Rechtsphilosophie als praktische Philosophie. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts und die Grundlegung der praktischen Philosophie 9783846750032, 9783770550036, 377055003X

Elisabeth Weisser-Lohmann rekonstruiert die Hegelsche Rechtsphilosophie als die Grundlegung einer praktischen Philosophi

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Rechtsphilosophie als praktische Philosophie. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts und die Grundlegung der praktischen Philosophie
 9783846750032, 9783770550036, 377055003X

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Elisabeth Weisser-Lohmann Rechtsphilosophie als praktische Philosophie

Elisabeth Weisser-Lohmann and Elisbeth Weisser-Lohmann - 978-3-8467-5003-2

H EGEL F ORUM

herausgegeben von

ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT MICHAEL QUANTE ELISABETH WEISSER-LOHMANN

Elisabeth Weisser-Lohmann and Elisbeth Weisser-Lohmann - 978-3-8467-5003-2

Elisabeth Weisser-Lohmann

Rechtsphilosophie als praktische Philosophie Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts und die Grundlegung der praktischen Philosophie

Wilhelm Fink

Elisabeth Weisser-Lohmann and Elisbeth Weisser-Lohmann - 978-3-8467-5003-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2011 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Lektorat und Druckvorlage: Gerd Harrie, Dortmund Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5003-6

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VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift Rechtsphilosophie als praktische Philosophie (Hagen 2004). Für die Auseinandersetzung mit Hegels Philosophie des Rechts bilden die Ergebnisse der historisch-kritischen Ausgabe der Grundlinien (Gesammelte Werke; Band 14.1, Hamburg 2009 und Band 14.2, Hamburg 2011) eine wesentliche und bislang in dieser Form nicht verfügbare Grundlage. Mit Blick auf die Frage, inwieweit die klassischen Konzeptionen praktischer Philosophie das Instrumentarium zur Lösung aktueller Konflikte bereitstellen, hat Ludwig Siep auf die Anschlussfähigkeit der Jenaer Konzeption verwiesen. Vielfach schien in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aber auch der Rückgang auf Hegels Grundlinien für das Vorhaben einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie aussichtsreich. Die damals entwickelten Ansätze zeigen die Grenzen eines solchen Rückgriffs: Entweder misslingt die von Hegel angestrebte Vermittlung zwischen Normativität und Geschichtlichkeit oder sie wird von den Interpreten im Rückgriff auf metaphysische Prinzipien geleistet. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen bildet die Grundlage für die Rekonstruktion der Grundlinien im Rückgriff auf die Jenaer praktische Philosophie und die dort gelungene Vermittlung von Normativität und Geschichtlichkeit. Die Studie zeigt, dass insbesondere die von Hegel verwendeten Verfahren der Rekonstruktion von Normen und der Konstruktion von Institutionen für die praktische Philosophie der Gegenwart anschlussfähig sind. Ich danke Annemarie Gethmann-Siefert und den Teilnehmern des Hagener Diskussionskreises für die kontroversen Diskussionen und die fruchtbaren Anregungen zur Realisierung dieser Forschungsarbeit. Anna Johanna Gethmann und Gerd Harrie danke ich für die sorgfältige Hilfe bei der Fertigstellung des Textes. Bochum, im August 2010

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INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG................................................................................................ 11 2. REHABILITIERUNG DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE ................................. 25 2.1 Recht und Politik: C. Schmitt, A. Kojève, L. Strauss ......................... 25 2.2 Vernunft und Gesellschaft................................................................... 41 2.3 Rechtsphilosophie als praktische Philosophie? ................................... 47 3. NATURRECHT UND PHILOSOPHIE DES RECHTS........................................... 53 3.1 Die Rahmenbedingungen .................................................................... 53 3.2 Naturrecht versus Sittlichkeit .............................................................. 55 3.3 Natur versus Wille – Die zeitgenössischen Naturrechtskonzeptionen .................................. 58 3.3.1 Kants Rechtsbegriff..................................................................... 62 3.3.2 Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff ......................................... 71 3.3.3 Fichtes Rechtsbegriff .................................................................. 75 3.4 Der Rechtsbegriff der Historischen Rechtsschule............................... 78 4. HEGELS RECHTSBEGRIFF ........................................................................... 89 4.1 Die Jenaer Rechtskonzeption .............................................................. 91 4.2 Naturrecht und Recht als Idee ............................................................. 99 4.2.1 Recht als Idee und reflexiver Willen ......................................... 103 4.3 Wille und Recht – das Begründungsprogramm ................................ 110 4.3.1 Enzyklopädie und Naturrecht und Staatswissenschaft ............. 113 4.3.2 Recht als Idee – zu Programm und Aufbau der Grundlinien ... 116 4.3.3 Recht und Freiheit .................................................................... 118 4.4 Zusammenfassung und Ausblick....................................................... 120 5. DAS ABSTRAKTE RECHT .......................................................................... 123 5.1 Das Recht der Person ........................................................................ 127 5.1.1 Person und Sache ..................................................................... 129 5.1.2 Person und Recht ...................................................................... 131

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INHALTSVERZEICHNIS

5.2 Die Grenzen des abstrakten Rechts ....................................................136 5.3 Zusammenfassung ..............................................................................141 6. HANDLUNG UND RECHT ............................................................................145 6.1 Moralischer Wille und Handlung .......................................................151 6.2 Recht und Leben.................................................................................157 6.2.1 Stellung und Funktion des Lebensbegriffs.................................160 6.3 Das Gute und das Gewissen ...............................................................163 6.4 Das Wohl und die Wirklichkeit des Guten.........................................170 6.5 Zusammenfassung und Ausblick .......................................................176 7. RECHT ALS SITTLICHKEIT?........................................................................181 7.1 Sittlichkeit und objektiver Geist.........................................................185 7.2 Sittliches Recht als Handlungstyp......................................................187 7.3 Sittlichkeit als exemplarische Rechtsgestalt ......................................194 8. SITTLICHKEIT ALS RECHT .........................................................................203 8.1 Die Familie als Wirklichkeit des Rechts ............................................205 8.1.1 Eigentum und Gut der Familie ..................................................208 8.1.2 Die Erziehung der Kinder..........................................................209 8.2 Die Bürgerliche Gesellschaft als Sphäre der Sittlichkeit ..................212 8.2.1 Die Kontroverse um die Bürgerliche Gesellschaft ....................213 8.2.2 Die bürgerliche Gesellschaft als Gestalt des Rechts.................218 8.2.3 Die bürgerliche Gesellschaft und das Dasein des Rechts .........224 8.3 Der „Staat“ als Wirklichkeit des Rechts ............................................231 8.3.1 Die Verfassung des Staates als Dasein des Rechts....................231 8.3.2 Verfassung als Modell politischen Handelns ............................233 8.3.3 Zusammenfassung......................................................................239 9. PRAKTISCHE PHILOSOPHIE ZWISCHEN NATURRECHT UND WELTGESCHICHTE ....................................241 9.1 Weltgeschichte und Philosophie des Rechts ......................................243 9.1.1 Geschichte und praktische Philosophie in Jena ........................244 9.2 Weltgeschichte und Sittlichkeit..........................................................251 9.3 Geschichte, Normativität und praktische Philosophie .......................264

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10. BIBLIOGRAPHIE ........................................................................................ 275 I

Werkausgaben / Siglenverzeichnis / benutzte Ausgaben ................... 275

II Einzelausgaben ................................................................................... 276 III Forschungsliteratur ............................................................................. 280

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„es ist lächerlich, alles unter der Form dieser Abstraktion, als Recht betrachten zu wollen; es ist etwas ganz Formelles α) in seiner Mannigfaltigkeit unendlich, und totalitätslos; β) ohne allen Inhalt, an sich“ Hegel, System der Sittlichkeit, 298

1. EINLEITUNG

Für Aristoteles und die an ihn anschließende – bis ins 18. Jahrhundert gültige – Philosophiekonzeption umfasst die praktische Philosophie als Lehre vom Handeln Ethik, Politik und Ökonomie. Gemessen an dieser Tradition schränkt die Philosophie im 19. Jahrhundert das ursprüngliche Aufgabengebiet erheblich ein, wenn sie die praktische Philosophie auf Ethik reduziert.1 Diese Einschränkung ist keineswegs eine bloße Folge der Entstehung neuer Gesellschaftswissenschaften. Die Gründe müssen vielmehr, so die Kritiker, in der Philosophie als einer Wissenschaft gesucht werden, die ihrem höchsten Selbstverständnis nach Theorie ist und für die das Anliegen einer „praktischen Philosophie“ eine contradictio in adjecto ist. Gemäß diesem Selbstverständnis ist sowohl die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie als auch die Aufgliederung der praktischen Philosophie in Ethik, Politik und Ökonomie verzichtbar. Heidegger etwa hat die Aufteilung der Philosophie in eine theoretische und praktische mit dem Einwand zurückgewiesen, Philosophie sei „Denken“ und wolle weder „Ethik noch Ontologie“ sein. Handle doch das Denken, indem es denkt.2 Die Kritik an der eingeschränkten Bedeutung, die der Philosophie durch den Verzicht auf praktische Philosophie bzw. die Reduktion der praktischen 1

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Heinrich Rickert etwa, der repräsentative Vertreter des südwestdeutschen Neukantianismus in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, identifiziert in seinem System der Philosophie (Erster Teil: Allgemeine Grundlegung der Philosophie. Tübingen 1921, 358) die Fragestellung der praktischen Philosophie mit Ethik. So Martin Heidegger im „Brief über den ‚Humanismus‘“ (In: ders., Wegmarken, Frankfurt a.M. 1976, 311-360; hier 313). Mit Bezug auf Sein und Zeit hat Carl Friedrich Gethmann allerdings von der „frühesten Konzeption eines konsequenten Pragmatismus“ im deutschsprachigen Raum gesprochen (C.F. Gethmann: „Heideggers Konzeption des Handelns in Sein und Zeit“. In: A. Gethmann-Siefert / O. Pöggeler (Hg.), Heidegger und die praktische Philosophie. Frankfurt a.M. 1988, 140-176; hier 143. Wie der späte Heidegger votiert auch die hermeneutische Tradition für eine Aufhebung dieser Beschränkungen. Vgl. H.-G. Gadamer: „Hermeneutik als praktische Philosophie“. In: M. Riedel (Hg.), Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Bd. 1. Freiburg i.Br. 1972, 325-345.

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Philosophie auf Ethik zukommt, orientiert sich nicht zuletzt an der philosophiegeschichtlichen Tradition. Die Konzeptionen von Platon und Hegel stehen nicht nur für den umfassenden Anspruch der praktischen Philosophie, sondern sind Paradigmen für die wissenschaftliche Einheit von Theorie und Praxis. Hegel will mit den Grundlinien der Philosophie des Rechts beiden Ansprüchen genügen. Als Rechtsphilosophie soll die praktische Philosophie sowohl Ethik, Ökonomie und Politik umfassen als auch eine Einheit von Theorie und Praxis formulieren. Vor dem Hintergrund der Jenaer Kritik am Rechtsbegriff3 erscheint der Versuch, diesen Anspruch im Rahmen einer Philosophie des Rechts einzulösen, als vollständige Abkehr von der frühen – im System der Sittlichkeit geäußerten – Überzeugung von der Lächerlichkeit aller Bemühungen die praktischen Bestimmungen unter dem Begriff des Rechts zu betrachten. Wenige Jahre später scheint er diese Kritik aufzugeben, wenn „Naturrecht und Staatswissenschaft“ als „Philosophie des Rechts“ entwickelt werden und Hegel mit der Philosophie des Rechts als Lehre vom objektiven Geist beansprucht, die praktische Philosophie in ihrer gesamten Breite zu entwickeln. Inwiefern die Rede von der Abkehr das Hegelsche Anliegen adäquat erfasst, wird zu prüfen sein. Ein Festhalten an der Jenaer Kritik am Rechtsbegriff läge dann vor, wenn gezeigt werden könnte, dass Hegel den Rechtsbegriff gegenüber der Jenaer Zeit neu formuliert und zwar unter dem Anspruch antike Sittlichkeitskonzeption und neuzeitliches Naturrecht zu vereinigen. Die Jenaer Kritik am (abstrakten) Rechtsbegriff bliebe somit auch für die späte Konzeption der Grundlinien in Geltung. Die Klärung der Frage nach dem Anspruch und der Konzeption der Hegelschen Rechtslehre verfolgt weniger philologische Interessen. Gerade im 20. Jahrhundert wurde die Aktualität dieser Rechtskonzeption von verschiedenen Autoren – mit allerdings recht unterschiedlicher Intention – herausgestellt. Wegweisend schien Hegels Rechtskonzeption gerade mit Blick auf die Bemühungen um eine Erneuerung der praktischen Philosophie.

Die Neubestimmung der praktischen Philosophie im 20. Jahrhundert Die Auseinandersetzung mit der philosophiegeschichtlichen Tradition führte Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in eine Diskussion um die Prinzipienfragen der (praktischen) Philosophie. Exemplarisch dokumentieren etwa die unter dem Titel Rehabilitierung der praktischen Philosophie4 versammelten Beiträge Zielrichtung und Breite einer Auseinanderset3 4

Siehe das Motto vor dieser Einleitung M. Riedel (Hg.): Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Bd. 1: Geschichte, Probleme, Aufgaben. Freiburg i.Br. 1972. Bd. 2: Rezeption, Argumentation, Diskussion. Freiburg i.Br. 1974. Logisch-sprachanalytische Konzeptionen kommen in diesen Bänden ebenso zu Wort wie phänomenologisch-existentialphilosophische Positionen und die wissenschaftstheoretischen Versuche der Erschließung des Praktischen. Der Ausdruck „Rehabilitierung“ ist wohl –

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zung, deren thematisches Problemfeld von der „Praxis“ als einem besonderen Problemfeld der Philosophie bis hin zu der Frage nach Sinn und Relevanz der Philosophie reichte und deren systematisches Anliegen in so unterschiedlichen Beiträgen wie Ritters Rehabilitierung des Ethos5 und Lorenzens Beharren auf einem Verfahren expliziter Normenbegründung zum Ausdruck kommt.6 Diese Heterogenität der Zielsetzung basiert nicht zuletzt auf mangelnder Einigkeit hinsichtlich der Frage der spezifischen Aufgabe und Methode der „praktischen Philosophie“. Einmal wird im Anschluss an Kant und Fichte unter „praktischer Philosophie“ die philosophische Auseinandersetzung mit dem Handeln verstanden. Beiträge zu diesem Praxis-Verständnis finden sich unter den Themengruppen „Grundlagen der Ethik“ (Ilting, Kamlah) oder „Naturrecht und Rechtsphilosophie“ (Riedel, Kaulbach). Andere fassen im Anschluss an idealistische, marxistische, pragmatistische oder existenzphilosophische Konzeptionen „praktische Philosophie“ als ein Praktischwerden der Philosophie selbst7 und fordern, die „praktische Philosophie“ habe eine Sinnbestimmung der Philosophie selbst zu leisten. Diese Differenzen machen deutlich: Allein die Verpflichtung der Beiträger, alle philosophisch relevanten Aspekte menschlicher Praxis in den Blick zu nehmen, erzeugt noch keine Einigkeit in systematischer Hinsicht. Die Grundfrage, welche Aspekte des Praktischen philosophisch relevant sind, bleibt auch dort unbeantwortet, wo die ‚Rehabilitierung‘ im Rückgriff auf die Tradition versucht wird. Platon, Aristoteles und Kant stehen für gänzlich unterschiedliche Konzeptionen praktischer Philosophie.8 Platon geht von der Einheit von Ontologie und Ethik aus: Die Frage nach dem sittlich Guten ist unlösbar mit der Bestimmung des Seins verknüpft. Aristoteles unterscheidet das Wissen um die letzten Prinzipien von der ‚episteme praktike‘ als einer Wissenschaft, der es um die kontingenten, menschlichen Dingen geht. Zu ihr zählen Ethik, Ökonomik und Politik. Im Unterschied zur ‚theoria‘ geht es der praktischen Philosophie nicht um das Wissen, sondern um die rechte Praxis, um das Handeln. Die rechte Praxis verfügt zwar als „sittliche Einsicht“ (phro-

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hierauf haben Becchi und Hoppe verwiesen – zuerst von K.-H. Ilting verwendet worden (K.H. Ilting: „Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit“. In: Philosophisches Jahrbuch 72 [1964/65], 84-102; hier 84). Vgl. P. Becchi / H. Hoppe: „Nachwort“. In: K.-H. Ilting, Grundfragen der praktischen Philosophie. Frankfurt a.M. 1994, 357-374; hier 362. J. Ritter: „Zur Grundlegung der praktischen Philosophie bei Aristoteles“. In: Riedel (Hg.), Rehabilitierung, Bd. 2, 479-500. P. Lorenzen: „Szientismus versus Dialektik“. In: Riedel (Hg.), Rehabilitierung, Bd. 2, 335351. Vgl. hierzu die Beiträge „Die praktische Dimension der Hermeneutik“ (Gadamer), „Phänomenologie und Existenzphilosophie“ (Waldenfels, Eley, Maurer), „Normative Probleme der Dialektik“ (Blasche, Schwemmer) und „Topik und praktische Philosophie“ (Kuhn, Pöggeler). Helmut Fahrenbach spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Dissoziierung der Thematik praktischer Philosophie“. Vgl. hierzu und zum folgenden H. Fahrenbach: „Ein programmatischer Aufriß der Problemlage und systematischen Ansatzmöglichkeiten praktischer Philosophie“. In: Riedel (Hg.), Rehabilitierung, Bd. 1, 15-56; hier 27ff.

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EINLEITUNG

nesis) über ein Wissen, die philosophische Bestimmung der Praxis geht aber nicht in diesem Wissen auf noch ist sie mit ihm identisch. Daher kann „praktische Philosophie“ für Aristoteles weder Wissenschaft im strengen Sinne der theoria sein, noch ist sie ein rein technisch-pragmatisches Wissen, das dazu befähigt, das rechte Handeln hervorzubringen. Die praktische Philosophie vermag für Aristoteles nur die Ziele und Mittel rechten Handelns zu erörtern. Darüber hinaus klärt sie die Bedingungen sittlich-praktischer Einsicht als dem rationalen Element richtigen Wählens (prohairesis) und orientiert dadurch indirekt das Handeln.9 Kant entwickelt die Grundbestimmungen seiner praktischen Philosophie im Rahmen des transzendentalphilosophischen Begründungsprogramms. Als Kritik deduziert die praktische Philosophie die Bedingungen der Möglichkeit praktischer Gesetze. Die Anwendung dieser Gesetze entwickelt Kant analog zur „Metaphysik der Natur“ in der „Metaphysik der Sitten“. Für Kant sind die Grundbestimmungen der Kritik der praktischen Vernunft (KprV) wie die der Metaphysik der Sitten frei von empirischen Bestimmungen zu entwickeln.10 Die Frage nach Gestalt und Aufgabe der (praktischen) Philosophie wird durch die Tradition nicht eindeutig beantwortet. Die Vielfalt der Konzepte, ihr unterschiedlicher Geltungsanspruch wirft die Frage nach den Gründen für diese Differenzen auf. Jene, die mit Blick auf die Frage nach dem guten Leben für eine Kompetenzbeschränkung der Philosophie eintreten, verteidigen die Einschränkung der praktischen Philosophie auf Ethik als Normenbegründung mit dem Hinweis auf die geänderten wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen und den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dieser Wandel sei so fundamental, dass sich die unmittelbare Reaktualisierung eines historischen Modells (praktischer) Philosophie für die Moderne verbiete. Die Rückbesinnung auf traditionelle Konzeptionen mit dem Ziel, jene Grundbestim9

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Vgl. Chr. Rapp: „Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit“. In: O. Höffe (Hg.), Aristoteles. Die Nikomachische Ethik. Berlin 1995, 109-133. Die aristotelische Sammlung von Verfassungen steht im Dienste dieses Bemühens um indirekte Wirksamkeit der praktischen Philosophie durch eine breite empirische Fundierung der praktischen Prinzipien. Vgl. zu den Konsequenzen dieser Konzeption M. Riedel: „Aristoteles-Tradition am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Zur ersten deutschen Übersetzung der ‚Politik‛ durch Joh. Georg Schlosser“. In: Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Göttingen 1963, 278-315. Kants Trennung der moralphilosophischen Prinzipienlehre (KprV) von allem empirisch bedingten beziehungsweise pragmatisch-technischen Vernunftgebrauch scheint das heute weitverbreitete Verständnis vorwegzunehmen, demgemäß den Sozial-, Verhaltens- und Gesellschaftswissenschaften der empirisch orientierte Part praktischer Philosophie zukommt, während die praktische Philosophie als Ethik den Part der Normenbegründung zu übernehmen hat. Zu Recht fragt Fahrenbach angesichts dieser Entwicklung, „ob die Einschränkung praktischer Philosophie auf Ethik tragbar ist“, ob angesichts der „Verflechtung von Praxis und Normativität“ die Analyse von Normen, ohne „umfassende Praxisanalyse überhaupt selbst zureichend behandelt zu werden vermag“ (Fahrenbach: „Ein programmatischer Aufriß“, 26). Ergänzend ist mit Blick auf gegenwärtig diskutierte Modelle „Angewandter Ethik“ hinzuzufügen, dass es fraglich ist, ob die bloße Beschreibung ethisch kontroverser Handlungsoptionen ohne anerkannte ethische Grundbegriffe und Überzeugungen überhaupt möglich ist.

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mung des Praktischen zu aktualisieren, die die Aufspaltung in theoretische und praktische Philosophie wie auch die Einschränkung der Philosophie auf Ethik überwindet, setzt voraus, dass die genannten Beschränkungen nicht eine unvermeidbare Konsequenz des gewandelten Wissenschaftsverständnisses bzw. der spezifisch neuzeitlichen Lebensbedingungen sind. In der Frage nach Gestalt und Aufgabe der (praktischen) Philosophie scheint die Philosophie vor die Alternative gestellt, entweder an dem Programm festzuhalten, Lehre vom Sein im umfassenden Sinn zu sein, oder aber sich auf die Rolle der Prüfung und Rechtfertigung normativer ethischer Grundsätze zu beschränken. Die Entscheidung für eine dieser Alternativen verlangt eine Prüfung der Argumente, die für das jeweilige Konzept angeführt werden.

Einschränkung der Relevanz praktischer Philosophie Die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie ist nicht erst für den neuzeitlichen Wissenschaftsbegriff grundlegend, sondern geht auf Aristoteles zurück. Die aristotelische Trennung wirkte bis in das 18. Jahrhundert und wird im 19. Jahrhundert durch Aufteilungen abgelöst, die eine Ausgliederung bestimmter Fragestellungen aus dem Gebiet der Philosophie zur Folge haben. Noch Hegel exzerpiert während seiner Stuttgarter Gymnasialzeit aus Sulzers Kurzem Begriff der Gelehrsamkeit (1754) die tradierte Einteilung in eine „spekulative oder betrachtende“ und eine „praktische“ Lehre der Philosophie. Zur letzteren gehören alle „sich auf die äußere und innere Glückseligkeit des Menschen“ beziehenden Fragen, die den drei Disziplinen „Ethik“, „Ökonomik“ und „Politik“ zugeordnet sind. „Ethik“ handelt von den „natürlichen Pflichten“ oder „moralischen Handlungen“, wozu die Natur einen jeden Menschen verpflichtet. Hier ist für Sulzer auch das Naturrecht angesiedelt, welches nur vollkommene und bestimmte Pflichten enthält, zu deren „Beobachtung ein Mensch von anderen kann angehalten werden“. Die „Oeconomica“ handelt von den moralischen Handlungen, die nötig sind, um das Glück und die Wohlfahrt in kleineren Gesellschaften (Familie) zu erhalten. Die „Staatswissenschaft“ oder „Politik“ enthält die Theorie der Glückseligkeit ganzer Staaten oder bürgerlicher Gesellschaften und gibt die Mittel an, wodurch dieselbe erreicht werden kann. Für diese an Aristoteles orientierte Einteilung gibt der unterstellte Zweck (Glückseligkeit) die Untergliederungen in Einzeldisziplinen der (praktischen) Philosophie vor. Dieser Zweckbegriff dominierte fast alle scholastischen Wissenschaftslehren und bestimmte etwa auch den systematischen Ort der älteren Politik11. 11

Vgl. H. Maier: „Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten vornehmlich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“. In: G. Oberndörfer (Hg.), Wissenschaftliche Politik. Freiburg i.Br. 1962, 59-116.

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EINLEITUNG

Neue Methoden und Einteilungskriterien führen zur Ausgliederung tradierter Aufgabengebiete aus der Philosophie. An die Stelle von von der Natur oder einem göttlichen Wesen gegebenen Zwecke und Pflichten treten wissenschaftlich objektivierende Gesichtspunkte wie das „Vermögen“. Für d’Alemberts geben die menschlichen Vermögen wie Wahrhaftigkeit und Tugend den Leitfaden für die Einteilung der Wissenschaften. Fragestellungen, die nicht eindeutig einem menschlichen Vermögen zugeordnet werden können – wie die nach der Glückseligkeit –, müssen ausgegliedert werden, da diese Fragen „zu gleicher Zeit und in derselben Weise (...) auch einer anderen Wissenschaft angehören können“.12 War die leitende Rolle der „alten Politik“ durch deren zweckbestimmendes oder gesetzgebendes Vermögen bestimmt, so führt die allmähliche Preisgabe dieser Orientierung zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Fragestellungen wie der „Staatslehre“, der „Regierungskunst“ und der „Kameralistik“.13 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist es üblich, „das Wort „Staatswissenschaft“ als Übersetzung für die kameralistische res politica (...) bzw. als Eindeutschung des (...) Begriffs Statistik (vergleichende Staatenkunde) zu gebrauchen“. Unter dem Titel „Staatswissenschaft“ wird einmal die Tradition der deskriptiv-empirisch vorgehenden vergleichenden Verfassungslehre fortgeführt. Unter dem Titel „Staatswissenschaft“ wird aber auch das System der zu begründenden Normen als „rationales Naturrecht“ bearbeitet. Hegel trennt diese beiden - aus der alten Politik hervorgegangenen Fragestellungen in den Heidelberger und Berliner Vorlesungsankündigungen und unterscheidet zwischen „Naturrecht und Staatswissenschaft“14. Für die 12

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Deutlich wird diese Entwicklung im „Bibliographischen System“ des Andreas Schleiermacher von 1852. Vgl. hierzu W. Hennis: Politik und praktische Philosophie. Berlin / Neuwied 1963, 28. Vertreter dieser unterschiedlichen Modelle von Staatswissenschaft sind Seckendorff und Conring. Zur Geschichte der Staatswissenschaft, vgl. Maier: „Die Lehre der Politik“; sowie ders.: Die ältere deutsche Staats- und Verfassungslehre. Berlin / Neuwied 1966. Ab 1819/20 tritt der Titel Philosophie des Rechts hinzu. Der Vorlesungstitel Naturrecht und Staatswissenschaft wird allerdings auch nach dem Erscheinen der Grundlinien 1820 nicht aufgegeben. Ein Blick auf die Gliederung der Grundlinien zeigt, dass Hegel nicht nur dem Titel nach, sondern auch mit den thematisierten Gegenständen den Anspruch verfolgt, einen Beitrag zur ‚Praktischen Philosophie‘ im ganzen Umfang der Tradition – Ethik, Ökonomie und Politik – zu liefern. Allerdings vermeidet Hegel den Titel „Politik“ für dieses Unternehmen. Hegels Abstinenz entspricht durchaus dem Zeitgeist: „Keiner der ‚politischen‘ Texte Kants oder des Deutschen Idealismus trägt noch den Theorie-Titel der ‚Politik‘“ Eine Ausnahme bildet freilich der Untertitel von Fichtes Der geschlossene Handelsstaat (1800): „Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik“. Vgl. E. Vollrath: „Politisch, das Politische“. In: J. Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7. Basel 1989, Sp. 1038-1072; hier 1057. An die Stelle der obsolet gewordenen „älteren“ Politik tritt der Theorietitel des Staatsrechts. Für Kant hat die wahre Politik ausschließlich „ausübende Rechtslehre“ zu sein, die Politik hat ihr Knie vor dem Recht zu beugen (Zum Ewigen Frieden, A 380). Hat das reine Staatsrecht die Aufgabe, den Vernunftstaat nach Rechtsbegriffen a priori zu entwickeln, so fällt der Politik als einer Regierungswissenschaft die Aufgabe zu, die Bedingungen zu nennen für die Überführung des wirklichen Staates in den Vernunftstaat. Dieser Bestimmung der „Politik“ folgt auch Fichte, für den die ganze Wissenschaft, „welche es mit einem besonderen, durch zufällige Merkmale

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Zeitgenossen signalisiert Hegels Verzicht auf den Titel „Politik“ den Anspruch, den modernen Anforderungen an eine Bestimmung der Praxis zu genügen. Als Resultate eines langwierigen Abgrenzungsprozesses signalisieren im 19. Jahrhundert neue Disziplinentitel wie „Staatslehre“ und „Naturrecht“ die Herausbildung neuer Fragestellungen.15 Dabei richtet sich die Ablösung von den tradierten Konzeptionen nicht nur gegen deren Orientierung am Zweckbegriff der „alten Politik“. Mit ihrem Anliegen richten sich die neuen Wissenschaften auch, so Karl Mannheim16, gegen die beiden anderen für die „Politik“ grundlegenden Prinzipien: Diese versteht sich als Praxis, d.h. durch Fragestellung und Methode unterscheidet sich dieses Wissen deutlich von dem der Theorie, wobei die „Politik“ die Dignität ihres Anliegens deutlich gegen die Höherstellung der Theorie behauptet. Zum anderen wenden sich die neuen Wissenschaften gegen die methodische Orientierung der alten „Politik“. Diese ist ‚topisch‘. Die „Topik“, von Nikolai Hartmann als die „Techne des Problemdenkens“17 charakterisiert, kommt dort zum Tragen, wo eine Frage mehr als eine Antwort zulässt, wo aber gleichwohl eine Antwort zu geben ist. Sie ist die Kunst, die richtige und d.h. hier die besser begründete Antwort zu finden. Mit der „Topik“ suchte die alten „Politik“ eine Abgrenzung der politischen Entscheidung vom Geschmacksurteil, der bloßen Anschauung und der willkürlichen Entscheidungen.18 Die Preisgabe der tradierten Prinzipien – Zweckbegriff, praktischer Wissensbegriff, topische Methode – verpflichtet die das Erbe der praktischen Philosophie antretenden Einzelwissenschaften auf ein einseitig theoretisches, am Wissenschaftsbegriff der Naturwissenschaften orientiertes Objektivitätsideal. Die geforderte Eigenständigkeit bzw. Autonomie dieser neuen Wissenschaften verbietet eine Orientierung an Wert- bzw. Zwecksetzungen, wie der des „guten Lebens“. Derartige inhaltliche Zweckbestimmungen sind mit den Methoden der neuen Einzelwissenschaften nicht allgemeinverbindlich zu machen. Überdies nötigt die angezielte Exaktheit und strenge Allgemeingültigkeit zum Verzicht auf „unexakte“ Methoden wie die Topik. Der Verzicht auf eine teleologische Orientierung führt für die einzelwissenschaftliche Fragestellung auch

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(empirisch) bestimmten Staat zu tun hat, und betrachtet, wie das Rechtsgesetz in ihm sich am füglichsten realisieren lasse“ Politik heißt (Grundlage, 290). Hennis: Politik und praktische Philosophie, 35. Nach der Scheidung des Naturrechts von der Politik kommt es mit Pufendorfs Lehrstuhl für Naturrecht (1660) zur eigenständigen Institutionalisierung. Dieser Lehrstuhl ist der Philosophischen Fakultät zugehörig. K. Mannheim: Ideologie und Utopie. Frankfurt a.M. 31952, 96. N. Hartmann: „Diesseits von Idealismus und Realismus. Ein Beitrag zur Scheidung des Geschichtlichen und Übergeschichtlichen in der Kantischen Philosophie“. In: ders., Kleinere Schriften. Berlin 1957, 278-322. Für das gegenwärtige Bemühen um eine Neubestimmung der praktischen Philosophie ist, so fordert Otto Pöggeler, die der Praxis eigene Strenge und Exaktheit mittels der Topik herauszuarbeiten (O. Pöggeler: „Dichtungstheorie und Toposforschung“. In: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 5 [1960], 89-201; hier 89).

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zum Verzicht auf die Staatszwecklehre.19 Für die praktische Philosophie ist die Beschränkung auf Ethik als Normenbegründung bzw. Normenbeschreibung eine Konsequenz des Verzichts auf diese ehemals konstitutiven Prinzipien. Für die praktische Philosophie scheint eine Aufgabentrennung zwischen der Rechtfertigung normativ allgemeingültiger Gesetze einerseits und der (empirischen) Erforschung der Anwendungsbedingungen dieser Gesetze andererseits unhintergehbar. Die Auslagerung empirischer Gesichtspunkte aus dem Aufgabengebiet der praktischen Philosophie scheint damit eine notwendige Konsequenz. Der Verzicht auf Empirie nötigt die praktische Philosophie zur Beschränkung auf Normenbegründung nach dem Vorbild der Naturwissenschaften. Die Kritik an dieser Entwicklung richtet sich gegen die Geltungs- und Legitimationsbedingungen der gewonnenen Normen und Gesetze. Fraglich scheint – und dieses Problem bestimmte bereits Kants Durchführung einer zweiten Kritik –, ob die den Wahrheitsbedingungen der Theorie genügenden Normen auch schon den Geltungsansprüchen der Praxis genügen. Hinter dem Verzicht auf den Theorie-Titel „Politik“ steht bei Kant und den Zeitgenossen die Einsicht, dass Voraussetzungen wie die, dass die Natur die Zwecksetzungen menschlichen Handelns bestimme, inakzeptabel geworden sind. Kant zieht hieraus die Konsequenzen, die praktische Philosophie in einen Normen und Gesetze begründenden Teil (d.i. die „Kritik“) und einen Teil, der die Anwendung dieser Bestimmungen auf menschliche Bedingungen klärt („Metaphysik der Sitten“ und Anthropologie), aufzuspalten. „Politik“ wird zur Regierungswissenschaft, die die Bedingungen einer Überführung der Rechtsbegriffe a priori in die Wirklichkeit des Staates untersucht. Hegel will auf die Begründungsvoraussetzungen der ‚alten Politik‘ verzichten gleichwohl aber an den Errungenschaft der traditionellen Konzeption praktischer Philosophie festhalten: der Einheit von Normenbegründung und der Darstellung und Analyse wirklicher Gestalten sittlicher Praxis. Dieses Anliegen wird allerdings in Hegels Titelwahl nicht deutlich. Mit „Naturrecht und Staatswissenschaft“ greift Hegel vielmehr auf zwei Theorie-Titel zurück, die für eine Trennung zwischen normativer Begründung und Rekonstruktion konkreter Rechtsgestalten stehen.20 Erst der spätere Titel Philosophie des Rechts signalisiert den Anspruch Hegels, die beiden Teile der praktischen Philosophie – Normenbegründung und Erfassung wirklicher Gestalten des Zusammenlebens – am Leitfaden 19

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Die Konsequenzen dieser Orientierung der Staatswissenschaften zeigen sich etwa daran, so Hennis, „daß das gesamte 19. Jahrhundert keinen Beitrag zur Tyrannislehre hervorgebracht hat“ (Hennis: Politik und praktische Philosophie, 37). Lediglich in einer anonym überlieferten Vorlesungsnachschrift zum WS 1819/20 findet sich der Titel „Politik“. Da zum einen die Herkunft des Manuskripts unklar ist, Hegel zum anderen in der Vorlesungsankündigung am Titel „Philosophie des Rechts“ festhält, kann davon ausgegangen werden, dass der Titel „Politik“ hier eher auf einen Eingriff des Nachschreibers zurückgeht. In einer zweiten zu diesem Jahrgang überlieferten Nachschrift findet sich der Titel „Politik“ nicht. Vgl. Nachschrift Ringier sowie Nachschrift Heyse. Vgl. auch meine Rezension dieser Nachschriften in: Hegel-Studien 36 (2001), 251-262.

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des Rechts zu entwickeln. Die Verknüpfung dieser beiden Teile ist für die Moderne nicht mehr im Rückgriff auf eine alles bestimmende Natur bzw. auf einen sich in der Natur verwirklichenden Zweck eines Absoluten zu leisten. Am Leitfaden der „Idee des Rechts“ sucht Hegel vielmehr die Errungenschaft der „alten Politik“ für die praktische Philosophie der Moderne zu sichern, und „Recht“ als konstitutives Prinzip der praktischen Philosophie auszuweisen. Inwieweit Hegels Rechtsbegriff diesem Anspruch genügt, wird die vorliegende Arbeit prüfen.

Überwindung der Aufgliederung in Deskription und (ethische) Normenbegründung Erst Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts findet die vereinzelt vorgetragene Kritik an dieser Entwicklung breitere Zustimmung: Konzentriert zunächst auf die Frage nach der Rolle der politischen Philosophie fordert Carl Schmitt – wie auch sein Kritiker Leo Strauss – in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Grundlegung des Politischen bzw. der politischen Philosophie in einer Ontologie. Diese Seinslehre ist nicht „Theorie“. Die Unterscheidung von Theorie und Praxis geht vielmehr aus dieser „Seinslehre“ (als historisch späte, depravierte Erscheinungsform) erst hervor. In dem 1963 erschienenen Buch, Politik und praktische Philosophie, will Wilhelm Hennis die politische Philosophie als eine auf die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse verpflichtete Fragestellung wiedergewinnen. Ausgangspunkt bildet für Hennis, wie auch für Ludwig Landgrebe21, die These, dass die Philosophie an der Einschränkung ihres Themenbereichs keineswegs unbeteiligt war. Hennis fordert eine Klärung der Motive, die zu einer Preisgabe der Politik als Themenbereich philosophischer Reflexion führten und die für die politische Wissenschaft zum Verlust des „sie motivierenden Fragenzusammenhangs“ führten. Zwar seien die wichtigsten Probleme gestellt, aber es fehlt am Handwerkszeug, sie zu erfassen.22 Der Zweckbegriff und die Methodenfrage rücken für Hennis ins Zentrum der Bemühung um eine Rehabilitierung der politischen Philosophie. Wie für den Bereich der Politik so wurde in den folgenden Jahren seitens der Wirtschaftsphilosophie auch für den Bereich der Ökonomie philosophische Reflexion eingefordert. Die vielfach aus den Einzelwissenschaften kommenden Impulse machen deutlich, dass die praktische Philosophie sich nicht auf die Klärung des Begründungsstatus von ethischen Sollenssätzen beschränken darf, will sie den gesellschaftlichen Heraus21

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Auch für Ludwig Landgrebe ist diese Preisgabe von der Philosophie „durch ihre eigene Geschichte und den für sie maßgeblichen Wahrheitsbegriff von langer Hand vorbereitet“ worden (L. Landgrebe: Über einige Grundfragen der Philosophie der Politik. Köln / Opladen 1969, 8). Hennis: Politik und praktische Philosophie, 23.

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forderungen gerecht werden. Die Kontroverse um den Rechtspositivismus zeigt aber auch wie wenig aktuell, rechtsphilosophische Konzepte diesem Anspruch zu genügen vermögen. Eine Verknüpfung von gesellschaftswissenschaftlicher Reflexion und Neubestimmung der praktischen Philosophie suchte Jürgen Habermas in der zeitgleich mit der Arbeit von Hennis erschienenen Studie Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie. Habermas reklamiert für die Rekonstruktion der Geschichte der wissenschaftlichen Politik ein praktisches Interesse. Die philosophische Analyse des Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs der sozialphilosophischen Fragestellung erfasst „einen integralen Zwangszusammenhang unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen Aufhebung“23. Für Habermas hat die historisch orientierte Studie den Doppelaspekt der Philosophie der Politik einzulösen: Als wissenschaftliche Fragestellung geht es ihr nicht um bloße Erkenntnis des Bestehenden. Ihre Einsichten sollen – und hier wirkt die Tradition der praktischen Philosophie fort – die Praxis auch verändern. Als wissenschaftstheoretische Alternative zum Positivismus und Szientismus kann es der Philosophie, so Habermas, nicht nur um die Wahrheitsfrage im engeren Sinne gehen. Vielmehr muss es ihr um die Frage der Rechtfertigung von Interessen und Normen gehen.24 In seiner diskursethischen Rechtsphilosophie orientiert sich Habermas stärker an Kants Rechtslehre, da die Hegelsche Rechtsphilosophie „für uns unerreichbare Maßstäbe“25 setzt. Diese These soll nachfolgend mit Blick auf die Voraussetzungen und den Anspruch der Hegelschen Konzeption geprüft werden.

Hegels Rechtsphilosophie als praktische Philosophie? Die These, dass Hegel in seiner Rechtsphilosophie das ambitionierte Ziel einer Erneuerung der praktischen Philosophie tatsächlich verfolgt, mag Zustimmung finden. Ob er diesem Anspruch freilich zu genügen vermag, scheint höchst fragwürdig angesichts der in Anspruch genommenen Begründungsprinzipien. Hegel entwickelt den gesamten Gegenstandsbereich der praktischen Philosophie aus den Grundbestimmungen der Lehre vom objektiven Geist. Im enzyklopädischen Systemaufriss wird die Darstellung der Sittlichkeit von der Dar23

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J. Habermas: „Einige Schwierigkeiten beim Versuch, Theorie und Praxis zu vermitteln. Einleitung zur Neuausgabe“. In: ders, Theorie und Praxis. Frankfurt a.M. 1971, 9-47; hier 9. Dabei erhebt Habermas den Anspruch, sein argumentativ-konsensueller Wahrheitsbegriff decke die ganze Problembreite einer mit der Theorie vereinigten Praxis ab. Die Anwendungsbedingungen der diskursethischen Grundsätze in Politik und Recht konkretisiert Habermas gegen den Einwand, die Diskursethik sei blind gegenüber der Realität von Institutionen (Bubner) bzw. sie habe letztlich anarchistische Konsequenzen (Höffe). Habermas rekonstruiert das Selbstverständnis der Verfasstheit des politischen Gemeinwesens als Zeugnis „eines universalistischen Moralbewußtseins“. J. Habermas: Faktizität und Geltung. Frankfurt a.M. 21992, 9. Habermas versucht hier den Brückenschlag von der Moral- und Staats- zur Gesellschaftstheorie.

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stellung der Gestalten des absoluten Geistes abgelöst. Unter diesen Bedingungen scheint Hegel die Geltung der praktischen normativen Bestimmungen im ‚Werden des absoluten Wissens‘ zu verankern und damit das praktische Wissen der Theorie zu unterstellen. Die gewonnenen praktischen Bestimmungen werden zum anderen inakzeptabel, weil der in Anspruch genommene Begriff des Geistes letztlich die Funktion des traditionellen Naturbegriffs übernimmt. Mit dem enzyklopädischen Prinzip „Werden des Geistes“ nimmt Hegel einen Vernunftbegriff in Anspruch, der metaphysische Voraussetzungen hat und argumentativ nicht zu rekonstruieren ist. Unter diesen Voraussetzungen wird der Verdacht formuliert, Hegel weiche vor den Ansprüchen der Moderne in eine onto-theologische26 Konzeption aus, die letztlich aus einem göttlich-absoluten Prinzip heraus alles Sein, Denken und Handeln entwickelt und für das verantwortlich handelnde Subjekt keinen Raum lässt. Offensichtlich beginnen die Probleme der Hegelschen Konzeption einer praktischen Philosophie mit der systematischen Einbettung des Praktischen in die Darstellung der „Philosophie des Geistes“27, insbesondere ist die Rede vom „Geist“ sowie das Verhältnis von „objektivem“ und „absolutem“ Geist klärungsbedürftig. Die Unterscheidung zwischen Natur und Geist beziehungsweise Freiheit entwickelt Hegel im Rahmen seiner Geistlehre als Selbsterkenntnis des Geistes bzw. des Absoluten. Dabei gehen alle Bestimmungen der Natur wie des Geistes aus der Reflexion eines über dieser Trennung stehenden Absoluten hervor. Die Gestalten des Praktischen erweisen sich vor diesem Hintergrund als „Selbsterkenntnis“ und „Produkt“ eines sich selbst reflektierenden Absoluten. Ist diese Konstruktion des Praktischen mit dem freien Selbstbewusstsein der Moderne vereinbar? Wird unter diesen Voraussetzungen das Bewusstsein 26

27

Hegel stünde mit diesem Konzept in der aristotelischen Tradition, die an der Einheit von Denken und Gedachtem gegen eine spinozistische Aufteilung in ordo rerum und ordo idearum festhält. Vgl. K. Düsing: „Von der Substanz zum Subjekt. Hegels spekulative SpinozaDeutung“. In: M. Walther (Hg.), Spinoza und der deutsche Idealismus. Würzburg 1992, 163180. Für viele Interpreten verhindert diese Einbindung der praktischen Fragestellung in die Philosophie des Geistes eine den modernen Anforderungen angemessene Konzeption praktischer Philosophie. Die Rezeption der Rechtsphilosophie in Frankreich etwa wurde durch die „pantheistische“ Grundlage des Systems verstellt oder verhindert – führt dieser „Pantheismus“ in der Praxis doch zum Fatalismus, zu einem Aufgehen des Individuums im Staate und damit zu einer Aufhebung der individuellen Freiheit. Vgl. B. Bourgeois: „Hegel en France“. In: Philosophie politique 5 (1994), Themenheft Hegel, 173-188. Auch Viellard-Baron urteilt in diesem Sinne, wenn er feststellt, dass für Hegel die politische Philosophie nicht existiert, „daß man die Grundlinien der Philosophie des Rechts als antipolitisches philosophisches Werk lesen kann“ – wohl aber sind die Grundlinien zu den „großen philosophischen Staatstheorien“ zu zählen (J.-L. Vieillard-Baron: „Introduction“. In: G.W.F. Hegel, Principes de la philosophie du droit. Paris 1999, 5-31; hier 19). Vgl. zur französischen Rezeption der Grundlinien auch M. Bienenstock: „Die französische Rezeption von Hegels Philosophie des Rechts“. In: Jahrbuch für Hegelforschung 6 (2000/01), 77-98. Der Titel „Staatstheorie“ wurde auch von S. Avineri (Hegel’s Theory of the Modern State. Cambridge 1972) benutzt, um Hegels politische Philosophie zu charakterisieren. Wie problematisch diese Beschreibung mit Blick auf den modernen Staatsbegriff ist, wird zu zeigen sein.

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des einzelnen handelnden Individuums nicht zum bloßen Moment eines übergreifenden selbständigen Geistes? Verfehlt Hegel mit diesem Verfahren nicht zwangsläufig die Anforderungen, die an eine praktische Philosophie in der Moderne gestellt sind, nämlich die in Anspruch genommenen Prinzipien ausgehend von der Praxis des Subjektes zu rechtfertigen, ohne vorgelagerte, ‚höhere‘ Prinzipien in Anspruch zu nehmen? Der Anspruch, Zwang gegen das freie Individuum nicht im Rückgriff auf einen gemeinsamen Zweck oder das Absolute einer von allen geteilten religiösen Überzeugung zu rechtfertigen, wird nicht eingelöst. Wenn Hegels Lehre vom absoluten Geist die traditionellen onto-theologischen Lehren lediglich durch einen ‚philosophischen‘ Begriff ersetzt, dann wird der von der praktischen Philosophie geforderte Ausweis der Legitimität von Normativität unerreichbar. Die Entscheidung darüber, ob dieser Vorwurf zutrifft, ist nur über die Klärung der Geist-Lehre im Rahmen der Hegelschen Konzeption der praktischen Philosophie zu treffen. Greift Hegel in der Tat auf Metaphysik in Gestalt eines „premodern anchronism“ zurück, wie Pippin kritisiert, oder vermag Hegel, die in Anspruch genommenen Prinzipien als aus der Praxis gewonnene, vernunftbegründete Prinzipien rekonstruktiv zu erschließen? Die von der Rechtsphilosophie in Anspruch genommene ‚Idee des Rechts‘ kann nur dann dem Vorwurf, „metaphysische Obskurität“ zu sein, entgehen, wenn diese Idee losgelöst von jeder theologischen Metaphysik aus der vorgängigen Praxis der Individuen entwickelt wird.28 Zur Präzisierung des Hegelschen Anspruchs sollen zunächst die HegelDeutungen vorgestellt werden, die mit Hegel eine Neubestimmung des Praktischen versuchen (2.1 und 2.2). Diese Hegel-Deutungen sind dem Anspruch verpflichtet, die gewandelten neuzeitlichen Lebensbedingungen sowie den neuzeitlichen Begründungsanspruch an die Wissenschaft mit einer philosophischen Bestimmungen des Praktischen, die an der Einheit von Normbegründung und Beschreibung der Lebensbedingungen festhält, zu vermitteln. Dabei werden zunächst jene Konzeptionen herangezogen, die Hegel für eine „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ im Sinne eines umfassenden Verständnisses von Praxis in Anspruch nehmen (2.1). Diese Konzeptionen streben eine Überwindung der Aufspaltung in eine theoretische und praktische Philosophie an: „Praxis“ wird in diesen Konzeptionen als Ganzheit bestimmt, von der her die Differenz zwischen Theorie und Praxis allererst verständlich zu machen ist. 28

So urteilt etwa Robert Pippin: „The metaphysical Hegel looks like some premodern anachronism (or totalitarian bogeyman in some versions)“. Hegels Lehre von der absoluten Idee könne nur gerettet werden, wenn es gelingt, diese Idee losgelöst von jeder theologischen Metaphysik zu entwickeln. Vgl. R. Pippin: Hegel’s Idealism. Cambridge 1989, 5. Rettung vor dem Metaphysikverdacht sucht Steven B. Smith durch Rekonstruktion der Geistgestalten aus der wechselseitigen Anerkennung der Individuen: „Hegels dialectic of ‚Geist‘ is better interpreted pragmatically or non-metaphysically as specifying some telos of agreement of persons who mutually acknowledge an enhance one another’s rights of recognition“ (S.B. Smith: Hegel’s Critique of Liberalism. Right in Context. Chicago 1989, XI).

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Diejenigen, die mit Hegel eine Begründung der praktischen Philosophie im Sinne ethischer Normenbegründung suchen (2.2), wollen mit ihrer Orientierung an Hegel insbesondere dem modernen Wissenschaftsbegriff genügen. Die Auseinandersetzung mit diesen Konzeptionen hat zum Ziel, die Bedingungen für die Beantwortung der Frage zu klären, ob und inwieweit die Philosophie des Rechts dem aristotelischen Anspruch an die praktische Philosophie, die Legitimität von Normen nicht losgelöst von deren praktischer Wirksamkeit zu begründen, gerecht wird, ohne hinter die von Kant formulierten kritischen Vernunftkriterien zurückzufallen. Das letzte Kapitel dieses Abschnitts (2.3) wird auf der Grundlage des entwickelten Vorverständnisses die Frage nach dem Beitrag, den Hegels praktische Philosophie für die gegenwärtige Diskussion zu leisten vermag, präzisieren und den Aufbau der Arbeit entwickeln.

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2. REHABILITIERUNG DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE

2.1 Recht und Politik: C. Schmitt, A. Kojève, L. Strauss Die Hoffnung ‚moderner‘ Hegel-Interpreten, man könne die ontologischen oder metaphysischen Grundlagen der Lehre vom „Objektiven Geist“ beiseite lassen und das Hauptinteresse auf die Frage konzentrieren, inwieweit Hegel mit der Philosophie des Rechts eine konsistente Konzeption des Praktischen gelingt, verfehlt für die hier vorzustellenden Konzeptionen des Praktischen, die eigentliche Dimension des Politischen. Denn mit der Frage nach den Bedingungen der Politik ist das gesamte Problemfeld von Ontologie und Metaphysik eröffnet. Im Politischen, in der Praxis geht es um die „Ganzheit“ menschlichen Lebens. Eine Theorie als selbständiges Gebiet des Erkennens, die Methoden und Kriterien für die Bestimmung des Politischen bereitstellt, ist von dieser Ganzheit gar nicht ablösbar. Unter der Voraussetzung, dass Politik immer schon nach der „Ganzheit menschlichen Lebens“ fragt, stellt sich vielmehr, so Carl Schmitt, die Frage nach den Motiven, „Praxis“ als selbständiges von anderen Sphären unterschiedenes Gebiet auszuweisen. Mit Max Weber rekonstruiert Schmitt das Bedürfnis, die Eigenständigkeit des Bereichs der Politik definitorisch zu sichern, in erster Linie als ein Anliegen der Rechtspraxis. Vorrangig erfolgten diese Abgrenzungsbemühungen in der Absicht, den „formalen“ Rechtsbegriff gegen inhaltlich-moralische Inanspruchnahmen abzugrenzen.29 Während der formale Rechtsbegriff durch die strenge allgemeine Geltung die Legitimität des Rechts gewährleiste, führen die inhaltlichen Bestimmungen der Politik zu einer Zerstörung der Geltung des Rechts. Unter diesen Prämissen erweist sich der Weg, ausgehend vom formalen Recht den politischen Bereich zu bestimmen, für Schmitt als ebenso wenig gangbar wie der umgekehrte Versuch, von der Politik her die Bestimmung des Rechts zu leisten. Im 19. Jahrhundert wurde vielfach der Versuch unternommen ausgehend vom Staatsbegriff zu einer Bestimmung der Politik zu gelangen. Dieser aristotelische Weg, aus bestehenden Gemeinschaften deren Zweckbestimmung zu deduzieren, führt, so Schmitt, dort in die Irre, wo zwischen den verschiedenen 29

Für Max Weber sichert allein der Formalismus des Rechts die Legitimität des Rechts. Eine vonseiten der Politik betriebene inhaltlich-moralische Funktionalisierung des Rechts wirke dagegen zerstörerisch und untergrabe die Legitimität des Rechts. Vgl. M. Weber: „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904)“. In: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 71988 (11922), 146-214; sowie ders.: „Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917)“. In: ders., Gesammelte Aufsätze, 489-540.

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Gemeinschaftsformen keine klare Unterscheidung mehr getroffen wird, wo ‚polis‘ und ‚koinonia politike‘, Staat und Gesellschaft vermischt auftreten. Eine Begriffsbestimmung des Politischen ausgehend vom Staat ist nur dort möglich, wo der Staat als klar unterscheidbare Macht „über der Gesellschaft“ steht und „der Staat das Monopol des Politischen“ hat.30 Der potentiell jedes seiner Glieder ergreifende totale Staat, der Staat als indifferente Einheit von Staat und Gesellschaft führt nicht zu einer Begriffsbestimmung des Politischen. Daher wird, wo die klare Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Staat fehlt, eine neue Bestimmung des Politischen notwendig. Schmitt sucht diese Neubestimmung mit einer Handlungsform der jede inhaltliche Zweckbestimmung fehlt. Die Freund-Feind Unterscheidung konstitutiert für Schmitt den hier grundlegenden Handlungstyp. Mit der Beschränkung auf dieses formale Kriterien löst Schmitt die Forderung Webers ein, die neuzeitliche Wissenschaft habe sich jeder inhaltlichen Festlegung politischer Ziele zu enthalten. Mit der Erhebung des Freund-Feind-Verhältnisses zum Strukturprinzip des Politischen zieht Schmitt die Konsequenz aus einer „tiefen Skepsis“ gegenüber der Erkennbarkeit eines letzten Sinnes, eines „höchsten Gutes“, das das Handeln aller zu verpflichten vermag. Die Beschränkung auf eine technische Regel für die Bestimmung des Politischen bedeutet aber auch, dass die Politische Philosophie auf den Anspruch verzichtet, zwischen Wahrheit und Ideologie unterscheiden zu können.31 Schmitt richtet sich mit dieser Neubestimmung des Politischen insbesondere gegen die zeitgenössischen kulturphilosophischen Konzeptionen des Politischen. Grundlegend für seine Kritik an diesen Positionen ist Schmitts Naturbegriff bzw. seine Naturkonzeption. Jede Bestimmung der Kultur fordert die Abgrenzung gegen ein nicht Kulturelles, Natürliches. Damit ist jede Bestimmung der Kultur notwendig Bestimmung der Kultur der Natur. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Konzeption der Natur bzw. des Naturzustandes für 30 31

C. Schmitt: Der Begriff des Politischen. Berlin 1963, 23. Unklar bleiben in Schmitts Freund-Feind Unterscheidung die Kriterien, die zwischen privatem und öffentlichem Feind zu unterscheiden erlauben. Wie aktuell Schmitts Thesen in den zwanziger Jahren waren, zeigen die Auseinandersetzungen auf der Staatsrechtslehrerversammlung 1928, wo das Verhältnis von „Staat“ und „Politik“ kontrovers diskutiert wurde. Helmut Triepel etwa vertritt die Position, dass das „Verfassungsrecht gerade das Recht für das Politische“ ist, während Hans Kelsen davon ausgeht, „daß mit dem Begriff der Verfassung (...) vor allem und unter allen Umständen ein Grundsatz gemeint ist, in dem die politische Machtlage ihren rechtlichen Ausdruck findet.“ Vgl. H. Triepel: „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 5 (1929), 2-29; hier 6. In Triepels Ausführungen findet sich auch der hier von H. Kelsen zitierte Ausspruch (op. cit., 8). Vgl. zu dieser Diskussion auch H. Wohlgemuth: Das Wesen des Politischen in der heutigen deutschen neoromantischen Staatslehre. Inaug.-Diss. Erlangen 1932. Emmendingen 1933; E. Brock: „‚Der Begriff des Politischen‘. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt“. In: Hochland 29, Bd. 2 (1932), 394-404; H. Kuhn: „Politik, existenzphilosophisch verstanden“. In: Kantstudien 38 (1933), 190-196; W. Hanemann, Der Begriff des Politischen in der deutschen Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Inaug.-Diss. Heidelberg 1935.

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die Bestimmung des Politischen grundlegende Bedeutung. Wegweisend ist für Schmitt in diesem Kontext Hobbes’ Naturzustandslehre. Bei Hobbes erfolgte die Bestimmung des Naturzustandes – Krieg aller gegen alle – in polemischer Absicht, um der Preisgabe des Naturzustandes und damit dem Übergang in einen bürgerlichen Zustand den Weg zu bahnen. Schmitt erklärt dagegen den status naturalis zum eigentlich politischen Stand. Ist für Hobbes der Naturzustand Kriegszustand der Individuen, so ist er für Schmitt der Krieg von Gruppen und Völkern. Wie Leo Strauss gezeigt hat, identifiziert Schmitt die Konzeption der Natur mit der Bestimmung des Politischen. Eine Abschaffung des Politischen ist unter diesen Voraussetzungen gar nicht möglich: Das Politische ist eine (natürliche) Grundbestimmung des menschlichen Lebens. Die FreundFeind Unterscheidung beansprucht allgemeine Geltung. Jede historische Einschränkung oder Relativierung, jede Eingrenzung der Geltung auf eine bestimmte Sphäre ist damit ausgeschlossen. Dieser fundamentale Status des Politischen verbietet die Unterordnung des Politischen unter ‚höherrangige‘ Normen, damit wird eine rechtliche oder moralische Disqualifikation des politischen Feindes als eines Verbrechers unmöglich. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Auflösung der „alten Politik“, ihrer Auffächerung in einzelwissenschaftliche Themenbereiche versucht Schmitt mit seiner Bestimmung des Politischen, eine Ganzheit wiederzugewinnen, die die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis ebenso hinter sich lässt, wie die Differenz zwischen Natur und Kultur. Mit dem Freund-Feind-Verhältnis als dem Strukturprinzip des politischen Handelns verfügt Schmitt über ein formales Instrumentarium für die Überwindung der Differenz zwischen Natur und Kultur und die Wiedergewinnung der „Ganzheit menschlichen Lebens“ als dem Bezugspunkt für die Bestimmung des Politischen. Mit der Integration moralischer bzw. theologischer Prinzipien vollzieht Schmitt einen weiteren Schritt der Präzisierung der politischen Handlungsform. Die „neue, rein weltlich-menschliche Wissenschaft“ ist für Schmitt Ausdruck der „hybriden Selbst-Ermächtigung“ der Moderne. Einer „SelbstErmächtigung“, die glaubt, „alles machen zu können“ und alle theologischen oder moralischen Bestimmungen eliminiert. Dagegen erhebt Schmitt die „anspruchsvolle moralische Entscheidung“ zur Grundlage politischen Handelns.32 Das rein formal bestimmte Freund-Feind-Verhältnis als Strukturprinzip des Politischen hat eine „moralische“ Grundlage, insofern erst die moralische Abwertung, die Verwerflichkeit des Anderen, diesen zum Feind macht. Die im Naturzustand zutage tretende Feindschaft darf allerdings nicht im Sinne des nemo contra hominem nisi homo ipse verstanden werden. Denn geschichtlich ausgetragen wird nicht eine ‚natürliche‘ Feindschaft, sondern gemäß Genesis 32

C. Schmitt: Gespräche über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Pfullingen 1954, 20. Die „anspruchsvolle moralische Entscheidung“ ist, so H. Meier, der Prüfstein für Schmitts Lehre. Vgl. H. Meier: Die Lehre Carl Schmitts. Stuttgart / Weimar 1994, 30.

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III, 15 die von Gott zwischen „Deinem Samen und ihrem Samen“ gesetzte Feindschaft. Diese Präzisierung der Feindschaft verknüpft die Naturzustandslehre mit der Lehre von der Erbsünde: Alle „echten politischen Theorien“ setzen den Menschen als „böse“, als „gefährliches (...) Wesen“. Höhepunkte „großer Politik“ sind „die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird“33 . Mit Blick auf die hier verfolgte Frage nach dem Anspruch der Hegelschen Philosophie, die Grundlegung einer praktischen Philosophie zu leisten, ist zu fragen, wie Schmitt Hegels Konzeption beurteilt. Zum einen liegt für Schmitt die Schwäche der Hegelschen Position in der Verkennung der Rolle des Bösen. Denn Hegels Dialektik eliminiere das Böse als grundlegendes anthropologisches Konstitutionsprinzip politischen Handelns. Zum anderen bleibt Hegel für Schmitt „trotzdem überall im größten Sinne politisch“34. Der politische Charakter der Hegelschen Philosophie zeigt sich für Schmitt zum einen darin, dass Hegel die philosophische Wahrheit als präsenten, gegenwärtigen Geist fasst, und nicht in „barocke Repräsentationen“ ausweicht. Zum zweiten zeigt sich der politische Charakter der Hegelschen Philosophie in der Dialektik des konkreten Denkens, die es gestattet, das Umschlagen des bisher Unpolitischen und rein „Sachlichen“ (etwa des Ökonomischen) in eine politische Macht zu erfassen. Allerdings muss der Feindbegriff, so Schmitt, „dem Hegelschen System letztlich fremd bleiben, denn entweder ist er nur ein notwendiges Durchgangsstadium der Negation oder aber nichtig und wesenlos“35. Die Defizite des Hegelschen Feindbegriffs verweisen auf fehlende absolute moralische Disjunktion. Hegels Philosophie fehlt eine Ethik, die eine absolute Trennung von Gut und Böse begründen könnte. „Gut“ ist für Hegel das Zeitgemäße im Sinne richtiger dialektischer Erkenntnis und Bewusstheit. „Wenn die Weltgeschichte das Weltgericht ist, so ist sie ein Prozeß ohne letzte Instanz und ohne definitives disjunktives Urteil. Das Böse ist unwirklich (...) Partikularität.“ Für Hegels Geschichtskonzeption gibt es keine von außen her die Immanenz der Entwicklung durchstoßenden Ereignisse, die als „Ausnahmen“ unvereinbar mit dem Bisherigen sind: „Hier wird alles in der Peristaltik dieses Weltgeistes assimiliert“. Damit fehlt die Basis für eine „moralische Disjunktion“; das „hegelianische“ Ziel der Geschichte, die Herstellung der Einheit der Welt im homogenen Verteilen, wie es Kojève entwickelt, entpuppt sich für Schmitt als die Welt des Antichristen.36 33 34 35

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Schmitt: Der Begriff des Politischen, 67. Schmitt: Der Begriff des Politischen, 62. C. Schmitt: „Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift ‚Der Gordische Knoten‘“. In: A. Mohler (Hg.), Freundschaftliche Begegnungen. Frankfurt a.M. 1955, 135-167; hier und die folgenden Zitate 159f. Zur Geschichtskonzeption von Schmitt, Strauss und Kojève vgl. M. Meyer: Ende der Geschichte? München / Wien 1993, 129ff. Mit dem zweiten Thessalonicherbrief hofft Schmitt, so Pöggeler, auf den ‚Aufhalter‘ (katechon), der „die Geschichte in individualisierten Zusammenhängen festhält“ und so „den

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Schmitt grenzt seine Position dezidiert von der Hegel-Deutung Kojèves ab. Gegen Kojève, für den die Geschichte mit der bürgerlichen Gesellschaft in einer homogenen Weltgesellschaft endet, stellt er das geschichtsbegründende Handeln. Der „einheitlichen Weltproduktion“ der arbeitsteiligen Weltzivilisation stellt Schmitt – und hier beruft er sich auf den Paragraph 247 der Hegelschen Rechtsphilosophie – den bleibenden Unterschied von „Land und Meer“ entgegen, den er neben Handel, Industrie und Familie zum entscheidenden geschichtsmächtigen Element erhebt.37 Der Gegensatz zwischen Kojèves HegelDeutung und Schmitt spitzt sich in der Auseinandersetzung um die Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft zu. Hegel, so Kojève, begreift die bürgerliche Gesellschaft als Ende der Geschichte. Für Schmitt ist die liberale Gesellschaft nur ein Extrem, das den Ausgleich provoziert. Dieser Ausgleich bleibt dem menschlichen Handeln verschlossen, er ist ein „Ratschluß der Vorsehung“. Mit diesen geschichtstheologischen Implikationen wird das Politische für Schmitt zum Inbegriff menschlichen Lebens.38 Mit dieser Konzeption wendet Schmitt sich dezidiert gegen Kojèves an Hegel orientierter Geschichtsphilosophie. In der Diagnose des Zustandes der „bürgerlichen Gesellschaft“ vermag Schmitt Kojève zuzustimmen, prinzipiell aber entspringt geschichtlicher Sinn für Schmitt nicht menschlichen Setzungen, sondern dem „Ratschluß der Vorsehung“. Beide, Religion und Politik, begründen Herrschaftsformen, die die menschliche Existenz dem Gesetz und der Herrschaft einer Autorität unterwerfen und das menschliche Handeln verpflichten

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Raum öffnet für religiöse Entscheidungen“ (O. Pöggeler: „Hegel und die Französische Revolution“. In: E. Weisser-Lohmann / D. Köhler [Hg.], Verfassung und Revolution. HegelStudien Beiheft 42. Hamburg 2000, 210-225; hier 215). Seine eigene Situation erfasst Schmitt mit Hegels Jenaer Naturrechtsaufsatz, wo Hegel zwischen dem „Bourgeois, der in seiner unpolitischen Haltung der Kompensation durch Religion bedarf“ und dem „citoyen, der die Geschichte und sein eigenes Schicksal als tragisches erfährt“ unterscheidet. Schmitt selbst begreift seinen geschichtlichen Part als tragisch. In der „weltgeschichtlichen Betrachtung“ Land und Meer (Stuttgart 1954) entwickelt Schmitt die Geschichtsmächtigkeit des Menschen ausgehend von den Elementen „Land und Meer“. Für Hegel ist die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung für „das Prinzip des Familienlebens“, Bedingung „für die Industrie“ ist „das nach Außen sie belebende Element, das Meer“ (Grundlinien, §247, 202; GW 14.1, 195). Vgl. C. Schmitt: „Drei Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes“. In: Universitas 5 (1950), 8-34. Ursprünglich war der Aufsatz seitens der Redaktion unter dem Titel „Drei Stufen historischer Sinngebung“ publiziert worden. Dieser „ganz falsche“ Titel wurde von Schmitt in den Sonderdrucken handschriftlich korrigiert. Vgl. auch zum Folgenden Meier: Die Lehre Carl Schmitts, 39 Anm. 56. Dem „christlichen Epimetheus“, i.e. die Kontrastfigur zur Gestalt des Prometheus, ist die Geschichte durch göttliche Vorsehung bestimmt, wobei der „Ratschluß der Vorsehung“ sich aller Vernunft entzieht: „der christliche Epimetheus vermag daher nur vermittels eines wagend-demütigen ‚Vorgebotes‘ Antwort zu tun“. „Seine Demut erweist sich zuletzt darin, dass er rückschauend sieht, wie sehr er als Handelnder mit Blindheit geschlagen ist.“ In der „Demut“ gewahrt Schmitts Historismus ein heilsgeschichtliches Fundament.

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und binden.39 Allerdings gründet politische Feindschaft nicht zwingend auf kontroversen religiösen Inhalten, lediglich rein strukturell nicht aber inhaltlich entspricht die Bindung des Menschen an den Gegenstand der Feindschaft der Unterordnung des Gläubigen unter das religiöse Gesetz. Die Bedeutung der Hegelschen Philosophie liegt für Schmitt in ihrem „politischen Sinn“, der die philosophische Wahrheit als präsenten, gegenwärtigen Geist fasst. Hegel verfehlt aber das Politische dort, wo das Präsentische nicht im Horizont einer Ethik begriffen wird, die das Produkt des Kampfes einer durch Gott begründeten Feindschaft ist. Insbesondere in seinen frühen Arbeiten hat Hegel die konstitutive Rolle der Religion für die Sittlichkeit herausgestellt. Die frühen Frankfurter Arbeiten dokumentieren Hegels Bemühungen, das Zusammenleben der Menschen in eine neue Gestalt der Sittlichkeit zu überführen. Hegel überträgt dort einer neuen Volksreligion die Aufgabe, die politischen Verhältnisse zu revolutionieren.40 Diese neue, am christlichen Liebesgebot orientierte Volksreligion soll die erstarrten Verhältnisse auflösen. Hegel stellt dabei die Konzeption der „Volksreligion“ gegen das autoritäre, durch göttliche Macht gesetzte Recht. Zwar sucht Hegel hier mit der Religion eine politische Lösung für die Gegenwart, anders als Schmitt rekonstruiert Hegel die Gegenwart aber nicht am Leitfaden eines formalen Handlungstyps, dessen inhaltliche Ausgestaltung die Inanspruchnahme einer Geschichtstheologie erforderlich macht: Die Inhalte sind den Handelnden bereits vorgegeben. Für Hegel hat die Philosophie die konstitutive Rolle der Religion für die Sittlichkeit eines Volkes vielmehr ausgehend von der sittlichen Praxis zu rekonstruieren. Die Differenzen zwischen beiden Konzeptionen zeigen sich etwa in der unterschiedlichen Deutung des Gegensatzes von Land und Meer. Schmitt deutet diesen Gegensatz als bleibend unversöhnliche Differenz, die dem bloßen Verteilen der bürgerlichen Gesellschaft entgegensteht und damit Geschichte erst ermöglicht. Für Kojève löst sich dieser Gegensatz zwischen Land und Meer in der bürgerlichen Gesellschaft auf. Für Hegel aber bringt dieser Gegensatz unterschiedliche Gestalten von Sittlichkeit hervor: Die Differenz zwischen Familiensittlichkeit und Sittlichkeit der Korporationen der bürgerlichen Gesellschaft geht auf diesen natürlichen Gegensatz zurück und ist konstitutiv für die Verfassung des sittlichen Staates. Am Gegensatz von Land und Meer gerät das Handeln der Individuen für Hegel somit nicht an eine Grenze, vielmehr ermöglicht dieser Gegensatz die Ausprägung unterschiedlicher geschichtlicher Gestalten. Für Hegel wie für Schmitt ist der Gegensatz zwischen Land und Meer für das menschliche Handeln konstitutiv, während für Schmitt dieser Gegensatz die Grenzen menschlichen Handelns markiert und damit das 39

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Die Frage, wie weit der Anspruch des Staates geht, wird von Hobbes radikal anders beantwortet als von Schmitt. Für Schmitt kann der Staat von seinen Gliedern Todesbereitschaft fordern (vgl. Der Begriff des Politischen, 46), für Hobbes dagegen kann vom Staat aber nur jener Gehorsam erwartet werden, der mit der Erhaltung des Lebens nicht in Widerspruch steht (vgl. Vom Bürger, XIII). Vgl. H. Busche: Das Leben der Lebendigen. Bonn 1987, 44ff.

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Handeln von außen beschränkt, eröffnet Hegels Handlungsbegriff einen gestaltenden Umgang, der die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates hervorbringt. Eine Rehabilitierung der praktischen/politischen Philosophie als eine die Ganzheit menschlichen Lebens erschließende Fragestellung sucht Schmitt am Leitfaden des formalen Handlungstyps „Freund-Feind“ zu leisten. Vermittelt über dieses Prinzip kommen eine teleologisch verfasste Natur, ein vorgelagertes göttliches Prinzip, das sich in der Geschichte manifestiert, ins Spiel. Die Ganzheit des Lebens als Einheit von Religion, Ethik und anderen konstitutiven Kultursphären erschließt sich über diesen Handlungstyp. Vor diesem Hintergrund ist es für Schmitt nicht Aufgabe der praktischen Philosophie allgemein verbindliche Normen aufzuweisen und deren Geltung zu begründen. Vielmehr sind die bestehenden Normen als ‚Produkt‘ des Freund-Feind-Prinzips zu entwickeln. ‚Praktisch‘ wird die Philosophie dort, wo sie die einzelnen Kultursphären (Ethik, Religion, Kunst) aus diesem Prinzip entwickelt. Leo Strauss greift Schmitts leitendes Motiv auf wenn er das Politische gegen die Tendenzen der Moderne als ganzheitliche Lehre menschlichen Lebens begreift. Mit diesem Anliegen – wie auch an der Kritik am Liberalismus – folgt Strauss Schmitt, allerdings fordert Strauss eine „Radikalisierung der Fragestellung“41. An die Stelle des theologischen Prinzips tritt bei Strauss eine ontologische Konzeption, die die theologischen Inhalte zwar aufnimmt zugleich aber in ihrer Bedeutung neutralisiert. Für Strauss formuliert Schmitts theologisches Geschichtsverständnis zwar einen Gegenentwurf zur Moderne, dieser bleibt allerdings ohne Konsequenzen für die kritisierten Verhältnisse.42 Durch die direkte Verknüpfung des Politischen mit einer allgemeinen Seins- und Wertordnung versucht Strauss – wie auch Eric Voegelin –, den Staat aus einer vorgegebenen Struktur des Daseins abzuleiten. „Eine Wissenschaft vom rationalen Handeln des Menschen in Gesellschaft wird dadurch möglich, dass alle untergeordneten und teilhaften Zwecksetzungen des Handelns bezogen wer-

41 42

So H. Meier (Die Lehre Carl Schmitts, 13). Vgl. Strauss, Leo: What is Political Philosophy? and other Studies. Glencoe/Ill. 1959, 40-55. Strauss’ eigener Weg führt zu Platon und zu den arabischen Philosophen, die – wie Maimonides – in der Nachfolge Platons stehen, und „das göttliche Gesetz, die Vorsehung und den Propheten als Gegenstände der Politik“ begreifen. Sie bewegen sich im Horizont der Politeia, wenn sie die Gründung der „vollkommenen Stadt“ als die raison d´être der Offenbarung betrachten. Vgl. op. cit., 186. Nomos und Gesetz werden hier im ursprünglichen Sinn als umfassende Ordnung eines Gemeinwesens, die Religion und Politik in sich vereint, begriffen. In diesem Begreifen und Begründen des Gesetzes erfüllt die Philosophie für Strauss ihre ureigenste Aufgabe: Als politische Philosophie vollzieht sie die Grundlegung der Philosophie. Strauss’ „zentrales Thema lautet daher nicht ‚Glauben und Wissen‘, sondern ‚Gesetz und Philosophie‘. Die philosophische Begründung des Gesetzes wird zur Grundlegung der Philosophie“ (H. Meier: „Vorwort des Herausgebers“. In: L. Strauss, Gesammelte Schriften. Bd. 2. Stuttgart 1997, IX-XXXIV; hier XX).

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den auf einen höchsten Zweck, auf ein summum bonum“. Für diese „Wissenschaft der Politik“ ist eine „durchgearbeitete Ontologie“ vorauszusetzen.43 Strauss folgt in Naturrecht und Geschichte Schmitts Kritik an den zeitgenössischen Konzeptionen des Politischen als autonomem Bereich der Kultur44 und erklärt die Frage nach Möglichkeit und Existenz des Naturrechts zum philosophischen Grundproblem der Gegenwart. Gegen den radikalen Historismus der Zeit, dessen Dilemma Hegel in „klassischer Weise“ veranschaulicht, will Strauss am Naturrecht festhalten. Zum einen lehre Hegel, dass jede Philosophie der begriffliche Ausdruck des Geistes ihrer Zeit sei. Für sein eigenes System jedoch – und hier zeige sich das Dilemma eines jeden Historismus‘ – behielt er sich die absolute Wahrheit vor, indem er seiner Zeit den Charakter des Absoluten verlieh: „Er nahm an, daß seine Zeit das Ende der Geschichte und damit der absolute Augenblick sei“.45 Durch die Affirmation der Hegelschen Lehre geriet die politische Philosophie für Strauss in das Fahrwasser des Historismus, durch Hegels Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“ werde die Existenz des Bourgeois zum Endpunkt der Geschichte erhoben, einem Endpunkt, der jede weitere geschichtliche Entwicklung leugne. Die Kritiker dieser Entwicklung haben, so Strauss, bisher lediglich mit Gegenentwürfen geantwortet, die diese Entwicklung nicht aufhielten, sondern verschärften. Die Positionen von Schmitt und Strauss machen deutlich, die Einlösung des Anspruchs, das Ganze menschlichen Lebens aus der Bestimmung des Politischen zu entwickeln, wird hier im Rückgriff auf geschichtstheologische bzw. ontologische Prämissen eingelöst. Diese Prämissen sind nicht weiter zu rechtfertigen, sondern müssen akzeptiert oder verworfen werden. Damit scheint der Rückgriff auf die vormoderne, naturrechtliche Konzeption der Einheit von Ethik und Politik dem Anliegen einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie insofern unangemessen, als der neuzeitliche Anspruch einer wissenschaftlichen Begründung der in Anspruch genommenen Prinzipien hier nicht eingelöst wird. Die Einsicht in die Unhintergehbarkeit dieser Bedingung der Moderne verbietet den Rückgang auf vormoderne Positionen. Der Verzicht auf den Anspruch der Philosophie, menschliches Leben in seiner Ganzheit auszulegen, scheint damit unabweisbar. Wer gleichwohl an diesem Programm festhalten will, sucht nach Bündnispartnern in der Moderne. Für Schmitt wie 43 44

45

E. Voegelin: Die neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung. München 1959. Heinrich Meier zeigt durch den Vergleich der ersten und zweiten Fassung des Begriffs des Politischen, dass Schmitt diese Konsequenz seines Ansatzes erst durch die Kritik von Leo Strauss in ihrer Tragweite erkannt hat. Vgl. H. Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und ‚Der Begriff des Politischen‘. Stuttgart, Weimar 1998, 21. L. Strauss: Naturrecht und Geschichte. Stuttgart 1953, 31: „Zwar verneint der Historismus ausdrücklich, dass das Ende der Geschichte gekommen sei, unausgesprochen stellt er jedoch das Gegenteil fest: Keine mögliche künftige Veränderung unserer Denkrichtung kann die entscheidende Einsicht in die unentrinnbare Abhängigkeit des menschlichen Denkens vom Schicksal und damit in das Wesen des menschlichen Lebens mit Fug und Recht in Zweifel stellen; im entscheidenden Punkt ist das Ende der Geschichte, d.h. der Geschichte des Denkens, gekommen.“

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auch für Strauss ist die Konstruktion einer politischen Philosophie nur zum Teil im Rückgriff auf Hegel zu leisten: Gegenüber dem „politischen Sinn“ Hegels, bilden die Dialektik wie auch der Historismus und die Lehre vom Ende der Geschichte in Hegels System eine ‚unheilvolle Allianz‘ und verhindern letztlich eine Neukonzeption des Politischen. Den Bedingungen der Moderne stellt sich Strauss nur scheinbar stärker als Schmitt, wenn er eine Neukonzeption auf der Basis des Naturrechts zu leisten sucht. Für die Geltungsbegründung des Naturrechts muss Strauss auf eine vorausgesetzte Ontologie zurückgreifen, deren Geltung letztlich auf Offenbarung beruht. Der dritte hier mögliche Weg wird von Kojève eingeschlagen, wenn er als Konsequenz aus dem Historismus die „Bürgerliche Gesellschaft“ als das Ende der Geschichte postuliert. Gerade dieser Historismus verhindert allerdings – so Strauss – eine Neukonzeption des Praktischen. Für die Konzeptionen von Schmitt und Strauss ist mit der Neubestimmung der (praktischen) Philosophie als Politik notwendig eine Abkehr von Hegels Historismus erforderlich. Dagegen stellt sich Joachim Ritter der Herausforderung, mit Hegel eine „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ zu leisten. In den Beiträgen des Bandes Metaphysik und Politik will Ritter unter den Bedingungen des neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses ‚Praxis‘ neu bestimmen und zwar nicht begrenzt auf eine Neubestimmung der praktischen Philosophie in Abgrenzung von der Theorie, sondern als Einheit von Theorie und Praxis. Dabei gibt Aristoteles den Maßstab für die philosophische Bestimmung der Politik insofern vor, als Aristoteles an der Einheit von Ethik und Politik festhält und zeigt, dass „die an sich bestehende Möglichkeit, alles auf den Menschen zu beziehen“ erst da einen „konkreten Inhalt und die Macht des Begriffs hat, wo ‚actu‘ die zur Praxis verwirklichte Natur des Menschen zur Substanz von Institutionen und politischer Ordnung geworden ist“.46 Folgt man den aristotelischen Vorgaben, so stellen sich der Philosophie zwei Aufgaben: Einmal ist die Natur des Menschen zu bestimmen, zum anderen ist die Ordnung, d.i. die politisch-gesellschaftliche Struktur des Zusammenlebens, als Verwirklichung dieser Natur zu rekonstruieren. Mit dieser Verbindung von Ethik und Politik hat Aristoteles für Ritter die praktische Philosophie in zeitlos gültiger Weise begründet. Es ist Ritters Programm gegen die „ethische Neutralisierung des Politischen“47 , das Naturrecht als politische Philosophie in der Einheit von Ethik und Politik wiederzugewinnen. Für die moderne Entwicklung sind allerdings zwei Faktoren zu berücksichtigen: Ein Wissenschaftsbe-

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J. Ritter:„‚Politik‘ und ‚Ethik‘ in der praktischen Philosophie des Aristoteles“. In: ders., Metaphysik und Politik. Frankfurt a.M. 1969, 106-132; hier 131. Zum Folgenden vgl. L. Siep: „Naturrecht und Politische Philosophie. Überlegungen im Anschluß an Joachim Ritter“. In: V. Gerhard (Hg.), Der Begriff der Politik. Stuttgart 1990, 42-56. Ritter: „‚Politik‘ und ‚Ethik‘“, 132.

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griff, der sich dezidiert von der antiken theoria abgrenzt sowie die neuzeitliche Bestimmung des Menschen als Subjekt.48 Gegen die Tradition der praktischen Philosophie, die bis ins 18. Jahrhundert an der Lehre von der Verwirklichung der metaphysischen Vernunftnatur des Menschen im Naturrecht festhält, dabei aber die Vernunft als Vernunft a priori fasst, beruft Ritter sich auf die aristotelische Konzeption der Natur. Für diese ist die Natur des Menschen nicht „als Möglichkeit“ zu bestimmen, sondern allein begreifbar „als die zu ihrer Praxis und Lebensweise verwirklichte Natur“49. Weder der moderne Handlungsbegriff noch die neuzeitliche Konzeption des Naturrechts stimmen mit der aristotelischen Bestimmung der Natur des Menschen und des „von Natur Rechten“ überein. Ritter zeigt, wie Aristoteles von der gegebenen politischen Wirklichkeit ausgeht: Ausgangspunkt für die Bestimmung des „von Natur Rechten“ ist die Polis als die Gemeinschaft, die man vor Augen hat, nicht aber ein allgemeiner und zeitloser Typus politischer Ordnung und Herrschaft. „‚Recht‘ ist für Aristoteles immer in der Vielfältigkeit dessen gegeben, was in der Polis wie im ‚Haus‘ Sitte, Brauch und Gewohnheit ist.“50 Die Philosophie des Aristoteles erweist sich als „ethische Theorie“, insofern als es hier keine Möglichkeit gibt, „Rechts- und Verfassungsprinzipien und Normen aufzustellen, die nicht mit der Polis selbst gesetzt sind und ihren ethischen und institutionellen Ordnungen in sich und vor aller Satzung zugrunde liegen.“51 Für Aristoteles ist das Rechtsprinzip auf dem Boden der Polis „mit der ihr einwohnenden Substanz gegenwärtig gegeben“. Das Rechtsprinzip ist auf diese Weise dem Ethischen immanent und so Maßstab und Grund aller politischen und ethischen Satzung. Recht ist für Aristoteles somit auf die Natur des Menschen gegründet. Dieses Recht hat „überall die gleiche Macht“.52 Indem Aristoteles die polis als Verwirklichung der menschlichen Natur versteht, kann diese Natur nicht unabhängig von der polis erkannt werden. Die eigenständige Stellung der praktischen Philosophie gründet für Ritter in der Beschränkung auf die Frage nach der „Verwirklichung der 48

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In den Bänden Metaphysik und Politik (1969) sowie Subjektivität (1974) entwickelt Ritter Lösungen für beide Fragen. In die Neuausgabe von Metaphysik und Politik (Frankfurt a.M. 2003) sind auch einzelne Beiträge des Bandes Subjektivität aufgenommen worden, wobei allerdings die zwischen 1933 und 1945 entstandenen Arbeiten Ritters fehlen. J. Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles. Zum Problem einer Erneuerung des Naturrechts“. In: ders., Metaphysik und Politik, 133-179; hier 148. Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“, 159. Der Bezug des Wortes „nomos“ auf ‚Herkommen‘ wie auf ‚Satzung‘, das sowohl das von alters überlieferte ‚Fügliche‘ wie das gesetzte Gesetz bezeichnet, hat für die aristotelische Theorie sachliche wie konstitutive Bedeutung. Vgl. op. cit., 160f. Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“, 164. So verwendet Aristoteles die alten durch Überlieferung geheiligten Begriffe göttlichen Rechts wie ‚themis‘ und ‚dike‘ nicht mehr. Auch distanziert er sich von allen Versuchen, die „Legitimität“ des Ethischen in einer Wiederherstellung der alten Sitten zurückzugewinnen. Daher wendet er sich auch gegen die platonische Begründung des Ethischen aus der ‚Teilhabe‘ am Göttlichen. Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“, 166.

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menschlichen Natur als Praxis“. ‚Politisch‘ wird diese Untersuchung durch die Orientierung an dem, was sich in der Polis ‚zeigt‘, was in ihr ‚zu Tage tritt‘. An der Praxis der Polis bringt Aristoteles auf den Begriff, was als „Wahrheit (...) zugrunde liegt“. Während Hegel für Ritter „die ursprüngliche Frage nach der praktischen Verwirklichung der menschlichen Vernunftnatur wieder aufnimmt und sie zur Theorie der gegenwärtigen Welt“53 macht, reduzieren die Vertreter des modernen Naturrechts Praxis und Handeln: „Die Begründung des Handelns liegt nicht mehr in dem zum Allgemeinen seiner geschichtlichen Welt (...) gebildeten individuellen Handeln, sondern wird in der Verpflichtung auf die innere Bestimmung der Handelnden eingeschränkt.“ ‚Natur‘ ist für Kant ein Gegenstand der Naturwissenschaften. Das handlungsbestimmende „Gesetz der Natur“ kann nicht in der äußeren Natur, sondern ausschließlich im inneren Sittengesetz erkannt werden. Gegen diese Reduzierung der praktischen Philosophie auf das Innere, das als „Moralität“ und als „moralisches Gesetz“ das Verhältnis von menschlicher Natur und Praxis bestimmt, tritt Hegel an, um das, was ist, aus der Vernunftbestimmung des Menschen zu begreifen. Für Aristoteles zeigt sich dort, wo der Mensch zum Subjekt der ethischen Ordnung, wo die Verwirklichung der Natur des Menschen zum substantiellen Inhalt der Polis wird, das „überall gleiche“ Naturrecht. Diese Einsicht wird, so Ritter, in Hegels Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft universal. War das „von Natur rechte“ bei Aristoteles auf den freien Bürger der polis beschränkt, so wird in Hegels Lehre der Mensch als Mensch zum Subjekt des Rechts wie des Staates.54 Vor dem Hintergrund dieser Aristoteles-Deutung ergibt sich für Ritter die Aufgabe, für die Moderne zu zeigen, inwiefern die Grundprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft, Subjektivität und Freiheit, als Vollendung der Bestimmung des Menschen verstanden werden können. Gelänge es, Freiheit und 53 54

Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“, 174 Anm. Ritter: „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“, 171 und 175. In den beiden frühen 1953 und 1963 entstandenen Studien zu Aristoteles stellt Ritter die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis ins Zentrum. Dabei insistiert Ritter in dem 1953 entstandenen Aufsatz „Die Lehre vom Ursprung und Sinn der Theorie bei Aristoteles“ auf die Einheit von metaphysischer Theorie und Praxis. Vgl. „‚Politik‘ und ‚Ethik‘“, 131: „Der Geist, der in der Entgegensetzung von Praxis und Theorie umgetrieben ist, ist ein Geist, der die Kraft zur substantiellen Einheit des Ursprungs verloren hat.“ In dem 1963 verfassten Aufsatz „‚Naturrecht‘ bei Aristoteles“ gibt Ritter den „theo-logischen Ursprung der Einheit“ von Theorie und Praxis preis und tritt für die Selbständigkeit der praktischen Philosophie ein. Die Einheit von Theorie und Praxis wäre nur dann zu bewahren, wenn die Gestalt der politischen Ordnung als „Verwirklichung der Natur des Menschen“ interpretiert wird. Unter dieser Voraussetzung wird die politische Philosophie allerdings metaphysisch, da die anthropologische Bestimmung der Natur des Menschen selbst auf metaphysischen Voraussetzungen ruht. Siep macht geltend, dass eine nur „historische Anthropologie“ für eine politische Philosophie nicht ausreicht, da diese einen unabhängigen Maßstab nicht zu entwickeln gestattet. Vgl. Siep: „Naturrecht und politische Philosophie“, 53ff. Vgl. auch J. Ritter: „Über den Sinn und die Grenze der Lehre vom Menschen“. In: ders., Subjektivität. Frankfurt a.M. 81989, 36-61.

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Subjektivität als Naturbestimmungen des Menschen auszuweisen, wäre die aus der Subjektivität gewonnene Ordnung gerechtfertigt. Der geschichtliche Vorgang der Moderne, der zur Auflösung der Einheit von Theorie und Praxis führte, erwiese sich unter diesen Voraussetzungen als notwendiger Prozess, der die bürgerliche Gesellschaft als neue Ordnung hervorbringt. Ausgangspunkt der Ritterschen Hegel-Deutung sind jene Sätze der Grundlinien mit denen Rudolf Haym55 den Nachweis führte, Hegel habe, der preußischen Reaktion verpflichtet, den Staat mit den Prädikaten des Göttlichen, des Absoluten, der Vernunft und der sittlichen Substanz verbunden: „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtseyn hat, das an und für sich Vernünftige“ (Grundlinien, §258, 208; GW 14.1, 201). Diese Aussagen sind ‚metaphysisch‘ im Sinne der Tradition, es sind Seinsbestimmungen: „Hegel bezieht ‚Staat und Gesellschaft‘ in die metaphysische Theorie“ ein und versteht sie als ‚Verwirklichung‘ (actualitas) des Seins im geschichtlichen Dasein.“56 Diese Perspektive ist für Hayms Deutung der Rechtsphilosophie maßgeblich. Entgegen der neuzeitlichen Naturrechtslehre basiert der Staat für Hegel nicht auf der Bedürfnisnatur, sondern geht auf die (metaphysische) Natur des Menschen zurück. Aufgabe des Staates ist es, „die innerweltliche Verwirklichung der das menschliche Dasein tragenden geistigen, religiösen und sittlichen Ordnung zu ermöglichen“. Diese Inanspruchnahme metaphysischer Prinzipien für die Bestimmung menschlicher Praxis ist für Haym in der gegenwärtigen auf Technik und Wissenschaft gegründeten Gesellschaft reaktionär. Hayms Vorwurf macht Hegel für all jene, die sich der Herausforderung stellen, modern zu denken, zum Gegenspieler schlechthin. „Begreift Hegel doch die gleiche Gesellschaft, die für Haym die Befreiung vom Himmel der Theologie und Metaphysik herbeiführt, als Gegenwart und Erscheinung der vernünftigen Substanz, die von je für die Philosophie die Wahrheit der Wirklichkeit und der Geschichte gewesen ist.“57 Die Auseinandersetzung mit dieser Kritik Hayms bildet den Hintergrund für Ritters Hegel-Deutung. Zugespitzt lautet seine Fragestellung: Wie ist politische Philosophie unter den Bedingungen der Moderne gleichwohl als Metaphysik (d.i. für Ritter als Einheit von Ethik und Politik) möglich? Bereits Hegels früheste Arbeiten sind für Ritter durch das Bemühen bestimmt, die Gegenwart und ihre Emanzipation aus der geschichtlichen Herkunft zu verstehen. Kristallisationspunkt der Kontroverse um Herkunft und Moderne bildet Hegels Auseinandersetzung mit der französischen Revolution, insofern letztere die Verwirklichung der Freiheit zu leisten hat. Ritter rekonstruiert den Hegelschen Freiheitsbegriff im Rückgriff auf die ‚Naturbestim55 56

57

R. Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857. J. Ritter: „Hegel und die Französische Revolution“. In: ders., Metaphysik und Politik, 183233; hier 186f. Ritter: „Hegel und die Französische Revolution“, 189.

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mung‘ der Freiheit in der aristotelischen Metaphysik: „Frei ist der Mensch, der um seiner selbst willen, nicht um eines andern willen ist.“58 Ritter erklärt diesen substantiellen Begriff der Freiheit zur allgemeinen Bestimmung.59 Die Aufgabe der Verwirklichung dieser Freiheit kommt einem der Natur „äußeren“, der „Weltgeschichte“ zu. Diese hat die Polis als politische Ordnung verwirklicht, deren Zweck die Freiheit als Selbstseinkönnen des Menschen ist. Hegel greift auf diesen Ansatz zurück, wenn er zeigt, dass die Verwirklichung der revolutionären Forderung nicht durch Entgegensetzung zur vorgegebenen Ordnung zu leisten ist. Letztere muss vielmehr als Verwirklichung der „substantiellen Freiheit der Philosophie“ begriffen werden. Hegels Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft rekonstruiert den Vollzug der Emanzipation aus der überkommenen Lebensordnung. In der bürgerlichen Gesellschaft findet sich der Mensch als Mensch in seinem Selbstsein. War für die Polis die Verwirklichung der Freiheit des Menschen konstitutiv, so verwirklicht die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft diese „Freiheit als Recht“. Ausschlaggebend für die Realisation der Freiheit als Recht ist die grundsätzliche Emanzipation aus der geschichtlich überkommenen Lebensordnung. Für Ritter löst Hegels bürgerliche Gesellschaft die Individuen aus allen geschichtlichen Zusammenhängen. Die bürgerliche Gesellschaft enthält nichts, was nicht durch das Bedürfnis des Menschen vermittelt ist.60 Ritters Interpretation fasst Hegels Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft aus der Perspektive des „Systems der Bedürfnisse“. Die Subjekte dieser Gesellschaft sind – wie bei Adam Smith – die Einzelnen, aber nicht in der Ganzheit ihres geschichtlich, geistig-sittlichen Daseins, sondern, dem Naturprinzip entsprechend, isoliert auf das, was sie als Träger von Produktion und Konsumtion sind.61 Dort erst, wo der Mensch Produzent und Konsument ist, ist der Mensch Subjekt der Geschichte, ist „Weltgeschichte“. Für die bürgerliche Gesellschaft bleibt dieses Verhältnis zur Geschichte allerdings „unerörtert“62. Erst der reflexive Standpunkt der Philosophie macht diese gesellschaftliche Wirklichkeit als Epoche der Weltgeschichte begreifbar. Die Philosophie löst die bürgerliche Gesellschaft geschichtlich aus der Isolierung auf ihr eigenes Naturprinzip. Sie hebt die Beschränkung auf die Bedürfnisnatur auf, um „die Zugehörigkeit der ganzen Bildung des Menschen“ herauszustellen. Für Ritter ist es das entscheidende Merkmal dieser einzig auf das Naturprinzip gestellten Gesellschaft, dass sie diese Zugehörigkeit zur ganzen Bildung des Menschen nicht geltend 58 59

60 61 62

Aristoteles: Metaphysik, I, 2; 982b.25. Unberücksichtigt bleiben bei diesem Naturbegriff der Freiheit andere Traditionen und Bestimmungen, die für Hegels Freiheitsbegriff konstitutiv sind: Zum einen wäre hier Spinozas Bestimmung der göttlichen Substanz als ‚actu‘ und zum anderen Kants Autonomie-Begriff der Freiheit zu berücksichtigen. Vgl. Grundlinien, §188. Vgl. Ritter: „Hegel und die Französische Revolution“, 263. Dies und die folgenden Zitate Ritter: „Hegel und die Französische Revolution“, 230f.

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machen und zur Sprache bringen kann. Allein der reflexive Standpunkt der Philosophie vermag die „in der emanzipativen Konstitutierung mitgesetzte, aber in der Naturtheorie verschwindende Beziehung zur geschichtlichen Herkunft positiv [zu] entwickeln“. Indem die Emanzipation in der Reflexion als Entzweiung greifbar wird, vermag sie an diese Gestalt eine positive Deutung anzuknüpfen: Sie kann diese Gesellschaft „als Scheinen der Sittlichkeit“ begreifen. Bezieht man Ritters Deutung der bürgerlichen Gesellschaft zurück auf seine Bestimmung der Aufgabe der praktischen Philosophie, wie er sie in Auseinandersetzung mit Aristoteles gewonnen hat, so wird deutlich, dass die Philosophie gerade in der Moderne auf ihre uralte Aufgabe, Theorie des Seinsganzen zu sein, verpflichtet bleibt. Die Philosophie reflektiert in der Theorie der „Bürgerlichen Gesellschaft“ die Gründe und Bedingtheiten einer auf die natürlichen Bedürfnisse reduzierten Sphäre und wird so zur Theorie des Ganzen.63 Ritters Deutung lässt Hegels Lehre vom „Inneren Staatsrecht“ ebenso unberücksichtigt wie die Bildungsinstitutionen der „Bürgerlichen Gesellschaft“, die die egoistischen Interessen einschränken und politisches Handeln im Sinne des Allgemeinen auf den Weg bringen. Ritters Interpretation der Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“ am Leitfaden der (biologischen) Bedürfnisnatur des Menschen führt ebenso wie die Inanspruchnahme des aristotelischen Freiheitsbegriffs für die Interpretation der bürgerlichen Gesellschaft zu einer Verschiebung der Hegelschen Fragestellung. In der Konsequenz führt dieser Interpretationsansatz zwar zu einer Bestimmung der Philosophie als Theorie des Seinsganzen, zu dem Preis allerdings, dass die im Moralitätskapitel entwickelte Handlungslehre nicht angemessen berücksichtigt wird und damit das zentrale Anliegen der Sittlichkeitskonzeption gar nicht in den Blick kommt. Die Grenzen dieses Ansatzes werden insbesondere bei der Deutung des Sittlichkeitskapitels deutlich, wo Ritter etwa die Staatslehre insgesamt ignoriert.64 63

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Zwei Gesichtspunkte sind von der Philosophie in diesem Zusammenhang zu verdeutlichen: Einmal hat sie gegen die negative Einschätzung der Versachlichung der modernen Gesellschaft zu zeigen, dass mit dem Aufkommen der modernen bürgerlichen, industriellen Gesellschaft eine „Freisetzung und Entlastung des persönlichen Daseins der einzelnen und ihrer subjektiven Freiheit“ einsetzt, die die Freiheit der Subjekte „in allen für sie wesentlichen religiösen, sittlichen, ästhetischen, persönlichen Zusammenhängen“ umfasst. Zum anderen hat die Philosophie zu zeigen, dass die Subjektivität selbst Zweck der politischen Ordnung wird. In der Bewahrung des Bei-sich-Seins des Einzelnen erfüllt sich dieser Zweck: „Die Subjektivität hat es übernommen, religiös das Wissen um Gott, ästhetisch das Schöne, als Moralität das Sittliche zu bewahren und gegenwärtig zu halten, das auf dem Boden der Gesellschaft in der Versachlichung der Welt zu einem bloß Subjektiven wird. Das ist ihre Größe und ihr weltgeschichtliches Amt“. Gegen das Abgleiten in romantische Bemühungen, gegen die Gefahren einer weltlosen Subjektivität besteht Ritter auf dem Festhalten der Entzweiung. Dabei böte Hegels Konzeption der Staatsorganisation Anhaltspunkte, die es gestatten, die Sittlichkeit als Verwirklichung einer kosmischen Ordnung zu interpretieren. Vgl. Siep: „Naturrecht und politische Philosophie“. Diese Ordnung des Staates ignoriert Ritter in seiner Interpretation, wenn sich für ihn allein in der auf die Bedürfnisnatur gegründeten bürgerlichen Gesellschaft die der Freiheit der Subjektivität gemäße Ordnung realisiert.

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Ritters Beitrag zur „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ orientiert sich an der aristotelischen Bestimmung des Praktischen als Einheit von Ethik und Politik. Für die Moderne bedeutet dies, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Naturbestimmung des Menschen, Bedürfniswesen zu sein, die adäquate Ordnung findet. Diese Ordnung sichert – von allen geschichtlichen Zusammenhängen befreit – die Naturbestimmung der Freiheit des Menschen als Freisein von allen gesellschaftlichen Normierungen. Die Philosophie hat die Aufgabe, die Gründe und Bedingtheiten dieser Freiheit aufzuzeigen. Erst die Loslösung der Bedürfnisnatur des Menschen aus allen persönlichen, religiösen und ästhetischen Zusammenhängen gibt das Individuum frei und verwirklicht diese Bestimmung – diese Naturbestimmung ist nicht vorgegeben sondern erschließt sich aus der bürgerlichen Gesellschaft. Diese Spaltung ist für die Realisierung des Selbstseins grundlegend, sie ist die Bedingung der Freiheit des Selbstseins. Insofern die Philosophie zu zeigen vermag, wie die Ordnung dieser Welt („Bürgerliche Gesellschaft“) der Ordnung der Seele („Freiheit als Selbstsein“) entspricht, verdeutlicht sie auch die Voraussetzung der Einheit dieser beiden Ordnungen: die vollständige Loslösung aus allen inhaltlichen Bestimmungen der Tradition.65 Ritter macht Hegels Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft für die „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ im Sinne der aristotelischen Einheit von Ethik und Politik fruchtbar, indem er zeigt, wie die bürgerliche Gesellschaft die Ordnung der natürlichen Bestimmung des Einzelnen verwirklicht.66 Diese Verwirklichung sichert die Wirklichkeit der Freiheit. Die Wirklichkeit der Freiheit hat aber nur im Festhalten der Entzweiung – der Befreiung aus allen persönlichen, religiösen und ästhetischen Verbindlichkeiten – Bestand. Es ist die Aufgabe der Philosophie, diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Der von Ritter für die Deutung der bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzte Freiheitsbegriff entstammt der aristotelischen Metaphysik. „Freiheit“ bleibt unter diesen Voraussetzungen auf die Bedürfnisnatur bezogen. Jene Momente, die aus dieser Bedürfnisnatur hervorgehen und die bürgerliche Gesellschaft zur einer Gestalt der Sittlichkeit machen, wie „Arbeit“ und „Bildung“, haben in Ritters Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft keinen Platz. Für Ritter gehören

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Diese Grundbestimmungen der Ritterschen Deutung der bürgerlichen Gesellschaft findet Schmitts Zustimmung. Sie führen bei Schmitt allerdings zu einer gänzlich negativen Bewertung. Die bürgerliche Gesellschaft ist die Welt des Antichristen, diese kann nicht durch die Philosophie ‚gerettet‘ werden. Die Ganzheit der Welt ist für Schmitt allein im Eingreifen eines ganz Anderen zu erlangen. Hermann Lübbe hat mit Blick auf die Ritter-Schule von einem liberal rezipierten Schmitt gesprochen. Inwiefern hier „Eklektizismus im besten Sinne“ am Werke ist oder aber die theologischen Implikationen der Schmittschen Konzeption bei Ritter fortwirken, kann hier nicht verfolgt werden. Vgl. H. Lübbe: „Carl Schmitt liberal rezipiert“. In: ders., Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Graz / Wien / Köln 1984, 304-377.

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diese ‚sittlichen‘ Momente zur Philosophie und stehen konträr zur bürgerlichen Gesellschaft und zur Freiheit als Ungebundenheit.67 Nicht nur der in Ritters Konzeption der praktischen Philosophie vorausgesetzte Naturbegriff löst Skepsis aus: wie überzeugend ist es, wenn die Bedürfnisnatur zum Konstitutivum modernen Selbstverständnisses erhoben wird – ohne dass ein Verhalten zu dieser Bedürfnisnatur als konstitutives Moment der Wirklichkeit eingeführt wird? Ritter selbst hat die Voraussetzung seines Naturbegriffs nicht weiter präzisiert. Da Ritter die – biologisch bestimmte – Bedürfnisnatur des Menschen zur Grundbestimmung der praktischen Philosophie erhebt, bleiben zentrale Bestimmungsmomente der Hegelschen Willenskonzeption (Moralitätskapitel) unberücksichtigt. Diese Kritik soll hier nicht weiterverfolgt werden. Für die einleitenden Überlegungen genügt es, dass für die Konzeption der praktischen Philosophie als Einheit von Ethik und Politik der Rückgriff auf die Bedürfnisnatur präzisiert werden muss und zwar mit Blick auf „Arbeit“ und „Bildung“. Diese Forderung ist nur dann zu erfüllen, wenn Ritters auf die Naturbestimmung eingeschränkter Freiheitsbegriff erweitert wird. Inwiefern diese Erweiterung auch dazu führt, die bei Ritter fehlende normative Bestimmung des Praktischen zu sichern, wird zu klären sein. Der seitens der neuzeitlichen praktischen Philosophie erhobene Anspruch, präskriptive Regeln mit normativer Geltung aufzuweisen und zu begründen, steht für andere im Rückgriff auf Kant und Hegel formulierte Konzeptionen praktischer Philosophie im Vordergrund. Manfred Riedel will, wie auch KarlHeinz Ilting, diesem normativen Anspruch der praktischen Philosophie genügen, ohne dabei bei formalen inhaltsleeren Prinzipien stehenzubleiben. Iltings Ziel etwa ist es, mit Hegel zu einer inhaltlichen Festlegung des normativen Gehalts der Hegelschen Philosophie zu gelangen. Mit Hegel soll das liberale Gesellschaftsmodell als normativ verbindlich ausgewiesen werden (2.2).

67

Zu den Folgerungen dieser Deutung der bürgerlichen Gesellschaft für die Stellung der Geisteswissenschaften, siehe E. Weisser-Lohmann: „Die Wahrheit der Freiheit. Zur Konzeption der Geisteswissenschaften bei Joachim Ritter“. In: dies. / A. Gethmann-Siefert (Hg.), Wege zur Wahrheit. München 2009, 33-43.

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2.2 Vernunft und Gesellschaft Die Lebensbedingungen der Moderne und der Anspruch des modernen Wissenschaftsbegriffes verbieten es geradezu, so Manfred Riedel, die „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ in unmittelbarer Anknüpfung an die aristotelischen Bestimmungen zu suchen.68 Für die Praktische Philosophie der Neuzeit stelle sich vielmehr die Aufgabe, die Legitimität zwangsbefugter Institutionen auszuweisen. Mit der von Aristoteles unterstellten analogen Struktur von „Ethik“ und „Politik“ sei dies allerdings nicht zu leisten. Diese Analogie setzt eine Ontologie voraus, die für die Moderne ebenso inakzeptabel ist, wie die aristotelische Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen, zwischen Arbeit und Handeln. Auch ist es fraglich, so Riedel, auf welcher Basis eine Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie zu rechtfertigen ist, wenn die aristotelische Voraussetzung eines spezifisch praktischen Vermögens (phronesis) für den kritischen Wissensbegriff unannehmbar ist. Mit der „phronesis“ beansprucht Aristoteles zwar ein Vermögen, das Handeln von allen naturhaften Vorgängen und Veränderungen unterscheidbar macht, indem das Bewegungsprinzip des Handelnden hier „außerhalb“ des Gegenstandes in den „Vorsatz“ des Handelnden verlegt wird. Für Aristoteles rechtfertigt sich diese Differenz zwischen Handlung und Naturbewegung aber, so Riedel, aus dem „ontologischen Vorurteil über die Gegenständlichkeit“ von „Natur“ und „Freiheit“. Diese ‚ontologische Differenz‘ begründet auch den spezifischen Wissenschaftscharakter der praktischen Philosophie. Vom praktischen Handeln am Leitfaden der „phronesis“ unterscheidet Aristoteles die „techne“ des poietischen Handelns. Da das technische Handeln lediglich Instrumente und Werkzeuge hervorbringt, sind die hier gesetzten Zwecke lediglich Mittel für andere Zwecke. Damit kann das poietische Handeln einer ethischen Beurteilung nicht unterstellt werden. Die aristotelischen Voraussetzungen verhindern darüber hinaus, dass Zwang als legitimes Mittel gegenüber denjenigen, die an der Polis zwar teilnehmen, nicht aber mit der Zwecksetzung der Polis – der Verwirklichung des guten Lebens – übereinstimmen, gerechtfertigt ist. Die genannten Schwierigkeiten zeigen die Unzulänglichkeit der aristotelischen Konzeption für die Lösung eines für die politische Philosophie der Neuzeit grundlegenden Problems: eine Legitimation von Herrschaft deren Machtausübung auch Zwang gegen freie Individuen rechtfertigt. In der Moderne sind zur Lösung dieser Aufgabe andere Begründungswege einzuschlagen.

68

Vgl. M. Riedel: „Vorwort“. In: ders. (Hg.), Rehabilitierung, Bd. 1, 9-12; sowie ders.: „Herrschaft und Gesellschaft. Zum Legitimationsproblem des Politischen in der Philosophie“. In: ders. (Hg.), Rehabilitierung, Bd. 2, 235-258.

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Für die neuzeitliche Vertragstheorie geht der Staat nicht aus der Natur des Menschen hervor, sondern ist das Produkt der freien Vereinigung (unio) einer „Menge von Menschen“. Dieser konstituierte Staat ist allerdings mit dem Problem konfrontiert, wie die freien und gleichen Vertragsteilnehmer verpflichtet werden können. Hobbes löst dieses Problem durch die Unterscheidung zwischen Einigungsvertrag und Abtretungsvertrag. Der Einigungsvertrag gründet auf den Bestimmungen des Naturzustandes und bringt die bürgerliche Gesellschaft hervor. In ihr treten die Einzelnen ihr natürliches Recht auf Selbsterhaltung ab, um als Freie und Gleiche, die einen Schutzanspruch haben und verpflichtet werden können, hervorzugehen. Der Abtretungsvertrag realisiert dann zwar die Gleichheit aller Vertragspartner, zu dem Preis allerdings, dass hier rechtlose Individuen in diesen Vertrag eintreten.69 Für Riedel fällt Hobbes mit der Unterscheidung zwischen Einigungs- und Abtretungsvertrag hinter die aristotelische Trennung zwischen bürgerlicher und natürlicher Herrschaft zurück. Aufgabe einer rechtlichen Vertragslehre ist es dagegen, die natürlichen Zwecke (Triebe, Bedürfnisse) der Einzelnen mit dem sittlichen Zweck des Ganzen zusammenzuführen. Der „Vertrag“ bringt die natürlichen Triebe der Einzelnen und die sittlichen Zwecke des Ganzen aber nur partiell zur Deckung. Die „Natur“ nimmt im Rahmen der rechtlichen Vertragslehre eine ambivalente Funktion ein: Das Konzept einer teleologisch verfassten Natur wird preisgegeben, als „Willkür der Vielen“ bildet die „Natur“ aber auch den Ausgangspunkt der Vertragslehre. Es ist die natürliche Bestimmtheit in Gestalt der Willkür, die durch das Recht eingeschränkt werden muss, soll „die Willkür eines jeden mit der von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz (das an die Stelle des aufgegebenen Naturgesetzes tritt) übereinstimmen können“.70 Für Hegel gibt es, so Riedel, keine Teleologie der Natur, die die Trieb- und Bedürfnisnatur der Einzelnen mit dem sittlich geschichtlichen Dasein des Staates vermittelt. Gegenüber Hobbes, Rousseau und Kant radikalisierte Hegel vielmehr den Gegensatz von Natur- und Freiheitsgesetz zu der „Trennung zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft“71. Hegels Konzeption stellt daher auch keinen direkten Begründungszusammenhang zwischen der natürlichen Bestimmtheit der Einzelwillen und dem allgemeinen, im Staat sich manifestierenden Willen her. Durch diese Isolierung der natürlichen Bestimmung wird es Hegel einerseits möglich, „jenes ‚System der Bedürfnisse‘ als die ökonomische Basis der modernen bürgerlichen Gesellschaft zu entdecken, das den liberalen Anhängern der Naturrechtslehre verborgen blieb.“ Hegels Versuch stößt hier aber andererseits auch an seine Grenzen, insofern die bürgerliche Gesellschaft als Realisierung der Idee der Freiheit nur als Notwendigkeit gedacht werden kann. Letztlich scheitert Hegel, so Riedel, an der Unfähigkeit, aus der 69 70

71

Vgl. zu diesem Problem Riedel: „Herrschaft und Gesellschaft“, 258. M. Riedel: „Natur und Freiheit in Hegels Rechtsphilosophie“. In: ders. (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt a.M. 1975. Bd. 2, 109-130; hier 122. Dieses und das folgende Zitat Riedel: „Natur und Freiheit“, 124.

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Sphäre des freien – natürlich bestimmten – Willens in das „Bewegungsgesetz der Gesellschaft“ überzugehen. Für eine an der Tradition orientierte Konzeption praktischer Philosophie ist dieser Gegensatz zwischen dem Begriff der Freiheit und der gesellschaftlichen Wirklichkeit unbefriedigend. Riedel ist zuzustimmen, Hegel greift für die Begründung des „Staates“ nicht auf die Argumente der Vertragslehre zurück, auch ist die bürgerliche Gesellschaft nicht auf das „System der Bedürfnisse“ zu reduzieren. Jene Elemente der „Bürgerlichen Gesellschaft“, die wie Polizei und Korporation die Sphäre des Bedürfnisses zu einer Gestalt der Sittlichkeit machen, begründen zusammen mit der Familie und dem Staat die Sphäre der Sittlichkeit. Diese Elemente zeigen, dass Hegel kein ein Portrait der modernen Wirtschaftsgesellschaft bietet, vielmehr deskriptive und normative Elemente verbindet. Für Hegel ist das „System der Bedürfnisse“, so Riedel, durch ältere Strukturen begrenzt: Die mit der Revolution freigesetzte Gesellschaft restituiere mit „Polizei“ und „Korporation“ sittlich-politische Elemente der Tradition, die letztlich den Anforderungen der Moderne nicht genügen. Eine mangelnde normative Fundierung belastet damit, so Riedel, die Hegelsche Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft. Für eine Rehabilitierung der praktischen Philosophie überzeugt dieser Ansatz denn auch weniger durch seine positiven Bestimmungen als vielmehr durch die Fragen und Probleme, die mit dieser Konzeption aufgeworfen sind. Karl-Heinz Ilting will in einer systematischen Konzeption den oft missverstandenen Gegensatz zwischen Naturrecht und Geschichte überwinden. Hegels politische Philosophie leistet seiner Ansicht nach keine „postrevolutionäre Wiederholung“ der praktischen Philosophie der Griechen, sondern vollziehe eine Synthese der wichtigsten mit den Namen Platon, Aristoteles, Thomas, Hobbes und Locke bezeichneten Überlieferungen der politischen Philosophie.72 Hegels Verknüpfung von neuzeitlichem und klassischem Naturrecht bietet für Ilting einen fruchtbaren Ansatz für die Grundlegung einer praktisch/politischen Philosophie in der Gegenwart. Allerdings müssen von diesem positiven Ansatz Hegels zeitgebundene Stellungnahmen zur preußischen Tagespolitik ausgenommen werden. Diese Interpretationsmaxime – Veranschaulichung des Traditionszusammenhangs der politischen Philosophie Hegels losgelöst von den ‚tagespolitischen‘ Äußerungen – bestimmt Iltings Deutung der Hegelschen Rechtsphilosophie.73 Dem Anliegen einer „Rehabilitierung der 72

73

Sowohl É. Weil wie auch J. Ritter bringen in ihrer Deutung der politischen Philosophie den neuzeitlichen Traditionsanteil an Hegels System des objektiven Geistes kaum zur Geltung. É. Weil: Hegel et l’État. Paris 61985 (11950). Vgl. K.-H. Ilting: „Rezension zu: E. Fleischmann ‚La philosophie politique de Hegel‘“. In: Hegel-Studien 3 (1967), 386-392; hier 390. Beeindruckend ist die Textbasis dieser Hegel-Interpretation. Iltings Deutung bezieht nicht nur die Druckfassung der Rechtsphilosophie ein, sondern greift in umfassender Weise auf alle bekannten Vorlesungsnachschriften zurück. Auf dieser Textgrundlage will Ilting gegen den Vorwurf der Servilität Hegels liberale Grundbestrebung ausweisen. Iltings Interpretationsziel ist es, alle Zweifel daran zu widerlegen, „daß Hegels Idee eines sittlichen Staates und die Idee

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praktischen Philosophie“ verpflichtet, will Ilting zeigen, wie in der Verfassung des sittlichen Staates, Hegels Naturrecht zu einer zeitlos-gültigen Gestalt kommt, Naturrecht und Geschichte damit zu einem Ausgleich kommen. Wie Ritter, so erklärt auch Ilting „Freiheit“ zum Zentralbegriff der Hegelschen Rechtsphilosophie. Allerdings rekonstruiert Ilting Hegels Freiheitsbegriff nicht wie Ritter im Rückgriff auf Aristoteles. Vielmehr entwickelt Hegel im dreigliedrigen Aufbau der Grundlinien die zentralen Bausteine einer „Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit“: Die einzelnen Abschnitte vollziehen die „einheitliche Entwicklung dreier verschiedener Standpunkte, die das Bewußtsein nacheinander erreicht“. Die Wurzeln dieses Freiheitsbegriffs liegen für Ilting im Selbstverständnis der modernen Subjektivität, nur das anzuerkennen, was als gut eingesehen und anerkannt werden kann. Fraglich ist es, wie Ilting im Rahmen dieser phänomenologischen Lesart, Hegels Institutionenlehre erfasst. Iltings Interpretation ignoriert zwar weitgehend Hegels Institutionenlehre, gleichwohl bleibt Ilting nicht beim individuellen Einzelwillen stehen, sondern sieht die Notwendigkeit eines „machtvollen“ allgemeinen Willens, der gegen die Einzelinteressen das Allgemeine einfordert und durchsetzt. Das Naturrecht als Vernunftrecht vermag nur dann die ursprüngliche Freiheit der Einzelnen einzuschränken, wenn diese Einschränkung durch Prinzipien gerechtfertigt ist, die in fundamentaler Weise die Existenz des freien Willens begründen: „Naturrecht ist das, was der freie Wille anerkennen muß, soll er nicht mit sich selbst in Widerspruch geraten“.74 An die Stelle der Hobbesschen Souveränitätslehre tritt bei Ilting eine voluntaristische Variante der Anerkennungslehre: Jede Norm bedarf, um verbindlich zu sein, einer willentlichen Zustimmung. Dabei soll die Forderung nach

74

der modernen, liberalen Demokratie im Grunde inkompatibel sind“ (K.-H- Ilting: „Liberale Demokratie und ‚sittlicher Staat‘“. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 68 [1986], 2-21; hier 3). Vgl. Zum Folgenden op.cit., 6. Das Streben nach Selbsterhaltung bildet für Hobbes den zweiten Grundsatz des neuzeitlichen Naturrechts und als Imperativ eine assertorisch-hypothetische Funktion. Aufgrund seiner ‚Wenn-dann-Struktur‘ schreibt dieser Imperativ aber nur eine mögliche Ordnung vor, eine Ordnung „deren Verwirklichung der subjektive Wille erstreben muß, wenn es ihm um vernünftige Selbsterhaltung zu tun ist“. Aufgrund des assertorisch-hypothetischen Charakters ist die Verbindlichkeit des Naturrechts zweifelhaft. Hobbes ergänzt daher die Lehre vom Naturrecht durch die Lehre vom Unterwerfungsvertrag. „Das Naturrecht des Hobbes beweist (...) die Notwendigkeit eines Unterwerfungsvertrages, durch den nunmehr der Souverän als Ursprung alles Rechts konstituiert wird.“ Die Differenz zwischen einer bloß möglichen und einer faktischen Ordnung ist allein durch den Willen des Souveräns zu überwinden. Denn für Hobbes verfügt die Vernunft nicht über die Macht eine Wirklichkeit hervorzubringen. Der Unterwerfungsvertrag begründet daher den Staat, in dem einem Herrscher die Macht über die Gesetzgebung übertragen wird. In seinem Ursprung und Bestand geht der Staat bei Hobbes „auf die unwiderstehliche Gewalt der Furcht vor einem unnatürlichen Tode zurück“. Der als Faktum begriffene Selbstbehauptungswille führt diesen Ansatz letztlich in eine dogmatische Metaphysik. Zu den Aufgaben kritischer Philosophie gehört es, diesen Dogmatismus zu vermeiden und, so Ilting, in der „Auseinandersetzung um die Analogie und Univozität des Seins“ aufzuheben (Ilting: „Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit“, 94, 100, 102).

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„willentlicher Zustimmung“ nicht rein dezisionistisch gedeutet werden. „Anerkennung“ ist keineswegs eine „hinreichende Bedingung der Geltung von Normen“, vielmehr muss darüber hinaus die Bedingung der allgemeinen Zumutbarkeit erfüllt sein. „Aus diesem Grundsatz folgt, dass nur eine Norm, welche allen Normadressaten gleiche Rechte und gleiche Pflichten zuweist, Anspruch auf universale Verbindlichkeit erheben kann.“75 „Anerkennung“ und „Zumutbarkeit“ sind für Ilting Kriterien der Geltung von Normen, mit denen eine „nicht-intellektualistische Theorie“ der Begründung praktischer Normen zu realisieren ist.76 Gegen das Projekt einer „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ im Sinne einer normativen Ethik, der es um den Ausweis der Wahrheit von Normen geht, erhebt Ilting einen entscheidenden Einwand. Der Reduktion der praktischen Fragestellung auf die Prüfung der Wahrheitsfähigkeit stellt Ilting die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis entgegen. Zwar verfolgt auch Ilting einen rationalistischen Ansatz dem zufolge moralische Grundnormen zu Recht universale Gültigkeit beanspruchen. Legitimierbar ist diese praktische Geltung für Ilting allerdings nicht mit den Mitteln der Theorie. Für die Verbindlichkeit einer Norm bedarf es des Aktes der Einwilligung. Die „Einwilligung“ fasst Ilting als dezidiert praktisches Prinzip. Es sichert die klare Unterscheidung zwischen den Prinzipien der Theorie und denen des Handelns bzw. der Praxis. Spricht Hobbes dort von Recht, wo „die Macht vorhanden ist, einen Anspruch durchzusetzen“. Wo diese Macht auf Einwilligung basiert, ist „die Fähigkeit, einem Anspruch Geltung zu verschaffen“77, legitim. Dabei sichern für Ilting „Anerkennung“ und „Einwilligung“ die Geltung von Rechten und Pflichten losgelöst von der Wahrheitsfähigkeit der Norm. Anerkannten Rechten kommt der Status von Naturrechten zu. Diese allgemeinen – über Anerkennung geltenden – Normen führen Ilting zu einer Kritik an liberalistischen Deutungen der Hegelschen Staatskonzeption. Für Ilting basiert Hegels Sittlichkeitskonzeption auf allgemeinen Normen. Die Zumutbarkeit des Rechts wird über die Allgemeinheit der Geltung erreicht, Legitimation und damit Zwangsbefugnis über die willentliche Zustimmung zu den allgemeinen Rechts- und Verfassungsprinzipien. Die Einheit dieser beiden Prinzipien bildet einen nicht hintergehbaren Grund aller Verwirkli75 76

77

Vgl. K.-H. Ilting: Grundfragen der praktischen Philosophie. Frankfurt a. M. 1994, 8. Mit diesem Ansatz wendet sich Ilting gegen die an der Wahrheitsfähigkeit praktischer Fragen orientierten Konzeptionen von Habermas, Apel und Lorenzen. Apel wirft er vor, seine kommunikationstheoretische Begründung der Ethik unterliege einem „intellektualistischen Fehlschluß“ (K.-H. Ilting: „Der Geltungsgrund moralischer Normen“. In: W. Kuhlmann / D. Böhler [Hg.], Kommunikation und Reflexion. Frankfurt a.M. 1982, 612-648; hier 638). Vgl. zu diesem Vorwurf Apels Entgegnung in: „Faktische Anerkennung oder einsehbar notwendige Anerkennung? Beruht der Ansatz der transzendentalpragmatischen Diskursethik auf einem intellektualistischen Fehlschluß?“. In: ders. / R. Pozzo (Hg.), Zur Rekonstruktion der praktischen Philosophie. Stuttgart 1990, 67-123. Ilting: „Hobbes und die praktische Philosophie“, 102.

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chung von Freiheit.78 Mit Hobbes erhebt Ilting gegen eine Tradition, die die Sittlichkeit allein auf Natur bestimmte, den individuellen Willen zur Grundlage der Sittlichkeit. Den für die Gemeinschaft als Sittlichkeit konstitutiven Zweck gewinnt Ilting aus der Negation der individuellen Willensbestimmung. Nicht das Interesse der Einzelnen am Wohl ihres Lebens ist der letzte Zweck des Staates, sondern der Bestand des Ganzen, der das Überleben in Freiheit für alle sichert. Ritter – wie auch Ilting – kommt das Verdienst zu, in überzeugender Weise dem Verdikt von Hegel als dem Preußischen Staatsphilosophen entgegengetreten zu sein. Gleichwohl bleiben Bedenken gegenüber ihrer Inanspruchnahme der Hegelschen Rechtsphilosophie für die von ihnen vertretene Konzeption praktischer Philosophie. Ilting beschränkt die Aufgabe der praktischen Philosophie auf die Deduktion normativ verbindlicher Prinzipien und ignoriert Hegels Anliegen, die Bestimmung der Wirklichkeit einer sittlichen Praxis zu leisten. Wie schon bei Joachim Ritter steht weniger der Rechts- als der Freiheitsbegriff im Zentrum der Hegeldeutung. Bei Ilting verhindert die Vernachlässigung der Rechtskonzeption, dass seine Deutung die Wirklichkeit der sittlichen Praxis erreicht. Letztlich kommt hier das Hegelsche Anliegen, die Einheit von Theorie und Praxis (Ethik und Politik) für die Gegenwart zu bestimmen, nicht angemessen in den Blick. Die gewonnenen Normen laufen Gefahr als bloßes Sollen der Wirklichkeit gegenüber zu stehen. Diese bei Ilting preisgegebene Einheit von Ethik und Politik steht im Zentrum der Ritterschen HegelInterpretation. Der aristotelischen Konzeption folgend hält Ritter an der Einheit von Ethik (die auf der Basis der Naturbestimmtheit zu normativen Aussagen kommt) und Politik (der es um die Erfassung dieser Normen in der sittlichen Wirklichkeit geht) fest. Der von Ritter vorausgesetzte Freiheitsbegriff (Freiheit als Selbstseinkönnen) reduziert das Hegelsche Anliegen, Freiheit als Wirklichkeit auszuweisen, auf die Naturbestimmung der Freiheit und verhindert, dass die Hegelsche Rechtskonzeption angemessen aufgenommen wird.

78

Das liberalistische Demokratieverständnis votiere vorrangig für die Respektierung der privaten Interessen, gleichwohl müssten diese durch öffentliche Interessen, d.i. das Allgemeine, relativierbar sein. Denn die öffentlichen Interessen, die allgemeine Sicherheit, die Geltung des Rechts, bilden die Basis für die Verwirklichung individueller demokratischer Freiheit. Ein „einheitliches“ durch den Staat gesetztes und verbindliches Sinnkonzept ist schlechterdings unverzichtbar. Mit dieser Konzeption widerspricht Ilting dem liberalistischen Demokratieverständnis, demgemäß „demokratische Industriegesellschaften (...) ohne Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Interessen (...) überhaupt nicht vorstellbar“ sind (Ilting: „Liberale Demokratie und ‚sittlicher Staat‘“, 5).

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2.3 Rechtsphilosophie als praktische Philosophie? Die vorgestellten Konzeptionen praktisch-politischer Philosophie unterscheiden sich grundlegend hinsichtlich der Bestimmung der Aufgabe der Philosophie in der Moderne. Die „Rehabilitierung der praktischen Philosophie“ scheint vor die Alternative gestellt, entweder die praktisch-politische Philosophie als Erste Philosophie und damit als Metaphysik, die von einer Einheit zwischen Ethik und Politik ausgeht, da hier wie dort die gleichen konstitutiven Prinzipien gelten. Der hier vielfach geltende gemachte Praxisbegriff bestimmt Praxis als umfassendes Ganzes, dem auch die Theorie angehört. Vielfach ungelöst bleibt bei diesen der Hermeneutik, Lebensphilosophie oder dem Marxismus nahestehenden Konzeptionen die Legitimation von Normen und Rechten. In Opposition zu diesem Konzept stehen jene Theorien, die auf die wesentliche Differenz zwischen der moralischen Bestimmung des Individuums und der Natur bzw. den gesellschaftlichen Bedingungen verweisen, und streng zwischen Ethik und Politik unterscheiden, um in der philosophischen Ethik verbindliche Regeln des Handelns zu prüfen und verbindlich zu machen. Für Kant konstituiert ein von der Gesetzmäßigkeit der Natur unterschiedener Normtyp das praktische Prinzip. Mit der „Freiheit“ als dem Faktum der Vernunft verfügt die Philosophie über ein eigenständiges praktisches Prinzip, das einer eigenständigen Kritik als auch einer von der Theorie unabhängigen Wissenschaft (Metaphysik der Sitten) bedarf. Es ist die im Freiheitsbegriff gründende Gesetzgebung, die für Kant eine Einteilung in theoretische und praktische Philosophie rechtfertigt und damit die Trennung von moralischer Innenwelt und physischer Außenwelt fordert. Natur- und Freiheitsbegriff „haben, außer dem, daß sie der logischen Form nach auf Prinzipien, welchen Ursprungs sie auch sein mögen, angewandt werden können, überdem noch jedes seine eigene Gesetzgebung dem Inhalte nach, über die es keine andere (a priori) gibt, und die daher die Einteilung der Philosophie in die theoretische und praktische rechtfertigt“ (KdU, A XXI; WA X, 84). Die Freiheitsantinomie der Kritik der reinen Vernunft schafft die systematischen Voraussetzungen für die Unterscheidung zwischen Naturkausalität und Handlungsautonomie. Diesen Dualismus strebt Kant in der Kritik der Urteilskraft (KdU) durch einen Übergang von der Gesetzgebung der „Metaphysik der Natur“ zur „Metaphysik der Sitten“ aufzulösen. Den Ausgangspunkt dieser Vereinigung bildet die Vermutung, „daß die Urteilskraft (...) einen Übergang vom reinen Erkenntnisvermögen, d.i. vom Gebiete der Naturbegriffe zum Gebiete des Freiheitsbegriffs, bewirken werde“ (KdU, A XXIII, XXIV; WA X, 87). Allerdings wird dieses Prinzip der Urteilskraft nicht dem praktischen Vermögen zugeordnet. Die Eigenständigkeit der praktischen Vernunft besteht unberührt von den Prinzipien der Urteilskraft. Diese Einheit aller erkenntnis-, urteils- und handlungsbestimmenden Vermögen ist allein eine Option des Urteilsvermögens, die unter vernunftkritischen Bedingungen nicht durch eine Ontologie gesichert sein

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kann. Als vernunftkritisch abgesicherte Erkenntnisbereiche bestehen für Kant nur die „Metaphysik der Natur“ und die „Metaphysik der Sitten“. Eine „Rehabilitierung der praktischen Vernunft“ mit dem Anspruch, die Einheit der Philosophie als Wissenschaft unter einem leitenden (theoretischen) Prinzip zu rekonstruieren, ist unter dieser Voraussetzung nicht zu realisieren. Für Kant ist diese Einheit lediglich eine Option, die den Prinzipien der Vernunft nicht widerspricht und die Vorzugsstellung der praktischen Philosophie untermauert. Gegen die Auflösung der Geltung praktischer Normen durch die Relativierung ihres Geltungsbereichs im Rahmen einer ‚Philosophie des absoluten Geistes‘ bringen sowohl Riedel wie auch Ilting Hegels eigenständigen Beitrag zur praktischen Philosophie zur Geltung. Es zeigte sich, dass beide für ihre Deutung der Hegelschen Rechtsphilosophie naturrechtliche bzw. vernunftrechtliche Prinzipien in Anspruch nehmen. Begrenzt auf praktisch-normative Fragen im engeren Sinn versuchen auch angloamerikanische Hegel-Interpreten eine Neubestimmung des Praktischen. Steven Smith und Robert Williams verknüpfen „antimetaphysische Ausgangsbestimmungen“ mit der Theorie der Anerkennung. Im Rückgang auf die Jenaer Konzeption „rehabilitierte“ Ludwig Siep dieses Prinzip für den aktuellen praktischen Diskurs. Siep zeigt, wie Hegels Jenaer Systemkonzeption für die Sozialphilosophie der Gegenwart fruchtbar zu machen ist. Im Vergleich zur späten Rechtsphilosophie erweist sich die Jenaer Anerkennungslehre als für die gegenwärtige praktische Philosophie insofern ergiebiger, als hier der Versuch unternommen wird, „ein erklärendes und beurteilendes System von Institutionen zugleich als Prozeß der Bildung eines vernünftigen Verhältnisses von einzelnem und allgemeinem Willen als historische Genese solcher Institutionen darzustellen“79 . Die späte Darstellung des objektiven Geistes löse diese Einheit auf, ohne dass dadurch allerdings die Anerkennung an systematischer Relevanz einbüße. Siep verweist darauf, dass zwar „die Rechtsphilosophie (...) die Sequenz ihrer Institutionen nicht mehr als eine systematische Folge von Anerkennungsstufen bestimmt – und insofern Anerkennung als Prinzip an Bedeutung verliert, daß aber andererseits ihrer Bestimmung von Sittlichkeit und Freiheit ein in sich konsistenter systematischer Anerkennungsbegriff zugrunde liegt, dem auch die entsprechenden Institutionen zugeordnet werden können“. Mit der Inanspruchnahme eines Prinzips der „Anerkennung“ erheben diese Interpretationen den Anspruch, den Geltungsbereich dieser Regeln zu sichern. Klärungsbedürftig bleibt in diesem Zusammenhang allerdings das Verhältnis dieser Prinzipien zu den faktischen Normbereichen bzw. der Sphäre objektiver Rechtsgestalten. Mit Blick auf diese Alternativen einer Grundlegung einer praktischen Philosophie hat die nachfolgende Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie vorrangig folgende Probleme zu klären.

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L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg i.Br. / München 1979, 285. Das folgende Zitat op. cit., 288.

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Erstens ist die Frage nach Hegels Konzeption einer praktischen Philosophie durch die Präzisierung des systematischen Ortes der Hegelschen Darstellung insbesondere mit Blick auf das enzyklopädische System zu klären: Mit der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften legt Hegel 1817 einen Systemaufriss vor, der die Einheit der Vernunft (bzw. des Absoluten) über den Ausweis verschiedener Wissensgestalten („subjektiver“, „objektiver“ und „absoluter Geist“) zur Darstellung bringt. Mit dem enzyklopädischen ‚System‘ der Philosophie versucht Hegel zu zeigen, wie die Stellung des Menschen in der natürlichen und kultürlichen Welt als Einheit verstanden werden kann, die auf notwendigen Differenzen aufbaut. Zu diesen Differenzen gehört die Einsicht, dass die Bedingungen für ein Verantwortung tragendes freies Handeln von den Bedingungen des Wissens und der Wahrheit unterschieden werden müssen. Gleichwohl sind Wissen und Handeln nicht vollständig isolierbar, beide haben im menschlichen Bewusstsein und Willen ihren Grund. Zur Sicherung dieser Einheit verschränkt Hegels Darstellung zwei Prinzipien miteinander: Die enzyklopädischen Wissensformen werden sowohl als Entäußerungen eines „absoluten Geistes“ wie auch als Bewusstseins- bzw. Willensgestalten entwickelt. Sollen die als Entäußerungen des „absoluten Geistes“ charakterisierten Bestimmungen nicht willkürlich und beliebig sein, so müssen sie auf die Bewusstseins- und Willensgestalten rückführbar bzw. als deren Moment explikabel sein. Im Rückgriff auf die enzyklopädische Darstellung entwickelt Hegel in den Berliner Vorlesungsreihen die Gestalten des absoluten Geistes. ‚Ästhetik‘, ‚Philosophie der Religion‘ und ‚Geschichte der Philosophie‘ in eigenständigen Darstellungen. Das Verhältnis der enzyklopädischen Darstellung der Formen des absoluten Geistes zur Darstellung dieser Gestalten in den Berliner Vorlesungszyklen wurde von Hegel ebenso wenig problematisiert wie das Verhältnis der enzyklopädischen Wissensformen zu den realphilosophischen Gestalten der Vorlesungen. Ähnliche Unklarheiten bestehen hinsichtlich der enzyklopädischen Lehre vom objektiven Geist und der Darstellung dieses Stoffes in den Vorlesungen über „Naturrecht und Staatswissenschaft“. Soll der systematische Ort der praktischen Philosophie bestimmt werden, so muss das Verhältnis der enzyklopädischen Bestimmungen zur Darstellung der Grundlinien geklärt werden.80 Von zentraler Bedeutung für diese Klärung ist der Hegelsche Rechtsbegriff. Denn mit der „Idee des Rechts“ entwickelt Hegel ein für die praktische Philosophie eigenständiges Prinzip. Ausgangspunkt für die Konzeption der „Idee des Rechts“ bildet die enzyklopädische Wissensgestalten ‚Recht‘. Hegel schränkt die Bedeutung dieser Wissensgestalt allerdings ein, 80

Auch A.T. Peperzak betont, dass das Verhältnis zwischen Encyklopädie und Rechtsphilosophie erst auf der Grundlage systematischer Studien, die das Anliegen beider Werke rekonstruieren, geklärt werden kann. Mit den Studien Hegels praktische Philosophie (Stuttgart 1991) zur Encyklopädie und Modern Freedom (Dordrecht 2001. Vgl. insb. 110ff.) zu den Grundlinien hat Peperzak hierzu die Voraussetzungen geschaffen.

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wenn er in der zweiten Auflage der Encyklopädie vom „abstrakten Recht“ spricht. Demgegenüber erhält die „Idee des Rechts“ in den Grundlinien eine für die moderne Sittlichkeit konstitutive Funktion. Zweitens ist das konstitutive Prinzip dieser Grundlegung einer praktischen Philosophie zu entwickeln. Der Rekonstruktion der Hegelschen Konzeption der „Idee des Rechts“ kommt hier zentrale Bedeutung zu. Leitfaden für die Darstellung dieses Grundprinzips der praktischen Philosophie bildet der Begriff des Willens. Hegel entwickelt den Begriff des Willens in der Einleitung zu den Grundlinien aufbauend auf dem enzyklopädischen Begriff des „freyen Willens“. Mit dem in der Einleitung entwickelten erweiterten Willensbegriff formuliert Hegel einen gegenüber der Encyklopädie eigenständigen Ausgangspunkt für die rechtsphilosophische Grundlegung einer praktischen Philosophie. Auf dieser Basis soll es möglich werden, im Unterschied zur enzyklopädischen Darstellung des Rechtsbegriffs (Recht als Wissensgestalt) Recht nicht als Reflexionsbegriff sondern als Wirklichkeit zu entwickeln. Für die Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie ist diese Verknüpfung des Begriffs des Willens mit den Bestimmungen der „sittlichen Substanz“ (Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat) herauszuarbeiten. Von zentraler Bedeutung ist dabei Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Recht, Wille und sittlicher Substanz. Drittens unterscheidet Hegel im Rahmen der Darstellung der Idee des Rechts zwischen bloß möglichen Rechtsformen und wirklichen Rechtsgestalten: Das „Abstrakte Recht“ wie auch die „Moralität“ werden als bloß mögliche Rechtsformen von den Gestalten der Sittlichkeit als wirklichem Recht unterschieden. Hegel muss die Berechtigung zu dieser Unterscheidung erweisen, indem er zeigt, dass diese Unterscheidung aus der sittlichen Praxis selbst hervorgeht. Es ist die sittliche Praxis, die „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ als Formen der Freiheit entwirft. Diese Praxen verharren aber nicht in einem bloßen Sollen, sondern verwirklichen Freiheit als Dasein in exemplarischen Gestalten (Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat). Für Hegel erschließt die philosophische Konstruktion diese Wirklichkeiten am Leitfaden des Rechtsbegriffs neu. Der erste Teil der Grundlinien klärt die Bedingungen, die es ermöglichen, das Besitzen einer Sache nicht als naturhaftes Geschehen, das der Subsistenzsicherung dient, zu begreifen, sondern als Realisierung von Freiheit. In radikaler Zurückweisung aller Eigentumslehren die vom Menschen als Bedürfniswesen ausgehen, erklärt Hegel die Abstraktion „der Mensch ist Person“ zur unabdingbaren Voraussetzung des Eigentums als Rechtstitel. Die Bestimmung des Menschen als Person geht aus der Abstraktion von allen konkreten Bestimmungen hervor. Sie ist unabdingbare Voraussetzung für die Bestimmung des Eigentums als Rechtsform, und d.h. als einer Form, in der das Individuum selbstbestimmt ‚handelt‘. Die Defizite dieser Rechtsform verweisen auf die Notwendigkeit, nicht nur ausgehend von der „Person“ als abstrakter Allge-

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RECHTSPHILOSOPHIE ALS PRAKTISCHE PHILOSOPHIE?

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meinheit, sondern ausgehend von der subjektiven Besonderheit (von der die Person ja ausdrücklich abstrahiert), die Bedingungen der Realisation von Freiheit zu klären. Der zweite Teil der Grundlinien, der Abschnitt „Moralität“, hat die Aufgabe, die Bedingungen zu klären, die Handeln als Verwirklichung von Freiheit begreifbar werden lassen. Im „Notrecht“ veranschaulicht Hegel den Konflikt zwischen dem bloßen Dasein der Freiheit im Eigentumsrecht und der Verwirklichung von Freiheit in den Zwecksetzungen des handelnden Subjekts. Die Begrenztheit beider Formen der Freiheitsverwirklichung führt die rechtsphilosophische Konstruktion zur Formulierung neuer Bedingungen der Freiheitsverwirklichung: Ein besonderer Handlungstyp, der als Handlung des Einzelnen das Allgemeine verwirklicht. Die Rechtsform dieses Handlungstyps ist zwar begrifflich gesichert, die Wirklichkeit dieser bloß möglichen Formen von Freiheit ist für Hegel nur an exemplarischen Gestalten zu rekonstruieren. Das rekonstruierte Rechtsprinzip beansprucht somit zwar normative Geltung, seine Wirklichkeit als geltende und verpflichtende Rechtsgestalt ist für Hegel aber nur in konkreten geschichtlichen Gestalten konstituierbar. Die Realisierungsbedingungen (der Mensch als Person und Subjekt) lassen grundsätzlich eine Vielzahl von Verwirklichungsgestalten zu. Die Philosophie hat die Aufgabe im Rahmen der „Philosophie des Rechts“, die Wirklichkeit dieser Rechtsformen an exemplarischen Gestalten zu rekonstruieren. Hegel übernimmt diese Aufgabe im dritten Teil der Grundlinien in der Darstellung der „Sittlichkeit“. Dieser Abschnitt nimmt die entwickelte Rechtsform zum Leitfaden für die Konstruktion der Wirklichkeit dieser Rechte in konkreten Handlungsformen. Hegels Konstruktion verschränkt hier Normenbegründung und Analyse bestehender Handlungsformen. Diese Verschränkung soll hier rekonstruiert werden mit dem Ziel das Hegelsche Konzept einer praktischen Philosophie zu entwickeln, das weder auf Normenbegründung zugunsten von Praxisnähe verzichtet noch ein Praktischwerden der Normen auf Kosten der Geltungsbegründung verhindert. Für die Realisierung dieses Programms stellt Hegel zunächst abstrakte (bloß mögliche) Rechtsformen dar. In diesem Zusammenhang ist in der Forschungsliteratur auf die Nähe dieser abstrakten Rechtformen zu historischen Rechtsgestalten verwiesen worden. Die vorliegende Arbeit wird die systematische Funktion dieser ‚Geschichtsnähe‘ herausarbeiten, mit dem Ziel, die These von der Verschränkung von Normenbegründung und Analyse von Handlungsformen zu veranschaulichen. Gegen den Rechtsbegriff der historischen Rechtsschule zeigt Hegel, dass eine deskriptive Darstellung von Rechtsformen immer schon bestimmte normative Voraussetzungen in Anspruch nehmen muss. Erster und zweiter Abschnitt der Grundlinien haben die Aufgabe, diese die Normativität des Rechts ermöglichenden Bedingungen herauszuarbeiten. Dass und wo diese Bedingungen erfüllt sind, demonstriert Hegel im dritten Abschnitt an den sittlichen Gestalten Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Hegel entwickelt diese Gestalten als für das Subjekt verbindliche Handlungsformen (Pflichten), indem er zeigt, dass diese Gestalten das Dasein des Rechts bzw. für das Individuum die Wirklichkeit von Freiheit sicherstel-

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REHABILITIERUNG DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE

len. Für die Rekonstruktion der Hegelschen Argumentation ist es von zentraler Bedeutung, die systematische Rolle der ‚geschichtlichen Gestalten‘ des römischen Rechts im Abschnitt „Abstraktes Recht“, der Innerlichkeit des Christentums im Abschnitt „Moralität“ und des preußischen Staates im Abschnitt „Sittlichkeit“ zu klären. Dabei wird sich zeigen, dass der Abschnitt „Sittlichkeit“ und dies gilt insbesondere das Kapitel „Weltgeschichte“ die geschichtliche ‚Wirklichkeit‘ in exemplarischer Weise heranzieht: Tritt der normative Rechtsbegriff in den ersten Abschnitten der Wirklichkeit als ein Sollen gegenüber, so konstruiert Hegel an den Gestalten der Sittlichkeit die Wirklichkeit von Freiheit. Inwieweit Hegel hier gezwungen ist, auf ein teleologisches Geschichtsmodell zurückzugreifen, wird zu prüfen sein. Die Erarbeitung dieser Thesen orientiert sich am Aufbau der Grundlinien, dabei wird allerdings kein Textkommentar angestrebt. Vielmehr steht die Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie als einer praktischen Philosophie, die die Konstruktion normativer Prinzipien mit der Analyse konkreter Handlungsformen verschränkt, im Vordergrund. Die Verschränkung dieser beiden klassischen Aufgabenfelder der praktischen Philosophie soll nachfolgend herausgearbeitet und hinsichtlich der argumentativen Konsistenz geprüft werden. In einem ersten Schritt wird zunächst der Hegelsche Rechtsbegriff (Kapitel 3 und 4) rekonstruiert, und zwar vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Rechtskonzeptionen. Hegels Bestimmung des Rechts als das Dasein der Freiheit rekurriert auf den Handlungsbegriff, der als das zweite Grundprinzip der Grundlinien (Kapitel 5) für Hegels Konzeption entscheidend ist. Die Begrenztheit individuellen subjektiven Handelns mit Blick auf die Verwirklichung von Freiheit macht es notwendig, jene Rechtsgestalten, die konstitutiv für das individuelle Handeln sind, als Produkte freien Handelns zu begreifen. Die geschichtlich tradierten Handlungstypen (Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat) entwickelt Hegel als Gestalten der Wirklichkeit der Freiheit (Kapitel 6 und 7). Die Frage inwieweit „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ für Hegels praktische Philosophie lediglich exemplarische Gestalten freien Handelns sind oder aber unverzichtbare Gestalten für die Realisierung von Freiheit, verweist auf die abschließende Darstellung der „Weltgeschichte“ in Rahmen der Sittlichkeit (Kapitel 8). Ob die Verbindlichkeit der Rechtsprinzipien an diese Gestalten gekoppelt ist, oder ob diese Prinzipien auch für andere Gestalten Verbindlichkeit begründen können, soll im abschließenden Kapitel im Rahmen der Auseinandersetzung um die Hegelsche Konzeption der Rechtsphilosophie als praktische Philosophie (Kapitel 9) entschieden werden.

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3. NATURRECHT UND PHILOSOPHIE DES RECHTS

3.1 Die Rahmenbedingungen Das neuzeitliche Naturrecht setzt, so konstatiert Hegel in seinem Jenaer Naturrechtsaufsatz, die Trennung zwischen physischer und moralischer Welt voraus. Hegel verweist hier auf einen Gegensatz, den bereits von Samuel Pufendorf hervorhebt.81 Ob Pufendorf Hegels Gewährsmann in dieser Sache ist, ist fraglich. Für die Zeitgenossen Hegels ist es vor allem Kants Konzeption einer praktischen Vernunft, die auf der Trennung zwischen der Gesetzgebung der Natur und der Gesetzgebung der Freiheit basiert. Kant unterscheidet zwischen theoretischer und praktischer Vernunft sowohl hinsichtlich des Begründungsprogramms (Kritik) als auch mit Blick auf den Normbereich (Metapysik der Natur und Metaphysik der Sitten). Mit dieser Trennung zieht Kant die Konsequenz aus der allmählichen Auflösung der antiken naturteleologischen Vorstellung von der Natur als dem einheitlichen Seinsgrund alles Lebendigen. Noch im Rahmen des Hobbesschen „System der Philosophie“ bleibt das menschliche Handeln in den Gesamtzusammenhang der „Natur“ oder „Schöpfung“ eingebettet. Dabei reduziert Hobbes den Naturbegriff allerdings auf physikalische Merkmale. ‚Freiheit‘ als Ursache einer Bewegung bleibt den physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterstellt, die Isolierung einer rein moralischen Sphäre als Basis für das neuzeitliche Naturrecht erübrigt sich. Erst die Bestimmung der Freiheit als positives Vermögen fordert praktische Vernunft als eigenständige Sphäre, deren Gesetzmäßigkeiten in gleicher Weise Allgemeingültigkeit beanspruchen, wie die Gesetze der Theorie. Auf der Basis des „moralischen Gesetzes“ deduziert Kant in der Metaphysik der Sitten ‚Recht‘ als Recht der Vernunft, das „zu aller positiven Gesetzgebung die unwandelbaren Prinzipien der Gerechtigkeit“ bereitstellt (MdS, §A, §36; WA VIII, 336). Dieses durch Abgrenzung von der „Natur“ gewonnene Vernunftrecht hat eine zweite Trennung zur Konsequenz, die Trennung von den positiven Gesetzen. Die Notwendigkeit zwischen praktischer und theoretischer Sphäre zu unterscheiden, ergibt sich für Kant aus der Auseinandersetzung mit dem Problem der „Triebfeder“ des Handelns. Um eine bestimmte Handlungsweise verbindlich zu machen, genügt das bloße Wissen um das geforderte Gute nicht. Mit der praktischen Vernunft als der „Triebfeder“ zum Handeln erweitert Kant seine Konzeption des Wissens und distanziert sich von jenen Konzeptionen, 81

Für Pufendorf führt die „Säkularisierung des Naturrechts“ zu dieser Trennung. Vgl. H. Denzer: „Leben, Werk und Wirkung Samuel Pufendorfs“. In: Zeitschrift für Politik 30 (1983), 160-176; hier 166.

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für die „Neigung“ bzw. „Glücksstreben“ die einzigen „praktischen“ Motive bilden. Kants Konzeption der praktischen Vernunft ermöglicht den Verzicht auf natürliche Sozialimpulse (Aristoteles, Stoa oder Pufendorf) bzw. ein Lebens- oder Glücksverlangen (Hobbes) als Motor oder Triebfeder für die Unterwerfung unter rechtliche Normierungen. Für die Forderungen der Französische Revolution nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bildete die vernunftrechtliche Legitimation des Naturrechts eine unverzichtbare Grundlage. Die europäische Restauration fordert im Gegenzug den Verzicht auf ein vom positiven Recht unterschiedenes Vernunftbzw. Naturrecht mit normativer Funktion. Im deutschen Sprachraum ist es Gustav Hugo und die von ihm gegründete Historische Rechtsschule, die sich für die Aufhebung der Unterscheidung zwischen positivem Recht und Vernunftrecht stark macht. An die Stelle einer vernunftrechtlichen Legitimation soll die Legitimierung des geltenden Rechts durch den Nachweis der historischen Wurzeln treten. Die Aufgabe einer Philosophie des Rechts beschränkt sich für Hugo auf die methodischen Probleme einer Aufarbeitung des positiven Rechts im Rahmen der Rechtsgeschichte. Diese Auseinandersetzung um das Vernunftrecht bildet den Hintergrund für Hegels Konzeption der Grundlinien der Philosophie des Rechts. Ein Werk, das in dem Nebentitel „Naturrecht und Staatswissenschaft“ zwar die beiden Problemfelder benennt, ohne allerdings deutlich zu machen, in welchem Verhältnis hier positives und überpositives Recht stehen. Hegel hat den Titel „Naturrecht und Staatswissenschaft“ bereits für die Ankündigung der Heidelberger Vorlesung (WS 1817/18) benutzt und auch nach Abschluss der Grundlinien diesen Titel als Zweit- oder Nebentitel beibehalten.82 Keineswegs darf der gängige Haupttitel „Philosophie des Rechts“ als Abkehr von der naturrechtlichen Position und als Hinwendung zu einem rein rechtsgeschichtlichen Ansatz verstanden werden. In der Rezeption der Grundlinien dominiert dieses Verständnis allerdings von Anfang an. Unter den Zeitgenossen fanden die naturrechtskritischen Gesichtspunkte der „Philosophie des Rechts“ weitaus größeres Interesse als das normative Anliegen Hegels. Diese Sicht wurde durch die breite Rezeption der enzyklopädischen Darstellung des objektiven Geistes begünstigt. In der enzyklopädischen Darstellung ‚überbieten‘ die Wissensgestalten des absoluten Geistes, Kunst, Religion und Philosophie den „Wahrheitsanspruch“ der objektiven Geistgestalten. Ist es das Programm der 1817 erstmals erschienenen Encyklopädie, die Gestalten des Wissens darzustellen, so grenzt Hegel das Anliegen der Philosophie des Rechts von dieser Darstellung ab. Hier geht es um einen Leitfaden für die kritische Begründung von Normen. Dieser Anspruch der Rechtsphilosophie wird durch die enzyklopädische Darstellung verstellt, wo im Rahmen der Prüfung des Wahrheitsanspruchs einer Gestalt auch die Wissensgestalten des objektiven Geistes herangezogen werden. 82

Zur Entwicklung der Titelgebung vgl. den „Editorischen Bericht“ in GW 14.2.

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DIE RAHMENBEDINGUNGEN

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Die Differenzen, die zwischen der Prüfung des Wahrheitsanspruchs einer Aussage und der Prüfung der Geltungsbedingungen praktischer Verpflichtungen bestehen, haben Kant dazu veranlasst, die praktische Sphäre unabhängig von der Kritik der reinen Vernunft in einer eigenständigen Kritik zu untersuchen. In Jena kritisiert Hegel die Trennung von Natur und Moral durch das neuzeitliche Naturrecht. Unter dem Titel „Sittlichkeit“ versucht Hegel die im modernen Naturrecht gesetzten Differenzen zwischen Natur und Moral, zwischen empirisch positivem Recht und Vernunftrecht in einer Gesamtkonzeption zu vereinigen. Dieses Programm, die praktische Philosophie auf „Sittlichkeit“ zu verpflichten, ist Teil des Hegelschen Anliegens die Einheit der Philosophie durch die Verpflichtung auf die Ganzheit des Lebens zu bewahren. Gegen die Aufspaltung der Philosophie in theoretische und praktische stellt Hegel das Programm, den Gegenstand der philosophischen Reflexion zunächst als Einheit zu begreifen (Darstellung des „Absoluten der Idee“). Hegel hält es in diesem Zusammenhang für unverzichtbar, das Verhältnis zwischen „Sittlichkeit“ und „absoluter Idee“ zu bestimmen. Hegels Anspruch, mit den Grundlinien die Grundlegung einer praktischen Philosophie zu leisten, soll zunächst im Rückgriff auf Hegels Jenaer Konzeption eines Naturrechts (3.2) und dann in Abgrenzung von zeitgenössischen Konzeptionen (3.3 und 3.4) entwickelt werden. Auf dieser Grundlage ist die Lehre vom objektiven Geist als „Philosophie des Rechts“ zu entwickeln (4).

3.2 Naturrecht versus Sittlichkeit Hegel trägt in dem Jenaer Aufsatz über die Wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (Naturrechtsaufsatz)wie auch in dem etwa zeitgleich entstandenen Manuskript System der Sittlichkeit eine grundlegende Kritik am modernen Naturrecht vor. Den Ausgangspunkt für die Kritik an den zeitgenössischen „Behandlungsarten des Naturrechts“ bildet die Feststellung, dass die Wissenschaft des Naturrechts eine Ablösung von der Philosophie anstrebt, um als selbständige Wissenschaft zu gelten. Diese Verselbständigung impliziert für Hegel die Preisgabe des Anspruches, wahrhaftes Wissen zu begründen. Denn, um sich nicht dem Metaphysik-Verdacht auszusetzen, reduzieren die neuen Disziplinen den wissenschaftlichen Anspruch auf das Sammeln empirischer Fakten. Gegen diese zeitgenössische „Behandlungsart“ des Naturrechts stellt Hegel seine Konzeption von Naturrecht, die die empirischen Fakten zwar berücksichtigt, sie aber in einen Gesamtansatz aufnimmt und dadurch mit dem „Absoluten“ vereinigt. Das neuzeitliche Naturrecht stellt die philosophischen Behandlung des Naturrechts vor eine zweifache Aufgabe: Sie muss zum einen das Verhältnis des Vernunftrechts zu den empirischen Erscheinungsformen

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des Rechts bestimmen, zum anderen ist das Vernunftrecht mit Blick auf das, was Hegel „Sittlichkeit“ nennt, das ist die Gesamtheit der lebensweltlichen Verbindlichkeiten und Pflichten, auszuweisen. Es ist der Philosophie selbst zuzuschreiben, dass das Naturrecht nicht mehr, wie in der Vergangenheit fester Bestandteil der Philosophie des Praktischen ist, sondern als eigenständige Wissenschaft etabliert wird. Hat doch die Philosophie in Gestalt der kritischen Philosophie auf den Anspruch, eine Gesamtheit oder Ganzheit zu erkennen, verzichtet. Mit der Unterscheidung zwischen intelligibler und phänomenaler Welt wird das „Absolute“ als Mensch bestimmt (vgl. Naturrechtsaufsatz 419/92). Das so bestimmte Absolute führt allerdings nicht zur Einsicht in die Einheit oder Totalität dieser Sphäre. Vielmehr bleibt das positive oder dogmatische Wissen „im Gegensatz und in der Negativität“ stehen. Der Verzicht auf eine Integration von Vernunft- oder Naturrecht, Willkür und positivem Recht in eine lebendige Sittlichkeit gibt die ureigenste Aufgabe der Philosophie preis. Wird das positive Wissen nicht mit dem Begriff, mit „dem Logischen“ vereinigt und „in das rein Ideelle“ aufgenommen, so kann auch das Prinzip des Naturrechts nicht „nach seinem höheren Zusammenhang“ erkannt werden. Im Gegenzug bricht das Positive selbst in die Philosophie des Rechts ein. Da die praktische Philosophie die Darstellung des Zusammenhangs von Empirie und Begriff verfehlt, kann „sie gegen ihre Grenzen nur empirisch sich verhalten“ (Naturrechtsaufsatz 418/91). Den modernen Behandlungsarten des Naturrechts stellt Hegel seine Konzeption der praktischen Philosophie entgegen, in der das Absolute als Sittlichkeit bestimmt wird. Mit dieser Konzeption der Sittlichkeit sollen die Schwierigkeiten überwunden werden, mit denen eine vernunftrechtliche Konzeption des Rechts zu kämpfen hat, d.h. das Abgrenzungsproblem zwischen Vernunftrecht und empirischem Recht soll hier gelöst werden. Für die Rekonstruktion der Ganzheit der praktischen Sphäre als Einheit von Recht und Sittlichkeit wird die „Ganzheit der Natur“ Maßstab und Modell. Die Idee des Volkes als organische Einheit von Allgemeinem und Besonderem macht Hegel zum Ausgangspunkt für die Rekonstruktion dieser Einheit des Praktischen. Mit Blick auf das hier verfolgte Problem interessieren hier vor allem zwei Fragen: 1. Wie bestimmt Hegel das Recht in diesem Zusammenhang und inwiefern ist dieser Rechtsbegriff auch für die spätere Konzeption der Grundlinien maßgeblich? 2. Welche Funktion hat dieser Rechtsbegriff im Kontext des Programms, die praktische Philosophie als Lehre von der Sittlichkeit zu entwickeln? Die Frage nach der Gültigkeit der Jenaer Kritik am modernen Naturrecht auch für die späte Konzeption der Grundlinien wird von der Forschung kontrovers beurteilt. Meist wird unterstellt, Hegel gehe in seiner späteren Konzeption nicht vom „Naturzustand“ der sittlichen Welt, sondern vom „selbständigen Selbstbewußtsein“ aus. Dieser Wandel käme einer vollständigen Abkehr von der Jenaer Konzeption gleich. Die Abkehr zeichne sich bereits in den Jenaer Systementwürfen III (1805/6) ab. Fortan bestimme die Orientierung an Fichte und die Auseinandersetzung mit Hobbes den Ansatz der praktischen

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NATURRECHT VERSUS SITTLICHKEIT

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Philosophie. Diese neue Orientierung führe Ende der zwanziger Jahre zur Konzeption der „Philosophie des Rechts“. Diese These, Hegel habe seine frühe Jenaer Kritik am Naturrecht spätestens in den Grundlinien preisgegeben, ist in pointierter Form von M. Riedel vorgetragen worden. Für die Entwicklung der späten „Philosophie des Rechts“ ist, so Riedel, die Ausgliederung aller Naturbestimmtheit aus der praktischen Sphäre konstitutiv.83 Für Riedel tritt Hegel mit dieser Trennung das Erbe Hobbes an. Die frühere Orientierung an der Aristotelischen Konzeption des Praktischen als einer „zweiten Natur“, die noch für den Naturrechtsaufsatz und das System der Sittlichkeit maßgeblich war, wird preisgegeben. Für Aristoteles und die an ihn anknüpfende Tradition beruht die „deutera physis“ auf Sitte und Gewohnheit.84 Diese zweite Natur bringt die Polissittlichkeit hervor. Gesetzgebung bzw. Rechtssetzungen sind auf der Basis dieser Polissittlichkeit zu entwickeln und lassen sich nicht auf das autonome Selbst zurückführen. So ist es für Riedel nur konsequent, wenn Hegel im Paragraph 258 der Rechtsphilosophie Rousseau das Verdienst anrechnet, „ein Prinzip, das (...) dem Inhalt nach Gedanke ist, und zwar das Denken selbst (...) nämlich den Willen als Prinzip des Staates aufgestellt zu haben“ (Grundlinien, 209; GW 14.1, 202). Rousseau habe das Innerste des Menschen, die Freiheit als „Einheit seiner mit sich“ zur Grundlage des Rechts erhoben und ihm damit gegenüber der Natur bzw. dem auf sie übertragenen Willen Gottes eine “unendliche Stärke“ gegeben.85 Die Frage, ob letztlich für die Konzeption der Grundlinien von einem Bruch mit der Jenaer Sittlichkeitskonzeption auszugehen ist oder nicht, soll nachfolgend durch die Klärung der zentralen Begriffe entschieden werden. Vorrangig geht es um die Frage, inwieweit die hier unterstellte Alternative „Wille“ versus „Natur“, bzw. „Sittlichkeit als Gestalt des Absoluten“ versus „Recht“ Hegels Konzeption in adäquater Weise erfasst. Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes und Rousseau wird hier Klarheit bringen. Inwieweit die Übernahme des Willensbegriffs eine Fortführung des ursprünglichen Jenaer 83

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Dass die fundamentale Differenz zwischen Natur und Geist für den späten Ansatz Hegels bestimmend ist, zeigt sich, so Riedel in der Einleitung zu den Grundlinien, wo Hegel zwischen den Rechtsgesetzen als den von Menschen „gesetzten“, wandelbaren Gesetzen und den unwandelbaren Gesetzen der Natur unterscheidet (vgl. Riedel: „Natur und Freiheit“). Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Deutung Riedels Hegels Intention adäquat erfasst, wird hier zunächst zurückgestellt. Fragwürdig ist die genannte Textstelle nicht nur hinsichtlich ihrer Authentizität (so findet sich das Zitat in den Gansschen Vorlesungs-Ergänzungen), sondern auch im Vergleich mit den entsprechenden Bemerkungen im Haupttext der Grundlinien (vgl. §4). Dort zeigt sich, dass Hegel mit dieser Trennung keineswegs die eigene Position referiert, vielmehr geht es ihm um die Darstellung verbreiteter Ansichten zu dieser Frage. Die jüngere Aristoteles-Forschung kommt allerdings zu einer anderen als der hier von Riedel vorgetragenen Deutung, die letztlich wohl auf Schleiermacher zurückgeht. Vgl. etwa G. Bien: „Einleitung. Vernunft und Ethos. Zum Ausgangsproblem der Aristotelischen Ethik“. In: Nik. Ethik, XXII-LIX; sowie U. Wolf: Aristoteles’ ‚Nikomachische Ethik‘. Darmstadt 2002, 156f. Riedel stützt sich hier auf eine Textstelle aus den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Werke Bd. 19, 527).

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Ansatzes verhindert, wird in diesem Zusammenhang ebenfalls zu prüfen sein. Wie „Willensbegriff“ und „Sittlichkeitskonzeption“ in einer Konzeption des Praktischen zu vereinigen sind, wird in einem weiteren Schritt verdeutlicht.

3.3 Natur versus Wille – Die zeitgenössischen Naturrechtskonzeptionen Es ist das Verdienst von Hobbes, so Hegel, im überlieferten Titel des Naturrechts eine „Zweideutigkeit“ entdeckt zu haben: Der Ausdruck ‚Natur‘ enthält die Zweideutigkeit, dass darunter zum einen der Begriff, das Wesen von etwas verstanden wird, zum anderen steht ‚Natur‘ aber auch für die bewusstlose unmittelbare Natur als solche. „Unter ‚Naturrecht‘ hat nun das Recht verstanden werden sollen, welches vermöge der unmittelbaren Natur gelte“ (Nachschrift Wannenmann, §2, 6). Mit dem Willen führt Hobbes ein Prinzip ein, das mittels der rechten Vernunft (recta ratio) handlungsbestimmend wird und sich gegen die Natur wendet. Allerdings ist diese Unterscheidung zwischen ‚Natur‘ und ‚rechter Vernunft‘, wie Hegel kritisiert, nicht scharf genug. So bleiben in Hobbes’ Konzeption „natürliche“ Herrschaftsverbände neben den auf Vernunft, die von Hobbes im Sinne der recta ratio verstanden wird, beruhenden Verträgen bestehen. Erst Rousseau, der die geistige Natur des Menschen als Vernünftigkeit und Freiheit deutet, spricht dem Menschen einen Willen zu, der es ihm ermöglicht, aus allen natürlichen Zusammenhängen herauszutreten. Vor diesem Hintergrund vermag Rousseau grundsätzlich jede Herrschaft in Frage zu stellen und als der Legitimation bedürftig zu begreifen. Rousseau setzt sich mit dieser Konzeption deutlich vom theologisch fundierten Naturrechtsverständnis der Tradition ab. Auf der Basis einer Neubestimmung der Natürlichkeit des Menschen als Vernünftigkeit/Freiheit lässt sich für Rousseau Herrschaft weder durch positives Recht noch durch Naturrechte rechtfertigen. Legitimer Rechtfertigungsgrund jeglicher Herrschaft ist allein die Anerkennung durch den freien Willen des Subjekts. Diese Neubestimmung der Natürlichkeit bereitet Hobbes’ Anthropologie vor, wenn Hobbes für die Bestimmung des Menschen auf alle theologischen Erklärungsmodelle verzichtet. Die erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen der „Elementa Philosophia“ sind für die Konzeption des Praktischen konstitutiv: Im dreigliedrigen Aufbau des Systems folgen auf die Lehre Vom Körper, die Darstellungen Vom Menschen und Vom Bürger: „Der erste Teil behandelt die Erste Philosophie und einige Elemente der Physik, der zweite Teil handelt von der Einbildungskraft, dem Gedächtnis, dem Verstand“, der dritte Teil setzt sich zum Ziel „zu erkennen“, wie die menschli-

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NATUR VERSUS WILLE

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che Natur geartet ist, wieweit „sie zur Bildung des Staates geeignet ist oder nicht“.86 Den Leitfaden für die Explikation bilden die Bewegungsgesetze physikalischer Körper, denn auch der menschliche Körper ist den gültigen Naturgesetzen unterworfen. Die Gesetze physikalischer Körper bilden für Hobbes auch den Ausgangspunkt der Ethik. In Gestalt der ‚Selbsterhaltung‘ wird ein Gesetz der Physik zum obersten Prinzip menschlichen Handelns. Die Einhaltung des (physikalischen) Gesetzes wird zum Kriterium dafür, ob die Handlung einer Person als gut oder böse zu beurteilen ist. Eine freie Entscheidung über die Ziele des Handelns ist unter diesen Bedingungen nicht möglich.87 Der menschliche Wille verfügt gemäß dieser Konzeption nicht über die Freiheit, die Inhalte seines Wollens selbst zu bestimmen. Lediglich mit Blick auf die Wahl der Mittel für die Realisierung des vorgegebenen Zweckes (Selbsterhaltung) gibt es Spielräume für Handlungsfreiheit. Dass auch Rousseaus Konzeption sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, zeigt sich daran, dass auch für Rousseau menschliche Freiheit begrenzt ist: Der Mensch ist nicht frei, sein „Unglück zu wollen. Meine Freiheit besteht eben darin, dass ich nur das wollen kann, was mir angemessen ist“88. Diese ‚Naturteleologie‘ hat ihre Wurzeln in der aristotelischen Konzeption der Natur gegen die sich Rousseau in seiner Bestimmung des Menschen wendet. Konträr zur aristotelischen Definition des Menschen als zoon politikon und zoon logon echon ist für Rousseau Menschsein, so R. Spaemann, durch Asozialität und Sprachlosigkeit gekennzeichnet.89 „Sprache“ gehört weder zu den Naturbestimmungen des Menschen noch gehört sie zu den „entelechialen Bestimmung des Menschen“, sie wird von Rousseau vielmehr als Produkt der geschichtlich-sozialen Existenz des Menschen begriffen. „Geschichte selbst“, so Spaemann, „wird von Rousseau an als Heraustreten, als Emanzipation aus der Natur verstanden.“ Der dabei vorausgesetzte Naturbegriff gibt keinen Anhaltspunkt mit Blick auf die Frage, an welchen Inhalten sich die Erziehung des Menschen zu orientieren habe. Rousseau ersetzt diese Unbestimmtheit der Natur des Menschen durch den allen Bildungsinhalten vorgelagerten Zweck, eine „Steigerung des Daseinsgefühls“ zu erzielen. Maßstab für die Auswahl der ge86

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Vom Bürger, Vorwort an den Leser, 71. Im zweiten Teil der Elemente, der Schrift Vom Menschen, analysiert Hobbes, aufbauend auf den physikalischen Grundbestimmungen (Körper, Kraft etc.), den Begriff des Menschen hinsichtlich der ihm eigenen physikalischen Grundprinzipien. Die Lehre von der Unfreiheit des Willens, die These der Affektsteuerung des menschlichen Handelns und die Behauptung der Dominanz des Selbsterhaltungstriebes erweisen sich als die fundamentalen Prinzipien einer physikalisch-mechanistischen Handlungserklärung, die auch für den ethisch-politischen Teil dieses Systems bestimmend bleibt. Vgl. U. Steinforth: Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit. Darmstadt 1987, 73f.: „Freiheit ist für Hobbes immer ‚Handlungsfreiheit‘“ und als solche „die Abwesenheit äußerer Hindernisse und mit der Notwendigkeit des Geschehens verträglich.“ So Rousseau im „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“ (J.-J. Rousseau: Emil oder Über die Erziehung. München u.a. 51981, 293). Vgl. R. Spaemann: „Natürliche Existenz und politische Existenz bei Rousseau“. In: E.-W. Böckenförde u.a. (Hg.), Collegium Philosophicum. Basel / Stuttgart 1965, 373-402; hier 383.

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eigneten Bildungsmittel ist deren Tauglichkeit für die Realisierung dieses Zwecks. Für das im Emil entwickelte Erziehungsmodell eröffnet dieser Zweck verschiedene Handlungsoptionen. Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Bildungsinhalt ist für Rousseau nicht durch deren Vernünftigkeit zu rechtfertigen. Vielmehr bleibt die Bestimmung des Handelns bezogen auf die „fundamentale Naturbestimmung des Daseins“, das ist die „Intensität des Selbstgefühls“. Den Individuen steht es frei aus den vorgegebenen Bildungsinhalten jene zu wählen, die eine Steigerung der Intensität des Selbstgefühls versprechen. Dabei ist weder die Verpflichtung, diese Intensität des Selbstgefühls zu wollen, noch die Verpflichtung auf verbindliche Inhalte aus dem vorausgesetzten Willensbegriffs zu rechtfertigen. Unbefriedigend bleibt diese Konzeption des Willens mit Blick auf das Anliegen für alle verbindliche Handlungsziele aufzuweisen, und zwar losgelöst von religiösen oder natürlichen Bindungen. Die Rekonstruktion einer faktisch getroffenen Wahlentscheidung bleibt auf der Basis sowohl des empirischen wie auch des naturrechtlichen Handlungsbegriffs lückenhaft. Rousseaus Freiheitsbegriff steht für die freie Wahlentscheidung auf der Basis verschiedener Möglichkeiten und hat letztlich dezisionistische Konsequenzen: Die letzten Gründe der faktischen Handlungsbestimmung, „Selbstbehauptung“ oder „Steigerung des Daseinsgefühls“ bleiben der individuellen Willkür überlassen. Wenn Freiheit als das Vermögen gefasst wird, in Abhängigkeit von Vorgegebenheiten sich für oder gegen eine Sache zu entscheiden, so bleibt die Freiheit der Entscheidung jeweils auf die vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten und Zwecke bezogen und von ihnen abhängig.90 Den letztlich dezisionistischen Konsequenzen vermag allein eine Konzeption von Freiheit zu entgehen, die die Inhalte und Zwecke der Willensbestimmung selbst hervorbringt. Wenn Rousseau mit seinem Handlungskonzept die Naturbestimmung „Steigerung des Daseinsgefühls“ zum vorgegebenen Handlungsziel erhebt, so hat dies Konsequenzen auch für den Rechtsbegriff. Das politische Recht muss – da die Inhalte ja nicht durch Natur vorgegeben sind – das normativ gesollte Recht erst „schaffen“. Für eine Wissenschaft des Rechts bleibt daher einzig die Aufgabe, „das positive Recht bestehender Regierungen abzuhandeln“.91 Diese Form politischer Wissenschaft ist, so Rousseau, durch Montesquieu entwickelt worden. Eine Legitimation des positiv-politischen Rechts ist allein vom einfachen Bürger zu erwarten: Dessen „natürliche“ Erziehung gewährleistet den richtigen Zugang zur „Natur“ der Regierungsform. Die Grundbegriffe für die Prüfung der politischen Gesetze eines jeden Landes entnehmen wir „unmittelbar aus der Natur der Dinge selbst.“ Auf diese Weise wird der einzelne Bürger zur Prüf- und Legitimationsinstanz des geltenden Rechts. Das Hobbessche Konzept des Sozialvertrags als eines Schenkungsvertrages wird 90

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Hegel bestimmt diese Freiheit (im Anschluss an Kant) in der Einleitung zu den Grundlinien als „Willkür“. Rousseau: Emil, 505.

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damit allerdings untauglich, denn der „contract social“ konstituiert „einen Souverän, der aus allen besteht und alle gleich verpflichtet“.92 Das Revolutionäre dieser Konzeption liegt einmal in dem strikten Verzicht, die Regierenden mit Rechten gegenüber dem Souverän auszustatten, zum anderen in der Forderung nach „gleicher Teilhabe an der Staatsgewalt, das heißt [den] gleichen politischen Rechten“. Riedel beschreibt den Umdeutungsprozess, der sich zwischen der Hobbesschen und Rousseauschen Bestimmung des Willens vollzieht, als „Inversion der Teleologie der Natur – in die Subjektivität des sich selber wollenden und denkenden Rechtssubjekts“93. Hegel hat diese Abwandlung des Hobbesschen Modells durch Rousseau erkannt und als die wichtigste Voraussetzung seines eigenen Rechtsbegriffs übernommen: „Der absolute Wille ist dies, frei sein zu wollen. Der sich wollende Wille ist der Grund alles Rechts und aller Verpflichtungen und damit aller Rechtsgesetze, Pflichtengebote und auferlegten Verbindlichkeiten“ (Werke Bd. 12, 524). Für Rousseau führt das Sich-selber-wollen des Willens zur „Natur“, zum Selbstgefühl. Ziel seines Erziehungsprogramms ist es, alle natürlichen Fähigkeiten des Menschen zu entwickeln, um den Menschen zum Menschsein zu führen. Diese Form ursprünglichen Menschseins schließt in der Gegenwart faktisch das „Bürgersein“ aus, da es „eine öffentliche Erziehung“ nicht gibt und auch nicht mehr geben kann. „Denn wo kein Vaterland ist“, wo die ursprünglich gewachsene Gemeinschaft durch die der Natur widerstrebende Staatsformen abgelöst wird, „gibt es auch keine Bürger mehr“.94 Das Erziehungsmodell des Emil ist für Rousseau mit der Erziehung zum Bürger nicht zu vereinbaren. „Natur“ auf der einen Seite und „Recht“ und „Gesetz“ auf der anderen Seite sind unvereinbare Gegensätze. Die Defizite dieser Freiheitskonzeption mit Blick auf das Anliegender politischen Philosophie machen deutlich, dass weder der Rückgriff auf Hobbes noch die Rousseausche Willensbestimmung das geeignete Instrument ist, um diese Aufgabe zu lösen. Kant erhebt, Rousseaus Ansatz aufgreifend, die Autonomie des menschlichen Willens zum Ausgangspunkt der praktischen Philosophie und setzt damit einen Maßstab für zeitgenössische Bemühungen, die Normativität von Recht ohne Rückgriff auf vorgegebene göttliche bzw. natürliche Ordnungen zu rechtfertigen. Es ist notwendig, den Kantischen Willensbegriff bzw. seine auf dieser Grundlage entwickelte Rechtskonzeption unter der Rücksicht zu prüfen, a) wie weit Hegel hier die für seine Konzeption maßgebliche Erweiterung und b) die für eine Weiterführung der Naturrechtskritik zureichende Basis findet.

92

93 94

W. Lübbe: „Rechtsgleichheit“. In: Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch. Bd. 8. Basel 1992, Sp. 272-278; hier 275; das folgende Zitat 276. Riedel: „Natur und Freiheit“, 114. Rousseau: Emil, 13.

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3.3.1 Kants Rechtsbegriff Noch 1781 war Kant der Überzeugung, dass die Kritik der reinen Vernunft (KrV) eine Propädeutik zur ‚Metaphysik der Natur‘ und zur ‚Metaphysik der Sitten‘ liefert. Die Notwendigkeit, die Kritik der reinen Vernunft durch eine zweite Kritik zu ergänzen, zeigt sich an dem für das Praktische abweichenden Gesetzesbegriff. Die zunehmende Klarheit über die Differenzen des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauchs führt Kant 1787 zu einer eigenständigen Kritik der praktischen Vernunft (KprV) und der ‚Deduktion‘ eines moralischen Gesetzes. Das Untersuchungsfeld dieser zweiten Kritik ist von der ersten Kritik mit den Grenzen der Verstandestätigkeit bereits umrissen worden: Es handelt sich hier um eine Gesetzgebung nicht des Verstandes sondern der Vernunft. Die Grenzziehung der reinen Vernunft mit Blick auf die Anwendung der Kategorien des Verstandes ermöglicht, die Lösung der Kritik der praktischen Vernunft von der Kritik der reinen Vernunft. Das in der Vernunft begründete moralische Gesetz führt im Zuge der Anwendung auf die menschlichen Handlungen zu einem System praktischer Grundsätze und zur Unterscheidung zwischen Rechts- und Tugendpflichten. Systematisch ist Kants Rechtsbegriff damit zum einen durch die Abgrenzung zweier Erkenntnisbereiche bestimmt. Noch eine weitere Unterscheidung wird allerdings für Kants Rechtskonzeption entscheidend. Kant trennt zwischen der Kritik als propädeutischer Philosophie und der Metaphysik als dem System der reinen Vernunft. Die Kritik prüft die Grundbegriffe der Vernunft hinsichtlich ihres rechtmäßigen Geltungsbereichs. Die Metaphysik führt diese Begriffe dann in einem System in ihrer ganzen Reichweite aus. Was ‚Ausführung‘ im praktischen Vernunftgebrauch heißt, muss allerdings erst geklärt werden, denn die Geltung des moralischen Gesetzes wurde ja in strenger Abgrenzung von allen empirischen Bestimmungen entwickelt. Der Status der in der Metaphysik der Sitten ausgeführten Grundbegriffe entspricht keineswegs dem der Grundbegriffe der Metaphysik der Natur. Neben der Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch gibt somit die Trennung von ‚kritischer‘ und ‚metaphysischer‘ Darstellungsform den Rahmen vor, innerhalb dessen Kant den Rechtsbegriff entwickelt. Beide Unterscheidungen sind für Kants Bestimmung des Naturrechts entscheidend: Mit der Unterscheidung zwischen einer Gesetzgebung der Natur und einer Gesetzgebung der Freiheit hebt Kant die bei Hobbes bestehende „Zweideutigkeit“ im Begriff des Naturrechts auf. Die Bestimmungen der Hobbesschen Anthropologie werden in der Kritik der reinen Vernunft zur einfachen Einheit des Selbstbewusstseins. Kants „Ich“ ist herausgelöst aus aller vorgegebenen Natur und bildet die unhintergehbare, schlechthin unabhängige Quelle aller allgemeinen Denkbestimmungen und aller vernünftigen Be-

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stimmungen des Willens.95 Die spezifischen Bedingungen unter denen der praktische Vernunftgebrauch steht, machen eine gesonderte Behandlung dieses Vermögens notwendig. Auch für die praktische Vernunft ist es notwendig, zwischen Propädeutik und System, d.h. zwischen Kritik und Metaphysik zu unterscheiden, und wiederum ist es Aufgabe der Kritik, alle anthropologischen Bestimmungen von der praktischen Gesetzgebung auszuschließen. Die Unterscheidung zwischen Metaphysik und Kritik ist für die Festlegung des Geltungsbereichs des Rechtsbegriffs entscheidend. Der Rechtsbegriff ist für Kant nicht im Rahmen der „Kritik der praktischen Vernunft“, d.h. der Deduktion der Grundprinzipien der praktischen Vernunft, zu entwickeln. Die Darstellung des Rechtsbegriffs fällt in den Anwendungsbereich des praktischen Vernunftbegriffs und gehört daher zu den Aufgaben einer „Metaphysik der Sitten“. Anders als Fichte unterscheidet Kant präzise zwischen der kritischen Grundlegung eines Geltungsanspruches und der Anwendung dieses Prinzips auf Vorgegebenes. Es ist die Aufgabe einer „Kritik der praktischen Vernunft“, den Geltungsanspruch und den Geltungsbereich der praktischen Prinzipien aufzuweisen. Die Anwendung der Prinzipien verlangt ihre Darstellung als „Metaphysik“. Der Ort der Moralphilosophie ist im Rahmen der Kantischen Philosophiekonzeption zunächst durch das Programm der Transzendentalphilosophie, Kritik und Darstellung des vollständigen Systems aller Prinzipien der reinen Vernunft zu sein (vgl. KrV, B 27), vorgegeben. Ursprünglich war auf der Basis der Kritik der reinen Vernunft eine Bearbeitung moralphilosophischer Grundsätze nicht vorgesehen.96 Kant hatte in der Kritik der reinen Vernunft alle „praktischen Begriffe“ aus dem „Inbegriff der Transzendentalphilosophie“ 95

96

Inwiefern Kant das Individuum damit tatsächlich aus aller Naturordnung herauslöst, ist insofern fraglich, als ja Kants geschichtsphilosophische Überlegungen diese Trennung wieder aufheben. Ursprünglich plante Kant, im Anschluss an die Kritik der reinen Vernunft nur eine Metaphysik der Natur zu entwickeln, da die Reinheit der Begriffe und Grundsätze der Transzendentalphilosophie die Ethik ausschließt. Die Prinzipien der Ethik bestimmt er zwar schon 1781 als Erkenntnisse a priori, meint aber, dass sie „doch nicht in die Transzendental-Philosophie [gehören], weil (...) die Begriffe der Lust und Unlust (...) insgesamt empirischen Ursprungs sind“ (KrV, A XXI). Dieses Problem greift er in der Kritik der Urteilskraft explizit wieder auf, behandelt es aber zunächst nicht für die praktische Philosophie, sondern für die über eine empirische Allgemeinheit hinausführende Grundlegung der Ästhetik, bzw. eine Theorie der Geschmacksurteile. Erst im Zuge dieser Begründung greift Kant auf die für die Sicherung der Allgemeinheit der Geschmacksurteile notwendige praktische Unterstellung, den sensus communis, zurück. Diesen Zusammenhang entwickelt die Dissertation von G. Felten: Die Funktion des sensus communis in Kants Theorie des ästhetischen Urteils. München 2004. Es fragt sich, ob und wieweit diese Implikationen der Theorie der Geschmacksurteile (ebenso wie die der teleologisch, praktisch-philosophischen Urteile über die Natur) Kant zu einer Konzeption führen, die die praktische Philosophie als Fundament auszeichnet. In der Kant-Forschung ist diese Ansicht kontrovers. Insbesondere Hegel hat bei seinen frühen Überlegungen diese Konsequenzen im Blick. Vgl. O. Pöggeler: „Hegels praktische Philosophie in Frankfurt“. In: Hegel-Studien 9 (1974), 73-107.

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(KrV, A 801 Anm.) ausgeschlossen. Die Ausarbeitung der praktischen Philosophie führt zu einer Erweiterung des Aufgabengebiets der Transzendentalphilosophie mit der Folge, dass Kritik und Transzendentalphilosophie schließlich nicht mehr zu unterscheiden sind.97 Die Kritik der praktischen Vernunft kann keine Einteilung ihrer Wissenschaften vornehmen, denn diese müsste analog zur Einteilung der Kritik der reinen Vernunft gänzlich a priori sein. Dagegen geht die Einteilung der praktischen Wissenschaften in eine Rechts- und Pflichtenlehre auf empirische Kenntnisse des Menschen zurück. Als „praktische Anthropologie“ (KprV, BA VI) wird dieser Teil der praktischen Wissenschaft vom rationalen Teil der Ethik, der Moral, unterschieden. „Alle Moralphilosophie beruht gänzlich auf ihrem reinen Teil, und, auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das mindeste von der Kenntnis desselben, sondern gibt ihm als vernünftigem Wesen, Gesetze a priori, die freilich noch durch Erfahrung geschärfte Urteilskraft erfordern, um teils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, teils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen, da diese, als selbst mit so viel Neigung affiziert, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu machen“ (KprV, BA X). In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Grundlegung) entwickelt Kant die Prinzipien einer Ethik, die sich allein auf das Faktum der reinen Vernunft beruft, d.h. er argumentiert hier gänzlich unabhängig von der spezifischen Natur des Menschen. Die ethischen Bestimmungen gelten für Wesen, die – wie Engel – über einen intuitiven Verstand verfügen. Bestimmungen, die sich aus der empirischen Natur des Menschen ergeben, gehen nicht in die Überlegungen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ein. Es gehört zu den Aufgaben der Kritik der praktischen Vernunft, jene Grundsätze zu entwickeln, die für den Menschen als besonderes Wesen Gültigkeit haben: Die Bestimmungen der „Imperative“, der „Achtung“ vor dem Gesetz und der „Pflicht“ reflektieren die spezifischen Bedingungen menschlichen Handelns. Die Anwendung der gewonnenen Grundsätze auf Empirie, auf die besonderen geschichtlichen oder kulturellen Ausprägungen, wie das Eigentum oder den Staat, ist Aufgabe der Metaphysik der Sitten. Berücksichtigt man das unterschiedliche systematische Anliegen der zum System der praktischen Philoso-

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Lewis W. Beck spricht in diesem Zusammenhang von einer „stillschweigenden Erweiterung des Begriffs der Transzendentalphilosophie“: Diese Erweiterung vollzieht Kant in dem Maße, wie er den Begriff „der Metaphysik einengt“. Für Beck hängt die Erweiterung der transzendentalphilosophischen Fragestellung mit „einer Vertiefung der ethischen Analysen selbst“ zusammen (L.W. Beck: Kants ‚Kritik der praktischen Vernunft‘. München 1974, 261). Vgl. auch die Korrekturen Kants in den Verweisstellen der Kritik der praktischen Vernunft auf die Kritik der reinen Vernunft, wo Kant von der „Kritik der spekulativen Vernunft“ statt von der Kritik der reinen Vernunft spricht. In der Kritik der Urteilskraft parallelisiert Kant dann beide Kritiken.

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phie Kants gehörenden Schriften, so kann man in Anlehnung an Beck zwischen insgesamt drei Reflexionsstufen unterscheiden:98 1. Die von der menschlichen Natur unabhängige Ethik, die nur auf dem Faktum der reinen Vernunft, nicht auf einem empirischen Faktum beruht (d.i. die Konzeption der Grundlegung der Metaphysik der Sitten) bildet die erste, die höchste – weil allgemeinste – Stufe ethischer Reflexion. 2. Die zweite Stufe ethischer Reflexion formuliert die Grundgedanken ebenfalls unabhängig von der menschlichen Natur, legt allerdings bei der Formulierung ihrer Prinzipien den menschlichen Willen zu Grunde (Kritik der praktischen Vernunft). 3. Eine systematische Ausarbeitung dieser Prinzipien in Anwendung auf die empirisch erkannten Formen ist die Aufgabe der dritten Stufe und das Programm einer „Metaphysik der Sitten“. Erst auf der dritten Stufe der ethischen Reflexion führt Kant den Rechtsbegriff ein. Systematisch erweist sich der Rechtsbegriff damit als das Produkt der Anwendung der Prinzipien der praktischen Vernunft auf die empirischen Bedingungen des Menschen. Kant besteht im Zusammenhang der Ausarbeitung dieser Grundsätze darauf, dass durch diese Anwendung die Grundsätze nicht verunreinigt werden, und zwar auch dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall – die Anwendung sich nicht als einfache Applikation auf besondere Fälle durchführen lässt. Die spezifischen Bedingungen der Anwendung erläutert Kant in der Einleitung zur Metaphysik der Sitten. In einer „Metaphysik der Natur“ muss es Prinzipien der Anwendung jener allgemeinen obersten Grundsätze von einer Natur überhaupt auf Gegenstände der Erfahrung geben. Gleichwohl kann die Physik etwa „manches Prinzip auf das Zeugnis der Erfahrung als allgemein annehmen“, obgleich dieses Prinzip, wenn es in strenger Bedeutung allgemein gelten soll, „aus Gründen apriori abgeleitet werden müßte“ (MdS, AB 8). Allein für das Sittengesetz ist dieser Weg der Physik versperrt: Die praktischen Prinzipien gelten „nur sofern sie als apriori gegründet und notwendig eingesehen werden können, (...) als Gesetz“ (MdS, AB 8). Allerdings ist die besondere Natur des Menschen, die nur durch Erfahrung erkannt werden kann, für eine „Metaphysik der Sitten“ zum Gegenstand zu nehmen, “um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Prinzipien zu zeigen“ (MdS, AB 11). Diese Anwendung tut allerdings der Gültigkeit dieser Prinzipien, die aus der Vernunft a priori stammen, keinen Abbruch. Auf der Basis dieser Differenzierungen bestimmt Kant den Begriff des Rechts als einen reinen Begriff, der „auf die Praxis“ gestellt ist. Als reiner Vernunft gegründeter Begriff verlangt der Rechtsbegriff die Form einer „Metaphysik des Rechts“. Allerdings macht die Gebundenheit des Rechtsbegriffs 98

Beck selbst unterscheidet im Kantischen System der praktischen Wissenschaft insgesamt „fünf Stufen der Reinheit“. Für den hier verfolgten Zusammenhang sind nur die ersten drei Stufen von Wichtigkeit. Vgl. Beck: Kants ‚Kritik der praktischen Vernunft‘, 62.

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an die Praxis ein auf Vollständigkeit angelegtes System unmöglich: „so wird der für den ersten Teil der Metaphysik der Sitten allein schickliche Ausdruck sein, metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ (MdS, AB IV). In diesen Anfangsgründen will Kant ganz analog zu den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften verfahren: Das Recht, das zum a priori entworfenen System gehört, soll im Haupttext behandelt werden, die Rechte aber, „welche auf besondere Erfahrungsfälle bezogen werden“, sollen in „zum Teil weitläufigen Anmerkungen“ abgehandelt werden (MdS, AB IV). Für den hier zu betrachtenden Zusammenhang ist festzuhalten, dass Kant den Rechtsbegriff als einen Anwendungsbegriff der praktischen Vernunft im Unterschied zu dem apriorischen Vernunftbegriff des Willens bzw. des moralischen Gesetzes bestimmt. Der im Rahmen der Metaphysik der Sitten entwickelte Rechtsbegriff ist unverzichtbar99, denn eine praktische Philosophie, welche nicht Natur, sondern die Freiheit der Willkür zum Objekt hat, bedarf einer „Metaphysik der Sitten“, ja setzt diese voraus. Das Haben einer solchen „ist selbst Pflicht“. Die Metaphysik entwickelt „ein System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen“. Es ist der Begriff der Freiheit, für den die Metaphysik die Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung darzulegen hat, um an ihnen die „Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Prinzipien zu zeigen“ (MdS, AB 11). Kants Rechtsbegriff hat in diesem Anwendungsbereich der Vernunft seinen systematischen Ort. Gelten die Gesetze der reinen praktischen Vernunft für alle vernünftigen Wesen überhaupt, so definiert der Wille als Willkür die Bedingungen unter denen das menschliche Tun steht. Auf dieser Betrachtungsebene kommt Kant zur Formulierung der Imperative und zum Pflichtbegriff. Das Rechtsprinzip aber wird weder innerhalb der Kritik der praktischen Vernunft noch in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten entwickelt. Rechts- und auch die Tugendlehre gehen auf eine Anwendung der reinen Prinzipien auf die empirischen Bedingungen menschlichen Handelns zurück. Im Unterschied zu den Kausalgesetzen der Natur, das Ursachen zu identifizieren erlaubt, liegen für den Bereich der Freiheit die Motive einer Handlung im Dunkeln. Unter den Anwendungsbedingungen der praktischen Vernunft stellt sich die Frage nach der Triebfeder des Handelns. Es zeigt sich, dass unter den hier herrschenden Bedingungen, die freie Handlung nicht vollständig rekonstruierbar ist. Ob Freiheit oder Willkür handlungsbestimmend sind, muss offen bleiben. Kant erklärt die Möglichkeit freien Handelns zu einem Faktum der Vernunft, das nicht deduziert werden kann. Die Zuschreibung von Freiheit als der Fähigkeit zu einer von aller Empirie unabhängigen Willensbestimmung erzeugt allerdings das Dilemma, wie dieser freie Wille mit der Notwendigkeit zur Zwangsausübung vereinbart werden kann. Wie kann unter den vernunftwidrigen Bedingungen der Empirie die Geltungsbedingung 99

Die Konzeption einer Metaphysik der Sitten gehört – wenn auch mit wechselnden Zielen und Inhalten – zu den frühesten Anliegen Kants.

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des Sittengesetzes, dass der Mensch ein selbstbestimmtes freies Wesen sei, behauptet werden? Kants Rechtskonzeption ist der Versuch, den Geltungsanspruch der praktischen Vernunft auch unter den vernunftwidrigen Bedingungen der Empirie auszuweisen.100 Die Kategorien der Vernunft führen zu gültigen Aussagen ausschließlich in der Synthese mit den Anschauungsformen. An aller praktischen Gesetzgebung unterscheidet Kant „erstlich ein Gesetz“, welches die Handlung, die geschehen soll, „objektiv als notwendig vorstellt“, zweitens, eine Triebfeder, welche den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjektiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft.101 Mit der Triebfeder führt Kant ein Prinzip ein, das die Legalität einer Handlung von ihrer Moralität zu unterscheiden erlaubt. Das Gesetz stellt die Handlung als Pflicht vor und ist insofern „eine bloße theoretische Erkenntnis der möglichen Bestimmung der Willkür“ (MdS, AB 14). Durch die Unterscheidung zwischen dem Gesetz und der Triebfeder als dem Bestimmungsgrund der Willkür hat Kant einen Weg gefunden, der es erlaubt, alle empirisch gegebenen Handlungen der Gesetzmäßigkeit der Vernunft zu unterstellen. Da die Triebfeder der einzelnen Handlung nicht erkannt werden kann, so ist es allein die theoretische Erkenntnis der Pflicht, die das Gesollte als Norm einsehbar und damit einforderbar macht.102 Kants Rechtsbegriff steht für die Notwendigkeit, die Zwangsbefugnis der erkannten Norm zu legitimieren. Es ist die Aufgabe der Metaphysik der Sitten, diesen Rechtsbegriff zu entwickeln. Kants praktische Philosophie verfügt innerhalb des Vernunftsystems über die Differenzierung zwischen Rechtsgesetz, kategorischem Imperativ und moralischem Gesetz. Der kategorische Imperativ stellt eine Handlungsmaxime nicht nur als objektiv gültig vor, er nötigt darüber hinaus das Individuum auch zur Anwendung bzw. Bewertung möglicher Handlungen. Als Sittengesetz kommt dem kategorischen Imperativ insofern objektive Realität zu, als sein Geltungsanspruch über das Faktum der Vernunft unabweisbar ist. Diesen Ursprung des Sittengesetzes hat Kant in der Kritik der praktischen Vernunft aufgewiesen. Das Sittengesetz - selbst nicht der Deduktion fähig - wird zum Deduktionsprinzip der Wirklichkeit der Freiheit für jene Wesen, die dieses Gesetz als für sich bindend anerkennen. Für menschliche Wesen gebietet das Sittengesetz somit kategorisch: Als kategorischer Imperativ nötigt das Sittenge100

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102

Vgl. hierzu und zum folgenden W. Bartuschat: „Zur Deduktion des Rechts aus der Vernunft bei Kant und Fichte“. In: M. Kahlo / E.A. Wolff / R. Zaczyk (Hg.), Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. Frankfurt a.M. 1992, 173-193; hier 176ff. Zu Kants langem Weg, der schließlich zur Begründung der Moralphilosophie im Faktum der Vernunft führt, vgl. D. Henrich: „Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft “. In: G. Prauss (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Köln 1973, 223-254. Mit diesem „Sollen“ und dem Pflichtbegriff umgeht Kant den Vorwurf, letztlich eine sokratische Position zu vertreten, für die die Erkenntnis des Guten bereits deren Vollzug in der Praxis impliziert – so die Aristotelische Kritik an Sokrates. Vgl. Nik. Ethik, 1144b / 19ff.

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setz zu einer Handlung allein aufgrund der Vorstellung ihrer gesetzmäßigen Form. Für Kant unterscheidet sich der kategorische Imperativ dadurch von „einem praktischen Gesetz, dass dieses zwar die Notwendigkeit einer Handlung vorstellig macht, aber ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob diese an sich schon dem handelnden Subjekt (etwa einem heiligen Wesen) beiwohne oder wie beim Menschen zufällig sei; denn, wo das erste ist, da findet kein Imperativ statt“ (MdS, AB 20). Mit Blick auf die subjektive Zufälligkeit menschlichen Handelns wird aus dem praktischen Gesetz ein kategorisch gebietender Imperativ: Das Subjekt der Handlung ist ein solches, das „zur Übereinstimmung mit dieser Regel genötigt (nezessitiert) werden muß“ (MdS, AB 20). Unbedingt gefordert wird die Einhaltung dieser Regel nicht durch die Vorstellung eines Zwecks, „sondern (...) durch die bloße Vorstellung dieser Handlung selbst (ihrer Form)“. Diese Vorstellung der Form der Handlung macht diese objektiv-notwendig. Damit unterscheidet sich das praktische Gesetz bzw. der Imperativ grundsätzlich von der Nötigung, die vom Recht ausgeht. Diese bestimmen den Willen nur durch die gesetzmäßige Form der Handlung. Im Recht, so betont Wolfgang Kersting im Anschluss an Gertrud Scholz, treten „praktische necessitas und praktische necessitatio auseinander“. Damit ist das Recht „hinsichtlich seiner Realisierung frei von der Zumutung des kategorischen Imperativs, allein durch die gesetzmäßige Form der Handlung den Willen zu bestimmen“103 . Es ist allein jene Nötigung, die aus der Vorstellung der Handlung selbst erwächst, die im Recht die Befugnis zum Zwang eröffnet und die Vereinbarkeit mit Freiheit ermöglicht. Mit dem Auseinandertreten von „praktischer necessitas“ und „praktischer necessitatio“ verzichtet Kant in seiner Konzeption des Rechts auf die Inanspruchnahme von Handlungsmotiven oder Gesinnungen. Vielmehr wird das Recht als „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (MdS, AB 34) bestimmt. Dieser Rechtsbegriff reflektiert die Bedingungen menschlichen Handelns in spezifischer Weise. Gegenüber der allgemeinen Geltung des Sittengesetzes reflektiert ja bereits der kategorische Imperativ die Bedingungen menschlichen Handelns, indem er dieses Gesetz als kategorisch Gebietendes erfasst. In noch anderer Weise geht Kant mit seiner Rechtskonzeption auf die Bedingungen menschlichen Handelns ein. Das Rechtsgesetz „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne“ (MdS, AB 34), ist zwar ein Gesetz, welches mir Verbindlichkeit auferlegt. Von diesem Gesetz wird nun aber nicht erwartet, dass ich „ganz um dieser Verbindlichkeit willen, meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle“ (MdS, AB 34). Vielmehr sagt die Vernunft nur, „daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch 103

W. Kersting: Wohlgeordnete Freiheit. Frankfurt a.M. 1993, 105. Vgl. G. Scholz: Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie. Diss. Köln 1972, 38ff.

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tätlich eingeschränkt werden dürfe“ (MdS, A 34). Da im Recht das Rechtsgesetz nicht selbst Triebfeder der Handlung ist, fußt „striktes Recht“ auf dem „Prinzip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges“ (MdS, AB 36). Der von Kant in der Metaphysik der Sitten entwickelte Rechtsbegriff und die Rechtsordnung stehen für den Versuch, die unbedingte Geltung des moralischen Gesetzes auch unter den Bedingungen der Willkür menschlichen Handelns zu sichern. Der Anspruch auf Selbstbestimmung kann unter den Bedingungen des äußeren Handelns nur dann gesichert werden, wenn Kant die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang nachweist. Im Rechtsbegriff konstruiert Kant eine Verbindung zwischen dem Willen (als reiner praktischer Vernunft) und der Willkür (als einem auch durch Sinnlichkeit zum Handeln bestimmten Willen), die dem Sittengesetz qua Recht die Ausübung von Zwang gestattet. Diese Rechtskonzeption formuliert das Sittengesetz mit Blick auf die menschlichen Bedingungen um, um Freiheit und Zwang widerspruchsfrei zusammenzufügen. Die Frage nach den Motiven oder der Triebfeder einer Handlung gehört – von der Frage der Rechtsförmigkeit abgekoppelt – in den Bereich der Moralität des Handelns. Mit der Trennung zwischen Legalität und Moralität sichert Kant den Geltungsanspruch des Rechts unabhängig vom moralischen Zustand der Menschen. Dem Anspruch des Rechts muss sich auch eine „Horde von Teufeln“ fügen. Diese Trennung von Legalität und Moralität impliziert allerdings nicht, wie einige Kommentatoren annehmen, dass Kants Rechtsbegründung gänzlich von seiner Moralphilosophie zu isolieren sei. Die Anbindung des Rechtsprinzips an das moralische Gesetz zeigt, dass der Rechtsbegriff nur in Abhängigkeit vom positiven Freiheitsbegriff der Kantischen Moralphilosophie (Autonomie) begründbar ist.104 Eine systematische Begründung der Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität findet sich weder in den Grundlegungen noch in der Kritik der praktischen Vernunft. Sie ist eine Konsequenz der Anwendung der reinen praktischen Vernunft und gehört daher in die Metaphysik der Sitten. Kants Hauptanliegen ist es, mit dieser Unterscheidung den Anspruch der praktischen Vernunft in einer durch Willkür bestimmten Welt zu legitimieren. Kant bereitet die Trennung zwischen Rechtslehre und Moralität in der Unterscheidung zwischen der „Einsicht in das Gesetz“ und der „Triebfeder des Handelns“ vor. Im Falle der Legalität übernimmt das Gesetz nicht die Funktion der unmittelbaren Willensbestimmung, diese kann vielmehr entweder durch Zwecke erfolgen,

104

Für J. Ebbinghaus etwa ist die Möglichkeit der sittlichen Freiheit und der Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft gänzlich bedeutungslos für die Gültigkeit des von Kant in der Rechtslehre vorausgesetzten Freiheitsbegriffs. Ebbinghaus rekurriert für die Begründung des Rechts auf den Freiheitsbegriff der Kritik der reinen Vernunft (B 562). Vgl. J. Ebbinghaus: „Die Idee des Rechts“. In: ders., Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968, 274-331; sowie ders.: „Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus“. In: Prauss (Hg.), Kant, 322-336.

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für die eine „sinnliche Triebfeder“ entscheidend ist, oder aber durch den Zwang des Gesetzes, der als äußere Handlungsbestimmung auftritt. Es wurde deutlich, dass im Rahmen des transzendentalphilosophischen Begründungsprogramms dem Rechtsbegriff insofern eine Sonderstellung zukommt, als er nicht im Rahmen der „Kritik“ als reiner Vernunftbegriff entwickelt wird, sondern in das Aufgabengebiet der „Metaphysik“ fällt und damit seinen systematischen Ort im Bereich der Anwendung der reinen Vernunftbegriffe auf empirische Bedingungen hat. Das „Recht“ der Kantischen Rechtslehre ist damit sowohl bezüglich des Anwendungsbereichs (äußere Gesetzgebung) als auch bezüglich der ‚Triebfeder‘ (nicht die Idee der Pflicht) von den praktischen Gesetzen der Vernunft zu unterscheiden. Über diese Differenzen darf die „Analogie“ in der Struktur der Rechtsformel und im kategorischen Imperativ nicht hinwegtäuschen.105 Kant muss ein Kriterium angeben, das eine Auszeichnung jener praktischen Gesetze gestattet, die mit einer äußeren Triebfeder durch ein allgemeines Rechtsprinzip verbindbar sind. Für das Eigentums- und Vertragsrecht zeigt er diesen Zusammenhang auf, unklar ist aber, wie diese vernunftrechtlichen Bestimmungen mit den positiven Rechtsbestimmungen verfahren. Zwar unterscheidet Kant innerhalb der vernünftigen Rechtslehre deutlich zwischen dem Vernunftbegriff des Rechts, dem Gesetz als einer Verpflichtung der Vernunft und dem positiven Recht.106 Mit dem positiven Recht ist zwar das „Extrem der Äußerlichkeit“ erreicht, der Rechtsbegriff der Metaphysik der Sitten soll aber deutlich machen, dass das positive Recht nur dann den Namen des Gesetzes führen darf, wenn, so Friedrich Kaulbach, „die positive Rechtsgesetzgebung von einer Rechtsidee durchdrungen ist, die zuletzt ihre Wurzeln im Moralgesetz hat“.107 Wie schwierig dieser Zusammenhang zwischen moralischem Gesetz, Vernunftrecht und positivem Recht zu fassen ist, zeigen die Konzeptionen der historischen Rechtsschule 105

106

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Auf diese Analogie verweist K.-H. Ilting, wenn er dafür plädiert von einer Identität von Recht und Moral bei Kant auszugehen. Ilting stellt die Kantische Moralphilosophie mit dieser Interpretation in die neuzeitliche Tradition der Naturrechtslehre und will die Kantische Rechtskonzeption von Hobbes her verstanden wissen. Der auf dieser Basis konstruierte Vernunftrechtsbegriff steht zwar nicht als ein bloßes Sollen dem empirischen Recht gegenüber, stellt aber auf der anderen Seite auch keinen normativen kritischen Maßstab für das empirische Recht bereit. Vgl. K.-H. Ilting: „Gibt es eine kritische Ethik und Rechtsphilosophie Kants?“. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 63 (1981), 325-345. Vernunftrecht wie positives Recht haben ihren Wirkungsbereich in der äußeren Gesetzgebung. Kaulbach unterscheidet daher am Kantischen Gesetzes- bzw. Rechtsbegriff eine dreigliedrige Stufenfolge: Moralgesetz, naturrechtliches Vernunftgesetz (oder Recht) und positives Gesetz. In dieser Reihe übernimmt „das naturrechtliche Vernunftgesetz“ die Vermittlerrolle zwischen den beiden anderen Gesetzesformen. Vgl. F. Kaulbach: „Moral und Recht in der Philosophie Kants“. In: J. Blühdorn / J. Ritter (Hg.), Recht und Ethik. Frankfurt a.M. 1970, 43-58; hier 49. Kaulbach rekonstruiert den Zusammenhang zwischen dem vernunftrechtlichen Gesetz der Moral und dem positiven Recht als „Durchdringung des positiven Rechts durch die Rechtsidee“ (Kaulbach: „Moral und Recht, 50).

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(vgl. 3.4), die vom Kantischen Modell ausgehend eine Rechtslehre aufzubauen versuchen. Kant entwickelt die Rechtsgesetze als Teilklasse der moralischpraktischen Gesetze, im Recht wird die Notwendigkeit einer Handlung kategorisch vorstellig. Diese Rechtspflichten sind für jedes Individuum – wegen des ihm angeborenen Rechts auf Freiheit – verbindlich.108

3.3.2 Hegels Kritik an Kants Rechtsbegriff Neben den oben genannten Unterscheidungen ist für Hegels Auseinandersetzung mit Kants Rechtsbegriff noch die Differenzierung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, die Kant ebenfalls in der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten entwickelt, entscheidend. Für Kant begründet die Differenz zwischen „natürlichem“ und „bürgerlichem“ Zustand (MdS, AB 52) die Trennung dieser beider Rechtsformen. Zwar kennt auch der Naturzustand das rechtlich begründete „Mein und Dein“, eine Sicherung dieser Rechte wird aber erst durch die Wirksamkeit öffentlicher Gesetze im bürgerlichen Zustand erreicht. Im Abschnitt „Privatrecht“ entwickelt Kant die Kriterien, die es erlauben, eine Sache mit Recht als ‚mein‘ zu bestimmen: „Eigentum“ als vernunftgegründete Rechtsform setzt voraus, dass sich die Eigentümer als unter der vereinigten Willkür aller stehend bestimmen. Das Recht auf Eigentum basiert damit nicht auf jenen aus dem moralischen Gesetz bzw. dem kategorischen Imperativ rekonstruierten Rechtsbegriff. „Eigentum“ als Rechtsform gibt lediglich die Bedingungen an, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür von jedermann nach allgemeinen Gesetzen bestehen kann. Wie aber ist für Kant der physische Akt der Erwerbung einer Sache als Freiheitsäußerung rekonstruierbar? Gemäß der Kantischen Definition (MdS, B 34) ist der Geltungsbereich des Rechts auf die äußere Handlung beschränkt. Freiheit – als Unabhängigkeit von der Willkür anderer – kommt der äußerlichen Handlung nur insofern zu, als sie mit der Freiheit der anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann (vgl. MdS, AB 45). Kant bezeichnet diese Freiheit auch als „Freiheit im äußeren Gebrauch“ und grenzt sie von der positiven Freiheit im „inneren Gebrauch“ (der Selbstgesetzgebung) (MdS, AB 28) ab. Es ist die Aufgabe der im Recht gesetzten „äußeren Freiheit“, jene Freiheit, die keinen hypothetischen Charakter hat, in der Faktizität zu bewahren.109 Nimmt man den Anspruch auf Ableitung des Rechts aus den Grundsätzen der praktischen Vernunft ernst, so muss gezeigt werden, wie die im Recht in Anspruch genommene „äußere Freiheit mit der Freiheit als positive[r]“ in Zu108

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In der Kritik der praktischen Vernunft erklärt Kant, dass der Mensch vermittels der Menschheit in seiner Person erstens „Subjekt des moralischen Gesetze“ und zweitens „Zweck an sich selbst“ und daher „keiner Absicht zu unterwerfen ist, die nicht nach einem Gesetz, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen konnte, möglich ist“ (KrV, V 87). So Bartuschat („Zur Deduktion des Rechts“, 180).

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sammenhang steht (vgl. MdS, AB 67). Der Rechtsanspruch beim empirischen Besitz ist rein analytisch zu begründen, die Verletzung der Inhabe einer Sache affiziert hier das innere Meine. Die Maxime dieser Verletzung gerät mit dem Axiom des Rechts in Widerspruch. Einen synthetischen Begriff des Besitzes fordert dagegen der Ausweis der Rechtmäßigkeit eines Besitzes ohne Inhabung. Kant gründet die Deduktion des Begriffs eines nicht-empirischen Besitzes auf das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft, „daß es Rechtspflicht sei, gegen andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“(MdS, AB 67). Dabei umfasst das „äußere Sein“ auch den nicht-physischen Besitz. Kant geht somit davon aus, dass es „eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft“ ist, „einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objektiv-mögliches Mein“ zu denken. Dieser Begriff eines rechtlichen Besitzes ist kein empirischer (von Raum und Zeit abhängiger) Begriff. Soll er gleichwohl praktische Realität haben, muss er auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar sein. Da der Rechtsbegriff nicht unmittelbar auf Gegenstände der Erfahrung angewendet werden kann, geht Kant hier auf den Verstandesbegriff des Besitzes zurück. Der von allen Raum- und Zeitbedingungen abstrahierende Begriff des Habens tritt an die Stelle der Inhabung als der empirischen Vorstellung des Besitzes. Dieser Verstandesbegriff des Habens ist unter den Rechtsbegriff subsumierbar. Haben als intellektuelles Verhältnis zum Gegenstand gründet auf dem Willen. Ein Gegenstand ist mein, „weil mein, zu desselben beliebigem Gebrauch sich bestimmender Wille dem Gesetz der äußeren Freiheit nicht widerstreitet“ (MdS, 69). Dieses Gesetz der äußeren Freiheit legt fest, dass „da nun die reine praktische Vernunft keine andere als formale Gesetze des Gebrauchs der Willkür zum Grunde legt, und also von der Materie der Willkür, d.i. der übrigen Beschaffenheit des Objekts, wenn es nur ein Gegenstand der Willkür ist, abstrahiert, so kann sie in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten, weil dieses ein Widerspruch der äußeren Freiheit sein würde“ (MdS, 58). Die Inbesitznahme äußerer Gegenstände steht nicht in Widerspruch zu den Prinzipien der Vernunft. Die „Besitznahme einer Sache“ ist eine lex permissiva, ein Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft. Dieses erlaubt die willkürliche Aneignung einer Sache und verbindet die Besitznahme einer Sache als äußere Freiheit mit der inneren (positiven) Freiheit. Dabei sind Verbindlichkeiten, die sich aus dem „Mein und Dein“ ergeben, „aus bloßen Begriffen vom Recht überhaupt nicht heraus[zu]bringen“. Für Kant kann die Fähigkeit, „allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs bestimmter Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir sie zuerst in unseren Besitz genommen haben“ (MdS, AB 58), nur in Einklang mit den Prinzipien der Vernunft erworben werden. Anders als Fichte konstituiert Kant das Verhältnis zwischen Rechtspersonen über die Beziehung eines freien Subjekts zu einer Sache. Aus dieser

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Relation erwächst ein subjektiver Anspruch, der anderen eine Verbindlichkeit auferlegt und damit eine intersubjektive Perspektive eröffnet.110 Erst auf einer zweiten Stufe kommt es zur rechtlichen Sicherung einer Sache als der Meinigen, nämlich unter der Bedingung, dass diese intersubjektive Beziehung in der Wirklichkeit eines bürgerlichen Zustandes Realität gewinnt. Entscheidend für Kants Begriff des Privatrechts ist, dass das Recht, Sachen zu erwerben, als „Naturrecht“ ein Erlaubnisgesetz der Vernunft ist, das unabhängig vom bürgerlichen Zustand besteht. Das Verlassen des natürlichen Zustands und der Übergang zum bürgerlichen Zustand sind für Kant Pflichten, deren Erfüllung aber aus der Perspektive des Naturrechts auf Sachen letztlich zufällig ist. So „liegt es doch a priori in der Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes, dass bevor ein öffentlich gesetzlicher Zustand errichtet worden, vereinzelte Menschen niemals vor Gewalttätigkeit gegen einander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Recht, zu tun, was ihm recht und gut dünkt; mithin was ihm zu beschließen obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustand (...) herausgehen (...) in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt und durch hinreichende Macht zu Teil wird“ (MdS, A 163, 164). Kants Begründung der Notwendigkeit des bürgerlich-rechtlichen Zustandes bleibt an den faktischen Vollzug des Rechts, die Konstitution eines Zustandes des Privatrechts, geknüpft und damit an die Wirksamkeit einer „hinreichenden Macht“, die selbst nicht in der Verfügungsgewalt der praktischen Vernunft steht. Die Unwägbarkeiten des individuellen Selbstverständnisses von Freiheit erschweren darüber hinaus das faktische Zustandekommen des Rechtszustandes. Hegel greift diesen Punkt auf, wenn er Kant vorwirft, dass sein Ansatz nicht zu zeigen vermag, warum überhaupt Eigentum, Familie etc. sein soll. Das Recht ist für Kant das Medium der Vermittlung zwischen dem moralischen Gesetz der Vernunft und den faktischen Bedingungen nicht notwendig vernünftiger Lebewesen. Die Verwirklichung des Rechts steht zwar in Einklang mit den Prinzipien der praktischen Vernunft, da die Realisierungsbedingungen aber nicht in der Verfügungsgewalt der Vernunft liegen, ist die Realisation des Rechts von faktischen, somit zufälligen Bedingungen abhängig. Defizitär ist diese Vernunftrechtskonzeption für Hegel auch mit Blick auf die Einteilung der positiven Rechte. Kant übernimmt die Einteilung des römischen Rechts und unterscheidet zwischen einem Sachen-, Personen- und Aktionen-Recht. Die Trennung unterstellt, dass es über das Sachenrecht hinausgehende Personenrechte gibt, Rechte, die sich von den Sachenrechten deutlich abgrenzen lassen. Im römischen Recht wird das „Person-Sein“ als „status“ bestimmt, der nur einem bestimmten Kreis von Individuen zukommt. Diese Zuschreibung von Personenrechten auf der Grundlage eines bestimmten „status“ 110

So Bartuschat („Zur Deduktion des Rechts“, 180).

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ist mit dem neuzeitlichen Rechtsbegriff unvereinbar, denn das „römische Personen-Recht ist (...) nicht das Recht der Person als solcher, sondern (...) der besondern Person“ (Grundlinien, §40; GW 14.1, 54). Wird das Person-Sein an einen spezifischen Stand geknüpft, so können gewisse Individuen von diesem Recht ausgenommen werden, was mir die Verfügung über sie wie über Sachen erlaubt. Konsequenterweise ist für das neuzeitliche Vernunftrecht die Unterscheidung zwischen Personen- und Sachenrecht aufzuheben.111 Das abstrakte Recht behandelt – ausgehend von der allgemeinen Bestimmung des Menschen als Person – nur das Sachenrecht. Spezifische Rechte, Privilegien, die dem Einzelnen aufgrund seiner Stellung zukommen, widersprechen den vernunftrechtlichen Prinzipien. Die Neubegründung des Naturrechts stellt die Philosophie vor die Aufgabe, die überzeitliche Geltung von Rechtsbestimmungen losgelöst von religiösen oder metaphysischen Zusammenhängen zu rechtfertigen. Hegel kritisiert die neueren Naturrechtskonzeptionen, weil ihnen eine Begründung des Naturrechts als Vernunftrecht nur unter der Voraussetzung gelingt, dass zwischen Natur und Freiheit unterschieden wird. Die Konzeptionen von Hobbes und Rousseau machen deutlich, dass die Herauslösung einer Sphäre der Freiheit misslingt, wenn die Inhalte der Willensbestimmung der Natur entnommen werden. Kants Konzeption der praktischen Vernunft überwindet diese Schwierigkeiten: Die Bestimmung des moralischen Gesetzes erfolgt hier allein aus der Vernunft. Moralisches Gesetz und kategorischer Imperativ basieren allein auf dem Willen als praktischer Vernunft. Da der Mensch aber nicht reines Vernunftwesen ist, sondern durch Triebe, Begierden und Willkür bestimmt ist, genügt es nicht, hier lediglich das Vernunftgesetz zu deduzieren. Die Formulierung der Anwendungsbedingungen dieses Gesetzes führen – bei nicht notwendig vernünftigen Wesen wie dem Menschen – zur Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Der Rechtsbegriff enthält die Befugnis zum Zwang. Die Schwierigkeiten dieses Vernunftbegriffs des Rechts zeigen sich im Übergang zu den Anwendungsbereichen, wenn die Frage nach der Begründbarkeit der hier bestehenden Pflichten erörtert wird. Denn aus dem vernunftgegründeten Rechtsbegriff ist Eigentum bzw. die Pflicht zum Eigentum nicht begründbar. Das Recht auf Eigentum genügt nicht dem Vernunftkriterium des Rechts, dass das Recht diejenigen Bedingungen nennt unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen können. Damit kann es keine Vernunftgründe geben, Eigentum und Privatrecht etc. auszubilden. In der Konsequenz ist auch der bür111

Mit der besonders bestimmten Person, wie sie im bürgerlichen Zustand begegnet (einem spezifischen Stand zugehörig, als Familienmitglied, als Handwerker, Kaufmann etc.), geht eine Beschränkung der allgemeinen Rechte als Person einher. Die Rechte der besonders bestimmten Person sind aber der allgemeinen (abstrakten) Rechtsbestimmung nachgeordnet und daher erst später abzuhandeln.

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gerliche Zustand keine Pflicht, die die (reine) praktische Vernunft auferlegt. Wie die Pflicht zum Privateigentum so ist auch die Unterscheidung zwischen Personen- und Sachenrecht nicht aus dem Vernunftrecht begründbar. Letztlich greift Kant hier auf empirische Einteilungskriterien zurück. Hegels Kritik an Kants Rechtslehre lässt sich im wesentlichen auf zwei Kernthesen zusammenfassen: Erstens verfehlt Kant seine Absicht, die vernunftrechtliche Verankerung des Rechtsbegriffes auch in den Anwendungsbereichen des Rechts (dem Aufgabengebiet der Metaphysik der Sitten) nicht preiszugeben. Letztlich bleiben die inhaltliche Bestimmung des Rechts dem Vernunftrecht äußerlich: Weder ist die Pflicht, Eigentum, Familie und Staat zu bilden, aus dem Vernunftrecht abzuleiten, noch lässt sich das Recht auf Eigentum im Sinne eines Anspruchsrechts mit diesem Rechtsbegriff begründen. Kant schreibt zwar jedem Menschen über das Prinzip der angeborenen Freiheit bestimmte Rechte zu. Die Präzisierung dieser Rechte erfolgt unter dem Titel „erworbene Rechte“ und der willkürlichen Einteilung der erworbenen Rechte in Personen- und Sachenrecht. Mit dieser Unterscheidung greift Kant auf Bestimmungen des römischen Rechts zurück, ohne ein vernunftrechtliches Fundament für diese Unterscheidung zu benennen. Denn das Vernunftrecht verfügt über keine Kriterien, die es gestatten, das Person-Sein als status zu begreifen. Kants Unterscheidung zwischen Vollbürgern und Unfreien geht letztlich auf diese status-Lehre zurück.112 Die Unterscheidung zwischen Privat- und öffentlichem Recht führt dazu, dass der Übergang in den öffentlichen Rechtszustand verbindlich gemacht werden muss. Diese Pflicht ergibt sich aber nicht aus dem Kantischen Rechtsbegriff, sondern ist eine Konsequenz aus dem faktischen Vollzug des Privatrechts. Hegels zweiter Einwand bezieht sich auf diese Bedingungen des Übergangs vom naturrechtlichen Zustand zur bürgerlichen Gesellschaft. Kant gelingt es nicht, so sein Vorwurf, vernunftrechtliche Prinzipien aufzuweisen, die den bürgerlichen Zustand notwendig machen. Der Übergang in den bürgerlichen Zustand wird zu einer Frage der Moralität. Für Hegel ist zweifelhaft, ob die Notwendigkeit, Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu sein, in dieser Weise von den moralischen Fähigkeiten des Einzelnen abhängig gemacht werden darf. Die genannten Kritikpunkte bilden den Leitfaden für Hegels Rechtskonzeption.

3.3.3 Fichtes Rechtsbegriff Für Hegels Versuch, die Probleme der Kantischen Rechtskonzeption zu lösen, ist die Auseinandersetzung mit Fichtes Naturrechtskonzeption entscheidend. Anders als Kant will Fichte den Rechtsbegriff in seiner noch vor der Metaphy112

Mit Kants Personenkonzeption sind die politischen Konsequenzen, der Ausschluss der Unselbständigen aus der aktiven politischen Selbstbestimmung, da ihr Vernunftgebrauch durch die Abhängigkeit vom Eigentum anderer nicht gesichert ist, nicht zu rechtfertigen.

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sik der Sitten erschienenen Schrift Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796) vernunftrechtlich begründen. Der Rechtsbegriff soll einmal als Bedingung des Selbstbewusstseins ausgewiesen werden, d.h. im Begriff des Rechts muss deutlich werden, wie „Recht“ die Einheit des Selbstbewusstseins vollzieht. Für Fichtes Begründungsprogramm ist darüber hinaus entscheidend, dass hier im Rahmen der transzendentalen Deduktion das Recht als Vernunftbegriff durch eine ‚Umkehr‘ des Kantischen Begründungsprogramms vollzogen wird. Die Argumentation führt nicht von den Bedingungen zum Bedingten, es wird nicht „von den transzendentalen Prinzipien zu den durch sie begründeten und ermöglichten Gesetzen des Gegenstands- und Handlungswissens“ weitergegangen. Vielmehr reflektiert Fichte hier im Rückgang vom Bedingten zu den Bedingungen auch die Bedingungen, „unter denen das Unbedingte im bedingten (...) Bewußtsein gewußt werden kann“.113 Für die Rekonstruktion der Bedingungen des Rechts bedeutet dies, dass „auch die Individualität des Bewußtseins, seine Leibgebundenheit und eine bestimmte Form der Interaktion leibgebundener Vernunftwesen“ mitreflektiert und in ihrer konstitutiven Bedeutung für die Geltung des Rechts herausgearbeitet werden. Dieses zweite Moment ermöglicht den Nachweis, dass die Erfahrbarkeit und Geltung des Rechts durch Beschränkungen bedingt ist, die das Selbstbewusstsein in der Erfahrung des Willens anderer erfährt. Die Berücksichtigung dieser Beschränkungen sichert die Realität des Rechtsbegriffs: Recht wird nur in der faktischen Anerkennung, es ist nur im Handlungsvollzug des wirklichen Individuums. „Recht“ ist nicht der Ausdruck einer Idee von Gemeinschaft, sondern das Recht ist prinzipiell nur in der Gemeinschaft derer, die sich zu der Form selbstbewussten Handelns in der faktischen Anerkennung des anderen als selbstbewusstem Wesen gefunden haben. Dieses zweite Moment im Fichteschen Begründungsprogramm stellt die Gültigkeit des Rechtsbegriffs unter die Bedingung faktischer wechselseitiger Anerkennung: „Das endliche Vernunftwesen kann nicht noch andere endliche Vernunftwesen ausser sich annehmen, ohne sich zu setzen, als stehend mit denselben in einem bestimmten Verhältnisse, welches man das Rechtsverhältnis nennt“ (Grundlage, 41). Fichte koppelt damit die Erfahrung des Rechts unmittelbar an konkrete Handlungsvollzüge des Individuums. Letztere sind diese nicht auf Sachen sondern auf das andere Individuen orientiert. Fichtes Eigentumslehre ist ein Beispiel für diese Verknüpfung von Rechtsbegriff und konkretem intersubjektivem Handlungsvollzug. Die Problematik dieses Rechtsbegriffs zeigt sich dort, wo versucht wird, bestimmte Handlungen als Vollzug des Rechts zu identifizieren. Fichte selbst sieht diese Problematik sehr deutlich, wenn er in Paragraph 12 des Naturrechts eingesteht, dass es allein die eindeutige Anerkennung ist, die dem Ein113

L. Siep: „Philosophische Begründung des Rechts bei Fichte und Hegel“. In: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M. 1992, 65-80; dies und das folgende Zitat 68.

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zelnen Sicherheit gibt: „Jeder ist ferner rechtlich verbunden, sich darüber äusserlich zu erklären; und der Andere hat das Recht, ihn zu dieser Erklärung, zur Deklaration seines Besitzes, zu zwingen, weil ohne sie (...) weder Recht noch Sicherheit stattfinden kann“ (Grundlage, 127). Letztlich, so Bartuschat, setzt Fichte die wechselseitige Anerkennung eines Gemeinsamen in Form des Staates voraus. Denn es ist fraglich, ob dieses Gemeinsame durch wechselseitige Anerkennung zu konstituieren ist, bzw. wie die Institutionen der Rechtsverwirklichung aus diesem Rechtsbegriff zu deduzieren sind.114 Die genannten Probleme des Fichteschen Rechtsbegriffs verweisen strukturell auf Fichtes Reflexionstheorie des Ich. Dieter Henrich hat deutlich gemacht, dass in Fichtes Konzeption des Ich „derselbe Sachverhalt“ in einer zweifachen Stellung auftritt: Im Selbstbewusstsein sind „Gedanke und Gedachtes, Haben und Gehabtes, Noesis und Noema nicht voneinander unterschieden. Wo Ich ist, da ist beides, das Subjekt und dies Subjekt als sein Gegenstand“. Die Identität von Subjekt und Objekt als Identität von Wissendem und Gewusstem soll in einem Akt der Reflexion hergestellt werden. Der hier entstehende Zirkel, dass das Ich, das in diesem Akt konstituiert werden soll, als Ich bereits vorausgesetzt werden muss, kehrt im Rahmen der Rechtslehre wieder. Bei dem Versuch die Legitimität von Besitz auszuweisen, muss Fichte letztlich ein bereits konstitutiertes gemeinsames Verständnis über das, was Besitz ist, voraussetzen.115 Für den hier interessierenden Problemzusammenhang ist der Versuch Fichtes, im Rechtsbegriff die strenge Allgemeingültigkeit (im Nachweis der Vernünftigkeit des Rechts) mit der Realität dieses Rechtsbegriffs (in der Anbindung an die Anerkennung als Handlungsvollzug) zu vereinigen, entscheidend. Fichtes Ansatz selbst galt bei den Zeitgenossen – früher noch als Kants Rechtslehre – als der erste größere Versuch, eine Rechtslehre transzendentalphilosophisch zu begründen. Auch wenn Hegel in den Grundlinien die Fichtesche „Verseichtigung“ der Kantischen Philosophie mit beißendem Spott zurückweist, die Rechtskonzeption der Grundlinien geht in entscheidenden Punkten auf Fichtes Naturrecht zurück. Die Schwierigkeiten, die sich für die Kantische Konzeption bei dem Versuch einer Anwendung der praktischen Vernunftprinzipien auf Empirie ergeben, zeigen sich den Zeitgenossen nicht erst beim Erscheinen der Metaphysik der Sitten. Lange vor deren Erscheinen wurde über die fehlende Anwendung der transzendentalphilosophischen praktischen Gesetze auf den Bereich des Rechts geklagt. Fichtes Naturrecht ist der Versuch innerhalb des transzendentalphilosophischen Ansatzes eine Lösung zu finden. Vielfach führten diese Lösungsversuche weg vom transzendentalphilosophischen Ansatz. 114 115

Bartuschat: „Zur Deduktion des Rechts“; sowie Siep: „Philosophische Begründung“, 74. Dieses Problem kehrt auch in der Metaphysik der Sitten auf der Stufe der erworbenen Rechte wieder, wenn Kant die Geltung des Privatrechts nicht im Rückgriff auf das Selbstbewusstsein, sondern unter der Voraussetzung eines „Gesamtbesitz[es] der Sachen“ bzw. unter Annahme eines „gemeinsamen Willens“ begründet.

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3.4 Der Rechtsbegriff der Historischen Rechtsschule Fast ein Jahrzehnt war nach dem Erscheinen der Kritik der praktischen Vernunft über die Gestalt des neuen kritischen Naturrechts diskutiert worden, bis Kant 1797 schließlich den ersten Teil seiner Metaphysik der Sitten, die Rechtslehre, vorlegte. In der Zwischenzeit hatten bereits einige Schüler, wie Hufeland, Schmalz und Fichte, eine kritische Rechtslehre vorgelegt. Gegenüber diesen kritischen Entwürfen enttäuschte der Kantische Ansatz in zweierlei Hinsicht: die Metaphysik der Sitten war, so Jochen Blühdorn, zum einen „inhaltlich stark durch die Tradition bestimmt“, zum anderen machte Kant das „Verhältnis philosophischer Rechtslehre und positiver Rechtswissenschaft nicht hinlänglich explizit“.116 Was den letzten Kritikpunkt betrifft, so hatte Kant selbst, den Übergang von den Prinzipien a priori zu den empirischen Prinzipien zwar gefordert, in der Metaphysik der Sitten jedoch nicht zu zeigen vermocht, wie dieser Übergang zu konstruieren sei.117 Wird die transzendentalphilosophische Frage nach den Bedingungen des Rechts verlassen, so begegnet das Recht gerade nicht als das Vernünftige, sondern als das positiv Gesetzte.118 Für die Zeitgenossen bleibt die zentrale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer positiven Rechtswissenschaft als einer angewandten vernünftigen Rechtslehre unbeantwortet. Nach wie vor ist die Antinomie zwischen „einem gültigen und einem geltenden, zwischen einem wahren aber nicht anwendbaren, und einem falschen, aber doch ausgeübten positiven Rechte“119 unaufgelöst, so Anselm Feuerbach. Die Enttäuschung über Kants kritische Rechtslehre bildete nur einen weiteren Höhepunkt in der über einhundertjährigen Diskussion um Gestalt und Rolle des Naturrechts. Neue Impulse erhält diese Auseinandersetzung durch die umfassenden Kodifikationen der Zeit, das Allgemeine Landrecht (1794) und den Code Civil (1804). Die Frage nach der Rolle der Empirie bzw. der Erfahrung für die Rechtslehre wird mit diesen Kodifikationen erneut aufgeworfen. Gegen die „juristischen Wolffianer“ betont etwa Johann Stephan Pütter, „daß manche jetzt solche Wahrheiten, die 116

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J. Blühdorn: „‚Kantianer‘ und Kant. Die Wende von der Rechtsmetaphysik zur ‚Wissenschaft‘ vom positiven Recht“. In: Kant-Studien 64 (1963), 363-394; hier 365. Blühdorn verweist in diesem Zusammenhang auf den Nachlass, wo Kant zwischen reiner und statuarischer Rechtslehre eine „Rechtslehre überhaupt“ einschiebt (Blühdorn: „‚Kantianer‘ und Kant“, 366). Die Tradition, das positive Recht als das gesetzte, erlassene Recht vom natürlichen Recht zu unterscheiden, lässt sich bis zu Calcidius (um 400 n. Chr.) zurückverfolgen. In seinen Kommentaren zum Platonischen Dialog Timaios „unterscheidet Calcidius die iustitia positiva von der iustitia naturalis“ (vgl. J. Blühdorn / Chr. Jamme: „Positiv, Positivität“. In: Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch. Bd. 7. Basel 1989, Sp. 1106-1118. P.J.A. Feuerbach: „Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnis zur positiven Rechtswissenschaft. Eine Antrittsrede (1804)“. In: K. Lüderssen (Hg.), Paul Johann Anselm Feuerbach, Carl Johann Anton Mittermaier, Theorie der Erfahrung in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1968, 61-100; hier 69.

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man aus ganz andern Quellen schöpfen muß, bloß philosophisch und am Ende meist nur aus angenommenen Begriffen und Sätzen demonstrieren wollen“.120 Die Berufung auf Geschichte, Erfahrung und Beobachtung geht nicht nur auf den starken Einfluss David Humes zurück. Auch Hobbes verweist auf die Bedeutung der Geschichte für die Rechtslehre. Entscheidende Impulse gehen in diesem Zusammenhang aber von Montesquieu aus, dessen Abhandlung De l´esprit de lois binnen weniger Jahre in 22 Auflagen erscheint.121 Kants Trennung zwischen einer juristischen (nach empirischen Prinzipien verfahrenden) und einer philosophischen (nach reinen Vernunftprinzipien arbeitenden) Rechtslehre wird von den ihm folgenden Rechtstheoretikern aufgenommen und verfestigt. Für Gustav Hugo bilden die Mathematik und innerhalb der Philosophie die Logik und Metaphysik die eigentlichen Wissenschaften. Diese Wissenschaften arbeiten mit apriorischen Begriffen und Sätzen, die aller Erfahrung und allem Denken zu Grunde liegen. Die Philosophie des positiven Rechts ist für Hugo eine „angewandte Wissenschaft“: Sie macht einen Teil der Staatswissenschaft aus, die ihrerseits angewandte Ethik ist.122 Vielfach wird im Rückgriff auf die Rechtsgeschichte ein Ausweg aus der strengen Entgegenstellung von positiver Rechtslehre und vernünftiger Wissenschaft gesucht. Von zentraler Bedeutung erweist sich in diesem Zusammenhang die Klärung des Rechtsbegriffs, insbesondere das Verhältnis von empirischem und apriorischem Recht muss geklärt werden. Aus philosophischer Perspektive benennen allerdings die zeitgenössischen juristischen Rechtskonzeptionen allenfalls die Problematik der Rechtsbegründung. Eine Lösung wird in den zeitgenössischen Theorien entweder – mit dem Verweis auf die immer schon ausgeübte Geltung des Rechts – gar nicht erst gesucht, oder aber – unter Verweis auf den vernunftrechtlich begründeten Rechtsbegriff – einfach vorausgesetzt. Auch der historisch-empirischen Rechtsschule, wie sie Savigny vertritt, geht es weniger um die Deduktion des Rechtsbegriffs als um die Erstellung einer Methodologie. Diese Methodologie setzt das Recht als einen objektiv gegebenen Gegenstand bereits voraus und klärt lediglich die Anwendungsbedingungen des Rechts. Die offene Frage nach dem Übergang des Vernunftrechts zum empirischen Recht bleibt allerdings auch bei diesem Konzept ungelöst. Hegel setzt sich mit den Formen einer rein geschichtlichen Rechtsbetrachtung in den Anfangsparagraphen der Grundlinien ausführlich auseinander. Exempel hierfür ist ihm Hugos Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechts 120

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J.S. Pütter: Litteratur des Teutschen Staatsrechts. 3 Bde. Göttingen 1776-1783. Neudr. Frankfurt a.M. 1965. Bd. I, 444f. Vgl. zu diesem Kontext J. Blühdorn: „Zum Zusammenhang von ‚Positivität‘ und ‚Empirie‘ im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts“. In: ders. / J. Ritter (Hg.), Positivismus im 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1971, 123-159. Vgl. G. Hugo: Lehrbuch eines civilistischen Cursus. Bd. 1: Lehrbuch einer juristischen Encyclopädie. Berlin 21799 (11792), §485. Zu Hugos Konzeption einer Philosophie des positiven Rechts vgl. Blühdorn: „‚Kantianer‘ und Kant“, 363-394.

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(1799)123, das die geschichtliche Methode absolut setzt und die (transzendental-)philosophische Betrachtung dieses Stoffes für überflüssig, ja für schädlich erachtet.124 Unter dem programmatischen Titel Das Naturrecht als eine Philosophie des positiven Rechts setzt sich Hugo im zweiten Band seines Lehrbuchs mit dem Vorwurf Karl Leonhard Reinholds auseinander, dass die Juristen nicht wüssten, was positives Recht sei, weil sie willkürliche Fürstengewalt, Intoleranz und Leibeigenschaft auch zum positiven Recht zählten.125 Im Gegenzug spricht Hugo spricht den naturrechtlichen Normen ab, Recht im juristischen Sinn zu sein. Diesen Normen fehlt „Entscheidbarkeit“ und „Durchsetzbarkeit“, Kriterien die deutlich machen, dass Hugo den Rechtsbegriff über die faktische Geltung definiert. Wenn Hugo gleichwohl bestrebt ist, Philosophie und Jurisprudenz zu verbinden, dann mit dem Ziel, die Abhängigkeit der historisch-wandelbaren Rechtsinhalte von logischen, physischen und ethischen Gegebenheiten auszumachen, Parameter zu gewinnen für die Entscheidung über die Notwendigkeit bzw. Vernünftigkeit einzelner juristischer „Anstalten“.126 Eine Beurteilung der Vernünftigkeit erfolgt über die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ dieser Anstalten, wenn deren „gute und schlimme Folgen“ bedacht werden. Hugo fordert, die „Metaphysik über die bloße Möglichkeit“ (Census und Apologetik des positiven Rechts nach Prinzipien der reinen Vernunft) mit der „Politik über die Ratsamkeit eines Rechtssatzes“ (Beurteilung der technischen und pragmatischen Zweckmäßigkeit nach empirischen Daten der juristischen Anthropologie) zu vereinigen.127 Den Ansprüchen einer philosophischen Behandlung genüge dieses Vorgehen insofern, als „Vernunfterkenntnis aus Begriffen, von dem, was (juristisch) Rechtens sein kann“, unterschieden werde.128 Begriffe und Sätze a priori, d.i. Metaphysik, gehören zur Philosophie des positiven Rechts, „allein diese [Sätze] entscheiden nichts als die Form, welche an und für sich durchaus auf alles paßt oder vielmehr völlig leer ist; der Inhalt muss also aus Erfahrung und Geschichte gewonnen werden, 123

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G. Hugo: Lehrbuch eines civilistischen Cursus. Bd. 3: Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechts bis auf Justinian. Berlin 51818 (11799). Laut R. v. Stintzing und E. Landsberg (Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. 3. Abt. 2. Hbd. Berlin 1910. Neudruck Aalen 1957) ist die Zuordnung Hugos zur „historischen Schule“ nicht ganz zutreffend. Gelegentlich wird Hugo als Vorläufer, dann aber auch als Begründer der historischen Rechtsschule eingestuft. Zur Einordnung Hugos in die Jurisprudenz der Zeit vgl. M. Diesselhorst: „Gustav Hugo (1764-1844) oder Was bedeutet es, wenn ein Jurist Philosoph wird?“. In: F. Loos (Hg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttingen 1987, 146165; sowie J. Blühdorn: „Naturrechtskritik und ‚Philosophie des positiven Rechts‘. Zur Begründung der Jurisprudenz als positiver Fachwissenschaft durch Gustav Hugo“. In: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 42 (1973), 3-17. K.L. Reinhold greift in seinen Briefen über die Kantische Philosophie (2. Bd. Leipzig 17901792) die Forderung der Zeitgenossen auf, das Vernunftrecht müsse als Maßstab des positiven Rechts ausgewiesen werden. Vgl. hierzu J. Blühdorn: „Naturrechtskritik“, 4. G. Hugo: Lehrbuch eines civilistischen Cursus. Bd. 2: Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts. Berlin 41819 (11798), §34. So Hugo (Lehrbuch einer juristischen Encyclopädie, §16). Hugo: Lehrbuch des Naturrechts, 51.

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um etwas zu haben, worauf die Form anzuwenden sei, und um an den Folgen zu erkennen, was zu einem allgemeinen Gesetz mehr oder weniger tauge“129. Eine vollkommene Entsprechung von „Zweckmäßigkeit“ und Inhalt verwirklicht das römische Recht, das Hugo zum Paradigma des Rechts schlechthin erhebt. Für Hegel ist der Nachweis der Vernünftigkeit historischer Rechtsformen mit der von Hugo entwickelten Methode nicht zu leisten. Zum einen besteht Hegel darauf zwischen dem „geschichtlichen Aufzeigen und Begreiflichmachen des Entstehens“ und der philosophischen Ansicht „des Entstehens und Begriffes der Sache“ zu unterscheiden. Neben der Analyse der Bedingungen von „Positivität“ und „Faktizität“ muss die vernünftige Überprüfung und Rechtfertigung als die zweite Säule der rechtswissenschaftlichen Prüfung errichtet werden. Indem Hugo das römische Recht zum paradigmatischen Recht erklärt, vermischt er beide Fragestellungen. Wird die Bestimmung des Rechts – wie bei Hugo – an die faktische Geltung in einem Gemeinwesen geknüpft, so hat dies zur Folge, dass auch die Vernunfterkenntnis auf diesen Bereich eingeschränkt ist: Der Rechtsbegriff der Philosophie kann nur am positiven, in einem Gemeinwesen geltenden Recht entwickelt werden.130 Der philosophische Teil dieser Rechtslehre prüft die Verallgemeinerbarkeit, Widerspruchsfreiheit und Zweckmäßigkeit der geltenden Rechtssätze. Nicht einlösbar ist mit diesem Vorgehen der Anspruch des traditionellen Naturrechts, die Geltung von Rechtsgrundsätzen losgelöst von einem bestimmten Gemeinwesen zu erweisen. Diesen Gesichtspunkt rückt Hegel in seiner Kritik an Hugo in den Vordergrund. Denn letztlich muss auch Hugos rechtsgeschichtlicher Ansatz die überzeitliche Geltung der Rechtsgrundsätze behaupten, da der im historischen Teil der Rechtslehre durchgeführte Rechtsvergleich einen überzeitlichen Vergleichsmaßstab erfordert. Dieses Problem führt Hugo dazu, ein „Vermögen der juristischen Beurteilung“ einzuführen, das gleichsam über den verschiedenen geschichtlichen Rechtskonzeptionen steht.131 Die Nachfolger Hugos suchen aus dem Zwiespalt zwischen historischer und systematischer Rechtsbegründung einen Ausweg, indem sie an faktisch geltenden Rechtsformen die überzeitliche Gültigkeit von Recht aufweisen. Symptomatisch für dieses Vorgehen ist eine Doppelung im Rechtsbegriff. Friedrich Carl von Savigny etwa unterscheidet zwischen zwei Elementen des Rechts, „dem Recht“ und „dem Recht selbst“ oder zwischen „dem Recht“ und „dem wirklichen Recht“. Alle diese Unterscheidungen führen, so Joachim Rückert, auf die „Unterscheidung von notwendig (...) allgemeiner, ja ewiger Seite und einer anzuerkennenden, aber bedingten, zeitlichen Seite.“132 Ziel der „rich129 130

131 132

Hugo: Lehrbuch des Naturrechts, Vorrede §22, XIV. „Außer dem Staat ist keine Form von Recht möglich“ (Hugo: Lehrbuch des Naturrechts, 403). So Blühdorn („Naturrechtskritik“, 15). J. Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny. Ebelsbach 1984, 310.

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tigen historischen Methode“ ist es, „jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen, und so sein organisches Princip zu entdecken.“ Savigny rechnet sich das Verdienst zu, die richtige Methode entwickelt zu haben133. Für Hegel aber kommt bei der Anwendung dieser Methode „das wahrhaft Wesentliche, der Begriff der Sache (...) gar nicht zur Sprache“ (Grundlinien, §3, 23; GW 14.1, 26f.). Hegels Kritik „an einem Geschichtsverständnis, das eine Rechtsbestimmung (...) aus den Umständen und vorhandenen Rechtsinstitutionen als vollkommen gegründet und konsequent“ ausweist, zielt weniger auf Hugo als auf Savigny. Die geschichtlichen Umbrüche der Zeit lehren für Hegel gerade, dass historisch überkommene Institutionen, die – wie etwa die Klöster – zu ihrer Zeit vorteilhaft, ja konkurrenzlos das Gute vertraten, sich unter geänderten Umständen als gänzlich überflüssig und unzweckmäßig erweisen können. Hegel veranschaulicht die Konsequenzen dieser Rechtskonzeption an der Unterscheidung zwischen Personen- und Sachenrecht. Die Unterscheidung des römischen Rechts zwischen Personen- und Sachenrecht setzt voraus, dass es besondere Personenrechte unabhängig von Sachenrechten gibt. Die besonderen Personenrechte sind somit Statusrechte, die bestimmten Personen bestimmte Rechte zuweisen. Wird diese Einteilung aus dem römischen Recht übernommen, so wird ein geschichtlich wohlbegründeter Rechtsinhalt in einen gänzlich anderen geschichtlichen Kontext eingefügt. In der Konsequenz wird hier dem modernen Personenbegriff ein Rechtssystem übergestülpt, dessen juristische Praxis einer ganz anderen personenrechtlichen Konzeption (Person als status) verpflichtet ist. Wird diese Unterscheidung zur Grundlage einer vernunftgegründeten Systematik des Rechts, so führt dies zu Inkonsequenzen, die den Gesamtansatz der Rechtslehre in Frage stellen. Hegels Kritik an der Übernahme der römischen Rechtseinteilung verdeutlicht einen zentralen Aspekt der Hegelschen Kant-Kritik. Diese Übernahme offenbart das Defizit des Kantischen Vernunftbegriffs des Rechts, der das Verhältnis zum faktisch-empirischen Recht ungeklärt lässt. Die „Abstraktheit“ des Kantischen Rechtsbegriffs führt dazu, dass Rechte, welche substantielle Verhältnisse, wie Familie und Staat, zu ihrer Voraussetzung haben und solche, die sich auf die bloß abstrakte Persönlichkeit beziehen „kunterbunt“ gemischt auftreten (Grundlinien, §40, 54; GW 14.1, 53).134 Die mangelnde Klärung des Verhältnisses von Vernunftrecht und empirischem Recht führt zur willkürlichen Vermischung von inhaltlichen und formalen Bestimmungen. Das ungeklärte Verhältnis des Vernunftrechts zum empirischen Recht hinterlässt gleichsam ein Vakuum, das die unkritische Übernahme historischer Rechtsbe133

134

F.C. v. Savigny: Vom Beruf unserer Zeit für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Heidelberg 1814, 166. Da Kants Rechtsbegriff nicht zwischen diesen Rechten unterscheidet, sondern „Recht“ allein auf die abstrakte Persönlichkeit bezieht, kann Kant Familienverhältnisse nur als „auf dingliche Weise persönliches Recht“ thematisieren (vgl. MdS, §22).

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stimmungen begünstigt, ja erzwingt. Hierfür ist Kants Übernahme der römischen Rechtseinteilung nur ein Beispiel. Die historische Rechtsschule führt diese Praxis fort. Sie kompensiert die fehlende inhaltliche Konkretion, indem Strukturen und Beziehungen, die gänzlich anderen historischen Umständen entstammen, in die vernunftrechtliche Rechtsbestimmung übernommen werden. Auch Savigny sieht diese Problematik und sucht zwischen den beiden alternativen Rechtsbegriffen (historisch oder transzendental) einen dritten Weg. Weder deduziert er den Rechtsbegriff transzendentalphilosophisch aus vorgelagerten Vernunftprinzipien noch greift er auf ein rein historisches Erklärungsmodell zurück, vielmehr spricht Savigny dem Recht eine sich aus sich selbst legitimierende Wirklichkeit zu. Recht ist faktisch geltendes Recht, das aber nicht als das bloße Produkt spezifisch gesellschaftlicher Zwecksetzung verstanden werden darf. In seinem Einleitungsaufsatz zu der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft aus dem Jahr 1815 macht Savigny das Volk und den in ihm waltenden Volksgeist zum Seinsgrund des Rechts. „Volk“ ist als geschichtliche Größe zu verstehen. Basis und Entstehungsgrund des Rechts ist keine übergeschichtliche Vernunftbestimmung, sondern der geschichtlich gebundene Volksgeist. Es ist die „höhere Natur des Volkes“ als ein stets werdendes und sich entwickelndes Ganzes“, die das Recht hervorbringt.135 In Anlehnung an Rousseaus „volonté générale“ hat das Recht für Savigny „sein Dasein in dem gemeinsamen Volksgeist, also in dem Gesamtwillen, der insofern auch Wille jedes Einzelnen ist“136 . „Allgemeinheit“ und „Legitimität“ kommen dem Recht bei Kant durch Rückführung der Rechtsprinzipien auf die Vernunft zu. Savigny gewinnt diese Eigenschaften für das Recht in der Verknüpfung von „Recht“ und „Volksgeist“. Gegenüber der abstrakten Begründung lässt sich die „höhere Natur des Volkes“ für die Erkenntnis des Rechts insofern fruchtbar machen, als im Volk „die typischen Sach- und Sozialbezüge des Rechts zu erfassen sind“137. Allerdings erscheint es fraglich, inwieweit der Anspruch, auf diese Weise zu einem allgemeingültigen Rechtsbegriff zu gelangen, einzulösen ist, denn die gewonnene Allgemeinheit des Rechts bleibt auf den jeweiligen Volksgeist beschränkt. Ein normativ kritischer Rechtsbegriff scheint aus der „höheren Natur des Volkes“ nicht erschließbar.138 Savignys 135

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Lorenz von Stein kritisiert, dass dieser Rechtsbegriff letztlich unpolitisch ist, insofern dieser geschichtlich kulturell geprägte Rechtsbegriff den Staat erst erzeugt. Savigny immunisiert auf diese Weise das Recht sowohl gegenüber dem Rechtssetzungsanspruch der abstrakten Vernunft als auch gegen den Machtwillen eines revolutionären Gesetzgebers. Vgl. L. v. Stein: „Zur Charakteristik der heutigen Rechtswissenschaft“. In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst 1 (1841), 365-399. F.C. v. Savigny: System des heutigen römischen Rechts. Bd. 1. Berlin 1840, 24. So R. Grawert: „Die Entfaltung des Rechts aus dem Geist der Geschichte“. In: Rechtstheorie 18 (1987), 437-461; hier 458. Auch in der gegenwärtigen Diskussion ist die Leistungsfähigkeit dieser Konzeption strittig. Für Grawert bahnt die „systematische Überhöhung der historischen Begebenheiten“ der Einsicht in das „eigentlich geschichtliche Recht“ den Weg, während dieser Ansatz für Böcken-

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Konzeption einer geschichtlichen Rechtswissenschaft ist zwar für die ganze Fülle historischer Rechtsformen offen. Da für Savigny die Rechtsformen ihre Entsprechung in den konkreten Lebensverhältnissen haben, kommt diesem Rechtsbegriff aber weder eine gegenüber den Lebensverhältnissen normierende Funktion zu, noch ist die Entstehung bestimmter Rechtsformen aus den sozialen oder gesellschaftlichen Zwecksetzungen mit Notwendigkeit zu rekonstruieren.139 Das Fehlen eines normativen Maßstabes führt letztlich zur Anerkennung beliebiger Formen als Recht. Hegels Kritik an Rousseau, von Haller und der historischen Rechtsschule weist zurück auf die Kant-Kritik: Die Defizite der Kantischen Rechtskonzeptionen kann auch der geschichtliche Rechtsbegriff trotz seiner Nähe zur Empirie nicht ausgleichen. Die Konsequenzen dieser Rechtskonzeption zeigen sich auch bei der Frage nach den Konstitutions- und Legitimationsprinzipien des modernen Staats. Rousseau erhebt die volonté générale zum Konstitutionsprinzip des Staates. Rousseau folgend erklären die Anhänger einer Vertragskonzeption den ‚Sozialitätstrieb‘, den ‚Willen‘ oder aber die ‚Einsicht in die Notwendigkeit‘ (recta ratio) zum Grundprinzip der Entstehung des Allgemeinen. Hegel verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf Rousseaus Contract Social, sondern auch auf von Hallers Restauration der Staatswissenschaften. Für Haller repräsentiert der Staat nicht das Allgemeine als ein in sich Vernünftiges. Vielmehr macht die „Äußerlichkeit der Erscheinung“, die „Zufälligkeit der Not, die Schutzbedürftigkeit“ der Einzelnen die Substanz des Staates aus. So unterschiedlich die Konzeptionen von Hallers und Rousseaus hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Konsequenzen auch sein mögen, für beide steht das einzelne Individuum im Zentrum der Staatskonzeption. Für Haller erzwingt das Individuum als empirische Einzelheit mit zufälligen Eigenschaften die Gründung des Staates (vgl. Grundlinien, §258 Anm.). Wie Rousseau und Haller geht Hegel in der Frage nach den Konstitutionsprinzipien des Staates vom Willen aus. Es ist aber nicht der Wille des einzelnen Individuums, vielmehr fordert Hegel, der Wille solle hier als objektiver Wille, als der „in seinem Begriffe vernünftige Wille“ gedacht werden. Dieser Willensbegriff erst ermöglicht die Rekonstruktion und Legitimation des Staates. Mit Blick auf die geschilderten Probleme erweist sich Hegels Konzeption des Willens als das Resultat einer direkten Auseinandersetzung mit den genannten Positionen. Insbesondere reflektiert die Hegelsche Konzeption des Willens kritisch die Position der historischen Rechtsschule. Rousseau und Haller haben, so Hegel, mit dem Begriff des Willens zwar den richtigen Ausgangspunkt für die „Staatswissenschaft“ gewählt, dieser Wille dürfe jedoch

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förde gerade das geschichtliche Verständnis des Rechts verstellt. Vgl. E.-W. Böckenförde: „Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts“. In: ders. u.a. (Hg.), Collegium Philosophicum, 9-36. Die „geschichtliche Rechtsauffassung führt (...) im Ergebnis zu einem ungeschichtlichen Verständnis des Rechts“ und wird zum Wegbereiter der abstrakt-formalen Begriffsjurisprudenz Gerbers, Iherings und Labands. Vgl. Böckenförde: „Die Historische Rechtsschule“, 21.

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nicht als einzelner Wille gefasst werden, sei doch ausgehend vom Einzelwillen eine Rekonstruktion des Staates nicht zu leisten. Diese Kritik findet sich auch bei Savigny. In seinem Einleitungsbeitrag zur Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft gibt er zu bedenken, dass es „kein vollkommen einzelnes und abgesondertes menschlichtes Daseyn [gibt]; vielmehr was als einzelnes angesehen werden kann, ist, von einem anderen Standpunkt betrachtet, Glied eines höheren Ganzen. So ist jeder einzelne Mensch notwendig zugleich zu denken als Glied einer Familie, eines Volkes, eines Staats.“140 Der Einzelne steht für Savigny in einem Zusammenhang, der nicht aus den Bestimmungen, die ihm als Einzelnem zukommen, zu konstituieren ist. Wie aber ist auf dieser Basis der Begriff des Rechts zu fassen? Die hier bestehenden Probleme verdeutlicht auch die Auseinandersetzung Savignys mit Jakob Friedrich Fries.141 In der Vorrede zur Rechtslehre charakterisiert Fries seinen Ansatz wie folgt: “Das Gesetz des Rechtes entspringt aus unserm eigenen Innern, wir lernen es nicht von der Natur, sondern wir setzen durch dasselbe als ein Gesetz der Freyheit die Gesellschaft der Menschen aller Natur entgegen. Aber dennoch finden sich die Menschen nur in der Natur, das Rechtsgesetz kommt also in ihrer Gesellschaft nicht als ein natürlicher Weise schon geltendes Gesetz vor, sondern nur als eine Idee. Es ist nur als eine Aufgabe gegeben, es soll durch die eigne Thätigkeit des Menschen erst unter ihnen eingeführt werden“.142 Weiter gibt Fries zu bedenken, dass dadurch, dass ein jeder innerlich das Gesetz hat und auch allgemeinen anerkennt, es darum doch nicht sofort unter den Menschen gilt, „hierzu ist eine äußere positive Gesetzgebung notwendig“. Die Einführung des Rechts vollzieht sich für Fries „durch Vertrag und vertragsmäßige Verteilung des Eigentums im Verhältnis der Einzelnen und durch öffentliche positive Gesetzgebung in Rücksicht der Gesellschaft überhaupt“. Für Savigny liegt im Ausgehen von der „inneren Erfahrung“ vom „Bewußtsein“ der eigentliche Irrtum. So moniert er gegenüber Fries, „daß auch [er] wieder sich ohne Bedenken auf das Bewußtsein berufe, in dem man nur nachzusehen habe, um alle diese Sachen sogleich zu finden. Ich werde nie vergessen, wie sehr ich bei meiner allerersten Bekanntschaft bekümmert war, das Sittengesetz in meinem Bewußtsein – nicht zu finden“143. Savigny kritisiert nicht nur die Vertragskonstruktion und den Ausgang beim einzelnen Subjekt, sondern auch die von den Zeitgenossen in Anspruch genommene Erkenntnismethode. Nicht transzendentalphilosophisch im Rückgang auf letzte Prinzipien der praktischen Vernunft lassen sich naturrechtli140

141 142

143

F.C. v. Savigny: „Über den Zweck dieser Zeitschrift“. In: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815), 1-17; hier 3. Vgl. hierzu Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Savigny, 242 ff. J.F. Fries: Philosophische Rechtslehre und Kritik aller positiven Gesetzgebung. Jena 1803. Neudruck Jena 1914, VIII. Die Textstellen entstammen einem Brief Savignys an Fries. Vgl. E.L.T. Henke: Jakob Friedrich Fries in seinem handschriftlichen Nachlasse dargestellt. Leipzig 1867, 298 (hier zitiert nach Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Savigny, 248).

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chen Fragen lösen, vielmehr ist hier ein „natürlicher Ansatz“ gefordert. „Natürlich“ ist für Savigny nicht, so Rückert, als „empirische Nüchternheit“ zu verstehen, vielmehr steht „natürlich“ für die Forderung das „Gegebene“ in „seiner Werthaftigkeit“ aufzufassen. „Natürlich“ ist für Savigny und seine Zeitgenossen der Gegenbegriff zu „autonom“. „Natürlich“ wird zum Synonym für „Harmonie mit sich“ stilisiert. „Savignys Generation hatte wie er die Tauglichkeit der Rede vom ‚natürlichen‘ im Rahmen eines neuen, monistischen Konzepts von Natur und Mensch entdeckt“. Mit dieser Konzeption will Savigny „quasi das Objektive im Subjektiven“144 aufsuchen. Wert und Sittlichkeit einer Handlung hängen „nicht von unserer Freiheit“, sondern von „unserer Stimmung“ ab. Indem diese Stimmung „Gesinnung“ wird, ist der natürliche Weg beschritten. Die Einheit von Moral und Recht resultiert für Savigny aus dieser Verschränkung von „Subjektivem und Objektivem“. „Freundschaft“ und „Liebe“ nicht aber „individuelle innere Erfahrung“ (Fries), oder „Selbstdenken“, offenbaren das Gute, den Gott in uns.145 Rückert verweist darauf, dass Savigny diese Überlegungen zum Teil fast wörtlich aus seinem „geliebten“ Athenaeum übernommen habe, nämlich aus Friedrich Schlegels Gespräch Über die Philosophie. Eine weitere Quelle für diesen Ansatz bildet Friedrich Hölderlins Roman Hyperion mit seiner Konzeption des Sittlichen als Autonomie und Heteronomie. Für Hölderlin sind Gott und Religion Bestimmungsmomente des Praktischen.146 Savigny greift diesen Ansatz insofern auf, als für ihn ‚Gott‘ nicht ein höheres dem Menschen transzendentes Wesen ist, sondern seiner Naturkonzeption entsprechend ein höheres Element des Menschen fasst. Gott steht hier für „rein menschlich“ oder für „Natur“. Savignys Kritik an Fries hätte durchaus Hegels Zustimmung gefunden. Diese Übereinstimmungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hegel einen auch gegenüber Savigny anderen Weg zur Begründung des Rechts einschlägt. Denn letztlich bilden für Hegel sowohl der Fichtesche Verweis auf die „Thatsachen des Bewußtseins“, wie die Bemühung, das Recht in der Erfahrung zu verwurzeln, wie auch der Ansatz Savignys, das Recht als Resultat von „Freundschaft“ und „Liebe“ zu fassen, zwei Seiten derselben Medaille. All diese Bestimmungen sind Resultat der Bemühung, die bei Kant bestehenden Defizite zu überwinden, ohne eine prinzipielle Kritik der Kantischen Voraussetzungen durchzuführen. Die genannten Ansätze haben das gemeinsame Anliegen, das Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht, von Recht und Politik im Rahmen der Kantischen Voraussetzungen neu zu bestimmen.147 Ge144 145

146 147

Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Savigny, 251. Vgl. K.W.F. v. Schlegel: „Über die Philosophie. An Dorothea“. In: Athenaeum II 1 (1799), 138 (fotomech. Nachdr.); hier 8: „Die Menschheit läßt sich nicht inoculiren, und die Tugend läßt sich nicht lehren und lernen, außer durch Freundschaft und Liebe mit tüchtigen und wahren Menschen und durch Umgang mit uns selbst, mit den Göttern in uns“. Vgl. G. Kurz: Mittelbarkeit und Vereinigung. Stuttgart 1975. Um diese Fragestellung kreisen auch die Beiträge und Diskussionen in der von C.Chr. Collmann und F.J. Molitor herausgegebenen Zeitschrift für Rechtswissenschaft. Dort wird von

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meinsam ist ihnen die nur unzulänglich durchgeführte Kritik am Kantischen Rechtsbegriff. Kant sichert die Normativität seines Rechtsbegriffs durch die Rückführung des Rechtsbegriffs auf das moralische Gesetz. Die rein formale Gestalt des praktischen Gesetzes verhindert allerdings eine Konkretisierung der Rechtsnorm. Eine inhaltliche Präzisierung ist aber – soll das Vernunftrecht eine das Zusammenleben der Menschen orientierende und regelnde Funktion haben – unverzichtbar. Auf der anderen Seite hat es die Rechtswissenschaft mit einer ganzen Fülle konkret inhaltlich bestimmter Rechtssetzungen zu tun, ohne dass deren Normativität auf formale Vernunftprinzipien gegründet ist. Recht ist für Hegel – und diese Ansicht teilt er mit der historischen Rechtsschule – faktisch gegeben. Die Bestimmung des Personenbegriffs im römischen Recht zeigt diese Verwurzelung des Rechts in Traditionen und Situationen. Die faktische Geltung des Rechts ist an historische Bedingungen geknüpft. Mit Kant will Hegel das Recht aber auch als vernünftige normative Instanz begreifen und verbindlich machen. Beide Momente gehören zusammen. Dass der Hinweis auf die in konkreten Situationen gegründete Legitimität des Rechts nicht als Preisgabe der normativen Funktion des Rechts verstanden werden darf, verdeutlicht Hegels Kritik am Programm der Historischen Rechtsschule. Savigny versucht der zweifachen Funktion des Rechtsbegriffs dadurch gerecht zu werden, dass er dem „Recht (...) eine allgemeine und eine besondere Aufgabe“ zuweist. Ein „Kunstgriff“, so Rückert, mit dem Savigny im Recht das qualitativ Notwendige mit dem Zufälligen zu vereinigen sucht. „Ideales und reales Recht werden in dieser Doppelung als Einheit gedacht. Die Absolutheit ist gerettet, und nicht bloß abstrakt. Dieses Absolute gilt als objektiv gegeben“.148 Allerdings ist mit der Feststellung dieser Einheit, so Collmann und Molitor149, weder die Abgrenzung des Rechtsgebiets noch die Frage nach der Vermittlung zwischen idealem und realem Recht geleistet. Hegel will mit seiner Konzeption dieser Forderung genügen.

148 149

Molitor etwa gegen Fichtes Konzeption des Politischen im „Geschlossenen Handelsstaat“ gefordert, dass die philosophische Behandlung der Politik „vom Absoluten“ auszugehen und dahin wieder „zurückzukehren“ habe. Fichtes Versuch mangele es an „synthetischen Mittelgliedern“, „deren Konstruktion doch den wahren Charakter der Politik ausmacht“. Vgl. Zeitschrift für Rechtswissenschaft 1/1 (1802), 23 (es ist nur dieses erste Heft erschienen.) Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Savigny, 281. Vgl. Zeitschrift für Rechtswissenschaft 1/1 (1802), Anm. 76.

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4. HEGELS RECHTSBEGRIFF

Der Hegelsche Rechtsbegriff ist, dies machen die einleitenden Bemerkungen zur Philosophie des Rechts deutlich, zwei unterschiedlichen Traditionslinien verpflichtet: Zum einen will Hegel mit seiner Konzeption des Rechts dem naturrechtlichen Anspruch genügen und Recht als einen allgemeingültigen Begriff mit normativer Geltung aufweisen. Recht steht in diesem Zusammenhang für angeborene oder erworbene Schutzansprüche des Individuums. Zum anderen greift Hegel das positivistische Rechtsverständnis auf: Hier steht der Rechtbegriff für die Geltung und Wirklichkeit bestimmter Regeln. Inwieweit diese beiden Traditionsstränge überhaupt in einer einheitlichen Konzeption des Rechts vereinigt werden können, ist fraglich. Inwieweit diese doppelte Anforderung zu einer Mehrdeutigkeit des Rechtsbegriffs führt, wird zu klären sein. Auffallend ist zunächst, das breite Anwendungsspektrum des Rechtsbegriffs. Während für Kant der Rechtsbegriff auf die Regelung äußerer Verhältnisse beschränkt bleibt, findet der Rechtsbegriff bei Hegel sowohl in der Sphäre der Moralität wie auch der Sittlichkeit Verwendung. So spricht Hegel nicht nur vom Eigentums- und vom Staatsrecht sondern auch vom „Recht des subjektiven Willens“ und vom „Recht des Weltgeistes“. Kants Rechtsbegriff basiert auf der Differenz zwischen praktischer necessitas und praktischer necessitatio. Auf dieser Differenz baut die Unterscheidung zwischen rechtlichen und moralisch-sittlichen Pflichten auf. Wenn Hegel in den Grundlinien zwischen „Abstraktem Recht“ und „Moralität“ unterscheidet, so scheint er diese Trennung aufzunehmen. Joachim Ritter hat in seinem Beitrag „Moralität und Sittlichkeit“ die These vertreten, dass Hegel mit der „Aufnahme des Standpunkts der Moralität“ im zweiten Abschnitt der Grundlinien „von der für die kantische praktische Philosophie grundlegenden Unterscheidung von Legalität und Moralität“150 ausgeht. Diese Unterscheidung macht Hegel, so Ritter, „zum Anfang und Grund der Rechtsphilosophie“. Die Konzeption der Grundlinien lässt sich daher mit Ritter als ein grundsätzliches Festhalten an der kantischen Position verstehen. Hegel will ausgehend von der kantischen Position zeigen, „daß zu der im Recht gesetzten Freiheit des Freien als ‚Person‘ das Für-sich-selbst-Sein der Subjektivität in sich gehört“. In der Gesamtkonzeption der Grundlinien haben die Abschnitte ‚Moralität‘ und ‚Abstraktes Recht‘ eine konstitutive Funktion für die „Sittlichkeit“.151 Eine Prü150

151

J. Ritter: „Moralität und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der kantischen Ethik“. In: Riedel (Hg.), Materialien. Bd. 2, 217-244; hier 217f. Ritter rekonstruiert den Zusammenhang zwischen Legalität sowie Moralität einerseits und Sittlichkeit andererseits als ein „Aufheben“, das wesentlich als „Aufbewahren“ zu begreifen ist: Recht hat „in allen Teilen des Rechtssystems zwischen dem Recht der Person und dem Staatsrecht nur dann die Freiheit aller zu seinem Grunde (...), wenn dieses den subjektiven

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fung dieser These soll nachfolgend zunächst durch die Rekonstruktion der Hegelschen Rechtskonzeption am Leitfaden der Konzeption des „objektiven Willens“ erfolgen. Die Frage, inwieweit Hegel die Kantische Trennung zwischen Legalität und Moralität für seinen Rechtsbegriff voraussetzt, wird nachfolgend geprüft. Eine adäquate Rekonstruktion des Rechtsbegriffs der Grundlinien hat allerdings die Jenaer Rechtskonzeption und deren Kritik am neuzeitlichen Naturrecht zu berücksichtigen. Lässt sich doch die Frage, ob von einer Überwindung der Kritik am Naturrecht in der Philosophie des Rechts gesprochen werden darf, nur beantworten, wenn die Jenaer Sittlichkeitskonzeption und deren Rechtskonzeption mit in die Überlegungen einbezogen werden.

Willen des Einzelnen in seiner Subjektivität einschließt.“ Ist bei Kant „Moralität“ auf die Pflichten der inneren Freiheit beschränkt, so löst Hegel mit der „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ diese Beschränkung auf und bezieht die Moralität auf Gegenstände, die für Kant im Rahmen der Rechtslehre zu behandeln sind: Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Diese Institutionen werden als „sittliche Wirklichkeit des in der Moralität gesetzten subjektiven Willens und seines Guten“ begriffen. Der Begriff der „Sittlichkeit“, so Ritter, wird in der „Entgegensetzung zur Moralität von Hegel allgemein und geschichtlich zunächst aus der für die griechische Welt konstitutiven, ethischen Verfassung bürgerlichen Lebens“ entwickelt (Ritter: „Moralität und Sittlichkeit“, 226). Hegels Begriff des Handelns nimmt daher für Ritter „den für die aristotelische Politik und Ethik grundlegenden Begriff der Praxis auf“ (op. cit., 233), da Hegel das Verhältnis des Willens in sich zu seiner Objektivität als Handeln „in der Aufnahme des aristotelischen Grundsatzes als ‚Möglichkeit‘, die noch nicht ‚Wirklichkeit‘ ist“, entwickelt (Grundlinien, §13 Zus.). Diese Wirklichkeit stellt sich, so Ritter, „für Hegel erst dadurch her, dass Hegel (wie Aristoteles) die objektiven und allgemeinen Institutionen, Gesetze und Gewohnheiten in einem Staat, der auf Freiheit gegründet ist, als die Wirklichkeit subjektiver Freiheit begreift“ (Ritter: „Moralität und Sittlichkeit“, 235).

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4.1 Die Jenaer Rechtskonzeption Bereits in den Jenaer Schriften verbindet Hegel die Übernahme Kantischer Grundbestimmungen mit dem Anspruch, die Defizite dieser Konzeption zu überwinden. Ausgangspunkt der kritischen Aneignung bildet die Infragestellung der Aufteilung der philosophischen Wissenschaft in einen theoretischen und praktischen Teil. Hegels Kritik fußt auf der Überlegung, dass diese Trennung letztlich auf eine Trennung in der Vernunft selbst zurückgeführt werden muss. Mit dieser Trennung gibt die Philosophie aber nicht nur ihre Einheit preis. Fraglich ist für Hegel des Weiteren, ob unter dieser Voraussetzung die beiden ‚Gegenstände‘ der Philosophie – „Natur“ und „Freiheit“ – überhaupt in angemessener Weise zur Darstellung gebracht werden können. Der Freiheitsbegriff veranschaulicht für Hegel die Defizite des Kantischen Ansatzes: Die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie verhindert eine adäquate Erfassung des Begriffs der Freiheit. Zwangsläufig muss der für das Praktische konstitutive Freiheitsbegriff aus dem Gegensatz zur Natur entwickelt werden. Weder ist ein ‚Wirken‘ dieser Freiheit in der Natur, noch ist die Aneignung der ‚Natur‘ durch Freiheit (in Arbeit und Bildung) auf der Basis dieser fundamentalen Trennung zu erfassen. Gegen die Aufspaltung der Philosophie in eine „Philosophie der Natur“ und eine „Philosophie der Freiheit“ setzt Hegel eine Philosophiekonzeption, die nicht von dieser Differenz ausgeht, sondern diese Differenz aus einer vorgängigen Einheit von Natur und Freiheit, einem Absoluten als Natur, als „göttliche Natur“ zu entwickeln sucht. „Der Indifferenzpunkt, nach welchem die beiden Wissenschaften, insofern sie von Seiten ihrer ideellen Faktoren entgegengesetzt sind, streben, ist das Ganze, als eine Selbstkonstruktion des Absoluten vorgestellt, das Letzte und Höchste derselben“ (Differenzschrift, 93/74). Hegel bestimmt dieses Letzte und Höchste als göttliche Substanz, die sich in der physischen und sittlichen Natur realisiert und anschaulich wird. Beide Erscheinungsformen weisen sowohl Natur als auch Freiheit, weisen Notwendigkeit und Selbstbestimmung auf. Daher muss die sittliche Sphäre nicht nur als Sphäre der Freiheit, sondern auch als Sphäre der Naturnotwendigkeit begriffen werden. Es sind diese systematischen Vorüberlegungen, die Hegel dazu führen, Naturbestimmungen wie Bedürfnis und Genuss als zur sittlichen Sphäre gehörig zu erfassen. Die Verankerung der sittlichen Bestimmungen im Einheitskonzept einer „göttlichen Natur“ verhindert allerdings die Selbständigkeit der Bestimmungen der praktischen Sphäre: Da die praktischen Bestimmungen auf eine „göttliche Natur“ zurückgehen, kann ihre Geltung nicht unabhängig von dieser entwickelt und ausgewiesen werden. Die Bestimmungen der Freiheit bleiben auf die „göttliche Natur“ bezogen und von dieser abhängig. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass diese Konzeption einer göttlichen Natur, aus

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der die sittliche Natur und die physische Natur hervorgehen, auf den „Hegelsche Gedanken vom Geist“ verweist.152 Geht man von der Geltung dieses Einheitskonzepts für die Jenaer Zeit aus, so stellt sich vor dem Hintergrund der Hegelschen Kritik an Kants Trennung von theoretischer und praktischer Philosophie die Frage, wie Hegel auf dieser Basis seine Konzeption der praktischen Philosophie entwickelt und welche Konsequenzen dieser Ansatz für den Rechtsbegriff wie auch für die Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität hat. Zunächst soll die Konzeption des Rechtsbegriffs rekonstruiert werden, um die Grundlagen zu Schaffen für die Klärung der Frage, wie Hegel mit der Konzeption der Sittlichkeit die Kantischen Trennung überwinden will. Hegels frühe, bis in die Frankfurter Zeit gültige Rechtskonzeption knüpft an die neuzeitliche Tradition der Eigentumslegitimation an: Recht hat als Privatrecht die Eigentumssicherung zur Aufgabe. Es geht hier um ein Recht, das den Individuen aufgrund anerkannter Schutzansprüche seitens des Staates gewährt wird, nicht aber um Grundrechte, die den Individuen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung zustehen. Gegenüber den höheren politischen Zwecken des Staates wertet Hegel das Recht auf Eigentum allerdings deutlich ab. Erst seit dem Ende der Frankfurter Zeit erkennt Hegel die Unaufhebbarkeit des Eigentums an. Mit dieser Anerkennung wird klärungsbedürftig, wie die höhere Freiheit der polis mit dem Recht auf Eigentum zu verknüpfen ist. Im Naturrechtsaufsatz legt Hegel zu Beginn der Jenaer Zeit eine Neukonzeption des Naturrechts vor, mit dem Anspruch einer systematischen Lösung des Konflikts zwischen Privatrecht (als aus der Naturbestimmung hervorgegangenem Recht) und Sittlichkeit (als Freiheitsbestimmung). Die Vereinigung der beiden konfligierenden „Mächte“ beschreibt Hegel als geschichtliche Aufgabe, die in der griechischen „Tragödie im Sittlichen“ eine exemplarische Lösung gefunden hat. Der Konflikt der beiden unversöhnten Mächte, Privatrecht und Sittlichkeit, löst sich auf, wenn ‚Eigentum‘ und ‚Privatrecht‘ als anerkannte und berechtigte Prinzipien in die Sphäre der Sittlichkeit aufgenommen werden. Die Wirksamkeit des Privatrechts wird im Rahmen dieser vormodernen Lösung des Konflikts auf eine abgegrenzte Sphäre der griechischen Polis eingeschränkt, nur dort wird ihm freie Wirksamkeit zugestanden. Mit dieser Konzeption plädiert Hegel gegen Fichte für eine strikte Begrenzung der Wirksamkeit der Sphäre von Bedürfnis und Arbeit durch die Sittlichkeit. Fichte geht dagegen davon aus, „daß in einem Volke das Allgemeine dafür sorgen müsse, daß jeder Bürger sein Auskommen habe“. Diese Auffassung schließt, so Hegel, „eine negative Behandlung des Systems des Besitzes aus“. Damit steht aber die Sittlichkeit des Ganzen auf dem Spiel, denn diese lässt sich nur be152

Zwar wird der Geist „höher“ als die Natur gesetzt, aber „die dem Geist eigentümliche Dimension der Freiheit „kann nur von der Natur her entwickelt werden“ (A. Nuzzo: „‚Idee‘ bei Kant und Hegel“. In: Chr. Fricke / P. König / T. Peterson [Hg.], Das Recht der Vernunft. StuttgartBad Cannstatt 1995, 61-80; hier 71).

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wahren, wenn das System des Besitzes „in dem Gefühl seiner inneren Nichtigkeit erhalten“ wird (Naturrechtsaufsatz, 450f./135). Indem die Polis als sittliche Organisation die Sphäre des Bedürfnisses als Teil ihrer selbst anerkennt, deutet sie das Verhältnis von physischem Bedürfnis, Genuss und den Objekten des Genusses um: Diese Beziehung erhält, indem die Besonderheit dieses Verhältnisses als Allgemeines begriffen wird, „Realität“. Eine Realität, die das „Recht“ freisetzt: „Durch die Identität, in welche das Reale in der Beziehung des Verhältnisses gesetzt wird, wird der Besitz Eigentum, wird überhaupt die Besonderheit, auch die lebendige, zugleich als ein Allgemeines bestimmt; wodurch die Sphäre des Rechts konstituiert ist“ (Naturrechtsaufsatz, 451/136). Diese Konzeption des Privatrechts greift Kants Herleitung des erworbenen Rechts auf. Das „Recht“ hat seine Wurzeln in den realen Ansprüchen, die mit Bedürfnis und Genuss einhergehen: diese anthropologischen Grundbestimmungen formulieren einen Anspruch, der im Recht Wirklichkeit erhält. Die Besonderheit des einzelnen physischen Besitzes lässt sich aber nur im Rückgriff auf die „vereinigte Willkür aller“ als ein Allgemeines, als Recht, das jedermanns Zustimmung findet, begreifen. Diese Wirklichkeit ist nicht durch die Vernunft gesetzt, sondern wird durch die allgemeine Anerkennung dieser Prinzipien konstituiert. Diese Anerkennung nennt Hegel „Sittlichkeit“. Hegel zielt mit dieser Konzeption der „Sittlichkeit“ einmal auf die Überwindung der Kantischen Trennung zwischen theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch, zum anderen auf die Aufhebung der Trennung zwischen Legalität und Moralität. Unter den Voraussetzungen der frühen Jenaer Systemkonzeption gelingt dies nur, wenn „Theorie“ und „Praxis“ bzw. „Moral“ und „Recht“ als Verwirklichung eines Absoluten rekonstruiert werden. Für Hegel hat die Philosophie zu zeigen, wie aus einer vorgängigen, nicht explizierbaren Einheit des Absoluten, die Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität hervorgeht.153 Die Systemskizze am Ende der Differenzschrift sieht eine Zweiteilung des Systems vor. „Wissenschaft der Intelligenz“ und die 153

Zur frühen Konzeption einer praktischen Philosophie, vgl. N. Plotnikov: Gelebte Vernunft. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004; sowie Busche: Das Leben des Lebendigen. Zur Stellung der praktischen Philosophie in Hegels frühen Entwürfen vgl. auch H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Bonn 1970, 201ff. Im Ältesten Systemprogramm weist Hegel (unter dem Einfluss Fichtes) der Moral die Aufgabe zu, die „Aufstellung des Systems der Philosophie“ zu leisten. Der Zusammenhang der Welt, auch der natürlichen, wird von der Frage aus entfaltet, „Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?“ (Dokumente, 219). Auch in dem überlieferten Fragment Leben Jesu bleibt Hegel im wesentlichen dem Kantischen Antagonismus verpflichtet, wenn Christus als Tugendlehrer gefasst wird. Eine Distanzierung von Kant zeigt der 1798 verfasste kritische Kommentar zur Metaphysik der Sitten. Der „Kernpunkt seiner Kritik“, so berichtet Rosenkranz, liegt in der Forderung „die Legalität des positiven Rechts und die Moralität der sich selbst als gut oder böse wissenden Innerlichkeit in einem höheren Begriff zu vereinigen, den er in diesem Commentar häufig schlechthin Leben“ nennt (K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Nachdruck. Darmstadt 1988 [11844], 87).

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„Wissenschaft der Natur“ stehen einander als endliche Erscheinungsweisen der „absoluten Indifferenz“ gegenüber. Für das Absolute, die „absolute Indifferenz“ bestehen die beiden Wissenschaften als „relative Totalitäten“. Die „absolute Totalität“ wird außerhalb der Wissenschaften als „Selbstkonstruktion des Absoluten“ behauptet.154 Das in der Differenzschrift entwickelte Programm einer Überwindung der Gegensätze der Reflexionsphilosophie (theoretische und praktische Philosophie) in der Selbstkonstruktion des Absoluten als „Identität der Identität und Nichtidentität“ überträgt Hegel im Naturrechtsaufsatz auf die Unterscheidung der praktischen Philosophie zwischen Moralität und Legalität. Für Karl-Heinz Ilting und Manfred Riedel knüpft Hegel mit dieser Konzeption an die spinozistische Metaphysik und die antike Staatslehre an, um die Konstruktion der „absoluten Sittlichkeit (...) reiner herausarbeiten zu können.“155 Dass diese Konstruktion des Staates „kein entsprechendes historisches Element in späterer Zeit“ finden kann, hat Schelling etwa zeitgleich in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) entwickelt.156 Im System der Sittlichkeit entwickelt Hegel Sittlichkeit als ein aus der Rekonstruktion hervorgehendes „Zurücknehmen“ bestehender Differenzen. Diese Konstruktion von Identität geht von den bestehenden Differenzen aus. So enthüllt etwa die „natürliche Sittlichkeit“ am Besonderen das Allgemeine und zwar so, dass das Auftreten des Allgemeinen selbst „völlig ein Besonderes“ (System der Sittlichkeit, 281) ist. Die Rekonstruktion dieser Identität ist gelungen, wenn die „Anschauung dem Begriffe vollkommen adäquat gesetzt“ wird. In der Begrifflichkeit der späteren Rechtsphilosophie heißt das, dass „absolute Sittlichkeit“ dann vorliegt, wenn zwischen „Naturrecht“ und „Staatswissenschaft“ nicht mehr unterschieden werden kann. Eine Aufhebung der Differenz zwischen Begriff und Anschauung, zwischen Allgemeinem und Besonderen hat zur Voraussetzung, dass sowohl Anschauung wie auch Begriff als gesetzte Gegebenheitsweisen gefasst werden. Es handelt sich hier also keineswegs um vom menschlichen Bewusstsein und der Anschauung losgelöste Entitäten. Indem „Anschauung“ und „Begriff“ als Setzungen begriffen werden, wird eine Umkehr dieser Setzungen möglich: Das Allgemeine wird als Form der Besonderheit Anschauung, die Anschauung wird als Form des Denkens Begriff. Mit dem Reflexionsverfahren der „Umkehrung“ arbeitet Hegel das „Gleichseyn“, des zunächst Differenten heraus. Die Identität von Besonderem und Allgemei154

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Eine Darstellung der praktischen Philosophie, die diesem Grundriss entspricht, ist nicht überliefert; die Konzeption dieser praktischen Philosophie lässt sich allerdings, so Kimmerle, in einigen Punkten aus den vier letzten Habilitationsthesen erschließen. Vgl. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit, 205f. M. Riedel: „Hegels Kritik des Naturrechts“. In: Hegel-Studien 4 (1967), 177-204. K.-H. Ilting: „Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik“. In: Philosophisches Jahrbuch 71 (1963/64), 38-58. F.W.J. Schelling: „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803)“. In: ders., Sämtliche Werke. Hg. v. K.F.A. Schelling. I. Abt. Bd. 5. Stuttgart 1859, 207-352.

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nem konstituiert sich im „Zurücknehmen der absoluten Realität in sich (...): so daß dieses Zurücknehmen und diese Einheit absolute Totalität ist“ (System der Sittlichkeit, 279). Die erste „Potenz“ – Potenz wird hier im Schellingschen Sinn als Seinsstufe, der verschiedene Möglichkeiten eigen sind, gefasst – ist die „natürliche Sittlichkeit“ als „Anschauung“ oder „eigentliche Natur“ (System der Sittlichkeit, 281). In der Rekonstruktion zeigt sich, dass die natürliche Sittlichkeit keineswegs als unmittelbare, unhinterfragbare Einheit hingenommen werden muss, sondern als ein „Auftreten des Allgemeinen gegen das Besondere“ rekonstruiert werden kann, und insofern auch die Bestimmungen der natürlichen Sittlichkeit auf eine Normierung der Bedürfnisbefriedigung zielen. „Bedürfnis“ und „Genuß“ veranschaulichen Trennung und Einheit dieser ersten „praktischen Potenz“ (System der Sittlichkeit, 279). Der Einheit des Genusses entspricht eine allgemeine Bestimmung und zwar als „Arbeit“, „Produkt und Besitz“ und „Werkzeug“. Die zweite Darstellungsebene bzw. Potenz zeigt, wie die Begierde mit der „Besitznahme“ nicht allein die Vernichtung des Objekts, sondern ebenso eine ideale Bestimmung des Objekts hervorbringt. In der „Arbeit“ liegt eine allgemeine Bestimmung des Objekts vor, in der jene „absolute Identität beyder Potenzen“ in der Subjekt und Allgemeines „absolut zugleich“ (System der Sittlichkeit, 288) sind vorliegt. So ist das Subjekt nicht bloß ein Besitzendes, sondern ein in die Form der Allgemeinheit aufgenommenes, insofern es ein anerkannt Besitzendes ist. Besitz wird in der Anerkennung zum Eigentum: „die Abstraktion der Allgemeinheit, an demselben aber ist das Recht“ (System der Sittlichkeit, 298). Als Bedingungen der Befriedigung der Bedürfnisse rekonstruiert Hegel nicht nur Arbeit und Werkzeug, auch das Recht erweist sich als ein Moment dieser Verhältnisse.157 ‚Recht‘ steht für die allgemeine Anerkennung des Besitzes als Eigentum. In Abgrenzung von Kants Vernunftbegriff des Rechts entwickelt Hegel im System der Sittlichkeit den Rechtsbegriff aus der Bedürfnisnatur des Menschen. Recht ist Naturrecht, insofern es als (formelle) Idealität und Identität aus dem physischen Bedürfnis und dem Genuss rekonstruktiv erschlossen wird. Diese rekonstruktiv erschlossene Idealität des Rechts verdeutlicht: „Bedürfnis“ und „Genuß“ fordern als Besonderheiten Gleichheit und Allgemeinheit, um auf Dauer die Befriedigung der Bedürfnisse aller zu sichern. Diese Gleichheit ist das Ergebnis einer Freiheitseinschränkung, die der Begriff des 157

Für die Entwicklung des Rechtsbegriffs bis in die Frankfurter Zeit gilt, dass Hegel das Recht deutlich gegenüber den höheren politischen Zwecken des Staates abwertet. An dieser negativen Bewertung hält Hegel auch im Naturrechtsaufsatz fest, obwohl Eigentum und Privatrecht als berechtigte Prinzipien einer abgegrenzten Sphäre der Polis zugelassen werden. Mit Blick auf die Konzeption der Grundlinien ist in dieser Abtrennung der Sphäre von Bedürfnis und Arbeit, die spätere Unterscheidung zwischen Staat und Bürgerlicher Gesellschaft gesehen worden. Zentral für das Verständnis der Sittlichkeitskonzeption der Grundlinien sind aber auch die Differenzen zwischen früherem und späterem Ansatz.

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Rechts benennt. Im „Recht“ wird – und in dieser inhaltlichen Festlegung folgt Hegel Kant – die Idee einer Einschränkung der Freiheit von jedermann, um die Freiheit aller zu gewährleisten, formuliert. Das „Recht“ ignoriert die Mannigfaltigkeit subjektiver Bedürfnisse und Zwecke, das „Recht“ schafft Gleichheit und Einheit allerdings lediglich als „formale Indifferenz“. Daneben bleibt die Differenz der verschiedenen Zwecke und Bedürfnisse bestehen. Hegel fordert daher, dass die formale Einheit der Indifferenz (d.i. das Recht) mit der Einheit als „Indifferenz der Entgegengesetzten“ (d.i. die Sittlichkeit) zusammengeht und als „absolute Sittlichkeit“ begriffen wird. Im Naturrechtsaufsatz spricht Hegel in diesem Zusammenhang von der „Tragödie im Sittlichen“, in der sich die Einheit als „Indifferenz der Entgegengesetzten“ gegen das „System des Besitzes“ bzw. die „Sphäre des Rechts“ wesentlich negativ, beschränkend verhält. Die „Indifferenz der Entgegensetzung“ als die „positive Sittlichkeit des Staates“ schließt die „formale Indifferenz“ des Rechts von sich aus. Damit bleibt die Grundfrage, wie die formale Indifferenz in die Indifferenz der Entgegengesetzten aufzunehmen sei, ungelöst. Die Kantische Konzeption des „moralischen Gesetzes“ führt mit Blick auf die menschlichen Bedingungen zu der Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität, zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Diese Unterscheidung kann von der Hegelschen Ausgangsbasis aus gar nicht getroffen werden, denn „die absolute Sittlichkeit (...) ist so wesentlich die Sittlichkeit Aller, daß man von ihr nicht sagen kann, sie spiegle sich als solche am Einzelnen ab; denn sie ist so sehr sein Wesen, als der die Natur durchdringende Äther, das untrennbare Wesen der Gestalten der Natur ist“ (Naturrechtsaufsatz, 467/154f.). Die Rede von einer „Einheit zwischen Sittlichkeit und Einzelnem“ ist vom Standpunkt der „absoluten Sittlichkeit“ immer schon Ausdruck eines Negativen. „Negativ ist die Rede von der Einheit zwischen Einzelnem und Allgemeinem (Sittlichkeit) insofern, dem Einzelnen Tugenden als „Möglichkeiten oder Fähigkeiten, in der allgemeinen Sittlichkeit zu sein“ zugesprochen werden. Damit ist Sittlichkeit unter die „Form der Negation“ gesetzt. Unter diesen Voraussetzungen fordert Hegel, „Moral“ als Wissenschaft von der Sittlichkeit des Individuums zu entwickeln. Im Verhältnis zum Naturrecht vollzieht der Standpunkt der „Moral“ eine „Umkehrung“. Der „Moral kommt nur das Gebiet des an sich Negativen (...), dem Naturrecht aber das wahrhaft Positive, nach seinem Namen, daß es konstruieren soll, wie die sittliche Natur zu ihrem wahrhaften Rechte gelangt“ (Naturrechtsaufsatz, 468/155). Mit dieser „Umkehr“ vollzieht Hegel eine eindeutige Abkehr von der Kantischen Position, denn Moral wird hier „zu einem defizienten Modus von Legalität“ in Gestalt des Naturrechts. Diese Umkehr setzt allerdings, wie Claesges feststellt, eine „Sinnverschiebung im Begriff der Legalität“ voraus158 . Diese Sinnver158

So U. Claesges: „Legalität und Moralität in Hegels Naturrechtsschrift. Zur Problematik der praktischen Philosophie im deutschen Idealismus“. In: U. Guzzoni / B. Rang / L. Siep (Hg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Hamburg 1978, 53-74; hier.

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schiebung betrifft zwei Gesichtspunkte: Hegel muss erstens zeigen, wie das Naturrecht oder die Legalität die Funktion der Moralität, Einheit von Gesetz und Triebfeder des Handelns zu sein, übernehmen kann. Aus dem so konstruierten Naturrecht ließe sich die Moralität als Tugendlehre ableiten. Hegel muss zweitens zeigen, dass sein Begriff des Naturrechts die unterschiedenen Sphären in sich vereinigt: Die Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität müsste aus dem Naturrecht entwickelt werden. Hegel muss die „absolute Sittlichkeit“ als Naturrecht so entwickeln, dass sie die Basis für die Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität bildet. Im Rahmen der Jenaer Konzeption löst Hegel diese beiden Aufgaben, indem er die „absolute Sittlichkeit“ als Vereinigung invarianter Strukturen an geschichtlich individuellen Bestimmungen rekonstruiert. Dabei sind die sittlichen Gestalten nicht über ein teleologisches Entwicklungsmodell miteinander verknüpft. Vielmehr erscheint die Geschichte der sittlichen Völker als „zwischen den Entgegengesetzten“ auf und nieder „schwankend“.159 Die Lösung des Konflikts zwischen Legalität und Moralität kann nur als „historische Individualität“ rekonstruiert werden, d.h. das Problem der Vereinigung der Indifferenzen ist zwar von allgemeiner Gültigkeit, insofern die leitenden Prinzipien zeitlos sind. Die Lösung dieses Konflikts ist aber nicht in allgemeingültiger Weise zu leisten, hier sind nur individuelle Lösungen möglich. Claesges zeigt, wie Hegel im Rahmen der Explikation der Sittlichkeit als „historische Individualität eines Volkes“ zwei Argumentationsebenen unterscheidet: „Von einer Betrachtung, die auf bestimmte historische Verhältnisse (griechische Sittlichkeit in der Selbstinterpretation durch die antike Ethik und Politik) abstellt, muss eine Betrachtungsebene unterschieden werden, in der gezeigt wird, dass eine weitere inhaltliche Bestimmung der Sittlichkeit nur über die Erkenntnis der historischen Gestalten möglich ist. Diese Betrachtungsebene stellt invariante Strukturen von absoluter und relativer Sittlichkeit heraus.“160 Im Naturrechtsaufsatz etwa sind es zwei Stände, die die absolute Sittlichkeit ausmachen und die sittliche Totalität als Einheit der „Indifferenz der Entgegengesetzten“ und als „Einheit formaler Indifferenz“ ermöglichen. Claesges zeigt, dass die Beschreibung dieser Stände auf der Basis aristotelischer Grundbestimmungen nicht dahingehend missverstanden werden darf, als müssten „diese Momente (...) als Stände im Sinne des Aristoteles reell sein“161. Vielmehr benennt Hegel zur Bestimmung der sittlichen Totalität andere nicht auf die an159

160 161

Kimmerle hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass der Begriff des Geistes bei Hegel in der „sittlichen Natur“ seinen Ursprung hat. Für die Verhältnisbestimmung zwischen Recht und Staatsrecht „bleibt das Modell der Naturphilosophie in Gültigkeit“ (Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit, 214). So setzt Hegel die Stellung des Prinzips der „Mechanik“ in den Naturwissenschaften der Herrschaft der äußeren Gerechtigkeit, als dem Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft im Naturrecht, gleich. Das adäquate Verhältnis festzustellen, ist die Aufgabe der Philosophie der Natur bzw. der Sittlichkeit. Claesges: „Legalität und Moralität“, 66. Vgl. hierzu und zum folgenden Claesges: „Legalität und Moralität“, 67.

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tike Polis beschränkte Momente, die in ihrer Allgemeinheit auf andere Völker und Zeiten anwendbar sind. Diese Verschränkung invarianter Strukturen mit historischen Individualitäten macht es für das Naturrecht notwendig, Sittlichkeit als Geschichte der Völker zu begreifen. In dieser teleologisch gefassten Geschichte hat „der Weltgeist in jeder Gestalt sein dumpferes oder entwickelteres, aber absolutes Selbstgefühl, und in jedem Volk, unter jedem Ganzen von Sitten und Gesetzen sein Wesen, und seiner selbst genossen“ (Naturrechtsaufsatz, 479/171). Aufgrund der invarianten Strukturen können einzelne Gestalten der sittlichen Totalität als angemessenere ausgewiesen werden. Im Systementwurf des Jahres 1805/6 gibt Hegel die „absolute Sittlichkeit“ als Ausgangspunkt der praktischen Philosophie preis. Der Rechtsbegriff wird mit dem „nach seinem Begriffe selbständigen“ Selbstbewusstsein verknüpft. Für viele Interpreten hat Hegel mit dieser Konzeption bereits den Weg der späteren Philosophie des Rechts eingeschlagen. Ist doch mit dieser Neubestimmung eine Abwendung von der spinozistischen Metaphysik verbunden, die, so Riedel, sich zugunsten einer stärkeren Orientierung an Fichte und Hobbes auswirkt. Betrachtet man diese Verschiebungen unter systematischen Gesichtspunkten, so ergibt sich für die Begründung des Rechtsbegriffs allerdings noch eine andere Perspektive: Hegel gewinnt mit der Aufnahme des Selbstbewusstseins jene Voraussetzungen, die ihm eine Rekonstruktion von Sittlichkeit unter den Bedingungen der Moderne eröffnen. Die Aufnahme des Selbstbewusstseins in die praktische Philosophie steht somit nicht für eine Abkehr vom früheren Anliegen – Rekonstruktion von Sittlichkeit –, sondern für das Bemühen, dieses Anliegen auch für die Gegenwart zu realisieren. Von der Jenaer Rechtskonzeption bleibt insbesondere die Problemerfassung gültig: Die Gegenüberstellung von Allgemeingültigkeit und Gleichheit des Rechtprinzips auf der einen Seite und der individuellen Besonderheit der sittlichen Gestalten auf der anderen Seite. Ein adäquates Verständnis der Hegelschen Sittlichkeitskonzeption – dies zeigen die Jenaer Entwürfe – hat aber nicht nur diese beiden Prinzipien zu beachten, insbesondere muss geprüft werden, wo Hegel invariante Strukturen entwickelt und wo exemplarische Verhältnisse als Modell der Verwirklichung dieser Strukturen in einer historischen Gestaltung anschaulich gemacht werden.162 Die späten Jenaer Entwürfe zeigen: Hegel strebt eine Lösung dieses Konflikts unter Berücksichtigung der modernen Selbstbewusstseinstheorien an. Inwiefern die Lösung auch hier eine Unterscheidung zwischen historischen Individualitäten und invarianten Strukturen erforderlich macht, wird zu prüfen sein.

162

So lassen sich etwa auch am Modell „Tragödie im Sittlichen“ invariante und exemplarische Strukturen unterscheiden. Vgl. E. Weisser-Lohmann: „‚Tragödie‘ und ‚Sittlichkeit‘. Überlegungen zu Hegels Konzeption der Sittlichkeit“. In: A. Großmann / Chr. Jamme (Hg.), Metaphysik der praktischen Welt. Amsterdam 2000, 11-22.

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4.2 Naturrecht und Recht als Idee Mit der Forderung die Unterscheidung zwischen dem An-sich- und Für-sichSein des Rechts in der „Idee des Rechts“ aufzuheben, verbindet Hegel den Anspruch, nicht bei der Einsicht in das Gesollte stehen zu bleiben, sondern einen philosophischen Begriff des Rechts auszuweisen, der gegenüber der empirischen Rechtspraxis nicht als ein bloßes Sollen auftritt. Hegels Programm, Recht als Idee zu entwickeln, zielt auf eine philosophische Bestimmung der Praxis, die nicht bei der bloßen Deduktion der Norm stehenbleibt, sondern – mit Kant gesprochen – eine „Triebfeder“ benennt, die das moralische Gesetz für den Einzelnen nicht nur zur Pflicht macht und die Zwangsbefugnis des Rechts gegenüber einem freien Vernunftwesen als vernunftgemäß rechtfertigt, sondern das Dasein dieses Rechts in der sittlichen Praxis der Institutionen ausweist. Mit der Konzeption des Rechts als Idee erweitert Hegel Funktion und Bestimmung der Kantischen Triebfederlehre auf zweifache Weise. Einmal soll der philosophische Rechtsbegriff als „Wirklichkeit“ nicht rein formale Pflichten formulieren deren Einhalten erzwungen werden darf, sondern konkrete Handlungen aufweisen, die die Wirklichkeit dieser Pflichten konstitutieren und deren Einhaltung aufgrund dieser Wirklichkeit geboten ist. Zum anderen wird diese Wirklichkeit von Hegel als im Handeln konstituierte Selbstauslegung gefasst, diese Selbstauslegung ist auf Institutionalisierung angewiesen. Die institutionalisierte sittliche Praxis konstituiert ihrerseits das frei handelnde Individuum. Die Einlösung dieses Programms erfordert eine Neukonzeption des Rechtsbegriffs. Die Frage nach dem hier in Anspruch genommenen Rechtsbegriff – ob hier in der Tat das neuzeitliche Naturrecht als Vernunftrecht dominant wird, oder ob Hegel an der Jenaer Konzeption des Naturrechts als absolute Sittlichkeit festhält – setzt eine Bestimmung der verschiedenen Verwendungsformen des Rechtsbegriffs voraus: In welchem Verhältnis steht das „abstrakte Recht“ zum „Recht der Subjektivität“ und zum Recht der „Sittlichkeit“ und welchen Status haben diese Rechtsformen mit Blick auf die Geltung. Wie verknüpft Hegel die Kantische Konzeption des Vernunftrechts mit der Forderung der Historischen Schule nach faktischer Geltung des Rechts? Ludwig Siep macht in diesem Zusammenhang geltend, dass Hegel im Abschnitt „Abstraktes Recht“ die Rechtsformen (Eigentums-, Vertrags- und Strafrecht) nicht nur „als reine Vernunftforderungen, sondern zugleich als Resultat der europäischen Rechtsgeschichte“163 entwickelt. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Art und Funktion dieser Verknüpfung klärungsbedürftig. In einem ersten Schritt ist der methodische Rahmen des Begründungsprogramms zu bestimmen. Gegenüber den Je-

163

L. Siep: „Hegels politische Philosophie“. In: ders., Praktische Philosophie, 307-328; hier 317.

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naer Konzeptionen ist zunächst die Bestimmung des Rechts als „Idee“ augenfällig. Die „Idee des Rechts, der Begriff und seine Verwirklichung“ sind, so Hegel in Paragraph eins der Grundlinien, Gegenstand der philosophischen Rechtswissenschaft. Mit dem Programm, Recht als Idee zu entwickeln, ist der Anspruch verbunden, die Trennung zwischen philosophischem Rechtsbegriff und empirischer Rechtswirklichkeit zu überwinden. Aufgrund dieser Trennung standen in der Vergangenheit Normativität und Geschichtlichkeit des Rechts einander unversöhnt gegenüber.164 Für Hegel ist die philosophische Rechtswissenschaft weder reine Begriffswissenschaft, der es um abstrakte Verstandesbestimmungen oder um bloße Begriffe geht. Noch geht es der philosophischen Rechtslehre bei der Bestimmung der „Wirklichkeit“ bzw. Verwirklichung des Rechtsbegriffs um das positiv geltende Recht. Mit der Verpflichtung auf die „Idee des Rechts“ verknüpft Hegel den Anspruch, die Einseitigkeiten der vernunftrechtlichen wie der historischen Rechtskonzeptionen zu überwinden. Hegel nimmt hier zwar die Kritik der Historischen Rechtsschule an Kant auf, deren zentraler Vorwurf ja lautete, dass zwischen der transzendentalen Rechtsbegründung und den Inhalten des privaten und öffentlichen Rechts kein systematisch zwingender Zusammenhang besteht. Diese Kritik berechtigt nun allerdings nicht zu dem positivistischen Schluss, allein die aktuell geltenden bzw. historischen Rechtsformen seien einer wissenschaftlichen Behandlung würdig. Denn zweitens, und mit dieser Bestimmung wendet sich Hegel gegen die historische Rechtsschule und deren Reduktion der rechtswissenschaftlichen Fragestellung auf das Studium historischer Rechtssysteme, muss die Philosophie die „Vernünftigkeit“ und das heißt die Normativität von Rechtsbegriffen ausweisen. Dies ist aber auf der Basis einer bloß historischen Rechtsbetrachtung nicht zu leisten. Die Abgrenzung vom Rechtsbegriff der historischen Rechtsschule will Hegel durch einen systematisch eigenständigen Begründungszusammenhang leisten. Damit ist der methodische Ansatz Hegels durch eine zweifache Frontstellung kennzeichnet: Gegen die Beschränkung der rechtsphilosophischen Aufgabe auf den bloßen Ausweis der Vernünftigkeit des Rechts beansprucht Hegel in der Philosophie des Rechts, die durch den „Begriff selbst gesetzte Wirklichkeit“ herauszuarbeiten. Gegen die Erklärung der Historischen Rechtsschule, allein die faktisch empirisch gegebenen Rechtsformen seien als Recht anzuerkennen, fordert Hegel die „Wirklichkeit des Rechts“ herauszuarbeiten. Diese „Wirklichkeit“ unterscheidet sich vom „vorübergehenden Dasein“ der 164

Mit dem Programm, Normativität und Geschichtlichkeit von Rechtsformen aufzuweisen, folgt Hegel Aristoteles, für den, so Günther Bien, die Unterscheidung zwischen „Recht schlechthin“ und Realisierungen des Rechts das spezifische Anliegen der praktischen Philosophie kennzeichnet. Der praktischen Philosophie geht es nicht nur um das Erkennen des Guten, des Rechts, sondern vielmehr um die Frage nach den Realisierungsbedingungen des Guten. Das „Recht schlechthin“, so Bien, ist das „Recht in seiner begrifflichen Allgemeinheit“ (G. Bien: „Erläuterungen“. In: Nik. Ethik, 262-349; hier 291).

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äußerlichen Zufälligkeit tatsächlich geltender Rechtsbestimmungen dadurch, dass dieses Recht Bedingungen erfüllt, ohne die von Recht gar nicht gesprochen werden kann. „Idee“ bedeutet nicht zeitlose Gültigkeit. In der „Idee“ werden für Hegel vielmehr alle differenten und sich widersprechenden Rechtsbestimmungen systematisch vereinigt und zusammengefasst. So wie die „spekulative oder absolute Idee (...) aus der Differenz und Endlichkeit des Erkennens zu sich zurückgekommen und durch die Tätigkeit des Begriffs mit ihm identisch gewordenes Leben ist“ (Enzyklopädie, §235, 193), so erfasst die „Idee des Rechts“ den Wesenskern aller bisherigen Bestimmungen und konstituiert die lebendige Wirklichkeit des Rechts.165 Geht es um eine Bestimmung des Rechts ist, so sind zwei Weisen des Daseins zu unterscheiden: einmal ist das Recht „als Begriff“ vorhanden, zum anderen begegnet es „in den Gestaltungen“, welche sich der Begriff gibt. Diese beiden Weisen der Präsenz des Rechts entsprechen zwei Darstellungsweisen: Die Darstellung entweder des Rechtsbegriffs oder der (daseienden) Rechtsgestalten. Für die spekulative Philosophie diese beiden Darstellungsformen allerdings nicht zu trennen sind. „In spekulativerem Sinn ist die Weise des Daseyns eines Begriffes und seine Bestimmtheit eins und dasselbe“ (Grundlinien, §32, 48; GW 14.1, 47). Gleichwohl ist diese Differenz für Hegels Vorgehen entscheidend: Die Differenz zwischen Begriffsbestimmung, Dasein und Wirklichkeit ist für den argumentativen Aufbau der Grundlinien konstitutiv, wenn Hegel die Wirklichkeit des Rechts in den sittlichen Gestalten als aus den bloß möglichen Rechtsformen „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ hervorgegangen konstruiert. Diese „Wirklichkeit“ ist vom zufälligen Bestehen einzelner Rechte zu unterscheiden. Die Wirklichkeit des Rechts in den sittlichen Gestalten ist konstruktiv auf der Basis der rekonstruierten möglichen Rechte gesetzte Wirklichkeit. Die Frage nach dem Dasein dieser Wirklichkeit, der faktischen Verwirklichung in der gegenwärtigen Praxis wird in Hegels Darstellung gar nicht berührt. Diese Frage ist das Thema einer anderen Darstellung, der es nicht mehr um die Begriffsentwicklung geht und die erst in „höher vollendeter Bildung“ zu vollziehen ist, dort, wo es die Idee des Rechts „zu diesem eigenthümlich gestalteten Daseyn ihrer Momente gebracht hat“ (Grundlinien, §32, 48; GW 14.1, 47f.). Im Jenaer Naturrecht rekonstruiert Hegel bestehende Entgegensetzungen (Legalität und Moralität, empirisches Recht und Vernunftrecht), indem er die vorausgesetzte Einheit, auf die die Entgegengesetzten verweisen, herausarbeitet. Hegel will mit der „Idee des Rechts“ die Entgegensetzung zwischen Vernunftrecht und empirischem Recht auflösen. Für dieses Anliegen ist die Herkunft des Rechtsbegriffs ohne Bedeutung. Anders als Kant, der die Metaphysik der Sitten mit einer Deduktion des Rechtsbegriffs auf der Basis der kritischen Moralphilosophie eröffnet, erklärt Hegel die Herkunft des Rechtsbegriffs als für die Philosophie des Rechts vernachlässigbar. Dahinter steht die Überzeu165

Vgl. Nuzzo: „‚Idee‘ bei Kant und Hegel“.

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gung, dass der Verweis auf die Vernunft als Legitimitätsquelle des Rechts die hier bestehenden Probleme nur zum Teil zu lösen vermag. Der Begriff des Rechts muss von der Philosophie nicht hergeleitet werden, denn weder „Deduktion“ noch „Beweis“ sind geeignete Verfahren, um die Geltung des Begriffs des Rechts auszuweisen. Dieser Begriff fällt „seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts“ (Grundlinien, §2, 19; GW 14.1, 23). Für die Philosophie des Rechts ist dieser geschichtliche Ursprung des Rechts vernachlässigbar, sie nimmt diesen Begriff vielmehr als gegeben auf und fragt nach den Geltungsbedingungen dieses Begriffs.166 In Anlehnung an Kants Prüfungsverfahren in der Kritik der reinen Vernunft könnte das Vorgehen mit der Frage „Es gibt Recht – wie ist es möglich?“ charakterisiert werden. Diese Ausgangsfrage isoliert einen Gegenstandsbereich, der die Selbständigkeit der praktischen Sphäre gegenüber anderen ‚Wirklichkeitsbereichen‘ sichern soll. Dieses „es gibt“ formuliert ein reines Faktum. Ziel der Untersuchung ist es, die Bestimmung des Rechts als Wirklichkeit, die aufgrund eigenständiger Prinzipien Geltung besitzt, zu entwickeln. Dieses Begründungsprogramm muss von der enzyklopädischen Darstellung der Sphäre des objektiven Geistes unterschieden werden. Für die Encyklopädie ist nicht die Frage der Wirklichkeit des Rechts leitend. ‚Recht‘ wird vielmehr als eine Gestalt des Wissens entwickelt, dabei werden die Gründe für die Wirklichkeit weder geprüft noch gerechtfertigt. Dagegen zielt die Darstellung der Grundlinien auf die Explikation von Begriff und Idee des Rechts mit dem Ziel, deren eigenständige Wirklichkeit zu rekonstruieren. Insbesondere mit Blick auf die jeweilige Zielsetzung unterscheiden sich die Philosophie des Rechts und die enzyklopädische Darstellung der Sphäre des objektiven Geistes. Zusammenfassend ist mit Blick auf die Frage nach dem Fortbestand der Jenaer Konzeption festzuhalten, dass Hegel auch in den Grundlinien am Programm einer Überwindung der Trennung zwischen „Anschauung“ und „Begriff“ festhält. An die Stelle der absoluten Sittlichkeit als dem Einheitspunkt tritt in den Grundlinien die Konzeption der Idee des Rechts als der Vereinigung von Begriff und Wirklichkeit. Für die Einlösung dieses Programms muss Hegel den Rechtsbegriff präzisieren, mit dem Ziel dessen Tauglichkeit für das angestrebte Begründungsvorhaben darzulegen. Scheinbar konträr zur Naturrechtskonzeption des Naturrechtsaufsatzes bestimmt Hegel einleitend das Geistige als den Boden des Rechts. Leitfaden für die Darstellung dieses Geistigen ist der freie Wille. Ob Hegel damit einen Bruch mit dem Jenaer Programm der Darstellung der absoluten Sittlichkeit vollzieht, soll nun geprüft werden.

166

Zum Hegelschen Begründungsmodell in Abgrenzung vom Kantischen Deduktionsverfahren vgl. Siep „Philosophische Begründung des Rechts“.

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4.2.1 Recht als Idee und reflexiver Willen Hegel überträgt dem Begriff des Willens eine zentrale Rolle bei der Darstellung des Rechtsbegriffs, wenn dieser den Leitfaden abgibt, an dem Hegel die Geistigkeit des Rechts veranschaulicht. Mit Blick auf diese Rolle stellt sich die Frage nach dem systematischen und geschichtlichen Kontext der hier in Anspruch genommenen Willenskonzeption. Aristoteles und die klassische griechische Philosophie spricht vom Willen als einem vernunftgegründeten Streben. Mit dem Begriff des Willens wird der Übergang vom Beraten zum Handeln erfasst. Gegenüber späteren Willenskonzeptionen wird der Wille hier an ein Beratungsmodell geknüpft, in dem Argumente für oder gegen bestimmte Handlungsvorschläge ausgetauscht werden. Dabei kommt dem Willen allerdings keine Bedeutung bei der Auswahl der Vorschläge zu. Aufgabe des Willens ist es vielmehr, die Beratungsergebnisse zu verwirklichen. Zu einer eigenständigen Quelle für die Ausrichtung des Handelns erhebt den Willen erst das christliche Denken. Diese Aufwertung hat allerdings den Preis, dass der Wille als ein der Vernunft selbständig gegenüberstehendes Vermögen gefasst wird. Der von Augustinus entwickelte Willensbegriff ist weder rational noch irrational sondern ‚überrational‘. Diese Eigenständigkeit des Willens führt zu der Auseinandersetzung um die Rolle der Vernunft beim Handeln. Eine Lösung dieses Problems wird in den neuzeitlichen Konzeptionen vielfach durch eine Verknüpfung von griechischem und christlichem Willensbegriff gesucht.167 Für Kant steht der Begriff des Willens für den Anspruch, das Praktische als eigenständige von der Theorie unterschiedenen Bereich auszuweisen. Nur der Wille als eigenständiges praktisches Vermögen sichert die Unabhängigkeit der moralischen Qualität einer Handlung von der Leistungsfähigkeit des theoretischen Vermögens. „Gute“ oder „schlechte“ Handlungen verdanken sich nicht – wie es die Platonische Konzeption vorsieht – der wahren oder mangelhaften Einsicht in das Gute bzw. in die „Gutheit“ der Mittel und Zwecke.168 Für Platon und die an ihn anschließende Tradition rückt die Möglichkeit eines Handelns wider besseres Wissen nicht in den Blick. Kants willenstheoretische Konzeption sichert dagegen die Zurechenbarkeit von Handlungen sowie die Verantwortlichkeit des Handelnden unabhängig vom Erkenntnisvermögen des Handelnden. Hegel nimmt das Anliegen der griechischen und christlichen Willenskonzeption auf: Seine Willenskonzeption vereinigt intellektuelles und voluntatives Vermögen. Damit wird im Willen die Unterscheidung zwischen 167

168

Vgl. O. Schwemmer: „Wille“. In: J. Mittelstraß (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 4, 704-707; sowie J. Mittelstraß: „Der arme Wille“. In: H. Heckhausen (Hg.), Jenseits des Rubikon. Berlin 1987, 33-48. Diese letztlich Sokratische Position provoziert Kritik und Gegenpositionen. Vgl. zur Problematik des Verhältnisses von Verstand und Wille die philosophiegeschichtliche Retrospektive von H. Heimsoeth: „Verstand und Wille“. In: ders., Die sechs großen Themen der Abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters. Darmstadt 81987, 204-251.

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den Momenten „Rationalität der Beurteilung“ (die „Gutheit“ eines Tuns zu etwas) und „bewußte Entscheidung zu einer Handlung“ (Verantwortung) möglich.169 Wie der „freye Begriff“ für das Denken so ist der „freye Wille“ für den „praktischen Geist“ grundlegend. Mit dieser Parallelisierung schließt Hegel in der Erstauflage der Encyklopädie (1817) an die kantische Unterscheidung zwischen „theoretischem“ und „praktischem Geist“ an. Damit erweist sich der „Praktische Geist“ nicht als Fortbestimmung des „Theoretischen“, sondern als ein zweites, durch Zwecksetzung charakterisiertes Vermögen der Wirklichkeitskonstitution. Hegels enzyklopädischer Bestimmung des „Praktischen Geistes“ fehlen allerdings die Merkmale des Handelns: Der praktische Geist wird hier als „durch die Natur sich bestimmende Einzelnheit“, als „praktisches Gefühl“ (§389, 217), als „reelles Urtheil“ (§392, 219) und als die „Glückseligkeit zum Zwecke“ (§395, 222) habend charakterisiert. Diese Bestimmungsmomente des „freyen Willens“ verbleiben im Bereich des Anthropologischen, Psychologischen, sie entsprechen der kantischen Willkür nicht aber dem Willen als dem Vermögen der Vernunft, das Handeln zu bestimmen. Die genannten Bestimmungen charakterisieren lediglich das durch die Natur bestimmte Selbstbewusstsein, die Bestimmungen des „freyen Begriffs“ sind aber durch das Selbstbewusstsein bestimmte Natur.170 1830, in der dritten Auflage der Enzyklopädie, unterscheidet Hegel Denken und Willen nicht länger als zwei Vermögen des „subjektiven Geistes“. „Es sind nicht etwa zwei Vermögen sondern der Wille ist eine besondere Weise des Denkens: das Denken als sich übersetzend ins Dasein, als Trieb sich Dasein zu geben“171 . In dieser Formulierung nimmt Hegel den rechtsphilosophischen Willensbegriff in die überarbeitete Darstellung der Enzyklopädie auf. 169

170

171

Zu den Kriterien einer Willens- bzw. einer Strebensethik vgl. die Arbeit von Christoph Horn, der die Frage am Beispiel der Aristotelischen bzw. der Augustinischen Ethik diskutiert: Chr. Horn: „Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs“. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996), 113-132. Zu diesem Zusammenhang vgl. auch T.H. Irwin: „Who discovered the Will?“. In: Philosophical Perspectives 6 (1992), 453-473. Auf dieser Basis erst lässt sich Handeln als eigenständige vernunftbestimmte Tätigkeit fassen. Gegenüber der Deutung des Handelns als ein Akt intelligenter Subsumtion (der Untersatz gibt zu dem im Obersatz begehrten Gut die Bedingungen der Realisierung an und der handelnde Wille nimmt den Vollzug vor) soll bei dieser Bestimmung des Praktischen das Interesse und die Verantwortung für das Angestrebte miterfasst werden. Verantwortung ist mit dem Schlussmodell nicht erfassbar und verwerfliche Handlungen sind allein mangelnder Einsicht zuzuschreiben. Für die Moderne ist dieses Handlungskonzept in entscheidender Hinsicht defizitär. Zu der Frage, inwieweit auch die Aristotelische Ethik über einen Begriff des freien Willens verfügt vgl. Horn: „Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs“. Vgl. Enzyklopädie, §468. Edith Düsing schließt an diese Bestimmung an und stellt Hegels Konzeption damit in die sokratische Traditionslinie (E. Düsing: „Zum Verhältnis von Intelligenz und Wille bei Fichte und Hegel“. In: F. Hespe / B. Tuschling (Hg.), Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 107-133. Vgl. auch A.T. Peperzak: Selbsterkenntnis des Absoluten. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 45ff.

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Inwiefern diese Willenskonzeption nicht dem sokratischen Modell folgt, erläutert Hegels im Paragraph 482 der Enzyklopädie, wenn er für seine Konzeption des freien Willens eine Anbindung an die griechisch-römische Tradition ausdrücklich ausschließt und auf die durch das Christentum in die Welt gekommene Idee der Freiheit verweist. Robert Pippin zeigt, dass diese höchste Form der Freiheit den individuellen Vollzug verlangt: „One is not free (...) just by being in the right relation to the good or by the possession of the knowledge of the good. Action is a matter of my being moved to act, and this requires, not that I be moved like everyone else by a general desire for the human good, but that whatever reason for action some cognition might provide, it must be a reason for me, not generally „for anyone.“172 Die Differenzen zwischen der Willenskonzeption der Erstauflage der Encylopädie und derjenigen der überarbeiteten dritten Auflage gehen auf die Grundlinien und den dort entwickelten Willensbegriff zurück. Abweichend von der Erstauflage der Encyklopädie (1817) entwickelt Hegel den Willensbegriff der Grundlinien in den Einleitungsparagraphen (5 bis 29) unter Verwendung der Prinzipien „Intelligenz“ und „Konkretion“. Als „Intelligenz“ ist dem Willen das Vermögen eigen, von jeder konkreten Bestimmtheit abstrahieren zu können, als „Konkretion“ wird der Wille darüber hinaus als das Vermögen bestimmt, sich eine konkrete Bestimmung zu geben. In dieser Willensbestimmung vereinigt Hegel Bestimmungsmomente des „Theoretischen Geistes“ wie des „Praktischen Geistes“. Dabei wird Konkretion nicht ausschließlich als Leistung des Willens (im Sinne der praktisch werdenden Vernunft) gefasst, auch Natur – in Form von Trieben und Neigungen – vermag diese Konkretion hervorzubringen. In den ethischen Theorien der Tradition werden diese handlungsbestimmenden Triebe eine unterschiedliche Bewertung. Entweder werden sie als „von Natur gut“ beurteilt und positiv aufgenommen, oder als „von Natur böse“ verworfen. Hegel fordert dagegen den Aufweis solcher praktisch/sittlicher Gestalten, die es erlauben, „die Triebe als das vernünftige System der Willensbestimmung“ zu erfassen (Grundlinien, §19, 39; GW 14.1, 40). Hinter dieser Forderung steht die Überzeugung, dass nicht das jeweils beanspruchte Vermögen der Willensbestimmung für die ethische Beurteilung einer Handlung entscheidend ist. Vielmehr zeichnet sich die gute Handlung dadurch aus, dass sie die Triebe in das vernünftige System der Willensbestimmung integriert. Erst diese Handlungstypen konstitutieren eine Einheit von formeller Allgemeinheit und konkretem Inhalt. Der konkrete Inhalt integriert die Natur als Faktor der Willensbestimmung und bringt damit die Wirklichkeit der Freiheit auf den Weg.173 Hegel präzisiert diesen Inhalt der Handlung am 172

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R. Pippin: „Hegel, Freedom, The Will. The Philosophy of Right (§§ 1-33)“. In: L. Siep (Hg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin 1997, 31-53, 48. Dieser Gesichtspunkt bleibt bei den Kritikern, die mit Theunissen von einer „verdrängten Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts“ ausgehen, unberücksichtigt. Vgl. M. Theunissen: „Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts“. In: D. Henrich / R.-P. Horstmann (Hg.), Hegels Philosophie des Rechts. Stuttgart 1982, 317-381.

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Leitfaden des Willensbegriffs. Es ist der „an und für sich seiende Wille“, der sich in diesen Gestalten als Allgemeinheit gegenständlich wird. Erst in der Einheit von formeller Allgemeinheit und konkretem Inhalt in Gestalt von Trieben und Neigungen konstituiert der Wille die Wirklichkeit der Freiheit. Um diese Aufgabe lösen zu können, bestimmt Hegel den Willen als Reflexionsvermögen. Als reflektierter Wille verfügt der Wille über Sinnlichkeit und denkende Allgemeinheit und vollzieht an einem gegebenen Inhalt die Auflösung der Bestimmtheit, um zur Allgemeinheit zu gelangen (vgl. Grundlinien, §5). Diese Fähigkeit entspricht im wesentlichen jener Bestimmung, die dem „theoretischen Geist“ in der Encyklopädie zugesprochen wurden. Der Intellekt, als das Vermögen von den einzelnen Bestimmungen einer Sache etc. zu abstrahieren und ihr Allgemeines zu benennen, wird im Willen selbstbezüglich. Ich bin ein Wesen mit einer Vielzahl von Eigenschaften und Wünschen. Ich abstrahiere von diesen Besonderheiten und begreife mich als ein Allgemeines, als Person. Diese Bestimmung, Person zu sein, ist zwar allgemein, jedoch ohne Wirklichkeit. Um dieser Bestimmung Wirklichkeit zu geben, bezieht sich die Person als unmittelbare Einzelnheit auf die vorgefundene Natur, eine einzelne Sache, und bestimmt diese als die Ihre. In der Besonderung (Grundlinien, §6) gibt sich der allgemeine Wille einen unmittelbaren Inhalt. Reflexiv wird der Willen, wenn diese Bestimmung der einzelnen vorgefundenen Natur auf das Bestimmende selbst angewandt wird: Zwischen der Wirklichkeit der Bestimmung (ein einzelnes als Allgemeines) und der beanspruchten Möglichkeit zu bestimmen (Ich als unendliches beanspruche alles) wird ein Widerspruch offenbar, der zeigt, dass der Wille in diesem Bestimmen einer Sache als der Seinen nur „an sich frey, oder für uns“ (Grundlinien, §10, 34; GW 14.1, 35) frei ist. Im Begriff des objektiven Willens vereinigt Hegel die beiden Vermögen Intelligenz und Konkretion. Zum Intellekt, als dem Vermögen sich durch Abstraktion von jeder konkreten Bestimmtheit zu lösen und zur Allgemeinheit zu gelangen, tritt die Konkretion als das zweite Moment der Selbstbezüglichkeit. Vermittels der Intelligenz bestimmt sich das Selbstbewusstsein als ‚Person‘, die Konkretion tritt als das Bedürfnis, in einer äußeren Sphäre zu bestimmen, hinzu. Der Wille setzt – ausgehend vom Person-Sein – einen sich auf die äußere Sphäre beziehenden bestimmten Inhalt, um sich Wirklichkeit zu geben. Für Hegels Konzeption des reflektierenden Willens sind beide Momente konstitutiv: die „denkende Allgemeinheit“ und die „Konkretion des Willens“, die als Begierde oder Trieb sinnlich ist. Die „Reflexivität des Willens“ ist durch die wechselseitige Bezugnahme dieser Momente mit dem Ziel der Hervorbringung einer Identität bestimmt. Hegels Konzeption des Willens vereinigt somit jene Momente, die die Tradition trennte. Entscheidend für diese Vereinigung ist, dass jene Bestimmungen, die traditionell dem „Willen“ zukommen, hier keinen besonderen Bereich ausmachen (wie in der enzyklopädischen

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Konzeption des subjektiven Geistes174 ), sondern als Fortbestimmung des Intellekts entwickelt werden. Ausgehend vom Abstraktionsvermögen der Intelligenz wird die Bestimmtheit, die Besonderung des Ich, als Negation der Negation eingeführt. Dies unterscheidet den „subjektiv-praktischen“ Geist der Encyklopädie von der Konzeption des praktischen Geistes der Philosophie des Rechts. Die Bestimmtheit der denkenden Subjektivität, wie Hegel sie in der Encyklopädie einführt, sichert dieser zwar Wirklichkeit, diese geht jedoch nicht aus der Intelligenz hervor, sondern ist „durch die Natur“ veranlasst (vgl. Encyklopädie, §389, 217). Entscheidend ist, dass Hegel hier den Willen darüber hinaus als Fortbestimmung der freien Intelligenz bestimmt und die Einheit von praktischer Vernunft und sinnlicher Bestimmtheit zu fassen sucht. Inwiefern dies gelingt, ist zu klären. Grundsätzlich wirft die hier im Willensbegriff angestrebte Einheit aber die Frage auf, ob der auf Intelligenz basierende Willensbegriff nicht die Möglichkeit einer Eigenständigkeit der Praxis gegenüber der Theorie verstellt und somit eine Rückkehr zum sokratischplatonischen Handlungsverständnis vorliegt, demgemäß der gut Denkende auch der gut Handelnde ist. Gegenüber der Erstauflage der Encyklopädie (1817), wo Hegel den Bereich des praktischen ausgehend vom „praktischen Gefühl“ entwickelt, ergänzt Hegel in einem 1830 eingefügten Paragraphen, dass der „Weg des Willens sich zum objektiven Geist zu machen“, erfordere, „sich zum denkenden Willen zu erheben, – sich den Inhalt zu geben, den er nur als Denkender haben kann“ (Enzyklopädie, 380).175 Damit wird für Hegel Reflexion dort notwendig, wo es um die Bestimmung des unmittelbaren Seins geht. Im Spannungsfeld zwischen der Endlichkeit des unbestimmten Daseins und der Unendlichkeit des allgemeinen Wesens geht es darum, die Allgemeinheit eines Besonderen auszuweisen. Es geht um die Bedingungen der Zuordnung eines Besonderen zu einem Allgemeinen. Diese Zuordnung ist für Hegel nicht durch den Verstand sondern allein durch das Vermögen jener Reflexion zu leisten, die Hegel als Handlung bestimmt. Diese Handlung lässt sich nur über das Resultat begreifen. Im Unterschied zur Fichteschen Tathandlung, die „Identität“ und „Differenz“ als Tätigkeiten des Ich begreift, rekonstruiert Hegel das Resultat dieser Handlung als Reflexionsbestimmung. Im Unterschied zu Fichtes „Ich der Tathandlung“ ist das Subjekt dieser Handlung losgelöst von der reflexiven Handlungsbestimmungen gar nicht ausweisbar.176 Mit der Vereinigung der beiden Willensmomente ist eine 174 175

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Der im „Subjektiven Geist“ benutzte Praxisbegriff bleibt dagegen auf anthropologische und psychologische Bestimmungen eingeschränkt. Vgl. zur Problematik Peperzak: Hegels praktische Philosophie; sowie Düsing: „Zum Verhältnis von Intelligenz und Wille bei Fichte und Hegel“. Insofern dem Willen gegenüber dem Intellekt keine Eigenständigkeit zukommt, rückt Hegels Ansatz bereits bei der Konzeption des Willens deutlich von einer „voluntarist, libertarian (...) theory“ ab (Pippin: „Hegel, Freedom, The Will“, 38). Voluntaristen, wie Augustin, Thomas und Kant, gehen davon aus, dass eine intellektuelle Annäherung an das objektiv Gute vom „realm of desires“ unterschieden werden muss. „Within this differentiation desires might be

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Gestalt des „an und für sich seienden Willens“ erreicht. Die Philosophie des Rechts hat zu zeigen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Wirklichkeit des Rechts als freier Handlungsvollzug konstituiert ist. Für die Darstellung des erweiterten Rechtsbegriffs hat Hegel mit dem Begriff des objektiven Willens ein gegenüber dem enzyklopädischen Begriff des Willens („freye Selbstbestimmung der Person“) anderes Fundament geschaffen. Hegels Herleitung des rechtsphilosophischen Willensbegriffs greift zum einen die enzyklopädischen Grundbestimmungen des theoretischen und praktischen Geistes auf, zum anderen konkretisiert Hegel den Begriff des Willens vor dem Hintergrund der Tradition, d.h. er zeigt, wie der Begriff des Willens über die enzyklopädischen Bestimmungen hinausgehend gefasst werden muss, damit Gestalten des objektiven Geistes erfasst werden können. Auf der Grundlage des als Reflexionsbegriff konzipierten Willens vermag Hegel die maßgeblichen Bedingungen des Rechtsbegriff zu benennen: Der freie Wille ist das Geistige und dieses Geistige ist der „Boden des Rechts“ (Grundlinien, §4, 28; GW 14.1, 31).177 In der Encyklopädie macht Hegel gegen den Begriff des Naturrechts geltend, dieser Begriff unterstelle, das Recht sei „ein durch die unmittelbare Natur gleichsam eingepflanztes“. In Abgrenzung von dieser Deutung des Naturrechts bestimmt Hegel Natur als „Zweite Natur“, die aus der „freyen Persönlichkeit“, aus der „Selbstbestimmung“ hervorgeht und das „Gegentheil der Naturbestimmung ist “ (GW 13, §415, 228). Mit dieser Rechtskonzeption nimmt Hegel, wie Schnädelbach zeigt, „die neuzeitliche, vor allem von Rousseau, Kant und Fichte herrührende Verknüpfung von Recht und Freiheit“178 auf. Die offensichtliche Nähe der Hegelschen Konzeption zu dieser Tradition darf aber nicht zur Verkennung der gleichzeitig bestehenden Differenzen führen. Hegel geht es um eine Integration dieser Tradition in den eigenen Ansatz. Angelpunkt dieser Integration bildet die Differenz zwischen der enzyklopädischen Bestimmung des Rechts auf der Basis der „Selbstbestimmung der Person“ und die Bestimmung des „Rechts als Idee“. Lässt sich die enzyklopädische Willenskonzeption auf das neuzeitliche Vernunftrecht zurückführen, so

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said to be trained by reason but (...) such beliefs and desires alone cannot fully account for human action; we also need to invoke a distinct faculty, the will.“ Ein Nachteil dieser Konzeption ist, dass sie Praxis auf einen eingeschränkten Willensbegriffs reduziert und damit zwangsläufig einen von der Theorie isolierten Sonderbereich etabliert. Gegen diese einseitige, von Kant her den Hegelschen Willensbegriff erschließende Sichtweise hat Peperzak (Modern Freedom, 120) auf die neuplatonischen Wurzeln der Geist- und Willenskonzeption hingewiesen: Wird diese Tradition berücksichtigt, so kann Hegels Argumentationsgang von der „Abstraktion“ zur „Bestimmung“ nicht lediglich als ein „Zurückkommen“ der Bestimmung zum Ausgangspunkt verstanden werden. In dieser Verbindung von Wille und Recht zeigt sich für Riedel „die naturrechtliche Verankerung der Hegelschen Rechtsphilosophie“. Der somit vorausgesetzte Willensbegriff entspricht allerdings dem praktisch subjektiven Geist der Encyklopädie, der, wie hier gezeigt, für das Begründungsziel der Rechtsphilosophie zu kurz greift. Vgl. Riedel: „Natur und Freiheit“, 118. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. Frankfurt a.M. 2000, 179.

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führt die Bestimmung des „Rechts als Idee“ über diesen Ansatz hinaus. Für die Bewertung der Stellung Hegels zum neuzeitlichen Naturrecht ist entscheidend, wie in den umfassenden Rechtsbegriff der Grundlinien, der das Recht als das Dasein des an und für sich seienden Willens bestimmt, der neuzeitliche Rechtsbegriff (Recht als Selbstbestimmung der freien Persönlichkeit) integriert werden kann. Denn der „nur erst an sich freye Wille ist der unmittelbare oder natürliche Wille“ (Grundlinien, §11, 35; GW 14.1, 36). Die Unmittelbarkeit des natürlichen Willens ist in der Allgemeinheit des für sich seienden Willens aufgehoben (vgl. Grundlinien, §21). Als „reflexiver Wille“ soll der Wille das Verhältnis dieser beiden Momente klären und zeigen, wie eine Integration beider zu rekonstruieren ist. In den Paragraphen fünf, sechs und sieben nennt Hegel die Begriffsbestimmungen des freien Willens. Als Intelligenz vollzieht der „Wille“ die Auflösung jedes Inhalts, was zur „reinen Unbestimmtheit“ der Person führt. Der „Wille“ ist aber auch das Setzen eines Inhalts und damit das Aufheben der ersten abstrakten Negativität. Dieser gesetzte Inhalt ist entweder durch die Natur gegeben oder aber aus dem Begriff erzeugt. Kraft dieser inhaltlichen Bestimmung wird der Wille „bestimmtes Ich“. Beide Formen der Willensbestimmungen finden sich als Momente des Selbstbewusstseins auch bei Kant und Fichte.179 Hegel behauptet in seiner rechtsphilosophischen Willenskonzeption allerdings die Einheit dieser beiden Momente: Der Wille als in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit ist Einzelnheit und als solche Dasein des Rechts als Idee. Mit der Behauptung einer aus der Reflexivität des Willens hervorgegangenen Einzelnheit grenzt sich Hegel von der Kantischen und Fichteschen Willenskonzeption ab. Wie Hegel diese Momente des Willensbegriffs bzw. deren Einheit in den Grundlinien entwickelt, erläutert Paragraph 33: In einem Stufengang soll die Entwicklung der „Idee des an und für sich freien Willens“ erläutert werden, vom unmittelbaren über den reflektierten Willen zur Einheit und Wahrheit dieser beiden abstrakten Momente (Grundlinien, §33, 48f.; GW 14.1, 48f.). Diesen Stufengang der Konkretisierung der Idee des Rechts spiegelt der dreigliedrige Aufbau der Grundlinien mit der Unterscheidung zwischen „Abstraktem Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“ wieder. J. Ritter rekonstruiert das Verhältnis der unterschiedenen Willensmomente im Rückgriff auf den aristotelischen Grundsatz, dass „Möglichkeit (...) noch nicht Wirklichkeit“ ist. Diesem Grundsatz folgend werden die Rechtsformen des abstrakten Rechts zusammen mit dem moralischen „Recht der Subjektivität“ in den sittlichen Gestalten „aufgehoben“. Für Ritter bestimmt Hegel das Recht der Person und das Recht der Subjektivität als bloße Möglichkeiten und weist ihnen damit einen anderen Modus zu als den sittlichen Gestalten. Wie aber kommt Hegel von den bloß möglichen abstrakten Rechten zur Bestim179

Vgl. insb. Grundlinien, § 6 Anm., 31: „Die Unterscheidung und Bestimmung der zwey angegebenen Momente findet sich in der Fichteschen Philosophie, eben so in der Kantischen usf.“

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mung der wirklichen sittlichen Institutionen und der ethischen Pflichten im dritten Abschnitt? Worauf gründet das Dasein der wirklichen Rechte? Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob für die Klärung dieser Fragen der Verweis auf den Übergang von Bedingendem zu Bedingtem, vom Möglichen zum Wirklichen reicht. Gegenüber Ritters Deutung dieses Zusammenhangs stellt sich mit Blick auf die hier herausgearbeitete reflexive Willenskonzeption die Frage, ob die Perspektive der „Wirklichkeit des Rechts“ in der Tat erst mit den sittlichen Gestalten in den Blick kommt, wie Ritter nahelegt. Folgt man Ritters Deutung, so hätte dies die Konsequenz, dass Hegel eine gegenüber möglichen und wirklichen Rechtsformen dritte Rechtsform entwickeln müsste von der her die Unterscheidung sich legitimieren würde. Nachfolgend soll der Status der abstrakten Rechte, die Bestimmungen in der Auseinandersetzung mit daseienden Rechtsformen rekonstruiert, geklärt werden. Der Leitfaden hierfür bildet Hegels Einteilung in mögliche und wirkliche Rechte, die er als eine „historische Vorausangabe begreift. Die Rede von der „Stufenfolge“ ist hier ebenso klärungsbedürftig wie die Herkunft und Funktion des an und für sich seienden Willens.

4.3 Wille und Recht – das Begründungsprogramm Indem Hegel seine Darstellung der „Idee des Rechts“ mit der Bestimmung des Willens beginnt, grenzt er sich, so M. Riedel180 , deutlich von der Kantischen Konzeption ab. Für Kant bilden moralisches Gesetz und der Wille als praktische Vernunft eine Einheit für die das Recht die Verbindung zur Willkür zu leisten hat. Die Bedingungen menschlichen Handelns machen aus dem moralischen Gesetz ein Sollen. Für die natürlich bestimmte Willkür eines jeden wird Freiheit zum Postulat. Kant postuliert Freiheit zur (denk)notwendigen Bedingung für die mögliche Annahme eines Sollens bzw. für die Möglichkeit der Verpflichtung. Freiheit ist in diesem Sinne „Idee“. Auch Hegel bestimmt die Freiheit als „Idee“ aber in einem von Kant abweichenden Sinn. Für Hegel ist 180

Hegel hat, so Riedel („Natur und Freiheit“, 117), Kants Schlussfolgerungen übernommen. Indem er die Freiheit zur Grundbestimmung des Willens erklärt, und diesen Willen allein als „Beziehung auf sich“ begreift, bricht er mit jener Tradition, die die Natur als eine von Zwecken bewegte Ordnung dachte, in der die menschliche Freiheit auf die Natur bezogen und das menschliche Handeln als Fortsetzung oder Nachahmung der Naturteleologie begriffen werden konnte. So tritt an die Stelle eines teleologischen Stufengangs, der in der aristotelischscholastischen Naturrechtstheorie die verschiedenen Herrschaftsverbände und Gesellschaftsordnungen verbindet, die „Bewegung des Willens“. Die Entwicklung beginnt mit dem „einzelnen Willen eines Subjekts“ in seinem Verhältnis zu den Dingen der Natur (d.i. das Eigentum), führt zum Vertragsverhältnis, in dem der Einzelwille einen anderen Einzelwillen anerkennt, um schließlich in der Ableitung des im „Staat“ konzentrierten Willens zu enden.

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„die Freiheit (...) nicht Postulat (Idee im Kantischen Sinne) sondern Wirklichkeit, in der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt gegeben und nicht nur aufgegeben“. Darüber hinaus ist es für Hegel das „Setzen“ einer Bestimmtheit oder eines Inhalts (vgl. Grundlinien, §7), wodurch der reine Begriff des Willens als Intelligenz „ins Dasein tritt“. „Dieses Besondern, durch das der Wille bestimmt und beschränkt“ ist, ist, so Riedel, „keine gegebene äußere Schranke, sondern (...) dem Akt der Selbstbestimmung immanent.“181 Wenn Kant in der Metaphysik der Sitten bei der „Willkür“ einsetzt, so geht er von den menschlichen Bedingungen aus, d.h. Trieb und Begierde sind hier als zur Natur des Menschen gehörig handlungsbestimmend. Diese „Naturverbundenheit“ hat Hegel im Willensbegriff, so Riedel, zugunsten einer reinen Immanenz des Willens preisgegeben. Die von Kant mit der Willkür vorausgesetzte „Natur“, das Eingebundensein des Menschen in die Natur, rekurriert auf einen reduzierten Naturbegriff. „Natur“ wird von Kant rein negativ gedacht, insofern – was Hegel im Naturrechtsaufsatz kritisierte – der menschliche Verstand der Natur gegenüber als Gesetzgeber auftritt. Die Kehrseite dieses „Verfügbarmachens“ der Natur beschreibt Kant im „Beschluß“ der Kritik der praktischen Vernunft als „amphilobolischen Charakter“ der Stellung des Menschen zur Natur: Der bestirnte Himmel über mir veranschaulicht die Machtlosigkeit und Nichtigkeit des Menschen, während das moralische Gesetz in mir Vernunft und Freiheit als Bedingungen der Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens vermittelt. Angesichts des Kosmos ist vernünftiges Handeln für den Menschen nur in der festen Überzeugung eines letztlich auf den Erfolg der Vernunft abzielenden Verlaufs möglich. Diese Hoffnung ist, so Kant in der Kritik der praktischen Vernunft (KprV, A 5), nur unter der „Annahme“ einer Verbindung von Freiheit und Natur, wie sie durch „Gott“ garantiert wird, plausibel zu machen. Lediglich ergänzend vermag die geschichtliche Betrachtung der Natur das Postulat hinzuzufügen, dem geschichtlichen Ablauf liege ein auf die fortschreitende Entwicklung der Vernunft zielendes Prinzip zugrunde.182 Kants „Inversion der Natur“ in den Willen des Subjekts löst die Bindung an die Natur nicht vollständig auf. Zum einen ist am Ausgang der rechtsphilosophischen Darstellung der Wille als Willkür ein von den Trieben und Begierden bestimmter Wille, der diese Natur erst überwinden und sich zur freien Vernunftbestimmung hinarbeiten muss. Zum anderen ist eine vernünftige Lebensplanung angesichts der Unendlichkeit des Kosmos für den Menschen nur dann 181 182

Vgl. Riedel: „Natur und Freiheit“, 118. Für diese geschichtsphilosophische Perspektive wiederholt sich die Antinomie zwischen Freiheit und Naturnotwendigkeit. Wenn mit diesem geschichtlichen Fortschrittsprinzip der Natur selbst Zwecke unterstellt werden – so als gebrauche diese den Menschen für ihre Absicht –, so ist dies unvereinbar mit der Freiheit menschlichen Handelns. Kaulbach schlägt vor, beide Positionen als Perspektive, als Widerstreit zwischen These und Antithese zu deuten, um die Berechtigung beider Prinzipien zu bewahren. Vgl. F. Kaulbach: „Welchen Nutzen gibt Kant der Geschichtsphilosophie?“. In: Kantstudien 66 (1975), 65-84; und ders., „Natur“. In: Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch. Bd. 6. Basel 1984, Sp. 471-475.

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möglich, wenn es der Vernunft nicht widerspricht, eine Einheit von Natur und Freiheit vorauszusetzen. Zu einer vernünftigen Lebensplanung gehört, dass der Handelnde sein Tun angesichts der Zufälligkeit und Mannigfaltigkeit der Wirkungen nicht als sinnlos erfährt: Natur, die das menschliche Leben bestimmt, muss als mit der menschlichen Freiheit vereinbar gedacht werden können.183 Für Riedel konzentriert sich Hegels Kant-Kritik im wesentlichen auf jene Momente, die die Verbundenheit des Willens mit der Natur fortschreiben. Dieses Festhalten an einem tradierten Naturbegriff zeigt sich zum einen in der Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität, zum anderen in der Ableitung des allgemeinen Willens aus dem „Trieb zur Geselligkeit“. Mit diesen Bestimmungen nimmt Kant naturhafte Elemente in seine Willenskonzeption auf und schreibt damit aristotelische Grundbestimmungen fort, aus denen das neuzeitliche Naturrecht sich gerade zu lösen bestrebt ist. Hegel gelingt diese Ablösung konsequent, indem er den Begriff des Willens aus allen naturhaften Zusammenhängen löst und rein aus dem Selbstbewusstsein konstruiert. Wenn Hegels Bestimmung des Willens von dem im Einzelwillen enthaltenen allgemeinen Willen ausgeht, so ist dies keine Entfernung vom modernen Naturrecht, sondern bedeutet eine „Verschärfung des naturrechtlichen Gedankens“. „Denn damit wird“, so Riedel, „der Einzelne nicht mehr als solcher, in seiner Natürlichkeit, sondern als Vernunftwesen zum Ausgangspunkt und Gegenstand der Rechtslehre“.184 Für Riedel fällt die „Entwicklung des Hegelschen Denkens in der Zeit der Ausarbeitung des rechtsphilosophischen Systems ganz auf den Boden jener Philosophie der Freiheit zurück, die der frühe Ansatz über die Wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts mittels der Konstruktion eines Rechts als „sittlicher Natur“ zu überwinden strebte.“ Mit der Konzeption der Grundlinien sind für Hegel Natur und Freiheit, Naturgesetz und Rechtsgesetz auseinandergetreten. Mit diesen Thesen stellt Riedel die Konzeption der Hegelschen Rechtsphilosophie ganz in die Tradition des neuzeitlichen (Vernunft-) Naturrechts, das 183

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Diese „Naturbedingungen des Handelns“ gibt Hegel für Riedel bereits im Ausgang seiner Rechtsphilosophie durch die Konzeption des Willens preis. Gleichwohl kehrt in der Philosophie des Rechts die „Natur“ wieder, und zwar in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft. Mit der strikten Trennung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat gibt Hegel den Gedanken einer Teleologie der Natur, die die Trieb- und Bedürfnisnatur des Einzelnen mit dem sittlich-geschichtlichen Dasein des „Staates“ vermittelt, preis. Für Riedel ist die Trennung zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft bei Hegel nur konsequent. Das „besondere Individuum“ und seine Bedürfnisse, Triebe und Neigungen stehen in keinem direkten Begründungszusammenhang mit dem im Staat sich manifestierenden Willen. „Die Freiheit als Idee, welche die Freilassung der bürgerlichen Gesellschaft vom Staat begrifflich fordert, fällt auf deren Boden von der Wirklichkeit zum Schein, zur Erscheinungswelt des Sittlichen herab, in der die sittliche Identität nicht als Freiheit, sondern nur als Notwendigkeit gedacht werden kann“ (Riedel: „Natur und Freiheit“, 124). Riedel stützt diese These mit dem Verweis auf Paragraph 186 der Grundlinien. Riedel: „Natur und Freiheit“, 118; das folgende Zitat op. cit., 120.

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den Verzicht auf eine aristotelische Sittlichkeitskonzeption zur Folge hat. Eine Überprüfung der Riedelschen These muss sich an der Konzeption der Grundlinien orientieren, ohne allerdings die Jenaer Sittlichkeitskonzeption aus dem Blick zu verlieren. Oben konnte bereits verdeutlicht werden, wie Hegel mit seiner Willenskonzeption eine die vernunftrechtliche Tradition erweiternde Zielsetzung verfolgt. Inwiefern diese Abgrenzung im Rahmen des neuzeitlichen Vernunftrechts bleibt, soll nachfolgend verdeutlicht werden. Für eine erste Präzisierung soll hier Hegels späte Kant-Kritik herangezogen werden. An ihr ist mit Blick auf die Riedelschen Thesen zu klären, inwiefern Hegel auch 1820 an seiner frühen im Naturrechtsaufsatz entwickelten Kritik an Kants Rechtskonzeption festhält. Geht man von der zum Riedelschen Ansatz konträren These aus, dass diese Kritik auch für den späten Ansatz Hegels Gültigkeit hat, so müssten sich die Jenaer Argumente auch hier wiederfinden. Die vor dem Hintergrund der Jenaer Konzeption rekonstruierte (späte) Kant-Kritik bildet einen Ausgangspunkt, von dem her ein Zugang zum Gesamtansatz der Grundlinien gefunden werden kann. Von hier aus lässt sich zeigen, wie die Grundlinien als Versuch einer Umsetzung der frühen Kant-Kritik verstanden werden können, ohne allerdings das Anliegen der frühen Sittlichkeitskonzeption preiszugeben. Mit der Aufgabe, die „Idee des Rechts“ zur Darstellung zu bringen, ist der philosophischen Rechtswissenschaft nicht nur die Analyse des Begriffs des Rechts, sondern die „Verwirklichung“ dieser Begriffsbestimmungen aufgegeben. Diese „Verwirklichung“ charakterisiert Hegel einleitend als die Gestaltung, die sich der Begriff selbst gibt. Diese Gestaltungen sind für Hegel von der „Form, nur als Begriff zu seyn, unterschiedene wesentliche Moment der Idee“ des Rechts (vgl. Grundlinien, §1, 19; GW 14.1, 23). Für die Rekonstruktion der Verwirklichung der Begriffsbestimmung des Rechts bildet der freie Wille den „Boden“ und „Ausgangspunkt“. Ein Rechtssystem ist dann als das Reich verwirklichter Freiheit ausgewiesen, wenn es gelingt, die Gestalten des Rechts als aus der Reflexion des freien Willens hervorgegangene zu rekonstruieren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere Hegels Begriff der Wirklichkeit zu klären. Im Einzelnen soll dieser Begriff aus den Differenzen zum Begründungsprogramm der Encyklopädie erarbeitet werden. Abschließend soll die Frage geklärt werden, ob sich mit Hilfe der Willenskonzeption die Dreiteilung des Naturrechts in „Abstraktes Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“ erklären lässt.

4.3.1 Enzyklopädie und Naturrecht und Staatswissenschaft Sowohl die Enzyklopädie wie auch die Grundlinien hatten als Vorlesungsbücher die Aufgabe, Hegels Unterricht an der Universität zu unterstützen. Während die Enzyklopädie den Studenten eine Darstellung des philosophischen

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Wissens gibt, beschränkt sich die Darstellung der Grundlinien auf die Sphäre von Naturrecht und Staatswissenschaft. Beide Darstellungen sind in Paragraphen gegliedert, im Paragraphentext wird jeweils die Hauptthese angegeben, während die Ausführungen in den Vorlesungen bzw. die Anmerkungen im Text eine Erläuterung der Thesen geben. 1817 war die Erstauflage der Encyklopädie mit einer Darstellung auch der Sphäre des objektiven Geistes erschienen. Allerdings stützt Hegel seine Vorlesungen über „Naturrecht und Staatswissenschaft“ nicht auf diese Darstellung, sondern diktiert bis zum Erscheinen der Grundlinien den Studenten Paragraphen. Die Gründe für dieses gegenüber anderen Lehrveranstaltungen – etwa den Vorlesungen über die „Philosophie des subjektiven Geistes“ – abweichende Vorgehen, müssen geklärt werden. Sind sie inhaltlicher Art in dem Sinn, dass die Darstellung der Encyklopädie lediglich zu knapp ist und daher ergänzt werden muss? Oder sind es systematische Gründe, die für die Darstellung von ‚Naturrecht und Staatswissenschaft‘ eine andere Perspektive und daher einen konzeptionell anderen Ansatz fordern? Das Inhaltsverzeichnis der Grundlinien der Philosophie des Rechts gibt bereits einen Hinweis auf entscheidende Differenzen zwischen der rechtsphilosophische Darstellung der „Idee des Rechts“ und der enzyklopädischen Darstellung des Rechts. Im Rahmen der enzyklopädischen Darstellung bildet das „Recht“ gegenüber „Moralität“ und „Sittlichkeit“ nur eine Teilsphäre. Die beiden letztgenannten Sphären werden nicht als Gestalten des Rechts entwickelt. Eine inhaltliche Prüfung ergibt, dass die enzyklopädische Darstellung des Rechts auf der „freyen Persönlichkeit“ als einer „Selbstbestimmung, welche (...) das Gegentheil der Naturbestimmung ist“ (Encyklopädie, §415, 228), gründet. Demgegenüber verpflichtet Hegel die Darstellung der „Idee des Rechts“ in den Grundlinien programmatisch auf den Begriff des an und für sich seyenden freyen Willens. Am Leitfaden dieses Willens werden alle Gestalten des objektiven Geistes als Rechtsgestalten entwickelt. Die gegenüber der enzyklopädischen Darstellung andere Zielsetzung deutet sich in einer weiteren Veränderung an: Bereits in der ersten Heidelberger Vorlesung über „Naturrecht und Staatswissenschaft“ (Heidelberg 1817/18) fasst Hegel die erste Form der Bestimmung des Willens nicht mehr als „Recht“, sondern als „Abstraktes Recht“. Der „Wille“ als Leitfaden der Darstellung, die Kennzeichnung des „Privatrechts“ nicht als „Recht“ sondern als abstraktes Recht deuten auf die gegenüber der enzyklopädischen Lehre andere Zielsetzung der „Philosophie des Rechts“. Diese Verschiebungen sind einer anderen Zielsetzung anzulasten. Mit der enzyklopädischen Darstellung gibt Hegel eine zusammenfassende Darstellung des philosophischen Wissens unter dem systematischen Leitfaden des absoluten Wissens. Hegels Darstellung „Naturrecht und Staatswissenschaft“ ist dagegen der Aufgabe der praktischen Philosophie verpflichtet. Hier geht es nicht um den Ausweis von Wissen, sondern um die Prüfung und Legitimation von Normen und Pflichten. Dieses Anliegen erfordert, folgt man dem

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aristotelischen und kantischen Programm eine gegenüber der bloßen Darstellung und Begründung von Wissen andere Wissenschaft. Diese Wissenschaft hat nicht nur von einem anderen Gesetzesbegriff auszugehen, das Wissen dieser Wissenschaft hat insofern einen anderen Charakter als hier Verbindlichkeiten für den Handelnden begründet werden sollen. Das Recht als Reflexionsbestimmung des absoluten Wissens ist durch den Akt der Selbstbestimmung der freyen Persönlichkeit definiert. Die Bestimmung des Rechts als verbindliche Gestalt erfordert eine andere Darstellung. Der enzyklopädische Rechtsbegriff ist durch das Moment der „Selbstbestimmung“ des subjektiv-praktischen Willens konstituiert. „Objektiv“ werden die subjektiven Rechtsbestimmungen, wo durch die Vereinigung mit dem theoretischen Geist allgemeine Geltung erlangt wird. Indem Hegel die Bestimmungen des objektiven Geistes als Vereinigung mit dem theoretischen Bestimmungen der Intelligenz entwickelt, wird die Zufälligkeit, der Formalismus und die Subjektivität des subjektiven Willens überwunden. Die gewonnenen Bestimmungen des Rechts erlangen abgelöst und unabhängig von der subjektiven Rechtsbestimmung allgemeine Geltung. Als Bestimmung der „freyen Persönlichkeit“ hat die hier (zwischen subjektiv-praktischem und theoretischem Geist vollzogene) unmittelbare Einheit nur begrenzte Geltung. Dieser enzyklopädische Rechtsbegriff ist auf „Eigentum“ und „Vertrag“ als den Rechtsbestimmungen der „freyen Persönlichkeit“ beschränkt. Deutlich wird die begrenzte Geltung dieses enzyklopädischen Rechtsbegriffs wenn Hegel im Rahmen der Darstellung „Naturrecht und Staatswissenschaft“ diese unmittelbare Einheit als nur „abstraktes“ Recht bezeichnet. Dieser Titel soll auf das Defizit verweisen, dass die Rechtsbestimmung des „Abstrakten Rechts“ lediglich eine „Möglichkeit“ darstellt, der die „Sittlichkeit“ als „Wirklichkeit“ gegenüber steht. Der abstrakte Rechtsbegriff erweist sich als defizitär, wenn es darum geht die sittliche Lebenswelt insgesamt zu erfassen. Soll diese sittliche Wirklichkeit als Rechtsgestalt – d.h. als notwendige, allgemein verbindliche Handlungsform ausgewiesen werden, so erfordert dies einen gegenüber der Enzyklopädie anderen Rechtsbegriff. Damit stellt sich die Frage, ob das Programm der Enzyklopädie, die Gestalten des objektiven Geistes als Identität von theoretischem und subjektivem Geist zu entwickeln, hier das angemessene Verfahren ist. In der enzyklopädischen Darstellung des Geistes (1817) bestimmt Hegel den subjektiv-theoretischen Geist zunächst als Selbstbewusstsein, dann als „freyen Willen“ (Encyklopädie, §388, 217). Die Vereinigung von Bestimmbarkeit und Freiheit im Selbstbewusstsein ermöglicht, dass die Vernunft ihren Inhalt wie ihr Dasein selbst bestimmt. „Die denkende Subjectivität ist somit wirklich; ihre Bestimmungen sind Zwecke; sie ist freyer Willen“ (§387, 217). Diese „Existenz der Selbstbestimmung des Geistes“ ist „praktisches Gefühl“ (§389, 217), „reeles Urtheil“ (§392, 219) und „Glückseligkeit“ (§395, 222). In allen drei Formen bleibt der Wille auf das denkende Subjekt bezogen. „Frey“ ist dieser Wille nur „für sich“: „indem er als die Negativität seines unmittelba-

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ren Bestimmtseyns in sich reflectiert ist; jedoch insofern der Inhalt, in welchem er sich zu dieser Einzelnheit und Wirklichkeit beschließt, noch eine Besonderheit ist, ist er nur als subjectiver und zufälliger Wille wirklich“ (§398, 222). Den „objectiven Willen“ bestimmt Hegel als Wahrheit des „besondern Zwecks des Willens, der Besonderheit“. Wie bereits gezeigt, entwickelt Hegel den Willensbegriff der Grundlinien einleitend als freien Willen. Gegenüber der Encyklopädie wählt Hegel für diese Darstellung einen anderen Ausgangspunkt. Nicht die enzyklopädische Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Willen185 wird für den freien Willen entscheidend, vielmehr fasst Hegel die Intelligenz als Moment des Willens. Darüber hinaus tritt der Wille nicht zum Selbstbewusstsein als ein weiteres Vermögen des subjektiven Geistes hinzu, Intelligenz und Wille werden vielmehr als Momente eines allgemeinen Willens gefasst. Mit diesen Bestimmungsmomenten des „freyen Willens“ entwickelt Hegel einen gegenüber der Encyklopädie eigenständigen Willensbegriff, der die Basis für die Darstellung der „Idee des Rechts“ bildet.

4.3.2 Recht als Idee – zu Programm und Aufbau der Grundlinien Ausgangspunkt der rechtsphilosophischen Darstellung ist der „Begriff des Rechts“. Dieser Begriff wird vorausgesetzt und soll erst am Ende des Begründungsganges eingeholt werden. Diese Voraussetzung lässt sich nicht durch den Verweis auf „Thatsachen des Bewußtseins“ rechtfertigen, vielmehr ist die vorausgesetzte Begriffsbestimmung des Rechts nur durch den Aufweis dieses Begriffs in konkreten Rechtsgestalten zu rechtfertigen und verbindlich zu machen. Leitfaden für diesen Begründungsgang ist der einleitend entwickelte Begriff des allgemeinen Willens. Die Angemessenheit dieser Willenskonzeption ist wiederum nur im Durchgang durch den gesamten Begründungsgang zu erweisen, indem gezeigt wird, dass das hier in Anspruch genommene Willenskonzept das adäquate Instrument ist für die Realisierung des Fichteschen Begründungsprogramms. In seiner Kritik gibt Hegel das Fichtesche Begründungsprogramm nur unzulänglich wieder, wenn er Fichte vorwirft, er rekurriere lediglich auf „Thatsachen des Bewußtseins“. Zwei Gesichtspunkte sind – wie oben gezeigt – am Fichteschen Begründungsprogramm entscheidend: Einmal schreitet Fichte von den Bedingungen zum Bedingten fort. Dabei kommt Fichte von den transzendentalen Prinzipien zu den durch sie begründeten und ermöglichten Normen des Handelns. Im gleichen Zug rekonstruiert Fichte die Bedingungen unter denen das Unbedingte im bedingten Bewusstsein gewusst werden kann. Diese 185

Für Peperzak (Modern Freedom, 173) gibt Hegel mit der Deduktion des freien Willens in den Grundlinien eine ausführlichere nicht aber inhaltlich abweichende Darstellung derselben enzyklopädischen Analyse des freien Willens.

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Verklammerung von transzendentalem Aufweis der Bedingungen des Bedingten und Deduktion des Wissens um das Unbedingte formuliert einen Anspruch hinter den Hegel mit seinem Ansatz – trotz aller Kritik an der inhaltlichen Realisierung bei Fichte – nicht zurück geht. Wenn Hegel (Grundlinien, §2) darauf verzichtet eine Deduktion oder einen Beweis des Begriffs des Rechts vorzulegen, so tut er dies mit dem Hinweis, dass diese Deduktion bereits vorliege – eine polemische Kritik an den transzendentalphilosophischen Bemühungen um einen rein formalen Rechtsbegriff. Wie wenig mit einer Deduktion des Rechts gewonnen ist, macht die oben skizzierte Kant-Kritik deutlich. Für Hegel hat die Rechtsphilosophie dagegen die „wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts des Rechts“ vorzulegen (vgl. Grundlinien, §28). Geht man davon aus, dass Hegel – mit Fichte – nicht nur das Unbedingte (den an und für sich seienden Willen) sondern auch die Bedingungen unter denen dieses Unbedingte im bedingten Bewusstsein gewusst werden kann, darstellen möchte, dann erfordert die Einlösung dieses Anspruchs ein besonderes Begründungsprogramm. Weder ein Beweis, noch eine Deduktion sind hier zielführend. Hier ist eine Darstellungsform gefordert, die als „Tätigkeit“ des Willens, Recht unabhängig von den subjektiven Zwecksetzungen als institutionalisierte Handlungsoption, die zugleich für das Individuum zur Pflicht wird, entwickelt: Im handelnden Vollzug erfasst das Individuum die Geltung und Wirklichkeit des eingeforderten Rechts. Leitfaden für dieses Begründungsprogramm ist der Begriff des Willens. Mit Blick auf Riedels These ist zu klären, inwieweit der Begriff des Willens im Begriff der Subjektivität aufgeht bzw. das Hegelsche Begründungsprogramm als Abkehr von der kantischen Rechtsbegründung zu lesen ist. Wenn für Kant die Willkür den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Rechts bildet, so ist dies, so Riedel, ein Zugeständnis an die aristotelische Tradition. Denn hiermit nimmt Kant durch die Hintertür des Rechts Naturbestimmungen in seine praktische Philosophie auf. Ganz im Sinne der Tradition unterscheidet Hegel am Willen zwei Momente: Einmal enthält der Wille das mit Blick auf den Inhalt negative Moment der „reinen Reflexion des Ich in sich“, die Allgemeinheit (Grundlinien, §5) zum anderen das positive Moment des Bestimmens, des sich Entscheidens für einen bestimmten Inhalt, die Besonderung des Ich (Grundlinien, §6). Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Bestimmungsmomenten des Willens findet sich bei Kant wie auch bei Fichte wieder. Deren Willenskonzeption ist für Hegel das Produkt von Verstandesbestimmungen, die „für sich unwahr“ (Grundlinien, §7) sind, insofern sie nur eine Seite des Gegenstandes thematisieren. Gegen diese einseitige Willenskonzeption besteht Hegel darauf, dass auch das zweite Moment als Negativität aufzufassen ist: „es ist nämlich das Aufheben der ersten abstrakten Negativität“ (§6). Hegel bestimmt daher die beiden Momente des Willens als „Negation“ bzw. „Negation der Negation“, als Einzelnheit. Die beiden am „Willen“ unterschiedenen Momente erweisen sich selbst als ein Bedingendes. Denn die Unterscheidung zwischen diesen beiden Momenten ist nur unter der Voraussetzung der we-

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sentlichen „Einheit dieser beiden Momente“ möglich. Die Einheit der beiden Willensmomente formuliert ein Unbedingtes. Diese wird bestimmbar indem beide Momente als „Negation“ bzw. als „Negation der Negation“ gefasst werden. Damit wird der Weg frei für eine dritte Bestimmung, die „das Wahre und Spekulative ist“ (Grundlinien, §7). Diese Darstellung des Wahren gelingt dort, wo die Grenzen der Verstandesbestimmungen aufgezeigt werden und das Bedingende „die Einzelnheit (...) nach ihrem Begriffe“ erfasst wird. Dieses muss – sollen die Prinzipien des neuzeitlichen Naturrechts nicht preisgegeben werden, aus dem Selbstbewusstsein rekonstruiert werden. Der im selbstbewussten Willen immer schon vorausgesetzte allgemeine Wille dient Hegel als Leitfaden für die Darstellung der Einheit von Begriff und Realisierung. Damit das Individuum als Person verstanden werden kann, wird eine Abstraktion vollzogen, in der alle konkrete Bestimmtheit zugunsten der allgemeinen Merkmale ignoriert wird. Damit abstrahiert werden kann, muss allerdings die konkrete Bestimmtheit vorausgesetzt werden. Diese Abstraktion (der handelnde Wille ist Person) formuliert eine leere Allgemeinheit. Diese Allgemeinheit wird in der zweiten Negation, der Bestimmung als Etwas (die Person ist Subjekt, das etwas Bestimmtes will) aufgehoben. Unwirklich bleiben diese beiden Willensbestimmungen, insofern sie die Ebene, von der her diese Abstraktionen allererst vollziehbar werden, nicht erreichen. Hegel nennt diese Ebene die Ebene „wirklicher Freiheit“. Diese Ebene ist für Hegel allerdings nicht durch jene Vereinigung aller Einzelwillen bestimmt, wie es das neuzeitliche Naturrecht in Anspruch nimmt. Wie Hegel dieses Bedingende, das er Sittlichkeit nennt und das die Grundlage aller Willensbestimmung bildet, fasst, ist zu klären.

4.3.3 Recht und Freiheit Die drei am Willen unterschiedenen Bestimmungsmomente bestimmen auch den Freiheitsbegriff. Das selbstbewusste, Intelligenz einschließende Selbstbestimmen des Willens kann zwar „Freiheit“ genannt werden,186 erst dort allerdings, wo dieses Bestimmen als „Geist“ rekonstruierbar wird, ist das Freisein des Willens „nicht bloße Möglichkeit, Anlage, Vermögen (potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infinitum actu), weil das Dasein des Begriffs, oder seine gegenständliche Äußerlichkeit das Innerliche selbst ist“. Gegenüber dem endlichen Willen als Selbstbewusstsein ist der „an und für sich seyende Wille (...) wahrhaft unendlich“ (Grundlinien, §22, 41; GW 14.1, 42). Allgemein ist dieser Wille, insofern alle Beschränkung und besondere Einzelnheit aufgehoben ist; „es ist die in sich konkrete und so für sich seiende Allgemeinheit, welche die Substanz, die immanente Gattung oder immanente Idee des Selbstbewußtseins ist“ (Grundlinien, §24). 186

Vgl. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 186. Vgl. auch Grundlinien, §21.

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Mit der Darstellung dieser drei Momente des Willensbegriffs hat Hegel einleitend die Basis für die Exposition der Formen und Gestalten des Rechts geschaffen. Für den Aufbau der Grundlinien bedeutet dies, dass erst die Sittlichkeit jene konkrete Gestalt der Freiheit verwirklicht, die Hegel in der dritten Form der Willensbestimmung entwickeln möchte. Erst in der „Sittlichkeit“ können substantielle Gestalten rekonstruiert werden, für die der Anspruch erhoben wird, sie seien konkrete und für sich seiende Allgemeinheit. „Abstraktion“ und „Reflexivität“ bringen die Rechtsbegriffe des „Abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ hervor. Die Grundlage für die durch Abstraktion und Reflexion gewonnenen Rechtsbestimmungen bilden die erschließbar sind. Die Wirklichkeit dieser Rechtsbegriffe kann nur dort konstruiert werden, wo diese Gestalten vollständig mit dem Rechtsbegriff erfasst werden können. Die „Idee Recht“ ist für Hegel daher allein auf der Grundlage des Willens zu entwickeln. Die Ebene der Wirklichkeit des Rechts wird nur dann erreicht, wenn die zu analysierende Rechtsgestalt als Vereinigung der beiden Willensbestimmungen „Abstraktion“ und „Selbstbestimmung“ gewonnen wird, d.h. jede daseiende Rechtsgestalt muss sich als Realisierung von (formaler) Allgemeinheit (für jedermann) und Selbstbestimmung (d.h. mit meinem Wohl vereinbar) darstellen lassen. Der neuzeitlichen Konzeption von Freiheit liegt die Auffassung zu Grunde, Freiheit sei zuerst und ausschließlich in einem besonderen Individuum realisiert. Entsprechend gehen die neuzeitlichen Rechtskonzeptionen von dem Dasein eines freien Willens vor dem Bestehen gesellschaftlicher Verhältnisse aus. Dabei werden die Bedingungen, die zur Konstitution des besonderen freien Willens führen, ignoriert, mit der Folge, dass Recht „nur als beschränkend für diese Freiheit auftreten kann“. Gegenüber dieser Freiheit bleibt das Recht ein „äußeres, formelles Allgemeines“. Hegels Äußerungen, das Recht sei „etwas Heiliges überhaupt“, auf der Welt sei „nichts höher als das Recht“, wirken für das neuzeitliche Vernunftrecht zunächst wie eine Provokation. Für Hegel rechtfertigt sich diese Charakterisierung des Rechts durch die Identität des Rechts mit der Freiheit als „Selbstbestimmung“, als „göttliches Beisichselbstsein“ als Merkmal des in Anspruch genommenen Willensbegriffs.187 Als Rekonstruktionsleitfaden verdeutlicht der allgemeine Wille, dass, die „Entwicklungsstufen des Freiheitsbegriffs“ nicht genetisch zu verstehen sind, sondern es hier um die Geltung dieses Begriffs geht. Die am Freiheitsbegriff aufgewiesenen Entwicklungsstufen sind das Produkt der wissenschaftlichen Darstellung. Entscheidend ist hier die im ersten Paragraphen eingeführte Unterscheidung zwischen der Weise des Daseins eines Begriffs und seiner Bestimmtheit. Im „spekulativerem Sinn“ gehören beide zusammen, in der wissenschaftlichen Entwicklung der Idee allerdings gehen Begriffsbestimmungen dem Dasein als Gestalt voran: „So hat die Idee, wie sie als Familie bestimmt 187

Die Formulierungen in diesem Abschnitt finden sich in der Nachschrift Griesheims zur Vorlesung des Wintersemesters 1824/25 (Vorlesungen Bd. IV, 156).

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ist, die Begriffsbestimmungen zur Voraussetzung, als deren Resultat sie im Folgenden dargestellt werden wird. Aber dass diese inneren Voraussetzungen auch für sich schon als Gestaltungen, als Eigenthumsrecht, Vertrag, Moralität u.s.f. vorhanden seyen, dieß ist die andere Seite der Entwicklung, die nur in höher vollendeter Bildung es zu diesem eigentümlich gestalteten Daseyn ihrer Momente gebracht hat“ (Grundlinien, §32, 48; GW 14.1, 48). Die Frage, ob die inneren Voraussetzungen einer Gestalt (etwa der Familie) ihrerseits als Gestaltungen (Eigentumsrecht, Vertrag usf.) wirklich vorhanden sind, setzt eine höher vollendete Bildung voraus, die vom bloßen Explizitmachen der Voraussetzungen sittlicher Gestalten noch zu unterscheiden ist. Erst auf der Basis der explizit gemachten Voraussetzungen kann diese Frage aufgenommen werden. Erst dort, wo die Philosophie die Bedingungen für das Dasein der Freiheit zur Darstellung gebracht hat, ist eine Kritik gegenwärtiger Realisierungen der Freiheit möglich. In der Vorlesung des Wintersemesters 1821/22 spricht Hegel in diesem Zusammenhang von zwei Ordnungen: „Wir haben zwei Reihen, eine Reihe der Gedankenbestimmungen, eine Reihe von daseienden Gestalten. So sagt Homer: dieser Stern heißt bei den Göttern so, und so bei den Sterblichen. Die Ordnungen der Zeit in der wirklichen Erscheinung ist zum Theil anders als die Ordnung des Begriffs“ (Nachschrift Hotho: Vorlesungen Bd. III, 168). Erst dort, wo die Ordnung des Begriffs deutlich herausgearbeitet vorliegt, wird eine Kritik am Dasein des Rechts möglich.

4.4 Zusammenfassung und Ausblick Die philosophische Rechtslehre hat die Aufgabe, Sittlichkeit als Gestalt des Rechts zu entwickeln. Der hierfür erforderliche Rechtsbegriff – das Recht als Idee – steht mit dem Rechtsbegriff der Encyklopädie noch nicht zur Verfügung, Vielmehr entwickelt Hegel mit dem Begriff des an und für sich seienden Willens (d.i. der allgemeine Wille) ein Instrument, um den Rechtsbegriff der Philosophie des Rechts zur Darstellung zu bringen. Hegel präzisiert diese Bestimmung des Willens an traditionellen Willenskonzeptionen und deren Unterscheidung zwischen „Abstraktion“ und „Bestimmung“. Sein Einwand gegen die traditionellen Willenskonzeptionen verweist auf die Notwendigkeit der Annahme einer Einheit, die den Möglichkeiten zu abstrahieren und zu bestimmen, vorgelagert sein muss. Diese vorgelagerte Ebene bezeichnet Hegel als den „an und für sich seienden Willen“. Erst unter dieser Voraussetzung lassen sich die einzelnen Rechtsbestimmungen als Handlungsvollzüge des Willens entwickeln, die insgesamt auf die vorausgesetzte Einheit, die zu konstruierende Wirklichkeit des Rechts, verweisen.

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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

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Der dreigliedrige Aufbau „Abstraktes Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“ reflektiert den Stufengang der Rekonstruktion des an und für sich freien Willens von der unmittelbaren über die reflektierte zur in der Reflektion vollzogenen Einheit. Die unterschiedenen Stufen der Begriffsbestimmungen des Willens weisen noch ein weiteres Merkmal auf: Hegel bestimmt die Sphäre der „Sittlichkeit“ als Substanz, von der her die Rechtsformen des „Abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ sich als Akzidenzen, als bloße „Möglichkeiten“ erweisen. Hegel nimmt damit für die Philosophie des Rechts zwei Gliederungsmodelle in Anspruch, ohne dass ihr Verhältnis näher präzisiert wird. Das Einsetzen der rechtsphilosophischen Rekonstruktion bei den „Akzidenzen“ ist ebenso erklärungsbedürftig, wie der Übergang von der Entwicklung des „an sich“ und „für sich“ freien Willens zu den substantiellen sittlichen Rechtsgestalten. Die Klärung der offenen Fragen soll nachfolgend in der Auseinandersetzung mit den einzelnen Abschnitten erfolgen. Zunächst (5.1) sollen der Aufbau und der historische Kontext der Lehre vom abstrakten Recht mit Blick auf die hier formulierten Probleme bestimmt werden. Im Einzelnen ist zu zeigen, wie die vorgestellten Rechtformen von der entwickelten Willensstruktur her entwickelt werden. Die Grenzen des „Abstrakten Rechts“ (5.2) veranlassen den Übergang zu den Rechtsgestalten des zweiten Willensbegriffs, zur Sphäre der „Moralität“ (6). Die entwickelte Willensstruktur bildet die Grundlage für die Rekonstruktion der Rechtsformen (6.1). Das Verhältnis der rekonstruierten Rechtsbegriffe zu den daseienden Rechtsgestalten der Sittlichkeit ist insbesondere mit Blick auf die Frage nach den Gründen für die Kennzeichnung des „Abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ als bloße Möglichkeit zu klären. Wie ist auf der Basis des Stufengangs der Willens- bzw. Rechtsentwicklung die Differenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit zu erfassen (6.2)? Die Klärung dieser Fragen schafft die Voraussetzung für den Ausweis der Wirklichkeit des Rechts (7). Auf der Basis der herausgearbeiteten Rechtskonzeption wird abschließend geklärt, inwiefern von einer Aufnahme des aristotelischen Ansatzes der praktischen Philosophie Hegels gesprochen werden kann. Der Vergleich der beiden Konzeptionen zeigt entscheidende Differenzen. So ist für das aristotelische Strebensmodell die Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die ihren Zweck in sich selbst haben (praxis) und Tätigkeiten, die ihren Zweck in einem von der Tätigkeit ablösbaren Gegenstand haben (poiesis), bzw. von Tätigkeiten, die der bloß unmittelbaren Lebenserhaltung dienen (leben bzw. arbeiten), leitend. Diese Unterscheidungen werden von Hegel preisgegeben. An ihre Stelle rückt mit der Selbstbestimmung des Subjekts die Bildung. Die Preisgabe der aristotelischen Differenzierung löst die aristotelische Geringschätzung der Arbeit zugunsten eines modernen Arbeits- und Bildungsbegriffs ab. Gleichwohl könnte sich zeigen, dass für Hegel diese Trias als Strukturmomente des Handelns nach wie vor Geltung besitzt. Arbeiten, Herstellen und Handeln könnten als Momente der Selbstwerdung des Ich gefasst werden. Inwiefern auch Hegel an einer Hierarchisierung des Tätigseins festhält, und damit zu einer Teleolo-

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gie des Handelns kommt, soll gezeigt werden. Grundlegender noch ist die Frage nach dem Aristotelismus der Hegelschen Konzeption mit Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Sitte und Geltung des Rechts. Diese Frage wird auf der Grundlage der nachfolgenden Rekonstruktion (8) in Kapitel 9 geklärt.

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5. DAS ABSTRAKTE RECHT

Der Titel „Abstraktes Recht“ wirft die Frage nach den ‚materialen‘ Momenten des Rechtsbegriffs der Grundlinien auf. Hegel scheint in den Grundlinien zweigleisig zu verfahren. Folgt man dem Zweittitel „Naturrecht und Staatswissenschaft“188 so scheint Hegel dem Naturrecht die Aufgabe zuzuweisen, allgemeine Rechtsprinzipien zu formulieren, während die Staatswissenschaften die Aufgabe übernehmen, die Wirklichkeit dieses Rechts im Staat inhaltlich zu bestimmen.189 Eine solche Zweiteilung unterstellt, dass das Naturrecht überpositive Prinzipien formuliert, die als „von selbst Bestehende“190 menschliches Handeln immer schon bestimmen. Im neuzeitlichen Naturrecht führt diese Zweiteilung dazu, dass die „natürlichen Privatrechte“ als Naturbestimmungen entwickelt werden, während den Staatswissenschaften die Aufgabe zukommt, diese Bestimmungen durch empirische Gesichtspunkte zur Organisation und Gestaltung des Zusammenlebens zu ergänzen.191 Wird diese Zweiteilung allerdings preisgeben, werden die überpositiven Prinzipien an den faktisch bestehenden Gestalten der Sittlichkeit gewonnen, so führt dies, so der häufig gegen Hegels „Philosophie des Rechts erhobene Einwand, zu einer Verklärung des Bestehenden.192 Hegel geht auf das Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht im dritten Paragraphen der Einleitung ein und bestimmt dieses als ein „Verhältniß von Institutionen zu Pandecten“ (Grundlinien, §3, 22; GW 14.1, 26). Ob diese Erläuterung Entlastung hinsichtlich des Vorwurfs der „Verklärung“ des Bestehenden zu bringt, hängt wesentlich von der Bestimmung der Institutionen ab. Sind die Institutionen nur der erste Teil des amtlichen Lehrbuches, dem die Ausführung in den Pandekten 188

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Noch bis 1818/19 kündigt Hegel die Vorlesung ausschließlich unter dem Titel „Ius naturae et civitatis“ an. Erst 1819/20 tritt der Titel „Philosophiam iuris“ hinzu. Vgl. Hegels Berliner Vorlesungsankündigungen in Briefe Bd. IV, 114ff. Bereits 1817/18 fordert Hegel den Verzicht auf den Titel Naturrecht. Vgl. Nachschrift Wannenmann, §2, 6: “Der Name des Naturrechts verdient aufgegeben und durch die Benennung philosophische Rechtslehre oder, wie es sich auch zeigen wird, Lehre von dem objektiven Geist ersetzt zu werden“. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 173. Der Titel „Staatswissenschaft“ ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die übliche Übersetzung für die kameralistischen „res politicae“. Im Rahmen der Ausbildung der Staatsbeamten ergänzte die Staatswissenschaft das „natürliche Privatrecht“, durch die Lehre von der Staatsverwaltung (Ökonomik, Polizei als innere Verwaltung und Finanzen). Ergänzt wurde dieser selbständige Fachbereich durch Statistik und vergleichende Verfassungslehre. Vgl. Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. So der Vorwurf H. v. Thadens in einem Brief an Hegel vom 8.8.1821. Für Thaden vollzieht Hegel in dieser Frage zwischen der Stände-Schrift und den Grundlinien einen Positionswandel. Vgl. zu diesen Fragen Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 177ff.

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folgt193, oder kommt den in den Institutionen formulierten Grundsätze eine überpositive Stellung zu, die als kritische Instanz gegen das positive Recht fungiert?194 Berücksichtigt man darüber hinaus Hegels Kritik an der bloßen Sollensfunktion von Normen, so verstärkt sich der Verdacht, dass Hegels Rechtskonzeption die normativ-kritische Instanz des Naturrechts preisgibt zugunsten einer Verklärung der bestehenden politischen Institutionen. Für die Jenaer Konzeption erwies sich Claesges’ Verweis auf die beiden Argumentationsebenen als fruchtbringend. Ob die Unterscheidung zwischen verschiedenen Argumentationsebenen auch für die Grundlinien zielführend ist, wird zu klären sein. Der Begriff der Person, der moderne Eigentumsbegriff und der neuzeitliche Verfassungsstaat stehen für die politische Philosophie der Neuzeit in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Hegel hat den Zusammenhang zwischen „Person“, „Eigentum“ und „Verfassung“ in der Auseinandersetzung mit den „Verhandlungen der württembergischen Landstände“ herausgearbeitet. Der hoheitsrechtliche Eigentumsbegriffs bildet die Grundlage der lehnrechtlichen Grundherrschaft. Seine Ablösung setzt voraus, dass zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, zwischen dominium und imperium, unterschieden wird. Bis in Hegels Gegenwart steht das „dominium“ für die Einheit von hoheitsrechtlichen und personenrechtlichen Befugnissen. Erst die Trennung dieser Rechte auf der Grundlage des modernen Personenbegriffs ermöglicht den Übergang zu modernen Wirtschaftsformen und die Ausbildung rechtsstaatlicher Verhältnisse.195 Dieser Wandel forderte eine radikale Überprüfung des tradierten Rechtsverständnisses wie auch eine Neukonzeption der überkommenen Herrschaftslegitimationsmodelle. Diese Aufgabe sollte, so die Erwartung vieler Juristen und Philosophen des 18. Jahrhunderts, die neu zu schaffende „Philosophie des Rechts“ lösen. Von zentraler Bedeutung erwies sich in diesem Zusammenhang die Klärung der Frage nach der Legitimität des Anspruchs auf Privateigentum. Angesichts des über Jahrhunderte gültigen Paradigmas der ursprünglichen Gütergemeinschaft verlangt der Anspruch auf ausschließliche Zuteilung von bestimmten Gütern an Einzelne eine Begründung. Die Notwendigkeit einer 193 194

195

So die Deutung von H. Schnädelbach (Hegels praktische Philosophie, 177ff.). Für ein solches Verständnis der Institutionen kann der traditionelle Institutionenbegriff der Rechtstheorie herangezogen werden, für den, so Schmitt, „die Institutionen eben solche Gesetzeswerke sind, die eine zusätzliche über die Legalität hinausreichende Legitimität haben“ (C. Schmitt: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens. Berlin 21993 [11934], 47). Die mittelalterliche bis in die frühe Neuzeit gültige Bedeutung des Begriffs „dominium“ bezeichnet sowohl die Herrengewalt über Haus und Gefolgschaft wie auch die Anwendung dieser Gewalt in einem räumlichen Bereich. „Herrschaft“ konnte sowohl „den Ausübenden wie das Gebiet seiner Herrschaft bezeichnen“ (H. Günther / K.-H. Ilting / R. Koselleck: „‚Herrschaft‘ von der frühen Neuzeit bis zur Französischen Revolution“. In: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 3. Stuttgart 1982, 14-33; hier 14).

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Neubegründung des Rechtsanspruchs auf Eigentum zeigt sich auch deshalb, weil das in der Tradition für die Zuweisung von Rechten zuständige Ordnungsgefüge keine Verbindlichkeit mehr besitzt. Die rechtliche Stellung und die damit verbundenen Ansprüche sind nicht mehr aufgrund des status der Person zu bestimmen. Grundlage der naturrechtlichen Okkupationstheorie196 bildet ein vorstaatlicher, individueller Freiheitsbegriff. Für die Okkupationstheorie ist der ausschließende Besitz einer Sache dann rechtmäßig, wenn eine in der Zeit erste Inbesitznahme vorliegt. Grundlage für vertragsmäßige Übertragungen bildet die eine nach dem Kriterium der Priorität der Zeit vollzogene Aufteilung. Unter dem Einfluss des politischen und ökonomischen Liberalismus wird die individuelle Freiheit als Fähigkeit „frei und ungehindert über die Sache zu disponieren“ zum maßgeblichen Bestimmungsmoment.197 Eine Grenze findet diese Freiheit dort, wo die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums stark gemacht wird. Die Wurzeln dieser Konzeption des Eigentums sind bereits im römischen Recht angelegt. Basis der Freiheit der Person ist im römischen Recht der Stand oder Rang, den die Person im gesellschaftlichen Ordnungsgefüge einnimmt. Vor diesem Hintergrund wird Eigentum als das Recht definiert, eine Sache nach Willkür zu benutzen. Das Christentum formuliert zwar die Forderung nach einer Verwirklichung dieser Freiheit für alle. Durchgesetzt allerdings hat sich der moderne Eigentumsbegriff, so Hegel, erst mit der französischen Revolution (Grundlinien, §62 Anm.).198 Hegels Kritik an den „Verhandlungen der württembergischen Landstände“ zeigt, dass die geforderte Neukonzeption von Verfassung, Privatrecht und öffentlichem Recht allein auf der Basis des modernen Eigentumsbegriffs und damit des neuzeitlichen Personenbegriffs möglich ist. Denn nur der moderne Personenbegriff schließt eine Herrschaft über Menschen aufgrund von Gebietsherrschaft aus. Mit seinem Personenbegriff fordert Hegel die Auflösung der Verknüpfung hoheits- und personenrechtlicher Bestimmungen. Vor diesem Hintergrund sind die Hegelschen Ausführungen zum Privatrecht im Rahmen der Philosophie des Rechts zu lesen. Die Konzeption des Abschnitts „Abstraktes Recht“ in den Grundlinien lässt allerdings Zweifel daran aufkommen, ob es Hegel vorrangig um eine Grundlegung des modernen Eigentumsbegriffs geht. Weder fügt sich die Behand196 197

198

Zur Theorie des Eigentums vgl. M. Bröcker: Arbeit und Eigentum. Darmstadt 1992. Einen vorläufigen Endpunkt erreicht diese Entwicklung in der Definition der französischen Constitution, die erstmals Eigentum als Privat-Eigentum und damit als das Recht des Bürgers, seine Güter und Einkünfte zu genießen und nach eigenem Gutdünken darüber zu verfügen, bestimmt. Vgl. E. Weisser-Lohmann: Eigentum und Freiheit. Hagen 1994. Habermas hat gezeigt, wie die unterschiedlichen Traditionen des Naturrechts in Frankreich und England/Amerika dazu beitrugen, ein unterschiedliches Verfassungsverständnis auszubilden. Vgl. J. Habermas: Theorie und Praxis. Frankfurt a.M. 1971, 89-122. Ritter verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es Hegel positiv darum geht, an das römische Privatrecht anzuknüpfen, sofern es zur Basis für die gegenwärtige Gesetzgebung geworden ist, vgl. J. Ritter: „Person und Eigentum. Zu Hegels ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts‘ §§ 34-81“. In: Riedel (Hg.), Materialien. Bd. 2, 152-175; hier 152.

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lung des „Vertrags“ noch die des „Unrechts“ reibungslos in diesen Zusammenhang. Vor dem Hintergrund der Heidelberger Encyklopädie und der Jenaer Entwürfe ist die Eröffnung der Grundlinien mit der Lehre von den abstrakten Rechen befremdlich: Unter dem Leitfaden des Willens rückt erstens der Rechtsbegriff ins Zentrum der praktischen Philosophie. Mit der „Person“ stellt Hegel zum anderen eine abstrakte, leere Begriffsbestimmung des Willens an den Anfang seiner Darstellung. Hegel entwickelt das Recht abgekoppelt von der Bedürfnisnatur des Menschen und weicht damit in grundlegender Weise von den frühen Jenaer Entwürfen ab. Mit seiner Willenskonzeption als dem Leitfaden für die Darstellung der Gestalten des objektiven Geistes scheint Hegel geradezu ein Gegenmodell zur Entstehung des Rechts aus der Bedürfnisnatur des Menschen zu behaupten. Ob das anthropologische Fundament des Rechtsbegriffs damit aber insgesamt bedeutungslos wird, oder ob seine Funktion nur im Rahmen des hier eingeschlagenen Begründungswegs in den Hintergrund tritt, ist zu prüfen. Die Klärung dieser Fragen setzt die Rekonstruktion des Abschnitts „Abstraktes Recht“ voraus. Dabei soll die systematische Rolle der Gestalten des „Abstrakten Rechts“ für die Rekonstruktion der Sittlichkeit als Recht im Vordergrund stehen. Der Titel „Abstraktes Recht“ ist erst nach 1817 im Rahmen der Heidelberger Vorlesung über Naturrecht und Staatswissenschaft von Hegel eingeführt worden. Noch die kurz zuvor erschienene Encyklopädie (1817) unterscheidet innerhalb der Lehre vom „Objektiven Geist“ lediglich zwischen „Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“. In der Sache greift Hegel für die Ausgestaltung der Lehre vom Recht auf die Nürnberger Enzyklopädie und die Jenaer Realphilosophie zurück199 , wenn er einleitend die „Person“ als das „Sichwissen des Geistes in der Freiheit des Einzelnen“ bestimmt und damit die Anfangsbestimmung der Grundlinien mit dem Grundbegriff der Encyklopädie, dem Begriff des „Geistes“ verknüpft. Da Hegel diese Verankerung des Personenbegriffs in der Konzeption des Geistes ohne weitere Begründung einführt, soll dieser Zusammenhang zunächst präzisiert werden.

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Vgl. O. Pöggeler: „Einleitung“. In: Nachschrift Wannenmann, IX-XLVIII; hier XXVII.

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5.1 Das Recht der Person „Das angeborene Recht ist nur ein einziges (...) Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“ (MdS, 237f.). Kant rechtfertigt die Inanspruchnahme dieses angeborenen Rechts im Rahmen der „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ mit dem Verweis auf die „Rechte der Menschheit“. Dieser Verweis bleibt im Rahmen der Metaphysik der Sitten ohne weitere Begründung. An keiner Stelle seiner Rechtslehre führt Kant den Begriff der „Menschheit“ als Quelle moralischer Verbindlichkeit ein. Kant hatte in der „Kritik der praktischen Vernunft“ die Gründe für die Verbindlichkeit des Menschenrechts genannt: Der Mensch ist vermittels der Menschheit in seiner Person erstens Subjekt des moralischen Gesetzes und zweitens Zweck an sich selbst. Die Bedingung des Übergangs dieser aus der Zugehörigkeit zur Menschheit erwachsenden Verbindlichkeiten auf die physische Person und den hier formulierten Rechtsanspruch bleibt allerdings ungeklärt. Für die Rechtslehre ist dieser Übergang allerdings unverzichtbar. Kant spricht zwar von den systematischen Voraussetzungen, die die Darstellung der Rechtslehre in den moralphilosophischen Grundlegungsschriften hat. Die Anwendungsbedingungen von „intelligibler Freiheit“ und „kategorischem Imperativ“ auf die physische Person und die dort erhobenen Rechtsansprüche bleiben in diesem Zusammenhang aber ungeklärt. Hegel entwickelt die Rechtsbestimmungen des „Abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ im Rückgriff auf das spezifisch neuzeitliche Selbstverständnis des Menschen, Person und Subjekt zu sein. Die beanspruchte Geltung ist für Hegel nicht im Rückgriff auf eine reine Vernunftbestimmung des Personseins auszuweisen: Eine Bestimmung des Rechts im Rückgriff auf moralphilosophische Bestimmungen und Voraussetzungen soll vielmehr gerade vermieden werden.200 Eine Legitimation der beanspruchten Rechte ist für Hegel nur im Rückgriff auf die Formen der Sittlichkeit zu vollziehen. Eine Rechtfertigung bzw. die Begründung der Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs vermag nur die kritische Reflexion auf die Geltungsbedingungen dieser Formen zu leisten. Die kritische Reflexion muss zeigen, dass jene angeborenen Rechte (Freiheit, Unversehrtheit) eine das sittliche Handeln unverzichtbare Grundlage bilden. Der Geltungsanspruch angeborener Rechte wäre dann legitim, wenn gezeigt werden könnte, dass das Handeln des Individuums als Bedingung seiner Möglichkeit, die Anerkennung der (angeborenen) Rechte des „Subjekts“ bzw. der „Person“ zur Voraussetzung hat. Diese Anerkennung gilt es an der „Wirklich-

200

So fordert etwa Gottlieb Hufeland, dass jeder Versuch einer Grundlegung des Naturrechts, um eine klare Abgrenzung des Naturrechts von dem Gebiet der Moralphilosophie bemüht sein muss. Vgl. G. Hufeland: Versuch über den Grundsatz des Naturrechts. Leipzig 1785.

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keit“ dieser Rechte in exemplarischen sittlichen Gestalten der Gegenwart zu konstruieren. Ausgangspunkt der Hegelschen Darstellung bildet der einzelne Wille des Subjekts, den Hegel im Rückgriff auf den „an und für sich freien Willen“ expliziert: Der „an und für sich freie Wille (...) ist (...) in sich einzelner Wille eines Subjekts.“ Als einzelner Wille verfolgt das Subjekt bestimmte Zwecke und steht der äußeren, vorgefundenen Welt gegenüber. Zu den allgemeinen Bestimmungen dieses Willens gehört das Personsein: Allen Subjekten kommt die selbstbewusste, sonst inhaltslose, einfache Beziehung auf sich in ihrer Einzelnheit zu. Im Personsein weiß sich der Einzelne als „unendlich, allgemein und frei“. Die freie Bestimmung des Willens, das Verfolgen bestimmter Zwecke, ist allein im Rückgriff auf diese allgemeine Bestimmung des Willens, Person zu sein, als Recht auszuweisen. Rechtsträger ist daher allein die Person. Welche Freiheitsverwirklichung ist ausgehend vom Personsein als Recht auszuweisen? Hegel rekonstruiert in den folgenden Paragraphen die Bedingungen der Rechtsförmigkeit einer Freiheitsverwirklichung. Die Freiheitsverwirklichung findet an der äußeren vorgefundenen Welt zunächst als Besitznahme einer Sache statt. Unter welchen Bedingungen kann die Besitznahme einer Sache als Recht bezeichnet werden? Hegel zeigt, wie die Besitznahme nur dann als ein Recht verstanden werden kann, wenn die Besitznahme nicht als Handlung eines besonderen zufälligen Willens, sondern als Akt der Allgemeinheit ausgewiesen wird, d.h. wenn die Besitznahme einer Sache als Vergegenwärtigung des Personseins in der Sache verstanden wird. Diese Bedingung der Rechtsförmigkeit hat zur Konsequenz, dass meine Freiheitsverwirklichung nur dann Recht ist, wenn sie erstens unmittelbar auf meine Allgemeinheit als Person rekurriert und zweitens, wenn sie an die daseiende einzelne Sache gebunden bleibt. Mit dieser Bestimmung macht Hegel deutlich, dass die Verwirklichung meiner Freiheit nur im Rückgriff auf das Personsein – als der allgemeinsten Bestimmung des Menschen – als Recht Dasein erhält. Zu diesem Dasein des Rechts gehört drittens die Anerkennung dieser Sache als das Eigentum einer anderen Person. In einem zweiten Schritt geht es darum zu zeigen, wie aus dem Recht als der Freiheitsverwirklichung der Person in einer Sache (als einem Verhältnis zwischen Person, Sache und Person) über die Verletzung dieses Rechts im Unrecht die Forderung nach der Wirklichkeit des Rechts als Recht entsteht. Hegel rekonstruiert in diesem Zusammenhang die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Recht als Wirklichkeit losgelöst von der einzelnen, zufälligen Freiheitsäußerung des Subjekts Geltung hat. Hegel folgt hier der Kantischen Theorie, die auf die intersubjektiven Bedingungen der Geltung von Recht verweist. Diese intersubjektiven Bedingungen sind durch die Anerkennung durch ein anderes Subjekt erfüllt. Die Erfahrung des „Unrechts“ erst führt zu der Forderung nach einer allgemeinen Anerkennung des Rechts. Diese Allgemeinheit muss „mehr“ beinhalten als die „inhaltslose einfache Beziehung“ des Personseins.

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5.1.1 Person und Sache Hegel bestimmt den Personenbegriff als das Produkt der Abstraktion vom Dasein als Besonderheit. Diese Abstraktion bildet den Ausgangspunkt für die Bestimmung von „Eigentum“, „Vertrag“ und „strafender Gerechtigkeit“. Die im Personenbegriff gesetzten allgemeinen Rechtsbestimmungen sichern den genannten Rechtsformen formelle Allgemeinheit und Gleichheit. Für diese Rechtsformen ist das Verhältnis zu den besonderen Individualitäten ebenso unbestimmt wie das Verhältnis zur Außenwelt. Die Natur als Außenwelt begegnet hier als Sache. Wie das Person-Sein ist das Sache-Sein das Ergebnis einer Abstraktion. Beide Abstraktionen sind für die Rechtsformen „Eigentum“ und „Vertrag“ konstitutiv. Wie aber ist die für das Eigentumsverhältnis grundlegende Unterscheidung zwischen Person und Sache unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt möglich? Kant bestimmte als Sache „jedes Objekt der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt“ (MdS, AB 23).201 Sache als ein Ding, das keiner Zurechnung fähig ist, bildet hier den Gegenbegriff zur Person. Diese Unterscheidung zwischen Person und Sache setzt für Kant die moralphilosophische Deduktion des freien Willens, der einer Zurechnung fähig ist, voraus. Kants Begriff des Rechts baut auf dieser Opposition zwischen Sache und Person auf: „Recht“ wird das Haben einer Sache allerdings nicht durch das besondere Verhältnis zwischen Person und Sache, sondern durch das Verhältnis zu anderen Personen, die das Meine anerkennen. Für Hegel lässt sich die Differenz zwischen Person und Sache nicht im Rückgriff auf moralphilosophische Voraussetzung explizieren. Es ist allein der Akt des Bestimmens, der den Unterschied zwischen Person und Sache ausmacht. „Person“, als das Bewusstsein von sich als „vollkommen abstraktem Ich in dem alle konkrete Beschränktheit und Gültigkeit negiert und ungültig ist“, verhält sich zu einer vorgefundenen Natur als das Tätige, indem sie jenes Dasein als das ihrige setzt. Dieses Bestimmen einer Sache vollzieht die Person auf unmittelbare Weise, bei der das Interesse für diese Sache Voraussetzung für die Zwecktätigkeit des Willens ist. Interesse und Zwecktätigkeit müssen zusätzlich zum Personsein vorausgesetzt werden, da sie die daseiende Präsenz ausmachen und damit eine Unterscheidung zwischen Person und Sache erst möglich machen. 201

Für die Kantische Erkenntnistheorie ist die Sachkenntnis Erklärung der Sache und damit Deduktion oder Erkenntnis der Möglichkeit eines Gegenstandes. Sie ist damit keineswegs jenes bloß äußerliche Tun, gegen das Hegel polemisiert, wenn er in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes gegen den formellen Verstand fordert, auf den „immanenten Inhalt der Sache“ einzugehen. Die Sache, so Hegel 1830, ist das allgemeine Produkt des Nachdenkens, das das Allgemeine dieses Denkens enthält, „den Werth der Sache, das Wesentliche, das Innere, das Wahre“ (Enzyklopädie, §23). Diese Formulierung findet sich in der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) nicht aber in der Erstauflage von 1817. Inwieweit diese Bestimmung das Resultat der rechtsphilosophischen Behandlung der Sache ist, wäre zu überprüfen.

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Hegel entwickelt die Rechtsformen des „Abstrakten Rechts“ weder aus dem moralphilosophischen Begriff der „Freiheit“ (dem angeborenen Recht der Person bzw. dem allgemeinen Willen) noch wird das Recht als eine Setzung der Person wie bei Fichte konzipiert. Den Leitfaden für Hegels Darstellung bildet vielmehr seine Konzeption des Willens, näherhin die Begriffe ‚Subjekt‘ und ‚Person‘. Folgende Differenzierung muss dabei beachtet werden: Hegel unterscheidet das Personsein des Willens „vom Willen überhaupt“: „Person“ ist die Negation aller Bestimmtheit. Die Person ist zwar als Selbstbeziehung gegen alle Realität negativ, dennoch ist sie konkret bestimmtes Subjekt. Im Personsein weiß ein konkretes Subjekt (mit diesen Trieben und Begierden) sich als das Unendliche, Allgemeine und Freie. Diese Verbindung von abstrakter Selbstbestimmung und konkreter Bestimmtheit ist für Hegels Konzeption der Person entscheidend: Das Individuum wird vermittels der abstrakten Selbstbestimmung als Person bestimmt, zugleich bleibt es aber Individuum mit bestimmten Interessen und Zwecksetzungen. Für die Besitznahme einer Sache, auf deren Grundlage „Eigentum“ als Rechtsform möglich wird, ist ein bestimmtes Interesse konstitutiv. Mit dieser Verknüpfung von ‚Person‘ und ‚besonderer Individualität‘ kehrt das Personsein zu Subjektivität und Äußerlichkeit zurück, ohne dass die Bestimmung, Person und damit ein Allgemeines zu sein, außer Geltung gesetzt wird. Mit dieser Konzeption vollzieht Hegel eine deutliche Abgrenzung von Kant. Denn Kant gibt, so Hegel, die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit im Begriff der Person preis, wenn er die Beziehung zwischen mir als allgemein-vernünftigem Wesen und mir als besonderem Willen in einem Prüfungsverfahren auflöst, das in der Verallgemeinerbarkeit der Maximen meines Wollens die Rechtmäßigkeit des konkret Gewollten sichert. Für Kant ist die potentielle Vereinbarkeit des besonderen Inhalts mit dem Allgemeinen das Kriterium der Rechtmäßigkeit meines Handelns. Nur dann, wenn die Maxime des konkret gesetzten Inhalts zugleich allgemeiner Wille sein kann, ist das Dasein dieser Willenshandlung als rechtmäßig ausgewiesen. Die Forderung der Vereinbarkeit beider Bestimmungsgründe soll durch den Ausweis einzelner Gestalten als Realisationen dieser Einheit eingelöst werden: „so daß die Freiheit als Substanz ebensosehr als Wirklichkeit und Notwendigkeit existiert, wie als subjektiver Wille“. Kants Prüfungsverfahren beschränkt sich auf die Prüfung der Tauglichkeit der Maxime meiner Handlung zur allgemeinen Gesetzgebung, und verlangt so die ‚Anpassung‘ der Besonderheit an die Allgemeinheit. Die Bestimmung der Person auf der Basis eines an und für sich seienden Willens erlaubt es Hegel dagegen, das Spannungsfeld zwischen dem Individuum als Besonderheit und der allgemeinen Bestimmung des Personseins der Rechtsbestimmung zugrunde zu legen. Ohne allerdings – wie das aufklärerische Naturrecht – die Rechtsfähigkeit des Menschen an eine vorausgesetzte objektive Ordnung zu knüpfen. Hegel will zeigen, dass die Bestimmung des Personseins am Leitfaden des an und für sich seienden Willens nicht bei dem Gegensatz von subjektiv und objektiv stehenbleibt, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffnet, das Personsein als individu-

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elle Besonderheit zu erfassen und damit Allgemeinheit, bzw. Recht zu einem besonderen Inhalt zu machen. Im Eigentum gibt sich die Person ein Dasein und behauptet sich in der einzelnen Sache als Allgemeines. Sind damit aber auch bereits jene Bedingungen erfüllt, die es gestatten, diesem Dasein meiner Person in einer Sache Rechtsförmigkeit bzw. dem Recht in dieser Sache Wirklichkeit zuzusprechen? Mit dem bloßen Anspruch eines daseienden Willens, dieses oder jenes sein eigen zu nennen, es zu Recht zu besitzen, ist noch keineswegs die Ebene der Wirklichkeit dieses Rechts erreicht. Es ist nur die Allgemeinheit einer einzelnen sich auf sich beziehenden Person („meine Allgemeinheit“), die hier in der Sache behauptet wird, nicht aber die Allgemeinheit eines „an und für sich“ allgemeinen Willens. Die weiteren Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Inbesitznahme der Sache Dasein des Rechts ist, sind vielmehr im Folgenden erst darzustellen (vgl. Grundlinien, §8 Notizen, 311). Hegel knüpft mit diesem Begründungsvorhaben an das transzendentalphilosophische Programm an mit dem Unterschied allerdings, dass er in den Grundlinien sehr deutlich zwischen dem Ausweis der Bedingungen der Möglichkeit einer Rechtsform und den Bedingungen der Wirklichkeit dieses Rechts unterscheidet. Es ist diese Differenz, die sich hinter der Rede von bloß möglichen Rechtsformen gegenüber der Wirklichkeit sittlich daseiender Rechtsformen verbirgt. Die Rekonstruktion des Hegelschen Ansatzes hat zu zeigen, wie Hegel unter Beibehaltung des transzendentalphilosophischen Begründungsprogramms zu dieser Differenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit kommt und wie der Übergang von Möglichkeiten zu Wirklichkeiten zu legitimieren ist. Die dabei dem Willen zukommende Schlüsselrolle ist insbesondere mit Blick auf die Kant-Kritik herauszuarbeiten.

5.1.2 Person und Recht Hegel bestimmt die Idee des Rechts als Einheit der Momente Begriff und Verwirklichung. Keineswegs allerdings führt die an der einzelnen Willensbestimmung aufgewiesene Rechtsform Eigentum bereits zur „Wirklichkeit“ des Rechts. Mit dem Eigentum als dem unmittelbaren Dasein der Freiheit in einer Sache ist noch keineswegs die Wirklichkeit des Rechts erreicht. Hier wird lediglich die Existenz eines Willens, der dieses oder jenes Recht geltend macht, rekonstruiert. Dabei zeigt sich, dass die Geltung des Rechtsanspruches eines willkürlich wählenden Ich zum einen die fundamentale Voraussetzung hat, dass das Ich rechtlich als Person respektiert wird. Diese allgemeine Anerkennung darf weder über eine besondere Sache erreicht noch über einen spezifischen Inhalt erzeugt werden. In dem Sinne, dass „der Inhalt“ rechtlich ist, wenn „Ich diesen und jenen Titel usf. so und so erworben, gekauft habe“(vgl. Grundlinien, §35 Notizen, 324), dann auch mein besonderer Wille respektiert wird. Die Wirklichkeit der Anerkennung meines Person-Seins und ihres

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Rechts auf Sachen wäre dann nur über einen bereits als rechtlich ausgewiesenen Inhalt zu erlangen. Dies hat zur Voraussetzung, dass bereits rechtliche Umstände in Geltung sein müssen, damit mein Recht allgemein anerkannt wird. Diese Voraussetzung ist im Rahmen des abstrakten Rechts, wo Gegenstände nur als Sachen vorkommen, nicht akzeptabel: Nicht über diesen besonderen bereits rechtlich anerkannten Inhalt soll ich als Person anerkannt werden, sondern allein über die formelle Allgemeinheit, aus der das Gebot ergeht, auch den Anderen als Person zu respektieren. Dieses Wissen von mir als vollkommen abstraktem Ich bestimmt mich als Person und in dieser Bestimmung negiere ich alle konkreten Bestimmungen. Als Selbstbewusstsein habe ich ein Bewusstsein von mir als konkret bestimmtem Ich. Dieses Bewusstsein steht in „äußerlichem Gegensatz“ zur Person. Als Person weiß sich das Selbstbewusstsein als das Unendliche, Allgemeine und Freie und macht diese Bestimmung zum Inhalt des Willens.202 Dieses Bewusstsein von sich als allgemeinem ist vollkommen inhaltslos, da hier „alle concrete Beschränktheit und Gültigkeit negirt und ungültig“ (Grundlinien, §35 Anm., 52; GW 14.1, 51) ist. Einmal bin ich als Person diese einfache Beziehung auf mich, zugleich aber bin ich als ein „Dieser vollkommen nach allen Seiten (...) bestimmte und endliche (...) Beziehung auf mich“ (Grundlinien, §35, 51; GW 14.1, 51). Die mit dem Personsein gesetzte Allgemeinheit begründet die Rechtsfähigkeit. Aus ihr ergeht das Gebot „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“ (Grundlinien, §36, 52; GW 14.1, 52). Die Bestimmung, Person zu sein, wird durch Abstraktion, durch Absehen von aller konkreten Bestimmtheit möglich. Erst in der Besitznahme einer willenlosen Sache gibt sich das Individuum als Person Dasein. Die Person bestimmt zunächst das auf Trieb und Bedürfnis gegründete Besitzverhältnis als reinen Selbstbezug des Individuums: Ich als Person bestimme diese Sache als die meinige. Diesen über die Sache vermittelten Selbstbezug der Person nennt Hegel „Eigentum“. Erst als Eigentümer habe ich für den Anderen als Person Dasein. Die Forderung nach Anerkennung bleibt damit zwangsläufig auf diese einzelne Sache, in der mir der andere als Person begegnet, beschränkt. Dasein hat die Allgemeinheit meines Personseins nur in der Sache, in die ich meinen Willen gelegt habe. Diese Verwirklichung meiner Allgemeinheit in einer einzelnen äußeren Sache offenbart einen Widerspruch: Um meiner „Allgemeinheit“ Wirklichkeit zu geben, muss sie in der Sache selbst Besonderheit werden. Diese Besonderheit aber ist zufällig und willkürlich. Die Anerkennung meiner Allgemeinheit ist wirklich nur in dieser zufälligen Sache. Jene Bestimmungen, die meine Be-

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Auch bei der Bestimmung der Person übernimmt Hegel im wesentlichen die Kantische Grundbestimmung: „Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“ (MdS, Einleitung, IV).

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sonderheit ausmachen, gehen in diese Anerkennung nicht ein.203 Die inhaltslose Anerkennung als Person bildet die Basis aller hier vorkommenden Rechtsformen204 . Die rechtlichen Bestimmungen haben hier den Status, „Erlaubniß oder Befugniß“ zu sein. Rechtsgebote sind hier nicht zu formulieren, „es gibt (...) nur Rechtsverbote“ (Grundlinien, §38, 53; GW 14.1, 52). Die Anerkennung bleibt beschränkt auf das Wissen des Selbstbewusstseins, unendlich, allgemein und frei zu sein. Damit sind über die bloße Anerkennung des Personseins hinausgehende Pflichten nicht verbindlich zu machen. Die fehlende inhaltliche Bestimmung des Personenbegriffs führt lediglich zur Formulierung von Rechtsverboten, die mögliche Handlungen oder Befugnisse regulieren. Die aus dem Begriff der Person und der bloßen Anerkennung des anderen konstitutierten Rechte verbieten die Formulierung von Pflichten, im Sinne konkret geforderter Handlungen. Pflichten müssen aber inhaltlich bestimmt sein, wenn sie in einem bestimmten Kontext einforderbar sein sollen. Dieser Kontext fehlt hier aufgrund der abstrakten Allgemeinheit, die die Rechtsförmigkeit einer Sache ausmacht und auch das Verhältnis von Personen bestimmt. Als Person bin ich anerkannt als ein Wille, der das Recht hat, über Sachen zu verfügen. In diesem Verhältnis sind die Sachen Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses (vgl. Grundlinien, §42). Wie bei der Begierde bringe ich im Zuge der Besitznahme ein Natürliches in meine Gewalt. Strukturell unterscheidet sich damit die Besitznahme nicht von der Begierde. Begierde und Besitznahme konstituieren ein Mein. Allerdings rekurriert die Person mit dem Anspruch auf Rechtmäßigkeit bei der Besitznahme nicht wie die Begierde auf das Besondere, sondern auf die abstrakte Allgemeinheit im an und für sich freien Willen. Erst der Verweis auf diese Allgemeinheit macht aus dem „Mein“ der Begierde ein Recht. Im Rückgriff auf „meine Allgemeinheit“ appelliere ich an das Personsein anderer Individuen, die Anerkennung der Sache als rechtmäßig meine zu vollziehen. Die Reduktion des Besitzens auf das Personsein der Individuen verbietet eine weitere soziale Bestimmung des Eigentums. Rücksichten und Rechte, die mein rechtmäßiges Eigentum begrenzen und über den Umfang und die Art meines Besitzes entscheiden (äußere Umstände, Talente, Bedürfnisse etc.) können aus dieser – auf die Allgemeinheit zurückgreifenden – abstrakten Rechtsform nicht gewonnen werden. Wird das Recht auf Eigentum in der beschriebenen Weise an den abstrakten Personenbegriff gekoppelt, so können Forderungen, wie die nach Einschränkung der Verfügungsgewalt über eine mir gehörende Sache, nur insofern in den Blick kommen, als es Situationen 203

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Hegel spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Hoheit der Person“ als dem Vermögen, diese Spannung zwischen dem Unendlichen und Endlichen auszuhalten (Grundlinien, §35 Anm.). Wie bei Fichte kann hier davon gesprochen werden, dass dieses Anerkennungsverhältnis für Hegel die Basis für den Begriff des Rechts bildet. Vgl. Siep: Anerkennung als Prinzip, 28.

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gibt, in denen das Recht auf Eigentum mit dem Personenbegriff selbst kollidiert, wie im Falle der Selbstverstümmelung oder der vollständigen Selbstveräußerung.205 Wenn Hegel im Paragraph 45 das natürliche Bedürfnis, den Trieb und die Willkür, etwas zu dem Meinigen zu machen, zum Hauptmotiv der Besitznahme erklärt, so scheint die Rekonstruktion des Eigentums hier an die Jenaer Konzeption anzuknüpfen. Dort hatte Hegel „Eigentum“ und „Recht“ ausgehend von der Bedürfnisnatur des Menschen entwickelt. Hegel macht allerdings an dieser Stelle auch deutlich, dass die Deutung des Eigentums als Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen die „wahrhafte Stellung“ des Eigentums nicht trifft: „Vom Standpunkte der Freyheit aus [ist] das Eigenthum als das erste Daseyn derselben, wesentlich Zweck für sich“ (Grundlinien, §45, 58; GW 14.1, 57). Zentraler Gesichtspunkt für die Deutung des Eigentums als Rechtsgestalt der Freiheit ist die Präsenz des Willens als vernünftiger Selbstbestimmung in einer äußeren Sache. Im jeweils Meinen bin ich mir als Person gegenständlich und damit wirklich. Hegel entwickelt die Rechtsgestalt „Eigentum“ als Gestalt der sich bestimmenden Vernunft, die allerdings durch ein Interesse und durch Zwecksetzung geleitet ist. Dieser Rechtsbegriff blendet alle genetisch-historischen Bedingungen des Eigentums aus. Gefragt wird allein nach jenen Bedingungen, die Eigentum als Gestalt des freien Willens und damit als Rechtsgestalt ausweisbar machen. Die Bedingungen hierfür sind die allgemeinen Strukturen des Bewusstseins (Allgemeinheit und Besonderheit) und des Objekts. Die Besitznahme einer Sache ausgehend von der Bedürfnisnatur des Menschen steht für die Absicht, die Rechtsförmigkeit dieser Gestalten auszuweisen, im Hintergrund. Zunächst isoliert Hegel an der Besitznahme den Akt der Person, in der diese der inhaltslosen Beziehung auf sich in einer äußeren Sache Dasein gibt. Mit dieser Bestimmung ignoriert Hegel keineswegs die empirischen Bedingungen der Besitznahme. Hegel nennt vielmehr diese Zusammenhänge (vgl. Grundlinien, §§55-58), insistiert aber auf die Frage nach den Konditionen der Rechtsförmigkeit der Besitznahme. Als „Recht“ lässt sich die Besitznahme einer Sache nicht im Ausgang von der Bedürfnisnatur des Menschen begreifen. Besitznahme ist nur dann als Recht fassbar, wenn sie als ein Akt der freien Selbstbestimmung der Person gefasst wird - ganz gleich, welchem Trieb oder Bedürfnis dieser Akt sonst noch verpflichtet ist. Diese strenge Begrenzung der Thematisierungsperspektive verhindert aller205

Als Person vereinige ich meine zufällige Endlichkeit mit dem Bewusstsein von mir als unendlichem, allgemeinem freien Ich, in dem alle Beschränkung aufgehoben ist. Als Person habe ich das Bewusstsein der Freiheit, mir in allen Sachen gegenständlich werden zu können. Da „Besitz“ diese Beziehung der Person auf eine Sache ist, halte ich im Besitz „etwas in meiner selbst äußeren Gewalt“, dieses „etwas“ kann auch der eigene Körper sein. Die Thematisierung der Sklaverei erfolgt hier in der Absicht, zu zeigen, dass auch die Freiheit ein Produkt der Bildung ist und erworben werden muss. Darüber hinaus vermerken die Notizen (Grundlinien, §57 Notizen, 338), dass die Freiheit als unveräußerliches Gut – hier im Rahmen des abstrakten Rechts – nicht zu erwähnen ist.

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dings nicht, dass Hegel eine ganze Bandbreite von möglichen Formen der Besitznahme vorstellt und entwickelt. Die Bestimmung einer Sache, Objekt meiner Selbstbestimmung zu sein, beschränkt sich für Hegel nicht auf äußere naturgegebene Gegenstände.206 Mit „körperlicher Ergreifung“, „Formierung“ und „Vorstellung“ unterscheidet Hegel verschiedene Intensitätsgrade der Besitznahme. Minimalbedingung jeder Besitznahme ist freilich, dass „die Sache objektiv“ bleiben muss. Eine Forderung, die die Begierde nicht zu erfüllen vermag, beraubt sie sich doch im Verzehr der Sache der Basis für eine Anerkennung. Wie überhaupt die äußerliche Besitznahme unvollständig ist. Die „Besitznahme des Ganzen kann nur durch die Vorstellung sein“ (Grundlinien, §61 Notizen, 339).207 Dies gilt einmal in Beziehung auf sich selbst: Erst durch die Ausbildung seines eigenen Körpers und Geistes, dadurch, dass „sein Selbstbewußtseyn sich als freyes erfaßt, nimmt er sich in Besitz und wird das Eigenthum seiner selbst und gegen andere“(Grundlinien, §57, 65; GW 14.1, 64).208 Dies gilt aber auch für die Besitznahme von Sachen: Eine vollständige Besitznahme erfolgt nur dort, wo physische oder geistige Produkte durch die Vorstellung ergriffen werden. Für die Person ist der Sachbezug ausschließlich Selbstbezug. In der Sache tritt mir die leere Allgemeinheit meines Personseins gegenständlich gegenüber. Die Bestimmung als Person ist das Resultat einer Abstraktion von der individuellen Bestimmtheit des Selbstbewusstseins. Diese individuelle Bestimmtheit bleibt allerdings für das Personsein insofern konstitutiv, als das Dasein der Person die Besitznahme einer bestimmten Sache erfordert. Diese Bestimmtheit ist aber nur für das individuelle Selbstbewusstsein zu erlangen, insofern hier Interesse und Zwecksetzung gefordert sind. Damit ist das Dasein der Person allein auf der Basis der Besonderheit zu realisieren. Für die Weiterentwicklung der Rechtsbestimmungen sind diese beiden Aspekte des Personseins grundlegend. Da nur die Allgemeinheit, nicht aber die Besonderheit in das Dasein des Rechts als Eigentum eingeht, ergeben sich für die Rechtsformen Probleme, die eine Weiterbestimmung des Rechtsbegriffs notwendig machen.

206

207 208

Mag in der Konzeption des Vertrages als Tauschverhältnis tatsächlich eine Anknüpfung an die Jenaer Konzeption vorliegen (Das Eigentum ist die Bewegung des Dinges im Tausch), wie Peter Landau betont hat, in der Konzeption der Sache zeigen sich erhebliche Differenzen, denn diese bleibt in Jena doch an die Sphäre von Bedürfnis und Arbeit gebunden. Vgl. P. Landau: „Hegels Begründung des Vertragsrechts“. In: Riedel (Hg.), Materialien. Bd. 2, 176197. Vgl. auch Grundlinien, §55 Notizen, 335f. Für Hegel ergreift diese Form der Besitznahme das an einem Gegenstande, „was er seinem Begriffe nach (als eine Möglichkeit, Vermögen und Anlage) ist“ (ebd.).

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5.2 Die Grenzen des abstrakten Rechts Hegel entwickelt im zweiten Abschnitt des „Abstrakten Rechts“ unter dem Titel „Vertrag“ die Bedingungen, unter denen ich als rechtliche Person das Eigentum eines anderen erwerben oder veräußern kann. Der Vertrag setzt auf der Seite des Veräußernden voraus, dass zwischen der Person und ihrem Eigentum eine gewisse Distanz besteht: Ich muss mich von meinem Eigentum unterscheiden. Da mein Eigentum nicht auf äußere Gegenstände beschränkt ist, sondern auch meine Talente, Fähigkeiten etc. umfasst, besteht diese Distanz nicht nur zwischen der Person und einer äußeren Sache. Im Ich selbst muss unterschieden werden: Ich „nach meiner konkreten Seite unterscheide mich von mir als Abstractum“. „Ich“ nach der konkreten Seite, das sind meine Anlagen, mein Vermögen. Diese Seite ist nicht identisch mit meinem PersonSein, d.h. mit mir als Wollendem; denn als wollende Subjektivität kann ich meine Geschicklichkeit, meine Fähigkeit wie mein Vermögen als Sache veräußern (vgl. Grundlinien, §57 Notizen, 338). Worauf zielt Hegel mit dieser Differenzierung? Die Anmerkung zu Paragraph 40 gibt folgenden Hinweis: „Es ist darum zu tun, dem Begriff Realität zu geben und zugleich von der Unmittelbarkeit und Einzelnheit zu reinigen.“ Besitz, Eigentum und Vertrag sind als Rechtsformen das Daseins eines Allgemeinen. Die Philosophie des Rechts zielt auf die Klärung der Bedingungen unter denen ein Allgemeines wirklich ist: Was muss vorausgesetzt werden, damit ein Allgemeines „wirklich – oder Wirklichkeit (...) selbst allgemein ist“? (Grundlinien, §40, Notizen, 327) Für Besitz, Eigentum und Vertrag nennt Hegel zunächst die Bedingung der Selbstbezüglichkeit. Im Eigentum erlangt die Allgemeinheit des Personseins als leere Selbstbezüglichkeit unmittelbares Dasein. Der Vertrag setzt nicht nur die Anerkennung dieser Allgemeinheit in einer besonderen Sache durch eine andere Person, sondern konstituiert das Dasein eines gemeinsamen identischen Willens. Die Unterscheidung zwischen mir als Allgemeinem und mir als Besonderheit kommt beim Unrecht, wenn die „in sich selbst unterschiedene Innerlichkeit“ sich gegen das Recht als allgemeines geltend macht (vgl. Grundlinien, §40 Notizen, 327). Das, was das Allgemeine ist, wird durch die Besonderheit in Frage gestellt bzw. ignoriert. Die vollzogene Verletzung des allgemeinen Rechts fordert nach einer Wirklichkeit des Rechts, die unabhängig vom besonderen Interesse der Subjekte allgemeine Geltung, Wirklichkeit besitzt. Wie ist dieses Dasein der Allgemeinheit losgelöst vom abstrakt allgemeinen Personsein bestimmt? Die Erwerbung oder Veräußerung einer Sache an einen anderen ist Gegenstand des Vertrages. Dabei vermittelt der Vertrag die Willen zweier für sich seiender Personen in einem gemeinsamen daseienden Willen. Dieses Dasein hat allerdings nur begrenzte Gültigkeit, verdankt es sich doch allein der Willkür der Personen, diese oder jene „einzelne äußerliche Sache“ (vgl. Grundlinien, §75) zu wollen. Da dieses „Dasein“ nicht von der Willkür der beteiligten

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Personen unabhängig ist, kommt diesem Recht keine Wirklichkeit zu. Wirklichkeit ist allein jenen Rechtsformen eigen, die durch den „an und für sich allgemeinen Willen“ konstituiert sind. Diese Einschränkungen verdeutlichen für Hegel die begrenzte Geltung des abstrakten Rechts.209 Hegels Kritik an dieser Rechtsform bezieht sich zum einen auf die Beliebigkeit bei der Auswahl der rechtsförmigen Gegenstände: Vollkommen willkürlich ist es, was die Person interessiert, welchen Zweck sie verfolgt und welche Sache sie als die ihre bestimmt. Die Auswahl der Sachen, denen hier Rechtsförmigkeit zukommt, unterliegt allein der Willkür des Individuums. Ob nun die „Ehe“ oder die vollkommene Besitzlosigkeit als rechtsförmig zu gelten hat, bleibt der Willkür der individuellen Willensbestimmung überlassen. Ein anderes Problem ist in diesem Zusammenhang zu beachten. Hegels Argumentation läuft zielstrebig von dem Verhältnis Person – Sache über Besitz und Eigentum zum Vertrag als daseiender „gemeinsamer“, von den Einzelwillen ablösbarer Rechtsgestalt. Dabei bleibt die Frage, welche Bestimmungen einer Sache bzw. eines Eigentumsverhältnisses nicht in die Rechtsform „Vertrag“ einzugehen vermögen, ungeklärt. Muss nicht – der Konzeption der Person entsprechend – davon ausgegangen werden, dass, so wie die Bestimmung „Person zu sein“ die individuelle Besonderheit beiseite lässt, die Bestimmung einer Sache als Eigentum auf vergleichbare Abstraktionen zurückgeht? Die verschiedenen Formen der Besitznahme verdeutlichen die unterschiedlichen Dimensionen der ‚Sache‘. Von dieser Sache, die ich in Besitz nehme (durch Bildung, Formierung etc.) kommt im Abstrakten Recht nur jener Gesichtspunkt zur Geltung, der auf die leere Allgemeinheit des Personseins bzw. auf die quantifizierbaren Momente der Sache (Brauchbarkeit) zurückgeht. Die vollständige Besitznahme durch die Vorstellung setzt aber einen Begriff der Sache voraus, der im Vertragsverhältnis unberührt bleibt. Damit nimmt Hegels Besitzlehre einen gegenüber der Eigentumskonzeption breiteren Sachbegriff in Anspruch. Die durch die Vorstellung in Besitz genommene ganze Sache ist ja wesentlich durch Unveräußerlichkeit gekennzeichnet. Gegenüber dieser Ganzheit einer Sache ist der erste Teil des „Abstrakten Rechts“ streng auf die Frage der „Positivierung“210 eines Allgemeinen eingeschränkt. Wird die ursprünglich für die (vorstellende) Besitznahme in Anspruch genommene Breite des Sachbegriffs berücksichtigt, so vollzieht das „Abstrakte Recht“ eine Eingrenzung der Sachsphäre. Die Zentralfrage nach den Bedingungen für die 209

210

Diese Begrenztheit ist es auch, die verhindert, dass das Ehe- und Familienrecht bzw. das Staatsrecht mit dieser Rechtsform zu rekonstruieren sind. Das Vertragsverhältnis würde in eine Sphäre übertragen, die „von ganz anderer und höherer Natur ist.“ (Grundlinien, §75 Anm.; GW 14.1, 78) Diese Rede von der „höheren Natur“ wird noch zu präzisieren sein. „Positivierung“ wird hier im Sinne von Vergegenständlichung eines Geistigen verstanden. In den Grundlinien unterscheidet Hegel zwischen der positiven Seite, dass die Gesetze „ihre Bedeutung und Zweckmäßigkeit in den Umständen haben“, und dem, „was seiner Natur nach positiv ist, das Vernunftlose“ (vgl. Blühdorn / Jamme: „Positiv, Positivität“, 1111ff.).

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Positivierung und Verwirklichung der Allgemeinheit in einer daseienden Rechtsform macht diese Eingrenzung notwendig. Hegel thematisiert die Bedingungen dieser Eingrenzung bei der Behandlung des geistigen Eigentums.211 An schriftstellerischen Produktionen unterscheidet Hegel die Veräußerbarkeit einzelner Exemplare, die dem Erwerber den vollen Gebrauch und Wert desselben als eines einzelnen gestattet, von dem Eigentum „der allgemeinen Art und Weise dergleichen Produkte und Sachen zu vervielfältigen“. Diese allgemeine Art hat der Autor nicht veräußert, „sondern sich dieselbe als eigentümliche Äußerung vorbehalten“ (Grundlinien, §69). Dieser Vorbehalt ist nicht willkürlich gemacht, sondern trifft das „Substantielle des Rechts des Schriftstellers und Erfinders“. Dieser Vorbehalt zeigt die andere Seite der „Sache“ auf: Diese ist keineswegs nur Gegenstand der „Besitzung“, sondern kann „Vermögen“ sein – wie das Vermögen der Familie, auf das Hegel in diesem Zusammenhang ausdrücklich verweist. „Die Familie hat nicht ein Eigenthum, sondern für sie als allgemeine und fortdauernde Person tritt das Bedürfniß und die Bestimmung eines bleibenden und sichern Besitzes, eines Vermögens ein“ (Grundlinien, §170, 156; GW 14.1, 151). In den Händen der Familie ist der Besitz nicht Eigentum sondern „Vermögen“. Wie wird eine Sache zum Vermögen? Beide gehen auf den „äußerlichen Gebrauch einer Sache“ zurück, während der Besitz seinen Zweck im einzelnen Gebrauch der Sache hat, behält die Sache als „Vermögen“ einen bleibenden Zweck, der sich nicht im einzelnen Gebrauch erschöpft.212 Daher ist die Sache als Gebrauch veräußerbar, denn im Gebrauch tritt lediglich die Brauchbarkeit einer Sache zutage als die Fähigkeit, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Die „Brauchbarkeit“ stellt die Beziehung zwischen Person und Sache auf eine allgemeine Weise vor, und zwar auf der Basis der Unterscheidung zwischenqualitativer und quantitativer Bestimmtheit. Im Gebrauch löst sich die qualitative Bestimmtheit der Sache in einer quantitativen auf. Das „Zeichen“ stellt diese Brauchbarkeit („Gutheit“) als Wert vor – es ist die erhaltene Möglichkeit, ein Bedürfnis zu befriedigen. Bei der Besitznahme unveräußerlicher Güter entziehen sich diese Güter der Umwandlung des Qualitativen in ein Quantitatives, weil sie „meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseyns ausmachen“ (Grundlinien, §66, 72; GW 14.1, 70).213 Für Hegel bilden diese Güter den substantiellen Besitz, der nicht auf Individualgüter beschränkt ist, sondern auch Gemeinschaftsgüter, wie Kirchengüter und Denkmäler, können diesen Status einnehmen. Diese Gemeinschaftsgüter können aber auch quantifiziert werden, wenn sie als Vermögen etwa im Zuge der Säkularisierung die Bedeutung gewöhnlicher sich verbrauchender Güter annehmen. Ihr Wert, ihre Brauchbar211

212

213

Fragen des Urheberrechts und des geistigen Eigentums nehmen in Hegels Darstellung einen breiten Raum ein. Vgl. dazu Grundlinien, §§68 u. 69 inkl. Notizen, 349f. Eine weitere Verdeutlichung dieser Differenz wird die Analyse der Sittlichkeit in Kapitel sieben bringen. Zu diesen Gütern gehören die allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit und Religion.

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DIE GRENZEN DES ABSTRAKTEN RECHTS

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keit bestimmt sich dann nach den Bedürfnissen und dem Geschmack des Publikums.214 Das Verhältnis des Individuums zur Außenwelt ist im „Abstrakten Recht“ auf das Verhältnis der Person zur Sache und den Anspruch, die Sache sei die „Meinige“, eingeschränkt. Im Recht behaupte ich meine abstrakte Allgemeinheit in einer einzelnen willkürlich gewählten Sache. Damit diese Existenz eines Allgemeinen in einer Sache im Vertrag anerkanntes Dasein erhält, ist eine weitere Abstraktion zu vollziehen: die Sache muss auf ihre allgemeine Brauchbarkeit hin geprüft und reduziert werden. Dieser Vorgang setzt eine Distanznahme zwischen mir als Person und der Sache als der Meinigen voraus: denn der Wert der Sache muss unabhängig von meiner individuellen Einschätzung die Zustimmung einer anderen Person finden. Wie schon die erste, so zeigt auch die zweite Rechtsform des „Abstrakten Rechts“, dass das Dasein dieser Rechtsform auf der bloßen Allgemeinheit des Personseins basiert und daher abstrakt ist. In seiner Konzeption des Vertrages orientiert sich Hegel nicht am neuzeitlichen Kontraktualismus, vielmehr greift er auf das römische Recht zurück: So wird der Vertragsvollzug mit der römischen „stipulatio“ erläutert, die Vertragslehre auf schuldrechtliche Vertragsgegenstände eingeschränkt. Mit Blick auf die stipulatio der römischen Lehre macht Hegel die Geltung der erzielten Einigung nicht von dem Parteiwillen sondern vom richtigen Formvollzug abhängig: Der erwerbende Teil artikuliert in seiner Spruchformel den ganzen Geschäftsinhalt, der Gegner ist beschränkt auf einen Ausdruck der Unterwerfung unter diesen Inhalt („spondeo“, „promitto“). Der Vollzug dieser Spruchformeln macht für Hegel den Inhalt des Vertrages aus und erzeugt die rechtliche Bindung. Die Stipulation als das äußere Zeichen der Anerkennung ist Ausdruck der Einheit der beteiligten Personen. Darüber hinaus beschränkt Hegel den Geltungsbereich des Vertrags auf schuldrechtsrelevante Gegenstände, d.h. der Vertrag erzeugt eine Verbindlichkeit, erzwingt eine Leistung, die eingefordert werden kann; zwangsläufig ist diese Verbindlichkeit auf Sachen im oben entwickelten Sinn eingeschränkt, bei deren Nichtleistung sich der Vertragspartner schuldig macht. Diese Beschränkung des Geltungsbereichs der Vertragslehre auf schuldrechtliche Verträge wird auch im dritten Kapitel des „Abstrakten Rechts“ deutlich, wenn Hegel das „Unrecht“ allein auf der Basis des bisher entwickelten vertraglichen Rechtsbegriffs behandelt. Der Abschnitt „Unrecht“ macht deutlich, wie die Rechtsverletzung zur Forderung eines Rechts führt, das losgelöst vom besonderen Willen Geltung besitzt und somit „wirklich“ ist. Im Unrecht wird der im Vertrag anerkannte ge214

Hier hat die staatliche Kulturpolitik einzugreifen. Vgl. zu Hegels Konzeption einer staatlichen Kulturpolitik E. Weisser-Lohmann: „Der Staat und die Kunst. Zu Hegels Bestimmung der öffentlichen Funktion der Kunst in den Grundlinien“. In: U. Franke / A. Gethmann-Siefert (Hg.), Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Hamburg 2005, 23-36.

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meinsame Willen negiert. Mit der Strafe wird die Negation dieser Negation vollzogen, dies führt zur Anerkennung des Rechts als Recht. Diese Anerkennung basiert auf der Verletzung des ursprünglichen vertraglichen Rechts. Die Verletzung einer auf der Basis der „stipulation“ eingegangenen rechtlichen Bindung fordert Wiedergutmachung. Bei der Bemessung des Strafmaßes zeigt sich allerdings wiederum die Einseitigkeit und Beschränktheit des abstrakten Rechts. Kriterium für das Strafmaß kann hier nur der quantitative Wert der zerstörten Sache, seine verletzte Brauchbarkeit sein. Wie schon beim Eigentum und Vertrag so zeigen sich auch hier die Grenzen eines Rechts, das allein die Allgemeinheit des Personseins reflektiert: Es ist zweifelhaft, inwieweit die Zerstörung einer individuell wertvollen Sache durch die Ersetzung des quantitativen Wertes wieder gut gemacht werden kann. Ersetzt werden kann nur der Wert, die allgemeine Beschaffenheit der Sache, die Verletzung aber, die dem „an sich seienden“ widerfahren ist, ist „das nicht äußerlich Existierende.“215 Die Wiederherstellung des Rechts bezieht sich in der Quantitätsbestimmung der Strafe allein auf die positive Existenz der Verletzung und bleibt daher ‚vernunftlos‘ auf die zufällige Brauchbarkeit der Sache beschränkt.

215

Gleichwohl bringt Hegel auch qualitative Kriterien wie das öffentliche Zutrauen, die Sicherheit oder die „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ für die Berechnung des Strafmaßes mit ins Spiel. Vgl. Grundlinien, §96 Anm. Randnotiz, 365.

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5.3 Zusammenfassung Im ersten Teil seiner Philosophie des Rechts verdeutlicht Hegel die Bedingungen, die es ermöglichen, die Inbesitznahme einer Sache als Recht zu begreifen. Das Eigentum als Rechtstitel blendet an der Inbesitznahme einer Sache alle substantiellen Bestimmungen aus. Nur die Allgemeinheit des Personseins erhält Dasein – dieses Dasein ist vom Dasein des besonderen Willens unterschieden. Im Unrecht wendet sich der besondere Wille gegen den gemeinsamen Willen, was zur Verletzung des anerkannten Eigentumsverhältnissen führt und zur Forderung nach Anerkennung eines allgemeinen Rechts, das unabhängig von diesem Eigentum und diesem Vertragspartner Gültigkeit hat. Die Anerkennung des „Rechts als Recht“ wird zur zentralen Forderung für die Wirklichkeit des Rechts. Hegel rekonstruiert die Rechtsformen, Eigentum, Vertrag und Unrecht ausgehend von den abstrakten Bestimmungen des Person-Sein und der Brauchbarkeit einer Sache. Diese Abstraktionen sind Voraussetzung für die Anerkennung der Besitznahme als Eigentum. Hegels Darstellung der rechtsförmigen Elemente der Inbesitznahme einer Sache entwickelt die einzelnen Rechtsformen am Leitfaden des Willens und damit losgelöst von den Faktoren, die die individuelle Inbesitznahme tatsächlich auslösen und steuern, Begierde, Trieb, Interesse etc. Das heißt allerdings nicht, dass diese Faktoren nicht auch für das Recht von fundamentaler Bedeutung sind, insofern diese Aspekte etwa bei Besitznahme für den zwecksetzenden Willen handlungsleitend sind und den Inhalt des Rechts bestimmen. Gegenüber der Jenaer Konzeption ist dies zunächst eine Akzentverschiebung, die aber noch nicht dazu führen muss, dass von einer Abkehr von der früheren Position gesprochen werden kann. Hegel rekonstruiert an den geschichtlichen Rechtsformen jene Momente, die eine Verrechtlichung ermöglichen: Von mir als individueller Besonderheit kommt lediglich die allgemeine Bestimmung, Person zu sein in den Blick; von der Sache als einem Vermögen wird lediglich deren Brauchbarkeit – nicht aber deren Vermögen – thematisiert. Der Jenaer Systementwurf fasst diesen Vorgang ausgehend von konkreten Seinsformen mit Schelling als „Potenzierung“, die die Geltung des formalen Rechts ermöglicht. In Jena entwickelt Hegel diese „Potenzierungen“ als Produkte der philosophischen Rekonstruktion des Rechts. In den Grundlinien rekonstruiert Hegel diese Potenzen als bereits vorliegende Abstraktionen. Die Geltungsbedingungen dieser Abstraktion werden erst im weiteren Verlauf der Darstellung der Wirklichkeit des Rechtsbegriffs präzisiert. Mit Blick auf die Jenaer Lehre kann hier von einer Umkehrung des Begründungsganges gesprochen werden. Mit Kant ist Hegel der Überzeugung, dass es Aufgabe einer philosophischen Rechtslehre ist, gegen die Beschränkung auf faktisch-historische Bestimmungen das Recht als Vernunftprinzip auszuweisen. In Abgrenzung vom Kantischen Begründungsprogramm insistiert Hegel allerdings darauf, das

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Recht nicht nur als vernunftgegründetes Prinzip auszuweisen, sondern die Wirklichkeit des Rechts am Leitfaden des Daseins des Rechts zu rekonstruieren. In einem ersten Schritt zeigt Hegel, dass die Behauptung eines Rechts zunächst auf das Dasein meiner abstrakt-allgemeinen Freiheit in einer äußerlichzufälligen Sache beschränkt ist. Diese Gegenwärtigkeit meiner allgemeinen Bestimmung, Person zu sein, in einer einzelnen zufälligen Sache muss nicht nur von der Besitznahme einer Sache unterschieden werden. Auch mit Blick auf die Wirklichkeit, die sich die Person geben will, zeigen sich Differenzen. Die zufällige einzelne Sache vermag nicht, der Allgemeinheit des Personseins Ausdruck zu verleihen. Die vertragliche Einigung muss trotz dieser Zufälligkeit zu einer gegenseitigen Einigung über den Wert der Sache kommen. Darüber hinaus muss die gegenseitige Anerkennung als Person bestehen. Auf die Negation des im Vertrag Anerkannten, die Verletzung eines Vertragsinhalts durch Nichtleistung des Stipulierten, fordert Zwang. Hegel macht beim Vertrag wie auch bei der Wiederherstellung eines verletzten Rechts (Strafmaß) deutlich, dass die konkrete Handhabung dieser Rechtsgestalten, den Rekurs auf die spezifische Bedürfnislage, die in der subjektiven Seite der Person ihre Wurzel haben, erfordert. Die abstrakte Allgemeinheit des Personseins in ihrem Verhältnis zur Sache genügt zwar, um die Rechtsstruktur von Eigentum, Vertrag und Zwangsrecht herauszuarbeiten, für die konkrete Bestimmung des Rechts ist aber eine konkrete Sache zu benennen und dies ist ohne die individuelle Besonderheit nicht zu leisten. Die abstrakte Bestimmung der Sache und der Person ignoriert, dass das Personsein ein bestimmtes Wesen mit spezifischen Trieben und Neigungen zur Voraussetzung hat. Diese individuellen Besonderheiten gehen in die hier explizierte Rechtsformen nicht ein – insofern bleibt dieses Recht den individuellen besonderen Momenten gegenüber abstrakt. Diese Abstraktheit betrifft auch die Sache, insofern nur deren quantifizierbare Momente in die Rechtsgestalt des Vertrags eingehen: Nur in ihrer Brauchbarkeit vermag die Sache im abstrakten Recht rechtsförmig zu werden, nicht aber als Vermögen. Die Besitznahme ist dem Eigentum und Vertrag vorgängig, sie ist nicht auf den veräußerbaren quantifizierbaren Wert beschränkt. Indem Hegel „Vorstellung“ und „Bezeichnung“ als „geistige“ Besitznahme bzw. als vollständige Form der Ergreifung einer Sache bestimmt, differenziert er im Sachbegriff zwischen den qualitativen und dem quantitativen Aspekt einer Sache. Entscheidend ist, dass die Sache als ein Vermögen im weiteren Verlauf dieses ersten Abschnitts unberücksichtigt bleibt. Hier interessieren allein jene Momente an der Sache die Vertragsgegenstand sein können. Die abstrakten Rechtsformen vollziehen nicht nur an der Person, sondern auch an der Sache eine Abstraktion. Der Wert eines Eigentums bestimmt sich weniger aus der in ihn investierten qualitativen Arbeit als aus der in ihm aufgehobenen Möglichkeit, quantitativ messbare Bedürfnisse zu befriedigen. Die in der Einleitung explizierte Willensstruktur (Abstraktion und Zweckbestimmung) führt zu einer Weiterbestimmung der Inbesitznahme als „Eigentum“, dessen ‚Brauchbarkeit‘

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eine vertragliche Einigung ermöglicht. Die Willensbestimmungen (leere Allgemeinheit und Sache als Wert) erfassen nur Partialitäten, die gegenüber dem konkreten Vollzug abstrakt und unwirklich bleiben. Die Abschnitte „Moralität“ und „Sittlichkeit“ haben die Aufgabe zu verdeutlichen, wie jene nicht in der formellen Allgemeinheit aufgehenden Bestimmungen – das Subjekt-Sein der Person und die qualitativen Momente des Besitzes – in die Rechtsformen einzugehen vermögen. Gegenüber der Strukturgleichheit, die Kant für das moralische Gesetz der Vernunft und das Recht feststellt, ist Hegels Bindung des Rechts an eine einzelne zufällige Sache augenfällig. Mit der Bestimmung, „Person“ zu sein, wird zwar durch Abstraktion die Allgemeinheit des Willens erreicht, eine rechtsspezifische Situation ist aber erst in der Behauptung des Mein einer einzelnen Sache gegeben. Anders als Kant bestimmt Hegel Recht damit zunächst nur als Beziehung der Person auf eine einzelne Sache. Über diese einzelne Sache erst etabliert sich ein Anerkennungsverhältnis zwischen Personen. Kants Deduktion überspringt gleichsam die von Hegel entwickelte Stufenfolge der Rechtskonstruktion, wenn das Recht unmittelbar als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ definiert wird (MdS, A 33 B 34, 337). In Anlehnung an Fichte216 greift Hegel für die Deduktion des Rechts auf Gegenstände sinnlicher Erfahrung zurück, ohne ihnen allerdings die Rolle des Ursprungs von Rechtsförmigkeit zu übertragen. Rechtsbegründend ist für Eigentum, Vertrag und Strafe allein der Wille. Dieser Wille ist auf Natur, auf Bedürfnis, Individualität und Besonderheit angewiesen, um in existierende, Rechtsförmigkeit beanspruchende Verhältnisse eintreten zu können. Diese Bedingtheit fehlt sowohl der Kantischen Willenskonzeption wie auch dem Rechtsbegriff seiner Rechtslehre.217 Für die Person ist das Verhältnis zur Besonderheit insofern grundlegend, als die Person als Allgemeines Besonderes ist. Erst auf dieser Grundlage wird Hegels Bestimmung, die Allgemeinheit des Personseins sei (leere) Abstraktion, verständlich. Die Besonderheit hat zum einen die Fähigkeit der reinen Distanznahme oder Abstraktion von allen konkreten besonderen Bestimmungen, zum anderen aber auch das Bedürfnis, diesem gedachten Freisein von allen äußeren Zwängen, ein Dasein zu geben. Erst über die ‚Entäußerung‘ meiner (leeren) Allgemeinheit konstituiert sich Recht, wird Recht in einem zweiten 216

217

Vgl. die „Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre“ (In: Werke Bd. 1, 417-449), wo Fichte den Grundsatz formuliert, dass der Grund aller Erfahrung zwar außerhalb der Erfahrung liegt, dennoch aber Gegenstände sinnlicher Wahrnehmung zu den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gehören. Vgl. auch Siep: „Philosophische Begründung des Rechts“, 65ff. Dies gilt auf alle Fälle für die angeborenen Rechte. Inwiefern das „Erworbene Recht“ des Kantischen Privatrechts auf konkrete Sachen angewiesen ist, insofern es hier Personen geben muss, die beanspruchen, ausschließlicher Besitzer einer bestimmten Sache zu sein, ist fraglich. Kersting (Kant über Recht. Paderborn 2004, 59) spricht mit Blick auf das Privatrecht von einer „problemangemessenen Fortentwicklung“ des Rechtsapriorismus der Einleitung.

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Schritt als Anerkennungsverhältnis fassbar. In diesem zweiten Moment der Rechtskonstitution erfasst Hegel das Strukturmoment „Intersubjektivität“, das für den Kantischen Rechtsbegriff bestimmend ist. Die Beziehung auf die andere Person ist hier aber nicht auf einen „allgemeinen Willen“ im Kantischen Sinne verpflichtet. Zunächst erlaubt die Anerkennung lediglich die Konstitution eines gemeinsamen Willens im Vertrag, der in der „Stipulation“ Dasein erhält. Erst über die Verletzung dieses Rechts wird die Forderung nach einer Anerkennung des Rechts als allgemeines Recht für die rechtsphilosophische Rekonstruktion formulierbar: Aufbauend auf den Konflikten der intersubjektiven Rechtsformen expliziert Hegel das allgemeine Recht. Was gewinnt Hegel aus dieser Rekonstruktion? Gegenüber der Kantischen Deduktion des Rechts aus dem moralischen Gesetz ist die Geltung des Rechts zunächst auf die einzelne Sache und die beiden anerkennenden Personen beschränkt. Der Verzicht auf die Inanspruchnahme des moralischen Gesetzes bringt eine Entlastung für das Begründungsprogramm, zu dem Preis allerdings, dass der Geltungsbereich gegenüber dem Kantischen Rechtsprinzip deutlich eingeschränkt ist. Im Gegenzug sichert Hegel in dieser Beschränkung die daseiende Präsenz des Rechts und vermeidet die oben genannten Probleme der Kantischen Eigentumslehre. Der Rechtsbegriff ist auf das Sachenrecht beschränkt. Die konstitutierten Rechtsformen sind notwendige Prinzipien, die angeben unter welchen Bedingungen die Besitznahme einer Sache als Recht gelten kann: Das Personsein des Besitzenden muss als Abstraktion von aller individuellen Besonderheit vorausgesetzt werden. Über die „leere Allgemeinheit“ des Personseins gewinnt Hegel die für die Rechtsbestimmung notwendige Gleichheit. Auf der Objektseite steht der Person eine willenlose Sache gegenüber, die im Vertrag auf ihre Brauchbarkeit reduziert ist. Die Reduktion bzw. Abstraktion, die die Rechtsformen des abstrakten Rechts an der Sache vollziehen, bestimmt auch die hier geltenden Rechte. Eine Verpflichtung zu bestimmten Handlungen ist hier nicht zu begründen. Weder kann die Schaffung von Eigentum noch das Eingehen von Verträgen verbindlich gemacht werden. Hegels Deduktion dieser Rechtsformen aus dem Begriff der Person knüpft an Kants bzw. Fichtes Begründungsprogramm an. Die Bestimmung des Menschen als Person vollzieht eine Abstraktion. Der Vollzug dieser Abstraktion hat zwar einen bestimmten sie bedingenden geschichtlichen Kontext (das römische Recht), gleichwohl wird die Apriorität dieses Anspruchs behauptet, insofern Hegel zeigen will, dass der Besitz von Sachen sich allein auf der Basis dieser Abstraktionen als Rechtsformen ausweisen lässt. Insofern kommt diesen Prinzipien allgemeinste Geltung zu. „Wirklich“ aber wird diese Allgemeinheit der hier konstituierten Rechte nur in konkreten Rechtsgestalten, wie der „Bürgerlichen Gesellschaft“. Damit allerdings diese Rechtsformen als wirkliche Rechtsgestalten bestimmt werden können, müssen weitere Bedingungen erfüllt sein.

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6. HANDLUNG UND RECHT

Die im ersten Abschnitt seiner Philosophie des Rechts rekonstruierte Rechtssphäre ist unmittelbar insofern das Personsein in einer Sache unmittelbar Dasein und Anerkennung erhält. Der im Vertrag anerkannte Besitz erfährt durch das Verbrechen eine Störung. Es kommt zur Aufhebung der unmittelbaren Einheit und zum Bruch zwischen mir als Besonderheit und meiner im Personsein gesetzten Allgemeinheit. Dieser Bruch wird für die Sphäre der „Moralität“ konstitutiv: Das Subjekt-Sein der Person bildet als reflexive Bestimmung den Ausgangspunkt für die Erweiterung bzw. Vertiefung des Rechtsbegriffs,218 mit dem Ziel, die „Wirklichkeit“ des Rechts zu erfassen. In Vorbereitung auf einen wirklichkeitstauglichen Rechtsbegriff soll die Rechtsförmigkeit von Handlungen nicht aus der abstrakten Allgemeinheit des Personseins, sondern aus der Selbstbestimmung des Subjekts entwickelt werden. Die „Moralität“ – so Hegel in der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 – „betrifft nicht die Person als solche, den Willen als unmittelbare Einzelheit, sondern als individuelles Subjekt, den Willen, der für sich ist und dessen Einzelheit zur Besonderheit, die durch die Beziehung des für sich seienden Willens auf den an und für sich seienden bestimmt ist“ (Nachschrift Wannenmann, 60). Mit dieser Verankerung des Rechts im „individuellen Subjekt“ will Hegel im Abschnitt „Moralität“ die Defizite des „Abstrakten Rechts“ beseitigen: Hier sind die Bedingungen des Daseins eines besonderen subjektiven Willens zu entwickeln, „der als besonderer (...) das Allgemeine als solches wolle“. Die Handlungslehre219 fragt nach den Kriterien, die hier die Auszeichnung rechtsförmiger Handlungen ermöglichen. Abschnitt 6.1 wird zunächst den Zusammenhang zwischen Willen und Rechtsformen der Moralität herausarbeiten. Im dreigliedrigen Aufbau des Moralitätskapitels bestimmt Hegel „Handeln“ am Leitfaden der Zweckbestimmungen des Subjekts: Zweck des 218

219

So vermerkt Hegel in den Notizen „Zweite Stufe – ihr ist die erste Gegenstand“ (Grundlinien, §105 Notiz, 374). Inwiefern es sich hier um eine Sphäre des Rechts handelt oder um einen Standpunkt, der zu einer Geschichte des Selbstbewusstseins gehört, ist strittig. K.-H. Ilting interpretiert die Grundlinien als „Phänomenologie des Rechts“ („Rechtsphilosophie als Rechtsphänomenologie“. In: Henrich / Horstmann (Hg.), Hegels Philosophie des Rechts, 225-254). Zur Frage nach dem Status des Moralitätskapitels vgl. insbesondere auch L. Siep: „Was heißt ‚Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit‘ in Hegels Rechtsphilosophie?“. In: Hegel-Jahrbuch 1990, 225-234; Chr. Jermann: „Die Moralität“. In: ders. (Hg.), Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 101-144; G. Amengual: „Moralität als Recht des subjektiven Willens“. In: Hegel-Jahrbuch 1987, 207-215; sowie J. Ritter: „Moralität und Sittlichkeit“. Die oft beklagten Inkonsistenzen der Hegelschen Ausführungen im Moralitätskapitel lösen sich auf, wenn, wie M. Quante (Hegels Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993) zeigt, das Dargestellte als Handlungslehre verstanden wird.

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Handelns ist einmal der bloße „Vorsatz“ dann die „Absicht“ und das „Gute“ als das Dasein des Wohls. Das Hauptproblem jeder Rekonstruktion dieser Zweckbestimmungen, die zur Rekonstruktion daseiender Rechtsformen führen soll, liegt im Nachweis eines stringenten Übergangs von der Analyse der subjektiven Zwecksetzungen zur Bestimmung des Guten. Im Einzelnen ist hier zu klären (6.2), inwieweit das mit dem Begriff des Lebens und dem Begriff des Gewissens Entwickelte genügt, um das Gute als wirkliches Recht zu erfassen. Darüber hinaus besteht die Forderung, dass das Gute als Form der Willensbestimmung so rekonstruiert werden muss, dass das Gute gegenüber subjektiven Zwecksetzungen Eigenständigkeit besitzt (6.3). In diesem Zusammenhang ist der Einwand, Hegel führe das Gute ein, ohne es aus den Prinzipien der moralischen Sphäre heraus zu entwickeln, zu prüfen. Für Kant unterscheiden sich moralische und rechtliche Sphäre durch die Rolle, die die Triebfeder für beide Handlungsformen einnimmt: Für die moralische Sphäre ist die Frage nach den Gründen des Handelns entscheidend. Die Frage, warum ich den Normen gemäß handle, ist für das Recht dagegen vollständig ausgeblendet, hier geht es allein um den Vollzug bzw. die Unterlassung des Geforderten. Mit der Frage nach den Gründen steht für die philosophische Analyse der Moralität die motivationale Seite (d.i. die Triebfeder) der Handlung im Zentrum. Hegel greift diese Fragestellung im Rahmen seiner Philosophie des Rechts auf, und macht deutlich: Das individuelle Subjekt mit seinen Trieben, Wünschen und Begierden darf bei der Bestimmung des Rechtsbegriffs nicht ignoriert werden. Aristoteles hat diese motivationale Seite des Handelns im Rahmen seiner Tugendlehre bearbeitet: Es ist zum einen das durch Gewöhnung und Tradition habitualisierte Tun, das das ob und wie unseres Handelns bestimmt. Neben diesen ethischen Tugenden ist es die dianoetische Tugend der Klugheit, die unseren Entschluss, so und nicht anders zu handeln, bestimmt. Über seine Standeszugehörigkeit erwirbt der Einzelne für Aristoteles Tugenden, die seine Vereinzelung überwinden und ihn zur Teilhabe an der polis befähigen. Im Zusammenwirken aller Tugenden und Stände konstituiert sich für Aristoteles die griechische Polis als das Werk aller. Über dieses gemeinsame Werk wird der Einzelne als Bürger vollgültiges PolisMitglied. Insbesondere das Handeln in der polis verlangt „Klugheit“. „Klugheit“ besitzt derjenige, der in der Lage ist, Mittel und Wege zu einem guten Leben zu finden. Der Zweck, das gute Leben, das Werk aller, ist dem Handelnden allerdings immer schon vorgegeben. Hegel knüpft im Naturrechtsaufsatz an die aristotelische Konzeption der ethischen Tugenden an, wenn er Stände- und Tugendlehre verknüpft: Über welche Tugenden (Tüchtigkeiten) ein Individuum verfügt, entscheidet seine Stellung in der Gesellschaft. Der Stand vermittelt über bestimmte Tüchtigkeiten das Tun des Einzelnen mit dem Ganzen. Diese Aufnahme der motivationalen Momente unterliegt hier somit der Voraussetzung, dass das Tun der Standesmitglieder immer schon auf das gemeinsame Werk ‚verpflichtet‘ ist. In den späten Jenaer Systementwürfen

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verzichtet Hegel darauf, die ständische Gliederung der Gesellschaft über spezifische Tugenden mit dem Ganzen zu verbinden. Es sind die metaphysischen Voraussetzungen, die diese Ständelehre für die Moderne inakzeptabel machen, und die Hegel dazu führen, die Gliederung der Gesellschaft aus der Arbeitsteilung zu rekonstruieren. Die bei Aristoteles den einzelnen Ständen bzw. Tugenden übertragene Funktion, zwischen subjektiver Willkür und allgemeinem Willen zu vermitteln, erfüllt die arbeitsteilige Aufgliederung der Gesellschaft nicht. Zum einen ist unklar, wie die aus der Arbeitsteilung, der Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung hervorgegangene Gliederung der Gesellschaft zur Einheit eines allgemeinen politischen Willens führt. Zum anderen kann mit der Standeszugehörigkeit nicht unmittelbar der Erwerb einschlägiger Tugenden verknüpft werden. Die Herstellung einer Verbindung zwischen subjektiver Willkür und objektiver Sittlichkeit ist für Hegel mit einer Tugendlehre, wie sie Aristoteles mit der Ständelehre entwickelt, nicht zu leisten. Für Hegel reduziert sich die Leistungsfähigkeit der Tugenden in diesem Zusammenhang auf die Bereitstellung von Rechtschaffenheit: „Tugend“ zielt auf die Herstellung einer „einfache[n] Angemessenheit des Individuums an die Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört“ (Grundlinien, §150, 145; GW 14.1, 140). Diese Angemessenheit ist Rechtschaffenheit. An die Stelle der traditionellen Tugendlehre tritt bei Hegel im Zuge der endgültigen Ausarbeitung der Grundlinien die „Bildungslehre“. Sie weist der Standeszugehörigkeit eine Bildungsfunktion zu, die dem einzelnen aus seiner begrenzten Sphäre heraus die Teilnahme an der politischen Selbstbestimmung einer Gemeinschaft ermöglicht. Die Voraussetzungen dieser Bildungslehre hat das Moralitätskapitel zu klären.220 Hegels Verzicht auf eine (ethische) Tugendlehre im aristotelischen Sinn ist für das Verständnis des systematischen Anliegens des Moralitätskapitels der Grundlinien entscheidend. Dieser Verzicht bedeutet nicht, dass Hegel das Ziel preisgibt, die politische Gemeinschaft als Realisierung eines höchsten Gutes auszuweisen. An die Stelle der aristotelischen Tugendlehre tritt bei Hegel die Handlungslehre. Inwieweit diese Handlungslehre geeignet ist, die systematische Funktion der Tugendlehre zu übernehmen, ist nachfolgend zu zeigen. Diese Klärung fordert zunächst allerdings eine Präzisierung der Differenzen zwischen den beiden hier in den Sphären „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ entwickelten Rechtsbegriffen.221

220

221

Vgl. E. Weisser-Lohmann: „Daß das Allgemeine zu einer Tat komme. ‚Sittlichkeit‘ und ‚Verfassung‘ bei Hegel“. In: dies. / D. Köhler (Hg.), Verfassung und Revolution. Hamburg 2000, 137-166. Die umfangreichen handschriftlichen Notizen, die Hegel zu den Paragraphen 104 und 105 anfertigte, greifen die hier liegenden Probleme auf und verdeutlichen, dass Hegel die Darstellung des Kompendiums durchaus für ergänzungsbedürftig hielt. Insbesondere die Nachschrift Griesheim aus dem WS 1824/25 enthält zu diesem Übergang ausführliche Darlegungen, die Hegel auf der Basis der Notizen zum Vortrag brachte (Vorlesungen Bd. IV, 296ff.).

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Rückblickend vergegenwärtigt Hegel in den handschriftlichen Notizen zu den Paragraphen 104 und 105 den Aufbau des ersten Abschnitts (vgl. Grundlinien, 370ff.).222 Am Leitfaden des Willens erinnert Hegel an die Reflexionsbestimmungen des Willens, die schließlich zur moralischen Grundgestalt, der Subjektivität, führen.223 Auf der Subjektseite entspricht der Fortgang in der Begriffsbestimmung des Willens dem Übergang vom Dasein meiner Allgemeinheit in der Sache (als Eigentum) zum Dasein des Rechts als Recht. „Dieß Fürsichsein ist so der subjektive Wille und so ist das Recht als im Willen gesetzt; dieß ist jetzt die Bestimmung, daß es als Recht wesentlich im subjektiven Willen sein muß, in seinem Zweck, seiner Einsicht, Absicht pp. So macht die Subjektivität des Willens das Dasein des Willens aus, sie ist Dasein des Rechts, das Recht soll im Subjekt sein, dieß macht das Princip des moralischen Standpunkts aus“ (Vorlesungen Bd. IV, 298). Für den Rechtsbegriff ergeben sich folgende Neubestimmungen: Das Recht war zunächst „für uns“ gesetzt, dann im Vertrag als gemeinsamer, jedoch zufälliger, weil in der Sache willkürlicher Wille, gesetzt. Schließlich wird in der Erfahrung des Unrechts das Recht als allgemeines Recht gesetzt und gefordert. Im Abschnitt „Moralität“ behauptet Hegel, die geforderte Allgemeinheit des Rechts kann nur als aus der Subjektivität konstituierte Allgemeinheit entwickelt werden. Diesen Anspruch hat die Darstellung des Abschnitts „Moralität“ zu lösen, wobei dieser Anspruch allerdings hier mit Blick auf den nachfolgenden Abschnitt „Sittlichkeit“ eingeschränkt wird: Die geforderte Allgemeinheit des Rechts ist in der Sphäre der Moralität „noch als Recht Subjektivität des Rechts“ (Grundlinien, §104 Anm., 373). 222

223

Die Vorlesungsnachschrift aus dem Jahr 1824/25 überliefert die folgenden Ausführungen: Wir bemerken „dreierlei Seiten des Fortgangs“. Neben dem Fortgang an der Person, ist es der Fortgang in der „Sache“ und im „Recht“, der für die Darstellung entscheidend ist. Für die Person stellt sich dieser Fortgang wie folgt dar. Die Person ist „zuerst als einzelne Person die sich Dasein als solche giebt, das Recht überhaupt“, das Zweite war, „daß die einzelne Person ihrem Willen Dasein giebt, so daß es auch zugleich der Wille einer anderen Person ist, es ist ein Hinausgehen über die Einzelnheit, es sind zwar auch noch einzelne, aber nicht mehr diese Einzelnen, sondern zwei, mehrere Einzelne, es ist so gemeinsamer Wille, der Vertrag, das Dasein des gemeinsamen Willens. Das dritte ist dann, daß die Person ihren Willen (...) als allgemeinen Willen zur Gegenständlichkeit hat“. Vgl. Vorlesungen Bd. IV, 297f. Für die Sache stellt sich der Fortgang von der äußeren Sache über den Wert bis zur wahrhaften Substanz im Recht dar. Das Recht ist zuerst nur an sich, dann gesetzt als Objektivität und drittens das Recht an sich. Eine zweite Gliederungsskizze verknüpft diese Willensbestimmungen mit dem Rechtsbegriff und führt von der bloß unmittelbaren Setzung bis zur Setzung des Rechts als Recht, in der die Geltung des Rechts für sich bewusst geworden ist und anerkannt wird. Analog lässt sich diese Entwicklung in der Begriffsbestimmung des Willens und des Rechts in der „Sache“ aufweisen, von der einzelnen zufälligen äußeren Sache (Eigentum), wird die gemeinsame Sache, der Wert, im Vertrag zum Gegenstand des Rechts, um schließlich zur „Sache selbst“ überzugehen (Grundlinien, 301f.). In diesem letzten Gegenstand des Rechts wird nicht mehr das Dasein meiner Freiheit in einer einzelnen Sache, sondern das Dasein der Freiheit als solcher gewollt: „da verschwindet die Einzelnheit, es ist nicht mehr das Interesse der Begierde, der einzelnen Person“ (Vorlesungen Bd. IV, 297).

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Die moralische Sphäre setzt die Bestimmungen des „abstrakten Rechts“ voraus. Moralität ist, so notiert Hegel, die „Zweite Stuffe – ihr ist die erste Gegenstand“ (Grundlinien, §105 Notizen, 374). Mit der Subjektivität, die für sich die Allgemeinheit behauptet, ist das Dasein des Rechts nicht länger auf eine zufällig willkürliche besondere Sache fixiert, Besonderheit und Allgemeinheit sollen vielmehr als im „Recht des subjectiven Willens“ (Grundlinien, §107, 102; GW 14.1, 100) vereinigt ausgewiesen werden. Mit dem Personsein der Person stellt Hegel im „Abstrakten Recht“ die „ärmste“ Bestimmung, die alle konkreten Bestimmungen des besonderen Daseins ignoriert, an den Anfang. Diese Abstraktion ermöglicht gegenüber der Vielfalt der besonderen Individuen formelle Allgemeinheit und Gleichheit, damit ist eine für alle rechtsförmigen Verhältnisse unabdingbare Voraussetzung erfüllt. An „Besitznahme“ und „Gebrauch der Sache“ prüft Hegel die weiteren Bedingungen daseiender Rechtsförmigkeit. Die Reduktion des Sachbezugs auf den „Wert“ und die Forderung nach einem über der einzelnen konkreten Sache stehenden allgemeinen Recht erweisen sich als weitere Bedingungen für die Geltung dieser Rechtsform. Die Forderung nach ‚Anerkennung des Rechts als Recht‘ transzendiert das bisherige Verhältnis insofern, als das Recht als Anerkennung eines Allgemeinen aus der Bindung an eine Sache bzw. einen zufälligen anderen Willen gelöst wird. Die Forderung nach „Anerkennung des Rechts als Recht“ ergeht aus der Verletzung des Rechts im „Unrecht“. Das hier geforderte Recht verfügt am Ende des Abschnitts „Abstraktes Recht“ über keine Wirklichkeit. Der Abschnitt „Moralität“ hat die Aufgabe, die Bedingungen zu benennen, die erfüllt sein müssen, damit ein Besonderes als Dasein eines allgemein anerkannten Rechts fassbar wird.224 Diese Bedingungen, die das Subjekt bzw. seine Handlungen zu einem Rechtsträger machen, werden von Hegel im Moralitätskapitel entwickelt. Wie bestimmt Hegel Handlung in Abgrenzung etwa von der Besitznahme? Für das „Abstrakte Recht“ war Handeln nur als „gerichtliche Handlung“, „in äußerlicher Weise“ (Grundlinien, §113) thematisierbar. Als Handlung ist dieses Tun insofern charakterisierbar als es die Inhalte des Allgemeinen unmittelbar am Besonderen vollzieht. Für den mit der „Moralität“ gewonnenen Standpunkt geht es darüber hinaus um Handlungen des besonderen Subjekts. Den Handlungen des besonderen Subjekts fehlen sowohl die Zufälligkeit als auch die Unmittelbarkeit, die der Besitznahme der abstrakten Rechtsperson aufgrund der unmittelbaren Identität von Besonderem und Allgemeinem eigen war. An die Stelle der Unmittelbarkeit tritt ein Wollen, eine Intension, die es gestattet, von einer (bewussten) Zwecksetzung, einem Entschluss zu sprechen. Dieser Entschluss ist nicht zufällig, sondern geht aus der „unendlichen Refle224

Gegenüber der Kantischen Deduktion des moralischen Gesetzes aus der Freiheit dreht Hegel hier die Begründungsfolge um, wenn er die Moralität aus dem abstrakten Recht hervorgehen lässt.

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xion in sich“, d.h. aus dem abwägenden Beraten zwischen der Einzelnheit (Subjektivität) und dem Allgemeinen (Personsein) im Subjekt hervor. Mit dem subjektiven Willen ist die Rekonstruktion des „Daseins des Rechts“ nicht mehr auf die Präsenz in einer zufälligen Sache beschränkt, sondern weitet sich auf das Dasein im ganzen Umfang rekonstruierbarer Tatbestände aus. Die Handlungslehre des Abschnitts „Moralität“ veranschaulicht die Bedingungen, unten denen der subjektive „Vorsatz“, die „Absicht“ und das Streben nach „Wohl“ als Recht begriffen werden können. Dem Begründungsverfahren folgend muss Hegel die relevanten Handlungsmerkmale aus der Struktur des Willens herleiten. Dieses Dasein des Selbstseins setzt die Person als „unmittelbar in sich reflektiert“ voraus: Hier sind „Subjekte“ gefordert (Grundlinien, §113 Notizen, 377). Durch diese Neubestimmungen wird der Rechtsbegriff so erweitert, dass der Geltungsbereich des „Rechts“ nicht bei der bloßen Inanspruchnahme einer Sache als der Meinen bzw. der zufälligen Anerkennung eines gemeinsamen Willens endet. Hegel fordert vielmehr, dass der Rechtsbegriff auch die Verpflichtung zu bestimmten Handlungen verbindlich macht. „Recht“ muss deutlich machen, warum bestimmte Sachen in Besitz genommen werden sollen, warum bestimmte Handlungen verbindlich sind. Diese Klärung ist mit einem Rechtsbegriff, der die bloßen Legalitätsbedingungen von Besitznahme prüft, nicht zu leisten. Mit der Forderung, das Recht soll allgemeine, unabhängig vom wollenden Einzelwillen bestehende Verbindlichkeiten formulieren, wird eine inhaltliche Bestimmung notwendig, die über bloße Verbote hinausgehend Gebote formuliert. Die Einlösung des Anspruchs, mit dem Rechtsbegriff nicht bloße Verbote zu erfassen, sondern die Verpflichtung zu bestimmten Handlungen auszuweisen, fordert die Rekonstruktion des Daseins eines besonderen Willens, „der als besonderer subjectiver Wille das Allgemeine als solches wolle“ (Grundlinien, §103, 99; GW 14.1, 95f.). In dieser Willensgestalt ist das Dasein des Rechts an eine individuelle Zwecksetzung gebunden. Die beim Eigentum und Vertrag bestehende Zufälligkeit ist damit ebenso aufgehoben wie die Rache als bloß subjektive Vergeltung. Die durch den Tatbestand des Unrechts ausgelöste Forderung nach einem unabhängigen Richter ist einlösbar nur durch einen besonderen Willen, der „als besonderer (...) das Allgemeine als solches“ will, das heißt, für das Moralitätskapitel muss es darum gehen, einen bestimmten Inhalt als allgemein gültig und verbindlich auszuweisen. Hegel löst diese Aufgabe, indem er wiederum die Bedingungen dieses Willens- bzw. Rechtsbegriffs entwickelt. Auf der Seite des handelnden Subjekts sind die Bedingungen zu entwickeln, unter denen der zufällige willkürliche Rechtsinhalt Allgemeingültigkeit beanspruchen kann: Welche Erweiterungen sind am Rechtsbegriff vorzunehmen, damit nicht nur die willkürliche Besitznahme einer beliebigen Sache, deren Rechtsförmigkeit im „Abstrakten Recht“ im Rückgriff auf das abstrakte, inhaltslose Personsein ausgewiesen wurde, sondern darüber hinaus allgemein inhaltlich bestimmte Verbindlichkeiten begründet werden können?

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Um diese Aufgabe zu lösen, nimmt Hegel die Defizite des abstrakten Rechtsbegriffs auf und führt die gewonnene Konkretisierung der Besonderheit und Allgemeinheit des Willens fort. Diese Konkretisierung wird als „Selbstbestimmung der Subjektivität“ durchgeführt.

6.1 Moralischer Wille und Handlung Abgrenzend von der Tätigkeit der Person bestimmt Hegel die Handlung als „Aeußerung des Willens als subjectiven oder moralischen“ und fügt hinzu, „erst die Äußerung des moralischen Willens ist Handlung“ (Grundlinien, §113, 105; GW 14.1, 102). Mit dieser Formulierung macht Hegel deutlich, dass erst auf der Basis der Bestimmung der Person als Subjekt eine Bestimmung der Handlung möglich ist. Von „Handlung“ kann nur dort gesprochen werden, wo ein Geschehen auf der Basis der Unterscheidung zwischen individuellem Selbstseins, formaler Allgemeinheit und Dasein bzw. Objektivität rekonstruierbar wird. Erst diese Differenzierung erlaubt es, Tätigkeiten als Verwirklichung selbstgesetzter Zwecke zu begreifen. An diesen Zwecksetzungen unterscheidet Hegel drei mögliche Inhalte: Zum einen können die Äußerungen des Willens Vorsatz sein, das heißt die ausgeführte Handlung ist unmittelbares Dasein meiner Individualität, meines individuellen Selbstseins, „ihr Inhalt [ist] überhaupt der meinige“ (Grundlinien, §114, 105; GW 14.1, 103). Der Inhalt der so ausgeführten Handlung zeigt, „wie für mich dessen allgemeiner Charakter bestimmt ist“. Als Absicht ist die Handlung zweitens Ausdruck eines Wertes, sie steht für das, was für mich gilt. Der Inhalt der Handlung ist in diesem Fall mein besonderer Zweck, das von mir verfolgte Wohl. Gehorcht das Subjekt seinem Gewissen, so wird drittens nicht das besondere Wohl sondern das anerkannte Gute handlungsbestimmend. Die Handlung strebt hier nach der Verwirklichung des Guten (vgl. Grundlinien, §114). Indem Hegel „Vorsatz“, „Absicht“ und „Gewissen“ als subjektive Bestimmungsgründe des Handelns begreift, macht er – Kant folgend – die innere Handlung zum Zentrum der Handlungslehre. Allerdings ist, wie oben deutlich wurde, für die „Moralität“ die Perspektive des handelnden Subjekts nicht allein bestimmend, zum Subjekt tritt die „Objektivität“225 als der losgelöst vom subjektiven Willen bestehende Handlungszusammenhang. Hegel weist in den 225

Jermanns („Die Moralität“, 105) Hinweis, dass hier wesenslogische Kategorien wie Reflexion und Differenz bestimmend sind, ist zwar zutreffend, entscheidend ist aber der Status der wesenslogischen Kategorien für die realphilosophische Sphäre. Eine unmittelbare Übertragung der logischen Bestimmungen ist für Hegel ausgeschlossen, vielmehr ist die Differenz zwischen reiner Denkbestimmung und realphilosophischer Bestimmung für die Konzeption der Geistesphilosophie konstitutiv.

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Titelüberschriften auf diesen Doppelaspekt der Handlung hin. Zum „Vorsatz“ tritt die „Schuld“, zur „Absicht“ das „Wohl“, zum „Gewissen“ das „Gute“. Diese Rekonstruktion der objektiven Dimension der Handlung geht zurück auf die Differenz zwischen besonderem und allgemeinem Willen. Für die subjektive Seite tritt ein „Sollen“ ein, da jede Handlung als Äußerung des subjektiven Willens in einem allgemeinen „Normhorizont“ (Derbolav) steht. Dieser Normhorizont ist auf der subjektiven Seite der Handlung durch das Personsein des Subjekts vertreten (vgl. Grundlinien, §108) Die unterschiedliche Präsenz dieses Allgemeinen im Bewusstsein der handelnden Subjektivität reflektieren die drei Stufen der „Moralität“: Vorsatz, Absicht und Gewissen. Der handelnde Wille will in seiner Tat nur das als seine Handlung anerkennen, nur an dem Schuld haben, was er „in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag“– dies ist das „Recht des Wissens“ (Grundlinien, §117, 107; GW 14.1, 105). Die Forderung nach einem Ausgleich für das an mir begangene Unrecht hatte im „Abstrakten Recht“ die Notwendigkeit nicht nur allgemeiner Prinzipien sondern auch einer inhaltlichen Bestimmung deutlich gemacht. Die Verwirklichung dieser Bedingungen blieb aber im Rahmen des „Abstrakten Rechts“ an den subjektiven Einzelwillen gebunden. Hegel hat am Verbrechen zwar die Notwendigkeit einer strafenden Gerechtigkeit aufgezeigt, im Rahmen der Bestimmungen des abstrakten Rechts war es allerdings nicht möglich, das Dasein dieser Allgemeinheit in einer von der Sache losgelösten Wirklichkeit zu rekonstruieren. Die konstitutiven Prinzipien „Person“ und „Sache“ müssen als Subjekt und Handlung fortbestimmt werden. Nur auf dieser Grundlage kann die Analyse der gerichtlichen Handlung zeigen, wie die strafende Gerechtigkeit trotz des Vollzugs durch einen einzelnen Willen allgemeine Geltung und Verbindlichkeit besitzt. Die Rekonstruktion des Rechts im Abschnitt „Moralität“ basiert auf Fortbestimmungen im Begriff der Person bzw. der Sache, die eine Bestimmung der konstitutiven Prinzipien des Daseins des (moralischen) Rechts ermöglichen. Von den im „Abstrakten Recht“ genannten Formen der Besitznahme, die Bearbeitung des Bodens, die Hegung der Tiere, das Herstellen von Gegenständen, die Aneignung von Fertigkeiten und Wissen, geht allein der quantitativ bestimmte Werte in die Rechtsformen „Eigentum“ und „Vertrag“ ein. Dieser Wert ermöglicht die „Veräußerung“ bzw. den „Erwerb“ einer Sache in einer rechtsförmigen Handlung. Hegels Rekonstruktion macht allerdings auch deutlich, dass diese Rechtsförmigkeit die Anerkennung eines „Geistigen“, das nicht selbst wiederum veräußerbar ist, zur Voraussetzung hat: das Recht als Recht. Das Recht als Recht ist das die abstrakten Rechtsformen bedingende Prinzip, wie die Wirklichkeit dieses Prinzips zu konstitutieren ist, bleibt für das „Abstrakte Recht“ unklar. Lediglich die Besitznahme konnte als Vergegenständlichung des Personseins in Sachen präzisiert werden: Die freie Verfügung der Person über Sachen hat die Anerkennung eines neben dem Personsein geltenden „Nicht-Sachlichen“ zur Voraussetzung hat. Der das abstrakte

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Recht ermöglichende Rechtsbegriff kann nicht – ohne in einen Regress zu geraten – selbst Sache und damit Objekt einer quantifizierenden Wertschätzung durch die Person sein. Auf der Objektseite ist für die Sache im Übergang zur Moralität eine ‚Gegenständlichkeit‘ erschlossen, die die Reduktion auf das Quantifizierbare, die jeder Sachbeziehung eigen ist, ausblendet. Wie Hegel die Bedingungen dieser Gegenständlichkeit im Rahmen seiner Handlungslehre entwickelt, ist nachfolgend zu zeigen. Es gehört zu den Wesensmerkmalen der Handlung, dass beim Vollzug der Tat Bewusstheit und Freiwilligkeit vorliegen. Für Aristoteles bilden daher Charakter und sittliche Einsicht die Grundlagen sittlichen Handelns. Hegel knüpft insbesondere an das Moment der „sittlichen Einsicht“ an, wenn für ihn die Zurechenbarkeit einer Tat den moralisch freien Willen zur Voraussetzung hat. Der freie Wille ist aber auf diese Weise nicht nur „Ursprung“ der Handlung, diesem freien Willen kommen auch Rechte zu, etwa das Recht, an der Äußerlichkeit der Handlung nur das anzuerkennen, was in seinem Vorsatz lag. In der Anerkennung dieses Rechts liegt für Hegel der entscheidende Unterschied zwischen modernem und antikem Bewusstsein. Nur die Moderne anerkennt diese Forderung des Subjekts als ein Recht, für die antike Sittlichkeit untersteht das Subjekt dagegen seinem von den Göttern gegebenen Schicksal. Als Recht ist die Handlung des Subjekts nicht ausschließlich rein innerer Vollzug des Willens: Die auf der Basis des Personenbegriffs entwickelte Konzeption des Subjekts verdeutlicht auch hier die Allgemeinheit aller Tätigkeiten. Gegen die subjektive Willkür tritt einmal der äußere Handlungszusammenhang als Schuld und Wohl bzw. das Gute auf als Formen der formellen Allgemeinheit des abstrakten Rechts. Die Analyse des Rechtsbegriffs darf sich daher nicht auf die reine ‚Gesinnungsperspektive‘ beschränken, vielmehr muss die Differenz zwischen dem, was der Handelnde anstrebt, und dem Resultat, die durch die Tat bewirkte Veränderung, mitreflektiert werden. Dabei sind nicht alle Veränderungen als Konsequenz dem angestrebten Zweck zuzurechnen. Hegel verweist vielmehr darauf, dass „die Tat (...) nur als Schuld des Willens zugerechnet werden“ kann. Nur jene Folgen, die in seinem Vorsatz lagen, nicht aber die entfernteren fremden Folgen können dem Willen zugerechnet werden (Grundlinien, §118). Gleichwohl gehören zur Handlung auch jene Folgen, die nicht unmittelbar im Vorsatz des Handelnden lagen. „Handeln heißt daher nach dieser Seite, sich diesem Gesetze preisgeben“. Hegel entwickelt den Zusammenhang zwischen Absicht und Resultat an dem Gegensatz „Einzelnes – Allgemeines“. Im „Vorsatz“ behauptet der Handelnde nur ein Einzelnes und schließt all jene Folgen, die nicht im Vorsatz enthalten waren, aus. Ich weise die Handlung „als ein Allgemeines von mir“. Im „Vorsatz“ liegt somit gerade die Umkehrung der Situation der Besitznahme vor. Dort behauptet die Person sich als ein Allgemeines und subsumiert ein Einzelnes unter diese Allgemeinheit. Beim Vorsatz, bei der bloßen Behauptung eines Einzelnen, kann aber der Mensch als denkendes Wesen nicht stehen bleiben, vielmehr muss er an seinem Vorsatz „jene allgemeine Seite – die Ab-

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sicht“, den allgemeinen Inhalt anerkennen. Der Handlung kommt ein qualifizierendes Prädikat zu: Sie ist Brandstiftung, Tötung etc. (vgl. Grundlinien, §119). Erst die „Absicht“ reflektiert den Inhalt der Tat, in dem sie das Allgemeine als notwendige Seite der Einzelnheit anerkennt und als Zweck der Handlung aufnimmt.226 Der Blick auf die Folgen einer Handlung lässt am „Vorsatz“ den allgemeinen Charakter hervortreten.227 Gegenüber dem „Vorsatz“ benennt die „Absicht“ die allgemeine Qualität des Vorsatzes. Das absichtsvolle Geschehen vermittelt zwischen der angestrebten subjektiven Befriedigung und dem Wissen um den qualitativen Charakter der Handlung. Im Wissen um den qualitativen Charakter erfährt das Subjekt eine Befriedigung, denn dieses Wissen „ist die Seele der Handlung, das Allgemeine, das Ich will“ (Grundlinien, §§119/120 Notizen, 385ff.). Dabei ist der für den „Vorsatz“ handlungsbestimmende natürliche Inhalt keineswegs aus einer sittlichen Willensbestimmung auszuschließen, ersterer ist vielmehr Mittel der letzteren. Allein am natürlichen Inhalt kann das allgemeine Moment der Handlung vergegenwärtigt werden. Allerdings darf der Inhalt einer Handlung aber auch nicht auf diese subjektive Befriedigung, die eine Handlung bereitet, reduziert werden. Diese Reduktion entspricht vielmehr der Sichtweise des „Kammerdieners“ (vgl. Grundlinien, §124).228 An den Gesichtspunkten „Absicht“ und „Zweck“ macht Hegel zunächst deutlich, dass für den Vollzug einer Handlung das Interesse an einem bestimmten Zweck, einem konkreten Inhalt konstitutiv ist. Neigung und Bedürf226

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Hegel weist in diesem Zusammenhang auf die „Erfindung des dolus indirectus“ hin, der nicht nur bei der erfolgten Handlung, sondern bereits beim bösen Vorsatz schuldhaftes Vorgehen anklagt. Für Larenz ist diese Berücksichtigung der Gefährdungshaftung bei Hegel gegenüber Fichte ein Fortschritt. Larenz rechnet Hegel das Verdienst einer rechtsgeschichtlichen Prolepse zu, indem erst nach dem Erscheinen der Grundlinien der Begriff der Gefährdungshaftung in die Jurisprudenz eingeführt wurde. Hegel selbst allerdings verweist für diesen Zusammenhang auf frühere Quellen. Vgl. K. Larenz: Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung. Leipzig 1927, 56. Wenn Hegel in der dritten Auflage der Enzyklopädie dem ersten Abschnitt des Moralitätskapitels nur den Titel „Der Vorsatz“ gab, so ist dies eher als Nachlässigkeit zu bewerten denn als Hinweis auf die Einsicht, dass der Charakter der juristischen Schuldfähigkeit erst mit der Einsicht in die Allgemeinheit des Vorsatzes vorliegt, somit von Schuld nur im Kontext der Absicht gesprochen werden kann, wie Jermann annimmt. „Schuld“, dies machen auch Hegels Notizen deutlich, ist vielmehr der „Motor“, der über das Festhalten am unmittelbaren Vorsatz des Handelnden hinausführt und die Reflexion über die allgemeinen Gesichtspunkte in Gang bringt. „Schuld“ ist hier nicht im engeren juristischen Sinn zu verstehen, sondern im allgemeinen Sinn von Schuldigsein. Diesem Verständnis fügt sich auch Hegels Hinweis auf das antike Handlungsverständnis. Vgl. Jermann: „Die Moralität“, 107. Der Wert der „Subjektivität des Wollens“ lässt sich für Hegel nicht ausgehend vom jeweils Gewollten oder Gewünschten bestimmen: „Was das Subjekt ist, ist die Reihe seiner Handlungen. Sind diese eine Reihe werthloser Productionen, so ist die Subjectivität des Wollens eben so eine werthlose“ (Grundlinien, §124, 112; GW 14.1 110). ‚Wert‘ bestimmt Hegel hier als den „Charakter der Handlung, nach seinem inneren Zweck, die geistige Wirklichkeit, dessen Grundsatz“ (Grundlinien, §124 Notizen, 391).

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nis dürfen bei der Bestimmung des moralischen Willens nicht ausgeschlossen werden. Es ist das eigene „Wohl“, die eigene „Glückseligkeit“, die das Subjekt einen besonderen Inhalt ergreifen lassen (vgl. Grundlinien, §123).229 Die besonderen Inhalte sind allerdings hier reflexiv gegeben, das heißt sie werden im Horizont der schon bestehenden Allgemeinheit thematisiert. Diese reflexive Allgemeinheit macht „das Bestimmtere des moralischen Bodens“ (Grundlinien, §116 Notizen, 384) aus. Hegels Analyse des vorsätzlichen Tuns rekonstruiert vor allem den Mittelcharakter dieses Tuns, das eine Absicht, d.h. die Verfolgung eines Zwecks zur Voraussetzung hat. Erst dann, wenn die Absicht der Handlung klar vor Augen liegt, kann der Erfolg bzw. Misserfolg des vorsätzlichen Handelns beurteilt werden. Erst in der Zweckbestimmung der Absicht konkretisiert sich die „Bestimmtheit“, die die Person durch die Besitznahme anstrebt. Als zwecksetztendes Subjekt erlangt die Person jene „Bestimmtheit“, die in der vorgefundenen zufälligen Sache unerreicht blieb. In der absichtsvollen Zwecksetzung wird diese Bestimmtheit vom Subjekt an der Sache selbst hervorgebracht. Das mit dieser Bestimmung verfolgte Wohl ist nicht mehr über die negative Freiheit der Person als Befugnis oder Erlaubnis zu erfassen. Vielmehr tritt der im Wohl gesetzte Zweck als eine „Nötigung“ bzw. als „Pflicht“ auf, die im Wissen gründet. Indem ich um den allgemeinen Zweck (Brandstiftung) meines besonderen Vorsatzes (ein brennendes Streichholz an ein Stück Holz zu halten) weiß, bejahe ich diesen allgemeinen Zweck. Meine Handlung kann daher an diesem Zweck gemessen werden, und ich kann für den Erfolg bzw. Misserfolg zur Rechenschaft gezogen und für die Konsequenzen verantwortlich gemacht werden. Die „Handlung“ enthält in der „Absicht“ die Subjektivität als „Besonderheit“, sie ist „subjective Freyheit“ (Grundlinien, §121, 110; GW 14.1, 108). Die Handlung hat subjektiven Wert, Interesse für mich, ist Verfolgung eines Zwecks. „Die Zwecke der Endlichkeit“, die Bedürfnisse, Neigungen und Leidenschaften machen die Bestimmtheit der Subjektivität aus. Die Befriedigung des Inhalts wird als „das Wohl“ oder die eigene „Glückseligkeit“ verfolgt. Darüber hinaus werden diese Inhalte des natürlichen Willens, da sie dem reflektierenden Willen angehören, zu „allgemeinen Zwecken des Wohls oder der Glückseligkeit erhoben. Damit verbunden ist der Anspruch auf allgemeine Geltung, dieses Wohl soll allgemein verbindlich sein. Als in sich reflektierter Inhalt ist das Wohl des besonderen Subjekts gesetzt als „das Wohl auch anderer, das Wohl aller“. 230

229

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Hegel verweist hier auf jene Bestimmung, die er in der Philosophie des Geistes in der Analyse des subjektiven Geistes als Zwecke des denkenden Willens entwickelte. Vgl. Enzyklopädie, §478, 395ff; Encyclopädie §395f., 226. Hegel verdeutlicht diese Form der Zwecksetzung am Beispiel des Krösus. Vgl. Philosophie der Weltgeschichte, 368ff.

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Diese Allgemeinheit bleibt allerdings „gänzlich leer“231, denn die Allgemeinheit entspricht der abstrakten Allgemeinheit der Person als formeller Gleichheit. Der Standpunkt der „Moralität“ zeigt zwar, wie das Subjekt zu einer qualitativen Bestimmung des Werts einer Sache gelangt. Auch kann der Wert als innere Zwecksetzung, als geistige Wirklichkeit durch die Entwicklung des Personseins zum wertsetzenden Subjekt rekonstruktiv erschlossen werden. Die Bestimmung der Allgemeinheit entspricht aber hier noch der formellen Gleichheit, die in dem Anspruch, mein Wohl sei das Wohl aller, zum Ausdruck kommt. Die in der absichtsvollen Handlung gesetzte „Allgemeinheit“ bleibt rein formal, sie geht über die durch das „Abstrakte Recht“ gesetzte formale Allgemeinheit (gültig für alle Personen) und Gleichheit (dieser Personen) nicht hinaus. Diese Allgemeinheit und Gleichheit charakterisiert Hegel als „leere Allgemeinheit“. Dies wirft die Frage auf, inwiefern der Standpunkt der „Moralität“ nicht nur eine Differenzierung von „Person“ und „Sache“ zur Voraussetzung hat, sondern auch eine Präzisierung der im Recht behaupteten „Allgemeinheit“ fordert. Hegel erarbeitet diese Frage am Konfliktfall zwischen dem Recht der Person und dem Recht der Besonderheit, die gegen das formale Recht auf der Bewahrung des Lebens besteht. Diese Auseinandersetzung mit dem Notrecht führt zu einer Neubestimmung der „Allgemeinheit“ des Rechts.

231

So die Notiz zu §125 (Grundlinien, 391). Dem hier angestrebten Wohl entspricht „ein ganz ruhiges, gleichsam bürgerliches Verhältnis (...) eine unbestimmte, hohle Reflexion, die eine ‚eigne Langeweile‘ hat“.

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6.2 Recht und Leben Das Notrecht rekonstruiert Hegel als einen Konflikt zwischen dem Recht des Subjekts auf Verwirklichung seines besonderen Wohls und dem abstrakten Recht. Gegen das Recht des Subjekts auf individuelle Zwecksetzung tritt im Konfliktfall das abstrakt formale Recht limitierend auf: Ist eine Handlung im abstrakten Sinn unrechtlich, so ist sie auch durch den Verweis auf das Recht des Subjekts nicht zu rechtfertigen. Denn das subjektive Recht auf das eigene Wohl geht auf die formelle Allgemeinheit des Abstrakten Rechts zurück. Wird das Abstrakte Recht zugunsten des subjektiven Rechts außer Geltung gesetzt, so wird dem subjektiven Recht die Geltungsbasis entzogen. Erst auf der Basis des Personseins kann es zur Bestimmung der Individuen als Subjekte kommen. Im Notrecht konfligiert das „Leben“ als „Besonderheit dem Inhalte nach“ mit dem „Wohl“ als Reflexions-Allgemeinheit. In diesem Widerstreit beansprucht die Besonderheit in der einfachen Totalität als „Leben“ gegenüber dem abstrakten Recht der Reflexionsallgemeinheit (etwa auf Eigentum) einen Vorrang. Dieser wird im Allgemeinen auch eingeräumt, denn das Leben beansprucht „ein wahrhaftes Recht gegen das formelle Recht“ (Grundlinien, §127). Hegel prüft die hier konfligierenden Rechtsansprüche und fragt nach der Berechtigung der hier erhobenen Ansprüche: Ist mit dem Notrecht ein Inhalt (das Leben) gegeben, der einen gegenüber Subjekt und Person anderen Legitimationsgrund in Anspruch nimmt? Kant diskutiert das Notrecht als ein Problem, in dem es vorrangig um die Frage geht, ob das Recht oder die Moral höherrangig ist. Kant löst das Problem durch die Unterscheidung zweier Ebenen, der Anwendungs- und der Begründungsebene. Auf der Begründungsebene ist die Moralität vorrangig, während das Recht bei der Anwendung Vorrang hat. In der Einleitung zur Metaphysik der Sitten hat Kant mit Blick auf die Geltungsbedingungen des Rechts deutlich gemacht: „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralischen Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann“ (MdS, AB 48). Damit ist für Kant die Verbindlichkeit des Rechts nicht ohne die Inanspruchnahme jener Freiheit, die aus dem moralischen Imperativ hervorgeht, zu begründen. Gleichwohl erfolgt der Zwang, der eine Handlung bzw. eine Unterlassung einfordert, ausschließlich unter Berufung auf das Recht. 232 232

Für den Neukantianismus blieb diese Problematik, hierauf hat W. Kersting verwiesen, insofern ohne Konsequenzen, als die „neukantianischen Präokkupationen (...) die Eigenart der moralphilosophischen Begründungsart“ gar nicht in den Blick brachten (Kersting: Wohlgeordnete Freiheit, 137). Julius Ebbinghaus („Kants Rechtslehre“) etwa hat für eine gänzlich

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Geradezu eine Umkehrung der Kantischen Begründung vollzieht Hegel zu Beginn des Moralitätskapitels, wenn er erklärt, dass die im abstrakten Recht entwickelten Strukturen in der Sphäre der Moralität „vorausgesetzt“ seien. Dies kann heißen, dass die Strukturen des moralischen Handelns nur dort expliziert werden können, wo die Geltungsstrukturen des „abstrakten Rechts“ bereits entwickelt sind, d.h. der Personenbegriff zur Verfügung steht. In diesem Sinn erläutert Hegel die Anwendungsbedingungen beider Rechte in Paragraph 124: ein moralisches Wesen, d.h. ein Wesen, das Recht auf Besonderheit hat, bin ich nur, „insofern ich ein Freies bin“. Aus dieser Geltungsabhängigkeit folgt die Einschränkung der Anwendung des moralischen Handelns auf die vom Recht vorgegebenen Normen. Für die Klärung der Problematik des Notrechts genügt allerdings der Rückgang auf das formale Recht nicht. Der im Notstand auftretende Konflikt ist nicht im Rückgang auf die Reflexionsallgemeinheit zu lösen. Vielmehr verweist der Notstand auf die eingeschränkte Gültigkeit des allgemein-formalen Rechts gegenüber einem „höheren Recht“, dem Leben. Kants Rechtsbegriff verbietet es, vom Notrecht bzw. dem Notstand als einem Rechtszustand zu sprechen. Für Kant liegt hier ein Zustand im „rechtsleeren Raum“ vor, insofern das Recht hier weder die Bedingungen der Vereinbarkeit der verschiedenen Willensbestimmungen zu benennen noch mittels Zwangsberechtigung diese Einigung herbei zu führen vermag. Der Notstand formuliert auch keinen Entschuldigungsgrund, der eine Unsträflichkeit der Notstandshandlung begründet. Vielmehr muss der Notstand für Kant als eine Situation, in der die zentrale Befugnis des Rechts zu zwingen nicht zum Tragen kommt, gefasst werden. Hier zwingt die Not, so dass für den Zwang des Gesetzes kein Raum mehr ist.233 Für Hegel veranschaulicht der Notstand dagegen ein Recht, das Recht auf Leben. Mit dem „Leben“ führt Hegel an dieser Stelle ein Rechtsgut ein, das nicht wie das formale Recht aus der Abstraktion von aller Besonderheit hervorgeht, sondern als Recht ein Ganzes behauptet und vertritt. Leben ist „die

233

von der Moralphilosophie und ihrer Lehre von der sittlichen Autonomie unabhängige Stellung der Kantischen Rechtslehre votiert. Für die Begründung des Rechts ist der in der Kritik der reinen Vernunft entwickelte Freiheitsbegriff vollständig zureichend. Zu den gewichtigsten Argumenten gegen die Unabhängigkeitsthese gehören Kants Aussagen über den Grund des Rechts zu dem moralische Freiheit, Verbindlichkeit und Personalität. Kant diskutiert das Notrecht am Beispiel des mütterlichen Kindsmords: „Da die Gesetzgebung die Schmach einer unehelichen Geburt nicht wegnehmen [kann], so scheint es, daß Menschen in diesen Fällen sich im Naturzustande befinden und Tötung (homicidium), die alsdann nicht einmal Mord (...) heißen müßte, (...) zwar allerdings strafbar sei, von der obersten Macht aber mit dem Tode nicht könne bestraft werden. Das unehelich auf die Welt gekommene Kind ist außer dem Gesetz (denn das heißt Ehe), mithin auch außer dem Schutz desselben, geboren. Es ist in das gemeine Wesen gleichsam eingeschlichen (wie verbotene Ware), so daß dieses seine Existenz (weil es billig auf diese Art nicht hätte existieren sollen), mithin auch seine Vernichtung ignorieren kann, und die Schande der Mutter, wenn ihre uneheliche Niederkunft bekannt wird, kann keine Verordnung heben“ (MdS, A 204).

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Besonderheit dem Inhalte nach in ihrer Totalität“. Aus dieser Totalität lässt sich der Anspruch, gegenüber dem partiellen Gesichtspunkt des abstrakten Rechts ein „höheres Recht“ zu sein, nur dann begründen, wenn gezeigt werden kann, wie das formelle allgemeine Recht der Person als Abstraktion aus der Totalität hervorgeht und daher von dieser abhängig ist. Hegel besteht daher darauf, dass das Notrecht nicht auf das Wohl als Reflexions-Allgemeinheit rückführbar ist, sondern die Gültigkeit des allgemeinen formalen Rechts einschränkt im Namen einer „höheren Allgemeinheit“.234 Dies bedeutet, dass zur Erhaltung eines höheren Gutes die Einschränkung des formal allgemeinen Rechts in Kauf genommen werden muss. Einschränkend ist das „Recht auf Leben“ nicht nur gegenüber dem abstrakten Recht, auch eine Einschränkung des Wohls darf im Falle der Not billigend in Kauf genommen werden. Insofern spricht Hegel von der „Heiligkeit der Not“, da sie das formale Recht auf Sachen wie das Recht auf Wohl als kontingent erscheinen lässt. Der hier für das Leben in Anspruch genommene Rechtsbegriff erscheint allerdings problematisch235. Wird mit dem „Recht des Lebens“ nicht der Willensbegriff als Rekonstruktionsprinzip der Rechtsformen preisgegeben? Lässt sich „Leben“ als Inhalt selbstbestimmten Handelns fassen oder ist hier nicht mit Kant davon auszugehen, dass die Situation der Not gerade dadurch bestimmt ist, dass hier allein die Natur bestimmt, ein selbstbestimmtes und verantwortbares Handeln hier gerade nicht möglich ist? Gegen diese Einwände muss Hegel deutlich machen, dass seine Deutung des Lebens als „höheres Recht“ keineswegs ein Verlassen des Rechtsstandpunktes bedeutet. Seine Konzeption der Notsituation muss so gefasst sein, dass Leben als Zweck selbstbestimmten Handelns rekonstruierbar wird. Hegels Argument vom „Recht des Lebens“ muss somit auf der Basis der Willensstruktur expliziert und damit als Recht ausgewiesen werden.

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Mit dieser Konzeption des Notrechts greift Hegel zwar auf frühere (auf Grotius und Pufendorf zurückgehende) Konzeptionen zurück, er hält aber auch an der Kantischen – gegen Hobbes gewendeten – Deutung des Notrechts fest, wenn er der „Not“ eine den Geltungsbereich des abstrakten Rechts (Strafbarkeit) einschränkende Bedeutung zumisst, sie aber zur Grundlage eines Rechtsgesetzes erklärt. Für Kant ist die aus Not begangene Straftat nicht „unsträflich“ (inculpabile) wohl aber „unstrafbar“ (inpunibile). Vgl. MdS; zur Notstandslehre allgemein vgl. K. Lichtblau: „Notstand“. In: Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch. Bd. 6, Sp. 940-946; zu Hegel P. Bokelmann: Hegels Notstands-Lehre. Berlin / Leipzig 1935. Jermanns Kritik an Hegels Formulierung in Paragraph 127 verweist auf die Problematik des zugrundeliegenden Rechtsbegriffs. „Die Pointe des Paragraphen 127 ist gerade darin zu sehen, daß das Notstandsproblem als eine rechtsimmanente Angelegenheit interpretiert werden muß, also gerade nicht (...) die Endlichkeit des Rechts zeigt, sondern allenfalls die Endlichkeit eines bedingten gegenüber einem unbedingten Rechtsgut“ (Jermann: „Die Moralität“, 114). Hegels Formulierung „Endlichkeit des Rechts“ bezieht sich hier, wie die Notiz zu diesem Paragraphen verdeutlicht, auf das formelle Recht. In der Not zeigt sich, dass auch das Leben ein wahrhaftes Recht gegen das formelle Recht hat. Keineswegs wird mit dem Notrecht ein rechtsfreier Raum postuliert, sondern das unbedingte Gut „Leben“ gegen die abstrakten Rechte der Person ins Spiel gebracht.

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Erst für den Standpunkt der „Moralität“ wird das Leben „als die reale Seite der Persönlichkeit“ als Zweck, als ein Gut thematisierbar. Für das abstrakte oder formelle Recht war die Veräußerung des Lebens insofern verboten, als Leben Bedingung für das Personsein ist (Grundlinien, §70, 78). Im Rahmen des „Abstrakten Rechts“ konnte das Leben aber nicht als ein höheres Recht gegenüber dem Recht auf Eigentum ausgewiesen werden. Erst die zwecksetzende Perspektive des Subjekts vermag die höhere Rechtsstellung des Lebens zu verdeutlichen. Das Wohl liegt aber nicht in „Einer Sache“, vielmehr wird in „einem Umstande, einem Moment“ das Leben als das höhere Wohl für das Subjekt fassbar.236 In der Notsituation stößt die auf ihr Wohl ausgehende Besonderheit auf das Leben als grundlegendes Gut, das die reale Allgemeinheit und Totalität der Besonderheit umfasst.237 Der Rechtscharakter dieses Guts muss daher verdeutlicht werden.

6.2.1 Stellung und Funktion des Lebensbegriffs Mit dem Begriff des „Lebens“ greift Hegel auf einen zentralen Begriff der Phänomenologie und der Begriffslogik zurück.238 Im dritten Abschnitt der Logik wird „Leben“ unter dem Titel „Die Idee“ auf gleicher Stufe mit der Idee des Erkennens behandelt. Mit der Reflexionsebene der „Idee“ verfügt die Logik nach „Subjektivität“ und „Objektivität“ über jene Instrumente, die eine Darstellung des Wahren als Wirkliches erlaubt. Diese erkenntnistheoretische Verortung stellt „Leben“ als Kategorie neben das Erkennen: „Leben“ steht hier für die Erkennbarkeit des Wahren in einer wirklicher Gestalt, d.h. „Leben“ ist jene Kategorie, die das Wahre als wirkliche Gestalt zu erfassen ermöglicht. Mit diesem Lebensbegriff vollzieht Hegel eine Umdeutung des früheren in der Phänomenologie im Kontext der „Beobachtenden Vernunft“ entwickelten Lebensbegriffs. In dieser Gestalt findet die Natur sich selbst und wird Selbstbewusstsein: Leben steht für die Fähigkeit „sich auf eine solche 236

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Vgl. die Ausführungen zu den höheren Zwecken, die dem „Leben“ gegenübergestellt werden, Ehre, Tapferkeit etc. (Grundlinien, §71 Notizen, 80). Hegel beschränkt die Anwendung des Notstands auf die ihr Handeln bestimmende Besonderheit und macht deutlich, dass der Notstand eine individuell erfahrbare Bedrohung ist, eine Ausweitung dieses Rechts auf die Situation eines Volkes scheint problematisch. Insofern allerdings dieses Individualleben in einem Ganzen stattfindet, kann auch die Not einem Ganzen bedrohlich werden und alle individuellen Absichten und Interessen vernichten. Konsequenzen hat dies hier wiederum nur für das Handeln und Wollen der Subjektivität, sie hat ihr Wohl und ihre Absicht in den Zusammenhang dieses Ganzen hineinzustellen. 1816 war der zweite und letzte Band der Wissenschaft der Logik mit vierjähriger Verspätung erschienen. Der unausgewogene Aufbau und die fehlende Geschlossenheit dieses Bandes verweisen auf Schwierigkeiten, mit denen Hegel nicht fertig geworden zu sein scheint. Die zeitliche Nähe zur Ausarbeitung der ersten Heidelberger Rechtsphilosophievorlesung macht es wahrscheinlich, dass diese Schwierigkeiten in die Konzeption der Rechtsphilosophie ausstrahlen.

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Weise von sich zu unterscheiden, worin zugleich kein Unterschied herauskömmt“ (Phänomenologie, 176). Fragt man nach den Unterschieden zwischen diesen beiden Lebensbegriffen, so ist insbesondere die Thematisierungshinsicht abweichend. Während die Logik von einem Außenstandpunkt her, die Kategorie des „Lebens“ entwickelt, wird der Lebensbegriff der Phänomenologie als Selbstfindung des Bewusstseins aus dem werdenden Bewusstsein entwickelt. Für diesen ‚Innenstandpunkt‘ gibt es kein Gegenüber des Lebens. Beide Konzeptionen des „Lebens“ haben in der Entwicklung des Hegelschen Denkens ihren Ort – ob und wie die beiden Konzepte systematisch zu vereinigen sind und inwieweit Hegel in der Rechtsphilosophie eine Integration beider Ansätze Hegel gelungen ist, ist zu zeigen.239 Im Konfliktfall des Notrechts zeigt sich für Hegel eine Überordnung des höheren Rechts des Lebens gegenüber dem abstrakten Recht. Die Notsituation verweist auf jene Ganzheit, die bedingend auch das abstrakte Recht ermöglicht. Vor dem Hintergrund der Lebensbegriffe aus Logik und Phänomenologie stellt sich die Frage, welchen Begriff des Lebens Hegel hier in Anspruch nimmt, um den Rechtscharakter des Lebens auszuweisen. Die Notsituation soll die Grenzen des Geltungsbereichs des abstrakten Rechts aufweisen, daher muss Hegels Darstellung „Leben“ als eine erste unmittelbare Gestalt der Einheit von Begriff und Realität ausweisen. Die bisher gewonnenen Rechtsbestimmungen sind Abstraktionen, die aus geschichtlichen Rechtsbegriffen gewonnen wurden: „Eigentum“, „Vertrag“ und „Strafe“ sollen die Lösung bestimmter Konflikte ermöglichen. Diese Konfliktlösungskompetenz gerät in der Situation des Notstandes an ihre Grenzen. Die gewonnenen Rechtsbestimmungen können nur dann in der Wirklichkeit Geltung besitzen, wenn sie diese Wirklichkeit selbst reflektieren, die eigene Verwurzelung in dieser Wirklichkeit anerkennen und den eigenen Geltungsanspruch im Horizont dieser Wurzeln bestimmen. Hegels Rekonstruktion des moralischen Willens expliziert Leben als Erfahrung des handelnden Subjekts: „Leben“ als die Totalität möglicher Zwecke konfligiert mit dem abstrakten Rechtsbegriff. Die Reflexion auf diese „Erfahrung“ soll den Inhalt dieser Erfahrung nicht nur als „Recht“ ausweisen, sondern eine mögliche Lösung dieses Konflikts erarbeiten. In der Notsituation wird „Leben“ als Totalität der Besonderheit des Selbst erfahren. In dieser Erfahrung wird die ‚Höherstellung‘ dieser Ganzheit behauptet. Für die Philosophie des Rechts ergibt sich hieraus die Aufgabe, diese Totalität – und hier kommt der logische Lebensbegriff zum Tragen – als wirkliches Recht zu rekonstruieren. Indem das Subjekt diesen Inhalt für sich ergreift, ist Leben nicht mehr bloße Natur, die hinzunehmen ist, sondern wird Gegenstand selbstbestimmter Zwecksetzung, gestalteter Freiheit. Die erfahre239

Vgl. zu den „Fehlstellen in Hegels Logik der Subjektivität“ O. Pöggeler: „Phénoménologie et logique selon Hegel“. In: J.-L. Marian / G. Planty-Bonjour (Hg.), Phénoménologie et Metaphysique. Paris 1984, 17-36. Für die Nürnberger Zeit spricht Pöggeler von einem „Ringen um abschließende Lösungen“.

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ne Totalität muss als Recht, d.h. als Dasein der Freiheit, ausgewiesen werden. In der Notsituation wird „Leben“ als höheres Recht, das Wirklichkeit besitzt, behauptet. Die Präsenz dieses höheren Rechts rekonstruiert Hegel auf zwei Ebenen. Im Subjekt ist dieses höhere Recht als „Gewissen“ präsent. Neben der im Subjekt wirksamen Ganzheit ist aber zugleich – und hier wirkt der logische Lebensbegriff fort - eine Wirklichkeit gesetzt, die unabhängig von der subjektiven Zwecksetzung Geltung beansprucht. Mit dem „Gewissen“ kehrt Hegels Rekonstruktion „möglicher Rechtsformen“ zum Ausgangspunkt zurück: Mit dem Begriff des Gewissens ist im Willensbegriff jene Ganzheit erreicht, von der her die Abstraktion des formalen Rechts möglich wurde. „Leben“ als „die Besonderheit dem Inhalte nach in ihrer Totalität“ wird im „Gewissen“ zum Inhalt der selbstbestimmten Handlung des Subjekts. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Bestimmung des Besonderen als Person als nur eine hier mögliche partielle Zwecksetzung. Mit dem höheren Recht des Lebens beansprucht der moralische Wille ein Recht, das zwar die „Besonderheit dem Inhalte nach in ihrer Totalität“ erfasst, für das aber die für das abstrakte Recht konstitutive Allgemeinheit und Gleichheit preisgegeben scheint. Inwiefern ist Hegel hier berechtigt von einem „höheren Recht“ zu sprechen, wo doch einleitend zum Abschnitt „Moralität“ die Abhängigkeit des moralischen Standpunkts vom Standpunkt des abstrakten Rechts betont worden war? Für die Klärung dieses Problems muss der Kontext berücksichtigt werden, in dem Hegel „Leben“ als Recht bestimmt. In der Überleitung zum dritten Kapitel hebt Hegel zunächst die Gleichrangigkeit beider Rechte hervor, ohne eine höhere Berechtigung für das Leben zu fordern. Einleitend zum dritten Kapitel verweist Hegel dann aber auf die höhere Berechtigung des Lebens. Für die Klärung dieser Neugewichtung ist der Zusammenhang zwischen dem Guten als Recht und dem Leben als Recht zu beachten. Hegel bestimmt im Abschnitt „Moralität“ das Wohl ausgehend vom Dasein des einzelnen besonderen Willens: Soll dieses Wohl mit der Allgemeinheit des Rechts zusammen bestehen, so muss es allgemein werden, dazu bedarf es der Rechtsförmigkeit: „das Wohl ist nicht ein Gutes ohne das Recht. Ebenso ist das Recht nicht das Gute ohne das Wohl“ (Grundlinien, §130, 116; GW 14.1, 114). Die Wirklichkeit des Guten ist nur auf dieser Basis, der Vereinigung des Wohls des besonderen Willens mit der Allgemeinheit des abstrakten Rechts möglich. Für diese Vereinigung steht die Idee des Guten, die Hegel als die „Einheit des Begriffs des Willens und des besonderen Willens“ bestimmt (Grundlinien, §129, 116; GW 14.1, 114). Auch das „Gute“ wird Recht, wobei Hegel allerdings dieses Recht deutlich von den bisher entwickelten Rechten abgrenzt. Das Gute beansprucht nämlich gegenüber dem abstrakten Recht des Eigentums und den besonderen Zwecken des Wohls ein absolutes Recht zu sein.

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6.3 Das Gute und das Gewissen Die im Moralitätskapitel entwickelten Handlungstypen gewinnt Hegel am Leitfaden des besonderen Willens. Mit der Thematisierung des „Guten“ im dritten Kapitel ändert sich dies, insofern das Gute hier so bestimmt wird, dass es gegen die Subjektivität des besonderen Willens als „Sollen“ auftritt. Diese Umstellung – Handlungszwecke bzw. Rechte werden nicht mehr ausgehend vom besonderen Willen als Subjekt entwickelt – wird auch im Durchbrechen der Symmetrie der Titelüberschrift auffällig. An erster Stelle stand bisher das tätige bzw. beschließende Subjekt, sein „Vorsatz“ bzw. seine „Absicht“. Diese Typen beschließender Subjektivität werden im zweiten Teil der Titelüberschrift jeweils mit einer Ganzheit konfrontiert, die über das beschränkt Gewollte hinausgeht: „Schuld“ und „Wohl“. Im dritten Abschnitt stellt Hegel mit dem Guten die „Einheit des Begriffs des Willens und des besondern Willens“ (Grundlinien, §129, 116; GW 14.1, 114) an den Anfang. „Gut“ ist das Wohl nicht als „Dasein des einzelnen besonderen Willens“, sondern „nur als allgemeines Wohl“ (Grundlinien, §130). Im „Guten“ ist die Allgemeinheit des Rechts in die Bestimmung des Wohls eingegangen. Damit stehen Recht und Wohl sich nicht mehr - wie im Notrecht – als einander ausschließend gegenüber, sondern der Gesichtspunkt des Wohls ist in das Recht integriert und dieses steht als „absolutes Recht gegen das abstracte Recht des Eigenthums“ (Grundlinien, §130, 116; GW 14.1, 114). Wie kommt es zu dieser Verbindung von Recht und Wohl im „absoluten Recht“? Gehört der Inhalt des Abschnitts „Das Gute und das Gewissen“ tatsächlich zum Moralitätsstandpunkt, so müssen diese Rechtsformen ebenfalls aus dem Subjekt entwickelt werden. In Paragraph 129 bestimmt Hegel das Gute zwar als Einheit des Begriffs des Willens und des besonderen Willens, nachfolgend aber entwickelt er das „Gute“ auf der Basis der Besonderheit als Subjektivität: Am Guten wird ausschließlich die für das Subjekt bestehende abstrakte Beschaffenheit des Guten herausgearbeitet, um zu zeigen, wie das Subjekt als Besonderheit diese Allgemeinheit realisiert. Leitfaden für die Darstellung des Verhältnisses von Subjektivität und absolutem Recht bleibt somit der subjektive Willen und sein Verhältnis zum Guten als Besonderheit. Dabei ist es das „Recht des subjektiven Willens“ nur das als verbindlich anzuerkennen, was „von ihm als gut eingesehen werde“ (Grundlinien, §132, 117f.; GW 14.1, 115f.). Allerdings stellt das „Gute“ jede Handlung in einem Kontext, der von keinem Handelnden ignoriert werden kann, denn wer „in dieser Wirklichkeit handeln will, hat sich eben damit ihren Gesetzen unterworfen, und das Recht der Objectivität anerkannt“ (Grundlinien, §132, 118; GW 14.1, 116). Zwar ist es das höchste Recht des Subjekts „nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig einsehe“, dieses Recht ist aber „durch seine subjective Bestimmung, zugleich formell“. Das „Recht des Vernünftigen als des Objectiven an das Subject bleibt dagegen fest stehen“ (Grundlinien, §132, 117; GW 14.1,

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115). Es artikuliert sich im Individuum als ein Streben nach „wahrhaftem Wissen“: Das Subjekt will wissen, „was an und für sich gut ist“ (Grundlinien, §137). Vom wahrhaften Dasein des Guten ist das Gute wollende Gewissen allerdings getrennt: Das Subjekt ist von diesem seinem Inhalte unterschieden, es ist „nur die formelle Seite der Tätigkeit des Willens, der als dieser keinen eigentümlichen Inhalt hat“. Noch einmal trägt Hegel hier seine Kritik an einer Fixierung auf den kategorischen Imperativ als dem einzigen Prüfungsverfahren praktischer Vernunft vor. Hegels insistieren auf der Differenz zwischen dem Guten und dem wollenden Gewissen war in der Vergangenheit immer wieder Anlass zur Kritik an der Stellung der Subjektivität in Hegels praktischer Philosophie. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Hegel unter dem Begriff der „Subjektivität“ eine Auseinandersetzung mit jenen Konzeptionen der praktischen Philosophie führt, die dieses Moment absolut setzen und für die das Praktische vollständig in der Darstellung des Wollens des handelnden Individuums aufgeht. Unter dem Titel „Subjektivität“ veranschaulicht Hegel die Konsequenzen der Kantisch/Fichteschen Konzeption (vgl. insb. Grundlinien, §140). Wird das wollende Subjekt zum einzigen Fixpunkt der praktischen Reflexion, so erweist sich dieses Ich gegenüber den objektiven Verhältnissen als ein „irrendes, heuchlerisches und eitles“. Liest man diesen dritten Abschnitt des Moralitätskapitels vom Schluss (§140) her, so zeigt sich die dialektische Funktion dieses Abschnitts. Ganz im Sinne der Kantischen „Dialektik“ der reinen Vernunft veranschaulicht Hegel die Grenzen einer das handelnde Subjekt absolut setzenden Konzeption des Praktischen. Ist der Schlussteil des Moralitätskapitels in dieser Weise als kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Positionen praktischer Philosophie zu verstehen, so relativiert dies die Kritik an der Rolle der Subjektivität in Hegels praktischer Philosophie, die insbesondere angesichts der (nachfolgend zu explizierenden) Rolle des Gewissens als unberechtigt erscheint. Gleichwohl ist eine Grundfrage noch immer ungeklärt: Wie kommt Hegel ausgehend von Person und Subjekt zur Bestimmung des Guten und des Gewissens. In diesem Zusammenhang ist insgesamt die Funktion des dritten Kapitels des Moralitätsabschnitts vor dem Hintergrund der beiden vorausgehenden Kapitel zu klären; dies muss insbesondere mit Blick auf die oben erwähnte Titelumstellung erfolgen. Derbolav fasst dieses Problem wie folgt zusammen: „Man hat sich zu fragen wie und wieso auf dieser Ebene der Handlungsanalyse, wo die Absicht mit dem Wohl (als dem ins Allgemeine ausgelegten Inhalt des natürlichen Willens) in ausschließlichem Bezug steht, überhaupt schon substantielle Zwecke, das Gute und Sittliche in Erscheinung treten können.“240 Der Schluss des „Abstrakten Rechts“ bestimmte die Aufgabe des Moralitätskapitels ausgehend von der Differenz zwischen daseiender individueller 240

J. Derbolav: „Hegels Theorie der Handlung“. In: Riedel (Hg.), Materialien. Bd. 2, 201-216; hier 210f.

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Bestimmtheit und Allgemeinheit dahingehend, dass nun die Bedingungen zu klären seien, die ein Dasein des Rechts als Recht ermöglichen. Diesem Ziel sind alle hier am Leitfaden des handelnden Subjekts und seiner Zwecksetzungen entwickelten Bestimmungen verpflichtet. Mit dem „Leben“ hat Hegel in der Notsituation eine Erfahrung des Subjekts aufgewiesen, die die besonderen Zwecksetzungen in den umfassenden Zusammenhang – die Allgemeinheit – zurückstellt. Diese Allgemeinheit kommt hier einmal als Gewissen des Subjekts ins Spiel zum anderen aber auch als jene Totalität von der her die Bestimmung des Individuums als Person möglich wurde. Die letztgenannte Allgemeinheit bildet mit der Ausgangsthese vom „an und für sich seienden Willen“ die unhintergehbare Voraussetzung dieser Rechtslehre. Mit dem Gewissen hat diese Allgemeinheit im handelnden Subjekt einen Widerpart gefunden, der nicht verabsolutiert werden darf: Die Abhängigkeit dieser beiden Formen der Allgemeinheit entwickelt Hegel an dem Verhältnis des Gewissens zum Guten. Unklar ist noch, wie Hegel das Gewissen als subjektive Gegebenheitsweise von Allgemeinheit (des abstrakten Rechts) mit der Totalität als der Ganzheit des Lebens verknüpft und handlungsbestimmend werden lässt. Die Darlegung dieses Zusammenhangs erst würde die Einführung des „Guten“ im Rahmen des Moralitätskapitels erklären und rechtfertigen. Zur Klärung dieser Frage soll die Entwicklung der Hegelschen Moralitäts-Konzeption herangezogen werden. Bis in die späte Jenaer Zeit setzt Hegel sich bei der Bestimmung der „Moralität“ in erster Linie kritisch von der Kantischen bzw. Fichteschen Position ab. Darüber hinaus wird aber „Moralität“ auch im Rückgriff auf Aristoteles als Tugendlehre gefasst und positiv in die eigene Konzeption einbezogen. Etwa ab 1806 – mit der Phänomenologie des Geistes – gesteht Hegel der „Moralität“ eine eigenständige geschichtliche Bedeutung zu: Gegen das sich absolut setzende Ich, das die Allgemeinheit zu sein beansprucht, eröffnet „Moralität“ die Chance zur Überwindung des „Terrors der absoluten Freiheit“.241 Das sich absolut setzende Ich kommt – als moralisches – zur reflektierten Selbstbestimmung, die das Ich zur Bestimmung des Absoluten in Religion und Wissenschaft in Beziehung setzt und aus dieser Perspektive die eigene Absolutheit relativiert. In den Grundlinien schließt Hegel für die Bestimmung der „Moralität“ die Tugendlehre als unzureichend aus. Er wendet sich damit kritisch gegen die eigene frühe Konzeption des Naturrechtsaufsatzes, für den die kritische Absetzung von Kant und die Aufnahme der aristotelischen Tugendlehre bestimmend war. Mit diesem Verzicht gibt Hegel zwar ein frühes Lösungsmodell preis, nicht aber die kritische Forderung gegenüber der Zerrissenheit

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Hegel verknüpft diese Gestalten des Geistes mit geschichtlichen Epochen. Den „Terror der absoluten Freiheit“ sieht er in der Herrschaft Robespierres wirksam, „Moralität“ als Gestalt reflektierter Innerlichkeit wird mit Kants Philosophie verknüpft.

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der eigenen Zeit.242 Der Verzicht auf eine Tugendlehre fordert vielmehr eine Neubestimmung der „Moralität“. In Heidelberg entwickelt Hegel Moralität als Handlungslehre. Unterschiedliche Formen des Handelns werden an exemplarischen geschichtlichen Formen veranschaulicht. So gibt Hegel unter „Vorsatz und Schuld“ eine begriffliche Präzisierung des heroischen Bewusstseins als Grundlage eines Handelns, in dem das handelnde Individuum zwischen sich und den äußeren Umständen seiner Handlung gar nicht unterscheidet. Ödipus etwa erklärt sich für die Gesamtheit des Begangenen schuldig, obwohl das Geschehene in keiner Weise in seinem Vorsatz lag. „Absicht und Wohl“ veranschaulichen einen Handlungstyp, der die eigenen Zwecke, wie Wallenstein243, einem selbst gesetzten reflexiven Allgemeinen unterstellt. Dabei rechnet sich der Handelnde nur das zu, was in seiner Absicht lag; die selbst gesetzte reflexive Allgemeinheit verfehlt die objektiven Verhältnisse und scheitert. Mit der Absolutsetzung des Gewissensstandpunkts als dem dritten Handlungstyp verbindet Hegel eine Kritik an jenen zeitgenössischen Positionen, die eine „Allgemeinheit außerhalb der Subjektivität“ gar nicht mehr anerkennen. Gemeinsames Merkmal aller drei Handlungskonzeptionen ist die Auflösung der konstitutiven Einheit zwischen besonderem und allgemeinem Willensmoment zugunsten selbständig isolierter Extreme. Objektiv besteht für das moderne Subjekt zwischen dem allgemein vernünftigen Willen und den subjektiven Zwecksetzungen seines Handelns eine Differenz. Hegel charakterisiert in der Konsequenz den moralischen Standpunkt als „das Verhältnis, worin die persönliche Subjectivität sich absolut selbstständig setzt, und daher die Momente des Willens zu selbstständigen Extremen abstößt, – dem allgemeinen vernünf-

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Mit Schiller und Hölderlin hatte der junge Hegel beklagt, dass dem modernen Menschen die Totalität des Charakters fehle. Eine zunehmende Spezialisierung der Wissenschaften verhindere die Ausbildung eines einheitlichen Selbstbewusstseins der Gemeinschaft des Volkes. Im Naturrechtsaufsatz soll die Tugendlehre diese Trennung überwinden. Hegel geht davon aus, dass auch in der modernen Welt den einzelnen Ständen ihre jeweilige Tugend durch Natur zuwachse, so dass sich der Staat bzw. die Polis im Zusammenwirken aller Stände als das Werk aller herausbilde. Diese Konzeption der Moralität als Tugendlehre gibt Hegel endgültig in der Heidelberger Zeit auf. Die Motive hierfür sind in der schon von Schiller herausgehobenen Differenz von antiker und moderner Welt zu suchen. Zur Weiterentwicklung der Konzeption des Naturrechtsaufsatzes in Jena und Heidelberg vgl. E. Weisser-Lohmann: „Daß das Allgemeine zu einer Tat komme“. Hegel verweist in der Ästhetik-Vorlesung des Jahres 1826 darauf, dass Wallenstein „sich zum selbständigen Regulator der politischen Ordnung“ aufwirft und „es bricht über ihn herein die ihm gegenüberstehende Macht“ (Philosophie der Kunst, 88). Vgl. auch Nachschrift Wannenmann, 11: Der Einzelne macht sich zum Träger des Willens der Welt, das einzelne Individuum geht zugrunde. Hier wiederholt er eine Einsicht, die er bereits im 1801 verfassten Aufsatz „Über Wallenstein“ formuliert hatte und die ihn zu einer Änderung seiner Konzeption genötigt hat, die er in den ästhetischen Teilen seines Systems konsequent vollzieht. Vgl. Werke. Bd. 13, 411-413. Auf die grundlegende Bedeutung des Wallenstein-Aufsatzes hat A. Gethmann-Siefert in ihrer Arbeit Die Funktion der Kunst in der Geschichte. (Bonn 1984) hingewiesen.

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tigen Willen, und einer äusserlichen selbstständigen Welt“ (vgl. Encyklopädie, §417, 229). Die erwähnte Umstellung im Titel des Kapitels der „Moralität“ rückt den subjektiven Aspekt, das „Gewissen“, an die zweite, den objektiven, das „Gute“, an die erste Stelle. Dieses Gute bleibt zunächst allerdings nur „subjektiv“ bestimmt: es ist das, was der auf sein Wohl reflektierende Mensch als erstrebenswert erachtet. Im dritten Abschnitt dann stellt Hegel das Gute dem Wohl als dem nur subjektiv Guten gegenüber. Es fragt sich, ob Hegel in seiner Rekonstruktion damit nicht die „Gültigkeit“ der Idee des Guten voraussetzt, wenn er diese zum Maßstab der Gültigkeit des Wohls erhebt. Gegenüber der Idee des Guten besitzt das Wohl nur dann Geltung, wenn es „allgemeines Wohl“ ist. Wie kann diese Allgemeinheit des Wohls aber aus der hier vorausgesetzten Perspektive gewonnen werden? Der Übergang vom besonderen Wohl zum allgemeinen Wohl und zum Guten erscheint insofern problematisch, als Hegel, so H. Schnädelbach, mit der Umstellung der Titelüberschrift „die Schwäche des Übergangs vom Wohl in das Gute durch besonders imposante Formulierungen überspielen“ will: „Für das Gute als ‚die realisierte Freiheit, der absolute Endzweck der Welt‘ ist hier einfach nicht der Ort.“244 Das Gute hat im Moralitätskapitel nur als das subjektiv bestimmte allgemeine Wohl seinen Ort. Hegel nimmt, so Schnädelbachs Kritik, daher das hier eingeführte objektive Gute bei der kritischen Abrechnung mit dem absolut gesetzten Gewissen in Anspruch, ohne seine Herkunft und Geltung ausgewiesen zu haben. Schnädelbachs Kritik macht deutlich: Das „Gute“ muss im Rahmen der Rekonstruktion der Rechtsformen des freien Willens im Moralitätskapitel bereits eingeführt und entwickelt worden sein. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich der Vorrang des Guten begründen. Für das handelnde Subjekt ist die Ganzheit des Lebens, die Wirklichkeit des Guten nur im Konflikt erfahrbar. Es ist daher unklar inwiefern hier von einem höheren Recht des Lebens gesprochen werden kann. Beansprucht Hegel aber tatsächlich im Rahmen des Moralitätskapitels diese Wirklichkeit des Guten aus der Vereinigung des besonderen Willens mit der Allgemeinheit des abstrakten Rechts rekonstruiert zu haben? Er hatte zu Beginn des Moralitätskapitels deutlich gemacht, dass die Rekonstruktion der Handlung als das Dasein des Rechts den Personenbegriff und die mit ihm gesetzte Allgemeinheit zur Voraussetzung hat. D.h. die Bestimmung eines Wohls erfolgt unter der Voraussetzung eines allgemein geltenden Rechts. Nur in Auseinandersetzung mit diesem formal bestimmten Allgemeinen ist die Ausweisung eines Wohls als Gut möglich. Hintergrund des Versuchs, Handlungen als Rechtsformen auszuweisen, bildet die Notwendigkeit, die von der Sache wie vom zufälligen subjektivbesonderen Willen unabhängige Geltung bestimmter Handlungen als Berech244

So das Urteil von Schnädelbach (Hegels praktische Philosophie, 237) im Einklang mit V. Hösle (Hegels System. Hamburg 1987. Bd. 2, 520).

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tigungen auszuweisen. Weil die Strafe eine überpersonelle Instanz fordert, wird eine Anerkennung des Rechts als Recht notwendig. Diese Notwendigkeit gründet in der im Unrecht offenbar werdenden Differenz zwischen dem Recht an sich und dem Dasein des Rechts im besonderen subjektiven Willen. Hegel verknüpft die Rekonstruktion der Wirklichkeit des allgemeinen Rechts mit der Störung des gesetzten Rechts im Unrecht. Bereits auf der letzten Stufe des Unrechts kommt es zu einer ähnlichen Umstellung in der Kapitelüberschrift wie im Moralitätskapitel: Auf die Kapitelüberschriften „A. Unbefangenes Unrecht“ und „B. Betrug“ folgt „C. Zwang und Verbrechen“. Der „Betrug“ unterscheidet zwischen der Person als allgemeiner Rechtsgestalt und der besonderen Willenbestimmung. Damit wird die Unterscheidung zwischen besonderem Rechtsanspruch und allgemeinem Recht möglich. Strukturell entspricht auch der „Zwang“ dieser Willensstruktur, wobei allerdings zwei Formen des „Zwanges“ unterschieden werden: Zwang wird einmal durch eine andere Person ausgeübt, wenn mein Wille in einer äußerlichen Sache verletzt wird. Der ausgeübte „Zwang“ richtet sich aber nur vermeintlich allein gegen die Sache bzw. meinen Willen in ihr. Indem ich als Person in dieser Sache bin, werde ich zweitens als Person – damit aber das Personsein schlechthin – zerstört. Ist doch die Person nur durch die Präsenz in der Sache. Mit der Gewalt gegen die Sache zerstört der Zwang ausübende Wille somit letztlich sich selbst: „Weil der Wille, nur insofern er Daseyn hat, Idee oder wirklich frey und das Daseyn, in welches er sich gelegt hat, Seyn der Freyheit ist, so zerstört Gewalt oder Zwang in ihrem Begriff sich unmittelbar selbst“ (Grundlinien, §92, 90; GW 14.1, 88). „Zwang“ als Selbstwiderspruch des freien Willens kann nur durch Zwang von Außen aufgehoben werden. Diese zweite Form des Zwangs vollzieht als äußerliche Handlung das abstrakte Recht als Zwangsrecht.245 Kants Definition des Rechts als Befugnis zu zwingen stellt Hegel nicht an den Anfang der Rechtsdefinition, sondern entwickelt diese als eine Konsequenz des Rechtsbegriffs. Die Art und Weise, wie Hegel die Zwangsbefugnis des Rechts entwickelt, verdeutlicht das Spezifische seiner Rechtskonzeption: Bestimmungen des Rechts, wie die Befugnis zum Zwang werden aus dem Willen der Person entwickelt, indem die Verletzung der Allgemeinheit die Wiederherstellung der Allgemeinheit fordert. Hegel gewinnt diese Bestimmung des Rechts aus dem Vollzug des Rechts durch die Person. Die allgemeine Berechtigung und Notwendigkeit des Zwanges wird damit für die das Recht setzende Person einsehbar. Im Übergang vom „Betrug“ zum „Verbrechen“ zeigt Hegel, dass mit dem Dasein der Person im Eigentum die Forderung nach wirklicher Gegebenheit eines allgemein geltenden Rechts als Zwangsbefugnis notwendig ver245

In der Begründungsfigur selbst weicht Hegel nicht von seiner frühen Deutung der Strafe im Geist des Christentums ab. Führt dort aber die Strafe als Rückkehr und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zur Einigkeit des Lebens zurück, vermag der Zwang hier allein das abstrakte Recht wiederherzustellen. In beiden Fällen sichert der Durchgang durch die Negativität eine qualitativ neue Gültigkeit. Zur Funktion von Strafe und Schicksal für die Normierung lebensweltlicher Praxis beim frühen Hegel vgl. Plotnikov: Gelebte Vernunft, insb. 197ff.

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knüpft ist. Erst vor dem Hintergrund eines allgemeinen mit Zwangsbefugnis ausgestatteten Rechts wird eine Korrektur der Verletzung der Allgemeinheit möglich. Im äußeren Zwang erfahre ich die Forderung, meinen Willen aus dem natürlichen Dasein einer Sache zu entfernen, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Der ursprüngliche Zustand ist hier das Recht einer anderen Person an dieser Sache. Der äußere Zwang sichert den abstrakten Rechtszustand und macht den ersten Zwang – „als Gewalt von dem Freien ausgeübt“ – als Verbrechen charakterisierbar. Das Recht der Person ist so unlösbar mit der strafenden, die Eigentumsverhältnisse sichernden Instanz verknüpft. Person, Recht und Eigentum sind für Hegel gar nicht vom Recht als Institution ablösbar. Dabei wird die Institution eines strafenden Rechts zunächst ganz unabhängig von jeder faktischen gesellschaftlichen Institution rein als Rechtsform des Willens eingeführt. Die am Leitfaden des Rechts der Person entwickelten Bestimmungen, wie der Zwang, verweisen auf die für die Verwirklichung des Rechts unabdingbare Voraussetzung: Das Dasein eines allgemeinen Rechts erst macht die an der Sache ausgeübten Gewalt zu einem Zwang und damit als Verbrechen charakterisierbar. Ausgangsfrage für diesen Rekurs auf die Argumentationsstruktur des ersten Abschnitts war die Suche nach der Begründungsfigur des dritten Kapitels der „Moralität“. Der Rekurs zeigt, die von Schnädelbach monierte Umstellung wird bereits im ersten Teil der Grundlinien praktiziert, wenn dort der Zwang, nicht aber das Verbrechen die erste Stelle im Titel einnimmt. Die Analyse zeigt, dass Hegel sich hier weniger zu Begründendes „erschleicht“ als dass die verwendete Begrifflichkeit diese „Umstellung“ notwendig macht. Hegel macht deutlich: Die Ausübung von „Zwang“ ist der Person unmittelbar eigen, insofern sie bei der Inbesitznahme von Sachen notwendig Zwang ausübt. Diese Indifferenz des Zwanges fordert ein Kriterium, das die Unterscheidung zwischen rechtlich und unrechtlich ausgeübter Inbesitznahme. Mit der Definition des Eigentums als Inbesitznahme einer herrenlosen Sache nennt Hegel ein Kriterium, das die Unterscheidung zwischen Recht und Verbrechen möglich macht, dessen Realisierung aber eine allgemein anerkannte, mit Zwangsbefugnis ausgestattete, machthabende Instanz fordert. Erst vor dem Hintergrund dieser Geltung eines allgemeinen Rechts im Personsein ist es möglich, bestimmte Formen des Zwanges als Verbrechen zu charakterisieren (vgl. Grundlinien, §95). Für den Übergang vom besonderen Wohl zum verwirklichten Guten soll nun geprüft werden, inwiefern die im ersten Abschnitt der Rechtsphilosophie für „Zwang“ und „Verbrechen“ entwickelte Argumentationsstruktur auch für „Wohl“ und „verwirklichtes Gutes“ zum Tragen kommt. Hegel müsste hier dem Zusammenhang zwischen Zwang und Zwangsbefugnis entsprechend zeigen, wie das Wohl als individuell bestimmtes Gut gar nicht ohne die Wirklichkeit des Guten handlungsbestimmend zu werden vermag. Der Übergang zum „Guten“ muss bereits im Moralitätskapitel vollzogen werden, wenn der Anspruch des Guten gegen das absolut gesetzte Wohl gültig

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sein soll. Diesen das Wohl einschränkenden Anspruch des Guten begründet Hegel mit der Wirklichkeit des Guten. Im Gewissen als der Fähigkeit zur Selbstreflexion verschafft sich diese Wirklichkeit des Guten gegen die subjektive Bestimmung des Wohls Geltung. Diese Wirklichkeit des Guten besteht hier zum einen in der individuellen Reflexion und zum anderen in dem objektiven Anspruch des wirklichen Guten. Wie schon im Abschnitt „Zwang und Verbrechen“ macht Hegel deutlich, das Wohl des einzelnen Subjekts ist nur unter der Voraussetzung der Wirklichkeit des Guten bestimmbar. Indem Hegel im dritten Kapitel „Das Gute“ dem Gewissen voranstellt, unterstellt er: alle subjektiven Zwecksetzungen beruhen auf der Wirklichkeit des Guten. Alle subjektiven Zwecksetzungen setzten die schon bestehende Vereinigung des besonderen Willens mit der Allgemeinheit voraus.

6.4 Das Wohl und die Wirklichkeit des Guten Mit dem „Leben“ führt Hegel eine Bestimmung ein, die die für das „Abstrakte Recht“ und die „Moralität“ aufgewiesenen Widersprüche integrieren und vereinigen soll. In der Not zeigt sich die Abhängigkeit von Recht und Wohl, beide geben ihre abstrakte Einseitigkeit auf: „das Recht hat (...) sein Daseyn als den besonderen Willen bestimmt, und die Subjectivität in ihrer umfassenden Besonderheit ist selbst das Daseyn der Freiheit“ (Grundlinien, §128, 115; GW 14.1, 113). Indem Hegel die subjektive Willensbestimmung und das allgemein geltende formale Recht in der Notsituation mit dem „Leben als der einfachen Totalität“ konfrontiert, kann er für das Subjekt zeigen, inwiefern das Gute für das Dasein der Freiheit steht. Als Dasein der Freiheit muss sich – wie Hegel in der Notiz zum Paragraphen 128 hervorhebt – das Wohl zur Allgemeinheit steigern, in seiner Allgemeingültigkeit ausweisen. Diese Allgemeinheit des Wohls ist das Produkt der Selbstreflexion, das allgemeine Wohl ist das Wohl der denkenden Reflexion. Die Erfahrung der „Not“ verweist auf die Beschränktheit beider Bestimmungsformen des Willens und führt zur Einsicht in das „Gute“ als jener Einheit, die die beiden absolut gesetzten Momente integriert: Das Gute zeigt sich hier als das erfüllte, an und für sich bestimmte Allgemeine. Als Idee bestimmt Hegel dieses Gute als „die realisirte Freyheit, der absolute Endzweck der Welt“ (Grundlinien, §129, 116; GW 14.1, 114). Hegel muss allerdings auch zeigen, welche Erfahrung das Subjekt mit seinen besonderen Zwecken dazu bringt, mittels Reflexion das individuelle Wohl auf seine Allgemeinheit hin zu prüfen. Welchen Status nimmt die Erfahrung der Not in der Reflexion des besonderen Willens ein? Wenn Hegel in der Analyse der Notsituation die relative Gültigkeit des (abstrakten) Rechts wie auch des (besonderen) Wohls aufzeigt, so nimmt er einen Bewertungsmaßstab in

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Anspruch, der bereits beim „Zwang“ zum Einsatz kam: das Dasein dieses Allgemeinen in der Wirklichkeit des Person- bzw. Subjektseins. Dieser Maßstab soll „Grund“ der beiden abstrakten Rechtsformen sein, daher muss er unabhängig von der abstrakten Allgemeinheit des Rechts wie auch unabhängig von der besonderen Willensbestimmung des Subjekts bestimmbar sein. Dieser Bewertungsmaßstab für Recht und Wohl ist im Wissen des Selbstbewusstseins aufzuweisen. Als denkendes Selbstbewusstsein (d.i. „Leben“ im Sinne der Phänomenologie) ist das Ich nicht mehr von den besonderen Zwecken, dem je besonderen Wohl abhängig. Vielmehr weiß es sich in der besonderen Bestimmung seines Willens als Freies allgemeines Wesen, weiß, dass seine je besondere Überzeugung und Einsicht durch das allgemeine Wissen bedingt ist. Hegel definiert diesen Übergang auch als „theoretischen Übergang“: Der „Geist“ erfasst diese Einheit, indem er sich fasst (vgl. Grundlinien, §128 Notiz, 395) und zwar in der Reflexion des Individuums bzw. der Rekonstruktion durch die Philosophie. In dieser „theoretischen“ Explikation verdeutlicht die Philosophie, was praktisch im Wissen des Gewissens schon verbindlich ist. Mit dem Wissen dieser Einheit hat der Rechtsbegriff jene Differenzierung und Präzisierung erfahren, die ihn als Gestalt des Geistes fassbar werden lassen. Die Einheit von „abstraktem Recht“ und „besonderem Wohl“ ist einmal im Gewissen aufweisbar, zum anderen aber in einer unabhängig vom subjektiven Wollen bestehende Wirklichkeit: Der Begriff des „objektiven Geistes“ steht für diese Form selbstbewusster Praxis. Damit ist eine gegenüber dem Eigentum, dem Vertrag und der Anerkennung des Rechts als Recht qualitativ neue Stufe erreicht. Ich anerkenne nicht mehr das Recht eines anderen, fordere auch nicht die Anerkennung des Rechts als Recht. Im Gewissen ist die Selbstgegebenheit einer Rechtsform anerkannt, die zwar für mich erschließbar ist, deren Existenz aber von diesem Wissen unabhängig ist. Hegel nennt die im Gewissen vollzogene Selbstbegebenheit einer Rechtsform „Geist“. In dieser „Selbstgegebenheit“ ist die Bestimmtheit des Besonderen ins Allgemeine aufgenommen. Denn „die Integration beyder relativer Totalitäten zur absoluten Identität, ist schon an sich vollbracht, indem eben diese für sich in ihrer Eitelkeit schwebende Subjectivität der reinen Gewißheit seiner selbst identisch ist mit der abstracten Allgemeinheit des Guten; – die, somit concrete, Identität des Guten und des subjektiven Willens (...) ist die Sittlichkeit“ (Grundlinien, §141, 140; GW 14.1, 135). Für die Philosophie des Rechts sind damit die Bedingungen entwickelt, die das Recht als Gestalt des Geistes, d.h. als Sittlichkeit fassbar werden lassen. Hegel ist vorgeworfen worden, dass die Identität, die er als „Aufhebung der Moralität in der Sittlichkeit“ fasst, auf Kosten der Selbstbestimmung des Subjekts erreicht werde. Diese Deutung legt sich insbesondere durch Formulierungen wie die folgende nahe: „jene sich isolierende Subjektivität, die ich mir erhalten will, [ist] untergegangen und absolut befriedigt“ (Grundlinien, Notizen zu §132 Anm.). Auch die Einschätzung, dass für die Wirklichkeit des Gu-

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ten das Wissen „objektiv nicht notwendig ist“, stützt diese These. Weder ist mit dem Leben als einfacher Totalität das Gute als Endzweck des Handelns verwirklichbar noch ist ausgehend vom zwecksetzenden Willen des Subjekts eine Bestimmung der Pflicht oder des Guten möglich (vgl. Grundlinien, §135). Für die Bestimmung der Pflicht bzw. des Guten geht Kant von der „höheren Sphäre des Unbedingten“ und des „moralischen Selbstbewußtseins“ als dem Wesentlichen oder Allgemeinen desselben aus: Das Gute wird zur „inhaltslosen Identität“ oder als das „abstrakte Positive“ bestimmt (vgl. Grundlinien, §135). Das Gute als formelle Identität verbietet eine inhaltliche Bestimmung. Eine inhaltliche Bestimmung des Guten gelingt nur, wenn zugleich eine andere Aufgabe gelöst wird: der Ausweis der Wirklichkeit dieses Guten. Eine inhaltliche Konkretisierung des Guten ist allein an exemplarischen, wirklichen Gestalten zu verdeutlichen. Für die inhaltliche Bestimmung des Guten muss Hegel daher solche Handlungsvollzüge aufweisen, die als Besondere eine Allgemeinheit realisieren. Diese Handlungsoptionen bestehen unabhängig von der wollenden Subjektivität. Gegenwärtig und als Pflicht gewusst ist dieses Gute einmal im Wissen des Gewissens, in der Sitte (vgl. Grundlinien, §152) und in den Institutionen (vgl. Grundlinien, §264). Zwei Bestimmungen der Subjektivität sind somit für die Bestimmung des Sittlichen entscheidend: die Subjektivität als mein Wille und die Subjektivität, die als allgemeines Sein, Natur und Sitte, gesetzt ist (vgl. Grundlinien, §142 Notiz, 413). Dort, wo „Subjektivität“ Besonderheit ist, kommt den sittlichen Gestalten Wirklichkeit zu. Im Übergang von der Moralität zur Sittlichkeit der Subjektivität werden diese Einheiten fassbar als das abstrakt Gute, das gegenüber dem Willen als ein „Sollen“ auftritt. Jeder Beschreibung dieser Gestalten könnte als Nachsatz angefügt werden: „also ist diese Bestimmung für den Menschen eine Pflicht.“ Die Rekonstruktion sittlicher Gestalten, die Hegel im dritten Abschnitt vorlegt, ist somit ethische Pflichtenlehre. Allerdings genügt der Standpunkt des Subjekts nicht, um sittliche Gestalten unter dem Maßstab der Idee der Freiheit, bzw. der Idee des Rechts zu rekonstruieren (vgl. Grundlinien, §148 Anm.). Die Irrtümer einer Auffassung, die das moralische Selbstbewusstsein als Basis für die Bestimmung der Pflicht bzw. des Guten auszeichnet, verdeutlicht Hegel in den Abschlussparagraphen des zweiten Teils (vgl. Grundlinien, §§135-141). Hegels Formulierung „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass alle im Moralitätskapitel beschriebenen Handlungsvollzüge (Vorsatz und Absicht) in der Sphäre der Sittlichkeit ungültig sind. „Aufgehoben“ wird der moralische Standpunkt (d.i. die Kantische Position) in seiner Funktion für die praktische Philosophie, nicht aber die als „Moralität“ beschriebenen Handlungsvollzüge. Mit dem „Gewissen“ als höchster Form selbstbestimmten Handelns wird für Hegel die Verwirklichung des Rechts möglich: Sittlichkeit wird als Rechtsgestalt, als Dasein der Freiheit rekonstruierbar. Die Bedeutung des Handelnden bleibt – gegen den Einwand

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Derbolavs – bestehen: Handeln auf der Basis des Gewissens bildet die unabdingbare Grundlage der Gestalten der Sittlichkeit. Mit dem Begriff des „Gewissens“ hat Hegel die Bedingungen für die Verbindlichkeit des Guten entwickelt. Die Rekonstruktion des Abschnittes „Moralität“ hat deutlich gemacht, dass nur dort, wo Subjektivität als Gewissen gefasst wird, das allgemein Gute für das besondere Individuum zur Pflicht wird. Hegel hat damit aber nur die formalen Bedingungen für die Wirklichkeit des Guten aufgewiesen. In einem weiteren Schritt muss er zu einer inhaltlichen Bestimmung des Guten kommen. Diese inhaltliche Bestimmung kann nur über den Aufweis von Handlungsformen erfolgen, die als Einheit subjektiver und allgemeiner Willensbestimmunen das Handeln normieren. Diese inhaltliche Präzisierung kann nur an exemplarischen Gestalten rekonstruiert werden. Diese Aufgabe löst Hegel im Abschnitt „Sittlichkeit“. Für die „Moralität“ bleibt die Thematisierung der Einheit von Subjektivität und Gutem an den Standpunkt der Subjektivität geknüpft: Das Gewissen steht für die Einsicht in das allgemeine Wohl und das Wissen um die Unabhängigkeit des Guten von den Zwecksetzungen des einzelnen Individuums. Im Gewissen ist die Wirklichkeit des objektiv Sittlichen bereits vorausgesetzt. Diese Wirklichkeit des Guten schafft Verpflichtung. Die Rekonstruktion des Daseins des Guten im Gewissen beschränkt sich auf die formalen Aspekte, eine inhaltliche Konkretisierung der Pflichten kann aus dieser Perspektive nicht erfolgen. Im Begriff des „Willens“ als praktischer Vernunft vereinigt Kant das Prüfungsverfahren des kategorischen Imperativs mit der Triebfeder die Einsicht in das Gute zum Handlungsgrund zu machen. Allerdings fragt Kant nicht nach der Wirklichkeit des guten Willens. Hegels Verknüpfung von Person und Recht im ersten Bestimmungsmoment des Willens sichert den gewonnenen Rechtsbestimmungen Allgemeinheit. Der allgemeine Anspruch, als Person anerkannt zu werden, ist allein durch andere Personen wirklich. Die Wirklichkeit dieses (gemeinsamen) Rechts bleibt zufällig. Die Notwendigkeit der Anerkennung des Rechts als Recht kann erst über die Verletzung des Rechts einsichtig gemacht werden. Konstitutiv für die Zufälligkeit der „abstrakten Rechtsformen“ ist die hier bestehende Differenz zwischen Besonderheit und Allgemeinheit, die noch nicht in einer Einheit aufgelöst werden kann. Diese Einheit ist für Hegel nur über eine inhaltliche Bestimmung des Rechts zu erlangen. Wie kann aber die praktische Philosophie über den Willen zu einer Bestimmung notwendiger Inhalte des Handelns kommen? Für Kant ist die Bestimmung der Rechte gerade nicht über den besonderen Zweck der Handlung zu erreichen. Nicht der Inhalt der Handlung, sondern ihre Maxime ist Gegenstand des Prüfungsverfahrens. Eine Bestimmung der Pflichten ist nur über die Prüfung der Verallgemeinerbarkeit der Maximen zu erlangen, die Bestimmung des Guten bleibt damit zwangsläufig formell. Dieser Formalismus ist Kants erklärtes Ziel, und Hegels Kritik liefe ins Leere, gelänge es nicht, Konsequenzen dieses Formalismus zu benennen, die dem Kantischen Anliegen wider-

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sprechen. Hegels Kritik konzentriert sich auf die Rolle der Inhalte der Handlungsbestimmung im Rahmen der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit. Für Kant ist hier allein die Maxime einer Handlung und ihre Tauglichkeit zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung heranzuziehen. Für Hegel kann diese Prüfung aber gar nicht unter Absehung der inhaltlichen Bestimmtheit (der Maxime) vollzogen werden. Jedes Prüfungsverfahren gemäß dem kategorischen Imperativ setzt Inhalte voraus – an denen die Maxime meiner Handlung sich als moralisch oder unmoralisch zu erweisen hat. Wie aber geht dieser Inhalt in das Prüfungsverfahren ein? Wenn Kant eine inhaltliche Konkretisierung der Pflicht ablehnt, so führt dieser moralische Standpunkt für Hegel in letzter Konsequenz dazu, dass nur die Art der Beurteilung als Kriterium übrigbleibt. Entscheidend wird allein, ob ich von der Tauglichkeit meiner Maxime, von der Pflichtgemäßheit meines Tuns überzeugt bin (vgl. Grundlinien, §137). Für Hegels Kritik an Kant ist letztlich, so L. Siep, die Fichtesche Neuformulierung des kategorischen Imperativs wichtig geworden: „Handle stets nach bester Überzeugung von deiner Pflicht; oder: handle nach deinem Gewissen“.246 Ein konkreter Inhalt der Pflicht ist aufgrund des Verzichts, das Gute zu bestimmen, nicht angebbar. Das formale Prüfungsverfahren (Tauglichkeit zur allgemeinen Gesetzgebung) lässt allein den subjektiven Willen und dessen Überzeugung von der Tauglichkeit übrig, dieser ist zum Maßstab der Moralität erhoben. Die Konsequenzen dieser Konzeption veranschaulicht Hegel in Paragraph 140, wenn er die verschiedenen Formen, in denen die Überzeugung von der Richtigkeit der Handlung zum Kriterium der Sittlichkeit der Handlung wird, veranschaulicht: Die Kette der Überzeugungstaten reicht von der Heuchelei bis zur Ironie. Die Kritik an diesen Formen einer moralischen Pflichtenlehre führt zur Konzeption einer ethischen Pflichtenlehre. Für die Ironie als der höchsten Form subjektiven Überzeugungshandelns ist die Differenz zwischen der Personalität und dem Wissen um das Gute bestimmend. Die Ironie „besteht also darin, das Sittlich-objektive wohl zu wissen, aber nicht sich selbst vergessend und auf sich Verzicht thuend in den Ernst desselben sich zu vertiefen und aus ihm zu handeln, sondern in der Beziehung darauf dasselbe zugleich von sich zu halten und sich als das zu wissen, welches so will und beschließt und auch eben so gut anders wollen und beschließen kann“ (Grundlinien, §140, 138f.; GW 14.1, 134). In dieser Gestalt hat, wie Hegel zu Paragraph 141 notiert, die Subjektivität kein Ansich mehr gegenüber, sondern „nur die Willkühr zur Be246

Fichte: System der Sittenlehre, §13, 156. Vgl. L. Siep: „Was heißt ‚Aufhebung der Moralität“, 225f. Jacobis „Woldemar“, aber auch Schlegels „Lucinde“ veranschaulichen für Hegel die Konsequenzen des Kantischen Verzichts auf eine ethische Pflichtenlehre. Diesen Zusammenhang hatte Hegel bereits 1806 in der Phänomenologie entwickelt. Vgl. O. Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik. München 21998, 45-62 u. 121-145; G. Falke: „Hegel und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes“. In: Hegel-Studien 22 (1987), 129-142; sowie D. Köhler: „Hegels Gewissensdialektik“. In: ders. / O. Pöggeler (Hg.), G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Berlin 1998, 209-226.

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stimmung – (...) sie will bestimmungslos sein“ (Grundlinien, §141 Notiz, 410). In dieser Bestimmungslosigkeit beansprucht die Subjektivität an und für sich seiender Wille zu sein. Das handelnde Subjekt weiß um das Gute, handelt aber nicht aus diesem Wissen heraus, sondern folgt der Willkür. Mit der ironischen Subjektivität erreicht die Rekonstruktion der „Moralität“ nicht nur die Spitze der Amoralität, sondern gewinnt strukturell die Basis für die Rekonstruktion der Einheit von Besonderem und Gutem in dem „System der Besonderung des Guten“ (Grundlinien, §142 Notiz, 413f.). Für die ironische Subjektivität besteht nicht mehr das Problem des besonderen Inhalts der Handlung, sondern allein die Frage der Realisierung dieses Allgemeinen.247 Die Charakterisierung der entwickelten Handlungstypen als Gestalten der der „Moralität“ ist insofern irreführend als allen Handlungstypen die Ambivalenz eigen ist, sowohl gut (im Sinne der Übereinstimmung mit dem Allgemeinen) als auch radikal böse sein zu können. Wenn Hegel mit der ironischen Subjektivität eine Gestalt entwickelt, die zu allen besonderen Willensbestimmungen in Distanz zu treten vermag und damit strukturell der Allgemeinheit entspricht, so ist formal Kants praktischer Wille erreicht, der gegen alle Willkür sich als allgemeine Vernunft bestimmt. Allerdings, und dies unterscheidet die Hegelsche Rekonstruktion von der Kantischen Konzeption, ist dieses Ich hier nicht praktische Vernunft sondern moralisches Subjekt, d.h. handelndes Individuum. Kants Trennung zwischen praktischer Vernunft, Rechts- und Tugendlehre soll überwunden werden, indem gezeigt wird, wie das moralische Subjekt als daseiende Besonderung zu einer inhaltlich bestimmten Allgemeinheit „zurückkehrt“, die nicht nur formale Rechtsförmigkeit, sondern inhaltliche Bestimmung eines allgemein Guten ist. Als besonders bestimmte Subjektivität distanziere ich mich von allen besonderen Inhalten, bin allgemein durch die Negation meines besonderen Wohls. Das Gewusste entspricht dem Guten, das hier aber nur Gedanke nicht wirkliches Leben ist. In der Gestalt der ironischen Subjektivität hat Hegel eine Struktur subjektiven Bewusstseins gewonnen, die das Gute weiß. Damit hat Hegel am Ende des Moralitätskapitels einen inhaltlich konkretisierten Begriff der Subjektivität entwickelt, ohne dass die daseiende Besonderheit in der bloß abstrakten Rechtsperson aufgehen würde. Ich als daseiendes Subjekt behaupte mich als Allgemeinheit, ich bin allgemein im Vollzug der sittlichen Handlungsnormen.

247

In seiner Solger-Rezension zeigt Hegel, wie die Ironie eine letzte Steigerung der Subjektivierung des romantischen Ideals der Bildung vollzieht. Es ist wiederum die Philosophie Fichtes, die die Voraussetzungen für dieses Bildungsideal bereitstellt. Führt dieser Subjektivismus auf dem Gebiet der Kunst zur Lehre von der künstlerischen Genialität, so erweist sie sich für den Standpunkt der „Moralität“ als das Böse. Zur Ironie bei Hegel vgl. Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik, 45ff.

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6.5 Zusammenfassung und Ausblick Der Aufbau der Grundlinien basiert auf zwei zentralen Argumentationsschritten: Auf einer ersten Stufe werden die Rechtsbestimmungen der Person und des Subjekts rekonstruiert, in einem zweiten Schritt werden im Abschnitt Sittlichkeit einzelne sittliche Gestalten als Verwirklichung dieser Rechte entwickelt. Klärungsbedürftig ist der Übergang von der Rekonstruktion abstrakter Rechtsbestimmungen zur Explikation konkreter Gestalten. Indem Hegel das Personsein als das Produkt einer Abstraktion von der einfachen Totalität des Lebens entwickelt und die Bestimmungen der Subjektivität darauf aufbaut, nimmt die Rekonstruktion des Rechtsbegriffs die Totalität des Lebens von Anfang an in Anspruch. Die Motive zur Rückkehr auf diese Ebene entwickelt Hegel im Rahmen der abstrakten Rechtsformen. Den auf Abstraktion aufbauenden Rechtsformen kommt zwar höchste Allgemeinheit (für alle Menschen) und Gleichheit (für alle in gleicher Weise) zu, ihre Geltung bleibt jedoch zufällig, insofern die Wirklichkeit dieser Rechts vom zufälligen Einzelwillen und dessen Anerkennung abhängt. Als „Verbrechen“ lässt sich das Tun des Individuums nur charakterisieren, wenn die Allgemeinheit des Willens vorausgesetzt wird: Nur diese Allgemeinheit gestattet den gegen Sachen ausgeübten Zwang als Verletzung des Personseins zu erfassen. Die aus der Besonderheit hervorgehenden Willensbestimmungen sind im Vorsatz und der Absicht immer schon auf die Allgemeinheit hin ausgelegt: zunächst in der Schuld, dann im Wohl. Die beiden bis hierher entwickelten Rechtsbegriffe konfligieren in der Situation des Notrechts: Das Insistieren auf das abstrakte Eigentumsrecht führt in dieser Situation zum Untergang des Lebens. Das Leben wird daher als „höheres Recht“ gegen das abstrakte Recht behauptet. Die Auflösung dieses Konflikts kann im Abschnitt „Moralität“ nur die subjektive Seite berücksichtigen. Der Lebensbegriff wird zunächst biologisch ausgelegt, dann aber über das „bloße Leben“ hinaus weiter bestimmt: Im Gewissen entwickelt Hegel eine Gestalt des Bewusstseins, die um das Gute als die höhere Allgemeinheit weiß. Diese Allgemeinheit ist gegenüber der formal-abstrakten Allgemeinheit deshalb „höher“ zu bewerten, weil hier subjektive und allgemeine Willensbestimmung eine Einheit bilden. Für den Konfliktfall bietet diese Einheit eine Auflösung der konträren Willensbestimmungen. Die Wirklichkeit dieser Einheit hat der dritte Abschnitt unter dem Titel „Sittlichkeit“ zu entwickeln. Im dritten Abschnitt geht es darum zu zeigen, wie die in den Abschnitten „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ entwickelten Rechtsbegriffe als Handlungsoptionen die Wirklichkeit bestimmen. Die Einheit zwischen wirklicher Besonderheit und abstrakter Allgemeinheit soll in den Institutionen als realisiert konstruiert werden. Für die Subjektivität ist dies eine Rückkehr zu der einen Weise der Subjektivität, „wodurch [sie] als absolut, nämlich als identisch mit dem Guten gesetzt ist“, sie ist „selbst die Allgemeinheit“. In dieser Rück-

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kehr zum Allgemeinen erweisen sich die Gestalten der Sittlichkeit als das „System der Besonderung des Guten“, das sowohl an sich als „Welt“ wie auch als „vorhandener Geist gewußt in andern Menschen“ (Grundlinien, §142 Notizen, 413f.) wirklich ist. Anders als im Übergang vom „Abstrakten Recht“ zur „Moralität“, wo Hegel die Prämissen des Übergangs von der Person zum Subjekt erläutert, fehlen bezüglich der Rekonstruktionsprinzipien der „Sittlichkeit“ vergleichbare Hinweise. Nach wie vor herrscht wenig Klarheit darüber, wie Hegels Hinweis, „das Nähere über einen solchen Uebergang des Begriffs macht sich in der Logik verständlich“ (Grundlinien, §141, 139; GW 14.1, 135), zu verstehen ist. Unklar ist, ob die logische Bestimmung des Wechsels vom Substantialitätsverhältnis zum Begriff den Übergang vorgibt248 oder ob dieser Übergang als Fortschritt von der Objektivität und ihrer teleologischen Verfasstheit zur Idee des Lebens konstruiert ist.249 Hegels Hinweis könnte allerdings auch so verstanden werden, dass die logischen Kategorien lediglich das Instrumentarium für die Rekonstruktion dieser Verhältnisse bereitstellt. Der rekonstruierte Aufbau des Moralitätskapitels zeigt, Hegel hat – und das dürfte für die logische Zuordnung dieses Zusammenhangs entscheidend sein – in der ironischen Subjektivität einen Begriff von Subjektivität gewonnen, der dem allgemeinen Guten entspricht. Im Moralitätskapitel sind somit drei Grundformen, wie das Gute gewusst wird, unterscheidbar: 1) Das Wissen der unmittelbaren Umstände (d.i. ein unmittelbares Urteil), 2) das Wissen der reflektierten Sache, ihres qualitativen Inhalts und ihres für sich eigentümlichen Inhalts; beide stehen sich im Reflexionsurteil gegenüber und führen zum 3) Wissen des Begriffs, zum Begriffsurteil. 250 Diese drei Urteilsformen werden am Leitfaden der Willensbestimmung entwickelt und ermöglichen Hegel die Realisierung des Begründungsziels: Die Gewinnung des Begriffs einer „allgemeinen Subjektivität“ und einer „besonderen Allgemeinheit“. Ersteres wird im Reflexionsurteil des Gewissens bzw. in der ironischen Subjektivität erreicht. Die daseiende, besondere Allgemeinheit ist für die Philosophie des Rechts als begriffslogische Bestimmung explizierbar. Die begriffslogischen Bestimmungen stellen das Instrumentarium bereit, für die Explikation der Sittlichkeit als Rechtsgestalt. Wenn Hegel die in den beiden ersten Abschnitten entwickelten Rechtsformen als bloße Möglichkeiten von den sittlich-wirklichen Rechtformen unter248

249

250

So U. Rameil: „Sittliches Sein und Subjektivität. Zur Genese des Begriffs Sittlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie“. In: Hegel-Studien 16 (1981), 123-162. So L. de Vos: „Die Logik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Eine Vermutung“. In: HegelStudien 16 (1981), 99-121. Die Notizen zu Paragraph 114 zeigen, dass Hegel den Aufbau des Moralitätskapitels in dieser Hinsicht rekonstruiert. Vgl. Grundlinien, 379: „Wissen der unmittelbaren Umstände – unmittelbares Urteil. Wissen der reflektierten Sache (...), Reflexions-Urteil. C. Wissen des Begriffs (Begriffsurteil)“.

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scheidet, so impliziert diese Unterscheidung zwei Aussagen: Einmal sind die Rechtsformen des „abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ allein auf der Basis sittlich-wirklicher Rechtsformen möglich. „Das Recht der Individuen an ihre Besonderheit ist ebenso in der sittlichen Substantialität enthalten, denn die Besonderheit ist die äußerlich erscheinende Weise, in welcher das Sittliche existiert“ (§154). Die in den beiden ersten Abschnitten gewonnenen Rechtsformen erweisen sich als (Erscheinungs-)Formen der sittlichen Substanz. Hegels Begründungsweg führt über die Erscheinungsformen zur Bestimmung der sittlichen Substanz. Die sittliche Substanz kann auf der Basis der gewonnenen (möglichen) Rechtsformen zweitens bestimmt werden, indem die Gestalten der Sittlichkeit als Rechtsformen konstruiert werden. Im Rahmen des beschrittenen Begründungswegs erhalten die beiden ersten Abschnitte somit die transzendentalphilosophische Funktion, Bedingungen der Möglichkeit von Sittlichkeit zu formulieren. Im Abschnitt „Sittlichkeit“ hat Hegel zu zeigen, dass der mit dem römischen Recht formulierte Rechtsanspruch auf Gleichheit und Allgemeinheit, dass der im Christentum erhobene Anspruch auf Selbstbestimmung in sittlichen Lebensformen Wirklichkeit hat und nicht in einer absoluten Freiheit als „Furie des Verschwindens“ (Phänomenologie, 389) endet. Für Hegels frühe Sittlichkeitskonzeption war die Frage nach der Rolle von „Kunst“, „Religion“ oder „geschichtlichem Handeln“251 für die Stiftung einer gemeinsamen Lebensform grundlegend. In den Grundlinien wird diese Fragestellung abgelöst von der Frage nach den Bedingungen unter denen mit dem neuzeitlichen Rechtsbegriff das Allgemeine als Sittlichkeit begreifbar ist. Dabei unterstellt Hegel, dass mit der Rechtsförmigkeit einer Handlung auch die Bedingungen gegeben sind, die eine daseiende Rechtsgestalt rekonstruierbar machen. Diese Orientierung am handelnden Subjekt reflektiert die für die Moderne dominante Erfahrung, dass sittliche Bestimmungen (Rechte, Pflichten) als reflexive Inhalte des handelnden Individuums ausweisbar sein müssen. Aus dem Blickwinkel des Moralitätskapitels muss Hegel im dritten Abschnitt über Prinzipien verfügen, die den Ausweis von rechtsförmigen Handlungen als Realisierung des Guten ermöglichen. Die Rekonstruktion dieser Bedingungen der Möglichkeit von Sittlichkeit erfolgt in Abgrenzung von Kants Bestimmung des moralischen Gesetzes aus der Vernunftnatur des Menschen am Leitfaden wirklicher Rechtsformen. Hegel greift in der Rekonstruktion der möglichen Rechtsformen auf konkrete geschichtliche Gestalten zurück. So wird im Moralitätskapitel die Geschichte der Ethik von Sokrates bis Friedrich Schlegel für die Rekonstruktion herangezogen. Die Notwendigkeit dieses Rückgriffs auf geschichtliche Formen des Da251

„Geschichtliches Handeln“ als Sittlichkeit hervorbringendes, wirkmächtiges Tun wird für das Moralitätskapitel nur insofern thematisierbar, als der Zweck dieses Tuns wesentlich in der Absicht des Handelnden aufweisbar ist; nicht aber ermöglicht das Moralitätskapitel eine Thematisierung von der Tätigkeit selbst her (wie wird Handeln geschichtlich wirkmächtig?).

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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

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seins des Rechts ergibt sich aus dem Hegelschen Konzept der praktischen Philosophie: aus der Fülle der geschichtlichen Erscheinungsformen rekonstruiert Hegel jene Bestimmungen, die unverzichtbar in allen Rechtsformen in Anspruch genommen werden: Gleichheit und Allgemeinheit. In der Handlungslehre der „Moralität“ klärt Hegel die Bedingungen, unter denen der abstrakte Rechtsbegriff Wirklichkeit hat: nur auf der Basis den entwickelten Handlungskonzepts kann das Subjekt als allgemeine Subjektivität die Wirklichkeit des Rechts erschließen. Die besonderen Bedingungen die hierfür auf Seiten des Rechts bzw. des Subjekts erfüllt sein müssen, klärt der Abschnitt „Moralität“. Für diese Begründungsabsicht ist die Vollständigkeit der geschichtlichen Darstellung ebenso verzichtbar wie die Einhaltung der Chronologie. Beide Gesichtspunkte sind für das Erreichen des Beweisziels nicht relevant. Zunächst soll nachfolgend die Fragestellung des dritten Abschnitts der Grundlinien präzisiert werden (7.1), dabei soll insbesondere (7.2) die „Methode“ der Rechtsphilosophie mit Blick auf die Funktion der historischen Gestalten für die Explikation der sittlichen Rechtsgestalten geklärt werden. Auf dieser Basis soll dann gezeigt werden, wie Hegel die geschichtlich gewachsenen Organisationsformen, „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“, als sittliche Gestalten, die für seine Zeit exemplarische Formen der Rechtsverwirklichung darstellen, rekonstruiert (7.3).252

252

Cobbens Einwand, Hegel entwickle sein Projekt nur von der Position der Philosophie aus und gebe den Bürgern keine Einsicht in die historische Relativität ihrer sittlichen Wirklichkeit, ist für die Konzeption der Rechtsphilosophie sicherlich unzutreffend, denn das Wissen des Gewissens um das Gute ist gerade nicht auf eine besondere Gestalt beschränkt. Vgl. P. Cobben: Das Gesetz der multikulturellen Gesellschaft. Würzburg 2002.

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7. RECHT ALS SITTLICHKEIT?

Das juristische Beweisverfahren, Eigentums- bzw. Rechtsansprüche durch die Rückführung auf die Entstehungssituation des Anspruches, d.i. durch Deduktion, als berechtigt auszuweisen, ist von Kant auf die philosophische Begründung von Wissensansprüchen übertragen worden.253 Ansprüche sind berechtigt, wenn die Legitimität der Entstehungssituation durch angemessene Dokumente nachgewiesen werden kann. Ganz analog zu diesem juristischen Begründungsverfahren sind Wissensansprüche für Kant dann berechtigt, wenn deren Zustandekommen auf den rechten Gebrauch des Verstandes zurückgeht. Zwischen dem juristischen Beweisgang und der philosophischen Begründung besteht insofern eine Analogie, als die Rechtmäßigkeit des Gebrauchs von Sachen wie von Begriffen eine Klärung ihrer Herkunft zur Voraussetzung hat. Die Übernahme des juristischen Begründungsmodells erfolgt in der Erwartung, für wissenschaftliche Ansprüche eine dem geltenden Recht entsprechende Verbindlichkeit zu erlangen. Wie als berechtigt ausgewiesene Rechtsansprüche von jedermann anzuerkennen sind, so soll die philosophische Deduktion des rechtmäßigen Gebrauchs der Begriffe die Geltungsbedingungen von Wissensansprüchen festschreiben. Berechtigt ist der Anspruch auf Wahrheit und allgemeine Geltung dort, wo das Zustandekommen dieser Aussagen auf die in der Deduktion aufgewiesenen allgemeinen Prinzipien des Vernunftgebrauchs zurückgeht. Diese allgemeinen Prinzipien sind für vernünftige Wesen unhintergehbar, insofern sie die Bedingung jeglichen Vernunftgebrauchs darstellen. Für die kritische Philosophie lautet die Aufgabe daher, die Bedingungen zu klären, unter denen Begriffe a priori auf Gegenstände bezogen werden können. In der Kritik der reinen Vernunft zeigt Kant, dass es nicht genügt, die Rechtmäßigkeit des Gebrauchs von Begriffen oder Kategorien in einer „metaphysischen Deduktion“ dadurch zu erweisen, dass deren Unabhängigkeit von aller Erfahrung aufgewiesen wird. Auch das konträr einsetzende Verfahren einer „empirischen Deduktion“ genügt den Ansprüchen der Kritik nicht. Wird hier doch mit dem „quid facti“ lediglich nach den einen Begriff ermöglichenden Erfahrungen gefragt. Mit der „transzendentalen Deduktion“ will Kant die Bedingungen des rechtmäßigen Gebrauchs apriorischer Begriffe auf Gegenstände der Erfahrung formulieren. Das Prinzip der „transzendentalen Deduktion“ ist für Kant dort erfüllt, wo nachgewiesen werden kann, dass die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien „notwendige Bedingung der Möglichkeit“ objektiver Erfahrung sind. Objektive Erfahrung ist ohne die reinen apriori253

Vgl. D. Henrich: „Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion“. In: Prauss (Hg.), Kant, 90-104.

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schen Verstandesbegriffe nicht möglich. Der Geltungsbereich dieser Verstandesbegriffe ist allerdings durch die mögliche Erfahrbarkeit auf Gegenstände in Raum und Zeit beschränkt. Da „Freiheit“ als Begriff in der Erfahrung nicht zugänglich ist, kann die praktische Philosophie zur Begründung des damit verbundenen Anspruchs nicht auf Freiheit als Verstandesbegriff zurückgreifen. Auch kann es für die praktische Philosophie nicht um die Prüfung der Berechtigung eines bloßen Wahrheitsanspruches gehen. Die Verbindlichkeit der hier gewonnenen Normen muss bei Übertretungen auch zu Sanktionen und Zwang berechtigen. Für die praktische Philosophie ist eine „Deduktion“ der Berechtigung dieses Anspruchs nur im Rückgriff auf das „Faktum der Vernunft“ möglich. In der Kritik der praktischen Vernunft zeigt Kant, dass ohne das Faktum der „Freiheit als Selbstgesetzgebung“ eine vernünftige Praxis des Handelns unmöglich ist. Dieses ex negativo Argument ist für Hegel im Bereich des Praktischen insofern problematisch, als der von diesem Argument ausgehende Nötigungscharakter bereits die Anerkennung eines vernünftigen Lebensentwurfs voraussetzt. Das Kantische Begründungsverfahren stößt hier an eine Grenze, die das Beschreiten neuer Wege erforderlich macht. Hegel verwendet den Begriff „Deduktion“ in den Grundlinien mehrfach. Dabei wird der Begriff einmal synonym mit beweisen verwendet (vgl., Grundlinien, Vorwort und §141), zum anderen wird „Deduktion“ als Verfahren von den Praktiken der formalen Logik abgegrenzt. Inwiefern Hegel damit ein gegenüber der Encyklopädie und auch der Logik eigenständiges Beweisverfahren etabliert ist zu prüfen.254 Die Konsequenzen des zur Begründung des kategorischen Imperativs in Anspruch genommenen ex negativo Arguments zeigen sich bei der Anwendung der moralphilosophischen Grundprinzipien in der Metaphysik der Sitten. Die dort sich ergebenden Weiterungen sind bei der von Hegel angezielten „Deduktion“ des Sittlichen (siehe Grundlinien, §141) zu berücksichtigen. Für den kategorischen Imperativ bzw. den positiven Freiheitsbegriff war eine nur eingeschränkte Deduktion im Rückgriff auf das Faktum der Vernunft möglich. Die entscheidenden Grenzen dieses Verfahrens zeigen sich im Rahmen der praktischen Anwendung, wenn es darum geht, konkrete Handlungen als verbindliche Pflichten zu bestimmen. Die Anwendung des Prüfungsverfahrens der Verallgemeinerbarkeit der Maxime meiner Handlung reicht insofern nicht zur Verpflichtung auf eine besondere Handlung, als der Wille, in einer vernunftgemäßen Ordnung zu leben, bereits vorausgesetzt werden muss. Es kann hier eine durch Vernunft begründbare Pflicht, „Eigentum zu schaffen“, nicht geben. Nur auf der Basis der schon anerkannten Geltung, dass Leben, dass Ei254

Die nicht nur in diesem Punkt bestehende „Nähe“ zu Kant geht wohl auf die Nürnberger Gymnasialkurse zurück, in denen Hegel sich an Kants Philosophiekonzeption orientiert und auftragsgemäß Rechts-, Pflichten- und Religionslehre im Anschluss an Kants Metaphysik der Sitten und die Religionsphilosophie zu unterrichten hatte. Vgl. Pöggeler: „Einleitung“, XXV.

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gentum etc. sein soll, kann die geforderte Widerspruchsfreiheit eine Verpflichtung schaffen, solche Güter anzustreben bzw. zu kultivieren und zu bewahren. Stellt man – wie Kant – der praktischen Philosophie die Aufgabe, eine Antwort zu geben auf die Frage „was soll ich tun?“, so ist diese Beschränkung des Verfahrens der praktischen Philosophie auf die bloße Prüfung der Widerspruchsfreiheit mit dem moralischen Gesetz insofern unbefriedigend als die Verbindlichkeit der Handlungsanweisungen nur dann gesichert ist, wenn die Vernunft, nicht aber die Willkür handlungsbestimmend ist. Kants rechtsphilosophisches Begründungsmodell vermag somit die Verbindlichkeit fundamentaler Faktoren des politischen Zusammenlebens in einer freiheitlichen Republik nicht zu begründen: Die das Eigentum legitimierenden Prinzipien stehen für Kant lediglich nicht in Widerspruch zur Vernunft, daher kann nur unter der Voraussetzung, dass Freiheit und menschliches Leben sein soll, Eigentum als ein verbindliches Prinzip gelten. Gleichwohl insistiert Kant in seiner politischen Philosophie auf der Unverzichtbarkeit des Eigentums.255 Es ist für das politische Zusammenleben in einem republikanischen Staat unverzichtbar, insofern der Bürgerstatus an Eigentum und selbständige Existenz gebunden ist. Der Bescheid der Rechtsphilosophie, Eigentum ist mit den Prinzipien der Vernunft wohl vereinbar, nicht aber notwendig, ist vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Relevanz dieser Rechtsform unbefriedigend. Wenn Kant lediglich die grundsätzliche Vereinbarkeit von Eigentum und vernunftbestimmten Handelns darlegen kann, öffnet er damit, bedenkt man die enorme gesellschaftskonstituierende Dimension von „Eigentum“ zwar große Spielräume vernunftgemäßer Gesellschaftsordnungen, für die praktische Philosophie aber muss dies als ein Mangel angesehen werden, der einem Verzicht der praktischen Philosophie zur Stellungnahme in zentralen gesellschaftlichen Fragen gleichkommt. Kant gelingt es nicht, die Rationalität bzw. Notwendigkeit einer fundamentalen Grundbestimmung moderner Gesellschaften nachzuweisen. Für Hegel – und das ist das Hauptmotiv für seine Neubegründung des „Rechts als Sittlichkeit“ – genügt es nicht, Rechtsansprüche (im juristischen Sinn) durch den Aufweis ihres Ursprungs bzw. ihrer Herkunft zu begründen, wie dies die Historische Rechtsschule im Rückgriff auf das römische Recht versucht. Vielmehr kann für die „neueren Zeiten“ kein Rechtsbegriff Gültigkeit haben, für den Rechte Privilegien sind, die ihre Legitimation aus einer spezifischen vergangenen Situation schöpfen. Durch die Rekonstruktion des Rechts am Leitfaden des Willens zeigt Hegel vielmehr – gegen die historische Rechtsschule –, dass der Anspruch auf Rechtmäßigkeit des Handelns nur dort erfüllt sein kann, wo die Legitimation der Regel nicht aus einer vergangenen Situation gewonnen wird, sondern sich aus der vernünftigen Selbstbestimmung des Willens herleitet. Was als Recht anerkannt werden soll, darf nicht der Konstellation faktischer Regelungen in einer besonderen Situation bzw. 255

Vgl. Kant: Gemeinspruch, 130ff.

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der Willkür eines besonderen Willens überlassen werden.256 Für die „neuen Zeiten“ ist ein vernunftrechtlich begründeter Rechtsbegriff gefordert. Hegel greift mit dem Anspruch, die Geltungsbedingungen von Recht zu deduzieren, auf den Deduktionsbegriff der Kritik der reine Vernunft zurück. Mit dem „Abstrakten Recht“ zeigt Hegel, dass ein reiner, am bloßen Personsein orientierter Vernunftbegriff des Rechts leer bleibt, wenn nicht die spezifischen Geltungs- bzw. Anwendungsbedingungen dieses Begriffs reflektiert werden. Wie der Geltungsbereich der Verstandesbegriffe auf die Sphäre möglicher Erfahrbarkeit (Raum und Zeit) beschränkt ist, so steht Sittlichkeit als Dasein der Freiheit unter bestimmten Realisierungsbedingungen, die eine Erweiterung des Personenbegriffs erforderlich machen. Mit dem Programm, diese Bedingungen zu rekonstruieren, löst Hegel den Anspruch ein, die „Vernünftigkeit“ und damit die Verpflichtung auf spezifische Institutionen, wie Eigentum, zu rechtfertigen. Für Kant greift das transzendentalphilosophische Begründungsverfahren für die Legitimation von Eigentum nur bedingt. Da das Recht auf Eigentum nicht unmittelbar den Prinzipien der praktischen Vernunft entstammt, kann eine Verpflichtung auf Eigentum nicht gerechtfertigt werden. Hegel versucht – unter dem Leitfaden eines erweiterten Vernunftbegriffs – dieses Problem zu überwinden. Das Kantische Begründungsverfahren führt im Rahmen der moralphilosophischen Grundlegungsschriften für die praktischen Normen (moralisches Gesetz) zum einen den Nachweis, dass sie unmittelbar auf Vernunftprinzipien rückführbar sind. Die mit der Willkür bestehenden Bedingungen fordern für die Anerkennung der Verpflichtung auf den kategorischen Imperativ die Anerkennung der Notwendigkeit einer vernunftgemäßen Lebensführung. Diese Anerkennung bedeutet eine Einschränkung der Geltung des moralischen Gesetzes, die nicht nur für den kategorischen Imperativ sondern auch für alle dem Menschen zukommenden Rechte greift: Das angeborene Recht auf Freiheit und die erworbenen Rechte kann es nur dort geben, wo bereits der Konsens besteht, dass das Zusammenleben der Menschen auf Vernunftprinzipien verpflichtet ist. Hegels Ausgangsfrage, wie die Pflicht des Staatsbürgers, Eigentum zu bilden, als Pflicht der praktischen Vernunft zu entwickeln ist, geht hinter den von Kant vorausgesetzten Konsens zurück und fragt nach seinen Bedingungen. Nachfolgend soll am Sittlichkeitskapitel verdeutlicht werden, wie Hegel das Kantische Deduktionsprogramm für die praktische Philosophie fruchtbar macht und erweitert. Vorbereitend sollen – anhand des Jenaer Entwurfs und der enzyklopädischen Begründungskonzeption – die Rahmenbedingungen der späten Konzeption skizziert werden.

256

Vgl. Grundlinien, Notiz zu §75 Anm., 79.

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7.1 Sittlichkeit und objektiver Geist Der Begriff „Sittlichkeit“ steht in der Philosophie des Rechts für das Programm, die Wirklichkeit des Rechts aufzuweisen. Konkret bedeutet dies, dass die Wirklichkeit der bloß möglichen Rechtsformen an bestehenden gesellschaftlichen Handlungsformen als Realisation der abstrakten Rechte von Subjekt und Person expliziert wird: Inwiefern sind Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staatszugehörigkeit Realisationen der abstrakten Rechte von Person und Subjekt? Die Bestimmung des Menschen als Person bzw. als Subjekt ist das Ergebnis einer Abstraktion von aller konkreten Bestimmtheit. Diese Abstraktionen sind allerdings keine Willkür, vielmehr werden die der Person bzw. dem Subjekt zugewiesenen Bestimmungen von Hegel als ‚Ergebnisse‘ der abendländischen Geschichte entwickelt. Die Begrenztheit des kantischen (praktischen) Begründungsprogramms zeigte sich dort, wo die Verpflichtung auf den kategorischen Imperativ bzw. das Recht nur unter der Voraussetzung gilt, dass das handelnde Subjekt einem vernünftigen Lebensentwurf unterstellt ist bzw. das „allgemeine Gesetz der Freiheit“ bereits Geltung hat. Diese Voraussetzung ist nur dort erfüllt, wo das handelnde Subjekt als notwendig vernünftig gedacht wird bzw. wo das handelnde Subjekt seine Zustimmung zu diesem vernünftigen Zustand eines öffentlichen Rechts gegeben hat. Für Hegel stellt sich dieses Problem bei der Konstitution der Person bzw. des Handlungssubjekts. Die abstrakte Bestimmung, der Mensch ist Person, bildet den Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des vernünftigen, sein Dasein als Freiheit begreifenden Handlungssubjekts. Die Rekonstruktion der sittlichen Gestalten muss zeigen, dass dieser willkürliche Anfang seine Berechtigung hat. D.h., er muss verdeutlichen, dass die Bestimmung des Menschen als „Person“ notwendige Selbstbestimmung einer vorgängigen Praxisform ist, die unverzichtbar auf der Freiheit und Gleichheit der Menschen aufbaut. Gelingt dieser Nachweis, so hat Hegel die Berechtigung seiner Ausgangsbestimmung demonstriert.

Objektiver Geist und Philosophie des Rechts Aus den Jenaer Arbeiten ist bekannt, dass es schon früh ein Grundanliegen Hegels war, die praktische Philosophie als Rekonstruktion von Sittlichkeit durchzuführen. Von Anfang an waren die Versuche auf diesem Feld durch die Abgrenzung der Sittlichkeit von Legalität und Moralität gekennzeichnet. In den Grundlinien ist insofern eine veränderte Ausgangsbedingung gegeben, als Hegel hier die praktische Philosophie als stufenförmig aufgebaute Rechtslehre entwickelt, in der die Sittlichkeit als dritte und letzte Rechtsgestalt den Abschluss bildet.

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Die vorausgegangenen Überlegungen haben gezeigt, die Darstellung des objektiven Geistes in der Enzyklopädie weist Differenzen zur Darstellung der Grundlinien auf. Die Darstellung der Sphäre der Sittlichkeit am Leitfaden der Idee des Rechts ist ausschließlich das Programm der Philosophie des Rechts. Weder in der Erstauflage noch in den beiden folgenden Auflagen der Enzyklopädie entwickelt Hegel die Darstellung der Sphäre des objektiven Geistes am Leitfaden der Idee des Rechts.257 Diese Differenz geht auf das unterschiedliche Anliegen der beiden Werke zurück: Hier geht es um die Systematik von Wissensformen, dort um den Ausweis einer gegenwärtigen, normativen Praxis als Dasein der Freiheit. Trotz dieser Differenzen greift Hegel in der Philosophie des Rechts auf die enzyklopädischen Grundbestimmungen des objektiven Geistes zurück, wenn dort die ‚Kategorien‘ der Lehre vom „Objektiven Geist“ zur Anwendung kommen. Das enzyklopädische Programm entwickelt das Stoffgebiet der praktischen Philosophie als Praxis, in der die Idee des Lebens und die Idee des Erkennens zur Einheit kommen. Diese Darstellung erarbeitet praktische Wissensgestalten unabhängig von der Frage der Wirklichkeit dieser Gestalten. Mit Blick auf diese enzyklopädische Darstellung ist die Aufgabe der Philosophie des Rechts näher zu bestimmen: Die Philosophie des Rechts nimmt die entwickelten praktischen Wissensgestalten auf und expliziert ihre normative Geltung für die Gegenwart. Abgrenzend von der enzyklopädischen Darstellung von Wissensgestalten lässt sich die Aufgabe der Philosophie des Rechts daher als Ausgestaltung der Grundtypen des objektiven Geistes fassen. Mit dieser Ausgestaltung ist der Anspruch verbunden, die Normativität dieser Wissensgestalten herauszuarbeiten: Dieser Anspruch ist nur dort einzulösen, wo die enzyklopädischen Gestalten als Rechtsgestalten rekonstruiert werden. Die „Idee des Rechts“ ist das Instrumentarium zur Realisierung dieses Programms. Von den drei in der Begriffslogik unterschiedenen Begriffen der Idee gehen in die Idee des Rechts sowohl die Idee des Lebens wie die Idee des Erkennens und die Idee des Guten ein. Die Vereinigung dieser drei Momente ermöglicht es, dass das Recht als Realisierung einer höchsten humanen Praxis verstehbar wird. „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ rekonstruieren den Geltungsbereich des Begriffs des Rechts am Leitfaden geschichtlicher Rechtsgestalten. Die an vergangenen Rechtsbestimmungen und deren Rechtsbegriff aufgewiesenen Defizite führen zu einer Vervollständigung des Rechtsbegriffs. Mit dem Gewissen hat Hegel für das Individuum ein Wissen um das Allgemeine erschlossen, das für die Rekonstruktion einer sittlichen Praxis unabdingbar ist, wenn diese Praxis nicht losgelöst vom handelnden Subjekt entwickelt werden soll. Die an „Person“ und „Subjekt“ entwickelten Rechtsbestimmungen führen zu keiner 257

Wenn Hegel in den späteren Auflagen der Enzyklopädie gleichwohl auch die Gestalten der Moralität als Rechtsgestalten einführt – und etwa vom Recht der Absicht und vom Recht des Wohls spricht (vgl. Enzyklopädie, §505) – so bleibt dies ohne Folgen für die Rekonstruktion der Sittlichkeit, die hier nicht als Rechtsgestalt rekonstruiert wird.

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Wirklichkeit des Rechts sondern treten lediglich als normativ Gesolltes der Wirklichkeit gegenüber. Ihre „Wirklichkeit“ ist für Hegel – und hier folgt er der Konzeption des Naturrechtsaufsatzes – nur in individuellen geschichtlichen Gestalten möglich. Die Voraussetzungen für den Ausweis dieser individuellen Gestalten als rechtsverwirklichende Gestalten wird durch die modifizierte Übernahme des Kantischen Deduktionsprogramm möglich. Wie Hegel dieses Programm aufgreift, ist nachfolgenden zu zeigen.

7.2 Sittliches Recht als Handlungstyp Gegenüber dem ersten und zweiten Teil der Grundlinien beansprucht Hegel im Abschnitt „Sittlichkeit“ die zunächst nur vereinzelt realisierten Begriffsbestimmungen des Rechts als Wesen zu erfassen. Als Wesen gestalten diese Bestimmungen eine daseiende Ganzheit im umfassenden Sinne. Die Voraussetzungen für die Einsicht in das Recht als Wesen sind am Ende des Abschnittes „Moralität“ gegeben, wenn mit dem Gewissen die Bedingungen für die Erfassung der Idee des Rechts als Einheit von Begriff und Wirklichkeit erfüllt sind. Für die sittliche Rechtspraxis ist die subjektive Einsicht entscheidend, diese ist aber ohne die vom individuellen Willen unabhängige Geltung der sittlichen Rechtsgestalten nicht möglich. Diese Unabhängigkeit vom individuellen Vollzug ist für die Verbindlichkeit der Rechtsformen unabdingbar: Als „Pflichten“ muss ihnen eine vom zufälligen subjektiven Wollen unabhängige Wirklichkeit zukommen. Es gehört zu den Merkmalen generischer Handlungen, dass ihnen ein von der subjektiven Zwecksetzung unabhängiger Sinn eigen ist. „Generische Handlungen“, so P. Stekeler-Weithofer, lassen sich „nicht einfach als Sammlung, als Klasse von Einzelvollzügen“ bestimmen. Für diesen Handlungstyp ist vielmehr „die Idee oder der Begriff des betreffenden Tuns die eigentliche Macht in meinem konkreten Handeln. Generische Handlungen schaffen allererst die „Möglichkeit, so zu handeln, also mein Tun h als Handlung H“ zu bestimmen. Diese Handlungen können, so Stekeler-Weithofer, „als Großsubjekte aufgefasst werden: Sie machen mich und uns zu den Personen, die wir sein können und sind, insofern sie uns über unmittelbare, kreatürliche Verhaltensreaktionen hinaus eine „Zweite Natur“ des kulturell „Selbstverständlichen“ und dann auch bewusste Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen.“258 Die Merkmale des hier beschriebenen Handlungstyps entsprechen jenen der sittlichen Rechtsformen. Zum einen bestehen diese Handlungen unabhängig von meiner je individuellen Zwecksetzung. Darüber hinaus bestimmen diese Handlungsformen die Handelnden ganz unabhängig davon, ob die 258

P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Paderborn 1992, 149.

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durch sie gesetzten Zwecke ergriffen werden oder nicht. Ihre Objektivität macht die Individuen überhaupt erst zu Handelnden. Zur Beschreibung dieses Handlungstyps zieht Hegel den Begriff des Geistes heran: Die Gestalten des „Objektiven Geistes“ stehen für die Unabhängigkeit einer Handlungsoption von der individuellen Zwecksetzung. Vor dem Hintergrund des im Moralitätskapitel entwickelten Handlungstyps (Handlung als Tun eines zwecksetzenden Subjekts) stellt sich die Frage, wie der für das Sittlichkeitskapitel grundlegende Handlungstyp expliziert wird. Es verbietet sich hier, für diesen Handlungstyp ein zwecksetzendes Großsubjekt einzuführen. Die Konstruktion der generischen Handlungen hat zwei Aufgaben zu erfüllen: Zum einen geht es um die Beschreibung vorgängiger Handlungstypen mit dem Ziel, diese Praxis als präskriptive Rechtspraxis begreifbar zu machen. Gegenüber den abstrakten Rechtsformen, die konstruktiv an historischen Rechtsgestalten gewonnen werden, scheint Hegel hier beschreibend vorzugehen, wenn seine Darstellung sich an den bereits institutionalisierten Handlungstypen Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat orientiert. Nur scheinbar geht Hegel hier deskriptiv vor. Das präskriptive Moment über die bloße Beschreibung einer vorgängigen Praxis nicht verbindlich zu machen. Gerade weil die mit den sittlichen Gestalten eröffneten Handlungsoptionen in der Gegenwart nicht mehr durch Tradition verfügbar gehalten werden, ist ihr Geltungsanspruch auch nicht deskriptiv einzuholen. Die Konstruktion dieses Handlungstypen soll gerade die Geltung herausarbeiten. Dies gelingt nur, wenn gezeigt werden kann, dass die Geltung der tradierten Praxis unmittelbar mit der Anerkennung der Rechte von Person und Subjekt verknüpft ist. Das Programm der Konstruktion von sittlichen Handlungsformen soll präzisiert werden, indem gezeigt wird, wie Hegel das Kantische Deduktionsprogramm für die Bestimmung des Rechts aufnimmt. Das in Paragraphen eins formulierte Programm, die Idee des Rechts als die Einheit von Begriff und Dasein darzustellen, darf nicht so verstanden werden, als entwickelte Hegel in den beiden ersten Abschnitten den Begriff des Rechts als Vernunftbegriff, um dann im dritten Abschnitt zur Wirklichkeit des Rechts überzugehen. Vielmehr ist ja bereits deutlich geworden, dass Hegel bereits im „Abstrakten Recht“, wenn er die im Personsein gesetzten Rechtsformen als Begriffsbestimmungen des Rechts entwickelt, diese Bestimmungen im Rückgriff auf historische Rechtsgestalten rekonstruiert. Die Rechtsbestimmungen werden „historisch“ entwickelt, insofern die im Recht gesetzten Geltungsansprüche an geschichtlichen Rechtsbestimmungen geprüft und präzisiert wird. Die Bestimmtheit aller im „abstrakten Recht“ aufgewiesenen Rechtsformen ist somit an historischen Rechtsformen gewonnen.259 Dadurch, dass Hegel die abstrakten Rechtsbestimmungen im Rückgriff auf historische Gestalten rekonstruiert, sichert er die 259

R.B. Brandom definiert dieses Verfahren der Begriffsanalyse im Rückgriff auf historische Rechtsgestalten als Rekonstruktion der sozialen Genese. Vgl. R.B. Brandom: Expressive Vernunft. Frankfurt a.M. 2000, 156f.

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inhaltliche Spezifizierung des Rechtsbegriffs. Die in Teil eins und zwei gewonnenen Begriffsbestimmung werden aus einer vorgängigen Handlungspraxis rekonstruiert. Maßstab für die Weiterentwicklung der Begriffsbestimmung des Rechts sind die dem Recht immanenten Geltungsbedingungen, wie die Notwendigkeit der Anerkennung der Allgemeinheit des Rechts durch das besondere Individuum. Der durchgängige Rekurs der Begriffskonstruktion auf historische Vollzüge genügt nicht, um zur der Darstellung der Idee des Rechts zu gelangen. Obwohl den hier entwickelten Rechtsbestimmungen Realität insofern zuzusprechen ist, als einzelne Momente dieser Bestimmungen in einer spezifischen historischen Situation Geltung für das Zusammenleben der Individuen hatte, ist die Wirklichkeit der konstruierten Rechtsbestimmungen, wie sie die Darstellung der Idee des Rechts fordert, noch keineswegs erreicht. Hegel macht einleitend deutlich, dass die wissenschaftliche Entwicklung der Idee zunächst die Begriffsbestimmungen des Rechts zu präzisieren hat. Diese Begriffsbestimmungen sind lediglich Momente, sie bilden die „inneren Voraussetzungen“, ihr Dasein als konkrete „Gestaltungen“ ist damit keineswegs aufgewiesen. Dass diesen an den Personen- bzw. Subjektbegriff geknüpften Rechtsbestimmungen Wirklichkeit zukommt, ist vielmehr die „andere Seite der Entwicklung, die nur in höher vollendeter Bildung es zu diesem eigenthümlich gestalteten Daseyn ihrer Momente gebracht hat“ (vgl. Grundlinien, §32, 48; GW 14.1, 48).260 Mit dieser Trennung unterscheidet Hegel zwischen zwei Ebenen der rechtsphilosophischen Reflexion, die jeweils einem Abschnitt der Grundlinien zugeordnet sind. Der erste und zweite Teil („Abstraktes Recht“ und „Moralität“) dient der Rekonstruktion jener Begriffbestimmungen des Rechts, die als Bedingungen der Möglichkeit das Dasein des Rechts explikabel machen. Leitfaden für diese Begriffsklärung sind vergangene Rechtsformen. Da mit dem Gewissen alle für das Dasein des Rechts notwendigen Bedingungen entwickelt sind, kommt der „Sittlichkeit“ die Aufgabe zu, die geschichtlichen Gestalten „Familie“, „bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ als Realisierung dieser Rechte zu explizieren. Für die konstruktive Aufgabe verknüpft Hegel Deskription und Explikation: Die Beschreibung der sittlichen Gestalten expliziert deren (moderne) Grundbestimmung, Wirklichkeit der bloß möglichen Rechte zu sein. 260

Die im ersten und zweiten Teil der Grundlinien zur Begriffsexplikation herangezogenen historischen „Beispiele“ stehen nicht in einer historischen Abfolge. Maßstab ihres Auftretens ist die Begriffsexplikation, nicht die Abfolge ihres geschichtlichen Auftretens. Iltings Deutung der Rechtsphilosophie als einer „Phänomenologie des Bewußtseins“ verfehlt den Anspruch Hegels, die Wirklichkeit dieser Rechtsformen auszuweisen. Hegel geht es hier um eine „Logik“ der Idee des Rechts – eine Logik, die auch die Realisierungsbedingungen entwickelt. Ein Anliegen, das bereits die Konzeption des Geist-Kapitels in der Phänomenologie des Geistes bestimmte. Vgl. E.Weisser-Lohmann: „Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt. Überlegungen zum Geist-Kapitel der Phänomenologie des Geistes“. In: Köhler / Pöggeler (Hg.), G.W.F. Hegel, Phänomenologie, 183-207.

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Die Differenzen zwischen den beiden Betrachtungsebenen charakterisiert Hegel in Paragraph 33. Dort bestimmt Hegel die „Sittlichkeit“ als Substanz, der gegenüber „Moralität“ und „Abstraktes Recht“ Akzidenzen sind. An anderer Stelle werden die Differenzen modallogisch bestimmt, insofern es sich im ersten und zweiten Teil um bloße Möglichkeiten im dritten Teil aber um die Bestimmung einer sittlichen Wirklichkeit handelt. Wie die verschiedenen Erklärungsmodelle zusammengehören, soll nun im Rückgriff auf die Logik gezeigt werden. Mit der Unterscheidung zwischen akzidentiellen und substantiellen Rechtsformen greift Hegel eine Bestimmung der Logik auf, die den Gesamtaufbau der Philosophie des Rechts bestimmt. Die akzidentiellen, als bloße Möglichkeit bezeichneten Rechtsformen werden im ersten und zweiten Abschnitt am Leitfaden des an und für sich seienden Willens konstruiert. Die gewonnenen akzidentiellen Rechtsbestimmungen erschließen im dritten Abschnitt die substantiellen sittlichen Wirklichkeiten. Die Überführung der modallogisch als Möglichkeiten ausgewiesenen Rechtsformen des Willens in die ontologische Bestimmung als „Substantialität“ ist für die Explikation der „sittlichen Gestalten“ konstitutiv. Möglichkeit, Zufälligkeit und Wirklichkeit sind, so Hegel in der Logik, wesenslogische Bestimmungen, die eine Sache gegenüber ihrem bloßen Dasein als „Existenz“ und „Erscheinung“ als „Wirklichkeit“ bzw. als „Notwendigkeit“ begreiflich werden lassen. Für die Bestimmung als „Wirklichkeit“ ist die Kategorie der Substantialität (Enzyklopädie, §150) insofern grundlegend, als in der Substanz die „Negation einer Möglichkeit“ festgeschrieben ist. „Substanz“ ist eine „wesentliche Stufe im Entwicklungsprozeß der Idee“. Substantialität ist einer Sache insofern eigen als sie nicht die absolute Idee, sondern die Idee in der noch beschränkten Form der Notwendigkeit dieser Sache zum Ausdruck bringt. Indem Hegel die Begriffsbestimmungen des Rechts mit dem Substanzbegriff verbindet, verweist er auf die nur beschränkte Geltung des Rechts. „Recht“ erweist sich gegenüber den absoluten Ideen des Schönen und Wahren insofern als beschränkte Gestalt als die Geltung des Rechts nicht absolut ist, sondern nur im Jetzt und Hier für die daseienden Gestalten der Sittlichkeit Wirklichkeit und Notwendigkeit besitzt. Diese nur eingeschränkte Bedeutung des Ideenbegriffs ist eine Folge des hier herrschenden Zwangs, zu einer inhaltlich bestimmten Einheit zwischen wirklicher Besonderheit und abstrakter formaler Allgemeinheit zu kommen. Die wesenslogischen Bestimmungen werden aus der Reflexion auf Vergangenes gewonnen, indem an den vergangenen Bestimmungen das zeitlos vergangene Sein verdeutlich wird. Der Begriff „Wesen“ steht für das aristotelische „to ti en einei“: das, was es gewesen ist. Sehr gut verdeutlicht eine Schülermitschrift der Nürnberger Zeit die mit der Auffassung des Wesens verbundene Intention: „Die Sprache hat im Zeitwort sein das Wesen in der vergangenen Zeit ‚gewesen‘ behalten; denn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Sein“ (Werke Bd. 6, 13). Diese Bestimmung des Wesens als das

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„zeitlos vergangene Sein“ wird für den Übergang in die Sphäre der Sittlichkeit entscheidend. Die Rechtsbestimmungen des „Abstrakten Rechts“ und der „Moralität“ sind zeitlose Bestimmungen, die aus geschichtlichen Rechtsformen rekonstruktiv gewonnen werden. Sie entsprechen seinslogischen Bestimmungen, die für die Gegenwart bloße „Möglichkeiten“ bilden, die in der Reflexion auf ihre zeitlose, wesenhafte Geltung hin befragt werden. Erst in der Reflexion werden diese Möglichkeiten als Wesen der Wirklichkeit für die Gegenwart konstitutiv (vgl. Enzyklopädie, §149). Die „sittliche Substanz“ ‚wird‘ durch Reflexion auf die gegenwärtige Sittlichkeit. Diese Reflexion orientiert sich an den rekonstruierten gewesenen Rechtsbestimmungen und setzt sie als die Wirklichkeit der bestehenden sittlichen Handlungsformen.261 In Paragraph 95 der Enzyklopädie geht Hegel auf den Zusammenhang von Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit ein. Gegen Kant fordert Hegel aufzuzeigen, „daß Etwas möglich“ ist. Das bloß Mögliche hat „an dem Wirklichen seine reale Reflexion-in-sich“ und wird so inhaltsvoll bestimmte, „reale Möglichkeit“. „Wirklichkeit“ wird von Hegel als Tätigkeit bestimmt, und zwar des „realen Grunds, der sich zur Wirklichkeit aufhebt, und der zufälligen Wirklichkeit, der Bedingung deren Reflexion-in-sich und ihr [sich] Aufheben zu einer andern Wirklichkeit. Diese Identität der Möglichkeit und Wirklichkeit ist die Nothwendigkeit“ (Enzyklopädie, §96, 64f.). Auf die Rechtsbestimmungen übertragen zeigt sich, dass im Übergang zur Bestimmung der Sittlichkeit den Rechtsformen, die als Möglichkeiten (erster und zweiter Teil der Grundlinien) den Grund einer nur zufälligen Wirklichkeit bilden, durch Reflexion ihre Zufälligkeit genommen und zu notwendigen Bestimmungen einer neuen sittlichen Wirklichkeit (Sittlichkeit) erhoben werden. Es zeigt sich, dass so wie die Möglichkeiten nicht „außerhalb unserer Darstellungen“ gegeben sind, auch die Wirklichkeit nicht einfach gegeben ist, vielmehr in der Reflexion gesetzt wird. Der Bestimmung von etwas als Wirklichkeit geht die Bewertung als treffend oder wahr voraus.262 Als Möglichkeiten können jene Prinzipien bezeichnet werden, die eine in sich konsistente Darstellung geben und denen möglicherweise Realität zukommt. „Möglichkeiten“ sind daher „dem subjektiven Denken“ zugehörig, sie sind Produkte des subjektiven Denkens, Erwägens und Vorstellens. „Wirklichkeit und Notwendigkeit“ werden demgegenüber „gesetzt als das nicht nur gesetzte, sondern in sich vollendete Konkrete“, sie sind „in der konkreten externen faktischen Erfahrung erfahrbar“.263 Diese Bestimmungen machen deutlich, die Bestimmung eines Sachverhaltes oder einer Rechtsform als „notwendig“ ist das Produkt unserer Setzung. „Notwendig ist das und nur das, was wir für notwendig er261

262

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Wie diese Bestimmungen in größeren Zeithorizonten zu verorten sind, kommt erst am Ende im Übergang zu den Gestalten des absoluten Wissens in den Blick. Zur geschichtsphilosophischen Verortung der rechtsphilosophischen Bestimmungen vgl. das nachfolgende Kapitel 9. Vgl. zu Hegels Bestimmung der Wirklichkeit insbesondere Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 289.

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klären, und zwar in ‚Wechselwirkung‘ mit dem Erfolg unserer Darstellungen von allgemeinen Erfahrungen.“264 Diese zentrale Rolle wesenslogischer Kategorien für die Konzeption der Sittlichkeit wirft die Frage nach dem Subjekt dieser Setzung in der realphilosophischen Sphäre auf265. Da die hier explizierten sittlichen Gestalten eine Unabhängigkeit vom einzelnen Subjekt auszeichnet, kann diese Setzung nicht das Produkt einer Setzung durch das einzelne Subjekt sein. Diese Setzung ist vielmehr Aufgabe der Philosophie, insofern sie die „Sittlichkeit“ als aus dem freien Handeln hervorgegangen konstruiert. Die Rede von der Notwendigkeit hat die Rekonstruktion des Wesens und die Konstruktion der Wirklichkeit dieser Wesensbestimmungen zur Voraussetzung.266 Neben den Modi „Wirklichkeit“ und „Möglichkeit“ greift Hegel zur Veranschaulichung des Verhältnisses von „Abstraktem Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“ auf die Kategorien „Substanz“ und „Akzidenz“ zurück, um mit ihnen die Rekonstruktion der „Wirklichkeit“ zu vollziehen. „Wirklichkeit“ ist für Hegel eine in bestimmter Weise dargestellte, konstruierte Wirklichkeit. „Wirklichkeit“ kommt den sittlichen Gestalten insofern zu, als eine gegebene Deutung eine existierende Erscheinung zutreffend erklärt.267 Dabei wird das

264 265

266

267

Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 319. Das Verhältnis der logischen Bestimmungen zu ihrer „Anwendung“ in den realphilosophischen Systemteilen fasst etwa Hösle zunächst als ein „lineares“ und „zyklisches“: „Auf einer ersten Ebene“ werden „die drei Teile der WdL auf lineare Weise in Beziehung gesetzt zu den drei Teilen des ganzen Systems – zur Logik selbst, zur Natur – und zur Geistphilosophie (...) auf einer zweiten Ebene werden dann die drei Teile der Logik einmal zu den drei Teilen der Naturphilosophie, einmal zu den drei Teilen der Philosophie des (subjektiven) Geistes in Beziehung gesetzt; es wird also jetzt ein zyklisches Entsprechungsverhältnis aufgestellt“ (Hösle: Hegels System. Bd. 1, 110f.). Gerade das zyklische Moment birgt allerdings große inhaltliche Probleme, etwa beim Vergleich zwischen Wesenslogik und Naturphilosophie. „Wesenslogisches kommt zwar zweifelsohne auch in der Natur vor; aber das relationslose Außereinander, die Unmittelbarkeit naturhafter Dinglichkeit weist doch eher auf die Ebene der Seinslogik.“ (ebd.) Hösle plädiert daher dafür, allein von einer „durchgehend linearen Entsprechung zwischen Logik und Realphilosophie“ auszugehen (op. cit., 112). Die logischen Bestimmungen erfahren somit, hier ist Hösle zuzustimmen, in der Tat nicht eine Wiederholung in der Realphilosophie, sondern führen, angereichert durch realphilosophische Kategorien, zu ganz neuen Bestimmungen. Vgl. Hösle: Hegels System. Bd. 1, 109. Vgl. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 282. Die Worte „Sein“, „Realität“, „Existenz“ und „Wirklichkeit“ stehen, so Stekeler-Weithofer, für unterschiedliche Stufen unseres Redens. „Sein“ ist der Titel für das, was das natürliche oder besser (relativ) naive Bewusstsein als Bereich der Bedeutung der Worte annimmt. Dabei werden unterschiedslos Dinge und abstrakte Gegenstände, Wahrnehmungsinhalte und bloße Vorstellungen als Bezugsbereich genommen. „Realität“ ist der Titel für die aktuale Erfülltheit qualitativer Bedingungen, die als solche Unterscheidungen sind, in denen jeweils ein positiver Fall, der des Bestehens oder der Wahrheit, ausgezeichnet ist. „Existenz“ ist der Titel für die reale Erscheinung eines Wesens. „Wirklichkeit“ steht für eine durch einen Wesensgrund theoretisch erklärte Existenz. „Gelangen wir dann über eine Wesenserklärung zu einer neuen Stufe unmittelbarer Gewißheiten, so sprechen wir im Rückblick, also im Modus reflexiver und metastufiger Rede, von Existenz und Wirklichkeit oder auch Wahrheit – und setzen diese den ‚oberflächlicheren‘

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„Wirkliche“ von Hegel als ein „Gesetztsein“, als reale Tätigkeit (energeia) gefasst. Im Erfassen des Gegebenen als Wirklichkeit werden frühere Bestimmungen aufgehoben, zeitinvariante Momente herausgestellt. Diese gesetzte Wirklichkeit gibt aber jeweils nur eine Momentaufnahme, daher verfehlt eine verdinglichende Deutung der Rede vom Wesen die Hegelsche Intention. Mit dem spekulativen Denken will Hegel „den konstitutiven Zusammenhang explizit (...) machen zwischen dem in den wissenschaftlichen Theorien auftretenden Allgemeinheiten, den internen Noumena, theoretischen Gegenständen und Aussagen einerseits, den Besonderheiten der je einzelnen ‚Anwendungen‘ der Theorie andererseits, z.B. bei der Darstellung und Erklärung eines konkreten Phänomens oder in einer konkreten Orientierung unseres Handelns.“268 Für die Rechtsphilosophie hat dieses Missverstehen des spekulativen Anliegens dazu geführt, dass die auf wesenslogischer Ebene angesiedelten rechtsphilosophischen Bestimmungen als dogmatische Festlegungen verstanden wurden. Der spezifische Status praktischen Selbstverständnisses bleibt dieser verdinglichten Lesart verstellt: Die – gegenüber der begrifflogischen Bestimmung – nur relative Gültigkeit der hier gesetzten Bestimmungen.269 Hegel nimmt die genannten logischen Kategorien im Übergang zum dritten Abschnitt der Grundlinien in Anspruch, um die Philosophie des Rechts zur Bestimmung der „Wirklichkeit“ als der ‚Realisierung des Rechts‘ zu führen. Sittlichkeit wird als Substanz, die „die Totalität aller Accidenzen“ umfasst, entwickelt. Gegenüber diesen Akzidenzen offenbart die Rekonstruktion die Substanz als absolute Macht270, aus dem „Reichthum alles Inhalts“, eine Wirklichkeit zu setzen. Wenn Hegel im Übergang zur „Sittlichkeit“ auf Grundbestimmungen der Wesenslogik verweist, erhebt er das Wechselverhältnis zwischen Akzidens und Substanz zum Modell für die Rekonstruktion der Gestalten der Sittlichkeit. Um das Setzen der Wirklichkeit aus den Möglichkeiten zu verdeutlichen, wird die Beziehung zwischen Substanz und Akzidenz als Kausalität von Ursache und Wirkung gedacht. Dabei bestimmt die Substanz sich, insofern sie das Übergehen in die Akzidentialität reflektiert, als selbstreferentielle ursprüngliche Sache. Als ursprüngliche Sache erweist sie sich als selbstreferentiell. Als Substanz hebt sie die bloße Möglichkeit, sich als das Negative ihrer selbst zu setzen, auf und bringt „eine Wirkung hervor, eine Wirklichkeit, die so nur eine Gesetzte, aber durch den Proceß des Wirkens zugleich nothwendige ist“ (En-

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Stufen des Redens von einem unmittelbaren Sein oder einer unmittelbaren Realität der Erscheinungen oder des ersten Anscheins entgegen“ (op. cit., 284). Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 40f. Vgl. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 229. Macht ist hier im Sinne des griechischen „dynamis“ zu verstehen, das wie das lateinische „potentia“, Vermögen, Einfluss, Kraft und Wirksamkeit bedeutet. Inwiefern hier „Macht“ auch „potestas“ im Sinne rechtlicher Verfügungsgewalt bzw. Amtsgewalt umfasst, wird zu klären sein. Zur Begriffsgeschichte von Macht vgl. K. Röttgers: Spuren der Macht. Freiburg i.Br. / München 1990.

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cyklopädie, §153). Die durch die Wirkung „gesetzte“ Wirklichkeit geht aus dem Wechselverhältnis zwischen Akzidenz und Substanz als selbständige, neue Einheit hervor. Indem die tradierten Gestalten der Sittlichkeit, die akzidentiellen Rechte als Möglichkeiten ergreifen und als ihr Wesen bestimmen, bringen sie eine neue sittliche Wirklichkeit hervor. Hegels Rede von der Substanz als der „selbstreferentiellen ursprünglichen Sache“ soll nachfolgend an der Darstellung der sittlichen Gestalten veranschaulicht und problematisiert werden.

7.3 Sittlichkeit als exemplarische Rechtsgestalt Die für die Gegenwart Verbindlichkeit beanspruchenden Rechtsprinzipien gehen auf eine ganz bestimmte geschichtliche Tradition zurück. Dort, wo diese Rechtsbegriffe nur partiell in Geltung sind, bleiben sie bloße Möglichkeit. Die entwickelten Rechtsbegriffe gehen über das bloße Sollen dort hinaus, wo diese Rechtsbegriffe als Handlungsformen objektive Wirklichkeit besitzen. Erst dort, wo Handlungsformen als Rechtsgestalten explikabel sind, werden aus den bloß möglichen Rechten wirkliche Rechtsgestalten. Dieser Anspruch ist dort eingelöst, wo eine tradierte sittliche Gestalt als Rechtsgestalt reformuliert wird. Die wirkliche Rechtsgestalt erweist sich als das Produkt einer Rekonstruktion auf der Basis jener Rechtsbegriffe, die die Begriffsanalyse des Rechts am Leitfaden vergangener Daseinsformen des Rechts herausarbeitete. Dabei tritt die Rekonstruktion eines Handlungstyps als Recht in Konkurrenz zu anderen geschichtlich überlieferten Formen sittlichen Selbstverständnisses. Die gegenwärtigen Gestalten der „Sittlichkeit“ gehen auf ein Konglomerat von Bestimmungen zurück, die meist kultischen oder religiösen Ursprungs sind. Sollen diese Handlungsformen auch in der Gegenwart verbindlich sein, so sind diese Bestimmungen durch die Explikation dieser Handlungsformen als Rechtsgestalten abzulösen. Hegel wählt aus der bestehenden Praxis drei Handlungsformen aus und verdeutlicht an ihnen die wirkliche Geltung der entwickelten Rechtsbestimmungen: Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Dass die mit dem Person- bzw. Subjektsein beanspruchten Rechtsformen in der Gegenwart die Wirklichkeit des Handelns bestimmen, hat die „Philosophie des Rechts“ darzulegen. Dabei ist die Konstruktion der sittlichen Wirklichkeit folgender Leitfrage verpflichtet: Wie lassen sich die tradierten Praxisformen als Realisationen der Möglichkeit, Gestalt des Rechts zu sein, konstruieren? Aus dem Blickwinkel der substantiellen Sittlichkeit sind die aus den Begriffen Person und Subjekt gewonnenen Rechte zunächst als situativ kontingent. Sie bilden für die Gegenwart bloße Möglichkeiten. Herders Konzeption folgend begreift Hegel diese Rechtsformen als nur eine Weise, wie das Zusam-

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menleben der Menschen zu Verbindlichkeiten und Regeln gelangen kann. Im Rückblick zeigen sich nämlich Religion, Kunst und Kultur weit bedeutsamer als das Recht, wenn es um die Konstitution einer sittlichen Praxis geht.271 Noch in den Jenaer Schriften versteht Hegel Kunst und Religion als die maßgeblichen Formen des Volksgeistes. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Konstitution und Normierung des Zusammenlebens durch Rechtsformen als nur eine Möglichkeit.272 Eine Möglichkeit die darüber hinaus auf Einzelbestimmungen beschränkt bleiben, ohne aber eine Wirklichkeit gestaltend zu durchdringen. Soll der Anspruch auf allgemeine Geltung eingelöst werden, so ist der Nachweis der Wirklichkeit dieser Rechte zu führen, indem die Philosophie die Angemessenheit dieser Setzung an die Ansprüche einer „Vernunft fordernde Vernunft“ erweist. Der Abschnitt „Sittlichkeit“ hat die Aufgabe, diesen Nachweis zu führen, indem die tradierten Sittlichkeitsmodelle auf der Basis der entwickelten Rechtsbegriffe konstruiert werden. Die „lebendige Sittlichkeit“ – als aus den Gestaltungsformen Kunst und Religion hervorgegangen – bildet für das Wirklichkeit setzende Verfahren der Philosophie das Material, aus dem die Wirklichkeit dieser Rechte aufgewiesen werden muss. Die normative Kraft der neuen Prinzipien erweist sich dort, wo sie die tradierten Regelsysteme zur Umgestaltung zwingt, wie etwa im Erbrecht. Noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen: Hegel trennt im Aufbau der Encyklopädie zwischen absolutem und objektivem Geist und scheidet beide Sphären streng voneinander. Vor diesem enzyklopädischen Hintergrund wird nicht klar, wie sich die Formen des absoluten Geistes (Religion, Kunst) als für die Sittlichkeit eines Volkes konstitutive Gestalten, zu diesen neuen Gestalten der Sittlichkeit verhalten. Mit Bezug auf das Verhältnis von Rechtsprinzip und absolutem Geist ist die Darstellungsform der Encyklopädie – in deren Aufbau sich ja auch die Grundlinien einfügen – verstellend. An Hegels Konzeption der Sittlichkeit wird infolge der strengen Trennung zwischen absolutem und objektivem Geist nicht deutlich, wie die Formen des absoluten Geistes das Zusammenleben – d.i. den objektiven Geist – stimmen. Im Rahmen einer Philosophie des Rechts verengt sich der Blick auf eine geschichtlich von der substantiellen Sittlichkeit hervorgebrachte Möglichkeit, das Recht. Andere Wirklichkeiten der Sittlichkeit – in der Vergangenheit durch Kunst und Religion gegründete Gestalten – kommen im Rahmen dieses Ansatzes nur in einge-

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Vgl. die Notizen zu Paragraph 147, wo Hegel die Studenten darauf hinweist, dass die Griechen kein Gewissen hatten. Deren Sittlichkeit wird am Beispiel der Lacedämonischen Gesandten anschaulich, die, um dem sicheren Tod zu entgehen, von Hydarnes zum Bleiben aufgefordert werden. Vgl. auch F.H. Jacobi: „Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelsohn (1785)“. In: ders., Werke. Darmstadt 1976. Bd. 4, 1-253; hier 181f. Es ist diese Perspektive, die Hegel dazu nötigt, mit der rechtsphilosophischen Konzeption eine geschichtsphilosophische These zu verbinden. Vgl. das folgende Kapitel 8.

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schränkter Weise in den Blick.273 Gleichwohl gehen diese früheren Gestalten lebendiger Sittlichkeit in den Ansatz der Philosophie des Rechts ein, da auch die Philosophie des Rechts ihre Bestimmung der gegenwärtigen sittlichen Praxis an diesen bewährten – einst durch Religion und Kunst begründeten – Praxisformen orientiert. Hegels Darstellung der Sittlichkeit im dritten Teil der Grundlinien verfehlte ihre Aufgabe, gelänge es nicht, die Idee des Rechts als Gestaltungsprinzip einer neuen Gestalt sittlicher Wirklichkeitskonstitution auszuweisen. Wenn die Rechtsformen des Person- bzw. Subjekt-Seins als Bestimmungen in die tradierten sittlichen Lebensformen eingehen, so bringt diese Setzung eine neue selbständige Gestalt der Sittlichkeit hervor. In der Gegenwart konstituiert die Philosophie als Gestalt des absoluten Geistes Sittlichkeit. Ihre Explikation der Gestalten der lebendigen Sittlichkeit hat zu zeigen, wie die Begriffsbestimmungen des Rechts als Möglichkeiten in die tradierten Lebensformen eingehen und diese zu verwandeln vermögen. In dieser Explikation vergegenwärtigt die Philosophie in dem oben entwickelten Sinne eine Wirklichkeit.274 Die „Philosophie des Rechts“ hat zu zeigen, wie in dieser ‚Setzung‘ die abstrakten Rechtsformen als Freiheitsrealisation eine neue Gestalt hervorbringen, die als Recht das Gute verwirklicht. Der Philosophie wird die Aufgabe übertragen zu zeigen, wie die abstrakten Rechtsprinzipien die tradierten Bewährungs- bzw. Geltungsformen (Kultus und Religion) ablösen, und neue Formen lebendiger Sittlichkeit hervorbringen. Durchaus ist daher von einer Ablösung der tradierten Bewährungsformen durch die Philosophie zu sprechen. Die Rolle dieser früheren Bewährungsformen muss daher neu bestimmt werden.275 273

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Vor dem Hintergrund dieser Sittlichkeitskonzeption der Philosophie des Rechts könnte Hegels Plan, im Übergang von Heidelberg nach Berlin eine Vorlesung über Kunst und Religion anzubieten, aus der Einsicht in die Defizite des rechtsphilosophischen Ansatzes hervorgegangen sein. Neu ist die Zusammenstellung von Kunst und Religion vor dem Hintergrund der seit 1817 bestimmenden enzyklopädischen Systematik, die zwischen Kunst und Religion als Wissensformen streng trennt, ohne deren gemeinsamen Horizont, die sittliche Praxis, in den Blick zu bringen. Auch bestand der Plan im Winter 1820/21 über Staatspädagogik zu schreiben. Vgl. Briefe Bd. 2, 271. Die Darstellungsform der Encyklopädie wirkt verstellend nicht nur für das Verständnis der Hegelschen Konzeption der Sittlichkeit, sondern auch für seine Konzeption einer „Philosophie der Kunst“. Vgl. die Diskussion um die „Ästhetik“ und deren Grundlagen in A. Gethmann-Siefert: „Einleitung“. In: G.W.F. Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 2: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von H.G. Hotho. Hg. v. A. Gethmann-Siefert. Hamburg 1998, XV-CCXXIV; hier LXXXVIIIff. Hegels schwankende Äußerungen zur Rolle der Religion im modernen Staat (vgl. etwa Grundlinien, §270; sowie Enzyklopädie; §552 Anm.) erwecken den Eindruck, dass er selbst an der Fähigkeit der Rechtsformen zweifelte, zu neuen stabilen Gestalten der Sittlichkeit zu führen. In weiterer Perspektive bestimmt diese Frage Hegels Konzeption der Moderne. Da Französische Revolution und Protestantismus für Hegel für die Moderne bestimmend sind, bleibt den katholischen Ländern diese Moderne verwehrt. Damit wird dem Protestantismus aber eine Rolle zugesprochen, die mit der Trennung zwischen Staat und Kirche, wie Hegel sie in Paragraph 270 der Grundlinien fordert, nur schwer in Einklang zu bringen ist. Vgl. E. Wei-

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Hegel greift mit der Thematisierung der „Sittlichkeit“ im dritten Teil seiner Philosophie des Rechts auf frühe Konzeptionen zurück. Die Frage, wie das mechanische Räderwerk des Staates in Freiheit bewahrende, „lebendige Sittlichkeit“ zu überführen sei, bestimmte Hegels Denken schon früh. Mit der Rekonstruktion der Sittlichkeit als Recht greift Hegel auf die frühe Jenaer Konzeption zurück, die „Familie“, „Gesellschaft“ und „Staat“ aus den intersubjektiven Anerkennungsformen Liebe, Arbeit und Kampf rekonstruiert und konstituiert. Ob und wie Hegel diese Form der Rekonstruktion sittlicher Gestalten aus Anerkennungsformen in die Konzeption der Philosophie des Rechts integriert, muss im Folgenden insbesondere mit Blick auf jene Interpretationen geklärt werden, für die zwischen den frühen Arbeiten und der Konzeption der Rechtsphilosophie ein Bruch besteht. Wenn die entwickelten Rechtformen eine neue Praxis menschlichen Zusammenlebens konstituieren, so werden die Anerkennungsformen der substantiellen Sittlichkeit in einen neuen Begründungszusammenhang gestellt. Nicht nur mit Blick auf die Freiheitsrechte der Individuen, sondern auch für die Legitimation bestehender, das Zusammenleben regelnder Normen ist die Relevanz des „Rechts“ seit der Französischen Revolution unabweisbar geworden. Gleichwohl bleibt das Recht für Hegel bloße Möglichkeit, wenn es nicht gelingt, die tradierten Praxisformen als Rechtsformen neu zu bestimmen. Wie Hegel im Rahmen dieser Neubestimmung die Formen der tradierten Sittlichkeit aufgreift und durch das Recht rekonstruiert soll nachfolgend gezeigt werden. Dabei soll auch nach den Konsequenzen dieser Rekonstruktion für die Ausgestaltung und den Geltungsanspruch der Normensysteme gefragt werden. Für die aristotelische Konzeption der Sittlichkeit bildet die polis als das in Stände gegliederte Volk den Inbegriff lebendiger Sittlichkeit, in der die individuellen Interessen hinter das Allgemeine zurücktreten. „Sittlichkeit“ strukturiert als substantielle Gegebenheit das Miteinander der handelnden Menschen und verpflichtet in vorbegrifflicher Organisation durch Religion und Kult. Das göttlich-natürliche Gesetz hat für die Formen des Zusammenlebens legitimatorische Funktion. Mit dem neuzeitlichen Naturrecht wird mit der Forderung nach Gleichheit nicht nur die ständische Gliederung obsolet. Das freie Individuum lässt sich auch nicht auf eine gemeinsame Konzeption des Guten verpflichten, sondern fordert das Recht auf Selbstbestimmung und individuelle Interessen. Unter der Pluralität von Glaubensbekenntnissen ist eine gemeinsame Konzeption des Guten nicht verbindlich zu machen. In der Phänomenologie des Geistes hatte Hegel vor dem Hintergrund der Erfahrungen der französischen Revolution gezeigt, wie die auf der Basis des Personseins der Individuen eingeforderten Rechte (als naturrechtliche Bestimmungen) die Integra-

sser-Lohmann: „‚Reformation‘ und ‚Friedrich II.‘ in den geschichtsphilosophischen Vorlesungen Hegels“. In: dies. / D. Köhler (Hg.), Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bonn 1998, 95-121.

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tion der Einzelnen in ein politisches Ganzes verhindern.276 Die Forderung einer „Freiheit des Einzelnen“ scheint geradezu den Verzicht auf „Sittlichkeit“ zu implizieren und im Terror zu enden. Für eine praktische Philosophie, die gleichwohl an dieser Konzeption der Sittlichkeit als lebendiger Wirklichkeit festhalten will, sind somit zwei Aufgaben zu lösen: Zum einen muss die Forderung, das Zusammenleben der Individuen als „lebendige Sittlichkeit“ zu begreifen, eingelöst werden, ohne in eine „antikisierende“ Restitution von Sittlichkeit zu verfallen. Im Rahmen dieser neuen Sittlichkeitskonzeption sind insbesondere die Forderungen des neuzeitlichen Naturrechts und die politischen Ansprüche der französischen Revolution zu klären.277 In den Grundlinien bestimmt Hegel die Sittlichkeit nicht wie noch in Jena als das gemeinsame Werk der Stände. Vielmehr werden Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat losgelöst von einer Ständelehre als selbständige sittliche Gestalten entwickelt. „Werkbegriff“ und „Ständelehre“ stehen für eine Konzeption des Praktischen, die Hegel spätestens in der Berliner Zeit aufgegeben hat. Wie unentschieden Hegel mit Blick auf die Rolle des Werkbegriffs für die moderne Konzeption von Sittlichkeit war, lässt sich noch bis in die Heidelberger Zeit verfolgen. Spuren der frühen Werkkonzeption finden sich noch in der ersten Auflage der Encyklopädie (1817), wo Hegel in Paragraph 433 die sittliche Substanz – ganz dem Jenaer Ansatz (1803/4) folgend – als allgemeines Werk entwickelt.278 Im Werkbegriff vereinigt Hegel Bestimmungen, die der objektiven und der absoluten Sphäre des Geistes zugehören. Im Werk manifestiert sich das Handeln einer Gemeinschaft, im Werk wird das Selbstverständnis eines Volkes anschaulich.279 Als Staatsform ist die polis Kunstwerk, d.h. die Wirklichkeit der Handlungsnormen wird in Göttergestalten und Kunstwerken anschaulich. „Kunst“ und „Religion“ bilden als geistige Ausdrucksformen das Selbstverständnis einer Gemeinschaft und ermöglichen als anschaulich erfahrbare Realität das tätige Sich-selbst-Erfassen einer Gemeinschaft. In der Phänomenologie des Geistes beschreibt Hegel diesen Prozess folgendermaßen: „Im Werk wird das tätige Volk sich als ein aüsseres (...) diß aüssere ist ihre That, es ist nur zu was sie es gemacht haben, es sind sie selbst, als thätige aufgehoben (...) Das Volk schaut sich im Werk als Ein Volk an, diß ihr Werk ist ihr eigener Geist (...) Sie erzeugen ihn, aber sie verehren 276 277

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Vgl. Weisser-Lohmann: „Daß das Allgemeine zu einer That komme“. Für die Phänomenologie führt die Absage an eine Verwirklichung der Freiheit in einem sittlichen Ganzen zur Innerlichkeit der Moralität. Vgl. Weisser-Lohmann, „Gestalten nicht des Bewußtseins“. Auch die Substanz wird hier (in A 436) als „ein allgemeines Werk“ bestimmt. Ob hier allerdings die aristotelische Poiesis das Werk hervorbringt, wie Peperzak annimmt, muss bezweifelt werden. Hegels Arbeitsbegriff wies bereits Ende der Jenaer Zeit über das bloße Herstellen hinaus und vereinigte poietische und praktische Handlungsmomente. Vgl. Peperzak: Hegels praktische Philosophie, 235. Vgl. hierzu A. Gethmann-Siefert: „Die geschichtliche Funktion der ‚Mythologie der Vernunft‘ und die Bestimmung des Kunstwerks in der Ästhetik“. In: Chr. Jamme / H. Schneider (Hg.), Mythologie der Vernunft. Frankfurt a.M. 1984, 226-260.

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ihn als ein für sich selbst seyendes“ (Phänomenologie, 315f.). Das letztgenannte Moment, das Werk als „für sich selbst seyndes“, zeichnet diese geschichtliche Gestalt als Gestalt des absoluten Geistes aus: „Was hier verehrt wird, ist der absolute Geist eines Volkes.“ „Absolut“ ist dieser Geist, insofern die hier konstitutiven Prinzipien losgelöst vom geschichtlichen Kontext für jedermann nachvollziehbar sind. „Sprache“ und „Arbeit“ als die konstitutiven Prinzipien dieses Werks verwirklichen den absoluten Geist eines Volkes. „Sprache“ ist hier nicht Individualsprache, sondern „Sprache eines Volkes“, als Ausdruck für das Selbstverständnis einer bestimmten geschichtlichen Kultur. Im Zusammenschluss des animal sociale organisiert eine Gemeinschaft in der tätigen Auseinandersetzung mit der Natur zunächst ihr Überleben. Auf dieser Stufe ist die Arbeit des Menschen natürlich-instinkthaft und hat im Tierreich Entsprechungen. Sobald der Mensch Werkzeuge zur Naturaneignung entwickelt, bringt er Werke hervor, die durch Beständigkeit die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung überdauern. Im Werkzeug280 transzendiert die verbrauchende Arbeit ihren unmittelbaren Zweck (Naturbewältigung) und schafft Welt. Dies gilt auch für die Sprache. Indem die eigene Welt zur Sprache gebildet wird, verinnerlicht sich im sprachlichen Werk das Bewusstsein einer Gemeinschaft. So wie in Arbeit und Besitz sich die reale Existenz einer Gemeinschaft objektiviert, so wird in der Sprache die ideale Existenz des Geistes manifest. In Göttervorstellungen und Mythen stiftet die Kunst die allgemeine Sittlichkeit, das „schöne, öffentliche Leben“. Das aus Arbeit und Sprache hervorgegangene Werk wird mit der Göttervorstellung vereinigt zum Staatswerk, das als Kunstwerk anschaulich gegeben ist. Das durch Sprache, Arbeit und Kultus konstituierte geschichtliche Selbstbewusstsein wird im Kunstwerk anschaulich. Dieses Werk manifestiert nicht nur den objektiven Geist als geschichtliches Selbstverständnis, sondern manifestiert darüber hinaus den „absoluten Geist eines Volkes“, insofern das Werk ein Geistiges gegenwärtig hält. Für Hegel bleibt die Wirklichkeit dieser Einheit von Kunstwerk und Staatswerk, d.h. die normierende Kraft der aus ihr entspringenden Orientierung, auf das Griechentum beschränkt. Hegels Zweifel am Leistungssinn des Werkbegriffs für die Erfassung der modernen Gesellschaft führt in den Heidelberger Vorlesungen und in den Grundlinien schließlich zum vollständigen Verzicht auf diesen Begriff. Hegels Aufnahme des modernen Naturrechts führt unweigerlich zu der Frage, wie unter den Bedingungen der Moderne – dem Recht der Person und dem Recht des Subjekts – die das Handeln normierende Verpflichtung als Sittlichkeit, d.h. als eine von allen geteilte Konzeption des Guten ausgewiesen werden kann. Der 280

Vgl. Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Wesen, C. Der ausgeführte Zweck (Werke Bd. 6, 453): „Insofern ist das Mittel ein Höheres als die endlichen Zwecke der äußeren Zweckmäßigkeit, – der Pflug ist ehrenvoller, als unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden. An seinem Werkzeug besitzt der Mensch die Macht über die äußerlich Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist“.

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Naturrechtsaufsatz fasste „die absolute sittliche Totalität (...) als ein Volk“ (Naturrechtsaufsatz, 449). Weder kann die Forderung der französischen Revolution nach Freiheit und Gleichheit der Einzelnen unmittelbar in diese Konzeption des Sittlichen überführt werden, noch vermag dieses Modell dem moralischen Recht des Subjekts gerecht zu werden. Die Hervorbringung eines gemeinsamen Werkes, in dem die Sittlichkeit der Gemeinschaft für alle anschaulich gegeben, nachvollziehbar, bindend und damit „wirklich“ ist, ist auf der Basis einer arbeitsteiligen Gesellschaft nicht möglich. Die Anschauung eines gemeinsamen Handelns im Werk war für die Sittlichkeit der Polis konstitutiv. In der Moderne fehlt aber der die Arbeit der Stände einigende Horizont eines gemeinsamen durch Kunst und Religion gestifteten Selbstverständnisses. Wie unzulänglich das in der Französischen Revolution entwickelte Repräsentationsmodel eines stellvertretenden Handelns ist, hat Hegel bereits in der Phänomenologie des Geistes gezeigt: Das Individuum lässt sich nicht durch die Vorstellung, sein Wille würde repräsentiert „betrügen“, denn „wobei das Selbst nur repräsentiert und vorgestellt ist, da ist es nicht wirklich; wo es vertreten ist, ist es nicht“ (Phänomenologie, 389). Für die Beantwortung der Frage nach der für die Moderne adäquaten Form der Sittlichkeit muss geklärt werden, was an die Stelle der Werkkonzeption treten kann. Die „substantiellen Bestimmtheiten“, Ehe, bürgerliche Gesellschaft und Staat, bilden den Leitfaden für die Rekonstruktion der Sittlichkeit als Rechtsform. Als tradierte Lebensformen gehen diese aus spezifischen Zwecken und Bedürfnissen hervor. In diesen Lebensformen ist die Befriedigung dieser Zwecke auf eine allgemein gültige Weise gelöst, so dass die Befriedigung auf Dauer gestellt ist. Die „späte“ Jenaer Geistphilosophie von 1805/6 weist zur Darstellung der Sittlichkeit in den Grundlinien zahlreiche Parallelen auf. Auch in der Jenaer Konzeption unterscheidet Hegel im ersten Teil der Geistphilosophie (Der Geist nach seinem Begriff) „Intelligenz“ und „Wille“. Allerdings entwickelt Hegel hier – abweichend von der Darstellung der Grundlinien – bei der Bestimmung des „Willens“ Formen des erscheinenden Geistes. Formen, die er später unter der Bestimmung „objektiver Geist“ behandelt. Mit dieser Darstellungsform hält Hegel, so Siep, an dem Grundgedanken fest, das „System der Institutionen, d.h. die Selbstgestaltungen des Willens einer Gemeinschaft, zugleich als Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins darzustellen, innerhalb derer die Interaktionsformen erörtert werden, die notwendig sind, um dem Einzelnen seine Identität mit dem allgemeinen Geist zum Bewußtsein zu bringen. (...) Diese Einheit wird später getrennt: ‚bildungsgeschichtliche‘ Aspekte werden nur noch im subjektiven Geist behandelt, während das System der Institutionen als Selbstentfaltung des objektiven Geistes dargestellt wird“281. Mit Blick auf die Grundlinien ist zu klären, inwiefern die vollzogene Trennung für eine konzeptionelle Änderung oder lediglich für eine verränderte Darstellungsform steht. Die Grundfrage ist, ob Hegel das System der Institu281

Siep: Anerkennung als Prinzip, 192.

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tionen als Gestalten des objektiven Geistes losgelöst vom Selbstbewusstsein zur Darstellung bringt. Die aus dem Selbstbewusstsein als Person gewonnenen Rechtsbestimmungen zeigten sich insofern als unzureichend, als weder das „Dasein der strafenden Gerechtigkeit“ noch das „Dasein des Guten“ ausgehend von den abstrakten Bestimmungen zu rekonstruieren ist. Die geschichtliche Verortung der einzelnen Rechtsbestimmungen machte deutlich, dass beide Positionen (Legalität und Moralität) überhaupt nur vor dem Hintergrund eines bereits bestehenden Ordnungsgefüges bestimmbar sind. Gegenüber diesen wirklichen Ordnungen bleiben die abstrakten Begriffsbestimmungen (eines persönlichen bzw. subjektiven) Rechts so lange unzulänglich, als sie nicht die Wirklichkeit dieser Ordnung zu erzeugen vermögen. Damit die rekonstruierten Begriffsbestimmungen des Rechts zu Wirklichkeiten – im wesenslogischen Sinn des Wortes – werden, müssen die bestehenden Interaktionsformen der Sittlichkeit diese Bestimmungen verwirklichen, indem sie als Realisation dieser Wesensbestimmung expliziert werden. Recht als das Wesen der Sittlichkeit unterscheidet sich von den geschichtlichen Daseinsformen des Rechts insofern, als „Recht als Sittlichkeit“ keiner anderen Zwecksetzung unterstellt ist, vielmehr als Dasein der Freiheit Selbstzweck ist. Diese Selbstzweckhaftigkeit der daseienden Wirklichkeit des Rechts verbietet für die Philosophie des Rechts geradezu die Rekonstruktion des Entstehungszusammenhangs rechtlicher Institutionen im Rahmen einer Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins. Hegel verzichtet daher um die Wirklichkeit dieser Gestalten zu sichern, auf eine Rekonstruktion dieser Gestalten aus dem Bewusstsein der Individuen. Hegels Darstellung der sittlichen Grundgestalten greift allerdings tradierte und bewährte Gestalten auf, die er in Jena als aus der Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins hervorgehend rekonstruierte. Die Grundlinien, und das soll nachfolgend gezeigt werden, bauen auf dieser Rekonstruktion auf, um in der Reflexion auf die konstitutiven Bedingungen, diese Institutionen als Rechtsformen auszuweisen. Dabei muss sich die in der Darstellung der Sittlichkeit als Gestalt des objektiven Geistes vermisste Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins in der Rekonstruktion der Sittlichkeit als Recht gleichwohl wiederfinden lassen, auch wenn Hegel diesen Zusammenhang – aufgrund der hier betonten ‚Selbstzweckhaftigkeit‘ des daseienden Rechts – nicht zum Leitfaden seiner Darstellung macht. Gegenüber der Konzeption der Sittlichkeit als Werk, die die Sittlichkeit als aus dem Wirken der Stände hervorgegangen begreift und diesem Werk durch „Anschaulichkeit“ Allgemeinheit zusprach, wird Sittlichkeit nun als Recht konstituierende Praxis entwickelt, die Freiheit als Selbstbestimmung in allgemein anerkannten Handlungen ermöglicht und zur Pflicht erhebt. Das Dasein der Freiheit als Selbstzweck und daher nicht als „Werk“ zu fassen. Nachfolgend soll an den Gestalten der Sittlichkeit gezeigt werden, wie Hegel „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ als exemplarische Formen der Verwirklichung des Rechts, der Freiheit rekonstruiert.

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8. SITTLICHKEIT ALS RECHT

Für die Rekonstruktion der tradierten sittlichen Gestalten als Rechtsgestalten greift Hegel auf die Grundbestimmungen der Jenaer Sittlichkeitskonzeption zurück, ohne allerdings den systematischen Rahmen dieser Lehrstücke zu übernehmen. „Ehe“, „Familie“ und „Staat“ waren dort im Rahmen einer Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins entwickelt worden. Die rechtsphilosophische Konzeption bestimmt die sittlichen Gestalten am Leitfades des Geistbegriffs mit dem Ziel „Sittlichkeit“ als allgemeine selbstzweckhafte Gestalt einzuführen. Der Verzicht auf den ursprünglichen Rekonstruktionsleitfaden erweckt den Eindruck, Hegels späte Sittlichkeitskonzeption sei durch einen Bruch gekennzeichnet, der die Jenaer Bemühungen streng von dem späten Ansatz trennt. Die Darstellung der Grundlinien vernachlässigt die für das Subjekt konstitutiven Prinzipien, Liebe und Anerkennung, zugunsten der objektivrechtlichen Funktion der Institutionen Ehe und Familie. Hegels Rekonstruktion stellt die objektive Geltung ins Zentrum und ignoriert den subjektiven Entstehungszusammenhang der sittlichen Institutionen (Bedürfnis, Arbeit, Intersubjektivität). Wie erklärt sich dieser Verzicht auf die Darstellung des subjektiven Entstehungszusammenhangs? Die in Jena vorgetragene Bildungsgeschichte des Bewusstseins rekonstruiert die Entstehung dieser Gestalten am Leitfaden des Bewusstseins der Individuen. Ausgehend von dieser Bildungsgeschichte vermochte Hegel nicht die spezifische Gattungsqualität, die „generische“ Funktion dieser Handlungsformen zu entwickeln. Für die Rekonstruktion der Sittlichkeit als Rechtsgestalt muss es aber gerade um die Rechtfertigung der Geltung eines losgelöst von der subjektiven Intention gesicherten „generischen“ Handlungstyps gehen. Diese Aufgabe will Hegel in den Grundlinien im Rahmen der Konzeption des objektiven Geistes lösen. Dabei bleibt allerdings – und dies ist nachfolgend zu zeigen – die Jenaer Rekonstruktion der sittlichen Gestalten am Leitfaden der Bewusstseins unverzichtbare Voraussetzung: I Rahmen der Rekonstruktion der Sittlichkeit als Recht werden die aus Bedürfnis, Arbeit und Intersubjektivität hervorgegangenen Handlungstypen in die Explikation einbezogen. Diese Explikation unterzieht die sittlichen Formen einer Reflexion, die die Rechtsförmigkeit dieser Gestalten prüft und herausarbeitet. Als Verfahren kam „Rekonstruktion“ bereits bei der Konzeption der Sittlichkeit im Jenaer System der Sittlichkeit zum Einsatz: „das sittliche ist an und für sich seinem Wesen nach, ein Zurücknehmen der Differenz in sich, die Reconstruction; die Identität geht von Differenz aus, ist ihrem Wesen nach negativ; daß sie diß seye, geht vorher, daß dasjenige was sie vernichtet sey“ (System der Sittlichkeit, 280). Negativ ist die Rekonstruktion mit Blick auf die

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bestehenden Differenzen. Diese werden zurückgenommen und zur Konstitution einer neuen sittlichen Einheit geführt – einer Einheit, die gerade das Sein, die Wirklichkeit der vorher bloß in der Differenz bestehenden Bestimmungen verwirklicht. Für die Rekonstruktion dieser Einheit geht Hegel von der im subjektiven Bewusstsein bestehenden Differenz zwischen Subjekt und Handlung aus: Was das Individuum ist (Person, Subjekt), kann aus der im Einzelnen verfolgten Absicht, dem jeweils verwirklichten Gut nicht bestimmt werden. Die Bestimmung des Individuums erfordert vielmehr bestimmte Handlungen, die den Handelnden als Person bzw. Subjekt ausweisen: Das Individuum wird erst im Vollzug einer bestimmten Praxis Subjekt. Diese Praxen oder Handlungstypen setzen ihrerseits ein wie immer geartetes Subjekt voraus, um Handlung (Institution) sein zu können. Hegel hat diese gegenseitige Abhängigkeit als Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis des Bewusstseins beschrieben. Der Herr als Selbstbewusstsein, hat die subjektive Gewissheit, das Wesen der Wirklichkeit zu sein. Diese Gewissheit kann aber nicht in einem unmittelbaren Verhältnis zur Natur verwirklicht werden, daher kann erst die Handlung des Knechts diese Wirklichkeit zu schaffen. Diese Abhängigkeit zeigt sich auch beim Knecht: Versucht das Subjekt losgelöst von jeder wesenhaften Bestimmung zu einer Bestimmtheit seiner selbst zu gelangen, so bleibt allein der Rekurs auf die eigenen Vermögen, diese aber können nicht anschaulich und konkret werden. Ohne wesenhafte Handlungsvollzüge, die das (herrische) Bewusstsein von der Wirklichkeit verwirklichen, bleibt das Subjekt leer und unbestimmt. Hier vermag auch die Identifikation mit dem Resultat der Handlung nicht zu befriedigen, denn in dieser Identifikation wird das Vermögen des handelnden Subjekts nicht erfasst, vielmehr steht das im Handeln entstandene Objekt, dem Subjekt fremd gegenüber. Eine Lösung für dieses Dilemma des Selbstbewusstseins sucht Hegel in der Philosophie des Rechts im Aufweis von Handlungen, in denen das Vermögen des Subjekts im Handlungsresultat präsent ist. Diese Einheit gewährleistet Handlungsvollzüge, in denen das Subjekt ‚objektiv‘ bestehende Differenz zum eigenen Selbstverständnis überwindet. Erst in der Auseinandersetzung mit diesen widerständigen, objektiven Handlungstypen (Institutionen) gewinnt das Individuum die gesuchte Bestimmtheit, d.h. die Anerkennung als Person und Subjekt. Die Konstruktion der sittlichen Handlungstypen hat daher zu zeigen, inwiefern die sittlichen Gestalten der Tradition als Rechtsgestalten die Verwirklichung des Anspruchs der Individuen, Person und Subjekt zu sein, ermöglichen.

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8.1 Die Familie als Wirklichkeit des Rechts Den Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Familie als Wirklichkeit des Rechts bildet die Bestimmung der Ehe, deren „subjektiver Ausgangspunkt“ die „besondere Neigung der beiden Personen“ bzw. die „Vorsorge und Veranstaltung der Eltern“ bildet. Den objektiven Ausgangspunkt bildet dagegen die „freie Einwilligung der beiden Personen (...) Eine Person auszumachen“. Der objektive Ausgangspunkt greift Momente des Vertrags (Einigung über eine Sache), insbesondere der Stipulation auf, macht aber zugleich die Differenzen mit Blick auf die Sittlichkeit dieser Rechtsform geltend. Die freie Einwilligung ist sittlich durch das „Bewußtsein dieser Einheit“ (vgl. Grundlinien, §163): d.h. nur insofern das handelnde Subjekt diesen Zweck anstrebt. Hegels Rekonstruktion der Familie als erste Gestalt der Sittlichkeit greift zwar formal den Vertragsstandpunkt des abstrakten Rechts auf, hebt diesen zugleich aber auf. Denn das konstitutive Moment der Einwilligung sprengt die reine Sachbezogenheit des abstrakten Rechts: Konstitutiv ist hier das „Bewußtsein der Einheit“, das aus dem Bewusstsein der eigenen Subjektivität und dem Bewusstsein der Liebe zu dem anderen selbstbewussten Individuum besteht. Objektiv, gegenständlich wird diese innerliche Einheit für die beteiligten Subjekte über und in der Rechtsform des Vertrages: Die Vergegenständlichung einer Einheit im Vertrag tritt der innerlichen Einheit der beteiligten Bewusstseine gegenüber, erst über diese Konfrontation wird die innerliche Einheit gegenwärtig. Die nur innerliche oder an sich seiende Einheit der natürlichen Geschlechter wandelt sich in eine geistige, in selbstbewusste Liebe. In der freiwilligen Einigung vollzieht sich die Umwandlung der äußerlichen Einheit der natürlichen Geschlechter zur geistigen Einheit. Die Darstellung der Übergänge zwischen diesen Gestalten bzw. Erscheinungsformen der Liebe stand in den Jenaer Arbeiten Hegels im Zentrum. Für das subjektive Bewusstsein ist die „Ehe“ noch der Sphäre der Natur zugehörig, insofern die äußerliche Einheit der natürlichen Geschlechter bestimmend ist. Auf einer zweiten Bewusstseinsstufe wird diese Einheit als Aufhebung der Differenz zwischen Subjekt und Objekt geistig vollzogen, an die Stellte der „natürlichen Einheit“ tritt die „Liebe“ als „gegensatzlose“ Anerkennung. Diese Vereinigung von Subjekt und Objekt in der „Liebe“ ist durch vier Merkmale gekennzeichnet: Die Liebe ist „a) (...) eine bewußte Einheit von Subjekten, b.) (...) eine Einheit, deren Glieder ihre Selbständigkeit in dieser Beziehung (der Liebe) aufgeben, d.h. eine gegensatzlose Einheit; c) (...) eine Beziehung zwischen ‚ungebildeten‘, natürlichen Individuen – und schließlich d) (...) vor allem (...) eine Einheit von Fürsichsein und Sein für Anderes, von Selbst und ‚Gegenständlichkeit‘“.282 282

Siep: Anerkennung als Prinzip, 56. Es fragt sich, ob Hegel der modernen Ehe mit der Liebe als dem „Vereinigungspunkt“ nicht ein Prinzip zugrundelegt, das dem Selbstverständnis des

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Hegels Konzeption der Ehe als sittlicher Gestalt hat zunächst allerdings den Status einer bloßen Möglichkeit. Die in Liebe vollzogene Einheit negiert die Möglichkeit in die Rechtsförmigkeit des Vertrages einzugehen und setzt sich als substantielle Wirklichkeit der bloß akzidentiellen Bestimmung entgegen. Mit dieser Zurückweisung der „Ehe als Vertrag“ tritt allerdings ein Moment der Trennung in die Liebe als ursprüngliche Einheit ein: An der ursprünglichen Einheit werden die Momente „ursprüngliche Einheit“ und „durch Negation gesetzte ursprüngliche Einheit“ unterscheidbar. Die „gesetzte Einheit“ ist das Produkt der Negation des Vertrages und führt an der „ursprünglichen Einheit“ eine Veränderung herbei: Diese bleibt nicht, was sie war, sie reformuliert sich vielmehr selbst in der Begrifflichkeit des Vertrages neu: Als durch Negation des Vertrages gesetzte Einheit wird die ursprüngliche Einheit objektiv. Die feierliche Erklärung, „Eine Person zu sein“, bestimmt aber auch den Vertrag neu: An die Stelle der formalen Einheit tritt eine inhaltliche Bestimmung. Aus dem bewussten Willen zweier Individuen, „Eine Person zu sein“, geht die neue sittliche Gestalt hervor. Grundlage für dieses Werden des Bewusstseins modernen Menschen diametral widerspricht? Im Einssein als „dem absoluten für sich seyn beyder“ (GW 6, 302) sind die Unterschiede zwischen den sich Vereinigenden insofern aufgehoben, als das gemeinsame Bewusstsein der Liebe zum austauschbaren Bewusstsein eines jeden der beiden wird. Diese Selbstaufgabe widerspricht dem Selbstverständnis der modernen Subjektivität, die ihre Selbstheit zu verwirklichen und die eigene Individualität gegen alle fremdbestimmt Inanspruchnahme zu sichern bestrebt ist. Zumindest erscheint es höchst fraglich, wie die Selbstheit in der Vereinigung „Liebe“ bewahrt werden soll. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, welche Bestimmungen den sich Vereinigenden zugesprochen werden. Nicht jene allgemeinen Bestimmungen, Person und Subjekt zu sein, sind hier entscheidend. in der Liebe sind vielmehr die Individuen „nach der Totalität, in der sie der Natur angehören“ (GW 6, 302) bzw. als „ungebildetes natürliches Selbst“ (GW 8, 210) anerkannt. Die Anerkennung bezieht sich somit gerade auf jene nicht allgemeinen Charakteristika. Wenn in der liebenden Vereinigung die Selbständigkeit aufgegeben wird, so ist dies keine Negation des Person- und Subjekt-Seins. Was hier aufgegeben wird ist das Sich-für-sich behalten, der Wunsch, sein Wesen in sich selbst finden zu wollen. Der mit der Aufgabe einhergehende Selbstverlust führt zugleich zu einem Sich-Finden im Anderen als Selbst. Es ist die Hinwendung zum Anderen, die mich meine Selbstheit erkennen und bewahren lässt. Hegel vermag in der Liebe die Vereinigung oder Identifikation mit einem anderen Selbst zu denken, die in der Identität sowohl Einheit als auch Differenz hervorzubringen vermag. Diese Einheit bildet als substantielles Verhältnis die Grundlage für die erste unmittelbare Gestalt der Sittlichkeit als Recht. Erst in der Auseinandersetzung mit der objektiv bestehenden sittlichen Gestalt „Ehe“ gelangt die liebende Vereinigung zum Wissen um diese Einheit, dieses Wissen ist die Grundlage für die Rechtsgestalt der Ehe. Hegel verweist in diesem Zusammenhang auch auf den geschichtlichen Ursprung dieser sittlichen Gestalt und zeigt, dass dieser keineswegs in der Anerkennungsform „Liebe“ liegt. Diese ist vielmehr ein spätes Produkt der Geschichte. Die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit aus der als oikos oder Hausgemeinschaft gegründeten Einheit zwischen Mann und Frau die reine Anerkennungsform „Liebe“ wird, rekonstruierte Hegel im Abschnitt „Moralität“. Der dort formulierte Handlungsbegriff ermöglicht allererst eine Neukonzeption von „oikos“ und „Haus“ im Sinne neuzeitlichen Ansprüchen genügenden Praxisformen. Damit diese Vereinigung als auf Liebe gegründetes substantielles Verhältnis gefasst werden kann, ist die geschichtliche Herausbildung der Subjektivität notwendig. Erst in dem Bedürfnis des Subjekts, sich selbst in einem äußerlichen, Unabhängigen wiederzufinden und dieses als das Eigenste auszuzeichnen, ist die Voraussetzung für diese Gestalt der Sittlichkeit geschaffen.

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ist allerdings das Negieren einer bestehenden Gestalt Ehe. Diese subjektiven Bestimmungen der Ehe setzt Hegel voraus, wenn er in den Grundlinien diese Gestalt losgelöst vom subjektiven Bewusstsein konstruiert. Hier geht es darum, die „generische“ Funktion dieser Gestalten für das Bewusstsein zu verdeutlichen. Nur als objektiv bestehende Allgemeinheit können diese Gestalten erfahren und über die Negation zur Stiftung einer neuen Einheit, der Ehe als Rechtsgestalt, führen. Der Vollzug dieser Einheit war in seiner geschichtlichen Ausgestaltungen keineswegs immer an das Anerkennungsverhältnis „Liebe“ geknüpft. „Liebe“ als Anerkennungsform und Bewusstsein dieser Einheit ist vielmehr ein Produkt der Moderne, das auf die Anerkennung des Rechts des Gewissens zurückgeht. Die Form selbst – Vereinigung von Mann und Frau – kann durch Zwang, Befehl etc. zu Wege gebracht werden. Erst mit der Anerkennung der Rechte der Person und des Subjekts wird eine andere Vollzugsform realisierbar: Die rechtliche Gestalt der „feierlichen Erklärung“ und damit eine neue sittliche Gestalt der Ehe. Hegel formuliert seine Ehekonzeption nicht losgelöst vom geltenden Recht, sondern in Einklang mit den Formulierungen des Preußischen Landrechts. In der Frage der kirchlichen Eheschließung nimmt Hegel allerdings einen Standpunkt ein, der von dem in Preußen geltenden Recht abweicht. Für Hegel kommt die „kirchliche Vergewisserung“ nur hinzu: Das Wesentliche ist ihm die Behauptung des staatlichen Rechts, da es sich um ein „sittliches Verhältnis“ handelt. Mit dieser Auffassung steht Hegel dem Code Napoléon näher, da das Preußische Allgemeine Landrecht die Vollgültigkeit der Ehe an die priesterliche Trauung bindet.283 Wenn Hegel sich gegen die Tendenzen der preußischen Regierung wendet, die Eheschließung ganz und ausschließlich in die Hände der Religion zu übergeben, so aus der Überlegung heraus, dass das sittliche Moment dieser Vereinigungsform von allgemeinem Interesse ist, da hier ein ‚Person‘ und ‚Subjekt‘ konstituierender Handlungstyp vorliegt, der nicht der privat zufälligen religiösen Bildung überlassen werden darf. Für die Antike war in Gestalt der Penaten die Einheit von Mann und Frau Gegenstand religiöser Verehrung. Die anschaulich gegebene Gegenwart dieser Vereinigung wird in der Moderne durch den wissenden Vollzug der Subjekte abgelöst. In der Rechtsform der „Erklärung“ findet diese Vereinigung eine konkrete allgemein anerkannte Wirklichkeit. Die in der Rechtsform des Vertrages vollzogene Vereinigung hat Wirklichkeit – eine Bestimmung die ihr in

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Für das Rheinland hatte die preußische Regierung 1814 zwar nicht die obligatorische Zivilehe aufgehoben, aber die vorausgehende kirchliche Trauung obligatorisch gemacht; diesem rheinpreußischen Recht analog war das Montgelasische Bayerns, nach welchem Hegels eigene Ehe geschlossen worden war. Das Bemühen der preußischen Regierung ging damals, so Franz Rosenzweig, „auf die Abschaffung der Zivilehe überhaupt, auch in ihrer im Rheinland noch bestehenden Form, bewegte sich also in umgekehrter Richtung als Hegel verlangte“ (F. Rosenzweig: Hegel und der Staat. Aalen 1963 [11920], 186).

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der religiösen Verehrung nur bedingt zukam.284 Denn gegenüber der gegenwärtigen Gestalt erscheint die Verehrung der Penaten als eine nur „abstrakte“ Form dieser Vereinigung. Hegel knüpft die Darstellung der sittlichen Rechtsgestalt von Ehe und Familie an eine entwicklungsgeschichtliche These: Die bisher nur in der Vorstellung gegebene Einheit wird mit der Rechtsgestalt wirklich. Die wirkliche Einheit vergegenwärtigt im konkreten Dasein, was bisher nur für die Vorstellung wirklich war. 285

8.1.1 Eigentum und Gut der Familie Die Neukonstitution der tradierten sittlichen Gestalten als Rechtsgestalten unterzieht alle an dieser „Vereinigung“ beteiligten Momente einer sittlichen Veränderung. Der Eigentumsbegriff des abstrakten Rechts muss für die Rekonstruktion dieser Verhältnisse erweitert werden, denn der Besitz der Familie ist gemeinsamer Besitz. Die Bestimmung des Besitzes als an sittliche Zwecke gebundenes Vermögen wird auf der Basis der Neukonstitution der Familie als Rechtsgestalt notwendig. Dabei bildet der Begriff des gemeinsamen Besitzes als Vermögen die Grundlage. So wenig die „Einwilligung eine Person zu sein“ mit dem Vertragsverhältnis des abstrakten Rechts zu fassen ist, so wenig handelt es sich beim Eigentum der Familie um eine Person-Sache Relation. Die im Eigentum rein zwecklos vollzogene Instrumentalisierung einer Sache unterliegt hier einer Zweckbestimmung, die aus dem Besitz einer Sache ein Vermögen macht, aus dem Neues zu entstehen vermag.286 Der abstrakte Rechtsbegriff verhindert eine Zweckbestimmung des Eigentums, da nur die Person als abstrakte Allgemeinheit, nicht aber das Individuum als besonderes in dieses Rechtsverhältnis eingeht. Auf der Basis des Personenbegriffs bleibt die vertragliche „Vereinigung“ von Personen auf Sachen bezogen. Beziehungen zwischen Subjekten, die über das im Vertrag gewährte Verfügen über eine Sache hinausgehen, sind auf der Basis des Personenbegriffs nicht zu fassen – fehlt doch die individuelle Bestimmtheit durch ein angestrebtes Wohl. Das Subjekt als Handlungssubjekt realisiert erst diese individuelle Bestimmung und bildet die Basis für die Zweckbestimmung einer Vereinigung, für die Konstitution als Gemeinschaft. Für die Philosophie des 284

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Gegenüber der wirklichen Vereinigung in der Ehe sind die Verehrung der Penaten und die sogenannte platonische Liebe eine Abstraktion. Vgl. Grundlinien, §163, 152; GW 14.1, 146f. In den religionskritischen Schriften der Frankfurter Zeit hatte Hegel versucht, die Liebe als Prinzip zu entwickeln, das die Gegensätze des modernen Menschen zu überwinden vermag. Es war die „Weltlosigkeit“ der Liebe, die Hegel in ihrer höchsten Form im christlichen Ideal des Religionsstifters Jesu (und der durch Nachfolge gestifteten Gemeinschaft) analysierte, und die ihn zu der Einsicht führte, diesem Prinzip eine nur begrenzte Gültigkeit beizumessen. Indem Hegel diese „Vereinigungsform“ in Rechtsformen überführt, vermag er die alten Vorbehalte in einen positiven Ansatz zu überführen. Vgl. Plotnikov: Gelebte Vernunft. Vgl. Weisser-Lohmann: Eigentum und Freiheit.

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Rechts ist erst auf der Basis beider abstrakten Rechtsprinzipien – „Person“ und „Subjekt“ sowie „Sache“ und „Wohl“ – das Eigentum als Vermögen ausweisbar. Gegenüber der abstrakten Bestimmung – als Eigentümer einer Sache zu allem möglichen Gebrauch berechtigt zu sein –, bildet die Sache als Vermögen eine Wirklichkeit, die die Sache in den Dienst des eigenen Wohls stellt. Diese Wirklichkeit der abstrakten Rechtsform ‚Eigentum‘ ist das Ergebnis der Vereinigung von Person- und Subjektsein in einer geschichtlich tradierten Gestalt der Sittlichkeit. Diese Vereinigung macht aus dem bloß möglichen Eigentum die sittliche Rechtsgestalt des Vermögens der Familie. Hegels Konzeption des Eigentums der Familie als Vermögen hat Konsequenzen für die Deutung des Erbrechts.287 In der zeitgenössischen Diskussion um das Erbrecht – die das gesamte 19. Jahrhundert anhalten sollte – nimmt Hegel ganz im Sinne des Allgemeinen Landrechts Stellung. Das Vermögen der Familie geht im Erbfall an die nächsten Familienangehörigen über. In seiner Begründung greift Hegel allerdings nicht auf die Prinzipien des abstrakten Rechtsbegriffs zurück, denn vom Standpunkt des abstrakten Rechts aus ist der Besitz der Familie durch den Tod des Familienoberhauptes herrenlos geworden. Damit fällt das Vermögen der Familie in dieser Situation dem zu, der es zuerst in seinen Besitz bringt. Die Regelung des Landrechts scheint daher willkürlich. Erst die Anerkennung des in das Familieneigentum gesetzten Zwecks rechtfertigt für Hegel die Regelung des Landrechts, dass das Familieneigentum im Erbfall in den Händen der Familie bleibt.288 In der Zweckbestimmung erhält der Besitz den konkreten Auftrag, die Subsistenz der Familie zu sichern und die Ausbildung der Kinder zu ermöglichen. Das bloß (abstrakt) rechtlich bestimmte Eigentum erweist sich gegenüber der Zweckbestimmung insofern als ein defizienter Modus, als die geltenden Rechtsbestimmung mit dem abstrakten Eigentumsbegriff nicht erfasst werden können und daher zufällig und beliebig erscheinen. Die Wirklichkeit des Rechts wird im Eigentum der Familie durch die Vereinigung von abstrakter Rechtsform und (subjektiver) Zweckbestimmung konstituiert.

8.1.2 Die Erziehung der Kinder In den Kindern wird die sittliche Bestimmung der Familie objektiv. Erst in ihnen wird die Einheit der Ehe als für sich seiende Existenz gegenständlich. Es ist das Recht der Kinder, aus dem gemeinsamen Vermögen ernährt und erzogen zu werden. Diese Zweckbestimmung ist auch hier – wie schon bei der Be287

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Eduard Gans, ein Schüler Hegels, hat diesen Zusammenhang in seiner Geschichte des Erbrechts rekonstruiert. Vgl. E. Gans: Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung. 4 Bde. Aalen 1963 (11824-1835). Von dieser Basis aus lehnt Hegel bäuerliches Anerbenrecht und Fideikommiß als Erbformen ab. Vgl. Grundlinien, §180.

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stimmung der Ehe – nicht aus den abstrakten Rechtsprinzipien abzuleiten. Weder war aus den abstrakten Rechtsbestimmungen die umfassende Bestimmung des Besitzes, Vermögen zu sein, zu entwickeln, noch war mit dem „Abstrakten Recht“ das gerechte Strafmaß für die Verletzung eines Gutes zu bestimmen. Diese Unbestimmtheit kann nur dort, wo das Recht in einen sittlichen Zweckzusammenhang eingebunden ist, überwunden werden. Die Hegelsche Familienkonzeption ist vielfach kritisiert worden, insbesondere mit Blick auf die ablehnende Haltung Hegels gegenüber den Vertragskonzeptionen der Ehe und die Festschreibung tradierter Rollen in dieser Vereinigung. Gegen die Deutung der Ehe als reines Vertragsverhältnis insistiert Hegel, dass der hier verhandelte Gegenstand, der Wille, „Eine Person zu sein“, nicht als Vertragsgegenstand gefasst werden kann: Das hier konstitutive Moment des Willens geht auf eine Zweckbestimmung zurück, die vom Vertrag als abstrakter Rechtsform nicht erfasst wird: Hier geht es um die Vereinigung von Subjekten im Bewusstsein der Einheit. Diese Einheit zwischen Differentem geht auf die natürliche Selbstheit der Individuen zurück. Für Hegel können die hier konstitutiven natürlichen Differenzen auch in der Ehe als geistiger Einheit nicht preisgegeben werden, ohne die Einheit zu gefährden. Für Hegel bilden die natürlichen und sozialen Differenzen zwischen Mann und Frau die Basis für die Selbstheit der Einzelnen, die auch in der Einheit der Vereinigung zu bewahren sind. Für die „Ehe“ als sittliche Gestalt des Rechts ist die Besonderheit als Selbstheit der Individuen konstitutiv. Damit unterscheidet sich diese Rechtsgestalt fundamental vom Vertrag als abstrakter Rechtsform, der ja auf der Gleichheit der Personen basiert. „Recht als Sittlichkeit“ wird geradezu durch dieses Spannungsverhältnis zwischen allgemeiner Rechtsform und besonderem Inhalt bestimmt. Die formale Gleichheit des abstrakten Rechts erhält eine sittliche Bestimmung erst dort, wo formal rechtliche Gleichheit und inhaltliche Besonderheit zusammen bestehen. An diese Einheit ergeht gegenüber den Kindern die Forderung nach Gleichbehandlung. Ein Vorrecht des Erstgeborenen ist für Hegel nicht zu rechtfertigen. Es ist der Hegelschen Konzeption der Liebe als der Vereinigung Differenter zuzuschreiben, dass hier – von den zeitbedingten Vorurteilen einmal abgesehen –, die Sphäre der Frau auf das Häusliche begrenzt wird und eine Gleichstellung der Frau im Sinne der Forderung nach einer dem Mann gleichen Sphäre der tätigen Verwirklichung abgelehnt wird. Aus heutiger Sicht fragwürdig ist die Hegelsche Bestimmung der Ehe als natürliche Sittlichkeit. Hier ist zu beachten, dass für Hegel nur dort, wo natürliche Differenzen bestehen, eine handelnd vollziehbare Einheit möglich ist. Gegen die natürliche Differenz steht der bürgerliche Status der Familienmitglieder, demgemäß zwischen den Personen Gleichheit herrscht. Als rechtliche Verbindung setzt die Ehe bürgerliche Individuen voraus, die als Personen gleich sind und die als Subjekte das Recht haben, bei der Lebensgestaltung individuelle Zwecke zu verfolgen. Die von Hegel im Abschnitt „Sittlichkeit“ angeführten Gestalten sind insofern maßgeblich, als „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ ge-

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schichtlich gewordene Praxisformen sind, die sich bei der Bewältigung der natürlichen, physischen und geistigen Bedürfnisse bewährt haben. Diese Gestalten haben im Laufe der Geschichte sowohl in ihrer inhaltlichen Bestimmung als auch mit Blick auf die Anerkennungs- bzw. Legitimationsformen einen Wandel erfahren. Bei gleicher Funktion liegen geschichtlich unterschiedliche Anerkennungs- und Normierungsformen vor. Ursächlich für die unterschiedliche Ausgestaltung der Praxisformen ist das jeweilige religiöse bzw. geistige Selbstverständnis. In der Moderne ist es das Selbstverständnis, freie Person und selbstbestimmtes Subjekt zu sein, das die Gestaltung und Geltung dieser Handlungsformen bestimmt. Unter den Bedingungen der Moderne hat die Philosophie zu zeigen, inwiefern die tradierten Institutionen, den Ansprüchen (Rechten) der Individuen genügen bzw. diese Institutionen für die Ansprüche und das Selbstverständnis unverzichtbar sind. Die Rekonstruktion der tradierten Formen führt zu einer Neukonstitution von Sittlichkeit. Der Konflikt mit den tradierten Handlungstypen zwingt zur Prüfung und gegebenenfalls zur Preisgabe oder Veränderung. Die Einsicht, dass diese Gestalten Verwirklichung der Freiheit leisten, ist nur über die Rekonstruktion dieser Handlungstypen am Leitfaden von Person und Subjekt möglich. Einleitend zu den Grundlinien hatte Hegel die Bestimmung des Willens zum Leitfaden für die Darstellung der verschiedenen Formen der Verwirklichung des Rechts erklärt. Mit der Ehe ist eine Willensbestimmung aufgewiesen, deren Zweck, „Eine Person sein“, wirkliche Allgemeinheit konstituiert, die aus dem Subjektsein der Individuen hervorgeht. Alle natürlichen, durch Tradition und soziales Umfeld festgelegten inhaltlichen Bestimmungen der Subjektivität gehen in den bewussten Entschluss, „Eine Person“ zu sein, ein. Diese Einwilligung vollzieht die Verwirklichung der Freiheit, in der der „Wille schlechthin bei sich“ ist. „Alles Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem“ fällt hinweg. Dieser Wille „ist wahr oder vielmehr die Wahrheit selbst, weil sein Bestimmen darin besteht, in seinem Dasein, d.i. als sich Gegenüberstehendes zu sein, was sein Begriff ist, oder der reine Begriff die Anschauung seiner selbst zu seinem Zwecke und Realität hat“. Familie und Staat werden bei Hegel, legt man die aristotelische Definition zugrunde, als „rein interaktionsbestimmte Organisationen“ zu „Paradigmen emphatischer Praxis“289. In der Einsicht in die Funktion der Praxen als Freiheitsverwirklichung gründet für Hegel die Verpflichtung des Individuums auf „Ehe“ und „Familie“. In seiner Jenaer Schrift System der Sittlichkeit bestimmt Hegel die Familie als die höchste Potenz der natürlichen Sittlichkeit. Es ist die Natürlichkeit der Familie, aus der das Herrschaftsverhältnis, das den Mann zum Herrn und Verwalter bestimmt, sowie die gemeinsame Arbeit der Familienmitglieder für das Familiengut resultiert. Die bürgerliche Familie der Grundlinien hat die Bedeutung dieser natürlichen Bestimmungen zurückgedrängt. Die Familie als sittliche Rechtsgestalt gibt keine Antwort auf die Notwendigkeit der Subsi289

Blasche: „Natürliche Sittlichkeit“, 314.

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stenzsicherung, ihr ist das Eigentum als Vermögen vielmehr vorgegeben. Die Trennung zwischen Haushalt und Ökonomie ist für die moderne Familie konstitutiv, ganz im Unterschied zu ihren Vorläufern, dem „oikos“ und dem „ganzen Haus“ der Landaristokratie. Die beschränkte Funktion der Familie signalisiert die Ablösung einer an der Privatökonomie orientierten Lebensweise durch eine an Arbeitsteilung und Austausch ausgerichtete Bedürfnisbefriedigung des Ganzen. Aus dem Blickwinkel der Familie ist diese Entwicklung durchaus als Befreiung von der Zweckbindung an die Notwendigkeit der Subsistenzsicherung zu deuten. Uneingeschränkt kann die moderne Familie als sittliche Gestalt gelten, insofern sie frei ist von der Notwendigkeit der Subsistenzsicherung, diese vielmehr voraussetzt. In der Ablösung erst aus dieser Notwendigkeit vermag sie, Praxis im höchsten Sinne zu werden. Vor diesem Hintergrund beurteilt Hegel die Familie daher nicht länger als Gestalt einer von der absoluten Sittlichkeit getrennten natürlichen Sittlichkeit.

8.2 Die Bürgerliche Gesellschaft als Sphäre der Sittlichkeit Hegels Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft fand von Anfang an eine ungewöhnlich intensive und breite Rezeption. Beinahe unisono unterstellen die Interpreten dabei, Hegels Theorie der „bürgerlichen Gesellschaft“ sei eine Theorie der modernen Gesellschaft. Als Indiz für die Richtigkeit dieser These wird die Auslagerung der Produktionssphäre aus der „Familie“ angeführt. Diese Verselbständigung erst ermögliche die bürgerliche Gesellschaft als eigenständige Sphäre des modernen Lebens. Die Fixierung auf den Terminus „bürgerlich“, seine Deutung im Sinne von ‚bourgeois‘, verstellt allerdings, so Manfred Riedel, die Grundlagen der Hegelschen Konzeption. Hegel knüpft mit der Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft vielmehr an den aristotelischen Begriff der koinonía politiké und damit die älteste Tradition an. Für Schnädelbach ist offensichtlich, dass Hegel an diesem Begriff eine „terminologische Veränderung“ in dem Sinne vornimmt, dass „er die deutsche Übersetzung eines der ältesten Begriffe der politischen Philosophie auf einen neuen sozialen Tatbestand bezieht“.290 Dass diese „Veränderung“ keine Neuerung der Grundlinien ist, sondern bereits im Naturrechtsaufsatz zur Anwendung 290

Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 264f. Dagegen stellt das verengte Verständnis von „bürgerlich“ im Sinne von Gewerbetreiben, verständiger Berechnung und berechnendem Kalkül Hegels „bürgerliche Gesellschaft“ in die Traditionslinie der europäischen Emanzipationsbewegung des 17. und 18. Jahrhunderts. So etwa J.E. Erdmann: Philosophische Vorlesungen über den Staat. Halle 1851, 28-29.

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kommt, ist bekannt.291 Zur Klärung der Frage nach dem Status der Hegelschen Konzeption ist zu prüfen, inwieweit Hegels frühe Verwendung des Begriffs den spezifischen Abstand zwischen der antiken Konzeption einer koinonía politiké und der neuzeitlichen Verfasstheit dieser Sphäre zu benennen vermag.292 Dabei sollen in einem ersten Schritt die Hauptargumente der Diskussion zu verdeutlicht werden. Inwieweit Hegels Rekonstruktion der Gestalten der „Bürgerlichen Gesellschaft“ als Rechtsgestalten die offenen Fragen der Kontroverse zu klären vermag, soll abschließend geklärt werden.

8.2.1 Die Kontroverse um die Bürgerliche Gesellschaft Hegels Bestimmung dieser Sphäre scheint sich an Begriffsbildungen zu orientieren, die seit der Auflösung der alten Traditionsformel „societas civilis sive civitas“ bestimmend werden. Seit 1780 etwa wird der Traditionsbegriff durch die Formel „Staatsgesellschaft“ wiedergegeben, so bei Christian Jakob Kraus, Friedrich Gentz und Wilhelm von Humboldt.293 Hegel greift den Begriff in den Vorlesungen am Nürnberger Gymnasium auf und gliedert diese in die Familie als „natürliche Gesellschaft“ und in den Staat als die „Gesellschaft von Menschen unter rechtlichen Verhältnissen“. „Das natürliche Ganze, das die Familie ausmacht, erweitert sich zu dem Ganzen eines Volkes und Staates, in welchem die Individuen für sich einen selbständigen Willen haben.“294 Des Weiteren unterscheidet Hegel zwischen Familie und Produktivsphäre. Die Übernahme des Begriffs der Staatsgesellschaft reflektiert wie auch die Untergliederung eine veränderte Einschätzung der Stellung des Einzelnen. Gegenüber dieser Bestimmung vollzieht Hegel mit der Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“ einen so radikalen Bruch, dass sich jegliche Anknüpfung an frühere Überlegungen verbietet. „Was Hegel mit der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ in das Bewußtsein der Zeit erhob, war“, so Riedel, „das Resultat der modernen Revolution: Die Entstehung einer entpolitisierten Gesellschaft durch die Zentralisierung der Politik im fürstlichen bzw. revolutionären Staat und die Verla-

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Eine noch frühere Verwendung dieses Begriffs findet sich, hierauf hat Franz Rosenzweig verwiesen, in dem Schüler-Exzerpt aus Sulzers Kurzem Begriff aller Wissenschaften. Vgl. Rosenzweig: Hegel und der Staat,14f. Manfred Riedel etwa sieht hier lediglich eine abgeschwächte Aufnahme des alten Traditionsbegriffs: Sulzer widmet sich an der exzerpierten Stelle „der Verfassung eines bürgerlichen Staats“. Für Sulzer entstehen aus dem allgemeinen Begriff einer bürgerlichen Gesellschaft die „besonderen Begriffe der obrigkeitlichen und richterlichen Gewalt, der Untertänigkeit, der Strafen und Belohnungen und dgl.“ (zitiert nach M. Riedel: „Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs“. In: ders. [Hg.], Materialien. Bd. 2, 247-275; 261). Vgl. M. Riedel: „Gesellschaft, bürgerliche “. In: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 2. Stuttgart 1975, 719-800. Vgl. „Texte zur philosophischen Propädeutik“. In: Werke Bd. 4, 7-302; hier 265.

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gerung ihres Schwerpunktes auf die Ökonomie“295 . Hegels Begriffsbildung zieht somit die Konsequenzen aus dem Auseinandertreten von politischer und bürgerlicher bzw. ökonomischer Verfassung. Die Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft ist auf das Prinzip der konkreten Person (die sich als „Besondere“ Zweck ist) und die Form der Allgemeinheit (die sich im Utilitätsprinzip zur Geltung bringt) beschränkt. Die von der Politik gesetzten Schranken gebieten der rücksichtslosen Wirksamkeit dieser Prinzipien Einhalt. Polizei und Korporationen sollen eine politische Integration der ökonomischen Zentrifugalkräfte der modernen Gesellschaft leisten. Als Instrumente des Staates sind diese Institutionen für die Integration der bürgerlichen Gesellschaft zuständig. Sie setzen damit die Trennung von Staat und Gesellschaft voraus. Rolf Peter Horstmann hat gegen Riedels These vom radikalen Bruch mit der Tradition der politischen Philosophie auf die Kontinuität der Problemstellung in der politischen Philosophie Hegels verwiesen. Für Horstmann ist das die „gesamte politische Philosophie Hegels leitende Problem in den Jenaer Anfängen voll entwickelt“. Auch über die Mittel zur Lösung des Problems der Integration der unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären in die Organisation des Staates sei sich Hegel ebenfalls schon sehr früh, nämlich seit 1805/06 sicher gewesen. Die späteren Veränderungen beziehen sich, so Horstmann, lediglich auf die Präsentation der Theorie und sind allenfalls ein Tribut an die Didaktik.296 Der von Riedel festgestellte Bruch müsste – geht man mit Horstmann von einer Kontinuität im Lösungsansatz aus – entweder bereits in Jena vollzogen sein, oder aber dieser Bruch wird gar nicht vollzogen und Hegel bleibt dem frühen Anliegen treu, auch die Sphäre von Bedürfnis und Arbeit in die Sittlichkeit zu integrieren. Bereits die in Jena formulierte Konzeption politischer Philosophie ist, so Horstmann, ein Zeugnis für den Versuch, „den klassischen und d.h. antiken Begriff der Sittlichkeit gegenüber den individualistischen Ansätzen des neuzeitlichen Naturrechts zu retten“. Es ist Hegels Ziel, das antike Konzept so umzuformulieren, „daß es in der Lage ist, die politische und gesellschaftliche Wirkung der Neuzeit zu fassen“297 . Eine Präzisierung des im Naturrechtsauf295

Riedel: „Hegels Begriff“, 263. So R.-P. Horstmann: „Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie“. In: Hegel-Studien 9 (1974), 209-240. In einer jüngeren Studie hält Horstmann an diesen Einsichten fest. Vgl. R.-P. Horstmann: „Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft“. In: Siep (Hg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien, 193-215. 297 Horstmann: „Über die Rolle“, 279. Im wesentlichen sind es zwei Bedingungen, die in der Neuzeit eine Restituierung der antiken Polis-Sittlichkeit verhindern: Zum einen ist es das Prinzip der Autonomie des Individuums, das Hegel in der Rechtsphilosophie mit dem Gewissensbegriff identifiziert und zum anderen die vom Staat getrennte Sphäre der individuellen Selbsttätigkeit der Subjekte, nämlich jener Bereich, den die Rechtsphilosophie als bürgerliche Gesellschaft bezeichnet. Bereits im Naturrechtsaufsatz bemüht sich Hegel um eine Integration dieser Prinzipien in die Sphäre sittlicher Totalität. Die Sphären von Bedürfnis und Arbeit werden als das „reale Negative“ der sittlichen Totalität entgegengestellt. Diese Bestimmung forderte in zweierlei Hinsicht eine Präzisierung: Einmal „stellt sich die Frage, wie dieser Be-

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satz entwickelten Auswegs gibt Hegel im System der Sittlichkeit. Dort setzt er nicht so sehr die Differenz zwischen der Sphäre des Bedürfnisses und der Sphäre der Regierung ins Zentrum der Darstellung, sondern arbeitet an den beiden differenten Sphären die gemeinsame Bestimmung, Besonderheit zu sein, heraus. Die Regierung als Besonderheit tritt den Ständen als Besonderheiten gegenüber. Horstmann sieht darin den Versuch einer „systematischen Ausführung“ dessen, wozu „Hegel im Naturrechtsaufsatz die Grundlagen formuliert hat“.298 Den Übergang von einem am Natur- und Organismus- bzw. Lebensbegriff orientierten Strukturmodell zu einer am Selbstbewusstsein orientierten Konzeption vollzieht Hegel in den Vorlesungen 1805/06. Mit Hilfe des Bewusstseinsmodells lassen sich die Gestalten der Sittlichkeit als Einheiten von Einzelheit und Allgemeinheit rekonstruieren. Für Horstmann steht fest, dass mit dieser Struktur die kategorialen Mittel zur Verfügung stehen, um das Verhältnis zwischen besonderen Bestimmungen der Sittlichkeit und der Idee einer

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reich, der ja trotz aller Differenz zur lebendigen Einheit der Sittlichkeit dennoch als Element des sittlichen Kosmos anerkannt werden muß, sich in die Strukturen der absoluten Sittlichkeit integrieren läßt, ohne diese selbst zu vernichten. Zum anderen ist zu klären, wie die sittliche Totalität in der Form des dem Negativen entgegengesetzten Positiven, und das heißt als Staat, sich zu diesem Negativen verhält“ (op. cit., 282). Es ist eine „Opfertheorie“, so Horstmann, mit der Hegel sowohl den absoluten Anspruch der lebendigen Sittlichkeit auf Alleingültigkeit als auch das Negative, den Bereich von Bedürfnis und Arbeit als das Andere der absoluten Sittlichkeit zu integrieren versucht. Aus diesem Verhältnis heraus ist die absolute Sittlichkeit, die sich im Staat realisiert, auch in der Lage, den Einfluss dieser Sphäre einzuschränken und dadurch die Dominanz dieser Sphäre über die Sittlichkeit zu verhindern. Die Sphäre der Bedürfnisbefriedigung bestimmt die politische Lebensform der Unfreien. „Eigentum“ und „Recht“ herrschen als Prinzipien der Besonderheit, ihnen fehlt die wahrhaft sittliche Allgemeinheit. Auch gelingt es in dieser Sphäre nicht, die „Allgemeinheit als mit der jeweils konkreten Einzelheit vermittelt auszuweisen“, vielmehr subsumieren diese Besonderheiten, indem sie als Allgemeinheiten bestimmt sind, das jeweils Einzelne (op. cit., 285). Wie oben gezeigt, bildet die Unfähigkeit, das Allgemeine zur Geltung zu bringen, den Kern der Hegelschen Kritik am neuzeitlichen Naturrecht. Das naturrechtliche Rechtsverständnis begründet alle sittlich-normativen Verhältnisse durch Rückführung der Bedürfnisse der einzelnen Individuen auf die formale Allgemeinheit des Person-Seins. Auf der Basis dieses Rechtsbegriffs ist eine Konzeption von Sittlichkeit, wie sie Hegel anstrebt, unmöglich, insofern Sittlichkeit als das konkrete Allgemeine den „Grund für alle Besonderungen“ enthält. Sittlichkeit bildet den Boden, „auf dem überhaupt erst sinnvoll von dem je einzelnen Individuum als eines solchen (...) gesprochen werden darf“ (op. cit., 286). Da Hegel dem neuzeitlichen Naturrecht eine nur begrenzte Gültigkeit zugesteht, stellt sich die Frage nach den Integrations- bzw. den Beschränkungskriterien für die individuellen Rechte. An dieser Stelle sieht Horstmann das Problem, dass Hegel die besondere Sphäre auf ein „doppeltes Allgemeines“ zurückführen muss. Mit „Sittlichkeit“ und „Staat“ nimmt er zwei „Allgemeine“ in Anspruch, um die Individualrechte mit seiner Sittlichkeitskonzeption zu versöhnen. Einmal ist es die absolute Allgemeinheit als Sittlichkeit, auf der anderen Seite eine positive Allgemeinheit, die als Gestalt anderen Gestalten des sittlichen Kosmos gegenübersteht und als Staat bestimmt wird. „Es stellt sich also das Problem der Etablierung einer Staatskonzeption im Rahmen einer Theorie, die mit dem Begriff der absoluten Sittlichkeit arbeitet, ohne seinerseits die Identität zwischen Staat und absoluter Sittlichkeit behaupten zu können“ (op. cit., 290). Horstmann: „Über die Rolle“, 290. Vgl. zum folgenden Absatz op. cit., 292ff.

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allgemeinen Sittlichkeit zu lösen. Paradigmatisch für diesen Weg sind Hegels Darstellungen im Rahmen des Nürnberger Gymnasialunterrichts sowie die Darstellung der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817), wo Hegel nachweist, dass und wie „die Besonderungen aus dem Begriff einerseits der „Staatsgesellschaften“ und andererseits der „freyen Substanz“, die „das allgemeine Werk“ ist, hervorgehen. Folgt man diesem Interpretationsansatz, so zeigen sich beim Verständnis der Sphäre der Sittlichkeit in den Grundlinien Schwierigkeiten. Geht Hegel dort doch von der Differenz zwischen Allgemeinem und Besonderem aus. Träfe Horstmanns Vorschlag zu, dass Hegel hier der enzyklopädischen Darstellung entsprechend die Besonderung aus dem Allgemeinen hervorgehen lässt, so müssten die Besonderungen aus dem Staat als Allgemeinheit entwickelt werden. In der Tat verzichtet Hegel aber auf diese Form der Darstellung und entwickelt die Gestalten der Sittlichkeit aus der Differenz zwischen Allgemeinem und Besonderen. Dieser Wandel ist jedoch weniger Indiz für eine inhaltliche Neuorientierung als die Entscheidung für eine, so Horstmann, „veränderte Darstellung einer in ihren Grundauffassungen weitgehend unveränderten Theorie“. Die Gründe für den Wechsel zu einer neuen Darstellungsform der politischen Philosophie liegen für Horstmann im Umfeld der Landständeschrift. Hegels Kritik der Versammlung der Württembergischen Landstände konnte aufgrund seines Votums für den königlichen Verfassungsvorschlag der restaurativen Staatstheorie von Hallers zugeordnet werden. Diese Identifikation mit der konservativen Staatstheorie wurde möglich, weil Hegel die Grundlagen seiner Position nicht hinreichend klargelegt hatte. Es ist eine Folge dieser Defizite, so Horstmann, wenn Hegel, um die Identifikation mit einem organizistischen Staatsbegriff abzuwenden, die systematische Entfaltung der Differenz zwischen Staat und Gesellschaft zum Angelpunkt der Darstellung der Grundlinien macht. Da Hegel die wesentliche Verschiedenheit der Prinzipien von Staat und Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Explikation der Sittlichkeit rückt, grenzt er sich dezidiert von organizistischen Konzeptionen ab, die alle Formen von Gesellschaft und Staat anhand des Modells von Familienverhältnissen begreifen. Die Herausarbeitung der wesentlichen Verschiedenheit zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft ist Bedingung für die „Begründung des Primats des Allgemeinen“. Dieses Primat ist aber für Hegel im Rahmen seiner Sittlichkeitskonzeption – und das unterscheidet ihn radikal von organizistischen Staatsmodellen – nur auf der Grundlage einer Anerkennung der Allgemeinheit als notwendiger Form der Besonderheit auszuweisen.299 Die Abwehr einer organizistischen Staatskonzeption ist der wahre Grund für den

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Gerade diese Verschränkung aufzuweisen, ist das eigentliche Anliegen Hegels. Damit verfehlen Interpretationsansätze, die zwischen einem „liberalen“ Teil, der Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft, und einem „konservativen“ Teil, der Lehre von Regierung und Staat, unterscheiden, Hegels Anliegen.

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Rückgriff auf das Selbstbewusstseinsmodell und die Darstellung am Leitfaden der Differenz zwischen besonderer und allgemeiner Sittlichkeit. Mit dieser Deutung lässt Horstmann unberücksichtigt, dass Hegel abweichend von der Enzyklopädie in den Grundlinien den Gesamtstoff der praktischen Philosophie als Philosophie des Rechts entwickelt. Inwieweit die Abwendung des Vorwurfs, ein organizistisch-konservatives Staatsmodell zu vertreten, für Hegels Darstellung der Sittlichkeit und die Trennung zwischen Bürgerlicher Gesellschaft und Staat tatsächlich bestimmend war, oder ob hier andere Motive leitend waren, soll im Folgenden geklärt werden. Es ist keineswegs ein Novum der Hegelschen Grundlinien, dass die Prinzipien Bedürfnis, Arbeit und Eigentum, die strukturell die Sphäre der „Bürgerlichen Gesellschaft“ bestimmen, in die sittliche Sphäre integriert werden. Im System der Sittlichkeit rekonstruiert Hegel ausgehend vom Gefühl Bedürfnis, Genuss und Arbeit. Hegel zeigt, wie der Arbeitszusammenhang die Handelnden nötigt, den erarbeiteten Besitz durch Rechte – wie das Privatrecht – zu sichern. Das Recht ist als allgemein anerkanntes Gesetz wirksam und bestimmt diese Sphäre. Im System der Sittlichkeit negiert diese Sphäre die natürliche Sittlichkeit der Familie und fordert den freien Einzelnen. Als natürliche Sittlichkeit bringt die Familie das Kind als „Mitte“ hervor. In dieser „Mitte“ hat die Familie die unmittelbare Not der Bedürfnisbefriedigung überwunden. Das erwachsene Kind verlässt schließlich die Familie und wird Mitglied der Bürgerlichen Gesellschaft. Die Konzeption der „Bürgerlichen Gesellschaft“ als Rechtsgestalt der Sittlichkeit greift diese Grundbestimmungen der frühen Sittlichkeitskonzeption auf und entwickelt aus ihnen eine weitere Gestalt des Daseins des Rechts. Arbeit, Besitz und Gut begründen, so die Grundlinien, eine neben der Familie eigenständige Sphäre der Sittlichkeit. An die Stelle der unmittelbar auf Liebe gegründeten Einheit tritt der freie Zusammenschluss der Individuen. Dieser geht zwar aus der Notwendigkeit der Subsistenzsicherung hervor, führt aber dort, wo der freie Einzelne eine Familie gründet oder sich einer Korporation anschließt, zu neuen sittlichen Gestalten. Der zentrale sittliche Zweck der Familie, die Erziehung der Kinder zu freien selbständigen Einzelnen, hat ein gemeinsames Vermögen zur Voraussetzung. Dieses Vermögen der Familie geht nicht aus dem konstitutiven Prinzip dieser sittlichen Gestalt, der Liebe bzw. der freien Einwilligung „Eine Person zu sein“, hervor. Daher ist die Familie nicht autark, sondern Teil der „Bürgerlichen Gesellschaft“. Diese Verwobenheit wird auch dort deutlich, wo – wie im Todesfall – der Allgemeinheit die Regelung des Erbfalls überantwortet ist.300 300

Diese Regelung hat sich freilich an der spezifischen Sittlichkeit dieser Sphäre zu orientieren. Die sittlichen Defizite an den bestehenden Regelungen greift Hegel in der letzten überlieferten handschriftlichen Notiz auf: Er kritisiert dort den Ausschluss von Witwen und unverheirateten Töchter aus der Bürgerlichen Gesellschaft. Vgl. Grundlinien, §180 Notizen, 429f.

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Hegel macht unmissverständlich deutlich, dass die Zweckbestimmung der Familie ohne „Vermögen“ nicht zu erreichen ist. Durch die Notwendigkeit eines „Vermögens“ ist die Familie als sittliche Gestalt unlösbar mit den Prinzipien der „Bürgerlichen Gesellschaft“ verbunden. Zum einen also sind diese Prinzipien (Bedürfnis und Arbeit) Bedingung für die sittliche Zweckerfüllung der Familie, zum anderen aber – und dies soll nachfolgend gezeigt werden – verfügt diese Sphäre selbst über Zweckbestimmungen, die als sittliche zu bestimmen sind.

8.2.2 Die bürgerliche Gesellschaft als Gestalt des Rechts Im Zentrum der Auseinandersetzung um Hegels Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtsgestalt der Sittlichkeit steht die Frage nach den Motiven Hegels, die „Bürgerliche Gesellschaft“ als eigenständige Sphäre zwischen Familie und Staat einzuführen. Horstmanns These, dass das politische Umfeld eine klare Distanzierung von organizistischen Staatskonzeptionen erforderte, geht von einer identischen Fragestellung in der enzyklopädischer Darstellung und den Grundlinien aus. In der enzyklopädischen Darstellung entwickelt Hegel das Besondere aus dem Allgemeinen (dem allgemeinen Werk oder der Staatsgesellschaft). Diese enzyklopädische Perspektive vernachlässigt die spezifische Fragestellung der Philosophie des Rechts. In der Erstauflage der Enzyklopädie unterscheidet Hegel noch nicht zwischen „Familie“ und „Bürgerlicher Gesellschaft“. Inwiefern die Darstellung der Grundlinien die Einführung der „Bürgerlichen Gesellschaft“ als eigenständiger Sphäre der Sittlichkeit erforderlich macht, erklärt sich aus der hier maßgeblichen Rolle des Rechtsbegriffs: Entwickelte Hegel in der Enzyklopädie allgemeinste sittliche Grundgestalten, so gibt er in den Grundlinien am Leitfaden des Rechts eine Theorie moderner Sittlichkeit. Hierfür muss die bürgerliche Gesellschaft als der Ort ausgewiesen werden, an dem die abstrakten Rechte der Person und des Subjekts „wirklich“ zu werden vermögen.301 Zweitens muss deutlich werden, inwiefern die Sphäre der unmittelbaren (Familie) und der absoluten (Staat) Sittlichkeit auf diese selbständige Sphäre und den dort etablierten Handlungstyp angewiesen sind: Gehen „Familie“ und „Staat“ letztlich aus den Prinzipien der „Bürgerlichen Gesellschaft“ hervor oder ist das freie, selbständige Individuum der bürgerlichen Gesellschaft ohne die Familie als sittlicher Sphäre gar nicht möglich? Wie aber kann dann die „Selbständigkeit“ der „Bürgerlichen Gesellschaft“ plausibel gemacht und als Argument gegen den Organizismusvorwurf ins Feld geführt werden? Die Gestalten der Sittlichkeit realisieren als Selbstverwirklichungen des freien Individuums die Rechte von Person und Subjekt und vermitteln in je spezifischer Form zwischen dem Besonderen und den ver301

Hegel verweist im „Abstrakten Recht“ auf die „Bürgerliche Gesellschaft“ als jenen Ort, wo diese Rechte konkret werden.

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schiedenen Stufen des Allgemeinen. Mit dieser Vermittlung löst Hegel seinen Anspruch ein, die Philosophie des Rechts als praktische Philosophie im umfassenden Sinn zu entwickeln. Die entwickelten Vermittlungsgestalten „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ repräsentieren die aristotelischen Problemfelder „Ethik“, „Ökonomie“ und „Politik“. Zur Realisierung des Anliegens, die Gestalten der Sittlichkeit als Rechtsgestalten zu entwickeln, verknüpft Hegel diese Tradition mit dem neuzeitlichen Anspruch praktischer Subjektivität. Seine Rekonstruktion zeigt, wie in den sittlichen Gestalten dem freien Individuum allgemeine Handlungsoptionen gegenübertreten, die freie Selbstbestimmung und allgemeine Geltung verbinden und in deren Vollzug das Individuum, die Wirklichkeit seiner Rechte realisiert. Gegenüber der Jenaer Konzeption der Sittlichkeit lagert Hegel mit der „Bürgerlichen Gesellschaft“ die Prinzipien Bedürfnis und Arbeit aus der Sphäre der Familie aus. Mit dieser Auslagerung wird Hegel der modernen Entwicklung, der Auflösung des „Hauses“ als ökonomischer Einheit gerecht. Ist es dieser neue Gesichtspunkt der Hegel 1817/18 veranlasste, im Rahmen seiner Sittlichkeitskonzeption diese Trennung zu vollziehen, oder ist diese Trennung nicht vielmehr eine Konsequenz der Darstellung der Sittlichkeit als einer Gestalt des Rechts? Noch in der ersten Auflage der Encyklopädie entwickelt Hegel Sittlichkeit als das allgemeine Werk der „gedoppelten Arbeit“: Recht und Wohl der Personen als Besonderer zu erhalten und der Integration der Tätigkeit der Einzelnen in das Leben des Allgemeinen zu dienen. Mit dieser Bestimmung erfüllt dass „allgemeine Werk“ beide in den Grundlinien auf die „Bürgerliche Gesellschaft“ und den „Staat“ verteilten Funktionen. Hegels Verzicht in den Grundlinien, die Sittlichkeit als das „allgemeine Werk“ zu entwickeln, geht zurück auf das Anliegen, die Sittlichkeit der Moderne zu entwickeln. Warum diese Aufteilung der beiden Funktionen des „allgemeinen Werks“ auf unterschiedliche Gestalten der Sittlichkeit notwendig wird und wie diese Notwendigkeit mit der Darstellung der Gestalten des objektiven Geistes als Gestalten des Rechts zusammenhängt, soll nachfolgend gezeigt werden. Für die Beantwortung dieser Frage ist es sinnvoll, zunächst nach den Konsequenzen zu fragen, die die Neubestimmung der Prinzipien von Bedürfnis und Arbeit für die sittliche Sphäre hat. Die gravierendsten Konsequenzen hat diese Neubestimmung für die Ständelehre. Für die Rechtsphilosophie – und deren Auffassung wird auch für die späteren Auflagen der Encyklopädie maßgeblich – geht die Teilung der Stände aus der „concreten Theilung (...) des allgemeinen Vermögens“ hervor. In der Erstauflage der Encyklopädie sieht Hegel für das statisch vorgegebene „allgemeine Werk“ eine Spezialisierung der Stände vor, dem einzelnen Stand bleibt allerdings eine Einsicht in das Ganze seiner Arbeit verwehrt. Indem Hegel in den Grundlinien das Hervorgehen der ständischen Gliederung aus dem „allgemeinen Vermögen“ entwickelt, löst er die Statik des gemeinsamen Werkes auf, und schafft damit die Voraussetzung für die Integration einer Bildungskonzeption in die Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“. Mittels der Bildung werden die Wurzeln des eigenen

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Standes im allgemeinen Vermögen transparent, Bildung ermöglicht dem einzelnen Standesmitglied die Einsicht in den Zusammenhang des Ganzen. Die Statik der Lehre vom „allgemeinen Werk“ wird darüber hinaus durch den dynamischen Aspekt des Vermögens abgelöst: Gesellschaftlicher Wandel wird allererst auf der Grundlage der Vermögenskonzeption begreifbar. Für die Bewertung der Stellung der bürgerlichen Gesellschaft ist die Differenz zwischen einer durch das Werk bzw. die Tugenden als Naturvorgaben festgeschriebenen Ständeteilung und einer durch das „allgemeine Vermögen“ verursachten Ständelehre zu beachten. Die in Jena und auch noch in Heidelberg (Encyklopädie) gültige Ständelehre basiert auf der Bestimmung des „allgemeinen Werks“. Die Stände sind durch das Werk bestimmt, die Standeszugehörigkeit wiederum bestimmt die Tugenden der Individuen. Auf dieser Grundlage ist den Standesmitgliedern jenes Wissen um das Ganze, das eine Bestimmung des eigenen Handelns mit Blick auf dieses Ganze erlaubt und für das Hegel im Moralitätskapitel mit der Lehre vom Gewissen die Voraussetzungen schafft, verwehrt. Mit der Vermögenslehre gewinnt Hegel eine für das Selbstverständnis des Standes wie für die Konzeption des „Ganzen“ neue Basis. Während für die enzyklopädische Werkkonzeption302 erst die Person als „denkende Intelligenz“ die Substanz als ihr eigenes Wesen zu erkennen vermag und in dieser „Gesinnung“ aufhört als Person „Accidens“ der Substanz zu sein, (Encyklopädie, §431, 233) macht die Konzeption des Vermögens auf der Ebene der Standeszugehörigkeit den Weg frei um über die Zwecksetzung des Handelns neue Vermittlungsformen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen zu generieren. Die Vermögenslehre öffnet die Ständelehre für die Integration der in Jena entwickelten sozialphilosophischen Lehrstücke. In der Jenaer Philosophie des Geistes hatte Hegel alle sittlichen Gestalten aus der „Natur“, dem Bedürfnis des Menschen entwickelt. Recht wie Sittlichkeit gehen als ideale Bestimmung aus der Naturbestimmtheit des Menschen als Bedürfniswesen hervor. Für die Philosophie des Rechts tritt das „Vermögen“ an diese Stelle. Wie das Werkzeug als allgemeine Möglichkeit des Genusses aus „gehemmter Begierde“, nämlich Arbeit und über die Dienlichkeit zu einem Zweck, zu einem Vermö302

Die Unterschiede zwischen den Ständen bestimmt Hegel in der Encyklopädie aus dem allgemeinen Werk als Substanz. Der „allgemeine Stand“ ist die „Bethätigung der Substanz als solcher“; dem besonderen Stand sind die Bedürfnisse des „besonderen Daseyns“ Werk, während der Stand der „Einzelnheit“ die Individualität als Familie ist (Encyklopädie, §433, 234). Die Stände des allgemeinen Werks umfassen die gesamte Sphäre der Sittlichkeit. Die Einheit der Sittlichkeit ist den einzelnen Ständen transzendent. Diese Einheit wird erst für das wissende Erkennen der Intelligenz durchsichtig. Die für die Unterscheidung der Stände notwendigen Differenzen beruhen auf Charakterbildung und Tugend, damit letztlich – wie Hegel im Naturrechtsaufsatz darlegte – auf natürlichen Ursachen, den Charaktereigenschaften und Tugenden ihrer Mitglieder. Sie sind der Sittlichkeit vorgelagert und damit dem handelnden Vollzug selbstbewusster Individuen entzogen. Erst im Erkennen der Intelligenz werden diese naturhaften Bedingungen überwunden.

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gen wird, so steht das (abstrakte) Recht in der bürgerlichen Gesellschaft im Dienste des allgemeinen Wohls zur Stabilisierung der hier konfligierenden Interessen. Im Staat kommt es zur vollen Anerkenntnis dieses Zwecks (Jenaer Systementwürfe III, 225). Als „allgemein bleibendes Vermögen“ (vgl. Grundlinien, §199) ermöglichen die zur Bedürfnisbefriedigung erarbeiteten Eigentümer, Werkzeuge, Kompetenzen und die allgemeinen Gestalten, Rechtspflege, Polizei und Korporationen, das allgemeine Wohl. Das einzelne Individuum erhält als Mitglied einer Korporation Einsicht in das allgemeine Wohl und erhebt dieses zum Zweck seines Handelns. Gegenüber der frühen Werkkonzeption des Guten ist diese Einsicht somit nicht mehr der „denkenden Thätigkeit“ der Intelligenz vorbehalten, sondern ist durch die Institutionalisierung im Handeln realisierbar geworden.303 Das Vermögen der Gesamtheit wie der einzelnen Stände bzw. deren Mitglieder basiert auf dem jeweils erarbeiteten Besitz. In diesen Besitz gehen jene Bestimmungen ein, die Hegel im Rahmen des Jenaer Ansatzes etwa im System der Sittlichkeit ausgehend von der Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung entwickelt: Arbeit, Werkzeug und Sprache sind dort die Potenzen der Sittlichkeit (vgl. GW 6, 195ff.), zu ihnen gehört auch das Recht im Sinne des Privatrechts. Für die Grundlinien – und das unterscheidet diesen Ansatz von den Je303

Vergleicht man die in der Heidelberger Vorlesung 1817/18 vorgetragene Konzeption der Sittlichkeit mit dem systematischen Rahmen, den die erste Auflage der Encyklopädie 1817 gibt, so zeigt die Vorlesung nicht nur – wie von Hegel angekündigt – eine mehr systematische Ausführung der Grundbegriffe. Im Einzelnen zeigen sich systematische Fortentwicklungen, die die enzyklopädische Zielsetzung sprengen. So fehlen etwa die Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Abgrenzung vom Staat in der enzyklopädischen Darstellung von 1817 (vgl. Horstmann: „Über die Rolle“, 292f.). Die Sittlichkeit wird als „allgemeines Werk“ hervorgehend aus der Arbeit der drei Stände (allgemeiner, besonderer und einzelner) entwickelt (vgl. Encyklopädie, §433). Die Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 beruft sich bei der Explikation der Sittlichkeit nicht auf das „allgemeine Werk“. Zur Charakterisierung der „Sittlichkeit“ greift Hegel auf die „sittliche Substanz“ zurück. Deren Struktur wird nicht am Leitfaden von Ständen, sondern am Leitfaden „zweier Rechte“, dem absoluten Recht der Substanz und dem Recht der Einzelnen (Nachschrift Wannenmann, §69), expliziert. Für den Einzelnen konkretisiert sich das Verhältnis zur Substanz in zwei wesentlichen Beziehungen. Zunächst ist dem Individuum in der Familie die natürliche Substantialität eigen, die Familie verlassend soll es sich zur Möglichkeit machen, in der ganzen Substanz einen Stand und eine Stelle zu haben. Die durch „Natur“ gefügte ständische Arbeitsteilung, wie sie der Naturrechtsaufsatz unter Aufnahme des platonischen Modells vorsah, ist damit preisgegeben: Standeszugehörigkeit ist nicht durch Natur oder die Regierung vorgegeben, sondern ergibt sich aus dem individuellen Vermögen. In der Anmerkung zu §185 der Grundlinien geht Hegel auf die Platonische Staatskonzeption ein und sieht deren begrenzte Gültigkeit in dem Auftreten des Prinzips der selbständigen in sich unendlichen Persönlichkeit des Einzelnen. Der Einzelne hat auf der Basis seines Vermögens und seiner Bildung einen Stand einzunehmen, Standeszugehörigkeit wird zu einem Moment reflektierter Sittlichkeit. D.h. die Stellung des Einzelnen im und für das sittliche Ganze ist damit nicht unmittelbar festgelegt: „Etwas“ ist er in diesem Ganzen nur, wenn er diesen Stand faktisch einnimmt und als besonderer Mitarbeiter anerkannt ist. Diese Neubestimmungen stehen hinter der Ablösung des alten, an der platonischen Ständelehre orientierten, Modells der Gliederung der Sittlichkeit durch die über das Vermögen bestimmte Differenzierung zwischen den Ständen.

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naer Konzeptionen – gehört auch das Gewissen und die Subjektivität zu diesen Potenzen. Auf dieser neuen Basis erst wird für Hegel der Verzicht auf die Werkkonzeption möglich. Die Vermögenslehre ersetzt das „Werk der Stände“: Das unbewusste Tun der Stände wird durch die Fähigkeit zu selbstbestimmter Zwecksetzung abgelöst. Eine Neukonzeption der Ständelehre ist damit möglich geworden. Hegel hat damit das Instrumentarium für die Reformulierung der Sittlichkeit unter den Bedingungen der Moderne.304

Exkurs: Zur Genese der Ständelehre In der Entwicklung des Hegelschen Denkens kommt die Einsicht der Unzulänglichkeit der Werklehre schubweise zum Durchbruch. Geht man einmal davon aus, dass die Systematik und auch die Grundbestimmungen, die Hegel im Rahmen der ersten Auflage der Encyklopädie vortrug, z.T. noch den Nürnberger Kursen entnommen sind, dass sich zum anderen mit der WürttembergSchrift die Einsicht durchsetzt, dass die ständische Gliederung der Gesellschaft mit dem alten Reich so eng verknüpft ist, dass die Stände nicht unmittelbar in der Lage sind, den Erfordernissen der Zeit gemäß zu handeln, so setzt Hegel in dieser Situation (Württemberg-Schrift) auf faktisch politischer Ebene auf die Erziehung durch die Ständeversammlung.305 Auf systematischer Ebene reflektieren die Randnotizen zu den Jenaer Entwürfen aus den Jahren 1805/6 diese Einsicht. Dort wird die ständische Gliederung der Gesellschaft nicht als durch die Natur vorgegeben begriffen, vielmehr versucht Hegel zu zeigen, dass die ständische Gliederung aus den diese Sphäre bestimmenden Prinzipien, Bedürfnis, Arbeit und Anerkennung, hervorgeht. Diese Überlegung begründet Hegels Neukonzeption der Ständelehre und macht die Ausformulierung der Handlungslehre notwendig. Diese Einsichten bestimmen dann die Konzeption der „Bürgerlichen Gesellschaft“, wie Hegel sie erstmals in den Vorlesungen des Wintersemesters 1817/18 vorträgt. Sie bilden auch die Voraussetzung für die spätere Vermögenslehre der Grundlinien. Mit dieser Neubestimmung der Ständelehre ist ein entscheidendes Moment gegenüber den frühen Fassungen der Sphäre von Bedürfnis und Arbeit gewonnen. Im Naturrechtsaufsatz bestimmt Hegel das „System der Bedürfnisse“ bzw. das „System von Eigentum und Recht“ als Negationen der Sittlichkeit: „Dieses System von Eigentum und Recht, das um jenes Festseins der Einzelheit willen in nicht Absolutem und Ewigen, sondern ganz im Endlichen und Formellen ist, muß reell abgesondert 304

305

Ganz entscheidend für die Ausarbeitung dieses neuen Ansatzes war die Vorlesung des WS 1819/20. Wie der Nachschrift Ringier zu entnehmen ist, entwickelt Hegel dort erstmals die Ständelehre am Leitfaden der Vermögen, ohne allerdings die beiden anderen Gestalten der Sittlichkeit, Familie und Staat, bereits in diesem Sinne umzuformulieren. Vgl. meine Rezension der Nachschrift in: Hegel-Studien 36 (2001), 251-262. Vgl. hierzu Weisser-Lohmann: „Daß das Allgemeine zu einer That komme“.

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und ausgeschieden von dem edlen Stande, sich in einem eigenen Stande konstituieren, und hier dann in seiner ganzen Länge und Breite sich ausdehnen können“ (Naturrechtsaufsatz, 143). Dadurch, dass Hegel die Ständelehre in einer Vermögenslehre und der Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln verankert, kommt er im Rahmen der Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“ zu einer Neubewertung der Sittlichkeit dieser Sphären. Die „Bürgerliche Gesellschaft“ ist eine Sphäre der Sittlichkeit. Aufbauend auf der Familiensittlichkeit vermag der Einzelne hier zu einer neuen reflektierten Gestalt der Sittlichkeit zu finden. Die Standeszugehörigkeit wurzelt in einem gemeinsamen Vermögen. Im Zusammenschluss der verschiedenen Berufstände in Korporationen wird dieses Vermögen objektiv und ermöglicht gesellschaftliches Handeln. Mit dieser Standeskonzeption macht Hegel die Einsicht in die gegenüber der Antike gewandelte Funktion der Arbeit für die Konzeption der Sittlichkeit fruchtbar. Arbeit bleibt nicht bloßes Mittel der Bedürfnisbefriedigung, sondern sie schafft im Werkzeug und Besitznahme ein „Vermögen“, das sich nicht im unmittelbaren Verzehr der Sache auflöst, sondern eine Welt hervorzubringen vermag, die als Gestalt der Freiheit das Zusammenleben der Einzelnen neu bestimmt. Die Konsequenzen dieser Neubestimmung der Ständelehre zeigen sich in der zentralen Rolle, die die Bildung für die Sittlichkeitskonzeption erhält. In Paragraph 434 der ersten Auflage der Encyklopädie fordert Hegel, dass der Einzelne es sich zur Möglichkeit machen solle, in der ganzen Substanz „einen Stand und eine Stelle zu haben“. Wenn er „sich überhaupt bilden“ soll. Bildung zielt hier darauf, dem Einzelnen „als besonderem Mitarbeiter an dem allgemeinen Werke“ Anerkennung zuteil werden zu lassen. Die Partialität des Einzelnen als Mitarbeiter am „allgemeinen Werk“ soll durch Bildung zur Besonderheit und damit zur Anerkennung als selbständiges Individuum führen. Für die Konzeption der Encyklopädie führt die Bildung zur Besonderheit, in der der Einzelne als „Mitarbeiter“ an dem allgemeinen Werk ausgezeichnet wird. Diese Funktion der Bildung spezifiziert Hegel in der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 wie auch in den Grundlinien, wenn er dort der Familie die Aufgabe der Berufsbildung überträgt, während er den Rechtsgestalten der „Bürgerlichen Gesellschaft“ die Aufgabe zuschreibt, das besondere Interesse zur Einsicht in das Allgemeine zu bilden. Die Grundlinien gehen von der Selbständigkeit des Einzelnen aus. Indem der Einzelne als Vermögender bildungsfähig ist, wird ihm seine Bedingtheit durch das Allgemeine einsichtig. Diese Einsicht befähigt zur Prüfung der individuellen Zwecksetzung am Maßstab des allgemeinen Wohls. Diese Form der Bildung ist gegenüber der Encyklopädie neu: Die zur Bedürfnisbefriedigung geleistete Arbeit bildet durch die Zweckbestimmung im Horizont des allgemeinen Wohls ein Vermögen, das eine Gestalt „reflektierter Sittlichkeit“ hervorbringt. Diese Neubestimmung bildet die Basis dafür, die Stände der bürgerlichen Gesellschaft als Ele-

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ment des Staates auszuweisen, d.h. sie in die gesetzgebende Gewalt der „Inneren Verfassung“ des Staates aufzunehmen. Zwei Argumentationsebenen müssen mit Blick auf die Hegelsche Lehre von der „Bürgerlichen Gesellschaft“ unterschieden werden. Die genetische Perspektive macht deutlich, dass das sittliche Band der Familie seine natürliche Auflösung darin findet, „daß die Kinder zur freyen Persönlichkeit erzogen, in der Volljährigkeit anerkannt werden, als rechtliche Personen und fähig zu seyn, theils eigenes freyes Eigenthum zu haben, theils eigene Familien zu stiften“ (Grundlinien, §177, 160; GW 14.1, 155). Für den Einzelnen wird das „Bedürfnis für sich zu bestehen“ entscheidend. Mit diesem Willen ist das eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft formuliert, das andere Prinzip ist, dass sich „die besondere Person als wesentlich in Beziehung auf andere solche Besonderheit“ vermittelt geltend macht. Jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft kann seine Bedürfnisse nur durch die „Form der Allgemeinheit“ vermittelt befriedigen (vgl. Grundlinien, §182). Diese „Formen der Allgemeinheit“ sind als Rechtsgestalten zu entwickeln.

8.2.3 Die bürgerliche Gesellschaft und das Dasein des Rechts Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtsgestalt der Sittlichkeit bildet das „System der Bedürfnisse“. Die Kennzeichnung dieser Sphäre als „System“ macht deutlich: Hegel macht die wechselseitige Abhängigkeit bei der Befriedigung der Bedürfnisse zum zentralen Gesichtspunkt seiner Darstellung: Als bedürftiges Wesen verhält sich der Mensch „vornemlich zu menschlichen Productionen“ (Grundlinien, §196, 173; GW 14.1, 168). Diese Abhängigkeit von der Arbeit anderer macht, dass das aus subjektiver Selbstsucht Geschaffene zu einem „Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse aller anderen“ wird. Diese „allseitige Verschlingung der Abhängigkeit Aller (...) ist nunmehr für jeden das allgemeine, bleibende Vermögen“ (Grundlinien, §199, 174; GW 14.1, 169). Indem Hegel das „System der Bedürfnisse“ zum Ausgangspunkt seiner Konstruktion der bürgerlichen Gesellschaft macht, distanziert er sich von Konzeptionen die – wie etwa Hobbes – das einzelne Individuum zum Ausgangspunkt der Rekonstruktion machen. Vielmehr hat Hegels Konstruktion von Anfang an die allseitige Abhängigkeit im Blick. Das Streben der Individuen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, gründet in einem allgemeinen Vermögen, insofern sowohl die hier herrschenden Bedürfnisse wie auch die Kräfte, die zur ihrer Befriedigung eingesetzt werden, notwendig verbunden sind und sich wechselseitig bedingen. Mit diesem Ausgangspunkt knüpft Hegel gegen das moderne Naturrecht an die Einsichten der klassischen Nationalökonomie an.306 Dieses „System der Bedürfnisse“ bringt 306

Hegel beruft sich hier auf die Lehren von Adam Smith, Jean Baptiste Say und David Ricardo. Vgl. Grundlinien §189, 170; GW 14.1, 165.

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auch die hier geltenden Regeln, wie der Schutz des Eigentums durch die Rechtspflege hervor. Das Dasein des Rechts in der Rechtspflege, die objektive Wirklichkeit des Rechts ist zum einen in der Bildung, zum anderen durch die „Macht der Wirklichkeit“ „als allgemein Gültiges gewußt zu werden“, vorhanden. Das Recht erhält im Gesetz eine erste wahrhafte Bestimmtheit. Das Gesetz vollzieht die Einheit von Ansichsein (als abstraktes Recht) und Gesetztsein (durch den subjektiven Willen). Das Gericht hat die „Erkenntniß und Verwirklichung des Rechts im besondern Falle, ohne die subjective Empfindung des besondern Interesses“ (Grundlinien, §219, 189; GW 14.1, 182) zur Aufgabe. Die Rechtspflege tilgt die Verletzung des Eigentums und der Persönlichkeit und bewirkt die Forderung, „daß die Sicherung der Subsistenz und des Wohls der Einzelnen, – daß das besondere Wohl als Recht behandelt und verwirklicht sey“ (Grundlinien, §230, 195f.; GW 14.1, 189). Aus diesen Forderungen erwachsen auch die Aufgaben der Polizei und der Korporationen. Erst wo die allseitige Abhängigkeit der Bedürfnisbefriedigung als „allgemeines Vermögen“ bewusst ist, vermag dieses System ein geltendes Rechtssystem wie auch die Besorgung des Wohls der Einzelnen durch Polizei und Korporationen hervorzubringen. Wie schon in Jena geht das „Recht“ als Privatrecht nicht aus abstrakten – durch die Philosophie gesetzten – Bestimmungen hervor, sondern ist das Produkt der spezifischen in der Sphäre der unmittelbaren Lebenssicherung herrschenden Bedingungen. Die Handlungslehre des Moralitätskapitels zeigt, wie die Wirklichkeit eines allgemeinen Rechts durch das zwecksetzende Individuum hervorgebracht wird. Denn erst dort, wo die Zustimmung des Subjekts als notwendige Bedingung für die allgemeine Geltung des Rechts anerkannt ist, sind die Bedingungen für die legitime Geltung des Rechts erfüllt. Das Bewusstsein der allseitigen Abhängigkeit verweist auf einen weiteren Aspekt: Im Wissen um die allseitige Abhängigkeit verfügt das Subjekt nicht nur über das Vermögen, als Besonderheit das Allgemeine zu wollen, sondern auch die Verwirklichung des Wohls der Einzelnen wird zu einer allgemeinen Aufgabe. Die bürgerliche Gesellschaft ist nur dort eine Gestalt der Sittlichkeit, wo beide Momente wirklich ausgebildet sind. Von liberalistischen Kritikern ist der Hegelschen Staatslehre vorgeworfen worden, „Polizei“ und „Rechtsapparat“ seien lediglich staatlich instruierte Instanzen, die das freie Wirken der Kräfte dirigistisch zu lenken suchen. Diese Kritik lässt unberücksichtigt, dass Hegel das Bewusstsein um die dem „System der Bedürfnisse“ grundlegende Allgemeinheit zur Bedingung der Wirklichkeit dieser Rechtsgestalten erhebt. Rechtspflege und Polizei erfüllen nur dort ihre Aufgabe, wo ihre Macht auf Zustimmung der Individuen gründet. Hegel unterscheidet in der Ständelehre der bürgerlichen Gesellschaft 307 drei Stände hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, ihrer Arbeit und ihres Vermögens. Gegenüber der frühen Ständelehre sind es hier weitgehend wirtschaftlich307

Zum historischen Umfeld der Hegelschen Ständelehre vgl. Rosenzweig: Hegel und der Staat, 121.

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gesellschaftliche Kriterien, die eine Differenzierung zwischen den Ständen ermöglichen. Substantieller, reflektierender und allgemeiner Stand vermögen in unterschiedlicher Weise die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu befriedigen. Für das Individuum ist entscheidend, dass es nicht der „Charakter“, die naturhaft vermittelte Anlage ist, sondern das durch die eigene Tätigkeit und Geschicklichkeit erworbene Vermögen – d.i. seine Bestimmtheit als Besonderheit – die es zum Glied der bürgerlichen Gesellschaft macht. „Sittlich“ ist das Dasein der Stände als bestimmte Besonderheit „nur durch diese Vermittelung mit dem Allgemeinen“ (Grundlinien, §207, 179; GW 14.1, 174). Jeder Stand verfügt über eine spezifische Form der Allgemeinheit. Der ackerbauende Stand „hat an der Substantialität seines Familien- und Naturlebens in ihm selbst unmittelbar sein konkretes Allgemeines“. Für den allgemeinen Stand ist das „Allgemeine für sich“ Zweck seiner Tätigkeit. Die Mitte zwischen beiden, „der Stand des Gewerbes (...) ist auf das Besondere wesentlich gerichtet, und ihm ist daher vornemlich die Corporation eigenthümlich“ (Grundlinien, §250, 204; GW 14.1, 196).308 Grundsätzlich gilt, dass die ständisch gegliederte Gesellschaft in der hier notwendigen Teilung der Arbeit nicht das gemeinsame Werk hervorbringt. Die bürgerliche Gesellschaft qualifiziert sich auch nicht durch die in ihr befriedigten Bedürfnisse als sittliche Gestalt. „Sittlich“ wird die bürgerliche Gesellschaft aller erst durch die in „Rechtspflege“, „Polizei“ und „Korporationen“ eröffneten Handlungsoptionen, die das hier erarbeitete allgemeine Vermögen konstituieren. Die Einsicht in die Bedingtheit der eigenen Bedürfnisbefriedigung begründet das Dasein von „Rechtspflege“, „Polizei“ und „Korporationen“. In diesen Rechtsgestalten ist die bürgerliche Gesellschaft für Hegel nicht ein bloßer Stand, sondern eine selbständige Gestalt der Sittlichkeit insofern diese Gestalten als Institutionen Handlungstypen bereitstellen, die die Rechte der Person und des Subjekts sichern, und zwar in Handlungen, die das allgemeine Wohl zum Zweck haben. Dies ist insbesondere gegenüber der Konzeption des Naturrechtsaufsatzes hervorzuheben, wo Hegel das System von Bedürfnis und Arbeit als „Stand“ von der sittlichen Sphäre abgrenzt. Als Stand bildete dies System innerhalb der Sittlichkeit eine bloß negative Teilsphäre. Als Sphäre der Sittlichkeit ist die bürgerliche Gesellschaft mittelbar selbst Ausdruck für das Dasein der Freiheit. Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft sind nicht „Organe“, naturhaft erwachsene Elemente der Sittlichkeit, die in der Funktionserfüllung ihren Beitrag zu dem allgemeinen Werk leisten. Den spezifisch sittlichen Beitrag leistet diese Sphäre in der Reflexion auf die hier herrschenden Bedingungen (allseitige Abhängigkeit) und in der Institutionalisierung von Handlungen, die die Verwirklichung reflexiver Allgemeinheit ermöglicht. Auf subjektiver Seite konstituiert die Einsicht das Dasein des Rechts und damit die Wirklichkeit der Freiheit in den sittlichen Gestalten der „Bürgerlichen Gesellschaft“. Dass diese Einsicht nicht einem spezifischen Stand vorbehalten 308

Vgl. zur Korporation auch Nachschrift Wannenmann, §§253-256.

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bleibt, ist ebenfalls eine entscheidende Differenz zur frühen Jenaer Konzeption der Sittlichkeit.

„Person“, „Subjekt“, „Selbstgefühl“ Die institutionalisierten Handlungsformen bestimmen das „Selbstgefühl“ des Subjekts in den unterschiedenen Sphären der Sittlichkeit. Im „Selbstgefühl“ werden diese Praxen „als von sich ununterschiedene Elemente“ vollzogen. Hegel charakterisiert das Selbstgefühl als „verhältnislose Identität“, als „wirkliche Lebendigkeit des Selbstbewußtseins“, die „noch identischer, als selbst Glaube und Zutrauen“ (Grundlinien, §147, 143; GW 14.1, 138) ist. Diese Identität kann „in ein[em] Verhältnis des Glaubens und der Überzeugung“ bestehen, aber auch auf einer „Einsicht durch Gründe“ basieren. In dieser verhältnislosen Identität gelten die praktischen Bestimmungen unmittelbar durch Religion und Kultus. Was von den vorhandenen religiösen Vorstellungen, ästhetischen Anschauungen und philosophischen Einsichten in die jeweilige Praxisform eingeht, wird durch das Selbstgefühl der Handelnden bestimmt. Dieses Selbstgefühl bestimmt somit die „Wirklichkeit“ einer Praxisform. In der Gegenwart wird das Selbstgefühl durch das Selbstverständnis des Individuums, Person und Subjekt mit spezifischen Rechten zu sein, bestimmt. Hieraus ergeht an die Philosophie die Forderung, die diesem Selbstverständnis angemessene Wirklichkeit an den bestehenden Handlungstypen zu rekonstruieren. Das „Selbstgefühl“ steht für die inhaltliche individuelle Bestimmtheit der Sittlichkeit. Unklar ist, wo dieses „Selbstgefühl“ seinen systematischen Ort hat. Weder als Person noch als Subjekt erreicht das Individuum eine Wirklichkeit, die die mit dem Selbstgefühl in Anspruch genommene Einheit zwischen Selbst und Welt realisiert. Der Inhalt des Selbstgefühls ist weder „Sache“ noch „Wohl“. Erst dort, wo der Mensch wie in der bürgerlichen Gesellschaft als Mensch, als Bedürfniswesen thematisiert wird, wird eine Wirklichkeit erreicht, die diese Einheit zu thematisieren vermag. Das Selbstgefühl gehört in den Zusammenhang von Bedürfnis, Arbeit und Vermögen. Die spezifischen Vermögen, Bildung und Geschicklichkeit, befähigen das Individuum zur Subsistenzsicherung (vgl. Grundlinien, §199) und bilden die Basis für das Selbstgefühl des Individuums. Sich zum Menschen bestimmen und als Mensch gelten kann der Einzelne nur als besonderes Individuum mit spezifischem Vermögen, hier ist der Ort des Selbstseins. Die sittlichen Handlungsoptionen der bürgerlichen Gesellschaft vermögen allerdings die Spannung zwischen den besonderen Zwecksetzungen des einzelnen Individuums und der formalen Allgemeinheit des Rechts nicht aufzulösen: Die Sittlichkeit als das Dasein des Rechts ist hier reflexiv. „Es ist aber diese Sphäre des Relativen, als Bildung, selbst, welche dem Rechte das Daseyn giebt, als allgemein anerkanntes, gewußtes und gewolltes zu seyn, und

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vermittelt durch dieß Gewußt- und Gewolltseyn Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben“ (Grundlinien, §209, 180; GW 14.1, 175). Das jeweilige besondere Vermögen bestimmt als individuelle Geschicklichkeit, intellektuelle und moralische Prägung und Bildung unser Selbst. Gegenüber der rechtlichen Bindung und Verpflichtung ist dies der Ort unserer menschlichen Existenz. „Rechtspflege“, „Polizei“ und „Korporation“ sind als daseiende Rechtsgestalten Zweckbestimmungen, die aus dem allgemeinen Vermögen hervorgehen. Gleichwohl gehören die „Rechte der Besonderheit“ unabdingbar zur Sittlichkeit. Erst das besondere Individuum mit seinen individuellen Zwecksetzungen vermag über die Bedingtheit seiner Besonderheit zu reflektieren und damit das Dasein des Rechts als allgemeines Anerkanntsein hervorzubringen.309 Gegenüber diesem reflektierten Handeln stehen „Familie“ und „Staat“ für eine differenzlose Einheit zwischen der Besonderheit der einzelnen Individuen und dem Allgemeinen. Hegel spricht im Übergang zum „Staat“ von den „Institutionen“ der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft als den Mächten des „Vernünftigen in der Nothwendigkeit“ (Grundlinien, §263, 217; GW 14.1, 210).

Institutionen und Sittlichkeit Die sittlichen Gestalten „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ bestimmt Hegel als „Institutionen“, da sie die Rechte von Person und Subjekt in tradierten vom individuellen Handlungsvollzug unabhängigen Formen verwirklichen. Die in und durch die Institutionen Handelnden wissen und realisieren die Zwecke des Allgemeinen: „Die Individuen der Menge, (...) insofern sie sowohl als Privat- wie als substantielle Personen wirklich sind; – erreichen (...), daß sie in den Institutionen, als dem an sich seyenden Allgemeinen ihrer besonderen Interessen ihr wesentliches Selbstbewußtseyn haben“ (Grundlinien, §264, 218; GW 14.1, 210f.). „Institutionen“ definieren sich damit für Hegel über das Wissen und die Bewusstheit der Individuen.310 “Institutionen“ gibt es nur, wo dieses Bewusstsein in Einheit mit dem Handlungsvollzug vorhanden ist. Was aber unterscheidet Institutionen von anderen Rechtsformen oder von den Gesetzen der Rechtspflege? Für Hegel realisieren Institutionen nicht einzelne Rechte, sondern stellen die Zusammenfassung und den lebendigen Vollzug eines ganzen Bündels von Rechten, Normen und Ordnungen dar. Die309

310

So geht die Differenzierung des Vermögens nicht aus dem Allgemeinen hervor, sondern es ist „die im Systeme menschlicher Bedürfnisse und ihrer Bewegung immanente Vernunft, welche dasselbe zu einem organisch Ganzen von Unterschieden gliedert“ (Grundlinien, §200, 175; GW 14.1, 170). Damit sind aber weder die Institutionen noch das staatliche Handeln „Träger einer absoluten Idee von Sittlichkeit“, wie Christoph Hubig unterstellt. Vielmehr ist es Hegels Anliegen, dieses Handeln aus dem Willen der Staatsbürger zu rekonstruieren. Vgl. Chr. Hubig: „Institution. III. Ethik der Institutionen“. In: Görres-Gesellschaft (Hg.), Staatslexikon. Bd. 3. Freiburg i.Br. 1995, Sp. 106-108; hier Sp. 107.

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se Bündelungen haben sich geschichtlich bei der Bewältigung verschiedener Aufgaben bewährt. Möglich wurden diese Bündelungen zunächst durch die göttlichen Orientierungsmächte der Polis, die Penaten und die Volksgeister. Diese Orientierungsmächte haben für die polis spezifische „Tugenden“ hervorgebracht. „Die Penaten sind die inneren, untern Götter, der Volksgeist (Athene) das sich wissende und wollende Göttliche; die Pietät die Empfindung und in Empfindung sich benehmende Sittlichkeit – die politische Tugend das Wollen des an und für sich seyenden gedachten Zweckes“ (Grundlinien, §257, 208; GW 14.1, 201). An die Stelle dieser letztgültigen, in ihrer Orientierungskraft und Legitimität aber nicht reflektierten Organisation der PolisGemeinschaft treten in der modernen Gesellschaft „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“. Insofern die Affirmation der hier bestimmenden Mächte vom dem in seinen Rechten anerkannten Individuum bewusst und aus Gründen vollzogen wird, spricht Hegel von Institutionen. Institutionen sind geschichtlich bewährte, legitimierte Formen der Organisation einer Gemeinschaft. Ihre Sittlichkeit ist nicht durch göttliche Mächte gestiftet, sondern konstituiert und legitimiert sich im Dasein der Rechte von Person und Subjekt. Aus der Perspektive der Individuen findet der Anspruch, als Person und Subjekt anerkannt zu werden, hier Anerkennung. Mit dieser Konzeption der Institutionen grenzt sich Hegel von zeitgenössischen konservativen Theorien, wie sie Stahl und Savigny vertreten, ab. Institutionen, wie das monarchische Prinzip und die ständische Gliederung, sind für Stahl organisch gewachsen. Die Institutionen bringen als kulturelle Ordnungsgefüge Rechtsordnungen erst hervor. Mit diesem Rechtsverständnis wendet sich Stahl gegen liberale, vertragsrechtliche Konzeptionen, die den „Rechtserzeugungsprozeß auf den vernunftrechtlichen Vertragsgedanken“311 zurückführen. Auch für Hegel sind Institutionen geschichtlich gewachsene Ordnungsgefüge, die den Ansprüchen nach allgemein verbindlichen Handlungsregeln genügen. Für Hegel bringen diese Gestalten aber nicht Rechtsformen hervor, vielmehr müssen sie ihre Rechtsförmigkeit ausweisen, wenn sie in der Moderne auf Dauer Bestand haben wollen. Der ‚oikos‘ gründet in einer auf Vorstellung und Anschauung basierten Lebensweise, die im Kultus der Penaten die Ansprüche einer „substantiellen Sittlichkeit“ erfüllt. In der Moderne vermag das Gefüge „Familie“ als Daseinsform des Rechts sowohl den Ansprüchen der Person als auch dem Anspruch der Subjekte, ihr Wohl zu verwirklichen, zu genügen. Nicht die Institution als Ordnungsgefüge bringt die Rechtsordnung hervor, sondern das gewandelte Selbstverständnis der Individuen stellt die Forderung nach Rechtsförmigkeit. Die Forderung nach Rechtsförmigkeit der 311

H. Hofmann: „Institutionen. II. Rechtlich“. In: Görres-Gesellschaft (Hg.), Staatslexikon. Bd. 3, Sp. 102-105; hier Sp. 103. Auch von Harious Begründung der Institutionen als „idealisch präexistenter Ordnungsidee“ unterscheidet sich Hegels Konzeption durch ihre allein geschichtlich begründete Geltung bzw. in einer geschichtlichen Situation gewonnene Geltung. Vgl. M. Hariou: Die Theorie der Institutionen und zwei andere Aufsätze. Berlin 1965.

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sittlichen Gestalten ist eine Forderung der Vernunft, einer „Vernunft“, die aus der Sittlichkeit erwächst und fordernd gegen das Tradierte auftritt. Dieses Selbstverständnis setzt ein Prüfungsverfahren in Gang, das die Tauglichkeit der tradierten Praxisformen hinsichtlich der gewandelten Ansprüche der Individuen prüft. Ein Wandel der Institutionen ist angesichts veränderter Ansprüche unverzichtbar. Für Stahl dagegen bleiben Institutionen sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen Prägung als auch ihrer Legitimationsbasis im geschichtlichen Wandel wesentlich gleich. „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ gehen als eigenständige Gestalten der Sittlichkeit nicht auf ein gemeinsames Prinzip zurück. Die Eigenständigkeit der bürgerlichen Gesellschaft gründet für Hegel in dem Prinzip der Reflexivität. Sittlichkeit, d.h. Handlungsformen, die für die Einheit von Besonderem und Allgemeinem stehen, konstitutieren sich hier nicht unmittelbar, sondern sind das Produkt von Reflexion. Aus Bedürfnis und Arbeit erwächst das individuelle wie das allgemeine Vermögen. Die Vermittlung dieser Vermögen erfolgt reflexiv in den Rechtsgestalten, Rechtspflege, Polizei und Korporation. Reflexiv, im Denken der Besonderheit konstituieren diese Rechtsgestalten Handlungsformen, die allgemeine und individuelle Zwecke vermitteln. Reflexiv realisieren die sittlichen Rechtsgestalten die Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit. Vielfach wurde betont, dass Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft den Ansprüchen der Moderne durch die eigenständige von der Familie losgelöste Existenz dieser Sphäre, gerecht zu werden versucht. Ob diese Rekonstruktion der „Bürgerlichen Gesellschaft“ allerdings dazu berechtigt, diese Gesellschaft als das Ziel und Ende der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen, wird das nächste Kapitel (9) zu prüfen haben. Darüber hinaus ist mit Blick auf die Konzeption der Sittlichkeit ein weiteres Problem zu berücksichtigen: Hegel führt „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ als eigenständige Prinzipien der Sittlichkeit ein, unklar bleibt dabei allerdings das Verhältnis der beiden Sphären zum Staat. Hegel spricht vom Staat als der dritten Gestalt der Sittlichkeit, für die die „Familie“ und die „Korporationen“ der „Bürgerlichen Gesellschaft“ „sittliche Wurzeln“ sind (Grundlinien, §255). Im Aufbau der Grundlinien wird die Abfolge der sittlichen Gestalten allerdings auch als eine „Entwicklung“ des wissenschaftlichen Beweisens eingeführt. Nur unter methodischen Gesichtspunkten ist der Staat die letzte, weil komplexere Gestalt der Sittlichkeit. Der Sache nach aber ist „der Staat überhaupt vielmehr das Erste, innerhalb dessen sich erst die Familie zur bürgerlichen Gesellschaft ausbildet, und es ist die Idee des Staates selbst, welche sich in diese beyden Momente dirimiert“ (Grundlinien, §256, 207; GW 14.1, 199). Indem der wissenschaftliche Beweisgang den Staat als den „wahrhaften Grund“ zum Resultat hat, wiederholt sich hier eine Argumentationsstruktur, die bereits den Übergang von Recht und Moralität zur Sittlichkeit bestimmte. Erstere (Recht und Moralität) sind aus methodischen Gründen vorangestellt, in Wirklichkeit (genetisch) aber ist das als Resultat Entwickelte, die Sphäre der Sittlichkeit, der

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Anfang, das Erste. Dieses innerhalb der Sittlichkeit analoge Verhältnis zwischen dem „Staat“ auf der einen und der „Familie“ und der „Bürgerlichen Gesellschaft“ auf der anderen Seite ist nachfolgend zu präzisieren.

8.3 Der „Staat“ als Wirklichkeit des Rechts Die Verfassungslehre des „Inneren Staatsrechts“, wie Hegel sie erstmals 1817/18 in Heidelberg vortrug, führt insofern frühere Überlegungen fort, als Hegel seine Kritik an der Abstraktheit der klassischen Gewaltenteilungslehre beibehält. Analog zum Hervorgehen der Stände aus dem allgemeinen Vermögen wird die Teilung der Gewalten als Hervorgang einer Gliederung aus einer Einheit rekonstruiert. Die Fähigkeit der Glieder, aus der Verselbständigung in die Einheit zurückzukehren, ist das entscheidende Merkmal dieser geteilten Gewalt.312 Für die Neubestimmung von „Regierung“ und „Verfassung“ als Rechtsgestalten sind die Preisgabe der Werkkonzeption sowie die Neukonzeption der Ständelehre bedeutsam. Für die Werkkonzeption des Staates bringt das gemeinsame, allgemeine Werk Gliederung und Einheit der Stände hervor. Die Teilung des Ganzen ist durch die unterschiedlichen von Natur vorgegebenen Zwecksetzungen veranlasst. Die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem bestimmten Stand ist durch Natur/Charakter vorgegeben. Diese Zuweisung zu einem Stand durch Natur wird dem Selbstverständnis des modernen Individuums nicht gerecht. Die „Individuen der Menge“ sind „geistige Naturen“, die in sich das gedoppelte Moment vereinen, „für sich wissende und wollende Einzelheit“ und die „das Substantielle wissende und wollende Allgemeinheit“ zu sein. Beide Seiten müssen in den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft zu ihrem Recht kommen und im Staat zu einer Einheit zusammengefügt werden. Hegels Verfassungslehre soll diese doppelte Aufgabe lösen.

8.3.1 Die Verfassung des Staates als Dasein des Rechts Zur Veranschaulichung der Strukturen des Staates greift Hegel auf das Organismus-Modell zurück und bestimmt die politische Verfassung als „Organisation und (...) Prozeß des organischen Lebens in Beziehung auf sich selbst.“ Von zeitgenössischen organizistischen Verfassungskonzeptionen unterschei312

Vgl. L. Siep: „Hegels Theorie der Gewaltenteilung“. In: ders., Praktische Philosophie, 240269. Zur Heidelberger Verfassungskonzeption Hegels vgl. E. Weisser-Lohmann: „‚Divide et impera‘. Zu Hegels Heidelberger Stände- und Verfassungslehre“. In: Hegel-Studien 18 (1993), 193-214.

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det sich Hegels Konzeption der politischen Verfassung dadurch, dass hier Verfassung als Struktur von Selbstwissen und Selbstbestimmung rekonstruiert wird. Die am Organismus unterschiedenen Momente müssen als bewusst aus der Einheit hervorgehend gesetzt und anerkannt werden. Nur dann sind sie Glied der „Verfassung eines Staates“. „Verfassung“ als Rechtsgestalt ist „entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit“, insofern „Selbstwissen“ und „Selbstbestimmen“ die Einheit des Staates konstituieren. Weder ist damit der spezifisch politische Sinn dieser selbstbewussten lebendigen Einheit geklärt noch die Frage beantwortet, wie Hegel zur Einheit des Staates kommt. R. Hočevar vertritt die These, die Einheit des Staates sei für Hegel letztlich nur über die Konzeption der Erbmonarchie zu gewinnen. Die politische Einheit des Staates wird in der Identifikation der Individuen mit dem Monarchen vollzogen. Die Stände haben in einer solchen Konzeption keine Bedeutung für die politische Einheit. „Das Volksganze wird durch den Monarchen repräsentiert.“313 Die Württemberg-Schrift zeigt, so Hočevar, Hegel als einen Vorläufer von Gentz, insbesondere in der „wichtigen Frage der Unvereinbarkeit von landständisch und repräsentativen Prinzipien“314. Ähnlich wie Hočevar hatte bereits Rosenzweig Hegels späte Staatskonzeption beurteilt. Nicht die Strukturprinzipien der Gesellschaft sind konstitutiv für die Verfassung des Staates, sondern die Gesinnung der Einzelnen wird zur Grundlage des Staates. Berücksichtigt man allerdings Hegels Konzeptionen von Familie und bürgerlicher Gesellschaft, so stellt sich die Frage, ob Hegel in den Grundlinien tatsächlich die gesellschaftlichen Momente in einer Weise von der Einheit des Staates isoliert, wie sie etwa für den Naturrechtsaufsatz Geltung hat. Die gegenüber der Jenaer Konzeption vorgenommenen Modifikationen zeigen das Bemühen Hegels, den Institutionen „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ eine für die Einheit des Staates konsitutive Rolle zuzuschreiben. Der entwickelte Rechtsbegriff erlaubt es Hegel die berufsständisch gegliederte Gesellschaft über ein repräsentatives Verfassungsmodell mit der Einheit des Staates zu verknüpfen. Hegel folgt damit den „frühkonstitutionellen Verfassungskonzeptionen“ für die, so Boldt mit Blick auf die Charte der französischen Restaurationsmonarchie von 1814 „der Fürst im Besitz der gesamten Staatsgewalt und das Parlament auf partielle Teilhabe an der monarchischen Gewalt beschränkt“ ist.315 Repräsentativ wird diese Verfassung, so Brandt, wenn ihr eine „Vergesellschaftung des Staates“ voraus liegt: „Eine repräsentative Verfassung ist in ihrer Grundstruktur einem Gemeinwesen zugeordnet, das nicht mittels einer monarchischen Spitze, sondern durch die in ihm wirkenden gesellschaftlichen Kräfte selbst zu seiner staatlichen Integration findet.“316 Diese konstitutive Be313 314 315

316

R.K. Hočevar: Stände und Repräsentation beim jungen Hegel. München 1968, 44. Hočevar: Stände und Repräsentation, 189. H. Boldt: „Konstitutionalismus“. In: Görres-Gesellschaft (Hg.), Staatslexikon. Bd. 3, Sp. 641644; hier 642. H. Brandt: Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Neuwied / Berlin 1968, 7.

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deutung der bürgerlichen Gesellschaft erläutert Hegel im Rückgriff auf die Vermögenslehre. Zum allgemeinen Vermögen der bürgerlichen Gesellschaft gehört auch das Familienvermögen. Die Eigentümer dieses Vermögens bilden den substantiellen Stand. In der Ständelehre rekonstruiert Hegel die Verbindung zwischen Familie, bürgerlicher Gesellschaft und gemeinsamem Vermögen. Die Gliederung in Stände konstituiert als Gliederung des Ganzen die Verfassung des Staates. Das Handeln der Stände zielt nur indirekt auf diese Einheit, nur über die Reflexion gewinnt das eigene Tun Einfluss auf das Ganze. Diese Reflexion erst gründet die „Verfassung des Staates“, durch sie werden die Institutionen nicht als naturgegebenen sondern als selbstgesetzte Handlungszwecke fassbar. Für die rechtsphilosophische Rekonstruktion des Staates geht es um den Aufweis von Beziehungen, die es gestatten, die Zweckbestimmung der bürgerlichen Gesellschaft in eine politische Zweckbestimmung und d.h. dem Ganzen als Organismus verpflichtete Zwecksetzung zu überführen. Wenn Hegel die Verfassung des Staates als „Organismus“ fasst, so bedeutet dies nicht, dass der Staat als zweite Natur die erste Natur aufnimmt. Den Begriff „Organismus“ verwendet Hegel nicht nur, hierauf hat L. Siep verwiesen, in naturphilosophischen Zusammenhängen. „Organismus“ ist bei Hegel auch ein Terminus der Begriffslogik (vgl. GW 6, 476). Dort führt Hegel den Begriff im Kontext der Idee des Lebens ein. Siep plädiert dafür, Hegels Lehre vom Staat nach dieser begriffslogischen Bestimmung des „Organismus“ als eine „logische Metapher zu verstehen“317 . Der begriffslogische Organismusbegriff zielt auf eine umfassende, die Gesamtheit aller Bestimmungen erfassende Perspektive. Diese begriffslogische Kategorie gestattet es, in der Beziehung der Einzelnen nicht deren Natürlichkeit/Leiblichkeit, sondern alle realen Möglichkeiten des Lebens und Handelns zu erfassen. In diesem Sinne meint die begriffslogische Bestimmung des Staates als „Organismus“, dass hier alle, nicht allein die organisch-leiblichen Aspekte, sondern auch die das Handeln betreffenden Realisationsmöglichkeiten thematisiert werden.318 Mit Blick auf diese Ganzheit erweist sich die Verfassung als Bedingung der Wirklichkeit politischen Handelns.

8.3.2 Verfassung als Modell politischen Handelns Hegel beginnt die Darstellung des „Inneren Staatsrechts“ mit der Bestimmung der monarchischen Gewalt.319 Gegen den Vorwurf, mit dieser Bevorzugung 317 318 319

Siep: „Hegels Theorie“, 256. Vgl. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 407. Hösle (Hegels System. Bd. 2, 201) wirft Hegel hier einen Begriffsfehler vor: Da die monarchische Gewalt der logischen Bestimmtheit der Einzelnheit angehört, ist diese erst nach der

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der monarchischen Gewalt erliege Hegel einem politischen Druck, soll hier gezeigt werden, dass Hegels Darstellung der Verfassung auf die Handlungslehre des Moralitätskapitels zurückgreift und damit die Reihenfolge der entwickelten Bestimmungsmomente dem im Moralitätskapitel entwickelten Handlungsmodell folgt. „Zweck“ und „Vollzug“ der Handlung setzen ein bestimmendes und wollendes Subjekt voraus. Mit Blick auf das für die Verfassungslehre konstitutive Rekonstruktionsprinzip „Handlung“ ist es konsequent, wenn Hegel von der für jede Handlung vorausgesetzten Spontaneität, einem wollenden Subjekt, ausgeht, um in einem zweiten und dritten Schritt die Rahmenbedingungen dieser Zwecksetzung und des Vollzugs zu behandeln. Wenn Hegel Verfassung hier als Handlung rekonstruiert, so macht er damit auch deutlich, dass für den politischen Willen nicht nur verschiedene Zwecke sondern auch unterschiedliche Mittel zur Auswahl stehen. In dieser Situation genügt meist nicht das Vorliegen eines Zweckes, handlungsentscheidend ist vielmehr die Entscheidung für eine die Realisierung des Zweckes ermöglichende Handlungsoption. Dieser dezisionistische Gesichtspunkt ist für das monarchische Moment kennzeichnend. Für das politische Handeln muss zudem das den Vollzug des Entschlusses ermöglichende Moment – die Regierungsgewalt – hinzukommen. Die Festlegung der Mittel, die zur Realisierung des Verfassungszwecks eingeschlagen werden, hat die Gesetzgebende Gewalt zu leisten. Mit dieser Funktion verbindet die Gesetzgebende Gewalt bürgerliche Gesellschaft und Staat. Die Lösung der hier anstehenden Aufgaben kann nicht einem Staatsrat, einer ministeriellen Behörde oder einer Regierungskommission übertragen werden. Hier liegt vielmehr das Betätigungsfeld der ständischen Vertretung. Allerdings soll die Initiative zu neuen Gesetzen zumindest formell von der fürstlichen Gewalt ausgehen. Die Ständeversammlung muss sich wegen des förmlichen Vorschlags an den Monarchen wenden. „Die Gesetze, das was als allgemeiner Wille festgesetzt wird“, soll „nicht nur zufällig und an sich, sondern auch für sich, mit tätigem Anteil und mit selbstbewußtem Zutrauen der allgemeinen Bürgerschaft und mit Notwendigkeit“ (Nachschrift Wannenmann, 221) in Rechtskraft erwachsen. Dieser Anforderung genügt in erster Linie die Ständeversammlung, denn als politische Institution realisiert sie den allgemeinen Willen: „Die Ständeversammlung repräsentiert das Volk“. Diese Repräsentation bleibt für Hegel an spezifische Interessen gebunden, denn es sind die Stände der bürgerlichen Gesellschaft die hier das Volk vertreten: Durch Reflexion suchen sie den Ausgleich mit dem Allgemeinen. „Repräsentation“ ist für Hegel unabdingbar an gemeinsame Interes-

Allgemeinheit (Gesetzgebende Gewalt) und Besonderheit (Regierungsgewalt) abzuhandeln. Weder schreibt aber die Logik die Reihenfolge der einzelnen Kategorien zwingend vor, noch würde die Änderung der Darstellungsabfolge an den inhaltlichen Bestimmungen der einzelnen Verfassungsmomente etwas ändern.

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sen zwischen Repräsentant und Repräsentierten gebunden. Die „gemeinsamen Interessen“ bestimmen die politische Willensbildung.320 In der Heidelberger Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 erörtert Hegel erstmals die Aufgliederung der Ständeversammlung in zwei Kammern; das „adlige Oberhaus“ wirkt getrennt von den gewählten Vertretern des Unterhauses in einer eigenständigen Kammer. Noch in der Württemberg-Schrift ist diese Aufsplitterung der gesetzgebenden Gewalt nicht vorgesehen. Die Gründe für diese Änderung stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft als eigenständiger Sphäre der Sittlichkeit. Hegels Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtsgestalt der Sittlichkeit erfasst die Familie nicht als Gestalt der Sittlichkeit, wohl aber als substantiellen Stand. Als Familienmitglied verfügt der Einzelne noch nicht über das hier geforderte Reflexionspotential. Die Familienmitglieder erwerben erst als Vertreter des substantiellen Standes, der freie Einzelne erwirbt erst über die Berufstätigkeit Standesmitgliedschaft und damit das Vermögen, Einsicht in das Allgemeine und politische Kompetenz zu erlangen. Die „Liebe“ und der Wille, „Eine Person zu sein“, stiften zwar unmittelbare Sittlichkeit, ihr Bezug zur Allgemeinheit bleibt aber defizitär und führt nicht zur politischen Bildung. Erst die Standeszugehörigkeit vermittelt zwischen der Stellung des freien Einzelnen und mit dem Allgemeinen. „Indem es ein wichtiges Moment ist, daß eine Klasse Bürger oder vielmehr Familien im Staat sei, welche auf diese unabhängige Weise dem allgemeinen Stand angehören, und [dass] die Familien das natürliche substantielle Element im Staat ausmachen, so erhält dieselbe und der erste Stand der bürgerlichen Gesellschaft, [der] der Güterbesitzer[,] auf solche Weise eine politische Bedeutung und Bestimmung“ (Nachschrift Wannenmann, 232). Die Einsicht, dass substantielle und reflektierte Form der Sittlichkeit in der politischen Sphäre des Staates als eigenständige Kräfte vertreten sein müssen, bestimmt die Konzeption des Zwei-KammernSystems.321 Als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft wird das Familienmitglied Vertreter des substantiellen Standes, der sein „Vermögen an den Naturprodukten eines Bodens“ hat (Grundlinien, §203, 176; GW 14.1, 171). Dieser Stand geht unmittelbar aus dem Familienverhältnis hervor, während der Stand des Gewerbes den freien Einzelnen und damit die Herauslösung des Individuums aus der Familie zum Ausgangspunkt hat. Die politische Konsequenz dieser unterschiedlichen Interessen reflektiert die Aufgliederung der Standesversammlung in zwei Kammern. Hegel beginnt die Darstellung des inneren Staatsrechts mit dem Moment der Entscheidung „als der Selbstbestimmung“ (Grundlinien, §275), weil in 320

321

Zu den unterschiedlichen Repräsentationsmodellen im Umfeld der Französischen Revolution siehe B. Groethuysen: Philosophie der Französischen Revolution. Frankfurt a.M. 1975, 159ff. Entscheidend ist aber darüber hinaus, wie schon bei der monarchischen Gewalt, Hegels funktionalistische Begründung des Zwei-Kammern-Systems. Vgl. Nachschrift Wannenmann, §151, 230ff.

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diesem Moment der „Anfang der Wirklichkeit“ liegt. Ohne den Entschluss, die Entscheidung zur Handlung, bleibt die Zweckbestimmung und die Ausführung ohnmächtig. Dies macht die spezifische politische Stellung des Monarchen im Staat aus. Hegels Kritiker verstehen diesen Beginn mit der monarchischen Gewalt als Votum für eine von den anderen Gewalten losgelöste, souveräne Stellung des Monarchen. Dieser Eindruck wird durch die Verknüpfung der Darstellung der „fürstlichen Gewalt“ mit der Souveränitätslehre des Staates noch bestärkt.322 Hegel bestimmt die Souveränität als die „Idealität“ aller besonderen Berechtigungen: Die Verfassungslehre begreift die einzelnen „Handlungsmomente“ nicht lediglich als Teile, sondern als Glieder bzw. organische Momente eines das Ganze erfassenden Handlungsvollzug. Damit bildet die Souveränitätslehre die Grundlage für die Darstellung dieser Handlung, denn erst die „Idealität“ vermag die organische Verbundenheit der Teile transparent zu machen. In der Lehre von der „Souveränetät des Staates“ zeigt Hegel, dass die Teile der „Inneren Verfassung“ von einem gemeinsamen Zwecke, d.i. vom Zwecke des Ganzen (dem sogenannten Wohl des Staates) bestimmt und abhängig sind. „Souveränetät“ als der „Idealismus“ des Staates ist das Bewusstsein des gemeinsamen Zwecks in den besonderen Organen des Ganzen.323 Wenn Hegel in Paragraph 275 das Enthaltensein der „drei Momente der Totalität“ in der fürstlichen Gewalt behandelt, so ist diese Bestimmung mit der komplementären These des Paragraph 272 zusammen zu lesen: „Jede dieser Gewalten“ ist „selbst in sich die Totalität dadurch (...) daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und enthält“. Damit ist das „Selbstsein“ allen drei Momenten der „Inneren Verfassung“ eigen und damit auch das Bewusstsein des gemeinsamen Zwecks. „Selbstsein“ steht hier für das Wissen um die Notwendigkeit der Anerkennung der anderen Momente. Erst dieses Wissen ermöglicht ein Handeln im Sinne des Ganzen. In der Bestimmung der „Souveränetät“ als Idealität verdeutlicht Hegel, dass die Souveränität als solche keine Machtusurpation, sondern ein gerechtfertigtes Machtgefüge. Dagegen handelt 322

323

Für Ilting wäre es auf der Basis einer parlamentarischen Monarchie konsequent, die Lehre von der „Souveränetät des Staates“ im Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat abzuhandeln. So in einem Brief von Ilting an Karl Larenz (zitiert nach dem Vorwort in Nachschrift Heyse, XI). „Diese Idealität kommt auf die gedoppelte Weise zur Erscheinung. – Im friedlichen Zustande gehen die besonderen Sphären und Geschäfte den Gang der Befriedigung ihrer besonderen Geschäfte und Zwecke fort, und es ist teils nur die Weise der bewußtlosen Notwendigkeit der Sache, nach welcher ihre Selbstsucht in den Beytrag zur gegenseitigen Erhaltung und zur Erhaltung des Ganzen umschlägt (s. Grundlinien, §183), theils aber ist es die directe Einwirkung von oben, wodurch sie sowohl zu dem Zwecke des Ganzen fortdauernd zurückgeführt und danach beschränkt (...) als angehalten werden, zu dieser Erhaltung directe Leistungen zu machen; – im Zustande der Noth aber, es sei innerer oder äußerlicher, ist es die Souverainetät, in deren einfachen Begriff der dort in seinen Besonderheiten bestehende Organismus zusammengeht, und welcher die Rettung des Staats mit Aufopferung dieses sonst Berechtigten anvertraut ist“ (Grundlinien, §278, 242; GW 14.1, 231f.).

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es sich dort um eine despotische Konzeption des Verhältnisses, wo die organische Verbundenheit im Wissen um den gemeinsamen Zweck nicht gegenwärtig ist, und der besondere Wille als Gesetz „oder vielmehr statt des Gesetzes gilt“ (Grundlinien, §278). Indem Hegel die Funktion der fürstlichen Gewalt auf das die Beratung abschließende „Ich will“ beschränkt, bleibt – auch wenn er dies in den Grundlinien nicht ausdrücklich erwähnt – die Verpflichtung des Fürsten auf Verfassung und Gesetz gültig324 : „Verfassung und Gesetz machen“, so Hegel in der Heidelberger Vorlesung, „die Grundlage der fürstlichen Gewalt aus; danach muß der Fürst regieren“ (Nachschrift Wannenmann, 200). Den Gedanken einer Volkssouveränität kritisiert Hegel als „verworren“, insofern ihm „die wüste Vorstellung des Volkes zugrunde liegt“ (Grundlinien, §279 Anm.). „Volk“ gehört seit den frühen Schriften zu den Grundbegriffen der praktischen Philosophie Hegels.325 „Volk“ ist aber bei Hegel immer das „sittlich und politisch gegliederte und verfaßte Volk“ und eben nicht das „unbestimmte Abstraktum (...) das in der bloß allgemeinen Vorstellung Volk heißt“.326 Für Hegel hat die Philosophie die Aufgabe zu lösen, die Sittlichkeit nicht als Natur, sondern als bewusst aus der Gliederung vollzogene Einheit zu rekonstruieren ist. Mit der Lehre von der Verfassung des Staates zeigt Hegel, wie „Volk“ in der Moderne als bewusste Einheit „Staat“ ist.327 Dies kann aber nur auf der Basis jener Differenzierung, wie sie die Ständelehre der bürgerlichen Gesellschaft darstellt, geschehen. Ebenso, wie die Souveränitätslehre im Abschnitt über die Monarchie heftige Kritik auslöste, stieß auch die Lehre von der Erblichkeit der Monarchie auf heftigen Widerstand. Die Erblichkeit der Monarchie sollte für Hegel bereits in Jena die Einheit der Verfassungskräfte auch im Konfliktfall gewährleisten. Das politisch unsichere Terrain im Umfeld der Karlsbader Beschlüsse könnte Hegel 1819/20 dazu veranlasst haben, verstärkt „organizistische“ Argumente ins Feld zu führen. Nur wenigen Hörern der Vorlesung 1819/20 waren wohl die begriffslogischen Differenzierungen zum Organismusbegriff präsent, als Hegel in diesem Semester – wie die Nachschrift Ringier belegt – naturhaftorganizistische Argumente für die Erbfolge in den Vordergrund rückt. Die Nachschrift setzt die Natürlichkeit des Erbfolgeprinzips als Kontrapunkt zur geistigen, durch Handeln geschaffenen Welt.

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Für Schnädelbach (Hegels praktische Philosophie, 314) ist diese Stellung des Monarchen in Hegels Verfassungskonzeption durchaus mit der Stellung des Bundespräsidenten im Grundgesetz der Bundesrepublik vergleichbar. Vereinzelt finden sich noch in den Grundlinien Formulierungen die zeigen, dass Hegel ursprünglich mit dem Begriff „Volk“ operierte, diesen später aber durch Staat ersetzte. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 314; und Grundlinien, §279. Mit der Ablösung des Volksbegriffs durch den Staatsbegriff wird Hegel nicht nur dem Titel der angekündigten Vorlesung „Naturrecht und Staatswissenschaft“ gerecht, er grenzt sich damit auch deutlich von der Inanspruchnahme des Volksbegriffs durch die politische Romantik ab.

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Für die Bewertung der Stellung des Monarchen sind die Souveränitätslehre des Staates sowie der Versuch Hegels, den Staat als Rechtsgestalt des Willens zu entwickeln, von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird der Monarch als das letzte Selbst des Staatswillens bestimmt. Die im Moralitätskapitel entwickelte Handlungsstruktur bildet den Leitfaden für die Verfassungslehre des Staates. Handeln in der Sphäre der Sittlichkeit setzt die Entscheidung durch ein Selbst ebenso voraus, wie das Vermögen für die Ausführung des Entschlusses benötigt wird. Die Regeln, die das Zustandekommen der Entscheidung normieren, werden von der gesetzgebenden Gewalt festgelegt. Hält man an Hegels Anliegen fest, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Verfassungsglieder als Handlung, die das Gute hervorbringt, zu rekonstruieren, so bleibt für eine Akzentverlagerung in der Bestimmung der Aufgabe und Rolle der einzelnen Verfassungsmomente wenig Raum. Politische Konstellationen mögen die Konzentration auf einen spezifischen Aspekt begünstigt haben, gegenüber dem Anliegen, die Verfassung des Staates als Institution auszuweisen, die eine Handlung des Ganzen für das gemeinsame Gute ermöglicht, sind diese Gesichtspunkte aber von sekundärer Bedeutung. Für die Fehleinschätzung der Rolle des Monarchen in Hegels Verfassungskonzeption ist die Tatsache, dass Hegel Souveränitätslehre und Darstellung der monarchischen Gewalt verknüpft, entscheidend geworden. Inwiefern diese Stellung der Souveränitätslehre zwingend ist, ist zu prüfen. Da es die Funktion des Monarchen ist, das Gemeinwesen als „Selbst“ fassbar werden zu lassen, ist vorrangig dieses Moment für die Handlungsbestimmung konstitutiv: Ohne Selbst ist eine Handlungsbestimmung nicht möglich. Ohne dieses Selbstsein (des Monarchen) fassen sich die Glieder der bürgerlichen Gesellschaft nicht als Ganzes. Erst in diesem Ganzen wird die politische Notwendigkeit der anderen Momente anerkennbar, und damit die Einsicht in die wesentliche Verbundenheit in einem Handlungsziel formulierbar. Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt der Souveränitätslehre. Gleichwohl ist Hegels Verortung dieses Bewusstseins nicht zwingend: Das Wissen des Selbst kann nur im Gesamtvollzug des politischen Handelns präsent sein. Keineswegs ist es daher zwingend, die Souveränitätslehre im Rahmen der fürstlichen Gewalt abzuhandeln. Systematisch konsequenter wäre es, diese Darstellung in den einleitenden Vortrag im Übergang zur fürstlichen Gewalt zu geben, da „Souveränität“ ja allen Gliedern der Verfassung zukommt. Im Übergang von der Darstellung der allgemeinen Merkmale der Verfassung zur Charakterisierung des Monarchen wäre zu zeigen, welche Konsequenzen die „Souveränetät des Staates“ für das Selbst dieses Staates hat. Es ist der entscheidende Schritt in der Ausgestaltung der Rechtsphilosophie, dass Hegel mit der Souveränitätslehre das Modell einer „holistischen“ Konzeption des Staates formuliert. Mit diesem Modell wird die „Innere Verfassung“ des Staates rekonstruierbar als bewusster Handlungsvollzug, dessen Zwecksetzungen sowohl die der „Familie“ als auch die der „Bürgerlichen Gesellschaft“ transzendiert und aufhebt. Hegel will zeigen, dass die begrenzten

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Zwecksetzungen der „Familie“ und der „Bürgerlichen Gesellschaft“ allererst vor dem Hintergrund der Wirklichkeit dieses Allgemeinen möglich sind. Gegenüber diesen Sphären sind die Verfassungsorgane souveräne Glieder und verfügen über die „Gewalt, das Allgemeine zu bestimmen und festzusetzen“. Die Souveränitätslehre verteidigt gegen konservative und liberalistische Verfassungskonzeptionen die Eigenständigkeit des Staates gegenüber Familie und bürgerlicher Gesellschaft. Die Bestimmung von „Familie“ und „Bürgerlicher Gesellschaft“ beschränkt Hegel aber nicht darauf, dass sie in der wissenschaftlichen Rekonstruktion dem Staat vorausgehen. Indem Hegel an diesen Gestalten für den Staat konstitutive Prinzipien (substantielle und reflektierte Sittlichkeit) nachweist, veranschaulicht er ihre Bedeutung für das Ganze. Sie sind nicht mehr nur die unbewussten Wurzeln, die wie in der geschichtlichen Genese des Staates von den Verfassungsgliedern des Staates her uneinholbar sind, sondern in der institutionellen Zuordnung zur gesetzgebenden Gewalt erhalten diese sittlichen Sphären eine politische Funktion.

8.3.3 Zusammenfassung Hegels Konzeption der inneren Verfassung des Staates ist als Antwort auf die Frage zu begreifen, wie die Forderung des Individuums nach selbstbestimmtem Handeln in einem sittlichen Ganzen zu gewährleisten ist. Die bloß formale Freiheit des Rechtsstaats führt die Freiheit des Einzelnen in die Willkür und in der Konsequenz zum Untergang selbstbestimmten Handelns. Mit der Vermögenslehre und der auf ihr aufbauenden Ständekonzeption zeigt Hegel, dass Zwecksetzungen des Individuums mit den Interessen des Allgemeinen in einem Zusammenhang stehen, der in den Rechtsgestalten der „Bürgerlichen Gesellschaft“ reflexiv erschlossen und gesichert wird. Charakteristisch für die Handlungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist das nicht auflösbare Spannungsverhältnis zwischen individueller Bestimmtheit durch die hier verfolgten Interessen und formaler Allgemeinheit. Nur reflexiv kann dieses Spannungsverhältnis in dem Institutionen von Rechtspflege, Polizei und Korporation überwunden werden. Handlungen, die dieses Spannungsverhältnis überwinden, erfordern eine inhaltliche Bestimmung des Handlungszweckes. Mit der Verpflichtung auf die Realisierung des allgemeinen Wohls kann der Staat diese Inhalte allerdings nur über verfassungsmäßige Verfahren generieren. Die durch die Verfassung eröffneten Handlungsformen gründen auf der Einsicht in das Allgemeine und verwirklichen selbstbestimmtes Handeln. Das Hegelsche Verfassungsmodell konzipiert staatliche Einheit als Handlungsvollzug, der sich im Zusammenwirken der ausgebildeten Gewalten immer aufs Neue zu bewähren hat. Dabei reflektiert jede Entscheidung das Selbstverständnis dieses Selbst wie auch den Zweck des Ganzen in einer konkreten Situation. D.h. die gewonnen Bestimmungen und Regeln sind „Setzungen“, die im jeweiligen geschichtlichen

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Selbstverständnis einer Gemeinschaft oder eines Volkes gründen. Dabei ist eine Zwecksetzung nur dann legitim, wenn sie das Bestehende unter Maßgabe der in Anspruch genommenen leitenden Orientierung am allgemeinen Wohl rekonstruiert und die neuen Inhalte dabei über das prozedural gegliederte Verfahren sichert.

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9. PRAKTISCHE PHILOSOPHIE ZWISCHEN NATURRECHT UND WELTGESCHICHTE

In der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) entwickelt Hegel die traditionellen Inhalte der praktischen Philosophie, Ethik, Ökonomie und Politik als Gestalten des objektiven Geistes. Diese Darstellung endet in der „Weltgeschichte“, auf die die Sphäre des absoluten Geistes328 folgt. Die Vorlesung über Naturrecht und Staatswissenschaft (Wintersemester 1817/18, 1818/19 und 1819/20) wie auch die 1820 erschienenen Grundlinien der Philosophie des Rechts halten an diesem Grundgerüst fest. In allen diesen Darstellungen bildet die „Weltgeschichte“ den Schlussstein der Darstellung der Lehre vom objektiven Geist. Für Eduard Gans, den Herausgeber der zweiten Auflage der Grundlinien, konkretisiert die „Weltgeschichte“ die naturrechtlichen Prinzipien der ersten beiden Abschnitte „Recht“ und „Moral“. Die Darstellung der praktischen Philosophie setze mit den naturrechtlichen Prinzipien im „Abstrakten Recht“ und der „Moralität“ ein und laufe, so Gans, in die „Weltgeschichte“ aus. Es sei der große Vorzug der Hegelschen Darstellung, dass hier das Naturrecht nicht wie bei den bisherigen Naturrechtslehren einfach aufhört, „sondern in etwas aufhört“, der Weltgeschichte. Wie Hegels Darstellung des Naturrechts „vom Boden des subjektiven Geistes ausgeht“, so fällt dieses Naturrecht am Ende in die „Weltströme der Geschichte“ zurück.329 Ab 1822330 hält Hegel losgelöst vom enzyklopädischen und rechtsphilosophischen Zusammenhang Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Das viergliedrige Grundschema der Rechtsphilosophie mit der Unterscheidung zwischen orientalischem, griechischem, römischem und germanischem Reich bleibt zwar im wesentlichen erhalten.331 Reflexionen zu den Anfängen eines geschichtlichen Bewusstseins führen Hegel allerdings zur asiatischen 328

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Zu Hegels Konzeption des „Absoluten Geistes“ vgl. A. Gethmann-Siefert: „Absoluter Geist“. In: H. Drüe u.a. (Hg.), Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Frankfurt a.M. 2000, 317-374. E. Gans: „Vorrede des Herausgebers“. In: G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hg. u. eingel. v. E. Gans. Berlin 21840, V-XVI; hier IX. Erstmals liest Hegel im Wintersemester 1822/23 in Berlin über die Philosophie der Weltgeschichte. Eine auf Manuskripte aus diesem Jahrgang beschränkte Edition der Vorlesung liegt erst seit 1996 vor. Alle bisherigen Editionen zu Hegels Philosophie der Weltgeschichte kompilieren die verfügbaren Nachschriften aus verschiedenen Jahrgängen. Bei diesem Editionsverfahren mussten die Differenzen, die Hegels Ausgestaltung der verschiedenen Jahrgänge kennzeichnen, außer acht bleiben. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die erste Auflage der Encyklopädie zwar im Rückgriff auf die Weltgeschichte den Übergang zum Absoluten Geist vollzieht, Hegel aber das in der Philosophie des Rechts entwickelte viergliedrige Schema nicht in die späteren Auflagen der Enzyklopädie aufnimmt.

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und chinesischen Geschichte und erweitern die Darstellung der „Weltgeschichte“. Diese Erweiterungen gehen nicht unmittelbar auf das Darstellungsprinzip der Rechtsphilosophie zurück, sondern resultiert aus einem Wandel im leitenden Darstellungsprinzip. Diese Konzeptionsänderung der Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte hat dazu geführt, dass die Darstellung der „Weltgeschichte“ im Schlussteil der Philosophie des Rechts als ein bloßes Anhängsel zur Darstellung der Sittlichkeit gedeutet wurde.332 Dagegen hat Herbert Schnädelbach333 zu recht auf die wiederholte Ankündigung der Weltgeschichte im Text der Grundlinien (etwa in §§33, 259 u. 340) verwiesen und damit auf die enge systematische Verknüpfung dieser Lehre mit dem Anliegen der Grundlinien verwiesen. Die Behandlung der Weltgeschichte als letzter Gestalt der Sittlichkeit ist keineswegs die Folge eines älteren, in anderem Zusammenhang aufgegebenen Konzepts, sondern ist integraler Bestandteil der Sittlichkeitskonzeption. Die Frage nach der systematischen Rolle der „Weltgeschichte“ für die praktische Philosophie als Rechtsphilosophie erfordert zunächst die Abgrenzung dieser die „Sittlichkeit“ abschließenden Darstellung der „Weltgeschichte“ von der Inanspruchnahme geschichtlicher Gestalten in den beiden ersten Teilen der Grundlinien. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang wiederum der Blick zurück auf die Jenaer Konzeption, in der Hegel Normativität und Geschichtlichkeit in der Rekonstruktion praktischer Gestalten verbindet (9.1). Ausgehend von diesem Ansatz soll nachfolgend die rechtsphilosophische Konzeption der „Weltgeschichte“ mit Blick auf deren Funktion für die „Sittlichkeit“ rekonstruiert werden (9.2). Die Ausgangsfrage der Arbeit, wie Hegels Konzeption der praktischen Philosophie Normativität und Geschichtlichkeit des Rechts vereinigt, wird dann das abschließende Kapitel (9.3) klären.

332 333

So vor allem bei Hösle (Hegels System, 217). Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 323.

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9.1 Weltgeschichte und Philosophie des Rechts Im Rahmen des Hegelschen rechtsphilosophischen Begründungsprogramms ist es die Aufgabe der „Sittlichkeit“, die Wirklichkeit der entwickelten Rechtsbegriffe an exemplarischen Gestalten zu konstruieren. Da Hegel an die Konstruktion des „Inneren Staatsrechts“ das „Äußere Staatsrecht“ und die „Weltgeschichte“ anschließt, stellt sich die Frage, welche Rolle die Darstellung des „Äußeren Staatsrechts“ bzw. der „Weltgeschichte“ diesem Zusammenhang zukommt. Welche Funktion hat „Weltgeschichte“, wenn die Wirklichkeit des Rechts bereits an exemplarischen Gestalten veranschaulicht wird?334 Hegel begründet die Aufnahme der „Weltgeschichte“ in die Darstellung der „Sittlichkeit“ damit, dass das in der Geschichte sich zeigende „bewegte Spiel der inneren, besonderen Leidenschaften“ nicht Ausdruck eines Naturzustandes ist. Vielmehr sollen an diesem willkürlich scheinenden Treiben Handlungsstrukturen herausgearbeitet werden, die dieses Geschehen als „Recht“, als selbstbestimmtes Handeln verstehbar werden lassen. Hegel reflektiert in den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte auch die Naturbestimmtheit der jeweiligen Staaten, d.h. er bestimmt das geschichtliche Leben der Völker ausgehend von den natürlichen Bedingungen. Diese „Natur“ bildet die Ausgangsbasis für jene geistige Bearbeitung, die Kunst, Religion, Wissenschaft, aber auch Sitte und Kultus hervorbringt. „Der Staat ist das Ganze geistiger, wirklicher Wirklichkeit. Dieses konkrete Ganze hat besondere Formen, in denen es sich auffaßt und aufgefaßt werden muß.“ Sie machen dann den besonderen Inhalt aus. Zu diesen besonderen Formen gehören erstens Religion, Kunst und Wissenschaft, zweitens die Sphäre von Bedürfnis und Arbeit und drittens die Natur in Form von Klima und Boden. Alle drei sind „Systeme der Äußerlichkeit“ des Staates (Philosophie der Weltgeschichte, 82). Die geographischen, klimatischen Bedingungen gehören zur Natur des Staates, von ihnen unterscheidet Hegel die Frage nach dem Allgemeinen, dem Inhalt von Kunst, Religion und Wissenschaft sowie die Sphäre der Endlichkeit. Nachdem Hegel ab 1824/25 nicht mehr selbst über die Philosophie des Rechts vorträgt, sondern diese Aufgabe seinen Schüler übertrug, rücken die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte ins Zentrum seines In334

Hegels Darstellung der Philosophie der Weltgeschichte knüpft an die rechtsphilosophischen Bestimmungen an, indem dort das geschichtliche Selbstbewusstsein eines Volkes Grundbestimmung der geschichtlichen Existenz ist. Die Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte übernehmen die Vier-Reiche-Lehre der Rechtsphilosophie. Ob allerdings Hegels enzyklopädische Darstellung der Sittlichkeit eine zureichende Basis bildet für die Darstellung der Philosophie der Weltgeschichte scheint fraglich. Setzt die Philosophie der Weltgeschichte doch die Herleitung des modernen Staates voraus. Diese – die Konzeption der Philosophie der Weltgeschichte betreffenden – Fragen müssen hier allerdings zurückgestellt werden, zugunsten der Analyse der Funktion der „Weltgeschichte“ in den Grundlinien.

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teresses. Diese Umorientierung hat zur Folge, dass die Rezeption der Rechtsphilosophie und der dort vorgetragenen Version der Weltgeschichte von der Darstellung der Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte überlagert wird. Der Zusammenhang zwischen der Darstellung der „Inneren Verfassung“ des Staates und der „Äußeren Verfassung“ bzw. der „Weltgeschichte“ bleibt ebenso im Dunkeln wie das Verhältnis zwischen „Weltgeschichte“ und absolutem Geist. Für die Rezeption und das Verständnis des Anliegens der Philosophie des Rechts ist die Herauslösung der „Weltgeschichte“ und deren isolierte Darstellung insofern problematisch, als der von Hegel intendierte systematische Zusammenhang zwischen „philosophischer Weltgeschichte“ und „praktischer Philosophie“ nur schwer in den Blick kommt. Die ursprüngliche systematische Funktion der „Weltgeschichte“ als Moment der Sittlichkeit rückt zugunsten der Konzentration auf die Philosophie der Weltgeschichte in den Hintergrund. Dieser ursprüngliche systematische Zusammenhang von Weltgeschichte und praktischer Philosophie lässt sich heute auf der Grundlage der jüngeren Edition der Jenaer Schriften rekonstruieren. Den Berliner Hörern und Schülern war dieser Zusammenhang allerdings kaum mehr präsent. Erst in jüngerer Zeit ist diese frühe Konzeption rekonstruiert und hinsichtlich der praktischen Relevanz als der fruchtbarere Ansatz von Ludwig Siep favorisiert worden. Für Siep verfügt Hegel in der Jenaer Konzeption „über einen Maßstab des ‚guten Lebens‘, der die kritische Beurteilung von Institutionen – und nicht nur ein geschichtliches Begreifen ermöglicht“.335 In Jena wäre Hegel die Verbindung von Geschichte und praktischer Philosophie in einer Weise gelungen, die in der Berliner Konzeption der „Weltgeschichte“ verloren gegangen sei. Die von der Darstellung der „Philosophie der Weltgeschichte“ zu unterscheidende Konzeption der Rechtsphilosophie zeigt, dass Hegel auch in Berlin die Verknüpfung von Geschichte und praktischer Philosophie keineswegs aufgegeben hat. Inwiefern von einem Fortwirken der Jenaer Verknüpfung von Geschichte und Normativität gesprochen werden kann, soll nachfolgend geprüft werden. Zunächst allerdings soll die systematische Rolle der „Weltgeschichte“ in der Jenaer Konzeption verdeutlicht werden.

9.1.1 Geschichte und praktische Philosophie in Jena Die im Jenaer Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts entwickelte Rechtskonzeption vertieft den Rechtsbegriff gegenüber den Frankfurter Entwürfen insofern, als Hegel auch die das Privatrecht überbietende Sphäre des Staates als Recht fasst. Recht wird als „formale Indifferenz“, die die Ungleichheiten des Eigentums ausgleicht, zu einer Voraussetzung für die absolute Sittlichkeit. Hegel entwickelt das „Recht“ aus der Be335

L. Siep: „Praktische Philosophie und Geschichte beim Jenaer Hegel“. In: ders., Praktische Philosophie, 142-158; hier 144.

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dürfnisnatur des Menschen, es bleibt an konkrete Handlungen (Bedürfnis, Arbeit, Genuss) gebunden. Hegel macht allerdings auch deutlich, dass diese Handlungen bereits die allgemeine Geltung des Rechts voraussetzen. Eine zweite Indifferenz herrscht zwischen den realen Völkerindividuen, die sich entweder im Kriegzustand oder aber im Frieden befinden. Es handelt sich um die „Indifferenz der Entgegengesetzten“. Aus den beiden Formen der Indifferenz rekonstruiert Hegel „absolute Sittlichkeit“ und zwar als Vereinigung der „Indifferenz der Entgegengesetzten“ mit der „formalen Indifferenz“. Diese Vereinigung bildet das Grundproblem jeder sittlichen Gestalt. Auf die Frage nach den Bedingungen dieser Einheit gibt es allerdings keine allgemeingültige, überzeitliche Antwort. Vielmehr besteht diese Einheit nur als „historische Individualität“. Die „Geschichte“ rekonstruiert diese Vereinigungen in konkreten Gestalten geschichtlicher Individualitäten. Die Analysen der Philosophie bleiben auf die Rekonstruktion allgemeinster Prinzipien der Sittlichkeit beschränkt, die konkreten Bedingungen der Realisation können nur mit Blick auf konkrete individuelle Gestalten angegeben werden. Ulrich Claesges336 hat darauf hingewiesen, dass die Explikation der Struktur der Sittlichkeit im Naturrechtsaufsatz die Unterscheidung zwischen zwei Argumentationsebenen erforderlich macht: Bestimmte historische Verhältnisse, wie sie in den Selbstinterpretationen der Zeitgenossen vorliegen, müssen von den in der philosophischen Reflexion erschlossenen invarianten Strukturen der Sittlichkeit unterschieden werden. Zu den konstitutiven Prinzipien sittlicher Einheit gehört, so Hegel im Naturrechtsaufsatz, erstens die positive bzw. negative Beziehung der verschiedenen Völkerindividuen aufeinander, zweitens die negative Beziehung auf die physischen Bedürfnisse, das System der allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit. Beide „Beziehungen“ müssen, um Bestehen zu können, Einheiten ausbilden: Ein Volk muss als solches erkennbar, wahrnehmbar sein und gegen andere als Einheit erscheinen. In der Binnenstruktur konstituiert sich diese Einheit für Hegel in der Negation der Sphäre der Ökonomie. Diese Negation bringt eine Einheit im Sinne „formaler Indifferenz“ hervor. Der „formelle Standpunkt“ erhebt die Individualität zu einer Besonderheit, in der die Lebendigkeit, die der Besonderheit Realität gibt, aufgehoben ist (vgl. Naturrechtsaufsatz, 486/171). Hegel formuliert hier das spätere Grundprinzip des „Abstrakten Rechts“. Dort, wo die Individualität negiert wird, spricht Hegel von Personen. Ihre Gleichheit schafft eine Vereinheitlichung, die bestimmte gleiche Handlungsformen für alle eröffnet: Eigentum und Vertrag. Die als „formale Indifferenz“ bestimmte Einheit ist insofern formal, als die Besonderheit der Individuen wie der Sachen ignoriert wird. Für die „absolute Sittlichkeit“ ist die Vereinigung mit der „Indifferenz der Entgegengesetzten“ notwendig. Wie diese Vereinigung sich im Einzelnen ausgestaltet und „Sittlichkeit“ konstituiert, ist historisch kontingent. In den daseienden 336

Claesges: „Legalität und Moralität“, 53-74.

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Vollzug der Vereinigung dieser Einheiten gehen jeweils individuelle Faktoren ein, die die Besonderheit der einzelnen Realisierung ausmachen: „die sittliche Lebendigkeit des Volks ist gerade darin, daß es eine Gestalt hat, in welcher die Bestimmtheit ist, aber nicht als ein Positives, (...) sondern absolut mit dieser Allgemeinheit vereint, und durch sie belebt“ (Naturrechtsaufsatz, 479/170).337 „Geschichte“ wird als universale „Entfaltung der absoluten Sittlichkeit“ bestimmt. Dabei ist die Mannigfaltigkeit der entwickelten Staatsformen nicht als Abfolge idealtypischer Verfassungen zu verstehen. Denn der „Weltgeist“ hat für Hegel hier in „jeder Gestalt sein Dumpferes oder Entwickelteres, aber absolutes Selbst geführt, und in jedem Volke, und jedem Ganzen von Sitten und Gesetzen sein Wesen, und seiner selbst genossen“ (Naturrechtsaufsatz, 479/171). Es fragt sich, wie dieses Verständnis der Geschichte mit einer normativ-praktischen Konzeption in Einklang gebracht werden kann. Rechtfertigt sich für diese Konzeption der Geschichte nicht jede geschichtliche Gestalt von selbst schlicht durch ihr faktisches Dasein? Diesem Einwand begegnet Hegel mit dem Verweis auf die normative Allgemeingültigkeit der geforderten Einheit. Die individuellen Einheiten realisieren zeitlos gültige Normen, denen gemäß die Ökonomie unter dem Recht steht oder die Ständegliederung gegenüber der absoluten Sittlichkeit nur relative Sittlichkeit besitzt. Die Integration bzw. „Unterwerfung“ der Sphäre der Ökonomie unter die absolute Sittlichkeit stellen wie die Ausbildung einer souveränen Einheit nach außen, notwendige Bedingungen von Sittlichkeit dar. Diese Forderungen machen deutlich, dass es hier keineswegs um eine Rechtfertigung alles Bestehenden geht. Vielmehr gibt Hegel einen Maßstab der Beurteilung an die Hand: Die philosophische Betrachtung der Geschichte muss das Vorhandensein der Einheit sowie die Bedingungen des Zustandekommens dieser Einheit prüfen. Ihr Ziel ist es, die lebendige Durchdringung der Gestalt nachzuweisen. Mit dieser Konzeption folgt Hegel Montesquieu, der die höhern Verhältnisse der staatsrechtlichen Teile wie die niedrigern Bestimmungen der bürgerlichen Verhältnisse „ganz allein aus dem Charakter des Ganzen und seiner Individualität“ begreift. Hinter diesem Programm steht die Einsicht, dass nicht eine apriorische Vernunft, sondern Menschenverstand und Erfahrung die bestimmten Gesetze hervorbringen. Faktoren, die die lebendige Individualität eines Volkes ausmachen. Über Montesquieu hinaus führt Hegels Forderung, diese Individualitäten aus einer „allgemeinern Notwendigkeit“ zu begreifen. Für Hegel kann die Philosophie nicht dabei stehen bleiben, einzelne „Vernünftigkeiten“ in Form von Rechtsbestimmungen aufzuweisen. Die Philosophie muss vielmehr die generelle Frage beantworten, inwieweit die individuellen geschichtlich hervorgebrachten Formen des Zusammenlebens auf allgemeine Prinzipien verweisen.

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Diese höchste Gestalt der Sittlichkeit bestimmt Hegel hier noch nicht durch den Begriff des Staates. Staat wird hier noch negativ als formale, äußere Harmonie gefasst.

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Die Überlegungen zum Wesen der modernen Subjektivität sowie die Aufnahme des Bewusstseinsbegriffs führen Hegel in den folgenden Jahren zu einer Neubestimmung der praktischen Philosophie und damit auch der Geschichte. Hegel entwickelt eine Theorie des Bewusstseins, die ihn in unmittelbare Nähe zu der im Naturrechtsaufsatz kritisierten transzendentalphilosophischen Position rückt. Im Systementwurf 1804/5 rekonstruiert Hegel die Struktur der „absoluten Sittlichkeit“ im Rückgriff auf das Bewusstsein. Für die Beurteilung der Jenaer Entwicklung der praktischen Philosophie ist allerdings der Rahmen dieses Rückgriffs entscheidend. Noch 1803/4 verfolgt Hegel das Programm, das Absolute als realisierte Sittlichkeit auszuweisen. Dem Begriff des Bewusstseins kommt hier noch keine systematische Selbständigkeit zu. Inwieweit allerdings Hegels späte Jenaer Konzeption (1805/6) eine Veränderung der Explikationsstruktur des ganzen Systems vollzieht, ist in der Forschung kontrovers.338 Kommt es tatsächlich, wie Riedel annimmt, zu einer radikalen Umkehr der Einschätzung des Verhältnisses von Naturrecht und klassischer Politik zugunsten des ersteren?339 Oder verbleibt Hegels Rezeption der Theorie der Anerkennung (Siep) bzw. der „Verselbstung“ (Nadler) letztlich doch dem Ziel der Bestimmung „absoluter Sittlichkeit“ verpflichtet? Für Siep erarbeitet Hegel sich mit dem Begriff des Selbst bzw. mit den Strukturen der Anerkennung Strukturen, die es ihm ermöglichen, die Einheit von Allgemeinheit und Einzelnheit zu erfassen und damit das Absolute bzw. die Einheit als Sittlichkeit als „selbstbewußten Geist“ zu definieren. „Geschichte“ ist damit kein im Hintergrund ablaufender naturhafter Prozess, der auf unsichtbare Weise auch die sittlichen Individualitäten hervorbringt. Als Gestalt des selbstbewussten Geistes wird „Geschichte“ vielmehr rekonstruktiv erfassbar und zwar aufgrund der strukturellen Übereinstimmung mit dem Selbstbewusstsein als Wille: Auch Geschichte genügt der Struktur von Selbsterfassung und Selbstgestaltung. Hält man an der These fest, dass Hegels Rückgriff auf die Bewusstseinsphilosophie nicht mit einer radikalen Abkehr von der Verpflichtung der praktischen Philosophie auf die Explikation der Realisierungsbedingungen „absoluter Sittlichkeit“ einhergeht, so muss die Funktion des Bewusstseins in dieser Konzeption geklärt werden. Sichert Hegel sich mit dem Bewusstsein ein Instrument, das es ihm gestattet, „Sittlichkeit“ auch unter den Forderungen der neuzeitlichen Subjektivität als die Vereinigung von Individuen zu allgemeinen Handlungsformen zu rekonstruieren? Die Rolle, die das Bewusstsein für die praktische Philosophie einnimmt ist einmal vor dem Hintergrund des Naturrechtsaufsatzes zu bestimmen, wo Hegel das Selbstverständnis historischer 338

339

Vgl. R.-P. Horstmann: „Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption“. In: Philosophische Rundschau 19 (1972), 87-118. Vgl. Riedel: „Vorwort“, 11: Hegels Jenaer Anliegen einer Rekonstruktion der Idee der praktischen Philosophie wird in der „Lehre vom objektiven Geist und der Rechtsphilosophie als ihrem Kernstück“ aufgelöst.

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sittlicher Gestalten zum Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der invarianten Prinzipien von Sittlichkeit macht. Zum anderen ist die Rolle des „werdenden Bewußtseins“ für die praktische Philosophie zu klären. In der Phänomenologie des Geistes rekonstruiert Hegel das absolute Wissen am Leitfaden des werdenden Bewusstseins. Soll dieses Programm auf die praktische Philosophie übertragen werden, so kann die Rekonstruktion nicht bei reinen Bewusstseinsgestalten stehen bleiben. Vielmehr müssen die Bewusstseinsmomente im Rückgriff auf realphilosophische Gestalten expliziert werden. Diese Erweiterung wird im Rahmen der Phänomenologie dort erreicht, wo die Gestalten nicht mehr nur Gestalten des Bewusstseins, sondern Gestalten einer Welt sind.340 In diesem Zusammenhang erweist sich Hegels Rückgriff auf Beispiele zur Explikation der Bewusstseinsgestalten als keineswegs zufällig. Die praktisch relevanten Gestalten können nicht unabhängig von den Institutionen, Sitten etc. zu Bewusstsein gebracht werden – allein mit den Instrumenten der Metaphysik oder Logik sind diese Strukturen gar nicht aufweisbar. Vielmehr zeigt die Metaphysik selbst, so Siep, „dass ein solcher Begriff nicht ohne Vorgriff auf die realphilosophischen Strukturen des Geistes zu bestimmen ist“341 . Indem das „Werden des Bewußtseins“ sich an praktischen Institutionen (Recht, Familie, Vertrag, Verfassung etc.) vollzieht, ist die „Geschichte“ des Bewusstseins fassbar als Herstellung neuer Einheiten. Von dem jeweils erreichten Bewusstseinsbegriff aus werden faktisch bestehende und das Zusammenleben regelnde Institutionen hinsichtlich der Angemessenheit an den geschichtlich erreichten Bewusstseinsstand kritisierbar. Mit dieser Konzeption kann die praktische Philosophie der Jenaer Zeit, so Siep, nicht nur Darstellung sondern auch Kritik „historischer Institutionen“ sein.342 Hegels Jenaer Konzeption der praktischen Philosophie verbindet als Bewusstseinsphilosophie Naturrecht und Geschichte, so dass die Norm den realen politischen Verhältnisse gegenüber nicht als ein bloßes Sollen auftritt, sondern die Wirklichkeit dieser Norm rekonstruktiv an gegenwärtigen Gestalten explizierbar wird. Diese Rekonstruktion basiert auf der Voraussetzung eines inneren Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Bestimmung der Norm und der geschichtlichen Ausbildung der Sittlichkeit. Wobei „Wirklichkeit“ nur der Wissenschaft eigen ist, die aus den Erfahrungen des Selbstbewusstseins hervorgehen. Als wirkliche Gestalten des Selbstbewusstseins sind sie für Hegel „Geist“. Es ist die Differenz zwischen rekonstruierter als Selbstbewusstsein bestehender Wirklichkeit und den faktischen Verhältnissen, die hier eine Kritik realer Institutionen ermöglicht. Für die Phänomenologie des Geistes sind diese Erfahrungen nicht auf bestimmte Sinneseindrücke beschränkt, vielmehr umfasst Erfahrung hier alles, was dem Menschen begegnet: wissenschaftliche Einsichten, Gewissensfragen, 340 341 342

Vgl. Weisser-Lohmann: „Gestalten nicht des Bewußtseins“. Siep: „Praktische Philosophie und Geschichte“, 144. Siep: „Praktische Philosophie und Geschichte“, 155.

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religiöse Erfahrungen und politische Einsichten. Für die Rekonstruktion des Weges zum absoluten Wissen greift Hegel die Mannigfaltigkeit subjektiver Weltdeutungen auf und wählt exemplarische Formen der Weltdeutung aus. Die Auswahl folgt den Gestalten des wissenden Wissens. Für die Phänomenologie besteht somit eine enge Verschränkung von Entwicklung der Wissensformen des Selbstbewusstseins und Rückgriff auf Wirklichkeiten des Selbstbewusstseins in konkreten (geistes-)geschichtlichen Phänomenen.343 Die Interpreten Hegels haben diese Verschränkung in unterschiedlicher Weise aufgenommen. Nach Georg Lukács beantwortet Hegel die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Bewusstseinsphilosophie und praktischer Philosophie mit einer revolutionären Geschichtskonzeption für die „nur der ganze Geist eine wirkliche Geschichte“ hat. Die Phänomenologie wird zum „Vorläufer des historischen Materialismus“, denn nach Lukács beruht „die Methode der Phänomenologie auf einer Einheit historischer und systematischer Betrachtungsweisen, auf der Überzeugung, daß zwischen logisch-methodologischer Abfolge der Kategorien, ihrer dialektischen Folge auseinander und zwischen der historischen Entwicklung der Menschheit ein tiefer Zusammenhang besteht.“344 Diese These impliziert, dass die im Stufengang für das Bewusstsein gewonnenen „Wahrheiten“ mit der Chronologie des geschichtlichen Ablaufs korrelieren. Eine solche Konzeption geschichtlicher Teleologie ist aus Hegels Phänomenologie aber nicht herleitbar. Es gibt keinen hinter der Explikation des Bewusstseins und der Auslegung der Wissenschaft ablaufenden Prozess, der die Realisierung eines Endzwecks vorantreibt und steuert. Alle Teleologie geht allein auf das wissende Wissen des gegenwärtigen Zustands zurück, eine in die Zukunft weisende Entwicklung ist an den Bewusstseinsgestalten nicht ablesbar. Hegel erhellt im Naturrechtsaufsatz die Entstehung der Sittlichkeit durch den 343

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Fraglich ist allerdings, inwiefern die Wissenschaft des Absoluten, die spekulative Philosophie selbst auf die Darstellung ihrer Wahrheit im Bewusstsein angewiesen ist. Nur scheinbar schwankt Hegel bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Phänomenologie und Wissenschaft, wenn er die Phänomenologie einmal als Weg zum wahren Wissen, somit als „Propädeutik“ zur eigentlichen Wissenschaft einführt, an anderer Stelle aber die Phänomenologie selbst als Teil der Wissenschaft beschreibt. Die wechselnden Bestimmungen schreiben sich aus der doppelten Programmatik des Ansatzes her: das unmittelbare Bewusstsein soll zur Wissenschaft geführt werden, dieser Weg ist aber zugleich als eine notwendige „Entäußerung“ des absoluten Wissens zu begreifen. Insofern der reine Begriff ins Bewusstsein übergehen muss. Diesen doppelten Anspruch bringt die Forderung „das Wahre [ist] nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“ (Phänomenologie, 18) zum Ausdruck. Die Formel dokumentiert Hegels Aufnahme des Fichteschen und Schellingschen Programms und ihre Integration in eine eigenständige Konzeption. Dabei ist eine doppelte Aufgabenstellung entscheidend: Einmal ist die Phänomenologie dem natürlichen Bewusstsein Leiter und Instrument zum wahren Wissen, zum anderen ist diese Darstellung des Wissens im natürlichen Bewusstsein selbst Teil der Wissenschaft, insofern ist die Phänomenologie nicht nur Propädeutik sondern selbst Wissenschaft. So O. Pöggeler: „Selbstbewußtsein als Leitfaden der Phänomenologie des Geistes“. In: ders. / Köhler (Hg.), G.W.F. Hegel, Phänomenologie, 129-141. G. Lukács: Der junge Hegel. Frankfurt a.M. 1973, 718.

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Verweis auf deren exemplarische Thematisierung in der antiken Tragödie. Der bestehende unversöhnliche Gegensatz zwischen Ethos (Antigone) und staatlichem Gesetz (Kreon) führt durch das Gottesurteil zur Stiftung einer neuen Einheit. Die Entgegensetzungen werden in einem dem Handeln transzendenten Prinzip aufgehoben. Diese Vereinigung der Gegensätze macht deutlich: Nur zum Teil ist „Geschichte“ als im Handeln gestaltete Geschichte konstruierbar. Für die Konstitution der geschichtlichen Individualität ist die Transzendenz individueller Zwecksetzungen unverzichtbar. Diese Einsicht steht im Hintergrund, wenn Hegel von der „List des Weltgeistes“ spricht. Als geschichtliche Individualität ist ein Volk nur dort zu begreifen, wo ein Selbstzweck für das Gemeinschaftsleben konstitutiv wird, der der Zwecksetzung des einzeln Handelnden vorgängig ist. Der Bewusstseinsstandpunkt führt Hegel in der Phänomenologie des Geistes zu einem teleologischen Geschichtsbegriff. Mit dem Ziel, die gegenwärtige Wissensform und das wissenschaftliche Weltverständnis zu rekonstruieren, erweitert Hegel den transzendentalphilosophischen Ansatz durch die Konzeption eines werdenden Bewusstseins bzw. Geistes. „Geschichte“ ist die Rekonstruktion des Werdens der Einheit des Subjekts. Die Strukturierung der Vergangenheit dient dem Prozess der Herstellung der Einheit dieses Subjekts. Zusammenfassend ist zum Geschichtsbegriff der Jenaer Zeit und seiner Rolle für die praktische Philosophie folgendes festzuhalten: Zunächst bildet „Geschichte“ als Sammelbegriff den Hintergrund für die philosophische Rekonstruktion der Einheiten absoluter Sittlichkeit. Diese Einheiten werden als Entäußerung des absoluten Geistes rekonstruiert. „Geschichte“ unterliegt hier keiner Dynamik des Fortschreitens oder der Weiterentwicklung. „Bewegung“ ist Geschichte hier allein insofern, als die geschichtlichen Individualitäten als aus dem absoluten Geist hervorgegangen rekonstruiert werden. „Geschichte“ ist hier auch kein Strukturprinzip bestehender Gegensätze, ihrer Ausfechtung und Überwindung. „Geschichte“ ereignet sich nicht in den Handlungen eines Volkes oder zwischen Völkern. „Handlungen“ werden vielmehr erst dort Geschichte, wo Individualitäten als Entäußerungen des absoluten Geistes rekonstruiert werden. Sich als Entäußerung des absoluten Geistes zu begreifen, heißt für Hegel sich als Einheit zu setzen, die über die individuelle Zwecksetzung hinaus, einen absoluten Zweck verwirklicht, der aus dem gegenwärtigen Wissen in die Geschichte projiziert wird. Erst als Verwirklichungen eines absoluten Zweckes werden die Völker zu geschichtlichen Individualitäten. Die Individualität einer geschichtlichen Gestalt ist damit nicht das Werk einzelner Handlungen, sondern das Produkt einer Reflexion, die das eigene Handeln an vergangene Handlungen rückbindet und so zur Institutionalisierung von Handlungstypen führt. Mit der Aufnahme des Bewusstseinsstandpunktes erweitert Hegel diese Konzeption: Geschichte ist die Rekonstruktion des Werdens der Einheit des Subjekts. Wie Hegel diese in Jena entwickelte Geschichtskonzeption in seine Philosophie des Rechts integriert, soll nun abschließend gezeigt werden.

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9.2 Weltgeschichte und Sittlichkeit In der Einleitung zur Philosophie des Rechts bestimmt Hegel die Aufgabe der Philosophie durch Abgrenzung von zwei traditionellen Konzeptionen politischer Philosophie. Für Hegel gehört es zum einen nicht zu den Aufgaben der Philosophie, der schlechten Wirklichkeit einen utopischen Entwurf des Staates entgegenzustellen. Mit der Verpflichtung auf das „Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen“ (Grundlinien, 14; GW 14.1, 13) kann es der Philosophie aber auch nicht um die unendlich mannigfaltigen Verhältnisse zu tun sein, in dem Sinne, dass sie sich in Dinge einmischt, die sie nichts angehen. Aufgabe der politischen Philosophie ist es vielmehr, normative Prinzipien zu rekonstruieren und die Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit dieser Prinzipien an gegenwärtigen Gestalten zu konstruieren. Das Verfahren, aus der Mannigfaltigkeit tradierter Rechtsformen den Begriff des Rechtsbegriffes zu rekonstruieren, muss in einem zweiten Schritt erweitert werden zur Demonstration der Wirklichkeit und damit der verbindlichen Geltung dieser Begriffe in den gegenwärtigen gemeinsamen Lebensformen. Innerhalb der sittlichen Sphäre unterscheidet die enzyklopädische Lehre drei Momente. Zum einen ist der sittliche Geist selbst „ein einzelner, der in einem besonders bestimmten Volke seine Wirklichkeit hat“ (Encyklopädie, §442, 237). Als zweites Moment nennt Hegel das die Einzelnen gegeneinander ausschließende Moment (ebd.). Paragraph 448 thematisiert diese Einzelnen hinsichtlich ihrer Geschichte, der Entwicklung ihres besonderen Prinzips der Wirklichkeit. Diese Konzeption der Geschichte greift auf die Konzeption des Naturrechtsaufsatzes zurück, für die jede sittliche Gestalt in sich vollendet ist.345 Gegenüber dieser rein immanenten Entwicklung der individuellen Volksgeister führt Hegel in der Encyklopädie aber auch eine weltgeschichtliche Perspektive an, „deren Begebenheiten die Dialektik der besonderen Völkergeister“, das „Weltgericht“ darstellt. Die besonderen sittlichen Gestalten unterliegen einer Entwicklung „in der Zeit“. Als Gestalten verwirklichen sie jeweils ein besonderes Prinzip und gehören in die „allgemeine Weltgeschichte“ (Encyklopädie, §448, 238). Die einzelnen Völker erfahren diesen Zusammenhang mit dem Allgemeinen als das „Weltgericht“ (ebd.). Diese Konzeption der Weltgeschichte nimmt Hegel unverändert in die dritte Auflage der Enzyklopädie (1830) auf.

345

Die vielfachen Parallelen zwischen der enzyklopädischen Konzeption der Sittlichkeit und den Jenaer Entwürfen sind auffällig, jedoch bislang nicht eingehend erforscht.

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Geist und Geschichte Gegenüber dem Naturrechtsaufsatz, wo Hegel Geschichte als Abfolge individueller Volksgeister begreift, entwickeln die Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte Geschichte am Leitfaden des Geistes. Für diese Darstellung muss ein übergeschichtlicher Maßstab in Anspruch genommen werden, der die einzelnen Gestalten auf eine überindividuelle Wahrheit hin prüft. Als diese Prüfungsinstanz steht der „Weltgeist“ für einen Geltungsanspruch, der seine Kriterien aus dem Problemhorizont der gegenwärtigen Epoche entnimmt. Für die Gegenwart besteht der Anspruch, die Regeln und Verbindlichkeiten der Praxis des Zusammenlebens nicht mehr ungeprüft von Religion, Ritus und Tradition hinzunehmen. Der gegenwärtige Anspruch wird im Rahmen der Philosophie der Geschichte auf vergangene Gestalten der Sittlichkeit übertragen und an defizitären Begriffsbestimmungen und deren Konsequenzen präzisiert. Für dieses Prüfungs- und Rekonstruktionsverfahren ist das Selbstverständnis des gegenwärtigen Zeitalters keineswegs von Anfang an substantiell gegeben, vielmehr wird es rekonstruktiv an den tradierter Formen gewonnen. „Geschichte“ erschließt das Selbstverständnis der Gegenwart als Entwicklungsprozess der Realisierung der Freiheit aller. „Freiheit“ ist hier nicht die Möglichkeit willkürlicher Wahlakte, sondern, so Franz Hespe, „die Selbstorganisation zu einem Ganzen, dessen Bestimmungen insgesamt von den Identitätsbedingungen dieses Ganzen gesetzt sind.“346 Geschichte, so verdeutlicht Hegel in Paragraph 448, entsteht durch die Reflexion eines Volkes auf die eigene Praxis. Das Prädikat „philosophisch“ erhält diese Reflexion, wenn bei der inhaltlichen Bestimmung die Bedingungen unter denen die geschichtlichen Gestalten zum Wissen ihrer selbst kommen mitreflektiert werden, d.h. die durch das Bewusstsein verursachte Bedingtheit des jeweils verbindlichen Maßstabs verdeutlicht wird. Die philosophische Weltgeschichte „ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freyheit, – ein Fortschritt, den wir in seiner Nothwendigkeit zu erkennen haben“ (Philosophie der Weltgeschichte, 153). Die Weltgeschichte der Philosophie des Rechts verdankt sich dem Rechtsstandpunkt: Hier bildet die Frage nach der Verwirklichung von Freiheit den Standpunkt, von dem aus vergangene Konzeptionen der Sittlichkeit hinsichtlich der in ihnen realisierten Freiheit entwickelt werden.

Recht und Weltgeschichte Gegenüber der Geschichtskonzeption des Naturrechtsaufsatzes, für die jede sittliche Gestalt, Realisierung des Absoluten ist347 , subsumiert die Weltge346

347

F. Hespe: „Geist und Geschichte. Zur Entwicklung zweier Begriffe in Hegels Vorlesungen“. In: Weisser-Lohmann / Köhler (Hg.), Hegels Vorlesungen, 71-93; hier 76. Ganz wie ja „auch jede wahre Philosophie (...) zu allen Zeiten dieselbe sei“ (GW 4, 10).

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schichte der Philosophie des Rechts die einzelnen Völker unter das Entwicklungsprinzip der Freiheit: Damit kommen die individuellen Gestalten der Sittlichkeit nicht als selbständige, vollkommen berechtigte Lösungen der Grundkonflikte menschlichen Lebens in den Blick, sondern werden zu Vorstufen der gegenwärtigen Wirklichkeit. Der Vergleich der enzyklopädischen und rechtsphilosophischen Konzeption der „Weltgeschichte“ zeigt, dass die enzyklopädische Darstellung auf einer allgemeineren Ebene angesiedelt ist. Hegel übernimmt die Lehre von den vier Reichen zwar in die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (Berlin 1822/23), nicht aber in die überarbeitete dritte Auflage der Enzyklopädie. Damit wird verdeutlich: Die Lehre von den vier Reichen geht auf den Rechtsstandpunkt der Philosophie des Rechts zurück. Erst die „Idee des Rechts“ verpflichtet die Darstellung der „Weltgeschichte“ auf den Staat als Bedingung der Möglichkeit der Freiheit aller. Die Stufenfolge der vier Reiche bildet den Abschluss der Darstellung des Staates, damit muss die Lehre vom Staat als sittlicher Gestalt auch die Kriterien für die weltgeschichtliche Entwicklung bereitstellen. Diese Kriterien sind nicht der positiven Geschichte zu entnehmen, sondern müssen als Bestimmungen bereits vorliegen. Der Aufbau des Sittlichkeitskapitels bestätigt diesen systematischen Zusammenhang. Gleichwohl werden die Rechtsbegriffe als Wesensbestimmungen der Sittlichkeit nicht unabhängig von geschichtlichen Rechtsformen entwickelt. Hegel rekonstruiert die Begriffsbestimmungen des Rechts im Rückgriff auf das positiv-geschichtliche Dasein dieses Rechts. Wie Hegel einleitend verdeutlicht, gehören beide Momente für die spekulative Wissenschaft zwar zusammen, insofern „die Weise des Daseyns eines Begriffs und seine Bestimmtheit eines und dasselbe“ sind. Allein die Darstellung zwingt zwischen der „Reihe der sich ergebenden Begriffe (...) und der Reihe von Gestaltungen“ zu unterscheiden (Grundlinien, §32, 48; GW 14.1, 47). So hat die erste Gestalt der Sittlichkeit, die Familie, zwar Begriffsbestimmungen wie Person, Subjekt oder auch das Eigentumsrecht, Vertrag und Moralität zur Voraussetzung, diese sind aber als die „inneren Voraussetzungen“ keineswegs schon beim Auftreten dieser sittlichen Gestalt für sich (selbstbewusst) als Gestaltungen vorhanden. Die für die Präzisierung der Begriffsbestimmungen in Anspruch genommenen historischen Beispiele sind in ihrer geschichtlichen Aufeinanderfolge zufällig. Der Rückgriff auf die Geschichte zielt auf eine Präzisierung der Begriffsbestimmung, d.h. die Deduktion der Bedingungen der Möglichkeit der Verwirklichung von Recht. Nicht aber zielt dieser Rückgriff auf die Rekonstruktion einer historischen Entwicklung. Die gewonnenen Begriffsbestimmungen sind aus der geschichtlichen Mannigfaltigkeit gesetzte Wesensbestimmungen, die als „transzendentale Bedingungen“ der Sittlichkeit zunächst nur eine Möglichkeit formulieren. Erst der rekonstruktive Rekurs auf diese kontingenten geschichtlich-sozialen Konstellationen bringt die Wesensbestimmungen hervor. Hegel verweist auf die Differenz zwischen der ersten begrifflichen Konkretisierung des Eigentumsrechts im römischen Recht und der Verwirklichung dieser Bestimmungen mit den Kodifikationen der Franzö-

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sischen Revolution. Beide Momente müssen unterschieden werden. Das zweistufige Verfahren rekurriert zunächst auf konkrete historische Konstellationen, um eine Begriffsbestimmung des Rechts zu erhalten. Leitfaden dieser Begriffsbestimmung sind die bei der Konfliktlösung aufgewiesenen Defizite, die eine konsistente rechtliche Lösung verhindern. In einem zweiten Schritt zeigt Hegel, wie sich tradierte Gestalten der Sittlichkeit als Verwirklichung dieser Prinzipien begreifen lassen. Wie die Rekonstruktion vergangener Rechtsgestalten eine Begriffsbestimmung des Rechts bereits voraussetzt, so setzt auch die Rekonstruktion der Verwirklichung des Rechts in den sittlichen Institutionen eine Begriffsbestimmung des Rechts voraus. Eine rein geschichtliche Sicht fände, so Hegel in den Notizen, zuerst die Familie vor, Familiensittlichkeit – und „mehrere Familien auf Weise einer“ – weder Recht noch Moralität. Gegen diesen geschichtlichen Blickwinkel beginnen die Grundlinien mit dem abstrakten Begriff der Person. Als Vernunftbegriff liegt das Sich-als-PersonBestimmen der geschichtlichen Ebene voraus. Dieser Vernunftbegriff muss an historischen Rechtsgestalten konkretisiert werden, um den Geltungsbereich und die Grenzen dieser zunächst willkürlichen Begriffsbestimmung herauszuarbeiten. Die Defizite in der Rechtspraxis führen zum Recht als subjektiver Zweckbestimmung und zum das Dasein des Rechts als Wirklichkeit. An den Rechtsgestalten des römischen Rechts zeigt Hegel, dass diese das Vernunftrecht nur partiell realisieren. Die nur mangelhafte und inkonsequente Bestimmtheit des Rechtsbegriffs führt schließlich zum Scheitern des (Vertrags)Rechts. Eine Verpflichtung zur Einhaltung des Vertrags ist allein dann einzufordern, wenn das Eingehen der Verpflichtung als Handlung eines Subjekts begriffen wird. Mit den abstrakten – zur „Person“ und zum „Subjekt“ gehörigen – Rechtsbestimmungen sind die Bedingungen formuliert, die eine Rekonstruktion der sittlichen Gestalten als Rechtsgestalten ermöglichen. Der Rechtsbegriff ist soweit bestimmt, dass er als Wirklichkeit, d.i. als Gestalt des objektiven Geistes selbstbestimmtes Handeln verstehbar ist. Mit dem als Handlung spezifizierten Rechtsbegriff verfügt Hegel über das Instrumentarium, um die Darstellungsebene der „Möglichkeiten“ zu verlassen, um konkrete Gestalten der Sittlichkeit als exemplarische Verwirklichung der Rechte von Person und Subjekt zu konstruieren. Für die Explikation des Rechtsbegriffs greift Hegel bestimmte historische Gestalten, wie etwa das römische Personenrecht, das Vertragsrecht und das Handlungsverständnis der griechischen Tragödie auf. Die Konkretisierung des Rechtsbegriffs im Rückgriff auf historische Gestaltungen ist allerdings nicht an der Chronologie der Ereignisse orientiert. Die Abfolge ihrer Inanspruchnahme ist hier – ganz wie in der Phänomenologie – durch das Ziel der Begriffsbestimmung geleitet. Die Abfolge der Gestalten der Sittlichkeit – „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“, „Staat“ – ist gleichfalls nicht durch die Chronologie im Sinne des geschichtlichen Nacheinanders bestimmt. Hier bildet die Konstruktion der Sittlichkeit als Rechtsgestalt den leitenden Gesichtspunkt.

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Die mit der „Familie“ konstruierte Gestalt der Sittlichkeit entspricht weder jener frühen im oikos hervorgebrachten Familiensittlichkeit noch dem in Preußen herrschenden Verständnis der Familie. Vielmehr handelt es sich hier um die Rechtsbestalt der bürgerlichen Familie der Moderne. Diese hat die Sphäre von Bedürfnis und Arbeit und die Rechtsgestalten der bürgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung, insofern diese das Vermögen für die Familie bereitstellt. Andererseits hat die bürgerliche Gesellschaft auch die Familie zur Voraussetzung, insofern die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft aus der Familie hervorgehen. Auch geht der Staat nicht aus diesen beiden Gestalten hervor, vielmehr ermöglicht erst der Staat als politische Einheit die Differenzierung in Familie und bürgerliche Gesellschaft. Hegel betont aber auch, dass die unmittelbare und reflektierte Sittlichkeit „Wurzeln“ des Staates seien. Die „selbständigen“ Gestalten der Sittlichkeit zeigen sich somit mehrfach ineinander verklammert; ihre Abfolge als historisch aufeinander aufbauende Gestalten bildet keineswegs den Leitfaden für die Rekonstruktion der Sittlichkeit als Rechtsgestalt. Die vernunftrechtliche Begriffsbestimmung leistet Hegel allein im Rekurs auf konkrete geschichtliche Rechtsgestalten wie das römische Recht. Indem Hegel konkrete Gestalten als Verwirklichung der gewonnenen Begriffsbestimmungen des Rechts entwickelt und an diesen Gestalten die Defizite der Begriffsbestimmung veranschaulicht, installiert er für die Philosophie des Rechts eine gegenüber der rein historischen Erklärung des Rechts normative Position, die die Rekonstruktion geschichtlich gewordener Institutionen mit ihrer kritischen Prüfung verknüpft. Das Instrumentarium für die Rekonstruktion sittlicher Gestalten als Rechtsgestalten steht erst im Übergang zur Sphäre der Sittlichkeit zur Verfügung. Dann nämlich, wenn alle Bedingungen der Möglichkeit des Daseins des Rechts entwickelt sind, lassen sich historische Gestalt als Ganzes, d.i. als Sittlichkeit erschließen. Für die Philosophie des Rechts ist erst mit dieser Konstruktion die Wirklichkeit/Geltung des Rechts gesichert. Die wirklichen Rechtsgestalten der Sittlichkeit übernehmen eine gegenüber den faktisch bestehenden Formen normative Funktion.348

Der geschichtliche Ort der Rechtsphilosophie Den Ausgangspunkt für das Unternehmen einer Philosophie des Rechts bildet die Forderung der Individuen nach Freiheit und Gleichheit. Forderungen, die 348

Diese kritische Funktion erweist sich in den zahlreichen Differenzen der Hegelschen Gestalten der Sittlichkeit zu der in Preußen bestehenden Praxis, etwa in der Auffassung der Ehe, der Rolle der Korporationen und des Kammersystems der „Gesetzgebenden Gewalt“. Zur Eheund Familienkonzeption vgl. die Darstellung oben in Kapitel 7; zur Rolle der Korporationen vgl. E. Weisser-Lohmann: „Englische Reformbill und preußische Städteordnung. Repräsentative Staatsverfassung und vertikale Gewaltenteilung. V. Raumer, Streckfuß, Gans und Hegel“. In: dies. / Chr. Jamme (Hg.), Politik und Geschichte. Bonn 1995, 281-311.

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sich in dem Anspruch auf Anerkennung als Person und Subjekt kristallisieren. Die begriffliche Präzisierung dieser Forderungen hat vor allem die Realisierungsbedingungen zu entwickeln. Die für die Begriffsbestimmung des Rechts herangezogenen geschichtlichen Gestalten machen deutlich: Diese Forderungen bleiben bloße Möglichkeiten solange Subjekt und Person, Besonderheit und Allgemeinheit nicht in Handlungsgestalten vereinigt werden deren Vollzug die Individuen erst zu Personen und Subjekten macht. Erst die Rekonstruktion der sittlichen Gestalten als Rechtsgestalten erfüllt die Forderung nach Wirklichkeit des Rechts. Es ist die Aufgabe der Philosophie des Rechts, die geschichtlich bewährten realen Praxisformen als Realisationen dieser Rechte zu rekonstruieren. Diese Aufgabe fordert die kritische Distanz zum tradierten Selbstverständnis der kultisch gestifteten (Religion, Kunst) gestifteten Normensysteme. Die zwischen traditionellem und modernem rechtsphilosophischem Selbstverständnis auftretenden Konflikte wurden oben am Beispiel der preußischen Familienpolitik verdeutlicht.349 Das Anliegen der Rechtsphilosophie hat somit einen bestimmten historischen Ort. Es ist jene Epoche, die über die Realisierungsbedingungen der Freiheit verfügt. Von Anfang an bestimmt das Spannungsverhältnis zwischen der Vernunftbestimmung des Rechts – etwa in der Bestimmung der ‚Mensch ist Person‘ – und den historischen Ausgestaltungen dieses Rechts – etwa im römischen Recht – Hegels Analyse. Die an konkreten Realisationen gewonnenen Bestimmungen führen zu einer Vertiefung der abstrakten vernunftrechtlichen Bestimmungen, die die kulturgeschichtliche Genese reflektiert: Der römische Rechtsbegriff wird durch den (christlichen) Subjektbegriff und das Gewissen zu einem umfassenden Rechtsbegriff erweitert, der die wirkliche Geltung des Rechts sicher zu stellen vermag. Das Recht als Idee – in dem von Hegel intendierten Sinne – ist nur auf der Basis der entwickelten Voraussetzungen möglich. Diese Aufgabe hat Hegel im Abschnitt Sittlichkeit exemplarisch an den tradierten Gestalten „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ durchgeführt. Kommt den entwickelten Rechtsprinzipien damit eine nur auf die römisch-christliche Welt begrenzte Geltung zu? Welche Aufgabe übernimmt mit Blick auf dieses Problem die Darstellung der Weltgeschichte?

Aufbau und Funktion der Weltgeschichte Nach der Darstellung der Verfassung im „Inneren Staatsrecht“ geht Hegel im „Äußeren Staatsrecht“ zur Bestimmung des gegenseitigen Verhältnisses selbständiger Staaten über. Wie das „Äußere Staatsrecht“ so ist auch die „Weltgeschichte“ Teil des Abschnittes „Sittlichkeit“. Damit geht es auch hier um die Zentralfrage, wie die sittlichen Formen, hier die vier weltgeschichtlichen Völ349

So steht etwa auch Hegels korporative Deutung der Städte und Gemeinden konträr zu den Zielen der preußischen Städtereform. Vgl. Weisser-Lohmann: „Englische Reformbill“.

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ker, als Einheit zu verstehen sind, in der das Recht Wirklichkeit erlangt. Hegel versucht mit diesem Schritt die verschiedenen de facto bestehenden souveränen Willen als Einheit, als Ganzes in den Blick zu nehmen, um diese Einheit als Recht zu bestimmen.350 Den Schritt über das „Innere Staatsrecht“ hinaus begründet Hegel (in §331) durch die Vervollständigung der „inneren Einheit“ des Staates in der Anerkennung durch andere souveräne Staaten. Die in der „Inneren Verfassung“ des Staates realisierte Einheit ist für Hegel zwar die höchste Realisationsform der Sittlichkeit, auch diese Einheit bedarf aber der Anerkennung durch andere. Mit „Völkerrecht“ und „Traktaten“ geht es im „Äußeren Staatsrecht“ um Rechtsformen, die diese Einheit anerkennen und nach außen absichern. In diesem Kontext steht auch die „Weltgeschichte“, die die Fragestellung des äußern Staatsrechts unmittelbar fortführt, indem sie die Frage der Anerkennung von der räumlichen auf die zeitliche Perspektive ausweitet. Sowohl das „Äußere Staatsrecht“ wie auch die „Weltgeschichte“ führen somit das Anliegen der Rechtsphilosophie fort, Sittlichkeit als daseiende Rechtsformen des freien Willens zu konstruieren.351 Von zentraler Bedeutung für die adäquate Erfassung der systematischen Aufgabe der „Weltgeschichte“ ist, dass „Weltgeschichte“ hier als Gestalt der „Sittlichkeit“ entwickelt wird. Für die „Weltgeschichte“ bleiben daher alle für die „Sittlichkeit“ geltenden Konstruktionsgrundsätze in Geltung. Wie alle Bestimmungen der „Sittlichkeit“ haben auch die der „Weltgeschichte“ wesenslogischen Charakter und gehen aus seinslogischen Bestimmungen hervor. Hegels Konstruktion der Wirklichkeit des Rechts in den Gestalten der Sittlichkeit reflektiert die tradierte Praxis im Horizont der gewonnenen Rechtsprinzipien. 350

351

Für Henning Ottmann markiert dieser Schritt dagegen einen „seltsamen Abstieg“: Das Völkerrecht ähnle der Ebene des „abstrakten Rechts“, mit welcher die Rechtsphilosophie begann. Die „Weltgeschichte“ schließlich führe auf das Niveau der Sittlichkeit nicht zurück. Sie ende mit einer Disharmonie von Natur und Freiheit, die auf universalhistorischer Ebene nicht mehr versöhnt werden könne. Vgl. H. Ottmann: „Die Weltgeschichte (§§341-360)“. In: Siep (Hg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien, 268-284; hier 282. Es ist als Rückfall hinter den Ausgangspunkt der Rechtsphilosophie verstanden worden, dass die „Weltgeschichte“ das Volk als „natürliches Prinzip“ auffasst. Es scheint, als werde mit dieser Bestimmung der Rechtsstandpunkt als rekonstruktiver Standpunkt des Geistes zugunsten der Willkür einer Natur preisgegeben, die der Fortschritt über die Häupter der Individuen und Völker hinweg vollzieht. Wird die Geschichtskonzeption der Grundlinien so gedeutet, als sei „Geschichte“ die „systematische Ausgestaltung und zunehmende Erkenntnis der Idee des Rechts“, die per se die Verwirklichung der Idee des Rechts vollzieht, „dann braucht das Vernunftrecht“ dieser Geschichte in der Tat nicht „mehr mit gehaltlosen oder utopischen Forderungen gegenüberzutreten“. Dann kann man sich, so Siep, darauf verlassen, „daß sich die Idee – wenn auch über Umwege, Rückfälle und „kranke“ Staaten – in der Geschichte und in den langfristig sich durchsetzenden Institutionen verwirklicht.“ Aus dieser Perspektive gesehen macht es in der Tat keinen Unterschied, „ob Hegel formuliert, die Wirklichkeit sei vernünftige, oder sie werde (notwendig) vernünftig“ (L. Siep: „Vernunftrecht und Rechtsgeschichte. Kontext und Konzept der ‚Grundlinien‘ im Blick auf die Vorrede“. In: ders. (Hg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien, 5-29; hier 22). Diese Form einer „Weltgeschichte“ hat im Rahmen der praktischen Philosophie keinen Platz.

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Dabei werden die als Möglichkeiten entwickelten Begriffsbestimmungen als das zeitlos Vergangene erfasst, mit gegenwärtigen Praxen vereinigt und zum Wesen der Gegenwart erklärt. Diese Vereinigung des Möglichen mit der Gegenwart macht das Gewesene zum Wesen. Die bloß möglichen Rechtsbegriffe werden zur Basis für die Rekonstruktion der Wirklichkeit des Rechts in den tradierten sittlichen Gestalten. „Sittlichkeit“ ist die Realisation der als Wesen ergriffenen Möglichkeiten. Als Wesentliche sind sie zu zeitlos Gültigen erhoben und bilden die internen Voraussetzungen gegenwärtiger Praxen. „Vernünftig“ sind diese Bestimmungen, weil sie als Realisierung der Freiheit für alle prinzipiell nachvollziehbar sind. Diese Vereinigung von Gewesenem und Gegenwärtigem klärt die Frage nach der Funktion der „Weltgeschichte“ für die praktische Philosophie nur wenig. Insbesondere die Frage nach der Funktion dieser teleologischen Konzeption der „Weltgeschichte“ für die Konzeption der Sittlichkeit als Rechtsgestalt ist noch klärungsbedürftig. Inwieweit Kants Geschichtskonzeption als Rechtsfortschritts von Hegel aufgenommen wurde, soll in diesem Zusammenhang geprüft werden. Den erkenntnistheoretischen Status der „Geschichte“ charakterisiert Kant mit der Frage „was darf ich hoffen?“. „Geschichte“ ist nicht Objekt gesicherter Erkenntnis, sondern hat ihren Ort im Bereich menschlicher Sinnfragen. Die mit der „Geschichte“ aufgeworfenen Probleme knüpfen insofern an die Ethik an, als mit der „Geschichte“ die Vereinbarkeit von Kausalität und Freiheit zu klären ist. Für Kant führt die Geschichtsphilosophie zur begründeten Annahme eines Fortschreitens der menschlichen Geschichte hin zu immer größerer Freiheit im Zusammenleben der Menschen. Dieser Fortschritt führt zu Rechtsstaaten und schließlich im Völkerbund zu einer weltumspannenden Friedensgemeinschaft. Für Kant bleibt der Fortschritt auf diesen politischen Bereich, d.h. auf die äußere Sphäre des Menschen beschränkt. Eine Aussage über den „inneren“ Fortschritt, die Entwicklung der Moralität, ist mit den der Geschichtsphilosophie zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu erlangen. Kants Ansicht eines Rechtsfortschritts scheint angesichts des faktischen Verlaufs der Geschichte schwer verständlich. Die Empirie ließe hier durchaus auch den Schluss zu, es handle sich hier um einen stetigen Verfall oder aber um letztlich konstant schlecht bleibende Verhältnisse. Für Kant rechtfertigt sich der Glaube an einen allmählichen Rechtsfortschritt durch die „Natur“. Man hat „nach transzendentalen Prinzipien guten Grund, eine subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besonderen Gesetzen, zu der Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft anzunehmen.“ Wir können, so Kant, mit gutem Grund die Natur als ein nach Zwecken agierendes Wesen denken. D.h. wir unterstellen zu unserem Zwecke ein zweckmäßig agierendes Subjekt, die Natur. Dabei unterstellen wir des weiteren, dass die in der Natur herrschende Zweckmäßigkeit „ganz eigentlich für unsere Urteilskraft angelegt“ sei, um die Einheit unserer Gemütskräfte zu stärken (KdU, §61, 305). Zum anderen sehen wir die Geschichte der Menschengattung als die „Vollziehung eines verborge-

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nen Plans der Natur“. Im Menschengeschlecht ist der verfolgte Zweck die Einrichtung einer vollkommenen Staatsverfassung.352 Da nach den Grundsätzen der theoretischen Vernunft über den zukünftigen Verlauf der Geschichte keine gesicherte Erkenntnis möglich ist, hat die nur subjektiv begründbare Aussage vom Rechtsfortschritt den Status einer „regulativen Idee“. Der Rechtsfortschritt ist objektiv nicht beweisbar, es gibt aber vernünftige Gründe für diese Einsicht, die den Grundsätzen der Vernunft keineswegs widerspricht. Das Festhalten an diesem Rechtsfortschritt in der Geschichte stärkt mein moralisches Handeln und weckt das Vertrauen in die Sinnerfülltheit meines Strebens. Damit gehört diese geschichtsphilosophische Überzeugung eindeutig in die Sphäre der praktischen Philosophie. Die Einsicht und Überzeugung vom Fortschritt in der Geschichte entspricht keiner Heilsgeschichte, an deren Ende alle Erwartungen erfüllt sind, sondern ist zum einen auf der Basis der Naturkonzeption auf die äußeren Rechtsverhältnisse begrenzt, zum anderen bleibt die Geltung dieser Überzeugung auf den Kontext selbstbestimmten Handelns beschränkt. Für Hegel gehört die „Weltgeschichte“ zur Lehre von der Sittlichkeit und damit zur praktischen Philosophie. Er knüpft somit an Kants geschichtsphilosophisches Anliegen an.353 Rolf Peter Horstmann hat auf den „geheimen“ Zusammenhang zwischen der Kantischen und der Hegelschen Geschichtsphilosophie aufmerksam gemacht. Hegel hält mit Kant, so Horstmann, sowohl an einem Subjekt der Geschichte als auch an einem politischen Zweck fest. Gegen Kant will Hegel allerdings dem Wirken dieses Subjekts objektive Realität zukommen lassen. Hegels Geschichtsphilosophie ist somit „zwar den Kantischen Prinzipien nicht aber den Kantischen naturteleologischen Voraussetzungen verpflichtet.“354 Gerade dieses Anliegen – Kants naturteleologischen Voraussetzungen nicht zu übernehmen – motiviert die Entwicklung der Hegelschen Geschichtsphilosophie und belegt, so Horstmann, die Nähe zu Kants Konzeption.355 Entscheidend für Hegels Auseinandersetzung mit Kants Naturteleologie sei der im Naturrechtsaufsatz durchgeführte „Subjektwechsel“356, der das Naturmodell durch die Konzeption des Geistes ersetze. „Geist“ steht für Zweckbestimmung durch Selbsterkenntnis und macht „Geschichte“ zu einem vom „Geist als Subjekt“ getragenen Prozess der Realisierung von Sitten 352

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Vgl. I. Kant: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“. In: WA XI, 31-50; hier 8. Satz, A 403, 45. Seine erste Einleitung in die Vorlesung zur Philosophie der Weltgeschichte arbeitet die Konzeption der philosophischen Weltgeschichte aus deren Differenz zur „ursprünglichen“ und zur „reflektierenden“ Geschichte heraus. Vgl. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd. 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 61994, 2-22. R.-P. Horstmann: „Der geheime Kantianismus in Hegels Geschichtsphilosophie“. In: ders. / D. Henrich (Hg.), Hegels Philosophie des Rechts. Stuttgart 1982, 56-71; hier 63. Weder der Rekurs auf die aristotelische noch auf das spinozistische Geschichtsmodell hätten Hegel vor dieses Problem gestellt. Vgl. Horstmann: „Der geheime Kantianismus“, 63f. Anm. Vgl. Horstmann: „Probleme der Wandlung“, 98f.

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und Gesetzen.357 Diese „Selbsterkenntnis“ realisiert sich in einem Volk als dem „Ganzen von Sitten und Gesetzen“ (Naturrechtsaufsatz, 479/171). Der dritte Jenaer Systementwurf erweitert diesen Geschichtsbegriff dahingehend, dass dieser Geschichtsprozess nicht unabhängig vom menschlichen Bewusstsein zu explizieren ist. „Geschichte“ wird zum verzeitlichten Nachvollzug jener vergangenen Momente, die für die Einheit des wissenden Bewusstseins konstitutiv sind.358 Für die Sittlichkeitskonzeption der Grundlinien ist diese Einheit nur in einer Wirklichkeit erreicht, deren sittliche Gestalten als Verwirklichung der Selbstbestimmung des Subjekts rekonstruierbar sind. Das Bewusstsein dieser Einheit konstituiert sich in der „Weltgeschichte“. Sie erfasst in zeitlicher Perspektive das Werden des gegenwärtigen Zustands als Zweck des „Geistes“. Dieser Zweck ist für die Sittlichkeit nur im menschlichen Bewusstsein und in den sittlichen Gestalten explizierbar. Die philosophische Rekonstruktion der sittlichen Gestalten führt somit notwendig in die geschichtsphilosophische Perspektive, weil nur sie die Explikation der gewonnenen Einheit als Selbstvergewisserung gestattet. Hegel verknüpft die „Sittlichkeit“ mit der abschließenden Perspektive der Weltgeschichte und konstituiert eine Einheit zwischen vergangenen sittlichen Praxen und gegenwärtigen. Die vorbereitende Perspektive bzw. den Übergang zu diesem einheitsstiftenden Horizont bildet das Verhältnis der Staaten untereinander. Die je individuelle Ausgestaltung und Verwirklichung von Freiheit muss sich nicht nur im Raum gegen ein Außen bewähren, sondern verlangt auch eine Bewährung in der Zeit. Mit dem „Weltgeist“ als der „Verwirklichung des allgemeinen Geistes“ (Grundlinien, §342, 289) ist dieser umfassende Verständigungshorizont gewonnen. Es geht nicht darum, ein im Dunkeln handelndes Großsubjekt, den Weltgeist und sein Gericht einzuführen. Das Anliegen, Sittlichkeit als Rechtsgestalt auszuweisen, fordert einen reflektierten Begriff der „Weltgeschichte“: Die Weltgeschichte bedroht nicht als „blindes Schicksal“ die Gegenwart, sondern stellt das eigene Handeln in einem geschichtlichen Zusammenhang sicher. Hegel Konzept der „Weltgeschichte“ rekonstruiert an den vergangenen Reichen den für das gegenwärtige und zukünftige Handeln verbindlichen Zweck: Die Verwirklichung der Freiheit aller in einer gemeinsamen politischen Praxis. Diese Überzeugung ist fundamental für das politische Selbstverständnis der Moderne, sie hat nichts zu tun mit dem „vorausgesetzten Glauben“, dass „in der Geschichte (...) ein allgemeiner Geist der Welt, der auch das Wesen des Menschen“359 beherrscht, vorhanden sei. Die „Weltgeschichte“ verdankt 357 358

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Horstmann: „Der geheime Kantianismus“, 67. In den Jenaer Systementwürfen III (284) ist diese Gestalt bestimmt als der mit der Religion versöhnte Staat. Dieser „Staat“ bzw. diese „Sittlichkeit“ bleibt allerdings durch Natur bestimmt – dies zeigt sich etwa in der Ständelehre, wie Hegel sie noch bis 1817 vorträgt. So Karl Löwith („Aktualität und Inaktualität Hegels“. In: R. Heede / J. Ritter (Hg.), HegelBilanz. Frankfurt a.M. 1973, 1-24; hier 6).

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sich der Perspektive einer philosophisch begriffenen Geschichte, die der Intention einer selbstbestimmten Praxis verpflichtetet ist. Wenn Hegel allerdings vom Recht des Weltgeistes als dem allerhöchsten Recht spricht, das den „Weltgeist“ ermächtige über die besonderen Gestalten sein Recht auszuüben, „in der Weltgeschichte, als dem Weltgerichte“ (Grundlinien, §340, 288; GW 14.1, 273), so scheint fraglich, ob Hegel mit dieser Rede nicht einen anderen Rechtsbegriff in Anspruch nimmt. Behauptet Hegel hier nicht, dass gegenüber dem in der Sittlichkeit rekonstruierten Dasein des Rechts das Recht des Weltgeistes als ein höherstufiges Recht auftritt? Fraglich scheint, ob Hegel mit dieser Bestimmung nicht in einen abstrakten Rechtsbegriff zurückfällt, der von der prinzipiellen Unterwerfbarkeit aller willenlosen Sachen ausgeht. Das Recht des Weltgeistes scheint dem abstrakten Rechtsbegriff verpflichtet, wenn der Weltgeist die besonderen Volksgeister, die Staaten wie Sachen behandelt und seinem Recht unterwirft, indem er über sie richtet.360 Diese verdinglichende Deutung des Paragraphen 340 ignoriert die enzyklopädische Bestimmung von „Weltgeist“, wo „Weltgeist“ für einen spezifischen Wahrheitsanspruch steht. Mit dem Geistbegriff werden Sachverhalte als „Wahrheiten“ fassbar, nicht indem ein Subjekt einer Sache ein Prädikat zuschreibt, sondern durch die Selbsterfassung dieses Sachverhaltes. Die „Sache“ wird hier als mit dem Bewusstsein identisch erfasst und dadurch verbindlich gemacht. Auf den „Geist der Welt“ übertragen heißt dies, dass es möglich ist, die Einheit der Sittlichkeit als bewusste Realisierung der Freiheit Aller in und durch die sittlichen Gestalten der Gegenwart konstruieren. Jene Praxen, die die gegenwärtige „Welt“ ermöglicht haben, sind auf die Rechte der Person verpflichtet. Diese Vergegenwärtigung fungiert daher als „Gericht“: Es ist die kritische Prüfung der Verwirklichung dieses Anspruchs in der gegenwärtigen Praxis. Dabei kann von einer Geltung des Rechtsprinzips erst dann die Rede sein, wenn der Sachverhalt sich als in gegenwärtigen Praxen realisiert konstruieren lässt. Allein auf die so erfassbaren Sachverhalte stützt sich die Geltung und Normativität der Rechtsformen. Wichtig für das Verständnis der systematischen Bedeutung der „Weltgeschichte“ ist die Stellung der „Weltgeschichte“ im Übergang zwischen objektivem und absolutem Geist. Das vielbeschworene „Ende der Geschichte“ ist auf der Basis der Theorie des objektiven Geistes und der hier angestrebten Praxisbestimmung nicht zu rechtfertigen. Dieses „Ende“ könnte für Hegel allein auf der Basis des absoluten Wissens konstatiert werden, nicht aber dort, 360

An Hegels Geschichtsphilosophie ist immer wieder ihr „Rückfall“ in Naturbestimmungen kritisiert worden. Die Weltgeschichte sei z.B. bestimmt vom Naturzustand, in den die Staaten in ihrem Außenverhältnis zurückfallen. So etwa Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 324. Andere kritisieren, dass die Staaten vom allgemeinen Geist der Welt, der sein Recht an ihnen in der Weltgeschichte als dem Weltgericht, ausübt, beherrscht werden (Grundlinien, §340).

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wo „Wissen“ einer Handlungspraxis verpflichtet bleibt. Das von der „Weltgeschichte“ beanspruchte Rechtsprinzip geht allerdings auf das „absolute“ Wissen der Philosophie zurück. Der Rechtsgedanke wird von der Philosophie vorausgesetzt. Ausgehend von dieser Voraussetzung entwickelt diese dann den Begriff und leistet den Ausweis der Wirklichkeit dieses Begriffs. Setzt dieser Ausgangspunkt der Philosophie des Rechts nicht doch – wie Leo Strauss unterstellt – die eigene Gegenwart absolut, um den Konsequenzen des Historismus zu entrinnen? Die Begriffsbestimmung der Idee des Rechts ist für Hegel allein im Rückgriff auf geschichtliche Rechtsgestalten möglich. Die Wirklichkeit des Rechts lässt sich für die Gegenwart an exemplarischen Gestalten konstruieren. Die Geltung des gegenwärtigen geschichtlichen Standpunkts erwächst für Hegel allein aus dem Nachweis der Wirklichkeit des Rechts in den gegenwärtigen sittlichen Gestalten, nicht aber aus der bloßen Behauptung eines Vernunftrechts. „Recht“ als das Dasein der Freiheit kann nur dort zum Maßstab der Weltgeschichte werden, wo es gelingt, die Wirklichkeit dieser Freiheit in den sittlichen Gestalten der Gegenwart auszuweisen. In der „Weltgeschichte“ reflektiert die Gegenwart die konstitutiven Prinzipien ihres Selbstverständnisses, die Prinzipien auf die das Handeln verpflichtet ist, die durch die mit den Institutionen eröffnete Praxis, die Wirklichkeit dieser Prinzipien sichert. Dies ist der praktische Sinn und die Aufgabe der „Weltgeschichte“ als einer Gestalt der „Sittlichkeit“. In der philosophischen Rekonstruktion der Geschichte qua Weltgeschichte „erhält dasjenige nothwendige Moment der Idee des Weltgeistes, welches gegenwärtig seine Stufe ist, sein absolutes Recht und das darin lebende Volk und dessen Thaten erhalten ihre Vollführung, und Glück und Ruhm“ (Grundlinien, §345, 290; GW 14.1, 275). Dieser weltgeschichtliche Standpunkt legt die Welt aus im Horizont der begriffenen Gegenwart. Weder kann die Reflexion auf die „Weltgeschichte“ den Anspruch erheben, die Gesamtheit historischer Verhältnisse in den Blick zu bringen, noch geht aus ihr die Geltung der gegenwärtigen Gestalt der Sittlichkeit unmittelbar hervor. „Welt“ wird ausgelegt im Horizont der begriffenen Gegenwart. In dieser Auslegung kommen aber nur die für die eigene Sittlichkeit relevanten vergangenen Zustände in den Blick. Im „Weltbegriff“ thematisiert Hegel eine begrenzte Weltordnung. „Welt“ vereinigt alles, was in einem temporal wie auch lokal begrenzten Raum eine Einheit als gemeinsame Kultur zu gründen vermag. „Freiheit“ ist das für die „Weltgeschichte“ der Grundlinien leitende Entwicklungsprinzip, das den Maßstab für die einzelnen Entwicklungsstufen der Verwirklichung von Freiheit im Recht bildet.361

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Das Spezifische dieser Konzeption der „Weltgeschichte“, wie sie für die Rechtsphilosophie insofern sie praktische Philosophie ist maßgeblich wird, arbeitet Hegel in den Einleitung zur Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte (1822/23) heraus. Durchaus ist ein anderer Blick auf die Vergangenheit möglich, durchaus sind andere Formen der Geschichtsschreibung möglich: die ursprüngliche etwa oder die reflektierende Geschichtsschreibung.

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Dieser philosophischen Weltgeschichte gehen andere Formen der Geschichtsschreibung voraus. Was Hegel allerdings von der Höherstufigkeit, der größeren Leistungsfähigkeit einer philosophischen Weltgeschichte überzeugt, ist die Einsicht, dass „Geschichte“ als Produkt der Selbstvergewisserung immer ein Akt der Freiheit ist. Diese Bedingung jeglicher Selbstauslegung wird erst für die philosophische Weltgeschichte fassbar. Für die Weltgeschichte der Rechtsphilosophie ist dieser Horizont insofern erreicht, als mit dem Recht als dem Dasein der Freiheit, die Bedingungen sittlicher Praxis durchsichtig geworden sind. Erst auf dieser Basis ist eine Philosophie der Weltgeschichte möglich.362 Die anderen Formen der Geschichtsschreibung greifen hier zu kurz, vermögen sie doch die eigene Voraussetzung, die eigene Gegenwart als selbstbestimmte Praxis zu begreifen, nicht einzuholen. Dieser Rechtsbegriff, der in den beiden ersten Teilen der Grundlinien aus historischen Rechtsformen entwickelt und in der „Sittlichkeit“ für die Gegenwart fruchtbar gemacht wird, entspricht dem Selbstverständnis der Moderne. Die Einheit dieser sittlichen Rechtsgestalten wird durch das Recht als Wirklichkeit der Freiheit hergestellt. Diese Einheit wird der Weltgeschichte nicht als empirische Erfahrung, sondern aus der Selbstverständigung einer Praxis mit Blick auf ihr Gewordensein gesichert. Dort, wo die wesentlichen Praxen als selbstbestimmte Formen des Handelns konstruiert werden können, konstituiert die „Weltgeschichte“ Recht als Freiheit als verbindendes Moment gegenwärtiger und vergangener Gestalten der Sittlichkeit. Die Rückbesinnung auf die geschichtlichen Wurzeln verdeutlicht die Grundprinzipien, denen das eigene Handeln verpflichtet ist. Diese Grundprinzipien verpflichten das gemeinsame Handeln auf diese gemeinsame Zweckbestimmung. Für Kant diente die Geschichtsphilosophie der Stärkung des moralischen Handelns, insofern sie die subjektive Gewissheit der Sinnhaftigkeit meines Strebens für die Gattung zu erzeugen vermag. Auch Hegels Geschichtsphilosophie steht im Dienste des politischen Handelns, insofern sie die Verpflichtung auf einen letzten Zweck alles geschichtlichen Treibens herstellt, die Verpflichtung auf die Realisierung der Freiheit aller. Relativ zu der jeweiligen Vergangenheit hat diese Geschichtsphilosophie immer das „absolute Recht“ des gegenwärtigen Zustands zur Voraussetzung, insofern sie die jeweils eigene Gegenwart zum (vorläufigen) Schlusspunkt einer Entwicklung macht. Die geschichtliche Verortung des Selbstverständnisses gibt den Maßstab und die Zielsetzung künftiger Entscheidungen an. Die 362

Der Frage nach der Differenz zwischen der Weltgeschichte als einer Gestalt der Sittlichkeit und der Philosophie der Weltgeschichte als eigenständig vorgetragenem Systemteil kann hier nicht nachgegangen werden. Der Wandel in der einleitenden Darstellung einer Philosophie der Weltgeschichte, etwa die Ablösung der Einleitung von den „Arten der Geschichtsschreibung“ durch die Darstellung der „philosophischen Weltgeschichte“, wie auch die Erweiterung des „Anfangs“ der Weltgeschichte hin zur Chinesischen und Asiatischen Geschichte zeigen, dass das Konzept „Weltgeschichte“ mit der Darstellung der Grundlinien für Hegel nicht abgeschlossen war.

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gegenwärtigen Praxisform werden in die Tradition der Verwirklichung von Freiheit für alle gestellt, die künftigen politischen Entscheidungen sind an diesen Wesensbestimmungen der Gegenwart zu orientieren, von ihnen her gewinnt die jeweilige Gegenwart ihren Maßstab. „Weltgeschichte“ kann mit Hans Georg Gadamer als „Integration“ vergangenen Denkens in das eigene Denken gefasst werden – sie legt eine selektiv verfasste Vergangenheit im Horizont der Gegenwart aus. Dieser eigene Standpunkt ist geschichtlich und kann daher nicht in der Weise absolut sein, dass eine spätere Rekonstruktion des Gewesenen und Gewordenen für ein neues Verständnis der Gegenwart verzichtbar würde. Für die „Weltgeschichte“ als letzter Gestalt der „Sittlichkeit“ verbietet sich dieser Absolutheitsanspruch, denn der systematische Ort dieser Weltgeschichte ist die Abschlussgestalt des objektiven Geistes als einer Gestalt des Rechts. „Objektiv“ ist diese Deutung der Weltgeschichte in dem Sinne, dass hier eine mögliche Deutung des Vergangenen für die gegenwärtige Praxis konstitutiv wird, weil deren Wirklichkeit bereits ausgewiesen ist. Wird mit dieser Konzeption der „Weltgeschichte“ nicht der oben behauptete normative Status der Rechtsformen zugunsten eines Relativismus des jeweils gegenwärtigen Standpunkts preisgegeben? Die Untersuchung kehrt mit dieser Frage an den Ausgangspunkt der Rechtsphilosophie und den Anspruch Hegels, das Recht als Idee und damit in der Einheit von Begriff und Wirklichkeit dazustellen, zurück. Nachfolgend soll diese Ausgangsfrage nach der Vereinbarkeit von „Normativität“ und Geschichte für Hegels Rechtsphilosophie beantwortet werden.

9.3 Geschichte, Normativität und praktische Philosophie Die enzyklopädische Darstellung (1817) der Weltgeschichte fasst Geschichte zum einen als den Entwicklungsprozess eines bestimmten Volksgeistes, zum anderen als den allgemeinen Horizont der die beschränkten Geister in einen größeren Zusammenhang zurückstellt. In der Philosophie des Rechts verschmelzen diese beiden Momente der „Weltgeschichte“, insofern die individuelle Entwicklung der Volksgeister, bzw. des Staates auf die gegenwärtige Gestalt der Sittlichkeit beschränkt bleibt, diese ist aber zugleich den allgemeinen Horizont der Weltgeschichte bildet. In beiden Varianten macht Konzeption der Weltgeschichte deutlich, die Darstellung der „Sittlichkeit“ verlangt eine geschichtliche Verortung. Die Gründe für die Notwendigkeit, die „Weltgeschichte“ in die Darstellung der Lehre vom objektiven Geist einzubeziehen, liegen in Hegels Konzeption der sittlichen Praxis. Die Rechtsphilosophie rekonstruiert sittliche Praxis als eine Zweckbestimmung, die ohne eine geschichtliche Selbstauslegung des Handelns nicht zu leisten ist: Allein in der

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geschichtlichen Selbstauslegung kann die sittliche Praxis zur Form selbstbewusster Einheit gelangen. Das Selbstverständnis der Neuzeit ist durch den Anspruch, den Menschen als freies Wesen zu fassen und Handeln als Realisierung dieser Freiheit zu begreifen, geprägt. Für die praktisch/politische Philosophie ergeht aus dieser Bestimmung die Forderung, die Institutionen bestehender Praxis, den Staat als Realisation von Freiheit zu rekonstruieren. Beendet für Hobbes der Vereinigungsvertrag den Naturzustand des Bürgerkrieges, so löst der Abtretungsvertrag die Freiheit selbstbestimmten Handelns zugunsten des Souveräns auf. Die Institutionen des Staates schützen die Bürgerrechte, bleiben aber letztlich bloße Zwangsmechanismen, die der Freiheit selbstbestimmten Handelns nicht genügen können. Die Institutionen des Zusammenlebens, die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat, als Verwirklichung von Freiheit auszuweisen, kann nur gelingen, indem gezeigt wird, wie die bestehenden Pflichten als selbstbestimmtes Handeln zu begreifen sind. Hierfür ist ein Freiheitsbegriff von Nöten, der Freiheit nicht als Willkür sondern als selbstbestimmtes Handeln begreift. Dieser Freiheitsbegriff bildet die Grundlage für das Begreifen der Wirklichkeit von Freiheit in den sittlichen Institutionen. Hegel konstruiert die sittlichen Institutionen als Formen zweckbestimmten Handelns, indem er zeigt, wie die sittlichen Institutionen im Handeln die im „Abstrakten Recht“ und der „Moralität“ postulierten möglichen Rechte realisieren. Der Status der im „Abstrakten Recht“ und der „Moralität“ entwickelten Rechtsbestimmungen ist insofern fraglich, als diese Rechtsformen von Hegel als bloße „Möglichkeiten“ charakterisiert werden. Können sie als „Möglichkeiten“ überhaupt eine normative Funktion gegenüber gegenwärtigen Handlungsformen einnehmen? Hegels Konzeption macht deutlich, dass diese Rechtsformen zunächst als (willkürliches) Produkt der Setzung (Abstraktion) von der Philosophie des Rechts aufgenommen werden. Die Philosophie des Rechts bleibt aber nicht bei dieser willkürlichen Setzung stehen. Mit der Verpflichtung, die Wirklichkeit der abstrakten Rechtsbestimmungen auszuweisen, muss die Philosophie des Rechts nicht nur die Geltungsbedingungen der „Setzung“, d.i. den Begriff des Rechts prüfen, sie muss die Bedingungen der Wirklichkeit dieser Rechte in den Gestalten der Sittlichkeit ausweisen. „Geltung“ und „Wirklichkeit“ haben die kontingenten Rechte in den rekonstruierten Rechtsbegriffen sowie in der konstruierten Wirklichkeit dieser Rechte. Bei der Konstruktion wirklicher Handlungsformen stützt sich Hegel auf die Jenaer Konzeption, die die Rechtsformen als das Produkt sozialer Entwicklung entfaltete. Die Grundlinien führen diese Konstruktion allerdings nicht durch, sondern setzen diese Konstruktion voraus, wenn er den Aufweis der Wirklichkeit der Rechtsformen in den sittlichen Gestalten mit dem Nachweis der Normativität dieser Rechtsbestimmungen verknüpft. Die Einlösung der Forderung, die sittlichen Institutionen als Pflichten auszuweisen, ist dann geleistet, wenn es gelingt die institutionalisierten Praxen als Gestalten selbstbestimmten Handelns auszuweisen, die die Geltung subjektiver und persönlicher Rechte

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allererst sicherstellen. Die normative Geltung dieser Praxen erstreckt sich auf die gegenwärtige Gestalt der Sittlichkeit. Diese Gegenwart umfasst alle Völker, die diesem Traditionszusammenhang angehören bzw. sich zu ihm bekennen. Die Normativität der Praxen erweist sich für Hegel in der Wirklichkeit des Rechts, wobei diese „Wirklichkeit“ nicht als empirisches Vorhandensein aufzufassen ist. „Wirklich“ sind Rechtsbegriffe dort, wo sie in bestehende Formen des Handelns eingehen und diese als Rechtsgestalten konstituieren und damit als Praxis verbindlich machen. Im Willensbegriff verfolgt Hegel das Ziel, die Kantische Aufspaltung in einen theoretischen und einen praktischen Vernunftgebrauch zu überwinden. Die Einheit von rationalem und voluntativem Vermögen fordert eine Wirklichkeit, in der die praktische Bestimmung des Individuums, Person und Subjekt zu sein, sich im Handeln erfüllt. Diese im Handeln vollzogene Einheit von Wille und Wirklichkeit macht es erforderlich, dass die Philosophie selbstständige Handlungsformen, Institutionen ausweist, die als von der individuellen Zwecksetzung losgelöste Praxisformen verbindlich sind, weil in ihnen selbstbestimmtes Handeln allererst wirklich wird. Mit dem „an und für sich seyenden freyen Willen“ und den Gestalten der „Sittlichkeit“ nennt Hegel die für die Wirklichkeit selbstbestimmten Handelns konstitutiven Gestalten. Die sittlichen Gestalten bilden die Basis der Wirklichkeit des Rechts. „Basis“ der Rechtsbegriffe sind die sittlichen Gestalten insofern, als die Wirklichkeit der Rechtsbegriffe von „Person“ und „Subjekt“ das Dasein dieser Praxen zur Voraussetzung hat. Wirklichkeit ist den Rechtsbegriffen nur dort eigen, wo sie als generische Handlungen überhaupt „Handlung als Realisierung eines Guten“ möglich machen. Der Ort dieser Handlungsformen kann aber vom Recht selbst nicht hervorgebracht werden. Exemplarische Formen der Wirklichkeit der abstrakten Rechtsbegriffe sind die konstruierten Gestalten von „Familie“, „bürgerlicher Gesellschaft“ und „Staat“. Dabei ist der im Moralitätskapitel entwickelte Zweckbegriff für die Unterscheidung zwischen den drei Praxen entscheidend: Das Handeln der Institutionen des Staates realisiert die höchste Form der Allgemeinheit, es ist die Wirklichkeit des Guten, das Dasein der Idee des Rechts. Die Bestimmung der Idee steht für die Rechtsphilosophie damit nicht, wie für die Ästhetik, am Anfang, sondern wird aus bloßen Möglichkeiten, d.h. Teilrealisierungen, den Bestimmungen des „Abstrakten Rechts“ (Eigentum, Vertrag und Anerkennung des Rechts als Rechts) sowie dem Recht des subjektiven Willens (besonderes Wohl) gewonnen. Diese Teilrealisierungen stehen immer schon unter der Idee, da sie die Idee des Rechts voraussetzen. Die rekonstruierten, möglichen Rechtsbegriffe erweisen sich gegenüber der Idee des Rechts als defizitär. Dem abstrakten Recht mangelt es an wirklicher Geltung, das moralische Recht (als Einheit von besonderem Wohl und allgemeinem Guten) bleibt gegenüber der konkreten Wirklichkeit des Guten ein Sollen. Ihrem Status nach sind diese Rechtsbegriffe insofern bloße Möglichkeiten, Akzidenzen der Substanz, als sie aus einer Ganzheit bestehender Sitten und Gebräuche des Zusammenlebens

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hervorgehen, ohne dass die Bedingungen für eine Verwirklichung dieser Rechte realisiert sind. Die Anerkennung als Person setzt formalrechtliche Gleichheit, die Abstraktion vom einzelnen als Besonderheit voraus. Als Besonderer erhebe ich Anspruch auf individuelles Wohl, auf das Recht, nur das anzuerkennen, was meinen individuellen Ansprüchen und Wertsetzungen genügt. Für dieses Recht ist eine bestimmte geschichtliche Tradition, das Christentum, entscheidend. Hegel deduziert diese Rechte aus dem Begriff der Person bzw. der Subjektivität, wobei die einzelnen Rechtsbestimmungen an geschichtlichen Formen (wie dem römischen Privatrecht) konkretisiert werden. Die Defizite (das „Recht“ ist nicht strafende Gerechtigkeit, die Verwirklichung des Guten bleibt ein Sollen) erklären sich aus den Differenzen zwischen dem Begriff, dem Anspruch dieser Rechte und der Geltung in der konkreten Situation. Die Defizite veranschaulichen die fehlende Wirklichkeit dieser Rechtsbegriffe, ihre Geltung ist nicht gesichert, sondern bloß zufällig. Für die Philosophie stellt sich die Aufgabe zu zeigen, wie in der Gegenwart die Wirklichkeit dieser Rechtsformen möglich ist. Die Frage lautet, wie lassen sich die vorgängigen, geschichtlich überlieferten Weisen des Zusammenlebens, die Gemeinschaftsformen mit ihren Normierungen als Realisierung dieser individuellen Rechte des neuzeitlichen Naturrechts begreifen? Das Scheitern der abstrakten Rechtsformen an der Wirklichkeit, ihre fehlende Durchsetzbarkeit und Geltung wird dann überwunden, wenn geltende Formen des Zusammenlebens (Sittlichkeit) als Realisierung der entwickelten Rechtsbestimmungen ausgewiesen werden können. Dieses Vorgehen ermöglicht Hegel die Überwindung der Schwierigkeiten eines rein vernunftrechtlichen Vorgehens, das dem subjektiven Wollen gegenüber als ein Sollen, als Norm auftritt. Geltung in der Wirklichkeit, das machen die beiden ersten Abschnitte (abstraktes Recht und Moral) deutlich, ist nur dort möglich, wo die einseitige Absolutsetzung eines Rechts (abstrakte Allgemeinheit und besonderes Wohl) aufgegeben wird. Für die Wirklichkeit einer strafenden Gerechtigkeit ist gefordert, dass ein besonderer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle (Grundlinien, §103). Seiner Struktur nach entspricht das Gewissen der geforderten besonderen Gestalt des Willens. Mit der Einlösung seines Begründungsprogramms kommt Hegel der Forderung des Naturrechts nach normativ überzeitlich gültigen Prinzipien ebenso nach wie der Forderung der Historischen Rechtsschule nach faktischer Geltung und Wirklichkeit des Rechts. Die Grundlinien machen deutlich: Die Verwirklichung der formalen Allgemeinheit des Rechts der Person ist nur möglich, wenn zugleich das Recht auf Individualität und besonderes Wohl anerkannt wird. Denn nur letzteres vermag die wirkliche Geltung des formalen Rechts zu ermöglichen. Das Recht der Subjektivität ermöglicht die Wirklichkeit des Rechts in zweierlei Hinsicht: Für die Realisierung der formalen Allgemeinheit des Rechts muss ein besonderer Inhalt gewollt werden, denn nur an ihm ist diese Wirklichkeit vollziehbar. Erst an diesem besonderen Zweck, an diesem besonderen Wohl kann das formale Rechtsprinzip wirklich werden. Darüber hinaus ist die Allgemeinheit

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als Zweck des Handelns nur vom Subjekt nicht aber von der Person zu realisieren, letztere bleibt in der Willensbestimmung auf „Sachen“ im weitesten Sinn beschränkt. Mit Kant kann davon gesprochen werden, dass „Legalität“ und „Moralität“ im Dasein des Rechts als Idee aufgehoben sind. Wenn Hegel im Abschnitt „Sittlichkeit“ exemplarische Formen sittlicher Praxis als Verwirklichung der abstrakten, bloß möglichen Rechtsbegriffe entwickelt, so leistet er mit dieser Konzeption die einleitend geforderte Integration der „polaren Möglichkeiten“ (Riedel) der praktischen Philosophie: Der Ausweis der normativen Verbindlichkeit des Rechts ist nicht losgelöst von der Rekonstruktion des Bestehenden als Verwirklichung des Rechts zu leisten. Diese „Rekonstruktion“ ist keine Deskription, sondern Neukonstitution der leitenden Prinzipien einer Praxis als Verwirklichung der entwickelten Rechtsbegriffe. In dieser Konstruktion erhalten die tradierten Gestalten eine Neubestimmung, neue Formen normativ verbindlicher sittlicher Praxen entstehen. Normative Verbindlichkeit besteht für Hegel erst auf der Basis einer konstruierten Gestalt der Sittlichkeit, nicht aber schon dort, wo die Rechtsprinzipien als bloße Möglichkeiten der Bestimmung des Menschen deduziert sind.363 Die drei Rechtsgestalten der Sittlichkeit sind als bewährte Formen aus der Tradition aufgenommen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird mit diesen Formen nicht erhoben. Allerdings stehen die drei Rechtsgestalten der Sittlichkeit in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Die Ganzheit des Staates als Recht setzende und rechtsbewahrende Einheit ermöglicht „Ehe“, „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ als Rechtsgestalten. Auf der anderen Seite geben „Ehe und Familie“ sowie die Sphäre des Bedürfnisses die Inhalte vor, an denen eine Verwirklichung des Rechts möglich wird. Diese Inhalte sind nicht aus den Rechtsformen hervorgegangen und können auch nicht aus diesen generiert werden. Die Bestimmung der abstrakten Rechtsbegriffe im ersten und zweiten Abschnitt macht vielmehr deutlich, wie diese Rechtsbegriffe aus spezifischen Inhalten hervorgehen, wie eine ganz bestimmte geschichtliche Konstellation spezifische Rechtsbegriffe erzeugt. Für den Geltungsanspruch des Rechts bedeutet dies, dass er beschränkt bleibt auf jene Völker, die in dieser Tradition stehen. In diesem Sinne entwickelt Hegel die „Weltgeschichte“ am Ende des Sittlichkeitskapitels: Das orientalische, griechische, römische und germanische Reich sind auf die Rechtskonzeption der Sittlichkeit verpflichtet. Für Völker, die in diesem Traditionszusammenhang stehen, ist eine andere Konzeption der Sittlichkeit nicht möglich, die geltenden Normen müssen als Rechte verwirklicht werden. Die Teleologie der Vier-ReicheLehre hat die Aufgabe, die Einheit der sittlichen Gestalten in der Besinnung auf die Tradition herzustellen und auf diese Tradition zu verpflichten. Die 363

Es ist dieser Status der Hegelschen Staatslehre, der die Auseinandersetzung um die preußische Städtereform für Hegel so brisant macht. Preußen schlägt mit dieser Städtereform einen anderen Weg ein als den, den Hegels Konstitution der Sittlichkeit als normativ verbindlich ausweist. Vgl. Weisser-Lohmann: „Englische Reformbill“.

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Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte führen mit der weltgeschichtlichen Perspektive zu einer Erweiterung des rechtsphilosophischen Anspruchs. Aus enzyklopädischer Perspektive ist Sittlichkeit für Völker, die nicht durch die abendländisch-christliche Traditionen geprägt sind, in nicht rechtsförmiger Gestalt möglich.364 Notwendig aber führt die abendländisch christliche Tradition zur Forderung der Freiheit aller und verpflichtet auf die Rechtsgestalt der Sittlichkeit. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Gestalten der Freiheitsrealisierung auf die Formen „Familie“, „Bürgerliche Gesellschaft“ und „Staat“ begrenzt sind. Als Gestalten, die Freiheit realisieren, sind durchaus auch andere Formen möglich. Hegel greift diese Formen auf, weil sie für ihn zu den bewährten und gegebenen Gestalten sittlicher Lebensform gehören. Dass Hegel diese Gestalten von ihren leitenden Prinzipien her – Liebe, Bildung, politisches Handeln – fasst, nicht aber die faktisch in Preußen bestehenden Formen für den Ausweis der Wirklichkeit maßgeblich sind, wurde verdeutlicht. Aus dieser Differenz ergibt sich auch die kritische Distanz, die Hegels Rekonstruktion der Gestalten der Sittlichkeit zu den in Preußen bestehenden Verhältnissen einnimmt. Wirklich ist für Hegel eben nicht das, was daseiend vorhanden ist. Wirklich sind die Formen des Handelns, die als Gestalt selbstbestimmten Handelns die Rechtsbestimmungen von Person und Subjekt verwirklichen. Für Hegel bleibt Sittlichkeit als Rechtsgestalt nicht auf diese Gestalten verpflichtet, grundsätzlich könnten andere Handlungsformen diese Funktion übernehmen. Entscheidend ist, dass diese Gestalten sich als Gestalten der Freiheit aller begreifen lassen. Damit ist die Verwirklichung der Freiheit aller auch nicht an die konstitutionelle Monarchie als die einzig mögliche Verfassung des Staates gebunden. Hegel konstruiert die vorgängige sittliche Praxis politischen Handelns (Monarchie) mit dem deduzierten Rechtsbegriff und weist die den Rechten angemessene Staatsverfassung als Konstitutionelle Monarchie aus. Die für die tradierten Gestalten konstitutiven Prinzipien – Liebe, Arbeit und Bildung – bilden die Basis für die Realisation der Freiheit als Rechtsgestalt. Dabei sind die rekonstruierten Gestalten der „Sittlichkeit“ (Familie, bürgerliche Gesellschaft und Recht) keine verdinglichten Gestalten des Handelns. Die Wirklichkeit der Rechtsbegriffe kann auch von anderen als den von Hegel in Anspruch genommenen Gestalten erfüllt werden. Diese Praxen müssen jedoch dem Anspruch genügen, das gemeinsame Überleben einer Gemeinschaft in Freiheit zu ermöglichen. Die Rechtsphilosophie hat die Aufgabe, Gestalten der Sittlichkeit als Recht, d.h. als Dasein der Freiheit und als konkrete Allgemeinheit auszuweisen. Der 364

„Die Religiosität, die Sittlichkeit eines beschränkten Lebens – eines Hirten, eines Bauern – in ihrer konzentrierten Innigkeit und ihrer Beschränktheit auf wenige und ganz einfache Verhältnisse des Lebens hat unendlichen Wert und denselben Wert als die Religiosität und Sittlichkeit einer ausgebildeten Erkenntnis und eines am Umfang der Beziehungen und Handlungen reichen Daseins“ (Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd. 1, 109).

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am Ende der „Moralität“ entwickelte Rechtsbegriff vereinigt die abstrakte Allgemeinheit des „Rechts der Person“ mit dem Dasein des subjektiven Rechts des besonderen Individuums. Hegel rekonstruiert die bestehenden Institutionen „Familie“ und „bürgerliche Gesellschaft“ als von subjektiven Zwecksetzungen losgelöst bestehende Handlungsformen, in denen das Recht der Person wie das Recht des Subjekts gleichermaßen verwirklicht ist. An diesen Institutionen zeigt Hegel, wie sie die Freiheit des Subjekts allererst verwirklichen und damit verbindlich sind. Diese Institutionen verbinden als Praxen die subjektive Zwecksetzung mit allgemeiner Geltung: Diese Handlungen realisieren eine allgemein verbindliche Pflicht, die den Individuen das Personund Subjektseins sowie die damit verbundenen Rechte sichert. Diese Handlungsformen sind für das Individuum insofern Pflicht als ihr Anspruch, als „Person“ und „Subjekt“ anerkannt zu sein, in diesen Handlungsformen Anerkennung findet. Der Übergang von den abstrakten Rechtsformen des Rechts und der Moralität zur Sittlichkeit wurde rekonstruiert als Übergang von einer Seinsbestimmung zu einer Wesensbestimmung. Diese Wesensbestimmung gewinnt von dem „Gewesenen“, den Möglichkeit her ihr Wesen. Die Wesensbestimmung der sittlichen Rechtsgestalten gründet in der Bestimmung des Menschen als Person und Subjekt. In den tradierten Formen sittlicher Praxis ergreifen die Individuen reflektierend diese Möglichkeiten und konstituieren mit ihnen eine neue Wirklichkeit sittlicher Praxis. Für Hegel ist es die Aufgabe der Philosophie, diesen Prozess zu rekonstruieren, um die Wirklichkeit der Freiheit auszuweisen. An diese Bestimmung tradierter Praxisformen als Selbstbestimmung knüpft Hegel zur Sicherung der Einheit dieser Selbstbestimmung die geschichtliche Verortung der „Weltgeschichte“. Es gehört aber nicht zum Programm dieser „Weltgeschichte“, ein Ende der Geschichte zu verkündigen. Die gegenwärtige Gestalt der Sittlichkeit bildet den Maßstab für die Rekonstruktion von Geschichte. „Absolut“ ist diese „Weltgeschichte“ nur in der Verpflichtung auf die Form, Gewordenes als das Wesen gegenwärtiger Praxis auszuweisen. Die hier vorausgesetzte Begriffsbestimmung des Rechts – die Bestimmung des Menschen als Person und Subjekt– ist als „Wesensbestimmung“ für jede zukünftige Gegenwart insofern verbindlich, als der Anspruch, das allgemein Verbindliche als Wirklichkeit, d.h. als Inhalt subjektiver freier Willensbestimmung auszuweisen, unhintergehbar ist. „Absolut“ in einem inhaltlich abschließenden Sinn eines Endes der Geschichte qua Entwicklung, qua Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, ist weder die Rekonstruktion der Sittlichkeit noch die „Weltgeschichte“. Allein der Anspruch der Moderne, die Freiheit aller in einer gemeinsamen Praxis zu verwirklichen, bleibt für künftige Entwicklungen verbindlich. Die Gründe, die für Hegel diese Verbindlichkeit sichern, sollen nun abschließend mit Blick auf das Verhältnis von Normativität und Geschichtlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie noch einmal zusammengefasst werden.

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Eduard Gans sprach im Zusammenhang der abstrakten Rechte des ersten und zweiten Teils der Grundlinien von Hegels Naturrecht. Von Naturrecht kann bei Hegel nur als Vernunftrecht gesprochen werden. Dieses Naturrecht ist für Hegel zum einen nicht losgelöst von dem geschichtlichen Kontext zu begreifen. Zum anderen geht die Bestimmung des Rechts aus einer Abstraktion, einer Setzung hervor, die den individuellen besonderen Menschen als Allgemeinheit, als Person bestimmt. In den Jenaer Systementwürfen hatte Hegel diese Setzung aus der Notwendigkeit der Bewältigung der Lebensbedürfnisse entwickelt. Das „Recht“ geht als „geistige Mitte“ aus dieser Notwendigkeit hervor. Der Anspruch auf Geltung dieses Naturrechts ist damit an eine bestimme Tradition der Bedürfnisbefriedigung geknüpft. Demgegenüber reduziert Hegel in der Philosophie des Rechts die Ausgangsbasis: Recht ist eine Bestimmung des Individuums, insofern es sich als Person begreift. Die Befreiung aus der Sklaverei setzt somit nicht bestimmte Formen der Bedürfnisbefriedigung voraus, sondern allein die Forderung, als Person anerkannt zu werden. Die sozialen und historischen Bedingungen, die für die Realisierung dieser Forderung erfüllt sein müssen, sind von diesem Anspruch ablösbar. Dort, wo die Individuen sich als rechtsfähige Individuen behaupten, entsteht der Anspruch auf Verwirklichung dieser Rechte. Die „Befreiung“ aus der Sklaverei ist für Hegel unabdingbar mit der Forderung nach Freiheit verbunden. Dort, wo diese Forderung besteht, ist die gemeinschaftliche Sicherung bzw. Bewältigung des Überlebens einer Gemeinschaft nur in Freiheit möglich. Für die praktische Philosophie ergeben sich unter diesen Voraussetzungen die folgenden Aufgaben: Zum einen die Begründung der Legitimität dieses Anspruchs, zum anderen der Ausweis der Wirklichkeit des Rechts durch die Konstitution daseiender Formen des Zusammenlebens. Dieser Ausweis ist keine Sanktionierung des Bestehenden, insofern die Konstruktion einer sittlichen Praxis als Rechtsgestalt, und damit nicht Beschreibung, sondern konstruktiver Aufweis der Vereinbarkeit des Bestehenden mit den freiheitlichen Rechtsprinzipien. Dieser Ausweis reformuliert das Bestehende in den Begriffen des Rechts und überführt das Bestehende in eine neue sittliche Gestalt. Die „Wirklichkeit“ des Vernünftigen ist das Produkt dieser Konstruktion. Diese „Wirklichkeit“ des Vernünftigen ist für den Freiheitsstandpunkt unhintergehbar, insofern „Wirklichkeit“ hier aus der Selbstbestimmung hervorgegangenes Dasein ist, das eben nicht dem bloß Vorhandenen entspricht (vgl. Grundlinien, Vorrede, 14). Eine Verpflichtung auf die Prinzipien des Rechts besteht erst dort, wo die Rechtsbegriffe an den bestehenden Gestalten als Wirklichkeit ausgewiesen sind. Diese Wirklichkeit kann aber immer nur an exemplarischen Gestalten rekonstruiert werden. Normativ ist diese Wirklichkeit nicht hinsichtlich der Inhalte, wohl aber hinsichtlich der in ihr realisierten Rechtsbestimmungen. Hegels Rechtsphilosophie bearbeitet nicht nur das gesamte thematische Feld der aristotelischen praktischen Philosophie, sondern tritt mit dem Anspruch

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auf, menschliche Praxis als sittliche Einheit zu rekonstruieren, in der der Anspruch der Individuen auf Freiheit realisiert ist. Systematisch bleibt Hegels praktische Philosophie damit der aristotelischen Konzeption verpflichtet. Vom neuzeitlichen Naturrecht übernimmt Hegel die Verknüpfung von Vernunftbestimmtheit und Rechtsfähigkeit des Menschen. Diese vernunftrechtliche Bestimmung vereinigt Hegel mit der klassischen Aufgabe der praktischen Philosophie, die Wirklichkeit dieser Rechte anzugeben.365 Gegenüber der neuzeitlichen praktischen Philosophie weist diese Konzeption von Rechtsphilosophie allerdings auch Defizite auf. So kann Hegels Konzeption nicht zu einer Rechtfertigung der Verbindlichkeit allgemeiner Menschenrechte gelangen, bleibt der Ausweis der normativen Verbindlichkeit der allgemeinen Rechte von Person und Subjekt doch an die konkrete Sittlichkeit des Staates gekoppelt. Außerhalb dieser „Wirklichkeit“ verbleiben diese Rechte als ein bloßes Sollen, denen keine Verbindlichkeit zukommt.366 Hegels Forderung, dass die praktische Philosophie nicht nur das Gesollte sondern die Wirklichkeit des Guten auszuweisen habe, verhindert eine Geltung von Grundrechten außerhalb der bestehenden sittlichen Gestalten. Das Problem der Grundrechte wird hier allein, so Siep, „innerstaatlich“367 gelöst. Rechte der Person, individuelle Freiheitsrechte sind daher nur mit diesen innerstaatlichen Einrichtungen zu verwirklichen nicht aber gegen sie. Rechte, die sich im Konfliktfall zwischen Staat und individuellen Freiheitsforderungen zu bewähren haben, wie etwa Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit, werden in Hegel Konzeption nur beschränkt gewährt. Diese Einschränkung individueller Freiheitsrechte auf die Vereinbarkeit mit dem Allgemeinen ist insofern programmatisch, als zwar die mit dem „Abstrakten Recht“ und der „Moralität“ gewonnenen Rechtsbestimmungen Grundrechte formulieren, die allerdings ein bloßes Sollen formulieren.368 Das Programm Hegels, diese Rechte als Wirklichkeit in daseienden sittlichen Ge365

366

367 368

Gegenüber Siep, für den Hegel die Herstellung eines allgemeinen Willens der „zuerst ‚intuitiven‘ dann zunehmend ‚planmäßigeren‘ Erfindung und Zusammenfügung von Institutionen und Lebensweisen“ überantwortet, wurde hier das rekonstruktive Moment dieser Verknüpfung stark gemacht: „Staat“, „Familie“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ sind aktuelle Gestalten der Sittlichkeit, an denen die Philosophie die Wirklichkeit des Rechts ausweist. Mit diesem Ausweis reformuliert die Philosophie diese Gestalten als Rechtsgestalten der Sittlichkeit. Diese treten mit normativem Anspruch der faktisch bestehenden Verfassung und den Gesetzen entgegen. Vgl. L. Siep: „Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl in Hegels Philosophie des Rechts“. In: ders., Praktische Philosophie, 285-328; hier 318. Vgl. G. Lübbe-Wolff: „Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis der historischen Grundlagen des Hegelschen Staatsbegriffs“. In: H.-Chr. Lucas / O. Pöggeler (Hg.), Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 421-466. Siep: „Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl“, 296. Ralf Dreier spricht von einer Theorie der Grundrechte im status negativus (R. Dreier: „Bemerkungen zur Rechtsphilosophie Hegels“. In: ders. (Hg.), Recht – Moral – Ideologie. Frankfurt a.M. 1981, 316-350; hier 325). Siehe auch Siep: „Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl“, 296.

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stalten auszuweisen, kann der Forderung, Grundrechte der Person gegen die Einrichtungen des Staates als wirkliche Geltung auszuweisen, nicht gerecht werden, da für Hegel daseiende Rechte die Einheit individueller Selbstbestimmung und formaler Allgemeinheit zu erfüllen haben. Die Rechtsphilosophie hat exemplarische Gestalten dieser Einheit zu konstitutieren. Der Anspruch auf Versammlungs- und Pressefreiheit hat als berechtigte individuelle Zweckbestimmung, das Dasein der Person, die Anerkennung als rechtsfähiges Wesen zur Voraussetzung – Garant für die Erfüllung dieser Voraussetzung ist die Verfassung des Staates. Hier liegen für Hegel auch die Grenzen zukünftig sittlicher Rechtsgestalten. In den geltenden Normen mit Pflichtcharakter muss die individuelle Zweckbestimmung und formale Allgemeinheit zur Einheit kommen. Die klassischen Aufgaben der politischen Philosophie bearbeitet Hegel im dritten Abschnitt der Grundlinien, wenn die „Sittlichkeit“ exemplarische Gestalten des Zusammenlebens als Verwirklichung des Rechts und des Wohls der Bürger entwickelt. Die Begriffsbestimmung des Rechts, die Formulierung der Rechte von Person und Subjekt ist nicht losgelöst von daseienden Handlungsformen zu entwickeln. Die Wirklichkeit des Rechts kann nur exemplarisch im Rückgriff auf daseiende Gestalten rekonstruiert und konstituiert werden. Mit dieser Aufgabenstellung verpflichtet Hegel die praktische Philosophie auf die Konstruktion konkreter Lösungen. Dabei bleibt die praktische Philosophie der aristotelischen Frage nach dem guten Leben verbunden. Hegels Antwort weist allgemeingültige Bedingungen und Voraussetzungen auf, nicht ohne deutlich zu machen, dass die Beantwortung dieser Frage nicht allgemeingültig sein kann, sondern immer eine individuelle Lösung fordert.

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GW

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Briefe ⎯

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