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German Pages 457 Year 2016
Schriften zum Strafrecht Band 288
Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht
Von
Florian Jochen Späth
Duncker & Humblot · Berlin
FLORIAN JOCHEN SPÄTH
Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht
Schriften zum Strafrecht Band 288
Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht
Von
Florian Jochen Späth
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft, Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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Meiner Mutter, meinem Vater und Tini
Vorwort Vorliegende Arbeit wurde im Frühjahrstrimester 2015 an der Bucerius Law School, Hochschule für Rechtswissenschaft, Hamburg als Dissertation angenommen. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thomas Rönnau, bin ich im Hinblick auf die Auswahl des Themas, die vielfältigen Anregungen und die Durchsicht der Arbeit zum Dank verpflichtet. Herrn PD Dr. Florian Knauer danke ich für die offene Kommunikation im Zusammenhang mit der Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die mich bei der Erstellung der Arbeit mit Rat & Tat unterstützt haben – allen voran den vielen Korrekturlesern, ferner dem Bibliotheksteam der Law School und meiner Assistentin Simone Schmiegel für die Finalisierungsarbeiten. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg danke ich für die Unterstützung im Zusammenhang mit der Veröffentlichung. Frankfurt, im Oktober 2015
Florian Jochen Späth
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einführung
27
A. Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht als Gegenstand der Untersuchung . . 27 B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Teil Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit – Wirtschaftsstrafrecht, Rechtswidrigkeit und Rechtfertigung
32
A. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen und der Ausschluss strafrechtlichen Unrechts durch Erlaubnissätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Gemeinsame Strukturen von Erlaubnissätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Der Grobaufbau eines Rechtfertigungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Rechtfertigungsregeln mit „überschießender Innentendenz“? . . . . . . . . . . . . . 37 3. Systematische Erwägungen zu Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Erforderlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Mangelndes und überwiegendes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Numerus clausus der Rechtfertigungsgründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 5. Erlaubtes Risiko und Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Der Ausschluss strafrechtlichen Unrechts durch Rechtfertigungsgründe . . . . . . . 45 1. Rechtfertigung als eigene Wertungskategorie im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Unrechtsausschluss bei Vorliegen einer Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Teil Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht
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A. Die Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Einführung: Anwendungsbereich der Notwehrvorschriften im Wirtschaftsstrafrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
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Inhaltsverzeichnis II. Die Notwehr in der allgemeinen Rechtfertigungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Konzept und ratio des Notwehrrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Selbstschutzgedanke der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Rechtsbewährungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Notwehrfähige Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Gegenwärtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Notwehrhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) „Drittwirkung“ der Notwehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Institutionalisiertes Verfahren und Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Notwehr gegen Rechtsgüter einer juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Mögliche Angriffsrichtungen und Notwehrkonstellationen unter Beteiligung eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Angriff des Organs als eigener Angriff der juristischen Person? . . . . . . . . . . . 64 a) Handlungsfähigkeit als Voraussetzung einer Angriffshandlung . . . . . . . . . . 67 b) Juristische Person und Rechtsbewährungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Zurechenbarkeit von Angriffen eines Organs mit Wirkung auch für die juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Ergebnis zur Notwehr gegenüber Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IV. Notwehr im Abwehrboykott, der wettbewerbsrechtliche Abwehreinwand und „Notwehr zwischen Unternehmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Einführung in die Problemstellung: Rechtfertigungsgründe und nationales Kartellsanktionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Unsicherheiten für die Rechtfertigungslehre in diesem Bereich . . . . . . . . . 76 b) Die Konstellation des sog. Abwehrboykotts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Rechtfertigungsgründe im Abwehrboykott und die Absicht unbilliger Beeinträchtigung in § 21 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Auslegung der Unbilligkeit in § 21 Abs. 1 GWB – Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Unbilligkeit als Teil einer „überschießenden Innentendenz“ . . . . . . . . . 80 bb) Unbilligkeit als offene Abwägung aller Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Für die Unbilligkeit erforderliche Form des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Diskussion um die Vorsatzform im Bußgeldtatbestand . . . . . . . . . . 83 (2) Parallele zu den kupierten Erfolgsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Zwischenergebnis: Möglichkeit eines Rückgriffs auf Rechtfertigungsgründe in Fällen des Abwehrboykotts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Verhältnis der Notwehr (§ 15 OWiG) zum wettbewerbsrechtlichen Abwehreinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Dogmatik des Abwehreinwands im Kartellbußgeldrecht . . . . . . . . . . . 88
Inhaltsverzeichnis
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b) Verhältnis der kartellrechtlichen Abwehr zur Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Angriff im Abwehreinwand und in der Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Rechtswidrigkeit und Gegenwärtigkeit in Abwehr und Notwehr . . . . . 94 cc) Abwehrhandlung und Notwehrhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Eingriff in Rechtsgüter des Angreifenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Erwägungen zur Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Zwischenergebnis: Verhältnis zwischen Abwehr und Notwehr . . . . . . . . . . 99 4. Rechtfertigung des auffordernden Organs im Recht der Ordnungswidrigkeiten 101 5. Abwehreinwand und Unternehmensnotwehr de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . 102 V. Exkurs: Notwehr in einem europäischen Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Notwehr im europäischen Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Notwehrtatbestand in einem europäisierten Wirtschaftsstrafrecht? . . . . . . . . . 107 VI. Ergebnis: Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Der rechtfertigende Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Einführung: „Wirtschaftlicher Notstand“ und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) in der allgemeinen Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Notstandslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Kreis möglicher Erhaltungsgüter und wirtschaftliche Interessen . . . . . . . . . 113 b) Notstand zugunsten staatlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Sog. Jedermannsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Notstandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Möglichkeit eines Rückgriffs auf Notstandsregeln im Wirtschaftsstrafrecht . . . . 123 1. Einordnung der Problematik: Behördliches Verfahren und Notstand . . . . . . . . 123 2. Vorliegen einer rechtmäßigen Behördenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Vorliegen einer fehlerhaften Behördenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Verwaltungsentscheidung einholbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Zwischenergebnis: Möglichkeit einer Rechtfertigung nach Notstandsregeln im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Geldwerte Vermögensinteressen als notstandsfähige Rechtsgüter und Gegenstand der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Rechtfertigung im sog. „Geldnotstand“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Der sog. Konzertreise-Fall (BGHSt 12, 299 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Vorschriften mit Vermögensbezug als ein die Angemessenheit ausschließendes gesetzliches Verfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Vermögensverlust als von jedermann zu tragende Gefahr? . . . . . . . . . . 135
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Inhaltsverzeichnis cc) Fehlen der Notstandslage bei nach der Gattung bestimmbaren Eingriffsgütern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Mandantengelder-Fall (BGH NJW 1976, 680 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Anforderungen an die Abwägung im Geldnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Die Bedeutung der Notstandshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Ausschluss des Notstands durch eigenverantwortliches Herbeiführen der Rechtfertigungslage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Zwischenergebnis: Geldwertes Vermögen und Notstandsdogmatik . . . . . . . 144 d) Übertragbarkeit auf Gewinnerwartungen der Anteilseigner in Kapitalgesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Aktienrechtsakzessorische Bestimmung der Treupflicht und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Rechtfertigung gemäß den Gesichtspunkten zum Geldnotstand? . . . . . 147 2. Kollision tätereigener Vermögens- mit geldwerten Verbandsinteressen an Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Geldwerter Vermögenswert von Geheimhaltungsinteressen . . . . . . . . . . . . . 149 b) Abwägungsmaßstab bei Beeinträchtigung von Geheimhaltungsinteressen . 150 3. Zwischenergebnis: Geldnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 V. Unternehmensgefährdung und Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Ausschluss der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Rechtsnatur des Eingriffsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Anforderungen an ein vorrangiges gesetzliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Abwägung bei Unternehmensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) In der Unternehmensgefährdung betroffene Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die Bedeutung der Arbeitsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Weitere Aspekte der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Zwischenergebnis: Notstand und Unternehmensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . 162 VI. Exkurs: Grenzüberschreitende Bestechungen aus Deutschland heraus in ein korruptes Marktumfeld im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts und Bedeutung der Sozialadäquanz . . . 165 2. Rechtfertigung grenzüberschreitender Bestechungshandlungen gemäß § 34 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Widerspruch zwischen grenzüberschreitenden und im Ausland vorgenommenen Bestechungshandlungen sowie Erwägungen zu einer Tatbestandseinschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Möglichkeit des Rückgriffs auf § 34 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Mögliche Erhaltungsgüter und Eingriffsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Grad der drohenden Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Inhaltsverzeichnis
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dd) Größe der Rettungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 ee) Zusammenfassung zur Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Ergebnis zur Rechtfertigung von grenzüberschreitenden Bestechungen . . . . . 174 C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Die rechtfertigende Einwilligung im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Die rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Rechtssystematischer Standort von Einwilligung und Einverständnis . . . . . 178 b) Dispositionsbefugnis und Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Die mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Bedeutung der rechtfertigenden Einwilligung für unternehmensbezogene Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Verzicht der Anteilseigner auf strafbewehrte Verlustanzeige . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Bestimmung des Rechtsguts in §§ 84 GmbHG, 401 AktG . . . . . . . . . . 189 bb) Auswirkungen auf die Einwilligungsfähigkeit der Gesellschafter . . . . . 191 b) Anforderungen an die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Zwischenergebnis: Verzicht der Gesellschafter auf die strafbewehrte Verlustanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Einwilligung der Gläubiger in die Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Abgrenzung zum Tatbestandsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Einwilligungsfähigkeit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Exkurs: Einwilligung der vorhandenen Gesellschaftsgläubiger im Rahmen der §§ 283 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Zusammenfassung: Bedeutung der rechtfertigenden Einwilligung für unternehmensbezogene Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 IV. Entschleierte Schmiergeldzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Korkengeld-Entscheidung und Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Entschleierung als Fall der rechtfertigenden Einwilligung? . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Rechtsgutsbestimmung in § 299 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Das Allgemeininteresse „Wettbewerb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Geschützte Belange des Prinzipals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Einwilligung bei mehreren betroffenen Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Lösung bestehender Rechtsfragen über die Einwilligungsdogmatik . . . . . . 213 3. Ergebnis: Entschleierte Schmiergelder und Einwilligung des Geschäftsherrn . 215 V. Die mutmaßliche Einwilligung bei der Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. „Mutmaßliches Einverständnis“ und unvollständiger Treugeberwille . . . . . . . 216
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Inhaltsverzeichnis 2. Mutmaßliche Einwilligung bei Handeln wider zuvor erteilte Vorgaben . . . . . . 218 a) Handeln entgegen von Weisungen und mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . 218 b) Rechtfertigung des ausgleichsbereiten und leistungsfähigen Täters? . . . . . 219 3. Ergebnis: Mutmaßliche Einwilligung im Untreuestrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 221
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Einführende Überlegungen: Unzumutbarkeit und rechtfertigender Notstand, § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Rechtfertigende Pflichtenkollisionen im Wirtschaftsstrafrecht? . . . . . . . . . . . . . . 227 III. „Unzumutbarkeit“ normgemäßen Verhaltens und Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Fälle der sog. „Unzumutbarkeit“ im Rahmen der Vorverschuldenshaftung nach § 266a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Einführung: Unmöglichkeit der Leistung bei Fälligkeit und omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Rechtfertigung bei nach § 266a Abs. 1 StGB strafbarem Vorverhalten? . . . 233 aa) Vereitelung eingeleiteter Einzelzwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Arbeitsplätze und Existenzerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. „Unzumutbarkeit“ der Verlustanzeige für den Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . 239 3. Kleinbeteiligtenprivileg und „Unzumutbarkeit“ der Stellung eines Insolvenzantrags bei Führungslosigkeit (§ 15a Abs. 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Ergebnis: Rechtfertigungsgründe in Unterlassungsdelikten des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
4. Teil Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts mit Bezug zur Rechtfertigungslehre
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A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Allgemeine Rechtfertigung durch berufstypisches Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Kurzer Überblick über den Meinungsstand zu „neutralem“ Verhalten . . . . . . . 250 a) Leitlinien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Kurzüberblick über den Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Sonderrechtfertigungsgrund bei rechtmäßiger Berufsausübung? . . . . . . . . . . . 252 II. Verhältnis zu Sozialadäquanz und erlaubtem Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit Tätigkeiten der Rechtspflege und deren Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Rechtfertigung des Strafverteidigers beim Vorwurf der Geldwäsche? . . . . . . . 258 2. Rechtfertigung von sog. gate-keepers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 IV. Ergebnis: Berufsbedingtes Verhalten und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
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B. Verwaltungsakzessorietät, behördliche Erlaubnis und Rechtfertigung – insbesondere im Kapitalmarktstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Behördliche Genehmigung und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Grund für die rechtfertigende Wirkung: Mangelndes oder überwiegendes Interesse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Kriterien zur Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Unrechtsausschluss . . . 271 II. Die rechtfertigende Genehmigung im Kapitalmarktstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Rechtfertigende Wirkung von Genehmigungen und Ordnungswidrigkeiten im WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Rechtfertigende Genehmigung für ereignisbezogene Finanzprodukte? . . . . . . 277 a) Finanzinstrumente und die Auslegung von § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Rechtfertigende Wirkung einer behördlichen Erlaubnis? . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Rechtfertigende Genehmigung durch § 37e WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Weitere Einzelfälle im Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 III. Behördliche Duldung als Rechtfertigungsgrund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 IV. Ergebnis: Verwaltungsakzessorietät und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 C. Weisungen in Betrieben bzw. Unternehmen und Rechtfertigung des Angewiesenen bei drohendem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Rechtfertigende Wirkung von Weisungen in der Privatwirtschaft? . . . . . . . . . . . . 287 1. Rechtmäßige und rechtswidrige Weisungen im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Rechtswidrige Weisungen im Vertragskonzern als Sonderfall im Strafrecht? . 289 3. Zwischenergebnis: Privates Weisungsrecht und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . 291 II. Rechtfertigung bei Handlungen zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes? . . . . 292 1. Rechtfertigung durch Notwehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a) Notstandslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) Ausschluss der Angemessenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Erforderlichkeit und Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 d) Zwischenergebnis: Handlungen zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes . 296 III. Ergebnis: Private Weisungen und Handlungen zur „Rettung“des eigenen Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen mit Bezug zum Gesellschaftsrecht . . 297 I. Zugehörigkeit zum faktischen Konzern als Grundlage einer Rechtfertigung? . . . 299 1. Grundlagen der Untreuestrafbarkeit im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Konzerninteresse als Gesichtspunkt eines Unrechtsausschlusses bei fehlender Dispositionsbefugnis der Gesellschafter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Ausschluss des Nachteils durch Konzerninteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Rolle des Konzerninteresses im Unrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 aa) Keine Rechtfertigung aufgrund von Weisungen aus der Konzernspitze. 307 bb) Bestimmung der Rechtfertigungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
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Inhaltsverzeichnis cc) Rechtliche Präzisierung möglicher Erhaltungsgüter . . . . . . . . . . . . . . . 309 dd) Interessenabwägung und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Zusammenfassung: Konzerninteressen in der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . 313 II. Verschiedene Fälle gesellschaftsrechtlicher Pflichtenkollisionen mit Bezug zum Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 1. Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots zur Gefahrenabwendung von der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Strafrechtliche Produkthaftung und kapitalmarktrechtliche Pflichten . . . . . . . 318 a) Einführung in einen möglichen Pflichtenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Einfluss der Ad-hoc-Publizität auf die Kollisionslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Auflösung der Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Sonderzahlung an sog. „räuberische Kleinaktionäre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Strafrechtliche Risiken für den Vorstand in dieser Situation . . . . . . . . . . . . 322 b) Interessenkonflikt und Rechtfertigungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Erwägungen zu Interessenabwägung und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . 324 4. Doppelmandate im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Das Doppelmandat als Quelle von Pflichtenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Kurzüberblick über die Grundsätze zur Behandlung von Doppelmandaten im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Bestimmung des einschlägigen Kollisionsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 d) Möglichkeit einer Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 5. Zusammenfassung: Kollision von Gesellschafts- und Drittinteressen . . . . . . . 331
E. Pflichtenkonflikt zwischen arbeitsstraf- und gesellschaftsrechtlicher Haftung . . . . . . . 332 I. Entwicklung der Geschäftsleiterpflichten nach Eintritt der materiellen Insolvenz 333 1. Zeitliche Dimension der Frage und gesetzliche Grundlagen für die Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Die Lösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Genereller Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge und „Pflichtenkollision“ vor Eintritt der Insolvenzreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Auswirkungen der entgegenstehenden Massesicherungspflicht nach Eintritt der materiellen Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 c) Zusammenfassung: Die Lösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Möglichkeit und Ausgestaltung einer Rechtfertigungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Kollidierende Pflichten und Bedeutung der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Tatbestandsausschluss wegen rechtlicher Unmöglichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . 343 a) Rechtliche Unmöglichkeit im Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Anwendung auf das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG . . . . . . . . . . . . 345 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 3. Art der Pflichtenkollision und Bestimmung der Kollisionsregel . . . . . . . . . . . 346
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4. Ausgestaltung einer Lösung nach Notstandsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . 349 a) Rechtfertigender Notstand während des Laufs der Insolvenzantragspflicht, § 15a Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 aa) Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands und betroffene Eingriffs- bzw. Erhaltungsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 bb) Kein Ausschluss der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB . . . . . . . . . 351 cc) Maßstab für die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 dd) Übertragung des Abwägungsmaßstabs auf die vorliegende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Phase nach Ablauf der Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 aa) Bedeutung der betroffenen Erhaltungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 bb) Gewicht des durch § 266a Abs. 1 StGB geschützten Beitragsaufkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 III. Ergebnis zur Kollision zwischen § 266a Abs. 1 StGB und dem Gebot zur Masseerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 IV. Weitergehende Bedeutung der Rechtfertigungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld von unternehmerischer Compliance und Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 I. Rechtfertigungsgründe und unternehmerische Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 1. Grundlagen von unternehmerischer Compliance und Strafbarkeitsrisiken eines Compliance Officers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 2. Erweiterung des Rechts- bzw. Pflichtenkreises eines Compliance-Beauftragten durch „Notrechte“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Eskalationsrecht zugunsten des Compliance Officers . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Bedürfnis nach einem Eskalationsrecht in Ausnahmesituationen . . . . . 370 bb) Ausgestaltung einer „Rechtfertigungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Garantenpflicht in der Eskalationslage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Kollision der Compliance-Pflicht mit Vorgaben des Datenschutzrechts . . . . . . 376 a) Bedeutung der von Mitarbeitern geführten Kommunikation für effektive Corporate Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Genereller Ausschluss eines Rückgriffs auf die Kommunikation der Mitarbeiter zur Erfüllung der Compliance-Pflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 aa) Unangemessenheit einer unternehmensinternen Aufklärung aufgrund eines Vorrangs der §§ 100a ff. StPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 bb) Ausschluss einer Rechtfertigung wegen besonderen Schutzes des Fernmeldegeheimnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 II. Rechtfertigung strafrechtlicher Haftungsrisiken beim sog. Whistleblowing . . . . . 381 1. Strafrechtlicher Schutz eines Whistleblowers durch Rechtfertigungsgründe? . 382 a) § 34 StGB bei Kollision von Geheimnisschutz und Strafverfolgungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
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Inhaltsverzeichnis b) Strafverfolgungsinteresse und andere mögliche Erhaltungsgüter . . . . . . . . . 385 c) Erforderlichkeitsprüfung bei einer Anzeige außerhalb des Unternehmens . 387 d) Notstandsabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 e) Zwischenergebnis: Schutz eines Hinweisgebers durch Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 2. Rechtfertigung eines Hinweisgebers bei Übermittlung von Steuerdaten an den deutschen Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 a) Haftungsrisiken für einen ausländischen Bankangestellten nach deutschem Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 b) Rechtfertigung zugunsten des Hinweisgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 aa) Fehlende Angemessenheit der Notstandshandlung? . . . . . . . . . . . . . . . 394 bb) Voraussetzungen und Grenzen eines „Rechts zur Offenbarung“ . . . . . . 395 cc) Anforderungen an das subjektive Rechtfertigungselement . . . . . . . . . . 398 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 III. Ergebnis: Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit Compliance und Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
5. Teil Zusammenfassung der Ergebnisse und Konklusion
402
A. Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse zum Einsatz von Erlaubnissätzen im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 I. Zur Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 II. Zum rechtfertigenden Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 III. Zu rechtfertigender und mutmaßlicher Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 IV. Zum Unrechtsausschluss bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 V. Zur Rechtfertigung bei berufsbedingtem Verhalten und bei Handeln aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 VI. Zum Unrechtsausschluss aufgrund privater Weisungen und in Pflichtenkollisionen mit gesellschaftsrechtlichem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 VII. Zur Bedeutung von Erlaubnistatbeständen im Zusammenhang mit unternehmerischer Compliance bzw. Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 B. Resümee zu Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Beispielverzeichnis Beispiel 1 ..........................................................................................................................
53
Beispiel 2 ..........................................................................................................................
54
Beispiel 3 ..........................................................................................................................
54
Beispiel 4 ..........................................................................................................................
54
Beispiel 5 .......................................................................................................................... 111 Beispiel 6 .......................................................................................................................... 111 Beispiel 7 .......................................................................................................................... 111 Beispiel 8 .......................................................................................................................... 111 Beispiel 9 .......................................................................................................................... 111 Beispiel 10 .......................................................................................................................... 176 Beispiel 11 .......................................................................................................................... 177 Beispiel 12 .......................................................................................................................... 222 Beispiel 13 .......................................................................................................................... 222 Beispiel 14 .......................................................................................................................... 247 Beispiel 15 .......................................................................................................................... 247 Beispiel 16 .......................................................................................................................... 248 Beispiel 17 .......................................................................................................................... 268 Beispiel 18 .......................................................................................................................... 268 Beispiel 19 .......................................................................................................................... 286 Beispiel 20 .......................................................................................................................... 298 Beispiel 21 .......................................................................................................................... 298 Beispiel 22 .......................................................................................................................... 332 Beispiel 23 .......................................................................................................................... 363 Beispiel 24 .......................................................................................................................... 363 Beispiel 25 .......................................................................................................................... 363
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. AcP a.E. AEUV. a.F. AG AG AGB AktG Allg. Alt. AMG Anm. AnwBl AO ArbG ArbRA ArbSchG arg. e. ARSP Art. AT Aufl. AWG Az. BAG BankR BayOblG BB BBG Bd. BDSG Beck OK BeckRS BegrRegR Beschl. BeurkG BGB BGBl.
andere(r) Ansicht an anderem Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht/ Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingung(en) Aktiengesetz Allgemein(e) Alternative Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln Anmerkung Anwaltsblatt (Zeitschrift) Abgabenordnung Arbeitsgericht Redaktion Arbeitsrecht Aktuell Arbeitsschutzgesetz (Abkürzung) argumentum e(x) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift) Artikel Allgemeiner Teil Auflage Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Bankrecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebsberater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online Kommentar Beck-Rechtsprechung Begründung zum Regierungsentwurf Beschluss Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt
Abkürzungsverzeichnis BGH BGHSt BGHZ BImSchG BKA BKartA. BKR BMF BNotO BRAK BRAO BR-Drucks. BT BT-Drucks. BtMG BVerfG BVerfGE bzw. ca. Cass. crim. CCZ DB DCGK ders. d. h. dies. Diss. DJ DJT DM DNotZ DStR DVBl. DZWiR ebda. EG EGMR Einf. EStG etc. EuGH EWiR f., ff. FK FMFG Fn.
21
Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) Bundeskriminalamt Bundeskartellamt Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (Zeitschrift) Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksachen des deutschen Bundesrates Besonderer Teil Drucksachen des Deutschen Bundestages Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa Cour de cassation (Chambre criminelle) Corporate Compliance Zeitschrift (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe das heißt dieselbe(n) Dissertation Die Justiz (Zeitschrift) Deutscher Juristentag Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ebenda Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einkommenssteuergesetz et cetera Europäischer Gerichtshof Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) folgende Frankfurter Kommentar Finanzmarktförderungsgesetz Fußnote(n)
22 FS GA Gaz. pal. gem. GenG GenStA GewO GG ggf. GK GmbH GmbHR GoA GroßKomm GRUR GRUR-RR GRV GS GWB GWG Hdb. HGB h.M. HRRS Hrsg. i.A. i.E. i.H.v. InsO IntBestG
i.S.v. i.Ü. i.V.m. JA JR Js Jura JuS JW JZ K&R Kap. KapAEG KG
Abkürzungsverzeichnis Festschrift Goltdammers Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) Gazette du palais (Zeitschrift) gemäß Genossenschaftsgesetz Generalstaatsanwalt/-schaft Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Geschäftsführung ohne Auftrag Großkommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) GRUR-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (Zeitschrift) Herausgeber im Allgemeinen im Ergebnis/im Einzelnen in Höhe von Insolvenzordnung Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung) im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Ermittlungsverfahren (Staatsanwaltschaft) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Woche (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kammergericht
Abkürzungsverzeichnis KK KMG KommE krit. KritV KSchG KWKG LG LKRZ m.a.W. MDR m. E. MedR MMR Mot. MüKo m.w.N. n.F. NJ NJOZ NJW NJW-RR NK Nr. NStZ NStZ-RR NuR n.v. NVwZ NZA NZA-RR NZG NZI NZV NZWiSt o. ä. OGH OGHSt OLG OWiG Pharma Recht PR RdA RDG Reg.-Begr.
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Kölner Kommentar Österreichisches Kapitalmarktgesetz Entscheidung der Europäischen Kommission kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung (Zeitschrift) Kündigungsschutzgesetz Kriegswaffenkontrollgesetz Landgericht Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht mit anderen Worten Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) meines Erachtens Medizinrecht (Zeitschrift) Multimedia und Recht (Zeitschrift) Motive zum BGB Münchner Kommentar mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Online Zeitschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Nomos Kommentar Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) NStZ-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Natur und Recht (Zeitschrift) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht (Zeitschrift) oder ähnlich(es) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Pharma Recht (Zeitschrift) Public Relations Recht der Arbeit Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (Zeitschrift) Begründung der Bundesregierung
24 RegE. RG RGBl. RGSt RIW Rn. Rspr. RT-Drs. RTE S. SchwZStrafR Slg. st. StA StGB StPO StR str. StraFo StV s. u. TierSchG TKG u. a. unstr. u. U. UWG v. Var. VersR VGH vgl. vgl. o. VO vor VRS VwVfG WHG WissR wistra WM WpAIV WpDVerOV WpHG
Abkürzungsverzeichnis Entwurf der Bundesregierung Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Randnummer(n) Rechtsprechung Drucksachen des Reichstages Revue trimestrielle de droit européen Seite(n), Satz Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) Amtliche Sammlung von Entscheidungen auf europäischer Ebene siehe oben sog. sogenannte(r, s) ständig(e) Staatsanwalt/-schaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung (in) Strafsache(n) streitig Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) siehe unten Tierschutzgesetz Telekommunikationsgesetz unter anderem/ und andere unstreitig unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom Variante Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche vergleiche oben Verordnung Vorbemerkung Verkehrsrechtssammlung (Zeitschrift) Verwaltungsverfahrensgesetz Wasserhaushaltsgesetz Zeitschrift für Wissenschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung) Gesetz über den Wertpapierhandel
Abkürzungsverzeichnis WpÜG WpÜG-AngebotsVO WRP WuW WuW/E BGH WuW/E OLG z. B. ZD ZfW ZGR ZHR ZInsO ZIP ZIS zit. ZJS ZPO ZRG ZRP ZStW z. T. ZUM-RD zust. ZWeR
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Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Angebotsverordnung zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Wirtschaft und Wettbewerb – Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs Wirtschaft und Wettbewerb – Entscheidungssammlung der Oberlandesgerichte zum Beispiel Zeitschrift für Datenschutz (Zeitschrift) Zeitschrift für Wasserrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzpraxis Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das juristische Studium (Zeitschrift) Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeitschrift) zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst (Zeitschrift) zustimmend Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (Zeitschrift)
1. Teil
Einführung A. Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht als Gegenstand der Untersuchung „Im Wirtschaftsstrafrecht spielen die Rechtfertigungsgründe […] keine große Rolle.“1
Apodiktische Feststellungen dieser Art finden sich immer wieder in Abhandlungen zum Wirtschaftsstrafrecht.2 Auf den ersten Blick erscheint die zitierte Aussage einleuchtend. Denn weder Richter noch Staatsanwälte oder Strafverteidiger werden bei den klassischen Wirtschaftsdelikten zunächst an eine mögliche Rechtfertigung des Täters denken. Ist doch eine Notwehrverteidigung gegen einen Steuerbescheid oder eine Berufung auf den rechtfertigenden Notstand zur Mehrung des eigenen Vermögens regelmäßig abwegig. Gleichwohl haben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Wirtschaftsstrafrecht Erwägungen zu einem Unrechtsausschluss an verschiedenen Stellen eine Rolle gespielt.3 Einschlägige Urteilsfeststellungen betreffen ganz unterschiedliche Problemkreise und greifen zu deren Lösung nicht auf einen einheitlichen Rechtfertigungsgrund zurück. Daneben finden sich auch in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder Rückgriffe auf Erlaubnissätze, wenn die Strafwürdigkeit von „marktbezogenem“ Verhalten infrage gestellt wird.4 Die Widersprüchlichkeit dieses Befunds legt eine genauere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen einer Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht nahe. In der vorliegenden Arbeit soll deshalb die Unrechtseinschränkung durch Rechtfertigungsregeln für den besonderen Bereich der Wirtschaftskriminalität dargestellt und untersucht werden. Vor dem Hintergrund des volkswirtschaftlich empfindlichen Schadens, den Wirtschaftsdelinquenz anrichtet,5 und den gesellschaftspolitischen Implikationen 1
Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; ebenso Niemeyer, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 17 Rn. 23. 2 Vgl. auch Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 5 Rn. 12; § 7 Rn. 1; Rotsch, in: Momsen/ Grützner, WiStra, 1. Kap. B. Rn. 62; Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, XV Rn. 44. 3 Vgl. z. B. RGSt 30, 25, 27 f.; BGH bei Dallinger, MDR 1975, 722, 723; BGHSt 12, 299 ff.; 48, 307, 310. 4 Vgl. für eine erste Übersicht Tiedemann, AT, Rn. 187 ff. 5 Allein im Jahr 2012 gibt der vom Bundeskriminalamt veröffentlichte, am Katalog des § 74c GVG orientierte Bundeslagebericht zur Wirtschaftskriminalität (http://www.bka.de/nn_1
28
1. Teil: Einführung
einschlägiger Strafverfahren6 ist nachvollziehbar, dass das Wirtschaftsstrafrecht in den Fokus von Öffentlichkeit und Rechtspraxis gerückt ist. Gleichwohl wurde die Dogmatik des Allgemeinen Teils (§§ 1 – 78 StGB, Art. 1 EGStGB) für den Bereich der Wirtschaftsdelikte bislang noch nicht umfassend aufgearbeitet und angepasst.7 Anhand von einzelnen Fällen wird zwar immer wieder deutlich, dass die Strafrechtslehren des Allgemeinen Teils auch für Sachverhalte mit engem Bezug zum Wirtschaftsleben große Bedeutung entfalten. – Hier sei nur auf die Fragen nach der Unterlassungsstrafbarkeit eines Compliance Officers (§ 13 StGB)8 oder im Wirtschaftsstrafrecht auftretende Beteiligungsprobleme9 verwiesen. Darstellungen zu den Grundstrukturen der Verbrechenslehre für diesen sich rasch entwickelnden Teilbereich des Strafrechts („Allgemeiner Teil des Wirtschaftsstrafrechts“) bleiben gleichwohl selten. Die Auswirkungen von Wirtschaftsdelinquenz auf die Straftat und ihren Aufbau werden nur vereinzelt und anhand von bestimmten Fallgruppen hinterfragt. In besonderem Maße trifft dies auf die Rechtfertigungslehre zu. Im Hinblick auf Erlaubnissätze herrschende Unklarheiten im Wirtschaftsstrafrecht resultieren zum einen daraus, dass sich mögliche Anknüpfungspunkte für einen Unrechtsausschluss über den gesamten Bereich des wirtschaftsbezogenen Nebenstrafrechts erstrecken. Fragen der Rechtfertigung stellen sich zu Tatbeständen des AktG oder GmbHG, können aber auch mit dem Datenschutzrecht in Zusammenhang stehen.10 Diese Verteilung einzelner Themenstellungen über verschiedene Gesetze hinweg erschwert eine systematisierende Erfassung. Zum anderen werden aus den Besonderheiten bzw. dem eigenständigen Charakter von Wirtschaftsdelinquenz11 keine Rückschlüsse für die Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit12 gezogen. Jenseits von orientierungsstiftenden Leitentscheidungen steht die strafrechtliche Diskussion um eine mögliche Rechtfertigung von Wirtschaftsstraftätern regelmäßig noch am An-
93360/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Wirtschaftskriminalitaet, S. 4, zuletzt eingesehen am 30. 11. 2013) eine Gesamtschadenssumme von EUR 3,75 Mrd. an und geht dabei von einem großen Dunkelfeld aus. 6 Man denke nur an die „Gerechtigkeitsdebatte“, die im Zuge der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, ausgelöst wurde. Dazu etwa Der Spiegel Nr. 46/2008, S. 52 f. 7 Vgl. Hombrecher, JA 2012, 535; Tiedemann, AT, Rn. 97 f., der vor der unreflektierten Annahme eines Primats des Allgemeinen Teils über den Besonderen Teil warnt. 8 BGHSt 54, 44, 49 f.; vgl. dazu Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 ff.; s. u.: 4. Teil F.I. 9 Ausführlich Bottke, JuS 2002, 320 ff.; Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432 ff. 10 s. u.: 4. Teil F.I.2.a). 11 Möhrenschlager, NStZ 1981, 19 und passim, der den Zeitpunkt für die eigenständige Entwicklung des Rechtsgebiets auf ca. 1970 festsetzt. Vgl. jüngst auch Hassemer, wistra 2009, 169, 172. 12 Vgl. zur Wertungsstufe der Rechtwidrigkeit im allgemeinen Verbrechensbegriff schon RGSt 2, 376, 377; 61, 247 ff.; aus heutiger Sicht Fischer, Vor § 13 Rn. 43.
A. Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht
29
fang.13 Die erst beginnende Beschäftigung mit dem Unrechtsausschluss in diesem Bereich erstaunt, wenn man sich vor Augen führt, dass andere Kernbereiche des Wirtschaftsrechts einen Rückgriff auf die strafrechtliche Rechtfertigungslehre zur Lösung von Interessenkonflikten teilweise für unausweichlich halten.14 Ferner erscheint nicht schon von vornherein eindeutig, aus welchen Gründen dem Wirtschaftsstraftäter im Unterschied zum „gewöhnlichen“ Delinquenten eher die Rolle als Verteidiger, als Retter oder als Ermächtigter zu versagen wäre.15 Schließlich liegt es aus rechtstheoretischer Sicht nahe, sich damit auseinanderzusetzen, wie sich die Besonderheiten wirtschaftskriminellen Verhaltens auf die Wertungsebene Rechtswidrigkeit auswirken.16 Insofern sind die allgemeinen Lehren stets an den Voraussetzungen der einzelnen Regelungsgegenstände des Besonderen Teils zu messen und daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie angemessene Ergebnisse für jeden der einzelnen Bereiche zu liefern imstande sind. Auch in „umgekehrter Richtung“ sind Wechselwirkungen denkbar und zwar dergestalt, dass die allgemeine Dogmatik durch wirtschaftsgeprägte Sachverhalte bereichert und bestenfalls präzisiert werden kann.17 Der Rückgriff auf die klassische Rechtfertigungslehre oder gar das Bedürfnis nach eigenständigen, bereichsspezifischen Rechtfertigungsgründen im Bereich der Wirtschaftsdelikte bedarf daher einer kritischen Würdigung. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es vor diesem Hintergrund zunächst einmal, Fallgestaltungen und Themenkreise herauszuarbeiten, in denen die Wertungsebene der Rechtfertigung Bedeutung erlangt oder ein Unrechtsausschluss diskutiert wird. Zur Veranschaulichung wurden zu einschlägigen Sachverhaltskonstellationen, in denen eine Rechtfertigung möglich erscheint, jeweils Beispiele gebildet und der Untersuchung vorangestellt. Auf sie wird dann im Rahmen der Bearbeitung zurückgegriffen. Soweit sich entsprechende Bezüge ergeben, finden sich zum Teil auch Querverweise zu Beispielen aus jeweils anderen Teilen der Arbeit. Schon hier sei darauf hingewiesen, dass zwei Problemkreise, die mit einer Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht immer wieder in Verbindung gebracht werden, nicht schwerpunktmäßig behandelt werden können: Das gilt zunächst für das große Thema der Zustimmung von Gesellschaftern zu pflichtwidrigen Handlungen eines 13 Vgl. etwa zur Rechtfertigung einer Untreuehandlung jüngst LK12-Schünemann, § 266 Rn. 198 f.; zur künftigen Rolle einer hypothetischen Einwilligung Rönnau, StV 2011, 753, 755 f. 14 Vgl. etwa Fleischer, ZIP 2005, 141, 147; Lutter, in: 40 Jahre Der Betrieb, S. 193, 203; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 857 und passim. 15 Zu dieser „Kurzformel“ für eine Rechtfertigung Marwedel, ZStW 123 (2011), 548, 555. 16 Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, Rn. 139 fordern den Rechtsanwender dazu auf, den Weg von der besonderen Norm in den „Allgemeinen Teil“ zurückzugehen; vgl. auch Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 3 (1905), S. 196. 17 Tiedemann, AT, Rn. 95 ff. verweist etwa darauf, dass pars pro toto im Bereich des § 17 StGB („Rechtsirrtum“) und der Kausalitätslehre („Produkthaftung“) wesentliche Entwicklungen auf den wirtschaftsstrafrechtlichen Kontext zurückzuführen sind. Zu weiteren Besonderheiten eines „Allgemeinen Teils des Wirtschaftsstrafrechts“ Hombrecher, JA 2012, 535 ff.
30
1. Teil: Einführung
Leitungsorgans.18 Die zahlreichen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, waren bereits wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs19 und haben zu einer ausführlichen Diskussion in der wissenschaftlichen Literatur geführt.20 Diesem großen Themenkomplex mitsamt seiner zahlreichen Einzelfragen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in angemessener Art und Weise Rechnung getragen werden. Ähnlich verhält es sich mit behördlichen Genehmigungen, soweit diese einen Bezug zum Unrechtsausschluss aufweisen: Die Wirkung einer verwaltungsrechtlichen Erlaubnis im Strafrecht wird zwar in ihren Grundzügen dargestellt.21 Eine umfassende Aufarbeitung der Rechtsfigur, die stärker das Umwelt- als das Wirtschaftsstrafrecht betrifft,22 bedürfte aber wohl einer eigenen Monografie.23 Deswegen soll hier der Fokus nur auf solche Sachverhaltskonstellationen gelegt werden, die bislang weniger stark im Zentrum der Diskussion zur rechtfertigenden Wirkung einer behördlichen Erlaubnis standen.
B. Gang der Darstellung Der Untersuchung zu wirtschaftsstrafrechtlichen Fallgestaltungen, in denen eine Lösung über Rechtfertigungsgründe in Betracht kommt, sollen in einem 2. Teil Überlegungen zu Grundbegriffen der Arbeit vorangestellt werden. Dies betrifft zunächst die Wirtschaftskriminalität, da sie die für diese Arbeit einschlägigen Sachverhalte vorgibt und abgrenzt. Es schließen sich Erwägungen zur Deliktskategorie der Rechtswidrigkeit und zu den Charakteristika bzw. der Struktur einer Rechtfertigung an. Auf dieser Grundlage kann dann der Unrechtsausschluss im Wirtschaftsstrafrecht beleuchtet werden. Zu diesem Zweck bietet es sich an, zunächst in einem 3. Teil auf diejenigen Fragestellungen einzugehen, die in ihrer juristischen Aufarbeitung mit einem anerkannten Erlaubnissatz in Verbindung gebracht werden. M.a.W. werden zunächst Fallgruppen vorgestellt, die sich eindeutig einem bestimmten Rechtfertigungsgrund zuordnen lassen. Im 3. Teil der Arbeit werden deshalb Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts erläutert, die der Notwehr, dem rechtfertigenden Notstand, der rechtfertigenden Einwilligung oder einem 18 s. u.: 3. Teil C.III.; vgl. auch LK12-Schünemann, § 266 Rn. 242: „Das theoretisch komplizierteste und praktisch wichtigste Anwendungsfeld des gesamten Untreuetatbestands“. 19 Vgl. etwa BGHSt 30, 247, 248 f.; 34, 379, 384 ff.; 35, 333, 335 ff.; 54, 52 ff.; 55, 266 ff.; NStZ 2010, 632, 633 f. 20 Vgl. nur die Nachweise bei Fischer, § 266 Rn. 92 ff. 21 s. u.: 4. Teil B.I. 22 Vgl. Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 62 ff.; zur Abgrenzung des Wirtschaftsstrafrechts, s. u.: 2. Teil A. 23 Vgl. Fortun, Behördliche Genehmigung; Schröder, Personelle Reichweite; jüngst Schmitz, Interne Interessenkollisionen.
B. Gang der Darstellung
31
Unrechtsausschluss im Unterlassungsdelikt unterfallen. Ob und inwieweit eine Rechtfertigung tatsächlich angenommen werden kann, wird für den konkreten Kontext jeweils besonders zu untersuchen sein. Die Ausführungen zu den genannten Erlaubnissätzen werden mit einführenden Erläuterungen eingeleitet, welche die Voraussetzungen und Grenzen des jeweiligen Rechtfertigungsgrundes nach der allgemeinen Rechtfertigungslehre darstellen. Anhand von Beispielen aus dem Wirtschaftsstrafrecht sind anschließend die einschlägigen Problemkreise zu behandeln. Der 3. Teil der Arbeit deckt indes nicht sämtliche relevanten Kontexte ab, in denen ein Unrechtsausschluss im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelinquenz eine Rolle spielen kann. Insofern findet sich in diesem Bereich nämlich eine Vielzahl von Erwägungen und Andeutungen zu Erlaubnissätzen, die sich anerkannten Rechtfertigungstatbeständen zumeist nicht ohne weiteres eindeutig zuordnen lassen. Sie werden in einem 4. Teil zusammengefasst, welcher „weitere Fragen des Wirtschaftsstrafrechts mit Bezug zur Rechtfertigungslehre“ zum Gegenstand hat. In sechs verschiedenen Kategorien werden Einzelfragen von „berufsbedingtem Verhalten und Rechtswidrigkeit“ bis hin zu „Rechtfertigungsgründen im Umfeld von unternehmerischer Compliance und Whistleblowing“ untersucht. Der 5. Teil fasst schließlich die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen.
2. Teil
Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit – Wirtschaftsstrafrecht, Rechtswidrigkeit und Rechtfertigung Bevor die Untersuchung zu Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht beginnt, sollen in einem 2. Teil der vorliegenden Arbeit zunächst knapp die Begrifflichkeiten skizziert werden, die der sich anschließenden Untersuchung zugrunde liegen. Da der Gesetzgeber Wirtschaftsstraftaten im Gegensatz zu anderen Deliktsgruppen – wie etwa Straftaten gegen die persönliche Freiheit (18. Abschnitt des StGB) – nicht selbst abgegrenzt hat, ist einleitend zu umschreiben, wie der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“ hier verwendet wird [A.]. Anschließend sollen die Grundstruktur eines Rechtfertigungsgrundes und dessen Bezug zum Unrechtsurteil einer Straftat dargestellt werden [B.].
A. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts Wie bereits angedeutet, fehlt es an einer allgemein anerkannten Definition von Wirtschaftsstrafrecht bzw. – auf empirischer Ebene – von Wirtschaftskriminalität. Aus den gesetzlichen Grundlagen, die auf Wirtschaftsstraftaten Bezug nehmen, ist für den Begriff unmittelbar nichts abzuleiten: Das sog. Wirtschaftsstrafgesetz1 enthält einen Torso von elf Strafbestimmungen, bezieht sich nur auf Verstöße gegen Gesetze zur Wirtschaftslenkung aus der Nachkriegszeit und trägt historisch bedingt einen irreführenden Titel.2 Die Vorschrift des § 74c GVG, welche bestimmte Delikte der funktionellen Zuständigkeit von Wirtschaftsstrafkammern an Landgerichten zuweist, folgt ausschließlich praktischen Notwendigkeiten. Sie führt zu keiner Systematisierung bzw. erhebt nicht einmal den Anspruch, in materieller Hinsicht Charakteristika einer Wirtschaftsstraftat herauszuarbeiten.3 Auch § 30 Abs. 4 Nr. 5 b) AO lässt eine Annäherung an den Begriff des Wirtschaftsstrafrechts auf der 1 Wirtschaftsstrafgesetz 1954, Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts in der Fassung vom 03. 06. 1975, (BGBl. I S. 1313). 2 Zieschang, in: Achenbach/Ransiek, IV 1 Rn. 3; Müller-Gugenberger, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 1 Rn. 21; vgl. ferner Achenbach, in: FS Schwind, S. 177, 181; Bottke, wistra 1991, 1, 5 („WiStG trägt seinen Titel zu Unrecht“). 3 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 8 („für eine Definition unbrauchbar“); Achenbach, in: FS Schwind, S. 177, 178.
A. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts
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Grundlage des gesetzlichen Wortlauts nicht zu. Die Bestimmung erlaubt eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses, wenn „Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern.“ In der Regelung wird eine Wirtschaftsstraftat begrifflich also bereits vorausgesetzt und gerade nicht definiert. Das Fehlen eines gesetzlichen Anknüpfungspunktes hat dazu geführt, dass sich mehrere, weitestgehend vom Gesetz gelöste Ansätze herausgebildet haben, welche sich einer Begriffsbestimmung auf unterschiedliche Art und Weise nähern. Grundlegend ist zunächst der aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende Begriff des white-collar crime.4 Er umschreibt das „Phänomen“ der Wirtschaftsstraftat kriminologisch, d. h. als ein Delikt, welches von einem Angehörigen einer gehobenen sozialen Schicht oder von einem in einer bestimmten Berufsgruppe Tätigen5 begangen wird.6 Ebenfalls in der Kriminologie verwurzelt ist der Versuch, die täterbezogene These dahingehend weiterzuentwickeln, dass die Wirtschaftsstraftat durch den Bruch des im Wirtschaftsleben erforderlichen Vertrauens gekennzeichnet wird.7 Dabei ist Vertrauen nach bestrittener Auffassung in einem abstrakten Sinne, d. h. als Systemvertrauen, zu verstehen, welches für das Funktionieren einer freiheitlichen Marktordnung unerlässlich sein soll.8 Die kollektive Schutzrichtung zahlreicher Delikte (z. B. aus dem AktG, AWG, WpHG oder auch der AO), die im Ergebnis weitestgehend unstreitig zum Wirtschaftsstrafrecht gezählt werden, hat Vertreter einer an materiellen Kriterien ausgerichteten Abgrenzung dazu veranlasst, als Kennzeichen der Wirtschaftsstraftat 4 Ursprünglich eingeführt von Sutherland, White collar crime, S. 9, 217 und passim; vgl. dazu auch Heinz, ZStW 96 (1984), 417, 421. 5 Sog. occupational crime, vgl. Clinard/Quinney, Criminal Behavior Systems, Chapter 7, S. 130 ff.; ferner auch Tiedemann, AT, 1. Aufl., S. 48 f. m.w.N. Zum sog. corporate crime: Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 6 f.; Richter, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 7 Rn. 4. Zur damit zum Teil einhergehenden altruistischen Motivation des Täters, nicht für sich selbst, sondern für „sein“ Unternehmen zu handeln: Samson/Langrock, DB 2007, 1684, 1685 f. 6 Zur Kritik an dem Begriff pars pro toto: Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 19 Rn. 9 m.w.N.; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 7; Tiedemann, AT, Rn. 44. vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, 10. Aufl., § 3 Rn. 103 ff. 7 Z. B. Zirpins/Terstegen, Wirtschaftskriminalität, S. 18, 32 ff.; Otto, ZStW 96 (1984), 339, 343. 8 Zum Ganzen Tiedemann, AT, Rn. 43 m.w.N.; ferner Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 9; Hefendehl, JZ 2004, 18, 21; ders., GA 2007, 1, 10; vgl. aber auch Otto, BT, § 60 Rn. 2 a.E. („Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung oder einzelne Institute“); Volk, JZ 1982, 85, 86: „Dieses abstrakte Systemvertrauen ist letztlich aber nichts anderes als das Vertrauen in die Geltungskraft […] des Rechts“.
34
2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
überwiegend das Schutzgut der Gesamtwirtschaft bzw. ihrer funktionell wichtigen Einrichtungen zu begreifen.9 Solche wirtschaftsbezogenen Delikte mit überindividueller Angriffsrichtung werden terminologisch teilweise zum Wirtschaftsstrafrecht im engeren Sinne zusammengefasst.10 In dieser Weise verstanden ist Wirtschaftsdelinquenz in einem freiheitlich geprägten Wirtschaftssystem dann schlagwortartig zugleich „Kriminalität gegen den Markt“.11 Über diesen safe harbor der Kollektivinteressen schützenden Vorschriften hinaus kann eine Straftat ferner dann ein Wirtschaftsdelikt darstellen, wenn sie einen Vermögensbezug12 aufweist und für sie eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die konkrete Art der Begehung ihr eine besondere wirtschaftliche Tragweite verleiht.13 In der Literatur findet sich zur Ausfüllung dieses Kriteriums eine Sammlung an Indizien. – Genannt werden die verursachte Schadenshöhe,14 der Missbrauch von Instrumenten des Wirtschaftsverkehrs (wie z. B. Buchführung, Bilanzen oder Buchgeldverkehr)15, die von der Tat ausgehende Sog- und Spiralwirkung für andere Wirtschaftssubjekte16 sowie eine sonstige wirtschaftsbezogene Phänomenologie.17 Für die vorliegende Arbeit soll dieses zuletzt genannte, weite Verständnis, demgemäß eine Wirtschaftsstraftat nicht notwendigerweise ein überindividuelles Schutzgut verletzen oder eine bestimmte kriminologische Prägung aufweisen muss, maßgeblich sein. Ferner wird die Bedeutung von Erlaubnissätzen auch im Rahmen von Bußgeldtatbeständen untersucht, soweit diese den aufgeführten Kriterien ent9 So ursprünglich schon Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 18 f.: „Straftat als Angriff auf die Gesamtwirtschaft“; vgl. weiter pars pro toto Tiedemann, AT, Rn. 45; ders., JuS 1989, 689, 691; Heinz, in: Gropp, Wirtschaftskriminalität, S. 13, 20; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 28 ff.; NK-Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 32. 10 Vgl. für die Vielzahl dergestalt differenzierender Stimmen nur Gössel/Dölling, BT I, § 54 Rn. 1; Otto, BT, § 60 Rn. 4; Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 19 Rn. 12 m.w.N. 11 So die griffige Formulierung von Bottke, JuS 2002, 320, 321; zur strafrechtlichen Schutzbedürftigkeit des Wettbewerbs auch Dannecker, in: FS Tiedemann, S. 789, 800 ff.; Biermann, ZWeR 2007, 1, 27 ff. 12 Vgl. zur Bedeutung des Vermögensbezugs für ein Wirtschaftsdelikt Otto, BT, § 60 Rn. 4; Rönnau, ZStW 119 (2007), 887, 898. 13 So lassen sich Delikte wie die §§ 263, 266, 283 ff. StGB dem Wirtschaftsstrafrecht zuordnen. Vgl. zu den §§ 263, 266 StGB als Wirtschaftsdelikte Lampe, in: Hdb. Wirtschaftswissenschaften, Bd. 9, S. 310; Rönnau, ZStW 119 (2007), 887, 901 f.; Mitsch, BT II/1, § 7 Rn. 2 (§ 263 StGB als „praktisch außerordentlich wichtige Wirtschaftsstraftat“); zur betrugsrelevanten Täuschung gegenüber Rating-Agenturen auch Rönnau, in: Finanzkrise, S. 43 ff. 14 Zur Bedeutung dieser quantitativen Komponente Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, BT, § 19 Rn. 15; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 2 Rn. 16 ff. Vgl. auch Beispiel 25. 15 Tiedemann, AT, Rn. 46; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 11. 16 Dazu Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 17 m.w.N. 17 Zur Einbeziehung der Computerkriminalität Achenbach, in: FS Schwind, S. 177, 188. Man denke auch an die Bedeutung gesellschaftsrechtlicher Angaben oder eines Insolvenzantrags für die Strafbarkeit eines Wirtschaftsstraftäters.
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
35
sprechen. Deren Einbeziehung rechtfertigt sich schon aufgrund des Umstands, dass in vielen Wirtschaftsdelikten kaum sinnvoll zwischen nachdrücklicher Pflichtenmahnung und ethischem Schuldvorwurf zu differenzieren ist.18
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen und der Ausschluss strafrechtlichen Unrechts durch Erlaubnissätze Der Gegenstand der Arbeit „Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht“ legt weiter nahe, die Grundstrukturen eines Erlaubnissatzes vorab einführend darzustellen. Im Folgenden sollen deswegen allgemeine Prinzipien beleuchtet werden, die alle Rechtfertigungsgründe gleichermaßen prägen und daher für sämtliche im 3. und 4. Teil der Arbeit behandelten Problemkreise relevant sind [I.]. Anschließend wird in Grundzügen erläutert, wie sich das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes auf das Unrechtsurteil einer Straftat auswirkt [II.].
I. Gemeinsame Strukturen von Erlaubnissätzen Von großer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist, ob und inwieweit den anerkannten Rechtfertigungsgründen verallgemeinerungsfähige Strukturprinzipien zugrunde liegen.19 Insbesondere für die im 4. Teil behandelten Problemkreise des Wirtschaftsstrafrechts, die einen Bezug zur Rechtfertigungslehre aufweisen, sich aber nicht ohne weiteres einem bestimmten Erlaubnissatz zuweisen lassen, erscheint ein Rückgriff auf solche Grundsätze der Rechtfertigung20 wertvoll. Sie werden etwa in der Betrachtung zu den Beispielen 14 – 16 und 19 relevant, wenn die Schaffung neuer Unrechtsausschließungsgründe in besonderen Fallgestaltungen des Wirtschaftsstrafrechts erwogen wird. Soweit ein postulierter Erlaubnissatz nämlich nicht den verallgemeinerungsfähigen Prinzipien der Rechtfertigungslehre entspricht, kann das durchaus als Indiz dafür gewertet werden, dass eine Lösung der Problemstellung auf der Deliktsstufe Rechtswidrigkeit im Ergebnis nicht trägt. Zunächst führen Erwägungen zu Voraussetzungen und Schranken eines Rechtfertigungsgrundes in dessen prüfungstechnische Grundstruktur ein [1.]. Eng mit dem 18 Vgl. dazu etwa K. Schmidt, wistra 1990, 131, 138, („Verwaltungszwang durch Bestrafung“, „Zwittergebilde zwischen Straf- und Verwaltungsrecht“), der in seiner Begrifflichkeit auf Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 573 f. rekurriert. Vgl. zum Ganzen auch BVerfGE 45, 272, 290 ff.; ferner Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1853; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 1 Rn. 13. 19 Vgl. relativierend zu diesen Fragen aber auch Kühl, AT, § 6 Rn. 10; Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 16 Rn. 50. 20 Zum Ganzen einführend statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 79 f. m.w.N.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
Aufbau einer Rechtfertigungsregel verwoben ist die Frage, inwieweit ein Unrechtsausschluss in subjektiver Hinsicht mehr voraussetzen kann als die Rechtfertigungslage objektiv erfordert (sog. Rechtfertigungsgründe „mit überschießender Innentendenz“) [2.]. Anschließend sollen die Bedeutung des Prinzips von überwiegendem bzw. mangelndem Interesse sowie des Erforderlichkeitsgrundsatzes für einen Erlaubnissatz geprüft werden [3.]. Vor diesem Hintergrund wird dann zu erörtern sein, ob Rechtfertigungsgründe ihrer Anzahl und Ausgestaltung nach klar bestimmbar sind, mithin ein numerus clausus existiert [4.]. Zum Abschluss dieser strukturbezogenen Überlegungen geht es um die Auswirkung der topoi „Sozialadäquanz“ und „erlaubtes Risiko“ auf die Unrechtsausschließungsgründe [5.]. 1. Der Grobaufbau eines Rechtfertigungsgrundes Was den Geltungsbereich von Rechtfertigungsgründen anbelangt, ist im Ausgangspunkt unbestritten, dass Unrechtsausschließungsgründe gleichermaßen vorsätzlich wie fahrlässig verwirklichtes Tatbestandsunrecht rechtfertigen können.21 Auch wird heute nahezu einhellig eine gewisse Grobstruktur für alle Erlaubnissätze anerkannt: Parallel zum gesetzlichen Tatbestand lassen sie sich in eine objektive und eine subjektive Seite untergliedern.22 Dies entspricht dem vorherrschenden Erklärungsmodell, wonach die objektiven Umstände des Unrechtsausschließungsgrundes den tatbestandlichen Erfolgsunwert kompensieren, während es zur Aufhebung des Handlungsunwerts des Vorliegens eines subjektiven Moments bedarf (sog. Kompensationsmodell).23 Es bietet sich weiter an, die objektiven Umstände in Rechtfertigungslage (Voraussetzungen für einen rechtfertigenden Eingriff zulasten des Rechtsgutsobjekts eines Straftatbestands) und Rechtfertigungshandlung (Achtung der vom jeweiligen Rechtfertigungsgrund gesetzten Eingriffsgrenzen) zu unterteilen. Weit auseinander gehen die Ansichten dagegen im Hinblick auf die Anforderungen, welche an das subjektive Rechtfertigungselement bei Vorsatztaten zu stellen sind. Dabei muss für die kognitive Seite berücksichtigt werden, dass eine Rechtfertigung den Eingriff in fremde Rechtsgüter ermöglicht und vom Täter, dessen Rechtskreis ja erweitert wird, deswegen erwartet werden kann, dass er sicher um das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen weiß (dolus directus 2. Grades).24 In 21
RG JW 1925, 962; BGHSt 25, 229 ff.; 35, 270, 279 ff.; Frisch, in: FS Lackner, S. 113, 129 ff. und passim; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 81 m.w.N. 22 Siehe nur Kühl, AT, § 6 Rn. 11 ff. und ausführlich Rath, Subjektives Rechtfertigungselement, S. 93, 123 f., 580 und passim. 23 Dazu pars pro toto LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 82 m.w.N.; ausführlich Röttger, Unrechtsbegründung, S. 15 ff., 186 ff.; vgl. auch Hohn, JuS 2008, 494 f.; kritisch zum „Saldierungsmodell“ Puppe, in: FS Stree/Wessels, S. 183 ff. 24 Str., BGH JZ 1978, 762 f. (für dolus eventualis dagegen BGH VRS 1971, 104, 107); SKRudolphi/Stein, § 16 Rn. 13; Roxin, AT I, § 14 Rn. 91; Rönnau, JuS 2009, 594, 596; LK12-ders., Vor § 32 Rn. 84, 87 weist überzeugend darauf hin, dass durch die Anforderungen an das subjektive Rechtfertigungselement eine Risikozuweisung erfolgt. Weiter ist mit der Voraus-
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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Ansehung des voluntativen Moments innerhalb des subjektiven Rechtfertigungselements hat die Rechtsprechung insbesondere im Kontext der Notwehr immer wieder gefordert, der Täter müsse „zum Zwecke der Rechtfertigung“ gehandelt haben und dieses Motiv dürfe zumindest nicht gänzlich in den Hintergrund gedrängt worden sein.25 Mit Recht stellt sich die inzwischen vorherrschende Lehre dem Erfordernis einer solchen, wenig konturierten Absicht entgegen.26 Wer in Kenntnis der objektiv vorliegenden Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes handelt, kann nicht schon aufgrund seiner tadelnswerten inneren Einstellung bestraft werden, will man sich nicht in gefährliche Nähe zu einem in jeder Hinsicht unhaltbaren Gesinnungsstrafrecht begeben.27 2. Rechtfertigungsregeln mit „überschießender Innentendenz“? Der Rechtfertigungsdogmatik fremd und für das Wirtschaftsstrafrecht gleichwohl bedeutsam sind weiter Erlaubnissätze mit eigenen „Absichtsmerkmalen“. Besondere subjektive Anforderungen wären dazu geeignet, Rechtfertigungsgründe, welche ihrer Funktion nach den tatbestandlich verwirklichten Handlungs- und Erfolgsunwert wieder aufheben sollen, in eine völlig tatbestandsgelöste Struktur mit „überschießender Innentendenz“ zu verwandeln.28 Ein subjektiv über die Rechtfertigungslage hinausgehendes Erfordernis wird von der wohl überwiegenden Auffassung, welche entsprechenden Absichtsmerkmalen durchaus gewogen gegenübersteht, im Rahmen von sog. „unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen“ für notwendig gehalten.29 Diese sollen dadurch gekennzeichnet sein, dass der unrechtsausschließende Zweck des Erlaubnissatzes nicht bereits durch die Handlung wider den strafrechtlichen Deliktstatbestand selbst erreicht werden kann. Erst eine zeitlich nachgelagerte Handlung müsste für eine Rechtfertigung legitimierend hinzutreten. Dieser Umstand soll in einem Erlaubnissatz abgebildet werden, indem man eine besondere Absicht verlangt, welche den guten Willen des Täters schon im Tatzeitpunkt zutage treten lässt. Nur wenn der Täter die ihm später abverlangten Verhaltensweisen schon bei der Tat tatsächlich ausführen will, soll das Unrecht setzung des Direktvorsatzes noch nichts über die zugrunde zu legende Perspektive (ex post vs. ex ante) bzw. das Risiko einer fehlerhaften Prognose ausgesagt. Insofern sind die Besonderheiten der jeweiligen Rechtfertigungsregel maßgeblich. A.A. (für dolus eventualis) etwa Frisch, in: FS Lackner, S. 113, 134. 25 BGHSt 2, 111, 114 ff.; 5, 245, 247 f.; NStZ 1996, 29, 30; NStZ 2005, 332, 334. 26 NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 146; SK-Günther, § 32 Rn. 26; S/S-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 63; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 7; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 266 f. m.w.N. 27 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 201; Roxin, AT I, § 14 Rn. 99; Kühl, Jura 1993, 233, 234. Vgl. dazu auch unten: Beispiel 25. 28 Str., wie hier Frisch, in: FS Lackner, S. 113, 145 ff.; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 96; Herzberg, JA 1986, 190, 199 f.; Jakobs, AT, 11/21; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 83, 97 („Bruch innerhalb der Gesamtkonzeption“); ähnlich auch Roxin, AT I, § 14 Rn. 103. 29 Ausführlich S/S-Lenckner, 18. Aufl., Vor § 32 Rn. 16; Lampe, GA 1978, 7 ff.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
ausgeschlossen sein. Bei Fehlen dieser Innentendenz wird dann wegen des vollendeten Delikts und nicht nur wegen Versuchs bestraft.30 Als Hauptanwendungsfall31 dieser besonderen Gattung von Unrechtsausschlussgründen wird § 127 Abs. 1 StPO allein in seiner Ausgestaltung als Jedermannsrecht genannt.32 Teilweise33 wird vertreten, bei Vorliegen einer solchen Rechtfertigungslage müsse ein Unrechtsausschluss verwehrt bleiben, wenn der Täter nicht die Absicht habe, den Festgenommenen später der Strafverfolgung zuzuführen. Eine entsprechende Sichtweise denkt ergebnisbezogen und wirkt künstlich. Es bedarf ihrer auch nicht, um dem als Privatmann Festnehmenden die Rechtfertigung zuzugestehen: Denn wer beabsichtigt und gleichwohl nur für möglich oder gar sicher hält, dass der Festgenommene später in polizeilichen Gewahrsam übergeben wird, hat eine Rechtfertigung nicht eher verdient als derjenige, der ohne eine solche Absicht (dolus directus 1. Grades) handelt und gleichwohl sicher mit einer Übergabe rechnet.34 Der Kaufhausdetektiv, der seinen Erzfeind bei einem Diebstahl erblickt, kann diesen sofern erforderlich mit Gewalt am Verlassen des Kaufhauses hindern, auch wenn es ihm ausschließlich darauf ankommt, dem Rivalen gegenüber seine Machtposition zu demonstrieren.35 Wie weitgehend dieses Erfordernis einer „überschießenden Innentendenz“ mit den anerkannten Erlaubnissätzen in Konflikt gerät, wird deutlich, wenn eine Übertragung des zu § 127 StPO entwickelten Gedankens auf den rechtfertigenden Notstand gefordert wird:36 Auch wenn der betrunkene Arzt in einer Notfallsituation trotz Fahruntüchtigkeit zur Lebensrettung eines Patienten ins Auto steigt, erscheint ein Rückgriff auf die Absicht hinsichtlich einer späteren Rettungshandlung nicht weiterführend.37 Ein bloßes „Für-möglichHalten“ der Rettung kann für eine Rechtfertigung von einer Tat gemäß § 316 StGB ausreichen. Wenn der Arzt eine Feier für seinen gefährdeten Patienten nur sehr 30
Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 65; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 89 m.w.N. Inwieweit die von Lampe, GA 1978, 7, 10 f. angeführten §§ 102 f. StPO, 53 UrhG der zuvor selbst (mit-)kreierten Struktur entsprechen, ist nicht offensichtlich. 32 Ausführlich zum Ganzen S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 16 m.w.N. Schon der Umstand, dass die verschärften subjektiven Anforderungen nicht für den gesamten personalen Anwendungsbereich des § 127 Abs. 1 StPO gelten sollen, macht deutlich, wie sehr hier vom Ergebnis her gedacht wird. Schließlich können auch Vollzugsbeamten der Polizei sich auf § 127 Abs. 1 StPO berufen, vgl. Schultheis, in: KK OWiG, § 127 Rn. 22 m.w.N. Das Problem weist Bezüge zur Beurteilungsperspektive bzw. zu den Schlagworten des „erlaubten Risikos“ bzw. der „Handlungsbefugnis“ auf, die hier nicht vertieft werden können. Vgl. insofern nur NKPaeffgen, Vor § 32 Rn. 82 f. 33 S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 16; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 150; Walter, Kern des Strafrechts, S. 100; i.E. auch LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 89 m.w.N. 34 Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 96. 35 Vgl. auch Roxin, AT I, § 14 Rn. 103; Jakobs, AT, 11/21. 36 So etwa Lampe, GA 1978, 7, 10 f.; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 64; kritisch Rath, Subjektives Rechtfertigungselement, S. 231 ff.; Herzberg, JA 1986, 190, 198 ff.; vgl. auch LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 52, 56. 37 Beispiel bei S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 16; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 89 Fn. 351. 31
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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ungern verlässt, mag aufgrund seines Gemütszustands die Geeignetheit der Rettungshandlung ausgeschlossen sein oder die Interessenabwägung zu seinem Nachteil ausfallen. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist auf Erhaltungsseite dann die Höhe der Rettungschancen zu berücksichtigen,38 die in Fällen nachgelagerten Geschehens auch Fähigkeiten und Motive des Rettenden berücksichtigen müssen. Nach hier vertretener Sichtweise können einschlägige Fragestellungen also bereits geklärt werden, indem man objektiv den zeitlichen Bezug der jeweiligen Phase genau würdigt und die rechtfertigende Wirkung entfallen lässt, wenn eine Interessenabwägung zulasten des Täters ausfällt.39 3. Systematische Erwägungen zu Rechtfertigungsgründen Der formale Aufbau eines Erlaubnissatzes lässt sich nach den obigen Ausführungen in Rechtfertigungslage und -handlung sowie subjektives Rechtfertigungselement einteilen. Damit ist gleichwohl noch nichts darüber ausgesagt, ob auch in materieller Hinsicht Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Unrechtsausschlussgründen bestehen. Mithilfe solcher Strukturprinzipien ist immer wieder versucht worden, Leitlinien für das Erkennen und Formulieren neuer Rechtfertigungsgründe aufzuzeigen.40 Die Kennzeichen, die in der Literatur hinsichtlich eines Unrechtsausschlusses für maßgeblich gehalten worden sind, reichen von dem Grundsatz „Mehr-Nutzen-als-Schaden“41 bis hin zur „sozial richtigen Regulierung von kollidierenden Interessen“.42 Die Vielzahl der Ansätze, welche eine Kategorisierung der Unrechtsauschlusstatbestände zum Gegenstand haben, kann hier nicht behandelt werden. Auf zwei besonders bedeutsame Gesichtspunkte ist gleichwohl im Folgenden einzugehen, da ihnen in Ansehung des 4. Teils besondere Bedeutung für die vorliegende Arbeit zukommt. Wenn nämlich ein postulierter Rechtfertigungsgrund weder eng mit dem Erforderlichkeitsprinzip [a)] verknüpft ist, noch aber sich dem Prinzip des überwiegenden bzw. mangelnden Interesses zuordnen lässt [b)], bestehen erste Anhaltspunkte gegen die Tragfähigkeit einer „Rechtfertigungslösung“. a) Erforderlichkeitsprinzip Aufschlussreich für die Systematik der Rechtfertigungsgründe ist zunächst der Grundsatz der Erforderlichkeit. Nach dessen Inhalt darf dem Täter ein weniger einschneidendes Mittel zur Beseitigung der Rechtfertigungslage nicht zur Verfügung
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Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 130; NK-Neumann, § 34 Rn. 80 m.w.N. Ausführlich zu einer solchen Lösung Frisch, in: FS Lackner, S. 113, 147 f. Statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 79. Sauer, Strafrechtslehre, § 13 I 3; zum Ganzen auch NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 44c. Roxin, AT I, § 14 Rn. 41; vgl. ferner Lenckner, GA 1985, 295 ff.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
stehen.43 M.a.W. ist es dem Täter untersagt, die im Tatbestand geschützten Rechtsgüter stärker zu belasten, als dies widerstreitende Gesichtspunkte auf Unrechtsebene erfordern. Dieser Grundsatz gilt ersichtlich für jene Rechtfertigungstatbestände, die – wie §§ 32, 34 StGB, 127 Abs. 1, Abs. 2 StPO, 227, 228, 229, 859, 904 BGB – ihrer Konzeption nach gegenläufige Interessen unterschiedlicher Rechtsgutsträger zum Ausgleich bringen sollen.44 Inwieweit dieses allgemeine Erfordernis45 auch auf die rechtfertigende Einwilligung erstreckt werden kann,46 muss hier nicht abschließend entschieden werden. Ob der Nachbar eines verreisten Hundeeigentümers, welcher einer Tötung seines kranken Tieres über das Telefon zustimmt, sich seiner Schrotflinte bedienen darf, anstatt den Hund einzuschläfern („milderes Mittel“), erscheint auch ohne Berücksichtigung von Fragen des Tierschutzes zumindest nicht offensichtlich. Jedenfalls für eine Vielzahl von Rechtfertigungsgründen stellt die Suche nach dem relativ mildesten Mittel ein prägendes Strukturprinzip dar. Erforderlich muss eine Rechtfertigungshandlung im Grundsatz unabhängig davon sein, wer den Anlass für einen Eingriff in eine fremde Rechtsgutssphäre gesetzt hat und welche zusätzlichen Eingriffsvoraussetzungen bestehen. Geht es wie bei § 34 StGB um ein wesentliches Überwiegen des Erhaltungsguts, weil die passive Mindestsolidarität47 eines an sich an der Tat unbeteiligten Dritten in Anspruch genommen wird, versteht sich dies von selbst. Doch auch wenn dem Rechtsgutsträger wie bei der Notwehr der Anlass der Rechtfertigungshandlung selbst zurechenbar ist,48 gilt dieser Grundsatz fort.49 Die §§ 33, 35 StGB lassen demgegenüber den Schluss zu, dass strafrechtliches Unrecht bestehen bleibt, wenn der Täter diese Grenze überschreitet. Verfassungsrechtlich kann der Erforderlichkeitsgrundsatz auch als Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht verstanden werden, nach welcher alle unter Art. 2 Abs. 1 GG fallenden Rechtspositionen weitestgehend geschont werden müssen. Insofern schränkt der Erforderlichkeitsgrundsatz den Täter hinsichtlich tatsächlich bestehender Handlungsalternativen ein und wirkt als „Ordnungsprinzip“ bzw. „Werturteil“ im Rahmen des Unrechtsausschlusses.50 Das Erforderlichkeits-
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Siehe nur BGHSt 2, 242, 244 f.; Fischer, § 34 Rn. 9 m.w.N. Vgl. Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 58 ff. 45 Zum Minimierungsprinzip als Strukturelement der Rechtfertigung Roxin, AT I, § 10 Rn. 21; Rudolphi, in: GS Arm. Kaufmann, S. 371, 389; Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 253 f.; vgl. auch Rönnau, Willensmängel, S. 145 m.w.N.; a.A. Renzikowski, Notstand, S. 174. 46 Bejahend wohl Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 254; ausführlich und i.E. ablehnend Rönnau, Willensmängel, S. 146 f. 47 Siehe nur Fischer, § 34 Rn. 2; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 8. 48 Zum Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Zurechnung jüngst Kretschmer, NStZ 2012, 177, 178 f. 49 Ausführlich S/S-Perron, § 32 Rn. 34 ff. 50 Begriffe nach Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 253. 44
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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prinzip kann insofern durchaus als allgemeines Erfordernis der Rechtfertigungslehre verstanden werden.51 b) Mangelndes und überwiegendes Interesse Die h.M. verfolgt bzgl. der Systematik von Erlaubnissätzen einen dualistischen Ansatz, der den größten Teil52 bestehender Rechtfertigungsgründe erfasst und Anhaltspunkte dafür bietet, welche Mindestanforderungen neue Erlaubnissätze zu erfüllen haben. Danach lassen sich Unrechtsausschließungsgründe entweder dem Prinzip des überwiegenden oder aber demjenigen des mangelnden Interesses zuordnen.53 Ersterem unterfallen Erlaubnissätze wie Notwehr oder Notstand, für welche eine Abwägung der widerstreitenden Belange charakteristisch ist. Anders verhält es sich mit Rechtfertigungsgründen wie Einwilligung oder auch behördlicher Genehmigung54, die nach herrschendem Verständnis auf dem Grundsatz volenti non fit iniuria beruhen, wobei der maßgebliche Wille nicht notwendigerweise durch den Rechtsgutsträger selbst erklärt werden muss. Dass die rechtfertigende Pflichtenkollision ein Überwiegen von Interessen nicht erfordert, ließe sich dadurch erklären, dass bei Bestehen von Handlungspflichten (Unterlassungsdelikte) gerade nicht in eine fremde Rechtsgutssphäre eingegriffen wird, sondern man die Güter eines Dritten „ihrem Schicksal überlässt“.55 Die Struktur der Pflichtenkollision im engeren Sinne wäre demnach den Besonderheiten der Unterlassungsdogmatik geschuldet. Auch wenn sich aus vorstehenden Gesichtspunkten konkrete Ergebnisse nur schwer ableiten lassen, wird gleichwohl klar, dass diese Grundstrukturen erste Anhaltspunkte für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Unrechtsausschlusses liefern können. Solche Erwägungen sprechen etwa dagegen, die bloße Genehmigungsfähigkeit als eigenständigen Erlaubnissatz anzuerkennen.56 Denn wenn die 51
Vgl. auch Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 254 f.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 80. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die „echte“ rechtfertigende Pflichtenkollision bereits bei Gleichwertigkeit der Interessen einen Erlaubnissatz bereithält, der auf den allgemeinen Grundsatz ultra posse nemo obligatur zurückgeht. Der Grund für einen – nicht unumstrittenen – Unrechtsausschluss ist hier eine „Konzession an die Lebenswirklichkeit“, die zugunsten eines effektiven Rechtsgüterschutzes in jedem Fall ein Tätigwerden des Adressaten eines Unterlassungsdelikts erfordert. Zum Ganzen nur Küper, Pflichtenkollision, S. 19 ff., 26 ff., 118 f.; ders., JuS 1987, 81, 89 f. Das dualistische Konzept tut sich mit einer Einordnung der Pflichtenkollision mangels Überwiegens eines Interesses schwer. 53 Für die überwiegende Ansicht Mezger, Strafrecht, § 27; Lenckner, Notstand, S. 50 ff., 135; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 7; Dreher, in: FS Heinitz, S. 207, 218; Gropp, AT, § 6 Rn. 25 ff.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 48. 54 Den Charakter des mangelnden Interesses anerkennen für die behördliche Genehmigung S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 28; Winkelbauer, NStZ 1988, 201, 204; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2434, 2441; Altenhain, in: FS Weber, S. 441, 447. 55 Kritisch NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 44a („drittes Rechtfertigungsprinzip“). 56 BGHSt 37, 21, 28; OLG Köln wistra 1991, 74, 75; Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 882 ff.; LK11-Steindorf, Vor § 324 Rn. 43 m.w.N. Zur Konkurrenz von Genehmigungsverfahren und Notstandsvorschriften, s. u.: 3. Teil B.III.4. 52
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
Erteilung einer behördlichen Erlaubnis noch aussteht, ist ja gerade keine Interessenabwägung im konkreten Fall vorgenommen worden, sodass weder mangelndes noch überwiegendes Interesse bereits vorliegen. 4. Numerus clausus der Rechtfertigungsgründe? Schließlich ist ein für das Wirtschaftsstrafrecht bedeutsames Thema der Rechtswidrigkeit angesprochen, wenn verschiedentlich nach einem numerus clausus möglicher Erlaubnissätze gefragt wird. Wie etwa auch anhand der Ausführungen zu Beispiel 21 („Sonderrechtfertigung“ im Zusammenhang mit § 266a Abs. 1 StGB) zu erkennen ist, finden sich im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelikten immer wieder Forderungen nach einer Rechtfertigung, die weder gesetzlich normiert noch gewohnheits- bzw. richterrechtlich anerkannt ist. Dieses Vorgehen ist dogmatisch nicht bereits deswegen bedenklich, weil es außerhalb gefestigter Rechtfertigungsstrukturen schon begrifflich keine weiteren Unrechtsausschließungsgründe mehr geben könnte.57 Tatsächlich mag eine Fülle von Gesichtspunkten dazu führen, dass das tatbestandsakzessorisch zu bestimmende Unrecht entfällt. Sie in wenigen Rechtfertigungsstrukturen auf alle Zeiten in einem numerus clausus unveränderlich festhalten zu wollen, erscheint nicht möglich. In der Literatur wird im Gegenteil formuliert, über Rechtfertigungsgründe halte die Dynamik sozialer Veränderung Einzug in die Verbrechenslehre.58 Dies dürfte wiederum zu weit gehen. Denn ein solches Verständnis erhöhte die immer fortschreitende Anpassung einzelner Erlaubnissätze zum Regelfall. Bevor Rechtfertigungstatbestände eigener Art kreiert werden, bleibt schon aus Gründen der Rechtssicherheit vorrangig zu prüfen, ob und inwieweit nicht die anerkannten Regeln die zu beurteilenden Sachverhalte erfassen. Ein fortwährendes „freies Schaffen“ neuer Gründe für einen Unrechtsausschluss ist dogmatisch ebenso unhaltbar wie eine Rechtfertigung unter Rückgriff auf ganz allgemeine Prinzipien der Rechtfertigung.59 5. Erlaubtes Risiko und Sozialadäquanz Die einführenden Erwägungen zur Struktur von Rechtfertigungsgründen sollen abgeschlossen werden, indem zwei für das Wirtschaftsstrafrecht maßgebliche Rechtsfiguren zu dem Gesagten in Beziehung gesetzt werden. Es handelt sich dabei um den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz strafrechtsrelevanten Verhaltens60 und 57 BGHZ 24, 21, 24 f.; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 2, 56; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 28. 58 Roxin, AT I, § 14 Rn. 38 ff. 59 Vgl. zum Ganzen Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 56; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 30, 52. 60 Zur Lehre von der Sozialadäquanz Welzel, Strafrecht, § 10 IV; ders., ZStW 58 (1939), 491, 516 ff.
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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damit um die Frage, ob die soziale Unauffälligkeit einer Tat für sich genommen zum Ausschluss des Unrechts führen kann [a)]. In engem Zusammenhang dazu61 steht der topos des erlaubten Risikos [b)]. a) Sozialadäquanz Die Lehre von der Sozialadäquanz62 prägt bereits im Bereich des Kernstrafrechts ein hohes Maß an Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit. Dabei ist der Begriff in materieller Hinsicht durch die Phänomenologie des Alltags gekennzeichnet, sodass sich seine Bedeutung nur aus der gelebten Rechtswirklichkeit ableiten lässt. Er bezeichnet „gänzlich unverdächtige“63, weil „völlig im Rahmen der normalen geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“64 liegende Verhaltensweisen. Sinnvoll lässt sich die Rechtsfigur deswegen nur in Abhängigkeit von der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz mit Gehalt anreichern. Schon diese Vorgehensweise führt im Ergebnis dazu, dass bei Verwendung der Sozialadäquanz als strafrechtliche Kategorie die Grenzen der Strafbarkeit verschwimmen.65 Denn die Offenheit der Rechtsfigur verleitet dazu, gerade eben „nur das zu enthüllen, was zuvor als wünschenswertes Ergebnis hineingelegt worden ist“.66 Bereits der zu wechselnden gesellschaftlichen Maßstäben akzessorische Inhalt der Rechtsfigur steht der dogmatischen Deutung als Rechtfertigungsgrund entgegen, die heute auch nur noch vereinzelt vertreten wird.67 Für das wirtschaftsstrafrechtlich besonders bedeutsame berufsrollengemäße Verhalten ist eine Berücksichtigung auf Ebene der Rechtfertigung dagegen gesondert zu untersuchen, weil dort teilweise Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die über das hier Gesagte hinausgehen. Allein aus der tatsächlichen Anerkennung einer Verhaltensweise von Teilen der Gesellschaft kann jedoch ersichtlich noch kein Eingriffsrecht in Rechtsgüter Dritter folgen, wie es für die Annahme eines Unrechtsausschlusses Voraussetzung wäre. Auch ist eine sinnvolle Zuordnung zu den Kategorien des mangelnden bzw. überwiegenden Interesses nicht stimmig möglich, da kaum angenommen werden kann, in Bezug auf jedes sozial geduldete Verhalten sei eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen worden. Diese Gesichtspunkte streiten gegen die Anerkennung der sozialen
61 S/S-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 146 („erlaubtes Risiko als Ausdruck der sozialen Adäquanz“). 62 Ausführlich zu den unterschiedlichen Facetten der Rechtsfigur jüngst Rönnau, JuS 2011, 311 ff. 63 BGHSt 23, 224, 228. 64 Vgl. nochmals Welzel, Strafrecht, § 10 IV; dazu S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 107a. 65 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 51. 66 Vgl. Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57. 67 Vgl. OLG Celle NStZ 1993, 291, 292; Schmidhäuser, AT, 6/102 ff.; Röttger, Unrechtsbegründung, S. 280 ff.; vgl. auch Gropp, AT, § 6 Rn. 227 ff.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
Adäquanz auf der Wertungsebene Rechtswidrigkeit.68 Einschlägige Wertungen sind allenfalls auf Tatbestandsebene im Wege einer einschränkenden Auslegung zu berücksichtigen, wenn der im Strafgesetz vertypte Unrechtsgehalt im Einzelfall nicht erreicht wird.69 b) Erlaubtes Risiko Eng verwandt mit der Lehre von der Sozialadäquanz und in Ansehung von Inhalt und Funktion nicht minder unklar ist die Rechtsfigur des erlaubten Risikos.70 Auch für sie wird unterschiedlich beurteilt, in welchem Verhältnis das erlaubte Risiko zum strafrechtlichen Deliktsaufbau und vor allem zum Unrechtsausschluss steht. Im Kern unterfallen dem Institut Verhaltensweisen, die ein strafrechtliches Rechtsgut zwar gefährden (können), aber trotz dieses Gefährdungspotentials gesamtgesellschaftlich akzeptiert sind. Charakteristisch für ein nicht bloß leerformelhaftes Verständnis der Rechtsfigur ist deswegen eine gesamtgesellschaftliche Globalabwägung zwischen Individual- und Kollektivbelangen.71 Konkret sind individuelle Freiheitsinteressen und gegenläufige, strafrechtsrelevante Gesichtspunkte der gesamtgesellschaftlichen Sicherheit einander gegenüberzustellen.72 Nur soweit diese Abwägung nicht bereits Teil eines abschließend geregelten rechtsstaatlichen Verfahrens geworden ist, kann sie in der Strafrechtsdogmatik noch eigenständige Bedeutung erlangen. Dieses Verfahren kann sowohl abstrakt-generell vom Gesetz- oder Rechtsverordnungsgeber als auch konkret-individuell von einer Behörde durchgeführt werden – beispielsweise durch Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis wie sie in Beispiel 5 in Rede steht. Für den Einzelfall hat dies zur Folge, dass dem Einhalten der relevanten Vorschriften indizielle Bedeutung dahingehend zukommt, dass das erlaubte Risiko nicht bereits überschritten wurde. Ein endgültiger Entlastungsbeweis ist damit freilich noch nicht geführt.73 Im Verbrechensaufbau ist die Rechtswidrigkeit für derartige Erwägungen nicht der richtige Ort. Soweit das erlaubte Risiko als Strukturprinzip bzw. Gesichtspunkt einzelner Rechtfertigungsgründe gesehen wird,74 lassen sich daraus keine prakti68
Vgl. auch S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 107a. So die heute h.L.: Fischer, Vor § 32 Rn. 12; Roxin, AT I, § 10 Rn. 37 ff.; Jescheck/ Weigend, AT, § 25 IV; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 35 f. m.w.N.; vgl. zur Unrechtseinschränkung „von innen heraus“ auch unten: 2. Teil B.II.1. 70 Siehe zu dieser etwa Welzel, Strafrecht, § 10 IV, § 18 I 1; Maurach/Zipf, AT I, § 28 Rn. 23; Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 417. 71 Statt Vieler LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 54 m.w.N. 72 Roxin, ZStW 116 (2004), 929, 930; vgl. auch Schünemann, JA 1975, 575 ff.; Jakobs, AT, 7/35. 73 Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 136 f.; Freund, AT, § 5 Rn. 57; vgl. auch Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 201. 74 Jescheck/Weigend, AT, § 36 I 1, § 56 III 1; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 107b; Roxin, AT I, § 18 Rn. 1 f. 69
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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schen Schlüsse ziehen. Einen Rechtfertigungsgrund sui generis stellt das erlaubte Risiko jedenfalls nicht dar.75 Ersichtlich wird dies schon daran, dass es für den zu beurteilenden Einzelfall weder justiziable Kriterien bereithält noch auch nur die geschilderte formale Grobstruktur von Rechtfertigungslage und -handlung erfüllt. Die Lehre vom erlaubten Risiko besagt allein, dass unter bestimmten Voraussetzungen risikobehaftetes Verhalten selbst dann zulässig sein kann, wenn es mit bedingtem Vorsatz auf die Verletzung eines Rechtsguts hin begangen wird.76 Heute wird der größte Teil von mit der Rechtsfigur in Verbindung stehenden Fallgestaltungen über die Lehre von der objektiven Zurechnung gelöst.77
II. Der Ausschluss strafrechtlichen Unrechts durch Rechtfertigungsgründe Es bleibt nunmehr darauf einzugehen, wie sich das Vorliegen eines Erlaubnissatzes auf das strafrechtliche Unrechtsurteil auswirkt [1.]. Für das Wirtschaftsstrafrecht besonders relevant ist in diesem Zusammenhang die Frage, welche Bedeutung Unrechtsausschließungsgründen in Fallgestaltungen zukommt, in denen zumindest eine strafbewehrte Pflicht zu Handeln oder zu Unterlassen mit einer anderen kollidiert [2.]. 1. Rechtfertigung als eigene Wertungskategorie im Strafrecht Die Charakteristika der Rechtfertigung im Strafrecht kann man von einem gesetzlichen Ausgangspunkt her betrachten: Nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist eine rechtswidrige Tat78 nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die Vorschrift setzt also als notwendige Bedingung die Verwirklichung eines Straftatbestandes voraus, ohne dass dies gleichzeitig für das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat hinreichend wäre.79 Regelmäßig wird im kodifizierten Tatbestand die jeweils geregelte Verbotsmaterie bereits umfassend und erschöpfend umschrieben,80 auch wenn dieser Befund aufgrund von normativen Tatbestandsmerkmalen, Blankettverweisungen und Generalklauseln insbesondere für das Wirtschaftsstrafrecht nicht uneingeschränkt 75 So die heute ganz überwiegende Auffassung: Jescheck/Weigend, AT, § 36 I 1; LK12Rönnau, Vor § 32 Rn. 54 f.; Fischer, Vor § 32 Rn. 13 m.w.N.; a.A. OLG Karlsruhe NJW 1986, 1358, 1360; Maurach/Zipf, AT I, § 28 Rn. 25; Otto, AT, § 8 Rn. 11, 160 f.; sprachlich unklar BGHZ 24, 21, 26. 76 Siehe nur Jescheck/Weigend, AT, § 36 I 1. 77 Ausführlich zum Ganzen zuletzt Kindhäuser, in: FS Maiwald, S. 397 ff. 78 Zur Strafrechtswidrigkeit in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 2 f. 79 Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 212. 80 Siehe nur Jescheck/Weigend, AT, § 25 I 2; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 233.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
gelten kann.81 Darüber hinaus ist seit Jhering82 anerkannt, dass strafrechtliche Schuld eine zusätzliche, eigenständige Kategorie im Verbrechensaufbau beschreibt, die von denen des Unrechts, der Rechtswidrigkeit und auch der Tatbestandsmäßigkeit wesensmäßig zu unterscheiden ist.83 Die „Rechtswidrigkeit“ beschreibt in einer ersten Annäherung den Widerspruch, der zunächst entsteht, wenn ein Täter den gesetzlich normierten Verbotstatbeständen zuwiderhandelt. Denn „es lässt sich keine Rechtswidrigkeit denken, die nicht wider den Willen des bejahenden Rechtssatzes liefe […], die also nicht Gesetzwidrigkeit wäre“.84 Dieser Verstoß gegen positiv normierte Voraussetzungen eines Strafgesetzes umschreibt die sog. „formelle Rechtswidrigkeit“.85 Indes wird man den gesetzlichen Tatbestand kaum als bloße Sanktionsnorm lesen können, die bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen eine Strafe als Rechtsfolge androht („wenn …, dann …“).86 Einem Strafgesetz lässt sich vielmehr immer auch ein Verbot entnehmen, d. h. es normiert eine Verhaltenspflicht, welche auf den Adressaten motivierend einwirken soll.87 Der Verwirklichung eines Tatbestandes als „durch und durch normatives Gebilde“88 haftet zugleich ein materieller Unwert an, welcher sich aus der verwirklichten Sozialschädlichkeit bzw. „Sozialgefährlichkeit“ eines strafrechtsrelevanten Verhaltens ableiten lässt („materielle Rechtswidrigkeit“).89 Das durch die Verletzung eines Strafgesetzes gewonnene Urteil über die Rechtswidrigkeit stellt sich gleichwohl als bloßes „Vorbehaltsurteil“ dar.90 Maßstab ist allein das im Tatbestand vertypte Unrecht,91 welches unter dem Vorbehalt der Besonderheiten des Einzelfalls steht. Es ist zunächst eine Einschränkung des Unrechts gleichsam „von innen heraus“92 denkbar, wenngleich Strafbarkeit nach dem 81 Zu diesen Besonderheiten der Tatbestandslehre im Wirtschaftsstrafrecht statt Vieler Tiedemann, AT, Rn. 99 ff., 111 ff.; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6 Rn. 1 ff., jeweils m.w.N. 82 Jhering, Vermischte Schriften, S. 155 f. 83 Pars pro toto LK11-Jescheck, Vor § 13 Rn. 3, 45, 76; Kindhäuser, AT, § 6 Rn. 1; Maurach/ Zipf, AT I, § 24 Rn. 7 ff. 84 Binding, Normen Bd. I, S. 302. 85 Dazu sowie zu bestehenden Bedenken gegen das Begriffspaar nur LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 29 ff.; S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 50 jeweils m.w.N. 86 Vgl. S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 48; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 7. 87 Vgl. etwa S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 43/44, 48; Otto, Jura 1995, 468, 473; LK11Hirsch, Vor § 32 Rn. 8; dagegen hatte Beling, Verbrechenslehre, S. 145 ff. den Tatbestand noch als wertungsfreie Kategorie angesehen. 88 Roxin, AT I, § 10 Rn. 12. 89 Dazu zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 27; Jescheck/Weigend, AT, § 24 I 2; Maurach/Zipf, AT I, § 24 Rn. 20 f.; vgl. ausführlich Roxin, AT I, § 14 Rn. 4 ff. 90 So treffend Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 214; Tag, JR 1997, 49, 51; vgl. auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 314 („Funktion als Unrechtstypus“). 91 Vgl. auch Lackner/Kühl, Vor § 13 Rn. 15; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 1; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 18 f.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 7. 92 Vgl. Kindhäuser, in: FS Maiwald, S. 397, 405 f.; Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 207 ff.
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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Wortlaut des Gesetzes an sich vorläge. Dogmatisch wird dies im Wege der teleologischen Reduktion oder restriktiven Tatbestandsauslegung erreicht. Soweit ein Ablassen von Luft aus einem Autoreifen an einer Tankstelle nicht als Sachbeschädigung gewertet wird,93 fehlt strafrechtliches Unrecht, weil das erforderliche Ausmaß an Rechtsgutsverletzung nicht vorliegt.94 Gegenstand vorliegender Untersuchung ist dagegen die Aufhebung des Vorbehaltsurteils „von außen her“. Insofern wird schon begrifflich vorausgesetzt, dass die den Strafgesetzen zu entnehmenden Ver- und Gebote – normtheoretisch handelt es sich um sog. Primär- oder Verhaltensnormen, die den Tatbeständen als Sekundär- oder Sanktionsnormen vorgelagert sind95 – durch „Gegennormen“96, d. h. besondere Erlaubnissätze, eingeschränkt werden können. Dies hat dazu geführt, dass die Anhänger der sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen auch außerhalb des Deliktstypus liegende Rechtfertigungsgründe zu einem sog. „Gesamt-Unrechtstatbestand“ integrieren und die „Rechtswidrigkeit“ als eigenständige Prüfungsstufe entfällt.97 Für das Rechtswidrigkeitsurteil ist weiterhin maßgeblich, dass sich die einzunehmende Perspektive auf einen tatsächlichen Lebenssachverhalt bezieht. Insofern ist die konkrete Handlungssituation zumeist komplexer, als sie der Gesetzgeber abstrakt-generell antizipieren konnte.98 Schon vor über 100 Jahren hat man erkannt: „Der Gesetzgeber weiß von vornherein, dass in zahlreichen Fällen das Interesse, welches er durch seine Norm schützen wollte […], nicht getroffen werden wird, […] er muss über sein Ziel hinausschießen“.99 Der Konzeption nach erweitern Erlaubnissätze bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen daher faktisch die Handlungsmöglichkeiten des Verbotsadressaten.100 Grundsätzlich rechtswidriges Verhalten wird von der Rechtsordnung akzeptiert.101 Mit der durch Notwehr gedeckten Tötung eines Menschen geht dann keine Billigung des Täterverhaltens einher,102 sondern allein die ausnahmsweise Gestattung der Tat.103 Bezugspunkt des Rechtswidrigkeitsurteils ist 93
BGHSt 13, 207 ff. Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 19. 95 Grundlegend Arm. Kaufmann, Normentheorie; S. 102 ff.; 138 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 119; Roxin, AT I, § 7 Rn. 66 ff.; Lackner/Kühl, Vor § 13 Rn. 6; aus neuerer Zeit auch Engländer, Nothilfe, S. 10; Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 160. 96 S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 48; vgl. auch Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 854. 97 Sog. „zweistufiger Deliktsaufbau“; zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Arth. Kaufmann, JZ 1956, 353 ff.; SK-Hoyer, Vor § 32 Rn. 21 f.; Otto, Jura 1995, 468, 469; dazu auch LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 11; S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 15 f. 98 NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 8; vgl. auch Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 217. 99 Zitat bei zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 16. 100 Vgl. dazu auch Rudolphi, in: GS Arm. Kaufmann, S. 371, 377 f.; Puppe, AT, § 12 Rn. 11. 101 Roxin, AT I, § 14 Rn. 1; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 64. 102 S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 8; Roxin, AT I, § 14 Rn. 1; Freund, AT, § 3 Rn. 23. 103 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 105 Fn. 459 m.w.N. 94
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
nach ganz h.A. nicht mehr die einzelne Strafnorm, sondern die gesamte Rechtsordnung.104 Das trifft zumindest auf die hier interessierende Frage zu, ob ein öffentlich- oder zivilrechtlich erlaubtes Verhalten strafrechtlich eine Sanktion nach sich ziehen kann.105 Demnach ist nicht strafrechtswidrig, was nach anderen Vorschriften erlaubt ist. Denn das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verlangt im Strafrecht eine Berücksichtigung der einzelnen Vorgaben und Aussagen, die anderen Regelungsbereichen zu entnehmen sind.106 Das Unrecht geht insofern über das zur Rechtswidrigkeit Gesagte hinaus, als es dem tatbestandsmäßigen Handeln ein Werturteil im Einzelfall zuweist.107 Während die Rechtswidrigkeit die „Relation“,108 d. h. das Verhältnis von Handlung zu Normbefehl und Gesamtrechtsordnung, betrifft, ist Gegenstand des Unrechtsurteils die rechtliche Bewertung der Tat. Dies hat zur Folge, dass der Unrechtsgehalt einer Tat qualitativ und quantitativ nach dem Maß der Sozialschädlichkeit abgestuft sein kann.109 Das Rechtswidrigkeitsurteil kennt demgegenüber eine solche Unterscheidung nicht: Es kann nach der hier zugrunde gelegten Konzeption, welche die h.M. teilt,110 allein auf „rechtswidrig“ oder „rechtmäßig“ lauten („binärer Code“). So ist etwa ein Totschlag nicht „rechtswidriger“ als eine fahrlässige Tötung111 oder in Beispiel 25 das Fordern einer Gegenleistung für Steuerdaten nicht „rechtswidriger“ als deren kompensationslose Übergabe.
104 NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 41; Rudolphi, in: GS Arm. Kaufmann, S. 371 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 31 ff.; Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 57 f. und passim; vgl. aber auch H. L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 9 ff.; SK-ders., 6. Aufl., Vor § 32 Rn. 39 ff. (Unterschied zwischen „echten“ Rechtfertigungsgründen und „Strafunrechtsausschließungsgründen“, bei denen ein Rest an Unrechtsquantum bestehen bleibe, aber unter die Schwelle der Strafwürdigkeit gedrückt werde). 105 Umstritten ist demgegenüber, ob es eine spezifische Strafrechtswidrigkeit (dazu ausführlich H. L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 9 ff.) gibt und Verhalten, das strafrechtlich rechtmäßig ist, etwa als polizeirechtswidrig qualifiziert werden kann; dazu NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 41 ff.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 21 ff.; vgl. auch BVerfGE 88, 273 ff. („Durchschlagskraft einer strafrechtlichen Rechtfertigung für die gesamte Rechtsordnung“). 106 BGHSt 11, 211 ff.; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 27 m.w.N. 107 Dieses Unrechtsverständnis ist heute weitgehend anerkannt: LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 11 m.w.N.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 3 unter Verweis auf Welzel, Strafrecht, § 10 II. 108 Welzel, Strafrecht, § 10 II 3. 109 S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 51 („Bestimmungs- und Bewertungsfunktion des Unrechts“); vgl. weiter Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 101; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 27; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 18. 110 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 27; Jescheck/Weigend, AT, § 31 VI 2; Roxin, AT I, § 14 Rn. 26 ff.; Lenckner, Notstand, S. 15 ff.; a.A. Otto, AT, § 8 Rn. 199 ff. (für Fälle der Pflichtenkollision). 111 S/S-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn. 51.
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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2. Unrechtsausschluss bei Vorliegen einer Pflichtenkollision Für verantwortliche Akteure des Wirtschaftslebens zunehmend bedeutsamer wird die Berücksichtigung von Verhaltenspflichten, die sich zum Teil widersprechen bzw. von denen sich jeweils nur eine befolgen lässt.112 Ist dem Gesetz für eine konkrete Situation nur Widersprüchliches zu entnehmen, wirkt nicht bereits die Existenz einer gegenläufigen Pflicht rechtfertigend. Wie sich der Einzelne zu verhalten hat, lässt sich dem Gesetz dann gerade nicht entnehmen. Es bedarf vielmehr stets einer Kollisionsregel, welche die unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben miteinander aussöhnt.113 Insofern erscheint es verfehlt, wenn teilweise zu Problemkreisen im Wirtschaftsstrafrecht immer wieder die kollisionsbegründende Pflicht bzw. eine konfliktbegründende Rechtsposition (Schutzgut) zugleich als Rechtfertigungsregel verstanden wird.114 Strafrechtsdogmatisch kann dies nicht überzeugen. Der Normenwiderspruch lässt sich im Gegenteil nur anhand der Voraussetzungen einer Kollisionsregel auflösen.115 Eine besonders prominente findet sich z. B. in Art. 31 GG. Sie schafft ein grundsätzliches Werteverhältnis auf abstrakter Ebene, wenn divergierende Pflichten auf Bundes- und Landesrecht beruhen. Man wird jedoch auch Erlaubnissätze als Kollisionsregeln begreifen können, soweit diese sich widersprechende Pflichten in einer konkreten Situation miteinander in Einklang bringen.116 So wäre z. B. über die rechtfertigende Pflichtenkollision ein Unrechtsausschluss bei gleicher Wertigkeit der – den Rechtspflichten jeweils zugrunde lie112
Vgl. für den AG-Vorstand etwa Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 74 f.; Schneider, NZG 2009, 1413 ff. Ausführlich noch unten: 4. Teil D. 113 Vgl. Lackner/Kühl, § 34 Rn. 1; Hoyer, ARSP-Beiheft 104 (2005), 99, 105; Rönnau, NJW 2004, 976, 978. Ähnlich schon zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 26: die Rechtswidrigkeit sei das Kriterium, „welches darüber entscheidet, ob und wann ein gegebener Tatbestand mit einem erlassenen Verbot kollidiert.“ Ausführlich Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 48 ff. m.w.N. zur Normentheorie. 114 Vgl. anschaulich noch unten 4. Teil E.II.3.; ferner zu berufstypischem Verhalten bei Anwälten Volk, BB 1987, 139, 144 („Berufsrecht wirkt als Rechtfertigungsgrund“); zur Befugnis, eine Strafanzeige zu stellen, Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 451 f. („§ 158 StPO als Rechtfertigungsgrund“); zu § 28 BSDG als Rechtfertigungsgrund im Rahmen von § 203 StGB Eisele, Compliance, S. 77. 115 Vgl. Hoyer, ARSP-Beiheft 104 (2005), 99 f.; ders., in: FS Reuter, S. 541, 546. Aus diesem Grund kommt in zahlreichen berühmten Fällen, in denen sich der Täter einem existentiellen Dilemma gegenübersieht, welches das „Opfern“ eines Menschenlebens erfordert („Holmesfall“, „Brett des Karneades“, „Mignonettefall“ – einführende Übersicht bei Otto, Pflichtenkollision, S. 1 ff.), ein Unrechtsausschluss nicht in Betracht. Denn dort liegt eine Notwehrlage zumeist nicht vor und die Schranken des rechtfertigenden Notstands als Kollisionsregel verhindern eine Abwägung von Menschenleben, vgl. Fischer, § 34 Rn. 14 m.w.N. 116 Dazu Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 156 f.; Hruschka, in: FS Dreher, S. 189, 197 und passim; unter Betonung des situativen Bezugs Neumann, in: FS Roxin, 2001, 421, 429 f.; Hoyer, ARSP-Beiheft 104 (2005), 99, 105 (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Kollisionsregel des § 34 StGB). Allgemein zum Verhältnis von Pflichtenkollisionen und Rechtfertigungstatbeständen ferner zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 26; Binding, Hdb. Strafrecht, Bd. I, S. 765; Otto, Pflichtenkollision, S. 110 ff.; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 3 ff.
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2. Teil: Überlegungen zu den Grundbegriffen der Arbeit
genden – Interessen117 zu erreichen, während der rechtfertigende Notstand das wesentliche Überwiegen eines Interesses voraussetzen würde. Der Befund, dass Erlaubnissätze im Strafrecht als Kollisionsnormen wirken, wird bestätigt, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die Verbrechenslehre echte Pflichtenkonflikte löst. Ungeachtet der zum Teil tiefschürfenden Streitigkeiten um die deliktssystematisch richtige Erfassung im Einzelnen besteht in allen denkbaren Konstellationen ein deutlicher Zusammenhang zwischen Rechtfertigungsregeln und Pflichtenkollisionen: Zur Auflösung kollidierender Unterlassungspflichten („Verbote, zu handeln“) werden von der h.M. der rechtfertigende Notstand118 nach §§ 34 StGB, 16 OWiG und daneben die Grundsätze über die rechtfertigende Pflichtenkollision119 angeboten. Eine einschlägige Fallgestaltung liegt vor, wenn ein Kraftfahrer im Straßenverkehr (z. B. ein „Geisterfahrer“) einen Unfall verursacht hat (Unterlassungspflicht bzgl. des Entfernens, § 142 Abs. 1 StGB, §§ 49 Abs. 1 Nr. 29, 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO) und nicht anhalten darf (Unterlassungspflicht, § 18 Abs. 8 StVO).120 Auf der anderen Seite steht die Kollision von Handlungspflichten, welche die Verwirklichung zumindest eines Unterlassungstatbestands voraussetzt. Schulfall ist das Beispiel des Vaters, der aus dem brennenden Haus nur eines seiner beiden Kinder retten kann (§ 13 StGB), das andere aber dem sicheren Tod überlassen muss. Die h.M.121 stellt es bei gleichwertigen Handlungspflichten dem Täter anheim, welches Handlungsgebot er verletzen will und gesteht ihm diesbezüglich eine Rechtfertigung zu. Dogmatisch wird das unter Rückgriff auf den Erlaubnissatz der sog. rechtfertigende Pflichtenkollision umgesetzt.122 In Ansehung des nicht geretteten Kinds ist der Vater danach also gerechtfertigt. Die letzte denkbare Pflichtenkollision betrifft ein Handlungsgebot einerseits und ein Handlungsverbot auf der anderen Seite. So liegt es, wenn der Hilfeleistungspflicht im Straßenverkehr genügt wird, indem der Täter durch
117 Für die Maßgeblichkeit der Interessen bei Pflichtenkollisionen Erb, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 208, 218 („Was wirklich kollidiert, sind Interessen“); NK-Neumann, § 34 Rn. 125; ders., in: FS Roxin, 2001, S. 421, 433 ff.; vgl. auch Gropp, in: FS Hirsch, S. 207, 224. 118 Pars pro toto OLG Köln VRS 1956, 63 f.; OLG Karlsruhe VRS 1965, 470 ff.; Lackner/ Kühl, § 34 Rn. 15; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 735 f.; Mitsch, NZV 2010, 225, 227 f., der grds. den rechtfertigenden Notstand eingreifen lassen, § 142 Abs. 1 StGB jedoch in dem beschriebenen Fall als Unterlassungstatbestand behandeln will, um den Weg für die Pflichtenkollision zu eröffnen. 119 Neumann, in: FS Roxin, 2001, 421, 430 ff.; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 7; vgl. auch S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 76. A.A. (Kollision von Unterlassungspflichten nicht möglich) Gropp, AT, § 6 Rn. 162 ff. 120 Zu dieser Fallgestaltung OLG Hamburg NZV 2009, 301 f. 121 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 137; Jakobs, AT, 15/6 Fn. 11 („insoweit stimmt die These vom rechtsfreien Raum“); Roxin, AT I, § 16 Rn. 118 f.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 115 ff.; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 74 f. m.w.N. 122 Zum Stand der Diskussion statt Vieler Rönnau, JuS 2013, 113 ff.; Neumann, in: FS Roxin, 2001, 421, 430 ff.
B. Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen
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Anhalten einen Verkehrsverstoß begeht.123 Die ganz überwiegende Auffassung greift in diesen Fällen auf den rechtfertigenden Notstand als Kollisionsprinzip zurück.124
123
Vgl. Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 8. Lackner/Kühl, § 34 Rn. 15; Fischer, Vor § 32 Rn. 11d; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 71/72; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 120; ähnlich auch Gropp, in: FS Hirsch, S. 207, 211; a.A. Otto, AT, § 8 Rn. 206. 124
3. Teil
Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht A. Die Notwehr I. Einführung: Anwendungsbereich der Notwehrvorschriften im Wirtschaftsstrafrecht? Wenn im Zusammenhang mit Phänomenen des Wirtschaftslebens von „Notwehr“ die Rede ist, so wird diese zumeist nicht in einem technischen Sinne angesprochen. Der Begriff wird gleichsam als „Metapher“ für jedwedes Selbsthilferecht zugunsten eines am freien Markt tätigen Akteurs herangezogen.1 Kontext und Voraussetzungen wirtschaftsbezogener Straftatbestände scheinen einer echten Anwendung der §§ 227 BGB, 32 StGB, 15 OWiG auch regelmäßig entgegenzustehen. Das liegt zunächst daran, dass sich ein wesentliches Charakteristikum des Wirtschaftsstrafrechts aus der auf überindividuelle Rechtsgüter gerichteten Schutzrichtung ergibt.2 Wirtschaftsbezogene Kollektivbelange sind indes in aller Regel selbst nicht notwehrfähig3 (besser: notwehrhilfefähig) und auch von den Sachwaltern bzw. – im Ausnahmefall – Trägern überindividueller Schutzgüter wird höchst selten einmal ein Angriff auf einen Teilnehmer am Wirtschaftsleben ausgehen. So ist z. B. kaum vorstellbar, dass ein Finanzbeamter einen Steuerpflichtigen dergestalt rechtswidrig angreift, dass dieser sich nur durch das Hinterziehen von Steuern verteidigen kann. Selbst wenn eine entsprechende Angriffslage einmal vorliegen sollte, erscheint noch immer zweifelhaft, ob dann die weiteren engen Voraussetzungen einer Notwehrlage erfüllt sein werden. Doch auch wenn und soweit Individualrechtsgüter durch einen rechtswidrigen Angriff betroffen sind, wird nur in seltenen Einzelfällen ein Rückgriff auf die Notwehr im Kernbereich der zum Wirtschaftsstrafrecht zählenden Tatbestände in Betracht kommen. Insofern stellen nämlich die Grenzen der Gegenwärtigkeit und als Einschränkung der Notwehrhandlung der Grundsatz der Erforderlichkeit nur schwer zu überwindende Hürden dar. Aus ebendiesen Gründen hat auch der Bundesgerichtshof in einem Fall zur Untreue, der eine Überweisung eines Ltd.-Directors von 1 2 3
Siehe etwa Schalast/Safran/Sassenberg, BB 2008, 1126, 1127 Fn. 7 und passim. Vgl. o.: 2. Teil A. Ausführlich nur S/S-Perron, § 32 Rn. 6, 8 m.w.N.
A. Die Notwehr
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einem Gesellschafts- auf ein Privatkonto zum Gegenstand hatte, in jüngerer Vergangenheit angenommen, dass der vom Landgericht bemühte Rechtfertigungsgrund der Notwehr fernliege.4 Nach Auffassung des BGH fehlte es bereits an einem von der Gesellschaft ausgehenden Angriff und überdies werde die Erforderlichkeit der Abwehrhandlung durch die Notwendigkeit eingeschränkt, vor Durchführung einer eigenmächtigen Überweisung zunächst zivilprozessuale Maßnahmen zu ergreifen.5 Weiter hat der bei Wirtschaftsstraftaten regelmäßig vorliegende Bezug zu einem Unternehmen6 zur Folge, dass in vielen Fällen eine Rechtfertigung durch Notwehr nur in Form der Nothilfe zugunsten des angegriffenen Personenverbands in Betracht kommt. Schon die komplexe Organisationsstruktur von Unternehmen, die mit einer verzögerten Handlungsfähigkeit des einzelnen Wirtschaftsstraftäters als Teil dieser Organisation einhergeht, steht im Widerspruch zu den engen zeitlichen Grenzen des Notwehrrechts. Überdies werden auch aus Unternehmen heraus begangene Delikte wie etwa die Bestechung von Angestellten eines anderen Unternehmens (§ 299 StGB) oder dessen Kredit gefährdende Verleumdung (§ 187 StGB) kaum je das relativ mildeste Mittel darstellen, um Angriffe gegen das eigene Unternehmen abzuwehren.7 Dies gilt umso mehr, als einem Unternehmen eher als einer natürlichen Person vielfältige Mittel der Verteidigung zur Verfügung stehen, die allesamt geeignet sein können, die Erforderlichkeit einer Abwehrhandlung auszuschließen. Insofern sei hier beispielhaft darauf verwiesen, dass der unmittelbar bevorstehende Angriff eines Arbeitnehmers regelmäßig schon durch Drohung mit einer Kündigung vereitelt werden kann. Aufgrund dieser Besonderheiten wurde die Notwehr für das Wirtschaftsstrafrecht bereits als „völlig bedeutungslos“ abgetan.8 Mag diese Bewertung prima vista für den Kernbereich der Wirtschaftsdelinquenz nachvollziehbar sein, so fallen bei genauerer Betrachtung doch einige Problemkreise des Wirtschaftsstrafrechts auf, die mit der Notwehr in enger Verbindung stehen bzw. für die Ausgestaltung eines an der Notwehr orientierten Selbsthilferechts zwischen Unternehmen aufschlussreich sind. Auf entsprechende Fragestellungen konzentriert sich die folgende Darstellung. Um einen ersten Eindruck von einschlägigen Fallgestaltungen zu vermitteln, sollen zunächst einige Beispielsfälle vorgestellt werden. Beispiel 1: Der Vorstandsvorsitzende einer Aktiengesellschaft will aus verschiedenen Gründen das für das operative Geschäft zuständige Vorstandsmitglied (COO) loswerden. 4 BGH NStZ 2010, 632, 634; anders noch LG Hamburg, Urt. v. 13. 3. 2009, Az. 5550 Js 54/ 07, n.v. 5 Zur Stichhaltigkeit dieser Argumentation siehe jeweils 3. Teil A.III.2. (zum Angriffsbegriff) und 3. Teil A.II.3.b) (zur Erforderlichkeit). 6 Vgl. o.: 2. Teil A.; ferner Samson/Langrock, DB 2007, 1684 ff. 7 Vgl. dazu auch Weber, ZStW 96 (1984), 376, 394 f. 8 Weber, ZStW 96 (1984), 376, 394; vgl. aber auch Merten, VersR 2005, 465, 478, der eine Anwendung des § 32 StGB zugunsten von Verantwortlichen der Tabakindustrie bei fehlerhaft hergestellten Zigaretten (strafrechtliche Produkthaftung) erwägt.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe Aus diesem Anlass beauftragt er eine Sicherheitsfirma, die dafür sorgen soll, dass angeblich vertrauliche Vorstandsunterlagen, die nur für diesen Zweck hergestellt wurden, einer ausländischen Presseagentur zugespielt werden. Die Unterlagen sollen den Anschein erwecken, sie seien von dem unliebsamen Vorstandsmitglied persönlich ausgestellt und weitergeleitet worden, um ein „Druckmittel“ in der Hand zu haben. Kann sich der COO auf Notwehrgrundsätze berufen, wenn eine Richtigstellung des Sachverhalts nur unter Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen möglich ist (§ 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG)? Kann er sogar für eine öffentlichkeitswirksame Gegendarstellung auf das Vermögen der Gesellschaft zurückgreifen? Beispiel 2 (vgl. OLG Jena GRUR-RR 2006, 134 ff.): Die E-Ltd. bietet im Bundesland B ohne Konzession Wettgeschäfte an und erfüllt damit u. a. den Straftatbestand des § 284 Abs. 1 StGB. Ihre Geschäfte wickelt sie über eine Sparkasse in B ab. In der Absicht, das wettbewerbswidrige Verhalten der E-Ltd. zu unterbinden, wendet sich die staatliche Lotterie in B an die Sparkasse mit der Bitte, die Bankverbindungen der E-Ltd. zu kündigen und ruft diese daher zum Boykott auf. Ist die Staatslotterie im Hinblick auf dieses grundsätzlich verbotene Verhalten (vgl. §§ 3, 4 Nr. 10, 8 Abs. 1 UWG) gerechtfertigt, wenn sie zuvor den Zivilrechtsweg erfolgreich beschritten hat, die E-Ltd. sich jedoch nicht an das vollstreckbare Unterlassungsurteil hält? Kommt eine Rechtfertigung in Ansehung einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit der E-Ltd. in Betracht (§§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB, 30 OWiG)? Beispiel 3: Der Vorstand der einflussreichen B-Bank zweifelt in einem öffentlichen Interview in rechtswidriger Weise die Kreditwürdigkeit des seiner Struktur nach wenig durchsichtigen und nur regional tätigen K-Konzerns an. Als der K-Konzern daraufhin am Markt nicht mehr an Fremdmittel kommt, beschließt dessen Konzernvorstand, sich „zur Wehr zu setzen”. In der kommenden Jahresbilanz wird fälschlicherweise ein Gewinn verbucht (§ 400 Abs. 1 AktG) und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gelingt es, die B-Bank nun doch von der Kreditwürdigkeit des K-Konzerns zu überzeugen (vgl. §§ 265b, 263 Abs. 1 StGB). Handeln die Mitglieder des K-Konzernvorstands im Hinblick auf diese Handlungen gerechtfertigt? Könnte sich der K-Konzern selbst auf einen Rechtfertigungsgrund berufen, wenn man eine Strafbarkeit des K-Konzerns als Verband annimmt? Beispiel 4 (vgl. EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983, Slg. 1983, 1825, 1861): Ein japanischer Elektronikkonzern führt mithilfe einer europäischen Tochtergesellschaft Hi-Fi-Geräte in die EU ein. Die Tochtergesellschaft errichtet in verschiedenen EU-Ländern ein Netz von Alleinvertriebssystemen, sodass aus dem europäischen Ausland keine entsprechenden Geräte in das jeweilige Land importiert werden können. Die Kommission geht daraufhin wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV gegen die jeweiligen Alleinvertriebshändler in den verschiedenen EU-Ländern vor. Der französische Vertrieb macht geltend, er habe sich gegenüber dem unlauteren Wettbewerb der Parallelimporteure in anderen Ländern in einer Notwehrlage befunden. Zu Recht?
Zu Beginn der Darstellung soll zunächst in Fragestellungen aus der allgemeinen Notwehrdogmatik eingeführt werden, welche für die folgende Betrachtung im Wirtschaftsstrafrecht relevant sind. Insbesondere die Strukturprinzipien der Notwehr, die engen Voraussetzungen einer Verteidigungslage sowie die durch Notwehr verliehenen Eingriffsbefugnisse werden einführend knapp erörtert [II.]. Auf dieser Grundlage können dann Fallgestaltungen des Notwehrrechts mit engem Bezug zu wirtschaftlicher Tätigkeit behandelt werden:
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Insofern stellt sich schon für „klassische“ Fälle von Wirtschaftskriminalität aus der Sicht eines Unternehmens die Frage, ob und inwieweit eine juristische Person zur Hinnahme von Abwehrhandlungen verpflichtet sein kann. Das Problem wird in Sachverhalten wie dem in Beispiel 1 relevant, wenn sich nämlich ein Notwehrtäter gegen eine rechtswidrige Angriffshandlung eines Unternehmensangehörigen verteidigt. Als erste Fragestellung der Notwehr im Bereich von Wirtschaftskriminalität soll deshalb untersucht werden, ob eine Verteidigung nicht nur gegenüber dem menschlichen Angreifer selbst, sondern daneben auch gegen die juristische Person möglich ist, welcher der Angreifer angehört [III.]. Im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten in der Privatwirtschaft erscheint sodann interessant, wie sich die strafrechtliche Notwehr zum Institut des sog. rechtfertigenden Abwehreinwands verhält. Wie darzustellen sein wird, ist der Abwehreinwand sowohl im Lauterkeitsrecht als auch im Wettbewerbsrecht als Rechtfertigungsgrund eigener Art anerkannt. Man leitet die Rechtsfigur aus der Notwehr ab und hebt die Rechtfertigung in ihrem Anwendungsbereich für Angriffslage sowie Verteidigungshandlung auf die Ebene zwischen Unternehmen. In diesem Zusammenhang wird vorab jedoch die bislang wenig geklärte Frage zu behandeln sein, welche Rolle Rechtfertigungsgründen im Kartellbußgeldrecht überhaupt zukommen kann [IV.]. Abschließend soll kurz geschildert werden, welche Entwicklung die Notwehr auf europäischer Ebene im Kartellbußgeldrecht genommen hat und wie vor diesem Hintergrund ein europäischer Notwehreinwand bei Kodifizierung eines gemeinschaftsrechtlichen Allgemeinen Teils des Wirtschaftsstrafrechts aussehen könnte [V.]. Anhand dieser Betrachtung soll ein Ausblick darauf gewagt werden, welche Zukunft dem Erlaubnissatz im Bereich der Wirtschaftskriminalität bevorsteht und inwieweit Modifikationen für ein modernisiertes Notwehrverständnis nötig werden [VI.].
II. Die Notwehr in der allgemeinen Rechtfertigungsdogmatik Die Notwehr stellt nicht nur einen besonders klassischen Erlaubnissatz dar, sie verleiht dem Verteidiger auch die weitest gehenden Eingriffsbefugnisse aller Rechtfertigungstäter („Schneidigkeit des Notwehrrechts“) und mutet auf der Kehrseite dem Angreifer zu, intensive Beeinträchtigungen in seinen Rechtsgütern hinzunehmen.9 Um die besondere Struktur dieses Erlaubnissatzes zu erfassen, bedarf es einiger Bemerkungen zu Hintergrund und ratio des Notwehrrechts [1.]. Weitere Vorfragen, die sich für das Wirtschaftsstrafrecht im Zusammenhang mit diesem Erlaubnissatz stellen, können danach unterschieden werden, ob sie die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes („Notwehrlage“) [2.] oder aber die Eingriffsbefugnisse des Verteidigers („Notwehrhandlung“) [3.] betreffen. 9
Siehe nur Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 1; Krack, JR 1996, 468, 470.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
1. Konzept und ratio des Notwehrrechts Zwei Wesensmerkmale der Notwehr, welche die §§ 32 StGB, 15 OWiG von anderen Rechtfertigungsgründen und dem Notwehrrecht in den meisten ausländischen Rechtsordnungen10 unterscheiden, erfordern einen gesteigerten Legitimationsaufwand des Unrechtsausschlussgrundes. Zum einen kann der Verteidiger zumindest im Ausgangspunkt auch dann gerechtfertigt handeln, wenn die Grenzen der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet werden.11 Zum anderen trifft ihn keine Verpflichtung, sich dem Angriff zu entziehen und zwar auch dann nicht, wenn eine Flucht die angegriffenen Rechtsgüter ebenso effektiv schützte wie eine Verteidigung.12 Diese besonders intensiven Eingriffsmöglichkeiten des Notwehrtäters bedürfen ihrerseits einer Rechtfertigung. Die Schneidigkeit der gesetzlichen Regelung wird überwiegend mit einer dualistischen Notwehrbegründung erklärt.13 Danach streitet neben dem individualrechtlichen (Rechtsgüter-)Schutzprinzip der Grundgedanke der Rechtsbewährung zugunsten des Verteidigers. a) Selbstschutzgedanke der Notwehr Schon dass die Notwehr in ihren Wirkungen auf das Verhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger beschränkt bleiben muss und Dritte nicht betreffen darf, beruht auf der besonders geringen Schutzbedürftigkeit des Angreifers, der die Notwehrlage selbst rechtswidrig verursacht hat. Eine wehrhafte Ausgestaltung von Verteidigungsbefugnissen des angegriffenen Täters legitimiert sich in gewisser Weise bereits durch diese Besonderheit der unrechtmäßigen Gefahrverursachung, welche die Notwehrlage prägt.14 Schließlich hat das Opfer der Verteidigungshandlung mit dem Angriff ja gerade den Grund für die Eskalation gesetzt, sodass ihm (und nur ihm) auch zugemutet werden kann, eine Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter hinzunehmen.15 Nach deutschem Verständnis liegt schon deshalb wegen nur mittelbarer Beeinträchtigung durch andere Alleinvertriebshändler in Beispiel 4 eine Notwehrrechtfertigung fern. Dem Selbstschutzprinzip der Notwehr liegt der Gedanke zugrunde, jedermann solle seine Individualrechtsgüter dann verteidigen können, wenn der Staat den Schutz in bestimmten Situationen faktisch nicht gewähren kann.16 10 Eine kurze Zusammenfassung findet sich bei Jescheck/Weigend, AT, § 32 VII; ausführlich LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 6 ff. 11 Zu den „sozialethischen“ Einschränkungen der Notwehr Rönnau, JuS 2012, 404 ff. 12 Zum Ganzen LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 62 f. 13 Vgl. nur RGSt 55, 82, 85; BGHSt 24, 356, 359; 48, 207, 212; Fischer, § 32 Rn. 2; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 324a m.w.N. 14 Vgl. Freund, AT, § 3 Rn. 92; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 1. 15 Gegen Notwehr ist mangels Rechtswidrigkeit des Angriffs eine Notwehrverteidigung nicht möglich: RGSt 54, 196, 198; 66, 288 f.; BGH MDR 1994, 183; NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 61. 16 Zu diesem „Urrecht“ des Bürgers Kühl, AT, § 7 Rn. 8 f.
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b) Rechtsbewährungsprinzip Im Ergebnis lassen sich Befugnisse des Verteidigers, die dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit als der Rechtsordnung immanentes Prinzip nicht entsprechen müssen, gleichwohl nur dadurch schlüssig erklären, dass der Konflikt zweier Individualrechtsgüter durch den Konflikt zwischen Recht und Unrecht überlagert wird.17 Die h.M.18 geht deswegen im Ausgangspunkt überzeugend davon aus, dass neben den individualistischen Aspekt des Selbstschutzes zugleich die Bewährung der Rechtsordnung im Ganzen tritt.19 Der Notwehrtäter handelt insofern nicht nur im eigenen Interesse, sondern verteidigt zugleich die objektive Rechtsordnung als deren Repräsentant. In der Sache ist damit der Gedanke der Generalprävention angesprochen, wonach die zu befürchtende Schärfe der Verteidigung potentielle Täter von Unrechtsverwirklichung durch einen rechtswidrigen Angriff abschrecken soll.20 Für die sogleich zu behandelnde Notwehr gegen Rechtsgüter einer juristischen Person ist vor diesem Hintergrund folgende Überlegung relevant:21 Wer die Generalprävention als Strukturprinzip des Notwehrrechts anerkennt, kann einen Angreifer, den dieser Präventionsgedanke nicht oder nicht voll erreicht, kaum ebenso behandeln wie denjenigen, der versteht, dass sein rechtswidriger Angriff eine scharfe Verteidigung zur Folge haben kann. Ist ein Angreifer wie etwa die B-Bank in Beispiel 3 – im Gegensatz zu dem sie vertretenden Organ – dem Präventionsgedanken der Notwehr („wenn du rechtswidrig angreifst, hast du mit einer scharfen Gegenwehr zu rechnen“) von vornherein nicht zugänglich, muss sich dieser Umstand auch auf die Eingriffsbefugnisse des Verteidigers auswirken. Grundgedanke und Konzeption der Notwehr sind auch nicht allein von akademischem Interesse, sondern wirken sich auf die Auslegung zahlreicher Merkmale der Notwehrvorschriften aus. 2. Notwehrlage a) Notwehrfähige Rechtsgüter Die Notwehrlage setzt dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB gemäß einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff voraus. Bemerkenswert ist, dass im Grundsatz jedes Individualrechtsgut notwehrfähig ist. Notwehr gegen Universalrechtsgüter 17
Anschaulich Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 3: „der Eintritt der Notwehrlage kann als Versagen der Rechtsordnung begriffen werden“; vgl. auch Koch, ZStW 104 (1992), 785, 801. 18 Statt Vieler BGHSt 24, 356, 359; 48, 207, 212; Fischer, § 32 Rn. 2; S/S-Perron, § 32 Rn. 1a jeweils m.w.N. Insoweit kritisch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 66: „Niemand hat den Wert der Rechtsordnung je gemessen“. 19 Viel zitiert ist in diesem Zusammenhang das Schlagwort „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“, vgl. RGSt 21, 168, 170; Berner, Lehrbuch, S. 144. 20 Roxin, AT I, § 15 Rn. 2; ders., ZStW 93 (1981), 68, 73 f.; S/S-Perron, § 32 Rn. 1a; vgl. ferner SK-Günther, § 32 Rn. 13; Renzikowski, Notstand, S. 81 f. 21 Zum Ganzen sogleich ausführlich: 3. Teil A.III.
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scheidet demgegenüber nach allgemeiner Ansicht aus.22 Ein Angriff löst die verteidigerfreundlichen Eingriffsbefugnisse aus, ohne dass das Gesetz qualifizierende Anforderungen im Hinblick auf die Art des notwehrfähigen Rechtsguts stellt.23 Demnach dürfen etwa auch Angriffe auf den Besitz (vgl. § 868 BGB),24 das Vermögen im Allgemeinen25 oder die verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts26 durch Notwehrhandlungen abgewehrt werden. Gerade auch für das Wirtschaftsstrafrecht bedeutsame, rechtlich geschützte Belange mit wirtschaftlichem Wert sind demnach einer Verteidigung durch Notwehrgrundsätze zugänglich. Durch das Merkmal „notwehrfähiges Rechtsgut“ richtig erfasst ist auch die regelmäßig unter dem Schlagwort „Angriff durch Unterlassen“ geführte Diskussion27 um die Zulässigkeit von Notwehrbefugnissen gegen Vertragsverletzungen – insbesondere, wenn der Schuldner einer Forderung zu deren Erfüllung nicht bereit ist. Denn ebenso wenig wie für allein relativ bestehende Rechtspositionen im Zivilrecht deliktischer Schutz besteht,28 wird man den für eine Notwehrhandlung erforderlichen Rechtsbewährungsgrundsatz als betroffen ansehen können, wenn Rechtsgüter nicht allgemein, sondern nur gegenüber bestimmten Dritten bestehen. Forderungen und andere vertragliche Rechte, die nur im Rahmen einzelner Rechtsverhältnisse rechtlich Bestand haben, sind einem erga omnes wirkenden Rechtswidrigkeitsurteil nicht zugänglich und schon aus diesem Grund nicht notwehrfähig.29 Ein Gläubiger darf sich deshalb nicht mit Gewalt zu „seinem Recht“ verhelfen, wie sich bereits aus den Vorgaben des § 229 BGB ergibt. In Ansehung der Notwehrfähigkeit eines Rechtsguts ist weiter zu beachten, dass eine Notwehrlage für jedes Schutzinteresse einzeln zu prüfen ist und auch dann nicht auf andere Rechtsgüter ausstrahlt, wenn etwa neben einem notwehrfähigen Individualrechtsgut ein Universalwert betroffen ist. Die Notwehrprüfung kann für verschiedene Rechtsgüter deshalb immer auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.30 Für das Wirtschaftsstrafrecht bedeutet dies, dass allein gegenüber einem rechtswidrig angreifenden Wettbewerber eine Verteidigung nach Notwehrgrundsätzen in Betracht kommt. Wird aber wie in Beispiel 3 auch das Kollektivrechtsgut des Vertrauens in die Richtigkeit und Vollständigkeit bestimmter Gesellschaftsan22
Siehe nur Lackner/Kühl, § 32 Rn. 3 m.w.N. Freilich streitet man darüber, inwieweit für die allgemeine Handlungsfreiheit die in BVerfGE 92, 1 ff. aufgestellten Schranken zu übertragen sind. Dazu instruktiv Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 94; vgl. auch Kühl, AT, § 7 Rn. 35. 24 Vgl. BGH NStZ-RR 2004, 10. 25 Vgl. BGHSt 48, 207, 212; S/S-Perron, § 32 Rn. 5a m.w.N. 26 Aus der Rspr.: OLG Karlsruhe StV 1981, 408, 409; OLG Hamm JZ 1988, 308; OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971, 1972; eingehend Peglau, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, S. 23 ff.; vgl. auch Roxin, AT I, § 15 Rn. 30. 27 Ausführlich Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 68; LK11-Spendel, § 32 Rn. 190 ff. 28 Wagner, in: MüKo BGB, § 823 Rn. 223 ff.; Larenz/Canaris, BT II/2, § 76 II 4. 29 In der Begründung ähnlich Roxin, AT I, § 15 Rn. 35; SK-Günther, § 32 Rn. 101. 30 Fischer, § 32 Rn. 3; Mitsch, JR 2006, 450, 451; Kühl, AT, § 7 Rn. 84. 23
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gaben geschützt,31 scheidet insofern eine Rechtfertigung durch Notwehr aus. Der Vorstand des K-Konzerns kann sich schon aus diesem Grund nicht auf § 32 StGB berufen, um den in der Bilanz fälschlicherweise verbuchten Gewinn zu rechtfertigen. b) Gegenwärtigkeit Eine weitere, die Gegenwärtigkeit des Angriffs und damit die Voraussetzungen der Notwehr betreffende Problemstellung ist für die Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht relevant. Abwehrhandlungen sind in den für die Wirtschaftsdelinquenz typischen Handlungssubjekten, den Unternehmen,32 nämlich regelmäßig nicht ebenso schnell zu koordinieren wie in einer akuten „Kampflage“ zwischen natürlichen Personen. Es drängt sich deshalb hier die Vorfrage nach den Grenzen der Gegenwärtigkeit eines Angriffs auf. Für diese hat sich eine allseits geteilte Grundformel herausgebildet, wonach der Angriff gegenwärtig ist, wenn er „unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert“.33 Umstritten und für das Verständnis einer Abwehrhandlung zwischen Unternehmen wesentlich34 ist allerdings der Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit. Denkbar erscheint, auf die Gegenwärtigkeit der Angriffshandlung abzustellen. Daneben kommt aber auch die Gefahr der Rechtsgutsverletzung als Anknüpfungsmoment in Betracht. Wer meint, die Gegenwärtigkeit beziehe sich auf die Angriffshandlung,35 müsste an sich die Notwehrfähigkeit verneinen, sobald ein Angreifer seine Höllenmaschine in Gang gesetzt hat, obwohl eine nur ihm bekannte Zahlenkombination die Maschine entschärfen und Gefahren für Leib und Leben abwenden könnte.36 Weil jedoch allein die Herbeiführung der Notwehrlage durch den Angreifer die Schärfe der Verteidigungsbefugnisse nicht zu erklären vermag, kann auch nicht dessen Handlung für die Gegenwärtigkeit des Angriffs maßgeblich sein.37 Entscheidend ist vielmehr, ob die aus dem Angriff resultierende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung gegenwärtig ist.38 Gerade im Hinblick auf einen noch andauernden Angriff wird auch in der Literatur 31
Zum Schutzgut von § 400 AktG Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 400 AktG Rn. 2 f. Vgl. o.: 2. Teil A. 33 OLG Stuttgart NJW 1992, 850 f.; Jescheck /Weigend, AT, § 32 II 1 d; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 328 m.w.N. 34 s. u.: 3. Teil A.IV.3.b)bb). 35 In diesem Sinne Frister, GA 1988, 291, 302, 306 f.; Renzikowski, Notstand, S. 291; S/SPerron, § 32 Rn. 13. 36 Beispiel nach LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 149. 37 Vgl. LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 141: Ein Abstellen auf die Angriffshandlung vertrage sich nur mit einem auf dem Gesichtspunkt der Selbstgefährdung beruhenden Notwehrverständnis, wonach der Angreifer die Beendigung seines Angriffs selbst in der Hand habe. Hier wird demgegenüber, wie gesehen, das herrschende Verständnis einer dualistischen Notwehrlehre zugrunde gelegt. 38 Auf das Umschlagen in eine Rechtsgutsverletzung abstellend BGH NJW 1973, 255; NStZ 2000, 365; BayOblG NJW 1985, 2600, 2601; vgl. auch BGH NStZ 2006, 152, 153 (zu befürchtende Wiederholung des Angriffs). 32
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regelmäßig das Eintreten bzw. die Intensivierung einer Rechtsgutsverletzung für entscheidend gehalten,39 sodass der hier vertretene Bezugspunkt im Ergebnis vorherrschend sein dürfte. Auch wenn der Angreifer seine Handlung also beendet hat, der Eintritt des Verletzungserfolgs gleichwohl noch aussteht oder bei Dauerdelikten andauert, verbleiben dem Angegriffenen während dieser Zeit die Verteidigungsmöglichkeiten nach §§ 32 StGB, 15 OWiG.40
3. Notwehrhandlung a) „Drittwirkung“ der Notwehr? Die Vielschichtigkeit von Beziehungen im Wirtschaftsleben bedingt, dass die Verteidigung gegen rechtswidriges Verhalten regelmäßig auch Dritte betreffen wird. So werden in Beispiel 1 etwa auch Aktionäre des Unternehmens in ihren Interessen berührt, wenn sich der COO zu einer Gegendarstellung entschließt, die zu negativer Publizität für das Unternehmen führt. Auch wenn es um einen durch eine Art Notwehrrecht zu lösenden Konflikt zwischen zwei Unternehmen geht, wirkt sich eine Verteidigungshandlung zumindest mittelbar auf das Umfeld des angreifenden Unternehmens aus. In den meisten Fällen werden durch eine Verteidigungshandlung gegen ein Unternehmen auch dessen Arbeitnehmer, Lieferanten, Eigen- und Fremdkapitalgeber oder gar andere Wettbewerber in Mitleidenschaft gezogen. Es bedarf daher eines Blickes auf die sog. „Drittwirkung der Notwehr“. Im Grundsatz ist man sich darüber einig, dass die scharfen Befugnisse des Notwehrrechts auf die Beziehung zwischen Angreifer und Verteidiger begrenzt bleiben müssen und sich eine Externalisierung darüber hinaus verbietet.41 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird teilweise für diejenigen fremden Rechtsgüter gemacht, derer sich der Angreifer zur Durchführung des Angriffs bedient und damit „in den Dienste des Unrechts“ stellt. Dies führt zu dem Ergebnis, dass eine Verteidigung auch dann gegen angriffsunterstützende Rechtsgüter unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gestattet sein soll, wenn diese im Eigentum Dritter stehen.42 Danach käme eine Notwehrhandlung etwa auch gegen das Mietfahrzeug in Betracht, mithilfe dessen die Beute aus einem Banküberfall abtransportiert wird. Zutreffend lehnt demgegenüber die heute herrschende Lehre eine solche Bereichsausnahme vom Verbot der Externalisierung von Notwehrbefugnissen ab.43 Dieses Ergebnis 39 Fischer, § 32 Rn. 18; SK-Günther, § 32 Rn. 80; S/S-Perron, § 32 Rn. 15; Roxin, AT I, § 15 Rn. 28 f.; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 142. 40 BGH NStZ-RR 2010, 140; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 149 m.w.N. 41 Siehe nur Fischer, § 32 Rn. 24; Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 123 ff. jeweils m.w.N. 42 RGSt 58, 27, 29; Welzel, Strafrecht, § 14 II 3; LK11-Spendel, § 32 Rn. 211; Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 127, mit der Einschränkung, dass der Dritte die Sache dem Angreifer einverständlich überlassen hat. 43 NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 80 f.; SK-Günther, § 32 Rn. 84; Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 23 f. m.w.N.
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folgt dabei schon aus einer wohl verstandenen Einordnung in den Angriffsbegriff der Notwehrdogmatik. Überlässt ein Eigentümer dem Angreifer seine Sache zum Zwecke des Angriffs, so macht er sich selbst zum Angreifer und muss deswegen auch die scharfe Verteidigung nach § 32 StGB hinnehmen.44 In allen anderen Fällen greift allein der verteidigerfreundliche Maßstab des Defensivnotstandes zugunsten des Verteidigers. Schließlich wird heute ganz überwiegend anerkannt, dass auch über den Anwendungsbereich des § 228 BGB („Verteidigung gegenüber Sachen“) hinaus der Abwägungsmaßstab maßgeblich dadurch beeinflusst wird, dass die Gefahr dem Inhaber des Erhaltungsguts zugerechnet werden kann.45 Die Interessenabwägung kann dann entgegen dem abstrakten Rang der betroffenen Rechtsgüter ausfallen, da der Notstandstäter umso weniger die Solidarität Dritter beanspruchen darf, je stärker ihm die Rechtfertigungslage zuzurechnen ist.46 b) Institutionalisiertes Verfahren und Notwehr Eine weitere Besonderheit der Konfliktlösung im wirtschaftlichen Bereich ist für die allgemeinen Voraussetzungen der Notwehrhandlung relevant. Im Gegensatz zur Angriffssituation zwischen natürlichen Personen werden Streitigkeiten im Wirtschaftsleben nämlich in aller Regel nicht über Selbsthilfebefugnisse, sondern im Rahmen von institutionalisierten Verfahren und namentlich vor Gericht ausgetragen. Dem Verhältnis von staatlichen Verfahren zum Notwehrrecht kommt für den Bereich der Wirtschaftsdelinquenz deswegen ein besonderer Stellenwert zu. In den Prüfungsaufbau der Notwehr wird ein Vorrang staatlich organisierter Prozesse richtig integriert, indem man die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung unter diesem Aspekt untersucht und danach fragt, ob etwa das Erwirken einer einstweiligen Verfügung ein relativ milderes Mittel zur eigenmächtigen Handlung darstellt. Dabei lassen sich für die Notwehr vernünftige Ergebnisse erzielen, wenn man das Erfordernis der gleichen Geeignetheit von den die Erforderlichkeit einschränkenden Mitteln ernst nimmt. Im Grundsatz gilt, dass nach dem Maßstab der Selbsthilfevorschrift in § 229 BGB Notwehr nur in Betracht kommt, wenn „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist“.47 Auf der anderen Seite kann die Effektivität der Angriffsabwehr nicht darunter leiden, dass der Angegriffene stets den Verfahrensweg beschreiten muss.48 Deswegen gelten für ein Gerichtsverfahren 44
LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 163. Grundlegend Roxin, in: FS Jescheck, S. 457, 469; zur Rechtsfigur zuerst Lampe, NJW 1968, 88 ff. („defensiver übergesetzlicher Notstand“); Jakobs, AT, 13/46 f.; Fischer, § 34 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 4; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 162 f. („Schutzwürdigkeit der beiderseitigen Interessen mit umgekehrten Vorzeichen“). Siehe dazu auch noch: 4. Teil F.II.1.d). 46 Roxin, in: FS Jescheck, S. 457, 465; Momsen, in: Beck OK, § 34 Rn. 13; vgl. aber auch NK-Neumann, § 34 Rn. 86. 47 Vgl. Pawlik, ZStW 114 (2002), 259, 269, 289; Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 142 m.w.N. 48 Anschaulich Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 80; S/S-Perron, § 32 Rn. 41 m.w.N. 45
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dieselben Grundsätze, die für die Notwehr im Verhältnis zur obrigkeitlichen Hilfe entwickelt worden sind: Staatlicher Schutz kann nur vorrangig sein, wenn er dieselben Erfolgsaussichten bietet (gleiche Geeignetheit) und die Rechtsgüter des Angreifers nicht stärker belastet.49 Stellt sich die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber einer anderweitigen Abwehr des Angriffs als weniger wirksam und damit nicht als gleich geeignet dar, bleibt diese Möglichkeit auch für die Prüfung der Erforderlichkeit von vornherein außer Betracht.50 Für das Notwehrrecht mag zwar im Ausgangspunkt eine Subsidiarität zu gerichtlichen Verfahren bestehen. Wegen der engen zeitlichen Grenzen, die in der konkreten Verteidigungssituation regelmäßig bestehen, wird es zum Ausschluss der Erforderlichkeit aus diesem Grund jedoch zumeist nicht kommen.51 Auch wenn wie in Beispiel 2 das Vermögen der E-Ltd. als Ganzes angegriffen wird, scheidet eine Rechtfertigung durch Notwehr noch nicht aufgrund von Erforderlichkeitsgesichtspunkten aus.52 Allgemein formuliert kann jedoch das Vermögen als angegriffenes Rechtsgut für die Beurteilung der Erforderlichkeit insofern Bedeutung erlangen, als entsprechende Interessen eher einmal ohne Überschreitung eines vertretbaren (Prozess-)Risikos auf gerichtlichem Wege ebenso effektiv gewahrt werden können wie durch Selbsthilfebefugnisse.53 Ist dies der Fall, steht das staatliche Verfahren einer eigenen Notwehrhandlung eines am Markt Tätigen als ebenso geeignetes und milderes Mittel entgegen.
49 Vgl. BGHSt 39, 133, 140; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183. Die Subsidiarität zu staatlichem Verfahren in einem anders gelagerten Fall weitgehend einschränkend BGH NJW 1980, 2263; für eine realistische Einschätzung der alternativen Verteidigungsmöglichkeiten in der Notwehr jüngst entschieden Erb, NStZ 2011, 186 ff. („Aushöhlung des Notwehrrechts“). 50 SK-Günther, § 32 Rn. 101; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; a.A. wohl Kühl, AT, § 7 Rn. 122, wobei hier nicht klar zwischen Erforderlichkeit und der Frage unterschieden wird, inwieweit nur relative Rechte durchgesetzt werden sollen. 51 Ebenso LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 30; NKKindhäuser, § 32 Rn. 95: Subsidiarität bestünde nur gegenüber „präsenter, parater und einschreitensbereiter staatlicher Gefahrenabwehr“. 52 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 80; zur Notwehrbefugnis nach zuvor begangener Selbsthilfe (§ 229 BGB) jüngst BGH, Beschl. v. 05. 04. 2011 – 3 StR 66/11-, BeckRS 2011, 09435. Auch in der Fallgruppe der sog. Chantage ist das Vermögen des Opfers angegriffenes Rechtsgut und trotz der Möglichkeit einer Strafanzeige („vorrangiges Verfahren“) wird dort ein Ausschluss der Erforderlichkeit herrschend nicht befürwortet, dazu Eggert, NStZ 2001, 225, 227. 53 Vgl. Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 30.
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III. Notwehr gegen Rechtsgüter einer juristischen Person 1. Mögliche Angriffsrichtungen und Notwehrkonstellationen unter Beteiligung eines Unternehmens Im Hinblick auf einen Unrechtsausschluss durch Notwehr unter Einbeziehung von juristischen Personen – und als solche sind Wirtschaftsunternehmungen ja in aller Regel organisiert – ergeben sich zwei mögliche Angriffsrichtungen, die zunächst auseinanderzuhalten sind. Zum einen wurde bereits in der Einführung die Frage angedeutet, ob ein Unternehmensorgan Nothilfe zugunsten der eigenen juristischen Person leisten darf. Ist ein GmbH-Geschäftsführer etwa im Begriff, Gelder der Gesellschaft zu veruntreuen, stellt sich die Frage, ob andere Geschäftsführer ihn unter Inanspruchnahme von Nothilfebefugnissen zugunsten der Gesellschaft von einer solchen Handlung abhalten können.54 Dies ist zumindest bei privatrechtlich organisierten juristischen Personen der Fall. Denn auch das Vermögen einer juristischen Person bleibt ein Individualrechtsgut, welches durch eine Nothilfehandlung verteidigt werden kann. Bereits das Reichsgericht hat entschieden, dass nicht einzusehen sei, warum die Abwehr eines diebischen Angriffs auf das Vermögen einer Aktiengesellschaft […] anders behandelt werden sollte als ein solcher auf das Eigentum eines einzelnen Menschen.55 In diesem Sinne wird heute allgemein anerkannt, dass „ein anderer“ in den §§ 32 Abs. 2 StGB, 15 Abs. 2 OWiG auch eine juristische Person sein kann.56 Deswegen kann ein Unternehmensangehöriger, aber auch ein Organ der juristischen Person als Dritter Nothilfe in den bestehenden Grenzen57 zugunsten seines Unternehmens üben, wenn ein notwehrfähiger Angriff auf Rechtsgüter der juristischen Person verübt wird. Dieser Konstellation dürfte nun auch einige Praxisrelevanz zukommen. Erscheinen doch rechtswidrige Angriffe auf das Vermögen des Unternehmens, wie sie z. B. durch betrügerische Handlungen Dritter verübt werden können, durchaus nicht ausgeschlossen. Ist die Nothilfehandlung zugunsten einer juristischen Person rechtlich noch vergleichsweise eindeutig zu würdigen, so werden die Dinge schwieriger, wenn sich die Notwehr auslösende Angriffsrichtung „umdreht“. In letztgenannter Konstellation geht es um den von einem Organ oder Repräsentanten der juristischen Person ausgehenden Angriff (diese selbst kann in einem natürlichen Sinne nicht angreifen; sie wird durch ihre Organe überhaupt erst handlungsfähig). Gegen einen solchen Angriff wird sich der Notwehr Übende regelmäßig mit einem Eingriff nicht nur in private Rechtsgüter des angreifenden Organwalters selbst, sondern zugleich durch einen Zugriff auf Eingriffsrechtsgüter der juristischen Person verteidigen wollen. In Bei54
Vgl. zur Konstellation Beck/Valerius, Fälle WiStra, Fall 3 Rn. 48. RGSt 63, 215, 220. 56 Fischer, § 32 Rn. 11; S/S-Perron, § 32 Rn. 6; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 78; SKGünther, § 32 Rn. 53 der insofern auch auf die Wertungen des Art. 19 Abs. 3 GG verweist. 57 Zu den insoweit (nicht) bestehenden, zusätzlichen Schranken zulasten eines Nothelfenden Lackner/Kühl, § 32 Rn. 12. 55
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
spiel 1 erscheint eine Verteidigung gegenüber dem intrigierenden Vorstandsvorsitzenden selbst wenig aussichtsreich. Fraglich ist, ob der COO eine Gegendarstellung unter Notwehrgesichtspunkten auch dann vornehmen darf, wenn dadurch die Belange der Gesellschaft berührt werden. Denkbar erscheinen damit zwei „Pools“ an Rechtsgütern, auf die der Angegriffene zum Zwecke seiner Verteidigung zugreifen kann: Zweifelsohne erlaubt es die Notwehr dem Verteidiger, sich dem Angriff des Organs zu erwehren, indem er Rechtsgüter des Organs als natürliche Person beschädigt. Der leitende Angestellte kann den ausfallend werdenden Vorstand etwa dazu bringen, seine Beleidigungstiraden einzustellen, auch wenn im Zuge der erforderlichen Verteidigung dessen Anzug in Mitleidenschaft gezogen wird. Wie bereits angedeutet, ist für das Wirtschaftsstrafrecht interessanter, ob daneben auch eine Verteidigung gegen Rechtsgüter desjenigen Unternehmens in Betracht kommt, aus dem heraus das Organ angreift. Aufgrund des Drittwirkungsverbots der Notwehr kann sich eine Verteidigung zunächst ausschließlich gegen den Träger des Angriffs selbst richten.58 Im Folgenden soll deshalb geklärt werden, ob ein Unrechtsausschluss aufgrund von Notwehr bei einem Eingriff in Rechtsgüter zulasten von einem Unternehmen überhaupt möglich erscheint oder aber von vornherein ausscheidet. Wie bereits angedeutet, kann eine juristische Person nur Angreiferin sein, wenn sie durch ihr Organ entweder selbst angreift [2.] oder ihr der Angriff eines Organs anderweitig zugerechnet werden kann [3.]. Dass zumindest eine solche Zurechnung unerlässlich ist, ergibt sich schon aus der ratio des Notwehrrechts, welches seine weiten Eingriffsmöglichkeiten vor allem auch dem Umstand verdankt, dass der Angreifer selbst die Ursache für die Eskalation gesetzt hat.59 2. Angriff des Organs als eigener Angriff der juristischen Person? Die Frage nach der Angreifereigenschaft einer juristischen Person nimmt in der strafrechtlichen Diskussion einen vergleichsweise geringen Raum ein und ist weit davon entfernt, argumentativ vollständig ausgeleuchtet zu sein. Die Thematik wird beinahe ausschließlich im Zusammenhang mit dem Staat als betroffene juristische Person behandelt. Im Vordergrund steht dabei die Beurteilung einer Verteidigung gegen staatlich veranlasstes Unrecht wie gegen den Vollzug rechtskräftiger Fehlentscheidungen oder offensichtlicher Schandurteile.60 Dass eine Angriffssituation im Sinne des Notwehrrechts auch für hochrangige Vorstände deutscher Landesbanken 58
s. o.: 3. Teil A.II.3.a). Zu Begründungsansätzen für das Notwehrrecht oben: 3. Teil A.II.1. m.w.N.; vgl. auch Roxin, in: FS Jescheck, S. 457, 458 f.: „personales Unrecht des Angreifers“. 60 NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 31; LK11-Spendel, § 32 Rn. 33 ff. m.w.N. In dem insoweit häufig diskutierten Fall befreit sich ein zu Unrecht Gefangener, indem er im Wege der Sachbeschädigung seine Gefangenenzelle, welche im Eigentum des Staates als juristischer Person steht, beschädigt. Es stellt sich dann die Frage, ob auch ein Eingriff in Rechtsgüter des Staates durch Notwehr gedeckt sein kann. 59
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keineswegs ausgeschlossen erscheint, zeigt die Spitzelaffäre im Zusammenhang mit der fristlosen Kündigung des ehemaligen HSH Nordbank-Vorstands Frank Roth, welcher Beispiel 1 nachgebildet ist.61 Diesem sollen Presseberichten zufolge gefälschte Informationen zugespielt und möglicherweise Beweise für eine vermeintliche Veröffentlichung von geheimen Sachverhalten der Bank gezielt untergeschoben worden sein. Insofern dürfte ein notwehrfähiger Angriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Rufschädigung)62 bzw. mittelbar – aufgrund des im Raum stehenden außerordentlichen Kündigungsgrundes – auch auf dessen Vermögen vorgelegen haben. Sollten sich entsprechende Verdachtsmomente gegen den Vorstandsvorsitzenden und weitere Unternehmensangehörige der Bank erhärten, wäre in Beispiel 1 ein rechtswidriger Angriff von Organwaltern der Aktiengesellschaft ausgegangen (vgl. auch § 164 StGB). Der COO hat ein vitales Interesse daran, sich die scharfen Eingriffsmöglichkeiten des Notwehrrechts nicht nur gegenüber dem – ihm im konkreten Fall sogar unbekannten – angreifenden Unternehmensangehörigen als natürliche Person, sondern auch und vor allem gegenüber der Aktiengesellschaft selbst zu verschaffen.63 Strafrechtlich ist die Frage schon deswegen interessant, weil bereits das bloße Bemühen um eine unverzügliche Richtigstellung des Sachverhalts in der Öffentlichkeit Haftungsrisiken birgt, vgl. §§ 404 Abs. 1 AktG, 85 Abs. 1 GmbHG, 187 StGB. Erst recht müsste man die besondere Reichweite notwehrrechtlicher Eingriffsbefugnisse bemühen, wenn in dem geschilderten Fall der zu Unrecht verdächtigte und mit fristloser Entlassung bedrohte Vorstand sich durch einen „Griff in die Kasse“, d. h. unter Ausnutzung seines Zugriffs auf das Vermögen der juristischen Person, Abwehrmöglichkeiten verschaffen will.64 So könnten in Beispiel 1 etwa die für eine öffentlichkeitswirksame Gegendarstellung nötigen Auslagen oder sonstige „Notfallaufwendungen“ als Eingriffsgüter in Betracht kommen. Ob und in welchem Umfang entsprechende Abwehrhandlungen im Ergebnis tatsächlich rechtfertigend wirken können, ist deshalb im Folgenden zu prüfen. Anderes gilt freilich von vornherein für das eigenmächtige Verschaffen einer vertragsgemäßen Abfindung, da diese schon keine Verteidigungshandlung im Sinne des Notwehrrechts, sondern lediglich eine nachträgliche Maßnahme zum Ausgleich des erlittenen Nachteils darstellte.65 61
Für einen Eindruck der insgesamt im Raum stehenden Vorwürfe gegen Teile des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats: Der Spiegel Nr. 35/2010, S. 26, 29 f. und passim. 62 Vgl. BGHSt 14, 358, 361; Fischer, § 32 Rn. 8 m.w.N. Siehe auch oben: 3. Teil A.II.2.a). 63 Vgl. auch LK11-Spendel, § 32 Rn. 35, der darauf hinweist, dass ein Angegriffener sich schadensersatzpflichtig machen könne, wenn er im Zuge seiner Verteidigung das Vermögen einer juristischen Person verletzt und man ihm gegenüber der juristischen Person kein Notwehrrecht (§ 227 BGB) zugestehe. 64 Rechtsgüter des Angreifers, also hier des Unternehmens, gegen welche sich die Verteidigung richtet, müssen nicht selbst zum Angriff eingesetzt worden sein, vgl. Jakobs, AT, 12/ 28; S/S-Perron, § 32 Rn. 31; Roxin, AT I, § 15 Rn. 128; Gropengießer, JR 1998, 89, 90. 65 In erwähnter Angelegenheit etwa wurde bekannt, dass Ex-HSH-Vorstand Roth im Nachhinein Schiedsklage auf eine vertragsgemäße Abfindung einreichen will, siehe z. B. http://
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Zunächst ist daher zu untersuchen, ob jedes Angriffshandeln eines Organs zugleich als Angriff der juristischen Person gewertet werden kann. Ein Angriff der juristischen Person träte neben denjenigen des handelnden Organwalters und läge nicht alternativ zu einem Angriff durch die natürliche Person vor.66 Insofern finden sich durchaus Stimmen, die für das Notwehrrecht Angriffshandlungen von Organen immer auch als Angriffe der juristischen Person behandeln wollen. Insbesondere im zivilrechtlichen Schrifttum wurde und wird zur Person des Angreifers nach § 227 BGB vertreten, dass auch eine juristische Person als Angreiferin in Betracht käme.67 Demnach stellte ein Angriff durch ein Organ per se einen Angriff der juristischen Person dar, sodass sich Fragen der Zurechnung hin zur juristischen Person erübrigten. Ein solcher Ansatz ist dem deutschen Recht gerade auch für deliktisches Handeln68 von Organen nicht fremd und im Zivilrecht sogar allgemein anerkannt. So enthält § 31 BGB als germanisch rechtliche Besonderheit69 ein allgemeines Prinzip der Organhaftung, wonach juristische Personen für das Handeln ihrer Organwalter ebenso verantwortlich sind wie natürliche Personen für ihr eigenes Verhalten.70 Rechtspolitische Grundlage dieses Verbandsprinzips, das inzwischen kraft Gewohnheitsrechts auch für Personengesellschaften gilt,71 ist die Überlegung, dass jede Organtätigkeit der juristischen Person zugutekommt und diese deshalb auch für das mit entsprechender Tätigkeit einhergehende Risiko einzustehen haben soll.72 Soll eine Organhandlung immer auch zugleich Handlung der juristischen Person sein, so bedarf es nach zivilrechtlichen Grundsätzen eines inneren Zusammenhangs zwischen Organtätigkeit und schadenstiftender Handlung.73 Mit dem Befund ist gleichwohl noch nichts darüber ausgesagt, ob entsprechende Wertungen auf die strafrechtliche Notwehr anwendbar sind bzw. genauer, ob sich www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article1676096/HSH-Nordbank-erleidet-Niederlage-im-Fall-Roth.html, zuletzt eingesehen am 31. Oktober 2010. 66 LK11-Spendel, § 32 Rn. 35 warnt vor einer unvertretbaren Einschränkung des Notwehrrechts bei Annahme eines Angriffs nur der juristischen Person; ähnlich NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 31. 67 Allen voran ohne weitere Begründung Johannsen, in: RGRK, BGB, § 227 Rn. 13; Dilcher, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 227 Rn. 5; aus der älteren Literatur v. Alberti, Notwehrrecht, S. 12; Großmann, Selbstverteidigung, S. 68. Wie LK11-Spendel, § 32 Rn. 34 Fn. 72 richtig bemerkt, enthält die in diesem Kontext immer wieder zitierte Entscheidung OGHSt 1, 273, 274 keine wirklich verwertbare Aussage zur Angreiferqualität einer juristischen Person. 68 Zur Frage, inwieweit für rechtsgeschäftliches Organhandeln ein Anwendungsbereich von § 278 BGB verbleibt BGH[Z] NJW 1977, 2259; aber auch BGHZ 109, 327, 330. 69 Reuter, in: MüKo BGB, § 31 Rn. 1; Mot. I, S. 102. 70 Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 25 ff.; Weick, in: Staudinger, BGB, § 31 Rn. 1 f. 71 Jauernig, BGB, § 31 Rn. 2 m.w.N.; für die GbR jetzt auch BGH[Z] NJW 2003, 1445, 1446; NJW 2003, 2984, 2985. 72 Statt Aller Weick, in: Staudinger, BGB, § 31 Rn. 1; siehe zu diesen Erwägungen als Zurechnungsgrund auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 164. 73 Mot. I, S. 102; BGHZ 98, 148, 152; 99, 298, 300.
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diese zivilrechtlichen Grundsätze mit der Folge übertragen lassen, dass eine juristische Person selbst als Angreiferin zu behandeln wäre. Anhand von Strukturmerkmalen der Notwehr bleibt vielmehr zu prüfen, ob strafrechtliche Prinzipien es verbieten, einer Personengesamtheit eine Angreifereigenschaft zukommen zu lassen oder ob auch eine juristische Person notwehrrechtlich angreifen kann. a) Handlungsfähigkeit als Voraussetzung einer Angriffshandlung Gegen eine Angreifereigenschaft von Unternehmen wird immer wieder die fehlende Handlungsfähigkeit juristischer Personen im strafrechtlichen Sinne ins Feld geführt.74 Dabei ist der notwehrrechtliche Angriff in seinem Ausgangspunkt jedes gewillkürte Verhalten eines Menschen.75 Ein solches liegt mit der Handlung eines Organwalters aber immer vor. Auch in den Beispielen 1 und 3 stehen menschliche Handlungen hinter dem „Verhalten“ der Aktiengesellschaft bzw. des K-Konzerns. Nimmt man den Angriffsbegriff ernst, kann ein bloßer Verweis auf die im Strafrecht fehlende Handlungsfähigkeit der juristischen Person als solches noch nicht genügen, um die Angreifereigenschaft der juristischen Person zu verneinen. Dass die fehlende Handlungsfähigkeit für sich genommen noch kein hinreichendes Kriterium für eine Ablehnung der Angreifereigenschaft sein kann, zeigt zudem ein Blick auf den Diskussionsstand im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen des Notwehrrechts. Bereits der Umstand, dass bei von Menschen gesteuerten Tierangriffen („Hetze“) nach heute ganz h.M.76 natürliche Personen auch dann Angreifer sein können, wenn von ihnen selbst gar keine unmittelbare Gefahr ausgeht, spricht dagegen, die strafrechtliche Handlungsfähigkeit für die Stellung als Angreifer als allein relevant anzusehen. Entscheidend für das Vorliegen eines Angriffs im Sinne der Notwehrlage ist vielmehr, ob irgendein Mensch steuernd einwirkt und sich daraus eine Gefahrenlage ergibt. Soweit diese Voraussetzung vorliegt, ist für jede mögliche Gefahrenquelle die Angreifereigenschaft gesondert zu prüfen – für den gehetzten Hund und den Halter ebenso wie für ein angreifendes Organ und die juristische Person, als deren Teil es handelt. Sachen (vgl. auch § 90a S. 3 BGB) können dabei freilich schon deswegen nicht angreifen, weil insofern ein Rechtswidrigkeitsurteil sinnvoll nicht zu fällen ist. Erst indem man aber den Tierangriff dem Menschen normativ zurechnet,77 die gehetzte Dogge gleichsam als „verlängerten Arm“ des Menschen begreift, wird der hetzende Halter notwehrrechtlich Angreifer. Es lässt sich also festhalten, dass eine 74 Roxin, AT I, § 15 Rn. 7; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 99; Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 58; LK11-Spendel, § 32 Rn. 35; a.A. Jakobs, AT, 6/44, der juristischen Personen strafrechtliche Handlungsfähigkeit zuspricht. 75 RGSt 34, 295, 296; 36, 233, 236; OGHSt 1, 273, 274; SK-Günther, § 32 Rn. 23 m.w.N. 76 Fischer, § 32 Rn. 6; S/S-Perron, § 32 Rn. 3; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 99 m.w.N. 77 Für eine eigenständige Angriffsqualität von Tierangriffen i.S.d. Notwehrrechts LK11Spendel, § 32 Rn. 38 ff., 44 m.w.N.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Angreifereigenschaft auch dann vorliegen kann, wenn von der menschlichen Handlung als solcher gar keine Gefahr ausgeht. Erscheinen demgemäß Angriffe denkbar, obwohl der Mensch selbst nicht unmittelbar eine Gefahr für Rechtsgüter des Verteidigers darstellt, kann strafrechtliche Handlungsfähigkeit auch keine Voraussetzung für eine Eigenschaft als Angreifer sein. Dagegen, eine solche Anforderung an das Vorliegen eines Angriffs zu stellen, spricht weiter die Diskussion um die Möglichkeit einer Notwehrverteidigung in Fällen, in denen die Notwehrlage ohne Handlungsbewusstsein verursacht wird.78 Insoweit tritt eine gewichtige Ansicht dafür ein, auch Handlungen ohne entsprechendes Bewusstsein, wie etwa Reflexbewegungen, als vom Angriffsbegriff umfasst anzusehen.79 Folgt man dieser Sichtweise, stellten auch in diesem Kontext menschliche Verhaltensweisen, denen strafrechtlich die Handlungsqualität fehlt, notwehrrechtlich einen Angriff dar.80 Der Streitstand um die Notwendigkeit von Handlungsbewusstsein des Angreifers ist altbekannt und gute Argumente streiten auch für die Erforderlichkeit eines entsprechenden Bewusstseins.81 Doch darauf kommt es hier nicht an. – Ist sogar in Ansehung von menschlichen Verhaltensweisen lebhaft umstritten, ob strafrechtliche Handlungsfähigkeit überhaupt vorliegen muss, so verbietet es sich jedenfalls, die Angreifereigenschaft einer juristischen Person mit bloßem Verweis auf deren fehlende Handlungsfähigkeit abzulehnen. Auch dass ein menschliches Verhalten als Voraussetzung eines Angriffs allgemein anerkannt wird, besagt für sich genommen noch nichts darüber, ob es auch der Handlungsqualität eines Angriffs bedarf. Letztere ist eigenständiges Merkmal des Deliktsaufbaus, während jene Voraussetzung allein die Abgrenzung zum bloßen Sachangriff ermöglichen soll.82 Die unterschiedlichen Funktionen der Kategorien machen bereits deutlich, dass insofern keine wechselseitigen Rückschlüsse möglich sind. Im Übrigen erscheinen auch in systematischer Hinsicht das Notwehrrecht und insbesondere der Angriffsbegriff von einer streng strafrechtlichen Betrachtung gelöst, wie sie durch eine Anknüpfung an die strafrechtliche Handlungsfähigkeit des Angreifers suggeriert wird. So werden zum einen auch nicht strafrechtlich geschützte Rechtsgüter in den Kreis notwehrfähiger Interessen mit einbezogen.83 Zum anderen wird die Rechtswidrigkeit des Angriffs schon überwiegend gar nicht als Strafrechtswidrigkeit verstanden.84 Aus diesen Gründen ist auch in Ansehung des Angriffs 78 Vom Streit um das Handlungsbewusstsein des Angreifers als Voraussetzung einer Notwehrlage ist dessen Unrechtsbewusstsein zu unterscheiden, vgl. S/S-Perron, § 32 Rn. 3, 21. 79 Fischer, § 32 Rn. 5 („h.M.“); ebenso LK11-Spendel, § 32 Rn. 27; Welzel, Strafrecht, § 14 II 1 a); a.A. LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 100; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 325. 80 Ausführlich zu strafrechtlicher Handlungsqualität und Willenssteuerung Merkel, ZStW 119 (2007), 214, 219 ff. und passim. 81 Eingehend Roxin, in: FS Jescheck, S. 457, 457 ff.; ders., AT I, § 15 Rn. 8 m.w.N. 82 Kaspar, JA 2006, 855, 857. 83 Explizit etwa S/S-Perron, § 32 Rn. 4; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 66. 84 Kaspar, JA 2006, 855, 857; NK-Kindhäuser, § 32 Rn. 20 m.w.N.; vgl. auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 117 f.
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nicht allein die strafrechtliche Sichtweise maßgeblich und strafrechtliche Handlungsfähigkeit eines Angreifers nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer Notwehrlage. In Beispiel 1 ist eine Verteidigung gegen die Aktiengesellschaft als Verband nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil eine juristische Person strafrechtlich nicht handeln kann. b) Juristische Person und Rechtsbewährungsprinzip Vermag die fehlende Handlungsfähigkeit juristischer Personen für sich genommen deren Angreifereigenschaft noch nicht entgegenzustehen, könnten gleichwohl andere Grundsätze des Notwehrrechts es verbieten, Angriffe von Organen immer auch als solche der juristischen Person zu werten. Zu denken ist in erster Linie an das Rechtsbewährungsprinzip der Notwehr.85 Es wurde bereits gezeigt, dass dem Notwehrrecht als sozialrechtliche Ausprägung nach h.M. auch dieser Grundsatz („Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“86) zugrunde liegt.87 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dessen scharfe, die Eingriffsbefugnisse des Angegriffenen erweiternde Ausgestaltung auch dadurch bedingt sein, dass es in wirksamer Weise davon abschrecken möge, Unrecht zu tun.88 Demzufolge wohnt dem Rechtsbewährungsprinzip durchaus ein generalpräventives Moment inne,89 das sich seiner Richtung nach an den Angreifer richtet. Einer solchen präventiven Appellwirkung des Rechtfertigungssatzes Notwehr ist die juristische Person selbst jedoch nicht zugänglich.90 Vielmehr können allein die jeweils handelnden Organwalter von dem betreffenden Normappell, der von den weiten Eingriffsbefugnissen eines Angegriffenen ausgeht, erreicht werden. Soweit aber Organe rechtswidrig im Sinne des Notwehrrechts angreifen, wird sich diese Rechtswidrigkeit in aller Regel auch im Verhältnis zur juristischen Person fortsetzen. Denn rechtswidriges Handeln nach außen bedeutet – unterstellt man eine rechtmäßige Satzung des Verbands – stets zugleich das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis. Nach allgemeiner Auffassung umfasst nämlich der Sorgfaltsmaßstab für Unternehmensleiter (§§ 43 Abs. 1 GmbHG, 93 Abs. 1 S. 1 AktG) auch eine nach außen wirkende Verpflichtung des Organs, für rechtmäßiges Handeln der Gesellschaft Sorge zu tragen.91 Im Sinne des Notwehrrechts angreifende Organe 85 Vgl. Roxin, AT I, § 15 Rn. 7; ders., in: FS Jescheck, S. 457, 459; siehe hierzu und zum Folgenden auch bereits oben: 3. Teil A.II.1.b). 86 So urspr. Berner, Archiv des Criminalrechts 1848, 547, 561. 87 BGHSt 24, 356, 359; 48, 207, 212; a.A. etwa Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 12 ff. m.w.N. 88 Reg.-Begr. E 1962, BT-Drucks. 4/650, S. 157 („[das Notwehrrecht] schreckt in wirksamer Weise allgemein davon ab, Unrecht zu tun“). 89 s. o.: 3. Teil A.II.1.b); vgl. ferner Roxin, AT I, § 15 Rn. 2. 90 Dannecker, GA 2001, 101, 118; vgl. auch bereits oben: 3. Teil A.II.1.b). 91 Jüngst BGH NZG 2010, 1190, 1192; aus dem gesellschaftsrechtlichen Skriptum Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 8; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 63 f.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 142 ff.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
handeln daher gleichsam in zwei Richtungen rechtswidrig – zum einen gegenüber dem Angegriffenen; zum anderen aber auch gegenüber und zulasten des eigenen Unternehmens bzw. der eigenen juristischen Person. Die generalpräventive Wirkung des Rechtsbewährungsprinzips passt nicht auf die Gesellschaft als Rechtsträgerin: Der „Wille“ eines Personenverbands, rechtmäßig zu handeln, kommt in dessen Satzung zum Ausdruck. Der Aktiengesellschaft in Beispiel 1 oder der B-Bank in Beispiel 3 bzw. deren Anteilseignern als wirtschaftlich Berechtigten der abwehrbezogenen Interessen stehen indes keine Mittel zur Verfügung, über die Satzung hinausgehend die Rechtmäßigkeit des Verhaltens ihrer Organe sicherzustellen. Wollte man nun aber immer auch der juristischen Person bei Verfehlungen ihrer Organe Duldungspflichten aufbürden, die über das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinausgehen,92 so käme man zu einer merkwürdigen Asymmetrie von Angriffsverhalten (nur das Organ selbst greift an) und Eingriffsbefugnissen (der Verteidiger kann nicht nur gegen den menschlichen Angreifer, sondern darüber hinaus gegen die juristische Person Notwehr üben). Der präventive Charakter des Rechtsbewährungsprinzips erreicht die juristische Person als solches bei Fehlverhalten ihrer Organe nicht. Ein Personenverband selbst kann daher weder straf- noch zivilrechtlich93 Angreifer sein. c) Zwischenergebnis Der Angriff eines Organwalters ist nicht per se auch Angriff der juristischen Person selbst. Zwar folgt dies nicht bereits aus der fehlenden strafrechtlichen Handlungsfähigkeit juristischer Personen, da eine solche Handlungsfähigkeit nicht ohne weiteres Bedingung für eine Angreifereigenschaft sein muss und das Notwehrrecht sich auch in anderem Kontext von einer strikt strafrechtlichen Betrachtung löst. Gleichwohl kann der Verband die Rechtmäßigkeit des Handelns seiner Organe nicht über die Einrichtung einer funktionstüchtigen corporate governance hinaus gewährleisten. Insoweit sind den faktisch bestehenden Möglichkeiten eines Unternehmens Grenzen gesetzt. Deshalb ist es weder für die juristische Person noch für deren Anteilseigner ohne weiteres möglich, dem Appellcharakter des Rechtsbewährungsprinzips zu entsprechen, sodass der notwehrrechtliche Angriff eines Organs nicht auch Duldungspflichten zulasten des Verbands auslöst.
92 Zu den Erwägungen, aus welchen Gründen ein Angreifer nicht an Grenzen der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, s. o.: 3. Teil A.II.1. 93 Eine zivilrechtliche Angreifereigenschaft juristischer Personen annehmend, eine strafrechtliche gleichwohl ablehnend Neuheuser, Duldungspflicht, S. 19 f. Dieses Ergebnis ist schon wegen des identischen Wortlauts zw. und beruht nicht auf dem fehlenden subjektiven Rechtfertigungselement bei § 227 BGB als einzigem materiellen Unterschied zwischen strafund zivilrechtlicher Ausgestaltung, vgl. auch Grothe, in: MüKo BGB, § 227 Rn. 3.
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3. Zurechenbarkeit von Angriffen eines Organs mit Wirkung auch für die juristische Person Greift die juristische Person nicht selbst durch ihre Organe an, so bleibt zu erwägen, ob in ihre Rechtsgüter (Vermögen, Betriebsgeheimnisse etc.) nicht doch aufgrund von Wertungsgesichtspunkten eingegriffen werden darf.94 Insofern erscheint eine Zurechnung nach strafrechtlichen Wertungen nötig, d. h. unabhängig von einer bestehenden eigenen Angreifereigenschaft der juristischen Person könnte ein Eingriff in ihre Rechtsgüter zur Abwehr eines von einem Unternehmensorgan ausgehenden Angriffs gerechtfertigt sein. Um das normativ befürwortete Ziel zu erreichen und einen durch Notwehr gerechtfertigten Eingriff in Rechtsgüter auch der juristischen Person zuzulassen, wird vereinzelt eine solche Zurechnung des Angriffs vertreten.95 In der Sache werden die möglichen Eingriffsrechtsgüter gegenüber dem angreifenden Organ durch Übertragung auf den Verband verdoppelt. Ausführungen dazu, wie trotz fehlender Angreifereigenschaft der juristischen Person selbst96 eine solche Zurechnung dogmatisch ausgestaltet sein soll, sucht man freilich vergebens. Ließe man eine solche Zurechnung zu, so wäre durchaus daran zu denken, in Beispiel 1 den COO zu rechtfertigen, der bei Vorliegen einer Notwehrlage, die ein Gesellschaftsorgan geschaffen hat, sich durch Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen schadlos hält, soweit dieser Weg der allein aussichtsreiche zur Abwendung des Angriffs ist. Das Beispiel verdeutlicht bereits den für eine Zurechnung nötigen, besonderen Begründungsaufwand, da durch Notwehr ja auch und gerade unverhältnismäßige Beeinträchtigungen von Eingriffsgütern der juristischen Person gerechtfertigt würden.97 Unerlässlich wird demnach ein Blick auf die Regeln, nach denen das Verhalten eines Angreifers gleichzeitig zulasten eines Dritten wirkt, diesem also gleichsam mit der Folge zugerechnet wird, dass die schneidigen Abwehrbefugnisse der Notwehr auch ihm gegenüber entstehen. Will man mit der h.M. eine Externalisierung des Notwehrkonflikts verhindern,98 ist zumindest eine Zurechnung des Angriffs zulasten auch des Unternehmens notwendige Bedingung dafür, dass dieses seine Rechtsgüter für eine Verteidigung zur Verfügung stellen muss. Eine solche Zurechnung des Angriffsverhaltens Dritter zu einem Angreifer wird bislang kaum diskutiert und 94 Vgl. auch Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 58: Kann die juristische Person nicht selbst handeln, so könnte doch Anlass bestehen, einen Angriff zu fingieren. Im Ergebnis wird dort eine Anwendbarkeit von § 32 StGB gegen juristische Personen insoweit angenommen „als die juristische Person mit dem Einsatz des Angreifers für ihre Belange ihre Rechtsgüter in zurechenbarer Weise in dessen Hände gelegt hat“. Der Formulierung nach scheinen die Rechtsgüter des Unternehmens somit dem Verteidiger vollständig zur Verfügung zu stehen. 95 S/S-Perron, § 32 Rn. 3 a.E.; zum zivilrechtlichen Schrifttum bereits oben: Fn. 67. 96 Auch S/S-Perron, § 32 Rn. 3 anerkennt die fehlende Angreifereigenschaft der juristischen Person. 97 Vgl. insoweit auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 164. 98 s. o.: 3. Teil A.II.3.a).
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allein im Kontext von zwei Fällen finden sich Ansätze einschlägiger Zurechnungserwägungen. Zum einen wird der klassische Nötigungsnotstand99 in den Blick genommen und danach gefragt, ob auch der aktiv handelnde Genötigte Angreifer sein kann.100 Zum anderen geht es um eine – offenbar dem Film High Noon entnommene – Konstellation, in der ein Angreifer eine Geisel als lebendes Schutzschild und zugleich als passiv wirkendes Angriffsmittel missbraucht, um so zu einem sicheren Schuss kommen zu können.101 Im Ergebnis lassen sich jedoch auch aus diesen Fällen keine gesicherten Grundsätze über die Zurechenbarkeit von Angriffshandlungen im Rahmen der Notwehrlage gewinnen. Denn der aktiv handelnde Genötigte greift natürlich selbst willensgesteuert an. Inwieweit gegen ihn dann Notwehr geübt werden kann, ist keine Frage der richtigen Bestimmung der Angriffsrichtung bzw. seiner Eigenschaft als Angreifer: Dass der Genötigte angreift, kann sinnvollerweise nicht bestritten werden, entscheidend ist allein, ob er rechtswidrig angreift.102 Die Angreifereigenschaft des Genötigten ergibt sich daraus, dass er selbst zulasten des Angegriffenen handelt. Daneben greift der Nötigende an, weil seine eigene Angriffshandlung den Genötigten instrumentalisiert. Eine irgendwie geartete Zurechnung eines Angriffs ist der Situation nicht zu entnehmen. Nötigender und Genötigter sind jeweils kraft eigener Handlung Angreifer, auch wenn damit noch nichts über die Verantwortlichkeit des Letzteren für dessen Handlung gesagt ist. Anders verhält es sich dagegen, wenn der genötigte Dritte nur passiv unterstützend tätig wird.103 Im Hinblick auf den Angriff besteht dann kein Unterschied zwischen dem passiv unterstützenden Menschen und der als Angriffsmittel überlassenen Sache. Beide nehmen instrumentalisiert an einem Angriff teil und unterstützen diesen. Die Entscheidung hinsichtlich der Notwehrfähigkeit und hier konkret der Eigenschaft als Angreifer104 muss also entsprechend ausfallen. Aus diesem Grund kann auch auf das oben gefundene Ergebnis verwiesen werden:105 Unterstützend eingesetzte Rechtsgüter Dritter sind in aller Regel selbst nicht notwehrfähig, 99
Unter dem Begriff des Nötigungsnotstands werden Konstellationen diskutiert, in denen der Notstandstäter aufgrund einer gegen ihn oder Dritte gerichteten Nötigung insofern „auf die Seite des Unrechts tritt“, als er durch die Nötigung motiviert eine Straftat begeht. Im Ergebnis lässt die überwiegende Ansicht in diesem Fall überzeugend erst die Schuld entfallen. Zum Ganzen nur Kühl, AT, § 8 Rn. 127 ff. m.w.N. 100 SK-Günther, § 32 Rn. 84a; zu dem Problem der Notwehrfähigkeit zugunsten des Verteidigers knapp NK-Neumann, § 34 Rn. 55. 101 Spendel, NStZ 1994, 277, 279; LK11-ders., § 32 Rn. 216; vgl. dazu auch Hirsch, in: FS Küper, S. 149, 153. 102 So auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 162; SK-Günther, § 32 Rn. 84a a.E. 103 Vgl. BGHSt 39, 374, 380, wobei in dieser Konstellation das menschliche Schutzschild wohl nicht gleichzeitig als Angriffsmittel gebraucht wird; zum Ganzen Spendel, NStZ 1994, 277, 279. 104 Selbstverständlich ist damit noch nichts darüber ausgesagt, inwieweit Sachen bzw. Personen im Rahmen des Defensivnotstands Einschränkungen hinzunehmen haben. Dies wird für Sachen eher gelten als für Personen; vgl. nur S/S-Perron, § 32 Rn. 31 m.w.N. 105 s. o.: 3. Teil A.II.3.a).
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und zwar auch dann nicht, wenn es sich um höchstpersönliche wie Leib oder Leben handelt. Aus diesen Überlegungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens eines Dritten zu einem Angreifer wird deutlich, dass ein äußerst restriktiver Angreiferbegriff vorherrscht und es zu Zurechnungen von Angriffen nicht kommt. Angreifer ist nur, wer selbst tätig wird; wer passiv beteiligt ist, greift nicht an, auch wenn er in tatsächlicher Hinsicht den Angriff fördert. Dies spricht in Beispiel 1 gegen eine wie auch immer geartete Zurechenbarkeit von Handeln des Vorstandsvorsitzenden mit Wirkung gegenüber der Aktiengesellschaft. Strafrechtsdogmatisch streitet noch ein weiteres Argument für dieses Ergebnis. Wenn in Fällen des Nötigungsnotstandes schon der Genötigte selbst Angreifer ist und diese Eigenschaft nicht auf den Nötigenden übertragen wird,106 so muss dies erst recht für solche Formen der (mittelbaren) Täterschaft107 gelten, im Rahmen derer das Werkzeug noch eigenständiger handelt als der Tatmittler im Nötigungsnotstand. Je eher jemand zu eigener Handlung fähig ist, desto sicherer ist er notwehrrechtlich Träger des Angriffs. Das Organ als Täter in einer juristischen Person handelt voll autonom und andere Angehörige des Unternehmens wären allenfalls als „Täter hinter dem Täter“ in der Fallgruppe der sog. Organisationsherrschaft nach § 25 Abs. 1, 2. Var. StGB zu belangen,108 sodass eine Übertragung der Angreifereigenschaft des Organs und damit eine Zurechnung in diesen Fällen noch weniger in Betracht kommt als im Rahmen von abgenötigtem Verhalten. 4. Ergebnis zur Notwehr gegenüber Unternehmen Es bleibt daher festzuhalten, dass das in aktuelleren Kommentierungen regelmäßig bloß angedeutete Problem, inwieweit auch zulasten einer juristischen Person eine Notwehrverteidigung möglich ist, durchaus wirtschaftsstrafrechtliche Relevanz entfalten kann. Greift ein Organ der juristischen Person an, so geht die überwiegende Ansicht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass weder zugleich der Verband angreift noch dass der Angriff des Organs diesem zugerechnet werden kann. Einem Unternehmen dürfen damit keine unverhältnismäßigen Duldungspflichten auferlegt werden, wie sie sich aus der Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die Notwehr zu seinen Lasten ergeben würden. Dieses Ergebnis fügt sich ohne weiteres in das die Notwehr prägende Strukturprinzip des überwiegenden Individualinteresses.109 Der von der
106 Wie gesehen, ist der Nötigende in diesen Fällen freilich auch selbst Angreifer. Er ist dies jedoch kraft eigener Handlung, nicht qua einer Zurechnung. 107 Zur Bedeutung der mittelbaren Täterschaft für die Bestimmung der Angreifereigenschaft auch Paglotke, Notstand und Notwehr in Prozesssituationen, S. 222 f., 237. 108 Zur Übertragung dieser Fallgruppe auch auf Unternehmen BGH NJW 1994, 2703, 2706; Kudlich, in: Beck OK, § 25 Rn. 34 f. 109 s. o.: 3. Teil A.II.1.a).
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Notwehr in den Blick genommene Konflikt zwischen Angreifer und Verteidiger kann auch hier nicht externalisiert, d. h. auf Rechtsgüter Dritter erstreckt werden.110 In Beispiel 1 kann deswegen der COO weder auf Mittel der Gesellschaft zurückgreifen, um eine öffentlichkeitswirksame Gegendarstellung anzufertigen, noch ist ein Verstoß gegen Vorschriften des Geheimnisschutzes durch § 32 StGB gerechtfertigt. Eine Notwehrverteidigung ist ausschließlich gegen den Angriff des Vorstandsvorsitzenden möglich und hat sich auf dessen persönliche Rechtsgüter zu beschränken. Demnach hat der angegriffene COO eine Gegendarstellung so zu gestalten, dass Geschäftsgeheimnisse oder andere Rechtsgüter der AG nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise berührt werden. Jedes Vorgehen ist an der Interessenabwägung des § 34 StGB zu messen. Dies gilt selbst dann, wenn die öffentlich wirksame Widerrede des Verteidigers dadurch wesentlich erschwert wird. Auch in Beispiel 3 ist eine Verteidigung gegen Rechtsgüter der B-Bank nicht möglich. Im Hinblick auf die unrichtige Darstellung der Jahresbilanz kann sich der K-Konzernvorstand schon deswegen nicht auf Notwehr berufen, weil sich die Verteidigung nicht ausschließlich gegen Rechtsgüter des Angreifers richtet.111 Doch auch soweit die Mitglieder des K-Vorstands sich durch den Kreditbetrug gegenüber der B-Bank „verteidigen“, scheidet Notwehr aus. Da Vermögensinteressen einer juristischen Person durch die Verteidigungshandlung nachteilig betroffen werden, kommt ein Unrechtsausschluss nach § 32 StGB ihr gegenüber nicht in Betracht. Dass die weiten Eingriffsbefugnisse der Notwehr dem Verteidiger in diesen Fällen nicht zur Verfügung stehen, besagt noch nichts darüber, ob ein Eingriff in Rechtsgüter des Verbandes nicht nach Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann.112 Auch so ließen sich mithilfe eines verteidigerfreundlichen Abwägungsmaßstabs113 hinsichtlich eines Eingriffs in Rechtsgüter des Unternehmens sachgerechte Ergebnisse erzielen. Zwar wird man auch in Ansehung von § 34 StGB nicht davon ausgehen können, dass der Personenverband „die Gefahr geschaffen hat“,114 sodass sich der Maßstab des Defensivnotstands nicht ohne weiteres ergibt. Zum einen kann man jedoch die Grundsätze des § 228 BGB deswegen anwenden, weil dessen Maßstab regelmäßig für einen Angriff auf Sachen einschlägig ist, die ein Dritter dem Angreifer überlassen hat.115 Eine Nähebeziehung, wie sie zwischen überlassendem Drittem und seinem Eigentum besteht, kann auch für das Verhältnis von juristischer Person und Organ angenommen werden. Zum anderen ist anerkannt, dass auch 110 Vgl. LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 162. Dem hier vertretenen Ergebnis scheint auch der BGH NStZ 2010, 632, 634 anzuhängen, wenn er meint, von einer in Deutschland tätigen Limited nach englischem Recht könne ein Angriff nicht ausgehen. 111 s. o.: 3. Teil A.II.3.a). 112 LK11-Spendel, § 32 Rn. 36 a.E. 113 Vgl. auch: 3. Teil B.II.2.b). 114 Zu dieser Formel als Voraussetzung für den Defensivnotstand Lackner/Kühl, § 34 Rn. 4, 9 m.w.N. 115 Zur Frage des Angriffs auf angreiferfremde Sachen, s. o. und Roxin, AT I, § 15 Rn. 128.
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Gefahrtragungs- und Mitverursachungsgesichtspunkte für den einschlägigen Abwägungsmaßstab eine Rolle spielen.116 So kann berücksichtigt werden, dass der juristischen Person wirtschaftlich die Tätigkeit ihrer Organe zugutekommt und ihr daher auch gesteigerte Gefahrtragungspflichten obliegen, soweit der Eingriff in ihre Rechtsgüter in hinreichend engem Zusammenhang zur Tätigkeit ihres Organs steht.
IV. Notwehr im Abwehrboykott, der wettbewerbsrechtliche Abwehreinwand und „Notwehr zwischen Unternehmen“ Mit der Notwehr eng verwobene Fragestellungen in wirtschaftsstrafrechtlichem Kontext stellen sich weiter, wenn man Ordnungswidrigkeiten mit in die Betrachtung aufnimmt.117 Dabei werden in den Sanktionstatbeständen des nationalen Kartellrechts immer wieder Bezugspunkte zur Notwehr hergestellt, wenn wettbewerbswidriges Verhalten abgewehrt werden soll.118 Eine Auseinandersetzung mit dem Themenkreis wettbewerbsrechtlicher Abwehr und Notwehr im Kartellsanktionsrecht lohnt dabei gleich doppelt: Denn obwohl sie in diesem Kontext immer wieder diskutiert werden, ist bislang kaum aufgearbeitet, welche Rolle Rechtfertigungsgründen im Rahmen von Kartellordnungswidrigkeiten überhaupt zukommt. Erst nachdem geklärt wurde, wie Erlaubnissätze im Bereich der Kartellbußgeldvorschriften zu prüfen sind, ist hier das Verhältnis von Abwehreinwand und strafrechtlicher Notwehr zu untersuchen. 1. Einführung in die Problemstellung: Rechtfertigungsgründe und nationales Kartellsanktionsrecht Beschäftigt man sich mit Fragen der Rechtswidrigkeit im Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten, so fällt zunächst auf, dass dort „Rechtsdisziplinen aufeinander treffen, die einander wohl nur mit Verwunderung betrachten können.“119 Das am Verbandsunrecht ausgerichtete GWB sieht sich dem am personalen Unrecht orientierten Recht der Ordnungswidrigkeiten gegenüber,120 welches seinerseits stark 116 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 100 m.w.N.; allgemein Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 311; vgl. bereits oben: 3. Teil A.II.3.a). 117 Siehe zur Einbeziehung von Ordnungswidrigkeiten in die Bearbeitung oben: 2. Teil A. 118 Siehe nur Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 79 m.w.N. 119 So pointiert K. Schmidt, wistra 1990, 131, 137. 120 Der Fokus des Ordnungswidrigkeitenrechts auf das Handlungsunrecht natürlicher Personen wird an der Wertungsstufe der Vorwerfbarkeit deutlich, welche der strafrechtlichen Schuld entspricht, vgl. nur Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 54. Weiter ist selbst die Verbandsgeldbuße als überindividuelle Sanktion bloß akzessorisch zum durch Organe oder durch andere von § 30 OWiG erfasste Angehörige eines Unternehmens begangenen Unrecht.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
an strafrechtliche Grundsätze angelehnt ist. Diese unterschiedlichen Ansätze führen zu zahlreichen Verwerfungen im Bereich der Kartelldelinquenz. Denn die Vorgaben der allgemeinen kartellrechtlichen Verbotsnorm lassen sich nicht immer ohne weiteres mit den Zielsetzungen des Bußgeldrechts vereinbaren. – Lediglich andeutungsweise verwiesen werden kann hier auf Spannungen, die sich im Rahmen von Tatbestandsauslegung121 und der richtigen Behandlung des Verbotsirrtums ergeben122.123 a) Unsicherheiten für die Rechtfertigungslehre in diesem Bereich Die durch das Zusammenspiel von Kartell- und Ordnungswidrigkeitenrecht entstehende Unsicherheit setzt sich in der Rechtswidrigkeit als klassisch deliktischer Wertungsebene fort. An der Schnittstelle zwischen strafrechtlichem Deliktsaufbau und bloß wirtschaftsaufsichtsrechtlicher Sanktion verschwimmen die Kategorien: So finden sich beispielsweise Stimmen, die für eine entsprechende Heranziehung der Notwehr auf tatbestandsmäßiges Verhalten plädieren.124 Die Bedeutung von Erlaubnissätzen im Recht der Kartellordnungswidrigkeiten und deren Verhältnis zu den strafrechtlichen Vorgaben ist bis heute nicht abschließend aufgearbeitet.125 Fest steht allein, dass die aus dem Recht der Ordnungswidrigkeiten bekannten Rechtfertigungsgründe grundsätzlich auch im Bereich der Kartelldelinquenz gelten und ihnen bislang in der Rechtspraxis gleichwohl kaum Bedeutung beigemessen wurde.126 Statt auf die gefestigte Dogmatik der Erlaubnissätze zurückzugreifen, werden kollidierende Rechtsgüter und sonstige Belange regelmäßig auf Grundlage einer „Gesamtabwägung der Interessen“127 in einer offenen Würdigung auf Tatbestandsebene einander gegenübergestellt. Dabei beziehen die Gerichte Verweise auf Rechtfertigungsgründe durchaus expressis verbis in die Abwägung mit ein.128 Auf dem Gebiet
121
Zur Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit den Verfahrensgarantien des Kartellsanktionsrechts, vgl. etwa Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 43 ff. 122 Dazu Potten, Irrtum im Kartellrecht, S. 62 ff. und passim. 123 K. Schmidt, wistra 1990, 131, 137 meint, der Umgang der Gerichte mit diesen Problemkreisen unter Zugrundelegung kriminalistischer Kriterien sei „nonchalant“. 124 Gloy, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 25 Rn. 12. 125 Vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 74; Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1853. Zu den Ursachen für diesen Befund, insbesondere die Regelungstechnik und die isolierte Betrachtung der Verbotsnorm, noch immer äußerst zutreffend Simmler, Boykott, S. 134. 126 Achenbach, in: FK GWB, Vor § 81 Rn. 144 f. 127 So jüngst zur Absicht rechtswidriger Beeinträchtigung in § 21 Abs. 1 GWB, auf die sogleich näher einzugehen sein wird OLG Düsseldorf, VI-Kart 13/08, Beschl. v. 09. 09. 2009; BeckRS 2009, 26269, Rn. 40, vgl. NZG 2009, 1266 (Kurzwiedergabe). 128 Für den Notstand OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 26269, Rn. 48.
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der Kartellordnungswidrigkeiten“ lassen sich Tatbestand und Rechtswidrigkeit deshalb kaum voneinander trennen.129 Gleichwohl ist eine dogmatische Aufarbeitung nicht nur aus Gründen struktureller Klarheit unerlässlich.130 Bei Vorliegen eines Erlaubnistatumstandsirrtums soll die Einordnung als Rechtfertigungsgrund nach einer Minderheitenmeinung in der Irrtumslehre131 sogar zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.132 Bevor aus dem Kartellsanktionsrecht also für die Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht weiterführende Ergebnisse gewonnen werden können, ist deshalb zu klären, wie sich Rechtfertigungsgründe (vgl. § 15 f. OWiG) in den Deliktsaufbau von Kartellordnungswidrigkeiten einordnen lassen. Dies soll unter Heranziehung der für die Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht relevanten Fallgruppe des sog. Abwehrboykotts geschehen.133 b) Die Konstellation des sog. Abwehrboykotts Im Rahmen dieser Fallgruppe wird die Notwehr unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert – sei es als regelndes Strukturprinzip, sei es als tatsächlich maßgeblicher Rechtfertigungsgrund.134 Dabei geht es um folgende Konstellation, der zumindest ein Drei-Personen-Verhältnis zugrunde liegt und für welche Beispiel 2 einen Anwendungsfall darstellt:135 Der Boykottierer (Verrufer) fordert einen oder mehrere Sperrer (Ausführer) zu einer Bezugs- oder Liefersperre gegenüber dem Boykottierten (Verrufenen) auf. Dabei ist der Boykottierer zuvor selbst Betroffener eines rechtswidrigen Verhaltens des Boykottierten gewesen, sodass der Boykott sich insofern gegen dieses vorausgegangene Verhalten richtet, als er dessen Abwehr bezweckt. Ein praktisches Beispiel stellt etwa auch die Aufforderung eines Herstellers (Boykottierer) an Großhändler (Sperrer) dar, einen wettbewerbswidrig handelnden Konkurrenten (Verrufener) nicht mehr zu beliefern. Um Gesichtspunkte der Notwehr geht es insbesondere
129
Vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 74, 76; Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1853. 130 Zur dogmatischen Notwendigkeit der Wertungsstufe Rechtmäßigkeit, vgl. o.: 2. Teil B.II.1. 131 Siehe zur sog. strengen Schuldtheorie etwa Maurach/Zipf, AT I, § 25 Rn. 36, § 37 Rn. 19 ff.; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 108 ff. m.w.N. 132 Zu der Relevanz dieses Irrtums auch im Recht der Ordnungswidrigkeiten Hannich, in: R/ R/H, OWiG, § 11 Rn. 22. 133 Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die hier zur Einordnung von Rechtfertigungsgründen gefundenen Ergebnisse wohl auch auf die §§ 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 GWB (Behinderungsverbot) übertragen werden können, da auch dort die „Unbilligkeit“ objektiv vorausgesetzt wird. 134 Dazu Tiedemann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., Vor § 38 Rn. 44; vgl. aus lauterkeitsrechtlicher Sicht auch Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S. 465 f. 135 Siehe ausführlich Omsels, in: Harte/Henning, UWG, § 4 Nr. 10 Rn. 223 ff., 241 ff.
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im Rahmen eines gegen den Boykottierer eingeleiteten Verfahrens wegen Begehung einer Kartellordnungswidrigkeit. Um die Bedeutung der Notwehr in diesem Bereich richtig erfassen zu können, soll zunächst dargestellt werden, welche Rolle Rechtfertigungsgründen in der kartellrechtlichen Behandlung des Abwehrboykotts zukommt. Bisher gehen nach h.M. entsprechende Erwägungen vollumfänglich in einer Gesamtabwägung zur Absicht unbilliger Beeinträchtigung in § 21 Abs. 1 GWB auf.136 Deswegen sind zunächst einige Erwägungen zur richtigen Auslegung dieses Merkmals und zur Anwendbarkeit von Erlaubnistatbeständen anzustellen [2.]. Auf dieser Grundlage kann dann das Verhältnis der Notwehr (§ 15 OWiG) zum wettbewerbsrechtlichen Abwehreinwand untersucht werden [3.]. Die so gefundenen Ergebnisse werden auf die Rechtfertigung des auffordernden Unternehmensbeteiligten, d. h. die konkret handelnde natürliche Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, angewandt [4.]. Abschließend geben die Erkenntnisse aus der Untersuchung zu Boykott und Abwehreinwand Anlass, einige Erwägungen zur Notwehr in Unternehmen de lege ferenda anzustellen [5.]. 2. Rechtfertigungsgründe im Abwehrboykott und die Absicht unbilliger Beeinträchtigung in § 21 Abs. 1 GWB Sind die Boykottbeteiligten, wie für den Bereich der Kartellsanktionen üblich, Unternehmen,137 so findet sich zunächst in § 21 Abs. 1 GWB eine allgemeine Verbotsnorm. Nach dieser Vorschrift dürfen Unternehmen nicht in der Absicht unbilliger Beeinträchtigung zulasten bestimmter Unternehmen (Verrufene) ein anderes Unternehmen (Sperrer) zu Liefer- oder Bezugssperren auffordern. Wie bereits angedeutet, gehen Rechtfertigungsgründe und namentlich die Notwehr im Abwehrboykott nach h.M. vollumfänglich in Erwägungen zur „Unbilligkeit“ auf und sollen deshalb bereits den Tatbestand ausschließen.138 Die Auslegung dieses Merkmals, das Teil der Absicht und damit des subjektiven Tatbestands ist,139 entscheidet deswegen über die Anwendbarkeit von Erlaubnissätzen im Abwehrboykott. Für das Wirtschaftsstrafrecht ist der allgemeine Verbotstatbestand des § 21 Abs. 1 GWB zudem interessant, weil er in § 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB bußgeldbewehrt ist und dieser Sanktion praktisch eine wichtige Bedeutung zukommt.140 Als unechtes Blankettgesetz141 ist der Ordnungswidrigkeitentatbestand mit der Verbotsnorm „zusammenzulesen“.142 136
Achenbach, in: FK GWB, Vor § 81 Rn. 144; Fischötter, in: GK GWB, Vor § 38 Rn. 40. Der Anwendungsbereich des lauterkeitsrechtlichen Gegenstücks §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 10 UWG, wonach eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern unzulässig ist, bezieht auch Nichtunternehmen, also insb. private Endverbraucher als Ausführer, in den Anwendungsbereich mit ein. 138 Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 189; Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 16 f. m.w.N. 139 Statt Aller Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 55 f. 140 Vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 242, wonach der Umstand, dass Verfahren nach § 21 Abs. 2 GWB wegen Anwendung von Lock- und Druck137
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a) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB Zum besseren Verständnis der gesetzlichen Vorgaben wird zunächst ein kurzer Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen notwendig, die an einen Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 21 Abs. 1 GWB geknüpft sind. Denn nur auf diese Weise können die verschiedenen Zwecke beleuchtet werden, denen eine Auslegung des Boykottverbots bzw. der Unbilligkeit Rechnung zu tragen hat: Zunächst stehen bei einer Zuwiderhandlung durch den Boykottierer zivilrechtliche Rechtsfolgen im Raum. Flankiert durch § 33 GWB kann der Verrufene als Betroffener gegen den Boykottierer auf Schadensersatz, Unterlassung und Beseitigung klagen.143 Die Frage nach dem Schutznormcharakter der Verbotsnorm (§ 823 Abs. 2 BGB) ist aufgrund dieser Ausgestaltung obsolet.144 § 21 Abs. 1 GWB ist daher im Ausgangspunkt selbst haftungsbegründender Tatbestand für eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage zugunsten des Verrufenen. Darüber hinaus kann weiter die Kartell- als Ordnungsbehörde Untersagungsverfügungen gegen verrufende Unternehmen erlassen, die der Verbotsnorm zuwiderhandeln. Grundlage für diese Behördenakte ist § 32 Abs. 1, 3 GWB. Das Boykottverbot dient insoweit in einer zweiten Funktion als öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage (Art. 20 Abs. 3 GG; Vorbehalt des Gesetzes) für den Erlass von belastenden Verwaltungsakten.145 Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Sicht ist mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot (vgl. § 3 OWiG) zudem darauf hinzuweisen, dass die verwaltungsrechtliche Verfügung selbst im Sinne eines „echten Blanketts“146 strafrechtlichen Anforderungen an ihre Bestimmtheit gerecht werden muss, da eine Zuwiderhandlung nach § 81 Abs. 2 Nr. 2 a) GWB wiederum bußgeldbewehrt ist.147 Die Bedeutung des kartellrechtlichen Abwehrboykotts für das Wirtschaftsstrafrecht ergibt sich jedoch in erster Linie aus der in §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB angeordneten Ordnungswidrigkeit vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen das Boykottverbot, § 10 OWiG. Diese Sanktionsdrohung des Tatbestandes scheinen Karmitteln offenbar häufig einen „Boykotthintergrund“ aufweisen, für die erhöhte praktische Relevanz der Vorschrift mitverantwortlich sein soll. 141 Dazu für das nationale Kartellrecht Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 16. Kap. Rn. 60. 142 Vgl. allgemein BGHSt 3, 400 f.; 9, 164, 166 ff.; 24, 54, 61 f.; Hellmann, in: Achenbach/ Wannemacher, Teil 1 § 2 Rn. 1; Tiedemann, JuS 1989, 689, 695. 143 Vgl. OLG Frankfurt a.M. Pharma Recht 1996, 410, 415; OLG Stuttgart WRP 1989, 199, 200; vgl. auch §§ 3, 4 Nr. 10, 9 UWG als lauterkeitsrechtliches Pendant zur Grundlage eines Schadensersatzanspruchs. 144 Loewenheim, in: L/M/R, Kartellrecht, § 21 GWB Rn. 26. 145 Vgl. zur Verwaltungsaktqualität der Verfügungen Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 32 Rn. 19. 146 Tiedemann, AT, Rn. 99 a.E. („Blankett im engeren Sinne“). 147 Keßler, in: MüKo GWB, § 32 Rn. 49 m.w.N.; zu dem rechtstatsächlichen Verhältnis von öffentlich-rechtlicher Wirtschaftsaufsicht und Bußgeldrecht; vgl. auch K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, S. 296 ff.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
tellbehörden regelmäßig als abschreckendes Mittel einzusetzen, um Zuwiderhandlungen effektiv ab- und sodann das Bußgeldverfahren einzustellen, vgl. § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG.148 Im Unterschied zu den für andere Rechtsgebiete relevanten Voraussetzungen ändert sich im Recht der Ordnungswidrigkeiten die Beteiligteneigenschaft: Waren mit Hinblick auf die zivilrechtlichen Rechtsbehelfe bzw. die öffentlich-rechtliche Feststellungs- und Untersagungsverfügung Unternehmen Adressaten des Verbots, so können diese Beteiligten im Ordnungswidrigkeitenrecht nur Nebenbetroffene i. S. v. § 30 OWiG sein.149 Die sanktionsrechtliche Verantwortlichkeit ist dagegen aufgrund der Eigenschaft der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB als Sonderdelikt150 solchen Personen vorbehalten, für die eine „Merkmalsüberwälzung“ nach § 9 OWiG in Betracht kommt. Im Sanktionsrecht findet damit eine Verschiebung der Perspektive weg von verbandsbezogenen hin zu einer personenbezogenen Betrachtungsweise statt. Für die sich anschließenden Erwägungen zur Notwehr ist dies von besonderer Bedeutung. b) Auslegung der Unbilligkeit in § 21 Abs. 1 GWB – Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen? Das Verbot des § 21 Abs. 1 GWB untersagt die Aufforderung zu Liefer- oder Bezugssperren in der Absicht unbilliger Beeinträchtigung. Das Kriterium der Unbilligkeit ist für das Verbot nach allgemeiner Ansicht zentrales Kriterium, anhand dessen festzustellen ist, ob die mit jeder erfolgreichen Wettbewerbshandlung einhergehenden Beeinträchtigungen zulasten von Konkurrenten kartellrechtlichen Sanktionen unterworfen sind.151 Die richtige Auslegung des Merkmals und seine Einordnung in den Deliktsaufbau entscheiden auch über die Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen. Denn nach vorherrschender Sichtweise bestimmen Gesichtspunkte der Notwehr regelmäßig die Auslegung der Unbilligkeit in Situationen des Abwehrboykotts wie in Beispiel 2.152 Um den Anwendungsspielraum für Erlaubnissätze auszuloten, sollen im Folgenden Besonderheiten dargestellt werden, welche das Merkmal der Unbilligkeit kennzeichnen. aa) Unbilligkeit als Teil einer „überschießenden Innentendenz“ Zunächst ist bemerkenswert, dass die Unbilligkeit der Beeinträchtigung als subjektives Merkmal ausgestaltet ist, also nur in der Vorstellung des Täters präsent 148
Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 242; vgl. weiter Tiedemann, Kartellrechtsverstöße, S. 17. 149 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 46. 150 Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 189 m.w.N. zur Rspr. 151 Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 32; Loewenheim, in: L/M/R, Kartellrecht, § 21 GWB Rn. 18. 152 Statt Aller Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 17.
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gewesen sein muss.153 Diese eigene Struktur des Verbots hat zu Versuchen geführt, den Verbotstatbestand isoliert, d. h. unabhängig von seiner Bußgeldbewehrtheit in § 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB, strafrechtlicher Kategorisierung zu unterwerfen. Um die subjektiv unbillige Beeinträchtigung des Tatbestands erfassen zu können, wurde er bereits als versuchte Anstiftung,154 als abstraktes Gefährdungsdelikt155 und gar als Versuchstatbestand156 charakterisiert. Zwar bilden diese Kategorisierungsversuche zumeist wichtige Aspekte des Verbots ab. Wollte man dem Bußgeldtatbestand der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB dagegen aus strafrechtlicher Sicht ein für die dogmatische Einordnung der Unbilligkeit wertvolles Charakteristikum abgewinnen, so wäre dies jedoch in erster Linie die „überschießende Innentendenz“ der Sanktionsnormen.157 Denn die subjektiv geforderte unbillige Beeinträchtigung durch Dritte ist eine Absicht, die im objektiven Tatbestand keine Entsprechung findet.158 bb) Unbilligkeit als offene Abwägung aller Interessen Hinsichtlich der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Unbilligkeit“ ist es einhellige Meinung in der Literatur und gefestigte Rechtsprechung, dass eine Interessenabwägung der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zu erfolgen hat.159 Das Merkmal wird also durch eine nicht bedeutsam bestimmtere Leerformel ausgefüllt. Sucht man nach handhabbareren Maßstäben für die „Unbilligkeit“, so fällt auf, dass der Charakter bzw. die Rechtsnatur der Unbilligkeitsabwägung kaum behandelt wird und einzelne Fallgruppen die Funktion gefestigter Dogmatik übernehmen. Die wohl h.L. und Teile der Rspr. wollen die Unbilligkeit bei Vorliegen einer Aufforderung zu Liefer- bzw. Bezugssperren im Sinne eines Regel-Ausnahmeverhältnisses nur unter besonderen Umständen ausschließen160 bzw. gehen davon aus, 153 Markert in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 33, 35 (für das allgemeine Verbot); Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 242 (für den Bußgeldtatbestand). 154 Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 3; Sandrock, JuS 1971, 57, 59; Sprengler, DB 1957, 1169. 155 KG WuW/E OLG 3199, 3206; Markert in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 2; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 3. 156 Werner, Wettbewerbsrecht und Boykott, S. 52 f. – Diese Einordnung geht fehl, da das objektiv tatbestandsmäßige Verhalten („auffordern“), also in der Versuchsdogmatik das „unmittelbare Ansetzen“, gar nicht die erste Ausführungshandlung des Tatentschlusses („unbillige Beeinträchtigung“) darstellt. 157 So auch Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 182. 158 Instruktiv Heintschel-Heinegg, in: Beck OK, Lexikon, Deliktstypen Rn. 13 f. 159 Vgl. BGH NJW 2000, 809, 810 ff.; BB 1989, 931 f.; Bechtold, in: Bechtold, GWB, § 21 Rn. 7 m.w.N. 160 OLG Hamburg WuW/E OLG 3233, 3235; KG WuW/E OLG 4108, 4111; OLG Stuttgart WuW/E OLG 4254, 4256; aus der Literatur Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 37; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 63.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
sie sei regelmäßig indiziert.161 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass Aufforderungen zu Liefer- oder Bezugssperren „fast immer“ auch unter §§ 3, 4 Nr. 1 UWG fallen. Entsprechende Aufforderungen seien daher mit der Folge rechtswidrig, dass widerstreitende Interessen in der Abwägung nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden könnten.162 Dieser Verweis auf das UWG ist indes nicht nur zu pauschal, sondern auch in seiner Herleitung zirkulär. Denn es soll im Lauterkeitsrecht dieselbe Interessenabwägung stattfinden, deren Voraussetzungen kartellrechtlich ja gerade zu prüfen sind.163 Ebenso wenig führt die bloße Behauptung weiter, der Boykott verstoße in seiner typischen Ausgestaltung „gegen die guten Sitten“ und sei so regelmäßig rechtswidrig.164 Zudem erscheint es widersprüchlich, einerseits wettbewerbsrechtliche Maßstäbe in Ansehung der Interessenabwägung für maßgeblich zu halten165 und andererseits Verstößen gegen Lauterkeitsrecht Indizwirkung beimessen zu wollen.166 Eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geteilte167 und im Vordringen befindliche Auffassung hält dagegen zu Recht eine offene Abwägung ohne Indizwirkung für maßgeblich.168 Diese Auslegung wird zunächst der bereits beschriebenen Funktion der „Unbilligkeit“ als normative Weichenstellung hinsichtlich des Für und Wider von kartellrechtlichen Sanktionen gerecht. Schon weil die Unbilligkeit Teil des subjektiven Tatbestands ist, kann die objektiv festzustellende Tathandlung des Aufforderns hinsichtlich dieses Merkmals keine Indizwirkung entfalten.169 Darüber hinaus kommt der Unbilligkeit als eigene Wertungsstufe die Funktion zu, den objektiv weiten Verbotstatbestand im Rahmen der Absicht wieder einzuschränken.170 Schließlich wäre eine Indizwirkung zulasten des Verrufers als 161 Loewenheim, in: L/M/R, Kartellrecht, § 21 GWB Rn. 18; Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 55 Rn. 15 jeweils mit Verweisen auch auf lauterkeitsrechtliche Judikate zur Ausfüllung der Unbilligkeit. 162 Vgl. OLG Stuttgart GRUR-RR 2003, 21, 22; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 37. 163 Omsels, in: Harte/Henning, UWG, § 4 Nr. 10 Rn. 240; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.122. 164 So aber Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 39; der Begriff der „guten Sitten“ war zentrales Merkmal des bis 2004 geltenden UWG. 165 Die besondere Bedeutung der Zielsetzung des GWB ist allg. Meinung (s. o.); zur Berücksichtigung außerkartellrechtlicher Interessen auch Dannecker/Biermann, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 74 m.w.N. 166 Vgl. auch Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 35. 167 BGH, Urt. v. 03. 07. 2001, KZR 11/00, Rn. 19 (juris); NJW 2000, 809, 810, wo die Weite der tatbestandlichen Anwendung des § 21 Abs. 1 GWB damit begründet wird, dass damit noch kein Unwerturteil verbunden sei, sondern vielmehr eine umfassende Interessenabwägung im Rahmen der Unbilligkeitsprüfung stattzufinden habe. 168 Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 33 ff.; Bauer/Wrage-Molkenthin, wistra 1988, 336, 337 und passim; wohl auch Bechtold, in: Bechtold, GWB, § 21 Rn. 7; aus dem Lauterkeitsrecht Omsels, in: Harte/Henning, UWG, § 4 Nr. 10 Rn. 240. 169 Vgl. Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 33. 170 Vgl. auch BGH, Urt. v. 03. 07. 2001, KZR 11/00, Rn. 19 (juris).
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Teil des Sanktionstatbestands kaum mit in dubio pro reo zu vereinbaren, da der Beteiligte sich in Ansehung tatsächlicher Sachverhaltsfragen entlasten müsste.171 Vor diesem Hintergrund ist die Unbilligkeit als ergebnisoffene Abwägung innerhalb der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB von Charakteristika geprägt, die einige Autoren an die „Verwerflichkeit“ im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB erinnern.172 In Beispiel 2 wäre deswegen aufgrund der Aufforderung der Staatslotterie gegenüber der Sparkasse in B, mit der E.-Ltd. die Geschäftsbeziehung zu beenden, noch nichts darüber ausgesagt, ob dieser Aufruf auch unbillig war. Welche Folgen sich daraus für die Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen ergeben, wird deutlich, wenn man das Merkmal der „Unbilligkeit“ als Teil der Absicht untersucht. cc) Für die Unbilligkeit erforderliche Form des Vorsatzes Als Bestandteil des subjektiven Tatbestandes ist es für die Bedeutung des Merkmals „Unbilligkeit“ entscheidend, welche Rolle ihr im Rahmen der überschießenden Innentendenz zukommt: Im Aufbau von Absichtsdelikten173 des StGB werden Rechtfertigungsgründe regelmäßig bereits als Teil des subjektiven Tatbestands geprüft, wenn zunächst die Rechtswidrigkeit objektiv festgestellt wurde und dann diesbezüglich zumindest Eventualvorsatz vorliegt.174 Auch die offene Interessenabwägung in der Unbilligkeitsprüfung lässt es zu, Gesichtspunkte der Rechtfertigung im Tatbestand des Boykottverbots zu berücksichtigen.175 Um beurteilen zu können, inwieweit die Struktur der §§ 21 Abs. 1, 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB mit derjenigen der Absichtsdelikte vergleichbar ist, soll hier die für die Unbilligkeit einschlägige Form des Vorsatzes bestimmt werden. (1) Diskussion um die Vorsatzform im Bußgeldtatbestand Im allgemeinen Verbot nach § 21 Abs. 1 GWB bedeutet Absicht zunächst, dass die Beeinträchtigung als End- oder Zwischenziel erstrebt, also bezweckt wird (sog.
171 Auch der BGH WuW/E BGH 2562, 2563 wählt im Rahmen des Bußgeldtatbestandes eine offene Würdigung der Interessen ohne Indizwirkung zulasten des Betroffenen. Zur Geltung des in dubio-Grundsatzes im Recht der Ordnungswidrigkeiten nur Rogall, in: KK OWiG, Vor § 1 Rn. 21 m.w.N. 172 Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 187; Simmler, Boykott, S. 132, der zu diesem Ergebnis gelangt, obwohl er eine Indizwirkung für die Unbilligkeit annimmt; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 74 erblicken in der Unbilligkeit dagegen eine Interessenabwägung, wie sie sonst in Straftatbeständen stattfände, welche das Merkmal „unbefugt“ verwendeten. 173 Begriff bei Roxin, AT I, § 10 Rn. 84; NK-Saliger, § 78a Rn. 12. 174 SK-Hoyer, § 242 Rn. 98, 107; Schmitz, in: MüKo, § 242 Rn. 118 ff. m.w.N. 175 Neben Notwehrerwägungen wird auch die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ in der Unbilligkeit thematisiert, vgl. insofern BGH WuW/E BGH 2562, 2563 f.; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 74 ff. m.w.N.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
dolus directus 1. Grades).176 Abweichend davon soll nach heute nahezu einhelliger Auffassung in Ansehung der Unbilligkeit jedoch bereits Kenntnis der sie begründenden Umstände (sog. dolus directus 2. Grades) ausreichen.177 Bemerkenswerterweise verweist in Ansehung der Unbilligkeit im Rahmen des Bußgeldtatbestands (§ 81 Abs. 3 GWB) keine der größeren Kommentierungen für die dort erforderliche Vorsatzform auf die entsprechenden Ausführungen zu § 21 Abs. 1 GWB,178 obwohl diese Norm als unechtes Blankett einbezogen wurde. Zwar kann auch im Ordnungswidrigkeitenrecht heute als gesichert gelten, dass zielgerichtetes Handeln im Sinne eines dolus directus 1. Grades nicht erforderlich ist.179 Jenseits dieser Feststellung herrscht jedoch große Unsicherheit hinsichtlich der für die Unbilligkeit maßgeblichen Vorsatzform.180 Insofern wird vertreten, die dargestellten Anforderungen des allgemeinen Verbotstatbestandes seien mit der Folge zu übertragen, dass auch im Rahmen des Bußgeldtatbestands direkter Vorsatz vorliegen müsse.181 Eine solche Einordnung scheint nahe zu liegen und hätte ersichtlich den Vorteil eines Gleichklangs von allgemeinem Verbot und Sanktionstatbestand auf seiner Seite. Aufgrund der nachfolgenden Erwägungen kann sie jedoch nicht überzeugen. (2) Parallele zu den kupierten Erfolgsdelikten Direkten Vorsatz 2. Grades zu verlangen liefe verschiedenen Wertungen zuwider, die sich aus der Systematik des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ableiten lassen:182 Denn aus strafrechtlicher Perspektive ist der Gleichklang mit kupierten Erfolgsdelikten wie etwa in §§ 242, 263 StGB unverkennbar,183 da auch den §§ 21 176
Vgl. BGH WuW/E BGH 3067, 3072; KG WuW/E OLG 5299, 5310; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 57. 177 So für die kartellrechtliche Verbotsnorm des § 21 Abs. 1 GWB BGH NJW 1996, 3212, 3213; NJW 2000, 809, 811; OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 26269, Rn. 43; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 35; Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 29; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 59; Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 43. 178 Vgl. stellvertretend nur Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 251 f. 179 BGH NJW 1999, 2737, 2740; Mayer/Karl, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 19 Rn. 89. m.w.N.; a.A. noch Benisch, in: GK GWB, § 26 Abs. 1 Rn. 28, was jedoch schon psychologisch schwer denkbar ist (einem Verrufer wird es wohl kaum auf die Unbilligkeit des Boykotts ankommen). 180 Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 185. 181 So Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 251 f., die dolus directus 2. Grades auch bzgl. der Unbilligkeit als verfassungsrechtliches Gebot der Tatbestandsbestimmtheit sehen, das wieder entfallen soll, wenn die Beeinträchtigung die Schwelle zu § 240 StGB überschreitet. In letzterem Fall soll bedingter Vorsatz ausreichen. Insofern ist nicht offensichtlich, wie durch diese Vorsatzform zu größerer Tatbestandsbestimmtheit beigetragen werden kann. 182 Vgl. auch Möschel, in: FS Benisch, S. 339, 346. 183 Ausführlich Bauer/Wrage-Molkenthin, WuW 1988, 586, 593 f.
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Abs. 1, 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB eine überschießende Innentendenz zugrunde liegt.184 Wird im Rahmen des Betrugs über den Tatbestandserfolg des Schadenseintritts hinaus die Bereicherung erstrebt, so zielt der Täter des bußgeldbewehrten Boykotts über die bloße Aufforderung hinaus auf die unbillige Beeinträchtigung anderer Unternehmen.185 Auch die Rechtsgüter der Vorschrift, nämlich das verrufene Unternehmen186 und der Wettbewerb als Marktinstitution, bestätigen diesen Befund.187 Denn nach allg. Ansicht hängt die Ahndbarkeit einer Aufforderung nicht von einem tatsächlichen Tätigwerden der Sperrenden ab,188 sodass sich die für kupierte Erfolgsdelikte typische Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes ergibt. Weiter entsprechen sich „Rechtswidrigkeit“ in den §§ 242, 263 StGB und „Unbilligkeit“ in der Boykottsanktion auch in der Funktion, die diese Merkmale innerhalb der jeweiligen Tatbestände einnehmen. In den Absichtsdelikten des StGB wird „Rechtswidrigkeit“ von der h.M. als normatives Tatbestandsmerkmal verstanden.189 Sie entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt190 oder die Gesamtrechtsordnung Zueignung oder Bereicherung anderweitig billigt.191 Stärker noch als die Rechtswidrigkeit ist die Unbilligkeit als Teil der Beeinträchtigungsabsicht normativen Wertungen zugänglich.192 Auch teilen die Merkmale die Zielsetzung, einen Widerspruch mit der Rechtsordnung aufzuheben, indem gegenläufige Interessen des Aufrufenden berücksichtigt werden.193 Die Parallelität wird schließlich dadurch gestützt, dass Unbilligkeit und Rechtswidrigkeit regelmäßig gleichgesetzt werden können: Was nämlich gerechtfertigt ist, kann schwerlich unbillig sein.194
184 s. o. und Bauer/Wrage-Molkenthin, WuW 1988, 586, 593; Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 186. 185 Zur Struktur kupierter Erfolgsdelikte statt Aller Jescheck/Weigend, AT, § 30 II 2. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich bei den §§ 21 Abs. 1, 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB auch nicht lediglich um ein unvollkommen zweiaktiges Delikt handelt, da die unbillige Beeinträchtigung nicht noch durch eine weitere Handlung herbeigeführt werden muss. 186 Genauer müsste wohl das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (ReaG) als Rechtsgut angegeben werden, da das Unternehmen selbst als tatsächliche Erscheinung nicht ohne weiteres eine schützenswerte Rechtsposition darstellt. 187 Bauer/Wrage-Molkenthin, WuW 1988, 586, 594 geben diese Rechtsgüter für die Vorgängervorschrift der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB an. Dem ist nicht zu widersprechen. 188 Vgl. nur BGH WuW-E BGH 2603, 2606. 189 SK-Hoyer, § 242 Rn. 96; S/S-Eser/Bosch, § 242 Rn. 65; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 113 jeweils m.w.N; zu § 263 StGB: S/S-Cramer/Perron, § 263 Rn. 165, 174; zu § 253 StGB: Sander, in: MüKo, § 253 Rn. 35 („Verwerflichkeitsklausel“). 190 NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 113; LK11-Tiedemann, § 263 Rn. 168. 191 Besonders deutlich bei S/S-Cramer/Perron, § 263 Rn. 174. 192 Vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 254. 193 Vgl. dazu Loewenheim, in: L/M/R, Kartellrecht, § 21 GWB Rn. 19; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 55. 194 Statt Vieler Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 62.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Im Absichtsdelikt genügt, wie erwähnt, typischerweise für die Rechtswidrigkeit der angestrebten Enteignung195 bzw. Bereicherung jeweils einfacher Vorsatz, also unter Einschluss des dolus eventualis.196 Diese Anforderungen sind auf die Unbilligkeit zu übertragen, da ihr eine Stellung und Funktion im Boykottverbot zukommt, welche der Rechtswidrigkeit in §§ 242, 263 StGB entspricht. Schließlich besteht für die Merkmale „Unbilligkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ jeweils die Notwendigkeit einer zunächst objektiven Würdigung, d. h. die objektive Feststellung von Rechtswidrigkeit bzw. Unbilligkeit geht der auf diese Merkmale bezogenen Vorsatzprüfung voraus.197 Für das Recht der Ordnungswidrigkeiten ist es daher systematisch geboten, abweichend vom allgemeinen Verbotstatbestand des § 21 Abs. 1 GWB bedingten Vorsatz genügen zu lassen.198 c) Zwischenergebnis: Möglichkeit eines Rückgriffs auf Rechtfertigungsgründe in Fällen des Abwehrboykotts Wenn, wie bislang angenommen, in der Unbilligkeit widerstreitende Interessen des Boykottierers umfassend aufgingen, verbliebe für einen darüber hinausgehenden Unrechtsausschluss kaum mehr je ein Anwendungsbereich.199 Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die Absicht unbilliger Beeinträchtigung ihrer Struktur nach als überschießende Innentendenz zu verstehen ist. Unbilligkeit erfordert dabei eine offene Interessenabwägung, welche Aspekte der Rechtfertigung des Verrufers mit umfasst. Stellung und Funktion der Unbilligkeit entsprechen insoweit dem Merkmal der Rechtswidrigkeit in kupierten Erfolgsdelikten. Deshalb ist es folgerichtig, dass eine im Vordringen befindliche Ansicht dolus eventualis im Hinblick auf dieses Merkmal im Bußgeldtatbestand ausreichen lässt. Dieser Auslegung folgend sind vorrangig Rechtfertigungstatbestände objektiv zu prüfen, bevor dann in einem zweiten Schritt in der allgemeinen Abwägung festgestellt werden kann, ob die Unbilligkeit aufgrund anderweitiger Vorgaben der Gesamtrechtsordnung200 entfällt. In Bezug auf das zunächst objektiv zu prüfende 195 Im Diebstahl (§ 242 StGB) kann sich die Rechtswidrigkeit nur auf die Enteignungskomponente der Zueignung beziehen, siehe dazu Schmitz, in: MüKo, § 242 Rn. 153 f. 196 BGHSt 31, 178, 181; 42, 268, 273; OLG München NJW 2006, 3364, 3365; Fischer, § 263 Rn. 193 m.w.N. 197 Siehe zu § 263 StGB statt Aller Fischer, § 263 Rn. 193; zu §§ 21 Abs. 1, 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 186. 198 So auch die inzwischen wohl h.L.: Achenbach, in: FK GWB, § 81 Rn. 186; Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 55 Rn. 16; Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 137; Bauer/Wrage-Molkenthin, WuW 1988, 586, 593 f. 199 Vgl. Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 17. 200 Solche Gründe, die nicht gleichzeitig unter die allgemeinen Rechtfertigungstatbestände fallen, sind etwa vertragliche Ausschließlichkeitsbindungen, vgl. Loewenheim, in: L/M/R, Kartellrecht, § 21 GWB Rn. 22. Weiter können Grundrechte des Verrufers (Art. 5 Abs. 1 GG) die Unbilligkeit ausschließen, dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 42.
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Merkmal Unbilligkeit genügt dann Eventualvorsatz als Teil der Beeinträchtigungsabsicht. Eine so ausgestaltete Prüfung von Unbilligkeit und Rechtfertigungsgründen bringt zunächst den Vorteil mit sich, dass Gesichtspunkte wie die Abwehr201 oder die Wahrnehmung berechtigter Interessen, welche materiell die Rechtswidrigkeit betreffen,202 auch als Gesichtspunkte der Rechtfertigung behandelt werden können. Weiter wird eine dogmatisch klare Prüfung unter Verwendung bekannter Kategorien der Strafrechtslehre (kupiertes Erfolgsdelikt) etabliert und die bislang wenig konturierte und durch Fallgruppen geprägte Gesamtabwägung systematisiert. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, Rechtfertigungsgründe seien per se nie Teil eines Tatbestandsmerkmals.203 Denn erstens wird der Unrechtsausschluss durch eine materielle Struktur gekennzeichnet, sodass nicht bereits eine formelle Einordnung in den Tatbestand etwas an deren Rechtsnatur ändert.204 Zweitens ist weiter auch im Rahmen etwa des Diebstahls anerkannt, dass Erlaubnissätze – dort in erster Linie die mutmaßliche Einwilligung – die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung innerhalb des subjektiven Tatbestandes ausschließen.205 Es bleibt also festzuhalten, dass die Unbilligkeit der beabsichtigten Beeinträchtigung auch durch Unrechtsausschlussgründe entfallen kann,206 welche im Rahmen des subjektiven Tatbestandes vorrangig vor einem anderweitigen Ausschluss der Rechtswidrigkeit zu prüfen sind.207 Aus strafrechtsdogmatischer Sicht wird diese Einordnung dem Charakter der Unbilligkeit als Tatbestandskorrektiv gerecht und entspricht zudem der höchstrichterlichen Auslegung. Schließlich erzeugt dieser Ansatz auch keine Spannungen mit dem herrschenden dreistufigen Verbrechensaufbau, in dessen Rahmen Erlaubnissätze Teil einer tatbestandlich vorausgesetzten Absicht sein können. Sieht sich die Staatslotterie in Beispiel 2 daher drohenden Bußgeldsanktionen gegenüber (§ 30 OWiG), kann sie ihre Verteidigung auf die 201
Zur Rechtsnatur der Abwehr noch unten: 3. Teil A.IV.3.a). Sie werden im kartellrechtlichen Schrifttum auch regelmäßig als Rechtfertigungsgründe bezeichnet, siehe nur Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 55 Rn. 15. 203 So aber Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 250 Fn. 6. Freilich meinen Anhänger der sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen sei sogar immer Teil des Tatbestandes, siehe nur NK-Puppe, § 16 Rn. 12 f. 204 Vgl. o.: 2. Teil B.I.1., 3. 205 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 33 Rn. 54; SK-Hoyer, § 242 Rn. 98; Schmitz, in: MüKo, § 242 Rn. 158 ff.; für die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Bereicherungsabsicht des § 263 StGB auch Kindhäuser, Strafrecht BT II, § 27 Rn. 82. 206 Dies muss entsprechend für das Behinderungsverbot nach §§ 81 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB gelten. Denn dort ist die schon für § 21 Abs. 1 GWB richtigerweise anzunehmende, offene Abwägung allgemein anerkannt. Vor diesem Merkmal sind folglich auch hier die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zu prüfen; a.A. Dannecker/Biermann, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 101. 207 Auch das OLG Stuttgart WuW/E OLG 2269 prüft für das Recht der Kartellsanktionen in der Sache ähnlich zunächst, ob für die Liefer- oder Bezugssperre eine „sachlich oder rechtlich gebilligte Rechtfertigung“ vorliegt, bevor auf die Interessenabwägung eingegangen wird. 202
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
anerkannten Erlaubnissätze stützen. Wenn im Schrifttum betont wird, dass der Abwehreinwand bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausschließt208, spricht dies vor dem Hintergrund des Gesagten also nicht gegen eine Einordnung der Abwehr als Rechtfertigungsgrund. 3. Verhältnis der Notwehr (§ 15 OWiG) zum wettbewerbsrechtlichen Abwehreinwand Da die allgemeinen Erlaubnissätze des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts für das bußgeldbewehrte Boykottverbot der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB herangezogen werden können, stellt sich nun die Frage, welche Rolle Abwehrinteressen des Boykottierers nach diesem dogmatischen Verständnis zukommt.209 Zunächst ist heute allgemeine Auffassung, dass der sog. wettbewerbsrechtliche Abwehreinwand dazu geeignet sein soll, die Unbilligkeit des allgemeinen Boykottverbots und damit auch die Sanktionsandrohung nach § 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB auszuschließen.210 Beim wettbewerblichen Einwand der Abwehr handelt es sich um eine aus dem Lauterkeitsrecht stammende Rechtsfigur, die mit dem Notwehrrecht besonders eng verwoben ist211 und vom Bundesgerichtshof als eigenständiger Rechtfertigungsgrund behandelt wird.212 Der Abwehreinwand findet seinen Anwendungsbereich primär in Konflikten zwischen Unternehmen und veranschaulicht daher in besonderem Maße eine Interessenkollision unter Verbänden. Für den Bereich der Wirtschaftskriminalität bleibt zu klären, welche Voraussetzungen und Handlungsbefugnisse aufgrund des Abwehreinwands entstehen [a)] und wie sich diese Rechtsfigur zur Dogmatik der Notwehr verhält [b)]. Schließlich soll kurz zusammengefasst werden, inwieweit sich allgemeine Erkenntnisse für den Unrechtsausschluss im Wirtschaftsstrafrecht aus der Gegenüberstellung von Notwehr und Abwehrboykott ableiten lassen [c)]. a) Die Dogmatik des Abwehreinwands im Kartellbußgeldrecht Kartellrechtlich kann zwischen Voraussetzungen der Abwehr (Abwehrlage), Grenzen der Abwehrfähigkeit eines Angriffs (Abwehrhandlung) und Abwehrzweck 208 Vgl. Bergmann/Goldmann, in: Harte/Henning, UWG, Vor § 8 Rn. 51; Dannecker/ Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 79. 209 Zum problematischen Verhältnis der Grundsätze über die Notwehr zum Abwehrboykott Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1854. 210 BGH GRUR 2003, 633, 634; BKartA. WuW/E DE-V 1251, Rn. 483; KG WuW/E OLG 4108, 4111; Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 39; für § 81 Abs. 3 Nr. 1 GWB explizit Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 16. 211 Instruktiv Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S. 465 f.; für die Abwehr als wettbewerbsrechtliche Flankierung der Notwehr bzw. als Rechtfertigungsgrund eigener Art auch Nerreter, Deutsches Wettbewerbsrecht, S. 61 f.; A. Nordemann, in: Nordemann, Wettbewerbsund Markenrecht, Rn. 599; vgl. auch BGH GRUR 1967, 308, 310. 212 Für das Kartellrecht: BGH GRUR 2003, 633, 634; für das Lauterkeitsrecht: BGH NJW 1998, 2825, 2829.
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(subjektives Rechtfertigungselement) unterschieden werden,213 was als solches bereits der gängigen Struktur eines Erlaubnissatzes entspricht.214 Im Grundsatz wird die dogmatische Nähe des Abwehreinwands zu den Rechtfertigungsgründen auch allgemein anerkannt,215 wobei im Einzelnen freilich Vieles umstritten ist. Der Sache nach leiten sich die Voraussetzungen der Abwehr für das Kartellsanktionsrecht aus einem Rechtsinstitut ab, das im UWG seit langem anerkannt ist und dort eine eigenständige Entwicklung genommen hat.216 Für die Ordnungswidrigkeitentatbestände des GWB ist die Anwendung dieser Grundsätze wiederholt erwogen worden, der Abwehreinwand konnte aber – soweit ersichtlich – bislang keinem Verrufer tatsächlich zu einer Rechtfertigung im Ordnungswidrigkeitenrecht verhelfen.217 Allein aus dem Umstand, dass der Einwand bislang noch nicht zu einem Ausschluss der Ahndbarkeit geführt hat, ist natürlich nicht abzuleiten, ein Unrechtsausschluss scheide ganz allgemein aus.218 Im Gegenteil gesteht die höchstrichterliche Rechtsprechung selbst marktstarken Unternehmen im Grundsatz ein Recht auf Abwehrmaßnahmen gegen kartellrechtswidrige Praktiken zu.219 Weiter entstehen gerade im schnelllebigen Wettbewerb Situationen, in denen gerichtliche Rechtsbehelfe faktisch unzureichend bleiben müssen und ein Angegriffener deshalb auf Selbsthilfe zu verweisen sein kann.220 Die Abwehr ändert die aus dem Notwehrrecht bekannte Verteidigung ihrem Regelungsbereich nach: Waren dort die allgemeinen Erlaubnissätze auf natürliche Personen zugeschnitten, betrifft der Abwehreinwand die Rechtfertigungsebene zwischen Unternehmen. Von diesem strukturellen Unterschied einmal abgesehen, entsprechen die Voraussetzungen der Abwehrlage denjenigen der Notwehr. Der Abwehreinwand rechtfertigt nur bei Vorliegen eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs eines Unternehmens,221 wobei Rechtswidrigkeit regelmäßig Wettbewerbswidrigkeit eines Konkurrenten bedeutet.222 So liegt es hinsichtlich des Geschäftsmodells der E-Ltd. in Beispiel 2. Doch auch wenn wie in Beispiel 3 ein wettbewerbsrechtlicher Bezug der 213
Werner, Wettbewerbsrecht und Boykott, S. 142. s. o.: 2. Teil B.I.1. 215 BGH GRUR 2003, 633, 634; GRUR 1971, 259, 260; Bauer/Wrage-Molkenthin, wistra 1988, 336, 337. 216 Vgl. BGH GRUR 2003, 633, 634; NJW 1998, 2825, 2829; auch Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 21 Rn. 37 sieht strenge Parallelität zur Abwehr im Rahmen von § 4 Nr. 10 UWG. 217 Vgl. BGH NJW 1985, 60, 62; BKartA. WuW/E DE-V 1251, Rn. 483, 485; KG WuW/E OLG 2023, 2025; WuW/E OLG 3543, 3546; WuW/E OLG 5103, 5105; OLG Düsseldorf WuW/ E OLG 3550, 3557. 218 So aber Werner, Wettbewerbsrecht und Boykott, S. 143. 219 BGH GRUR 2003, 363, 366. 220 Vgl. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 7. 221 Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 70 m.w.N.; für den lauterkeitsrechtlichen Abwehreinwand weiter Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 8. 222 BGH WRP 1989, 572, 576; Droste, WuW 1954, 507, 508. 214
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Rechtswidrigkeit nicht unmittelbar gegeben ist, erscheint ein Heranziehen einer rechtfertigenden Abwehr grundsätzlich denkbar. In Bezug auf den Abwehreinwand des UWG ist überzeugend geltend gemacht worden, zwischen Angreifer und Inhaber der Eingriffsgüter müsse in personaler Hinsicht vollständig Identität bestehen.223 Diese Voraussetzung wird im Kartellsanktionsrecht entsprechende Geltung beanspruchen können, sodass sich auch hier im Grundsatz eine Externalisierung von Folgen der Abwehrhandlung verbietet. Angriffe auf überindividuelle Rechtsgüter können demnach nicht abgewehrt werden.224 Dass dem Abwehreinwand schließlich eine zeitliche Dimension innewohnt („Gegenwärtigkeit“), wird deutlich, wenn die Rechtsfigur demjenigen Wettbewerber versagt wird, dem die vorherige Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zumutbar gewesen ist.225 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs eines anderen Unternehmens als Voraussetzung der Abwehrlage bleibt hinsichtlich ihrer konkreten Anforderungen jedoch weitestgehend im Dunkeln. Der Bundesgerichtshof hat in das Lauterkeitsrecht betreffenden Entscheidungen älteren Datums für den Abwehreinwand angenommen, dass dessen Anwendbarkeit über die Tragweite der Notwehr hinausgehe. Dabei hat er offen gelassen, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein soll, d. h. die Abwehr rechtfertigt, wenn Notwehr versagt.226 Aus einem engeren Verständnis des Gegenwärtigkeitsbegriffs im Rahmen der Abwehrlage lässt sich ein weiterer Anwendungsbereich gegenüber der Notwehr jedenfalls nicht ableiten.227 Die Abwehrhandlung als Verteidigungsverhalten darf zunächst schützenswerte Belange Dritter nicht beeinträchtigen. Sie verleiht somit zunächst nur Eingriffsbefugnisse in Individualrechtsgüter des Angreifers, sodass sich die Abwehr stets gegen Interessen des Verrufenen zu richten hat.228 Weiter gelten die Grenzen von Geeignetheit229 und Erforderlichkeit („Abwehrnotwendigkeit“)230 auch für die Abwehrhandlung. Dabei versteht sich das Erfordernis der Geeignetheit einer Sperraufforderung zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs des Verrufenen von selbst. Im Rahmen des Unrechtsausschlusses durch Abwehr ist weiter darauf zu achten, dass der Einsatz eines erforderlichen, d. h. relativ mildesten Mittels bereits ein für die Unbilligkeitsabwägung (§ 21 Abs. 1 GWB) maßgebliches Strukturprinzip dar-
223
Erichsen, GRUR 1958, 425, 426; Nerreter, Grundlagen Wettbewerbsrecht, S. 61. BKartA. WuW/E DE-V 1251, Rn. 485 verneint das Vorliegen einer Abwehrlage bei einem Angriff auf öffentliche Schutzgüter. 225 KG WuW/E OLG 5103, 5105. 226 BGH GRUR 1960, 331, 336; GRUR 1967, 138, 140; vgl. auch Walter, Wettbewerbliche Abwehr, S. 14. 227 Siehe sogleich; wie hier Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 7; a.A. Droste, GRUR 1971, 261. 228 KG WuW/E OLG 2069, 2073. 229 KG WuW/E OLG 3543, 354; Schultz, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 39 m.w.N. 230 Zu dieser für das UWG entwickelten Terminologie BGH GRUR 1971, 259, 260; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 2.7. 224
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stellt.231 Daneben verbietet aber die Rechtsfigur der Abwehr selbst ihren Voraussetzungen nach den Einsatz nicht erforderlicher Mittel.232 Auch wenn vor allem im Schrifttum zum Abwehreinwand teilweise unglücklich von Angemessenheit233 bzw. Verhältnismäßigkeit234 die Rede ist, wird doch in der Sache nicht bestritten, dass materiell eine Abwägung, wie sie etwa der rechtfertigende Notstand erfordert, vom Abwehreinwand nicht vorausgesetzt wird. Dieser Umstand muss im Rahmen der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB dazu führen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Abwehr die Unbilligkeit stets entfällt, weil die bloß nachgelagerten Billigkeitserwägungen dann nicht mehr zu prüfen sind.235 Schließlich verlangt der kartellrechtliche Abwehreinwand, dass auch subjektiv zur Abwehr eines Wettbewerbsverstoßes gehandelt wird (Abwehrzweck). Der Boykottierer muss demnach mit dem Ziel tätig werden, der rechtswidrigen Abwehrlage mittels seines Boykottaufrufs entgegenzuwirken.236 Auch insofern wird von der Rechtsprechung wie im Notwehrrecht zwar ein Handeln zum Zwecke der Abwehr gefordert. Es soll dabei jedoch ausreichen, dass neben der Verteidigung noch andere Zwecke erstrebt werden.237 b) Verhältnis der kartellrechtlichen Abwehr zur Notwehr Damit sind die Voraussetzungen des Abwehreinwands, der im Recht der Kartellordnungswidrigkeiten die Unbilligkeit ausschließen und nach überwiegender Ansicht zum Entfallen des Tatbestands führen soll,238 dargetan. In einem nächsten Schritt soll nun versucht werden, diese Anforderungen für einen Unrechtsausschluss an denjenigen der Notwehr nach § 15 OWiG zu spiegeln. Denn nur so lässt sich für die Fallkonstellation des Abwehrboykotts eine konsistente Lösung entwickeln, die gleichzeitig einen Beitrag zur Dogmatik der Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht leisten kann. In den meisten Stellungnahmen des kartellrechtlichen Schrifttums bleibt das Verhältnis von Abwehreinwand zur klassischen Notwehr unerörtert239 und bereits in der lauterkeitsrechtlichen Herleitung des Abwehreinwands aus der Not-
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Vgl. KG WuW/E DE-R 333, 335; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 71. Statt Aller Ohly, in: P/O/S, UWG, § 4 Rn. 10/90; zur Erforderlichkeit für den Abwehreinwand des GWB Benisch, in: GK GWB, 4. Aufl., § 26 Rn. 26 f. 233 Erichsen, GRUR 1958, 425, 433 Fn. 89; siehe auch BGH GRUR 1954, 23, 24. 234 Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 40; Ohly, in: P/O/S, UWG, § 8 Rn. 165. 235 s. o.: 3. Teil A.IV.2.c). 236 BGH NJW 1998, 2825, 2829. 237 Bergmann/Goldmann, in: Harte/Henning, UWG, Vor § 8 Rn. 55. 238 Anders nur Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 55 Rn. 15: „Bei Vorliegen der Voraussetzungen der Abwehr entfällt die Rechtswidrigkeit“; Sympathie für eine Rechtfertigungslösung auch bei Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 17. 239 So schon Simmler, Boykott, S. 135 f. 232
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wehr ergeben sich zahlreiche Ungereimtheiten.240 Der grundlegende Unterschied zur Notwehr soll nach herrschender Auffassung darin bestehen, dass diese einem wettbewerbswidrigen Verhalten lediglich die Rechtswidrigkeit nimmt, während der Abwehreinwand schon die Tatbestandsmäßigkeit – namentlich die Sittenwidrigkeit des § 1 UWG a.F. –241 entfallen lässt.242 Insofern haben vorstehende Erwägungen gezeigt, dass die deliktssystematische Einordnung als Tatbestandsausschluss von deren Vertretern wohl in erster Linie deswegen vorgenommen wird, weil der Abwehreinwand als Bestandteil der Unbilligkeit geprüft wird und diese ein Tatbestandsmerkmal der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB darstellt. Diese Unterscheidung erscheint, wie gesehen, zu formal und ist im Lichte des hier vertretenen Verständnisses der Unbilligkeit, wonach zunächst Unrechtsausschlussgründe zu prüfen sind, nicht überzeugend. Um für die Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht einen Erkenntnisgewinn erzielen zu können, sind vielmehr die materiellen Unterschiede zwischen Notwehr und Abwehreinwand entscheidend. Sie sollen im Folgenden einer eingehenden Würdigung unterzogen werden.243 aa) Angriff im Abwehreinwand und in der Notwehrlage Sowohl die Notwehr als auch der Abwehreinwand verlangen das Vorliegen eines Angriffs. Legt man den straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Angriffsbegriff zugrunde, so erscheint verwunderlich, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser in das Lauterkeits- und Kartellrecht Einzug gehalten hat. Denn Angriff bedeutet zunächst menschliches Handeln, das einen Zustand verursacht, der die unmittelbare Gefahr einer Rechtsgutsverletzung oder deren Vertiefung begründet.244 Von menschlichem Handeln des verrufenen Unternehmens kann im Hinblick auf den Abwehreinwand jedoch zunächst keine Rede sein und das Werk einer natürlichen Person wird für die Abwehrlage insoweit auch nirgends gefordert.245 Freilich könnte man argumentieren, hinter jeder Wettbewerbswidrigkeit einer juristischen Person stehe das Handeln eines Einzelnen, der z. B. im Rahmen seiner Organstellung für ein
240 Schünemann, in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl., § 3 Rn. 275 Fn. 486: „Die h.M. [zum Institut der Abwehr] ist in hohem Maße widersprüchlich“. 241 Vgl. BGH GRUR 1971, 259, 260. 242 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 79; Achenbach, in: FK GWB, Vor § 81 Rn. 144; Schwippert, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 83 Rn. 58. 243 Allein der Abwehrzweck als subjektives Rechtfertigungselement soll außen vorgelassen werden, da dieser ohne Reflektion aus dem Notwehrrecht kopiert wurde, vgl. Fritzsche, in: MüKo UWG, § 11 Rn. 252. 244 Statt Aller Fischer, § 32 Rn. 5 m.w.N.; vgl. zum Angriffsbegriff schon oben: 3. Teil A.III.2. Für das Recht der Ordnungswidrigkeiten auch Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 2. 245 Exemplarisch BGHZ 140, 134, 139 f., wo die Eigenschaft als Angreifer und Abwehrender explizit auf Verbände bezogen wird.
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Unternehmen tätig wird.246 Doch dürfte nach strafrechtlichem Verständnis dann auch nur gegen dieses Verhalten Notwehr geübt werden, ohne dass ein Eingriff in Rechtsgüter des Unternehmens gestattet wäre.247 Schließlich wird wettbewerbswidriges Handeln eines Personenverbands auch nur in den seltensten Fällen auf eine (einzelne) Handlung eines Organs zurückgehen, gegen welche dann die Notwehr eine Verteidigungsmöglichkeit eröffnete. Wettbewerbswidrigkeit bedeutet in aller Regel wettbewerbswidriges Verhalten des Unternehmens als Ganzes, wofür es zumeist einer Vielzahl einzelner Ausführungshandlungen bedarf. In Beispiel 2 ist etwa nicht das Verhalten eines einzelnen Directors Anknüpfungspunkt für wettbewerbswidriges Verhalten, sondern vielmehr das gesamte Geschäftsmodell der E-Ltd., welche ohne die erforderliche Konzession Wetten anbietet. Nach den Grundsätzen des Notwehrrechts übte auf Verteidigerseite dann auch nicht das Unternehmen selbst Notwehr, sondern der jeweils konkret Auffordernde i.S.v. § 21 Abs. 1 GWB Nothilfe zugunsten des angegriffenen Unternehmens.248 Insofern ist offensichtlich, dass der Abwehreinwand allgemein nicht nur als Nothilfekonzeption des handelnden Organs zugunsten seines eigenen Unternehmens begriffen wird. Die Unternehmensleitung der Staatslotterie in B verteidigt in Beispiel 2 vielmehr die Staatslotterie als Ganzes und handelt damit zum Vorteil des eigenen Unternehmens. Im Gegensatz zur Notwehr soll der Abwehreinwand üblicherweise gerade zwischen Unternehmen als Angreifer und Verteidiger ein Selbsthilferecht gewähren. Dies zeigt bereits ein Blick auf die zum allgemeinen Verbot entwickelten Grundsätze der Abwehr. Denn diese sollen schließlich für den gesamten Anwendungsbereich der allgemeinen Verbotsnorm des § 21 Abs. 1 GWB greifen. Im Kontext des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts sind aber schon dem Wortlaut nach nur „Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen“ von der Vorschrift erfasst. Für einen menschlichen Angriff im Sinne des Notwehrrechts ist dort kein Platz. Wenn deshalb der Abwehreinwand wie im UWG auch und gerade zwischen Unternehmen greifen soll, löst schon dieser Umstand das Rechtsinstitut der Abwehr von den Notwehrgrundsätzen der §§ 227 BGB249, 15 OWiG. Der Abwehreinwand ist bei genauer Betrachtung kein Unterfall der Notwehr und die Anwendung von Notwehrgrundsätzen vermag diesen im Kartellsanktionsrecht deswegen auch nicht zu ersetzen. Will man verstehen, weshalb dennoch gerade auf das Notwehrrecht zur Herleitung der Abwehr rekurriert wird und welche Erkenntnisse aus der Diskussion für die §§ 32 StGB, 15 OWiG gewonnen werden können, müssen
246 In der bereits erwähnten Entscheidung BGH NStZ 2010, 632, 634 klingt dagegen an, dass das Gericht in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung gerade nicht annimmt, von einer Gesellschaft als Rechtsträgerin eines Unternehmens könne ein Angriff ausgehen. 247 Zum Ganzen: 3. Teil A.III.4. 248 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 247. 249 Vgl. zur Tatsache, dass Notwehr auch zivilrechtlich den Angriff eines Menschen voraussetzt, Grothe, in: MüKo BGB, § 227 Rn. 4.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
die Voraussetzungen der beiden Rechtfertigungstatbestände im Einzelnen weiter gegenübergestellt werden. bb) Rechtswidrigkeit und Gegenwärtigkeit in Abwehr und Notwehr Das Merkmal der Rechtswidrigkeit soll demjenigen der Notwehr entsprechen und dabei regelmäßig aus der Wettbewerbswidrigkeit abzuleiten sein.250 Darüber hinaus wird in Ansehung der Rechtswidrigkeit für die Abwehrlage vereinzelt erwogen, einen Abwehreinwand bereits dann zuzugestehen, wenn der vom Boykott Betroffene zuvor selbst vertragliche Pflichten verletzt hat.251 Auch im Hinblick auf das Notwehrrecht ist anerkannt, dass Rechtswidrigkeit nicht Strafrechtswidrigkeit bedeuten muss, sondern ein weitergehender Rechtsgüterschutz gewährleistet wird.252 Dennoch taugt für das rechtsgüterbezogene Verteidigungskonzept der Notwehr eine bloße Vertragsverletzung nicht als Anknüpfungspunkt. Im Gegenteil werden bloß relativ wirkende Zuwiderhandlungen regelmäßig keinen rechtswidrigen Angriff im Sinne des Notwehrrechts begründen.253 Richtigerweise genügen schuldrechtliche Pflichtverletzungen daher auch nicht zur Begründung einer Abwehrlage. Dies widerspräche nicht nur der für den Abwehreinwand immer wieder betonten Objektivität des Rechtswidrigkeitsurteils,254 weil die Rechtswidrigkeit dann nicht mehr allgemeingültig, sondern nur relativ wirkend zwischen einzelnen Parteien festzustellen wäre. Vor allem gehört vertragswidriges Verhalten aber auch zum geschäftlichen Alltag255 und die richterrechtlich entwickelte Abwehr soll dem angegriffenen Unternehmen kein allgemeines Instrument zur Selbstvollstreckung vertraglicher Rechte an die Hand geben. Für die dogmatische Herleitung der Abwehr aus der Notwehr hat der in seiner Auslegung im Rahmen der Abwehr weitgehend unklar gebliebene Gegenwärtigkeitsbegriff eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren.256 Dabei befinden sich Unternehmen naturgemäß in einer Situation, die im Hinblick auf Reaktions- und La250 KG WuW/E OLG 1687, 1699; Bergmann/Goldmann, in: Harte/Henning, UWG, Vor § 8 Rn. 51, 54. 251 Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 70. Das Erfordernis einer „schwerwiegenden oder wiederholt schuldhaften“ Pflichtverletzung ist keine vom dort zitierten Urteil vorgenommene allgemeine Einschränkung der Abwehr bei Vertragspflichtverletzungen. Vgl. zum Ganzen OLG Düsseldorf WuW/E OLG 4247, 4248 f. 252 Schünemann, in: Coimbra Symposium, S. 149, 173; Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 21 m.w.N. 253 Vgl. zum Ausschluss der Notwehr bei fehlender Erfüllungsbereitschaft des Gläubigers ausführlich LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 105 ff.; zur mangelnden Notwehrfähigkeit relativer Rechte, s. o.: 3. Teil A.II.2.a). 254 Fritzsche, in: MüKo UWG, § 11 Rn. 245; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 2.5 jeweils m.w.N. 255 Vgl. auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 87 f. 256 Zu diesem ausführlich Simmler, Boykott, S. 136 ff.; Walter, Wettbewerbliche Abwehr, S. 16, 20 ff.
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tenzzeiten auf einen Angriff mit natürlichen Personen nicht gleichgesetzt werden kann. Dies hat schon früh dazu geführt, dass die Gegenwärtigkeit des Abwehreinwands weiter verstanden worden ist als in der Notwehrlage.257 Für das Recht der Kartellordnungswidrigkeiten überzeugt diese Sichtweise aus zwei Gründen nicht: Zunächst liegt der Behauptung einer fehlenden zeitlichen Nähe zwischen Angriffsverhalten und Abwehr ein verfehltes Gegenwärtigkeitsverständnis zugrunde. Im Notwehrrecht ist ein Angriff gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert.258 Ist diese Definition auch selbst noch abstrakt und ausfüllungsbedürftig, so ermöglicht sie doch die Unterteilung in actio („Erstschlag“) und reactio des Verteidigers. Was den Abwehreinwand anbelangt, so sind ausschließlich „noch andauernde“ Angriffe betroffen, da wettbewerbswidriges Verhalten kaum je schon in der Planungsphase einem anderen (Konkurrenz-)Unternehmen bekannt werden dürfte. Vor seiner Ausführung wird wettbewerbswidriges Verhalten in aller Regel ein Unternehmensinternum bleiben, sodass eine Verteidigungshandlung im Vorfeld ausscheidet.259 In Fällen wie Beispiel 2 wird die Staatslotterie nur unter außergewöhnlichen Umständen bereits von der Absicht der E-Ltd. Kenntnis erlangen, wettbewerbswidrige Geschäftstätigkeiten zu verfolgen. Bei fortdauernden Angriffen, wenn die Verletzung des Schutzgutes bereits eingetreten ist, geht die heute h.M., wie bereits gesehen, davon aus, dass Gegenwärtigkeit solange vorliegt, bis eine Verteidigungshandlung eine Vergrößerung oder Intensivierung des Schadens nicht mehr verhindern kann.260 Dem entspricht es, wenn nach hier vertretener und überwiegender Ansicht für die Notwehr als Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit die Rechtsgutsverletzung und nicht etwa die Angriffshandlung selbst gesehen wird.261 Solange wettbewerbswidrige Handlungen eines Unternehmens also andauern, kann ein entsprechendes Eingreifen bzw. eine Verteidigung des Angegriffenen auch weiteren wirtschaftlichen Schaden abwenden. Legt man überzeugend für die Notwehr ein rechtsgutsbezogenes Verständnis des Gegenwärtigkeitsbegriffs zugrunde, halten sich auch die durch Abwehr zu rechtfertigenden Verteidigungen in diesen zeitlichen Grenzen. Schließlich spricht für einen Gleichklang von Abwehr und Notwehr im Hinblick auf die Gegenwärtigkeit ein systematisches Argument. Denn es kann zu Konstel257 Droste, WuW 1954, 507, 508; ders., GRUR 1971, 261; i.E. auch Simmler, Boykott, S. 139 f. 258 Vgl. BGHSt 27, 336, 339; StV 1995, 463, 464; Jescheck/Weigend, AT, § 32 II 1 d. 259 Auch in der lauterkeits- bzw. kartellrechtlichen Rechtsprechung hat der Abwehreinwand bislang nur im Rahmen von „Reaktionskonstellationen“ Bedeutung erlangt; vgl. auch Walter, Wettbewerbliche Abwehr, S. 27 m.w.N. 260 OLG Düsseldorf NStZ 1994, 343 f.; Fischer, § 32 Rn. 18; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 149; SK-Günther, § 32 Rn. 80; Simmler, Boykott, S. 138 weist darauf hin, dass bei einmaligem, abgeschlossenem Wettbewerbsverstoß die Gegenwärtigkeit bereits entfallen sein kann. 261 Zum Problem bereits oben: 3. Teil A.II.2.b).
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lationen kommen, in denen wettbewerbliche Abwehr- und allgemeine Notwehrlage nebeneinander vorliegen.262 Denkbar ist dies etwa, wenn ein Unternehmen stark personalistisch strukturiert oder gar von einem Einzelkaufmann geführt wird, sodass tatsächlich einmal ein menschlicher Angriff im Sinne des Notwehrrechts gegeben ist. In einer solchen Konstellation spricht einiges für eine entsprechende Behandlung von bürgerlichem Recht (§ 227 BGB) und Wettbewerbsrecht.263 Die Rechtfertigungslage von Notwehr und Abwehr deckt sich also hinsichtlich ihrer Voraussetzungen. Der bedeutsame Unterschied der Erlaubnissätze ergibt sich aus ihrem voneinander abweichenden personalen Anwendungsbereich, welcher sich am Angriffsbegriff festmachen lässt. cc) Abwehrhandlung und Notwehrhandlung In einem nächsten Schritt soll dann untersucht werden, ob auch die durch die wettbewerbsrechtliche Abwehr verliehenen Eingriffsbefugnisse mit denen des Notwehrrechts vergleichbar sind. Dabei ist die Weite der durch das Vorliegen einer Notwehrlage verliehenen Eingriffsbefugnisse offenkundig und viel diskutiert.264 Die durch den Abwehreinwand verliehenen Rechte zur Verteidigung eines Unternehmens werden dagegen meist nur formelhaft wiedergegeben. (1) Eingriff in Rechtsgüter des Angreifenden Als gesichert kann heute gelten, dass wie bei der Notwehr265 allein in Rechtsgüter des angreifenden Unternehmens eingegriffen werden darf, also eine Rechtfertigung durch den Abwehreinwand ausscheidet, wenn und soweit auch Rechtsgüter Dritter berührt sind.266 Solche Rechtsbelange Dritter, etwa von Kunden des Boykottierten, können daher nicht unter Rückgriff auf den Abwehreinwand beeinträchtigt werden. Gemäß der allgemeinen Rechtfertigungslehre käme in Bezug auf Rechtsgüter Dritter ein Unrechtsausschluss nur über die Notstandsregelung in Betracht. Der Bundesgerichtshof formuliert aber in Ansehung der kartellrechtlichen Abwehr deutlich vorsichtiger als im Notwehrkontext, wenn er nur „schützenswerte Belange von am Wettbewerbsverhältnis selbst nicht unmittelbar Beteiligten“ von der Abwehrfähigkeit ausnimmt.267 Er zieht damit zwei Schwellen ein, unterhalb derer auch an Angriff 262
Vgl. auch BGH GRUR 1967, 138, 139 f. So auch BGH GRUR 1967, 138, 139 m. zust. Anm. Droste. 264 Erb, in: MüKo, § 32 Rn. 9 („Totschlagsmoral“); vgl. auch oben: 3. Teil A.II.1. 265 Statt Vieler Fischer, § 32 Rn. 24 m.w.N.; zu teilweise erwogenen Einschränkungen von dem Grundsatz, dass nur in Rechtsgüter des Angreifers eingegriffen werden kann, auch schon oben: 3. Teil A.II.3.a). 266 Vgl. o.: 3. Teil A.II.3.a); BGH WuW/E BGH 2069, 2073; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 72; für das Lauterkeitsrecht auch BGHZ 111, 188, 191; Ohly, in: P/O/S, UWG, § 8 Rn. 164. 267 BGH WuW/E BGH 2069, 2073. Dass nicht jede Berührung von Rechtsgütern Dritter den Abwehreinwand ausschließen kann, erkennt auch Fritzsche, in: MüKo UWG, § 11 Rn. 237, 241, 260 an. 263
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und Abwehr nicht Beteiligte Rechtsgutsbeeinträchtigungen hinzunehmen haben. Zum einen müssen entsprechende Rechtsgüter Dritter schützenswert sein. Diese Schutzwürdigkeit könnte etwa entfallen, wenn die durch den Boykott Betroffenen sich zuvor ebenso wie der Angreifer selbst rechtswidrig verhalten haben, etwa indem sie den Angriff unterstützt haben. Zum anderen wird vor allem das Kriterium der Unmittelbarkeit zwischen Abwehrhandlung und Betroffenem betont. Eine nur entfernte oder gänzlich mittelbare Beeinträchtigung von Interessen genügt selbst dann nicht, wenn an sich geschützte Rechtsgüter durch die Abwehrhandlung tangiert werden. Diese beiden Kriterien setzen in materieller Hinsicht der Verteidigung Grenzen, die im Notwehrrecht keine Entsprechung finden.268 In Beispiel 2 scheiterte eine Abwehrhandlung der Staatslotterie also nicht bereits, wenn z. B. Arbeitnehmer oder Fremdkapitalgeber der E-Ltd. in ihrem Rechtskreis durch die Verteidigungshandlung der Staatslotterie nachteilig berührt werden. Dass angreiferfremde Rechtsgüter im Rahmen der Abwehrhandlung durchaus in Mitleidenschaft gezogen werden können, solange nicht eine gewisse Intensität in der Beeinträchtigung dieser Drittinteressen erreicht ist, zeigt sich auch an der Diskussion um den Abwehreinwand im Rahmen der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB. Hier wird nämlich mit dem Wettbewerb als Marktmechanismus ein überindividuelles Rechtsgut durch die Abwehrhandlung betroffen, was jedoch nicht dazu führt, dass die Abwehr schon wegen Beeinträchtigung eines Universalrechtsguts verworfen würde. Erwägt man im Kontext eines Kollektivrechtsguts als Eingriffsinteresse aber die Anwendung des Abwehreinwands, entfernt man sich damit auf den ersten Blick vom geltenden Notwehrrecht. Eine Verteidigung zulasten überindividueller Schutzinteressen entzieht sich nämlich einer Rechtfertigung durch Notwehr,269 was für das Recht der Ordnungswidrigkeiten entsprechend gelten muss.270 Wenn man in dem Kontext dennoch die Abwehr für generell anwendbar hält, dürfte dies gleichwohl kaum daran liegen, dass eine generelle Ausweitung der Rechtsfigur auf Kollektivrechtsgüter befürwortet wird.271 Vielmehr erscheint es für die Abwehr sachgerecht, eine Rechtfertigung erst auszuschließen, wenn die Funktionsfähigkeit des Marktes mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. Unterhalb bloß mittelbarer Auswirkungen hindert eine gewisse Beeinträchtigung von überindividuellen 268
Im Rahmen der Notwehr mag über die Inanspruchnahme von Allgemeinrechtsgütern oder Drittwirkung der Notwehr diskutiert werden. Dass jedoch Rechtsgüter Dritter notwehrfähig seien, solange gewisse materielle Schwellen nicht überschritten würden, wird so nirgends vertreten. 269 Zur Notwehrlage bei gleichzeitiger Betroffenheit von Individual- und Universalrechtsgut: 3. Teil A.II.3.a); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 160 m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 1986, 2716, 2717; a.A. noch RGSt 21, 168, 171. 270 Ausführlich Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 22; abweichend Hannich, in: R/R/H, OWiG, § 15 Rn. 2. 271 Für das Lauterkeitsrecht hat der BGH GRUR 1983, 335, 336; GRUR 2008, 530, 531 einen Eingriff in Interessen der Allgemeinheit wiederholt explizit verworfen.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Schutzgütern die Anwendbarkeit des Abwehreinwands nicht. Die zusätzlichen Restriktionen werden im Verhältnis zur Notwehr nötig, weil im Anwendungsbereich zwischen Unternehmen die Rechtswirkungen der Abwehr nie allein auf das Verhältnis Angreifer-Verteidiger beschränkt werden können. Aufgrund der Vielgestaltigkeit wirtschaftlicher Verflechtungen zwischen Marktteilnehmern wirkt sich jede Verteidigung mittelbar auch auf Dritte (Anteilseigner, Lieferanten, Gläubiger etc.) aus. In Beispiel 2 kann die E-Ltd. z. B. Lohnforderungen ihrer Arbeitnehmer nicht mehr bedienen, wenn ihre Bankverbindung aufgelöst wurde. Gleichwohl ist das Einziehen einer solchen Erheblichkeitsschwelle allein dem Marktumfeld der Abwehr geschuldet und bedeutet nicht grundsätzlich eine Abkehr vom Verbot der Externalisierung von Verteidigungswirkungen. (2) Erwägungen zur Erforderlichkeit Schließlich ist gemeinsames Strukturprinzip von Abwehr und Notwehr die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung. In Ansehung der Abwehr werden zwei Aspekte besonders hervorgehoben: Andere Abwehrmittel, wie vor allem die Anrufung von Gerichten oder Behörden, dürfen dem Auffordernden nicht zur Verfügung stehen272 und weiter darf der Boykott auch nicht über das zur Verteidigung unbedingt erforderliche Maß hinausgehen.273 Der zweite Aspekt kann wohl als bloße Bestätigung des Minimierungsgebots gelesen werden. Erforderlichkeitsprinzip und Minimierungsgrundsatz sind Strukturmerkmale zahlreicher Rechtfertigungsgründe,274 sodass deren Geltung auch im Rahmen der Abwehr nicht verwundert. Genauerer Würdigung bedarf dagegen die Subsidiarität des Abwehreinwands zur Nichterreichbarkeit gerichtlicher Hilfe. Die Rechtsprechung hat im Zusammenhang mit dem Abwehreinwand wiederholt betont, Selbsthilfe komme nur in Betracht, wenn gerichtliche Abwehrmöglichkeiten ausgeschöpft werden oder nicht zugänglich sind.275 In Beispiel 2 ist deswegen der Abwehreinwand zugunsten der Staatslotterie insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn sie zuvor gegen die E-Ltd. zivilrechtlich ein Unterlassungsurteil erwirkt hat, auf welches die E-Ltd. nicht reagiert. Für die Notwehr wird indes wenig erörtert, wie „präsent“ gerichtliche Hilfe sein muss, um die Erforderlichkeit auszuschließen.276 Weil der Rechtsweg zunächst stets in Eigeninitiative des Abwehrenden angestrengt werden muss und hinsichtlich seines Erfolgs zumeist ungewiss bleibt, wird er regelmäßig nicht ebenso geeignet sein wie die eigenmächtige Abwehr eines Angriffs. In die Suche nach dem mildesten 272
KG WuW/E OLG 5103, 5105; Nothdurft, in: Langen/Bunte, GWB, § 21 Rn. 40. Neef, in: MüKo GWB, § 21 Rn. 32; Rixen, in: FK GWB, § 21 Rn. 70; vgl. auch KG WuW/E DE-R 333, 335. 274 s. o.: 2. Teil B.I.3.a). 275 KG WuW/E OLG 1029, 1032; WuW/E OLG 5103, 5105; wohl auch OLG Hamburg, Urt. v. 26. 2. 2009 – 1 Kart-U 3/07 –, n.v., S. 10. 276 Siehe auch schon oben: 3. Teil A.II.3.b); vgl. für das Ordnungswidrigkeitenrecht Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 30. 273
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Mittel ist sie deshalb oftmals gar nicht erst einzubeziehen.277 Abweichendes kann nur dann gelten, wenn Eilrechtsschutz einmal ohne Preisgabe berechtigter Interessen abgewartet werden kann.278 Daher ist der Gedanke der Subsidiarität zu hinreichend verfügbarer gerichtlicher Hilfe der Notwehr zwar nicht vom Wesen her fremd.279 Aus tatsächlichen Gründen wird eine so postulierte Subsidiarität die Erforderlichkeit der Notwehrverteidigung dennoch nur in den seltensten Fällen einschränken. Der Abwehreinwand unterliegt materiell keinen strikteren Schranken als die Notwehr. Dass bei dieser nur höchst selten, im Rahmen des Abwehreinwands dagegen in aller Regel zunächst gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen ist, geht auf die unterschiedliche Natur des Angriffs zurück. Während die Notwehr eine konkrete „Kampflage“ zwischen natürlichen Personen betrifft, ist die Abwehr als Selbsthilferecht zwischen Unternehmen eher einzuschränken. Einem Verband als Personenmehrheit kann regelmäßig zugemutet werden, sich zunächst an Gerichte zu wenden, zumal in Wettbewerbssituationen staatliche Hilfe eher verfügbar sein dürfte.280 Zudem scheiden bei Verbänden höchstpersönliche Rechtsgüter des Personenverbands als notwehrfähige Erhaltungsgüter aus und auf bedrohte Interessen mit (zumindest mittelbarem) Vermögensbezug, um die es in Konflikten zwischen Unternehmen geht, ist der zivilrechtliche Eilrechtsschutz ja gerade ausgelegt. Diese Subsidiarität der Abwehr gilt dennoch nicht uneingeschränkt. Zumindest in Fällen, in denen nicht damit gerechnet werden kann, dass das angreifende Unternehmen sich an ein gerichtliches Verbot halten wird oder wenn eine gerichtliche Maßnahme zur Verhinderung der Schadensvertiefung nicht ausreichend sein würde, bleibt dem Angreifer der Abwehreinwand eröffnet.281 In Beispiel 2 ist eine Verteidigung der Staatslotterie zumindest möglich, wenn sich die Ltd. nicht an ein vollstreckbares Urteil hält, welches ihr den Betrieb des wettbewerbswidrigen Wettgeschäfts untersagt. c) Zwischenergebnis: Verhältnis zwischen Abwehr und Notwehr Die Betrachtung deckt bemerkenswerte Übereinstimmungen zwischen wettbewerbsrechtlicher Abwehr und Notwehrrecht auf. Die Gegenüberstellung der ein277
LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 29 a.E.; Geilen, Jura 1981, 308, 316. 278 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971, 1972. 279 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die jüngste Äußerung des BGH NStZ 2010, 632, 634, der ausdrücklich die Möglichkeit zivilprozessualen Rechtsschutzes als Teil der Erforderlichkeitsprüfung versteht; vgl. ferner Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 30; a.A. Simmler, Boykott, S. 141. 280 Rengier, in: KK OWiG, § 15 Rn. 30. 281 BGH GRUR 1960, 193, 196; GRUR 1971, 259, 260 m.w.N., jeweils zum Abwehreinwand im UWG.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
zelnen Voraussetzungen zeigt, dass sich Rechtswidrigkeit und Gegenwärtigkeit in der Notwehr- bzw. Abwehrlage durchaus entsprechen. In Ansehung der Rechtswidrigkeit können einfache Vertragsverletzungen in keinem Fall ein Selbsthilferecht begründen und die rechtstatsächlich längeren Zeiträume der Abwehrlage sollten nicht zu einem vorschnellen Bruch mit dem Gegenwärtigkeitsbegriff des Notwehrrechts verleiten. Nach richtigem Verständnis ist nämlich hier wie dort das unmittelbare Bevorstehen nicht auf die Angriffshandlung, sondern auf den drohenden Eintritt oder die Intensivierung der Rechtsgutsverletzung zu beziehen.282 Dieses Verständnis lässt einen Angriff als gegenwärtig erscheinen, solange das Vermögen des angegriffenen Unternehmens (weiterhin) unter dem rechtswidrigen Verhalten eines anderen leidet, sodass sich Notwehr- und Abwehrrecht insoweit nicht widersprechen. Allein der Angriffsbegriff der §§ 32 StGB, 15 OWiG ist auf den Abwehreinwand nicht übertragbar. Es fehlt an der von einem Menschen ausgehenden Bedrohung rechtlicher Interessen. Dass mittelbar freilich jede von einem Unternehmen ausgehende Beeinträchtigung von Rechtsgütern auch einer natürlichen Person zurechenbar ist, ändert daran nichts. Die Abwehr ist nach Konzeption und Anwendungsbereich auf Konflikte zwischen Unternehmen als Angreifer und Angegriffenem ausgelegt und führt damit deutlich den „blinden Punkt“ der Notwehr in wirtschaftlich geprägten Sachverhalten vor Augen. Auch die durch Abwehr- und Notwehrhandlung verliehenen Eingriffsbefugnisse stimmen ihrer Struktur nach weitestgehend überein. Dem Unternehmensbezug der Abwehr entspricht es, wenn Beeinträchtigungen von Dritten bzw. von Allgemeinrechtsgütern erst jenseits gewisser Schwellen die Rechtfertigung ausschließen. Ein systematischer Unterschied zwischen Abwehr und Notwehr ist damit nicht dargetan. Denn es ist offensichtlich, dass im Kontext wettbewerblichen Handelns durch jeden Verstoß auch Dritt- oder Allgemeininteressen in unterschiedlich starkem Ausmaß283 in Mitleidenschaft gezogen werden können. Mit Blick auf die Erforderlichkeit der Abwehrhandlung ergibt sich gegenüber der Notwehr die Besonderheit, dass Unternehmen in erster Linie auf gerichtliche Hilfe verwiesen werden. Doch auch dieses Erfordernis modifiziert nur scheinbar die Voraussetzungen der Notwehrhandlung. Unternehmen können in einer Angriffslage nämlich Schäden an Individualrechtsgütern regelmäßig eher als natürliche Personen abwenden, indem gerichtlicher Eilrechtsschutz angestrengt wird. Dass die wettbewerbsrechtliche Abwehr als besondere Form der Notwehr verstanden wird,284 hat nach alledem durchaus seine Berechtigung. Die Erfordernisse decken sich im Einzelnen weitestgehend. Scheinbare Abweichungen sind auf die verschiedenen Verteidigungssituationen zwischen juristischen und natürlichen Personen zurückzuführen, beruhen aber teilweise auch auf einem unpräzisen Ver282
Vgl. auch nochmals: 3. Teil A.II.2.b). Fritzsche, in: MüKo UWG, § 11 Rn. 240. 284 Vgl. pars pro toto nochmals BGH GRUR 1971, 259, 260 m. zust. Anm. Droste; ders., WuW 1954, 507, 511; Melullis, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 23. 283
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ständnis der Notwehrdogmatik. Der Vergleich bereitet zum einen den Boden für ein überindividuelles „modernisiertes“ Notwehrrecht im Wettbewerb zwischen Unternehmen.285 Davon abgesehen zeigt er, dass für die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit des handelnden Organs der Abwehreinwand eine dem Unrechtsausschluss an sich fremde Struktur aufweist. Denn auf den Abwehreinwand kann sich der Geschäftsführer einer GmbH oder die Leitung der Staatslotterie in Beispiel 2 nur „im Namen“ des Unternehmens bzw. der Gesellschaft berufen, d. h. die Abwehr nur zugunsten des Unternehmens ausüben. Es handelt sich mithin um eine Konstellation, die der Nothilfe verwandt ist, sich gleichwohl nicht völlig mit ihr deckt. Denn im Unterschied zur Nothilfe im technischen Sinne wird nicht gegen eine natürliche Person als Angreifer verteidigt, sondern gegen ein ganzes Unternehmen. Eine Abwehr von Angriffen, die von einem ganzen Unternehmen ausgehen, ist der Notwehr ja gerade fremd. Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Der Abwehreinwand überträgt die Voraussetzungen der §§ 32 StGB, 15 OWiG auf Verteidigungskonstellationen zwischen Unternehmen, ohne sie in der Sache zu modifizieren. Die Rechtfertigung eines einzelnen Organs im Rahmen des Abwehrboykotts mithilfe der Abwehr erzeugt indes dogmatische Spannungen zur aus dem Strafrecht bekannten Struktur von Erlaubnissätzen. 4. Rechtfertigung des auffordernden Organs im Recht der Ordnungswidrigkeiten Mit dem Vergleich zwischen Notwehr und Abwehr ist noch nichts darüber ausgesagt, wie ein Geschäftsleiter, der ein sich wettbewerbswidrig verhaltendes Unternehmen verruft, sich nach dem Recht der Kartellsanktionstatbestände zu verantworten hat. Die bisherige Darstellung ermöglicht es, die Voraussetzungen der Ahndbarkeit des Geschäftsleiters der Staatslotterie in Beispiel 2 methodisch sachgerecht zu erfassen. Insofern lässt sich nun auch die Anwendbarkeit eines Unrechtsausschlusses de lege lata bestimmen, wenn zugunsten des eigenen Unternehmens wettbewerbswidriges Verhalten abgewehrt wird. Denn die Ausführungen zur Ahndbarkeit nach §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB haben gezeigt, dass Erlaubnistatbestände als Teil des subjektiven Tatbestands zu prüfen sind.286 Damit ist zunächst auf die kodifizierten Rechtfertigungsgründe zurückzugreifen, die im Recht der Kartellordnungswidrigkeiten unbestritten Anwendung finden.287 Weiter steht fest, dass mangels Angriffs eines Menschen die Notwehr nach § 15 OWiG den einzelnen Handelnden beim Abwehrboykott nicht rechtfertigen kann. Doch auch der Abwehreinwand kommt richtigerweise in Ansehung des Unrechtsausschlusses eines handelnden Vorstands bzw. Geschäftsführers nicht zum 285
Dazu sogleich noch ausführlicher. s. o.: 3. Teil A.IV.2.c). 287 Achenbach, in: FK GWB, Vor § 81 Rn. 144 ff.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 74. 286
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Zuge. Denn der Erlaubnissatz ist für die Rechtfertigung einer natürlichen Person ebenso wenig konzipiert wie die Notwehr als Selbsthilferecht einem Verband zur Seite stehen kann. Darüber hinaus hält das Recht der Ordnungswidrigkeiten eigene Rechtfertigungsgründe bereit, auf die vorrangig zurückzugreifen ist, wenn sie die (untechnisch zu verstehende) Pflichtenkollision eines Organs zwischen berechtigtem Interesse des eigenen Unternehmens und Verbot der Zuwiderhandlung angemessen zu lösen imstande sind. Für das verrufende Leitungsorgan der Staatslotterie schafft insofern der rechtfertigende Notstand in Form der Notstandshilfe zugunsten des eigenen Unternehmens Abhilfe, § 16 OWiG.288 Seine Anwendung ist sachgerecht und dürfte in der Praxis auch nicht von den mithilfe des Abwehreinwands gefundenen Ergebnissen abweichen. In der zeitlichen Dimension geht der Notstand sogar weiter als die Abwehr und erfasst insbesondere auch sog. Dauergefahren,289 die von einem rechtswidrig handelnden Konkurrenten ausgehen. Über die Erforderlichkeitsprüfung hinaus sieht der Notstand eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, im Rahmen derer Interessen von angreifendem und verteidigendem Unternehmen umfassend abzuwägen sind. Erst wenn diese Interessenabwägung einmal zu Lasten des handelnden Organs ausfällt, sind auch im Recht der Ordnungswidrigkeiten die richterrechtlichen Grundsätze der Abwehr zu prüfen.290 5. Abwehreinwand und Unternehmensnotwehr de lege ferenda Die Herleitungsbemühungen des Abwehreinwands aus den Grundsätzen der Notwehr291 bzw. die teilweise vertretenen Versuche, Abwehr und Notwehr gleichzusetzen,292 offenbaren eine Struktur der Notwehr, die sie für das Wirtschaftsstrafrecht im Ergebnis weitestgehend unbrauchbar macht. Dem Notwehrrecht ist wesenseigen, dass ausschließlich das Verhältnis von Angreifer und Verteidiger maßgeblich ist und die Verteidigungshandlung nicht auch auf Dritte erstreckt werden kann. Andererseits unterfällt nach richtigem Verständnis ein Personenverband weder auf Angreifer- noch auf Verteidigerseite dem Anwendungsbereich der Notwehr, d. h. ein Unternehmen kann weder selbst angreifen noch Notwehr üben.293 Dieser Befund schließt einen Rückgriff auf §§ 32 StGB, 15 OWiG für Handeln mit Unterneh-
288
Zu diesem Ergebnis kommt auch Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1855. Statt Aller Fischer, § 34 Rn. 8. 290 Da die Abwehr eine Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e.S. nicht verlangt, reichen die insoweit verliehenen Eingriffsbefugnisse der Dogmatik nach weiter als diejenigen des Notstandes. Dennoch wird die Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen der Abwehr so restriktiv verstanden, dass es kaum vorstellbar scheint, ein vom Notstand nicht erfasstes Verhalten durch Abwehr zu rechtfertigen, vgl. z. B. BGH WuW/E BGH 2069, 2073. 291 BGH GRUR 1971, 259, 260. 292 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S. 465 f.; vgl. auch A. Nordemann, in: Nordemann, Wettbewerbsrecht, Rn. 599: „eine Art wettbewerbliches Notwehrrecht“. 293 s. o.: 3. Teil A.III.4. 289
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mensbezug in aller Regel auch dann aus, wenn sich die Rechtswidrigkeit des Angriffs eines Unternehmens aus außerwettbewerblichen Gesichtspunkten ergibt.294 Für den einzelnen Wirtschaftsstraftäter hat dies zur Folge, dass er zwar sanktionsrechtlich die Lasten unternehmensbezogenen Handelns trägt, wenn im Wege der „Merkmalsüberwälzung“ nach §§ 14 StGB, 9 OWiG strafbarkeitsbegründende Eigenschaften des Unternehmens auf seine Person übertragen werden. Auf Ebene der Rechtswidrigkeit besteht de lege lata dagegen kein entlastendes Pendant, wie der Vergleich zwischen Abwehr und Notwehr gezeigt hat. Dies wird auch anhand von Beispiel 3 deutlich, wenn es in der Sache um einen Konflikt zwischen B-Bank und K-Konzern geht und die Rechtfertigungstatbestände der §§ 32 ff. StGB die Strafbarkeit der einzelnen Vorstandsmitglieder als natürliche Personen im K-Konzern im Auge haben. Nothilfe zugunsten des K-Konzerns scheidet mangels Vorliegens eines von der B-Bank ausgehenden Angriffs aus und erlaubt jedenfalls keinen Eingriff in die Rechtsgüter anderer Unternehmen. Notstandshilfe zugunsten des eigenen Unternehmens mag zwar den konkret Handelnden regelmäßig entlasten. Doch werden ihm die schärferen Eingriffsrechte genommen, die bestünden, wenn er sich auf Selbsthilferechte berufen könnte, die „seinem“ Unternehmen gemäß vorstehenden Ausführungen an sich zustehen müssten. Es spricht also einiges dafür, ein Abwehrrecht zugunsten von Unternehmen anzuerkennen, auf das sich dann auch die handelnden Organe bzw. Mitarbeiter berufen können. – Konflikten zwischen Unternehmen wird man nur durch Anerkennung von Selbsthilferechten auf Verbandsebene gerecht. Ginge man darüber hinaus von der Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit aus, handelte der K-Konzern in Beispiel 3 mangels bestehenden Selbsthilferechts wohl unrechtmäßig und könnte für den Kreditbetrug sanktioniert werden. Die Betrachtung hat gezeigt, dass der Abwehreinwand – vom Angriffsbegriff einmal abgesehen – die Voraussetzungen der Notwehr in ein Rechtsgebiet überträgt, in dem ein Bedürfnis nach Selbsthilfe von Unternehmen entstehen kann, wenn ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndbarkeit droht. Die einzelnen Merkmale der Notwehr bedürfen dabei keiner grundsätzlichen Modifizierung. Sie könnte in ihrer bisherigen Gestalt ohne größeren Aufwand in ein Unternehmensnotwehrrecht weiterentwickelt werden. Dies gilt umso mehr, als die der Notwehr zugrunde liegenden Rechtsgedanken auch zwischen Unternehmen berücksichtigungsfähig sind.295 Hat sich der Gesetzgeber bisher nicht zur Schaffung eines solchen Selbsthilferechts veranlasst gesehen, so werden dahingehende Sachzwänge aller Voraussicht nach wachsen, wenn das deutsche Strafrecht im Zuge eines weltweiten 294 Dies übersehen Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 79, wenn sie die Anwendung des Notwehrrechts unter dem Vorbehalt zulassen, dass nicht bereits der Abwehreinwand eingreift. 295 Fritzsche, in: MüKo UWG, § 11 Rn. 252. Insbesondere steht dem nicht die bereits festgestellte, fehlende Appellwirkung des Rechtsbewährungsprinzips entgegen, vgl. o.: 3. Teil A.II.1.b). Denn ein angegriffenes Unternehmen kann sich gegenüber einem anderen sehr wohl darauf berufen, es handle auch zur Verteidigung der Rechtsordnung.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Trends296 sich zur Einführung einer Verbandsstrafbarkeit entscheiden sollte und infolgedessen Rechtfertigungsgründe für das Unternehmen selbst relevant werden. Dass ein fehlendes Selbsthilferecht zwischen Unternehmen noch nicht stärker als Defizit empfunden wurde, dürfte neben dem akzessorischen Charakter von Sanktionen gegenüber Unternehmen (§ 30 OWiG) vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass die Praxis entsprechende Gesichtspunkte vollumfänglich in Erwägungen zur Unbilligkeit aufgehen lässt. Ein modernes Wirtschaftsstrafrecht wird jedoch nicht umhin kommen, sich von einem tradierten Angriffsverständnis zu lösen und den Geltungsbereich der Notwehr zugunsten von Unternehmen zu flexibilisieren. Entsprechende Tendenzen zeigt auch der den Abschnitt schließende Exkurs ins Notwehrrecht der Europäischen Union auf.
V. Exkurs: Notwehr in einem europäischen Wirtschaftsstrafrecht Zur Ergänzung der vorstehenden Ausführungen soll auf einen weiteren Kontext von wirtschaftsbezogenen Ordnungswidrigkeiten eingegangen werden, in welchem die Notwehr eine Rolle spielt: das europäische Kartellrecht. Eine kurze Auseinandersetzung mit den dort zu beobachtenden Tendenzen rundet die Betrachtung zur Notwehr ab. So können die aus nationaler Perspektive angestellten Erwägungen um aktuelle Entwicklungen des Rechtsinstituts ergänzt werden. Weil jedoch die Notwehr im europäischen Sanktionsrecht bisher ein eher am Rande wahrgenommenes Phänomen darstellt,297 werden im Folgenden nur zwei Aspekte herausgegriffen und zu bereits Gesagtem in Beziehung gesetzt. Zunächst ist kurz auf die Gestalt einzugehen, welche der Unrechtsausschluss durch Notwehr in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angenommen hat [1.]. Sodann soll auf Kodifizierungsbestrebungen für die Notwehr im Zuge eines Allgemeinen Teils eines europäischen Wirtschaftsstrafrechts hingewiesen werden [2.]. 1. Notwehr im europäischen Kartellrecht Im Rahmen des europäischen Kartellrechts hat die Notwehr in einer Reihe von Fällen eine Rolle gespielt. Dennoch konnte sie bislang in keinem Verfahren eine drohende Geldbuße verhindern.298 Auch im europäischen Kontext werden strafrechtliche Rechtfertigungsgründe mit dem Ziel angeführt, Sanktionen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens Dritter abzuwenden und wie im nationalen Kartellrecht 296
Heine, in: Alwart, Verantwortung und Steuerung, S. 91, 98; Dannecker, GA 2001, 101 ff. m.w.N. 297 Dannecker, in: Tiedemann, Symposium Wirtschaftsstrafrecht, S. 147, 157. 298 Dannecker, in: Immenga/Mestmäcker, EG, VO 17 Art. 15 Rn. 138; Gleiss/Hirsch, EG, Art. 85 Rn. 179.
A. Die Notwehr
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sind Adressaten der Verbotstatbestände des Gemeinschaftsrechts in erster Linie Unternehmen, vgl. Art. 101 AEUV. Die Folge ist, dass faktisch auch hier nur juristische Personen und nicht etwa deren Organe als Adressaten der Verbotsregelungen Notwehr Übende sein können. Wie im nationalen Kartellrecht passt der Angriffsbegriff des deutschen Verständnisses nicht auf diese überindividuelle Dimension und schon aufgrund der unterschiedlichen Strafrechtstraditionen der Mitgliedstaaten299 war eine eigenständige Entwicklung auf Gemeinschaftsebene vorgezeichnet. Gemeinschaftsrechtlich ist die dogmatische Aufarbeitung des Rechtfertigungsgrundes Notwehr nicht immer stringent verlaufen und noch nicht abschließend geklärt. – Ursprünglich versagte die Kommission dem „schwer fassbaren“300 Institut der Notwehr zur Verteidigung von bloß vermögenswerten Rechtsgütern jede Berechtigung, soweit es um den Schutz bloßer kaufmännischer Interessen ging. Deren Ungewissheit gehöre ja gerade zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit.301 Auch heute noch wird die Notwehr auf europäischer Ebene nicht allgemein als Rechtfertigung, sondern teilweise auch als Schuldausschließungs- bzw. Strafmilderungsgrund begriffen.302 Als allgemeinen Rechtsgrundsatz hat jedenfalls der Gerichtshof die Rechtsfigur jedoch inzwischen anerkannt303 und auch die wohl h.L. in der Literatur ordnet sie dem deutschen Verständnis entsprechend als Unrechtsausschluss ein.304 Will man die Ausführungen von Kommission und Gerichtshof zur Notwehr in Voraussetzungen (Notwehrlage) und Eingriffsbefugnisse (Notwehrhandlung) unterteilen, so genügt für erstere bereits das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs,305 wie er i.Ü. auch im Recht der allermeisten Mitgliedstaaten verlangt wird.306 Die durch Notwehr verteidigungsfähigen Interessen sind entgegen den ursprünglichen Andeutungen der Kommission nicht auf höchstpersönliche Rechtsgüter beschränkt.307 Vielmehr kann bereits aus der bloßen Erörterung im Kontext von Kar299
Ein ausführlicher Überblick findet sich bei LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 27 ff. KommE, Slg. 1978, 169, 180 Rn. 17. 301 Vgl. KommE, Slg. 1980, 958; ausführlich Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, S. 90 f. 302 Bunte, in: Langen/Bunte, EG, Art. 15 Rn. 11; Schröter, in: v. d. Groeben/Schwarze, EG, Art. 87 Rn. 8 Fn. 50; unklar auch EuG, Urt. v. 10. 03. 1992, Slg. 1992, 256 ff. 303 EuGH, Urt. v. 12. 07. 1962, Slg. 1962, 581, 612; EuGH, Urt. v. 18. 03. 1980, Slg. 1980, 907, 1021; EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983, Slg. 1983, 1825, 1861. 304 Dannecker/Fischer-Fritsch, Bußgeldrecht, S. 310; Prieß/Spitzer, in: v.d. Groeben/ Schwarze, EU/EG, Art. 280 EG Rn. 50; Tiedemann, NJW 1993, 23, 29; ders., in: FS Jescheck, S. 1411, 1430 f.; ders., AT, Rn. 266 f.; Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, S. 94 ff. 305 Siehe die Nachweise in Fn. 304. 306 Dannecker, in: FS Hirsch, S. 141, 157 m.w.N.; Böse, Strafen und Sanktionen, S. 212 m.w.N. 307 Dannecker, in: Tiedemann, Symposium Wirtschaftsstrafrecht, S. 147, 155; vgl. etwa auch Art. 122 – 5 Abs. 2 Code pénal: „pour interrompre l’exécution […] d’un délit contre un bien“. 300
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
tellsanktionen darauf geschlossen werden, dass auch das Unternehmensvermögen notwehrfähig ist.308 Erwägungen zur Gegenwärtigkeit finden sich zwar im Notwehrrecht der Mitgliedstaaten,309 nicht dagegen im Gemeinschaftsrecht selbst. Auch im europäischen Kontext wird die Rechtfertigungshandlung nur hinsichtlich eines Eingriffs in Rechtsgüter des Angreifers selbst erwogen.310 Kernstück der Prüfung und gleichzeitig Grund für den schmalen Anwendungsbereich der Rechtsfigur im europäischen Kartellrecht ist die strenge Erforderlichkeitsprüfung der Verteidigungshandlung. Diese soll zum einen immer dann entfallen, wenn sich die Abwehr gegen ein rechtswidriges Einschreiten der Kartellbehörde richtet.311 Vor allem aber hat sich der strikte Grundsatz der Subsidiarität von Selbsthilfemaßnahmen gegenüber der Inanspruchnahme des nationalen, aber auch des europäischen312 Rechtsweges durchgesetzt.313 Vor diesem Hintergrund erscheint zweifelhaft, ob in Beispiel 4 der Alleinimporteur sich nicht zunächst und vorrangig auf dem Rechtsweg gegenüber wettbewerbswidrigem Verhalten der europäischen Tochtergesellschaften bzw. gegen Importeure in anderen Mitgliedstaaten hätte zur Wehr setzen müssen. Dieser strenge Ansatz der Subsidiarität erscheint vor dem Hintergrund fehlender europäischer Rechtsbehelfe im Lauterkeitsrecht und einem unzureichenden Eilrechtsschutz in Kartellsachen durchaus nicht unzweifelhaft.314 Die verteidigerunfreundliche Handhabung der Voraussetzung lässt bis dato die Frage danach, ob für die Notwehr im Gemeinschaftsrecht zusätzlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist,315 zu einer theoretischen werden. Unter diesen Vorzeichen wird ein Anwendungsbereich der Notwehr im Bereich der europäischen Sanktionen allenfalls bei dringenden Eilentscheidungen in Betracht kommen.316 In Beispiel 4 etwa fehlt es zudem bereits an der Notwehrlage, da die bloße Einfuhr einer Ware, die in einen
308 Zur Notwehrfähigkeit des Kollektivrechtsguts „Gemeinschaftswettbewerb“ als „quasiNothilfe zugunsten eines Gutes der Allgemeinheit“ KommE v. 19. 12. 1984, 85/206/EG, ABl. 1985 Nr. L 92/1; eingehend Papakiriakou, Europäisches Unternehmensstrafrecht, S. 102 f. 309 Dannecker, in: FS Hirsch, S. 141, 157 m.w.N. 310 EuGH, Urt. v. 18. 03. 1980, Slg. 1980, 907, 1021. 311 Reuter, RTE 1980, 415, 423; Dannecker, in: Immenga/Mestmäcker, EG, VO 17 Art. 15 Rn. 143; vgl. auch EuGH, Urt. v. 16. 11. 1983, Slg. 1983, 3721 ff. 312 Dannecker/Fischer-Fritsch, Bußgeldrecht, S. 310; Papakiriakou, Europäisches Unternehmensstrafrecht, S. 96. 313 EuGH, Urt. v. 18. 03. 1980, Slg. 1980, 907, 1021; KommE v. 19. 12. 1984, 85/206/EG, ABl. 1985 Nr. L 92/1; Tiedemann, in: FS Jescheck, S. 1411, 1431. 314 Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, S. 95 f.; Tsolka, AT des europäischen Strafrechts, S. 190. 315 Bejahend Dannecker, in: Immenga/Mestmäcker, EG, VO 17 Art. 15 Rn. 141; ablehnend Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, S. 97. 316 Tiedemann, in: FS Jescheck, S. 1411, 1431; Dannecker/Fischer-Fritsch, Bußgeldrecht, S. 310.
A. Die Notwehr
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anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, keinen rechtswidrigen Angriff darstellt.317 2. Notwehrtatbestand in einem europäisierten Wirtschaftsstrafrecht? Fließend ist damit der Übergang zur Kodifizierung der Notwehr in einem europäisierten Wirtschaftsstrafrecht. Der Vertrag von Lissabon hat jedenfalls nicht unwahrscheinlicher werden lassen, dass auch das materielle Strafrecht einer stetig fortschreitenden Harmonisierung zugeführt werden wird.318 Die in Art. 83 Abs. 1 AEUV aufgezählten Regelungsgegenstände der Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln und der Computerkriminalität weisen nicht nur allesamt einen engen Bezug zur Wirtschaftskriminalität auf, sondern könnten ihrerseits die Diskussion um die Einführung der Verbandsstrafbarkeit weiter beflügeln.319 Die immer wieder artikulierte Forderung nach einer Kodifizierung von Rechtfertigungsgründen in einem Allgemeinen Teil320 hätte sich in jedem Fall mit der Frage von Notwehr zwischen Unternehmen auseinanderzusetzen. Dies gilt vor allem auch dann, wenn man die vom Gerichtshof entwickelte Definition der Notwehr als „Handlung, die zur Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff unerlässlich ist“, als Grundlage für ein europäisches Notwehrverständnis heranzieht.321 Dieser „kleinste gemeinsame Nenner“ der unterschiedlichen Rechtsordnungen wurde gerade vor dem Hintergrund von Unternehmen als handelnden Akteuren geprägt und hat daher die Übertragung auf Personenverbände bereits hinter sich, die dem deutschen Recht noch bevorsteht.322 Die konkrete Ausgestaltung ist dabei nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Rücknahme des öffentlichen Gewaltmonopols politische Wertentscheidung und nicht allein aus der Sachlogik ableitbar. Trotz dieser ungewissen Zukunft des europäischen Notwehrrechts lässt sich auch den sanktionsrechtlichen Entwicklungen auf EU-Ebene eine Tendenz hin zu einem weiten Verständnis des Angriffsbegriffs und einer genauen Prüfung der Erforderlichkeit bei Erreichbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes entnehmen. 317
EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983, Slg. 1983, 1825, 1901. Vgl. zur Bedeutung des Vertrags für die Strafrechtspflege die (gegensteuernde) Leitentscheidung BVerfGE 123, 267, 352 ff. und für das Echo in der Lehre nur Kubiciel, GA 2010, 99 ff. 319 Dahingehende Forderungen sind altbekannt und wurden auch für ein europäisches Unternehmensstrafrecht erhoben, vgl. Hetzer, EuZW 2007, 75, 80 m.w.N. und passim. 320 Dannecker, in: Tiedemann, Symposium Wirtschaftsstrafrecht, S. 147, 156; ders., in: FS Hirsch, S. 141, 143 ff.; Tiedemann, ZStW 110 (1998), 497, 506. 321 So LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 48 m.w.N. zur Herleitung dieser Definition aus den genannten Urteilen. 322 Auch Dannecker, in: Tiedemann, Symposium Wirtschaftsstrafrecht, S. 147, 158 f.; ders., in: FS Hirsch, S. 141, 158 hält es als Vorreiter von Kodifizierungserwägungen für Rechtfertigungsgründe auf europäischer Ebene für möglich, dass auch juristischen Personen ein Notwehrrecht zugestanden wird. 318
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
VI. Ergebnis: Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht Für die Notwehr als erstem untersuchten Erlaubnissatz lassen sich anhand von wirtschaftsbezogenen Sachverhalten bedeutsame Erkenntnisse ableiten und aktuelle Entwicklungen illustrieren. So konnte zunächst gezeigt werden, dass gegenüber Rechtsgütern eines Unternehmens eine Notwehrverteidigung nicht möglich ist. Eine juristische Person greift als solche nicht i.S.v. §§ 32 StGB, 15 OWiG an. Dies ergibt sich nicht bereits zwingend aus der fehlenden strafrechtlichen Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft, folgt aber aus dem Rechtsbewährungsprinzip als Strukturmerkmal der Notwehr. Denn ein Verband verfügt nicht über hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf das einzelne Organ, sodass für einen eigenen Angriff der juristischen Person die Grundlage fehlt. Weiter verbietet sich die Zurechnung von Angriffen eines Organs, weshalb gegen Rechtsgüter der juristischen Person eine Verteidigungshandlung nicht in Betracht kommt. Aus diesen Gründen ist weder der COO in Beispiel 1 noch ein Vorstandsmitglied des K-Konzerns in Beispiel 3 nach Notwehrgrundsätzen gerechtfertigt, da die Folgen der Verteidigung stets ein Unternehmen treffen. Darüber hinaus wurde der Vergleich von Notwehr und wettbewerbsrechtlichem Abwehreinwand zum Anlass genommen, anhand des Boykotttatbestandes Rechtfertigungsgründe stimmig in den Deliktsaufbau von Kartellordnungswidrigkeiten zu integrieren. Dabei fällt auf, dass die ganz h.M. zur Lösung der mithilfe von Beispiel 2 vorgestellten Problematik und im Abwehrboykott allgemein in der Sache auf Erlaubnistatbestände rekurriert. Sie legt diesen Rückgriff auf die Rechtfertigungslehre gleichwohl nicht hinreichend offen. Deswegen wurde auf Grundlage anerkannter Prinzipien hier eine Lösung entwickelt, wonach Unrechtsausschlussgründe sinnvollerweise als Teil der Unbilligkeit und nicht im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung kartellrechtlicher Sanktionstatbestände geprüft werden. Für den Abwehrboykott ergibt sich dann konkret, dass ein verrufenes Organ unter Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. Es wird aber auch deutlich, dass auf den rechtfertigenden Notstand de lege lata allein deswegen zurückgegriffen werden muss, weil die an sich zur Begründung des erforderlichen Selbsthilferechts besser geeignete Notwehr im Kontext juristischer Personen versagt. In Beispiel 2 ist den konkret handelnden Leitungsorganen der Staatslotterie demgemäß zwar eine Notwehrverteidigung gegen das wettbewerbswidrige Verhalten der E-Ltd. unmittelbar versagt, sie könnten sich in einem Verfahren nach Ordnungswidrigkeitenrecht jedoch auf § 16 OWiG berufen. Der richterrechtlich entwickelte Abwehreinwand steht als Unrechtsausschlussgrund daneben zur Verfügung. Schließlich hat die Gegenüberstellung mit dem Abwehreinwand und die Untersuchung zur Notwehr im europäischen Sanktionsrecht auf Angriffssituationen zwischen Unternehmen aufmerksam gemacht. Vor allem die fehlende Verbandsstrafbarkeit nach dem StGB dürfte dazu geführt haben, dass allein im Recht der Kartellordnungswidrigkeiten sich vereinzelt Erwägungen zu einer Notwehr zwischen Unternehmen finden. Die individualistische Konzeption des Strafrechts, die
B. Der rechtfertigende Notstand
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den Angriff einer natürlichen Person erfordert, passt hier nicht. Insofern wurde deutlich, dass sich etwa in den Beispielen 2 und 3 der relevante Konflikt zwischen Unternehmen abspielt, ein Selbsthilferecht auf dieser Ebene aber gerade fehlt. Weil auch und gerade der Wettbewerb zu rechtswidrigen Angriffen auf Konkurrenten verleitet, ist de lege ferenda an ein Selbsthilferecht zugunsten von Unternehmen zu denken, wie es nach richtigem Verständnis die Notwehr im Gemeinschaftsrecht (vgl. auch Beispiel 4)323 und der Abwehreinwand für nationale Kartellrechtsverstöße schon heute darstellen. Vom Angriffsbegriff einmal abgesehen324 bedürfen die Voraussetzungen der Notwehr insofern keiner grundlegenden Anpassung oder gar einer wesensmäßigen Veränderung. Im Gegenteil ermöglicht die strafrechtliche Dogmatik eine mühelose Weiterentwicklung hin zu einem Verteidigungsrecht, das auch korporativ betätigt werden kann.
B. Der rechtfertigende Notstand I. Einführung: „Wirtschaftlicher Notstand“ und Rechtfertigung Im Gegensatz zum Schattendasein, das die Notwehr in der Wirtschaftskriminalität bislang führt, hat der rechtfertigende Notstand in Konstellationen mit Bezug zum Wirtschaftsstrafrecht bereits einige Beachtung erfahren. Zwar ist auch dieser Erlaubnistatbestand weit davon entfernt, in Sachverhalten des Wirtschaftslebens auf gesicherte Kriterien zurückgreifen zu können.325 Gleichwohl stellt er den einzigen, gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrund dar, dem Entscheidungen326 und Stellungnahmen in der Literatur für diesen Bereich eine gewisse Aufmerksamkeit schenken.327 Vor dem Hintergrund der gesteigerten Bedeutung im Bereich der Wirtschaftsdelinquenz soll auch der in §§ 34 StGB, 16 OWiG, 228, 904 BGB kodifizierte Notstand hier zunächst als Teil der allgemeinen Rechtfertigungslehre im Wirtschaftsstrafrecht behandelt werden. Die im Vergleich zu anderen Tatbeständen des Unrechtsausschlusses bedeutsamere Stellung des Notstandes leuchtet bereits auf den ersten Blick ein. Denn eine „Notstandslage“ im Sinne einer wirtschaftlichen Zwangssituation liegt zum einen 323
Die Notwehr als Berechtigung zur Selbstverteidigung eines Unternehmens versteht auch Dannecker, in: Immenga/Mestmäcker, EG, VO 17 Art. 15 Rn. 142. 324 Ausführlich zum Abwehrbegriff und seinem Verhältnis zur Selbsthilfe zwischen Unternehmen oben 3. Teil A.IV.3.b)aa). 325 So auch Sack, JR 1997, 253, 255; vgl. aber auch Tiedemann, AT, Rn. 193. 326 Einen ersten Eindruck vermittelt die kurze Übersicht bei Schall, NStZ 1992, 209, 215. 327 Tiedemann, AT, Rn. 193 ff.; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 3 ff.; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 93 f.; Beck/Valerius, Fälle WiStra, Fall 3 Rn. 48, Fall 4 Rn. 9; ausführlich zu Korruption und Notstand jüngst Dann, wistra 2011, 127 ff.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
regelmäßig vor, wenn eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit unter dem Eindruck wirtschaftlichen Drucks begangen wurde.328 Zum anderen hat schon das Reichsgericht überindividuelle Rechtsgüter mit Bezug zum Wirtschaftsleben, wie z. B. die Wirtschaft des Ruhrgebiets329 bzw. die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung für notstandsfähig erachtet.330 Doch erschöpft sich die Bedeutung des rechtfertigenden Notstands keineswegs in einem Verweis des Wirtschaftsstraftäters auf wirtschaftliche Engpässe oder finanzielle Zwänge. Im Gegenteil bieten sich Notstand und Interessenabwägung als dem Erlaubnissatz eigenes Rechtsprinzip besonders zur Lösung von Pflichtenkollisionen an und entfalten ihre Wirkung weit über den Bereich des klassischen Strafrechts hinaus. Verwiesen sei hier auf die Diskussion um Ausnahmen von der für Geschäftsführungsorgane geltenden Legalitätspflicht (vgl. § 93 Abs. 1 AktG, Ziff. 4.1.3 DCGK) im Gesellschaftsrecht, die in zunehmendem Maße Anleihen bei der strafrechtlichen Lehre vom rechtfertigenden Notstand nimmt.331 Ein Beispielsfall aus den USA betrifft etwa die Diskussion um eine sog. „nützliche Pflichtverletzung“: Ein Paketdienstleister gestattete seinen Kurieren das Falschparken, was zwar zu Bußgeldzahlungen in Millionenhöhe führte, für den Dienstleister aber wegen operativer Kostenvorteile im Ergebnis vorteilhaft war. Insofern kann man erwägen, die aktienrechtliche Pflichtverletzung der Geschäftsleiter unter Rückgriff auf die Grundsätze des Notstands zu rechtfertigen.332 Doch soll die Fülle möglicher Pflichtenkollisionen, denen sich Verantwortungsträger in Unternehmen gegenüber sehen können, für die Betrachtung zunächst ebenso ausgeklammert werden wie deren strafrechtliche Aufarbeitung. Entsprechende Fallgestaltungen werden an anderer Stelle untersucht, soweit sie auch für das Strafrecht Relevanz entfalten.333 Zunächst ist hier der Blick auf den Notstand als Teil der klassischen Rechtfertigungslehre zu richten. Im 4. Teil der Arbeit, in dem „Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts mit Bezug zur Rechtfertigungslehre“ untersucht werden, muss auf Gesichtspunkte der §§ 34 StGB, 16 OWiG ebenfalls an mehreren Stellen zurückgegriffen werden. Dieser Umstand macht eine Abgrenzung von Problemkreisen, die in den folgenden Ausführungen behandelt werden, zu den später zu behandelnden Fallgestaltungen des 4. Teils erforderlich: Insofern soll der Erlaubnissatz zunächst nur im Rahmen solcher Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts untersucht werden, für die eine Anwendung von Notstandsgesichtspunkten zur Lösung allge328 Vgl. anschaulich den Verweis des Betroffenen in KG WuW/E OLG 3543, 3546 auf „mittelstandserhaltende Maßnahmen“ und jüngst OLG Düsseldorf NJOZ 2010, 426, 429, das sich in einem Fall wirtschaftlicher Not sogar zu Art. 20 Abs. 4 GG äußert. 329 RGSt 62, 35, 46 f. 330 RGSt 77, 113. 331 Grundlegend Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 f.; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 74 f.; Schlaus, AG 1988, 113, 116; so auch noch Raiser, Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., § 14 Rn. 65; ausführlich jüngst Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 857. 332 Zum Ganzen Kocher, CCZ 2009, 215, 218 m.w.N. 333 s. u.: 4. Teil D.II.
B. Der rechtfertigende Notstand
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mein anerkannt ist. Bislang weniger bearbeitete oder in ihrer Einordnung umstrittene Probleme der Wirtschaftsdelinquenz bleiben dagegen dem 4. Teil dieser Arbeit vorbehalten, auch wenn sie einen Bezug zu den Notstandsregeln aufweisen. Um die Tragweite der nachfolgenden Ausführungen zu illustrieren, werden auch für die Behandlung des rechtfertigenden Notstands einige Beispielsfälle vorgestellt: Beispiel 5 (nach LG Bremen NStZ 1982, 164 f.): Die B-GmbH betreibt Bilgenentölerboote, die trotz Anwendung der möglichen technischen Voraussetzungen den Tatbestand der Gewässerverunreinigung (§ 324 Abs. 1 StGB) erfüllen. Die dadurch erzeugten, überhöhten Ölwerte waren indes geringer als diejenigen, welche aufgrund des wilden Entleerens von Bilgen seitens der Binnenschiffer vor Betrieb der Boote durch die B-GmbH in den betroffenen Gewässern vorherrschten. Weil dieser Zustand durch die zuständige Landeswasserbehörde als „kleineres Übel“ angesehen wurde, schloss sie mit der B-GmbH einen Vertrag, der Letztere zum Weiterbetrieb der Entölerboote verpflichtete. Sind die für die BGmbH tätigen Schiffer gerechtfertigt, wenn eine behördliche Erlaubnis nach § 8 WHG hätte eingeholt werden können? Ist eine Rechtfertigung möglich, wenn der Einsatz eines besseren Bootes sich wirtschaftlich nicht gelohnt hätte, sodass es beim alten Zustand geblieben wäre? Beispiel 6 (nach BGH bei Dallinger, MDR 1975, 722 f.): Die U-GmbH stellt in einer Fabrik Flaschenverschlüsse her und beschäftigt in ihrem Betrieb 500 Arbeitnehmer. Die bei der Produktion entstehenden Dämpfe werden über Abzugsrohre nach außen geleitet. Infolge der Produktion klagen im nahe gelegenen Wohngebiet zahlreiche Anwohner über eintretende Übelkeit und Kopfschmerzen. Sämtliche Versuche seitens der U-GmbH, Abhilfe zu schaffen, blieben ohne Erfolg. Sind die für den Produktionsverlauf Verantwortlichen vom Vorwurf der mittäterschaftlich begangenen Körperverletzung freizusprechen? Wie ist die Rechtslage, wenn die Voraussetzungen von § 906 Abs. 2 BGB vorliegen? Beispiel 7 (vgl. auch Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 168): Die A-AG betreibt die Produktion von Automobilen. Sie ist größte Arbeitgeberin im Landkreis, für den sie aufgrund der zahlreichen Zuliefererbetriebe, die von ihren Aufträgen abhängen, wirtschaftlich besonders relevant ist. Als für die A-AG aufgrund verschlechterter Marktbedingungen die Produktion ins Stocken gerät, bewirbt sie sich bei der B-Bank um einen Kredit. Zwar droht nicht unmittelbar der Zusammenbruch des Unternehmens. Doch nur im Falle einer Bewilligung kann die A-AG die bereits begonnene Entwicklung eines neuen und erfolgversprechenden Modells, die bereits viel Geld gekostet hat, zu Ende führen. Der Vorstand der B-Bank bewilligt ein entsprechendes Darlehen und lässt dabei bankinterne Risikonormen außer Acht. Wenn das Verhalten der Vorstandsmitglieder der B-Bank den Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB erfüllt, kann ihr Verhalten dann gerechtfertigt werden? Beispiel 8 (nach Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 25): G war Geschäftsführer der G-GmbH, deren Geschäftsanteile A und B halten. Nach Zugang seiner Kündigung verklagt er die G-GmbH auf Zahlung einer zusätzlichen Abfindung, weil er Leistungen im Forschungsbereich erbracht hat, die seiner Auffassung nach durch das bezogene Geschäftsführergehalt nicht abgedeckt waren. Kann G im Gerichtsprozess Unterlagen über die Forschungstätigkeiten der G-GmbH öffentlich machen, obwohl diese dem strafbewehrten Geheimnisschutz (§ 85 Abs. 1 GmbHG) unterfallen? Beispiel 9 (vgl. auch Rönnau, JZ 2007, 1084, 1085): A ist leitender Angestellter bei der deutschen S-AG und für das Südostasien-Geschäft zuständig. A hat mit einem thailändischen Unternehmen U bereits in Vorverhandlungen eine verbindliche Auftragszusage erreicht, obwohl sich noch andere Anbieter aus der Region beworben haben. Kurz vor Lie-
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
ferung des Produkts geben die zuständigen thailändischen Geschäftspartner auf Seiten der U zu verstehen, dass sie an einer „Gefälligkeit“ in Höhe von 1,5 % des Geschäftsvolumens interessiert seien, da das Geschäft ja auch maßgeblich durch ihren Einsatz zustande gekommen sei. A weiß um deren Einfluss auf die Unternehmensspitze der U und erteilt aus Deutschland heraus an seinen thailändischen Repräsentanten R den Auftrag, dieser möge aus Mitteln der S-AG den Geschäftspartnern die nötigen Gefälligkeiten erweisen. Haftet A nach deutschem Strafrecht, wenn R nicht gegen thailändisches Recht verstoßen hat? Ist eine Rechtfertigung zu erwägen?
Bevor auf die Bedeutung der §§ 34 StGB, 16 OWiG im Wirtschaftsstrafrecht einzugehen ist, sollen auch für den Notstand ausgewählte Problemstellungen der allgemeinen Rechtfertigungslehre vorab geklärt werden [II.]. Insofern ist dann zunächst die Anwendbarkeit von Notstandsregelungen in Sachverhalten mit Bezug zum freien Wettbewerb bzw. zur Wirtschaft darzustellen. Die Frage stellt sich, wenn ein behördliches Verfahren im Raum steht, welches denselben Interessenkonflikt regelt, auf den sich auch die Notstandsabwägung bezieht [III.]. In einem nächsten Schritt kann dann untersucht werden, welche Bedeutung geldwerten Vermögensinteressen für den Rechtfertigungsgrund zukommt. Insoweit wird zu prüfen sein, inwieweit eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB eingreifen kann, wenn auf Erhaltungs- und bzw. oder auf Eingriffsseite der Abwägung monetäre Interessen betroffen sind [IV.]. Auf der Grundlage dieser Überlegungen bleibt dann zu erläutern, ob die Gefährdung eines Unternehmens und von Arbeitsplätzen zu einer Rechtfertigung unter Notstandsgesichtspunkten führen kann [V.]. Abgerundet wird die Untersuchung zum rechtfertigenden Notstand in der Wirtschaftskriminalität durch einen Blick auf Bestechungsvorgänge im geschäftlichen Verkehr, die einen korrupten ausländischen Staat betreffen. Wenn der Bestechungsvorgang gleichzeitig Inlandsbezug aufweist, sind Möglichkeiten und Grenzen für einen Unrechtsausschluss in diesem Kontext auszuloten [VI.].
II. Der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) in der allgemeinen Rechtfertigungslehre Wohl in keinem anderen Teilbereich des Strafrechts trifft man auf ähnlich viele Fallgestaltungen, in denen einer Person aufgrund von sich widersprechenden Rechtspflichten gegensätzliche Verhaltensvorgaben auferlegt werden, wie dies im Zusammenhang mit wirtschaftsbezogener Haftung der Fall ist. Schon daran wird deutlich, dass der rechtfertigende Notstand im Bereich der Wirtschaftsdelikte in zahlreichen Konstellationen heranzuziehen sein kann. Denn Grundgedanke der §§ 34 StGB, 16 OWiG ist, dass die Rechtsordnung eine Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter zulassen muss, wenn dies im Vergleich zum anderenfalls eintretenden Schaden das geringere Übel darstellt.334 Schon das Reichsgericht führte zu diesem für die Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht zentralen Leitgedanken aus: „In Le334
Küper, JuS 1987, 81, 86 ff.; S/S-Perron, § 34 Rn. 1.
B. Der rechtfertigende Notstand
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benslagen, in welchen eine den äußeren Tatbestand einer Verbrechensnorm erfüllende Handlung das einzige Mittel ist, um […] eine vom Recht auferlegte Pflicht zu erfüllen, ist die Frage, ob die Handlung […] rechtswidrig ist, an der Hand des dem geltenden Recht zu entnehmenden Wertverhältnisses der im Widerstreit stehenden Rechtsgüter oder Pflichten zu entscheiden.“335 Aus einer Gegenüberstellung mit der Notwehr ergeben sich für den Notstand als Unrechtsausschlussgrund insbesondere zwei Unterschiede: Zunächst zeichnet sich der Rechtfertigungstatbestand durch eine andere Struktur aus. Während die Eingriffsvoraussetzungen weiter ausgestaltet sind, muss die Handlung des Notstandstäters einem überwiegenden Interesse dienen. An die Eingriffshandlung werden insofern strengere Anforderungen gestellt als im Fall des § 32 StGB. Zum anderen kann das Eingriffsrecht des Notstandstäters nicht mit dem Rechtsbewährungsprinzip begründet werden, da die Gefahr nicht notwendigerweise von einem Angreifer herrührt. Die allgemeine Regelung des § 34 StGB umfasst dabei sowohl den Defensivnotstand, bei dem die Notstandsgefahr der Sphäre des Eingriffsopfers entspringt, als auch den Aggressivnotstand, bei dem Rechtsgüter eines unbeteiligten Dritten in Anspruch genommen werden.336 Im Folgenden sollen die vorab zu erörternden Problemfelder der allgemeinen Rechtfertigungslehre den Voraussetzungen des Erlaubnissatzes entsprechend entweder der Notstandslage [1.] oder der Notstandshandlung [2.] zugeordnet werden. 1. Notstandslage a) Kreis möglicher Erhaltungsgüter und wirtschaftliche Interessen Klärungsbedürftige Aspekte ergeben sich für den Notstand im Wirtschaftsstrafrecht bereits im Zusammenhang mit notstandsfähigen Schutzgütern, d. h. Rechtspositionen, bei deren Bedrohung dem Notstandstäter die Befugnisse des § 34 StGB zuzugestehen sein können. Notstandsfähig sind rechtliche Belange, wenn der Wirtschaftsstraftäter anführen kann, er habe zu deren Schutz vor (größerem) Schaden gehandelt („Erhaltungsgut“). Nur soweit ein Erhaltungsgut in seiner Bedeutung für die Rechtsordnung anerkannt ist, kann es in der Interessenabwägung des Notstands überhaupt Berücksichtigung finden. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der im Wirtschaftsleben betroffenen Rechts- und Schutzgüter ist deshalb zunächst der Kreis notstandsfähiger Interessen zu umreißen. Nach einer viel verwendeten Formel sind insoweit keine strengen Anforderungen zu stellen und es kann „jedes von der Rechtsordnung anerkannte Gut oder Interesse“
335
RGSt 61, 242, 254. Vgl. zum Ganzen nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 4 ff., 11 ff.; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 4, 9; S/S-Perron, § 34 Rn. 30 m.w.N. 336
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
von einer Notstandsgefahr bedroht sein.337 Weder muss der Schutz des Erhaltungsguts strafrechtlich ausgestaltet sein noch bedarf es notwendigerweise einer Inhaberschaft des Notstandstäters an dem bedrohten Schutzgut.338 Um die Solidarität der Inhaber von durch die Notstandshandlung beanspruchten Rechtsgütern („Eingriffsgut“) nicht über Gebühr zu beanspruchen und um den rechtfertigenden Notstand nicht zu einer allgemeinen Wahrnehmung berechtigter Interessen umzugestalten, werden teilweise schon für die Berücksichtigungsfähigkeit von Individualrechtsgütern erhebliche Einschränkungen gefordert.339 An einem restriktiven Ansatz überzeugt, dass unter Notstandsgesichtspunkten keine Schaffung neuer Werte gefördert werden kann. Zugunsten einer bloßen Gewinnchance eines anderen kann dem Träger des Eingriffsguts nämlich nicht zugemutet werden, einen Zugriff auf seine Rechtsgüter hinzunehmen.340 Wenn anders als in Beispiel 9 A etwa Angestellte der thailändischen U-AG ausschließlich deswegen besticht, weil er ansonsten keinen Vertrag schließen kann, geht es um keine Rechtsposition, die bereits dem Güterbestand der S-AG zuzuordnen wäre. Eine Notstandslage schiede dann mangels betroffenen Erhaltungsguts aus. Soweit indes das Erhaltungsinteresse bereits zur betroffenen Rechtssphäre des Notstandstäters gehört und die Rechtsordnung dies anerkennt, bleibt es bei dessen grundsätzlicher Notstandsfähigkeit, ohne dass damit bereits etwas über das konkrete Gewicht im Rahmen der Interessenabwägung ausgesagt wäre.341 Entsprechendes gilt auch in Ansehung des Vermögens im Sinne eines Gesamtbestandes geldwerter Rechtspositionen.342 Wenn bei zur Rettung des eigenen Vermögens vorgenommenen Notstandshandlungen343 eine vereinzelt gebliebene Auffassung annehmen will, das Vermögen sei nur gegen Eingriffe von außen, nicht aber gegen Dispositionen des Inhabers geschützt,344 wird dabei verkannt, dass die strafrechtlichen Vermögensdelikte (etwa: §§ 253, 255, 263, 266 StGB) den selbst verfügenden Vermögensinhaber schützen. Die Rechtsordnung gewährt also durchaus Schutz gegen eine „Aushöhlung des Vermögens von innen heraus“. Gerade im Missbrauchstatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1, 1. Var. StGB) verpflichtet oder
337 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 51; Bergmann, JuS 1989, 109, 110; LK12-Zieschang, § 34 Rn. 22; Roxin, AT I, § 16 Rn. 12; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 4. 338 Statt Aller S/S-Perron, § 34 Rn. 9 m.w.N. 339 Siehe insbesondere NK-Neumann, § 34 Rn. 24 ff. 340 Freilich ist nicht ganz unumstritten, inwieweit eine solche Duldungspflicht wirklich besteht. Die h.M. bejaht eine solche konsequenterweise als Folge einer Handlungsberechtigung des Notstandstäters, vgl. etwa Kühl, in: FS Hirsch, S. 259, 266; Renzikowski, Notstand, S. 193; Silva Sanchez, GA 2006, 382 f.; S/S-Perron, § 34 Rn. 1; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 56 f. 341 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 55; vgl. auch Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 255 f.; S/S-Perron, § 34 Rn. 1; S/S-Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 30. 342 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57; vgl. zum Ganzen auch noch ausführlich unten: 3. Teil B.III.1. 343 Siehe als Beispiel zur folgenden Erwägung den sog. Mandantengelder-Fall, unten: 3. Teil B.IV.1.b). 344 NK-Neumann, § 34 Rn. 28.
B. Der rechtfertigende Notstand
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verfügt der Täter im Außenverhältnis sogar wirksam,345 sodass allein der abweichende Wille des Vermögensinhabers strafbarkeitsbegründend wirkt. Vor diesem Hintergrund kann ein Notstandstäter zur Rettung des eigenen Vermögens eine Notstandshandlung begehen, ohne dass es an einem notstandsfähigen Schutzbelang fehlte. Soweit der Notstandstäter die Gefahr des Vermögensverlusts selbst verursacht hat, ist diesem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung Rechnung zu tragen. Noch schwieriger werden die Dinge im Grenzbereich von solchen Rechtsgütern, die im Einzelfall der Dynamik und Veränderung des Wirtschaftslebens ausgesetzt sind. So fällt es regelmäßig nicht leicht, die Trennlinie zwischen dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Unternehmens und einer bloßen Erwerbschance zu bestimmen. Gleichwohl setzt sich im Ergebnis hier der Grundsatz durch, dass nur ein deliktsrechtlich bereits anerkanntes Schutzinteresse auch im Rahmen des Notstands verteidigt werden darf.346 So muss es in Beispiel 9 etwa darauf ankommen, welche Rechtsinteressen A tatsächlich zugunsten der S-AG anführen kann (bloße Erwerbschance, Erhalt der Kundenbeziehungen in Thailand, Vorvertrag etc.). Abgrenzungsschwierigkeiten sind durch die zivilrechtsakzessorische Bestimmung des Rechtsguts bedingt und strafrechtlich nicht vollständig zu beseitigen. b) Notstand zugunsten staatlicher Interessen Davon unabhängig kann der Wirtschaftsstraftäter auch zugunsten von Rechtsgütern des Staates – insbesondere wie in Beispiel 25 dessen Fiskal- oder auch Strafverfolgungsinteressen – handeln. Eine solche „Staatsnotstandshilfe“ wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, kollektive Rechtsgüter könnten nur insoweit notstandsfähig sein, als sie sich auf individuelle Rechtsgüter zurückführen lassen.347 Der Gedanke wirkt konstruiert, da schon in der Rechtsgutslehre einige Unsicherheit darüber besteht, inwieweit sich Universalrechtsgüter nicht regelmäßig in ihre konkreten Einzelbelange aufgliedern lassen.348 Auch lassen sich weder aus dem Wortlaut des § 34 StGB noch aus Sinn und Zweck des Notstandes entsprechende Restriktionen hin zu einer individuellen Betroffenheit herleiten.349 Soweit der Vorrang der Subsidiarität gegenüber staatlichem Selbstschutz beachtet wird, sieht die überwiegende Auffassung deswegen zu Recht keine Be-
345
Statt Vieler Lackner/Kühl, § 266 Rn. 5 ff. Vgl. auch Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 56; zur aufschlussreichen Kasuistik in diesem Bereich Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 100 ff. 347 NK-Neumann, § 34 Rn. 22; SK-Günther, § 34 Rn. 24; zum Strafverfolgungsinteresse Krey/Esser, AT, Rn. 564. 348 Vgl. nur Roxin, AT I, § 2 Rn. 79 f. m.w.N. 349 RGSt 77, 113, 116; BGH NStZ 1988, 558, 559; LK12-Zieschang, § 34 Rn. 22 f. m.w.N. 346
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
denken gegen die Anerkennung eines Notstandsrechts auch zugunsten staatlicher Schutzgüter.350 c) Sog. Jedermannsgefahren Eine weitere für das Wirtschaftsstrafrecht bedeutsame Fragestellung, welche die Notstandslage betrifft,351 ergibt sich im Hinblick auf das allgemeine Risiko, einen wirtschaftlichen Verlust zu erleiden. Wie zu zeigen sein wird, gewinnt die Allgemeingefahr an Bedeutung, wenn – wie in Beispiel 7 bzw. i.E. auch in Beispiel 8 – geldwerte Interessen zumindest auf einer Seite der Notstandsabwägung betroffen sind. Dieses Verlustrisiko kann in die Nähe einer Gefahr rücken, die alle oder zumindest viele Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft gleichermaßen trifft (sog. Jedermannsgefahr). Soweit darunter teilweise352 verstanden wird, dass für abstrakte Risiken mit bloß entfernter Möglichkeit des Schadenseintritts eine Notstandsgefahr nicht zu begründen ist, handelt es sich um eine Banalität in der Notstandsdogmatik. Im Einzelfall wird zu prüfen sein, ob die Schwelle zur Gefahr überschritten ist bzw. ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besteht.353 Der Gefahrbegriff fängt derart abstrakte Risiken auf. Dagegen kann nicht bereits aufgrund einer Vielzahl von Betroffenen (z. B. wegen schlechter Auftragslage in der Weltwirtschaft) das Vorliegen einer Notstandsgefahr für den Einzelnen geleugnet werden.354 Schließlich ist aus der bloßen Anzahl bedrohter Rechtsgüter noch nicht unmittelbar ein Rückschluss auf die Wertigkeit des jeweils betroffenen Individualinteresses zu ziehen. Einer mit der Allgemeingefahr einhergehenden, geringeren Schutzbedürftigkeit im Einzelfall ist allein im Rahmen der Notstandsabwägung Rechnung zu tragen, ohne dass damit bereits feststünde, dass diese immer zum Nachteil des Erhaltungsguts ausfallen müsste.355
350 Jakobs, AT, 13/10; Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 42; Kühl, AT, § 8 Rn. 27; vgl. auch nochmals BGH NStZ 1988, 558, 559; S/S-Perron, § 34 Rn. 10 m.w.N. 351 A.A. (Frage der Angemessenheit und damit der Notstandshandlung) Jescheck/Weigend, AT, § 33 III 3; wie hier für eine Einordnung von Allgemeingefahren als Problem der Notstandslage LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38; NK-Neumann, § 34 Rn. 40. 352 Vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 40; S/S-Perron, § 34 Rn. 15; ferner NK-Neumann, § 34 Rn. 40, der meint, die „faktisch gegebene Risikoverteilung“ bestimme die Grenzen der Notstandsfähigkeit, weswegen Untreue zur Finanzierung einer lebenswichtigen Operation ausscheide, wenn die Krankenkassen diese nicht finanzieren – vgl. zu dem Aspekt der Angemessenheit sogleich; zur Gemeingefahr auch BGHSt 18, 271 ff. 353 Zum Ganzen nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 73 f.; vgl. Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 12. 354 Kühl, AT, § 8 Rn. 40; S/S-Perron, § 34 Rn. 8 („kein Ausnehmen bestimmter Gefahren“); Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 72 ff.; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 226 ff.; vgl. aber auch LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38, der die Vermögensgefahr stets als Allgemeingefahr einstuft. Zu weitgehend auch NK-Neumann, § 34 Rn. 40. 355 Vgl. nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 73; Kühl, AT, § 8 Rn. 40.
B. Der rechtfertigende Notstand
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2. Notstandshandlung a) Erforderlichkeit Der Wortlaut der §§ 34 StGB, 16 OWiG erfordert zunächst, dass die Gefahr für das Erhaltungsgut „nicht anders abwendbar“ war, was allgemein als Verweis auf die Erforderlichkeit der Notstandshandlung verstanden wird.356 Auch hier stellt sich die bereits im Zusammenhang mit der Notwehr aufgeworfene Problematik, ob und inwieweit ein dem Notstandstäter zugängliches, institutionalisiertes Verfahren die Erforderlichkeit ausschließen kann. Die dort angestellten Erwägungen lassen sich mit der Folge übertragen, dass bei gleicher Geeignetheit staatlich bestehende Möglichkeiten zur Abwehr der Notstandsgefahr vorrangig in Anspruch zu nehmen sind.357 Aufgrund der weiter gezogenen zeitlichen Grenzen der Notstandslage in der Gegenwärtigkeit kommt dieser Einschränkung im Zusammenhang mit § 34 StGB größere Bedeutung zu als dies im Notwehrrecht der Fall ist. Gerichte, Behörden oder auch die Polizei sind deshalb grundsätzlich vorrangig anzurufen. In Beispiel 9 kann es demnach geboten sein, dass sich A zunächst an staatliche Einrichtungen in Thailand wendet oder die deutsche Botschaft anruft, soweit ein solches Vorgehen Erfolg versprechen sollte. Eine ganz andere Funktion nehmen dagegen vorrangige Verwaltungsverfahren ein, denen die Lösung von solchen Konflikten vorbehalten ist, die dem Grunde nach auch in den Anwendungsbereich der Notstandsbestimmungen fallen. So stellt sich in Beispiel 5 die Frage, wie sich auswirkt, dass die Gefahrenabwehr im Wasserrecht an sich vorrangig der zuständigen Wasserbehörde übertragen wurde.358 Beispiel 25 wirft eine weitere Vorfrage auf, welche die Erforderlichkeitsprüfung des § 34 StGB betrifft: Insofern ist zu untersuchen, ob zugunsten des Bankangestellten V ein Unrechtsausschluss schon deswegen ausscheidet, weil für die Steuerdaten, welche ein mögliches Erhaltungsgut darstellen,359 eine Gegenleistung verlangt wird. Aus diesem Grund könnte die Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung daran scheitern, dass V nicht das „mildeste Mittel“ gewählt hat. Stehen dem Notstandstäter mehrere gleich geeignete Mittel zur Abwendung einer Gefahr zur Verfügung, ist er in seiner Wahl nur frei, wenn zur Gefahrenabwehr mehrere gleichwertige Wege in Betracht kommen. Eine solche Gleichwertigkeit der Mittel liegt nur vor, wenn die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten allesamt gleichermaßen geeignet sind, das Erhaltungsgut zu bewahren und darüber hinaus zum Nachteil des Eingriffsguts gleich belastend wirken. Wenig besprochen ist insofern der Bezugs356 Vgl. z. B. BGHSt 2, 242, 245; 18, 311; OLG Karlsruhe NJW 2004, 3645, 3646; Fischer, § 34 Rn. 9; ausführlich Lenckner, in: FS Lackner, S. 95 ff. 357 BGHSt 39, 133, 137; NJW 1979, 2053, 2054; Roxin, NStZ 1993, 333, 335; LK12-Zieschang, § 34 Rn. 52; Fischer, § 34 Rn. 9. 358 Diese schließen richtigerweise die Angemessenheit aus, dazu sogleich ausführlich unter: 3. Teil B.III. 359 Ausführlich unten: 4. Teil E.II.2.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
punkt für die sich aus der Notstandshandlung ergebenden nachteiligen Auswirkungen auf der Eingriffsseite. Für Beispiel 25 betrifft dies, wie zu zeigen sein wird, den Geheimnisschutz der Bank L und darüber hinaus die Vermögensinteressen des Fiskus, für die Daten keine Gegenleistung entrichten zu müssen. Stehen auf „Erhaltungsseite“ (z. B. Steueraufkommen) mehrere gleich geeignete Mittel zu Verfügung, wandert der Blick auf das Eingriffsgut (z. B. Geschäftsgeheimnis), d. h. auf das durch den Tatbestand geschützte Rechtsgut.360 Damit steht aber fest, dass der Bezugspunkt des milderen Mittels tatbestandsbezogen zu bestimmen ist und ein solches nur vorliegen kann, wenn die Anwendung anderer Mittel nicht ebenfalls den infrage stehenden Tatbestand verwirklichen.361 Verletzen verschiedene Handlungsoptionen allesamt dasselbe Strafgesetz, ist keine davon weniger einschneidend und allein erforderlich. In Beispiel 25 wird aber unabhängig von der Zahlung einer Gegenleistung in jedem Fall das strafrechtlich geschützte Geheimnis der ausländischen Bank durch die Notstandshandlung beeinträchtigt. Die bloß mittelbare Beeinträchtigung von (Dritt-)Interessen auf Eingriffsseite – in Beispiel 25 über das Bankgeheimnis hinaus – ist dagegen durch den jeweils Betroffenen in einem regelmäßig dafür vorgesehenen Verfahren und damit vor allem durch Beschreitung des Rechtswegs abzuwehren.362 Mittelbare Auswirkungen ändern an der Erforderlichkeit der gewählten Gefahrenabwehr zunächst nichts. Stehen dem Notstandstäter also mehrere, zur Gefahrenabwehr gleich geeignete Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, gebietet nicht bereits die Erforderlichkeit363 dasjenige Mittel zu wählen, dessen belastende Wirkungen sich auf das betroffene Eingriffsgut begrenzen. Dass V in Beispiel 25 also zusätzlich zur Geheimnisoffenbarung eine Gegenleistung fordert, ändert an deren strafrechtlicher Beurteilung im Rahmen der Rechtfertigung nichts. Auch eine unentgeltliche Preisgabe hätte den Tatbestand des Geheimnisverrats in gleicher Weise erfüllt und soweit nicht zusätzlich § 253 StGB verletzt wurde, schließt die Gegenleistung des Staates die Erforderlichkeit einer Notstandshandlung nicht aus. 360 Vgl. Lenckner, in: FS Lackner, S. 95, 100; für einen Bezug des mildesten Mittels auf das Eingriffsgut auch NK-Neumann, § 34 Rn. 62; unklar Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 63 („Hauptbedeutung“ für das mildeste Mittel sei das Eingriffsgut, andere Gesichtspunkte seien „schwer abzuwägen“). 361 Vgl. LK12-Zieschang, § 34 Rn. 52; abweichend wohl S/S-Perron, § 34 Rn. 20, der das mildere Mittel nicht auf das tatbestandlich geschützte Eingriffsgut begrenzt wissen will und vielmehr annimmt, auch ein strafrechtlicher Verstoß könne gegenüber einer nicht straftatbestandsmäßigen Handlung weniger einschneidend sein; vgl. dazu auch Lenckner, in: FS Lackner, S. 95, 102 f. 362 Vgl. SK-Günther, § 34 Rn. 41 (allerdings zur Interessenabwägung). So wäre denn auch das von Lenckner, in: FS Lackner, S. 95, 103 angeführte Beispiel zu lösen, in welchem ein Zeitungsverlag vor der Wahl zwischen der Begehung von Wirtschaftsstraftaten und zivilrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen steht. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit stellt schon wegen der insoweit für den Betroffenen verfügbaren Rechtsbehelfe letztere Handlungsoption das mildere Mittel dar. 363 Anderes kann für mittelbar betroffene Interessen in der Interessenabwägung gelten. Vgl. insoweit LK12-Zieschang, § 34 Rn. 55.
B. Der rechtfertigende Notstand
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b) Interessenabwägung Soweit wie in den Beispielen 7 und 8 Erhaltungs- und Eingriffsseite quantitativ gegenübergestellt werden können, ist für die Notstandsabwägung erheblich, ob es über diesen Maßstab hinaus zu einer Individualisierung von Interessen kommt. M.a.W. ist zu prüfen, ob es allein auf den objektiven Wert quantitativ erfassbarer Belange ankommt oder ob darüber hinaus die konkrete Bedeutung von Vermögen für den Eingriffsgutsinhaber berücksichtigungsfähig ist. Etwa im Zusammenhang mit der „aufgedrängten Notstandshilfe“ zugunsten eines Suizidwilligens wird eine Individualisierung von Schutzgütern anerkannt.364 Der „Wert“ eines Interesses hängt also unter anderem davon ab, welche Bedeutung der jeweilige Inhaber dem betroffenen Rechtsgut beimisst.365 Auch für das ökonomische Wertverhältnis müssen diese Grundsätze gelten. Anderenfalls würde die Interessenabwägung zu einer Effizienzüberlegung verwandelt („welche Vermögensinteressen überwiegen wesentlich“), in deren Rahmen ein möglicherweise vorhandener persönlicher Einschlag stets unberücksichtigt bleiben müsste. Ein solches Verständnis würde einer umfassenden Berücksichtigung aller betroffenen Interessen366 sowie dem Grundsatz widersprechen, dass die „Persönlichkeitsnähe“ der betroffenen Abwägungsbelange durchaus eine Rolle spielt.367 Wenn deshalb für eine angemessene Lebensgestaltung des G in Beispiel 8 zusätzliche Honorarzahlungen besonders bedeutsam sind, kann ihnen in der Abwägung ein höherer Stellenwert zukommen als eine bloß quantitative Erfassung der Güter zuließe. Soweit der Notstandstäter zum Entstehen der Rechtfertigungslage selbst beigetragen hat, ist eine Anpassung des allgemeinen Abwägungsmaßstabs zu erwägen. Den „radikalen“ Ansatz,368 wonach ein Verschulden des Notstandstäters die Anwendbarkeit des Notstands immer ausschließen sollte, hat man inzwischen verworfen.369 Überzeugend wird heute die von §§ 34 StGB, 16 OWiG vorgegebene Interessenabwägung als geeigneter Anknüpfungspunkt für ein die Notstandslage begünstigendes, vorangegangenes Tun des Notstandstäters erachtet.370 Bedeutsam wird dies in Fällen des Geldnotstands wie in den Beispielen 7 und 8, da dort die Rechtfertigungslage oftmals durch Fehldispositionen des Notstandstäters ausgelöst 364
Kühl, AT, § 8 Rn. 161; Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 47. Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 1979, 1172 f.; S/S-Perron, § 34 Rn. 25, 33; Küper, JZ 1976, 515, 518; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 137 ff.; Pawlik, Notstand, S. 165 Fn. 61. 366 Lackner/Kühl, § 34 Rn. 6; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 25; NK-Neumann, § 34 Rn. 68. 367 S/S-Perron, § 34 Rn. 43 a.E.; vgl. auch Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 8. 368 Binding, Hdb. Strafrecht, Bd. I, S. 778: „Wer sich in Gefahr begeben hat, komme drin um“. 369 Z. B. BayOblG NJW 1978, 2046 f.; Fischer, § 34 Rn. 11; Roxin, AT I, § 16 Rn. 60; grundlegend Küper, Notstand, S. 18 ff.; S/S-Perron, § 34 Rn. 42: arg. e. § 228 S. 2 BGB. 370 BGH NJW 1989, 2479, 2481; Dencker, JuS 1979, 779, 780 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 33 IV 3 c; Küpper, JuS 1990, 184, 188; NK-Neumann, § 34 Rn. 93; abweichend Fischer, § 34 Rn. 25 (Angemessenheit). 365
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
wurde. Der Gesichtspunkt wird in der weiteren Betrachtung an verschiedenen Stellen aufgegriffen.371 Ein pflichtwidriges Vorverhalten muss zunächst in Fällen unerheblich sein, in denen der die Notstandslage Begünstigende nicht Inhaber des betroffenen Erhaltungsguts ist. Denn dass ein Notstandshelfender die Zwangslage zuvor pflichtwidrig verursacht hat, zeitigt keinerlei Rechtswirkungen auf das Werteverhältnis zwischen Erhaltungsgut und Drittinteressen, in welche eingegriffen wird.372 Aus Sicht der betroffenen Interessensträger, wie etwa der S-GmbH in Beispiel 22, kann das Vorverhalten eines Dritten keiner Partei zum Nachteil gereichen – es bleibt bei dem allgemeinen Maßstab des Aggressivnotstands.373 Anderes kann nur gelten, wenn das Verhalten des Notstandshelfers dem Rechtsgutsträger zuzurechnen ist. Die Voraussetzungen für eine solche Zurechnung sind kaum geklärt. Man wird insofern hohe Anforderungen stellen und verlangen müssen, dass der Notstandshelfer im Rahmen eines Auftrags (also nicht bloß „bei Gelegenheit“) handelt und ihm hinreichend eigenständiger Gestaltungsspielraum vom Rechtsgutsinhaber eingeräumt ist.374 Denn nur dann trifft den Träger von Erhaltungsinteressen eine erhöhte soziale Verantwortung, die als Kehrseite eine Einschränkung der mit dem Notstandsrecht einhergehenden Duldungspflichten Dritter erfordert. Für Beispiel 22 hat dies zur Folge, dass jedenfalls im Ausgangspunkt das notstandsbegünstigende Vorverhalten von Organen einer Gesellschaft zuzurechnen sein kann. Schwierig bleibt die Interessenabwägung aber auch, wenn der Notstandstäter sich selbst zuvor pflichtwidrig verhalten hat und Inhaber des Erhaltungsguts ist. Dann geht es nicht um eine Situation der Notstandshilfe. Man wird die „Faustformel“ formulieren können, dass der Gefährdete umso weniger Solidarität von Trägern potentieller Eingriffsgüter beanspruchen kann, je stärker er den Eintritt der Konfliktlage veranlasst hat.375 Denn es ist anerkannt, dass nicht allein die abstrakte Wertigkeit von Erhaltungsgut und Eingriffsgut für die Interessenabwägung maßgeblich ist, sondern es vielmehr auf die Schutzwürdigkeit der Güter im konkreten
371
s. u.: 3. Teil B.IV.1b)cc), c); 4. Teil E.II.4.b). Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 80; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 56. 373 Vgl. zum Ganzen auch S/S-Perron, § 34 Rn. 42. Zur Frage, inwieweit man dem Träger des Erhaltungsinteresses ausnahmsweise ein Verschulden des Nothelfers zurechnen kann, auch Küper, Notstand, S. 151 ff.; LK12-Zieschang, § 34 Rn. 70 a.E. Anders liegen die Dinge freilich, wenn der Inhaber des Erhaltungsguts die Notlage selbst verschuldet hat und ein Dritter Nothilfe leistet. Da die Befugnisse des Notstandshelfers sich nach denjenigen des Rechtsgutsinhabers richten, ist zu Lasten von jenem dessen Vorverhalten zu berücksichtigen. 374 Küper, Notstand, S. 153; etwas enger Dencker, JuS 1979, 779, 781, wonach die „Übertragung der Wahrnehmung von Vermögensinteressen“ ausreichen soll. 375 NK-Neumann, § 34 Rn. 95; Kühl, AT, § 8 Rn. 142; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 135 m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 1989, 2479, 2481; a.A. (actio praecedens nicht zu berücksichtigen) Hruschka, JR 1979, 125, 126; Renzikowski, Notstand, S. 54 ff m.w.N. 372
B. Der rechtfertigende Notstand
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Fall ankommt.376 Die Schutzbedürftigkeit von Erhaltungsinteressen kann dann bei entsprechender actio praecedens des Inhabers reduziert sein. Pflichtwidriges Vorverhalten wirkt sich so als ein Abwägungsfaktor zulasten des Rechtsgutsinhabers aus.377 In den Beispielen 7 und 8, in denen ein Vorverschulden das eigene geldwerte Vermögen des Notstandstäters betrifft, ist indes Zurückhaltung geboten. Schließlich ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dass der Vermögensinhaber sich selbst in eine finanzielle Notsituation bringen wollte oder Pflichten verletzt hat, die im Zeitpunkt des Herbeiführens der Notstandslage nur ihm selbst gegenüber bestehen.378 c) Angemessenheit In seiner Bedeutung stark umstritten und für wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte von einigem Gewicht ist der Inhalt der Angemessenheitsklausel nach §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG. Historisch vom Gesetzgeber als Bezug zur sog. Zwecktheorie konzipiert,379 tut man sich heute schwer damit, der Klausel überhaupt noch eine eigenständige Bedeutung abzugewinnen.380 In der Tat werden verschiedentlich Gesichtspunkte als Teil der Angemessenheit verstanden, die sich schon in die Interessenabwägung sinnvoll integrieren ließen.381 Für die hiesige Betrachtung relevant ist indes ein einziger Aspekt, der von der wohl überwiegenden Auffassung überzeugend im Zusammenhang mit § 34 S. 2 StGB geprüft wird. Es handelt sich um den Vorrang eines rechtlich geordneten Verfahrens,382 das einen rechtsstaatlich eigens bereit gestellten Weg für den Ausgleich der widerstreitenden Interessen eröffnet und dessen Ergebnis nicht durch Notstandserwägungen im Einzelfall konterkariert werden soll. Als Beispiele genannt werden die Beschreitung des Klagewegs für den räumungswilligen Vermieter oder auch das Produzieren eines Anlagenbetreibers, der nicht zuvor das einschlägige Genehmigungsverfahren angestrengt hat.383 Diese Art 376 Diese auf den konkreten Fall bezogene Betrachtungsweise entspricht der ganz h.M., vgl. nur BGH NJW 1976, 680, 681; OLG Frankfurt a.M. NJW 1979, 1172, 1173; Fischer, § 34 Rn. 12; S/S-Perron, § 34 Rn. 22, 25 m.w.N. 377 Roxin, AT I, § 16 Rn. 62; Küper, Notstand, S. 26 f. 378 Ausführlich unten: 3. Teil B.IV.1.b)cc); vgl. ferner Beck, ZStW 124 (2012), 660, 674. 379 Zu dieser Eb. Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 370 ff. und RGSt 61, 242, 253: „Eingriffe in rechtlich geschützte Interessen […] zur Erreichung eines staatlich anerkannten Zwecks“. Vgl. auch Reg.-Begr., BT-Drucks. 4/650, S. 159. 380 Deswegen plädieren für einen „Leerlauf“ der Formulierung etwa Lenckner, Notstand, S. 128 ff., 147 ff.; S/S-Perron, § 34 Rn. 46 f.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 91 ff.; Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 17 Rn. 83 („gut vertretbare Meinung“). 381 Eine insoweit übersichtliche Zusammenfassung findet sich bei LK12-Zieschang, § 34 Rn. 80; vgl. zu Gefahrtragungspflichten im Besonderen Küper, JZ 1980, 755 ff. 382 Für einen Ausschluss der Angemessenheit in diesen Fällen Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 318; SK-Günther, § 34 Rn. 52 im Anschluss an SK-Samson, 6. Aufl., § 34 Rn. 52; Kühl, AT, § 8 Rn. 175 ff.; Jakobs, AT, 13/42; NK-Neumann, § 34 Rn. 119; Jescheck/Weigend, AT, § 33 IV 3 d. 383 Beispiele nach SK-Günther, § 34 Rn. 52 bzw. Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 43.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
vorrangiger Verfahren zur Bewältigung eines Interessenkonflikts kann sowohl gesetzliche Regelungen (die Polizei kann wegen der §§ 102 ff. StPO nicht unter Berufung auf eine Notstandslage zur Strafverfolgung in eine Wohnung eindringen)384 als auch Verwaltungsverfahren betreffen und wird für die rechtliche Bewertung der Beispiele 5, 7 und 22 von Bedeutung sein. Stets ist in der Prüfung festzustellen, ob der Gesetzgeber eine abschließende Regelung angestrebt hat. Diese Einordnung von rechtlich geordneten Verfahren als Gesichtspunkt der Angemessenheit anstatt als Prüfungspunkt der Erforderlichkeit überzeugt. Die Angemessenheit stellt insofern eine eigene Wertungsstufe dar, als trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands, insbesondere dem „wesentlichen Überwiegen“ der Erhaltungsinteressen, die Rechtfertigung dennoch ausgeschlossen sein kann. In der Gesamtabwägung lässt sich dieser Gesichtspunkt kaum sinnvoll abbilden.385 Neben behördlichen oder gerichtlichen Verfahren kann auch der Gesetzgeber selbst unmittelbare Vorgaben für den Notstand gemacht haben, sodass der Rückgriff auf §§ 34 StGB, 16 OWiG aufgrund eines gesetzlich vorrangigen Verfahrens ausgeschlossen sein kann.386 Weil die Anwendbarkeit von Notstandsbestimmungen durch die Angemessenheitsklausel allerdings im Ganzen ausgeschlossen wird, kann nicht jeder ergebnisorientierte Umkehrschluss im Sinne eines arg. e contrario Berücksichtigung finden und auch in Ansehung von gesetzlich einkalkulierten Nebenfolgen, wie sie in Beispiel 6 in Form von wirtschaftlichen Härten zulasten der U-GmbH im Raum stehen, ist große Zurückhaltung geboten.387 Ein gesetzlich vorrangiges Verfahren kann nur dann zu einer unangemessenen Notstandshandlung führen, wenn der Gesetzgeber für die betroffenen Schutzgüter ersichtlich keine Interessenabwägung im Einzelfall zulassen wollte. Für die weitere Untersuchung bleibt deshalb festzuhalten, dass rechtsstaatlich abschließend geregelte Verfahren die Angemessenheit der §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG entfallen lassen können und der gesetzgeberische Wille, eine abschließende Regelung zu schaffen, aus den jeweils einschlägigen Vorschriften deutlich hervorgehen muss.
384 Vgl. OLG München NJW 1972, 2275; zahlreiche weitere Beispiele bei Roxin, AT I, § 16 Rn. 51 ff. 385 A.A. Roxin, AT I, § 16 Rn. 93. 386 Auch diese Fallgruppe kann man ohne weiteres als Teil eines rechtstaatlichen Verfahrens auffassen, auch wenn in institutioneller Hinsicht allein der Gesetzgeber tätig wurde. 387 Zu weitgehend etwa Rengier, AT, § 19 Rn. 56; Jakobs, AT, 13/42; NK-Neumann, § 34 Rn. 120, weil dort Einzel- und Gesamtzwangsvollstreckungsverfahren als vorrangig aufgefasst werden, muss man von dem generellen Ausschluss des Notstands wieder „Rückausnahmen“ zulassen. Schon daran wird deutlich, dass ein zu extensives Verständnis der Angemessenheitsklausel zu widersprüchlichen Ergebnissen führt.
B. Der rechtfertigende Notstand
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III. Möglichkeit eines Rückgriffs auf Notstandsregeln im Wirtschaftsstrafrecht Als Teil der allgemeinen Rechtfertigungslehre kann der rechtfertigende Notstand zunächst auch bei der Prüfung von Tatbeständen des Wirtschaftsstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts heranzuziehen sein und in entsprechenden Strafverfahren zur Rechtfertigung des Angeklagten führen.388 Demgegenüber können sich für solche Wirtschaftsdelikte, die, wie etwa das in Beispiel 5 betroffene Umweltstrafrecht stark, von behördlichen Entscheidungsprozessen geprägt sind, hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Notstandsregeln Unsicherheiten ergeben. Insoweit ist nämlich fraglich, ob das eigenmächtige Beseitigen einer Notstandsgefahr nicht zur Umgehung eines besonderen Verfahrens führt, welches zur Lösung einschlägiger Konflikte geschaffen worden ist.389 Mit dem für das Wirtschaftsstrafrecht charakteristischen Unternehmensbezug geht einher, dass öfter als in anderen Deliktsgruppen solche behördlichen Verfahren zu durchlaufen sind. Ist dies, wie etwa im Umwelt-, Steuer- oder Kapitalmarktstrafrecht der Fall, muss zunächst geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen der rechtfertigende Notstand in diesen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts überhaupt herangezogen werden kann und welche Grenzen für einen Unrechtsausschluss bestehen. 1. Einordnung der Problematik: Behördliches Verfahren und Notstand In Fällen wie dem Beispiel 5 wirft zunächst schon das Verhältnis von behördlichem Verfahren zur Systematik der Notstandsvorschriften einige Fragen auf. Zu untersuchen ist, ob und inwieweit aufgrund der Existenz eines einschlägigen Verwaltungsverfahrens, wie etwa bei Erteilung der wasserrechtlichen Genehmigung, einem Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand schon im Ausgangspunkt Grenzen gesetzt sind. Angesprochen ist damit in systematischer Hinsicht eine Fragestellung der Notstandsdogmatik: In Betracht kommt eine Berücksichtigung des einschlägigen Verfahrens im Rahmen der Abwägung widerstreitender Interessen oder aber als ein die Angemessenheit ausschließender Umstand. In der Sache handelt es sich indes um ein Konkurrenzproblem zwischen Verwaltungsverfahren und rechtfertigendem Notstand,390 was an den in diesem Zusammenhang immer wieder verwendeten Formulierungen deutlich wird.391 Insofern ist zwar nicht etwa eine 388
Weber, ZStW 96 (1984), 376, 395; Tiedemann, AT, Rn. 195. Zu verschiedenen Konstellationen, in denen ein geregeltes Verfahren den Notstand ausschließt S/S-Perron, § 34 Rn. 41. 390 So explizit Winkelbauer, NStZ 1988, 201, 204; Rudolphi, NStZ 1984, 193, 196. I.Ü. ist anzumerken, dass vielfach die Frage nach einem Rückgriff auf § 34 StGB mit derjenigen nach der „Bewertung“ unternehmerischer Interessen in der Notstandsabwägung (unten: 3. Teil B.IV.) vermengt wird, was die Diskussion nicht erleichtert. Vgl. etwa Witteck, in: Beck OK, § 324 Rn. 34. 391 Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 95 („kommt nicht zur Anwendung“); Franzheim/ Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 111 („bleibt Raum für die Anwendung“); Rudolphi, NStZ 1984, 389
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Konkurrenz mehrerer Rechtfertigungsgründe betroffen, da sich keine zwei Erlaubnistatbestände in ihrem Anwendungsbereich gegenseitig beschränken.392 Vielmehr geht es um die Vorfrage nach der Möglichkeit eines Heranziehens von Notstandsregeln, wenn für die einschlägige Situation ein Verwaltungsverfahren bereitsteht. Für die Einordnung dieser Vorfrage in die Notstandsprüfung des § 34 StGB muss folgende Erwägung entscheidend sein: Da der „Wert“ eines rechtlich geordneten Verfahrens nicht im Rahmen der Interessenabwägung des Notstandes gewichtet werden kann, gilt gemäß den obigen Ausführungen zu § 34 S. 2 StGB393, dass ein behördliches Verfahren die Angemessenheit und damit ein Berufen auf die Notstandslage im Ganzen ausschließen kann.394 Diese von der h.M. geteilte Einordnung soll in der folgenden Betrachtung zugrunde gelegt werden, ohne dass daraus bereits ein Ergebnis zugunsten oder zulasten eines Geltungsbereichs für Gesichtspunkte des rechtfertigenden Notstands abgeleitet werden kann. Zum besseren Verständnis ist weiter zwischen den verschiedenen staatlichen Verfahren zu unterscheiden, die mit dem Regelungsbereich einer Notstandslage kollidieren können. Denn im Zusammenhang mit dem Vorrang formalisierter Verfahren ist neben dem hier zu untersuchenden „behördlichen Kontext“ auch die Verbesserung einer Beweissituation, die einen materiell unrichtigen Prozessausgang zu verhindern imstande wäre, immer wieder diskutiert worden.395 So handelt der zu Unrecht Angeklagte nicht etwa nach § 34 StGB gerechtfertigt, wenn er zur Abwendung einer Gefahr für Freiheit bzw. Vermögen falsche Urkunden vorlegt oder Zeugen zur Falschaussage nötigt.396 Mag in solchen Situationen im Einzelfall ein Heranziehen des Notstands zunächst vertretbar erscheinen, bestünde langfristig die Gefahr einer Aushöhlung des Vorrangs staatlicher Konfliktlösungsprogramme. Aus diesem Grund ist der Betroffene im Anwendungsfeld vorrangiger gerichtlicher Rechtsbehelfe auf die Inanspruchnahme rechtsstaatlicher Mittel beschränkt – es herrscht ein absoluter Vorrang des Gerichtsprozesses.397 Zwar betrifft in der Not193, 196 („in seiner Anwendbarkeit beschränkt“); Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 918 („Katalog der Rechtfertigungsgründe […] ist ausgeschlossen“). 392 Ausführlich Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 219 ff. m.w.N. 393 s. o.: 3. Teil B.II.2.c). 394 Freilich setzt sich hier der bereits angedeutete Meinungsstreit um die grundsätzliche Bedeutung des § 34 S. 2 StGB fort; i.E. wie hier Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 263 (§ 34 StGB kommt wegen „abschließender Spezialregelung“ nicht zur Anwendung); Rönnau, in: FKWpÜG, Vor § 60 Rn. 95; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 175 ff.; Pawlik, Notstand, S. 221 ff.; SKGünther, § 34 Rn. 50 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 33 IV 3 d; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 43 m.w.N. für das Recht der Ordnungswidrigkeiten; a.A. (Integration in Interessenabwägung) S/S-Perron, § 34 Rn. 41; Roxin, AT I, § 16 Rn. 51 ff.; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 248. 395 Vgl. etwa Kühl, AT, § 8 Rn. 178; Roxin, AT I, § 16 Rn. 52; Arzt/Weber, BT, § 26 Rn. 1; S/S-Perron, § 34 Rn. 41. 396 Ausführlich Paglotke, Prozesssituationen, S. 37 ff., 98 ff. m.w.N. 397 Vgl. dazu S/S-Perron, § 34 Rn. 41 (zum Strafprozess); SK-Günther, § 34 Rn. 52 (zum Räumungsverfahren im Mietrecht); vgl. auch Lackner/Kühl, § 34 Rn. 14; Erb, in: MüKo, § 34
B. Der rechtfertigende Notstand
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standsdogmatik auch die gerichtliche Entscheidungsfindung die Angemessenheitsklausel, die einen rechtfertigenden Notstand zur Verbesserung der eigenen Prozesslage selbst bei materieller Richtigkeit vollumfänglich ausschließt.398 Doch ergeben sich zwischen dieser Situation im Prozess und einem behördlichen Verfahren zu beachtende Unterschiede: Entscheidend für eine Verneinung der Anwendbarkeit von Notstandsregeln muss nämlich sein, ob das von staatlicher Seite bereitgestellte, konkrete Verfahren unterlaufen würde.399 Während das gerichtliche Verfahren allgemein jedwede Art von Konfliktlösung erfasst und folglich in entsprechend weitem Umfang die Angemessenheit auszuschließen geeignet ist, kann bei Behördenentscheidungen stets nur die konkrete (Ermessens-)Entscheidung betroffen sein. Ausschließlich die rechtsfehlerfreie Auslegung gesetzlicher Vorgaben und die pflichtgemäße Ausübung von Ermessen (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO) sind Ausfluss eines rechtlich geordneten Verfahrens, sodass sich Umfang und Grenzen der „Sperrwirkung“ eines Verwaltungsverfahrens danach richten müssen.400 Schon aus dieser Erwägung folgt, dass die Möglichkeit einer Notstandsrechtfertigung anders als in Prozesssituationen nicht allgemeingültig und unabhängig vom Stand des jeweiligen Verwaltungsverfahrens beurteilt werden kann. Ob und inwieweit Raum für die §§ 34 StGB, 16 OWiG verbleibt, wenn eine behördliche Entscheidung im Raum steht, unterscheidet sich deshalb nach folgenden Verfahrensstufen: 2. Vorliegen einer rechtmäßigen Behördenentscheidung Im Ausgangspunkt steht fest, dass bei Vorliegen einer einschlägigen Entscheidung der Behörde deren Rechtswirkungen nicht infolge eines Heranziehens von Notstandsgesichtspunkten infrage gestellt werden können.401 Denn durch eine Entscheidung der Verwaltung wurde ein gesetzlich vorhergesehener Interessenkonflikt durch die Stelle mit der größten Sachkenntnis staatlich abschließend konkretisiert402 und die zuständige Behörde muss nicht befürchten, dass Strafgerichte ihre rechtmäßig ergangene Entscheidung konterkarieren, indem sie die widerstreitenden Belange abweichend bewerten. Überschreitet etwa ein Betriebsinhaber die in der Rn. 188 f. will dem zu Unrecht Verklagten ein Recht nach § 34 StGB gewähren, den Klagegegner außerhalb des Prozesses daran zu hindern, seine kriminellen Mittel im Verfahren effektiv zur Geltung zu bringen. 398 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 187 ff.; Abramenko, NStZ 2001, 71, 72 m.w.N. 399 Vgl. auch Kühl, AT, § 8 Rn. 177; Jakobs, AT, 13/36. 400 Rudolphi, NStZ 1984, 193, 196 f. führt zu § 324 StGB treffend aus, dass der Strafrichter ansonsten in freier richterlicher Würdigung über die Interessenabwägung zwischen Gewässerverunreinigung und widerstreitenden Belangen zu entscheiden hätte. Dies bedeute „gewiss das Ende jeder Ordnung […] des Wasserhaushalts […] durch die Behörde“; Schall, in: Osnabrücker Abhandlungen I, S. 1, 12 spricht vom Strafrichter als „Superfachaufsicht“. 401 Statt Vieler Tiedemann, AT, Rn. 195; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 260 („verwaltungsbehördliche Entscheidungsprärogative“). 402 Vgl. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 185 ff. m.w.N. zu gesetzlichen Vorschriften, die notstandsträchtige Konflikte abschließend regeln.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
entsprechenden Genehmigung festgesetzten Jahreshöchstwerte zur Einleitung von Abwasser in ein Gewässer, so scheiden Notstandsgesichtspunkte insoweit aus, als das behördliche Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist.403 Wäre der B-GmbH in Beispiel 5 also der Betrieb der Entölerboote mangels Erteilungsfähigkeit der wasserrechtlichen Genehmigung untersagt worden, schieden Notstandsgesichtspunkte von vornherein aus. Ausnahmen von dieser Sperrwirkung gegenüber dem rechtfertigenden Notstand sollen nach weit verbreiteter Ansicht gelten, wenn unvorhersehbare Not-, Stör- oder Katastrophenfälle vorliegen. Unter diesen besonderen Umständen sei die Anwendung von Notstandsgesichtspunkten wieder frei gegeben.404 Diese häufig angeführte Formel der unvorhersehbaren Notfälle stellt dabei jedoch nur einen safe harbor aller möglichen Fallgestaltungen dar, in denen trotz Vorhandenseins einer rechtmäßig ergangenen Behördenentscheidung auf den Notstand zurückgegriffen werden kann. Maßgeblich für die Tragweite der Sperrwirkung gegenüber dem Notstand muss die Abwägung der einschlägigen Verwaltungsentscheidung und damit sein, ob und inwieweit die Behörde die maßgeblichen Interessen in ihrer Entscheidung berücksichtigen konnte.405 Entscheidendes Gewicht kommt damit dem Zeitpunkt der Entscheidung zu. Wenn, wie etwa im Steuerstrafverfahren, durch Stundung, Aufschub oder Erlass besondere Instrumente zur Abwehr nachträglich entstehender Gefahren bereitgehalten werden, verbieten sich Notstandserwägungen in deren Anwendungsbereich.406 Fehlen solche behördlichen Instrumente, ist – anders als dies durch die Formel der unvorhersehbaren Notstandsfälle suggeriert wird –407 jedoch nicht die objektive Möglichkeit der Berücksichtigung notstandsfähiger Interessen in einem behördlichen Verfahren entscheidend. Maßgeblich muss vielmehr sein, ob diese tatsächlich von der zuständigen Behörde im Rahmen der konkret betroffenen Entscheidungsfindung bedacht worden sind.408 Insoweit kann nicht pauschal unterstellt werden, die Behörde habe im Rahmen ihrer Ermessensausübung – etwa im Hinblick auf strenge Auflagen zulasten eines prosperierenden Unternehmens – immer auch wirtschaftliche Engpässe bis hin zur Existenzgefährdung mitberücksichtigt. Wenn für die Fabrik in Beispiel 6 in einer Genehmigung vor 20 Jahren niedrige Grenzwerte für die bei der Produktion von 403 Möhrenschlager, NStZ 1982, 164, 166; Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 110 f.; eine pflichtgemäße Ermessensausübung fordert auch Rudolphi, NStZ 1984, 248, 252; ders., ZfW 1982, 197, 210. 404 Rudolphi, NStZ 1984, 193, 196; ders., NStZ 1984, 248, 252; Rengier, BT II, § 48 Rn. 10; NK-Neumann, § 34 Rn. 120 a.E.; Michalke, Umweltstrafsachen, Rn. 106; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 4; Fischer, § 324 Rn. 7a; LK12-Steidorf, § 324 Rn. 100 m.w.N. 405 In diese Richtung auch Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 943, 956 f. 406 Joecks, in: F/G/J, Steuerstrafrecht, § 369 AO Rn. 95; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 43. 407 Gegen die Maßgeblichkeit dieser Formel auch GenStA Celle, NJW 1988, 2394 f. 408 Vgl. auch Albrecht/Heine/Meinberg, ZStW 96 (1984), 943, 956, die meinen, „rechtspolitisch“ sei vorausgesetzt, dass eine Interessenabwägung tatsächlich stattgefunden hat.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Flaschenverschlüssen entstehenden Dämpfe festgesetzt wurden, als diese 15 Arbeitnehmer beschäftigte und ein kleines Produktionsvolumen hatte, scheiden Notstandsgesichtspunkte hinsichtlich unternehmensbezogener Schutzbelange nicht schon aufgrund eines damals rechtmäßig durchgeführten Genehmigungsverfahrens von vornherein aus. Vielmehr sperrt ein staatlich geregeltes Verfahren die Angemessenheit des Notstands nur insoweit, als sich in der ergangenen Entscheidung Anhaltspunkte dafür finden, dass für den Notstand maßgebliche Interessen schon in die konkrete Entscheidung eingeflossen sind. Jenseits der von einer Behörde tatsächlich berücksichtigten Gesichtspunkte der Interessenabwägung besteht nämlich nicht die Gefahr, dass der Strafrichter in ein eigens geregeltes, staatliches Verfahren eingreift. Der materielle Gehalt der Verwaltungsentscheidung ist dann nämlich nicht betroffen und die Gefahr einer unzulässigen Korrektur nach § 34 StGB entfällt. Diesem Ergebnis kann auch nicht entgegen gehalten werden, der Notstandstäter habe sich bei nachträglichen Veränderungen um eine neue Behördenentscheidung zu bemühen.409 In aller Regel besteht dann nämlich schon kein Anspruch mehr auf eine erneute Behördenentscheidung, vgl. § 51 VwVfG. Anders verhält es sich mit notstandsfähigen Interessen, die schon im Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht erwogen wurden, aber materiell zu berücksichtigen gewesen wären. Aufgeworfen ist damit die Frage nach dem Verhältnis des Notstands zur ermessensfehlerhaften und damit rechtswidrigen Behördenentscheidung. 3. Vorliegen einer fehlerhaften Behördenentscheidung Schwieriger wird die Frage nach dem Vorrang des behördlichen Verfahrens, wenn eine fehlerhafte Entscheidung der Verwaltung vorliegt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Vorrang des Verwaltungsverfahrens nur selten in diesem Kontext erörtert wird. Keinen Vorrang genießen zunächst behördliche Verfügungen, die unwirksam sind, d. h. die strengen Voraussetzungen für die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (vgl. § 44 VwVfG) erfüllen.410 Unterschiedliche Stellungnahmen finden sich jedoch zu verwaltungsrechtlich „verbindlichen“ Behördenentscheidungen.411 Gemeint sind Verwaltungsakte – insbesondere, wenn sie auf Genehmigungsersuche hin erlassen werden –, die zwar materiell rechtswidrig, gleichwohl aber bestandskräftig sind. Dies wäre in Beispiel 6 der Fall, wenn die Grenzwerte zur Ableitung der Dämpfe zwar für das jetzige Produktionsvolumen, aber in rechtswidriger Weise zu niedrig festgesetzt wurden und die Widerspruchsfrist verstrichen ist (vgl. §§ 68, 70 VwGO). Die wohl h.L. hält mit Eintritt der verwaltungsrechtlichen Bestandskraft bereits das Vorliegen einer Be409
Eine solche Obliegenheit deutet LK11-Steindorf, § 324 Rn. 100 an, d. h. anderenfalls entfalle die Befugnis, sich auf Notstand zu berufen. 410 Gegen strafrechtliche Wirkungen einer nichtigen Genehmigung in anderem Kontext auch Tiedemann, AT, Rn. 205. 411 In dieser Terminologie etwa Lackner/Kühl, § 324 Rn. 14.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
hördenentscheidung für ausreichend, um dem Notstandstäter den Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand zu versagen.412 Gegen eine solche Sichtweise wendet sich, wer § 34 StGB grundsätzlich auch dann zur Geltung kommen lassen will, wenn eine Erlaubnis rechtswidrig versagt wurde.413 Denn auch die Ablehnung eines Erlaubnisantrags ist aufgrund ihrer Regelungswirkung als Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) der Bestandskraft fähig. Die Lösung der Problematik muss einmal mehr durch Sinn und Zweck der Sperrwirkung zulasten von § 34 StGB vorgegeben werden: Ein staatlich geregeltes Verfahren kann auch dort Geltung beanspruchen, wo es Rechtssicherheit höher gewichtet als materiell richtige Entscheidungen. Das gilt im Grundsatz für den rechtskräftig unschuldig Inhaftierten414 ebenso wie für den rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Verwaltungsakt. Für rechtswidrige Ablehnungen oder Auflagen eine Ausnahme zu machen,415 liefe wieder darauf hinaus, dem Strafrichter die Kontrolle der Verwaltungsentscheidung zu überantworten. Aus der vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessengewichtung folgt, dass unmöglich jeder Ermessensfehler wieder das Eingreifen der Notstandsbestimmungen eröffnen kann. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unanwendbarkeit wegen § 34 S. 2 StGB muss demgegenüber gelten, wenn die Verwaltungsentscheidung wider einen Anspruch des Notstandstäters getroffen wurde. So liegt es insbesondere, wenn eine Genehmigung abgelehnt wurde, obgleich das behördliche Ermessen auf null reduziert war. Denn in diesen Fällen steht dem Betroffenen der Anspruch bereits von Gesetzes wegen zu, ohne dass ein Verwaltungsverfahren in seinem Regelungsgehalt umgangen würde. Lehnte die Verwaltung in Beispiel 6 etwa eine Genehmigung ab, obgleich die U-GmbH die gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt und es sich um einen Fall reduzierten Ermessens handelt, kann die U-GmbH bzgl. nachteiliger Auswirkungen auf Dritte Notstandsgesichtspunkte für sich geltend machen, wenn sie die im Verwaltungsakt vorgeschriebenen Höchstwerte überschreitet. Freilich müssen in einer solchen Situation dann dem Betroffenen zur Verfügung stehende Rechtsmittel in der Erforderlichkeitsprüfung des Notstands berücksichtigt werden und auch über das Ergebnis der Interessenabwägung ist noch nichts gesagt. Die U-GmbH kann demnach z. B. nicht einfach unter Inkaufnahme möglicher Nachteile für Anwohner ihren Produktionsprozess fortsetzen, ohne gerichtlichen Eilrechtsschutz anzustrengen. Liegt eine Ermessensreduzierung auf null vor, sind die sich aus dem Gesetz ergebenden Wertungen hinreichend konkret und insofern dem Verwaltungsverfahren 412
Lackner/Kühl, § 324 Rn. 14; S/S-Heine, § 324 Rn. 13; Alt, in: MüKo, § 324 Rn. 77. So Tiedemann, AT, Rn. 196; ähnlich Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 111, die Notstandsgesichtspunkte berücksichtigen wollen, soweit die im Verwaltungsverfahren vorgenommene Güterabwägung fehlerhaft war. 414 Dort allg. Ansicht, vgl. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 185; NK-Neumann, § 34 Rn. 119; S/SPerron, § 34 Rn. 41 jeweils m.w.N. 415 So aber Sack, Umweltschutz Strafrecht, § 324 Rn. 132a für Ermessensfehler bei Erteilung der Genehmigung und Untätigkeit. 413
B. Der rechtfertigende Notstand
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gegenüber vorrangig. Die Verletzung gesetzlicher Vorgaben kann dann auch strafrichterlich korrigiert werden.416 Für Arbeitnehmer als mögliche Notstandshelfer zugunsten ihres Arbeitgebers, denen es bloß rechtstatsächlich unmöglich ist, sich gegen rechtswidrige Versagungen oder Auflagen zulasten des Betriebsinhabers gerichtlich zur Wehr zu setzen, gelten diese Ausführungen entsprechend.417 Auch ihnen steht in aller Regel bei Verstößen gegen eine rechtswidrige, aber bestandskräftige Verfügung kein Erlaubnissatz zur Seite. In Beispiel 6 könnte ein Arbeitnehmer der U-GmbH also nicht eigenmächtig unter Berufung auf den Notstand mit dem Argument Dämpfe ableiten, ihn betreffe die Sperrwirkung der rechtskräftigen Verfügung mangels Adressateneigenschaft nicht unmittelbar. Dies ergibt sich schon daraus, dass hier Notstandshilfe zugunsten des Unternehmens in Rede steht und die Eingriffsbefugnisse des Helfers sich nach denen des Betroffenen richten müssen.418 4. Verwaltungsentscheidung einholbar Der letzte mögliche Kollisionsfall zwischen Verwaltungsverfahren und Notstand besteht darin, dass ein Notstandstäter, wie etwa ein Geschäftsführer der B-GmbH in Beispiel 5, vor Ausführung der Rechtfertigungshandlung eine verwaltungsrechtliche Entscheidung hätte einholen können. Zu prüfen ist insoweit, ob ein verwaltungsrechtliches Verfahren auch dann die Angemessenheit nach §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG ausschließt, wenn es de facto gar nicht angestrengt worden ist. Dies muss aufgrund von systematischen und teleologischen Gründen der Fall sein. Denn die Subsidiarität von Selbsthilfebefugnissen zu „obrigkeitlicher Hilfe“ ist bereits in § 229 BGB festgeschrieben419 und auch sonst allgemeiner Grundsatz der Erforderlichkeit im rechtfertigenden Notstand.420 Zudem wäre es höchst widersprüchlich, einem Betroffenen die Möglichkeit an die Hand zu geben, eine der Behörde überantwortete Entscheidung in der Hoffnung nicht einzuholen, der Strafrichter werde den maßgeblichen Interessenkonflikt eher zu seinen Gunsten entscheiden.421 Es ist deswegen zu Recht anerkannt, dass ein Rückgriff auf Regeln des rechtfertigenden Notstands ausscheidet, wenn dessen Voraussetzungen zwar dem Grunde nach vorliegen, der Täter sich aber zuvor nicht um ein entsprechendes Verwaltungsverfahren, insbesondere die Einholung einer Genehmigung, bemüht hat.422 416
Ähnlich wohl für einen Rückgriff auf § 34 StGB Rudolphi, NStZ 1984, 248, 252. Unklar Tiedemann, AT, Rn. 196. 418 Vgl. bereits oben: 3. Teil B.II.2.b); zum eigenen Arbeitsplatz als notstandsfähiges Interesse noch unten: 4. Teil C.II. 419 Tiedemann, AT, Rn. 195. 420 s. o.: 3. Teil B.II.2.a). 421 Vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 177. 422 Dieses Ergebnis findet sich bei Sack, Umweltschutz Strafrecht, § 324 Rn. 132a; Rudolphi, NStZ 1984, 193, 196; S/S-Perron, § 34 Rn. 41; S/S-Heine, § 324 Rn. 13; Alt, in: MüKo, § 324 Rn. 77; LK11-Steindorf, § 324 Rn. 100; Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 883 f.; abweichend wohl Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, Rn. 111. 417
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
5. Zwischenergebnis: Möglichkeit einer Rechtfertigung nach Notstandsregeln im Wirtschaftsstrafrecht Es bleibt damit festzuhalten, dass ein behördliches Verfahren in wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten einem Rückgriff auf Gesichtspunkte des rechtfertigenden Notstands auch dann entgegenstehen kann, wenn dessen Voraussetzungen an sich vorlägen. Im Rahmen von rechtmäßigen Entscheidungen geht ein entsprechender Vorrang des Verwaltungsverfahrens indes nur soweit, wie der Regelungsgehalt der Behördenentscheidung sich auf Interessen erstreckt, die im Rahmen des Notstands zu berücksichtigen wären. Dem Zeitpunkt der Behördenentscheidung kommt daher besonderes Gewicht zu. Weiter schließen rechtswidrige, aber bestandskräftige Entscheidungen Notstandsgesichtspunkte aus, wenn nicht bereits ein gesetzlicher Anspruch auf einen anders lautenden Verwaltungsakt besteht. Schließlich entfaltet sich die Sperrwirkung zulasten von § 34 StGB auch dann, wenn der Notstandstäter ein einschlägiges Verwaltungsverfahren vor der Notstandshandlung nicht angestrengt hat. In Beispiel 5 scheidet demnach ein Heranziehen der Notstandsregeln entgegen der Ansicht des LG Bremen aus. Die B-GmbH hätte sich zunächst darum bemühen müssen, eine wasserrechtliche Genehmigung für den Betrieb ihrer Entölerboote zu erlangen, auch wenn die Voraussetzungen des Notstands an sich erfüllt sind. Setzte man den mit der Behörde geschlossenen Vertrag einer Genehmigung gleich, käme ein Unrechtsausschluss nur aufgrund der darin enthaltenen behördlichen Erlaubnis in Betracht. Eine Notstandshandlung wäre auch in diesem Fall aufgrund einer verwaltungsrechtlich wirksamen Entscheidung unangemessen. Sollte der Betrieb der Boote nicht genehmigungsfähig gewesen sein, weil die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstwerte überschritten wurden, hätte auch ein ablehnender Bescheid nichts an diesem Ergebnis geändert. Dass hier der B-GmbH im Ergebnis untersagt wird, zu einem weniger belasteten Gewässer beizutragen, ist Ausfluss des schon im Ausgangspunkt bestehenden rechtswidrigen Zustands (überschrittene Höchstwerte). In einer derartigen Situation darf der Einzelne nicht private Notstandserwägungen an die Stelle öffentlicher Gefahrenabwehr setzen.423
IV. Geldwerte Vermögensinteressen als notstandsfähige Rechtsgüter und Gegenstand der Interessenabwägung In einem nächsten Schritt soll es um die richtige Behandlung von geldwerten Vermögensinteressen in der Prüfung des rechtfertigenden Notstands gehen. Schon die Struktur der in § 34 S. 1 StGB normierten Interessenabwägung gibt insofern zwei 423 I. E. wie hier Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 260; Möhrenschlager, NStZ 1982, 164, 166; AG Bremen NStZ 1981, 268; a.A. LG Bremen NStZ 1982, 164 f.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Fälle vor, die auseinander zu halten sind: Einerseits kommt in Betracht, geldwertes Vermögen des Einzelnen aus den notstandsfähigen Rechtsgütern (Erhaltungsgut) mit der Folge herauszunehmen, dass eine Gefahr für solche Vermögensinteressen stets hinzunehmen wäre. Ein auf den Erlaubnissatz Notstand gestütztes Recht zur Verteidigung geldwerten Vermögens schiede dann aus. In Beispiel 7 könnten sich die Vorstandsmitglieder der B-Bank dann von vornherein weder auf Vermögensinteressen424 der A-AG noch auf solche der betroffenen Zuliefererbetriebe berufen. „Auf der anderen Seite“ der Notstandsabwägung ist dann zu klären, ob geldwertes Vermögen Dritter als Eingriffsgut in Betracht kommt, d. h. ob eine Gefahr durch die Begehung vermögensbezogener Straftaten wie Untreue oder Unterschlagung abgewendet werden darf. In Beispiel 7 ist insofern zu prüfen, ob das Vermögen der B-Bank zur Abwendung einer etwaig bestehenden Notstandslage überhaupt herangezogen werden kann. Die zunächst streng dogmatisch anmutende Problematik hat dabei durchaus das Potential zur „Glaubensfrage“425 und trotz ihrer wohl bedeutsamen Relevanz in wirtschaftlichen Zusammenhängen Wissenschaft und Gerichte vergleichsweise selten beschäftigt. Für beide Abwägungsrichtungen des Notstands, also gleichermaßen auf Erhaltungs- und Eingriffsseite, ist der Problemkreis für Delikte mit Wirtschaftsbezug von größtem Interesse. Deswegen soll hier umfassend geprüft werden, inwieweit geldwerte Interessen der Notstandsabwägung zugänglich sind [1.]. Einen besonderen Anwendungsfall der Problematik stellt dann – wie zu zeigen sein wird – die Kollision von Geldinteressen des Notstandstäters mit geldwerten Geheimnissen eines Unternehmens dar [2.]. 1. Rechtfertigung im sog. „Geldnotstand“? Unter dem Eindruck von Geldinteressen war der rechtfertigende Notstand bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung, sodass es sich anbietet, die Thematik zunächst anhand der einschlägigen Gerichtsentscheidungen aufzuarbeiten. In den folgenden Erwägungen sollen den jeweiligen Ausführungen des BGH Grundsätze entnommen werden, welche über den konkreten Fall hinaus Wirkung entfalten, wenn und soweit geldwerte Vermögensinteressen betroffen sind. Diese Grundsätze werden dann um eigene Überlegungen ergänzt. Es wird außerdem zu zeigen sein, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung auch in anderen Fallgestaltungen von Bedeutung sein können: Insofern soll versucht werden, die Erwägungen zum Verhältnis von Vermögensinteressen und rechtfertigendem Notstand auf Gesellschaftsaufwendungen zum Zwecke der Kurssicherung in börsennotierten Kapitalgesellschaften zu übertragen.
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Mit dieser Feststellung ist freilich noch nichts darüber ausgesagt, ob insofern nicht andere Erhaltungsgüter zugunsten der A-AG bzw. der Zulieferer berücksichtigt werden können. 425 Vgl. Kienapfel, JR 1977, 26, 27, der meint, der Verweis auf eine wirtschaftliche Notlage sei „Rechtsverdrehung“.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
a) Der sog. Konzertreise-Fall (BGHSt 12, 299 ff.) Die prominenteste Leitentscheidung zu einem Unrechtsausschluss im Zusammenhang mit geldwerten Interessen erging zum sog. Konzertreise-Fall der Detmolder Musikakademie. Die für den Notstand relevanten Gesichtspunkte des Sachverhalts lassen sich vereinfacht folgendermaßen zusammenfassen: Ein Täter hatte öffentliche Mittel in Höhe von 5.000 DM unterschlagen – sie waren nach den Urteilsfeststellungen nur „vorübergehend blockiert“ –, um eine Konzertreise seines Musikvereins trotz Liquiditätsengpasses doch noch stattfinden zu lassen. Zur Vorbereitung dieser Reise waren bereits 80.000 DM investiert worden, die bei Absage der Reise unwiederbringlich verloren gewesen wären. Demnach lag die Problematik des „Geldnotstandes“426 in seiner reinsten Form vor: Geldinteressen waren als Erhaltungsgut bedroht und geldwertes Vermögen sollte auch zur Abwendung der bestehenden Gefahr herangezogen werden (Eingriffsgut). Der Bundesgerichtshof kam in seinem Urteil zum Ergebnis, der zu dieser Zeit noch nicht kodifizierte, rechtfertigende Notstand könne „unter keinem verständigerweise vertretbaren Gesichtspunkt verneint werden.“427 Dabei wird neben dem Erhaltungsgut der bereits getätigten Aufwendungen („Vermögen“ oder genauer: „geldwerte Erwartung, die Reise antreten zu können“) zusätzlich auf „politische und kulturelle Ziele“ für die Außenwahrnehmung Deutschlands abgestellt, die beeinträchtigt gewesen wären, hätte die Reise nicht stattfinden können. Explizit verwirft das Gericht Bedenken gegen ein Heranziehen der Notstandsregelung, die daraus entstehen könnten, dass auf beiden Seiten geldwerte Mittel betroffen waren. „Nach der Erfahrung des Lebens“ könne eine Notstandslage gerade auch auf wirtschaftlichen Verlusten verschiedener Größenordnung beruhen.428 Eine gewisse Sympathie ist dabei für das Argument herauszulesen, dass öffentlichen Geldern im Verhältnis zu privaten Vermögensinteressen ein höheres Gewicht zukommen soll. Der BGH berücksichtigt in der Entscheidung geldwerte Vermögensinteressen gleichsam auf beiden Seiten der Abwägung und misst ihnen als Eingriffs- und Erhaltungsgut Gewicht bei. Die Feststellungen des Urteils sind in der Literatur nicht ohne Echo verhallt. Es finden sich zahlreiche, zumeist kritische Stellungnahmen zur Annahme, eine Notstandssituation könne auch dann eintreten, wenn geldwertes Vermögen bedroht sei. Im Folgenden soll dargestellt werden, aus welchen Gründen Bedenken gegen das Heranziehen des rechtfertigenden Notstands auch in Fällen des sog. „Geldnotstands“ im Ergebnis nicht durchgreifen können.429
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Diesen Begriff verwendet Küper, JZ 1976, 515, 516. BGHSt 12, 299, 305. 428 BGHSt 12, 299, 305. 429 Andere Aspekte, die im Zusammenhang mit der Entscheidung besprochen werden, bleiben für die hiesige Betrachtung außen vor. 427
B. Der rechtfertigende Notstand
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aa) Vorschriften mit Vermögensbezug als ein die Angemessenheit ausschließendes gesetzliches Verfahren? Gegen die Feststellungen des Gerichts wurden Bedenken geäußert, wonach der Geldnotstand ausgeschlossen werden sollte, weil die komplizierten und vielfältigen Vorschriften der Rechtsordnung über Vermögensverhältnisse und die Verteilung von Vermögen keinen Vorbehalt enthielten und vor der Abwendung hoher Verluste nicht zurückwichen.430 Getrieben wird diese Argumentation von der Angst, jede Geldverlegenheit könne eine Notstandslage auslösen.431 Richtig verstanden betrifft dieser Einwand, der auf ein generelles Ausscheiden von Notstandsgesichtspunkten bei Bedrohung geldwerter Vermögensinteressen hinausläuft, den Vorrang eines staatlich geordneten Verfahrens, welches die Angemessenheit der Notstandshandlung ausschließen soll.432 Man wird in Situationen finanzieller Not mit geldwerten Interessen als Erhaltungsgut ein Heranziehen von § 34 StGB jedoch von vornherein nur verneinen können, wenn die „gesetzlichen Vorschriften zur Vermögensverteilung“ hinzunehmende bzw. abwehrfähige Vermögenseingriffe abschließend regelten.433 Einen so ausgestalteten, umfassenden Ausschluss im Sinne einer abschließenden gesetzlichen Sonderregel den „Vorschriften mit Vermögensbezug“ zu entnehmen, liegt jedoch fern. Denn gesetzliche Normen, die das Vermögen des Einzelnen unmittelbar betreffen, sind vielgestaltig und finden sich in allen Teilen der Rechtsordnung. Es streitet kein überzeugendes Argument dafür, das Vermögen der B-Bank in Beispiel 7 im Rahmen des Notstands von vornherein zur Abwendung der Notstandslage für die A-AG unberücksichtigt zu lassen. Geldwertes Vermögen würde gleichsam als Erhaltungsgut eigener Art behandelt, weil Vorschriften mit Vermögensbezug ein besonderes gesetzliches Verfahren darstellten, welches zur Unangemessenheit einer Notstandshandlung führte. Gemäß den obigen Ausführungen434 sind an ein die Angemessenheit ausschließendes Verfahren hohe Anforderungen hinsichtlich des Grades der Institutionalisierung zu stellen und weiter müsste ein schützenswerter Zweck durch Rückgriff auf den Notstand umgangen werden. Das Verwaltungsverfahren etwa stellt als sachnaher Entscheidungsprozess, wie gesehen, in seiner besonderen Ausgestaltung eine eigene „Institution“ der Rechtsordnung dar und soll in seinen Wertungen nicht durch Selbsthilferechte unterlaufen werden.435 430
Vgl. Bockelmann, JZ 1959, 493, 498. Bockelmann, JZ 1959, 493, 498. 432 Vgl. zu dieser Einordnung auch Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 104, 181 ff.; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 124. 433 s. o.: 3. Teil B.II.2.c). 434 Zum Verhältnis eines gesetzlichen Verfahrens zu § 34 S. 2 StGB, s. o.: 3. Teil B.II.2.c). Unter 3. Teil B.II.1.a) wurde bereits einführend erörtert, dass geldwertes Vermögen dem Grunde nach ein schutzfähiges Erhaltungsgut sein kann. Schließt man die Angemessenheit aus, kommt man über einen methodologisch anderen Weg ebenfalls zur gänzlichen Versagung einer Rechtfertigung im Geldnotstand. 435 Siehe soeben: 3. Teil B.III.1. Dass Entsprechendes etwa auch für das Strafverfahren gelten muss, leuchtet ein. 431
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Gesetzliche Vorschriften mit Bezug zum Vermögen des Einzelnen weisen keinen im Ansatz vergleichbaren Grad an abschließender Prozeduralisierung auf. Im Gegenteil liefe ein Ausschluss der Angemessenheit darauf hinaus, der Rechtsordnung eine Sonderregelung über das „marktwirtschaftliche Verfahren von Vermögensverteilung“ o. ä. entnehmen zu wollen, was abwegig erscheint. Weiter werden auch bürgerlich-rechtliche Vorschriften nicht durch das Heranziehen von Selbsthilferechten unterlaufen, wenn Geldinteressen betroffen sind: Vor dem Hintergrund der im BGB selbst geregelten Institute (§§ 227 ff., 859 f., 904 BGB) bedarf diese These keiner weiteren Ausführung.436 Es ist somit festzuhalten, dass die Rechtsordnung allein den Rahmen für Vermögenserwerb und -verteilung schafft, aber kein vorrangiges Verfahren bereithält, welches die Angemessenheit ausschließen könnte. Schließlich ist insoweit ohne Belang, dass Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht gesonderte Regelungssysteme zur Abwicklung von Vermögensschäden bereithalten.437 Weder die Vorschriften über die Einzel- noch diejenigen über die Gesamtvollstreckung regeln Vermögenseinbußen dergestalt, dass sie einen Rückgriff auf § 34 StGB ausschlössen. Denn diese Regelungskomplexe betreffen allein die Abwicklung, d. h. die Folgen eingetretener Vermögensschäden. Hier geht es indes darum, ob die Voraussetzungen der Vermögensverteilung ausgehöhlt würden, wenn man die Notstandsabwägung auch auf Geldinteressen überträgt. Verhindert eine Untreuehandlung (geldwerte Vermögensinteressen als Eingriffsgut) den Zusammenbruch eines Unternehmens, wird man den Notstand jedenfalls kaum deswegen verneinen können, weil die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens dem entgegenstünde. Weder vermögensbezogene Vorschriften des materiellen Rechts noch Zwangsvollstreckungsverfahren stellen eine abschließende gesetzliche Regelung im Sinne von § 34 S. 2 StGB dar. In Beispiel 7 scheitern Notstandserwägungen deswegen nicht bereits daran, dass die Rechtsordnung selbst durch Vorschriften mit Vermögensbezug ein vorrangiges Verteilungsverfahren aufstellte, weswegen die Mittel der B-Bank im Rahmen von § 34 StGB nicht zu berücksichtigen wären. Weiter ist offensichtlich, dass die A-AG Insolvenz anmelden kann. Doch führt auch das durch den Vermögensnotstand erst ausgelöste Verfahren nicht dazu, dass das Vorliegen einer Notstandslage nicht angenommen werden könnte.
436
Dies übersieht Bockelmann, JZ 1959, 493, 498. A.A. Roxin, AT I, § 16 Rn. 54; dessen Standpunkt übernehmend Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 5; unklar NK-Neumann, § 34 Rn. 120 – Geldnotstand soll nur möglich sein, wenn der „Einhaltung des [Vollstreckungs-]Verfahrens äußere Hindernisse entgegenstehen.“ Demzufolge müsste die Notstandsbefugnis an sich davon abhängen, ob – was der Schuldner als Notstandstäter u. U. gar nicht absehen kann – das Insolvenzverfahren mangels Masse eröffnet wird oder nicht. 437
B. Der rechtfertigende Notstand
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bb) Vermögensverlust als von jedermann zu tragende Gefahr? Prominent vertreten wird weiter die These, ein Geldnotstand als solcher scheide begrifflich aus, weil der Verlust geldwerter Mittel eine von jedermann und immer zu tragende Gefahr darstelle.438 Den Ausgangspunkt der Überlegung bildet die These, nach der ein rechtfertigender Notstand ausscheidet, wenn das Erhaltungsgut von einer Gefahr betroffen ist, die alle in gleichem Maße bedroht (sog. „Jedermannsgefahr“).439 Eine fortwährend drohende Dauergefahr für das Vermögen soll die Kehrseite dessen darstellen, dass eine freie Wirtschaftsordnung auf der anderen Seite Gewinnchancen bietet.440 Soweit ubiquitäre Gefahren betroffen sind,441 sei ein Ausschluss der Rechtfertigung noch zugestanden, wenngleich in solchen Fällen der Notstand ohnehin in aller Regel eher an der Interessenabwägung scheiterte, weil bei Vorliegen einer Allgemeingefahr dem bedrohten Rechtsgut in der Abwägung kaum mehr Gewicht zukommt. Für Beispiel 7 könnte dies etwa bedeuten, dass den Vermögensinteressen auf Erhaltungsseite der A-AG ein geringeres Gewicht beizumessen wäre, wenn sich insgesamt die wirtschaftliche Entwicklung verschlechtert. Darüber hinaus vermag die Argumentation einen generellen Ausschluss des Notstandes indes nicht zu begründen, wenn geldwerte Vermögensinteressen im Raum stehen. Denn selbstverständlich kann jeder Einzelne von einem Vermögensverlust ereilt werden. Doch trifft diese Behauptung auf jedes mögliche Erhaltungsgut nach § 34 StGB zu, wenngleich mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Keinesfalls sind Vermögenseinbußen nach den Vorgaben der Rechtsordnung aber von jedermann stets hinzunehmen.442 – Sie wandeln sich im Gegenteil in zivilrechtliche, oftmals deliktisch ausgestaltete Sekundäransprüche, wenn sie dem materiellen Recht zuwiderlaufen. Bereits daran lässt sich ablesen, dass Einbußen geldwerten Vermögens von der Rechtsordnung nicht als Gefahren angesehen werden, die alle gleichermaßen treffen und deswegen zu erdulden wären. Vielmehr sind Art und Weise, Umfang und tatsächliche Restitutionsmöglichkeiten der jeweils zu bewertenden Vermögensinteressen höchst unterschiedlich und einer Verallgemeinerung nicht zugänglich. Gemeinsam ist ihnen allein der Bezug zur quantitativen Erfassbarkeit. Dieser „kleinste gemeinsame Nenner“ untermauert jedoch nicht die Behauptung, Vermögensgefahren seien unter allen Umständen von jedem selbst zu tragen.
438 LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38; Roxin, AT I, § 16 Rn. 54; ähnlich auch Kienapfel, JR 1977, 26, 27. 439 Dazu einführend schon: 3. Teil B.II.1.c). 440 LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38. 441 Zur Erheblichkeit einer solchen Gefahr für den Notstand Pawlik, Notstand, S. 164 ff. 442 Dies ist der Unterschied zwischen Geldnotstand und Jedermannsgefahren, den LK12Zieschang, § 34 Rn. 38 verkennt, wenn er ihn mit „allgemeiner Volksnot“ und „meteorologischen Gegebenheiten“ gleichsetzt.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
cc) Fehlen der Notstandslage bei nach der Gattung bestimmbaren Eingriffsgütern? Schließlich findet sich in Stellungnahmen zur Konzertreise-Entscheidung die Behauptung, bei Gleichartigkeit von Erhaltungs- und Eingriffsgut – also insbesondere in Fällen des Geldnotstands – fehle es an der für die Angemessenheit des Notstands erforderlichen „spezifischen Kollisionslage“.443 Es wird vorgetragen, dass im Unterschied zur gewöhnlichen Notstandssituation schlechthin jedes Rechtsgut gleicher Art und damit auch das Vermögen zwar mögliches Eingriffsgut sein könne. Voraussetzung für die Notstandsabwägung aber sei, dass ein bestimmtes Gut oder aber eines von mehreren bestimmten Rechtsgütern als das zu opfernde in Betracht komme. M.a.W. schiede demnach eine Rechtfertigung nach Notstandsgesichtspunkten bei nur der Gattung nach bestimmbaren Interessen von vornherein aus. Eine gewisse Originalität lässt sich dieser Überlegung nicht absprechen444 und sie löste die Frage nach dem Geldnotstand in eben derjenigen Art und Weise, wie sie von einer Vielzahl an Literaturstimmen gern gelöst würde – durch vollumfängliche Ausklammerung aus dem Notstandsbegriff und den Rechtfertigungserwägungen. Dass jedoch im Ergebnis nicht entscheidend sein kann, ob das Eingriffsgut nach Gattung (viele Boote an einem Seeufer zur Rettung eines Ertrinkenden), nach Vorrat (drei aufgezogene Spritzen eines sofort zu verabreichenden Anästhetikums) oder nach Individualität (ein Spezialfahrzeug zur Bergung aus einem Stollen) bestimmbar ist, liegt auf der Hand. Die den §§ 243 ff. BGB entnommenen Kategorien scheitern an dem unterschiedlichen Zweck des rechtfertigenden Notstands: Während es im Schuldverhältnis um den Gefahrenübergang geht, ist für § 34 StGB entscheidend, ob ein an der Entstehung Unbeteiligter seine Rechtsgüter zur Gefahrenabwendung freizugeben hat.445 Wenn dies sogar für ein besonderes Abwendungsmittel der Fall sein kann („Stückschuld“), was unbestritten ist, dann müssen erst recht der Allgemeinheit nach bestimmbare Eingriffsgüter notstandsfähig sein. Auch verlangen weder Gesetz noch Dogmatik des rechtfertigenden Notstands nach einer Einschränkung für nur der Gattung nach bestimmbare Eingriffsgüter.446 Denn die Zwangslage des Täters und die Erforderlichkeit der Abwehrhandlung bleiben von diesem Gesichtspunkt unbeeinflusst. Anderenfalls könnte ein mittelloser Neuralgiker straflos das teure Schmerzmittel entwenden, das er nicht anders bekommt. Entwendet er einen entsprechenden Geldbetrag, um selbst in die Apotheke zu gehen,
443
Bockelmann, JZ 1959, 493, 498; eine gewisse Sympathie für diese These wohl bei Tiedemann, AT, Rn. 194. Vgl. zum Ganzen Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 104 m.w.N. 444 So Küper, JZ 1976, 515, 516. 445 Siehe nur Kühl, AT, § 8 Rn. 7; Fischer, § 34 Rn. 2. 446 Gegen diese Begründung auch LK12-Zieschang, § 34 Rn. 24, 38, der über die Jedermannsgefahr jedoch zum gleichen Ergebnis (Ausschluss des Notstands) kommt.
B. Der rechtfertigende Notstand
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bliebe ihm die Rechtfertigung dagegen versagt.447 Demnach ist auch ein nur der Gattung nach bestimmbares Eingriffsgut notstandsfähig und eines „spezifischen Kollisionsverhältnisses“ bedarf es nicht.448 Die gegen diese Leitentscheidung des BGH zum Geldnotstand aufgeworfenen Bedenken greifen nach alledem nicht durch. Es bleibt für Geldinteressen bei der allgemeinen Dogmatik: Auch wenn quantitativ zu erfassende Vermögenswerte auf Eingriffs- und/oder Erhaltungsseite betroffen sind, ist der rechtfertigende Notstand nicht von vornherein ausgeschlossen.449 Die einzelnen Voraussetzungen einer Rechtfertigung können anhand einer zweiten Entscheidung weiter präzisiert werden. b) Mandantengelder-Fall (BGH NJW 1976, 680 f.) Die grundsätzliche Möglichkeit einer Rechtfertigung nach Notstandsregeln unter Abwägung von Geldinteressen hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1976 bestätigt. Ohne eine Abkehr von den Grundsätzen des soeben besprochen Urteils in BGHSt 12, 299 ff. einzuleiten, geht das Gericht näher auf die Anforderungen ein, die bei Anwendung von Notstandsgesichtspunkten auf geldwerte Interessen zu beachten sind. Im Fall war ein Rechtsanwalt angeklagt, der als Treuhänder für die Weiterleitung von Haftpflichtversicherungsgeldern an seine im Straßenverkehr geschädigten Mandanten verantwortlich war. Als sich im Kanzleibetrieb eine Finanzierungslücke in Höhe von (mindestens) DM 100.000 auftat, beschloss er, den finanziellen Kollaps durch Verwendung dieser Mittel „von Fall zu Fall zur Begleichung der dringendsten Verbindlichkeiten“ abzuwenden. Schließlich kam es trotz dieser Anstrengungen zur Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Gericht erhielt die Verurteilung wegen Untreue zwar aufrecht und versagte dem Anwalt einen Unrechtsausschluss unter Notstandsgesichtspunkten. Gleichwohl bestätigte es den Grundsatz, dass eine Rechtfertigung in Betracht komme, wenn eine Kollision gleichartiger Vermögenswerte gegeben sei und der quantitativ höhere Verlust durch die Notstandshandlung abgewendet werden soll. Die Quantität sei indes nur ein Abwägungsfaktor und eine Rechtfertigung erfordere „ganz außergewöhnliche Umstände“. Im Ergebnis ließ der Bundesgerichtshof in einer diffusen Interessenabwägung450 weder den Verweis des Anwalts auf die wirtschaftliche 447
Dieses treffende Beispiel findet sich bei Küper, JZ 1976, 515, 516. Er weist zudem darauf hin, dass auch § 35 Abs. 1 S. 1 StGB dann eine „spezifische Kollisionsbeziehung“ enthalten müsste, sodass sogar eine Entschuldigung des Notstandstäters ausschiede. 448 Dieses Ergebnis teilen Küper, JZ 1976, 515, 516; Roxin, AT I, § 16 Rn. 25; Grebing, GA 1979, 79, 86 ff.; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 104. 449 Unklar Tiedemann, AT, Rn. 194, der das Eingreifen des Notstands bei Geldinteressen für „zweifelhaft“ hält, aber bei „Konnexität zum Erhaltungsgut“ dennoch eine Rechtfertigung zulassen will, wenn geldwerte Vermögensinteressen betroffen sind. 450 Küper, JZ 1976, 515, 517.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Notsituation noch auf das Ansehen des Berufsstandes, welches durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Anwalts geschädigt würde, durchgreifen. Die Entscheidung enthält Aspekte, die über den Konzertreise-Fall hinausgehen und hier deswegen systematisch aufzubereiten sind. aa) Anforderungen an die Abwägung im Geldnotstand Wie bereits erwähnt, schließt der BGH ein Heranziehen der Notstandsregelung zur Rechtfertigung des Notstandstäters explizit nicht deswegen aus, weil im zugrunde liegenden Sachverhalt Geldinteressen betroffen waren.451 Vielmehr bemüht er sich, einerseits keinen Widerspruch zur früheren Jurisdiktion aufkommen zu lassen, andererseits aber hohe Anforderungen an ein Durchgreifen des Geldnotstands zu stellen.452 Ausgangspunkt ist die Berücksichtigung aller schutzwürdigen Interessen,453 d. h. insbesondere nicht eine bloße Gegenüberstellung quantitativer Vermögensfaktoren. Der rechnerische Schadensvergleich sei nur ein [Hervorhebung im Original] die Abwägung mitbestimmender Umstand.454 Eine allumfassende Güterabwägung ist an sich eine der (wenigen) Selbstverständlichkeiten der Notstandsdogmatik und bedarf keiner besonderen Betonung. Wenn neben Vermögenswerten noch andere Rechtsgüter (hier: das Vertrauen der Geschädigten in den Treuhänder) betroffen sind, kommt diesen natürlich ebenfalls Bedeutung zu.455 Dennoch lässt sich das Gericht zur von quantitativem Denken geprägten Feststellung hinreißen, dass „per Saldo die Schuldenlast [des Angeklagten] nicht verringert wurde“.456 Außerdem sei die endgültige Schädigung der Mandanten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen.457 Es wird also offenbar, dass der auf geldwertes Vermögen gerichtete, saldierende Schadensvergleich in der Abwägung durchaus eine besondere Rolle spielt.458 Verhindert der Notstandstäter schon nicht einen quantitativ höheren Verlust, scheidet eine Rechtfertigung aus. Ist diese Voraussetzung aber erfüllt, ist sie bloß notwendige, keineswegs aber auch hinreichende Bedingung für eine Rechtfertigung. Nach den 451 Dass im Urteil überhaupt auf eine Interessenabwägung eingegangen wird, beschäftigt diejenigen, die für einen generellen Ausschluss des Notstands in solchen Fällen eintreten, vgl. LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38; Kienapfel, JR 1977, 26, 27. 452 Auf die nach Küper, JZ 1976, 515, 517 „frivole Schutzbehauptung“, der Angeklagte habe den Zusammenbruch seiner Praxis auch zum Wohle des Berufsstandes verhindern wollen, ist im hiesigen Kontext nicht weiter einzugehen. 453 BGH NJW 1976, 680, 681. 454 BGH NJW 1976, 680, 681. 455 Auch im Konzertreise-Fall wäre die Abwägung sicher anders ausgefallen, wenn zur Erlangung der 5.000 DM zunächst etwa die körperliche Integrität eines nicht transaktionsbereiten Bankangestellten zu überwinden gewesen wäre. 456 BGH NJW 1976, 680, 681. 457 BGH NJW 1976, 680, 681. 458 Ebenso S/S-Perron, § 34 Rn. 26.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Urteilsfeststellungen erscheint nur gewiss, dass dann weiterhin strenge Anforderungen an die Abwägung zu stellen sind und nicht-vermögenswerte Umstände ebenso berücksichtigt werden sollen. Dass letztere zur Rechtfertigung des Geldnotstandstäters zwangsläufig vorliegen müssten, lässt sich dem Urteil dagegen nicht entnehmen.459 Für den Geldnotstand „in seiner reinen Form“, d. h. wenn sowohl auf Seiten des Eingriffs- als auch des Erhaltungsguts geldwerte Vermögensinteressen in Rede stehen, ist im Ausgangspunkt auf die allgemeinen Grundsätze zum Aggressivnotstand zurückzugreifen. Für den Fall einer Sache als vermögenswertes Eingriffsgut hält schon § 904 S. 1 BGB diesen Maßstab bereit.460 Ein Eingriff in fremdes Eigentum ist danach immer nur zulässig, wenn der drohende Schaden unverhältnismäßig groß wäre. Da dem Träger des Erhaltungsguts ein Sonderopfer abverlangt wird, kann die Missachtung fremder Autonomie nur so wieder aufgewogen werden.461 Es spricht nichts dagegen, diese für Sacheigentum geltenden Vorgaben auch auf den Notstand geldwerter Vermögensinteressen zu übertragen.462 Das darin enthaltene Grundkonzept weist mit seinem Fokus auf das Eigentum bereits einen vermögensrechtlichen Bezug auf und setzt einer Rechtfertigung hinreichend hohe Schranken. Es ist deshalb sicher nicht zu befürchten, dass ein so verstandener Unrechtsausschluss als Aufforderung verstanden wird, finanzielle Probleme durch Straftaten zu lösen.463 Vielmehr wird eine Rechtfertigung nur in Betracht kommen, wenn eine gewisse Konnexität zwischen Eingriffs- und Erhaltungsvermögen besteht464 und auch keine mittelbaren Folgen – wie im Urteil der Vertrauensverlust, aber auch wirtschaftliche Folgerisiken etc. – gegen das Anerkennen einer Erlaubnis sprechen. Konnexität meint insofern, dass die Erhaltungsinteressen des Notstandstäters und das Ein459 Ähnlich Küper, JZ 1976, 515, 517 f.; a.A. Tiedemann, AT, Rn. 194: es müssten „Gemeinwohlerwägungen“ hinzutreten. 460 Darauf weist Küper, JZ 1976, 515, 517 hin. 461 Statt Aller S/S- Perron, § 34 Rn. 38 m.w.N. Zum Gesichtspunkt der Selbstbestimmung noch sogleich. 462 Vgl. auch S/S-Perron, § 34 Rn. 26; Maurach/Zipf, AT I, § 27 Rn. 24; Kühl, AT, § 8 Rn. 120, 178. 463 Dies befürchtet Roxin, AT I, § 16 Rn. 54, wenn man den Notstand auf Geldinteressen anwendet, weswegen er einen solchen generell ausschließen will. Insofern erscheint es widersprüchlich, wenn im Hinblick auf das Wertverhältnis im Konzertreise-Fall (5.000 DM zu 80.000 DM) bei dems., AT I, § 16 Rn. 47 eine gewisse Sympathie für die Rechtfertigung bei Gleichartigkeit der kollidierenden Rechtsgüter (Geldinteressen) spürbar wird. 464 Dies halten auch Tiedemann, AT, Rn. 194; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 6; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19 für eine notwendige Einschränkung der Rechtfertigung im Geldnotstand. Ausscheiden dürfte damit insbesondere ein willkürlicher Zugriff auf fremdes Vermögen, das in keiner Beziehung zum drohenden Schaden steht. Diese Einschränkung für den Geldnotstand hat nichts mit der „spezifischen Kollisionslage“ gemein, welche – wie gesehen – darauf abzielt, der Gattung nach zu bestimmende Erhaltungsgüter aus der Interessenabwägung auszuklammern.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
griffsgut, d. h. das geldwerte Vermögen, auf welches er zurückgreift, in einer gewissen Nähebeziehung stehen müssen. Dieses Erfordernis der Notstandsabwägung ist Ausfluss des Umstands, dass die Missachtung fremder Autonomie in der Interessenabwägung zulasten des Eingriffsguts streitet.465 Das Selbstbestimmungsrecht des Vermögensträgers fordert diese zusätzliche Einschränkung.466 Denn im Gegensatz zu anderen Eingriffsgütern, die – wie etwa die Latten am Zaun des Nachbarn bei einem Hundeangriff – regelmäßig an die konkrete Notstandssituation gebunden sind, ist geldwertes Vermögen allgegenwärtig. Bedenkt man die zeitlichen Grenzen der Notstandslage, wonach auch Dauergefahren erfasst werden können, liefe eine Abwägung ohne ein solches Erfordernis auf eine „Pflicht zur Bürgschaft“ für den in Not Geratenen hinaus. Eine derartige Duldungspflicht ginge über das hinaus, was dem Opfer einer Notstandshandlung vernünftigerweise in einer Ausnahmesituation467 zugemutet werden kann. Droht der Gläubiger einer schwer zu beweisenden Forderung etwa damit, einen höheren Betrag als materiellrechtlich geschuldet gerichtlich einzuklagen, sollte der Schuldner nicht sofort zahlen, kann dieser sich nicht unter Inanspruchnahme von § 34 StGB an seinen reichen Freund halten, der zufällig gerade mit viel Bargeld zu Besuch ist. Die Gefahr eines teilweise unberechtigten Vermögensverlusts des Schuldners und die geldwerten Mittel des Freundes hängen nur rein zufällig zusammen. Die von dem Freund zu erwartende „passive Mindestsolidarität“ würde über Maßen beansprucht, wollte man hier eine Einstandspflicht erwägen. Weniger eindeutig liegen die Dinge in Beispiel 7: Wenn die B-Bank keinerlei Verbindung zur in Schieflage geratenen A-AG hat, wird man eine rechtmäßige Notstandshandlung auch hier verneinen müssen. Anderes könnte sich dann ergeben, wenn es sich bei dem Darlehen, welches die Markteinführung des neuen Modells sicherstellen soll, um eine Verlängerung einer bereits bestehenden Kreditlinie handelt. Denn im letztgenannten Fall hätte die B-Bank mit dem ursprünglichen Bereitstellen von Fremdkapital bereits ein Näheverhältnis zur Schuldnerin herbeigeführt; die Bedeutung ihres Selbstbestimmungsrechts wäre insofern abgeschwächt und stünde einer Rechtfertigung dann nicht mehr kategorisch entgegen. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse bleibt die Prüfung einer Nähebeziehung von Erhaltungs- und Eingriffsgut im Einzelfall erforderlich. Vor dem Hintergrund des Gesagten lässt sich für den Geldnotstand die Interessenabwägung in einem dreistufigen Verfahren zusammenfassen: Zunächst ist festzustellen, ob die strengen Vorgaben des Aggressivnotstands im Hinblick auf das 465 Roxin, AT I, § 16 Rn. 46 f.; ders., in: FS Jescheck, S. 457, 465; LK12-Zieschang, § 34 Rn. 68; S/S-Perron, § 34 Rn. 38 m.w.N.; vgl. ferner Kühl, AT, § 8 Rn. 120 Fn. 197, der den Geldnotstand nach § 34 StGB behandelt und gleichzeitig „Zwangsanleihen“ von Geld bei Dritten ausschließen möchte. 466 Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19: „kein willkürlicher Zugriff“. 467 Vgl. zu den Grenzen der Opferpflicht nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 7; NK-Neumann, § 34 Rn. 9 f. Aufgrund der volkswirtschaftlichen Knappheit von Mitteln liefe man ggf. sogar Gefahr, den Ausnahmecharakter des Notstands infrage zu stellen.
B. Der rechtfertigende Notstand
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quantitative Wertverhältnis zwischen Eingriffs- und Erhaltungsgut erfüllt sind, der entstehende Schaden im Falle eines Untätigbleibens also „unverhältnismäßig groß“ wäre. Insofern wird man den für eine rechtmäßige Notstandshandlung nötigen Erhaltungswert aufgrund der entstehenden Duldungspflicht zulasten des betroffenen Eigentümers höher ansetzen müssen als 150 % des Eingriffsvermögens, was für die zivilrechtliche Vorschrift des § 904 S. 1 BGB von der überwiegenden Ansicht vertreten wird.468 Allerdings werden es auf der anderen Seite auch keine 1600 % des zur Schadensabwendung herangezogenen Vermögens sein müssen, wie es in Anlehnung an das Wertverhältnis in der Konzertreise-Entscheidung des BGH vertreten wurde.469 Insofern bleibt weiter zu beachten, dass sowohl auf Eingriffs- als auch auf Erhaltungsseite nur unmittelbar bedrohtes bzw. zu erhaltendes Vermögen mit Geldwert von Bedeutung ist und „Fernwirkungen“ der Notstandshandlung unberücksichtigt bleiben müssen.470 Damit geht keine Abkehr von der Gesamtbetrachtung in § 34 StGB einher; sie trägt allein den Besonderheiten der Schutzgüter Rechnung. Denn ein Verlust geldwerten Vermögens kann stets vielfältige Folgen nach sich ziehen: So muss in Beispiel 7 für die Interessenabwägung unbeachtlich bleiben, dass von der Entwicklung eines neuen Modells möglicherweise Arbeitsplätze abhängen, deren Wegfall zu geringeren Steuereinnahmen und höheren Sozialausgaben führt, was seinerseits dazu beitragen kann, dass die Neuverschuldung steigt o. ä. Für beinahe jede Vermögenseinbuße ließe sich so ein „Multiplikationseffekt“ auf Erhaltungsseite erreichen, was Konzept und Sinn einer situativ gebundenen Notstandshandlung widerspräche. Bloß mittelbare Folgewirkungen für geldwerte Vermögensinteressen bleiben demnach für die Interessenabwägung außer Acht. In einem zweiten Schritt ist dann festzustellen, ob es an der Konnexität zwischen dem in Anspruch genommenen und dem zu erhaltenden Vermögen fehlt. Je schwächer sich der Bezug des Notstandstäters zum Eingriffsvermögen darstellt, desto eher ist eine Vermögenseinbuße am eigenen Vermögen hinzunehmen. Das Kriterium trägt der weiten Verbreitung geldwerten Vermögens und dem Umstand Rechnung, dass das Selbstbestimmungsrecht des Vermögensinhabers einer willkürlichen Inanspruchnahme entgegensteht. Schließlich können in einem dritten Schritt andere, quantitativ nicht erfassbare Rechtsgüter, wie im Mandantengelder-Fall das Vertrauen in einen Treuhänder, das Ergebnis der Interessenabwägung zugunsten der einen oder der anderen Seite verändern. Insofern gelten die allgemeinen Regeln. Damit sind Grundsätze für die Interessenabwägung im Geldnotstand umrissen, die aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgeleitet wurden und einschlägige gesetzliche Wertungen berücksichtigen. Ob diese Kriterien, wie der BGH meint, nur unter „ganz außerge-
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Schreiber, Jura 1997, 29, 32; Seiler, in: Staudinger, BGB, § 904 Rn. 27 m.w.N. A.A. Roxin, AT I, § 16 Rn. 47: „viel geringer hätte der Unterschied aber auch nicht sein dürfen“. 470 Vgl. dazu noch: 4. Teil F.II.2.b)bb). 469
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
wöhnlichen Umständen“ erfüllt sein werden, muss die wirtschaftsstrafrechtliche Praxis zeigen. bb) Die Bedeutung der Notstandshilfe Über diese Grundsätze hinaus gibt das Urteil im Mandantengelder-Fall zu einer weiteren Überlegung Anlass, die das Gericht selbst nicht angestellt hat. Denn neben den eigenen geldwerten Interessen des Angeklagten kommen als Erhaltungsgüter auch die Forderungen der Gläubigerbanken gegen den Anwalt bzw. deren Vermögen in Betracht.471 In vielen Fällen wirtschaftlicher Notlagen wird der Täter bestrebt sein, das Vermögen so umzuschichten, dass die dringendsten Probleme zuerst behoben werden können und damit faktisch immer auch gewisse Gläubiger als Dritte begünstigen. In solchen Sachverhalten kann es nicht genügen, wenn ein Dritter bloß reflexartig durch die Notstandshandlung begünstigt wird. Denn insofern fehlt es an der Konnexität von Erhaltungs- und Eingriffsvermögen. Dass in Beispiel 7 im Fall einer Insolvenz der A-AG etwa auch die Zuliefererbetriebe Vermögenseinbußen hinnehmen müssen, muss für die Erhaltungsseite ohne Belang bleiben. Deren Interessen sind nur reflexartig von einer Notstandshandlung des Vorstands der B-Bank betroffen. Anders können die Dinge dagegen liegen, wenn bedrohtes (im Fall: fällig werdende Forderungen der Banken) und geopfertes Vermögen (Mandantengelder) über dasjenige des Notstandstäters verbunden sind. Dies scheint das wenig beachtete Urteil BGH GA 1956, 382 f.472 zu verkennen. Je nach – in der Entscheidung nicht vollständig mitgeteilten – Lage der Dinge wäre es im Fall durchaus in Betracht zu ziehen gewesen, einen Verstoß gegen Devisenvorschriften mit der Erwägung zu rechtfertigen, anderenfalls hätte es zu einer Gefährdung der Forderungen sämtlicher Gläubiger der Bank kommen können. Im Rahmen des Geldnotstands sind also über das Vermögen des Notstandstäters hinaus Drittinteressen insoweit zu berücksichtigen, als sich deren Schutz nicht bloß als Rechtsreflex darstellt. cc) Ausschluss des Notstands durch eigenverantwortliches Herbeiführen der Rechtfertigungslage? Schließlich stellt der Bundesgerichtshof in Ansehung geldwerter Vermögensinteressen eine letzte Erwägung an, die in der Literatur große Resonanz und breite Zustimmung gefunden hat. Die Rede ist von dem einem persönlich Haftenden wohl bekannten Grundsatz, dass jeder das kleine oder große Risiko seiner finanziellen 471 Küper, JZ 1976, 515, 517 konstatiert, dass die Ausführungen des BGH vor allem darunter leiden, dass die kollidierenden Interessen nicht hinreichend deutlich benannt werden; wenig überzeugend tut Kienapfel, JR 1977, 26, 28 eine Berücksichtigung von Drittinteressen der Gläubiger als „wenig lebensnah“ ab. 472 Die Entscheidung ist wohl nur sehr verkürzt wieder gegeben; es verwundert, dass das Gericht offenbar für das Bestehen einer Notstandslage auch den strafrechtlichen Schutz des Erhaltungsguts für erforderlich hält.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Dispositionen selbst zu tragen habe.473 Für das Gericht scheint dieser Gesichtspunkt maßgeblich dazu beizutragen, dass die Notstandshandlung des Anwalts im Mandantengelder-Fall i.E. als unverhältnismäßig eingestuft wird. Auch dieser Verweis findet überall dort großen Widerhall, wo die Anwendung der §§ 34 StGB, 16 OWiG auf den Geldnotstand schon im Ausgangspunkt abgelehnt wird.474 Zumindest mittelbar dürfte jeder Vermögensnotstand auf unvorteilhafte Dispositionen des Notstandstäters zurückzuführen sein und wäre demnach nicht zu rechtfertigen. Doch handelt es sich nicht nur um eine vom Ergebnis gesteuerte Erwägung. Sie läuft auch den anerkannten Grundsätzen der Notstandsdogmatik zuwider. Denn auch sonst ist allg. Ansicht, dass ein Verschulden die Notstandssituation gerade nicht generell ausschließt (arg e. § 228 S. 2 BGB, vgl. auch § 35 Abs. 1 S. 2 StGB), sondern allein im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.475 Hinsichtlich einer Verwertung dieses Moments zulasten des Täters im Rahmen der Abwägung ist nicht zuletzt deswegen Zurückhaltung geboten, weil im Hinblick auf geldwerte Vermögensinteressen auch kleine Fehler große Wirkung zeitigen können und es sich gleichsam um ein Verschulden „gegenüber sich selbst“ handelt. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass die für die Interessenabwägung als Teil der Notstandsgefahr maßgebliche ex post Perspektive476 zu strenge Maßstäbe an das Vorverhalten des Notstandstäters stellt. Im Gesellschaftsrecht versucht man diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem man für unternehmerische Entscheidungen eines Geschäftsleiters mit der sog. business judgment rule (vgl. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG) großzügigere Sorgfaltsanforderungen eingreifen lässt.477 Soweit auch das Vorverhalten des Notstandstäters Entscheidungen in Vermögensangelegenheiten betrifft, die zu einem Herbeiführen der Geldnotstandslage führen, ist dieser Maßstab zu übertragen. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der Annahme eines „Verschuldens gegen sich selbst“ nicht entgegensteht, dass zur Rettung in fremdes Vermögen eingegriffen wird. Denn im Zeitpunkt der Fehldisposition war die sich später ergebende Notstandslage in aller Regel noch nicht absehbar. Dem Aspekt einer eigenverantwortlichen Herbeiführung der Notstandslage dürfte vor diesem Hintergrund im Rahmen des Geldnotstands nur bei eklatanten Fehldispositionen einmal Bedeutung zukommen.478 Weiter wird vorsätzliches Handeln kaum je vorliegen, da
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BGH NJW 1976, 680, 681. LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38; Roxin, AT I, § 16 Rn. 54; Kienapfel, JR 1977, 26, 27; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 5. 475 Zum Ganzen ausführlich: 3. Teil B.II.2.b). 476 Zur Beurteilungsperspektive statt Vieler Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 88. 477 Siehe nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 59 ff.; für die GmbH: ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 7. 478 Küper, JZ 1976, 515, 518 f. hält das Verschulden im Mandantengelder-Fall für unbeachtlich, weil er in der Interessenabwägung nur die Drittinteressen von Gläubigern berücksichtigt, auf die sich nicht auswirken könne, ob der Anwalt als Notstands(hilfe)täter schuldhaft gehandelt habe oder nicht. Dazu jüngst auch Beck, ZStW 124 (2012), 660, 674 (bei Gefährdung eigener Rechtsgüter sei Vorwerfbarkeit generell niedriger); vgl. ferner Küper, Notstand, S. 26 f. 474
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
ein Verlust der verlorenen, eigenen Geldmittel regelmäßig nicht billigend in Kauf genommen wird. c) Zwischenergebnis: Geldwertes Vermögen und Notstandsdogmatik Die höchstrichterliche Rechtsprechung wendet im Grundsatz die Regelungen über den rechtfertigenden Notstand zu Recht auch auf Fälle an, in denen sich geldwerte Vermögensinteressen gegenüberstehen. Ein Rückgriff auf die §§ 34 StGB, 16 OWiG kann weder daran scheitern, dass ein vorrangiges gesetzliches Verfahren einschlägig wäre, noch indem man unterstellt, Gefahren für geldwertes Vermögen seien unabhängig von der konkreten Bedrohungslage stets von jedem selbst zu tragen. Schließlich ist ein Ausschluss auch nicht darauf zu stützen, dass geldwerte Mittel von Vielen zur Verfügung gestellt werden können, weil sie als Erhaltungsbelang „der Gattung nach“ bestimmbar sind. In Ansehung der Anforderungen, die an den Geldnotstand als vermögensbezogenen Aggressivnotstand zu stellen sind, muss dann jedoch der strenge Maßstab des § 904 BGB gelten. Um zu weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten zu begegnen, ist zu fordern, dass zwischen angegriffenem und bedrohtem Vermögen eine gewisse Konnexität im Sinne eines Näheverhältnisses besteht. Anderenfalls würde die Autonomie eines von der Notstandslage nicht betroffenen Inhabers geldwerter Eingriffsgüter nicht hinreichend gewürdigt. Unter diesen Voraussetzungen erscheint auch denkbar, Drittinteressen, wie namentlich von Gläubigern eines Notstandtäters, in die Güterabwägung mit einzubeziehen. Schließlich wird die Abwägung zulasten des Rechtfertigungstäters unter Verschuldensgesichtspunkten nur dann (weiter) getrübt, wenn ein qualifizierter Verstoß gegen persönliche Sorgfaltspflichten vorliegt. Wendet man vorstehend dargestellte Grundsätze auf Beispiel 7 an, erscheint zunächst eine Rechtfertigung des Untreuevorwurfs gegen Mitglieder des Vorstands der B-Bank nicht von vornherein ausgeschlossen. Je nach den Umständen des Falles kann eine Notstandsgefahr für eine vermögenswerte Exspektanz bestehen, das neu zu entwickelnde Modell erfolgreich einem Markteintritt zuzuführen. Darüber hinaus sind auf Erhaltungsseite daraus möglicherweise resultierende Gewinnerwartungen der A-AG jedoch nicht berücksichtigungsfähig, weil es insofern an einer bereits bestehenden Rechtsposition fehlt. Im Rahmen der Interessenabwägung sind dann zunächst quantitative Gesichtspunkte gegenüber zu stellen. Zu einem „wesentliche Überwiegen“ wird es vor diesem Hintergrund allenfalls kommen können, wenn ein Darlehen moderaten Umfangs die letzten Entwicklungsarbeiten finanzierte. Darüber hinaus erscheint das Vorliegen der erforderlichen Nähebeziehung zweifelhaft. Allein wenn diese beispielsweise durch vorangegangene Gewährung von Fremdmitteln geschaffen wurde, wird ein Unrechtsausschluss unter Notstandsgesichtspunkten in Betracht kommen. Wegen fehlender Konnexität zu den Eingriffsinteressen der B-Bank sind auch die finanziellen Belange der Zulieferer für die Interessenabwägung ohne Bedeutung.
B. Der rechtfertigende Notstand
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d) Übertragbarkeit auf Gewinnerwartungen der Anteilseigner in Kapitalgesellschaften? Weitere praktische Bedeutung könnten vorstehende Grundsätze zum Geldnotstand auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Geschäftsleiterbezügen in gesellschafsrechtlichen Übernahmekonstellationen gewinnen. Tiedemann479 führt die zurückhaltend geführte Diskussion um den Geldnotstand einem neuen Anwendungsfeld zu, wenn er erwägt, die Aufsichtsratsmitglieder, die im Aufsehen erregenden Mannesmann-Verfahren480 kompensationslose Anerkennungsprämien (appreciation awards) an den scheidenden Vorstand gewährt hatten, unter dem Gesichtspunkt des Geldnotstands zu rechtfertigen. Voraussetzung für die Annahme eines Geldnotstandes in dieser Übernahmesituation ist freilich die – im Mannesmann-Verfahren durchaus nicht fernliegende481 – Annahme, die Anerkennungszahlungen seien vom Aufsichtsrat auch deswegen bewilligt worden, weil man sich davon eine steigende Bereitschaft des Vorstands im Hinblick auf eine freundlichen Übernahme erhoffte. Insofern hatte bereits die Anklageschrift – offenbar im Gegensatz zur Verteidigung –482 darauf hingewiesen, dass zustimmende Aufsichtsratsmitglieder durch eine freundliche Übernahme einen befürchteten Kurssturz hätten vermeiden wollen.483 In einer solchen „Gefahrensituation“484 für das Vermögen der Mannesmann-Aktionäre ist in der Tat an einen rechtfertigenden Notstand zu denken. aa) Aktienrechtsakzessorische Bestimmung der Treupflicht und Rechtfertigung Zunächst ist festzuhalten, dass Konflikte zwischen Erhaltungs- und Eingriffsgut bei Verwirklichung des Untreuetatbestandes trotz der Besonderheiten von § 266 Abs. 1 StGB über die Heranziehung des rechtfertigenden Notstands auf der Ebene der Rechtswidrigkeit gelöst werden können. Denn die Vermögensbetreuungspflicht vermag trotz ihrer bedenklichen Weite485 nicht alle Interessenkonflikte bereits im Rahmen des gesetzlichen Tatbestands aufzufangen. Sie verhält sich akzessorisch 479 Tiedemann, AT, Rn. 194; freilich wollen diese Ausführungen nicht recht zur kritischen Haltung des Autors gegenüber der Anerkennung des Geldnotstands passen. Diese Erwägung wiedergebend Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 6; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19. 480 LG Düsseldorf ZIP 2004, 2044 ff.; BGHSt 50, 331, 335 ff. Auf eine Wiedergabe des Sachverhalts wird an dieser Stelle verzichtet. 481 Vgl. auch Perron, SchwZStrafR 125 (2007), 180, 189. 482 Tiedemann, AT, Rn. 194. 483 Vgl. auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, Heft 43, 1, 16. 484 Diesen Begriff verwendet Hohn, wistra 2006, 161, 163 und hat den Wertverlust für Aktionäre und Gesellschaft im Blick, der entstünde, wenn sich der Vorstand einer reibungslosen Übernahme entgegengestellt hätte. 485 Vgl. nur S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 11 m.w.N.; jüngst auch BVerfGE 126, 170, 194 f.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
zum Pflichtenprogramm des Treunehmers, welches ihren Umfang bestimmt.486 Insofern sind über die Vorgaben der Vermögensbetreuungspflicht hinausreichende Interessenkonflikte487 in der Rechtswidrigkeitsprüfung zu berücksichtigen, wenn Gesichtspunkte hinzutreten, die über die Pflichtenbindung des Treunehmers gegenüber dem Geschäftsherrn hinausgehen.488 Auf diesen Standpunkt kann man sich im Hinblick auf das Mannesmann-Verfahren stellen: Aktienrechtlich war der Aufsichtsrat der Gesellschaft gegenüber489 strafrechtlich zur Vermögensfürsorge verpflichtet. In Ansehung der Festsetzung von Vorstandsbezügen gilt für die Bestimmung der Pflichtverletzung der Maßstab des § 87 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Damit ist das Verhältnis der Gesamtbezüge des Vorstandsmitglieds zu dessen Aufgaben und Leistungen sowie zur Lage der Gesellschaft maßgeblich. Eine unangemessene Festsetzung der Vorstandsvergütung hätte gleichzeitig eine Verletzung der Legalitätspflicht des Aufsichtsrats (vgl. §§ 116, 93 Abs. 2 AktG) zur Folge, was strafrechtlich den Anknüpfungspunkt für eine Treupflichtverletzung darstellt.490 Wenn in Nr. 4.2.2. DCGK etwa davon die Rede ist, dass der Aufsichtsrat als Kriterien für Vorstandsbezüge die „Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt“ berücksichtigen soll, wird deutlich, dass ein Maßstab vorherrscht, der nicht anreizorientierte Sonderzahlungen („appreciation awards“) auch nach erfolgreichem Abschluss einer großen Unternehmensübernahme problematisch erscheinen lässt. Entscheidend für das „angemessene Verhältnis“ dieses Pflichtenmaßstabs ist trotz eines vergleichsweise weiten Ermessensspielraums des Aufsichtsrats,491 dass ein Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Vergütung vorliegt.492 Deswegen kann man mit dem BGH eine Kompensation, die sich auf bereits herbeigeführte Steigerungen des Unternehmenswerts bezieht und unmittelbar keinen zukunftsbezogenen Nutzen für die Gesellschaft hat, durchaus als unzulässigen Gesichtspunkt bewerten.493
486
Statt Aller Fischer, § 266 Rn. 21 f. Zu Interessenkollisionen im Rahmen der Vermögensbetreuungspflicht, vgl. jüngst Seibt/ Schwarz, AG 2010, 303, 305. 488 Vgl. noch unten: 4. Teil D.I.1.; ferner Busch, Konzernuntreue, S. 128 f. („Pflichtwidrigkeit nach dem Verhältnis des Täters zum Inhaber“); S/S-Perron, § 266 Rn. 48. 489 Vgl. BGHSt 50, 331 ff.; 54, 148, 158; OLG Braunschweig NZG 2012, 1196, 1197 (Inhalt der Treupflicht folgt aus Satzung); NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 58; LK12-Schünemann, § 266 Rn. 256, 258; dazu aber auch Fischer, § 266 Rn. 48; Werner, CCZ 2011, 201 („Vermögensbetreuungspflicht auch gegenüber Aktionären“). 490 Spindler, in: MüKo AktG, § 87 Rn. 79 mit Verweis auf § 266 StGB und m.w.N; wohl auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 87 Rn. 57 f. 491 Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 87 Rn. 39; Zieschang, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 3. Teil 2. Kap. Rn. 80. 492 Brauer, NZG 2004, 502, 504. 493 Zu diesen Erwägungen für das Strafrecht BGHSt 50, 331, 336 ff.; Rönnau, NStZ 2006, 214, 218 f.; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113, 120 ff.; a.A. Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 161 ff.; Kort, NJW 2005, 333 f. 487
B. Der rechtfertigende Notstand
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In der Situation einer Unternehmenstransaktion unter Beteiligung einer börsennotierten Gesellschaft ist jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass jeder einzelne Aktionär der Zielgesellschaft an einer freundlichen Übernahme – wie im Mannesmann-Verfahren durch die Vodafone Airtouch plc – aufgrund des sonst zu befürchtenden Kursverfalls ein Interesse haben kann.494 Dieses weitergehende Interesse der Anteilseigner als individuell betroffene Träger von Erhaltungsgütern dürfte über eine angemessene Vergütung im Sinne von § 87 Abs. 1 AktG und damit über den Umfang der Vermögensbetreuungspflicht des einzelnen Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft hinausgehen. Schließlich besteht die Betreuungspflicht in erster Linie im Verhältnis zur Gesellschaft, nicht aber gegenüber den Anteilseignern.495 Darüber hinaus kann der Nachteilsbegriff kaum abbilden, dass dem zulasten der Gesellschaft eingetretenen Vermögensschaden infolge der gewährten Vergütungsleistungen ein gestiegener Anteilswert – und damit eine höhere Marktkapitalisierung des Unternehmens – gegenübersteht. Grund dafür ist, dass das Vermögen von Aktionären und Gesellschaft scharf zu trennen ist.496 Die genannten Vermögensinteressen der Aktionäre an einer Kurssicherung können deswegen über den im corporate governance System des AktG festgeschriebenen Maßstab hinausgehen und strafrechtlich auf Wertungsebene der Rechtfertigung als zusätzlicher Gesichtspunkt der Gesamtrechtsordnung an Bedeutung gewinnen.497 Folgt man diesen Erwägungen, kommt es weiter darauf an, ob den handelnden Aufsichtsräten ein Erlaubnissatz zur Seite steht. bb) Rechtfertigung gemäß den Gesichtspunkten zum Geldnotstand? Betrachtet man die widerstreitenden Belange vor dem Hintergrund des § 34 StGB, so kommt als Erhaltungsgut das Vermögensinteresse der einzelnen Aktionäre (nicht: der Gesellschaft) in Betracht, die durch einen Kursverfall geschädigt würden. Dieses Erhaltungsinteresse kann im Rahmen des Geldnotstands berücksichtigt werden, da sich der entsprechend erhöhte Unternehmenswert bereits im Verkehrswert der Aktien materialisiert hat und nicht bloß eine Gewinnerwartung darstellt. Andererseits ist Eingriffsgut das Gesellschaftsvermögen selbst. Aus diesem wäre dann zur Verhinderung eines Vermögensverlusts der Aktionäre ein im Vergleich zu einem Kursverfall, d. h. dem Gesamtwert der eingebüßten Marktkapitalisierung, wohl weitaus geringerer Betrag geleistet worden. Die aus § 904 BGB abgeleiteten strengen Anforderungen bzgl. der Verhältnismäßigkeit dürften bei quantitativer Betrachtung vor diesem Hintergrund erfüllt sein. Die oben geforderte Konnexität der beiden betroffenen Belange (Aktionärsvermögen als Erhaltungsgut und Gesellschaftsver494
Zum Ganzen Tiedemann, AT, Rn. 194; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19. Vgl. nochmals die Nachweise in Fn. 489. 496 Zum Ganzen Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113, 122 m.w.N. 497 Auch Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19 hält eine Rechtfertigung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 34 StGB für möglich, wenn Prämienzahlungen an den Vorstand einen drohenden Kursverfall abwenden sollen. 495
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
mögen als Eingriffsgut) ergibt sich hier schon aus dem Umstand, dass die Aktionäre wirtschaftlich Berechtigte des Gesellschaftsvermögens sind.498 Eine Nähebeziehung zwischen den betroffenen Vermögensinteressen von Gesellschaft und Anteilseignern besteht also. Darüber hinaus wird als zusätzliche Voraussetzung für die Gewährung einer Sonderzahlung als gerechtfertigte Notstandshandlung postuliert, die einschränkenden Voraussetzungen des § 71 AktG, wonach der Gesellschaft der Erwerb eigener Aktien erlaubt wäre, müssten gewahrt sein.499 Hinter dieser Forderung dürfte die Überlegung stehen, dass die Vorschrift kursstützenden Maßnahmen der AG, wie sie ja auch im Hinblick auf die appreciation awards in Rede stehen, enge Grenzen setzt.500 Gleichwohl ist ein solches Kriterium nicht nur der Dogmatik des rechtfertigenden Notstands fremd. Deutlich wird der Unterschied zwischen Sonderleistungen an scheidende Vorstände zur Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs einer Übernahme und kurssichernden Maßnahmen der Gesellschaft auch noch an Folgendem: Die der AG zugestandene Befugnis, eigene Aktien zur Abwendung eines Schadens zu erwerben (§ 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG), bezieht sich ausschließlich auf einen Schaden der Gesellschaft, nicht aber der Gesellschafter.501 Der Geldnotstand ist in der Übernahmesituation jedoch nur aufgrund der im Rahmen von §§ 266 Abs. 1 StGB, 87 AktG nicht zu berücksichtigenden, weitergehenden Aktionärsinteressen an der Vermeidung eines Kursverfalls zu erwägen. Schon aufgrund dieser unterschiedlichen Bezugspunkte begegnet eine Übertragung der genannten Grenzen aus § 71 AktG auf den Kontext der Vorstandsvergütung zu Zwecken der Kurspflege Bedenken. Insgesamt lässt sich vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen jedoch festhalten, dass im Mannesmann-Verfahren eine Beschäftigung mit Notstandsgesichtspunkten zugunsten der Aktionäre durchaus angezeigt gewesen wäre. Den Grundsätzen des Geldnotstands kann daher auch in gesellschaftsrechtlich geprägten Konflikten zwischen Legalitätspflicht und weitergehenden Interessen der Anteilseigner Bedeutung zukommen.502
498
Tiedemann, AT, Rn. 194; allgemein Bohnet, in: MAH Aktienrecht, § 27 Rn. 91 ff. Tiedemann, AT, Rn. 194; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 19; vgl. ferner Vogel, WM 2003, 2437, 2438. 500 Zur Kurspflege durch den Erwerb eigener Anteile allgemein Grüger, BKR 2010, 221, 222 ff.; Hüffer, AktG, § 71 Rn. 10. 501 Vgl. BFH NJW 1977, 1216; Hüffer, AktG, § 71 Rn. 7; Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 105. 502 Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass nach überwiegender Auffassung eine Rechtfertigung nach Notstandsgesichtspunkten auch in Betracht kommt, wenn nicht fremdes Vermögen als Eingriffsgut betroffen ist, sondern Eingriffs- und Erhaltungsgut identisch sind. Ein Geldnotstand im obigen Sinne liegt dann nicht vor. Es geht um Konstellationen, in denen bei mehreren Zugriffsberechtigten auf ein Vermögen einer eine rechtswidrige Verwendung beabsichtigt. Der oder die anderen sind dann zu „Rettungshandlungen“ – etwa der vorübergehenden Sperrung des Zugriffs oder anderweitiger Sicherung des Vermögens – befugt, ohne an die strengen Vorgaben des Aggressivnotstands gebunden zu sein. Ein Beispiel für einen Vermögensschutz unter mehreren Berechtigten findet sich bei Beck/Valerius, Fälle WiStra, Fall 3 Rn. 48 ff. 499
B. Der rechtfertigende Notstand
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2. Kollision tätereigener Vermögens- mit geldwerten Verbandsinteressen an Geheimhaltung Schließlich können vorstehende Überlegungen zum Geldnotstand Bedeutung erlangen, wenn eigene Vermögensbelange des Täters mit Geheimhaltungsinteressen eines Unternehmens kollidieren. Einschlägige Geheimhaltungsinteressen unterstehen vielfach strafbewehrtem Schutz (§§ 85 GmbHG, 404 AktG, 17 UWG) und zählen zum Kernbereich wirtschaftsstrafrechtlicher Regelungen. Dem können geldwerte Eigeninteressen eines Notstandstäters an der wirtschaftlichen Verwertung dieser Informationen zuwiderlaufen. Ein praktischer Anwendungsfall für dieses Konfliktfeld findet sich in Beispiel 8. Die immer wieder diskutierte503 Fallgruppe weist einige Besonderheiten gegenüber dem Gesagten auf, weswegen sie in ihrem Verhältnis zum Geldnotstand einer eigenen Betrachtung bedarf. Zunächst ist jedoch zu zeigen, dass auch der Geheimhaltung unterfallende Schutzgüter einen geldwerten Vermögenswert aufweisen und deswegen die Voraussetzungen für einen Geldnotstand vorliegen können. Schließlich sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass eine Rechtfertigung unabhängig davon in Betracht kommt, welche Rolle man der „Unbefugtheit“ in den jeweiligen Strafvorschriften zum Geheimnisschutz zugedenkt.504 Denn die deliktssystematische Einordnung des Merkmals „unbefugt“ ist allein für die Abgrenzung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung relevant; für die Anwendbarkeit von § 34 StGB, Art. 1 Abs. 1 EGStGB ist sie dagegen ohne Bedeutung.505 a) Geldwerter Vermögenswert von Geheimhaltungsinteressen Nun ist nicht schon auf den ersten Blick ersichtlich, inwieweit die Kollision von Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft mit geldwerten Vermögensinteressen des Einzelnen überhaupt als Unterfall des Geldnotstands aufgefasst werden kann. Im Verhältnis zum Unternehmen kann der Einzelne eigene vermögensbezogene Interessen verschiedenster Art verfolgen. Handelt er zu deren Gunsten, sind auf „Erhaltungsseite“ geldwerte Mittel betroffen. In Betracht kommt etwa, dass sich ein Geschäftsführer in einem Rechtsstreit mit der Gesellschaft befindet. Wie in Beispiel 8 können Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen etwa Vergütungsansprüche oder die Wirksamkeit seiner Abberufung sein.506 Aber auch im Zusammenhang mit einer Neuanstellung bei einem Konkurrenten, im Rahmen derer die 503
Zur Einführung in die Problematik anschaulich Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 57. Die Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands ist heute ganz h.M.; anders noch v. Stebut, Geheimnisschutz, S. 140: „allgemeiner strafrechtlicher Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter Interessen“. 504 Zu § 85 GmbHG: Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 19; zu § 404 AktG: Schaal, in: MüKo AktG, § 404 Rn. 33; zu § 17 UWG: Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn. 21; vgl. außerdem van Venrooy, GmbHR 1993, 609, 610. 505 Vgl. nur Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 58. 506 Zu Einzelfällen Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 53.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Bekanntgabe von Geheimnissen nicht zu vermeiden ist, steht eine Kollision geldwerter Vermögensinteressen des Einzelnen mit dem Geheimnisschutz zugunsten der Gesellschaft als ehemaliger Arbeitgeberin im Raum. Dass etwa die Abfindungsansprüche in Beispiel 8 geldwerte Belange im obigen Sinne darstellen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Demgegenüber ist zu prüfen, ob auch das Geheimhaltungsinteresse einer Gesellschaft als geldwertes Vermögen eingestuft werden kann. Auf strafrechtlicher Seite finden sich dazu kaum Äußerungen. Allein anhand von Stellungnahmen, die sich auf den „Wert“ eines Geheimnisses im Rahmen der Interessenabwägung beziehen, wird die monetäre Dimension von Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnissen deutlich. Als Abwägungsfaktoren werden genannt: der Bezug des Geheimnisses zur konkret betroffenen Gesellschaft, die Bedeutung für deren Hierarchiegefüge507 und insbesondere der für die Gesellschaft durch den Verrat entstehende Schaden.508 Diese Gesichtspunkte unterstehen nicht um ihrer selbst willen strafrechtlichem Schutz, sondern wegen ihres Bezugs zu geldwertem Vermögen bzw. als eigener Vermögenswert der Gesellschaft. Insofern ist ein wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung sogar Tatbestandsvoraussetzung der einschlägigen Delikte.509 Der Bezug des Geheimnisses zu seinem Geldwert kommt somit bereits in der Auslegung des Merkmals zum Tragen. Der Vermögensbezug von Geheimnissen wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass ein besonderes Interesse der Gesellschaft an der Veräußerung, d. h. der geldwerten „Versilberung“, bestehen kann.510 Aus bilanzrechtlicher Perspektive kann geschützten Geheimnissen zumindest in der Form von sog. Goodwill ein wirtschaftlich bestimmbarer Geldwert zukommen,511 was dann auch auf die Notstandsabwägung bei Verletzung des Geheimnisschutzes aufgrund eigener Vermögensinteressen Auswirkungen haben muss. Dass die Bestimmung eines konkreten Werts im Einzelfall schwierig sein kann, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass eine nominelle Erfassung möglich ist. Ein über den sorgfältig ermittelten Geheimniswert hinausgehendes Interesse an dem Geheimnis besteht für die Gesellschaft in aller Regel nicht. Vor diesem Hintergrund sind daher auch im Bereich der Geheimhaltungsvorschriften die oben beschriebenen Grundsätze über den Geldnotstand heranzuziehen. b) Abwägungsmaßstab bei Beeinträchtigung von Geheimhaltungsinteressen Damit gelten in Beispiel 8 die zum Geldnotstand entwickelten Voraussetzungen des qualifizierten Eingriffserfordernisses i.S.v. § 904 BGB und die aus dem Schutz 507
Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 27. Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 27; Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 53. 509 Vgl. Rengier, in: Fezer, UWG, § 17 Rn. 20, 22; ferner Otto, Aktienstrafrecht, § 404 Rn. 27 f. 510 Vgl. Tiedemann, in: FS v. Caemmerer, S. 643, 649, 651 ff.; ders., in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 28; Dittrich, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 33 Rn. 100. 511 Vgl. dazu allgemein Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. C Rn. 412 ff. 508
B. Der rechtfertigende Notstand
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der Autonomie des Schutzgutsträgers fließende Konnexität zwischen zu erhaltendem Vermögen des Einzelnen und geldwerten Geheimnissen des Unternehmens. Zunächst wird das Erfordernis der Konnexität zwischen Eingriffsgut („geldwertes Geheimnis“) und Erhaltungsgut (in Beispiel 8: „geldwerte Ansprüche des Geschäftsführers G“) regelmäßig schon deswegen vorliegen, weil sie auf einen einheitlichen Sachverhalt zurückgehen. Der Bezug zur Gesellschaft stellt das insoweit notwendige verbindende Moment her. Auch für die Interessenabwägung ergeben sich Besonderheiten. Denn der Geschäftsführer nimmt ausschließlich eigene Interessen wahr, sodass Gesichtspunkte der Notstandshilfe nicht zusätzlich zu seinen Gunsten berücksichtigt werden können. Überdies wird der objektive Geldwert eines Unternehmensgeheimnisses oftmals so hoch sein, dass bei einem bloß quantitativen Wertevergleich von einem wesentlichen Überwiegen der Interessen des Einzelnen (z. B. Höhe der Abfindung) nicht die Rede sein kann. Vorstehende Erwägungen über die individuelle Bedeutung eines Interesses gewinnen hier besondere Bedeutung.512 Denn je größer das Gewicht eines Geheimnisses auf Eingriffsseite für die konkret betroffenen Betriebsabläufe erscheint, desto höher wird sein Gewicht in der Interessenabwägung anzusetzen sein. Deshalb wird es in Beispiel 8 dem G grundsätzlich nicht gestattet sein, ein die Technologie des Unternehmens betreffendes Geheimnis zu offenbaren, um eine vergleichsweise geringwertige Honorarforderung durchzusetzen. Dass dieser durch den Geldnotstand vorgegebene, strenge Maßstab überzeugt, wird daran deutlich, dass in der Literatur eine Rechtfertigung nach § 34 StGB nur angenommen wird, wenn die Offenbarung für die Interessenwahrung des Notstandstäters „zwingend erforderlich“ ist.513 Doch auch das Erhaltungsgut kann in seiner Bedeutung über die Gesichtspunkte der Individualisierung von Interessen zu modifizieren sein. So liegen die Dinge etwa in Beispiel 8, wenn ohne schonende Offenbarung (Erfoderlichkeitsgrundsatz) der Vorgänge im Forschungsbereich der G-GmbH gegenüber der Gerichtsöffentlichkeit oder anderen Verfahrensbeteiligten, z. B. im Wege der Streitverkündung, für G eine sinnvolle Verfolgung seiner Interessen nicht möglich wäre. Der Geldnotstand bietet also auch für den Fall der Geheimnisoffenbarung einen objektivierten Abwägungshorizont, der eine umfassende und sachgerechte Berücksichtigung von Rechtsgütern des Offenbarenden ermöglicht. Die quantifizierbaren Gesichtspunkte geben für die Interessenabwägung den Ausgangspunkt vor. Darüber hinaus kann insbesondere bei dem Ausscheiden aus einer Gesellschaft auch das Interesse eines Geschäftsführers an einer Neuanstellung zu berücksichtigen sein, wenn dieser in einem Vorstellungsgespräch auf besondere Verfahrenskenntnisse
512
Siehe dazu oben: 3. Teil B.II.2.b). Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 75; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 27. 513
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
hinweist.514 In Beispiel 8 kommt es für eine Rechtfertigung von G nach dem Gesagten maßgeblich auf zwei Gesichtspunkte an: Zunächst ist bedeutsam, welche Auswirkungen der Verzicht auf Offenbarung für die Prozessführung von G hätte und welche Nachteile sich daraus ergeben würden. Andererseits ist das konkrete Gewicht des Geheimnisses als Eingriffsinteresse entscheidend, d. h. ob spezifische Geheimnisse der Gesellschaft im Vordergrund stehen oder eher allgemeine Erkenntnisse betroffen sind. Die Grundsätze des Geldnotstands stellen insgesamt strenge Anforderungen an eine Rechtfertigung. 3. Zwischenergebnis: Geldnotstand Die Untersuchung hat gezeigt, dass der rechtfertigende Notstand auch dann heranzuziehen sein kann, wenn sich ausschließlich geldwerte Vermögensinteressen als Erhaltungs- und Eingriffsinteresse gegenüberstehen. Die insoweit geltenden, strengen Maßstäbe in der Interessenabwägung sind zunächst aus dem Aggressivnotstand abzuleiten, was für Eigentumsangriffe auf Sachen in § 904 BGB eine gesetzliche Anknüpfung findet. Weiterhin dürfen geschädigtes und zu erhaltendes Vermögen nicht bloß zufällig zusammenhängen. Vielmehr muss zum Schutze der Autonomie des Inhabers von geldwerten Positionen als Eingriffsgut ein Näheverhältnis zwischen dem Vermögen des Notstandstäters und den Eingriffsinteressen vorliegen (Konnexität). Eine Übertragung dieser Grundsätze auf Sachverhalte mit Bezug zur Untreue in börsennotierten Kapitalgesellschaften erscheint denkbar, wenn unter Verletzung der Legalitätspflicht Vermögensbelange der Anteilseigner geschützt werden, indem zur Sicherung des Anteilswerts Sonderaufwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen getätigt werden. Schließlich können die zum Geldnotstand entwickelten Grundsätze eine Rolle spielen, wenn eine Kollision zwischen strafbewehrter Geheimhaltungspflicht und berechtigtem Eigeninteresse des Geheimnisverräters vorliegt.
V. Unternehmensgefährdung und Notstand Die wohl am meisten beachtete Fallgruppe des rechtfertigenden Notstands im Wirtschaftsstrafrecht stellt sich im Zusammenhang mit der Gefährdung eines Unternehmens. Der Verteidigungseinwand des Wirtschaftsstraftäters lautet dabei regelmäßig wie folgt: Die Begehung der Wirtschaftsstraftat ist notwendig geworden, weil die Unternehmensexistenz und damit die davon abhängigen Arbeitsplätze bedrohte Schutzgüter waren, zu deren Rettung eine Verletzung des Strafgesetzes unerlässlich wurde. Kurze Ausführungen zu diesem Problemkreis finden sich in nahezu
514 Dazu Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 81; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 27 f.; Jannsen, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 3. Teil 9. Kap Rn. 95 f.
B. Der rechtfertigende Notstand
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jeder Kommentierung zum Nebenstrafrecht mit wirtschaftlichem Bezug.515 Auch in Beispiel 6 ergeben sich Anhaltspunkte für einen solchen Einwand der Täter, die zugunsten der U-GmbH gehandelt haben. Beinahe einhellig nimmt man heute eine sehr restriktive Haltung gegenüber den Erfolgsaussichten eines solchen Einwands und gegenüber der Berücksichtigungsfähigkeit einer Aufrechterhaltung des Betriebs oder der Sicherung von Arbeitsplätzen im Rahmen des gesetzlichen Notstands ein.516 Zwar wurde teilweise in der älteren Rechtsprechung517 und auch in Stellungnahmen aus der Wissenschaft518 eine Rechtfertigung durchaus für möglich gehalten. Es kann jedoch heute als gefestigt gelten, dass ein solcher Unrechtausschluss nach Notstandsgesichtspunkten nur ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn Unternehmensinteressen als Erhaltungsgut angeführt werden.519 So sehr dieses Ergebnis schon intuitiv einleuchtet, so unklar ist dessen dogmatische Aufarbeitung. Genereller Ausschluss – sei es wegen gesetzesadäquater Gefahr oder Vorrangs eines Verwaltungsverfahrens – oder bloß regelmäßiges Scheitern an der Interessenabwägung werden zumeist nicht deutlich voneinander getrennt und die maßgeblichen Gesichtspunkte nur selten einzeln gewichtet oder zueinander in Beziehung gesetzt. Im Folgenden soll daher zunächst untersucht werden, inwieweit ein rechtfertigender Notstand kategorisch ausscheiden muss, weil eine Notstandshandlung wegen vorrangigen gesetzlichen Verfahrens immer schon unangemessen wäre, § 34 S. 2 StGB. In einem zweiten Schritt ist dann auf die Voraussetzungen einzugehen, die an eine Güterabwägung zu stellen sind, wenn unternehmensbezogene Interessen als Erhaltungsgüter angeführt werden. 1. Ausschluss der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB? Ein vollständiger Ausschluss des Notstands bei Unternehmensbedrohungen und wirtschaftlichen Schieflagen kommt nur in Betracht, wenn man in einschlägigen
515 Pars pro toto Lampe, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 3 WiStG Rn. 12; Dannecker, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Vor § 58 LFGB Rn. 111; Quedenfeld, in: MüKo HGB, § 331 Rn. 82; Ransiek, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 608. 516 Aus dem allgemeinen wirtschaftsstrafrechtlichen Schrifttum einführend nur Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; Tiedemann, AT, Rn. 193. Es sei noch angemerkt, dass in den fraglichen Situationen auch zwei Handlungspflichten, nämlich die zum Einstellen einer Tätigkeit, d. h. zur Stilllegung eines Betriebs notwendigen Handlungen, und etwa jene zum Erhalt von Arbeitsplätzen kollidieren können. So wäre etwa im Fall der StA Mannheim NJW 1976, 585, 587 zu erwägen gewesen, einschlägige Gesichtspunkte im Rahmen der rechtfertigenden Pflichtenkollision zu erörtern. 517 Vor allem in der Nachkriegsrechtsprechung bei Verstößen gegen Preisbestimmungen konnte eine Notstandsrechtfertigung immer wieder durchgreifen: OLG Hamm NJW 1952, 838, 839; OLG Köln NJW 1953, 1844 f.; OLG Stuttgart ZfW 1977, 118, 124 f. 518 Die Möglichkeit einer Rechtfertigung weitestgehend bejahend Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 49 f.; vgl. auch Bernsmann/Gatzweiler, Korruptionsfälle, Rn. 819 f. 519 Statt Aller S/S/W-Saliger, Vor § 324 Rn. 78 m.w.N.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Konstellationen die Angemessenheit der Notstandshandlung verneint.520 Zur Begründung eines Ausschlusses von Notstandserwägungen rückt in der wirtschaftsstrafrechtlichen Literatur der Begriff der „gesetzesadäquaten Gefahr“ in den Mittelpunkt.521 Gemeint ist, dass der Notstand aufgrund fehlender Angemessenheit der Notstandshandlung in Situationen wirtschaftlichen Drucks ausgeschlossen sein soll, weil gesetzliche Regelungen als vorrangiges Verfahren Selbsthilferechten jeweils entgegensteht.522 Um die Rettungshandlung eines Notstandstäters stets als unangemessen einzustufen, müsste das jeweilige Strafgesetz immer schon in dem Bewusstsein verfügt worden sein, „dass damit Einzelnen Opfer zugemutet werden müssen, die bis zum Verlust von Arbeitsplätzen, ja sogar bis zur Schließung einzelner Betriebe reichen können“.523 Die Annahme liefe in dieser Allgemeinheit darauf hinaus, dass der Gesetzgeber Strafvorschriften ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen erlässt bzw. die durch den Vollzug von Strafgesetzen auftretenden tatsächlichen Folgen für jeden Einzelfall vollumfänglich einkalkuliert. Es ist zu lesen, dass bei anderer Entscheidung, d. h. bei Zulässigkeit einer Rechtfertigung in Einzelfällen, „die Rechtsordnung erheblich erschüttert würde“524 oder gar an eine „Auflösung der allgemeinen Ordnung“525 zu denken sei. Die teilweise emotional geführte Diskussion denkt vom Ergebnis her. Im Folgenden soll deswegen ein Versuch der Strukturierung unter Rückgriff auf die allgemeine Notstandsdogmatik unternommen werden. a) Rechtsnatur des Eingriffsgutes Wenn man danach fragt, ob ein vorrangiges gesetzliches Verfahren die Angemessenheit einer Notstandshandlung zur Unternehmensrettung auszuschließen vermag, ist der Blick zunächst auf das jeweilige Eingriffsgut, d. h. das Rechtsgut der verschiedenen Wirtschaftsdelikte, zu richten. In Beispiel 6 liefe ein vollumfänglicher Ausschluss von § 34 StGB auf die Annahme hinaus, der Gesetzgeber habe bei Erlass der in Betracht kommenden Umweltstraf-, aber im Ergebnis auch der Körperverletzungsvorschriften im Grundsatz stets „eingeplant“, dass die Befolgung dieser Verbote im Einzelfall wirtschaftliche Härten nach sich ziehen kann. Der heute vorherrschende Ansatz, der dies bejaht, hat sich dabei entgegen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelt, die in ihrer Leitentscheidung zum wirtschaftlichen Notstand einen solchen im Ausgangspunkt anerkennt und betont, Ar520
Vgl. o.: 3. Teil B.II.2.c). S/S-Perron, § 34 Rn. 35, der ihn freilich nicht in der Angemessenheit verortet; aus dem Schrifttum zum Wirtschaftsstrafrecht Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 25; Tiedemann, AT, Rn. 193; Beck/Valerius, Fälle WiStra, Fall 4 Rn. 9; Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 932. 522 Diese überzeugende Einordnung trifft Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 41. 523 BayObLG NJW 1953, 1602, 1603. 524 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38. 525 OLG Hamm NJW 1952, 838. 521
B. Der rechtfertigende Notstand
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beitsplätze eines Unternehmens seien Rechtsgüter im Sinne von § 34 StGB.526 In dem zu entscheidenden Fall, dem Beispiel 6 nachgebildet ist, standen sich das Sicherheitsbedürfnis der Anwohner, die durch Flaschengasdämpfe zum Teil an ihrer Gesundheit geschädigt worden waren (§§ 223 ff. StGB) und die Produktionsinteressen des die schädigende Fabrik betreibenden Unternehmens und insbesondere die damit verbundenen Arbeitsplätze gegenüber. In derart gelagerten Sachverhalten verbietet sich für den rechtfertigenden Notstand aber schon dessen Struktur nach in aller Regel ein Ausschluss gemäß § 34 S. 2 StGB, wenn in konkret betroffene Individualrechtsgüter eingegriffen wird. Denn hinsichtlich einer Interessenkollision zwischen Schutzbelangen Einzelner besteht kaum je eine spezialgesetzliche Regelungen, der gemäß Selbsthilferechte ausgeschlossen wären. – Als Ausnahmefall ist den §§ 932 ff. BGB etwa zu entnehmen, dass der Eigentümer keine Selbsthilfe gegenüber einem gutgläubigen Erwerber üben darf, der von einem nicht Verfügungsberechtigten wirksam Eigentum übertragen bekommt. In aller Regel sind Interessenkonflikte zwischen Individualrechtsbelangen indes gesetzlich nicht abschließend geregelt. Gerade weil es in einem Streit z. B. um Gesundheitsgefahren wie in Beispiel 6 immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt und man etwa bei leichtem Laufen der Nase anders abwägen muss als bei stark vermehrtem Auftreten von Tumorerkrankungen, ist hinsichtlich des Schutzes von Einzelinteressen als Eingriffsgüter nur in seltenen Fällen ein genereller Ausschluss von § 34 StGB anzunehmen. Einen Sperrcharakter können regelmäßig nur solche Regelungen aufweisen, die den Schutz von universellen Rechtsbelangen im Auge haben und diesen grundsätzlich zum Zwecke des Gemeinwohls über die Belange des Einzelnen stellen.527 Wer etwa zum Erhalt von Produktionsinteressen oder Arbeitsplätzen Steuern hinterzieht (§ 370 AO), kann sich schon wegen des Allgemeinbezugs des Schutzguts nicht auf § 34 StGB berufen.528 Für die Kollision von Rechtsgütern Einzelner hält die Interessenabwägung des Notstands im Ausgangspunkt die passenden Regeln bereit, sodass nicht die §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG darüber entscheiden, ob auf Notstandsgesichtspunkte zurückgegriffen werden kann. Dass in Fällen wirtschaftlicher Existenzbedrohung die Grundsätze des Aggressivnotstands ggf. häufig zu einem eindeutigen Ergebnis kommen und insofern hohe Anforderungen an eine Rechtfertigung zu stellen sind, schließt nicht bereits die Anwendbarkeit der Notstands-
526 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 722, 723; ebenso StA Mannheim NJW 1976, 585, 586; zurückhaltender BGH JR 1997, 253, 254; im Ansatz auch schon BGHSt 5, 61, 66. 527 Vgl. dazu Lenckner, Notstand, S. 120 f.; zur Kollision von wirtschaftlichem Individualinteresse und kollektiven Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit anschaulich OGH NJW 1949, 472, 474. 528 Vgl. auch Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 3. Teil 3. Kap Rn. 272. Daneben stehen die besonderen Möglichkeiten der Finanzverwaltung – etwa durch Stundung auf wirtschaftliche Härten zu reagieren – einer angemessenen Notstandshandlung entgegen, vgl. o.: 3. Teil B.III.2. und sogleich.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
regelungen im Ganzen aus.529 Dass unternehmensbezogene Schutzbelange für eine Rechtfertigung nicht von vornherein auszublenden sind, zeigt sich i. Ü. auch an den Judikaten bzw. dem Diskussionsstand zur Kollision von Beitragsabführungspflicht und Massesicherungsgebot.530 b) Anforderungen an ein vorrangiges gesetzliches Verfahren Betrifft das Eingriffsgut aber ein Kollektivrechtsgut, so muss auch dies noch nicht zwangsläufig bedeuten, dass ein gesetzliches Verfahren abschließend und der rechtfertigende Notstand bei Existenzgefährdung eines Unternehmens damit per se ausgeschlossen ist. Wer meint, der Verlust von Arbeitsplätzen und Produktionseinbußen sei vom Gesetzgeber generell einkalkulierte gesetzliche Folge,531 verkennt nicht nur politische Realitäten, sondern gibt auch das für die Besonderheiten des Einzelfalls entworfene Instrument der Interessenabwägung vorschnell preis. Richtig ist, dass der rechtfertigende Notstand zur Erhaltung von Unternehmensinteressen dem Täter dort nicht weiterhilft, wo der Gesetzgeber die Straf- oder Bußbarkeit gerade unter dem Eindruck wirtschaftlicher Zwangslagen geschaffen hat. Dies gilt jedenfalls für „insolvenznahe Delikte“ wie die §§ 283 ff. StGB532 oder 15a InsO.533 Diese Erwägung greift demgegenüber nicht schon, wenn Delikte wie z. B. § 266a StGB oder auch § 26b UStG bzw. § 380 AO i.V.m. §§ 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 EStG534 nur rechtstatsächlich häufig im Umfeld der Insolvenz relevant werden, obwohl ihr Anwendungsfeld insgesamt weit darüber hinausgeht.535 An dem für einen Ausschluss der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB nötigen, vorrangigen Regelungscharakter fehlt es dann. – In der Gruppe insolvenznaher Delikte fehlt es an der Angemessenheit, da das gesetzliche Abwicklungsverfahren vorrangig und davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber in diesem besonderen Kontext wirtschaftliche Härten umfassend in seiner Entscheidung berücksichtigen konnte. Entsprechendes muss auch für die Steuerdelikte (§§ 369 ff. AO) gelten, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur wirtschaftlichen Zwangssituation erkennen lassen. Das Steuerstrafrecht hält jedoch für finanziell dringliche Situationen besonders konzipierte Möglichkeiten der Finanzverwaltung (§§ 163, 218 ff. AO) bereit, sodass ein 529 Ebenso Roxin, AT I, § 16 Rn. 90; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, § 34 Rn. 25; Tiedemann, AT, Rn. 193: „i. Zw. Vorrang der Gesundheitsinteressen“. 530 s. u.: 4. Teil E.I. 531 So LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38. 532 Abweichend für die Möglichkeit eines Rückgriffs auf § 34 StGB aber LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 118a. 533 Vgl. für dessen Vorgängervorschrift auch Richter, GmbHR 1984, 113, 120. 534 Vgl. BGH[Z] NZG 2011, 303, 304. 535 Ausführlich noch unten: 4. Teil E.II.4.a) m.w.N. Vgl. aber auch S/S-Perron, § 266a Rn. 18; Wiedner, in: G/J/W, WiStra, § 266a Rn. 82. Zu den hohen Anforderungen, die an den Institutionalisierungsgrad eines vorrangigen gesetzlichen Verfahrens zu stellen sind, s. o.: 3. Teil B.II.2.c). Vgl. schließlich zum Geltungsbereich von § 266a StGB, der über wirtschaftliche Engpässe hinausgeht, BT-Drucks. 10/318, S. 12 f.
B. Der rechtfertigende Notstand
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die Angemessenheit ausschließendes gesetzliches Verfahren vorliegt.536 Es bleibt für andere Delikte mit Wirtschaftsbezug im Einzelnen genau zu prüfen, inwieweit der Gesetzgeber wirtschaftlich prekäre Situationen bei Erlass der Strafrechtsnorm vollumfänglich bedacht hat und deshalb eine Notstandshandlung unter allen Umständen unangemessen sein muss. Voraussetzung für eine entsprechende Sperrwirkung müssen stets konkrete Anhaltspunkte sein. Im Hinblick auf Umwelt- oder etwa Körperverletzungsdelikte (strafrechtliche Produkthaftung) kann dies jedenfalls nicht ohne weiteres angenommen werden. Das Durchgreifen eines Unrechtsausschlusses ist dort anhand der Interessenabwägung zu klären. Entsprechendes trifft auch auf solche Straftatbestände zu, die das Vermögen im Ganzen schützen oder zumindest eine vermögensrechtliche Schutzrichtung aufweisen (z. B.: §§ 263, 266, 298 f. StGB537). Nicht jeder Vermögensbezug des Eingriffsguts rechtfertigt die Annahme, der Gesetzgeber habe Notsituationen vollständig der Selbsthilfe entziehen wollen.538 2. Abwägung bei Unternehmensgefährdung Verträgt sich ein genereller Ausschluss der Rechtfertigung in wirtschaftlichen Drucksituationen also für viele Delikte nicht mit der Notstandsdogmatik, ist auf der anderen Seite einer ausufernden Rechtfertigung der Verletzung von Wirtschaftsstraftatbeständen entgegenzuwirken. Entscheidend ist damit, dass die Güterabwägung als notstandseigenes Regulativ stringent durchgeführt wird. Insofern hat der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Unternehmensnotstand die widerstreitenden Interessen bedauerlicherweise nicht unter allen infrage kommenden Gesichtspunkten untersucht, sondern nur sehr knapp das Überwiegen des Erhaltungsinteresses an Arbeitsplätzen bzw. am Fortbestand des Unternehmens verneint.539 Betrachtet man die wissenschaftliche Diskussion im Dunstkreis der Gefährdung eines Unternehmens in §§ 34 StGB, 16 OWiG, so tauchen verschiedene Gesichtspunkte auf, für die hier im Einzelnen geklärt werden soll, welche Auswirkungen sie auf das Ergebnis der Interessenabwägung haben können.
536
Schmitz/Wulf, in: MüKo, § 370 AO Rn. 404; Wiese, in: Wannemacher, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 465 ff. 537 Für § 299 StGB geht die h.L. zumindest von einer Möglichkeit zur Rechtfertigung aus: Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 61 („rechtfertigender Notstand aufgrund wirtschaftlicher Bedrängnis ist vorstellbar“); vgl. weiter LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 56; Fischer, § 299 Rn. 23; Diemer/Krick, in: MüKo, § 299 Rn. 30. 538 A.A. Beck/Valerius, Fälle WiStra, Fall 4 Rn. 9; zum Immissionsschutzrecht Rudolphi, NStZ 1984, 248, 253. 539 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 722, 723; diese Einschätzung teilt Sack, JR 1997, 253, 255; abweichend StA Mannheim NJW 1976, 585, 586 – das Gericht habe sich „besonders eingehend“ mit der Frage des rechtfertigenden Notstands auseinandergesetzt. Diese Auslegung der Entscheidung dürfte allerdings damit zusammen hängen, dass sich die StA dem Ergebnis des BGH vollumfänglich anschließt, indem sie seine Formulierungen übernimmt und „fallbezogen ergänzt“.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
a) In der Unternehmensgefährdung betroffene Rechtsgüter Als Individualrechtsgut kann an der grundsätzlichen Notstandsfähigkeit des einzelnen Arbeitsplatzes nach allgemeinen Maßstäben zunächst einmal kein Zweifel bestehen.540 Dies wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Arbeitsplatz regelmäßig die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers darstellt und überdies in besonderem Maße zu dessen Selbstverwirklichung beiträgt. In erster Linie wird die Existenzgefährdung eines Unternehmens bzw. von Arbeitsplätzen in Form der Notstandshilfe relevant, wenn sich nämlich ein Wirtschaftsstraftäter auf eine Rettungshandlung zugunsten der Arbeitnehmer beruft.541 Andererseits ist eindeutig, dass für einen Eingriff des Notstandshelfers in die Rechtssphäre eines Dritten oder ein Schutzgut der Allgemeinheit die strengen Maßstäbe des „wesentlichen Überwiegens“ gelten müssen.542 Diese hohe Hürde wird regelmäßig nur zu überwinden sein, wenn zusätzliche Interessen berücksichtigungsfähig sind. Über die Arbeitsplätze hinaus werden im Rahmen des Unternehmensnotstands diejenigen Rechtsgüter geschützt, die sich auf bereits erworbenes Vermögen, d. h. den gegenwärtigen Güterbestand des Unternehmens, beziehen.543 Das gilt für das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ebenso wie für Anwartschaften, soweit sie nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen bereits Vermögenswert aufweisen.544 Keine Bedeutung kann in der Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten demgegenüber solchen Rechtspositionen zukommen, die bereits unter den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff fallen. Schließlich werden diese Rechtspositionen durch den Untergang eines Unternehmens gar nicht bedroht, d. h. ihnen muss bereits die Eigenschaft als mögliches Erhaltungsgut abgesprochen werden. Denn selbst mit der Vollbeendigung eines Rechtsträgers, d. h. dem vollständigen Fehlen von Aktiva im Gesellschaftsvermögen,545 gehen nicht die ihm zugeordneten einzelnen assets unter. Vielmehr ändert sich durch den Verteilungsprozess allein deren Werthaltigkeit, weil ihre Zerschlagungswerte in aller Regel geringer sein werden als ihr Vermögenswert bei einer Bewertung nach der going-
540 OLG Oldenburg NJW 1978, 1869; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57, der den Arbeitsplatz als Teil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs einordnet. Im Übrigen wird dessen Notstandsfähigkeit selbst von denen anerkannt, die eine Rechtfertigung in solchen Fällen unter keinen Umständen zulassen, vgl. LK12-Zieschang, § 34 Rn. 22. 541 Vgl. LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 118a; zur Rettung des eigenen Arbeitsplatzes, s. u.: 4. Teil C.II. 542 Vgl. etwa LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 78 m.w.N. 543 Vgl. auch Krause, Ordnungsgemäßes Wirtschaften, S. 384; Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 256 weist zutreffend darauf hin, dass die Grenzen zwischen Wertschaffung und Wertschutz fließend sein können. 544 s. o.: 3. Teil B.II.1.; für das Wirtschaftsstrafrecht Dann, wistra 2011, 127, 128 Fn. 18, 130; vgl. insofern auch die lebendige Diskussion zur Untreue NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 98; jüngst BVerfG NJW 2010, 3209, 3216 m. Anm. Saliger, NJW 2010, 3195, 3197. 545 Siehe zur Vollbeendigung nur K. Schmidt, in: MüKo HGB, § 155 Rn. 52.
B. Der rechtfertigende Notstand
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concern-Methode.546 Dieser geringere Veräußerungswert einzelner Vermögensbestandteile, der freilich ein beachtliches Ausmaß annehmen kann, muss für das normativ geprägte Urteil der Güterabwägung jedoch ohne Belang sein, weil der rechtfertigende Notstand kein „Recht auf bestmögliche Verwertung“ gewähren kann. Eine derartige Wertoptimierung ist der Interessenabwägung fremd: Ebenso wenig wie der berühmte, aber mittellose Künstler nicht die von ihm benötigten Materialien stehlen darf,547 kann der Geschäftsleiter Wirtschaftsstraftaten begehen, weil die Produktionsmittel in seiner Hand möglicherweise effizienter genutzt und deshalb vom Markt höher bewertet werden. Ein erheblicher Teil der vom Unternehmen gehaltenen Rechts- und Vermögenspositionen ist also zugunsten eines Notstandstäters, der diese durch das Begehen einer wirtschaftsbezogenen Straftat zu retten bestrebt ist, nicht in Ansatz zu bringen. b) Die Bedeutung der Arbeitsplätze Besondere Beachtung findet in Ausführungen zum Unternehmensnotstand immer wieder die Bedeutung der Arbeitsplätze. Dies ist sicher nicht zuletzt deswegen der Fall, weil der delinquente Arbeitgeber – für das Wirtschaftsstrafrecht typisch548 – auch altruistische Motive zu seinen Gunsten anführen kann. Dabei ist der rechtliche Schutz des Arbeitsplatzes nicht auf die entgeltliche Gegenleistung an den Arbeitnehmer begrenzt. Arbeit wird vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts auch als soziale Entfaltung der Persönlichkeit begriffen.549 So hat denn auch die Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung den Wert des einzelnen Arbeitsplatzes immer wieder explizit anerkannt.550 Die Bedeutung des einzelnen Beschäftigungsverhältnisses ist dabei unabhängig von der konkreten gesamtwirtschaftlichen Situation, die alle am Erwerbsleben Beteiligten gleichermaßen betrifft. Eine Verneinung bereits der Notstandslage aufgrund einer sog. „Jedermannsgefahr“ erscheint als zu pauschal.551 Im Gegenteil können individuelle Prägung und Umstände eines konkret bedrohten Arbeitsplatzes auf das Ergebnis der Notstandsabwägung durchaus von Einfluss sein. So wird einem Notstandstäter, der zugunsten von älteren Arbeitnehmern im stark subventionierten Steinkohleabbau eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, eher eine Rechtfertigung zuzugestehen sein als jemandem, der zugunsten von jungen Arbeitnehmern handelt, die ohne größeren Aufwand eine entsprechende Beschäftigung finden könnten.552 546
Vgl. nur Piehler/Schulte, in: Hdb. Gesellschaftsrecht Bd. I, § 75 Rn. 26. Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 255; S/S-Perron, § 34 Rn. 1. 548 s. o.: 2. Teil A.; ferner Samson/Langrock, DB 2007, 1684 ff. 549 Müller-Glöge, in: MüKo BGB, § 611 Rn. 973 m.w.N. zur st. Rspr. des BAG; für die Notstandserheblichkeit auch Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 48. 550 Eindringlich etwa LG Fürth NJW 1988, 1856, 1857. 551 Vgl. aber LK12-Zieschang, § 34 Rn. 38. Ausführlich schon oben: 3. Teil B.II.1.c). 552 Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 42; vgl. auch BayOblG NJW 1953, 1602, 1603, das den Arbeitsplatz zu einem Allgemeinrechtsgut hochstilisiert, wenn nicht genügend gleichwertige 547
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Kontrovers beurteilt wird insofern die Frage, ob die Anzahl der betroffenen Arbeitsplätze zugunsten des Notstandstäters ins Gewicht fallen kann. Insbesondere die Nachkriegsrechtsprechung hat maßgeblich auf solche quantitativen Kriterien abgestellt.553 Dies entspricht schon dem Grundsatz der allgemeinen Notstandsdogmatik, dass alle widerstreitenden Interessen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind.554 Gegen einen numerischen Vergleich wird allerdings angeführt, einem großen Unternehmen könne nicht erlaubt sein, was einem kleinen verboten ist.555 Der Einwand verkennt die Bedeutung von Relationen im Rahmen der Interessenabwägung: Behandelte man große und kleine Arbeitgeber im Hinblick auf das Eingriffsgut (z. B. Grad der Wasserverschmutzung, Höhe der nichtabgeführten Abgaben etc.) genau gleich, würde man als Folge einer solchen Abwägung zwangsläufig Umfang und Bedeutung von Erhaltungsinteressen außer Acht lassen. Dies führte dazu, dass man das Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung, welches einen anerkannten Gesichtspunkt der Abwägung darstellt,556 vernachlässigte. Eine gleiche Behandlung kann deshalb nur relativ zur Unternehmensgröße und nicht absolut mit Blick auf den eingetretenen Verletzungserfolg gewährleistet werden. Denn es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ein Binnensee deswegen umkippt, weil der größte Arbeitgeber der Region durch Modernisierungsmaßnahmen in die Insolvenz getrieben würde (vgl. auch Beispiel 7) oder ob das Umkippen auf das unsaubere Wirtschaften eines Betriebs mit fünf Angestellten zurückzuführen ist. Damit ist abstrakt zwar dargetan, dass jedem einzelnen Arbeitsplatz als Erhaltungsgut im Rahmen der Interessenabwägung Gewicht beizumessen ist. Dennoch wird ein entsprechender Unrechtsausschluss in aller Regel ausscheiden. Es finden sich nämlich eine Reihe von Gesichtspunkten, welche die Bedeutung des einzelnen Beschäftigungsverhältnisses im Ergebnis erheblich relativieren. So ergibt sich schon aus dem Verfassungsrecht, dass einer „Verrechtlichung“ von sozialen Vorstellungen, d. h. einer Gleichstellung mit gesetzlich verbürgten Rechtsgütern wie z. B. dem Eigentum, mit äußerster Zurückhaltung zu begegnen ist. Denn das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 2 GG, das die öffentlich-rechtliche Seite sozialer Gewährleistungen darstellt, ist als bloße Staatszielbestimmung ausgestaltet und äußerst restriktiv auszulegen.557 andere Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Dass die Bedeutung eines Arbeitsplatzes im Rahmen der Interessenabwägung unterschiedlich ausfallen kann, meint wohl auch das OLG Hamm NJW 1952, 838, wenn es dessen Wert „den Kulturanschauungen der Gegenwart“ entnehmen will. 553 OLG Hamm NJW 1952, 838, 839; OLG Köln NJW 1953, 1844, 1845; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 248 Fn. 136; Müller, NJW 1964, 1351, 1353 verweist auf eine „Katastrophenstimmung“, die bei Massenentlassungen entstehen könne. 554 Vgl. nur Fischer, § 34 Rn. 12 f.; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 6. 555 Vgl. S/S-Perron, § 34 Rn. 35; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 182. 556 Statt Vieler Kühl, AT, § 8 Rn. 120 ff. 557 Siehe nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VIII. Rn. 3, 23; aus strafrechtlicher Sicht auch Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 549.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Damit einhergehend besteht in sozialen Belangen auch keine umfassende Schutzpflicht des Staates. Im Gegenteil ist sozialer oder wirtschaftlicher Wandel immer mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen an einer Stelle verbunden. M.a.W. hat der Gesetzgeber den Verlust von Arbeitsplätzen zwar nicht allgemein einkalkuliert, er ist aber schon von Verfassungs wegen gehalten, ihn eher zu akzeptieren als den Verlust anderer Schutzinteressen, die ihre Verankerung im GG finden. Diese Wertung muss auch zulasten desjenigen ausschlagen, der wie die Geschäftsführung der U-GmbH in Beispiel 6 unter Notstandsgesichtspunkten die passive Mindestsolidarität Einzelner bzw. der Allgemeinheit in Anspruch nehmen will. Denn seine Eingriffsbefugnisse reichen regelmäßig nicht weiter als die einer hoheitlich handelnden Behörde oder Körperschaft, der die Verwaltung eines Kollektivrechtsguts überantwortet ist. Schließlich ist zum Nachteil des Rechtsguts Arbeitsplatz zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um die Realisierung „vertraglicher Risiken“ handelt, für die gesetzliche Regelungen bestehen (vgl. § 1 Abs. 2, 3 KSchG). Es erschiene widersprüchlich, einem Rechtsgut einen überhöhten Wert zuzumessen, dessen Verlust die Vertragsparteien bereits vorausgesehen haben oder zumindest hätten voraussehen müssen. Auch im Strafrecht findet der Gedanke der bloß relativen Bedeutung von Arbeitsplätzen in anderem Zusammenhang Berücksichtigung. So ist im Rahmen der Insolvenzdelikte etwa anerkannt, dass Entgeltansprüche der Arbeitnehmer zwar dem Schutzbereich der §§ 283 ff. StGB unterfallen. Nach allgemeiner Meinung kommt ihnen aber kein Vorrang vor den Interessen anderer Gläubiger zu.558 Vorstehende Erwägungen machen deutlich, dass der einzelne Arbeitsplatz in seiner Ausprägung als sozialstaatliches Ziel zwar der Notstandsabwägung zugänglich ist, dass er aber eher Einschränkungen hinzunehmen hat als andere rechtlich verfestigte Interessen. c) Weitere Aspekte der Interessenabwägung Ein weiterer Gesichtspunkt, der die Belange auf Erhaltungsseite, d. h. zugunsten des notleidenden Unternehmens, im Rahmen der Interessenabwägung abschwächt, ist derjenige der Wettbewerbsverzerrung.559 Denn die Rechtfertigung unter dem Eindruck einer wirtschaftlichen Notsituation hat zumindest mittelbar nachteilhafte Auswirkungen auf das Marktumfeld. Das Zugestehen eines Unrechtsausschlusses wird zwar nicht zwangsläufig dazu führen, dass auch andere Wettbewerber dann die Verbotsnormen des relevanten Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts nicht werden einhalten können.560 Gleichwohl geht von jeder sanktionslosen Zuwiderhandlung gegen wirtschaftsbezogene Verbote eine negative Vorbildwirkung aus, die faktisch den Anreiz schaffen kann, es wirtschaftlich „so weit kommen zu lassen“ und dann die Vorschriften zu überschreiten. Insofern schwächt der Schutz von geordnetem und 558
Statt Vieler LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 51 f.; Radtke, in: MüKo, Vor § 283 Rn. 9 m.w.N. 559 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 182. 560 A.A. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 182 unter Anführung eines wenig überzeugenden Beispiels, das auf Lenkzeiten von LKW-Fahrern Bezug nimmt.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
fairem Wettbewerb unternehmensbezogene Interessen in wirtschaftlichen Notlagen zusätzlich ab. Sicher kann gemäß den allgemeinen Grundsätzen über das schuldhafte Vorverhalten zum Nachteil des Täters561 auch berücksichtigt werden, dass dieser sich sehenden Auges in die Notstandssituation begeben hat.562 Wie schon beim Geldnotstand ist im Rahmen wirtschaftlicher Entscheidungen aber auch hier der Verschuldensmaßstab nur dann zulasten des Täters in Ansatz zu bringen, wenn und soweit die Grenzen einer unternehmerischen Entscheidung überschritten werden (§§ 93 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG). Dem teilweise aufzufindenden Postulat, dass zur Abwendung der Existenzgefährdung „alles wirtschaftlich und technisch Mögliche“563 im Vorfeld der Notstandslage getan worden sein müsse, kann in der Sache keine verschärfende Bedeutung zukommen. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf das Schutzniveau des Eingriffsguts (also etwa die Gesundheitsgefahr der Anwohner, den Vermögensschaden eines Dritten etc.) auch anderweitige rechtliche Wertungen bedeutsam sind. So kann etwa nach § 906 Abs. 2 BGB der Schutz des Eingriffsguts relativiert sein, weil in einem Gewerbegebiet gewisse Einwirkungen nicht ausgeschlossen werden können. In Beispiel 6 kommt es deswegen zu einer Rechtfertigung der für die U-GmbH Handelnden, wenn die von der Produktion ausgehenden wesentlichen Beeinträchtigungen zu dulden wären und eine Stilllegung von den betroffenen Anliegern nicht verlangt werden konnte.564 In ähnlicher Weise würde das Schutzniveau durch vorherige Behördenentscheidungen abgeschwächt, wenn z. B. ein gewisses Ableitungsvolumen einem anderen Betrieb genehmigt worden wäre. Auch sind bloß temporäre Beeinträchtigungen für die Träger von Eingriffsgütern eher einmal hinzunehmen als unumkehrbare Vorgänge.565 3. Zwischenergebnis: Notstand und Unternehmensgefährdung Die Ergebnisse zum immer wieder diskutierten Fragenkomplex des Notstandes in wirtschaftlichen Zwangslagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Stehen der Fortbestand eines Unternehmens und die damit verbundenen Schutzbelange wie namentlich Arbeitsplätze als Erhaltungsgüter auf dem Spiel, ist zunächst zu prüfen, inwieweit der Gesetzgeber deren Verlust bereits als gesetzlich einkalkulierte Nebenfolge in Kauf genommen hat. In solchen Fällen ist die Angemessenheit der
561
s. o.: 3. Teil B.II.2.b); vgl. zum Folgenden auch Beck, ZStW 124 (2012), 660, 670 ff. OLG Stuttgart ZfW 1976, 378, 382; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 50; Schall, NStZ 1992, 209, 215 m.w.N. 563 OLG Stuttgart ZfW 1977, 118, 124; ZfW 1977, 177, 182; Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 51 f. m.w.N. 564 Vgl. auch BGH bei Dallinger, MDR 1975, 722, 723. 565 Vgl. zu dieser Erwägung auch nochmals OLG Stuttgart ZfW 1977, 118, 124. 562
B. Der rechtfertigende Notstand
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Notstandshandlung wegen vorrangigen gesetzlichen Verfahrens nach §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG ausgeschlossen. Von einem solchen Ausschluss ist in aller Regel indes dann nicht auszugehen, wenn wie in Beispiel 6 Individualrechtsgüter beeinträchtigt werden sollen. Sind dagegen Schutzbelange der Allgemeinheit als Eingriffsgüter betroffen, so scheidet ein rechtfertigender Notstand aus, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber sich mit dem Verlust unternehmensbezogener Interessen abgefunden hat. Dies ist etwa bei Delikten der Fall, die typischerweise unter dem Eindruck wirtschaftlicher Notlagen begangen werden oder in deren Rahmen ein spezielles Verfahren zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Engpässe eingeführt worden ist. In allen anderen Fällen stellt die Interessenabwägung des Notstands das entscheidende Korrektiv bereit, wobei Arbeitsplätze und sonstige Unternehmensgüter zu beachten sind, soweit diese sich nicht in ihrem Charakter als zivilrechtliches Eigentum des Inhabers erschöpfen. Gerade der Erhalt von Beschäftigung ist indes in seiner Bedeutung für die Güterabwägung nicht zu überschätzen, weil diese bloß Teil eines Staatsziels ist und sich im Falle des Arbeitsplatzverlustes allein ein vertragliches Risiko realisiert. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass auch der Schutz gleichberechtigten Wettbewerbs die Bedeutung von Unternehmensinteressen im Rahmen des Notstands relativiert. Damit ist dargelegt, was eingangs nur behauptet worden ist: Aufgrund hoher Anforderungen im Rahmen der Notstandshandlung kann das Interesse an der Erhaltung eines Unternehmens nur in seltenen Fällen den Notstandstäter rechtfertigen.566 Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass Erhaltungsbelange wie bedeutsame Unternehmensinteressen, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder eine Vielzahl von Arbeitsplätzen einer strafbewehrten Pflichtverletzung unter Notstandsgesichtspunkten auch einmal das Unrecht nehmen.567 In Beispiel 6 streiten demgegenüber die Höchstpersönlichkeit der betroffenen Eingriffsgüter sowie die Möglichkeit technischer Nachbesserung (Erforderlichkeit) gegen einen Unrechtsausschluss der Geschäftsführung in der U-GmbH. Dem Einwand überhöhter Kosten, die mit einer technischen Aufrüstung verbunden wären, ist zu entgegnen, dass der Bezugspunkt des mildesten Mittels die Geeignetheit der Gefahrenabwehr, nicht aber der mit der Rettungshandlung verbundene Aufwand für den Notstandstäter ist.568
566 Insoweit übereinstimmend Tiedemann, AT, Rn. 193; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 41; S/S-Perron, § 34 Rn. 35; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 4; NK-Neumann, § 34 Rn. 120; S/S/W-Saliger, Vor § 324 Rn. 78. 567 Wie hier Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 168. 568 Vgl. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 94 f. Der Einwand wird auch in Beispiel 5 von der BGmbH vorgebracht.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
VI. Exkurs: Grenzüberschreitende Bestechungen aus Deutschland heraus in ein korruptes Marktumfeld im Ausland Abgerundet werden soll die Betrachtung zum rechtfertigenden Notstand in der Wirtschaftsdelinquenz mit einigen Überlegungen zu einer bisher nur im Ansatz diskutierten Fallgruppe, die sich unmittelbar an das Gesagte anschließt. Es geht um die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens eines Täters, der wie A in Beispiel 9 aus dem Inland heraus zur Erlangung eines ausländischen Auftrages für sein Unternehmen „schmiert“, weil in dem betreffenden Umfeld keine Aussicht besteht, auf andere Weise ein Geschäft abzuschließen.569 Ist in einem ausländischen Markt Korruption allgegenwärtig und nimmt der ausländische Staat diesen Zustand zumindest hin, wird ein Marktteilnehmer sich der vorherrschenden Praxis beugen oder aber einen mit wirtschaftlichen Nachteilen verbundenen Rückzug aus der Region antreten müssen.570 Das Problemfeld zeichnet sich zwar durch eine augenscheinliche Praxisrelevanz für Entscheidungsträger deutscher Unternehmen aus,571 hat in der wissenschaftlichen Diskussion bislang dennoch eher ein Schattendasein geführt.572 Die Betrachtung muss einführend klären, welche strafrechtlichen Grundlagen Anwendung finden und wie verschiedene Sachverhalte mit Auslandsbezug richtig zu erfassen sind. Erst dann kann in einem zweiten Schritt dargestellt werden, welchen Beitrag der rechtfertigende Notstand im Kontext von Auslandsbestechungen zu leisten vermag.
569
An dieser Stelle nicht näher zu erörtern ist dagegen die für die internationale Wirtschaftskorruption ebenfalls bedeutsame Frage, ob ein Bestechender, der gleichzeitig Opfer einer Schmiergelderpressung durch ausländische Beamte (IntBestG) oder private Auftragsgeber ist, sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen kann. Insofern handelt es sich um einen Fall des Nötigungsnotstands, der richtigerweise auf Schuldebene relevant wird, siehe Fn. 99. Vgl. zum Diskurs über erpresste Schmiergelder in der Lehre Heinrich, in: Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf, BT, § 49 Rn. 61; Korte, in: MüKo, § 334 Rn. 27 a.E.; Arzt, JZ 2001, 1052, 1054 f.; zum Ganzen auch ders., in: FS Stöckel, S. 15, 19 ff., 22. Nur wer wie Dann, wistra 2011, 127, 132, hinsichtlich der deliktssystematischen Einordnung des Nötigungsnotstands anders entscheidet, wird die Wertungsebene der Rechtfertigung zur Problemlösung bemühen können. I. E. stimmt man in der aufkeimenden Diskussion freilich zu Recht darin überein, dass mit einer Strafverfolgung des Erpressungsopfers keine wirkliche Abhilfe geschaffen werden kann. 570 Vgl. Dann, wistra 2011, 127, 129; Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 49 Rn. 61. 571 Vgl. Wollschläger, StV 2010, 385; die Bereitschaft deutscher Unternehmen zu Schmiergeldzahlungen fällt dabei nach Recherchen von Amnesty International im internationalen Vergleich z. Zt. eher gering aus, vgl. Bribe Payers Report 2008, in: Global Corruption Report 2008, S. 404, einsehbar unter: http://www.transparency.org/publications/gcr/gcr_2008, zuletzt eingesehen am 18. Juni 2011. 572 Siehe nur Rönnau, JZ 2007, 1084, 1085.
B. Der rechtfertigende Notstand
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1. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts und Bedeutung der Sozialadäquanz Zentral für die Beurteilung von Korruptionssachverhalten im geschäftlichen Verkehr mit Auslandsbezug ist zunächst die Bedeutung des im Jahr 2002 neu eingeführten § 299 Abs. 3 StGB.573 Wer in dieser Vorschrift eine Erweiterung des Handlungsortes i.S.d. §§ 3 ff. StGB oder die Einführung des Weltrechtsprinzips erblicken wollte,574 wird jede Tat mit Auslandsbezug gleichermaßen ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilen haben. Die heute ganz h.M. sieht das zu Recht anders und hält in Ansehung von Taten mit Auslandsbezug weiterhin die §§ 3 ff. StGB für maßgeblich.575 Danach müssen zwei Sachverhalte unterschieden werden: Handelt der Täter ausschließlich im Ausland, gewährt, verspricht oder bietet er also dort entgegen dem Verbot von § 299 Abs. 2 StGB einen Vorteil an, so bedarf es eines Heranziehens von Notstandsgesichtspunkten von vornherein nicht. Denn Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist dann gemäß § 7 Abs. 2 StGB, dass die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist. In diesem Fall fließen Aspekte der „Sozialadäquanz“ von Korruption im ausländischen Staat, d. h. der Rechtslage im Ausland, über § 7 Abs. 2 Nr. 1, 1. Var. StGB schon nach der insofern maßgeblichen lex loci mit in die Bewertung der Tat ein. Dies gilt auch, wenn und soweit die Tat im Ausland gerechtfertigt oder entschuldigt ist.576 Hätte A in Beispiel 9 also selbst in Thailand gehandelt und U dort auch bestochen, wäre er mangels (hier unterstellter) thailändischer Strafandrohung für die „nachträgliche Vertragsanpassung“ nicht nach § 299 StGB in Deutschland zu belangen gewesen. Aufgrund der Anknüpfung in § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB an (irgend)eine577 Strafdrohung in der einschlägigen ausländischen Rechtsordnung würde die Frage nach einem Unrechtsausschluss obsolet: Liegt eine Strafdrohung im Ausland vor, beurteilt sich der Sachverhalt dann materiell nach deutschem Recht, sodass sich ein Unterschied zu einem Inlandssachverhalt nicht ergibt. Fehlt es an der Strafdrohung im Ausland, ist der Täter straflos. Vor größere Probleme wird der Rechtsanwender dagegen gestellt, wenn nicht ausschließlich das Ausland betroffen ist, sondern zusätzlich ein Bezug zum deutschen Inland besteht. So werden die Dinge zumindest in größeren deutschen Unternehmen regelmäßig liegen. Denn bereits die Anweisung von Bestechungsgeldern, die von A 573
Gesetz zur Ausführung […] der gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. 8. 2002 (BGBl. I S. 3387). 574 Vgl. Dölling, in: Dölling, Hdb. Korruptionsprävention, 1. Kap. Rn. 1 ff.; Haft/Schwoerer, in: FS Weber, S. 367, 382 f. 575 Tiedemann, BT, Rn. 216; Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 54 f.; ders., JZ 2007, 1084, 1085; Weigend, in: FS Jakobs, S. 747, 756; Weidlich/Fietz, RIW 2005, 423, 426; S/ S-Heine, § 299 Rn. 29a; NK-Dannecker, § 299 Rn. 75; Wollschläger, StV 2010, 385, 387; vgl. außerdem BR-Drucks. 548/07, S. 12. 576 Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086; Möhrenschlager, in: Wabnitz/Janovsky, 3. Kap. Rn. 40; Wollschläger, StV 2010, 385, 387; NK-Dannecker, § 299 Rn. 79b. 577 Der BGHSt 2, 160, 161; 42, 275, 277 lässt ausreichen, dass die Tat im Ausland unter „irgendeinem Gesichtspunkt mit Strafe bedroht ist“.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
in Beispiel 9 innerhalb der Grenzen Deutschlands erteilt wird, weist eine solche Inlandsbindung auf, §§ 3, 9 Abs. 1 StGB. Weiterhin ist das Einschalten eines Dritten zur Auftragserlangung im Ausland von Deutschland aus als Anstifterhandlung strafbar, ohne dass es darauf ankäme, ob die Tat im Ausland überhaupt mit (irgendeiner) Strafe bedroht ist, § 9 Abs. 2 S. 2 StGB.578 Unter solchen Vorzeichen greift immer schon die volle Härte des deutschen Korruptionsstrafrechts. Die Vorgaben der ausländischen Strafrechtsordnung sind ebenso belanglos wie die dort vorherrschende Praxis des Gesetzesvollzugs. Die heimische Strafverfolgung erscheint für den Betroffenen dann umso misslicher, wenn das Verhalten des Dritten an dessen Einsatzort bzw. die Teilnahmehandlung selbst rechtlich gebilligt oder zumindest geduldet wird und aufgrund der deutschen Strafandrohung deshalb Wettbewerbsnachteile zu befürchten sind.579 Für eine ausländische Bestechung im geschäftlichen Verkehr soll daher im Folgenden untersucht werden, welchen Beitrag der rechtfertigende Notstand zugunsten des deutschen Täters leisten kann, wenn sich ein Bezug zum Inland ergibt. 2. Rechtfertigung grenzüberschreitender Bestechungshandlungen gemäß § 34 StGB? a) Widerspruch zwischen grenzüberschreitenden und im Ausland vorgenommenen Bestechungshandlungen sowie Erwägungen zu einer Tatbestandseinschränkung Schon auf den ersten Blick mutet merkwürdig an, dass die ausländischen Gepflogenheiten zugunsten des Täters nur dann Anwendung finden sollen (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB), wenn er selbst im Ausland handelt, nicht dagegen, wenn seine – bei Anstiftung und Beihilfe sogar regelmäßig weniger verwerfliche – Tathandlung Inlandsbezug aufweist. In letztgenannten Fällen fehlt es jedoch am „Einfallstor“ für andersartige ausländische Maßstäbe.580 Diese wenig befriedigende und von Zufälligkeiten im Tathergang abhängige Gesetzeslage hat zu einer Suche nach Abhilfe geführt, in deren Verlauf verschiedene Lösungsmöglichkeiten erwogen worden sind: Zum einen wurde vorgeschlagen, die §§ 3, 9 StGB in ihrer Anwendbarkeit teleologisch so zu reduzieren, dass bei Fehlen einer deutschen Standards entsprechenden Wettbewerbsordnung § 299 StGB nicht anzuwenden sei, wenn eine Angestelltenbestechung mit Auslandsbezug aus dem Inland heraus begangen wurde.581 Eine solche Lösung über die Grundsätze der Tatbestandseinschränkung begegnet 578 Zum Ganzen Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086; Weidlich/Fietz, RIW 2005, 423, 427; vgl. auch BGH[Z] NJW 1968, 1572, 1575. 579 Wollschläger, StV 2010, 385; Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 49 Rn. 61. 580 Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086. 581 Wollschläger, StV 2010, 385, 387 f.; vgl. ferner NK-Dannecker, § 299 Rn. 74 Fn. 14 m.w.N.
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schon deswegen Bedenken, weil mit Einführung des Abs. 3 in § 299 StGB gerade der sog. „Weltwettbewerb“ geschützt werden sollte.582 Die Regierungsbegründung formuliert: „Tatbestandlich erfasst werden sollen alle wettbewerbsrelevanten Bestechungshandlungen, also unabhängig davon, auf welchem Markt sie vorgenommen wurden.“583 Man wird deshalb kaum davon ausgehen können, dass die Vorschrift nur unter dem Vorbehalt eines hinreichenden Wettbewerbsschutzes der ausländischen Rechtsordnung eingeführt wurde.584 Ungeachtet der unterschiedlichen Bedingungen im globalen Wettbewerb wollte der Gesetzgeber mit der Vorschrift ein rechtspolitisches „Signal“ setzen,585 wonach eine Angestelltenbestechung nach deutschem Strafrecht in keinem Fall zulässig sein sollte. Vor diesem Hintergrund erschiene es widersprüchlich, das nötige „Unrechtsquantum“ im Einzelfall wegen Üblichkeit im Ausland zu verneinen,586 weswegen eine teleologische Reduktion aufgrund von Sozialadäquanz heute ganz überwiegend abgelehnt wird.587 Je nach Lage des Einzelfalls könnte man freilich daran zweifeln, ob eine „Abwehrbestechung“ bei Erpressungen durch Angestellte oder in erpressungsähnlichen Situationen den Bestechenden überhaupt „in unlauterer Weise“ bevorzugen würde.588 Eine tatbestandliche Ausklammerung solcher Fälle, in denen der Vorteilsempfänger „wirtschaftlichen Druck“ auf den Bestechenden ausübt, erscheint jedoch schon rechtstatsächlich schwierig, wenn man bedenkt, dass regelmäßig entsprechende Erwartungen wohl dem Bestechenden gegenüber nicht explizit geäußert werden. Darüber hinaus ist in rechtlicher Hinsicht zu beachten, dass dem Merkmal „in unlauterer Weise“ nach überwiegender Auffassung kaum eine eigenständige Bedeutung zukommt.589 Auch wenn man die Erhaltung der Sachgerechtigkeit einer „freien“ Marktentscheidung für maßgeblich hält,590 bleibt unklar, 582 Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 53; vgl. ferner Lackner/Kühl, § 299 Rn. 1; Fischer, § 299 Rn. 2a jeweils m.w.N. Dies verkennt Wollschläger, StV 2010, 385, 387, wenn er bezweifelt, dass durch Anwendung des § 299 StGB in Fällen mit Auslandsbezug aus dem Inland heraus überhaupt Rechtsgüterschutz betrieben werden soll. 583 BT-Drucks. 14/8998, S. 10. 584 NK-Dannecker, § 299 Rn. 74; a.A. Wollschläger, StV 2010, 385, 387 f. 585 Vgl. Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 53; Bernsmann/Gatzweiler, Korruptionsfälle, Rn. 821: „irreales Interesse an einem fiktiven globalen Wettbewerb“; für eine restriktive Handhabung der Strafbarkeit bei sozialer Duldung von Bestechungen im Ausland auch LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 63. 586 Vgl. zur Unterscheidung von Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung: 2. Teil B.II.1. 587 Mölders, Bestechung, S. 232; NK-Dannecker, § 299 Rn. 74; Rönnau, in: Achenbach/ Ransiek, III 2 Rn. 53 Fn. 376 a.E.; vgl. auch Dann, wistra 2011, 127, 129 (für „nur faktisch toleriertes korruptionsfreundliches Umfeld“); Fischer, § 299 Rn. 2a. 588 Vgl. Dann, wistra 2011, 127, 129 unter Verweis auf Horrer, KritV 2010, 304, 315. 589 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen NK-Dannecker, § 299 Rn. 53; Fischer, § 299 Rn. 16; Tiedemann, BT, Rn. 200, 208; Mitsch, BT II/2, § 3 Rn. 237; Blessing, in: MüllerGugenberger/Bieneck, § 53 Rn. 77; Koepsel, Bestechlichkeit, S. 108; vgl. auch Rönnau, StV 2009, 302, 304. 590 Vgl. nur S/S/W-Rosenau, § 299 Rn. 24; S/S-Heine, § 299 Rn. 19 m.w.N.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
weswegen nicht auch eine Abwehrbestechung zu „unwirtschaftlichen“ Entscheidungen auf Seiten des Bestochenen führen soll oder ein wettbewerbsgefährdendes Umfeld nicht zumindest begünstigt. Für Beispiel 9 wird deshalb davon ausgegangen, dass A durch sein Verhalten den Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr erfüllt. b) Möglichkeit des Rückgriffs auf § 34 StGB? Zum anderen wurde als alternativer Lösungsweg wiederholt erwogen, die Grundsätze des rechtfertigenden Notstands zu bemühen, wenn sich eine Auslandsbestechung oder eine Teilnahme daran nach den §§ 3, 9 StGB richtet.591 Einen entsprechenden Fall veranschaulicht die Weisung des A in Beispiel 9 an den thailändischen Repräsentanten R, das Geld auszubezahlen. Insofern kann an die bisherigen Ausführungen angeknüpft werden. Denn zunächst ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei Erlass von § 299 StGB jede wirtschaftliche Notlage bedacht oder aber die Einbuße von Wirtschaftsgütern sehenden Auges in Kauf genommen hat. Wie vorstehend ausgeführt, steht die Vorschrift weder im Zusammenhang mit typisierten Folgen einer finanziellen Drucksituation des Unternehmens noch kann eine solche anderweitig – etwa durch ein besonderes Verfahren – berücksichtigt werden. Ein Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand bleibt also möglich, ohne dass eine Notstandshandlung stets gemäß § 34 S. 2 StGB als unangemessen zu bewerten wäre. Indes wird die Erforderlichkeitsprüfung bzw. Interessenabwägung nach den dargestellten Grundsätzen regelmäßig nicht zugunsten eines Wirtschaftsstraftäters ausschlagen, wenn dieser Produktion oder Arbeitsplätze durch eine Bestechung i.S.v. § 299 Abs. 2 StGB zu erhalten versucht.592 Im Folgenden soll anhand der Notstandsvoraussetzungen untersucht werden, ob zusätzliche Erwägungen zu berücksichtigen sind, wenn auf Eingriffsseite nicht der inländische, sondern vielmehr der ausländische Wettbewerb nach § 299 Abs. 3 StGB das Eingriffsgut darstellt.593 Für Beispiel 9 ist zu beachten, dass der Zahlungsanspruch zugunsten der S-AG, der sich aus dem wirksam mit dem thailändischen Unternehmen U abgeschlossenen 591 Bernsmann/Gatzweiler, Korruptionsfälle, Rn. 820; Androulakis, Globalisierung der Korruptionsbekämpfung, S. 433 f.; Dann, wistra 2011, 127 ff.; in dieselbe Richtung Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086 – ob § 34 StGB hinsichtlich Abwehrbestechungen im notorisch korrupten Ausland ausscheide, werde „zu prüfen sein“; vgl. auch Wollschläger, Täterkreis des § 299 Abs. 1 StGB, S. 88 ff.; a.A. wohl Fischer, § 299 Rn. 23a. 592 Siehe zum Ganzen oben: 3. Teil B.; für den Tatbestand des § 299 StGB teilt dieses Ergebnis die ganz h.M.: LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 56; Sahan, in: G/J/W, WiStra, § 299 Rn. 62; Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086; ders., in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 61; Diemer/ Krick, in: MüKo, § 299 Rn. 30; NK-Dannecker, § 299 Rn. 81; a.A. Dann, wistra 2011, 127, 131, der in Fällen wirtschaftlicher Existenzgefährdung eine Rechtfertigung nach § 34 StGB für möglich hält, ohne zwischen der Lauterkeit des inländischen und des ausländischen Wettbewerbs zu unterscheiden. 593 Vgl. Androulakis, Globalisierung der Korruptionsbekämpfung, S. 434; Rönnau, JZ 2007, 1084, 1086.
B. Der rechtfertigende Notstand
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Vertrag ergibt, eine notstandsfähige Vermögensposition auf Erhaltungsseite darstellt (vermögenswerte Exspektanz).594 c) Geeignetheit und Erforderlichkeit Zunächst ist festzuhalten, dass A in Beispiel 9 sich der Gefahr für die vermögenswerte Auftragszusage, die von der „Nachforderung“ der Angestellten der thailändischen U ausgeht, nicht einfach dadurch entziehen kann, dass er eine Bestechungszahlung unterlässt.595 Zahlt A nämlich nicht, schädigen die Angestellten von U den ausländischen Wettbewerb bzw. darüber hinaus die Interessen von U als Geschäftsherrn. Es ist aufgrund der vorangegangenen Vereinbarung anzunehmen, dass auch für U die Durchführung des Vertrags vorteilhaft ist. Weiter wird in einem ausländischen Staat mit entsprechenden Strukturen das Anstrengen eines öffentlichen Verfahrens oftmals von vornherein nicht zur Schadensabwehr geeignet sein, soweit das Verfahren entweder nicht ergebnisoffen ist oder rechtzeitige Abhilfe nicht leisten kann. Die Erforderlichkeitsprüfung gebietet in solchen Fällen allenfalls, sich zunächst an die Leitungsorgane des ausländischen Unternehmens zu wenden.596 Ob daneben andere „mildere Mittel“ zu berücksichtigen sind, wird hier von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Im Folgenden soll angenommen werden, dass A in Beispiel 9 keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung standen, um den bereits erlangten Auftrag als Erhaltungsgut effektiv zu schützen. d) Interessenabwägung Zwar spräche für ein Überwiegen von Unternehmensinteressen in Fällen, in denen der ausländische Wettbewerb Eingriffsgut ist (§ 299 Abs. 3 StGB), dass so Spannungen zwischen einer grenzüberschreitenden Tathandlung im Inland (§§ 3, 9 StGB) bzw. im Ausland (§ 7 Abs. 2 StGB) abgemildert würden. Verschiedene Unternehmensangehörige der S-AG in Beispiel 9, von denen der eine die Geldübergabe in Thailand durchführt und der andere – wie A – eine Überweisung in Deutschland in Auftrag gibt, würden dann ähnlicher behandelt: Bei Vorliegen einer Handlung im Ausland würden die Verhältnisse in Thailand im Rahmen der lex loci berücksichtigt. Ergibt sich wie in Beispiel 9 ein Inlandsbezug der Tat, könnte die „Sozialadäquanz“ einer Bestechung in Thailand durch ein Überwiegen von Unternehmensinteressen ggf. in die Notstandsabwägung nach § 34 S. 1 StGB Eingang finden. Ob die Grundsätze der Interessenabwägung es jedoch zulassen, einen solchen „Gleich594 Vgl. auch: 3. Teil B.II.1.a); zur Notstandsfähigkeit einer Forderung ferner Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57; Dann, wistra 2011, 127, 130. Die Anerkennung als Erhaltungsgut tritt insbesondere nicht in Widerspruch zu der unter 3. Teil A.II.2.a) verneinten Notwehrfähigkeit relativer Rechtspositionen. Dieses Ergebnis beruhte auf Erwägungen zur Rechtswidrigkeit, die in § 34 StGB keine Entsprechung findet. 595 Dann, wistra 2011, 127, 130 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 596 Dann, wistra 2011, 127, 130 f.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
klang“ der Sachverhalte auf der Wertungsebene Rechtswidrigkeit herzustellen, soll hier geprüft werden. aa) Mögliche Erhaltungsgüter und Eingriffsgut Zunächst erscheint schon fragwürdig, welches Unternehmensinteresse der bestechende Täter für die Verletzung des Rechtsguts von § 299 Abs. 3 StGB als notstandsfähiges Erhaltungsgut anführen kann. Unterhalb der Schwelle der §§ 240, 253 StGB kann man wohl nicht allgemein auf eine Gefahr für die „Willensentschließungsfreiheit“ des Bestechenden abstellen.597 In Beispiel 9 kann A vortragen, die erfolgreichen Vorverhandlungen hätten zu einer Zusage und damit zu einer vermögenswerten Exspektanz zugunsten der S-AG geführt, die als Erhaltungsgut in Betracht kommt. Das Vorliegen einer derartig vermögenswerten Position dürfte jedoch den Besonderheiten des Beispiels geschuldet sein und rechtstatsächlich eher einen Ausnahmefall darstellen. Schon dieser Umstand zeigt, dass die Eingrenzung notstandsfähiger Interessen auf den vorhandenen Wertebestand598 einer „Rechtfertigungslösung“ den Boden entzieht, wenn bloß eine Vermögensmehrung aufgrund eines lukrativen Auftrags im Raum steht. Denn der Verlust entgangener Gewinnchancen ist gerade nicht über Notstandsgesichtspunkte zu rechtfertigen.599 Wie bereits angedeutet, können unternehmensbezogene Erhaltungsgüter ansonsten vor allem unter den Vorzeichen des Unternehmensnotstands Bedeutung erlangen. Darüber hinaus unterfallen wirtschaftlich gefestigte Bestandteile des Unternehmens wie Kundenbeziehungen600 oder Beteiligungen im Ausland601 zwar im Ausgangspunkt dem Kreis notstandsfähiger Erhaltungsgüter.602 Deren Gewicht in der Interessenabwägung hängt indes maßgeblich davon ab, wie stark die konkret betroffene Rechtsposition in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung geldwertem Vermögen angenähert ist und nicht bloß eine Gewinnerwartung darstellt. Die Bedeutung solcher Positionen für einen Unrechtsausschluss ist vor diesem Hintergrund nicht zu überschätzen. Doch auch Mitarbeiter eines wirtschaftlich prosperierenden Konzerns mögen ein nachvollziehbares Interesse daran haben, für einschlägige Handlungen mit Inlandsbezug strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Es wird insoweit vorgetragen, das den weltweiten Wettbewerb schützende Strafrecht sei bloßes Mittel der Kriminalpolitik, welches real keinen Rechtsgüterschutz gewährleiste, sondern allein als Indikator für die Handlungsfähigkeit des deutschen Ge597
Vgl. auch Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 165 a.E.; Dann, wistra 2011, 127, 130. Siehe nur S/S-Perron, § 34 Rn. 1; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57. 599 Vgl. auch Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57; Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 255; Dann, wistra 2011, 127, 131. 600 BGHZ 23, 157, 162 f.; DB 1971, 571. 601 OLG München NJW-RR 1991, 928, 929. 602 Ausführlich Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 105 ff.; vgl. schon oben: 3. Teil B.II.1.a). 598
B. Der rechtfertigende Notstand
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setzgebers wahrgenommen werde.603 Wenn nicht zur Rettung in der Krise des Unternehmens gehandelt wird, ist gleichwohl nicht unmittelbar ersichtlich, zum Vorteil welchen Erhaltungsguts die Bestechung erfolgen soll. Auf Seiten des Eingriffsguts sind dieselben Wertungen zu berücksichtigen, die oben bereits ausgeführt wurden: § 299 Abs. 3 StGB erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift auf ausländischen Wettbewerb jedweder Art.604 Grund für diese Ausdehnung war, dass Strafbarkeit unabhängig vom konkret betroffenen Marktumfeld und den dort tätigen Mitbewerbern eintreten sollte.605 Diese Wertentscheidung ist zunächst trotz zu befürchtender Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen606 zu akzeptieren. Unter welchen Vorzeichen die angesprochenen Erhaltungsinteressen den Schutzbelang des § 299 Abs. 3 StGB ggf. einmal „wesentlich überwiegen“ können, bestimmt sich anhand der anerkannten Bewertungsgesichtspunkte zur Interessenabwägung: bb) Grad der drohenden Gefahr Zunächst soll ein Blick auf die Gefahr geworfen werden, die den Schutzgütern droht. In erster Linie geht es damit um die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zum Nachteil des Erhaltungsguts.607 In Sachverhalten wie dem in Beispiel 9 ergibt sich jedoch die Besonderheit, dass nicht nur für ein Erhaltungsgut des Unternehmens, sondern auch für den fairen Wettbewerb im Ausland (§ 299 Abs. 3 StGB) als Eingriffsinteresse bereits eine Gefahr bestehen kann. Das ist der Fall, sofern die Lauterkeit des ausländischen Wettbewerbs dauerhaft beeinträchtigt ist. Ob dieser Umstand in der Güterabwägung zu berücksichtigen ist, hängt von der Auslegung des § 299 Abs. 3 StGB ab. Die h.M. nimmt in Anknüpfung an das Gesagte an, Abs. 3 StGB erstrecke die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich nicht nur auf den ausländischen Wettbewerb, sondern fingiere, dass unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen im Ausland deutsches Schutzniveau zugrunde zu legen ist.608 Demgegenüber könnte in Fällen wie Beispiel 9 das Eingriffsgut „ausländischer Wettbewerb“ in der Interessenabwägung des Notstandes erheblich an Gewicht verlieren, wenn in dem betroffenen Umfeld selbst de facto kein Schutz gegen Bestechungspraktiken besteht und man diesen Umstand für erheblich hielte. Die allgemeine Notstandsdogmatik gibt in solchen Situationen durchaus einen „Gefahrenvergleich“
603
Vgl. Horrer, KritV 2010, 304, 314. Vgl. nochmals Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 54 f. 605 BT-Drucks. 14/8998, S. 10. 606 Vgl. dazu nur NK-Dannecker, § 299 Rn. 74; Blessing, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 53 Rn. 57. 607 Vgl. o.: 3. Teil B.II.1.a). 608 Fischer, § 299 Rn. 23a; NK-Dannecker, § 299 Rn. 81; teilweise a.A. wohl Dann, wistra 2011, 127, 131 f. 604
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
zwischen Eingriffs- und Erhaltungsgut vor.609 Gerade eine bloß abstrakte Gefahr zulasten des Eingriffsinteresses kann zur Zulässigkeit des Erhalts eines sehr konkret gefährdeten Schutzbelangs führen: Wer etwa einen Verletzten durch eine Trunkenheitsfahrt ins Krankenhaus bringt, kann sich auf § 34 StGB berufen.610 In Beispiel 9 scheint die Gefahr für den thailändischen Wettbewerb vergleichsweise abstrakt, wenn A sich zu einer Bestechung entschließt. Denn auch wenn A eine Zahlung nicht in Auftrag gegeben hätte, wäre der Auswahlprozess bei U wohl nicht (ausschließlich) dem Leistungsprinzip entsprechend verlaufen. cc) Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung Weiter sind Intensität und Umfang (Größe) des drohenden Schadens als Faktoren der Abwägung anerkannt. Als Standardbeispiel wird der Retter seines brennenden Hauses angeführt, der Dritten infolge von Durchnässung bei den Löscharbeiten eine Erkältung verschafft (§ 223 StGB).611 Deswegen ist in Beispiel 9 zunächst durchaus bedeutsam, welcher Vermögenswert dem zu erwartenden Gewinn der S-AG infolge des Geschäfts mit der U beizumessen ist. Doch auch auf Eingriffsseite ließe sich der Gesichtspunkt fruchtbar machen: Wenn die Interessenabwägung für den Fall einer brennenden Hundehütte anders zu beurteilen sein kann als für eine vom Feuer bedrohte Villa, dürfte die intakte Wettbewerbsordnung an sich nicht ebenso wie diejenige zu behandeln sein, in der Korruption einen Teil des Wirtschaftslebens darstellt. dd) Größe der Rettungschancen Schließlich ist kurz darauf einzugehen, wie es um die Rettungschancen auf Erhaltungs- bzw. Eingriffsseite bestellt ist. Als „Faustregel“ gilt insoweit: Je höher sich die Wahrscheinlichkeit einer Rettung für das Erhaltungsgut bzw. je geringer sich die Schadenswahrscheinlichkeit auf Eingriffsseite darbietet, desto eher sind Zugriffe zu rechtfertigen.612 Zunächst einmal wird aus dieser Erwägung nochmals deutlich, dass es maßgeblich auf die konkrete Rechtsposition ankommt, die A in Beispiel 9 durch seine Notstandshaltung erhalten will. A wird durch eine Bestechungshandlung eher den bereits zugesicherten Auftrag erhalten als „den Markt öffnen“ dürfen. Doch erscheint denkbar, in Fällen wie Beispiel 9 zusätzlich zu berücksichtigen, dass ein „Schaden“ am Eingriffsgut „thailändischer Wettbewerb“ von vornherein bestanden hat und es sich bloß um eine Vertiefung handelte. Soweit man die Auswirkungen 609 Besonders deutlich bei Kühl, AT, § 8 Rn. 116: „welchem Gefahrengrad ist das Erhaltungsgut ausgesetzt, welchem das Eingriffsgut“. 610 OLG Koblenz NJW 1988, 2316; OLG Celle VRS 63 (1982), 449; OLG Hamm NStZ 1996, 344; Mitsch, JuS 1989, 964, 966 f.; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 30 ff. 611 Kühl, AT, § 8 Rn. 121. 612 NK-Neumann, § 34 Rn. 80; S/S-Perron, § 34 Rn. 29; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 311.
B. Der rechtfertigende Notstand
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einer Rettungshandlung auch auf Eingriffsseite in die Abwägung aufnimmt, kann dieser Gesichtspunkt in einem korrupten ausländischen Marktumfeld zugunsten des deutschen Korruptionstäters streiten. ee) Zusammenfassung zur Interessenabwägung Vorstehende Ausführungen zu einer Notstandsrechtfertigung von „ausländischen Bestechungen mit Inlandsbezug“ sind durch einen Wertungskonflikt gekennzeichnet: Auf der einen Seite ist nach der Konzeption von § 299 Abs. 3 StGB der Schutz des Weltwettbewerbs intendiert. Dieser würde ausgehöhlt, wenn sich der aus dem Inland heraus handelnde Täter auf die tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse vor Ort berufen könnte, obgleich nach der Konzeption des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB nicht einmal Voraussetzung ist, dass am Tatort Strafe droht. Aus diesen Gründen tritt man überwiegend ja auch einer teleologischen Reduktion entgegen und legt somit ein fiktives Schutzniveau zugrunde. Andererseits hebt die Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB auf die Notstandslage im Einzelfall und die jeweils konkreten Verhältnisse ab, was eine Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands der ausländischen Wettbewerbsordnung zuließe. Nach diesen Grundsätzen kann einem universellen Erhaltungsgut kein weitergehender Schutz zuteilwerden, als dieser rechtlich auch anerkannt wird bzw. besteht.613 In der Praxis ist dieser Konflikt wohl erheblich dadurch abzumildern, dass man die Anforderungen an ein unternehmensbezogenes Erhaltungsgut und die Voraussetzung eines „wesentlichen Überwiegens“ ernst nimmt. In Beispiel 9 tritt aufgrund der vermögenswerten Position aus der bereits bestehenden Vereinbarung zwischen U und der S-AG der beschriebene Konflikt jedoch offen zutage. Das Bedürfnis nach einem effektiven Markteintritt in Thailand oder das Erhalten eines dortigen Kundenstamms dürften kaum ausreichen, um A zu rechtfertigen. Doch auch die bereits begründeten Ansprüche gegen die thailändische U werden nicht zu einem Unrechtsausschluss führen, es sei denn, die quantitativen Verhältnisse würden ad absurdum geführt – z. B. wenn die Verweigerung einer nur geringfügigen Summe den Verlust eines Milliardenauftrags zur Folge hätte. Die Maßgeblichkeit deutschen Rechts für die Strafbarkeit des A nach § 9 Abs. 2 S. 2 StGB sowie die Wertung des § 299 Abs. 3 StGB streiten im Ergebnis nämlich dafür, die tatsächlichen Verhältnisse in Thailand unberücksichtigt zu lassen. Auch dürfte in Beispiel 9 ein Fall des Nötigungsnotstands nicht vorliegen. Für den A ist zunächst nicht erkennbar, ob eine Verweigerung der Leistung tatsächlich zum Verlust des Auftrags führen soll, weswegen sich das Verhalten der Vertreter von U vor dem Hintergrund der (hier zu unterstellenden) gesellschaftlichen Akzeptanz einer solchen Leistung in Thailand nicht ohne weiteres als Drohung auslegen lassen dürfte. In diesen Fällen ist für den Gewährenden die Schwelle zwischen „innerlichem Drang,
613
Vgl. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
[…] gehegte Erwartungen nicht zu enttäuschen“614 und einer Drohung freilich fließend. 3. Ergebnis zur Rechtfertigung von grenzüberschreitenden Bestechungen Besticht ein Unternehmensangehöriger mit Inlandsbezug den Angestellten oder Beauftragten eines im Ausland tätigen Unternehmens, muss eine Rechtfertigung in aller Regel auch dann ausscheiden, wenn vor Ort Korruptionsverbote nicht bestehen oder nicht effektiv durchgesetzt werden. Notstandserwägungen werden oftmals schon deswegen nicht durchgreifen, weil auf Erhaltungsseite Interessen betroffen werden, die nicht anzuerkennen sind („Gewinnchancen“) oder, wie Ausprägungen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, kaum je zu einem „wesentlichen Überwiegen“ führen können. Zudem erstreckt sich nach dem Willen des Gesetzgebers der Schutzbereich in § 299 Abs. 3 StGB auf den „Weltwettbewerb“ unabhängig von den konkreten Verhältnissen vor Ort. Dieser fiktiven Schutzgröße laufen verschiedene Gesichtspunkte entgegen, die als Teil der Notstandsdogmatik anerkannt sind: Der Grad der drohenden Gefahr, die Größe der Rettungschancen und das Ausmaß der Rechtsgutsverletzung erforderten an sich ein an den tatsächlichen Gegebenheiten orientiertes Vorgehen. Vor dem Hintergrund der Strafbarkeit nach deutschem Recht und dem telos von § 299 Abs. 3 StGB kann das Gewicht des Weltwettbewerbs als Schutzbelang dadurch jedoch nicht erheblich relativiert werden. Eine Rechtfertigung von A in Beispiel 9 setzt deswegen zunächst voraus, dass vermögenswerte Interessen des Unternehmens anderenfalls preisgegeben würden. Wirtschaftlicher Druck und insbesondere die bloße Hoffnung auf ein lukratives Geschäft genügen insoweit nicht. Da A jedoch bereits einen Vorvertrag mit U schließen konnte, ist die vermögenswerte Aussicht der S-AG notstandsfähig und im Vermögenswert einer geldwerten Bilanzposition stark angenähert. Doch auch in diesem Fall wird man vor dem Hintergrund des Gesagten nur in Ausnahmefällen zu einem „wesentlichen Überwiegen“ der Interessen der S-AG kommen. Im Ergebnis dürfte man A im Hinblick auf die Tathandlung in Beispiel 9 dadurch freilich zu einer Reise nach Thailand motivieren, um so in den Genuss von Straffreiheit oder -milderung zu kommen, vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
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So für den Bestochenen schon RGSt 66, 16, 17.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung I. Die rechtfertigende Einwilligung im Wirtschaftsstrafrecht Im Gegensatz zu den geschriebenen Erlaubnissätzen handelt es sich bei der Einwilligung um einen nicht kodifizierten Rechtsgrundsatz, der inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannt ist.615 Während manche Delikte nur mit Zustimmung des Betroffenen begangen werden können (z. B. § 291 StGB), schließt eine Zustimmung in anderen Fällen die Strafbarkeit aus. Die rechtlichen Grundlagen für die rechtfertigende Einwilligung sind schon in der allgemeinen Rechtfertigungslehre mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet.616 Diese prägen das Bild auch in denjenigen Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts, in denen die Einwilligung diskutiert wird. Im Hinblick auf die im Folgenden behandelten Themen und Fallgestaltungen ist zunächst eine bedeutsame Weichenstellung zu treffen. Denn im Bereich der Untreue (§ 266 StGB) hat die Zustimmung von Anteilseignern als wirtschaftlichen Inhabern von Kapitalgesellschaften617 zum Handeln von Geschäftsleitern, d. h. insbesondere Geschäftsführern in der GmbH und Vorständen in der AG, große Aufmerksamkeit erfahren und zahlreiche Einzelprobleme aufgeworfen.618 Einschlägige Fragestellungen des Untreuestrafrechts reichen von den strafrechtlichen Grenzen einer verdeckten Gewinnausschüttung619 über die für einen Ausschluss der Strafbarkeit nötigen Mehrheiten in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung620 bis hin zur sog. Konzernuntreue.621 Die vielfältigen Fragen, welche mit einer gesellschaftsrechtlichen Zustimmung in § 266 StGB zusammenhängen, können an dieser Stelle trotz ihrer Nähe zur Einwilligungsdogmatik622 nicht in der notwendigen Tiefe dargestellt werden. Einzelnen Aspekten wurden bereits ganze Monografien gewidmet.623 Die Zustimmung der Gesellschafter im Rahmen der „gesellschaftsrechtlichen Untreue“ 615 Zum Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle für die beiden Rechtfertigungsgründe Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 3; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 92; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 157 m.w.N. 616 Statt Aller Rönnau, JuS 2007, 18, 19. 617 Zur GmbH: Wittig, in: Beck OK, § 266 Rn. 22.1 ff.; zur AG: Rönnau, in: FS Amelung, S. 247, 265 ff. und passim. 618 Vgl. für einen ersten Überblick S/S-Perron, § 266 Rn. 21 ff. 619 Vgl. etwa BGHSt 35, 333 ff. 620 BGHSt 50, 331, 342 f.; Fischer, § 266 Rn. 93 ff. m.w.N. 621 Vgl. BGHSt 49, 147 ff.; BGHZ 149, 10 ff.; Tiedemann, JZ 2005, 45 ff. 622 Tiedemann, AT, Rn. 212 behandelt die Organuntreue als Teil der Rechtswidrigkeit, obgleich er die herrschende Deliktssystematik anerkennt. 623 Vgl. etwa Schramm, Untreue und Konsens; Adick, Organuntreue; Corsten, Einwilligung in die Untreue.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
bzw. der „Organuntreue“624 kann daher in diese Betrachtung nicht mitaufgenommen werden. Im Hinblick auf die große Anzahl von Veröffentlichungen in diesem Bereich625 sollen für die Einwilligung im Wirtschaftsstrafrecht vielmehr solche Themen untersucht werden, die bislang weniger im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Diskurses standen.626 Außerhalb von § 266 StGB hat die rechtfertigende Einwilligung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Wirtschaftskriminalität kaum Beachtung erfahren. Die insoweit eher geringe Bedeutung der Rechtsfigur in diesem Bereich lässt sich auf zwei Ursachen zurückzuführen: Zum einen zeichnen sich Wirtschaftsdelikte dadurch aus, dass vielfach ein kollektiver Bezug der geschützten Rechtsgüter besteht.627 Bei Vorliegen überindividueller Schutzinteressen kann die Einwilligung jedoch häufig ihre unrechtsausschließende Wirkung nicht entfalten. Denn der Einwilligende ist in solchen Fällen nicht Inhaber des betroffenen Rechtsguts und kann daher regelmäßig auch nicht über die Schutzrichtung des Straftatbestandes verfügen.628 Zum anderen werden in wirtschaftsstrafrechtlich geprägten Sachverhalten Zustimmungen des Rechtsgutsinhabers, wenn sie denn einmal von Bedeutung sind, regelmäßig schon im Rahmen des Tatbestands relevant.629 Bei genauerer Betrachtung finden sich im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität dennoch Konstellationen, in denen es sich lohnt, über eine Einwilligung als Unrechtsausschlussgrund nachzudenken. Um relevante Problemkreise zu verdeutlichen, werden auch für die rechtfertigende und für die mutmaßliche Einwilligung im Wirtschaftsstrafrecht der Untersuchung folgende Fälle vorangestellt: Beispiel 10: G ist Geschäftsführer der G-GmbH, die Beauty-Produkte herstellt und vertreibt. Nachdem der Markteintritt einer neuen Hautcrème mit Bräunungseffekt bei der avisierten Zielgruppe nicht zum Erfolg geführt, jedoch umso mehr gekostet hat, ist ein operativer Verlust eingetreten. Dieser übersteigt die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft deutlich. G wendet sich daraufhin nicht an die Gesellschafter A, B und C der G-GmbH, da diese ihm gegenüber kürzlich erklärt hatten, G solle sich und ihnen wegen des vergangenen Geschäftsjahrs keine Sorgen mehr machen. Sie wüssten, wie es um die Gesellschaft steht. In der nächsten Gesellschafterversammlung, die sie nächstes Jahr einberufen würden, werde 624
Vgl. zur Terminologie Tiedemann, BT, Rn. 390 ff.; ders., AT, Rn. 212 ff. Siehe z. B. die Nachweise bei Lackner/Kühl, § 266 Rn. 10 ff. 626 Im Übrigen sei in formeller Hinsicht angemerkt, dass die h.M. (BGHSt 3, 23, 25; 49, 147, 157 f.; 50, 331, 342; NStZ 2010, 700, 702; OLG Hamm NStZ 1986, 119; Dierlamm in: MüKo, § 266 Rn. 129 m.w.N.) die Zustimmung zur Untreue als tatbestandsausschließendes Einverständnis und nicht als Rechtfertigungsgrund begreift. Die hier getroffene Auswahl entspricht dieser Sichtweise. 627 s. o.: 2. Teil A.; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; vgl. ferner NKKindhäuser, Vor § 283 Rn. 32; Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 87. 628 s. u.: 3. Teil C.II.1.b); vgl. auch LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 57. 629 Für § 266 StGB ist diese deliktssystematische Einordnung ganz überwiegende Ansicht, vgl. BGHSt 3 23, 24; 52, 323, 335; BGHZ 100, 190, 197; Fischer, § 266 Rn. 29, 90 m.w.N. 625
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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ein Lippenstift mit Bräunungseffekt vorgestellt, welcher der wirtschaftlichen Situation der G-GmbH endlich zum Durchbruch verhelfen werde. Ist G für die unterlassene Verlustanzeige strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen? Wie ist der Verzicht der Gesellschafter auf Information in die Strafrechtsdogmatik einzuordnen? Beispiel 11: A ist Angestellte in einer Filiale der B-Bank und im sog. Retail-Geschäft tätig. Zu ihrem Aufgabenkreis gehören insbesondere Beratungs- bzw. Verkaufsgespräche mit wohlhabenden Privatkunden, deren Gegenstand zumeist die Anlage des persönlichen Vermögens der Kunden ist. Die F-Fond KG bietet strukturierte Finanzprodukte (Derivate, Zertifikate, Optionsscheine etc.) an und hat sich zu einer neuen Verkaufsförderungsmaßnahme entschieden. Ab einem Jahresumsatzvolumen in Höhe von EUR 1.000.000 mit Produkten des Fonds kann jeder Bankberater eine hochwertige Reise als Gratifikation auswählen. Die F-KG lässt ein „Informationsschreiben“, in welchem das neue Verkaufsförderungsprogramm erläutert wird, A persönlich, aber auch dem Vorstand der B-Bank zukommen. Ist A gemäß § 299 Abs. 1 StGB strafbar, wenn sie infolge dieses Schreibens den Verkauf von Produkten der F-KG vervielfacht und die B-Bank monatelang nicht einschreitet?
Bevor die Beispielsfälle näher betrachtet werden können, soll jedoch wieder gezeigt werden, welche Vorgaben die allgemeine Rechtfertigungslehre an den Erlaubnistatbestand der Einwilligung bzw. der mutmaßlichen Einwilligung stellt [I.]. Im Kapitalgesellschaftsrecht kann im Zusammenhang mit der Verlustanzeige- bzw. der Insolvenzantragspflicht eine Zustimmung der Gesellschafter oder auch von betroffenen Gläubigern der Gesellschaft vorliegen. Ob entsprechende Erklärungen zu einer Rechtfertigung führen, wenn nach dem Wortlaut des jeweiligen Tatbestands für die Geschäftsleitung Strafbarkeit droht, wird zu untersuchen sein [II.]. Der überindividuelle Bezug von Rechtsgütern in Wirtschaftsdelikten führt dazu, dass die Einwilligung selbst dort selten diskutiert wird, wo sie maßgeblich zur Lösung von Problemkreisen beitragen könnte. So ist das Verhältnis der Schutzgüter im Tatbestand der Angestelltenbestechung (§ 299 Abs. 1 StGB) aufgrund des betroffenen Leistungswettbewerbs (kollektives Rechtsgut) bislang kaum einmal ausführlich mit Blick auf eine rechtfertigende Einwilligung analysiert worden. Hier soll untersucht werden, inwieweit der Unrechtsausschluss nicht einen Beitrag zur sachgerechten und dogmatisch einwandfreien Lösung des Streitstandes um konsentierte Schmiergeldzahlungen zu leisten vermag [III.]. Abschließend ist zu klären, welche Rolle der mutmaßlichen Einwilligung in Sachverhalten zukommen kann, in denen eine Untreuestrafbarkeit des Treupflichtigen im Raum steht [IV.].
II. Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Trotz Fehlens einer abschließenden Kodifizierung der rechtfertigenden Einwilligung setzen gesetzliche Bestimmungen die Existenz der Rechtsfigur voraus (vgl. nur § 228 StGB). Sie ist ihrem Wesen nach ein durch das Selbstbestimmungsrecht
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
legitimierter Verzicht auf Rechtsschutz durch die einschlägige Strafnorm.630 Nach der hier zugrunde gelegten Kategorisierung sind sowohl die Einwilligung als auch die sog. mutmaßliche Einwilligung als Einwilligungssurrogat zunächst auf das Prinzip des mangelnden Interesses zurückzuführen.631 Der Erlaubnistatbestand geht auf den Grundsatz zurück, dass ein Anlass für Güterschutz nicht besteht, wenn der verfügungsberechtigte Inhaber der betroffenen Interessen diese dem Eingriff Dritter preisgibt. 1. Die rechtfertigende Einwilligung In ihrem Ursprung geht die Rechtsfigur auf den römisch-rechtlichen Grundsatz volenti non fit iniuria (Dig. 47, 10, 1, 5) zurück und ist in ihren einzelnen Voraussetzungen bis heute teilweise stark umstritten. Um mit der Einwilligung zusammenhängenden Sachverhalten im Wirtschaftsstrafrecht gerecht zu werden, sind eine Reihe grundsätzlicher Vorfragen zu klären: Zunächst soll herausgearbeitet werden, ob und inwieweit die Zustimmung zu strafrechtlich relevantem Verhalten überhaupt die Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit betreffen kann [a)]. Da der Kollektivbezug von geschützten Interessen für das Wirtschaftsstrafrecht kennzeichnend ist,632 wird das Verhältnis der Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers zu anderen strafrechtlich geschützten Schutzpositionen bedeutsam. Wie sich der Umstand, dass mehrere Rechtsgüter durch ein Strafgesetz geschützt werden, auf die rechtfertigende Einwilligung auswirkt, ist deshalb in einem nächsten Schritt darzustellen [b)]. Als letzte Vorfrage sollen die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung kurz skizziert werden [c)]. a) Rechtssystematischer Standort von Einwilligung und Einverständnis Die Zustimmung des Opfers ermöglicht dem Täter gleichsam „als verlängerter Arm des Einwilligenden“633 einen Eingriff in die strafrechtlich geschützte Rechtsgütersphäre des Zustimmenden vorzunehmen, der ihm ohne eine solche Genehmigung bei Strafandrohung versagt wäre. Dabei ist heute allgemeine Ansicht, dass bei Vorliegen der Zustimmungsvoraussetzungen im Tatzeitpunkt das Unrecht der formell tatbestandsmäßigen Handlung entfällt.634 So eingängig und plausibel dieser Befund auf den ersten Blick erscheinen mag, so vielfältig hat sich die wissenschaftliche Diskussion in diesem Bereich entwickelt. Vieles ist dem Umstand geschuldet, dass es schwer fällt, die Zustimmung deliktsystematisch stimmig zu er630
Im Einzelnen str., siehe Rönnau, Willensmängel, S. 9 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939. 631 Vgl. o.: 2. Teil B.I.3.b). Wie hier etwa S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 33, 54; vgl. auch Tiedemann, AT, Rn. 201. 632 s. o.: 2. Teil A. 633 Rönnau, JuS 2007, 18. 634 Sehr knapp Fischer, Vor § 32 Rn. 3b f. m.w.N.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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fassen und dann folgerichtig in ein – wie auch immer geartetes – System der Rechtfertigungsgründe einzugliedern.635 Die allgemeine Rechtfertigungslehre steht insbesondere vor dem Problem, dass man heute ganz überwiegend die Ansicht teilt, die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer unrechtsausschließenden Zustimmung seien tatbestandsbezogen zu bestimmen. Aus formalen Einordnungen in den Verbrechensaufbau lasse sich insoweit nur wenig herleiten.636 Nach diesem „modernen Verständnis“ betrifft die Abhängigkeit der Einwilligung von dem konkret zu untersuchenden Tatbestand die an die Form der Kundgabe gestellten Anforderungen und die Behandlung von Willensmängeln gleichermaßen.637 Die noch immer h.M., der vor allem die Rechtsprechung anhängt, unterscheidet „schneidig“ zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigend wirkender Einwilligung.638 Entscheidend für die systematische Erfassung einer Zustimmung ist danach, ob die betroffene Norm ihren Deliktscharakter gerade dadurch erhält, dass die Tat gegen oder ohne den Willen des Gutsinhabers begangen wird. Schon tatbestandsausschließend wirkt die Zustimmung bei Delikten, die offenkundig (vgl. § 248b StGB: „gegen den Willen des Berechtigten“) oder ihrer Auslegung nach (§ 123 StGB: „Eindringen“; § 242 StGB: „Wegnahme“) ein Handeln wider den Willen des Opfers voraussetzen. Dies hat zur Folge, dass ein einzelnes Tatbestandsmerkmal, welches die fehlende Zustimmung des Rechtsgutsinhabers voraussetzt, entfallen muss, wenn die Zustimmung im Rahmen eines bestimmten Strafgesetzes als tatbestandsausschließend gewertet werden soll.639 Ursprünglich ging man dabei von einer Konzeption aus, nach der an das bloß „faktische“ Einverständnis geringere Wirksamkeitserfordernisse zu stellen seien als an die stärker „rechtlich geprägte“ Einwilligung.640 Wie wenig diese stark verallgemeinernde Unterscheidung zu überzeugen vermag, wird nicht zuletzt an einem Beispiel deutlich, das für die wirtschaftsstrafrechtliche Betrachtung von herausgehobenem Interesse ist. Im Rahmen der Untreue (§ 266 StGB) entfällt nämlich die Treupflicht635 Vgl. zu diesem Befund Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 104 f.; Maurach/Zipf, AT I, § 17 Rn. 33; Lenckner, GA 1985, 295, 302. 636 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 157a; Jescheck/Weigend, AT, § 34 I 2 a); S/S-Lenckner/ Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 32 jeweils m.w.N. 637 Roxin, AT I, § 13 Rn. 4 ff. macht sechs Unterschiede zwischen Einwilligung und Einverständnis aus. Diese Ausführungen dürften so indes nur bei einem tradierten Verständnis Geltung beanspruchen. Vgl. dazu Welzel, Strafrecht, § 14 VII 1; dem im Grundsatz noch immer anhängend, aber inzwischen relativierend Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 362 ff. Vgl. zur heute vorherrschenden Abhängigkeit der Wirksamkeitsvoraussetzungen vom jeweiligen Delikt auch Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 448 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 11 f. m.w.N. 638 Die Unterscheidung geht zurück auf Geerds, Einwilligung, S. 88 ff.; für die h.M. weiter BGHSt 8, 273, 276; 23, 1, 3; 49, 166, 169; BayOblG JZ 1979, 146; S/S-Lenckner/SternbergLieben, Vor § 32 Rn. 29 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 360 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 95; Kühl, AT, § 9 Rn. 22, 25; SK-Hoyer, Vor § 32 Rn. 30 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938. 639 Eingehend Rönnau, Jura 2002, 595, 596. 640 Statt Aller Roxin, AT I, § 13 Rn. 4; Rönnau, JuS 2007, 18, 19.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
verletzung, wenn das Verhalten des Vermögensbetreuungspflichtigen vom Treugeber konsentiert wurde. Trotz teilweise missverständlicher Formulierungen in der Rechtsprechung641 ist damit heute beinahe einhellig anerkannt, dass ein Handeln in Übereinstimmung mit dem Willen des Treugebers den Tatbestand und nicht erst die Rechtfertigung der Tat betrifft.642 Dies überzeugt, fehlt es doch mit der Pflichtwidrigkeit des Treunehmerverhaltens an einem Merkmal, das den entgegenstehenden Willen des Treugebers begrifflich voraussetzt. Gleichwohl werden an die Wirksamkeitsvoraussetzungen dieser Zustimmung diejenigen Anforderungen gestellt, die nach klassischem Verständnis charakteristisch für eine rechtfertigende Einwilligung sind.643 Die überwiegende Auffassung hält in ihrer heutigen Form also an der hergebrachten Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung fest, leitet aus dieser Trennung gleichwohl keine unmittelbaren Schlüsse bzgl. der für die Wirksamkeit relevanten Voraussetzungen her. Dem tritt eine stark im Vordringen befindliche Ansicht entgegen, welche diese Unterscheidung einzuebnen und einer Zustimmung durch den Rechtsgutsinhaber stets tatbestandsausschließende Wirkung beizumessen bestrebt ist („Einheitslösung“ vs. „Differenzierungslösung“).644 Dieses Ergebnis wird konstruktiv erzielt, indem nicht allein die einzelnen Rechtsgutsobjekte dem Schutz des Tatbestands unterfallen sollen, sondern darüber hinaus die darin enthaltene Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers betont wird. Die Verfügungsautonomie des Gutsinhabers wird also im Zuge eines personalen Rechtsgutsverständnisses gleichsam in das Individualrechtsgut integriert (Integrationsmodell)645 bzw. Freiheitsbetätigung als Grundlage für die personale Entfaltung des Rechtsgutsträgers aufgefasst (Basismodell).646 Diese Gegenkonzepte beruhen auf dem berechtigten Kritikpunkt, dass dem herkömmlichen Verständnis insofern ein statisches Verständnis von Rechtsgüterschutz zugrunde liegt, als Rechtsgüter bloß „um ihrer selbst willen“ geschützt werden.647 Auch vermag die verstärkte Berücksichtigung der Dispositionsbefugnis des Rechtsguts641
Vgl. etwa BGHSt 3, 32, 39; 9, 203, 216; Tiedemann, AT, Rn. 212: die Zustimmung schließe einen „rechtswidrigen Vermögensvorteil“ aus. 642 BGHSt 3, 23, 24; 52, 322, 335; BGHZ 100, 190, 197; OLG Hamm NStZ 1986, 119; Fischer, § 266 Rn. 29, 90; S/S-Perron, § 266 Rn. 21; Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn. 758; S/S/ W-Saliger, § 266 Rn. 45 m.w.N. 643 Siehe nur Jordan, JR 2000, 133, 137 f.; Weber, in: FS Seebode, S. 437, 441 f.; S/S/WSaliger, § 266 Rn. 46 m.w.N. 644 Pars pro toto LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 97; Arm. Kaufmann, in: FS Welzel, S. 393, 397 Fn. 9; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12 ff.; Maurach/Zipf, AT I, § 17 Rn. 39 ff.; Kindhäuser, AT, § 12 Rn. 4 f.; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 126 ff.; weitere Nachweise bei Rönnau, Willensmängel, S. 16 Fn. 21. 645 Begriff nach LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 154; ders., Willensmängel, S. 49 ff.; anschaulich zu dieser Integration Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 60 f.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12. 646 Vgl. zur Terminologie auch insofern Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff., 453; LK12-ders., Vor § 32 Rn. 156; ders., Jura 2002, 595, 598. 647 Paul, Zusammengesetztes Delikt, S. 81 f.; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 152; vgl. auch Arzt, Einwilligung, S. 45: „Abspaltung von Verfügungsbefugnis und Verfügungsgegenstand“.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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trägers in den letztgenannten Konzeptionen eher der verfassungsrechtlich verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerecht zu werden. Die Auffassung weist schließlich zu Recht darauf hin, dass die Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsträgers von besonderer Bedeutung für die Rechtsfigur der Einwilligung ist, wie anhand von Beispiel 11 deutlich wird. Gleichwohl soll für die sich anschließende Betrachtung das „modernisierte“ Verständnis der überwiegenden Auffassung zugrunde gelegt werden. Läuft die Einheitslösung doch Gefahr, die Dreistufigkeit des Deliktsaufbaus und damit die Bedeutung von Rechtfertigungsgründen im Ganzen aus dem Blick zu verlieren.648 Wer die Einwilligung stets als negatives Tatbestandsmerkmal verstanden wissen will,649 wird in Fällen, in denen der Einwilligung hier rechtfertigende Wirkung beigemessen wird, regelmäßig kaum erklären können, welches Tatbestandsmerkmal denn entfallen soll. Die allgemeinen Auslegungsgrundsätze streiten wegen des starken Bezugs zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen daher eher zugunsten einer Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung.650 Gerade auch in Sachverhalten des Wirtschaftsstrafrechts gerät ein in den Tatbestand integrierter Schutz der Betätigungsautonomie des Gutsinhabers unter Druck. So können beispielsweise im Insolvenzstrafrecht Rechtsgutsträgerschaft (Vermögen des Schuldners) und Dispositionsbefugnis (Insolvenzverwalter) auseinanderfallen, vgl. § 80 InsO651.652 Weiter ist das Integrationsmodell nur schwer vereinbar mit der Erkenntnis, dass generell verbotene, mit einer Werteinbuße verbundene Eingriffe in fremde Rechtsgüter einen abstrakten Unwert hervorrufen, zu dessen Beseitigung es einer „Gegennorm“ im Sinne einer Rechtfertigung bedarf.653 Insofern ist weiter zu berücksichtigen, dass auch ablehnende Stellungnahmen, die i.E. bereits den Unrechtstatbestand entfallen lassen, maßgeblich von der Auseinandersetzung mit diesem tradierten Modell geprägt sind. Obwohl starke Argumente auch für die Betonung eines stärker auf die Dispositionsfreiheit des Einzelnen abstellenden Modells sprechen, soll im Folgenden deshalb die „klassische“ Unter-
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Ähnlich auch Krey/Esser, AT, Rn. 658. Dies ist der Ansatz des Integrationsmodells, vgl. nur LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 154. 650 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 95; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 62; Kühl, AT, § 9 Rn. 22 m.w.N. Darüber hinaus spricht auch der Wortlaut der Einwilligungssperre des § 228 StGB („handelt nur dann rechtswidrig“) für die rechtfertigende Kraft einer Einwilligung, vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 34 I 3. Insbesondere kann aus § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nichts Abweichendes abgeleitet werden, weil dort ausschließlich der Begriff der „rechtswidrigen Tat“, wie er etwa in §§ 26 f., 113 StGB verwendet wird, Gegenstand der Legaldefinition ist, nicht aber die Rechtswidrigkeit als solche; insoweit a.A. Roxin, AT I, § 13 Rn. 29. 651 Vgl. dazu BGH NJW 1992, 250 f. 652 Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 503. 653 Vgl. o.: 2. Teil B.II.1.; ebenso Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 362; Jescheck/Weigend, AT, § 34 I 3; Gropp, AT, § 6 Rn. 57. 649
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
scheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung beibehalten werden. b) Dispositionsbefugnis und Einwilligung Für die sich anschließende Untersuchung von erheblicher Bedeutung ist die Prüfung von Tatbeständen mit fehlender oder nur eingeschränkter Einwilligungsmöglichkeit des Rechtsgutsinhabers. Führt doch die mangelnde Dispositionsbefugnis im Hinblick auf überindividuelle Belange – wie etwa bei dem in Beispiel 11 betroffenen Leistungswettbewerb – dazu, dass der Einwilligung in diesem Bereich häufig jede Bedeutung abgesprochen wird.654 Im Ausgangspunkt ist eine Verfügung über Rechte Dritter unserem Rechtssystem wesensfremd,655 sodass die Frage nach der Möglichkeit einer Einwilligung stets mit derjenigen nach den Grenzen der Verfügungsbefugnis eines Rechtsgutsträgers verknüpft ist. Soweit mehrere Schutzgutsinhaber betroffen sind, lässt die Einwilligung eines einzelnen deswegen die Rechtswidrigkeit des Verhaltens gegenüber den anderen unberührt.656 Ebenso unbeachtlich bleibt die Einwilligung eines in tatsächlicher Hinsicht individuell besonders „Betroffenen“, der auf den ihm bloß mittelbar zugutekommenden Schutz eines Universalrechtsguts verzichtet hat.657 Weniger eindeutig werden die Vorgaben der allgemeinen Einwilligungsdogmatik dagegen, wenn in einem Strafgesetz neben einem Individualrechtsgut zusätzlich der Schutz eines an sich der Disposition des Rechtsgutsinhabers nicht zugänglichen Kollektivrechtsguts gewährleistet werden soll.658 Materiell entscheidend für die Wirkung einer Einwilligung muss sein, ob das tatbestandliche Unrecht vollständig auch dann verwirklicht ist, wenn der Rechtsgutsinhaber auf seinen Schutz verzichtet.659 Nach vorherrschender Auffassung ist dafür maßgeblich, ob die geschützten Rechtsgüter in einem Verhältnis des alternativen oder kumulativen Schutzes zueinander stehen.660 Eine alternative Schutzrichtung weisen Tatbestände auf, wenn sie es für die Strafbarkeit genügen lassen, dass der Täter eines von mehreren der geschützten Rechtsgüter verletzt.661 Einer solchen „eleganten Vorab654
Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 2 m.w.N.; vgl. auch Tsambikakis/Kretschmer, in: Böttger, WiStra in der Praxis, 14. Kap. Rn. 87. 655 Ausführlich Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 87 ff.; vgl. auch LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 116. 656 Statt Vieler LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 178. 657 Vgl. auch S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 36. 658 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 98 f.: „Die Frage wird im Schrifttum nicht abstrakt (gleichsam „vor die Klammer gezogen“) diskutiert“. Ausführungen zu dieser allgemeinen Frage finden sich vor allem im Kontext besonderer Tatbestände wie §§ 164, 315c StGB. 659 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 99. 660 Siehe etwa Roxin, AT I, § 13 Rn. 33 f.; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 36; Ellbogen/Richter, JuS 2002, 1192, 1197. 661 Roxin, AT I, § 13 Rn. 34; Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 92.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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erledigung der Einwilligungsproblematik“662 ist mit einer gewissen Zurückhaltung zu begegnen, weil man im Allgemeinen nicht davon ausgehen kann, dass der Gesetzgeber bereits die Verletzung eines Schutzgutes als hinreichend strafbarkeitsbegründend ansieht, wenn er einen Tatbestand mit mehrfacher Schutzrichtung versieht.663 Stehen dagegen disponibles und indisponibles Rechtsgut in einem Verhältnis kumulativen Schutzes, wird man die Besonderheiten des Tatbestandes über die Möglichkeit zur Einwilligung entscheiden lassen müssen.664 Insbesondere die Rechtsprechung stellt dabei – faktisch strenger – auf die „Bedeutsamkeit“ der jeweils geschützten Rechtsgüter ab,665 während die überwiegende Auffassung in der Literatur bereits einen partiellen Unrechtsausschluss infolge der Einwilligung ausreichen lassen will, um eine rechtfertigende Wirkung anzunehmen.666 c) Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen Für die weitere Untersuchung sind die an eine Kundgabe der Einwilligung zu stellenden Anforderungen interessant. In Beispiel 11 etwa liegt eine ausdrückliche Erklärung von Seiten der B-Bank nicht vor. Für das häufig von zivilrechtlichen Vorgaben abhängige Wirtschaftsstrafrecht ist insoweit festzuhalten, dass es zur Wirksamkeit einer Einwilligung weder einer rechtsgeschäftlichen Erklärung noch eines Zugangs beim Täter bedarf.667 Heute herrschend ist die sog. Willenskundgabetheorie, wonach die Einwilligung nur erklärt, d. h. nach außen kundgetan worden sein muss.668 Die Anforderungen daran werden indes deutlich dadurch abgeschwächt, dass bereits eine konkludente Erklärung ausreichen soll, wobei bloß 662
Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 94; vgl. auch Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 93 („dogmatischer Kunstgriff“). 663 Vgl. nochmals Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 93: „dem Strafrecht sind entsprechende [den alternativen Schutz bezweckende] Vorschriften grundsätzlich fremd“. Dazu aber auch Tiedemann, AT, Rn. 211; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 42: Eine rechtfertigende Wirkung sei nur möglich, wenn überindividuelle und individuelle Rechtsgutsaspekte gleichrangig nebeneinander treten. 664 Vgl. S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 36; Maurach/Zipf, AT I, § 17 Rn. 44, 51; Amelung, in: FS Dünnebier, S. 487, 507; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 98 f.; Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 94 ff.; LK12-ders., Vor § 331 Rn. 18 m.w.N. zu den Amtsdelikten; a.A. wohl Roxin, AT I, § 13 Rn. 34 (stets Ausschluss der Strafbarkeit bei kumulativem Rechtsgüterschutz). 665 BGHSt 23, 261, 264; NJW 2005, 1876, 1878 f.; vgl. dazu Maurach/Zipf, AT I, § 17 Rn. 44. 666 Ohne Bezug zu einem besonderen Tatbestand teilen dieses Ergebnis Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 135; Roxin, AT I, § 13 Rn. 34; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 99; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939 f. 667 Nahezu allg. Ansicht, siehe nur S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 43 m.w.N.; anders noch Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 56. 668 BGH NJW 1956, 1106; BayOblG NJW 1968, 665; Roxin, AT I, § 13 Rn. 71 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 34 IV 2; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 378; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 109 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 941.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
passivem Dulden der Verletzungshandlung die Erheblichkeit teilweise abgesprochen wird.669 Zur Rechtfertigung eines Kundgabeerfordernisses wird der Gedanke der Rechtssicherheit ganz nach vorne gestellt; ein bloß im forum internum verbleibender Umstand könne eine rechtliche Relevanz nicht entfalten.670 Äußerst treffend wird dem entgegengehalten, der einer Einwilligung zugrunde liegende Gedanke der Freiheitsbetätigung des Gutsinhabers werde durch eine solche Sichtweise vernachlässigt.671 Auch vermögen weder die mithilfe der Willenskundgabetheorie erzielten Ergebnisse672 noch die Tatsache, dass eine materielle Rechtsvon einer Beweisfrage abhängen soll, so recht zu überzeugen.673 Aufgrund dieser gravierenden Bedenken dürfen in der folgenden Betrachtung die Anforderungen an eine konkludente Erklärung nicht überspannt werden. Auch wenn die Kundgabe ein „Plus“ zur bloß inneren Tatsache darstellt, kann der wahre Wille des Rechtsgutsinhabers bei Disponibilität der verletzten Interessen nicht daran scheitern, dass eine Erklärung wie in Beispiel 11 nicht ausdrücklich entäußert wurde. 2. Die mutmaßliche Einwilligung Auf die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung kann es nur ankommen, wenn eine echte Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht einzuholen ist oder dieser ausnahmsweise keinen Wert auf eine solche Erklärung legt.674 Nach ganz überwiegender Auffassung wird das Rechtsinstitut als gewohnheitsrechtlich anerkannter Erlaubnissatz eigener Art eingeordnet,675 wenngleich ihr Platz in der Strafrechtsdogmatik durchaus unterschiedlich beurteilt wird: Teils betont man die Verwandtschaft zum rechtfertigenden Notstand;676 überwiegend wird jedoch die Nähe zur rechtfertigend wirkenden Einwilligung selbst in den Vordergrund gerückt.677 An 669 Kühl, AT, § 9 Rn. 31; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 111; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 104. 670 Roxin, AT I, § 13 Rn. 73; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 43; überzeugend weist Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 146 auf den Widerspruch zu den an das tatbestandsausschließende Einverständnis gestellten Anforderungen hin. Für Letzteres wird aufgrund des stärker tatsächlich geprägten Charakters eine Entäußerung des Willens ganz allgemein für entbehrlich gehalten. 671 Rönnau, Jura 2002, 665, 666; LK12-ders., Vor § 32 Rn. 162; Göbel, Einwilligung, S. 135 f. 672 Siehe nur das eindrucksvolle „Fensterbeispiel“ in SK-Samson, 5. Aufl., Vor § 32 Rn. 66. 673 Rönnau, Jura 2002, 665, 666. 674 BGHSt 16, 309, 312 („Einholung der Einwilligung unmöglich oder zwecklos“); S/SLenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 54 m.w.N. 675 BVerfG NJW 2002, 2164, 2165; BGHSt 16, 309, 312; 35, 246 ff.; 45, 219, 221; Fischer, Vor § 32 Rn. 4 m.w.N.; nur für Strafausschließungsgrund Maurach/Zipf, AT I, § 28 Rn. 4 ff.; vgl. weiter Schmidhäuser, AT, 6/92. 676 Rudolphi, in: GS Arm. Kaufmann, S. 371, 393; Welzel, Strafrecht, § 14 V; Otto, AT, § 8 Rn. 132; vgl. auch Roxin, AT I, § 18 Rn. 4. 677 Statt Vieler NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 158 m.w.N.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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letzterer Ansicht trifft zu, dass der wirkliche Wille des Rechtsgutsträgers im Tatzeitpunkt für „Mutmaßungen“ allein maßgebend sein muss und objektive Anhaltspunkte nur zur Ermittlung des hypothetisch wahren Willens herangezogen werden dürfen.678 Oberster Maßstab ist auch hier das Selbstbestimmungsrecht des Gutsinhabers.679 Daraus folgt der Schutz auch unvernünftiger (hier insbesondere: wirtschaftlich nachteilhafter) Entscheidungen des Berechtigten. Die Abhängigkeit von der Rechtsfigur Einwilligung lässt weitere Schlüsse auf ihre Wirksamkeitsvoraussetzungen zu. Denn als „Einwilligungssurrogat“ bleibt die mutmaßliche Einwilligung strikt subsidiär680 zu einer tatsächlich einholbaren Zustimmung, d. h. die Erreichbarkeit einer wirklichen Willensäußerung schließt außer bei offenkundigem Desinteresse des Schutzgutsinhabers die Wirksamkeit aus. Entsprechendes muss für den Umstand gelten, dass eine tatsächliche Einwilligung des Verfügungsberechtigten die sonstigen Voraussetzungen der Einwilligung nicht erfüllt hätte.681 Dem Grunde nach kann die mutmaßliche Einwilligung auf zwei unterschiedlichen Motivationen des Verfügungsbefugten beruhen: Neben dem überwiegenden Interesse des Rechtsgutsträgers an einem Einschreiten kommt nach herrschendem Verständnis eine Gestattung auch dort in Betracht, wo der Täter aus eigennützigen Beweggründen tätig wird („mangelndes Interesse“ des Einwilligungsbefugten).682 Klassischerweise ist ein Handeln zugunsten des materiellen Interesses des Opfers etwa bei Notoperationen eines Bewusstlosen gegeben. Wechselt ein Kind einen verschmutzten Geldschein gegen einen „neuen“ aus, wird dagegen zumeist ein Fall des mangelnden Interesses vorliegen.683 Wer sich gegen die Anerkennung einer Rechtfertigung aufgrund eines mangelnden Interesses bei egoistischen Motiven des Täters wendet,684 hält jede Hoffnung auf einen, auch noch so geringfügigen Gefallen des Gutsinhabers für vergeblich.685 Auch wenn die fremde Gütersphäre grundsätzlich eine „Tabuzone“ darstellt, ist bei eigennützigen Motiven des Eingreifenden eine Rechtfertigung nicht von vornherein ausgeschlossen. Es müssen dann aber konkrete 678 Einen ähnlichen Maßstab geben bekanntlich die §§ 677 ff. BGB vor, welchen im Hinblick auf das zivilrechtliche Deliktsrecht durchaus auch rechtfertigende Wirkung zukommen kann („echte berechtigte GoA“). Zumindest im Anwendungsbereich des § 679 BGB ergeben sich indes Unterschiede, die weiter gehen als der Anwendungsbereich der mutmaßlichen Einwilligung. Zum Ganzen ausführlich LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 215. 679 Vgl. für die h.L. Mezger, Strafrecht, S. 220; Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 2; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 121; Gropp, AT, § 6 Rn. 205; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 35 („Schutz vor übereifriger Fürsorge“). 680 Zum Subsidiaritätsprinzip nur Hoyer, JR 2000, 473, 474; Roxin, AT I, § 18 Rn. 10 ff. m.w.N. 681 NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 160; Geppert, JZ 1988, 1024, 1026 f. 682 Mezger, Strafrecht, S. 207 f., 218 f.; Roxin, AT I, § 18 Rn. 15 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 1 b; Tiedemann, JuS 1970, 108, 109; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 55 m.w.N. 683 Zum Ganzen Tiedemann, JuS 1970, 108. 684 So etwa Schmidhäuser, AT, 6/92; Yoshida, in: FS Roxin, 2001, S. 401, 419. 685 Vgl. Roxin, AT I, § 18 Rn. 17.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Rechtsgutsinhabers gegeben sein.686
III. Bedeutung der rechtfertigenden Einwilligung für unternehmensbezogene Straftaten Der überindividuelle Bezug wirtschaftsstrafrechtlicher Schutzgüter steht einer Einwilligung sensu stricto zunächst im Wege, wenn neben solchen Kollektivbelangen faktisch Interessen betroffen sind, die einer natürlichen oder juristischen Person zugeordnet werden können. So ist etwa im Rahmen eines auf „Schwarzarbeit“ beruhenden Beschäftigungsverhältnisses ohne Bedeutung, dass der Arbeitnehmer in die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a StGB) eingewilligt hat.687 Denn geschütztes Rechtsgut ist das Beitragsaufkommen der Sozialversicherung in seiner Gesamtheit688 und nicht der individuelle Sozialversicherungsanspruch des Arbeitnehmers. Als kollektives Schutzgut ist dieses aber der Zustimmung des Arbeitnehmers entzogen. Selbstverständlich gelten ähnliche Erwägungen für eine Lohnsteuerhinterziehung des insoweit abführpflichtigen Arbeitgebers, dessen Strafbarkeit nicht etwa aufgrund einer Zustimmung des Arbeitnehmers entfallen kann (§§ 370 AO, 38 Abs. 1 S. 2, 41a Abs. 2 EStG).689 Ebenso wenig können zustimmende Erklärungen der Steuerbehörde oder Einzugsstelle zu späterer Zahlung strafrechtlich als Unrechtsausschluss verstanden werden. Entsprechende Willensäußerungen beziehen sich allein auf die Fälligkeit und stellen deswegen Stundungen dar, die bereits auf Tatbestandsebene wirken.690 Für die rechtfertigende Einwilligung interessante Problemkreise ergeben sich jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen des Wirtschaftsstrafrechts, wenn eine Gesellschaft Trägerin betroffener Interessen ist. Denn dann kommt der Zustimmung der Anteilseigner als wirtschaftlich Berechtigten besondere Bedeutung zu. Diese können grundsätzlich über die Rechte der Gesellschaft verfügen, sodass für Beispiel 10 zu prüfen ist, welche Rechtsfolgen an eine Zustimmung der Gesellschafter A, B und C strafrechtlich zu knüpfen sind. Im Folgenden soll deswegen anhand von drei unterschiedlichen Konstellationen geklärt werden, wie sich ein Einverständnis bzw. eine Einwilligung von Gesellschaftern oder Gläubigern im Insolvenzstrafrecht auf die Haftung eines Geschäftsleiters auswirkt.
686 Zusammenfassend zu überwiegendem und mangelndem Interesse LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 223 m.w.N. 687 S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 25; Tiedemann, JZ 1986, 865, 874; LK11-Gribbohm, § 266a Rn. 78, 80 m.w.N. 688 Statt Aller Fischer, § 266a Rn. 2 m.w.N. 689 Ransiek/Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 634, 1328 ff.; Tiedemann, AT, Rn. 210. 690 Vgl. zu § 266a StGB Radtke, in: MüKo, § 266a Rn. 63; S/S-Perron, § 266a Rn. 7, 18; ferner schon oben: 3. Teil B.III.2.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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1. Verzicht der Anteilseigner auf strafbewehrte Verlustanzeige In den §§ 84 GmbHG, 401, 92 Abs. 1 AktG werden Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften mit Strafe bedroht, wenn sie es unterlassen, den jeweiligen Anteilseignern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stamm- bzw. Grundkapitals anzuzeigen.691 Die Vorschriften bedrohen bereits fahrlässiges Unterlassen mit Strafe, sind als Sonderdelikte ausgestaltet und in ihrer Existenzberechtigung durchaus nicht unumstritten.692 Widersprüchliches findet sich zu der Frage, wie sich ein (u. U. auch bereits in der Satzung erklärter) Verzicht der Kapitaleigner einer Gesellschaft auf die Strafbarkeit der Leitungsorgane auswirkt. Die insoweit angebotenen Lösungswege reichen von tatbestandsausschließendem Einverständnis693 über rechtfertigende Einwilligung694 bis hin zur Unbeachtlichkeit der vorherigen Zustimmung zur Verlustanzeige.695 Im Einzelnen muss differenziert werden: Zunächst ist für Beispiel 10 nach der Bedeutung eines Verzichts auf Information zu fragen, bevor dann ggf. die Anforderungen an dessen Wirksamkeit beschrieben werden können. a) Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung Zur sachgerechten Lösung erscheint es unumgänglich, sich die Tatbestandsstruktur und den Charakter der in den §§ 84 GmbHG, 401, 92 Abs. 1 AktG geschützten Rechtsgüter zu vergegenwärtigen. Zunächst sind für die Situation der G-GmbH in Beispiel 10 zwei Pflichten des Geschäftsführers auseinander zu halten: Allein die Pflicht zur Information der Gesellschafter ist gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbewehrt, während ein Verstoß des Geschäftsführers gegen die zusätzlich nach § 49 Abs. 3 GmbHG bestehende Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung in dieser Verlustsituation keine strafrechtliche Haftung nach sich zieht. Inwieweit Einberufungs- bzw. Informationspflicht gemäß dem allgemeinen Grundsatz des § 45 Abs. 2 GmbHG bereits im Gesellschaftsvertrag abdingbar sind, ist umstritten und wird von der überwiegenden Ansicht verneint.696 Jedenfalls kann nach überwiegender Auffassung ein Verzicht der Gesellschafter im
691 Der Vorstand einer AG muss darüber hinaus eine Hauptversammlung zu diesem Zwecke einberufen; vgl. Schaal, in: MüKo AktG, § 401 Rn. 24. Im Recht der GmbH ist die unterlassene Einberufung einer Gesellschafterversammlung dagegen nicht strafbewehrt, § 49 Abs. 3 GmbHG. Siehe sogleich. 692 Kritisch Müller-Gugenberger, in: FS Tiedemann, S. 1003, 1021. 693 Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 43. 694 Otto, Aktienstrafrecht, § 401 Rn. 55; andere Kommentierungen zum Aktienrecht rekurrieren regelmäßig darauf. 695 So etwa Ransiek, in: GroßKomm GmbHG, § 84 Rn. 26; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 84 Rn. 15 m.w.N. 696 Siehe nur Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 49 Rn. 143 f.; Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 17; Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 71; a.A. Koppensteiner/ Gruber, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 49 Rn. 15.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Hinblick auf Einberufung und Information jedoch ad hoc erklärt werden.697 Im Aktienrecht sind nach §§ 401, 92 Abs. 1 AktG dagegen sowohl Einberufung einer Hauptversammlung als auch Anzeige unter Androhung von Strafe geboten. Aus strafrechtlicher Perspektive ist der Auffassung entgegenzutreten, ein wirksamer Verzicht der Anteilseigner auf Information ließe als Einverständnis bereits den gesetzlichen Tatbestand entfallen.698 Ein Tatbestandsausschluss käme nur in Betracht, wenn ein Unterlassen seinen deliktischen Charakter gerade dadurch erhielte, dass es gegen oder zumindest ohne den Willen der Anteilseigner geschieht.699 Es ist mit Mitsch700 in Bezug auf § 84 GmbHG bzw. § 401 AktG zu fragen, welches Tatbestandsmerkmal denn nun entfallen soll, wenn die Gesellschafter auf eine Unterrichtung verzichten. Auch in Beispiel 10 unterlässt G als Geschäftsführer zumindest begrifflich die Unterrichtung, wenn er A, B und701 C nicht von dem eingetretenen Verlust unterrichtet. Darüber hinaus spricht gegen einen Ausschluss bereits auf Tatbestandsebene, dass nach allg. Ansicht zumindest nicht ausschließlich Gesellschafterinteressen die Anzeige an die Anteilseigner gebieten. Wer diesen Umstand anerkennt, verhält sich widersprüchlich, wenn ein Unterlassen der Anzeige bereits bei einem Verzicht der Gesellschafter dann doch nicht als Unterlassen gewertet wird.702 Im Übrigen sind Fragen nach der Tragweite der Dispositionsbefugnis (hier konkret: Umfang der in §§ 84 GmbHG, 401 AktG tatbestandlich geschützten Interessen) auf der Wertungsebene Rechtswidrigkeit besser angesiedelt. Denn die Grundsätze über das tatbestandliche Einverständnis vermögen zahlreiche bedeutsame Aspekte, die in der Verzichtserklärung der Gesellschafter auftreten können, nicht richtig zu erfassen. Wurde in Beispiel 10 der C etwa trotz Bedenken um die Lage der Gesellschaft von A und B in unredlicher Weise gedrängt, seine Verzichtserklärung abzugeben, wäre diesem Umstand unter Heranziehung der Grundsätze über das Einverständnis zumindest im Ausgangspunkt schwieriger beizukommen.703 Ob nun der möglicherweise schon in der Satzung erklärten Einwilligung der Anteilseigner in die Nichtanzeige des Verlustes bzw. in ein Unterlassen der Einberufung einer Hauptversammlung rechtfertigende Wirkung zukommt, ist anhand der allgemeinen Kriterien zu bestimmen. Der die Frage bejahenden ganz h.M. im Ak697
Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 17; Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 84 GmbHG Rn. 45 („rechtfertigende Einwilligung“). 698 Für ein Entfallen des Straftatbestandes aufgrund einer Verzichtserklärung insbesondere Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 43. 699 s. o.: 3. Teil C.II.1. und S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 31. 700 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 95. 701 Die Anzeige hat an alle Gesellschafter zu erfolgen, siehe nur Haas, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 84 Rn. 15 m.w.N. 702 Insoweit unklar Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 42 und 43. 703 Vgl. auch insoweit 3. Teil C.II.1.c).
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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tienstrafrecht704 steht für die GmbH die wohl noch überwiegende Ansicht gegenüber, die insoweit den rechtfertigenden Charakter eines Notifikationsverzichts der Gesellschafter verneint.705 Sachliche Gründe für dieses je nach Rechtsform unterschiedliche Bild werden nirgends aufgeführt.706 Allein die zusätzlich strafbewehrte Pflicht der Einberufung einer Hauptversammlung mag in praktischer Hinsicht eher dazu führen, dem Vorstand einer AG diese Last bei vorheriger Verzichtserklärung der Aktionäre zu nehmen. Dennoch kann das insoweit strafrechtlich modifizierte Pflichtenprogramm des Vorstands im Vergleich zum Geschäftsführer schwerlich zu einer abweichenden Beurteilung hinsichtlich der richtigen dogmatischen Einordnung des Verzichts führen. Entscheidend muss hier wie dort sein, ob die Anteilseigner in ein Unterlassen des Geschäftsleitungsorgans rechtfertigend einwilligen können. In Bezug auf die strafrechtliche Bewertung eines Notifikationsverzichts ist weiter ohne Belang, dass die Pflicht zur Verlustanzeige dann entfällt, wenn die Gesellschafter bereits anderweitig – von dritter Seite oder auch von einem anderen Gesellschaftsorgan – Kenntnis erlangt haben.707 Denn dann ist der durch die gesetzliche Handlungspflicht bezweckte Zustand ja eingetreten – die Gesellschafter sind informiert. Dies ist indes augenscheinlich nicht der Fall, wenn die Anteilseigner wie in Beispiel 10 im Ergebnis trotz Verzichts in der konkreten Verlustsituation ohne Kenntnis von der Lage der Gesellschaft bleiben. Entscheidend für Erheblichkeit oder Unbeachtlichkeit der Einwilligung muss vielmehr sein, welche Rechtsgüter geschützt werden und inwieweit die Anteilseigner insoweit verfügungsberechtigt sind.708 aa) Bestimmung des Rechtsguts in §§ 84 GmbHG, 401 AktG Die Zielrichtung des § 84 GmbHG ist im Zusammenhang mit § 49 Abs. 3 GmbHG zu sehen, wonach die Einberufung einer Gesellschafterversammlung durch den Geschäftsführer vorgeschrieben wird, wenn das Eigenkapital auf die Hälfte des 704 Otto, Aktienstrafrecht, § 401 Rn. 55; Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 401 AktG Rn. 33; Oetker, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 401 Rn. 8; Müller-Michaels, in: Hölters, AktG, § 401 Rn. 19; Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 401 Rn. 35. 705 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 84 Rn. 15; Ransiek, in: GroßKomm GmbHG, § 84 Rn. 26; Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 84 Rn. 50; Schaal, in: Rowedder/SchmidtLeithoff, GmbHG, § 84 Rn. 19. 706 Die insoweit unterschiedlichen Auffassungen sind umso verwunderlicher, als § 401 AktG im RegE 1977 zur Einführung von § 84 GmbHG als Vorbild diente und anerkannt ist, dass sich die Strukturen der Tatbestände, von der Einberufung der Hauptversammlung nach § 92 Abs. 1 AktG einmal abgesehen, entsprechen. 707 Das Entfallen der Pflicht ist dann allgemein anerkannt, siehe Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 84 Rn. 8 m.w.N.; abweichend will Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 42 die beiden Fälle gleichsetzen. 708 s. o.: 3. Teil C.II.1.c).
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Stammkapitals sinkt. Zur Abwendung dieser wirtschaftlich bedrohlichen Verlustsituation sollen die Anteilseigner in die Lage versetzt werden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen,709 also insbesondere eine Kapitalerhöhung durchzuführen. In Beispiel 10 soll es A, B und C aufgrund von §§ 84, 49 Abs. 3 GmbHG etwa ermöglicht werden, ihre Produktstrategie zu überdenken. Schutzgüter der Vorschriften sind die Informationsinteressen der Gesellschafter als Teil ihrer mitgliedschaftlichen Rechte und damit einhergehend deren Vermögensschutz. Letzteres insofern, als es ihnen infolge der Information möglich wird, eine geeignete Investitionsentscheidung zu treffen, d. h. ihre verbleibenden Beteiligungsbeiträge ggf. auch abzuziehen.710 Da die ernste wirtschaftliche Krise bei typisierter Betrachtung ohne Ergreifen von Gegenmaßnahmen vielfach das Ende der Gesellschaft bedeuten kann, haben die §§ 84 GmbHG, 401 AktG schließlich auch den Bestandsschutz der GmbH bzw. der AG als solches im Auge.711 Darüber hinaus steht die werbende Gesellschaft aber zu einer Vielzahl anderer Rechtssubjekte – in erster Linie zu ihren Gläubigern – in geschäftlichen Beziehungen. Nun könnte deren Schutz jedoch nur dann in den telos der Vorschrift einbezogen sein, wenn die Gesellschafter sich nicht zu einer Desinvestitionsentscheidung entschließen könnten. Denn bei typisierter Betrachtung verschlechterten sich die Aussichten der Gläubiger auf vollständige Befriedigung bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens bzw. Vollbeendigung eher, sie verbesserten sich jedenfalls nicht weiter. Die Gesellschafter können zu einer Sanierung aber nicht gezwungen werden712 und daher mag ein auf §§ 49 Abs. 3, 84 GmbHG hin getroffener Gesellschafterbeschluss de facto auch durchaus zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger ausfallen. Gläubigerschutz wird unter Rücksicht auf diesen Umstand durch die Verlustanzeigepflicht nicht bezweckt.713 Selbstverständlich sollen die Vorschriften des GmbHG bzw. AktG Gläubigerschutz immer auch in dem abstrakten Sinne ermöglichen, dass die Institution der GmbH als solche Gläubiger-
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BT.-Drucks. 8/3908, S. 78. Vgl. auch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 4. 711 I. E. ebenso Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 4; vgl. auch Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 84 Rn. 7. Die Begründung, die Gesellschaft werde geschützt, weil das Gesellschafterinteresse an der Erhaltung mit dem rechtlichen Bestandsinteresse der GmbH identisch sei, trägt jedenfalls dann nicht, wenn sich Gesellschafter aufgrund der ernsten wirtschaftlichen Situation für ein Ausscheiden entscheiden. 712 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 84 Rn. 17; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 5; abweichend noch Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 84 Rn. 8 Fn. 5, wo angenommen wurde, die Gesellschafter müssten in der Situation des § 84 GmbHG „Entscheidungen zur weiteren Entwicklung der Gesellschaft“ treffen; vgl. aber auch Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 49 Rn. 14 m.w.N., wo eine solche Pflicht der Gesellschafter zu Recht explizit verneint wird. 713 So auch die h.L., vgl. Wißmann, in: MüKo GmbHG, § 84 Rn. 13; abweichend Ransiek, in: GroßKomm GmbHG, § 84 Rn. 26, wo den Gesellschaftern wohl die Dispositionsbefugnis abgesprochen wird. Zum Ganzen auch BGH wistra 1982, 188, 191. 710
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interessen wahrt.714 Darüber hinaus spielen Gläubigerinteressen als Schutzgüter in Fällen wie Beispiel 10 jedoch keine Rolle. bb) Auswirkungen auf die Einwilligungsfähigkeit der Gesellschafter Für die Einwilligungsfähigkeit bedeutet dies Folgendes: Rechtsgüter der Gesellschaftsgläubiger sind unbestritten nicht in einer Art und Weise betroffen, dass auch deren Zustimmung zu einem wirksamen Verzicht auf Notifikation nötig wäre. In Beispiel 10 kommt es für einen wirksamen Verzicht auf die G treffende Informationspflicht deswegen nicht darauf an, mit wem die G-GmbH in geschäftlichen Beziehungen steht. Fraglich ist, ob sich aus den Interessen der Gesellschaft selbst oder aber dem allgemeinen Institutionenschutz der GmbH bzw. der AG ergibt, dass Anteilseignern eine wirksame Einwilligung versperrt wäre, weil es ihnen insoweit an der Dispositionsbefugnis fehlte. Diese Gesichtspunkte sind in der Sache wohl gemeint, wenn in Stellungnahmen zu dem Problemkreis immer wieder diffus auf „öffentliche Interessen“ abgestellt wird, die eine rechtfertigende Einwilligung ausschließen sollen.715 Bestandsinteresse der Gesellschaft und Institutionenschutz von GmbH und AG sind eigenständige Rechtsgüter und als solche getrennt zu würdigen. Für das Existenzinteresse der Gesellschaft selbst gilt dabei, dass es nicht weiter gehen kann als die Gesellschafter dies begehren.716 Denn wenn sie auf die Vollbeendigung zielen, erscheint die Auflösung der Gesellschaft unvermeidlich, vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. Ihr Verzicht muss also auch in Ansehung von Bestandsinteressen der Gesellschaft als bindend angesehen werden, weil die Gesellschafter als materiell Berechtigte über die Auflösung ihres Vermögensträgers entscheidungsbefugt sind. Ein Bestandsinteresse kann also nicht über die Gesellschafterinteressen hinaus geschützt werden und steht deren Einwilligung damit nicht im Wege.717 Problematisch erscheint nun, dass die Gesellschaft als Institution im abstrakten Sinne durch die Regelungen des GmbH-Gesetzes geschützt wird, die auch ihre Stellung im Rechtsverkehr betreffen. In der Hoffnung auf rechtsträgererhaltende Maßnahmen informierter Gesellschafter718 in Zeiten der wirtschaftlichen Krise hat 714
Neurath, in: Praxiskommentar GmbHG, § 84 Rn. 12 stellt auf den insbesondere durch das MoMiG (Fn. 1127) bezweckten Schutz vor Rechtsformmissbrauch ab, um den Gläubigerschutz zu begründen; vgl. auch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 42. 715 Auf dieser Floskel verharrend Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 84 Rn. 50; Schaal, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 84 GmbHG Rn. 8; ders., in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 84 Rn. 19; Pfeiffer, in: FS Rowedder, S. 347, 354; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 84 Rn. 15. 716 Siehe bereits oben und ähnlich Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 84 Rn. 17 sowie Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 5. 717 A.A. ohne Begründung Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 84 Rn. 24. 718 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, § 84 Rn. 8 spricht von „seriöser Unternehmensführung“.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
der Gesetzgeber die Regelung des § 84 GmbHG eingeführt. Diese Intention wirkt sich natürlich mittelbar zugunsten derjenigen aus, die mit der Gesellschaft geschäftliche Verbindungen eingegangen sind. In diesem Sinne mag auch der Schutz des Rechtsverkehrs als überindividuelles Rechtsgut mit der Verlustinformationspflicht der §§ 401 AktG, 84 GmbHG bezweckt sein. Doch da A, B und C in Beispiel 10 in tatsächlicher Hinsicht die Gesellschaft nicht weiterführen müssen, kann im Zusammenhang mit der Verlustnotifikationspflicht der abstrakte Institutionenschutz einer Einwilligung nicht entgegenstehen. Denn es bleibt hinsichtlich des Erhalts der Gesellschaft bei einer typisierten „Erwartungshaltung“ des Gesetzgebers auf gesellschaftsstärkende Handlungen, denen die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis der Anteilseigner zuwiderlaufen kann.719 Der Schutz des Rechtsverkehrs geht in der Situation der §§ 84 GmbHG, 401 AktG nicht weiter als der Wille der jeweiligen Anteilseigner und schließt deswegen einen rechtfertigend wirkenden Verzicht der Gesellschafter auch nicht aus.720 Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird auch für die GmbH schließlich durch eine gesellschaftsrechtliche Erwägung bestätigt. Denn auf die nach § 49 Abs. 3 GmbHG erforderliche – wenn auch im Unterschied zu den Verhältnissen in der AG nach §§ 401, 92 Abs. 1 AktG nicht strafbewehrte – Einberufung der Gesellschaftsversammlung in eben jener Verlustsituation der Hälfte des Stammkapitals kann nach herrschender Ansicht im Gesellschaftsrecht verzichtet werden.721 Wenn die Anteilseigner also gesellschaftsrechtlich auf (qualifizierte) Information verzichten können, spricht nichts dafür, ihnen strafrechtlich ebendiese Information aufzudrängen. Die Rechtslage zur GmbH deckt sich demzufolge mit derjenigen in der Unternehmergesellschaft722 und in der AG: Eine wirksame Verzichterklärung der Anteilseigner im Hinblick auf die strafbewehrte Pflicht zur Verlustanzeige wirkt zugunsten des betroffenen Leitungsorgans als rechtfertigende Einwilligung. b) Anforderungen an die Einwilligung Mit diesem Befund ist noch nichts darüber ausgesagt, welche Anforderungen an einen wirksamen Verzicht seitens A, B und C in Beispiel 10 zu stellen sind. Insofern 719 Für eine solche, bloß reflexive Wirkung nach außen für § 49 Abs. 3 GmbHG auch K. Schmidt/Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 49 Rn. 23. 720 Neben der h.M. im Aktienrecht teilt auch eine im Vordringen befindliche Auffassung zu § 84 GmbHG dieses Ergebnis: Richter, GmbHR 1984, 113, 121; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 42 f. („Einverständnis“); Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 84 GmbHG Rn. 4, 45; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 84 Rn. 16. 721 Siehe nur K. Schmidt/Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 49 Rn. 33; Zöllner, in; Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 49 Rn. 21; Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 49 Rn. 127 m.w.N. Dies gilt zumindest, wenn die Gesellschafter in Kenntnis der Verlustsituation handeln. Eine andere Frage ist es freilich, inwieweit dieser Verzicht bereits in der Satzung erklärt werden kann. Vgl. Fn. 733. 722 Für die Unternehmergesellschaft ist Straflosigkeit der Geschäftsführer anerkannt: Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 84 Rn. 3.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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ist es wohl allgemeine Meinung, dass der Verzicht bloß eines Gesellschafters, der nicht Alleingesellschafter ist, oder auch einer Mehrheit von Gesellschaftern keine Rechtswirkungen zeitigt.723 Dies entspricht der gängigen Dogmatik zu den Voraussetzungen der Einwilligung. Denn bei mehreren Rechtsgutsträgern hat jeder einzelne in die Beeinträchtigung des Rechtsguts einzuwilligen, da eine Verfügung über fremde Rechte von vornherein ausscheidet.724 Auch gesellschaftsrechtlich ist die Gesellschaftergesamtheit als Inhaberin des Vermögens aufzufassen.725 Abweichendes kann nur gelten, wenn für die dem Einverständnis zugrunde liegende Frage ein Gesellschaftsbeschluss erforderlich ist.726 Ein solcher Fall liegt im Zusammenhang mit den gemäß §§ 84 GmbHG, 401 AktG betroffenen Informationen indes nicht vor. Es geht vielmehr darum, jedem einzelnen Gesellschafter die Möglichkeit zu erhalten, eine geeignete (De-)Investitionsentscheidung zu treffen. Insbesondere für Aktiengesellschaften wird weiter darauf hingewiesen, dass aus diesem Grunde überhaupt nur bei einem überschaubaren Kreis von Anteilseignern ein Unrechtsausschluss zu erwägen ist.727 Angesprochen ist damit ein tiefer liegendes, praktisches Problem. Denn auf die Zustimmung nur eines Teils der Gesellschafter kommt es nicht entscheidend an, wenn bereits in der Satzung der Kapitalgesellschaft ein entsprechender Verzicht festgelegt ist. Die Frage stellt sich aufgrund der im Aktienrecht geltenden Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 S. 1 AktG) freilich nur für die GmbH.728 Dieser Umstand erklärt, weswegen in manchen Stellungnahmen zur Einwilligung in § 401 AktG unter Berufung auf Otto729 davon ausgegangen wird, dass die Aktionäre nur in Kenntnis der Verlustsituation auf die nachgelagerte Hauptversammlung verzichten können. Ohne vorherige Verlustanzeige an die Aktionäre durch den Vorstand einer AG wäre demnach ein Verzicht auf das Einberufen einer Hauptversammlung unwirksam. Im Schrifttum zur GmbH wird teilweise zusätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Verzicht der Gesellschafter und Verlustsituation für notwendig gehalten.730 Wenn in Beispiel 10 A, B und C den Geschäftsführer G schon vor Einführung des verlustträchtigen Produkts darüber informiert hätten, dass 723 Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 401 AktG Rn. 33; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 42; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 84 Rn. 17. 724 s. o.: 3. Teil C.II.1.b). 725 Vgl. nur BGH NJW 2010, 3458, 3460 f.; S/S-Perron, § 266 Rn. 21; Wittig, in: Beck OK, § 266 Rn. 22.1; anschaulich Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 307 ff. („Wem gehört die GmbH?“); ausführlich Soyka, Untreue, S. 61 f., 197 f. 726 BGH NJW 2010, 3458, 3461 m.w.N.; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 72; vgl. auch Soyka, Untreue, S. 149 ff. 727 Otto, Aktienstrafrecht, § 401 Rn. 55; Geilen, in: KK AktG, § 401 Rn. 47. 728 Habersack, in: GroßKomm AktG, § 92 Rn. 8. 729 Otto, Aktienstrafrecht, § 401 Rn. 55; ihm folgend Müller-Michaels, in: Hölters, AktG, § 401 Rn. 19 („von der Krise unterrichtet“); Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 401 Rn. 35 („in Kenntnis der Verlustsituation“). 730 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 84 Rn. 17; Voßen, in: Beck OK GmbHG, § 84 Rn. 9.
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es ihnen nicht auf eine Information von Verlusten ankommt, wäre eine solche Erklärung danach wohl nicht geeignet, die Haftung wegen unterlassener Anzeige auszuschließen. Auch ein im Gesellschaftsvertrag erklärter Verzicht wäre unbeachtlich. Demgegenüber verlangt die allgemeine Dogmatik für die Wirksamkeit einer Einwilligung allein eine Erklärung vor dem infrage stehenden Unterlassen, dessen Voraussetzungen im Moment der Tatbegehung noch vorliegen.731 Auch die Frage nach der strafrechtlichen Bedeutung eines satzungsmäßigen Verzichts auf Notifikation lässt sich mithilfe der bestehenden Einwilligungsdogmatik sachgerecht beantworten. Insofern können nämlich die Grundsätze zur Bindungswirkung antizipiert erklärter Einwilligungen herangezogen werden. Solche Einwilligungen sind im Ausgangspunkt wirksam und frei widerruflich. Sofern also ein Verzicht auf die Schutzwirkung des § 84 GmbHG732 bereits in der Satzung verankert ist, wirkt dieser auch strafrechtlich, es sei denn, besondere Anhaltspunkte begründen einen Widerruf des in der Satzung erklärten Verzichts. Solche Anhaltspunkte werden regelmäßig nicht schon im besonderen Ausmaß des Vermögensverlusts zu erblicken sein. Schließlich wird diese Situation von der auf § 84 GmbHG bezogenen Verzichtserklärung typisiert erfasst.733 c) Zwischenergebnis: Verzicht der Gesellschafter auf die strafbewehrte Verlustanzeige Wenn Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft auf die strafbewehrte Verlustanzeige des Geschäftsführungsorgans verzichten, wirkt eine entsprechende Erklärung als rechtfertigende Einwilligung zugunsten des unterlassenden Organs. Da die entsprechenden Strafvorschriften keine Interessen schützen, die nicht der Disposition der Anteilseigner zugänglich sind, ist deren Verzicht strafrechtlich wirksam, sofern alle Gesellschafter zustimmen. Bei einem vorab erklärten Verzicht ist zu prüfen, ob sich aus den Umständen des Einzelfalls Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Verzichtserklärung widerrufen wurde. Dies ist durch Auslegung der Erklärung und Art der konkret eingetretenen Verlustsituation zu ermitteln. 731
s. o.: 3. Teil C.II.1.c) und ausführlich Mitsch, Rechtfertigung, S. 595 ff. Ein solcher ist streng genommen von der in § 49 Abs. 3 GmbHG normierten Einberufungspflicht zu unterscheiden. Ob ein solcher – nach h.A. gesellschaftsrechtlich unwirksamer (vgl. Fn. 733) – Verzicht auf Einberufung in der Satzung auch die Informationspflicht erfasst, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. 733 Weil aber nach heute h.M. der Verzicht auf die Einberufung einer Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG nicht dispositiv ist, dürfte in der Kautelarpraxis wohl regelmäßig auch nicht auf die (vorgelagerte) Notifikation der Gesellschafter verzichtet worden sein, vgl. nur K. Schmidt/Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 49 Rn. 32 f.; Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 49 Rn. 22 jeweils m.w.N. Es ist anzumerken, dass der Verweis der insoweit h.M. auf die Strafbarkeit (§ 84 GmbHG) zur Begründung von § 49 Abs. 3 GmbHG als ius cogens schon deswegen zweifelhaft ist, weil das Unterlassen der Einberufung einer Gesellschafterversammlung ja gerade nicht strafbar ist; vgl. auch Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 71. 732
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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In Beispiel 10 haben A, B und C gemeinsam in Kenntnis der für die Verlustsituation maßgeblichen Umstände einen Verzicht erklärt. Das Unterlassen einer Unterrichtung durch G war aufgrund der rechtfertigenden Einwilligung der Gesellschafter damit zulässig. Inwieweit auch ein Verzicht auf die Einberufung einer Gesellschafterversammlung (§ 49 Abs. 3 GmbHG) möglich war, hat für das Strafrecht keine Bedeutung. 2. Einwilligung der Gläubiger in die Insolvenzverschleppung Mit Fortschreiten der Unternehmenskrise in der Kapitalgesellschaft eröffnet sich ein weiterer Kontext, für den sich ein Blick auf die rechtfertigende Einwilligung lohnt: Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes wird nach §§ 15a Abs. 1, 4 und 5 InsO mit Strafe bedroht, wer als antragspflichtige Person nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig Insolvenzantrag stellt, obwohl materielle Insolvenzreife vorliegt. Unter diesen Vorzeichen ist wirtschaftlich die Lage der Gesellschaft in aller Regel noch ernster und eine reale Gefährdung der Gläubiger wegen der Haftungsbeschränkung juristischer Personen greifbar.734 Ein vertretungsberechtigtes Organ einer Kapitalgesellschaft wird in der Praxis gleichwohl zum Zögern neigen, wenn die Gesellschafter oder sogar die Gläubiger dem (einstweiligen) Unterlassen einer Antragstellung zustimmen oder gar auf ein Zuwarten drängen. Es lohnt also ein kurzer Blick auf die strafrechtlichen Auswirkungen derartiger Erklärungen. Dabei wird heute zu Recht einhellig anerkannt, dass eine wie auch immer geartete Zustimmung der Anteilseigner oder eines Aufsichtsorgans der Gesellschaft ohne Einfluss auf das Rechtswidrigkeitsurteil sein muss.735 Geschützt werden sollen nämlich durch die Vorschrift in erster Linie Gläubigerinteressen736 und nicht das Vermögen der Gesellschafter. Deren Interessen werden diesem Schutzzweck sogar oftmals zuwider laufen. Denn solange die Gesellschaft werbend am Markt tätig ist, besteht für die Gesellschafter noch die Hoffnung auf Besserung der wirtschaftlichen Lage. Ist der Insolvenzantrag dagegen erst einmal gestellt, wird dies regelmäßig auf die für Gesellschafter wenig lukrative Abwicklung hinauslaufen, vgl. § 199 S. 2 InsO. Die Anteilseigner sind also unter keinen Umständen einwilligungsbefugt, weil ihnen die Dispositionsmacht über die maßgeblichen Interessen mangels Rechts-
734 Fritsche/Lieder, DZWiR 2004, 93, 94 weisen darauf hin, dass sich die Haftungsbeschränkung juristischer Personen überhaupt erst aufgrund des Zusammenspiels von Kapitalerhaltungspflichten und Insolvenzantragspflicht legitimieren lässt. 735 Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 52; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rn. 12; aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nur K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl., § 64 Rn. 4, 21. 736 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 109a (zu § 15a InsO); Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 30.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
gutsträgerschaft nicht zusteht.737 Etwas schwieriger gestaltet sich dagegen die Würdigung von Gläubigererklärungen, in denen die Zustimmung zum Unterlassen der Antragstellung ausgesprochen wird. a) Abgrenzung zum Tatbestandsausschluss Will man die Einwilligung von Gläubigern im Kontext des § 15a InsO richtig einordnen, sind zunächst deren rechtsgeschäftliche Handlungen von einer formlos erklärten Zustimmung zu unterscheiden. Denn es ist offenkundig, dass durch entsprechende Vereinbarungen des Schuldners mit Gläubigern wie Stundung oder Erlass die Insolvenzgründe an sich, d. h. Überschuldung oder (schon schwieriger) Zahlungsunfähigkeit, beseitigt werden können.738 Solche Rechtsgeschäfte der Gläubiger mit dem Schuldner im insolvenzrechtlichen Sinne begründen kein den Tatbestand ausschließendes Einverständnis, wie es das Strafrecht sonst kennt.739 Schließlich setzen die Insolvenzgründe weder ausdrücklich noch ein durch Auslegung zu ermittelndes Handeln des Täters gegen den Willen der Insolvenzgläubiger voraus.740 Nicht durch, sondern bloß infolge (d. h. als Rechtsreflex) der Gläubigerhandlungen entfällt eine zivilrechtsakzessorische Tatbestandsvoraussetzung. Die Gesellschaftsgläubiger werden zu solchen Sanierungshandlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen nicht immer bereit sein. Denn sie werden ihre Ansprüche nicht früher als nötig rechtsverbindlich abschreiben wollen. Andererseits sind sie auf den Fortgang des Unternehmens angewiesen, um eine Befriedigung nur der Insolvenzquote nach zu verhindern. Befreien sie den Geschäftsführer oder den Schuldner etwa in einer gemeinsamen Erklärung von seiner Antragspflicht, so wird man dem zivilrechtlich nicht zugleich einen teilweisen Verzicht pro rata entnehmen können.741 Schon nach den Vorgaben der Rechtsgeschäftslehre sind Erklärungen mit Verzichtswillen regelmäßig eng auszulegen.742 Weiter wären mit der Abhängigkeit von der Liquiditätssituation der Gesellschaft die Grenzen der Bestimmbarkeit hinsichtlich des Umfangs einer solchen Verzichtserklärung wohl überschritten.743 Es 737
Vgl. zur Pflichtenverteilung nach Insolvenzreife auch Bisson, GmbHR 2005, 1453, 1457; Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 821; zum Gegenstand der Einwilligung allgemein LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 178. 738 Darauf weist Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 53 hin. Dort finden sich weiter Erwägungen zur Anfechtbarkeit solcher Vereinbarungen und zum Schutz der Gläubiger vor Täuschungshandlungen von Organen in der Krise der Gesellschaft durch § 263 StGB. 739 Auch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 53 setzt den Begriff des Einverständnisses in Anführungszeichen. 740 Vgl. zur Abgrenzung von Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung nochmals oben: 3. Teil C.II.1.a) und Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 124 ff. m.w.N. 741 A.A. wohl Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 54. 742 Vgl. statt Vieler Schlüter, in: MüKo BGB, § 397 Rn. 3 m.w.N. auch zur höchstrichterlichen Rspr. 743 Zu den Voraussetzungen der Bestimmbarkeit beim Teilerlass Rieble, in: Staudinger, BGB, § 397 Rn. 131.
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bleibt deshalb zu fragen, ob entsprechende Erklärungen durch Gläubiger das Organ einer Kapitalgesellschaft von der Antragspflicht strafrechtlich auf anderem Weg wirksam befreien. b) Einwilligungsfähigkeit der Gläubiger Stellungnahmen, die sich zur Frage der Einwilligungsfähigkeit aller Gläubiger im Hinblick auf die Insolvenzverschleppung verhalten, lehnen eine Rechtfertigung des Insolvenzantragspflichtigen auch bei Einwilligung der Gesamtheit der Gläubiger einhellig ab.744 Dabei ähnelt die Situation der betroffenen Rechtsgüter durchaus derjenigen in § 84 GmbHG. Wie dort die Gesellschafter werden im Rahmen von § 15a InsO zunächst diejenigen Forderungsinhaber durch die Insolvenzantragspflicht geschützt, die im Zeitpunkt der Antragstellung bereits Gläubiger sind.745 Hinsichtlich dieser Interessen der Gläubiger wird man den Betroffenen die Möglichkeit zur Einwilligung kaum absprechen können. Darüber hinaus dient die Vorschrift aber auch dem Schutz des Rechtsverkehrs, d. h. möglicher neuer Gläubiger, vor geschäftlichen Handlungen mit einer materiell insolventen Gesellschaft.746 Dieser Verkehrsschutz betrifft ein kollektives Rechtsgut und wird auch in weiterem Umfang gewährleistet als in § 84 GmbHG. Während dort die Gesellschafter nämlich bei Eintreten des Verlustes über Liquidation bzw. Vollbeendigung beschließen konnten, ist in § 15a InsO das Rechtsgut der Verkehrssicherheit der Disposition von Altgläubigern einer GmbH entzogen.747 Es genügt nach der Schutzrichtung der Insolvenzantragspflicht für deren Verletzung, dass mögliche Geschäftspartner der GmbH durch ihre materielle Insolvenz künftig gefährdet werden. In der Sprache der Einwilligungsdogmatik sind Vermögen der Altgläubiger und Verkehrsschutz also alternativ geschützte Rechtsgüter, d. h. der Unrechtsgehalt des Tatbestandes wird bereits mit einer Gefährdung des Kollektivrechtsguts verwirklicht.748 Aus diesem Grund entzieht sich der Verkehrsschutz hier der Dispositionsbefugnis aller Altgläubiger.
744 Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 11 Rn. 19 mit Verweis auf BGHZ 108, 134, 146; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 53 f.; Richter, GmbHR 1984, 113, 120; Kiethe/ Hohmann, in: MüKo, § 15a InsO Rn. 76. 745 Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rn. 1; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 64 Rn. 6 (zu § 15a InsO). 746 Becker, Insolvenzrecht, § 9 Rn. 438; Tiedemann, in: Scholz, Vor § 82 Rn. 30; Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 11 Rn. 19; Borchardt, in: HamKo InsO, § 15a Abs. 4, 5 Rn. 4. 747 Selbst wenn sich die Geschäftsführung – wenig lebensnah – verpflichtete, keine neuen geschäftlichen Kontakte zur Vermeidung von Neugläubigern einzugehen, stünde einer solchen Vereinbarung i.E. § 137 BGB im Wege. 748 s. o.: 3. Teil C.II.1.b).
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3. Exkurs: Einwilligung der vorhandenen Gesellschaftsgläubiger im Rahmen der §§ 283 ff. StGB Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass die fehlende Dispositionsbefugnis der aktuellen Gesellschaftsgläubiger den tatbestandlichen Besonderheiten der Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO geschuldet ist. Anders verhält es sich im Rahmen der allgemeinen Bankrottdelikte. Bedeutung hat dies vor allem für den strafrechtlich riskanten Bereich der sog. freien Sanierung.749 Sanierungsmaßnahmen des Schuldners wie die Übertragung von Gesellschaftsvermögen in eine Auffanggesellschaft oder auch von Wertpapieren auf eine sog. „Bad Bank“ können den Straftatbestand des § 283 StGB verwirklichen.750 Bei Konsentierung solcher Maßnahmen durch alle Gläubiger der Gesellschaft müssen solche Bemühungen freilich möglich bleiben.751 Dass die Zustimmung der Gläubiger zu Maßnahmen der beschriebenen Art strafrechtlich auf Ebene der Rechtswidrigkeit wirkt und die Einwilligung das richtige Mittel zur Lösung des Problems darstellt, wird anerkannt.752 Allerdings sind die Stellungnahmen zu den geschützten Rechtsgütern teilweise fragwürdig und ein dogmatisch plausibles Konzept zur Einwilligungsfähigkeit scheint noch nicht recht gefunden.753 In Anbetracht der geschützten Interessen herrscht im Ausgangspunkt noch Einigkeit darüber, dass die §§ 283 ff. StGB eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger sicher stellen sollen.754 Darüber hinaus will die h.M. als überindividuelles Schutzgut die Kreditwirtschaft oder sogar die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft erfasst wissen.755 Denn die wirtschaftliche Verflochtenheit der Gläubiger mit deren Teilhabern, Fremdkapitalgebern etc. soll einen Dominoeffekt zulasten weiterer Wirtschaftssubjekte auslösen, sodass schließlich auch ein Rechtsgut der Allgemeinheit infrage steht.756 Folgerichtig muss dann ein überindividueller Schutz dieser 749
Ausführlich Mohr, Bankrottdelikte, S. 142 ff. Vgl. Niesert/Hohler, NZI 2010, 127, 129 f. und passim. 751 Tiedemann, AT, Rn. 211; LK12-ders., Vor § 283 Rn. 53, 57, wo betont wird, dass Handlungen des Schuldners nicht gegen die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verstoßen dürfen; NK-Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 111; Krause, NStZ 2002, 42; vgl. auch Mohr, Bankrottdelikte, S. 150 ff.; zum Cash-Pool ferner Sorgenfrei, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 3. Teil 5. Kap Rn. 93. 752 Moosmayer, Einfluss der InsO, S. 204 f.; Penzlin, Strafrechtliche Auswirkungen, S. 44 f.; Krause, NStZ 2002, 42; Tiedemann, AT, Rn. 211. 753 Ebenso Penzlin, Strafrechtliche Auswirkungen, S. 44. 754 Allg. Meinung, siehe nur Lackner/Kühl, § 283 Rn. 1; Radtke, in: MüKo, § 283 Rn. 3 jeweils m.w.N. Die durch nach Inkrafttreten der InsO gestärkten Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubiger unterfallen diesem Rechtsgut gleichsam als Subkategorie, siehe S/S-Heine, Vor § 283 Rn. 2. 755 BGH NJW 2001, 1874, 1875; NJW 2003, 974, 975; Fischer, Vor § 283 Rn. 3 m.w.N.; vgl. ferner Tiedemann, AT, Rn. 211 („gleichrangiger Schutz“). 756 Anschaulich SK-Hoyer, Vor § 283 Rn. 5 m.w.N. 750
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Art aber ein bloß mittelbarer sein.757 Er ist bloß akzessorisch zu den primär betroffenen Interessen der Gläubiger ausgestaltet. Diese „Ausstrahlungswirkung“758 der konkreten Gläubigerinteressen auf ein überindividuelles Schutzgut bringt es mit sich, dass, wenn diese nicht gefährdet sind, jenes auch nicht bedroht sein kann. Es findet also nicht etwa entgegen den allgemeinen Prinzipien eine Einwilligung in ein überindividuelles Rechtsgut statt,759 weil ohne eine Gefahr für Gläubigerinteressen sich auch ein „Dominoeffekt“ nicht einstellen kann. Eine wirksame Zustimmung der Gläubiger führt im Gegenteil dazu, dass infolgedessen auch der Schutz der Gesamtoder Kreditwirtschaft nicht in Gefahr gerät.760 In Schwierigkeiten gerät man bzgl. der Einwilligungsfähigkeit aller Gläubiger dagegen, wenn man zusätzlich zu den genannten Belangen auch hier die Rechtsgüter künftiger Gläubiger in den Schutzbereich einbezieht. Dies wird unter Verweis auf das zeitliche Auseinanderfallen von Bankrotthandlung und Vorliegen der objektiven Strafbarkeitsbedingung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 283 Abs. 6 StGB) erwogen.761 Denn dieser Aspekt des Verkehrsschutzes geht über den der reflexartig geschützten Kredit- bzw. Gesamtwirtschaft hinaus und entzieht sich – wie im Rahmen von § 15a InsO bereits gesehen – der Dispositionsbefugnis der aktuell vorhandenen Gesellschaftsgläubiger.762 Doch vermag diese Erweiterung der Schutzrichtung in den §§ 283 ff. StGB nicht zu überzeugen. Verkehrsschutz zugunsten von neuen Gläubigern ist allenfalls Nebenfolge des Tatbestands, der das Vorliegen eines Insolvenzgrundes ja gerade schon zur Tatbestandsvoraussetzung erhebt. Demnach bleibt festzuhalten, dass Gläubiger zu Sanierungsmaßnahmen rechtfertigend zustimmen können, auch wenn diese gemäß den Voraussetzungen des Tatbestands eine Bankrotthandlung darstellen sollten.
757 So Bieneck, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 75 Rn. 1; zusätzlich auf den Aspekt des Vertrauens abstellend LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 55. 758 Vgl. auch NK-Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 19. 759 Insoweit die Einwilligungsdogmatik verkennend Moosmayer, Einfluss der InsO, S. 205. 760 Aufgrund dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist es entgegen Penzlin, Strafrechtliche Auswirkungen, S. 45 auch nicht notwendig, das Verhältnis der beiden Rechtsgüter zueinander Kumulations- oder Alternativitätstheorie zuzuordnen. Ob sich die Individual- und Kollektivrechtsgut zueinander alternativ oder kumulativ verhalten, spielt nur eine Rolle, wenn unterschiedliche Rechtsgüter unabhängig voneinander geschützt sind. Hier besteht indes ein Akzessorietätsverhältnis zwischen den Gläubigerinteressen und dem Schutz der Kreditwirtschaft. 761 So LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 53. 762 Wenn LK12-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 57 dann trotz Schutzes auch der neuen Gläubiger eine rechtfertigende Einwilligung zulässt, tritt er in Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen zu § 15a InsO: ders., in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 53.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
4. Zusammenfassung: Bedeutung der rechtfertigenden Einwilligung für unternehmensbezogene Straftaten Betrachtet man die verschiedenen, vom Gesellschaftsrecht vorgeprägten Situationen, in denen die rechtfertigende Einwilligung relevant werden kann, fällt vor allem auf, dass es bislang an in sich schlüssigen Lösungen fehlt und die allgemeine Dogmatik der Einwilligung in einschlägigen Kontexten vernachlässigt wurde. Die Betrachtung zur Notifikationspflicht in Verlustsituationen hat gezeigt, dass dort keine Interessen betroffen sind, über welche die Anteilseigner nicht verfügen könnten. Von dieser Dispositionsbefugnis der Gesellschafter kann dann strafrechtlich wirksam schon in der Satzung Gebrauch gemacht werden. Bei einer später unterlassenen Verlustanzeige durch das Geschäftsführungsorgan können die Grundsätze über den Widerruf einer Einwilligung herangezogen werden. Im Hinblick auf die Insolvenzverschleppung ist zwar ebenfalls an die rechtfertigende Einwilligung zu denken, wenn Insolvenzgläubiger einer zeitlich verzögerten Antragstellung zustimmen. Neben deren Vermögensinteressen wird indes alternativ der Rechtsverkehr vor Geschäften mit einer materiell insolventen Gesellschaft geschützt (Kollektivinteresse), sodass insofern die Möglichkeit einer Einwilligung ausscheidet. Anders verhält es sich wiederum in Ansehung von Sanierungsmaßnahmen, die den Tatbestand des Bankrotts erfüllen. Denn ein dort neben den Gläubigerinteressen reflexartig geschütztes Rechtsgut der Kredit- oder Gesamtwirtschaft wird nur betroffen, soweit auch Belange von Gläubigern der Gesellschaft bedroht sind. Eine Einwilligung der insoweit dispositionsbefugten Gläubiger bleibt damit denkbar.
IV. Entschleierte Schmiergeldzahlungen Außerhalb des hier nicht behandelten Bereichs der sog. „Organuntreue“ hat die rechtfertigende Einwilligung im Wirtschaftsstrafrecht eine eher geringe Beachtung erfahren.763 Darauf dürfte auch zurückzuführen sein, dass ihre Anwendung selbst in Kontexten kaum erwogen wird, in denen das Heranziehen der Rechtsfigur gemäß den Vorgaben der Rechtfertigungslehre durchaus nicht fern liegt. Dies trifft insbesondere auf eine jüngst wieder verstärkt diskutierte Fallgruppe zu, obwohl eine „Zustimmung“, d. h. das Erklären eines – untechnisch zu verstehenden – Einverständnisses, dort den Kern der Problemstellung betrifft: Die Rede ist von sog. „entschleierten Schmiergeldern“,764 wofür Beispiel 11 einen modernen Anwendungsfall veranschaulichen soll.
763
Vgl. nur Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 53; Tiedemann, AT, Rn. 210 f. Der Begriff der „entschleierten Schmiergelder“ geht zurück auf Wassermann, GRUR 1931, 549, 555. 764
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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Konkret dürfte für die Zurückhaltung gegenüber der Einwilligung hier maßgeblich sein, dass häufig auf den für das Wirtschaftsstrafrecht typischen kollektiven Charakter des betroffenen Schutzguts, hier des Leistungswettbewerbs in § 299 Abs. 1 StGB, verwiesen wird.765 Infolgedessen soll die Möglichkeit einer strafbefreienden Zustimmung des Geschäftsherrn im Ganzen ausscheiden.766 Selbst wenn man sich teilweise767 in Fällen wie Beispiel 11 gegen eine Strafbarkeit der A bei vorliegender Einverständniserklärung der B-Bank wendet, ist man von diesem auf den ersten Blick eingängigen Argument häufig so überzeugt, dass man zu ihren Gunsten nach anderen Wegen aus der Strafbarkeit sucht. Ob die Rechtsfigur der rechtfertigenden Einwilligung auf Grundlage der entwickelten Dogmatik tatsächlich nicht in der Lage ist, einen Beitrag zur Problemstellung um „entschleierte Schmiergelder“ zu leisten, wird zu untersuchen sein. Zunächst soll jedoch der Streitstand um konsentierte Schmiergelder einschließlich bislang entwickelter Lösungsansätze nachgezeichnet werden. 1. Korkengeld-Entscheidung und Kritikpunkte Den Boden für den in Beispiel 11 angesprochenen Streitstand um „entschleierte Schmiergelder“ bereiten vor allem zwei Umstände. Zunächst verdankt die Diskussion ihre Existenz dem „Hybridtatbestand“ der Angestelltenbestechung.768 Maßgeblich beeinflusst wird die Diskussion weiter durch eine bislang nicht revidierte „Fehlentscheidung“ des Reichsgerichts.769 Um die insoweit maßgeblichen Aspekte nachvollziehen zu können, soll zunächst kurz die Entwicklung der wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Fallgruppe nachgezeichnet werden. Der erwähnten Korkengeld-Entscheidung des Reichsgerichts,770 welche zur Vorgängervorschrift der Angestelltenbestechung (§ 12 UWG a.F.) ergangen war, liegt vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagten waren Champagnervertreter der Marke „Ch.“, denen daran gelegen war, ihren Champagner in einen regional neuen Markt einzuführen. Zu diesem Zweck versprachen sie Oberkellnern in einschlägigen Restaurants, diese würden für jeden abgelieferten Korken einer Flasche „Ch.“ 35 Pfennig als Gratifikation für den Verkauf einer Flasche erhalten. Infolge der häufig ausgesprochenen Empfehlungen zugunsten der Marke wurde mit Wissen des jeweiligen Restaurant-
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So z. B. Diemer/Krick, in: MüKo, § 299 Rn. 30; Lackner/Kühl, § 299 Rn. 5. Wohl noch überwiegende Ansicht, pars pro toto Otto, BT, § 61 Rn. 162; LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 55; S/S-Heine, § 299 Rn. 30; Lackner/Kühl, § 299 Rn. 5; Momsen, in: Beck OK, § 299 Rn. 22. 767 Vgl. die Nachweise im Folgenden. 768 Diese allzu treffende Formulierung verwendet Vogel, in: FS Weber, S. 395, 399. 769 So zu Recht Rönnau, StV 2009, 302, 305. 770 RGSt 48, 291 ff. 766
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betreibers den Oberkellnern bei Aushändigung der Korken die versprochene Prämie gewährt. Das Gericht hielt das Auszahlen der Gratifikationen selbst dann für unlauter, wenn es den allgemeinen Gepflogenheiten entspricht. Im Ergebnis liefe diese Würdigung nach heutiger Gesetzeslage auf eine Strafbarkeit der Oberkellner gemäß § 299 Abs. 1 StGB hinaus. Das Wissen der Restaurantbetreiber um die Prämienzahlungen ändere an dieser Sichtweise nichts, da eine Bevorzugung der Angeklagten im Wettbewerb um den Bezug der Waren eingetreten sei. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Argumentation auch dem Schutzzweck der Vorschrift zu entsprechen. Denn es leuchtet ein, dass der Champagner anderer Marken von den Oberkellnern infolge der Gratifikationen weniger engagiert empfohlen wurde und der Wettbewerb im Ganzen darunter leidet. – So altmodisch diese Entscheidung anmutet, so aktuell ist doch ihre Bedeutung für das moderne Wirtschaftsleben. Schließlich ist motivationsbezogene Verkaufsförderung durch sog. „Incentive-Programme“, im Rahmen derer an Mitarbeiter eines Abnehmers geldwerte Vorteile gewährt werden, auch heute noch an der Tagesordnung.771 In Ausführungen zur strafrechtlichen Angestelltenbestechlichkeit hat sich die Rechtsprechung seither nicht von der Sichtweise des Reichsgerichts distanziert. Im Gegenteil wurde die Annahme einer Strafbarkeit bei Kenntnis des Geschäftsherrn wiederholt bestätigt.772 Auch in der Literatur hat man das Ergebnis der Strafbarkeit für die Angestellten lange Zeit ganz überwiegend für richtig gehalten.773 Zur Begründung wurde maßgeblich auf die Bedeutung des Rechtsguts „Wettbewerb“ abgestellt und darauf verwiesen, dass die Beziehung zwischen Geschäftsinhaber und Beauftragtem schon hinreichend durch den Untreuetatbestand geschützt werde.774 Kaum einzuordnen war dabei freilich der Umstand, dass Schmiergeldzahlungen an den Unternehmer selbst nicht als strafbar erfasst sind. Von Anhängern der vom Reichsgericht vertretenen Sichtweise wurde die Straflosigkeit des Prinzipals insoweit als „Mangel des Gesetzes“775 eingestuft.
771 Näher dazu Engel, WRP 1986, 339 f. und passim; vgl. weiter Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 847; Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 388 und zur lauterkeitsrechtlichen Würdigung Wollschläger, Täterkreis des § 299 Abs. 1 StGB, S. 29 ff. 772 BGH GRUR 1971, 223, 225 m.w.N.; OLG Stuttgart WRP 1974, 222, 223 f.; LG Rottweil, WRP 1975, 279, 280. 773 Vgl. zur Entwicklung der Diskussion die eingängige Darstellung bei Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 838 ff. m.w.N; ausführlich auch Koepsel, Bestechlichkeit, S. 160 ff. 774 Zur Argumentation für eine Strafbarkeit im Fall entschleierter Schmiergeldzahlungen ausführlich Bürger, wistra 2003, 130, 134 m.w.N. 775 So Otto, in: GroßKomm UWG, § 12 Rn. 30 f. zur Vorgängervorschrift des § 299 Abs. 1 StGB.
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Diese bislang h.M.776 wurde in dem jüngst entflammten Diskurs in ihrem Ergebnis der Strafbarkeit des Angestellten auch bei Offenlegung der Prämie gegenüber dem Prinzipal immer wieder verschärft kritisiert. Dabei sind die widersprechenden Stimmen777 inzwischen ebenso gewichtig wie die der in der Sache für Straflosigkeit streitenden Argumente. Zu eklatant erscheint der Widerspruch zur Straflosigkeit des wissenden Geschäftsherrn, der selbst nicht Täter des Sonderdelikts in § 299 Abs. 1 StGB sein kann. Eine vernünftige Erklärung für diese Härte des Gesetzes nur gegenüber und zulasten des Angestellten hat die früher h.M. noch nicht gefunden.778 Gegen eine Strafbarkeit spricht weiter, dass der Angestellte in einer arbeitsteiligen Wirtschaft regelmäßig die Vertragsfreiheit des Geschäftsherrn „ausüben“ wird. Diese würde in unzulässiger Weise beschränkt, wenn der Angestellte zwischen die Mühlen des Strafrechts geriete, obwohl seine Tätigkeit dem Willen des Geschäftsherrn entspricht.779 Hinzu kommt, dass eine nur geringfügig abweichende Gestaltung des Geschehens zur Straflosigkeit auch des Angestellten führt. Wenn die Prämie nämlich über den Geschäftsinhaber (teilweise) an den Angestellten weitergeleitet würde, bliebe der Vorgang als sog. „Innenbestechung“ straflos.780 Als letzter, gegen Strafbarkeit streitender Gesichtspunkt tritt hinzu, dass schon lauterkeitsrechtlich einiges dafür spricht, konsentierte Prämienzahlungen nicht als wettbewerbswidrig zu behandeln.781 Unter Zugrundelegung dieses lauterkeitsrechtlichen Ergebnisses steht der Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts einer Haftung des Angestellten bzw. des Beauftragten im Wege, was auch von denjenigen anerkannt wird, die dem Grunde nach für eine Strafbarkeit auch bei Konsentierung von Gratifikationen durch den Geschäftsherrn eintreten.782 776
Diese Formulierung verwendet zu Recht NK-Dannecker, § 299 Rn. 80, wo ebenso wie bei S/S-Heine, § 299 Rn. 30 inzwischen durchaus auch Sympathie für die Gegenansicht spürbar wird. 777 Mit Unterschieden im Einzelnen sprechen sich gegen eine Strafbarkeit des Angestellten bzw. Beauftragten aus: Rönnau, StV 2009, 302, 305; ders., in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 42 f.; Erb, in: FS Geppert, S. 97, 99 f., 110 f. („man kann [praktisches] Ergebnis nur als grotesk bezeichnen“); Blessing, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 53 Rn. 81; Bernsmann/ Gatzweiler, Korruptionsfälle, Rn. 625; Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 844 ff.; Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 393; Walther, Jura 2010, 511, 518; Altenburg, Unlauterkeit, S. 41 ff.; Samson, in: FS Sootak, S. 225, 238 ff.; Koepsel, Bestechlichkeit, S. 165 f.; Böttger, in: Böttger, WiStra in der Praxis, 5. Kap. Rn. 155. 778 Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 386; Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 838 jeweils auch mit Erwägungen zu einer Teilnahmestrafbarkeit des Geschäftsherrn. Mit Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 44 ist nach der gesetzgeberischen Wertung davon auszugehen, dass der strafrechtliche Wettbewerbsschutz sich nicht gegen den Prinzipal wenden kann. 779 Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 43 f.; den Aspekt der Vertragsfreiheit betonend Samson, in: FS Sootak, S. 225, 239; vgl. auch Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 845 („die Vorteilsgewährung bekommt innerbetrieblichen Charakter“). 780 Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 393 spricht unter Bezugnahme auf BGHSt 37, 226, 231 von einer „Privilegierung von Komödien“. 781 Siehe dazu die Untersuchung von Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 844 ff. 782 Vgl. nur LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 55.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
2. Entschleierung als Fall der rechtfertigenden Einwilligung? Vom Ergebnis her streiten also die stärkeren Argumente für eine Straflosigkeit des Angestellten bei Zustimmung des Geschäftsherrn zur Prämienausschüttung durch einen Dritten. Allein das „Konstruktive“783, d. h. die rechtssystematische Anknüpfung für dieses Ergebnis, konnte bisher in Stellungnahmen zu Fällen wie dem in Beispiel 11 kaum überzeugend dargetan werden. Die rechtfertigende Einwilligung als Unrechtsausschließungsgrund wurde nur sehr vereinzelt eingehend erörtert.784 Vielmehr lassen sich zwei andere Ansätze ausmachen, mithilfe derer versucht wird, das als richtig erkannte Ergebnis in strafrechtliche Strukturen umzusetzen. Der eine Weg wird über eine teleologische Reduktion des Normanwendungsbereichs von § 299 Abs. 1 StGB beschritten. Begründet wird eine solche damit, dass sich der Geschäftsinhaber durch eine wohl auch konkludent zu entäußernde Billigung das Verhalten seines Angestellten zu eigen mache.785 Durch diesen „innerbetrieblichen Charakter“786 der Zuwendung ziehe der Geschäftsherr das Geschäft an sich und sei aufgrund der Sonderdeliktsqualität des § 299 Abs. 1 StGB selbst nicht zu belangen. Diese Methode ist aus verschiedenen Gründen nicht unzweifelhaft. Zunächst verhält sich eine teleologische Reduktion schon nach allgemeinen Grundsätzen subsidiär zur Anwendung bestehender Dogmatik.787 Daraus lässt sich bereits ein normlogisches Argument ableiten, wonach es vorrangig einer Beschäftigung mit den Erlaubnissätzen bedarf, bevor auf diese Form der „Tatbestandskorrektur“ abgestellt wird. Sodann könnte man der „Reduktionslösung“ entgegenhalten, dass eine tatbestandliche Einschränkung nur in Betracht kommt, wenn im konkreten Fall das im Strafgesetz vertypte Unrechtsquantum nicht erreicht wird.788 Der vielfach anzutreffende Verweis auf die fortbestehende Verletzung des Kollektivbelangs „lauterer Wettbewerb“, welche nach verbreiteter Auffassung ja gegen die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung streiten soll,789 legt Gegentei783
Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 43; NK-Dannecker, § 299 Rn. 80. Die Verwendung dieses Begriffs verdeutlicht das Dilemma, vor dem die im Vordringen befindliche Ansicht steht, wenn sie versucht, ihr Ergebnis auf Grundlage der bestehenden Dogmatik zu begründen. 784 Allein Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 391 f. hält diesen Weg für gangbar, beschränkt sich aber auf eine ergebnisorientierte Argumentation, die sich nicht wirklich zu einem Unrechtsausschluss verhält. Vgl. nunmehr auch Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 336 ff. 785 Blessing, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 53 Rn. 81; Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 43 f.; ders., StV 2009, 303, 305; Sahan, in: G/J/W, WiStra, § 299 Rn. 48 ff.; vgl. auch Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 393; ähnlich Jaques, Bestechungstatbestände, S. 95. 786 Vgl. Fn. 780. 787 Vgl. Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, Rn. 902 f. 788 s. o.: 2. Teil B.II.1. 789 Siehe nur NK-Dannecker, § 299 Rn. 80; S/S-Heine, § 299 Rn. 30; i.E. auch Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 42 m.w.N.
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liges nahe: Die mangelnde Dispositionsbefugnis der B-Bank in Beispiel 11 über den Leistungswettbewerb führt dazu, dass dieses Schutzgut weiterhin verletzt wird. Wenn man für eine Erfüllung von § 299 Abs. 1 StGB schließlich mit der ganz überwiegenden Ansicht nicht voraussetzt, dass die (Vermögens-)Interessen des Geschäftsherrn in casu beeinträchtigt wurden,790 wäre der vollständige Unrechtsgehalt der Vorschrift auch bei Zustimmung des Prinzipals verwirklicht. Eine tatbestandliche Korrektur scheidet dann aus. Wird der Schutz der B-Bank in Beispiel 11 durch § 299 Abs. 1 StGB nur in diesem abstrakten Sinn bezweckt (etwa vor Verlust von Kunden infolge einer wenig objektiven Beratung der A aufgrund der durch die FKG gesetzten Anreize), kann der Tatbestand nicht teleologisch zu reduzieren sein, wenn im konkreten Fall ein Schaden zulasten der Bank aufgrund der Zustimmung ausbleibt. Ein konkret eingetretener Nachteil auf Seiten des Prinzipals ist gerade keine gesetzliche Voraussetzung, da die Vorschrift anderenfalls in ein „untreueähnliches“ Delikt umgedeutet würde.791 Der Lösungsansatz über eine teleologische Reduktion sieht sich diesen Einwänden ausgesetzt. Eine Alternative zu diesem Weg der tatbestandlichen Einschränkung wird teilweise darin gesucht, die Zustimmung des Geschäftsherrn strafrechtlich zu fassen. Dies geschieht zumeist auf erstaunlich konfuse Art und Weise, ohne dass der Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung verstärkte Aufmerksamkeit zuteilgeworden wäre.792 Die fehlende Auseinandersetzung an dieser Stelle erscheint umso erstaunlicher, als aktuellere Kommentierungen, welche sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, den Problemkreis intuitiv in die Rechtswidrigkeit verlegen bzw. nach der Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung fragen.793 Um aber die Bedeutung der rechtfertigenden Einwilligung für das Problem „entschleierter Schmiergelder“ zu erfassen, sind zunächst die Vorgaben der allgemeinen 790 Momsen, in: Beck OK, § 299 Rn. 2 („abstrakte Gefahr der Treuwidrigkeit“); LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 6; vgl. weiter Fischer, § 299 Rn. 2 („mittelbar geschützt“); Sahan, in: G/J/ W, WiStra, § 299 Rn. 4 („als Reflex mit geschützt“). Ausführlich: NK-Dannecker, § 299 Rn. 6: Schutz des Geschäftsherrn vor der Gefahr einer unsachlichen Entscheidung des Angestellten. 791 Vgl. nur Szebrowski, Kick-Back, S. 185 ff. 792 LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 55 will in der Entwurfsfassung des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein tatbestandsausschließendes Einverständnis zulassen. Dieselbe Lösung wählt aufgrund eines untreueähnlichen Verständnisses von § 299 StGB de lege lata schon Szebrowski, Kick-Back, S. 193; Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 392 f. spricht zwar von einer Einwilligung bzw. einem Einverständnis, dem rechtfertigende Wirkung zukommen solle. Ob dies aber in technischem Sinne verstanden werden darf, bleibt offen. Vgl. auch Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 337 f. („Einwilligung wirkt auf tatbestandlicher Ebene“). 793 Fischer, § 299 Rn. 23; S/S-Heine, § 299 Rn. 30; NK-Dannecker, § 299 Rn. 80. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis ist denn auch schnell auszuschließen, es sei denn, man sieht in § 299 Abs. 1 StGB wider die ganz h.M. ein untreueähnliches Delikt, vgl. nochmals Szebrowski, Kick-Back, S. 193 und passim. Denn schon der Bezug zum Wettbewerb macht deutlich, dass dessen Schutzrichtung neben einer Zustimmung oder ablehnender Haltung des Geschäftsherrn ins Auge gefasst werden soll. Eine andere Frage freilich ist es, ob die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schon für sich genommen die Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1 StGB begründen kann, dazu sogleich.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Rechtfertigungslehre zu berücksichtigen. Diese erfordern eine zutreffende Bestimmung des Rechtsguts bzw. der durch die Vorschrift betroffenen Schutzinteressen. a) Rechtsgutsbestimmung in § 299 Abs. 1 StGB Um den Spielraum für die Dispositionsbefugnis des Geschäftsherrn – also in Beispiel 11 der B-Bank – abschätzen zu können, ist es notwendig, sich mit den geschützten Interessen der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr auseinander zu setzen. Die schwer fassbare Struktur des Straftatbestandes hat dazu geführt, dass sich der wissenschaftlichen Diskussion eine beinahe unüberschaubare Anzahl von Gesichtspunkten entnehmen ließe, wenn man alle insofern existierenden Stellungnahmen verarbeiten wollte.794 Diese Zielsetzung wäre denn auch für die hiesige Untersuchung verfehlt, die bestrebt ist, mögliche Anwendungsfelder von Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht kritisch zu überprüfen. In einer solchen „Mixtur“ gestufter Schutzinteressen, einem solchen „Rechtsgutsbündel“,795 in dem die verschiedenen Aspekte der Schutzgüter des § 299 Abs. 1 StGB je nach Zielrichtung unterschiedlich stark betont werden, kann eine Einwilligungslösung nur überzeugen, wenn sie auf ein weitgehend konsensfähiges Schutzgutsverständnis zurückgreift. aa) Das Allgemeininteresse „Wettbewerb“ In diesem Bestreben darf es zunächst als zu Recht ganz h.M. bezeichnet werden, dass vorrangig der lautere Wettbewerb als Rechtsgut der Allgemeinheit von § 299 StGB in den Blick genommen wird.796 Dafür sprechen neben der Herkunft der Vorschrift und deren systematischem Standort (Straftaten gegen den Wettbewerb) auch der ausdrückliche Bezug des Wortlauts der Norm auf Lauterkeit und Wettbewerb. Wer daneben noch Vermögensinteressen der Mitbewerber (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG) umfasst wissen will,797 wird sich auf jenen akzessorischen Rechtsgü794
Über die Gewichtung der einzelnen Belange herrscht eine derartige Unsicherheit, dass beinahe jede im Zusammenhang mit der Norm stehende Monografie eine eigene Lesart des Tatbestandes zugrunde legt, vgl. Pragal, Korruption, S. 146; ders., ZIS 2006, 63, 71; Szebrowski, Kick-Back, S. 163, 170; Koepsel, Bestechlichkeit, S. 99 f.; Mölders, Bestechung, S. 114 ff.; Jaques, Bestechungstatbestände, S. 115 f., 185 (zu § 12 UWG a.F.); Kahmann, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 167 ff.; aufschlussreich jüngst Schmid, Korruption durch Bonuszuwendung, S. 37 ff. 795 Begriffe bei Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 6. 796 Pars pro toto RGSt 48, 291, 296; BGH NJW 2006, 3290, 3298; Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn . 704; SK-Rogall, § 299 Rn. 8; Lackner/Kühl, § 299 Rn. 1 m.w.N. Vgl. zu Unsicherheiten im Zusammenhang selbst mit diesem allgemein anerkannten Rechtsgut anschaulich v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 578: „Verbreitet scheint vielfach die Idee zu sein, wonach der Wettbewerb, welcher unserer Wirtschaftsordnung zugrunde liegt, nach ähnlichen Grundprinzipien ablaufe wie ein sportlicher Wettbewerb“. 797 S/S-Heine, § 299 Rn. 2; Blessing, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 53 Rn. 54; ausführlich NK-Dannecker, § 299 Rn. 5, 46.
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terschutz beschränken müssen, der bereits im Zusammenhang mit § 283 StGB dargelegt wurde:798 Der Schutz von Mitbewerbern fällt mit demjenigen des Allgemeinrechtsguts „Wettbewerb“ zusammen. – Diese bloß mittelbare Betroffenheit konkurrierender Marktteilnehmer des Bestechenden799 hat für die Einwilligung vor allem zur Folge, dass Mitbewerber nicht Rechtsgutsträger sind und deren Zustimmung zur Vorteilsgewährung deshalb für die Strafbarkeit des Angestellten keine Bedeutung entfaltet.800 Dem steht aufgrund der besonderen Zielrichtung der Verletzteneigenschaft auch nicht entgegen, dass Mitbewerber nach §§ 301 Abs. 1, 77 Abs. 1 StGB strafantragsberechtigt sind.801 Denn so kann etwa auch derjenige Mitbewerber Verletzter i.S.v. § 77 Abs. 1 StGB sein, der sich gar nicht um den konkreten Auftrag beworben hat.802 Ein solcher wäre aber ersichtlich nicht unmittelbar als Rechtsgutsträger in seinen Vermögensinteressen betroffen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in einem Marktumfeld jederzeit neue Teilnehmer hinzutreten können. Rechtsgutsträgerschaft und Verletztenbegriff sind im Hinblick auf die bestehende Antragsbefugnis nicht betroffener Konkurrenten des Bestechenden unabhängig voneinander zu bestimmen und stellen eigenständige Kategorien dar. Ebenso können Verbraucherinteressen an günstigen Preisen und objektiver Beratung allenfalls mittelbar Schutz aus dem Rechtsgut „lauterer Wettbewerb“ ableiten.803 Es bleibt festzuhalten, dass durch die Vorschrift der Angestelltenbestechung der Leistungswettbewerb als Kollektivinteresse geschützt wird, ohne dass es auf die Zustimmung mittelbar Betroffener, also Mitbewerber des Konkurrenten bzw. von Verbrauchern oder Endkunden des Prinzipals ankäme. bb) Geschützte Belange des Prinzipals Daneben wird man mit der wohl überwiegenden Ansicht aus der Sonderdeliktseigenschaft von § 299 Abs. 1 StGB auch Rückschlüsse auf die Rechtsgutsbestimmung ziehen und (Vermögens-)Interessen des Geschäftsherrn als mitumfasst betrachten müssen.804 Ein Blick auf andere Sonderdelikte zeigt, dass diese besondere 798
s. o.: 3. Teil C.III.3. Dort ist freilich anders als hier die Betroffenheit eines überindividuellen Rechtsguts (Kredit- oder Gesamtwirtschaft) abhängig davon, dass die Individualinteressen der Gläubiger beeinträchtigt sind. 799 Insoweit, d. h. im Hinblick auf Wettbewerber, zu Recht Fischer, § 299 Rn. 2; Sahan, in: G/J/W, WiStra, § 299 Rn. 4 („als Reflex mit geschützt“); vgl. auch Mitsch, BT II/2, § 3 Rn. 217; Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 6; Tiedemann, BT, Rn. 197; zu weitgehend NKDannecker, § 299 Rn. 5. 800 So ließe auch die Einwilligung aller im konkreten Marktumfeld tätigen Mitbewerber nicht die Betroffenheit des Rechtsguts Wettbewerb entfallen, was – soweit ersichtlich – auch nicht behauptet wird. 801 Ebenso Fischer, § 299 Rn. 2. 802 LK12-Tiedemann, § 301 Rn. 2; NK-Dannecker, § 301 Rn. 4 m.w.N. 803 Vgl. dazu BGH[Z] NJW 1968, 1572, 1574; LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 4 m.w.N. 804 BGHSt 31, 207, 211 (zu § 12 UWG a.F.); Lackner/Kühl, § 299 Rn. 1; Fischer, § 299 Rn. 2; LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 2 f., 5 m.w.N.; Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn . 704; Kienle/
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Beziehung des Täters zum begangenen Delikt bzw. oftmals auch zu (mindestens) einem Geschädigten auf Rechtsgutsebene immer wieder zu geschützten Individualinteressen führt.805 Einer entsprechenden Schutzrichtung hin auf den Prinzipal ist auch nicht ohne weiteres entgegenzuhalten, pflichtwidriges Verhalten des Angestellten werde bereits von § 266 StGB umfasst.806 Denn es lässt sich durchaus vertreten, dass ohne diesen (weitergehenden)807 Schutz der Beziehung des Geschäftsherrn zum Angestellten die Befürchtung bestünde, dass Geschäftspartner ihre Entscheidungen vorrangig an den Bedürfnissen des Agenten orientieren. Durch die damit einhergehenden, gesamtgesellschaftlichen Reibungs- und Effizienzverluste ist auch wieder eine kollektive Dimension betroffen, welche über das konkrete Vertragsverhältnis hinausreicht.808 Um fehlgesteuerte Anreizsysteme zu vermeiden, kann demnach ein Schutz des Prinzipals vor Benachteiligung geboten sein. Wollte man anders entscheiden, wäre weiter kaum zu erklären, aus welchem Grund eine Vorteilsnahme des Geschäftsherrn ebenso straflos bleibt wie ein Gewähren oder Weiterleiten von Vorteilen über den Prinzipal an seinen Angestellten („Geschäftsinhaberbestechung“).809 Wenn in Beispiel 11 die „Gratifikationsreise“ von A mit Kenntnis der Geschäftsleitung über eine interne Stelle der B-Bank gebucht und abgewickelt würde, schiede eine Strafbarkeit der A von vornherein aus. Doch auch in diesem Fall wäre der Wettbewerb der F-KG mit anderen Anbietern strukturierter Finanzmarktprodukte als Schutzinteresse in gleichem Maße gefährdet. Diese Form der Vorteilsannahme steht de lege lata810 gleichwohl nicht unter Strafe. Der Schutz des Geschäftsherrn ist auch nicht bloßer Reflex von Wettbewerbsinteressen. Durch die Sonderdeliktseigenschaft wird vielmehr eine eigenständige Schutzdimension in Richtung hin auf den Prinzipal eröffnet, ohne dass es deswegen Kappel, NJW 2007, 3530, 3531. Bemerkenswert ist hier, dass sogar Stimmen, die eine Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Geschäftsherrn im Hinblick auf die Strafbarkeit des Angestellten für nicht erforderlich halten, dieses Rechtsgut anerkennen. 805 Zu § 203 StGB (Verpflichteter gegenüber Geheimnisträger): S/S-Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3; zu den §§ 283 ff. (Schuldner gegenüber Gläubigern), dort str.: Radtke, in: MüKo, Vor § 283 Rn. 12 f.; 23 ff.; zu §§ 400 AktG, 331 HGB (Geschäftsleitung gegenüber stakeholders der Gesellschaft): Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 400 AktG Rn. 2. Anderes trifft insbesondere auf die Amtsträgerdelikte zu, weil dort Interessen gegenüber „dem Staat“ zu wahren und deswegen Individualbelange bloß mittelbar betroffen sind. 806 Kindhäuser, ZIS 2011, 461, 467; vgl. auch Lüderssen, in: FS Tiedemann, S. 889, 891 ff.; Rönnau/Golombek, ZRP 2007, 193, 194. Die dort geäußerte Kritik an der Konzeption der Vorschrift („Geschäftsherrenmodell“) überzeugt freilich ebenso wie die de lege ferenda anzubringenden Zweifel an dem „Schutz diffuser Loyalitätsinteressen“. 807 Aufgrund der offenen Tatbestandsstruktur des § 266 StGB ist freilich nicht eindeutig, ob die Loyalitätsinteressen des Geschäftsherrn in der Praxis durch § 299 StGB noch weiter geschützt werden. 808 Ausführlich zu diesem Gedanken v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 582 f. 809 Allg. Meinung, statt Vieler Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 42; NK-Dannecker, § 299 Rn. 80. 810 Zu Reformbestrebungen der Vorschrift, vgl. BT-Drucks. 16/6558 v. 4. 10. 2007, S. 5 f.; dazu Rönnau/Golombek, ZRP 2007, 193 ff.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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auf eine konkret festzustellende Pflichtverletzung im Innenverhältnis zwischen Angestelltem und Geschäftsherrn ankäme.811 Dem Kollektivrechtsgut des Wettbewerbs steht damit der Individualschutz des Geschäftsherrn gegenüber. b) Einwilligung bei mehreren betroffenen Rechtsgütern Auf der Grundlage dieses im Ausgangspunkt weithin geteilten Rechtsgutsverständnisses für die Angestelltenbestechung können nun Fragen zur rechtfertigenden Einwilligung in den Blick genommen werden. Der Einwand, die überindividuelle Schutzdimension des Kollektivinteresses „Wettbewerb“ entziehe sich der Dispositionsbefugnis des Geschäftsherrn, greift jedenfalls dann zu kurz, wenn man mit der h.M. dessen Interessen als ebenfalls von der Vorschrift geschützt ansieht:812 In diesem Fall gibt die allgemeine Einwilligungsdogmatik vor, dass die Besonderheiten des Tatbestandes darüber entscheiden, ob einer Zustimmung des Inhabers bei gleichzeitiger Betroffenheit von Individual- und Kollektivrechtsgut rechtfertigende Wirkung zukommt. Wie bereits gesehen, differenziert man insofern das Verhältnis der Schutzgüter dann nach den Schlagworten der Alternativität und Kumulativität. Nur wenn die tatbestandlich geschützten Rechtsgüter in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, soll die Strafbarkeit auch bei einer Zustimmung des Individualgutsträgers unberührt bleiben. Ein Tatbestand schützt dabei Rechtsgüter alternativ, wenn er bereits erfüllt ist, soweit eines von beiden verletzt ist.813 So liegen die Dinge bei § 299 Abs. 1 StGB indes nicht. Wird durch ein Verhalten ausschließlich der lautere Wettbewerb als Rechtsgut gefährdet, scheidet eine Bestrafung aus. Schließlich bleibt eine Vorteilsübermittlung oder eine Entgegennahme durch den Geschäftsherrn selbst („Geschäftsinhaberbestechung“) gemäß der gesetzgeberischen Entscheidung straflos, obgleich das Wohl des Wettbewerbs dadurch nicht notwendigerweise geringfügiger beeinträchtigt wird. Ebenso wenig unterfällt der jetzigen Fassung der Vorschrift814 ein bloß pflichtwidriges Handeln des Angestellten, sodass auch eine Beeinträchtigung allein der (Vermögens-)Interessen des Geschäftsherrn nicht zur Erfüllung des Tatbestandes ausreichen kann. Die Rechtsgüter des § 299 StGB stehen demnach eindeutig nicht in einem alternativen Schutzver811 Vgl. NK-Dannecker, § 299 Rn. 52; Momsen, in: Beck OK, § 299 Rn. 2 („abstrakte Gefahr der Treuwidrigkeit“); LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 6; SK-Rogall, § 299 Rn. 11 f. 812 Dies gilt zumindest, wenn man nicht noch ein Stufenverhältnis zwischen beiden Aspekten einführt. LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 2, NK-Dannecker, § 299 Rn. 6 erachten etwa trotz Anerkennung des Vermögensschutzes des Geschäftsherrn diesen Aspekt als bloß „nachrangig“ geschütztes Gut. Eine solche Rechtsgutsbestimmung dürfte maßgeblich dem für richtig gehaltenen Ergebnis des RG im Korkengeld-Fall geschuldet sein. Sie geht von der hier nicht geteilten Prämisse aus, die Zustimmung des Prinzipals könne keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Angestellten haben. Zwar mag der Leistungswettbewerb im Verhältnis der beiden Schutzgüter das primär geschützte Rechtsgut sein. Doch bedeutet dieser Umstand noch nicht, dass dieser Belang den Gesichtspunkt des Innenverhältnisses völlig verdrängt. 813 s. o.: 3. Teil C.II.1.b) und Roxin, AT I, § 13 Rn. 34. 814 Vgl. aber § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB des RegE zum Korruptionsbekämpfungsgesetz.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
hältnis, sondern vertypen gemäß den allgemeinen Regeln der Einwilligungsdogmatik erst gemeinsam das Deliktsunrecht des Tatbestands. Bei kumulativem Schutz von Interessen ergibt sich das volle Unrecht der Tatbestandsverwirklichung grundsätzlich erst aus der gleichzeitigen Verletzung beider Rechtsgüter. Im Kontext der §§ 164, 315 ff. StGB etwa wird dieses Verständnis auch anerkannt.815 Will man feststellen, ob eine Einwilligung die Rechtswidrigkeit ausschließt, wenn ein Tatbestand eine solche Doppelstruktur aufweist, ist das Verhältnis der Rechtsgüter zueinander maßgeblich. Man wird danach fragen müssen, ob der zugunsten des Einzelnen verwirklichte Schutz verhältnismäßig unbedeutend ist816 oder aber – als alternatives Modell – ob erst die gleichzeitige Verletzung der infrage stehenden Rechtsgüter das volle Unrecht des Deliktstypus darstellt.817 Naturgemäß sind entsprechende Feststellungen normativ geprägt und damit zu einem gewissen Ausmaß wertungsoffen. Dennoch kann aus der vorhandenen Rechtsprechung zu dem Thema ein strukturell bedeutsames Kriterium abgeleitet werden. Maßgeblich für das Verhältnis von Individual- zu Kollektivrechtsgut ist, ob der Schutz des Einzelnen bereits in dem überindividuellen Rechtsgut enthalten ist,818 d. h. ob Individual- und Kollektivrechtsgut dieselbe Schutzrichtung aufweisen. Denn dann meint die Rechtsprechung, könne der Einzelne nicht gleichzeitig über Allgemeininteressen verfügen, sein Schutz sei lediglich „mitverwirklicht“.819 Nach dieser Sichtweise kann der Mitfahrer einer Trunkenheitsfahrt etwa nicht über den Kollektivschutz des Straßenverkehrs verfügen. Wendet man dieses von der Rechtsprechung bemühte Strukturmerkmal auf § 299 StGB an, ist zu erkennen, dass der Geschäftsherr nicht als Teil des Wettbewerbs mitgeschützt wird. Die B-Bank in Beispiel 11 steht in ihrem Verhältnis zu A außerhalb des Leistungswettbewerbs der Fonds untereinander, den die F-KG durch ihr Informationsschreiben beeinträchtigt. Die Struktur der Angestelltenbestechung als Sonderdelikt weist – anders als z. B. in § 315c StGB, wo die konkrete Gefahr zulasten des Einzelnen durchaus als Verdichtung der allgemeinen Gefahr für den Straßenverkehr verstanden werden kann –820 zwei eigenständige Schutzrichtungen
815 Vgl. zu § 164 StGB: NK-Vormbaum, § 164 Rn. 10, 66; zu § 315 StGB: Barnickel, in: MüKo, § 315 Rn. 6, 89; zu § 315c StGB: S/S-Sternberg-Lieben/Hecker, § 315c Rn. 40. 816 Zu diesem Teil der Abgrenzung BGHSt 23, 261, 264; vgl. zur Maßgeblichkeit der „Bedeutung“ der Rechtsgüter auch BGH NJW 2005, 1876, 1878 f.; ähnlich Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 340. 817 Dies sehen etwa Roxin, AT I, § 13 Rn. 33 f.; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 99; Kudlich, in: Beck OK, § 315c Rn. 68 als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit an. 818 Vgl. BGHSt 23, 261, 264. 819 BGHSt 23, 261, 264; zu dieser zu restriktiven Auffassung der Rspr. schon oben: 3. Teil C.II.1.b). 820 Vgl. NK-Zieschang, § 315c Rn. 1 f., 6.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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auf.821 Wenn eine im Vordringen befindliche Ansicht eine Einwilligung sogar dann zulassen will, wenn der Schutz des Einzelnen durch die Sicherheit des Straßenverkehrs bloß mitverwirklicht ist,822 muss ein Unrechtsausschluss in § 299 Abs. 1 StGB erst recht zulässig sein. Der Geschäftsherr ist nämlich neben und unabhängig von dem Rechtsgut Wettbewerb geschützt. Zwar ergibt sich zu seinen Gunsten gleichzeitig ein Schutz durch § 266 StGB. Insofern besteht jedoch der normlogische Unterschied, dass § 299 Abs. 1 StGB bereits „vor“ Eintritt eines Vermögensnachteils eingreifen kann.823 In einer Abwandlung von Beispiel 11 etwa könnte A § 299 Abs. 1 StGB verletzen, indem sie ohne Wissen der B-Bank als Geschäftsherrin eine Gratifikationsreise antritt, obgleich diese keinen (schadensgleichen) Vermögensnachteil erlitten hat.824 Vorstehende Erwägungen verdeutlichen, dass sich das in § 299 Abs. 1 StGB mit Strafe bedrohte Unrecht erst aus dem Zusammenspiel beider Interessenstränge speist. Sind aber Belange des Geschäftsherrn aufgrund dessen Einwilligung nicht mehr betroffen, kann der volle Unrechtsgehalt nicht mehr verwirklicht werden. Die Tatbestandsstruktur der Vorschrift streitet also selbst dann für die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung, wenn man die strengen Kriterien zugrunde legt, welche die Rechtsprechung für die Dispositionsmöglichkeiten bei kumulativ geschützten Rechtsgütern entwickelt hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man das wertungsoffene Kriterium der „Bedeutung“ der betroffenen Schutzbelange zueinander untersucht.825 Zwar hat der Bundesgerichtshof insofern die Anforderung formuliert, das nicht einwilligungsfähige Rechtsgut müsse so unbedeutend erscheinen, dass es außer Betracht bleiben könne.826 Doch auch vor diesem Hintergrund erscheint eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung hier möglich. Denn man wird schwerlich annehmen können, dass bei allgemeiner Betrachtung ein von einem Tatbestand (mit-)geschütztes Rechtsgut je derart unbedeutend sein wird, dass es unberücksichtigt bleiben kann. Anderenfalls unterfiele es schlicht nicht dem Schutz eines Strafgesetzes.827 Nimmt man die 821
Dies verkennt Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 340 ff., wenn dort eine Parallele zu § 315c Abs. 1 StGB hergestellt wird. Dort „verdichtet“ sich die abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs (Universalrechtsgut) zu einer konkreten Gefährdungslage für den Einzelnen („und dadurch“, konkretes Gefährdungsdelikt). Individualrechtsgüter werden von den geschützten Universalinteressen lediglich mitumfasst. Selbst wenn man in dieser Situation eine Einwilligung gemäß der wohl noch h.M. (BGHSt 6, 232 ff.; 23, 261 ff.; Lackner/Kühl, § 315c Rn. 32) nicht zulassen wollte, ist über die Wirksamkeit der Einwilligung in § 299 Abs. 1 StGB noch nichts gesagt. Denn in der Angestelltenbestechung wird eine eigene Schutzrichtung zugunsten des Geschäftsinhabers eröffnet. 822 Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 38 Rn. 43; SK-Wolters, § 315c Rn. 22; Rengier, BT II, § 44 Rn. 18 ff.; S/S-Sternberg-Lieben/Hecker, § 315c Rn. 40 m.w.N. 823 Vgl. schon Fn. 806; ferner NK-Dannecker, § 299 Rn. 115. 824 Vgl. insofern auch Heinrich, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 49 Rn. 58; v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 582; NK-Dannecker, § 299 Rn. 52. 825 Vgl. dazu nochmals BGHSt 23, 261, 264; NJW 2005, 1876, 1878 f. 826 BGH NJW 2005, 1876, 1878. 827 Vgl. o.: 3. Teil C.II.1.b).
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Formulierung des Gerichts ernst, kann also nicht das abstrakte Verhältnis der Rechtsgüter zueinander maßgeblich sein. Entscheiden muss wie bei anderen Rechtfertigungsgründen vielmehr die konkrete Rechtfertigungs- oder Einwilligungslage. Für die Unerheblichkeit des Rechtsguts „Wettbewerb“ in der konkreten Situation einer vorliegenden Zustimmung durch den Geschäftsherrn streiten aber die angeführten Aspekte der Straflosigkeit einer Geschäftsinhaberbestechung einerseits und die Straflosigkeit des Geschäftsherrn selbst bei Entgegennahme eines Vorteils andererseits828. Für dieses Ergebnis spricht ferner, dass man sich infolge der Untersuchung Rengiers829 auf den Standpunkt stellen kann, bereits lauterkeitsrechtlich seien entschleierte Schmiergeldzahlungen zulässig. Denn was nach dem UWG zulässig ist, kann das Rechtsgut des lauteren Wettbewerbs nicht so sehr beeinträchtigen, dass eine Einwilligung ausscheiden müsste.830 In der insoweit maßgeblichen konkreten Situation der Einwilligung ist das Rechtsgut des lauteren Wettbewerbs also zu vernachlässigen, wie auch die Gestaltungs- bzw. Umgehungsmöglichkeiten des Geschäftsherrn durch Weiterleitung von Prämien zeigen.831 Auf seine eigenen Interessen kann der Geschäftsherr durch Einwilligung aber wirksam verzichten. Es sprechen die zu kumulativ geschützten Individual- und Kollektivinteressen entwickelten Grundsätze – also Tatbestandsstruktur und Bedeutung der geschützten Rechtsgüter – für die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung des Prinzipals in § 299 StGB. Die mangelnde Dispositionsbefugnis des Geschäftsherrn über den lauteren Wettbewerb steht einer Rechtfertigung im Zusammenhang mit entschleierten Schmiergeldzahlungen nach hier vertretener Auffassung daher nicht im Wege.832 In Beispiel 11 ist A deshalb straflos, soweit eine wirksame Einwilligungs828 Vgl. zur letzteren Konstellation Bürger, wistra 2003, 130, 132; dazu Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 352. 829 Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 842 ff.; dazu auch v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 583 f. m.w.N. zur abweichenden Zivilrspr.; LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 55. Ausführlich nunmehr Altenburg, Unlauterkeit, S. 161, 172 ff., 189 f., der eine Strafbarkeit unter Verweis auf das Lauterkeitsrecht nur dann annimmt, wenn „gesetzlich geschütztes Vertrauen Dritter dahingehend besteht, dass keine Beeinflussung durch Vorteilsgewährungen zu der bevorzugenden Handlung geführt hat“. 830 Selbst wenn man diese lauterkeitsrechtliche Bewertung nicht teilt, bleibt es beim Ergebnis der Erheblichkeit einer Einwilligung des Geschäftsherrn. Das liegt an Folgendem: Der restriktivste Standpunkt, den man im Hinblick auf die Verfügungsbefugnis bei kumulativ geschütztem, indisponiblem Rechtsgut einnehmen kann, erklärt eine Einwilligung bzgl. des disponiblen Rechtsguts für unbeachtlich, wenn die Beeinträchtigung des Allgemeinrechtsguts fortbestünde. Doch insofern könnten die Rechtsbehelfe der §§ 8 ff. UWG Abhilfe schaffen, sodass es des strafrechtlichen Schutzes in Ansehung des Lauterkeitsrechts gar nicht bedürfte. Eine andauernde Beeinträchtigung des lauteren Wettbewerbs wäre ausgeschlossen. Vgl. zu einer ähnlichen Überlegung in anderem Zusammenhang Graul, JuS 1992, 321, 325. 831 Vgl. auch Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 343: „Ansonsten würde man § 299 StGB contra legem in ein Delikt mit nur einem Rechtsgut umwandeln“. 832 Dieses Ergebnis teilen Winkelbauer, in: FS Weber, S. 385, 392; Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 340 ff.; wohl auch v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 587 („Soweit die […] Be-
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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erklärung seitens der B-Bank vorliegt.833 Durch die Zustimmung der Bank entfällt der Schutz des Prinzipals und das bloß kumulativ geschützte Rechtsgut des Leistungswettbewerbs im Vertrieb strukturierter Finanzprodukte wird zwar beeinträchtigt. Die Bedeutung dieses Schutzguts für den Tatbestand ist indes nicht in einer Art und Weise ausgestaltet, dass es schon bei alleiniger Verletzung des lauteren Wettbewerbs zu einer Strafbarkeit von A käme. c) Lösung bestehender Rechtsfragen über die Einwilligungsdogmatik Wendet man die Kriterien der rechtfertigenden Einwilligung auf den Fall entschleierter Schmiergelder an, lassen sich damit auch Problemstellungen sachgerecht lösen, die in Ansehung der Zustimmung des Geschäftsherrn noch zu klären sind. In erster Linie handelt es sich um die Form der Einwilligung sowie Grenzen der Einwilligungsfähigkeit des Geschäftsherrn. Was die formalen Anforderungen an eine Zustimmung anbelangt, so könnte man erwägen, für einen Unrechtsausschluss eine ausdrückliche Erklärung des Geschäftsherrn zu fordern.834 Schon die Bezeichnung der Fallgruppe als „entschleierte Schmiergelder“ zeigt, dass es durchaus auch bei einer bloßen Duldung bleiben kann, wenn und soweit darin zugleich eine konkludente Zustimmung liegt. Auch in Beispiel 11 verhält sich die Geschäftsleitung der B-Bank nicht zu den von der F-KG in Aussicht gestellten Prämien. Eine ausdrückliche Erklärung kann vor dem Hintergrund der h.A. zu einer wirksamen Einwilligung nicht zu fordern sein. Danach müssen nämlich auch konkludente Erklärungen ausreichen, sog. eingeschränkte Willenserklärungstheorie.835 Eine konkludente Zustimmung wird man für den in der Praxis wohl durchaus anzutreffenden Fall der Duldung836 annehmen können, in welchem der Geschäftsherr zwar Kenntnis von der Praxis gegenüber seinen Mitarbeitern hat, er gegen dieses Verhalten jedoch nicht einschreitet. Dafür spricht, dass er aufgrund seiner Weisungsbefugnis ohne weiteres in der Lage ist, ihm unliebsame Praktiken jederzeit zu unterbinden.837 Auch wird der Angestellte gemäß den allgemeinen Vorgaben zur Auslegung einem wiederholt unterbliebenen Einschreiten den Erklärungswert einer vorzugung auch dem Geschäftsherrn selbst nicht gestattet wäre, kommt eine rechtfertigende Einwilligung nicht in Betracht“); für rechtfertigende Einwilligung auch Szebrowski, KickBack, S. 193, wenngleich dessen untreueähnliche Lesart hier nicht geteilt wird. 833 Dazu sogleich. 834 Vgl. Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 345 („Äußerung der Einwilligung“); Rönnau, in: Achenbach/Ransiek, III 2 Rn. 43; in dieselbe Richtung Omsels/Stuckel, in: Harte/ Henning, UWG, 1. Aufl., § 4 Nr. 1 Rn. 143. 835 s. o.: 3. Teil C.II.1.c) und ausführlich LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 163. 836 A.A. Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 345, „da in Unternehmen stets von einer Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Organen auszugehen ist“. 837 Wie hier Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 845 f., der freilich noch weitergehend annimmt, ein Unterlassen des Geschäftsherrn stünde einem Tun gleich.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Billigung beimessen dürfen. Für Beispiel 11 ist damit festzuhalten, dass bei einem vervielfachten Absatz von durch die F-KG vertriebenen Produkten und Kenntnis der Geschäftsführungsorgane838 der B-Bank von dem Informationsschreiben eine konkludent entäußerte Billigung angenommen werden kann. Eine dauerhafte Hinnahme dieser veränderten Verkaufspraxis steht einer entäußerten Einwilligungserklärung gleich und kann die Strafbarkeit der A entfallen lassen. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage nach den Grenzen der Rechtsfigur.839 Die Straflosigkeit eines Angestellten bei Vorliegen einer Einwilligung des Prinzipals wird mit Recht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Objektivität der Beratung nicht wesentliches Merkmal der Leistung ist oder sogar im Vordergrund steht.840 Insofern bestehen aber von der Person des Geschäftsherrn gelöste, objektive Einwilligungsschranken der Privatrechtsordnung.841 Als solche wird man etwa Vertragspflichtverletzungen anerkennen können, die ein Geschäftsherr gegenüber den Kunden begehen würde, wenn er zuließe, dass die (Haupt-)Leistung einer objektiven Beratung nicht mehr gewährleistet ist. Der Prinzipal handelte dann seinerseits rechtswidrig, weswegen eine Zustimmung ohne Wirkung bleiben muss.842 Durch die Billigung entsprechender Prämien kann dies im Einzelnen der Fall sein, wobei die Grenzen durch das Lauterkeitsrecht, spezielle Vorschriften und vor allem den Inhalt des konkret betroffenen Vertrages gezogen werden. Im Korkengeld-Fall werden Kunden von den Kellnern möglicherweise eine weniger objektive Beratung verlangen als in Beispiel 11 von A, was sich auf die Dispositionsbefugnis der jeweiligen Prinzipale niederschlägt. Die Einwilligungsdogmatik ermöglicht es, diese Schranken unter Berücksichtigung der Gesamtrechtsordnung zu erfassen und entsprechenden Erklärungen die rechtfertigende Wirkung zu nehmen. Auch in Bereichen, in denen die im Vordringen befindliche Ansicht für die hier diskutierte Fallgruppe wohl eine „Gegenausnahme“ von einer teleologischen Reduktion zulassen müsste, gibt die Einwilligungslehre dem Rechtsanwender gesicherte Rechtsgrundsätze an die Hand. In Beispiel 11 wäre demnach noch zu prüfen, ob und inwieweit die B-Bank in die Vorteilsgewährung durch die F-KG einwilligen kann, wenn der Kunde 838
Bei einer juristischen Person als Prinzipal muss es auf die Zustimmung der Geschäftsführungsorgane ankommen, soweit diese gesellschaftsrechtlich zuständig sind. Denn (nur) diese verfügen gegenüber den Angestellten über die nötige Weisungsbefugnis. Maßgeblich ist wie auch für die Geheimnisschutzvorschriften, wer innerhalb des Unternehmens dispositionsbefugt ist, vgl. Ohly, in: P/O/S, UWG, § 17 Rn. 27; a.A. (Maßgeblichkeit des Gesellschafterwillens) Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 291, 340 ff. 839 Abweichend Corsten, Einwilligung in die Untreue, S. 346 – Willensmängel des Einwilligenden als einzige Wirksamkeitsschranke. 840 Rengier, in: FS Tiedemann, S. 837, 848 nennt Anlageberater, Architekten sowie Leistungen im Gesundheitsbereich als Beispiele und hält den Angestellten auch bei Zustimmung des Geschäftsherrn in diesen Zusammenhängen für strafbar. 841 Vgl. dazu Ohly, Einwilligung, S. 408 ff.; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 289 ff. 842 Vgl. v. Tippelskirch, GA 2012, 574, 586 f. („Bevorzugungen, die [dem Geschäftsherrn] selbst nicht gestattet sind, kann er auch seinen Angestellten und Beauftragten nicht erlauben).“
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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ggf. eine objektive Beratung erwarten darf und die Bank infolge der durch die F-KG gesetzten Anreize unter Umständen (vor-)vertragliche Pflichten verletzt. 3. Ergebnis: Entschleierte Schmiergelder und Einwilligung des Geschäftsherrn Damit lässt sich zusammenfassen, dass der Tatbestand des § 299 StGB die Interessen des Geschäftsherrn und den lauteren Wettbewerb kumulativ schützt. Die Struktur des Tatbestandes spricht ebenso für die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung wie die „Bedeutung“ des Rechtsguts Wettbewerb bei konkret vorliegender Zustimmung zu der Vorteilsgewährung durch den Geschäftsherrn. Dies gilt auch dann, wenn man hinsichtlich der gleichzeitigen Betroffenheit von Individualund Kollektivrechtsgut für einen Unrechtsausschluss die strengen Maßstäbe der Rechtsprechung zugrunde legt. Über die rechtfertigende Einwilligung lassen sich weiter Rechtsfragen stringent und überzeugend klären, die mithilfe anderer Lösungswege nicht in angemessener Art und Weise verlässlich beantwortet werden können. Eine Strafbarkeit für A in Beispiel 11 kann deswegen aufgrund der konkludent erteilten Zustimmung durch die B-Bank nur dann ausscheiden, wenn die Bank ihren Kunden gegenüber infolge der Billigung besonderer Anreize zugunsten der F-KG Beratungspflichten verletzte.
V. Die mutmaßliche Einwilligung bei der Untreue Die Betrachtung zur unrechtsausschließenden Wirkung von Zustimmungen eines Rechtsgutsinhaber wäre unvollständig, wenn man nicht die mutmaßliche Einwilligung, die freilich einen Rechtfertigungsgrund sui generis843 darstellt, mit in die Betrachtung aufnehmen würde. Aus den bereits genannten Gründen kommt auch diesem Erlaubnissatz in wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten eine eher untergeordnete Rolle zu. Zum Untreuestrafrecht finden sich jedoch interessante Stellungnahmen im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Einverständnis bzw. einer mutmaßlichen Einwilligung, die dem Rechtfertigungsgrund einen durchaus bedeutsamen Anwendungsbereich eröffnen wollen.844 Konkret handelt es sich um zwei unterschiedliche Zusammenhänge, in denen es jeweils um die Rechtfertigung bzw. Pflichtwidrigkeit des Täterhandelns geht. Eine mutmaßliche Einwilligung kommt zunächst in Betracht, wenn und soweit weder eine Weisung des Treugebers noch ein tatsächliches Einverständnis (rechtzeitig) zu er-
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s. o.: 3. Teil C.II.2. Vgl. einführend Marwedel, ZStW 123 (2011), 548, 555 ff.; S/S-Perron, § 266 Rn. 48; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 124. Zur hypothetischen Einwilligung in diesem Bereich jüngst Rönnau, StV 2011, 753, 755 f. 844
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
reichen ist.845 Maßgeblich ist in diesen Fällen die richtige Einordnung des mutmaßlichen Treugeberwillens in die bestehende Untreue- und Rechtfertigungsdogmatik. Zum anderen geht es um Fälle, in denen der Pflichtige sich den Weisungen des Treugebers widersetzt hat. Insofern wurde insbesondere vorgeschlagen, auf die von der Rechtsprechung immer wieder verwendete Formel846 des „ausgleichsbereiten und -fähigen“ Untreuetäters die Vorgaben der mutmaßlichen Einwilligung anzuwenden.847 Auch dieses Ergebnis soll hier mit den für Unrechtsausschließungsgründe bestehenden Rechtsgrundsätzen abgeglichen werden. 1. „Mutmaßliches Einverständnis“ und unvollständiger Treugeberwille Nur kurz angedeutet werden soll hier die strafrechtliche Einordnung eines mutmaßlichen Konsenses im Rahmen der Untreue bei unvollständig geäußertem Treugeberwillen. Auf eine mutmaßliche Einwilligung könnte es ankommen, wenn der Treupflichtige in der konkreten Situation des Einzelfalls davon ausgehen kann, dass der Geschäftsherr mit einem Handeln oder Unterlassen einverstanden wäre oder ein solches sogar für geboten hielt. Teilweise wird auch vom „mutmaßlichen Einverständnis“ gesprochen, aufgrund dessen bereits der gesetzliche Tatbestand entfallen soll.848 Grund dafür ist die Maßgeblichkeit der treugeberischen Zustimmung schon für die Pflichtwidrigkeit im Rahmen der Vermögensbetreuungspflicht.849 Relevant werden einschlägige Konstellationen vor allem in Eilsituationen, in denen der Wille des Geschäftsherrn zeitlich und situativ nicht ohne weiteres einholbar ist.850 Aufgrund der Subsidiarität zur tatsächlichen Zustimmung851 ist die Bedeutung einer mutmaßlichen Einwilligung für den „weisungsfreien“ Bereich, den der Treugeber nicht mit eindeutigen Vorgaben ausgestaltet hat, jedoch nicht zu überschätzen. Als Beispiele werden Aufwendungen zum Schutze des guten Rufs des Treugebers (überwiegendes Interesse) sowie der klassische Fall der Entnahme von Bagatellbeträgen (mangelndes Interesse des Geschäftsherrn) angeführt.852 Vor allem 845
Zu dieser Konstellation LK11-Schünemann, § 266 Rn. 157. RGSt 70, 321 ff.; 73, 283, 285; BGHSt 15, 342 ff.; NStZ 1982, 331 f., NStZ 1995, 233, 234; NStZ-RR 2004, 54; OLG Karlsruhe NStZ 1990, 82, 84; kritisch Fischer, § 266 Rn. 168 m.w.N. 847 S/S-Perron, § 266 Rn. 48; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 45 Rn. 45. 848 Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 131; LK12-Schünemann, § 266 Rn. 198, 249; Mitsch, BT II/1, § 8 Rn. 31, 47; Weber, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 22 Rn. 71. Zur deliktssystematischen Einordnung sogleich. 849 Dazu Rönnau, StV 2009, 246, 247. 850 Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 131. 851 s. o.: 3. Teil C.II.2.; vgl. auch LG Kleve NZG 2011, 67. 852 LK11-Schünemann, § 266 Rn. 157; Schramm, Untreue und Konsens, S. 228 ff. 846
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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mithilfe von vorrangig zu berücksichtigenden konkludenten Erklärungen und durch Auslegung der Vermögensbetreuungspflicht (vgl. auch § 675 BGB) wird man gleichwohl regelmäßig darauf verzichten können, auf eine bloß mutmaßliche Zustimmung des Treugebers abzustellen. In den seltenen Fällen, in denen ausnahmsweise einmal gar keine Vorgaben vorliegen bzw. solche auch nicht aus den Umständen zu entnehmen sind,853 hilft auch ein Rückgriff auf die Figur des mutmaßlichen Einverständnis nicht weiter.854 Denn wer nach mutmaßlicher Zustimmung fragt, sucht den wahren Willen des Treugebers.855 – Der Verpflichtete kann daher für den Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht keinen über die ja gerade fehlende Willensäußerung hinausgehenden Erkenntnisgewinn erzielen. Wird im Wege der ergänzenden (Vertrags-)Auslegung auf objektive Maßstäbe zurückgegriffen, sollte dies offengelegt werden.856 Da das Einverständnis im Rahmen der Untreue die Pflichtwidrigkeit ausschließt, handelt es sich insoweit auch um eine Frage des Tatbestandes.857 Für das vielfach zitierte858 „mutmaßliche Einverständnis“, das über Auslegungsgrundsätze und objektivierte Pflichtenmaßstäbe zur Konkretisierung der Vermögensbetreuungspflicht hinausginge, bleibt jedenfalls im Rahmen der Untreue (§ 266 StGB) kein Raum. Die Rechtsfigur ist aus dem Rechtfertigungsgrund “Mutmaßliche Einwilligung“ ohne hinreichenden Anlass auf die Pflichtwidrigkeit des Untreuetatbestandes übertragen worden. Ob ein mutmaßliches Einverständnis im Rahmen anderer Strafgesetze an-
853 In der in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung BGH, Urt. v. 28. 11. 1962 – 1 StR 381/62- liegt es nach Wiedergabe bei Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 167 anders. Dort hatte eine alte Dame ihr umfangreiches Vermögen in die Hände eines sie wirtschaftlich und rechtlich beratenden Anwalts gegeben, der damit riskante Geschäfte eingegangen sein soll. Man wird das so entstandene Treueverhältnis dahingehend auslegen können, dass der Anwalt kein Risiko für den Stamm des Vermögens hätte eingehen dürfen. Die vom Gericht verwendete Leerformel eines „ordentlichen Vermögensverwalters“ weist in dieselbe Richtung, eröffnet dem Anwalt indes wohl einen größeren Spielraum. 854 A.A. Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 167. 855 s. o.: 3. Teil C.II.2.; vgl. auch Fischer, Vor § 32 Rn. 4. 856 So wurde der Maßstab eines „ordentlichen Vermögensverwalters“ vom BGH auf diesem Wege gewonnen, vgl. Fn. 853. Bei richtiger Bestimmung der Vermögensbetreuungspflicht bleibt auch für eine mutmaßliche Einwilligung bei Risikogeschäften kein Raum mehr. Denn aufgrund von konkreten Anhaltspunkten, wonach der Treugeber auch ein riskantes Geschäft billigte, kann die Treupflicht u. U. modifiziert sein, nicht aber erst eine mutmaßliche Einwilligung rechtfertigen. Insoweit abweichend Waßmer, Untreue, S. 36 ff., 162 ff. 857 Vgl. S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 45 m.w.N.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 89 ff.; Hellmann, ZIS 2007, 433, 437; Schramm, Untreue und Konsens, S. 230; a.A. Marwedel, ZStW 123 (2011), 548, 557; Jescheck/Weigend, AT, § 36 II 3 Fn. 16; auch Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn. 786 sehen für die mutmaßliche Einwilligung im Rahmen von § 266 StGB einen möglichen Anwendungsbereich. Herzberg, JA 1989, 243, 245 f. hält die Annahme einer „rechtmäßigen Pflichtverletzung“ für eine contradictio in adiecto und glaubt, bei der Untreue bliebe für die Rechtswidrigkeitsprüfung kaum je etwas übrig. 858 Dazu nochmals Fischer, § 266 Rn. 29; LK11-Schünemann, § 266 Rn. 157; Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 131.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
zuerkennen ist, erscheint ebenfalls in hohem Maße zweifelhaft, bedarf jedoch hier keiner weiteren Erörterung.859 2. Mutmaßliche Einwilligung bei Handeln wider zuvor erteilte Vorgaben Mit diesem Befund zum mutmaßlichen Einverständnis ist freilich noch nichts über das Schicksal der mutmaßlichen Einwilligung auf Rechtfertigungsebene ausgesagt, die als Erlaubnissatz allein dann relevant werden kann, wenn der Tatbestand der Untreue auch verwirklicht ist.860 Im Unterschied zu der besprochenen Situation der unvollständig vorliegenden Zustimmung des Treugebers geht es dabei um Untreuehandlungen wider dessen Anweisungen, also entgegen den Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht. Insoweit können gerade im Zusammenhang mit sich rasch ändernden Vermögensangelegenheiten des Wirtschaftsstrafrechts Situationen auftreten, im Rahmen derer die Rücknahme von inzwischen überholten, ehemals unter anderen Umständen erteilten Weisungen des Treugebers erwartet werden kann.861 Denkbar erscheint dies etwa im Bereich des Kapitalmarktes, wo die gebotene Ausführung einer Wertpapierorder regelmäßig an strenge zeitliche Grenzen gebunden ist. Ein derartiges Abweichen von den Vorgaben der Vermögensbetreuungspflicht liegt aber auch dann vor, wenn der Treunehmer jederzeit fähig und bereit ist, den durch pflichtwidriges Verhalten entstandenen Vermögensschaden aus flüssigen Mitteln auszugleichen. Die Rechtsprechung lässt in diesen Fällen bereits den Nachteil des Untreuetatbestandes entfallen. In der Literatur gibt es indes Bestrebungen, einen solchen Treunehmer nach den Grundsätzen der mutmaßlichen Einwilligung zu rechtfertigen.862 a) Handeln entgegen von Weisungen und mutmaßliche Einwilligung Kaum diskutiert wird bislang, ob nach einer Äußerung des Vermögensinhabers im Untreuestrafrecht eine mutmaßliche Einwilligung infolge geänderter Umstände in Betracht kommen kann. Bei der Frage, inwieweit der Täter von einem deutlich geäußerten Willen abweichen darf, ist zu differenzieren: Auch bei (drastisch) veränderten Umständen wird man sich kaum über einen tatsächlich geäußerten Willen des Rechtsgutsträgers, also hier des Treugebers, hinweg setzen können, wenn dessen vorliegende Anweisung hinreichend konkret ist („die Aktie X nicht verkaufen“). 859 Dafür Ludwig/Lange, JuS 2000, 446, 450 unter Bezugnahme auf einen Vergleich zur verwaltungsrechtlichen Kontrollerlaubnis. Die dort angeführten Beispiele ließen sich jedenfalls auch ohne Rückgriff auf die Rechtsfigur lösen. Dagegen Marlie, JA 2007, 112, 114 ff.; Mitsch, ZJS 2012, 38. Dazu auch LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 216. 860 Für ein „Ausklammern“ der (mutmaßlichen) Einwilligung aus dem Tatbestand der Untreue Marwedel, ZStW 123 (2011), 547, 557. 861 Vgl. LK11-Schünemann, § 266 Rn. 157. 862 Vgl. die Nachweise in Fn. 866 f.
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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Liegen indes nur sehr allgemeine Vorgaben des Geschäftsherrn vor („überwiegend in den Neuen Markt investieren“), so erscheint eine mutmaßliche Einwilligung in eine Abweichung von den früher geäußerten Vorgaben möglich, wenn sich die Umstände entsprechend ändern.863 Unter diesen Vorzeichen kollidierte ein Heranziehen der mutmaßlichen Einwilligung auch nicht mit dem ihr immanenten Strukturprinzip der Subsidiarität zu einer wirklichen Entscheidung des Rechtsgutsträgers. Denn dieser Grundsatz findet seine Berechtigung darin, dass der Rechtsgutsträger gegen aufgedrängte Handlungen Dritter zu schützen ist, auch wenn die Handlung des Dritten objektiv vernünftiger sein mag als der offen erklärte Wille.864 Im Fall sich ändernder Umstände besteht jedoch regelmäßig kein Bedürfnis nach Schutz zugunsten des zu einem früheren Zeitpunkt artikulierten Willens. Vielmehr geht es darum, den tatsächlichen Willen durch Einbeziehung neuer Umstände zu aktualisieren, ihn also gerade zur Geltung zu bringen. Einem solchen Bedürfnis wird in der allgemeinen Dogmatik zur Einwilligung dadurch Rechnung getragen, dass man dem Rechtsgutsträger zugesteht, seinen einmal erklärten Willen zu widerrufen.865 Im Fall einer mutmaßlichen Einwilligung ist ein wirklicher Wille schon den Voraussetzungen des Erlaubnistatbestands nach aber gerade nicht erreichbar. Dem Bedürfnis nach Aktualisierung des Willens muss also durch die Möglichkeit der Abweichung von früher erteilten Anweisungen entsprochen werden. Freilich sind die ursprünglichen Vorgaben des Treugebers zunächst einmal verbindlich, sodass eine Rechtfertigung der – bei engem Verständnis der Weisung zunächst eintretenden – Pflichtwidrigkeit denkbar erschiene. Gleichwohl wird sich eine Anpassung des wahren Willens regelmäßig durch dessen Auslegung erreichen lassen und wäre mithin Gegenstand der Pflichtwidrigkeit bzw. des Tatbestands. Ob man für die Aktualisierung des Treugeberwillens im Ergebnis die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung bemühen muss, erscheint in vielen Fällen deshalb zumindest nicht zwingend. b) Rechtfertigung des ausgleichsbereiten und leistungsfähigen Täters? Um ein Handeln entgegen dem Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht handelt es sich auch, wenn der Treunehmer nach allgemeinen Maßstäben einen Nachteil i.S.v. § 266 StGB herbeiführt, dabei aber willens und in der Lage ist, diesen jederzeit aus eigenen, hinreichend flüssigen Mitteln auszugleichen. Es wird behauptet, diese Fallgruppe, welche nach überwiegender Ansicht als Kategorie des Nachteilsbegriffs
863 Vgl. auch LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 226, der ein Hinwegsetzen über „allgemeine Anweisungen“ oder „Richtlinien“ des Treugebers unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung für möglich hält. 864 Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 461, 464 f.; ders., AT I, § 18 Rn. 5; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 158 (nach h.M. diene für die mutmaßliche Einwilligung der „Subjektivismus als Leitgedanke“); vgl. ferner BGHSt 35, 246, 249 f. 865 s. o.: 3. Teil C.II.1.c).
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
verstanden wird, gehe der Sache nach in der mutmaßlichen Einwilligung auf.866 Könne angenommen werden, dass der Vermögensinhaber infolge der Ersatzbereitschaft und aufgrund der Fähigkeit des Treupflichtigen, den Nachteil auszugleichen, mit dessen Handlung einverstanden ist, sei deswegen die Strafbarkeit ausgeschlossen. Eine Prüfung dieser Behauptung hat bislang – soweit ersichtlich – noch nicht stattgefunden. Dabei kann das Institut der mutmaßlichen Einwilligung durchaus auf anerkannte Rechtsprinzipien zurückgreifen, welche auf den Fall der Ausgleichsbereitschaft und -fähigkeit Anwendung finden. So hat das OLG Köln867 in einem obiter dictum für die Unterschlagung als Eigentumsdelikt entschieden, dass eine „vermutete Einwilligung“ rechtfertige, wenn eine vertretbare Sache von einem dazu willigen Täter jederzeit ersetzt werden kann. Denn dann bedürfe das Eigentum in der konkreten Situation keines Schutzes.868 A fortiori liegt eine Übertragung dieser Erwägung auf die Vermögensdelikte (i. e.S.) und die Untreue im Besonderen nahe. Denn wenn schon vertretbare Sachen nachträglich ersetzbar sind, dann sicher auch der bloße Wert des Vermögens an sich. Dennoch bringt die Struktur der mutmaßlichen Einwilligung auch insofern Vorgaben mit sich, aufgrund derer allenfalls in Ausnahmefällen ein Unrechtsausschluss des Treupflichtigen möglich erscheint, wenn er zum Nachteilsausgleich willens und imstande ist. Zu streng sind die Anforderungen des Erlaubnissatzes, als dass man den ausgleichswilligen und -fähigen Täter in allen Fällen auf dieser Grundlage rechtfertigen könnte. Die Vorgaben der mutmaßlichen Einwilligung lassen sich im Gegenteil nicht ohne weiteres übertragen. Im Kontext der Untreue wird nämlich ein Nachteil zulasten des Geschäftsherrn zumeist herbeigeführt werden, weil sich der Treupflichtige für sich selbst oder für einen Dritten einen Vorteil verspricht – sei es, weil der Zugriff auf das Vermögen des Treugebers gerade besonders naheliegt, sei es, weil der Treupflichtige aufgrund seiner Stellung auf verschiedene Vermögensmassen zurückgreifen kann.869 Die Annahme einer Erlaubnis wird bei eigennützigem Handeln des Treunehmers zwar nicht von vornherein ausgeschlossen. Doch ist in solchen Fällen gegenüber einem Unrechtsausschluss durch mutmaßliche Einwilligung Zurückhaltung geboten. Schließlich wird man nicht davon ausgehen können, der Treugeber sei grundsätzlich mit einem Handeln des Treupflichtigen einverstanden, welches diesem oder einem Dritten zu einem persönlichen Vorteil gereicht.870 Die geschilderte Interessenlage führt weiter dazu, dass man allenfalls eine Rechtfertigung aus mangelndem Interesse auf Seiten des Treugebers wird erwägen können. Schließlich wird dem Vermö866
S/S-Perron, § 266 Rn. 42, 48; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 45 Rn. 45. OLG Köln NJW 1968, 2348 f. Das Gericht nimmt im Fall jedoch an, dass diese Grundsätze aufgrund der „Sauberkeit und Ordnung der Amtsführung“ auf die Amtsunterschlagung (§ 350 StGB a.F.) keine Anwendung finden. 868 Vgl. auch S/S-Eser/Bosch, § 246 Rn. 22 f. 869 Zur letzteren Alternative BGH NStZ 1995, 233, 234. 870 s. o.: 3. Teil C.II.2.; vgl. auch Roxin, AT I, § 18 Rn. 17. 867
C. Die rechtfertigende und die mutmaßliche Einwilligung
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gensinhaber praktisch kaum je daran gelegen sein, dass sein Vermögen erst über den Umweg der Einstandsbereitschaft des Verpflichteten letztlich doch keinen Schaden nimmt. Die Zugrundelegung eines vermutet altruistischen Willens des Vermögensinhabers zugunsten des Treupflichtigen stellt also eine hohe Hürde dar, die eine mutmaßliche Einwilligung in Vermögensangelegenheiten in aller Regel nicht wird überwinden können.871 Sollte dies dennoch einmal der Fall sein, mahnt zumindest der richtig verstandene Grundsatz der Subsidiarität gegenüber einer tatsächlichen Willensäußerung zur Zurückhaltung mit der Annahme einer mutmaßlichen Zustimmung.872 Dass nicht abgewartet werden kann, wie der Vermögensinhaber selbst entschieden hätte, ist anders als bei Betroffenheit von höchstpersönlichen Rechtsgütern außerhalb von besonders dringlichen Eilsituationen nicht einzusehen. Es bleibt damit festzuhalten, dass die mutmaßliche Einwilligung kaum je in der Lage ist, den ausgleichswilligen und -fähigen Untreuetäter zu rechtfertigen. Ein Ausschluss der Rechtswidrigkeit erscheint allenfalls in besonders gelagerten Eil- und Ausnahmefällen ein gangbarer Weg.873 3. Ergebnis: Mutmaßliche Einwilligung im Untreuestrafrecht Nimmt man die strengen Anforderungen der mutmaßlichen Einwilligung ernst, so verbleibt ihr im Untreuestrafrecht entgegen vereinzelt gebliebenen Stimmen in der Literatur kaum je ein Anwendungsbereich. Dies gilt zunächst bei nicht oder unvollständig geäußerten Vorgaben des Treugebers in Ansehung des Inhalts der Vermögensbetreuungspflicht. Auch kann durch gewissenhafte Auslegung und Heranziehung gesetzlicher Wertungen vermieden werden, dass man die Rechtsfigur auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Untreue überträgt (“Mutmaßliches Einverständnis“). Allein bei weisungswidrigen Handlungen des Treunehmers scheint einmal ein Unrechtsausschluss denkbar, wenn in einer eilbedürftigen Situation von allgemein gefassten Vorgaben der Vermögensbetreuungspflicht abgewichen wird, weil der Pflichtige begründete Anhaltspunkte dafür hat, dass diese Vorgaben dem wirklichen Willen des Treugebers nicht mehr entsprechen. Der Charakter der Rechtsfigur als Einwilligungssurrogat874 steht schließlich auch dem Vorschlag entgegen, die Fallgruppe des ausgleichswilligen und -fähigen Täters 871
Auch Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 176 hält die Einordnung des ausgleichsbereiten Untreuetäters im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung für einen Kunstgriff, weil sie an den wirklichen Willensgegebenheiten des Vermögensträgers vorbeigehe. 872 Vgl. Roxin, AT I, § 18 Rn. 14; ders., in: FS Welzel, S. 447, 462, wo darauf hingewiesen wird, dass bei noch gültigem Verbot des Rechtsgutsträgers kein Platz für eine mutmaßliche Einwilligung ist. 873 Mit beachtlichen Argumenten schlägt S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 80; ders., HRRS 2006, 10, 21 f. vor, die diskutierte Fragestellung im Rahmen der objektiven Zurechnung zu prüfen. Materiell sei das objektive Moment eines untauglichen Versuches verwirklicht, sodass eine rechtlich relevante Gefahr nicht geschaffen werde. 874 Statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 220.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
über die mutmaßliche Einwilligung zu lösen. Denn die Subsidiarität zum wahren Willen und insbesondere die strengen Anforderungen bei mangelndem Interesse widersprechen einer Behandlung dieser Fallgruppe im Rahmen der Rechtswidrigkeit.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt Die Untersuchung zur Bedeutung von anerkannten Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht schließt mit einem Blick auf das Unterlassungsdelikt. Zwar gelten insoweit an sich keine strukturellen Besonderheiten und die besprochenen Erlaubnissätze sind dem Grundsatz nach auf Begehungs- und Unterlassungsdelikt gleichermaßen anwendbar.875 Dennoch eignet sich eine eigenständige Darstellung von Rechtfertigungstatbeständen im Zusammenhang mit dieser Deliktsart dazu, wirtschaftsstrafrechtliche Fragestellungen zu untersuchen, die besonders eng mit dem unterlassenden Täter verknüpft sind. Es kann hier freilich nicht darum gehen, die zahlreichen Problemfelder auch nur anzudeuten, die sich im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität hinsichtlich der allgemeinen Unterlassungsdogmatik stellen.876 Zunächst sollen wieder für die Rechtfertigungslehre relevante Fallgestaltungen illustriert werden: Beispiel 12 (nach OLG Saarbrücken NJW 1991, 3045 f.): Die Stadt S hat die W-GmbH damit beauftragt, für die Entsorgung von Abwässern in S Sorge zu tragen. Die Stadt ist gesetzlich zur Beseitigung der anfallenden Abwässer verpflichtet. Die vorhandenen Anlagen in S sind für diese Aufgabe unzureichend. Während die W-GmbH deswegen mit Nachdruck an der Erstellung moderner Einrichtungen arbeitet, leitet sie in der Zwischenzeit anfallende Abwässer in ein fließendes Gewässer. Dies ist die einzige Möglichkeit zur Beseitigung des verbrauchten Wassers. Handelt die Geschäftsführung der W-GmbH in Ansehung der entstandenen Gewässerverunreinigung (§ 324 StGB) gerechtfertigt? Beispiel 13: A ist Geschäftsführer der U-GmbH, die analoge Filme herstellt. Seit Einführung digitaler Fotografie gehen die Umsatzzahlen der U-GmbH ständig zurück. A hat einen bedeutsamen Teil seiner Mitarbeiter deswegen im Januar damit beauftragt, ein Fotoprogramm zu entwerfen, das analoge Bilder am PC verarbeitet. Zwar befindet sich die Entwicklung dieses neuen und vielversprechenden Produkts im Endstadium. Dennoch kann A nicht mit Sicherheit vorhersagen, ob die U-GmbH nicht vor erfolgreicher Markteinführung zahlungsunfähig sein wird (vgl. §§ 16, 17 Abs. 1 InsO). Um das Unternehmen aus der Krise zu führen, entschließt er sich zunächst im Februar dazu, keine Arbeitnehmer zu entlassen, da in einem solchen Fall entweder der Geschäftsbetrieb zusammenbrechen würde oder es nicht zur Einführung des Programms käme. Im März will die G-Bank ein fälliges Darlehen vollstrecken. Doch A gelingt es, die zur Fortführung des Betriebs nötige Liquidität zu erhalten und die Vollstreckung abzuwenden, indem er die wertvollen Rechte an dem neuen Verfahren zum Schein auf eine Gesellschaft im Ausland überträgt. Von Juni bis September 875 876
Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 735; vgl. auch Freund, in: MüKo, Vor § 13 Rn. 6, 8, 17. Siehe dazu Tiedemann, AT, Rn. 181 ff.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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führt A mangels Liquidität keine Sozialversicherungsbeiträge mehr ab und stellt die Kommunikation mit den Versicherungen ein. Als ab September dann die Verkaufszahlen für das neue Produkt in die Höhe schnellen, entrichtet A im Dezember die geschuldeten Beiträge vollständig und bedient das Darlehen der G-Bank einschließlich Verzugszinsen und Kosten. Hat sich A nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar gemacht? Kommt im Hinblick auf die einzelnen „Rettungsmaßnahmen“ des A jeweils eine Rechtfertigung in Betracht?
Bedeutsam für die sich anschließenden Erwägungen ist hier vor allem die Vorfrage, inwieweit Sachverhalte, die häufig im Kontext von Zumutbarkeitserwägungen behandelt werden, zum Teil richtigerweise nicht einen Unterfall des rechtfertigenden Notstands darstellen. Auf diese Gesichtspunkte, welche materiell die allgemeine Rechtfertigungslehre betreffen, wird hier wieder vorab eingegangen [I.]. Sodann fällt das Schlagwort der „rechtfertigenden Pflichtenkollision“ immer wieder im Zusammenhang mit wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten. Es wird kurz zu zeigen sein, dass diese Stellungnahmen regelmäßig auf ein ungenaues Verständnis der Rechtsfigur zurückzuführen sind und im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelinquenz dem Rechtfertigungstatbestand kaum je ein Anwendungsbereich beschieden sein dürfte [II.]. Der zweite Problemkreis, der mit dem Unterlassungsdelikt in enger Verbindung steht, bezieht sich auf die im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts häufig anzutreffende Behauptung der „Unzumutbarkeit“ normgemäßen Verhaltens. Insofern soll insbesondere für die zu § 266a Abs. 1 StGB von der Rechtsprechung entwickelte Vorverschuldenshaftung geprüft werden, ob Gesichtspunkte der Rechtfertigung nicht deren Strenge abmildern können [III.].
I. Einführende Überlegungen: Unzumutbarkeit und rechtfertigender Notstand, § 34 StGB Eine die Unterlassungsdogmatik betreffende Vorfrage wird hier sowie im 4. Teil dieser Arbeit relevant und betrifft Fälle wie Beispiel 13. Es geht dabei um die Bedeutung der §§ 34 StGB, 16 OWiG im Bereich unechter bzw. echter Unterlassungsdelikte und deren Verhältnis zur sog. Unzumutbarkeit. Insofern wurde schon einführend angedeutet, dass der rechtfertigende Notstand zunächst zu prüfen ist, wenn den Täter ein Handlungs- („Zahle Abgaben!“) statt ein Unterlassungsgebot („Töte nicht!“) trifft und gleichzeitig eine Unterlassungspflicht besteht.877 „Unzumutbarkeit“ bezeichnet als Sammelbegriff alle Fälle, in denen bei Bestehen einer Handlungspflicht pflichtgemäßes Verhalten nicht durch Unmöglichkeit ausgeschlossen, doch aber erschwert wird.878 Die sich anschließende Betrachtung ist freilich nur für einen kleinen Teil aller unter dem Begriff diskutierten Fallgestaltungen relevant und betrifft keinesfalls den topos der Unzumutbarkeit im Ganzen. In 877 878
s. o.: 2. Teil B.II.2. So treffend Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 96 f.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
dieser „Leerformel“,879 die verschiedene Zwangslagen des Täters zusammenfasst, lässt die überwiegende Auffassung im Unterlassungsdelikt zum Teil auch solche Fälle aufgehen, die nach den allgemeinen Voraussetzungen der Rechtfertigungslehre an sich der Kollisionsregel des rechtfertigenden Notstands zuzuordnen wären.880 Unter Berufung auf einzelfallgelöste Erwägungen zur Zumutbarkeit werden entsprechende Zwangslagen beim Täter sodann entweder als Tatbestandsbegrenzung881 oder aber als allgemeiner Entschuldigungsgrund882 eingeordnet. Dieser Logik folgend wäre auch im später behandelten Beispiel 22 hinsichtlich der Kollision des Zahlunggebots aus § 266a Abs. 1 StGB mit der Masseerhaltungspflicht für G ein Fall der Unzumutbarkeit zu erwägen. Denn auch dort „erschwert“ die nach Insolvenzreife gemäß § 64 S. 1 GmbHG drohende Haftung die Erfüllung der strafbewehrten Pflicht zum Abführen der Beiträge. Entsprechendes gilt für Beispiel 13, wo der aus der Beitragspflicht abgeleiteten Vorverschuldenshaftung des A das Gebot entgegensteht, eine drohende Zwangsvollstreckung nicht zu vereiteln, vgl. § 288 StGB. Verfehlt sind allgemeine Zumutbarkeitserwägungen jedoch in Sachverhalten, in denen der Täter seine strafbewehrte Handlungspflicht zugunsten eines anderen rechtlich geschützten Interesses vernachlässigt. Unter solchen Vorzeichen bietet nämlich zunächst der rechtfertigende Notstand dogmatisch den richtigen Anknüpfungspunkt zur Lösung der widerstreitenden Belange.883 Erst wenn das Bestehen strafwürdigen Unrechts feststeht, ist der Blick auf die Schuld zu richten. Allgemein anerkannt wird dieses Ergebnis auch im Unterlassungsdelikt noch für den Fall, dass der Handlungspflicht nur um den Preis entsprochen werden könnte, dass gleichzeitig eine Unterlassungspflicht verletzt werden müsste (echte Pflichtenkollision).884 Unzumutbarkeitserwägungen werden einer Kollision von gesetzlich normierten 879
Achenbach, Jura 1997, 631, 635 unter Verweis auf Roxin, AT I, § 22 Rn. 145 ff.; Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 206 f. („zweifelhaft, ob es eines solchen generalklauselartigen topos bedarf“) m.w.N. Die Unzumutbarkeit wird vor allem in Unterlassungs-, aber auch in Fahrlässigkeitsdelikten thematisiert. Ihr Anwendungs- bzw. genauer „Zuordnungsbereich“ reicht von der Vorschrift des § 35 StGB über allgemeine Gefahrtragungspflichten bis hin zum sog. „Gewissensnotstand“. Ausführlich zum Ganzen LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 322 ff.; Wortmann, Unzumutbarkeit, S. 13 f., 15 ff. 880 Ausführlich zur Vermengung von Unrecht und Schuld im Rahmen der Unzumutbarkeit Moos, ZStW 116 (2004), 891, 911 ff. 881 Vgl. etwa NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 17; Fischer, § 13 Rn. 44; LK12-Weigend, § 13 Rn. 68. Es ist freilich zu beachten, dass in einigen echten Unterlassungsdelikten (vgl. §§ 323c, 138 StGB) Unzumutbarkeitsgesichtspunkte vom Gesetzgeber bereits als Tatbestandsmerkmale kodifiziert worden sind. 882 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 739; Kühl, AT, § 18 Rn. 140; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 334. 883 Wie hier Roxin, AT II, § 31 Rn. 219 („Häufig werden auch Fälle des rechtfertigenden Notstands fälschlich als solche der Unzumutbarkeit angesehen“). Für eine Zuordnung der im Folgenden besprochenen Problematik als einen Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit auch SKRudolphi, 7. Aufl., Vor § 13 Rn. 29, 29b; Jakobs, AT, 29/98 Fn. 192; Gropp, AT, § 11 Rn. 55 f.; Köhler, AT, S. 297; Küper, Pflichtenkollision, S. 97 ff. 884 s. o.: 2. Teil B.II.2.; vgl. auch Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 82.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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Pflichten nicht gerecht, da diese nicht durch „außergewöhnliche Umstände“885 gekennzeichnet ist, aufgrund derer für A als Geschäftsführer in Beispiel 13 die Erfüllung im Einzelfall besonders schwierig wäre. Vielmehr geht es hier um die Abwägung widerstreitender Interessen und damit um ein Notstandsprinzip.886 Auch kann sich an der einschlägigen Kollisionsregel des rechtfertigenden Notstands nicht dadurch etwas ändern, dass das Unterlassen des Täters zwar einem rechtlich geschützten Interesse zugutekommt, sich das Unterlassungsgebot gleichwohl nicht schon zu einer gesetzlichen Pflicht verdichtet hat: Wenn ein Ehemann seine ertrinkende Frau nicht rettet, weil selbst für einen guten Schwimmer Lebensgefahr besteht, ist er nach § 34 StGB gerechtfertigt.887 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um das eigene Leben des Mannes handelt (durch Unterlassen geschütztes Eigeninteresse) oder aber der Mann es unterlässt, einen gerade anwesenden guten Schwimmer zur Rettungshandlung zu nötigen (Unterlassungspflicht aus § 240 StGB). Sobald ein schützenswertes Erhaltungsgut ein Unterlassen gebietet („Vereitle keine Zwangsvollstreckung!“), welches jedoch seinerseits eine strafbewehrte Handlungspflicht verletzte („Erhalte die Masse für die fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge!“), stellt dieser Interessenwiderstreit einen geradezu klassischen Anwendungsfall des § 34 StGB dar.888 Es verwundert deswegen kaum, dass einschlägige Zumutbarkeitserwägungen in der Unterlassungsdogmatik regelmäßig mit solchen des rechtfertigenden Notstands889 oder aber zumindest mit der für ihn charakteristischen Interessenabwägung890 verknüpft werden. Gegen eine vorrangige Berücksichtigung der angesprochenen Gesichtspunkte auf Schuldebene spricht schon, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Teilnehmers, der sich in einer ähnlichen Konfliktsituation befindet und im oben angeführten Fall der im Wasser ertrinkenden Ehefrau aus Sorge um den Garanten auf ein Nichteinschreiten drängt („Spring nicht!“), ggf. weiter ginge als diejenige des Unterlassungstäters. Eine teilnahmefähige Haupttat läge demnach vor. Ebenso wenig kann die Annahme eines Tatbestandsausschlusses überzeugen, wonach die Pflicht von vornherein nur in geringerem Umfang entstünde. Eine genaue Bestimmung des 885 Vgl. zu diesem Merkmal der Unzumutbarkeit Kudlich, in: Beck OK, § 15 Rn. 69; Jescheck/Weigend, AT, § 57 IV; vgl. auch NK-Neumann, § 35 Rn. 5. 886 Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 206; NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 17 wollen ebenfalls eine Einordnung als Tatbestandsmerkmal den Normen über den rechtfertigenden Notstand entnehmen. 887 Vgl. zum Fall BGH NStZ 1994, 29. 888 Zu diesem Prinzip LK12-Zieschang, § 34 Rn. 2 f.; vgl. auch nochmals Roxin, AT II, § 31 Rn. 219. 889 SK-Rudolphi/Stein, Vor § 13 Rn. 45, 51 („Analogie zu § 34 StGB“); NK-Wohlers/ Gaede, § 13 Rn. 17 („Zumutbarkeitserwägungen lassen sich aus den §§ 34 StGB, 228, 904 BGB ableiten“); vgl. ferner S/S-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 156; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 150 („Gefahrenschwelle der Unzumutbarkeit an § 34 StGB anzusetzen“). 890 BGH NStZ 1994, 29; LK12-Weigend, § 13 Rn. 68 Fn. 63; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 61; Stree, in: FS Lenckner, S. 393, 398 f., 407, der Rechtfertigungserwägungen wegen des logischen Vorrangs einer Tatbestandslösung zurückstellt.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Umfangs der Garantenpflicht verträgt sich nicht mit dem Befund, dass nach überwiegender Auffassung nur der die Garantenpflicht begründende Sachverhalt, nicht aber diese selbst oder gar ihr genauer Inhalt als Teil des gesetzlichen Tatbestands verstanden wird.891 Ebenso wie die an sich bestehende Unterlassungspflicht bei ihrer Verletzung im Einzelfall einer Rechtfertigung bedarf, ist der Garant zunächst zum Einschreiten verpflichtet und es kommt auf § 34 StGB an, wenn er dies nicht tut.892 Für die Beispiele 13 und 22 bedeutet das, dass auch in dieser Situation eine Notstandslage in Betracht zu ziehen ist, was jedoch in der konkreten Ausgestaltung noch eingehend zu würdigen sein wird.893 Schließlich sei angemerkt, dass die hier vorgenommene Einordnung in die bestehende Deliktssystematik nur auf den ersten Blick der überwiegenden Ansicht zum topos der Unzumutbarkeit widerspricht. Zunächst herrscht große Unsicherheit darüber, welche Fallgestaltungen tatsächlich von ihr umfasst sind, worauf es ersichtlich entscheidend ankommt: Die hiesige Sichtweise läuft weder der herrschenden Auffassung zuwider, wonach in Begehungsdelikten der Rechtsfigur kaum je Bedeutung zukommen kann,894 noch hat sie Auswirkungen auf die Einordnung der Unzumutbarkeit im Fahrlässigkeitsdelikt.895 Weiter sind hier selbst für die Unterlassungsdogmatik nicht alle Fallgestaltungen zu entscheiden, welche unter der Begrifflichkeit diskutiert werden: Zu den Fragen, inwieweit etwa eine unter Selbstgefährdung eingegangene Garantenstellung896 oder das Einschalten staatlicher Stellen wie der Polizei zum Nachteil enger Angehöriger897 als Unterfälle von Zumutbarkeitserwägungen zu würdigen sind, verhält sich die vorliegende Untersuchung nicht. Sie löst allein die Kollisionen zwischen Handlungs- und Unterlassungspflicht bzw. zwischen Handlungsgebot und dem zuwiderlaufenden Interesse. Dass in diesen Fällen Erlaubnissätze vor Unzumutbarkeitserwägungen zu prüfen sind, entspricht den allgemeinen Vorgaben.898 Ein Rückgriff auf § 34 StGB ist für Kollisionssachverhalte dieser Art als Teilaspekt der Unzumutbarkeit weiter durchaus anerkannt und wird vielfach auch für Fallgestaltungen wie Beispiel 12 vertreten.899 891 Vgl. BGHSt 16, 155, 158; 19, 295, 298; Kühl, AT, § 18 Rn. 128 f.; S/S-SternbergLieben, § 15 Rn. 96 m.w.N. 892 Zur strukturellen Gleichheit der Situationen nur Küper, Pflichtenkollision, S. 98 f. 893 Siehe unten: 4. Teil E.II.1., 3. 894 Siehe nur LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 327; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 273. 895 Dazu RGSt 30, 25 ff.; Achenbach, Jura 1997, 631 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 57 IV. 896 S/S-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 156. 897 Vgl. BGHSt 6, 46, 57; OLG Bremen NJW 1957, 72 ff. 898 Anschaulich jüngst zum Fall des Kapitäns auf der sinkenden Costa Concordia Esser/ Bettendorf, NStZ 2012, 233, 236 f. Dort werden hinsichtlich der Strafbarkeit des Kapitäns in einer Situation der „Unzumutbarkeit“ zunächst Rechtfertigungsgründe geprüft. 899 Roxin, AT II, § 31 Rn. 219; Kühl, AT, § 18 Rn. 34, der Beispiel 12 dieser Arbeit über Rechtfertigungsgründe lösen will. Wie hier auch Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 179, 259 mit Verweis aus BGHSt 38, 325, 331. Vgl. zu Beispiel 12 ferner Hoyer, NStZ 1992, 387, 388, der zwar eine Rechtfertigung wegen Handelns zugunsten von Gemeinwohlinteressen erwägt (i.E.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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Vieles wird hier durch abstrakte Ausführungen und eine verallgemeinernde Einordnung in den Deliktsaufbau erschwert.
II. Rechtfertigende Pflichtenkollisionen im Wirtschaftsstrafrecht? In Wirtschaftsdelikten, die ein Handeln gebieten, bemüht man oftmals die Figur der „rechtfertigenden Pflichtenkollision“, wenn der Täter neben der strafbewehrten noch eine zweite, zu dieser gegenläufige Pflicht zu beachten hat.900 Gleichwohl wird kaum je eine Rechtfertigung nach diesem für kollidierende Interessen entwickelten Prinzip in Betracht kommen. Denn eine rechtfertigende Pflichtenkollision im engeren Sinne, d. h. als außergesetzlicher Erlaubnistatbestand eigener Art,901 setzt voraus, dass mehrere rechtlich anerkannte Handlungspflichten den Normadressaten dergestalt treffen, dass entweder nur die eine oder aber nur die andere erfüllbar ist.902 Bei Verschiedenwertigkeit der Pflichten ist stets die höherwertigere maßgeblich, während bei Gleichwertigkeit bloß alternativ erfüllbarer Handlungsgebote bereits die Befolgung einer der beiden Pflichten rechtfertigt.903 Auf das wesentliche Überwiegen einer Pflicht kommt es im Gegensatz zu § 34 StGB also nicht an.904 Dogmatisch geboten ist es daher, mit der heute ganz überwiegenden Auffassung solche „unechten Pflichtenkollisionen“ aus dem Anwendungsbereich dieses Erlaubnisgrundes auszuklammern, in denen eine Unterlassungspflicht betroffen ist.905 Begrifflich setzt der Rückgriff auf eine rechtfertigende Pflichtenkollision sensu stricto also voraus, dass auch und gerade die straf- oder bußgeldbewehrte Pflicht dem Täter ein Handlungsgebot auferlegt. Demnach kommt der Rechtfertigungsgrund in echten oder unechten Unterlassungsdelikten in Betracht, scheidet für Begehungsdelikte indes aus. In Beispiel 12 trifft die Geschäftsführung der W-GmbH als Verwaltungshelferin906 mit der Abwasserbeseitigungspflicht, die ihr durch die Stadt S wirksam übertragen wurde, zwar ein Handlungsgebot. Es fehlt aber an einer damit kollidierenden Pflicht zum Handeln. Zwar kann §§ 324, 13 Abs. 1 StGB bei einer § 34 StGB), einen Unrechtsausschluss jedoch an dem bestehenden Genehmigungserfordernis für die Abwassereinleitung scheitern lässt. 900 Ausführlich zu normtheoretischen Überlegungen in diesem Zusammenhang Gropp, in: FS Hirsch, S. 207, 214 ff. und passim. 901 Baumann/Weber/Mitsch, § 17 Rn. 132; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 38; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 3 f. 902 Statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 115 f. m.w.N. 903 Dies ist der überzeugende Standpunkt der herrschenden Ansicht Roxin, AT I, § 16 Rn. 118 ff.; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 71/72; NK-Neumann, § 34 Rn. 124 jeweils m.w.N. S. o.: 2. Teil B.II.2. 904 Statt Vieler LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 115; NK-Neumann; § 34 Rn. 125; Bohnert, in: Bohnert, OWiG, § 16 Rn. 27. 905 S/S-Perron, § 34 Rn. 4; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 132; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 f. jeweils m.w.N. 906 Vgl. nur Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 101.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Garantenpflicht auch durch ein Unterlassen erfüllt sein.907 Doch selbst wenn die W-GmbH eine solche Pflicht getroffen haben sollte, ist die Entscheidung zur weiteren Einleitung als Tun aufzufassen, weswegen die Lösung weder über Unmöglichkeitsgesichtspunkte908 noch über eine rechtfertigende Pflichtenkollision zu suchen ist. Vielmehr liegt ein Fall des rechtfertigenden Notstands vor.909 Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze ist es verfehlt, wenn im Zusammenhang mit der Drittmittelproblematik der (Amtsträger-)Bestechlichkeit von einer „gesetzlich nicht geregelten, rechtfertigenden Pflichtenkollision“ gesprochen wird.910 Man mag es zwar für bedenklich halten, dass Strafbarkeit für einen Amtsträger auch erwogen wird, wenn der für die Amtshandlung erlangte Drittvorteil an eine soziale, karitative oder anderweitig dem Allgemeinwohl verpflichtete Organisation gehen soll. Gleichwohl bedroht der Straftatbestand der Vorteilsnahme (§ 331 StGB) ebenso wenig ein Unterlassen mit Strafe wie derjenige der Vorteilsgewährung (§ 333 StGB). Schon deswegen scheidet eine rechtfertigende Pflichtenkollision aus, ohne dass dieses Ergebnis gleichermaßen auch für andere Erlaubnissätze gelten müsste.911 Weiter kann auch die aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG abgeleitete und für § 266 StGB bedeutsame Schutzpflicht eines Vorstands für das Vermögen seiner Gesellschaft912 strafrechtlich kaum je zu einer rechtfertigende Pflichtenkollision führen. Zwar mag diese Schutzpflicht auch einmal Handlungen gebieten, sodass für entsprechende Pflichtenkollisionen eine Anwendbarkeit nicht von vornherein ausscheidet. Eine aktienrechtliche Pflicht zum Handeln ist etwa betroffen, wenn Vorstände deutscher Atomkraftwerksbetreiber gerichtlich gegen das partielle Atom-Moratorium und den stufenweisen Atomausstieg913 vorgehen. Insofern könnte sogar eine gemäß § 266 StGB strafbewehrte Handlungspflicht bestehen.914 Auf der anderen Seite dürfte es der Vielfalt des Wirtschaftslebens geschuldet sein, dass dem Vorstand regelmäßig keine straf- bzw. bußgeldbewehrten Handlungspflichten auferlegt werden, die zu diesem Vermögenserhaltungsgebot in Konflikt treten können. Vielmehr geht es in einschlägigen Sachverhaltsgestaltungen, in denen z. B. der Vorstand Anhaltspunkte für eine gesetzeswidrige Tätigkeit der Zielgesellschaft nach einer Übernahme hat (§§ 60 Abs. 1 Nr. 8, 33 Abs. 1 S. 1, 2 WpÜG) oder Ausnahmen vom Verbot der Einlagenrückgewähr zur Abwendung schwerer Schäden der Gesellschaft zugelassen 907 NK-Ransiek, § 324 Rn. 20 m.w.N. Zum Ganzen auch Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 179 f. 908 So wohl OLG Saarbrücken NJW 1991, 3045, 3046. 909 Vgl. auch S/S-Perron, § 34 Rn. 4; NK-Ransiek, § 324 Rn. 48. 910 So aber Diemer/Krick, in: MüKo, § 299 Rn. 30. 911 Vgl. zur Natur der kollidierenden Pflichten und zur Frage eines Unrechtsausschlusses auch LK12-Tiedemann, § 299 Rn. 57. 912 Dazu Hopt, in: GroßKomm AktG, § 93 Rn. 122 ff.; Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26 jeweils m.w.N. 913 Vgl. BGBl. I 2011, 1704. 914 Wie hier Beukelmann, NJW-Spezial 2012, 568 („für die Öffentlichkeit nicht ohne weiteres nachvollziehbar“).
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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werden (vgl. §§ 405 Abs. 1 Nr. 4 a), 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG), um Fälle, in denen einerseits ein Tun und andererseits ein Unterlassen verlangt wird. Der in dem Zusammenhang in der gesellschaftsrechtlichen Literatur verwendete Begriff der „rechtfertigenden Pflichtenkollision“915 entzieht sich deswegen der Übertragbarkeit auf das Wirtschaftsstrafrecht. Vielmehr stellen Verbotstatbestände, die mit dem Vermögenserhaltungsgebot kollidieren können, in aller Regel Unterlassungspflichten und keine Handlungsgebote auf, sodass die Lösung einschlägiger Fragen auf anderem Wege zu suchen ist.916 Ebenso wenig kam in der Kinowelt-Entscheidung des Bundesgerichtshofs917 ein Ausschluss der Rechtswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt der rechtfertigenden Pflichtenkollision in Betracht.918 Der Angeklagte war Vorstand einer Aktiengesellschaft, die eine stark sanierungsbedürftige GmbH übernehmen wollte. Zum Zwecke der Rettung der GmbH führte er in seiner Funktion als AG-Vorstand Überweisungen in Höhe von insgesamt ca. DM 16,6 Mio. durch. Gleichzeitig war der Angeklagte Geschäftsführer der zu übernehmenden GmbH. In dem Fall kollidiert daher allenfalls die Vermögenserhaltungs- bzw. Sanierungspflicht des Angeklagten als Geschäftsführer der „maroden“ GmbH (Handlungsgebot) mit dem Verbot, als Vorstand der die GmbH übernehmenden AG durch Überweisungen zugunsten der GmbH einseitig Vermögenswerte abzuführen (Unterlassungspflicht). Auch hier fehlt es daher an kollidierenden Handlungsgeboten, die eine rechtfertigende Pflichtenkollision hätten begründen können. Aus anderen Erwägungen scheidet die rechtfertigende Pflichtenkollision in der Unterlassungsvariante der Steuerhinterziehung aus (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Natürlich ist hier denkbar, dass anderweitige Verbindlichkeiten dem Steuerpflichtigen kollidierende Zahlungsgebote und damit Handlungspflichten auferlegen. Doch wird man auch für die Steuerhinterziehung durch Unterlassen zugrunde legen müssen, was für den rechtfertigenden Notstand bereits festgestellt wurde: Das Steuerrecht hält systematisch vorrangige Möglichkeiten bereit, welche einem Unrechtsausschluss im Wege stehen:919 Denn die Möglichkeit der Finanzbehörde, auf finanzielle Besonderheiten beim Steuerpflichtigen mit Stundung oder Erlass zu reagieren (§§ 222, 227 AO), geht einer eigenmächtigen Entscheidung des Steuerschuldners vor. Ein solches gesetzlich vorrangiges Verfahren muss die rechtfertigende Pflichtenkollision ebenso wie den rechtfertigenden Notstand kategorisch ausschließen.920 915 Siehe z. B. Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 74 f.; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 78. 916 Vgl. für das Gesellschaftsrecht auch Schneider, NZG 2009, 1413 ff. Zur strafrechtlichen Behandlung kollidierender Pflichten in organschaftlich geprägten Konstellationen, s. u.: 4. Teil D.II.1. – 5. 917 BGH NJW 2006, 453 ff. 918 A.A. Kutzner, NJW 2006, 3541, 3543 f. 919 Schmitz/Wulf, in: MüKo, § 370 AO Rn. 405 halten einen Unrechtsausschluss des Unterlassungstäters in der Steuerhinterziehung für die „absolute Ausnahme“. 920 Siehe zum Verhältnis steuerlicher Regelungen zum Notstand oben: 3. Teil B.III.2.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Anderenfalls könnte der Steuerpflichtige durch Untätigkeit umgehen, dass ihm unter Notstandsgesichtspunkten in der Begehungsvariante des Delikts (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) eine Rechtfertigung nicht zuteilwerden kann. Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus dem telos der steuerrechtlichen Möglichkeiten, auf Härtefälle zu reagieren. Zum Abschluss der Ausführungen zur rechtfertigenden Pflichtenkollision sei auf zwei Kontexte hingewiesen, in denen im Zusammenhang mit § 266a Abs. 1 StGB ein Rückgriff auf die Rechtsfigur zu erwägen sein könnte. Eine ehemals relevante Fallgruppe des Erlaubnissatzes während einer Krise der Gesellschaft hat sich durch Eingriff des Gesetzgebers erledigt: Konkret ging es um die Kollision der strafbewehrten Handlungspflicht, die Arbeitnehmerbeiträge abzuführen, mit dem Gebot, den Arbeitnehmern zumindest den notdürftigen Unterhalt in Erfüllung ihrer Lohnforderungen zu gewähren.921 Aufgrund der Strafbewehrtheit des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen922 und vor dem Hintergrund der bestehenden Absicherungen des modernen Sozialstaats dürfte schon die Gleichwertigkeit der beiden Pflichten923 ausgeschlossen sein.924 Mit Einführung des heutigen § 266a Abs. 6 StGB geben entsprechende Fälle nach dem Willen des Gesetzgebers925 indes allenfalls Anlass zur Anwendung eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes. Soweit nunmehr anerkannt ist, dass ein Unrechtsausschluss wegen Gewährens desjenigen Bruchteils des Arbeitsentgelts, welcher für den notdürftigen Lebensunterhalt erforderliche wäre, ausscheidet,926 kann dies wieder auf den Gedanken eines vorrangigen gesetzlichen Verfahrens zurückgeführt werden. Die rechtfertigende Pflichtenkollision kann demgegenüber als Erlaubnissatz de lege lata herangezogen werden, um eine Frage zu lösen, die sich als Folge der sog. „Vorrangrechtsprechung“ ergibt. Nach dieser Jurisdiktion stehen Sozialversicherungsbeiträge in herausgehobener Stellung unter den Verbindlichkeiten einer Gesellschaft mit Zahlungsschwierigkeiten.927 Ein entsprechender Vorrang soll auch anderen „sanktionsbewehrten“ Zahlungspflichten zukommen. Zu denken ist dabei 921 Zur rechtfertigenden Pflichtenkollisionen in diesen Fällen RG HRR 32 Nr. 1016; BGH, Urt. v. 13. 4. 1976 – 1 StR 65/76-. 922 Aufgrund dieser Strafbewehrtheit lehnt BGHSt 47, 318, 322 die Gleichwertigkeit bloß zivilrechtlicher Pflichten in anderem Zusammenhang kategorisch ab. 923 Der Gewährung von notdürftigem Unterhalt müsste derselbe Stellenwert zukommen wie Pflichten nach § 266a Abs. 1 StGB; zur Wertigkeit von Pflichten im Rahmen der rechtfertigenden Pflichtenkollision siehe LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 115 f.; ders., NJW 2004, 976, 978. 924 Vgl. S/S-Perron, § 266a Rn. 18; LK11-Gribbohm, § 266a Rn. 57; Winkelbauer, wistra 1988, 16, 18; Martens/Wilde, Sozialversicherung, S. 58 ff. 925 BT-Drucks. 10/318, S. 15 f. 926 Lackner/Kühl, § 266a Rn. 8; S/S-Perron, § 266a Rn. 18; Gribbohm, JR 1997, 478, 481. 927 Siehe zu dieser Rechtsprechung noch unten: 4. Teil E.I.2.a). In diesem Zusammenhang wird außerdem zu zeigen sein, dass eine rechtfertigende Pflichtenkollision als dogmatisch richtiger Anknüpfung zwischen verschiedenen Zahlungsverboten vor Insolvenzeintritt in Betracht käme, wollte man alternativ zum Konzept der Rechtsprechung einen Vorrang des Zahlungsgebots nach § 266a Abs. 1 StGB nicht anerkennen.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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an die als Ordnungswidrigkeit zu ahndende Lohnsteuer (§§ 380 AO i.V.m. 38 Abs. 3, 41a Abs. 1 EStG) oder aber an Zahlungspflichten, deren Unterlassen eine für die Untreue relevante Pflichtverletzung zur Folge hätte.928 Reichen dann die verfügbaren Mittel nicht einmal für alle vorrangig zu tilgenden Verbindlichkeiten aus, so ist bislang unklar, ob es einen „Vorrang im Vorrang“ geben kann.929 Unter jeweils vorrangigen (weil zumindest bußgeldbewehrten) Zahlungspflichten kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht. Dies muss unabhängig davon zutreffen, ob der Geschäftsleiter auf nur eine von mehreren bußgeldbewehrten Forderungen oder aber gleichzeitig und pro rata auf mehrere leistet. Es stehen sich – von der Rechtsprechung jeweils als solche qualifizierte – gleichrangige Handlungsgebote gegenüber, sodass Erfüllungshandlungen nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision zu einem Unrechtsausschluss führen können.930 Es lässt sich nach alledem festhalten, dass der rechtfertigenden Pflichtenkollision in der Wirtschaftsdelinquenz bisher eine eher geringe Bedeutung zukommt, wenngleich dieser Erlaubnissatz an verschiedenen Stellen als gangbarer Weg erwogen wurde.
III. „Unzumutbarkeit“ normgemäßen Verhaltens und Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht Wie bereits festgestellt, sprechen gute Gründe dafür, unter dem topos Unzumutbarkeit diskutierte Fragen in Unterlassungsdelikten teilweise als Fälle des § 34 StGB zu behandeln, bevor eine Entschuldigung geprüft wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich Handlungs- und Unterlassungsgebot gegenüberstehen. Denn dann laufen dem eindeutigen Normbefehl des echten oder unechten Unterlassungstatbestandes die eigenen Interessen des Täters oder Drittinteressen als kollidierende Güter zuwider. Der für Rechtfertigungsgründe typische Grundsatz der Erforderlichkeit931 kann auch hier mit der Folge fruchtbar gemacht werden, dass die beschriebene Art der „Unzumutbarkeit“ im Unterlassungsdelikt als Unterfall des rechtfertigenden Notstandes aufzufassen ist. Selbst wer entgegen der oben dargelegten Differenzierung anders entscheiden und für eine Zuordnung zu Tatbestand oder Schuld eintreten wollte, räumt zumindest den engen Bezug zur Interessenkollision und damit der Rechtswidrigkeit ein.932 Ein Eingehen auf einschlägige wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte für diese Untersuchung erscheint daher in jedem Fall angezeigt. Für die im Folgenden unter 1. bis 3. dargestellten Themenkreise soll deshalb geprüft werden, ob der Normbefehl des jeweiligen Unterlassungsdelikts wirklich – wie zu den be928
Anschaulich BGH NZG 2011, 303 ff.; GmbHR 2008, 813, 814. Rönnau, JZ 2008, 46, 49 Fn. 29. 930 Vgl. auch Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 22 Rn. 54 f. 931 Zu diesem s. o.: 2. Teil B.I.3.a). 932 NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 17; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 44 f. etwa ordnet Unzumutbarkeitserwägungen ohne nähere Bestimmung den „Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen“ zu. 929
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
handelten Fragestellungen vertreten wird – durch die Rechtsfigur der „Unzumutbarkeit“ eingeschränkt wird oder ob letztere nicht vielmehr als Unterfall des rechtfertigenden Notstands verstanden werden kann. 1. Fälle der sog. „Unzumutbarkeit“ im Rahmen der Vorverschuldenshaftung nach § 266a Abs. 1 StGB Verweise auf die Unzumutbarkeit einer vom Gesetz an sich geforderten Handlung finden sich für das praktisch besonders bedeutsame echte Unterlassungsdelikt des § 266a Abs. 1 StGB.933 Von den unterschiedlichen Gesichtspunkten, die der Straftatbestand hinsichtlich widerstreitender Pflichten für den Arbeitgeber als Sonderpflichtigen bereithält,934 sollen hier zunächst nur diejenigen Fallgestaltungen aufgegriffen werden, welche Pflichten des Arbeitgebers im Vorfeld der Insolvenzantragspflicht betreffen. a) Einführung: Unmöglichkeit der Leistung bei Fälligkeit und omissio libera in causa Den Ansatzpunkt für eine Untersuchung der Unzumutbarkeit in diesem Kontext bildet der Umstand, dass die Rechtsprechung den Einwand der Unmöglichkeit zur Pflichterfüllung (Abführen der Sozialversicherungsbeiträge) wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers stark eingeschränkt hat. Die Möglichkeit, die gesetzlich vorgeschriebene Handlungspflicht auch tatsächlich erfüllen zu können, ist dabei unzweifelhaft Tatbestandsvoraussetzung eines jeden Unterlassungsdelikts.935 Könnte sich der Arbeitgeber aber auf einen Liquiditätsmangel im Fälligkeitszeitpunkt berufen, würde ihm ein Verteidigungseinwand an die Hand gegeben, den er im Vorfeld selbst beeinflussen kann. Aus diesem Grund verlagert heute die h.M. die Pflichtwidrigkeit des Arbeitgeberverhaltens über die Rechtsfigur der omissio libera in causa zeitlich gesehen vor die Zahlungsunfähigkeit im Moment der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge (vgl. § 23 Abs. 1 SGB IV).936 Ein die Strafbarkeit begründendes Vorverschulden soll vorliegen, wenn auf der Grundlage einer auf den Fäl933 Zu dieser Deliktsnatur BGHSt 47, 318, 320; 51, 124, 133; StV 2009, 188, 190; S/S/WSaliger, § 266a Rn. 3 m.w.N.; mit beachtlichen Gründen treten Rönnau/Kirch-Heim, wistra 2005, 321, 323 f. für eine Qualifikation als Erfolgsdelikt ein. Freilich widersprechen sich diese unterschiedlichen Einordnungen nicht per se, vgl. etwa Kühl, AT, § 18 Rn. 35. 934 Vgl. schon die Ausführungen zum notdürftigen Unterhalt, vor allem aber zu widerlaufenden Handlungsgeboten nach Eintritt der Insolvenz, unten: 4. Teil E.I.1. 935 RGSt 75, 160, 164 f.; BGH MDR 1995, 1155, 1156; NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 12; zu § 266a StGB im Konkreten BGH[Z] NJW 2002, 1123, 1124; Köhler, in: Wabnitz/Janovsky, 7. Kap. Rn. 239; a.A. OLG Celle NStZ 1998, 303. 936 BGHSt 47, 318, 320; OLG Düsseldorf StV 2009, 193, 194; Radtke, NStZ 2003, 154 ff.; S/S-Perron, § 266a Rn. 10 m.w.N.; zur Rechtsfigur bei § 266a Abs. 1 StGB kritisch DehneNiemann, GA 2009, 150, 163 ff.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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ligkeitszeitpunkt abstellenden Liquiditätsprognose die Zahlungsschwierigkeiten für den Arbeitgeber objektiv vorhersehbar waren und von diesem zumindest billigend in Kauf genommen wurden.937 Praktisch bedeutet dies für den Arbeitgeber, dass er hinsichtlich später einmal anfallender Abgaben einen Liquiditätsplan aufzustellen hat bzw. entsprechende Rücklagen bilden muss. Anderenfalls kann dem Arbeitgeber die Erfüllung anderweitig bestehender Verbindlichkeiten zum Vorwurf gemacht werden.938 Demnach kann A in Beispiel 13 sich nicht darauf berufen, dass ihm von Juni bis September keine Mittel zur Befriedigung der Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge mehr zur Verfügung standen. Vielmehr trifft ihn nach der Rechtsprechung bereits zuvor eine Handlungspflicht, die notwendige Liquidität zu erhalten. Dieser Befund stellt zugleich den Ausgangspunkt für die viel besagte und bereits erwähnte „Vorrangrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs939 zugunsten eines Vorrangs der Sozialversicherungsbeiträge vor anderen Verbindlichkeiten dar. Gleichwohl ist dieser Vorrang nicht mit der vorverlagerten Anknüpfung einer Strafbarkeit gleichzusetzen.940 Schließlich bezieht sich die vorrangige Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auf das Verhältnis zu anderen Verbindlichkeiten, während gemäß der omissio libera in causa das gesamte Liquiditätsmanagement des Arbeitgebers in den Blick genommen wird. Im Folgenden ist nun zu prüfen, ob mithilfe einer Rechtfertigung zugunsten von A in Beispiel 13 Härten abgemildert werden können, die darauf zurückzuführen sind, dass dem Arbeitgeber der Einwand der Unmöglichkeit bei Fälligkeit weitestgehend abgeschnitten wird. b) Rechtfertigung bei nach § 266a Abs. 1 StGB strafbarem Vorverhalten? Die Vorverlagerung des pflichtwidrigen Verhaltens führt in Ansehung von § 266a Abs. 1 StGB als typisches Delikt im Vorfeld einer Insolvenz941 zu einer tendenziellen 937
BGH[Z] NJW 2002, 1123, 1125; Fischer, § 266a Rn. 15a; Tag, BB 1997, 1115, 1116. S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 18; BGHSt 47, 318, 323 fordert vom Arbeitgeber „entsprechende angemessene finanztechnische Maßnahmen“ zur Abwendung der Illiquidität im Fälligkeitszeitpunkt. 939 BGHSt 47, 318, 320 ff.; 48, 307, 311; NStZ 2006, 223, 224; BGHZ 134, 304 ff.; 144, 311, 321. Zum Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge und der Situation bei Eintritt der materiellen Insolvenz des Unternehmens, siehe auch unten: 4. Teil E.I.2.a). 940 Je nach Reichweite des Umfangs der omissio libera in causa entspricht die Rechtsfigur nicht dem Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge vor anderen Verbindlichkeiten des Arbeitgebers. Wer etwa mit Fischer, § 266a Rn. 17a; Tag, JR 2002, 518, 522; NK-dies., § 266a Rn. 69 kongruente Zahlungen (vgl. §§ 130 f. InsO) aus dem Vorverschuldensvorwurf ausnimmt, trennt die beiden Fragestellungen sogar ganz voneinander. Denn während der Vorverschuldensvorwurf systematisch an die Unmöglichkeit bei Fälligkeit anknüpft, ist der Vorrang der Arbeitnehmerbeiträge vor anderen Verbindlichkeiten bloß Auswirkung einer streng verstandenen, vorgelagerten Pflicht. 941 Bente, in: Achenbach/Ransiek, XII 2 Rn. 40. 938
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Überforderung des Arbeitgebers in der finanziell angespannten Lage vor Insolvenzeintritt: Neben der ohnehin erschwerten Geschäftsführungstätigkeit im Umfeld der Krise trifft A in Beispiel 13 zusätzlich die Pflicht, unter allen Umständen Vorkehrungen dahingehend zu treffen, dass während der gesamten Dauer der Geschäftsfortführung hinreichend Mittel zur Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge bereitstehen. Im Voraus dürfte eine solche Planung vor dem Hintergrund der zahlreichen Unwägbarkeiten unternehmerischer Entscheidungen oftmals zu Schwierigkeiten führen.942 Um dem strafrechtlichen Gebot zu entsprechen und hinreichend Liquidität zu erhalten, kommen nämlich auch drastische Maßnahmen in Betracht. Im Zuge dessen könnte er etwa gehalten sein, sich gegen rechtmäßige Einzelzwangsvollstreckungshandlungen einzelner Gläubiger zur Wehr zu setzen, Löhne zu verkürzen, sich um neue Kreditlinien zu bemühen (§§ 263, 265b StGB), vorsorglich Arbeitnehmer zu entlassen oder alle noch vorhanden Vermögenswerte zur Sicherstellung der Beitragsabführung zu verwenden.943 Um dieser Tendenz zur Überforderung des Arbeitgebers entgegenzuwirken, wurde in jüngerer Zeit in der Literatur verstärkt auf den Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit zurückgegriffen.944 Mithilfe dieser Erwägung soll die den Geschäftsleiter treffende Pflicht zur Rücklagenbildung in Umfang und Schärfe ihrer praktischen Auswirkungen abgemildert werden. Solche Bestrebungen erscheinen nachvollziehbar und in praktischer Hinsicht sicher wünschenswert. Doch sind – soweit ersichtlich – die verschiedenen in Beispiel 13 dargestellten Interessenkonflikte für A noch nicht unter den für Pflichtenkollisionen maßgeblichen Regeln gewürdigt worden. Dabei macht gerade die Vorverlagerung des Pflichtwidrigkeitsvorwurfs noch einmal deutlich, dass es sich um einen Fall kollidierender Interessen mit einer durch Richterrecht geschaffenen Handlungspflicht und damit um eine Frage der Rechtswidrigkeit handelt.945 Denn hinter jeder Einschränkung des Grundsatzes, dass durch Rücklagenbildung vorrangig die Sozialversicherungsträger zu bedienen sind, stehen jeweils widerstreitende Belange.946 Versteht man die „Unzumutbarkeit“ in den 942 Vgl. S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 18; Hövel, in: MAH Sozialrecht, § 13 Rn. 9, 12; Tetzlaff, GWR 2010, 507. 943 Siehe im Einzelnen BGHSt 47, 318, 323; S/S-Perron, § 266a Rn. 10; Fischer, § 266a Rn. 17a. Vgl. auch OLG Hamburg NJW-RR 2000, 1281, 1282 f., wo verlangt wird, dass der Arbeitgeber der Bank gegenüber intensiv auf die Ausführung der Überweisung drängt. 944 Fischer, § 266a Rn. 15 ff.; S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 18; Lackner/Kühl, § 266a Rn. 10; Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 563; a.A. S/S-Perron, § 266a Rn. 10 („für Zumutbarkeitserwägungen ist […] nur wenig Raum“); auch BGHSt 47, 318, 323 stellt die Erfüllung von Pflichten unter einen Zumutbarkeitsvorbehalt. 945 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass selbst in BGHSt 47, 318, 322; NStZ 2006, 223, 224 im Hinblick auf mit § 266 StGB kollidierende Zahlungsgebote von „Rechtfertigung“ bzw. einem „Rechtfertigungsgrund“ die Rede ist, der i.E. freilich abgelehnt wird. 946 So auch Renzikowski, in: FS Weber, S. 333, 340, der dann aber zu dem Schluss kommt, die Kollision von „gewöhnlichen“ Verbindlichkeiten und der Vorverschuldenshaftung nach § 266a Abs. 1 StGB stelle einen Anwendungsfall des erlaubten Risikos dar, zu Letzterem, s. o.: 2. Teil B.I.5.b).
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
235
anhand von Beispiel 13 illustrierten Fällen in Übereinstimmung mit den vorstehenden Erwägungen als besonderen Fall des rechtfertigenden Notstands,947 kann auf die gesicherten Maßstäbe einer anerkannten Kollisionsregel zurückgegriffen werden.948 aa) Vereitelung eingeleiteter Einzelzwangsvollstreckung „Unzumutbar“ soll für den Arbeitgeber zunächst die Entziehung von Vermögenswerten wegen drohender Pfändungen von Gläubigern mit titulierten Ansprüchen sein.949 Bei diesem entsteht insofern eine „Zwangslage“, als einerseits diese Vollstreckungen hinzunehmen sind (Unterlassungsgebot, vgl. auch § 288 StGB) und andererseits die oben hergeleitete Liquiditätssicherungspflicht (Handlungsgebot) besteht. In Beispiel 13 wäre es demnach A nicht „zuzumuten“, sich gegen die Vollstreckungshandlungen der G-Bank zur Wehr zu setzen.950 Dies ist ersichtlich das richtige Ergebnis, allerdings trägt der Verweis auf die weit gefasste Kategorie der Unzumutbarkeit nicht. Zunächst kann eine bevorstehende Pfändung eine Gefahr für die Zahlungspflichten nach § 266a Abs. 1 StGB darstellen und so eine Notstandslage für das Beitragsaufkommen begründen. Die Kollision von Handlungspflicht und Unterlassungsgebot ist typisches Kennzeichen einer Rechtfertigungslage und § 34 StGB hält die insofern einschlägige Kollisionsregel bereit.951 In Beispiel 13 ist zugunsten von A demnach in Ansehung von § 288 StGB eine Rechtfertigung zu erwägen, wenn er die Zwangsvollstreckung vereitelt, um seiner Liquiditätssicherungspflicht zu entsprechen.952 Im Ergebnis wäre dies eine Notstandshilfehandlung zugunsten des Bei-
947 Vgl. auch Rönnau, wistra 2007, 81, 82, der den mithilfe der omissio libera in causa geschaffenen Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge vor anderen Verbindlichkeiten des Arbeitgebers mit dem Argument angreift, es seien Notstandsgesichtspunkte zu berücksichtigen. 948 Nicht der Rechtswidrigkeit zuzurechnen sind dagegen Fragen zur Notwendigkeit zusätzlicher Fremd- oder Eigenkapitalbeschaffung. Wenn in BGHSt 47, 318, 323; NJW 1997, 133, 134 deshalb ausdrücklich nicht verlangt wird, dass der Arbeitgeber sich um neue Kreditlinien bemüht, deren Rückzahlung er nicht gewährleisten kann, ist insofern keine Frage der Kollision mit Eigeninteressen des Arbeitgebers oder aber Interessen Dritter im Sinne eines Notstands angesprochen. Vielmehr geht es allein um die konkrete Reichweite der Handlungspflicht (omissio libera in omittendo). 949 Vgl. BGHSt 47, 318, 323. 950 Fischer, § 266a Rn. 17a; S/S-Perron, § 266a Rn. 10 ordnen die Kollision von Liquiditätserhaltungsgebot und Vollstreckungshandlungen einzelner Gläubiger als Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ein. Ähnlich NK-Tag, § 266a Rn. 78. 951 s. o.: 2. Teil B.II.2. 952 Hier soll davon ausgegangen werden, dass die Übertragung der Rechte auf eine ausländische Gesellschaft im März durch G in Beispiel 13 die Tatmodalität des Beiseiteschaffens erfüllt und daher der Tatbestand des § 288 StGB verwirklicht wurde, vgl. NK-Wohlers/Gaede, § 288 Rn. 13.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
tragsaufkommens.953 Materiell geht es um den Widerstreit zwischen dem Aufkommen der Sozialversicherungsbeiträge und dem Recht der G-Bank auf Befriedigung aus dem Schuldnervermögen der U-GmbH. Wenn man nun mit der Rechtsprechung von einem unbedingten Vorrang der Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen bei kongruenter Deckung ausgeht, ist zunächst nicht offensichtlich, aus welchem Grund dieser Vorrang nicht auch bei drohender Pfändung gelten soll. Denn hinsichtlich einer Unmöglichkeit im Fälligkeitszeitpunkt ist für die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB unerheblich, ob Vermögenswerte des Arbeitgebers durch Erfüllungshandlungen des Schuldners oder aber im Wege der Einzelzwangsvollstreckung entzogen werden. Schließlich ändert die Titulierung nichts an der materiellen Rechtslage, weswegen folgerichtig jeder Anspruch gegen den Schuldner unabhängig vom Stand des Zwangsvollstreckungsverfahrens gegenüber dem Vorrang der Liquiditätserhaltung zurücktreten müsste. In Beispiel 13 wäre A demnach gehalten, sich gegenüber der Vollstreckung der G-Bank zur Wehr zu setzen. Um dieses Ergebnis abzuwenden, hilft der Gesichtspunkt des gesetzlich abschließend geregelten Verfahrens weiter, welcher der Angemessenheit der Notstandshandlung gemäß § 34 S. 2 StGB unterfällt.954 Denn wenn ein Gläubiger ein solches Verfahren bereits eingeleitet hat, schließt dieses Selbsthilferechte zugunsten des Beitragsaufkommens als Erhaltungsgut aus. Im Ergebnis geht es nämlich hier um die Abwicklung von Ansprüchen, d. h. die Folgen von Vermögenseinbußen zulasten des Schuldners, die abschließend im Zwangsvollstreckungsrecht geregelt sind.955 Wollte sich der Arbeitgeber also unter Verweis auf seine Pflicht zur Liquiditätssicherung im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeiträge einer Zwangsvollstreckung widersetzen, so wäre eine solche Notstandshandlung unangemessen. In Beispiel 13 darf A demnach die G-Bank deshalb nicht an der Zwangsvollstreckung hindern. Wegen des Abschlusses eines Scheingeschäfts mit den Rechten am neu einzuführenden Verfahren, welches den Vollstreckungsversuch der Bank gegen die U-GmbH als Schuldnerin ins Leere laufen lässt, hat sich A nach § 288 StGB zu verantworten. Eine Notstandshandlung zugunsten des Beitragsaufkommens scheiterte an der fehlenden Angemessenheit aufgrund eines vorrangigen gesetzlichen Verfahrens. Umgekehrt hätte A seine Pflicht zur Liquiditätssicherung nach § 266a Abs. 1 StGB in Beispiel 13 durch ein Belassen der Rechte in der UGmbH nicht verletzt.
953 Weiter ist zu beachten, dass die Rechtfertigung, wie dargestellt, auch „in die andere Richtung“ wirkt. Wenn sich G der Vollstreckung nicht widersetzt, muss er im Hinblick auf die „Verletzung“ der vorverlagerten Pflicht zur Erhaltung der für § 266a Abs. 1 StGB nötigen Liquidität gerechtfertigt sein. 954 s. o.: 3. Teil B.II.2.c). 955 Anders verhält es sich bei der Frage, ob eine Befugnis zur Vollstreckung eine Anwendung der §§ 34 StGB, 16 OWiG auf geldwerte Vermögensinteressen ausschließt. Dies ist nicht der Fall. Denn insofern sind die Voraussetzungen und nicht die Abwicklungsmodalitäten von Vermögenseinbußen betroffen. Zum Ganzen s. o.: 3. Teil B.IV.1.a)aa).
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
237
bb) Arbeitsplätze und Existenzerhaltung Anhand der oben beschriebenen Grundsätze ist auch zu entscheiden, ob und inwieweit der Arbeitgeber Maßnahmen zu treffen hat, die sich gegen einzelne Arbeitnehmer richten. Zunächst ist die seit 2002956 geänderte Fassung des Tatbestands zu berücksichtigen: Da die Beitragszahlungspflicht nunmehr unabhängig davon entsteht, ob überhaupt Arbeitsentgelt gezahlt wird, hat sich die – früher im Kontext der Unzumutbarkeit eingeordnete –957 Fragestellung erledigt, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, zur Sicherung des Beitragsaufkommens nur anteilig auf die Lohnforderungen zu leisten.958 Zulasten der Beschäftigten sind aber noch einschneidendere Maßnahmen denkbar. In Anbetracht der bestehenden Verpflichtung zur vorrangigen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge wird unter dem Stichwort der Unzumutbarkeit diskutiert, ob der Arbeitgeber die Sozialversicherungspflicht nicht vorsorglich durch Entlassung der betreffenden Arbeitnehmer zum Erlöschen bringen müsse.959 In Beispiel 13 laufen der vorverlagerten Pflicht zur Sicherung der Mittel für die Beiträge im Ausgangspunkt auch Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer als Verbindlichkeiten der U-GmbH zuwider. Es scheinen hier zunächst aus Sicht des Arbeitgebers die Drittinteressen der Arbeitnehmer als Gläubiger mit solchen der Sozialversicherungsträger an vollständigem Beitragsaufkommen zu kollidieren. Auch in diesem Kontext bieten die Kriterien der Rechtfertigung einen sicheren Entscheidungsrahmen: Eine Gefahr für das Beitragsaufkommen als Erhaltungsgut liegt aufgrund der Krise vor und diese ist wegen des frühen Anknüpfungspunkts der omissio libera in causa auch gegenwärtig. Vor dem Hintergrund einer teilweise postulierten gesetzlichen Kalkulation mit dem Verlust von Arbeitsplätzen als Nebenfolge im Vorfeld der Insolvenz960 erscheint dann unklar, weshalb der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Pflichten als letztes Mittel nicht auch zu Entlassungen verpflichtet sein soll. Dennoch ist man sich weitgehend darüber einig, dass A in Beispiel 13 solche Handlungen im Ergebnis nicht abzuverlangen sind,961 was sich mithilfe von Notstandserwägungen begründen lässt. Denn die Interessenkollision zwischen Arbeitsplatz und Beitragsaufkommen entlarvt sich als eine bloß scheinbare. Im Zeitpunkt der Vorverschuldenshaftung, d. h. in Beispiel 13 im Februar, stellt sich die Situation wie folgt dar: Mit einer Entlassung von Arbeitnehmern stünde für die Zukunft fest, dass in Ansehung des beendeten Arbeitsverhältnisses keine Bei956 Art. 8 des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. 7. 2002, BGBl. I S. 2787. 957 Für diesen systematischen Standort S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 18. 958 BGHZ 134, 304, 309; Hoffmann, DB 1986, 467, 468; Köhler, in: Wabnitz/Janovsky, 7. Kap. Rn. 241 m.w.N. 959 S/S-Perron, § 266a Rn. 10; vgl. auch Wegner, wistra 1998, 283, 289. 960 s. o.: 3. Teil B.V.1.b). 961 Ebenso S/S-Perron, § 266a Rn. 10; vgl. auch Renzikowski, in: FS Weber, S. 333, 338 f.; NK-Tag, § 266a Rn. 78; Brand, GmbHR 2010, 237, 243.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
träge mehr entrichtet werden. Infolgedessen würde das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens962 durch eine Entlassung nicht weniger beeinträchtigt, als wenn der Arbeitnehmer weiterhin beschäftigt, insofern aber (möglicherweise wie in Beispiel 13 auch nur temporär) kein Beitrag mehr entrichtet wird. Aufgrund der kollektiven Dimension963 des von § 266a Abs. 1 StGB geschützten Rechtsguts ist unerheblich, dass bei Entlassung für die betroffenen Arbeitnehmer selbstverständlich auch die Zahlungspflicht und damit der Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs entfällt: Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird mangels Entstehens einer Forderung das Beitragsaufkommen zumindest faktisch geschädigt. Wird die Beschäftigung fortgesetzt, ist der Schaden möglicherweise wie in Beispiel 13 nur zeitlich begrenzt (vgl. auch § 266a Abs. 6 StGB). Die Situationen unterscheiden sich allein darin, dass sich einmal ein zunächst nicht erfüllbarer Anspruch zugunsten des Versicherungsaufkommens ergibt und bei Entlassung ein solcher gar nicht erst zur Entstehung gelangt. Vor diesem Hintergrund wird man Kündigungen zur Erfüllung der aus § 266a Abs. 1 StGB abgeleiteten Pflichten nicht verlangen können. In der Notstandsterminologie stellen sie schon kein geeignetes Mittel zur Abwendung einer Gefahr für das Beitragsaufkommen dar.964 Kündigungen von Beschäftigen liefen den tatsächlichen Interessen der Sozialversicherungsträger insofern zuwider, als bei fortwährendem Arbeitsverhältnis immerhin eine spätere Befriedigung der entstandenen, aber bislang nicht erfüllten Ansprüche denkbar bleibt.965 c) Zwischenergebnis Durch Berücksichtigung des Vorverschuldens wird dem Arbeitgeber eine Berufung auf Zahlungsunfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt für seine nach § 266a Abs. 1 StGB strafbewehrten Pflichten abgeschnitten. Die dadurch entstehenden Handlungspflichten zur Sicherstellung hinreichender Liquidität können mit anderen Interessen kollidieren, deren Bedeutung strafrechtlich anerkannt ist. Mithilfe von Notstandserwägungen, die im Unterlassungsdelikt zum Teil als Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit verstanden werden, lassen sich Pflichtenkollisionen des Arbeitgebers offen legen und einschlägig diskutierte Fallgruppen angemessen lösen.966 962
Zu diesem Rechtsgut siehe nur BGH NStZ 2010, 216; Lackner/Kühl, § 266a Rn. 1 m.w.N. 963 Vgl. BGH NStZ 2006, 227, 228; Radtke, in: MüKo, § 266a Rn. 63. 964 Ähnlich NK-Tag, § 266a Rn. 78; Brand, GmbHR 2010, 237, 243; Wegner, wistra 1998, 283, 289. 965 Dieses Ergebnis wird von BGH[Z] NJW 2002, 1123, 1125 f. geteilt. Ohne genaue systematische Einordnung geht das Gericht davon aus, dass „[§ 266a StGB] nicht den Fall [erfasse], dass der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens davon absieht, die Sozialversicherungspflicht seiner Arbeitnehmer durch sofortige Auflösung sämtlicher Beschäftigungsverhältnisse zu beenden.“ 966 An dieser Stelle sei abschließend darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur Rücklagenbildung mit anderen Verbindlichkeiten des Arbeitnehmers kollidieren kann. BGHSt 47, 318,
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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In Beispiel 13 stand A damit kein Recht zu, die Zwangsvollstreckungshandlungen der G-Bank zu vereiteln. Aus dem gesetzlichen Vorrang des Vollstreckungsverfahrens ergibt sich, dass eine solche Notstandshandlung zugunsten des Liquiditätserhalts wegen § 266a Abs. 1 StGB unangemessen sein muss. Notstandshilfe zugunsten des Beitragsaufkommens scheidet aus. Soweit A durch seine Handlungen den Tatbestand des §§ 288, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht hat, ist er deshalb strafbar. Demgegenüber haftet er nicht dafür, dass er trotz sich abzeichnender Liquiditätsengpässe im Februar keine Beschäftigten entlassen hat. Entlassungen sind als Notstandshandlung für das Beitragsaufkommen als Kollektivrechtsgut nicht geeignet: Auch wenn A Arbeitsverhältnisse aufgelöst hätte, ergäben sich aus diesem Umstand insgesamt noch keine höheren Einnahmen für die Sozialversicherungsträger. 2. „Unzumutbarkeit“ der Verlustanzeige für den Geschäftsleiter Die Unzumutbarkeit wird zudem im Zusammenhang mit einem anderen echten Unterlassungsdelikt des Wirtschaftsstrafrechts diskutiert. Insoweit soll im Anschluss an eine Überlegung Tiedemanns967 kurz die Frage aufgeworfen werden, inwieweit das pflichtwidrige Vorverhalten eines Geschäftsleiters dazu führen kann, dass ein nach den §§ 84 GmbHG, 401, 92 Abs. 1 AktG strafbewehrtes Unterlassen der Verlustanzeige gegenüber den Anteilseignern968 dem Geschäftsleiter unzumutbar sein kann. Gerade wenn ein Unternehmensorgan einen Verlust selbst verschuldet hat und ihm deswegen zivilrechtliche Haftung oder gar Strafe (§ 266 StGB) droht, wird es ihm schwer fallen, die Gesellschafter von seinen Verfehlungen in Kenntnis zu setzen. Gemäß den oben stehenden Überlegungen zur Unzumutbarkeit ist auch in diesem Kontext die Bedeutung eines Unrechtsausschlusses zu prüfen. Dass sich hier ein enger Bezug zur Rechtfertigungslehre ergibt, wird daran deutlich, dass an verschiedenen Stellen für einen so betroffenen Geschäftsführer der Bezug zu § 34 StGB hergestellt wird.969
322 nimmt zu Recht an, dass sich insofern zwei Handlungsgebote gegenüberstehen, sodass Gesichtspunkte der Rechtfertigung durchaus denkbar erscheinen. Wie gesehen, löst die Rechtsprechung den Konflikt des Arbeitgebers durch einen allgemeinen Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten und vermeidet so das Zustandekommen einer Pflichtenkollision. Zu den zahlreichen insolvenz-, gesellschafts- und schuldrechtlichen Fragestellungen in diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle nur auf Rönnau, wistra 2007, 81 ff.; ders., wistra 1997, 13 ff. und Kutzner, NJW 2006, 413 ff. verwiesen. 967 Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 44a. 968 Siehe zur unterschiedlichen Ausgestaltung in AG und GmbH bereits oben: 3. Teil C.III.1. Zu pflichtwidrigem Vorverhalten im Zusammenhang mit § 34 StGB ausführlich Beck, ZStW 124 (2012), 660, 671 ff. 969 Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 84 Rn. 51; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 44a; zweifelnd Schaal, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 84 Rn. 22.
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
Tatsächlich scheidet eine Rechtfertigung des Geschäftsleiters nach den allgemeinen Grundsätzen der Notstandslehre im Unterlassungsdelikt hier jedoch aus.970 Denn dem strafbewehrten Normbefehl der Anzeigepflicht zuwiderlaufende Privatinteressen des Organs können die für eine Notstandshandlung erforderliche Schwelle eines wesentlichen Überwiegens nicht erreichen.971 Das liegt an Folgendem: Die Gefahr der Strafverfolgung wird als Ausschluss noch zumutbaren Verhaltens in Unterlassungsdelikten wie §§ 138, 323c StGB diskutiert und zwar als Teil der für den rechtfertigenden Notstand typischen Abwägung widerstreitender Interessen.972 Schon dort gilt jedoch der allgemeine Grundsatz, dass die Gefahr eigener Strafverfolgung die Zumutbarkeit der vom Straftatbestand in den Blick genommenen Handlung grundsätzlich nicht ausschließt.973 Für ein abweichendes Ergebnis im Hinblick auf die unterlassene Verlustanzeige durch einen Geschäftsführer, der den Verlust durch eine zuvor begangene Straftat herbeigeführt hat, bedürfte es zunächst eines Erhaltungsguts. Insofern kommen als Schutzinteressen die bestehende Gefahr einer eigenen Strafverfolgung974 bzw. das davon zu trennende Selbstbegünstigungsprinzip975 in Betracht. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ist insofern wegen seiner Verankerung im Verfassungsrecht nicht auf das Strafprozessrecht beschränkt (vgl. etwa auch § 258 Abs. 5 StGB).976 Dieses Interesse ist notstandsfähig.977 Die Angst vor materiell begründeter zivilrechtlicher Haftung kann dagegen im Wege eines Unrechtsausschlusses unmöglich zu Gunsten eines Geschäftsführers berücksichtigt werden. Denn die Rechtsordnung führte sich selbst ad absurdum, wollte sie hier die Strafbarkeit ausschließen. Sie hat die zivilrechtlichen Ausgleichsmechanismen, vor denen sich der Geschäftsführer scheut, schließlich selbst geschaffen. Doch auch der strafrechtliche Schutz der Selbstbelastungsfreiheit kann eine Rechtfertigung hier jedenfalls dann nicht begründen, wenn ein „innerer Zusammenhang“ zwischen zuvor begangener Straftat und dem Unterlassen der Anzeige besteht.978 Besteht ein solcher Zusammenhang, würde eine Rechtfertigung dem Geschäftsleiter nämlich dazu verhelfen, aufgrund seiner eigenen Pflichtverletzung (z. B.: Herbeiführen des Verlusts unter Verstoß gegen interne Risikovorschriften) 970 I. E. ähnlich Schaal, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 84 Rn. 22; ders., in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 84 GmbHG Rn. 23. 971 Zur Güterabwägung im Notstand siehe ausführlich oben: 3. Teil B.II.2. 972 Siehe zu § 138 StGB nur: BGH NJW 1964, 731, 732; zu § 323c StGB: BGHSt 39, 164, 166. 973 Vgl. die Zusammenfassungen aus jüngerer Zeit: Joecks, StGB, § 323c Rn. 26 f.; Geppert, Jura 2005, 39, 45 f. jeweils m.w.N. 974 Vgl. BGH NJW 1964, 731, 732; NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 18 m.w.N. 975 S/S-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 156. 976 Vgl. RGSt 63, 233, 236; S/S-Stree/Hecker, § 258 Rn. 35: „notstandsähnliche Lage“. 977 Vgl. o.: 3. Teil B.II.1.a). 978 Vgl. zu diesem Kriterium BGHSt 1, 266, 269; 39, 164, 166; NK-Wohlers, § 323c Rn. 12; LK11-Spendel, § 323c Rn. 164 ff.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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eine weitere zu begehen (Unterlassen der Verlustanzeige). Ein „innerer Zusammenhang“ in diesem Sinne wird aber über die Angelegenheiten der Gesellschaft, zu denen sowohl der herbeigeführte Verlust als auch die rechtzeitige Information der Anteilseigner zu zählen sind, geschaffen. Schon deswegen scheidet ein Unrechtsausschluss hier aus. Weiterhin wird zulasten des Geschäftsleiterinteresses, sich selbst nicht in eigener Sache belasten zu müssen, zu berücksichtigen sein, dass regelmäßig „nur“ Vermögensangelegenheiten betroffen sein werden. Das Gewicht der Selbstbelastungsfreiheit muss daher geringer ausfallen als bei Vortaten, im Rahmen derer höchstpersönliche Rechtsgüter Dritter verletzt worden sind. Weiter zeigt die Deliktseigenschaft des § 84 GmbHG als Sonderdelikt, dass hohe Anforderungen an die Notstandsabwägung gestellt werden müssen. Schließlich stehen hier nicht nur „Jedermannspflichten“ infrage, sondern die Verlustanzeigepflicht ist gerade Ausfluss der besonderen Vertrauensstellung des Geschäftsführers bzw. Vorstands gegenüber der Gesellschaft und ihren Anteilseignern.979 Diese persönliche Pflicht des Geschäftsführers zeigt, dass einschlägigen Schutzbelangen in der Notstandsabwägung ein geringeres Gewicht beizumessen ist. Damit ist freilich noch nichts darüber ausgesagt, ob im Einzelfall nicht eine Entschuldigung in Betracht kommen kann, wenn der Geschäftsleiter sich in einer besonderen Zwangslage befindet, vgl. § 35 StGB. An der vorstehenden Untersuchung zeigt sich, dass in Ansehung der „Unzumutbarkeit“ stets die betroffene Fallgruppe zu untersuchen ist und sich eine allgemeingültige Einordnung immer als Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund verbietet. 3. Kleinbeteiligtenprivileg und „Unzumutbarkeit“ der Stellung eines Insolvenzantrags bei Führungslosigkeit (§ 15a Abs. 3 InsO) Eine letzte Fragestellung der Rechtfertigung in wirtschaftsstrafrechtlichen Unterlassungsdelikten betrifft die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO. Es handelt sich um eine Fragestellung, die erst mit Inkrafttreten des MoMiG980 zum 1. 11. 2008 aufgetreten ist. Im Kern geht es um die neu eingeführte Vorschrift des § 15a Abs. 3 InsO. Diese Norm verpflichtet bei Führungslosigkeit der Gesellschaft die Gesellschafter einer GmbH bzw. den Aufsichtsrat einer AG dazu, anstelle des jeweils vertretungsberechtigten Organs den Insolvenzantrag zu stellen. Nach § 15a Abs. 4, 5 InsO sind vorsätzliche und sogar fahrlässige Verstöße gegen diese Handlungspflicht mit Strafe bedroht. Im Fall einer GmbH können aber durchaus Zweifel entstehen, ob die Strafbarkeit auch von Kleingesellschaftern eine angemessene Rechtsfolge darstellt („Unzumutbarkeit“).
979
Vgl. auch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 44a. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I S. 2026. 980
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
In der Situation der Führungslosigkeit verfügt die GmbH nach ganz überwiegender Ansicht über keinen organschaftlichen Vertreter mehr (§§ 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG, 10 Abs. 2 S. 2 InsO), d. h. es ist entweder ein solcher nicht wirksam bestellt oder aber aus tatsächlichen Gründen handlungsunfähig geworden.981 Führungslosigkeit liegt dagegen nach h.M. nicht immer bereits dann vor, wenn der Geschäftsführer faktisch unerreichbar und sein Aufenthalt unbekannt ist.982 Darüber hinaus wird die subsidiäre und strafrechtlich bedeutsame Zuständigkeit der Gesellschafter trotz Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 15a Abs. 5 InsO richtigerweise nur akut, wenn der einzelne Gesellschafter sowohl von dem Insolvenzgrund als auch von der Führungslosigkeit Kenntnis hat.983 Doch selbst wenn diese Voraussetzungen einmal erfüllt sind, kann den Kleingesellschafter einer GmbH ein strafrechtlicher Vorwurf wegen unterlassener Stellung des Insolvenzantrags nicht treffen.984 Denn gegenüber der grundsätzlich auch für Kleingesellschafter bestehenden Handlungspflicht, den Insolvenzantrag zu stellen, überwiegen deren Interessen an Entlastung in Gesellschaftsangelegenheiten. Weil die Rechte an der Gesellschaft sich regelmäßig proportional zur Höhe der Kapitalbeteiligung verhalten (vgl. § 47 GmbHG), müssen auch je nach gesellschaftsrechtlichem Pflichtenprogramm die Einflussnahmemöglichkeiten auf die Angelegenheiten Gesellschaft Berücksichtigung finden. Der Gesetzgeber hat dem an anderer Stelle in der InsO durch die Regelung Rechnung getragen, dass er den insolvenzrechtlichen Nachrang für kapitalersetzende Darlehen aufgehoben hat, wenn ein nichtgeschäftsführender Gesellschafter mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 5 InsO.985 Diese Wertentscheidung ist auf die Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4, 5 i.V.m. Abs. 3 InsO zu übertragen. Hier kollidieren die wirtschaftlichen Interessen des Gesellschafters, keine Ressourcen in Geschäftsführungsangelegenheiten aufbringen zu müssen, mit der strafbewehrten Handlungspflicht. Dennoch liegt ein Fall des Notstands nicht vor. Sich als Gesell981 Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 15a InsO Rn. 31; Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 15a Rn. 26; ausführlich zu den Unwirksamkeitsgründen Horstkotte, ZInsO 2009, 209, 210. 982 AG Hamburg NJW 2009, 304; AG Potsdam ZInsO 2013, 515; Begründung zum RegE., BT-Drucks. 16/6140, S. 55; dazu Bußhardt, in: Braun, InsO, § 15a Rn. 13; a.A. Gehrlein, BB 2008, 846, 848; kritisch auch Hiebl, in: FS Mehle, S. 273, 287. 983 Dies ist bereits nach dem Wortlaut des § 15a Abs. 3 InsO Voraussetzung dafür, dass eine subsidiäre Zuständigkeit überhaupt entstehen kann. Weiter besteht für den GmbH-Gesellschafter schon zivilrechtlich keine Pflicht, sich über den Vermögensstand der Gesellschaft zu informieren, sodass auch deswegen ein Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich des Insolvenzgrundes ausscheidet, wie hier Hiebl, in: FS Mehle, S. 273, 302; Bittmann, NStZ 2009, 113, 115; vgl. auch Römermann, NZI 2010, 241, 244; a.A. OLG Hamm ZInsO 2010, 527 ff.; Weyand, ZInsO 2008, 702, 705, der bei Fahrlässigkeit hinsichtlich des Insolvenzgrundes Strafbarkeit annehmen will, vgl. dazu auch BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 984 Im Ergebnis so zu Recht Blöse, GmbHR Sonderheft 2008, 71, 77; Mönning, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 15a Rn. 35. 985 Zum telos der Privilegierung Reg.-Begr. KapAEG, BT-Drucks. 13/7141, abgedruckt auch in ZIP 1997, 706, 709; vgl. dazu Seibert, GmbHR 1998, 309.
D. Rechtfertigungsgründe im Unterlassungsdelikt
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schafter nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise mit den Belangen der Gesellschaft beschäftigen zu müssen, kann nicht Gegenstand einer zeitlich gebundenen Notstandsgefahr sein. Vielmehr fehlt es hier trotz Vorliegens einer „Interessenkollision“ im weitesten Sinne an dem erforderlichen Quantum an Handlungs- bzw. genauer Unterlassungsunrecht des Kleingesellschafters. Fälle, in denen das Ausmaß des verwirklichten Erfolgs- oder Handlungsunrechts die Schwelle zur Strafbarkeit nicht überschreitet, sind im Wege der einschränkenden Tatbestandsauslegung zu lösen.986 Verschärfte Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen des § 15a Abs. 3 InsO (notwendige Kenntnis des Gesellschafters von der Führungslosigkeit bzw. bewusstes Verschließen davor) erscheinen als gangbarer Weg.987 Zu einer Unrechtseinschränkung „von außen her“, d. h. unter Rückgriff auf Kollisionsregeln oder gegenläufige Wertungen der Gesamtrechtsordnung, kommt es hier dagegen nicht.
IV. Ergebnis: Rechtfertigungsgründe in Unterlassungsdelikten des Wirtschaftsstrafrechts Zusammenfassend bleibt zunächst festzuhalten, dass eine rechtfertigende Pflichtenkollision im technischen Sinne kaum je das Unrecht einer Wirtschaftsstraftat ausschließen wird. Bei genauer Betrachtung kollidieren häufig, wie etwa auch in Beispiel 12, keine zwei Handlungspflichten. Ist dies aber nicht der Fall, wird man auch nicht auf eine Pflichtenkollision zur Lösung einschlägiger Problemstellungen zurückgreifen können. In Beispiel 12 ist deswegen der rechtfertigende Notstand heranzuziehen, wonach es auf die Bedeutung der betroffenen Interessen im Einzelfall ankommt.988 Interessante Aspekte der Rechtfertigung ergeben sich demgegenüber für Fallgestaltungen, die unter dem Schlagwort der „Unzumutbarkeit“ im Wirtschaftsstrafrecht behandelt werden. Hinsichtlich einschlägiger Zwangssituationen beim Täter muss differenziert werden: Soweit zum Wohle eines notstandsfähigen Erhaltungsgutes gehandelt wird, ist zunächst § 34 StGB zu prüfen. Der rechtfertigende Notstand vermag zu erklären, weshalb die nach der Rechtsprechung aus § 266a Abs. 1 StGB fließende Handlungspflicht zur Liquiditätserhaltung ihre Grenzen findet: Ein Arbeitgeber darf sich einer rechtmäßig eingeleiteten Zwangsvollstreckung nicht widersetzen, weil dieses gesetzliche Verfahren vorrangig ist und eine Notstandshandlung zugunsten des Beitragsaufkommens deshalb nicht angemessen 986
Zum Ganzen s. o.: 2. Teil B.II.1. Begründung zum RegE., BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Klöhn, in: MüKo InsO, § 15a Rn. 90 f. 988 Zur Kollisionsregel siehe die Nachweise in Fn. 899; zur Interessenabwägung im echten Unterlassungsdelikt ausführlich unter 4. Teil E.II.4.a)cc). 987
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3. Teil: Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe
wäre. Eine Untersuchung dieses kollektiven Schutzguts der Sozialversicherungsträger offenbart weiter, dass die Entlassung von Arbeitnehmern zu dessen Erhalt nicht geeignet wäre. Während sich diese Fallgestaltungen über den Erlaubnistatbestand des § 34 StGB lösen lassen, gibt es andere Konstellationen der „Unzumutbarkeit“, die nicht den Unrechtsausschlussgründen unterfallen. So liegt es vor allem, wenn der Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft aus Furcht vor eigener Strafverfolgung es entgegen dem Gebot der §§ 84 GmbHG, 401 AktG unterlässt, den Gesellschaftern einen Verlust anzuzeigen. Vorstehende Erwägungen haben gezeigt, dass Fallgruppen der „Unzumutbarkeit“ alle drei Wertungsstufen des traditionellen Deliktsaufbaus betreffen können.
4. Teil
Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts mit Bezug zur Rechtfertigungslehre Neben die Besonderheiten, die im Zusammenhang mit einzelnen Rechtfertigungsgründen für das Wirtschaftsstrafrecht besprochen wurden, tritt eine Reihe von Problemstellungen, welche zumindest mittelbaren Bezug zur Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit aufweisen. Viele dieser Fragen stehen in ihrer rechtlichen Aufarbeitung noch am Anfang. Einzelnen Erlaubnissätzen lassen sie sich nicht immer ohne weiteres zuordnen und häufig finden sich nur Andeutungen zu einem Unrechtsausschluss. Gleichwohl sind auch diese Themen von Bedeutung, um festzustellen, inwieweit die eingangs zitierte These von der Bedeutungslosigkeit der Rechtfertigung im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts trägt. Deswegen ist gerade an den im Folgenden darzustellenden Problemkreisen die zum Allgemeinen Teil des StGB entwickelte Rechtfertigungslehre zu messen und ggf. sogar weiterzuentwickeln. Aufbau und Struktur des 3. Teils dieser Arbeit zu Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht waren durch die einzelnen Erlaubnistatbestände bestimmt. Anhand von in Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannten Voraussetzungen ließen sich zu besprechende Sachverhalte und Fallgestaltungen untersuchen. Die Herangehensweise war insofern an der rechtlichen Struktur ausgerichtet, als der einzelne Rechtfertigungsgrund zum Ausgangspunkt für die Würdigung wirtschaftsstrafrechtlicher Problemstellungen gemacht wurde. In den sich anschließenden Ausführungen ändert sich nun diese Perspektive: Die im 4. Teil zu bearbeitenden Themenkreise mitsamt zugehöriger Beispiele lassen sich nicht immer offensichtlich als solche der Rechtswidrigkeit begreifen. Ihnen ist gemein, dass sich zwar stets Erwägungen zu einem Unrechtsausschluss finden. Gleichwohl geht es nicht um denselben Erlaubnissatz oder auch nur um dasselbe Strukturelement von Rechtfertigungsgründen wie etwa das überwiegende Interesse oder eine Pflichtenkollision.1 Während beispielsweise für den sog. „Geldnotstand“2 der Bezug zu § 34 StGB augenscheinlich war, trifft dies im Hinblick auf ein etwaig bestehendes „Eskalationsrecht“ eines Compliance Officers3 nicht zu. Für viele der zu behandelnden Fälle ist bereits die deliktssystematische Einordnung umstritten oder es wird erwogen, einen Sonderrechtfertigungsgrund für ein bestimmtes Problem 1 2 3
s. o.: 2. Teil B.I.3, II.2. s. o.: 3. Teil B.III. Vgl. u.: 4. Teil F.I.2.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
einzuführen. Aufgrund dieser Vielgestaltigkeit und Unterschiedlichkeit finden nachfolgende Überlegungen ihren gemeinsamen Bezugspunkt nur in der „Phänomenologie“, d. h. der rechtstatsächlichen Wirklichkeit in Unternehmen und marktwirtschaftlichen Abläufen: Es wird im Einzelnen zu klären sein, welchen Beitrag Erlaubnissätze im Strafrecht zur Lösung dieser oft aktuellen Entwicklungen des Wirtschaftslebens leisten können. Für die Behandlung von „Weiteren Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts mit Bezug zur Rechtfertigungslehre“ hat dieser Ansatz vor allem zwei Auswirkungen: Zum einen werden einschlägige Themen nur insoweit behandelt, als sich ein Zusammenhang zur Wertungsebene der Rechtfertigung ergibt. Dies ist vorab zu betonen, da einige der zu behandelnden Streitstände Bezüge aufweisen, die über einen Unrechtsausschluss hinausgehen. Zum anderen ist mit der Einordnung in diesen Abschnitt noch nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit im Ergebnis nicht die bereits dargestellten Erlaubnissätze zur rechtlichen Lösung der jeweiligen Problemstellung heranzuziehen sind. Es geht in diesem 4. Teil nicht um eine „Rechtfertigung anderer Art“. Im Gegenteil sind die bereits beschriebenen Strukturen der Rechtfertigungslehre auf solche Kontexte zu übertragen, die bislang nur am Rande mit ihr in Verbindung gebracht wurden. Schließlich sei erwähnt, dass die sich anschließende Untersuchung ergebnisoffen ausgestaltet ist und deshalb immer auch das Ablehnen einer Rechtfertigung ein zulässiger Schluss sein muss. Im Einzelnen soll eingangs dargelegt werden, welche Rolle das Rechtswidrigkeitsurteil spielt, wenn Wirtschaftsstraftaten begangen werden, obwohl der Täter im Rahmen seiner rechtmäßigen Berufsausübung handelt. Insofern kann nämlich jede Handlung „in einen strafbaren Kontext gestellt werden“.4 Die Strafbarkeit von berufstypischem Verhalten wird vor allem für steuer-, rechts- und wirtschaftsberatende Dienstleister bzw. informationstechnische Anbieter5 relevant.6 Zu prüfen ist hier, ob die teilweise erwogene Annahme eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes des berufsgemäßen Verhaltens7 trägt [A.]. In der Literatur ordnet man der Rechtfertigungslehre im Kontext von Wirtschaftskriminalität weiter die strafrechtliche Wirkung behördlicher Genehmigungen zu (Verwaltungsaktsakzessorietät).8 Der Problemkomplex kann hier freilich nicht im Ganzen diskutiert werden und geht in seinen Bezügen auch weit über das Rechtswidrigkeitsurteil hinaus. Unter Heranziehung von ausgewählten und weniger erörterten Fragestellungen des Kapitalmarktstrafrechts soll im Rahmen dieser Arbeit gleichwohl erörtert werden, inwiefern eine behördliche Erlaubnis tatsächlich als Unrechtsausschluss wirken kann [B.]. 4
BGHSt 46, 107, 113. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Datenverkehr Sieber, JZ 1996, 429 ff.; ders., JZ 1996, 494 ff. 6 Vgl. jüngst OLG Köln DStR 2011, 1195 f.; zur Bedeutung eines beruflichen Bezugs für das Wirtschaftsstrafrecht, s. o.: 2. Teil A. Zum Ganzen einführend Tiedemann, AT, Rn. 188 ff. 7 Vgl. dazu z. B. Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38. 8 Pars pro toto Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 88 ff.; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 10 ff.; Tiedemann, AT, Rn. 201 ff. 5
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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Einer kritischen Würdigung bedarf sodann der Zusammenhang zwischen betrieblicher Weisung und einer Rechtfertigung zugunsten des Angewiesenen. Widersetzt sich ein angewiesener Arbeitnehmer rechtswidrigen Weisungen, tritt die Folgefrage auf, wie eine Straftat zur Rettung des eigenen Arbeitsplatzes dogmatisch einzuordnen ist [C.]. In ihren Erscheinungsformen vielfältig sind die bereits eingangs angedeuteten Pflichtenkollisionen mit Bezug zum Gesellschaftsrecht. Die strafrechtliche Diskussion leidet darunter, dass oftmals die gesellschaftsrechtliche Aufarbeitung vorgelagerter Fragestellungen noch nicht abgeschlossen ist.9 Wie zu zeigen sein wird, können widersprüchliche Gebote, die zumeist die Geschäftsleitung eines Unternehmens treffen, auch für die Strafrechtslehre bedeutsam werden. Deshalb soll unter Berücksichtigung der Ausführungen im 2. Teil10 untersucht werden, inwieweit derartige Pflichtenkonflikte in der Deliktssystematik der Rechtswidrigkeit zugeordnet werden können [D.]. Die strafrechtlich am meisten beachtete Fallgruppe einer solchen Kollisionslage stellt die „Haftungszwickmühle“ dar, welcher sich ein Arbeitgeber in der Krise der Gesellschaft im Hinblick auf die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge gegenübersehen kann. Dieser Problemkreis wird deswegen besonders behandelt [E.]. Kennzeichnend für die schnell fortschreitende Entwicklung zahlreicher Themen des Wirtschaftsstrafrechts stehen die unternehmerische Compliance und das sog. Whistleblowing. Auch in deren Rahmen können Rechtfertigungsgründe an verschiedenen Stellen relevant werden. Aufgrund ihrer sachlichen Nähe zueinander – ein unternehmenseigenes System zur Anzeige von Missständen wird als Teil von unternehmerischer Compliance verstanden – bietet es sich an, sie in der Darstellung zu verknüpfen [F.].
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit Die große Bedeutung des weit gespannten Feldes um berufstypisches Verhalten lässt sich anhand folgender Fälle verdeutlichen: Beispiel 14 (vgl. BGHSt 46, 107 ff.): B ist Bankangestellter bei der S-Sparkasse und für die Beratung bei Auslandsanlagen zuständig. Mehrere Kunden tragen an B den Wunsch heran, ihr in der Vergangenheit nicht versteuertes Geld „vollkommen anonym“ in die Schweiz oder nach Luxemburg zu transferieren. Nachdem B seinen Kunden von dieser Art der „Kapitalanlage“ zunächst abgeraten hat, greift er auf ein Verschleierungssystem zurück, welches mehrere Schritte enthält. Um die Kunden für S nicht zu verlieren, kommt er unter Hinweis auf die bestehende Steuerpflicht deren Anliegen schließlich nach. Ist zugunsten von B eine Rechtfertigung in Betracht zu ziehen? Beispiel 15 (vgl. BGH NStZ 2000, 34 ff.): Rechtsanwalt R ist Geschäftsführer der Unternehmensberatungsgesellschaft U. Er erstellt rechtlich und sachlich zutreffende Informationsbroschüren, in denen die Grundzüge von Warentermingeschäften an der Börse erläutert 9 10
Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836 f.; vgl. für die AG auch Schneider, NZG 2009, 1413. Vgl. o.: 2. Teil B.II.2.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
werden. Die Broschüren werden von Vertretern der U bei der Anwerbung von Kapitalanlegern genutzt, wobei mündlich regelmäßig auf eine „gewinnverheißende Marktsituation“ hingewiesen wird. Das Verlustrisiko wird demgegenüber in den Verkaufsgesprächen als zu gering dargestellt. Ist R hinsichtlich eines Vorwurfes der Beihilfe zum Betrug gerechtfertigt, weil er in Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit gehandelt hat? Beispiel 16: Vorstand V war Teil der Geschäftsleitung eines international tätigen Unternehmens. Nachdem wenig durchsichtige Geschäfte im Ausland zu einem Verlust geführt haben, wird durch die zuständige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen V als Beschuldigten eingeleitet. In dieser Angelegenheit wendet sich V an den berühmten Strafverteidiger S. Als S seine hohen Stundensätze erwähnt, versichert ihm V, er solle sich keine Sorgen machen. Ist S strafrechtlich zu belangen, wenn das Anwaltshonorar im Ergebnis aus veruntreutem Vermögen bezahlt wird?
Über diese Beispiele hinaus ist eine nahezu unüberschaubare Vielzahl möglicher Fallgestaltungen erfasst, wenn nach Strafbarkeit im Zusammenhang mit rechtmäßiger bzw. rechtlich geregelter Berufsausübung gefragt wird.11 Nicht alle von ihnen sind wie Beispiel 14 geradezu klassische Fälle der Wirtschaftsdelinquenz. Dennoch hat berufliches Verhalten im Sinne einer nach außen zunächst unauffälligen Ausübung professioneller Tätigkeit regelmäßig Vermögensbezug. Berufstypische „neutrale“ Handlungen betreffen weiterhin regelmäßig überindividuelle Rechtsgüter (vgl. auch Beispiel 16) und nehmen in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch.12 Es handelt sich damit um einen Kernbereich der Wirtschaftskriminalität,13 welcher in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder mit dem Unrechtsausschluss in Verbindung gebracht wird.14 Freilich kann der Bezug des Strafrechts zu professioneller Tätigkeit an dieser Stelle nicht in allen denkbaren Bezügen aufgearbeitet werden. Schließlich handelt es sich um ein schon seit fast 200 Jahren diskutiertes Problem.15 Zu erörtern bleibt vielmehr, ob beruflich bedingtes Handeln einen besonderen Unrechtsausschluss begründen bzw. welchen Einfluss eine professionelle Tätigkeit auf das Rechtswidrigkeitsurteil haben kann. Zu diesem Zweck soll zunächst kurz auf die wichtigsten Ansätze zur strafrechtlichen Aufarbeitung von „alltäglichem“, „neutralem“ oder „berufstypischem“ Handeln eingegangen werden, das häufig auf Wertungsebene des Tatbestands im Rahmen der
11
Ausführlich Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 25 ff., 63 f. und passim. Zu diesen Abgrenzungskriterien, s. o.: 2. Teil A. 13 Für den Bezug der Diskussion um berufstypische Handlungen zu Tätern mit „weißen Kragen“ Schneider, NStZ 2004, 312 ff. 14 Vgl. etwa BGHSt 38, 345, 349; Otto, JZ 2001, 436, 438; Tiedemann, AT, Rn. 188 ff.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 65, 314 ff.; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; Müller-Dietz, Jura 1979, 242, 253; vgl. in anderem Zusammenhang auch Lackner/Kühl, § 129 Rn. 10. 15 Joecks, in: MüKo, § 27 Rn. 50 m.w.N.; vgl. auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 19 ff. 12
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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objektiven Zurechnung behandelt wird.16 Auf dieser Grundlage ist dann zu prüfen, welchen Beitrag ein „Sonderrechtfertigungsgrund“ bzw. eine „Rechtfertigungslösung“ leisten kann [I.]. Weiter hängt die strafrechtliche Würdigung berufsbedingter Tätigkeit eng mit dem Verhältnis zu Sozialadäquanz bzw. erlaubtem Risiko zusammen. Diese einführend vorgestellten Rechtsfiguren sind zu berufstypischem Verhalten in Beziehung zu setzen [II.]. Abschließend wird dann zu untersuchen sein, ob der Rechtfertigung von Wirtschaftsstraftaten, die in Ausübung einer Tätigkeit in der Rechtspflege begangen werden, eine besondere Stellung zukommt. Auch für die Beispiele 15 und 16 soll deswegen die Möglichkeit eines Unrechtsausschlusses geprüft werden [III.].
I. Allgemeine Rechtfertigung durch berufstypisches Verhalten? Schon das Reichsgericht hat entschieden, dass die Lieferung von Lebensmitteln an ein Bordell keine Beihilfe zum strafbaren Betrieb eines solchen („Kuppelei“) darstelle, das Bereitstellen von Wein jedoch als Ermöglichung des Bordellbetriebs zu werten sei.17 Dies lässt bereits erahnen, wie schwierig die Abgrenzung strafbaren Verhaltens im Umfeld von berufstypischen Handlungen werden kann. Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Perspektive stehen diejenigen Fälle im Zentrum des Interesses, in denen eine rechtmäßige bzw. rechtlich geregelte Berufsausübung Straftaten Dritter unterstützt und als „äußerlich neutrale Handlung“ unter Beihilfegesichtspunkten (§ 27 StGB) selbst strafrechtlich relevant wird.18 So liegen die Dinge etwa in den Beispielen 14 und 15. Daneben kann ein Unrechtsausschluss auch bei einem täterschaftlich begangenen Verstoß zu erwägen sein. Dies ist der Fall, wenn in rechtsberatenden Berufen berufsbedingt Anschlussstraftaten begangen werden.19 Beiden Konstellationen ist gemein, dass nach den Buchstaben des Gesetzes Strafbarkeit ohne weiteres angenommen werden könnte. Zu der Frage, inwieweit trotz des neutralen bzw. beruflichen Kontexts strafwürdiges Verhalten vorliegt, wird eine Vielzahl von Ansichten vertreten, deren bedeutsamsten zunächst kurz vorgestellt werden sollen.
16 Lackner/Kühl, § 27 Rn. 2a; Wohlers, NStZ 2000, 169, 172 ff.; Rogat, Zurechnung, S. 68; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 582a m.w.N. auch zu den alternativen Prüfungsstandorten der Rechtswidrigkeit bzw. des Vorsatzes. 17 RGSt 39, 44, 48 f. Dazu Tiedemann, AT, Rn. 189; Roxin, AT II, § 26 Rn. 247. 18 Vgl. die Fallgestaltungen in BGHSt 46, 107 ff.; NStZ 2000, 34 ff.; LG Wuppertal wistra 1999, 473 f. 19 Zu § 261 StGB: Fischer, § 261 Rn. 33; Nestler, in: Herzog, GWG, § 261 StGB Rn. 98 ff.; vgl. auch Arzt/Weber, BT, § 26 Rn. 11.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
1. Kurzer Überblick über den Meinungsstand zu „neutralem“ Verhalten Klassische Fälle „berufstypischen“ Verhaltens – wie etwa derjenige in Beispiel 14 – stellen das Strafrecht vor große Herausforderungen. Das liegt an Folgendem: Zumeist sind die relevanten Handlungen kausal für den Taterfolg und bewirken zusätzlich eine Risikoerhöhung zulasten des durch die Haupttat betroffenen Opfers.20 Gemäß den allgemeinen Grundsätzen der Teilnahme erschiene demnach für B in Beispiel 14 und für R in Beispiel 15 Strafbarkeit ohne weiteres denkbar. Um der Besonderheit des beruflichen Kontextes, in dessen Rahmen die Handlungen stattgefunden haben, Rechnung zu tragen, wird heute ein „unübersehbares Theoriengeflecht“21 an Meinungen vertreten. Einige wichtige Aspekte sollen hier kurz erwähnt werden, bevor darauf eingegangen werden kann, ob für die Rechtfertigungslehre in diesem Kontext Raum verbleibt. Schließlich sind nur so die für den Streitstand maßgeblichen Wertungen nachzuvollziehen: a) Leitlinien der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hatte zunächst in erster Linie auf objektive Kriterien abgestellt. Insofern berücksichtigte sie verschiedene Umstände, wie etwa die durch eine berufstypische Handlung geschaffene Gefahrenlage22 oder die Unerlässlichkeit einer Vorbereitungshandlung für die konkrete Berufsausübung.23 Nimmt man diese Kriterien ernst, ist für die Verschleierung von Auslandstransfers in Beispiel 14 durch B anzumerken, dass die Gefahr strafbaren Verhaltens zumindest dann nicht deutlich gesteigert würde, wenn auch andere Banken zu einer entsprechenden Dienstleistung bereit wären. Weiter könnte die Beratungsresistenz der Kunden für ein aus Sicht des B notwendiges „Serviceverhalten“ sprechen. Von dieser stärker objektiv ausgerichteten Sicht schwenkte das Gericht jedoch auf eine in erster Linie an der subjektiven Tatseite orientierte Betrachtungsweise.24 Insofern wird zumeist die Vorstellung des Täters für maßgeblich gehalten. Das Tun von B in Beispiel 14 verliert demnach seinen „Alltagscharakter“, wenn die Kunden der S darauf abzielen, durch die Hinterziehung von Steuern strafbare Handlungen zu begehen und B dies wisse. Eine solche „Solidarisierung mit dem Täter“ nehme beruflichem Handeln die Sozialadäquanz.25 Bei dolus eventualis des berufstypisch Handelnden im Hinblick auf die Haupttat scheide die Strafbarkeit demgegenüber aus, „es sei denn, das von ihm erkannte 20 Zu diesen Kriterien für die Beihilfe nur Joecks, in: MüKo, § 27 Rn. 29 ff., 48. Vgl. auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 309 ff. 21 NK-Schild, § 27 Rn. 11. 22 Vgl. BGH wistra 1993, 59; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2000, 119. 23 Vgl. BGH wistra 1988, 261 f.; ähnlich BGH NStZ 1992, 498. 24 Vgl. zu diesem Befund Joecks, in: MüKo, § 27 Rn. 55 m.w.N. 25 BGHSt 46, 107, 112.
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ.“26 In Beispiel 14 ist sich B über die Motivation der Transfers im Klaren, weswegen man insofern wohl zur Annahme einer Strafbarkeit gelangen muss.27 b) Kurzüberblick über den Meinungsstand in der Literatur Die Auffassungen in der Literatur sind sowohl in ihrer dogmatischen Herleitung als auch in ihren praktischen Auswirkungen höchst unterschiedlich. Zunächst wird vereinzelt vertreten, berufsrollengemäßes Alltagsverhalten begründe keine strafbarkeitseinschränkenden Besonderheiten gegenüber Tathandlungen, die sich in einem kriminellen Kontext abspielen.28 Für Beispiel 14 bedeutete dies, dass B so bestraft würde, als hätte er seine Hilfeleistung in einem „kriminellen Kontext“ erbracht – etwa wenn B in privatem Rahmen einem Freund Ratschläge zu dessen Steuerhinterziehung erteilte. Andere Autoren suchen die Lösung in den objektiven Umständen der Beihilfehandlung. Demnach soll berufsgemäßes Verhalten strafbar sein, wenn ein „eindeutig deliktischer Sinnbezug“ der Beihilfehandlung vorliege29 bzw. wenn der Gehilfe eine Haupttat fördert, welche er als Garant verhindern müsste.30 Legt man diese Maßstäbe zugrunde, fällt die Subsumtion in den Beispielen nicht leicht. In Beispiel 14 wird B seine Handlung eher in einen deliktischen Sinnbezug stellen, wenn der Verschleierungscharakter der Auslandstransfers offenkundig zu Tage tritt. In Beispiel 15 streitet für eine Beihilfestrafbarkeit dann vor allem der Umstand, dass R selbst Geschäftsführer der U ist und er deswegen nach Unterlassungsgesichtspunkten für die Fehlberatung seiner Angestellten haften könnte (Geschäftsherrenhaftung).31 In Anlehnung an die nach dem Vorsatz des Täters differenzierende Rechtsprechung verlangen verschiedene Autoren nach einer Einschränkung der Strafbarkeit unter Verwendung subjektiver Kriterien.32 Vor dem Hintergrund dieses – hier freilich nur 26 BGHSt 46, 107, 112 m.w.N. zu dieser Formel; ferner zum Kriterium der Erkennbarkeit schon BGHSt 19, 152, 154 ff.; 26, 35 ff. Zu subjektiven Einschränkungen in der Lehre LK12Schünemann, § 27 Rn. 17 ff.; Roxin, AT II, § 26 Rn. 218 ff. 27 BGHSt 46, 107 ff. 28 Vgl. Beckemper, Jura 2001, 163, 169 und passim; Hruschka, JR 1984, 258 ff.; Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 f., 537 ff.; einschränkend auch S/S-Stree/Hecker, § 261 Rn. 22. 29 Meyer-Arndt, wistra 1989, 281, 282 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 283 ff.; 295 ff.; vgl. ferner Freund, AT, § 10 Rn. 138 ff.; Hefendehl, Jura 1992, 374, 376 f.; krit. NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 168 ff., die auf das „unmittelbare Bevorstehen“ der Tat abstellt; Ambos, JA 2000, 721, 724. 30 Jakobs, AT, 24/19; vgl. für das Wirtschaftsstrafrecht Ransiek, wistra 1997, 41, 43 ff. 31 Dieser in Begründung und Umfang sehr strittige Gesichtspunkt der Haftung eines Geschäftsherrn kann hier nicht vertieft werden. Statt Aller zusammenfassend Lackner/Kühl, § 13 Rn. 14; Joecks, in: MüKo GmbHG, Vor § 82 Rn. 215 f. 32 Vgl. dazu statt Vieler Roxin, AT II, § 26 Rn. 218 ff.; S/S-Heine, § 27 Rn. 10b m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
kursorisch skizzierten – Meinungsstandes ist für das Wirtschaftsstrafrecht zu untersuchen, ob die Rechtfertigungslehre als geeignetes Instrument zur Erfassung von berufsrollengemäßem Verhalten herangezogen werden kann. 2. Sonderrechtfertigungsgrund bei rechtmäßiger Berufsausübung? Einer Strafbarkeit laufen in Fällen wie den Beispielen 14 und 15 die aus der Berufsausübung fließenden Befugnisse bzw. der Alltagscharakter solcher Tätigkeiten zuwider, d. h. sie wirken prima vista wie Gegenrechte.33 Diese Nähe zur bereits beschriebenen Unrechtseinschränkung „von außen her“34 hat dazu geführt, dass verschiedentlich und mit Unterschieden im Einzelnen vertreten wird, berufsrollengemäßes Verhalten führe zu einem speziellen Rechtfertigungsgrund eigener Art.35 Der Annahme eines solchen Sonderrechtfertigungsgrundes ist der Bundesgerichtshof jedenfalls für die Prozesstätigkeit von Strafverteidigern entgegen getreten.36 Als Begründung gibt das Gericht vor allem an, insofern fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.37 Unter Berücksichtigung der zahlreichen ungeschriebenen Erlaubnistatbestände, die von der Rechtsprechung als Regeln des Unrechtsausschlusses anerkannt werden, kann ein solcher Verweis nicht überzeugen. Aus anderen Gründen wird man einen Rechtfertigungsgrund sui generis für berufsgemäßes Verhalten gleichwohl ablehnen müssen. Bei genauer Betrachtung ergeben sich zu viele Unstimmigkeiten mit den Vorgaben der allgemeinen Rechtfertigungslehre, die nachfolgend im Einzelnen darzulegen sind. Denn gegen einen solchen Erlaubnissatz spricht zunächst einmal, dass er von einer bloß tatsächlichen Art und Weise der Tatbegehung („berufsbedingtes Verhalten“) auf die rechtlichen Folgen schließt („Unrechtsausschluss“). Schon diese Herangehensweise erscheint zweifelhaft.38 Die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes in diesem Zusammenhang gerät deshalb zumindest in die Nähe eines sog. 33
Vgl. Müller-Dietz, Jura 1979, 242, 254. s. o.: 2. Teil B.II.1. 35 Dazu Tiedemann, Jura 1981, 24, 29; ders., AT, Rn. 190; Müller-Dietz, Jura 1979, 242, 253 f.; Ostendorf, NJW 1978, 1345, 1346; Volk, BB 1987, 139, 144; Rogat, Zurechnung, S. 68; vgl. ferner Hassemer, wistra 1995, 41, 42 („Einschränkungen des Unrechts“); Arzt, NStZ 1990, 1, 3 f. („eigentlich eine Rechtswidrigkeitslösung“); Mallison, Rechtsauskunft, S. 108 ff., 134 („Recht auf Rechtskenntnis“ als eigener Erlaubnissatz für rechtsberatende Berufe). 36 BGHSt 38, 345, 349. 37 BGHSt 38, 345, 349. 38 Auch LK12-Schünemann, § 27 Rn. 26 wendet sich gegen eine allgemeine Rechtfertigung berufsbedingten Verhaltens. Seine Begründung, der gewerbliche Bezug einer (Beihilfe-) Handlung steigere die Sozialschädlichkeit eher, als dass diese durch den Kontext ihrer Begehung gemindert würde, verfängt in dieser Allgemeinheit wohl nicht. Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 314 f. meint, das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen rechtswidrigem und nur ausnahmsweise gerechtfertigtem Verhalten werde bei Anerkennung eines allgemeinen Unrechtsausschlussgrundes umgekehrt. 34
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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„naturalistischen Fehlschlusses“, da aus einem „Sein“ ein „Sollen“ abgeleitet wird.39 Allein der äußerliche Rahmen einer sozialen Rolle kann nicht vollumfänglich vor Strafbarkeit schützen, da anderenfalls den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls praktisch Normwirkung zukäme.40 Gravierender noch wiegt der Einwand unüberschaubarer Vielgestaltigkeit beruflichen Verhaltens, welches unterschiedliches Gefahrenpotenzial in sich trägt: Es muss einen Unterschied machen können, ob man dem tatgeneigten und erschöpften Täter eine Flasche Wasser verkauft oder eine Machete. Jedenfalls begäbe man sich jeder Möglichkeit zur Differenzierung, wollte man bei „normalem, neutralem, sozial akzeptiertem und regelgeleiteten beruflichen Handeln“41 stets einen Rechtfertigungsgrund eigener Art annehmen. In Beispiel 15 bestünde die Rechtfertigungslage für R dann allein darin, dass er bei Nichtannahme oder Niederlegung des Mandats seiner Tätigkeit nicht nachkommen könne. Ließe man diesen Umstand für einen Erlaubnissatz ausreichen, wäre für R wohl ohne Bedeutung, dass er als Geschäftsführer möglicherweise über deliktische Vorgänge innerhalb der U im Bilde ist. Seine berufliche Tätigkeit wirkte als eine Art „Schutzschild“ gegen jedwede Art der Strafbarkeit. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Das Gegenteil von berufsbedingtem Verhalten muss wohl eine Art „außerdienstliches Handeln“ sein, in dessen Rahmen den Täter für identisches Verhalten dann die ganze Strenge des Gesetzes trifft. Nicht nur erscheint dies schon deswegen zweifelhaft, weil der Unterschied zwischen einem Notarzt im Rettungswagen, der dem fliehenden Verbrecher hilft, und einem, der ihn außer Dienst entsprechend ärztlich betreut, nicht so recht einleuchten will. Noch problematischer stellt sich der dadurch eröffnete, unüberschaubare Bereich an Unsicherheiten dar, der mit einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt einhergeht. Für einen Taxifahrer, der Einbrecher mitsamt gestohlener Beute gegen Ende seiner Dienstzeit vom Tatort wegfährt,42 käme es etwa folgerichtig darauf an, ob er sich schon bei der Zentrale abgemeldet hat, ohne Taximeter fährt o. ä. Die Tragweite der „Berufsrolle“ selbst kann jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden, wenn die Grenzen zu privatem Handeln verschwimmen. Lassen sich rechtssichere Ausführungen (Art. 103 Abs. 2 GG)43 zur Rechtfertigung durch berufsrollengemäßes Verhalten schon unter Berücksichtigung des faktischen Erscheinungsbildes nicht machen, sprechen weiter rechtliche Argumente gegen die freie Kreation eines solchen Erlaubnistatbestandes. Gerade in Ansehung 39 Allgemein zu dieser Vorgehensweise Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 10 m.w.N. 40 Vgl. auch NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 171 („kein Recht auf Ignoranz“). 41 Formulierung bei Roxin, AT II, § 26 Rn. 232. 42 Vgl. BGHSt 4, 107 ff. 43 Zur Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG auf Ebene der Rechtfertigung LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 69: „der Rückgriff auf pauschale Rechtfertigungsformeln verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot“.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
bereits bestehender Rechtfertigungsgründe ist die „professionelle Adäquanz“44 schwer zu fassen. Dies gilt schon hinsichtlich struktureller Erwägungen. Denn berufsbedingtes Verhalten weist zumindest keinen unmittelbaren Bezug zu Wertungen der Gesamtrechtsordnung auf, wenn man keinen ausufernden Schutz beruflicher Tätigkeit (Art. 12 GG) vor Strafbarkeit annimmt. Weiter lässt sich professionelles Verhalten weder überzeugend dem Prinzip des überwiegenden noch des mangelnden Interesses zuordnen.45 Auch kann es in diesen Fällen an den für eine Rechtfertigung notwendigen, schützenswerten Belangen des Berufstätigen fehlen. In Beispiel 14 etwa geht das „Interesse“ des B nicht über das jeder wirtschaftlichen Tätigkeit inhärente Streben nach Kundenzufriedenheit hinaus. Ein solcher Belang käme etwa im Rahmen von § 34 StGB mangels rechtlicher Anerkennung (“Vermögenswerte Exspektanz“)46 als Erhaltungsgut nicht in Betracht. Stehen sich aber rechtlich verbürgte Schutzgüter tatsächlich einmal gegenüber, so ist nicht einzusehen, weshalb es eines Rechtfertigungsgrundes eigener Art bedürfen sollte. Wird durch die Nichtvornahme einer berufstypischen Handlung gegenüber einem Straftäter eine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt, lässt sich diese Interessenkollision abschließend durch bestehende Unrechtsausschlussgründe abdecken. Läuft B in Beispiel 14 etwa Gefahr, von seiner Bank S als Arbeitgeberin entlassen zu werden, wenn er nicht ersichtlich auf Steuerhinterziehung angelegte Transaktionen nach Luxemburg zugunsten eines Privatiers durchführt, an dessen Zufriedenheit der S sehr gelegen ist, gelten die allgemeinen Grundsätze. Über den rechtfertigenden Notstand hinaus47 ist hier kein Platz für einen zusätzlichen Rechtfertigungstatbestand. Auch sonst ist nicht ersichtlich, wie das Konkurrenzverhältnis einer als Rechtfertigung verstandenen „professionellen Adäquanz“ zu anderen Erlaubnissätzen ausgestaltet sein soll. Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass trotz unterschiedlicher Schwerpunkte in der konkreten Handhabung die überwiegende Anzahl von Stel44 Begriff von Hassemer, wistra 1995, 41, 43; ders., wistra 1995, 81 ff. Vgl. auch BGHSt 46, 107, 113. 45 Zur Bedeutung dieser beiden Formen, s. o.: 2. Teil B.I.3.b); vgl. ferner Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 154. Für Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 316 spricht gegen eine Deliktseinordnung auf Rechtfertigungsebene, dass „das berufsbedingte Verhalten in seiner konkreten Art normalerweise nicht rechtsgutsgefährdend wirkt“. 46 s. o.: 3. Teil B.II.1.a); ferner nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 57. 47 Zu Notstandsgesichtspunkten bei der Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes, s. u.: 4. Teil C.II. Vgl. zu vorstehender Erwägung Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 316. So lässt sich auch der Fall des Arztes, der den fliehenden Verbrecher behandelt, im Hinblick auf § 258 StGB richtig lösen: Bei fehlender fluchterleichternder Wirkung der Behandlung entfällt bereits der Tatbestand. In allen anderen Fällen gelten die Maßstäbe des § 34 StGB. – Es kollidieren staatliches Strafverfolgungsinteresse und körperliche Integrität des Vortäters, wobei der Arzt als Notstandshelfer auftritt. Obwohl ein Fall des Aggressivnotstands vorliegt, streitet der abstrakte Rang der Rechtsgüter (Höchstpersönlichkeit) zugunsten des Vortäters. Für eine Einordnung als Unterfall des Notstand auch LK12-Walter, § 258 Rn. 67; i.E. ähnlich Satzger, Jura 2007, 754, 758 f.
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
255
lungnahmen zur Strafbarkeit berufsbedingten Verhalten durch ein Zusammenspiel von objektiven und subjektiven Gesichtspunkten geprägt ist.48 Überzeugend hebt der Bundesgerichtshof hervor: „Weder Alltagshandlungen noch berufstypische Handlungen sind in jedem Fall neutral. Fast jede Handlung kann in einen strafbaren Kontext gestellt werden.“49 Wer eine Rechtfertigung durch berufsmäßiges Handeln erwägt, verabschiedet sich weitestgehend von einer nach den Gegebenheiten der subjektiven Tatseite gestaffelten Konzeption: Ob der professional mit direktem (Beihilfe-)Vorsatz oder aber nur mit dolus eventualis hinsichtlich der Haupttat eines Dritten handelt, kann auf Ebene der Rechtswidrigkeit kaum sinnvoll berücksichtigt werden.50 Schließlich müssen sich die subjektiven Anforderungen auf das Wissen des Berufstätigen von der tatbestandlich vertypten Rechtsgutsverletzung beziehen und nicht – wie es für subjektive Rechtfertigungsanforderungen typisch wäre – auf die Voraussetzungen eines irgendwie gearteten „Gegenrechts“. Das subjektive Rechtfertigungselement ist für derartige Erwägungen nicht der richtige Ort. Konsequent zu Ende gedacht wäre in Fällen berufstypischen Handelns dann der Tatbestand eines Strafgesetzes bei Vorliegen von dolus eventualis erfüllt und der berufsbezogene Kontext des Verhaltens wirkte aus sich heraus rechtfertigend. Eine differenzierende, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragende Unterscheidung wäre dann nicht mehr möglich. Es lässt sich zusammenfassen, dass es einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund des geschäftlich üblichen oder berufsbezogenen Verhaltens nicht geben kann. Ein Schluss von den tatsächlichen Tatumständen auf die rechtliche Würdigung ist schon wegen der Vielgestaltigkeit der beruflichen Lebenswirklichkeit zum Scheitern verurteilt und eröffnete einen kaum einzuschränkenden Bereich an Unsicherheiten. Auch rechtlich leuchtet weder die Struktur eines solchen Erlaubnistatbestands noch das Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen ein. Schließlich ist die Annahme eines Unrechtsausschlusses insofern zu pauschal, als die unterschiedlichen Abstufungen des Vorsatzes gerade im Bereich der Beihilfe nur unter Hinnahme von Spannungen zur Rechtfertigungsdogmatik berücksichtigt werden könnten. In Beispiel 14 ist B deshalb jedenfalls nicht gerechtfertigt. Er kann sich nicht darauf berufen, seine Unterstützung habe in einem beruflichen Kontext stattgefunden und er sei allein den Weisungen seiner Kunden gefolgt. Dass dieses Ergebnis überzeugt, wird daran deutlich, dass die Rolle von B kaum anders zu beurteilen sein könnte, wenn er sich nach Dienstschluss mit den Kunden in Verbindung setzte oder im privaten Kontext Freunden ein entsprechendes Verschleierungsmodell vorschlägt. Auch in Beispiel 15 handelt R nicht schon deswegen rechtmäßig, weil er die Bro48
Pars pro toto BGHSt 46, 107, 112 ff.; LG Wuppertal wistra 1999, 473, 474; Roxin, AT II, § 26 Rn. 221 ff.; Ransiek, wistra 1997, 41, 44 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 531 und passim. 49 BGHSt 46, 107, 113. 50 Vgl. auch oben: 2. Teil B.I.2.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
schüre im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit rechtmäßig erstellt hat. Wenn er infolge seiner Stellung als Geschäftsführer bei U besonderes Wissen erlangen oder gar Einfluss auf die Art der Verwendung des Prospekts geltend machen konnte, kommt eine Strafbarkeit durchaus in Betracht.
II. Verhältnis zu Sozialadäquanz und erlaubtem Risiko Die Frage nach rechtfertigender Wirkung von berufstypischem Verhalten ist eng mit den eingangs kurz behandelten Rechtsfiguren der „sozialen Adäquanz“51 bzw. des „erlaubten Risikos“52 verbunden. Eine Abgrenzung von berufsrollengemäßem Verhalten im Verhältnis zu diesen Begrifflichkeiten erscheint unausweichlich, um zu beurteilen, welchen Einfluss berufsbedingte Handlungen auf die Wertungsstufe „Rechtswidrigkeit“ haben können. Da die Erwägungen im 2. Teil dieser Arbeit bereits ergeben haben, dass keines der beiden Rechtsinstitute als eigenständiger Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist, soll die Betrachtung an dieser Stelle über einen kurzen Abgleich der Voraussetzungen nicht hinausgehen: Wie auch aus schon verwendeter Terminologie deutlich wird, versteht man berufsübliches Handeln zum Teil insofern als Unterfall der Sozialadäquanz, als die konkrete Ausprägung des sozial Üblichen in den leges professionis – in Beispiel 15 also etwa dem anwaltlichen Berufsrecht – der einschlägigen standesrechtlichen Regelungen zu suchen sei (professionelle Adäquanz).53 Dass damit alle Einwände, die gegen die Bedeutung der Sozialadäquanz als Gesichtspunkt der Rechtfertigung vorgebracht werden,54 entsprechend übertragbar sind,55 liegt auf der Hand. Vor allem aber ist schon ein solches Verständnis von professioneller Adäquanz zweifelhaft. Denn als „ungeschliffenen Diamanten“56 kann man die Lehre von der Sozialadäquanz hinsichtlich berufsbedingten Verhaltens wohl nur betrachten, wenn man sie nicht mit allgemeingültigen und damit justiziablen Kriterien füllt, welche auf alle Berufsgruppen gleichermaßen Anwendung finden. Insoweit gelten die an verschiedene Berufstätigkeiten gestellten Anforderungen gerade nicht überall gleichermaßen, sodass sie nur „segmentär“ als „Bezugsgruppennormen“ Geltung beanspruchen können.57 Die verschiedenartige Regelungsdichte im jeweiligen Standesrecht, aber auch die sektoral unterschiedlich ausgestalteten Sorgfaltsanforderungen sprechen gerade dagegen, ein ihnen entsprechendes Verhalten unabhängig 51
s. o.: 2. Teil B.I.5.a). s. o.: 2. Teil B.I.5.b). 53 Hassemer, wistra 1995, 81 f. 54 s. o.: 2. Teil B.I.5.a). 55 Vgl. auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 85; Weigend, in: FS Nishihara, S. 197, 201; Roxin, AT II, § 26 Rn. 233; ferner BGHSt 46, 107, 113. 56 So wörtlich Hassemer, wistra 1995, 41, 46. 57 Diese Umschreibungen verwendet Hassemer, wistra 1995, 81 selbst. 52
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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von den Besonderheiten des Einzelfalls unter allen Umständen als sozial adäquat anzusehen. Ein vom konkreten Kontext gelöstes Verständnis erschiene in Bereichen mit ausdifferenzierten rechtlichen Vorgaben bloß als umständlicher Kunstgriff ohne wirklichen Mehrwert. Schließlich ist der Kern des sozial Adäquaten die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz.58 Für die Beurteilung der Strafbarkeit des B in Beispiel 14 kann es nicht darauf ankommen, ob die S in ihrem Auslandsgeschäft typischerweise Mittel auf vergleichbare (und rechtmäßige) Weise nach Luxemburg transferiert oder dies nicht der Fall ist und sich B deswegen dem äußeren Anschein nach „auffällig“ verhält. Richtigerweise fallen berufsbedingtes Verhalten und Sozialadäquanz in Teilen zusammen, die Problemkreise decken sich jedoch nicht vollständig. Aus dieser rechtstatsächlichen Überschneidung lassen sich für die Wertungsebene der Rechtfertigung unmittelbar keine Rückschlüsse ziehen. Auch zum Rechtsinstitut des „erlaubten Risikos“ besteht ein enger struktureller Zusammenhang von berufsbedingten Handlungen.59 Denn dieses zeichnet sich durch eine „gesamtgesellschaftliche Globalabwägung“ aus,60 die (de facto vom Gesetzgeber) mit positivem Ergebnis für alle entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ausgeübten Berufe durchgeführt wurde. Das heißt nun aber gerade nicht, dass sich berufsgemäßes Verhalten deswegen stets im Rahmen des angemessenen Risikos bewegen müsste und folglich jede Strafbarkeit ausschiede. Vielmehr hat auch äußerlich ordnungsgemäßes, d. h. den rechtlichen Vorgaben des jeweils berufsbedingten Handelns entsprechendes Verhalten nur indizielle Wirkung für das Einhalten des erlaubten Risikos.61 Dieses wird aber gerade dann häufig überschritten sein, wenn eine „Solidarisierung des Berufsausübenden“62 mit dem Täter erfolgt. In Beispiel 15 kann sich R deswegen nicht darauf berufen, er habe bei der Erstellung des Prospekts den Grundsätzen des anwaltlichen Berufsrechts gemäß gehandelt. Auch die Vorgaben des erlaubten Risikos streiten keinesfalls für einen umfassenden Ausschluss berufstypischer Handlungen aus dem Bereich strafbaren Unrechts. Ein den einschlägigen Vorschriften entsprechendes Verhalten eines Berufstätigen deckt sich also teilweise mit den Rechtsinstituten der sozialen Adäquanz und des erlaubten Risikos. Es ist aber weder mit ihnen identisch noch ließen sich aus diesem Befund praktisch bedeutsame Schlussfolgerungen für eine Rechtfertigung ziehen. Dass nach beiden Rechtsfiguren ein allgemeingültiger Ausschluss strafbaren Unrechts wegen „professioneller Adäquanz“ richtigerweise nicht in Betracht kommen 58
s. o.: 2. Teil B.I.5.a); BGHSt 23, 226, 228: „übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige […] Handlungen“. 59 Vgl. nur Wohlers, NStZ 2000, 169, 173 f.; ausführlich Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 334 ff.; Frisch, NJW 1983, 2471, 2473 („Verhalten, das im Umgang mit Nichtstraftätern als Interessenwahrnehmung erlaubt ist, muss auch gegenüber Straftätern erlaubt sein“). 60 s. o.: 2. Teil B.I.5.b) und LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 54 f. 61 Vgl. auch insofern: 2. Teil B.I.5.b); ferner NK-Toepel, § 240 Rn. 115. 62 BGHSt 46, 107, 112.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
kann, spricht außerdem dagegen, einen Rechtfertigungsgrund für beruflich veranlasstes Verhalten zu konstruieren.
III. Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit Tätigkeiten der Rechtspflege und deren Rechtfertigung Wirtschaftsdelinquenz macht auch vor Beteiligten der Rechtspflege nicht Halt und insbesondere Strafverteidiger kommen mit einschlägigen Fallkonstellationen in Berührung. Doch bleibt hinsichtlich eines strafrechtlichen Vorwurfs zum Nachteil von Vertretern dieser Berufsgruppe zu berücksichtigen, dass ihnen aufgrund ihrer Stellung in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren eine Sonderrolle zuteilwerden kann. Verschiedentlich hat dies dazu geführt, dass erwogen wurde, dem auf Wertungsebene der Rechtswidrigkeit Rechnung zu tragen. Eine sog. „Rechtfertigungslösung“63 wurde zugunsten eines Strafverteidigers vertreten, der den Tatbestand der Geldwäsche verwirklicht, weil sein Verteidigerhonorar aus bemakelten Mitteln entrichtet wurde, vgl. Beispiel 16 [1.]. Unlängst wurde zudem erwogen, Beratern, zu deren Aufgabenbereich die Risikoeindämmung zählt (sog. gate-keepers), einen besonderen Erlaubnistatbestand zuzugestehen [2.]. 1. Rechtfertigung des Strafverteidigers beim Vorwurf der Geldwäsche? Ein Bezug zur Rechtfertigung ergibt sich auch für das praktisch wichtige64 Strafbarkeitsrisiko eines Strafverteidigers, der von seinem Mandanten entgegen § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB bemakelte Gelder in Erfüllung seiner Honorarforderung annimmt. Der Fragenkreis hängt eng mit der gerade behandelten Problematik um Beihilfe durch „neutrales“ Verhalten zusammen65 und betrifft das Wirtschaftsstrafrecht gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird vielfach die Geldwäsche selbst bereits als Wirtschaftsstraftat verstanden.66 Zum anderen können zahlreiche der in § 261 Abs. 1 StGB genannten Vortaten der Wirtschaftskriminalität zugeordnet werden.67 Den eingangs beschriebenen Grundsätzen folgend soll die Geldwäschestrafbarkeit von Wahlverteidigern68 nicht abschließend beurteilt, sondern allein danach gefragt werden, welchen Beitrag ein Unrechtsausschluss zu einer kohärenten Lösung zu leisten imstande ist. In Beispiel 16 ist deshalb zu prüfen, ob S ein be63
Diese Terminologie findet sich bei Fischer, § 261 Rn. 33; NK-Altenhain, § 261 Rn. 126. Siehe einführend nur Ruhmannseder, in: Beck OK, § 261 Rn. 41 m.w.N. 65 Diese Verbindung herstellend Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 147; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 52. 66 Statt Vieler Wahl, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 51 Rn. 1 ff. 67 Vgl. Bernsmann, StraFo 2001, 344, 346; auch Rengier, BT I, § 23 Rn. 24 fasst die Problematik als eine Besonderheit von Wirtschaftsstrafsachen auf. 68 Fischer, § 261 Rn. 32 will die Diskussion auch auf andere, rechtsberatende Berufe erweitert wissen. Dazu auch Volk, BB 1987, 139 ff. 64
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
259
sonderer Rechtfertigungsgrund zur Seite steht, aufgrund dessen er den Vorstand V verteidigen kann. Das Problem stellt sich nicht in jedem Zusammenhang mit Rechtsberatung in gleicher Weise. Ersichtlich geht es in Beispiel 15 um einen anders gelagerten Sachverhalt professioneller Tätigkeit, wenngleich auch R dort als Anwalt tätig ist. In typisierender Betrachtung liegt dem hier zu untersuchenden Problemkreis folgender rechtstatsächlicher Ausgangspunkt zugrunde, der in Beispiel 16 veranschaulicht wird: Einem Beschuldigten wird eine vermögensbezogene Straftat im Sinne des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB zur Last gelegt. Er wendet sich nun an einen Strafverteidiger seiner Wahl (§ 137 StPO) und verpflichtet sich zur Erfüllung der im Zuge des Beratungsverhältnisses entstehenden Honorarforderungen. Dem Wortlaut nach läuft der Wahlverteidiger „mit offenen Armen“ in eine Geldwäschestrafbarkeit, da das Geld bzw. die Forderung gegen ein Kreditinstitut69 nach § 261 Abs. 1 S. 2 StGB bemakelt und mithin taugliches Tatobjekt sein kann. Inzwischen hat das BVerfG mit Gesetzeskraft (§§ 13 Abs. 1 Nr. 8a, 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG)70 darüber entschieden, dass der Berufsfreiheit der Wahlverteidiger (Art. 12 Abs. 1 GG) bereits auf Ebene des Tatbestandes Rechnung zu tragen ist. Die Strafbestimmung ist danach nur mit dem GG vereinbar, wenn ein Strafverteidiger im Zeitpunkt der Annahme seines Honorars sichere Kenntnis von der bemakelten Herkunft des Geldes hatte.71 Der Grund für diese berufsspezifische Privilegierung lässt sich auf die Unschuldsvermutung zugunsten des Mandanten bzw. auch des Verteidigers72 zurückführen, der gerade auch im Bereich der Strafverteidigung Rechnung zu tragen ist.73 Schließlich ist für S als Strafverteidiger in Beispiel 16 die Gefahr, mit aus einer Katalogtat stammendem Vermögen in Berührung zu kommen, besonders hoch, weswegen die Staatsanwaltschaft ein zweites Ermittlungsverfahren gegen den Verteidiger einleiten kann.74 Wird durch die Entscheidung des BVerfG verfassungsrechtlich ein Mindestmaß an Strafbarkeitsbeschränkungen für Verteidiger aufgestellt, stehen diese Feststellungen einer weitergehenden Einschränkung der Strafbarkeit zugunsten von Strafverteidigern – wie sie ein Rechtfertigungsgrund gewährleistete – nicht entgegen. Denn durch einen besonderen Erlaubnissatz würden die grundrechtlich verbürgten Garantien in noch weiterem Umfang verwirklicht. Die sog. „Rechtferti69 Wenn die vermögensbezogene Straftat zu einer Überweisung von Sichtguthaben anstelle einer Barauszahlung geführt hat, ist bei präzisem Verständnis die Forderung gegen die Bank bemakelt. In Beispiel 16 ist dies etwa der Fall, wenn V aufgrund einer pflichtwidrigen Überweisung zu eigenen Gunsten dem Betrieb einen Nachteil zugefügt hat. Vgl. zum Tatobjekt „Forderung“ auch S/S-Stree/Hecker, § 261 Rn. 4, 17. 70 Veröffentlicht in BGBl. I 2004, S. 715. 71 BVerfGE 110, 226, 264 ff.; vgl. auch BVerfG NJW 2005, 1707 ff. Siehe zuvor schon BGHSt 47, 68, 73 ff. 72 Beide Subjekte kommen als Bezugspunkt der Unschuldsvermutung in Betracht, vgl. Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 156. 73 Vgl. Nestler, in: Herzog, GWG, § 261 StGB Rn. 99 m.w.N.; Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 154 („Rechtfertigungsbonus“). 74 Ruhmannseder, in: Beck OK, § 261 Rn. 41.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
gungslösung“75 in diesem Bereich bliebe auch nach der Entscheidung des Gerichts ein strafrechtsdogmatisch gangbarer Weg. Erscheint deshalb die Annahme eines Sonderrechtfertigungsgrundes aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich denkbar, so bleibt dessen Herleitung mit strafrechtlichen Vorgaben abzugleichen. Der Lösungsansatz, Spannungen zwischen den Interessen einer unbeeinträchtigten Wahlverteidigung und der Schutzrichtung des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch einen „temporären Sonderrechtfertigungsgrund“76 sui generis zu lösen, hat im Schrifttum eine durchaus beachtliche Anzahl von Befürwortern gefunden77 und auch die Rechtsprechung dazu veranlasst, sich mit diesem Weg auseinander zu setzen.78 Er geht auf eine Überlegung von Bernsmann79 zurück, dessen erklärtes Ziel es ist, „Chancengleichheit“ der Strafverteidigung zu den Eingriffsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft (vgl. nur §§ 127 Abs. 2, 81a StPO) herzustellen. Konstruktiv wird ein Rechtfertigungsgrund gewählt, weil nur so der Unschuldsvermutung des Mandanten bei bloßem Vorliegen von Verdachtsmomenten wirklich Rechnung getragen werden könne.80 Neben einer Reihe von Billigkeitserwägungen81 wird als weitere Begründung für diese Lösung noch angeführt, dass auf diesem Wege auch andere Anschlussstraftaten (§ 259 StGB) erfasst wären.82 Die Rechtfertigungslösung folgt dem Gedanken, „weil der Staat bei Tatverdacht in Rechte des Beschuldigten eingreifen darf, dürfen umgekehrt der Beschuldigte und sein Verteidiger bei Vermutung der Unschuld in Rechte des Staates oder Dritter eingreifen“.83 Eine Modifizierung des Geldwäschetatbestands bliebe in ihrer Reichweite dagegen insoweit begrenzt, als bei Verletzung anderer Anschlussdelikte durch den Verteidiger eine Strafbarkeit noch immer denkbar erschiene.
75
Dazu einführend NK-Altenhain, § 261 Rn. 126 m.w.N. Ähnliche Terminologie bei Fahl, JA 2004, 624, 627; in zeitlicher Hinsicht soll die rechtfertigende Wirkung auf das Mandatsverhältnis begrenzt sein. 77 Bernsmann, StV 2000, 40, 43 ff.; ders., in: FS Lüderssen, S. 687, 688 ff.; Balzer, Berufstypische Strafbarkeit, S. 425; Lüderssen, StV 2000, 205, 206; Hombrecher, Geldwäsche, S. 143 ff.; Ambos, JZ 2002, 70, 80 f.; Hamm, NJW 2000, 636, 637; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 2356; Brüssow, in: FS Riess, S. 59, 62 f.; Sympathie für eine Lösung auf Ebene der Rechtswidrigkeit auch bei Gotzens/Schneider, wistra 2002, 121, 129. 78 BVerfGE 110, 226, 248; BGHSt 47, 68, 72. 79 Bernsmann, StV 2000, 40, 43 ff. 80 Bernsmann, StV 2000, 40, 44; der Autor gibt dabei selbst an, dass seine Erwägungen „alles andere als endgültig“ seien. 81 Nach Lüderssen, StV 2000, 205, 206 ergibt sich ein Unrechtsausschluss daraus, dass der unbefangene Betrachter gegenüber der Justiz im Strafverfahren empfinde, dass „Gutes bewirkt werde, aber gleichzeitig auch Schlechtes passieren könne“. 82 Ambos, JZ 2002, 70, 80; Hombrecher, Geldwäsche, S. 159; vgl. auch Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn. 902 a.E. 83 Wörtliche Wiedergabe bei NK-Altenhain, § 261 Rn. 126. 76
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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Diese Ausführungen können indes vor dem Hintergrund der allgemeinen Rechtfertigungsdogmatik nicht überzeugen. Man kann in der Tat den Eindruck gewinnen, dass die Wertungsebene Rechtswidrigkeit als geeigneter Ort zur Umsetzung interessengeleiteter Ergebnisse84 wahrgenommen wird. Dabei scheint zum Teil die Annahme vorzuherrschen, es fehle insofern gänzlich an dogmatisch gefestigten Grundsätzen. Nach hier vertretener Auffassung ist das Gegenteil der Fall.85 Insofern wurde bereits oben festgestellt, dass ein dem Straftatbestand zuwiderlaufender und von der Rechtsordnung anerkannter Belang nicht gleichzeitig Rechtfertigungsregel sein kann.86 Das bloße „Entgegenhalten“ der freien Verteidigerwahl als Rechtfertigung liefe deshalb den differenzierten Vorgaben zur Interessengewichtung zuwider, die sich den anerkannten Erlaubnistatbeständen entnehmen lassen. Eines Unrechtsausschließungsgrundes eigener Art bedarf es in der vorliegenden Fragestellung zudem nicht, weil ein Pflichtenkonflikt zwischen der verfassungsrechtlich verbürgten „Institution der Wahlverteidigung“87 und der durch das Verbot der Geldwäsche erstrebten Isolation des Vortäters88 einen geradezu klassischen Anwendungsfall des rechtfertigenden Notstands darstellte.89 Von zweifelhaftem Verständnis der Erlaubnissätze zeugt auch die in diesem Zusammenhang im Schrifttum zu findende Annahme, zugunsten des Strafverteidigers scheide § 34 StGB deswegen aus, weil ein Strafprozess keinen „ungewöhnlichen Zustand“ darstelle, der Voraussetzung einer Notstandslage sein soll.90 Im Gegenteil ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich aus der Strafdrohung des § 261 Abs. 2 StGB gegenüber dem Strafverteidiger nicht eine reale Gefahr für das Institut der Wahlverteidigung ergeben sollte. Schon dessen verfassungsrechtliche Verankerung gebietet es, das Recht auf Verteidigerwahl in seiner Ausprägung des fair trial
84
Zur Rolle von eigenen Interessen des Berufsstandes in der Diskussion um § 261 StGB nur Fischer, § 261 Rn. 33. 85 Zur Bedeutung des Rechtswidrigkeitsurteils und der einzelnen Erlaubnissätze, s. o.: 2. Teil B.I. 86 s. o.: 2. Teil B.II.2. 87 Vgl. zum Erhaltungsgut BVerfG NStZ 1984, 176; NJW 2007, 499, 503; BGHSt 39, 310, 312; Laufhütte/Wilnow, in: KK StPO, § 137 Rn. 1 m.w.N. 88 Siehe zum Eingriffsgut nur S/S-Stree/Hecker, § 261 Rn. 2, 16. 89 Dies verkennt Bernsmann, StV 2000, 40, 43, wenn er meint, die „üblichen Rechtfertigungsgründe“ schieden aus, weil es an der Rechtswidrigkeit des staatlichen Angriffs auf den Beschuldigten fehle. Diese aus der Notwehr abgeleitete Voraussetzung findet in § 34 StGB gerade keine Entsprechung. Auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 52 spricht von einer „Bedrohungslage“ für die Wahlverteidigung und nähert sich damit terminologisch der Notstandsdogmatik an. 90 So Hombrecher, Geldwäsche, S. 146 mit Verweis auf Lackner/Kühl, § 34 Rn. 2, der diese (unglückliche) Formulierung allein zur Umschreibung der Gegenwärtigkeit einer Dauergefahr benutzt.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Grundsatzes (Art. 6 Abs. 3c EMRK)91 als schutzwürdiges Rechtsgut i.S.v. § 34 S. 1 StGB einzuordnen.92 Weil auf Ebene der Rechtswidrigkeit bereits Notstandsgesichtspunkte die kollidierenden Belange aufzufangen imstande sind, bleibt für die Annahme eines weitergehenden Sonderrechtfertigungsgrundes kein Raum.93 Wie wenig die für den Unrechtsausschluss bestehende Dogmatik in der sog. „Rechtfertigungslösung“ eine Rolle spielt, wird schließlich daran deutlich, dass die vom BVerfG verschärften Anforderungen an den Vorsatz (sicheres Wissen um die Herkunft der Mittel) in das subjektive Rechtfertigungselement des Sonderrechtfertigungsgrundes hineingelesen werden.94 Zwar ist es an sich durchaus nicht fernliegend, strenge Anforderungen an das kognitive Moment (in Richtung auf Vorsatz 2. Grades) im Hinblick auf die objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu stellen.95 Doch darum geht es vorliegend nicht. Denn Gegenstand des sicheren Wissens soll mit dem bemakelten Tatobjekt gerade ein Element des Tatbestandes und damit keine (objektive) Voraussetzung der Rechtfertigungslage „Sondererlaubnis Wahlverteidigung“ sein. Für die Rechtfertigungslösung wäre einzige objektive Voraussetzung der Rechtfertigungslage eine Gefährdung für die Garantie der Wahlverteidigung.96 Die Herkunft der Mittel bliebe für die objektiv zu bestimmende Rechtfertigungslage demgegenüber ohne Relevanz, sie wird vielmehr von § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB vorausgesetzt. Es würde gleichsam ein Erlaubnisgrund mit „überschießender Innentendenz“ geschaffen, der subjektiv strengere Anforderungen stellt als in objektiver Hinsicht.97 Die damit einhergehenden dogmatischen Schwierigkeiten dieser Konstruktion werden selbst von den Vertretern einer Sonderrechtfertigung eingeräumt.98 Wendete man demgegenüber die Kriterien des Notstands zugunsten des Strafverteidigers an, wird deutlich, dass dieser Erlaubnissatz dem S in Beispiel 16 nicht weiterhelfen kann. Denn schon für die Interessenabwägung zwischen dem Recht auf einen Wahlverteidiger und dem Kollektivinteresse an einem isolierten Vortäter ist die strenge Voraussetzung des „wesentlichen Überwiegens“ heranzuziehen. Eine 91 Laufhütte/Wilnow, in: KK StPO, § 137 Rn. 1 (durch das Rechtsstaatsprinzip verbürgt); Wessing, in: Beck OK StPO, § 137 Rn. 3. 92 Zum Verhältnis von rechtlicher Anerkennung und Notstandsfähigkeit, siehe bereits: 3. Teil B.II.1.a). 93 I. E. ähnlich Hefendehl, in: FS Roxin, 2001, S. 145, 157 („struktureller Widerstreit von Interessen ist kein legitimer Gegenstand der Rechtswidrigkeitsebene“). 94 Vgl. Ambos, JZ 2002, 70, 80 f.; Hamm, NJW 2000, 636, 637 f.; Körner, BtMG, § 29 Rn. 2356. 95 Vgl. o.: 2. Teil B.I.1. 96 Vgl. nochmals Hamm, NJW 2000, 636, 637; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 52. 97 Siehe zum Ganzen schon 2. Teil B.I.2. 98 Ambos, JZ 2002, 70, 82 spricht davon, dass sich durch die Subjektivierung der Rechtfertigungslösung [Hervorhebung im Original] die Integration in das System der Rechtfertigungsgründe schwierig gestalte.
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Rechtfertigung käme zugunsten von S in Beispiel 16 deshalb nur in Betracht, wenn der Schaden zulasten der freien Verteidigerwahl gegenüber der Isolierung von V diese Voraussetzung erfüllte. Überdies relativiert sich die Bedeutung des Rechts auf freie Verteidigerwahl weiter dadurch, dass selbstverständlich dieses Erhaltungsgut faktisch nicht jedem Beschuldigten gewährt wird. Das Recht besteht im Gegenteil nur unter dem Vorbehalt, dass der beschuldigte Mandant über entsprechende Mittel zur Finanzierung verfügt.99 Je stärker jedoch ein Erhaltungsgut nur einer bestimmten Gruppe von Notstandstätern (wie dem vermögenden V in Beispiel 16) zur Verfügung steht bzw. von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, desto weniger stark kann von einer rechtlichen „Garantie“ die Rede sein. Das Erhaltungsgut „Wahlverteidigung“ wird einem Angeklagten dementsprechend nur unter Einschränkungen gewährt. Dieser Gesichtspunkt muss sich nachteilig auf die Bedeutung im Rahmen der Interessenabwägung auswirken. Darüber hinaus könnte man sogar erwägen, eine Notstandshandlung zugunsten der „Wahlverteidigung“ aufgrund von Regelungen der Strafprozessordnung zur Verteidigerwahl insgesamt als unangemessen anzusehen, § 34 S. 2 StGB. Voraussetzung wäre insofern, dass die Vorschriften zur Wahlund Pflichtverteidigung (§§ 137 ff. StPO) ein in sich abgeschlossenes Verfahren bereitstellten, welches als prozessuale Regelung nur gewährt wird, wenn und soweit ein Konflikt mit materiellem Recht nicht entsteht. Demnach wäre ein Rückgriff auf § 34 StGB sogar im Ganzen ausgeschlossen. Zusammenfassend bleibt daher festzuhalten, dass dem Grunde nach eine Notstandsgefahr für das Recht auf freie Verteidigerwahl durchaus entstehen kann. Dies ist etwa der Fall, wenn S in Beispiel 16 das Anwaltshonorar nicht annehmen kann, weil im Hinblick auf die Herkunft des Geldes Verdachtsmomente vorliegen. Eine Gefahr für das nur unter Vorbehalt gewährte Schutzgut der freien Verteidigerwahl wird allerdings die hohen Anforderungen, die der rechtfertigende Notstand an die Interessenabwägung stellt, kaum je erfüllen können. Denn eine Verletzung des Isolierungstatbestands (§ 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB) beeinträchtigt seinerseits ein bedeutsames kollektives Interesse als Eingriffsgut. Dieser Befund verbietet es, gleichsam „in freier Rechtsfindung“ eine Sonderrechtfertigung sui generis zu schaffen, deren dogmatische Grundlagen bisher überdies höchst fragwürdig ausgestaltet wurden. Dies trifft in besonderem Maße auf die „überschießende Innentendenz“ zu, welche ein Verteidiger in Ansehung der Herkunft entsprechender Mittel aufweisen müsste. Verbotsanforderungen und Rechtfertigungsvoraussetzungen würden so vermengt. In Beispiel 16 ist S nach alledem jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn er das Anwaltshonorar von V annimmt.
99 Anschaulich zu diesem Gedanken Schaefer/Wittig, NJW 2000, 1387, 1388; ferner BGHSt 47, 68, 75; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 51.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
2. Rechtfertigung von sog. gate-keepers? Schließlich sind Literaturstimmen laut geworden, die für eine weitere Art der Berufsausübung im Bereich der Rechtspflege einen Unrechtsausschluss annehmen wollen. Dabei handelt es sich um Berufsbilder, denen – wie Notaren, Wirtschaftsprüfern oder auch Steuerberatern – standesrechtlich in besonderem Maße die Funktion der Risikoeindämmung zukommt (sog. gate-keepers).100 In der Rechtsprechung wurde die Frage an einer Stelle bisher ausdrücklich offen gelassen.101 Die Problemstellung betrifft unterschiedlichste Sachverhalte der Lebenswirklichkeit und ist auch von der Beihilfestrafbarkeit durch anwaltlichen Rat bzw. v. a. durch anwaltliche Rechts- und Vertragsgestaltung nicht leicht zu trennen.102 Sie kann hier nicht erschöpfend dargestellt werden und nachfolgende Anmerkungen zu einem Unrechtsausschluss sind allein als „Anstöße“ hin zu einer Beschäftigung der Strafrechtslehre mit den zahlreichen Nuancen der wohl durchaus praxisrelevanten Thematik zu verstehen. Im Zentrum der Diskussion steht die weitestgehend geteilte Erkenntnis, dass vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Erwägungen bloße Rechtsauskünfte zwar einerseits strafbares Unrecht nicht begründen, vgl. auch § 3 BRAO („Recht zur Beratung“).103 Andererseits können sie jedoch ebenso wie Amtshandlungen eines Notars objektiv Unterstützungshandlungen zu Straftaten darstellen, soweit durch rechtsgeschäftliche oder zeitlich nachfolgende tatsächliche Handlungen bzw. Erklärungen strafbewehrte Zwecke verfolgt werden. So können die Dinge etwa liegen, wenn ein Täter die rechtmäßige Aufklärung über das Angehörigenprivileg des § 258 Abs. 6 StGB oder Gesichtspunkte der Strafzumessung als Anlass zur Begehung einer Straftat nimmt.104 Relevant wird die Strafdrohung ferner, wenn Geschäftsleiter im Rahmen von Sonderdelikten falsche Angaben machen (vgl. §§ 82 GmbHG, 399 AktG), Wirtschaftsprüfer die Vermögenslage der Gesellschaft verschleiern und Notare mit bedingtem Vorsatz hinsichtlich der Unrichtigkeit der abzugebenden Erklärung mitwirken. 100 Terminologie und Einordnung in den Bereich der Rechtswidrigkeit stammen von Tiedemann, AT, Rn. 192a; ders., in: Scholz, GmbHG, § 82 Rn. 25; Volk, BB 1987, 139, 144. Siehe weiter Krekeler, AnwBl. 1993, 69, 72; Silva Sanchez, in: FS Tiedemann, S. 237, 238; zu Rechtsanwälten i.A. auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 476 ff.; Rogat, Zurechnung, S. 179 ff. und passim; Mallison, Rechtsauskunft, S. 108 ff und passim; zur a.A. nur Tag, JR 1997, 49, 51 f. 101 LG Koblenz ZIP 1991, 1284, 1291. 102 Vgl. die Beispiele und Konstellationen bei Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 480; Volk, BB 1987, 139, 141 ff. 103 Hartmann, ZStW 116 (2004), 585, 605 mit Fn. 135 zu Literaturstimmen, die eine Rechtfertigung in diesem Bereich erwägen; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 477 f.; Maiwald, ZStW 93 (1981), 885, 890; Mallison, Rechtsauskunft, S. 134; entschieden gegen Allgemeingültigkeit Hruschka, JR 1984, 258 ff. („[der Rechtsstaat] ist [nicht] in Gefahr, wenn in einzelnen Notstandsfällen einem Rechtsanwalt verboten wird, eine richtige Rechtsauskunft zu erteilen“); vgl. auch Rogat, Zurechnung, S. 160 f., 182 ff. 104 Vgl. dazu RGSt 37, 321 ff.; Hartmann, ZStW 116 (2004), 585, 604.
A. Berufsbedingtes Verhalten und Rechtswidrigkeit
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Doch auch hier erscheint die Annahme eines Unrechtsausschlusses nicht nur vor dem Hintergrund anerkannter Rechtsprinzipien problematisch. Soweit man Rechtsauskünfte und objektiv rechtmäßige Gestaltungen strafrechtlich privilegieren will, ist die Rechtswidrigkeit als Wertungsstufe nicht betroffen.105 Die Rechtsberatung oder auch „ein Recht, das Recht zu kennen“106 stellt – unabhängig von der Überzeugungskraft einer solchen Position – kein „Gegenrecht“ dar, dessen Inhalt im Sinne des Erforderlichkeitsprinzips107 möglichst schonend mit dem gegenläufigen Normbefehl des Strafgesetzes zu vereinen wäre. Vielmehr geht es in der Sache um die Frage, ob aufgrund verfassungsrechtlicher Wertungen Rechtsauskünfte selbst dann keine Gefahr im rechtlichen Sinne schaffen, wenn die tatsächlichen Umstände eine Gefahrerhöhung nahelegen.108 Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob sich mithilfe einer Rechtfertigungslösung das Strafrecht und die berufsrechtlichen Vorgaben stets aufeinander abstimmen ließen.109 Im immer wieder besprochenen Fall eines Notars, der strafbare Handlungen ermöglicht, fehlt es nach richtigem Verständnis an einer Kollision von Rechtsgütern, die nicht bereits standesrechtlich abschließend geregelt wäre. Seiner grundsätzlich bestehenden Aufgabe zur Amtsausübung nach § 15 Abs. 1 S. 1 BNotO steht nämlich die Pflicht gegenüber, seine Mitwirkung zu solchen Handlungen zu versagen, „mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden“ (§ 14 Abs. 2 BNotO). Die Verhaltensvorgaben lassen sich also bereits notarrechtlich miteinander in Einklang bringen, indem ein ausreichender Grund zur Verweigerung der Amtspflicht nur angenommen werden kann, wenn positive Kenntnis des Notars von der Strafrechtswidrigkeit der zu beurkundenden Erklärungen vorliegt.110 Diese Wertung wird man ins Strafrecht übertragen müssen. Sind Interessenkonflikte nach dem Standesrecht so geregelt, dass sich ein eindeutiges Handlungsverbot oder -gebot ergibt, hat sich das strafrechtliche Ergebnis daran zu orientieren. Ein weitergehender Strafbarkeitsausschluss auf der Grundlage eines Rechtfertigungsgrundes verbietet sich, weil sonst strafrechtlich Interessen berücksichtigt würden, die nach Standesrecht für irrelevant befunden wurden.111
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Vgl. dazu im Einzelnen Volk, BB 1987, 139, 143 ff.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 481 f.; Tag, JR 1997, 49, 51 f.; vgl. ferner Rogat, Zurechnung, S. 220 f. 106 Hartmann, ZStW 116 (2004), 585, 605 m.w.N.; ausführlich Mallison, Rechtsauskunft, S. 108 ff. 107 Zu diesem Strukturprinzip für Rechtfertigungsgründe, s. o.: 2. Teil B.I.3.a). 108 Ähnlich Maiwald, ZStW 93 (1981), 885, 889 f.; Tag, JR 1997, 49, 51 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 482. 109 Ablehnend auch Häcker, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 95 Rn. 17 („einem derartigen Sonderrecht ist entgegenzutreten“). 110 Vgl. auch Kanzleiter, in: Schippel/Bracker, BNotO, § 14 Rn. 20; Lerch, BeurkG, § 4 Rn. 9 ff.; Schröder, DNotZ 2005, 596, 608 f. 111 Für einen Unrechtsausschluss jedoch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 82 Rn. 25.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
IV. Ergebnis: Berufsbedingtes Verhalten und Rechtfertigung Die Untersuchung hat gezeigt, dass die wirtschaftsstrafrechtliche Problemstellung berufsrollengemäßen Verhaltens ihren Standort trotz anderslautender Stimmen im Schrifttum nicht auf Deliktsebene der Rechtswidrigkeit hat. Für einen allgemeinen Erlaubnisgrund der “Professionellen Adäquanz“ fehlt es an einer tragfähigen dogmatischen Grundlage. Ein tatsächliches Phänomen lässt sich nicht vom Ergebnis her gedacht wider die allgemeinen Prinzipien dem Unrechtsausschluss zuordnen. Schon die Rechtfertigungslage einer solchen Sonderrechtfertigung ist aufgrund der Vielgestaltigkeit beruflicher Tätigkeit kaum zu formulieren. Darüber hinaus ergeben sich Unstimmigkeiten hinsichtlich der Strukturprinzipien einer Unrechtseinschränkung, die mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten einhergehen. Ein Abgleich des teilweise postulierten Unrechtsausschlusses mit den Rechtsfiguren der Sozialadäquanz bzw. des erlaubten Risikos lässt zusätzliche Zweifel an der Belastbarkeit eines solchen Erlaubnissatzes aufkommen. In den Beispielen 14 und 15 scheidet deswegen ein Rechtfertigungsgrund eigener Art aus. Soweit man für Strafbarkeitsbegrenzung eintritt, ist diese Lösung auf anderem Wege herbeizuführen. Ähnlich verhält es sich auch mit Einschränkungen der Strafbarkeit bei Tätigkeiten mit Bezug zur Rechtspflege. Für einen Ausgleich zwischen der Berufsfreiheit des Strafverteidigers bzw. dem Institut der Wahlverteidigung einerseits und der Schutzrichtung des § 261 Abs. 2 StGB andererseits bedarf es keines eigens kreierten Erlaubnissatzes zugunsten von S in Beispiel 16. Vielmehr zeigt schon die grundsätzlich eröffnete Rückgriffsmöglichkeit auf den rechtfertigenden Notstand, dass ein Erlaubnistatbestand eigener Art für berufsrollengemäßes Verhalten ausscheiden muss. Ebenso wenig kann es in Berufsfeldern, die der Risikoeindämmung dienen und mit Rechtsberatung bzw. -gestaltung im Zusammenhang stehen, systematisch zu einer Rechtfertigung im eigentlichen Sinne kommen. Der Annahme von sog. Sonderrechtfertigungsgründen, die das Ergebnis umfassender Straflosigkeit für bestimmte Tätigkeiten bezwecken, ist mit Zurückhaltung zu begegnen. Die allgemeine Rechtfertigungslehre setzt dem klare Schranken und zeichnet das richtige Ergebnis regelmäßig vor.
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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B. Verwaltungsakzessorietät, behördliche Erlaubnis und Rechtfertigung – insbesondere im Kapitalmarktstrafrecht In Veröffentlichungen zum Wirtschaftsstrafrecht werden die Auswirkungen einer behördlichen Erlaubnis für strafrechtlich relevantes Verhalten zumeist auf die Wertungsebene der Rechtswidrigkeit bezogen.112 Auf die Willensäußerung der Verwaltung kommt es insbesondere an, wenn die einschlägige Straf- oder Ahndungsvorschrift Handeln „ohne behördliche Erlaubnis“ bzw. „unter Verstoß gegen ein behördliches Verbot“ voraussetzt.113 Der Verwaltungsbehörde ist in diesen Fällen die Kompetenz zur Bewirtschaftung eines kollektiven Rechtsguts überantwortet.114 Unter dem Schlagwort der Verwaltungsakzessorietät115 hat der strafrechtlich richtige Umgang mit einer behördlichen Genehmigung vor allem im Kontext des Umweltstrafrechts einige Beachtung erfahren.116 Doch auch darüber hinaus erlangen Fragen der Wirkung und Reichweite einer nach öffentlichem Recht erteilten Erlaubnis vorwiegend Bedeutung, wenn ein Sachverhalt des wirtschaftsbezogenen Nebenstrafrechts zugrunde liegt.117 Damit geht die behördliche Erlaubnis in ihren rechtlichen Voraussetzungen und ihrer Bedeutung über die im Kernbereich des StGB diskutierten Rechtfertigungstatbestände hinaus. Während die Diskussion um die deliktssystematisch richtige Erfassung von behördlichen Genehmigungen vor gut 20 Jahren noch ein „Schattendasein“ geführt hat,118 wurde ihr seither große Aufmerksamkeit zuteil.119 Da die vorliegende Arbeit die Wertungsebene der Rechtswidrigkeit zum Gegenstand hat, können auch hier nicht alle Einzelprobleme dieser rechtlichen Struktur behandelt werden.120 Denn 112 Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 10 ff.; Niemeyer, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 17 Rn. 23; Tiedemann, AT, Rn. 201 ff. Zur Bedeutung im Kapitalmarktstrafrecht, siehe sogleich. 113 Vgl. Bohnert, in: Bohnert, OWiG, Vor § 15 Rn. 32. 114 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 273; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 61; Tiedemann, AT, Rn. 201. 115 Zu unterscheiden ist zwischen Verwaltungsaktsakzessorietät, d. h. die Bindung des Strafgerichts an die verwaltungsrechtliche Einzelentscheidung und Verwaltungsrechtsakzessorietät, also das Handeln wider Pflichten, die aufgrund eines Verwaltungsgesetzes bestehen; zum Ganzen nur Schmitz, in: MüKo, Vor § 324 Rn. 35 ff. 116 Statt Vieler S/S-Heine, Vor § 324 Rn. 13 f.; NK-Ransiek, Vor § 324 Rn. 44 ff., jeweils m.w.N. 117 Eine Rolle spielen behördliche Genehmigungen neben den §§ 324 ff. StGB etwa auch in: §§ 284 ff. StGB, 34 AWG, 19 ff. KWKG; 40 f. AMG; Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 541 halten die Verwaltungsakzessorietät darüber hinaus für einen charakteristischen Bestandteil des Arbeitsstrafrechts. 118 Winkelbauer, NStZ 1988, 201. 119 Zusammenfassend statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 273 ff. m.w.N. 120 Vgl. für einen Überblick über die Verwaltungsakzessorietät Schmitz, in: MüKo, Vor § 324 Rn. 32 ff.; zur Einschränkung auch Roxin, AT I, § 17 Rn. 58.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
zahlreiche Gesichtspunkte der strafrechtlichen Würdigung von behördlichen Genehmigungen sind derart komplex, dass sie bereits monografisch aufgearbeitet wurden.121 Weiter ist die behördliche Genehmigung insofern an die Merkmale eines bestimmten Tatbestands gebunden, als ihre Voraussetzungen je nach Struktur der anwendbaren Vorschrift unterschiedlich ausgestaltet sein können.122 Verallgemeinernde Rückschlüsse für die Rechtfertigungslehre insgesamt gestalten sich deshalb schwierig. Die folgenden Ausführungen sollen auf ausgewählte Fragestellungen aus dem „Kernbereich“ des Wirtschaftsstrafrechts123 beschränkt bleiben, in deren Rahmen das Thema der rechtfertigenden Wirkung einer behördlichen Erlaubnis bislang weniger im Vordergrund stand. Dies ist insbesondere für den Bereich des Kapitalmarktstrafrechts der Fall, wie an den folgenden Beispielen deutlich wird: Beispiel 17: G ist Geschäftsführer der wirtschaftlich sehr erfolgreichen Zulieferergesellschaft Z-GmbH, deren Gesellschaftsanteile sich im Besitz der Gründerfamilie befinden. Gemäß der Satzung der Z-GmbH ist „der Erwerb von Anteilen an Drittgesellschaften“ an eine qualifizierte Zustimmung in der Gesellschafterversammlung geknüpft. Die Z-GmbH ist derzeit mit 10 % an der von ihr belieferten B-AG beteiligt. Letztere ist an der Börse notiert und infolge zunehmender Konkurrenz aus Fernost hat die Marktkapitalisierung dieser Gesellschaft jüngst deutlich nachgegeben. Als G und seine Kollegen aufgrund strategischer Erwägungen beschließen, nun ein Übernahmeangebot für die B-AG abzugeben, erlässt die BaFin auf einen Antrag von G hin einen Befreiungsbescheid bzgl. der gesetzlich insofern eintretenden Veröffentlichungspflichten. Ist G im Hinblick auf das bußgeldbewehrte Unterlassen der Veröffentlichung (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG) gerechtfertigt? Beispiel 18: Die E-KG bietet als Emittentin von Finanzprodukten sog. „Wetter- bzw. Klimaderivate“ an. Bei Unterschreiten einer Mindestniederschlagsmenge pro Monat („Underlying“) wird den Anlegern eine vorher fest vereinbarte Rendite ausgeschüttet. Ist die Niederschlagsmenge höher als in dem Zertifikat festgesetzt, verliert der Anleger das eingesetzte Kapital. Ein vorzeitiger Ausstieg des Anlegers ist nach den Produktbedingungen wirksam ausgeschlossen. Machen sich die für den Vertrieb verantwortlichen Geschäftsleiter der E-KG124 strafbar, wenn sie für Landwirte zur Absicherung gegen Klimaschwankungen solche Wetterderivate an verschiedenen Börsen anbieten?
Einführend ist der Einfluss einer Verwaltungsentscheidung auf das Rechtswidrigkeitsurteil in seinen Grundzügen darzustellen. Diese Vorfrage ist von einiger Bedeutung für die sich anschließende Bearbeitung und darüber hinaus für die allgemeine Rechtfertigungslehre interessant [I.]. Anschließend soll dann die rechtfertigende Wirkung einer behördlichen Erlaubnis im Zusammenhang mit Kapital121
Für die Einordnung in den Deliktsaufbau Fortun, Behördliche Genehmigung; zum Umfang der Genehmigungswirkung Schröder, Personelle Reichweite; für bloß genehmigungsfähiges Verhalten Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten. 122 Statt Vieler Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 25 m.w.N. 123 Vgl. o.: 2. Teil A. 124 Vgl. zu Geschäftsführungskompetenzen in der KG § 164 HGB. Da diese Kompetenzverteilung jedoch abdingbar ist (siehe nur Grunewald, in: MüKo HGB, § 164 Rn. 22 ff.) und neben Komplementären auch Angestellte für den Vertrieb der Zertifikate verantwortlich sein können, wird im Folgenden der weite Begriff der Geschäftsleitung verwendet.
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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marktdelikten untersucht werden. Insofern geht es um die Prüfung einer möglichen Rechtfertigung für Genehmigungen im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten des WpÜG (Beispiel 17) sowie um einen Unrechtsausschluss für Emittenten ereignisbezogener Finanzprodukte, welche mit § 284 StGB in Konflikt geraten können (Beispiel 18) [II.]. Abschließend soll kurz das Verhältnis einer Rechtfertigung zur sog. behördlichen Duldung behandelt werden [III.].
I. Behördliche Genehmigung und Rechtswidrigkeit Zunächst ist die viel behandelte Frage125 der Einordnung einer behördlichen Genehmigung in den Verbrechensaufbau knapp zu umreißen, bevor konkrete Anwendungsfälle im Kapitalmarktstrafrecht in den Blick genommen werden können. Das Problemfeld betrifft jedoch keinen genuinen Problemkreis der Rechtfertigung.126 Die deliktssystematische Einordnung ist der Ausgestaltung einer „Rechtfertigungslösung“ vielmehr vorgelagert und soll zunächst deshalb nur in wesentlichen Schlüsselaspekten nachgezeichnet werden: 1. Grund für die rechtfertigende Wirkung: Mangelndes oder überwiegendes Interesse? Hinsichtlich der richtigen Eingliederung behördlicher Gestattungsakte in den dreistufigen Verbrechensaufbau ist heute weitestgehend anerkannt, dass eine Systematisierung nicht für alle von behördlichen Erlaubnissen abhängigen Delikte gleichermaßen erfolgen kann. Wie schon im Rahmen der Einwilligung entscheidet die Funktion der Genehmigung für das jeweiligen Delikt darüber, ob die behördliche Erlaubnis bereits den Tatbestand oder erst die Rechtswidrigkeit betrifft.127 Nach bereits geschilderten Grundsätzen kommt eine Rechtfertigung grundsätzlich in Betracht, wenn eine Unrechtseinschränkung „von außen her“ nötig wird, weil ein Pflichtenkonflikt des Täters vorliegt oder anderweitige Gesichtspunkte der Gesamtrechtsordnung dem Verbot des Strafgesetzes zuwiderlaufen.128 Die Einordnung bereitet zunächst dort keine Schwierigkeiten, wo die behördliche Willensäußerung dem Einverständnis bzw. der Einwilligung entspricht. Dies ist der Fall, wenn eine Behörde über ihr zugeordnete Individualrechtsgüter verfügt. Insofern schließt etwa die Genehmigung zur Ausgabe von Mitteln der öffentlichen Hand eine
125
Zum Streitstand ausführlich statt Aller LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 274 ff. Ebenso Roxin, AT I, § 17 Rn. 58. 127 BGH NStZ 1993, 594, 595 m. Anm. Puppe; S/S-Sternberg/Lieben, Vor § 32 Rn. 62; Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 884; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 18 f.; Fischer, Vor § 32 Rn. 5. 128 Vgl. zu diesem Verständnis von Rechtfertigung: 2. Teil B.II.1. 126
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Treupflichtverletzung des Pflichtigen i.S.v. § 266 StGB aus.129 Ob Vermögensinhaber eine Privatperson oder die öffentliche Hand ist, kann für das Einverständnis nicht maßgebend sein. Doch auch darüber hinaus wird auf die Abgrenzung von Einverständnis und Einwilligung rekurriert, wenn – wie vor allem bei Allgemeinrechtsgütern – der Unrechtsausschluss nicht aus der Rechtsgutsinhaberschaft der Verwaltung, sondern vielmehr aus deren Verwaltungskompetenz zur Kontrolle über ein Gemeinschaftsgut folgt.130 An diesem Ansatz überzeugt, dass die Rechtfertigung aufgrund einer behördlichen Erlaubnis dem Prinzip des mangelnden Interesses zugeordnet werden kann, soweit man dieses als Strukturprinzip anerkennt.131 – Denn das Interesse der Allgemeinheit am Schutz des Kollektivrechtsguts entfällt bei Vorliegen einer wirksamen Genehmigung. Schließlich gibt die Verwaltung gleichsam als „Stellvertreterin im Willen“ für die Allgemeinheit ähnlich der Situation in der Einwilligung eine Willenserklärung ab, die den Verzicht auf gesetzlichen Schutz erklärt.132 Außerdem ist die Behörde grundsätzlich bei Erteilung einer Genehmigung ebenso an die Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis gebunden wie ein Einwilligender.133 Dass die Behörde widerstreitende Interessen gegeneinander abzuwägen hat, führt nicht zum Abstellen auf ein überwiegendes Interesse. Denn die deliktssystematische Einordnung ist nicht aus ihrer Sicht, sondern anhand der Perspektive des tatbestandlich handelnden Täters vorzunehmen. Schließlich kann nach der Einteilung der Rechtfertigungstatbestände in überwiegendes und mangelndes Interesse eine Einwilligung auch bei „innerem Interessenskonflikt“ und damit verbundener Abwägung des Rechtsgutsträgers dem weichenden Interesse zugeordnet werden.134 Schon aus diesem Grund gehen Erwägungen fehl, die in einer behördlichen Genehmigung einen besonderen Anwendungsfall des rechtfertigenden Notstands erblicken wollen.135 Tatsächlich ist eine von der Behörde vorzunehmende Interessenabwägung bereits durch die gesetzliche Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen 129
Roxin, AT I, § 17 Rn. 59 a.E.; Winkelbauer, NStZ 1988, 201. So etwa NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 201; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 62; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 192. 131 Ebenso S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 28; Winkelbauer, NStZ 1988, 201, 204 („auf Prinzip des weichenden Interesses beruhend“); Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2434, 2441; Altenhain, in: FS Weber, S. 441, 447, 451; wohl auch Samson, JZ 1988, 800, 803 f.; a.A. Rudolphi, ZfW 1982, 197, 201. Siehe auch oben: 2. Teil B.I.3.b). 132 Zum Verhältnis von Verwaltungsakt und Willenserklärung anschaulich Stelkens, in: S/B/ S, VwVfG, § 35 Rn. 69 ff. 133 OLG Celle NStZ 1993, 291, 292; Kühl, AT, § 9 Rn. 134; Rudolphi, in: FS Lackner, S. 863, 881 f.; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 205; ausführlich Heine, NJW 1990, 2425, 2432; Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 110 ff. 134 Vgl. zum Verhältnis zwischen Erforderlichkeitsprinzip und Einwilligung oben: 2. Teil B.I.3.a); Rönnau, Willensmängel, S. 145 ff. Für eine Parallelität zur Einwilligung auch Tiedemann, AT, Rn. 201; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 12. 135 In diese Richtung Jescheck/Weigend, AT, § 33 VI 3; Roxin, AT I, § 17 Rn. 65; Winkelbauer, NStZ 1988, 201, 204 („beruht auf Notstandsprinzipien“, insofern freilich widersprüchlich zur eigenen Annahme eines weichenden Interesses); Rudolphi, ZfW 1982, 197, 201; Thiel, Konkurrenz, S. 109 ff., 244 ff. 130
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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Genehmigungstatbestands vorgezeichnet. Ähnlich wie in Ansehung des erlaubten Risikos136 spielen gesamtgesellschaftliche Erwägungen hier eine bedeutsame Rolle für die Entscheidung der Behörde. Denn gerade auch am telos der Ermächtigungsgrundlage hat sich verwaltungsrechtlich die Ausübung des Ermessens zu orientieren.137 Allein der letzte Schritt der Konkretisierung hin auf den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt in seiner konkreten Ausgestaltung fällt in den Aufgabenbereich der Verwaltung. Die Abwägung des § 34 StGB zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass die Rechtsordnung aufgrund der Spannungen und Konflikte des alltäglichen Lebens im Einzelfall Eingriffe in Rechtsgüter zulassen muss, die ex ante in einem abstrakten Sinne nicht vorhersehbar waren.138 Eine von der gesamtgesellschaftlichen Abwägung vorgeprägte Entscheidung findet hier gerade nicht statt. Man kann die behördliche Genehmigung also dem Prinzip des mangelnden Interesses zuordnen und Notstandsgesichtspunkte scheiden für eine Abgrenzung zwischen tatbestandlicher und rechtfertigend wirkender Genehmigung aus. 2. Kriterien zur Abgrenzung zwischen Tatbestandsund Unrechtsausschluss In einem nächsten Schritt sollen nun Gesichtspunkte zur richtigen Einordnung in den Deliktsaufbau herausgearbeitet werden. Zur Abgrenzung von Tatbestandsausschluss und Rechtfertigung lassen sich die auf Basis der h.M. zur Einwilligung formulierten Grundsätze auch hier fruchtbar machen:139 Der Maßstab hat sich dann danach zu richten, ob sich der Unrechtscharakter erst aus dem Handeln wider den Willen der Behörde ergibt oder aber ob das im Tatbestand vertypte Unrecht bereits unabhängig davon strafwürdig ist.140 Die heute ganz überwiegende Auffassung hat dieses Kriterium für Genehmigungen dahingehend präzisiert, dass gemäß den Kategorien des Verwaltungsrechts141 bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (sog. Kontrollerlaubnis) die Tatbestandsmäßigkeit entfallen, bei einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt dagegen ein Rechtfertigungsgrund vorliegen soll.142 Dies überzeugt vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Funktion 136
Zum erlaubten Risiko siehe oben: 2. Teil B.I.5.b). Zur Berücksichtigung des Zwecks des Genehmigungstatbestandes in der Ermessensausübung, vgl. Sachs, in: S/B/S, VwVfG, § 40 Rn. 62 ff. 138 Vgl. Lenckner, Notstand, S. 48. 139 Zur Abgrenzung von Einverständnis und Einwilligung, s. o.: 3. Teil C.II.1.a). 140 Siehe dazu auch Heghmanns, Schutz von Verwaltungsrecht, S. 138 f., der auf Binding und Arm. Kaufmann rekurrierend zur Faustformel kommt, dass Normwidrigkeit die Tatbestandsmäßigkeit und Pflichtwidrigkeit das Rechtmäßigkeitsurteil präge. Darüber hinaus wird zum Zwecke der Abgrenzung immer wieder die Kategorie der Sozialadäquanz bemüht: Kühl, AT, § 9 Rn. 122; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 342 f.; Rengier, ZStW 101 (1989), 874 f. 141 Dazu statt Vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 51 ff., 55. 142 BGH NJW 1994, 61, 62; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 274; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 201; Roxin, AT I, § 17 Rn. 59 ff.; Tiedemann, AT, Rn. 206; Baumann/Weber/Mitsch, AT, 137
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
von Tatbestand (abstrakte Verbotsnorm) und Unrechtsurteil (Prädikat hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit).143 Diese Abgrenzung lässt im Gegensatz zu generalisierenden Einordnungen, die nicht nach dem Kontext des konkret betroffenen Tatbestands differenzieren,144 Spielraum für eine dem Unrechtsgehalt entsprechende Integration in den Verbrechensaufbau. Auf Grundlage dieser Abgrenzung können dann auch rechtfertigend wirkende Genehmigungen in die Systematik eingepasst werden, die zwar materiell rechtswidrig, verwaltungsrechtlich gleichwohl wirksam sind. Ein Problem ergibt sich in Ansehung von „nur“ rechtswidrigen Verwaltungsakten, die weder nichtig (§§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG) noch gar nicht erst bekanntgegeben worden sind (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Infolge der vereinzelten Einführung von nicht verallgemeinerungsfähigen145 Rechtsmissbrauchsklauseln (vgl. etwa §§ 34 Abs. 8 AWG, 330d Nr. 5 StGB) für tatbestandsausschließende Genehmigungen ist anerkannt, dass der Wortsinn als äußerste Auslegungsgrenze (Art. 103 Abs. 2 GG) überschritten würde, wenn man verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen nicht zugunsten des Täters berücksichtigen wollte.146 Materiell rechtswidrige Genehmigungen schließen demnach den Tatbestand auch dann aus, wenn sie rechtsmissbräuchlich erwirkt worden sind.147 Auf Ebene der Rechtswidrigkeit kann nichts Abweichendes gelten: Da auch bei einer Einordnung der Genehmigung als Rechtfertigungsgrund das Verbot der teleologischen Reduktion zu beachten ist, muss auch für die rechtfertigend wirkende Genehmigung allein die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit ausschlaggebend sein.148 Auf Rechtswidrigkeitsebene kann nicht losgelöst von der vorherrschenden Beurteilung für die tatbestandsausschließende Genehmigung ein Durchgriff auf die materielle Rechtslage zugelassen werden. Wer z. B. bei Verletzung eines repressiven Verbots (dann: Rechtfertigung) bei missbräuchlich erlangter § 17 Rn. 126; Dölling, JZ 1985, 461; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 160; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 13; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 15. 143 Zum Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit s. o.: 2. Teil B.II.1. 144 Etwa SK-Samson, 5. Aufl., Vor § 32 Rn. 150; Schlehofer, in: MüKo, Vor § 32 Rn. 193 ff. begreifen als Anhänger der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen die Problematik ausschließlich als Teil des Tatbestands; i.E. auch Heghmanns, Schutz von Verwaltungsrecht, S. 219. Nach Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 184 ff. soll die behördliche Genehmigung ausschließlich auf der Wertungsebene der Rechtswidrigkeit bedeutsam werden. 145 So die h.M.: BGHSt 50, 105, 112 ff.; S/S-Heine, Vor § 324 Rn. 17 m.w.N. 146 BGHSt 50, 105, 112 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 141; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 63a; Kühl, AT, § 9 Rn. 130 jeweils m.w.N. 147 Im Einzelnen str., Übersicht bei Roxin, AT I, § 17 Rn. 63; vgl. ferner zusammenfassend Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 14; Tiedemann, AT, Rn. 206 m.w.N.; a.A. noch BGHSt 39, 381, 387. 148 Str., wie hier S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 63b; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 204; Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 888 ff. LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 286 weist zudem darauf hin, dass insbesondere das rechtsmissbräuchliche Vorfeldverhalten des Genehmigungsempfängers über strafrechtliche Beteiligungsvorschriften zur Schließung von Strafbarkeitslücken erfasst werden kann. Abweichend noch BGHSt 39, 381, 387; Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 17 Rn. 130.
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Genehmigung zur Strafbarkeit des Adressaten gelangte, behandelte behördliche Genehmigungsfälle im Strafrecht ohne erkennbaren Anlass149 widersprüchlich. Die zum Teil, d. h. für manche Straftatbestände, lebhaft umstrittene150 deliktssystematische Einordnung einer behördlichen Willensäußerung kann dem Täter nicht zum Nachteil gereichen. Es bleibt festzuhalten, dass die Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Unrechtsausschluss anhand des verwaltungsrechtlichen Charakters des Genehmigungstatbestandes vorgenommen wird und auch bei rechtfertigend wirkenden Erlaubnissen allein die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit maßgeblich ist.
II. Die rechtfertigende Genehmigung im Kapitalmarktstrafrecht Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr Verwaltungsentscheidungen in ausgewählten Kontexten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts mit Bezug zum Kapitalmarkt untersucht werden, denen bislang weitaus weniger wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwurde als Erklärungen der Behörde im Rahmen der §§ 324 ff. StGB. Auch über das Umweltstrafrecht hinaus stellen sich Fragen zu Rechtfertigung und Verwaltungsakzessorietät in verschiedenen Bereichen des wirtschaftsbezogenen Nebenstrafrechts.151 Zunächst ist der Charakter von behördlichen Erklärungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Zusammenhang mit Wertpapiererwerbsvorgängen und Übernahmen noch nicht für alle Ahndungstatbestände abschließend geklärt. Deswegen soll für Fälle wie Beispiel 17 geprüft werden, ob und unter welchen Umständen eine Rechtfertigung anzunehmen ist, wenn ein Verstoß geahndet wird [1.]. Dem Bereich des Kapitalmarktstrafrechts zuzuordnen ist auch der Vertrieb ereignisbezogener Finanzprodukte, deren zufallsbedingte Komponente eine Genehmigung wegen strafbewehrten Glückspiels erforderlich machen kann. Um die Rechtfertigung von E in Beispiel 18 geht es unter 2. Abgerundet wird die Untersuchung zu behördlichen Genehmigungen durch einige kurze Anmerkungen zur deliktssystematischen Erfassung von verschiedenen verwaltungsrechtlichen Erlaubnissen in ausgewählten Wirtschaftsdelikten [3.].
149 Jedenfalls vermögen allein normative Erwägungen weder den Widerspruch zwischen tatbestandlich und rechtfertigend wirkenden Genehmigungen noch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG zu begründen. 150 Siehe zu § 284 StGB sogleich unten. 151 Vgl. etwa Heinrich, in: MüKo, § 22a KWKG Rn. 27 f.; Wagner, in: MüKo, Vor § 34 AWG Rn. 39 f.; knapp Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 10; für das Ahndungsrecht Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 17 ff. m.w.N.
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1. Rechtfertigende Wirkung von Genehmigungen und Ordnungswidrigkeiten im WpÜG Das WpÜG152 kennt eine ganze Reihe von Genehmigungen, mithilfe derer die BaFin Bieter (§ 2 Abs. 4 WpÜG) von gesetzlichen Vorgaben befreien kann. Bieter ist etwa die Z-GmbH in Beispiel 17, die durch ein Übernahmeangebot die Kontrolle (§ 29 Abs. 2 WpÜG) an der von ihr belieferten B-AG zu erlangen beabsichtigt. Für die vorliegende Bearbeitung sind diese Möglichkeiten der Gestattung von Erwerbsvorgängen von Belang, weil ein Handeln ohne behördliche Erlaubnis in vielen Fällen bußgeldbewehrt ist, § 60 WpÜG. Wie gesehen, hängt die deliktssystematische Einordnung der jeweiligen Genehmigung von der Rechtsnatur der Verwaltungsentscheidung ab. Dabei ist für jeden Genehmigungstatbestand gesondert vorzugehen und zu bestimmen, wie sich die Unterscheidung für behördliche Erlaubnisse auf die Deliktssystematik auswirkt. Obgleich ihnen mit fortschreitender Vollzugspraxis des noch immer vergleichsweise jungen Gesetzes in der Praxis einige Bedeutung zukommen dürfte,153 steht die richtige Erfassung von Erklärungen der BaFin für das Ordnungswidrigkeitenrecht in den einzelnen Delikten noch am Anfang. Zunächst kann die BaFin nach § 10 Abs. 1 S. 3 WpÜG die Pflicht eines Bieters, der eine juristische Person ist, zur unverzüglichen Veröffentlichung seiner Entscheidung über die Abgabe eines Angebots (§ 2 Abs. 1 WpÜG) bis zum Beschluss von dessen Gesellschafterversammlung suspendieren. So liegen die Dinge in Beispiel 17. Es soll hier davon ausgegangen werden, dass G als Geschäftsführer der Z-GmbH nach der Beschlussfassung grundsätzlich eine Pflicht zur Veröffentlichung trifft,154 obgleich ein der Satzung nach notwendiger Gesellschafterbeschluss noch nicht vorliegt, § 10 Abs. 1 S. 2 WpÜG. Nach §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 a), 10 Abs. 1 S. 1 WpÜG ist das Unterlassen einer rechtzeitigen Veröffentlichung der Entscheidung bußgeldbewehrt. Sowohl für G als auch zulasten der Z-GmbH (§ 30 OWiG)155 kommt nach Einreichen des Antrags ein Vorwurf der Ahndbarkeit im Betracht. In der Situation von Beispiel 17 stehen sich die Belange der Z-GmbH als Bieterin an einer gesellschaftsrechtlich gesicherten Entscheidungsgrundlage und das Interesse des Kapitalmarkts an möglichst frühzeitiger Information über marktrelevante Tatsachen gegenüber.156 Bereits die zugunsten der Z-GmbH eröffnete Möglichkeit, die Wirksamkeit des Angebots entgegen den allgemeinen Vorgaben (vgl. § 18 WpÜG) auf152
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3822. Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 88. 154 Zum Einsetzen der Veröffentlichungspflicht nur Wackerbarth, in: MüKo AktG, § 10 WpÜG Rn. 20, 24 ff.; zur Bedeutung eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats Noack/ Holzborn, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 10 WpÜG Rn. 7. Wenn man in Beispiel 17 davon ausginge, dass es an „einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots“ fehlte, stellte sich die hier vorrangig interessierende Problematik um die Wirkung einer Genehmigung nach § 10 Abs. 1 S. 3 WpÜG im Ahndungsrecht freilich nicht. 155 Vgl. zur Bedeutung von § 30 OWiG in diesem Zusammenhang nur Tschauner, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 60 Rn. 75 ff. 156 Vgl. Geibel, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 10 Rn. 35. 153
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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schiebend auf den Zeitpunkt eines wirksamen Gesellschafterbeschlusses bedingen zu können (§ 25 WpÜG), spricht für eine nur ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung.157 Vor allem geht auch die Gesetzesbegründung davon aus, die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bereits vor Zustimmung der Gesellschafterversammlung stelle den Regelfall dar, wobei die Sorge um Marktverzerrungen im Vorfeld eines öffentlichen Angebots spürbar wird.158 Weiter lässt auch der Umstand, dass vorab informierte Gesellschafter der Z-GmbH nach §§ 14 Abs. 1, 38 Abs. 1 WpHG strafrechtlich besonders geschütztes Wissen erwerben,159 den Schluss zu, dass dieser Zustand nicht lediglich im Sinne eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt der gesetzlich intendierte sein soll. Der Z-GmbH bzw. ihren Gesellschaftern werden in Beispiel 17 durch diese Regelungen besondere Vorgaben auferlegt, welche unterstreichen, dass es sich bei einer Befreiung von der Veröffentlichungspflicht in § 10 Abs. 1 S. 3 WpÜG nicht um eine bloße Kontrollentscheidung der BaFin handelt. Aufgrund des Ausnahmecharakters liegt deshalb ein repressives Verbot vor und einer Genehmigung der BaFin muss für den Bußgeldtatbestand rechtfertigende Wirkung zukommen.160 G ist in Beispiel 17 deswegen aufgrund der Befreiung durch die BaFin im Hinblick auf die Ordnungswidrigkeit nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG gerechtfertigt, wenn er die Veröffentlichung des Beschlusses der Geschäftsführung der Z-GmbH unterlässt. Bereits den Tatbestand schließt dagegen die Gestattung der BaFin nach § 10 Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2 WpÜG aus, welche für ausländische Bieter ein zeitliches Zusammenfallen von einer Veröffentlichung an den Heimatbörsen des Bieters und gleichzeitig im Inland zulässt. Diese Genehmigungsmöglichkeit ist in erster Linie eingeführt worden, um ausländischen Bietern Gelegenheit zu geben, sich an dem Verfahren ihrer Heimatbörse zu orientieren, ohne in Deutschland Vorab-Veröffentlichungspflichten zu unterliegen.161 Für ausländische Bieter sollte damit eine Pflichtenkollision aufgrund unterschiedlicher Vorgaben der heimischen Rechtsordnung vermieden werden.162 Für diesen besonderen Bieterkreis stellt die auf Praktikabilitätserwägungen zurückzuführende Genehmigung deswegen eine bloße Kontrollerlaubnis dar. In Ansehung der bußgeldbewehrten Nichtveröffentlichung wird durch eine entsprechende Gestattung der BaFin deswegen bereits der Tatbestand ausgeschlossen.
157
Vgl. dazu auch Wackerbarth, in: MüKo AktG, § 10 WpÜG Rn. 49. Reg.-Begr., BT-Drucks. 14/7034, S. 39; vgl. auch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 726 f. 159 Vgl. Rönnau, in: FK-WpÜG, § 60 Rn. 10; Assman, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 10 Rn. 37; Wackerbarth, in: MüKo AktG, § 10 WpÜG Rn. 37. 160 Wie hier Altenhain, in: KK WpÜG, § 60 Rn. 47; Rönnau, in: FK-WpÜG, § 60 Rn. 10; wohl eher für Tatbestandsausschluss Achenbach, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 60 Rn. 17. 161 Vgl. Reg.-Begr., BT-Drucks. 14/7034, S. 40; Thoma/Stöcker, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 10 Rn. 115 f. 162 Geibel, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 10 Rn. 65. 158
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Besonders schwierig gestaltet sich die Einordnung von § 20 Abs. 1 WpÜG. Danach lässt die BaFin in gebundener Entscheidung163 auf einen Antrag des Bieters hin zu, dass von ihm gehaltene Wertpapiere an einer Zielgesellschaft für die Berechnung von Schwellenwerten unberücksichtigt bleiben, soweit diese nur zu Spekulationszwecken, nicht aber mit dem Ziel unternehmerischer Beteiligung gehalten werden.164 Eine solche Situation läge vor, wenn man Beispiel 17 dahingehend abändern würde, dass die Geschäftsführung der Z-GmbH sich zu einem Erwerb von Anteilen an der B-AG nur entschließt, weil sie aufgrund anziehender Nachfrage für deren Produkte den Aktienpreis der B-AG für unterbewertet hält. Wenn die Z-GmbH eine solche Beteiligung zeitnah wieder abzustoßen gedenkt, kommt eine Befreiung nach § 20 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 WpÜG in Betracht. Relevant wird diese Befreiung durch die BaFin etwa, wenn die Z-GmbH „zufällig“ die 30 %-Schwelle nach § 29 Abs. 2 WpÜG überschreitet und deshalb nach § 35 Abs. 2 WpÜG zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet wäre, obwohl sie unternehmerischen Einfluss auf die B-AG nicht ausüben will.165 Für die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten innerhalb des WpÜG kann dieser Gestattung der Gesetzessystematik nach verschiedentlich Bedeutung zukommen. Insbesondere aber im Rahmen der bußgeldbewehrten Unterlassung der bereits erwähnten Veröffentlichung einer Kontrollerlangung nach §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 a), 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 WpÜG könnte sie entscheidend sein.166 Denn unabhängig von der konkreten Intention des G bzw. seiner Kollegen steht in Beispiel 17 auch bei einem Halten der Aktien zu Spekulationszwecken Bußbarkeit im Raum, wenn ohne eine entsprechende Befreiung die Kontrolle erlangt wird und es an der Abgabe eines Angebots fehlt. Zwar handelt es sich bei der Gestattung nach § 20 Abs. 1 WpÜG auf den ersten Blick um eine bloße Ordnungsvorschrift, welche die Zurechnung von Wertpapieren betrifft. Doch ließe eine solche Würdigung die tatsächlichen Auswirkungen einer Entscheidung der BaFin außer Acht. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Befreiung nach § 20 WpÜG sich als Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung darstellt, der die Position der Minderheitsaktionäre infolge eines unterbliebenen Angebots zu verschlechtern geeignet ist.167 Darüber hinaus wird auch hier bei einer Befreiung durch die BaFin das Informationsinteresse des Kapitalmarkts insgesamt beeinträchtigt. Deshalb sprechen die besseren Gründe dafür, einer die Zurechnung von Anteilen betreffenden Entscheidung der BaFin nach § 20 WpÜG rechtfertigende Wirkung beizumessen, wenn sie innerhalb eines Bußgeldtatbestands relevant wird. 163 Allg. Ansicht: Reg.-Begr., BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Wackerbarth, in: MüKo AktG, § 20 WpÜG Rn. 27; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949. 164 Anschaulich Seiler, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 20 Rn. 29 f. („Zölibatserklärung“); Hirte, in: KK WpÜG, § 20 Rn. 77 f. 165 Zum Ganzen und zur Regelung kritisch Wackerbarth, in: MüKo AktG, § 20 WpÜG Rn. 6 f. 166 Süßmann, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 20 Rn. 1. 167 I.E. str., vgl. OLG Frankfurt NZG 2012, 302, 304 f.; Wagner, NZG 2003, 718 f.; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72 ff.
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Erst recht müssen diese Erwägungen zur grundsätzlichen Unzulässigkeit der Nichtveröffentlichung für eine Befreiung der BaFin gemäß §§ 37 WpÜG, 9 WpÜGAngebotsVO gelten. Denn hier soll vom Regelfall der Veröffentlichung des Pflichtangebots nur bei atypischer Lage abgewichen werden – etwa wenn die Schwelle von „nur“ 30 % der Stimmrechte (§§ 29 Abs. 2, 35 Abs. 1, 2 WpÜG) für eine Pflicht zur Veröffentlichung im Einzelfall zulasten eines Bieters eine unbillige Härte darstellen würde. Dies kann der Fall sein, wenn ihm z. B. besonders viele Stimmrechte zugerechnet werden168 oder ein sog. passiver Kontrollerwerb infolge von Erbschaft vorliegt.169 Die Bestimmung ist als „Korrektiv“ zur Gewährleistung der Einzelfallgerechtigkeit170 ein repressives Verbot, dessen Dispens erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit wirken kann.171 Nach alledem finden sich im Geltungsbereich des WpÜG aufgrund der Empfindlichkeit des Marktes in Übernahmesituationen vergleichsweise häufig repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt. Regelmäßig kommt es für die Ahndungsvorschrift des § 60 WpÜG deswegen zu einer Wirkung behördlicher Genehmigungen erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit. 2. Rechtfertigende Genehmigung für ereignisbezogene Finanzprodukte? Ebenfalls in den Kontext behördlicher Genehmigungen im Wirtschaftsstrafrecht gehört die für die Gestaltungsfreiheit von Emittenten strukturierter Finanzprodukte dringliche Frage, inwieweit ereignisbezogene Derivate, Optionsscheine oder Zertifikate mit dem Straftatbestand § 284 StGB in Konflikt geraten können.172 In der Beschäftigung mit der Finanzmarktkrise wurde immer wieder der Spiel- bzw. Wettcharakter verschiedener Wertpapierkategorien hervorgehoben.173 Für Beispiel 18 soll deshalb geprüft werden, inwieweit zugunsten der Geschäftsleitung in der E-KG eine Rechtfertigung in Betracht kommt. Der Glücksspieltatbestand verweist insofern auf die „behördliche Erlaubnis“, sodass dieser Umstand einen Ausgangspunkt für die sich anschließenden Überlegungen zum Unrechtsausschluss bietet. Im Einzelnen soll zunächst skizziert werden, wie ereignisbezogene Warentermingeschäfte und vergleichbare Börsentransaktionen sich zu § 284 StGB verhalten. In einem zweiten Schritt ist dann aufzuarbeiten, ob und wie eine Rechtfertigungslösung für Fälle wie denjenigen in Beispiel 18 ausgestaltet werden kann.
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Veerstegen, in: KK WpÜG, § 37 Rn. 2. Vgl. § 9 S. 1 Nr. 1 WpÜG-AngebotsVO. 170 Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 37 Rn. 5. 171 Eingehend auch Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 88. 172 Zur Unsicherheit im Umgang von Banken und Anlegern in diesem Zusammenhang, vgl. Hofmann/Mosbacher, NStZ 2006, 249; Kessler/Heda, WM 2004, 1812, 1814 ff. 173 Jüngst Salewski, BKR 2012, 100 ff.; Roberts, DStR 2010, 1082 ff. m.w.N.; vgl. zu Credit Default Swaps auch Strate, HRRS 2012, 416 f. 169
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a) Finanzinstrumente und die Auslegung von § 284 StGB Das Strafrecht tut sich schwer damit, Börsengeschäfte mit derivativen Finanzinstrumenten wie Optionsscheinen, Swaps oder Futures in stark volatilen Märkten von der Strafandrohung des Glückspieltatbestandes auszunehmen.174 Die Frage hat schon infolge von Emissionen diverser Zertifikate mit einer Sportkomponente für einige Aufmerksamkeit in der Literatur gesorgt,175 kann in ihrer Tragweite jedoch weit darüber hinausgehen. Das OLG Stuttgart hat etwa für eine Art ZinstauschVertrag („ladder swap“) den Glückspielcharakter bejaht.176 Vergleichbare Problemansätze stellen sich im Grundsatz hinsichtlich jeder ereignisbezogenen Komponente, die in einem strukturierten Finanzprodukt eine tragende Rolle spielt.177 Als strafrechtsdogmatische Anknüpfung für einen Ausschluss von börsengehandelten Produkten aus der Strafandrohung durch § 284 StGB wird zumeist der Begriff des Glückspiels gewählt, der auf unterschiedlichen Wegen reduziert werden soll.178 Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1979179 hat für eine sog. Doppeloption auf Warenterminkontrakte den für das Glückspiel erforderlichen Zufallscharakter (vgl. auch § 33d GewO)180 zugunsten eines Geschicklichkeitsspiels verneint. Das Gericht führt aus, die Mitspieler hätten den Gewinnausgang während der Rahmenlaufzeit aufgrund eigener Beurteilung selbst beeinflussen können.181 Diese Argumentation wird zunächst nicht dem allgemeinen Maßstab gerecht, wonach ein Glückspiel bereits vorliegt, wenn der Zufallscharakter überwiegt.182 Darüber hinaus unterfallen ihr solche Wertpapiere nicht, die wie das von der E-KG in Beispiel 18 emittierte Wetterzertifikat während ihrer Laufzeit eine Entscheidung des Anlegers nicht mehr zulassen. Für zahlreiche Finanzprodukte steht deswegen 174 LG Bochum NStZ-RR 2002, 170, 171, wo der „Mitspieler einer Sportwette“ mit einem Aktionär gleichgesetzt wird; Salewski, BKR 2012, 100, 104 („ein gewisser aleatorischer Charakter ist den Kapitalmärkten immanent“); NK-Wohlers/Gaede, § 284 Rn. 14 („im Hinblick auf Spekulationen mit witterungsabhängigen Rohstoffpreisen besteht Begründungsbedarf“); LK12-Krehl, § 284 Rn. 6; anschaulich auch Heine, in: FS Amelung, S. 413, 421: „Die ansonsten bei § 284 StGB ins Spiel gebrachten Schutzzwecke unterscheiden sich in keiner Weise von Sportzertifikaten“. 175 Kessler/Heda, WM 2004, 1812, 1818 f.; Hofmann/Mosbacher, NStZ 2006, 249, 251 f.; S/S-Heine, § 284 Rn. 8a; ders., in: FS Amelung, S. 413, 416 ff.; Beckemper, in: Beck OK, § 284 Rn. 16; Groeschke/Hohmann, in: MüKo, § 284 Rn. 11 m.w.N. 176 OLG Stuttgart WM 2010, 756, 759 f.; WM 2010, 2169 ff.; vgl. ferner OLG Stuttgart WM 2012, 1829 ff. 177 Zum Ganzen Mülbert/Böhmer, WM 2004, 937, 938. 178 NK-Wohlers/Gaede, § 284 Rn. 14; LK12-Krehl, § 284 Rn. 6; S/S-Heine, § 284 Rn. 8a m.w.N. 179 BGHSt 29, 152, 157. 180 Dazu statt Vieler Fischer, § 284 Rn. 4. 181 BGHSt 29, 152, 157. 182 BGHSt 2, 274 ff. („hauptsächlich vom Zufall abhängt“); Lackner/Kühl, § 284 Rn. 2; SK-Hoyer, § 284 Rn. 18 f.
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weder die sichere Expertise eines Anlegers noch dessen Prognoseentscheidung, sondern vielmehr der Zufallscharakter im Vordergrund.183 Richtigerweise wird man auch einen grundsätzlichen Ausschluss von Börsengeschäften aus dem Tatbestand kaum annehmen können, weil dies eine ungerechtfertigte Privilegierung nach der Art des Geschäftsschlusses darstellte.184 Dabei ist eine teleologische Reduktion des Tatbestandes185 vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Strafbarkeit von Glückspiel auch gar nicht angezeigt. Schließlich können Börsenspekulationen, bei denen hohe Gewinne locken, erhebliche Suchtrisiken bergen.186 Insbesondere das Auftreten am Kapitalmarkt bürgt als solches noch nicht für eine staatliche Kontrolle, wie sie von der Verbotsnorm des § 284 StGB vorausgesetzt wird. Wie problematisch es ist, Wertpapiergeschäfte aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herauszuhalten, wird auch an der für die Tatbestandseinschränkung verwendeten Kategorie des „berechtigten oder ernsthaften wirtschaftlichen Interesses“ deutlich.187 Ein nachvollziehbares wirtschaftliches Interesse kann nämlich ganz unterschiedliche Formen annehmen. Aus den USA etwa ist die Geschichte überliefert, dass Frederick Smith, Gründer und CEO des Paketdienstleisters FedEx, mangels ausreichender Liquidität sich beinahe gezwungen sah, den Geschäftsbetrieb des Unternehmens einzustellen. Mit den noch verbleibenden Mitteln soll er nach Las Vegas geflogen sein, um mit dem dort beim „Black Jack“ erspielten Gewinn den Liquiditätsengpass weniger Tage erfolgreich zu überwinden.188 Ein „berechtigtes wirtschaftliches Interesse“ wird man hier ebenso wenig in Abrede stellen können wie den Charakter von Black Jack als Glückspiel. Kann demnach ein ereignisbezogenes Finanzgeschäft nicht ohne weiteres aus dem Glückspielbegriff des § 284 StGB ausgeklammert werden,189 bleibt zu prüfen, welchen Beitrag eine „behördliche Erlaubnis“ für die strafrechtliche Behandlung einschlägiger Finanzprodukte zu leisten vermag.
183 Salewski, BKR 2012, 100, 103; Mülbert/Böhmer, WM 2004, 937, 945; 985, 991 m.w.N.; vgl. auch Heine, in: FS Amelung, S. 413, 417. 184 Wie hier VGH Kassel NVwZ 2005, 99, 102; Mülbert/Böhmer, WM 2004, 985, 989. 185 In diese Richtung AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254, 255; Horn, NJW 2004, 2047, 2048; S/S-Heine, § 284 Rn. 8a; ders., in: FS Amelung, S. 413, 420 ff. (von den Vorgaben des Europarechts geprägt); Hofmann/Mosbacher, NStZ 2006, 249, 251 f. Dagegen haben Mülbert/ Böhmer, WM 2004, 985, 989 gezeigt, dass selbst wenn man eine einschränkende Auslegung im Sinne der unklaren Kategorie eines „wirtschaftlich berechtigten Interesses“ befürwortete, dies der Strafbarkeit eines Emittenten in Fällen wie dem in Beispiel 18 nicht entgegenstehen muss. 186 Vgl. dazu von Hippel, ZRP 2001, 558, 561 m.w.N. Vor dem Hintergrund zwischengeschalteter Wertpapier-Dienstleistungsunternehmen abweichend Heine, in: FS Amelung, S. 413, 421 f. 187 LK12-Krehl, § 284 Rn. 6; NK-Wohlers/Gaede, § 284 Rn. 14; Groeschke/Hohmann, in: MüKo, § 284 Rn. 9 jeweils m.w.N.; ferner Sprau, in: Palandt, BGB, § 762 Rn. 4; Salewski, BKR 2012, 100, 104. 188 Vgl. http://www.huffingtonpost.com/2012/10/15/fred-smith-blackjack-fedex_n_196683 7.html. Zuletzt eingesehen am 21. 04. 2012. 189 Vgl. auch OLG Stuttgart WM 2010, 2169 ff.; Hofmann/Mosbacher, NStZ 2006, 249, 251; Servatius, WM 2004, 1804, 1806; Heine, in: FS Amelung, S. 413, 419 („sämtliche Un-
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
b) Rechtfertigende Wirkung einer behördlichen Erlaubnis? Zunächst ist umstritten, wie eine behördliche Genehmigung im Rahmen von § 284 StGB zu behandeln ist. Die heute wohl überwiegende Ansicht im strafrechtlichen Schrifttum geht davon aus, die verwaltungsrechtliche Erlaubnis sei als negatives Tatbestandsmerkmal aufzufassen.190 Dies überzeugt nicht. Denn die Wirkung einer behördlichen Genehmigung im Rahmen des Tatbestands findet ihren Grund jedenfalls nicht darin, dass der Gesetzgeber mit einem ausdrücklichen Verweis auf die behördliche Erlaubnis (§ 284 StGB: „ohne behördliche Erlaubnis“) immer auch zugleich eine Zuordnung zum gesetzlichen Tatbestand vornehmen wollte.191 Nicht zuletzt deswegen verwundert diese regelmäßig apodiktisch vorgenommene Einordnung in die Deliktssystematik. Zunächst widerspricht sie den durch die Rechtsprechung des BVerfG vorgegebenen Kategorien, wonach das Glückspielverbot als Repressivverbot eingestuft wird.192 Diese genannte Rechtsprechung entspricht weiter der vorherrschenden Systematisierung einer ordnungsrechtlichen Genehmigung von Glückspiel im Verwaltungsrecht.193 Denn auch danach ist die Genehmigung der Veranstaltung oder Vermittlung von Glückspiel als repressives Verbot mit Dispensvorbehalt zu begreifen und müsste konsequenterweise strafrechtlich als Rechtfertigungsgrund gedeutet werden.194 Zwar mögen die Vorgaben des Europarechts künftig dazu führen, dass diese dogmatische Einordnung nach nationalem Recht nicht mehr haltbar erscheint.195 Eindeutige Vorgaben in diese Richtung bestehen jedoch bislang nicht.196 Nach der nationalen Systematik streiten im Gegenteil die Pönalisierung einer Zuwiderhandlung ebenso wie die vom Glückspiel ausgehenden Suchtrisiken dafür, dass der Gesetzgeber nur im Ausnahmefall seine Bedenken gegen die Gefahren des Glückspiels zurückstellen wollte. Man wird der behördlichen Erlaubnis i.S.v. § 284 StGB de lege lata in Übereinstimmung mit einer Minderheitenmeinung daher rechtfertigende Wirkung beimessen müssen. Für Beiterscheidungskriterien aus Sicht des Strafrechts greifen entweder zu pauschal oder zu kurz“); vgl. ferner Reg.-Begr., 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 96. 190 SK-Hoyer, § 284 Rn. 27; Fischer, § 284 Rn. 13; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 16; Heine, wistra 2003, 441, 443; LK12-Krehl, § 284 Rn. 22. 191 Vgl. BGHSt 9, 358, 360 f.; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 16 m.w.N. 192 BVerfGE 28, 119, 148; NJW 2001, 2648, 2649; vgl. überdies BGH[Z] NJW 2002, 2175 f. 193 Die Genehmigung von Glückspiel als repressives Verbot verstehend BVerwGE 114, 92, 96; VGH Kassel NVwZ 2005, 99, 103; Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 33 h Rn. 15; Jahn, JuS 2003, 1116, 1119; Leupold/Bachmann/Pelz, MMR 2000, 648, 654 f. 194 So denn auch für das Strafrecht OLG Celle NJW 1969, 2250; OLG Karlsruhe NJW 1953, 1642; Jescheck/Weigend, AT, § 33 VI 1; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 160; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 44 Rn. 9; Ostendorf, JZ 1981, 165, 168; vgl. auch Voßkuhle/Bumke, Sportwette, S. 36 f. 195 Vgl. dazu Heine, in: FS Amelung, S. 413, 420 ff.; S/S-ders., § 284 Rn. 1a mit Verweis auf die Rspr. des EuGH. Vgl. z. B. EuGH NJW 1994, 2013, 2014 Rn. 32. 196 So explizit VGH Mannheim NVwZ 2007, 724 m.w.N. zur verwaltungsgerichtlichen Rspr.
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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spiel 18 bedeutet dies, dass der Vertrieb des Zertifikats durch die E-KG dem Tatbestand des § 284 StGB unterfällt. Sollte eine behördliche Erlaubnis in diesem Sinne in Betracht kommen, würde diese als Unrechtsausschlussgrund und nicht bereits als negatives Tatbestandsmerkmal wirken. c) Rechtfertigende Genehmigung durch § 37e WpHG Wenn man eine Tatbestandseinschränkung vor diesem Hintergrund nicht für überzeugend hält, bleiben für die Geschäftsleitung in der E-KG in Beispiel 18 auf der Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit die Vorgaben der Gesamtrechtsordnung zu berücksichtigen.197 Soweit sich aus anderen Teilen der Rechtsordnung Anhaltspunkte für eine Gestattung des Vertriebs ereignisbezogener Finanzprodukte zugunsten der E-KG ableiten lassen, können diese zu einem Unrechtsausschluss führen. Gegenläufige Wertungen, die im Einzelfall dem Verbot des Straftatbestands zuwiderlaufen, vermögen ein Unrechtsurteil auszuschließen. Insofern bietet die behördliche Genehmigung den richtigen Anhaltspunkt: Für strukturierte Finanzprodukte wurde überzeugend geltend gemacht, eine behördliche Erlaubnis im Sinne der Vorschrift über verbotenes Glückspiel müsse aus § 37e WpHG folgen.198 Nach dieser Vorschrift scheidet im Hinblick auf Finanztermingeschäfte199 der für Glücksspiele und Wetten nach § 762 BGB grundsätzlich bestehende Einwand aus, durch einen Spiel- bzw. Wettvertrag werde ein Erfüllungs- oder Sekundäranspruch nicht begründet. Vor dem Hintergrund der dort für das Zivilrecht angeordneten Rechtsfolge mag es nicht unmittelbar zwingend erscheinen, die Vorschrift als rechtfertigend wirkende Genehmigung in Ansehung von § 284 StGB aufzufassen. Gleichwohl berücksichtigt allein dieser Weg, der in methodologischer Hinsicht durch einen „doppelten Erst-Recht-Schluss“ geprägt ist, die Vorgaben der Gesamtrechtsordnung. Dies liegt an Folgendem: Zunächst scheint der Wortlaut mit der behördlichen Erlaubnis eine Verwaltungsaktsakzessorietät im Auge zu haben.200 Doch wenn sich die Erlaubnis aus der Entscheidung einer Behörde ergeben kann, dann muss dies a fortiori für ein formelles Gesetz als mögliche Rechtsgrundlage gelten. So wird man etwa kaum bestreiten können, dass es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich möglich ist, bestimmte Spiele von der Genehmigungspflicht zu befreien, vgl. etwa § 5a SpielVO. Zu diesem Zweck kann er sich aber nur derjenigen Regelungsinstrumente bedienen, die ihm zur Ver197
Salewski, BKR 2012, 100, 103; zum Zusammenspiel zwischen Gesamtrechtsordnung und Rechtswidrigkeitsurteil, s. o.: 2. Teil B.II.1. 198 Mülbert/Böhmer, WM 2004, 985, 991 f.; Mülbert/Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 37e Rn. 14; Salewski, BKR 2012, 100, 102 f. („tatbestandsausschließende Erlaubnis“). 199 Zum Begriff des Finanztermingeschäfts im Sinne des WpHG, der derivative Finanzprodukte und Optionen umfasst, Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 37e WpHG Rn. 4 ff. 200 Vgl. S/S-Heine, § 284 Rn. 18.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
fügung stehen, d. h. abstrakt-genereller Regelungen als Gesetze im materiellen Sinn. Liegt eine solche gesetzliche Ermächtigung vor, wäre die Einholung einer bloß feststellenden Verwaltungsentscheidung unnötiger Formalismus. Deshalb kann eine § 284 StGB ausschließende, behördliche Erlaubnis auch in der Regelung eines Gesetzes zu sehen sein.201 Des Weiteren ist eine „Sonderrechtfertigung“ für Finanzinstrumente der Rechtsfolge des § 37e WpHG nicht unmittelbar zu entnehmen. Doch erscheint dieses Ergebnis unausweichlich, will man nicht in einen Wertungswiderspruch zwischen den Vorgaben des Kapitalmarktrechts und strafrechtlicher Sanktion geraten. Denn wenn sogar zivilrechtlich in Abbedingung der grundsätzlich geltenden (spielerunfreundlichen) Regelungen des § 762 BGB Finanztermingeschäfte privilegiert werden, so können solche Geschäfte erst recht nicht strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.202 Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber es sich mit Einführung der Ausnahmevorschrift zum Ziel gesetzt hatte, die Sphäre für Termingeschäfte rechtssicher zu gestalten.203 Dieses Ziel würde konterkariert, wollte man ereignisbezogene Finanzinstrumente nicht von der Strafbarkeit wegen Glücksspiels ausnehmen, obwohl sie zivilrechtlich einen Anspruch begründen. Aus der Regelung des § 37e WpHG lassen sich daher auch Vorgaben für die Strafbarkeit von Finanztermingeschäften ableiten, die im Rahmen der rechtfertigend wirkenden Erlaubnis zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift wirkt wie eine gesetzliche Befreiung von der grundsätzlich geltenden Genehmigungspflicht. Sie stellt eine „behördliche Erlaubnis“ im Sinne des Tatbestands dar und rechtfertigt deswegen den Emittenten von ereignisbezogenen Finanzinstrumenten. In Beispiel 18 können sich die Geschäftsleiter der E-KG im Hinblick auf den Verkauf des Zertifikats darauf berufen, dass der Gesetzgeber in § 37e WpHG Finanztermingeschäfte privilegiert hat. Strafrechtsdogmatisch wirkt sich diese Wertung auf Ebene der Rechtfertigung aus. 3. Weitere Einzelfälle im Nebenstrafrecht Zum Abschluss der Betrachtung zu behördlichen Genehmigungen im Wirtschaftsstrafrecht sei noch kurz auf einige weitere Problemstellungen hingewiesen, die hier nicht mehr vertieft behandelt werden können: Um ein unter dem Schlagwort „Genehmigung“ geführtes Scheinproblem wird im Steuerstrafrecht gestritten. Gegenstand der dort stattfindenden Diskussion ist, ob einer – vor dem gesetzlichen 201 So auch LK12-Krehl, § 284 Rn. 22; Mülbert/Böhmer, WM 2004, 985, 992; Beckemper, in: Beck OK, § 284 Rn. 24; a.A. Kessler/Heda, WM 2004, 1812, 1815. 202 Mülbert/Böhmer, WM 2004, 985, 992: „[Die Strafbarkeit nach § 284 StGB wäre] ganz und gar inkonsistent [und] wertungswidersprüchlich“. 203 Reg.-Begr., 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 96. Salewski, BKR 2012, 100, 105 will die aus § 37e WpHG abgeleitete Straflosigkeit a maiore ad minus auf weniger riskante Geschäfte erstrecken, die ihrem Inhalt nach mangels Charakters als Termingeschäft i.S.v. §§ 37e S. 2; 2 Abs. 2 Nr. 2 WpHG der Vorschrift an sich nicht unterfielen.
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
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Fälligkeitstermin zu gewährenden – Stundung des Finanzamtes (§ 222 AO) hinsichtlich der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten der §§ 369 ff. AO rechtfertigende Wirkung zukommen kann. Ein solcher Unrechtsausschluss wird verschiedentlich angenommen, ohne dass dies näher begründet würde.204 Ein solches Verständnis liegt für den ahndungsrechtlichen Deliktsaufbau fern. Denn eine Stundung stellt in der Sache gar keine „Genehmigung“ im oben besprochenen Sinne dar. Sie betrifft vielmehr ein Instrument zur Modifikation des der Strafbarkeit vorgelagerten Steuerschuldverhältnisses. Die Strafandrohung ist zur Steuerschuld bloß akzessorisch, sodass Modifikationen von Verpflichtungen des Steuerschuldners die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands betreffen. Eine Stundung der Steuerschuld wirkt im Steuerstrafrecht deswegen nicht als Grund für einen Unrechtsausschluss.205 In zahlreichen Randbereichen des Wirtschaftsstrafrechts werden Genehmigungserfordernisse regelmäßig auf Ebene des gesetzlichen Tatbestands wirken. Schließlich ist unternehmerische Betätigung nicht nur rechtspolitisch akzeptiert bzw. sogar erwünscht, sondern sie unterfällt auch dem Schutz grundrechtlicher Garantien (Art. 12 Abs. 1, 14 GG).206 Aus diesem Grund findet in vielen Fällen allein eine präventive Überprüfung durch die Verwaltung statt, wenn wirtschaftliche Betätigung im Raum steht: Eine tatbestandsausschließende Kontrollerlaubnis wird etwa in den Ordnungswidrigkeiten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1b AÜG) vorausgesetzt,207 nach denen eine behördliche Erlaubnis Voraussetzung für eine Verleihung von Arbeitnehmern an Dritte ist. Entsprechendes gilt für den Verbotstatbestand der §§ 54 Abs. 1 Nr. 2, 32 Abs. 1 KWG, wonach mit Strafe bedroht wird, wer ohne Erlaubnis der BaFin Kreditgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt.208
III. Behördliche Duldung als Rechtfertigungsgrund? Abschließend soll noch kurz auf eine weitere Erscheinungsform der Verwaltungsrechtsakzessorietät eingegangen werden, welche immer wieder in die Nähe
204 Vgl. Joecks, in: F/G/J, Steuerstrafrecht, § 377 AO Rn. 27; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 18; Rüping, in: H/H/Sp, AO, § 380 Rn. 29. 205 Dies sieht i.E. auch die wohl überwiegende Ansicht so Jäger, in: F/G/J, Steuerstrafrecht, § 380 AO Rn. 20; Matthes, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 380 AO Rn. 40; Rolletschke/ Kemper, in: Rolletschke, Steuerverfehlungen, § 380 AO Rn. 29; Weyand, in: Schwarz, AO, § 380 Rn. 16. 206 Vgl. für das AWG anschaulich Wagner, in: MüKo, Vor § 34 AWG Rn. 39. 207 Vgl. Hamann, in: Schüren, AÜG, § 1 Rn. 4: „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ m.w.N. 208 Für eine Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal auch Janssen, in: MüKo, § 54 KWG Rn. 1; Häberle, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 54 KWG Rn. 11.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
eines Rechtfertigungstatbestandes gerückt wird.209 Die Rede ist von der behördlichen Duldung im Sinne eines bewussten Nichteinschreitens der zuständigen Behörde gegen einen zumindest formell rechtswidrigen Zustand.210 Begrifflich bezeichnet eine solche Duldung eine besondere Erscheinungsform informellen Verwaltungshandelns.211 Die Fragestellung um die strafrechtliche Wirkung einer Duldung der zuständigen Verwaltungsstelle können hier nur angedeutet werden. Denn ihr kommt über das Umweltstrafrecht hinaus weder eine besondere Bedeutung für andere Teile des Wirtschaftsstrafrechts im engeren Sinne zu noch ist nach überwiegender Auffassung die Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit direkt betroffen. Soweit eine sog. aktive Duldung, die im Unterschied zur passiven Duldung212 nicht bloß behördenintern geblieben ist, in Abweichung von der h.M.213 als Rechtfertigungsgrund eigener Art aufgefasst wird,214 ist dem entgegenzutreten. Denn zunächst erscheint kaum nachvollziehbar, aus welchem Grund eine aktive Duldung der Behörde, die in Ermangelung besonderer Formvorschriften sich ohnehin kaum von einer konkludent erteilten Genehmigung abgrenzen lassen dürfte (vgl. § 37 Abs. 2 VwVfG),215 auch dann rechtfertigend wirken soll, wenn einer tatsächlich erteilten Erlaubnis selbst im Rahmen des einschlägigen Strafgesetzes bereits tatbestandsausschließende Wirkung zukäme. Insofern unterscheiden Befürworter einer „Rechtfertigungslösung“ nämlich nicht nach den dargestellten Kategorien von Kontrollerlaubnis und repressivem Verbot. Auch konnten Argumente, die für eine Berücksichtigung der aktiven Duldung auf der Deliktsebene der Rechtswidrigkeit bisher vorgebracht wurden, nicht recht überzeugen: Zum einen gilt dies für Erwägungen, die bei Vorliegen einer Duldung auf die Vergleichbarkeit zur mutmaßlichen
209 Für eine Rechtfertigung zumindest der sog. „aktiven Duldung“ LG Bonn NStZ 1988, 224 f.; Rudolphi, NStZ 1984, 193, 198; Dahs/Pape, NStZ 1988, 393 ff.; NK-Wohlers/Gaede, § 284 Rn. 21. 210 Dazu statt Vieler NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 205; Rengier, ZStW 101 (1989), 874, 905 ff. 211 Siehe nur NK-Ransiek, § 324 Rn. 31 ff.; Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 123 jeweils m.w.N. 212 Die Kategorien der aktiven bzw. passiven Duldung gehen auf Randelzhofer/Wilke, Duldung, S. 54 ff., 79 ff. zurück. 213 Vgl. pars pro toto Fischer, Vor § 324 Rn. 11; Roxin, AT I, § 17 Rn. 67; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 205; Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 931 f.; SK-Schall, Vor § 324 Rn. 87 ff. 214 So OLG Celle ZfW 1987, 127, 128; OLG Karlsruhe DVBl. 1980, 607; S/S/W-Saliger, Vor § 324 Rn. 40; ders., Umweltstrafrecht, Rn. 129; Schmitz, in: MüKo, Vor § 324 Rn. 89; Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 195 f.; Wasmuth/Koch, NJW 1990, 2434, 2441. Vgl. ferner Altenhain, in: FS Weber, S. 441, 446 ff., der selbst konzediert, dass nicht alle seiner Argumente für eine deliktssystematische Einordnung als Rechtfertigungsgrund streiten. 215 LG Bonn NStZ 1988, 224 f; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 292 spricht deswegen überzeugend von einer „Scheindiskussion“.
B. Verwaltungsakzessorietät und behördliche Erlaubnis
285
Einwilligung abstellen,216 schon deswegen, weil dann folgerichtig auch die Subsidiaritätsgrundsätze dieses Erlaubnistatbestands heranzuziehen werden. Nach diesen Vorgaben bliebe dann jedoch in aller Regel hinreichend Raum zur Einholung einer Genehmigung gemäß den Vorschriften des Verwaltungsverfahrens. In Beispiel 5 hätte sich die U-GmbH etwa auch dann um eine Genehmigung des Betriebs der Boote bemühen können, wenn die Wasserschutzbehörde trotz Kenntnis bislang nicht eingeschritten ist. Zum anderen lässt sich die rechtfertigende Wirkung auch nicht auf das Prinzip des überwiegenden Interesses als solches stützen.217 Als dem Normbefehl des Strafgesetzes zuwiderlaufendes Interesse kommt zumindest bei rechtswidrigen Duldungen allein der Vertrauensschutz des Bürgers218 in Betracht, der aber kaum mit dem tatbestandlichen Schutzgut abzuwägen ist. Im Gegenteil läge es allenfalls nahe, die Duldung ebenso wie die Genehmigung selbst dem Prinzip des mangelnden Interesses zuzuordnen.219 Darüber hinaus ist allein der Verweis auf ein bestrittenes Strukturprinzip freilich noch nicht dazu geeignet, die freie Kreation von Unrechtsausschließungstatbeständen zu legitimieren. Wollte man entgegen der h.M einer Legalisierungswirkung der (aktiven) Duldung überhaupt zum Durchbruch verhelfen, kann die Lösung daher nicht auf Wertungsebene der Rechtfertigung liegen. Vielmehr wird man deren Wirkungen auch hier am Genehmigungstatbestand orientieren müssen. Wo die behördliche Genehmigung ein negatives Merkmal des Strafgesetzes darstellt, ist ein Strafbarkeitsausschluss nur im Wege des Tatbestandsausschlusses zu erreichen. Eine Rechtfertigung erscheint allenfalls denkbar, wenn das Handeln gegen ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt infrage steht.
IV. Ergebnis: Verwaltungsakzessorietät und Rechtswidrigkeit Zusammenfassend lässt sich für die Untersuchung festhalten, dass für die richtige Einordnung einer behördlichen Erlaubnis in die strafrechtliche Deliktssystematik die Vorgaben des Verwaltungsrechts entscheidend sind. Soweit es sich um eine Kontrollerlaubnis handelt, liegt ein Tatbestandsausschluss vor. Mit der rechtlichen Akzeptanz und dem Bedürfnis nach freiem Wirtschaften geht einher, dass eine behördliche Kontrolle in diesem Bereich regelmäßig nur präventiv wirken soll und folglich für die Rechtfertigung keine Rolle spielt. Im Kapitalmarktstrafrecht lassen sich gleichwohl Kontexte erschließen, in deren Rahmen eine Rechtfertigung be216 Vgl. Dahs/Pape, NStZ 1988, 393, 395 f.; noch konstruierter wirkt es, wenn Hüting, Behördliche Duldung, S. 124 ff. in Parallele zur Einwilligung annimmt, letztlich werde durch eine Duldung der „Wille des Wahlvolks“ umgesetzt. 217 So aber Schmitz, Verwaltungshandeln, S. 113; Altenhain, in: FS Weber, S. 441, 451. 218 Siehe nur Saliger, Umweltstrafrecht, Rn. 129; dem ähnlich will Schmitz, in: MüKo, Vor § 324 Rn. 89 f. nur die rechtmäßige Duldung der Behörde als Rechtfertigung akzeptieren. 219 s. o.: 3. Teil B.II.1.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
deutsam werden kann. Dies gilt zunächst für die bisher wenig untersuchten Befreiungsvorbehalte von Veröffentlichungspflichten eines Bieters in Übernahmesituationen. Hinsichtlich der Ordnungswidrigkeiten des WpÜG wirken Befreiungen der BaFin aufgrund repressiver Verbote zum Teil erst im Bereich der Rechtswidrigkeit wie anhand von Beispiel 17 veranschaulicht wurde. Darüber hinaus ist die Annahme einer rechtfertigend wirkenden Erlaubnis auch der Schlüssel zur Begründung der Straflosigkeit beim Vertrieb ereignisbezogener Finanzinstrumente am Kapitalmarkt, welche an sich dem Verbot des Glückspiels nach § 284 StGB unterfallen können. Dort ist die Vorschrift des § 37e WpHG als rechtfertigend wirkende behördliche Erlaubnis zu verstehen. In Beispiel 18 sind die Geschäftsleiter der E-KG demzufolge gerechtfertigt, wenn die Gesellschaft Wetterderivate vertreibt, die nach hier vertretener Auffassung den Tatbestand des § 284 StGB erfüllen können.
C. Weisungen in Betrieben bzw. Unternehmen und Rechtfertigung des Angewiesenen bei drohendem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes Die im 4. Teil dieser Arbeit zugrunde gelegte Betrachtungsweise, wonach Sachverhalte des Wirtschaftslebens auf die Bedeutung des Unrechtsurteils hin untersucht werden, führt zu einem weiteren topos. Die nachfolgenden Überlegungen setzen sich mit den strafrechtlichen Auswirkungen privatrechtlicher Weisungen auseinander. Mit dem Hierarchiegefüge betrieblicher Organisation gehen Weisungsbefugnisse etwa des Arbeitgebers oder der Gesellschafter einher, die in ihrer strafrechtlichen Wirkung gegenüber dem Angewiesenen aufgearbeitet werden sollen. Weisungen können dabei gesellschaftsrechtlicher Natur sein (vgl. etwa § 37 GmbHG) oder aber – zivilrechtlich ausgedrückt – das Pflichtenprogramm des Arbeitnehmers oder Dienstverpflichteten konkretisieren, §§ 106 GewO, 665 BGB. Für den Bereich des öffentlichen Rechts und dort vor allem für Beamtenverhältnisse bzw. den soldatischen Gehorsam ist die strafrechtliche Einordnung rechtswidriger Anweisungen („Befehle“) ausführlich diskutiert worden.220 Doch auch in der privaten Wirtschaft wird eine Weisung regelmäßig dazu geeignet sein, den Angewiesenen zu motivieren, in ihrem Sinne zu handeln.221 Soweit eine privatrechtlich ergangene Weisung von dem Adressaten „etwas Verbotenes“ fordert, führt sie den Angewiesenen auf den ersten Blick in eine Situation kollidierender Vorgaben. Schon deswegen liegt in dieser „Zwangslage“ des Beauftragten ein Blick auf die Rechtfertigung nahe. Beispiel 19 (vgl. auch Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 7): A ist seit vielen Jahren als Leiter einer Außendienststelle der B-GmbH beschäftigt. Die Umsätze des von A geleiteten 220 221
677 f.
Vgl. nur die erschöpfende Darstellung bei LK11-Spendel, § 32 Rn. 74 – 103. Vgl. Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 64; ferner auch Beck, ZStW 124 (2012), 660,
C. Weisungen in Betrieben bzw. Unternehmen und Rechtfertigung
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Geschäftsbereichs waren in jüngerer Vergangenheit merklich zurückgegangen. Eines Tages sucht Geschäftsführer G der B-GmbH das Gespräch mit A. Unter Verweis auf die wirtschaftliche Situation hält G den A dazu an, „mithilfe aller Mittel“ die Umsätze zu steigern und „notfalls bei den relevanten Entscheidungsträgern mit Gefälligkeiten nachzuhelfen“. A ist klar, dass es zahlreiche Interessenten an seiner Position gibt. Er fürchtet daher eine Entlassung. Ist für A ein Unrechtsausschluss zu erwägen, wenn er daraufhin Dritten Vorteile für Geschäftsabschlüsse anbietet (§ 299 Abs. 2 StGB)?
Für die Rechtfertigung im Wirtschaftsstrafrecht ist der Bereich privatrechtlicher Anweisungen in gesellschafts- bzw. dienstvertraglichen Beziehungen von besonderem Interesse.222 Im Einzelnen sind zwei Fragen zu trennen: Zunächst ist zu untersuchen, ob ein Handeln des Angewiesenen gemäß den Vorgaben einer rechtswidrigen Weisung unrechtsausschließend wirken kann [I.]. Betrifft der Inhalt der Weisung einen besonders sensiblen Bereich des Anstellungsverhältnisses oder hat der Angewiesene bei Nichtbefolgung unternehmensintern Sanktionen zu befürchten, stellt sich ein eng mit der Weisung zusammenhängendes Folgeproblem. Denn dann ist zu prüfen, ob zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes die Begehung von Straftaten gerechtfertigt werden kann [II.].
I. Rechtfertigende Wirkung von Weisungen in der Privatwirtschaft? Die Situation in Beispiel 19 legt nahe, zunächst zu klären, inwieweit Weisungen im Bereich des Privatrechts für das Unrechtsurteil über die Handlung des Angewiesenen überhaupt relevant werden können. Insofern ist man sich im Ausgangspunkt einig, dass betriebs- oder gesellschaftsinterne Verhaltensvorgaben den Angewiesenen nicht in weiterem Umfang von einer Strafbarkeit befreien können, als dies gemäß den allgemeinen Rechtfertigungstatbeständen der Fall ist.223 Insbesondere scheidet auch hier ein Unrechtsausschluss eigener Art aufgrund des dem Weisungsverhältnis eigenen Hierarchiegefälles aus. 1. Rechtmäßige und rechtswidrige Weisungen im Privatrecht Eine Einordnung in den Verbrechensaufbau erscheint bei rechtmäßigen Weisungen im Bereich des Privatrechts zunächst unproblematisch. Denn diese können schon begrifflich mit dem Strafrecht nicht in Konflikt geraten. Schließlich wäre eine Weisung in Beispiel 19 nur dann rechtmäßig, wenn G sämtliche gesetzliche Vorgaben beachtete. Das Handeln des Angewiesenen kann in Fällen rechtmäßiger 222 Siehe nur Tiedemann, AT, Rn. 197 ff.; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 74 ff. 223 BayOblG NStZ-RR 1999, 312; Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kap. Rn. 38; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 63 f.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 78; unklar S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 88 .
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Weisungen deswegen nicht den gesetzlichen Tatbestand eines Strafdelikts verwirklichen. Verlangt die Weisung strafrechtswidriges Handeln, ist sie demgegenüber selbst rechtswidrig.224 Schwieriger gestalten sich die Dinge, wenn die Weisung als solche den Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung zuwiderläuft. Dazu ist es hilfreich, zunächst einen Blick auf die maßgeblichen Pflichten bzw. Interessen zu werfen, denen sich der Angewiesene gegenübersieht. Zum einen wird bei Vorliegen einer strafrechtswidrigen Weisung regelmäßig das (Handlungs-)Verbot des Straftatbestandes im Raum stehen. So liegen die Dinge etwa, wenn der Angewiesene dazu aufgefordert wird, eine unrichtige Steuererklärung abzugeben (§§ 369 ff. AO), Vermögen aus dem Kreislauf des Unternehmens für spätere „nützliche Aufwendungen“ zu verwenden (§ 266 StGB)225 oder Mittel des Unternehmens einzusetzen, um einen Auftrag zu erlangen (§§ 298 f. StGB). In Beispiel 19 erreicht A zunächst der von § 299 Abs. 2 StGB ausgehende Normappell, der ihm untersagt, Angestellten seiner Abnehmer einen Vorteil für eine unlautere Bevorzugung anzubieten. Eine „verbindliche dienstliche rechtswidrige Weisung“, wie sie im Beamtenrecht diskutiert wird,226 kann es im privaten Bereich nicht geben, da sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit für Weisungsgeber und Angewiesenen nach denselben Voraussetzungen richtet. Zu einer echten Pflichtenkollision des Weisungsadressaten kommt es aufgrund der nach § 134 BGB nichtigen Weisung nicht.227 Den durch die Strafvorschriften geschützten Rechtsgütern können jedoch verschiedene Interessen eines Arbeitnehmers oder angewiesenen Organs zuwiderlaufen: Dem persönlichen beruflichen Fortkommen mag es in praktischer Hinsicht oftmals nicht abkömmlich sein, wenn der Angewiesene die Weisung trotz gegenläufigen Verbots befolgt. In diesem Sinn können Weisungen auch im Arbeits- bzw. Gesellschaftsrecht zu einer „Kollision“ von Interessen führen.228 In Beispiel 19 etwa drohen A rechtstatsächlich negative Konsequenzen, wenn er den „umsatzsteigernden Anregungen“ des G nicht nachkommt. Das in der Weisung ausgesprochene Handlungsgebot läuft den vorbeschriebenen Rechtsgütern von Wirtschaftsstraftatbeständen zuwider, sodass § 34 StGB regel-
224
Vgl. auch Kolbe, NZA 2009, 228, 230. Zur unrechtsausschließenden Wirkung rechtmäßiger Weisungen im Beamtenrecht Küper, JuS 1987, 81, 91; für das Wirtschaftsstrafrecht auch Tiedemann, AT, Rn. 198 – jeweils m.w.N. Das Problem der Erkennbarkeit eines Irrtums des Vorgesetzten für den Angewiesenen, das im Beamtenrecht als Einschränkung diskutiert wird, stellt sich in dieser Form in privatrechtlichen Weisungsverhältnissen nicht. 225 Vgl. zuletzt BGHSt 50, 299 ff. 226 Dazu statt Aller NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 192; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 87, 89 jeweils m.w.N. 227 Kolbe, NZA 2009, 228, 230 m.w.N. 228 Beck, ZStW 124 (2012), 660, 677 f. („gewisser Zwang zu einem den internen Regeln entsprechenden Verhalten bei Unternehmen“); vgl. zur Kollisionssituation im Beamtenrecht Jescheck/Weigend, AT, § 35 II 3.
C. Weisungen in Betrieben bzw. Unternehmen und Rechtfertigung
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mäßig die einschlägige Kollisionsregel darstellt.229 – Der Handlungsaufforderung der Weisung steht die Unterlassungspflicht des jeweiligen Tatbestands gegenüber.230 Damit es jedoch überhaupt zu einem Unrechtsausschluss kommen kann, müsste das Handlungsgebot selbst verbindlich ausgestaltet sein oder mit der Befolgung des rechtswidrigen Befehls müssten zumindest schützenswerte Belange des Angewiesenen verwirklicht werden können. Dies ist indes in aller Regel nicht der Fall.231 Denn die Aussicht des Angewiesenen, die Befolgung der rechtswidrigen Weisung werde ihm persönlich zugutekommen, ist unter Notstandsgesichtspunkten belanglos. Sie stellt sich als nicht vermögenswerte Exspektanz dar, der die rechtliche Anerkennung zu versagen ist und die aus diesem Grund als Erhaltungsgut nicht in Betracht kommt. Wenn A in Beispiel 19 aufgrund der Nichtbefolgung der Anweisung von G berufliche Nachteile – wie künftige Gehaltseinbußen oder Aufschub einer Beförderung – drohen,232 sind diese Erwartungen bloß auf Vermögensmehrung gerichtet und daher als Erhaltungsinteressen nicht berücksichtigungsfähig. Der rechtfertigende Notstand schützt unter keinen Umständen davor, nicht noch reicher zu werden.233 Auf eine Interessenabwägung kommt es deshalb nicht mehr an, wenn durch das Nichtbefolgen der Weisung allein das berufliche Fortkommen des Angewiesenen berührt wird.234 2. Rechtswidrige Weisungen im Vertragskonzern als Sonderfall im Strafrecht? Weiter ist zu beachten, dass sich Abweichendes aus gesetzlichen Vorgaben ergeben könnte, wenn diese den Pflichtenmaßstab des Angewiesenen modifizieren. So liegt es insbesondere im Fall des aufgrund eines Beherrschungsvertrags rechtswidrig angewiesenen Geschäftsleiters gemäß § 308 Abs. 2 S. 2 AktG. Danach ist der Vorstand oder die GmbH-Geschäftsführung235 einer beherrschten Gesellschaft im Vertragskonzern nicht berechtigt, die Befolgung einer Weisung zu verweigern, weil sie nach deren Ansicht nicht den Belangen des begünstigten konzernverbundenen 229 Wie hier BayOblG NStZ-RR 1999, 312; Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 64; i.E. ähnlich Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 7; Rotsch, in: Momsen/Grützner, WiStra, 1. Kap. B. Rn. 64. 230 So zu Recht Roxin, AT I, § 17 Rn. 19 Fn. 26; zur Kollision von Handlungs- und Unterlassungsgebot, vgl. auch 4. Teil D.II. Hier sei nochmals darauf verwiesen, dass es aufgrund der Nichtigkeit der Weisung zu einem Pflichtenkonflikt i.E. nicht kommt. 231 Zu diesem Ergebnis auch Hoyer, Weisungsverhältnisse, S. 24, 33; Tiedemann, AT, Rn. 199; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 8; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 76. 232 Zum Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, siehe sogleich. 233 Vgl. schon oben: 3. Teil B.II.1.a). 234 Vgl. auch Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 64 („Außerhalb etwaiger Notstandslagen bleibt der Betroffene für sein aktives Fehlverhalten auch bei der Gefahr persönlicher Nachteile selbst verantwortlich“). 235 Vgl. zur Anwendbarkeit auf die GmbH nur Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 50 ff. m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Unternehmens dient, es sei denn, dass sie offensichtlich nicht diesen Belangen dient. In die aufkeimende wirtschaftsstrafrechtliche Diskussion um die unrechtsausschließende Wirkung von Weisungen236 wurde diese Vorschrift – soweit ersichtlich – bislang nicht einbezogen. Dabei ist für das Gesellschaftsrecht wohl überwiegende Ansicht, dass danach ein angewiesener Geschäftsleiter einer abhängigen Gesellschaft im Vertragskonzern auch zur Befolgung rechtswidriger Anweisungen verpflichtet sein kann.237 Die Befolgungspflicht des Adressaten besteht auch bei rechtswidriger Weisung fort, soweit die Rechtswidrigkeit Folge einer fehlerhaften Abwägung des Weisungsberechtigten238 zwischen dem Nachteil für die abhängige Gesellschaft des Angewiesenen und dem Konzerninteresse ist (vgl. § 308 Abs. 1 S. 2 AktG).239 Ausgeschlossen ist diese Pflicht zur Befolgung nur, wenn die Weisung offensichtlich nicht diesem Konzerninteresse, d. h. den Belangen der begünstigten Konzernunternehmen, dient. Für diese Art der rechtswidrigen Weisung kommt also eine Bindungswirkung des Empfängers in Betracht, welche das Verhalten des Adressaten möglicherweise rechtfertigen könnte. Für das Strafrecht bedeutsam wird diese vom oben dargestellten Grundsatz abweichende Wertung für Weisungen in Konzernverhältnissen freilich nur, wenn gegen den rechtswidrig angewiesenen Geschäftsleiter einer abhängigen Gesellschaft ein Strafverfahren wegen Untreue eingeleitet wird. Der Verstoß gegen die Legalitätspflicht240 kann insofern einen Untreuevorwurf begründen, zumal ein Schaden der beherrschten Vertragsgesellschaft als Treugeberin von § 308 Abs. 2 AktG vorausgesetzt wird. In diesem Fall steht dann jedoch ein Verstoß gegen ein Strafgesetz im Raum (§ 266 Abs. 1 StGB), weswegen die Weisung zivilrechtlich insgesamt schon nach § 134 BGB nichtig sein muss.241 Nichtige Weisungen sind aber unstreitig auch nach § 308 Abs. 2 S. 2 Akt G nicht zu befolgen,242 weswegen bezweifelt werden muss, dass eine Folgepflicht aus dem Beherrschungsvertrag für dergestalt rechtswidrige Weisungen strafrechtlich jemals zu einem Unrechtsausschluss führen kann. 236
Siehe zunächst nur Tiedemann, AT, Rn. 197 ff.; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 75 f. 237 Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 35; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 141, 147; Kuhlmann/Ahnis, Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 610 f.; abweichend wohl Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 52, 66. 238 Siehe zur Weisungsberechtigung nur Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 11 ff. 239 Vgl. nur Kuhlmann/Ahnis, Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 610 („spezifische Rechtswidrigkeit“); Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 35; zur Rechtfertigung aufgrund eines übergeordneten Konzerninteresses, s. u.: 4. Teil D.I. 240 Dazu Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 66; zur Beziehung von Legalitätspflicht und § 266 Abs. 1 StGB jüngst BGHSt 55, 288, 300. 241 Kuhlmann/Ahnis, Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 604, 611; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 66; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 53 (Nichtigkeit eines auf eine Untreue gerichteten Geschäfts). 242 Hüffer, AktG, § 308 Rn. 14; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 100; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 30, 35; vgl. auch OLG Nürnberg AG 2000, 228, 229.
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3. Zwischenergebnis: Privates Weisungsrecht und Rechtfertigung Auf die „Pflichtendimension“ übertragen bedeuten vorstehende Erwägungen, dass rechtswidrigen Weisungen innenrechtlich keine Verbindlichkeit zukommen kann, d. h. sie entfalten für den privatrechtlich Angewiesenen keine Bindungswirkung. Dies entspricht der Rechtslage in den dem jeweiligen Weisungsverhältnis zugrunde liegenden Rechtsgebieten. Denn im Gesellschaftsrecht der GmbH findet die Weisungsbefugnis der Gesellschafter nach § 37 GmbHG ebenso ihre Grenze in der Legalitätspflicht243 wie die Direktionsbefugnis des Arbeitgebers im Arbeitsrecht.244 In Beispiel 19 ist A deswegen nicht an den Inhalt der Weisungen des Geschäftsführers G gebunden. Selbst wenn der Angewiesene in Notfällen einmal zu vertraglich an sich nicht geschuldeten Leistungen verpflichtet sein kann,245 findet auch eine solche Erweiterung der Weisungsbefugnis ihre äußerste Grenze in der Legalitätspflicht.246 Damit fehlt es selbst in dringlichen Situationen an einer echten Pflichtenkollision des Angewiesenen, weswegen strafrechtlich aufgrund einer privatrechtlichen Weisung eine Rechtfertigung ausscheidet. Im Unterschied dazu ist im öffentlichen Recht nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein rechtswidrig angewiesener Beamter sich auf einen Unrechtsausschluss berufen kann („rechtswidriger verbindlicher Befehl“, vgl. auch § 63 Abs. 2 S. 3, 4 BBG).247 Ihren gedanklichen Ursprung hat die unterschiedliche Rechtslage zwischen rechtswidriger, aber verbindlicher Weisung im Beamtenverhältnis und rechtswidriger und für den Angewiesenen unverbindlicher Weisung im privaten Dienstverhältnis in der voneinander abweichenden Zielsetzung der jeweiligen Organisationsform. Auf privates Gewinnstreben ausgerichtete Unternehmungen werden insofern an strengeren Maßstäben gemessen als öffentliche Einrichtungen, die zumindest im Ausgangspunkt eher auf Verwirklichung von Gemeinwohlbelangen zielen und vor allem hoheitliche Befugnisse wahrnehmen.248 Dieser Befund darf jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit nicht dazu führen, dass in Grenzfällen, in denen sich die öffentliche Hand privater Organisationsformen
243 BGHZ 31, 258, 278; 149, 10, 19 f.; NJW 1974, 1088, 1089; aus strafrechtlicher Sicht Zieschang, in: FS Kohlmann, S. 351, 355. 244 Statt Vieler Preis, in: EK Arbeitsrecht, § 106 GewO Rn. 4 m.w.N. 245 BAG BB 1981, 1399, 1400. 246 Insofern ist freilich daran zu denken, dass der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Notstandshilfe zugunsten des Arbeitgebers gerechtfertigt sein kann. Doch auch in diesen Fällen beruht eine mögliche Rechtfertigung auf der Interessenabwägung in der konkreten Situation und nicht auf der Weisung des Arbeitgebers. 247 Statt Vieler S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 89; Roxin, AT I, § 17 Rn. 15 ff.; 19 („ein nach § 34 StGB zu beurteilender Kollisionsfall“). Letztgenannte Bestimmung der Rechtfertigungsregel überzeugt vor dem Hintergrund des hier unter 2. Teil B.II.2. Gesagten. 248 Vgl. ausführlich Hoyer, Weisungsverhältnisse, S. 24; ferner S/S-Lenckner/SternbergLieben, Vor § 32 Rn. 83, 88 f.; Roxin, AT I, § 17 Rn. 20.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
bedient oder sich daran beteiligt,249 rechtswidrigen Weisungen ebenso wie in einem hoheitsrechtlichen Dienstverhältnis doch einmal rechtfertigende Wirkung beigemessen wird. Insoweit bleibt es für das Rechtswidrigkeitsurteil beim Adressaten bei einer rein formalistischen Betrachtung. Betätigt sich der Staat in den für Private vorgesehenen Rechtsformen, tritt der hoheitsrechtliche Gedanke, der zur besonderen Ausgestaltung des amtlichen Weisungsverhältnisses führt, in den Hintergrund. Die Verbindlichkeit einer Weisung hat sich stets nach dem ihr zugrunde liegenden Verhältnis zu richten. Für den Angewiesenen einer privaten Unternehmung bedeutet dies, dass ausschließlich die materiell rechtmäßige Weisung verbindlich ist.250
II. Rechtfertigung bei Handlungen zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes? Eng mit rechtswidrigen Anweisungen in privatrechtlichen Organisationsgefügen verknüpft, wenn auch nicht auf Weisungen beschränkt, ist die strafrechtliche Beurteilung von Handlungen, die unter dem Eindruck der Verlustangst um den eigenen Arbeitsplatz begangen werden. Setzt sich ein Arbeitnehmer über rechtswidrige Weisungen hinweg, werden oftmals arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen.251 Auch in Beispiel 19 sieht sich A rechtstatsächlich einer dringlichen Interessenkollision gegenüber – zumal seine wirtschaftliche Existenz an dem Arbeitsplatz in der B-GmbH hängen wird. 1. Rechtfertigung durch Notwehr? In dieser Situation ist vereinzelt erwogen worden, zugunsten des einzelnen Arbeitnehmers Notwehrgesichtspunkte (§§ 32 StGB, 15 OWiG) zu prüfen.252 Eine Notwehrlage käme an sich unter zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten in Betracht: Zum einen wäre Nothilfe zugunsten anderer Arbeitsplätze im Unternehmen vorstellbar. So lägen die Dinge in Beispiel 19 etwa, wenn A deswegen besticht, weil anderenfalls die Beschäftigungsverhältnisse zahlreicher Mitarbeiter in seinem Geschäftsbereich bedroht wären. Eine Notwehrlage scheitert hier nicht bereits daran, dass „die Sicherung von Arbeitsplätzen“ ein nicht notwehrfähiges Universalinteresse
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Zur sog. „Flucht ins Privatrecht“ unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rn. 506 f. 250 Im Grundsatz ebenso BayOblG NStZ-RR 1999, 312 („rechtswidrige Weisung ist zu missachten“); Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 75 f. 251 Vgl. auch Kolbe, NZA 2009, 228, 230 f.; ferner Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 298 f., der zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigen will, dass die Unternehmensleitung auch zu rechtswidrigem Handeln über den Willen des rechtstreuen Arbeitnehmers hinweg bereit wäre. 252 Vgl. Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 9.
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darstellt.253 Denn eine Summe von Individualrechtsgütern wird nicht bereits zu einem Kollektivrechtsgut, weil besonders viele davon betroffen sind. Zum anderen ist im Hinblick auf rechtswidrige Weisungen vor allem an eine Notwehrhandlung hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes zu denken. In Beispiel 19 etwa wird A tätig, um das eigene Beschäftigungsverhältnis zu retten. Dennoch muss eine Rechtfertigung unter diesem Gesichtspunkt ausscheiden. Das ist dem strengen Angriffsbegriff254 sowie der von einer Notwehrlage vorausgesetzten Rechtswidrigkeit des Angriffs geschuldet. Fürchtet ein Arbeitnehmer nämlich um seine Beschäftigung und begeht infolgedessen eine Wirtschaftsstraftat, richtet sich die Abwehr zumeist schon nicht gegen den Anweisenden als Angreifer. In Beispiel 19 ginge eine rechtswidrige Angriffshandlung allenfalls von G als natürliche Person aus. Gegenüber dem Geschäftsführer der B-GmbH verteidigt sich A jedoch nicht, wenn er dessen Aufforderung nachkommt und Angestellte anderer Unternehmen besticht. Handelt der Arbeitnehmer dagegen in Nothilfe zugunsten von Arbeitsplätzen Dritter, ist auch hier zu beachten, dass eine Notwehrhandlung zulasten von „angreifenden“ Unternehmen nicht möglich ist.255 Darüber hinaus dürfte der einzelne Arbeitsplatz trotz seines individualrechtlichen Bezugs nicht notwehrfähig sein, was für das Zivilrecht auch anerkannt wird.256 Daraus ergibt sich auch kein Widerspruch zur Möglichkeit, das einzelne Beschäftigungsverhältnis im Rahmen von § 34 StGB als Erhaltungsinteresse dem Grunde nach zu berücksichtigen.257 Insofern ist nämlich zu beachten, dass § 32 StGB als zusätzliche Voraussetzung einen rechtswidrigen Angriff kennt. Deswegen kann bloß relativ geschützten Positionen, wie sie sich aus Vertragsverhältnissen ergeben, für die eine Rechtswidrigkeit nur innerhalb einer bestimmten Beziehung festzustellen ist, grundsätzlich kein Schutz zukommen.258 In Beispiel 19 darf sich A schon aus diesem Grund gemäß §§ 32 StGB, 15 OWiG weder gegen das Kollektivrechtsgut des Leistungswettbewerbs noch gegen die Interessen von Geschäftspartnern verteidigen. 2. Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands Bedeutsamer sind deswegen Erwägungen zum rechtfertigenden Notstand. Auch wenn bereits im Rahmen des sog. Unternehmensnotstands259 Arbeitsplätze als Erhaltungsgüter betroffen waren, ergeben sich bei „Rettungshandlungen“ zugunsten 253
So aber Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 9. Vgl. o.: 3. Teil A.II.3.a). 255 s. o.: 3. Teil A.III.3. 256 Vgl. die Notwehrprüfung des BAG NJW 1979, 236, 237; Grothe, in: MüKo BGB, § 227 Rn. 7; a.A. Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 7, 9. 257 Siehe zum Notstand bereits oben: 3. Teil B.V.1.a). 258 s. o.: 3. Teil A.II.2.a). Darauf stellt auch das BAG NJW 1979, 236, 237 zur Begründung maßgeblich ab. Vgl. ferner Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 55 für einen Überblick zur Vielzahl relativer Rechte, die als notstandsfähig anerkannt sind. 259 s. o.: 3. Teil B.V.2. 254
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des eigenen Beschäftigungsverhältnisses zusätzliche Gesichtspunkte, die hier zu beachten sind. a) Notstandslage Es ist immer wieder vertreten worden, (Wirtschafts-)Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die zum Erhalt der eigenen Arbeitsstelle begangen wurden, seien über Notstandsgesichtspunkte zu lösen und für den Täter könne das Unrecht seiner Tat je nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden.260 Wenn demnach A in Beispiel 19 darlegen kann, dass ihm im Falle eines Widersetzens gegen die rechtswidrige Anweisung gekündigt würde, liegt eine Notstandslage vor. Denn der eigene Arbeitsplatz ist als notstandsfähiges Rechtsgut anzuerkennen261 und eine gegenwärtige Gefährdung kann aufgrund der vergleichsweise weit gesteckten zeitlichen Grenzen der §§ 34 StGB, 16 OWiG262 angenommen werden. Zu beachten ist aufgrund der Relativität des Erhaltungsguts „Arbeitsplatz“ jedoch, dass es nicht in weiterem Umfang gewährleistet wird, als der Notstandstäter gegenüber dem Arbeitgeber darauf vertrauen darf. Deshalb kann eine rechtmäßige Beendigung der Dienstvereinbarung keine Notstandsgefahr in diesem Sinne auslösen, da dann nur Gesichtspunkte der vertraglichen Gefahrenverteilung betroffen sind.263 In Beispiel 19 ist für die B-GmbH jedoch zunächst kein Kündigungsgrund ersichtlich, sodass eine Rechtfertigungslage für den Arbeitsplatz des A vorliegt. b) Ausschluss der Angemessenheit? Der Erlaubnissatz kann jedoch aufgrund der Angemessenheitsklausel nicht herangezogen werden, wenn ein gesetzlich vorrangiges Verfahren umgangen würde. So könnte man vor allem erwägen, die Verfügbarkeit eines Kündigungsschutzprozesses in diesem Sinne als vorrangiges und gesetzlich abschließendes Verfahren zu deuten.264 Entgegen dem ersten Eindruck265 betrifft die Verfügbarkeit arbeitsgerichtli260 OLG Oldenburg NJW 1978, 1869; BayOblG NJW 1994, 2303, 2305 f.; NStZ-RR 1999, 312; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 84 Rn. 44a; LK12-ders., Vor § 283 Rn. 52, 118a; Krause, Ordnungsgemäßes Wirtschaften, S. 384; für das Recht der Ordnungswidrigkeiten Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 42; Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 299; Rotsch, in: Momsen/Grützner, WiStra, 1. Kap. B. Rn. 64; Achenbach, in: FK GWB, Vor § 81 Rn. 146; a.A. NK-Neumann, § 34 Rn. 26 („in marktwirtschaftlichen Systemen allgemeines Lebensrisiko“). 261 Vgl. schon oben: 3. Teil B.V.2.a); zum eigenen Arbeitsplatz auch BayOblG NStZRR 1999, 312; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 55, 57; S/S-Perron, § 34 Rn. 9; Rotsch, in: Momsen/ Grützner, WiStra, 1. Kap. B. Rn. 64; a.A. Schaal, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 84 Rn. 50, der „die Angst vor drohender Arbeitslosigkeit“ ohne Begründung aus dem Schutzbereich des Notstands ausschließen will. 262 Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 78 f., 81; Bohnert, in: Bohnert, OWiG, § 16 Rn. 6. 263 Vgl. auch NK-Neumann, § 34 Rn. 26. 264 Dazu oben: 3. Teil B.V.2.c); vgl. auch S/S-Perron, § 34 Rn. 41.
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chen Rechtsschutzes nicht die Erforderlichkeit. Denn um einen solchen anstrengen zu können, müsste A zunächst eine Kündigung hinnehmen, sodass sich die Gefahr für das Erhaltungsgut Arbeitsplatz dann bereits realisiert hätte. Gerichtlicher Rechtsschutz stellt daher kein „milderes Mittel“ zur Abwendung der Notstandsgefahr dar, weil die Rechtsgutseinbuße („Verlust der Arbeitsstelle“) ja gerade hingenommen werden müsste. Der Verweis auf den Kündigungsschutzprozess betrifft in der Sache vielmehr ein vorrangiges Verfahren im Sinne von § 34 S. 2 StGB und führte zu einem generellen Ausschluss der Notstandsrechtfertigung bei Taten zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes. Diese Lösung könnte für sich anführen, dass sie Konflikte, die im Rahmen einer zweiseitigen Dienstbeziehung entstehen, ausschließlich innerhalb dieses Verhältnisses löste, die Mindestsolidarität von Dritten nicht beanspruchen und der Relativität des Erhaltungsguts Arbeitsplatz somit vollumfänglich Rechnung tragen würde. Eine solche Argumentation wäre gleichwohl zirkulär, wenn man den eigenen Arbeitsplatz tatsächlich als notstandsfähiges Erhaltungsgut anerkennt. Denn ein Verweis auf Rechtsschutzmöglichkeiten steht immer im Raum, wenn die Notstandsgefahr auf eine materiell rechtswidrige Ursache (in Beispiel 19 die für A zu befürchtende Kündigung) zurückgeht. Nachträglicher Rechtsschutz kann als „nachgeschaltetes Ausgleichsverfahren“, welches infolge der unrechtmäßigen Beeinträchtigung eines Erhaltungsguts ausgelöst wird, keinen generellen Ausschluss von § 34 StGB begründen. So erschiene es etwa auch abwegig, den sich am Zaun des Nachbarn Bedienenden, der von einem Hund angefallen wird, auf einen Schadensersatzprozess gegen den Halter des angreifenden Tieres zu verweisen. Die Möglichkeit, zivilrechtlich gegen eine Kündigung vorzugehen, steht einem Unrechtsausschluss der Notstandshandlung zur Erhaltung der eigenen Beschäftigung daher nicht kategorisch im Sinne der §§ 34 S. 2 StGB, 16 S. 2 OWiG entgegen. c) Erforderlichkeit und Interessenabwägung In Ansehung der Interessenabwägung kann dann auf die Erwägungen zurückgegriffen werden, die schon im Rahmen des Notstands zur Gefährdung eines Unternehmens angestellt wurden.266 Demnach stehen auch hier der grundsätzlichen Notstandsfähigkeit des Erhaltungsguts „Arbeitsplatz“ relativierende Gesichtspunkte gegenüber: Als „bloß“ soziales und damit mehr sozialpolitisches denn „rechtlich relevantes“ Risiko sowie vor dem Hintergrund der arbeitsvertraglichen Gefahrenverteilung ist die Bedeutung des einzelnen Arbeitsplatzes in der Notstandsabwägung nicht zu überschätzen. Anders als hinsichtlich gerichtlichen Rechtsschutzes gegen eine Kündigung verhält es sich ferner mit einem Wechsel der Arbeitsstelle: Die Möglichkeit an265 Vgl. BayOblG NStZ-RR 1999, 312, wo „Kündigungsprozess“ und „Arbeitsplatzwechsel“ als mildere Mittel verstanden werden. 266 Vgl. auch zu den nachfolgenden Ausführungen: 3. Teil B.V.2.a).
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
derweitiger Beschäftigung kann die Erforderlichkeit der Notstandshandlung entfallen lassen, wenn dem Arbeitnehmer ein ebenso geeigneter anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Nimmt man die Kriterien der Erforderlichkeitsprüfung für Beispiel 19 ernst, müsste A praktisch ein mindestens gleichwertiges Vertragsangebot „auf dem Tisch liegen“. Im Übrigen sind die Bedingungen für einen Arbeitsplatzwechsel nicht nur unter dem Aspekt der Erforderlichkeit bedeutsam, sondern auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Notstandshandlung zu berücksichtigen.267 Denn je leichter ein neuer Arbeitsplatz gefunden werden kann, desto geringer ist dessen Gewicht im Verhältnis zum beeinträchtigten Eingriffsinteresse. Selbstverständlich sind auch hier Gefahren, die – wie etwa eine allgemeine Wirtschaftskrise – Viele gleichermaßen betreffen, zulasten des Notstandstäters in Ansatz zu bringen. Aufgrund der Gesichtspunkte, die das „Sozialgut“ Arbeitsplatz in seiner Bedeutung für den Notstand relativieren, wird man nicht formulieren können, dass ein gesicherter Arbeitsplatz als Rechtsgut den Wert von Sacheigentum in der Notstandsabwägung „häufig weit übersteigen wird.“268 Für A in Beispiel 19 bedeutet dies, dass seine persönlichen Interessen aufgrund der Bedeutung des durch § 299 Abs. 2 StGB geschützten Leistungswettbewerbs in einer Notstandsabwägung nicht „wesentlich überwiegen“ können. Dies wird auch dann gelten müssen, wenn A infolge einer Entlassung wirtschaftliche Härten in Kauf nehmen muss. d) Zwischenergebnis: Handlungen zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes Handelt ein Arbeitnehmer zur Sicherung der eigenen Stelle, ist ein Unrechtsausschluss unter Notstandsgesichtspunkten zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn eine rechtswidrige Kündigung droht. Auch die Möglichkeit, einen Kündigungsschutzprozess anzustrengen oder ggf. das Beschäftigungsverhältnis zu wechseln, stehen Erforderlichkeit bzw. Angemessenheit einer Rettungshandlung regelmäßig nicht kategorisch entgegen. Dennoch führt gerade bei vorsätzlichen Zuwiderhandlungen gegen einen Straftatbestand die stark abgemilderte Bedeutung des Erhaltungsguts „Arbeitsplatz“ dazu, dass es kaum einmal zu einer Rechtfertigung kommen wird.269 Wenn nach dieser Interessenabwägung eine Rechtfertigung des Arbeitnehmers ausscheidet, ist an eine Entschuldigung – etwa in analoger Anwendung von § 35 StGB – zu denken.270 267
Dazu bereits oben: 3. Teil B.V.2.; vgl. ferner Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 42. So aber OLG Oldenburg NJW 1978, 1869. 269 Vgl. auch BayOblG NStZ-RR 1999, 312 (Notstandsrechtfertigung „nur ganz ausnahmsweise“); Rengier, in: KK OWiG, Vor § 15 Rn. 63; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 7 Rn. 7; Rotsch, in: Momsen/Grützner, WiStra, 1. Kap. B. Rn. 64; für den GmbH-Geschäftsführer Wißmann, in: MüKo GmbHG, § 82 Rn. 330. 270 Achenbach, Jura 1997, 631, 634 f., wo auch darauf eingegangen wird, welche Auswirkungen die Annahme einer solchen Entschuldigung auf die Beteiligung des Geschäftsherrn hätte; vgl. ferner Weber, ZStW 96 (1984), 376, 396 f.; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 41; Vor § 15 Rn. 60; grundlegend RGSt 30, 25 ff. (Leinenfänger-Entscheidung). 268
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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III. Ergebnis: Private Weisungen und Handlungen zur „Rettung“des eigenen Arbeitsplatzes Hinsichtlich der Bedeutung von privaten Weisungen für das Wirtschaftsstrafrecht sind die Ergebnisse schnell zusammengefasst. Ist die Weisung rechtmäßig, so kann eine weisungsgemäße Handlung des Angewiesenen nicht rechtswidrig sein. Ist die eine Anweisung im Bereich des Arbeits- oder Gesellschaftsrechts dagegen nicht mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar, kann der entstehende innerbetriebliche Druck auf den Arbeitnehmer eine Wirtschaftsstraftat im Grundsatz nicht rechtfertigen. Es bestehen insoweit bloß abgeleitete Handlungsbefugnisse, die von der Rechtmäßigkeit der Weisung abhängen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt allein dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer eine Straftat zur Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes begeht. Insofern schließt die Verfügbarkeit arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes einen Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstands nicht von vornherein aus. Unter den engen Voraussetzungen des Aggressivnotstands erscheint eine Rechtfertigung denkbar, wenn eine rechtswidrige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses droht. Jedoch bleiben auch hier diejenigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, welche die Bedeutung des Erhaltungsguts „Arbeitsplatz“ in der Interessenabwägung relativieren. In Beispiel 19 handelt A gemäß den vorstehenden Erwägungen rechtswidrig.
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen mit Bezug zum Gesellschaftsrecht Eine nächste Besonderheit der Wirtschaftskriminalität, deren Bedeutung strafrechtlich noch kaum aufgearbeitet ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang zahlreicher Wirtschaftsdelikte zu gesellschaftsrechtlichen Vorfragen.271 In der Position eines Geschäftsleiters ist eine inzwischen beinahe unüberschaubare Vielfalt an Verhaltenspflichten zu beachten, die durchaus miteinander in Konflikt geraten können.272 Die Strafrechtswissenschaft hat bisher weitgehend darauf verzichtet, diesem Umstand Rechnung zu tragen und auftretende Pflichtenkollisionen nach den allgemeinen Lehren zu würdigen.273 Auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht wird bemängelt, dass „Pflichtenkollisionen im Gesellschaftsrecht bisher kaum als 271
Vgl. auch oben: 2. Teil A. Aus dem gesellschaftsrechtlichen Schrifttum siehe nur Merkt, ZHR 159 (1995), 423 ff.; Schneider, NZG 2009, 1413 ff.; vgl. zu verschiedenen Pflichtenkollisionen ferner LG Hannover NZG 2009, 869; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 74 f.; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 367 ff.; Noack/Zetsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, Einl. WpHG Rn. 14; Epe/Liese, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 10 Rn. 122 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 77 Rn. 26. 273 Eine Ausnahme bildet insofern etwa die Untersuchung von Tiedemann, in: FS Tröndle, S. 319 ff. 272
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Querschnittsmaterie erkannt und noch keine allgemeinen Lehren entwickelt wurden“.274 Die sich anschließenden Überlegungen können vor diesem Hintergrund nicht endgültig sein. Sie sind vielmehr für das Strafrecht als erste „Anstöße“ in Richtung auf eine Beschäftigung der Rechtfertigungslehre mit diesem bislang vernachlässigten Problemfeld zu verstehen. Da Handeln für ein Unternehmen in rechtlichen Kategorien zumeist Handeln für die Gesellschaft als Rechtsträgerin ist, wird diese als Bezugspunkt von Pflichtenkollisionen gewählt. Nachfolgende Beispiele sollen in relevante Konfliktfelder einführen: Beispiel 20: T ist Geschäftsführer der T-GmbH, deren Geschäftsanteile alle von der K-AG gehalten werden. Die K-AG ist ihrerseits Muttergesellschaft eines großen Konzerns, welcher Kaufhäuser betreibt und der durch verlustreiche Mietgeschäfte in eine finanzielle Schieflage geraten ist. Um den Geschäftsbetrieb an verschiedenen Standorten aufrechtzuerhalten, tritt der Vorstand der K-AG an T als Geschäftsführer heran. Die T-GmbH möge der Muttergesellschaft ein zinsgünstiges Darlehen gewähren, ohne dass die K-AG dafür im Moment ausreichende Sicherheiten stellen könne. Anderenfalls stehe möglicherweise das künftige Wohl des gesamten Konzerns auf dem Spiel. Aufgrund des erheblichen Umfangs der geforderten Darlehenssumme ist nicht sichergestellt, dass die T-GmbH nach Ausschüttung der Valuta ihre eigenen Verbindlichkeiten noch wird bedienen können. Macht sich T nach § 266 StGB strafbar, wenn er im Namen und für Rechnung der T-GmbH den Kredit gewährt? Welche Bedeutung kommt einer Rechtfertigung des T in diesem Kontext zu? Beispiel 21: D ist Geschäftsführer eines Zuliefererbetriebs, der Z-GmbH. Zugleich sitzt er im Aufsichtsrat der regional tätigen R-Bank AG. Letztere gewährt vor allem Fremdmittel an lokal ansässige Unternehmen. Der Vorstand der R-Bank hatte der Z-GmbH unlängst eine wichtige Kreditlinie vorläufig verlängert, weswegen der Zuliefererbetrieb die drohende Zahlungsunfähigkeit abwenden konnte. Aufgrund einer internen Risikoanalyse, die hinsichtlich des Geschäfts Bedenken geäußert hatte, soll nun der Aufsichtsrat über diese Vorstandsentscheidung befinden. Macht sich D nach § 266 Abs. 1 StGB strafbar, wenn er trotz erheblicher Zweifel hinsichtlich der Werthaltigkeit des Darlehens für eine Bewilligung stimmt?
Für die in den Beispielen zutage tretenden und weitere Pflichtenkonflikte wird zu untersuchen sein, inwieweit die Wertungsstufe der Rechtfertigung und insbesondere Erlaubnistatbestände dazu beitragen können, widersprüchliche Verhaltensvorgaben für die jeweiligen Geschäftsleiter sachgerecht aufzulösen. Zunächst ist der Frage nachzugehen, ob ein übergeordnetes Konzerninteresse einen Vorstand oder Geschäftsführer in Bezug auf eine strafbewehrte Pflichtverletzung rechtfertigen kann. Ein solches „Interesse des Gesamtkonzerns“ wird für einen Geschäftsleiter wie T in Beispiel 20 relevant, wenn dieser zum Nachteil einer Gesellschaft handelt, deren Organ er ist, dabei jedoch gleichzeitig das Wohl der Unternehmensgruppe im Blick hat [I.]. Im Anschluss sollen unterschiedliche Fallgruppen behandelt werden, in denen straf- oder bußgeldbewehrte Pflichten von Geschäftsleitern mit Drittinteressen wie z. B. den Belangen von Gläubigern kollidieren. Ein entsprechender Pflichtenkonflikt zwischen gesellschaftseigenen und gesellschaftsfremden Belangen kann 274
Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836 f.
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sich etwa für Doppelmandatsträger wie D in Beispiel 21 stellen. Unter Heranziehung der im 2. und 3. Teil dieser Arbeit erarbeiteten Grundsätze ist zu prüfen, wie diese Konflikte im Einzelnen aufzulösen sind und welche Rolle Rechtfertigungsgründen insoweit zukommen kann [II.]. Ein besonderer Anwendungsfall einer solchen Interessenkollision hat wegen seiner Tragweite für die Praxis von GmbH-Geschäftsführern im Strafrecht eine herausgehobene Bedeutung erlangt. Es geht dabei um den Konflikt, dem sich G in Beispiel 22 gegenübersieht. Dieser Problemkreis wird deswegen als eigenständiger Teil unter V. dargestellt.
I. Zugehörigkeit zum faktischen Konzern als Grundlage einer Rechtfertigung? Die Betrachtung zu Pflichtenkollisionen mit Unternehmens- bzw. Gesellschaftsbezug soll mit einer Besonderheit des Untreuestrafrechts eröffnet werden. Für die Vielgestaltigkeit der Vermögensfürsorgeverhältnisse, in denen der Untreuetatbestand in Konzernverhältnissen relevant werden kann,275 ist erwogen worden, ein übergeordnetes „Konzerninteresse“ als Teil der Rechtfertigung anzuerkennen.276 Der Verweis auf ein solches Schutzgut käme einem Geschäftsleiter zugute, der an sich zum Nachteil seiner „eigenen“ Gesellschaft handelt, dabei jedoch die Konzernstruktur als Ganzes fördern will. Wie verschiedene übergeordnete Belange eines Konzerns strafrechtlich einzuordnen sind, erscheint bisher kaum geklärt.277 Es finden sich zu dieser Frage bislang zumeist nur Andeutungen.278 Schon auf den ersten Blick fällt für Beispiel 20 auf, dass T als Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft darauf verweisen kann, die Darlehensvaluta verblieben in der „Einflusssphäre des Konzerns“279, woran sich eine gewisse Nähe zur Wahrnehmung eines übergeordneten Interesses zeigt, welches überwiegend als ein Strukturprinzip des Unrechtsausschlusses verstanden wird.280 Der Bezug zur Rechtfertigung liegt weiter deswegen nahe, weil die im Konzernrecht viel beachtete281 französische Strafrechtsprechung (Rozenblum-Doktrin) 275
Ausführlich Busch, Konzernuntreue, S. 56 ff. und passim. Vgl. Möhring, NJW 1967, 1, 8; Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 362, 366; ferner Maul, NZG 1998, 965, 968 („durch Konzerninteressen gerechtfertigte Maßnahmen“); ablehnend Tiedemann, AT, Rn. 218b; ders., in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21. 277 Siehe nur Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21. 278 Tiedemann, AT, Rn. 218b; vgl. ferner Schüppen, in: MAH Aktienrecht, § 24 Rn. 196: „erhebliches Strafbarkeitsrisiko“ auch für den Konzernvorstand; ausführlich Busch, Konzernuntreue, S. 203 ff., wobei die dort zitierten Beispielsfälle (S. 205, 208) allerdings aufgrund wirksamen Einverständnisses schon regelmäßig nicht pflichtwidrig sein dürften. 279 BGHSt 54, 52, 58. 280 Vgl. zu überwiegendem Interesse und Rechtfertigung schon: 2. Teil B.I.3.b). 281 Zu „Rozenblum“ einführend Maul, NZG 1998, 965, 966 ff.; vgl. für den Bezug zum Strafrecht ferner Busch, Konzernuntreue, S. 210 ff.; Anders, ZStW 114 (2002), 467, 493 ff.; 276
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ein übergeordnetes Konzerninteresse als Rechtfertigungstatbestand („fait justificatif“) anerkannt hat.282 In der deutschen Strafrechtsliteratur hat man für diese Entscheidung bereits „im vorsichtigen Vergleich […] Parallelen zu der Anwendung der Grundsätze des (übergesetzlichen) Notstands namentlich im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts“ ausgemacht.283 Um die nachfolgenden Erwägungen zu einem „übergeordneten Konzerninteresse“ richtig einzuordnen, sollen zunächst einschlägige Strafbarkeitsrisiken in Konzernstrukturen vor dem Hintergrund des § 266 Abs. 1 StGB umrissen werden [1.]. Daran anschließend wird zu erörtern sein, ob die aus der faktischen Konzernierung einer beherrschten Gesellschaft abzuleitenden Belange auf Ebene der Rechtswidrigkeit relevant werden können [2.]. 1. Grundlagen der Untreuestrafbarkeit im faktischen Konzern Im Rahmen von Konzernstrukturen entstehen zwischen einzelnen Gesellschaften Abhängigkeitsverhältnisse, ohne dass dabei die Rechtsträger in rechtlicher Hinsicht ihre Selbstständigkeit einbüßen, vgl. §§ 15 ff. AktG.284 Die rechtlichen Grundlagen sind in der gesetzlichen (sog. Vertragskonzern, §§ 291 ff. AktG)285 bzw. richterrechtlichen Ausgestaltung (sog. faktischer Konzern)286 verschieden. Wie anhand von Beispiel 20 deutlich wird, soll in der nachfolgenden Betrachtung der Schwerpunkt auf den faktischen Konzern unter Beteiligung einer abhängigen GmbH gelegt werden, in dem Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsverträge nicht bestehen. Für das Strafrecht in konzernierten Unternehmungen grundlegend und für die hier verfolgten Zwecke hinreichend ist, dass die Geschäftsleitung einer herrschenden Gesellschaft auf das vermögensrechtliche Schicksal einer beherrschten Gesellschaft Einfluss nimmt.287 Insofern ist im Ausgangspunkt unbestritten, dass Untreue zum
Ebenroth/Reiner, BB 1992 Beilage 13, 1, 16; Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870; vgl. zum Ganzen jüngst auch Teichmann, AG 2013, 184 ff. 282 C. cass. crim., 04. 02. 1985, Recueil Dalloz 1985, jur., 479; zur rechtfertigenden Wirkung von Konzerninteressen Anders, ZStW 114 (2002), 467, 496 ff.; Busch, Konzernuntreue, S. 212; vgl. im Zusammenhang mit § 308 Abs. 1 S. 2 AktG auch Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 110 („Strittig ist, ob […] der Konzernvorteil die Nachteilszufügung rechtfertigt“). 283 Anders, ZStW 114 (2002), 467, 498. 284 Statt Vieler Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, Einleitung Rn. 1 ff.; für das Untreuestrafrecht Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 31 Rn. 146 ff. 285 Vgl. zu den Rechtsgrundlagen des Vertragskonzernrechts unter Beteiligung einer GmbH statt Aller Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang GmbH-Konzernrecht, Rn. 632 ff. 286 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung BGHZ 95, 330 ff.; 122, 123, 130 („qualifiziert faktischer Konzern“); 149, 10 ff.; NZG 2008, 831 ff. 287 Sog. Gleichordnungskonzerne (§ 18 Abs. 2 AktG) sollen aus der Betrachtung ausgeklammert werden.
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Nachteil nur der einzelnen Gesellschaft möglich ist, der Konzern als Ganzes indes nicht Geschädigter in diesem Sinne sein kann.288 Liegt wie in Beispiel 20 ein durch Beherrschung geprägtes Konzernverhältnis vor, muss in Ansehung der Untreuestrafbarkeit differenziert werden: Die Leitungsorgane – etwa den Vorstand der K-AG – der herrschenden Gesellschaft wird bei Einflussnahme auf eine GmbH als Tochtergesellschaft regelmäßig eine Vermögensbetreuungspflicht auch289 hinsichtlich des Vermögens der beherrschten Gesellschaft treffen.290 Eine solche Pflichtenstellung liegt in der Gestaltungsmacht der Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH begründet: „Dort wird Mehrheitsherrschaft mühelos in Leitungsmacht überführt.“291 Schon aus diesem Umstand lässt sich in Beispiel 20 eine Vermögensbetreuungspflicht des Vorstands der K-AG für die T-GmbH ableiten.292 Dies gilt nach Auffassung der Rechtsprechung jedenfalls, wenn – wie in Beispiel 20 – Vermögenswerte der beherrschten Gesellschaft in einem solchen Ausmaß transferiert werden, dass die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft gefährdet wird.293 Umgekehrt ist weniger eindeutig, ob auch für die Leitungsorgane einer beherrschten Gesellschaft eine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens der herrschenden Gesellschaft bestehen kann.294 Eine solche ergibt sich jedenfalls im faktischen Konzern nicht unmittelbar aus der Möglichkeit, zulasten der Allein- oder Mehrheitsgesellschafterin Regressansprüche auszulösen. Vermögensfürsorgepflichten beruhen entweder auf dem rechtlichen Verhältnis zu einer Gesellschaft oder auf der tatsächlichen Möglichkeit
288 Vgl. BGH NJW 1997, 66, 67; BGHSt 49, 147 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 356; Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 42; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 20; ausführlich auch zu mittelbaren Nachteilen Busch, Konzernuntreue, S. 199 ff.; Arnold, GmbH- und Aktienkonzern, S. 93 ff. 289 Dass daneben eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der „eigenen“ Gesellschaft besteht, ist unproblematisch. 290 Vgl. BGHSt 49, 147, 157 ff.; NJW 1997, 66, 67; Radtke/Hoffmann, GA 2008, 535, 550 f.; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 376; daraus kann freilich nicht geschlossen werden, dass Gesellschafter i.A. vermögensbetreuungspflichtig wären, vgl. LK12Schünemann, § 266 Rn. 247, 265 f.; Tiedemann, JZ 2005, 45, 47; Krause, JR 2006, 51, 52. 291 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 17 IV 2; zitiert bei Fleischer, NJW 2004, 2867, 2868 [dortige Hervorhebung beibehalten]. 292 Str., wie hier Fleischer, NJW 2004, 2867, 2868; Beckemper, GmbHR 2005, 592, 594 f.; Ransiek, wistra 2005, 121, 123 f.; zurückhaltender Tiedemann, JZ 2005, 45, 46 f. 293 BGHSt 49, 147, 160 f.; BGHSt 54, 52, 58 f.; vgl. ferner Joecks, in: MüKo GmbHG, Vor § 82 Rn. 53 ff. 294 Vgl. etwa die Entscheidung OLG Koblenz wistra 1984, 79 f., wo eine Untreue des Geschäftsführers einer durch Unternehmensvertrag beherrschten GmbH auch gegenüber der herrschenden Gesellschaft angenommen wird. Dieses Ergebnis kann jedoch nicht unbesehen auf faktische Konzerne übertragen werden. Zum Ganzen S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 87; Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 357 ff.; Beckemper, GmbHR 2005, 592, 594 f.; Wagner, Untreue, S. 200; gegen eine solche Treupflicht ferner S/S-Perron, § 266 Rn. 26; restriktiv auch Busch, Konzernuntreue, S. 122 ff.
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zur Einflussnahme auf deren Vermögensbelange.295 Die Interessen einer herrschenden Gesellschaft und vor allem auch die Belange des Gesamtkonzerns als „Konglomerat von Rechtsträgern“ lassen sich in der Pflichtenstellung der Geschäftsleitung eines abhängigen Unternehmens damit nicht ohne weiteres abbilden.296 Gegenstand der Betreuungspflicht ist allein das Vermögen der einzelnen Gesellschaft. Für die hier zu untersuchende „Rechtfertigung durch Konzerninteressen“ ist deshalb relevant, dass ein Leitungsorgan der beherrschten Gesellschaft durch den Abschluss nachteiliger Geschäfte für die eigene Gesellschaft auch dann Strafbarkeitsrisiken eingeht, wenn es „zum Wohle des Konzerns“ bzw. (genauer) eines anderen Konzernunternehmens handelt.297 In Beispiel 20 steht für T und nach hier vertretener Auffassung ebenso für den Vorstand der K-AG eine Untreuestrafbarkeit im Raum: Beide Geschäftsleiter verletzen – vorbehaltlich der weiteren Ausführungen – durch die Ausreichung des Kredits an die Konzernmutter bzw. eine dahingehende Weisung ihre Vermögensfürsorgepflichten, die jeweils gegenüber der T-GmbH bestehen und fügen dieser dadurch einen Nachteil zu. Für die praktisch relevanten298 Strafbarkeitsrisiken des Geschäftsführers einer beherrschten GmbH im faktischen Konzern, welche anhand von Beispiel 20 veranschaulicht werden, ist darüber hinaus Folgendes zu beachten: Das tatbestandsausschließende Einverständnis der Konzernmutter, die sämtliche Anteile an der beherrschten Gesellschaft hält, unterliegt nach gefestigter Rechtsprechung im Strafrecht gewissen Einschränkungen. Die Zustimmung ist wirkungslos, wenn (i) das Stammkapital der Tochtergesellschaft durch die konsentierte Maßnahme beeinträchtigt,299 (ii) deren Existenz dadurch konkret gefährdet würde300 oder (iii) die Zustimmung bei bestehender Überschuldung bzw. aufgezehrtem Stammkapital erteilt wird.301 Insofern ist freilich bedeutsam, dass ein vollwertiger Ausgleichsanspruch gegen die Konzernmutter, wie er sich für eine vertraglich konzernierte Tochter bereits aus § 302 Abs. 1 AktG ergibt, den Nachteil entfallen lassen
295 Vgl. allgemein nur BGHSt 24, 386, 387 („Betreuung fremder Vermögensinteressen von einiger Bedeutung“); NJW 2013, 624, 626 („schützenswertes Vertrauen in die pflichtgemäße Wahrnehmung der Vermögensinteressen“); vgl. weiter Fischer, § 266 Rn. 33 ff.; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 37 f. 296 Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 42; vgl. ferner Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 274; Liebscher, in: MüKo GmbHG, Anhang GmbH-Konzernrecht Rn. 591; Arnold, GmbH- und Aktienkonzern, S. 75 („lediglich mittelbare Schutzwirkung der Untreue zugunsten von Konzernen“); Drygala/Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 42 Rn. 2 ff. 297 Vgl. LK12-Schünemann, § 266 Rn. 136, 265; Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 29 m.w.N.; Waßmer, Untreue, S. 107 ff. 298 Vgl. auch Bayer, in: MüKo AktG, § 18 Rn. 8 ff.; Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 424 f. 299 Vgl. BGHSt 3, 32, 39 f.; 9, 203, 216; NJW 2000, 154, 155. Vgl. aber auch § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG. 300 Vgl. BGHSt 49, 147, 157 ff.; 54, 52, 57; NJW 1997, 66, 69; wistra 2006, 229, 230. 301 Vgl. BGH wistra 1990, 99; wistra 1999, 381 ff.
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kann.302 Nach diesen Grundsätzen konnte in Beispiel 20 der Vorstand der K-AG für die Alleingesellschafterin ein wirksames Einverständnis nicht erklären. Die infolge der Kreditgewährung entstandene Liquiditätslage der T-GmbH gefährdet deren Existenz, weswegen die Zustimmung einer Alleingesellschafterin ohne Wirkung bleibt. Auch ist aufgrund von Zweifeln an der Bonität der Muttergesellschaft der Darlehensanspruch nicht vollwertig. Vermag ein von der Konzernmutter erteiltes Einverständnis auf Tatbestandsebene die Pflichtwidrigkeit wegen der von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen nicht auszuschließen, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie sich ein übergeordnetes „Interesse des Gesamtkonzerns“ auf die Strafbarkeit der betroffenen Geschäftsleiter auswirkt. 2. Konzerninteresse als Gesichtspunkt eines Unrechtsausschlusses bei fehlender Dispositionsbefugnis der Gesellschafter? Die beschriebene Problematik ergibt sich zunächst, wenn der Geschäftsführer einer beherrschten GmbH wie T in Beispiel 20 von der herrschenden und alle Geschäftsanteile haltenden Muttergesellschaft angewiesen wird, ein für „seine“ Tochtergesellschaft bestandsgefährdendes Geschäft zu tätigen.303 Auch die Tilgung von Verbindlichkeiten einer anderen Konzerngesellschaft oder das Bestellen einer entsprechenden Sicherheit können trotz Gesellschafterzustimmung haftungsträchtige Geschäfte darstellen.304 Die Berücksichtigung übergeordneter Belange könnte in Konzernverhältnissen darüber hinaus wohl auch dann relevant werden, wenn die Muttergesellschaft nicht alleinige Inhaberin der Anteile an der Tochter-GmbH ist. In diesen Konstellationen vermag eine formlos ergangene Weisung der Konzernmutter die Treupflichtverletzung nach herrschendem Verständnis nicht wirksam auszuschließen.305 Auch wenn in Beispiel 20 die K-AG nur 90 % der Geschäftsanteile an der T-GmbH hielte, käme es daher auf ein übergeordnetes Interesse des Konzerns an, ohne dass eine Existenzgefährdung der abhängigen Gesellschaft vorliegen müsste.
302 Sogleich näher, siehe zunächst nur Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 31 Rn. 151c; Tiedemann, in: FS v. Caemmerer, S. 643, 645 ff.; ders., AT, Rn. 218; LK12-Schünemann, § 266 Rn. 266; Busch, Konzernuntreue, S. 196 f. Vgl. aus dem Gesellschaftsrecht einführend Krieger, in: Hdb. Gesellschaftsrecht, Bd. 4, § 69 Rn. 85 ff.; Müller, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 311 Rn. 50 ff. jeweils m.w.N. 303 Vgl. auch Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 361: „Komplikationen tauchen erst jenseits [des wirksamen Einverständnisses] auf“; ferner Anders, ZStW 114 (2002), 467, 499; für das Cash-Pooling auch Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 428, 434 (Haftungsrisiken vor allem in Krisensituationen des Konzerns). 304 Zu weiteren Beispielen Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 361 m.w.N. 305 Vgl. BGH NJW 2010, 3458, 3461; Übersicht bei Fischer, § 266 Rn. 93 ff.; S/S-Perron, § 266 Rn. 21; Tiedemann, AT, Rn. 217; vgl. zu Personengesellschaften auch Soyka, Untreue, S. 104 ff.
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a) Ausschluss des Nachteils durch Konzerninteressen? Die strafrechtliche Dogmatik steht deshalb vor der Herausforderung, verschiedene Gesichtspunkte, welche sich für eine Tochtergesellschaft aus der Zugehörigkeit zum faktischen Konzern ergeben können, in den Deliktsaufbau der Untreue zu integrieren. Für derartige Belange bieten sich deliktssystematisch zwei denkbare Ansatzpunkte: Wie bereits angedeutet, ist zum einen zu erwägen, aus der Konzernzugehörigkeit abzuleitende Vorteile bereits im Rahmen des Nachteilsbegriffs zu berücksichtigen.306 Zum anderen erscheint die Möglichkeit eines Unrechtsausschlusses auf Ebene der Rechtswidrigkeit denkbar.307 Letzteres Konzept ist nach den allgemeinen Maßstäben dann vorzugswürdig, wenn gegenläufige Wertungen der Gesamtrechtsordnung zu berücksichtigen sind, die über den abstrakten Unrechtsgehalt des Untreuestraftatbestands hinausgehen.308 In dem Nachteilsbegriff gehen zunächst solche Vorteile der Konzernzugehörigkeit auf, welche für diejenige Gesellschaft, der ein Geschäftsleiter gegenüber vermögensbetreuungspflichtig ist, einen messbaren Vermögenswert ergeben.309 Eine Möglichkeit zur Saldierung wird man vor allem bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrages annehmen können, wenn eine Muttergesellschaft zum Ausgleich der entstandenen Verluste verpflichtet ist, vgl. § 302 Abs. 1 AktG.310 Denn dann entsteht eine rechtliche Verbindlichkeit der Konzernmutter, welche in der Bilanz der Tochtergesellschaft als Forderung der Nachteilssaldierung gemäß § 266 StGB zugänglich ist.311 In Beispiel 20 träte bei Ausreichung des upstream-loans ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB ein, da der Darlehensanspruch der T-GmbH schon aufgrund der wirtschaftlichen Situation der K-AG nicht vollwertig sein dürfte.312 Des Weiteren sei angemerkt, dass ein gesellschaftsrechtlicher Restitutionsanspruch der T-GmbH nach Abkehr der zivilrechtlichen Rechtsprechung313 von der Figur der „qualifiziert 306
Vgl. zunächst nur Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870; Busch, Konzernuntreue, S. 203 ff. Für den Bezug zur Rechtfertigung aus strafrechtlicher Perspektive Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21; ders., AT, Rn. 218b; vgl. ferner oben Fn. 276, 282. 308 Vgl. o.: 2. Teil B.II.1. 309 Statt Aller Fischer, § 266 Rn. 115 m.w.N.; Joecks, in: MüKo GmbHG, Vor § 82 Rn. 62 ff.; ausführlich zur Vollwertigkeit von Ansprüchen in einem konzernweiten Cash-PoolSystem auch Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 431 ff. 310 Vgl. dazu auch Tiedemann, in: FS v. Caemmerer, S. 643, 645 f.; ders., AT, Rn. 218 a.E.; zur Fallgruppe des ausgleichswilligen und -fähigen Treunehmers siehe unter dem Aspekt der mutmaßlichen Einwilligung bereits oben: 3. Teil C.V.2.b). 311 Einschränkend in Ansehung von bloß „mittelbaren Nachteilen“ für die beherrschte Gesellschaft deshalb Busch, Konzernuntreue, S. 199 ff. („bei Begriffen wie Schwächung des Gesamtkonzerns […] sollten die Alarmglocken schrillen“); Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 29, 35. 312 Zur Bewertung von Ausgleichsansprüchen etwa Ekkenga, in: MüKo GmbHG, § 30 Rn. 240 ff.; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 27 ff. m.w.N.; vgl. auch BGHSt 54, 52, 54. 313 Vgl. zunächst BGHZ 95, 330, 343; 115, 187, 192 und dann BGHZ 151, 181, 186 ff.; 176, 204 ff.; zum Ganzen nur Hüffer, AktG, § 1 Rn. 23 ff. 307
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faktischen Konzernierung“ nunmehr die Anforderungen des § 826 BGB („Existenzvernichtung“) erfüllen muss.314 Gleichwohl ist im faktischen Konzern schon unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit nicht immer eindeutig, ob Vorteile aus dem Konzernverhältnis überhaupt für den Nachteilsausgleich berücksichtigungsfähig sein können. Schließlich gibt die Untreuedogmatik vor, dass solche Vermögenszuflüsse im Rahmen des § 266 StGB unbeachtlich bleiben, die dem Treugeber bloß mittelbar aufgrund der Tathandlung zufließen.315 Zwar sind aufgrund der jüngsten Rechtsprechung Zweifel an der Restriktionsfähigkeit dieses Merkmals aufgekommen.316 An dem Kriterium wird gleichwohl jedenfalls der Bezug der strafrechtlichen Betrachtungsweise zur einzelnen Tat deutlich. Ein sich allgemein aus der Zugehörigkeit zu einer Konzerngruppe ergebender Anspruch bzw. eine bloß tatsächliche Aussicht auf einen Ausgleich genügt diesem Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht ohne weiteres. Vor allem langfristige Vorteile, die erst nach Jahren kompensierend wirken, stellen die auf Verrechenbarkeit angelegte Saldierung in der Untreue vor große Herausforderungen.317 Darüber hinaus reicht insbesondere auch der Vermögenszuwachs bei einem anderen Konzernunternehmen derselben Gruppe nicht aus, um den Nachteil entfallen zu lassen.318 Letztgenannter Grundsatz ist dem Umstand geschuldet, dass im Rahmen der Nachteilsaldierung der Eintritt eines vermögenswerten Vorteils bei der einzelnen Gesellschaft als Vermögensträgerin – in Beispiel 20 also bei der T-GmbH – erfolgen muss und Vorteile Dritter auch bei einer engen Verbindung zum Treugeber dem nicht genügen.319 Wer dies durch eine erweiterte Einbeziehung von Vorteilen320 oder auch im Wege einer „systemimmanenten Fortentwicklung“321 aufgeben wollte, gefährdet die rechtlich eindeutige Bestimmbarkeit des Vermögensträgers, wofür die wirtschaftliche Zuordnung von Vermögen nicht die allein entscheidende Rolle spielt.322 314 BGHZ 173, 246 ff.; 179, 344 ff.; NJW-RR 2008, 918 f. Darüber hinaus ist zw., ob ein solcher Regressanspruch überhaupt im Nachteilsbegriff zu berücksichtigen wäre, vgl. nur Joecks, in: MüKo GmbHG, Vor § 82 Rn. 64. 315 BGHSt 52, 323, 337 f.; NStZ 2011, 520, 521; NJW 2011, 2675, 2677; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 107; S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 57; für den Konzern Busch, Konzernuntreue, S. 203, 205 ff.; Otto, Aktienstrafrecht, Vor § 399 Rn. 60; kritisch zu dem Kriterium jüngst Bittmann, NStZ 2012, 57, 60 m.w.N. 316 BGHSt 55, 288, 305; 56, 203, 220 f.; dazu einführend Wittig, in: Beck OK, § 266 Rn. 39.1. 317 Vgl. zunächst nur Anders, ZStW 114 (2002), 467, 498, 503; Wiedemann/Fleischer, in: Hdb. Konzernfinanzierung, § 29 Rn. 29, 38 f.; Busch, Konzernuntreue, S. 205 ff. Näher sogleich. 318 Vgl. nochmals Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 356; Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 29; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 20; Busch, Konzernuntreue, S. 199 ff.; Arnold, GmbH- und Aktienkonzern, S. 93 ff. 319 Wie hier S/S-Perron, § 266 Rn. 41; vgl. auch BGH NStZ 1986, 455 f. 320 In diese Richtung Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, S. 573 ff. 321 Busch, Konzernuntreue, S. 207 ff.; vgl. auch Anders, ZStW 114 (2002), 467, 503. 322 Siehe nur NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 30 m.w.N.
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Dass im faktischen Konzern die Saldierung ausschließlich auf das einzelne Unternehmen zu beziehen ist, wird letztlich auch an dem den §§ 311 ff. AktG zugrunde liegenden Leitbild eines unabhängigen Geschäftsleiters deutlich.323 Einer konzernweiten Saldierung von Vor- und Nachteilen ist die Untreue deshalb aufgrund der Bindung von Vermögensinteressen an die einzelne Konzerngesellschaft als Rechtsträger nicht zugänglich. Darüber hinaus ergeben sich Schwierigkeiten für die Verrechenbarkeit, wenn ein faktischer Konzern oder eine geschädigte Tochtergesellschaft – z. B. als gGmbH – nicht ausschließlich wirtschaftlich-unternehmerische Zwecke verfolgt. Der auch für den Nachteil in der Untreue diskutierte Gedanke der Zweckverfehlung324 wird jedenfalls kaum eine quantitativ erfassbare Größe ergeben, wenn immaterielle oder idealistische Ziele aufgrund einer Bestandsbedrohung gefährdet werden. Vorstehende Erwägungen zeigen, dass der Nachteilssaldierung im Strafrecht bei Zugehörigkeit einer abhängigen Gesellschaft zu einem faktischen Konzern Grenzen gesetzt sind, die der Verbindung zu anderen Gesellschaften nicht vollumfänglich Rechnung tragen. Für Beispiel 20 lässt sich zusammenfassen, dass T als Geschäftsführer der T-GmbH seine Pflichten verletzt, wenn er den Bestand der Gesellschaft gefährdet. Seine Vermögensbetreuungspflicht ist nicht darauf gerichtet, das „Konzernwohl“ im Ganzen zu wahren. Vielmehr ist er auch in Fällen der Zustimmung zu existenzgefährdenden Geschäften zunächst ausschließlich den Belangen der T-GmbH verpflichtet. Handelt er gemäß der Weisung aus der Konzernleitung und gewährt den Kredit gleichwohl, genügt er diesen Vorgaben nicht. Darüber hinaus fehlt es im Beispiel an einem vollwertigen Rückzahlungsanspruch, der einem Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB entgegenstehen könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint maßgeblich, ob anderweitige „Vorteile“, die sich aus der Konzernierung der Gesellschaft ergeben könnten, das tatbestandlich verwirklichte Unrecht ausnahmsweise ausschließen.325 b) Rolle des Konzerninteresses im Unrechtsausschluss Aufgrund der bloß lückenhaften Erfassbarkeit von konzernspezifischen Auswirkungen einer strafrechtsrelevanten Geschäftsleiterhandlung im Nachteilsbegriff326 bleibt zu untersuchen, ob ein „übergeordnetes Interesse“ im faktischen Konzern das Leitungsorgan einer beherrschten Gesellschaft, das wie T in Beispiel 20 zum Nachteil des „eigenen“ Unternehmens handelt, rechtfertigen kann. Nach hier vertretener Auffassung zum Bestehen von Vermögensbetreuungspflichten stellt sich 323 Vgl. Altmeppen, in: MüKo AktG, § 311 Rn. 400; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 8; Krieger, in: Hdb. Gesellschaftsrecht, Bd. 4, § 69 Rn. 24. 324 Vgl. nur NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 104 f. m.w.N. 325 Vgl. auch Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 31 Rn. 151c („irgendwie geartetes Konzerninteresse kann […] keine Kompensation für Nachteil darstellen“). 326 Vgl. ausführlich nochmals Busch, Konzernuntreue, S. 205; Anders, ZStW 114 (2002), 467, 503; Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870.
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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dieselbe Frage im Hinblick auf den eine Weisung für die herrschende Gesellschaft erteilenden Geschäftsleiter – im Beispiel also den Vorstand der K-AG. aa) Keine Rechtfertigung aufgrund von Weisungen aus der Konzernspitze Insoweit ist zunächst darauf zu verweisen, dass eine Rechtfertigung im faktischen Konzern nicht bereits aufgrund der Weisung als solches eintritt:327 Schließlich ist eine Gesellschafterweisung in den hier interessierenden Fallgruppen selbst rechtswidrig bzw. sogar nichtig. Dies ist im Gesellschaftsrecht für existenzgefährdende Weisungen in faktischen Konzernverhältnissen unter Beteiligung einer GmbH anerkannt.328 Doch auch wenn eine konzernfreie Minderheit, die an der abhängigen Gesellschaft Anteile hält, durch nachteilige Geschäfte geschädigt werden soll, ist eine auf entsprechendes Geschäftsleiterverhalten gerichtete Weisung des herrschenden Unternehmens wegen Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treupflicht rechtswidrig.329 Der Vorstand der K-AG konnte in Beispiel 20 T demnach nicht wirksam zur Auszahlung des Darlehens verpflichten. Damit mag es auf den ersten Blick naheliegen, die Möglichkeit einer Rechtfertigung auch strafrechtlich zu verwerfen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH-Tochter gesellschaftsrechtlich die Weisung nicht zu beachten hat.330 Übergeordnete Belange des gesamten Konzerns blieben insofern strafrechtlich jedoch unberücksichtigt. Weiter ginge eine solche Sichtweise wohl an der Praxis innerhalb von Konzernstrukturen vorbei,331 wenn die Entscheidung des T, den upstream-loan der K-AG nicht zu gewähren, zum „existenzvernichtenden Eingriff für die persönliche Existenz“332 wird. Schließlich ist auch in normativer Hinsicht nicht offensichtlich, dass strafrechtliche Sanktionen geboten sind, wenn der Geschäftsleiter der beherrschten Gesellschaft das übergeordnete Interesse der Un327
Zur Rechtfertigung durch Weisungen bereits oben: 4. Teil B.I. Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 17, 8; vgl. dazu nochmals BGHZ 149, 10 ff.; 173, 246 ff.; ferner Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 695; Drygala/Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 42 Rn. 4; Hangebrauck, Kapitalaufbringung, S. 541 m.w.N. („Geschäftsführer trifft Widersetzungspflicht zum Cash-Pooling-Beitritt, wenn Konzernverbund am Tropf hängt“). 329 Vgl. BGHZ 65, 15 ff.; Konzen, NJW 1989, 2977, 2980 ff.; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnh Konzernrecht Rn. 77 ff.; Habersack, in: Emmerich/ Habersack, Konzernrecht, § 318 Anh. Rn. 24 ff.; Drygala/Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 42 Rn. 63. 330 Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21; ders., AT, Rn. 218b will nur geringfügige Nachteile für eine Tochtergesellschaft „kompensiert“ wissen, Existenzgefährdungen jedoch „keinesfalls rechtfertigen“. 331 Vgl. für den Interessenkonflikt der Geschäftsführung in einer abhängigen GmbH allgemein Drygala/Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 42 Rn. 5: „die […] Kluft zwischen rechtlichen Anforderungen und Konzernpraxis ist beträchtlich.“ 332 Vetter/Stadler, Haftungsrisiken, Rn. 239 f.; vgl. in Ansehung einer Cash-Pool Vereinbarung auch Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 434: „Brisanz der Lage des Geschäftsführers“. 328
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
ternehmensgruppe im Auge hat.333 Einige Erwägungen zur Bedeutung einer möglichen Rechtfertigung der Beteiligten in Beispiel 20 sind daher angezeigt. bb) Bestimmung der Rechtfertigungsregel Wie gesehen, läuft in der Sache aus Sicht des Geschäftsführers einer beherrschten Gesellschaft im faktischen Konzern dem Gesellschaftsinteresse der abhängigen GmbH ein „übergeordnetes Konzerninteresse“ zuwider.334 Während in Beispiel 20 etwa die Belange des gesamten Konzerns wohl eine Maßnahme erforderten (Konzentration der Liquidität bei der Konzernmutter in der Krise des Konzerns), verbietet das Gesellschaftsinteresse der T-GmbH dieselbe unter Strafandrohung. Zwar entsteht rechtlich gesehen aufgrund der Unverbindlichkeit der Weisung durch die Muttergesellschaft nicht schon eine echte Pflichtenkollision. Gleichwohl spricht dieser Befund strafrechtlich noch nicht abschließend gegen eine Rechtfertigung, weil gesellschaftsrechtliche Rechtswidrigkeit auch bei Erfüllung eines Straftatbestands noch keine hinreichende Bedingung für eine Verhaltenskriminalisierung darstellt.335 Gegen einen strengen Gleichklang von Rechtswidrigkeit der Weisung und Unrecht der Untreue spricht weiter, dass für den Vertragskonzern die gesetzlichen Vorgaben in § 308 Abs. 2 S. 2 AktG dem Geschäftsleiter einer abhängigen Gesellschaft einen besonders großzügigen Maßstab gewähren und damit schon für dessen zivilrechtliche Haftung eine „doppelte Rechtswidrigkeit“336 vorliegen muss.337 Diese Wertung streitet auch im Hinblick auf den faktischen Konzern dafür, die gesellschaftsrechtliche Rechtswidrigkeit einer Weisung nicht unbesehen auf das Strafrecht zu übertragen. Schließlich fällt auf, dass die beiden für Rechtfertigungsgründe maßgeblichen Strukturprinzipien – der schonende Ausgleich widerstreitender Belange über den Erforderlichkeitsgrundsatz und das überwiegende Interesse anderer Gesichtspunkte aus der Gesamtrechtsordnung –338 auch den Konflikt des G in Beispiel 20 zwischen Gesellschafts- und Konzerninteresse kennzeichnen.339
333 Wie hier will Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 362 auch bei unwirksamen Einverständnissen die Konzernzugehörigkeit im Rahmen strafrechtlicher Haftung berücksichtigen. Im Ausgangspunkt ähnlich Anders, ZStW 114 (2002), 467, 503 ff.; Busch, Konzernuntreue, S. 216 ff., der Existenzgefährdungen aber ausklammert. 334 Vgl. dazu auch Drygala/Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 42 Rn. 2 m.w.N.; Koppensteiner, in: KK AktG, § 308 Rn. 71; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 154 f. m.w.N. 335 LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 21; Roxin, AT I, § 14 Rn. 31, 33; S/S-Lenckner/SternbergLieben, Vor § 32 Rn. 27. 336 So Servatius, in: Michalski, GmbHG, Konzernrecht Rn. 152. 337 Vgl. dazu schon oben: 4. Teil C.I.2. 338 Zu beiden s. o.: 2. Teil B.I.3.a), b). 339 Vgl. zum Folgenden auch Anders, ZStW 114 (2002), 467, 498 f.
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Diese Charakteristika sowie das Handeln zugunsten gegenwärtig gefährdeter Konzernbelange weisen den Weg zur Rechtfertigungsregel des § 34 StGB: Soweit für in Betracht zu ziehende Erhaltungsgüter, die sowohl der faktisch konzernierten Tochtergesellschaft als auch einem anderen Konzernunternehmen („Notstandshilfe“) als Interessensträger zugeordnet sein können, eine (Dauer-)Gefahr besteht, erscheint ein Unrechtsausschluss aufgrund rechtfertigenden Notstands nicht ausgeschlossen. Ohne dass nachfolgende Erwägungen imstande wären, die Problematik abschließend auszuleuchten, soll eine rechtliche Konkretisierung des „Konzerninteresses“ versucht und nach einschlägigen Schutzgütern gefragt werden, denen eine Kreditgewährung durch T in Beispiel 20 zugutekäme. cc) Rechtliche Präzisierung möglicher Erhaltungsgüter Für eine faktisch konzernierte Tochtergesellschaft, die aufgrund der von der Rechtsprechung für die Zustimmung aufgestellten Grenzen rechtswidrig dazu angewiesen wird, Vermögensbestandteile konzernintern weiterzugeben, kommt zunächst ein Handeln zugunsten eigener Interessen in Betracht. Erhaltungsgüter wären damit diejenigen Vorteile, die sich für eine beherrschte Gesellschaft aus der Einbeziehung bzw. dem Verbleib in einen Konzernverbund ergeben.340 Vor-aussetzung für die Berücksichtigung solcher Belange in der Notstandsabwägung ist freilich, dass man mit der h.M. zu § 34 StGB341 eine Personenidentität des Trägers von Eingriffsund Erhaltungsgut für möglich hält. Konkret geht es für die T-GmbH in Beispiel 20 z. B. um die Aussicht, sich aufgrund der Konzernzugehörigkeit günstiger als am Markt refinanzieren zu können,342 Konzernmarken nutzen zu können oder in den Genuss von Kostenvorteilen eines konzernweiten Liquiditätsmanagements zu kommen.343 Sollten diese Positionen dem Vermögenswert nach erfassbar sein,344 können sie bereits die Treupflichtverletzung bzw. den Nachteil ausschließen. Anderenfalls – und das dürfte für langfristig erhoffte Vorteile der Regelfall sein – kommt eine Berücksichtigung als Erhaltungsinteresse im Rahmen von § 34 StGB in Be-
340 Vgl. Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870 („schwierige Frage“); Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21. 341 Vgl. nur Kühl, AT, § 8 Rn. 34; S/S-Perron, § 34 Rn. 8a m.w.N.; kritisch jüngst Engländer, GA 2010, 15, 25 f. Aufgrund der im Folgenden zu behandelnden gesellschaftsfremden Erhaltungsgüter kommt es hierauf i.E. jedoch nicht entscheidend an. 342 Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 691 („anteiliges Weiterreichen von eingesparten Finanzierungs- und Verwaltungskosten“); Arnold, GmbH- und Aktienkonzern, S. 230 f.; vgl. auch Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 426, 439 Fn. 97; für das Cash-Pooling ferner Vetter/Stadler, Haftungsrisiken, Rn. 8. 343 Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 311 Rn. 230 m.w.N.; näher Hormuth, Cash Management, S. 83 ff.; vgl. auch Busch, Konzernuntreue, S. 204 („geringere Stückkosten“). 344 Vgl. zur regelmäßig fehlenden Entgeltfähigkeit ausführlich Wiedemann/Fleischer, in: Hdb. Konzernfinanzierung, § 29 Rn. 29, 38 f.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
tracht.345 Insofern ist freilich nicht der abstrakte Rang dieser Güter ausschlaggebend, sondern vielmehr die konkrete Größe der Rettungschancen in Ansatz zu bringen.346 Das Gewicht dieser Vorteile richtet sich fallbezogen nach der wirtschaftlichen Situation des gesamten Konzerns und deshalb regelmäßig wesentlich nach der Bonität der Konzernmutter.347 In Beispiel 20 dürfte also von Bedeutung sein, wie groß die sich aus einer Konzernierung ergebenden Vorzüge für die T-GmbH voraussichtlich348 sein werden. Wenn ohne den sog. Konzernrückhalt349 durch Aufgabe von Synergieeffekten, erhöhte Kreditwürdigkeit etc. ein wirtschaftlich erfolgreiches Weiterführen der T-GmbH ausgeschlossen erscheint, muss sich dieses geringere Gewicht der Eingriffsseite auf die Notstandsabwägung auswirken. Weiter ist freilich maßgeblich, wie sehr der gesamte Konzernverbund vor dem Hintergrund der verlustreichen Mietgeschäfte bereits in Schieflage geraten ist. Daneben kommt es vor allem auf das Konzerninteresse als Drittbelang an: Es wird darauf hingewiesen, dass „positive Synergie- und sonstige Verbundeffekte im Einzelfall das Eigeninteresse der beherrschten GmbH im faktischen Konzern überlagern können“.350 Angesprochen sind damit solche gesellschaftsfremden Schutzgüter, deren Rechtsträgerin die faktisch abhängige Gesellschaft nicht ist. Sie sind für eine Rechtfertigung zugunsten von T in Beispiel 20 zu berücksichtigen, da dieses „übergeordnete Konzerninteresse“ einem anderen Vermögensinhaber zugeordnet ist und deshalb nicht bereits tatbestandsausschließend wirkt. Welche Rolle der Belang für die Untreuestrafbarkeit spielt, ist bislang offen.351 Ein Vermögenszuwachs bei einem wirtschaftlich verflochtenen Unternehmen bleibt nach dem zur Saldierung Gesagten unbeachtlich. Für Beispiel 20 bedeutet dies, dass zwar der Ausgleichsanspruch der T-GmbH gegen die K-AG wertmäßig im Nachteilsbegriff zu erfassen ist. Gleiches gilt indes nicht ohne weiteres auch für den Vorteil einer verbesserten Aussicht auf wirtschaftliche Stabilisierung, den die K-AG ihrerseits als Konzernmutter aus der gestärkten Liquiditätslage infolge der Darlehensgewährung erlangt.352 T würde im Beispiel als Notstandshelfer zugunsten dieses „Konzerninteresses“ tätig, wenn man ein solches anerkennt und § 34 StGB als Rechtfertigungsregel heranzieht.
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Vgl. Anders, ZStW 114 (2002), 467, 498 f.; zur „Rechtfertigungslösung“ auch Tiedemann, AT, Rn. 218b. 346 Statt Aller Kühl, AT, § 8 Rn. 123 ff. m.w.N. 347 Vgl. im Zusammenhang mit dem Nachteilsbegriff auch Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 439. 348 Den für die Beurteilung der Vollwertigkeit einer Forderung maßgeblichen Entscheidungsmaßstab der business judgment rule wird man hier übertragen können, vgl. auch v. Falkenhausen/Kocher, BB 2009, 121, 122; Rönnau, in: FS Samson, S. 423, 431 f. m.w.N. 349 Wiedemann/Fleischer, in: Hdb. Konzernfinanzierung, § 29 Rn. 38. 350 Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 362. 351 Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21. 352 Vgl. auch nochmals Busch, Konzernuntreue, S. 216 ff.; Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 29 m.w.N.
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Eine gesetzliche Anknüpfung für die rechtliche Anerkennung dieses Schutzguts bzw. auch zur Auflösung des Interessenkonflikts ließe sich § 308 Abs. 1 S. 2 AktG entnehmen. Danach dürfen einem vertraglich beherrschten Unternehmen auch nachteilige Weisungen erteilt werden, sofern dies den Belangen eines anderen Konzernunternehmens dient. Insofern soll es auf ein „Überwiegen der Vorteile“ bei gleichzeitiger Berücksichtigungsfähigkeit von bloß mittelbaren Wirkungen ankommen.353 Der von der vorherrschenden Auffassung im Gesellschaftsrecht betonte Maßstab der Verhältnismäßigkeit354 und die großen Schwierigkeiten, die mit einer saldomäßigen Erfassung des übergeordneten Konzerninteresses einhergehen,355 bestätigen für die strafrechtliche Behandlung den rechtfertigenden Notstand als einschlägigen Erlaubnissatz. Bemerkenswert ist weiter, dass die h.M. im Gesellschaftsrecht diesen für den Vertragskonzern geltenden Maßstab zumindest teilweise auf faktisch konzernierte Gesellschaften erstrecken will, wenn zwischen dem anweisenden Vertragsteil und dem begünstigten Unternehmen (§ 308 Abs. 1 S. 2, 2. Var. AktG) ein Unternehmensvertrag nicht verlangt wird.356 Wenngleich umstritten ist, ob das Recht zu nachteiligen Weisungen auch eine Existenzgefährdung der beherrschten Gesellschaft umfasst,357 wird an vorstehenden Überlegungen deutlich, dass ein übergeordnetes Konzerninteresse zumindest dem Grunde nach rechtliche Anerkennung erfahren hat und damit notstandsfähig sein muss.358 Mögliche Erhaltungsbelange sind nach alledem einerseits gesellschaftseigene Interessen am langfristigen Verbleib im Konzern (“Vermögenswerte Exspektanz“) und andererseits rechtlich greifbare Vorteile,359 die bei anderen faktisch konzernierten Unternehmen infolge der Untreuehandlung auftreten. dd) Interessenabwägung und Angemessenheit Die Interessenabwägung zwischen den genannten Erhaltungsbelangen und dem durch § 266 StGB geschützten Eingriffsrechtsgut gestaltet sich nicht zuletzt deswegen schwierig, weil dogmatisches Neuland betreten wird, das stark von gesellschaftsrechtlichen Wertungen überlagert ist. Im Ausgangspunkt schützt die Untreue das Vermögen der konzernierten Tochtergesellschaft. Gleichwohl erscheint eine 353
Statt Vieler Hüffer, AktG, § 308 Rn. 16 ff.; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 106 ff. m.w.N. 354 Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 26; Koppensteiner, in: KK AktG, § 308 Rn. 47; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 17 m.w.N. 355 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 43, 45, 59 ff. 356 Hirte, in: GroßKomm AktG, § 308 Rn. 49; Hüffer, AktG, § 308 Rn. 18; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 25 jeweils m.w.N. 357 Vgl. statt Vieler Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 Rn. 60 f.; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 308 Rn. 115 ff.; zu Weisungen und Unrechtsausschluss s. o.: 4. Teil D.I.2.b). 358 Vgl. o.: 3. Teil B.II.1.a). 359 Vgl. zu notstandsfähigen Belangen schon: 3. Teil B.V.2.c).
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solche Bestimmung des Eingriffsinteresses in den hier relevanten Sachverhalten verkürzt. Schließlich wird eine Rechtfertigung nur relevant, wenn die von der Rechtsprechung gesteckten Grenzen für das Einverständnis überschritten werden oder – bei Vorhandensein einer konzernfremden Gesellschafterminderheit – ein solches aus anderen Gründen nicht wirksam zu erreichen ist. In der Sache geht es demnach um Schutz der Gläubiger360 bzw. Minderheitenschutz zugunsten außenstehender Gesellschafter. Diese stehen den beschriebenen Erhaltungsbelangen gegenüber. Soweit es sich dabei um quantifizierbare Positionen handelt, die – etwa weil sie wie in Beispiel 20 einer anderen Konzerngesellschaft zugeordnet sind – nicht bereits den Nachteil ausgeschlossen haben, greifen die zum Geldnotstand entwickelten strengen Grundsätze361 ein. Auch für gesellschaftseigene Vorteile, die sich wertmäßig nicht erfassen lassen, kommt eine Notstandsabwägung in Betracht. Die Rechtfertigungsdogmatik verbietet ein „wesentliches Überwiegen“ von konzernbezogenen Belangen in dieser Situation jedenfalls nicht kategorisch. Ob und inwieweit in Beispiel 20 die K-AG als Konzernmutter jedoch vor dem Hintergrund des Haftungsprivilegs und der vernünftigerweise steigenden Risikobereitschaft in der Krise („gambling for resurrection“)362 im Sinne einer absoluten Grenze auf frische Fremd- oder Eigenkapitalzufuhr von Dritten zu verweisen ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht entschieden werden. Auch das französische Konzernstrafrecht, das grundsätzlich eine Rechtfertigung bei Handeln zugunsten eines intérêt commun bzw. intérêt du groupe zulässt, kennt die Existenzgefährdung einer Konzerngesellschaft als äußerste Grenze eines Unrechtsausschlusses.363 Die Wertung ist rechtspolitischer Natur und wäre für den rechtfertigenden Notstand in § 34 S. 2 StGB abzubilden, wonach eine Rettungshandlung zum Erhalt von Konzerninteressen bei Pflichtwidrigkeit dann per se unangemessen wäre. Vor dem Hintergrund der erhöhten Anforderungen, die an einen solchen kategorischen Ausschluss des rechtfertigenden Notstands im Wirtschaftsstrafrecht zu stellen sind,364 ist dieses Ergebnis aus strafrechtlicher Sicht zumindest nicht zwingend. Wenn in Beispiel 20 konzernbezogene Interessen die durch § 266 StGB materiell geschützten Eingriffsbelange der Gläubiger „wesentlich überwiegen“, kommt für das Strafrecht im Hinblick auf die Darlehensgewährung als letztes Mittel zur Rettung des gesamten Konzerns ein Unrechtsausschluss in Betracht.365
360 Vgl. dazu nur BGHSt 34, 379, 386; kritisch zu dieser Lesart des § 266 StGB etwa S/SPerron, § 266 Rn. 21b f. m.w.N. 361 s. o.: 3. Teil B.IV.1. 362 Siehe nur Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 43 m.w.N. 363 Dazu Anders, ZStW 114 (2002), 467, 498; Tiedemann, AT, Rn. 218b; Busch, Konzernuntreue, S. 218; vgl. auch Ebenroth/Reiner, BB 1992 Beilage 13, 1, 16 f. 364 s. o.: 3. Teil B.II.2.c). 365 A.A.: Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, Vor § 82 Rn. 21; Busch, Konzernuntreue, S. 217 f.; wie hier wohl Seier, in: Achenbach/Ransiek, V 2 Rn. 362; Sympathie für eine weitgehende Übertragung der Rozenblum-Kriterien bei Anders, ZStW 114 (2002), 467, 499 f.
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3. Zusammenfassung: Konzerninteressen in der Rechtswidrigkeit Ist in faktischen Konzerngruppen für einen zur Vermögensfürsorge verpflichteten Geschäftsleiter nicht bereits durch ein wirksames Einverständnis seitens der Muttergesellschaft der Untreuetatbestand ausgeschlossen, erscheint denkbar, dass Konzerninteressen auf Ebene der Rechtswidrigkeit bedeutsam werden. Eine Strafbarkeit nach § 266 StGB scheidet zunächst aus, wenn bereits vollwertige Ausgleichsansprüche einer abhängigen GmbH gegen ein anderes Konzernunternehmen der Annahme von Pflichtwidrigkeit oder Nachteil entgegenstehen. Die Bedeutung der Konzernzugehörigkeit lässt sich indes nicht immer bereits im Rahmen des Untreuetatbestands vollständig erfassen. Insbesondere kann es an der erforderlichen Unmittelbarkeit eines auf die Konzernzugehörigkeit zurückgehenden Vermögenszuflusses fehlen oder ein Vorteil bei einem anderen Unternehmen als fremdem Vermögensträger eintreten. Stehen Erhaltungsbelange in Rede, die sich in der Bilanz der beherrschten Gesellschaft nicht abbilden lassen, kann es deshalb auf § 34 StGB als Rechtfertigungsregel ankommen. Mögliche Schutzgüter sind zunächst nicht saldierbare Vorteile wie die Aussicht auf günstigere Refinanzierung, die sich für eine beherrschte Gesellschaft aus der Konzernzugehörigkeit ergeben. Darüber hinaus ist nach den Grundsätzen der Rechtfertigungslehre vor allem nicht ausgeschlossen, dass ein übergeordnetes Konzerninteresse (vgl. § 308 Abs. 1 S. 2 AktG) nachteilige Verfügungen zulasten der beherrschten Gesellschaft rechtfertigt. Vorstehende Erwägungen sollen erste Gesichtspunkte aufzeigen, die für einen strafrechtlichen Unrechtsausschluss im faktischen Konzern relevant werden können. Anspruch auf eine abschließende Lösung erheben sie nicht. In Beispiel 20 verletzen T und der Vorstand der K-AG jeweils ihre Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der T-GmbH als faktisch konzernierte Tochtergesellschaft: T lässt den upstream-Kredit ausreichen und danach ist nicht sichergestellt, dass die T-GmbH ihre Verbindlichkeiten bedienen kann. Des Weiteren steht die mangelhafte Bonität der K-AG einem vollwertigen Ausgleichsanspruch aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob zugunsten der Vermögensfürsorgepflichtigen jeweils berücksichtigt werden kann, dass die Konzentration der Liquidität bei der K-AG zur Beseitigung der Schieflage beitragen soll, in die der gesamte Konzern geraten ist. Als mögliche Erhaltungsgüter kommen zunächst künftige Vorteile der T-GmbH in Betracht, die sich aus der Konzernierung ergeben. Schließlich erscheint vor allem denkbar, auch das „übergeordnete Konzerninteresse“ als Schutzgut zu beachten, dessen rechtliche Anerkennung sich herleiten lässt.
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II. Verschiedene Fälle gesellschaftsrechtlicher Pflichtenkollisionen mit Bezug zum Strafrecht In einem nächsten Schritt soll für das Wirtschaftsstrafrecht veranschaulicht werden, welchen relevanten Pflichtenkollisionen sich der Geschäftsleiter eines Unternehmens im Einzelnen gegenübersehen kann. Derartige Konfliktsituationen, von denen Beispiel 21 eine veranschaulicht, sollen daraufhin geprüft werden, ob und inwieweit sie für die strafrechtliche Rechtfertigungslehre von Bedeutung sein können. Auch hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass die nachfolgende Behandlung sich insofern in ihrem Anspruch beschränkt, als eine vollständige Aufarbeitung der vielschichtigen Problemkreise nicht zu leisten ist. Gleichwohl lässt, wie zu zeigen sein wird, bereits die Verknüpfung von gesellschaftsrechtlich vorgeprägtem Pflichtenkonflikt und strafrechtlichem Unrechtsausschluss interessante Schlüsse zu. Für die folgende Betrachtung maßgebliche Fallgestaltungen teilen zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen ist zumindest eine der relevanten Pflichten dem Wirtschaftsstrafrecht zuzuordnen, d. h. der Verstoß gegen eine solche Handlungs- bzw. Unterlassungsvorgabe ist straf- oder bußgeldbewehrt. Zum anderen ist den zu behandelnden Konstellationen gemein, dass eine der Pflichten gegenüber der Gesellschaft besteht, die damit kollidierende dagegen Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit schützt. 1. Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots zur Gefahrenabwendung von der Gesellschaft Die erste der hier darzustellenden Kollisionen von Geschäftsleiterpflichten betrifft das bereits an anderer Stelle366 angesprochene Ahndungsrecht nach dem WpÜG. Widersprüchliche Verhaltensvorgaben können die Verwaltung (also regelmäßig: den Vorstand) einer Zielgesellschaft (§ 2 Abs. 3 WpÜG) in der Situation einer bevorstehenden – meist feindlichen367 – Übernahme treffen. Einerseits verbietet der Ordnungswidrigkeitentatbestand der §§ 60 Abs. 1 Nr. 8, 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG der Geschäftsleitung einer Zielgesellschaft, solche Handlungen vorzunehmen, durch die der Erfolg eines bereits veröffentlichten Angebots verhindert werden kann (Neutralitätsgebot)368.369 Ein Verstoß gegen diese Pflicht zur Neutralität ist bußgeldbewehrt. 366
s. o.: 4. Teil B.II.1. Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26: „Zurückhaltungsgebot bei Übernahmekämpfen“; vgl. zum sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/ Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 58 ff. 368 Siehe zur Entwicklung dieses Gebots etwa Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 42 ff.; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 11 ff.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15d ff. 367
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Andererseits unterliegt die Geschäftsleitung der Zielgesellschaft in Übernahmesituationen weiterhin dem allgemeinen Gebot, zum Wohle „ihrer eigenen“ Gesellschaft zu handeln.370 Die Verletzung dieser aktienrechtlichen Pflicht des Vorstands, drohenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden (§§ 76, 93 Abs. 1 S. 1 AktG), ist geeignet, nach § 93 Abs. 2 AktG zivilrechtliche Restitutionspflichten gegenüber der AG auszulösen.371 In welchem Ausmaß die zuletzt genannte Pflicht in der Übernahmesituation weiter fortgilt, wird – im Gegenteil zur Berechtigung der Geschäftsleitung einer Zielgesellschaft zu Abwehrmaßnahmen – vergleichsweise zurückhaltend diskutiert.372 Dies dürfte nach Einführung des WpÜG auch daran liegen, dass die Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG, wonach dem Vorstand der Zielgesellschaft Handlungsspielräume verschiedener Art in der Übernahmesituation eingeräumt werden, allein ein Recht zur Abwehr gewähren. Weil Neutralität gegenüber der Zusammensetzung des Aktionärskreises für den Vorstand den Grundsatz darstellt,373 ist auch die wissenschaftliche Diskussion von der Frage nach der Befugnis und nicht der Pflicht des Vorstands der Zielgesellschaft zur Verhinderung von durch eine Übernahme entstehenden negativen Auswirkungen zulasten der Zielgesellschaft geprägt. Soweit Stellungnahmen auch die Pflichtendimension der Fragestellung berücksichtigen, wird jedoch für die Fälle, in denen der Bieter rechtswidrige Schädigungsabsichten im Hinblick auf die Zielgesellschaft verfolgt, eine aktienrechtliche Schutzpflicht bejaht.374 Nach der Regierungsbegründung bleibt „das Management der Zielgesellschaft während des gesamten Übernahmeverfahrens den in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls verpflichtet“.375 Als mögliche 369
Dagegen darf bezweifelt werden, dass daneben auch § 266 StGB eingreift: Der Untreuetatbestand könnte allenfalls das Vermögen der Aktionäre vor Schädigungen schützen, welche diese durch die Abwehrmaßnahmen erleiden. Die Annahme einer entsprechenden Pflicht liefe indes auf eine Treupflicht zwischen Verwaltung und Anteilseignern hinaus, die in dieser allgemeinen Form nicht besteht. Vgl. zum Ganzen Fritzsche/Hupka, JuS 2009, 721, 725 m.w.N. 370 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 844; vgl. auch Hirte, in: KK WpÜG, § 33 Rn. 69 f.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 f; ferner Reg.-Begr. E zu § 33 WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 371 Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 16; Kort, in: FS Lutter, S. 1421, 1434; Ekkenga, in: E/E/O, WpÜG, § 33 Rn. 68; Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26; vgl. weiter Lutter, 40 Jahre DB 1988, 193, 205; Bison, Anfechtungsklage, S. 233. 372 So Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 847. 373 Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 13, 17; zur Begründung statt Aller Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 121 ff. m.w.N. 374 Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 188; Ekkenga, in: E/E/O, WpÜG, § 33 Rn. 68 ff.; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 33; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 16; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 246 f.; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; ausführlich Kort, in: FS Lutter, S. 1421, 1434; im Einzelnen ist jedoch schon im Hinblick auf die Berechtigung zu Abwehrmaßnahmen Vieles umstritten. Soweit man etwa wie Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 69 einer Abwehrberechtigung im Ganzen kritisch gegenübersteht, wird man kaum zu einer Pflicht zu Abwehrmaßnahmen gelangen können. 375 Reg.-Begr. E zu § 33, BT-Drucks. 14/7034, S. 58.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Anwendungsfälle für ein Recht der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft, von dem Neutralitätsgebot des § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG abzuweichen, werden etwa die beabsichtigte „Ausplünderung“ des Unternehmens zur Finanzierung des Kaufpreises,376 die Abwendung von evidenten Gesetzesverstößen durch einen Bieter377 oder vereinzelt sogar die Beeinträchtigung von Gemeinwohlinteressen378 diskutiert. Auch wenn man die Belange der Aktionäre an einem unbeeinträchtigten Verkauf ihrer Anteile teilweise weitergehend geschützt wissen will, als dies durch erwähnte Beispielsfälle für mögliche Ausnahmen suggeriert wird,379 tritt die strukturell angelegte Konfliktlage380 der Verwaltung einer Zielgesellschaft in solchen Situationen deutlich zutage. Die beschriebene Pflichtenkollision ist für die Rechtswidrigkeitslehre interessant, obwohl das Gesetz sie für das Ahndungsrecht (§ 60 Abs. 1 Nr. 8 WpÜG) mit Einführung des § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG bereits auf Tatbestandsebene gelöst haben dürfte.381 Denn in der Sache kollidiert in Fällen, in denen man eine aktienrechtliche Abwehrpflicht zugunsten der Zielgesellschaft annehmen kann,382 eine Handlungspflicht zur Abwendung von Gefahren mit dem aus der Neutralitätspflicht fließenden Unterlassungsgebot. Diese Konfliktsituation wird in der allgemeinen Strafrechtsdogmatik dem rechtfertigenden Notstand zugeordnet.383 Für das Bußgeldrecht kann man daher § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG im Sinne einer vorrangigen Regelung für diesen Konflikt durchaus als lex specialis zu § 16 OWiG begreifen, soweit man den beschriebenen Konflikt durch die Vorschrift erfasst sieht.384 Dass materiell Notstandsprinzipien gelten, wird auch deutlich, wenn teilweise gefordert wird, ein konkret gefährdetes Unternehmensinteresse müsse Belange der Anteilseigner an einer ungehinderten Entscheidung über das Angebot „eindeutig überwiegen“.385 Die 376 Vgl. Hopt, in: GroßKomm AktG, § 93 Rn. 125 Fn. 436; Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26; Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 188, 46 m.w.N. 377 Hopt, ZGR 1993, 534, 553 f.; ders., in: GroßKomm AktG, § 93 Rn. 125; Kort, in: FS Lutter, S. 1421, 1436; Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26 („Mafia-Organisation oder politisch exponierter ausländischer Staat“). 378 Kort, in: FS Lutter, S. 1421, 1435; vgl. zu anderen Rechtsordnungen auch Hopt, ZGR 1993, 534, 552 f.; a.A. Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 47; Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1744. 379 Vgl. z. B. Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1744 auch zum zugrunde liegenden Konflikt zwischen stakeholder- und shareholder-Interesse; ferner Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247 f. 380 Vgl. Fuchs, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 22 Rn. 110; Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 120. 381 Vgl. zu Gesichtspunkten der Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang auch Altenhain, in: KK WpÜG, § 60 Rn. 133; Rönnau, in: FK-WpÜG, § 60 Rn. 64, 68. 382 Vgl. die Nachweise in Fn. 371, 374. 383 s. o.: 2. Teil B.II.2. 384 So wohl auch Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 853. 385 Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 17; vgl. auch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733, wo auf den für §§ 34 StGB, 16 OWiG charakteristischen Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr abgestellt wird.
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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aus dem Notstand bekannten Zielkonflikte stellen sich auch hier: So wird man im Ausgangspunkt davon ausgehen können, dass eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich sein muss.386 Nach ganz überwiegender Auffassung ist weiter eine Umstrukturierung der Zielgesellschaft durch den Bieter zulässig.387 Die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft könnten als Gesichtspunkt der Angemessenheit Bedeutung erlangen. Denn soweit eine Neuausrichtung mit arbeitsrechtlichen Implikationen verbunden ist, wird man eine „Notstandshandlung“ zur Arbeitsplatzsicherung in der Zielgesellschaft nicht durchgreifen lassen können. Diese Schutzgüter sind vom Gesetzgeber in Übernahmesituationen berücksichtigt worden und deren Verlust infolge einer veränderten Strategie der neuen Anteilseigner dürfte außerhalb von besonders gelagerten Ausnahmefällen einkalkuliert worden sein.388 Das Übernahmerecht stünde als vorrangiges gesetzliches Verfahren im Sinne von § 16 S. 2 OWiG einer Rechtfertigung der Geschäftsleitung entgegen, soweit diese meint, die Fortsetzung von Beschäftigungsverhältnissen („Rechtsgut Arbeitsplatz“) mit dem alten Aktionärskreis eher durchsetzen zu können. Zahlreiche weitere Facetten der Thematik sind hier schon deswegen nicht darzustellen, weil es sich je nach Auslegung von § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG nicht um genuine Problemkreise der Rechtswidrigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht des WpÜG handelt. Für das Wirtschaftsstrafrecht lässt sich jedoch festhalten, dass Notstandsgesichtspunkte im Rahmen der §§ 60 Abs. 1 Nr. 8; 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG aufgrund eines negativen Tatbestandsmerkmals nicht zur Anwendung kommen, sich die gesellschafts- und kapitalmarktrechtlich einschlägigen Erwägungen, die der Ahndbarkeit eines Verwaltungsmitglieds der Zielgesellschaft vorgelagert sind, jedoch mit den Voraussetzungen des Notstands weitestgehend decken.389 Die Schranke der Angemessenheit sowie das Erfordernis eines wesentlichen Überwiegens der Abwehrinteressen ließen selbst bei einem unmittelbaren Heranziehen strafrechtlicher Rechtfertigungsprinzipien nicht befürchten, dass das in § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG statuierte Neutralitätsgebot ausgehöhlt würde.
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Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 845. Bayer, ZGR 2002, 588, 598 ff.; Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 188, 47; Mertens, in: KK AktG, § 76 Rn. 26; Hopt, ZGR 1993, 534, 549 ff.; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247 f. 388 Vgl. zu dieser Argumentation auch Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 94. Zu Interessen der Arbeitnehmer mit ähnlichen Erwägungen Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1744. Dieses Ergebnis der Notstandsdogmatik entspricht der h.A. zu dieser Frage im Gesellschaftsrecht, vgl. Schlitt/Ries, in: MüKo AktG, § 33 WpÜG Rn. 188, 47; Hopt, in: GroßKomm AktG, § 93 Rn. 124; ders., ZGR 1993, 534, 552; Bayer, ZGR 2002, 588, 599 f. 389 Siehe auch Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 865. 387
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
2. Strafrechtliche Produkthaftung und kapitalmarktrechtliche Pflichten a) Einführung in einen möglichen Pflichtenkonflikt Auch die nächste hier zu behandelnde Pflichtenkollision weist einen Bezug zu Vorgaben des Kapitalmarktrechts auf. Schröder390 hat auf sie aufmerksam gemacht, indem er die Veröffentlichung der Bayer AG um die auftretenden Nebenwirkungen des Medikaments „Lipobay“391 unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit gewürdigt hat. Der börsennotierte Pharmakonzern hatte zunächst darauf verzichtet, Betroffene bzw. einschlägige Fachkreise vor der weiteren Verabreichung des Medikaments zu warnen, obgleich neue Erkenntnisse über die mit der Einnahme des Medikaments verbundenen Risiken vorlagen. Bevor entsprechende Informationen Apotheken, Ärzten und Krankenhäusern zugegangen sind, wurden die Kapitalmärkte informiert, vgl. § 15 WpHG. In der Tat unterfielen die maßgeblichen Informationen vor ihrer Veröffentlichung dem strafbewehrten Insiderhandelsverbot nach §§ 38 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 2 Nr. 3, 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG und eine Vorabinformation von Fachkundigen wäre unter diesem Gesichtspunkt nicht unproblematisch gewesen.392 Die Bayer AG selbst hatte sich aufgrund der kapitalmarkt(straf) rechtlichen Vorgaben nach eigenen Angaben daran gehindert gesehen, vorab sachnähere Zielgruppen aus dem Gesundheitswesen zu informieren.393 b) Einfluss der Ad-hoc-Publizität auf die Kollisionslage Der Vorstand der Bayer AG sah sich in der beschriebenen Situation zunächst widersprüchlichen, jeweils strafbewehrten Verhaltensvorgaben gegenüber: Der beschriebenen Pflicht zur Geheimhaltung von Insiderinformationen können die allgemeinen Vorschriften der §§ 223, 13, 229, 222 StGB zuwiderlaufen, wonach Produkthaftungsfälle auch strafrechtlich zu verfolgen sind.394 Insofern ist zunächst festzuhalten, dass die Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung der bekanntgewordenen Nebenwirkungen nicht schon nach § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG suspendiert war, weil der Schutz eines berechtigten Interesses dies erfordert hätte. Denn die Bayer AG wäre als börsennotierte Herstellerin pharmazeutischer Produkte kaum imstande gewesen, die weiteren Voraussetzungen des Befreiungstatbestands zu
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Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 359 ff. Bayer AG, Ad-hoc-Meldung vom 8. 8. 2001; www.investor.bayer.com/user_upload/ 1075 (zuletzt eingesehen am: 10. 10. 2012) 392 Ebenso Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 360; ders., in: Schäfer/Hamann, KMG, § 38 WpHG Rn. 73; vgl. ferner das Interview mit Ehlers/v. Czettritz/Dierks/Wartensleben, Pharma Recht 2001, 268, 279. 393 Bayer AG, Aktionärsbrief 2001, Sonderausgabe, S. 5. 394 Vgl. nur BGHSt 37, 106 ff.; Kühne, NJW 1997, 1951 ff. 391
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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erfüllen, wonach kumulativ395 die Vertraulichkeit der Information hätte gewährleistet werden müssen. § 7 Nr. 1 WpAIV konkretisiert die Gewährleistung der Vertraulichkeit einer Insiderinformation dahingehend, dass der Emittent den Zugang zu der Information kontrollieren muss, indem er wirksame Vorkehrungen dafür trifft, dass andere Personen als solche, deren Zugang zu der Insiderinformation für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässlich ist, keinen Zugang zu der Information erhalten.396 Bei einer weit angelegten Warn- und Rückrufaktion werden diese strengen Vorgaben nicht zu wahren sein. Die Folge ist, dass den gesetzlichen Vorgaben nach die Bayer AG weiterhin zur Ad-hoc-Information verpflichtet war, was im Gesundheitswesen offenbar zu Irritationen geführt hat.397 Im Grundsatz sind die bekanntgewordenen Nebenwirkungen und Schädigungen im Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments deswegen nach § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG „unverzüglich“, d. h. gemäß § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“, zu veröffentlichen. Nach ganz überwiegender Ansicht ist einem Emittenten von Wertpapieren jedoch gerade bei einer unvermittelt auftretenden Information zuzubilligen, die betroffenen Insiderinformationen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.398 Zu dieser Prüfung können auch externe Berater hinzugezogen werden.399 Während dieser Zeit der Vorbereitung einer Meldung nach §§ 4 ff. WpAIV bis zur Veröffentlichung der Insiderinformation durch die BaFin kann es demnach zum oben dargestellten Pflichtenkonflikt kommen.400 c) Auflösung der Konfliktlage Für die Bayer AG standen sich unmittelbar nach Bekanntwerden erster Anhaltspunkte für medikamentenbedingte Komplikationen daher insiderrechtliches Weitergabeverbot und strafrechtliche Handlungspflicht gemäß einer Unterlassungshaftung aus Ingerenz (§§ 223 ff., 13 StGB)401 gegenüber. Nach den oben beschriebenen Grundsätzen stellt der rechtfertigende Notstand die einschlägige Kol-
395 Vgl. Versteegen, in: KK WpHG, § 15 Rn. 161; Fischer zu Cramburg/Royé, in: Heidel, Aktienrecht, § 15 WpHG Rn. 16. 396 Zum Ganzen nur Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 15 WpHG Rn. 69 ff. 397 Vgl. Bayer AG, Aktionärsbrief 2001, Sonderausgabe, S. 5. 398 Versteegen, in: KK WpHG, § 15 Rn. 122; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 15 WpHG Rn. 49; vgl. ferner Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 249. 399 Vgl. insgesamt nur BaFin, Emittentenleitfaden 2009, S. 66 f.; Versteegen, in: KK WpHG, § 15 Rn. 122. 400 Siehe auch Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 364. 401 Eine Garantenstellung wird in den folgenden Ausführungen unterstellt. Zur implizit verneinten Frage, ob insofern eine Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit Voraussetzung wäre, vgl. nur NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43 ff.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
lisionsregel dar, wenn Handlungs- und Unterlassungsgebot aufeinandertreffen.402 In Ansehung der Unterlassungshaftung für Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikte müssen aufgrund der Höchstwertigkeit dieser Schutzgüter jedenfalls erste begründete Verdachtsmomente ausreichen, um eine Garantenpflicht zum Handeln zu begründen.403 Im Unterschied zur Informationspflicht der Kapitalmärkte gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG bedarf es aufgrund der zusätzlichen Dringlichkeit hier keiner vergleichbar gesicherten Informationsgrundlage. Damit entscheidet für den Zeitraum vor einer Ad-hoc-Meldung in Ansehung der kollidierenden Verhaltensvorgaben für die Rechtswidrigkeit die Abwägung nach § 34 StGB.404 Im Ergebnis muss es deswegen maßgeblich darauf ankommen, ob der Vorstand der Bayer AG im geschilderten Fall davon ausgehen durfte, dass die Interessen der betroffenen Patienten an körperlicher Integrität das in §§ 38 Abs. 1 Nr. 2 a), 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG geschützte Universalrechtsgut der Funktionsfähigkeit des organisierten Kapitalmarkts405 unter den konkreten Umständen wesentlich überwiegt.406 Insoweit wird man in Produkthaftungsfällen bei börsennotierten Unternehmen den höchstpersönlichen Schutzinteressen Gesundheit oder Leben auch dann den Vorrang einräumen müssen, wenn – etwa durch eine „nur“ wenige Stunden verzögerte Veröffentlichung an den Kapitalmärkten – die Gefahren für Patienten vergleichsweise gering gehalten werden können.407 Für dieses Ergebnis streitet neben der abstrakten Höherwertigkeit der gefährdeten Rechtsgüter regelmäßig auch, dass Produkte börsennotierter Unternehmen, welche sich nach dem Verkaufsstart als gefährlich erweisen, weit verbreitet sein dürften. Damit geht aber die gesteigerte Wahrscheinlichkeit einer nachteilhaften Berührung mit der Gefahrenquelle einher, was unter dem Gesichtspunkt der Schadenswahrscheinlichkeit bzw. des Ausmaßes der drohenden Beeinträchtigung in die Abwägung Eingang hält.408 Gemäß diesen Wertungen ist in Produkthaftungsfällen ein Verstoß gegen das Weitergabeverbot aus §§ 38 Abs. 1 Nr. 2 a), c), 39 Abs. 2 Nr. 3, 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG in der Regel nach § 34 StGB zu rechtfertigen, wenn durch eine Vorabinformation von Fachkreisen die Vermeidung weiterer Produkthaftungsfälle nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. 402 s. o.: 2. Teil B.II.2.; für das Gesellschaftsrecht unter Rekurs auf die Strafrechtslehre Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 858. 403 Siehe nur Mayer, PharmaR 2008, 236, 243; Schmidt-Salzer, NJW 1996, 1, 5. 404 Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 363 f. löst die Fallgruppe ebenfalls über Notstandsgesichtspunkte. 405 Zum Rechtsgut des Insiderhandelsverbots Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 30; Pananis, in: MüKo, § 38 WpHG Rn. 4 m.w.N. 406 Vgl. zum Abwägungsmaßstab des rechtfertigenden Notstands bei Kollision von Handlungs- und Unterlassungsgebot noch ausführlich: 4. Teil E.II.4. 407 Ähnlich Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 364. Zum Verhältnis von individuellen Schutzinteressen zu Ordnungsinteressen („Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts“) ebenso Rönnau, in: FK-WpÜG, Vor § 60 Rn. 94; vgl. ferner Heise, Insiderhandel, S. 160. 408 Vgl. Fischer, § 34 Rn. 13; Momsen, in: Beck OK, § 34 Rn. 11; NK-Neumann, § 34 Rn. 80 f.
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Entsprechendes gilt insbesondere auch dann, wenn erst Verdachtsmomente auf gesundheitsbeeinträchtigende Nebenwirkungen bestehen, die noch weiterer Prüfungen bedürfen. Als Konsequenz dieser Erwägungen muss hinsichtlich einschlägiger Unterlassungsdelikte der strafrechtlichen Produkthaftung eine Rechtfertigung bei einem pflichtwidrigen Zuwarten des Managements ausscheiden, wenn der Schadenserfolg eintritt. Insoweit schlägt die Notstandsabwägung zulasten der Geschäftsleitung eines Emittenten aus, sodass der Vorstand der Bayer AG durch das Unterlassen der Vorabinformationen durchaus ein Strafbarkeitsrisiko eingegangen ist. Freilich ließen Risikohinweise an sachnahe Fachkreise zur Gefahrenabwehr die Pflichten nach § 15 WpHG unberührt und eine Ad-hoc-Meldung bei der BaFin bliebe auch im Anschluss in jedem Fall noch zu fertigen.409 3. Sonderzahlung an sog. „räuberische Kleinaktionäre“ Als weiterer Pflichtenkonflikt eines Geschäftsleiters sollen Sonderzahlungen an sog. „räuberische Kleinaktionäre“ daraufhin untersucht werden, wie sich derartige Leistungen zu den Vorgaben der strafrechtlichen Rechtfertigungslehre verhalten. Obwohl der Gesetzgeber mit den durch UMAG410 und ARUG411 eingeführten Erleichterungen des Freigabeverfahrens412 bemüht war, Abhilfe gegen das „aktienrechtliche Klagegewerbe“ zu schaffen, dürfte sich die Thematik haftungsrechtlich für den Vorstand noch nicht endgültig erledigt haben:413 Das Problemfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Kleinaktionär Anfechtungsklage allein zu dem Zweck erhebt, sich gegen eine Sonderleistung der Gesellschaft freistellen zu lassen, d. h. die Klage gegen eine Zahlung der AG im Vergleichswege zurückzunehmen.414 Der Aktionär wird dabei regelmäßig in der Vorstellung handeln, die Gesellschaft werde leisten, um anfechtungsbedingte Nachteile abzuwenden. Solche Nachteile stellen insbesondere die mangels Eintragung fehlende Vollziehbarkeit bestimmter Hauptversammlungsbeschlüsse („Registerblockade“) und die damit verbundene negative Außenwirkung für das Unternehmen dar.415 Entsprechende Zahlungsverlangen von Kleinaktionären, die freilich zumeist nicht 409
Vgl. auch insofern Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 364. Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005, BGBl. I, S. 2802. 411 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009, BGBl. I, S. 2479. 412 Vgl. zur Neufassung von § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, der Einführung eines Quorums sowie weiteren Änderungen des Beschlussmängelrechts statt Aller Verse, NZG 2009, 1127, 1129 ff. 413 Vgl. Ehmann/Walden, NZG 2013, 806 f.; Helm/Manthey, NZG 2010, 415, 418; Kubis, in: MüKo AktG, § 118 Rn. 28; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 847; ferner auch Hüffer, AktG, § 246a Rn. 3; Müller-Michaels, in: Hölters, AktG, § 327e Rn. 11. 414 Zu diesem Themenkreis des Aktienrechts prägnant Peltzer, NZG 2009, 1336 f.; Kiethe, NZG 2004, 489 ff. 415 Zum Ganzen Poelzig, DStR 2008, 1538; Grunewald, NZG 2009, 967 m.w.N. 410
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ausdrücklich an die AG herangetragen werden,416 sind geeignet, eine Pflichtenkollision auf Vorstandsebene herbeizuführen. Denn es ist möglich, dass derartige „erpresserische“ Anfechtungsklagen zu einer Verzögerung wirtschaftlich dringender Maßnahmen der Gesellschaft führen. Schließlich kann ein auf der Hauptversammlung getroffener eintragungspflichtiger Beschluss nicht ins Handelsregister eingetragen werden, wenn er zuvor gerichtlich angefochten wurde.417 Der Vorstand kann deshalb bei zu befürchtenden irreparablen Schäden zulasten der Gesellschaft gehalten sein, den Klägern die geltend gemachten Rechte „abzukaufen“.418 Anderenfalls wäre das wirtschaftlich Notwendige ggf. nicht rechtzeitig durchzusetzen. Die – bereits oben angesprochene – Schadensabwendungspflicht kann es dem Vorstand je nach Lage des Falls mithin gebieten, dem Verlangen einzelner Kläger nach Sonderzahlungen zu entsprechen (Handlungspflicht).419 a) Strafrechtliche Risiken für den Vorstand in dieser Situation Der beschriebene Interessenkonflikt könnte bei Zahlung an die klagenden Aktionäre strafrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Untreue bedeutsam werden. Denn die für § 266 StGB erforderliche Treupflichtverletzung richtet sich zivilrechtsakzessorisch nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.420 Das Aktienrecht kennt insofern das Verbot der Einlagenrückgewähr sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz, sodass in den Sonderzahlungen ein Verstoß gegen ein aus §§ 57, 53a AktG abzuleitendes Zahlungsverbot (Unterlassungspflicht) gesehen werden kann, was zivilrechtlich eine Haftung gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG nach sich zieht.421 Damit liegt auch strafrechtlich ein Verstoß gegen die von der Rechtsprechung immer wieder betonte422 Legalitätspflicht der Vermögensfürsorge nahe.423 Auch ein Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Denn selbst wenn der Vorstand im Zeitpunkt der Sonderzahlungen beabsichtigt, auf lange Sicht zum Wohle der Gesellschaft zu handeln,424 muss dies in der strafrechtlichen Praxis der Annahme eines Vermö416
Vgl. Meller, in: MAH Aktienrecht, § 38 Rn. 156 m.w.N. Vgl. nur BGHZ 112, 9, 12 ff. und ausführlich Poelzig, DStR 2008, 1538 m.w.N. 418 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 90; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 33; Fleischer, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 7 Rn. 21. 419 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 847; vgl. auch Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 131 („Vorstand in Pflichtendilemma versetzt“); zu einer Pflicht zur Rückforderung der Leistung auch Ehmann/Walden, NZG 2013, 806, 808. 420 Statt Aller Fischer, § 266 Rn. 57 f. m.w.N. 421 OLG Hamm ZIP 1995, 1263 ff.; Hüffer, AktG, § 57 Rn. 25; Bayer, in: MüKo AktG, § 57 Rn. 88, 168 f.; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 847. 422 Siehe jüngst BGH NStZ 2011, 37 ff.; NStZ 2010, 700, 701. 423 Vgl. auch Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 140. 424 Zur Schadensbetrachtung bei wirtschaftlich vernünftigem Gesamtplan S/S/W-Saliger, § 266 Rn. 59. 417
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gensnachteils nicht notwendigerweise entgegenstehen, wie die Rechtsprechung unlängst wieder gezeigt hat.425 Es können im Fall einer Sonderleistung an einzelne Aktionäre zum Zwecke der Klagerücknahme also ernst zu nehmende Strafbarkeitsrisiken drohen.426 b) Interessenkonflikt und Rechtfertigungsregel Im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum löst man den beschriebenen Pflichtenkonflikt überwiegend unter Rückgriff auf Erwägungen zur Rechtfertigung und oftmals mit ausdrücklichem Verweis auf die Notstandsbestimmungen.427 Diese Bestimmung der Kollisionsregel überzeugt auch für das Strafrecht. Denn der aus dem Verbot der Einlagenrückgewähr ableitbaren und möglicherweise sogar pönalisierten Unterlassungspflicht („Zahl nicht!“) steht hier die bereits angesprochene Handlungspflicht zur Schadensabwendung für die Gesellschaft gegenüber, §§ 76, 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Während letztere darauf gerichtet ist, das Gesellschaftsinteresse zu wahren, hat die Kapitalerhaltungspflicht die Vermögensbelange von Gläubigern und an einer Gewinnausschüttung nicht partizipierenden Aktionären im Blick.428 Im Hinblick auf die Deliktssystematik von § 266 StGB erscheint in der Situation kollidierender Gesellschaftsinteressen zunächst eine Lösung über eine tatbestandliche Modifikation der Treupflicht denkbar. Diese Lösung ergibt sich, wenn man widerstreitende Wertungen bereits vollumfänglich im aktienrechtlichen Pflichtenprogramm berücksichtigt. Dafür spricht, dass das Aktienrecht um dieselbe Frage ringt, sodass man mit einer Anknüpfung an den Inhalt der Pflicht das dort gefundene Ergebnis ins Strafrecht übertragen könnte. Andererseits mag man die Pflichtverletzung für das Strafrecht gerade darin sehen, dass treuwidrig einzelne Aktionäre freigestellt werden, was einen Verstoß gegen §§ 57, 53a AktG und damit gegen die Legalitätspflicht darstellte. Die Abwendung von Schäden der Gesellschaft, welche der Vorstand mit den Zahlungen bezweckt, könnte dann auf Ebene der Rechtswidrigkeit Berücksichtigung finden. Unabhängig von dieser deliktssystematischen Einordnung fällt auf, dass in der Sache das Gesellschaftsvermögen als Erhaltungsgut fungiert und die Kollisionsregel des § 34
425 BGHSt 52, 323, 336 ff.; mit Recht kritisch Knauer, NStZ 2009, 151, 153; Satzger, NStZ 2009, 297, 301 f.; Rönnau, StV 2009, 246, 248 f.; vgl. auch Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 437 ff. 426 Zur Bedeutung der Kapitalerhaltungsgrundsätze nach § 57 AktG für die Untreuestrafbarkeit auch Brand, AG 2007, 681, 683 ff. 427 Ehmann/Walden, NZG 2013, 806, 808; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 33; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 54; ders., in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 7 Rn. 21; Lutter, in: 40 Jahre Der Betrieb, S. 193, 203; Kiethe, NZG 2004, 489, 492 m.w.N.; vgl. ferner Martens, AG 1988, 118, 121; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 81. 428 Siehe nur Hüffer, AktG, § 57 Rn. 1 m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
StGB zu erklären vermag, weswegen ein „wesentliches Überwiegen“ die Ausnahme bleiben soll.429 c) Erwägungen zu Interessenabwägung und Angemessenheit Dass im Ergebnis Kapitalerhaltung und Gleichbehandlung nicht uneingeschränkt den Vorzug vor anderen Belangen der Gesellschaft genießen, lässt sich schon der Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG entnehmen. Danach ist einer AG der Erwerb eigener Aktien ausnahmsweise gestattet, wenn von der Gesellschaft dadurch Schaden abgewendet wird.430 Im Übrigen wird es maßgeblich auf die Gegebenheiten des Einzelfalls und insbesondere auf die Höhe der Sonderleistung (Schwere des Pflichtenverstoßes) sowie die Dringlichkeit der durchzuführenden Maßnahme ankommen, welche durch die erhobene Anfechtungsklage verzögert würde. Den Anforderungen des rechtfertigenden Notstands entspricht es auch, wenn im Gesellschaftsrecht weiter gefordert wird, dem Vorstand dürfe keine Handlungsalternative zur Verfügung stehen.431 Eine solche würde nämlich als milderes Mittel die Erforderlichkeit ausschließen, wenn sie selbst nicht rechtswidrig wäre und die Legalitätspflicht nicht verletzte. Für die Interessenabwägung kann man auch hier in Betracht ziehen, auf die zum Geldnotstand entwickelten Kriterien zurückzugreifen.432 Ein oben aufgrund von Autonomieerwägungen gefordertes Näheverhältnis (Konnexität) zwischen dem „ausgeschütteten“ Vermögen und abgewendetem Schaden läge ohne weiteres vor. Auch wird bei quantitativer Betrachtung deutlich, dass ein Interesse der Gesellschaft an schneller Durchsetzung einer Maßnahme im Vergleich zu den Freistellungsbeträgen durchaus im Sinne von § 34 StGB „wesentlich überwiegen“ kann.433 Zu beachten ist freilich, dass das Freigabeverfahren als vorrangige gesetzliche Regelung grundsätzlich innerhalb seines Anwendungsbereichs eine Sonderleistung an einzelne Anteilseigner jedoch selbst bei wirtschaftlicher Nützlichkeit ausschließt.434 In welchem Umfang dieser Vorrang gilt und inwieweit daneben ein „Auskauf“ opponierender Kläger möglich bleibt, ist nicht Gegenstand dieser Ar-
429 Vgl. o.: 2. Teil B.II.2; zum Ausnahmecharakter einer Zulässigkeit von Vergleichszahlungen nur Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 90; Hölters, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 33 m.w.N. 430 Vgl. Martens, AG 1988, 118, 120 Fn. 20; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 848 f. 431 Fleischer, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 7 Rn. 21; ders., in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 34; Mertens/Cahn, in: KK AktG, § 93 Rn. 76. 432 s. o.: 3. Teil B.IV.1. 433 Vgl. die Nachweise in Fn. 427; ferner Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 57 Rn. 45; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 865 („Abwendung schwerer Schäden“); Martens, AG 1988, 118, 120 Fn. 12. 434 Vgl. Hopt, in: GroßKomm AktG, § 93 Rn. 99; Hölters, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 33 f.; zum Rückkauf der Aktien auch Cahn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rn. 56.
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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beit.435 Die Notstandsdogmatik bildet diesen Gesichtspunkt jedenfalls in der Angemessenheit gemäß § 34 S. 2 StGB ab. Es bleibt festzuhalten, dass der Problemkreis einer Leistung an opponierende Aktionäre auch für die strafrechtliche Rechtfertigungsdogmatik von Interesse sein kann. Soweit durch Zahlungen an opponierende Kläger ein Nachteil der Gesellschaft entsteht und sich der Vorstand insofern wegen Untreue zu verantworten hat, ist die Pflichtenkollision zwischen Schadensabwendungs- und Gleichbehandlungsgebot straf- wie aktienrechtlich unter Rückgriff auf die Grundsätze des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) zu lösen.436 Dieses Ergebnis überzeugt für § 266 StGB unabhängig davon, ob die maßgeblichen Gesichtspunkte bereits in die Bestimmung der Treupflicht einfließen oder aber erst auf Rechtswidrigkeitsebene relevant werden. 4. Doppelmandate im Wirtschaftsstrafrecht Die Betrachtung zu Pflichtenkollisionen mit gesellschaftsrechtlichem Bezug soll durch einige Anmerkungen zur strafrechtlichen Behandlung von Doppelmandaten abgerundet werden. Personalunionen mehrerer Mandate sind im Gesellschaftsrecht in unterschiedlichen Zusammenhängen anzutreffen und finden auch im Gesetz eine Verankerung, vgl. § 88 Abs. 1 S. 2 AktG. Ein strafrechtsrelevanter Pflichtenkonflikt, der aufgrund einer Doppelmandatsträgerschaft entstehen kann, soll hier mithilfe von Beispiel 21 veranschaulicht werden. In den Aufsichtsräten großer Aktiengesellschaften stellen Doppelmandate geradezu eine Regelmäßigkeit dar („DeutschlandAG“);437 sie sind aber durchaus auch auf Vorstandsebene ein viel beachtetes Thema.438 Daneben sind Konzernstrukturen, in denen oft mehrere Gesellschaften von denselben natürlichen Personen als Entscheidungsträgern geführt werden, auf Machtverflechtungen angelegt,439 sodass sich eine gewisse sachliche Nähe von Doppelmandaten zur oben behandelten Frage des Konzerninteresses sowie dessen Bedeutung für eine Rechtfertigung ergeben kann. Dass dieselbe natürliche Person mehrere Organtätigkeiten ausübt und diese unterschiedlichen Pflichtenstellungen zu divergierenden Vorgaben führen, ist im Gesellschaftsrecht eine breit diskutierte 435 Vgl. zu verschiedenen Konzeptionen Solveen, in: Hölters, AktG, § 71 Rn. 6; Cahn/ v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 57 Rn. 46; Bayer, in: MüKo AktG, § 57 Rn. 88; Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 130 ff. 436 Siehe zu dieser h.A. im Aktienrecht nochmals Fn. 427 sowie Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 93 Rn. 34 m.w.N. 437 Vgl. auch die Regelungen in Nr. 4.3.4, 4.3.5 DCGK, wonach Interessenkonflikte und Nebentätigkeiten wie insbesondere Aufsichtsratsmandate in anderen Unternehmen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausgeübt werden sollen. 438 Ausführlich Passarge, NZG 2007, 441 ff.; vgl. jüngst Petersen/Schulze De la Cruz, NZG 2012, 453; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 56 ff. 439 Vgl. dazu soeben: 4. Teil D.I.; ferner BGHZ 180, 105 ff.; Aschenbeck, NZG 2000, 1015 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 105 („verbreitetes Mittel der Konzernsteuerung“) m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Selbstverständlichkeit, die sich auf eine – teilweise umstrittene – Dogmatik stützen kann.440 Rechtsprechung und Lehre im Strafrecht haben sich mit diesen Realitäten in Unternehmen bisher jedoch kaum beschäftigt, obgleich nicht auszuschließen ist, dass den mit einer Personalunion verbundenen Fragen im Bereich der Vermögensdelikte und insbesondere auch hier wieder im Rahmen des Untreuetatbestands einige Relevanz zukommt.441 a) Das Doppelmandat als Quelle von Pflichtenkonflikten Der Bezug von durch Doppelmandate begründeten Interessenkonflikten zu einer Rechtfertigung liegt nahe.442 Schließlich ist der Träger mehrerer Mandate zeitgleich möglicherweise divergierenden Interessen verpflichtet, was zu Pflichtenkollisionen im beschrieben Sinne443 führen kann.444 Allerdings ist für eine echte Interessenkollision Voraussetzung, dass ein Gesellschaftsorgan die aus der Organstellung fließenden Pflichten gegenüber einer Gesellschaft auch dann treffen, wenn es außerhalb der jeweiligen Gesellschaftssphäre, d. h. in Ausübung einer anderweitigen Organtätigkeit, auftritt. So liegt es in Beispiel 21, wenn der Geschäftsführer D der Z-GmbH als Aufsichtsrat an der Prüfung eines Großkredits der R-Bank AG teilnimmt. Eine ggf. rechtfertigend wirkende Konfliktlage stünde für D hier überhaupt nur im Raum, wenn die Pflichtenstellung als Geschäftsführer auch im Rahmen seiner Aufsichtsratstätigkeit fortgelten würde. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Frage nach einer solchen Fortwirkung der Vermögensbetreuungspflicht eines Aufsichtsrats (§ 266 StGB) ausdrücklich bejaht, wenn „Interessenkollisionen mit anderen Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds absehbar sind und mitunter zwangsläufig eintreten“.445 Doppelmandate sind strukturell auf die Beachtung verschiedener Interessen angelegt, sodass man von einer Geltung der Vermögensbetreuungspflicht über die betroffene Gesellschaftssphäre hinaus wird ausgehen müssen. Auch nach gesell440
Vgl. für den Aufsichtsrat LG Hannover NZG 2009, 869; zu Doppelmandaten im Vorstand BGHZ 180, 105 ff.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 20 f. m.w.N.; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 56 ff. m.w.N. 441 Vor dem Hintergrund von § 146 StPO, dem Verbot der gleichzeitigen Verteidigung mehrerer Beschuldigter, finden sich dagegen vereinzelt Stellungnahmen zu ähnlichen Interessenkonflikten: Dierlamm, in: Wabnitz/Janovsky, 27. Kap. Rn. 26; vgl. auch BGH GRUR 1977, 739. 442 Vgl. für das Gesellschaftsrecht Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 850, 866; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 79 („haftungsbefreiende Pflichtenkollision“); BGH [Z] NJW 1980, 1629 („kaufmännische Rechtfertigung“); ferner OLG München EWiR 2008, 275, 276. 443 s. o.: 2. Teil B.II.2. 444 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 107; vgl. weiter Wiedemann, Organverantwortung, S. 27 („aussichtslose Konfliktfalle“); Petersen/Schulze De la Cruz, NZG 2012, 453 („erhebliches Konfliktpotenzial“); Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 850, 866. 445 BGH NJW 2002, 1585, 1588.
D. Strafrechtlich bedeutsame Pflichtenkollisionen
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schaftsrechtlichen Grundsätzen endet die allgemeine Pflichtenstellung nicht notwendigerweise, wenn ein Organ außerhalb der jeweiligen Gesellschaftssphäre für ein anderes Unternehmens tätig wird.446 Der II. Zivilsenat führt aus: „Die Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten in solche Verhaltensweisen, die nur dem einen, nicht aber zugleich dem anderen Verantwortungsbereich zugeordnet werden könnten, ist, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, nicht möglich“.447 Demnach erscheint eine Pflichten- bzw. Interessenkollision eines entsprechend betroffenen Entscheidungsträgers auch strafrechtlich angelegt. Es ist deswegen für Beispiel 21 zu prüfen, wie sich auswirkt, dass D im Zuge seiner Entscheidung als treupflichtiges Aufsichtsratsmitglied der R-Bank AG448 zugleich Geschäftsführer der Z-GmbH war. b) Kurzüberblick über die Grundsätze zur Behandlung von Doppelmandaten im Gesellschaftsrecht Nur andeutungsweise kann hier zum besseren Verständnis skizziert werden, welche Rechtsfolgen das Gesellschaftsrecht an eine mehrfache Mandatsträgerschaft knüpft. In Ansehung des hier beschriebenen Pflichtenkonflikts sind Rechtsprechung und ganz h.L. zunächst der Auffassung, dass für den Doppelmandatsträger im Ergebnis die Interessen desjenigen Pflichtenkreises maßgeblich sein sollen, in dem er gerade tätig wird.449 Auch wenn die Problematik zumindest für die Vorstandsebene noch nicht abschließend geklärt ist,450 wird praktisch für einschlägige Entscheidungen ein Stimmrechtsverbot des betroffenen Organmitglieds ganz überwiegend für richtig gehalten.451 Insofern streitet man jedoch darum, ob dieses in Anlehnung an § 34 BGB umfassend ausgestaltet452 oder aber – rechtstatsächlich wohl enger – insbesondere für die Entlastung des Doppelmandatsträgers gelten soll, vgl. § 136 AktG.453 Darüber hinaus wird teilweise gefordert, der Interessenkonflikt sei vom 446 Vgl. dazu BGHZ 90, 381, 398; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 311 Rn. 99 ff.; Hölters, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 64 („unbedingt auf das Unternehmensinteresse beider Gesellschaften verpflichtet“); vgl. auch Tiedemann, in: FS Tröndle, S. 319, 327. 447 BGH[Z] NJW 1980, 1629, 1630. 448 Vgl. zur Vermögensbetreuungspflicht eines Aufsichtsrats nur BGHSt 47, 187, 201; 50, 331, 335 f.; Schaal, in: MüKo AktG, Vor § 399 Rn. 33; Krause, NStZ 2011, 57, 58 f. 449 Pars pro toto BGH[Z] NZG 2009, 744, 745; NJW 1980, 1629, 1630; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 577; Passarge, NZG 2007, 441; Spindler, in: MüKo AktG, Vor § 76 Rn. 57; Kort, in: GroßKomm AktG, § 76 Rn. 182. 450 Siehe nur Hüffer, AktG, § 76 Rn. 21 a.E.; Epe/Liese, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 10 Rn. 58; Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1024. 451 Vgl. zunächst nur Hölters, in; Hölters, AktG, § 76 Rn. 65 f.; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 76 Rn. 108 ff. jeweils m.w.N. 452 Vgl. Semler, in: FS Stiefel, S. 719; 757 f.; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 579 ff; dazu auch Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 58. 453 Kort, in: GroßKomm AktG, § 76 Rn. 183 f., 187; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 109; Petersen/Schulze De la Cruz, NZG 2012, 453 ff.; Passarge, NZG 2007, 441, 442 f.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Betroffenen offenzulegen und dieser dürfe auch an den maßgeblichen Beratungen nicht teilnehmen.454 Soweit die Verpflichtung gegenüber zwei Unternehmen zu dauerhaften Konfliktlagen führt, kann das Organmitglied gehalten sein, diesen Zustand durch Aufgabe einer Position zu beenden.455 Zu strafrechtlich relevantem Verhalten kommt es freilich nur, wenn ein Doppelmandatsträger dem zuwider und unter Fortbestehen einer divergierenden Pflichtenstellung handelt, sodass im Ergebnis wie in Beispiel 21 eine Pflicht verletzt wird. c) Bestimmung des einschlägigen Kollisionsprinzips Nach den dargestellten Grundsätzen hat D im Ausgangspunkt auch außerhalb seiner Organrolle als Geschäftsführer die Interessen der Z-GmbH zu wahren. Diese Vorgaben geraten in Beispiel 21 mit seiner Pflichtenstellung als Aufsichtsrat der R-Bank AG (vgl. §§ 111, 116 AktG) in Konflikt: Während er als Geschäftsführer gehalten ist, für eine angemessene Kapitalausstattung der Z-GmbH Sorge zu tragen, verpflichtet ihn die Stellung als Aufsichtsrat der R-Bank AG zur Prüfung von Vorgängen im Interesse dieser Gesellschaft. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass strafrechtliche Vermögensbetreuungspflichten i.S.v. § 266 StGB immer nur gegenüber einem Treugeberinteresse bestehen können, dessen Bezugspunkt ausschließlich das jeweilige Vermögen darstellt.456 Insofern ist eine „Integration“ des Konflikts dieses Interesses mit den Vermögensbelangen eines Dritten, dem gegenüber der Treunehmer ebenfalls verpflichtet ist, nicht bereits im Rahmen der tatbestandlichen Vermögensbetreuungspflicht abzubilden. In Beispiel 21 gehen die Belange der Z-GmbH über das Vermögensfürsorgeverhältnis des D als Mitglied des Aufsichtsrats gegenüber der R-Bank AG hinaus, weswegen die Rechtswidrigkeit als maßgebliche Wertungsebene überzeugt. Insofern liegt es nahe, die entstandene Pflichtenkollision strafrechtlich nach demselben Prinzip aufzulösen, das bereits in den zuvor besprochenen Fallgruppen herangezogen wurde. Denn ist bei einem treuwidrigen Verhalten eines Gesell-
454 Ziemons, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 22 Rn. 53; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 71b f.; Habersack, in: MüKo AktG, § 105 Rn. 10 (wenn Doppelmandat bei einem Wettbewerber ausgeübt wird); vgl. auch Mertens/Cahn, in: KK AktG, § 93 Rn. 23. 455 Wiesner, in: Hdb. Gesellschaftsrecht, Bd. 4, § 20 Rn. 11; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 110; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 58; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 577. 456 Vgl. Spindler, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 15 Rn. 22 (Untreuetatbestand folge „Modell eines Vermögensverwalters, der im Wesentlichen nur die Interessen des zu betreuenden Vermögens wahrzunehmen hat und nicht den typischen Interessenkonflikten des Gesellschaftsrechts unterliegt“) m.w.N.; Busch, Konzernuntreue, S. 129; ferner allgemein Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 33; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 30 f.
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schaftsorgans457 eine anderweitige Pflichtenbindung zu berücksichtigen, werden sich auch hier regelmäßig Handlungs- und Unterlassungsgebot gegenüberstehen. In Beispiel 21 etwa hat D aufgrund seiner Bedenken hinsichtlich der Werthaltigkeit des Darlehens als Aufsichtsrat der R-Bank AG nach §§ 266 Abs. 1 StGB, 116 S. 1, 111 Abs. 1, 93 AktG vermögensschädigendes Verhalten des Vorstands abzuwenden. Gleichzeitig ist er im Grundsatz weiterhin der Z-GmbH in seiner Position als Geschäftsführer verpflichtet, wonach D sich zunächst für ein „Stehenlassen“ des Kredits wird einsetzen müssen. Demnach bietet sich der rechtfertigende Notstand als Kollisionsprinzip an und die Grundsätzen des „wesentlichen Überwiegens“ eines Belangs nach § 34 StGB sind maßgeblich. Auch in der strafrechtlichen Literatur wurde bereits verschiedentlich eine Auflösung der Situation über Notstandsgesichtspunkte erwogen.458 Diese Sichtweise wird dadurch bestärkt, dass in Stellungnahmen aus dem Gesellschaftsrecht zu den verschiedenen, von einem Doppelmandatsträger zu berücksichtigenden Pflichten auf Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit rekurriert wird.459 d) Möglichkeit einer Rechtfertigung? Unter den Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes fällt die Interessenabwägung nach §§ 34 StGB, 16 OWiG nicht schwer: Im Ergebnis muss in aller Regel derjenige Pflichtenkreis den Vorrang genießen, innerhalb dessen der Doppelmandatsträger gerade tätig wird.460 Schließlich erscheint eine anderweitige Verpflichtung gegenüber einem fremden Unternehmen (also aus der Perspektive des D als Aufsichtsrat in Beispiel 21 die Pflicht gegenüber der Z-GmbH) schon nach abstrakter Betrachtung erheblich schwächer ausgeprägt als die „gerade wahrzunehmende“ Vermögensbetreuungspflicht. Letztere besteht gegenüber derjenigen Gesellschaft, für welche die Organstellung im konkreten Fall ausgeübt wird. Darüber hinaus kann selbst dann eine Pflichtenkollision nicht zugunsten von gesellschaftsfremden Interessen entschieden werden, wenn dem beteiligten Organ erhebliche Haftungsrisiken von dritter Seite drohen. Eine Restitutionspflicht gegenüber der Z-GmbH kommt zulasten von D in Betracht, wenn bei einer pflichtgemäßen Entscheidung seine anderweitig bestehende Treupflicht als Geschäftsführer verletzt würde. Der Doppelmandatsträger hat sich in Ansehung solcher Belange jeder Schutzwürdigkeit begeben, indem er sich „sehenden Auges“ auf die Treupflichtausübung unter Hin457 Über Untreuesachverhalte hinaus können sich auf Doppelmandate zurückzuführende Interessenkonflikte z. B. auch bei der Offenbarung von Unternehmensgeheimnissen stellen, vgl. Schaal, in: MüKo AktG, § 404 Rn. 15. 458 So auch Kutzner, NJW 2006, 3541, 3543; Schneider, Untreue, S. 115 ff.; a.A. Zech, Aufsichtsratsmitglieder, S. 53 Fn. 9, 115, die bereits den Tatbestand ausschließen will. 459 Vgl. Fleck, in: FS Heinsius, S. 89, 90 f.; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606. 460 Dies entspricht, wie angedeutet, der ganz h.M. im Gesellschaftsrecht: BGHZ 180, 105 ff.; Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1021; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 577; Schneider, NZG 2009, 1413 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 107; Altmeppen, in: MüKo AktG, § 311 Rn. 99 ff.; Kort, in: GroßKomm AktG, § 76 Rn. 182 m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
nahme von Interessenkonflikten eingelassen hat. Soweit er Inhaber des Erhaltungsgutes ist, kann er deswegen im Rahmen der Interessenabwägung nicht die Solidarität der geschädigten Gesellschaft beanspruchen.461 Deutlich reduziert ist deswegen in Beispiel 21 die Bedeutung des Vermögens von D in der Interessenabwägung, wenn dieser sich gegenüber der Z-GmbH ersatzpflichtig machen sollte. Bei Annahme des Aufsichtsratsmandats muss D bewusst gewesen sein, dass es möglicherweise in Zukunft zu Interessenkonflikten kommen würde.462 Bei bedingt vorsätzlichem Herbeiführen der Notstandslage sind die hohen Hürden des Aggressivnotstandes in dieser Situation kaum je zu überwinden.463 Darüber hinaus streitet ein weiterer Gesichtspunkt der Notstandsdogmatik gegen einen Unrechtsausschluss. So darf man bezweifeln, dass es bei Identität der betroffenen Interessen in verschiedenen Gesellschaften je zu einem „wesentlichen Überwiegen“ i.S.v. §§ 34 S. 1 StGB, 16 S. 1 OWiG kommen kann, was für einen Unrechtsausschluss Voraussetzung wäre.464 Dies liegt daran, dass die Interessenkollision wie in Beispiel 21 häufig ein und denselben Vorgang betreffen wird, der für das eine Unternehmen vorteilhaft und für ein anderes in gleichem Maße nachteilig ist. Erhaltungs- und Eingriffsgut sind damit zumeist wertidentisch: Ist die Z-GmbH nicht zu den von der R-Bank angenommenen Bedingungen kreditwürdig, materialisiert sich der in Form einer teilweise abzuschreibenden Forderung eingetretene Schaden der R-Bank AG spiegelbildlich in einem Vermögensvorteil der Z-GmbH. Zugunsten von D scheidet nach alledem in Beispiel 21 eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB aus, wenn er durch sein Stimmverhalten im Aufsichtsrat der R-Bank AG seine der Bank gegenüber bestehende Vermögensfürsorgepflicht nach § 266 Abs. 1 StGB verletzt. Eigene Vermögensbelange des D bzw. Interessen der Z-GmbH können sich als Erhaltungsgüter in der Interessenabwägung nicht durchsetzen. Es bleibt deshalb festzuhalten, dass bei mehrfacher Mandatsträgerschaft die Anwendung von Notstandsgrundsätzen in aller Regel zu dem gesellschaftsrechtlich allgemein akzeptierten Ergebnis führt.
461
Ausführlich zur selbstverschuldeten Notstandslage Beck, ZStW 124 (2012), 660, 671 f.; vgl. auch NK-Neumann, § 34 Rn. 93 ff. 462 Zur reduzierten Schutzwürdigkeit bei Vorverschulden des Notstandstäters, s. o.: 3. Teil B.II.2.b) und 3. Teil B.IV.1.b)cc). 463 Zu diesem Ergebnis kommt für die Frage der Offenbarungsbefugnis bei Doppelmandatsträgerschaft auch Ransiek, in: GroßKomm GmbHG, § 85 Rn. 35 m.w.N.; vgl. ausführlich Beck, ZStW 124 (2012), 660, 671 f. („Rechtfertigung praktisch ausgeschlossen“); ferner Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 866. 464 Vgl. auch Ulsenheimer, NJW 1975, 1999, 2002, der in Fn. 45 zudem darauf hinweist, dass es in Fällen der Doppelmandatsträgerschaft einer strengen Erforderlichkeitsprüfung bedarf.
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5. Zusammenfassung: Kollision von Gesellschafts- und Drittinteressen Den vorgestellten Fallgruppen von Pflichtenkollisionen gegenüber der Gesellschaft einerseits und Drittinteressen andererseits liegt ein gemeinsames Prinzip zugrunde: In allen Fällen stehen sich Handlungs- und Unterlassungsgebot gegenüber – eine Interessenkollision, die nach allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts über den rechtfertigenden Notstand zu lösen ist. „Strukturell vergleichbare Probleme“465 ergeben sich auch, wenn bereits ein negatives Tatbestandsmerkmal den einschlägigen Konflikt einer abschließenden Regelung zugeführt hat, wie das z. B. in § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG (zumindest teilweise) der Fall sein dürfte. In zahlreichen anderen Fällen kann demgegenüber auf die Notstandsvorschriften der §§ 34 StGB, 16 OWiG zurückgegriffen werden. So liegen die Dinge, wenn eine aus der strafrechtlichen Produkthaftung abgeleitete Offenbarungspflicht von Mängeln oder Nebenwirkungen etc. mit dem Insiderstrafrecht in Konflikt gerät. Notstandserwägungen können auch den Vorstand einer Aktiengesellschaft rechtfertigen, der Belange der AG als Erhaltungsgüter vor irreparablem Schaden bewahrt, indem er sog. „räuberische Kleinaktionäre“ gegen Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen ihre Anfechtungsklagen abkauft. Auch hier schränkt jedoch das Freigabeverfahren die Angemessenheit einer solchen Notstandshandlung ein. Schließlich bietet § 34 StGB im Hinblick auf Pflichtenkonflikte eines Doppelmandatsträgers erste Lösungsansätze. Dort gibt die Interessenabwägung vor, dass jeweils in aller Regel diejenige Pflichtenstellung zu beachten ist, die ein Träger mehrerer Mandate wie D in Beispiel 21 gerade wahrnimmt und ein Verstoß nicht gerechtfertigt werden kann. Ziel der vorstehenden Ausführungen war es nicht, abschließend zu klären, wie sich die angesprochenen Konfliktlagen gesellschaftsrechtlich lösen lassen. Aus Sicht des Strafrechts fällt dennoch auf, dass den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands in der Aufarbeitung von Pflichtenkonflikten eines Geschäftsleiters verstärkt Aufmerksamkeit zukommt. Die strafrechtliche Dogmatik zum Unrechtsausschluss stärkt diese Ansätze, auch wenn ein fächerübergreifender Ansatz zur Systematisierung einschlägiger Fragen noch aussteht. Gleichwohl kann die Rechtfertigungslehre und allen voran die Notstandsdogmatik in vielen gesellschaftsrechtlich vorgeprägten Fällen eine gefestigte Grundlage anbieten. Eine weiterführende Aufarbeitung der angesprochenen Themen dürfte sich deshalb auch für die Strafrechtswissenschaft lohnen, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass sich viele der angesprochenen Fragestellungen auch im Kontext von Straf- und Bußgeldrecht stellen.
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Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 34 m.w.N.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
E. Pflichtenkonflikt zwischen arbeitsstrafund gesellschaftsrechtlicher Haftung Die bereits im Zusammenhang mit der Rechtfertigung im Unterlassungsdelikt erwähnte Vorschrift des § 266a Abs. 1 StGB466 ist Anknüpfungspunkt für ein in seiner Bedeutung besonders weitreichendes Thema des Unrechtsausschlusses im Wirtschaftsstrafrecht. Im Unterschied zu gerade behandelten Fällen mit Bezug zum Gesellschaftsrecht war die nunmehr zu untersuchende Pflichtenkollision bereits Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen und ungezählter Stellungnahmen in der strafrechtlichen Literatur. Rönnau467 hat bereits vor ungefähr 15 Jahren auf sie aufmerksam gemacht. Gegenstand der Problematik ist die Frage nach den rechtlichen Verhaltenspflichten, die einen Geschäftsleiter mit Eintritt der materiellen Insolvenz treffen. Beispiel 22: G ist Geschäftsführer der S-GmbH. Diese hat im November 2012 Insolvenz angemeldet, nachdem die Gesellschaft seit Mai desselben Jahres keine Sozialversicherungsbeiträge mehr an die Sozialversicherungsträger abgeführt hat. Die S-GmbH war von Juli 2012 an zahlungsunfähig, da die G-KG am 10. dieses Monats überraschenderweise rechtmäßig einen umfangreichen Kredit vorzeitig fällig gestellt hatte. Trotzdem ist die SGmbH danach am Markt weiter werbend tätig, weil G bis zuletzt vergeblich auf einen Großauftrag derselben G-KG hofft. Inwieweit kann der Geschäftsführer der S-GmbH für die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge strafrechtlich belangt werden (§§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB), wenn er die Umstände der Gesellschaft zu allen Zeiten kannte? Kommt eine Rechtfertigung zu seinen Gunsten in Betracht? Wie muss ggf. nach den einzelnen Zeiträumen differenziert werden?
Ab Eintritt der Insolvenzreife468 läuft dem strafbewehrten Erfüllungsgebot hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge (§ 266a Abs. 1 StGB) die zivilrechtliche Haftung für Zahlungen nach Insolvenzeintritt zuwider, §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, 64 S. 1 GmbHG.469 Im Ausgangspunkt kommt es indes nur dann zu widerstrebenden Vorgaben für die Geschäftsleitung, wenn bei Eintritt von Überschuldung (§ 19 InsO) oder Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) noch eine gewisse Liquidität vorhanden ist, mithilfe derer Verbindlichkeiten überhaupt befriedigt werden können (Möglichkeit der gebotenen Handlung).470 In Beispiel 22 ist die S-GmbH infolge der 466
s. o.: 3. Teil D.II. Rönnau, wistra 1997, 13, 14 ff. 468 BGH[Z] NJW 2009, 2454 ff. stellt klar, dass das Zahlungsverbot mit Beginn der Insolvenzreife und nicht erst ab Ende der Insolvenzantragsfrist gilt. 469 Diese Situation für den Vorstand einer AG bzw. Geschäftsführer einer GmbH wird in der Literatur mit Recht als „Haftungszwickmühle“ bezeichnet, so etwa Esser/Keuten, wistra 2010, 161, 162; Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 537, 568. Dass es sich dabei um eine der Kernfragen für den Unrechtsausschluss in Wirtschaftsstrafsachen handelt, wird nicht zuletzt an den umfassenden Ausführungen zur Rechtfertigung in BGHSt 48, 307, 309 ff. deutlich. 470 Zur Vorverlagerung der Haftung bei fehlender Liquidität im Fälligkeitszeitpunkt (§ 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV) über die Rechtsfigur der omissio libera in causa und die Einschränkungen über Zumutbarkeitserwägungen, vgl. schon oben: 3. Teil D.II. 467
E. Pflichtenkonflikt
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zusätzlich zu erfüllenden Schuld gegenüber der G-KG ab Juli 2012 zahlungsunfähig, weil sie in diesem Moment ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, § 17 Abs. 2 S. 1 InsO.471 Betrachtet man die widerstrebenden Anforderungen, denen sich der Geschäftsführer G ab diesem Zeitpunkt gegenübersieht, fügt sich dieser Problemkreis in den gerade dargestellten Kontext gesellschaftsbezogener Pflichtenkollisionen ein: Schließlich bestehen die Zahlungsverbote des jeweils einschlägigen Gesellschaftsrechts472 in erster Linie im Verhältnis zur Gesellschaft.473 Ab Insolvenzreife läuft ihnen das zugunsten der Sozialversicherungsträger strafbewehrte Zahlungsgebot zuwider. In diesem Spannungsfeld unterschiedlicher Pflichtenstellungen wird auszuloten sein, welche Rolle einem Unrechtsausschluss zukommen kann. Zu diesem Zweck soll zunächst skizziert werden, wie sich die Rechtslage im Hinblick auf das Nichtabführen der Arbeitnehmerbeiträge in der Krise der Gesellschaft im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelt hat. Dieser Schritt ist notwendig, da der BGH das Verhältnis der gesetzlichen Pflichten zueinander – nicht immer ohne Spannungen – geprägt und ausgestaltet hat [I.]. Vor diesem Hintergrund ist dann zu erarbeiten, inwieweit und mit welcher Maßgabe die Ebene der Rechtswidrigkeit in Beispiel 22 der geeignete Platz sein kann, um den für G auftretenden Konflikt zwischen Zahlungsgebot und -verbot zu lösen [II.].
I. Entwicklung der Geschäftsleiterpflichten nach Eintritt der materiellen Insolvenz Für den Unrechtsausschluss im Wirtschaftsstrafrecht bildet die skizzierte Kollision zwischen Zahlungsgebot aus § 266a Abs. 1 StGB und Leistungsverboten aus §§ 64 S. 1 GmbHG bzw. 92 Abs. 2 S. 1 AktG den zentralen Gegenstand der Betrachtung. Wie gesehen, liegt ein Rückgriff auf Rechtfertigungsgründe bei widersprüchlichen Verhaltensvorgaben dieser Art stets nahe.474 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass in Ansehung der Arbeitgeberbeiträge (§ 266a Abs. 2 StGB) eine vergleichbare Problematik nicht entsteht. Dort führt erst die täuschungsähnliche Art und Weise der Tatbegehung zur Strafbarkeit der Nichterfüllung einer eigenen Verbind-
471 Vgl. Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 17 Rn. 13 f.; zur insolvenzstrafrechtlichen Bedeutung dieses Eröffnungsgrundes: Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 34. 472 Vgl. neben den bereits genannten noch §§ 130a Abs. 1, 177a HGB, 99 S. 1 GenG. 473 So nimmt BGH[Z] NJW 1974, 1088, 1089 auch an, dass bei Verstoß der Vorstandsmitglieder gegen das Zahlungsverbot infolge Vorliegens eines Insolvenzgrundes ein auf Ausgleich der Masseminderung gerichteter Anspruch der Gesellschaft und nicht etwa der Gläubiger entsteht. Auch Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 841 ff. stellen den Bezug der hier untersuchten Kollision zu den unter IV. besprochenen Pflichtenkonflikten im Gesellschaftsrecht her. 474 s. o.: 2. Teil B.II.2; vgl. ferner: 4. Teil D.II.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
lichkeit.475 Das bloße Nichtzahlen begründet für G in Beispiel 22 im Gegensatz zur Haftung nach Abs. 1 für sich genommen deswegen noch kein Strafbarkeitsrisiko.476 Die Kollision zwischen Masseerhaltungs- und Sozialversicherungsabgabepflicht entsteht in Beispiel 22 erst ab Eintritt der materiellen Insolvenz im Juli 2012, d. h. bei tatsächlichem Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit. Sie endet für G als Geschäftsführer der gesetzlichen Konzeption nach, d. h. wenn man vor allem die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 22 Abs. 1 S. 1 InsO) außen vor lässt, mit Stellung des Insolvenzantrags unter Beachtung der Massesicherungspflicht.477 Zunächst soll anhand dieses Beispiels für eine GmbH dargestellt werden, wie sich die gesetzlichen Vorgaben an das Führungsorgan einer Gesellschaft mit fortschreitender Krise der Gesellschaft entwickeln [1.]. Die Auslegung der einschlägigen Vorschriften durch die Rechtsprechung ist auf dieser Grundlage in einem zweiten Schritt zu umreißen [2.]. 1. Zeitliche Dimension der Frage und gesetzliche Grundlagen für die Pflichtenkollision Der für die Pflichtenkollision relevante Zeitraum lässt sich umreißen, indem man den wirtschaftlichen Abstieg eines Unternehmens nachzeichnet. Bei Beginn von wirtschaftlichen Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsproblemen erscheint die Beitragspflicht für die Sozialversicherung zunächst nur als eine von vielen Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sodass den Geschäftsleiter unterschiedliche Zahlungspflichten und damit Handlungsgebote treffen. In Beispiel 22 ist für den Zeitraum vor dem 10. Juli 2012 aus Sicht des G die Entrichtung von Arbeitnehmerbeiträgen eine von mehreren schuldrechtlichen Verbindlichkeiten. Erst ab Vorliegen der materiellen Insolvenzreife stellt sich die hier interessierende Fallgruppe gegenläufiger rechtlicher Verhaltensvorgaben, da ab diesem Zeitpunkt die Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG droht. Gemäß dieser Vorschrift ist der Geschäftsführer persönlich zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der materiellen Insolvenz geleistet werden. Da die Pflicht zum Abführen der Arbeitnehmerbeiträge ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt,478 können die Sozialversicherungsträger für den Gesamtversicherungsbeitrag479 den Geschäftsführer ihrer475 BGH NZG 2011, 303, 304; Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 553; LK12Möhrenschlager, § 266a Rn. 63 Fn. 147. 476 BGH[Z] NZG 2009, 913 lässt deswegen mangels bestehender Pflichtenkollision – der Arbeitgeber kann den von § 266a Abs. 2 StGB geforderten Informationen unabhängig von der Liquiditätslage der Gesellschaft nachkommen – auch nach Insolvenzreife die Erstattungspflicht nach § 64 S. 1, 2 GmbHG voll eingreifen. 477 Str.; vgl. einführend nur BGH NStZ 2006, 223, 224 f.; Radtke, in: MüKo, § 266a Rn. 48; dazu auch BFH GmbHR 2009, 222, 223 ff. 478 BGH[Z] NJW 2005, 2546, 2547 („gefestigte Rechtsprechung“); WM 2003, 1876, 1878; Wagner, in: MüKo BGB, § 823 Rn. 389 ff., 423 m.w.N. 479 Vgl. dazu S/S-Perron, § 266a Rn. 8.
E. Pflichtenkonflikt
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seits als zusätzlichen Schuldner neben der Gesellschaft für das Vorenthalten in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund hat auch die zivilrechtliche Rechtsprechung die Entwicklung des Verhältnisses der gegenläufigen Pflichten maßgeblich mitgeprägt. Das Problem von gleichzeitig bestehendem Zahlungsgebot und -verbot endet für den Geschäftsführer dem Wortlaut des Gesetzes nach erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ab diesem Zeitpunkt tritt nämlich nach § 80 Abs. 1 InsO bzw. mit Ernennung eines Insolvenzverwalters480 für das ehemalige Führungsorgan der Gesellschaft rechtliche Unmöglichkeit ein. Will sich ein Geschäftsführer davor aus diesem im Gesetz angelegten Konflikt befreien, wird er nicht nur den Insolvenzantrag zu stellen haben, sondern daneben auch sein Amt niederlegen müssen.481 Das Gesetz selbst lässt für den gesamten Zeitraum der Insolvenzreife diese sich widersprechenden Anforderungen bestehen und gibt keine eindeutige Auflösung des Konflikts vor.482 Auch nach Verstreichen der Insolvenzantragspflicht bzw. der Höchstfrist von drei Wochen gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 InsO stehen sich im Hinblick auf das strafbewehrte Nichtabführen der Beiträge die gegensätzlichen Pflichten im Ausgangspunkt weiter gegenüber.483 Dass in solchen Situationen daneben eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung (§§ 15a Abs. 4, 5 InsO) in Betracht kommt, berührt das Zahlungsgebot des Geschäftsleiters gemäß § 266a Abs. 1 StGB nicht unmittelbar. In Beispiel 22 droht dem G spätestens drei Wochen nach dem 10. Juli 2012 unabhängig von einem Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen die Strafverfolgung wegen Insolvenzverschleppung. Dem zeitlich nachgelagert sieht das Gesetz vor, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Insolvenzverwalter darüber zu entscheiden hat, ob er zuvor von G geleistete Zahlungen an die Sozialversicherungsträger gemäß §§ 129 ff. InsO anficht. Dies ist nach jüngster Rechtsprechung trotz Einführung von § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV, wonach die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht fingiert wird, auch nicht ausgeschlossen,484 soweit die Abführung der Beiträge zu einer inkongruenten Befriedigung der Sozialversicherungsträger geführt hat.485 480 Vgl. OLG Dresden NStZ 2011, 163 f.; Bei Ernennung eines vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters kann die Pflicht zur Abführung schon vor diesem Zeitpunkt liegen: §§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Var., 22 Abs. 1 InsO, was jedoch nicht unumstritten ist. Zum Ganzen Fischer, § 266a Rn. 6 m.w.N. 481 Gross/Schork, NZI 2004, 358, 361 f.; Rönnau, wistra 2007, 81, 83 f. 482 Siehe nur Rönnau, wistra 2007, 81, 82. 483 Insoweit ist unerheblich, dass § 15a Abs. 1 InsO ein Dauerdelikt darstellt. Der Pflichtenkonflikt nach Eintritt von Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit besteht zwar ebenfalls dauerhaft. Die mit § 266a Abs. 1 StGB in Konflikt geratende Pflicht ergibt sich indes aus § 64 S. 1 GmbHG und nicht aus der InsO. 484 BGHZ 183, 86 ff.; vgl. zur umstr. Problematik, die an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden kann, statt Aller die umfangreichen Nachweise bei LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 60 Fn. 144.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
2. Die Lösung der Rechtsprechung Diese gesetzlichen Vorgaben und ihr Verhältnis zueinander hat die Rechtsprechung in einer Jahre andauernden Auseinandersetzung zwischen dem II. Zivilsenat und dem 5. Strafsenat des BGH präzisiert und aufeinander abzustimmen versucht. Ohne ein Grundverständnis der einschlägigen Judikate ist es nicht möglich nachzuvollziehen, welche Rolle einem Erlaubnistatbestand in dem skizzierten Spannungsfeld zukommen kann. Deshalb wird hier zuerst erörtert, wie das Verhältnis der strafbewehrten Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zu anderen Verbindlichkeiten durch die Rechtsprechung ausgestaltet wurde [a)]. In einem zweiten Schritt soll dann aufgezeigt werden, welche dogmatische Einordnung der BGH hinsichtlich der dem Zahlungsgebot entgegenstehenden Massesicherungspflicht trifft und wie er so zu einer Lösung für das Kollisionsverhältnis in Beispiel 22 gelangt [b)]. a) Genereller Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge und „Pflichtenkollision“ vor Eintritt der Insolvenzreife Zum Problem der „Haftungsfalle“ eines Arbeitgebers nach Insolvenzreife486 kann es überhaupt nur kommen, wenn die Beitragsabführungspflicht nach § 266a Abs. 1 StGB nicht ebenso wie die übrigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu behandeln ist. M.a.W. dürfte ein Entrichten der Arbeitnehmerbeiträge nicht schon per se wie eine Leistung auf andere Verbindlichkeiten dem Verbot des § 64 S. 1 GmbHG unterfallen. Schließlich entsteht in der Insolvenzreife ja gerade keine Pflichtenkollision zwischen dem einzelnen – ggf. sogar bereits titulierten – Anspruch eines Gläubigers und dem Masseerhaltungsgrundsatz. Wenn nämlich in Beispiel 22 die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ebenso wie die Verbindlichkeiten der S-GmbH gegenüber der G-KG zu behandeln wäre, schiede eine Pflichtenkollision von vornherein aus: Alle Zahlungspflichten würden gleichermaßen vom Masseerhaltungsgebot erfasst und dieses setzte sich durch. Eine besondere Stellung der Zahlungspflicht nach § 266a Abs. 1 StGB ist daher conditio sine qua non für das Entstehen einer Pflichtenkollision mit Eintritt der materiellen Insolvenz. Insofern liegt der ständigen Rechtsprechung die Kernthese zugrunde, dass ein genereller Vorrang der genannten Beiträge gegenüber anderen Verbindlichkeiten besteht.487 Diese sog. Vorrangrechtsprechung bezieht sich zunächst einmal auf den 485 In der Rechtsprechung war die Möglichkeit einer Anfechtbarkeit vor Einführung des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV der Sozialversicherungsbeiträge seit langem anerkannt: BGHSt 48, 307, 312 f.; BGH[Z] NJW 2000, 211, 213; NJW 2005, 2546 ff.; NZI 2006, 159, 160 f. In Beispiel 22 ergäbe sich die inkongruente Deckung einer Beitragsleistung für die Monate Juli–Oktober wohl aus § 131 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO. 486 Radtke, GmbHR 2009, 673, 674 („zwischen Skylla und Charybdis“); ders., in: FS Otto, S. 695 ff. m.w.N.; vgl. auch Berger/Herbst, BB 2006, 437. 487 Stellvertretend hier nur BGHZ 134, 304 ff.; BGHSt 47, 318, 320 f.; 48, 307, 311 f., vgl. auch OLG Dresden ZIP 2003, 360, 364.
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Zeitpunkt vor Eintritt der materiellen Insolvenzreife. Für diesen Zeitraum ergeben sich aus dem Vorrang der Beiträge nach § 266a Abs. 1 StGB zwei wichtige Folgen: Zum einen trifft das zuständige Gesellschaftsorgan nach den Grundsätzen der omissio libera in causa eine Obliegenheit zum Liquiditätsmanagement, damit im Fälligkeitszeitpunkt weiterhin ausreichend Mittel vorhanden sind.488 Dogmatisch abgeleitet wird dieser Vorrang seit dem Wegfall der insolvenzrechtlichen Privilegierung von Sozialversicherungsbeiträgen in § 61 Abs. 1 Nr. 1 a) KO a.F. aus der Strafandrohung des § 266a Abs. 1 StGB, der Existenz von § 266a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 StGB sowie aus dem Umstand, dass der Schutzzweck der Regelung anders in Krisensituationen kaum erreicht werden könne.489 G wäre in Beispiel 22 daher bereits vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Juli 2012 unter Strafandrohung verpflichtet gewesen, später fällig werdenden Ansprüchen nach § 266a Abs. 1 StGB durch Rücklagen Rechnung zu tragen, wenn er die Gefahr einer Unmöglichkeit zur Leistung im Juli hätte vorhersehen können. Zum anderen – auch das ist für die vorliegende Betrachtung interessant – stellt die Erfüllung anderer Verbindlichkeiten keinen Rechtfertigungsgrund in Ansehung der durch § 266a Abs. 1 StGB drohenden Strafbarkeit dar.490 Bevor ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt, treffen den Geschäftsleiter dem Gesetz nach unterschiedliche Zahlungs- und damit Handlungspflichten. Nach den allgemeinen Grundsätzen käme deshalb ein Unrechtsausschluss nur unter dem Gesichtspunkt einer rechtfertigenden Pflichtenkollision in Betracht.491 Eine solche setzte voraus, dass andere Zahlungspflichten zumindest gleichwertig sind.492 Die höchstrichterliche Rechtsprechung spricht Verbindlichkeiten, deren Nichterfüllung weder straf- noch bußgeldbewehrt ist, eine solche Gleichwertigkeit jedoch ab.493 In Beispiel 22 ist es für die Strafbarkeit G’s daher ohne Belang, dass im Hinblick auf verbleibende Mittel neben den Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialversicherungsträgern auch Ansprüche der G-KG bestehen.
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Zu diesem Grundsatz bereits ausführlich im Zusammenhang mit einer Rechtfertigung wegen Unzumutbarkeit: 3. Teil D.III.1.a). 489 BGHSt 47, 318, 321; 48, 307, 312; NStZ 2006, 223, 225; vgl. auch BGHZ 134, 304, 310 ff. 490 So explizit BGHSt 47, 318, 321 f.; NJW 2005, 3650, 3651 („Vorrangigkeit […] besagt, dass die Erfüllung anderer Verbindlichkeiten für den Verantwortlichen keinen Rechtfertigungsgrund in Bezug auf eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB bilden kann“); vgl. dazu auch SK-Hoyer, § 266a Rn. 47. 491 BGHSt 48, 307, 311 weist auf diesen, von ihm aufgrund des postulierten Vorrangs der Sozialversicherungsbeiträge freilich nicht beschrittenen Weg selbst hin; vgl. auch SK-Hoyer, § 266a Rn. 66. 492 Zu den Voraussetzungen der rechtfertigenden Pflichtenkollision s. o.: 3. Teil D.II. Dort auch zur Frage, inwieweit andere sanktionsbewehrte Pflichten zu einer rechtfertigenden Pflichtenkollision im Rahmen von § 266a Abs. 1 StGB führen können. 493 So explizit BGH NJW 2005, 3650, 3651. Anderes kann, wie oben gesehen, nur gelten, wenn die andere Zahlungsverpflichtung ihrerseits zumindest bußgeldbewehrt ist.
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Diese Vorrangrechtsprechung ist in der Literatur mit beachtlichen Argumenten kritisiert worden.494 Auf diese Einwände kann hier nicht näher eingegangen werden. Vor allem kommt ein Rechtfertigungsgrund nach Eintritt der materiellen Insolvenz überhaupt nur in Betracht, wenn man den von der Rechtsprechung postulierten Vorrang der durch § 266a Abs. 1 StGB gesicherten Zahlungspflicht vor anderen Verbindlichkeiten akzeptiert. Denn dieser Vorrang ist Grundlage dafür, dass die Arbeitnehmerbeiträge nicht ebenso wie andere Verbindlichkeiten unter die Massesicherungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG fallen. Nur wenn man eine besondere Stellung der Beitragspflichten nach Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (§§ 16 ff. InsO) mit der Rechtsprechung annimmt, stehen sich ab diesem Zeitpunkt widersprüchliche Rechtspflichten gegenüber. Lehnte man demgegenüber die von der Rechtsprechung aufgestellte Prämisse ab, scheidet eine Kollision von Zahlungsgebot und -verbot aus, da § 64 S. 1 GmbHG dann den Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialversicherungsträgern mangels „Sonderstellung“ vorginge. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Vorrangrechtsprechung zwar vor allem für Krisensituationen im Vorfeld der Insolvenzreife entwickelt worden ist, dabei aber zugleich auf die Pflichten von G in Beispiel 22 nach Eintritt der Überschuldung im Juli ausstrahlt. b) Auswirkungen der entgegenstehenden Massesicherungspflicht nach Eintritt der materiellen Insolvenz Legt man die sich aus der Vorrangrechtsprechung ergebende Fortgeltung der Pflicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB nach Eintritt der Insolvenzreife zugrunde, trifft das Zahlungsgebot dann auf die bereits erwähnte Pflicht des Geschäftsführers zur Masseerhaltung, § 64 S. 1 GmbHG. Es kommt also nicht mehr wie im Zeitpunkt vor Eintritt der Insolvenzreife zur Konkurrenz mit anderweitig bestehenden Zahlungspflichten der Gesellschaft. In Beispiel 22 gehen deshalb die Verbindlichkeiten der S-GmbH gegenüber der G-KG im Juli 2012 bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit in der Massesicherungspflicht auf, nicht dagegen die noch ausstehenden Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung. Die unterschiedliche Behandlung dieser verschiedenen Ansprüche vor und nach Eintritt der materiellen Insolvenz hat die höchstrichterliche Rechtsprechung lange beschäftigt. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs prägte insofern maßgeblich die geltende Rechtslage, indem er eine nach Zeiträumen „gestaffelte“ Lösung ent494 Pars pro toto Fischer, § 266a Rn. 17 f.; Rönnau, wistra 1997, 13, 15 f.; ders., wistra 2007, 81, 82 f. und passim; Kiethe, ZIP 2003, 1957, 1960 f.; Flöther/Bräuer, DZWiR 2003, 353, 358 ff.; NK-Tag, § 266a Rn. 73 ff.; dies., JR 2002, 521; SK-Hoyer, § 266a Rn. 66 ff. m.w.N. Insbesondere wenn und soweit nach §§ 129 ff. InsO eine Zahlung an die Sozialversicherungsträger insolvenzrechtlich angefochten werden kann, will nicht einleuchten, wieso diese gesetzliche Wertung nicht auch die Bedeutung der Zahlungspflicht relativieren soll. Wenn BGH NStZ 2006, 223, 224 die Anfechtbarkeit unberücksichtigt lassen will, weil „[das Insolvenzrecht] nur für das Insolvenzverfahren selbst gilt“, wirkt das als ein vom Ergebnis her gedachter Kunstgriff. Vgl. zu diesem Argument noch: 4. Teil E.II.4.b)aa).
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wickelt hat:495 Wie gesehen, greifen im Vorfeld der Insolvenz zunächst die Grundsätze der omissio libera in causa, die G in Beispiel 22 verpflichten, vor Eintritt von ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten Vorkehrungen hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge zu treffen. Wenn G von Mai an keine Abgaben mehr zahlt, haftet er deswegen nach § 266a Abs. 1 StGB.496 Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Juli soll die der Beitragspflicht zuwiderlaufende Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG dann dazu führen, dass der die Arbeitnehmerbeiträge nicht abführende Geschäftsleiter wegen gegenläufiger Verhaltensvorgaben (Massesicherung) gerechtfertigt ist. Das Gericht erschafft damit einen Sonderrechtfertigungsgrund, der nicht bloß auf Zufälligkeiten in der Formulierung zurückzuführen ist, sondern – auch in deutlicher Abgrenzung etwa zu einer Entschuldigung – bewusst der Deliktsebene der Rechtswidrigkeit zugeführt wurde.497 Dieser Unrechtsausschließungsgrund ist durch zwei Merkmale geprägt, die aus der zum Allgemeinen Teil des StGB entwickelten Dogmatik so nicht bekannt sind: Zum einen soll seine Wirkung unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zeitlich befristet auf den Ablauf der Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO sein. Nach Ablauf dieser Frist soll die Rechtfertigung hinsichtlich des Nichtabführens von Arbeitnehmerbeiträgen wieder entfallen.498 Soweit danach noch verfügbare Mittel zur Verfügung stehen, sind diese dann wieder vorrangig an die Sozialversicherungsträger zur Begleichung der Beitragspflicht abzuführen. Zum anderen scheint die Rechtfertigung, nimmt man die Diktion des 5. Strafsenats ernst, auflösend bedingt hin auf das Stellen eines Insolvenzantrags durch den Geschäftsführer499 oder – alternativ – mangels § 266a Abs. 1 StGB zuwiderlaufenden Normbefehls hin auf das Entfallen des Insolvenzgrundes infolge erfolgreicher Unternehmenssanierung. Für die Pflichten des G in Beispiel 22 bedeutet dies Folgendes: Vor Juli 2012 hat er die Mittel der Gesellschaft so zu verwalten, dass zu jedem Zeitpunkt die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer abgeführt werden können. Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist er während des Ablaufs der dreiwöchigen Frist des § 15a 495 BGHSt 48, 307, 309 ff.; NJW 2005, 3650, 3652; ebenso OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1366. 496 Zu einer Rechtfertigung während der Vorverschuldenshaftung in den unter dem Stichwort der „Unzumutbarkeit“ diskutierten Fällen: 3. Teil D.III.1. 497 Vielfach wiederholt und bestätigt das Gericht die Annahme einer Rechtfertigung und auch die Rezensionen in der Wissenschaft gehen heute einhellig von einem eigenen Erlaubnistatbestand aus, siehe Lackner/Kühl, § 266a Rn. 10; S/S-Perron, § 266a Rn. 10; S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 19; LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 62; Wiedner, in: G/J/W, WiStra, § 266a Rn. 51; Tiedemann, BT, Rn. 594; SK-Hoyer, § 266a Rn. 49, der eine Klärung der Frage nur auf Rechtfertigungsebene für möglich hält. 498 Vgl. nochmals BGHSt 48, 307, 313; NStZ 2006, 223, 224; OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1366; ferner BGH[Z] NJW 2009, 295, 296; NZG 2011, 303, 305 („Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt wird“). 499 Vgl. BGH NStZ 2006, 223, 225: „Eine unabwendbare Pflichtenkollision ist hier nämlich schon deshalb nicht gegeben, weil sich der Geschäftsführer diesen widerstreitenden Pflichten jederzeit entziehen könnte, indem er einen Insolvenzantrag stellt.“
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Abs. 1 InsO gerechtfertigt, wenn er die Beiträge in diesem Zeitraum vorenthält. Nach Ablauf dieser Frist entfällt eine Rechtfertigung des G, da die S-GmbH weitergeführt wird, ohne dass es zu Beitragszahlungen kommt. Weder das in der Vorrangrechtsprechung postulierte Privileg der Arbeitnehmerbeiträge noch die bloß zeitlich befristete und auflösend bedingte Rechtfertigungslösung während der Insolvenzantragsfrist hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zu allen Zeiten anerkannt.500 Der Senat hatte sich im Gegenteil lange einem Vorrang der Arbeitnehmerbeiträge in Form von obiter dicta verweigert und Zahlungen an die Sozialversicherungsträger insbesondere nicht der sog. Rechtfertigungsklausel des Gesellschaftsrechts (§§ 64 S. 2 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 2 AktG) unterfallen lassen. Danach hätten Zahlungen nach Insolvenzreife, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, eine Haftung wegen Verletzung des Masseerhaltungsgrundsatzes nicht ausgelöst. Nach dieser Rechtsprechung war G in Beispiel 22 also im Grundsatz zivilrechtlich zum Ausgleich verpflichtet, wenn er den Handlungsgeboten des 5. Strafsenats Folge leistete. Diese Sichtweise hat der II. Zivilsenat im Jahr 2007 teilweise aufgegeben und damit erheblich zu einer Vereinheitlichung der Verhaltensvorgaben beigetragen. Nunmehr will er die Rechtfertigungsklausel des „ordentlichen Geschäftsmannes“ anwenden, wenn und soweit sich der organschaftliche Vertreter durch Nichtabführen der Beiträge strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.501 Dies soll für eine Leistung auf nach Insolvenzreife fällig werdende Beiträge ebenso gelten wie für eine Zahlung auf Beitragsrückstände.502 Aus den langen Ausführungen des Gerichts503, mit denen der bisher für richtig gehaltene Vorrang der Massesicherungspflicht ehemals begründet wird, wird man jedoch schließen müssen, dass die Einräumung des Privilegs eines ordentlichen Kaufmanns nach § 64 S. 2 GmbHG eng in einem strafrechtsakzessorischen Sinne zu verstehen ist.504 Nur wenn strafrechtlich Risiken drohen, soll das
500 Siehe etwa BGHZ 146, 264, 274 f., wo das „deliktische Verschulden“ verneint werden soll, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmerbeiträge während des Laufs der Insolvenzantragspflicht überweist; vgl. ferner BGH[Z] NJW 2005, 2546, 2548. 501 BGH[Z] NJW 2007, 2118, 2120 m. Anm. Altmeppen. Bestätigt in BGH[Z] NJW 2008, 2504, wo der Senat allerdings feststellt, dass eine Pflichtenkollision dann nicht mehr vorliegt, wenn der Geschäftsleiter „in der durch § 64 GmbHG bezeichneten Situation Zahlungen an [andere] Gläubiger [als die Sozialversicherungsträger] bewirkt oder bewirken lässt“. Vgl. weiter auch BGH NJW 2009, 2599; NZG 2011, 303, 304 f. Wie ohne die Möglichkeit, Zahlungen zu leisten, während der Insolvenzantragspflicht Sanierungsversuche möglich sein sollen, die aus strafrechtlicher Sicht im Hinblick auf § 266a StGB gerechtfertigt wären, bleibt unklar. 502 BGH NZG 2011, 303, 304. 503 BGH[Z] NJW 2007, 2118, 2119 f. 504 Vgl. zur Auslegung des Urteilstextes nur Rönnau, JZ 2008, 46, 47 f.; Waszczynski, ZJS 2009, 596, 600 („Spruchpraxis nicht weiter geändert […], als eben nötig“); ferner jüngst Blank, ZInsO 2013, 461, 462, 469.
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Gebot aus § 64 S. 1 GmbHG „mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung“505 ausgesetzt werden. c) Zusammenfassung: Die Lösung der Rechtsprechung Gemäß dieser, maßgeblich durch die Judikate des BGH geprägten Rechtslage kommt für G in Beispiel 22 eine Befreiung von der zivilrechtlichen Haftung gemäß § 64 S. 1 GmbHG nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist im Juli in Betracht. Nach deren Verstreichen wäre G wieder strafbar, wenn die Pflicht zur Abführung der Beiträge nicht erfüllt wird. Leistet er hingegen während des Ablaufs auf die Verbindlichkeiten nach § 266a Abs. 1 StGB, obwohl ihm strafrechtlich ein Sonderrechtfertigungsgrund für das Vorenthalten zur Seite steht, ist er zivilrechtlich für diese Zahlungen an die Sozialversicherungsträger zum Ersatz verpflichtet. Die §§ 64 S. 2 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 2 AktG sollen gesellschaftsrechtliche Haftung nur dann aufheben, wenn und soweit tatsächlich Strafbarkeitsrisiken drohen,506 also insbesondere dann nicht, wenn der Geschäftsleiter bereits nach strafrechtlichen Vorgaben gerechtfertigt ist. Der Herleitung und Ausgestaltung des „Sonderrechtfertigungsgrundes“ zugunsten eines organschaftlichen Vertreters, der zwischen den Pflichten zur Massesicherung und zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen steht, kommt damit eine zentrale Rolle im Sinne einer „Weichenstellung“ zwischen zivil- und strafrechtlicher Haftung zu.
II. Möglichkeit und Ausgestaltung einer Rechtfertigungslösung Zur Ausgestaltung einer Rechtfertigungslösung ist nach den bereits angestellten Erwägungen507 der sich aus der Vorrangrechtsprechung ergebende Normenkonflikt zunächst auf seine Pflichtendimension hin zu untersuchen [1.]. Anschließend ist zu fragen, ob das in § 266a Abs. 1 StGB normierte Zahlungsgebot nicht bereits auf Tatbestandsebene unter den Gesichtspunkt der rechtlichen Unmöglichkeit entfallen kann [2.]. Auf dieser Grundlage ist dann die richtige Kollisionsregel zur Auflösung der „Haftungszwickmühle“ zu bestimmen [3.], woraus sich ergibt, welche Anforderungen die Wertungsebene Rechtfertigung stellt und wie sich dies auf die einzelnen Zeiträume auswirkt [4.].
505
BGH[Z] NJW 2007, 2118, 2120. Vgl. auch BGH NJW 2009, 295 f., wo der Grundsatz der Strafrechtsakzessorietät konsequent für die verschiedenen Zeiträume nach Insolvenzreife „durchdekliniert“ wird. Von SK-Hoyer, § 266a Rn. 65 und Rönnau, JZ 2008, 46, 49 richtigerweise nicht geteilt wird die Erwägung Bittmann, wistra 2007, 406, 407, wonach für den Rechtfertigungsgrund des 5. Strafsenats während der Insolvenzantragspflicht infolge der Entscheidung BGH[Z] NJW 2007, 2118 ff. kein Raum mehr sei. Ähnlich aber auch BFH GmbHR 2009, 222 ff. 507 s. o.: 2. Teil B.II.2. 506
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
1. Kollidierende Pflichten und Bedeutung der Rechtfertigung Aufgrund der divergierenden Verhaltensvorgaben nach Insolvenzreife, die dem Gesetz nach gleichzeitig auf „Zahlen!“ (§ 266a Abs. 1 StGB) und „Nicht zahlen!“ (§§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 1 AktG) lauten, erscheint die Widersprüchlichkeit des Rechts an dieser Stelle offenkundig. Wie schon die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgibt, können widersprüchliche Verhaltensvorgaben nicht bestehen bleiben, da sie den Normbefehl und damit den Geltungsanspruch des Rechts ad absurdum führten.508 Praktisch wünschenswert wäre aus Sicht des G in Beispiel 22 wohl eine für alle Zeiträume gleichermaßen geltende Lösung des Problems. Wenn sich mit Eintritt der materiellen Insolvenz im Juli oder nach Ablauf der Frist aus § 15a Abs. 1 InsO die jeweils vorrangige Pflicht änderte, ginge dies mit erhöhten Anforderungen an die Geschäftsleitung in einer ohnehin schwierigen Phase des Geschäftsbetriebs einher. Denkbar erschiene eine allgemeingültige, d. h. für alle Zeiträume gleichermaßen geltende Lösung jedoch nur im Falle eines echten Normwiderspruchs. Denn ein solcher ist zu beseitigen, indem der einen Norm ein Geltungsvorrang vor der anderen eingeräumt wird und letztere damit faktisch ihre Verbindlichkeit verliert. Ein Normenwiderspruch tut sich indes nur auf, wenn die gegenläufigen Normen ihrem gesamten Anwendungsbereich nach nicht miteinander vereinbar sind.509 So liegen die Dinge im Spannungsfeld zwischen Masseerhaltungspflicht und Verbot des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen jedoch nicht.510 Das grundsätzlich bestehende Zahlungsgebot des § 266a Abs. 1 StGB gerät erst dann mit der Unterlassungspflicht der Masseerhaltung in Konflikt, wenn sich die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft entsprechend nachteilig verändert hat. Der Gesetzgeber hat als gesetzlichen Idealfall511 sogar eine Situation geschaffen, in der sich der Widerspruch zwischen beiden Normen zeitlich gesehen nur kurzfristig stellen dürfte. Schließlich entsteht bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes eine strafbewehrte Anzeigepflicht (§ 15a Abs. 1, 4, 5 InsO). Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt der
508
Siehe nur BVerfGE 98, 83 ff. Eingängig zum Ganzen Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 156 f., die expressis verbis auf die Notstandsregelungen für diejenigen Fälle hinweisen, in denen bloß in einer konkreten Situation durch das Gesetz unterschiedliche Anforderungen an die Beteiligten gestellt werden und keine besonderen Kollisionsregeln (vgl. z. B. §§ 53 f. StPO) eingreifen. 510 Rönnau, wistra 2007, 81, 82; Hoyer, in: FS Reuter, S. 541, 543 („Überschneidung im Anwendungsbereich, so dass weder das eine noch das andere unbedingt als spezieller identifiziert werden kann“). Dies verkennt Ischebeck, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, S. 112 ff. und passim, wenn die allgemeinen Regelungen über die Auflösung von Normwidersprüchen herangezogen werden. 511 Zur wirtschaftlichen Realität, in der materielle Insolvenz und Insolvenzeröffnung oftmals weit auseinanderfallen, siehe Kirstein, ZInsO 2008, 131 ff.; Müller, in: MüKo GmbHG, § 64 Rn. 4 („Insolvenzverfahren werden durchschnittlich zehn Monate nach Eintritt des Insolvenzgrundes eingeleitet“). 509
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beschriebene Pflichtenkonflikt dann richtigerweise nicht mehr unverändert fort.512 Ab diesem Zeitpunkt greifen die Regelungen des Insolvenzverfahrens (§§ 39; 187 ff. InsO), wonach grundsätzlich ein Vorrang der Sozialversicherungsansprüche ausscheidet.513 Sobald aber die Tatbestandsvoraussetzungen der Massesicherungspflicht in Beispiel 22 ab 10. Juli 2012 vorliegen, sollte der gesetzlichen Konzeption nach G bereits das Insolvenzverfahren einleiten. Für die widersprüchlichen Verhaltensanforderungen ab Insolvenzreife verbietet deshalb bereits die Normenlogik, einen unbedingten Vorrang einer Pflicht um den Preis des allgemeinen Zurücktretens der anderen herzustellen: Die Pflichten widersprechen sich nicht ihrem gesamten Anwendungsbereich nach.514 Es ist vielmehr ein Regel-Ausnahmeverhältnis zu schaffen, das beiden Verhaltensgeboten weitest möglich ihren Anwendungsbereich belässt. Die Rechtfertigungsgründe sind als ausnahmsweise eingreifende Gestattung eines an sich strafwürdigen Verhaltens unter Bezug zur Gesamtrechtsordnung hierfür strafrechtsdogmatisch das Mittel der Wahl.515 2. Tatbestandsausschluss wegen rechtlicher Unmöglichkeit? Damit liegt der Lösungsweg über die Rechtswidrigkeit bereits aufgrund von normtheoretischen Erwägungen nahe. Eine „Rechtfertigungslösung“ setzt gleichwohl voraus, dass der Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB während der Drei-WochenFrist nach Eintritt des Insolvenzgrundes (§ 15a Abs. 1 InsO) überhaupt erfüllt sein kann. Dies ist immer wieder unter Rückgriff auf die Rechtsfigur der rechtlichen Unmöglichkeit bezweifelt worden, gemäß derer bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 266a StGB ausgeschlossen sein sollen.516 G sei es aufgrund der Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG rechtlich unmöglich, während des Laufs der Insolvenzantragspflicht den Tatbestand des Vorenthaltens der Arbeitnehmerbeiträge zu
512 Zur Haftung des verfügungsbefugten Insolvenzverwalters Röpke/Rothe, NZI 2004, 430, 432 f. („ungeklärte Situation“); wie hier Ott/Vuia, in: MüKo InsO, § 80 Rn. 151; vgl. aber auch Rönnau, wistra 2007, 81, 84 („schwarzer Peter wird häufig nur an den neuen Amtsinhaber weitergereicht“). Die Pflichtenstellung des verfügungsbefugten Insolvenzverwalters wird im Folgenden ausgeklammert. 513 Str. bzw. wenig geklärt, vgl. auch BGH ZIP 2003, 1666 ff.; BGHZ 149, 100, 104 ff.; OLG Frankfurt a.M. ZIP 2002, 1852, 1856 f. 514 Vgl. zu diesen Erwägungen Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157. 515 Vgl. o.: 2. Teil B.II.2.; für das Verhältnis von § 266a Abs. 1 StGB zu den Masseerhaltungspflichten teilen dieses Ergebnis aufgrund ähnlicher Erwägungen zur Normlogik Rönnau, wistra 2007, 81, 82; vgl. auch ders., NJW 2004, 976, 978 f.; SK-Hoyer, § 266a Rn. 49 unter Verweis auf SK-Rudolphi, 7. Aufl., Vor § 13 Rn. 29a. 516 Rönnau, wistra 1997, 13, 16; ders., wistra 2007, 81, 82; Schneider/Brouwer, ZIP 2007, 1033, 1039; S/S/W-Saliger, § 266a Rn. 19; Radtke, in: MüKo, § 266a Rn. 47; Wegner, wistra 1998, 283, 290; Pananis, in: Hdb. Arbeitsstrafrecht, § 6 Rn. 29; vgl. auch Fischer, § 266a Rn. 14.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
verwirklichen. Dieser Einwand bedarf einer Überprüfung.517 Zuerst ist deshalb zu untersuchen, welche Rolle der rechtlichen Unmöglichkeit im Unterlassungsdelikt überhaupt zukommt, um dann feststellen zu können, ob im Rahmen der Zahlungspflicht des § 266a Abs. 1 StGB dadurch tatsächlich bereits der Tatbestand ausgeschlossen wird. a) Rechtliche Unmöglichkeit im Unterlassungsdelikt Der Begriff der rechtlichen Unmöglichkeit einer Handlung ist im Rahmen der Unterlassungsdogmatik nicht abschließend geklärt. Im Gegensatz zur physischrealen Handlungsmöglichkeit, die ohne Zweifel Tatbestandsvoraussetzung jeder Unterlassungsstrafbarkeit sein muss,518 führt die rechtliche Unmöglichkeit in Voraussetzungen und Wirkungen für das Unterlassungsdelikt eher ein Schattendasein. Vieles hängt hier vom Verständnis der Rechtsfigur ab. Bei Begehungsdelikten wird es einem Eigentümer etwa rechtlich unmöglich sein, das eigene Fahrzeug zu stehlen. Auch wird der Geschäftsführer einer GmbH nicht mehr wirksam Verbindlichkeiten erfüllen können, wenn ihm die Verfügungsbefugnis infolge von § 80 Abs. 1 InsO entzogen wird.519 In diesen Fällen beschränken für das Begehungs- wie für das Unterlassungsdelikt (zivil)rechtliche Vorgaben die Wirksamkeit von Handlungen und schlagen so auf die physisch-realen Verhaltensmöglichkeiten durch: Die Eigentümerstellung lässt das Tatobjekt „Auto“ zu einem untauglichen werden und die fehlende Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers steht der Wirksamkeit dinglicher Rechtsgeschäfte entgegen, §§ 80 f. InsO, 135 BGB. So verstanden schließt rechtliche Unmöglichkeit richtigerweise den Tatbestand aus. Nicht überzeugend sind demgegenüber Ansätze, nach denen die Rechtsfigur auf alle Fälle ausgedehnt werden soll, in denen der Handlungspflicht des Unterlassungsdelikts ein anderes rechtliches Verbot zuwiderläuft. Denn ein Pflichtenkonflikt führt nicht immer schon zu rechtlicher Unmöglichkeit. Dies sei mithilfe folgender Erwägung veranschaulicht: Geht von einem Hund eine permanente Gefahr aus, so kann den Halter auch dann eine Überwachergarantenpflicht zur Weggabe treffen (Handlungspflicht), wenn er selbst nicht Eigentümer des Tieres ist.520 Hier mag die 517 Ohne weiteres verworfen werden kann dagegen der Versuch von Wüchner, Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen, S. 134 ff., 144 zu genereller Straflosigkeit während der Pflichtenkollision zu gelangen, indem tatsächliche Unmöglichkeit in § 266a Abs. 1 StGB mit insolvenzrechtlicher Zahlungsunfähigkeit gleichgesetzt wird. Dass tatsächliche Unmöglichkeit enger zu verstehen sein muss als Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 2 InsO, wurde z. B. von SK-Hoyer, § 266a Rn. 46 gezeigt. Vgl. zum Ganzen jüngst auch Blank, ZInsO 2013, 461, 463. 518 Verwiesen sei hier nur auf BGH wistra 2000, 136; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 708 ff. m.w.N. 519 Vgl. OLG Dresden NStZ 2011, 163 f.; LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 56; Cramer, in: FS Stree/Wessels, S. 563, 570, der die strafrechtliche Überwachungspflicht von Aufsichtsräten daran ausrichtet, inwieweit sie überhaupt rechtlich möglich ist. 520 Vgl. zu diesem Fall OLG Bremen NJW 1957, 72 f.; zur rechtlichen Unmöglichkeit auch BGH NStZ 1997, 545; zur deliktssystematischen Einordnung Roxin, AT II, § 31 Rn. 14.
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Weggabe nicht den Eigentumsverhältnissen entsprechen und zivilrechtliche Ersatzund Sekundäransprüche zulasten des Halters auslösen (an den Halter gerichtetes Unterlassungsgebot, den Hund nicht wegzugeben) – physisch-real möglich bleibt sie dennoch. Es gilt, Gebot und Verbot in der Bedeutung gegeneinander abzuwägen. Wollte man rechtliche Unmöglichkeit im Unterlassungsdelikt so weit verstehen und auch den geschilderten Fall erfasst wissen,521 begäbe man sich in einen Wertungswiderspruch, wenn dann immer auch der Tatbestand eines Strafdelikts entfiele.522 Denn die Nichtvornahme einer zunächst gesetzlich verbotenen Handlung ist ebenso begrifflich ein Unterlassen wie die Nichtvornahme einer erlaubten. Unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit lassen sich solche Fälle nicht lösen, wenn es auf eine Abwägung der widerstreitenden Belange ankommt, die den jeweiligen Pflichten zugrunde liegen. Beißt der gefährliche Hund etwa ein Kind, ist für einen Halter, dem der von ihm nicht zu kontrollierende Hund nicht gehört, in Ansehung von §§ 229, 13 StGB die Strafbarkeit nicht von vornherein unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Unmöglichkeit ausgeschlossen, da die Weggabe in ein Tierheim weiterhin eine Handlungsmöglichkeit darstellte.523 Entscheidend muss vielmehr sein, wie die Interessenabwägung zwischen den durch eine Weggabe des Tieres ausgelösten Rechtsfolgen (z. B. §§ 987 ff. BGB) und den Belangen eines geschädigten Dritten ausgeht, dessen Schutz die Garantenpflicht des Halters bezweckt. Richtigerweise kommen entsprechende Pflichtenkonflikte auch im Unterlassungsdelikt deshalb erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit zum Tragen.524 Für die rechtliche Unmöglichkeit verbleiben nach dem hier zugrunde gelegten engen Verständnis solche Fälle, in denen begrifflich der Täter eine Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllen kann – z. B. weil er nicht als Täter eines Sonderdelikts infrage kommt o. ä. b) Anwendung auf das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG Überträgt man diese allgemeinen Erwägungen auf das § 266a Abs. 1 StGB zuwiderlaufende Gebot der Masseerhaltung, ergibt sich ein deutliches Bild. Versteht man die zu einem Tatbestandsausschluss führende rechtliche Unmöglichkeit im hier für richtig gehaltenen Sinn, so bleibt G in Beispiel 22 die Erfüllung der Pflicht solange möglich, bis keine hinreichende Liquidität mehr vorhanden ist, welche die Sozialversicherungsbeiträge decken könnte („tatsächliche Unmöglichkeit“) oder aber die Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO an einen Insolvenzverwalter übergeht. Das Haftungsrisiko der §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 1 AktG steht einer rechtswirksamen Erfüllungshandlung gegenüber den Sozialversicherungsträgern 521
In diese Richtung Gropp, AT, § 11 Rn. 48 f.; ders., in: FS Hirsch, S. 207, 210 f. So aber Roxin, AT II, § 31 Rn. 14. 523 Vgl. aber OLG Bremen NJW 1957, 72, 73; Gropp, AT, § 11 Rn. 48 f. 524 So überzeugend auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 15 Rn. 18 a.E.; vgl. auch NKWohlers/Gaede, § 13 Rn. 17. 522
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
nicht entgegen, sondern ist als eine dem Normbefehl zuwiderlaufende Vorgabe der Rechtsordnung über eine Rechtfertigungsregel zu berücksichtigen.525 Doch selbst wenn man anders entscheiden und wegen eines weiten Verständnisses der Unmöglichkeit einen Tatbestandsausschluss annehmen wollte, kann diese Rechtsfigur in Beispiel 22 bei einem Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen durch G während der Insolvenzantragspflicht nicht herangezogen werden. Dies liegt an der geänderten Rechtsprechung des II. Zivilsenats:526 Danach wird eine Wechselbeziehung zur strafrechtlichen Haftung geschaffen und die Wirkung des Zahlungsverbots gemäß § 64 S. 1 GmbHG immer nur zurückgestellt, wenn strafrechtliche Haftung bei Vorenthalten droht. Nach dieser Rechtsprechung wird damit ein striktes Alternativverhältnis zwischen straf- und gesellschaftsrechtlicher Haftung etabliert.527 Danach kann im Fall des Nichtabführens der Arbeitnehmerbeiträge schon begrifflich kein entgegenstehendes Zahlungsverbot mehr bestehen. Dass G in Beispiel 22 durch ein strafrechtliches Handlungsgebot zu rechtswidrigem Handeln verpflichtet würde, wäre aber Voraussetzung für die Begründung einer rechtlichen Unmöglichkeit.528 M.a.W. steht die geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung in Zivilsachen selbst dann der Annahme einer rechtlichen Unmöglichkeit entgegen, wenn man – nach m.E. zu weitem Verständnis der Rechtsfigur – dieser auch kollidierende Rechtspflichten grundsätzlich unterfallen lassen wollte. c) Zwischenergebnis Der Konflikt zwischen strafbewehrter Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge und Massesicherungsgebot lässt sich strafrechtlich nicht auf Ebene des Tatbestands lösen. Ein entsprechend weites Verständnis der rechtlichen Unmöglichkeit gerät in Widerspruch zur tatsächlichen Unmöglichkeit und zu der notwendigen Abwägung unterschiedlicher Verhaltensvorgaben. Doch selbst wenn man entsprechende Konflikte im Grundsatz auf Tatbestandsebene behandelt, ist dies in Fällen wie dem in Beispiel 22 nicht mehr sinnvoll möglich. Insofern scheidet nämlich nach der geänderten zivilrechtlichen Rechtsprechung ein Konflikt zwischen Handlungsgebot (§ 266a Abs. 1 StGB) und -verbot (§§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG) begrifflich aus. 3. Art der Pflichtenkollision und Bestimmung der Kollisionsregel Wie bereits die einleitenden Erwägungen zur Normtheorie und die Ausführungen des BGH nahegelegt hatten, ist die Lösung des Problems auf Wertungsstufe der 525
Ähnlich Hoyer, in: FS Reuter, S. 541, 543 ff. Vgl. nochmals BGH[Z] NJW 2005, 2546, 2548. 527 Brand, GmbHR 2010, 237, 238 f.; Waszczynski, ZJS 2009, 596, 599 f.; vgl. auch Rönnau, JZ 2008, 46, 48 f.; ferner BGH NZG 2011, 303, 304. 528 Roxin, AT II, § 31 Rn. 14. 526
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Rechtfertigung zu suchen. Will man bestimmen, wie ein Unrechtsausschluss in dieser Situation auszugestalten ist, sind die gegenläufigen Pflichten richtiger Anknüpfungspunkt für die einschlägige Kollisionsregel.529 Insofern ist zunächst zu betonen, dass sich die Kreation eines eigenständigen Rechtfertigungsgrundes, wie sie dem 5. Strafsenat vorzuschweben scheint, zumindest nicht von vornherein verbietet. Einen numerus clausus der Rechtfertigungsgründe kann es schon aufgrund der Vielgestaltigkeit denkbarer Ausnahmesituationen im Strafrecht nicht geben.530 Gleichwohl haben bisherige Erwägungen gezeigt, dass die Schöpfung und Ausgestaltung besonderer Erlaubnissätze einem Abgleich mit der allgemeinen Rechtfertigungslehre nicht immer standhält.531 Trotz der Besonderheiten, die das Gericht durch zeitlich strikte Grenzen bzw. Bedingungen an die Rechtfertigung eines Nichtabführens von Arbeitnehmerbeiträgen stellt, wird zunächst vorrangig zu untersuchen sein, inwieweit nicht anerkannte Erlaubnissätze sich in der Sache mit den Ausführungen des Gerichts decken. Da es sich bei der Strafbestimmung des § 266a Abs. 1 StGB nach ganz überwiegender Auffassung um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt,532 erscheint zunächst denkbar, die rechtfertigende Pflichtenkollision als Besonderheit der Unterlassungsdelikte heranzuziehen.533 Diese hatte der BGH ja bereits für den Zeitraum vor Eingreifen der Massesicherungspflicht zutreffend als einschlägige Kollisionsregel angeboten.534 Eine Kollision verschiedener Zahlungspflichten bei unzureichender Liquidität wäre535 auch nur so zu lösen. Demgegenüber ändern sich die Dinge bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes; stellt doch die Masseerhaltungspflicht ein gesetzliches Handlungsverbot auf. Die mit den einzelnen Verbindlichkeiten einhergehenden Erfüllungspflichten, die G in Beispiel 22 vor Juli 2012 noch zur Zahlung gedrängt hatten, bestehen fortan nicht mehr, sondern haben sich mit Pflicht zur Massesicherung in ein Unterlassungsgebot gewandelt. Es kollidiert in dieser Situation also eine Handlungs- mit einer Unterlas529 Vgl. grundlegend Rönnau, NJW 2004, 976, 978; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 71/72 ff. 530 s. o.: 2. Teil B.I.4.; so im Ergebnis auch S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 27 f.; Maurach/Zipf, AT I, § 25 Rn. 9 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 38; vgl. auch Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 451 f. 531 s. o.: 4. Teil A.I.2, III.1. 532 BGHSt 53, 71, 79; NJW 2011, 3047; BGH[Z] NJW 1998, 1306; OLG Frankfurt a.M. ZIP 1995, 213, 215; OLG Celle NStZ 1998, 303; Lackner/Kühl, § 266a Rn. 7; Mitsch, BT II/1, § 4 Rn. 17; NK-Tag, § 266a Rn. 57; LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 3; a.A. LK11-Gribbohm, § 266a Rn. 65. 533 Dafür Waszczynski, ZJS 2009, 596, 598 f.; vgl. ferner SK-Hoyer, § 266a Rn. 66; ders., in: FS Reuter, S. 541, 548; zur Rechtsfigur in diesem Zusammenhang auch schon oben: 3. Teil D.II. 534 BGHSt 47, 318, 322; 48, 307, 311. 535 Wie gesehen kommt es aufgrund des streng verstandenen Vorrangs der Pflichten aus § 266a Abs. 1 StGB zu einer solchen Kollision im Ergebnis nicht.
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sungspflicht.536 Die rechtfertigende Pflichtenkollision ist in dieser Konfliktlage also zur Auflösung der Kollision unbrauchbar. Nach oben stehenden Erwägungen537 kommt gesellschaftsrechtlichen Haftungsklauseln wie § 64 S. 1 GmbHG, aus denen sich Zahlungsverbote ableiten lassen, nicht ohne weiteres strafrechtlich rechtfertigende Wirkung zu.538 Denn die Anordnung persönlicher Haftung kann nicht gleichzeitig kollisionsbegründendes Zahlungsverbot und maßgebliche Kollisionsregel sein.539 Die einen Pflichtenkonflikt begründenden Verhaltensvorschriften sind von demjenigen Rechtsprinzip, das die rechtliche Kollisionslage jeweils auflöst, wesensverschieden.540 Auch der Vorschrift des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO fehlt es an den Wesensmerkmalen einer solchen Kollisionsregel,541 weil sich der Vorschrift keine Aussage über den Ausgleich des Konflikts entnehmen lässt. Vielmehr hält das Strafrecht für die hier betroffene Art des Konflikts zwischen Handlungs- und Unterlassungspflicht besondere Maßstäbe bereit:542 In der Sache geht es um die Frage, ob der Täter das Handlungsverbot – im Strafrecht häufig vertypt in Form eines Begehungsdelikts, hier aber bezogen auf die durch § 64 S. 1 GmbHG zivilrechtlich geschützten Interessen der übrigen Gläubiger – zugunsten einer Handlungspflicht verletzen darf oder ob er aber das bedrohte Rechtsgut seinem Schicksal überlassen sollte.543 Für diese Art der Pflichtenkollision wird aus strafrechtlicher Perspektive heute nahezu einhellig auf den rechtfertigenden Notstand als Kollisionsprinzip abgestellt.544 Dieser Ansatz verdient Zustimmung und deckt sich mit den unter IV. behandelten Konstellationen widersprüchlicher Geschäftsleiterpflichten. Zwar begründet nicht jede von § 34 StGB in den Blick genommene Interessenkollision zugleich einen Pflichtenkonflikt im beschriebenen Sinne. Umgekehrt ist jedenfalls bei einer echten Kollision von Handlungsgebot und Unterlassungspflicht eine Notstandslage gegeben. Eine Pflichtenkollision in diesem Sinne ist also keine notwendige, aber jedenfalls hinreichende Bedingung für das Eingreifen der Notstandsvoraussetzungen.545 536 537 538 539 540 541 542
B.II.2. 543
Zuerst so Rönnau, NJW 2004, 976, 978; ders., wistra 2007, 81, 82. Vgl. o.: 2. Teil B.II.1. Rönnau, NJW 2004, 976, 978; teilweise a.A. SK-Hoyer, § 266a Rn. 58. So äußerst treffend Rönnau, NJW 2004, 976, 978. Vgl. bereits oben: 2. Teil B.II.1.; zum Erforderlichkeitsprinzip 2. Teil B.I 3.a). Vgl. nur Brand, GmbHR 2010, 237, 241. Zum Verhältnis von Rechtfertigungsgründen zu Pflichten, siehe bereits oben: 2. Teil
Eingehend Küper, JuS 1987, 81, 88; ders., Pflichtenkollision, passim. Siehe etwa S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 71/72; Gropp, in: FS Hirsch, S. 207, 212 ff.; Perron, in: Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 23, 99; Neumann, in: FS Roxin, 2001, S. 421, 423 ff., speziell für Unterlassungsdelikte SK-Rudolphi, 7. Aufl., Vor § 13 Rn. 29a; vgl. auch LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 115, 120 und oben: 2. Teil B.II.2. 545 Vgl. o.: 2. Teil B.II.2.; ferner Küper, JuS 1987, 81, 88. Dies besagt freilich noch nichts darüber, ob im Einzelfall eine Rechtfertigung auch durchgreift und ob bei Fehlen eines Unrechtsausschlusses nicht gleichwohl eine Entschuldigung anzunehmen sein kann. 544
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Diese Überlegungen zum Notstand müssen auch für das hier betroffene Unterlassungsdelikt herangezogen werden. – Durch die Existenz der rechtfertigenden Pflichtenkollision werden Notstandsprinzipien im Unterlassungsdelikt ja nicht etwa in ihrem Geltungsbereich verdrängt.546 In Beispiel 22 entspricht die Unterlassungspflicht dem Gebot der Massesicherung nach § 64 S. 1 GmbHG. Das G spätestens ab Juli 2012 gleichzeitig treffende Handlungsgebot ergibt sich aus dem echten Unterlassungsdelikt, welches das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen unter Strafe stellt. Die allgemeine Rechtfertigungslehre gibt daher den rechtfertigenden Notstand als einschlägige Kollisionsregel vor.547 Weiter sind unter Notstandsgesichtspunkten auch für natürliche Personen („e.K.“) bzw. Personengesellschaften als Arbeitgeber, für die § 15a InsO nicht gilt, diejenigen Interessen berücksichtigungsfähig, die den 5. Strafsenat in der Sache dazu veranlasst haben, während der Insolvenzantragspflicht eine Rechtfertigung anzunehmen.548 Schließlich ist nicht dargetan, dass es nicht auch rechtsformunabhängig zu einer fruchtbaren „Zwischenphase für Sanierungsbemühungen“549 kommen kann.550 Weiter bieten die Voraussetzungen des Notstands die Möglichkeit, je nach Zeitraum die kollidierenden Interessen unterschiedlich zu gewichten. Hilfserwägungen wie die von der Rechtsprechung befürwortete zeitliche Befristung oder gar Bedingung eines Unrechtsausschlusses bedarf es deshalb nicht. 4. Ausgestaltung einer Lösung nach Notstandsgesichtspunkten Mit dem Auffinden der einschlägigen Kollisionsregel ist noch nichts darüber gesagt, wie eine in sich kohärente Lösung im Einzelnen aussehen kann. Die Ausgestaltung soll je nach Zeitfenster die Merkmale von Notstandslage und Rechtfertigungshandlung prüfen, da auch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen nach Zeiträumen differenziert. Dabei sind die jeweils widerstreitenden Er-
546 Siehe auch S/S-Perron, § 34 Rn. 5, der § 34 StGB immer dann auf Unterlassungsdelikte anwenden will, wenn die gebotene Handlung nicht mit einer anderen Handlungspflicht kollidiert. 547 Vgl. o.: 2. Teil B.II.2.; 4. Teil D.II. Sympathie für diese Lösung bei Rönnau, NJW 2004, 976, 978 f.; ders., wistra 2007, 81, 82; auf diese Überlegungen aufbauend jetzt auch SK-Hoyer, § 266a Rn. 66 ff.; Brand, GmbHR 2010, 236, 243 f.; vgl. ferner Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 572 a.E.; Sinn, NStZ 2007, 155, 156 f.; kritisch LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 63 a.E. Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive halten Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 856 die Anwendung des Notstands aufgrund der Strafbewehrtheit des Nichtabführens von Arbeitnehmerbeiträgen gar für „selbstverständlich“. 548 Zu diesen Interessen sogleich noch ausführlicher; ähnlich Brand, GmbHR 2010, 236, 243. 549 BGHSt 48, 307, 309. 550 Zur möglichen Geltung dieser Gesichtspunkte über das Recht der Kapitalgesellschaften hinaus, vgl. auch NK-Tag, § 266a Rn. 73; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 855; Hellmann, JZ 1997, 1005, 1007; SK-Hoyer, § 266a Rn. 58.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
haltungsgüter dem Interesse am Aufkommen der Arbeitnehmerbeiträge als maßgebliches Eingriffsgut gegenüber zu stellen. a) Rechtfertigender Notstand während des Laufs der Insolvenzantragspflicht, § 15a Abs. 1 InsO Den Ausgangspunkt folgender Überlegungen bildet die vom 5. Strafsenat entwickelte Lösung einer Sonderrechtfertigung, die im Rahmen der Darstellung an den Voraussetzungen des § 34 StGB zu spiegeln sein wird. Sie bezieht sich auf das Zeitfenster nach Eintritt der materiellen Insolvenz, höchstens aber drei Wochen nach Insolvenzreife – in Beispiel 22 also ab dem 10. Juli 2012. Als Erhaltungsgüter für diese Phase bietet das Gericht Verschiedenes an. Neben den gesetzlichen Zweck des Schutzes der Massesicherung551 ist nach Auffassung des 5. Strafsenats insbesondere „den Organen der Gesellschaft noch die Möglichkeit zu geben, Sanierungsversuche durchzuführen“.552 Es scheint sich also in der Sache um eine besondere Form des oben besprochenen „Unternehmensnotstands“ zu handeln.553 Dass Sanierungschancen während des Laufs der Höchstfrist eine entscheidende Rolle spielen, wird im Gesellschaftsrecht anerkannt.554 Dem misst der Bundesgerichtshof während des Laufes der Insolvenzantragspflicht ein besonderes Gewicht zu. Schließlich lässt er nach Ablauf der „Sanierungsfrist“ einen Unrechtsausschluss wieder entfallen. In Beispiel 22 stehen sich demzufolge das Interesse der S-GmbH an einer möglicherweise aussichtsreichen Sanierung, welche zum Erhalt der unternehmensbezogenen Schutzgüter führen könnte, und das Kollektivrechtsgut des vollständigen Sozialversicherungsaufkommens gegenüber. aa) Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands und betroffene Eingriffs- bzw. Erhaltungsgüter Auf Grundlage der Notstandsbestimmung müsste demnach für „die Aussicht auf erfolgreiche Sanierung“ bzw. die dahinter stehenden Erhaltungsbelange eine gegenwärtige Gefahr vorliegen.555 Den Erwägungen des BGH zugrunde liegende 551
BGHSt 48, 307, 309. BGHSt 48, 307, 309 f. 553 s. o.: 3. Teil B.V. 554 OLG Hamburg NZG 2010, 1225, 1226; OLG Celle GmbHR 2008, 1034, 1035; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64 Rn. 12; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 73, 123; ausführlich Strohn, NZG 2011, 1161, 1166. 555 Abweichend Rönnau, NJW 2004, 976, 978 a.E., der eine Gefahr für das Sozialversicherungsbeitragsaufkommen fordert. Dieses ist als tatbestandlich geschütztes Interesse indes Eingriffsgut und deswegen strafrechtlich nicht Bezugspunkt der Notstandsgefahr; vgl. zum Gegenstand der Notstandsgefahr Dencker, JuS 1979, 779; S/S-Perron, § 34 Rn. 23 m.w.N. Soweit diese Bestimmung der Gefahrenrichtung von dem Gedanken getragen ist, das „wesentliche Überwiegen“ der Notstandsbestimmung zulasten der Sozialversicherungsbeiträge 552
E. Pflichtenkonflikt
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Rechtsgüter sind ohne weiteres notstandsfähig. Das gilt für die in § 64 S. 1 GmbHG geschützten Interessen der Gläubiger ebenso wie für diejenigen Belange, welche an den Bestand des Unternehmens geknüpft sind („Sanierung“). Solche Interessen umfassen z. B. das Vermögen, das Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb und die Arbeitsplätze.556 Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes ist aufgrund der für die Rechtfertigungslage in § 34 StGB gesteckten zeitlichen Grenzen557 eine Notstandsgefahr bereits gegenwärtig, sodass eine Rechtfertigungslage für die genannten Erhaltungsgüter in aller Regel vorliegt. Das Vorenthalten ist weiter geeignet und erforderlich, weil dies regelmäßig die einzige Handlungsoption eines Geschäftsleiters in der akuten Krisensituation darstellt,558 um doch noch zu einer erfolgreichen Sanierung zu gelangen bzw. die Gläubiger in diesem Zeitpunkt nicht ungleich zu behandeln.559 Dass ein Abführen der Beiträge jede Möglichkeit vereiteln würde, das angeschlagene Unternehmen zu erhalten, ist für eine Notstandsrechtfertigung demgegenüber keine Voraussetzung.560 Der Maßstab der Erforderlichkeit gibt vielmehr nur vor, dass ein Vorenthalten das mildeste Mittel darstellt, um die Chancen auf eine aussichtsreiche Sanierung zu erhöhen. In Beispiel 22 darf G daher ab dem 10. Juli verbleibende Mittel zur Befriedigung der Forderung der G-KG einsetzen, wenn dadurch erheblich wahrscheinlicher wird, dass diese an die S-GmbH einen Auftrag großen Volumens erteilt und sich deswegen die Sanierungsaussichten verbessern.561 bb) Kein Ausschluss der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB Notstandsgesichtspunkte scheitern ferner nicht bereits am vorrangigen Insolvenzverfahren. Eine Notstandshandlung des G in Beispiel 22 zugunsten einer Sanierung der S-GmbH mit den im Juli 2012 verbleibenden Mitteln ist nicht deswegen auszulegen, wird diesem berechtigten Anliegen auf andere Art und Weise Rechnung zu tragen sein. Dazu sogleich. 556 Zur Notstandsfähigkeit betroffener Rechtsgüter in der Unternehmenskrise siehe bereits oben: 3. Teil B.V.2.a). 557 Vgl. nur BGH NStZ-RR 2006, 200 f.; NK-Neumann, § 34 Rn. 56 f.; ferner oben: 3. Teil B.II.1.a), IV.1.b)aa). In der konkreten Situation scheinen auch Brand, GmbHR 2010, 237, 243; SK-Hoyer, § 34 Rn. 66 f. eine gegenwärtige Notstandsgefahr implizit zu bejahen. 558 Als milderes Mittel kommt insbesondere keine Verwendung von eigenen Mitteln des Geschäftsführers zur Tilgung der Arbeitnehmersozialverbindlichkeiten in Betracht. Dazu ist dieser nicht verpflichtet, vgl. Rönnau, NJW 2004, 976, 979; Hellmann, JZ 1997, 1005; Wegner, wistra 1998, 283, 288. 559 Mit der überwiegenden Auffassung im Gesellschaftsrecht wird man über die aufgeführten Interessen hinaus auch die Gläubigergleichbehandlung vom Schutzzweck der Masseerhaltungspflicht umfasst (par condicio creditorum) und damit als Erhaltungsgut ansehen müssen – vgl. BGH NJW 2009, 2454, 2455; Blank, ZInsO 2013, 461, 464; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 1 f.; Casper, in: Hachenburg, GmbHG, § 64 Rn. 4; in diesem Sinne i.Ü. auch BGHSt 48, 307, 309 m.w.N. zur Zivilrspr. 560 A.A. Brand, GmbHR 2010, 237, 243. 561 Wie hier wohl SK-Hoyer, § 266a Rn. 70 a.E.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
unangemessen, weil die Regelungen des InsO insoweit vorrangig und abschließend wären. Diese letzte Sanierungsphase als werbende Gesellschaft ist dem Insolvenzverfahren vorgelagert und wird durch das Verfahren selbst nicht geregelt. Wirbt G mithilfe von der S-GmbH verbleibender Liquidität neue Fremd- oder Eigenmittel ein oder gelingt ihm die Sanierung, indem er den Großauftrag der G-KG sichert, sind derartige Rettungsbemühungen und damit einhergehende Zahlungen also nicht aufgrund des vorrangigen Insolvenzverfahrens nach § 34 S. 2 StGB unangemessen. Weniger eindeutig erscheint auf den ersten Blick die Frage, ob nicht die Regelung des § 266a Abs. 6 StGB einer Rechtfertigung gemäß § 34 S. 2 StGB entgegensteht. Nach dieser Vorschrift kann G in Beispiel 22 der Strafbarkeit entgehen, indem er die Höhe der vorenthaltenen Beträge mitteilt, hinsichtlich derer eine fristgemäße Zahlung nicht möglich ist. Insofern ist vorgetragen worden, es handle sich um ein vorrangiges Verfahren, welches – in der Terminologie des Notstandsrechts – die Angemessenheit einer Rechtfertigungshandlung ausschließen würde.562 Diese Bedenken gegen einen Unrechtsausschluss greifen aus mehreren Gründen nicht durch.563 Denn seinem Wortlaut nach setzt Abs. 6 die Unmöglichkeit der Zahlung voraus.564 In einer Situation der Unmöglichkeit stellt sich der Konflikt, wofür die verbleibenden Mittel zu verwenden sind, indes schon begrifflich nicht. Eine Strafbarkeit kommt allein über die Grundsätze der omissio libera in causa in Betracht und eine Kollision mit dem Unterlassungsgebot des § 64 S. 1 GmbHG scheidet in diesem vorgelagerten Zeitraum aus,565 weswegen sich der Vorschrift auch keine Aussage über das Verhältnis des Vorenthaltens zur Massesicherungspflicht entnehmen lässt. Darüber hinaus wäre das Versagen einer Rechtfertigung aufgrund der Existenz eines Strafausschließungsgrundes wohl auch vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG nicht unproblematisch. Der rechtspolitischen Entscheidung, dem seine Bedrängnis anzeigenden Arbeitgeber eine „goldene Brücke“ aus der Strafbarkeit566 zu bauen, kann nicht entnommen werden, dass in Notlagen allgemein ein Ausschluss von Rechtfertigungsregeln zum Nachteil des Täters gilt.567 Schließlich steht auch im Steuerstrafrecht die Möglichkeit einer Selbstanzeige, zu welcher die Regelung des § 266a Abs. 6 StGB eine gewisse Nähe aufweist,568 dem Rückgriff auf Notstandsbestimmungen nicht entgegen. 562
LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 63 a.E.; vgl. auch NK-Tag, § 266a Rn. 84; LK11Gribbohm, § 266a Rn. 79; zur Angemessenheit der Notstandshandlung bei vorrangigem Verfahren auch schon oben: 3. Teil B.II.2.c). Gegen eine „Sperrwirkung“ von § 266a Abs. 6 StGB für den rechtfertigenden Notstand ausführlich auch Brand, GmbHR 2010, 237, 242. 563 Sie wären im Übrigen auch dem Sonderrechtfertigungsgrund des BGH gleichermaßen entgegenzuhalten. 564 Dazu statt Vieler Fischer, § 266 Rn. 30 ff. 565 Vgl. dazu auch NK-Tag, § 266a Rn. 84; S/S-Perron, § 266a Rn. 23. 566 Siehe nur Lackner/Kühl, § 266a Rn. 17. 567 Vgl. auch insoweit Brand, GmbHR 2010, 237, 242. 568 BT-Drucks. 10/5058, S. 26; NK-Tag, § 266a Rn. 123; vgl. aber auch S/S-Perron, § 266a Rn. 21 m.w.N.
E. Pflichtenkonflikt
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cc) Maßstab für die Interessenabwägung Bei unreflektierter Betrachtung des Wortlauts der Notstandsvorschriften müssten die durch die Massesicherungspflicht geschützten Gläubigerbelange bzw. die unternehmensbezogenen Erhaltungsinteressen an einer Sanierung das strafbewehrte Nichtabführen der Arbeitnehmerbeiträge, gegen welches ein Verstoß ja gerechtfertigt werden soll, „wesentlich überwiegen“. Damit käme man zu dem Ergebnis, dass nur wenn im Rahmen der Notstandsabwägung die Schutzbelange des Unternehmens, der Gläubiger oder Arbeitnehmer569 („Erhaltungsgüter“) das Interesse an der Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen („Eingriffsgut“) wesentlich übersteigen, ein Vorenthalten der Beiträge gerechtfertigt wäre. Das Heranziehen des Abwägungsmaßstabs kann in dieser Form nur gutheißen, wer – etwa vor dem Hintergrund der in § 13 StGB angeordneten Gleichstellung mit einem Tun570 – Handlungsgebote und -verbote hinsichtlich der Eingriffsanforderungen einheitlich behandeln und die Wertigkeit von Rettungs- und Unterlassungspflichten gleichsetzen wollte.571 Eine solche Sichtweise entspräche nicht der heute ganz herrschenden Ansicht572, die von einem grundsätzlichen Vorrang der Nichtverletzung fremder Rechtsgüter ausgeht. Folge davon ist, dass ein abweichender Maßstab für die Interessenabwägung des rechtfertigenden Notstands gelten muss, wenn mit dessen Hilfe ein Unterlassen gerechtfertigt werden soll. Der Notstandstäter eines Unterlassungsdelikts greift nämlich gerade nicht im Sinne einer aktiven Handlung – sei es aggressiv oder defensiv – in eine fremde Rechtsgütersphäre ein, sondern er setzt sich allein der gesetzlichen Pflicht zuwider, die ihm etwas zu tun gebietet. Insofern tut sich ein Gegensatz zum „Normalfall“ des Begehungsdelikts auf, da hier keine Solidarität des Trägers eines Eingriffsguts, welches der Notstandstäter ja gerade pflichtwidrig seinem Schicksal überlässt, beansprucht wird. Für die Rechtfertigung der Nichtvornahme einer strafrechtlich gebotenen Handlung genügt es deswegen bereits, dass das durch die Nichterfüllung der Handlungspflicht tangierte Eingriffsgut (in Beispiel 22 das Sozialversicherungsaufkommen der Arbeitnehmerbeiträge) dasjenige Interesse, welches durch Vornahme der Handlung beeinträchtigt worden wäre (im Beispiel die durch Aussicht auf erfolgreiche Sanierung zu erhaltenden Interessen des Unternehmens bzw. von Gläubigern, wenn auf die Beitragspflicht geleistet worden wäre), nicht wesentlich überwiegt. Neumann573 formuliert anschaulich: „Rettungspflichten können […] die Befugnisse, in Rechte Dritter einzugreifen, nicht erweitern. 569
243.
Vgl. zu den Trägern der einzelnen Erhaltungsbelange auch Brand, GmbHR 2010, 237,
570 Dazu statt Vieler S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 2 ff.; Heuchemer, in: Beck OK, § 13 Rn. 31 f. 571 Vgl. Otto, AT, § 8 Rn. 205 f.; zur Argumentation auch Neumann, in: FS Roxin, S. 421, 425. 572 Vgl. dazu die nachfolgenden Nachweise. 573 Neumann, in: FS Roxin, 2001, S. 421, 425; zu dieser Überlegung auch Rönnau, NJW 2004, 976, 978.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
[…] Es gilt das Prinzip: geboten werden kann nur, was erlaubt ist, nicht der Grundsatz: was geboten ist, ist auch erlaubt.“ Die Interessenabwägungsformel des § 34 StGB wird damit aufgrund der unterschiedlichen Pflichtenstruktur des Unterlassungsdelikts gleichsam „umgekehrt“.574 Diese Erwägung ist zutreffend, da hinter Handlungsverboten regelmäßig der Schutz einer fremden Rechtsgütersphäre steht. Denn es muss einen Unterschied machen, ob der zu einem lebensbedrohlichen Notfall fahrende Arzt (Rettungshandlung zugunsten eines Erhaltungsguts) einen Unfall am Wegesrand ignoriert (weitere Handlungspflicht, § 323c StGB) oder aber Gefahr läuft, einen Schaulustigen auf dem Weg zum Unfallort anzufahren (Unterlassungspflicht, §§ 223 ff. StGB). Auch wenn das nicht betreute Unfallopfer ebenso schwer verletzt ist wie der durch den Arzt zur Rettung anzufahrende Schaulustige, müssen hinsichtlich der Notstandsabwägung unterschiedliche Maßstäbe gelten. Dem wird nach h.A. überzeugend dadurch Rechnung getragen, dass bei strafbewehrten Handlungsverboten an den Eingriff in Rechtsgüter Dritter höhere Anforderungen gestellt werden als bei Handlungspflichten. Zumindest für echte Unterlassungsdelikte wie § 266a Abs. 1 StGB kann dem auch nicht entgegengehalten werden, dieser Sichtweise stünde die in § 13 StGB angeordnete Gleichstellung von Tun und Unterlassen entgegen. dd) Übertragung des Abwägungsmaßstabs auf die vorliegende Pflichtenkollision Überträgt man die Notstandsformel in dieser angepassten Form auf die Ergebnisse der Rechtsprechung,575 so hätte der 5. Strafsenat für den Lauf der Insolvenzantragsfrist von höchstens drei Wochen ein wesentliches Überwiegen des Sozialversicherungsaufkommens gegenüber den Gläubigerinteressen an Gleichbehandlung sowie den Sanierungsinteressen abgelehnt. Deswegen wurde ein Vorenthalten während dieser Zeitspanne als gerechtfertigt angesehen. Diesem Ergebnis ist zuzustimmen: Zunächst bestimmt das Masseerhaltungsgebot gerade für die Situation der materiellen Insolvenz eine Verhaltenspflicht, die spezieller ist als der unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geltende Zahlungsappell des § 266a Abs. 1 StGB.576 Zwar ist die Kollisionsregel der lex specialis nicht unmittelbar an574 Neumann, in: FS Roxin, 2001, S. 421, 424 f.; SK-Rudolphi, 7. Aufl., § 34 Rn. 29a; Roxin, AT II, § 31 Rn. 205; Jakobs, AT, 15/8; Gropp, AT, § 6 Rn. 157 f., 160 („Vorrang der Unterlassungspflicht vor der Handlungspflicht“), für § 323c StGB so schon Hruschka, JuS 1979, 385, 390; in Bezug auf § 266a Abs. 1 StGB nun ebenso SK-Hoyer, § 266a Rn. 67; ders., in: FS Reuter, S. 541, 548 f.; i.E. auch Rönnau, NJW 2004, 976, 979; a.A. – ohne Eingehen auf das Problem – Brand, GmbHR 2010, 237, 243 („erhebliches Überwiegen der Sanierungsinteressen“). 575 Rönnau, NJW 2004, 976, 978 führt zutreffend aus, dass die gesamte Interessenabwägung des Gerichts wohl anhand dieses Maßstabs erfolgte. 576 Rönnau, wistra 2007, 81, 82 („sachnähere Regelung“) m.w.N. auch zur Haftung im Recht der Steuerordnungswidrigkeiten.
E. Pflichtenkonflikt
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wendbar.577 Doch wird man bei der Gewichtung gegenläufiger Verhaltensgebote stets berücksichtigen müssen, wenn eine Pflicht bloß allgemein, die andere dagegen nur in einer besonderen Situation (hier: bei materieller Insolvenz) gilt. Weiter ist die Existenzbedrohung des Unternehmens in dieser Phase akut im Sinne einer „letzten Chance“ auf Rettung, was für ein besonderes Gewicht unternehmensbezogener Rechtsgüter streitet, deren grundsätzliche Bedeutung für die Interessenabwägung in § 34 StGB bereits dargestellt wurde.578 Darüber hinaus sind die Gläubigerinteressen an gleichmäßiger und größtmöglicher Befriedigung infolge des Eintritts eines Eröffnungsgrundes in besonderem Maße einer Gefährdung ausgesetzt. Die Erwägungen des Gerichts können während des Ablaufs der Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO vor dem Hintergrund dieses Gewichtungsmaßstabs gelesen werden und treffen in der Sache zu. Die „umgekehrte“ Abwägungsformel des § 34 S. 1 StGB gibt dabei einen strengen Maßstab zulasten der Beiträge vor. Da neben Gläubigerinteressen während des Ablaufs der Insolvenzantragspflicht auch unternehmensbezogene Rechtsgüter als Erhaltungsgüter durch eine Leistung gefährdet werden können, kommt es nicht zu einem „wesentlichen Überwiegen“ der Sozialversicherungsbeiträge. Auf eine Rechtfertigung kann im Ausgangspunkt weiter keine Auswirkung haben, wie sich die S-GmbH in Beispiel 22 als Arbeitgeberin in der Krise verhält. Der Unrechtsausschluss muss zugunsten von G im Grundsatz unabhängig davon greifen, ob er Zahlungen auf Verbindlichkeiten der Gesellschaft ganz einstellt oder aber Leistungen (teilweise) erbringt, wenn sie im Interesse des Unternehmens und der Gläubiger liegen und § 64 S. 2 GmbHG unterfallen.579 Nach dieser Norm gesellschaftsrechtlich zulässige Zahlungen beeinflussen die Abwägung zwischen Sozialversicherungsaufkommen und Aussicht auf erfolgreiche Sanierung nämlich in keiner Weise. Sie reduzieren weder das Gewicht der sich aus Sanierungschancen und Gläubigerschutz ergebenden Erhaltungsinteressen noch werten sie die Bedeutung der in § 266a Abs. 1 StGB geschützten Belange auf. Dieser Grundsatz kann jedoch teilweise unter dem für die Interessenabwägung nach § 34 StGB relevanten Gesichtspunkt der selbst verursachten Notstandslage580 einzuschränken sein: Soweit der Arbeitgeber nämlich wider das Gebot der §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG Zahlungen leistet, kann der damit einhergehende Abfluss von Liquidität solche Rechtsgüter beeinträchtigen, die vom Bestand des Unternehmens abhängen oder Gläubigerinteressen tangieren. Verspielte G in Beispiel 22 etwa während der dreiwöchigen Frist ab 10. Juli 2012 durch eine Überweisung an einen Gläubiger jede Aussicht auf eine Sanierung, muss die Interessenabwägung hinsichtlich weiteren
577
Hoyer, in: FS Reuter, S. 541, 543. s. o.: 3. Teil B.V.2. 579 Teilweise abweichend SK-Hoyer, § 266a Rn. 70 f. 580 s. o.: 3. Teil B.II.2.b); darüber hinaus statt Vieler Beck, ZStW 124 (2012), 660, 671 ff.; ferner BGH NJW 1989, 2479, 2481; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 142. 578
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Vorenthaltens zu seinen Lasten ausfallen.581 Schließlich kann dem Schutz der Arbeitsplätze sowie anderer Unternehmensbelange danach nur noch ein geringeres Gewicht zukommen und auch die Bedeutung der Massesicherungspflicht reduziert sich aufgrund der verschlechterten Aussicht für die verbleibenden Gläubiger auf (vollständige) Befriedigung. Freilich ist in Ansehung des Vorverschuldens aufgrund missglückter Sanierung ein ex ante-Maßstab anzulegen, der einer unternehmerischen Entscheidung Rechnung trägt.582 Auch wenn hinsichtlich des Vorverschuldensmaßstabs im Notstand grundsätzlich überwiegend eher Skepsis gegenüber einer zivilrechtsakzessorischen Bestimmung des Verschuldensmaßstabs vorherrscht,583 ist hier der Bezug zum Geschäftsleiterermessen unverkennbar. Lässt sich anhand dieser Erwägungen ein Vorverschulden nachweisen, kann das Interesse am Beitragsaufkommen diese Erhaltungsgüter wesentlich überwiegen und eine Rechtfertigung während der Insolvenzantragspflicht scheidet aus.584 Im Grundsatz stützen jedoch auch Notstandsgesichtspunkte die Annahme des 5. Strafsenats, der Unternehmensleiter sei während dieses Zeitraums hinsichtlich eines Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen gerechtfertigt. Es ist indes anzumerken, dass dieses Urteil aufgrund des Einzelfallbezugs der Notstandsregel nicht in der pauschalen Art und Weise gelten kann, die der Sonderrechtfertigungsgrund des BGH für sich in Anspruch nimmt. Notwendig bleibt immer ein Durchführen der Interessenabwägung anhand der konkret betroffenen Belange. In Beispiel 22 ist G nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Anfang Juli 2012 gemäß § 34 StGB wegen eines Vorenthaltens der Arbeitnehmerbeiträge drei Wochen lang gerechtfertigt. Das Beitragsaufkommen überwiegt Unternehmens- und Gläubigerinteressen während dieses Zeitraums nicht wesentlich. Entsprechendes gilt auch dann, wenn G die S-GmbH weiterführt, indem er durch § 64 S. 2 GmbHG gestattete Zahlungen leistet. Auch eine Leistung zugunsten der G-KG ändert an der Rechtmäßigkeit des Vorenthaltens nichts, soweit eine solche die Chance auf Rettung der unternehmensbezogenen Erhaltungsgüter erhöht und nicht ihrerseits rechtswidrig ist, vgl. § 283c StGB. Erfüllte G demgegenüber mit den verbleibenden Mitteln Verbindlichkeiten anderer Gläubiger und schwindet infolgedessen die Aussicht auf erfolgreiche Sanie581 So wird auch der von LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 63 a.E. geäußerten Befürchtung begegnet, durch ein Heranziehen von § 34 StGB würden Hauptgläubiger in unzulässiger Weise zulasten der Sozialversicherungsträger bevorzugt. 582 Brand, GmbHR 2010, 237, 243; vgl. ferner Schneider/Brouwer, ZIP 2007, 1033, 1037 f.; vgl. auch die allgemeine Formel bei Beck, ZStW 124 (2012), 660, 673; wohl gegen eine Berücksichtigung von Zahlungen des Arbeitgebers im Rahmen der Interessenabwägung SK-Hoyer, § 266a Rn. 70 a.E. 583 Siehe dazu Küper, Notstand, S. 151 ff.; Rengier, in: KK OWiG, § 16 Rn. 56; vgl. aber auch Dencker, JuS 1979, 779, 781. 584 Zu weitgehend wohl BGH[Z] NZG 2008, 628, 629; vgl. auch BGH[Z] NJW 2009, 295 f., wonach eine zivilrechtliche Haftung eintritt, wenn der Arbeitgeber während der Insolvenzantragsfrist die Massesicherungspflicht nicht lückenlos erfüllt.
E. Pflichtenkonflikt
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rung des Unternehmens, entfiele ab diesem Zeitpunkt die Rechtfertigung. G wäre dann wieder nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar. b) Phase nach Ablauf der Insolvenzantragspflicht Anders beurteilt der Leipziger Strafsenat die Situation nach Ablauf der dem Geschäftsleiter eingeräumten Frist des § 15a Abs. 1 InsO zur Stellung des Insolvenzantrags. Die zuvor auf §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG beruhende Rechtfertigung soll, wie bereits angedeutet, nunmehr wieder entfallen.585 Die Anwendung dieser Maßstäbe auf die Situation der S-GmbH in Beispiel 22 führt dazu, dass sich G nach Ablauf der erwähnten Frist im Juli für alle bis dahin vorenthaltenen und anschließend für bis November 2012 fällig werdenden Beiträge strafrechtlich verantworten muss. Zieht man für diesen Zeitraum die hier und von einer im Vordringen befindlichen Ansicht vertretene Kollisionsregel des rechtfertigenden Notstands im Unterlassungsdelikt heran, müssten nach Fristablauf die Interessen des § 266a Abs. 1 StGB anderweitig betroffene Rechtsgüter wieder wesentlich überwiegen. Dabei hat sich die oben beschriebene Pflichtenkollision in diesem nachfolgenden Zeitabschnitt keineswegs erledigt, wenn G trotz Insolvenzverschleppungshaftung im Amt bleibt. Ebenso wenig wie die strafbewehrte Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge mit Ablauf der Frist aus § 15a Abs. 1 InsO wegfällt, ändert sich etwas an der Fortgeltung des Gebots zur Masseerhaltung.586 Dies trifft zumindest für diejenigen Fälle wie Beispiel 22 zu, in denen der Geschäftsführer einen fristgerechten Antrag nicht stellt und ein Insolvenzverwalter deshalb zunächst nicht bestellt werden kann.587 aa) Bedeutung der betroffenen Erhaltungsinteressen Betrachtet man Erhaltungs- und Eingriffsgüter während dieses Zeitraums, besteht zunächst das Interesse von Gesellschaftsgläubigern an Masseerhaltung und gleichmäßiger Befriedigung unverändert fort. Dagegen kann man die Skepsis des Senats durchaus nachvollziehen, die er in Ansehung solcher Rechtsgüter erkennen lässt, welche an den Fortbestand des Unternehmens geknüpft sind. In seiner Begründung hält er die geringere Wahrscheinlichkeit aussichtsreicher Sanierungsversuche für den tragenden Unterschied zwischen den Zeiträumen.588 Mag diese Betrachtungsweise 585
Siehe nur BGHSt 48, 307, 310 f.; NStZ 2006, 223, 224; BGH[Z] NZG 2011, 303, 305 („rückwirkend entfallen“). 586 Vgl. zur letztgenannten Pflicht BGHZ 143, 184, 188; BGH[Z] NJW 2001, 304 f.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64 Rn. 19 ff.; SchulzeOsterloh, in: FS Bezzenberger, S. 415, 419 ff.; vgl. auch Rönnau, wistra 2007, 81, 83 („[§ 64 S. 1 GmbHG] als Leistungssperre“). 587 Nach Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 109 wird Schätzungen zufolge in über 70 % der Fälle der Antrag trotz der Haftung in § 15a Abs. 1 InsO verspätet gestellt. 588 BGHSt 48, 307, 310.
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unabhängig vom konkreten Einzelfall schwierig sein, ist sie im Ansatz doch nachvollziehbar. Zwar ist nicht offensichtlich, dass Sanierungsversuche unmittelbar nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist immer schon eher zum Scheitern verurteilt wären als solche während der dreiwöchigen Höchstfrist. Gleichwohl wird man allgemein davon ausgehen können, dass die Refinanzierung für ein materiell insolventes Unternehmen mit fortschreitendem Zeitablauf zunehmend schwieriger wird.589 Nach Ablauf der Antragsfrist können unternehmensbezogene Rechtsgüter wie Gesellschaftsvermögen oder Arbeitsplätze deswegen auch im Rahmen einer Notstandsabwägung an Gewicht verlieren.590 Dass das Weiterführen einer werbenden Gesellschaft nach Insolvenzreife unter teilweise abweichenden591 Gesichtspunkten eigenständig unter Strafe gestellt ist, kann sich als solches nicht unmittelbar auf die Notstandsabwägung nach Ablauf der Antragspflicht auswirken.592 Schließlich fehlt es im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach § 15a Abs. 1 InsO an der hier geprüften Pflichtenkollision: Der Insolvenzantrag kann gestellt werden, ohne dass er mit einer strafbewehrten Zahlungspflicht zu irgendeinem Zeitpunkt in Konflikt gerät. Auch deckt sich der Schutzzweck dieser Vorschrift insofern nicht mit demjenigen des § 64 S. 1 GmbHG, als jener zusätzlich darauf gerichtet ist, den Rechtsverkehr (und damit zusätzlich künftige Geschäftspartner der Gesellschaft) vor Geschäften mit der insolvenzreifen Gesellschaft zu schützen.593 Vor diesem Hintergrund ist dem BGH594 nicht zuzustimmen, wenn er den Umstand, dass ein Geschäftsleiter keinen Insolvenzantrag gestellt hat, heranzieht, um eine Rechtfertigung nach Ablauf der Frist generell zu versagen. Deutlich wird die geringe Überzeugungskraft eines pauschalen Ausschlusses der Rechtfertigung auch anhand eines Vergleichs mit der Situation nach Fristablauf bei Vorliegen eines wirksam gestellten Insolvenzantrags. Unter diesen Umständen wird man wohl kaum dem sich weiterhin im Amt befindenden Geschäftsleiter die Strafbarkeit wegen Nichtabführens der Beiträge als Rechtsfolge auferlegen wollen, obwohl sich die Situationen im Hinblick auf Erhaltungs- und Eingriffsinteresse entsprächen.595 589 Vgl. etwa Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rn. 16; ferner auch OLG Hamburg ZIP 2010, 2448. 590 Ganz erlischt deren Bedeutung freilich nicht notwendigerweise. Schließlich bietet etwa ein Insolvenzplan gemäß den §§ 217 ff. InsO auch nach materieller Insolvenz Möglichkeiten zur Unternehmenssanierung. 591 Die Eigenständigkeit bzw. unterschiedliche Bedeutung von § 64 S. 1 GmbHG und § 15a Abs. 1, 4 InsO nimmt die überwiegende Ansicht im Gesellschaftsrecht an, vgl. BGHZ 126, 181, 195 ff.; 146, 264, 278. Zur Gegenansicht K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 64 Rn. 10; ders., ZHR 168 (2004), 637, 661 ff. 592 Vgl. zur Vermischung der Schutzzwecke von § 64 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG a.F. auch Rönnau, NJW 2004, 976, 980. 593 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 110; Kiethe/Hohmann, in: MüKo, § 15a InsO Rn. 2; vgl. zur deshalb fehlenden Einwilligungsbefugnis der Altgläubiger: 3. Teil C.III.2. 594 BGH NStZ 2006, 223, 224. 595 Zu diesem Argument Rönnau, wistra 2007, 81, 83 f. m.w.N.; Sinn, NStZ 2007, 155, 157, wo überzeugend vorgetragen wird, dass im Interessenkonflikt zwischen Gläubigerbelangen und
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bb) Gewicht des durch § 266a Abs. 1 StGB geschützten Beitragsaufkommens Im Übrigen müssen die Umstände des Einzelfalls über einen Unrechtsausschluss gemäß § 34 StGB nach Ablauf der dreiwöchigen Antragsfrist entscheiden. Insofern ist vor allem zu beachten, dass auch das Sozialversicherungsaufkommen als Eingriffsgut strafrechtlich nicht weitergehend geschützt werden kann, als dies die konkrete Ausgestaltung des Kollektivinteresses durch die rechtlichen Vorgaben erlaubt.596 Demnach würde der Belang in seiner Bedeutung für die Notstandsabwägung erheblich reduziert, wenn man in Übereinstimmung mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs597 auch nach Einführung des bereits erwähnten § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV davon ausgeht, dass die Leistungen des G in Beispiel 22 zumindest ab August 2012 (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO) gegenüber dem Sozialversicherungsträger anfechtbar sind.598 Zwar kann dieser Gesichtspunkt bereits grundsätzlich gegen die Sinnhaftigkeit der Vorrangrechtsprechung gewendet werden.599 Er relativiert aber jedenfalls die Bedeutung der Eingriffsgüter in der Interessenabwägung erheblich. Ferner sprechen die in den Anfechtungs-voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO normierten unterschiedlichen Zeiträume, welche sich auf das Gewicht der Sozialversicherungsinteressen als Eingriffsgüter auswirken können, für eine einzelfallbezogene Betrachtung, wie sie dem Prinzip des § 34 StGB entspricht. Für Beispiel 22 bedeutet dies, dass – entgegen der Ansicht des BGH – auch nach Ablauf der Frist des § 15a Abs. 1 InsO der Geschäftsführer G für ein Vorenthalten von Zahlungen nach § 266a Abs. 1 StGB weiterhin gerechtfertigt werden kann. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn aufgrund des denkbaren Abschlusses eines großen Auftrags der G-KG eine Sanierung im Rahmen des unternehmerischen Ermessens noch möglich erscheint. Während dieses Zeitraums überwiegt die Pflicht zur Abführung der Beiträge die Interessen der übrigen Gläubiger an gleichmäßiger Befriedigung nicht ohne weiteres wesentlich. Denn auf Eingriffsseite ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass das Sozialversicherungsaufkommen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung trotz Einführung von § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV nicht nachhaltig geschützt wird, was zusätzlich gegen ein besonderes Gewicht des § 266a Abs. 1 StGB zugrunde liegenden Eingriffsbelangs streitet. Abschließend sei ange-
Sozialversicherungsaufkommen das Vorverschulden eines Geschäftsleiters nicht ohne weiteres zulasten des Erhaltungsbelangs berücksichtigt werden kann. A.A. Gross/Schork, NZI 2004, 358, 362. 596 Vgl. auch Rönnau, NJW 2004, 976, 980 („rechtmäßiges Alternativverhalten“); ders., wistra 2007, 81, 83; BFH NZG 2007, 953, 954 („hypothetischer Kausalverlauf“). 597 BGHZ 183, 86 ff.; vgl. auch Ischebeck, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, S. 107. 598 Sehr str., dagegen etwa LG Berlin ZInsO 2009, 1398 ff.; LG Offenburg ZInsO 2009, 670 f.; für das Strafrecht nur LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 60; Brand, GmbHR 2010, 237, 240 f. 599 Rönnau, NJW 2004, 976, 977; ders., wistra 2007, 81 f.; Radtke, in: MüKo, § 266a Rn. 43; vgl. auch Kutzner, NJW 2006, 413, 414.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
merkt, dass durch hier vertretene Ansicht der teilweise geforderte600 Gleichlauf zu Personengesellschaften und Einzelkaufleuten konzeptionell zwar hergestellt werden kann. Bei einem unbeschränkt haftenden Arbeitgeber wird der Grundsatz des Gläubigerschutzes jedoch nicht in gleicher Weise Geltung beanspruchen können. Unabhängig von der konkreten Rechtsform bleibt im Einzelfall gemäß dem beschriebenen Maßstab abzuwägen, ob Sanierungsmöglichkeiten zu einer Rechtfertigung führen.601
III. Ergebnis zur Kollision zwischen § 266a Abs. 1 StGB und dem Gebot zur Masseerhaltung Die hier gefundene Lösung orientiert sich an den Regeln zum rechtfertigenden Notstand und kann auf gefestigte Kriterien aus der allgemeinen Rechtfertigungslehre zurückgreifen.602 Die Untersuchung hat vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwischen den Zeiträumen während und nach Ablauf der Insolvenzantragspflicht unterschieden: Ab Beginn der Frist des § 15a Abs. 1 InsO ist der Geschäftsleiter im Hinblick auf ein Vorenthalten nach §§ 266a Abs. 1 , 14 StGB in aller Regel gerechtfertigt. Das gegenläufige Gebot zur Massesicherung suspendiert während dieser Zeit zumeist das Interesse an einer Abführung der Arbeitnehmerbeiträge. Dies anerkennt die Rechtsprechung für das Strafrecht, wenn sie für die dreiwöchige Karenzzeit einen Sonderrechtfertigungsgrund zugunsten eines Arbeitgebers annimmt. Die Bestimmung der einschlägigen Kollisionsregel hat hier jedoch gezeigt, dass – wie in vielen anderen Pflichtenkonflikten des Gesellschaftsrechts – Notstandsgesichtspunkte eingreifen müssen. Dies bringt zunächst mit sich, dass eine einzelfallbezogene Betrachtung notwendig ist, welche sich einer allgemeingültigen Differenzierung nach Zeiträumen entzieht. Weiter ist für § 34 S. 1 StGB insbesondere zu beachten, dass es im Unterschied zu den Regeln im Begehungsdelikt für eine Rechtfertigung ausreicht, wenn das Sozialversicherungsaufkommen als Erhaltungsgut die zu schützenden Interessen „nicht wesentlich überwiegt“. In der Sache steht dem Eingriffsbelang des § 266a Abs. 1 StGB neben Gläubigerinteressen vor allem die Aussicht auf erfolgreiche Sanierung gegenüber. In der Notstandsterminologie geht es um die Erhaltung unternehmensbezogener Schutzgüter wie Vermögen, Arbeitsplätze oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ein Überwiegen der Belange der Versichertengemeinschaft kann auch während des Fristablaufs in 600
NK-Tag, § 266a Rn. 73; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 855. Für eine unbefristete Möglichkeit, sich außerhalb von Kapitalgesellschaften auf rechtfertigenden Notstand zu berufen auch Brand, GmbHR 2010, 237, 242; SK-Hoyer, § 266a Rn. 58, 66 f.; Bollacher, Sozialversicherungsbeiträge, S. 160 ff.; vgl. aber auch NK-Tag, § 266a Rn. 73 a.E.; LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 63. 602 Vgl. nochmals ausführlich oben: 3. Teil B.II. 601
E. Pflichtenkonflikt
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Betracht zu ziehen sein, wenn der Geschäftsleiter erkennt, dass für eine Sanierung keine Aussicht auf Erfolg mehr besteht.603 Straffreiheit trotz Vorenthaltens von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen erscheint jedoch entgegen der vom BGH vertretenen Lösung auch dann denkbar, wenn die Frist zur Stellung des Insolvenzantrags verstrichen ist. Maßgeblich sind auch hier die Umstände des Einzelfalls, welche vor dem Hintergrund der „umgekehrten“ Abwägungsregel des § 34 S. 1 StGB im Unterlassungsdelikt zu würdigen sind. Im Rahmen der Notstandsabwägung ist zu berücksichtigen, dass Erhaltungsgüter, die an den Bestand des Unternehmens gebunden sind, zwar tendenziell an Gewicht verlieren. Auf der anderen Seite schwächt die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Anfechtbarkeit der entrichteten Beiträge jedoch auch das Gewicht des in § 266a Abs. 1 StGB geschützten Universalrechtsguts. In Beispiel 22 hat sich G demnach für die von Mai bis Juli vorenthaltenen Beiträge strafbar gemacht, soweit man – wie hier – die Vorrangrechtsprechung zugrunde legt. Eine Pflichtenkollision mit anderen Verbindlichkeiten scheidet für diesen Zeitraum aus. Ab Eintritt der Insolvenzreife zum 10. Juli 2012 kommt es jedoch zur Kollision von Beitragspflicht und dem Gebot der Masseerhaltung. Nach diesem Zeitpunkt erscheint eine Rechtfertigung unter den Voraussetzungen des § 34 StGB unter der Maßgabe denkbar, dass das Sozialversicherungsaufkommen Erhaltungsinteressen der S-GmbH nicht wesentlich überwiegt. Schutzgüter, die wie Arbeitsplätze oder Forderungen einzelner Gläubiger an den Bestand des Unternehmens gebunden sind, fallen während der Antragsfrist des § 15a Abs. 1 InsO besonders ins Gewicht. Solange G unter Berücksichtigung des unternehmerischen Ermessens von einer Sanierungsmöglichkeit ausgeht, schließt der Erlaubnissatz das Unrecht aus. Schwindet dagegen die Aussicht auf den Abschluss eines zur Sanierung notwendigen Vertrags mit der G-KG, greift nach der Wertung des rechtfertigenden Notstands grundsätzlich wieder die strafrechtliche Unterlassungshaftung nach § 266a Abs. 1 StGB ein. Abschließend ist auf Eingriffsseite jedoch stets zu berücksichtigen, dass die Anfechtbarkeit der Arbeitnehmerbeiträge zu einer geringeren Bedeutung der Eingriffsbelange in der Interessenabwägung führt.
IV. Weitergehende Bedeutung der Rechtfertigungslösung Nur angedeutet werden kann hier, dass Pflichtenkollisionen zwischen Sanktionstatbestand und Massesicherungsgebot auch außerhalb des Bereichs der Arbeitnehmerbeiträge auftreten können. Voraussetzung ist stets, dass bereits die Nichtleistung auf eine Verbindlichkeit als solches straf- oder bußgeldbewehrt ist und die Massesicherungspflicht einer an sich gebotenen Zahlung entgegensteht. So liegen die Dinge auch in Ansehung der Umsatz-604 und Lohnsteuer. Nach §§ 380 AO, 38 603 604
Vgl. auch BGH NStZ 2006, 223, 224 f. Vgl. §§ 26b, 26c UStG; dazu BFH NZG 2007, 953, 954 ff.; BGH NZG 2011, 303 ff.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Abs. 3, 41a Abs. 1 EStG etwa ist die unterlassene Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber bußgeldbewehrt.605 Der II. Zivilsenat hat auch für diese Konfliktsituation ausdrücklich die Haftung nach §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 3 AktG aufgehoben, soweit der Geschäftsleiter sonst Gefahr liefe, sich ordnungswidrig zu verhalten.606 Doch auch im Untreuebereich ist ohne weiteres denkbar, dass ein Unterlassen von Zahlungen strafbegründend wirkt.607 Auch dann sind Pflichtenkollisionen zwischen einer strafbewehrten Handlungspflicht und einem Unterlassungsgebot denkbar. Derartige Konfliktsituationen können sich etwa ergeben, wenn die Unternehmensverwaltung einer Gesellschaft teilweise das Vermögen einer anderen mitverwaltet. Der II. Zivilsenat hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem der Geschäftsleiter einer Konzerngesellschaft für Gelder anderer Gesellschaften vermögensbetreuungspflichtig und demnach zur Weiterleitung an Gläubiger der anderen Gesellschaften verpflichtet war. Gleichzeitig war ihm nach § 64 S. 1, 3 GmbHG eine Auszahlung für „seine“ Konzerngesellschaft jedoch an sich untersagt.608 Strafrechtlich609 sind auch hier die betroffenen Rechtsgüter nach der oben erläuterten Formel abzuwägen, sodass die Zahlungsverpflichtung als Handlungsgebot unternehmensbezogene Rechtsgüter bzw. andere Schutzinteressen „wesentlich überwiegen“ muss. Die Notstandsdogmatik zeigt insofern Lösungsmöglichkeiten jenseits der an starre zeitliche Grenzen gebundenen Sonderrechtfertigung des 5. Strafsenats auf und gewinnt in der jüngeren Literatur zu Recht an Bedeutung.610
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld von unternehmerischer Compliance und Whistleblowing Die wachsende Bedeutung der Wirtschaftsdelinquenz als Teil der gelebten Unternehmenskultur lässt sich deutlich an „Phänomenen“ jüngeren Datums festma605
Dazu Gast de Haan, in: F/G/J, Steuerstrafrecht, § 380 AO Rn. 5. BGH[Z] NJW 2007, 2118 ff.; NZG 2011, 303 f.; zum Ganzen Heeg, DStR 2007, 2134, 2136 f. 607 Zur Bedeutung des Unterlassens für den Tatbestand des § 266 StGB statt Aller S/S/WSaliger, § 266 Rn. 22 m.w.N. 608 Vgl. den Sachverhalt in BGH[Z] NJW 2008, 2504 f. 609 Der II. Zivilsenat des BGH[Z] NJW 2008, 2504, 2505 will in dieser Situation wie auch im Zusammenhang mit § 266a Abs. 1 StGB dem Geschäftsleiter die zivilrechtliche Haftung gemäß § 64 S. 2 GmbHG ersparen, wenn er sich anderenfalls wegen Untreue strafbar machen würde. 610 Notstandsgesichtspunkte werden in diesem Zusammenhang im Anschluss an Rönnau, NJW 2004, 976, 978 zur Auflösung des beschriebenen Konflikts verschiedentlich ernsthaft erwogen: Brand, GmbHR 2010, 237, 241 ff.; Sinn, NStZ 2007, 155, 156 f.; SK-Hoyer, § 266a Rn. 70 f.; LK12-Möhrenschlager, § 266a Rn. 63 a.E. 606
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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chen. Einschlägige Haftungsrisiken ergeben sich insofern im Zusammenhang mit den Schlagworten von unternehmerischer Compliance und dem sog. Whistleblowing. Die strafrechtsdogmatische Aufarbeitung dieser Themenfelder steht noch am Anfang und nachfolgende Überlegungen zu Rechtfertigungsgründen können zumeist nicht auf endgültig gesicherte Grundsätze zurückgreifen. Gleichwohl sind gerade auch für diese aktuellen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts die Vorgaben des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs maßgebend. Deswegen soll im folgenden Abschnitt der Versuch unternommen werden, anerkannte Erlaubnissätze an entsprechenden Problemstellungen und Beispielen zu erproben: Beispiel 23: In der R-AG kam es zu Unregelmäßigkeiten im Zuge der Eröffnung eines neuen Büros in der Volksrepublik China. Der zuständige Compliance-Beauftragte C stellt daraufhin fest, dass zur Finanzierung von nicht näher zu bestimmenden Aufwendungen in China ein verdecktes Konto eröffnet worden war. Als sich C an den Gesamtvorstand der R-AG wendet, wird ihm mitgeteilt, die Eröffnung der Außenstelle habe große Anstrengungen erfordert, aber alles sei rechtmäßig abgelaufen. Er habe aus diesem Grund seine Untersuchung zügig abzuschließen. Macht sich C strafbar, wenn er sich nicht an den Aufsichtsrat der Gesellschaft wendet? Welche Rolle spielen Rechtfertigungstatbestände? Beispiel 24 (vgl. auch Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330): W ist als Buchhalter bei der Q-GmbH beschäftigt, die für ihren Produktionsprozess auf sog. seltene Erden aus Zentralasien angewiesen ist. W bemerkt, dass in jüngerer Vergangenheit die Einkaufspreise für diese Metalle immer wieder unter den einschlägigen Weltmarktpreisen lagen. Er hegt den Verdacht, dass Produzenten in den ehemaligen Sowjetrepubliken von den am Umsatz beteiligten Verkaufsleitern der Q-GmbH bestochen worden sind. Die Art der verwendeten Rohstoffe lässt für Konkurrenten der Q-GmbH Rückschlüsse auf deren Herstellungsverfahren zu (vgl. § 85 GmbHG, 17 UWG). Als W sich über seinen Arbeitgeber ärgert, beschließt er, gegen diesen Zustand einzuschreiten. Kann W sich mit seinen Informationen an einen externe Stelle oder die Staatsanwaltschaft wenden, um den Sachverhalt aufzuklären? Beispiel 25: V ist als Verwaltungsangestellter in der liechtensteinischen Bank L tätig. Auf Konten und in Stiftungen der L haben zahlreiche Bundesbürger in Deutschland nicht versteuertes Vermögen angelegt. Bevor L sich entschließt, die Beschäftigung zu wechseln und als Skilehrer in der Schweiz zu arbeiten, kopiert er einschlägige Bankdaten der L auf digitale Datenträger. Um während seiner neuen Beschäftigung auch die Sommermonate angemessen überbrücken zu können, bietet er die Daten dem Bundesnachrichtendienst zum Kauf für CHF 5 Mio. an. Der Bundesnachrichtendienst erhält zunächst einen kleinen Auszug und erwirbt daraufhin das gesamte Material. Ist V nach deutschem Strafrecht zu belangen? Steht ihm ein Erlaubnissatz zur Seite?
Die Bedeutung von unternehmerischer Compliance hat innerhalb der letzten Jahre stark zugenommen und sich in der jüngsten Vergangenheit geradezu zu einem „Modethema“611 entwickelt. Aus strafrechtlicher Sicht hat der Problemkreis seinen vorläufigen Höhepunkt in einem Urteil des 5. Strafsenats vom 17. 07. 2009 gefun-
611
Peltzer, NZG 2012, 537, 538.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
den612 und man wird wohl davon ausgehen können, dass Sachverhalte mit Bezug zu Compliance Rechtsprechung und Lehre auch weiterhin beschäftigen werden.613 Das Phänomen unternehmensinterner Verantwortlichkeit zur Vermeidung und Aufdeckung von Regelverstößen anderer Unternehmensangehöriger stellt das Strafrecht vor neue Herausforderungen, deren Bewältigung ohne einen Rückgriff auf anerkannte Grundsätze wie die Rechtfertigungslehre kaum zu leisten sein wird. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass Unrechtsausschlusstatbestände bzw. „Notrechte“ für die unternehmerische Compliance gleich an mehreren Stellen relevant werden [I.]. Eng verknüpft mit dem Problemfeld von Compliance in Unternehmen ist aus strafrechtlicher Perspektive das sog. Whistleblowing. Unter diesem Stichwort wird diskutiert, welche Befugnisse Unternehmensangehörigen zustehen, die sich zur Aufdeckung „betrieblicher Unregelmäßigkeiten“614 an Behörden, betriebsinterne Einrichtungen oder die Öffentlichkeit wenden. Wenn solche Aufklärungsbestrebungen mit Straftatbeständen in Konflikt geraten, liegt es auch in diesem Zusammenhang nahe, über Erlaubnissätze nachzudenken. Das Thema schließt die viel beachtete Frage mit ein, ob Rechtfertigungsgründe auch zugunsten derjenigen Whistleblower in Betracht kommen, die wie V in Beispiel 25 zur Verfolgung und Aufklärung von Steuerstraftaten mit Auslandsbezug beitragen [II.].
I. Rechtfertigungsgründe und unternehmerische Compliance Der Begriff der Compliance in Unternehmen beschreibt in seinen rechtlichen Wirkungen ein vielschichtiges Thema und geht weit über den Bereich der Wirtschaftsdelinquenz hinaus.615 Dass das Wirtschaftsstrafrecht gleichwohl Ursprung und Anlass für unternehmerische Compliance ist, wird jedoch deutlich, wenn die USamerikanische Praxis als „Spontandefinition“ für Corporate Compliance meint, diese sei „die Kunst des Unternehmensjuristen, dem Vorstand den Knast zu ersparen.“616 Bereits heute zeichnet sich ab, dass die allgemeinen Lehren des StGB für die strafrechtliche Aufarbeitung in diesem Bereich relevant werden können: Für die Unterlassungsdogmatik und insbesondere die Herleitung von Garantenpflichten ist
612 BGHSt 54, 44, 49 f.; jüngst BGH NStZ 2012, 142, 143; dazu Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 ff. 613 Anschaulich zur Entwicklung von Corporate Compliance Benz/Klindt, BB 2010, 2977 ff.; Warneke, NStZ 2010, 312, 314, der in der strafgerichtlichen Rechtsprechung eine Tendenz ausmacht, das Strafrecht ins Unternehmen zu tragen. 614 Terminologie nach Tiedemann, AT, Rn. 218c. 615 Für einen ersten Überblick zu den insoweit relevanten Rechtsgebieten Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 8 ff. 616 Zitiert bei Hauschka, ZRP 2006, 258.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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die Diskussion bereits in vollem Gange.617 Nur mithilfe der etablierten Grundsätze des Allgemeinen Teils können Voraussetzungen und Grenzen der Strafbarkeit von Compliance-Verantwortlichen in Unternehmen ausgelotet werden. Auch auf den Unrechtsausschluss wurde in diesem Kontext bereits vereinzelt abgestellt,618 ohne dass die Tragweite solcher Ansätze bislang näher untersucht worden wäre. Um für Erlaubnissätze zu prüfen, inwieweit sie zur Lösung bestehender Fragen beitragen können, ist einführend zu beleuchten, welche Rolle unternehmerische Compliance im Strafrecht einnimmt [1.]. Sodann soll ein Rückgriff auf Rechtfertigungsgründe erwogen werden, welche hier in doppelter Hinsicht relevant werden können: Eingangs wird zu prüfen sein, ob Erlaubnissätze – scheinbar entgegen ihrer typischen Funktion im Strafrecht – herangezogen werden können, um den auf ComplianceAnforderungen zurückzuführenden Pflichtenkreis zu erweitern, d. h. Strafbarkeit zu begründen [2.]. In einem nächsten Schritt soll dann herausgearbeitet werden, inwieweit mithilfe von Rechtfertigungsgründen Strafbarkeitsrisiken einzuschränken sind, wenn anderweitig betroffene Schutzgüter den mit unternehmerischer Compliance verbundenen Pflichten zuwiderlaufen [3.]. 1. Grundlagen von unternehmerischer Compliance und Strafbarkeitsrisiken eines Compliance Officers Vergegenwärtigt man sich die gesetzlichen Grundlagen von Compliance in Unternehmen, stößt man auf eine Vielzahl von Regelungen, mithilfe derer der Gesetzgeber bestrebt ist, Betriebe zur Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben zu bewegen.619 Neben den Normappell der gesetzlichen Vorschriften treten Pflichten zur unternehmensinternen Organisation, die rechtmäßiges Verhalten der Unternehmensangehörigen sicherstellen sollen. Ihre größte Gemeinsamkeit finden die gesetzlich verankerten Organisations- bzw. Überwachungspflichten, welche sich auf einzelne „Gefahrenherde“ im Betrieb wie Geldwäsche oder Immissionen beziehen, in ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung.620 Dies trifft auf die gesetzliche Terminologie und die unternehmensinterne Stellung bzw. den Pflichtenkreis des jeweils zuständigen Unternehmensbeauftragten gleichermaßen zu. Von diesen gesetzlich vorgeschriebenen Sonderbeauftragten ist der sog. allgemeine Compliance Officer zu unterscheiden, der in einem Unternehmen regelmäßig als interne Anlaufstelle der 617
Vgl. für einen ersten Überblick über die zahlreichen Stellungnahmen zur Garantenpflicht infolge von BGHSt 54, 44, 49 f. statt Vieler Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 m.w.N. 618 Vgl. zunächst nur Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 58 f. Fn. 63 und i.Ü. die Nachweise zu den folgenden Ausführungen. 619 Vgl. etwa §§ 9 Abs. 2 Nr. 1 GwG; 4 f Abs. 2 S. 2 BDSG; 55 Abs. 2 S. 2 BImSchG; 21a ff. WHG und insbesondere §§ 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG i.V.m. 12 Abs. 1 S. 2 WpDVerOV. Dazu auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rn. 50 ff. 620 Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 2 („prägnantestes Merkmal ist […] ausgeprägte Heterogenität“); Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 f.; vgl. auch Dreher, AG 2006, 213, 221: „Inflation gesetzlich vorgeschriebener Unternehmensbeauftragter“.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Überwachung eingesetzt wird.621 Seine Funktion ist es in erster Linie, Rechtsverstößen zu begegnen, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden bzw. bereits vollendete Pflichtwidrigkeiten aufzuklären. Der Aufgabenkreis des allgemeinen Compliance Officers kann in seiner tatsächlichen Ausgestaltung von Beschwerden über Mobbing am Arbeitsplatz bis hin zur Verhinderung von Korruption im Ausland reichen.622 Die sich anschließende Diskussion von Rechtfertigungsgründen bezieht sich auf Interessenkonflikte, denen sich dieser allgemeine Compliance Officer wie C in Beispiel 23 gegenübersehen kann. Für die allgemeine Form der Compliance hält die aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) eine prägnante Definition bereit. Dort heißt es in Ziff. 4.1.3 DCGK, der Vorstand habe für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmerischen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken. Trotz verallgemeinerungsfähiger Prinzipien sind für die Ausgestaltung von Compliance-Programmen vor allem die konkreten Verhältnisse und Risiken des einzelnen Unternehmens maßgeblich.623 So gibt es für die Etablierung von Compliance-Systemen weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht feste Vorgaben und insbesondere mittelständische Unternehmen tun sich offenbar noch schwer damit, die fortwährend strenger werdenden Verhaltensanforderungen zu erfüllen.624 Für das Strafrecht bedeutsam werden die aus der unternehmerischen Compliance fließenden Pflichten auf zwei unterschiedlichen Ebenen der Unternehmenshierarchie. Ausgangspunkt ist zunächst die Geschäftsleitung, d. h. das vertretungsberechtigte Organ einer Gesellschaft mit bestehendem Compliance-System bzw. einer zu Compliance verpflichteten Gesellschaft. In der Sache geht es dort um die Wahrnehmung der Leitungs- und Kontrollfunktion gegenüber der eigenen Gesellschaft, vgl. § 76 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG. In Beispiel 23 ist in diesem Sinne der Vorstand der R-AG und in Beispiel 24 die Geschäftsführung der Q-GmbH betroffen. Aus diesen Pflichten abgeleitet entstehen auf untergeordneter Stufe dann auch Strafbarkeitsrisiken für die mit Einrichtung und Ausführung unternehmerischer Compliance betrauten Mitarbeiter, die sog. Compliance Officers.625 Auf diese von 621 Überdies geht eine starke Auffassung in der Literatur davon aus, dass bei entsprechendem Risikopotential eines Unternehmens eine allgemeine Rechtspflicht zur Errichtung einer internen Compliance entsteht, vgl. Fleischer, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 43; ders., AG 2003, 291, 299; Schneider, ZIP 2003, 645, 648 f.; Spindler, WM 2008, 905, 909; Lutter/Krieger, Aufsichtsrat, § 3 Rn. 72; ferner auch Hüffer, AktG, § 76 Rn. 9a f. 622 Statt Aller Moosmayer, Compliance, S. 38. 623 Leinekugel, in: Oppenländer/Trölitzsch, Geschäftsführung, § 18 Rn. 7; Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 8 nennt Rechtsform, Unternehmensgröße, Branche, Geschäftsmodell und Vertriebsstruktur als maßgebliche Parameter für die Ausgestaltung im Einzelnen. 624 Vgl. Schaupensteiner, NZA-Beilage 2011, 8 f.; Leipold/Beukelmann, NJW-Spezial 2009, 24; Campos Nave/Zeller, BB 2012, 131 ff. 625 Anschaulich Lösler, WM 2008, 1098, 1104.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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Compliance-Beauftragten626 zu verantwortende „zweite Stufe“ delegiert die Unternehmensführung Schadensprävention, Risikokontrolle sowie Schutz- und Überwachungsfunktionen, ohne ihrerseits selbst je von Instruktions- und Aufsichtspflichten ganz frei zu werden.627 Der Compliance Officer leitet nach ganz h.M. demnach seine Pflichtenstellung aus den Überwachungspflichten der Unternehmensleitung ab. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs führt in einem obiter dictum dazu aus: „Derartige Beauftragte wird regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Dies ist die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden“.628 Strafbarkeitsrisiken entstehen danach in erster Linie wegen unterlassener bzw. nicht hinreichend effektiv durchgeführter Kontrolle. Im Grundsatz haftet ein Mitglied der Geschäftsführung629 bzw. ein Compliance-Beauftragter für unterschiedlichste Straftaten von Angestellten nach den Grundsätzen der Beihilfe630 durch Unterlassen. Eine Aufarbeitung der weitreichenden Grundsätze dieses Urteils kann an dieser Stelle nicht geleistet werden.631 Vielmehr gibt das sich aus der Garantenstellung speisende Pflichtenprogramm, das nach Art des konkreten Dienstverhältnisses variiert632 und sich lediglich auf „betriebsbezogene“ und nicht nur „bei Gelegenheit“ der betrieblichen Tätigkeit begangene Straftaten erstreckt633, Anlass, die Frage aufzuwerfen, welchen Einfluss Rechtfertigungsgründe auf die alltägliche Praxis eines Compliance-Beauftragten oder eines garantenpflichtigen Geschäftsleiters haben.
626 Ausführlich zum Aufgabenkreis eines mit Compliance-Pflichten betrauten Mitarbeiters und zur Ableitung von Handlungspflichten Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 57 f. („sekundäre Garantenpflicht“). 627 Ausführlich Froesch, DB 2009, 722, 724 f.; vgl. weiter Fleischer, AG 2003, 291, 292 ff.; Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 21. 628 BGHSt 54, 44, 49 f. 629 Vgl. Behling, BB 2010, 892; Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Teil 2. Kap. Rn. 16 ff. 630 Str., zur Frage der Einordnung in die Kategorien von Täterschaft und Teilnahme nur Ransiek, AG 2010, 147, 152. 631 Kritisch zur Herleitung der Garantenpflicht etwa Warneke, NStZ 2010, 312, 314 f. 632 Dabei wird man auf die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und nicht allein auf vertraglich übernommene Pflichten abstellen müssen, vgl. BGHSt 47, 224, 229; 52, 159, 163; 54, 44, 50 f. Weiter kann schwerlich jeder Pflichtenverstoß selbst schon strafbewehrt sein, wenngleich eine trennscharfe Abgrenzung zur bloß zivilrechtlichen Pflichtverletzung kaum zu leisten ist. Zum Ganzen Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 58 f. 633 BGH NStZ 2012, 142, 143.
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2. Erweiterung des Rechts- bzw. Pflichtenkreises eines Compliance-Beauftragten durch „Notrechte“? Der Compliance Officer haftet strafrechtlich nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung für vorsätzlich oder gar fahrlässig634 aus dem Unternehmen heraus begangene Straftaten Dritter. Insoweit ist rechtlich noch nicht abschließend geklärt, wie weit diese Pflichtenstellung reicht und welche Befugnisse dem Beauftragten zur Erfüllung seiner Garantenpflicht zugestanden werden können. Schon in diesem, für Unrechtsausschlussgründe scheinbar ungewöhnlichen Kontext wird auf „Notrechte“ abgestellt.635 Sie werden angeführt, um den Kreis derjenigen Gesellschaftsorgane zu erweitern, an die sich ein Compliance Officer636 wenden kann bzw. sogar zu wenden hat, um seinen strafbewehrten Handlungspflichten zu genügen. In Beispiel 23 ist also zu klären, ob C aufgrund der Unregelmäßigkeiten in China an den Aufsichtsrat der R-AG herantreten darf oder gar muss. Dem ist in dogmatischer Hinsicht jedoch die Frage vorgelagert, inwiefern Rechtfertigungstatbestände eine entsprechende Befugnis des C unter Abweichung der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung überhaupt begründen können. Voraussetzung für einen dergestalt erweiterten Pflichtenkreis eines Compliance Officers ist zunächst das Bestehen einer entsprechenden Berechtigung. Es ist zu unterscheiden: Zunächst wird zu untersuchen sein, inwieweit Unrechtsausschlussgründe dem Beauftragten ein Recht einräumen können, sich an bestimmte Teile des Unternehmens zu wenden [a)]. Auf dieser Grundlage soll dann ein kurzer Ausblick auf den damit korrelierenden und praktisch bedeutsamen Pflichtenkreis des Compliance Officers versucht werden [b)]. a) Eskalationsrecht zugunsten des Compliance Officers Ein Rückgriff auf Notrechte wird regelmäßig nur bemüht, wenn vom Verbot oder Gebot einer Norm abgewichen und der Rechtskreis des Täters erweitert werden soll.637 Für den Fall des Compliance-Beauftragten können entsprechende Ausnahmesituationen638 auftreten, wenn der grundsätzlich gebotene Weg der Aufklärung und der unternehmensinternen Berichterstattung sinnvollerweise nicht ohne weiteres beschritten werden kann. Unproblematisch erscheint zunächst noch, dass bei pflichtwidriger Untätigkeit eines Vorstandsmitglieds der Vorstandsvorsitzende bzw. 634 Zur Garantenpflicht für fahrlässig aus dem Unternehmen heraus begangene Straftaten, vgl. Kraft, wistra 2010, 81, 85; ders./Winkler, CCZ 2009, 29, 33. 635 Haouache, Unternehmensbeauftragte, S. 131; Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207 f.; vgl. auch Dreher, in: FS Claussen, S. 69, 85. 636 Die folgenden Ausführungen können für das zur Compliance verpflichtete Mitglied eines Vertretungsorgans nicht in entsprechender Weise gelten. 637 Vgl. o.: 2. Teil B.II.1. 638 Vgl. zum Ausnahmecharakter einer Rechtfertigung z. B. Rudolphi, in: GS Arm. Kaufmann, S. 371, 377.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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das Gesamtgremium in Kenntnis gesetzt werden kann.639 In Beispiel 23 kommt es jedoch darauf an, ob sich C nach der abwiegelnden Einlassung des Vorstands auch an den Aufsichtsrat wenden kann bzw. sogar muss. Im Grundsatz ist der Compliance Officer dabei der Unternehmensleitung, d. h. typischerweise dem Vorstand oder der Geschäftsführung, verpflichtet und von dieser aufgrund der abgeleiteten Befugnisse auch weisungsabhängig.640 Er hat also ihr seine Informationen zu übermitteln bzw. wird sogar als ihr Berater in allen compliance-relevanten Fragen angesehen.641 Deswegen ist für C in Beispiel 23 die Anordnung des gesamten Vorstandes, die Untersuchung zügig abzuschließen, zunächst einmal verbindlich. Schließlich ist dem Organ die Befugnis zur Leitung der Gesellschaft übertragen und der Compliance Beauftragte nimmt delegierte Geschäftsleitungsaufgaben wahr, § 76 Abs. 1 AktG.642 In Konstellationen, in denen die tatsächlichen Interessen der Geschäftsführung einer effektiven643 Durchführung der compliance-bezogenen Aufklärungs- und Ermittlungstätigkeit zuwiderlaufen, treten für den Beauftragten jedoch Konflikte auf. So treffen C in Beispiel 23 infolge der Stellungnahme des Vorstandes nunmehr verschiedene Verhaltensvorgaben: Einerseits hat er seiner strafbewehrten Pflicht zur Aufklärung und Prävention von unternehmensinternen Verstößen zu entsprechen. Auf der anderen Seite laufen die im Grundsatz verbindlichen Weisungen644 der Unternehmensleitung dem strafrechtlichen Pflichtenprogramm zuwider. Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Verhaltensvorgaben werden in der Literatur anschaulich unter dem Begriff des „Eskalationsrechts“ diskutiert.645 Insbesondere von der Unternehmensleitung zu verantwortende Gründe sind imstande, ein solches Eskalationsrecht zugunsten des Beauftragten auszulösen.646 Darüber hinaus könnte man sogar erwägen, dass Rechtfertigungsregeln es dem Compliance-Verpflichteten ermöglichen, in Not- und Eilfällen gegen rechtswidrig handelnde Mitarbeiter selbst einzuschreiten. In Beispiel 23 müsste daher ein Erlaubnissatz zugunsten von C eingreifen, wenn zur Aufklärung der Unregelmäßigkeiten in China eine arbeits639
Vgl. BGH ZIP 2009, 1867, 1870; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 59. Pars pro toto Hüffer, AktG, § 76 Rn. 9a f.; Lösler, WM 2008, 1098, 1103; Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 24 f. 641 Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 24 f. 642 Vgl. Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Teil 2. Kap. Rn. 6 f., 39 ff. 643 Die Effektivität der durchzuführenden Compliance spielt für Illing/Umnuß, CCZ 2009, 1, 5 im Hinblick auf die Frage von Eskalationsbefugnissen des Compliance Officers eine tragende Rolle. 644 Zur strafrechtlichen Wirkung von Weisungen in Unternehmen des Privatrechts, vgl. o.: 4. Teil C.I. 645 Veil, WM 2008, 1093, 1098; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 59 f.; Illing/Umnuß, CCZ 2009, 1, 5; Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99; Bürkle, CCZ 2010, 4, 9. Es sei angemerkt, dass der Begriff teilweise in einem weiteren Sinne verwendet wird, hier aber auf Fallgestaltungen beschränkt wird, in denen eine Information der Geschäftsleitung unzureichend ist. 646 Harm, Compliance, S. 113 hält für möglich, dass in solchen Situationen das Recht der Unternehmensleitung zur Letztentscheidung infrage gestellt werden kann. 640
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
vertragliche Loyalitäts- oder Verschwiegenheitspflichtverletzung des C (§ 241 Abs. 2 BGB) oder gar ein unbefugtes Offenbaren von Geheimnissen an eine externe Stelle (vgl. auch § 17 UWG) erforderlich wird, weil der Direktkontakt zwischen Arbeitnehmer und Aufsichtsrat dem klassischen Gang der Berichterstattung widerspricht.647 aa) Bedürfnis nach einem Eskalationsrecht in Ausnahmesituationen Insofern können schon Beurteilungsdiskrepanzen zwischen Geschäftsleitung und Compliance Officer in Ansehung einzelner Geschäftsvorgänge eine Konfliktlage begründen, die der in Beispiel 23 ähnlich ist. Denkbar erscheinen Eskalationsbefugnisse in allen Angelegenheiten, die dem Grunde nach in das Aufgabenfeld des Beauftragten fallen. Insbesondere in Korruptionsfällen werden Aufklärungsbestrebungen von der Geschäftsleitung nicht immer befürwortet werden, weil deren Interessenlage nicht auf schnelle Aufarbeitung und Sanktionierung gerichtet sein muss. Der Charakter vieler Wirtschaftsstraftaten als Handlungen zugunsten des Unternehmens648 bringt es mit sich, dass solche langfristig etwa durch die Einrichtung sog. „schwarzer Kassen“ sowie durch nachfolgende Ausschüttungen zur Auftragserlangung durchaus Vorteile erlangen können.649 Aufgrund der zu befürchtenden negativen PR bzw. empfindlicher Sanktionen auch zum Nachteil des Unternehmens bei Bekanntwerden des Sachverhalts wird man in der Unternehmensführung möglicherweise willens sein, entsprechende Vorgänge „still im Sande verlaufen zu lassen“,650 wie das Verhalten des Vorstands der R-AG in Beispiel 23 veranschaulichen soll. In dieser Situation steht der Unternehmensleitung aktienrechtlich651 zunächst wohl eine Ersteinschätzungsprärogative zur Seite.652 Schließlich stellen die konkrete Ausgestaltung eines Corporate Compliance-Systems ebenso wie die damit verbundenen Einzelmaßnahmen unternehmerische Entscheidungen dar.653 Die Entscheidungskompetenz der Unternehmensleitung endet auch in der Compliance erst, wo die Schwelle zur Rechtswidrigkeit überschritten ist. Dies wird in Beispiel 23 647
Zum Ganzen Krieger/Günther, NZA 2010, 367, 372; Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99. Vgl. o.: 2. Teil A.; vgl. auch Göpfert/Landauer, NZA-Beil. 2011, 16 ff.; Samson/ Langrock, DB 2007, 1684, 1685 f. 649 Vgl. nur den Sachverhalt von BGHSt 52, 323 ff. („Siemens“), wo ein Gesamtgewinn i.H.v. EUR 103,8 Mio. vor Steuern Schmiergeldzahlungen von weniger als EUR 7 Mio. gegenüberstand. 650 Vgl. auch Rodewald/Unger, BB 2007, 1629, 1632; ferner Geiger, CCZ 2011, 170, 174 („diffizile Fragen“). 651 Für die GmbH werden nach dem Maßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG die folgenden Ausführungen entsprechende Geltung beanspruchen dürfen; vgl. nur Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 151 m.w.N. 652 Vgl. zum Ganzen Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rn. 55 f. m.w.N.: Ermessen hinsichtlich Aufklärungsmethode sowie Art und Umfang der Sanktionierung. 653 Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. AG 2008, 453, 455 „zu einem Frühwarnsystem“; Kort, NZG 2008, 81, 83; Sieg/Ziegler, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 3 Rn. 1 ff. 648
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wohl der Fall sein: C vermag nicht mit abschließender Sicherheit zu beurteilen, welche Vorgänge im Zuge der Eröffnung des chinesischen Büros rechtswidrig waren. Der Vorstand scheint aber offenbar bereit, etwaige Verstöße im Zuge der Eröffnung des Büros hinzunehmen, um keine negative Unternehmenspublizität auszulösen. Tatsächlich wird der Compliance Officer seiner Überwachungsaufgabe bei Beurteilungsdiskrepanzen zum Standpunkt der Unternehmensleitung nur gerecht werden können, wenn man ihm ein Eskalationsrecht zur Seite stellt, auf dessen Grundlage er sich in einer solchen Situation an andere Organe im Unternehmen wenden kann. In eine ähnlich „heikle Lage“654 gerät der Beauftragte, wenn die Unternehmensleitung selbst in den aufklärungspflichtigen Vorgang verstrickt ist.655 Denn im Ausgangspunkt steht fest, dass der Compliance Officer bei entsprechenden Anhaltspunkten trotz seiner bloß abgeleiteten Pflichtenstellung – möglicherweise sogar in Ansehung seiner Garantenstellung –656 keinesfalls von weiteren Ermittlungspflichten befreit ist.657 Bestehen in Beispiel 23 für C Anhaltspunkte dafür, dass die undurchsichtigen Finanzierungsvorgänge vom Vorstand eingeleitet worden sein könnten, hat er den Sachverhalt weiter zu ermitteln. Wollte man hier die Berichtsund Aufklärungspflicht auf die Ebene der Unternehmensleitung beschränken und dem Beauftragten keine weiteren Befugnisse zugestehen, so würde das ComplianceSystem des Unternehmens von innen heraus ausgehöhlt:658 Die Geschäftsleitung wäre derjenigen Kontrolle nicht ausgesetzt, die sie zuvor selbst in Erfüllung ihrer Überwachungsaufgabe installiert hat. In dieser Situation ist deshalb nicht einzusehen, aus welchen Gründen sich ein Kontrollorgan der Gesellschaft, namentlich der Aufsichtsrat in der AG, zur Informationsbeschaffung oder Ermittlung nicht unmittelbar an einen Compliance Officer halten bzw. vor allem dieser an den Aufsichtsrat nicht direkt herantreten können sollte.659 Im Übrigen dürfte sich dieses Ergebnis bereits daraus ableiten lassen, dass die Geschäftsleitung ihrerseits dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist.660
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Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 29. Spindler, WM 2008, 905, 913 weist darauf hin, dass auch eine „umgekehrte“ Situation denkbar ist: Wenn Aufsichtsrat bzw. Beirat ein Interesse an Information durch den Compliance Officer haben und an diesen herantreten, dann soll dies nur in den engen Grenzen des § 111 Abs. 2 AktG möglich sein. Zu Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats ausführlich Krause, NStZ 2011, 57, 60 f. m.w.N. 656 Kritisch zum Bestehen einer Garantenpflicht in diesen Fällen Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 60. 657 Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 29; Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207. 658 Vgl. Illing/Umnuß, CCZ 2009, 1, 5; Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99; vgl. auch BGHSt 54, 44, 49 f. 659 Vgl. Bachmann, GRV 2007, 65, 93; Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207; Haouache, Compliance, S. 128 f.; allgemein Hüffer, AktG, § 90 Rn. 11 m.w.N. 660 Dazu Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 60. 655
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Sowohl bei Differenzen in der Beurteilung hinsichtlich der weiteren Aufklärung als auch in Fällen einer Verstrickung des Managements in zweifelhafte Vorgänge steht im Fall von Untätigkeit bzw. unzureichender Ermittlung des Compliance Officers dessen eigene Strafbarkeit (§ 13 StGB) bzw. bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit (§ 8 OWiG) im Raum. Insofern ist die Frage nach einem Eskalationsrecht des Beauftragten auch661 eine wirtschaftsstrafrechtliche. Zwar fordert die überwiegende Anzahl einschlägiger Stellungnahmen für Fälle wie den in Beispiel 23 zugunsten des Compliance-Verantwortlichen, ihm müsse auch „über die Unternehmensleitung hinweg“ die Möglichkeit gegeben werden, sich an das Aufsichtsorgan zu wenden.662 Das Auffinden einer einschlägigen Rechtsgrundlage bereitet dabei jedoch einige Schwierigkeiten.663 Allein das für richtig gehaltene Ergebnis zu konstatieren, vermag die Frage aber einer überzeugenden Lösung freilich nicht zuzuführen. Auch fehlte es dann an justiziablen Maßstäben, die Rechtssicherheit schaffen können. Dies gilt umso mehr, als durchaus denkbar erscheint, dem Compliance Officer Befugnisse zuzugestehen, die über den bloßen Bericht an ein Aufsichtsorgan hinausgehen. Gerade bei Verdunkelungsgefahr durch die Betroffenen kommt ein von der Geschäftsleitung unabhängiges Recht des Compliance-Beauftragten zur eigenständigen Verfolgung und Bearbeitung der Angelegenheit664 bzw. die Befugnis zur Erstattung einer Strafanzeige (sog. externes Reporting)665 in Betracht. Dabei erscheint eindeutig, dass der Umfang eines Eskalationsrechts sowohl der Schwere des Vorwurfs als auch der Dringlichkeit der Angelegenheit entsprechen muss. bb) Ausgestaltung einer „Rechtfertigungslösung“ Im Gesellschaftsrecht wird vereinzelt auf die Notwehr (§ 227 BGB) als Kollisionsprinzip zurückgegriffen, um Eingriffsbefugnisse im Sinne eines Eskalationsrechts am Management vorbei begründen zu können.666 Das vermag aus strafrechtlicher Sicht schon deswegen nicht zu überzeugen, weil die Abwehrhandlung nicht der Unternehmensleitung oder Teilen davon als Angreiferin gegenüber erfolgt.
661 Selbstverständlich ist in Ansehung der Kompetenzordnung einer Gesellschaft auch das einschlägige Arbeitsvertrags- bzw. Gesellschaftsrecht relevant. 662 Rodewald/Unger, BB 2007, 1629, 1632 f.; Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207; Illing/Umnuß, CCZ 2009, 1, 5; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 30; ders., CCZ 2010, 4, 9; vgl. auch Eisele/Faust, in: Bankrechts Hdb., § 109 Rn. 164; Lösler, WM 2008, 1098, 1104; Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99. 663 Dazu Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; vgl. auch Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99 („eine Eskalationsroutine […] ist notwendig“). 664 Vgl. Rodewald/Unger, BB 2007, 1629, 1632 f., wo weitgreifenden Befugnissen des Beauftragten indes mit Skepsis begegnet wird; dazu auch Bürkle, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 8 Rn. 30: „in solchen Fällen gibt es kein Patentrezept”. 665 Dazu Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; vgl. auch Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 99 ff. 666 Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 208; Haouache, Compliance, S. 128, 131; vgl. auch Dreher, in: FS Claussen, S. 69, 85.
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Selbst wenn man Notwehr dem Unternehmen gegenüber für möglich hielte,667 schiede sie zur Herleitung von Eskalationsrechten hier aus. Schließlich richtet sich C in Beispiel 23 zur Lösung des Kompetenzkonflikts an den Aufsichtsrat und nicht gegen den Vorstand als möglichen Angreifer in dieser Situation.668 Vielmehr besteht zunächst für das Rechtsgut, welches durch den Verstoß eines Unternehmensangehörigen beeinträchtigt wird bzw. für die Rechtspflege selbst669 eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des rechtfertigenden Notstands. In Beispiel 23 handelt C durch eine Information des Aufsichtsrats oder durch Aufklärung von möglichen Verstößen gegen gesetzliche Vorgaben im Zuge der Eröffnung des chinesischen Büros etwa zum Erhalt der Integrität des Wettbewerbs als nach § 299 Abs. 3 StGB betroffenen Schutzbelang. Daneben tritt als weiteres Erhaltungsgut im Grundsatz auch das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände. In Ansehung dieses Universalrechtsguts sind in der Erforderlichkeitsprüfung jedoch strenge Anforderungen zu stellen.670 Auf der anderen Seite kommt das Unternehmensvermögen bzw. das Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb eines Unternehmens als Eingriffsgut in Betracht. Denn es ist nicht ohne weiteres zu erwarten, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung das Unternehmen Vorteile aus der Aufklärung von Fehlverhalten seiner Mitarbeiter zieht. Im Gegenteil werden Kunden, Zulieferer und nicht zuletzt auch der Staat (vgl. § 30 OWiG) die R-AG in Beispiel 23 eher „abstrafen“, wenn sie von dem rechtswidrigen Verhalten Kenntnis erlangen.671 Hinsichtlich der Schwere des Vorwurfs und der Dringlichkeit des Verdachts bietet der rechtfertigende Notstand auf Rechtsfolgenseite zudem flexiblere Ausgestaltungsmöglichkeiten für das Eskalationsrecht an, als dies die grds. nicht an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte gebundene Notwehr tut. Auf dieser Rechtsgrundlage erscheint durchaus nicht ausgeschlossen, dass in Beispiel 23 auch gegen den Widerstand des Gesamtvorstands der Aufsichtsrat von C angesprochen werden kann. Über die interne Ordnung der Gesellschaft hinaus können den Ermittlungen des Compliance-Beauftragten im Eskalationsfall sogar Strafbestimmungen entgegenstehen, vgl. etwa §§ 17 UWG, 203, 206 StGB,672 43 f. BDSG; 85 Abs. 1 GmbHG. 667
Dass eine solche Befugnis ausscheidet, wurde oben unter 3. Teil A.III. gezeigt. Vgl. zur Notwehr im Zusammenhang mit Compliance auch Thüsing, Arbeitnehmerschutz und Compliance, Rn. 351. 669 Vgl. zum Rechtsgut von § 138 StGB S/S-Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1 m.w.N. Dieses Rechtsgut ist hier freilich nicht direkt betroffen, da es zunächst um (interne) Aufklärung und nicht um allgemein bestehende Anzeigepflichten geht. 670 Dies folgt bereits aus der Vagheit des Schutzguts, da der Notstand kein Selbsthilferecht gegen öffentliche Missstände darstellen kann, vgl. nur S/S-Perron, § 34 Rn. 10. Zudem ist auch der Compliance Officer nach ganz überwiegender Auffassung allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Dazu Rolshoven/Hense, BKR 2009, 425, 427 m.w.N.; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56 m.w.N.; a.A. Veil, WM 2008, 1093, 1097 f. 671 Siehe auch Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 59 Fn. 70 m.w.N. 672 Vgl. zu diesem Vorwurf gegenüber einem Compliance Officer jüngst im Zuge der Datenschutzaffäre bei der Deutsche Bahn AG ArbG Berlin MMR 2011, 70, 72; ferner zu möglichen Strafbarkeitsrisiken Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329. 668
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Auch wenn Ermittlungen mit den genannten Tatbeständen in Konflikt geraten, bedarf es eines Rückgriffs auf § 34 StGB. Die Eskalationsbefugnisse eines Compliance-Beauftragten lassen sich also auf anerkannte Grundsätze stützen:673 Wenn gesellschaftsrechtlich überzeugend gefordert wird, der Beauftragte müsse sich im Rahmen seines Eskalationsrechts an den Aufsichtsrat oder gar die Hauptversammlung674 wenden dürfen, bietet sich auch in diesem Kontext ein Rückgriff auf die zivilrechtliche Notstandsbestimmung zur Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die verbandsinterne Kompetenzordnung oder vertragliche Pflichten an. In Beispiel 23 kann C dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen, welche Vorgänge aus seiner Sicht im Zuge der Eröffnung des chinesischen Büros zweifelhaft waren. Wie weit darüber hinaus in besonders gelagerten Fällen Ermittlungsbefugnisse auch gegenüber der Geschäftsleitung entstehen, bestimmt sich ebenfalls anhand der Interessenabwägung des rechtfertigenden Notstands. In Eilfällen und Ausnahmesituationen erscheinen sogar weitergehende Investigativmaßnahmen ohne Zustimmung der Unternehmensleitung denkbar. Aufgrund fehlender Weisungsbefugnis gegenüber anderen Mitarbeitern wird ein aktives Einschreiten des Compliance Officers jedoch zumeist schon nicht zur Bewahrung des Erhaltungsguts geeignet sein.675 Auch wird man ein Recht zur Anzeige bei schweren Straftaten mit unmittelbarem Unternehmensbezug nicht kategorisch ausschließen können.676 Zu beachten sind dann die Voraussetzungen, welche §§ 34 StGB, 228 BGB an die Erforderlichkeit einer Notstandshandlung stellen. Soweit als gleich geeignetes Mittel das interne Reporting in Betracht kommt, schont die innerbetriebliche Abhilfe wegen der sonst zu befürchtenden Außenwirkung und aufgrund der arbeitsrechtlich anerkannten Loyalitätspflicht des Compliance-Beauftragten die Belange des Unternehmens eher.677 Auch sonst wird ein „wesentliches Überwiegen“ von Strafverfolgungsinteressen wohl die Ausnahme bleiben. b) Garantenpflicht in der Eskalationslage? Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen stellt sich dann die hier nur anzudeutende Folgefrage, inwieweit damit die Grundlage für eine strafrechtliche Haftung des Beauftragten bei Unterlassen solcher Maßnahmen geschaffen ist. Insofern wäre denkbar, aus der Begründung eines Eskalationsrechts mithilfe des 673 Der von Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1343 – allerdings im Rahmen der Garantenpflicht – angeführte Gedanke des § 242 BGB lässt dagegen solche Maßstäbe gänzlich vermissen. 674 Casper, in: FS K. Schmidt, S. 199, 207 f. 675 Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 60; Lösler, WM 2008, 1098, 1102. 676 A.A. für spezialgesetzliche Unternehmensbeauftragte Dreher, in: FS Claussen, S. 69, 85, der die „gesellschaftsinterne Amtsniederlegung“ für den Unternehmensbeauftragten als richtiges Mittel ansieht. 677 Zum Ganzen nur Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87; zurückhaltend auch Rönnau/ Schneider, ZIP 2010, 53, 60 f. m.w.N.; vgl. ferner Favoccia/Richter, AG 2010, 137, 143.
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Notstands zugleich auf das Bestehen einer dahingehenden Garantenpflicht zu schließen.678 Gleichwohl ist ein Eskalationsrecht nur notwendige, aber keineswegs auch hinreichende Bedingung für die Anerkennung einer Eskalationsverpflichtung.679 Gegen die Annahme einer entsprechenden Garantenpflicht ist zunächst zwar nicht einzuwenden, der Beauftragte leite seine Befugnisse bloß von der Geschäftsleitung ab. Insoweit müssen nämlich die aus Satzung und Gesetz folgenden Befugnisse des Vorstandes bei hypothetisch rechtmäßigem Verhalten maßgeblich sein und nicht deren tatsächliches Verhalten.680 Wenn in Beispiel 23 der Vorstand der R-AG den C zur Einstellung der Ermittlungen anhält, ist dieser deshalb nicht aufgrund seiner bloß abgeleiteten Pflichtenstellung unter allen Umständen an diese (rechtswidrigen) Weisungen gebunden. Doch erscheint auf der anderen Seite genauso denkbar, mittels eines Eskalationsrechts allein die Handlungsbefugnisse zu erweitern, ohne dass damit gleichzeitig die Pönalisierung eines Unterlassens einherginge. Auch in diesem Zusammenhang passt die bereits zitierte681 Feststellung, dass nicht alles, was erlaubt ist, immer auch geboten sein muss. Gegen eine Verdichtung zur strafbewehrten Handlungspflicht ließe sich anführen, dass ein aus den §§ 34 StGB, 16 OWiG, 228 BGB herzuleitendes Eskalationsrecht gerade die Ausnahme vom grundsätzlich geltenden Handlungsverbot darstellt und mithin allenfalls in den Randbereich des Verhaltensunrechts durch Unterlassen fällt. Wie weit die aus § 13 StGB fließende Pflicht eines Compliance-Beauftragten in Eskalationsfällen reicht, muss hier jedoch nicht abschließend entschieden werden. Schließlich bilden Rechtfertigungsgründe für diese Frage nur den Ausgangspunkt. c) Zwischenergebnis In besonderen Fällen erscheinen die dem Compliance Officer grundsätzlich zustehenden Befugnisse der Information des ihm vorgesetzten Vorstandsmitglieds zur Verwirklichung effektiver Prävention und insbesondere zur Abwendung und Ahndung von Pflichtwidrigkeiten im Unternehmen nicht ausreichend. In der Literatur wird für derartige Fallgestaltungen mit guten Gründen eine Eskalationsbefugnis gefordert, für die eine rechtliche Verankerung bislang fehlt. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Eingriffsbefugnisse im Einzelfall sollte auf den rechtfertigenden Notstand zurückgegriffen werden: So lässt sich ein Abweichen von der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung sauber herleiten und ein etwaiger Konflikt 678
In diese Richtung unter Verweis auf arbeitsvertragliche Nebenpflichten Bürkle, CCZ 2010, 4, 9 f.; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87. 679 Vgl. Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 58 m.w.N. („strafbewehrten Pflichten des Compliance-Beauftragten können nicht weiter reichen als seine etwaigen Rechte“); Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Teil 2. Kap. Rn. 56 f. 680 Vgl. aber Raus/Lützeler, CCZ 2012, 96, 97, die eine Berichtspflicht dem Aufsichtsrat gegenüber verneinen, weil dies „Rollenverständnis“ und „Weisungsbefugnis“ zuwiderliefe. Der hier vertretenen Argumentation ähnlich Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 59. 681 s. o.: 4. Teil E.II.4.a)cc).
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mit anderen Pflichten lösen. In Beispiel 23 kann sich C demnach an den Aufsichtsrat wenden. Ob eine weitergehende Offenbarung von Unternehmensinterna etwa an einen Vertrauensanwalt oder aber sogar an die Staatsanwaltschaft möglich ist, richtet sich ebenfalls nach den Grundsätzen der §§ 228 BGB, 34 StGB. Auch wenn der Compliance Officer nach Ansicht der Rechtsprechung zunächst für ein Unterlassen haftet, erscheint es problematisch, ihm derartige, nur aufgrund von Notstandsbefugnissen ausnahmsweise gestatteten Maßnahmen gleichzeitig unter Androhung von Strafe abzuverlangen. 3. Kollision der Compliance-Pflicht mit Vorgaben des Datenschutzrechts Können Unrechtsausschlussgründe schon im Rahmen der „Begründung von Pflichten“ des Compliance-Beauftragten eine Rolle spielen, bleibt weiter zu untersuchen, ob auf sie auch dann zurückzugreifen ist, wenn strafrechtlich relevantes Unrecht ausgeschlossen werden soll. Dabei ist die Garantenpflicht eines Compliance Officers Anknüpfungspunkt für eine praktisch wichtige Themenstellung: Es geht um die Frage, ob ein Unrechtsausschluss es dem Compliance-Beauftragten ermöglicht, seiner Pflicht zur Aufklärung von Verstößen nachzukommen, wenn er durch sein Verhalten gegen Unterlassungsgebote des Datenschutzrechts verstoßen würde. a) Bedeutung der von Mitarbeitern geführten Kommunikation für effektive Corporate Compliance Gerade Stellungnahmen aus der Praxis entnimmt man immer wieder, dass für die praktische Umsetzung unternehmerischer Compliance eine Diskussion um strafrechtliche Rechtfertigung angezeigt erscheint.682 Die Überwachung von Geschäftsvorgängen zur effektiven Verhinderung von Straftaten der Beschäftigten wird regelmäßig nur gelingen, wenn das Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter zu Untersuchungszwecken herangezogen werden kann. Konkret kommt es für die Präventions- und Aufklärungsarbeit eines Compliance-Beauftragten in der Praxis damit vor allem auch auf das Medium E-Mail an.683 Der Rückgriff auf die elektronische Kommunikation der Mitarbeiter zu Ermittlungszwecken684 gestaltet sich je682
Vgl. zunächst nur Behling, BB 2010, 892, 893; de Wolf, NZA 2010, 1206; in ähnlichem Zusammenhang auch Dzida/Grau, NZA 2010, 1201, 1203 f. Zum Ganzen ferner Eisele, Compliance, S. 76 ff. 683 Vgl. zur Bedeutung der E-Mail-Überwachung für effektive Compliance Holzner, ZRP 2011, 12, 14 m.w.N. 684 Vgl. zur technischen Umsetzung etwa Thüsing, Arbeitnehmerdatenschutz, Rn. 198 f.; Schuster, ZIS 2010, 68, 72 f. Zu beachten ist insbesondere, dass nach BVerfGE 124, 43, 54 f. der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nur so weit reicht, „bis die E-Mail beim Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist.“ Vor allem das „Lagern“ auf einem Server unterfällt der grundrechtlichen Garantie.
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doch besonders schwierig, wenn das Unternehmen als Arbeitgeber, wie dies häufig zu beobachten ist,685 auch die private Nutzung gestattet oder zumindest duldet. Denn in diesem Fall ist der Arbeitgeber nach § 3 Nr. 6 TKG Diensteanbieter, sodass nach h.M. die Verpflichtungen zum Schutze des Fernmeldegeheimnisses (§§ 88 TKG, 206 Abs. 5 S. 2 StGB, Art. 10 GG) eingreifen.686 Diese Auffassung wird der folgenden Betrachtung zugrunde gelegt. Für die praktische Umsetzung von ComplianceMaßnahmen kommt diesem Umstand eine erhebliche Bedeutung zu: Aufgrund des Schutzes durch das Fernmeldegeheimnis unterfällt nämlich die elektronische Kommunikation der Angestellten dem Straftatbestand des § 206 StGB.687 Will der Compliance-Beauftragte zur Verhinderung von Straftaten und damit zur Erfüllung seiner aus § 13 StGB fließenden Pflichten auf den E-Mail-Verkehr von Beschäftigten zurückgreifen und Gegenmaßnahmen einleiten, können ihm diese Strafbarkeitsrisiken drohen.688 Ähnlich liegen die Dinge in Ansehung von geschäftsbezogenen Telefonaten eines Mitarbeiters. In der Literatur wird insofern angenommen, bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts im Sinne einer Notstandslage rechtfertige die Pflicht aus unternehmerischer Compliance trotz § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB eine Erfassung des Gesprächsinhalts.689 b) Genereller Ausschluss eines Rückgriffs auf die Kommunikation der Mitarbeiter zur Erfüllung der Compliance-Pflicht? Trotz der Strafbewehrtheit nach § 206 StGB kann der Zugriff auf E-Mails als Kommunikationsdaten von Angestellten unumgänglich werden, wenn der Compliance-Beauftragte seiner strafbewehrten Garantenpflicht Rechnung tragen will. So liegen die Dinge, wenn sich ein Arbeitnehmer betrügerisch oder korrupt gegenüber Kunden oder Lieferanten verhält. Auch hier kollidiert eine strafbewehrte Pflicht zu handeln („Compliance-Pflicht“) mit einem zumindest teilweise ebenfalls pönali685
So z. B. Behling, BB 2010, 892. Pars pro toto ArbG Hannover NZA-RR 2005, 420, 421; Rath/Karner, K&R 2007, 446, 450 ff.; Schmidl, MMR 2005, 343, 345; Hoppe/Braun, MMR 2010, 80, 81 m.w.N.; vgl. auch OLG Karlsruhe MMR 2005, 178 ff. Offen gelassen in VGH Hessen NJW 2009, 2470, 2471; a.A. LAG Berlin-Brandenburg, ZD 2011, 43, 44; kritisch auch Beckschulze, DB 2007, 1526, 1528 f.; Deiters, ZD 2012, 109 f. Folgt man dem nicht und lässt das BDSG zur Anwendung gelangen, stellt sich auch hier die Frage zur Bedeutung der strafrechtlichen Rechtfertigungslehre. Zum Ganzen ausführlich jüngst: Eisele, Compliance, S. 76 ff.; vgl. zur heimlichen Videoüberwachung eines Arbeitnehmers beim Verdacht auf ein Begehen von Straftaten und dem Verhältnis zur Regelung des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG auch Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, Rn. 1122 m.w.N. 687 Vgl. NK-Kargl, § 206 Rn. 17 f.; Dendorfer, in: MAH Arbeitsrecht, § 35 Rn. 203; S/SLenckner/Eisele, § 206 Rn. 6a m.w.N. 688 Ausführlich Schuster, ZIS 2010, 68 ff.; Schmidl, MMR 2005, 343, 345: Strafbarkeitsrisiken bei inhaltlicher Kontrolle und Filtern von Mails. 689 Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213 f. m.w.N.; vgl. auch Graf, in: MüKo, § 201 Rn. 51, 53; Scherp/Stief, BKR 2009, 404, 407 f.; a.A. Schuster, ZIS 2010, 68, 69; zur Erfassung von Verbindungsdaten Thüsing, Arbeitnehmerdatenschutz, Rn. 220. 686
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sierten Gebot, dies zu unterlassen (Verletzung des Fernmeldegeheimnisses). Für diese Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflicht690 haben schon die vorstehenden Erwägungen in den Abschnitten IV. und V. dieses 4. Teils691 gezeigt, dass der rechtfertigende Notstand die einschlägige Rechtfertigungsregel bereithält. Ein Heranziehen der Notstandsbestimmungen wird denn auch für die Auflösung der Pflichtenkollision zwischen Aufklärungsgebot aus Compliance und datenschutzrechtlichem Eingriffsverbot vielfach gefordert bzw. erwogen.692 Strafrechtlich stellt sich im Hinblick auf einen Unrechtsausschluss des aufklärungswilligen Compliance Officers de lege lata gleichwohl ein Problem. Zwar vermag der Erlaubnissatz des rechtfertigenden Notstands alle relevanten Umstände wie etwa die Dringlichkeit eines Verdachts gegenüber einem angestellten Arbeitnehmer, die Schwere des Vorwurfs (Ausmaß der Gefahr für das Erhaltungsgut), den Unternehmensbezug der Straftat und die Art der Einsichtnahme auf das Endgerät zu berücksichtigen. Gleichwohl ist nicht eindeutig, ob die §§ 34 StGB, 16 OWiG in diesem Spannungsfeld zwischen Fernmeldegeheimnis und Compliance-Pflicht überhaupt herangezogen werden können. aa) Unangemessenheit einer unternehmensinternen Aufklärung aufgrund eines Vorrangs der §§ 100a ff. StPO? Ein Rückgriff auf die Notstandsbestimmungen scheitert zunächst nicht bereits daran, dass die §§ 100a ff. StPO im Bereich der Strafrechtspflege bzw. die Ländergesetze für die Gefahrenabwehr durch den Compliance Officer als speziell normierte Verfahren der Angemessenheit einer Notstandshandlung entgegenstünden.693 Ein solcher Vorrang scheidet schon deswegen aus, weil Adressat der gesetzlichen Eingriffsermächtigung nur staatliche Stellen sein können, der Beauftragte im Unternehmen indes als Privatperson handelt. Strafprozessuale Eingriffsbefugnisse sind auf das Verhältnis zwischen freiheitsberechtigtem Bürger und grundrechtsverpflichtetem Staat ausgelegt. Entsprechend gelten auch Erwägungen, die in den Ermächtigungsnormen der StPO eine Rolle spielen, allenfalls mittelbar für das unternehmensinterne Compliance-System. Die Gefahr einer Umgehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als allgemeine Voraussetzung hoheitlicher Eingriffsrechte besteht ohnehin nicht: Schließlich erfordert ein Zugriff auf die Kommuni690 Eingängig de Wolf, NZA 2010, 1206, 1211: „Zuwenig Beachtung findet die Kollision der Pflichten: auf der einen Seite muss der Arbeitgeber den besonderen Schutz der E-Mails einhalten; auf der anderen Seite soll er nach den Compliance-Regeln wissen, was in seinem Unternehmen im Detail vor sich geht“. 691 Vgl. allgemein schon oben: 2. Teil B.II.2. 692 Behling, BB 2010, 892, 893; erwogen auch von Dann/Gastell, NJW 2008, 2945, 2946; Scheben/Klos/Geschonneck, CCZ 2012, 13, 17; vgl. weiter Fischer, § 206 Rn. 9; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213 f.; Scherp/Stief, BKR 2009, 404, 407; für heimliche Videoüberwachung auch Grimm/Schiefer, RdA 2009, 329, 334 f. 693 So aber Dann/Gastell, NJW 2008, 2945, 2946.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
379
kation von Angestellten sogar ein „wesentliches Überwiegen“ des Erhaltungsguts und verschärft somit die Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Soweit man versucht, für Einschränkungen aus dem Strafprozess- bzw. Polizeirecht an den Grundsatz der Erforderlichkeit anzuknüpfen,694 um einen Vorrang staatlicher Ermittlungen zu begründen, zieht dies für § 34 StGB schwierige Folgefragen nach sich: Zum einen wäre zu prüfen, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegenüber der unternehmensinternen Aufklärung tatsächlich das mildere Mittel darstellt. Zum anderen setzte eine gleiche Eignung der Verfahren voraus, dass auch eine Untersuchung gemäß Compliance-Vorgaben an den Verdachtsgrad im Sinne des § 100a StPO695 gebunden wäre und nicht bereits unterhalb dieser Schwelle Nachforschungen aufgenommen werden können. Ein vollständiger Ausschluss möglicher Notstandshandlungen des Arbeitgebers zur Erfüllung seiner ComplianceVerpflichtungen lässt sich aufgrund dieser Erwägungen nicht begründen. bb) Ausschluss einer Rechtfertigung wegen besonderen Schutzes des Fernmeldegeheimnisses? Nach verbreiteter Ansicht soll einem Unrechtsausschluss zugunsten des Compliance Officers, der auf E-Mails eines Mitarbeiters zurückgreift, jedoch der Wortlaut des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG zuwiderlaufen.696 Diese Bestimmung schließt für unter das Fernmeldegeheimnis fallende Tatsachen jede Verwendung nur dann nicht aus, „soweit [das TKG] oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht“. Einen solchen Bezug weisen die allgemeinen Unrechtsausschlusstatbestände nicht auf. Allerdings streiten gegen ein strenges Verständnis dieser Norm im Hinblick auf § 34 StGB schon dessen Entstehung als „übergesetzlicher“ Notstand, der in seiner Herleitungsgeschichte erst nachträglich eine Normierung erfahren hat und auch ohne gesetzliche Verankerung als Rechtsprinzip bereits anerkannt war.697 Überdies erfasst eine Notstandslage gerade auch die gesetzlich nicht vorhersehbare Vielzahl von Gefahrensituationen.698 Weiter widerspräche ein absoluter Vorrang von § 88 Abs. 3 S. 3 TKG dem Zweck der Rechtfertigung, strafgesetzliche Pflichten mit den Vorgaben der Gesamtrechtsordnung in Einklang bringen zu können und zu harmonisieren.699 Schließlich wird selbst von Befürwortern eines Ausschlusses von Rechtfertigungs694
Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, Rn. 1157 a.E. Dazu nur Bruns, in: KK StPO, § 100a Rn. 34. 696 Altenhain, in: MüKo, § 206 Rn. 71; NK-Kargl, § 206 Rn. 47; Lackner/Kühl, § 206 Rn. 15; Schuster, ZIS 2010, 68, 74 f.; Thüsing, Arbeitnehmerdatenschutz, Rn. 316; Fischer, § 206 Rn. 9 („rechtspolitisch zweifelhaft“). 697 Vgl. statt Vieler Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 10 m.w.N. 698 Vgl. OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180 f. („besondere Fallgestaltungen, die den Rahmen des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG sprengen“); LK11-Träger, § 206 Rn. 55; zum Spamfilter auch Sauer, K&R 2008, 399, 402. 699 s. o.: 2. Teil B.II.1. 695
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
gründen gesehen, dass diese strenge Lesart der Vorschrift zu rechtspolitisch fragwürdigen Ergebnissen führen kann.700 Da der Gesetzgeber mit seinem Verweis in §§ 88 Abs. 3 S. 4 TKG, 138 StGB zum Ausdruck gebracht hat, dass die Verhinderung von Straftaten ein zugunsten eines Täters berücksichtigungsfähiges Anliegen ist, wäre die Verweigerung einer Rechtfertigung für den Compliance Officer weder gesetzlich geboten noch hinnehmbar.701 Denn auch ein Unterlassen weiterer Ermittlungen aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken birgt Strafbarkeitsrisiken: Würde der Compliance Officer die Aufklärung einer Straftat durch einen Angestellten vor dem Hintergrund des § 206 StGB nicht weiter verfolgen, stellte sich nunmehr die Frage, ob der Beauftragte dann gemäß §§ 27, 13 Abs. 1 StGB wegen Verletzung seiner Compliance-Pflicht haftet. Dieses Ergebnis liefe jedoch auf eine „Haftungszwickmühle“ hinaus, wie sie bereits in anderem Zusammenhang beschrieben wurde.702 Auch hier können gegensätzliche Verhaltenspflichten keinen Bestand haben. Aus diesem Grund ist dem Compliance Officer bzgl. der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses eine Rechtfertigung zuzubilligen, wenn er sich an die Grenzen der Notstandshandlung hält. Überzeugend nimmt deshalb eine im Vordringen befindliche Auffassung an, dass auch bei einem unternehmerischer Compliance dienlichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis ein Rückgriff auf § 34 StGB nicht kategorisch ausscheidet.703 Der teilweise geforderte Ausschluss ist nun zur Verwirklichung des vom Gesetzgeber intendierten704 Schutzes des Fernmeldegeheimnisses gemäß § 88 Abs. 3 S. 3 TKG auch gar nicht nötig. Schließlich kann der besondere Stellenwert dieses Schutzguts zulasten einer durch Compliance motivierten Aufklärung mit in die Notstandsabwägung einfließen. Gleichwohl wird bei dringendem Tatverdacht hinsichtlich schwerster Wirtschaftsstraftaten, wie sie etwa vorlägen, wenn in Beispiel 24 die Q-GmbH mehrere Millionen an Bestechungsgeldern gezahlt hätte, nicht unter allen Umständen anzunehmen sein, dass ein Zugriff auf den einschlägigen E-Mailverkehr der Mitarbeiter ausscheidet. 4. Zwischenergebnis Die Ausführungen zu unternehmerischer Compliance haben gezeigt, dass auch in diesem strafrechtsrelevanten Bereich Erlaubnistatbestände anerkannte Grundlagen 700 S/S-Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 14; NK-Kargl, § 206 Rn. 48; für die hier maßgebliche Situation konkret Hoppe/Braun, MMR 2010, 80, 81, die auf Gewohnheitsrecht zurückgreifen wollen. Vgl. insofern Deiters, ZD 2012, 109, 112; Rath/Karner, K&R 2007, 446, 450. 701 Für eine Anwendbarkeit von § 34 StGB auch OLG Saarbrücken NStZ 1991, 386 f.; Fischer, § 206 Rn. 9; Bock, in: Beck OK TKG, § 88 Rn. 45; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213 f. Vgl. auch Fn. 682. 702 s. o.: 4. Teil E.I. 703 LK11-Träger, § 206 Rn. 54; LK12-Altvater, § 206 Rn. 80, 82; Bock, in: Beck OK TKG, § 88 Rn. 47; Zerres, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 88 Rn. 29; Behling, BB 2010, 892, 893; vgl. auch Holzner, ZRP 2011, 12, 15. 704 Vgl. BT-Drucks. 13/3609, S. 53.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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bereithalten, um in schwierigen Problemkreisen Abhilfe zu schaffen. Aus vereinzelten Andeutungen im Schrifttum, in denen hier auf Rechtfertigungsgründe abgestellt worden ist, lassen sich zwei bedeutsame Fallgestaltungen ableiten: Zunächst kann mithilfe des allgemeinen Notstands ein (zumindest) zivilrechtlich wirkendes Eskalationsrecht zugunsten eines Compliance-Beauftragten begründet werden, das den Kontakt zu Aufsichtsorganen und in Not- und Eilfällen die nötigen Investigativmaßnahmen ermöglicht. Dies schafft C in Beispiel 23 die erforderlichen Befugnisse, um eine wirksame Kontrolle innerhalb des von der R-AG betriebenen Unternehmens zu gewährleisten und die Unregelmäßigkeiten im China-Geschäft aufzuklären bzw. ähnlichen Taten künftig entgegenzuwirken. Darüber hinaus erscheint weniger eindeutig, ob dieses Eskalationsrecht gleichzeitig für die Ausgestaltung einer strafrechtlichen Garantenpflicht als Grundlage dienen kann. Doch auch im Rahmen der praktischen Ermittlungstätigkeit des Compliance Officers gegenüber anderen Angestellten wird der rechtfertigende Notstand relevant. Insofern kann der Beauftragte im Hinblick auf strafbewehrte Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis (§§ 206 StGB, 88 TKG) und insbesondere den E-Mail-Verkehr eines Mitarbeiters im Unternehmen gerechtfertigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Notstandshandlung wegen der besonderen Bedeutung einer Straftat für das Unternehmen erfüllt sind. Umgekehrt ist ein Absehen von der aufgrund einer Garantenpflicht gebotenen Aufklärung nicht strafbar, wenn datenschutzrechtliche Belange überwiegen.
II. Rechtfertigung strafrechtlicher Haftungsrisiken beim sog. Whistleblowing Eng mit unternehmerischer Compliance verknüpft ist der Themenkreis des sog. Whistleblowing. Als Whistleblower im wirtschaftsstrafrechtlichen Sinne kann ein Unternehmensmitarbeiter verstanden werden, der um einen Missstand im Unternehmen weiß und an dessen Aufklärung bzw. Verfolgung aktiv mitwirkt. Zumeist macht ein Angestellter auf einen Regelverstoß aufmerksam, indem er unter Umgehung der etablierten Berichts- oder Informationswege im Unternehmen sich gegenüber einer externen Stelle705 offenbart. Auf dieses externe Whistleblowing konzentrieren sich nachstehende Ausführungen. Dabei kann das Phänomen des Whistleblowing unterschiedlichste rechtliche Aspekte berühren.706 Schließlich hat der Hinweisgeber regelmäßig ein nachvollziehbares Interesse an Anonymitätsga-
705
Verbreitet wird zwischen (betriebs-)internem und externem Whistleblowing unterschieden. Vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Geheimnisschutzes durch die §§ 17 UWG, 203 StGB, 404 AktG, 85 GmbHG ist hier vor allem letztere Form relevant. Zum Ganzen Pautner-Seidel/Stephan, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 27 Rn. 114 f. 706 Vor allem das Arbeits- und Datenschutzrecht sind betroffen, einen kurzen Überblick gibt Fahrig, NZA 2010, 1223.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
rantien, arbeitsrechtlichem (Kündigungs-)Schutz und finanzieller Kompensation.707 Im Hinblick auf das Wirtschaftsstrafrecht wird immer wieder bedauert, dass ein hinreichender Schutz für denjenigen, der sich verdienstvoll um rechtliche Aufklärung bemüht, nicht bestehe.708 Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber es nicht zur Umsetzung einer Neufassung von § 612a BGB gebracht hat, der wohl zur Rechtssicherheit in diesem Bereich beitragen könnte.709 Aus diesem Grund kann Strafbarkeitsrisiken des Whistleblowing bislang nur durch Rückgriff auf die allgemeinen Regeln begegnet werden.710 Vor diesem Hintergrund wird der anhand von Beispiel 24 illustrierten Frage nachzugehen sein, inwieweit Rechtfertigungsgründe schon de lege lata dazu beitragen können, dem Whistleblower die strafrechtlichen Risiken einer Offenbarung zu nehmen [1.]. Ein besonderer Anwendungsfall der strafrechtlichen Problematik um die Offenbarung unternehmensinterner Umstände wurde unlängst im Zusammenhang mit der Übergabe von ausländischen Steuerdaten an den Bundesnachrichtendienst bzw. den deutschen Fiskus diskutiert.711 Letztgenannter Problemkreis wird mithilfe von Beispiel 25 veranschaulicht. Ob zugunsten eines Übermittlers von Steuerdaten an eine staatliche Stelle ein Erlaubnissatz eingreifen kann, soll im Folgenden deshalb im Anschluss untersucht werden [2.]. 1. Strafrechtlicher Schutz eines Whistleblowers durch Rechtfertigungsgründe? Die strafrechtliche Diskussion hat sich mit der Problematik des Whistleblowing in Deutschland bisher eher zurückhaltend beschäftigt und vereinzelte Stellungnahmen prägen das Bild.712 Wenn man aber das charakteristische Fehlen von Opfern im Wirtschaftsstrafrecht bedenkt,713 wird deutlich, dass Strafverfolgungsbehörden zur effektiven Sachverhaltsaufklärung auf Informationen aus dem Unternehmen selbst angewiesen sein können. Den insoweit hilfs- und aufklärungsbereiten Angestellten
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Kölbel, JZ 2008, 1134, 1135 m.w.N. zur Rechtslage in den Vereinigten Staaten. Banneberg, in: Wabnitz/Janovsky, 10. Kap. Rn. 7; Deiseroth/Derleder, ZRP 2008, 248, 249 ff.; Kölbel, JZ 2008, 1134, 1140 f.; Tiedemann AT, Rn. 218c; ders., in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26 f. 709 Vgl. zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119 ff.; ferner Fladung, BB 2011, 113. 710 Vgl. nur Abraham, ZRP 2012, 11. 711 Einen Zusammenhang zwischen diesen steuerstrafrechtlichen Fragen und dem Whistleblowing stellt auch Schünemann, NStZ 2008, 305, 308 her. 712 Zu diesem Befund Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329; ferner Tiedemann, AT, Rn. 218c m.w.N.; Koch, ZIS 2008, 500 ff. 713 Backes, StV 2006, 712 f.; Lindemann, ZRP 2006, 127; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329 („opferlose Heimlichkeitsdelikte“); zur Bedrohung von Kollektivrechtsgütern durch Wirtschaftsstraftaten, s. o.: 2. Teil A. 708
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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droht aber nicht nur die verhaltensbedingte Kündigung,714 sondern in manchen Fällen auch die Strafverfolgung wegen Offenbarung von Unternehmensgeheimnissen gemäß §§ 17 UWG, 404 AktG, 85 GmbHG.715 Denn zumeist wird ein unternehmensinterner Missstand nicht aufgedeckt werden können, ohne dass dabei Umstände publik werden, die dem strafrechtlichen Schutz unterliegen.716 Auch in Beispiel 24 sieht sich W strafrechtlichen Risiken gegenüber, wenn er in Schädigungsabsicht Informationen über die von der Q-GmbH verwendeten Rohstoffe, welche Rückschlüsse auf das Produktionsverfahren zulassen, nach außen hin preisgibt. Noch weiter ginge dieses Haftungsrisiko, wenn man den subjektiven „Auffangtatbestand“717 „zugunsten eines Dritten“ in § 17 Abs. 2 UWG dahingehend auslegen wollte, dass auch der Staat Dritter in diesem Sinne sein kann.718 Eine Strafanzeige unterfiele dann wohl vollumfänglich dem Wortlaut der Vorschrift. Sollte W sich in Beispiel 24 zudem in Ansehung der wenig durchsichtigen Vorgänge in Zentralasien täuschen, kämen darüber hinaus die falsche Verdächtigung sowie Ehrschutzdelikte in Betracht.719 Verschärft wird die Problematik noch dadurch, dass bereits das Einrichten von Stellen zur Entgegennahme entsprechender Hinweise durch ein Unternehmen (sog. Ombudsmänner) strafrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme problematisch werden kann.720 Die Rechtfertigung eines Arbeitnehmers bedarf vor diesem Hintergrund nicht zuletzt deswegen sorgfältiger Prüfung, weil eine solche auch den Anknüpfungspunkt für die akzessorische Teilnehmerstrafbarkeit entfallen ließe. In Beispiel 24 ist deshalb zu untersuchen, ob zugunsten von W ein Erlaubnissatz eingreift, der es ihm ermöglicht, sich über den Schutz von die Q-GmbH betreffenden Interna hinwegzusetzen.
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Vgl. BAG NJW 2004, 1547 ff. Siehe nur v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329 ff.; Buchert, CCZ 2013, 144, 148 („Dies mag grotesk anmuten“). 716 Dies gilt insbesondere dann, wenn man mit der h.M. annimmt, dass auch rechtswidrige vermögenswerte Geheimnisse strafrechtlichen Schutz genießen. Dazu Brammsen, in: MüKo UWG, § 17 Rn. 22; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 450; vgl. auch Tiedemann, BT, Rn. 235 ff. Doch selbst wenn man einen solchen Schutz nicht anerkennen wollte, wird ein Hinweisgeber regelmäßig auch auf rechtmäßige Tatsachen eingehen müssen, will er ein Fehlverhalten effektiv aufklären. Die Frage nach einem Unrechtsausschluss stellt sich in Beispiel 24 wegen des Bezugs der Informationen zu dem (rechtmäßigen) Produktionsverfahren der Q-GmbH also in jedem Fall. 717 Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 63; vgl. auch Schemmel/Ruhmannseder/ Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 37. 718 Buchert, CCZ 2013, 144, 148; vgl. auch BT-Drucks. 10/5058, S. 40; Diemer, in: Erbs/ Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 31; Ohly, in: P/O/S, UWG, § 17 Rn. 25 („zugunsten eines fremden Staates“ soll dem Tatbestand unterfallen). 719 Ausführlich Zimmermann, ArbRA 2012, 58 ff. 720 So auch Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 37; Zimmermann, ArbRA 2012, 58, 59. 715
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
a) § 34 StGB bei Kollision von Geheimnisschutz und Strafverfolgungsinteressen Denjenigen Strafvorschriften, die im Hinblick auf die Offenbarung von Unternehmensgeheimnissen ein Unterlassen gebieten, läuft in Fällen wie dem in Beispiel 24 das Erhaltungsinteresse an effektiver Verfolgung von Straftaten bzw. an der Aufklärung von Regelverstößen zuwider. Konsequenterweise wird deshalb auch in dieser Konfliktlage ein Unrechtsausschluss über die Grundsätze des rechtfertigenden Notstands erwogen.721 Schließlich stehen auch hier einem Handlungsverbot Interessen gegenüber, die ein Einschreiten erforderlich machen können – bei besonders qualifizierten Straftaten (§ 138 StGB) kommt es sogar zu einer echten Pflichtenkollision.722 Die §§ 34 StGB, 16 OWiG halten deswegen die einschlägige Rechtfertigungsregel bereit.723 So ist W in Beispiel 24 einerseits gehalten, keine geschützten Informationen über die Betriebsabläufe zu offenbaren. Auf der anderen Seite handelt er zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände sowie zugunsten des Wettbewerbs bzw. der Vermögensinteressen zentralasiatischer Produzenten von Rohstoffen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen von § 34 StGB bestehen im Hinblick auf das Whistleblowing eines Unternehmensmitglieds jedoch erhebliche Unsicherheiten.724 Ein Notstandsrecht zur Offenbarung wird dem Angestellten dabei überwiegend in drei Fällen zugestanden: Wenn nach § 138 StGB eine Pflicht zur Anzeige besteht, soll dieses Verhaltensgebot dem Geheimnisschutz zugunsten des Unternehmens vorgehen.725 Teilweise scheint diese Berechtigung auch weiter verstanden und insgesamt auf das Recht des Hinweisgebers zur Strafanzeige erstreckt zu werden.726 Eine weitere Ausnahme wird von manchen Autoren gemacht, wenn der
721 Otto, Aktienstrafrecht, § 404 Rn. 45; Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 404 Rn. 54; Geilen, in: KK AktG, § 401 Rn. 42; Tiedemann/Dannecker, Jura 1984, 655, 661; Koch, ZIS 2008, 500, 503; v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; ausführlich zu dem hier behandelten Problemkreis jüngst Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 39 ff.; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330 f. 722 s. o.: 2. Teil B.II.2. 723 Vgl. bereits oben: 4. Teil D.II. Ebenso Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328 ff. 724 Vgl. nur Tiedemann, BT, Rn. 235; ders., AT, Rn. 218c. 725 Oftmals wird diese Fallgruppe neben derjenigen einer Notstandsrechtfertigung bei Stellen einer Anzeige behandelt: Dittrich, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, § 33 Rn. 103 f.; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 515; Brammsen, in: MüKo UWG, § 17 Rn. 53 f.; für Vorstände als Hinweisgeber Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1015. Wie hier wendet etwa Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 76 auch in den Fällen des § 138 StGB überzeugend den rechtfertigenden Notstand an. Vgl. auch Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 44 Fn. 91. 726 Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 451 f. („§ 158 StPO als Rechtfertigungsgrund“); Kaiser, NStZ 2011, 383, 388. Die Anzeige ist dabei jedoch nur der erste Schritt hin auf die Bewahrung des Erhaltungsguts Strafverfolgungsinteresse.
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Angestellte sich eigener Strafverfolgung widersetzen muss und es in diesem Kontext zu einer Offenbarung geschützter Tatsachen kommt.727 Schließlich lässt man zum Teil ein Recht zur Offenbarung auch dann zu, wenn der Mitarbeiter in einem Strafprozess über das geschützte Geheimnis aussagen müsste.728 W in Beispiel 24 ist als Hinweisgeber729 mit diesen Grundsätzen nur wenig weitergeholfen. Für das Themenfeld des Whistleblowing erscheint vielmehr maßgeblich, ob Korruptionsstraftaten, Preisabsprachen oder Steuerhinterziehungen zumindest dann zur Anzeige gebracht werden dürfen, wenn der zu befürchtende Schaden ein gewisses Ausmaß überschreitet. In Beispiel 24 liegt bei Preisen unterhalb des Weltmarktniveaus die Annahme nahe, dass die Rohstofflieferanten entsprechende Verträge nicht unter lauteren Umständen eingehen würden. b) Strafverfolgungsinteresse und andere mögliche Erhaltungsgüter Ein „Recht zur Aufklärung“ kann kooperationsbereiten Unternehmensangehörigen demgegenüber bereits de lege lata zuzugestehen sein, wie sich aus den allgemeinen Grundsätzen des § 34 StGB für einschlägige Fälle ergibt:730 Zunächst ist das Interesse an effizienter Strafverfolgung als überindividuelles Rechtsgut notstandsfähig.731 Eine Gefahr für die Durchführung effektiver Strafverfolgung kann auch jenseits des in § 138 StGB geregelten Tatbestandskatalogs bestehen. Schließlich sind staatliche Verfolgungsinteressen nicht auf einen Kreis qualifizierter Delikte beschränkt. Hinzu kommt, dass sich für einen Whistleblower wie W in Beispiel 24 das eigene Unternehmen gleichsam als „Grundlage“ für die Begehung einer Straftat darstellt. Insofern muss W den Eindruck gewinnen, in der Q-GmbH würden Rechtsverletzungen zumindest teilweise gebilligt. Deswegen besteht die Sorge eines großen
727 Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 404 Rn. 53; Schaal, in: MüKo AktG, § 404 Rn. 37 m.w.N.; für die Haftung nach § 93 AktG: Gaul, GmbHR 1986, 296, 299; für den Wirtschaftsprüfer: Quick, BB 2004, 1490, 1493 f.; vgl. grundlegend BGHSt 1, 366, 368. 728 Vgl. Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 24; Ostendorf, ZIS 2010, 301, 304; Rützel, GRUR 1995, 557, 560 f. m.w.N. 729 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 85 Rn. 24 m.w.N. weist zutreffend darauf hin, dass die für Angestellte zu entwickelnden Grundsätze nicht unbesehen auf Gesellschaftsorgane übertragen werden können, str. Dazu ausführlich Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014 f. 730 Dieses hier vertretene Ergebnis für Strafanzeigen teilen mit Unterschieden im Einzelnen RAG JW 1931, 490; Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 55; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26; Ransiek, in: GroßKomm GmbHG, § 85 Rn. 35; Schaal, in: MüKo AktG, § 404 Rn. 38; Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 872; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 24; Ostendorf, ZIS 2010, 301, 304, der die Anwendbarkeit von § 34 StGB auf Geheimnisträger i.S.v. § 203 StGB personell begrenzen will. 731 s. o.: 3. Teil B.II.1.; vgl. ferner S/S-Perron, § 34 Rn. 7. Für dieses Erhaltungsgut auch Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
Ausmaßes732 bereits begangener und noch drohender Rechtsgutsverletzungen in dem Unternehmensbetrieb. Schließlich ist die Eigenschaft des Erhaltungsbelangs „Strafverfolgungsinteresse“ als überindividuelles Schutzgut insofern bedeutsam, als dem Recht zur Strafanzeige auch eine verfassungsrechtliche Dimension innewohnt. Für den Einzelnen handelt es sich insoweit um eine Ausprägung staatsbürgerlicher Rechte.733 Daneben sind zugunsten von W in Beispiel 24 diejenigen Schutzbelange zu berücksichtigen, die durch die Unregelmäßigkeiten im Zuge der Rohstoffankäufe in den ehemaligen Sowjetrepubliken bedroht werden, d. h. insbesondere der sog. „Weltwettbewerb“ nach § 299 Abs. 3 StGB und – je nach Umständen des Falls – Vermögensinteressen von Konkurrenten oder sogar solche der Q-GmbH. Zutreffend wird für die Beurteilung einer Offenbarungsbefugnis in zahlreichen Stellungnahmen in der Literatur weiter danach differenziert, ob eine Anzeige aus präventiven Gründen erfolgt oder nur restriktiv wirkt.734 Aus einem Umkehrschluss zu § 139 Abs. 2, 3 StGB lässt sich für ebendiese Fälle herleiten, dass bei besonders schweren Straftaten die Anzeigepflicht eines Hinweisgebers dem Geheimnisinteresse des Unternehmens in jedem Fall vorgeht. – Der Gesetzgeber löst so den Pflichtenkonflikt zwischen qualifizierter Anzeigepflicht (präventive Wirkung) und Geheimnisschutzvorschriften, §§ 203 StGB, 17 UWG, 85 GmbHG, 404 AktG.735 Diese Wertung wird man nicht auf diese gesetzlich angelegte Kollisionslage beschränken können: Gerade in Ansehung der Offenbarung eines Geschäftsgeheimnisses kommt der präventiven Wirkung eine erhebliche Bedeutung zu, da sich bei unterlassener Anzeige illegale Praktiken eher verfestigen. Damit wird der Whistleblower freilich nicht zum staatlichen Organ. Doch je stärker eine Anzeige dazu geeignet ist, Schaden in der Zukunft zu verhindern und damit Schutzgüter zu erhalten, desto eher wird man ihr aufgrund des größeren Gewichts in der Notstandsabwägung rechtfertigende Wirkung beimessen können. Der Bezug der Unregelmäßigkeiten zum Unternehmen hat ferner dazu geführt, dass „der Schutz des Gesellschaftsvermögens (Unternehmensinteresse)“736 als Erhaltungsbelang anerkannt 732
Zu diesem Gesichtspunkt in der Notstandsabwägung, statt Vieler Kühl, AT, § 8 Rn. 120 ff.; vgl. ferner Beck, ZStW 124 (2012), 660, 677 f. 733 Vgl. BVerfG NJW 2001, 3474, 3475 f.; dazu Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 42, 76; relativierend Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 52 („das bloße Allgemeininteresse staatlicher Strafverfolgung genügt [für eine Notstandsrechtfertigung] in aller Regel nicht“). 734 Vgl. Brammsen, in: MüKo UWG, § 17 Rn. 54; Tiedemann/Dannecker, Jura 1984, 655, 661; Rengier, in: Fezer, UWG, § 17 Rn. 47; Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 40; Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 404 Rn. 54; Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 55 („Wiederholungsgefahr“); S/S-Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 32 m.w.N. 735 Vgl. zu dem Argument etwa Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, § 404 Rn. 50; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 21; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1015. 736 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1015; vgl. in diesem Zusammenhang auch Sieja, DStR 2012, 991, 994 f.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
387
wurde. Dies überzeugt, soweit tatsächlich bereits Erworbenes und nicht bloß der Verlust von Gewinnchancen einer Gesellschaft betroffen ist. Notstandsfähig sind demnach die Schutzgüter solcher Strafgesetze, deren Verletzung zu befürchten ist, sowie Vermögensinteressen des Unternehmens, soweit Pflichtwidrigkeiten den Bestand dieser Güter gefährden. Darüber hinaus müssen bevorstehende Beeinträchtigungen hinreichend konkret sein. Die Notstandsdogmatik erfasst diesen Gesichtspunkt trotz Einschränkungen in der Gegenwärtigkeit dem Grunde nach in der Notstandslage („Dauergefahr“), indem der Hinweisgeber neben dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse auch auf zukünftig bedrohte Rechtsgüter verweisen kann, wenn deren Gefährdung greifbar ist. Zugunsten des anzeigebereiten W in Beispiel 24 ist überdies relevant, dass bei Anhaltspunkten für fortwährend zweifelhafte Praktiken der Q-GmbH in Zentralasien der „Grad der drohenden Gefahr“ für die Erhaltungsgüter besonders hoch sein kann. Auch dieser Abwägungsfaktor ist für den rechtfertigenden Notstand anerkannt.737 c) Erforderlichkeitsprüfung bei einer Anzeige außerhalb des Unternehmens Die Erforderlichkeitsprüfung verpflichtet den Offenbarenden dazu, zur Wahrung der Schutzgüter das relativ mildeste Mittel in Anspruch zu nehmen. Deshalb liegt es nahe, den Whistleblower zunächst auf Maßnahmen innerhalb des Unternehmens zu verweisen.738 Die Einschränkung wird insbesondere bei Vorliegen einer wohl strukturierten innerbetrieblichen Compliance-Organisation bedeutsam. In Beispiel 24 bestehen demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür, dass W durch den innerbetrieblichen Berichtsweg eine Änderung der Verhältnisse herbeiführen könnte, wenn anzunehmen ist, dass die Geschäftsführung über die Vorgänge in Zentralasien im Bilde ist. Einem grundsätzlichen Vorrang unternehmensinterner Aufklärung wird man auch nicht entgegenhalten können, innerbetriebliche Sanktion gegenüber den rechtswidrig handelnden Unternehmensangehörigen und Strafverfolgungsinteressen stünden in einem aliud-Verhältnis.739 In beiden Fällen sind die Bestrebungen des Hinweisgebers auf eine Aufklärung der Unregelmäßigkeiten gerichtet. Der innerbetriebliche Weg führt dabei jedoch regelmäßig zur größeren Schonung der vom Geheimnisschutz erfassten Unternehmensinterna als Eingriffsgüter und stellt somit das mildere Mittel dar. Soweit präventiv Verstöße verhindert werden sollen, leuchtet ein, dass oftmals bereits die Androhung von internen, wie z. B. arbeitsrechtlichen Sanktionen geeignet 737
Siehe nur Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 130. v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119, 122 m.w.N. und passim; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 647; Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 55; vgl. ferner Greiner, in: A/P/S, Kündigungsrecht, § 17 ArbSchG Rn. 9 f. 739 Vgl. dazu auch Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 42; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 110; Tiedemann/Dannecker, Jura 1984, 655, 661. 738
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
sein wird, Zuwiderhandlungen von Angestellten einzustellen. Allerdings setzt eine solche Einschränkung stets voraus, dass Verstöße von der Geschäftsleitung ebenso effektiv geahndet und in der Zukunft abgestellt werden. Daran mag man bei Regelverstößen größeren Ausmaßes schon wegen der fehlenden Öffentlichkeitswirkung von bloß internem Reporting zweifeln („Aufwach-Effekt“). Selbst wenn in Beispiel 24 etwa ein „Compliance-Helpdesk“ der Q-GmbH eingerichtet wäre, ist nicht offensichtlich, dass bei systematischen Einkäufen deutlich unterhalb des Weltmarktpreises bei wichtigen Lieferanten das Anstoßen interner Maßnahmen in der Q-GmbH ebenso geeignet wäre wie ein Publikmachen. Jedenfalls wenn die Unternehmensführung selbst verdächtigt wird, mit den Unregelmäßigkeiten bereits vertraut zu sein, schränkt die Erforderlichkeitsprüfung den Hinweisgeber hinsichtlich einer öffentlichen Aufklärung nicht mehr ein.740 d) Notstandsabwägung Dass im Rahmen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB an eine Notstandsabwägung zugunsten von Strafverfolgungsinteressen strengere Anforderungen gestellt werden als in den Wirtschaftsdelikten,741 verwundert nicht. Denn dort ist das Geheimnis als Eingriffsgut wegen des Bezugs zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) bzw. der besonderen Beziehung zwischen Geheimnisträger und Schweigepflichtigem nach abstrakter Betrachtung schutzwürdiger.742 Vergleichbar strengen Vorgaben sehen sich Whistleblower im Unternehmen nicht gegenüber, da es dort um vermögensbezogene Geschäftsgeheimnisse außerhalb gesetzlich besonders geschützter Vertrauensbeziehungen geht. Strafverfolgungsbelangen und dem präventiven Unterbinden von Gesetzesverstößen kann in diesem Kontext deshalb eher einmal der Vorrang zukommen.743 Auch scheitert der Notstand nicht bereits an der Unangemessenheit einer Notstandshandlungen aufgrund vorrangiger arbeitsrechtlicher Bestimmungen. Insoweit ist es unerheblich, dass „der Arbeitnehmer weder Sittenrichter noch Kontrollorgan gegenüber dem Arbeitgeber ist.“744 In Beispiel 24 geht es nicht um das Verhältnis von W zur Q-GmbH, sondern um die Tragweite von rechtswidrigem Verhalten in Unternehmen und die dadurch bedrohten Interessen. Ein grundsätzlicher Ausschluss der Möglichkeit zur Anzeige von Rechtsverstößen im Betrieb entmündigte den Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Stellung als Staatsbürger745 und begünstigte weiter ein bedenkliches Kontrolldefizit gegenüber dem Arbeitgeber. 740
Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 42, 52. Vgl. nur LK12-Schünemann, § 203 Rn. 141; S/S-Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 32. 742 Vgl. Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26; dazu auch Klein, RDG 2010, 172 ff. 743 I. E. ebenso Mayer, GRUR 2011, 884, 887; v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27. 744 Diese bedenklich pauschale Formulierung wählt Otto, wistra 1988, 125, 126; vgl. auch Többens, NStZ 2000, 505, 506. 745 Vgl. Rützel, GRUR 1995, 557, 560. 741
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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Hinzu kommt, dass nach den bereits dargestellten Grundsätzen zugunsten von W in Beispiel 24 der günstigere Abwägungsmaßstab des Defensivnotstands (§ 228 BGB) heranzuziehen ist.746 Denn die Produzenten in Zentralasien werden wettbewerbswidriges Verhalten der für die Q-GmbH tätigen Verkäufer dem Unternehmen als Ganzes zuschreiben. Soweit deren Vermögensinteressen als Individualbelange betroffen sind, liegt in der Sache gemäß den obigen Ausführungen ein rechtswidriger Angriff einer juristischen Person vor. Aufgrund der beschriebenen Unzulänglichkeiten des Notwehrrechts747 ist dieser Umstand de lege lata nur durch eine Modifizierung des Abwägungsmaßstabs im Notstand abzubilden. Im Beispiel richtet sich die Verteidigungshandlung des W nicht gegen einen unbeteiligten Dritten, sondern gegen die Q-GmbH, welcher die Notstandsgefahr zuzurechnen ist bzw. von der die Gefahr für die beschriebenen Erhaltungsbelange ausgeht.748 Für eine Rechtfertigung genügt es daher, wenn der durch die Geheimnisoffenbarung entstehende Schaden nicht „außer Verhältnis“ zu diesen Belangen steht.749 Mit Blick auf maßgebliche Gesichtspunkte für die Notstandsabwägung erscheint ferner denkbar, dem Unternehmensinteresse an Geheimhaltung einen geringeren Wert zuzusprechen, wenn rechtswidrige Umstände betroffen sind und im Einzelfall Straftäter gedeckt werden.750 Denn eine grundsätzliche Anerkennung von strafrechtlichem Schutz auch rechtswidriger Geheimnisse führt nicht dazu, dass die ganzheitlich angelegte Interessenabwägung diesen Umstand nicht zulasten des Eingriffsguts berücksichtigen könnte. Weiter lässt sich gegen eine Überbewertung des Stellenwerts von Wirtschaftsgeheimnissen die gesetzgeberische Wertung anführen, wonach den Trägern von Betriebsgeheimnissen in den §§ 52 ff., 76 StPO gerade kein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wurde.751 Als weitere Kriterien treten im Rahmen der Notstandsabwägung neben die Schwere der unternehmensbezogenen Straftat752 und die Dringlichkeit des Ver-
746
s. o.: 3. Teil A.IV.4.; so explizit auch Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330; grundlegend zur Modifizierung der Abwägungsformel Roxin, in: FS Jescheck, S. 457, 464 ff. 747 Ausführlich oben: 3. Teil A.III., IV.; vgl. zur Notwehrprüfung auch nochmals Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330. Zu beachten ist für Beispiel 24 ferner, dass der Wettbewerb als überindividuelles Erhaltungsinteresse nicht nothilfefähig wäre. 748 Vgl. insofern auch Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1113. 749 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331: „nicht wesentlich weniger wiegt als das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens“. 750 In diese Richtung Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 42; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 508; a.A. Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26. 751 Brammsen, in: MüKo UWG, § 17 Rn. 53; vgl. aber auch § 131 Abs. 3 AktG. 752 Ohly, in: P/O/S, UWG, § 17 Rn. 30; teilweise wird nur für Bagatelldelikte ein Ausschluss der Rechtfertigung angenommen: Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 24. Gerade bei präventiv orientiertem Whistleblowing kann auch ein Strafrahmenvergleich erste Anhaltspunkte für die abstrakte Wertigkeit der betroffenen Interessen liefern, vgl. Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111; Koch, ZIS 2008, 500, 503.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
dachts753 auch quantifizierbare Aspekte. So wird ein Hinweisgeber zurückhaltender reagieren müssen, wenn infolge der Offenbarung ein hoher (Reputations-)Schaden zu erwarten ist.754 In Beispiel 24 kommt es demnach darauf an, welches Ausmaß die Unregelmäßigkeiten inzwischen angenommen haben, welche Verstöße gegenüber den Zulieferern begangen worden sein könnten (bloß wirtschaftlicher Druck oder bereits Nötigung und Bestechung) und welcher Schaden für die Q-GmbH bei einer Veröffentlichung zu erwarten wäre. Schließlich erscheint bei schweren unternehmensbezogenen Straftaten nicht ausgeschlossen, dass auch bloß repressive Strafverfolgungsinteressen einmal im beschriebenen Sinne überwiegen.755 Eine Weitergabe an die Medien ist jedoch in keinem Fall zu rechtfertigen, da diese Form der Offenbarung schon nicht den Anforderungen des Erforderlichkeitsgrundsatzes genügt.756 e) Zwischenergebnis: Schutz eines Hinweisgebers durch Rechtfertigungsgründe Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Notstand de lege lata im Hinblick auf unternehmensbezogene Strafanzeigen einen Erlaubnissatz darstellt, welcher einen Whistleblower, der sich an externe Stellen richtet, entlasten kann.757 Je nach Lage der einzelnen Umstände kann W in Beispiel 24 durchaus gerechtfertigt handeln, wenn er sich an die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft oder eine sonstige externe Stelle wie einen Anwalt wendet. Solange eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem aktuellen Themenkreis noch aussteht, dürfte ein zur Aufklärung bereiter Unternehmensangehöriger im Hinblick auf die normativen Gesichtspunkte in der Notstandsabwägung jedoch gut beraten sein, das „Recht zur Anzeige“ nicht zu überdehnen.758
753
Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, § 85 Rn. 55. Zur quantifizierbaren Komponente in der Notstandsabwägung, s. o.: 3. Teil B.IV. Vgl. insofern auch EGMR NJW 2011, 3501, 3503. 755 Dannecker, in: Michalski, GmbHG, § 85 Rn. 76 („grds. eine Befugnis zur Strafanzeige“) m.w.N.; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111; a.A. Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 43 unter Bezugnahme auf Nachweise zu § 203 StGB. 756 v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 43; für den Maßstab des § 34 StGB auch Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331. 757 Vgl. auch Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 33 Rn. 52a; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330 f.; Koch, ZIS 2008, 500, 503; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111, wo für Korruptions- bzw. Steuerdelikte eine Rechtfertigung nach § 34 StGB angenommen wird. 758 Vgl. auch Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 4. Kap. Rn. 43, 52; Tiedemann, in: Scholz, GmbHG, § 85 Rn. 26. 754
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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2. Rechtfertigung eines Hinweisgebers bei Übermittlung von Steuerdaten an den deutschen Staat? Einen in hohem Maße öffentlichkeitswirksamen Anwendungsfall des externen Whistleblowing stellt auch die aufsehenerregende „Liechtensteiner Steueraffäre“ dar.759 Wenn der Angestellte einer ausländischen Bank deutschen Steuerbehörden oder dem Bundesnachrichtendienst gegen eine Vergütung Daten mutmaßlicher Steuerstraftäter anbietet, deckt auch er unternehmensintern bestehende Unregelmäßigkeiten auf – mögen diese Unregelmäßigkeiten nach lokal anwendbarem Recht im Zeitpunkt auch nicht rechtswidrig bzw. gesetzlich geschützt sein. Hier „bläst jemand in die Pfeife“ und enthüllt unternehmensinterne Vorgänge, die für das Wirtschaftsstrafrecht relevant sind. Auch für einen ausländischen Bankangestellten stellt sich in diesem Fall die Frage nach Strafbarkeit und Rechtfertigung gemäß deutschem Recht, wie sogleich zu zeigen sein wird. In Ansehung des Unrechtsausschlusses zugunsten eines solchen Hinweisgebers weist der Problemkreis in vielerlei Hinsicht Parallelen zu dem soeben Besprochenen auf. Dennoch ergeben sich einige Abweichungen und Besonderheiten, die über das Gesagte hinausgehen. Deswegen soll hier die Übermittlung von Informationen über das Vermögen deutscher „Steuerflüchtlinge“ aus dem Ausland heraus eigenständig untersucht werden. Um die strafrechtliche Verantwortlichkeit des V in Beispiel 25 richtig einordnen zu können, ist zunächst kurz zu skizzieren, welche Art von Sachverhalt Haftungsrisiken nach deutschem Strafrecht entstehen lässt [a)]. Anschließend kann das für die vorliegende Betrachtung maßgebliche Thema der Rechtfertigung eines solchen Whistleblowers untersucht werden [b)]. a) Haftungsrisiken für einen ausländischen Bankangestellten nach deutschem Strafrecht Den folgenden Überlegungen liegt der Sachverhalt der sog. „Liechtenstein Affäre“ zugrunde, der durch die Presse gegangen ist760 und auch in der juristischen Fachliteratur großen Widerhall gefunden hat.761 Der Fall soll aufgrund seiner Bedeutung eingangs noch einmal in Grundzügen wiedergegeben werden, auch wenn Beispiel 25 ihm bereits nachgebildet ist: Ein ausländischer Staatsbürger ist bei einer Bank mit Sitz außerhalb Deutschlands angestellt. Ihm ist es gelungen, heimlich Daten zu kopieren, die Informationen über Steuerverkürzungen der Bankkunden enthalten. Diese Daten bietet er verschiedenen deutschen Behörden zum Kauf an und 759 Für die Einordnung der Liechtensteiner Steueraffäre als Fall des externen Whistleblowing auch Koch, ZIS 2008, 500, 502. Vgl. ferner Schünemann, NStZ 2008, 305, 308; Sieber, NJW 2008, 881, 884. 760 Vgl. etwa Der Spiegel Nr. 9/2008, S. 30 ff. 761 Zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Affäre Schünemann, NStZ 2008, 305 ff.; Trüg/ Habetha, NJW 2008, 887 ff.; Kölbel, NStZ 2008, 241 ff.; Stahl/Demuth, DStR 2008, 600 ff.; Sieber, NJW 2008, 881 ff.; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390 ff.; Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103 ff.
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fordert als Gegenleistung einen Kaufpreis in Millionenhöhe. Der Bankangestellte lässt zuständige Finanzverwaltungen dabei zunächst durch Stichproben sicherstellen, dass die Daten dem Fiskus zu Steuernachzahlungen bedeutsamen Ausmaßes verhelfen werden. Später kommt es zum Kauf der Daten-DVDs und zu Steuerstrafverfahren, die man mithilfe der neu gewonnenen Beweismittel einleitet. Die nachstehenden Ausführungen untersuchen die Strafbarkeit des Angestellten nach deutschem Recht, die gleichzeitig Vorfrage für ein Verwertungsverbot der Steuerdaten in einem Verfahren gegen betroffene Steuerflüchtlinge ist.762 Ohne hier auf Einzelheiten der Tatbestandsvoraussetzungen eingehen zu können, steht eine Strafbarkeit des Angestellten wegen Geheimnishehlerei nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG schon dann im Raum, wenn es zu einer bloßen Geschäftsanbahnung kommt.763 Insofern findet insbesondere auch das deutsche Strafrecht nach den §§ 3, 9 Abs. 1, 3. Var. StGB Anwendung, weil der Erfolg bereits mit Nutzung der „Probedaten“, spätestens aber mit der Abwicklung des Kaufs eingetreten ist.764 Schließlich entfällt nach h.M. der Geheimnischarakter der Steuerdaten als geschützte Geschäftsinterna der Bank auch nicht dadurch, dass Kunden rechtswidrig erzielte Einkünfte gegenüber dem deutschen Fiskus verschweigen.765 Wegen des starken Bezugs eines Geheimnisses nach §§ 17 UWG, 85 GmbHG, 404 AktG zu wirtschaftlichem Wert,766 welcher rechtstatsächlich auch unter Überschreitung der Grenzen der Rechtsordnung generiert werden kann, wird diese Auffassung hier geteilt, wonach rechtswidrige Geheimnisse dem Schutz der einschlägigen Vorschriften unterfallen. Ferner erscheint nicht ausgemacht, dass sich die Rechtswidrigkeit des Geheimnisses, die hier zumindest dann Auswirkungen auf die Strafbarkeit von V in Beispiel 25 hat, wenn man mit der Minderheitenansicht rechtswidrige Geheimnisse aus dem Schutzbereich des § 17 UWG ausklammern wollte, ausschließlich nach deutschen Maßstäben beurteilt.767 Nur angedeutet werden kann hier, dass in einem ähnlich gelagerten Themenkreis der Untreue, in dem es um die Anwendbarkeit ausländischen Gesellschaftsrechts zur Ausfüllung der Pflichtwidrigkeit
762
Vgl. BVerfG NJW 2011, 2417 ff. Vgl. nur Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 391; Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 449; Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 105 m.w.N. 764 Schünemann, NStZ 2008, 305, 307 f.; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392 f.; wohl abweichend Fahl, ZJS 2009, 63, 67. 765 Vgl. zum tatbestandlichen Schutz „rechtswidriger Geheimnisse“ bereits die Nachweise in Fn. 716; für die hier betroffene Situation außerdem Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 450; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 391; Koch, ZIS 2008, 500, 503 m.w.N.; a.A. Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331 ff. 766 s. o.: 3. Teil B.IV.2.a); Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 9. 767 So aber mit viel Pathos Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1104 f. („Insofern wird man mit Fug und Recht sagen können, dass ein ausländisches „Bankgeheimnis“, mit dessen Hilfe aus der Steuerhinterziehung in unserem Land Kapital geschlagen wird, aus der Perspektive der deutschen Rechtsordnung ein illegales Geheimnis darstellt“); vgl. zur Rechtslage in Liechtenstein Schünemann, NStZ 2008, 305, 308. 763
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geht, jedenfalls ein großes Problembewusstsein besteht.768 Der Straftatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist infolge des Datenverkaufs zulasten des Bankangestellten demnach erfüllt, wenn in subjektiver Hinsicht aus Eigennutz gehandelt wird.769 Nach alledem hat V in Beispiel 25 also durchaus mit Strafverfolgung in Deutschland zu rechnen, obgleich das Verhalten von Vertretern des deutschen Staates die strafbare Handlung überhaupt erst ermöglicht hat. b) Rechtfertigung zugunsten des Hinweisgebers? Vor diesem Hintergrund kommt es in Anbetracht des durch den Bankangestellten erfüllten Straftatbestands des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG entscheidend darauf an, ob ihm ein Erlaubnistatbestand zur Seite steht.770 Insoweit wird man zunächst auch hier keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund aus einer besonderen Befugnis des Bankangestellten zur Strafanzeige oder der allgemeinen Pflicht zur Zeugenaussage ableiten können.771 Wie bereits gesehen,772 hält die allgemeine Strafrechtsdogmatik bei Vorliegen gegenläufiger Interessen besondere Kollisionsregeln bereit, welche tatbestandlich geschützten Interessen zu den Vorgaben der Gesamtrechtsordnung in Beziehung setzen. Demnach sind einschlägige Aspekte auch hier im Rahmen des rechtfertigenden Notstands zu berücksichtigen.773 Notstandserwägungen finden sich zwar in nahezu allen einschlägigen Stellungnahmen zu dem Fragenkreis.774 Eine Rechtfertigung zugunsten des ausländischen Bankangestellten scheidet dabei jedoch nach ganz überwiegender Ansicht aus.775 In dieser Diskussion gehen die maßgeblichen Gesichtspunkte sowie die Vorgaben des § 34 StGB als Rechtfertigungsregel häufig durcheinander. Deswegen soll nachfolgend anhand der einzelnen Merkmale 768
Statt Vieler Rönnau, ZGR 2005, 832, 853 ff.; Fischer, § 266 Rn. 101; S/S-Perron, § 266 Rn. 21e m.w.N. 769 Lackner/Kühl, § 34 Rn. 14 a.E.; Sieber, NJW 2008, 881 f.; Trüg/Habetha, NJW 2008, 887, 889; Schünemann, NStZ 2008, 305, 308; zum Merkmal des Eigennutzes statt Vieler Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 61 m.w.N. 770 Die Frage hat auch Eingang in die jüngere Kommentarliteratur zu § 34 StGB gefunden, ohne dadurch einer Klärung wirklich näher gekommen zu sein, vgl. Lackner/Kühl, § 34 Rn. 14; S/S-Perron, § 34 Rn. 7; Momsen, in: Beck OK, § 34 Rn. 23. 771 Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392 prüfen diese Erwägungen wenig überzeugend jeweils wie Rechtfertigungsgründe sui generis; auch Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 451 f. geht in bewusster Abgrenzung zu § 34 StGB von einer rechtfertigenden Wirkung des § 158 StPO aus. 772 s. o.: 2. Teil B.II.2. 773 Ersichtlich scheidet auch eine Nothilfe (§ 32 StGB) zugunsten des Staates schon an der mangelnden Notwehrfähigkeit überindividueller Rechtsgüter. 774 Sieber, NJW 2008, 881, 884; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392; Fahl, ZJS 2009, 63, 66 (in Bezug auf § 259 StGB); Satzger, in: FS Achenbach, S. 447, 452; Schünemann, NStZ 2008, 305, 308; i.E. auch Kelnhofer/Krug, StV 2008, 660, 664 und LG Bochum HRRS 2009, Nr. 1111 Rn. 40. 775 Davon abweichend ist in manchen Stellungnahmen ein Trend zur Annahme eines Unrechtsausschlusses auszumachen: Ostendorf, ZIS 2010, 301, 304; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111 f.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
des rechtfertigenden Notstands systematisch dargestellt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Unrechtsausschluss zugunsten von V in Beispiel 25 in Betracht kommen kann. aa) Fehlende Angemessenheit der Notstandshandlung? In zahlreichen Stellungnahmen wird ein umfassender Ausschluss von Notstandserwägungen zugunsten des ausländischen Übermittlers der Steuerdaten mangels Angemessenheit einer solchen Rechtfertigungshandlung befürwortet.776 Insofern wurde bereits festgestellt, dass § 34 S. 2 StGB den Notstand unabhängig vom Ergebnis einer Interessenabwägung ausschließt, wenn durch Selbsthilferechte ein abschließend geregeltes staatliches Verfahren umgangen würde.777 Auf Seiten des die Daten anbietenden Bankangestellten778 wird man bei Zugrundelegung dieses Verständnisses der Angemessenheitsklausel einen generellen Ausschluss nicht annehmen können. Schon die Erwägungen zum sog. „Geldnotstand“779 haben gezeigt, dass die Angemessenheit quantitativen Erwägungen im Rahmen der §§ 34 StGB, 16 OWiG nicht prinzipiell entgegensteht.780 Im Umkehrschluss heißt dies freilich nicht, dass ausschließlich geldwerte Vermögensinteressen für die Abwägung maßgeblich wären. Allein aber der Umstand, dass auch quantitativ zu erfassende Belange betroffen sind, führt noch nicht zu einem Ausschluss der Notstandsbestimmung. Ebenso wenig stehen Steuererhebungs- oder gar Steuerstrafverfahren als abschließende Sonderregeln des Staates einer von § 34 StGB geforderten Interessenabwägung im Wege.781 Denn Voraussetzung für die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens ist ja gerade Kenntnis der zuständigen Behörde von den steuererheblichen Tatsachen. Solange es an dieser Kenntnis fehlt, kommt ein – wie auch immer geartetes – vorrangiges Verfahren, welches einen Rückgriff auf den Erlaubnissatz sperren könnte, nicht in Betracht. V sorgt als Informant in Beispiel 25 vielmehr gerade erst dafür, dass die Steuerbehörden über die für die Besteuerung relevanten 776
Die Einordnung in die Notstandsdogmatik steht in den meisten Ausführungen freilich nicht im Vordergrund: Fahl, ZJS 2009, 63, 66; Sieber, NJW 2008, 881, 884 („§ 34 StGB verleiht kein allgemeines Unrechtsverhinderungsrecht“); Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 288; vgl. für die Ankäufer auch Schünemann, NStZ 2008, 305, 308. 777 s. o.: 3. Teil B.II.2.c). 778 Die Frage nach der Strafbarkeit von zuständigen Mitarbeitern der Finanzverwaltung wird mangels unmittelbaren Bezugs zum Whistleblowing bewusst ausgeklammert. Im Hinblick auf deren Beihilfestrafbarkeit kommt ein Ausschluss der Angemessenheit unter dem Gesichtspunkt des vorrangig einzuhaltenden Verwaltungsverfahrens in Betracht, vgl. dazu Wessels/Beulke, AT, 41. Aufl., Rn. 318a. 779 s. o.: 3. Teil B.IV.1.a)aa). 780 A.A. wohl Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392, wonach die Angemessenheitsklausel „utilitaristischem Zweckdenken“ entgegenwirken soll. 781 Insoweit wohl abweichend Sieber, NJW 2008, 881, 884, der das „geordnete Verfahren“, auf das er abstellt, freilich nicht näher benennt.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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Vorgänge ins Bild gesetzt werden. Das Steuererhebungsverfahren schließt deshalb nicht als vorrangige gesetzliche Regelung eine angemessene Notstandshandlung aus. Auch wird durch ein Heranziehen von § 34 StGB kein allgemeines „Unrechtsverhinderungsrecht“ des Angestellten geschaffen,782 da das Herstellen rechtmäßiger Zustände den staatlichen Organen obliegt und durch einen einschlägigen Hinweis auch nicht unterlaufen wird. Betroffen ist hier allein die „Initialzündung“, d. h. die Frage, ob ein Bürger den Staat in die Lage versetzen darf, Unrecht zu verhindern oder zu verfolgen. Eine entsprechende Berechtigung wird man nicht aufgrund pauschaler Erwägungen verneinen können. Die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB schließt den rechtfertigenden Notstand zugunsten des Angestellten daher nicht aus.783 Zugunsten von V scheidet in Beispiel 25 deswegen eine Berufung auf den rechtfertigenden Notstand nicht von vornherein aus. bb) Voraussetzungen und Grenzen eines „Rechts zur Offenbarung“ Im Hinblick auf die Erhaltungsgüter sind Strafverfolgungsinteresse und Steueraufkommen auch dann notstandsfähig, wenn man sie als Rechtsgüter des Staates einordnet („Staatsnotstandshilfe“).784 Zudem besteht für diese Belange aufgrund der bislang erfolgreichen Verschleierung vor dem deutschen Fiskus eine noch immer gegenwärtige Dauergefahr.785 Die Verteidigungshandlung des Informanten wird auch regelmäßig erforderlich sein. Denn anders als in der von V in Beispiel 25 ausgeführten Art und Weise wird der deutsche Staat kaum mehr an die einschlägigen Daten gelangen.786 Insbesondere wird die Erforderlichkeit auch nicht durch die von V geforderte Gegenleistung ausgeschlossen. Dass der wirtschaftliche Zweck des Geschäfts dem V im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung nicht zum Nachteil gereichen kann, ist dem Umstand geschuldet, dass außertatbestandliche Auswirkungen der Notstandshandlung für die Suche nach dem relativ mildesten Mittel unerheblich sind: Zum einen wäre nämlich ohne das Fordern eines Kaufpreises der objektive Tatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG durch das Angebot des L gleichermaßen verwirklicht worden („zugunsten eines Dritten jemandem mitteilen“).787 Die be782 Vgl. dazu Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111; Sieber, NJW 2008, 881, 884; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 59. 783 Zu einem abweichenden Ergebnis kann man unter Beachtung der Notstandsdogmatik hier nur kommen, wenn man das – sogleich näher zu besprechende – Bankgeheimnis als ein den Wesensgehalt bestimmenden Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) ansehen würde. Dies ist m. E. schon aufgrund des Vermögensbezugs dieses Geheimnisses indes kaum vertretbar, vgl. aber Fahl, ZJS 2009, 63, 66. 784 Dazu: 3. Teil B.II.1.a), 2.a). 785 Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1112 („permanente rechtswidrige Schädigung des Fiskus“). 786 Ähnlich Fahl, ZJS 2009, 63, 66. 787 Vgl. zur Motivation des Täters Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 63, 90, 107; Harte-Bavendamm, in: Harte/Henning, UWG, § 17 Rn. 10 f.; 35.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
troffenen Schutzgüter der Vorschrift, d. h. das Geschäftsgeheimnis als individuelles Rechtsgut der Bank bzw. der Wettbewerb,788 wären demnach in jedem Fall betroffen. Zum anderen spricht gegen eine Berücksichtigung staatlicher Vermögensinteressen im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung weiter, dass insoweit von den zuständigen Entscheidungsträgern des Bundesnachrichtendienstes eine Einwilligung in die Zahlung eines Kaufpreises und damit in die Verletzung staatlicher Vermögensinteressen vorliegt.789 Diese Erwägung griffe nur dann nicht durch, wenn die geäußerte Zustimmung zur Zahlung einer Vergütung mit einem Willensmakel behaftet wäre. Jedoch dürfte hier im Ergebnis keine mit Drohung oder Täuschung vergleichbare Situation vorliegen.790 Schließlich erhofft sich der Fiskus in Beispiel 25 durch den Erwerb ein „gutes Geschäft“ zu machen. Nach alledem streiten die stärkeren Argumente dafür, ein Übermitteln der Daten durch V unter Verzicht auf eine Gegenleistung nicht als milderes Mittel im Hinblick auf das Eingriffsgut des § 17 UWG zu werten.791 Diese Erwägungen machen deutlich, weswegen sich ein großer Teil der Diskussion um die Rechtfertigung eines Informanten in der Notstandsabwägung abspielt. Zunächst gilt auch hier der Maßstab, dass die Erhaltungsgüter des vollständigen Steueraufkommens bzw. der steuerstrafrechtlichen Verfolgung die Belange des Geheimnisschutzes nach den Grundsätzen des Aggressivnotstands wesentlich überwiegen müssen.792 Die Untersuchung zu externem Whistleblowing in Unternehmen hat gezeigt, dass grundsätzlich eine Rechtfertigung außerhalb von stark personalisiertem Geheimnisschutz denkbar erscheint.793 Der mildere Maßstab des Defensivnotstands scheidet hier im Unterschied zu dem vorstehend Gesagten aus, da der L in Beispiel 25 die Notstandsgefahr für deutsche Fiskalinteressen nicht ohne
788 Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Nebengesetze, § 17 UWG Rn. 2; Otto, wistra 1988, 125, 126; vgl. auch BGHSt 13, 333, 335. 789 Vgl. zur Auswirkung einer Einwilligung auf die Bestimmung des „relativ mildesten Mittels S/S-Perron, § 34 Rn. 20; Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 97. 790 Zu Willensmängeln in der Einwilligung statt Aller Rönnau, Willensmängel, S. 180 ff., 201 ff., 228 ff. und passim. 791 Vgl. o.: 4. Teil B.II.2.a), ferner LK12-Zieschang, § 34 Rn. 52. Wer freilich die Erforderlichkeitsprüfung enger verstanden wissen und auch mittelbare Folgen der Verteidigungshandlung einbeziehen will, kann hier zu einem anderen Schluss kommen. M. E. ist es deswegen durchaus nicht abwegig, aufgrund der erstrebten Bereicherung die Erforderlichkeit der Notstandshandlung entfallen zu lassen. Dogmatisch wäre die verwerfliche Motivation des Verkäufers hier wohl besser eingeordnet als in den sogleich zu behandelnden subjektiven Anforderungen. 792 Siehe nur Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392. 793 A.A. Sieber, NJW 2008, 881, 884 (grds. keine Rechtfertigung einer Verletzung der Schweigepflicht). Andererseits ist es wohl genauso unrichtig, wenn Ostendorf, ZIS 2010, 301, 304 meint, nur Geheimnisträger i.S.v. § 203 StGB müssten eine Notstandsabwägung treffen, für andere Staatsbürger habe das Recht zur Strafanzeige generellen Vorrang.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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weiteres zuzurechnen ist. Dies gilt jedenfalls, wenn man rechtmäßiges Handeln nach den für sie maßgeblichen Gesetzen in Liechtenstein unterstellt.794 Für den Fall des Verkaufs von Steuerdaten bietet sich sodann an, die bereits ausführlich behandelten Maßstäbe des Geldnotstandes zum Ausgangspunkt zu machen und den Wert des Geheimnisses795 für alle betroffenen Steuerschuldner den zu erwartenden Steuermehreinnahmen gegenüberzustellen. Insofern ist jedoch zweifelhaft, ob ein windfall profit des Staates, der durch zusätzlich zu erwartende Selbstanzeigen entsteht,796 ohne weiteres unmittelbar auf die Veräußerung der Daten durch V in Beispiel 25 zurückgeht. Der Wert des durch § 17 UWG geschützten Geheimnisses der Bank L als Eingriffsgut und quantitativ erfassbare Vermögensinteressen des Staates auf Erhaltungsseite, d. h. Steuermehreinnahmen durch zu erwartende zusätzliche Selbstanzeigen, weisen die oben geforderte797 Beziehung der Konnexität nicht auf. Ein Näheverhältnis wird nicht schon dadurch begründet, dass „auf beiden Seiten“ der Notstandsabwägung Vermögen betroffen ist, welches auf vergleichbare Art und Weise am Fiskus vorbei ins Ausland verbracht wurde: Die Autonomie bzw. § 34 StGB immanente Beanspruchung von Mindestsolidarität der L als Trägerin des Eingriffsguts würde überstrapaziert, wenn man zu ihren Lasten berücksichtigen wollte, dass auf Erhaltungsseite Mehreinnahmen des deutschen Fiskus zu erwarten sind, die nicht einmal auf die ihr entwendeten Daten zurückgehen. Die Anforderung eines „wesentlichen Überwiegens“ der staatlichen Interessen dürfte nach quantitativer Sichtweise damit in Beispiel 25 nicht erfüllt sein: Dem V, der Notstandshilfe zugunsten fiskalischer Interessen hinsichtlich der auf der DatenCD zu findenden Steuerschuldverhältnisse übt, kann demnach nicht zugutekommen, dass – aus seiner Sicht – unbeteiligte Dritte, deren Daten auf der Informationsquelle nicht enthalten sind, ihre Steuerschuld erfüllen. Diese bloß tatsächliche Auswirkung löste die Erhaltungsinteressen von der konkreten Notstandssituation und bewertete bloß mittelbar betroffene Belange. Die Notstandshandlung findet jedoch ihren Bezugspunkt in der konkreten Rechtfertigungslage und kann keine – rechtspolitisch vorgeprägte – „Globalabwägung“ aus der Perspektive des deutschen Fiskus sein.798 Einem Überwiegen im Sinne der Interessenabwägung steht noch ein weiterer Gesichtspunkt entgegen, der für das „gewöhnliche“ Whistleblowing in Unternehmen nicht in gleichem Maße Geltung beanspruchen kann. Denn das Verhältnis zwischen Bankkunden und Bank unterliegt besonderem Schutz, was im deutschen Recht unter 794
Vgl. auch Beck, ZStW 124 (2012), 660, 677, die eine Legalität staatlichen Unrechts in einem ausländischen Staat auf anderem Wege zugunsten des Täters berücksichtigen will; a.A. Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1113. 795 Zu den nachfolgenden Erwägungen bereits oben: 3. Teil B.IV.2. 796 Auf diesen Aspekt weisen Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392 hin. 797 s. o.: 3. Teil B.IV.1.b)aa). 798 Vgl. aber einerseits Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1113 („kriminelle Schädigung des deutschen Fiskus“; Bank in „völliger Abhängigkeit gegenüber Steuerhinterziehern“); andererseits Spernath, NStZ 2010, 307, 308: Steuernachzahlungen entsprächen „0,02 % des jährlichen Bundes- (nicht: Gesamt-)haushalts!“.
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4. Teil: Weitere Fragestellungen des Wirtschaftsstrafrechts
dem schillernden Begriff des Bankgeheimnisses799 seinen Ausdruck gefunden hat. Hielte man trotz dieses Umstandes an einer ausschließlich quantitativen Betrachtung fest, so geriete die besondere Vertrauensbeziehung zwischen Kunde und Bank unter Druck.800 Eine Rechtfertigung der Offenbarung von Bankdaten wäre dann immer schon möglich, wenn die Vermögensinteressen auf Erhaltungsseite hoch genug anzusetzen sind.801 Dabei ist das Bankgeheimnis in seiner Bedeutung nicht auf den Wert der Konto- oder Einlagenforderung eines Kunden begrenzt. Vielmehr erstreckt es sich auf sämtliche persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden als Herr des Geheimnisses.802 Dass diesem Geheimnis ein gewisses Gewicht zukommen muss, lässt sich auch der Wertung der §§ 55a f. KWG entnehmen, wonach die Offenbarung qualifizierter bankbezogener Informationen auch ohne die zusätzlichen Anforderungen der Geheimnisschutzdelikte unter Strafe gestellt ist. Schließlich dürften einem „Recht zur Offenbarung von Bankdaten“ vor dem Hintergrund der Art. 12, 14 GG verfassungsrechtlich Grenzen gesetzt sein, zumal diese gerade gegenüber staatlichen Stellen erfolgt und so der Abwehrcharakter der Grundrechte zum Tragen kommt.803 Die besondere Bedeutung des Bankgeheimnisses muss deshalb in der Interessenabwägung einem wesentlichen Überwiegen von fiskalischen bzw. von Strafverfolgungsinteressen entgegenstehen. Nur wer bereit ist, dieses Vertrauensverhältnis erheblich zu relativieren und zusätzlich bei quantitativer Betrachtung sehr großzügig zu verfahren, kann hier zu einem Unrechtsausschluss gelangen. Obwohl in Übereinstimmung mit der h.A. deshalb feststeht, dass für V in Beispiel 25 eine Rechtfertigung aufgrund von § 34 StGB ausscheidet, soll ein weiterer kritischer Punkt des rechtfertigenden Notstands in diesem Zusammenhang noch kurz beleuchtet werden. cc) Anforderungen an das subjektive Rechtfertigungselement Ferner wird der Versuch unternommen, die Rechtfertigung eines ausländischen Bankangestellten an dessen verwerflicher Motivation scheitern zu lassen.804 In Beispiel 25 strebt V in erster Linie nach eigener Bereicherung, ohne dabei not799 Vgl. Nr. 2 Abs. 1 Banken-AGB; ausführlich zu Grundlage und Tragweite Grundmann, in: E/B/J/S, HGB, BankR I Rn. 155 ff.; vgl. für das Strafrecht Tiedemann, NJW 2003, 2213, 2214 f. („um den Strafschutz kredit- und kundenbezogener Daten im deutschen Wirtschaftsstrafrecht [ist es] schlecht bestellt“). 800 Vgl. im Zusammenhang mit §§ 55a f. KWG, 187, 3. Var. StGB auch Jannsen, in: MüKo, § 55a KWG Rn. 11; Regge/Pegel, in: MüKo, § 187 Rn. 20 f. 801 Wie hier Janssen/Maluga, in: MüKo, § 17 UWG Rn. 63; vgl. auch Fahl, ZJS 2009, 63, 66: „das wäre wohl das Ende des Bankgeheimnisses“; dieses betonend auch Sieber, NJW 2008, 881, 884. 802 Vgl. Bunte, AGB-Banken, Nr. 2 Rn. 79 f.; ferner BGHZ 166, 84, 86 und passim. 803 Vgl. insofern auch BVerfG MMR 2006, 375, 376; ferner Kaiser, NStZ 2011, 383, 385 f.: „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. 804 Sieber, NJW 2008, 881, 884; Fahl, ZJS 2009, 63, 66; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392.
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wendigerweise auch die Steueransprüche des deutschen Fiskus im Blick zu haben. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1979 für das subjektive Moment im Notstand Anforderungen aufgestellt, welche auf die Notwendigkeit eines zielgerichteten Rettungswillens hindeuten.805 Gleichwohl liefe ein solches Erfordernis auf das merkwürdige Ergebnis hinaus, dass der Notstandstäter das für richtig Erkannte nicht umsetzen dürfte, wenn er dabei auch tadelnswerte Motive verfolgt. Allein die verwerfliche Motivation eines Notstandstäters wirkte sich damit strafbegründend aus. Ein solches Verständnis der subjektiven Voraussetzungen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es in erster Linie die verwerfliche Gesinnung des Notstandstäters unter Strafe stellen will.806 Diese Sichtweise ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht haltbar, wenngleich sich das Problem hier auf Ebene der Rechtswidrigkeit anstatt im Rahmen des gesetzlichen Tatbestands stellt. Auch spricht sich heute die ganz h.L. dafür aus, dass nicht notstandsbezogene Motive eines Notstandstäters die Rechtfertigung nicht ausschließen.807 In diesem Zusammenhang wird weiter vorgetragen, dass bereits der gesetzliche Tatbestand des § 17 UWG („aus Eigennutz“) eben jenes Gesinnungsunrecht bereits vollständig abbilde,808 was weiter gegen eine zusätzliche Berücksichtigung zulasten des Täters auf Rechtfertigungsebene spricht. Die verwerfliche, nach wirtschaftlichen Vorteilen trachtende Motivation des V in Beispiel 25 stünde mithin einer Rechtfertigung unter Notstandsgesichtspunkten nicht im Wege. c) Zwischenergebnis Ein ausländischer Bankangestellter, der den deutschen Steuerbehörden als Hinweisgeber einschlägige Daten anbietet, macht sich wegen Geheimnisverrats nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG strafbar. Ein Rechtfertigungsgrund kann ihm im Gegensatz zu einem „gewöhnlichen“ Whistleblower in einem Unternehmen nicht zur Seite stehen. Zwar ist eine Berufung auf den rechtfertigenden Notstand nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Angemessenheitsklausel einen Rückgriff auf Notstandsgesichtspunkte in Situationen dieser Art generell verbieten würde. Auch steht nach hier vertretener Ansicht die verwerfliche Motivation des Informanten einem Unrechtsausschluss grundsätzlich nicht im Wege. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass der ausländischen Bank eine Notstandslage für den deutschen Fiskus insofern nicht zugerechnet werden kann, als und soweit sie sich an die für sie geltenden Gesetze hält. Im Unterschied zu Fällen des „gewöhnlichen“ Whistleblowing in Unternehmen kommt es hier daher nicht zu einer „Um805
BGH NJW 1979, 2621, 2622. Erb, in: MüKo, § 34 Rn. 201; ders., in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1114 f.; NK-Neumann, § 34 Rn. 108; Roxin, AT I, § 16 Rn. 105; Kühl, AT, § 8 Rn. 184. 807 Fischer, § 34 Rn. 27; S/S-Perron, § 34 Rn. 48; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 5; NK-Neumann, § 34 Rn. 106 ff.; vgl. ferner OLG Karlsruhe JZ 1984, 240, 241. 808 Vgl. Kaiser, NStZ 2011, 383, 388. 806
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kehrung“ des Abwägungsmaßstabs. Im Rahmen der notstandstypischen Interessenabwägung streiten dann die Bedeutung des Bankgeheimnisses sowie eine quantitative Betrachtung von Vermögenswerten gegen ein „wesentliches Überwiegen“. Wenn V in Beispiel 25 Daten betroffener Kunden verkauft, missbraucht er deren Vertrauen in die Sicherheit von Informationen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Darüber hinaus können solche Steuereinnahmen, die durch künftige Selbstanzeigen bei entsprechender Berichterstattung in den Medien zu erwarten sind, nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. V handelt aus diesen Gründen rechtswidrig.
III. Ergebnis: Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit Compliance und Whistleblowing Untersucht man die wirtschaftsstrafrechtlich hochaktuellen Felder der unternehmerischen Compliance bzw. des Whistleblowing auf die Bedeutung von Rechtfertigungsgründen, so stößt man auf eine Reihe bedeutsamer Fragestellungen. In einem unternehmerischen Compliance-System halten Erlaubnissätze schon die dogmatische Grundlage dafür bereit, dass ein Compliance-Beauftragter in besonders gelagerten Situationen den Weg über die Unternehmensleitung nicht zu wählen braucht. Stattdessen ist er aufgrund eines auf den rechtfertigenden Notstand zurückzuführenden „Eskalationsrechts“ berechtigt, andere Organe des Unternehmens in die Aufklärung einzubinden. Zweifelhaft ist hingegen, ob dies dazu führt, dass C in Beispiel 23 zu einer solchen Abweichung von den regulären innerbetrieblichen Berichtspflichten auch unter Strafandrohung angehalten ist. Weiter unterfällt der Notstandsbestimmung zum Teil auch der Pflichtenkonflikt zwischen strafbewehrter Aufklärungspflicht des Compliance Officers und datenschutzrechtlichen Vorgaben. Insbesondere schließen die Bestimmungen des nach h.L. einschlägigen TKG einen Rückgriff auf allgemeine Erlaubnissätze nicht aus, wenn der Arbeitgeber „Diensteanbieter“ ist, weil die private Nutzung von E-Mails gestattet wird. Die Interessenabwägung ermöglicht hier einen Ausgleich zwischen dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses, das die Kommunikation von Mitarbeitern schützt, und der Garantenpflicht zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten. Auch für das verwandte Thema des Whistleblowing in Unternehmen, ist § 34 StGB von besonderer Bedeutung. Denn dort bestimmt die Gewichtung der Erhaltungsinteressen maßgeblich, ob und inwieweit ein Arbeitnehmer (Straf-)Anzeige gegenüber einer externen Stelle erstatten darf, wenn Unternehmensgeheimnisse berührt sind. Ein solches Recht ist einem Arbeitnehmer wie W in Beispiel 24 im Ausgangspunkt zuzugestehen. Gleichwohl wird er sich regelmäßig zunächst unternehmensintern um Abhilfe bemühen müssen (Grundsatz der Erforderlichkeit). Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang auch der präventiven Wirkung einer Anzeige zu, die zur Verhinderung zukünftiger Regelverstöße beitragen kann.
F. Rechtfertigungsgründe im Umfeld unternehmerischer Compliance
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Demgegenüber können ausländische Bankangestellte, die dem deutschen Fiskus aus einer Bank entwendete Informationen über deutsche „Steuersünder“ anbieten, sich nach deutschem Strafrecht kaum je auf den rechtfertigenden Notstand berufen. Einem wesentlichen Überwiegen von fiskalischen Interessen des Staates stehen hier Erwägungen zu quantitativen Interessen sowie die Bedeutung des Bankgeheimnisses entgegen.
5. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse und Konklusion Im letzten Teil der Arbeit sollen die im Einzelnen gefundenen Ergebnisse noch einmal kurz zusammengetragen werden [A.]. Ein knappes Resümee schließt die Untersuchung ab [B.].
A. Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse zum Einsatz von Erlaubnissätzen im Wirtschaftsstrafrecht I. Zur Notwehr Nach den Überlegungen zur Notwehr im Wirtschaftsstrafrecht können zwei wesentliche Ergebnisse festgehalten werden: Zum einen sind Unternehmen nicht in dem Sinne notwehrfähig, dass auf ihre Rechtsgüter zur Verteidigung eines Angriffs je zurückgegriffen werden könnte. Ein rechtswidriger Angriff nach §§ 32 StGB, 15 OWiG kann von einer juristischen Person nicht ausgehen. Zwar liegt dies nicht bereits an deren strafrechtlicher Handlungsunfähigkeit. Diese schließt die Angreifereigenschaft (auch) eines Unternehmens neben dem angreifenden Organ nicht prinzipiell aus. Gleichwohl kann das von den scharfen Notwehrbefugnissen ausgehende generalpräventive Moment einen Verband als Personenmehrheit nicht in gleicher Weise erreichen wie eine natürliche Person. Aus diesem Grund muss eine Pflicht der juristischen Person zur Hinnahme von unverhältnismäßigen Verteidigungshandlungen ausscheiden. Kaum aufgearbeitet wurde bisher die Bedeutung der Rechtsfigur in Verteidigungssituationen zwischen Unternehmen. Wenn eine Gesellschaft als Rechtsträgerin eines Unternehmens Sanktionen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts unterworfen wird, kann sich ein Bedürfnis nach einem Selbsthilferecht gegenüber einer anderen juristischen Person ergeben. Fälle zum Abwehrboykott haben dies für das wettbewerbliche Ahndungsrecht bereits gezeigt. In diesem Kontext des Wettbewerbsrechts wurde deliktssystematisch die an sich einschlägige Rechtfertigungsdogmatik lange durch allgemeine Billigkeitsabwägungen ersetzt. Die Erwägungen zu den Ordnungswidrigkeiten im GWB haben jedoch gezeigt, dass Unrechtsausschlusstatbestände hier zu berücksichtigen sind. Geht es um die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit eines Organs als natürliche Person, ist de lege lata noch auf den
A. Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse
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rechtfertigenden Notstand zurückzugreifen. Denn in dieser Situation eines faktisch „angreifenden“ Unternehmens bedürfte es de lege ferenda wohl eines Notwehrrechts, das auch korporativ betätigt werden kann. Diese „blinde Seite“ der Notwehr hat zu einer Anpassung ihrer Grundsätze über den sog. Abwehreinwand geführt, welcher Selbsthilfe zwischen Unternehmen im Wettbewerbs- und Lauterkeitsrecht ermöglichen soll. Einschlägige Bestrebungen zeugen von der Notwendigkeit eines erweiterten Angriffsbegriffs, was durch einen Blick ins europäische Kartellsanktionsrecht bestätigt wird. Strafrechtsdogmatisch können die zu den §§ 32 StGB, 15 OWiG entwickelten Grundsätze als Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Weiterentwicklung dienen, ohne dass dabei eine grundsätzliche Abkehr von der Notwehrdogmatik nötig würde. Jedenfalls mit Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit dürfte eine solche Fortbildung des Abwehrbegriffs wohl unausweichlich werden.
II. Zum rechtfertigenden Notstand In Fällen mit Bezug zum Wirtschaftsleben bleibt ein Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand im Ausgangspunkt möglich. Einschränkungen ergeben sich jedoch, soweit ein vorgelagertes behördliches Verfahren die über die Notstandsbestimmung zu lösende Interessenkollision im Auge hat. Ist die pflichtgemäße Entscheidung einer öffentlichen Stelle ergangen oder hat sich der Wirtschaftsstrafstäter einem einschlägigen Verfahren bislang entzogen, bleibt für Notstandsgesichtspunkte kein Raum mehr. Die Rechtfertigungshandlung ist dann nicht angemessen im Sinne von § 34 S. 2 StGB. Entsprechendes gilt bei Vorliegen von rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Verfügungen, es sei denn, dem Betroffenen steht ausnahmsweise ein gesetzlicher Anspruch („Ermessensreduzierung auf null“) auf eine abweichende Entscheidung zu. Ein Unrechtsausschluss aufgrund von §§ 34 StGB, 16 OWiG ist weiter denkbar, wenn und soweit vermögenswerte Geldinteressen als Erhaltungs- und Eingriffsgut betroffen sind. Gefahren für geldwerte Schutzgüter sind nicht zwangsläufig vom Notstandstäter hinzunehmen und der Verlust quantitativ erfassbarer Vermögensgegenstände wie Bargeld oder Sichtguthaben ist auch nicht immer schon gesetzlich einkalkuliert. Die Interessenabwägung findet vielmehr anhand des strengen Maßstabs von § 904 BGB mit der zusätzlichen Einschränkung statt, dass das zum Erhalt eingesetzte Vermögen (Eingriffsgut) mit demjenigen, für welches eine Gefahr abgewendet wird (Erhaltungsgut), nicht bloß zufällig zusammenhängen darf (Konnexität). Das Selbstbestimmungsrecht des Eingriffsgutsinhabers erfordert, dass zwischen seinem Vermögen und den zu rettenden Interessen eine gewisse Nähebeziehung besteht. Anderenfalls drohte das Risiko, dass sich ein Notstandstäter immer schon an dem Vermögen Dritter schadlos halten könnte, wenn er nur rechtstatsächlich über eine Zugriffsmöglichkeit verfügt. Auch Drittinteressen, wie insbesondere das Vermögen der von einem Zahlungsausfall bedrohten Gläubiger, können
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse und Konklusion
zugunsten des Notstandstäters zu berücksichtigen sein. Ein relevantes Anwendungsfeld für den sog. Geldnotstand erscheint weiter denkbar, wenn nach Gesellschaftsrecht pflichtwidrige Zahlungen durch den Aufsichtsrat gewährt worden sind und Investitionsinteressen der Anteilseigner an steigendem Anteilswert als Erhaltungsgüter aufgeführt werden können. Denselben Grundsätzen folgt schließlich die strafrechtlich relevante Offenbarung geldwerter Unternehmensgeheimnisse, wenn der Offenbarende mit der Veröffentlichung eigene und rechtlich anerkannte Vermögensinteressen verfolgt. Sodann kann eine Notstandshandlung zur Existenzerhaltung eines Unternehmens und zur Rettung der damit verbundenen Interessen wie Vermögen oder Arbeitsplätze rechtfertigend wirken. Ein die Angemessenheit ausschließendes, gesetzliches Verfahren ist nur anzunehmen, wenn dafür – wie z. B. wegen besonderer Reaktionsmöglichkeiten der Finanzbehörde im Steuerrecht – eindeutige Anhaltspunkte bestehen. Im Übrigen entscheidet die Interessenabwägung als gesetzliches Regulativ über den Unrechtsausschluss. Insofern ist zu beachten, dass zahlreiche Gegenstände des Unternehmensvermögens bloß (teilweise) ihren Wiederveräußerungswert einbüßen und deswegen nicht zugunsten des Notstandstäters zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus ist auch der Verweis auf die Rettung von Arbeitsplätzen in seiner Bedeutung für die Erhaltungsseite nicht zu überschätzen, da diese eher als sozialpolitische Zielvorgabe denn als gefestigte Rechtsposition aufzufassen sind. Schließlich streitet der Schutz eines gleichen und fairen Wettbewerbs gegen ein überhöhtes Gewicht unternehmensbezogener Schutzgüter bei Bedrohung der Unternehmensexistenz. Der Unrechtsausschluss bleibt in wirtschaftlichen Notsituationen zwar im Ausgangspunkt denkbar und ist zumeist nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine Rechtfertigung aufgrund von Erhaltungsinteressen des Unternehmens begegnet in der Gesamtabwägung gleichwohl hohen Anforderungen, die nur unter besonderen Vorzeichen erfüllt sein dürften.
III. Zu rechtfertigender und mutmaßlicher Einwilligung Die rechtfertigend wirkende Einwilligung kann für das Wirtschaftsstrafrecht auch außerhalb von Sachverhalten der Untreue relevant werden. Bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen steht die Rechtsfigur etwa einer Bestrafung der Unternehmensleitung wegen unterlassener Verlustanzeige nach §§ 84 GmbHG, 401, 92 Abs. 1 AktG entgegen, wenn die Gesellschafter zuvor wirksam auf eine solche Anzeige verzichtet haben. Gläubigerschutz oder anderweitig betroffene öffentliche Interessen schließen hier die Möglichkeit einer Einwilligung nicht aus. Wird ein entsprechender Verzicht bereits in der Satzung niedergelegt, greifen die Grundsätze über die antizipiert erklärte Einwilligung. Anders verhält es sich in Ansehung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 4, 5 InsO. Ersichtlich können Gesellschaftsorgane über den vom telos der Norm ins Auge gefassten Gläubigerschutz nicht disponieren. Doch auch ein Verzicht aller
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Gläubiger der Gesellschaft nimmt dem Unterlassen eines zur Antragstellung verpflichteten Organs nicht die Rechtswidrigkeit. Alternativ tritt neben die Gläubigerinteressen der kollektive Schutz des Rechtsverkehrs vor Geschäften mit einer materiell überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft, weswegen eine Einwilligung ausscheidet. Soweit der Wortlaut der §§ 283 ff. StGB einer Übertragung von Vermögensgegenständen einer insolventen Gesellschaft im Wege steht, die im Zuge einer freien Sanierung von den Gläubigern konsentiert ist, kann die Rechtsfigur der Einwilligung dagegen wieder Abhilfe schaffen: Insofern steht die durch die Bankrottdelikte mitgeschützte Kreditwirtschaft (Universalinteresse) einer Einwilligungsfähigkeit nicht entgegen, weil sich ein solches Schutzgut akzessorisch zu Gläubigerinteressen verhält und deswegen auch mit ihnen abbedungen werden kann. Nach hier vertretener Auffassung wurde die Bedeutung der Rechtsfigur zudem bislang in der viel diskutierten Fallgruppe um sog. „entschleierte Schmiergeldzahlungen“ nicht überzeugend gewürdigt und ihr zumindest verfrüht jede Bedeutung abgesprochen. Deckt ein Angestellter seinem Geschäftsherrn gegenüber Vorteile auf, welche ihm von dritter Seite gewährt werden, spricht sich eine stark im Vordringen befindliche Auffassung überzeugend für die Straflosigkeit des Angestellten sowie des Vorteilsgebers aus. Rechtstechnisch erscheint ein Rückgriff auf die Einwilligung entgegen der ganz h.M. nicht ausgeschlossen. Denn die von § 299 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgüter des Wettbewerbs sowie die Interessen des Geschäftsherrn stehen nach dem Ergebnis der Untersuchung im Verhältnis der Kumulativität. Dieser Befund lässt sich nur angreifen, indem man entweder aus der Sonderdeliktseigenschaft der Vorschrift keinen Schutz zugunsten des Geschäftsherrn ableitet oder aber ein solcher gänzlich dem lauteren Wettbewerb „untergeordnet“ wird. Erkennt man dagegen die doppelte Schutzrichtung des Tatbestands mit der überwiegenden Ansicht im Grundsatz an, reicht allein die Beeinträchtigung des Universalrechtsguts „Wettbewerb“ nach den allgemeinen Vorgaben zur rechtfertigenden Einwilligung nicht aus, um eine Strafbarkeit des Angestellten zu begründen. Diese Herangehensweise erfüllt selbst die strengen Anforderungen, welche die Rechtsprechung an eine Zustimmung bei gleichzeitiger Betroffenheit eines überindividuellen Rechtsguts stellt. Zieht man die zur Einwilligung entwickelten Grundsätze in diesem Kontext heran, lassen sich überdies die Folgefragen nach der notwendigen Form der Zustimmung und insbesondere nach den Grenzen der Dispositionsfähigkeit des Geschäftsherrn überzeugend lösen. Demgegenüber ergibt sich für die mutmaßliche Einwilligung entgegen vereinzelt anzutreffenden Stimmen im Bereich der Wirtschaftskriminalität kaum je ein Anwendungsbereich. Keine Bedeutung hat zunächst das „mutmaßliche Einverständnis“ des Vermögensinhabers im Kontext von § 266 StGB.1 Richtigerweise handelt es sich bei den maßgeblichen Gesichtspunkten um Auslegungsfragen in Bezug auf den 1 Vgl. zum hiervon zu unterscheidenden „hypothetischen Einverständnis“ Rönnau, StV 2011, 753, 755 f.
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse und Konklusion
Willen des Vermögensinhabers, welche die Pflichtwidrigkeit als Teil des gesetzlichen Tatbestands betreffen. Ähnlich verhält es sich mit Bestrebungen in der Literatur, die den zum Ausgleich eines Untreuenachteils bereiten und fähigen Treunehmer über die mutmaßliche Einwilligung rechtfertigen wollen. Ein Rückgriff auf die Rechtsfigur in diesem Zusammenhang vernachlässigte regelmäßig nicht nur deren Subsidiarität zur tatsächlich einholbaren Zustimmung, sondern ließe sich vor allem auch nicht mit den Maßstäben an eigennütziges Handeln des Täters vereinbaren.
IV. Zum Unrechtsausschluss bei Unterlassungsdelikten Die rechtfertigende Pflichtenkollision teilt als Besonderheit des Unterlassungsdelikts in ihrer Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht weitestgehend das Schicksal der mutmaßlichen Einwilligung: Sie wird zwar immer wieder als Erlaubnissatz erwogen, passt gleichwohl kaum einmal zur Lösung einschlägiger Fragen. Zu denken ist an sie allenfalls, wenn eine durch die Rechtsprechung mit strafbewehrtem Vorrang ausgestattete Zahlungspflicht – wie vor allem diejenige nach § 266a Abs. 1 StGB – anderen, im Vorfeld materieller Insolvenz ebenfalls sanktionsbewehrten Zahlungsgeboten gegenübersteht. Die Annahme einer rechtfertigenden Pflichtenkollision erscheint insoweit gegenüber der Erschaffung eines „Vorrangs im Vorrang“ vorzugswürdig. Die weitere Untersuchung zur Rechtfertigung im Unterlassungsdelikt hat gezeigt, dass unter dem Stichwort der „Unzumutbarkeit“ zum Teil Problemkreise erfasst werden, die den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands unterfallen. In einigen dieser Fälle sind die §§ 34 StGB, 16 OWiG in der Lage, Härten über einen Unrechtsausschluss abzumildern, welche infolge der Rechtsprechung zur Rechtsfigur der omissio libera in causa im Hinblick auf die strafbewehrte Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen entstehen. In der Sache wird für den Arbeitgeber nämlich eine Handlungspflicht zur Liquiditätssicherung im Vorfeld der Insolvenz geschaffen, der Handlungsverbote zuwiderlaufen können. Einer rechtmäßigen Einzelzwangsvollstreckung wird er sich demnach nicht entgegenstellen müssen bzw. dürfen, weil insoweit das gesetzliche Verfahren vorrangig ist und einer entsprechenden Rechtfertigungshandlung zur Liquiditätssicherung die Angemessenheit nehmen würde. Ebenso wenig ist der Arbeitgeber in der beschriebenen Krisensituation verpflichtet, Arbeitnehmer zu entlassen. Zugunsten des kollektiven Erhaltungsguts „Sozialversicherungsaufkommen“ wäre eine entsprechende Notstandshandlung ungeeignet.
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V. Zur Rechtfertigung bei berufsbedingtem Verhalten und bei Handeln aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung In verschiedenen Zusammenhängen wirtschaftsberatender Tätigkeiten ist man zum Teil bestrebt, professionellem Handeln per se eine unrechtsausschließende Wirkung beizumessen. Nach dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchung überzeugt die pauschale Annahme einer Rechtfertigung im Sinne eines berufsbezogenen „Gegenrechts“ nicht. Ein allgemeiner Erlaubnistatbestand der professionellen Adäquanz scheitert schon an der Vielgestaltigkeit berufsbedingten Verhaltens und auch das Verhältnis zu den Rechtsfiguren der Sozialadäquanz bzw. des erlaubten Risikos spricht gegen eine Berücksichtigung auf der Wertungsebene Rechtswidrigkeit. Weiter kann sich auch ein Wahlverteidiger, der bemakelte Mandantengelder i.S.v. § 261 StGB in Erfüllung seiner Honorarforderung annimmt, nicht auf eine Sonderrechtfertigung berufen. Die kollidierenden Interessen würden nach den allgemeinen Grundsätzen bereits von der Kollisionsregel des § 34 StGB erfasst. Dessen Maßstäbe geben aber ein Ergebnis der Interessenabwägung zulasten der Berufsfreiheit des Verteidigers sowie darüber hinaus eine Unangemessenheit einer solchen „Rettungshandlung“ vor. Für einen darüber hinausgehenden Unrechtsausschluss mit „überschießender Innentendenz“, wie er teilweise gefordert wird, bleibt kein Raum. Schließlich kann auch für Berufe mit engem Bezug zur Risikokontrolle (sog. gatekeepers) die Rechtswidrigkeit nicht in pauschaler Art und Weise entfallen. In vielen Fällen ist die Rechtmäßigkeit unternehmerischen Handelns von öffentlich-rechtlichen Genehmigungen abhängig. Deswegen spielt der topos der Verwaltungsakzessorietät auch im Kernbereich des Wirtschaftsstrafrechts eine gewisse Rolle. Unrechtsausschließend wirken behördliche Genehmigungen nur, wenn die verwaltungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage als repressives Verbot zu verstehen ist. Grundsätzlich ist dagegen wirtschaftliche Betätigung vom Gesetzgeber erwünscht und ein Unrechtsausschluss auf der Wertungsstufe Rechtswidrigkeit bleibt die Ausnahme. In einzelnen Tatbeständen des Ahndungsrechts im WpÜG, in denen die Begünstigung eines Genehmigungsempfängers zugleich einen Nachteil des Marktumfeldes darstellen kann, wenn der Markt besonders sensibel ist, wird gleichwohl an verschiedenen Stellen erst die Rechtswidrigkeit entfallen. Darüber hinaus können ereignisbezogene Finanzprodukte kohärent in die Gesamtrechtsordnung nur eingepasst werden, wenn sie der Strafandrohung wegen verbotenen Glückspiels nicht unterfallen. Nach dem Ergebnis der Untersuchung ist auch insofern ein Unrechtsausschluss aufgrund behördlicher Erlaubnis strafrechtsdogmatisch das Mittel der Wahl, um widerstreitende Wertungen aus anderen Teilen der Rechtsordnung stimmig in den Deliktsaufbau zu integrieren.
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VI. Zum Unrechtsausschluss aufgrund privater Weisungen und in Pflichtenkollisionen mit gesellschaftsrechtlichem Bezug Weisungen in Unternehmungen des Privatrechts können Wirtschaftsstraftaten nicht rechtfertigen. Aufgrund der abgeleiteten Handlungsbefugnisse des Angewiesenen bleibt es bei der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens, wenn er in Erfüllung einer rechtswidrigen Weisung gehandelt hat. Etwas anderes kann sich nur ergeben, wenn im Falle eines Zuwiderhandelns gegen den Inhalt der Weisung der eigene Arbeitsplatz als notstandsfähiges Rechtsgut gefährdet wäre. Insoweit gelten für die Interessenabwägung zwar auch hier die relativierenden Gesichtspunkte, die bereits im Zusammenhang mit der Gefährdung eines Unternehmens aufgezeigt wurden. Doch schließt weder die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage noch die Verfügbarkeit eines anderen Arbeitsplatzes einen Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand von vornherein aus. Maßgeblich müssen die Umstände des Einzelfalls sein. Die Beschäftigung der strafrechtlichen Rechtfertigungslehre mit Pflichtenkollisionen, die einen Bezug zum Gesellschaftsrecht aufweisen, steht noch ganz am Anfang. Insofern erscheint zunächst denkbar, dass Konzerninteressen auf Ebene der Rechtswidrigkeit relevant werden. Ihnen könnte z. B. eine Bedeutung zukommen, wenn die Weisung in einem faktischen Konzern nicht wirksam war – sonst bereits tatbestandsausschließendes Einverständnis – und sich der Geschäftsleiter der beherrschten bzw. auch derjenige der herrschenden Gesellschaft einem Untreuevorwurf gegenübersieht. Ein übergeordnetes „Konzerninteresse“, welches in der Sache zahlreiche Rechtspositionen betrifft, mag dann als Erhaltungsbelang vor allem bei Überschreitung der von der Rechtsprechung entwickelten Grenzen für die Erteilung eines wirksamen Einverständnisses der Gesellschafter im Rahmen des § 266 StGB Bedeutung erlangen. Auch in einer für die Tochtergesellschaft existenzgefährdenden Lage erscheint erwägenswert, ob nicht die Notstandsabwägung zugunsten eines „übergeordneten Konzernwohls“ ausschlagen und einem Untreuevorwurf so das Unrecht nehmen kann. Starke Bezüge zum Gesellschaftsrecht weisen weiterhin solche Pflichtenkollisionen auf, in denen ein Geschäftsleiter nach den gesetzlichen Vorgaben Gesellschafts- und Drittinteressen miteinander vereinbaren muss. Soweit eine der beiden Pflichten straf- oder bußgeldbewehrt ist, lässt sich für eine Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen der rechtfertigende Notstand als einschlägige Kollisionsregel ausmachen. Dies gilt zunächst für Freistellungszahlungen an klagende Kleinaktionäre (§ 266 StGB), wenn diese Leistungen dringend nötige Strukturmaßnahmen der Gesellschaft ermöglichen, ebenso wie in Fällen der Vorabveröffentlichung von Insidertatsachen, soweit eine solche zur Verhinderung strafrechtlicher Produkthaftung notwendig geworden ist. Schließlich weisen §§ 34 StGB, 904 BGB für das Strafrecht im Zusammenhang mit Doppelmandaten den Weg zu einer gesellschaftsrechtlich seit langem akzeptierten Lösung. – Der Organwalter hat dort stets nur das Wohl derjenigen Gesellschaft zu berücksichtigen, für welche er im konkreten Fall tätig wird
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bzw. für die er seine Organbefugnisse ausübt. Gegenläufige Pflichten wirken nicht haftungsbeschränkend. Ein strafrechtlich besonders bedeutsamer Anwendungsfall einer Interessenkollision mit Bezug zum Unternehmen stellt sich im Zusammenhang mit dem Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung. Der 5. BGH-Strafsenat hat insofern entschieden, dass diese Beitragszahlungen im Gegensatz zu anderen Verbindlichkeiten einer Gesellschaft nicht von der Massesicherungspflicht erfasst werden (§§ 92 Abs. 2 S. 1 AktG, 64 S. 1 GmbHG) und damit auch bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes geleistet werden müssen. Für die Höchstfrist von drei Wochen vor Stellung eines Insolvenzantrags (§ 15a Abs. 1 InsO) bei materieller Insolvenz hält der BGH ein Nichtabführen der Beiträge dann jedoch für ausnahmsweise gerechtfertigt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Einordnung als Unrechtsausschluss überzeugt und insbesondere die Figur der rechtlichen Unmöglichkeit nicht bereits zu einem Entfallen des Tatbestands nach § 266a Abs. 1 StGB führen kann. Die einschlägige Kollisionsregel liefert nach hier vertretener Auffassung in Übereinstimmung mit der Untersuchung zu Konflikten zwischen Gesellschafts- und Drittinteressen indes wieder der rechtfertigende Notstand. Ein Rückgriff auf den Rechtfertigungssatz scheitert auch nicht an einem vorrangigen Verfahren nach § 266a Abs. 6 StGB, welcher die zu untersuchende Situation seinen Voraussetzungen nach nicht abschließend regelt. Die Interessenabwägung ist im Unterlassungsdelikt jedoch zu modifizieren, da eine fremde Rechtsgütersphäre durch das „Notstandsunterlassen“ nicht beeinträchtigt wird. Der vom Gericht geschaffenen, befristeten und bedingten Sonderrechtfertigung bedarf es demgegenüber nicht. Soweit die Interessen am Beitragsaufkommen nicht die unternehmensbezogenen Rechtsgüter („Unternehmensnotstand“) und den Gläubigerschutz auf Seiten der Erhaltungsgüter wesentlich überwiegen, ist das Nichtabführen der Beiträge gerechtfertigt. Dies wird nicht nur für den vom BGH anerkannten Zeitraum der Fall sein, sondern darüber hinaus auch noch nach Ablauf der Insolvenzantragspflicht vereinzelt zutreffen. Dieser Schluss liegt schon deswegen nahe, weil das Gewicht der Sozialversicherungsbeiträge als Erhaltungsgut nicht weiter gewährleistet werden kann, als es im Rahmen der Gesamtrechtsordnung geschützt wird. Insbesondere eine Anfechtbarkeit der Beiträge (§§ 129 ff. InsO) streitet daher für ein geringeres Gewicht dieses Schutzguts in der Notstandsabwägung. Die Notstandsbetrachtung ist ihrem Konzept nach auf eine Einzelfallbetrachtung angelegt, sodass auch während der Höchstfrist keine „starre“ Rechtfertigung anzunehmen ist, wenn keine Aussicht auf erfolgreiche Sanierung besteht. Das Heranziehen der §§ 34 StGB, 16 OWiG führt dazu, dass über die hier angesprochene Kollisionslage hinaus jeder Konflikt der Pflicht zur Masseerhaltung mit einem strafbewehrten oder zu ahndenden Zahlungsgebot interessengerecht gelöst werden kann.
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VII. Zur Bedeutung von Erlaubnistatbeständen im Zusammenhang mit unternehmerischer Compliance bzw. Whistleblowing Die Einrichtung von Compliance-Systemen in Unternehmen bietet strafrechtlich an zwei Stellen Ansatzpunkte für einen Unrechtsausschluss: Zum einen können aufgrund von Erlaubnissätzen Verhaltensweisen eines Compliance-Beauftragten gerechtfertigt werden, die über die bloße Berichterstattung gegenüber der Geschäftsleitung hinausgehen und gegen die gewöhnliche Kompetenzverteilung verstoßen. Unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands kann einem Compliance Officer ein sog. Eskalationsrecht zustehen. Aufgrund dieses Rechts wird ihm etwa ermöglicht, andere Organe als die Geschäftsleitung von Unregelmäßigkeiten zu informieren oder sogar weitere Investigativmaßnahmen zu treffen. Dagegen erscheint zweifelhaft, ob mit diesem erweiterten Kreis an Rechten auch eine Ausdehnung der Garantenpflicht hin auf ein entsprechendes Eskalationsverhalten des Compliance Officers einhergeht. Zum anderen kann der Beauftragte auch im Rahmen seiner Aufklärungstätigkeit im Unternehmen auf Notstandsbefugnisse angewiesen sein. So liegt es vor allem bei Verletzungen des Fernmeldegeheimnisses (vgl. § 206 StGB), die zur Ermittlung schwerer Straftaten, welche aus dem Unternehmen heraus begangen werden oder wurden, nötig geworden sind. Einen vollumfänglichen Ausschluss der §§ 34 StGB, 16 OWiG wird man hier entgegen einer verbreiteten Ansicht nicht annehmen können. Auch im Rahmen von sog. Whistleblowing, welches als Teil unternehmerischer Compliance verstanden werden kann, kommt einem Unrechtsausschluss eine tragende Rolle zu. Regelmäßig wird ein Unternehmensangehöriger, der sich für eine Anzeige verdächtiger innerbetrieblicher Vorgänge nach außen hin entscheidet, mit dem unternehmensrechtlichen Geheimnisschutz in Konflikt geraten. Auch hier greift deshalb eine im Vordringen befindliche Auffassung überzeugend auf den rechtfertigenden Notstand zurück, um zugunsten des aufklärungswilligen Mitarbeiters das Interesse an effektiver Strafverfolgung, vor allem aber die von der Anzeige ausgehende Präventionswirkung zu berücksichtigen. Über einen Unrechtsausschluss kann einem Hinweisgeber das Risiko der Strafverfolgung genommen werden. Zu beachten ist hier, dass zugunsten des Whistleblowers die Maßstäbe des Defensivnotstands eingreifen, weil dem Unternehmen als Inhaber des Eingriffsguts („Geheimnis“) die Gefahrverursachung zuzurechnen ist. Eine Rechtfertigung scheidet demgegenüber aus, wenn sich ein ausländischer Bankmitarbeiter mit Daten, die Steuernacherhebungen großen Ausmaßes versprechen, an den deutschen Fiskus wendet. Im Grundsatz ist auch dort der strafrechtliche Geheimnisschutz nach deutschem Recht betroffen, sodass es maßgeblich auf Erlaubnissätze ankommt. Weiter erscheint ein Rückgriff auf § 34 StGB weder unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit ausgeschlossen noch scheitert eine Offenbarung der Daten gegenüber einer staatlichen Stelle an der verwerflichen Motivation des Bankangestellten. In der Notstandsabwägung streitet jedoch eine
B. Resümee zu Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht
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quantitative Betrachtung unter den Einschränkungen des „Geldnotstands“ ebenso gegen ein „wesentliches Überwiegen“ wie der Umstand, dass der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Bank und Kunden gänzlich ausgehöhlt würde, wenn man hier einen Unrechtsausschluss annehmen wollte. Es verbleibt deswegen bei der Strafbarkeit des ausländischen Geheimnisverräters.
B. Resümee zu Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich eine ganze Reihe an Problemkreisen findet, in denen ein Unrechtsausschluss im Wirtschaftsstrafrecht diskutiert wird. Diese betreffen rechtlich sowie tatsächlich eine Vielzahl von Themenfeldern, weswegen sich die eine abstrahierende Konklusion nicht aufdrängt. Es kann jedoch festgehalten werden, dass sich im Wirtschaftsstrafrecht auf Ebene der Rechtswidrigkeit mithilfe von Erlaubnissätzen widerstreitende Belange vielfach einem angemessenen Ausgleich zuführen lassen. Zu Recht zeichnen Stellungnahmen jüngeren Datums deswegen hinsichtlich der Bedeutung von Rechtfertigungssätzen in diesem Bereich ein differenziertes Bild: Demnach gewinnen Unrechtsausschließungsgründe im Kontext wirtschaftlichen Handelns für das Strafrecht zunehmend an Bedeutung.2 Trotz der Vielgestaltigkeit der behandelten Fallgruppen, Beispiele und Problemkontexte lassen sich für den Bereich der Wirtschaftskriminalität vorsichtig einige allgemeine Schlüsse ziehen. Zunächst einmal hat die Untersuchung ergeben, dass die große Zurückhaltung, welche gegenüber Rechtfertigungsgründen im Wirtschaftsstrafrecht lange Zeit vorgeherrscht hat, nicht überzeugen kann. Die Rechtfertigungsregeln des Allgemeinen Teils können auch in Sachverhalten mit marktwirtschaftlichen Bezügen zur Kompensation von tatbestandlich vertyptem Unrecht sowie zur Auflösung von Pflichtenkollisionen herangezogen werden. Gerade die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes als „Kollisionsregel“ wird in dem von unterschiedlichen Pflichten geprägten Feld des Wirtschaftsstrafrechts besonders deutlich und tritt klarer als in „klassischen“ Fällen der Rechtfertigungslehre zu Tage. Sodann ist der Schöpfung neuer Erlaubnissätze mit Zurückhaltung zu begegnen. Trotz einer prinzipiellen Offenheit der Rechtfertigungslehre für neue Entwicklungen haben die Überlegungen zu beruflich veranlasstem Verhalten, zur Geldwäschestrafbarkeit von Wahlverteidigern sowie zur Rechtfertigung von Whistleblowern gezeigt, dass die anerkannten Unrechtsausschlussgründe für zahlreiche Fallgestaltungen klare Grundsätze bereithalten. Zum Teil erwogene „Gegenrechte“ lassen sich häufig schon nicht mit den charakteristischen Anforderungen von Rechtfertigungslage und -handlung in Einklang bringen und missachten darüber hinaus die im 2 Vgl. hier nochmals Dann, wistra 2011, 127 ff.; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836 ff.; Eisele, Compliance, S. 76 ff.; Brand, GmbHR 2010, 237, 241 ff.; Dannecker, in: G/J/W, WiStra, Vor § 32 Rn. 9.
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse und Konklusion
2. Teil dargestellten Strukturprinzipien, wie z. B. den Erforderlichkeitsgrundsatz, das überwiegende bzw. mangelnde Interesse oder auch die Anforderungen an das subjektive Rechtfertigungselement. Für einzelne Erlaubnissätze können im Wirtschaftsstrafrecht unterschiedliche Besonderheiten zu berücksichtigen sein: In Ansehung der Notstandshandlung wird z. B. bei Bezügen zu quantitativ erfassbaren Interessen vorausgesetzt, dass zwischen diesen ein Näheverhältnis besteht, sie mithin nicht bloß zufällig zusammenhängen. Hinsichtlich der Einwilligung ist darauf zu achten, dass die zahlreichen überindividuellen Bezüge, die sich für Wirtschaftsdelikte ergeben, nicht zu einer verfrühten Entscheidung gegen die Möglichkeit eines Unrechtsausschlusses führen. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr leidet darunter, dass eine Angriffslage immer nur zwischen natürlichen Personen und nicht gegenüber einem (anderen) Unternehmen bestehen kann. Entscheidet man sich vor dem Hintergrund der bislang bestehenden Unsicherheiten gegen einen Rückgriff auf Erlaubnissätze als Kollisionsregeln und zur Kompensation von Unrecht, läuft man regelmäßig Gefahr, den gesetzlichen Wirtschaftsstraftatbestand mit schwer handhabbaren Erwägungen „aufzuladen“. Die Ausführungen zum Abwehreinwand im Rahmen der §§ 81 Abs. 3 Nr. 1, 21 Abs. 1 GWB haben dies ebenso gezeigt wie die Überlegungen zu bestimmten Fällen der Unzumutbarkeit im Unterlassungsdelikt.3 Vor allem stellen Rechtfertigungsgründe ausbalancierte Kollisionsnormen für auftretende Pflichtenkonflikte bereit, die imstande sind, gegenläufige wirtschaftliche bzw. vermögenswerte Interessen in Ausgleich zu bringen. Die Erwägungen zum Geldnotstand, zur Notwehr gegenüber Unternehmen aber auch zu Pflichtenkollisionen eines Gesellschaftsorgans haben dies deutlich werden lassen. Darüber hinaus vermag der Bezug des Unrechtsausschlusses zur Gesamtrechtsordnung die häufig von vielfältigen gesetzlichen Vorgaben geprägten Problemkreise des Wirtschaftsstrafrechts vollständig zu erfassen. Verwiesen werden kann insofern auf das Verhältnis der §§ 34 StGB, 16 OWiG zu einschlägigen „vorrangigen“ Verwaltungsverfahren oder auf die Berücksichtigung zivilrechtlicher Wertungen als Teil der „behördlichen Erlaubnis“ in § 284 StGB für ereignisbezogene Finanzprodukte. Schließlich bieten die zur Rechtfertigungslehre im Kernstrafrecht entwickelten Grundsätze eine wertvolle Orientierungshilfe zur Annäherung an neue Themenfelder im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität. Deutlich wurde dies z. B. anhand der gesicherten Maßstäbe, die der rechtfertigende Notstand dem „Eskalationsrecht“ eines Compliance-Beauftragten oder dem „Recht zur Anzeige“ eines Hinweisgebers vermitteln kann. Der eingangs zitierten Aussage, die Rechtfertigungsgründen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts eine nur geringe Bedeutung beimisst, muss aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeit widersprochen werden. 3 Ähnliches ist jüngst auch hinsichtlich der Diskussion um den Schutz rechtswidriger Geheimnisse zu beobachten, die ein Hinweisgeber nach einer unlängst verstärkt vertretenen Auffassung extern offenbaren können soll: Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331 ff.; Erb, in: FS Roxin, 2011, S. 1103, 1104 ff.
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Stichwortverzeichnis Absicht unbilliger Beeinträchtigung 78, 80, 86 f. Abwehrboykott 75, 77 – 80, 86, 88, 91, 101, 108, 402 Abwehreinwand 55, 62 f., 71, 75, 77 f., 87 – 103, 106, 108, 117, 126, 293, 315, 403, 412 Actio praecedens 120 f. Ad-hoc-Publizität 318, 320 f. Aggressivnotstand 113, 120, 139 f., 144, 148, 152, 155, 254, 297, 396 Aktive Duldung 284 Alleinimporteur 106 Allgemeiner Teil 28 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 58, 395 Alternativer Rechtsgüterschutz 62, 182 f., 197, 209 Andauernder Angriff 59 Angemessenheitsklausel 91, 116 f., 119, 121 – 125, 127, 129, 133 f., 136, 153 f., 156 f., 162, 236, 294, 296, 311, 317, 324 f., 331, 351 f., 378, 394 f., 399, 404, 406, 410 Angestelltenbestechung 166, 177, 201, 207, 209 – 211 Angreifereigenschaft 55 – 57, 59 – 61, 64, 67 – 74, 90, 92 f., 97 – 102, 113, 293, 373 Angriff durch Unterlassen 58 Anwaltshonorar 259 Appreciation Awards 145 f., 148 Äquivalenzverhältnis 146 Arbeitsplatz als Erhaltungsgut 112, 129, 141, 152 – 163, 168, 237, 292 – 297, 317, 351, 356, 358, 360 f., 366, 404, 408 ARUG 321 Aufsichtsrat 65, 145 – 147, 241, 274, 298, 325 – 330, 363, 366, 368 f., 371, 373 – 376, 404 Auslandstransfer 250 f. Bad Bank 198 BaFin 268, 273 – 277, 283, 286, 319, 321
Bankangestellter 247, 399 Bankgeheimnis 118, 392, 395, 398, 400 f. Basismodell 180 Beamtenverhältnis 291 Beherrschungsvertrag 289, 300 Behördenentscheidung 125 – 128, 130 Behördliche Genehmigung 41, 123, 126 – 130, 178, 267 – 275, 280 – 285 Behördliches Verfahren 112, 123 – 126, 130, 403 Berufsbedingtes Verhalten 252, 254 – 257, 407 Berufsfreiheit 259, 266, 407 Berufsgruppe 33, 258 Berufsrollengemäßes Verhalten 43 Berufstypisches Verhalten 246 f., 249, 256 Bestandskraft eines Verwaltungsakts 127 Bezugspunkt des Rechtswidrigkeitsurteils 47 Bilgenentölerboote 111, 126, 130 Black Jack 279 Blankettstrafgesetz 78 f. Boykott 54, 77 f., 81 – 85, 89, 91, 94 f., 97 – 99 Bundesnachrichtendienst 382, 396 Business Judgment Rule 143, 228, 310 Compliance Officer 28, 245, 365 – 373, 375 f., 378 – 380, 400, 410 Compliance-Programm 366 Corporate Compliance 364, 370 Corporate Governance 70, 147 Dauergefahr 102, 135, 261, 387, 395 De lege ferenda 78, 102, 109, 208, 403 Defensivnotstand 72, 74, 113, 389, 396, 410 Deliktsebene Rechtswidrigkeit 266, 284, 339
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Stichwortverzeichnis
Deutscher Corporate Governance Kodex 366 Director (Limited) 52, 93 Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers 178, 180 – 182, 188, 190 f., 197 – 200, 205 f., 209, 212, 214, 270 Doppelmandate 299, 325 – 329 Drittwirkung der Notwehr 60, 64, 71, 90, 97 f.
Ehrschutzdelikte 383 Eingriffsgut 63, 65, 71, 90, 97, 114, 117 f., 120, 131 f., 134, 136, 139 f., 144 f., 147 f., 151 f., 154 f., 157, 160, 162 f., 168 – 172, 261, 263, 296, 330, 350, 353, 357 – 359, 373, 387 – 389, 396 f., 403, 410 Einheit der Rechtsordnung 48, 85 f., 147, 214, 243, 254, 269, 281, 304, 308, 343, 379, 393, 407, 409, 412 Einwilligungsfähigkeit 191, 197 – 199, 210, 213, 405 Einwilligungssurrogat 221 E-Mail-Überwachung 377, 381 Emittent 319 Entlastung der Geschäftsleitung 242, 327 Entschleierte Schmiergelder 201, 205, 213, 405 Entschuldigender Notstand 224, 241, 296 Erforderlichkeitsprinzip 53, 61 f., 68, 90 f., 98 – 100, 107, 117 f., 122, 136, 163, 169, 295 f., 324, 329, 351, 374, 395 f. Erhaltungsgut 40, 61, 99, 113 f., 116 f., 120, 122, 131 – 133, 135, 137, 139, 141 f., 147 f., 151, 153, 158, 160, 162, 169 – 173, 225, 236 f., 240, 254, 261, 263, 289, 293 – 297, 309, 313, 323, 330 f., 350 f., 353 – 356, 360 f., 373 f., 378 f., 384 f., 387, 395 f., 404, 406, 409 Erlaubtes Risiko 36, 42 – 45, 256 f., 266, 271, 407 Ermächtigungsgrundlage 79, 271, 407 Ermittlungsverfahren 248, 259 Eskalationsrecht 245, 369 – 375, 381, 400, 410, 412 Europäische Union 104, 107 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 104 Europäisches Kartellrecht 104
Eventualvorsatz 36 f., 83, 86 f., 250, 255 Externes Reporting 372 Fair trial Grundsatz 262 Faktischer Konzern 299 – 302, 304 – 308, 310, 313, 408 Federal Express 279 Fernmeldegeheimnis 376 – 381, 400, 410 Finanzprodukt 177, 269, 273, 278 f., 281, 407, 412 Finanztermingeschäft 281 f. Formelle Rechtswidrigkeit 46 Führungslosigkeit der Gesellschaft 241 – 243 Future 278 Gambling for resurrection 312 Gate-keeper 258, 264, 407 Gattungsschuld 38, 136 f., 139, 144 Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz 126, 156, 158, 162, 168, 303, 311 f. Gefahrtragungspflicht 75, 121, 224 Gegennormen 47 Gegenrecht 252, 411 Gegenwärtigkeit des Angriffs 59, 90 Geheimnisschutz 111, 118, 149 f., 214, 384, 386 f., 396, 399, 410 Geheimnisträger 208, 385, 388, 396 Geisterfahrer 50 Geldinteressen (Notstand) 112, 130 – 135, 137 – 144, 149 f., 152, 236, 394 Geldnotstand 119, 131 – 145, 147 – 152, 162, 245, 312, 324, 394, 404, 411 f. Geldwäsche 107, 258, 260 f., 365 Genehmigungsfähigkeit 41 Geschäftsgeheimnis 118, 396 Geschäftsherr 146, 169, 201 – 209, 211 – 216, 219 f., 251, 296, 405 Geschäftsinhaberbestechung 208 f., 212 Gesellschafterversammlung 175 f., 187, 189, 194 f., 268, 274, 301 Gesellschaftsvertrag/Satzung 69 f., 146, 187 f., 192 – 194, 200, 268, 274, 375, 404 Gesinnungsstrafrecht 37 Gewinnchance 114 f., 135, 144 f., 147, 170, 174, 387 Gläubigerschutz 360
Stichwortverzeichnis Glückspiel 273, 278 – 281, 286, 407 Grundbegriffe 32 Haftungszwickmühle 247, 332, 341, 380 Handlungsbewusstsein 68 Handlungsmöglichkeit 47, 118 Handlungspflicht 41, 50, 153, 226 – 229, 235, 238, 243, 288 f., 337, 346, 348 f., 354, 362, 367 f. Handlungsverbot 50, 265, 347 f., 375, 384 Heimatbörse 275 High Noon (Film) 72 Hinweisgeber 364, 381 f., 384 – 388, 390 f., 393, 399, 412 HSH Nordbank 65 In-dubio-pro-reo-Grundsatz 83 Individualisierung von Schutzgütern 119 Individualrechtsgut 100, 114, 293 Innenbestechung 203 Insiderhandelsverbot 318 Insolvenzantrag 34, 241 f., 334, 339, 357 f., 361, 409 Insolvenzantragspflicht 177, 195, 197, 232, 241, 335, 339 – 341, 343, 346, 349 f., 355 – 357, 360, 404, 409 Insolvenzreife 195 f., 224, 332, 334 – 338, 340 – 343, 350, 358, 361 Insolvenzverfahren 134, 190, 199, 335, 342 f., 352 Insolvenzverwalter 334 f., 343 Integrationsmodell 180 f. Interessenabwägung 39, 42 f., 61, 74, 81 – 83, 86 f., 102, 108, 110, 113 f., 118 – 122, 124 – 128, 130, 135, 137 – 141, 143 f., 150 – 153, 155 – 157, 159 – 161, 163, 168 – 173, 225, 243, 262 f., 270, 289, 291, 295 – 297, 311, 324, 329 – 331, 345, 353 – 356, 359, 361, 374, 389, 394, 397 f., 400, 403 f., 407 – 409 Jedermannsgefahr 56, 116, 135 f., 159 Jedermannspflicht 241 Juristische Person 55, 57, 63 – 71, 73 – 75, 92, 105, 107 f., 186, 214, 274, 389, 402
453
Kapitalmarktstrafrecht 123, 146, 152, 155, 198, 246, 267 – 269, 273, 285, 318 – 321, 367, 369 Kartellordnungswidrigkeiten 75 – 77, 91, 95, 101, 108 Kinowelt-Entscheidung des BGH 229 Kleingesellschafter 243 Kollisionsnorm 50, 412 Kollisionsregel 49, 224 f., 235, 243, 289, 320, 323, 341 f., 346 – 349, 354, 357, 360, 393, 407 – 409, 411 f. Kompensationsmodell 36 Konnexität beim Geldnotstand 137, 139, 141 f., 144, 147, 151 f., 324, 397, 403 Kontrollerlaubnis 218, 271, 275, 283 – 285 Konzerninteresse 290, 298 – 300, 302 f., 306, 308, 310 f., 313, 408 Konzernmuttergesellschaft 302 – 304, 308, 310, 312 Konzertreise-Fall 132, 136, 138 f., 141 Korkengeld-Entscheidung des RG 201, 209, 214 Kriminologie 33 f. Kriterium der Unmittelbarkeit 97 Kumulativer Rechtsgüterschutz 182, 210 f., 213, 215, 405 Kupiertes Erfolgsdelikt 84, 86 f. Kursverfall 147 f. Ladder swap 278 Lauterkeitsrecht 55, 82, 88, 90, 96 f., 106, 212, 214, 403 Legalitätspflicht für Geschäftsleiter 110, 146, 148, 152, 290 f., 322 – 324 Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 47, 87, 272 Lehre von der objektiven Zurechnung 45 Leinenfänger-Entscheidung des RG 296 Liechtensteiner Steueraffäre 391 Lipobay 318 Liquiditätssicherung 236, 406 Lohnsteuer 231, 361 Lohnsteuerhinterziehung 186 Mandantengelder-Fall 114, 137, 141 – 143, 407 Mannesmann-Prozess 145 – 148 Marktkapitalisierung 147, 268
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Stichwortverzeichnis
Masseerhaltungsgebot 224, 342, 347, 351 Massesicherungspflicht 156, 334, 336, 338, 340, 343, 346 f., 352 f., 356, 361, 409 Materielle Rechtswidrigkeit 46 Menschliche Handlung 67 Merkmalsüberwälzung 80, 103 Minderheitsaktionäre 276 Mitgliedstaat 105 f. Mutmaßliche Einwilligung 87, 175 – 178, 184 f., 215 – 222, 285, 304, 405 f. Mutmaßliches Einverständnis 215 – 218, 221 Nachteilsausgleich 220, 305 Nähebeziehung 74, 140, 144, 148, 403 Näheverhältnis 144 Naturalistischer Fehlschlusses 253 Neutralitätsgebot 314, 316 f. Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes 127 Normative Tatbestandsmerkmale 85 Normenwiderspruch 49, 342 Not-, Stör- oder Katastrophenfälle 126 Notar 264 f. Notarzt 253 Nötigungsnotstand 72 f. Notstandshilfe 102 f., 119 f., 129, 142, 151, 158, 235, 239, 291, 309, 397 Notstandslage 109, 113 f., 116 f., 119 – 122, 124, 131 – 134, 136, 140, 142 – 144, 159, 162, 173, 226, 235, 261, 294, 330, 348 f., 355, 377, 379, 387, 399 Notwehr 30, 37, 40 f., 47, 52 – 57, 59 – 64, 66, 69, 71, 73 – 78, 80, 88 f., 91 – 109, 113, 117, 261, 292, 372 f., 402 f., 412 Notwehrhilfe 47, 53, 63, 93, 101, 103, 106, 120, 292 f., 393 Notwehrlage 49, 52, 54 – 59, 67 – 69, 71 f., 92, 95 – 97, 105 f., 292 f. Numerus clausus der Rechtfertigungsgründe 36, 42, 347 Nützliche Pflichtverletzung 110 Objektivität des Rechtswidrigkeitsurteils 94 Ombudsmann 383 Omissio libera in causa 232 f., 235, 237, 332, 337, 339, 352, 406
Passive Duldung 284 Passive Mindestsolidarität 40, 61, 114, 120, 140, 161, 330, 353 Personalunion 325 Pflicht zur Bürgschaft 140 Prinzip der Organhaftung 66 Prinzip der Satzungsstrenge 193 Prinzip des mangelnden Interesses 39, 41, 43, 94, 178, 185, 216, 254, 270 f., 285, 393 Prinzip des überwiegenden Interesses 41 – 43, 216, 269 f., 285 Privatrechtliche Weisung 286 Produkthaftung (im Strafrecht) 29, 53, 157, 318, 320 f., 331, 408 Professionelle Adäquanz 254, 256 f., 266, 407 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 85, 115, 158, 163, 360 Recht auf Verteidigerwahl 261 Rechtfertigende Einwilligung 40, 175 – 178, 180, 186 – 188, 191 f., 194 f., 199 f., 204, 213, 215 Rechtfertigende Pflichtenkollision 41, 49 f., 223, 227 – 231, 243, 337, 347, 349, 406 Rechtfertigender Notstand 27, 30, 38, 50 f., 74, 91, 102, 108 – 110, 112, 114, 123, 125 f., 128 f., 131 – 133, 136 f., 144 f., 148, 152 f., 155 f., 158 f., 161, 163 – 166, 168, 184, 223 – 225, 229 f., 240, 243, 254, 263, 266, 289, 293, 296, 311 f., 316, 319, 329, 331, 348 f., 352, 360, 373, 375, 378, 381, 384, 387, 395, 399 – 401, 403, 408 – 410, 412 Rechtfertigungsgrund eigener Art 45, 215, 252 Rechtfertigungsgründe mit überschießender Innentendenz 37 f., 80, 83 Rechtfertigungshandlung 36, 40, 55 f., 60 f., 65, 74, 95, 97 f., 102, 106, 108, 129, 349, 352, 389, 394 – 396, 403, 406 Rechtfertigungslage 36 – 39, 45, 61, 96, 119, 142, 235, 253, 262, 266, 294, 351, 397, 411 Rechtfertigungslösung 39, 91, 170, 249, 258, 260, 262, 265, 269, 277, 284, 310, 340 f., 343, 361, 372
Stichwortverzeichnis Rechtliche Unmöglichkeit 343 f. Rechtsbewährungsprinzip 57, 69 f., 103, 108, 113 Rechtsmittel 128 Rechtsreflex 142, 196 Rechtstheorie 29 Rechtswidrige Tat 45 Rechtswidrige Weisung 247, 291 f. Registerblockade 321 Reichsgericht 63, 110, 112, 202, 249 Relativ mildestes Mittel 40, 61, 90, 99, 395 Repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt 271, 275, 277, 280, 285, 407 Rozenblum-Doktrin 299 Scheingeschäft 236 Schneidigkeit des Notwehrrechts 55 f. Schwarzarbeit 186, 237 Schwarze Kasse 370 Selbstanzeige 352 Selbstbelastungsfreiheit 240 f. Selbstbestimmungsrecht des Vermögensträgers 140 f., 177, 185, 403 Selbsthilferecht 52 f., 93, 99 f., 102 – 104, 108 f., 133 f., 154 f., 236, 373, 394, 402 Sonderdelikt 80, 204, 210, 241 Sonderopfer 139 Sonderrechtfertigungsgrund 42, 245, 249, 252, 255, 260, 262 f., 266, 282, 339, 341, 350, 352, 356, 360, 362, 407, 409 Sozialadäquanz 36, 42 – 44, 165, 167, 169, 249 f., 256, 266, 271, 407 Sozialversicherungsaufkommen 186, 235, 237 – 239, 350, 353 – 356, 359 – 361, 406, 409 Sperrwirkung des Verwaltungsverfahrens gegenüber dem rechtfertigenden Notstand 125 f., 128 – 130, 157, 352 Spezifische Kollisionslage 136 f., 139 Staatslotterie 54, 83, 87, 93, 95, 97 – 99, 101 f., 108 Staatsnotstandshilfe 115, 395 Standesrecht 256, 265 Steuerhinterziehung 52, 229, 251, 254, 392 Steuerstrafverfahren 126, 392, 394 Strafanzeige 49, 62, 372, 383 f., 386, 390, 393, 396 Strafbewehrte Verlustanzeige 191, 194
455
Strafrechtliche Handlungsfähigkeit juristischer Personen 53, 67 – 70, 108, 170 Strafrechtslehre 39, 87, 247, 264, 320 Strafrechtswidrigkeit 45, 48, 68, 94, 265 Strafverfolgungsinteresse 115, 374, 384, 387 f., 390, 398 Strafverteidiger 258, 261 f., 266 Strukturierte Finanzprodukte 213, 277 Strukturprinzipien von Rechtfertigungsgründen 35, 39, 54, 266, 308, 412 Stückschuld 136 Subjektives Rechtfertigungselement 36, 39, 89, 92, 255, 262, 412 Swap 277 f. Synergieeffekte 310 Täter hinter dem Täter 73 Trunkenheitsfahrt 172, 210 Übernahmeangebot 268, 274 UMAG 321 Umweltstrafrecht 123 f., 126, 128 – 130, 226, 228, 267, 273, 284 f. Underlying 268 Universalrechtsgut 57, 97, 106, 115, 161, 182, 192, 197, 199, 270, 385 Unrechtsverhinderungsrecht 394 f. Unterlassungsdelikte 41, 222 f., 225 f., 321, 344, 347 – 349, 354, 364 Unternehmensnotstand 158, 170, 293, 350 Unternehmensorgan 63 f., 66, 69 – 71, 73, 75, 93, 101 – 103, 105, 108, 194, 240 f., 288, 371, 400, 402, 405, 410 Unternehmensstrafbarkeit 103 f., 107 f., 403 Unvollkommen zweiaktige Rechtfertigungsgründe 37 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 223 – 226, 231 f., 234 f., 237 – 239, 241, 243 f., 337, 339, 406, 412 Upstream-loan 304, 307 Verbandsprinzip 66 Verbot der Einlagenrückgewähr 228, 322 f. Verdunkelungsgefahr 372
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Stichwortverzeichnis
Vereitelung der Einzelzwangsvollstreckung 235 f., 406 Verkehrsschutz 197, 199 Vermögensbetreuungspflicht 145 – 147, 216 – 219, 221, 301, 306, 313, 326 – 329 Vermögensnachteil (Untreue) 147, 304 – 306, 310 Vermögenswerte Exspektanz 144, 169, 254, 289, 311 Vermutete Einwilligung 220 Verrufener 77, 79, 90, 96 Verrufer 77, 84, 89 Verschulden gegen sich selbst 143 Vertragskonzern 289, 300, 308, 311 Verwaltungsaktsakzessorietät 246, 267, 281 Verwaltungsakzessorietät 267, 269, 273, 285, 407 Verwaltungsverfahren 117, 122 f., 125, 127 – 130, 133, 153, 285, 394, 412 Volenti non fit iniuria 41, 178 Volkswirtschaftlich empfindlicher Schaden 27 Vorbehaltsurteil 47 Vorläufiger Rechtsschutz 99 f., 106, 128 Vorrang im Vorrang 231 Vorrangrechtsprechung 230, 233, 336, 338, 340 f., 359, 361 Vorverschulden des Notstandstäters 119 Vorverschuldenshaftung 223 f., 232, 234, 237 f., 339, 356
Wahlverteidigung 258 – 263, 266, 407, 411 Warentermingeschäft 277 f. Weltwettbewerb 167, 174, 386 Wettbewerbsrecht 55, 76, 81, 84, 88 – 90, 92, 96, 100, 102 Wetterderivat 268, 286 Whistleblowing 31, 247, 362 – 364, 381 f., 384 f., 389, 391, 394, 396 f., 399 f., 410 White-collar crime 33 Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 48 Willenskundgabetheorie 183 f., 213 Wirtschaftsstrafgesetz 32 Wirtschaftsstrafrecht 27 – 30, 32 – 35, 37, 42, 45 f., 49, 52 – 55, 58 f., 64, 77 – 79, 88, 91, 102, 104, 107 – 109, 112 f., 116, 118, 123, 126, 130, 134, 139, 143, 145, 152, 154, 158 – 160, 175 f., 178, 182 f., 200 f., 206, 222, 227, 229, 231, 234, 243, 245 f., 249, 251, 258, 267, 273, 277, 282, 286 – 289, 292 f., 296 f., 301, 312, 314, 317, 320, 323, 332 – 334, 349, 360, 364, 370, 380, 382, 384, 390 f., 398, 402, 404, 406, 408, 411 f. Wirtschaftsstrafrecht im engeren Sinne 34 Wirtschaftsstraftat 32 – 34, 152, 243, 258, 293, 297 Zielgesellschaft 147, 228, 276, 314 – 317 Zwangsvollstreckung 134, 234 Zwecktheorie 121