Rückkehr der Götter: Die Aufzeichnungen der Azteken über den Untergang ihres Reiches 9783968690018


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Rückkehr der Götter: Die Aufzeichnungen der Azteken über den Untergang ihres Reiches
 9783968690018

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RÜCKKEHR DER GÖTTER DIE AUFZEICHNUNGEN DER AZTEKEN ÜBER DEN UNTERGANG IHRES REICHES

Herausgegeben von Miguel León-Portilla und Renate Heuer

VERVUERT

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Rückkehr der Götter : d. Aufzeichn. d. Azteken über d. Untergang ihres Reiches / hrsg. von Miguel León-Portilla u. Renate Heuer. [Aus d. Náhuatl Ubers, von Angel Maria Garibay K. Dt. von Renate Heuer], Nachdr. d. Ausg. Köln u. Opladen, Middelhauve, 1962. — Frankfurt/Main : Vervuert, 1986. ISBN 3-921600-45-6 NE: León-Portilla, Miguel [Hrsg.]

Aus dem Náhuatl übersetzt von Angel Maria Garibay K. Deutsch von Renate Heuer Nachdruck der Ausgabe von 1962 im Verlag Friedrich Middelhauve, Köln und Opladen; mit freundlicher Genehmigung des Verlages. © dieser Ausgabe: Verlag Klaus Dieter Vervuert Frankfurt/Main 1986 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Typographie Wolfgang Tiessen Gesamtherstellung: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

VORBEMERKUNG

Die altmexikanischen Tempel und Opferstätten, die Kunstwerke, die das zugrundegegangene Reich der Azteken überdauert haben, sind ein Objekt der Forschung geworden, aber es zeigte sich auch gerade in diesem Fall - eine besonders starke menschliche Anteilnahme. Zweifelsohne ist es das Auslöschen einer Kultur, der plötzliche, durch eine Jahreszahl datierbare Untergang, der diese erstarrten Zeugnisse einer Vergangenheit in ein geheimnisvolles Licht stellt. Daß damals die Europäer sich schuldig gemacht haben, darf dabei nicht vergessen werden, und doch werden wir, die in der Gegenwart leben, vor allem die Frage stellen, wie dieser Vorgang möglich war, wie er zustande kam, wie er die Menschen erfaßt hat, und damit sind nicht die historischen Einzelheiten gemeint, sondern die Umstände und Triebkräfte eines so offenkundig exemplarischen Schicksals. Wir wissen, was es bedeutet, wenn das Aztekenreich statt eines >NiedergangsUntergang< und damit die Zukunftslosigkeit erleiden mußte. Daß über dieses tragische Ende - aus einer anderen Sicht gesehen: über die Eroberung Mexikos - nicht nur die Spanier berichtet haben, sondern auch die Azteken selbst, ist lange Zeit wenig beachtet worden. Während die Briefe, die Cortés an Karl V. schrieb, und die Denkwürdigkeiten des spanischen Hauptmanns Bemal Díaz del Castillo, der alle Eroberungszüge miterlebte, in Europa bekannt wurden und die historische Beurteilung bestimmten, blieben die aztekischen Berichte in den Archiven amerikanischer und europäischer Bibliotheken verborgen. Unter diesen mehr als 40 Handschriften aber, die von der aztekischen Literatur erhalten sind, befinden sich zwölf, die das hereinbrechende Unheil und die Vernichtung in sprachlichen Darstellungen oder in Bilderfolgen gemalt festhalten. Es ist das Verdienst spanischer Missionare, wenn diese Berichte zustande gekommen und erhalten geblieben sind. Die Mönche Fray Bernardino de Sahagún und Fray Diego de Durán versuchten unter 5

schwierigsten Bedingungen, aztekische Literatur zu retten, zu sammeln und aufzubewahren. Sie arbeiteten Mittel aus, um die NáhuatlSprache in ihrem lateinischen Alphabet aufzuzeichnen, und so wurden viele der nur im Gedächtnis bewahrten Hymnen und Mythen erhalten. Gleichzeitig lehrten sie die Azteken, die Berichte vom Untergang ihres Reiches im Wortlaut ihrer eigenen Sprache schriftlich zu fixieren. Die so entstandene große und ungewöhnliche Dokumentation ist aber immer noch nicht zu ihrer vollen Wirkung gekommen. Das hat einen naheliegenden Grund, denn auch die Berichte vom Untergang wurden wie alle anderen Codices fast ausschließlich als Forschungsmaterial betrachtet. In Deutschland begann man erst im 20. Jahrhundert mit ihrer wissenschaftlichen Erschließung. Die Übersetzungen von Seier, Schultze-Jena, Lehmann und anderen entfernen sich aber von einer Wort-fur-Wort-Übersetzung nur so weit, als ein korrektes Deutsch verlangt. Für den nicht versierten Leser sind sie schwer verständlich, da sie ja nicht für ihn, sondern für Ethnologen oder Kulturhistoriker bestimmt waren. Aztekische Literatur wurde hier nicht als Literatur, sondern als Quelle betrachtet, die wertvolle Aufschlüsse geben konnte über die Riten und Bräuche, den Aufbau und die soziale Schichtung eines archaischen Volkes, über den Ablauf seiner Geschichte, über die Wege seiner Entwicklung. In Mexico-City selbst wurde aber seit einiger Zeit damit begonnen, die altmexikanischen Dokumente als Literatur zu werten und zu erschließen. Der Herausgeber der spanischen Originalausgabe dieses Buches, Dr. Miguel León-Portilla, Direktor des Instituto Indigenista Interamericano in Mexico-City, machte durch seine Zusammenstellung der Texte ihre dichterische Qualität, ihren Rang als ein Dokument der Weltliteratur zum ersten Mal bewußt und einsehbar, über die Grenzen wissenschaftlichen Interesses hinaus. Der Name des Herausgebers und die Mitwirkung des Direktors des Seminars für Náhuatl-Kultur an der Universität Mexico, Dr. Angel Maria Garibay K., der seine spanischen Übersetzungen der Náhuatl-Texte 6

zur Verfugung gestellt hat, bürgen dafür, daß die ausgewählten Dokumente aus größter Sachkenntnis und mit wissenschaftlicher Genauigkeit ediert wurden. Die Texte sind so geordnet, daß sie die historischen Tatsachen in ihrem chronologischen Ablauf wiedergeben. Am Karfreitag des Jahres 1519 landeten Cortés und seine Soldaten an der Küste von Vera Cruz. Das Erscheinen der Europäer, die auf >schwimmenden Bergen< sich der Küste nähern, mit unbekannten Waffen und Tieren und mit einer erschreckend fremden Macht, vermögen die Azteken nur aus ihrer archaisch-mythischen Vorstellungswelt zu deuten. Sie erwarten die Rückkehr ihrer Götter, so versprechen es die Mythen. Und als die Zeichen sich mehren, als göttliche Wesen über das Meer heranfahren, machen sich die Azteken bereit, sie festlich zu empfangen. Sie bringen ihre Reichtümer, sie opfern Menschen zu Ehren der >Götter< und müssen erfahren, wie ihr Kultus versagt, die Fremden und Fernen nicht erreicht. Zwei Welten prallen aufeinander, zwischen denen nichts Gemeinsames sich herstellt. Die Spanier kämpfen in blinder Gier nach Gold. Die Azteken, verlassen von ihren Göttern, verteidigen sich in einem sinnlosen Kampf. Der schwächere Gegner, der Speere gegen Kanonen richtete, ist zugrundegegangen. Die aztekischen Zeugnisse dieses Untergangs, unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse niedergeschrieben, werden hier in deutscher Sprache veröffentlicht. Vier Abbildungen aus dem Codex de Tlaxcala sind in der Originalgröße in den Text eingefügt, drei Karten zeigen den Weg der spanischen Eroberer, das Tal von Mexiko und das vorspanische MexikoTenochtitlan. Erklärungen und Erläuterungen gibt der Anhang.

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NAUUTLA

CeMPOAL** VERACRUZ.

KAPITEL I

Codex Florentino. Original in Náhuatl. Nach der ersten verlorenen Fassung von l j j f um ijSj neu geschrieben unter der Leitung von Fray Bernardino de Sahagún. Buch xn, Kapitel 1 Das erste böse Omen: Zehn Jahre bevor die Spanier in dieses Land kamen, erschien nachts ein böses Vorzeichen am Himmel. Es war wie die Glut der Morgenröte, wie eine Feuerflamme, wie eine lodernde Feuergarbe. Die Flamme brannte breit und schoß spitz in die Höhe, mitten hinein in das Herz des Himmels, und blutiges Feuer fiel wie aus einer Wunde in Tropfen herab. Die Flamme zeigte sich im Osten und erhob sich zu voller Höhe u m Mitternacht. Bis der Tag kam, züngelte sie gierig empor. Erst die Sonne besiegte sie mit der Morgenröte. Ein ganzes Jahr lang schien diese Flamme; im Jahr >Zwölf Haus< erschien sie uns Nacht für Nacht. Und als sie zuerst gesehen wurde, schrien die Leute vor Angst. Sie schlugen sich auf den Mund, waren bestürzt und verwirrt und fragten: »Was kann das bedeuten?« Das zweite böse Omen: Der Tempel des Gottes Huitzilopochtli stand plötzlich in Flammen. Er brannte von selbst herab, niemand hatte ihn angezündet. Tlacateccan - Haus der Macht - hieß der heilige Platz, auf dem er gebaut war. Und nun steht er in Flammen, seine hölzernen Säulen brennen. Die Feuerzungen schießen heraus bis hoch in den Himmel. Schnell haben sie alle hölzernen Pfeiler des Tempels verzehrt. Als das Feuer zuerst gesehen wurde, schrien die Leute: »Mexikaner, kommt, lauft, wir können es löschen! Bringt Wasserkrüge!« Aber als sie Wasser in die lodernde Glut gössen, flammte das Feuer noch höher auf. Sie konnten es nicht ersticken, und der Tempel brannte nieder bis auf den Grund. Das dritte böse Omen: Ein Blitzstrahl traf den Tempel Xiuhtecuhtlis, des Feuergottes. Er war aus Stroh gebaut und stand in Tzonmolco. Nur ein feiner Regen fiel an jenem Tage, und kein Donner war zu ii

hören. Darum nahmen wir den Blitzstrahl als böses Zeichen und sagten: »Die Sonne selbst hat den Tempel getroffen.« Das vierte böse Omen: Feuer zog über den Himmel, als die Sonne noch schien. Es flog in drei Streifen dahin, von Westen nach Osten, und schüttete einen roten, heißen Funkenregen aus. Als die Leute den langen Schweif durch die Lüfte fegen sahen, schrien ihre angstvollen Stimmen wie tausend rasselnde Schellen. Das fünfte böse Omen: Der Wind peitschte das Wasser, bis es aufschäumte. Es kochte vor Zorn, es zerkochte sich selbst in Raserei. Es rollte von weither heran, stieg hoch in die Luft und schmetterte gegen die Mauern der Häuser, riß sie weg in die Fluten. Das geschah an unserem See, in Mexiko. Das sechste böse Omen: Nacht für Nacht hörte man eine weinende Frau. Um Mitternacht irrte sie umher und weinte und schrie laut und klagend: »Meine lieben Kinder, wir müssen fliehen aus dieser Stadt, ins Elend!« Und manchmal schluchzte sie: »Meine Kinder, wohin soll ich Euch bringen?« Das siebte böse Omen: Ein seltsamer Vogel wurde in den Netzen gefangen. Die Männer, die in den Seen fischen, fingen einen Vogel mit aschgrauem Gefieder. Er glich einem Kranich. Sie brachten ihn zu Motecuhzoma in das Schwarze Haus. Der Vogel trug einen Spiegel in der Federkrone seines Kopfes. Der Spiegel war in der Mitte durchbohrt wie der Wirtel am Spinnrad, und der Nachthimmel spiegelte sich darin wider. Es war erst Mittag, aber die Sterne und mamalhuatzli, der Feuerbohrer, schienen doch in dem Spiegel. Als Motecuhzoma die Sternbilder sah, deutete er das als großes, unheilvolles Vorzeichen. Doch als er zum zweiten Male in den Spiegel blickte, sah er in der Ferne ein Schlachtfeld. Männer, in Reihen ausgerichtet wie Rohrschäfte, kamen eilig heran. Sie waren zum Kriege gerüstet und ritten auf den Rücken von Hirschen. Motecuhzoma berief seine Zeichendeuter und Weisen und fragte: »Könnt Ihr erklären, was ich gesehen habe? Geschöpfe wie menschliche Wesen, sie liefen und fochten...!« 12

Aber als sie in den Spiegel sahen, um das Bild zu deuten, war alles verschwunden, und sie sahen nichts. Das achte böse Omen: Mißgestaltete Wesen erschienen auf den Straßen der Stadt, Menschen mit zwei Köpfen auf einem Leib. Man brachte sie in das Schwarze Haus zu Motecuhzoma. Doch als er sie ansah, verschwanden sie spurlos. Historia de Tlaxcala. Geschrieben von Diego Muik>% Camargo. Original in Spanisch nach 15/0. Der Mestize Diego Muno% Camargo distanziert sich von der unmittelbaren Darstellung der >Eingeborenen< und versucht, Erklärungen und Erläuterungen geben. Buch n, Kapitel 1 Zehn Jahre bevor die Spanier in dieses Land kamen, sah das Volk eine seltsame Erscheinung und deutete sie als böses Zeichen mit übler Vorbedeutung. Diese Erscheinung war eine große Flammensäule, die in der Nacht brannte und so glänzende Funken und Blitze ausstrahlte, daß es aussah, als ob aus glühendem Morgenrot Feuer auf die Erde regnete. Die Wunderflamme fraß sich am Himmel fest wie eine Pyramide; die Grundfläche auf dem Boden war von ungeheurer Breite, der Rumpf wuchs zu einer hochaufragenden Spitze, die die Wolken berührte. Das Zeichen erschien um Mitternacht und war noch in der Morgendämmerung zu sehen, doch am Tage wurde es ausgelöscht durch die Kraft und den Glanz der Sonne. Dieses Omen brannte ein ganzes Jahr lang. Es erschien in dem Jahr, das die Eingeborenen >Zwölf Haus< nennen; das ist nach unserer spanischen Zeitrechnung das Jahr 1517. Als dieses böse Omen zuerst gesehen wurde, waren die Eingeborenen von Schrecken übermannt. Sie weinten, schrien, kreischten und schlugen sich mit den Händen auf den Mund, wie es ihre Gewohnheit ist. Unter Weinen und Schreien brachten sie Blut und Menschen zum Opfer dar; denn das war bei ihnen Brauch, wenn sie sich von einem Unglück bedroht fühlten. Dieses große Wunderding staunten sie so voller Furcht an, daß sie ständig darüber sprachen und zu ergründen suchten, was eine solche

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Erscheinung wohl bedeuten könne. Sie baten die Seher und Magier, ihnen die Bedeutung auszulegen, weil sie ein solches Wunderding niemals vorher gesehen hatten. Man hatte auch nicht gehört, daß es je sonst irgendwo auf der Welt erschienen wäre. Es muß noch angemerkt werden, daß diese Zeichen zehn Jahre bevor die Spanier kamen zu erscheinen begannen, daß aber >Zwölf Haus< nach der Zeitrechnung der Eingeborenen nur zwei Jahre vor der Ankunft der Spanier liegt, denn es ist unser Jahr 1517. Das zweite Wunder, Zeichen oder Omen, das die Eingeborenen sahen, war dies: Der Tempel des Teufels Huitzilopochtli im Stadtbezirk Tlacateco fing Feuer und brannte, obwohl niemand ihn angezündet hatte. Die Glut entstand so plötzlich und war so mächtig, daß tosende Flammen aus den Türen schlugen und den Himmel zu berühren schienen. Als dies geschah, gab es große Verwirrung und lautes Schreien und Klagen. Die Leute riefen: »Mexikaner! Kommt so schnell Ihr könnt! Bringt Eure Wasserkrüge mit zum Löschen!« Jeder, der das Schreien hören konnte, lief zum Helfen herbei, aber wenn sie Wasser auf das Feuer schütteten, loderte es nur mit noch größerer Heftigkeit, und so brannte der Tempel ganz nieder. Das dritte Wunder und Zeichen war dies: Ein Feuerschlag traf einen Götzentempel, dessen Dach aus Stroh gemacht war. Der Name dieses Tempels war Tzonmolco, und er war ihrem Götzen Xiuhtecuhtli geweiht. Weder Blitz noch Donner zeigte sich, als der Schlag den Tempel traf, nur ein leichter Regen fiel herab wie Tau. Man faßte das als Wunder und böses Omen auf, und alles brannte nieder. Das vierte Wunder war dies: Während des Tages, als die Sonne schien, blitzten Kometen durch den Himmel. Drei Kometen rasten von Westen nach Osten mit großer Hast und Heftigkeit und sprühten glänzende Glutstücke und Feuerfunken aus und zogen so lange Schwänze hinter sich her, daß ihr Strahlen den Himmel ausfüllte. Als diese Vorzeichen gesehen wurden, war das Volk erschreckt und schrie und klagte laut. Das fünfte Wunder war dies: Der Mexiko-See stieg an, als kein Wind 14

wehte. Er kochte und kochte und schäumte zu solcher Höhe auf, daß er die halbe Stadt überspülte. Haus um Haus stürzte ein und wurde von den Fluten begraben. Das sechste Wunder war dies: Die Leute hörten in der Nacht die Stimme einer weinenden Frau. Ihr Seufzen und Stöhnen erstickte in ihren Tränen. Diese Frau schrie: »Oh, meine Söhne, wir sind verloren...!« oder sie schrie: »Oh, meine Söhne, wo kann ich Euch verbergen?« Das siebte Wunder war dies: Die Männer, die auf dem See von Mexiko arbeiten - Fischer und andere Bootfahrer oder die Vogelsteller in ihren Kanus - fingen einen dunkelgefiederten Vogel, der einem Kranich ähnelte, und brachten ihn zu Motecuhzoma, daß er ihn sähe. Er war im Schwarzen Palast; die Sonne neigte sich schon nach Westen. Dieser Vogel war so einzigartig und wunderbar, daß niemand ihn übertrieben genug oder gar richtig hätte beschreiben können. Ein rundes Diadem in Form eines klaren, durchscheinenden Spiegels krönte seinen Kopf, in dem man den Himmel mit den drei Sternen des Taurus und den Sternen der Zwillinge sehen konnte. Als Motecuhzoma dies sah, war er von Furcht und Verwunderung bedrückt; denn er glaubte, daß es ein schlimmes Vorzeichen wäre, die Sternbilder im Diadem jenes Vogels zu sehen. Als Motecuhzoma ein zweites Mal in den Spiegel blickte, sah er eine Schar Menschen. Alle waren wie Krieger bewaffnet und kamen in geordneten Reihen heran. Sie kämpften miteinander und wurden von seltsamen Hirschen und anderen Tieren begleitet. Da rief er nach seinen Magiern und Wahrsagern, deren Weisheit er vertraute, und fragte sie, was diese unnatürlichen Gesichte zu bedeuten hätten. »Meine Heben und gelehrten Freunde, bedeutsame Zeichen sind mir in der Krone eines Vogels erschienen, den man nie zuvor gesehen hat und den man deshalb als neues Wunder zu mir brachte. In der Krone, die durchscheinend wie ein Spiegel ist, sah ich eine seltsame Schar fremder Leute, die quer über eine Ebene auf mich zukamen. Nun seht selbst hinein und betrachtet, was mir erschienen ist!« 15

Aber als sie für ihren Herrn ergründen wollten, wie eine so wunderbare Erscheinung zu deuten sei, als sie ihm ihre Sprüche, Wahrsagungen und Voraussagungen offenbaren wollten, verschwand der Vogel plötzlich, und so konnten sie keine sichere Deutung geben. Das achte Wunder und Zeichen, das in Mexiko erschien: Die Eingeborenen sahen zwei Männer, die in einen Körper gepreßt waren, die nannten sie tlacantzolli - zusammengepreßte Männer und andere, die zwei Köpfe aber nur einen Körper hatten. Sie wurden in den Schwarzen Palast gebracht, damit der große Motecuhzoma sie sähe. Aber kaum hatte er sie erblickt, als sie verschwanden und mit ihnen diese Zeichen und alle andern. Den Eingeborenen sagten diese Wunder Tod und Untergang voraus. Sie zeigten an, daß das Ende der Welt gekommen sei und daß andere Völker geschaffen würden, um die Erde zu bewohnen. Sie waren so erschrocken und so kummerbeladen, weil sie keine Deutung für diese Dinge finden konnten, die so neu und seltsam und unerhört waren und die man nie vorher gesehen hatte. Kurz vor der Ankunft der Spanier gab es hier in der Provinz Tlaxcala noch andere Zeichen. Das erste Zeichen war ein Strahlenkranz, der jeden Morgen, drei Stunden vor Sonnenaufgang, im Osten erschien. Dieser Strahlenkranz schwebte als glänzende weiße Wolke zum Himmel auf, und die Leute waren verwundert und furchtsam und wußten nicht, was das bedeuten könnte. Sie sahen auch noch ein anderes merkwürdiges Zeichen: Ein Wirbelwind aus Staub wehte wie ein Ärmel von der Spitze der Matlalcueye, die jetzt Sierra de Tlaxcala heißt. Dieser Ärmel faltete sich so aus, daß er den Himmel zu berühren schien. Während eines ganzen Jahres erschien dieses Zeichen viele Male, und es erzeugte bei den Tlaxcalteken große Furcht und Erstarrtheit, obwohl das Gefühle sind, die ihrem Wesen und der Natur ihres Volkes sonst ganz fehlen. Sie konnten nur glauben, daß die Götter vom Himmel herabgestiegen wären, und Nachrichten flogen durch die Provinz bis in die kleinsten Dörfer. Aber was es auch mit diesen Zeichen auf sich ge16

habt haben mag, schließlich wurde die Ankunft eines seltsamen neuen Volkes berichtet und bestätigt, besonders in Mexiko, der Hauptstadt dieses Reiches und Königtums.

K A P I T E L II Crönica Mexicana. Geschrieben um 1598 von Alvarado Te^o^ömoc. Der einzige erhaltene Text ist in Spanisch überliefert. Alvarado Te^o^ömoc schrieb die Crönica mexicdyotl in Ndhuatl. Kapitel c v i und c v n

Motecuhzoma berief die Provinzstatthalter zu sich. Er befahl ihnen, die Dörfer nach Magiern zu durchsuchen und alle zu ihm zu bringen, die sie fänden. Die Beamten kehrten mit vielen Zauberern zurück, die angemeldet und dann vor das Angesicht des Königs geführt wurden. Sie knieten vor ihm nieder, ein Knie auf den Boden gestützt, und erwiesen ihm höchste Ehrerbietung. Er fragte sie: »Habt Ihr seltsame Zeichen gesehen, am Himmel oder auf der Erde, in den Höhlen unter der Erde, in den Seen oder Flüssen? Eine weinende Frau oder seltsame Männer? Erscheinungen, Trugbilder oder Ähnliches?« Aber die Zauberer hatten die Omen nicht gesehen, die Motecuhzoma zu begreifen suchte, und konnten ihn deshalb nicht beraten. Er sagte zu seinem petlacälcatl: »Schaff diese Schurken weg, sperr sie im Cuauhcalco-Gefangnis ein. Sie werden sprechen müssen, auch gegen ihren Willen.« A m nächsten Tag befahl er seinen petlacilcatl und sprach: »Bring diese Zauberer zum Sprechen! Sie sollen sagen, ob wir mit Krankheit geschlagen werden, mit Hungersnot, mit Heuschreckenplagen, mit Stürmen auf dem See, mit Dürrezeiten, ob der Regen ausbleiben wird oder nicht. Ob Mexiko Krieg droht, ob ein großes Sterben kommt, ob wilde Tiere uns Tod bringen. Mir hat man nichts zu verheimlichen. Sie sollen mir auch sagen, ob sie Cihuacöatls Stimme gehört haben, denn sie zeigt zuerst alle bösen Ereignisse an, lange bevor sie eintreten.« 17

habt haben mag, schließlich wurde die Ankunft eines seltsamen neuen Volkes berichtet und bestätigt, besonders in Mexiko, der Hauptstadt dieses Reiches und Königtums.

K A P I T E L II Crönica Mexicana. Geschrieben um 1598 von Alvarado Te^o^ömoc. Der einzige erhaltene Text ist in Spanisch überliefert. Alvarado Te^o^ömoc schrieb die Crönica mexicdyotl in Ndhuatl. Kapitel c v i und c v n

Motecuhzoma berief die Provinzstatthalter zu sich. Er befahl ihnen, die Dörfer nach Magiern zu durchsuchen und alle zu ihm zu bringen, die sie fänden. Die Beamten kehrten mit vielen Zauberern zurück, die angemeldet und dann vor das Angesicht des Königs geführt wurden. Sie knieten vor ihm nieder, ein Knie auf den Boden gestützt, und erwiesen ihm höchste Ehrerbietung. Er fragte sie: »Habt Ihr seltsame Zeichen gesehen, am Himmel oder auf der Erde, in den Höhlen unter der Erde, in den Seen oder Flüssen? Eine weinende Frau oder seltsame Männer? Erscheinungen, Trugbilder oder Ähnliches?« Aber die Zauberer hatten die Omen nicht gesehen, die Motecuhzoma zu begreifen suchte, und konnten ihn deshalb nicht beraten. Er sagte zu seinem petlacälcatl: »Schaff diese Schurken weg, sperr sie im Cuauhcalco-Gefangnis ein. Sie werden sprechen müssen, auch gegen ihren Willen.« A m nächsten Tag befahl er seinen petlacilcatl und sprach: »Bring diese Zauberer zum Sprechen! Sie sollen sagen, ob wir mit Krankheit geschlagen werden, mit Hungersnot, mit Heuschreckenplagen, mit Stürmen auf dem See, mit Dürrezeiten, ob der Regen ausbleiben wird oder nicht. Ob Mexiko Krieg droht, ob ein großes Sterben kommt, ob wilde Tiere uns Tod bringen. Mir hat man nichts zu verheimlichen. Sie sollen mir auch sagen, ob sie Cihuacöatls Stimme gehört haben, denn sie zeigt zuerst alle bösen Ereignisse an, lange bevor sie eintreten.« 17

Die Magier antworteten: »Was können wir sagen? Die Zukunft ist schon im Himmel bestimmt und verfugt. Motecuhzoma wird das große Wunder erleben, das über sein Land fallt. Er wird es erleiden, und wenn unser König mehr davon wissen will, er wird es bald genug sehen, denn es kommt schnell. Da er forderte, daß wir sprechen: Dies ist es, was wir voraussagen. Und da es sicher bald geschieht, kann er nur darauf warten.« Der petlacilcatl kam zurück und offenbarte Motecuhzoma, was sie gesagt hatten und daß das, was geschähe, schnell kommen würde. Motecuhzoma war bestürzt. Dies stimmte zusammen mit der Vorhersage Nezahualpillis, des Königs von Tezcoco. Er sprach zu dem petlacilcatl: »Frag sie noch einmal nach diesem Geheimnis aus! Suche zu erfahren, ob es vom Himmel oder von der Erde kommen wird, und aus welcher Richtung oder von welchem Ort es kommen wird, und wann es geschehen wird.« Der petlacilcatl ging nach dem Gefängnis zurück, um die Zauberer wieder auszuforschen, aber als er eingetreten war und die Türen aufschloß, entdeckte er voll Entsetzen, daß niemand mehr da war. Er eilte zu Motecuhzoma und sagte zu ihm: »O Herr, befiehl, daß man mich in Stücke schneidet oder was sonst Dir gefällt; denn Du mußt erfahren, mein Herr, als ich ankam und die Türen öffnete, war niemand mehr da. Ich habe zuverlässige Wächter an dem Gefängnis, vertrauenswürdige Männer, die mir seit Jahren dienen. Keiner hörte, daß sie entkamen. Ich selbst glaube, sie hoben sich durch die Lüfte davon, denn sie wissen, wie man sich unsichtbar macht. Das tun sie jeden Abend und fliegen an die Grenzen der Erde. Auch jetzt müssen sie das getan haben.« Motecuhzoma sagte: »Laß die Schurken! Ruf die Häuptlinge zusammen, befiehl ihnen, nach den Dörfern aufzubrechen, in denen die Zauberer leben. Befiehl ihnen, ihre Frauen und Kinder zu töten und ihre Häuser zu zerstören!« Er ließ auch viele Diener mitschicken, die die Häuser ausplündern sollten. 18

Als die Häuptlinge ankamen, erhängten sie die Frauen mit Seilen, und die Kinder zerschmetterten sie an den Wänden. Dann rissen sie die Häuser nieder und wühlten auch die Fundamente aus. Einige Tage später kam ein macehual, ein einfacher Mann, aus Mictlancuauhtla in die Stadt. Niemand hatte ihn geschickt, keiner von den Beamten. Er kam aus eigenem Antrieb. Er ging geradeswegs zu Motecuhzomas Palast und sagte zu ihm: »Herr und König, vergib mir meine Kühnheit. Ich bin aus Mictlancuauhtla. Als ich an die Küste des großen Meeres ging, schwamm da eine Reihe von Bergen mitten auf dem Wasser und bewegte sich hierhin und dorthin, ohne ans Ufer zu kommen. Mein Herr, wir haben nie vorher so etwas gesehen, obwohl wir die Küste beobachten und immer wachsam sind.« Motecuhzoma dankte ihm und sagte: »Du kannst Dich jetzt ausruhen.« Der Mann, der diese Nachricht brachte, hatte keine Ohren und keine Zehen, sie waren ihm abgeschnitten worden. Motecuhzoma sagte zu seinem petlacálcatl: »Bringe ihn in das Gefängnis und bewache ihn gut!« Dann ließ er einen der klügsten Priester kommen und ernannte ihn zu seinem Großkundschafter. Er befahl ihm: »Geh nach Cuetlaxtlan und berichte dem Statthalter dieser Provinz: es ist wahr, seltsame Dinge sind auf dem großen Meer erschienen. Befiehl ihm, diese Dinge selbst zu untersuchen, damit er erfährt, was sie bedeuten mögen. Befiehl ihm, seinen Auftrag so schnell wie möglich auszuführen, und nimm den Gesandten Cuitlalpitoc zu Deiner Begleitung mit.« Als die Gesand ten in Cuetlaxtlan ankamen, sprachen sie mit dem Statthalter, einem Mann namens Pinotl. Er hörte ihnen sehr aufmerksam zu und sagte dann: »Ihr Herren, ruht Euch bei mir aus und sendet Eure Diener nach der Küste.« Die Diener brachen auf und kamen schon bald in großer Hast zurück, um zu berichten, daß es wahr wäre, was man gehört hatte. Sie hatten zwei Türme oder kleine Berge gesehen, die auf den Wellen des Meeres schwammen. Der Großkundschafter sagte zu Pinotl: »Ich wünsche, diese Wunder selbst zu 19

sehen. Ich muß herausfinden, was für eine Bewandtnis es mit ihnen hat; denn ich muß unserm Herrn als Augenzeuge dienen. Ich will mich selbst überzeugen und ihm dann genau berichten, was ich gesehen habe.« Oeshalb ging er mit Cuitlalpitoc an die Küste hinaus, und dort sahen sie etwas, was vom Ufer entfernt im Wasser schwamm. Sie konnten auch erkennen, daß sieben oder acht der Fremden es in kleinen Booten verlassen hatten und mit Haken und Schnüren fischten. Der Großkundschafter und Cuitlalpitoc kletterten in einen breitästigen Baum hinauf. Von dort aus sahen sie, wie die Fremden Fische fingen, und als sie fertig waren, in ihrem kleinen Boot nach dem Turm zurückfuhren. Der Großkundschafter sagte: »Komm, Cuitlalpitoc!« Sie stiegen aus dem Baum und eilten in das Dorf zurück. Dort verabschiedeten sie sich hastig von Pinotl. Sie kehrten so schnell wie möglich in die große Stadt Tenochtitlan zurück, um Motecuhzoma zu sagen, was sie gesehen hatten. Als sie in der Stadt angekommen waren, eilten sie sofort in den Palast des Königs und berichteten ihm mit gebührender Achtung und Demut. »Herr und König, es ist wahr, Fremde sind an die Küste des großen Meeres gekommen. Wir sahen, wie sie von einem kleinen Boot aus fischten. Einige hielten Ruten, andere warfen ein Netz. Sie fischten, bis es spät wurde. Dann fuhren sie zu ihren beiden großen Türmen zurück und stiegen hinein. Wir zählten ungefähr fünfzehn Leute. Einige trugen blaue Umhänge, andere rote, andere schwarze oder grüne, einige hatten auch sehr häßliche braune, wie unsere ichtilmatli. Einige hatten gar keinen Umhang. Auf dem Kopf trugen sie rote Tücher oder leuchtende scharlachrote Mützen, und einige hatten sich große runde Hüte aufgesetzt, die wie unsere comales aussehen und wohl vor der Sonne schützen sollten. Sie haben sehr helle Haut, viel heller als wir. Sie tragen alle lange Bärte, aber ihr Haar reicht nur bis an die Ohren.« Als Motecuhzoma diesen Bericht angehört hatte, war er niedergeschlagen und sprach kein Wort. 20

Nach langem Schweigen sprach Motecuhzoma endlich: »Ihr seid die Häuptlinge meines eigenen Hauses und meines Palastes, Euch kann ich mehr vertrauen und glauben als allen anderen, weil Ihr mir immer die Wahrheit gesagt habt. Geht mit dem petlacälcatl, und bringt mir den eingekerkerten Mann, den macehual, der als Bote von der Küste kam.« Sie gingen nach dem Kerker, aber als sie die Türen öffneten, konnten sie den Gefangenen nirgendwo finden. Sie liefen zurück, um Motecuhzoma dies neue Ereignis zu melden. Er war noch verwirrter und noch erschrockener als sie, aber er sagte: »Das scheint mir nicht unbegreiflich, denn es gibt viele Zauberer. Doch hört, was ich Euch jetzt sage! Hört meine Befehle und verratet sie nicht, sonst werde ich Euch unter meinen Hallen begraben, Eure Frauen und Kinder töten lassen, Euren Besitz einziehen, Eure Häuser zerstören lassen bis auf den Grund, bis das Wasser des Sees hochsteigt, Eure Eltern und Euer ganzes Geschlecht will ich ausrotten lassen. Nun hört: bringt mir heimlich zwei der größten Künstler unter den Silberschmieden und zwei Steinschneider, die die Smaragde am geschicktesten bearbeiten.« Sie gingen und kamen zurück und sagten zu ihm: »Herr, hier sind die Handwerker, die Du uns zu holen befahlst.« Motecuhzoma sagte: »Ruft sie herein!« Sie traten ein, und Motecuhzoma sagte zu ihnen: »Kommt näher zu mir, meine Väter! Ihr sollt wissen, daß ich Euch gerufen habe, damit Ihr mir einige Sachen anfertigt. Aber hütet Euch, zu irgend jemandem darüber zu sprechen; denn wenn Ihr das tut, bedeutet es die Zerstörung Eurer Häuser bis auf den Grund, den Verlust Eurer Güter, Tod für Euch, Eure Frauen und Kinder und Eure Verwandten. Alle werden dann sterben. Jeder von Euch soll zwei Gegenstände anfertigen, und zwar hier, unter meiner Aufsicht, ganz im geheimen, in diesem Palast.« Er befahl dem ersten Handwerker: »Du machst ein Halsband, eine Kette aus Gold, mit vierfingerbreiten, sehr feinen Gliedern. Jedes 21

einzelne Stück soll in der Mitte reichen Smaragdschmuck haben, und auch an den Seiten sollen Smaragde herunterhängen wie Ohrringe. Dann schmiede ein Paar goldener Armbänder, an denen Goldketten hängen. Und tu das mit Windeseile.« Dem andern Handwerker befahl er, zwei große Fächer aus kostbaren Federn zu arbeiten. In der Mitte sollten sie auf einer Seite den goldenen Halbmond, auf der andern die goldene Sonne haben, so strahlend poliert, daß ihr Schein weithin glänzen würde. Er befahl ihm auch, zwei goldene Armspangen zu machen und sie reich mit Federn zu verzieren. Und beiden Steinschneidern gab er den Auftrag, für Hand- und Fußgelenke zwei Doppelbänder aus Gold mit feinen Smaragden zu verzieren. Dann befahl er seinem petlacälcatl, viele Röhren mit Goldstaub, die schönsten und besten Schmuckfedern, Smaragde und andere kostbarste Steine heimlich herbeizuschaffen. Alles wurde den Künstlern gegeben, und in wenigen Tagen hatten sie ihre Arbeit beendigt. Eines Morgens sandten sie einen Palastbuckligen zu dem König Motecuhzoma, der sich gerade erhoben hatte, und ließen ihn bitten, in ihre Werkstatt zu kommen. Als er eintrat, erwiesen sie ihm ihre Ehrerbietung und sagten: »Herr, das Werk ist beendet, wir bitten Dich, es zu prüfen.« Motecuhzoma sah, daß die Stücke vorzüglich waren, und sagte ihnen, ihre Arbeit gefalle ihm, er sei mit ihnen zufrieden. Er rief seinen petlacälcatl und ordnete an: »Gib meinen Großvätern hier kostbare Stoffe, huipiles und Hemden für meine Großmütter, Baumwolle, Pfefferschoten, Mais, zerquetschte Samen und Bohnen, jedem den gleichen Betrag.« Und die Handwerker kehrten damit zufrieden in ihre Häuser zurück. ..

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K A P I T E L III

Codex Florentino. Buch xn, Kapitel j, 4, 8 und 9 Motecuhzoma gab Pinotl, dem Statthalter von Cuetlaxtlan, und den anderen Beamten Befehle. Er sagte: »Gebt Anweisung: Wachen sind an den Küsten des Meeres aufzustellen, bei Nauhtla, Tuztlan, Mictlancuauhtla, überall, wo die Fremden erscheinen!« Die Beamten machten sich auf und gaben sofort die Befehle. Darauf berief Motecuhzoma die Großen seines Reiches: den königlichen Ratgeber, Cihuacöatl Tlilpotonqui, die Schlangenfrau, den Tlacochcälcatl Cuappiaztzin, den Häuptling des Hauses der Pfeile, den Tizociahuäcatl Quetzalaztatzin, den Hüter des Kalks, und den Huiznahuatlailötlac Hecateupatiltzin, den Häuptling der Flüchtlinge aus dem Süden. Er gab ihnen die Neuigkeiten bekannt, die sich ereignet hatten, und zeigte ihnen die Gaben, die von den Fremden stammten. Er sagte: »Wir alle bewundern diese blauen Türkise, sie müssen gut gehütet werden. Den gesamten Schatz soll man gut verschließen. Wenn nur eine Perle davonrollt, sollen Eure Häuser zerstört, Eure Kinder getötet werden, selbst die, die noch der Mutterleib schützt.« Als das Jahr >Dreizehn Kaninchen< sich seinem Ende näherte, als es sich fast mit dem nächsten berührte, erschienen sie wieder. Sie wurden wieder gesehen. Sogleich brachte man Motecuhzoma die Kunde, und er sandte sofort Boten aus, denn er dachte: »Nun ist unser Fürst Quetzalcöatl gekommen!« In seinem Herzen fühlte er: er ist erschienen, er ist zurückgekommen. Nun wird er wieder seinen Thron einnehmen, wie er versprochen hat, ehe er uns verließ. Motecuhzoma schickte fünf hohe Gesandte aus, die die Fremden begrüßen und ihnen Willkommensgeschenke bringen sollten. Der Anführer der Gesandtschaft war der Priesterfürst von Yohuali23

chan, der zweite war von Tepoztlan, der dritte von Tizatlan, der vierte von Huehuetlan und der fünfte von dem großen Mictlan. Motecuhzoma sagte zu ihnen: »Kommt näher, meine Jaguarkrieger, kommt näher! Man sagt, daß unser Herr in sein Land zurückgekehrt ist. Geht, ihn würdig zu empfangen. Hört seine Botschaft! Merkt genau auf das, was er sagt, und behaltet es gut im Gedächtnis!« Dann sagte Motecuhzoma zu seinen Gesandten: »Hier, nehmt nun entgegen, was Ihr unserm Herrn überreichen sollt. Dies ist der Schatz Quetzalcóatls, der ihm gebührt.« Das erste Geschenk: die Tracht des Gottes Xiuhtecuhtli. Die Schlangenmaske, mit Türkisen besetzt, der grüne Brustschmuck aus Quetzalfedern, der Halsschmuck im petatillo-Stil mit der Goldscheibe in der Mitte, einen Schild, mit Gold und Perlmutter geschmückt, mit ausgebreiteten Quetzalfedern am Rande und einem Federbusch verziert. Auch ein Kreuzspiegel, wie er den Tänzern an heiligen Festen auf dem Rücken hüpft, auf der einen Seite mit einem Türkismosaik aus kunstvoll gelegten Steinen. Das Speerwurfbrett, ganz aus Türkisen, der Handgelenkriemen aus chalchihuites, mit kleinen goldenen Glocken behangen, und die obsidianschwarzen Sandalen. Das zweite Geschenk gab ihnen Motecuhzoma: die Tracht Tezcatlipocas. Der gelbe kegelförmige Helm, mit goldenen Sternen besät, der Ohrpflock mit vielen goldenen Schellen, das bemalte Gewand, mit Fransen verziert, am Saum mit wallenden, schaumzarten Federn besetzt, und die blaue geknüpfte Decke Tzitzilli, die >läutende Glockegroßen göttlichen Schmuck« und dazu noch anderen Kopfschmuck, goldene Schneckengehäuse und Diademe, nahmen die Abgesandten als Gaben mit. Man packte alles in große Körbe, und die Träger luden sie sich auf den Rücken für die lange Reise. Dann erteilte Motecuhzoma seinen Gesandten die letzten Befehle. Er sagte zu ihnen: »Jetzt geht, haltet Euch nirgends auf. Erweist unserm Herrn, dem Gott, höchste Ehren. Sagt ihm: >Dein Stellvertreter Motecuhzoma hat uns zu Dir gesandt. Hier sind die Gaben, mit denen er Dich in Deinem Lande Mexiko begrüßt.«« Als die Gesandten an der Küste angekommen waren, brachte man sie in Kanus nach Xicalanco. Auch die Geschenke für die Fremden ließen sie in die Boote verladen, um sie nie aus den Augen zu verlieren. Von Xicalanco fuhren sie an der Küste entlang, bis die Schiffe der Fremden gesichtet wurden. Als sie heranruderten, riefen die Fremden: »Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?« Da antworteten sie ihnen: »Wir kommen aus Mexiko.« 25

Die Fremden erwiderten: »Wer weiß, ob das wahr ist? Vielleicht erfindet Ihr das nur und wollt uns verspotten!« Aber im Herzen waren sie überzeugt, im Herzen waren sie befriedigt. Und so warfen sie von Bord ihres Schiffes einen Haken herab, zogen das Kanu damit heran, ließen eine Leiter herunter, und die Abgesandten stiegen hinauf. Sie erwiesen dem Kapitän größte Ehrerbietung. Sie aßen den Staub vor seinen Füßen, einer nach dem andern, dann redeten sie ihn an: »Möge der Gott geruhen, uns anzuhören! Dein Stellvertreter Motecuhzoma hat uns geschickt, Dir zu huldigen. Er hat Deine Stadt Mexiko in seiner Obhut. Er spricht: >Der Gott ist müde!läutende GlockeDie Gesandten sind vom Meer zurück!Haus der Schlange< empfangen. Dorthin sollen sie gehen! Und man soll zwei Gefangene mit Kalk bestreichen.« Die Gesandten begaben sich in das >Haus der Schlangen und Motecuhzoma kam. Vor seinen Augen wurden die beiden Gefangenen geopfert. Man schnitt ihnen die Brust auf und besprengte die Gesandten mit ihrem Blut; denn sie hatten einen gefährlichen Auftrag gehabt: sie hatten die Götter gesehen, ihre Augen hatten ihnen ins Antlitz geblickt. Sie hatten sogar mit den Göttern geredet. Darum wurde das Opfer so vollzogen. Als das Opfer beendigt war, berichteten die Gesandten dem König. Sie erzählten ihm, wie sie die Reise gemacht, welche Wunderdinge sie gesehen hatten und welch seltsame Speisen die Fremden äßen. Motecuhzoma war sehr erstaunt und bestürzt über ihren Bericht, und die Beschreibung der göttlichen Speise entsetzte ihn mehr als alles andere. Sie nährten sich nicht von Blut und menschlichen Herzen! 28

Erschrocken hörte er auch davon, wie die Kanone brüllt, wie ihr Donner trifft, daß man taub und ohnmächtig wird. Die Gesandten sagten: »Ein Ding wie ein Ball aus Stein fliegt aus ihrem Bauch heraus, sprüht Funken und regnet Feuer. Der Rauch stinkt wie Schwefel oder fauliger Schlamm. Er macht den Kopf benommen, denn er dringt bis ins Gehirn. Wenn die Kugel den Berg trifft, spaltet er sich und birst in Stücke. Wenn sie den Baum trifft, verweht er in Splittern, als ob ein Zauberer in seinem Innern ihn fortgeblasen hätte.« Und die Gesandten berichteten weiter: »Ihre Kriegstracht und ihre Waffen sind ganz aus Eisen gemacht. Sie kleiden sich ganz in Eisen, mit Eisen bedecken sie ihren Kopf, aus Eisen sind ihre Schwerter, ihre Bogen, ihre Schilde und Lanzen. Sie werden von Hirschen auf dem Rücken getragen, wohin sie wollen. Herr, auf diesen Hirschen sind sie so hoch wie Dächer. Ihr Körper ist ganz verborgen, nur ihre Gesichter sind nicht bedeckt. Ihre Haut ist weiß, wie aus Kalk gemacht. Ihr Haar ist gelb, nur bei einigen schwarz. Sie haben auch lange gelbe Bärte, auch die Backenbärte sind gelb. Ihr Haar ist gelockt, in glänzenden Strähnen. Ihre Speise ist menschlich, wie die von Fürsten. Sie ist groß, weiß und nicht schwer, wie Spreu, wie Maisstengel. Sie schmeckt wie gemahlene Maisstengel, wie das Mark des Maisstengels, süß, wie mit Honig versetzt. Ihre Hunde sind große Ungeheuer mit flachen Ohren und langen, hängenden Zungen. Sie haben feurige gelbe Augen, die Funken sprühen und blitzen. Ihre Bäuche sind flach wie Löffel, ihre Flanken sind lang und schmal. Sie sind wild und unermüdlich, sie springen hierhin und dahin, keuchen immer und lassen die Zunge hängen. Sie sind gefleckt wie der Jaguar.« Als Motecuhzoma diesen Bericht gehört hatte, griff die Furcht ihn an. Sie schwächte sein Herz bis zur Ohnmacht, es schrumpfte zusammen. Und die Verzweiflung eroberte ihn. Doch dann sandte er wieder Abgeordnete aus, er schickte seine 29

klügsten Leute, die begabtesten Wahrsager und Zauberer, die er nur finden konnte, und die edelsten und tapfersten Krieger. Sie nahmen Vorräte mit auf die Reise, Hühner, Eier, weiße Maisfladen, und was die Fremden sonst noch benötigen mochten oder was ihnen vielleicht gefallen könnte, trugen sie mit sich. Motecuhzoma schickte auch Gefangene mit. Sie waren für Opfer bestimmt, wenn es die Götter nach Menschenblut gelüstete. Die Gefangenen wurden vor den Fremden geopfert, doch als die Weißen das sahen, schüttelten sie sich vor Abscheu und Ekel. Sie spien auf den Boden, wischten sich Tränen ab, schlössen schaudernd die Augen, wandten den Kopf vor Entsetzen. Die mit köstlichem Blut besprengten Speisen mochten sie nicht! Sie sahen sie dampfen, das machte sie krank, wie der Genuß von verdorbenem Blut. Motecuhzoma befahl das Opfer, weil er die Fremden für Götter hielt, er betete sie an, er glaubte an sie. Sie wurden >Götter< genannt, »die vom Himmel gekommen sindHäuptling des Hauses der PfeileHäuptling des Hauses der PfeileStadt der vielen FelsenHerr über das, was oben ist< und >Herr über das, was unten istGöttern< verbündet hatten. So wurden die Spanier in allen Teilen dieser Neuen Welt in Ermanglung eines andern Namens genannt. Die Cholulteken hatten solches Vertrauen in ihren Götzen Quetzalcóatl gesetzt, daß sie glaubten, durch menschliche Macht weder geschlagen noch geschädigt werden zu können. Sie glaubten, sie würden uns in sehr kurzer Zeit schlagen können - erstens, weil die Spanier in so geringer Anzahl kamen und zweitens, weil die Tlaxcalteken sie unter absichtlicher Täuschung gegen Cholula geführt 37

hatten. Ihr Glaube an ihren Götzen war so stark, daß sie dachten, er würde unter ihren Feinden mit dem Feuer und Donner des Himmels Verheerung anrichten und sie in einer ungeheuren Wasserflut ertränken. Daran glaubten sie und riefen es mit lauter Stimme: »Laßt die Fremden nur kommen! Wir werden sehen, ob sie so mächtig sind! Unser Gott Quetzalcöatl ist hier bei uns, und ihn können sie niemals schlagen! Laßt sie nur kommen, die Schwächlinge! Wir warten auf sie, wir lachen vor Hohn über ihren einfältigen Wahn! Sie sind Narren oder Tolle, wenn sie auf diese Sodomiten von Tlaxcala bauen, die nichts sind und ihnen nachlaufen wie hörige Weiber. Laßt auch diese Mietlinge nur kommen, die sich in ihrer Angst verkauft haben! Seht auf diesen Abschaum von Tlaxcala, diese Feiglinge von Tlaxcala, diese Sträflinge! Sie sind von der Hauptstadt Mexiko unterworfen, und nun schleppen sie diese Fremden hierher und wollen sich verteidigen lassen. Wie konntet Ihr Euch so rasch verwandeln? Wie konntet Ihr Euch in die Hände dieser fremden Wilden geben? Oh, Ihr feigen Bettler, Ihr habt den unsterblichen Ruhm verspielt, den einst Eure Helden gewannen! Die hatten noch Blut in den Adern, reines Blut, von den alten Teochichimeken, den Stammvätern Eures Volkes! Was wird aus Euch werden, Ihr Verräter? Wir warten, und Ihr werdet sehen, wie unser Gott Quetzalcöatl seine Feinde bestraft!« Sie schrien solche und ähnliche Beschimpfungen, weil sie fest daran glaubten, daß ihre Feinde, die Tlaxcalteken und die Spanier, durch Blitzstrahlen vom Himmel und durch Wasserströme aus den Tempeln ihrer Götzen vernichtet würden. Den Tlaxcalteken erregte das Angst und Schrecken, was die Cholulteken voraussagten und was die Priester vom Tempel Quetzalcöatls so laut sie konnten verkündeten. Sie dachten, es möchte doch eintreten. Aber als dann die Tlaxcalteken hörten, wie die Spanier St. Jakob anriefen, und als sie sahen, wie sie die Tempel anzündeten, die Götzenbilder auf den Boden schleuderten und sie mit Eifer und Entschlossenheit entweihten, und als sie sahen, daß die Götzen machtlos 38

waren, daß keine Blitze niederfuhren und keine Ströme sich ergossen, da kamen sie zu der Einsicht, daß sie irregeleitet waren und an Täuschungen und Lügen geglaubt hatten. Dadurch ermutigt, waren sie so tapfer, daß das Gemetzel und die Verwüstung unvorstellbar wurden. Unsere Freunde lernten auch den Mut der Spanier kennen; sie planten nie wieder irgendwelche Verbrechen, sondern ließen sich durch die göttliche Ordnung führen, die ihnen aufgab, dem Herrn durch die Eroberung dieses Landes zu dienen und es aus der Macht des Teufels zu befreien. Bevor die Schlacht begann, hatte die Stadt Tlaxcala Boten und Abgesandte nach Cholula geschickt, die um Frieden bitten und erklären sollten, daß der Kriegszug sich nicht gegen die Cholulteken, sondern gegen die Culhuas oder Culhuacanenses Mexicanos richtete. Man sagt, sie würden Culhuas genannt, weil sie aus der Gegend von Culhuacan im Westen des Landes gekommen wären und Mexicanos, weil die Stadt, die sie gründeten und berühmt machten, Mexiko hieß. Die Abgesandten sagten den Cholulteken, daß Cortés ihr Anfuhrer wäre und daß sie in friedlicher Absicht kämen. Sie sagten, daß die Cholulteken nichts von den bärtigen Fremden zu befürchten hätten, denn diese gehörten einem großen und edlen Volk an, das nur ihre Freundschaft suche. Deshalb bäten sie die Cholulteken, die Fremden als Freunde und in Frieden zu empfangen, weil sie sich dann auch freundlich verhielten und ihnen keine üble Behandlung zuteil werden würde. Aber sie warnten sie auch, die weißen Männer nicht zornig zu machen, denn sie wären ein sehr kriegerisches, kühnes und tapferes Volk, das überlegene Waffen aus weißem Metall trüge. Sie sagten das, weil die Eingeborenen kein Eisen, sondern nur Kupfer hatten. Sie sagten auch, daß die Fremden Waffen bei sich hätten, die Feuer schießen könnten, und wilde Tiere an Leinen gebunden hätten, daß sie in Eisen gekleidet und gehüllt wären und die mächtige Armbrust hätten und Löwen und Jaguare, die so wild wären, daß sie Menschen fräßen. Sie meinten damit die wütenden Windhunde und 39

Bulldoggen, die die Spanier mitgebracht hatten. Und gegen diese Übermacht könnten die Cholulteken nicht ankommen, ja, sich nicht einmal verteidigen, wenn sie die >Götter< erzürnten und sich nicht friedlich ergäben. Das sollten sie nur tun, um größeren Schaden zu vermeiden, sie rieten ihnen als Freunde, so zu handeln. Aber die Cholulteken achteten nicht auf diese Worte, sie zogen vor zu sterben, statt sich zu ergeben. Sie verwarfen den guten Rat der Tlaxcalteken und zogen dem Abgesandten Patlahuatzin, einem Manne von großem Ansehen und hoher Tapferkeit, die Gesichtshaut ab. Dasselbe taten sie auch mit den Armen, die sie bis an die Ellenbogen enthäuteten, und dann schnitten sie die Hände an den Gelenken ein, so daß sie herabbaumelten. Mit diesen grausamen Verstümmelungen schickten sie ihn weg und gaben ihm die Botschaft mit: »Geh zurück und sag den Tlaxcalteken und diesen andern Bettlern oder Göttern oder was immer sie sind, daß dies unsere Einladung für sie ist zu kommen. Hier haben sie unsere Antwort.« Der Gesandte kehrte in schwerem Todeskampf zurück als Opfer eines Frevels, der großen Schrecken und Kummer in der Republik Tlaxcala hervorrief, weil er einer der angesehensten Männer des Landes war. Er starb im Dienst seines Heimatlandes, und deshalb wurde er immer von seinem Volk gerühmt, das in seinen Sagen und Liedern die Erinnerung an ihn bewahrt. Die Tlaxcalteken waren über diese unmenschliche Behandlung Patlahuatzins aufgebracht. Diese unfaßbare Grausamkeit war für sie eine große Beleidigung, da alle Gesandten von fremden Königen und Fürsten, denen sie über Verträge, Kriege oder sonstige Ereignisse in unseren Provinzen und Königreichen zu berichten hatten, dem Brauche gemäß geehrt und geachtet wurden. Deshalb sagten sie zu Cortés: »Tapferster Herr, wir wollen Dich begleiten, um Rache in Cholula zu üben wegen dieser unverschämten Bösartigkeit und die Stadt und die Provinz erobern und zerstören. Ein so widerspenstiges, lasterhaftes Volk, das so böse und tyrannisch ist, sollte nicht am 40

Leben bleiben. Und selbst, wenn es keinen andern Grund als diesen gäbe, haben sie ewige Strafe verdient, denn sie haben uns nicht für unsern guten Rat gedankt, sondern uns verhöhnt und verachtet wegen unserer Liebe zu Dir.« Der tapfere Cortés antwortete ihnen mit ernstem Gesicht: »Seid ohne Furcht. Ich verspreche Euch Rache.« Und er hielt dieses Versprechen und führte einen grausamen Krieg, in dem zahllose Menschen niedergemetzelt wurden, wie in den Chroniken berichtet wird. Die Cholulteken sagten, daß ihre Feinde alle durch ihren Götzen Quetzalcóatl ertränkt werden würden. Dies war das verehrteste Götzenbild unter all den vielen, die man in diesem Lande anbetete, und sein Tempel in Cholula wurde für die geheiligte Stätte aller Götter gehalten. Sie sagten, daß Wasser aus dem Tempel herausstürze, wenn man die Kruste von einem Teil seiner gekalkten Oberfläche abkratze. Um sich selbst vor dem Ertrinken zu bewahren, opferte man zweiund dreijährige Kinder und mischte ihr Blut mit Kalk, um eine Art Zement daraus zu machen, der die Quellen und Brunnen verstopfen sollte. Sie sagten auch, daß sie alle diese vermörtelten Stellen aufbrechen würden, wenn sie während eines Krieges mit den weißen Göttern oder den Tlaxcalteken in Gefahr geraten sollten. Dann würde eine Wasserflut herausströmen und ihre Feinde ertränken. Und als sie sahen, in welch harter Bedrängung sie sich befanden, machten sie sich auf und begannen, an den Steinen zu kratzen. Aber keine ihrer Erwartungen erfüllte sich, und sie verloren alle Hoffnung. Die meisten, die während der Schlacht in Cholula starben, stürzten sich in Verzweiflung von der Tempelpyramide. Auch das Bild ihres Götzen Quetzalcóatl warfen sie, mit dem Kopf voran, von dort oben herab. Diese Form des Selbstmords war immer Brauch bei ihnen gewesen. Sie waren so rebellisch und unverschämt, wie irgendein steifnackiges und unregierbares Volk nur sein kann, und so war auch ihre Form zu sterben der anderer Völker gerade entgegengesetzt, 4i

sie starben kopfüber. So tötete am Ende der größte Teil von ihnen sich selbst in Verzweiflung. Als die Schlacht von Cholula vorüber war, wußten und glaubten die Cholulteken, daß der Gott der weißen Männer, seiner mächtigsten Söhne, mehr Macht als ihre eigenen Götter hatte. Wenn unsere Freunde, die Tlaxcalteken, einander im dicksten Gewühl der Schlacht und des Gemetzels sahen, riefen sie St. Jakob, den Apostel, an und schrien mit lauter Stimme seinen Namen: »Santiago!« Von diesem Tage an bis heute rufen die Tlaxcalteken, wenn ihnen irgendeine Schwierigkeit oder Gefahr droht, diesen Heiligen an. Cortés hatte ihnen einen sehr guten Rat gegeben, der sich als nützlich erwies, sie aus den Feinden herauszufinden, damit sie nicht aus Versehen mit diesen getötet wurden. Da ihre Waffen und Abzeichen denen ihrer Feinde sehr glichen und nur an winzigen Einzelheiten zu unterscheiden waren, mußte man bei der großen Anzahl von Kämpfern auf beiden Seiten ein besonderes Mittel der Kennzeichnung finden. Man hätte sonst im Gedränge der Schlacht vielleicht die eigenen Krieger getötet, ohne es zu wissen. Deshalb trugen sie aus Federgras geflochtene Kränze auf dem Kopf, um einander zu erkennen, und das war für sie eine große Hilfe. Als Cholula erstürmt und zerstört und viele Bewohner getötet und ausgeplündert waren, marschierten unsere Heere wieder vorwärts, Schrecken verbreitend, wohin sie kamen, bis die Berichte über die Zerstörung sich im ganzen Lande verbreiteten. Die Leute waren bestürzt, wenn sie diese außerordentlichen Neuigkeiten hörten und wenn sie erfuhren, daß die Cholulteken in so kurzer Zeit besiegt und erschlagen worden waren und daß ihr Gott Quetzalcóatl ihnen in keiner Weise geholfen hatte.

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KAPITEL V Codex Florentino. Buch xn, Kapitel 12 und 13 Motecuhzoma sandte noch einmal verschiedene Fürsten aus. Tzihuacpopocatzin hatte die Führung dieser Gesandtschaft. Er nahm viele große Vasallen mit. Sie zogen aus, u m die Spanier zwischen d e m Popocatépetl und d e m Iztactépetl z u treffen, dort auf d e m Adlerpaß. Sie schenkten den Göttern goldene Banner und Fahnen aus Quetzalfedern und goldene Halsketten. Als sie das Gold in ihren Händen hatten, brach Lachen aus den Gesichtern der Spanier hervor, ihre A u g e n funkelten vor Vergnügen, sie waren entzückt. W i e Affen griffen sie nach d e m Gold und befingerten es, sie waren hingerissen vor Freude, auch ihre Herzen waren angesteckt von den Strahlen des Goldes. Nur nach Gold hungerten und dürsteten sie, es ist wahr! Sie schwollen an vor Gier und Verlangen nach Gold. Gefräßig wurden sie in ihrem Hunger nach Gold, sie w ü h l t e n wie hungrige Schweine nach Gold. Sie rissen die goldenen Banner an sich, prüften sie Zoll f ü r Zoll, schwenkten sie hin und her, und auf das unverständliche fremde Rauschen i m Wind antworteten sie mit ihren wilden, barbarischen Reden. Als sie Tzihuacpopocatzin sahen, fragten sie: »Ist das vielleicht dieser Motecuhzoma?« Sie fragten die Lügner aus Tlaxcala und Cempoala, ihre bösen, hinterlistigen Verbündeten. Die antworteten: »Das ist nicht Motecuhzoma, Ihr Gebieter. Das ist sein Abgesandter Tzihuacpopocatzin.« Die Spanier fragten ihn: »Bist D u vielleicht Motecuhzoma?« »Ja«, sagte er, »ich bin Euer Vasall, ich bin Motecuhzoma.« Doch die Verbündeten schrien: »Du Narr! W a r u m versuchst Du, uns zu täuschen? Für w e n hältst D u uns? D u kannst uns nicht betrügen. D u kannst uns nicht z u m Narren halten! D u kannst uns nicht erschrecken, Du kannst uns nicht die A u g e n blenden! D u 43

zwingst unsere Augen nicht zu Boden, von Dir wenden wir sie nicht ab! Du kannst unsere Augen nicht behexen, daß wir sie beiseite wenden! Du kannst unsere Augen nicht trüben und ohnmächtig machen! Du kannst sie nicht mit Staub füllen oder mit Lehm verschmieren! Du bist nicht Motecuhzoma! Er ist dort in der Stadt. Er kann sich nicht vor uns verbergen! Wohin soll er gehen? Ist er ein Vogel, kann er wegfliegen? Kann er in die Erde kriechen? Kann er sich in einem Berg vergraben? Wir kommen und werden ihn sehen, von Angesicht zu Angesicht! Wir kommen, um seine Worte selbst zu hören, von seinen eigenen Lippen!« So schmähten und verhöhnten sie die Abgesandten, und die Begrüßung und die Willkommensgaben waren unnütz verschwendet. Darum eilten die Abgesandten zurück in die Stadt. Doch noch einmal schickte Motecuhzoma Gesandte: Wahrsager, Zauberer und Räucherpriester. Sie verließen die Stadt, um die Fremden durch Zauber aufzuhalten. Aber sie waren hilflos, konnten ihnen die Augen nicht blenden, ihnen nichts antun. Sie trafen sie nicht einmal und konnten die Götter nicht sprechen. Denn ein Betrunkener stolperte quer über ihren Weg. Er war wie ein Mann aus Chalco gekleidet und gebärdete sich wie ein Chalca. Acht Grasstricke hatte er sich um die Brust gebunden. Er schien sehr betrunken zu sein, er heuchelte Trunkenheit, gab vor, ein Berauschter zu sein. Er stieß mit ihnen zusammen, gerade bevor sie die Spanier erreichten. Er stürzte sich auf die Mexikaner und schrie: »Was kommt Ihr noch einmal hierher? Was soll es noch nützen? Was wollt Ihr noch? Was will Motecuhzoma noch tun? Ist er denn noch nicht Herr seiner Sinne? Zittert er noch und bettelt? Er hat viele Fehler gemacht und viele Menschen gemordet. Manche wurden erschlagen und manche in Leichentücher gehüllt. Manche wurden betrogen, manche genarrt und verhöhnt.« Als die Magier diese Worte hörten, warfen sie sich vor ihm in den 44

Staub. Sie wollten seine Hilfe erflehen, und sie errichteten ihm rasch eine kleine Opferstätte, eine Erdpyramide und einen Thronsitz aus Gras. Aber da sahen sie ihn eine Weile nicht mehr. Ganz vergeblich mühten sie sich ab, errichteten seinen Tempel umsonst. Denn er sprach nur in Orakeln. Er erschreckte sie mit seinem bitteren Tadel. Wie aus weiter Ferne sprach er noch einmal zu ihnen: »Wozu seid Ihr hierher gekommen? Es ist nutzlos! Mexiko wird zugrunde gehen! Nur Trümmer werden von Mexiko bleiben. Geht zurück, kehrt um! Schaut hin nach Mexiko! Seht, welches Geschick der Stadt bestimmt ist. Dort sind die Zeichen!« Da blickten sie hinüber nach Tenochtitlan. Alle Tempel standen in Flammen, die Gemeindetempel, die Priesterhäuser, alle Häuser in Mexiko. Eine große Schlacht schien in der Stadt zu toben. Als das die Magier sahen, verloren sie allen Mut, aus ihren Kehlen preßten sie kaum noch Worte, sie stammelten wie Berauschte: »Es war nicht geziemend für uns, diese Gesichte zu haben. Motecuhzoma selbst hätte sie sehen müssen. Das war kein Sterblicher, dem wir begegneten. Tezcatlipoca selbst ist uns in Jünglingsgestalt erschienen!« Plötzlich verschwand der Gott, und sie sahen ihn nicht mehr. Und die Gesandten gingen nicht weiter, sie trafen die Spanier nicht und redeten nicht mit ihnen. Die Priester und Zauberer kehrten dort um. Sie gingen nach Tenochtitlan zurück. Als die Gesandten in die Stadt zurückkamen, berichteten sie Motecuhzoma, was geschehen war und was sie gesehen hatten. Motecuhzoma hörte ihrem Bericht aufmerksam zu, dann beugte er den Kopf, ohne ein Wort zu sagen. Lange Zeit saß er so, schweigend und mit gebeugtem Kopf. Und als er endlich sprach, sagte er nur: »Meine Freunde, wo ist jetzt Hilfe für uns? Gibt es einen Berg, auf den wir fliehen können? Sollen wir weglaufen? Wir sind Mexikaner! Sollen wir so den Ruhm des mexikanischen Volkes vermehren? Jammer und Elend wird über die alten Männer kommen und über 45

die alten Frauen und über die unschuldigen kleinen Kinder. Wie können sie sich retten? Es gibt keine Hilfe. Was können wir tun? Bleibt uns etwas zu tun? Wir werden gerichtet und gestraft werden. Und wie immer es geschehen wird und wann immer es geschehen wird, wir können nichts tun als warten.«

KAPITEL VI Codex Raming.

Spanische Übersetzungen

verlorener

Náhuatl-Vorlagen,

von Juan de Tovar nach ij6o gesammelt. Fragment 3 und 4

Als die Spanier von den Bergen hinabsahen, waren sie entzückt. So viele reiche Dörfer und Städte lagen in der Ebene vor ihnen. Einige meinten zwar, man solle doch solange wieder nach Tlaxcala zurückkehren, bis man die Truppen verstärken könne, aber Cortés trieb sie weiter, und der Marsch nach Tezcoco begann. Die Nacht verbrachten sie noch in den Bergen und brachen dann am nächsten Morgen auf. Nachdem sie einige Meilen marschiert waren, kamen ihnen Prinz Ixtlilxóchitl und seine Brüder mit einem großen Gefolge entgegen. Cortés mißtraute ihnen zuerst, aber als er durch ihre Zeichensprache und durch seine Dolmetscher erfahren hatte, daß sie gekommen waren, um die Spanier als ihre Freunde willkommen zu heißen, war er sehr zufrieden. Die Christen wiesen ihn als ihren Führer aus, und Ixtlilxóchitl näherte sich ihm lächelnd und begrüßte ihn mit Verneigungen. Cortés erwiderte die Begrüßung nach spanischem Brauch. Der Prinz war sehr erstaunt, einen Mann mit so weißer Haut und einem Bart zu sehen. Er bewunderte die mutige und majestätische Haltung des Kapitäns. Aber auch Cortés war verwundert über den Prinzen und seine Brüder - vor allem über Tecocoltzin, der genauso weiß war wie die Spanier. Endlich bat Ixtlilxóchitl Cortés, mit Hilfe von Marina und Aguilar, die übersetzten, ihn nach Tezcoco zu begleiten, damit er und sein 46

die alten Frauen und über die unschuldigen kleinen Kinder. Wie können sie sich retten? Es gibt keine Hilfe. Was können wir tun? Bleibt uns etwas zu tun? Wir werden gerichtet und gestraft werden. Und wie immer es geschehen wird und wann immer es geschehen wird, wir können nichts tun als warten.«

KAPITEL VI Codex Raming.

Spanische Übersetzungen

verlorener

Náhuatl-Vorlagen,

von Juan de Tovar nach ij6o gesammelt. Fragment 3 und 4

Als die Spanier von den Bergen hinabsahen, waren sie entzückt. So viele reiche Dörfer und Städte lagen in der Ebene vor ihnen. Einige meinten zwar, man solle doch solange wieder nach Tlaxcala zurückkehren, bis man die Truppen verstärken könne, aber Cortés trieb sie weiter, und der Marsch nach Tezcoco begann. Die Nacht verbrachten sie noch in den Bergen und brachen dann am nächsten Morgen auf. Nachdem sie einige Meilen marschiert waren, kamen ihnen Prinz Ixtlilxóchitl und seine Brüder mit einem großen Gefolge entgegen. Cortés mißtraute ihnen zuerst, aber als er durch ihre Zeichensprache und durch seine Dolmetscher erfahren hatte, daß sie gekommen waren, um die Spanier als ihre Freunde willkommen zu heißen, war er sehr zufrieden. Die Christen wiesen ihn als ihren Führer aus, und Ixtlilxóchitl näherte sich ihm lächelnd und begrüßte ihn mit Verneigungen. Cortés erwiderte die Begrüßung nach spanischem Brauch. Der Prinz war sehr erstaunt, einen Mann mit so weißer Haut und einem Bart zu sehen. Er bewunderte die mutige und majestätische Haltung des Kapitäns. Aber auch Cortés war verwundert über den Prinzen und seine Brüder - vor allem über Tecocoltzin, der genauso weiß war wie die Spanier. Endlich bat Ixtlilxóchitl Cortés, mit Hilfe von Marina und Aguilar, die übersetzten, ihn nach Tezcoco zu begleiten, damit er und sein 46

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CHALCO < SEE ^.CHALCO

Volk ihm zu Diensten sein könnten. Cortés dankte dem Prinzen und nahm die Einladung an. Auf die Bitte Ixtlilxóchitls stärkten sich Cortés und seine Männer zuerst an den Speisen, die als Willkommensgaben aus Tezcoco mitgebracht worden waren. Dann begaben sie sich mit ihren neuen Freunden in die Stadt, und das Volk kam ihnen entgegen und hieß sie mit freudigen Zurufen willkommen. Die Indianer knieten nieder und beteten die Spanier als ihre Götter, als Söhne der Sonne an. Sie glaubten, daß nun die Zeit gekommen wäre, von welcher ihr geliebter König Nezahualpilli so oft gesprochen hatte. Die Spanier betraten die Stadt, und der königliche Palast wurde ihnen als Wohnstatt zugewiesen. Die Nachricht von diesen Ereignissen wurde dem König Motecuhzoma überbracht, der mit dem Empfang zufrieden war, den seine Neffen Cortés bereitet hatten. Er war auch über das erfreut, was Cohuamacotzin und Ixtlilxóchitl dem Kapitän gesagt hatten, weil er glaubte, daß Ixtlilxóchitl nun die Besatzungen abziehen würde, die an den Grenzen aufgestellt waren. Aber Gott fügte es anders. Cortés war sehr dankbar für die Aufmerksamkeiten, die ihm Ixtlilxóchitl und seine Brüder erwiesen, er wünschte ihre Güte zu erwidern, indem er sie mit Hilfe des Dolmetschers Aguilar in den Gesetzen Gottes unterrichtete. Die Brüder und eine Gruppe anderer Adliger versammelten sich, um dem Kapitän zuzuhören, und er erzählte ihnen, daß der Kaiser der Christen ihn hierher in dieses ferne Land geschickt hätte, damit er sie das Gesetz Christi lehre. Er erklärte ihnen das Mysterium der Schöpfung und des Sündenfalls, das Mysterium der Dreieinigkeit, der Menschwerdung Gottes, der Passion und der Auferstehung. Dann zog er ein Kruzifix heraus und hielt es hoch. Die Christen knieten alle nieder, und Ixtlilxóchitl und die anderen Fürsten beugten mit ihnen die Knie. Dann erklärte Cortés ihnen auch das Mysterium der Taufe. Er beschloß die Unterweisung damit, daß er ihnen erzählte, wie sehr 48

Kaiser Karl darüber bekümmert wäre, daß sie noch nicht in der Gnade Gottes lebten und daß er ihn nur hierher gesandt hätte, damit er auch ihre Seelen rette. Er bat sie, willige Untertanen des Kaisers zu werden, weil das auch der Wille des Papstes sei, in dessen Namen er gesprochen hätte. Als Cortés nun um ihre Antwort bat, brach Ixtlilxóchitl in Tränen aus und erwiderte, daß er und seine Brüder die Mysterien wohl verstanden hätten. Er danke Gott, daß seine Seele erleuchtet wäre, er wünsche, Christ zu werden und dem Kaiser zu dienen. Er bat um das Kruzifix, damit er und seine Brüder es anbeten könnten, und die Spanier weinten vor Freude, als sie diese Hingebung sahen. Dann baten die Prinzen um die Taufe. Cortés und die Priester, die mit ihm gezogen waren, sagten, zuerst müßten sie noch mehr über die christliche Religion erfahren, aber man würde Leute senden, die sie unterrichten sollten. Ixtlilxóchitl drückte seine Dankbarkeit aus, bat aber doch darum, das Sakrament sofort empfangen zu dürfen, weil er jetzt allen Götzendienst hasse und nur die Mysterien des wahren Glaubens verehre. Obwohl einige der Spanier Einwände machten, entschied Cortés, daß Ixtlilxóchitl sofort getauft werden solle. Cortés selbst wurde sein Taufzeuge, und man gab dem Prinzen den Namen Hernando, weil das der Name seines Gevatters war. Sein Bruder Cohuamacotzin wurde Pedro getauft, weil Pedro de Alvarado sein Taufzeuge wurde, und Tecocoltzin hieß ebenfalls Hernando, auch bei ihm stand Cortés Pate. Die übrigen Christen wurden Paten der anderen Adligen, und die Taufen wurden mit der größten Feierlichkeit begangen. Wenn es nur möglich gewesen wäre, hätten sich noch an demselben Tage mehr als 20000 Personen taufen lassen, und ein großer Teil empfing tatsächlich das Sakrament. Ixtlilxóchitl aber ging zu seiner Mutter Yacotzin, um ihr zu erzählen, was sich ereignet hatte, und sie auch zur Taufe zu fuhren. Sie antwortete ihm, daß er den Verstand verloren haben müsse, sich so leicht von einer Handvoll Barbaren, diesen Konquistadoren, gewinnen 49

zu lassen. Don Hernando antwortete ihr, wenn sie nicht seine Mutter wäre, würde er ihr jetzt den Kopf abschlagen. Er versicherte ihr, daß sie das Sakrament empfangen würde, auch gegen ihren Willen, weil außer dem Leben der Seele nichts anderes mehr wichtig wäre. Yacotzin bat ihren Sohn, sie vorerst allein zu lassen. Sie versprach ihm, sie würde über das nachdenken, was er ihr gesagt hätte, und sich am folgenden Tage entscheiden. Er verließ den Palast und befahl, daß ihre Gemächer durch Feuer zerstört werden sollten - andere sagen allerdings, daß er sie in einem Götzentempel fand. Schließlich kam sie heraus und sagte, sie wolle Christin werden. Sie ging zu Cortés und wurde mit vielen anderen zusammen getauft. Cortés selbst war ihr Pate und nannte sie Doña Maria, weil sie die erste Frau in Tezcoco war, die Christin wurde. Ihre vier Töchter, die Prinzessinnen, wurden auch getauft und mit ihnen noch viele andere Frauen. Und während der drei oder vier Tage, die die Spanier sich in der Stadt aufhielten, tauften sie sehr, sehr Viele. Als Motecuhzoma erfuhr, was sich in Tezcoco zugetragen hatte, berief er seinen Neffen Cacama, seinen Bruder Cuitlahuacatzin und die anderen Fürsten zu sich. Er schlug vor, in einer gemeinsamen Beratung zu entscheiden, ob man die Christen willkommen heißen sollte, wenn sie ankämen, und in welcher Weise man das tun solle, wenn man sich dazu entschlösse. Cuitlahuacatzin antwortete, sie sollten sie keinesfalls willkommen heißen, aber Cacama stimmte dem nicht zu, sondern wandte ein, es bewiese Mangel an Mut, ihnen den Eintritt zu verwehren, jetzt, da sie schon vor den Toren wären. Er fügte hinzu, daß es sich für einen so großen Herrscher wie seinen Onkel nicht gezieme, die Gesandten eines nderen agroßen Fürsten zurückzuweisen. Wenn die Besucher irgendwelche Forderungen stellten, die Motecuhzoma mißfielen, dann könne er ihre Unverschämtheit bestrafen und seine tapferen Kriegerscharen angreifen lassen. Ehe sonst jemand sprechen konnte, verkündete Motecuhzoma, daß 50

er m i t seinem N e f f e n ü b e r e i n s t i m m e . Cuitlahuacatzin w a r n t e ihn dringend: »Ich bete z u unseren G ö t t e r n , daß D u die F r e m d e n nicht in Dein Haus läßt. Sie w e r d e n D i c h hinauswerfen u n d D e i n e Herrschaft zuschanden m a c h e n , u n d w e n n D u versuchst, wiederzuerlangen, was D u v e r l o r e n hast, d a n n w i r d es z u spät sein!« D o c h d a m i t w a r die B e r a t u n g beendet. D i e anderen Fürsten deuteten z w a r d u r c h Gesten an, daß sie diesen l e t z t e n W o r t e n z u s t i m m ten, aber M o t e c u h z o m a w a r entschlossen, die Christen als Freunde zu empfangen. Seinen N e f f e n C a c a m a schickte er i h n e n entgegen, u m sie z u begrüßen, u n d seinen B r u d e r Cuitlahuacatzin hieß er, sie i m Palast in Ixtapalapan z u erwarten.

K A P I T E L VII Codex Florentino. Buch xn, Kapitel 16, 17 und 18 Die Spanier k a m e n in Xoloco an, a m Eingang v o n Tenochtitlan. Das w a r das Ende ihres Marsches, d e n n sie hatten ihr Z i e l erreicht. D a legte M o t e c u h z o m a seinen glänzendsten S c h m u c k an u n d bereitete sich darauf vor, ihnen z u b e g e g n e n . A u c h die anderen g r o ß e n Fürsten s c h m ü c k t e n sich u n d die E d l e n u n d die Häuptlinge u n d die Krieger. U n d sie alle z u s a m m e n gingen hinaus, u m die F r e m d e n z u empfangen. Sie trugen b e m a l t e Becken, g e f ü l l t m i t den schönsten B l u m e n : der S o n n e n b l u m e , die d e m Schilde gleicht, der Magnolie, die w i e das H e r z g e f o r m t ist; in der Mitte w a r die K a k a o b l ü t e m i t d e m süßesten D u f t u n d die w o h l r i e c h e n d e g e l b e T a b a k b l u m e , die köstlichste v o n allen. Sie n a h m e n auch B l u m e n g e w i n d e m i t u n d B r u s t s c h m u c k u n d g o l d e n e Halsketten, Halsketten, an d e n e n kostbare Edelsteine hingen, Halsketten w i e geflochtene M a t t e n , m i t dicht aneinandergereihten Perlen. So ging M o t e c u h z o m a aus, u m sie z u treffen, d o r t in Huitzilan. 5i

er m i t seinem N e f f e n ü b e r e i n s t i m m e . Cuitlahuacatzin w a r n t e ihn dringend: »Ich bete z u unseren G ö t t e r n , daß D u die F r e m d e n nicht in Dein Haus läßt. Sie w e r d e n D i c h hinauswerfen u n d D e i n e Herrschaft zuschanden m a c h e n , u n d w e n n D u versuchst, wiederzuerlangen, was D u v e r l o r e n hast, d a n n w i r d es z u spät sein!« D o c h d a m i t w a r die B e r a t u n g beendet. D i e anderen Fürsten deuteten z w a r d u r c h Gesten an, daß sie diesen l e t z t e n W o r t e n z u s t i m m ten, aber M o t e c u h z o m a w a r entschlossen, die Christen als Freunde zu empfangen. Seinen N e f f e n C a c a m a schickte er i h n e n entgegen, u m sie z u begrüßen, u n d seinen B r u d e r Cuitlahuacatzin hieß er, sie i m Palast in Ixtapalapan z u erwarten.

K A P I T E L VII Codex Florentino. Buch xn, Kapitel 16, 17 und 18 Die Spanier k a m e n in Xoloco an, a m Eingang v o n Tenochtitlan. Das w a r das Ende ihres Marsches, d e n n sie hatten ihr Z i e l erreicht. D a legte M o t e c u h z o m a seinen glänzendsten S c h m u c k an u n d bereitete sich darauf vor, ihnen z u b e g e g n e n . A u c h die anderen g r o ß e n Fürsten s c h m ü c k t e n sich u n d die E d l e n u n d die Häuptlinge u n d die Krieger. U n d sie alle z u s a m m e n gingen hinaus, u m die F r e m d e n z u empfangen. Sie trugen b e m a l t e Becken, g e f ü l l t m i t den schönsten B l u m e n : der S o n n e n b l u m e , die d e m Schilde gleicht, der Magnolie, die w i e das H e r z g e f o r m t ist; in der Mitte w a r die K a k a o b l ü t e m i t d e m süßesten D u f t u n d die w o h l r i e c h e n d e g e l b e T a b a k b l u m e , die köstlichste v o n allen. Sie n a h m e n auch B l u m e n g e w i n d e m i t u n d B r u s t s c h m u c k u n d g o l d e n e Halsketten, Halsketten, an d e n e n kostbare Edelsteine hingen, Halsketten w i e geflochtene M a t t e n , m i t dicht aneinandergereihten Perlen. So ging M o t e c u h z o m a aus, u m sie z u treffen, d o r t in Huitzilan. 5i

Er brachte dem Kapitän und seinen Anführern viele Geschenke ihnen, die gekommen waren, den Krieg zu bringen. Er überschüttete sie mit Gaben, er hing ihnen Blumen um den Hals, er gab ihnen Halsketten aus Blumen, er legte ihnen Fesseln aus Blumen um die Brust, er setzte ihnen Blumenkränze auf den Kopf. Dann schmückte er sie mit goldenen Halsketten und gab ihnen Geschenke von allen Arten als Willkommensgaben. Als Motecuhzoma jedem Halsketten gegeben hatte, fragte Cortés ihn: »Bist Du Motecuhzoma? Bist Du der König? Ist es richtig, daß Du der König Motecuhzoma bist?« Und Motecuhzoma sagte:» Ja, ich bin es.« Dann stand er auf, um Cortés willkommen zu heißen. Er ging auf ihn zu, beugte den Kopf tief herab und redete ihn mit diesen Worten an: »Herr, Du bist müde! Die Reise hat Dich erschöpft, aber nun bist Du auf der Erde angekommen. Du bist gekommen, in Deine Stadt, nach Mexiko. Du bist hierhergekommen, um auf Deinem Thron zu sitzen, um unter Deinem Thron-Himmel zu sitzen. Die Könige, die schon dahingegangen sind, Deine Stellvertreter, haben ihn geschützt und bewahrt für Deine Ankunft. Die Könige Itzcóatl, Motecuhzoma der Ältere, Axayácatl, Tízoc und Ahuitzotl haben für Dich geherrscht in der Stadt Mexiko. Das Volk wurde geschützt durch ihre Schwerter und beschirmt durch ihre Schilde. Kennen die Könige das Schicksal derer, die sie zurückgelassen haben, ihrer Nachkommen? Wenn sie doch zusähen! Wenn sie nur sehen könnten, was ich sehe! Nein, es ist kein Traum. Ich gehe nicht im Schlaf. Ich sehe Dich nicht in meinen Träumen... ich endlich habe Dich gesehen. Ich sehe Dich von Angesicht zu Angesicht. Ich war in Todesfurcht, fünf Tage lang, zehn Tage lang, meine Augen starrten in das Reich des Wunders. Und nun bist Du gekommen, aus den Wolken und Nebeln, um wieder auf Deinem Thron zu sitzen. Dies war geweissagt von den Königen, die Deine Stadt verwalteten. 53

Und nun ist es eingetreten. Du bist zu uns zurückgekommen, Du bist aus dem Himmel herabgekommen. Ruhe Dich nun aus. Nimm Besitz von Deinen königlichen Schlössern. Willkommen in Eurem Land, meine Götter!« Als Motecuhzoma geendet hatte, übersetzte Malintzin seine Rede ins Spanische, so daß der Kapitän sie verstehen konnte. Cortés antwortete in seiner seltsamen und wilden Sprache. Zuerst sagte er zu Malintzin: »Sag Motecuhzoma, daß wir seine Freunde sind. Es gibt nichts zu furchten. Schon seit langer Zeit wollten wir ihn gern sehen, und nun haben wir ihn gesehen und seineWorte gehört. Sag ihm, daß wir ihn schätzen und daß wir zufrieden sind.« Dann sagte er zu Motecuhzoma: »Wir sind als Freunde zu Deinem Schloß in Mexiko gekommen. Du hast nichts zu befürchten.« Malintzin übersetzte diese Rede. Und die Spanier griffen nach Motecuhzomas Händen und klopften ihm auf den Rücken, um ihm ihre Zuneigung zu zeigen. Dann untersuchten die Spanier alles genau, was sie sahen. Sie stiegen von ihren Pferden herab, bestiegen sie wieder und stiegen wieder herab, um sich nichts von all dem Neuen entgehen zu lassen. Die Fürsten, die Motecuhzoma begleiteten, waren: Cacama, der König von Tezcoco Tetlepanquetzaltzin, der König von Tlacopan Itzcuauhtzin, der Statthalter von Tlatelolco Topantémoc, Motecuhzomas Schatzverwalter in Tlatelolco. Diese vier Fürsten standen in einer Reihe hintereinander. Die anderen Fürsten waren: Atlixcatzin, der Tlacatécatl Tepeoatzin, der Tlacochcálcatl Quetzalaztatzin, der Tizacahuácatl Totomotzin Hecateupatiltzin Cuappiatzin. 54

Als Motecuhzoma gefangengenommen wurde, flohen sie alle. Sie rannten davon, versteckten sich, verließen ihn treulos. Als die Spanier den königlichen Palast betreten hatten, ergriffen sie Motecuhzoma, nahmen ihn in Gewahrsam, stellten ihn unter Aufsicht. Auch Itzcuauhtzin stellten sie unter Bewachung, den anderen Fürsten wurde erlaubt, sich zu entfernen. Dann feuerten sie ein Geschütz ab, und große Verwirrung entstand in der Stadt. Das Volk stob auseinander, es floh ohne Sinn und Verstand, es rannte davon wie gejagt, als ob giftige Pilze oder Wundererscheinungen die Sinne verwirrten. Alle waren von Angst überwältigt, hatten feige Herzen. Und als die Nacht niederfiel, brütete Furcht über der Stadt, kroch in die Häuser und lauerte noch in den Träumen. Am Morgen teilten die Spanier Motecuhzoma mit, was sie an Verpflegung und Vorrat benötigten: weiße Maiskuchen, gebratene Truthühner, Eier, frisches Wasser, Feuerholz, Kohlen, dazu große saubere Kochtöpfe, Wasserkrüge, kleine Krüge, Schüsseln und anderes Tongerät. Motecuhzoma befahl, daß man es ihnen gäbe. Die Häuptlinge, die diese Befehle entgegennahmen, waren zornig auf den König. Sie gehorchten ihm nicht und achteten ihn nicht länger. Aber die Spanier wurden trotzdem mit allem Nötigen versorgt, sie erhielten Speisen, Getränke und Wasser und Futter für ihre Pferde. Als die Spanier sich im Palast eingerichtet hatten, fragten sie Motecuhzoma nach dem Staatsschatz aus, nach den Rangabzeichen der Krieger, nach den Schilden. Sie bedrängten ihn hart und dann verlangten sie: Gold! Motecuhzoma willigte ein, sie zu den Schätzen zu führen. Sie umdrängten ihn, kamen nahe an ihn heran mit ihren Waffen. Er ging in der Mitte, sie schlössen ihn ein, in einem dichten Kreis. Als sie am Teucalco, dem großen Schatzhaus waren, wurden die Reichtümer ihnen gezeigt: der Goldschmuck, die Federn, der Feder55

schmuck, die reichverzierten Schilde, die goldenen Brustscheiben, die Geschmeide der Götterbilder, die goldenen Nasenpflöcke, die goldenen Beinschienen, die goldenen Handgelenkriemen und die kostbaren Kronen. Die Spanier rissen sofort die wertvollen Federn von allen goldenen Schilden und Abzeichen weg. Alles Gold rafften sie zu einem Haufen. An die anderen Kostbarkeiten legten sie Feuer, und alles verbrannte. Das Gold schmolzen sie ein zu Barren, und von den wertvollen grünen Edelsteinen nahmen sie nur die besten, die anderen stahlen die Tlaxcalteken. Das ganze Schatzhaus durchwühlten die Spanier, sie drängten und fragten und griffen nach allem, was ihnen gefiel. Dann gingen sie nach Totocalco, dem Platz des Vogelpalastes, in Motecuhzomas Schatzhaus, in dem seine eigenen Reichtümer waren. Vor Vergnügen fletschten die Spanier die Zähne wie Tiere und beklopften einander vor Freude. Sie glaubten in ihrem Paradiese zu sein, als sie die Schatzhalle sahen. Sie durchsuchten alles und verlangten nach allem, sie waren Sklaven ihrer eigenen Gier. Alle Besitztümer Motecuhzomas wurden hervorgeholt: die Halsketten mit den großen Gehängen, die kostbaren Oberarmringe, die Knöchelringe mit den goldenen Schellen, die Krone aus Türkismosaik mit dem dreieckig aufragenden Stirnblatt, die Königstracht und all der andere Schmuck, der dem König gehört und den nur er allein tragen darf. Nach diesen Schätzen griffen sie, als ob sie ihr Eigentum wären, als ob dies kein Raub, als ob es ein günstiger Fund wäre. Und als sie das Gold errafft hatten, warfen sie alles andere wieder auf den Hof, die vielen anderen Kostbarkeiten. Dann rief Malintzin die Häuptlinge zusammen. Sie stellte sich auf die Brustwehr des Palastdaches und schrie: »Mexikaner, kommt herbei! Die Spanier brauchen Eure Hilfe! Bringt ihnen Speisen und frisches Wasser. Sie sind müde und hungrig, sie sind geschwächt vor Erschöpfung. Warum wollt Ihr nicht kommen? Seid Ihr zornig auf sie?« 56

Die Mexikaner waren zu furchtsam, u m sich zu nähern. Sie waren z e r m a l m t vor Schrecken und wagten nicht vorzutreten. Sie verbargen sich vor den Spaniern wie vor den wilden Tieren, wie in der unheilbringenden Mitternachtsstunde der dunkelsten Nacht des Jahres. Doch sie überließen die Spanier nicht d e m Hunger und Durst. Sie brachten alles, was sie forderten, aber sie taten es schaudernd vor Furcht. Mit zitternden Händen legten sie ihre Gaben den Spaniern hin und wandten sich rasch und stoben davon.

K A P I T E L VIII

Codex Florentino. Buch xn, Kapitel 19, 20 und 21 Die A z t e k e n erbaten von Motecuhzoma Erlaubnis, d e m Gott Huitzilopochtli sein Fest auszurichten. Die Spanier wünschten, dieses Fest anzusehen, sie wollten betrachten, wie es gefeiert würde. Eine A b ordnung der Priester k a m z u d e m Palast, in d e m Motecuhzoma gefangen war, und ihr Sprecher bat ihn, nun seine Z u s t i m m u n g zu geben. Er gewährte sie ihnen. Sobald die Abgesandten wieder zurück waren, begannen die Weiber, die ein Jahr lang z u m Fasten verpflichtet waren, Samen des Stachelmohns zu mahlen. Sie zerrieben die Samen i m Tempelhof. Die Spanier k a m e n alle z u s a m m e n aus d e m Palast, sie waren wohlgerüstet in ihren Panzern und trugen Waffen. Stolz schritten sie mitten unter die Weiber, betrachteten sie, eins nach d e m andern. Sie starrten ihnen frech ins Gesicht, diesen Weibern, die die Samen mahlten. Nach dieser kaltblütigen Prüfung kehrten sie in den Palast zurück. W i e m a n jetzt weiß, planten sie, die Festteilnehmer erst dann zu töten, w e n n die Männer den Innenhof betreten hätten. A m A b e n d vor d e m Töxcatl-Fest begannen die Priester, die Gestalt Huitzilopochtlis zu bilden. So echte Züge liehen sie ihm, daß er d e m 57

Die Mexikaner waren zu furchtsam, u m sich zu nähern. Sie waren z e r m a l m t vor Schrecken und wagten nicht vorzutreten. Sie verbargen sich vor den Spaniern wie vor den wilden Tieren, wie in der unheilbringenden Mitternachtsstunde der dunkelsten Nacht des Jahres. Doch sie überließen die Spanier nicht d e m Hunger und Durst. Sie brachten alles, was sie forderten, aber sie taten es schaudernd vor Furcht. Mit zitternden Händen legten sie ihre Gaben den Spaniern hin und wandten sich rasch und stoben davon.

K A P I T E L VIII

Codex Florentino. Buch xn, Kapitel 19, 20 und 21 Die A z t e k e n erbaten von Motecuhzoma Erlaubnis, d e m Gott Huitzilopochtli sein Fest auszurichten. Die Spanier wünschten, dieses Fest anzusehen, sie wollten betrachten, wie es gefeiert würde. Eine A b ordnung der Priester k a m z u d e m Palast, in d e m Motecuhzoma gefangen war, und ihr Sprecher bat ihn, nun seine Z u s t i m m u n g zu geben. Er gewährte sie ihnen. Sobald die Abgesandten wieder zurück waren, begannen die Weiber, die ein Jahr lang z u m Fasten verpflichtet waren, Samen des Stachelmohns zu mahlen. Sie zerrieben die Samen i m Tempelhof. Die Spanier k a m e n alle z u s a m m e n aus d e m Palast, sie waren wohlgerüstet in ihren Panzern und trugen Waffen. Stolz schritten sie mitten unter die Weiber, betrachteten sie, eins nach d e m andern. Sie starrten ihnen frech ins Gesicht, diesen Weibern, die die Samen mahlten. Nach dieser kaltblütigen Prüfung kehrten sie in den Palast zurück. W i e m a n jetzt weiß, planten sie, die Festteilnehmer erst dann zu töten, w e n n die Männer den Innenhof betreten hätten. A m A b e n d vor d e m Töxcatl-Fest begannen die Priester, die Gestalt Huitzilopochtlis zu bilden. So echte Züge liehen sie ihm, daß er d e m 57

Leib eines lebendigen Menschen glich. Auf einem Gerüst aus Zweigen bildeten sie seinen Leib aus den gemahlenen Samen des Mohnkrautes. Als er geboren, sein Leib erstanden war, beklebten sie ihn mit kostbaren Federn, bemalten ihm das Gesicht mit blauer und gelber Farbe, mit Querstreifen über und unter den Augen. Und seinen Schlangenohrpflock hängten sie ihm an, aus Türkismosaik gefugt, mit den herunterhängenden goldenen Zehen, und sein Nasengehänge, einen Pfeil, aus Gold dünn gehämmert und mit eingelegten Steinen verziert. Den Zauberkopfputz, die Verkleidung aus Kolibrifedern, steckten sie ihm auf den Kopf und schmückten ihn dann mit dem anecüyotl, dem Kopfschmuck mit dem Federgewinde, das sich am Rücken zuspitzt. Dann legten sie ihm den dicken Halsschmuck um, aus gelben Papageienfedern, mit dem Nackenschopf, der in gestuften Fransen hängt wie die Haare der Knaben. Und seinen schwarzgefärbten Brennesselumhang warfen sie ihm über; er ist mit fünf Büschen aus Adlerdaunen besteckt. Dann hüllten sie ihn in den Mantel, der mit Schädeln und mit gekreuzten Totenknochen bemalt ist. Und darüber befestigten sie sein Wams, bestickt mit zerstückelten menschlichen Gliedmaßen, mit Schädeln, Ohren, Herzen, Gedärmen, Rümpfen, Brüsten, Händen und Füßen. Sie legten ihm dann die mäxtlatl um, die Schambinde, die sehr kostbar ist. Auch ihr Muster zeigte zerstückelte menschliche Glieder, sehr kunstvoll eingewebt. Und ein langes Stück Rindenpapier, mit strahlendblauen Querstreifen bemalt, flatterte von ihr herab. Seine Blutfahne aus Papier, mit roter Farbe bemalt, legten sie ihm über die Schulter. An ihrer Spitze trug sie das Abbild seines steinernen Opfermessers, das auch aus rotem Rindenpapier gemacht war und strahlte, als sei es in frisches Blut getaucht. Und er trug seinen Schild, er heißt tehuehuelli, den Bambusschild, mit vier Büschen aus Adlerdaunen besteckt, und die Schildfahne ist so rot wie die Blutfahne und das Opfermesser. Und zusammen mit seinem Schild hielt er vier Pfeile. 58

Zuletzt streiften sie ihm seine Bänder über die Oberarme, Bänder aus Coyotefell, mit vielen Papierstreifen besetzt. Am nächsten Morgen, als kaum der Tag angebrochen war, enthüllten die das Bild, die sich dem Gott durch Gelübde verpflichtet hatten. Sie stellten sich vor ihm in einer Reihe auf und legten ihre Opfer vor ihm nieder. Fastenspeisen, runde Kuchen aus zerquetschten schwarzen Meldesamen oder auch Menschenfleisch. Aber sie trugen den Gott nicht auf die Spitze der Tempelpyramide. Alle Häuptlinge der jungen Kriegsmannschaft brannten vor Verlangen, das Fest zu begehen. Sie hatten geschworen, mit ihrer besten Kraft zu tanzen und zu singen, damit die Spanier die Schönheit dieses Festes bewundern könnten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Und die Sänger und Tänzer des Schlangentanzes drängten sich nacheinander hinein in den Tempelhof. Als alle versammelt waren, begann der Gesang und der Tanz. Und die zwanzig Tage gefastet haben und die ein volles Jahr gefastet haben, führten die andern an. Ihre Kiefernstäbe hielten die Reihen der Tänzer geschlossen. Wenn jemand Wasser lassen wollte, hörte er nicht auf zu tanzen, er öffnete nur seinen Kriegermantel an den Hüften und legte seinen Kopfschmuck aus Reiherfedern ab. Wer den Anführern nicht gehorchte oder nicht auf seinem Platz blieb, den schlugen sie auf Hüften und Schultern. Dann zerrten sie ihn aus dem Innenhof, hieben auf ihn ein und stießen ihn mit Gewalt hinaus. Oft züchtigten sie ihn so hart, daß er zu Boden fiel und sie ihn an den Ohren hinauszerren mußten. Aber niemand wagte ein Wort zu solcher Bestrafung zu sagen, denn die, die ein Jahr lang gefastet hatten, wurden gefürchtet und sehr verehrt als die >älteren Brüder Huitzilopochtlisjunge Kriegen heißen, kamen dann ¡jeder von ihnen hatte einen Feind heimgebracht oder zwei. Die Großen riefen ihnen zu: »Ihr müßt noch beweisen, wie tapfer Ihr seid. Zeigt uns, was Ihr könnt, tanzt mit aller Kraft!« Als der Reigentanz sich zu den schönsten Figuren fügte und Gesang sich an Gesang schloß, an diesem Höhepunkt des Festes ergriff Mordlust die Spanier. Sie stürmten vor, bewaffnet und wie zum Kriege gerüstet. Sie verschlossen alle Ausgänge und Tore des Innenhofes, die Adlerpforte am Kleinen Palast, das Tor an der Rohrspitze und das an der Spiegelschlange. Sie stellten Wachen auf, so daß niemand entkommen konnte. Und dann stürzten sie in den geheiligten Innenhof, um die Feiernden zu schlachten. Sie kamen zu Fuß, sie trugen ihre Eisenschwerter in den Händen und ihre Holzschilde und ihre Eisenschilde. So stürmten sie mitten unter die Tänzer und erzwangen sich einen Weg dorthin, wo die Pauken geschlagen wurden. Sie griffen den Mann an, der trommelte, und schlugen ihm die Arme ab. Dann schlugen sie ihm den Kopf ab, und er rollte weithin über den Boden. Dann griffen sie die Tanzenden an, erstachen sie, spießten sie auf, erschlugen sie mit ihren Schwertern. Einige durchbohrten sie von hinten, die fielen mit heraushängenden Eingeweiden zu Boden. Andere enthaupteten sie; erst spalteten sie ihnen den Kopf und schlugen ihn dann in kleine Stücke. Andere trafen sie an den Schultern, in klaffenden Wunden öffnete sich ihr Rücken. Einigen rissen sie die Arme vom Körper. Einige stachen sie in die Schenkel und in die Waden. Anderen schlitzten sie den Bauch auf, und die Eingeweide flössen auf den Boden. Manche versuchten vergeblich, noch wegzurennen, doch ihre Gedärme schleiften vor ihnen, und mit ihren eigenen Füßen verfingen sie sich darin. Auf welche Weise sie sich auch zu retten suchten, sie konnten nicht entkommen. Einige versuchten, sich einen Weg nach draußen zu erzwingen, aber die Spanier ermordeten sie an den Toren. Andere kletterten an den Wänden hoch, aber die Spanier spießten sie auf, und sie konnten sich doch nicht retten. Einige flüchteten in die Priesterhäuser und waren 60

dort eine Weile in Sicherheit. Auch die sich zwischen die Toten legten, sich unter ihnen versteckten, als ob sie auch Leichen wären, fanden dort Schutz. Aber sobald sie sich wieder aufrichteten, sich nur ein wenig rührten, stachen die Spanier zu und ermordeten sie auch. Das Blut der Häuptlinge floß wie Wasser und sammelte sich in Pfützen. Die Pfützen flössen zusammen und machten den ganzen Tempelhof zu einer großen, schlüpfrigen Fläche. Der Gestank des Blutes und der Gedärme füllte die Luft. Und die Spanier rannten nun in die Priesterhäuser und töteten alle, die sich dort noch verbargen. Sie liefen überall hin und durchsuchten alles, in alle Räume drangen sie ein, jagten und mordeten. Als die Nachricht von diesem Gemetzel aus dem geheiligten Tempelhof hinausdrang, stieg ein Entsetzensschrei auf: »Mexikaner, eilt herbei! Wappnet Euch, nehmt Eure Speere und Schilde! Die Fremden haben unsere tanzenden Krieger ermordet!« Dieser Schrei weckte ein Schmerz- und Zorngebrüll. Das Volk klagte und schrie, schlug sich die Hände gegen den Mund. Die Häuptlinge sammelten sich so schnell wie zu einer im voraus bestimmten Stunde. Alle waren zum Kampf entschlossen, sie trugen Speere und Schilde. Dann begann der Kampf. Die Azteken griffen mit ihren Wurfspeeren an und mit ihren Pfeilen, sogar mit den leichten dreizackigen Speeren, die zur Vogeljagd dienten. Sie schleuderten ihre Wurfspeere mit aller Macht. Und die Rohrpfeile breiteten sich über den Spaniern aus wie ein weiter, gelber Mantel. Die Spanier zogen sich in den Palast zurück und verschanzten sich dort. Sie beschossen die Mexikaner mit ihren eisernen Pfeilen und warfen Feuer aus ihren Gewehren und Geschützen. Und Motecuhzoma legten sie in eiserne Ketten. Die Mexikaner, die bei dem Gemetzel gestorben waren, wurden fortgeschafft aus dem heiligen Tempelhof. Man trug sie hinaus, einen nach dem andern, und untersuchte die Leichen, um sie zu erkennen. Und Väter und Mütter der Toten weinten und klagten, die Ermordeten brachte man ihnen in die Häuser. 61

Dann wurden sie in den Tempelhof getragen und dort mit allen Toten vereinigt. Die Leichen wurden später am Quauhxicalco, am Platz der Adlerschale, verbrannt; einige auch im >Hause der jungen MännerWir dürfen nicht gegen sie kämpfen! Unsere Waffen gleichen nicht ihren! Wir sind ihnen unterlegen. Legt nieder die Schilde und Speere !< Dies ist sein Befehl. Denn das größte Leid wird die Alten treffen, das ärmste Volk und die unverständigen Kinder, die noch am Boden kriechen und in ihren Tragen schlafen. Habt mit ihnen Erbarmen! Darum spricht Euer Herr: >Wir sind nicht stark genug, sie zu vernichten. Steht vom Kampfe ab! Geht in die Häuser zurück!< Mexikaner, sie haben Euren König Motecuhzoma in Ketten gelegt! Seine Füße haben sie mit Eisenketten gebunden!« Als Itzcuauhtzin geendet hatte, erhob sich ein Aufruhr unter dem Volk. Die Krieger in ihrem Zorn schrien ihm Beschimpfungen zu. Und sie schrien: »Wer ist dieser Motecuhzoma, um uns zu befehlen! Der Feigling! Seine Sklaven sind wir nicht länger!« Und sie stießen ihre Kriegsschreie aus, und ihre Pfeile suchten das Dach. Doch die Spanier traten vor mit erhobenen Schilden. Sie verbargen den armen Motecuhzoma und Itzcuauhtzin, damit die Pfeile sie nicht fänden. Die Mexikaner waren zornig. So verräterisch hatte der Angriff ihre Häuptlinge überfallen. Hinterrücks hatte man sie ermordet, ohne die leiseste Warnung. Nim verweigerten sie den Rückzug. Nun legten sie ihre Waffen nicht nieder. Der königliche Palast wurde belagert. Eine dichte Kette von Wachen legten die Mexikaner herum, damit niemand sich hineinschleichen 62

konnte mit Speisen für die Spanier. Niemand lieferte ihnen noch Nahrung, sie brachten ihnen gar keine Vorräte mehr und warteten darauf, daß sie vor Hunger stürben. Nur wenige Leute versuchten, mit den Spaniern in Verbindung zu treten. Sie erhofften sich Vorteil davon, ihnen Ratschläge zu geben oder Nachrichten zu bringen, ihre Gunst zu gewinnen, indem sie heimlich ein wenig Speise brachten. Doch die Wachen entdeckten sie und töteten sie auf der Stelle. Sie brachen ihnen den Hals oder steinigten sie zu Tode. Einmal entdeckten sie eine Gruppe Träger, die Felle in die Stadt brachten. Die ließen sie wissen, daß man andere Leute in ihrer Mitte verborgen hätte, die heimlich zu den Spaniern gehen wollten. Da wurde strenger Befehl erlassen, alle Straßen und Dämme, die in die Hauptstadt führten, genau zu bewachen. Die Träger selbst waren Hörige aus den Provinzen Ayotzintepec und Chinantlan. Deren Verwalter hatten sie geschickt, und sie erfüllten nur ihre Pflicht, doch die Wachen ergriffen sie und töteten sie ohne Grund. Sie pflegten zu schreien: »Da ist wieder so einer!«, und dann schlug man ihm schon den Hinterkopf ein. Und wenn sie einen sahen, der einen Lippenpflock aus Bergkristall trug, wie Motecuhzomas Diener, töteten sie ihn sofort und schrien: »Er wollte Motecuhzoma Speisen bringen!« So ergriffen sie jeden, der wie ein Leibeigener oder Diener gekleidet war. »Auch so ein Schuft und Verräter, der Motecuhzoma Nachrichten bringt!« sagten sie dann. Und wenn der Gefangene sich zu retten suchte und flehte: »Was tut Ihr denn, Mexikaner! Ich bin kein Verräter!«, antworteten sie: »Doch, Du bist es, wir wissen, Du bist einer der Diener!« Und sie töteten ihn. So hielten sie jeden auf und fragten ihn aus in derselben Weise. Sie prüften jedes Mannes Gesicht und forschten nach seiner Arbeit. Niemand konnte sein Haus verlassen, ohne befragt und beschuldigt zu werden. So verurteilten sie viele Leute für nicht verübte Verbrechen, die Gefangenen mußten für Taten büßen, die sie niemals 63

begangen hatten. Deshalb verbargen sich die Hörigen und zeigten sich nicht mehr den Leuten. Sie wußten, was ihnen geschehen würde, wenn sie den Wachen oder den Kriegern begegneten. Nachdem der Palast nun eine große Falle geworden war, in der die Spanier steckten, griffen die Mexikaner sie an. Sie bekämpften sie sieben Tage, und dreiundzwanzig Tage lang schlugen sie alle Ausbruchsversuche zurück. In dieser Zeit wurden auch alle D ä m m e gesperrt. Die Kanäle gruben sie tiefer aus, zogen die Brücken hoch, gruben tiefe Löcher in die D ä m m e und Wege, errichteten Schutzwälle und Mauern, taten alles, u m die Zufahrtswege zur Hauptstadt zu stören. Auch der Durchgang durch die Straßen der Stadt wurde erschwert. Auch hier bauten sie überall Mauern und Sperren.

Codex Aubitt. Auch unter dem Namen >Manuscrito de i$j6< bekannt. Dieses Datum der Entstehung ist nicht gesichert. Original in Ndhuatl. Motecuhzoma sagte zu Malintzin: »Willst Du den Gott bitten, mich anzuhören? Es ist jetzt die Zeit gekommen, das Fest Töxcatl zu feiern. Es wird nur zehn Tage dauern, und wir bitten den Gott u m Erlaubnis, es feiern zu dürfen. Wir verbrennen nur etwas Weihrauch und tanzen unsere Tänze. Ein wenig Lärm wird es geben durch die Musik, aber das ist alles.« Der Kapitän sprach: »Nun gut, sag ihm, sie mögen es feiern!« Dann verließ er die Stadt, u m auf ein anderes spanisches Heer zu stoßen, das ihm entgegenmarschierte. Pedro de Alvarado, den man >Die Sonne< nannte, übernahm während seiner Abwesenheit den Befehl. Als der Tag des Festes gekommen war, sagte Motecuhzoma zu >Der Sonnec »Bitte, höre mich an, mein Herr! Wir erbitten Deine Erlaubnis, das Fest unseres Gottes soll nun beginnen.« Und >Die Sonne< erwiderte: »Laß es beginnen. Wir werden da sein, u m es zu betrachten.« Da gingen die aztekischen Häuptlinge zu ihren >älteren Brüdern< 64

und gaben ihnen Befehl: »Ihr müßt das Fest so prächtig wie möglich feiern!« Die >älteren Brüder< sprachen: »Wir wollen tanzen, so gut wir nur können!« Da sagte Tecatzin, der Häuptling des Kriegsschmucks, zu Motecuhzoma: »Willst Du den Herrn nicht erinnern, daß er hier ist und nicht in Cholula, ich bitte Dich! Du weißt, wie sie die Cholulteken in ihrem Tempelhof fingen! Auch bei uns haben sie schon genug Verwirrung gestiftet. Wir sollten unsere Waffen verbergen, daß unsere Hände sie finden, wenn wir sie brauchen!« Aber Motecuhzoma sagte: »Führen wir Krieg mit ihnen? Nein, ich sage Dir, wir können ihnen trauen!« Tecatzin sagte: »Nun, gut.« Dann begannen die Gesänge und Tänze. Ein junger Häuptling, Cuatldzol aus Tolnähuac, der einen Lippenpflock trug, führte dieTänzer an. Doch die Gesänge hatten kaum begonnen, da verließen die Christen den Palast und betraten den Tempelhof. Sie besetzten jeden Eingang mit vier Wachen. Dann erschlugen sie den jungen Cuatläzol, den Häuptling, der die Tänzer anführte. Einer der Spanier schlug dem Gott ins Gesicht, andere ermordeten die drei Trommler. Und dann hub das große Gemetzel an, bis die Leichen sich im Tempelhof häuften. Ein Priester vom Platz der Rohrfelder schrie mit lauter Stimme: »Mexikaner, wer sagte denn, daß wir keinen Krieg mit ihnen führen? Wer sagte, daß wir ihnen trauen könnten?« Die Mexikaner konnten sich nur mit Holzstäben wehren, sie wurden von den Schwertern in Stücke geschlagen. Zuletzt zogen die Spanier sich in den Palast zurück, den man ihnen als Wohnung überlassen hatte.

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K A P I T E L IX

Codex Fbrentino. Buch xn, Kapitel 23, 24 und 25 Und die Spanier warfen den toten Motecuhzoma und Itzcuauhtzin vor die Tür des Palastes. Am Ufer des Kanals, an der Stelle, die Teoayoc heißt, am Schildkrötenstein, fand man die Leichen. Sie hoben den armen Motecuhzoma auf und trugen ihn nach Copolco. Dort übergaben sie ihn dem Scheiterhaufen. Das Feuer begann zu prasseln. Gierig leckten die Feuerzungen an Motecuhzomas Körper. Und der Leib des großen Königs Motecuhzoma roch nach verbranntem Menschenfleisch, er stank beim Verbrennen. Während noch die Feuergarbe aufstieg, schmähten sie ihn: »Dieser große König! Die ganze Welt hat vor dem Schurken in Furcht gezittert! Wer ihn beleidigte, mußte sterben. Allen Verleumdungen, allen Lügen lieh er sein Ohr, Unschuldige büßten mit ihrem Leben für nie begangene Taten!« Und mit verbissenen Gesichtern murrten sie weiter und schüttelten ihre Köpfe. Den toten Itzcuauhtzin aber führten sie im Boot nach Tlatelolco. Sie waren traurig, ihre Herzen waren verwaist. Sie weinten um ihn, niemand hätte ihn schelten oder verhöhnen mögen. Sie sprachen: »Er hat Leiden erduldet, der Herr des Speerhauses, Itzcuauhtzin. Für uns hat er alles erduldet. Mit Motecuhzoma hat er gelitten, mit ihm alle Pein ertragen!« Und sie schmückten ihn mit der Königsfahne und dem anderen Schmuck und brachten ihm ihre Totengaben. Dann trugen sie ihn in den Tempelhof. Unter großen Ehren wurde sein Leib >an der Adlerschale< verbrannt. Und eines Nachts, um Mitternacht, schlichen die Spanier und die Tlaxcalteken aus dem Palast. Sie kamen in einem dichten Zug, an der Spitze gingen die Spanier, und die Verbündeten dicht dahinter bildeten einen Wall um sie herum. Der Himmel war bewölkt, und 66

Regen fiel herab während der ganzen Nacht, ein feiner Regen, wie Tau. Die Spanier trugen hölzerne Brücken mit sich, die legten sie über die Kanäle, die sie überqueren mußten. Sie setzten die Brücken nieder, gingen darüber und hoben sie dann wieder auf. Die ersten drei Kanäle überschritten sie ungesehen, ungehindert kamen sie über den Tecpantzinco, den Tzapotlan und den Atenchicalco. Aber als sie den vierten erreichten, den Mixcoatechialtitlan, wurde ihr Rückzug entdeckt. Ein Weib, das Wasser schöpfte an diesem Kanal, sah sie und schrie: »Mexikaner, kommt schnell herbei! Eure Feinde fliehen! Heimlich fliehen sie über den Kanal!« Dann schrie ein Priester Huitzilopochtlis. Hoch von der Tempelpyramide aus rief er sie zu den Waffen. Seine Stimme gellte weit über die Stadt: »Häuptlinge, Krieger, Mexikaner! Unsere Feinde fliehen! Folgt ihnen in den Kriegsbooten! Schneidet ihnen den Weg ab, erschlagt sie!« Auf diesen Ruf antwortete zorniges Kriegsgeschrei. Die Krieger sprangen in ihre Boote, verfolgten die Feinde mit kräftigen Ruderschlägen. Die Kriegsboote aus Tenochtitlan stießen mit denen aus Tlatelolco zusammen, bemannt mit vielen tapferen Kämpfern, und gemeinsam nahmen sie dann die Verfolgung auf. Zielsicher steuerten sie die Boote, schlugen die Ruder so schnell sie konnten, peitschten das Wasser des Sees bis es kochte. Andere Krieger eilten zu Fuß nach Nonohualco und dann nach Tlacopan, um den Spaniern den Weg abzuschneiden. Von beiden Seiten des Dammes stießen die Boote auf die Spanier zu. Wie ein Sturm fielen die Speere nieder auf das fliehende Heer. Aber auch die Spanier hielten an und schössen auf die Azteken, sie schössen ihre Eisenbolzen und Feuergewehre ab. Die Spanier und Tlaxcalteken hatten große Verluste, aber auch viele aztekische Krieger wurden getötet oder verwundet. Als die Spanier Tlaltecayohuacan erreichten und denToltekenkanal, 67

stürzten sie sich kopfüber ins Wasser, wie von einem Felsen sprangen sie hinab. Die Tlaxcalteken, die Verbündeten aus Tliliuhquitepec, das spanische Fußvolk, die Reiter, die wenigen Frauen, die das Heer begleiteten, alle kamen an das steile Ufer und sprangen hinab. Bald war der Kanal vollgestopft von den Körpern der Menschen und Pferde; die Ertrunkenen füllten die Löcher im Damm mit ihren Leibern aus. Und die nach ihnen kamen, gingen über die Leichen an das andere Ufer. Als sie den nächsten Kanal bei Petlacalco erreichten, kamen sie ungehindert von den Azteken auf das Balkengerüst. Dort hielten sie eine kurze Rast, erholten sich, schöpften Atem, ermannten sich wieder. Und dann marschierten sie weiter nach Popotla. Die Morgendämmerung kam, als sie in die Stadt einzogen. Das strahlende Licht des neuen Tages ermutigte ihre Herzen, sie glaubten, die traurige Nacht sei vorbei, die Schrecken des nächtlichen Rückzuges lägen nun hinter ihnen. Doch plötzlich hörten sie Kriegsschreie, Azteken schwärmten durch die Straßen und kreisten sie ein. Sie waren gekommen, um Tlaxcalteken für ihre Opferungen zu fangen. Und sie wollten die Rache an den Spaniern vollenden. Die Azteken verfolgten das spanische Heer auf dem ganzen Weg nach Tlacopan. Und als sie die Spanier aus Tlilyuhcan vertrieben, wurde Chimalpopoca, der Sohn Motecuhzomas, im Kampf getötet. Sie fanden ihn, von einem gezackten Pfeil war er getroffen. Auch Tlaltecatzin, der Tepanekenfürst, wurde in diesem Kampf verwundet und starb kurz darauf. Er hatte die Spanier geführt und beraten, er hatte ihnen gedient! Er hatte ihnen die besten, kürzesten Wege gewiesen. Die Spanier setzten nun über den Tepzölatl, einen kleinen Fluß, und dann über den Tepzolac und den Acueco und stiegen dann nach Otoncalpulco hinauf, da ruhten sie aus. Dort im Tempelhof, der einen schützenden Holzwall hat, fanden sie Sicherheit und schöpften Atem. Dort begrüßte sie der Häuptling von Teocalhueyacan mit seinem 68

Gefolge. Er trug den Beinamen >der Otomigroße Admiral< »nur das Tor hatte öffnen können, durch das andere einziehen sollten«. Von Hispaniola aus wurde die Erforschung der weißen Flächen auf den Landkarten, auf denen Kolumbus durch seine kühnen Vorstöße erst einige Punkte markiert hatte, weiterbetrieben, aber auf der Insel waren Ansiedler noch willkommener als Abenteuerlustige, denn die eroberten Länder konnten nur für Spanien erhalten und nutzbar gemacht werden, wenn man sie rasch kolonisierte, Ortschaften gründete, das Land bebaute und die Bodenschätze gewann. So nahm das Leben des jungen Cortés auf Hispaniola zunächst einen ganz anderen Verlauf, als er sich erträumt haben mochte. Der Statthalter empfing ihn freundlich und gab ihm eine Anweisung auf Ländereien und die dazu gehörigen Indianersklaven, die für die spanischen Ansiedler den Boden zu bearbeiten hatten. Zwar soll Cortés mißmutig geäußert haben: »Ich bin aber gekommen, um mir Gold zu schaffen, nicht, u m wie ein Bauer den Acker zu pflügen«, doch er fand sich zunächst damit ab, als Ansiedler zu leben. Die kriegerische Urbevölkerung der Insel nahm begreiflicherweise die Versklavung durch die Eroberer nicht ohne Widerstand hin. Sie widersetzte sich heftig dieser summarischen Regelung ihrer Zukunft, die den Spaniern durch die Begründung, Zwang zur Arbeit sei die einzige Möglichkeit, die Indianer in beständigen Kontakt mit den "5

Christen zu bringen und sie zu bekehren, ebenso zweckdienlich wie ehrenwert gerechtfertigt schien. Aufstände flackerten immer wieder auf und mußten niedergeschlagen werden, und Cortés hatte also ausreichend Gelegenheit, sich im Kampf mit Indianern zu üben und seinen Mut zu beweisen. Die kriegerischen Unternehmungen auf Hispaniola standen unter dem Oberbefehl von Ovandos Stellvertreter Diego Velázquez, einem Mann, der >ansehnliche Erfahrung in Kriegsangelegenheiten< hatte und als >lüstern nach Ruhm und noch etwas lüsterner nach Reichtum< beschrieben wird. Als Velázquez 1511 zur endgültigen Eroberung der Insel Cuba aufbrach, schloß Cortés sich diesem Unternehmen freiwillig an, bewies Mut und Umsicht und konnte sich in so große Gunst bei Velázquez setzen, daß dieser ihn nach seiner Ernennung zum Statthalter von Cuba zu seinem Geheimschreiber machte. Damit stand Cortés nun in engster Beziehung zu der Person, die die wichtigste Rolle in seinem Leben spielen sollte, und gewann Einblick in alle weiteren Pläne, die der ehrgeizige Statthalter entwarf. Alles was Cortés während und nach der Unterwerfung Cubas tat, wirkt heute wie eine letzte Vorübung auf seine eigene große Aufgabe, die Eroberung Mexikos. Alle Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, die er während des mexikanischen Unternehmens zielstrebig und gesammelt einzusetzen wußte, wurden in Cuba entwickelt und erprobt. Durch sein scheinbar offenes, heiteres und herzliches Wesen machte er sich bei den Soldaten beliebt, die ihm mit fanatischer Treue anhingen, er wußte seine Vorgesetzten durch geschicktes Taktieren für sich einzunehmen, er lernte das Intrigenspiel im Kampf um Machtpositionen und beherrschte schon jetzt die Kunst, Verschwörungen, die sich gegen ihn selbst richteten, durch überraschendes Handeln im Keim zu erstikken. Seine Beziehung zu Velázquez setzte er so großen Belastungen aus, daß sie vernichtet zu sein schien: Velázquez grollte seinem Geheimschreiber, weil er eine Verschwörung gegen ihn angezettelt hatte, ließ ihn ins Gefängnis werfen, aus dem Cortés zweimal wieder entfloh, und wollte ihn hängen lassen. Aber es gelang Cortés, das 116

berechtigte Mißtrauen des Statthalters zu zerstreuen, sich von allem Verdacht zu reinigen. Er duckte sich noch einmal vor dem Mächtigeren, als er auf dessen Betreiben mit einer schönen, aber nicht standesgemäßen Frau, die er kompromittiert hatte, die Ehe schloß und wurde von Velázquez dafür mit einem großen Landbesitz in der Nähe von Santiago de Cuba belohnt, den er so planvoll und geschickt bearbeiten ließ, daß er sich in wenigen Jahren >Gold geschafft* hatte und ein reicher Mann war. Die Beziehung zu Velázquez war wieder so gefestigt, daß der Statthalter 1518 beschloß, ihm den Oberbefehl über eine Flotte zu geben, die den Spuren kleinerer Entdeckungsfahrten nachgehen und die westlich von Cuba gelegenen Länder erobern sollte. Schon seit 1502 wußte man, daß im Westen eine lange Küste lag. Kolumbus war auf seiner letzten Reise bis nach Honduras vorgedrungen, 1510 hatte Baiboa in Darien, im Winkel zwischen Panama und Südamerika, eine Kolonie gegründet, 1511 waren Valdivias Schiffbrüchige an die Ostküste Yucatans verschlagen worden und 1517 kam Córdoba an das nordöstliche Ende der Halbinsel Yucatan, zum Kap Catoche, und die Berichte und Goldproben, die er mitbrachte, veranlaßten Velázquez, seinen Neffen Juan de Grijalva im Mai 1518 auf eine neue Entdeckungsfahrt zu schicken. Er umschiffte die mexikanische Küste, befuhr den Rio de Tabasco, den die Spanier dann nach ihm Rio de Grijalva nannten, und er war es, der als erster den Fuß auf mexikanischen Boden setzte. Er traf auch schon auf Azteken, mit denen er, seiner Ansicht nach, /Tauschhandel betrieb: gegen Glasperlen und andere wertlose Dinge nahm er die ersten Geschenke an die >Götter< in Empfang, einen so reichen Schatz an Gold und Edelsteinen, daß er Pedro de Alvarado, der eines seiner Schiffe befehligte, damit nach Cuba zurückschickte, um Velázquez Bericht zu erstatten. Als der Statthalter die goldene Ladung des Schiffes gesehen und die Erzählungen Alvarados über das reiche Mexiko angehört hatte, schien ihm die Erfüllung seiner ehrgeizigsten Träume nahe. Er schickte seinen Hausgeistlichen mit dem königlichen Anteil an 117

dem mexikanischen Gold nach Spanien und erbat sich zugleich den Auftrag, dieses neuentdeckte Land zu erobern und zu besiedeln. Noch ehe er Antwort erhielt, noch ehe der ungeduldig erwartete Grijalva zurückgekommen war, begann er, eine größere Kriegsflotte auszurüsten und suchte nach dem geeigneten Mann, der sie führen und sich an den Kosten des Unternehmens beteiligen konnte. In Cortés glaubte er ihn gefunden zu haben. Die Vollmacht, die der Statthalter ausgearbeitet und schriftlich niedergelegt hat, bezeichnet klar die Ziele des Unternehmens. Zunächst sollte Cortés mit Grijalva zusammentreffen und mit ihm gemeinsam weiter nach Mexiko eindringen. Er sollte versuchen, auf seiner Reise die Christen aufzufinden, die in Yucatan von den Eingeborenen gefangengehalten wurden, und sie nach Möglichkeit befreien. Er sollte mit den Eingeborenen Tauschhandel treiben und sie durch Güte und Menschlichkeit auf den Weg des wahren Glaubens führen. Die Bekehrung der Indianer zum Christentum sei der Zweck aller Eroberungen, sie liege dem König von Spanien am meisten am Herzen, und die Großmut und Güte seines königlichen Herrn habe Cortés den Eingeborenen immer wieder vor Augen zu führen und sie aufzufordern, >ihm ihre Huldigung zu leisten und als Zeugnis derselben ihn mit schönen Geschenken an Gold, Perlen und Edelsteinen zu erfreuen, so daß sie durch Bezeigung ihres guten Willens sich seine Gunst und seinen Schutz sichern möchtenDarlehn des Königs von Spanien< requirierte, und segelte dann nach Trinidad. Dort schlössen sich etwa 119

hundert von Grijalvas Leuten, die gerade zurückgekommen waren, dem neuen Unternehmen an. Zu ihnen gehörten auch Pedro de Alvarado und Gonzalo de Sandoval, die in Mexiko schon nützliche Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt hatten und während der Eroberung durch ihre Taten von sich reden machten. Auch Francisco de Montejo, der später die Maya in Yucatan unterwarf, und Bernal Díaz del Castillo, der durch seine >Denkwürdigkeiten< einer der berühmten spanischen Chronisten der Eroberung wurde, hatten sich Cortés angeschlossen. Briefe und Haftbefehle des Statthalters verfolgten Cortés, aber weder in Trinidad noch in Havanna wagten es die Stadtkommandanten, Velázquez' Befehle zu vollstrecken. Die entrüstete Mannschaft hätte wohl auch vor keinem Mittel zurückgeschreckt, ihren Kapitän zu verteidigen. Cortés hatte schon jetzt über seine Soldaten solche Macht, daß >alle, sowohl Offiziere als Gemeine, willig ihr Leben für ihn hingegeben hättenBericht, erstattet von der Gerichtsbehörde und dem Magistrat der neuen Stadt des wahren Kreuzes< fingierte, spielte er nach erprobten Regeln, die andere vor ihm und gegen ihn in Westindien angewandt hatten. In Cempoala aber, der ersten Station auf dem Marsch nach Tenochtitlan-Mexiko, begann er sein taktisches Vorgehen aus den Gegebenheiten des Landes zu entwickeln, indem er die unterjochten Stämme gegen ihre mexikanischen Unterdrücker aufwiegelte und sie zu aufsässigen Handlungen verführte, die sie früher oder später als Verbündete in sein Lagerfuhren mußten. Er muß in Cempoala erkannt haben, daß das große mexikanische Reich von seiner kleinen Schar verwegener Abenteurer zu bezwingen wäre, wenn er die vielen unterworfenen Stämme, die sich insgeheim gegen das aztekische Joch empörten, zum Aufruhr verleiten und auf seine Seite ziehen könnte. Hier wagte er es auch, seinen ermatteten, unter dem ungewohnten Klima leidenden Soldaten, die zu meutern begannen, die Rückkehr nach Cuba freizustellen. Er ließ die Flotte bis auf ein kleineres Schiff zerstören und lud jeden, der gewillt wäre, ihn zu verlassen, ein, es zu besteigen. Aber er gewann auch dieses verwegene Spiel; er war seiner Macht über seine Soldaten sicher. Cortés hat den großen Vorteil niemals ganz begreifen und wahrnehmen können, der sich für ihn aus der Tatsache ergab, daß die Azteken die Rückkehr ihrer Götter erwarteten. Er hat davon profitiert, aber ausgenutzt und ausgespielt hat er die Vorteile, die er aus dem staatlichen Aufbau des mexikanischen Reiches ziehen konnte. Um 1519 herrschten die Azteken über ein Gebiet, das sich vom Pazi122

fischen Ozean bis zur Golfküste und von Zentral-Mexiko bis zur heutigen Republik Guatemala erstreckte. Dieses große Territorium war von ihnen in vielen Kriegen unterworfen und zu einem Gefüge zusammengeschlossen worden, das einem Staatenbund glich, über den sie zur Zeit der Eroberung Herrschaftsgewalt ausübten, indem sie die handelspolitisch und militärisch wichtigsten Punkte besetzt hielten und regelmäßige Tributleistungen in Empfang nahmen. Das Zustandekommen eines solchen Staatsgefüges wird erklärlich, wenn man sich an die politischen, kulturellen und geographischen Gegebenheiten im Hochtal von Mexiko erinnert, in dem die aztekische Hauptstadt lag. Die Azteken oder Mexikaner, die als letzte der ursprünglich nomadischen Nahua-Stammesverbände aus dem Norden in das Tal von Mexiko kamen, fanden das Seengebiet, in das sie um die Mitte des 13. Jahrhunderts eindrangen, reich besiedelt vor. Blühende Stadtstaaten lagen an den Küsten des großen Salzsees, ihre Stammes- und Sprachverwandten hatten dort schon verfeinerte Lebensgewohnheiten ausgebildet, das fruchtbarste Land längst in Besitz genommen und waren nicht gewillt, es den räuberischen Barbaren kampflos zu überlassen. Überall, wo die Azteken sich anzusiedeln versuchten, vertrieb man sie, bis sie sich endlich auf einer der Inseln in dem großen See festsetzen konnten, die so unwirtlich war, daß die anderen Stämme sie ihnen nicht streitig machten. Dort gründeten sie im Jahre 1325 ihre Stadt Tenochtitlan, eine kleine Ansiedlung, die aus wenigen ärmlichen Hütten bestand. Die Ungastlichkeit dieser Wohnstätte mußte sie immer wieder zu Ausbruchsversuchen zwingen, ihre wilde Energie und kriegerische Tapferkeit scheint ihnen nach und nach zu einigem Ansehen bei den anderen Stämmen verholfen zu haben, und so konnten sie sich, während sie selbst noch tributpflichtig waren und für andere Stadtstaaten Kriegsdienste leisten mußten, deren kulturelle Errungenschaften zunutze machen. Das Mittel dazu war ihre Sprache. Náhuatl hatten nämlich auch die Tolteken gesprochen, die in ihrem Reich Tollan die Kultur ausbildeten, 123

die alle später eindringenden Stämme übernahmen und von der das Tal von Mexiko bei der Ankunft der Azteken geprägt war. In Tollan, dem heutigenTula, etwa 55 Meilen nordöstlich der Hauptstadt Mexiko, hatte von 925 bis 947 der große Priesterkönig Quetzalcöatl regiert, der Kulturschöpfer und religiöse Reformator, der sein Volk mit Güte und Weisheit lenkte und seine Regierungszeit zu einer >Epoche des Friedens und der unblutigen Götterkulte< machte. Sein Werk ließ ihn zur großen mythischen Gestalt wachsen, die bald mit göttlichen Zügen ausgestattet und verehrt und angebetet wurde. Quetzalcöatl hatte Tollan zwar verlassen und war im >Meer des Ostens< verschwunden; die feindlichen Dämonen Tezcatlipoca und Huitzilopochtli, die Stammesgötter der Acolhua und Azteken, der beiden kriegerischen Nahua-Stämme, die nach den Tolteken in das Hochtal von Mexiko eindrangen, hatten ihn vertrieben. Aber er hatte versprochen, daß er einst über die See her zurückkommen und die Herrschaft wieder übernehmen würde. Diese Überlieferung blieb bei allen Nahua-Stämmen lebendig, ebenso die Überzeugung, daß die >ToltekenKünstlertoltekische Herkunft gesichert. Die Azteken in Tenochtitlan versuchten gleichfalls mit Erfolg, ihre Abkunft aus dieser toltekischen Stadt >historisch< zu machen. Das geschah unter Itzcöatl, dem Begründer der aztekischen Macht, der von 1428 bis 1440 regierte und der erste unabhängige Herrscher der Tenochca, der Bewohner von Tenochtitlan, war. Er brachte die Kämpfe um die Vorherrschaft, die bis dahin zwischen den verschiedenen Stämmen und Stadtstaaten im Tal von Mexiko geführt worden waren, zum Abschluß, indem er die Stadt Azcapotzalco, die damals die Oberherrschaft gewonnen hatte und alle anderen Städte unterjocht hielt, bezwang und dadurch die Periode der aztekischen Herrschaft einleitete, die erst 1521 für immer endete. 124

Itzcöatl gelang es, mit dem Dichterkönig von Tezcoco, Nezahualcöyotl, der als Staatsmann, Gesetzgeber und Philosoph berühmter wurde als alle anderen mexikanischen Fürsten, ein Bündnis abzuschließen, dem die bedeutungslosere Stadt Tlacopan als dritter Partner beitrat. Dieser Dreibund, der die Basis des aztekischen Staatsgefüges bildete, zerfiel erst während der spanischen Eroberung. Unter Nezahualcöyotl und Itzcöatl gelang es den drei Stämmen, Azcapotzalco zu besiegen. Das erbeutete Land wurde unter die Verbündeten verteilt, und nun besaß auch Tenochtitlan endlich ein Territorium auf dem Festland und konnte seinen Machtbereich weiter ausdehnen. Die tapfersten aztekischen Häuptlinge wurden für diesen Sieg mit Titeln und Landbesitz belohnt. Damit hatte Itzcöatl eine ihm ergebene adelige Kriegerkaste geschaffen und ging nun mit Entschiedenheit daran, seine Untertanen ganz an die toltekische Kultur zu binden, d. h. ihre direkte Abkunft von den Tolteken durch eine Geschichtsfälschung zu begründen. »Sie verwahrten einen Bericht über ihre Geschichte, aber später wurde er verbrannt, während der Regierung Itzcöatls. Die Herren von Mexiko verfügten es. Die Herren von Mexiko verkündeten: Es ist nicht angängig, daß unser Volk diese Bilder sieht. Unser Volk wäre verloren und unsere Stadt wäre zerstört, denn diese Bilder sind voller Lügen.« In der neuen Version beanspruchen die Azteken, von der toltekischen Nobilität aus Culhuacan abzustammen. Sie machen sich zu >Culhuadie SonneLebensspender< und >Lebenserhalter< genannt, und die Idee, daß er ständig mit der köstlichsten aller Speisen, mit Menschenblut, ernährt werden müßte, wurde von Tlacaelel eingeführt, und er sorgte dafür, daß sie zentrale Bedeutung in der aztekischen Religion erlangte. Im Tal von Mexiko wurden zwar schon vor der Ankunft der Azteken Menschenopfer dargebracht, aber bei keinem anderen Stamm wurden sie mit solcher Regelmäßigkeit vollzogen. Der große Haupttempel in Tenochtitlan, der Huitzilopochtli geweiht war und auf den Vorschlag Tlacadlels erbaut wurde, war der Schauplatz unzähliger Opferungen von Gefangenen. Die aztekischen Krieger vergaßen niemals, daß es ihre erste Pflicht war, Gefangene für die Opferungen heimzubringen, seit sich das >Volk der Sonne< der Eroberung aller anderen Völker geweiht hatte. Kriegfuhren wurde höchster Zweck im Leben des Azteken, und die rituelle und die politische Bedeutung des Krieges verbanden sich untrennbar miteinander. Das Gebiet, das die Azteken besaßen, war so klein, daß schon die territoriale Not sie zur Expansion gezwungen hatte. Nun wurde die Ausdehnung des Herrschaftsbereiches durch den Sonnenkult gerechtfertigt. Die Krieger drangen in immer entferntere Gegenden vor, sie folgten den Kaufleuten, die schon früher aus den reicheren und fruchtbareren Ländern Mittelamerikas Mais, Kakao, Baumwolle, Kupfer, Gold und Edelsteine und die kostbaren bunten Federn in das Tal von Mexiko gebracht hatten, das seine Bewohner mit diesen Rohstoffen nicht hinreichend versorgen konnte. 126

Tlacaelel reformierte nun auch die Organisation der reisenden Kaufleute, die wichtige Kundschafter- und Spionagedienste leisteten und die kriegerische Unterwerfung entfernter Gebiete vorbereiteten. Der aztekische Stamm war zu klein, als daß er große Länder hätte besetzen oder kolonisieren können, er konnte sie nur durch Terror soweit zur Botmäßigkeit zwingen, daß ihre Ausbeutung gewährleistet blieb und die kostbaren Güter in regelmäßigen Tributsendungen nach Tenochtitlan gebracht wurden. Der wachsende Reichtum ließ die einst ärmliche Ansiedlung Tenochtitlan zur Metropole werden. Große Bauten entstanden, Tlacaelel ordnete sogar die Anlegung eines botanischen Gartens in Oaxtepec an, den Randgebieten von Cuauhtla im heutigen Morelos. Bald wurde Tenochtitlan ebenso prächtig wie die Stadt Tezcoco, deren Herrscher Nezahualcöyotl berühmte Gärten und Parkanlagen schuf und einen großen Damm gegen die im Seengebiet immer wieder drohenden Überschwemmungen hatte erbauen lassen. Tlacadlel organisierte das Gerichtswesen neu, er reformierte das Hofprotokoll und suchte die Lebensweise seines Volkes auf jede Weise so zu verändern, daß sie den Zielen angepaßt wurde, die. er gesetzt hatte. Er willigte jedoch niemals ein, selbst aztekischer König zu werden, obwohl die Fürsten ihm den Thron nach dem Tode Itzcöatls anboten und dann noch einmal, als MotecuhzomaL, der von 1440 bis 1469 regierte, gestorben war. Er überließ die Königswürde Axayäcatl, der bis 1483 herrschte und dem er noch bis zu seinem Tode, 1481, beratend zur Seite stand. Er zog es vor, Kanzler zu bleiben und seinen Einfluß zur Verwirklichung seiner Ideen zu nutzen. Der Kanzler stand allerdings dem König an Rang kaum nach. Der König, der Tlätohuani, hatte zunächst nur die Funktion eines Sprechers im Rat der Häuptlinge gehabt und war der oberste Kriegshäuptling gewesen, der den Sonnengott verkörperte. Der Kanzler oder Friedenshäuptling, der Cihuacöatl, war als weibliche Schlange< irdischer Vertreter der Erdgöttin und für alle zivilen Angelegenheiten zuständig. Beide Häuptlinge trugen als Zeichen ihrer Würden den gleichen 127

Ornat, eine mit Türkismosaiken verzierte Kopfbinde mit dreieckigem Stirnblatt und eine Oberarmspange aus Muschelschalen. Jedoch die Eroberungszüge, die in Tlacailels religiöser und politischer Konzeption eine so entscheidende Bedeutung bekamen, steigerten die Machtbefugnisse des Kriegshäuptlings, der immer mehr in den Vordergrund trat. Als die Spanier ins Land kamen, hatte der König Motecuhzoma IL die Macht eines absoluten Herrschers. Er hatte ein starres Zeremoniell eingerichtet, das ihn über seine Umgebung in einsame Höhe stellte, zu der niemand sein Auge erheben durfte; der Cihuacöatl stand nun unter ihm. Wenn sich auch Motecuhzoma IL während seiner Herrschaft immer mehr religiösen Neigungen ergab, so hatte er doch auch selbst noch als oberster Kriegshäuptling Feldzüge angeführt und war damit der Tradition seiner Vorgänger gefolgt. Die Eroberungspolitik, die unter Itzcöatl begonnen hatte, setzten alle aztekischen Könige fort, und so wuchs langsam der Machtbereich. Zunächst unterwarfen die Azteken alle Städte, die rund um den See lagen: Coyoacan, Cuitldhuac, Xochimilco und Chalco wurden bezwungen. Andere Stadtstaaten schlössen Verträge ab und stimmten freiwillig zu, regelmäßig Tribute zu entrichten. Dann zogen die Azteken nach Osten bis zur Golfküste, und auch Cempoala mußte Tribute leisten. Im Süden beherrschten sie die heutigen Staaten Oaxaca und Chiapas, drangen in Guatemala ein und erreichten, einigen Berichten zufolge, sogar den Isthmus von Panama. Immer brachten sie reiche Tribute in ihre Hauptstadt zurück, die zu einem prächtigen und starken Zentrum der aztekischen Macht geworden war, nachdem die Tenochca im Jahre 1473 die Nachbarinsel Tlatelolco besiegt hatten und beide Städte zu einer großen Doppelstadt zusammengewachsen waren. Während die Krieger riesige Entfernungen zurücklegten, um neue Gebiete botmäßig zu machen, blieben die Nachbarn der Azteken, die Tlaxcalteken, deren Staat eine Konföderation von vier Republikem war, unabhängig. Tenochtitlan hätte Tlaxcala ohne Schwierigkeiten überwältigen können. Nur ein Bergrücken lag zwischen der 128

kleinen Republik und dem Hochtal von Mexiko, aber die Azteken respektierten die Grenzen auf Grund eines Vertrages, den Motecuhzoma der Ältere geschlossen hatte. Er garantierte den Tlaxcalteken ihr Gebiet und ihre Selbständigkeit, verpflichtete sie aber zu regelmäßigenWaffengängen mit den aztekischenKriegern. Dieser Vertrag bestand noch unter seinem Urenkel, dem jüngeren Motecuhzoma, als die Spanier in das Land eindrangen. Die Azteken befanden sich in dauerndem Kriegszustand mit Tlaxcala; sie scheinen die regelmäßigen Kämpfe als bequeme Gelegenheit betrachtet zu haben, ihre jungen Krieger zu prüfen und zu üben. Vor allem aber wollten sie wohl die Möglichkeit haben, auch in der Nähe ihrer Hauptstadt Kriegsgefangene für ihre Opferungen machen zu können, damit >die Sonne< niemals ohne die notwendige Speise wäre. So blieben die Tlaxcalteken in einer Lage, die ihnen verhaßt sein mußte, aus der sie sich aber nicht befreien konnten. Sie waren von den Azteken eingeschlossen, konnten keine Handelsverbindung mit anderen Stämmen unterhalten und lebten, auf die Erzeugnisse ihres Bodens und ihres eigenen Gewerbes angewiesen, ohne Baumwolle, ohne Kakao, ohne Salz und ohne die vielen Luxusgüter, die nach Mexiko gebracht wurden. Sie waren der Willkür ihres mächtigen Nachbarn ausgeliefert . . . bis die spanischen Eroberer kamen. Cortés, der schon die unterdrückten Cempoalteken durch einen klugen Schachzug zu seinen Verbündeten gemacht hatte, konnte in den Tlaxcalteken, den erbittertsten Gegnern der Azteken, seine treuesten und tapfersten Alliierten gewinnen. Sie kämpften in eigener Sache und hofften, mit Hilfe der Fremden ihre Unterdrücker endlich zu besiegen. Am 16. August 1519 war Cortés aus Cempoala aufgebrochen. Sein kleines Heer war durch cempoaltekische Krieger verstärkt, eingeborene Lastträger folgten, und die Versorgung mit Lebensmitteln war gesichert. So rückte man, unbeirrt durch die verschiedenen Gesandtschaften Motecuhzomas, die ein weiteres Vordringen zu verhindern suchten, zielstrebig auf die Republik Tlaxcala vor. A m 23. September 129

konnte Cortés in die tlaxcaltekische Hauptstadt Ocotelolco einziehen und bald darauf ein Bündnis mit Tlaxcala abschließen. Die tlaxcaltekischen Krieger verstärkten das spanische Heer erheblich, wenn auch Cortés, der selbst berichtet, daß iooooo Krieger sich ihm dort anschließen wollten, er sie aber bis auf fünf- oder sechstausend zurückgewiesen hätte, sicher übertreibt. Das Bündnis mit Tlaxcala vergrößerte außerdem die Chance, die nun bereits bewährte Taktik, die Stämme gegeneinander und gegen die Azteken auszuspielen, erfolgreich fortzusetzen. Bezeichnend ist, daß Cortés in seinem Bericht an KarlV. aus Tlaxcala den Anfang der Goldenen Bulle zitiert »Omne regnum in se ipsum divisum desolabitur - Jedes Reich, das in sich selbst zerfallen ist, wird der Zerstörung anheimfallen«, und die Nutzanwendungen, die er aus diesem Satz gezogen hat, im einzelnen schildert. Wie furchtbar die Folgen seiner Eroberungspolitik sich auf die Eingeborenen auswirken konnten, zeigte sich bald darauf in Cholula; dort richteten die Spanier und ihre Verbündeten am 14. Oktober 1519 das erste furchtbare Blutbad unter den Eingeborenen an. Eine der schönsten und reichsten Städte des alten Mexiko, in der Quetzalcóatl auf seinem Zuge zur Küste zwanzig Jahre verweilt hatte, wurde zerstört. Auch der Tempel dieses guten Gottes, den man zurückerwartet hatte, brannte nieder; er stand auf der Spitze jener berühmten hohen Pyramide, die später von Alexander von Humboldt untersucht und beschrieben wurde. Von Cholula aus setzte das Eroberungsheer den Marsch nach Tenochtitlan fort und zog, nach Überquerung der beiden großen Vulkane, am 8. November 1519 über den Damm von Ixtapalapan in die aztekische Hauptstadt ein. Durch die >schwimmende Vorstadtder Ort, an dem Blumen blühender Ort der Stechmückenim Hause der Reihen, und im Südosten Teopan, der >Ort der Götten, einer der Mittelpunkte der Stadt. Teopan, der geheiligte, mit einer Mauer umgebene Bezirk des Haupttempels, enthielt 78 Gebäude, kleinere Tempel und Schulen, über die sich die große Pyramide mit dem Tempel Huitzilopochtlis erhob. Der andere Mittelpunkt, um den sich das Leben der Stadt konzentrierte, war der große Marktplatz in Tlatelolco, das sich im Norden an Tenochtitlan anschloß. Drei große Dämme verbanden die Doppelinsel mit dem Festland. Einer führte von Tlatelolco aus an das nördliche Ufer des Sees, der zweite stellte im Westen die Verbindung mit dem verbündeten Königreich Tlacopan, dem dritten Partner des Dreibundes, her, der dritte war im Süden erbaut und erreichte das Festland bei Ixtapalapan. Der östliche Rand der Stadt grenzte an die weite Fläche des Sees, und nur bei klarstem Wetter konnte man von Tenochtitlan aus das verbündete Tezcoco an der gegenüberliegenden Küste sehen. Die Spanier, die auf ihrem Zug durch das Land schon so große und prächtige Städte wie Cholula gesehen hatten, waren dennoch starr vor Staunen über die Schönheit der Hauptstadt, die ihnen so leicht zugefallen war. Man hatte sie zunächst unter großen Ehrungen nach Teopan, dem >Ort der Götten geführt und ihnen in diesem reichsten und eindrucksvollsten Stadtbezirk den Palast Axayäcatls an der Westseite des Haupttempels als Wohnung gegeben. Dann lernten sie die ganze Stadt kennen. Man führte sie auf den großen Marktplatz nach Tlatelolco, wo sie in Erstaunen gerieten »über die Menge der 131

Menschen und Waren, die es dort gab, und über die große Zucht und Ordnung, die dort überall herrschte«. Gold und Silber wurden verkauft, Edelsteinverkäufer boten Türkise, Smaragde und Chalchihuites an, Jadesteine, die für die Azteken wertvoller als Gold waren. Federn, feine Tücher, kostbare Gewänder wurden zum Verkauf angeboten. Auch Sklaven und Sklavinnen verkaufte man. »Von diesen bot man so viel auf jenem Marktplatz feil, wie die Portugiesen Neger aus Guinea bringen. Man führte sie an lange Stangen gebunden, mit Halsbändern um die Gurgeln, damit sie nicht fliehen sollten. Andere wieder gingen ungefesselt.« Der Reichtum anWaren, die auslagen, war kaum zu übersehen. Baumwollkleidung, Sandalen, Felle, Tongeschirr, Rindenpapier, Gemüse, Getreide, Honig, Salz, Heilkräuter, Salben, Waffen, Messer, Äxte wurden gegen Kakaobohnen eingehandelt, die als Zahlungsmittel dienten. Aufseher und ein Marktgericht sorgten dafür, daß die Geschäfte richtig und ordentlich abgewickelt wurden. Bernal Díaz, der in seinen >Denkwürdigkeiten< den Marktplatz von Tlatelolco ausführlich beschrieben hat, überlieferte auch die berühmte Schilderung des Ausblicks, den man von der Spitze der großen Pyramide auf die Hauptstadt, die anderen Städte, die in den See gebaut waren, und die vielen Ortschaften, die rings an den Küsten lagen, genießen konnte. »Der Teufelstempel beherrschte die ganze Gegend durch seine Höhe. Wir erblickten von hier aus die drei Dammstraßen, die nach Mexiko führten, und die Wasserleitung, welche von Chapultepec kam und die ganze Stadt mit süßem Wasser versorgte. Auch konnte man auf den drei Dammstraßen ganz deutlich die Brücken unterscheiden, die man über die Schleusen geschlagen hatte, die das Wasser des großen Sees aus- und einließen. Auf diesem selbst wimmelte es von Fahrzeugen, die der Stadt Lebensmittel, Gebrauchsgüter und Handelswaren zuführten. Von hier aus war auch recht gut zu sehen, wie man in ganz Mexiko und in allen in den See gebauten Ortschaften nur auf Zugbrücken von Holz oder in Kähnen von einem Haus in das andere gelangen konnte. Aus allen diesen Städten aber stiegen die Opfertempel, 132

schön weiß getüncht, gleich Türmen und Burgen über die Söller der Wohnhäuser, die kleineren Kapellen und Türmchen empor, so daß es ein bewunderungswürdiger Anblick war. Nachdem wir dieses herrliche Gemälde lange genug angestaunt hatten, blickten wir von neuem auf den großen Marktplatz und weideten unsere Augen an der Menge der Käufer und Verkäufer, die ihn bedeckten. Der Lärm, welchen diese unzähligen Menschen verursachten, war so groß, daß man ihn über eine Stunde weit hörte. Einige von unserer Mannschaft, die in Konstantinopel und in Rom gewesen waren und ganz Italien durchzogen hatten, versicherten, daß sie nirgends einen Marktplatz gesehen hätten, der so groß, so wohleingerichtet, so mit Menschen erfüllt gewesen wäre, und wo doch zugleich soviel Ordnung geherrscht hätte, wie hier.« Die Geordnetheit, die das Leben in der aztekischen Hauptstadt auszeichnete, beeindruckte die Eroberer fast noch mehr als die Pracht der Bauwerke, Tempel, zoologischen und botanischen Gärten. Die Verwaltung, die Gerichtsbarkeit, die kultischen Bräuche, das Schul- und Kriegswesen zeugten trotz mancher Befremdlichkeit von einer Höhe kultureller Entwicklung, die man keineswegs bei den Eingeborenen erwartet hatte. Die komplizierten Formen städtischen Gemeinwesens, die sich gebildet hatten, ließen sich jedoch auf ein einfaches Grundprinzip zurückführen, die Sippenzugehörigkeit. Die Stadt war in Bezirke eingeteilt, die man heute gern geographische Clans< nennt. In ihnen lebten die macehualtin, die größte soziale Schicht der Stadtbevölkerung, sippenweise zusammen. Diese Sippen hatten Landbesitz, der ihnen gemeinsam zugeschrieben war, sie hatten fast alle eigene Tempel, in denen sie ihre Schutzgottheiten verehrten und ihre rituellen Feste feierten. Sippenberatungen wurden abgehalten, die Anliegen des Clans besprochen, und gewählte Oberhäupter trafen die Entscheidungen. Jede Sippe hatte eine eigene Schule, den telpochcalli, in dem die Knaben, wenn sie ein Alter von sechs bis neun Jahren erreicht hatten, in der Glaubens- und Sittenlehre unterwiesen, im 133

Ackerbau unterrichtet und, wenn sie 15 Jahre alt geworden waren, im Kriegshandwerk geübt wurden. Sie lernten, mit der Speerschleuder umzugehen, Bogen, Pfeile und Lanzen zu gebrauchen und die macana zu handhaben, die gefürchtetste Waffe der Indianer, eine hölzerne Keule mit scharfen Schneiden aus Obsidianstücken. In den Kriegen bildete jede Sippe eine militärische Einheit. Tenochtitlan hatte zwar kein stehendes Heer, aber da die gesamte männliche Bevölkerung im Kampf ausgebildet und geübt war, konnte aus den kleinen Sippentrupps, jeweils etwa zwanzig Kriegern, jederzeit eine tüchtige und gut organisierte Streitmacht zusammengerufen werden. Die kleinsten Kampfgruppen der einzelnen Clans waren wieder zu größeren Einheiten von etwa vierhundert Kriegern zusammengeschlossen. Auch bei der Bildung dieser Einheiten war das Prinzip der Blutsverwandtschaft maßgebend, und der Befehlshaber der Vierhundertschaft, der tiachcauh, stammte immer aus demselben Sippenverband wie seine Krieger. Diesem Aufbau des Heeres entsprach die Organisation der städtischen Verwaltung; fünf verwandte Clans bildeten einen Stammesverband, und vier dieser Verbände unterstanden Beamten von fürstlichem Rang, aus denen sich der oberste Rat der Stadt zusammensetzte. Neben den macehualtin gab es noch zwei Klassen von Leibeigenen: die mayeques, die das Land für die anderen bearbeiteten, und Sklaven, die als Tribut oder als Kriegsgefangene heimgebracht wurden und die man auf dem Markt kaufen konnte. Die Rechte dieser Leibeigenen waren aber nicht wesentlich geringer als die der macehualtin. Leibeigenschaft gab es gewöhnlich nur für eine begrenzte Zeit. Sklaven durften Eigentum erwerben, selbst Sklaven besitzen, und ihre Kinder waren freie Bürger. Eltern verkauften manchmal ihre Kinder als Sklaven, Verarmte verkauften sich auch selbst, aber das Los der mayeques war nicht hart. Die Grenzen zwischen den einzelnen sozialen Gruppen waren überhaupt nicht scharf gezogen. Auch in die Adelsklasse war der Aufstieg aus den niederen Schichten möglich, vor allem bei ungewöhnlichen kriegerischen Erfolgen. Die 134

Adler- oder Jaguarritter, die höheren militärischen Ränge, konnten auch aus den Schichten der Handwerker oder Gewerbetreibenden stammen. Sie führten Titel wie tlacatecatl, >Häuptling der MännerHerr der dichten NäheLebensbringerDer, der sich selbst schaffte genannt. Er wurde in zwei Erscheinungsweisen, einer weiblichen und einer männlichen, verehrt. Deshalb wurde er auch als >Gott der Zweiheit< angerufen oder mit den Doppelnamen >Gott und Göttin der Zweiheit< und >Gott und Göttin des Totenreiches< benannt. Die lange Liste der göttlichen Namen war für die tlamatinime nur eine Reihe von Titeln für dieselbe Gottheit, aber das Volk glaubte, sie bezögen sich auf ein ganzes Pantheon verschiedener Gottheiten. Da die Schutzgötter, die außer dem Gott der Zweiheit noch verehrt wurden, ihren Dienern gern in verschiedenen Gestalten erschienen - der gute Quetzalcóatl etwa kam manchmal als Windgott Ehécatl zu seinem Volk -, da man Feuergötter, Regengötter, Korngötter durch Opfergaben geneigt zu machen suchte, da kultische Handlungen zu Ehren Huitzilopochtlis überall vollzogen wurden, mußten die Spanier die Azteken für ein götzendienerisches, der Vielgötterei ergebenes Volk halten. Die Bekehrung dieses Volkes zum Christentum schien die schwierigste Aufgabe zu sein, die sich ihnen stellte. Während es Cortés gelang, sich über den Kulturzustand der Stämme und die Einrichtungen der Stadt gründlich zu unterrichten, während er sich genaue Kenntnisse über die in den Schatzhäusern bewahrten Reichtümer verschaffen konnte und Gold in Mengen erbeutete, stießen alle seine Bekehrungsversuche auf entschiedenen Widerstand. Vor allem der 136

König selbst war seinen Göttern so ergeben, daß er ihnen bis zum Tode Ehrfurcht erwies. Er war bereit gewesen, auf seinen Thron zugunsten des Gottes zu verzichten. Auch als ihm langsam deutlich geworden sein mußte, daß die Fremden, die er als verehrte Gäste in seiner Stadt aufgenommen hatte, zwar vielleicht Götter, aber nicht die von ihm erwarteten waren, war er immer noch bereit, ihnen alle Wünsche zu erfüllen. Aber von einer neuen Gottheit zu hören, die sie verehrten, das lehnte er ab. Cortés war geschickt genug gewesen, den König sehr schnell zu seinem Gefangenen zu machen, indem er ihm vorwarf, gegen die Spanier konspiriert zu haben, eine Verdächtigung, die völlig unbegründet war. Zwar wurde die Würde des gefangenen Königs zunächst nicht angetastet, man beobachtete das Zeremoniell, Motecuhzoma behielt auch eine gewisse Bewegungsfreiheit, wurde aber ständig von spanischen Wachen begleitet. Cortés legte ihm nur soviel Zwang auf, daß er sich der mächtigsten und wichtigsten Person in der Stadt notfalls als Geisel hätte bedienen können, und ließ ihm soviel Freiheit, daß seine eigenen Befehle noch zu Befehlen des Königs gemacht werden konnten. Motecuhzoma wurde außerdem durch seine spanischen Begleiter von den anderen aztekischen Fürsten getrennt und ihrem Einfluß entzogen. Von Anfang an hatten nicht alle die völlige Unterwerfung ihres Königs gebilligt. Sie sahen nun mit Erbitterung, wie wenige Weiße über eine ganze Stadt verfügten, in der mehr als 250000 Menschen lebten und genug Krieger waren, um die Eindringlinge zu vertreiben. Aber der König hatte noch genug Autorität, um jeden Aufstand zu verhindern, und solange er alle Handlungen der Eroberer durch die Macht seiner Person stützte, blieb die Lage in der Stadt ruhig. Während Cortés schon in Tenochtitlan »wie dessen eigener Beherrscher regierte, so daß ein Spanier von einem Ende des Landes bis zum andern unbewaffnet, ohne beleidigt oder beschädigt zu werden, reisen« konnte, war das mexikanische Unternehmen immer noch nicht vom spanischen Hof gebilligt. Zwar hatte Cortés Abgesandte 137

aus Vera Cruz mit dem Auftrag nach Spanien geschickt, eine kaiserliehe Bestätigung für das eigenmächtige Vorgehen des Erobererheeres zu erbitten und dadurch der Unterwerfung des mexikanischen Reiches endlich Rechtmäßigkeit zu geben. Die Abgesandten stellten sich Karl V. im Frühjahr 1520 in Spanien vor und konnten ihrer Bitte Nachdruck durch den reichen Goldschatz geben, den sie für den Herrscher als Tribut aus Mexiko herübergebracht hatten. Aber Karl war mit den spanischen Verhältnissen noch wenig vertraut, er war von einem niederländischen Gefolge umgeben, sah sich in Spanien nicht freudig willkommen geheißen und wagte nicht, sich gegen den Bischof von Burgos, Fonseca, zu stellen, der das höchste Amt in der indianischen Verwaltung bekleidete und heftig Einspruch erhob, die eigenmächtige Eroberung Mexikos zu rechtfertigen. Fonseca hatte schon gegen Kolumbus intrigiert, nun intrigierte er gegen Cortés und vertrat damit die Interessen des Statthalters von Cuba, Velázquez, mit dem er durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden war. Karl V. reiste wieder aus Spanien ab, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Inzwischen hatte aber Velázquez, der seine Angelegenheiten in Spanien durch Fonseca gut vertreten wußte und selbst in Westindien mit größerer Machtbefugnis ausgestattet worden war, beschlossen, eine Kriegsflotte an die aztekische Küste zu senden, um Rache an Cortés zu nehmen. Er versicherte zwar, nach dem Eingreifen des Königlichen Gerichtshofes von St. Domingo auf Hispaniola, der mit Recht befürchten mochte, daß Kämpfe zwischen Spaniern Aufstände in den eroberten Ländern hervorrufen würden, daß er nicht die Absicht hätte, es zu Feindseligkeiten mit Cortés kommen zu lassen und nur seine gesetzmäßigen Befugnisse über Gebiete sichern wolle, die unter seiner eigenen Anleitung entdeckt worden seien. Gleichzeitig rüstete er aber ein Geschwader von 18 Schiffen aus, das ein starkes Heer nach Mexiko brachte und die aztekische Küste im April 1520 erreichte. Den Oberbefehl über diese spanische Streitmacht hatte Pánfílo de Narváez, der nach ersten Erkundungen an der mexika138

nischen Küste die Nachricht bestätigt fand, daß Cortés Mexiko beherrschte. Narváez beschloß, ihn für seine Eigenmächtigkeit gründlich zu bestrafen. Aber nach Tenochtitlan waren inzwischen Botschaften von Sandoval gelangt, der als Stadtkommandant in Vera Cruz zurückgeblieben war. Cortés sah sich genötigt, aus der Hauptstadt an die Küste zu ziehen, um sich gegen seine eigenen Landsleute zur Wehr zu setzen. Er ließ Pedro de Alvarado, den er zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, mit einem Teil der Spanier in Tenochtitlan zurück und zog in Eilmärschen in das cempoaltekische Gebiet, in dem seine spanischen Gegner sich aufhielten. Dort konnte er Narváez, der zwar »kriegerisch und mutig war, dem es aber an der Besonnenheit und berechnenden Vorsicht fehlte«, die Cortés selbst in hohem Maße besaß, in einem überraschenden Angriff vernichtend schlagen und seine eigene kleine Streitmacht durch die erbeuteten Waffen und Geschütze besser ausrüsten und durch die Soldaten des geschlagenen Heeres erheblich verstärken. Sie schlössen sich ihm bereitwilligst an, verlockt durch Gold, das er unter sie verteilte, und die noch reichere Beute, die er ihnen in Tenochtitlan versprach. Seine Herrschaft über Mexiko schien nun unbestritten, und er zog in die aztekische Hauptstadt zurück. Aber bei seiner Ankunft in Tenochtitlan fand er die Lage vollkommen verändert. Die Azteken hatten ihre Stadt in Verteidigungsbereitschaft versetzt und die spanische Besatzung in ihrem Quartier eingeschlossen. An einem der Osterfeiertage hatte Pedro de Alvarado das Blutbad im Haupttempel angerichtet, und die Azteken hatten die Entweihung ihres »höchsten und wichtigsten Festes«, das sie zu Ehren Huitzilopochtlis feierten, durch erbitterte Angriffe erwidert. Cortés gelangte zwar noch ohne Behinderung in die Hauptstadt, sah aber sofort, daß sein Stellvertreter Alvarado durch seine unbesonnene und grausame Tat alles aufs Spiel gesetzt hatte, was bisher errungen war. Er rügte ihn mit harten Worten: »Ihr habt Eure Sache schlecht gemacht! Dem in Euch gesetzten Vertrauen habt Ihr nicht ent139

sprachen! Euer Betragen war das eines Verrückten!« Alle Versuche, die Lage noch zu retten, scheiterten. Cortés ließ die Kanonen abfeuern, aber die Azteken ließen sich durch diese furchterregenden Waffen nicht abschrecken, sondern erneuerten ihre heftigen Angriffe auf die Eingeschlossenen. Auch die Autorität des Königs, die Cortés so geschickt für sich ausgenutzt hatte, war nicht mehr wirksam. Die Azteken stellten sich offen gegen Motecuhzoma, den einst so gefürchteten >zornigen, strengen Herrntraurigen Nacht< nicht nur alle Beute, sie mußten viele Tote zurücklassen und entkamen nur in wilder Flucht über den großen Damm, der nach Tlacopan führte. Dreiviertel seines Heeres hatte Cortés auf dieser Flucht und während der vorangegangenen Belagerung verloren. Er sah sich genötigt, seine tlaxcaltekischen Verbündeten um Zuflucht zu bitten und sich auf das Gebiet der Republik zurückzuziehen. Cuitláhuac versuchte sofort, neuen Widerstand gegen die aus Tenochtitlan vertriebenen Spanier zu organisieren, aber er fand außerhalb der Hauptstadt keine Bundesgenossen mehr. Das große Reich war längst zerfallen; die Vasallenstädte verbündeten sich eine nach der anderen lieber mit den spanischen Eindringlingen als sich wieder 140

unter das aztekische Joch zu beugen. Selbst mit Tezcoco, dem wichtigsten Verbündeten Tenochtitlans, konnte Cuitlähuac nicht mehr rechnen. Auch der alte Dreibund, der die Basis des mexikanischen Reiches gewesen war, war endgültig zerbrochen. Zwischen Tenochtitlan und Tezcoco hatten schon zu Motecuhzomas Lebzeiten ernste Zerwürfnisse bestanden. Der König Nezahualpilli von Tezcoco wurde als weiser Herrscher verehrt und gerühmt, und vielleicht waren es seine Kenntnisse in der Magie und Omendeutung, die Motecuhzoma veranlaßten, sich vom kriegerischen Ideal seiner Vorgänger abzuwenden und mit den Magiern und Zauberern seiner Stadt viele Studien zu treiben. Beide Könige hatten die Vorzeichen gedeutet, die vor der Ankunft der Spanier erschienen waren, aber Nezahualpilli legte sie anders aus als Motecuhzoma. Er sagte voraus, daß Mexiko bald von Fremden regiert werden würde. Er war seiner Deutung so sicher, daß er bereit war, sein ganzes Königreich gegen drei Truthähne zu wetten und schlug vor, diese Wette durch ein rituelles Ballspiel zu entscheiden. Nezahualpilli gewann dieses Ballspiel, aber er starb schon 1516 und sah nicht mehr, daß seine Vorhersage sich schon drei Jahre später erfüllte. Das Königreich Tezcoco suchte Motecuhzoma zwar nach dem Tode Nezahualpillis noch fester an Tenochtitlan zu binden, indem er durchsetzte, daß der Prinz Cacama, ein williges Werkzeug in seinen Händen, zum König gemacht wurde, obwohl ein Bruder Cacamas, der Prinz Ixtlilxöchitl, rechtmäßig gewählt worden war. Aber dieser gewaltsame Akt brachte Tenochtitlan kein Glück. Motecuhzoma machte sich dadurch den Prinzen Ixtlilxöchitl zum erbitterten Gegner. Er floh aus der Stadt Tezcoco in eine entlegenere Provinz des Königreiches und sammelte dort viele Anhänger, die seinem Abfall vom Dreibund zustimmten, so daß die Provinz sich gegen Tezcoco und gegen Tenochtitlan erhob. Als die Spanier ins Land kamen, trug Prinz Ixtlilxöchitl sich ihnen sofort als Bundesgenosse an und kämpfte an ihrer Seite gegen die Azteken, die so ihren letzten Verteidigungskampf allein zu bestehen hatten, denn Tlacopan, der 141

andere Partner des Dreibundes, hatte nie große Bedeutung und nie viel kriegerische Macht besessen. Der König Cuitláhuac wurde eines der ersten Opfer der Pockenepidemie, die die Spanier eingeschleppt hatten und die nach ihrem Abzug in der Hauptstadt zu wüten begann. Man wählte seinen Vetter, den jungen Cuauhtémoc zum König, der sein Erbe mit Heldenmut verteidigte und die tapferen Krieger aus Tenochtitlan und Tlatelolco in ihren langen letzten Kampf führte. Cortés zog erst ein Jahr nach der >traurigen Nacht< wieder nach Tenochtitlan und begann am 30. Mai 1521, die Stadt erneut anzugreifen. Er hatte dieses Jahr gut genutzt. Nach seinem Rückzug auf das tlaxcaltekische Gebiet hatte er genaue Pläne zur Bezwingung der Hauptstadt entworfen und seine Streitmacht auf jede Weise verstärkt. Die Tlaxcalteken stellten ihm achtzigtausend Krieger zur Verfügung, in Vera Cruz waren inzwischen noch mehrere spanische Expeditionen gelandet, durch die er sein Heer verstärken konnte. Vor allem aber hatte er dreizehn Brigantinen bauen lassen, zweimastige, wendige Segelschiffe, die den See beherrschen und die Hauptstadt auch von Osten aus vom Festland abriegeln konnten. Cortés kannte die Stadt durch seinen ersten Aufenthalt gut, er wußte, an welchen Punkten er seine Angriffe ansetzen mußte. Die Süßwasserleitung, die von Chapultepec nach Tenochtitlan führte, wurde zerstört, die Stadt war von aller Zufuhr abgeschnitten, ihre Einwohner litten Hunger und Durst, aber sie ertrugen die harte Belagerung fast achtzig Tage lang und stellten sich dem Feind in erbitterten Gegenangriffen, daß ihr Mut selbst den Spaniern Hochachtung abnötigte. Erst am 13. August 1521 fiel die Stadt, und der letzte König Cuauhtémoc mußte sich ergeben. Die große prächtige Hauptstadt, die Bernal Díaz beschrieben hatte, existierte nicht mehr. »Jetzt liegt alles am Boden verstreut und kein Ding steht mehr aufrecht.« Die Toten lagen so dicht auf den Straßen, »daß man den Fuß nicht niedersetzen konnte, ohne auf einen indianischen Leichnam zu treten«. Mexiko war erobert und zerstört. 142

Während Tenochtitlan unterging und seine Schätze und Reichtümer verbrannt und vernichtet wurden, bewunderte man in Europa die Geschenke, die Motecuhzoma seinen >Göttern< entgegengeschickt hatte, um sie in ihrer Heimat willkommen zu heißen. Vor allem die beiden berühmten >Sonnenxsch< ausgespro144

chen wird. Es gelten auch die Regeln der spanischen Akzentuierung. Wörter, die auf einen Vokal, auf >n< oder >s< enden, werden auf der vorletzten Silbe betont. Wörter, die auf einen anderen Konsonanten enden, werden auf der letzten Silbe betont. Eine von diesen beiden Regeln abweichende Betonung wird durch einen Akzent über dem betonten Vokal angezeigt. Colección de Cantares Mexicanos

Die ältesten schriftlichen Zeugnisse über den Untergang von Tenochtitlan, die erhalten sind, wurden in Strophen überliefert, die einige der überlebenden Dichter in der Form des icnocuicatl, des Trauergesangs, verfaßt haben. Sie verwendeten eine der herkömmlichen Liedformen, um die Zerstörung Mexikos zu beklagen. Auch die Trauergesänge wurden, genau wie Preislieder, Heldengesänge oder Kriegslieder, ursprünglich gesungen und getanzt. Die Strophen, die in Kapitel xiv abgedruckt sind, geben drei zusammenhängende Abschnitte aus einem großen icnocuicatl, der in der >Colección de Cantares Mexicanos< enthalten ist, einem Manuskript aus dem 16. Jahrhundert, das in der Nationalbibliothek in Mexiko aufbewahrt wird. Dr. Garibay hat in seiner >Historia de la literatura náhuatl< nachgewiesen, daß der Trauergesang 1523 entstanden ist. Die im Kapitel xm abgedruckten Strophen, ebenfalls ein echter icnocuicatl, wurden im >Manuscrito Anónimo de Tlatelolco< überliefert. Dr. Garibay datiert sie auf etwa 1524. Ausgaben:

Faksimile-Ausgabe von Antonio Peñafiel (Oficina Tipográfica de la Secretaría de Fomento), México, 1904. Auswahl (spanisch) von Angel Ma. Garibay K. in: Poesía indígena de la altiplanicie (Bibl. Estudiante Universitario, n), UNAM., 1940, (2i952). Auswahl von Angel Ma. Garibay K. in: Historia de la literatura náhuatl, 2 Bde., (Porrúa), México, 1953-54. Auswahl von Miguel León-Portilla in: La filosofía náhuatl estudiada en sus fuentes (Instituto Indigenista Interamericano), México, 1956. 145

Auswahl (náhuatl-deutsch) Alt-Aztekische Gesänge übersetzt und erläutert von Leonhard Schultze-Jena, hrsg. von Gerdt Kutscher in: Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas, Bd. vi, (Kohlhammer), Stuttgart, 1957Manuscrito Anónimo de Tlateblco Dieser Náhuatl-Text gehört zu den >Unos Anales Históricos de la Nación Mexicana«, die in der Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt werden und auch unter der Bezeichnung >Manuskript 22< bekannt sind. Er ist aus dem Jahre 1528 datiert und wurde von einer Gruppe anonymer Verfasser aus Tlatelolco geschrieben. Es ist bis heute nicht bekannt, wie diese einheimischen Autoren den korrekten Gebrauch des lateinischen Alphabets gelernt haben, so daß sie schon sieben Jahre nach der Zerstörung der Hauptstadt Tenochtitlan ihren Bericht über die Ereignisse während der Eroberung in den europäischen Schriftzeichen niederschreiben konnten. Als historische Quelle und als literarisches Dokument ist dieses frühe Manuskript, das in seiner ursprünglichen Fassung erhalten blieb, von besonderer Bedeutung, weil es in vielen Einzelheiten ein erstes Bild von der Zerstörung der Náhuatl-Kultur durch die Spanier vermittelt, das die Überlebenden unter dem unmittelbaren Eindruck ihrer Erlebnisse aufzeichneten. Die wichtigsten Abschnitte aus diesem Manuskript sind im Kapitel xm abgedruckt. Ausgaben: Faksimile-Ausgabe von Ernst Mengin in: Corpus Codicum Americanorum Medii Aevi, Bd. n, (Munksgaard), Kopenhagen, 1945. Auswahl (spanisch - Sección referente a la Conquista) von Angel Ma. Garibay K. in: Historia de Sahagún, Bd. iv, SS. 167-185, (Porrúa), México, 1956. Deutsche Übersetzung von Ernst Mengin, Baessler Archiv, Bd. XXH, Hefte 2, 3.

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Codex Florentino

Der in der Laurenzianabibliothek in Florenz aufbewahrte Codex enthält »eine Art verkürzter Reinschrift und Zusammenfassung« der zweiteiligen Madrider Handschrift der >Historia general< des Sahagún und einen von ihm selbst verfaßten spanischen Text, der den Inhalt des aztekischen Textes in Auszügen wiedergibt. Die Berichte über die Eroberung Mexikos, die das Manuskript in Buch xn überliefert, wurden unter Aufsicht von Fray Bernardino de Sahagún von seinen indianischen Schülern in Náhuatl niedergeschrieben. Nach Erinnerungen von Eingeborenen, die die Eroberung selbst miterlebt hatten, nach Berichten, die Sahagún sammelte, und nach Quellen, die seine Schüler kannten, wurde eine ausführliche Darstellung der Geschehnisse zusammengestellt. Die erste Version des Textes »in der indianischen Sprache und in der ungeschliffenen Weise, in der sie sie sprachen«, scheint etwa um 1555 vollendet gewesen zu sein, ging aber verloren. Sahagún schrieb eine Zusammenfassung dieser Version in Spanisch und stellte später, etwa um 1585, eine zweite Version in Náhuatl zusammen, um die erste zu korrigieren, die »gewisse Dinge enthielt, die nicht wahr waren und gewisse andere verschwieg, über die gesprochen werden müßte«. Man kann heute nicht mehr entscheiden, ob der Text durch diese Berichtigungen gewonnen oder verloren hat. In den Sahagún-Texten ist jedoch der vollständigste Eingeborenenbericht über die Eroberung überliefert, der bis heute bekannt ist. Er beginnt mit dem Erscheinen der bösen Omen, »als die Spanier noch nicht in dieses Land gekommen waren«, und endet mit der Nachschrift einer Rede, in der Cortés »alle Herren von Mexiko, Tezcoco und Tlacopan ermahnt, ihr Gold und andere Schätze abzuliefern«. Die leichte Parteinahme, die einige Texte zeigen, die z. B. die Tapferkeit der Tlatelolca gegen die »Feigheit der Tenochca« abheben, erklärt sich aus der Tatsache, daß die meisten der indianischen Schüler Sahagúns aus Tlatelolco stammten. Die Bilder, die der Codex enthält, sind Kopien alter Bilderschriften, 147

die in der Technik sehr starken spanischen Einfluß zeigen, der die Schönheit der Originale entstellt. Es wurde deshalb darauf verzichtet, Abbildungen aus dem Codex Florentino zu reproduzieren. Ausgaben: Faksimile-Ausgabe (nur Bilder) von Del Paso y Troncoso, Códice Florentino (Ilustraciones) ed. facs. Bd. v, Madrid, 1905. Codex Florentino (Náhuatl-Texte aus den Berichten des Sahagún) Bücher 1, n, in, iv, v, vn, vm und xn von Arthur J. O. Anderson und Charles E. Dibble (School of American Research and the University of Utah), Santa Fe, New Mexico, 1950-1959. (Buch xn enthält NáhuatlText der Sahagún-Version von 1585 und englische Übersetzung.) Vollständige Übersetzung (spanisch) von Angel Ma. Garibay K., Historia general de las cosas de Nueva España, por fray Bernardino de Sahagún, 4 Bde., (Porrúa), México, 1956. Auswahl (náhuatl - deutsch). Einige Kapitel aus dem Geschichtswerk des Fray Bernardino de Sahagún, aus dem Aztekischen übersetzt von Eduard Seler, hrsg. von Caecilie Seier-Sachs in Gemeinschaft mit Walter Lehmann und Walter Krickeberg, (Strecker und Schröder), Stuttgart, 1927. Codex Aubin Der Codex, der auch als >Manuscrito de i576< bekannt ist, obwohl neben dieser Jahreszahl verschiedene spätere Daten der Entstehung genannt werden, enthält eine Sammlung von Eingeborenenberichten in Texten und Bildern. Sie behandeln Ereignisse aus der aztekischen Geschichte von der Flucht der Azteken aus Aztlan bis zur Eroberungsepoche; die Texte geben wichtige Angaben über Ereignisse während der Eroberung. Ausgaben: Histoire de la Nation Mexicaine depuis le départ d'Aztlan jusqu'à l'arrivée des Conquérants espagnols. Hrsg. von E. Leroix, Paris, 1893. Colección de documentos para la historia de México. Hrsg. von Antonio Peñafiel, México, 1903. 148

Codex Ramírez Der Codex wurde wahrscheinlich nach Material zusammengestellt, das Fray Diego de Durán, der neben Sahagún der bedeutendste Kenner von Eingeborenenberichten unter den spanischen Mönchen war, vor 1580 gesammelt hatte. Die Quellen, zu denen Durán noch Zugang hatte, sind heute verloren. Eine fragmentarische Zusammenfassung des Quellenmaterials wurde jedoch während des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts von dem Jesuiten Juan de Tovar in spanischer Sprache angefertigt. Sie ist in dem Codex enthalten. Bei einigen dieser Fragmente ist klar zu erschließen, daß die spanische Übersetzung sich direkt auf indianische Berichte stützt, so daß die Fragmente wenigstens zum Teil als Quelle betrachtet werden können. Die in Kapitel vi abgedruckten Berichte aus dem Codex Ramírez schildern unter anderm, daß die spanischen Eroberer auf Einladung des Prinzen Ixtlilxóchitl die Stadt Tezcoco besuchten, bevor sie in Tenochtitlan empfangen wurden. Diese Darstellung wird durch keine andere Quelle bestätigt. Weder die spanischen Berichte noch andere Náhuatl-Texte bezeugen einen Besuch der Spanier in Tezcoco, auch der tezcokanische Historiker Fernando de Alva Ixtlilxóchitl erwähnt nur, daß die Spanier direkt nach Tenochtitlan zogen; er hätte vermutlich die Tatsache nicht verschwiegen, daß Cortés zuerst in seine Heimatstadt kam, ehe er in die aztekische Hauptstadt marschierte, wenn es dafür einige Anhaltspunkte gegeben hätte. Ausgabe: Relación del origen de los indios que habitan esta Nueva España, según sus historias. (Leyenda), México, 1944. Francisco de San Antón Muñón Chimalpain Quauhtlehuanit^in Der berühmte Historiker von Chalco, ein Nachkomme der Herrscher von und Chalco, schrieb seine Berichte in Náhuatl zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Er stützte sich auf alte Eingeborenenzeugnisse. 149

Ausgabe:

Chimalpain Quauhtlehuanitzin, Francisco de San Antón Muñón, Sixième et Septième Relations (1528-1612), publiées et traduites sur le manuscrit original par Rémi Siméon, (Maisonneuve et Ch. Leclerc), Paris, 1889. Fernando de Alva Ixtlilxóchitl

Der tezcokanische Historiker Ixtlilxóchitl, der den gleichen Namen trug wie Prinz Ixtlilxóchitl, einer seiner Vorfahren aus dem regierenden Haus von Tezcoco, der auf der Seite der Spanier gegen die Azteken kämpfte, schrieb seine Werke zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Er sammelte Bilderschriften und Dokumente und trieb gründliche Studien der alten Náhuatl-Quellen, um sich mit den historischen Ereignissen vertraut zu machen. Sowohl in der xm. relación seiner Berichte als auch in der >Historia chichimeca< sind die Geschehnisse während und nach der spanischen Eroberung behandelt. Zwar schrieb Ixtlilxóchitl in Spanisch, aber die NáhuatlQuellen, die er benutzte, sind nach Garibay in verschiedenen Abschnitten beider Werke noch nachzuweisen. Wie sorgfältig Ixtlilxóchitl bei der Abfassung seiner Schriften verfuhr, geht auch aus der Tatsache hervor, daß er um 1608 den Gouverneur von Otumba bat, seine Ausführungen auf ihre historische Richtigkeit zu prüfen. Er legte sie außerdem verschiedenen alten Eingeborenen vor, die die Eroberung noch selbst miterlebt hatten und ihm bestätigten, daß seine Darstellung dem wirklichen Geschehen entspräche. Seine Werke, die auch in der Wiedergabe von Daten und Zahlen exakter sind als andere, haben als historische Quelle besondere Bedeutung. Allerdings schrieb Ixtlilxóchitl vom tezcokanischen Standpunkt aus. Er verteidigte seine Vorfahren, vor allem natürlich den Prinzen Ixtlilxóchitl und dessen Krieger, die den Untergang Tenochtitlans mit herbeiführten. Seine Berichte sind parteiisch, sofern sie das Verhalten derTezcokaner betreffen, sie schildern aber das Leiden der unterlegenen Azteken eindringlich genug, um ihren literarischen Wert selbst zu erweisen. 150

Ausgabe: Ixtlilxóchitl, Fernando de Alva, Obras históricas, 2 Bde., México, 1891-1892. Liento de Tlaxcala Das Original und zwei Kopien dieser Sammlung von achtzig Bildern, die die Taten der mit Cortés verbündeten Tlaxcalteken darstellen, wurden um 1550 gemalt. Eine später entstandene Kopie blieb bis heute erhalten. Die vier farbigen Tafeln in diesem Buch sind Reproduktionen aus diesem Codex. Die Tlaxcalteken schildern und rechtfertigen in den Bildern ihre Haltung während der Eroberung und bestätigen viele Tatsachen, die aus anderen Quellen bekannt sind. Die rein tlaxcaltekische Darstellung ist aber bis in viele Einzelheiten nachzuweisen. So wird z. B. der aztekische König nicht in dem Schmuck gemalt, den er tatsächlich getragen hat, sondern er wird mit tlaxcaltekischen Insignien dargestellt. Er trägt eine tlaxcaltekische Stirnbinde statt der Krone mit dem dreieckigen Blatt. Trotz solcher Verfälschungen sind die Bilder aus dem Lienzo de Tlaxcala die schönsten und echtesten, die es über die Eroberung gibt, weil in ihnen der spanische Einfluß weit weniger deutlich ist als in anderen Darstellungen, die im 16. Jahrhundert gemalt wurden. Ausgabe: Antigüedades mexicanas, publicadas por la Junta Colombina de México en el iv Centenario del Descubrimiento de América, 2 Bde., (Oficina de la Secretaría de Fomento), México, 1892. Diego Muñoz Camargo Der adlige tlaxcaltekische Mestize Muñoz Camargo wurde »in den ersten Jahren nach der Eroberung geboren und starb sehr alt«. Es ist überliefert, daß er als Dolmetscher für die Spanier arbeitete und daß er als ausgezeichneter Kenner der Altertümer seines Vaterlandes, der Republik Tlaxcala, galt. In der zweiten Hälfte des

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i6. Jahrhunderts schrieb er seine >Historia de TlaxcalaLienzo de Tlaxcala< das wichtigste erhaltene Dokument ist, das über die mit Cortés verbündete Republik existiert. Auch Muñoz Camargo schreibt nicht ohne Parteilichkeit. Auch er rechtfertigt das Verhalten der Tlaxcalteken. Seine in Spanisch verfaßte Geschichte distanziert sich von den »Eingeborenen«, ihrer »Götzendienerei« und »Barbarei«, sie ist vermutlich bei der Überlieferung einzelner Fakten nicht nur ungenau, sondern entstellend; trotzdem gehört auch die Darstellung des Mestizen in den Kreis der Deutungen und Auslegungen, die die Nahua aufzeichneten. Ließe man sie fort, so würde unter den Stimmen der Geschlagenen die eine fehlen, die sich immer auf die Seite des neuen Herrn stellt. Ausgabe: Muñoz Camargo, Diego, Historia de Tlaxcala, (Chavero), México, 1892. Fernando A ¡varado Te^o^ómoc Tezozómoc, ein getaufter Mexikaner aus adligem Geschlecht, schrieb seine >Crónica mexicana< gegen 1598, die >Crónica mexicáyotl< zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Beide Werke enthalten zwar keine Gesamtdarstellung der Eroberung, sind aber trotzdem von Wichtigkeit, weil sie Einzelschilderungen überliefern, die sich auf Fakten und Daten stützen, die Tezozómoc aus alten Handschriften und Bildern entnahm. Die Crónica mexicana ist in Spanisch erhalten, die Crónica mexicáyotl ist in einer Náhuatl-Fassung überliefert. Ausgaben: Tezozómoc, Fernando Alvarado, Crónica mexicana, hrsg. von Vigil, neu gedruckt, (Leyenda), México, 1944. Crónica mexicáyotl, paleografía y versión al español de Adrián León, (Imprenta Universitaria), México, 1949.

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