgen die beiden bereits genannten Aspekte der exemplarischen Ansichten von der Kraft der Religion und der gemeinschaftlichen Erhöhung von Gesängen und Gebeten. Während in der ersten Fassung dadurch ein weiterer ethischer oder zumindest lebenspraktischer Aspekt hinzugefügt wird, stellt die Argumentation der Druckfassung von 1801 eine konzeptionelle Erweiterung dieser ersten Fassung dar. Den Gottesdienst hier als Belebung und Erhöhung religiöser Gefühle zu beschreiben, verleiht der Predigt zum Schluss eine pointierte spirituelle Wendung, welche die vorlaufenden Bestimmungen des Gottesdienstes zur ethischen Besserung tatsächlich inhaltlich um die Bestärkung des religiösen Individuums erweitert und bereichert. Es wird ausgeführt, dass sowohl ein rechtes Religionsverständnis als auch die Erkenntnis sittlicher Pflichten ohne ein von der Religion erfülltes Herz denkbar und möglich, aber defizitär seien: Täglich sehen wir solche aus kalten Begriffen zusammengesezte Religion und solche von aller Frömmigkeit entblößte Tugend vor uns, und aus eigner Erfahrung seze ich voraus, kennen wir

 Ebd., 192.  Vgl. Friedrich Schleiermacher, „Nr. 35, Predigt über Ps 26,8: Am 28. Dezember 1794,“ in Predigten 1790 – 1808, 287– 295, 293; Schleiermacher, „Predigt am Sonntag nach Weihnachten,“ 387.  Friedrich Schleiermacher, „Nr. 35, Predigt über Ps 26,8,“ 294.  Ebd., 295.  Schleiermacher, „Predigt am Sonntag nach Weihnachten,“ 387.

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dagegen den seligen Zustand eines von frommen Gefühlen durchdrungenen und sich ihrer immer bewussten Herzens, eines Menschen, der gewohnt ist, Alles so anzusehen, wie es von Gott, der es ordnete gemeint war.⁴³¹

Letztlich werden damit die vorherigen Ausführungen überboten – der Gottesdienst leistet eine Integration von Frömmigkeit und Tugend durch die gemeinschaftliche Deutung des Lebens in theologischer Perspektive. Dieser Gedankengang trägt dazu bei, dass die Predigt sich über den zuvor rein ethisch und gottesdiensttheoretisch eröffneten Horizont hinaus weitet und eine religionstheoretische Fundierung erhält. Diese Entwicklungslinie, die in den unterschiedlichen Fassungen der Predigt deutlich wird, lässt sich bis zur Praktischen Theologie weiterverfolgen. Hier wird der Gottesdienst schließlich klar von der Belehrung abgegrenzt, wie Simon Gerber in seiner Analyse Ästhetische Probleme des Gottesdienstes nach Schleiermachers Praktischer Theologie besonders herausstellt.⁴³² Grundlage von Gerbers Ausführungen ist eine Nachschrift von Schleiermachers Vorlesung zur Praktischen Theologie aus dem Sommersemester 1824. Hierin wird deutlich herausgestellt, dass der Gottesdienst gerade nicht belehren solle, sondern stets unabgeschlossen sein und sich immer neu realisieren und aktualisieren müsse. Deutlich wird die gedankliche Arbeit sichtbar, die der junge Schleiermacher in Gestalt seiner 1799 vorgelegten Reden zwischen der in Landsberg gehaltenen Predigt von 1794 und der in Berlin 1801 veröffentlichten Predigt geleistet hat. In den Reden findet sich eine in der Predigt beinahe wiederholte Bestimmung der Religion, welche in der Überarbeitung auch den Eingang in die zu veröffentlichende Predigt gefunden hat und einen deutlichen Hinweis auf die gedankliche Entwicklung Schleiermachers gibt: „Alles Einzelne als einen Theil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion“.⁴³³ Diese Formulierung findet sich in den Reden in zahlreichen Variationen und trägt den Kern ihrer Religionstheorie in sich. Die Formulierung in der zitierten Predigt ist durch die Referenz auf Gott, seine Ordnungsfunktion und die inhaltliche Qualifikation des Angeschauten durch den Schöpferwillen als Gemeintes jedoch von einem wesentlich höheren Grad an theologischer Bestimmtheit gekennzeichnet, welcher sich auf die klar zu unterscheidende Adressatenschaft von Predigten und Reden gut zurückführen lässt. Folgerichtig ist nach dieser religionstheoretisch fundierten Überlegung am Schluss der Predigt, dass ein rein pflichtgeleiteter Besuch des Gottesdienstes abzulehnen sei. Vielmehr schließt die Predigt mit einem Appell an die Besucher, den Gottesdienst nur als Resultat eines freien und inneren Herzenswunsches zu besuchen. Deutlich wird in diesen Ausführungen, dass Religionskommunikation integraler Bestandteil des Gottesdienstes ist. Rede, Gebete, Gesänge und auch das bloße An-

 Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 192 f.  Vgl. Gerber, „Ästhetische Probleme des Gottesdienstes,“ 610.  Schleiermacher, Reden, 214.

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sichtigwerden des Anderen als Ebenbild Gottes sind kommunikative Interaktionen, welche sich im Gottesdienst ereignen. Im Rahmen dieser vielfältigen kommunikativen Interaktionen ist die sprachlich vollzogene Rede lediglich ein Bestandteil, welcher dem Gesamtzweck des Gottesdienstes dienen soll: im Sinne der Verstärkung seiner Grundintention, „ein Mittel eben jene Gesinnungen in uns zu beleben und befestigen“.⁴³⁴ Entsprechend der unterschiedlichen Funktionen des Gottesdienstes unterscheiden sich auch die rhetorischen Vollzüge, die in ihnen einen Platz erhalten. Rede spielt eine besondere Rolle in der ersten Funktion des Gottesdienstes: als Anstalt zur Belehrung. Dem „anmaßenden Geschwäz“ unberufener Alltäglichkeit stehen „Vorträge der Religionslehrer“⁴³⁵ gegenüber, die sich von alltäglicher Rede durch ihre Zielgruppenorientierung ebenso wie durch ihren feierlichen Charakter unterscheiden und auf eine Hörerschaft treffen, welche im gottesdienstlichen Rahmen auf diese Rede eingestimmt und in besonderer Weise empfänglich ist. Ziel dieser Rede ist Einsicht und immer genauer werdende Kenntnis christlicher Tradition und Lehre, die in Erbauung und Lebensanwendung umschlägt. Sie hat damit eine deutliche ethische Akzentuierung, die Auswirkungen auf die spirituelle Praxis sowie auf die allgemeine Lebensführung haben soll. Der Gottesdienst wird damit zu einem Ort individueller Vervollkommnung. Während im Rahmen der Überlegungen zum Gottesdienst als Anstalt zur Besserung die dazu stattfindenden rhetorischen Vollzüge klar benannt werden, bleiben die Überlegungen zum Gottesdienst als Ermunterung zum Guten hinsichtlich ihrer kommunikativen Vollzüge vage. Im Gegensatz zu einem offenen rhetorischen Vollzug geht es bei dieser Gottesdienstfunktion vor allem darum, einen einmal getroffenen Entschluß im Sinne einer inneren Entscheidung zu bestärken und zu erneuern. Dieser Entschluss kann somit in gewisser Weise als individuell zu gebende Antwort der Gemeindeglieder im Gottesdienst verstanden werden. Bestärkung dazu erfährt das Individuum in der Gemeinschaft gleich gnadenbedürftiger Gemeindeglieder vor Gott. Die Erneuerung des benannten Entschlusses erfolgt schließlich in einem inneren nicht-sprachlichen Akt. Damit wird im zweiten Hauptteil deutlich, dass die kommunikativen Vollzüge nicht auf tatsächliche rhetorische Akte, im Falle des ersten Teils beispielsweise als überzeugende und belehrende Rede, beschränkt sind. Dies wird auch im dritten Hauptteil deutlich, der den Gottesdienst als Belebung und Erhöhung religiöser Gefühle thematisiert. Hierin wird vor allem eine bestimmte kommunikativ vermittelte Stimmung zum Gegenstand der Überlegungen, ein Eindruck, der sich im Gottesdienst durch die Interaktion mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde einstellt: Es waren nicht allein die Worte, die Euch unmittelbar beruhigend ans Herz geredet wurden, oder die Euch durch Zusammenstellung der Gedanken erinnern mußten an den Muth, der den Frommen ziemt, an das Vertrauen, das der Gläubige seinem Gotte schuldig ist; Alles was Ihr saht,

 Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 183 f.  Ebd., 184– 185.

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vereinigte sich, um Licht in die dunklen Gegenden eurer Seele zu tragen. Hier seht ihr das Gesicht eines Leidenden sich nach und nach aufheitern bei frommen Betrachtungen, dort findet Ihr Ruhe und Friede schon wieder eingekehrt bei einem Andern, den Ihr noch vor Kurzem unglüklich sahet; hier beschämt Euch die Zufriedenheit eines Siechen, dort die Heiterkeit des Dürftigen; hier seht Ihr einen bewährten Frommen, der seine Tugend und seinen Glauben unversehrt durch alle Stürme des Lebens hindurch gebracht hat, dort redet Euch die Freude des Erretteten, der dankbare Blik eines Gebeßerten Glauben und Vertrauen ins Herz. So ergriff auch Euch die gemeinschaftliche Stimmung, der sich hier Alle nach und nach nähern, das Gebet der Brüder stärke das Eurige, und unter den Dankliedern und Lobgesängen der Gemeinde erbebten auch in eurer Seele wieder die dazu stimmenden Seiten.⁴³⁶

Die im Gottesdienst versammelten Individuen werden in ihrer individuellen Mimik, Gestik und Stimmung gleichsam zum Medium wechselseitiger Erbauung. Auch diese Predigtpassage lässt eine aus den Reden bekannte Denkfigur anklingen. Die Aussagen zu einer „heiligen Person“⁴³⁷ aus der Vierten Rede Über das Gesellige in der Religion oder über Kirche und Priesterthum klingen an. An einer heiligen Person ist alles bedeutend, an einem anerkannten Priester der Religion hat alles einen kanonischen Sinn. So mögen sie denn das Wesen derselben darstellen in allen ihren Bewegungen, nichts möge verloren gehen auch in den gemeinen Verhältnißen des Lebens von dem Ausdruck eines frommen Sinnes, die heilige Innigkeit mit der sie Alles behandeln zeige, daß auch bei Kleinigkeiten über die ein profanes Gemüth leichtsinnig hinweggleitet, die Musik erhabener Gefühle in ihnen ertöne; die majestätische Ruhe, mit der sie Großes und Kleines gleichsezen, beweise, daß sie Alles auf das Unwandelbare beziehn, und in Allem auf gleiche Weise die Gottheit erbliken; die lächelnde Heiterkeit, mit der sie an jeder Spur der Vergänglichkeit vorübergehen offenbare Jedem, wie sie über der Zeit und der Welt leben; die gewandteste Selbstverleugnung deute an, wieviel sie schon vernichtet haben von den Schranken der Persönlichkeit; und der immer rege und offne Sinn, dem das Seltenste und das Gemeinste nicht entgeht, zeige, wie unermüdet sie das Universum suchen und seine Äußerungen belauschen.Wenn so ihr ganzes Leben und jede Bewegung ihrer innern und äußern Gestalt ein priesterliches Kunstwerk ist, so wird vielleicht durch diese stumme Sprache manchen der Sinn aufgehn für das was in ihnen wohnt.⁴³⁸

Schleiermacher wählt in den Reden den Ausdruck einer „stummen Sprache“, welche dazu geneigt sein kann, den religiösen Sinn der Menschen anzuregen. Diese so verstandene Sprache beinhaltet den gesamten Lebensvollzug. Die heilige Person wird gleichsam durchsichtig für das Unendliche. Die Äußerungen der Reden beziehen sich allerdings auf Geistliche und weiten den Fokus weg vom gottesdienstlichen Geschehen. Im Rahmen des gottesdienstlichen Geschehens wird in der Predigt das wechselseitige Ansichtigwerden nicht-sprachlich vermittelter unterschiedlichster Regungen im Sinne eben einer solchen „stummen Sprache“ dargestellt. Ein so verstandenes Gottesdienstgeschehen ist ein ganzheitliches Ereignis, entsprechend der Einordnung Mädlers, der Gottesdienste bei Schleiermacher als „Er-

 Ebd., 195.  Schleiermacher, Reden, 288.  Ebd., 288 – 289.

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lebnisformen“⁴³⁹ bezeichnet. Neben einem akustischen Reiz wird mit dem Sehen ein optisches Geschehen als komplementärer Eindruck des Menschen hervorgehoben. Zur Erbauung werden als sprachliche Artikulation der Religion neben der nicht näher ausgeführten Rede auch das Gebet, Danklieder und Loblieder angeführt. Diese in der Predigt angesprochenen Gestalten der Äußerung sind spezifische Formen des darstellenden Handelns, wie es im Zentrum von Schleiermachers Gottesdiensttheorie steht.⁴⁴⁰ Die analysierte Predigt hebt hervor, dass zentral für all diese Kommunikationsvollzüge Resonanzen seien, die im religiösen Individuen durch diese Interaktionen ausgelöst werden, so dass auch im verstimmten Individuum schließlich „die dazu stimmenden Saiten“⁴⁴¹ schwingen. Dies ist mit sprachlichen Mitteln nur sehr bedingt zu erwirken, auch wenn eine gewisse Erbauung durch sie für den Prediger denkbar ist. Dies könne geschehen, wenn diese Rede geeignet sei, eine „beßre Stimmung“⁴⁴² darzustellen, was durch das Medium Predigt auch rhetorisch geschehen kann. Primär werde diese jedoch durch die „Wirkungen des gemeinschaftlichen Bekenntnißes der Religion“⁴⁴³ hervorgerufen, in Gestalt von Rede und Stille. Somit sei es der zentrale Zweck des Gottesdienstes als vielschichtiges Kommunikationsgeschehen, dass Menschen sich gegenseitig in ihrer „Mannigfaltigkeit der menschlichen Natur“⁴⁴⁴ ansichtig werden. Religionskommunikation ist nicht nur elementarer Bestandteil des Gottesdienstes, sondern der gesamte Gottesdienst wird als Kommunikationsgeschehen interpretiert. In ihm wird der Mensch dem Menschen zum kommunikativ vermittelten Verweis auf das Göttliche. Nicht der einzelne Ausdruck dieser Religionskommunikation steht im Fokus von Schleiermachers Überlegungen, sondern die Integrationsfunktion dieser Religionskommunikation in sprachlicher und nichtsprachlicher Gestalt. Zweck der damit angestoßenen Religionskommunikation im Gottesdienst ist letztlich die Vermittlung von Individuellem und Ganzem. Damit entfaltet Schleiermacher im letzten Teil zur erbaulichen Dimension des Gottesdienstes zentrale Momente seiner später ausformulierten Gottesdiensttheorie.⁴⁴⁵ Im Zentrum der Predigt steht damit der Gottesdienst als kommunikativ vermittelte Bestärkung religiöser Gesinnungen. Diese erwirkt er, indem in ihm als Anstalt zur

 Inken Mädler, „Schleiermachers Gottesdiensttheorie im Schnittpunkt von Kunst und Religion,“ in Christentum – Staat – Kultur, 147– 163, 149. Mädler stellt dar, inwiefern die Gestaltung des Gottesdienstes, der ein Ort der Vermittlung individueller Erfahrung in die Gemeinschaft ist, mit dem Zweck der wechselseitigen Steigerung individueller Gefühle auf Kunstregeln beruht. Verortet ist der Gottesdienst damit zwischen den beiden kulturellen Sphären von Religion und Kunst.  Ebd., 151.  Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 195.  Ebd., 194.  Ebd.,195.  Ebd., 196.  Die Entfaltung der Gottesdiensttheorie geschieht bei Schleiermacher nicht in einem ausformulierten Stück, sondern erstreckt sich über unterschiedliche Schriften. Vgl. Mädler, „Schleiermachers Gottesdiensttheorie,“ 147.

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Besserung, Befestigung guter Entschlüsse und Erneuerung religiöser Gefühle die individuellen sittlichen Entscheidungen und Vollzüge in die bestärkende, kommunikativ konstituierte Gottesdienstgemeinschaft überführt werden und schließlich beides als Ausdruck eines religiösen Bewusstseins bestimmt wird. Religionskommunikation in Gestalt sprachlicher Vollzüge ist hierbei Mittel der eingangs genannten Bestärkung religiöser Gefühle als Rede, Gebet und Gesang, wobei sie besonders als edukative Rede im Rahmen des Gottesdienstes als Anstalt zur Belehrung explizit entfaltet wird. Allerdings ist der Gottesdienst auch in jenen Teilen kommunikativ verfasst, welche der gemeinschaftlichen Bestärkung der guten Beschlüsse und der Erbauung religiöser Gefühle dienen, wobei hierin vor allem der Wechsel von Sprache und Stille im resonanten Kommunikationsgeschehen des Gottesdienstes ausgedrückt werden.

3.1.3 Rhetorischer Vollzug von Religionskommunikation Gemäß diesem theoretisch begründeten kommunikativen Gottesdienstvollzug ist die Predigt in der gesamten Einleitung wie in den Eröffnungs- und Schlusspassagen der jeweiligen Unterabschnitte durch ein starkes Interesse geprägt, sprachlich einer gemeinsamen Denkbewegung, einer gemeinsamen Erkundung Ausdruck zu verleihen. In diesen Abschnitten überwiegt deutlich die erste Person Plural, was exemplarisch an den ersten Sätzen der Predigt sichtbar wird: Durch Gottes Güte haben wir wiederum das Ende eines Jahres erreicht, und sind gewiß Alle mit dem Nachdenken über das Vergangene beschäftiget. In den Stunden, da wir uns hier zu unserer Erbauung vereinigen, soll dies Nachdenken, durch den Gedanken an Gott geheiligt, eine höhere Richtung bekommen; wir sollen Alles, was uns begegnet ist, als seine weise Fügung ansehen, und uns gewißenhaft fragen, ob wir auch als gute Haushalter alles Gute treu und weislich benuzt haben.⁴⁴⁶

Der Prediger postuliert hier eine gemeinsame Erfahrung, die in einer auf das vergangene Jahr bezogene Reflexivität besteht, und macht sie zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Damit stellt er sich mit der Gemeinde auf eine Stufe im notwendigen Vollzug der folgenden Gedanken. Diese Tendenz wird im Laufe der Predigt fortgeführt, insofern alle weiteren Hauptteile in einer solch kollektivierten Rede anheben und enden. Im ersten Abschnitt werden „Unsere religiösen Zusammenkünfte“⁴⁴⁷ bestimmt und der Effekt dieser Zusammenkünfte als effektive Form gemeinschaftlicher Belehrung beschrieben. Mit einer solchen gemeinschaftlichen Erfahrung, die sich exemplarisch in dem in der Predigt redundant wieder kehrenden „wir Alle“⁴⁴⁸ ausdrückt, hebt auch der zweite Absatz an und schließt mit einer emphatischen Beschwörung einer Gemeinschaft höherer Ordnung, welche die Gemeinde einschließlich des Pre-

 Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 181.  Ebd., 184.  Ebd., 189; 185; 191 f.

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digers über den Gottesdienst hinaus erfüllt. Mit einem Kohortativ beginnt der dritte Hauptteil: „Laßt uns endlich noch darauf merken“.⁴⁴⁹ Damit wird deutlich, dass der Gemeinschaftsgedanke den rhetorischen Vollzug trägt. Gleichzeitig tritt das Ich des Predigers an wenigen Stellen explizit hervor.Welche Funktion diesem zukommt, wird eigens thematisiert: Auch ich möchte, indem ich zum letztenmal in diesem Jahr mit Euch rede, das Meinige beitragen, um diesem wichtigen Geschäft hie und da nachzuhelfen, und am liebsten auf dasjenige aufmerksam machen, was am leichtesten übersehen wird.⁴⁵⁰

Dieser Thematisierung des Selbstverständnisses, das der Rede zu Grunde liegt, ist ein selbstreflexiver Zug zu eigen. Dem Prediger und seiner Rede kommt demnach eine beratende Funktion zu. Er gibt Hinweise und er macht Dinge deutlich. Gelegentlich wird dieses Ich auch explizit gemacht, um Aussagen abzuschwächen, indem sie als subjektive Hoffnung oder Gedanken des Predigers gekennzeichnet werden.⁴⁵¹ Gleichzeitig wird genau an diesen Stellen eine individuelle Position des Predigers deutlich, der seiner Gemeinde mit einer eigenen Überzeugung gegenübertritt. Dadurch wird der Prediger als religiöses Individuum erkennbar. Dies gilt auch in den Mittelstücken der drei argumentativen Hauptteile. Hier wird die Gemeinde appellativ adressiert, als Gegenüber zum Prediger, welchem bestimmte, von der Position und Argumentation des Predigers abweichende Argumentationslinien in den Mund gelegt und entkräftet werden. Im Anschluss an die Textlesung geschieht dies durch einen Einwand gegen die Bedeutung institutioneller Gottesdienste. An anderen Stellen werden der Gemeinde als Gegenüber des Predigers exemplarische Lebenssituationen vorgestellt, welche die eigene Argumentation verdeutlichen oder voranbringen. Auf diese Weise werden die Vorzüge einer institutionellen Belehrung im Gottesdienst im Gegenüber zu einer freundschaftlichen Belehrung herausgestellt. Dies kann konkret sehr lebensweltlich, wie im Falle des Freundes, aber auch auf spekulativerer Ebene geschehen. Ist der Ton der Predigt weitestgehend im Sinne einer Mäeutik gewinnend, kommt in den letzten Passagen durchaus ein exklusiver Zug zum Tragen. Der Prediger wende sich nur an diejenigen, welche ihn auch verstehen.⁴⁵² Dieser Gedanke tritt in der Predigt sonst kaum auf, er macht jedoch deutlich, dass hier ein exklusiver Zug im religiösen Kommunikationskonzept enthalten ist, wie er auch aus der in den Reden artikulierten Notwendigkeit einer Entsprechung der Sinne von Mittler und Adressaten hervorgeht.⁴⁵³ Dieser Gedanke erfährt in der Predigt jedoch insofern eine Abschwä-

    

Ebd., 192. Ebd., 181. Vgl. ebd., 182; 189; 194. Vgl. ebd., 193. Vgl. Kap. II.3.1.1.

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chung, als es sich nicht um eine per se existierende Differenz handelt, sondern diese willentlich begründet und damit auch revidierbar ist. Zwar ist die mit dem Prediger vereinte Gottesdienstgemeinschaft auch nach außen abgrenzbar. Als erfahrungsbasierte Gemeinschaft schließt sie jene aus, „welche diese Gemüthsverfassung nicht kennen möchten“.⁴⁵⁴ Der Prediger spricht mit der Gemeinde auf der Grundlage einer gemeinsamen religiösen Betrachtungsweise der Wirklichkeit, einer Hermeneutik, deren Grundlage es ist, „Alles so anzusehen, wie es von Gott, der es ordnete gemeint war“.⁴⁵⁵ Deutlich wird hier jedoch auch, dass es möglich ist, Teil dieser Gemeinde zu werden, diese Sichtweise kennenzulernen und die hermeneutischen Prämissen zu teilen. Darauf weist hin, dass es eine Willensentscheidung der nicht Zugehörigen ist, diesen Gemütszustand wiederum nicht zu kennen. Durch die Lesung des Predigttextes wird im Einleitungsteil der Predigt neben der adressierten Gemeinde, die den Prediger einschließen kann oder der er stellenweise gegenübertritt, im rhetorischen Vollzug eine weitere Referenzgröße eingeführt. Er hat damit den für Schleiermachers Predigten klassischen Ort am Ende der Einleitung der Predigt. Allerdings gilt für diesen Text, dass er bis auf die Verlesung kaum mehr Beachtung findet. Vielmehr dient er dazu, die Relevanz des Gottesdienstes in den Gedankengang einzubringen. An einigen Stellen werden hingegen indirekt und im Predigtvollzug nicht explizit Bibelstellen zitiert. In Anlehnung an Jer 17,9 wird auf das trotzige und verzagte Herz des Menschen hingewiesen. Es begründet im Argumentationszusammenhang die defizitäre Selbstwahrnehmung des ethisch korrumpierbaren Menschen. Biblische Referenzen dienen auch dazu, ein Bild der adressierten Gemeinschaft zu zeichnen. Im Bild der Gemeinde als göttliche Hausgenossen wird die Gemeinde analog zu Eph 2,19 bezeichnet: „Hier findet Ihr Euch als Bürger im Reiche Gottes mit allen Heiligen und als Gottes Hausgenoßen, und das umfaßt Alles, was Ihr nur irgend leisten könnt“.⁴⁵⁶ Bemerkenswert ist die Aussage zur Gegenwart Gottes in der Gemeinschaft weniger ChristInnen im Schlusssatz der Predigt als Verweis auf Mt 18,20.⁴⁵⁷ Durch den vorherigen Hinweis auf die Notwendigkeit des Verständnisses der Predigt wirkt dieser sonst extensiv zu verstehende Satz, der im Originalkontext eine ermutigende Zusage an die Wenigen ist, wie eine Bestärkung der Exklusivität des Rezipientenkreises. Jene, welche dieses Verständnis nicht aufbringen, sind in die Gemeinschaft dieser zwei oder drei ebenfalls nicht aufgenommen. Dies alles vermittelt die Predigt in einer klaren und eingängigen Sprache. Sie ist in weiten Teilen durch einen argumentativen Stil geprägt. Hinzu kommen zahlreiche rhetorische Fragereihen, die am Ende der Argumentation die zwangsläufige Notwendigkeit der eigenen Position vor Augen führen sollen. Im ersten Hauptteil der

   

Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 193. Ebd. Ebd., 190. Vgl. ebd., 197.

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Predigt wird dieses Mittel bemüht, um die ethische Funktion des Gottesdienstes im Sinne einer Anstalt zur Belehrung herauszustellen: Wird nicht eben hier [im Gottesdienst, Anm. M.S.] dieser menschlichen Unvollkommenheit Hülfe geleistet? werden nicht hier die schwierigen Fragen über Recht und Unrecht nach Anleitung der Heiligen Schrift erörtert? werden hier nicht allgemeine Grundsätze eingeschärft, die uns, wenn wir sie uns gegenwärtig erhalten, überall am sichersten zu einer richtigen Entscheidung leiten?⁴⁵⁸

Die Funktion des Gottesdienstes findet hier eine in Fragen formulierte Zusammenfassung, die im Idealfall durch ihre gelungene Einholung der Hörersituation die Zustimmung der Rezipienten erzielt. Hierzu münden diese rhetorischen Fragereihen in einer konfirmierenden Zusammenfassung. Auf den zitierten Fragencorpus folgt eine Bestätigung des Gesagten, die durch den Ausruf in besonderer Weise hervorgehoben wird: „O gewiß ist jeder, der öfters bisher kam, auch oft gerade über dasjenige, deßen er bedurfte, belehrt von hinnen gegangen“.⁴⁵⁹ Nur in wenigen Fällen weicht die Predigtsprache vom überwiegend argumentativen und bisweilen polemischen Tonfall ab. Es geht in diesen Absätzen um innere religiöse Gefühle und die Überschreitung einer kognitiv einholbaren Wirklichkeit. So am Schluss des zweiten Hauptteils, in dem der Akt der Erneuerung der Entscheidung zum Guten geschildert wird: Hier stellen wir uns Alle vor dem dar, gegen den wir alle Staub sind; ein ehrfurchtsvoller Schauer bei dem lebendigen Gedanken an das allein heilige und weise Gesez Gottes bemeistert sich Aller, fromme Wünsche voll Demuth und Selbsterkenntniß drängen sich aus der Brust der verschiedensten Menschen hervor, und so verschwindet selbst der Unterschied, der dort den Beßeren und Verständigern auszeichnet, Alle verschwistern sich aufs neue als Gefährten auf demselben stürmischen Meere der Versuchungen, als Brüder in der Schwachheit, und Alle werden geneigt einander die Hand zu reichen zur herzlichsten Unterstützung.⁴⁶⁰

Auffällig ist die Verwendung von Metaphern, die in ihrer Bild- und Verweishaftigkeit den Bereich religiöser Ereignisse und Empfindungen kennzeichnen. Das so zu Beschreibende liegt außerhalb präziser Begrifflichkeit und Sprache. Dies gilt sowohl für die indirekte Benennung Gottes als auch für die Beschreibung der Gemeinde, als „Gefährten auf demselben stürmischen Meere der Versuchungen“. Die Empfindungen und Äußerungen, die „frommen Wünsche“ des Menschen werden im Sinne autonomer Akteure dargestellt. Das ganze Ereignis der Bestärkung zum Guten, die Erneuerung des frommen Beschlusses erhält dadurch eine spezielle Dynamik, innerhalb derer die Gemeindeglieder weniger als Akteure, sondern eher als Überwältigte dargestellt werden. So der „Schauer“, der sich der Gemeinde „bemeistert“ und die „Wünsche“, welche „aus der Brust“ hervor „drängen“.

 Ebd., 185 f.  Ebd., 186.  Ebd., 192.

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Die in theoretischer Hinsicht als kommunikative Intersubjektivität gefasste Gemeinschaft wird durch eine im Sinne einer gemeinschaftlich vollzogenen Denkbewegung der Predigt auf der Ebene der rhetorischen Predigtentfaltung eingeholt. Eine klare Struktur und Sprache der Predigt trägt dem Anliegen der Nachvollziehbarkeit Rechnung. Die thematische Entfaltung der Predigt, die sich dem Gottesdienst als notwendige Belehrung, Bekräftigung und Erbauung der religiösen Gesinnungen des Menschen⁴⁶¹ widmet, wird durch einen rhetorischen Vollzug gekennzeichnet, welcher beratenden, hinweisenden und überzeugenden Charakter besitzt. Die Predigt erklärt und belehrt damit über ein angemessenes Gottesdienstverständnis im argumentativen Stil, ohne sich dadurch jedoch in besonderer Weise über die Gemeinde zu erheben. Damit hat die Predigt zum Ziel, im Sinne edukativer Rede der Bedeutung des Gottesdienstes besonders als kommunikatives Geschehen Ausdruck zu verleihen.

3.2 „Die Kraft des Gebetes“ 3.2.1 Historische Einordnung Über Mt 26,36 – 46 predigt Schleiermacher erstmals am Sonntag Reminiscere, dem 21. Februar 1796, in Landsberg an der Warthe. In ihrer im Rahmen der ersten Predigtsammlung Schleiermachers veröffentlichten Druckfassung trägt diese Predigt den Titel Die Kraft des Gebetes, insofern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist ⁴⁶². Näher an der historischen Predigt in Landsberg dürfte der entsprechende Predigtentwurf sein, der jedoch nicht ausformuliert vorliegt. Sein Thema lautet Der Nuzen des Gebets bei wichtigern Vorfällen des Lebens ⁴⁶³, als biblische Textgrundlage verzeichnet der Entwurf Mt 26,39sqs., setzt also drei Verse später ein als die ausformulierte Druckfassung. Im Herbst des Jahres 1796 wird Schleiermacher Landsberg verlassen. Seit seinem Dienstantritt als Hilfsprediger vor gut zwei Jahren hatte sich einiges an seiner biographischen Situation verändert. Schumann, dem der junge Schleiermacher als Hilfsprediger zugeordnet worden war, ist mittlerweile verstorben. Das Verhältnis der beiden Prediger zueinander muss bis zum Tode Schumanns 1795 konfliktbehaftet gewesen sein. Der ältere Prediger hatte mehr als vierzig Jahre in der Gemeinde gearbeitet, hier gab es einigen Veränderungsbedarf. Schleiermacher brachte sich in besonderer Weise beim Religionsunterricht und in der Katechese ein, hierzu befähigte

 Ebd., 183.  Friedrich Schleiermacher, „II. Die Kraft des Gebetes, in so fern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist,“ in Predigten: Erste bis Vierte Sammlung, 25 – 38.  Friedrich Schleiermacher, „X. Am Sonntag Reminiscere über Matthäus 26,39 ff.,“ in Predigten 1790 – 1808, 482– 484.Wie bereits bei der vorherigen Predigt fällt auch hier auf, dass der ursprüngliche Predigtentwurf in Landsberg an einigen Stellen von der in Berlin gedruckten Fassung abweicht. Auch hier ist davon auszugehen, dass es sich um eine für die Druckfassung erfolgte Überarbeitung handelt, auf deren Details im Rahmen der Darstellung von Struktur und Inhalt der Predigt eingegangen wird.

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ihn seine pädagogische Erfahrung, die er im Lehrerseminar und als Lehrer an Gymnasium und Waisenhaus erworben hatte.⁴⁶⁴ Obwohl Schleiermacher von der Gemeinde nach dem Tode Schumanns gerne als Nachfolger gesehen worden wäre und dies auch seinem Wunsch entsprochen hätte, entschied das Kirchendirektorium anders.⁴⁶⁵ Aus verschiedenen Stellen wählt Schleiermacher jene als reformierter Prediger an der Charité in Berlin. Sein Ende Dezember verfasstes Bewerbungsschreiben wird im Folgemonat positiv beschieden. Damit ist zum Zeitpunkt der Predigt über das Gebet klar, dass Schleiermacher seine Stelle in Landsberg verlassen wird. Im Herbst 1796 tritt Schleiermacher die Stelle als Prediger an der Charité an, wo er bis Ende Mai 1802 bleiben wird. In die Zeit seiner dortigen Tätigkeit fallen die beiden weiteren Predigten, die er zur genannten Perikope hält. Ungefähr ein Jahr nach seinem Dienstantritt in Berlin, am 12. März 1797, hält Schleiermacher nachmittags in der Charitékirche zu jenem Text eine Predigt mit dem Thema Welches Betragen ziemt einem Christen, wenn er die Unannehmlichkeiten des Lebens kommen sieht ⁴⁶⁶, wovon ein Predigtentwurf überliefert ist. Ende März 1800 wird im Rahmen einer Betstunde in einem Krankensaal der Charité vormittags eine Predigt zum Thema Ueber die Kraft des Gebetes zur Perikope Mt 26,36 – 46 zu Gehör gebracht, wovon ebenfalls ein Predigtentwurf erhalten ist.⁴⁶⁷ Am Nachmittag desselben Tages predigt Schleiermacher zu Mt 26,36 – 44 in der Charitékirche zu Berlin. Diese Predigt wird explizit als Homilie bezeichnet und trägt die Überschrift Das Verhältniß gegen die Jünger ⁴⁶⁸. Mit dem Ort und dem Zeitpunkt der Predigt ändert sich auch die Adressatenschaft erheblich. In Landsberg an der Warthe als Prediger an der Konkordienkirche war Schleiermacher im Gemeindeamt tätig. Die Charité hingegen ist sowohl Krankenhaus als auch Altenheim und dient zudem als medizinische Ausbildungsstätte. Die unterschiedlichen Textreferenzen als auch die sich jeweils leicht unterscheidenden Themenangaben in den Entwürfen zeigen, dass Schleiermacher zwar unter Verwendung vorheriger Predigtgedanken arbeitet, aber eindeutig Modifikationen und Anpassungen vornimmt. Da jedoch in diesem Fall lediglich die in der Predigtsammlung in Berlin erschienene Fassung ausformuliert überliefert ist, wird diese zur Grundlage der folgenden Analyse gemacht. Die geschilderten unterschiedlichen Predigtkontexte und Zeiträume erschweren die Einordnung in eine konkrete liturgische, jahreszeitliche oder kasuale Redesituation. Offensichtlich ist jedoch, dass die Predigt für die Druckfassung eine Über-

 Vgl. Nowak, Schleiermacher: Leben, Werk und Wirkung, 71.  Vgl. Meckenstock, „Historische Einführung III/3,“ XXIX.  Friedrich Schleiermacher, „XX. Am Sonnt. Reminisc. NM. über Matth. 26,36 sqs.,“ in Predigten 1790 – 1808, 542– 543.  Friedrich Schleiermacher, „XXIII. Sonnt. 23. Merz VM Betstunde, Matth. 26,36 – 46,“ in Predigten 1790 – 1808, 635 – 636.  Friedrich Schleiermacher, „XXIV. Sonntag 23. Merz NM. Matth 26,36 – 44,“ in Predigten 1790 – 1808, 637– 638.

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arbeitung erfahren hat. Auf der Grundlage der gedruckten Textfassung erfolgt die Analyse.

3.2.2 Theoretische Entfaltung von Religionskommunikation Der Einstieg der Predigt ist thetisch: Schleiermacher postuliert die Identität von „[f]romm sein und beten“⁴⁶⁹. Was dies konkret bedeutet, wird in den drei folgenden Sätzen ausgeführt. Der Mensch stelle seine eigenen Gedanken in den Horizont Gottes und begreife die ihn umliegende Welt als sein Werk. Gleichzeitig gelte es, die eigenen Entscheidungen so zu fällen, dass sie in Gottes Namen geschehen könnten, und das Leben im Bewusstsein seiner allgegenwärtigen Aufsicht über das Leben der Menschen zu führen. Aus diesen Ausführungen folgert der Prediger, dass über den „Nuzen des Gebetes“⁴⁷⁰ Einigkeit herrschen müsse. Um dies zu verdeutlichen, verweist er darauf, dass die Gemeinde stets unter der schützenden Kraft des Gebetes gestanden habe, sowohl vor Sünde im eigenen Urteilen als auch vor dem Bösen. Damit wird die ethische Integrität der Gemeinde auf das Gebet zurückgeführt und in Kontrast zu den möglichen negativen Auswirkungen gestellt, welche ohne das Gebet eingetreten wären. Wie das Gebet im Verhältnis zu den menschlichen Wünschen steht, wird daran anschließend erörtert. Diese gelte es, genauso wie die eigenen Gedanken, mit der Vorstellung Gottes in Verbindung zu bringen. Allerdings sei die Erfüllung dieser Wünsche nicht Zweck des Gebetes. Der Prediger warnt sogar davor, leichtfertig die Wünsche als eigentlichen Kern des Gebetes zu betrachten und die etwaige Erhörung als Ausdruck von Gottes Wohlgefallen zu deuten, um nicht in ein Missverhältnis zu Gott zu geraten. Mit dieser im Kern viele Aussagen der folgenden Predigt vorwegnehmenden Einleitung beginnt der Prediger seine Ausführungen zum Gebet. Sie basieren auf der matthäischen Fassung der Perikope von Jesus im Garten Gethsemane. Jesu Gebet fungiert in der Predigt im Sinne eines Paradigmas für die Gemeinde. Das, was für den Sohn gelte, könne auch für die als nachgeordnet anzusehenden Jünger bis heute als wichtig erachtet werden. Die zuvor aufgeworfenen Deutungen der Gebetserhörung als Gnadenerweis, als Kompensationsleitung für fehlendes menschliches Vermögen und Aufweis von Schuldlosigkeit werden an der Person Jesu exemplarisch überprüft. Während zwar für das Gebet der Christinnen und Christen keineswegs die gleiche Wirksamkeit angenommen werden könne wie für das Gebet Jesu, so müsse doch zumindest der umgekehrte Schluss gelten: „was sein Gebet nicht bewirken konnte, das wird das unsrige auch nicht bewirken“.⁴⁷¹ Damit ist der einleitende Gedankengang abgeschlossen, für den folgenden Predigttext ist die zentrale hermeneutische und homiletische Prämisse formuliert. Die nun folgende Predigtperikope Mt 26,36 – 46 hat sowohl aufgrund ihrer inhaltlich herausgearbeiteten Stellung für den

 Schleiermacher, „II. Die Kraft des Gebetes,“ 25.  Ebd.  Ebd., 26.

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Gedankengang als auch hinsichtlich ihrer Länge in Schleiermachers Predigttätigkeit eine exponierte Stellung. In vielen Predigten Schleiermachers und so auch in der analysierten Predigt zum Wert des Gottesdienstes wird der oft sehr kurz ausfallende Predigttext lediglich zur punktuellen Untermauerung oder Bestätigung eines Teilaspekts der Predigt verwendet. Oftmals sind die Predigten Schleiermachers deswegen, gemäß der eingangs eröffneten Typologie der Predigt im 18. Jahrhundert, als synthetische Predigten zu bezeichnen. Für die vorliegende Predigt gilt das nicht. Sie stellt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Predigttext dar und muss deswegen als analytische Predigt verstanden werden, obgleich eine bestimmte thematische Fokussierung im Sinne der einführend entfalteten Fragestellung nach der Wirkweise des Gebetes auch hier vorzufinden ist. Im Anschluss an die Lesung des Predigttextes verweist Schleiermacher auf die unruhige Stimmung des Erlösers, die ihn von seinen Jüngern in das einsame Gebet und zurück treibt. Nachdem Jesus sein Schicksal gekannt und darüber mit seinen Jüngern zuvor gesprochen habe, nimmt sich diese Unruhe für den Prediger ungewöhnlich aus. Dass Jesu Gebet in dieser Situation dem menschlichen Gebet nach Erfüllung der eigenen Wünsche gleicht, erklärt der Prediger damit, dass in einer solch existentiellen Bedrohung sowohl dem gottlosesten als auch dem mutigsten Menschen der Gedanke an Gott kommen müsse. Damit endet die Einleitung der Predigt und von hier aus wird der Prediger „Werth und Kraft eines solchen bittenden Gebetes“⁴⁷² unter zwei Gesichtspunkten reflektieren: Es soll erstens das Gebet Jesu genau untersucht und zweitens daraus Konsequenzen für das eigene Gebet gezogen werden. Die Gedankenführung im ersten Hauptteil widmet sich drei unterschiedlichen Aspekten des Gebetes, die erst argumentativ entfaltet und dann auf den Predigttext hin befragt werden. In einem ersten Schritt ermutigt Schleiermacher die Gemeinde dazu, im Gebet „die wichtigsten Ereigniße […] Gott dem Herrn im Gebet vorzutragen“⁴⁷³. Entgegen dem Einwand, wunschgeleitete Gebete wiedersprächen der Vorstellung vom ewigen Ratschluss Gottes, verweist Schleiermacher entsprechend seiner einleitenden Argumentation auf die Predigtperikope: „Christus hat es gethan, also dürfen wir es auch thun“.⁴⁷⁴ Im Bild der Familienzugehörigkeit hebt Schleiermacher das Recht der Kinder Gottes hervor, mit ihrem Innersten vor ihren Vater zu treten. Mehr noch, er wendet sogar ein, dass gerade dieses Innerste vor dem Vater nicht verborgen werden könne. Ebenso lässt er den Einwand nicht gelten, beten dürfe nur, wer ruhigen Herzens und Gemütes sei. Besonders in ruhigem Zustand könne sich das Gebet als günstig und nützlich erweisen. Denn auch Christus habe in eben jenem Zustand gebetet und so das Gebet als „Maaßregel“⁴⁷⁵ erlebt. Jesus habe sich in der größten Anfechtung an seinen Vater gewendet und dadurch Ruhe erfahren.

   

Ebd., 28. Ebd. Ebd. Ebd. 29.

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Nach dieser Ermunterung zum Gebet zeigt der zweite Absatz des Hauptteils, was das Gebet nicht leisten könne. Dieses diene nicht dazu, Wünsche zu erfüllen, die mittels des Gebetes artikuliert werden. Auch in dieser Hinsicht wird Jesu Gebet der Gemeinde paradigmatisch vor Augen geführt. Jesu Bitte, das Leiden von ihm abzuwenden, sei ebenfalls nicht erhört worden. Deswegen könne die Erhörung von Gebeten grundsätzlich nicht durch wahren Glauben oder Herzensreinheit bewirkt werden. Beides habe für Jesus zugetroffen und dennoch sei ihm das Leiden am Kreuz nicht erspart worden. Wenn die Gebetserhörung nicht der Zweck des Gebetes sein kann, welche Funktion kommt ihm dann zu? Diese Frage wirft die Predigt im dritten Absatz auf und bemüht zur Beantwortung ebenfalls das Beispiel Jesu. Dies ist insofern überraschend, da im Einleitungsteil darauf hingewiesen wurde, dass das Gebet dieser Gemeinde nicht die gleiche Wirkung erhoffen lassen könne wie im Falle Jesu. Der Prediger zeichnet Jesu dreimaliges Gebet am Ölberg nach und verweist darauf, dass Jesus mit jedem Gebet zunehmende Mäßigung erfahren habe, bis er schließlich bestärkt sein Schicksal tragen konnte. Die Wirkung des Gebetes bestehe demgemäß in einer Ermutigung, sich in Gottes Beschlüsse zu fügen, einer Erhebung aus irdischer Ohnmacht, so dass Christinnen und Christen kraftvoll im Vertrauen auf Gottes Schutz leben könnten. Diese Gebetswirkung verankert der Prediger in einer entsprechenden Gotteslehre. Im Folgenden werden Gott die Attribute der Unveränderlichkeit, der Unerforschlichkeit, der alleinigen Weisheit und der Güte zugesprochen und auf Konsequenzen für eine eigene Gebetshaltung hin expliziert. Alle diese Attribute sind dazu geeignet, im Menschen Vertrauen und Ruhe zu erzeugen, um sich dem Willen des Vaters zu unterstellen und darin auch den eigenen Willen zu erkennen. Aus dieser Haltung erwächst die Möglichkeit, alles als Mittel zur „Beßerung und […] Vermehrung des Guten in uns“⁴⁷⁶ zu deuten. Sie verändere den Fokus des Betenden. Es würden fortan nicht mehr die Wünsche des Menschen an den Vater herangetragen, sondern primär werde die Frage nach den Forderungen, die Gott an den Menschen stelle, berücksichtigt. Dieser Frage kann schließlich die Erkenntnis folgen, Gott fordere vom Menschen nichts anderes als Dinge, die er bereits vollbracht und erwirkt habe. Durch diese Erkenntnis werden die einzelnen Betenden schließlich bestärkt, frei den Weg Gottes zu gehen. Damit schließt der erste Hauptteil der Predigt. Der zweite Hauptteil widmet sich weiteren allgemeinen Folgerungen, die sich ebenfalls am Exempel Christi orientieren. In einem ersten Schritt weist der Prediger darauf hin, dass als Konsequenz aus den Ausführungen die Erhörung von Gebeten fortan keine herausgehobene Bedeutung für die Gemeinde haben dürfe. Dies sei Gottes unwürdig, verderbe das eigene Urteil über die Mitmenschen und erzeuge eine falsche Fokussierung in der eigenen Lebensführung. Schließlich könne ein Mensch sich über das Gelingen seines eigenen Lebens freuen, er dürfe dies jedoch gerade nicht als Zeichen der eigenen Redlichkeit betrachten. Denn auch im Misslingen könne ein

 Ebd., 33.

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Mensch rechtschaffen und gottselig sein. Damit gilt, dass das Ergehen des Menschen nicht als „Maaßstab des menschlichen Werthes“⁴⁷⁷ angesehen werden dürfe.Vielmehr habe Jesus gerade im Scheitern den Dienst Gottes erfüllt. Als das einzige und wahre Gebet kennzeichnet der Prediger in einem zweiten Schritt „den Zustand nemlich, wo der lebendige Gedanke an Gott alle unsere anderen Gedanken, Empfindungen und Entschlüße begleitet, läutert und heiliget“.⁴⁷⁸ Darin sieht der Prediger die höchste Form des Gebetes, in welche alle anderen Gebete münden. Sowohl für das Dankgebet als auch für das Bittgebet gelte, dass sie jeweils nur Mittel sein dürften, um das menschliche Gemüt auf das „höhere auszurichten“⁴⁷⁹. Damit wird diesen Gebeten eine gewisse Berechtigung zugesprochen, gleichzeitig relativiert der Prediger ihre Funktion, indem er ihnen einen verweishaften Charakter zuspricht. Als eine Konsequenz wird drittens dargestellt, dass das bittende Gebet eine gänzlich nachgeordnete Rolle spiele. Die Frömmigkeit eines Menschen sei umso größer und aufrichtiger, desto weniger er des Bittgebetes bedürfe und es praktiziere. Letztlich sei ein Bittgebet, das dazu geneigt sei, von Gott dem Menschen entzogene Dinge zu wünschen, Ausdruck einer unvollkommenen Gottesvorstellung. Es integriere unzureichend Gottes Heiligkeit und Weisheit und adressiere lediglich Gottes Allmacht. Das wahre Beten basiere demgegenüber auf einer vollkommeneren Gottesvorstellung.⁴⁸⁰ Auch hier verweist der Prediger erneut auf Jesu Gebet, das durch einen Wunsch des Herzens geprägt sei, „sich einem frommen Nachdenken zu überlaßen“⁴⁸¹. Dieses Nachdenken richte den Menschen auf Gott aus. Davon abgegrenzt wird das formelhafte und ritualisierte Gebet, das bittend und wünschend zwischen all den anderen alltäglichen Ereignissen geschieht, ohne Auswirkungen auf das Leben der Betenden zu haben. So hinterlasse das Gebet nicht einmal eine „Spur“⁴⁸² im Leben der Menschen. Weiter noch: Aus einem Gefühl der Abhängigkeit heraus zu beten, deutet der Prediger als Indiz für den mangelnden Umgang mit Gott und das Fehlen des „Geist[es] des Christenthums“⁴⁸³. Der Mensch richte sich in den unterschiedlichen Lebenslagen auf Gott aus. Das Gebet könne damit ebenfalls Teil des Lebens werden. Es unterscheide sich jedoch von den kritisierten Formen ritualisierter und formelhafter Gebete dadurch, dass es in den je zu unterscheidenden Lebenssituationen in individueller Gestalt das spezifische Verhältnis zu Gott in diesem Moment vergegenwärtige. Inhaltlich wird das wahre Gebet zwischen der konkreten Situation des Menschen und seiner Gottesvorstellung verortet. Diese dürfe jedoch nicht nur die Allmacht

      

Ebd., 35. Ebd. Ebd. Vgl. ebd, 36. Ebd. Ebd., 37. Ebd.

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Gottes berücksichtigen, sondern müsse auch die Weisheit und die Gnade Gottes integrieren. Die Gestalt des Gebetes wird in der Schlusspassage der Predigt offen gehalten. Es könne sowohl ein bloßer Gedanke als auch ein Gefühl sein. Die Predigt endet mit dem herzlichen Wunsch, die Gemeinde möge die Segnungen des wahren Gebetes erfahren. Das Gebet, als eine klassische Form religiöser Rede, wird in der Predigt Schleiermachers sehr zurückhaltend und kaum explizit unter der Perspektive seines rhetorischen Vollzugs behandelt. Die Darstellung folgt vielmehr dem Interesse einer angemessenen Wesensbestimmung des Gebetes und der daraus zu ziehenden Konsequenzen für dessen Wirksamkeit. Das Gebet wird hier – im Kern ein sehr aufklärerisches Interesse – im Sinne eines psychologischen Phänomens behandelt. Dennoch wird die rhetorische Vermittlung des Gebets an einem Punkt der Predigt Gegenstand der Ausführungen. Dies geschieht hinsichtlich des paradigmatischen Vollzuges des Gebetes Jesu. Das Interesse der Ausführungen richtet sich hier auf die zugleich stattfindende innere Entwicklung Jesu, als deren äußerer Ausdruck der rhetorische Vollzug seines Gebetes fungiert. Detailliert geht der Prediger auf diese auch sprachlich stattfindende Entwicklung ein. Auf die Artikulation des eigentlichen Wunsches, dem Leiden zu entgehen, folge die Relativierung desselben, bis Jesus beim dritten Gebet mit dem Anliegen schließe, Gottes Wille möge geschehen. Der Prediger beschreibt diesen Prozess als Mäßigung, die durch den sprachlichen Ausdruck des Inneren befördert werde. Das Gebet, welches damit wiederum mit dem Prediger als „Maaßregel“⁴⁸⁴ verstanden werden kann, befördere eben diese geistige Entwicklung. Als Selbstausdruck könne das Gebet in seiner sprachlichen Gestalt dem Menschen im Prozess der Mäßigung somit durchaus dienlich sein, sie sei jedoch nicht zwangsläufig. Die Schlusspassage der Predigt, welche sich mit dem wahren Gebet beschäftigt, verdeutlicht dies, indem eine Bestimmung des Gebetes durchweg in nichtsprachlicher Gestalt beschrieben wird. Ein herzerhebender Gedanke an den Schöpfer, wenn euer Auge auf seine Werke gerichtet ist mitten unter den stillen Freuden, die Ihr aus seiner Schöpfung genießt; ein den klügelnden Verstand niederschlagender Gedanke an den Beherrscher der Welt mitten unter dem Gespräch über die Schicksale und Unternehmungen der Menschen; ein Gefühl von dem, deßen Ebenbild sich in Euch offenbaret, wenn Ihr Euch von Liebe und Wohlwollen durchdrungen fühlt, mitten unter dem geselligen Genuß dieser menschlichen und schönen Empfindungen; wenn Ihr seine Wohltaten genießt, ein frohes Gefühl seiner Liebe; wenn Ihr Gutes wirkt, ein dankbares Gefühl seines Beistandes; wenn Ihr über seine Gebote nachdenkt, die große Hoffnung, daß Er Euch zu sich erheben will […].⁴⁸⁵

 Ebd., 29.  Ebd., 38.

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Das Gebet ist demnach Gedanke, Gefühl und Hoffnung und damit bei Schleiermacher internalisiert. Schleiermacher sieht im Gebet einen bestimmten „Zustand“⁴⁸⁶, der den Menschen durch sein Gottesbewusstsein transformiert. Dieser kann als Medium der Externalisierung sprachlich artikuliert werden, Sprache konstituiert das Gebet jedoch nicht. Damit dieser Vollzug einem inneren Prozess der Mäßigung menschlicher Wünsche dienen kann, sollte er bevorzugt individueller Ausdruck des Menschen sein. Der formalisierten ebenso wie der ritualisierten Form des Gebetes spricht der Prediger demgegenüber das Potential einer Transformation des Inneren ab, welche er zum notwendigen Konstituens des Gebetes macht. Solle das Gebet unter der Perspektive von Religionskommunikation verstanden werden, müsse es zusammenfassend primär als eine Gestalt internalisierter Kommunikation gedeutet werden, welche den Menschen in seinem Inneren durch ein spezifisches Gottesbewusstsein transformiert. Hierin besteht der Kern des Gebetsverständnisses, wie es in der Predigt von Schleiermacher entfaltet wird. Zu dieser internalisierten Kommunikation kann sekundär und optional die sprachliche Vermittlung hinzukommen. Sie ist dann wiederum individueller Ausdruck einer inneren Haltung, mittels derer die Änderung des Menschen zu Bewusstsein kommt.

3.2.3 Rhetorischer Vollzug von Religionskommunikation Die Predigt adressiert die Gemeinde als Erfahrungsgemeinschaft in der Nachfolge Christi, die den Prediger mit einschließt. Zur sprachlichen Konstitution dieser Gemeinschaft ruft der Prediger im Einleitungsteil den gemeinsamen Erfahrungsschatz einer betenden Gemeinde auf. Daher kann unter uns über den Nutzen des Gebetes gar keine Frage sein; gewiß, gewiß haben wir ihn Alle erfahren. Wenn unsere Freuden oft unschuldig geblieben sind, wo Andere in das Gebiet der Sünde hinüberschweiften, wenn unser Urtheil von Demut und Bescheidenheit geleitet war, wo sonst Stolz und Uebermuth am leichtesten die Oberhand gewinnen, wenn wir bewahrt blieben auch vor dem Bösen, welches der menschliche Verstand sonst nur allzu bereitwillig entschuldigt: so war es die Kraft des Gebetes, die uns so wohltätig beschützt hat⁴⁸⁷.

Die so postulierte gemeinsame Erfahrung der Wirksamkeit des Gebetes hat die Funktion, die Kommunikationssituation zu bestimmen, in welcher der Prediger sich als Teil der Predigtgemeinde geriert. Gleichzeitig wird diese betende Gemeinschaft auch nach außen abgrenzbar. Die eigene durch das Gebet gestärkte ethische Existenz ist dem Prediger zufolge gekennzeichnet durch demütiges und bescheidenes Urteilen und Bewahrung vor dem Bösen. Diese ethische Überlegenheit wird kontrastiert mit Sündhaftigkeit, Stolz, Übermut und Leichtfertigkeit in den Entscheidungen. Der Pre-

 Ebd., 35.  Ebd., 25. Hervorhebung M.S.

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diger inszeniert die Predigt sprachlich als gemeinsames Nachdenken, zu dem er die Gemeinde auffordert.⁴⁸⁸ Im Hauptteil, der stärker argumentative Züge aufweist, tritt das Ich des Predigers deutlicher hervor. Der Prediger tritt der Gemeinde positionell stärker gegenüber und übernimmt die Rolle eines Ratgebers.⁴⁸⁹ Dennoch ist es ein brüderliches Raten, welches immer wieder in die Gemeinschaft überführt wird und einen werbenden und einladenden Charakter aufweist. So bittet, ermuntert und ermahnt der Prediger seine Gemeinde, seinen Gedanken und Ratschlägen zu folgen.⁴⁹⁰ Die Gesamtausrichtung dieser Gemeinschaft besteht in der gemeinsamen Gotteskindschaft⁴⁹¹, die Rede erfolgt im Vertrauen auf die Nachfolge Christi im Gebet. In diesem Bild steht besonders die innige Beziehung zu einem Vater im Vordergrund, welche zum Gebet ermutigen soll. In Bezug auf sein Beten vertraut der Prediger auf das Gebet Christi, welches paradigmatisch den Rahmen für das eigene Gebet darstellt.⁴⁹² Besonders der Einleitungsteil bildet eine rhetorisch durchkomponierte Einheit. Die Predigt leitet mit einer These zum Gebet ein. In der Hinführung zum Text liefert sie dabei zentrale inhaltliche Kernpunkte der Gebetstheorie. Gleichzeitig wird das Gebet auf sehr konkrete Weise dargestellt, wie es die zitierte Passage verdeutlicht. In doppelter Weise ist damit die Gemeinde an das Geschehen herangeführt: sowohl durch das thetische Postulat als auch durch die situative Anknüpfung an eigene Erfahrungen. Homiletisch hat der Prediger damit, so ihm dies in der empirischen Heranführung gelungen ist, seine theologische Pointe mit der Wirklichkeit der Gemeinde verbunden. In dieser Perspektive, der wahren Bestimmung des Gebetes als Frömmigkeit und der Wirksamkeit dieses Gebetes im Sinne ethischer Integrität, führt der Prediger das für ihn problematische Wünschen ein, welches in Form des Gebetes oftmals vor Gott gebracht wird. Seiner Gemeinde bieten diese einführenden Gedanken den hermeneutischen Rahmen, innerhalb dessen er in auffordernder Rede dazu einlädt, die Frage der Wirksamkeit des Gebetes gemeinsam zu bedenken. Indem der Prediger an dieser Stelle den biblischen Text einführt, stellt er auch die Gemeinde in den Zusammenhang der Jüngerschaft Jesu. Sie wird jedoch nicht mit den in dieser Situation versagenden Jüngern Jesu gleichgesetzt. Sondern es gilt, am Beispiel Jesu die Wirksamkeit des eigenen Gebetes zu reflektieren. Dieses Vorgehen ist für die Predigten Schleiermachers deswegen ungewöhnlich, weil er sich in ausführlicher Weise mit dem vergleichsweise langen biblischen Text auseinandersetzt, mit dem klaren hermeneutischen Zugang, die Wirksamkeit des eigenen Gebetes nicht über die Wirkung des Gebetes Jesu stellen zu können. Homiletisch erreicht der Prediger für die Hörer durch diese Hinwendung zum auf der sachlichen Ebene des Wunsches scheiternden Gebet Jesu eine Abstraktionsebene, welche die Möglichkeit eröffnet, die Re    

Vgl. ebd., 26. Vgl. ebd., 28. Vgl. ebd., 29. Vgl. ebd., 28. Vgl. ebd., 26.

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flektion an dieser anderen Position zu orientieren. Dadurch erfüllt die Predigt über Die Kraft des Gebetes die Funktion, eine „Anstalt der Belehrung“⁴⁹³ zu sein, wie sie in der analysierten Predigt Schleiermachers Über den Werth des Gottesdienstes dargestellt wird. Das Bitten Jesu am Ölberg wird in Schleiermachers Predigt zum Gebet dazu genutzt, die Grenzen und den Missbrauch des Gebetes zu kennzeichnen. Den Hörern erleichtert er den Zugang zu dieser Kritik auf zweierlei Weise: Er bettet seine Gedanken erstens kommunikativ und rhetorisch in eine gemeinsame Denkbewegung, zu welcher er die Gemeinde einlädt. Gleichzeitig stellt er diese jedoch in den Rahmen seiner theologisch positionellen Überlegungen der Identität von Frömmigkeit und Gebet. Indem er die Gemeinde als Gottes Kinder adressiert, bemüht er deutlich das Bild der sich an den Vater wendenden Kinder, welchen das Bitten per se nicht abgeschlagen werden kann. Obgleich er die Predigt mit einer deutlich positionell geprägten These eröffnet, stellt er sich im rhetorischen Vollzug der Predigt an die Seite der Gemeinde. Im Rahmen dieser Rede kann der Prediger auch mit dem Wunsch schließen, die Gemeinde möge die Segnungen des wahren Gebetes genießen. Zweitens nutzt er Jesus als das Paradigma eines vermeintlich scheiternden Betenden. Er ermöglicht der betenden Gemeinde die Identifikation mit dem Beter Jesu – so dieser ein Bittgebet sprechen kann, sei es auch der Gemeinde möglich. Doch solle dieses ein vorübergehendes Gebet sein. In der Betrachtung Jesu lenkt er die Aufmerksamkeit auf die sich in Jesu Innerem abspielende Transformation, welche schließlich zur völligen Abwendung vom ursprünglichen Wunsch, der Abwendung des Leidens, führt. Als erbauliche und edukative Rede vermittelt die Predigt ein Gebetsverständnis, welches die Lebenssituation für eine individuelle Gottesbeziehung transparent werden lässt, woraus eine Transformation der inneren Haltung resultiert.

4 Rede als ‚Erbauung und Edukation‘ Sowohl der Gottesdienst als auch das Gebet werden in den beiden analysierten Predigten Friedrich Schleiermachers über den Werth des öffentlichen Gottesdienstes und Die Kraft des Gebetes, in so fern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist als Religionskommunikation theoretisch entfaltet. Die Ergebnisse der vorangegangenen Analyse werden nun unter dem Begriffspaar ‚Erbauung und Edukation‘⁴⁹⁴ zusammengefasst. Insofern stimmen die hier angestellten Analysen mit dem Befund Manuel Stetters überein, der in seinem argumentationsanalytisch und komparativ aufgestellten Aufsatz in den Predigten  Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 184.  Auch hier sei darauf hingewiesen, dass den Predigten unterschiedliche Redeintentionen inhärent sind, wenngleich dies hier nicht in demselben Maß der Fall ist wie bei den Reden. Mit dem Begriffspaar ‚Erbauung und Edukation‘ werden die der Analyse nach am deutlichsten hervortretenden Aspekte aufgenommen.

4 Rede als ‚Erbauung und Edukation‘

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Schleiermachers eine „Dialektik von argumentativer Reflexivität und religiöser Erbaulichkeit“⁴⁹⁵ identifiziert. Diese Dialektik fasst Stetter schließlich in den Begriffen von „Argumentation und Erbauung“⁴⁹⁶ zusammen. Die hier vorliegende Studie bündelt die Grundtendenz in Schleiermachers Predigten auf der Grundlage der beiden Predigten über Gottesdienst und Gebet davon in einer Nuance abweichend. Anstatt von Argumentation zu sprechen, wird hier der Begriff der Edukation verwendet, der den Aspekt intendierter wechselseitiger Bildung und Belehrung deutlicher hervorhebt. Im Zentrum der Gottesdienst- und der Gebetstheorie steht die kommunikative Vermittlung religiösen Bewusstseins, wobei dies im Gottesdienst in den größeren Zusammenhang gemeinschaftlicher Vollzüge eingezeichnet wird und am Gebet vor allem der transformative Charakter dieser Darstellung für das Individuum im Zentrum der Überlegungen steht. Für den Gottesdienst, der in der Predigt als Belebung und Befestigung religiöser Gesinnungen mittels eben jener Selbstdarstellung bestimmt wird⁴⁹⁷, zeigt sich, dass Religionskommunikation in sprachlichem und nicht-sprachlichem Vollzug einen zentralen Stellenwert besitzt. Die nach Funktionen unterschiedenen drei Dimensionen des Gottesdienstes als Anstalt zur Belehrung, Ermunterung zur Besserung und Belebung sowie Erhöhung der religiösen Gefühle weisen jeweils differente Kommunikationsvollzüge auf. Die sprachlich vermittelte Kommunikation wurde hierbei besonders für den Gottesdienst als Belehrungsanstalt profiliert benannt, welche im Sinne edukativer Rede eine umfassende individuelle Vervollkommnung zum Ziel hat. Für die beiden anderen Dimensionen des Gottesdienstes wurde die besondere Bedeutung nicht-sprachlicher Kommunikationsvollzüge aufgezeigt, wobei auch hier Gebete und Lieder einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Alle diese Formen sind in ihrer Äußerung auf Resonanzen ausgerichtet, die in den anderen Gottesdienstbesuchern hervorgebracht werden sollen. Das Gebet, das in der kirchlichen Tradition eine der zentralen Formen gottesdienstlicher Praxis darstellt, wird in der analysierten Predigt nur sehr zurückhaltend in seinem sprachlichen Vollzug thematisiert. Die Bestimmung des Gebets erfolgt in der Predigt zunächst über die Identifikation von „Fromm sein und Beten“⁴⁹⁸. Das Gebet ist somit primär eine Gestalt internalisierter Selbstkommunikation, welche im Menschen durch das Bewusstsein von Gott zu einer Veränderung führt: Im Gebet erfahre der Mensch Ermutigung, sich Gottes Beschlüssen zu beugen und ist damit der irdischen Ohnmacht entzogen. So erfährt der Mensch schließlich Bestärkung für sein gegenwärtiges Leben unter Gottes Schutz. Der Kern des Gebetsverständnisses, wie es in Schleiermachers Predigt entfaltet wird, besteht im transformativen Moment. Diese Transformation kann auch durch ein gesprochenes Gebet gewirkt werden, allerdings    

Stetter, „Argumentation und Erbauung,“ 78. Ebd. Vgl. Schleiermacher, „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 183. Schleiermacher, „II. Die Kraft des Gebetes,“ 25.

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III Friedrich Schleiermachers Predigten

ist diese Externalisierung lediglich Ausdruck des sich innerlich vollziehenden Wandels, welcher den Kern des Gebetes bestimmt. Als sprachlicher Ausdruck soll dieses Gebet individueller Ausdruck des Menschen sein; den Vollzug ritualisierter und formalisierter Gebete lehnt Schleiermacher ab, da durch ihn gerade jene innerliche Transformation nicht gewirkt werden könne. Sowohl Gottesdienst als auch Gebet sind damit als spezifische Gestalten von Religionskommunikation zu verstehen, welche innerhalb der Predigten theoretisch entfaltet wurden. Der rhetorische Vollzug von Religionskommunikation durch die Predigten zeigte für die beiden analysierten Predigten ein ähnliches Ergebnis. Sie sind Religionskommunikation in einem sehr formalisierten und logisch durchdrungenen Sinn. Der Aufbau der Predigten ist stets gleich. Einem Exordium, das bereits die Predigt in nuce beinhaltet, folgt eine dreiteilige Durchführung der Predigt. Im Verlauf bleibt diese stets präsent, weswegen Saul in seiner Analyse von Schleiermachers Pfingstpredigten zu der Einschätzung kommt, die Predigten seien mitunter „überdisponiert“⁴⁹⁹.Wie die Reden weisen auch die Predigten – das fiktive Auditorium der literarisierten Rede weicht den tatsächlichen GottesdienstbesucherInnen – eine dialogische Form auf. Mit der Anrede als Kinder Gottes und Gottes Hausgemeinschaft wird ein brüderlicher Kommunikationsvollzug konstituiert, der die Gemeinde in eine gemeinsame Denkbewegung von Prediger und Predigthörer integriert. Gegenargumente werden als Mittel aufgenommen, die eigene Argumentation voranzutreiben. Die Sprache der Predigten ist klar und unprätentiös. Es überwiegen parataktische Satzverbindungen, auffallend oft werden diese wiederholend ähnlich begonnen. So erhalten die äußerst stringent gehaltenen Predigten einen Takt und Rhythmus. Der Charakter der Predigten ist deswegen überwiegend auf Überzeugung angelegt. Diese dient dazu, den BesucherInnen ein angemessenes Verständnis des Gebetes und des Gottesdienstes nahezubringen, zum Zweck eines gesteigerten Nutzens für das Individuum, so dass auch im Rahmen dieser Untersuchung die „moralische Selbstverantwortung des empirischen Individuums“⁵⁰⁰ als zentrales Thema der hier analysierten Predigten Schleiermachers bezeichnet werden kann. Präzisierend muss hinzugefügt werden, dass diese Selbstverantwortung in der umfassenden Perspektive christlicher Lebens- und Weltdeutung thematisiert wird. Obgleich im Zentrum der theoretischen Entfaltung der Predigten am Gegenstand des Gottesdienstes und des Gebetes vor allem die Darstellungen des Selbst als mittelbare und verweisende Darstellung thematisiert wurden, haben die Predigten in ihrem Vollzug eine deutlich edukative Akzentuierung. Damit verfolgen die Predigten ein klares pädagogisches Anliegen. Von hier aus wird deutlich, dass der theoretische Anspruch von Religionskommunikation zu weiten Teilen auch mit ihrem Vollzug der Predigt als Spezialfall  Nicholas Saul, „Prediger aus der neuen romantischen Clique“: Zur Interaktion von Romantik und Homiletik um 1800 (Würzburg: Königshausen und Neumann, 1999), 45.  Christoph Meier-Dörken, Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, Theologische Bibliothek Töpelmann 45 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1988), 257.

4 Rede als ‚Erbauung und Edukation‘

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einer rhetorisch vollzogenen Religionskommunikation übereinstimmen. Ruth Conrad hat in ihrer Habilitationsschrift an anderem historischen Material deutlich gemacht, dass „jede Homiletik […] etwas über das ihr zugrunde gelegte Wirklichkeits- und Christentumsverständnis“⁵⁰¹ aussagt. Betrachtet man nun die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation, wie sie anhand der Predigten als eine verallgemeinerte Homiletik aufgezeigt wurde, so kann dem auf der Grundlage der hier durchgeführten Analyse zugestimmt werden. Mehr noch, dieses zu Grunde liegende Wirklichkeitsund Christentumsverständnis findet nicht nur in einer Homiletik ihren Niederschlag, sondern eben auch dem dieser Theorie korrelierenden sprachlichen Vollzug, wie es beispielsweise an der inhaltlichen Ausgestaltung der Kommunikationssituation deutlich wurde. Angesichts dieses Befundes ist es überraschend, dass Schleiermachers Predigten als romantisch bezeichnet werden.⁵⁰² Die Argumente, auf die sich diese Einschätzung stützt, beziehen sich vornehmlich auf den theoretischen Anspruch, der für die Religionskommunikation in den Reden erhoben wird, aber nicht auf den tatsächlichen Vollzug der Religionskommunikation in den Predigten. Auf das Verhältnis beider wird im Folgenden eingegangen.

 Ruth Conrad, Kirchenbild und Predigtziel: Eine problemgeschichtliche Studie zu ekklesiologischen Dimensionen der Homiletik, Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 11 (Tübingen: Mohr Siebeck 2012), 438.  Vgl. Saul, „Prediger aus der neuen romantischen Clique,“ 45.

IV ‚Darstellung und Verweis‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee Schleiermacher steht im Jahr 1799 an einer biographischen Schwelle, die er selbst noch nicht vollends zu deuten im Stande ist. Mitte April äußert er in einem Brief an seine Freundin Henriette Herz seine Verwunderung über die literarischen Erträge dieses Jahres: Daß zugleich mit der Religion eine Predigt von mir erscheint ist wunderlich genug; mein Name steht da zwischen lauter großen Theologen und Kanzelrednern, und der Buttmann hat sich, um das zu entschuldigen erdreistet in der Vorrede zu sagen: „ich sei in Berlin meiner Talente und Kenntnisse wegen allgemein geschätzt.“ Die Fragmente, die Predigt, die Religion und der Kalender machen zusammen eine wunderliche Entreé in die literarische Welt. Was doch noch aus mir werden wird in diesem zeitlichen Leben.⁵⁰³

Tatsächlich stellt die Breite der Wirksamkeit Schleiermachers besonders um 1800 für die Interpretation insofern eine Herausforderung dar, als der geistige Zusammenhang bzw. das Verhältnis der unterschiedlichen Schriften zueinander sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Für Wilhelm Dilthey stellt in seiner epochalen Biographie Schleiermachers das inhaltliche Verhältnis der zu den im Jahr 1801 erschienenen Predigten ein „merkwürdiges Rätsel“⁵⁰⁴. Die Reden werden auch in ihrer umstrittenen Gestalt zu einem der großen klassischen Texte protestantischer Theologiegeschichte, demgegenüber sind die Predigten mit deutlicher Verzögerung Gegenstand eines gesteigerten Forschungsinteresses geworden. Karl Barth schlägt in der Göttinger Vorlesung über Die Theologie Schleiermachers 1923/24 vor, in den Predigten Schleiermachers „den Schwerpunkt seiner Tätigkeit“⁵⁰⁵ zu suchen. In dieser Zuspitzung bleibt diese These unberücksichtigt. In der Forschungsgeschichte wurden lange die Predigten und die Reden in einer schroffen Gegenüberstellung skizziert.⁵⁰⁶ Dies wurde befördert durch einen oftmals

 Friedrich Schleiermacher, „Brief 633, An H. Herz. Potsdam, Dienstag 16.4.1799,“ in Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849), KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond (Berlin/ New York: Walter de Gruyter, 1992), 94– 95, 95.  Dilthey, Leben Schleiermachers (1870), 433. Diese Ansicht nimmt er insofern zurück, als er jenseits des aufklärerischen Stils der Predigt eine „Grundform religiösen Erlebens“ erkennt, die auch den Reden und den Monologen zu Grunde liege (434).  Karl Barth, Die Theologie Schleiermachers: Vorlesung Göttingen Wintersemester 1923/1924. Karl Barth Gesamtausgabe II: Akademische Werke 1923/25, hg. v. Dietrich Ritschl (Zürich: Theologischer Verlag, 1978), 10.  Für die Interpretationsgeschichte der Predigten waren lange Zeit zwei Paradigmen von zentraler Bedeutung, die jedoch beide in problematischer Weise die inhaltliche Wahrnehmung der frühen Predigten Schleiermachers verhinderten (vgl. Meier-Dörken, Die Theologie der frühen Predigten https://doi.org/10.1515/9783110640960-006

IV Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee

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rein von dogmatischen Kategorien entwickelten Zugang zu den Predigten⁵⁰⁷, wobei es Hans-Joachim Birkners Verdienst ist, die Probleme einer solchen Zugangsweise herausgearbeitet zu haben. Er macht deutlich, dass es in der Auseinandersetzung mit Schleiermacher geboten ist, die eigenen „Deutebegriffe“ von Schleiermachers „Systembegriffen“⁵⁰⁸ zu unterscheiden. Die Einschätzung der theologischen Bedeutung der Predigten für das Denken Schleiermachers drückt sich auch in der Art der Referenz auf sie aus.⁵⁰⁹ Die frühen Predigten Schleiermachers ziehen Eilert Herms⁵¹⁰ und Günter Meckenstock⁵¹¹ in ergänzender Weise für ihre Untersuchungen heran. Unter den aktuellen Arbeiten, die besonders durch die Herausgabe der Predigtbände der Kritischen Gesamtausgabe begünstigt werden, steht Peter Grove für eine Position, die den Predigten durch ihren spezifischen Kommunikationskontext bedingt eher geringeren Aussagewert für das philosophische System Schleiermachers beimisst.⁵¹² Das Vorgehen Bernd-Holger Janssens hingegen nimmt die Weihnachtspredigten Schleiermachers als eigenständige theologische Arbeiten ernst und zeigt auf der Grundlage des theologisch-philosophischen Systems Nähe und Distanz der Predigten hierzu auf.⁵¹³ Ebensolches gilt auch für die Arbeit Dorothee Godels, deren Analyse sich wiederum ausschließlich auf Predigten Schleiermachers und historische Referenztexte bezieht.

Schleiermachers, 3 f.). Einerseits wurden die Kategorien eines Eso- bzw Exoterismus der Predigten und der Reden mit wechselnden inhaltlichen Füllungen und Zuordnungen diskutiert. Schleiermacher selbst verwendet diese Kategorien in einem Brief an Carl Gustav von Brinkmann vom 14. Dezember 1803: Friedrich Schleiermacher, „Brief 1612, An C. G. von Brinkmann. Stolp, Mittwoch, 14.12.1803,“ in Briefwechsel 1803 – 1804 (Briefe 1541 – 1830), KGA Abt. V Bd. 7, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2005), 150 – 159, 152. Hier unterscheidet Schleiermacher das „Esoterische des Heilands und der Gemeine“ von der negativ zu beurteilenden exoterischen Christologie und Theologie. Exemplarisch für die Verwendung dieser beiden in der Forschung sei hier verwiesen auf: Sommer, Schleiermacher und Novalis, 59 ff.; Paul Seifert, Die Theologie des jungen Schleiermacher (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1960), 116 f. Andrerseits wurden die frühen Predigten als Ausdruck einer „kritisch-relativierenden“ Haltung zum christlichen Glauben von einer „positiv-absoluten“ Phase unterschieden. Vgl. Meier-Dörken, Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, 4.  Vgl. ebd., 6.  Hans-Joachim Birkner, Theologie und Philosophie: Einführung in die Probleme der Schleiermacher Interpretation (München: Kaiser, 1974), 19.  Vgl. für diese Systematisierung der Forschungsbeiträge: Godel, Predigt als Vermittlung, 4 f.  Vgl. Herms, Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher, 112– 117.  Vgl. Günter Meckenstock, Deterministische Ethik und kritische Theologie: Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789 – 1794, Schleiermacher-Archiv 5 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1988), 168 – 180.  Vgl. Grove, Deutungen des Subjekts, 39, Fußnote 81.  Vgl. Bernd-Holger Janssen, Die Inkarnation und das Werden der Menschheit: Eine Interpretation der Weihnachtspredigten Friedrich Schleiermachers im Zusammenhang mit seinem philosophisch-theologischen System, Marburger Theologische Studien 79 (Marburg: N. G. Elwert, 2003), 131– 322.

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IV Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee

Die hier vorliegende Untersuchung hat ihren Ausgangspunkt bei den Reden Schleiermachers genommen, untersucht die Predigten jedoch als eigenständige Größen. Nachdem die Predigten in dieser Arbeit nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, kann es nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, in umfassender Weise eine Verhältnisbestimmung von Reden und Predigten vorzunehmen. Allerdings ist es möglich auf der Grundlage der Analyseergebnisse Perspektiven auf ein solches Verhältnis zu eröffnen. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit der von MeierDörken vorgetragenen Forschungsposition. In seiner Dissertationsschrift untersucht er die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers und bestimmt in einem abschließenden Kapitel das Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften, das heißt zu den Reden und den Monologen. Predigten und frühromantische Schriften stehen nach seiner Analyse in einem komplementären Verhältnis. Die in den Reden entworfene Predigttheorie, die er als „Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit zur Bildung von individuellem religiösen Sinn“⁵¹⁴ versteht, verlange nach konkreten Beispielen, welche die Predigten als Veranschaulichung und Darstellung von religiösem Sinn leisten würden. Damit sieht Meier-Dörken in der ersten Predigtsammlung überhaupt erst den Abschluss einer frühromantischen Religionstheorie und Ethik. Die Predigten und die Reden in einem komplementären Sinn zu verstehen, ist auch auf der Grundlage der bisher erfolgten Analysen sinnvoll. Indem die Reden hier jedoch weniger als Frage nach dem religiösen Sinn und stärker als Antwort auf die Frage nach einem angemessenen Kommunikationsprogramm für die Religion gelesen werden, gilt es dies zu präzisieren. Was die theoretischen Antworten auf die Frage nach Religionskommunikation angeht, so lässt sich dies nur am Gottesdienst vergleichen, da die Reden keine konkreten Aussagen über Gebete machen. In den Reden wurde religiöse Geselligkeit im Sinne einer komplementären Religionsgemeinschaft bestimmt, welche zur gegenseitigen Erbauung dient. Schleiermachers Predigt zum Gottesdienst in ihrer in den Druck gegangenen überarbeiteten Fassung fügt dem noch zwei weitere ethisch akzentuierte Aspekte hinzu. Außerhalb der erbaulichen Stärkung des religiösen Sinnes dient der Gottesdienst zur Besserung und zur Ermunterung zum Guten. Im Sinne vollzogener Religionskommunikation weisen Predigten und Reden jedoch eine voneinander abweichende Kommunikationsprogrammatik auf, die es im Kapitel zur modelltheoretischen Einordnung von Reden und Predigten genauer zu bestimmen gilt. Als beiden gemein ist jedoch festzuhalten, dass sowohl die Predigten als auch die Reden ein spezifischer Kommunikationsvollzug in einer aufeinander abgestimmten Redner-Adressaten-Situation sind. Sowohl die Predigten als auch die Reden artikulieren ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Kongruenz von Redner und Adressaten. In den Reden kommt dies darin zum Ausdruck, dass jedes religiöse Individuum eines ihm sinnlich entsprechenden Mittlers bedarf. Diese theoretische Annahme wird am Schluss der fünften Rede in die Aussagen von der geheimen Sprache überführt.

 Meier-Dörken, Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, 276.

IV Religionskommunikation bei Friedrich Schleiermacher – Zwischenresümee

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Schleiermachers Predigt über den Werth des öffentlichen Gottesdienstes beinhaltet die Spitzenthese, der Prediger spreche nur mit denen, die ihn verstehen. In diesen Äußerungen kommt allerdings kein elitäres Selbstbewusstsein der redenden religiösen Individuen zum Ausdruck. Vielmehr besitzt Schleiermachers Programm der Religionskommunikation in beiden Gestalten eine Sensibilität für eine diese Kommunikation tragende soziale, sprachlich vermittelbare Rückbindung. Religionskommunikation kann nur dann vermittelnde, erbauende und edukative Rede sein, wenn sie durch eine spezifische Kongruenz der Religiosität gekennzeichnet ist.

V Bildung des Individuums. Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs Die bisherige Untersuchung hat den Vollzug von Religionskommunikation durch Schleiermachers Reden und ausgewählte Predigten thematisiert. Gleichermaßen wurde die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation untersucht. Für die hier ermittelten Modelle von Religionskommunikation wurden in diesem zweifach gefassten Analyseprozess zwei unterschiedliche Signaturen ermittelt. Die Reden sind demnach ‚Darstellung und Verweis‘, demgegenüber dienen die Predigten der ‚Edukation und Erbauung‘. Schleiermachers Briefwechsel stellen ebenfalls kommunikative Vollzüge dar. Sie sind damit in dieser Hinsicht mit den Reden und Predigten zu vergleichen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass im Medium des Briefes noch viel weniger als in den Predigten eine konsequente Kommunikationstheorie entwickelt wird. Folglich ist der Gegenstand der Untersuchung in diesem Kapitel auf der Ebene der theoretischen Entfaltung eine teilweise implizite und freie Reflexion über Kommunikation. Des Weiteren befasst sich Schleiermacher in seinen Briefen anders als in den Predigten und Reden weniger explizit mit dem Thema Religion, oder überhaupt mit theologischen Fragestellungen. Simon Gerber teilt diesen Befund für Schleiermachers Briefwechsel aus den Jahren 1808 – 1810 und analysiert und interpretiert diese aus kirchenhistorischem Interesse dennoch als „Zeugnisse der gelebten Religion“⁵¹⁵ und somit als theologisch relevante Quellen. In den untersuchten Briefen sind kaum Anhaltspunkte für die Entfaltung eines Konzeptes von Religionskommunikation zu finden. Insofern werden Schleiermachers Briefwechsel im Zusammenhang dieser Arbeit, deren Gegenstand die theoretische Entfaltung und der praktische Vollzug von Religionskommunikation ist, lediglich in einem Exkurs behandelt.⁵¹⁶ Die umfassende, differenzierte und systematische Erschließung dieser Briefe stellt ein Desiderat der Forschung dar, wofür die intensiv verfolgte Briefforschung für das 19. Jahrhundert eine gute Grundlage bildet.⁵¹⁷ Eine solche Untersuchung könnte die

 Simon Gerber, „Religiöses in Schleiermachers Briefen,“ in Wissenschaft, Kirche, Staat und Politik: Schleiermacher im preußischen Reformprozess, hg. v. Andreas Arndt, Simon Gerber und Sarah Schmidt (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2019), 291– 306, 292.  Anstoß für die Beschäftigung mit den Briefwechseln Schleiermachers war eine Lesung zur frühromantischen Briefkultur, die mit Markus Bleeke und Rebecca Scherf und in engem Austausch mit meiner Doktormutter Miriam Rose im Schiller’schen Gartenhaus in Jena inszeniert wurde. Sie fand im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität im November 2013 statt. Für den geselligen Austausch in diesem Forum bin ich dankbar.  Vgl.: Karl Heinz Bohrer, Der romantische Brief: Die Entstehung ästhetischer Subjektivität (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989); Annette C. Anton, Authentizität als Fiktion: Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert (Stuttgart/Weimar: Metzler, 1995); Robert Vellusig, Schriftliche Gespräche: Briefkultur im 18. Jahrhundert (Wien: Böhlau, 2000); Johannes Anderegg, Schreibe mir oft! Zum Medium Brief zwihttps://doi.org/10.1515/9783110640960-007

V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

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bislang vor allem biographisch und historisch fruchtbar gemachten Briefe Friedrich Schleiermachers, die in der Kritischen Gesamtausgabe der Schriften Schleiermachers in der Abteilung V seit 1985 erscheinen, auch in ihrem theoretischen und systematisch-theologischen Gehalt erschließen. Zu überprüfen wäre die Möglichkeit, die Briefe in ihrem Verhältnis zur Kulturgeschichte zu ermessen: in ihrem Kontext und als Ausdruck derselben.⁵¹⁸ Hierzu wäre es besonders hinsichtlich der hier verfolgten Fragestellung lohnend, auch den Aspekt der spezifischen Materialität von Briefen zu berücksichtigen, welcher im hier gegebenen Rahmen einer Exploration unreflektiert bleibt.⁵¹⁹ Die vorliegende Skizze macht Anschlussstellen für ein solches Forschungsvorhaben deutlich, bleibt jedoch besonders hinsichtlich der Quellengrundlage punktuell und kann damit nicht den Anspruch erheben, repräsentativ für die umfassenden Briefwechsel Schleiermachers zu stehen. Einen orientierenden Einblick in diese Korrespondenzen gibt Andreas Arndt im Rahmen des Schleiermacher Handbuches. Unter den Prolegomena des Buches macht er deutlich, dass Schleiermachers Briefwechsel in der Tradition unterschiedlicher Gestalten und Formen der Briefkultur um 1800 stehen.⁵²⁰ Dies wird auch an den beiden im Folgenden analysierten Briefen deutlich.

schen 1750 und 1830: Mit einem Beitrag von Edith Anna Kunz (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001); Tanja Reinlein, Der Brief als Medium der Empfindsamkeit: Erschriebene Identitäten und Inszenierungspotentiale (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2003); Jörg Schuster und Jochen Strobel, Hg., Briefkultur: Texte und Interpretationen. Von Martin Luther bis Thomas Bernhard (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013); Katharina Fürholzer und Yulia Mevissen, Hg., Briefkultur und Affektästhetik (Heidelberg: Winter, 2017).  Vgl. Jörg Schuster und Jochen Strobel (Hg.), „Briefe und Interpretationen: Über Ansätze zu einer Geschichte der Briefkultur und über die Möglichkeit kulturhistorischer Skizzen mittels Brieflektüren,“ in Briefkultur: Texte und Interpretationen, XIII.  Die Bedeutsamkeit dieser Materialität für das Ereignis Brief betonen am gegenwärtig werdenden Ende einer „Epoche der Post“ Anne Bohnenkamp und Waltraud Wiethölter. Die Ausstellung „Der Brief – Ereignis und Objekt,“ aus deren Katalog das Zitat stammt, dokumentierte auf eindrückliche Weise, wie Briefpapier, Schreibgeräte, Handschrift, Topologie, Ikonographie, Briefbeigaben, Versendetechniken, Schreib- und Leseszenen und hinsichtlich der Nachwelt auch Archivierungsspuren für das Kommunikationsgeschehen des Briefes sind. Vgl.: Anne Bohnenkamp und Waltraud Wiethölter, „Zur Einleitung,“ in Der Brief – Ereignis und Objekt. Katalog der Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift im Frankfurter Goethe-Museum, hg. v. Anne Bohnenkamp und Waltraud Wiethölter (Frankfurt am Main: Stroemfeld, 2008), IX.  Vgl. Andreas Arndt, „Der Briefwechsel,“ in Schleiermacher Handbuch, hg. v. Martin Ohst (Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 6.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

1 Briefkultur um 1800 Im Zeitalter des Briefes, wie das 18. Jahrhundert auch bezeichnet wird, entwickeln sich Briefe zu einem Massenphänomen. Um 1750 entsteht eine empfindsame Briefkultur, die für die folgenden zwei Jahrhunderte prägend wird.⁵²¹ Überall wird gelesen und geschrieben. Die Briefe sind Teil einer Transformation der „Leitformen sozialer Kommunikation“⁵²². Neben der gesteigerten Briefpraxis ereignet sich diese besonders durch die Verbreitung der Zeitung als neues Medium gesellschaftlicher und öffentlicher Meinungsbildung.⁵²³ Vor dem Hintergrund öffentlicher Repression ist der Brief zudem Mittel natürlicher Redekunst. Er stellt nach innen eine spezifische, neu entstehende Form der Öffentlichkeit dar. In ihm geht es darum, ein bestimmtes Gespräch nachzuahmen und möglichst natürlich die Affekte auszudrücken.⁵²⁴ Steigerungen im Lese- und Schreibverhalten kommen der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit der lesenden Subjekte zugute und befördern eine „Briefwut“⁵²⁵. Diese resultiert aus dem ansteigenden Kommunikationsbedarf genauso wie aus der Bereitstellung neuer sprachlicher Mittel. Durch den Reifeprozess sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten, die elementar in den Lesegesellschaften geschult werden, stehen für den Brief neue sprachliche Mittel und damit auch Gestaltungsräume zur Verfügung. Der Brief ist nicht nur Gespräch zwischen zwei Freunden, er tritt in den neu erstarkenden Raum zwischen Öffentlichkeit und Privatem: in die freie Geselligkeit. Orte dieser freien Geselligkeit sind Lesetreffs, die ihren Grund in gemeinsamen Zeitungsabonnements haben, jedoch dann weit darüber hinaus in eine Kultur der freien Gemeinschaft in Leseversammlungen und literarischen Salons münden. In diesen Salons wird freier Austausch auf der Grundlage literarischer Texte geübt. Aus Briefwechseln mit Personen des öffentlichen Interesses oder auch guter Freunde zu lesen gehört dort zur gängigen Praxis. Dies gilt in besonderer Weise auch für die Briefe Schleiermachers, die teilweise nicht nur an die Adressaten, sondern implizit auch an deren Freundeskreise gerichtet sind. Die in den Briefen hergestellte Intimität kann als „Selbstinszenierung und Selbststilisierung“⁵²⁶ verstanden werden, die vor einem erweiterten impliziten Adressatenkreis ein größeres Forum erhält. Diese Verwendung und der Bedeutungswandel des Briefes, der nicht mehr nur ein Weg nüchternen Kommunikationsaustausches ist, stehen in einem sich gegenseitig bedingenden, wechselseitigen Verhältnis. Durch die gesteigerte Lesefähigkeit wird der Brief zum Medium der Individuation im Rahmen freier Geselligkeit: er dient nunmehr

 Vgl. Schuster/Strobel, „Briefe und Interpretationen,“ XVIII.  Vgl. Vellusig, Schriftliche Gespräche, 9.  In dreifacher Weise sei das Zeitalter der Aufklärung durch „Kommunikatives Suchtverhalten“ geprägt: Zeitungssucht, Lesesucht und Briefwut. Vgl. Vellusig, Schriftliche Gespräche, 8.  Vgl. Arend, Einführung in Rhetorik, 45.  Vellusig, Schriftliche Gespräche, 9.  Arndt, „Der Briefwechsel,“ 7.

1 Briefkultur um 1800

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nicht mehr nur der reinen Informationsvermittlung, sondern erhält zunehmend eine Bedeutung als eigner Lebensvollzug.⁵²⁷ Das, was den zwischenmenschlichen Umgang bestimmt, steht im Zentrum des Briefes. Als Repräsentant des absenten Gegenübers tritt der Brief an die Stelle kommunikativer Interpersonalität. Diese wird im Medium des Briefes durch ein Paradoxon gekennzeichnet. Einerseits ist der Brief nur die eine Hälfte eines Gesprächs, die auf eine verzögerte Antwort angewiesen ist. Somit wird der Brief auf Seiten des Schreibers durch die Abwesenheit des Empfängers gekennzeichnet. Auf der anderen Seite ist der Brief jedoch ein Medium der Vergegenwärtigung des Gegenübers, indem er für den Empfänger jenes schreibende Gegenüber repräsentiert. Der kommunikative Prozess im Brief steht demnach zwischen Absenz und Vergegenwärtigung. In den Briefen Friedrich Schleiermachers, welche er an Freunde und Bekannte schickt, wird diese Spannung sehr explizit thematisiert. Er drückt einerseits Dankbarkeit für den im Medium Brief vermittelten innigen Austausch aus. Andrerseits artikuliert er verschiedentlich die Trauer über die räumliche Trennung von seinem Gegenüber. Unter den umfassenden Briefkorrespondenzen Schleiermachers benennt Andreas Arndt, als Herausgeber der seit 1979 bearbeiteten Briefabteilung in der Kritischen Gesamtausgabe Schleiermachers ein intimer Kenner derselben, einige, die für seine philosophische und theologische Entwicklung besonders maßgeblich sind. Dazu zählen die Briefwechsel mit seinem Studienfreund Carl Gustav Brinkmann, die Briefe von und an August Detlev Christian Twesten, die Briefwechsel mit dem Freund und Verleger Georg Andreas Reimer⁵²⁸ sowie mit seinem Schwager Ernst Moritz Arndt und nicht zuletzt die Briefe, die sich Schleiermacher mit dem frühromantischen Freundeskreis schreibt.⁵²⁹ Aus dieser Fülle von Korrespondenzen wurden zwei Briefe

 Vellusig macht in einer auf Watzlawik/Beavin/Jackson und Luhmann aufbauenden kommunikationstheoretischen Grundlegung deutlich, dass die Kommunikationssituation des Briefes durch die Trennung von Information und Interaktion konstituiert wird. Briefe sind deswegen im Gegensatz zu personaler Kommunikation im Bereich der Sinnlichkeit, der leiblichen Präsenz etc. reduziert, da die Interaktionsebene ausgeschlossen ist. Indem jedoch Kommunikation durch Luhmann über die Differenz von Mitteilung und Information bestimmt wird, stellt der Brief, der genau durch diese Differenz konstituiert wird, „im präzisen Sinn eine kommunikativere Form des Austausches“ dar. Paradoxerweise eröffnet der Brief durch diese sinnliche und leibliche Reduktion „einen Freiraum – zur Entfaltung und ihrer Geltungsprüfung einerseits −, zur personalen Selbstdarstellung und ihrem empathetischen Nachvollzug andererseits“. Vor dem Hintergrund gesteigerter Schriftlichkeit, die auf der Differenz von Information und Mitteilung, von Inhaltsaspekt und Interaktionsdimension beruht, versteht Vellusig die Aufklärung als die Bemühung, gesicherte und objektivierbare, also informationsorientierte Wirklichkeit zu erzeugen. Die Briefpoesie kann als Gegenentwurf zu diesem Modell gelesen werden und ist als solche „Ausdruck einer neuartigen Kommunikationskultur.“ Vgl. Vellusig, Schriftliche Gespräche, 15 ff.  Die Seite Georg Andreas Reimers dieses Briefwechsels hat Roger Töpelmann monographisch bearbeitet: Roger Töpelmann, Romantische Freundschaft und Frömmigkeit: Briefe des Berliner Verlegers Georg Andreas Reimer an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (Hildesheim: Weidmann, 1999).  Vgl. Arndt, „Der Briefwechsel,“ 8 f.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

Schleiermachers ausgewählt, die beide aus demselben Zeitraum stammen wie die bereits analysierten Reden und Predigten und die zugleich inhaltliche Anhaltspunkte für die Erschließung einer Kommunikationstheorie in den Briefen bieten. Die Analyse erfolgt in drei Schritten. Vorangestellt ist eine kurze historische Hinführung, die mit der jeweiligen Adressatin des Briefes vertraut macht. Daran schließt sich eine Darstellung der Reflexion über Kommunikation im Brief an, auf welche eine Analyse des Kommunikationsvollzuges durch den Brief folgt. Bei der Analyse des kommunikativen Vollzugs durch die Briefe wird, wie auch bei den Reden und den Predigten, nach der innerhalb der Briefe konstruierten Kommunikationssituation einschließlich der Kommunikationsstrategie und den diese tragenden rhetorischen Besonderheiten gefragt. An Stelle einer ausführlichen Darstellung von Struktur und Inhalt der Briefe, wie sie in den Predigten erfolgt ist, werden als Teil der Analyse des kommunikativen Vollzugs die Themen des Briefes einleitend kurz skizziert. Das Analysevorgehen stellt damit eine Adaption des bisherigen Vorgehens dar. In einer größer angelegten Erforschung der Briefe könnte diese methodische Frage vor dem Hintergrund historischer und kulturwissenschaftlich interessierter Analysen neu reflektiert werden.⁵³⁰

2 Friedrich Schleiermacher an Henriette Herz am 15. Februar 1799 Henriette Herz kann als eine der Begründerinnen des Berliner Salonlebens angesehen werden, in ihrem eigenen Salon verkehrten zeitweise namhafte geistige Größen Berlins wie Alexander Graf von Donah-Schlobitten, Alexander von Humboldt und eben Friedrich Schleiermacher. Die Freundschaft zwischen Friedrich Schleiermacher und Henriette Herz dauerte ihr gesamtes Leben an, trotz der Kritik seiner Schwester und der Kirchenleitung, bei denen diese enge Bindung an eine jüdische Frau aus unterschiedlichen Gründen Irritationen hervorrief. Nach dem Tod Friedrich Schleiermachers vernichtete Henriette Hertz ihre gesamte Briefkorrespondenz, einschließlich der Briefe Schleiermachers, die sie von der Familie erhielt. Aus diesem Grund ist die Quellenlage äußerst dünn. Der hier analysierte Brief Friedrich Schleiermachers an Henriette Herz wird Mitte Februar 1799 verfasst. Schleiermacher war zu diesem Zeitpunkt in Potsdam, getrennt von der engen Freundin.

 Vgl. hierzu die in methodischer Hinsicht unterschiedlich gestalteten und explizit exemplarisch unternommenen Einzelanalysen im gemeinsam verantworteten Sammelband von Schuster/Strobel, Briefkultur: Texte und Interpretationen.

2 Friedrich Schleiermacher an Henriette Herz am 15. Februar 1799

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2.1 Theoretische Entfaltung von Kommunikation Im Herzstück des Briefes findet sich eine verdichtete und zugleich metaphorisch aufgeladene Darstellung der existentiellen Notwendigkeit von Intersubjektivität für die eigene Individualität. Dort heißt es: thun Sie Gutes an mir und schreiben Si[e] mir fleißig, das muß mein Leben erhalten, welches schlechterdings in der Einsamkeit nicht gedeihen kann. Warlich ich bin das allerabhängigste und unselbstständigste Wesen auf der Erde ich zweifle sogar ob ich ein Individuum bin. Ich strecke alle meine Wurzeln und Blätter aus nach Liebe, ich muß sie unmittelbar berühren und wenn ich sie nicht in vollen Zügen in mich schlürfen kann, bin ich gleich trocken und welk: das ist meine innerste Natur es giebt kein Mittel dagegen und ich möchte auch keins.⁵³¹

Der briefliche Austausch wird hier zur Lebensquelle der Existenz des Verfassers stilisiert. Individualität, so pointiert dieser Brief, ist ohne ihn nicht möglich. Friedrich Schleiermacher beschreibt diesen Austausch als Wesenszug und gewollte Notwendigkeit, die ihn stärkt und befördert. Die Erlangung eigener Individualität, im Bild des Nährens der Pflanze, wird vom Austausch mit einem anderen Individuum abhängig gemacht. Bildung des Selbst geschieht nur im Rahmen einer diese ermöglichenden Interpersonalität mit Gleichgesinnten. Diese werden, sofern sie sich in räumlicher Distanz befinden, durch die Briefwechsel vergegenwärtigt. Angedeutet wird hier eine Theorie der Individualitätsbildung, wie sie auch in Schleiermachers Reden oder seinen Monologen begegnet. Im Rahmen intersubjektiven Austausches wird es den Einzelnen mittels Anschauung von Identität und Differenz zu anderen Individuen möglich, sich selbst in seiner spezifischen Bestimmtheit als individueller Ausdruck der allgemeinen Menschheit zu verstehen. Damit ist die Individualitätstheorie relational verfasst, die Bildung zu solch einer Individualität im Sinne eines Bewusstseins und der Ausprägung der Individualität nur im intersubjektiven Austausch zu erlangen.

2.2 Schriftlicher Vollzug von Kommunikation Das beherrschende Thema des Briefes an Henriette Herz ist die Einsamkeit des Individuums ohne lebendigen Austausch. Dieses Thema wird sowohl durch die dem Brief eingeschriebene Kommunikationssituation zwischen Sender und Adressatin als auch durch die Schilderung der konkreten Lebenssituation, die mangelnde Resonanz und die Einsamkeit in Potsdam entwickelt. Schleiermacher selbst bezeichnet sich im Brief als das „allerabhängigste und unselbstständigste Wesen auf der Erde“, was metaphorisch im Bild einer nach Liebe dürstenden Pflanze verstärkt wird. Seine Adressatin

 Friedrich Schleiermacher, „Brief 559, An Henriette Herz. Potsdam, Freitag, 15. 2.1799,“ in Briefwechsel 1799 – 1800, 9 – 11, 10.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

wird mit dem Kosenamen „Jette“ angesprochen, die Innigkeit des Briefes lässt keinen Zweifel daran und äußert explizit, dass es ihre Worte sind, die ihm sein „Leben erhalten“⁵³² sollen. Der Brief weist damit ein Gefälle auf zwischen der Liebe spendenden Adressatin und dem danach dürstenden Verfasser. Auch die Schilderung der Situation in Potsdam entfaltet das Thema. Das fehlende Gegenüber resultiert in völliger Untätigkeit und dem Misslingen der eigenen Vorhaben, so die Deutung des Briefes. Auch literarisch mag Schleiermacher nichts gelingen. Tisch und Stühle müssten ihm erst zu Freunden werden, wobei einschränkend angeführt wird, dass in ihrem „stummen Spiel viel schiefe Gesichter“⁵³³ seien. Positiv stimmt ein Glockenspiel, in dem seine Religionsschrift, die zur Weiterarbeit bereitliegt, „einen treuen Alliierten“⁵³⁴ habe. Bildlich wird damit auch in den stummen Stühlen und dem klingenden Glockenspiel das Thema von Einsamkeit und Gespräch aufgenommen. Der Brief wird scheinbar in der Mitte unterbrochen, so wird die Äußerung Schleiermachers, er „habe nicht eher weiterschreiben wollen“⁵³⁵, ohne einen platonischen Dialog zu lesen, andere Briefe zu schreiben und an der Religionsschrift zu arbeiten, plausibel. Aber auch diese Bemühungen sind nicht fruchtbar, Schleiermacher urteilt: „es geht alles nur sehr mittelmäßig“⁵³⁶. Letztlich wird die vorhergehende Klage in die metaphorisch betonte Bitte an Henriette Herz überführt, ihm zu schreiben und durch den Austausch sein Sein und Arbeiten zu befruchten. Sowohl in den narrativen Passagen über die konkrete Lebenssituation als auch in der poetischen Schlüsselstelle reflektiert der Brief seinen eigenen Vollzug. Die Briefthematik besteht im wechselvollen Gegenüber von der Darstellung der Einsamkeit in den konkreten Lebensvollzügen im Gegenüber zum belebenden Austausch mit der Freundin. Dies erfolgt auf der Grundlage von Schleiermachers Individualitätstheorie. Sowohl in seiner inhaltlich-thematischen Entfaltung als auch in seinem kommunikativen Vollzug ist der Brief damit eine Darstellung des vereinsamten Selbst. Indem dieses Selbst im Medium des Briefes in den Austausch mit einem Gegenüber tritt, erwirkt es einen Prozess bildender Interpersonalität. Diese wird durch die bereits im Akt des Schreibens imaginierte und damit vergegenwärtigte Adressatin vorweggenommen und konstruiert.

    

Ebd., 10. Ebd., 9. Ebd. Ebd. Ebd.

3 Friedrich Schleiermacher an Charlotte Schleiermacher am 23. März 1799

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3 Friedrich Schleiermacher an Charlotte Schleiermacher am 23. März 1799 Charlotte Schleiermacher verbrachte ihr gesamtes Leben in der Herrnhuther Brüdergemeine, wo sie ihre Eltern gemeinsam mit ihren beiden Brüdern Friedrich Schleiermacher und Carl Gustav Schleiermacher 1783 in die Obhut gegeben hatten. In Gnadenfrei arbeitete sie später als Lehrerin in der dortigen Anstalt der Brüdergemeine für Mädchen. Der Briefwechsel zwischen Friedrich und Charlotte Schleiermacher ist, wohl auch aufgrund ihrer besonderen Offenheit und Vertrautheit, der planvollen Zensur post mortem durch die Witwe Henriette Schleiermacher zum Opfer gefallen, die hierdurch den Versuch unternahm, die Deutungshoheit über Friedrich Schleiermachers Leben und Werk zu gewinnen.⁵³⁷ Dies ist besonders dramatisch, da sie über ihren Wert für die Schleiermacherforschung im engeren Sinne hinaus authentische Zeugnisse für das alltägliche Leben in der Brüdergemeine sind und für die Zeit um 1800 Einblicke in die pietistische Mentalitätsgeschichte geben.⁵³⁸ Charlotte Schleiermachers Briefe leisten dies, indem sie Auskunft über alle Bereiche ihres Lebens geben. Der Briefwechsel ist von den alltäglichen Gegebenheiten genauso geprägt wie von grundsätzlichen Überlegungen.

3.1 Theoretische Entfaltung von Kommunikation Einblicke in die theoretische Vorstellung von Geselligkeit gewährt Friedrich Schleiermachers Brief an Charlotte Schleiermacher, den er Ende März 1799 in Potsdam schreibt. Diese Form der Interpersonalität wird auch in den Ausführungen an Charlotte Schleiermacher als Grundkonstante menschlichen Seins beschrieben. Jeder Mensch muß schlechterdings in einem Zustande moralischer Geselligkeit stehn, er muß einen oder mehrere Menschen haben denen er das innerste seines Wesens, seines Herzens und seine Führung kund thut, nichts muß in ihm sein, wo möglich, was nicht noch irgend einem außer ihm mitgetheilt wurde. Das liegt in dem göttlichen Ausspruche es ist nicht gut daß der Mensch allein sei mehr als irgend etwas anderes.⁵³⁹

Zweck dieser Geselligkeit ist der Ausdruck der innersten menschlichen Regungen. Friedrich Schleiermacher sieht es als absolut notwendig an, dass jeder Mensch dieses Selbst in allen seinen Facetten darstellt. Explizit gilt dies für den ganzen Menschen: Hierfür stehen Wesen, Herz und Führung. Auffallend ist an dieser Stelle die Begründung, die er dem Gedankengang anschließt. Während Geselligkeit im Brief an Henriette Hertz in der literarischen Gestalt metaphorischer Rede thematisiert wurde,  Vgl. Arndt, „Der Briefwechsel,“ 11 f.  Einen präzisen und aufschlussreichen Einblick in die Kommunikation der Brüdergemeine, die sie in ihren globalen Strukturen berücksichtigt, gibt: Mettele, „Der private Raum,“ 113 f.  Friedrich Schleiermacher, „Brief 587, An Ch. Schleiermacher,“ in Briefwechsel 1799 – 1800, 49.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

erfolgt eine argumentative Plausibilisierung der Notwendigkeit dieser Geselligkeit gegenüber seiner Schwester, welche wie auch er die pietistisch geprägte Schulbildung der Brüdergemeine erlebt hatte, über ein biblisches Motiv aus dem Schöpfungsbericht in Genesis 2,18: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Damit erhebt Friedrich Schleiermacher seinen geselligen Umgang in den Status eines schöpfungsgemäßen Lebensvollzuges. Intersubjektivität wird so als gottgewollte Konstitution menschlichen Seins und Handelns bestimmt. Eingebettet ist diese Argumentation in die Begründung der „zarten und innigen Verhältnisse mit Personen des andern Geschlechts“⁵⁴⁰, die Friedrich Schleiermacher intensiv pflegt und die Charlotte Schleiermacher Anlass zur Sorge geben. Dass Schleiermacher mit seinem Verhältnis zum anderen Geschlecht durchaus mit dem Wertekanon seiner Schwester brach, muss ihm durchaus bewusst gewesen sein. Insofern sind seine freundschaftlichen Verhältnisse zu Frauen begründungspflichtig. Diese Begründung erfolgt auf zwei Weisen: Zum einen gereiche der gesellige Austausch ihm zur eigenen Bildung, zum anderen tue er Gutes in diesem Austausch. Aufschlussreich hinsichtlich einer Theorie der Kommunikation sind besonders die Ausführungen über seine Freundschaft zu Henriette Herz. Diese sei dergestalt beschaffen, dass er „wesentlich zu ihrer Existenz gehöre“⁵⁴¹, ihr Verhältnis zueinander sei von Komplementarität gekennzeichnet. Bildung resultiert demnach eben aus einem wechselseitigen und sich ergänzenden Verhältnis. In Auseinandersetzung mit der Kritik Charlotte Schleiermachers an seinem Umgang mit Frauen verweist Friedrich Schleiermacher auf den Unterschied zwischen „Gemeine und Welt“⁵⁴². Beide seien durch unterschiedliche Systeme der Geselligkeit geprägt. Das Mittel der Bildung sei in der Brüdergemeine „Einsamkeit und stilles Nachdenken“, demgegenüber geschehe gerade diese Bildung in der Welt durch „mannigfaltigste und zusammengesezteste Tätigkeit“⁵⁴³. Daraus resultiere ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden. Im Gegensatz zu Charlotte Schleiermacher, die gegen einen beständigen und fortwährenden intensiven Austausch mit anderen Menschen sei, spricht sich Friedrich Schleiermacher dafür aus, „sich in vieles einzumischen, an vielem Theil zu nehmen und in vielerlei Verbindungen mit Menschen zu leben“.⁵⁴⁴

3.2 Schriftlicher Vollzug von Kommunikation Der Brief an Charlotte Schleiermacher verhandelt, neben ausführlichen und sehr konkreten Auskünften zu seinen Tätigkeiten, die Frage nach dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Männern und Frauen.     

Ebd., 46. Ebd. Ebd., 47. Ebd. Ebd.

4 Schreiben als Bildung des Individuums

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Die Kommunikationssituation im Brief ist von einem verständnisvollen und zugleich sehr vorsichtigen Umgang miteinander geprägt. Die Anrede erfolgt auch hier mit einem Kosenamen, „Lotte“⁵⁴⁵; im Gegensatz zum emphatischen Ton des Briefes an Henriette Herz äußert sich Friedrich Charlotte Schleiermacher gegenüber vor allem sehr respektvoll. Er geriert sich als liebender Bruder, dem an ihrer aufrichtigen Meinung und Kritik gelegen ist. Für diese dankt er Charlotte Schleiermacher explizit. Dementsprechend ist auch die Antwort Friedrich Schleiermachers auf jene mit aller Vorsicht geäußerten Bedenken „aufrichtig und unverholen“⁵⁴⁶. Die Sprache ist weniger bildhaft und klar. An einer Stelle nutzt der Brief ein biblisches Zitat, um im Rahmen Charlotte Schleiermachers christlichen Selbstverständnisses den Gedankengang zur Geselligkeit zu plausibilisieren. Friedrich Schleiermacher legt dar, dass ein Brief an sie „ordentlich und ausführlich“⁵⁴⁷ sein solle, und begründet damit auch die lange Dauer, die seine Antwort ihr zugemutet habe. Gekennzeichnet ist aber auch dieser Brief durch zeitlichen Mangel. Den Brief nutzt Friedrich Schleiermacher, um sich in seiner moralischen Verfasstheit darzustellen, er ist damit eine vor dem Gegenüber seiner Schwester vorgetragene Selbstergründung. Seine Schwester bittet er, seine Äußerungen nicht als „Eigendünkel“ zu missdeuten, vielmehr sei ihre Grundlage eine „lange Erfahrung und eine sorgfältige Beobachtung“⁵⁴⁸, die ihn zu den ausgeführten Äußerungen befähige. Friedrich Schleiermacher lässt sich augenscheinlich sowohl den Gegenstand als auch die Form betreffend ganz auf seine durch die christliche Spiritualität und deren ethische Vorstellungen geprägte Schwester ein und argumentiert im Rahmen ihrer erwarteten Vorstellungswelten. Dennoch bleibt die kommunikationstheoretisch bestimmte Individualitätstheorie klar erkennbar.

4 Schreiben als Bildung des Individuums Die beiden analysierten Briefe Friedrich Schleiermachers lassen klar eine Theorie intersubjektiv konstituierter Individualitätsbildung erkennen, die den Briefen zu Grunde liegt, auch wenn sie nicht explizit so benannt wird. Sie setzt sich aus drei Elementen zusammen: der Darstellung des Selbst, dem Ansichtigwerden eines vergegenwärtigten Individuums und der Überführung der eigenen Darstellung in ein dynamisches interpersonelles Geschehen. Konkret auf den Brief bezogen beschreibt Friedrich Schleiermacher in einer anderen Korrespondenz mit seiner Schwester Charlotte die Funktion seines Schreibens als Erklärung des eigenen Wesens und des Weges, den er gegangen sei. Darüber

   

Ebd., 44. Ebd., 46. Ebd., 45. Ebd., 46.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

hinaus gibt er Auskunft über die gemeinsame Grundlage, die dieses Explikationsgeschehen rahmt. Dies geschieht in den folgenden Worten: Ich bin gar nicht unruhig darüber wie Du meine Erklärungen über mich selber und den Weg den ich gehe verstanden und aufgenommen haben wirst. Laß uns die Liebe ferner und immer in der Aufrichtigkeit beweisen so werden wir auch durch alles hindurch immer die Liebe sehen und fühlen […].⁵⁴⁹

Das kommunikative Geschehen im Brief dient damit der explikativen Selbstdarstellung, die in den Zusammenhang geschwisterlicher Liebe und in das daraus resultierende Vertrauensverhältnis eingebettet ist.⁵⁵⁰ Neben der Selbstdarstellung dient der Briefwechsel für Schleiermacher auch dazu, eines anderen Individuums ansichtig zu werden. Die Betonung der Notwendigkeit dieser Wechselseitigkeit zeigt sich deutlich in den Briefen an Henriette Herz und Charlotte Schleiermacher. Damit wird der eigenen Selbstdarstellung eine fremde, zuerst imaginierte und durch das Antwortschreiben eingeholte Selbstdarstellung komplementär hinzugefügt. Dies geht besonders aus Friedrich Schleiermachers Brief an seine Freundin Henriette Herz hervor. Seine Individualität beschreibt er in diesem Zusammenhang in Abhängigkeit zur Darstellung eines fremden Individuums. Diese Beziehung denkt Schleiermacher, so im analysierten Brief an seine Schwester Charlotte, als komplementäres Geschehen. Die Individualität des Einen bildet sich am Ansichtigwerden der Anderen. Allerdings, so geht aus dem Brief an Charlotte ebenfalls hervor, ist diese Bildung nicht in jedem kommunikativen Akt gleichermaßen zu denken. Freimütig räumt Friedrich Schleiermacher ein, in Potsdam mit Menschen verkehren zu müssen, für die er wenig Interesse mitbringe und an deren Belangen er dennoch Anteil nehmen müsse.⁵⁵¹ Schließlich müssen diese kommunikativen Vollzüge als Teil einer Geselligkeit verstanden werden, die für Schleiermacher eine Grundkonstante menschlichen Seins darstellt. Diese theoretische Entfaltung kommunikativer Vollzüge, die Schleiermacher am Gegenstand der Notwendigkeit eines Austausches und im Rahmen seiner Überlegungen zur Freundschaft zwischen Männern und Frauen entfaltet, ist in den verschiedenen Briefvollzügen unterschiedlich eingebettet. Der Brief an Henriette Herz ist beinahe von literarischer Qualität, er bedient sich stellenweise einer poetischen Sprache, die metaphorisch ausgestaltet und von einem flehenden Pathos getragen

 Friedrich Schleiermacher, „Brief 657, An Ch. Schleiermacher. Berlin, Donnerstag, 23.05.1799,“ in Briefwechsel 1799 – 1800, 122.  Die Liebe ist somit das Interpretament des gesamten Briefes. Dies entspricht durchaus der zentralen Bedeutung, die der Liebe in Schleiermachers Kommunikationstheorie zukommt. In den Monologen, die Ende desselben Jahres erscheinen werden und an denen er kurz nach diesem Brief zu arbeiten beginnt, bezeichnet er die Liebe als „Anziehungskraft der geistigen Welt“. Vgl.: Friedrich Schleiermacher, „Monologen: Eine Neujahrsausgabe (1800),“ in Schriften aus der Berliner Zeit 1800 – 1820, 349.  Vgl. Schleiermacher, „Brief 587, An Ch. Schleiermacher,“ 45.

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wird. Er kann der dargestellten bürgerlichen Briefkultur des 18. Jahrhunderts zugeordnet werden und ist Dokument einer Kommunikationsform, die ihren Siegeszug bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts begonnen hat: der privaten Briefpoesie, deren Gegenstand die autonome Darstellung des Selbst ist. Diese Darstellung geschieht im Brief in vorliterarischer Gestalt im Kontext seines individuellen Lebens.⁵⁵² Der Brief an Charlotte Schleiermacher ist demgegenüber deutlich nüchterner gehalten und hat durchaus eine explikative Komponente, in der er seine freundschaftlichen Beziehungen rechtfertigt, begründet und damit wiederum seinem Selbst in konkreter Gestalt Ausdruck verleiht. Hierin sind durchaus Elemente zu erkennen, die sich in die durch den Pietismus geprägte herrnhutische Tradition einordnen lassen. Ihr Kennzeichen ist eine „Selbst- und Gewissenserforschung“⁵⁵³, wobei ihr Gegenstand weniger ein genuin religiöses Empfinden, sondern stärker die eigene Konstitution moralischer Verfasstheit ist. Damit sind beide Briefe „Form der auf den Austausch von Subjektivitäten gerichteten Geselligkeit“⁵⁵⁴, die ihren Hintergrund sowohl in der selbstbewussten expressiven Kultur eines literarisch geschulten Bürgertums als auch der christlich motivierten Ergründung zur Erfüllung eines gottgefälligen Lebens haben kann. Durch die beiden analysierten Briefe deutet sich an, dass Schleiermachers Briefwechsel mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Stellung führte, auf die er sich in Stil und Gegenstand einlässt.⁵⁵⁵ Die Briefwechsel vereinen die konkreten Lebensvollzüge ebenso wie die philosophische Reflexion, weswegen sich an diesen Analysen das Urteil Arndts bestätigen lässt, dass eine Trennung von privaten und gelehrten Briefen nicht sachgemäß sei.⁵⁵⁶ Schleiermachers Briefe, die durch ein Ineinander von Theoriereflektion und konkretem Lebensbezug gekennzeichnet sind, können als kommunikativ vermittelte Individualitätsbildung verstanden werden. Diese wird einerseits theoretisch entfaltet, wie die Analyse der metaphorischen Rede von der dürstenden Pflanze im Brief an Henriette Herz oder die biblisch begründete Darstellung der Notwendigkeit menschlicher Intersubjektivität im Brief an Charlotte Schleiermacher gezeigt hat. Gleichzeitig wird diese vor dem Hintergrund bürgerlicher und herrnhutischer Brieftraditionen im Medium des Briefes vollzogen. Damit reflektieren auch die Briefe, wie bereits in den Reden und den Predigten gezeigt wurde, ihren eigenen Vollzug. Somit ist ihnen ein selbstreflexiver Zug inhärent. Anders als im Medium der Reden, deren Kommunikationsvollzug am Gegenstand der Religion fortwährend selbst kritisiert und unterlaufen wurde, erfolgt in den Briefen und der hier vorgestellten Kommunikation zur Darstellung des Selbst keine kritische Brechung dieses Vollzuges. Es fanden sich lediglich Hinweise auf eine individuell unterschiedliche Wirkung dieser Bildung und die     

Vgl. Vellusig, Schriftliche Gespräche, 9. Arndt, „Der Briefwechsel,“ 7. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 8.

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V Friedrich Schleiermachers Briefe – Exkurs

Möglichkeit kommunikativer Vollzüge ohne Bildung im Brief an Charlotte Schleiermacher. Insofern machen die Briefanalysen vor allem deutlich, dass Friedrich Schleiermacher hier die Stärken und die Notwendigkeit kommunikativer Vollzüge zur Bildung des Individuums theoretisch hervorhebt und sie im Briefgeschehen ebenso vollzieht.

VI ‚Hypersensible Medialität‘ sowie ‚Erbauung und Edukation‘. Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800 In Schleiermachers Reden, Predigten und Briefen liegen drei unterschiedlich orientierte Gestalten der Kommunikation vor. Die Redeintentionen wurden beschreiben als: ‚Darstellung und Verweis‘, ‚Erbauung und Edukation‘ und ‚Selbstbildung‘. Die Ergebnisse ermöglichten einen Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Reden und Predigten beim frühen Schleiermacher. Damit waren die bisherigen Überlegungen auf das Werk Schleiermachers fokussiert. Das folgende Kapitel öffnet die Perspektive. Hierzu wird eine Einordnung der bisherigen Ergebnisse in den unmittelbaren geistesgeschichtlichen Diskurs vorgenommen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Schleiermachers Denkweise komplex und eigenständig ist. An vielen Stellen weist sie, dies hat besonders die Analyse der Reden ergeben, einen programmatisch hybriden Charakter auf. Blickt man auf die Wirksamkeit Schleiermachers in den Jahren 1796 bis 1802, so eröffnet sich keineswegs ein einheitliches Bild. Vielmehr stellt sich die Wirksamkeit des jungen Berliners als ein Prisma dar, welches auf vielfältige Weise unterschiedliche Ansatzpunkte für die spätere Theorieentwicklung bietet und gleichzeitig von unterschiedlichen Einflüssen geprägt ist. Die Spiegelung eines großen kulturellen Reichtums seiner Zeit in Schleiermachers Werk ist sicher einer der Gründe für die fortwährende Faszination, welche sein Werk ausübt. Insofern kann es im Folgenden nicht darum gehen, Eindeutigkeit im Hinblick auf die geistesgeschichtliche Einordnung der Kommunikationsmodelle zu erzielen. Es ist vielmehr das Anliegen der Ausführungen, sein Programm der Religionskommunikation, wie es jeweils in den Reden als auch in den ausgewählten Predigten erschlossen wurde, als modellbildende Religionskommunikation zu begreifen, die ihrerseits geistesgeschichtlich produktiv werden kann. Einen theoretischen Rahmen für einen solchen Zugriff bietet die Arbeit mit Modellen. Im Folgenden werden entsprechende Referenztexte analysiert, die resümierend mit den Reden und den Predigten verglichen werden. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Einordnung dieser Ergebnisse vor dem Hintergrund modelltheoretischer Überlegungen, durch die deutlich wird, wie Schleiermachers Reden und Predigten jeweils voneinander zu unterscheidende Modelle von Religionskommunikation repräsentieren, das wiederum für weitere Texte und Diskurse modellgebend ist und somit auf der Ebene der Anwendung wirksam wird. Dadurch zeigt sich, dass die analysierten Schriften Schleiermachers zwischen Aufklärung und Romantik verortet werden müssen.

https://doi.org/10.1515/9783110640960-008

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

1 ‚Unendlichkeit erschreiben‘. Rede und Unendlichkeit im literarischen Umfeld von Friedrich Schleiermachers Reden In welchen Rezeptionsverhältnissen die Reden zu lesen sind, ist Gegenstand eines regen Forschungsinteresses, welches sich in einer ebenso regen Publikationstätigkeit der theologischen Forschung niederschlägt.⁵⁵⁷ Peter Grove hebt hervor, dass das Zusammentreffen mit Schlegel für Schleiermachers Entwicklung in theoretischer Hinsicht das „wichtigste Datum dieser Periode ist“⁵⁵⁸. Schleiermacher und Schlegel verbindet zeitweise eine enge Freundschaft, die durch große wechselseitige Achtung geprägt gewesen ist. Getrennt werden beide jedoch durch die je eigene Auffassung vom Christentum. Erst Recht Schlegels spätere Konversion zum Katholizismus bringt ihn Schleiermacher nicht näher, sondern entfernt ihn weiter vom überzeugten Protestanten.⁵⁵⁹ Die biographischen Gegebenheiten in den Jahren zwischen 1796 und 1802 legen nahe, Schleiermacher als Romantiker zu bezeichnen. Der intensive Austausch und die Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel sind ein starker Indikator dafür. Gleiches gilt für die zeitweilige gemeinsame Herausgeberschaft der Zeitschrift Athenäum mit den Gebrüdern Schlegel, die sich explizit als Sprachrohr des gemeinsamen denkerischen Aufbruchs der heute oft als Frühromantiker titulierten Gruppe verstanden.⁵⁶⁰ Schleiermachers theoretische Einordnung in diesen Wirkungskreis ist im Hinblick auf die Theologie maßgeblich durch die Arbeiten Kurt Nowaks erhellt worden. Sein verdienstvolles Buch Schleiermacher und die Frühromantik hatte das Ziel, Schleiermachers theoretischen Beitrag zur historischen Romantik in den zeitgenössischen Stand der Romantikforschung einzuordnen.⁵⁶¹ Schleiermachers Werk, dessen literarischen Charakter Nowak betont, wird der Romantik anhand des Begriffs des „universellen Menschen“ zugeordnet. Ausgehend von diesem Begriff wird die ganzheitliche Erneuerung des Menschen im Sinne einer umfassenden Mensch- und Weltbildung als eine „Steigerung der Natur durch den Geist“⁵⁶² durch Nowak rekonstruiert. Die Zuordnung zur Frühromantik teilt Herrmann Timm, dessen vergleichende Studie den Titel Die Heilige Revolution: Das religiöse Totalitätskonzept der Frühromantik. Schleiermacher – Novalis – Friedrich Schlegel trägt. Er rekonstruiert für deren Texte eine bei

 Schleiermachers Stellung zur Philosophie seiner Zeit jenseits der Reden stellt für Andreas Arndt weiterhin ein Desiderat dar, welches er in der mangelnden Wahrnehmung Schleiermachers in der Philosophie begründet sieht. Vgl. Andreas Arndt, Friedrich Schleiermacher als Philosoph (Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2017), 17.  Grove, Deutungen des Subjekts, 157.  Vgl. Arndt, Friedrich Schleiermacher als Philosoph, 23.  Die romantische Schule von Rudolf Haym endet mit einem Ausblick auf Schleiermacher. Dieser habe sowohl Schlegels Grundeinsichten über Platon gerettet als auch eine frühromantische Ethik fortentwickelt. Vgl. Rudolf Haym, Die romantische Schule: Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Geistes (Berlin: Gaertner, 1870), 863.  Vgl. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 11– 42.  Ebd., 298.

1 ‚Unendlichkeit erschreiben‘

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allen sich gleichende Signatur, die in der „dreieinigen Versöhnlichkeit des Schicksals“⁵⁶³ mündet. Programmatisch für die Texte sei eine gewisse „Sprachartistik“⁵⁶⁴, ein Aussagemodus, der dichotome Pole verbindet, ohne sie in ihrer Aussage aufzugeben, und der durch eine Steigerungslogik gekennzeichnet ist. Bei Joachim Ringleben klingt ebenfalls ein Interesse für die literarische Beschaffenheit der Reden an. Er bezeichnet sie als „unverwechselbar romantisches Literaturprodukt“⁵⁶⁵. Unter einer literaturwissenschaftlichen Fragestellung ordnet Dirk von Petersdorff die sich auch in Schleiermachers Reden ausdrückende Identitätsbildung frühromantischer Intellektueller um 1800, die er mit den Begriffen „Innovation, Originalität und […] Exklusivität“⁵⁶⁶ skizziert, in die Tradition antiker Mysterienrede und deren Zeichensysteme ein. In seiner vergleichenden Studie untersucht er neben Schleiermachers Reden auch Werke von Friedrich Schlegel, Schelling und Novalis. Darüber hinaus bezieht er die Gruppenbildung als Umsetzung der Mysterienrede in eine Lebensform um Otto Heinrich Graf von Loeben in seine Überlegungen mit ein. Zur Deutungsleistung dieser Avantgardeliteratur zählt Petersdorff die „Verarbeitung negativer Rezeptionserfahrungen“ und die Umwertung der Erfahrung, „Teil einer modernen Konkurrenzgesellschaft ohne metaphysisches Fundament zu sein“. Diese Verarbeitung geschehe mittels eines überlegenen Exklusivanspruches. Hierbei spielt die Kunst „als abseitiges aber rettendes Exil inmitten heilloser Zeitläufe“⁵⁶⁷ für diese Intellektuellen eine zentrale Rolle. Die bei Petersdorff beschriebene Wahrnehmung einer Krisenhaftigkeit ihrer Gegenwart bringen die Reden in sehr expliziter Gestalt zur Sprache. Somit setzen sich die Reden in ein Verhältnis zu ihrem eigenen historischen Kontext⁵⁶⁸ und benennen damit selbst ihren Denkzusammenhang, obgleich diese Analyse nicht im Sinn einer historischen Tatsachenbeschreibung missverstanden werden darf. Die zeitdiagnostischen Aussagen der Reden wurden im Rahmen der Darstellung der im Text entwickelten Religionstheorie thematisiert.⁵⁶⁹ Sie können im Anschluss an die Analyse Ulrich Barths als Antwort für die aufgeworfenen Problemkonstellationen der Moderne verstanden werden.⁵⁷⁰

 Timm, Die heilige Revolution, 16.  Ebd., 12.  Joachim Ringleben, „Die Reden über die Religion,“ in Friedrich Schleiermacher 1768 – 1834: Theologe, Philosoph, Pädagoge, hg. v. Dietz Lange (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1985), 236 – 258, 238.  Petersdorff, Mysterienrede, 1.  Ebd., 434.  Die Verwendung von Krisentopoi ist auch in nicht-politischen Zusammenhängen in Texten des letzten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts eine „auffällige Wirkung der Französischen Revolution auf geistigem Gebiet“. Vgl. Bernd Auerochs, Die Entstehung der Kunstreligion, Palestra 323 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 380.  Vgl. II. 2.1.1.  Vgl. Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‛,“ 279.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

Die darstellende und verweisende Gestalt der Reden, so die Kernthese des Analysekapitels über die Reden, stellt eine Antwort auf diese Problemkonstellationen dar. Sie erfolgt durch ein innovatives Modell für Religionskommunikation. Grund dafür ist eine entscheidende Differenzierung, die für die Krisenmetaphorik der Reden signifikant ist. Der gesellschaftliche Relevanzverlust der Religion darf keineswegs zu dem Fehlschluss führen, das Unendliche als Teil metaphysischer Spekulation abzutun. Demgegenüber behaupten die Reden die unablässige Tätigkeit und Wirksamkeit des Universums. Grund der mangelnden Sichtbarkeit der Religion seien vielmehr die im Krisentopos des Weltenbrandes beschriebenen gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Umwälzungen, wie sie in der Dritten Rede „Über die Bildung zur Religion“ dargestellt werden. Religiöses Analphabetentum ist nur eine Konsequenz dieser Situation: Besonders ist es der Natur der Dinge gemäß, daß in diesen Zeiten algemeiner Verwirrung und Umwälzung ihr schlummernder Funke [der Religion, Anm. M.S.] in vielen nicht aufglüht […]. Wo nichts unter allen menschlichen Dingen unerschüttert bleibt; wo jeder grade das, was seinen Plaz in der Welt bestimmt, […] in jedem Augenblik im Begrif sieht […] unterzugehen im allgemeinen Strudel; wo die Einen keine Anstrengung ihrer Kräfte schonen, und noch nach allen Seiten um Hülfe rufen um dasjenige festzuhalten was sie für die Angeln der Welt und der Gesellschaft der Kunst und der Wißenschaft halten […], und wo die Andern mit eben dem rastlosen Eifer geschäftig sind die Trümmer eingestürzter Jahrhunderte aus dem Wege zu räumen, um unter den Ersten zu sein, die sich ansiedeln auf dem fruchtbaren Boden der sich unter ihnen bildet aus der schnell erkaltenden Lava des schrecklichen Vulkans; wo Jeder, auch ohne seine Stelle zu verlaßen von den heftigen Erschütterungen des Ganzen so gewaltig bewegt wird, daß er in dem algemeinen Schwindel froh sein muß, irgend einen einzelnen Gegenstand fest genug ins Auge zu fassen, um sich an ihn halten sich almählig überzeugen zu können, daß doch etwas noch stehe; in einem solchen Zustand wäre es thöricht zu erwarten, daß Viele geschikt sein könnten das Unendliche wahrzunehmen. Sein Anblik ist freilich mehr als je majestätisch und erhaben und in Augenbliken laßen sich bedeutendere Züge ablauschen als in Jahrhunderten; aber wer kann sich retten vor dem allgemeinen Treiben und Drängen! wer kann der Gewalt eines beschränkteren Intereße entfliehen? Wer hat Ruhe und Festigkeit genug um still zu stehen und anzuschauen? Aber auch in den glüklichsten Zeiten, auch mit dem besten Willen, die Anlage zur Religion nicht nur da, wo sie ist, durch Mittheilung aufzuregen, sondern sie auch einzuimpfen und anzubilden auf jedem Wege der dazu führen könnte: wo gibt es denn einen solchen?⁵⁷¹

Kunstvoll wird hier das Postulat einer die Zeit überdauernden Unendlichkeit im Gegensatz zu einer endlichen, bedingten und mittelbar wahrnehmbaren Wirklichkeit mit rhetorischen und literarischen Mitteln umgesetzt. Nicht nur als theoretische Entfal-

 Schleiermacher, Reden, 249. Eine Analyse, die besonders diese Passagen zum Gegenstand hat, findet sich bei: Kurt Nowak, „Romantik: Zum historischen Ort einer kulturellen und religiösen Erscheinung,“ in 200 Jahre „Reden über die Religion,“ 39 – 57, 41. Die historische Romantik ordnet er als „Chiffre einer Störung“ in die gesamteuropäische Geistesgeschichte ein. Das produktive Potential der historischen Romantik erfährt in der sonst sehr anregenden und treffenden Analyse jedoch nur eine unzureichende Würdigung.

1 ‚Unendlichkeit erschreiben‘

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tung, sondern auch durch ihren literarischen Vollzug begegnen die Reden damit den religionstheoretischen Herausforderungen der Moderne. Mit den Attributen des Majestätischen und Erhabenen versehen, ruht die Unendlichkeit auch sprachlich inmitten der elliptisch aneinandergereihten Beschreibungen der Reden ihrer Zeit. Diese wird metaphorisch als Krise apokalyptischen Ausmaßes gekennzeichnet, der sich niemand entziehen könne. Beschleunigt wird dieser Textfluss durch die wiederkehrende Lokalpräposition „wo“ und die redundant eingeleiteten Fragen. Diese gleichsam einer Naturgewalt über die Menschen hereinbrechenden Veränderungen umfassen „Jede[n]“, „nichts“ ist vor ihr sicher. Universaler kann das Katastrophenszenario nicht ausgreifen. Die Krisenmetaphorik wird auf die Spitze getrieben. Wie reagiert der Mensch auf diese Veränderungen? Die menschlichen Strategien zur Bewältigung dieser Umwälzung werden zwischen Konservation und euphorischer Bejahung des neu Anbrechenden beschrieben. Gerahmt wird diese Szene durch These und Erwiderung. Einerseits ist das fehlende Aufflammen der Religion zu diesen Zeiten nur natürlich, andrerseits gibt es auch keine andere Zeit, in der Religion in einem Bildungsgeschehen anderen Menschen vermittelt werden könnte. Welche Funktion kann Religionskommunikation in diesem Spannungsgefüge noch einnehmen? Vor diesem Setting treten die Reden das paradoxe Kommunikationsprogramm an, die Unmöglichkeit kommunikativer Vermittlung der Religion im Sinne einer Bildung des Gegenübers theoretisch zu begründen und gleichzeitig eben diesen Kommunikationsvollzug zu initiieren. Dies geschieht in Gestalt eines spezifischen Kommunikationsprogramms, welches als verweisende Rede in der Gestalt medialer Selbstreflexivität beschrieben wurde.⁵⁷² In welcher Gestalt dieses Kommunikationsprogramm gewirkt hat, wird im Anschluss an die Überlegungen zur Modelltheorie nachgezeichnet. Im unmittelbaren Wirkkontext der Reden gibt es zwei Schriften, die in direkter zeitlicher und geistiger Nähe zu den Reden entstehen und spezifische Kommunikationsprogramme aufweisen, die Ähnlichkeiten mit jenem der Reden aufweisen. Aus diesen beiden Gründen eignen sie sich als Referenzgrößen für eine modelltheoretische Einordnung der Reden. Es handelt sich dabei um Novalis’ Schrift mit dem Titel Die Christenheit oder Europa ⁵⁷³ aus dem Jahr 1799 und Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie ⁵⁷⁴, das 1800 veröffentlicht wird. Um die in literarischer Gestalt vorgelegten Kommunikationsprogramme vergleichen und zueinander in ein Verhältnis setzen zu können, müssen diese in einem ersten Schritt dargestellt werden. Die Analyse folgt hierbei der zeitlichen Entstehung der Texte.⁵⁷⁵

 Vgl. Kap. II.4.  Im weiteren Text mit dem Begriff Christenheit abgekürzt.  Im weiteren Text mit dem Begriff Gespräch abgekürzt.  Grundlegende Gedanken dieser Analyse wurden im Jahr 2017 auf einer interdisziplinären Tagung einer breiteren Forschungsöffentlichkeit vorgestellt. Der dort gehaltene Vortrag wurde im entsprechenden Tagungsband veröffentlicht: Mirjam Sauer, „‚Unendlichkeit erschreiben‛: Frühromantische Literatur zwischen Reduktion und Anreicherung christlicher Tradition,“ in Finden und Erfinden: Die

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

1.1 Emphatische Utopie. Novalis’ „Die Christenheit oder Europa“ Novalis setzt den Reden und besonders der Art und Weise, wie Religionskommunikation durch die Reden vollzogen wird, ein in seiner Rezeption sehr umstrittenes literarisches Denkmal. Er verfasst die Christenheit zwischen Anfang Oktober und Anfang November 1799. Vorgestellt wird Novalis’ Schrift beim Romantikertreffen in Jena im November 1799, an dem er selbst, sein Bruder, Ludwig Tieck, August Wilhelm Schlegel, Caroline Schlegel, Friedrich Schlegel, Dorothea Veit, Schelling und Johann Wilhelm Ritter teilnehmen. Die Resonanz ist durchwachsen. Schelling fühlt sich schließlich bemüßigt, einen Widerruf in Form eines satirischen Gedichtes zu verfassen. Der ursprüngliche Plan, sowohl die Christenheit als auch Schlegels Spottgedicht gemeinsam im Athenäum zu veröffentlichen, wird schließlich durch das eingeholte Urteil Goethes verworfen. Auch nach Novalis’ frühem Tod entscheiden sich Friedrich Schlegel und Tieck dazu, in ihrer ersten Ausgabe der Werke Novalis’ von 1802 nur Bruchstücke der Christenheit abzudrucken. Schlegel und Tieck waren zu der Überzeugung gekommen, dass ein Abdruck der gesamten Christenheit lediglich zu einem ungenügenden Bild des früh verstorbenen Freundes führen würde. Erst 1826 erfolgt eine erste, wenn auch im Textbestand fragliche vollständige Veröffentlichung der Schrift. Mit ihr entfaltet die Christenheit auch eine Wirkung über Deutschland hinaus. Während in der unmittelbaren Rezeption von Novalis’ Zeitgenossen vor allem der mangelnde historische Charakter Gegenstand der Kritik war, wurde die Schrift in den Kontroversen nach 1826 vor allem als eine politische Programmschrift zur Stabilisierung des Alten Regimes aufgefasst. Beides bezeichnet Mähl in seinem Kommentar zur Christenheit zutreffend als Missverständnis der Rezeption, die bis in die gegenwärtigen Debatten durchaus kontrovers ausfällt.⁵⁷⁶ Novalis nimmt in seiner Schrift Die Christenheit oder Europa indirekt auf Schleiermacher als „Bruder“ Bezug, welchen er als „Herzschlag der neuen Zeit“ in messianischer Weise stilisiert. Hier wird eine geistige Bruderschaft gefeiert, die weder auf persönlicher Begegnung noch auf Briefkontakt basiert. Die Kenntnis voneinander ist durch Friedrich Schlegel vermittelt. In wenig subtiler Anspielung schreibt Novalis, Schleiermacher habe „einen neuen Schleier für die Heilige gemacht“⁵⁷⁷. In diesem Schleier besteht für den Verfasser der Christenheit das innovative Potential seines gepriesenen geistigen Weggefährten. Damit hebt er weniger die inhaltliche Ausrich-

Romantik und ihre Religionen 1790 – 1820, hg. v. Daniel Cyranka, Diana Matut und Christian Soboth (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2020), 157– 168.  Vgl. Mähl, „Die Christenheit oder Europa,“ 594.  Novalis, „Die Christenheit oder Europa: Ein Fragment (1799),“ in Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2: Das philosophisch-theoretische Werk, hg. v. Hans- Joachim Mähl (München/Wien: Hanser Verlag, 1978)729 – 750, 747. „Den Schleier als eine Abbreviatur von Novalis’ Poetik“ in unterschiedlichen Werken Novalis’ interpretiert: Johannes Endres, „Der Schleier des Novalis,“ in Novalis: Poesie und Poetik, hg. v. Herbert Uerlings (Berlin: Walter de Gruyter, 2004), 109 – 124, 109.

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tung der Reden, etwa ihr Religionskonzept, hervor, sondern würdigt vielmehr die Art und Weise ihrer Darstellung: Der Schleier ist für die Jungfrau, was der Geist für den Leib ist, ihr unentbehrliches Organ dessen Falten die Buchstaben ihrer süßen Verkündigung sind; das unendliche Faltenspiel ist eine Chiffren-Musik, denn die Sprache ist der Jungfrau zu hölzern und zu frech, nur zum Gesang öffnen sich ihre Lippen.⁵⁷⁸

Indem Novalis die Religionskommunikation durch die Reden mit der Metapher der „Chiffren-Musik“ umschreibt, hebt er deren ästhetisierten und zugleich verborgenen und verweishaften Charakter hervor. Diese Gestalt der Religionskommunikation wird jedoch nicht als die äußere Form eines Inhalts aufgefasst. Sondern Novalis beschreibt den Schleier als „Organ“ und damit als integralen Bestandteil ihres Wesens. Seine eigene Vision stellt er jedoch anders als das auch konkret zu verstehende fünfteilige Reformprogramm der Reden dar. In den Reden wird die Erneuerung der Religion auf der Grundlage sinngeleiteter religiöser Individualität entworfen und theoretisch in das Forum einer speziellen religiösen Gemeinschaft überführt. Novalis hingegen formuliert seine Utopie im Sinne einer europäischen Versöhnung. Die von ihm ausgewählte Darstellungsform für diese Vision ist, seinen eigenen Notizen zufolge, ebenfalls die einer Rede. Darauf verweist ein Brief an Friedrich Schlegel, in dem er dem Vorhaben Ausdruck verleiht, seine Christenheit zusammen mit anderen Reden zur Pflege der Beredsamkeit zu veröffentlichen.⁵⁷⁹ Novalis’ Christenheit gliedert sich in drei Teile, denen eine fortschreitende Dynamik zu Grunde liegt. Im Modus des visionären Rückverweises bilden jene „ächt katholischen oder ächt christlichen Zeiten“⁵⁸⁰ den Ausgangspunkt der Überlegungen. Katholisch muss hier sowohl in seiner konfessionellen Bestimmtheit als auch in seiner ursprünglichen Semantik als allumfassend und einheitlich verstanden werden: Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte Ein Oberhaupt, die großen politischen Kräfte […].⁵⁸¹

Novalis räumt mit diesem Beginn der Einheit des mittelalterlichen Katholizismus in einem typisierten und zugleich idealisierten Zugriff einen zentralen Stellenwert in seiner Schrift ein. Gleichzeitig stilisiert er diesen Anfang im Modus eines Märchens. Die einheitsstiftende Instanz dieses idealisierten Allgemeinzustandes ist der Transzendenzbezug, welcher durch die Marien- und Heiligenverehrung, die Reliquien sowie ein intaktes Priester- und Papsttum vermittelt wird. Hierin bestehen die „wesentlichen    

Novalis, Christenheit, 747. Vgl. Mähl, „Die Christenheit oder Europa,“ 583. Novalis, Christenheit, 734. Ebd., 732. Hervorhebung im Original.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

und schönen Züge“⁵⁸² dieser Zeit. Gleichzeitig verzichtet Novalis jedoch auf eine explizite Referenz auf diese christlichen Institutionen, sondern evoziert die Vorstellungen der Maria, der Heiligen und des Priestertums durch die Chiffren der „wunderschönen Frau der Christenheit“ und der „längst verstorbenen himmlischen Menschen“⁵⁸³ und bezeichnet das Priestertum als „zahlreiche Zunft, zu der jedermann Zutritt hatte“.⁵⁸⁴ In der funktionalen Zuordnung dieser Gruppen und ihrem Verhältnis untereinander wird der Leserschaft der Verweis auf die für mittelalterliche Frömmigkeit und Kirchlichkeit typischen Bereiche deutlich: Eine explizite Referenz wird jedoch vermieden, um genau diese Vermittlungsinstanzen für das im dritten Teil beschriebene Zeitalter, an dessen Schwelle der Redner steht, rezipierbar zu machen.⁵⁸⁵ Damit verfolgt die Christenheit ein pädagogisch-didaktisches Anliegen in Gestalt eines mit starker Emphase vorgetragenen utopischen Entwurfs, innerhalb dessen Geschichte weniger als historische Größe verstanden wird, sondern als Analogiequelle für ein neues Zeitalter dient. Der Text, welcher dementsprechend als stilisierte Problemgeschichte fungiert, ist antagonistisch strukturiert. Er geht im zweiten Teil auf die mit dem Verlust christlicher Einheit beginnende Neuzeit ein, deren Artikulation im Krisenmodus erfolgt. Das Zeitalter der Reformation wird hierin zum Zeitalter der Differenz und der Individualität und dem damit einhergehenden Verlust der Einheit. Schließlich wird im dritten Teil die Kirche als Zukunftsmodell dargestellt, welche jedoch nicht als Revitalisierung einer starken katholischen Kirche verstanden werden darf, sondern transkonfessionell gemeint ist. Dies gilt es in besonderer Weise hervorzuheben, da die romantischen Religionskonzepte gerne im Lichte einer institutionellen, katholisierenden Weise gelesen werden. Dies geschieht, allerdings ohne expliziten Bezug auf Novalis, exemplarisch für eine theologische Forschungsposition protestantischer Provenienz bei Ulrich Barth.⁵⁸⁶ Über den Zustand der Einheit zu ihrem Verlust durch den Krisenmodus der Moderne kommt die Christenheit schließlich an der Schwelle zu einer neuen Zeit zu stehen. Insofern entspricht der Gesamtaufbau der Christenheit dem Dreischritt romantischer „Alleinheitsreligion“⁵⁸⁷, welcher von einer Einheit ohne Differenz über eine Differenz ohne Einheit schließlich zur Einheit unter Einschluss der Differenz fortschreitet. Der Standpunkt des Redners der Christenheit befindet sich an der Schwelle zwischen der zweiten und dritten Stufe – damit eröffnet sich durch sie der Raum für die beschworene neue Religion. Die Fiktion dieses Momentums erlaubt es

 Ebd., 734.  Ebd., 733.  Ebd., 732.  Mähl sieht damit übereinstimmend das Ziel Novalis’ darin „das Allgemeingültige und Typische […] dieser Zeit gegenüber der realhistorischen Perspektive zu betonen.“ Vgl. Mähl, „Die Christenheit oder Europa,“ 596.  Vgl. Ulrich Barth, „Schleiermachers Reden als religionstheoretisches Modernisierungsprogramm,“ in Ästhetische Moderne in Europa, 441– 474, 450.  Timm, Die heilige Revolution, 116.

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dem Redner der Christenheit, die Hörer ebenfalls zu einer Entscheidung aufzufordern. Damit besitzt die Christenheit die emphatische Gestalt einer Utopie. Die Funktion dieser Utopie kann verweishaft gedeutet werden. Durch die Inszenierung derselben eröffnet Novalis einen Denkraum. Diesen gestaltet er literarisch als „eine hochreflektierte Mischform aus Dichtung und Wahrheit, Geschichtsmetaphysik und Historiographie, rhetorisch-erbaulicher Mythopoesie im Märchenstil und magischem Beschwören einer gesamteuropäischen Friedensordnung“.⁵⁸⁸ Die Annäherung an die Wahrheit der Religion ist auch ihm nur in der hybriden Verweishaftigkeit literarischer Kunstfertigkeit möglich. Die Christenheit integriert in dieser hybriden Gestalt⁵⁸⁹ auch die Homiletik. Diese wird im Zeichen der romantischen Poesie Teil der programmatischen Gattungsverschmelzung, welche als Medium höherer Einheit fungiert. Der homiletische Autoritätsanspruch geht in dieser Verschmelzung auf den romantischen Diskurs über.⁵⁹⁰ In dieser Verschmelzung findet ein Literaturprogramm seinen Ausdruck, dessen Signatur in dieser Arbeit auf einer übergeordneten Ebene als ‚hypersensible Medialität‘ bezeichnet wird. Darin stimmen die Reden und die Christenheit überein, trotz zentraler Differenzen, die nachfolgend zusammengefasst werden. Die Reden sind im Kern eher ein Reformprogramm und lassen sich dadurch deutlich von Novalis’ Utopie absetzen. Diese Differenz äußert sich neben inhaltlichen Aspekten auch in einer diskursiven Ausrichtung der Reden, der der Vortragsstil der Christenheit gegenübersteht. Schließlich nehmen die Reden ihren unhintergehbaren Ausgangspunkt bei der religiösen Individualität, während die Christenheit mit dem Lob der Einheit anhebt. Dem gegenüber steht die gemeinsame Signatur einer ‚hypersensiblen Medialität‘. Vor dem Hintergrund einer an der Schwelle zur Moderne verloren geglaubten Einheit sind beide Reden in ihrem Kern innovative literarische Projekte, die diese Einheit mit literarischen Mitteln herbeiführen wollen. Hierzu wird den Texten ein Bewusstsein für die eigene Medialität eingeschrieben, sie werden dadurch zu einem fortwährenden Hinweis auf das Unendliche. Das Spezifikum dieser Medialität besteht in ihrer Hypersensibilität, das heißt, dieses Bewusstsein wird so verstärkt, dass es zum eigentlichen Thema des Textes aufsteigt und die inhaltliche Ebene überlagert. Wie diese ‚hypersensible Medialität‘ sich in den jeweiligen Texten äußert, ist unterschiedlich. In den Reden wird sie durch eine fortwährende Selbstrelativierung des eigenen Redevollzuges, eine mediale Selbstreflexivität umgesetzt. Der Christenheit ist diese ‚hypersensible Medialität‘ durch ihre hybride Gestalt eingeschrieben.

 Ebd., 114. In dieser Verschränkung stellen die Texte Novalis’ eine Herausforderung für gattungstheoretische Einordnungen dar. Vgl. Saul, „Prediger aus der neuen romantischen Clique,“ 10.  Auch die Gestalt der Reden wurde mit dem Begriff des Hybriden gekennzeichnet. Diese Hybridität war jedoch gekennzeichnet von einem Ineinander religiöser und religionstheoretischer Rede und damit anders beschaffen als die Christenheit.  Vgl. Saul, „Prediger aus der neuen romantischen Clique,“ 177.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

1.2 Metadiskurs und Vollzug. Friedrich Schlegels „Gespräch über Poesie“ Kurz nach Novalis’ Christenheit entsteht ein weiterer Text, der sich ein spezifisches Literaturprogramm in Gestalt dialogischer Literatur auferlegt. Verfasst wird er von einem für kurze Zeit sehr engen Freund Schleiermachers: Friedrich Schlegel. Dieser äußert sich in seiner ersten Rezension der Reden im Athenäum in markanter Weise über den Charakter der Reden. Es sind Reden, […] voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwürdig wäre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; […]. Und eben darum, weil es im Gewande der allgemeinsten Verständlichkeit und Klarheit so tief und so unendlich subjektiv ist, kann es nicht leicht seyn, darüber zu reden, es müßte denn ganz oberflächlich geschehen sollen, oder auf eine ebenso subjektive Weise geschehen dürfen: denn von der Religion läßt sich nur mit Religion reden.⁵⁹¹

Seine Aussage hebt den Stil und die spezifische Subjektivität der Reden hervor. Bei aller Differenz und Kritik, die Schlegel in zwei fiktiven Briefen an einen Religiösen und einen nicht-Religiösen äußert, würdigt er das frühromantische Schriftstück seines Freundes Schleiermacher in einer Art und Weise, die seinem eigenen Programm literarischer Produktion ähnlich ist. Die entscheidende Pointe steckt seiner Ansicht nach in der Verschränkung von Religion und der ihr korrelierten Rede. Um von Religion reden zu können, wie es die Religionsschrift impliziert, sei Religion selbst unerlässlich. Und indem beides in den Reden der Fall sei, sind sie entsprechend gebildet. Damit stilisiert der im Mai 1799 verfasste Text Schlegels⁵⁹² die Reden zu einem religiösen Parallelkonzept entsprechend seiner eigenen poetologischen Konzeption einer „progressiven Universalpoesie“⁵⁹³. Eine ähnliche Formulierung findet sich in dem im Januar 1800 veröffentlichten Gespräch über die Poesie. In ihm entfaltet Schlegel zentrale Elemente seiner Poetologie und auch hier ist, wie auch für die Reden gezeigt wurde, die spezifische Gestalt dem Inhalt des Textes geschuldet.⁵⁹⁴ Das Gesprächsformat steht in Schlegels bedeutendstem poetologischen Text für das „einheitlichunterschiedliche Wesen der Poesie“⁵⁹⁵. Es steht auch dem Titel nach in Verwandtschaft zur Religionsschrift und beinhaltet eine sehr ähnliche Formulierung hinsichtlich der Poesie: Es ist nicht nötig, daß irgend jemand sich bestrebe, etwa durch vernünftige Reden und Lehren die Poesie zu erhalten und fortzupflanzen, oder gar sie erst hervorzubringen, zu erfinden, aufzustellen und ihr strafende Gesetze zu geben, wie es die Theorie der Dichtkunst so gern möchte. Wie der Kern der Erde sich von selbst mit Gebilden und Gewächsen bekleidete, wie das Leben von selbst aus der Tiefe hervorsprang […]; so blüth auch Poesie von selbst aus der unsichtbaren Ur-

    

Schlegel, „Athenäums-Notiz,“ 275. Vgl. Hans Eichner. „Einleitung,“ in Charakteristiken und Kritiken, IX – CXX, LXXXV. Schlegel, „Athenäums-Fragment 116,“ 182. Vgl. Kap. II. Lothar Pikulik, Frühromantik: Epoche, Werke, Wirkung (München: C.H. Beck, 20002), 157.

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kraft der Menschheit hervor, wenn der erwärmende Strahl der göttlichen Sonne sie trifft und befruchtet […]; und so läßt sich auch eigentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie.⁵⁹⁶

Die Poesie wird hierin als autonome Kunst konzipiert, die durch das göttliche Licht genährt wird. Auch hier besteht die entscheidende Pointe in einer Verschränkung von Metadiskurs und Vollzug der eigentlichen Poesie. Für Schlegel ist der Zusammenhang von philosophischem Gehalt und poetischer Gestalt eines der denkerischen Kernprobleme, das er in besonderer Weise in der Auseinandersetzung mit Platon rezipiert.⁵⁹⁷ In seinem Gespräch unterscheidet Friedrich Schlegel zwei Zugangsweisen zur Poesie – eine theoretische und eine poetische. Den klaren Vorrang räumt Schlegel der poetischen ein. Die hierin implizierte Ablehnung theoretischer Reflexion der Poesie wird in guter schlegelscher Manier doppelt gebrochen: durch das einschränkende „eigentlich nicht“ sowie eben jene Reflexion selbst, die nicht in poetischer, sondern in der Form literarischer Rhetorik geschieht. In Schlegels poetischem Konzept kann alles aufgenommen werden und wird dabei „sich Thema und Kommunikationspartner zugleich“⁵⁹⁸, wobei der subjektive Ausdruckmodus der Lyrik erhalten bleibt. Wie weit trägt die von Schlegel erzeugte Parallelisierung zu den Reden? Tatsächlich weisen die Reden, wie bereits aufgezeigt wurde, ein Ineinander von religionstheoretischer Rede und religiöser Rede im Sinne des Ausdrucks individueller Religiosität auf. Anders formuliert, stehen die Reden in der spezifischen Spannung, „über die und aus der Religion“⁵⁹⁹ zu reden. Religionstheoretische Reflexion, insofern sie unter den Bedingungen der sie eben nicht angemessen erfassenden Objektsprache geschieht, bedarf der Religion. Und beides findet in den Reden in unterschiedlicher Häufigkeit statt. Die unterschiedlichen Artikulationsmodi der Reden sind ein bewusstes Wechselspiel von religiöser und religionstheoretischer Rede gemäß dem Programm selbstreflexiver Literatur, die sich dadurch ihrer eigenen Medialität bewusst wird. Über Religion reden bedeutet in Friedrich Schleiermachers Religionsschrift Ausdruck individueller Frömmigkeit ebenso wie Reflexion der Möglichkeit dieser Artikulation, wobei Letzteres deutlich überwiegt. Innerhalb des Systems theologischer Redeformen Schleiermachers kommt den Reden deswegen eine Mittelstellung zwischen der Predigt, die erbauliche Darstellung eines frommen Selbstbewusstseins ist, und Dogmatik als Darstellung und Analyse

 Schlegel, Gespräch, 285. Den Entschluss, einen solchen Text zu verfassen, muss Schlegel im Sommer 1799 gefasst haben, bereits im Januar 1800 ist dieses Projekt abgeschlossen. Vgl. Eichner, „Einleitung,“ LXXXVIII.  Vgl. Messlin, Antike und Moderne, 288. Die platonischen Philosopheme sind für die Verschränkung von Philosophie und Literatur in der romantischen Poetik „paradigmatisches Vorbild der Möglichkeitsspielräume poetischer Gestaltung für die theoretische Reflexion.“  Sandra Pott, Poetiken, Poetologische Lyrik: Poetik und Ästhetik von Novalis bis Rilke (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2008), 24.  Bauer, Das Bildungsverständnis des Theologen Friedrich Schleiermacher, 44.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

derselben zu.⁶⁰⁰ Die Reden reflektieren sich als Medium selbst. Ihr eigener Vollzug wird ihnen zum Gegenstand.⁶⁰¹ Insofern ist den Reden eine gewisse Form ‚selbstreflexiver Medialität‘ zu eigen. Vor dem Hintergrund dieser Reflexionen gilt es, auf die Ausgangsfrage nach einer möglichen Übereinstimmung der beiden Kommunikationskonzepte des Gesprächs und der Reden zurückzukommen. Beide verbindet ein inhaltliches und ein formales Moment. Inhaltlich kennzeichnet sowohl die Reden als auch das Gespräch eine metatheoretische Selbstreflexivität, deren Ausdrucksweise subjektiv ist. In der formalen Verhältnisbestimmung von Praxis und Theorie sind sich beide Konzepte ebenfalls gleich: Sowohl in den Reden als auch im Gespräch wird der Ebene des Vollzugs, also der religiösen Erfahrung bzw. der Poesie selbst, der Vorzug gegenüber ihrer Reflexion eingeräumt. Dadurch werden jeweils Poesie und Religion zum Kriterium für angemessene und wahre Reflexion erhoben. Die Praxis wird zum Kriterium der Theorie. In der literarischen Umsetzung dieser gemeinsamen Strukturmomente zeigt sich jedoch ein in gewisser Weise offensichtlicher, aber zentraler Unterschied. Friedrich Schlegel synchronisiert Poesie, als sprachliche Praxis, mit ihrem Metadiskurs. Indem die Poetologie Teil der Poesie wird, entsteht eine „poetologische Lyrik“⁶⁰². Kurzum: eine Gleichzeitigkeit von (Meta‐)Theorie und (poetische) Praxis. Das ist das Programm hinter Schlegels Diktum: „und so läßt sich auch eigentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie“.⁶⁰³ Demgegenüber ist es Friedrich Schleiermacher unmöglich, die Religion, als vorsprachliche Praxis, mit ihrem zwangsläufig sprachlichen Metadiskurs zu synchronisieren. Religiöse Rede ist nicht identisch mit religiöser Erfahrung, sondern vielmehr ihr individueller Ausdruck. Das Verhältnis von religiöser Rede und religionstheoretischer Rede in den Reden weicht deswegen von Schlegels Programm ab: (Meta‐)Theorie steht neben individueller Artikulation der (religiösen) Praxis. Für Friedrich Schlegel wird die Frage nach einem angemessenen Verhältnis von Metadiskurs und Vollzug zu einem Kernproblem seiner Wirksamkeit um 1800. Auch er beantwortet diese Frage, wie auch schon Schleiermacher und Novalis, mit der Einschreibung und Erschaffung eines Literaturprogramms, welches eine spezifische Sensibilität für die eigene Medialität besitzt, der eine ‚hypersensible Medialität‘ zu eigen ist. In der Auseinandersetzung mit einem Auszug aus Schlegels Gespräch wurde diese konkrete Umsetzung mit der Formel einer Gleichzeitigkeit von ‚Metadiskurs und Vollzug‘ beschrieben.

 Vgl. Preul, „Schleiermacher als Prediger,“ 256.  Dass die kommunikationstheoretischen Reflexionen sich auf die Reden als Ganzes beziehen, macht deutlich: Petersdorff, Mysterienrede, 256.  Pott versteht unter diesem Begriff „Lyrik, die Themen der Poetik behandelt.“ Vgl. Pott, Poetiken, Poetologische Lyrik, 2, Anm. 2. Schlegels Gespräch ist dies sowohl dem Titel als auch dem Gegenstand nach.  Schlegel, Gespräch, 285.

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1.3 ‚Hypersensible Medialität‘ als Modell Ein hypersensibles Verhältnis zur eigenen Medialität kennzeichnet die Kommunikationsprogramme von Schleiermachers Reden, Novalis’ Christenheit und Schlegels Gespräch. Dies haben die Analysen der vorhergehenden Kapitel gezeigt. Die Reden agieren in einem kommunikativen Spannungsfeld. Zum einen wird in den Reden die Wirklichkeit eines unendlichen Universums vertreten, das sich selbst mitteilt und fortwährend tätig ist. Zum anderen wird jedoch diese unendliche Wirklichkeitsdimension in einer endlichen und als veränderlich wahrgenommenen destabilisierten Wirklichkeit im Forum der Religionsverächter nicht anerkannt. Aus dieser Diskrepanz speist sich die Notwendigkeit rhetorischer Vermittlung eben dieser Wirklichkeit, was zum zweiten Problemzusammenhang überleitet. Als menschliche Rede stehen die Reden vor der Herausforderung, dem Unendlichen mit den Mitteln der Endlichkeit, der Sprache und der Literatur Ausdruck zu verleihen. Geredet wird deswegen auf besondere Weise: in Gestalt der Reden, denen der Verweis auf das Unendliche eingeschrieben wird. Dies trägt der von den Reden inhaltlich entfalteten Annahme Rechnung, dass theoretische Aussagen über Religion nicht mehr im Modus rationaler Erörterungen mit den Mitteln der Vernunft getätigt werden können, sondern in den Bereich der Ästhetik überführt werden müssen. Das Bewusstsein für die Unmöglichkeit dieser Überschreitung ist dieser Rede deswegen, so die These dieser Arbeit, in Form literarischer Selbstreflexivität und einer hybriden Form eingeschrieben. Das bedeutet: Die Literatur selbst reflektiert ihre eigenen Grenzen und Möglichkeiten und besitzt damit ein ihr eingeschriebenes kritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Medialität. Sie kritisiert sich selbst und verweist dadurch auf eine außerhalb dieser Rede liegende Unendlichkeit. Dies geschieht sowohl durch den fortwährenden Verweis auf diese Grenzen als auch durch den Versuch einer Überschreitung mit den Mitteln ästhetisierter Sprache und hybrider Rede. Das so entworfene Programm der Reden stellt einen innovativen Ansatz ästhetischer Theologie an der Schwelle zur Moderne dar. Das Erstlingswerk Schleiermachers entfaltet auch aufgrund dieses Programms seine Wirkung. In diesem Werk verdichtet sich die intellektuelle und soziale Situation des frühen Schleiermacher. Mit der Veröffentlichung der Reden 1799 tritt Schleiermacher erstmals literarisch aktiv in den frühromantischen Diskurs in Berlin ein. Sie werden eines seiner wichtigsten Werke. In ihrem zeitgenössischen Kontext werden die Reden am meisten in Schleiermachers Freundes- und Bekanntenkreis rezipiert, besonders von Sympathisanten der frühromantischen Bewegung.⁶⁰⁴ Die Begegnung mit ihnen ist der lebensgeschichtliche Ort und die Quelle des Gegenstandes der Reden, obwohl sie in Distanz zu seinen Freunden in Potsdam geschrieben werden. Schleiermacher erbittet Ermunterung zum Schreiben: Henriette Herz fordert er auf, „in jedem Brief um die

 Vgl. Meckenstock, „Historische Einführung I/2,“ LX; Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 208. Hier finden sich auch Hinweise auf die ersten Rezensionen, u. a. die Hegels.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

Religion zu mahnen“⁶⁰⁵, damit er das Anliegen nicht verschleppe. In zahlreichen Briefwechseln berichtet Schleiermacher ihr von seinem Schreiben und Stocken, ihre Korrespondenz ist beredtes Zeugnis eines Schaffensprozesses, der von Schwierigkeiten und Zweifeln geprägt war. Auch sein Freund Friedrich Schlegel korrespondiert ausführlich mit ihm und kommentiert die fortlaufend zugesandten Abschnitte. Schon der historische Zusammenhang legt es nahe: Die Reden stehen in besonderer Nähe und sind „Schleiermachers bedeutendster Beitrag zur Frühromantik“⁶⁰⁶. Gleichzeitig speisen sich die Reden aus den Begegnungen in literarischer und persönlicher Natur. Die Analyse der Reden zeigte, dass sie ein Kommunikationsmodell repräsentieren, das durch eine spezifische Sensibilität für die eigene Medialität konstituiert wird. Diese Sensibilität hat in den Reden die konkrete Gestalt expliziter medialer Selbstreflexivität. In dieser Bestimmtheit sind sie Ergebnis einer Suche nach neuen Ausdrucksformen für das Religiöse, wie sie um 1800 von unterschiedlichen Intellektuellen betrieben wird. In ihrem Anliegen folgen die Reden damit einem genuin aufklärerischen Impuls, deren „avancierteste[s] Projekt […] in systematischer Perspektive“ von Claus-Dieter Osthövener in einer „Suche nach einer neuen Form für eine Gesamtdarstellung des Christentums unter veränderten Plausibilitätsbedingungen“⁶⁰⁷ verortet wird. Die Reden stellen sich dieser Fragestellung und unterlaufen sie zugleich, indem sie diese modellhaft bearbeiten: Sie halten an der Möglichkeit der Beschreibung und Artikulation von Ganzheit und Absolutheit fest und erkennen gleichzeitig die unhintergehbare Subjektivität und Fragmentarizität aller objektsprachlich gebundenen Artikulation. Sie sind deswegen ihrer Programmatik nach in einer Reihe mit frühromantischen Fragmenten zu lesen. Die Anerkennung der Subjektivität erfolgt durch die Personifikation des Mittlers und seinem programmatisch subjektiv intendierten Aussagemodus, das Festhalten an eben dieser Möglichkeit findet ihren Ausdruck im subjektiv akzentuierten Wahrheitspathos der Reden. Die Überschreitung einer „Grenze zwischen diskursiver und ästhetischer Rede“⁶⁰⁸, die aufgrund der fehlenden Möglichkeit begrifflicher Artikulation eines romantischen Wissens notwendig wird, findet in der Gestalt dieser literarischen Reden statt. Indem die Christenheit sich explizit auf die Reden und deren Form, dem Religiösen Ausdruck zu verleihen, bezieht, kann sie als Weiterentwicklung des von den Reden ausgehenden Impulses verstanden werden. In den Reden will die explizite Reflexion der eigenen Medialität dazu beitragen, ein angemessenes Programm der Religionskommunikation zu entwickeln. In der Christenheit ist eine konkrete Anwendung des Programms nicht vorgestellt. Die Christenheit ist eine emphatisch vorgetragene Utopie und unterscheidet sich dadurch erheblich von den Reden. Dem konkreten Ringen der Reden, individueller Religion mit den Mitteln der Sprache Ausdruck zu verleihen, steht der Kommunikationsmodus der Christenheit gegenüber, der nicht mehr auf eine konkrete    

Schleiermacher, „Brief 559, An Henriette Herz,“ 11. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, 119. Osthövener, „Schleiermachers kritisches Verhältnis zur theologischen Aufklärung,“ 520. Petersdorff, Mysterienrede, 11.

2 Erbauung und Edukation

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Religion oder das Universum zu verweisen hat, sondern die angestrebte Ganzheit in die eigene Literaturprogrammatik einer hybriden Mischgattung auflöst. Medialität ist damit in der Christenheit nicht mehr Gegenstand kritischer Reflexion, wie in den Reden, sondern verweishaft in der Gattung aufgehoben. Diese Verschiebung ist auch in Schlegels Gespräch zu beobachten. Auch bei ihm geht es nicht mehr um den konkreten Ausdruck individualisierter Religion, Religionskommunikation, so wie es die Reden sind. Dennoch ist auch Schlegels Ansatz von der Programmatik angetrieben, Ganzheit mit den Mitteln der Literatur auszudrücken. Schlegel gießt die poetologische Reflexion in die Gestalt der Poesie und erhebt sie zum einzig wahren Mittel. Eine spezifische Sensibilität für die eigene Medialität weist Schlegels profilierter Vorschlag deswegen auf, weil er die Poetologie theoretisch und durch ästhetische Verweisstrukturen im Vollzug zusammennimmt und damit Inhalt und Medium in eins fließen lässt. Die dargestellten Überlegungen machen deutlich, dass die Reden im Rahmen frühromantischer Literaturprogrammatik verortet werden können. Durch die Reden, die Christenheit und das Gespräch sind drei unterschiedliche Kommunikationsmodi vertreten, deren Programmatik auf den Begriff gebracht werden sollen, ‚Unendlichkeit zu erschreiben‘. In Gestalt der Reden kann diese Literaturprogrammatik als Religionskommunikation aufgefasst werden. Novalis’ und Schlegels Verhältnis zur Religion sind hingegen besonders in der Frühphase ihrer Wirksamkeit nicht mit den binären Kategorien von Religion und Atheismus, von Säkularität und Sakralität zu beschreiben. Sie stellen vielmehr den Versuch dar, Verfahren zu entwickeln, die Ganzheit und Unendlichkeit sprachlich darstellen.⁶⁰⁹ Dem gegenüber sind Schleiermachers Predigten als institutionelle Gestalt von Religionskommunikation eindeutig in den Rahmen religiöser Rede einzuordnen. Sie stehen für ein religiöses Kommunikationsprogramm, welches in seiner Wirksamkeit von dem der Reden deutlich zu unterscheiden ist.

2 ‚Erbauung und Edukation‘. Unendlichkeit und Rede im homiletischen Umfeld der Predigten Friedrich Schleiermachers Friedrich Schleiermachers Predigten in Landsberg an der Warthe ordnet Kurt Nowak in seiner Biographie über Schleiermacher in den Geist der Aufklärung ein und sieht in ihnen eine Fortführung der durch einen philosophisch-ethischen Zugriff geprägten Jugendmanuskripte in homiletischer Gestalt.⁶¹⁰ Beides gilt nicht nur für die ethischen Predigten, sondern auch explizit für jene Predigten, die sich genuin dogmatischen Fragestellungen widmen. Eine in diesen klaren Kategorien erfolgende Abgrenzung  Frühromantische ‚Religion‘ changiert zwischen Kunst, Religion und Mythos. Vgl.: Silvio Vietta, „Die Frühromantik,“ in Romantik: Epoche, Autoren, Werke, hg. v. Wolfgang Bunzel (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010) 11– 25, 19 – 21.  Nowak, Schleiermacher: Leben, Werk und Wirkung, 70.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

ethischer und dogmatischer Predigten ist für die analysierten Predigten problematisch. Eine thematische Eingrenzung der Aufklärungspredigten stellt ohnehin ganz grundsätzlich eine Herausforderung dar. Dies liegt am spezifischen Charakter der Aufklärungspredigt, die die scheinbar widersprüchlichen Traditionen von Orthodoxie, Pietismus und Humanismus verbindet. Claus-Dieter Osthövener macht auf diesen Sachverhalt aufmerksam. Während er die Rezeption der Orthodoxie in Gestalt eines Rationalitätsstrebens verbunden mit einem Interesse an Klarheit der Gliederung sieht, tritt ihr gegenüber der Drang zur Vollständigkeit zurück. Dieser drückt sich im Besonderen im Bereich bestimmter dogmatischer Lehrstücke aus. Auch ihr Rückbezug auf die Schrift geschieht weniger im Sinne einer autoritativen Referenz.Vielmehr muss diese Schrift plausibilisiert werden. Ihr Zugang ist, das hat zuletzt auch die Analyse der Schleiermacherpredigt zum Gebet gezeigt, eklektisch und muss neu angeeignet und plausibilisiert werden. Dementsprechend entfaltet Schleiermacher seinen Gedankengang in der Hinführung stets plausibilisierend, bevor der Predigttext als Bestätigung in diese Argumentation eingefügt wird. Die Übereinstimmung mit dem Pietismus sieht Osthövener besonders am Interesse der Aufklärung am Innenleben des Menschen und seinen Empfindungen, wobei der Zugriff der Aufklärung zu diesen Themen weiter ist, als es noch im Pietismus geschieht. Hierzu ist anzumerken, dass Schleiermachers komplette Neuwendung des Gebetes als genau solch eine Weitung betrachtet werden kann. Dieses wird als rational nachvollziehbare Größe entfaltet, das den Menschen letztlich zu einer ethischen und lebenspraktischen Besserung bringen soll. Damit wird auch genau jene Aufhellung der Anthropologie berührt, die Osthövener für die theologische Aufklärung veranschlagt. Der Mensch soll und kann sich bessern. Gottesdienst und Gebet sind hierzu Mittel – die das geistig-spirituelle Wachstum des Menschen durch eine gemeinschaftliche und transformative Darstellung des Selbst begünstigen. Das edukative Interesse der Predigten hat eine volksaufklärerische Seite, welche exemplarisch für eine Entwicklung im Laufe des 18. Jahrhunderts stehen kann. Adressierte Mosheim seine Predigten vor allem noch an das sich etablierende und emanzipierende Bürgertum, so trat dem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein steigendes Interesse an den dörflichen Gemeinden zur Seite.⁶¹¹ Um eine methodisch nachvollziehbare und zugleich interdisziplinär anschlussfähige Einordnung der Predigten Schleiermachers vornehmen zu können, wird auch hier die Modelltheorie als Rahmen verwendet. Auch hier tritt das Interesse eines werkimmanenten Vergleichs Schleiermachers von Predigten und Reden zu Gunsten der jeweiligen Außenbezüge der Texte zurück.⁶¹² Sowohl eine Einordnung der Aussagen Schleiermachers zu Gottesdienst und Gebet als auch dessen Art zu predigen

 Vgl. Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ 234.  Perspektiven auf das Verhältnis von Predigten und Reden werden in der Zwischenbilanz von Kap. IV eröffnet.

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wird erst durch die Wahrnehmung weiterer Predigtentfaltungen und -vollzüge valide. Deswegen benötigt die Einordnung den Umweg über eine Referenzposition. In besonderer Weise eignet sich dafür Franz Volkmar Reinhard. Zum einen steht er in seiner Bekanntheit unter den Aufklärungspredigern hervor, wurde er doch als „der erfolgreichste Prediger der Spätaufklärung“⁶¹³ bezeichnet. Seine Predigten waren äußerst populär, in Dresden hatte er zwischen 3000 und 4000 Zuhörer und diese Predigten wurden früh veröffentlicht.⁶¹⁴ Zum anderen spricht der Überlieferungsstand für ihn. So sind von ihm zahlreiche Predigten erhalten. Da sie sich in großer zeitlicher Nähe zu den beiden Predigten Schleiermachers befinden, haben sie den gleichen historischen Rahmen. Die beiden im Folgenden analysierten Predigten beschäftigen sich mit dem Gebet und dem Gottesdienst. Insofern sind sowohl ihre inhaltliche Entfaltung als auch ihr rhetorischer Vollzug mit den beiden Predigten Schleiermachers vergleichbar. Zu beachten gilt es, dass die Predigten jeweils einen unterschiedlichen biblischen Text zur Grundlage haben, was für die konkrete theologische Ausformung, die Bildsprache und die Argumentationsstruktur der Predigt nicht unerheblich ist. Die Analyse der Predigten wird entsprechend dem entwickelten systematisch-theologisch orientierten Predigtanalyseschema in drei Hauptschritten durchgeführt.⁶¹⁵

2.1 „Die […] Verehrung Gottes“. Franz Volkmar Reinhard Auch wenn es regionale Unterschiede zu beachten gilt, sind die Viten Schleiermachers und Reinhards in unterschiedlichen Referenzgrößen verblüffend ähnlich. Reinhard wird wie auch Schleiermacher als Sohn eines Predigers geboren.⁶¹⁶ Einige Jahre vor Schleiermacher, im März 1753, kommt er in der Oberpfalz zur Welt. Aufgrund eines Simultaneums, das in seinem Geburtsort Sulzbach seit 1652 gilt, blieb der Ort trotz calvinistischer Landesherren und Wittelsbacher Rekatholisierungsversuche lutherisch geprägt. Reinhard wird also in einem gemischtkonfessionellen Umfeld groß. Das

 Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ 229.  Christian-Erdmann Schott, Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärungspredigt: Dargestellt am Beispiel Franz Volkmar Reinhards (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1978), 15. Unter den veröffentlichten Predigten Reinhards nimmt die am 31. Oktober gehaltene und nur kurze Zeit später veröffentlichte eine zentrale Rolle ein. Christopher Spehr bezeichnet sie aufgrund ihrer umfassenden historischen Rezeption und der dadurch entfalteten Wirkung als Katalysator aufklärungstheologischer Debatten zwischen supranaturalistischer und rationalistischer Anthropologie und Gotteslehre und sieht in ihr einen „theologiegeschichtlichen Markstein im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert“.Vgl. Christopher Spehr, „Reinhards Reformationsfestpredigt im Jahr 1800,“ in Herbergen der Christenheit, 283 – 306, 304.  Vgl. Kap. III.2.  Vgl. für die biographischen Ausführungen: Osthövener, „Franz Volkmar Reinhard und seine Zeit,“ 235; Thilo Daniel, „Franz Volkmar Reinhard als Oberhofprediger in Dresden,“ in Herbergen der Christenheit, 249 – 262, 250.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

Lesen lernt er mit der Bibel, welche ihm sein Vater schenkt. Dieser unterrichtet ihn auch in den alten Sprachen. Ab seinem fünfzehnten Lebensjahr besucht er schließlich in Regensburg ein Gymnasium. Bereits im frühen Alter beginnt Reinhard die Dispositionen der Predigten seines Vaters zu Hause zu rekapitulieren. Nach dem Tod seiner Eltern führt ihn sein Weg nach Wittenberg, wo er das Studium der Theologie und Philosophie aufnimmt. Eine homiletische Schulung erfolgt nicht, vielmehr orientiert sich Reinhard bei der Abfassung seiner Predigten vor allem am antiken Maß. Dies erfährt wohlwollende Kommentierung durch Goethe und andere Intellektuelle seiner Zeit. Reinhard findet den Weg in die akademische Welt einige Jahre vor Schleiermacher. Im Jahr 1780 wird er Professor der Philosophie, 1782 Professor der Theologie, beides in Wittenberg, wo unter anderem Fichte sein Schüler ist.⁶¹⁷ Eine Bedeutung kommt seiner akademischen Tätigkeit insofern zu, als von seinen Predigten dadurch auch eine systematisch-theologisch relevante Tiefenschärfe erwartbar ist. Bemerkenswert ist, dass Reinhard neben dieser akademischen Tätigkeit als Oberkonsistorialassessor in Dresden die Geschicke der Sächsischen Kirche, der Universität und der Schulanstalten mitbestimmt.⁶¹⁸ Damit ist seine Tätigkeit, wenn auch zeitlich vorgezogen, ebenso breit gespannt wie die Schleiermachers. Auch er sah besonders im Predigen eine notwendige Ergänzung seiner eigenen Tätigkeit. Die nachfolgenden Analysen der beiden Predigten Reinhards folgen dem Schema, welches im Rahmen der Überlegungen zur systematisch-theologischen Predigtanalyse auch für die Predigten Schleiermachers entwickelt wurde.⁶¹⁹ Die folgenden Ausführungen bieten somit einerseits eine historische Hinführung und stellen andrerseits sowohl die theoretische Entfaltung als auch den rhetorischen Vollzug von Religionskommunikation dar. Nachdem jedoch die hier dargebotenen Ausführungen wesentlich kürzer ausfallen, wird auf eine explizite Untergliederung durch Überschriften verzichtet. Die historisch-biographische Situation, in der Reinhard die beiden Predigten verfasst, ist ähnlich. Sie sind jedoch in unterschiedlichen Jahren entstanden. Im Jahr 1797 ist Reinhard Oberhofprediger in Dresden, ein Amt, zu dem er 1792 berufen worden war. Kurz nach seinem Amtsantritt in Dresden stirbt seine erste Frau Christine Dorothea Schmid. Im Jahr 1794 heiratet er Ernestine von Charpentier, deren jüngste Schwester Julie die Verlobte Friedrich Hardenbergs ist. Die Romantik eines Novalis – und er selbst wohl auch – bleibt Reinhard fremd. Im Zentrum seiner Tätigkeit als  Vgl. ebd., 253. Reinhard bezieht im Atheismusstreit Position gegen Fichte, der ihm ursprünglich die zweite Auflage seines Versuchs einer Kritik der Offenbarung widmen wollte. Dass Reinhard gegen die Schrift votieren musste, bedingt auch sein Amt im Oberkonsistorium. Allerdings lässt sich aufgrund der persönlichen Animosität von Reinhards Biographen gegenüber Fichte schwer ermitteln, welche persönliche Stellung Reinhard zu Fichte einnimmt. Dies ist insofern interessant, als Schleiermacher in den Reden mit seiner Absage einer Notwendigkeit einer personalen Gottesvorstellung für die Religion eindeutig mit der Position Fichtes sympathisiert.  Die Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen in der Bildungspolitik, in der Arbeit am Gottesdienst, der Kirchenpolitik und dem Wirken in der Stadt Dresden. Für weitere Ausführungen vgl. Daniel, „Franz Volkmar Reinhard,“ 254– 262.  Vgl. Kap. III.2.

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Oberhofprediger steht, auch wenn dazu ebenfalls die Mitgliedschaft im Oberkonsistorium gehört, seine Predigttätigkeit. Die Funktion des Oberhofpredigers in Dresden ist zur damaligen Zeit das „erste evangelische Amt im Reich“⁶²⁰. Anlässlich eines kurfürstlich sächsischen evangelischen Hofgottesdienstes hält er dort eine Predigt mit dem Titel Die öffentliche gemeinschaftliche Verehrung Gottes und Jesu als ein Beförderungsmittel der Liebe und des Wohlwollens gegen die Menschen. Es ist der elfte Sonntag nach Trinitatis 1797. Damit fällt sie liturgisch gesehen in die festfreie Zeit. Entsprechend geht die Predigt in keiner Weise auf kirchenjahreszeitliche Besonderheiten ein. Die Textgrundlage für diese Predigt bildet Lukas 18,9 – 14. Veröffentlicht wird diese Predigt noch zu Lebzeiten Reinhards in einem Sammelband mit dem Titel Auszüge aus einigen im Jahre 1797 bei dem Churfürstlich Sächsischen Evangelischen Hofgottesdienste zu Dresden gehaltenen Predigten von D. Franz Volkmar Reinhard, Churfürstlichem Oberhofprediger, Kirchenrathe und Oberconsistoriali. Insgesamt verzeichnet der Predigtband 29 Predigten, die zwischen dem ersten Sonntag nach Epiphanias und dem dritten Sonntag im Advent gehalten werden. Die Themen der Predigten enthalten eine starke ethische Akzentuierung, so wird ein Wunder Jesu ebenso unter dem Aspekt seiner Lehrhaftigkeit betrachtet wie der Tod Jesu.⁶²¹ Der Band erscheint in zwei Auflagen in Sulzbach bzw. Sulzbach und Amberg bei der Kunst- und Buchhandlung des Kommerzienrathes J.E. Seidel. Das Erscheinungsjahr der zweiten Auflage ist 1801. Reinhards Vorwort dieser Auflage geht auf eine Überarbeitung ein, die jedoch auf die hier behandelte Predigt keine Auswirkung hatte. Die Analyse unterschiedlicher Textversionen ist deswegen nicht geboten. Durch die Autorisierung und Beteiligung Reinhards bei der Veröffentlichung ist auch hier der Text ein verlässlicher Zeuge, auf dessen Grundlage nun die Analyse der theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation folgt. Das Exordium der Predigt ist geprägt durch eine Kritik am Zeitalter, welches für den Prediger durch eine geringe Achtung des Gottesdienstes und demzufolge auch der geringen Wirksamkeit desselben innerhalb der Gemeinde geprägt ist.⁶²² Im Zentrum des Gottesdienstes stehen für Reinhard die Stärkung und Ermunterung, welche erwirkt werden durch „Nachdenken ueber die Wahrheiten der Religion, durch Anbetung Gottes, durch ruehrende Gesaenge, durch bruederliche Ermahnung, durch fromme Beobachtung der von Christo selbst angeordneten, ehrwuerdigen Gebraeuche der  Daniel, „Franz Volkmar Reinhard,“ 252.  Vgl. Franz Volkmar Reinhard, „Wie lehrreich das erste Wunder Jesu war. Am zwehten Sonntage nach dem Feste der Erscheinung; Evang. Joh. II,1– 11“ und „Das traurige Ende Jesu als eine Quelle der wichtigsten Belehrungen. Am Sonntage Estomihi, Evangel. Luc. XVIII, 31– 43,“ beides in: Auszüge aus einigen im Jahre 1797 bei dem Churfürstlichen Evangelischen Hofgottesdienste zu Dresden gehaltenen Predigten von D. Franz Volkmar Reinhard, Churfürstlichem Oberhofprediger, Kirchenrathe und Oberconsistoriali (Amberg und Sulzbach: Seidelische Kunst- und Buchhandlung, 1801), 19 – 35. 88 – 104.  Vgl. Franz Volkmar Reinhard, „Die öffentliche und gemeinschaftliche Verehrung Gottes und Jesu als ein Beförderungsmittel der Liebe und des Wohlwollens gegen die Menschen. Am elften Sonntage nach Trinitatis, Evangel. Luc XVIII,9 – 14,“ in Auszüge aus einigen im Jahre 1797 bei dem Churfürstlichen Evangelischen Hofgottesdienste zu Dresden gehaltenen Predigten, 339 – 356, 340.

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Taufe und des Abendmahls.“⁶²³ Aus dieser Bestimmung wird deutlich, dass mit der Formel „öffentliche gemeinschaftliche Verehrung Gottes und Jesu“⁶²⁴ der Gottesdienst gemeint ist. Er ist durch diese unterschiedlichen Facetten als vielgestaltiges Ereignis bestimmt, spricht den Verstand an, ist erbaulich und hat eine paränetische Dimension. In den urchristlichen Gemeinden, so betont es der Prediger, spielen diese Zusammenkünfte eine herausgehobene Bedeutung und werden zur Quelle und Nahrung für Standhaftigkeit, Mut und Stärke für die verfolgten ersten Christen. In Anbetracht dieser Bedeutung des Gottesdienstes für Entstehung und Ausbreitung des Christentums und des starken Bedürfnisses der ersten Christen, sich selbst unter Gefahren zu versammeln, sei die geringe Wertschätzung eben dieser Versammlungen und das fehlende Bedürfnis der Gemeinde, am Gottesdienst teilzunehmen, Grund zur Klage. Der ohnehin seltene Besuch des Gottesdienstes geschehe zudem aus den falschen Motiven, unter denen da wären die Gewohnheit oder die Sorge vor der Kritik der anderen Gottesdienstbesucher: „Wo ist der edle fromme Sinn, der sich hier bilden, wo ist der Eifer für das Gute, der hier Kraefte sammeln, wo ist die feurige Liebe gegen Gott und Jesum die sich hier entzuenden sollte?“⁶²⁵ Die Auswirkungen des Gottesdienstes könnten sich auf die Dimensionen des Spirituellen, des Ethischen und des Sozialen erstrecken, obgleich Reinhard die Schwierigkeit einräumt, genau diesen Zusammenhang zu erweisen. Einen Grund für die fehlende Wirksamkeit des Gottesdienstes in der Gemeinde sieht der Prediger darin, dass die Gemeinde keine Kenntnis seines ursprünglichen Zweckes habe. Hier endet die Einleitung, welche das Interesse der Hörer wecken soll. An dieser Stelle folgt der Predigttext.⁶²⁶ Es handelt sich hierbei um die Perikope von Pharisäer und Zöllner, die Jesus nach der Narration des Lukasevangeliums einer Gruppe selbstgerechter Menschen erzählt. Während der Pharisäer Gott für sein frommes Sein und Handeln dankt und sich von den Menschen abgrenzt, die dies aus seiner Sicht nicht in gleicher Weise tun, steht der Sünder abgeschlagen im hinteren Teil des Tempels und bittet demütig um Gnade. Am Ende dieser Geschichte steht das Wort von der Erniedrigung der sich selbst Erhöhenden und der Erhöhung der Niedrigen. Im Anschluss an diese Lesung wird aus dem Text heraus das Thema der Predigt entwickelt. Für den Prediger steht das Verhalten des Pharisäers paradigmatisch für eine verwerfliche Haltung im Gottesdienst, die Resultat mangelnder Kenntnis des eigentlichen Zwecks ist. Die Gottesdienstsituation in der Perikope beschreibt der Prediger als andächtiges Geschehen,

 Ebd., 339.  Ebd., 343.  Ebd., 341.  Als lutherischer Prediger ist Reinhard an die Perikopenordnung gebunden, wie es um 1800 in den allermeisten lutherischen Landeskirchen der Fall ist und der sich die Geistlichen in der Regel auch beugten. Reinhards Bemühungen um die Revision der sächsischen Perikopenordnung weckten zwar große Hoffnungen, scheiterten am Ende dennoch. Details zu Reinhards Bemühungen um eine Reform der sächsischen Perikopenordnung bietet: Andres Straßberger, „Franz Volkmar Reinhard und die Reform des sächsischen Perikopenwesens,“ in Herbergen der Christenheit, 307– 336, 309.

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welches gekennzeichnet sei durch „[d]ie Heiligkeit des Orts, der Anblick einer Menge, sie sich im Gefuehle ihrer Abhängigkeit vor Gott demuethigt; die Stille, die fromme Wehmut, die tiefe Ruehrung des Zoellners“.⁶²⁷ Genau diese Aspekte hätten geeignet sein können, den Pharisäer zu erweichen. Die Gottesdienstsituation wird kontrastiert mit der unangemessenen Haltung des Pharisäers. Der Gottesdienst dürfe nicht für die Befestigung von Verachtung oder Menschenfeindlichkeit missbraucht werden. Ein solches Verhalten sei, so der Prediger, für einen Juden unangemessen, in antijüdischer Überbietungsargumentation sei es noch viel weniger angemessen für einen Christen, begründet durch das Hauptgebot des Christentums, der Liebe. Dieser Argumentationsgang bringt den Prediger zur zentralen These der Predigt. Gegenstand ist der Gottesdienst in seiner Funktion als „Beförderungsmittel der Liebe und des Wohlwollens gegen die Menschen“⁶²⁸. Diese Kernthese der Predigt wird unter vier verschiedenen Aspekten betrachtet. Der Gottesdienst im genannten Sinne dient dazu, Demut, gegenseitige Achtung, Gemeinschaftsgefühl und die Hoffnung einer ewigen Gemeinschaft zu wecken.⁶²⁹ Indem der Gottesdienst erstens Demut in den Gottesdienstbesuchern weckt, wird er zu einem Mittel, um Liebe und Wohlwollen unter den Menschen zu stiften. Diese Demut, die mit dem pharisäischen Stolz kontrastiert wird, resultiert aus der gottesdienstlich vermittelten Erkenntnis, dass alle Menschen vor Gott gleich und sündig sind. Die Gleichheit aller Menschen wird den Gottesdienstbesuchern durch das Gestellt-Sein vor Gott deutlich. Im Angesicht seiner Unendlichkeit wird dem Menschen in besonderer Weise seine Geschöpflichkeit bewusst, die der Gnade Gottes bedarf. Diese grundlegenden Einsichten nivellieren jegliches menschliches Differenzgebaren. Gleichzeitig kommt dem Menschen seine Sündhaftigkeit zu Bewusstsein. Diese Bitte formuliert in der Predigt der Zöllner, welcher der Gemeinde zur Identifikationsfigur werden soll. Der Prediger kontrastiert hier Gottes Heiligkeit, Gerechtigkeit und Vollkommenheit mit der menschlichen Sünde und Fehlhaftigkeit. Das Gesetz macht dem Menschen seine Vergehen deutlich, angesichts dessen sich die Notwendigkeit der Versöhnung des Menschen zeigt. Damit zeigt der Prediger, dass der gesamte Gottesdienst die Sündhaftigkeit des Menschen in allen seinen Elementen offenbart und dadurch die Gottesdienstbesucher zum tiefen Empfinden derselben bringt, aus welchem eine gegenseitige Anerkennung gleicher Sündhaftigkeit resultiert. Zweitens soll der Gottesdienst „wechselseitige Achtung“ wecken. In der gottesdienstlichen Gemeinschaft stehen die Mitglieder brüderlich nebeneinander, sehen im jeweils anderen „vernünftige Geschoepfe Gottes“, die sich in der „ruehrendsten Erhebung“⁶³⁰ befinden. Als solche vernünftigen Geschöpfe sind die Menschen singulär mit der Fähigkeit zur Reflexion über ihren Ursprung ausgestattet. Dieses Denk- und Urteilsvermögen sowie seine Fähigkeit zur Selbsttranszendenz sind Ausdruck menschlichen    

Reinhard, „Die öffentliche und gemeinschaftliche Verehrung Gottes,“ 342. Ebd., 343. Vgl. ebd., 343. Ebd., 347.

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Geschaffen-Seins durch Gott. In dieser Gemeinschaft sind die einzelnen Geschöpfe von einer durch Gott gestifteten Empfindung für diese Gemeinsamkeit erfüllt. Der Gottesdienst soll drittens ein Gefühl von der dort existierenden Gemeinschaft wecken. Die Besucher sollten sich im Gottesdienst als „Mitglieder einer buergerlichen Gesellschaft und Erlösete eines Herrn“ verstehen. Der Prediger zeichnet den Gottesdienst in den Schutz staatlicher Obrigkeit und Ordnung und den Volkszusammenhang ein. Deswegen habe diese Gemeinschaft ihren Grund in der bürgerlichen Gesellschaft, deren Mitglieder ihren Mitbürgern „Wohlwollen und Liebe“ entgegenzubringen haben. Der Obrigkeit gelte „Gehorsam und Treue“⁶³¹. Die gottesdienstliche Gemeinschaft hofft jedoch viertens auf die Überschreitung dieser irdischen zu Gunsten einer „ewigen Vereinigung“⁶³². Diese Perspektive vertieft die Gemeinschaft. Der Gottesdienst trägt dazu bei, indem er an die Unsterblichkeit der Gemeinde und die Hoffnung auf ein Wiedersehen erinnert. Dieses Wiedersehen geschehe als Aufnahme in eine himmlische Gemeinschaft. Das einigende Band der Gemeinde in der Gegenwart ist hierfür eine Einübung derselben. „Sinn und Gefühl“ werden die Gemeindeglieder für diese Gemeinschaft nur besitzen, wenn sie schon in der gegenwärtigen Gemeinschaft gelernt haben, „einander zu lieben, zu erfreuen, zu begluecken“⁶³³. Die Predigt als Ganzes setzt sich damit auseinander, wie der Gottesdienst durch Demut, wechselseitige Achtung, Gefühl des nahen Zusammenhanges und Hoffnung auf eine ewige Gemeinschaft dazu beiträgt, die Gemeinschaft in der Gegenwart zu stärken. Damit erhält der Gottesdienst eine auf die Stärkung der Gemeinde ausgerichtete Funktion. Im Zentrum der Überlegungen steht vor allem die Verknüpfung von Gottesdienst und Gemeindeleben, also der Beitrag des Gottesdienstes zu einer Ethik des Intersubjektiven. Die Argumentation verharrt allerdings auf der Begründungsebene. Dies überrascht, da die für den Gottesdienst durchgängig gebrauchte Formel einer „gemeinschaftlichen Verehrung“ in besonderer Weise auf die in irgendeiner Form kommunikativ vermittelte Verehrung hinweist. Nur sehr punktuell werden die kommunikativen Vollzüge angesprochen, welche ebenfalls Teil des Gottesdienstes sind. In allgemeiner Weise wird der Zweck des Gottesdienstes durch gemeinsames Nachdenken, Anbetung, Gesänge, Ermahnung und Sakramente bestimmt. An einer Stelle weist der Prediger darauf hin, dass die eigene Rede nicht der Ort sei, all die Missstände hinsichtlich der mangelnden Wertschätzung des Gottesdienstes zu „rügen“⁶³⁴. Allerdings bleibt auch hier offen, ob dies mit der Natur der Predigt grundsätzlich unvereinbar oder schlichtweg der zeitliche Rahmen für dergleichen nicht gegeben sei. In der Schilderung der Wirkungen des Gottesdienstes unter der Bedingung, dass die Gemeinde seine Bestimmung kennen würde, beschwört der Prediger emphatisch: „Welche Sehnsucht nach diesen Versammlungen, welche Aufmerksamkeit auf alles, was dabei vorgeht, welche Andacht und Stille, welche Ruehrungen des    

Ebd., 351. Ebd., 353. Ebd., 356. Ebd., 341.

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Herzens, welche Empfindungen der Ehrfurcht vor Gott, und der wechselseitigen Liebe wuerde man an uns bemerken, wenn wir die wahre Bestimmung des gemeinschaftlichen Gottesdienstes nie aus den Augen verloehren!“⁶³⁵ Damit werden unterschiedliche potentiell kommunikativ auffassbare Elemente des Gottesdienstes angesprochen. Allerdings werden diese Vollzüge, obwohl die Predigt explizit auf die Beziehungen der Gemeinde untereinander fokussiert, nicht als interpersonale Vollzüge, sondern als individuelle beschrieben. Lediglich die wechselseitige Liebe muss als interpersonales Geschehen verstanden werden. Allerdings bleibt diese im weiteren Verlauf unbestimmt und kann deswegen lediglich als Ansatzpunkt für eine mögliche Theorie der Religionskommunikation in der Predigt benannt werden. Demgegenüber ist der Vollzug der Predigt per se als ein Akt der Entfaltung von Religionskommunikation aufzufassen, dessen Analyse nun folgt. Der erste Teil des Exordiums verzichtet in weiten Teilen auf direkte Anrede oder Selbstthematisierung des Redners. Weder der Prediger noch die Gemeinde werden personal greifbar, vielmehr wird die Wertschätzung des Gottesdienstes durch die Urchristenheit und dessen Wirkung für die Ausbreitung des Christentums in narrativem Duktus entpersonalisiert beschrieben. Im Hinführungsteil zum Predigttext wird dann jedoch deutlich, in welchem Verhältnis der Prediger und Liturg zur Gemeinde steht. Der Prediger steht im gemeinsamen Gottesdienstgeschehen mit der Gemeinde vor der Schrift und den in ihr enthaltenen Weisungen. Dies gilt auch für den Tadel und die defizitäre Beschreibung der Gemeinde, an der die guten Wirkungen des Gottesdienstes nicht sichtbar sind. Auch hier ist der Prediger Teil dieser Gemeinde. Gleichzeitig ist es die Funktion des Predigers, die Gemeinde auf bestimmte in der Schrift enthaltene Aspekte hinzuweisen, damit macht der Prediger eine aufklärende und erziehende Position für sich geltend: „Lasset mich versuchen, euch heute wenigstens einen von den wichtigsten Gesichtspunkten anzueignen, aus welchem die öffentliche gemeinschaftliche Verehrung Gottes und Jesu betrachtet werden muß“.⁶³⁶ Demgegenüber ist die Gottesdienstgemeinde, als deren Teil der Prediger sich einerseits fasst, der er aber durch seine Kenntnis der Funktion des Gottesdienstes gleichzeitig enthoben ist, defizitär qualifiziert. Diese defizitäre Qualität wird vor allem als Differenz zum Idealzustand thematisiert, in dem die Gemeinde durch Nähe, Sanftmut, Liebe, Eintracht und Frieden bestimmt wird.⁶³⁷ In der Entfaltung der Wirkungen des Gottesdienstes im Hauptteil dominieren Formulierungen in der ersten Person Plural. Hier wird die gemeinsame Gleichheit und Sündhaftigkeit vor Gott,⁶³⁸ das gegenseitige Ansichtig-Werden als vernünftige Geschöpfe Gottes in rührender Erhebung,⁶³⁹ die Mitgliedschaft in bürgerlicher Ge-

    

Ebd., 341– 342. Ebd., 342. Vgl. ebd., 343. Vgl. ebd., 344. Vgl. ebd., 347.

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sellschaft und das Erlöstsein durch Jesus,⁶⁴⁰ die Erinnerung an die Unsterblichkeit und die Hoffnung auf ein eschatologisches Wiedersehen⁶⁴¹ von Prediger und Gemeinde angesprochen. Das Kommunikationsgeschehen zwischen Prediger und Gemeinde ist damit zwar durch eine klar edukativ akzentuierte Position des Predigers bestimmt, eröffnet aber die Perspektive auf ein durch Kenntnis geprägtes ideales Gottesdienstgeschehen, in welchem Predigthörer und Prediger als ideale Gemeinde vereint sind. Die Predigt besitzt eine klare, systematisch durchgeführte Gliederung, welche aus einem Exordium, der Lesung des Predigttextes, einem Übergang zum Thema und einer vierschrittigen Entfaltung desselben besteht, wobei diese vier Punkte jeweils in zwei Unterpunkten ausgeführt werden. Ebenso klar und deutlich ist die Sprache der Predigt. Der Duktus der Predigt ist vor allem erklärend und belehrend. Das Exordium wird durch die historische Referenz auf das Urchristentum bestimmt, welche die Wertschätzung des Gottesdienstes durch die Urgemeinde beschreibt. Mittels des Predigttextes wird dann zum eigentlichen Thema der Predigt übergeleitet. Die Durchführung der Predigt ist besonders im Hauptteil durch theologische Topoi und Argumentationsmuster bestimmt. Der Gottesdienst, so ist zusammenzufassen, ist bestimmungsgemäß Ort zur Beförderung christlicher Gemeindetugenden, die es nicht nur auf kognitive Weise zu erlernen und zu verstehen, sondern auch nachzuvollziehen und zu empfinden gilt. In diesem Sinne ist es die Aufgabe der Gemeinde, zu lernen „einander zu lieben, zu erfreuen, zu beglücken“.⁶⁴² Der Prediger hat eine klare aufklärende und erziehende Funktion, im Kern seiner Predigt steht das Anliegen, über eine zentrale Funktion des Gottesdienstes aufzuklären. Die Predigt ist damit auf der Vollzugsebene der Ort, an dem diese unterschiedlichen Funktionsweisen des Gottesdienstes erklärt und dargestellt werden, im Einklang mit dem biblischen Zeugnis. Auf der Ebene der theoretischen Entfaltung werden die durchaus kommunikationstheoretisch deutbaren Elemente des Gottesdienstes vor allem im Sinne ihrer theologischen Begründung und ihres Ortes im Gottesdienst thematisiert.

2.2 „Das Gebet“. Franz Volkmar Reinhard Im Predigtband des Jahres 1797, der die Predigten aus dem Jahr 1796 verzeichnet, sind 24 Predigten enthalten, die Reinhard zwischen dem Epiphaniasfest und dem sechsundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis in Dresden hält. Auch in diesem Band überwiegen die ethisch akzentuierten Predigten. Wie bereits bei der vorhergehenden Analyse wird auch hier aufgrund der Kürze der Ausführungen auf eine explizite Untergliederung des Textes verzichtet. Dennoch wird auch hier eine historische Ein-

 Vgl. ebd., 351.  Vgl. ebd., 354.  Ebd., 356.

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ordnung sowie die Analyse der theoretischen Entfaltung und des rhetorischen Vollzugs der Religionskommunikation dargestellt. Am Epiphaniasfest im Jahr 1796 hält Reinhard anlässlich eines kurfürstlich sächsischen Hofgottesdienstes in Dresden in seiner Funktion als Oberhofprediger einen Gottesdienst, dessen Predigt den Titel trägt Das Gebet als ein Mittel, immer bekannt mit den Fehlern unsers Herzens zu bleiben. Die Predigt wird damit genau ein Jahr vor der zuvor behandelten Predigt zum Gottesdienst gehalten. Da sowohl die historisch-biographischen Gegebenheiten als auch die liturgisch-kirchenjahreszeitlichen sich in den erheblichen Punkten nicht von derjenigen unterscheidet, welche in der vorhergehenden Analyse dargestellt wurden, sei hier auf diese Ausführungen verwiesen.⁶⁴³ Am Thema des Gebetes entfaltet die Predigt einige für eine theoretische Entfaltung von Religionskommunikation relevante Aspekte. Im Exordium führt der Prediger Reinhard zwei Weisen aus, wie mit dem „sittliche[n] Verderben der menschlichen Natur“ umgegangen werden kann und wird.Während ein weit verbreiteter „Mangel an Gefuehl für eigene Fehler“ dazu führt, eben dieses Verderben der menschlichen Natur weiterhin zu steigern, kann ein Gefühl für die eigene Fehlerhaftigkeit über die eigene Besserung „unter dem Beystande Gottes“ dazu führen, „ein weiser, guter, gruendlich tugendhafter Mensch zu werden“.⁶⁴⁴ Dies gilt, so Reinhard, umso mehr, als auch derjenige, welcher aufgrund seines Gefühls um sein Fehlen weiß, wessen höchstes Anliegen die eigene Besserung ist, stets in der Gefahr steht, von der Sünde korrumpiert zu werden. Der Mensch muss deswegen alle Mittel ergreifen, um sich seiner eigenen Konstitution bewusst zu werden. Gott habe dem Menschen hierzu auch angemessene Mittel verliehen, die in der Gestalt Jesu der Gemeinde exemplarisch vor Augen geführt werden. Eine besondere „Uebung“, die zu diesem Zweck wenig prominent, gleichwohl aber „die heilsamste und kraeftigste“⁶⁴⁵ ist: „Das Gebet, sollte uns in einer immerwaehrenden vertrauten Bekanntschaft mit uns selbst erhalten, es sollte den Abgrund unsers Herzens mit einem Glanz erfüllen, bey welchem auch die kleinsten verborgensten Fehler dem Auge des Geistes sichtbar werden mueßten.“⁶⁴⁶ Das Gebet wird damit zum Mittel tiefster Introspektion zum Erhalt einer intakten und kritischen Selbsterkenntnis, die dem Menschen in besonderer Weise seine noch so kleinen Fehler vor Augen führt. Dazu dient dem Prediger wegen des gleichen Zeitpunkts im Kirchenjahr ebenso die Perikope aus Lukas 18,9 – 14 als biblische Textgrundlage.⁶⁴⁷ Das Gebet des Pharisäers dient als negatives Beispiel eines Gebetes, welches im Beter

 Vgl. Kap. VI.3.1 und VI.3.1.1.  Franz Volkmar Reinhard, „Das Gebet als ein Mittel, immer bekannt mit den Fehlern unsers Herzens zu bleiben. Am elften Sonntage nach Trinitatis, Evang. Luc.VIII,9 – 14,“ in Auszüge aus einigen im Jahre 1796 bey dem Churfürstlich Saechsischen Evangelischen Hofgottesdienste zu Dresden gehaltenen Predigten, 384– 402, 384.  Ebd., 385.  Ebd., 386.  Vgl. Kap. VI.3.1.2.

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die unangemessenen Gefühle „des Stolzes und der Selbstgefaelligkeit“⁶⁴⁸ hervorruft. Demgegenüber erfüllt das Gebet des Zöllners ihn mit „Wehmut“⁶⁴⁹, welche eben die skizzierte hermeneutische Funktion als Mittel der Erkenntnis eigener Vergehen erfüllt. Damit mündet die Überleitung vom Predigttext zum Thema der Predigt: „Das Gebet als ein Mittel […], immer bekannt mit den Fehlern unsers Herzens zu bleiben“. Die Entfaltung dieses Predigtthemas erfolgt wiederum in drei Schritten: Der Prediger führt Natur und Absicht des Gebets aus, zeigt auf dieser Grundlage, wie das Gebet eben jenes Erkenntnismittel sein kann, um schließlich darüber zu sprechen, wie es eingerichtet und gebraucht werden muss, um diese Funktion zu erfüllen.⁶⁵⁰ Diese drei Gesichtspunkte werden wiederum jeweils in untergliederten Gedankengängen entfaltet. Erstens erläutert Reinhard die Natur und die Absicht des Gebetes. Als eine „mit Ruehrung verknuepfte Richtung unsers Geistes auf Gott“ ist das Gebet zu unterscheiden von allgemeinen Betrachtungen, die sich auf den Verstand beschränken. Als Herzensrührung ist das Gebet ein ganzheitliches Geschehen, welches unterschiedliche Empfindungen wie Bewunderung, Dankbarkeit, Freude, Unterwerfungen und Pflicht im Menschen evoziert, welche jeweils auf den Schöpfer ausgerichtet sind. Ausdruck erhält dies sowohl in sprachlicher als auch in nicht-sprachlicher Form, durch eigene oder fremde „Formeln“⁶⁵¹. Diese besondere Rührung bezeichnet Reinhard als „Art der Huldigung“⁶⁵², welche der Mensch Gott schulde, obgleich Gott dieser nicht bedürfe. Vielmehr ist es ein angemessenes Bedürfnis des Menschen, als vernünftiges Wesen seinen Ursprung zu betrachten. Indem Reinhard das Gebet als „Mittel“⁶⁵³ beschreibt, „gewisser Wohltaten Gottes theilhaftig zu werden“, macht er deutlich, dass auch und besonders das Bittgebet als Ausdruck der oben beschriebenen Gefühle und Gedanken verstanden werden kann und muß. Stehen diese mit dem Willen Gottes in Einklang, so würden diese auch erhört. Schließlich entfaltet der Prediger Natur und Absicht der Predigt als Übung zur Herzensveredelung. Indem der Mensch sich fortwährend in ein „Verhaeltniß mit Gott“ denkt, wird sein Denken und Handeln von sich aus auf den rechten Weg gelenkt. Daran anschließend entfaltet Reinhard das Thema und zugleich die Kernthese der Predigt: Das Gebet als „Mittel“ anzusehen, das dazu diene, „immer bekannt mit den Fehlern unseres Herzens zu bleiben“.⁶⁵⁴ Dies wird anhand der vier Aspekte zu Natur und Absicht des Gebetes ausgeführt. Indem das Gebet also Geistesausrichtung auf Gott ist, vergegenwärtigt es gleichzeitig die eigene Zerstreuung. Ebenso zeigt das Gebet das eigene Gottesver-

      

Reinhard, „Das Gebet als Mittel,“ 386. Ebd. Ebd., 387. Ebd., 388. Ebd., 389. Ebd., 390. Ebd., 391.

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hältnis, indem es als „Huldigung“⁶⁵⁵ aufgefasst wird, da in dieser für die Huldigung notwendigen Sammlung das eigene Verhältnis zu Gott klar hervortritt, so wie diese Sammlung des Gebetes in der Predigtperikope in das Sündenbekenntnis des Zöllners mündet. Als Mittel zur Herzensveredelung macht das Gebet die eigene Unvollkommenheit fühlbar.⁶⁵⁶ Damit zeigt das Gebet die eigenen unterschiedlichen Herzensfehler. Ebenso entfaltet Reinhard, wie dieses Gebet beschaffen sein muss. Es sollte Ausdruck des Eigenen des Menschen sein, was sowohl dadurch erreicht werden kann, dass das Gebet dem eigenen Herzen entspringt oder sich entsprechend zu eigen gemacht wird.⁶⁵⁷ Spiegelt das Gebet dieses Eigene, so wird es zwangsläufig auch die eigenen Fehler ausdrücken und zu Empfindung bringen. Darüber hinaus muss das Gebet „andächtig“⁶⁵⁸ sein, als Vollzug einer inneren Schau, die sowohl einer bestimmten Form von Aufmerksamkeit bedarf als auch in einem Zustand der geistigen Festigung vonstatten gehen muss. Nur so kann sich der Geist tatsächlich auch des Irdischen entheben. Das so auf die umfassende Erkenntnis des eigenen sittlichen Verderbens ausgerichtete Gebet bedarf gleichzeitig des Glaubens im Sinne eines Vertrauens auf den Gnadenzuspruch Gottes. Dieser Glaube speist sich grundlegend aus dem Wissen und der Erfahrung, der Gnade Gottes nicht selbstgewirkt teilhaftig zu werden. Ergeht ein Gebet jedoch in eben jenem Glauben, wird es getragen durch das Wissen um all jene Aspekte der menschlichen Sünde, die der Prediger im Verlauf der Predigt entfaltet hat. Schließlich gilt, dass das so beschaffene Gebet „anhaltend“⁶⁵⁹ sein muss. Der Prediger unterscheidet hier den „Buchstaben“ im Sinne eines bloßen, wenig andächtigen Nachredens vom „Geist des Gebetes“⁶⁶⁰, der die fortwährende seelische Ausrichtung eines Menschen auf Gott meint. Ein so orientierter Mensch wird in allem, was ihn umgibt, Gottes Wirksamkeit wahrnehmen. Das Gebet wird in Reinhards Predigt in theoretischer Hinsicht zu einem Momentum im Leben des Menschen, welches dazu dient, das Empfinden und das Bewusstsein der eigenen Sünde zu erinnern. Als solch eine Erinnerung ist das Gebet vor allem Ausdruck bestimmter, auf Gott ausgerichteter Gefühle, die ihren Ausdruck sowohl sprachlich als auch nicht-sprachlich finden: „Unser Gebet kann also in voruebergehenden Ruehrungen bestehen, die sich mit einzelnen Blicken auf Gott verknuepfen; es kann aber auch ein laengeres Verweilen bei frommen Betrachtungen seyn. Unser Gebet kann in der Seele verschlossen bleiben; es kann aber auch durch Worte, durch Gesaenge sich aeußern.“⁶⁶¹ Dem Gebet stehen damit unterschiedliche sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksgestalten zur Verfügung. Der damit grundsätzlich offen formulierte Aus-

      

Ebd., 393. Vgl. ebd., 396. Vgl. ebd., 398. Ebd., 399. Ebd., 400. Ebd., 401. Ebd., 388.

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druckscharakter des Gebets beinhaltet jedoch eine durchgängige affektive Akzentuierung, die sich darin ausdrückt, dass Reinhard durchweg von Empfindungen und Gefühlen spricht, wenn er das Gebet thematisiert. Damit wird das Gefühl zum zentralen Erkenntnismoment der Predigt, welches sich im Gebet ereignet. Dies wird bereits in der Einleitungspassage der Predigt deutlich, durchzieht jedoch die gesamte Predigt. Eine Besserung des Sünders stellt der Prediger nur in Aussicht, wenn der Sünder ein „Gefühl von der Schändlichkeit und dem Schaden der Sünde“⁶⁶² habe und dieses schließlich so stark werde, dass es im Menschen das Bedürfnis zur Besserung weckt, die nur mit Gottes Hilfe geschehen kann. Das Gebet wird in der Predigt als Mittel expliziert, welches dem Menschen jenes Gefühl und jene Kenntnis von der eigenen Natur vermitteln kann. Wichtig ist, dass das Gebet dem jeweiligen Beter eigen ist. Das bedeutet in der konkreten Ausführung Reinhards, dass ein Gebet entweder aus dem Menschen selbst entspringen oder angeeignet werden muss. Diese Eigenheit ist für Reinhard dann gegeben, wenn es „der ungekuenstelte Ausdruck unsrer Gedanken und Empfindungen ist. So zu beten ist nicht schwer; weder Kunst noch Gelehrsamkeit, noch Wohlredenheit gehoert zu einem Gott wohlgefaelligen Gebete; ihr wisset wie angenehm ihm der kurze Seufzer war: Gott sey mir Suender gnaedig.“⁶⁶³ Damit wird letztlich die Gestalt dieses Ausdrucks ein sekundäres Moment, im Vordergrund steht die Eigenheit des Gebets. In der Ausführung soll das Gebet ein andächtig ausgeführter Vollzug sein, welcher „mit Aufmerksamkeit und Empfindung“ durchgeführt wird. Interessant ist, dass das Gebet in gewisser Weise durch die Fokussierung auf dessen Wirksamkeit beim Beter durchaus als ein resonantes Geschehen aufgefasst werden kann. In dieser Perspektive betrachtet, ist das Gebet dann ein kommunikativer Vollzug, der im Menschen selbst eine Resonanz erzeugt. Reinhard erhebt dies zum Kriterium für das Gebet „nach dem Sinn und der Vorschrift Jesu“⁶⁶⁴. Als ganzheitliches Geschehen ist das Gebet letztlich ein kommunikativer Akt, mittels dessen sich der Mensch schlussendlich besser versteht und der ihn zu einem durch Gott geleiteten Handeln anregt. Dieses Geschehen kann nur durch die Integration unterschiedlicher Bewusstseinsfunktionen und Sprachvollzüge geleistet werden. Als Maxime der Predigt kann die Anweisung „so suchet zu verstehen und zu empfinden, was ihr saget und sprechet“⁶⁶⁵ angesehen werden. Der Zeitpunkt für ein so geartetes Gebet ist jener, in dem der Mensch geistig gefestigt und damit in der Lage ist, sich seiner irdischen Vollzüge zu befreien. Gleichzeitig gilt es, das Gebet von einem punktuellen Ereignis in eine seelische Ausrichtung auf Gott zu überführen, letztlich also in ein spezifisches Selbst- und Gottesverhältnis des Menschen, welcher sich selbst als der Gnade Gottes bedürftig empfindet und versteht. Dann bedarf das Gebet nicht mehr des Wortes, sondern nur noch der Gedanken.⁶⁶⁶     

Ebd., 384. Ebd., 398. Ebd., 399. Ebd., 400. Vgl. ebd., 402.

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Auf der Ebene des rhetorischen Vollzugs der Predigt ist festzustellen, dass der Prediger seine eigene Funktion darin sieht, die Gemeinde „mit dieser Kraft des Gebets […] bekannt zu machen, und euch auch auf diese Art gegen den Betrug der Suende zu sichern“.⁶⁶⁷ Seine Funktion ist demnach ebenso eine aufklärende, die Predigt soll Kenntnisse vermitteln. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Schlusspassage der Predigt, in der er von der den Text sonst dominierenden Nutzung des Personalpronomens in der ersten Person Plural abweicht. Hier wird die Gemeinde schließlich exklusiv in der zweiten Person Plural angesprochen: „Gluecklich, wenn dieser Geist auch in euch herrschend wird: dann werdet ihr in einer immerwaehrenden Verbindung mit Gott leben; ihr werdet euch stets in seiner Gegenwart fuehlen; ihr werdet vor ihm wandeln und fromm sein.“ Der Prediger adressiert damit die Gemeinde, welche ihn an dieser Stelle sprachlich nicht einschließt, obwohl dies in der Entfaltung des Nutzens des Gebetes durchaus geschieht. Gleichzeitig verfolgt der Prediger damit eine pastorale Funktion, indem er die Gemeinde durch diese Vermittlung der Kenntnis vor weiterem sündhaftem Verhalten zu schützen gedenkt. Die Predigt adressiert weniger die Gemeinschaft der gläubigen ChristInnen, sondern das jeweilige Individuum, welches durch das Gebet zu einer besseren Kenntnis seiner eigenen Sündhaftigkeit gelangen kann und soll. Damit steht der Prediger im Kommunikationsgeschehen dieser Predigt seinen sündhaften Hörern als aufklärender und sorgender Pastor gegenüber. Auch diese Predigt Reinhards besitzt eine außerordentlich klare und systematisch durchgeführte Gliederung. Die Predigt hat, wie bereits die vorherige Predigt, folgende Teile: das Exordium, die Lesung des Predigttextes, der Übergang zum Thema und die Entfaltung desselben. Die Entfaltung des Themas der Predigt erfolgt in drei Schritten, die jeweils vier Unterabschnitte enthalten. Reinhard bedient sich einer sehr eingängigen und klar verständlichen Sprache. Mit der allgemeinen Sündhaftigkeit des Menschen und deren Umgangsweisen mit derselben setzt die Predigt bei einem theologischen Allgemeinplatz ein. Dieser wird jedoch durch das Gebet auf eine sehr spezifische Weise aufgenommen. Auffallend sind in der Entfaltung der Predigt die zahlreichen biblischen Verweise, die stets um das Thema der Predigt, das Gebet, kreisen. Im inhaltlichen Zentrum der Predigt steht die Entfaltung des Gebets als ein spezifisches Mittel zur Kenntnis der eigenen Natur, wobei diese vornehmlich im Sinne ihrer Sündhaftigkeit thematisiert wird. Vermittelt wird diese Kenntnis des eigenen Herzens durch das Gefühl des Menschen. Die Ausdrucksweisen dieses Gebetes können unterschiedlich sein, um jedoch jene erkenntnisbringende Funktion zu erfüllen, muss das Gebet Ausdruck des Eigenen des Betenden sein. Als solch ein Ausdruck erwirkt dieses Gebet beim Betenden selbst schließlich eine tiefere Selbstkenntnis, welche als Resonanz des eigenen Gebetes gedeutet worden ist. Auf der Ebene des Vollzugs verfolgt der Predigt das Anliegen, die Gemeinde über diese Funktionsweise des Gebets in Kenntnis zu setzen. Mittels dieser Aufklärungsarbeit sollen die Hörer vor weiteren Versuchungen geschützt werden. Damit verfolgt die Predigt als vollzogene

 Ebd., 386.

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Rede eine doppelte edukative Strategie: Die Predigt hat aufklärende und protektive Funktion.

2.3 ‚Erbauung und Edukation‘ als Modell Schleiermacher und Reinhard sind zwei Prediger mit großer Resonanz, obgleich diese sich in unterschiedlicher Weise und zu unterschiedlichen Zeiten ereignet. Auf der historischen Ebene betrachtet, stellt Reinhards Predigttätigkeit die für sich genommen ebenfalls sehr erfolgreiche und beliebte Predigtwirksamkeit Schleiermachers weit in den Schatten. Auf der anderen Seite ist Reinhard in der Gegenwart beinahe vergessen, Schleiermachers Schriften haben dagegen eine breite Wirksamkeit erreicht. Die analysierten Predigten liefern für diese Diskrepanz kaum eine Erklärung. Auf der Ebene des Predigtvollzugs, welcher jeweils in der zweiten Hälfte der Analyse berücksichtigt wurde, sind vor allem Ähnlichkeiten zu verzeichnen. Beide Predigten haben ein großes Interesse an einer klaren und nachvollziehbaren Disposition. Beide verfolgen diese Klarheit bis in die Symmetrie der zu behandelnden Unterabschnitte.⁶⁶⁸ Reinhard erreicht an diesem Punkt ein größeres Maß an Klarheit, wohingegen Schleiermachers Predigten durchaus eine Tendenz zur Zergliederung aufweisen. Reinhard beschränkt seine eigenen Argumente auf sehr eindeutige Gedankengänge, Schleiermacher hingegen erweist sich als wahrer Meister der Nuancierung. Die Haltung der beiden Prediger, wie sie sich aus der Analyse der durch die Predigt konstruierten Kommunikationssituationen darstellt, ist von einem edukativen Duktus geprägt. Allerdings sind die Predigten Schleiermachers deutlich stärker von einem Interesse geprägt, als gemeinsame Denkbewegung von Gemeinde und Prediger verstanden zu werden. Sie weisen verschiedene dialogische Elemente auf, die eine Hörerbeteiligung anregen und diese damit expliziter in den kommunikativen Akt der Predigt integrieren. Schleiermacher wirbt um die Aufmerksamkeit und die Überzeugung der Hörer auf Augenhöhe mit ihnen. Insofern spricht Preul vom mäeutischen Predigtstil Schleiermachers.⁶⁶⁹ Bei Reinhard tritt das aufklärende Interesse in den Vordergrund. Die Predigten sind weniger dialogisch ausgelegt, sondern folgen straff der Disposition, in deren Zentrum die sittliche Besserung des Menschen steht. Beide Prediger adressieren eine christlich geprägte Gemeinde, deren Glauben die Voraussetzung für die Kommunikationssituation darstellt. Allerdings muss diese Erkenntnis insofern relativiert werden, als die beiden ausgewählten Themen Gebet und Gottes-

 Noch im selben Jahr wird die „sächsische Predigtweise“ von Paul Drews in strikter Anlehnung an Reinhards Predigtmuster beschrieben. Das legt nahe, dass Reinhard tatsächlich einen eigenen Typus des Predigens begründet hat. Vgl. Paul Drews, Evangelische Kirchenkunde, Bd. 1, Das kirchliche Leben der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche des Königreichs Sachsen (Tübingen/Leipzig: J. B. C. Mohr, 1902), 165.  Vgl. Preul, „Schleiermacher als Prediger,“ 257.

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dienst jeweils Kernvollzüge christlicher Spiritualität darstellen. Der Befund müsste deswegen an weiteren Predigten Schleiermachers und Reinhards überprüft werden. Die Analyse der theoretischen Entfaltung von Religionskommunikation an den Gegenständen Gottesdienst und Gebet hat deutlich zu unterscheidende inhaltliche Konzepte ergeben. Aus beiden Predigten spricht die Klage über die fehlende Wertschätzung des Gottesdienstes, deren historischer Hintergrund der bei Hölscher festgestellte Verlust der „monopolhaften Stellung [d. Gottesdienstes, Anm. M.S.] als Kommunikations- und Geselligkeitszentrum der Gemeinde“⁶⁷⁰ war, wofür eine völlig neue Mobilität und Freizeitgestaltung in der Gesellschaft verantwortlich war. Dem treten beide mit unterschiedlicher theologischer Akzentsetzung entgegen. Reinhard bestimmt den Gottesdienst aus seiner gemeinschaftsstärkenden Funktion heraus. Diese nehme der Gottesdienst wahr, indem er Demut, wechselseitige Achtung, ein Gefühl des nahen Zusammenhanges und Hoffnung einer ewigen Gemeinschaft befördere, woraus Liebe und Wohlwollen als tragende Elemente der Gemeinschaft resultieren sollen. Da jedoch die Kenntnis über diese den Gottesdienst konstituierende Funktion nicht mehr vorhanden ist, wirkt der Gottesdienst nicht. Wäre dem so, würde der Gottesdienst von einem anderen Charakter geprägt sein. „Welche Sehnsucht nach diesen Versammlungen, welche Aufmerksamkeit auf alles, was dabei vorgeht, welche Andacht und Stille, welche Ruehrungen des Herzens, welche Empfindungen der Ehrfurcht vor Gott, und der wechselseitigen Liebe wuerde man an uns bemerken, wenn wir die wahre Bestimmung des gemeinschaftlichen Gottesdienstes nie aus den Augen verloehren!“⁶⁷¹ Damit werden zentrale Elemente angesprochen, welche auch in der Predigt Schleiermachers als konstituierend für den Gottesdienst genannt wurden. Im Zentrum des Gottesdienstes steht bei Schleiermacher die Belebung und Befestigung religiöser Gefühle, weshalb der Gottesdienst in dreifacher Weise als Anstalt zur Belehrung, Ort der Befestigung der guten Beschlüsse und Stärkung sowie Erneuerung der religiösen Gefühle entwickelt wird. Im Gottesdienstvollzug werden – hier besteht die Parallele zu Reinhards zitierter Formulierung – die Worte angesprochen, die „beruhigend ans Herz geredet wurden“ und damit parallel zu Reinhards „Ruehrungen des Herzens“ gelesen werden könnten, „Ruhe und Friede“ bei Schleiermacher korreliert „Andacht und Stille“. Anders als bei Schleiermacher werden diese Elemente bei Reinhard nicht kommunikationstheoretisch gewendet. Demgegenüber wird dieses Geschehen bei Schleiermacher explizit in diese Richtung gewendet, indem einerseits der jeweils Andere im Gottesdienst die Vergegenwärtigung der Ebenbildlichkeit Gottes für den Anderen repräsentiert und diese Elemente zudem in eine Stimmung überführt werden, welche in einen resonanten Kommunikationsakt mündet, der sowohl sprachlich als auch nichtsprachlich verfasst sein kann: „So ergriff auch Euch die gemeinschaftliche Stimmung, der sich hier Alle nach und nach nähern, das Gebet der Brüder

 Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 97.  Reinhard, „Die öffentliche und gemeinschaftliche Verehrung Gottes,“ 342.

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stärke das Eurige, und unter den Dankliedern und Lobgesängen der Gemeinde erbebten auch in eurer Seele wieder die dazu stimmenden Saiten.“⁶⁷² Die Entfaltung einer Theorie des Gebets weist ebenfalls grundlegende Übereinstimmungen ebenso wie Differenzen auf. Bei Reinhard fungiert das Gebet als Mittel zur Kenntnis der eigenen Natur, welche ebenso wie die Predigt vom Gottesdienst auf der Textgrundlage der Perikope vom Pharisäer und vom Zöllner erfolgt. Damit trägt das Gebet bei Reinhard auf einer abstrakten Ebene tatsächlich zur sittlichen Besserung der Gemeinde bei.Vermittelt wird diese durch ein Gefühl von der eigenen Sündhaftigkeit, das in unterschiedlichen Nuancen auftritt. Schleiermacher entwickelt das Gebet in der für ihn ungewöhnlich texttreuen Auslegung der Perikope von Jesus am Ölberg. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Legitimität bestimmter Gebetsanliegen und die Abwehr einer falschen Vorstellung eines Gebets als Mittel, sich Gaben von Gott zu erwirken. Die größte Differenz der beiden Predigten besteht darin, dass Schleiermacher sich fremden Gebetsformeln gegenüber sehr kritisch äußert, da in ihnen nicht jene frommen Gefühle zum Ausdruck kommen können, die das Gebet für ihn konstituieren. Reinhard hingegen räumt diesen durchaus eine Funktion ein, solange diese fremden Gebete angeeignet werden und damit ebenfalls zum Mittel der beschriebenen Erkenntnis avancieren können. Übereinstimmend ist in beiden Konzeptionen die ethische Akzentuierung des Gebets. Bei Reinhard ist diese sehr grundlegend entfaltet im Sinne eines wachsenden Bewusstseins für die eigene Sündhaftigkeit, das in eine bessere sittliche Existenz münden kann. Bei Schleiermacher ist die ethische Konsequenz in Anlehnung an Jesu Gebet am Ölberg mit dem Begriff der Mäßigung zu beschreiben. Beiden Konzepten ist darüber hinaus zu eigen, dass der Gebetsvollzug von einer sehr konkreten spirituellen Praxis in eine grundlegende Verhältnisbestimmung des eigenen Lebens zu Gott mündet. Bei Schleiermacher ist dies in der einleitenden Formel der Identität von Frommsein und Beten⁶⁷³ pointiert zusammengefasst. Reinhard bestimmt den „Geist des Gebetes“ darin, sich in allem, was den Menschen umgibt, von ihm leiten zu lassen.

3 Modellhafte Religionskommunikation zwischen Aufklärung und Romantik In den vorhergehenden Kapiteln wurden die Kommunikationsmodelle von Schleiermachers Religionsschrift und ausgewählten Predigten mit historischen Referenztexten verglichen. Mit dem Ausdruck ‚Hypersensible Medialität‘ wurde ein spezifisches Moment der Kommunikationsmodelle der Reden Schleiermachers sowie der Referenztexte Novalis’ und Schlegels benannt, das der Programmatik dient, Un-

 Schleiermacher, „Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes. Am Sonntage nach Weihnachten,“ 195.  Vgl. Schleiermacher, „II. Die Kraft des Gebetes,“ 25.

3 Modellhafte Religionskommunikation zwischen Aufklärung und Romantik

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endlichkeit zu erschreiben. Das Kommunikationsmodell der analysierten Predigten wurde demgegenüber mit dem Begriffspaar Erbauung und Edukation beschrieben. Neben den auf den Begriff gebrachten Gemeinsamkeiten der Kommunikationsmodelle wurden jedoch auch Varianzen benannt, die die Dynamik der indirekten oder direkten Rezeptionsprozesse verdeutlichen. Ein Mittel, die Entstehung und dynamische Tradierung von Wissen zu erforschen, stellt die Modellheuristik dar. Der Forschungszusammenhang, in dem diese Arbeit entstanden ist, das Graduiertenkolleg „‚Modell‘ Romantik“ an der Friedrich-SchillerUniversität Jena, hatte es zur Aufgabe, eine solche Modellheuristik in den Geisteswissenschaften weiterzuentwickeln und zu erproben. Einer solchen Erprobung und Anwendung der Modellheuristik ist die hier angestellt Skizze gewidmet. Dazu werden in einem ersten Schritt die hier zu Grunde liegenden Annahmen zu Modellen und deren Funktion bei der Ausbildung von Wissensmodellen skizziert, um diese in einem zweiten Schritt auf die Ergebnisse der Untersuchung anzuwenden. Der Modellbegriff wird äußerst vielseitig und inhomogen verwendet.⁶⁷⁴ Dies gilt nicht nur für seinen alltagssprachlichen Gebrauch, sondern auch für seine wissenschaftliche Rezeption und die sich daran anschließende Arbeit mit Modellen. So dienen Modelle in den Natur- und Sozialwissenschaften gegenwärtig der Beschränkung von Untersuchungen auf einen bestimmten Aspekt im Sinne einer Vereinfachung, der Veranschaulichung sowie dem Studium von Analogien in unterschiedlichen Bereichen.⁶⁷⁵ Einen zentralen Bezugspunkt für die gegenwärtige Theorieentwicklung von Modellen stellt H. Stachowiaks Entwurf einer allgemeinen Modelltheorie dar, der sich im Anschluss an neopragmatische Traditionen sieht und Wissenschaft als Daseinsbewältigung versteht.⁶⁷⁶ Indem er im Modellbegriff bestimmte Seinsformen des Wissens typologisch erfasst sieht, erlangen Modelle einen zentralen Status in der Wissensgenerierung und Weitergabe. Für die historische Genese von Wissen und Ideen ist daraus zu folgern, dass Geistesgeschichte im Licht modelltheoretischer Überlegungen als Geschichte der Modelle aufzufassen ist. Nach Stachowiak weisen Modelle, wie er auf der Grundlage des alltäglichen Gebrauchs des Modellbegriffs ermittelt, drei Merkmale auf: das Abbildungsmerkmal, das Verkürzungsmerkmal und das Subjektivierungs-

 Vgl. Rolf Bernzen, „Modell,“ in Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaft, Bd. 3, L–Q, hg. v. Hans Jörg Sandkühler (Hamburg: Felix Meiner, 1990), 425 – 432, 425; Gereon Wolters, „Modell,“ in Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 5, Log–N, hg. v. Jürgen Mittelstraß (Stuttgart/Weimar: Metzler, 2013), 423 – 425, 423. Der Terminus Modelltheorie geht zurück auf den Mathematiker Alfred Tarski, wobei sich in den 1950er Jahren ein breiterer Diskurs zu Modellen in der Mathematik entwickelt, der schließlich dazu führt, dass die Modelltheorie zu einer eigenen Disziplin avanciert.  Vgl. Wolters, „Modell,“ 424. In welchem Verhältnis mathematische Modelltheorien zu anderen Modelltheorien stehen, ist in der Forschung umstritten.  Vgl. Herbert Stachowiak, „Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle,“ Studium Generale 18/7 (1965), 432– 463, 434 und 436.

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merkmal.⁶⁷⁷ Das Abbildungsmerkmal besagt, dass stets ein Original und ein Modell dieses Originals vorhanden sind, wobei jeweils beide kohärente Systeme für sich darstellen. Es besteht deswegen ein bestimmtes Verhältnis von Bild und Abbild, wobei über den ontologischen Status genau dieser Bilder keine Aussagen gemacht werden. Dieses Verhältnis wird durch die beiden weiteren Merkmale gekennzeichnet: die Reduktion und die Subjektivierung. Das Verkürzungsmerkmal besagt, dass stets eine Reduktion des Originals zum Modell hin entsteht. Bestimmte Elemente werden also durch das Modell nicht abgebildet. Vielmehr gilt es, dass einige begrenzte Eigenschaften abgebildet werden, während das für andere nicht zutrifft. Schließlich weist das Subjektivierungsmerkmal auf den Rezipienten von Modellen hin und konkretisiert, dass ein Modell immer an ein Subjekt, einen Zeitpunkt und bestimmte Fragebedingungen gebunden ist. Diesen unterliegen alle Repräsentationen durch Modelle. Stachowiak leistet mit diesen Ausführungen eine Explikation und Formalisierung des Modellbegriffs. Allerdings ist die platonisch anmutende Modellrelation von Bild und Abbild wenig geeignet, komplexere Rezeptionsfragen zu klären, die sich nicht in diese Linearität einordnen lassen. Darüber hinaus ist es innerhalb der vorgeschlagenen Modelltheorie unklar, weswegen Stachowiak auch Kopien als Original-Modell-Relation beschreibt, obgleich hier weder dem Verkürzungsmerkmal noch dem Subjektivierungsmerkmal Rechnung getragen wird. In der gegenwärtigen Debatte ist es besonders Bernd Mahr, der durch seinen modelltheoretischen Ansatz einen leistungsfähigen Beitrag zur Arbeit mit Modellen liefert. Seine Überlegungen werden für das hier verfolgte Frageinteresse nach der Bildung eines Modells von Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne beim frühen Schleiermacher fruchtbar gemacht. Mahr verfolgt ebenso wie Stachowiak das Anliegen, eine allgemeine Modelltheorie zu formulieren. Sein methodisches Vorgehen ist von der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen modelltheoretischen Entwürfen gekennzeichnet. Wichtig ist Mahr, sich von der inflationären Rede von Modellen abzugrenzen. Mahrs Modelltheorie enthält eine hermeneutische Wendung. Er verzichtet darauf, typische Merkmale von Modellen und ihre Eigenschaften im Sinne einer kriteriologischen Festlegung zu identifizieren, sondern bestimmt das „Modellsein [als] eine Art des Aufgefasstwerdens“⁶⁷⁸. Damit sind für Mahr Modelle von Subjekten und Kontexten abhängig und als davon unabhängige Größen inexistent. Modelle fungieren als Mittel zur Weltbeziehung, mittels derer geurteilt, gehandelt und gestaltet wird. Modelle erfüllen damit eine Orientierungsfunktion, die sowohl reflektierend als auch antizipierend vonstatten geht. Ausgangspunkt für Modellbildung ist bei Mahr demnach immer ein konkretes historisches Subjekt, eine Person, die durch ein bewusstes Urteil zu einem konkreten Zeitpunkt ein Modell durch jenes Auffassen begründet. Die Verfasstheit dieser Modelle muss immer eine dynamische

 Vgl. ebd., 437.  Bernd Mahr, „Modelle und ihre Befragbarkeit: Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie,“ Erwägen Wissen Ethik 26 (2015/3) 329 – 342, 329.

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sein. Es wird nicht eine bipolare Beziehung von Bild und Abbildung und deren in eine Richtung verlaufende Reduktion und Subjektivierung als Modell betrachtet, sondern das Aufgefasstsein eines Modells und seine daraufhin mögliche Befragbarkeit. Das epistemische Modell des Modellseins besteht aus unterschiedlichen Instanzen:⁶⁷⁹ einem Modellgegenstand oder Modellobjekt, einem Modell, einer Matrix des Modells, einem Applikat des Modells und eines Cargos. Für die folgende Anwendung ist das Cargo bedeutungslos, weswegen es in der Darstellung nicht berücksichtigt ist. Ausgangspunkt ist das Modellobjekt oder der Modellgegenstand. Das Objekt speist sich aus einer Matrix, die den Ursprung des Modellgegenstandes kennzeichnet. Das Modellobjekt stellt eine Reflexion der Matrix dar. Außerdem ist der Modellgegenstand auf ein oder mehrere Applikate ausgerichtet und antizipiert diese. Das bedeutet, dass das Modellobjekt auf eine Anwendungsebene bezogen ist. Das Modellobjekt repräsentiert darüber hinaus das jeweilige Modell. Dieses Modell ist ein Modell von der Matrix und ein Modell für die jeweiligen Applikate. Mit Hilfe dieses epistemischen Modells ist es möglich, die Ergebnisse der bisherigen Analysen als ein spezifisches Modell für Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne aufzuschlüsseln. Dies geschieht auf der erarbeiteten Grundlage differenzierter Analysen. Mit dem Modellobjekt werden Schleiermachers Reden und seine analysierten Predigten identifiziert. Dadurch wird im Folgenden erschlossen, inwiefern Schleiermacher durch das Programm der Religionskommunikation, wie es in den Reden und den ausgewählten Predigten analysiert wurde, modellbildend wirkt. Deutlich herauszustellen ist, dass diese Einordnung keineswegs den Anspruch einer eindeutigen Einordnung erhebt, um damit andere Zuschreibungen zu ersetzen. Vielmehr ist das Ziel dieses Kapitels, deutlich zu machen, dass das Kommunikationsprogramm der Reden und der Predigten als Teil modellhaften Denkens aufgefasst werden kann. Die Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes besteht darin, die unterschiedlichen Reflexions- und Antizipationsverhältnisse in der Entstehung des Wissensmodells ‚Religionskommunikation‘ sowohl in einer seiner Entstehungskonstellationen als auch in seiner Wirksamkeit am Gegenstand der Reden und der Predigten darstellen zu können. Friedrich Schleiermachers Reden und seine Predigten werden als Modellinstanz der Modellsituation ‚Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne‘ aufgefasst. Objekt dieses Modells sind die Reden und die analysierten Predigten Schleiermachers. Beide, die Reden und die Predigten, werden als Instanzen der gleichen Modellsituation beschrieben, da sie sich als Texte eines Autors aus einem vergleichbaren Zeitraum aus der gleichen Matrix speisen und somit beide Antwortversuche auf die von der Aufklärung aufgeworfene Infragestellung der Möglichkeit sind, Gott oder  Vgl. ebd., 338. Beschreibt Mahr das epistemische Modell, spricht er von einem epistemischen Modell des Modellseins, da es sich bereits um eine Modellbildung durch den Verfasser handelt. Hilfreich ist diese Beschreibung, insofern sie sichtbar macht, dass auch diese Beschreibung bereits einen Modellbildungsprozess darstellt. In der folgenden Darstellung wird jedoch zu Gunsten der Deutlichkeit nur von epistemischem Modell gesprochen.

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VI Rede und Unendlichkeit in Literatur und Predigt um 1800

Transzendenz zu erkennen und dieser Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig beinhaltet diese Matrix Schleiermachers soziales und geistiges Umfeld der Berliner Jahre. Dieses Umfeld kann selbstverständlich für die Reden, ebenso aber auch als geistiger Nährboden für die Predigten veranschlagt werden, da beide Predigten zu Schleiermachers Zeit in Berlin verlegt und teilweise durch Überarbeitung in diesem Umfeld mitgeprägt werden. Als Modellobjekte dieser Matrix sind die beiden Predigten und die Reden jeweils als Reflexionen derselben aufzufassen. Allerdings repräsentieren die Reden und die Predigten jeweils unterschiedliche Modelle von dieser gleichen Matrix und antizipieren unterschiedliche Applikate. Die Reden werden als die Repräsentation eines romantischen Kommunikationsmodells für Religion aufgefasst, welches durch eine ‚hypersensible Medialität‘ bestimmt ist. In der Repräsentation der Reden drückt sich diese spezifische Hypersensibilität in der medialen Selbstreflexivität aus, welche als Signatur der Reden erschlossen wurde.⁶⁸⁰ Schleiermachers Reden sind sowohl theoretische Entfaltung als auch literarisch-rhetorischer Vollzug von Religionskommunikation. Sie reflektieren auf der theoretischen Ebene ihren eigenen Vollzug und die diesem Vollzug zur Verfügung stehenden und angemessenen Mittel, was in der Formel ‚selbstreflexiver Medialität‘ zum Ausdruck gebracht wird. Die Applikate dieses Modellobjektes Reden sind Novalis’ Christenheit und Schlegels Gespräch. Sie werden beide von den Reden antizipiert, wobei damit nicht gemeint ist, dass sie erschöpfend und exklusive Quelle für diese beiden selbstständigen literarischen Werke sind. Allerdings lässt sich aufgrund der expliziten Hinweise auf Schleiermachers Reden in Novalis’ Christenheit, der impliziten Hinweise im Sinne strukturell ähnlicher Formulierungen in Schlegels Gespräch sowie der großen zeitlichen Nähe ihres Erscheinens und des engen Kommunikationszusammenhangs der Autoren bis hin zur belegten gegenseitigen Lektüre der Texte eine solche antizipierende Verhältnisbestimmung unter dem formulierten Vorbehalt plausibilisieren. Das Modell romantischer Religionskommunikation, welches durch die Reden repräsentiert wird, ist für diese beiden Applikate modellgebend. In der jeweils konkreten Umsetzung dieses Modells zeigt sich jedoch, dass die ‚hypersensible Medialität‘ unterschiedliche Akzentuierung in den jeweiligen Applikaten erfährt. Die Reden ringen konkret um eine angemessene Darstellung individueller Religion mit den Mitteln der Sprache. Demgegenüber kommuniziert die Christenheit in einem Kommunikationsmodus, der nicht mehr auf eine konkrete Religion oder das Universum zu verweisen hat, sondern die angestrebte Ganzheit in die eigene Literaturprogrammatik einer hybriden Mischgattung auflöst. Medialität ist damit in der Christenheit nicht mehr Gegenstand kritischer Reflexion, wie in den Reden, sondern verweishaft in der innovativen Gattung aufgehoben. Gerade darin besteht jedoch die transformierende Rezeption des romantischen Modells von Religionskommunikation in Gestalt ‚hypersensibler Medialität‘.

 Vgl. Kap. II.3.2.2.

3 Modellhafte Religionskommunikation zwischen Aufklärung und Romantik

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Als zweites Applikat des Objektes Reden wird Schlegels Gespräch aufgefasst. Sein entwickeltes Programm eines Metadiskurses als Vollzug kann als eine exakte theoretische Wendung des im Modell romantischer Religionskommunikation beschriebenen spezifischen Verhältnisses zur eigenen Medialität, ‚hypersensibler Medialität‘, aufgefasst werden. Der Diskurs über die Möglichkeiten und Bedingungen der Poesie wird in den tatsächlichen Vollzug integriert, das Medium, der Vollzug, fällt mit seiner eigenen Reflexion in eins. Allerdings geht Schlegel einen Schritt über dieses Modell hinaus, indem der Modellinhalt einer spezifischen Sensibilität für die eigene Medialität nicht mehr als expliziter Vollzug von Religion aufzufassen ist, sondern Ganzheit vollständig in die unendliche Poesie überführt. Mit dem Ausgangspunkt beim Modellobjekt Schleiermachers Reden ist es auch trotz dieses Befundes sinnvoll, von einem romantischen Modell von Religionskommunikation zu sprechen. Dies gilt, obwohl das Religiöse als Gegenstand bzw. Ursprung der Rede im zeitlichen Verlauf vom Objekt über die beiden Applikate zu Gunsten der Poesie zuerst zurücktritt und dann ganz verschwindet. Gerade darin besteht die beschriebene Dynamik im Modellbildungsprozess.⁶⁸¹ Das so verstandene Modell romantischer Religionskommunikation, welches inhaltlich eine spezifische Sensibilität zur eigenen Medialität kennzeichnet, ist anschlussfähig an die modelltheoretischen Überlegungen, die von Matuschek und Kerschbaumer hinsichtlich ihres Modells Romantik gemacht werden. Die in dieser Arbeit herausgearbeitete inhaltliche Bestimmtheit der Modellsituation ‚Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne‘ als ‚hypersensible Medialität‘ lässt sich als Teil dieses dann übergeordneten Modells verstehen. Matuschek und Kerschbaumer beschreiben dieses Modell als „Kippfigur zwischen Behauptung und Widerruf“⁶⁸². Diese Kippfigur wird als eine Strategie verstanden, im Differenzierungsprozess der Moderne im Ausgang von literarischer Fragmentarizität dennoch Ganzheit mit den Mitteln eines künstlerischen Sprachgebrauchs auszudrücken. Ob dieser Sprachgebrauch tatsächlich als Simulation von Ganzheit aufzufassen ist, müsste dann an der jeweils konkreten Repräsentation überprüft werden. Ebensolches gilt für die Frage nach dem Status dieser Ganzheit und deren potentiellem religiösen Gehalt. Die Antwort auf diese Frage, so wurde in den bisherigen Ausführungen deutlich, fällt für die im Rahmen des Modells romantischer Kommunikation analysierten Texte unter Demgegenüber müsste eine Modellsituation, in der Schlegels Gespräch das Modellobjekt bildet, eine andere begriffliche Fassung des Modells vornehmen. Dafür würde sich die vorgeschlagene Wendung ‚Unendlichkeit erschreiben‘ eignen. Sowohl Schleiermachers Reden als auch Novalis’ Christenheit würden dann als Teil der Matrix in die Modellsituation eingehen. Diese auf der Grundlage der Programmatik einer Religionskommunikation erarbeitete Einordnung Schleiermachers in die Frühromantik ist insofern eine auf die ästhetische Gestalt der Reden bezogene Unterstützung der anhand der Subjektivitätstheorie erarbeiteten These Peter Groves: Für Schleiermachers Religions- und Subjektivitätstheorie gelte, dass im „klarsten Selbstbewußtsein immer ein Moment der Undurchsichtigkeit, der Opakheit“ sei. Vgl. Grove, Deutungen des Subjekts, 615. Die Reden externalisieren diesen Vorbehalt in ihrer Gestalt einer ‚selbstreflexiven Medialität‘.  Matuschek/ Kerschbaumer, „Romantik im Modell,“ 143.

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schiedlich aus. Das gilt auch für die Frage, ob hinter dem „Universalitätspostulat zu Zeiten unhintergehbar gewordener Partikularität“⁶⁸³ der Romantik noch Religion steht oder die Ganzheit sich im Literaturprogramm und damit einer Ästhetik erschöpft. Sie berührt dabei einen Kern des Modells, ist jedoch auf der abstrakten Ebene des Modells nicht zu beantworten. Die Predigten Schleiermachers werden als Repräsentation eines aufklärerischen Kommunikationsmodells für Religion aufgefasst, welches inhaltlich durch das Moment von ‚Erbauung und Edukation‘ bestimmt ist. In der Repräsentation dieses Modells durch die Predigten Schleiermachers drückt sich dieses Element in dem starken Interesse einer Nachvollziehbarkeit der Gedankengänge bis hin zu einer Überstrukturierung der Texte aus. Gleichzeitig sind die Predigten durch das Anliegen gemeinschaftlicher Erbauung geprägt, welches Ausdruck durch den werbenden und mäeutischen Stil der Predigten Schleiermachers erfährt. Allen Predigten ist deutlich eine doppelte Bewegung zu eigen, die einerseits einen starken rationalisierenden Zug beinhaltet, indem sie besonders auf der formalen Ebene Klarheit und Nachvollziehbarkeit in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. Gleichzeitig besitzen beide Predigten Schleiermachers eine große Sensibilität für die affektive Dimension von Predigt und Gottesdienst, was sich besonders auf der Ebene der theoretischen Entfaltung, aber auch auf der Ebene des rhetorischen Vollzugs niederschlägt. Die beiden Predigten Schleiermachers sind das Objekt des Modells ‚aufklärerischer Religionskommunikation‘. Die analysierten Predigten Reinhards stehen in sehr großer zeitlicher Nähe zu Schleiermachers Predigten, sind jedoch wenige Monate später anzusiedeln. Sie als direkt durch Schleiermachers Predigten antizipiert aufzufassen, würde den historischen Sachverhalt ignorieren, dass Reinhard zum Zeitpunkt der Predigten einer der angesehensten protestantischen Prediger Deutschlands ist. Schleiermacher befindet sich hingegen noch am Anfang seiner ebenfalls ruhmreich verlaufenden Laufbahn als protestantischer Kanzelredner. Es ist jedoch schlüssig und plausibel, Reinhards Predigten als Ausdruck eines bestimmten Diskurses und Stils der Predigten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufzufassen, als deren Repräsentation auch Schleiermachers Predigten anzusehen sind. Das Modell aufklärerischer Predigten ist für Reinhards Predigten modellgebend, indem auch sie die Signatur ‚Erbauung und Edukation‘ aufweisen. Auch hier steht die Klarheit und Nachvollziehbarkeit im Vordergrund der Predigt, auch hier wird gleichzeitig die affektive Dimension religiöser Kommunikationsvollzüge hervorgehoben, wie es besonders deutlich im Fall der theoretischen Entfaltung des Gebets geschieht. Vor dem Hintergrund dieser Einordnung wird deutlich, dass sich sowohl Schleiermachers Predigten als auch seine Reden plausibel in eine gemeinsame Modellsituation ‚Religionskommunikation an der Schwelle zur Moderne‘ einzeichnen lassen. Während jedoch die Reden im Modus ‚selbstreflexiver Medialität‘ vor allem ein Interesse an der Beantwortung der erkenntnistheoretischen Fragestellung im Spannungsverhältnis von Rede und Religion zeigen, fokussieren die

 Ebd.

3 Modellhafte Religionskommunikation zwischen Aufklärung und Romantik

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Predigten in der Gestalt von ‚Erbauung und Edukation‘ vor allem die konkreten ethischen Probleme christlicher Frömmigkeit um 1800 als vollzogene kommunikative Akte. Mit dieser jeweils spezifischen Akzentuierung repräsentieren sie beide ein Modell von Religionskommunikation, das sich den Herausforderungen der aufkommenden Moderne stellt.

VII Rede und Unendlichkeit. Schleiermachers Beitrag zu einer Theologie religiöser Rede in der Spätmoderne – Zusammenfassende Schlussthesen Unter dem Begriff der Religionskommunikation wurden in dieser Arbeit Kommunikationsformen zusammengefasst, deren Gegenstand Religion ist. Sie können sowohl sprachlicher als auch nicht-sprachlicher Natur sein, wobei die Untersuchung es vor allem auf der Analyseebene des kommunikativen Vollzugs mit der Verschriftlichung von literarischer oder tatsächlicher Rede zu tun hatte: Im Falle der Religionsschrift sind es literarisierte Reden, die Predigten stellen nachträgliche Verschriftlichungen oder Entwürfe tatsächlicher Reden dar. Auf der Ebene der theoretischen Entfaltung wurden jedoch auch solche Gestalten von Religionskommunikation benannt, die in ihrem Vollzug nicht sprachlich verfasst sind. Die Reden thematisieren etwa metaphorisch das Leuchten jedes einzelnen religiösen Individuums als leichtes Wechselspiel, unter der Sprache der Religion werden in der fünften Rede „die Rede, die Schrift, die That, die stille Mimik des Geistes“⁶⁸⁴ gefasst. Gleiches gilt für die beiden Predigten, in denen Gottesdienst und Gebet als umfassendes Kommunikationsgeschehen bestimmt wurden. Insofern hat es die Verwendung dieses weiten Begriffs von Religionskommunikation als Analyseinstrument ermöglicht, unterschiedliche Vollzugsgestalten und Theoretisierungskonzepte subsumieren zu können. Die analysierten Texte lassen ein breites Spektrum religiöser Kommunikationsvollzüge erkennen. Die vergleichenden Analysen haben gezeigt, dass sowohl Schleiermachers Reden als auch die ausgewählten Predigten Teil sich gleichzeitig ereignender Diskurskonstellationen – oder, in den Begrifflichkeiten der Modelltheorie gesprochen – Matrizes sind. Diese Zeitgebundenheit ist eine Stärke der analysierten Programme von Religionskommunikation, da sie einerseits als darstellende und verweisende, andrerseits als edukative und erbauliche Rede durch diese spezifische Zeitgebundenheit im Rahmen ihrer konkreten religiösen Redekulturen wirksam werden konnten. Insbesondere für die Religionsschrift wurde jedoch deutlich, dass die Hybridität des Textes eine auf Eindeutigkeit abzielende Zuordnung zu Aufklärung oder Romantik verbietet. Für eine gegenwärtige Rezeption weisen die erschlossenen Programme einer Religionskommunikation auch Grenzen und Herausforderungen für eine gegenwärtige Rezeption auf. Die nachfolgenden Thesen sollen in erster Linie die Ergebnisse der Arbeit bündeln, deuten darüber hinaus aber auch Perspektiven auf eine Theologie religiöser Rede in der Gegenwart an. Hierzu schreiten die Thesen den in dieser Arbeit eingeschlagenen gedanklichen Weg von einer Verortung in der Moderne über die Religi-

 Schleiermacher, Reden, 194. 326. https://doi.org/10.1515/9783110640960-009

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onskommunikation der Reden und Predigten zur Frage nach einer angemessenen Gestalt von Religionskommunikation in der Spätmoderne ab. In gewisser Weise lässt sich diese Thesenreihe in den Prozess der Modellkonstruktion einordnen. Das Modellsubjekt ist dann nicht mehr Schleiermacher, sondern eine hier zur Sprache kommende wissenschaftliche Position. Die Modellmatrix bilden die vorgenommenen Analysen der Reden und Predigten Schleiermachers. Modellobjekt sind die hier formulierten Thesen, die ein Modell von Religionskommunikation in der Spätmoderne repräsentieren. 1.) Die Transformationsprozesse an der Schwelle zur Moderne wurden in drei voneinander unterscheidbaren Perspektiven skizziert. Religionskommunikation wird zu diesem Zeitpunkt durch religionsphilosophische Entwicklungstendenzen, Transformationen der Redekultur im Spannungsfeld von Literatur und mündlicher Rede und den Differenzierungsschüben, die die protestantische Kanzelrede vor und um 1800 durchläuft, bedingt. Die „Religionsphilosophische Sattelzeit der Moderne“⁶⁸⁵ ist gekennzeichnet durch eine Infragestellung der erkenntnistheoretischen Grundlagen theologischer Aussagen mit den Mitteln der theoretischen Vernunft durch Kant und die daran anschließenden Diskurskonstellationen von Atheismusstreit, Pantheismusstreit und Theismusstreit. Im Vorfeld dieser Konfliktkonstellationen finden in der Aufklärungstheologie eine Trennung von Theologie und Religion sowie eine Ausdifferenzierung des Religionsbegriffs statt. Hier wurde besonders auf Semler verwiesen. Religionskommunikation wird als religionsbezogene Rede in den Bereich der Expressivität eines anthropologischen Phänomens verschoben. Gleichzeitig wird der Gegenstand dieser Expressivität als Rede in theologischen Debatten erörtert. In diesen Entwicklungen wird sichtbar, dass der Mensch sein Verhältnis zu der ihn umgebenden Wirklichkeit neu ordnet. Dies findet auch seinen Ausdruck in einer Transformation der Redekultur. Während sich öffentliche Redeformen bis weit ins 18. Jahrhundert und darüber hinaus an der antiken Rhetorik orientieren, beginnen diese in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den Paradigmen von Literatur und Ästhetik zu konkurrieren. Den Rahmen dafür bietet eine dem Strukturwandel der anfangenden Moderne unterliegende Öffentlichkeit. Die strukturellen Veränderungen der Öffentlichkeit bedingen wiederum einen „Strukturwandel der kirchlichen Gemeinde“⁶⁸⁶ vor dem Hintergrund gesellschaftli-

 Jaeschke, „‚Um 1800‘: Religionsphilosophische Sattelzeit der Moderne,“ 7. Jaeschke rekurriert damit auf den durch Reinhart Koselleck eingeführten Begriff einer Sattelzeit, die etwa zwischen 1750 und 1850 verortet wird. Den gesellschaftlichen Umbruch dieser Zeit analysiert Koselleck mittels eines begriffsgeschichtlichen Zugriffs.Vgl. Reinhart Koselleck, „Einleitung,“ in Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 1, A–D. hg. v. Otto Brunner, Werner Conze und dems. (Stuttgart: Klett-Cotta, 1972).  Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 96.

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cher Veränderungen. Diese bestehen in einer zunehmenden Mobilität der Bevölkerung, Steigerung der Literaturproduktion und Expansion der bürgerlichen Geselligkeit⁶⁸⁷ sowie dem Ausbau außerkirchlicher Bildungseinrichtungen. Durch diese Entwicklungen verliert die Kirche ihre zentrale Stellung in der Gesellschaft. Der Gottesdienst hat nicht länger seine integrative Funktion als kommunikatives Zentrum der Gemeinde und die lokale Kirchengemeinde erhält Konkurrenz durch eine freiere Gestaltung individueller Lebensvollzüge. Innerhalb der Gemeinden entwickelt sich eine große Diskrepanz zwischen traditionell geprägten, weniger gebildeten Gemeindegliedern und gebildeten, aufgeklärten Kirchgängern, die sich kaum mehr kommunikativ vermitteln lässt. Auch das Theater tritt in Konkurrenz zum Gottesdienst als Ort der Vermittlung geistlicher Besserung.⁶⁸⁸ Die protestantische Kanzelrede, die in der Spätaufklärung noch in einem deutlichen Wechselverhältnis zu anderen Redeformen steht, ist von massiver Entkirchlichung betroffen, die zum Inhalt der Predigten Schleiermachers und Reinhards wird.⁶⁸⁹ Die Herausforderungen, die aus der „Krise der Mitteilung von Religion“⁶⁹⁰ um 1800 resultieren, deren Niederschlag Ulrich Barth in den Reden sieht, können demnach wie folgt zusammengefasst werden: In philosophischer Hinsicht wird das erkenntnistheoretische Fundament von Religionskommunikation destabilisiert, was erstens eine Suche nach neuen Erkenntnismitteln auslöst,⁶⁹¹ zweitens einen Aufschwung subjektiv geprägter Ausdrucksformen bewirkt⁶⁹² und drittens Auswirkungen auf den Erkenntnisgegenstand hat.⁶⁹³ Hinsichtlich der Transformation und Emanzipation einer allgemeinen Redekultur gilt es festzuhalten, dass dadurch ein Zuwachs neuer literarischer Formen für den Bereich der Religionskommunikation erschlossen wird, zugleich jedoch ein eklatanter Relevanzverlust spezifisch religiöser Rede zu verzeichnen ist. Schließlich ist im Bereich institutioneller Religionskommunikation neben dem genannten prinzipiellen Relevanzverlust vor allem die Ausdifferenzierung der Gottesdienstgemeinde als Herausforderung zu betrachten. Diesen Herausforderungen wird um 1800 durch unterschiedliche Kulturen von Religionskommunikation Rechnung getragen, die jeweils unterschiedliche Modelle von Religionskommunikation repräsentieren. 2.) Das Programm der Religionskommunikation in den Reden wurde mit dem Begriffspaar ‚Darstellung und Verweis‘ beschrieben. Gegenstände dieser Darstellung

 Vgl. Kap. II.1.  Vgl. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 95 – 124; vgl. auch Kap. III.1.  Vgl. Schleiermacher, „Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes,“ 2012, 181– 197; Reinhard, „Die öffentliche und gemeinschaftliche Verehrung Gottes,“ vgl. Kap. III.3.1. u. VI.2.1.  Ulrich Barth, „Die Religionstheorie der ‚Reden‘,“ 280.  In der Frühromantik treten Ironie, Witz und das Konzept einer Universalpoesie an die Stelle vernunfttheoretischer Überlegungen. Vgl. Kap. VI.  Dies wurde für Semler hinsichtlich der Privatsprache ebenso gezeigt wie für die Entfaltung einer religiösen Kommunikationstheorie in den Reden. Vgl. Kap. I. u. II.2.2.2.  Atheismusstreit, Pantheismusstreit und Theismusstreit stehen dafür exemplarisch. Vgl. Kap. I.

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und dieses Verweises sind das sich ausdrückende Individuum, das Unendliche und die Medialität der Reden. Indem die Reden in ihrem literarischen Vollzug auf ihre Medialität hinweisen, repräsentieren sie ein romantisches Kommunikationsmodell, das seine Erkenntnismittel jenseits der theoretischen Vernunft sucht. In der Analyse der Reden wurde herausgearbeitet, dass Schleiermacher unter Religion sowohl etwas präreflexiv Affektives als auch eine reflexive Deutungsleistung versteht. Die Religionstheorie der Reden wird dadurch zwischen den beiden Polen von Affekt und Reflexion aufgespannt. Ähnliches gilt auch für den Vollzug von Religionskommunikation durch die Reden, der wiederum zwischen Literarizität und Rhetorik verortet werden muss. Den Reden sind zwei zentrale Grundtendenzen inhärent: Sie sind sowohl religiöse Rede im Sinne individueller Darstellung religiöser Anschauungen mit ästhetischen Mitteln⁶⁹⁴ als auch religionstheoretischer Text. Als religionstheoretischer und religionskommunikationstheoretischer Text reflektieren sie die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen ihres Vollzuges als Reden. Als explizite Reden in einem konstruierten Kommunikationssetting vollziehen sie diese in gleichem Maße. Damit sind die Reden hinsichtlich ihrer eigenen Medialität selbstreflexiv. Ihnen ist ein spezifisches Bewusstsein für ihre Mittelbarkeit eingeschrieben. Gleichzeitig sind die Reden hybrider Gestalt. Sie integrieren unterschiedliche Formen der Sprache und Rede: Einerseits können sie als Streitschrift und Traktat, andererseits als romantische Prosa und Erbauungsliteratur oder als Mysterienreden gelesen werden.⁶⁹⁵ Stellt man die Reden in den Horizont frühromantischer Ideenproduktion, so kann diese spezifische literarische Signatur als ein Versuch gelesen werden, ‚Unendlichkeit zu erschreiben‘.⁶⁹⁶ In Anlehnung an die Programme einer alle Gattungen vereinenden „progressiven Universalpoesie“⁶⁹⁷ und die Fragmente, welche eine strukturelle Inkohärenz aufweisen und damit Richtung Unendlichkeit verweisen, relativieren die Reden sich durch ihre selbstreflexive Medialität selbst. Und sie weisen durch die Hybridität ihrer Gattung über sich hinaus. Sie verschmelzen homiletische, rhetorische und literarische Elemente, um Ausdruck für eine verloren gegangene Ganzheit zu werden. Friedrich Schleiermachers Reden sind Ausdruck eines Programmes von Religionskommunikation, das als Antwort auf eine erkenntnistheoretische Kritik an einer Darstellung der Religion mit den Mitteln der reinen Vernunft verstanden werden kann. Dieser Antwortversuch besteht darin, sprachliche Religionskommunikation

 Die theoretische Entfaltung von Religionskommunikation in den Reden erhebt diese religiöse Rede zum einzig angemessenen Ausdruck für Religion. Vgl. Kap. II.2.  Vgl. hierzu die unterschiedlichen Forschungspositionen, die sich mit der Einordnung der Reden in eine Gattung befassen: Kap. II.3.2.1.  ‚Unendlichkeit erschreiben‘ stellt einen begrifflichen Annäherungsversuch dar, um die literarische Produktion Schleiermachers, Novalis’ und Schlegels in den gemeinsamen Horizont sinnstiftender Literaturproduktion unter Anwendung spezifischer Literaturstrategien zu stellen. Vgl. Kap. VI.1.3.  Schlegel, „Athenäums-Fragment 116,“ 182– 183.

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einerseits als individuelle Darstellung und andrerseits als verweisende Rede theoretisch zu entfalten und literarisch zu vollziehen. 3.) Schleiermachers Predigten sind, im Gegensatz zu den darstellenden und verweisenden Reden, durch ein edukatives und erbauliches Anliegen getragen. Im Rahmen des als Kommunikation verstandenen Gottesdienstvollzuges sind sie individuelle Positionierung. Die analysierten Predigten stellen eine formalisierte und logisch durchdrungene Form der Religionskommunikation dar. Die Kommunikationssituation der Predigten vermittelt ein Thema mit der Wirklichkeit der Hörer. Dies geschieht durch eine vom Prediger plausibilisierend vorgetragene Denkbewegung. In ihr wird die Gemeinde als eine den Prediger einschließende Gemeinschaft adressiert. Die Predigten zeigen – wie auch schon die Reden zuvor – ein Interesse an der Integration unterschiedlicher Positionen und Argumente. Hierdurch erhalten die Predigten eine dialogische Prägung. Der sprachliche Vollzug der Predigten ist einfach und klar. Beide Predigten sind deutlich von einem edukativen Anspruch geprägt. Das inhaltliche Zentrum beider Predigten bildet die Entfaltung eines angemessenen Gottesdienst- und Gebetsverständnisses, welches die Gemeinde zu einem besseren individuellen oder gemeinschaftlichen Lebensvollzug anleiten soll. Die beiden analysierten Predigten Schleiermachers sind deutlich einem aufklärerischen Kommunikationsmodell verpflichtet. Hierfür sprechen die klare und deutliche Ausrichtung der Predigt, mittels derer ihr Verständnis und ihre Nachvollziehbarkeit gewährleistet werden soll. Indem beide Predigten inhaltlich an einer Besserung der Individuen und der Gemeinschaft orientiert sind, weisen sie deutlich eine edukative Dimension auf. Die inhaltliche Ausrichtung der Predigten zeigt, dass sie gegen den Relevanzverlust der Kirche und ihrer Vollzüge die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit ihrer Äußerungen in Gestalt von Gottesdienst und Gebet hervorheben. 4.) Religionskommunikation, welche in historischer Perspektive über weite Perioden von der Gewissheit kollektiver Sinnstiftung getragen wird, sieht sich durch eine mittels differenter Subjektkulturen gekennzeichnete Gesellschaft in der späten Moderne⁶⁹⁸ herausgefordert. Darstellend-verweisende und edukativ-erbauliche Rede können als Religionskommunikation dieser Realität einer durch differente  In der Diskussion um eine angemessene begriffliche Fassung der Gegenwart spielt der Begriff der Postmoderne eine entscheidende Rolle. Dieser in den 1960er Jahren aufgekommene Begriff ist als Leitbegriff in den Debatten auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu verorten: Einerseits im Sinne einer von der „klassisch-modernen Gesellschaft“ zu unterscheidenden Form der Kultur und Gesellschaft und andererseits im Sinne eines intellektuellen Projektes, welches eine eigene Perspektive auf diese Moderne entwickelt. Vgl. Andreas Reckwitz, „Die Moderne und das Spiel der Subjekte: Kulturelle Differenzen und Subjektordnungen in der Moderne,“ in Kulturen der Moderne: Soziologische Perspektiven der Gegenwart, hg. v. Thorsten Bonacker und Andreas Reckwitz (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2007), 97– 118, 97. Demgegenüber drückt der Begriff der Spätmoderne sowohl Kontinuität, welche mit Reckwitz in der genannten gesellschaftlichen Bestimmtheit durch Subjektkulturen verortet wurde, als auch das historische Fortschreiten aus.

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Subjektkulturen geprägten spätmodernen Gesellschaft gerecht werden, indem sie in ein wechselseitiges Verhältnis zueinander gesetzt werden. Indem dies geschieht, tragen sie einem notwendigen erkenntnistheoretischen Vorbehalt in der Moderne Rechnung. Als Kennzeichen der Moderne wurde die Unhintergehbarkeit von Subjektivität und ein damit einhergehender Verlust allgemeingültiger Plausibilität von übergeordneten Ordnungssystemen beschrieben. Andreas Reckwitz bestimmt moderne Gesellschaften aus soziologischer Perspektive als „Ort immer neuer Kulturkonflikte“⁶⁹⁹, dessen Zentrum „die Form des Subjekts und dessen Identität“⁷⁰⁰ bildet. Subjekte fasst Reckwitz auf als „Produkte von […] kulturellen Codes, von Subjektcodes, […] deren Inkorporierung und Interiorisierung […] in eine sehr reale Selbstformierung“⁷⁰¹ mündet. Diese Selbstformierung ereignet sich entlang bestimmter Ordnungen, die wiederum ethische und normative Setzungen beinhalten. Es ist eine Stärke der kulturtheoretischen Arbeit Reckwitz’, durch den Verzicht auf eine normative inhaltliche Bestimmung die Hybridität gesellschaftlicher Strukturen angemessen deuten zu können, ohne dabei die diesen Gesellschaften inhärenten Antagonismen ausblenden zu müssen. Subjektformationen können dadurch von einem ganz unterschiedlichen Selbstgefühl und einer Lebenseinstellung geprägt sein, die ihre Identität über starke Setzungen ebenso bestimmen können wie über postmoderne Fragmentarizität. Religionskommunikation ist somit in einem komplex strukturierten gesellschaftlichen Umfeld zu verorten, welches durch die Konkurrenz unterschiedlicher Subjektformationen gekennzeichnet ist. In den Gestalten von einerseits darstellender und verweisender und andrerseits edukativer und erbaulicher Rede kommen zwei Tendenzen zum Tragen, die einen Beitrag zu einer der Spätmoderne angemessenen Religionskommunikation leisten können, indem sie jeweils – so die hier vertretene These – eine Berücksichtigung der jeweiligen Subjektformation der Adressaten berücksichtigen.

 Ebd., 97– 99. Die Moderne bezeichnet Reckwitz als „spezifisches intellektuelles Beschreibungsschema“, mittels dessen er in dieser die „Entfaltung eines einzigen, einheitlichen Prinzips […] mit einer Semantik der Kontinuität und Steigerung“ herausstellt. Zur Theorie der Subjektkulturen vgl. auch: Ders., Das hybride Subjekt: Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne (Weilerswist: Velbrück, 2006), 33 – 96. Zu unterscheiden von solchen kultursoziologischen und kulturtheoretischen Perspektiven sind modernisierungstheoretische Ansätze, wie er von Rosa vorgelegt wurde. Er bezeichnet das Charakteristikum der Moderne als „soziale Beschleunigung“, welche er im Sinne einer „technische[n] Beschleunigung“, einer „Beschleunigung des sozialen Wandels“ und einer „Beschleunigung des individuellen Lebenstempos“ verortet. Vgl. Hartmut Rosa, „Modernisierung als soziale Beschleunigung: Kontinuierliche Steigerungsdynamik und kulturelle Diskontinuität,“ in Kulturen der Moderne: Soziologische Perspektiven der Gegenwart, hg. v. Thorsten Bonacker und Andreas Reckwitz (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2007), 140 – 172, bes. 141– 151.  Reckwitz, „Die Moderne und das Spiel der Subjekte,“ 99.  Ebd., 100.

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Sowohl die Reden als auch die Predigten sind von einem starken Bewusstsein einer spezifischen Referenz von Redenden und Adressaten bestimmt. Dies drückt sich darin aus, dass die Religionskommunikation in beiden Fällen von einem authentischen Sender ausgeht. In den Reden äußert sich ein Mittler vor dem Forum spezifisch gebildeter Religionsverächter. In den Predigten spricht der Rat gebende Prediger, der Teil der Hausgenossenschaft Gottes ist. In beiden Fällen ist die Rede der expressive Ausdruck individueller Religion, ein über die eigene religiöse Verfasstheit Auskunft gebendes Subjekt. Eine deutliche Differenz zeichnet sich jedoch auf der Ebene der Predigtintention ab. Die Reden relativieren ihre eigene Positionalität sowohl durch ihre medial selbstreflexive Ausrichtung als auch durch ihre hybride Form im eigenen Sprachvollzug. Sie tragen damit einem erkenntnistheoretischen Vorbehalt Rechnung und machen ihn sichtbar. Die Predigten hingegen artikulieren vor dem Hintergrund einer diesen Kommunikationsvollzug tragenden Gemeinschaft eine religiöse Position, die sowohl der Erbauung als auch der Edukation dienen kann. Beide Gestalten sind jeweils Ausdruck der Einzeichnung von Religionskommunikation in unterschiedliche Kommunikationssituationen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der starke Überzeugungen auf postmoderne Relativismen treffen, ist es angemessen, beide Gestalten von Religionskommunikation – die darstellend-verweisende und die edukativ-erbauliche − in ein sich wechselseitig bedingendes Verhältnis zu setzen. So können sie einen Beitrag zu der Entwicklung einer angemessenen Religionskommunikation in der Spätmoderne leisten. Religion lebt von der Grundüberzeugung, dass der Mensch in seiner Singularität nicht aufgeht, sondern auf eine weitere Größe verwiesen ist, auch wenn die Beschaffenheit dieser Größe in der Spätmoderne durchaus fraglich geworden ist. Die sowohl darstellende als auch verweisende Rede ist ein Mittel, diesem Sachverhalt Ausdruck zu verleihen. Sie kann den aus theologischer Perspektive nie zu nivellierenden fortlaufenden erkenntnistheoretischen Vorbehalt jeglicher Religionskommunikation in die Vollzüge von Religionskommunikation integrieren. Eine Rede, die sowohl der Individualität und Subjektivität⁷⁰² jedes Einzelnen als auch dem Vorbehalt einer diesen Menschen überschreitenden Wirklichkeit Ausdruck verleihen kann, trägt sowohl einer durch Subjektformationen gekennzeichneten Gesellschaft als  Der Impuls einer subjekttheoretischen Wende in der Praktischen Theologie geht von den Arbeiten Henning Luthers aus. Eine der Leitkategorien seiner Arbeit ist der Begriff des Fragments, mittels dessen er christliche Identität thematisiert. Anders als die romantische Vorstellung von Fragmentarizität, der stets eine verweisende Struktur inhärent ist, verbindet Luther Begriffe wie Fremdheit und Verletzlichkeit mit dieser Leitkategorie. Vgl.: Andrea Bieler, „Leben als Fragment? Überlegungen zu einer ästhetischen Leitkategorie in der Praktischen Theologie Henning Luthers,“ in Henning Luther: Impulse für eine Praktische Theologie der Spätmoderne, hg. v. Kristian Fechtner und Christian Mulia, Praktische Theologie heute 125 (Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 13 – 25, 14; Henning Luther, „Identität und Fragment: Praktisch-theologische Überlegungen zur Unabschließbarkeit von Bildungsprozessen,“ in Religion und Alltag: Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, hg. v. dems. (Stuttgart: RadiusVerlag, 1992), 160 – 182.

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auch theologischen Anliegen Rechnung. Sie hält das „Wissen um das Ungewisse“⁷⁰³ wach. Es gibt unterschiedliche Gestalten der Rede, welche besonders der Verweishaftigkeit Ausdruck verleihen. Die theologische Tradition kennt als ein Beispiel hierfür die theologia negativa ⁷⁰⁴. In der Gegenwart werden in besonderer Weise ästhetisierte Kommunikationsformen diskutiert, die ebenfalls diesem darstellend-verweisenden Charakter der Rede Ausdruck verleihen, indem sie Resonanzräume für das religiöse Individuum eröffnen.⁷⁰⁵ Diese Gestalt der Rede ist darüber hinaus in besonderer Weise pluralismusfähig, da sie, von individuellen Ausgangspunkten getragen, in ihrer Verwiesenheit stets ihre eigene Unvollkommenheit anerkennt. Gleichzeitig müssen sich Konzepte von Religionskommunikation der Herausforderung stellen, dass die Spätmoderne von einem deutlichen religiösen Wissensverlust gekennzeichnet ist. Durch fortschreitende Phänomene von Säkularisierung⁷⁰⁶ und „postkonfessioneller Entbettung“⁷⁰⁷ von Religion in öffentlichen Diskursen gewinnen neben Gestalten der verweisenden Rede auch jene Gestalten von Religionskommunikation an Bedeutung, die stärker positionell und edukativ akzentuiert sind. Werden  Nowak, „Romantik: Zum historischen Ort,“ 57.  Für eine Rede von Gott im Sinne einer theologia negativa, die einen Einspruch gegen die „Logik der Brauchbarkeit und Nützlichkeit“ darstellt, plädiert: Hans-Joachim Höhn, „Die Kunst der Bestreitung: In postsäkularen Kontexten von Gott reden,“ in Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften, hg. v. Miriam Rose und Michael Wermke, Studien zur religiösen Bildung 7 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2016), 89 – 112, 99.  Die Praktische Theologie lotet die Potentiale solcher Kommunikationsformen in unterschiedlicher Hinsicht aus. Martina Kumlehn sieht die Potentiale eines wechselseitigen Verhältnisses von moderner Literatur und religiöser Rede in der Eröffnung eines „fiktionalen Möglichkeitsraum[es]“. Siehe: Martina Kumlehn, „Existentielle Sprachnot wenden – Möglichkeitsräume eröffnen: Resonanzen zwischen moderner Literatur und religiöser Rede am Beispiel von Saša Stanišić Roman ‚Vor dem Fest‘.“ in Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften, 131– 148, 147. In Martin Nicols Konzept einer Dramaturgischen Homiletik werden literarische und journalistische Texte genutzt, um die biblischen Predigttexte unter dem Paradigma „Einander ins Bild setzen“ zu inszenieren: Martin Nicol, Einander ins Bild setzen: Dramaturgische Homiletik (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002), 65. Auf religionstheoretischer Ebene fasst Harmut Rosa Religion als Ganzes im Sinne eines resonanten Weltverhältnisses auf. Vgl. Hartmut Rosa, Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung (Berlin: Suhrkamp, 2016), 435 – 453.  Detlef Pollack vertritt die These, dass weiterhin von einem Prozess der Säkularisierung auszugehen ist. Vgl. Detlef Pollack, Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003.), 137. Als Resultat und Motor dieser Entwicklung identifiziert Gert Pickel eine „säkulare Schweigespirale“: „Ist Reden über Religion religiös? Anmerkungen zur Existenz einer säkularen Schweigespirale,“ in Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften, 57– 88, 82. Fraglich wird vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen Schleiermachers Prämisse einer anthropologischen Konstitution des Menschen. Siehe: Gerhard Wegner, Religiöse Kommunikation und Kirchenbildung: Ende eines liberalen Paradigmas? (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2014), 7.  Monika Wohlrab-Sahr beschreibt damit den Sachverhalt, dass Religion im öffentlichen Diskurs immer stärker von Akteuren nicht verfasster Religionsgemeinschaften thematisiert wird, was zu einer Herausforderung für die „Interpretationskompetenz“ Letzterer wird: Monika Wohlrab-Sahr, „Forcierte Säkularität und Postsäkularität – oder: Das Postsäkulare ist das Postkonfessionelle,“ in Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften, 37– 54, 42.

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religiöse Vorstellungsgehalte als kulturelles Gut einer Gesellschaft bezeichnet, so ist es notwendig, diese auch zu tradieren.⁷⁰⁸ Positionelle und edukative Gestalten von Religionskommunikation können in dieser Perspektive ebenso einen Beitrag zu einer angemessenen Rede von Religion in der Spätmoderne leisten. Darstellende und verweisende Rede, die auf der Ebene ihrer ästhetischen Struktur auf Unendlichkeit hinweist, benötigt eine Rückbindung durch eine mit ihr ins Gespräch gebrachte Positionalität, um sich nicht in eine völlige ästhetische Offenheit zu verflüchtigen. Die edukative und positionelle Rede hingegen kann nicht authentische und theologisch verantwortete Rede sein, wenn sie nicht durch den Vorbehalt ästhetisierter Rede an ihre eigene Vorläufigkeit verwiesen wird. In diesem sich wechselseitig bedingenden Verhältnis kann Religionskommunikation auch angesichts unterschiedlicher und in Konkurrenz stehender Subjektformationen sprachfähig bleiben. Unter den Bedingungen einer erkenntnistheoretischen Infragestellung der Religion, dem andauernden Strukturwandel öffentlicher Redeformen und der damit verbundenen anhaltenden Transformation religiöser Ausdrucksmöglichkeiten eröffnen sich durch die Berücksichtigung dieses wechselseitigen Angewiesenseins tragfähige Perspektiven für die Religionskommunikation in der andauernden Spätmoderne.

 Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, dass in der jüdisch-christlichen Tradition „Intuitionen von Verfehlung und Erlösung, vom rettenden Ausgang aus einem als heillos erfahrenen Leben artikuliert, über Jahrtausende hinweg subtil ausbuchstabiert und hermeneutisch wach gehalten“ wurden. Diese gelte es, in einer durch „nachmetaphysische[s] Denken“ geprägten Gesellschaft wertzuschätzen und in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Siehe: Jürgen Habermas, „Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?,“ in Zwischen Naturalismus und Religion, hg. v. dems. (Frankfurt: Suhrkamp, 2005), 106 – 118, 115; vgl. ders., „Religion in der Öffentlichkeit der ‚postsäkularen Gesellschaft‘,“ in Nachmetaphysisches Denken II: Aufsätze und Repliken, hg. v. dems. (Berlin: Suhrkamp, 2012), 308 – 327, 313.

Quellenverzeichnis I Schriften Schleiermachers 1 Philosophische und theologische Schriften „Über das höchste Gut (1789).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 81 – 128. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Freiheitsgespräch (1789).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 135 – 164. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Über die Freiheit (Zwischen 1790 und 1792).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 217 – 356. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Entwurf zur Abhandlung über den Stil (1790/1791).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 357 – 362. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Über den Stil (1790/1791).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 363 – 390. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Über den Wert des Lebens (1792/1793).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 391 – 472. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Über den Geschichtsunterricht (1793).“ In Jugendschriften 1787 – 1796. KGA Abt. I Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 487 – 498. Berlin/New York: Walter der Gruyter, 1984. „Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799).“ In Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799. KGA Abt. I Bd. 2, hg. v. Günter Meckenstock, 185 – 326. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1984. „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799).“ In Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799. KGA Abt. I Bd. 2, hg. v. Günter Meckenstock, 163 – 184. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1984. „Monologen. Eine Neujahrsausgabe (1800).“ In Schriften aus der Berliner Zeit 1800 – 1820. KGA Abt. I Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 1 – 61. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1988. „Die allgemeine Hermeneutik (1809/1810).“ In Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik. KGA Abt. II Bd. 4, hg. v. Wolfgang Virmond, 71 – 116. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2012. „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (18111; 18302).“ In Universitätsschriften, Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums. KGA Abt. I Bd. 6, hg. v. Dirk Schmid, 317 – 446. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1998. Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830/1831). KGA Abt. I Bd. 13.1, hg. v. Rolf Schäfer, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2013. Die Praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen. Sämmtliche Werke Abt. 1 Bd. 13, hg. v. Jacob Frerichs (1850). Nachdruck Berlin: Walter de Gruyter, 1983.

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Quellenverzeichnis

2 Predigten Ausformulierte Predigten „II. Die Kraft des Gebetes, in so fern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist.“ In Predigten: Erste bis Vierte Sammlung (1801 – 1820). KGA Abt. III Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 25 – 38. Berlin: Walter de Gruyter, 2012. (= Kraft) „XII. Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes. Am Sonntage nach Weihnachten.“ In Predigten: Erste bis Vierte Sammlung (1801 – 1820). KGA Abt. III Bd. 1, hg. v. Günter Meckenstock, 181 – 197. Berlin: Walter de Gruyter, 2012. „Die Gerechtigkeit ist die unentbehrliche Grundlage des allgemeinen Wohlergehens. An einem allgemeinen Bettage.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 591 – 606. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. (= Gerechtigkeit)

Entwürfe und Autographe „I. Am Neujahrstag VM. Über Eccl. 1,8.9.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 529 – 530. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. „II. Am Neujahrstag NM. Im Invalidenhause. Dieselbe. Confer. Die Neujahrspredigt 1795.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 530. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. „X. Am Sonntag Reminiscere über Matthäus 26,39 ff.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 482 – 484. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. (= Entwurf zur Predigt in Landsberg Mt 26,39 ff) „XLI. Sonnt. 11. Mai 1800 VM. Predigt Dreifalt. Kirche 1. Cor. 10, 13.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 655 – 656. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. „XX. Am Sonnt. Reminisc. NM. über Matth. 26,36 sqs.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 542 – 543. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013. (= Entwurf zu Mt 26,36sqs, Berlin I) „XXIII. Sonnt. 23. Merz VM Betstunde, Matth. 26,36 – 46.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 635 – 637. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. (= Entwurf zu Mt 26, 36 – 46, Berlin II) „XXIV. Sonntag 23. Merz NM. Matth 26,36 – 44. „ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 637 – 638. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. (= Entwurf zu Mt 26,36 – 44, Berlin III) „LXXXIX. Dienst. d. 21. Oct. 1800 Betstunde bei Weibern Ps. 37, 30.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 725 – 726. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013. „Predigt am Sonntag nach Weihnachten Ps. 26,8.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 386 – 387. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013.(= Entwurf zu Ps 26,8, Landsberg) „Nr. 35, Predigt über Ps 26,8. Am 28. Dezember 1794.“ In Predigten 1790 – 1808. KGA Abt. III Bd. 3, hg. v. Günter Meckenstock, 287 – 295. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013. (= Autograph zu Ps 26,8, Landsberg.)

II Weitere historische Schriften

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3 Briefe „Brief 53, An J.G.A. Schleyermacher. Barby, Sonntag, 21. 1. 1787.“ In Briefwechsel 1774 – 1796 (Briefe 1 – 326). KGA Abt. V Bd. 1, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 49 – 52. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1985. „Brief 216, An J.G.A. Schleyermacher. Schlobitten, Sonntag, 5.5. bis Dienstag, 14. 5. 1793.“ In Briefwechsel 1774 – 1796 (Briefe 1 – 326). KGA Abt. V Bd. 1, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 291 – 295. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1985. „Brief 559, An Henriette Herz. Potsdam, Freitag, 15. 2. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 9 – 11. KGA Abt. V Bd. 3. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 569, An H. Herz. Potsdam, Montag, 25.2 bis Dienstag, 26. 2. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 17 – 20. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 587, An Ch. Schleiermacher. Potsdam, 23. 3. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 44 – 51. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 619, An H. Herz. Potsdam, Mittwoch, 10. 4. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 75. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 633, An H. Herz. Potsdam, Dienstag 16. 4. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 94 – 95. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 657, An Ch. Schleiermacher. Berlin, Donnerstag, 23. 05. 1799.“ In Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849). KGA Abt. V Bd. 3, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 120 – 122. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1992. „Brief 1612, An C. G. von Brinkmann. Stolp, Mittwoch, 14. 12. 1803.“ In Briefwechsel 1803 – 1804 (Briefe 1541 – 1830). KGA Abt. V Bd. 7, hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 150 – 159. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2005. „Brief 2367, An H.K.A. Eichstädt. Halle, Montag, 22. 12. 1806.“ In Briefwechsel 1806 – 1807 (Briefe 2173 – 2597). KGA Abt. V Bd. 9, hg. v. Andreas Arndt und Simon Gerber, 277 – 279. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2011.

II Weitere historische Schriften „Confessio Augustana,“ Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss, 33 – 137. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 193012. Eckhart, Meister. „Predigt XCV.“ In Deutsche Mystiker des Vierzehnten Jahrhunderts. Bd. 2, Meister Eckhart: Predigten, Traktate, hg. v. Franz Pfeiffer, 307 – 309. Aalen: Scientia-Verlag, 1962. Goethe, Johann W. „Die Wahlverwandtschaften: Ein Roman.“ In Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. 40 1/8, Bibliothek deutscher Klassiker, hg. v. Waltraud Wiethölter, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1994. Hegel, Georg W. F. „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796/97).“ In Quellen und Studien zur Philosophie. Bd. 23, hg. v. Frank-Peter Hansen, Berlin: Walter de Gruyter, 1989. Kant, Immanuel. Kritik der Urteilskraft und naturphilosophische Schriften. Werke 10.2, hg. v. Wilhelm Weischedel, Wiesbaden: Insel Verlag, 1957.

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Index Anschauung 12 – 22, 27, 29 f., 32, 34, 37, 39 f., 43, 46, 50, 60, 62, 66, 68, 70 f., 73, 78 f., 179 Aufklärung 1 – 5, 11, 14 f., 23, 33, 44, 47, 50, 58, 73, 75, 81 – 84, 126 f., 137, 151 – 152, 168, 176 Belehrung 96 f., 99 f., 103 f., 106 f., 116 f., 167 Beredsamkeit 10 f., 77, 84, 143 Bewusstsein 18, 20, 33 – 37, 49, 56, 60, 71, 89, 103, 109, 114, 117, 122, 129, 145, 149, 157, 163, 168, 179, 182 Bildung 12 f., 21 – 29, 31 – 34, 40, 48, 55, 58 – 61, 63 f., 66, 71 f., 78 f., 117, 122, 124, 129, 132 – 136, 140 f., 170 Brief 23, 89 – 90, 120 f., 124 – 137 Briefpraxis 126 Darstellung 9, 12, 18 – 20, 34, 44, 47, 56, 60, 71, 73, 77 – 79, 82 – 86, 88 – 90, 99, 113, 117 f., 120, 122, 124, 128 – 130, 133 – 135, 137, 139, 143, 147, 152, 171 f., 174, 178 – 180 Differenz 14, 25, 36, 38 – 40, 45, 50, 70, 72, 80, 105, 129, 144 – 146, 159, 168, 182 Edukation 81, 116, 120, 124, 137, 151, 166, 169, 174 f., 182 Einbildungskraft 30 f. Entfaltung 3, 5 – 8, 12, 14, 20, 26 f., 31 f., 34, 36, 45, 47, 50, 60, 63, 73, 75, 77 – 79, 84, 86 – 89, 91, 93, 95, 107, 109, 118 f., 124, 127, 129 – 131, 134, 141, 153 – 155, 159 – 162, 165, 167 f., 172, 174, 176, 178 Erbauung 81, 100 – 103, 107, 116 f., 120, 122, 124, 137, 151, 166, 169, 174 f., 182 Fantasie 15, 27, 29 – 33 Französische Revolution 1 Gefühl 12 – 14, 16 – 22, 34, 37, 40 f., 43, 46 – 48, 50, 60, 62, 66, 68, 71, 73, 78, 98 – 103, 106, 112 – 114, 117, 158, 161 – 165, 167 f. Geselligkeit 35 – 38, 55, 78, 81, 97, 122, 126, 131 – 135, 178

https://doi.org/10.1515/9783110640960-011

Gottesdienst 81, 83 – 85, 88, 90, 93 – 107, 110, 116 – 118, 122 f., 152 – 161, 167 f., 174, 176, 178, 180 Identität 7, 25, 36, 52, 54, 80, 109, 116, 129, 168, 181 Individualität 36 f., 47, 53, 56, 71, 129, 134, 143 – 145, 182 Individualitätsbildung 33, 129, 133, 135 Individualitätstheorie 129 f., 133 Individuation 126 Interpersonalität 21, 26, 42, 52, 59, 72, 89, 127, 129 – 131 Intersubjektivität 34 – 36, 75 f., 78 f., 89, 107, 129, 132, 135 Kommunikation 6 f., 12, 36 – 38, 43 – 45, 47 – 49, 59, 66, 114, 117, 123 f., 126 – 129, 131 f., 135, 137, 167, 173, 180 Kommunikationstheorie 7, 45, 50, 67, 72, 74, 124, 128, 134, 178 Kommunikationsvollzug 50, 118, 122, 128, 135, 141, 182 Liebe 34, 55, 63, 129 f., 134, 155 – 160, 167 Literarizität 75, 77, 88, 179 Literatur 1, 4 f., 10 f., 16, 45, 51, 67, 74, 76, 79, 81, 83, 88, 137, 146, 149, 151, 177 Medium 4 f., 10, 31, 41, 49 f., 53, 71, 73, 76, 87, 101 f., 114, 124 – 127, 130, 135, 145, 148, 151, 173 Menschheit 27, 29, 31, 33 f., 36, 45 f., 53 – 58, 71, 121, 129, 147 Modell 1, 4, 124, 127, 137, 140, 149, 166, 169 – 175, 177 f. Moderne 1 – 5, 8, 13 – 15, 24, 41, 79 f., 82, 139, 141, 144 f., 149, 170 f., 173 – 177, 180 f., 183 Mündlichkeit 41 f., 75, 88 Öffentlichkeit

9, 52 f., 76, 81, 126, 177

Person, heilige 56, 101 Predigt 5 – 8, 42, 44, 68, 74 f., 77 – 99, 101 – 111, 113 – 124, 128, 135, 137, 147, 151 – 169, 171 f., 174 – 178, 180, 182

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Index

Redekunst 10, 79, 126 Religion 3 – 8, 12 – 23, 26 – 36, 38 – 44, 46 – 51, 53 – 75, 77 – 79, 81, 83 f., 88, 96, 98 f., 101 f., 120, 122, 124, 135, 140 – 151, 155, 172 – 174, 176 – 179, 182 – 184 Religionskommunikation 5 – 8, 12, 15 f., 35 – 37, 47, 50 f., 53, 66 f., 70, 72 f., 75, 77 – 81, 84, 86 – 89, 91, 93, 99, 102 f., 114, 116 – 119, 122 – 124, 137, 140 – 143, 150 f., 154 f., 159, 161, 167, 170 – 184 Resonanz 47 f., 71, 78 f., 102, 117, 129, 142, 164 – 166 Romantik 4 f., 10, 15, 31, 57, 118, 137 f., 142, 154, 168 f., 176 Salon 9 f., 52, 94, 126, 128 Salonkultur 9 Schrift 5, 10, 25, 39, 42 f., 65, 76, 83, 96, 106, 120, 122, 125, 134, 137, 141 – 143, 152, 154, 159, 166, 176, 185, 187

Schriftlichkeit 41 f., 76, 127 Sinn 13, 18 f., 26 – 32, 37 f., 46, 59, 66, 70, 77, 79, 101, 122, 156, 158 Trieb

26, 28 f., 31 – 33

Universum 12, 15 – 21, 25 – 27, 29, 32 – 34, 37, 40, 43, 50, 56, 58, 62 – 64, 66, 71, 73, 78 f., 101, 140, 149, 151, 172 Verweis 9, 12, 42, 55 f., 67, 73, 76 f., 79, 83, 94, 102, 105, 120, 124, 137, 144, 149, 151, 165, 172, 178 f. Vollzug 5 – 8, 12, 38, 47, 50 f., 60, 66 f., 70, 73 f., 77 – 79, 86 – 89, 91, 93, 100, 103 – 105, 107, 113 f., 116 – 119, 124, 128 – 130, 132, 135, 141, 146 – 148, 151, 153 f., 159, 161, 163 – 165, 172 – 174, 176, 179 f.