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German Pages 264 Year 2018
Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Friedhelm Kraft, Oliver Reis, Bert Roebben, Hanna Roose, Martin Rothgangel, Thomas Schlag und Martin Schreiner
»Was ist für dich der Sinn?« Kommunikation des Evangeliums mit Kindern und Jugendlichen Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie Band 1 Herausgegeben von Thomas Schlag, Hanna Roose und Gerhard Büttner
Calwer Verlag Stuttgart
eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4443–9 © 2018 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart – Alle Inhalte, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, Kopieren und Bearbeiten der Datei, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. ISBN 978–3–7668–4439-2 © 2018 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com
5 Inhalt
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Christian Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Christiane Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive. . . 28 Reinhold Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive . . . . . . . 38 Bernd Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen . . . 48 Annemie Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern. Internationale und belgische Forschung zur Kinder- und Jugendtheologie . . . . . . . 57 Edmund Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« an den Bildungsorten Familie, Kindergarten, Schule und Kirche II.1 Vorschulalter
Noemi Bravená Theologische Gespräche in der Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Sturla Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
6 Angela Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten – Kommunikation des Evangeliums im Kontext religionssensibler Begleitung und Bildung. . . . . . . . . . . . 103 Gerhard Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II.2 Grundschulalter
Oliver Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese. Ein Ort der Kommunikation des Evangeliums?. . . . . 122 Christina Kalloch »Er wollte nicht nur das Geld – er wollte auch seinen Vater wiederhaben!« – Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater . . . . . . . 136 Hanna Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule. Notwendige Differenzierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II.3 Jugendalter
Johanna Kallies-Bothmann Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums – Erfahrungen aus der Kasseler Forschungswerkstatt ›Theologische Gespräche‹ zu Todesvorstellungen und christlicher Auferstehungshoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Mirjam Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren – Begriffsarbeit im Kontext der Jugendtheologie in der Sekundarstufe II. . . . . . . . . 163 Nadja Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Norbert Brieden »Ich lasse mich firmen, weil ich mich an dem Gedanken erfreue, selbstständig zu sagen, ja ich möchte der Gemeinschaft angehören« – Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese. . . 192
7 Thomas Schlag Die Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Kinder- und Jugendtheologie – vom Blick auf das Jugendalter aus in ihrem möglichen Zusammenhang dargestellt und reflektiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
Bernd Schröder Kommunikation des Evangeliums – gemeindepädagogische Perspektiven auf die Kinder- und Jugendtheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Friedrich Schweitzer Kommunikation des Evangeliums und die Kinder- und Jugendtheologie. Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung . . . . . . . . . . 230 Hanna Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie? Versuch einer Ortsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 IV. Weitere aktuelle Forschung
Christian van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess. Aspekte jugendtheologischer Wissensaneignungsprozesse im entdeckenden und forschenden Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 V. Buchbesprechung
Gerhard Büttner Theresa Schwarzkopf: Vielfältigkeit denken. Wie Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht argumentieren lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
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Einleitung
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Einleitung
Der Programm- und Leitbegriff bzw. die Formel »Kommunikation des Evangeliums« wird innerhalb der Praktischen Theologie seit den konzeptionellen Überlegungen Ernst Langes intensiv und durchaus kontrovers diskutiert. Als Deutungsfigur praktisch-theologischer Theoriebildung und kirchlicher Praxis hat sich dieser Leitbegriff von Anfang an durch seine offenkundige Eingängigkeit als plausible Orientierungsgröße für die disziplinäre Standort- und Aufgabenbestimmung erwiesen. Insbesondere durch die systematischen Ausarbeitungen Christian Grethleins aus jüngerer Zeit hat sich dadurch auch für die Religionspädagogik ein nochmals genauer bestimmter Problemhorizont für die Deutung der Bildungspraxis in Familie, Schule und Kirche eröffnet. Dies ist auch insofern relevant, als die Zahl empirisch ausgerichteter Forschungsarbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendtheologie in den vergangenen Jahren weiter deutlich angewachsen und in deren Folge eine Reihe von grundsätzlichen Fragen nach dem theoretisch-programmatischen Geltungsanspruch praktisch-theologischer Forschung zu Tage getreten ist. Dem hier vorgelegten ersten Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie liegt demzufolge die Zielsetzung zugrunde, die Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« zum einen auf seinen theoretischen Gehalt sowie seine mögliche
Bedeutung für die religionspädagogische Theoriebildung zu prüfen. Zum anderen wird danach gefragt, ob und wenn ja, in welchem Sinn sich aktuelle kinder- und jugendtheologische Erkenntnisse und die sich daraus ergebenden Fragestellungen von dieser praktisch-theologischen Deutungsfigur aus intensiver beleuchten und bearbeiten lassen. In institutioneller Hinsicht und gleichsam als Sitz im Leben liegt diesem ersten Band des Jahrbuchs für Kinderund Jugendtheologie (JaBuKiJu 1) die an der Theologischen Fakultät Zürich vom 5–7. September 2016 durchgeführte Tagung »Kinder- und Jugendtheologie als ›Kommunikation des Evangeliums‹?« zugrunde. Dort wurden die hier versammelten Beiträge erstmals präsentiert und diskutiert. Zugleich wurde diese Tagung erstmals gemeinsam von Akteur/innen der beiden Forschungsnetzwerke für Kindertheologie und für Jugendtheologie geplant, verantwortet und durchgeführt. Ziel war einerseits der intensivere programmatische Austausch, andererseits die Identifizierung gemeinsamer zukünftiger Forschungsperspektiven. Dass nun dieser Band als erster Band des Jahrbuchs für Kinder- und Jugendtheologie firmiert, ist insofern keineswegs primär einer verlegerischen Notwendigkeit geschuldet. Sondern dies bringt zum einen die vielfachen programmatischen und konzeptionellen Forschungsfragen
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und gemeinsamen Forschungsinteressen beider Netzwerke zum Ausdruck. Zum anderen werden damit im Blick auf die potentielle Leser/innenschaft die – bei allen Unterschieden – durchaus vergleichbaren Herausforderungen für die Bildungspraxis in Familie, Kirche und Schule abgebildet. Von diesen Zielsetzungen aus sind die Beiträge des vorliegenden Bandes gegliedert. In Teil I werden aus unterschiedlichen inner- und außertheologischen Perspektiven Orientierungen und Unterscheidungen im Blick auf den Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums« vorgenommen. Den Auftakt bilden die grundsätzlichen Überlegungen von Christian Grethlein zum Programmbegriff »Kommunikation des Evangeliums«, welcher – als Gegenentwurf zu einem starren Verkündigungsbegriff und Predigtverständnis – profiliert und mithilfe der Modi von Lehr- und Lernprozessen, gemeinschaftlichem Feiern und dem Helfen zum Leben konkretisiert wird. Dabei wird die interdisziplinär gewonnene kommunikationstheoretische Grundeinsicht stark gemacht, dass Kommunikation im Bereich der Daseins- und Wertorientierung stets kontextuell geprägt und grundsätzlich ergebnisoffen ist. Die Kinder- und Jugendtheologie wird für eine Theorie der »Kommunikation des Evangeliums« als Bereicherung angesehen, insofern durch diese konzeptionelle Perspektive dem Wirklichkeitsverlust von Theologie entgegengewirkt wird. Zugleich wird der Kinder- und Jugendtheologie empfohlen, sich sowohl in inhaltlichen als auch in methodologischen Fragen bewusst von kommunikationstheoretischen Ansätzen und Einsichten leiten zu lassen.
Christiane Tietz prüft den Gebrauch der Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« in systematisch-theologischer Perspektive daraufhin, was mit »Evangelium« in dieser Formel gemeint ist und wie dieses durch die theologische Bestimmung des Kommunikationsbegriffs konturiert werden kann. Diese Deutungsaufgabe wird von der wesentlichen reformatorischen Grundentscheidung des extra nos aus näher bestimmt. Demzufolge ereignet sich Evangelium nicht aufgrund der Reflexion von Menschen auf ihr Leben – und auch nicht durch einen Dialog von Menschen über ihr Leben – sondern dadurch, dass Gott sich im Evangelium dem Menschen als heilvolle Gegenwart zusagt. Von dort aus kann die Formel »Kommunikation des Evangeliums« aus systematisch-theologischer Sicht durchaus aufschlussreiche Bedeutung tragen – vorausgesetzt, man hält daran fest, dass es dabei nicht nur um Religion, sondern auch und entscheidend um Gott geht. In grundsätzlicher religionspädagogischer Hinsicht beleuchtet Reinhold Boschki den Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums«, der nicht einfach als religionspädagogisches Konzept zu verstehen sei. Deshalb werden zuerst Ambivalenzen und Anfragen benannt, von denen aus die religionspädagogische Rekonstruktion erfolgt. Am Beispiel des Themas »Zeit« wird das Terrain im Rekurs auf biblische Überlieferung vermessen. Indem die Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« im Horizont einer Theorie religiöser Bildung durchbuchstabiert wird, kommt es zu einem – weit über alle Kompetenzorientierung hinausreichenden – Verständnis von Bildung als erfolgreicher Etablierung von
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räumlich und zeitlich erfahrbaren Resonanzbeziehungen. Als Orientierungen aus internationaler Perspektive werden in diesem ersten Teil zugleich zwei mögliche und erkennbar kontextuell geprägte Rezeptionsund Konkretionsweisen im Blick auf den Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums« im Bereich der Kinderund Jugendtheologie präsentiert. Durch beispielhafte Einblicke in norwegische praktisch-theologische Diskurse und kirchlich-pädagogische Handlungsfelder macht Bernd Krupka darauf aufmerksam, dass im dortigen Kontext das eigentliche »buzzword« gerade nicht dieser Leitbegriff, sondern »Glaubenspraxisen« ist. Darunter werden zeitlich und räumlich begrenzte Handlungszusammenhänge verstanden, an denen Kinder und Jugendliche teilnehmen und in denen sie Erfahrungen mit ihrem Glauben machen. Als örtlich ausgewiesene, öffentliche Räume stellen diese »Glaubenspraxisen« besondere Lernmittel im Sinn der Mittelbarkeit des Evangeliums dar – verstanden als Verkündigung des Evangeliums außerhalb des traditionellen predigt-, bibel- und traditionsorientierten Sprachspiels. Vom belgischen bzw. flämischen Kontext des Religionsunterrichts aus sowie mit Blick auf diverse internationale Forschungsdiskurse entfaltet Annemie Dillen die aktuelle Diskussion um die Begriffe des Theologisierens und der Kinderspiritualität. Sie konkretisiert dies anhand gegenwärtiger kindertheologischer Forschung und didaktischer Förderung, insbesondere im Bereich katholischer Schulen in Belgien. Theologisieren wird hier als »eine Art »Kommunikation des Evangeliums« im Sinne der »Kommuni-
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kation der guten Botschaft im Blick auf das Leben in Fülle für alle« verstanden, wenn und insofern dieses Theologisieren schon im Prozess dazu beiträgt, Kinder und deren spirituelle Dimension, ihre religiösen Fragen und Erfahrungen ernst zu nehmen und diese positiv zu bewerten. Aus wiederum theologischer und darüber hinaus sprach- und kommunikationsphilosophischer Perspektive beleuchtet Edmund Arens Bedingungen, Dimensionen, Formen und Vollzüge gegenwärtiger religiöser Kommunikation, indem er zunächst ein Panorama von Pluralität zeichnet und in diesem Zusammenhang Dimensionen religiöser Kommunikation aufzeigt. Von Überlegungen zur religiösen Kommunikation in christlichen Kontexten als eine solche mit Gott, von Gott her, vor Gott sowie über Gott werden weiterführende Bemerkungen zur Kinder- und Jugendtheologie angestellt. Diese bedarf demnach einer theologischen Kommunikation, die dialogisch-kommunikativ und verständigungsorientiert sowie auf möglichst symmetrische Kommunikation und Interaktion zwischen den Beteiligten angelegt ist. In Teil II werden insbesondere durch empirische Annäherungen, die zugleich immer auch programmatische Überlegungen beinhalten, Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« an den Bildungsorten Familie, Kindergarten, Schule und Kirche aufgezeigt. Die beiden Leitfragen, die die einzelnen Beiträge durchziehen, lauten: »Ist der Begriff ›Kommunikation des Evangeliums‹ für die Beschreibung der zu beobachtenden Phänomene hilfreich?« und »Wo verläuft die Grenze
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zwischen Phänomenen, die sich sinnvoll als ›Kommunikation des Evangeliums‹ beschreiben lassen, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist?« Dabei sind die einzelnen Beiträge dieses Teils zugleich entlang der unterschiedlichen Lebensalter strukturiert aufgeführt. Der kindertheologische Diskurs im Kontext des Vorschulalters findet oft separat von dem der Grundschulzeit statt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Ausbildung von Erzieher/innen in den deutschsprachigen Ländern nicht an Universitäten stattfindet. Deshalb werden in diesem Abschnitt bewusst auch Perspektiven aus Nachbarländern präsentiert. Angesichts des religiösen Pluralismus und der Tatsache, dass immer mehr Kinder auch nichtchristlicher Religionen den Kindergarten besuchen, nehmen die AutorInnen die Frage auf, wie religiöse Erziehung dieser Diversität gerecht werden kann. Rekurriert wird in den einzelnen Beiträgen dabei stark sowohl auf die anthropologische Bedeutung von Religion bzw. Spiritualität wie auch auf die Rahmenbedingungen religiöser Pluralität und Diversität an den unterschiedlichen Bildungsorten. Dass sich Abendrituale und VorleseGespräche mit Kleinkindern anhand von Kinderbibeln, biblischen Nacherzählungen und auch profaner Kinderliteratur in der Familie inhaltsreich und herausfordernd gestalten (können), zeigen die Beispiele, anhand derer Noemi Bravená einen seltenen Einblick in diese für die religiöse Sozialisation wesentlichen Mikroprozesse vermittelt. An diesen Explorationen wird deutlich, dass Transzendenzsensibilität bzw. Spiritualität – als anthropologische Voraussetzung eines möglichen Theologisierens – für die re-
ligiöse Kommunikation in der Familie eine wesentliche Rolle spielen. Zugleich wird betont, dass die besondere familiäre Gesprächskonstellation und -atmosphäre die Gelegenheit eröffnet, das Kind etwas von der frohen Botschaft unmittelbar erfahren zu lassen. Sturla Sagberg macht vom Ansatz einer kontextuellen Theologie aus darauf aufmerksam, dass die Notwendigkeit, in die kulturelle Semantik eines Landes einzuführen, konsequenterweise auch zentrale Inhalte der christlichen Tradition zum Thema werden lässt. Wann und wo dies geschieht – und dies kann eben auch der Kindergarten als Ort religiöser Diversität sein – hat dies positiven Einfluss auf die Kinder. Vermittlung der Guten Nachricht bedeutet kindertheologisch gesprochen, dass bestimmte wesentliche Inhalte durch Teilhabe erfasst und nicht nur als neutrale Botschaft übermittelt und empfangen werden. Das tatsächliche Lernen findet statt, wenn der Lerngegenstand nicht nur kirchliche Lehren oder normative Quellen repräsentiert, sondern wenn er auch als authentische Begegnung erfahren werden kann. Angela Kunze-Beiküfner entfaltet die Möglichkeiten des Theologisieren mit Kindern im Kindergarten als »Kommunikation des Evangeliums« im Sinn religionssensibler Begleitung und Bildung. Ein solches Handlungskonzept und die entsprechende pädagogische Grundhaltung bietet den konfessionellen Einrichtungen eine hilfreiche Orientierung, um jenseits der konfessionell geprägten Konzeptionen die gesellschaftlichen Herausforderungen religiöser Pluralität mit zu beachten und diese konstruktiv aufzunehmen. Durch ein sensibles Theologisieren – angeleitet auch durch nicht-
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religiöse Fachkräfte – können Kinder Verbindungen zwischen ihrer individuellen spirituellen Erfahrung und thematischen biblischen Erzählungen herstellen sowie diesen eine ganz persönliche Bedeutung verleihen. Gerhard Büttner würdigt in seinem Beitrag die pluralismusaffinen Ansätze der drei aufgeführten Beiträge zum Vorschulalter, stellt zugleich aber darüber hinausgehend die prinzipielle Anfrage, ob diese Angebote ausreichend sind, um eine explizite christliche Semantik auf Dauer zu »pflegen«. Von daher zeigt er eine gewisse Zurückhaltung, alle Formen impliziter Theologie sogleich als Kindertheologie zu bezeichnen. Da es notwendig ist, den Wahrnehmungen und Empfindungen der Kinder Sprache zu verleihen, bringt dies die Forderung mit sich, implizite in explizite Theologie zu überführen. Will überhaupt erst einmal verstanden werden wollen, was Kinder zum Ausdruck bringen, erfordert dies auf der inhaltlichen Seite eine ausgeprägte Kompetenz der Erziehungspersonen. Im Abschnitt zum Grundschulalter attestiert Oliver Reis der Erstkommunionkatechese eine Krise, die er als Übergangsphänomen zwischen zwei Gestaltungsformen der »Kommunikation des Evangeliums« charakterisiert. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der sakramentalen Wirklichkeit der Eucharistie und ihren Wirkungen für das Individuum und die Glaubensgemeinschaft verweisen auf eine Leerstelle. Dem gegenüber verknüpft Kindertheologie als Unterrichtsformat das symmetrische Ideal einer Gemeinschaft der Lernenden, die die Offenheit gegenüber den Lebenswelten impliziert, mit dem Einspielen tradierter Elementen christlicher
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Theologie. Sie schafft damit die Bedingungen dafür, dass die »Kommunikation des Evangeliums« als Speichermedium mit der Funktion eines Übersetzungsmediums personal verbunden wird. Durch die Überlegungen Christina Kallochs ist die Frage nach der inhaltlichen Bestimmtheit von Kindertheologie sowie der »Kommunikation des Evangeliums« aufgeworfen. Sie vergleicht in ihrem Beitrag zwei – einerseits im familiären, andererseits im schulischen Kontext verortete – Gespräche zum Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Diese werden als Beispiel einer »Theologie für und mit Kinder(n)« einerseits und als Beispiel einer stärker ergebnisoffenen »Theologie von Kindern« andererseits angesehen. Für den Grundschul-Religionsunterricht wird gerade die Dimension einer Theologie von Kindern als ein notwendiger Zugang zur Auseinandersetzung mit biblischen Texten angesehen. Denn dieser ermöglicht es im Sinn einer wichtigen Übersetzungsarbeit überhaupt erst, sich der biblischen Botschaft in ihrer tradierten Form nähern zu können. Im Rekurs auf die Beiträge von Oliver Reis und Christina Kalloch zum Grundschulalter sowie in Auseinandersetzung mit Christian Grethleins Grundansatz zieht Hanna Roose notwendige Differenzierungen für eine Kinder- und Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums« in Kirche und Schule ein. Dafür geht sie davon aus, dass beide Leitperspektiven in einem spannungsvollen Raster von Symmetrie und Asymmetrie bzw. von inhaltlicher Unbestimmtheit und inhaltlicher Bestimmtheit zueinander stehen. Von dort aus werden wesentliche, offene Fragen aufgeworfen: Welche Bedeutung kann der Glaube im Kontext
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der Kinder- und Jugendtheologie haben? Lässt die »Kommunikation des Evangeliums« Außenperspektiven zu – und zwar sowohl auf der Inhaltsebene als auch auf der Beziehungsebene? Das Jugendalter stellt bekanntermaßen besondere Herausforderungen an eine gelingende religiöse Kommunikation und an die Frage einer inhalts- wie personorientierten schulischen und kirchlichen Bildungspraxis – erst recht dann, wenn hier der Evangeliumsbegriff programmatisch mit ins Spiel kommt. Johanna Kallies-Bothmann berichtet aus der Kasseler Forschungswerkstatt darüber, wie Jugendliche über Todesvorstellungen und christliche Auferstehungshoffnung ins Gespräch miteinander eintreten. Im Rekurs auf thematisch einschlägige Jugendstudien und spezifisch jugendliche Weltwahrnehmungen benennt sie als Herausforderungen die erkennbare Transformation des Kinderglaubens und des darauf gründenden Gottesbildes sowie das häufig kritischrationale Denken der Jugendlichen, das der reflexiven Auseinandersetzung bedarf. Der Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums« wird in diesem Zusammenhang insofern als hilfreich angesehen, als er das Bewusstsein für die Mehrdimensionalität jugendlicher Kommunikationspraxis des Evangeliums, über das Evangelium, durch das Evangelium und im Evangelium schärft, was sich in den Dimensionen des Theologisierens näher durchbuchstabieren lässt. Wie über das Evangelium kommuniziert werden kann und welche jugendtheologische Begriffsarbeit dies notwendig macht, erläutert Mirjam Zimmermann am Beispiel von Unterrichtssequenzen der Sekundarstufe II zur Hiobüberlie-
ferung. Eine erste wesentliche Einsicht ihrer Analysen besteht darin, dass Jugendliche den Begriff »Kommunikation des Evangeliums« entweder gar nicht aufnehmen, nur selten sinnvoll interpretieren können oder für den religionsunterrichtlichen Gebrauch sogar als problematisch einstufen. Zugleich aber zeigt sich in deren positiven Statements, dass Jugendliche durchaus ein Kommunikationsgeschehen erleben können, das paradoxerweise an die Ideale dessen heranreicht, was man als gelungene »Kommunikation des Evangeliums« bezeichnen kann. Exemplarisch wird aufgezeigt, wie Formen narrativer Jugendtheologie durch die Ermöglichung einer kritischen Selbstpositionierung gegenüber einem komplexen theologischen Thema zu dem führen können, was man als die Mitte des christlichen Glaubensverständnisses bezeichnen kann. Dass sich durch den Impuls der johanneischen Osterüberlieferung eindrückliche Reaktionen, Resonanzen und Sinnfragen unter Konfirmandinnen und Konfirmanden ereignen, macht Nadja Troi-Boeck in ihrer explorativen Studie deutlich. Dafür wird die Kategorie der »Kommunikation des Evangeliums« nach der qualitativen Inhaltsanalyse theoriegeleitet an drei ausgewählten Interviews geprüft. Durch die Operationalisierung der Theorie der »Kommunikation des Evangeliums« als einer Analyse- bzw. Beobachtungskategorie lässt sich – bei allen unterschiedlichen jugendlichen Gesprächsangeboten – als wesentliche Aufgabe des Konfirmationsunterricht bestimmen, dass die Lehrpersonen die Jugendlichen dazu befähigen, Verknüpfungen zwischen ihren Lebenserfahrungen und dem Bibeltext herstellen zu
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können, sich der Fremdheit des Textes zu nähern, dessen emotionale Ebene in den Mittelpunkt zu stellen und vertrauensvolle Gruppenkonstellationen zu schaffen. Ebenfalls auf den Bereich kirchlicher Bildung bezogen, stellt Norbert Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich von deren Firmkatechese an. Am Beispiel der Auseinandersetzung mit der Jonaüberlieferung wird durch die dokumentierten schriftlichen Äußerungen der Jugendlichen deutlich, in welch unterschiedlicher Weise sie sich einzelne Elemente der Geschichte der Gottesbeziehung Jonas jeweils aneignen und wie breit dabei das Spektrum der kreativen Produktion ist. Dahinter wird das Wirken des göttlichen Geistes namhaft gemacht, der wie die Jugendlichen selber unberechenbar, spontan, attraktiv, vital und an dem interessiert ist, was anders ist und herkömmliche Gewohnheiten aufsprengt. Von dort her wird dafür plädiert, dass in der Praxis und Reflexion über die »Kommunikation des Evangeliums« deren Freiheitscharakter noch weiter zu schärfen ist. Thomas Schlag fragt von der Betrachtung der genannten Beiträge zum Jugendalter aus danach, wie sich ein möglicher grundsätzlicher und systematischer Zusammenhang zwischen den Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Kinder- und Jugendtheologie denken und konzipieren lässt. Er konstatiert, dass die im wissenschaftlichen Diskurs und auch in den Beiträgen des Bandes zu Tage tretenden disparaten Verhältnisbestimmungen nicht selten darauf zurückzuführen sind, dass die je spezifischen Erkenntnisleistungen noch nicht konsistent genug im
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Blick auf ihre jeweilige Programmatik, ihren analytischen Charakter, ihre Praxisdimension und Zielvorstellungen sowie ihre disziplinäre und institutionelle Verortung hin unterschieden werden. Ohne dass die je spezifischen Ebenen und Sinngehalte beider Leitperspektiven aufgegeben werden sollen, wird deshalb für deren möglichst enge Zusammenschau plädiert und als verbindendes Element die Bedeutsamkeit des Evangeliums in seinem Wahrheitsanspruch und seiner möglichen Lebensrelevanz herausgestellt. Dies ist auch und vielleicht gerade im theologischen Nachdenken mit solchen Jugendlichen herauszuarbeiten, die sich selbst keiner Religion oder Konfession zugehörig fühlen. Von dort her ist zugleich die Verbindung zu den bilanzierenden Beiträgen des Teils III dieses Bandes hergestellt. Hier werden in systematischer Hinsicht und von den Beiträgen der Tagung aus sowohl problematische Aspekte wie vielversprechende Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen aufgezeigt. Unter systematischen Gesichtspunkten werden von den einzelnen Autor/innen die wesentlichen Erkenntnisse der einzelnen Beiträge und Sequenzen gebündelt und in weiterreichende religionspädagogische Zusammenhänge eingeordnet. Für eine begriffliche und sachliche Unterscheidung zwischen dem ›Kommunizieren des Evangeliums‹ als Phänomen der Praxis, der Kinder- und Jugendtheologie als didaktischem Konzept und der »Kommunikation des Evangeliums« als Theorem oder Theorie plädiert Bernd Schröder. Von der Betrachtung des Ertrags wie der Probleme kinder- und jugendtheologischer Arbeit aus kartogra-
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fiert er die Tagungsbeiträge im Blick auf die pädagogische Qualität und Theologizität als zwei zentralen Dimensionen religionsdidaktischer Konzeptionsbildung. Von dort aus werden zum einen Gewinne für gemeindepädagogische Kontexte aus der Anwendung der Kinder- und Jugendtheologie, zum anderen Gewinne für die Kinder- und Jugendtheologie aus ihrer Anwendung in gemeindepädagogischen Kontexten benannt. Friedrich Schweitzer fragt von einer bildungstheoretischen Grundlegung aus nach religionspädagogischen Perspektiven im schulischen Kontext und sieht von dort aus die Anschlussfähigkeit der Kinder- und Jugendtheologie für die »Kommunikation des Evangeliums« insbesondere in der Reflexion intendierter Rezeptions- und Aneignungsprozesse. Die von ihm identifizierten wesentlichen Anfragen an die Forschungsrichtung betreffen einerseits das Verhältnis der Kinder- und Jugendtheologie zu Taufe und Glaube, zum anderen beziehen sie sich auf die immer wieder erhobene Forderung, Theologie im Religionsunterricht nur auf Seiten der Lehrenden zu verorten. Von Theologie – sei es im Religionsunterricht, in der Gemeinde oder im akademischen Betrieb – kann dann gesprochen werden, wenn die Beteiligten bereit sind bzw. wenn es ihnen ermöglicht wird, sich auf einen normativ ausgerichteten Prozess der Reflexion über Religion und Glaube einzulassen. In ihrem rückblickenden Beitrag skizziert Hanna Roose Affinitäten zwischen dem Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie und dem Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums«: die Verortung in der christlichen Theologie, das Ideal der symmetrischen Kommu-
nikation, die strukturelle Asymmetrie, die Abschattung des Glaubensbegriffs und die Hochschätzung der Empirie. Sie fragt danach, welche Verschiebungen sich ergeben, wenn Kinder- und Jugendtheologie als eine Form der »Kommunikation des Evangeliums« qualifiziert wird und macht einsichtig, dass es hier zu einer stärkeren Betonung der biblischen Fundierung und des Theologisierens als Prozess sowie zu einer Abschattung der Subjektorientierung kommt. Die Kinderund Jugendtheologie wird von da her zu entscheiden haben, ob sie sich diese Akzentverschiebungen zu Eigen machen möchte oder nicht. Unabhängig davon, wie die einzelnen zukünftigen Schwerpunktsetzungen hier ausfallen mögen, erweist sich – so lässt sich die Fülle der Beiträge zusammenfassend verstehen – das Einspielen des Leitbegriffs der »Kommunikation des Evangeliums« als ein vielversprechender Weg, die Profilschärfung der Kinder- und Jugendtheologie weiter voran zu bringen. Denn von dort aus kann sich die religionspädagogische Einsicht erweitern, dass kinderund jugendtheologische Kompetenz auf Seiten aller beteiligten AkteurInnen sich eben nicht nur in der Deutungskompetenz traditioneller Glaubenszeugnisse, sondern ebenso und gerade im eigenständigen Gebrauch theologischer Begriffe, Traditionen und Interpretationen erweist – und dafür ist die Frage »Was ist für dich der Sinn?« vermutlich nicht der schlechteste Ausgangspunkt – sowohl im Blick auf die weitere Forschung wie auch die konkrete Kommunikationspraxis in Familie, Kindergarten, Schule und Kirche. Über diese Beiträge hinaus, aber zugleich durchaus in sachlichem Zusammenhang mit diesen, beschreibt in Teil
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IV des Bandes Christian Randenborgh vom Ausgangspunkt des Theologisierens als theologischem Modellbildungsprozesse die Chancen jugendlicher Wissensaneignungsprozesse durch einen entdeckenden und forschenden Religionsunterricht. Der hier vorgelegte Band wird durch Gerhard Büttners Besprechung der von Theresa Schwarzkopf vorgelegten Dissertation »Vielfältigkeit denken. Wie Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht argumentieren lernen« beschlossen. Zu danken ist abschließend für die großzügige finanzielle Unterstützung sowohl der durchgeführten Zürcher Tagung im Jahr 2016 wie der Erstellung dieses Bandes dem Schweizerischen Na-
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tionalfonds, der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, dem Verband stadtzürcherischer evangelisch-reformierten Kirchgemeinden, der Schweizerischen Universitätskonferenz sowie der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Für die Mitwirkung an der Erstellung des Bandes sei Jonas Stutz, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Universität Zürich, ausdrücklich dankend erwähnt. Schließlich ist dem Calwer Verlag und namentlich seinem Leiter Dr. Berthold Brohm für die geduldige und verlässliche Begleitung des Entstehungsprozesses dieses Bandes ebenfalls herzlich zu danken. Thomas Schlag, Hanna Roose, Gerhard Büttner im Oktober 2017
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Christian Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
In den letzten fünfzehn Jahren hat sich in verschiedenen Ansätzen der Praktischen Theologie ein gewisser Grundkonsens dahingehend gebildet, dass sich der Gegenstand des Fachs gegenwärtig mit dem Theorierahmen »Kommunikation des Evangeliums« am besten erschließen lässt. Er findet sich als »Leitbegriff« nicht nur in zahlreichen deutschsprachigen evangelischen praktisch-theologischen Arbeiten,1 sondern auch z.B. in einer grundlegenden Praktischen Theologie aus dem französisch-sprachigen Bereich2 oder dem entsprechenden Lehrbuch eines führenden katholischen Pastoraltheologen;3 ebenso klingt es in Überlegungen zur Einführung in die Praktische Theologie in den USA an.4 Das lässt auf der einen Seite vermuten, dass dieser Begriff eine über einzelne Konfessionen und Länder hinausreichende Integrationskraft hat. Auf der anderen Seite zeigt ein Blick in kirchliche Verlautbarungen, die sich ebenfalls seit einiger Zeit des Terminus bedienen, dass dessen Verbreitung zu einer Verflachung seines Theoriegehalts und vor allem seines kritischen Potenzials führen kann. Von daher ist es gut, sich der inhaltlichen Implikationen und des Theoriestatus des Begriffs zu versichern. Von da aus werfe ich einen Blick auf mögliche Konsequenzen dieses Theorierahmens für die Bestimmung von Kinder- und Jugendtheologie. Dabei zeigt sich, dass »Kommunikation des
Evangeliums« sowohl einen theologisch verlässlichen Rahmen für Kinder- und Jugendtheologie zur Verfügung stellt als auch einen Beitrag zur Reflexion der Methodik und des Inhalts der wissenschaftlichen Reflexion Kinder- und Jugendtheologie liefern kann. Darüber hinaus enthält die Kindertheologie wichtiges Potenzial für eine weitere Profilierung von »Kommunikation des Evangeliums« als Leitbegriff Evangelischer Theologie. 1. »Kommunikation des Evangeliums« als Gegenentwurf zu einem starren Verkündigungsbegriff und Predigtverständnis
Die Wendung »Kommunikation des Evangeliums«, wie sie programmatisch Ernst Lange in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts propagierte, verdankt sich zwei Begründungszusammenhängen: 1 Vgl. hierzu als erste Bestandaufnahme Bernd Schröder/Michael Domsgen (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014. 2 Fritz Lienhard, La démarche de théologie pratique, Brüssel 2006 (deutsch: Grundlegung der Praktischen Theologie. Ursprung, Gegenstand und Methoden, Leipzig 2012). 3 Norbert Mette, Einführung in die katholische Praktische Theologie, Darmstadt 2005. 4 Richard Osmer, Practical Theology. An Introduction, Grand Rapids 2008.
Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
1957 plädierte der spätere Hamburger Bischof Hans-Otto Wölber für eine »grundsätzlich neue Kommunikationskultur auf der Kanzel« und fordert »die Überwindung des weithin vorherrschenden, stumpfen, von blinder Orthodoxie bestimmten, undialogischen Verkündigungsbegriffs«.5 Gegenüber einer einseitigen Bestimmung der Predigt durch die Exegese regte Wölber eine Orientierung am jeweiligen »Gegenüber« und damit eine »dialogische Predigt« an.6 Wissenschaftlich legte dies den Anschluss an erfahrungswissenschaftliche Theoriebildung nahe. Wurde hier aus homiletischer Perspektive argumentiert, so liegt ein zweiter, direkt zum Begriff selbst führender Begründungszusammenhang in einer Neuorientierung im (weltweit) ökumenischen Kontext. Der niederländische, lange in Indonesien tätige Orientalist und Missionswissenschaftler Hendrik Kraemer (1888–1965), der erheblichen Einfluss auf die Ökumenische Bewegung hatte,7 veröffentlichte 1956 »The Communication of the Christian Faith«. Darin charakterisierte er die kirchliche »Situation« folgendermaßen: »Die Kirche von heute lebt in einer säkularisierten und in Desintegration begriffenen Massengesellschaft, welche ungewöhnlich dynamisch ist. Die Kirche führt sich aber in vielen Beziehungen so auf, als lebe sie immer noch in der alten, stabilen, begrenzten Welt.«8 Demgegenüber unterstrich er – gerade gegenüber Nichtchristen – die kommunikative Aufgabe der Kirche. »Kommunikation des Evangeliums« galt dem in der Tradition der Wort-Gottes-Theologie stehenden Kraemer aber »als eine Kategorie sui generis«.9 Damit war es ihm
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nicht möglich, in einen konstruktiven Kontakt zu erfahrungswissenschaftlichen Forschungen zu treten, die sich mit Kommunikation beschäftigen. In dieser Tradition steht wohl auch eine Theorie der Kommunikation des Evangeliums, die von der »Selbstkommunikation des Evangeliums«10 spricht bzw. ein »extra nos«11 für diese Kommunikation betont. Diese beiden systematisch-theologischen Bestimmungen sind an empirische Forschungen nicht anschlussfähig. Ihr Anliegen wird in der medientheoretischen Unterscheidung von Evangelium als Übertragungs- und als Speichermedium aufgenommen. Denn zum einen liegt das Speichermedium »Evangelium« gegenwärtiger Kommunikation voraus und stellt so einen außerhalb gegenwärtiger Kommunikationen liegenden Bezugspunkt dar. Zum anderen weist die Interaktionalität des Übertragungsmediums »Evangelium« auf dessen Unverfügbarkeit für die ein5 Vgl. mit Belegen Wilfried Engemann, »Kommunikation des Evangeliums« als Grundprinzip der religiösen Praxis des Christentums? Prämissen, Implikationen und Konsequenzen für das Verständnis von der Aufgabe der Praktischen Theologie, in: Birgit Weyel / Peter Bubmann (Hg.), Kirchentheorie. Praktischtheologische Perspektiven auf die Kirche, Leipzig 2014, 19–21. 6 Jeweils ebd. 19. 7 Vgl. Nikolaas van Oosterzee, Art. Kraemer, Hendrik, in: RGG 4 Bd. 4, Tübingen 2001, 1716f. 8 Hendrik Kraemer, Die Kommunikation des christlichen Glaubens, Zürich 1958, 91. 9 Ebd., 21. 10 Ingolf Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, ThLZ.F 11/12, Leipzig 2004, 110–113. 11 Vgl. Christiane Tietz in ihrem Vortrag auf der Tagung für Kinder- und Jugendtheologie in Zürich am 5. September 2016.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
zelnen an der jeweiligen Kommunikation Teilnehmenden hin. Zugleich weitete Kraemer den Horizont, indem er – unter Bezug auf Johannes Hoekendijk – neben dem »Kerygma (Predigt)« noch »Diakonia (Dienst)« und »Koinonia (Gemeinschaft)« als »Hauptabzeichen der Kirche« nennt.12 Auffälliger Weise fand in der deutschen Diskussion zur Kirchenreform die Diakonie keine bzw. kaum Berücksichtigung, während die Fragen der Gemeinschaft und Gemeindepraxis breit ventiliert wurden. Ernst Lange fasste die skizzierten Impulse aus der deutschen homiletischen bzw. kirchlichen und der ökumenischen Diskussion zusammen. Dabei bestimmte er jedoch – über Kraemer hinausgehend – »Kommunikation des Evangeliums« nicht als eine eigene Form von Kommunikation, nahm aber deren Erweiterung über die Predigt hinaus auf: »Wir sprechen von Kommunikation des Evangeliums und nicht von ›Verkündigung‹ oder gar ›Predigt‹, weil der Begriff das prinzipiell Dialogische des gemeinten Vorgangs akzentuiert und außerdem alle Funktionen der Gemeinde, in denen es um die Interpretation des biblischen Zeugnisses geht – von der Predigt bis zur Seelsorge und zum Konfirmandenunterricht – als Phasen und Aspekte ein- und desselben Prozesses sichtbar macht.«13 Dazu tritt seit etwa fünfzehn Jahren ein dritter Begründungszusammenhang für »Kommunikation des Evangeliums« als Leitbegriff praktisch-theologischer und damit auch religionspädagogischer Reflexion. Er verdankt sich den Herausforderungen durch die medientechnische Entwicklung und darauf bezogenen kommunikationstheoretischen Reflexionen. Die mit dem Internet sowie die
Social Media gegebenen und sich stetig weiter entwickelnden neuen Kommunikationsformen verändern nachhaltig die sozialen und ökonomischen Verhältnisse. Sie bedürfen theologisch der kritischen Reflexion, wobei jetzt erstmals neben den Erfahrungs- auch die Technik- und Naturwissenschaften neue Perspektiven für praktisch-theologische Theoriebildung eröffnen. »Kommunikation des Evangeliums« ist also ein Begriff, der einer doktrinären Reduktion christlichen Glaubens entgegensteht und als Theorierahmen praktisch-theologischer Arbeit den Horizont für die Bearbeitung vielfältiger Handlungsfelder, nicht zuletzt der Diakonie öffnet. Auch bietet er Anschluss an technische Innovationen im Bereich der Kommunikation. 2. »Kommunikation« in mehrperspektivischer Sicht
Mit der Aufnahme des Kommunikationsbegriffs tritt Praktische Theologie in Kontakt zu unterschiedlichen Fächern. Die Komplexität von Kommunikation erlaubt jeweils nur perspektivische Annäherungen. Damit nimmt Praktische Theologie die systematische Forderung Ingolf Dalferths nach einer »Umstellung auf einen anderen Denkstil« auf: »Gefragt ist nicht mehr das systematischsubsumierende Denken, wie es für die analytischen und synthetischen Verfah12 Hendrik Kraemer (wie Anm. 8), 93. 13 Ernst Lange, Aus der »Bilanz 65«, in: Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, hg. v. Rüdiger Scholz, München 1981, 101.
Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
ren der Moderne charakteristisch war, das Phänomene als besondere Fälle eines bestimmten Allgemeinen zu begreifen suchte, sondern ein topisches Denken in Perspektiven und Horizonten, das sensibel ist für die Vielaspektigkeit und Rekombinierbarkeit der Phänomene, die in den Blick gefasst werden, sie also in verschiedenen Perspektiven und Horizonten zu betrachten sucht und nicht mehr darauf zielt, sie begrifflich so zu fixieren, dass sie auf eine und nur eine Weise ›richtig‹ verstanden sind.«14 Aus der Fülle der verschiedenen kommunikationstheoretischen Ansätze und Einsichten seien nur einige wenige genannt, die wichtige Einsichten für praktisch-theologisches Arbeiten gewähren:15 Dabei geht es mir nicht um möglichst elaborierte Theoriebildungen, sondern um grundlegende Perspektiven, die ein auf Kommunikation gerichteter Ansatz umfasst. Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun entwarf ein sog. Kommunikationsquadrat. Demnach enthält jede Nachricht vier – prinzipiell gleichrangige – Botschaften: 1. zum Sachinhalt; 2. zur Selbstkundgabe (Ich Botschaft); 3. zur Beziehung zwischen den Kommunizierenden; 4. einen Appell.16 Da sich diese so differenzierten Nachrichten bei einer Kommunikation zwischen zwei Menschen auf beiden Seiten finden, steigert sich noch einmal deren Komplexität. Das Modell des Kommunikationsquadrats, mittlerweile in vielen Trainings verbreitet, bewährt sich nicht zuletzt in Kommunikationen zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen. Es kann unschwer für das Verstehen von
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intergenerationellen Kommunikationen angewendet werden. In semiotischer Perspektive fächern sich die bei der Analyse von Kommunikationen zu beachtenden Dimensionen noch weiter auf. So können grundsätzlich folgende fünf »Sprachen« unterschieden werden, die sich wiederum in verschiedene Codes differenzieren lassen: Wortsprachen: Sprach-Codes; SprechCodes; Schrift-Codes. Körpersprachen: Kinetische, hodologische, proxemische, taktile, textile und odoratische Codes. Klangsprachen: Akustische und musikalische Codes. Objektsprachen: Raum- und ikonische Codes. Soziale Sprachen: Heortologische, hierarchische und szenische Codes.17 In der konkreten Kommunikation überlagern sich die verschiedenen Codes, was die Komplexität des Verständnisprozesses und seine Störanfälligkeit steigert. Dazu – und darauf macht Wilfried Engemann aufmerksam18 – rufen eventuelle Störungen nicht nur negativ zu bewertende Missverständnisse hervor, sondern eröffnen auch neue, unerwartete Einsichten.
14 Ingolf Dalferth, Theologie (wie Anm. 10), 12. 15 Vgl. ausführlicher Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 22016, 146–158. 16 Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden Bd. 1–3, Reinbek 1981/1989/1998. 17 Karl-Heinrich Bieritz, Liturgik, Berlin 2004, 44–46. 18 Vgl. Wilfried Engemann, Kommunikation der Teilhabe. Die Herausforderungen der Informationsmaschinen, in: Wilfried Engemann, Personen, Zeichen und das Evangelium. Argumentationsmuster der Praktischen Theologie, Leipzig 2003, 266 (ohne Kursivsetzung des Originals).
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Eine weitere Perspektive steuern Forschungen aus der Soziolinguistik bei. Sie unterscheiden zwischen restringiertem und elaboriertem Code.19 Der erste ist durch kurze, oft unvollständige Sätze gekennzeichnet, bezieht sich auf konkrete Situationen und ist emotional geprägt. Dagegen äußert sich eine elaborierte Codierung in langen Sätzen mit oft komplizierter Syntax, wobei die Abstraktion überwiegt und der Situations- bzw. Emotionsbezug zurücktritt. Diese Grundunterscheidung kann in milieu- bzw. lebensstilbezogener Perspektive ausdifferenziert werden und wird in der Habitus-Theorie Pierre Bourdieus mit dem Hinweis auf die »feinen Unterschiede«20 aufgenommen. Grundlegend bleibt dabei, dass Kommunikation durch die Herkunft und den Lebensstil der Kommunizierenden geprägt wird, was dann auch – wie Frank Lütze für den Bereich der Hauptschule zeigt – z.B. die Gottesvorstellungen betrifft.21 Deutlich tritt hier die soziale Kontextualität von Kommunikation zu Tage. Im Verfolgen eines systemtheoretischen Ansatzes, der sich auf das System Kommunikation selbst konzentriert, ergeben sich Kommunikationen mit unterschiedlichen Akzenten: auf »Mitteilung«, »Information« oder »Verstehen«.22 Dabei sind die auf Verstehen bezogenen Kommunikationen theologisch am interessantesten, zugleich aber auch am unsichersten. In der Weiterarbeit am systemtheoretischen Kommunikationsmodell23 wurden Redundanz und Selektion als die beiden grundlegenden Formen herausgearbeitet, in denen sich Kommunikation vollzieht. Ohne Redundanz kann keine Kommunikation stattfinden und ohne Selektion ist sie langweilig, weil ihr der
Zugang zu Neuem fehlt. Dazu können in den systemtheoretischen Ansatz Formen elektronischer Kommunikation integriert werden, insofern die Kommunikation selbst, nicht die Kommunizierenden analysiert werden. Dass nur so ein vertiefter Einblick in viele gegenwärtige Kommunikationen, auch zwischen zwei Personen möglich ist, konstatiert Manfred Faßler. »Die augenscheinlichen und verbalen Bedingungen zwischenmenschlicher Vermittlung werden von anonymen, fernanwesenden Stimmen, Texten, Bildern, Images und Icons überschichtet oder in diese eingewoben.«24 Eine handlungstheoretische Differenzierung von Kommunikation erarbeitete Jürgen Habermas. Er unterscheidet zwischen »instrumentellem«, »strategischem« und »kommunikativem« 19 Vgl. grundlegend Basil Bernstein, Studien zur sprachlichen Sozialisation, Düsseldorf 1972. Auf die – kritische – Bedeutung dieser Theorie für die Kindertheologie weist hin Bernhard Grümme, Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie, in: JaBuKi 13, Stuttgart 2014 16–19. 20 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987. 21 S. Frank Lütze, Religionsunterricht im Hauptschulbildungsgang. Konzeptionelle Grundlagen einer Religionsdidaktik für den Pflichtschulbereich der Sekundarstufe I, Leipzig 2011, 349. 22 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984, 226f. S. hierzu auch aus kindertheologischer Perspektive Gerhard Büttner, Kinderund Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums und des Glaubens« – Im Lichte der Kritik von Bernhard Dressler, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 15–17. 23 Vgl. Dirk Baecker, Form und Formen der Kommunikation, Frankfurt a.M. 2007. 24 Manfred Faßler, Was ist Kommunikation?, München 22003, 86.
Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
Handeln: »Hingegen spreche ich von kommunikativen Handlungen, wenn die Handlungspläne der beteiligten Aktoren nicht über egozentrische Erfolgskalküle, sondern über Akte der Verständigung koordiniert werden. Im kommunikativen Handeln sind die Beteiligten nicht primär am eigenen Erfolg orientiert; sie verfolgen ihre individuellen Ziele unter der Bedingung, dass sie ihre Handlungspläne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander abstimmen können.«25 Diese Theorie des kommunikativen Handelns wurde nicht von ungefähr in theologischen Entwürfen aufgenommen,26 entsprechen doch Symmetrie und Herrschaftsfreiheit der Kommunikation in hohem Maße dem Verhalten Jesu, wie es im Neuen Testament berichtet wird. Michel Foucault wies jedoch in seinem poststrukturalistischen Ansatz darauf hin, dass es dabei zu einem gefährlichen Ausblenden von Machtstrukturen kommen kann. Er machte dagegen auf die Machtförmigkeit von Kommunikation aufmerksam. 27 Dies dürfte gerade im Zusammenhang von Schule sowie dem damit gegebenen Verhältnis von Lehrer/innen und Schülerinnen und Schülern ein wichtiges, in der kindertheologischen Forschung kaum thematisiertes Problem sein. Schließlich ergeben sich aus den technischen Innovationen im Bereich elektronischer Kommunikation neue Herausforderungen für die Kommunikationstheorien. Hier zeichnet sich eine Kluft zwischen den Generationen ab, wie Unterscheidungen zwischen »digital natives« und »digital immigrants« anschaulich machen. Dabei geht es keineswegs nur um die konkrete elektroni-
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sche Kommunikation, sondern um die Konsequenzen aus ihr auch für sonstige face-to-face-Kommunikation sowie das gesamte Weltverhältnis.28 Was bedeutet z.B. die »smartphonefixierte Kultur des gesenkten Blicks«29 für Kommunikation? Dazu erhält in der Überfülle der Informationen die Frage nach der Relevanz besonderes Gewicht. Als relevant gilt dabei das, »was beim Individuum Aufmerksamkeit erhält«.30 Als Ergebnis dieses knappen und exemplarischen Durchgangs durch unterschiedliche Ansätze, Kommunikation zu analysieren, ergeben sich wichtige Einsichten für eine Theorie der Kommunikation des Evangeliums: Kommunikation im Bereich der Daseins- und Wertorientierung ist demnach stets kontextuell geprägt und grundsätzlich ergebnisoffen. Sie ist durch eine Fokussierung auf Gesprochenes nicht hinreichend zu erfassen, auch wenn dieses erhebliches Handlungspotenzial enthalten kann. Dabei impliziert die Störanfälligkeit von Kommunikation zugleich innovatives Potenzial. Nichtaufgedeckte Machtkonstellationen gefährden Verständigungsprozesse. Hinsichtlich der elektronischen 25 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns Bd. 1. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt a.M. 1981, 385 (ohne Kursivsetzung im Original). 26 Vgl. z.B. Norbert Mette, Theologie (wie in Anm. 3), 19. 27 Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.M. 102007 (franz. 1972). 28 Vgl. hierzu kritisch Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, 716. 29 Ebd., 311. 30 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, Kirche, Gütersloh 2013, 110.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Kommunikation ergeben sich dabei eher neue Fragen, als dass hierzu schon belastbare Einsichten bestünden. 3. »Evangelium« – als kommunikatives Geschehen
Inhaltlich wird die Kommunikation des Evangeliums durch das »Evangelium« bestimmt. Mit diesem Begriff bezeichnen Paulus und die Synoptiker den vom Auftreten, Wirken und Geschick Jesu ausgehenden Impuls. Wissenschaftstheoretisch sind also für eine Theorie der Kommunikation des Evangeliums sowohl empirische (kommunikationstheoretische) und literaturwissenschaftliche (biblisch-theologische) Methoden und Einsichten miteinander zu verbinden. Schon die genauere philologische Analyse von »Evangelium« ist aufschlussreich: Die Verbform »euangelizesthai« steht im Medium, also einem dem Griechischen eigenen Modus zwischen Aktiv und Passiv. Demnach bildet schon der Modus des Verbs den interaktiven Charakter der Kommunikation des Evangeliums ab. Deutsche Übertragungen wie »verkündigen« setzen dagegen auf einen Aktiv-Modus und unterschlagen die interaktive Implikation. Von daher bietet sich das skizzierte kommunikationstheoretische Instrumentarium an, um den mit euangelizesthai benannten Sachverhalt zu erfassen. Tatsächlich revidierte Jesus selbst in Gesprächen bzw. besser, da auch die nonverbale Dimension von Kommunikation umfassend: Interaktionen seine Position – besonders eindrücklich in Mk 7,24–30 (par. Mt 15,21–28). Traditionsgeschichtlich nehmen »euangelion« bzw. »euangelizesthai« zum ei-
nen damals üblichen politischen Sprachgebrauch auf. Der römische Kaiser veröffentlichte »Evangelium«-Botschaften. Von daher impliziert »Evangelium« bei den Christen einen herrschaftskritischen Akzent.31 Zum anderen eröffnet »Evangelium« ihnen die Möglichkeit, Jesus vor allem im Rahmen der deuterojesajanischen Verheißungen eines Freudenboten vom Zion her zu deuten. Der Begriff schließt also an Aussagen der Hebräischen Bibel an. Auch wird das Substantiv »euangelion« mit unterschiedlichen Verben verbunden, die die Pluriformität diesbezüglicher Kommunikation zeigen.32 Medientheoretisch lässt sich dazu noch eine Unterscheidung im Sprachgebrauch von »Evangelium« beobachten. Es bezeichnet als Übertragungsmedium die lebendige Kommunikation zwischen Menschen und als Speichermedium ein literarisches Werk (Evangelium des Matthäus usw.). Das verweist zum einen auf die Problematik des grundsätzlich ergebnisoffenen Kommunikationsprozesses, insofern der Bezug zum Auftreten, Wirken und Geschick Jesu verloren gehen kann – Beispiele dafür gibt es in der Christentumsgeschichte genügend. Zum anderen droht bei einer Fixierung auf den literarischen Text eine Musealisierung. Von daher ist es wichtig, dass Evangelium als Übertragungs- und Speichermedium stets aufeinander bezogen werden. 31 Dieser fehlt beispielsweise dem Religionsbegriff (vgl. hierzu z.B. Ernst Feil, Art. Religion I. Zum Begriff, in: RGG 4 Bd. 7, Tübingen 2004, 263–267). 32 Vgl. die Übersicht »Die neutestamentliche Terminologie für die Kommunikation des Evangeliums« bei Wilfried Engemann, Einführung in die Homiletik, Tübingen 22011, 435f.
Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
Bisher nur wenig beachtet wurde, dass »Evangelium« nicht nur ein christlicher Terminus ist. In der Hebräischen Bibel findet sich das – in der LXX mit euangelizesthai übersetzte – Verb »bisar« (Piel). Noch weniger bekannt ist, dass im Koran zwölfmal »Indschil« (altarabisch: Evangelium) erwähnt wird, und zwar sowohl hinsichtlich des Buchs als auch des Inhalts. Eine theologische Konzentration auf das Evangelium ermöglicht also auch einen Dialog mit jüdischer und islamischer Theologie. Analysiert man die Evangelienberichte über Jesu Auftreten und Wirken, treten drei Modi hervor, in denen der Mann aus Nazareth Evangelium kommunizierte:33 – in Lehr- und Lernprozessen,34 wie sie vorzüglich in den Gleichnissen begegnen; – in gemeinschaftlichem Feiern, in dessen Mittelpunkt Mahlzeiten standen; – in Helfen zum Leben, das in den Heilungen Jesu hervortrat. Dabei können diese Modi nur analytisch unterschieden werden, sachlich sind sie untrennbar miteinander verbunden. Von daher erscheint es problematisch, den Begriff »Kommunikation des Evangeliums« für Veranstaltungen zu verwenden, die nicht wenigstens grundsätzlich für die drei Modi offen sind. So kommt Vollzügen des gemeinsamen Feierns und des einander Helfens auch für einen schulischen Religionsunterricht (mit dem Schwerpunkt des Lehrens und Lernens) Bedeutung zu, wenn dieser Gegenstand einer als Theorie der Kommunikation des Evangeliums entworfenen Praktischen Theologie bzw. Religionspädagogik ist. Geht man von einer solchen inhaltlichen Bestimmung von »Evangelium« aus,
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zeigt sich, dass zumindest heute in der Praktischen Theologie zur Bestimmung ihres Gegenstandes übliche Begriffe problematisch sind. Vor allem »Religion« setzt eine lebensweltlich nicht mehr zutreffende Identität mit dem – mitunter nur evangelischen – Christentum voraus. Die auch den Religionsunterricht prägende Diversifizierung der Daseinsund Wertorientierungen kommt so nur unzureichend in den Blick. In religionspädagogischer Perspektive dürfte noch gravierender sein, dass bei dem meist an Schleiermachers Religionstheorie orientierten Religionsbegriff die diakonische Dimension ausfällt. Schließlich muss theologisch gefragt werden, »wie in ein anthropologisches und als solches durchaus ambivalentes, relatives und partikulares Phänomen wie das von Religion und Religionen der Gottesbezug eingezeichnet werden soll, der für die biblischen Traditionen und das Glaubensverständnis des Christentums entscheidend sein dürfte«.35 33 Exegetisch beziehe ich mich hierbei auf Jürgen Becker, Jesus von Nazaret, Berlin 1996, 176–233. 34 Die von Friedrich Schweitzer in seinem Schlussvortrag auf der Tagung für Kinderund Jugendtheologie in Zürich am 7. September eingebrachte Terminologie des »Modus der Bildung« bezieht sich demgegenüber mit dem Bildungsbegriff auf Nichtbeobachtbares und verlässt damit den Theorierahmen der hier skizzierten Theorie der Kommunikation des Evangeliums. Sachlich enthält sie den wichtigen Hinweis, den Begriff des Lehrens und Lernens so zu bestimmen, dass die in der Bildungstheorie subjekttheoretisch ausgearbeiteten Einsichten kommunikativ aufgenommen werden können. 35 Dirk Evers, Neuere Tendenzen in der deutschsprachigen evangelischen Dogmatik, in: ThLZ, 140. Jg. 2015, 10.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
4. Theorie der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart und Kinder- sowie Jugendtheologie
Bevor mögliche Übereinstimmungen und Anfragen ventiliert werden, muss der unterschiedliche Theoriestatus der beiden Konzepte festgehalten werden. Die Theorie der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart ist der Versuch, Praktischer Theologie einen Theorierahmen zu geben, der zum einen eine genauere Präzisierung ihres Gegenstandes ermöglicht und zum anderen einen gleichermaßen (empirisch-)kommunikationstheoretischen wie (biblisch-) theologischen Zugang hierzu eröffnet. Kindertheologie ist dagegen – so der erste programmatische Satz in dem »Handbuch Theologisieren mit Kindern« – »ein erfolgreiches religionsdidaktisches Konzept«36. Die Jugendtheologie zielt dies wohl ebenfalls an, wobei hier neben der Schule verstärkt der Lernort Gemeinde (Konfirmanden- und Jugendarbeit) in den Blick kommt, was auch bei außerdeutschen Beiträgen zur Kindertheologie zu beobachten ist. Dazu stehen in kinder- und jugendtheologischen Veröffentlichungen meist praktische Anregungen im Vordergrund. Das Gewicht der Arbeit liegt weniger auf begrifflicher Bestimmung als auf der Erarbeitung von Praxisimpulsen. Konzeptionell konvergieren die Theorie der Kommunikation des Evangeliums und die Kinder- und Jugendtheologie in der beschriebenen Umstellung des theologischen Denkstils. Multiperspektivität tritt an die Stelle früherer synthetischer Verfahren. Für eine Theorie der Kommunikation des Evangeliums stellt die Kinder- und
Jugendtheologie eine Bereicherung dar, insofern hier dem Wirklichkeitsverlust von Theologie entgegengewirkt wird. Nicht von ungefähr gewinnt seit einiger Zeit die Generationenperspektive (neue) Beachtung. Dazu haben Kinder für eine am Auftreten, Wirken und Geschick Jesu orientierte Theorie der Kommunikation des Evangeliums eine besondere Bedeutung. Nur ihnen attestiert das Neue Testament eine besondere Nähe zum anbrechenden Reich Gottes (Mk 10,13–16).37 Ein Weiterverfolgen dieser Spur trüge zu einer deutlicheren inhaltlichen Profilierung des Begriffs »Kommunikation des Evangeliums« bei. Anregend ist in diesem Zusammenhang der jüngste Versuch Hartmut Rosas, die Kritische Theorie zu aktualisieren. Dabei betont er die besondere Stellung von Kindern in einer weitgehend erstarrten bzw. repulsiven Gesellschaft. Für ihn sind Kinder »Resonanzwesen«38 und weisen damit auf gelingendes Leben hin. Thomas Schlag regt für Jugendliche an, bei diesen den »prophetischen Sensus« aufzunehmen, und weitet so den skizzierten, bisher auf Kinder beschränk36 Gerhard Büttner u.a., Einleitung, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014, 9. Eine Präzisierung nimmt vor: Gerhard Büttner, Grenzen der Kindertheologie, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 47–55. 37 Es erscheint mir zumindest diskussionswürdig, ob ein – postulierter – »prophetischer Sensus« der Jugendlichen hiermit gleich gesetzt werden kann (vgl. Thomas Schlag, Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?, in: JaBuJu 1, Stuttgart 2013,14). 38 Hartmut Rosa (wie Anm. 28), 740f.
Grethlein Kommunikation des Evangeliums – als Programmbegriff
ten Zugang. Systematisch macht er damit auf das Desiderat einer Theologie der Lebensalter aufmerksam, die angesichts der Bedeutung von Generationslagen in der gegenwärtigen Soziologie einen wichtigen Gesprächspartner hätte.39 Vielleicht können aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Kinder- und Jugendtheologie sowohl in methodologischer als auch inhaltlicher Weise durch eine Beschäftigung mit dem Konzept der »Kommunikation des Evangeliums« angeregt werden. Methodologisch helfen kommunikationstheoretische Ansätze, genauer als bisher die Kommunikationsbedingungen zu erheben, innerhalb derer viele empirische Studien und didaktischen Vorhaben stattfinden.40 Vor allem gilt es, die »lebensweltlichen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexte«41 mehr als bisher üblich zu berücksichtigen. Inhaltlich fordert die Theorie der Kommunikation des Evangeliums auf, die Fokussierung auf Reflexion und Gesprochenes zu überwinden. Erfreuli-
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cher Weise werden bereits Ansätze liturgischer Bildung rezipiert,42 die diakonische Dimension ist aber m.W. noch kaum im Blick. Dies mag an der Konzentration auf den Lernort Schule liegen. Dem Impuls, der vom Auftreten, Wirken und Geschick Jesu ausgeht, entspricht dies aber ebenso wenig wie dem Interesse der Kinder. Sie helfen nämlich gern.
39 Vgl. den eher weisheitlichen, aber nach wie vor bedenkenswerten Entwurf von Romano Guardini, Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung, Würzburg 1953 (u.ö.). 40 Dass bei Kindern den Forscherinnen und Forschern eine besondere Bedeutung zukommt und wie dies reflektiert und – im Wortsinn – sympathisch umgesetzt werden kann, kann man bei den diversen Studien von Anna-Katharina Szagun lernen. 41 Bernhard Grümme (wie Anm. 19), 13. 42 S. z.B. Damaris Knapp, Liturgische Elemente und Theologisieren mit Kindern, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014, 32–39.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Christiane Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
»Wir sprechen von Kommunikation des Evangeliums und nicht von ›Verkündigung‹ oder gar ›Predigt‹, weil der Begriff das prinzipiell Dialogische des gemeinten Vorgangs akzentuiert und außerdem alle Funktionen der Gemeinde, in denen es um die Interpretation des biblischen Zeugnisses geht – von der Predigt bis zur Seelsorge und zum Konfirmandenunterricht – als Phasen und Aspekte ein- und desselben Prozesses sichtbar macht.«1 Gefragt nach der Angemessenheit des aktuellen »Leitbegriff[s] der Praktischen Theologie«2 aus systematischtheologischer Perspektive, wird in diesem Beitrag zunächst der Kommunikationsbegriff betrachtet, wobei das Charakteristikum des Dialogs und das, wovon der Begriff sich abgrenzen möchte, besondere Aufmerksamkeit erfahren werden. Anschließend wird der Genitiv »des Evangeliums« in Augenschein genommen, ist doch er es, von dem her die Angemessenheit der Formel überprüft werden muss. Käme nicht das Evangelium zur Geltung, dann wäre »Kommunikation des Evangeliums« gescheitert. Für diese Überprüfung wird genauer gefragt werden, wie der Genitiv zu verstehen ist, was mit »Evangelium« in der Formel gemeint ist und wie das Evangelium mithilfe des Gedankens der Kommunikation konturiert wird. Das Ergebnis soll mit einigen reformatorischen Grundentscheidungen ins Gespräch gebracht werden. Am Ende wird sich ergeben, dass die Formel aus systematisch-theologischer Sicht durchaus
geeignet ist, dass sie aber wohl verstanden werden muss. 1. Kommunikation
In Abgrenzung zur sog. Wort-Gottes-Theologie, die ins Zentrum von Theologie und Kirche die Predigt als »Verkündigung des Wortes Gottes« gestellt hat,3 bezieht der Begriff der Kommunikation – insofern man nicht nur mit Worten, sondern in vielerlei Modi kommuniziert4 – »das gesamte christliche Leben in der Vielfalt seiner gemeinsamen und individuellen Vollzüge«5 ein. Alles, was Christen tun, kann Kommunikation
1 Ernst Lange, Aus der »Bilanz 65«, in: Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, hg. von Rüdiger Schloz, München 1981, 101. 2 Vgl. Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014. 3 Bernhard Kirchmeier, Predigt als Glaubensempfehlung. Zum praktisch-theologischen Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums, in: Bernhard Kirchmeier (Hg.), Empfehlenswert und praktisch! Perspektiven junger Theologinnen und Theologen auf die Lebensdienlichkeit christlicher Religionskultur, Leipzig 2015, 108. 4 Vgl. Bernd Schröder / Michael Domsgen, Vorwort, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 2), 9. 5 Ingolf U. Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004, 94.
Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
des Evangeliums sein.6 Damit nimmt die Formel den Menschen ganzheitlicher in den Blick als der Ausdruck Verkündigung. Besondere Weite gewinnt der Kommunikationsbegriff dadurch, dass Kommunikation inzwischen nicht mehr durch ein zweidimensionales Sender-Empfänger-Modell beschrieben,7 sondern komplexer verstanden wird: »Kommunikation vollzieht sich … durch Personen auf der Basis von Zeichen in bestimmten Situationen mit bestimmten Zielen«.8 Der Mitteilende kann nicht allein bestimmen, was kommuniziert wird. Denn dies hängt auch am Verstehen des Anderen.9 Im Konzept der Kommunikation kommt mithin der Andere als Grenze meines Unterfangens zur Geltung.10 Hier wird nicht einfach von mir etwas dem Anderen gesendet, was dieser schlicht zu empfangen hätte.11 Vielmehr wird im Gedanken der Kommunikation der Andere als gleichwertiges Gegenüber ernstgenommen.12 Der Gedanke der Kommunikation respektiert die Freiheit und den Widerspruch des Anderen und würdigt ihn als Subjekt seines Lebens und Glaubens.13 Christian Grethlein hat herausgestellt, dass Kommunikation schon das Leben Jesu bestimmt hat, um Menschen die Nähe der Gottesherrschaft zu zeigen.14 Nicht ganz deutlich geworden ist mir, ob Grethlein in Jesu eigenem Umgang mit den Menschen auch eine grundlegende Symmetrie meint wahrnehmen zu müssen. In jedem Fall kommt, so Grethlein, »nach Jesus« »der Kommunikation des Evangeliums … ein grundsätzlich symmetrisches Profil zu. Denn das Evangelium von der liebenden und wirksamen Gegenwart Gottes erschließt sich Menschen nur im gegenseitigen Austausch«.15 Der Kommunikationsbegriff plädiert also »für ein
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dialogisches Grundverständnis der Selbstmitteilung des Christentums«.16 Der Begriff soll zugleich widerspiegeln, dass nicht mehr von »allgemein anerkannten Traditionen und normativen Beständen«17 ausgegangen werden kann. Wo früher die Autorität von Kirche und Pfarrer galt sowie soziale Einbindungen selbstverständlich waren, ist heute alles im Fluss. Es gilt »Ergebnisoffenheit«,18 und es gibt keine unhinterfragbaren Autoritäten, keine verlässlichen Sozialformen mehr.19 Erst durch Kommunikation lassen sich, so die Grundüberzeugung, heute individuell und sozial »einigermaßen stabil[e]«20 Zusammenhänge herstellen. Das Evangelium erschließe sich »nur im gegenseitigen Austausch«, »Wissende und Unwissende [könnten hier nicht] unterschieden werden«21. 6 Vgl. ebd. 7 Vgl. Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 141. 8 Ebd., 148. 9 Vgl. Ingolf U. Dalferth (wie Anm. 5), 90. 10 Vgl. ebd., 91. 11 Vgl. Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 2), 15. 12 Vgl. Helmut Peukert, Kommunikatives Handeln, Systeme der Machtsteigerung und die unvollendeten Projekte Aufklärung und Theologie, in: Edmund Arens (Hg.), Habermas und die Theologie, Düsseldorf 1989, 52. 13 Vgl. Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 17. 14 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 7), 163ff. 15 Ebd., 167. 16 Bernd Schröder / Michael Domsgen (wie Anm. 4), 9. 17 Christian Grethlein (wie Anm. 7), 144. 18 Ebd, 145 (im Orig. hv.). 19 Vgl. ebd., 144f. 20 Manfred Faßler, Was ist Kommunikation?, München 22003, 27. 21 Christian Grethlein (wie Anm. 7), 167.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Nachdrücklich grenzt sich der Begriff von der Vorstellung ab, es gehe um die Tradierung von »Lehre«22 und »eindimensionale[n] Doktrinen«.23 Man wendet sich explizit gegen »allein theologische[], oftmals deduktive[] Argumentationsmuster[]«24 und betont: »[L]ehr mäßige Fixierungen von ›Evangelium‹ [behindern] dessen Kommunikation, wenn sie diese regulieren wollen. Sie haben vielmehr die Aufgabe, für den Kommunikationsprozess Gesichtspunkte zur Verfügung zu stellen.«25 Diese Entgegensetzungen können aus der Perspektive der systematischen Theologie nicht unwidersprochen bleiben. Denn hier scheint sich ein Missverständnis von Lehre und dogmatischer Argumentationsarbeit eingeschlichen zu haben. Sicherlich ist Kritik an der Vorstellung angemessen, das Evangelium lasse sich in ein paar Sätzen umschreiben, die wie ein fester Bestand weitergereicht werden könnten und nur akzeptiert werden müssten. Aber zumindest im evangelischen Bereich hat doch so gut wie nie die Ansicht geherrscht, es gehe einfach darum, eine fest umrissene Lehre zu übernehmen. Die Formulierung von dogmatischen Sätzen diente der besseren gedanklichen Klarheit, wurde aber doch immer unter dem Vorbehalt vorgenommen, dass sie sich nicht als Irrtum erweist. Dogmatik sah ihre Bedeutung darin, durch die überzeugende Kraft des besseren Arguments Menschen davon zu überzeugen, dass der christliche Glaube nicht widervernünftig ist und eine durchaus nachvollziehbare, in sich systematische Sicht auf die Wirklichkeit darstellt. Gerade in der Argumentation nimmt man den Anderen als verstehenden Menschen, der selbst Einsicht ge-
winnen, aber auch Widersprüche und Ungereimtheiten aufzeigen kann, ernst. Woher die fundamentale Kritik an regulierenden Sätzen? Ist es wirklich so, dass ein Satz wie: »Darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben« (Röm 1,17) die Kommunikation des Evangeliums verhindert, wenn er regulative Funktion hat? Für Luther auf jeden Fall stellte er mehr als nur Gesichtspunkte der Kommunikation zur Verfügung; er half, das Evangelium zu identifizieren. Damit ist schon angeklungen: Alles, was Christen tun, kann Kommunikation des Evangeliums sein. Aber nicht alles, was Christen tun, ist Kommunikation des Evangeliums. Der Genitiv ist nun genauer zu betrachten. 2. Der Genitiv
Für alle, die die Formel »Kommunikation des Evangeliums« verwenden, ist klar, dass damit nicht ein Genitivobjekt beschrieben ist, das einfach kommuniziert werden könne, so wie man beim »Weiterreichen des Zuckers« eine Porzellandose weitergeben kann.26 Auch wird die Vorstellung von einem partitiven Genitiv27 zurückgewiesen wie beim Lehren und Lernen der deutschen Geschichte im Geschichtsunterricht, bei dem man sukzessive immer mehr Details
22 Vgl. ebd., 145. 23 Vgl. ebd., 168. 24 Bernd Schröder / Michael Domsgen (wie Anm. 4), 9. 25 Christian Grethlein (wie Anm. 7), 179. 26 Vgl. Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 15, Ingolf U. Dalferth (wie Anm. 5), 90. 27 Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 16.
Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
über die deutsche Vergangenheit ansammelt. Wilfried Engemann versteht die Formel als »Modalbestimmung«. Damit sei »eine spezifisch evangelische Art und Weise des Umgangs mit Menschen« bezeichnet, die »die gemeinsame Charakteristik all jener Momente, Ereignisse und Prozesse in den Blick [rückt], in deren Ergebnis sich Menschen auf eine ganz bestimmte, evangelische Art und Weise auf ihr Leben ›verstehen‹, nämlich glauben«28. Engemann sieht den Genitiv also als genitivus qualitatis; »des Evangeliums« beschreibt eine bestimmte Beschaffenheit der Kommunikation, nämlich die, evangelisch zu sein. Strittig ist in der Literatur, ob mit der Formel keinerlei etwas, das kommuniziert wird, beschrieben wird. Gräb versteht es offenbar so, wenn er formuliert, es gehe der mit der Formel arbeitenden Praktischen Theologie um »drei dem Evangelium entsprechende[] Interaktionssphären«29. Evangelium beschreibt die Art, in der sich diese Sphären gestalten. Das Evangelium fällt als in diesen Sphären eigens auszumachender Gegenstand aus, weshalb Gräb dann auch konsequenterweise fordert, auf »Evangelium« als Begriff Praktischer Theologie zu verzichten. Denn es handele sich um einen Begriff aus der kirchlichen Verkündigungssprache.30 Durch die Verwendung des Evangeliumsbegriffs verliere die Theologie ihre interdisziplinäre Anschlussfähigkeit, nur »um dem Evangelium die Ehre zu geben«.31 Hier deutet sich an, dass bei der Frage nach der Interpretation der Formel auch die Frage nach dem Verständnis der Theologie virulent wird. Hat sie als ihre primäre Bezugsgröße die universitäre Wissenschaft – oder die Kirche und die christliche Tradition?
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Ernst Lange war ja noch wichtig, dass die Kommunikation des Evangeliums sich auf »die in der biblischen Tradition bezeugte Christusverheißung«32 bezieht. Diese soll »in bestimmten Situationen menschlicher Schuld oder menschlicher Not, in Situationen der Anfechtung oder des Zweifels, der Auftrags-Ungewißheit oder der Hoffnungslosigkeit so nach[!] gesprochen werden …, daß der Hörer versteht, wie sie ihn jetzt und hier angeht und seine Situation trifft, klärt und verändert.«33 Auch auf katholischer Seite scheint dies so gesehen zu werden. Hier geht man ebenfalls von einem Inhalt aus, der vermittelt wird, während der Kommunikationsbegriff eine besondere Art und Weise dieser Vermittlung beschreibt. Norbert Mette hält fest: »In diesem Theologumenon [»Kommunikation des Evangeliums«] sind sehr schön der Inhalt, um den es geht – die Selbstbekundung Gottes in seiner Liebe und Treue zu den Menschen –, und die Weise, in der dieser Inhalt angemessen zu vermitteln ist, nämlich unter grundsätzlicher Anerkennung der Adressaten in ihrer ihnen von Gott geschenkten Würde und Freiheit, miteinander verknüpft.«34 28 Ebd. 29 Wilhelm Gräb, Kommunikation des Evangeliums. Religionstheologische Ansichten und Anfragen, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 2), 64 (Hervorhebung von mir). 30 Ebd. 31 Ebd., 65f (Zitat 66). 32 Ernst Lange (wie Anm. 1), 101. Vgl. Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 19f. 33 Ernst Lange (wie Anm. 1), 101. 34 Norbert Mette, Kommunikation des Evangeliums – zur handlungstheoretischen Grundlegung der Praktischen Theologie, in: International Journal of Practical Theology 2/09, 189.
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Auch Grethlein bestimmt einen Inhalt: Evangelium meint den »grundlegenden Impuls des Christentums«, wie er in den biblischen Texten benannt ist.35 Der zentrale Grundimpuls des Christentums ist Botschaft, »Wirken[] und Geschick[] Jesu«.36 Grethlein hält fest, dass man an diesen Grundimpuls selbst nicht direkt herankommt, sondern dass er stets in »unterschiedliche[n] Situationen der Kommunikation des Evangeliums«, sc. in den Evangelien, begegnet.37 Aber es ist hier doch gedacht, dass ein solches Evangelium ausgemacht werden kann, nämlich wenn »kommunikative[] Vollzüge[] verbaler und nonverbaler Art« dadurch, dass sie auf Jesu Wirken und Geschick zurückbezogen werden, sich als Evangelium erschließen.38 In vielen anderen evangelischen Umschreibungen der Formel hingegen besteht die Gefahr, dass sie sich von der Vorstellung verabschieden, es gebe etwas, was derart ausgemacht, nachgesprochen und vermittelt werden könnte. Manche betonen, es gehe um »die rezeptionsästhetisch untermauerte Vorstellung, dass der Vorgang des Kommunizierens konstitutiv in Wechselwirkung steht mit dem Gehalt des Evangeliums, oder schärfer: dass sich das Evangelium (für diejenigen, die an der Kommunikation teilhaben) erst im Vollzug von Kommunikation konstituiert.«39 Diese Umschreibung ist genau zu analysieren. Sie erinnert an Luthers Ausspruch, der Glaube sei creatrix divinitatis, Schöpfer der Gottheit. Aber Luther fügt hinzu: »non in persona, sed in nobis [nicht in Person, sondern in uns]«40. Er meint damit, dass nur durch den Glauben Gott für einen Menschen sein Gott und also in der rechten Weise Gott wird.
Aber er betont, dass damit nicht Gott als Person, nicht Gott selbst konstituiert wird. Ein analoges Verständnis legt sich auch für die zitierte Umschreibung nahe: Das Evangelium konstituiert sich »für diejenigen, die an der Kommunikation teilhaben«, »erst im Vollzug von Kommunikation«41. Erst dadurch, dass die Kommunizierenden etwas in diesem Gespräch als Evangelium für sich ausmachen, wird es ihnen zum Evangelium. Dass das Evangelium sich aber – sit venia verbo – »in Person«, also als solches, nicht erst durch die Kommunikation konstituiert, ist m.E. für das rechte Verständnis der Formel entscheidend. Die Formel kann nicht nur die Einigung von Menschen, was für sie Evangelium sein könnte, beschreiben. Zwar kann man sich in der Situation von Schuld und Not, von Anfechtung und Zweifel oder Hoffnungslosigkeit darauf einigen, dass Vergebung, Hoffnung, Erlösung und Trost Evangelium wäre. Aber dass ein solches Evangelium auch tatsächlich gilt und dass es also Grund gibt, auf ein solches Evangelium zu hoffen und an es zu glauben, solches lässt sich nicht durch einen »kommunikative[n] Aushandlungsprozess[]«42 feststellen. Hier wäre in der Kommunikation vielmehr stets auf eine 35 36 37 38 39
Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 7), 158. Ebd., 324. Ebd., 181. Ebd., 169 (im Orig. hervorgehoben). Bernd Schröder / Michael Domsgen (wie Anm. 4), 9 (»Vorstellung, dass […] Evangeliums,« im Orig. hervorgehoben). 40 Martin Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius 1531, WA 40/I, 360, 6. 41 Bernd Schröder / Michael Domsgen (wie Anm. 4), 9 (Hervorgehoben von mir). 42 Christian Grethlein (wie Anm. 7), 145.
Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
sich nicht in der zwischenmenschlichen Kommunikation erschöpfende Wirklichkeit zu verweisen. Schließlich ist strittig, ob in der Formel auch ein genitivus subjectivus eingeschlossen ist.43 Ingolf Dalferth hat dies nachdrücklich herausgestrichen, und zwar gerade, um das Kriterium dafür, wann von Kommunikation des Evangeliums geredet werden kann, zu bestimmen: »[V]on einer Kommunikation des Evangeliums [kann] nur da die Rede sein …, wo es in den reziproken Kommunikationen zwischen Menschen um das geht, was sich selbst so kommuniziert, dass es Evangelium … genannt und als Evangelium weitergesagt zu werden verdient: Evangelium ist nur, was sich in, mit und unter menschlicher Kommunikation selbst als Evangelium kommuniziert.«44 Nur wenn es zu einer solchen Selbstkommunikation des Evangeliums in der menschlichen Kommunikation kommt, entsteht Glauben, d.h. erschließt sich Menschen das Kommunizierte als Evangelium. Dalferth macht so darauf aufmerksam: Bei der Kommunikation des Evangeliums geht es nicht nur um eine Kommunikation zwischen Menschen. Die Kommunikation des Evangeliums zwischen Menschen ist vielmehr Zeugnis von der »Kommunikation des Evangeliums zwischen Gott und Menschen«45. Gott kommuniziert sich selbst als Evangelium.46 Gäbe es letztere nicht, hätte erstere nichts zu sagen.47 In der Formulierung Luthers und in der Einsicht Dalferths drücken sich Grundüberzeugungen reformatorischer Theologie aus. Das Evangelium ergibt sich nicht aus einer Reflexion von Menschen auf ihr Leben – auch nicht durch einen Dialog von Menschen über ihr
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Leben. Es ist nichts, was Menschen sich selbst sagen können. Es kommt von extra nos. Denn es lebt von Gottes Handeln und Wirken, lebt davon, dass Gott sich im Evangelium dem Menschen als heilvolle Gegenwart zusagt. Diesem Gedanken soll im dritten Teil dieses Beitrags noch etwas genauer nachgegangen werden. 3. Die Kommunikation des Evangeliums und die Grenzen der Kommunikation
Wir haben das Evangelium immer nur durch menschliche Vermittlung, aber es ist mit keiner seiner Vermittlungsgestalten identisch. Dies bringt der Kommunikationsbegriff gut zum Ausdruck, insofern er festhält, dass keine Vermittlungsgestalt letztgültige Valenz hat oder unverrückbar ist. Kein Mensch hat das Evangelium zu seinem gedanklichen oder sprachlichen Besitz. Nur Jesus Christus war das Evangelium in Person. Auch drückt der Kommunikationsbegriff gut aus, dass sich das Evangelium dem Betreffenden als Evangelium erschließen muss. Das schließt ein, dass es sich in einer je anderen Situation in einem je anderen Charakter erschließt; dem einen erschließt sich das Evangelium in seinem Trost-Charakter, dem An-
43 Dagegen Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 16. 44 Ingolf U. Dalferth (wie Anm. 5), 99. 45 Ebd., 110 (Hervorhebung von mir; »Kommunikation des Evangeliums« im Orig. hervorgehoben). 46 Vgl. ebd., 101. 47 Vgl. ebd., 111.
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deren in seinem Hoffnungs-Charakter.48 Deswegen wäre die Reduktion auf eine feste Formel unangemessen. Der Kommunikationsbegriff schärft weiter ein, dass sich das Evangelium dem Anderen als Evangelium erschließen muss. Nur wenn er selbst das Evangelium als solches versteht, wenn es sich ihm erschließt, ist die Kommunikation geglückt. Durch den Kommunikationsbegriff kommt der Andere umfassend in den Blick. Schön ist auch, dass der Kommunikationsbegriff daran erinnert, dass es bei allen Beteiligten an diesem Kommunikationsprozess um Kommunikation des Evangeliums geht, also auch bei denen, die meinen, hier kommunizieren zu sollen. Auch sie werden im Kommunikationsprozess als Adressaten des Evangeliums thematisch.49 Sie sind mit dem Evangelium nicht fertig, sondern auch für sie soll es sich in der Kommunikation neu als Evangelium konstituieren. Insgesamt nimmt der Kommunikationsbegriff den Menschen in den Blick und entspricht damit der Wertschätzung des Menschen durch das Evangelium. Dennoch sollten genuin theologische Perspektiven nicht aufgegeben werden. Darum soll nun das extra nos, das in der Rede von der Selbstkommunikation des Evangeliums zum Ausdruck kommt, genauer gefasst werden. Diese könnte ja verstanden werden als »Chiffre für die Dimension des extra nos im Rahmen der Selbstdeutung von Glaubenden«.50 Kirchmeier versteht das so und erläutert, die Formel bringe »den Gedanken eines extra nos [zum Ausdruck], der … die Kommunikation des Evangeliums durch glaubende Personen prägt; schließlich deuten sich Glaubende als von Gott immer schon gedeutet und bringen genau das auch … zur Sprache«51.
Nun ist aber der Gedanke des extra nos und ein sich selbst Deuten als von Gott schon gedeutet zu unterscheiden von einem extra nos und von einem Gedeutetwerden durch Gott. Auch wenn wir das extra nos und das Gedeutetwerden von Gott nur im Gedanken und nur im Deuten haben, macht es doch einen Unterschied, ob dieses Denken und Deuten sich selbst noch einmal unterscheidet von seinem Grund: von Gott als den Menschen außerhalb seiner selbst begründend. Tritt das Denken und Deuten mit dem Anspruch auf, nur von sich zu reden, oder mit dem Anspruch, Zeugnis von Gott zu sein? Extra nos, das ist mehr als extra me. Das Evangelium ist nicht nur mehr, als ich mir selbst sagen kann, sondern – wie bereits gesagt – auch mehr, als Menschen sich gegenseitig sagen können. Das hängt daran, dass in ihm die Rede ist von Gott, von Gott als dem, der tut, was Menschen sich nicht selbst tun können. Nur er ist Schöpfer, Erlöser und Vollender. Diese externe Struktur wird in der christlichen Tradition zurückgeführt auf die Begegnung mit Jesus Christus, in dem Gott den Menschen nahegekommen ist. Deshalb gewinnt diese externe Struktur ihre Gestalt nur im Bezug auf die biblischen Texte, die von diesem Jesus Christus und seinem Gott Zeugnis geben. Die biblischen Texte sind deshalb nicht nur als Beispiele für die Kommunikation des Evangeliums anzusetzen, sondern auch als deren Grundlage, wie nun noch genauer zu erörtern ist. 48 Vgl. ebd., 100. 49 Vgl. ebd., 105. 50 Bernhard Kirchmeier (wie Anm. 3), 111. 51 Ebd.
Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
Der Bezug auf die biblischen Texte kann dabei, den Kommunikationsbegriff aufnehmend, rezeptionsästhetisch aufgefasst werden. Ulrich Körtner hat zur Aufnahme der Rezeptionsästhetik in der Theologie weitreichende Überlegungen vorgelegt, an die hier zu erinnern ist. Körtner führt aus: »[E]s kann von einem feststehenden Literalsinn eines Textes gar nicht mehr im herkömmlichen Sinne die Rede sein. Gewinnt der Leser eine textproduktive Funktion im Akt des Lesens, dann konstituiert sich allererst durch ihn ein möglicher Literalsinn des Textes.«52 Jeder Leser kann eine andere Bedeutung in dem Text entdecken. Wichtig ist Körtner aber für die theologische Aufnahme dieser Überlegungen, dass mit der Pluralität nicht Beliebigkeit einhergeht. Körtner orientiert das Lesen deshalb durch einen gemeinsamen Bezugspunkt der Autoren und der Leser: der Name Jesu Christi ist der »Richtungspfeil« (Ricoeur); er muss »als dieser die Einheit des Kanons stiftende Bezugspunkt benannt werden, insofern er dem Wort ›Gott‹ allererst eine eindeutige Richtung gibt«.53 Selbst wenn sich also nicht eine bestimmte dogmatische Formulierung als der Inhalt des Evangeliums ausmachen lässt, kann doch Gottes rechtfertigende Bezogenheit auf den Menschen in Jesus Christus als der Inhalt des Evangeliums und des Menschen Bezogenheit durch Christus auf Gott als die dem entsprechende Antwort umschrieben werden. Sie ist mit keiner Textaussage identisch, lässt sich aber nur in der Bezogenheit auf die biblischen Texte konturieren. Was Evangelium ist, kann man – wenn richtig ist, dass es sich durch den Rückbezug auf Person und Werk Jesu bestimmt – nur an den Texten ausfindig machen.
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Daraus folgt, dass in die Formel »Kommunikation des Evangeliums« die Bezogenheit des Evangeliums auf die Vorgegebenheit der biblischen Texte integriert werden müsste. Luther sei noch einmal als Beispiel genommen. Luther hätte sich eine gewisse Zeit lang sicherlich schnell mit anderen darauf einigen können, dass die Gerechtigkeit Gottes nicht als Evangelium zu verstehen ist. Nur dies, dass er die biblischen Texte sozusagen in den Kommunikationsprozess miteinbezogen hat, ihnen mit einem grundsätzlich positiven Vorurteil entgegengetreten ist und sich ihrer Widerständigkeit ausgesetzt hat, ließ ihn den Rechtfertigungsgedanken als Grundelement des Evangeliums entwickeln. Noch ein letzter Punkt: In vielen Überlegungen zur Kommunikation des Evangeliums wird betont, der Andere könne sich ablehnend oder zustimmend verhalten: »So wenig wir bewirken können, dass und wie unsere Mitteilungen verstanden werden, so wenig kann Gott bewirken, dass frei an seine gute Gegenwart geglaubt wird. Gottes Vergegenwärtigung bewirkt, dass Menschen unausweichlich vor der Alternative von Glaube oder Unglaube stehen«.54 Eine solche Beschreibung suggeriert eine Wahlfreiheit zum Glauben, die zumindest den Refor52 Ulrich H.J. Körtner, Der inspirierte Leser. Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik, Göttingen 1994, 95. 53 Ebd., 106. 54 Ingolf U. Dalferth (wie Anm. 5), 111 (Hervorhebung von mir). Vgl. Magnus Striet, Kindertheologie? Eine Verunsicherung, in: »Man kann Gott alles erzählen, auch kleine Geheimnisse«. Kinder erfahren und gestalten Spiritualität, Jahrbuch für Kindertheologie, Bd. 6, Stuttgart 2007, 14.
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matoren fremd ist. Die Reformatoren waren ja davon überzeugt, dass der Mensch gegenüber Gott keinen freien Willen besitzt. Ob er das Evangelium ablehnt oder ihm zustimmt, liegt nicht in seiner eigenen Entscheidung. Es liegt, traditionell gesprochen, an der Erwählung Gottes. Dieser Gedanke der Unverfügbarkeit ist im Konzept der »Kommunikation des Evangeliums« in gewisser Weise reflektiert, insofern das Gelingen der Kommunikation nicht in den Händen der Kommunizierenden liegt. Der Glaubende hat sich selbst gegenüber dem Evangelium als passiv erfahren; das Evangelium hat sich bei ihm eingestellt. Dies wird darin abgebildet, dass das Einstimmen auch des Anderen nicht erzwungen werden kann. Aber ist dies ausreichend? Für die Reformatoren gibt es keine Autonomie, sondern, in Luthers Worten, ein »sanftes Angezischtwerden, ein liebkosendes Angesäuseltwerden« durch den Heiligen Geist,55 angesichts dessen der Mensch nicht anders kann als glauben. Liegt in dieser Vorstellung nicht eine Grenze des Dialogs? Akzeptiert das Evangelium den Menschen wirklich als gleichberechtigten Partner? Es zwingt nicht, sondern gewinnt ihn. Aber es stellt sich doch nicht zur Disposition. Kann man z.B. die biblische Verheißung »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein« dialogisch aushandeln? Die systematisch-theologische Rückfrage lautete also: Kann in dem Konzept der Kommunikation des Evangeliums gedacht werden, dass es Momente des Zuspruchs gibt, bei denen ich still und dankbar schweige? Noch einmal anders zurückgefragt: Was genau ist mit der »Ergebnisoffenheit der Kommunikation des Evangeliums«56
gemeint? Könnte sich als Kommunikation des Evangeliums das Ergebnis einstellen, dass ein Mensch durch seine Werke gerechtfertigt wird, weil das allen Beteiligten am meisten einleuchtet? Oder wäre das eine Grenze dieser Offenheit? Diese Rückfragen laufen letztlich auf die Forderung hinaus, es müsse durch die Formel denkbar bleiben, dass sich im Leben von Menschen durch das Evangelium grundlegend Neues ereignet. Ist dies denkbar, dann ist auch möglich, dass nach wie vor von so etwas wie Zeugnis gesprochen werden kann, bei dem die einen von etwas erzählen, was sich anderen vielleicht in dieser Weise noch nicht erschlossen hat. Das muss nicht als »Wissen«, als verfügbarer Besitz verstanden werden und meint sicher auch kein »ganz oder gar nicht«. Aber wenn es in der Kommunikation des Evangeliums nur um eine »prinzipielle[] Wechselseitigkeit protestantischer Kommunikationskultur«57 geht, die dadurch charakterisiert wird, »dass sich Menschen in der Wirklichkeit ihres Lebens als religiös wahrnehmen«58, dann lässt sich das Evangelium nicht mehr als etwas bestimmen, dass sich Menschen nicht immer schon irgendwie erschlossen hat. Zwei Dinge sind gegen ein solches Verständnis des »immer schon« ins Feld
55 Vgl. Martin Luther, De servo arbitrio 1525, WA 18, 634, 37f: »blande assibilata«. 56 Christian Grethlein (wie Anm. 7), 182 (im Orig. hervorgehoben). 57 Birgit Weyel, Mission oder Kommunikation? Zur prinzipiellen Wechselseitigkeit protestantischer Kommunikationskultur, in: Wilhelm Gräb / Birgit Weyel (Hg.), Praktische Theologie und protestantische Kultur, Gütersloh 2002, 249. 58 Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 20.
Tietz Kommunikation des Evangeliums – in systematisch-theologischer Perspektive
zu führen. Zum einen lässt sich damit kein starker Sündenbegriff denken. Sünde kann dann höchstens noch getrübtes Gottesbewusstsein sein; religiös aber ist der Mensch immer. Dass es aber so etwas wie durch das Betroffenwerden von Gott gewirkte Wendepunkte im Leben eines Menschen gibt (und solche müssen nicht einmalig sein), in denen sich dem Menschen überraschend und unerwartet erschließt, dass er ohne Gott zu leben versuchte und nun mit Gott leben darf, das ist in diesem Konzept prinzipieller Wechselseitigkeit nicht denkbar. Und zum anderen ist mit einem solchen Verständnis die von Huldrych Zwingli entfaltete Unterscheidung von wahrer und falscher Religion nicht mehr denkbar. Zwingli hält jede Religion für falsch, die nach menschlichen Vorstellungen zurechtgezimmert wird, und erinnert daran: »Was … Gott ist, das wissen wir aus uns ebensowenig, wie ein Käfer weiß, was der Mensch ist.« Vielmehr »[glauben] die Frommen darum …, daß es einen Gott gibt und daß die Welt sein Werk ist usw., weil sie es so von Gott gelehrt worden sind. Also ist es einzig Gottes Werk, sowohl daß du glaubst, daß ein Gott ist, also auch, daß
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du diesem Gott vertraust.«59 Religiös zu sein und sich auf den christlichen Gott zu beziehen ist mithin nicht von vornherein identisch. Insofern mag es zwar richtig sein, dass mit der Formel, wenn es nur um die Kommunikation von religiösen Sachverhalten geht, »die Aufmerksamkeit der Praktischen Theologie … auf Vollzüge gelenkt wird, die Menschen prinzipiell zugänglich sind, auf Handlungen, bei denen also nicht – um auf Karl Barths Verkündigungsdialektik anzuspielen – permanent gefragt werden muss, wie sie bewerkstelligen sollen, wozu sie sich als Menschen doch gar nicht eigneten«.60 Will man aber daran festhalten, dass es bei der Kommunikation des Evangeliums nicht nur um Religion, sondern auch um Gott geht, dann wird man der Barthschen Dialektik zumindest an diesem Punkt nicht entkommen können.
59 Huldrych Zwingli, Kommentar über die wahre und falsche Religion, in: Huldrych Zwingli, Schriften III, hg. von Thomas Brunnschweiler / Samuel Lutz, Zürich 1995, 58 (Hervorhebung von mir). 60 Wilfried Engemann (wie Anm. 11), 26.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Reinhold Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
Wenn Kinder und Jugendliche über einen biblischen Satz nachdenken und dabei – im Idealfall – zum kreativen Theologisieren und Philosophieren angeregt werden, geschieht, so könnte man es deuten, Kommunikation des Evangeliums. Aus religionspädagogischer und religionsdidaktischer Sicht kann man die Situation als glückende Korrelation oder Elementarisierung oder Beziehungsaufnahme verstehen: Zwischen lernendem Subjekt, seinen elementaren Erfahrungen und Zugängen, entsteht eine Beziehung mit den elementaren biblischen Strukturen und Wahrheiten. Es erfolgt so etwas wie eine glückende Kommunikation des Evangeliums, denn beide, Mensch und Evangelium, kommen in »Resonanz«.1 Doch ist Kommunikation des Evangeliums nicht einfach als religionspädagogisches Konzept zu verstehen. Dazu müssen Ambivalenzen und Anfragen ausgelotet werden, um danach religionspädagogische Rekonstruktionen zur Kommunikation des Evangeliums vornehmen zu können. Als Hinführung zur einer Diskussion um die Kommunikation des Evangeliums soll am Beispiel des Themas »Zeit« das Terrain vermessen und die Problematik ausgelotet werden.
1. »Kommunikation des Evangeliums« als Zeitbotschaft – damals und heute? Streiflichter zur biblischen Zeitvorstellung
Es ist bemerkenswert, wird aber allzu leicht übersehen, dass die Kommunikation des Evangeliums, so wie sie uns in den neutestamentlichen Schriften überliefert ist, einen deutlichen Zeitbezug hat. Tief eingebettet in die Tradition jüdischer Gottesrede ist die Frohe Botschaft, die Jesus verkündet, eine Zeitbotschaft: »Die Zeit ist erfüllt« (Mk 1,15) – so beginnt bekanntlich Jesus im Markusevangelium seine Kommunikation des Evangeliums. Und ebenso eindrücklich und eindringlich drängt der markinische Jesus seine Zeitgenossen: »Seht euch also vor und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.« (Mk 13,33) Auch im Lukasevangelium mahnt Jesus, die »Zeit« bzw. die »Zeichen der Zeit« zu deuten (Lk 12,56) und wird nicht müde zu warnen: »Kommen werden die Tage …« (Lk 17,22 und 21,6) Die apokalyptischen Texte in allen Evangelien spitzen die Zeitbotschaft Jesu zu. Auch in den übrigen Schriften des Neuen Testaments ist die Verkündigung quasi ›unter Zeitdruck‹, beispielsweise bei Pau1 Zur Deutung des Bildungsprozesses als »Resonanz« im Anschluss an die soziologische Theorie der Weltbeziehung von Hartmut Rosa siehe den letzten Abschnitt dieses Beitrags.
Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
lus: »Und achtet auf die Zeit: Die Stunde ist gekommen, vom Schlaf aufzustehen.« (Röm 13,11) Und was ist schließlich die Apokalypse, die Offenbarung des Johannes, anderes als eine Zeitbotschaft? Sie beginnt mit der Ansage: »… denn die Zeit ist nahe« (Offb 1,3) und legt Zeugnis ab, dass »die Stunde der Ernte gekommen« ist (Offb 14,15 u.ö.) Diese wenigen und unsystematisch ausgewählten Beispiele sind Hinweise auf die zeitliche Struktur der Kommunikation des Evangeliums. Daneben könnte auf die zahlreichen Wachstumsgleichnisse hingewiesen werden, in denen ein kleines Senfkorn oder eine ausgesäte Saat aufgeht, wächst, gedeiht, groß und immer größer wird. Wachstum braucht Zeit, Wachstum ist Zeit. Das Kommen des Reiches Gottes ist somit zeitbedingt. Hierbei wird der berühmte Unterschied zwischen der verrinnenden, messbaren Zeit, dem Chronos, und dem besonderen, hervorgehobenen Zeitpunkt, dem Kairos relevant: Das Reich Gottes bricht in den Chronos ein, unterbricht ihn oder wird im Verlauf der Zeit sehnsüchtig erwartet. Wenn der Kairos gekommen ist, wird das Reich Gottes Wirklichkeit. Die Kommunikation des Evangeliums im Neuen Testament ist getragen von der Überzeugung, dass mit Jesus die göttliche Zeit angebrochen, herbeigekommen, ja, so sehr nahe gekommen ist, dass sie präsent ist. Zukunft und Gegenwart treffen sich im Kairos. Diese einführende Vergegenwärtigung soll die Zeitstruktur der Kommunikation des Evangeliums ins Bewusstsein rufen. Nicht selten hat sie einen stark drängenden Charakter. Theologisch gesehen ist Zeit ein biblisches Schlüsselthema.2 Die biblische Botschaft ist eine Zeit-Botschaft. Für das Alte wie
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auch für das Neue Testament gilt: Alle biblischen Aussagen, so Johann Baptist Metz, tragen einen »Zeitvermerk«.3 Im Blick auf die Frage nach Gott kann man formulieren: »Gott ist … das noch ausstehende Geheimnis der Zeit.«4 Knappe Zeit der Menschen heute
Analysiert man die gegenwärtige Zeit im Vergleich zur biblischen, sind die Menschen auf ganz andere Weise unter Zeitdruck. Die Zeit ist knapp, aber nicht, weil das Reich Gottes vor der Tür steht, sondern weil die Stunden, Tage und Wochen des Alltags so sehr ausgefüllt sind mit Terminen und Verpflichtungen, dass kaum mehr Luft zum Atmen bleibt. »Beschleunigung« ist eines der Hauptkennzeichen der späten Moderne.5 Die technische Beschleunigung durch Mobilitätsoptionen und beschleunigte Kommunikationsstrukturen bewirkt eine soziale Beschleunigung, die sich massiv auf das konkrete Leben der Menschen und ihr Zusammenleben mit anderen auswirkt. Soziologisch gesehene kann die Zeit heute folgendermaßen gedeutet werden: »Die Frage danach, wie wir leben möchten, ist gleichbedeutend mit der Frage, wie wir unsere Zeit verbringen wollen, aber die Qualitäten ›unserer Zeit‹, ihre Horizonte und Strukturen, ihr Tempo 2 Vgl. Jahrbuch für Biblische Theologie 2013, Neukirchen 2014, zum Thema »Zeit« in Bibel und Theologie. 3 Johann Baptist Metz, Memoria passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg i.Br. 2006, 129. 4 Ebd., 138. 5 Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne, Frankfurt a.M. 92012.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
und ihre Rhythmen, stehen nicht oder nur zu einem geringen Maße in unserer Verfügung. Zeitstrukturen sind kollektiver Natur, gesellschaftlichen Charakters; sie treten den handelnden Individuen stets in solider Faktizität entgegen.«6 Die Zeit liegt nicht mehr in unserer Hand, sie rinnt uns durch die Finger. Das Signum unserer Zeit ist deren Flüchtigkeit.7 Beschleunigung und Flüchtigkeit führen zu einer »Mentalität der kurzen Dauer«,8 einer »gezielten Kurzfristigkeit«,9 was Zygmunt Bauman als Ursache für tiefgreifende Veränderungen des sozialen Zusammenlebens ausmacht und für die er das Stichwort der »flüchtigen Moderne« (liquid modernity) als Grundsignatur bzw. Schlüsselmetapher unserer Zeit einführte. Die »flüchtige Moderne« stellt alles Bisherige in der Kulturgeschichte der Menschheit in den Schatten; dabei ist sie keine Leitperspektive für menschliches Handeln, sondern eine »negative Utopie«10 zur Gegenwartsbeschreibung. Die Lebensverhältnisse und Lebenswelten der Menschen passen sich der ökonomisch dominierten Kurzlebigkeit an: sie werden flüchtig. Die in allem erforderte kurze Dauer hat eminente Auswirkungen auf die Struktur menschlichen Zusammenlebens, das durch Zerfall und Abbau menschlicher Bindungen und Gemeinschaften gekennzeichnet ist. Beziehungen werden wie schnelllebige Konsumartikel gehandhabt.11 Bauman fragt sich in seiner Gesellschaftsanalyse sogar, ob mit der flüchtigen Moderne »das Ende der Definition des Menschen als eines sozialen Wesens«12 erreicht wurde? Stellt man sich nun der religionspädagogischen Herausforderung, wie beides zusammenkommen kann, Evangelium und Lebenswelt der Menschen von heute, wie
also Kommunikation des Evangeliums angesichts der Zeitstruktur des Evangeliums und der gegenwärtigen Zeitstrukturen erfolgen kann, wird deutlich, dass es keine einfachen, simplen »Korrelation« gibt. Haben die Menschen heute schlicht und ergreifend keine Zeit mehr für die Zeit des Evangeliums? Sind die Zeithorizonte zu unterschiedlich, sodass die elementaren Erfahrungen der Menschen keinen Draht mehr finden zu den elementaren Strukturen des Evangeliums? Oder gibt es »elementare Beziehungen« zwischen beiden Welten?13 Vor dem Hintergrund dieser und analoger Fragestellungen können die religionspädagogischen Anfragen an die Kommunikation des Evangeliums genauer expliziert werden. 2. Religionspädagogische Anfragen an das Konzept der Kommunikation des Evangeliums Ist das Konzept der Kommunikation des Evangeliums ambivalenzfähig?
Ein zentrales Stichwort zur Analyse und zum Verständnis unserer Zeit lautet: 6 Ebd., 15. 7 Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne, Frankfurt a.M. 2003, 131ff. 8 Ebd., 173. 9 Ebd., 15. 10 Ebd., 23. 11 Ebd., 193. 12 Ebd., 31. 13 Reinhold Boschki, Reinhold, Elementare Beziehungen. Der Elementarisierungsansatz in der Perspektive religionspädagogischer Anthropologie, in: Thomas Schlag / Henrik Simojoki (Hg.), Mensch – Religion – Bildung. Religionspädagogik in anthropologischen Spannungsfeldern, Gütersloh 2015, 467–477.
Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
Ambivalenz. Es geht um die Ambivalenz gesellschaftlicher Prozesse, Ambivalenz der Religion und Religionen, der Theologie selbst, Ambivalenz der Bildung und somit auch der religiösen Bildung. Die Ausgangsthese lautet: Nichts charakterisiert die momentane gesellschaftliche, geschichtliche, kulturelle – auch die kirchliche und religiöse – Situation mehr, als das sozial- und gegenwartsanalytische Stichwort der Ambivalenz. Dabei ist Ambivalenz kein Faszinationsbegriff, sondern ein Analysebegriff. Denn sowohl der Aufklärung – und mithin der Bildung, dem emanzipatorischen Programmbegriff der Aufklärung, – wie auch der Modernisierung wohnt eine tiefe Ambivalenz inne, da sie zwar einerseits Freiheit, Autonomie und eine Ausweitung der Lebensmöglichkeit intendiert und bewirkt, anderseits jedoch eine zerstörerische Tendenz hat, die die Träume des Projekts der Moderne in Alpträume verwandeln kann. Aufklärung und Moderne haben »letztlich spektakulär versagt«,14 denn sie haben ihre Versprechen, den Kampf gegen die Ambivalenz zu gewinnen, an keiner Stelle der historischen Entwicklung eingelöst, wie Bauman über die Thesen Theodor W. Adornos und Max Horkheimers in deren »Dialektik der Aufklärung«15 hinaus argumentiert. Im Gegenteil, der Versuch der abendländischen Aufklärung, die Welt zu humanisieren, führte in den Abgrund der menschlichen Geschichte, der den Ortsnamen Auschwitz trägt. Der Prozess der Aufklärung, die Moderne und ebenso die damit verbundene Bildung haben spektakulär versagt. Denn mitten im gebildeten und kulturell scheinbar hochstehenden Europa haben gebildete und äußerlich kultivierte Täter die Mas-
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senvernichtung von Menschen in die Realität umgesetzt, wie Bauman an anderen Stelle analysiert. »Der Holocaust wurde inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hochentwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen; er muss daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.«16 Was in diesem Zusammenhang christliche Theologie am meisten verunsichert, ist die Tatsache, dass das gebildete und kulturell hochstehende Europa ein christlich geprägtes Europa war, das sogenannte »christliche Abendland«, das sich manche heute wieder idealisiert und verbrämt herbeisehnen. Offenbar hatte das Christentum weder die Kraft noch die Möglichkeit, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die Massenschlachtfelder des Ersten und Zweiten Weltkriegs zu verhindern, auch nicht den Rassenantisemitismus, der sich zur nationalsozialistischen Kernideologie entwickelte, und die daraus hervorgegangene fatale Katastrophe der Massentötung von Menschen, denen man das Lebensrecht absprach. »Christlich geprägtes Europa« heißt in unserem Zusammenhang, die Kommunikation des Evangeliums hatte stattgefunden. Aber mit dieser Kommunikation ist wohl etwas gründlich schief gegangen. 14 Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit [Modernity and Ambivalence, Ithaca, N.Y. 1991], Hamburg 2005, 37. 15 Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1944], Frankfurt a.M. 2000. 16 Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust [Modernity and the Holocaust, Ithaca, N.Y. 1989], Hamburg 1992, 10.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Wie an dieser Auseinandersetzung deutlich wird, ist Kommunikation des Evangeliums nicht selbstredend oder selbstevident. Man kann nicht sagen, wenn sie stattfindet, wird alles gut. Kommunikation des Evangeliums ist, wie Bildung insgesamt: ambivalent. In bildungstheoretischer Hinsicht wurden die Konsequenzen aus einem Bewusstsein für die Abgründe der Moderne bereits vielfach diskutiert.17 Als eine zentrale Konsequenz der Beschäftigung mit dieser historisch singulären Situation kann eine Konzeption von Bildung erarbeitet werden, »… die Bildungsprozesse als sich radikalisierende Prozesse der Wahrnehmung und Anerkennung anderer und der produktiven Verarbeitung von kultureller Differenz versteht«.18 Mit anderen Worten, Bildung kann sich durch ein Bewusstwerden der Ambivalenzen der Moderne in einer konstruktiven Weise rekonstituieren, die den Anderen in seiner Fremdheit und Differenz wahrnimmt und anerkennt. Strukturanalog könnte diese bildungstheoretische Erkenntnis auf das Feld theologischer Erkenntnis und religiöser Bildung und ebenso im Blick auf den Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums angewandt werden. Angesichts von Ambivalenz spreche ich versuchsweise von »Ambivalenzkompetenz« im Feld religiöser Bildung. Zur religiösen Bildung – und damit auch zur Kommunikation des Evangeliums – gehört wesentlich die Kompetenz, Religion und deren Kontexte in ihrer Ambivalenz zu erkennen, sie auszuhalten, mit ihr umgehen und sie gestalten zu lernen.19 Der muslimische Religionspädagoge Zekirija Sejdini bringt es im Blick auf seine Religion auf den Punkt, was strukturanalog auch Christen in ihrer Religion zu unter-
nehmen haben. Es geht um einen »reflektierten Umgang mit den Ambivalenzen innerhalb der eigenen Religion.«20 Und weiter: »Die Auseinandersetzung mit einigen dieser Ambivalenzen zeigt, dass es unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Zugänge zur Religion schon immer gegeben hat und wahrscheinlich auch in Zukunft geben wird. Daher besteht die Aufgabe darin, sich dieser Ambivalenzen bewusst zu werden und sich aus diesem Grunde als ständig Suchender und nicht als Besitzer der Wahrheit zu verstehen.«21 Die vorstehenden Überlegungen sollen eine Reflexion über die Ambivalenzfähigkeit des Konzepts der Kommunikation des Evangeliums anregen. Viel knapper werden nun weitere Anfrage gestellt und kurz begründet. Ist das Konzept der »Kommunikation des Evangeliums« säkularitätsfähig?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums als Grundlange für religionspädagogische Reflexion und Konzeptualisierung tauglich ist, wenn sich religiöse Bildung im Kontext einer »öffentlichen Religionspädagogik«22 17 Stellvertretend sei erwähnt: Helmut Peukert, Bildung in gesellschaftlicher Transformation, Paderborn 2015, insbes. 153–231. 18 Ebd., 218. 19 Maria Juen / Gunter M. Prüller-Jagenteufel / Johanna Rahner / Zekirija Sejdini (Hg.), Anders gemeinsam – gemeinsam anders? In Ambivalenzen lebendig kommunizieren, Ostfildern 2015. 20 Zekirija Sejdini, Inmitten von Ambivalenzen im Islam, in: ebd., 68. 21 Ebd. 22 U.a. Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Lebenswelten, Stuttgart 2015.
Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
versteht oder wenn religiöse Bildung, wie Thomas Schlag schreibt, in die »Horizonte demokratischer Bildung«23 eingeschrieben werden soll. Kann der hier diskutierte Leitbegriff in einer säkularen Gesellschaft ausreichend plausibel gemacht werden? Ist er also »ad extra« kommunikabel und verstehbar für Menschen ohne christlich-theologischen Background, sollte er überhaupt in der Diskussion mit anderen Wissenschaften und gegenwärtigen Weltanschauungen Verwendung finden? Oder ist der Begriff nicht viel eher eine Klärung und Vergewisserung »ad intra«, also beispielsweise für Praktische Theologie, Pastoraltheologie, kirchliche Handlungsvollzüge, um sich seiner eigenen Aufgaben bewusst zu werden? Kann man dann noch von einem »Leitbegriff« sprechen, der alle kirchlichen Denk- und Handlungsfelder erkenntnisleitend umschließen soll?24 Die Frage ist also: Ist christlicher Glaube, der im »säkularen Zeitalter«25 nur als Optionalität kontextualisiert werden kann, über einen Leitbegriff gesprächsfähig, der für die meisten Menschen keine unmittelbare Relevanz besitzt und eher Ängste der Vereinnahmung oder Subsumierung unter ein Glaubenssystem schüren kann? – Analoges kann nun für eine dritte Frage gesagt werden. Ist das Konzept der Kommunikation des Evangeliums pluralitätsfähig?
Die Diskussion um die Pluralitätsfähigkeit der Religionspädagogik, die in erster Linie mit Karl Ernst Nipkow begann,26 hat in den vergangenen Jahren zu einer bedeutenden Zunahme an Erkenntnis und einer Vielzahl an Studien geführt, die eine weitere Stufe in der Kontextualisierung religiöser Bildung in spätmoderne Le-
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benswelten darstellen.27 Im Blick auf das Konzept der Kommunikation des Evangeliums ist zu fragen: Passt dieser Leitbegriff in den Horizont einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik? Oder könnte er in manchen Settings eher einschränkend, diskussionsverhindernd wirken? Könnten sich Religionspädagoginnen und Religionspädagogen aller Konfessionen mit diesem Begriff identifizieren? Ich habe Zweifel und vermute eher nicht, wenn ich die Landschaft der deutschsprachigen Religionspädagogik überblicke. Und wie sieht es mit christlich-orthodoxen Kolleginnen und Kollegen aus? Wenn der Begriff also nicht einmal ökumenisch pluralitätsfähig ist, wie kann er dann im Gespräch mit anderen Weltanschauungen weiterführen? Oder gar mit anderen Religionen? Ist das Konzept der Kommunikation des Evangeliums dialogfähig – zum Beispiel im Dialog mit Juden und Muslimen?
Wenn ich an den in den Kinderschuhen steckenden Diskussionsprozess zwischen christlichen und muslimischen Religions23 Thomas Schlag, Horizonte demokratischer Bildung. Evangelische Religionspädagogik in politischer Perspektive, Gütersloh 2010. 24 Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 2012. 25 Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Berlin 2012. 26 Karl Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt, 2 Bände (Band 1: Moralpädagogik im Pluralismus, Band 2: Religionspädagogik im Pluralismus), München/Gütersloh 1998. 27 U.a. Rudolf Englert et al., Welche Religionspädagogik ist pluralitätsfähig? Strittige Punkte und weiterführende Perspektiven, Freiburg i.Br. 2012.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
pädagogiken denke, kommen auch hier erhebliche Zweifel auf, ob der Leitbegriff Kommunikation des Evangeliums zielführend sein kann. Natürlich werden christliche Religionspädagoginnen und -pädagogen das Evangelium im Dialog nicht verstecken und selbstverständlich kann oder eher muss ihre Grundhaltung im Austausch mit Muslimen evangeliumsgemäß sein. Ob man sich aber beispielsweise über interreligiös-kooperative Religionsunterrichtsprojekte verständigen könnte, wenn es der christlichen Seite um Kommunikation des Evangeliums geht, ist mehr als fraglich, da Muslime versteckte Ziele und Absichten vermuten könnten. Ebenso ernst ist dieser Punkt im Blick auf das Gespräch mit jüdischer Religionspädagogik. Zunächst muss selbstkritisch gefragt werden: Warum sprechen wir von »Kommunikation des Evangeliums« und nicht von »Kommunikation der ganzen Offenbarung im Ersten und Zweiten Testament«? Fällt bei der Konzentration auf das »Evangelium« die Offenbarung am Sinai, in der prophetischen Literatur, in den Psalmen und Büchern der Geschichte unter den Tisch? Oder ist sie stillschweigend mitgemeint, aber eben stillschweigend? Wird sie, die Offenbarung in der Tora Israels, von der das Volk der Juden bis heute zehrt, nur als vorläufig betrachtet, als Hinführung zur eigentlichen Offenbarung im Evangelium Jesu Christi? Und wäre eine solche theologische Haltung dann – auch wiederum als selbstkritische Frage – nicht wieder in der Logik einer Überhöhungs- oder Substitutionschristologie, die die Christentumsgeschichte so unsäglich begleitet und durchdrungen hat? Die entscheidende Frage an das Konzept der Kommunikation des Evangeliums lautet also
diesbezüglich: Sind wir mit der Rede von der Kommunikation des Evangeliums auf der Höhe einer erneuerten Theologie des christlich-jüdischen Verhältnisses? Ist das Konzept der Kommunikation des Evangeliums anschlussfähig an die internationale religionspädagogische Diskussion?
Nur kurz sei erwähnt, dass diese Frage ganz und gar verneint werden muss. Die internationale religionspädagogische Diskussion, wie sie sich etwa in der Vereinigung des International Seminar on Religious Education and Values (ISREV) widerspiegelt (beispielsweise auf den Kongressen 2014 in York, 2016 in Chicago, 2018 in Nürnberg), ist an einen Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums keineswegs interessiert. Die meisten Forscherinnen und Forscher, etwa aus Finnland, Norwegen Schweden, Niederlande, Südafrika, Australien, den USA oder Großbritannien sind (außer, wenn sie an den wenigen kirchlichen Hochschule oder Universitäten lehren) an Abteilungen wie Erziehungswissenschaft, Psychologie, Religionssoziologie, Religionsphilosophie etc. beschäftigt, haben die Theologie also keineswegs als Bezugsdisziplin. Außerdem sind sie multireligiös zusammengesetzt. In den Diskussionen um Multifaith Religious Education, um Gender and Religion, Intersectionality, Spirituality, Peace Education und so weiter wäre der Leibegriff Kommunikation des Evangeliums m.E. eher hinderlich als fruchtbar. Aus diesen Gründen ist für die religionspädagogische Rezeption der Kommunikation des Evangeliums eine Art Bescheidenheit gefragt und ein Bewusstsein
Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
für die Begrenztheit des Konzepts. Angesichts solcher gravierender Anfragen muss das Konzept der Kommunikation des Evangeliums im Horizont religiöser Bildung neu reflektiert werden. 3. Religionspädagogische Qualifizierung des Konzepts der »Kommunikation des Evangeliums« Kommunikation des Evangeliums als »als dialogische Begegnung mit Menschen«
Herkunft (u.a. Ernst Lange im Anschluss an Johannes C. Hoekendijk) und Weiterführung (u.a. Christian Grethlein, Wilfried Engemann, Bernd Schröder und andere) der Leitidee der Kommunikation des Evangeliums wurde schon oft genug beschrieben, weshalb es hier nicht wiederholt werden muss. Norbert Mette hat sie als »dialogische Begegnung mit Menschen«28 beschrieben. In dieser Weise konfiguriert, überwindet das Programm einige Schlagseiten und Schwierigkeiten, die mit oben genannten Anfragen korrespondieren. Mettes Anliegen ist es, die Einheit der praktischen Theologie und Religionspädagogik zu wahren. Er sieht in dem Begriff eine große Chance, die vielfältigen Handlungsfelder der Kirche einheitlich theologisch grundzulegen. Und ein zweites: Mette will den Begriff der Kommunikation des Evangeliums gegen einen autoritätslastigen Verkündigungsbegriff stark machen. Vielleicht kann man aus genuin religionspädagogischer Perspektive noch ein drittes ergänzen: Gegen einen subjektlosen Vermittlungsbegriff, der die Inhalte in den Vordergrund stellt und die Vermittlung als Prozess der Übermittlung
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konzeptualisiert – so als gelte es, allein durch geschickte Methoden der Vermittlung die Inhalte eins zu eins beim »Adressaten« einzupflanzen – wird das Konzept der Kommunikation des Evangeliums inhaltlich als Begegnung qualifiziert. Dies setzt einen theologisch und gleichermaßen sozialwissenschaftlich qualifizierten Begriff von »Kommunikation« voraus, aber auch, wie Mette betont, eine praktisch-theologische Subjekttheorie. Hierzu greift er auf Henning Luther und andere Ansätze zurück, die den Menschen in seiner theologischen Dignität verstehen, seine Lebenswirklichkeit theologisch ernst nehmen und somit Kommunikation des Evangeliums als echtes Beziehungsgeschehen zu realisieren beabsichtigen. Nur so kann »religiöse Erziehung und Bildung als Befreiung aus in Entfremdung gehaltenem Leben«29 realisiert werden. Glaube ist für Mette eine kommunikative Praxis. Hier greift er neben einer kritischen Reflexion des Kommunikationsbegriffs bei Jürgen Habermas auf Johann Baptist Metz, Helmut Peukert und Edmund Arens zurück, um den Kommunikationsbegriff theologisch ebenso wie kritisch-theoretisch zu schärfen. Neuerdings hat Mette den Ansatz etwas weiter geführt.30 Um die Kommunikation des Evangeliums zu qualifizieren, ist eine Zusammenschau verschiedener Dimensionen wichtig: die intersubjektive Di28 Norbert Mette, Einführung in die katholische Praktische Theologie, Darmstadt 2005, 62–99. 29 Ebd., 85. 30 Norbert Mette, ›Kommunikation des Evangeliums‹ und ›Katechese‹: Ein Widerspruch?, in: Stefan Altmeyer / Gottfried Bitter / Reinhold Boschki (Hg.), Christliche Katechese unter den Bedingungen der ›flüchtigen Moderne‹, Stuttgart 2016, 115–124.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
mension – Kommunikation vollzieht sich zwischen Subjekten; die gegenständliche bzw. inhaltliche Dimension – Kommunikation handelt von etwas; die kontextuelle Dimension – Kommunikation geschieht immer in bestimmten Situationen und Kontexten; die mediale Dimension – Kommunikation bedient sich verschiedener Medien und vollzieht sich in einem bestimmten Modus; die intentionale Dimension – Mit Kommunikation werden bestimmte Absichten und Ziele verfolgt. Will Glaubensweitergabe, klassischerweise Katechese genannt, in unserer Welt Bestand haben, muss sie sich, so Mette, unter den Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums stellen und als Begegnung realisiert werden. Eine solche Sichtweise ist in der biblischen Botschaft bereits grundgelegt: »Die Verkündigung des Evangeliums vollzieht sich als Gespräch.«31 Das Evangelium hat eine dialogische, nicht monologische Struktur. Für die Kommunikation des Evangeliums ist deshalb von den Ursprüngen her und für heute »Dialog fähigkeit«32 das zentrale Prinzip. Kommunikation des Evangeliums als »Bildung in Beziehung«
Kommunikation des Evangeliums in religionspädagogischer Perspektive muss mit einem qualifizierten Begriff von religiöser Bildung in Verbindung gebracht werden. Ein breites Verständnis von religiöser Bildung liegt profiliert im Werk von Karl Ernst Nipkow vor. Die von ihm hervorgehobenen zentralen Dimensionen der abendländischen Bildungstheorie können auch religionspädagogisch fruchtbar gemacht werden.33
Demnach hat Bildung und mithin religiöse Bildung immer eine gesellschaftlich, politische und kulturelle Dimension, eine utopisch-zukunftsgerichtete, eine subjektorientierte, eine traditionsorientierte und eine dialogische. Nur im Zusammenspiel all dieser Dimensionen – ergänzend wäre wohl noch die ästhetische und leibliche Dimension zu nennen – kann (religiöse) Bildung ihren Tiefgang erreichen. Wird eine der Dimensionen vernachlässigt oder ausgeblendet, bekommt Bildung Schlagseite, beispielsweise könnte sie ohne die politische und utopische Dimension individualistisch verkürzt werden. Auch die Kommunikation des Evangeliums ist politisch und muss sich ihrer Verantwortung gegenüber menschenfeindlichen Tendenzen in Gegenwart und Gesellschaft bewusst sein. Ein anderes Beispiel wäre, wenn – wie so oft in der Geschichte – religiöse Bildung allein auf eine Vermittlung der Tradition ausgerichtet würde und dabei Gefahr liefe, den dialogischen Charakter und die Begegnungsorientierung aller Bildung aus dem Blick zu verlieren. Die Leitidee der Kommunikation des Evan31 Thomas Söding, Das Christentum als Bildungsreligion. Der Impuls des Neuen Testaments, Freiburg i.Br. 2016, 236. 32 Ebd., 237. 33 Karl Ernst Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung. Kirchliche Bildungsverantwortung in Gemeinde, Schule und Gesellschaft, Gütersloh 21992, insbes. 32–37; vgl. Albert Biesinger / Reinhold Boschki, Karl Ernst Nipkows Bildungstheorie als Impuls – auch für die katholisch-theologische Religionspädagogik, in: Friedrich Schweitzer / Volker Elsenbast / Peter Schreiner (Hg.), Religionspädagogik und evangelische Bildungsverantwortung in Schule, Kirche und Gesellschaft. Mit Karl Ernst Nipkow weiterdenken, Münster 2016, 143–152.
Boschki Kommunikation des Evangeliums – in religionspädagogischer Perspektive
geliums ist stets in einem umfassenden Konzept religiöser Bildung zu realisieren. Kommunikation des Evangeliums als »Resonanzraum« – besonders im Kontext von Kinder- und Jugendtheologie
Eher als Ausblick denn als systematische Entfaltung sei darauf verwiesen, dass Bildungsprozesse im Anschluss an den Soziologen Hartmut Rosa resonanztheoretisch reflektiert und konzeptualisiert werden können.34 Angesichts der eingangs kurz gestreiften Zeitstruktur heutiger Lebenskontexte formuliert er: »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.«35 Mir scheint, dass das Konzept der Kommunikation des Evangeliums und besonders das Anliegen und Programm der Kinder- und Jugendtheologie in diesem Denkkontext weiterführende Impulse erhalten können. Resonanz, so Rosa, ist eine spezifische Form der Weltbeziehung von uns Menschen und ist von daher ein relationaler Begriff. Er geht davon aus, dass Menschen als Menschen in einem responsiven Verhältnis zur Welt stehen. Ihre Weltbeziehung kann gelingen oder misslingen. »Resonanz … bezeichnet ein wechselseitiges Antwortverhältnis, bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich zu berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen. Eine Resonanzachse existiert also erst und nur dort, wo das Subjekt durch die Welt ›zum Klingen‹ gebracht wird, aber umgekehrt auch Welt ›zum Klingen‹ oder, weniger blumig formuliert: zum entgegenkommenden Reagieren oder Antworten zu bringen vermag. Subjekte wollen Resonanzen gleichermaßen erzeugen wie erfahren.«36
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In diesem Sinne kann Bildung als erfolgreiche Etablierung von Resonanzbeziehungen gedeutet werden, was weit über ein kompetenzorientiertes Verständnis hinausgeht.37 Die Aufgabe der Lehrenden ist es, die Stimme der Lernenden hörbar zu machen, ihr Verhältnis zur Welt und zum Thema des Unterrichts zum »zum Klingen und zum Schwingen« zu bringen.38 Dazu gehört auch Widerspruch, Nachhaken, Sich-Widersetzen. Sie können Momente des Berührt-Werdens und gegenseitigen Berührens sein. Gegenseitiges Berühren, in Resonanz bringen, Resonanzbeziehungen ermöglichen – dies alles sind auch Grundanliegen sowohl der Kommunikation des Evangeliums wie auch der Kinder- und Jugendtheologie. Letztere will genau das: die Stimme der jungen Menschen zum Klingen und Schwingen bringen und ihnen dadurch eine theologische Dignität zusprechen. Wenn dies wenigstens ansatzweise gelingt, geschieht Kommunikation des Evangeliums. Wird diese Leitidee im Horizont einer umfassenden Theorie religiöser Bildung durchbuchstabiert, werden die verschiedenen Dimensionen religiöser Bildung und die oben genannten Anfragen berücksichtigt, kann Kommunikation des Evangeliums auch in religionspädagogischer Perspektive Zukunft haben.
34 Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016; Hartmut Rosa / Wolfgang Endres, Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert, Weinheim 2016. 35 Hartmut Rosa (wie Anm. 34), 13. 36 Ebd., 270. 37 Ebd., 58 und 402–420. 38 Hartmut Rosa / Wolfgang Endres (wie Anm. 34), 51.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Bernd Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen
Kommunikation des Evangeliums ist ein Begriff, der mir in meiner Arbeitssprache norwegisch – »evangeliets kommunikasjon« – wenig begegnet. Der Begriff selbst gehört daher auch nicht zum meinem Arbeitswerkzeug an meinem Arbeitsplatz in der praktisch-theologischen Ausbildung für Diakone, Katecheten, Kantoren und Pfarrer der norwegischen Kirche. Google verrät mir, dass der Begriff im evangelikalen Bereich des norwegischen Christenlebens durchaus in Gebrauch ist – vorwiegend als amerikanischer Import. Wenn ich zum Verständnis des Begriffes aus norwegischer Perspektive etwas beitragen soll, halte ich es für interessanter, Aspekte dieses Begriffes im Mainstream der norwegischen Praktischen Theologie aufzusuchen. Ich versuche mit anderen Worten zu beleuchten, warum der Begriff in der norwegischen Kirche kein ›buzzword‹ ist, und was an seine Stelle tritt. Ich möchte Kommunikation des Evangeliums vorläufig und vereinfacht mit einem Aspekt der Mittelbarkeit verbinden: Hier geht um Verkündigung des Evangeliums außerhalb des traditionellen predigt-, bibel- und traditionsorientierten Sprachspiels. Es geht um Verkündigung in einem anderen Gewand. In Norwegen denkt man da schnell, um eine Antwort vorweg zu nehmen, an das Gewand von Handlungspraxis im Sinne des Trondheimer Bischofs Tor Singsaas,
der von seiner Region Tröndelag sagt: »Für einen Trönder ist Glaube leichter getan als gesagt«. Oder an das Gewand der Diakonie im Sinne des Franz von Assisi zugeschriebenen Zitates: »Verkündigt das Evangelium, und wenn es nötig sein sollte, dann auch mit Worten«. Mit dieser Mittelbarkeit verbindet sich auch der Begriff der Anschlussfähigkeit. Man könnte meinen, dass Anschluss fähigkeit in erste Linie ein Problem der Deutschen Bahn sei, aber der Begriff und die damit verbundene Problemanzeige spielen auch in der deutschsprachigen praktischen Theologie eine wichtige Rolle, wo man oft befürchtet, dass der Zug der Moderne ohne Theologie und Kirche abfährt. Es geht also um die Verkündigung des Evangeliums in einer anderen Gestalt als der Form der Anrede in einem traditions-, bibel- und theologie-geprägten sprachlichen Gewand, und der Frage nach einer vielleicht notwendigen Erneuerung oder Ersetzung dieser Sprache. Ich werde drei Impulse dazu aus dem norwegischen Kontext vorstellen: 1. Eine kulturanthropologisch und religionswissenschaftlich inspirierte kontextuelle Theologie, am Beispiel des nordnorwegischen Religionswissenschaftlers und Theologen Roald Kristiansen und des von ihm so genannten Küstengottes. 2. Eine befreiungstheologisch inspirierte kontextuelle Praxis am Beispiel der Stra-
Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen
ßengottesdienste der diakonalen Einrichtung Kirkens Bymisjon in den norwegischen großen Städten 3. Zu den beiden praktisch-theologischen Impulsen kommt drittens ein pädagogischer: Das Lernverständnis des empirischen Forschungsprojektes der Osloer theologischen Gemeindefakultät mit dem Namen Letra, Learning and Knowledge Trajectories in Congregations, und damit verbunden das norwegische ›buzzword‹ der sogenannten Glaubenspraxisen.1 Die drei Impulse sind subjektiv gewählt; sie markieren Aspekte kirchlichen Denkens in Norwegen, die mir, mit deutschen Augen gesehen, anders und herausfordernd erscheinen – mit manchen bin ich nicht einig, sie erscheinen mir aber bedenkenswert. 1. Kultur als Kontext der Theologie
Kurz zum Hintergrund kontextueller Theologie in Norwegen: Norwegen ist in kultureller und religiöser Hinsicht eine stark regionalisierte Gesellschaft.2 Der Norden Norwegens, wo ich arbeite, verstand sich bis in die letzten Jahre hinein und versteht sich zum Teil immer noch als eine Art interne Kolonie in einem Abhängigkeits- und Gegensatzverhältnis zum Süden des Landes mit den dichter besiedelten Regionen und der Zentralregierung in Oslo. Im kirchlichen Bereich kam diese Andersartigkeit des Nordens geschichtlich gesehen sehr deutlich zum Tragen, indem die Kirche als Vertreterin der zentralen Obrigkeit, deren Obrigkeitsfunktionen sie wahrnahm, in einem natürlichen Gegensatz zur Bevölkerung und deren Interessen stand. Dieser Gegensatz wurde dadurch verstärkt, dass Nordnorwegen ein traditionell multi
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ethnisches Gebiet ist, mit samischen, finnischen, norwegischen und russischen Einschlägen, Verbindungen und Impulsen. In diesem Kontext formierte sich in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine eigene nordnorwegische theologische Stimme. Theoretisch holte sich dieser Versuch Hilfe bei der kontextuellen Theologie, und bezog sich dabei auf deren kulturanthropologischen Zweig, mehr als den befreiungstheologischen.3 Kontext steht also für einen empirisch kulturwissenschaftlich beschreibbaren Kontext, nicht in erster Linie für den wirtschaftlich und politisch beschreibbaren. Der Religionswissenschaftler und Theologe Roald Kristiansen war eine wichtige Stimme in diesem Zusammenhang. Mithilfe kulturanthropologischer und religionswissenschaftlicher Analysewerkzeuge beschreibt Kristiansen die in Nordnorwegen ansässige Alltagsreligiosität und deren grundlegende Struktur als Geltungshorizont von Theologie. Was das bedeutet, lässt sich aufgrund seiner Exotik einfach darstellen am von Kristiansen so genannten nordnorwegischen Küstengott: Gott, der im nordnorwegischen Volksmund als ›Vårherre‹, also etwa ›Unser Herrgott‹ bezeichnet wird, »repräsentiert die Hoffnung, die dem Menschen den Willen und die Kraft zu leben gibt«.4 In einer Um1 http://letra.mf.no/ [Zugriff: 19.01.2017]. 2 Z.B. Repstad Pål, Botvar / Pål Ketil / Aagedal Olaf, Regionaliseringen av norsk religiøsitet, in: Pål Botvar / Pål Kjetil / Ulla Schmidt (Red.), Religion i dagens Norge. Mellom sekularisering og sakralisering, Oslo 2010, 44–59. 3 Stephen Bevans, Models of Contextual Theology, New York 2006. 4 Roald Kristiansen u.a., Religion i kontekst. Bidrag til en nordnorsk teologi, Oslo 1996, 60.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
welt, die oszilliert zwischen elementarer Bedrohung durch Unwetter, Lawinen, Schnee und Eis, Dunkelheit, Kälte und Hunger einerseits und unglaublichem verschwenderischem Überfluss an allem, was die Natur gibt anderseits, ist Unser Herrgott der Grund für die Hoffnung des Einzelnen. Glaube in diesem Sinne begründet Hoffnung in Not und Bedrohung. Zu diesem Gottesglauben gehört, dass auch mein Nachbar, auf den ich angewiesen bin, das bekommt, was er zum Leben braucht. Nachbarschaft ist überlebensnotwendig. Sie zu verletzen, wäre ein Sakrileg. Kristiansen untersucht die Strukturen dieses Küstenglaubens als Geltungshorizont des Evangeliums. Wichtige Grundstrukturen sind neben Hoffnung und Lebensmut, auch Ausgeliefertheit, Zusammenhalt und Fürsorge und nicht zuletzt der Ort, der geographische Ort des Lebens mit seinen konkreten Möglichkeiten und Herausforderungen. In diesen Strukturen oder Kategorien spielt nach Kristiansen Glauben sich ab, sie bilden seinen Geltungshorizont; in ihnen wird Glaube erfahrbar. Zugespitzt formuliert, bestimmt und begrenzt der konkrete menschliche Kontext mit seinen Strukturen den Geltungsumfang des Evangeliums. Theologie, Verkündigung und Evangelium wird nur dann verständlich, wenn sie in diesen Geltungshorizont eintritt und in ihm erfahrbar wird. Ohne diese Kontextualisierung bleibt sie ein kolonialer Fremdkörper. Natürlich ist die Darstellung des »Küstengottes« in dieser Kürze sehr vereinfacht. Die von Kristiansen gewählte Zugangsweise bringt außerdem allerlei hermeneutische Gefahren der Essentialisierung und Romantisierung mit sich.
Aber die Schlussfolgerung ist trotzdem wesentlich: Kommunikation des Evangeliums ist in dieser Hinsicht auf den konkreten, geographisch platzierten und empirisch beschreibbaren kulturellen und alltagsreligiösen Kontext von Vorstellungen und Handlungsmustern als Geltungsbereich angewiesen, um erfahrbar zu werden. Zur kulturanthropologisch beschriebenen volkstümlichen Religiosität bei Kristiansen gehört aber noch ein anderer Aspekt: Der religiöse Bereich, in dem die Kirche und ihr Evangelium eine zentrale Funktion hat, ist nicht der einzige Machtbereich, zu dem Menschen sich verhalten müssen; Gedeih und Verderb hängt auch mit anderen Mächten zusammen, mit denen man es sich nicht verderben kann.5 Unser Herrgott koexistiert im traditionellen Nordnorwegen mit verschiedenen anderen mythischen Mächten und Wesen. Der Mensch lebt seinen Alltag in einem Verhandlungsspielraum zwischen dem kirchlichen Gott und anderen Mächten. Kommt die Kirche zu nahe, ist das nicht ganz geheuer, und es macht die Dinge kompliziert. Kristiansen sammelt Geschichten von sogenannten Schwarzbuchpfarrern: das sind Pfarrer, die so volkstümlich waren, dass ihre Nähe den Gemeinden unheimlich wurde. Das findet seinen narrativen Ausdruck darin, dass, über solche Pfarrer Sagen kursieren: Man erzählt, sie läsen Zauberformeln aus schwarzen Büchern und oder, dass sie Verbindung zum Teufel hätten. Zur Verhältnisbestimmung von Kontext und Evangelium gehört mit 5 Mehr dazu auf Roald Kristiansens Website http://www.love.is/roald/folkereligion3.htm [Zugriff: 09.01.2017].
Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen
anderen Worten auch eine gegenseitige Widerständigkeit, die einen Verhandlungsspielraum definiert und nicht aufzulösen ist. – Und es gehört dazu eine Analyse der Rolle der Kirche und ihres historischen Ballastes, der nicht nur positive Assoziationen weckt. 2. Der Kontext der Marginalisierten als Ort des Evangeliums: Kirkens bymisjon und die Straßengottesdienste
In den 80er und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erfuhr die alte Stadtmission Oslos, die auf das neunzehnte Jahrhundert zurückgeht und Verbindungen zu Wicherns innerer Mission unterhielt, eine Erneuerung.6 Wichtige Inspiration kam von der Befreiungstheologie vorwiegend südamerikanischer und südafrikanischer Prägung. In den neunziger Jahren entwickelte sich dort ein Modell, nicht nur mit diakonischer Arbeit unter Obdachlosen, Drogenabhängigen, Prostituierten, Roma, papierlosen Flüchtlingen auf die Straße zu gehen, um einige Schwerpunkte der Arbeit zu nennen, sondern auch mit Gottesdiensten. Diese Gottesdienste reduzieren Liturgie und Feier auf die traditionellen, grundlegendsten Elemente: Das Abendmahl, das Vaterunser, den Segen; die traditionellen bekannten, vertrauten Worte, Symbole und Choräle. Kreuz, Kelch und Brot, Talar und Stola, oder auch der der Stall von Bethlehem und andere vertraute Bilder und Symbole sind die zentralen liturgischen Markeure, und man verlässt sich auf die kommunikative Kraft der rituellen Handlung. Das besondere, andere, ist der Ort, wo diese Gottesdienste stattfin-
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den: Vor dem Osloer Bahnhof, und an anderen Orten, wo sich Marginalisierte zusammen mit der übrigen Bevölkerung und internationalen Touristen aufhalten. Sturla Stålsett, Professor an der theologischen Gemeindefakultät und vorher Leiter der kirchlichen Stadtmission, beschreibt den Ort der Marginalisierten als den Ort, wo Jesu ›überschäumende‹ Vergebung sichtbar wird.7 Die Straßengottesdienste von Kirkens bymisjon und deren Arbeit überhaupt sind eine wichtige Inspirationsquelle dafür, wie die norwegische Kirche ihre Rolle in der Gesellschaft versteht. Für ein Verständnis der Kommunikation des Evangeliums als Begriff scheinen mir hieran zwei Aspekte relevant: Erstens: Kommunikation des Evangeliums ist in dieser Perspektive wiederum nicht eine Frage der Vermittlung, des Gewandes, sondern eine Frage des Ortes: Wo kann das Evangelium aufgesucht werden, damit es sichtbar wird. Sichtbar wird es in der Not, aus dem Blickwinkel der Menschen am Rande der Gesellschaft. Die Sprache des Evangeliums stellt kein großes Problem dar. Man sieht keinen grundsätzlichen Erneuerungsbedarf, was die Rede von Gott angeht. Im Gegenteil: man greift gerne auf das altbekannte, traditionelle, bewährte zurück. Bildlich gesprochen: Man sieht keinen kommunikativen Anschluss, den man verpassen könnte, wohl aber einen theologischen.
6 Dag Kullerud, Kirkens bymisjon. Respekt, omsorg og rettferd, Oslo 2005. 7 Sturla Stålsett, The crucified and the Crucified. A Study in the Liberation Christology of Jon Sobrino, Frankfurt a.M. 2003. Vgl. auch ders., Hvor finner teologien sted? Norsk tidsskrift for misjon 2/95, 83–100.
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Zweitens: Nicht nur in einem diakonischen Sinne, auch in verkündigungsbezogener Hinsicht kommt es bei diesen Gottesdiensten nicht so sehr darauf an, was gesagt wird, als vielmehr auf das, was man tut. Kommunikation geschieht durch Teilnahme und durch praktische Handlung, durch das Singen der Kirchenlieder, die Teilnahme am Abendmahl, das Anzünden einer Kerze und so weiter. Zugespitzt gesagt, kann man die Frage stellen, ob die Worte, die dazugehören, im Grunde mehr rituellen als kommunikativen Charakter haben. 3. Praxis als Lernzusammenhang des Evangeliums
Weit über den Kontext der Stadtmission und ihrer Gottesdienste hinaus, und vor allem auch im mehr pietistisch geprägten Bereich der norwegischen Kirche und der Jugendarbeit ist man von der Bedeutung der sogenannten Glaubenspraxisen überzeugt, deren gemeinsames ›Praktizieren‹ einen sozialen Zusammenhang konstituiert. Der praktische Theologe Bård Hallesby Norheim unterstreicht den Charakter der Einübung, der sich mit den Glaubenspraxisen verbindet.8 Glaubenspraxisen und die durch sie gestifteten Gemeinschaften im Sinne Macintyres und des Kommunitarismus sind besser für eine postmoderne, hochmobile, durch eine Vielfalt der Angebote geprägte Gesellschaft und ein hochmobiles Christentum geeignet, als etwa die institutionalisierte Volkskirchlichkeit, so Norheim. Norheim benennt in Anlehnung an Luther sieben Praxisformen, das Wort Gottes, die Taufe, das Abendmahl, die Schlüsselmacht, das Dienen, Beten
und die Nachfolge, als Elemente einer Jüngerpädagogik, die eine Lerngemeinschaft im Sinne des Kommunitarismus konstitutieren sollen. Glaubenspraxis ist ein Buzz-Word in der norwegischen Kirche. Der Begriff wird im norwegischen meist im Plural verwendet. Der Plural signalisiert meines Erachtens, dass nicht eine persönliche Glaubenspraxis im Sinne eines ganzheitlichen religiösen Habitus im Vordergrund steht. Der Fokus richtet sich nicht auf die Person: Mit Praxisen sind vielmehr zeitlich und räumlich begrenzte Handlungszusammenhänge beschrieben, an denen Kinder und Jugendliche teilnehmen und die, bildlich gesprochen, als Lernmittel in den Blick kommen. Dieses Verständnis von Glaubenspraksis spielt z.B. im 2010 eingeführten Gesamtcurriculum für die norwegische Kinder- und Jugendarbeit9 eine wichtige Rolle. Durch die Teilnahme an »Gebet, Gottesdienst, Bibellesen, Gotteslob, an Dienst und Nachfolge« geschieht Einführung in den Glauben. Evangelium, so der Grundgedanke, vermittelt sich selbst durch Teilnahme an einer Praksis: Glaube ist leichter getan, als gesagt. Hier würde man zu den drei Modi nach Christian Grethlein, in denen der Mann aus Nazareth Evangelium kommunizierte, einen vierten, hinzufügen: die Stiftung einer Jüngergemeinschaft, die ihm gemeinschaftlich lernend
8 In Anlehnung an Dean Kenda / Bård Hallesby Norheim, Kann tro praktiserast? Teologi for kristent ungdomsarbeid, Trondheim 2008. 9 Auf Englisch zugänglich: https://kirken.no/ globalassets/kirken.no/church-of-norway/plan _trosoppl_engelsk_2.pdf [Zugriff: 09.01.2017], Zitat S. 14.
Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen
ganz praktisch von Ort zu Ort hinterhergelaufen ist. Für die religionspädagogische Theoriebildung in der norwegischen Kirche war vor allem das so genannte LetraProjekt in der Gemeindefakultät in Oslo von Bedeutung. Letra steht für Learning and knowledge trajectories in congregations, also für Lernens- und Wissensbahnen in Gemeinden. Das Projekt ist, so wie norwegische Pädagogik häufig, von der Vygotsky-Rezeption in der Pädagogik geprägt.10 In seinem Buch ›Religion als Bewegung‹ plädiert der Projektleiter Geir Afdal dafür, Religion nicht als geschlossenes Ganzes zu betrachten, sondern als ein Konglomerat von Gegenständen, Symbolen, Handlungsmustern und Deutungsmustern, das sich immer in Bewegung befindet und in Auseinandersetzung mit dem Alltag immer wieder neu in religiösen Lernprozessen umstrukturiert und aktualisiert wird. Wenn also nach dem Lernen in der Gemeinde gefragt wird, bedeutet dies zunächst die Gesamtheit der in diesem Kontext stattfindenden Lernprozesse – in der Kombination von praktischen, sozialen, religiösen, rationalen digitalen, emotionalen und allen anderen möglichen Kompetenzen. Der Begriff der Lernbahn oder Wissensbahn weist darauf hin, dass dieser Lernraum grundsätzlich offen gedacht ist – es findet ein Import und Export von Lernen zwischen dem Lernraum Religion, dem Lernraum Schule, dem Lernraum Sport und anderen, dem Lernraum Elternhaus und so weiter statt, und Lernprozesse verlaufen kreuz und quer durch diese Räume. Ein Haupt-Augenmerk fällt in dieser Tradition auf den Lernort, die Lern
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situation, auf alle eher impliziten Voraussetzungen, die den Lernprozess einer Gruppe prägen. Als mediierende Artefakte bezeichnet, bilden diese sozusagen das Medium, in dem Lernen nicht als individueller Prozess, sondern als Gruppenprozess stattfindet. Die genannten Glaubenspraxisen lassen sich zum Beispiel auch als mediierende Artefakte verstehen. Man kann gut am Beispiel der Konfirmation verdeutlichen, was das bedeutet: was die Konfirmanden am Konfirmationstag über die eigene Bedeutung, den eigenen Platz in der Familie und Sippe, aber auch über Gottesdienst, über Ritual, und über Gott lernen können, bildet eine Gesamtheit, die sich kaum, wenn überhaupt, in einer schulischen Unterrichtssituation abbilden lässt. Das Beispiel Konfirmation verdeutlicht auch gut den Begriff der Lernbahn: Die Rezeption des Konfirmationsgottesdienstes ist für die Konfirmanden natürlich sehr dadurch geprägt, wie sie die Konfirmationsfeier im familiären Kontext davor und danach erleben: Die Lernbahn bestimmt zumindest sehr stark mit, was und wie in einer konkreten Situation gelernt wird. Nach der Kommunikation des Evangeliums zu fragen, wäre in diesem Sinne, nach den praktischen und relationalen Lernvoraussetzungen einer Situation zu fragen, mit anderen Worten wiederum nach einer konkreten Praxis, und die 10 Geir Afdal, Religion som bevegelse, Oslo 2013. Das Folgende zum Letra-Projekt ist entnommen aus: Bernd Krupka, Bildung und Beheimatung. Eine religionspädagogische Orientierung zur Glaubenserziehung, in: Thomas Schlag / Henrik Simojoki (Hg.), Mensch – Bildung – Religion. Religionspädagogik in anthropologischen Spannungsfeldern, Gütersloh 2014.
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Teilnahme an dieser Praxis ist ausschlaggebend. 4. Drei Zugänge zur Mittelbarkeit des Evangeliums
Wenn ich zum Abschluss versuche, das besonders Interessante aus den drei vorgestellten Zugängen zur Mittelbarkeit des Evangeliums zusammenzustellen, dann geschieht das nicht in dem Sinne, dass der dargestellte Zusammenhang die drei Zugänge tatsächlich verbindet, sondern es handelt sich um Gemeinsamkeiten, die aus meiner Sicht zwischen den drei Zugängen entstehen. Die erste Gemeinsamkeit besteht darin, dass Kommunikation des Evangeliums in den drei vorgestellten Zugängen eine Frage nach dem Ort ist. Nicht: Wie wird Evangelium kommuniziert, sondern wo wird es kommuniziert. Der Ort bietet Möglichkeiten und Grenzen, die konkret, kulturbezogen und empirisch beschrieben werden können. Die zweite Gemeinsamkeit besteht darin, dass Kommunikation des Evangeliums das Evangelium im Grunde nicht mitbringt, sondern das Evangelium am Ort, im vorgegebenen Kontext, aufsucht. Alle drei vorgestellten Zugänge sind – wenn auch in unterschiedlichem Grad – inkarnatorisch, um eine theologische Kennzeichnung zu benutzen. Es geht nicht darum, Evangelium mitzubringen an einen Ort, sondern vielmehr, es dort aufzufinden. Aufzufinden in religiösen Strukturen des kulturellen Kontextes; Aufzufinden in der Perspektive der Marginalisierten, Aufzufinden am Lernort Gemeinde oder Gemeinschaft. Möglicherweise stehen hier Søren Kierke
gaards Überlegungen zur Mittelbarkeit der religiösen Kommunikation.11 Vielleicht werden Sie einwenden, dass es vor allem in der durch zwei Weltkriege, Wirtschaftskrise und vielerlei Migration nivellierten bundesdeutschen Gesellschaft die kulturelle Homogenität, die kontextuelle Theologie voraussetzt, nicht mehr gibt. Meine Gegenfrage wäre jedoch: Wird die Frage nach dem kulturellen und religiösen Kontext in einem kulturanthropologischen und religionswissenschaftlichen Sinne in der deutschsprachigen praktischen Theologie überhaupt gestellt, oder wird sie im Namen der Modernisierung einfach übersprungen? Den Griff Kristiansens, grundlegend zwischen der empirisch analysierten Religion einerseits und kirchlicher Theologie andererseits zu unterscheiden und die Unterschiede zwischen beiden fruchtbar zu machen, finde ich auch für den Bereich der Religionspädagogik interessant. Ein wichtiger Einwand gegen kontextuelle Theologie der vorgestellten Prägung ist, dass sie zu monolithisch und romantisierend denkt, interne Unterschiede, geschichtliche Veränderungen und globale Einflüsse unterkommuniziert. Im Grunde ist sie auch an einem spezifischen Ort nur im Plural möglich. Die beiden anderen vorgestellten Zugänge stellen sich einem moderneren, pluralen Kontext. Vor allem gilt das für die Tradition der Stadtmission: Evangelium wird in ihren Gottesdiensten durch die Pluralität und Marginalität der feiernden 11 Sören Kierkegaard, Philosophische Brocken / Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift / Erster Teil, mit Nachwort von Chr. Schrempf, Jena 1910.
Krupka Kommunikation des Evangeliums. Eine internationale Perspektive aus Norwegen
Versammlung erschlossen. Die Worte hingegen sind oft einfach und traditionell. Sowohl beim zweiten als auch beim dritten vorgestellten Zugang vertraut man auf die Praxis, auf das Tun. In der Teilnahme am Ritus, durch das rituelle Ausführen von Glaubenspraxisen, in der Teilnahme am Handeln der Gemeinde und an der dadurch gestifteten Gemeinschaft kommuniziert sich Evangelium. Der Handlungszusammenhang wird der Ort, an dem das Evangelium stattfindet und sich als Erfahrung mitteilt. Begrifflich beleuchtet wird diese Erfahrung als Produkt der je verschiedenen Lernbahnen der Teilnehmenden. Für alle drei Ansätze gilt: Vergewisserung ist nicht eine Frage der Kommunikation, sondern eine Frage des erfahrenden Handelns; eine von außen herangetragene Deutung der Praxis hat eine untergeordnete Funktion. 5. Drei bildungsbezogene Probleme der Mittelbarkeit des Evangeliums
Bei der Frage danach, wie die vorgestellten drei Zugänge für die schulische religiöse Bildung fruchtbar gemacht werden können, müssen zunächst drei Problemanzeigen geltend gemacht werden: Der erste Einwand betrifft den indirekten Charakter schulisch veranstalteter Erfahrung: Inwiefern partizipiert Schule überhaupt an dem sie umgebenden kulturellen Kontext und stellt nicht vielmehr einen eigenen didaktisch konstruierten Kontext dar? Inwiefern sind pädagogische Formen des Aufsuchens nicht auf einen außerschulischen Kontext begrenzt? Der Einwand ist aus der re-
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formpädagogischen Debatte hinreichend bekannt. In ihrer Einführung in die kontextuelle Religionsdidaktik beschreiben Geir Afdal, Elisabeth Haakedal und Heid Leganger-Krogstad eine Didaktik der größtmöglichen Repräsentation der lokalen Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen im Religionsunterricht.12 Der insgesamt größere Spielraum lokaler Anpassung der Schule in Norwegen wird jedoch auch dort durch die Einführung nationaler Standards und internationaler Tests zunehmend beschränkt. Der zweite Einwand betrifft die Intimität religiöser Sprache und Erfahrung. Inwiefern kann Schule überhaupt ein »sicherer Ort« sein, an dem Versuche der Versprachlichung eigener religiöser Erfahrung gewagt werden?13 Zwei Herausforderungen stehen dem entgegen: Zum einen, dass Versprachlichungsversuche im schulischen Unterricht der Benotung unterliegen und insofern extrinsisch instrumentalisiert werden. Auch dies ist hinreichend bekannt. Zum anderen ist fraglich, ob Kinder und Jugendliche die Gemeinschaft im Klassenverband als ›sicheren Ort‹ empfinden: Einige empirische Untersuchungen weisen auf das Gegenteil hin: Über Schule im Vergleich zur kirchlichen Jugendarbeit sagen Jugendliche z.B. Folgendes: »An der Schule, da ist es oft … die einen sind cool, die andren sind nicht cool oder Nerds und so … wenn ich hier 12 Geir Afdal / Elisabeth Haakedal / Heid Leganger-Krogstad, Tro, livstolkning og tradisjon. Innføring i kontekstuell religionsdidaktikk, Oslo 1997 u.ö. 13 Zum Konzept der ›Safe Spaces‹ s. z.B. Cornelia Roux (Red.), Safe Spaces. Human Rights Education in Diverse Contexts, Rotterdam / Boston / Taipei 2012.
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(gemeint: die kirchliche Jugendarbeit) bin, macht das nix ob ich Nerd bin oder beliebt oder hässlich oder gut aussehend oder … weil hier kümmern sich alle um alle. Das find ich echt gut« (Jugendliche, Raum Oslo, 16). An der kirchlichen Jugendarbeit schätzen sie die Möglichkeit, ethische und religiöse Fragen anhand von Bibeltexten fragend zu erkunden und zu versprachlichen: »für mich ist es am wichtigsten, mit (den anderen) Jugendlichen zu reden (anstatt mit den Erwachsenen); da ist meiner Meinung nach fast nichts, was schon in eine Schublade gesteckt ist, sodass es komisch wäre, darüber zu reden. Man muss einfach eine Diskussion starten und in Gang halten.« (Jugendlicher, Nordnorwegen, 16).14 Der schulische Diskurs ist dagegen laut einer schwedischen Untersuchung oft von Anpassung und Konkurrenz geprägt – obwohl die Schule »Verantwortung, die Besonderheit des Einzelnen und universelle Gemeinschaft« als offizielle Werte hat.15 Der dritte Einwand betrifft die Unverfügbarkeit des Evangeliums als Geschehen. Was genau in einem Straßengottesdienst von Kirkens bymisjon passiert, ich welcher Weise Evangelium an einem sozialen Brennpunkt sichtbar wird, lässt sich nicht vorhersagen. Die gewonnenen Erfahrungen sind daher nur schwer in einen schulischen Bildungsprozess zu integrieren. Die Unverfügbarkeit gilt nicht
nur in einem praktischen Sinne, sondern auch in einem viel grundlegenderen: Nach Sturla Stålsett bildet Verletzlichkeit eine doppelte anthropologische Konstante: Zum einen als Zustand, der aufzuheben ist (verletzt, marginalisiert), zum anderen als fundamentale anthropologische Gegebenheit (Verletzlichkeit), die nicht aufgehoben werden kann.16 Wird ein Zustand der Verletztheit durch konkrete Maßnahmen aufgehoben, entsteht neue Marginalisierung (und Verletzung). Insofern kann »überschäumende Vergebung«17 nur immer wieder neu aufgesucht werden. Das bedeutet im Grunde auch, dass Menschlichkeit als Bildungsziel immer nur neu stattfinden kann. Die Erkenntnis des Trondheimer Bischofs beschreibt damit auch ein Bildungsdilemma: Glaube ist leichter getan als gesagt.
14 Bernd Krupka, Tro som sosialt eksperiment. Sosial læring i kirkelig ungdomsarbeid, Prismet 4/12, 219–232, Zitate S. 226 und S. 225 (eigene Übersetzung). 15 Christina Osbeck, Kränkningens livsforståelse. En religionsdidaktisk studie av livsforståelseslærande i skolan, Karlstad 2006, 253 (eigene Übersetzung). 16 Sturla Stålsett, Ethics of vulnerability, social inclusion and social capital. Forum for development studies 34 1/07, 45–62. 17 Wie Anm. 7.
Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern
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Annemie Dillen1 Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern. Internationale und belgische Forschung zur Kinder- und Jugendtheologie
1. Der belgische bzw. flämische Kontext des Religionsunterrichts
Kinder- und Jugendtheologie ist ein geläufiger Begriff im deutschsprachigen Raum. Er wird bis jetzt jedoch noch immer zu wenig in anderen Sprachgebieten verwendet. Das hat wohl nicht nur mit der Sprachdifferenz zu tun, sondern auch mit religiösen Kontexten und sozialkulturellen Rahmenbedingungen der Erziehung. Deshalb soll im Folgenden der belgische bzw. flämische Kontext erläutert werden. In Flandern folgen die meisten Kinder und Jugendlichen dem katholischen Religionsunterricht in katholische Schulen und in öffentlichen Schulen, wo Kinder und Jugendliche von 6 bis 18 Jahren das Fach »Religion« (meistens katholisch, evangelisch, muslimisch) oder das nichtkonfessionelle Unterrichtsfach »Moral« belegen müssen.2 In vielen angelsächsischen Ländern erhält nur eine Minderheit Religionsunterricht in spezifisch religiösen Privatschulen oder in einem multireligiösen, nicht-konfessionellem Religionsfach in öffentlichen Schulen. Religionsunterricht in Flandern ist grundsätzlich konfessionell orientiert, aber mit einer Offenheit für andere Re-
ligionen. Die Erlangung interreligiöser Kompetenz ist in einer Engagementserklärung als Unterrichtsziel von allen Religionsgemeinschaften unterschrieben.3 Belgien ist ein säkularisiertes Land, in dem es jedoch noch immer sehr viele getaufte Katholiken gibt und in dem das Kulturchristentum noch präsent ist, wo aber eine institutionelle Religion wie der Katholizismus von vielen nicht mehr bewußt gelebt wird. Wenn ich die Praxis des Religionsunterrichts diskutiere, verweise ich auf den flämischen Kontext, da die institutionellen Rahmenbedingungen, Materialien und Lehrpläne überall sehr unterschiedlich sind. Wenn es um
1 Ich danke Ines Luthe und Armin Kummer für die Hilfe hinsichtlich der deutschen Übersetzung. 2 Für Statistiken und Erklärung über Religionsunterricht in Belgien, vgl. Henri Derroitte / Guido Meyer / Didier Pollefeyt / Bert Roebben, Religious Education at Schools in Belgium, in: Martin Rothgangel / Robert Jackson / Martin Jäggle (Eds.), Religious Education at Schools in Europe. Volume 2: Western Europe, Vienna 2014, 43–63. 3 Vgl. https://www.kuleuven.be/thomas/page/ historisch-engagement-over-interlevensbesch ouwelijke-competenties/(2013); https://www. kuleuven.be/thomas/page/interlevensbeschou welijke-competenties/(2012) [Zugriff: 8.01.2017].
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
die Forschung geht, schaue ich darüber hinaus und fange deshalb bei angelsächsischen Forschungstermini an. 2. Theologisieren oder Kinderspiritualität fördern: what’s in a name?
Kindertheologie oder Theologisieren mit Kindern oder Jugendlichen als Konzept wird im flämischen Kontext eher selten angewendet. International gesehen finden wir ähnliche Ansätze unter dem Konzept ›spirituality‹, oder ›nurturing children’s spirituality‹ (›Kinderspiritualität fördern oder unterstützen‹). In der internationalen Zeitschrift ›International Journal of Children’s Spirituality‹ und während der zweijährlichen Konferenzen der International Association for Children’s Spirituality4 wird oft über die empirische Forschung im Blick auf die Glaubensvorstellungen von Kindern in sehr verschiedenen Kontexten berichtet. Hier werden auch Forschungsergebnisse aus nicht-christlicher oder nicht-religiösen Bereichen beleuchtet. Wenn von ›nurturing children’s spirituality‹ gesprochen wird, kann dies jedoch auch in einem sehr christlichen Sinn verstanden werden und sehr nahe an die Vorstellungen des Theologisierens mit Kindern herankommen.5 Wenn Wissenschaftler/innen oder Praktiker/innen von ›children’s spirituality‹ sprechen, liegt der Fokus im Generellen mehr auf der Ebene der Erfahrung als bei ›Theologisieren mit Kindern‹. Es geht nicht so sehr um reflexives Lernen wie beim Theologisieren, sondern um das Lernen in einem holistischen Kontext, in dem der Mensch ganzheitlich sti-
muliert wird und in dem die Religiosität ein Aspekt unter vielen ist.6 Insgesamt sind die meisten Autoren, die im Kontext von ›children’s spirituality‹ aktiv sind, von einem Bild des Kindes als Subjekt und AutorIn des eigenen Lebens beeinflusst.7 Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Als ich 2006 an der amerikanischen ›Children’s Spirituality Conference: Christian Perspectives‹ teilnahm, war ich ziemlich geschockt darüber, dass auch viele Beispiele von Formen der Glaubenstradierung zu finden waren, in denen der kerygmatische Inhalt zusammen mit der Figur des Lehrers oder der Lehrerin als zentral angesehen wird. Körperliche Disziplinierung von Kindern im katechetischen Kontext gehörte auch dazu.8 Mit Blick auf die internationale Entwicklung könnte man sagen, dass sich die Forschung über ›Kindertheologie‹dem Paradigma von ›ordinary theology‹ (Jeff Astley) anschließt.9 Unter diesem Stichwort verstehen Forscher/innen im Anschluss an den britischen empirischen
4 www.childrenspirituality.org. 5 Vgl. z.B. Karen Marie Yust, Real Kids, Real Faith. Practices for Nurturing Children’s Spiritual Lives, San Francisco 2004. 6 Vgl. z.B. Rebecca Nye, Children’s Spirituality. What It is and Why It Matters, London 2009. 7 Für eine Übersicht von Bildern des Kindes, siehe z.B. Bonnie J. Miller-McLemore, Let the Children Come. Reimagining Childhood from a Christian Perspective, San Francisco 2003. 8 Theologising with Children. A New Paradigm for Religious Education and Catechetics. Children’s Spirituality Conference: Christian Perspectives. River Forest, Chicago (USA) 4–7 June 2006. 9 Vgl. Jeff Astley / Leslie J. Francis (Eds.), Exploring Ordinary Theology. Everyday Christian Believing and the Church, Abingdon / New York 2013.
Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern
Theologen Jeff Astley die tägliche ›Theologie‹ gewöhnlicher Menschen, die zwar nicht als ›experts‹ bezeichnet werden, jedoch über ein eigenständiges theologisches Orientierungsvermögen verfügen. Auch das Modell der vier Stimmen der Theologie, das von der britischen Forschungsgruppe ›Theological Action Research‹ vorgebracht wurde, kann das Konzept ›Kindertheologie‹ teilweise erhellen.10 Helen Cameron und andere verdeutlichen, dass es mindestens vier Stimmen gibt, die immer in ihrem wechselseitigen Verhältnis zueinander betrachtet werden müssen. Die Aufgabe der praktischen Theologen ist es, diese vier unterschiedlichen Stimmen miteinander in den Dialog zu bringen. Hierbei handelt es sich um ›normative theology‹ (normative Theologie), ›formal theology‹ (formelle Theologie), ›espoused theology‹ (angeeignete Theologie) und ›operant theology‹ (wirksame Theologie). Die Forschung im Bereich der ›Kindertheologie‹ und der ›children’s spirituality‹ fällt hauptsächlich unter ›espoused theology‹. Der Name des Konzeptes macht bereits deutlich, dass diese Art der Theologie immer auch von anderen beeinflusst wird. Mit Friedrich Schweitzer könnte man kritisch nachfragen, in wie weit hier nicht auch Medien, »peer groups« usw. eine Rolle spielen.11 Auch ›espoused theology‹ von Kindern – oder Laien im Allgemeinen – wird immer im Dialog mit einem spezifischen Kontext betrieben, wobei die Kontexte von ›formal‹ und ›normative theology‹ dabei nur einen Aspekt darstellen. Es gibt immer auch Einflüsse von anderen Kindern und Erwachsenen mit ihren eigenen theologischen Denkbildern (›espoused Theologie‹). Wichtig ist in diesem Zusammenhang
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der Unterschied zwischen ›espoused‹ und ›operant‹ theology. Natürlich sind beide ganz eng auf einander bezogen, aber durch die terminologische Unterscheidung wird deutlich gemacht, dass es auch wichtig ist, zu betrachten, welche theologischen Vorverständnisse und Annahmen in der Praxis (›operant theology‹) ausgedrückt werden. Dies stellt eine Herausforderung in der Diskussion über Kindertheologie, und vor allem in Bezug auf ihr pädagogisch-didaktisches Anliegen dar. So lautet hier die Frage, wie auch das Physisch-Erfahrbare, also alles, was über das rein Sprachliche bzw. Kognitive hinausgeht, im Theologisieren seinen Platz finden kann. Wichtig ist es, dabei anzumerken, dass auch hier, wie bei Astley’s ›ordinary theology‹, das Konzept ›Theologie‹ benutzt wird und nicht nur ›Spiritualität‹ oder ›gelebte Religion‹. Astley beschränkt sein Anliegen auf die Christusgläubigen – es geht ihm hier nicht um ein allzu breites Konzept, wie man es oft unter den Stichwörtern ›spirituality‹ oder ›lived religion‹12 finden kann. Auch die vier Stimmen der Theologie, so wie sie im Modell der ›Theological Action 10 Helen Cameron / Deborah Bhatti / Catherine Duce / James Sweeney / Clare Watkins, Talking about God in Practice. Theological Action Research and Practical Theology, Londen 2010. 11 Vgl. Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011, 25. 12 Vgl. z.B. Heinz Streib u.a (Eds.), Lived Religion – Conceptual, Empirical and PracticalTheological Approaches. Essays in Honor of Hans-Günter Heimbrock, Leiden 2009; Meredith McGuire, Lived Religion. Faith and Practice in Everyday Life, Oxford 2008.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
Research‹ angewendet werden, beziehen sich zuerst auf christliche Kontexte und Formen des Glaubens. Die Kritik von Bernard Dressler am kindertheologischen Konzept13 trifft darum im Bereich der angelsächsischen Forschung weniger zu. Dressler beklagt, dass die Konzepte Theologie und Theologisieren zu breit gefasst werden, wenn Autoren behaupten, dass man auch mit Kindern, die nicht gläubig sind, theologisieren kann.14 Es ist weiterhin anzumerken, dass Konzepte wie ›ordinary theology‹ oder ›espoused theology‹ als eine der vier Stimmen der Theologie kein religionspädagogisches Anliegen formulieren. Es geht hier nur um die Forschung, die Beschreibung und die Analyse. In den deutschen Begriffen »Kindertheologie« oder »Theologisieren mit Kindern« wird die Praxis des Reflektierens über die eigenen (meist christlichen) Glaubensvorstellungen insgesamt mehr betont als bei den englischen Begriffen wie ›ordinary theology‹ oder ›espoused theology‹.15 Die genannten Unterschiede sind hilfreich, um das Forschungsobjekt und das pädagogisch-didaktische Ziel klarer zu beschreiben. Gleichzeitig bleibt der Unterschied zwischen den genannten Termini jedoch ziemlich gering. Im Folgenden betrachte ich vor allem, was in Flandern und teilweise auch in den Niederlanden der aktuelle Stand der Forschung ist. 3. Theologisieren mit Kindern: Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus Belgien (Flandern)
Im Folgenden wird das ›Theologisieren mit Kindern oder Jugendlichen‹ aus zwei Perspektiven bedacht. Zuerst widme ich
mich kurz dem Bereich des ›was ist‹. Hier geht es um die Forschung in Flandern über Kinder und deren Spiritualität und Glaubensvorstellungen. Danach wird besprochen, in welchem Maße das Theologisieren mit Kindern angeregt oder als Methode von Lehrer/innen in der Schule und Begleiter/innen in der Katechese angeboten wird. 3.1 Einsicht in die Forschung
Bis jetzt gibt es keine systematische empirische Forschung hinsichtlich der Praxis des Theologisierens mit Kindern in Flandern – es gibt überhaupt insgesamt ziemlich wenig empirische Forschung über die Praxis in Klassen, Pfarrgemeinden, Familien oder anderen religiösen Kontexten. Darüber, wie Kinder und Jugendliche denken, weiß man aufgrund der postkritischen Glaubensskala, die vom flämischen Religionspsychologen Dirk Hutsebaut entwickelt wurde, recht gut Bescheid.16 Im Rahmen der Identi13 Bernhard Dressler, Zur Kritik der »Kinderund Jugendtheologie«, in: ZThK, 111. Jg. 2014, 332–356. 14 Vgl. z.B. Gerhard Büttner, Nichtchristliche Religionen, in: Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart / München 2014, 40–43. 15 Vgl. z.B. Damaris Knapp, Liturgische Elemente und Theologisieren mit Kindern, in: Gerhard Büttner / Petra FreudenbergerLötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart/München 2014, 35. 16 Vgl. z.B. Kristina Krysinska / Kim De Roover / Jan Bouwens u.a., Measuring religious attitudes in secularized Western European context.
Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern
tätsforschung über katholische Schulen, koordiniert vom flämischen Religionspädagogen Didier Pollefeyt, wird diese Skala eingesetzt.17 In der postkritischen Glaubensskala werden vier Unterkategorien unterschieden. Zuerst gibt es hier ›literalistischen Glauben‹ oder ›Orthodoxie‹. Zweitens wird von ›externer Kritik‹ gesprochen. Dies meint das Ablehnen jeder Form von Transzendenz oder Religion. Beides sind Formen fundamentalistischen Denkens. Eine weitere, dritte Unterkategorie ist die des »postkritischen Glaubens«, oder mit Ricoeur gesprochen, der ›zweiten Naivität‹. Dabei werden Glaubensaussagen eher symbolisch interpretiert – dies bei klarer Akzeptanz von Transzendenz. Bei der vierten und letzten Kategorie handelt es sich um ›Relativismus‹, oder anders ausgedrückt, um ein symbolisches Denken, bei dem Transzendenz nicht vorausgesetzt wird. Die Denkart ist in den beiden letztgenannten Kategorien gleich, allerdings stellt sich die Beziehung zur Religion unterschiedlich dar. Verschiedene Gruppen von Kindern und Jugendlichen ab 11 Jahren haben diese Fragebögen sowohl in Flandern als auch in Australien während der letzten fünfzehn Jahre ausgefüllt. Insgesamt kann man sagen, dass Kinder – im Vergleich der Subskalen – den höchsten Punktestand bei postkritischem Glauben aufweisen.18 Bei jüngeren Kindern (10-11 Jahre) in Australien steht Orthodoxie oder auch der ›literalistische Glauben‹ an zweiter Stelle, in Flandern folgt ›Relativismus‹ an zweiter Stelle.19 Es ist auch deutlich, dass die Kategorie Orthodoxie bei den jüngsten Kindern (11–12 Jahre) eine Punktezahl erreicht als bei den älteren Kindern. Den Fragen
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der Kategorie der ›externen Kritik‹ wird insgesamt sehr wenig zugestimmt. Diese kurze Darstellung der Forschungsergebnisse wirft mindestens zwei Fragen auf, die sowohl für die Theorie als auch für die Praxis der Kindertheologie wichtig sind. Die erste Frage betrifft die Normativität des postkritischen Glaubens. Die hohe Punktezahl auf der Skala des symbolischen Denkens (zweite Naivität und Relativismus) wird von Pollefeyt und Bauwens als sehr positiv bewertet. Sie ziehen folgende Schlussfolgerung: »Further, 87.2 % of the primary school children (…) support or strongly support a PCB (›Post-Critical-Belief‹)attitude. Generally speaking, the people in schools in Victoria clearly confess they personally believe in a transcendent reality while dealing with belief content in a symbolic, interpretative way.
A psychometric analysis of the post-critical belief scale, in: International Journal for the Psychology of Religion, 24. Jg. 2014, Heft 4, 263–281; Bart Duriez / Bart Soenens / Dirk Hutsebaut, Introducing the shortened PostCritical Belief Scale, in: Personality and Individual Differences, 38. Jg. 2005, 851–857; Johnny R.J. Fontaine / Bart Duriez / Patrick Luyten / Dirk Hutsebaut, The Internal Structure of the Post-Critical Belief scale, in: Personality and Individual Differences, 35. Jg. 2003, 501–518 17 Vgl. z.B. www.dialoogschool.be and www.scho olidentity.net. 18 Für die Ergebnisse aus Australien, vgl. Didier Pollefeyt / Jan Bouwens, Identity in Dialogue. Assessing and Enhancing Catholic school identity. Research Methodology and Research Results in Catholic Schools in Victoria, Australia, Münster 2014, 158–159. 19 Didier Pollefeyt / Jan Bouwens, (wie Anm. 18), 158–159; Reinhilde Henckens / Didier Pollefeyt / Dirk Hutsebaut u.a., Geloof in kinderen. Levensbeschouwelijke perspectieven van kinderen in kaart gebracht, Leuven 2011, 79.
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No doubt this is a point of strength for Catholic schools since as a historical religion, the Christian faith and practice are inherently hermeneutical, interpretative and symbolically mediated.«20 Da das symbolische Denken als Norm gesetzt wird, wird der Nachweis bei Kindern als sehr gut bewertet. Dahinter steht eine Annahme, die sich nicht wesentlich von stufentheoretischen Ansätzen wie beispielsweise dem Fowlers21, unterscheidet. Kinder weisen im jüngeren Alter ziemlich hohe Werte für ›literalistischen Glauben‹ aus, die mit dem Alter immer niedriger werden. Postkritischer Glaube als eine Form ›reifen‹ Glaubens22 zeigt sich aber auch schon bei Jugendlichen ab 11 Jahren. Theologisieren mit Kindern ist deshalb wichtig und möglich, weil sie auch (schon) postkritisch glauben können oder sich mindestens in diese Richtung entwickeln können.23 Dabei stellt sich die Frage, in wieweit man die Würde der Kinder in Glaubenssachen wirklich ernst nimmt, wenn man sie vor allem mit Erwachsenen vergleicht. Die Ergebnisse der belgischen und australischen Studien sind in diesem Zusammenhang hilfreich, denn sie zeigen eine höhere Zustimmung zu den Thesen der postkritischen Glaubenssubskala für Kinder als für Erwachsene. In einigen Ansätzen kindertheologischer Literatur, so wie sie u.a. von Anton A. Bucher24 entwickelt worden sind, soll man die Kinder zuerst so annehmen wie sie sind, auch mit ihrem literalistischen Denken. Hier steht eine andere Logik als in den zuvor erwähnten Studien dahinter: der Fokus liegt hier nämlich auf dem Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern und nicht auf einem angestrebten ›Gleichwerden‹.
Eine zweite Diskussion im Bereich der Forschung mit der PCB-Skala, die in Australien stattfindet, ist auch für ein breiteres Publikum interessant. Eine kleine Gruppe Katholiken glaubt, es sei nicht klug, jungen Kindern im Alter von 10-11 Jahren Thesen aus der Unterkategorie der »externen Kritik« anzubieten und diese bewerten zu lassen. Dabei handelt es sich um Aussagen wie: »God doesn’t exist and therefore praying to God is meaningless« oder »I do not really understand how intelligent people can believe in God. Religion is nonsense.« Als Argument wird in mündliche Diskussionen und Emails hierzu angeführt, dass die Kinder dann mit Thesen konfrontiert würden, die den Glauben kritisch beurteilen. In der australischen katholischen Kirche stellen einige die Frage, ob Kinder mit diesen Thesen überhaupt umgehen können. In der Auseinandersetzung mit dieser These wird auf die empirische entwicklungspsychologische Forschung und auf Stufentheorien zurückgegriffen.25 20 Didier Pollefeyt / Jan Bouwens (wie Anm. 18), 165. 21 Vgl. James Fowler, Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn (aus dem Englischen übersetzt), Gütersloh 1991. 22 Dirk Hutsebaut, Some Perspectives on Religious Maturity, in: Herman Lombaerts / Didier Pollefeyt (Eds.), Hermeneutics and Religious Education, Leuven 2004, 337–353. 23 Reinhilde Henckens u.a., Geloof in kinderen, Leuven 2011, 185. 24 Anton A. Bucher, »Wenn wir immer tiefer graben … kommt vielleicht die Hölle«. Plädoyer für die Erste Naivität, in: Katechetische Blätter, 114. Jg. 1989, 654–662. 25 Für eine loyal-kritische Auseinandersetzung mit Stufentheorieen wie Fowlers, vgl. Bonnie Miller-McLemore, Feminism, Children, and
Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern
Man könnte aber auch anders argumentieren. Zuerst: Auch anderswo in der Gesellschaft hören Kinder kritische Stimmen hinsichtlich der Religion. Das Ideal, Kinder auf einer wunderschönen Kinder-Insel zu erziehen, ist schon seit Langem kritisiert worden. Hier ist ein bestimmtes Bild von Kindern in Spiel, dass Interpretationen von Ergebnissen der empirischen Forschung oder von Stufentheorien selbst auch wieder beeinflusst. Das romantische Kinderbild ist von Sozialwissenschaftler/innen und Theolog/innen hinterfragt worden und inzwischen zu Recht durch ein nuancierteres Bild von Kindern als aktiven Subjekten ersetzt worden.26 Kinder haben ein Recht auf ›Schutz‹, aber für Kinder, die als eigenständige Subjekte gesehen werden, gilt auch das Beteiligungsrecht.27 Kinder können auch nicht von allem, was aus kirchlicher Perspektive nicht ›schön‹ und ›gut‹ ist, ferngehalten werden. Gleichzeitig müssen sie bei ihren Alltagserfahrungen durchaus begleitet werden. Wenn die Kinder also Thesen aus der PCB-Skala angeboten bekommen, ist es wichtig, dass der Lehrer oder die Lehrerin mit den Kindern auch die Inhalte weiter bespricht, und so auch kindertheologische Gespräche führt. Wenn die Kinder auf diese Weise zum Nachdenken und zum Umgang mit diversen Meinungen aufgefordert werden, wird ihre Denkkraft stimuliert. Ebenso ist dies beim Philosophieren mit Kindern der Fall. Die kritische Haltung gegenüber dem Anbieten von Thesen der ›externen Kritik‹ im Rahmen der Forschung ist auch mit dem Wahrheitsbegriff in der Theologie verbunden. Wenn theologische Wahrheit eher als eschatologischer Suchbegriff aufgefasst
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wird28, gilt, dass Kinder bereits früh die Einstellung von Suchen, Befragen und Sich-fragen lernen können und müssen, anstatt katechismusartige fixe und nicht zu hinterfragende Antworten auswendig zu lernen. Hier kann man aufs Neue die Frage stellen: Können Kinder das schon? Die kindertheologische Forschung hat allerdings schon längst deutlich gemacht, dass Kinder den Erwachsenen zwar nicht gleich sind, aber doch schon früh zusammen mit diesen ins Gespräch über Glaubensfragen kommen können. 3.2 Wie Kindertheologie stimuliert wird: Eine belgische (flämische) Perspektive
Ich habe bis jetzt vor allem die Forschung über den Glauben oder die Theologie von Kindern beschrieben. Im Folgenden sei erläutert, was in Flandern als didaktische Förderung angeboten wird – aller
Mothering.Three Books and Three Children Later, in: Journal of Childhood and Religion, 1. Jg. 2011, Heft 2, 1–32; http://childhoodandreligion.com/wp-content/uploads/2015/03/ Miller-McLemore-Jan-2011.pdf. 26 Vgl. z.B. Annemie Dillen, Neither Angels, nor Devils. Theological Views on Children’s Responsibility, in: Intams Review, 18. Jg. 2012, 192–202. 27 Vgl. John Wall, Let the Little Children Come. Child Rearing as Challenge to Contemporary Christian Ethics, in Horizons, 31. Jg. 2004, Heft 1, 64–87; Anna-Maria Riedl, Der Begriff des Kindeswohls in theologisch-ethischer Perspektive. Von einer Kindertheologie zur Theologie der Kindheit, in: Ethik Journal, 1. Jg. 2013, Heft 2, 1–15. 28 Vgl. Ilse Cornu / Didier Pollefeyt, Religieus opvoeden tussen openheid en geslotenheid. Bijbels geloof in een Babelse wereld, in: Didier Pollefeyt (Ed.), Leren aan de werkelijkheid. Geloofscommunicatie in een wereld van verschil, Leuven 2003, 45–65, 56–58.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
dings lediglich hinsichtlich des Bereichs der katholischen Schulen. Die meisten Handbücher für den Religionsunterricht in der Grundschule verwenden das Konzept ›Theologisieren mit Kindern‹ ziemlich wenig oder gar nicht. Klassengespräche werden in Unterrichtsmaterialien für Lehrende öfter vorgestellt, aber dort sind die Fragen öfter geschlossen oder zielen eher auf die ›richtige Antwort‹ ab als auf einen Ansatz des theologischen Suchens mit einer Gruppe. Beispielfragen wie ›was passiert wenn‹ oder ›was bedeutet das‹, zielen eher auf eindeutige Antworten ab und zeigen deswegen nicht auf, was ›Theologisieren‹ bedeuten kann. Es gibt jedoch verschiedene Hinweise darauf, dass das Theologisieren mit Kindern im flämischen Kontext auch stimuliert und praktiziert wird.29 So wird etwa für den Religionsunterricht von einem ›hermeneutisch-kommunikativen‹ Modell ausgegangen.30 Dieses Modell mit seinem Fokus auf verschiedene Interpretationen (Stichwort ›Multikorrelation‹) und dem Dialog zwischen Schüler/innen, zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen, und zwischen Materialien, Lehrer/ innen und Schüler/innen, steht dem Modell des Theologisierens mit Kindern oder Jugendlichen nahe. Vom Theologisieren mit Kindern ist hier allerdings nicht in einem terminologischen Sinn die Rede. Ende 2015 habe ich zusammen mit meinem niederländischen Kollegen Jos De Kock eine Ausgabe der Niederländische »Handelingen. Zeitschrift für praktische Theologie und Religionswissenschaften« über das Thema Kindertheologie zusammengestellt.31 Bereits 2008 wurde dies durch Evert Jonker
und Alma Lanser unternommen. In der Ausgabe von 2015 kommen »Godly Play« ebenso wie Kinderspiritualität (am Beispiel eines Angebots für Kinder auf der Palliativstation) oder das Theologisieren im muslimischen Religionsunterricht als Methode zur Sprache. Auch Jugendtheologie als neue Entwicklung wird hier näher erläutert. Was mir bei dieser Zeitschriftenausgabe am meisten auffiel, bezog sich nicht auf den Inhalt, sondern auf die Reaktion in der Besprechung nach dem Erscheinen der Ausgabe. In der Redaktionssitzung hatte ein Mitglied die Frage gestellt, was er mit dieser Ausgabe in der Gemeinde anfangen könne. Ich war erstaunt, dass es offensichtlich nicht für alle praktischen Theologen deutlich ist, wie wichtig Kinder und ein offener Umgang mit deren Erfahrungen für die Gemeinde sind. Im Jahr 2015 ist das Projekt ›God is buiten de tijd. Theologiseren met kinderen‹ (Gott ist unzeitgemäß. Theologisieren mit Kindern) als CD und Buch erschienen, speziell für Lehrer/innen und StudentInnen in der Lehrerausbildung.32 Die Zusammenarbeit einer bel-
29 Vgl. z.B. auch Annemie Dillen, Theologising with Children. A New Paradigm for Catholic Religious Education in Belgium and New Challenges for Catholic Schools, in: Gerald Grace / Joseph O’Keefe (Eds.), International Handbook for Catholic Education, New York, 2007, 347–366. 30 Vgl. z.B. Herman Lombaerts / Didier Pollefeyt (Eds.), Hermeneutics and Religious Education (BETL), Leuven 2004. 31 Vgl. www.handelingen.org; Handelingen. Tijdschrift voor praktische theologie en religiewetenschap, a Jg. 42 2015, Heft 4. 32 Johan Valstar / Marleen Willems / Henk Kuindersma u.a., God is buiten de tijd. Kindertheologisch leren kijken, Averbode 2015.
Dillen Die Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen und fördern
gischen Inspekteurin (Marleen Willems) und einer Lehrerin (Christa Borré) mit niederländischen (Johan Valstar & Henk Kuindersma) und deutschen (Gerhard Büttner) Mitgliedern des Netzwerks für Kindertheologie hat zu dieser Publikation geführt. Darin wird Kindertheologie mit Elementarisierung kombiniert und auch für Lehrer/innen auf Niederländisch erklärt. Im religionspädagogischen Handbuch ›Verwonderen en Ontdekken‹ (Staunen und Entdecken) fanden sich zuvor schon kindertheologische Impulse.33 Darüber hinaus liegen einige neuere theoretische Abhandlungen über das Theologisieren mit Kindern auf Niederländisch vor.34 Auf ›Thomas‹, einer sehr bekannten Website, die von meinen Kollegen an der Universität Leuven betreut wird, wird das Theologisieren mit Kindern als eine didaktische Form neben anderen vorgestellt.35 ›Thomas‹ erreicht etwa 5000 Besucher jeden Tag. Auch Lehrer/innen erzählen auf der ›Thomas‹-Seite, wie interessant sie Theologisieren finden, und wie sie es als eine Möglichkeit – neben anderen – in Religionsunterricht sehen. Seit 2012 gibt es zahlreiche Lehrer/in nen in Flandern, die eine Einführungsveranstaltung für Godly Play besucht oder eine volle Ausbildung dazu abgeschlossen haben. In der Godly Play-Methode kann man viele Ähnlichkeiten zum Theologisieren mit Kindern entdecken.36 Was Kinder selbst sagen und denken, wird bei Godly Play ernst genommen. Kinder werden angeregt, nicht einfach eine Geschichte nachzuerzählen oder eine festgefügte Interpretation zu lernen, sondern selbst zu staunen, zu interpretieren und Dinge mit dem eigenen Leben in Beziehung zu setzen. Bei der weiteren Ver-
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tiefung und dem weiterführenden Gespräch findet zwar ein Dialog zwischen verschiedenen Interpretationen und Gesprächspartnern statt. Es ist dabei allerdings nicht immer gesichert, dass ein echter, erkenntnisoffener Dialog stattfindet. Auch in Pfarrgemeinden sowie in den wenigen evangelischen oder anglikanischen Gemeinden in Flandern findet Godly Play Anwendung. Hier ist ein Perspektivenwechsel festzustellen: Das Kind kommt stärker in den Blick. Die biblischen Geschichten werden eher erzählt anstatt sie als moralische ›Lektionen‹ oder dogmatische Glaubensaussagen zu verstehen, die einseitig, harmonisch und normativ mit dem Kinderleben verbunden werden müssten. 4. Kommunikation des Evangeliums
Handelt es sich bei all den sehr unterschiedlichen Beispielen, die hier aufgeführt worden sind, um ›Kommunikation 33 Johan Valstar / Henk Kuindersma u.a., Verwonderen en ontdekken. Vakdidactiek primair onderwijs, Amersfoort 2008; http://www.verwonderenenontdekken.nl. 34 Vgl. z.B. Bert Roebben, Inclusieve godsdienstpedagogiek. Grondlijnen voor levensbeschouwelijke vorming, Leuven 2015, 93–112; Annemie Dillen / Stefan Gärtner, Praktische theologie. Verkenningen aan de grens, Leuven 2015, 131–160. 35 www.godsdienstonderwijs.be 36 Vgl. z.B. Jerome W. Berryman, Theologizing with Children. A Parable Approach, in: Gertrud Yde Iversen / Gordon Mitchell / Gaynord Pollard (Eds.), Hovering over the Face of the Deep. Philosophy, Theology and Children, Münster 2009, 197–213; Norbert Mette, Der Godly-Play-Ansatz von Jerome W. Berryman in der Perspektive der Kindertheologie, in JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 80–90.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
des Evangeliums?‹37 Kommunikation wird beim ›hermeneutisch-kommunikativen‹ Modell, wie es in Flandern gelehrt wird, als eine wichtige Aufgabe vorausgesetzt. Kommunikation ist keine Einbahnstraße, und betrifft hier nicht nur die Personen, die miteinander in den Dialog treten, sondern auch die Inhalte – das Leben sowie christliche und andere Glaubensaspekte. Ich rede hier bewusst auch von anderen Elementen des Glaubens wie Formen der Sinnfindung oder Weltanschauung. Denn christlich zu theologisieren, bedeutet immer auch ein dialogisches Sprechen, wobei man sich zu anderen weltanschaulichen Positionen verhalten und diese auch kennenlernen muss. So wird herauszufinden versucht, wie sich der Dialog für die verschiedenen Partner positiv auswirken kann. Theologisieren ist insofern eine Art Kommunikation des Evangeliums im Sinne der Kommunikation der guten Botschaft im Blick auf das Leben in
Fülle für alle (Joh 10,10). Das bedeutet, dass zusammen danach gesucht werden muss, was zu diesem Leben in Fülle für die ganze Welt am besten beitragen kann. Es geht nicht so sehr darum, was orthodox ist oder was am spannendsten ist, sondern darum, wie das Reich Gottes auf Erden schon hier und jetzt mitgestaltet werden kann. Theologisieren trägt dazu schon als Prozess bei, weil es Kinder und deren spirituelle Dimension, ihre religiösen Fragen und Erfahrungen ernst nimmt und diese positiv bewertet. Dies ist umso mehr deshalb zu betonen, weil diese Prozesse in Theorie und Praxis längst noch nicht abgeschlossen sind, sondern gerade erst angefangen haben.
37 Vgl. z.B. Christian Grethlein, »Praktische Theologie als Theorie der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart – Grundlagen und Konsequenzen«, in: International Journal of Practical Theology, 18. Jg. 2014, 287–304.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
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Edmund Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
»Man kann nicht nicht kommunizieren«1, lautet ein kommunikationstheoretisches Credo von Paul Watzlawick. Ja, aber frau kann zwischen verschiedenen Kommunikationsformen wählen – einschließlich der des Schweigens. Dabei denke ich nicht primär an das patriarchalisch verordnete Schweigen aus dem ersten Korintherbrief, sondern an das päpstliche Schweigen beim Besuch von Franziskus in Auschwitz. Der Kommunikation entkommen wir nicht. Aber es liegt an uns, wie wir sie gestalten, ob wir sie für repressive Zwecke gebrauchen oder für kommunikative. Kommunikation ist genauso ambivalent wie Religion. Verständigungsabsichten sind dabei ebenso im Spiel wie Machtinteressen. Kommunikation und Religion sind eben nicht normativ neutral. Unter pluralen Bedingungen werden beide zu Kampfplätzen bzw. Diskursorten, an denen bisweilen die semantischen Fetzen fliegen. Im Folgenden möchte ich Bedingungen, Dimensionen, Formen und Vollzüge gegenwärtiger religiöser Kommunikation beleuchten. Zunächst zeichne ich ein grobflächiges Panorama von Pluralität. Sodann werden Dimensionen religiöser Kommunikation aufgezeigt. Anschließend kommt religiöse Kommunikation in christlichen Kontexten zur Sprache. Den Schluss bilden einige Bemerkungen zur Kinder- und Jugendtheologie.
1. Ein Panorama von Pluralität
Pluralität bedeutet Vielheit, die Feststellung einer Mannigfaltigkeit, häufig verbunden mit der Bejahung von Vielfalt. Das Wort »Pluralität« bezeichnet ein Faktum, einen Wert oder eine Option. In der Moderne findet sich Pluralität auf der Ebene der Gesellschaft als Folge der Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Subsystemen, Einflusssphären und Handlungsräumen. Politik und Ökonomie, Recht und Religion bilden solche Teilsysteme, welche jeweils bestimmte Aufgaben übernehmen bzw. Funktionen erfüllen.2 Auf der Ebene der Kultur erfolgt eine Pluralisierung von Zeichen und Symbolen, Praktiken und Produkten. Diese gelten als bedeutungsgeladen, sinnstiftend, wertvoll bzw. als für das Leben und Zusammenleben relevant. In der kulturellen Lebenswelt kommt es zu einer Pluralisierung von Werten, Wahrnehmungsmustern und Lebensorientierungen. In der ideellen wie der materiellen Kultur tritt 1 Paul Watzlawick / Janet H. Beavin / Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 31972, 53. 2 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1987; Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1981; Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frankfurt a.M./New York 1992.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
nicht nur in Kunst und Architektur eine Vielfalt von Stilen zutage und präsentiert sich eine Fülle von Angeboten zur individuellen wie kollektiven Lebensgestaltung. Mit der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung sowie der kulturellen Pluralisierung geht auf der Ebene der Einzelnen eine Individualisierung einher, welche die Individuen aus vorgegebenen Institutionen freisetzt und ihnen erweiterte Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Identität erscheint unter Bedingungen der Individualisierung nicht mehr als vorgeordnet, sondern als riskantes individuelles Projekt.3 Die Subjekte rücken dabei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Subjektwerdung wird zur Perspektive gelingenden Lebens. Plurale Bedingungen erweitern die Optionen, aber sie begrenzen auch die Erwartungssicherheit, und sie steigern die Kontingenzerfahrung. »Plural« heißt nicht von vorneherein »gut«, auch wenn es vielen von uns lieb und teuer ist, aus einem möglichst großen Angebot von Waren, Dienstleistungen und Lebensorientierungen zu wählen.4 Pluralität macht das Leben und Zusammenleben womöglich interessanter, aber zugleich anstrengender. Pluralität bringt die Notwendigkeit mit sich, sich zu entscheiden, Chancen zu ergreifen, Grenzen zu ziehen und sich mit anderen zu verständigen. Pluralität birgt ein beträchtliches Konfliktpotenzial in sich. Es wird darüber gestritten, wer die richtigen Normen und Werte vertritt, was die wahren Grundlagen des Zusammenlebens sind, wo die Grenzen der einzelnen Handlungsräume gezogen werden müssen, wie die Koexistenz mit Anderen und Fremden zu gestalten ist, wozu die Ge-
sellschaft, die Kultur, die Subjekte da sind. Unter pluralen Bedingungen ist auch religiöse Kommunikation nicht mehr selbstverständlich, sondern sie wird strittig. Die Strittigkeit betrifft dabei nicht nur den Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen, den Richtigkeitsanspruch religiöser Handlungen und den Wahrhaftigkeitsanspruch der Äußerungen religiöser Subjekte, sondern vorgängig die Verständlichkeit.5 Ist religiöse Kommunikation zum Beispiel säkularen Zeitgenoss/innen überhaupt verständlich oder bedarf es dazu erst der Übersetzung in die allgemein verständliche Sprache der Vernunft? Wer für die Allgemeinheit der Vernunft eintritt, muss sich allerdings fragen lassen, ob unter Bedingungen der epistemischen Pluralität die Idee der Einheit der Vernunft noch aufrechterhalten werden kann. Hat sich diese vermeintliche Einheit nicht längst aufgelöst in die Vielfalt der Rationalitäten?6
3 Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986; Zygmunt Bauman, Wir Lebenskünstler, Berlin 2010. 4 Vgl. den religionssoziologischen Klassiker von Peter L. Berger, Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1980. 5 Zur Unterscheidung der Geltungsansprüche vgl. Jürgen Habermas (wie Anm. 1). Vgl. die ebenso raffinierte wie reflektierte reformierttheologische Habermas-Rezeption von Stephan R. Jütte, Analogie statt Übersetzung. Eine theologische Selbstreflexion auf den inneren Zusammenhang von Glaubensgrund, Glaubensinhalt und Glaubensweise in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas, Tübingen 2016. 6 Vgl. Herbert Schnädelbach, Vernunft. Grundwissen Philosophie, Stuttgart 2007.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
2. Dimensionen religiöser Kommunikation
Die folgenden Ausführungen greifen vor allem auf Theorien und Einsichten aus dem Bereich der Sprach- und Kommunikationsphilosophie zurück. Ihren Hintergrund bilden die »Philosophischen Untersuchungen« des späten Wittgenstein, die Sprechakttheorie Austins und Searles sowie die »Theorie des kommunikativen Handelns« von Jürgen Habermas.7 Der späte Wittgenstein hat die Vielfalt der Sprachspiele untersucht, in denen alltägliche Sprache, eingebettet in Lebensformen, gebraucht wird. Die Sprechakttheoretiker haben deutlich gemacht, dass wir mit Worten bzw. Sätzen etwas tun, nämlich Handlungen vollziehen und damit etwas mit Blick auf die AdressatInnen beabsichtigen und/ oder bewirken. Wichtig ist die sprechakttheoretische Einsicht, dass sprachliche Kommunikation sich zum einen auf Inhalte bezieht und zugleich einen performativen Charakter hat. Der Kommunikationstheoretiker Watzlawick unterscheidet ähnlich zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt. Habermas baut diese Analysen zu einer umfassenden »Theorie des kommunikativen Handelns« aus. Deren Pointe liegt darin, dass sprachlich vermitteltes Handeln verständigungsorientiert ist, nämlich auf die Gleichheit der an Kommunikation Beteiligten und die Gegenseitigkeit ihrer Beziehungen zielt.8 Die Kontextualität von Kommunikation kommt in sprechakttheoretischer Perspektive in den Blick. Wenn ein Kind einem anderen einen Eimer Wasser über den Kopf kippt und dabei sagt: »Ich taufe dich«, dann ist damit der Sprechakt des Taufens nicht gelungen und die Tau-
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fe nicht vollzogen. Schließlich steht die Medialität von Kommunikation im Fokus von Text- und Medientheorien.9 Wenn Kommunikation eine intersubjektive, eine inhaltliche, eine kontextuelle, eine mediale sowie eine intentionale Dimension aufweist, dann können Subjekte, Inhalte, Kontexte, Medien und Intentionen als Dimensionen auch religiöser Kommunikation unterschieden werden.10 Es gilt also zu bedenken, wer in religiöser Kommunikation was wo wie und wozu tut. Als Subjekte religiöser Kommunikation kommen all jene in Betracht, welche von solcher Kommunikation Gebrauch machen, die individuell oder kollektiv, privat oder öffentlich religiöse Kommunikation vollziehen bzw. sich an religiös geprägter Kommunikati7 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a.M. 31975; John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972; John R. Searle, Sprechakte, Frankfurt a.M. 121983; dazu: Helmut Peukert, Wissenschaftstheorie – Handlungstheorie – Fundamentale Theologie. Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung, Frankfurt a.M. 32009; Edmund Arens, Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie, Düsseldorf 1982. 8 Der Beziehungsaspekt ist mit Blick auf seine theologischen und insbesondere religionspädagogischen Implikationen und Konsequenzen umfassend ausgearbeitet bei Reinhold Boschki, »Beziehung« als Leitbegriff der Religionspädagogik. Grundlegung einer dialogischkreativen Religionsdidaktik, Ostfildern 2003. 9 Vgl. Harald Weinrich, Sprache in Texten, Stuttgart 1976; Jochen Hörisch, Eine Geschichte der Medien. Von der Oblate zum Internet, Frankfurt a.M. 2004; Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 3 2004. 10 Vgl. Edmund Arens, Gottesverständigung. Eine kommunikative Religionstheologie, Freiburg i.Br. 2007, 55–106.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
on und Interaktion beteiligen. Dabei ist institutionelle Kommunikation, zu der nur bestimmte ordinierte Subjekte berechtigt sind, zu unterscheiden von informeller Kommunikation, welche allen zum Vollzug offensteht. Religiöse Subjekte bringen in ihrer religiösen Kommunikation die unterschiedlichsten Inhalte zur Sprache. Religiös sind dabei nicht eo ipso bestimmte Inhalte wie »Gott«, »Glaube« oder »Kirche«. Wenn bei Richard Dawkins11 oder in »Charlie Hebdo« von Gott die Rede ist, geht es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um religiöse Kommunikation. Ob ein Inhalt religiös ist, hängt davon ab, wer ihn wo wie und in welcher Absicht zum Ausdruck bringt. Die Subjektbezogenheit erfordert es, zwischen religiöser und nichtreligiöser Kommunikation in religionskritischer Absicht zu differenzieren. Subjektbezogenheit heißt auch: Es macht einen Unterschied, wer religiös kommuniziert – Grundschülerin oder Greis, Prophetin oder Pfarrer, Fundamentalist oder Patchwork-Christin. Zu den semantischen Gehalten religiöser Kommunikation gehören Inhalte, die aus der Beteiligtenperspektive von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft mit Wahrheits-, Richtigkeits- und Wahrhaftigkeitsanspruch geäußert werden. Zu den Inhalten religiöser Kommunikation zählen Aussagen über die »wirkliche« Wirklichkeit, welche in bestimmten religiösen Kontexten als transzendente, letztgültige oder göttliche Wirklichkeit kommuniziert wird. Zugleich werden in religiöser Kommunikation Äußerungen über die Welt gemacht sowie Einstellungen zur Welt artikuliert. Zudem kommen Fragen nach der Aus-
richtung des persönlichen wie gemeinschaftlichen Lebens, nach dem richtigen Handeln, dem Sinn und dem endgültigen »Heil« zur Sprache. Religiöse Kommunikation wird an verschiedenen Orten in unterschiedlichen Kontexten vollzogen und durch diese Kontexte geprägt. Dazu zählen einerseits dafür eingerichtete sakrale Orte, andererseits alltägliche Lebenszusammenhänge. Religiöse Kommunikation findet in gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten statt. Es gibt gesellschaftliche Orte wie Fest- und Feiertage mit religiösen Großveranstaltungen. Es gibt gemeinschaftliche Orte religiöser Kommunikation und auch Orte persönlicher Religionsausübung. Ein liturgischer Ort fordert und fördert andere Kommunikationsformen als ein pädagogischer, ein universitärer andere als ein basisgemeindlicher. In der Familie finden andere Weisen religiöser Kommunikation statt als in der Pfarrei, in Rio andere als in Rom oder Rangun. Religiöse Kommunikation nimmt eine Vielzahl von Medien in Anspruch. Es lassen sich Kommunikationsmedien und Speicher- bzw. Verbreitungsmedien unterscheiden. Zu den Kommunikationsmedien zählen Bild, Sprache, Schrift und der menschliche Körper.
11 Vgl. etwa Richard Dawkins, Der entzauberte Regenbogen. Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Phantasie, Reinbek 2002; sowie von seiner Schülerin Susan Blackmore, Die Macht der Meme oder Die Evolution von Kultur und Geist, Heidelberg 2005; dazu: Edmund Arens, Gottesbestreitungen. Ansichten des neuen Atheismus, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 12. Jg 2013, Heft 1, 95–119.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
Unter die Speicher- und Verbreitungsmedien fallen Schrift, Buchdruck und elektronische Medien. Frühgeschichtlich dominant waren »Menschmedien«, wie Werner Faulstich im ersten Band seiner »Geschichte der Medien«12 ausführt. Menschen sind auch im elektronischen Zeitalter immer noch Medien religiöser Kommunikation, wie ein Blick in die schier unendliche Vielfalt religiöser und religioider Angebote, Anleitungen und Performances im World Wide Web offenbart. Sprache ist nicht nur »das grundlegende Kommunikationsmedium der Gesellschaft«13, so Niklas Luhmann, sondern als gesprochene Sprache unter Anwesenden wie als kodifizierter und kanonisierter schriftlicher Text ein unverzichtbares Medium religiöser Kommunikation. Als einst bedeutendes Medium religiöser Kommunikation können Bilder gelten. Sie dienten der Vermittlung religiöser Inhalte wie der Kommunikation mit transzendenten Mächten. In der westlichen Moderne hat das Bild als religiöses Medium an Bedeutung verloren und ist weitgehend zum Kunstwerk säkularisiert worden.14 Mit dem electronic age sind Bilder bzw. Bildsequenzen jedoch erneut zu ubiquitären Medien fluider religiöser Kommunikation aufgestiegen.15 Neben Bild, Sprache und Schrift stellt auch die Musik ein Medium religiöser Kommunikation dar. Religionen machen von diesem Medium insbesondere in kultisch-rituellen Kontexten und Vollzügen vielfachen Gebrauch. In religiösen Feiern bzw. Gottesdiensten fügen sich diverse Kommunikationsmedien wie gesprochene Sprache und Schrifttexte, körperliche Gesten und Gebärden sowie Musik zu bisweilen komplexen multimedialen
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Kommunikationsformen zusammen. Ihre Multimedialität macht auch die elektronischen Medien ebenso attraktiv wie unwiderstehlich. In religiöser Kommunikation kommen verschiedene, einander widerstreitende Intentionen zum Zuge.16 Sie kann intendieren, die »wirkliche« Wirklichkeit zu kommunizieren, und, wird letztere personal verstanden, mit dieser zu kommunizieren. Sie kann darauf aus sein, das in der eigenen Tradition maßgebliche religiöse Wissen zu vermitteln, es zu bewahren, mitzuteilen und weiterzugeben. Religiöse Kommunikation kann beabsichtigen, Kinder und Jugendliche in die Überzeugungen und Praktiken einer Religionsgemeinschaft einzuführen, nicht nur junge Menschen in ihren Glaubensüberzeugungen, rituellen Vollzügen und ethischen Praktiken zu stärken und
12 Werner Faulstich, Das Medium als Kult. Von den Anfängen bis zur Spätantike (8. Jh.), Göttingen 1997, 24. 13 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1997, 205. 14 Vgl. Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990. 15 Vgl. Boris Groys / Peter Weibel (Hg.), Medium Religion. Faith. Geopolitics. Art, Köln 2011. 16 Der Begriff der Intention wird hier nicht im phänomenologisch-subjekttheoretischen, sondern im kommunikationstheoretisch-intersubjektiven Sinne einer »kollektiven Intentionalität« gebraucht. Intentionen von an religiöser Kommunikation Beteiligten bewegen sich zwischen kommunikativer Verständigungsorientierung mit anderen und strategischem Erfolgsstreben gegen diese, zwischen einander als Person, Gruppe oder Gemeinschaft interaktiv öffnender, wechselseitig inkludierender Kommunikation und einseitig ausgrenzender Repression.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
ihnen damit zu einer religiösen Identität zu verhelfen. Religiöse Kommunikation kann um der Identität und Integrität der eigenen Gemeinschaft willen darauf aus sein, zum Teil rigoros und rigide, Grenzen zu ziehen gegenüber Andersgläubigen und Nichtgläubigen. Sie kann freilich auch die Intention haben, Grenzen zu überschreiten, die Verständigung mit anderen zu suchen und Möglichkeiten gemeinsamen Zusammenlebens in Konvivenz zu erkunden. Ziel religiöser Kommunikation kann auch sein, Suchenden Perspektiven zu eröffnen und Gläubige zu einem kritischen und selbstkritischen Umgang mit religiösen Traditionen zu befähigen. Als Intention religiöser Kommunikation kommt sowohl die Einbindung in religiöse Gemeinschaften als auch die Befähigung zur Subjektwerdung in Frage. Religiöse Kommunikation kann demnach ganz Unterschiedliches intendieren. Sie kann auf Erhaltung und Legitimierung von göttlicher, sakraler oder kosmischer Ordnung, aber auch auf Veränderung, Umsturz oder Transformation zielen. Sie kann auf Konservierung des Bestehenden ebenso ausgerichtet sein wie auf dessen radikale Kritik. Sie kann die Absicherung und den Schutz existierender Formen von Gemeinschaft und Solidarität im Blick haben wie auch deren Aufbrechen, Erweiterung oder Erneuerung. Sie kann auf den Erhalt des in ihr gegenwärtigen Heils genauso abheben wie auf eine das Gegenwärtige transzendierende Erlösung und Befreiung. Die Intentionen religiöser Kommunikation differieren entsprechend den Situationen, Positionen und Optionen ihrer individuellen sowie kollektiven Subjekte.
3. Religiöse Kommunikation in christlichen Kontexten
Religiöse Kommunikation im Rahmen des christlichen Glaubens lässt sich meines Erachtens mit Blick auf den jeweiligen Umgang mit Gott differenzieren und präzisieren.17 Religiöse Kommunikation vollzieht sich innerhalb des Christen-
17 Religiöse Kommunikation im christlichen Kontext lässt sich in der Tat auch als »Kommunikation des Evangeliums« fassen. Diese Terminologie hat gegenüber »religiöser Kommunikation« den Vorteil der Fokussierung, der Konkretisierung und der semantischen Präzisierung. Diesem Vorteil steht als Nachteil die in Reinhold Boschkis Beitrag in diesem Band angefragte Säkularitätsfähigkeit, Pluralitätsfähigkeit, interreligiöse Dialogfähigkeit und die Anschlussfähigkeit an interdisziplinäre und internationale Diskurse entgegen. Das gilt gleichfalls für die Anschlussfähigkeit an bildungs-, religions- und gesellschaftstheoretische Diskurse. In meinen folgenden Ausführungen ergeben sich gleichwohl vielfältige Parallelen zu und Gemeinsamkeiten mit dem Konzept der »Kommunikation des Evangeliums«, das m.E. in einen religionstheoretischen bzw. religionstheologischen Ansatz einzubetten wäre. Vgl. zu ersterem Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 2012; dazu Christian Grethlein, Praktische Theologie als Theorie der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart – Grundlagen und Konsequenzen, in: International Journal of Practical Theology, 18. Jg. 2014, 287–304; Christian Grethlein, »Religion« oder »Kommunikation des Evangeliums« als Leitbegriff für die Praktische Theologie?, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 112. Jg. 2015, 468–489; zudem den Überblick über die Diskussion des Konzepts bei Bernd Schröder / Michael Domsgen (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014 sowie Norbert Mette, Einführung in die katholische Praktische Theologie, Darmstadt 2005.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
tums als eine solche mit Gott, von Gott her, vor Gott sowie über Gott.18 Religiöse Kommunikation mit Gott geschieht zuallererst im Beten.19 Das Gebet stellt eine grundlegende Form religiöser Kommunikation dar, mittels derer die Betenden sich an ein der eigenen Verfügung entzogenes göttliches Gegenüber richten, um mit diesem in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Die Betenden wenden sich zumeist in direkter Anrede an Gott, um ihre Beziehung zu dieser Wirklichkeit zu artikulieren, dieser gegenüber ihr Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen und ihre Anliegen vorzubringen. Hauptformen des Betens bilden das Bitt-, das Klage-, das Dankund das Lobgebet. Darin wird Gott je nach Situation und Intention als schöpferische, befreiende, gebietende, verheißende und rettende Wirklichkeit angesprochen. Beten geschieht in der Absicht, sich für persönliche oder gemeinschaftliche Anliegen bei der angesprochenen göttlichen Wirklichkeit Gehör zu verschaffen. Das Artikulieren der menschlichen Leiden, Nöte, Sorgen und Bitten zielt auf den intendierten göttlichen Beistand, auf Gottes Hilfe, Segen, Schutz oder Rettung. Im Beten kommt gleichfalls der Dank für geschenkte göttliche Zuwendung zum Ausdruck. Eine elementare Intention des Gebets ist der anbetende Lobpreis Gottes. Für den christlichen Glauben manifestiert sich die Kommunikation mit Gott in konzentrierter Form in der Gebetssprache Jesu, insbesondere in der siebenfältigen Bitte des »Vater unser« / »Unser Vater«.20 Religiöse Kommunikation von Christinnen und Christen geschieht auch von Gott her, und sie artikuliert sich in ei-
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ner Reihe von Kommunikationsformen. Eine wichtige Gestalt ist das Erzählen.21 Religiöser Glaube muss erzählt werden. Wer Gottesgeschichten und Glaubensgeschichten erzählt, wer diese auf gegenwärtige Handlungssituationen bezieht und in sie hinein erweitert und auslegt, macht ein Angebot zum Verständnis ak18 Vgl. Edmund Arens, Religiöse Sprache und Rede von Gott. Sprechhandlungstheoretische und kommunikationstheologische Überlegungen, in: Uwe Gerber / Rudolf Hoberg (Hg.), Sprache und Religion, Darmstadt 2009, 41–59; Edmund Arens, Kommunikative Vernunft und Gottrede, in: Klaus Viertbauer / Heinrich Schmidinger (Hg.), Glauben denken. Zur philosophischen Durchdringung der Gottrede im 21. Jahrhundert, Darmstadt 2016, 315–334. Die Formulierung »von Gott her« übernehme ich von Christian Grethlein (wie Anm. 17), 550, verwende sie allerdings nicht allein für das »Helfen zum Leben« (ebd.). 19 Vgl. Richard Schaeffler, Das Gebet und das Argument. Zwei Weisen des Sprechens von Gott, Düsseldorf 1989; Andrea Schulte, Religiöse Rede als Sprachhandlung. Eine Untersuchung zur performativen Funktion der christlichen Glaubens- und Verkündigungssprache, Frankfurt a.M. 1992; Christiane de Vos, Klage als Gotteslob aus der Tiefe. Der Mensch vor Gott in den individuellen Klagepsalmen, Tübingen 2005; Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009; vgl. auch Christian Grethlein (wie Anm. 17), 528–550. 20 Vgl. Johann Baptist Metz, Memoria passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg i.Br. 2006, 93–107. 21 Vgl. Rolf Zerfaß (Hg.), Erzählter Glaube – erzählende Kirche, Freiburg i.Br. 1988; Johann Baptist Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie, Mainz 51992, 181–203; Paul Ricoeur, Zeit und Erzählung, 3 Bde., München 1988–1991; Monika E. Fuchs / Dirk Schliephake (Hg.), Die Bibel erzählen, NeukirchenVluyn 2014; Christian Grethlein (wie Anm. 17), 513–518, der das Erzählen allerdings als »Kommunikation über Gott« (512) auffasst.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
tueller Situationen. Christlich-religiöse Kommunikation besteht in solchen Angeboten und Einladungen. Im Erzählen bestimmter Geschichten lebt Glaube und wird darin weitergegeben, erinnert und vergegenwärtigt. Erzählungen beziehen sich häufig auf markante Geschehnisse der Vergangenheit, auf Personen und Ereignisse, die im kommunikativen bzw. im kulturellen Gedächtnis gespeichert sind und erinnert werden müssen. Erinnern ist eine zweite Gestalt religiöser Kommunikation. Zu dem, was nicht vergessen werden darf, gehört die Erinnerung an erfahrene Unterdrückung, an erlangte Identität und an begangenes Unrecht, die Begegnung mit und Erfahrung von Schuld und Befreiung, Knechtschaft und Heil. Die memoria passionis, das Gedächtnis des Leidens Jesu Christi und das Gedächtnis der Leidensgeschichte der Opfer der Geschichte stehen nicht nur im Zentrum des Abendmahls / der Eucharistie, sondern gehören konstitutiv zum christlichen Leben.22 Eine dritte Gestalt religiöser Kommunikation bildet das Feiern.23 Gottesdienst muss gefeiert werden. Im Gottesdienst wird die Gegenwart Gottes rituell begangen und liturgisch gefeiert. Gottesdienst-Feiern ist nicht nur expressiv, nämlich Ausdruck menschlicher Betroffenheit von Gott oder Expression von Gemeinschaftserfahrungen der Teilnehmenden. Gottesdienstliches Feiern ist in bestimmter Weise effektiv. Indem es Gott vergegenwärtigt, erzählt und feiert, bildet es eine wesentliche Form christlich-religiöser Kommunikation nicht nur von Gott, sondern zugleich mit Gott. Eine vierte Form christlich-religiöser Kommunikation bildet das Verkündigen.24 Dieses hebt darauf ab, die Gottes-
botschaft Menschen nahezubringen, sie in die Situation ihrer Hörenden hineinzubringen und darin fruchtbar werden zu lassen. Im Verkündigen steckt ein missionarisches Element. Verkündigen zielt darauf, Menschen von Gott zu überzeugen, sie zum Glauben zu bringen bzw. darin zu bestärken. Neben dem missionarischen gibt es das prophetische Moment des Verkündigens. Prophetisches Verkündigen geschieht, wo Menschen im Namen Gottes Einspruch gegen die herrschenden Verhältnisse erheben, wo sie in Gottes »Rechtsstreit« mit der Welt eingreifen und für ihn Partei ergreifen. Prophetisches Verkündigen stellt die herrschenden Verhältnisse vor Gottes Gericht, tritt als dessen Ankläger gegen das Unrecht auf und verkündet zu22 Vgl. Johann Baptist Metz (wie Anm. 20); Ingrid Schobert, Erinnerung als Praxis des Glaubens, München 1992; Paul Petzel / Norbert Reck (Hg.), Erinnern. Erkundungen zu einer theologischen Basiskategorie, Darmstadt 2003; dazu: Ingolf U. Dalferth, Glaube als Gedächtnisstiftung, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 104. Jg. 2007, 59–83. 23 Vgl. Jan Assmann (Hg.), Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Gütersloh 1991; Victor Turner (Ed.), Celebration. Studies in Festivity and Ritual, Washington (DC) 1982; dazu: Christian Grethlein (wie Anm. 17), 278–295, 398–404; Damaris Knapp, Liturgische Elemente und Theologisieren mit Kindern, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014, 32–39. 24 Vgl. die Ausführungen zur »Kommunikation des Evangeliums« bei Ernst Lange, Aus der »Bilanz 65«, in: Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, hg. von Rüdiger Schloz, München 1981, 101–129. Zur kommunikativen Struktur des Evangeliums vgl. Edmund Arens, Christopraxis. Grundzüge theologischer Handlungstheorie, Freiburg i.Br. 1992, 45–60.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
sammen mit Gottes Einspruch dessen Verheißung einer neuen, gerechten und menschenfreundlichen Ordnung. Eine fünfte Gestalt christlich-religiöser Kommunikation von Gott her besteht im Bezeugen. Bezeugen stellt eine »elementare Handlung des Glaubens«25 dar, welche einen Selbstbezug mit einer Beziehung sowie einem Sachbezug verbindet. Im Bezeugen wird eine gemachte Erfahrung bzw. gewonnene Einsicht anderen aus der Betroffenen- und Beteiligtenperspektive unter Einsatz der eigenen Person mitgeteilt. Im Bezeugen artikulieren sich Widerfahrnisse und Erfahrungen, in denen sich gläubig Gewordenen grundlegende und lebensbestimmende Dimensionen der Wirklichkeit Gottes erschlossen haben. Ein Zeuge ist »Überlieferungsträger personaler Offenbarung«26. Eine Zeugin ruft etwas in Erinnerung und macht transparent, was sie gesehen und eingesehen hat, was ihr evident geworden ist. Sie teilt es anderen mit, auf dass es ihnen ebenso zugänglich und einsehbar werde. Christliches Bezeugen ist darauf gerichtet, Jesu Person und Praxis, Gottes Handeln in und an ihm zu erinnern und durch die eigene Person hindurch zu vergegenwärtigen. Im Unterschied zum Bezeugen, das verbal oder auch nonverbal vollzogen werden kann, ist die sechste Gestalt christlicher-religiöser Kommunikation, das Bekennen, notwendig sprachlich.27 Bekannt wird mit dem Mund. Im Glaubensbekenntnis kommt eine gemeinsame Überzeugung zur Sprache, die im Akt des Bekennens verbalisiert und verbindlich zum Ausdruck gebracht wird. Im gemeinsamen Bekenntnis konstituiert sich eine Glaubensgemeinschaft als Bekenntnisgemeinschaft. Die im »Bekennt-
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nis, dass …« angesprochenen Inhalte des Glaubens werden im Bekennen vor Gott und vor der Öffentlichkeit28 – coram Deo und coram publico – als verbindlich, das heißt, als persönlich wie kollektiv selbstverpflichtend ausgesprochen. Wem das zuletzt Gesagte zu wolkig oder zu evangelikal klingt, denke bitte an die »Barmer Theologische Erklärung« oder an das »KAIROS-Dokument südafrikanischer Christen«.29 Bekennen ist eine hochex25 Vgl. Edmund Arens, Bezeugen und Bekennen. Elementare Handlungen des Glaubens, Düsseldorf 1989, dazu: Ansgar Kreutzer, Authentisches Zeugnis – zwischen theologischer Affinität und soziologischer Skepsis, in: Ansgar Kreutzer / Christoph Niemand (Hg.), Authentizität – Modewort, Leitbild, Konzept. Theologische und humanwissenschaftliche Erkundungen zu einer schillernden Kategorie, Regensburg 2016, 279–305. 26 Vgl. Ansgar Wolff, Der Zeuge als Überlieferungsträger personaler Offenbarung. Zur Korrelation von Offenbarungsgehalt und Vermittlungsgestalt im Kontext der entfalteten Moderne, Frankfurt a.M. 1996; Hermann Pius Siller, Letzte Erfahrungen. Vom Licht der Unbegreiflichkeit, Würzburg 2012. 27 Vgl. Andreas Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament, Berlin 1997; Edmund Arens (wie Anm. 25). 28 Zum öffentlichen Charakter von Religion, Glaube, Theologie und Religionspädagogik vgl. Edmund Arens, Going public – Öffentliche Religionen und Öffentliche Theologie, in: Edmund Arens / Martin Baumann / Antonius Liedhegener, Integrationspotenziale von Religion und Zivilgesellschaft. Theoretische und empirische Befunde, Baden-Baden 2016, 19–69; Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Bildung in pluralen religiösen Lebenswelten, Stuttgart 2015. 29 Vgl. Petra Bahr u.a., Begründete Freiheit. Die Aktualität der Barmer Theologischen Erklärung, Neukirchen-Vluyn 2009; Rudolf Hinz / Frank Kürschner-Pelkmann (Hg.), Christen im Widerstand. Die Diskussion um das südafrikanische KAIROS Dokument, Stuttgart 1987; dazu: Edmund Arens (wie Anm. 25), 287–314.
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Zur Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« – Orientierungen und Unterscheidungen
plosive Angelegenheit. Davon kann man hier in Zürich ein Lied singen.30 Eine siebte Gestalt nicht nur christlich-religiöser Kommunikation bildet das Teilen oder die diakonia. Eine solche Praxis der Nächstenliebe, des Mitleidens, des Erbarmens, der Solidarität gehört zum ethischen, kommunikativen Kern von Religion und der meisten Religionen. Die Praxis des Teilens schafft, stärkt und transformiert in ganz besonderer Weise Gemeinschaft. Die meisten Religionen haben ihre Vorstellungen darüber, dass und wie die Güter der Erde, die materiellen wie die spirituellen, die sozialen wie die gemeinschaftlichen Güter zu teilen sind. Norbert Mette betont gegenüber der Asymmetrie des »Helfens« die Reziprozität des Teilens. »‚Teilen‘ heißt, in der Begegnung mit dem bedürftigen Anderen auch eigene Bedürftigkeiten und die Verstricktheit in das Schicksal des Anderen zu erkennen und so sich allererst als in einem reziproken Verhältnis zueinander stehend zu erfahren, was dann in einem jeweiligen Anteilgeben an dem eigenen (nicht nur materiellen) Vermögen zu einer wirklichen gemeinsamen Gestaltung der Lebenspraxis befähigt. Teilen ist – so verstanden – die wohl radikalste Form kommunikativer Praxis, insofern die Beteiligten aneinander Anteil nehmen und geben.«31 Zur religiösen Kommunikation im christlichen Kontext zählt zudem die theologische Kommunikation über Gott. Fundamentale Theologie hat laut Helmut Peukert »Auskunft darüber zu geben, wie von Gott geredet werden kann und warum überhaupt von ihm geredet werden muß«32. Wissenschaftliche Theologie analysiert die Logik, Grammatik, Semantik und Pragmatik religiöser Rede
von und mit Gott.33 Sie rekonstruiert die Kommunikationsformen religiöser und insbesondere biblischer Gottesrede. Theologie bedenkt die Subjekte, semantischen Gehalte, Kontexte und Orte, Texte und Medien sowie Intentionen nicht nur religiöser Kommunikation mit, von und vor Gott, sondern zugleich theologischer Kommunikation über Gott. Nach meiner Auffassung tritt sie für eine Kommunikation mit, von, vor und über Gott ein, die deren Wahrheits-, Richtigkeits- und Wahrhaftigkeitsansprüche kritisch und selbstkritisch reflektiert, zu rechtfertigen sucht und entfaltet. 4. Theologische Kommunikation in der Kinder- und Jugendtheologie
Bei der Kinder- und Jugendtheologie handelt es sich meiner Wahrnehmung nach um eine subjektbezogene und auf Subjektwerdung ausgerichtete Gestalt der theologischen Kommunikation über Gott. Diese vollzieht sich einerseits im wissenschaftlich-fachtheologischen Rahmen der Reflexion über kinder- bzw. jugend30 Vgl. Konrad Schmid, Die Theologische Fakultät der Universität Zürich. Ihre Geschichte von 1833 bis 2015, Zürich 2016. 31 Norbert Mette, (Religions-)Pädagogisches Handeln, in: Edmund Arens (Hg.), Gottesrede – Glaubenspraxis. Perspektiven theologischer Handlungstheorie, Darmstadt 1994, 164–184, 182. Zum »Helfen zum Leben« vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 17), 167f, 550–568. 32 Helmut Peukert, Fundamentaltheologie, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe, Bd. 2, München 198416; vgl. Helmut Peukert, Bildung in gesellschaftlicher Transformation, hg. von Ottmar John und Norbert Mette, Paderborn 2015. 33 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981.
Arens Religiöse Kommunikation unter pluralen Bedingungen
theologische Kommunikation. Wenn darin aber andererseits herausgestellt wird, dass Kinder- und Jugendtheologie zuerst Theologie der Kinder / der Jugendlichen34 ist, dann öffnet die Reflexion den kindlichen oder jugendlichen Subjekten einen Raum des eigenen Theologietreibens. Diese Kommunikation über Gott und die Welt findet nicht fachlich und methodisch diszipliniert, sondern kreativ-undiszipliniert, erzählend, fragend und fordernd statt. Fachtheologie wird zur Hörerin des Kinderwortes, zur Adressatin religiöstheologischer Kommunikation der Jugendlichen. Von letzterer geht bisweilen ein beträchtliches Irritationspotenzial aus, erscheint sie doch bei manchen bzw. für manche unglaublich fluide oder schockierend rigide, unerhört fromm oder krass unorthodox. Theologie für Kinder und Jugendliche35 dürfte da einladend-vermittelnd den Horizont religiösen Wissens von Kleinkindern, Primarschülerinnen und Teenagern zu erweitern suchen, ohne Irritationen einzuebnen und Provokationen abzuwehren. Es geht darum, das die religiösen Diskurse der Erwachsenen und Spezialistinnen unterbrechende, prophetische Potenzial der Kinder und Jugendlichen anzuerkennen und ernst zu nehmen. Es gilt, deren implizite, »wilde« Theologie zu verstehen und auf dem Hintergrund der christlichen Tradition zu kultivieren, ohne ihr die Zähne zu ziehen.
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Damit die religionspädagogisch notwendige Vermittlung religiösen Wissens nicht das letzte Wort behält, bedarf es einer Theologie bzw. eines Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen36, das heißt, einer theologischen Kommunikation, welche dialogisch-kommunikativ und verständigungsorientiert angelegt ist, auf möglichst symmetrische Kommunikation und Interaktion zwischen den Beteiligten.
34 Vgl. Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 112– 115; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 53–77. 35 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 34), 115–119; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 34), 107–134. 36 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 34), 119– 123; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 34), 53–77; Petra FreudenbergerLötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007; Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, München 2012. Zum »Theologisieren mit Kindern« methodisch wie material ergiebig: Gerhard Büttner u.a. (Hg.) (wie Anm. 23).
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Noemi Bravená Theologische Gespräche in der Familie
Christliche Familien versuchen oft, in tagtäglicher Weise ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen.1 Dies manifestiert sich u.a. in Formen des Gebets, in Gesprächen über Glaubensfragen und der Lektüre der Kinderbibel. So betonen denn auch alle Kirchen in der Tschechischen Republik die Bedeutung der Familie für die Weitergabe der christlichen Botschaft2, doch was das im Einzelnen für die Eltern bedeuten könnte, bleibt weitgehend offen. D.h., dass die Eltern bei ihrer Erziehung mehr oder weniger auf ihre Intuition angewiesen sind, da es im Tschechischen kaum nennenswerte Hinweise in dieser Richtung gibt – weder theologische noch religionspädagogische. Dieser Mangel rührt auch daher, dass es zu möglichen konkreten Kommunikationsformen in der Familie im Hinblick auf religiöse Themen keinerlei Forschung gibt. Andererseits fühlen sich nach einer katholischen Studie dadurch viele Familien allein gelassen. So stellt dies auch wissenschaftlich ein neues Thema dar. Es gibt nur eine kleine empirische Sondierung im Rahmen der Bakkalaureatsarbeit einer meiner Studentinnen.3 Dabei ist das Vorschulalter eine ganz wichtige Zeit, weil die Kinder in dieser Zeit eine besondere Sensibilität für das Transzendente in der sichtbaren und auch unsichtbaren Welt zeigen und erleben.4 Angesichts der Forschungsdefizite versuche ich im Folgenden anhand
einer kleinen explorativen Studie auszuloten, in welcher Gestalt die Kommunikation mit kleinen Kindern über religiöse Themen von statten gehen kann. Dabei werde ich notwendigerweise auch einen Blick auf die Frage werfen, ob bzw. in welcher Weise man bei dieser familialen Interaktion von »Kommunikation des Evangeliums« reden kann. 1. Die Bedeutung des Abendrituals – wann wird Evangelium kommuniziert?
In den christlichen Kindergärten werden in der Regel bestimmte Zeiten und Anlässe gewählt, in denen explizit über Inhalte des christlichen Glaubens gesprochen wird und diese auch praktiziert werden. Zugleich erwartet man, 1 Dieser Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojektes PRVOUK P01: »Theology as a Way to Interpret History and Culture« der Karlsuniversität in Prag entstanden. 2 Vgl. Ludvík Dřímal, Catechesis in Today’s Czech Family, in: Elzbieta Osewska / Józef Stala, The Contemporary Family: Local and European Perspectives, Krakov 2015, 193–205, 199f. 3 Kristina Rydlová, Religious Education of Preschool Children, Prag 2015. 4 Noemi Bravená, »Nezabývej se jen sám sebou …« Přesah a jeho význam pro socializaci a formování dítěte jako osobnosti, Prag 2016, 86f.
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
dass auch implizit etwas vom »christlichen Geist« in die Kommunikation im Kindergarten einfließt. Neuerdings gibt es auch in den säkularen Kindergärten erste Überlegungen, wie eine transzendenzsensible Perspektive in die Arbeit mit den Kindern einfließen könnte. Diese Diskussion ist nicht zuletzt die Konsequenz einer Debatte in der tschechischen Frühpädagogik, die unter dem Stichwort der »Kindzentrierung« geführt wird.5 Dabei spielt der Gedanke einer grundsätzlichen Transzendenzorientierung des Menschen als anthropologischer Grundzug eine bestimmende Rolle. Setzt sich dieser Gedanke auch in der konkreten Unterweisung durch, dann könnte dies auch in einem weiteren pädagogischen Bereich »Kommunikation des Evangeliums« wahrscheinlicher machen. Diese Transzendenzsensibilität, die ich im Folgenden als Spiritualität bezeichnen möchte, spielt natürlich auch für die religiöse Kommunikation in der Familie eine wichtige Rolle, bildet sie doch gewissermaßen die anthropologische Voraussetzung auch für ein mögliches Theologisieren. So erscheint es sinnvoll, theologische Gespräche zu inszenieren, die Auskunft geben können über die grundsätzlichen Möglichkeiten einer religiösen oder theologischen Kommunikation, ohne dass eine – durchaus wünschenswerte – Begleitung der religiösen Entwicklung von Vorschulkindern über längere Zeit notwendig wäre. Diese gezielte Kommunikation der Spiritualität realisiert sich meistens in der Zeit des Übergangs zwischen täglicher Aktivität der Kinder und dem Einschlafen. Diese Zeit ist meist ritualisiert und hat in jeder Familie eine eigene Dauer und Gestalt (Gesang, Lesen von Kinderbüchern,
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Gespräch über den Alltag, gemeinsame Spiele usw.). Nach Morgenthaler sind sich die meisten Eltern der Bedeutung dieser Zeit bewusst und versuchen, sie nur selten zu verpassen. Solche gemeinsamen Abende bieten die Möglichkeit, die »versteckten religiösen Potentiale der Familieninteraktion bis hin zu expliziten Bezügen auf Transzendenz« zu realisieren.6 Christoph Morgenthaler präsentiert in seiner empirischen Studie die interessanten Motive der Eltern im Hinblick auf das Abendritual. Kindertheologie interessiert sich vor allem für die so genannten »großen Transzendenzen«, d.h. für die Verbalisierung der religiösen Vorstellungen, die auf »eine bestimmte religiöse Tradition hinweisen«. Nach den referierten Forschungsergebnissen interessieren sich aber die Eltern der untersuchten Kinder weniger für diese als vielmehr für die sog. »mittleren Transzendenzen«, die eher implizite transzendente Inhalte beinhalten. Für Eltern ist es vor allem ganz wichtig, die Kinder zu beruhigen und ihnen ein gemeinsames Miteinander zu vermitteln (»als Familie unter ein Dach gehören«). Wie Morgenthaler zeigt, gibt es auch andere wichtige Impulse für die Gespräche zwischen Eltern und Kindern, für welche sich auch die Kindertheologie interessieren sollte. Mit der Begrifflichkeit »Tran5 Vgl. Zdeněk Helus, Dítě v osobnostním pojetí. Obrat k dítěti jako výzva a úkol pro učitele i rodiče, Prag 2009. Vladimíra Spilková, Proměny primárního vzdělávání v ČR, Prag 2005. Noemi Bravená, »Nezabývej se jen sám sebou …« Přesah a jeho význam pro socializaci a formování dítěte jako osobnosti, Prag 2016. 6 Christoph Morgenthaler, Abendrituale. Tradition und Innovation in jungen Familien, Stuttgart 2011, 121–122.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
szendenzen« ordnet Morgenthaler die explizit theologischen Gespräche in einen größeren Rahmen ein, der auch nonverbale Interaktionen einschließt.7 3. Forschungsdesign 3.1 Ein Buch als Forschungsmedium
In der Elementarpädagogik ist die wichtige Funktion des gemeinsamen Lesens von Kinderbüchern für den Spracherwerb und erste Formen von Literacy bekannt.8 Es lag von daher nahe, eine solche Situation der gemeinsamen Aneignung eines Bilderbuches zum Ausgangspunkt der eigenen Untersuchung zu machen. Würde ein Buch gewählt, das eine religiöse Thematik zum Inhalt hat, könnte man dann gewissermaßen die Genese von »religious literacy« beobachten. Wieweit es sich dabei um Kindertheologie handelt bzw. eine »Kommunikation des Evangeliums« stattfindet, muss dann im Zuge der Untersuchung bedacht werden. Dabei sind die folgenden Fragen leitend: – Welche Beträge leisten die Kinderbücher für Kindertheologie? – Was ist für die Eltern wichtig und was kann aus dem gemeinsamen Lesen des einen Buches in der Familie für die Kommunikation des Evangeliums gewonnen werden? In den ausgewählten christlichen Familien wurden die Eltern gebeten, ihrem Vorschulkind das ausgewählte Kinderbuch mit religiösem Inhalt vorzulesen bzw. mit ihm darüber zu sprechen. Dies geschah mit der Aufforderung: Lesen Sie bitte dieses Kinderbuch im Rahmen des InsBett-Geh-Rituals mit Ihrem Kind genauso, wie es bei Ihnen üblich ist, wie Sie andere Kin-
derliteratur zu Hause lesen. Nach Abschluss beantworten Sie bitte die folgenden Fragen: 1. Wie habt Ihr mit diesem Buch gearbeitet? 2. Was hat das Buch Ihrem Kind gebracht? 3. Was wünscht Ihr Euch, dass das Kind aus diesem Buch lernt? In der Tschechischen Republik existieren keine Bücher, die philosophische und theologische Aspekte miteinander verknüpfen. Die Eltern lesen mit den Kindern entweder die Kinderbibel, biblische Nacherzählungen von verschiedenen Autoren oder eben profane Kinderliteratur. Während es eher schwierig ist, mit so jungen Kindern zentrale neutestamentliche Begriffe wie etwa Jesu Rede vom Reich Gottes zu thematisieren, haben die Kinder doch bereits eine Vorstellung von dem, was »Himmel« bedeuten kann, bzw. wo Gott wohnt. Mit diesem Thema beschäftigt sich das Buch von Elizabeth Liddle mit dem Titel: »Mama, wie groß ist der Himmel?9 Ich habe mich wegen der farbigen Illustrationen von Imke Soennichsen für die deutsche Version entschieden, denn die englische Version ist nur schwarz-weiß. Ich ging auch davon aus, dass farbige Abbildungen mehrere Impulse geben: »das Bild oder die Illustration im Buch hilft dem Kind, das Wort mit konkretem Inhalt zu erfüllen … (es) wirkt auf die Erzeugung und Entwicklung von Phantasie und Imagination.«10 Bei meiner 7 Ebd., 129–130. 8 Vgl. Barbora Zelinská, Vztah rodičů souč as ných předškoláků k dětské knize [online], 2015. Verfügbar unterhttps://is.cuni.cz/webapps/ zzp/detail/144597 [Zugriff: 18.07.2016]. 9 Elizabeth Liddle, Pip and the Edge of Heaven, Oxford 2002. 10 Eva Opravilová, Kniha jako prostředek výchovy, Praha 1984, 27.
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
tschechischen Übersetzung wurden beide Versionen berücksichtigt und der übersetzte Text auf Karten in das Buch geklebt. Die Hauptfigur des Buches ist ein Junge mit dem Namen Pip. Das Buch zeigt in mehreren Szenen Gespräche mit seiner Mutter. Der Leser wird von einem Erzähler durch das Buch geführt, der auch die Gespräche zwischen Pip und dessen Mutter kommentiert. Der Junge stellt die Fragen, doch nach einem kurzen Nachdenken gibt er sich selbst die Antwort. Die Mutter wird vom Sohn gefragt, stellt ihm weitergehende Fragen, gibt zustimmende Antworten ohne neue Inhalte zu benutzen und wünscht nach jedem Thema ihrem Sohn eine gute Nacht. Die einzelnen Szenen sind so hintereinander angeordnet, dass man einen Gedankenfortschritt bei Pip erkennen kann, der – vielleicht – auf sein fortgeschrittenes Lebensalter zurückgeht. Das Buch hat zwei Gedankenlinien: – die phänomenologische Linie: Das Buch verbindet die sichtbaren Welt (sky = »das ganze Blau mit den Wolken« (Himmel) = tsch. »obloha«), mit der geistigen Welt (heaven = Himmel = tsch. »nebe«). – die theologische Linie: das Buch versucht den Kindern die Allgegenwart (Ubiquität) Gottes durch zwei Gedanken zugänglich zu machen – Gott ist im Himmel und parallel auch in der sichtbaren Welt (»wo die Leute sind, Familie Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5
Geschlecht des Gesprächspartners des Kindes Frau Frau Mann Frau Frau
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die ihn lieb haben« und gleichzeitig »wo Leute sind, die er selber lieb hat« (d.h. überall). Diese innere Dialektik des Textes eröffnet mehrere Les- und Verstehensarten, an denen sich die Vorlese-Dyade immer wieder neue Anregungen holen kann – um diese dann ihrerseits weiterzuspinnen. 3.2 Stichprobe
Forschung in der Familie in dieser Art ist neu. Nicht überraschend, haben viele Familien Bedenken, Einblicke in ihr Innenleben zu geben. So war es nicht möglich, eine repräsentative Auswahl vorzunehmen. Zugang war für mich nur bei Familien möglich, bei denen ein gewisses Vertrauensverhältnis mir gegenüber bestand. Ich habe darum insgesamt zehn mir bekannte Familien für eine Teilnahme am Projekt angefragt. Bei den fünf Familien, die abgelehnt haben, gab es Befürchtungen einmal wegen des Videos, vor allem aber aus Angst, das Ganze nicht »richtig« zu machen. Drei Familien waren evangelisch, eine katholisch und eine gemischt-konfessionell. In allen Familien waren zwei oder drei Kinder – was sich in den Ergebnissen niederschlägt. Alle Eltern sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Die meisten verfügen über eine Hochschulbildung.
Geschlecht des Kindes Mädchen Junge Junge Junge Mädchen
Tabelle Nr. 1: Alter des erforschten Kindes und seiner Geschwister.
Alter
Geschwister
4 5 4 4 4
Junge Mädchen Junge Junge Mädchen
Alter der Geschwister 2 13 und 8 1 1 12 und 8
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
4. Forschungsergebnisse der Inhaltsanalyse
4.2 Ort der Kommunikation: Wo wird kommuniziert?
Ich analysiere alle verbalen und nonverbalen Kommunikationssignale, die ich der Videoaufzeichnung entnehmen kann.
Morgenthaler schreibt, dass man in vielen japanischen Familien nicht die »für Westeuropa typische Trennung des Wohnraums in ein Wohnzimmer und davon abgetrennte Zimmer der Kinder und Eltern« kennt.11 Er wollte damit zeigen, dass die Wohnbedingungen und Alltagsrituale jeder Kultur auch Einfluss auf die Ins-Bett-Geh-Rituale haben und auch generell auf das Zusammenleben. In der Tschechischen Republik (und ähnlich in anderen osteuropäischen Ländern, vermutlich auch in den ärmeren Milieus Westeuropas), ist aus finanziellen Gründen die Wohnfläche für die Familie begrenzt. Eine durchschnittliche tschechische Familie lebt in einer 3 + 1 Zimmerwohnung (ca. 64–86 m2), viele auch in noch kleineren. Darum gibt es oft nur ein oder auch kein Kinderzimmer. Oder ein Kinderzimmer wird (ca. 12 m²) auch von drei Kindern bewohnt.12 Darum verlagert sich das Abendritual oft ins Wohnoder Schlafzimmer. Dies erklärt sich so: – das jüngere Kind schläft schon; – ein älteres Geschwister macht noch die Hausaufgaben und geht darum später ins Bett; – das Kind genießt die Nähe der Eltern (in deren Doppelbett).
4.1 Ins-Bett-Geh-Ritual: Wann wird kommuniziert?
Die Morgenthaler-Studie suggeriert, dass das Abendritual in den Familien quasi der kanonische Ort ist, um in intimer Atmosphäre mit den Kindern ernsthafte Gespräche zu führen. Dies traf aber in den von mir gewählten Familien so nicht zu. In zwei Familien (Nr. 1, Nr. 4) fand ein analoges Vorlesegespräch im Laufe des Mittags statt. Die Frauen hatten außer dem Vorschulkind noch ein weiteres kleineres Kind (2 und 1 Jahre alt) und gehen während des Tages nicht zur Arbeit. Für die Mittagszeit sprechen drei Gründe: – Am Abend ist das Kind müde und deshalb weniger konzentriert; – am Abend liest man nur Bücher, die das Kind selber wählt, d.h. kennt. Für ein neues Buch interessiert sich das Kind während des Tages; – die Ankunft des Vaters – Kinder wollen die Nähe des Vaters genießen und sind sehr oft aufgedreht. Für die Kindertheologie folgt daraus, dass das Abendritual nicht die einzige Möglichkeit ist, mit dem Kind ein Buch zu lesen, d.h. auch gezielt transzendenzsensible Inhalte zu kommunizieren. Es gibt für manche Familien auch andere ritualisierte Zeiten während des Tages, die auch solche Möglichkeiten eröffnen.
Im Hinblick auf das Theologisieren heißt das, dass für die gemeinsame Kommunikation der transzendenten Inhalte nicht nur das Kinderzimmer infrage kommt, son11 Christoph Morgenthaler (wie Anm. 6), 21. 12 Es gibt auch Familien, die zwar ein eigenes Haus haben, doch oft leben sie zusammen mit den Großeltern.
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
dern auch vorübergehend das Schlafzimmer der Eltern oder das Wohnzimmer. Dies liegt nicht nur an der Beengtheit der Wohnverhältnisse, sondern auch an den Bedürfnissen der Kinder. Es geht – darauf weist auch Morgenthaler hin – immer auch und zuerst um die Schaffung eines sicheren Raumes, in dem das Kind Geborgenheit erfährt. In meiner eigenen Forschung zum Transzendenzempfinden bei Kindern spielt das eine zentrale Rolle.13 Eine Studentin erinnerte sich retrospektiv an ihr Vorschulalter und sagte: »In der Kirche waren die harten Kirchenbänke und mir war total kalt, ich habe mich da als Kind nicht gefreut«. Das Kind muss demgegenüber einen Platz zu Hause haben, wo es sich körperlich und psychisch wohlfühlt und keine Sorgen haben muss. Insofern kann es gerade eine solche Situation sein, in der das Kind die »gute Nachricht …, die Freude hervorruft« erlebt.14 4.3 Das Kind als Akteur im Kommunikationsprozess – Wer kommuniziert?
Da sich die Kinder das Buch von Pip nicht selbst auswählen konnten, verwundert es nicht, dass ein Kind sich erst einmal gegen das Buch sträubte. Doch die Eltern meinten ganz spontan: »Ich habe dieses Buch von einer Tante (d.h. bekannter Frau) bekommen mit der Bitte, das Buch gemeinsam zu lesen. Meinst du, dass wir der Tante so helfen können?« Das erwies sich als eine sehr gute Kommunikationsstrategie der Eltern und als guter Einstieg für den Forschungsprozess in der Familie. Das Vorschulkind will der Akteur des Kommunikationsprozess sein. Dies wird
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häufig nicht an der verbalen, sondern eher an der nonverbalen Kommunikation deutlich. Das Buch muss man halten, im Buch muss man blättern und die Bilder mit den Fingern berühren. Doch das Kind kommuniziert mit dem ganzen Körper – man muss während des Lesevorgangs auf dem Bett herum springen, auf den Eltern herumkriechen, akrobatische Bewegungen machen, schmunzeln, lächeln oder einfach ohne Bewegung still dasitzen oder liegen. In diesen Kontexten entfalten sich die kindlichen Artikulationen und Fragen nach dem »Warum?«, die darauf aufmerksam machen, dass das Kind doch aus dem Buch Inhaltliches mitbekommen hat und dazu etwas sagen will. In der Familie können gleichzeitig mehrere Akteure tätig sein. Doch es gibt eine bestimmte Bandbreite des Verhaltens, die von der Anzahl und dem Alter der Geschwister und vom Zeitpunkt des Ins-Bett-Gehens abhängig ist. In den untersuchten Familien haben sich die älteren Geschwister (10–13 Jahre alt) nicht engagiert, weil sie später einschlafen und deswegen noch ein anderes Programm haben. Ein Mädchen (8 Jahre alt) lag gemeinsam im Bett mit dem Vorschulkind und versuchte, der kleineren Schwester die unverständlichen Wörter beizubringen. Ein zweijähriger Junge mischte sich regelmäßig ins Gespräch ein, entweder sprach er über den Inhalt des Buches (Text, Bilder) oder über seine eigenen Fragen (Handy, Aufnahmegerät usw.)
13 Noemi Bravená, Přesah a jeho význam pro socializaci a formování dítěte jako osobnosti, Prag 2016; (der empirische Teil der Dissertation). 14 Adolf Novotný, Biblický slovník, Prag 1956, 162.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Es zeigte sich die ausgeprägte Fähigkeit der Eltern, sich auf mehrere Impulse auf einmal zu konzentrieren und zu reagieren – d.h., den Text vorzulesen, kreativ mit den Bildern zu arbeiten, den Text zu interpretieren und ein Gespräch mit mehreren Kindern (manchmal parallel) zu führen, d.h. auch die Kommunikationsthemen zu wechseln. Das Kind ist ein aktiver Faktor im Kommunikationsprozess, was einerseits dem Gespräch viele Möglichkeiten und damit auch eine große Bandbreite eröffnet, andererseits kann dies aber für die Eltern auch recht anstrengend sein. So werden manchmal inhaltliche Aspekte oder transzendenzsensible Impulse nicht beachtet.
4.4 Elternstil der Arbeit mit dem Buch – Wie wird kommuniziert?
Der Umgangsstil der Eltern beim gemeinsamen Betrachten des Buches zeigt nicht nur deren Kreativität oder Unvollkommenheit, sondern vor allem ihre eigene ritualisierte Form des Umgangs mit philosophischen oder theologischen Fragen, wie sie das Buch evoziert. Der Umgangsstil der Eltern mit dieser Art Literacy ist entscheidend bei der Vorschul-Alphabetisierung und hilft auch so etwas wie eine Kinderhermeneutik zu entwickeln. Dabei gibt es ein breites Spektrum der Elternstile. Die Eltern arbeiteten mit dem Buch in drei verschiedenen Arbeitsstilen:
Arbeitsstil
Arbeitsprozess
1. Schritt
2. Schritt
3. Schritt
Modell 1
Nach Bildern (kleiner Abschnitt)
Beschreibung des Bildes
Lesen des dazugehörigen Textes
Neuer Kommen- Kontinuierlich tar zu dem Bild über Bilder und Text. Oft wird auch das Kind angesprochen: »Weißt du?« »Stell dir vor!«
Modell 2
Nach Kapitel oder semantischer Einheit (mittlerer Abschnitt)
Lesen des Textes
Wiederholung der Hauptidee des Textes und eigener Kommentar (auch zum jeweiligen Bild)
Fragen zu den Hauptideen (nach jedem Textabschnitt – oder auch nicht regelmäßig)
Modell 3
Nach dem ganzen Text (großer Abschnitt)
Lesen des ganzen Textes
Dialog mit dem Kind
Während des Lesens: Nur, wenn das Kind fragt oder reagiert. Nach dem Lesen: Die Eltern wählen Hauptmotive, die diskutiert oder gefragt werden
Oder Gezielte Fragen an das Kind
Verbale Kommunikation mit dem Kind
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
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Eine Lehrerin hat mit dem Kind das Buch zweimal hintereinander gelesen. Dies finde ich sehr spannend. Den Arbeitsprozess können wir uns folgendermaßen vorstellen: Arbeitsstil
Arbeitsprozess
1. Schritt
2. Schritt
3. Schritt
4. Schritt
5. Schritt
6. Schritt
Modell 4
Nach Kapitel oder semantischer Einheit (mittlerer Abschnitt)
1. Lesen des ganzen Textes
Wiederholung der Hauptidee in eigenen Worten
Fragen zu den Hauptideen (nicht regelmäßig)
2. Lesen des Textes wörtlich nur da, wo es um die Hauptidee geht. Kombiniert mit dem kurzen Kommentar
Beschreibung der Hauptmotive aus dem Bild
Gezielte Fragen an das Kind
Das aufregendste Modell, das gleichzeitig für die meisten Eltern machbar ist (nicht alle sind Lehrerinnen!), wird im folgenden Gespräch zwischen der Mutter und ihren zwei Kindern (dem Mädchen Violka 4 ¾ Jahre alt und dem Jungen Šimon 2 Jahre alt) dokumentiert:
Abb. aus Elizabeth Liddle / Imke Sönnichsen, Mama, wie groß ist der Himmel? Gabriel Verlag, ein Imprint der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart 2003
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Mutter: Schau mal, was ist denn das da (auf dem Bild)? Der Affe fliegt auf dem Wölkchen. Und er (Pip) hat sich da etwas gebaut. Violka: Die Leiter. M: Er hat da die Leiter gebaut. Er will vermutlich den Gott angucken, wo er lebt. Hier ist das Fernrohr und er (Pip) schaut dorthin. Was steht denn dazu im Text? »Pip fragte seine Mutter: ›Mama, wie groß ist der Himmel?‹ Aber bevor sie antworten konnte, sagte er: ›Ich glaube, der Himmel ist genauso groß wie das Weltall.‹« Š: unterbricht die Mutter und zeigt auf das Handy. M: Was ist denn das? Es ist ein tolles Handy! Wen rufst du an? (sie lächelt). M: (liest weiter): »›Nämlich, das Weltall ist viel, viel größer als das ganze Blau mit den Wolken.‹ ›Gute Nacht, Pip!‹, sagte seine Mutter. ›Schlaf gut!‹« M: Siehst du, hier hat er (Pip) das schöne Fernrohr. V: Schau mal: das ist die Erde. M: Ja, ganz genau, die Erde. V: Aber warum steht er (Pip) auf der Erde? (Violka meint die Erdkugel). Š: Es ist das Tante-Handy (Handy der Tante). M: Warum (die Mutter beginnt, mit Violka zu sprechen, aber gleichzeitig reagiert sie auf Šimon). Ja, du hast das Tante-Handy (die Mutter spricht wieder zu Violka). Weil er (Pip) auf der Erde steht, weil er doch irgendwo stehen muss. V: Aber, weil er auf dem Planeten steht? M: Weil wir alle auf einem runden Planeten leben – ich zeige es dir (die Mutter blättert im Buch vorwärts). Guck mal, unsere Erde ist so rund und jemand wohnt zum Beispiel in Amerika, jemand in Südamerika, jemand lebt in Afrika. Jemand wohnt hier (sie zeigt mit dem Finger). Und hier leben wir, in Europa. Aber gerade er (Pip), schau mal, er hat sich gestellt auf …? V: Auf den Planeten?
M: Auf den Planeten. Es ist nur so gemalt, als ob er auf dem Planeten Erde stehen kann. Er (Pip) hat da die Leiter gebaut. Š: Er schläft nicht! M: Du hast total Recht, er schläft überhaupt nicht. Seine Mutter wünschte ihm eine Gute Nacht und er klettert die Leiter hinauf. Er war ein kleiner Böse-Macher, gell? (jemand, der die Eltern ein bisschen ärgert). Š: Kleiner Böse-Macher. M: Kleiner Böse-Macher … und hat sich dazu noch das Fernrohr genommen. M: Schau mal, und jetzt steigt er aus dem Bett hinab (Hochbett). Guck mal hier, er (Pip) sagt sich selbst »Ich habe gut geschlafen«. V: Aber, er hat doch noch nicht geschlafen!
Die Mutter versucht, aus dem Bildmaterial neue Informationen zu gewinnen. Sie beschreibt die Hauptmotive des Bildes und entwickelt dabei die oben beschriebene Konstellation mit den Kindern: (Pip sitzt auf der Leiter, weil er Gott im Himmel sehen will). Dann liest sie den Text vor und wieder wendet sich die Aufmerksamkeit dem Bild zu. In der Transkription der Videosequenz wird deutlich, wie schwer den Eltern der dritte Schritt Eltern fällt. Den Inhalt des Textes könnte die Mutter ganz gut mit dem Symbol des Fernrohrs weiterentwickeln (Wolken und Planeten sehen wir, aber sehen wir mit dem Fernrohr Gott im Himmel?). Stattdessen konzentriert sie sich auf das Symbol der Leiter (welches Violka interessiert), das einen ganz anderen Inhalt zum Ausdruck bringt. Trotzdem ist aus der Videosequenz ersichtlich, dass dieser Arbeitsstil mit dem Kinderbuch ein breites Potenzial für das Philosophieren und Theologisieren mit Vorschulkindern in der Familie anbietet.
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
4.5 Gesprächsinhalte – Was wird kommuniziert?
Die Inhalte der gemeinsamen Kommunikation zwischen Eltern und Vorschulkindern können wir in vier Gruppen gliedern: 1. Alltagsthemen, die keinen Zusammenhang mit dem Thema des Buches haben (sie erschienen in den Reaktionen der Eltern auf jüngere oder ältere Geschwister); 2. Alltagsthemen, die einen Zusammenhang mit dem Thema des Buches haben (wie das Kinderzimmer aussieht, Kommunikation zwischen Pip und seiner Mutter, linguistische Bedeutung der schwerverständlichen Wörter); 3. Wissenschaftliche Themen (Himmel, Luft, Weltraum, Planeten, Wasser); 4. Theologische Themen (wo ist Gott?, wo beginnt der Himmel?, Tod, was ist im Himmel?). Man kann nun fragen, ob die Eltern die Chancen des Buches ausgeschöpft haben. Dies haben sie gewiss nicht. So hätte man die explizit angesprochene Gottesthematik noch weiterführen können. Doch ich möchte an dieser Stelle nochmals die auch von Morgenthaler angesprochene Doppelfunktion der intimen Gesprächsatmosphäre betonen. Das Gespräch über Pip und dessen Bemühungen, den Himmel zu verstehen, ist für die Kinder mit einer Situation des Wohlbefindens verbunden. Dies wird für spätere Gespräche von Bedeutung sein.
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5. Über falsche Alternativen hinaus: Suche nach neuem Verstehen zusammen mit dem Kind
Das Buch führt mit seiner doppelten Bestimmung des Himmels mitten hinein in die schwierigen Fragen, die beim Aufeinandertreffen naturwissenschaftlicher und religiöser Deutungsmodelle von Welt entstehen und die heutzutage schon im Vorschulalter relevant sein können. Ausgehend von kognitionspsychologischen Diskussionen kann man – wie im behandelten Kinderbuch – versuchen, über falsche Entweder-oder-Lösungen schon beim Kind hinauszukommen. Dazu bieten sich mehrere Lösungen an. Man kann akzeptieren, dass mehrere Deutungsmodelle koexistieren oder auch versuchen – was aber sehr schwer ist – auf ein Verständnis hinzusteuern, das im Sinne einer Komplementarität überhaupt auf ein komplexeres Verstehen abzielt.15 Das Vorschulkind kennt die physikalischen Grundregeln nicht, insofern kommt eine theologische Deutung wie die der creatio ex nihilo seinem Denken sehr entgegen, entspricht es doch dem, was Piaget unter Artifizialismus versteht. Ein Schüler dagegen würde argumentieren, es müsse vorher doch ein anderer Planet, oder eine Kugel existieren – also irgendeine Masse, die ihre Gestalt nach der Explosion verändert hat. Die unvollkommene Wahrnehmung von Naturgesetzen ermöglicht es demnach dem Vorschüler, bestimmte Paradoxien wahrzunehmen und unproblematisch mit ihnen um-
15 Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Göttingen 2013, 98f.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
zugehen.16 Dies öffnet auch den Raum für die dritte mögliche Antwort. Wir betrachten dazu ein Gespräch zwischen einem Vater und seinem Jungen Max (4 ½ Jahre alt): Vater: Lebt Gott da, wo der Himmel (heaven) beginnt (d.h. unter uns Menschen, die sich lieb haben und die Gott liebt – NB)? Was denkst du? M: Das eben nicht. V: Wo lebt er? M: Gott lebt im Himmel (heaven), aber wir können ihn nicht sehen. V: Wo ist dieser Himmel (heaven)? M: Hinter dem Himmel (»das ganze Blau mit den Wolken« = sky). V: Hinter dem ganzen Blau mit dem Wolken (sky)? Glaubst du, dass Gott also so weit weg ist? Wieso aber hört Gott uns, wenn wir zu ihm beten? M: Darum, weil er in unserem Herzchen ist. V: Ach so, aber unser Herzchen ist nicht hinter dem ganzen Blau mit den Wolken (sky). M: Er kann uns hören, auch wenn unser Herzchen nicht im Himmel (sky) ist. So kann er uns trotzdem doch hören. V: Also, Er kann auch hinter dem Himmel (sky) sein und auch in unserem Herzchen? M: Mh (ja). … V: Pip hat begriffen, dass der Himmel (heaven) da beginnt, wo die Leute sich lieb haben, wo er die Mutter lieb hat und seine Mutter ihn. Da beginnt der Himmel (heaven). Also der Himmel (heaven) ist nicht so weit weg, der Himmel (heaven) ist … (Vater wendet sich an seinen Sohn und erwartet die Antwort. Als der Sohn schweigt, fragt er: Wo ist das? M: Nahebei. V: Dass der Himmel nah sein kann, sogar sehr nah! Und was ist dein Himmel (heaven)? Wo beginnt dein Himmel (heaven)? Dich liebt deine Mutti und liebst DU die Mutti?
M: Mh (ja), aber auch dich. V: Aber heute hast du dich mit deiner Mutti gestritten. M: Aber ich liebe meine Mutti, auch wenn ich mich mit ihr streite. V: Wirklich? Und dann kann hier Gott sein, wenn du mit ihr streitest? M: Mh (ja). V: Meinst du, dass hier auch Gott sehr nah ist? M: Mh (ja). V: Na, ich weiß es nicht, mir scheint es irgendwie nicht so wie dir. Gott muss sich doch (in diesem Fall) irgendwo hinter dem Himmel (sky) und den Wolken verstecken. M: Und warum denn? V: Weil er in dieser Situation auf Max schauen will. M: Oder auf Villi (Bruder), oder auf Mutti oder auch auf dich. V: Er will nicht darauf schauen, wie die Menschen wütend sind und wie sie sich absichtlich verletzen, weiß du?
Die Hauptfrage von Pip ist: wo ist Gott? Das Kinderbuch zeigt dem Leser, dass Gott im Himmel ist und gleichzeitig auf der Erde überall unter den Menschen, denn Gott liebt alle (beide Aussagen sind im Sinne der Komplementarität gleichzeitig wahr). Das Kind antwortet aber am Anfang des Gespräches auf diese Frage so: »Gott ist im Himmel, doch nicht auf der Erde« (inkompatibel). Der Vater gibt dem Jungen einen Impuls, um ihm zu zeigen, dass beide Antworten doch wahr sein können: »Wieso aber hört Gott uns, 16 Vgl. dazu »Kompetenz zum höheren Denken«, die mit dem dialektischen Denken zusammenhängt, in: Noemi Bravená, »Nezabývej se jen sám sebou …« Přesah a jeho význam pro socializaci a formování dítěte jako osobnosti, Prag 2016, 135–140.
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
wenn wir zu ihm beten?« Weil der Vorschüler kein Problem mit der Verbindung von Paradoxien hat, und von den Eltern weiß, dass Gott auch in unserem Herzen leben kann, hält er plötzlich beide Aussagen gleichzeitig für wahr. Der Vater versucht, dem Jungen einen weiteren Kontext zu zeigen (abgesehen vom Moralisierungsstil), indem die beiden Aussagen (Gott ist im Himmel und auf der Erde) nicht immer kompatibel seien müssen. Er sagt ihm: »Wenn du böse bist, heißt das, Gott hat sich hinter dem Himmel versteckt.« Beide Impulse des Vaters weisen auf die dritte Möglichkeit hin: Gott ist auf der Erde (Allgegenwart, Ubiquität), doch im Herzen nur in einem bestimmten Kontext (braves Herz – vgl. den Kirkegaardschen Begriff des »reinen, d.h. nicht zwiespältigen Herzens«). Die dritte Variante hat eine andere Definition als in einer dreiwertigen Logik. Sie kann nicht als »nonkompatibel« (nie gleichzeitig kompatibel) beschrieben werden, sondern mit den Worten »nicht immer kompatibel« (beide Aussagen sind in einem bestimmten Kontext und zu einem entsprechenden Zeitpunkt wahr). Gott ist allgegenwärtig, aber sieht das zwiespältige Herz und das reine Herz diese Allgegenwart genauso? (Mt 5,8: »Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen«). Ganz prägnant sagt Bonhoeffer: »So entzweit sich dem mit Gott entzweiten Menschen alles: das Sein und das Sollen, das Leben und das Gesetz, Wissen und Tun, Idee und Wirklichkeit …«17. Doch diese zwiespältige Wirklichkeit ist zur Einheit gekommen durch Versöhnung der Menschheit mit Gott in Jesus Christus.«18 Vielleicht erlaubt die Erfahrung dieser Einheit
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(im Glauben an Jesus Christus) es dem Menschen, innerhalb der Theologie auch die »dritte Möglichkeit« zu sehen und zu definieren. Für die Kindertheologie folgt daraus, dass die Eltern den Vorschulkindern die theologischen Paradoxien behutsam vermitteln können, gerade wenn damit nicht den Erwartungen eines vereinfachten Wissenschaftsmodells entsprochen wird. Pädagogisch gesprochen kann das heißen: »Das Kind lebt nicht – platonisch gesprochen – in der Gefangenschaft des Alltagsverständnisses. Seine Erziehung erfordert nicht ein Entfernen der Handschellen, die Umkehr und Herausführung aus der Höhle. Das Kind lebt an der Schwelle der Höhle, wie ein Dichter sagen kann. Das ist seine ursprüngliche Stelle in der Welt und es hängt von der Bildung ab, ob das Kind in die Höhle gezogen wird, oder ob es in der Nachbarschaft des Seins erzogen wird. Das Neugeborene ist nicht von Anfang an in eine bestimmte Richtung ausgerichtet, nämlich in die Richtung der Schatten, sondern es ist geöffnet zu der Gewogenheit und der Liebe, und durch beide lässt es sich führen.«19
17 Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, München 1992, 310. 18 Vgl. dazu ebd., 44: »Dennoch ist das Christliche nicht identisch mit dem Weltlichen, das Natürliche mit dem Übernatürlichen, das Offenbarungsgemäße mit dem Vernünftigen, sondern besteht vielmehr zwischen beidem eine allein in der Christuswirklichkeit und das heißt im Glauben an diese letzte Wirklichkeit gegebene Einheit.« 19 Jiří Michálek, Topologie výchovy, Prag 1996, 66.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
6. Was denken die Eltern über solche Kinderliteratur?
Alle Eltern fanden das Kinderbuch über Pip sehr schwer. Das Buch enthält sehr viel Fragen und keine Geschichten, wie man sie aus anderen Kinderbüchern kennt. Manche fanden auch die Bilder schwer, sie konnten nicht spontan reagieren. Während das Märchen über Rotkäppchen klar ist, bleiben hier für die Eltern manche Stellen offen, d.h., sie bieten keine eindeutige Antwort. Wieso kann der Himmel »hinter der Sachen, die man sehen kann, versteckt sein? Hinter dem Schrank?«, fragte mich eine Mutter. Fehlt ihr vielleicht noch ein anderes Antwortangebot? Wie verhalten sich die eschatologische Hoffnung (1. Kor 13,12) und die Gegenwart des Reiches Gottes (das nach Mk 1,15 unter uns ist) mit dem physikalischen mehrdimensionalen Weltraum? Doch nachdem die Eltern das Buch mit dem Kind gelesen haben, meinten sie auch, es sei ein sehr interessantes Buch und sie hätten nicht vermutet, dass man so ein Buch mit so jungen Kindern offenbar mit Gewinn lesen kann. Die Eltern waren unsicher darüber, was das Buch ihren Kindern wirklich gebracht hat. Die Antworten waren: »vielleicht eine neue Denkweise«, »etwas zwischen Philosophie und Theologie«, »ein Gespräch«, »man lernt einen gesprächigen Jungen kennen«, »einen Jungen, der nie schlafen geht«. Allen Eltern war aber ganz klar, was das Buch den Kindern beibringen soll. Nämlich, dass der Himmel (heaven) dort beginnt, »wo Leute sind, die Gott lieb haben«. Drei Frauen haben sich bei einem Bild des Buches spontan mit ihrem Kind umarmt, auf dem die Mutter Pip
umarmt und zu sich dreht. Evangelium zu kommunizieren heißt auch die Emotionen zu zeigen. Das können wir in einem Gespräch von Mutter und ihrem Sohn Jiříček (5 Jahre alt) sehen. Mutter liest: »›Pip …‹:, sagte seine Mutter. ›Und …‹, sagte Pip, ›ich habe dich lieb, Mama!‹ ›Und ich dich, Pip!‹ ›Die Grenze vom Himmel, nämlich wo der Himmel anfängt, die geht genau hier durch, durch dich und mich und alle mitten durch!‹, sagte Pip.« J: Und sie hat ihn umgedreht. M: Sie hat ihn zu sich gedreht, weil sie ihn lieb hat, sie kuschelt mit ihm genau wie ich mit dir. M: Weißt du, was sie ihm gesagt hat? Was hat sie ihm dort gesagt? Auf dem letzten Bild? J: Ich weiß nicht. M: Gute Nacht, Pip. Und das ist das Ende. Möchtest du das noch einmal lesen, Jiříčku? Es war ganz schwer, gell? J: Warum ist sie traurig (die Mutter auf dem Bild). M: Sie lächelt, weil sie so einen lieben Jungen hat, der sie lieb hat. Ich denke, sie ist nicht traurig, sie ist glücklich. (Jiříček umarmt spontan die Mutter und gibt ihr einen Kuss).
7. Fazit
Die Familiengespräche mit Vorschülern sind für die Kindertheologie ein wichtiges Thema. Dabei kommen mehrere Aspekte in den Blick: – Verbale und nonverbale Kommunikation sind besonders eng mit einander verbunden. Viele Aussagen werden performativ umgesetzt (Sprechen und Handeln fallen ineinander); – Wir erleben hier eine Konstellation, wie sie für das kindliche Sprachenlernen
Bravená Theologische Gespräche in der Familie
typisch ist. Verschiedene Varianten der Ko-Konstruktion begegnen uns; – Es wird die besondere Rolle der erwachsenen Person sichtbar. Sie muss mehrere Rollen zugleich übernehmen. Sie ist Expertin und Moderatorin, sie sollte aber auch Resonanzboden für die kindlichen Emotionen sein. – Ein solches Gespräch fordert von den Eltern, sich ihrer eigenen Theologie bewusst zu werden und diese den Kindern als Interpretament anzubieten, ohne sie diesen überzustülpen. So gesehen wird man sagen können, dass bei gelingender Kommunikation über Glaubensinhalte immer drei Dinge zu-
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sammenfallen: Es geht um die Entwicklung und Entfaltung einer religiösen bzw. theologischen Sprache im Sinne der Kindertheologie. Die besondere Gesprächskonstellation und -atmosphäre eröffnet aber auch in einzigartiger Weise die Gelegenheit, das Kind etwas von der »frohen Botschaft« gleichsam »handgreiflich« und auch körperlich erfahren zu lassen. Damit wird deutlich, dass auch dort, wo keine explizite theologische Rede stattfindet, etwas von dem entstehen kann, was Christinnen als den Kern des christlichen Glaubens annehmen. Das kann man säkular als Spiritualität benennen oder auch theologisch als »Kommunikation des Evangeliums«.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Sturla Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich1
1. Einleitung
Im Jahr 2010 wurde in Edinburgh – 100 Jahre nach der ersten Weltmissionskonferenz – eine ökumenische Konferenz abgehalten. Diese diente als Inspiration und Anstoß für eine Buchreihe, deren 24. Band den Titel Theology, Mission and Child. Global Perspectives2 trägt. Die Artikel in diesem Buch veranschaulichen und diskutieren verschiedene Beispiele aus aller Welt. Diese zeigen, welche Form die Verkündigung der Guten Nachricht in verschiedenen Kontexten annehmen kann. Ein Artikel erzählt eine Geschichte über die Favela von Jardim Olinda: In der Peripherie São Paulos, Brasilien, hat Stuart Christine, ein britischer kirchlicher Mitarbeiter, das Vorschulprogramm PEPE beobachtet, welches geholfen hat, Hoffnung in der ganzen Nachbarschaft zu verbreiten. Die Vorschulkinder hatten eine ganz besondere Rolle in dieser Gemeinschaft, in der ältere Kinder schnell Gefahr laufen, in einen gefährlichen Kreislauf aus Schulabbruch, Jugendkriminalität, früher Schwangerschaft und weiteren ökonomischen Verlusts abzudriften.3 Der Besuch des PEPE Programms schien den Kindern nicht nur zu helfen, in ihrem eigenen Leben Sinn und Orientierung zu finden, sondern sie auch dazu zu befähigen, die Gute Nachricht an ihre eigenen Familien weiterzugeben. Christine erzählt die Geschichte von
Joanna, die eines Tages von PEPE nach Hause kommt und ihre Mutter zutiefst verärgert und verzweifelt vorfindet, weil Joannas Vater nicht für Essen gesorgt hat. Joanna verhilft ihrer Mutter zu einer hoffnungsvollen Einstellung, die sich letztlich auch auf den Vater überträgt. Die Kinder zeigten hier die Umkehrdynamik der biblischen Botschaft, indem sie zu denjenigen wurden, die ihre neu entdeckte Welt, zu der Gott dazugehörte, mit den älteren Kindern und Erwachsenen teilten, in deren Welt Gott unsichtbar oder gänzlich unbekannt war. Ich lese diese Geschichte als Beispiel dafür, dass die biblische Botschaft sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen weitergegeben wird und auch als Beleg für die positive Rolle eines Vorschulprogramms, das diese Weitergabe entgegen aller Erwartungen in einem schwierigen sozialen Kontext realisieren kann. Die Geschichte illustriert zudem die Hauptfragen rings um die Vermittlung der biblischen Botschaft mit und an Kinder: – Was ist die Gute Nachricht? – Was ist »vermitteln«? – Welche Formen nimmt es an? 1 Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Anna Gehrmann. 2 Bill Prevette u.a. (Hg.), Theology, Mission and Child. Global Perspectives, Oxford 2014. 3 Stuart Christine, The Child in the Favela and Christ of Luke 9:46–48, in: Bill Prevette (wie Anm. 2), 193.
Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich
Bei PEPE ging es bei der Vermittlung der guten Nachricht darum, diese Botschaft inmitten sozialer und spiritueller Entbehrung mit Hoffnung und Bedeutung zu verknüpfen. Die Geschichte illustriert, wie Kindertheologie sich in alle Lebensbereiche erstreckt und wachsen kann, sowie in holistischer Weise ausgedrückt wird. Ich verstehe diese Geschichte auch als positive Herausforderung für das generelle Verständnis von Kinder- und Jugendtheologie. Es könnte im Sinne einer Befreiungstheologie verstanden werden, die Kindern und ihren Müttern eine Stimme verleiht – und, als Konsequenz, auch einigen Männern. PEPE scheint auf Regeln zu basieren, die sowohl die Erzählung der Jesusgeschichte, als auch Gebete und Gottesdienste erlaubt. Ungeachtet der sozialen Differenzen kann die Vermittlung der biblischen Botschaft eine andere Form annehmen, wenn nicht nur die Gesellschaft säkularisiert ist, sondern auch die Vorschulerziehung und -betreuung in einem säkularen Rahmen verwaltet wird, wie es in den meisten Vorschulen und Kindergärten der westlichen Welt der Fall ist. Die meisten europäischen Kindergärten sind auch – auf paradoxe Weise – an Gesetze und Statuten gebunden, die sie zu einer religiösen Diversität verpflichten.4 Dies trifft auch auf viele Kindergärten unter kirchlicher Leitung zu, obwohl diese in der Regel mehr Wert auf religiöse Traditionen legen als städtische Kindergärten.5 Die drei Ausgangsfragen können zu Folgendem umformuliert werden: – Wird die biblische Botschaft in säkularen Kindergärten vermittelt? – Inwiefern können Kindergärten als Kontexte verstanden werden, in denen die biblische Botschaft vermittelt wird?
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2. Die Vermittlung der guten Nachricht
Die Grundbedeutung von Vermittlung ist bekannt machen im Sinne von teilen. Vermittlung bedeutet auch an etwas teilhaben. Es weist daraufhin, dass die Gute Nachricht, das Evangelium, etwas ist, das durch Teilhabe erlangt wird und nicht nur als neutrale Botschaft übermittelt und empfangen wird, die je nach Belieben geöffnet oder verschlossen werden kann. Die beste Illustration für das Kommunizieren ist vielleicht die Tatsache, dass das Teilen von Brot und Wein bei der Eucharistie auch als Kommunion bezeichnet wird. Es verbindet die in den Prozess eingebundenen Menschen miteinander. Schon im Neuen Testament hören wir davon, dass die Kinder, sowohl in Taten (der Junge mit den Brotlaiben und den Fischen in Joh 6,8) als auch in Worten (die Kinder im Tempel, Mt 21,15–16) an diesem Teilen teilhaben. Die Gute Nachricht ist Gottes Nachricht, aber als solche auch eine Nachricht des menschgewordenen Gottes, eine Nachricht der Freude aller Völker (Lk 2,10), der Freude der Armen, der Befreiung der Unterdrückten, des Sehens der 4 In diesem Artikel wird das Wort ›Kindergarten‹ synonym mit ›Vorschuleinrichtungen‹ verwendet, welche alle pädagogischen Einrichtungen vor Schuleintritt umfassen, da dies dem sprachlichen Gebrauch in Norwegen entspricht. Ich bin mir der anderweitigen Verwendung der Konzepte in anderen Ländern bewusst. 5 Beispiele hierfür werden in einer deutschen Studie gegeben, vgl. Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger / Anke Edelbrock (Hg.), Mein Gott – Dein Gott. Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 2008.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Blinden und als Gnadenjahr des Herrn (Lk 4,18–19). Viel zu oft ist Gottes Nachricht unter elitärer Sprache und Machtstrukturen versteckt worden, die Gott zu einer distanten und manchmal bedrohlichen Figur werden lassen. In Band 12 des JaBuKi nennen Anton Bucher und Friedrich Schweitzer einige Kriterien einer Theologie für Kinder, ohne die eine Theologie von und mit Kindern auf lange Sicht zu wenig Substanz haben wird.6 Dem stimme ich zu, aber in diesem Artikel konzentriere ich mich auf einen Kontext, in dem diese Kriterien nur schwierig zu erfüllen sind. Dies ist Gesetzen und Statuten geschuldet, die wenig Raum für explizit religiöse Ausdrucksformen wie Gebete, christliche Lieder oder Geschichten lassen. Hinzu kommt, dass nur sehr wenige Kindergärtnerinnen die nötige Ausbildung oder die nötigen Einblicke in den Inhalt der biblischen Botschaft haben, um sich den Herausforderungen der Säkularisierung auf vermittelnde Art und Weise entgegenstellen zu können. Das Beispiel von PEPE zeigt jedoch nicht nur die Kraft eines spezifisch religiösen Rahmens und den Gebrauch explizit christlicher Quellen von Glauben und Hoffnung. Es deutet vielmehr in Richtung eines Spürens der Liebe Gottes in Jesus durch tatsächliche Erfahrung, gepaart mit Wissen über die biblische Botschaft – in einem speziellen und herausfordernden Kontext. Der persönliche Faktor ist bei weitem der wichtigste – Kindergärtnerinnen, die sich ihrer Berufung bewusst sind, zeigen Liebe und leben nach bestimmten Werten.7 Eine stetig wachsende Zahl an Studien gibt Beispiele dafür, wie man mit kleinen Kindern über Gott und die bi-
blische Botschaft sprechen kann. Eine Studie, Katharina Kammeyers Doktorarbeit ›Lieber Gott, Amen!‹8, sei hier als gutes Beispiel genannt. Ihre Studie stellt eine überzeugende Dokumentation von Kindern dar, die sich als aktive religiöse Subjekte geben, die Gottesvorstellungen in ihre Interpretation der Lebenswelt integrieren und in diesem Prozess aktiv auf Metaphern und Rituale zurückgreifen. Gebete von Kindern scheinen ein Schlüssel zum Verständnis ihres Glaubens und ihrer Theologie zu sein. Aber auch hier steht die Studie Kammeyers in einem Kontext, in dem Gebete praktiziert werden und in dem christliche Geschichten und Traditionen bekannt sind.9 Solange dies der Fall ist, unterscheidet sich die Arbeit mit Kindern in Kindergärten nicht zwangsläufig allzu sehr von der Arbeit mit Kindern in kirchlichen Settings, obwohl ähnliche pädagogische Qualitäten benötigt werden wie in säkularen Kindergärten. Mein Interesse ist jedoch, viel mehr zu fragen, wie die biblische Botschaft vermittelt wird, wenn religiöse Praktiken nicht offen unterstützt werden.
6 Anton A. Bucher, Wie viel und was für Theologie braucht das Kind?, in: Jahrbuch für Kindertheologie 12, Stuttgart 2013, 27–39; Friedrich Schweitzer, Welche Theologie brauchen Kinder?, in: JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 12–26. 7 Bei eigenen Recherchen habe ich viele Beispiele hierfür auch in säkularen Kindergärten gefunden, siehe Sturla Sagberg, Holistic Religious Education – is it possible? The complex web of religion, spirituality and morality, Münster/New York 2015, Kapitel 1. 8 Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009. 9 Ebd., 385.
Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich
Wird die biblische Botschaft dennoch vermittelt, und kann sie vermittelt werden, wenn die Norm religiöse Diversität vorgibt? 3. Verortung im Kontext: Kontextuelle Theologie
Theologie ist schon immer durch ihren Kontext geformt worden, aber dies ist nicht immer berücksichtigt worden,
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wenn etwa Theologie von Regierenden als Werkzeug benutzt worden ist, oder wenn religiöse Traditionen als selbstverständlich angesehen wurden. Ohne vertiefend auf das Problem der kontextuellen Theologie einzugehen, verwende ich Stephen Bevans Modell der kontextuellen Theologie, um Kindergärten als Kontexte zu verstehen,10 ohne dabei außer Acht zu lassen, dass Kindertheologie selbst als kontextuelle Theologie verstanden worden ist.11
Figure 2 A Map of the Models of Contextual Theology Transcendental Model • • • Anthropological Praxis • Model Model • • • • • •
Synthetic Model • •
Experience of the Present (Context)
←←←←
Translation Model • •
Countercultural Model • • Experience of the Past
→→→→ Scripture Translation
Human experience (personal, communal) Culture (secular, religious) Social location Social change Stephen Bevans (2002). Models of Contextual Theology. Maryknoll, New York, 32.
Stephen Bevans, ein Pionier auf dem Gebiet der kontextuellen Theologie, beschreibt verschiedene Wege, wie eine Theologie betrieben werden kann, die sowohl als Verstehensquelle fungiert, als auch die in der Kommunikation involvierten Personen berücksichtigt. Sein Buch, welches den Status eines Klassikers genießt, ist eine detaillierte Diskussion des
Modells in der Abbildung. Der Rahmen dieses Artikels erlaubt jedoch nur einen kurzen Überblick. Das Modell der Theologie als Gegenkultur ist von einem Misstrauen gegenüber dem 10 Stephen B. Bevans, Models of Contextual Theology. Revised and Expanded Edition, Maryknoll/New York, 32. 11 Katharina Kammeyer (wie Anm. 8), 39.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Kontext als Verstehens- und Interpretationsgrundlage gekennzeichnet. Es basiert auf der tiefen Überzeugung einer der heiligen Schrift und normativen Tradition inhärenten Weisheit. Die Überzeugung der Weisheit sowohl in der Bibel als auch in der Tradition wird, hoffentlich, in der Kirche noch präsent sein. Die alleinige Anwendung dieses Modells wird in einem städtischen Kindergarten in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch kaum dazu führen, Vermittlung herzustellen. Theologisch ist es außerdem problematisch, da Gottes Präsenz in seiner Schöpfung dort eher angezweifelt wird. Das Übersetzungsmodell betrachtet Kontext unter den Gesichtspunkten Sprache und Symbolik, die versuchen, den wesentlichen Inhalt der heiligen Schrift und der Tradition zu überliefern. Einige traditionelle Vermittlungstechniken, die sich an Kinder und Jugendliche richten, folgen dieser Denkrichtung – auch in Kindergärten, wenn die Umstände es zulassen. Zu diesen Umständen zählen etwa Statuten und Gesetze, die christlichen Traditionen, Geschichten und Festen einen festen Platz in einer Kultur einräumen. Das synthetische Modell wird von jenen benutzt, die versuchen alle Elemente auszubalancieren – eine sehr schwierige Aufgabe, wenn man nicht weiß, ob man der Tradition oder kontextuellen Interpretationen der Schrift glauben soll. Das Praxismodell bedeutet, das Evangelium mit einem Schwerpunkt auf Verbesserungen im sozialen, moralischen und kulturellen Bereich zu verkünden. Bevans verdeutlicht, dass dieses Modell innerhalb gewisser Umstände gut funktionieren kann. Ich reihe das PEPE Projekt hier als mögliches Beispiel ein. Es
eröffnet den Blick weg von Christentum und Verkündigung als Glaubenslehre, hin zu den sichtbaren Ergebnissen einer auf die soziale Lebenswelt angewandten, gelebten Verkündigung. Dieses Modell schließt sich gut an das Übersetzungsmodell an, wenn es dieses nicht sogar voraussetzt. Im Kontext des Kindergartens würde eine Vermittlung der heiligen Schrift nach diesem Modell bedeuten, die Aspekte des Zusammenlebens, Teilens, Für-Kinder-in-Not-Sorgens und Jedem-Kind-eine-Stimme-Verleihens zu fokussieren. Kindergärten die diesem Modell folgen, werden folglich zu wichtigen Einrichtungen zur Unterstützung der örtlichen Kommune. Dies ist heutzutage in vielen Ländern bereits der Fall. Das anthropologische Modell ist das Modell, das der gegenwärtigen Erfahrung und der lokalen Kultur die größte Bedeutung hinsichtlich des Verständnisses der heiligen Schrift beimisst und diese als Medium betrachtet, durch das die Heilige Schrift bedeutsam wird. Feministische Theologie, indigene Theologie und andere Theologien werden oft von diesem Modell aus gedacht. Manche Aspekte der Kindertheologie werden als eine Art Befreiungstheologie im Sinne dieses Modells verstanden.12 Es setzt jedoch voraus, dass die Heilige Schrift gepredigt oder teilweise verbalisiert wird, um dann im Licht neuer sozialer und kultureller Kontexte erneut gelesen zu werden. Dies ist in Kindergärten nicht zwingend der Fall. Es bedeutet aber auf jeden Fall, dass Kindern zugetraut wird, ihre eigene lokale Theologie mit Hilfe von Erwachsenen als Ko-Konstrukteuren reflektierend zu konstruieren. 12 Vgl. Kapitel 3 in Sturla Sagberg (wie Anm. 7).
Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich
Das letzte Modell ist das transzendentale Modell. Dieses Modell fokussiert nicht einen speziellen Inhalt, der zur Sprache kommt, sondern das Subjekt selbst, das seinen Glauben mitteilt. Wer in seinem Glauben authentisch ist, ist auch in der Lage seinen Glauben so zu vermitteln, dass er für andere Sinn ergibt und sie dazu provoziert, Fragen zu stellen und, hoffentlich, ihren eigenen Glauben und ihre eigene Glaubensreflexion entwickeln zu können. Alle Modelle (ausgenommen das Modell der Theologie als Gegenkultur) können entweder als geschlossene Rahmen oder als Ausgangspunkte gewählt werden. Sie sind offen für andere Ansätze und können untereinander kombiniert werden. Eine Karte wie die hier vorgestellte kann als Spiegel oder auch als Kulisse verwendet werden, um ein differenziertes Verständnis für die Vermittlung der guten Nachricht in dem jeweils angestrebten Kontext zu entwickeln. Es bleibt zu erörtern, inwiefern ein Kindergarten tatsächlich als locus theologicus angesehen werden kann. 4. Kindergärten als locus theologicus
Der Hauptgedanke der kontextuellen Theologie ist, dass die biblische Botschaft nicht nur mit Hilfe der Bibel und normativer Traditionen als Ensemble theologischer loci verstanden wird, sondern auch durch die gegenwärtige Erfahrung zu einem locus, einem Ort, an dem Gott sich zu erkennen gibt, wird und so eine Quelle theologischer Reflexion darstellen kann. Auf welche Art und Weise könnte ein Kindergarten ein locus theologicus sein? In vielen Ländern ist die Stellung der Religion in einer Kultur in anerkann-
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ten Gesetzen und Statuten geregelt. Ich gebe ein Beispiel aus Norwegen. Der Rahmenplan für Inhalte und Aufgaben eines Kindergartens13 erwartet von den Erzieher/innen, dass sie sicherstellen, dass die Kinder – sich verdeutlichen, dass grundlegende Fragen wichtig sind, indem die ErzieherInnen die Zeit und die nötige Ruhe für Staunen, Nachdenken, Gespräche und Geschichten schaffen; – die grundlegenden Normen und Werte der Gesellschaft erlernen; – Toleranz füreinander und Interesse aneinander entwickeln und Respekt vor der Herkunft jedes Kindes, ungeachtet von kulturellen und religiösen Vorlieben, haben – ein Verständnis für grundlegende christliche und humanistische Werte und deren Stellung in unserer Kultur entwickeln; – über die christlichen Feiertage und Traditionen, sowie über die Traditionen und Feste der in der Kindergartengruppe repräsentierten Religionen oder Weltanschauungen lernen; – über Religion, Ethik und Philosophie als Aspekte von Kultur und Gesellschaft lernen. In diesen Richtlinien finden sich einige Schlagwörter, die Potenzial bieten können, um das Evangelium zu vermitteln. Ich werde unter drei Überschriften näher auf sie eingehen. 1. Gespräche und Geschichten, die zum Staunen anregen: Die biblische Geschichte ist zunächst eine Geschichte, die Ge13 Norwegian Ministry of Education and Research, Framework Plan for the Content and Tasks of Kindergartens, Oslo 2011, 40.
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schichte von Gott, der sich den Menschen zuwendet. Kindergärten sind von Natur aus Kontexte, in denen Geschichten erzählt werden. Die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, auch das ganze Spektrum der im Kindergarten vertretenen Religionen übergreifend, kann schon als Vermittlung der biblischen Botschaft gesehen werden – vorausgesetzt, die Erwachsenen lassen die Geschichten selbst sprechen, ohne den Kindern eine richtige Leseart aufzudrängen. Für diejenigen unter uns, die es gewohnt sind, zu interpretieren und zu predigen, stellt dies eine Herausforderung dar, aber wir sollten nicht die Kraft der Geschichte als solcher unterschätzen. Die Gespräche, die sich an die Geschichten anschließen, können Fragen auf Seiten der Kinder aufwerfen, die dann mit Staunen, offenen Dialogen oder mit anderen Geschichten ergänzt werden, die Verständnis und letztlich Glauben ermöglichen. Siehe hierzu auch das transzendentale Modell. 2. Die biblische Botschaft in unserer Kultur: Der Stellenwert der Religion in unserer Kultur ist der Hauptlegitimationsgrund, um in Kindergärten über religiöse Traditionen zu sprechen – ungeachtet des persönlichen Glaubens oder der religiösen Zugehörigkeit. Für Gläubige mag es einfach sein, dies als nicht so wichtig anzusehen, oder es als Einschränkung bei der Vermittlung des Glaubens zu interpretieren. Auch wenn sich die dominierende westliche Kultur in den Mantel der säkularen Sprache hüllt, so lässt sich doch ein tiefliegender religiöser Unterstrom entdecken. Das Kirchenjahr, die Feiertage und Feste, Bilder und Sprache, Symbole und Rituale, Kunst und Geschichten, moralische
Werte, Ortsnamen, Gebäude und historische Traditionen. Wenn ErzieherInnen diese kulturellen Aspekte gemeinsam mit den Kindern erforschen, kommen Gott und Jesus zum Vorschein. Um diesen christlichen Unterstrom in unserer Gesellschaft zur Sprache zu bringen, müssen jedoch Ehrlichkeit und Wissen vorliegen – dies stellt eine Herausforderung für die Ausbildung der Erzieher/innen dar. Um es mit der kontextuellen Theologie auszudrücken: es bedarf einiger Übersetzung – mit der ethischen Herausforderung, hierbei den Kindern keine spezifisch religiösen Werte aufzudrängen. Aber es ist nahezu unmöglich, nicht über die Geschichten zu sprechen, die hinter Weihnachten und Ostern stecken, wenn man den Kindern die Kultur dieser Feiertage näherbringen möchte. Dies steht m.E. auch nicht im Gegensatz dazu, den Kindern die Geschichten zu vermitteln, die hinter den Festen anderer Religionen stecken. Sowohl Kultur im Allgemeinen als auch spezifische Geschichten sind natürlich vieldeutig. Ebenso verhält es sich aber auch mit der biblischen Botschaft. Sie drängt sich den Menschen nicht auf. 3. Toleranz füreinander und Interesse aneinander entwickeln: In meiner Forschung mit Erzieher/innen gibt es in Bezug auf Religion im Kindergarten eine Eigenschaft, die sich durch eine Vielzahl der Ergebnisse, von Beginn meiner Forschung in den 90er Jahren bis hin zu aktueller Forschung, zieht.14 Es ist die 14 Sturla Sagberg, Children’s Faith – a Matter of Morality?, in: Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock / Albert Biesinger (Hg.), Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmungen im Kindesalter, Münster 2010, 77–88.
Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich
Bedeutsamkeit der Authentizität als Erzieher/in.15 Eine aktuelle Doktorarbeit über religiöses Lernen und Lehren in der Norwegischen Kirche unterscheidet zwischen authentischer und repräsentativer Kommunikation.16 Das tatsächliche Lernen findet statt, wenn der Lerngegenstand nicht nur kirchliche Lehren oder normative Quellen repräsentiert, sondern wenn er auch als authentische Begegnung erfahren werden kann. Ich behaupte, dass es sowohl möglich als auch nötig ist, schon Kindergartenkindern gegenüber ehrlich zu sein, wenn sie nach Glaubenssachen oder den Inhalten der biblischen Botschaft fragen, ohne dabei die Grenzen zu einer falschen Kommunikation zu überschreiten. Dies sehe ich analog zu dem von Karl Ernst Nipkows beschriebenen ›von Mitte zur Mitte-Prinzip‹17, der dies auf die echte interreligiöse Verständigung bezieht. Ist es vor diesem Hintergrund möglich, Kindergärten im Sinne einer kontextuellen Theologie zu beschreiben, um zu erforschen, ob und wie die biblische Botschaft vermittelt werden kann? Ich gebe zwei Beispiele aus meiner Forschung: Fall 1: Kindergärtnerinnen diskutieren, ob sie die Ostergeschichte erzählen sollen oder nicht: Asbjørg: Es ist eine Frage der Erfahrung mit dieser Geschichte … Carla: Nein! Ich … Asbjørg: Okay, vielleicht ist es mehr eine Frage, ob man selbst dazu steht … Carla: Ja, es ist nur dass, wenn ich etwas über sie lerne, glaube ich nicht, dass ich sie erzählen kann, weil ich keinerlei Verbindung zu dem habe, was ich erzählen soll …18
Die Erzieherinnen bitten schließlich eine andere Erzieherin, Dina, sich ›zu beteili-
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gen‹, weil sie wissen, dass sie als Gläubige eine ›Verbindung zu der Geschichte hat‹. Dina glaubt, dass ihr persönlicher Glaube sich in der Art und Weise wie sie die Geschichte erzählt, zeigen könnte, obwohl sie keinerlei Interpretation hinzufügt. Fall 2: Maja (4.0) kommt aus der Umkleide. Die Erwachsenen sitzen und unterhalten sich. Maja möchte uns etwas erzählen: ›Frida, Jesus hat an Heiligabend Geburtstag.‹ ›ja‹, antworte ich. ›Dann bekommt er viele Geschenke!‹, ruft sie. ›Tut er das?‹ frage ich und warte. Maja scheint noch mehr im Sinn zu haben. Dann sagt sie, ›Aber jetzt ist er gefangen!‹ ›Oh? Was haben sie mit ihm gemacht?‹ Maja erzählt uns, dass Jesus Nägel ›hier und da‹ hat, und zeigt dabei auf ihre Arme und Beine, ›und er hat dieses Ding auf seinem Kopf‹. ›Mm, Jesus zu sein war also nicht so toll?‹ frage ich. Maja stimmt mir zu. ›Du weißt eine ganze Menge, Maja‹, lautet mein Kommentar.19
15 Sturla Sagberg, Autentisitet og undring. En drøfting av kristendommens plass i norsk barnehage i institusjonsetisk og personetisk perspektiv, Trondheim 2001. 16 Elisabeth Tveito Johnsen, »Religiøs læring i sosiale praksiser. En etnografisk studie av mediering, identifisering og forhandlingsprosesser i Den norske kirkes trosopplæring« (Doktoravhandling), Universitetet i Oslo 2014. 17 Karl Ernst Nipkow, Religionspädagogik im Pluralismus, Bildung in einer pluralen Welt, Bd. 2, Gütersloh 1998, 361. 18 Sturla Sagberg, Interreligious and intercultural competence in early childhood education: Norwegian perspectives, in: Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger (Hg.), Kulturell und religiös sensibel? Interreligiöse und Interkulturelle Kompetenz in der Ausbildung für den Elementarbereich, Münster/New York 2015, 137. 19 Sturla Sagberg (wie Anm. 7), 33.
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Frida erzählt, dass Ostern noch nicht thematisiert worden ist, aber noch ansteht. Sie erzählt diese Geschichte, um eines von vielen Beispielen für die Empathiefähigkeit von Kindern zu illustrieren – in diesem Fall verdeutlicht durch Majas Reaktion auf die Ostergeschichte. Wenn ich Fridas Geschichten lese, fällt mir auf, dass die Beschreibung der Atmosphäre in diesem Kindergarten im Sinne von Paulus’ Beschreibung der Frucht des Geistes (Gal 5) gelesen werden kann, obwohl die Quelle dieser Frucht nicht explizit christlich ist. Aus beiden Geschichten ziehe ich die Erkenntnis, dass der persönliche Faktor in der Vorschulerziehung besonders wichtig ist. Es sollte daher auch keine große Überraschung sein, dass dies auch auf die Vermittlung der biblischen Botschaft zutrifft.20 Der persönliche Faktor entspricht nicht zwingend einem expliziten Glauben, aber es geht darum, authentisch zu sein – nicht nur sich selbst, sondern auch dem Lerngegenstand gegenüber. Im Sinne der kontextuellen Theologie folgt die Vermittlung hier einem transzendentalen Modell, aber es ist auch eine Frage der Übersetzung und des Respekts sowohl gegenüber der Geschichte als auch gegenüber dem Ideal der Authentizität. Die Vieldeutigkeit des Ideals der Authentizität wird durch die beiden Beispiele veranschaulicht. In Beispiel 1 zeigt Carla ein explizites Ideal von Authentizität. Für sie stellt es ein Problem dar, sich einer Tradition zu widmen, der sie nicht selbst folgt. Authentizität kann aber auch die Übernahme der Rolle eines authentischen Lesers bedeuten. Die Geschichte Christi gehört niemandem allein. Sie kann von allen gelesen werden. Die Erzieherin kann sich
selbst und den Kindern die Geschichte mit einer staunenden, respektvollen und neugierigen Einstellung, vorlesen. Auch so kann sie authentisch sein. In Beispiel 2 hat das Evangelium einen Raum in der Kultur des Kindergartens, da kulturelle Geschichten, die auf christlichen Geschichten basieren, neben anderen Festtagsgeschichten erzählt werden. Die biblische Botschaft wird nicht ausgesprochen, kann aber aus der Praxis geschlossen werden – erinnert sei hier an das Praxismodell. Die Geschichten geben keine Auskunft über den eigentlichen Glauben der Erzieherin, aber die Geschichten und der christliche Unterstrom in der Kultur sind gegenwärtig. 5. Problemdiskussion
Wird das Evangelium in Kindergärten vermittelt und kann es vermittelt werden, wenn religiöse Diversität den Regelfall darstellt? Meine Forschung und mein Kontakt zur vorschulischen Erziehung seit 1990 bestätigen, dass die biblische Botschaft vermittelt wird, aber auf verschiedene, manchmal sehr subtile Art und Weise. Ein paar weitere Diskussionspunkte fassen diese Argumentation zusammen.
20 Die Bedeutung des persönlichen Faktors in christlicher Erziehung wird ausführlich dokumentiert und diskutiert, z.B. Volker Elsenbast, Wissenschaftliche Untersuchungen zum interreligiösen Lernen im Kindesalter, in: Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock / Albert Biesinger (Hg.), Mein Gott – Dein Gott. Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 2008, 137–141.
Sagberg Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich
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5.1 Das fünfte Evangelium
5.4 Eine staunende Einstellung
Die Gute Nachricht wird sprachlich, aber auch indirekt und in non-verbaler Kultur ausgedrückt. Manche nennen dies ›das fünfte Evangelium‹. Kindergartenerziehung besteht zu einem großen Teil daraus, dieses fünfte Evangelium zu erforschen. Das Vermittlungspotenzial beruht jedoch auf anderen Elementen.
Staunen ist das Zentrum allen Wissens, auch das Zentrum des Evangeliums. Staunen ist eine respektvolle Einstellung gegenüber dem, was größer ist als man selbst. Bezogen auf kognitives Wissen ist es eine überwältigende emotionale und ästhetische Erfahrung, oder ein Bewusstsein für existentielle Bedeutung – so wie bei dem Apostel Petrus, der am Ostermorgen vom leeren Grab zurückkehrt. Staunen ist das Wissen, die Realität in Stücken – oder ›dunkel durch einen Spiegel‹ (1. Kor 13) zu sehen. Das Evangelium ist eine Geschichte, die mit einer staunenden Einstellung vermittelt werden muss, egal ob dies von der Kanzel oder in Gesprächen mit kleinen Kindern geschieht.22
5.2 Die narrative Wirklichkeitskonstruktion
Im Anschluss an den Pädagogen Jerome Bruner verweise ich auf die narrative Wirklichkeitskonstruktion21 – entweder verstehen wir die Welt in und durch Geschichten, oder gar nicht. Das Evangelium ist primär eine Geschichte, die offen für Interpretationen ist. Eine Vorschulerziehung die sich die reichhaltigen christlichen Geschichten sowie die Geschichten anderer Religionen zu Nutze macht, vermittelt das Evangelium. 5.3 Das Authentizitätsideal
Im Anschluss an Geschichten sollten ErzieherInnen offen für authentische Gespräche mit Kindern sein. Dies erfordert ethisches Bewusstsein, Respekt und Toleranz, aber vor allem Ehrlichkeit sich selbst und der Kultur gegenüber. Im Sinne von Theologie bedarf es hier Wissens – einer Theologie für Kinder. Dies wird in der Erzieher/innen Ausbildung nicht zufriedenstellend behandelt, aber der ernsthafte Umgang mit kulturellen Geschichten ist schon ein guter Start.
6. Der Wind weht, wo er will
Das Evangelium ist Sache Gottes. Der Wind weht, wo er will. Manchmal werden Kinder zu Vehikeln der Vermittlung, manchmal werden gute Lehrer oder Erzieher zu diesen. Der Kontext eines Kin21 Jerome Bruner, The Culture of Education, Cambridge/London 1996. 22 Das Problem des Staunens in Relation zu Religion ist viel diskutiert worden. Ich gebe in diversen Publikationen Überblicke: Sturla Sagberg, Wonder and the Question of Truth in Religious Education, in: Sewanee Theological Review, vol. 48 2005, issue 4, 409–436; Sturla Sagberg, Teachers’ lives as wonder journeys. Ethical reflections on spirituality in education, in: Kirsi Tirri (Ed.), Nordic Perspectives on Religion, Spirituality and Identity. Yearbook 2006 of the Department of Practical Theology, Helsinki 2006, 286–300; Sturla Sagberg (wie Anm. 7), Kapitel 7.
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dergartens, der keinen expliziten Auftrag zur Vermittlung des Evangeliums hat, kann dennoch vor dem Hintergrund einer kontextuellen Theologie verstanden werden. Als Theologe oder Erzieher bin ich für meinen Teil in der Vermittlung zuständig, aber darüber hinaus finde ich es schwierig, Vermittlungsphänomene in einem vorschulischen Kontext zu kategorisieren. Die Vermittlung des Evangeliums erfordert Worte, Taten, Einstellungen und Pflege. Die Fähigkeiten sowie die familiären Hintergründe der Kinder
müssen berücksichtigt werden. Auf eine gewisse Weise bedeutet es Offenheit für eine Realität, die sich unserer Kontrolle entzieht. Die Vermittlung des Evangeliums ist also in der Konsequenz eine Herausforderung, das Mysterium von Geschichte und Glauben zu vertiefen und die Kraft der Geschichten und kulturellen Traditionen, die in ihrem Innersten zutiefst von der biblischen Botschaft geprägt sind, zu erkunden. Die Theologie sollte diesen Prozess unterstützen – auf allen Ebenen.
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
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Angela Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten – Kommunikation des Evangeliums im Kontext religionssensibler Begleitung und Bildung 1. Elementarpädagogische Grundlegung
Christian Grethlein charakterisiert die Kommunikation des Evangeliums mit den Kommunikationsmodi des »Lehren und Lernens«, »gemeinschaftlichen Feierns« und dem »Helfen zum Leben«.1 Im Hinblick auf die Deutung des Kommunikationsbegriffs entspricht dieser ganzheitliche Zugang der elementarpädagogischen Diskussion. Denn Kommunikation zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern wird in jüngeren Veröffentlichungen vor allem unter dem Aspekt der Interaktionsforschung untersucht. Das elementarpädagogische Interaktionsmodell geht von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Bezugspartner/innen aus, die anthropologisch aus der Grundwürde und den Rechten der Kinder abgleitet wird, »ohne die existierenden Reifungsgefälle oder den sozialen Status eines im juristischen Sinne ›minderjährigen oder unmündigen Heranwachsenden‹ zu ignorieren«.2 Der Erziehungsvorgang im Sinne einer pädagogischen Interaktion wird als ein gemeinsames Vorhaben der beteiligten Partner aufgefasst, das von einem gegenseitigen Geben und Nehmen, Wollen und Sollen, Aktivität und Rezeptivität geprägt ist.3 Pädagogische Fachkräfte sind in diesem Zusammenhang Bildungsbegleitende der Kinder. Von ihnen wird erwartet,
dass sie sich auf die sehr individuellen Bildungsprozesse jedes einzelnen Kindes einlassen. Die Begriffe »Responsivität« und »Sensivität« haben sich in der elementarpädagogischen Fachliteratur als Paradigma für eine kompetente Interaktion zwischen pädagogischer Fachkraft und Kindern durchgesetzt. Remsperger beschreibt die Merkmale einer sensitiven Responsivität in Bezug auf die »generelle Haltung« der Erzieherin als Akzeptanz der Persönlichkeit des Kindes, als Interesse an den Bedürfnissen und Äußerungen des Kindes, als Respekt vor der Autonomie des Kindes sowie als »Involvement«, welches definiert wird als ein hohes Engagement, die Interaktion aufrechtzuerhalten. Zudem ergänzt Remsperger zwei weitere Faktoren: Das »emotionale Klima«, welches sich durch Empathie, Lob und Emotionalität auszeichnet sowie die Form der »Stimulation«, welche mit Begriffen wie Bestärkung und Herausforderung, beschrieben wird.4 1 Vgl. Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 253–326. 2 Norbert Kluge, Das Bild des Kindes in der Pädagogik der frühen Kindheit, in: Lilian Fried / Susanna Roux, Pädagogik der frühen Kindheit, Berlin/Düsseldorf 2009, 26. 3 Vgl. ebd., 27. 4 Regina Remsperger, Sensitive Responsivität. Zur Qualität pädagogischen Handelns im Kindergarten, Wiesbaden 2011, vgl. 138–141.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Das Involvement wird vor allem unter dem Stichwort »sustained shared thinking«, langanhaltende dialogische Denkprozesse von Erzieher/innen und Kindern, diskutiert. Um diesen Dialog anzuregen, sollen die Erzieher/innen Fragen stellen, die »zum Nachdenken, Forschen und selbsttätigen Wissenserwerb führen«.5 Das »sustained shared thinking« bezieht sich konsequent auf eine ko-konstruktivistische Deutung von Bildungsprozessen und »ermöglicht einen Lernprozess, an dem beide Subjekte in gleicher Weise aktiv beteiligt sind«.6 »Während der Phasen des länger andauernden gemeinsamen Denkens tragen beide Seiten zu den Überlegungen bei, sie entwickeln und weiten den Diskurs aus«.7 Große Bedeutung für die Anregung von Lernprozessen hat das Einbringen von – und das gemeinsame Nachdenken über »offene Fragen«. 2. Religionspädagogischer Rahmen
Die Kommunikation des Evangeliums ereignet sich in Konfessionellen Kindertagesstätten in einem Kontext, in dem ein christlicher Glaube weder bei den pädagogischen Fachkräften noch bei den Kindern vorausgesetzt werden kann. Konfessionelle Kindertagesstätten sind keine christliche Inseln, sondern ein Spiegelbild der Gesellschaft. Dies bedeutet für mehrheitlich von Konfessionslosigkeit geprägte gesellschaftliche Kontexten, dass auch die Möglichkeit des »Nichtglaubens« (s.u.) wertfrei mit den Kindern zu thematisieren ist. Der Ansatz der religionssensiblen Begleitung und Bildung bietet hier den konfessionellen Einrichtungen eine religionspädagogische Handlungsorientierung,
die jenseits der konfessionell geprägten religionspädagogischen Konzeptionen auf diese gesellschaftliche Herausforderung eingeht. »Ein religionssensibles Handeln versteht sich als konsequent subjektorientierter und erfahrungsbezogener Ansatz, mit dem auf die religiöse Indifferenz bzw. die religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft reagiert wird. Religionssensibles, pädagogisch verantwortetes Handeln verlangt […] eine achtsame, respektvolle Haltung und eine Kultur des Dialogs. […] ›Religionssensibilität‹ weist deutlich über eine konfessionell intendierte religiöse Bildung hinaus und signalisiert nicht nur eine Offenheit gegenüber anderen Religionen, sondern auch gegenüber den Konfessions- und Religionslosen«.8 Von Martin Lechner und Angelika Gabriel wird dieses Handlungskonzept, dass sie als »Religionssensible Erziehung« bezeichnen, in drei Bereiche differenziert, die in konzentrischen Kreisen dargestellt werden. Der weiteste Bereich wird als »Existenz- oder Lebensglaube« gefasst, dem folgt der Transzendenz- oder Gottesglaube und der engste 5 Martin R. Textor, Bildung in der ErzieherinKind-Beziehung, in: Fabienne Becker-Stoll / Martin R. Textor (Hg.), Die Erzieherin-KindBeziehung, Berlin/Düsseldorf/Mannheim 2007, 87. 6 Anke König, Interaktionsprozesse zwischen Erzieherinnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag, Wiesbaden 2009, 125. 7 Iram Siraj-Blatchford, Effektive Bildungsprozesse: Lehren in der frühen Kindheit, in: Fabienne Becker-Stoll / Martin R. Textor (Hg.), Die Erzieherin-Kind-Beziehung, Berlin / Düsseldorf/Mannheim 2007, 113. 8 Andrea Schulte, Chancen evangelischer Schulen in religiös indifferenten Kontexten, in: Andrea Schulte (Hg.) Evangelisch Profil zeigen im religiösen Wandel unserer Zeit. Die Erfurter Babara-Schadenberg-Vorlesungen, Münster/New York 2014, 82f.
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
Bereich ist der Konfessions- oder Gemeinschaftsglaube.9 Unter dem Begriff »Religionssensible Bildung« wurde dieser Ansatz für die Praxis der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten von Judith Weber erforscht.10 Weber fasst ihre Untersuchungen mit folgenden Thesen zusammen: »Das religionspädagogische Handlungskonzept der religionssensiblen Bildung (…) stellt ein Handlungskonzept für die Praxis zur Verfügung, das: 1. die religiöse und gesellschaftliche Pluralität in den Kindertagesstätten zum Ausgangspunkt nimmt, 2. den pädagogischen Handlungskonzepten entsprechend vom Kind ausgeht und durch die pädagogische Begründung an diese anschlussfähig ist, 3. die Person der Erzieherin mit ihrer vertrauensvollen Beziehung zum Kind als Schlüssel für die religiöse Bildung und Erziehung ansieht und 4. den Anspruch erhebt, sowohl in Kindertageseinrichtungen konfessioneller als auch nichtkonfessioneller Trägerschaft praktikabel zu sein«.11 Für eine Kommunikation des Evange liums im Kontext des Kindergartens ist die Orientierung an den Handlungsgrundsätzen der religionssensiblen Bildung eine geeignete Basis, um die verschiedenen Formen religiöser Bildung zu beschreiben. Ich verwende aber – geprägt durch den konfessionslosen gesellschaftlichen Kontext und die Zielgruppen, mit denen ich arbeite – andere Bezeichnungen als Lechner, Gabriel oder Weber:12 Den »Existenz- oder Lebensglauben« bezeichne ich als »existenzielle Dimension reli gionssensibler Begleitung« – Hintergrund ist eine anthropologische Deutung von
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Religion. Der »Transzendenz- oder Gottesglaube« wird von mir als »spirituelle Dimension religionssensibler Begleitung« bezeichnet, dabei liegt eine phänomenologische Deutung von Religion zu Grunde. Die engste Dimension religionssensibler Begleitung, die von Lechner, Gabriel und Weber »Konfessions- oder Gemeinschaftsglaube« genannt wird, bezeichne ich als »konfessionelle Dimension«. Diese basiert auf einer substantiellen Deutung von Religion. In diesen drei Dimensionen religionssensibler Begleitung findet eine Kommunikation des Evangeliums statt, aber das Philosophieren und das Theologisieren mit Kindern ist nach meiner Deutung nur in den beiden engeren Dimensionen religionssensibler Begleitung verortet (und auch hier mit unterschiedlicher Gewichtung).13 9 Angelika Gabriel / Martin Lechner, Religions sensible Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008), München 2009, 71. 10 Judith Weber, Religionssensible Bildung in Kindertageseinrichtungen, Münster/New York 2014. 11 Ebd., 323. 12 Vgl. Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten, Leipzig 2016, 55–58. 13 Diese Systematik religionssensibler Begleitung wird von meinen Kolleginnen und mir am PTI der EKM und LKA in religionspädagogischen Langzeitfortbildungen verwendet. Auf der Suche nach einer praxistauglichen und verständlichen Terminologie haben sich diese Begriffe – so anfechtbar sie auf der Theorieebene sind – in den Kursen bewährt. Die Kursteilnehmenden können nach einer Einführung diesen Dimensionen sofort Situationen aus ihrer pädagogischen Praxis zuordnen. Wertfrei kann dabei thematisiert werden, dass die engste, konfessionelle Dimension, in Kindertagesstätten, die keine konfessionelle Anbindung haben, nicht vorkommen muss – und dass dennoch religionssensible Arbeit (und Kommunikation des Evangeliums?) praktiziert werden kann. Vgl. rpq.pti-elementar.de/2016/08/04/ basics-religion-schritte-das-modul/#_Der_religionssensible_Ansatz
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Dimensionen religionssensibler Begleitung: Konfessionelle Dimension: Explizite religiöse (christliche) Erfahrungen anregen, thematisieren und deuten: Theologie für Kinder, Theologisieren und Philosophieren mit Kindern Spirituelle Dimension: Erfahrungen zur Sprache bringen und (religiös) deuten; Rituale anbieten und reflektieren; Philosophieren und Theologisieren mit Kindern Existenzielle Dimension: Beziehungen gestalten, emotionale Zugänge fördern: Raum geben für Beziehungsbewusstsein und Beziehungserfahrungen Grafik: Angela Kunze-Beiküfner
Im weitesten Bereich religionssensibler Begleitung, der »existentiellen« Dimension, kann die Wahrnehmung des Beziehungsbewusstseins von Kindern als eine Form von Spiritualität zugeordnet werden. Spiritualität soll hier mit Sagberg »im Sinne von ›relationalem Bewusstsein‹ und der Fähigkeit, über Raum und Zeit hinaus nach Bedeutung zu suchen, verstanden werden«.14 Die Ausdrucksformen von kindlicher Spiritualität in diesem Bereich sind zum einen davon gekennzeichnet, dass sie auch nonverbal, durch Handlungen und Gefühlsausdrücke wahrnehmbar sind und zum anderen, dass sie von der Deutung der pädagogischen Fachkräfte abhängig sind. In der zweiten, »spirituellen« Dimension wird Religiosität auf der Ebene der Deutung »sichtbar« gemacht. Auf dieser Ebene besteht die Aufgabe der Fachkraft darin, an Schlüsselerfahrungen der Kinder anzuknüpfen und die Kinder
anzuregen, tiefere Dimensionen in diesen Erfahrungen zu entdecken bzw. zu reflektieren. Judith Weber nennt in diesem Zusammenhang z.B. den Geburtstag eines Kindes, der Anlass gibt, den Segen als Zuspruch Gottes zu thematisieren oder einen Todesfall, mit dem die Kinder konfrontiert worden sind und der darin münden kann, mit Kindern grundsätzlich über Abschied, Tod und postmortale Vorstellungen nachzudenken.15 Die dritte, konfessionelle Dimension nimmt den expliziten, gelebten Glauben in den Blick. Auch wenn dies im Kontext einer religionssensiblen Bildung
14 Sturla Sagberg, Kinder als spirituelle Subjekte und die Bedeutung von erzieherischen Umgebungen, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), In der Mitte ist ein Kreuz. Kindertheologische Zugänge zum Elementarbereich, Stuttgart 2010, 30. 15 Judith Weber (wie Anm. 10), 151f.
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
immer mit einer Perspektive auf die religiöse Pluralität geschehen soll, ist in christlichen Einrichtungen die christlich-biblische Überlieferung die primäre Bezugsgröße. In dieser Dimension lässt sich dann auch eine explizite, bislang vorwiegend christliche Kindertheologie lokalisieren. Die Aufgabe der Fachkraft besteht in dieser Dimension darin, zum einen als »Theologie für Kinder« die Aneignung von konkretem religiösen Orientierungswissen zu ermöglichen und zum anderen den Kindern Raum zu geben, sich dazu zu positionieren und die Reflexion über die Korrelationen zu den eigenen Erfahrungen anzuregen. Allerdings unterscheidet sich ein Theologisieren in Kindertagesstätten von einem Theologisieren im Religionsunterricht. Auf drei Besonderheiten sei in diesem Zusammenhang hier hingewiesen: 3. Grundsätze des Theologisierens mit Kindern in Kindertagesstätten16 Zweckfreiheit hinsichtlich der geplanten Vermittlung konkreter inhaltlicher Ziele
Ein wesentliches Kennzeichen theologischer Gespräche mit Kindern im Kindergarten ist nicht die Unbestimmtheit des Inhalts, sondern die Prozesshaftigkeit des Gesprächs. Die kindertheologisch-sensitive Responsivität der pädagogischen Fachkraft ist daran zu erkennen, dass sie aus den Impulsen der Kinder neue Impulse weiterentwickeln kann. Ein angestrebtes inhaltliches Ziel ist immer nur vorläufig und muss sich revidieren lassen. Die vorgeplante Vermittlung von Inhalten gehört als Dimension »Theologie für Kinder« zu einem wichtigen Bestandteil religionspädagogischer Arbeit, ist aber
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von dem Theologisieren als offenes Gespräch zu unterscheiden. Alltagsbasierte, ungeplante Gespräche als wichtige Form
In der Kindertagesstätte kommt alltagsbasierten Gesprächen eine besondere Bedeutung zu. So kann sich ein Theologisieren zwischen Kindergruppen und der Pädagogischen Fachkraft auch spontan bei der gemeinsamen Mahlzeit, beim gemeinsamen Spazierengehen oder vor dem Mittagsschlaf entwickeln17. Daher spielen beim Theologisieren im Kindergarten nicht nur das geplante und angeleitete Gruppengespräch, sondern auch die ungeplanten, spontanen Gespräche von Kindern untereinander oder von Kindern mit Erzieher/innen eine wichtige Rolle. Besonders das Theologisieren zwischen Kindern konnte im Kontext meiner Untersuchungen18 als ein wesentlicher Bereich des Theologisierens beobachtet werden. Ganzheitlicher, mehrdimensionaler Reflexionsbegriff
Das Theologisieren kann als ein Reflexionsvorgang beschrieben werden. Im Sinne einer weiten, für den Elementarbereich angemessenen Deutung bedeutet dies aber, dass von einem mehrdimensionalen Reflexionsbegriff ausgegangen 16 Ausführlichere Grundlegung zu diesem Thema vgl. Angela Kunze-Beiküfner (wie Anm. 12), 70–77. 17 Vgl. ebd., 70f. 18 Vgl. ebd., 75.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
wird, der die ganzheitlich-sinnorientierte Dimension des Wahrnehmens und Begreifens einschließt. Die Methoden des Theologisierens sind daher bestimmt durch die Grundsätze, dass Denken und Reden ebenso wichtig ist wie Wahrnehmen, Handeln und Gestalten. Die Erwachsenen sind vor allem in der Rolle, die Kinder aufmerksam zu beobachten und ihnen anregendes Material zur Verfügung zu stellen. 4. Theologisieren mit Kindern im Kindergarten – ein Praxisbeispiel
Kann sich eine explizite Kommunikation des Evangeliums und ein Theologisieren glaubwürdig ereignen, wenn sich die pädagogischen Fachkräfte, die die pädagogischen Interaktionen initiieren, sich dezidiert als »nicht gläubig« bezeichnen? Im Sinne von Wilfried Engemann, der ein »Leben aus Glauben« als eine Haltung von Menschen beschreibt, welche ein Bewusstsein für Menschenwürde zeigen, die Zuwendung erfahren und gewähren können und »durch ihren Glauben ein positives Lebensgefühl aneignen, dem Hingabe und Gelassenheit zugänglich sind«19, kann eine Glaubenskultur auch auf diese Fachkräfte zutreffen. Von den Erzieherinnen aus der Einrichtung, aus der das folgende Praxisbeispiel stammt, wird ein expliziter Glaube zwar nicht per se abgelehnt, aber sich selbst bezeichnen sie »Atheisten«. Auf die Sozialisation dieser Erzieherinnen trifft zu, was Monika Wohlrab-Sahr als forcierte Säkularität bezeichnet hat, die zu einer »genuinen Haltung« geworden ist.20 Durch die Übernahme der Einrichtung in eine christliche Trägerschaft
wurde zunächst die Leiterin dieser Einrichtung genötigt, eine religionspädagogische Fortbildung am Pädagogisch-Theologischen Institut zu absolvieren, der sie freiwillig eine religionspädagogische Langzeitqualifizierung anschloss. Weitere religionspädagogische (Langzeit)fortbildungen für das Team und für einzelne Erzieherinnen folgten. Die religionspädagogische Arbeit ist zu einem Aushängeschild dieser Einrichtung geworden, eine gute Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde hat sich entwickelt. Aus dieser Einrichtung liegen mir viele Dokumentationen (Filme) vor, die zeigen, wie die Kinder die Morgenkreise nachspielen, miteinander biblische Geschichten nachspielen und theologisieren. Dass das Erzählen von biblischen Geschichten und speziell von ›Jesusgeschichten‹ in dieser Einrichtung trotz der Konfessionslosigkeit der pädagogischen Fachkräfte wichtig ist, begründete die Leiterin (die von sich sagt: »Ich komme aus einer kommunistischen Familie. Meine Mutter ist eine richtige Kommunistin«) in einem Interview21 damit, dass zum einen die Kinder religiöse Vorstellungen mitbringen, auch wenn ihnen 19 Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangelium. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 28. 20 Monika Wohlrab-Sahr, Forcierte Säkularität oder Logiken der Aneignung repressiver Säkularisation, in: Gert Pickel / Kornelia Sammet (Hg.), Religion und Religiosität im vereinigten Deutschland. Zwanzig Jahre nach dem Umbruch, Wiesbaden 2011, 146. 21 Videograghisch aufgezeichnet durch die Autorin am 17.4.2014, unveröffentlicht.
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
niemand etwas von der Bibel erzählt hat (»Durch wen und durch was auch immer bin ich heute der Meinung durch meine pädagogische Arbeit und auch durch meine eigenen Kinder, Kinder haben so etwas ganz intuitiv in sich. Da muss ich denen gar nicht viel erzählen, die haben ihre Auferstehungsgedanken selber«) und dass zum anderen das Wissen um biblische Geschichten zur Allgemeinbildung gehört. Besonders wird die Bedeutung von Jesuserzählungen als Vorbild für das Sozialverhalten hervorgehoben. Der Akzent liegt dabei deutlich auf dem ›historischen Jesus‹. Von Jesus als Sohn Gottes wird zwar auch erzählt, aber die Deutungen werden den Kindern überlassen. Auch eine Offenheit für andere Religionen wie z.B. für den Islam wird bekundet, doch in der Praxis finden noch keine dazu Angebote statt, da bislang (2016) keine muslimischen Kinder die Einrichtung besuchen. Das folgende Gespräch mit fünfjährigen Kindern wurde mittels einer elektronischen Sprachaufnahme (Handy) durch die Erzieherin (E) dokumentiert. Im Vorfeld hatte sie den Kindern vor den Osterferien von der Auferstehung Jesu erzählt und dabei gemeinsam mit den Kindern ein Bodenbild gestaltet. Der Auferstandene wurde in dieser Gestaltung durch eine Kerze symbolisiert (und nicht, wie in den meisten Kinderbibeln üblich, figürlich dargestellt), sodass den Kindern auch symbolische Deutungsmöglichkeiten eröffnet wurden. Nach den Ferien kamen die Kinder wieder zusammen und erzählten von ihren Erlebnissen zu Ostern. Im Anschluss legten sie miteinander noch einmal das Oster-Bodenbild. Daraufhin initiierte die Erzieherin eine »Wiederholungsgespräch«.22
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(1) E: Wir haben in der Osterzeit viele Geschichten über Jesus gehört. Wir wissen, dass Jesus (2) Karfreitag am Kreuz gestorben ist. Dann kam der Ostersonntag. Was ist da passiert? (3) Marie: Die drei Frauen wollten ihn ölen. (4) Josie: Da war ein Mann im Grab, der sagte den Frauen: Jesus ist auferstanden, er ist bei Gott. (5) Marie: Hinter Maria stand ein Mann, den sie nicht kannte. Als er »Maria« sagte, wusste sie, dass es Jesus war. (6) Josie: Maria lief zu allen Freunden und erzählte, dass Jesus lebt. (7) E: Jesus ist am Karfreitag gestorben. Was ist denn gestorben? (8) Jessi: Man kann nicht mehr mit ihm reden. (9) Jana: Klappert nicht mehr mit den Zähnen. (10) Marie: Man lebt nicht mehr, kann nicht mehr mit ihm lachen. (11) Agnessa: Man sieht ihn nicht mehr. (12) Celina: Man sieht ihn nie wieder, nur auf Bildern. (13) Djamal: Der ist nicht mehr da. (14) Josie: Nur noch auf dem Friedhof, am Grab, wo man ihn besuchen kann. (15) Marie: Nur noch Knochen bleiben übrig. (16) Jannek: Die werden in den Sack gepackt, wegen der Käfer, stimmts, Frau C.? (17) E: Meinst du Sarg? (Kurze Erklärung zum Sarg)
Nach diesem einleitenden Gespräch, durch welches zunächst einmal die Wissensbestände in den Blick genommen werden (und das zuletzt auch einen inhaltlichen Impuls von der Erzieherin Thema »Sarg« enthält), stellt die Erziehe22 Aus der Fülle an transkribierten Gesprächen habe ich dieses überschaubare Beispiel gewählt, um nicht die für diesen Beitrag zulässige Zeichenzahl zu überschreiten.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
rin nun die eigentliche Impulsfrage zum Theologisieren: (18) E: Ihr habt jetzt erklärt, was passiert, wenn man gestorben ist. Der ist nicht mehr da, man sieht ihn nicht mehr, man kann nicht mit ihm reden. Warum sieht denn dann Maria Jesus? (19) Josie: Man spürt ihn mit dem Herzen und kann ihn nicht sehen. (20) Luisa: Ja, im Herzen, ein komisches Gefühl. Auch wenn ich an Jesus denke, höre ich traurige Musik, die habe ich nämlich. (21) Jannek: Wenn er im Himmel war, konnte man ihn nicht sehen, aber merken. (22) Djamal: Ja, aber die Stimmen im Herzen bewahrt macht bestimmt glücklich. (Kurze Pause) Schade, dass Jesus jetzt tot ist. (23) E: Ist Jesus für dich tot? (24) Djamal: Schüttelt den Kopf. Dann sagt er: Jesus war doch wichtig. Meinst du auch, er lebt noch? (25) Jessi: Meine Oma ist auch schon tot. Aber wenn die sich erzählen, höre ich ganz toll zu. Ich habe die nie gesehen … aber die Oma wohnt in meinem Herzen. Ich höre die Geschichten gern. (26) Josie: Es gibt Bücher von Jesus und auch die Kinderbibel mit den Geschichten. (27) Luisa: Der war ein wichtiger Mensch. (28) Josie: Der war gut zu allen Menschen. (29) E: Die Menschen haben Jesus vertraut und ihm geglaubt. Viele Menschen glauben, dass Jesus immer noch lebt, nur als vorher. (30) Luisa: Er ist nicht mehr wirklich da, nur noch als durchsichtiger Jesus, und guckt, wie das jetzt weiter so geht mit den Menschen und mit Gott.
In diesem Beispiel theologisiert eine Erzieherin mit Kindern, die alle durch einen säkularisierten Kontext geprägt sind, in der Osterzeit über die Auferstehung Jesu.
Im Vorfeld hatte sie den Kindern mittels einer ganzheitlich-sinnorientierten Gestaltung und freier Erzählung von dem Sterben und der Auferstehung Jesu erzählt. Dies wird begründet mit den Festen im Jahreskreis und der Allgemeinbildung. In diesem Nachgespräch klärt die Erzieherin zunächst mit den Kindern, was es eigentlich bedeutet, gestorben zu sein. Beim Erzählen der Auferstehungsgeschichten muss deutlich werden, dass Jesu nach der Kreuzigung und Grablegung nicht mehr so weitergelebt hat, wie er es vorher getan hat. In dem oben angeführten Gespräch kommen die Kinder von selbst darauf, was das Besondere an der Auferstehung Jesu ist. Sie finden eigene Beispiele für das neue Leben Jesu und setzten es mit ihren eigenen Erfahrungen in Beziehung. Besonders bei Josie (19) Luisa (vgl. 20) und Djamal (22) wird deutlich, dass sie sich nicht distanziert, rein abstrahiertkognitiv, mit dem Thema Auferstehung auseinandersetzt, sondern stark mit ihren Emotionen beteiligt ist. Die Erzieherin hat den Kindern Deutungsmöglichkeiten eröffnet, obwohl sie selbst nicht an Gott oder die Auferstehung glaubt. Die Frage von Djamal (22) hat sie nicht beantwortet, später spricht sie davon, dass »viele Menschen glauben« (29). Andere Kinder wie Marie beteiligen sich in diesem Abschnitt nicht mehr an dem Gespräch – über mögliche Gründe dafür könnte hier aber nur spekuliert werden. 5. Resümee
Entscheidend für mich ist an diesem Beispiel, dass es der Erzieherin anscheinend gelungen ist, einen Erfahrungsraum für das Gefühl, das Bewusstsein für eine an-
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
dere Wirklichkeit, die neben der Faktizität des Todes für Glaubende existiert, offen zu halten, so dass die Kinder dazu eine eigene Meinung, eine eigene Deutung entwickeln konnten. Durch das Theologisieren konnten die Kinder selbst eine Verbindung zwischen ihrer individuellen spirituellen Erfahrung und der thematisch-konfessionellen Ostererzählung herstellen und dieser eine ganz persönliche Bedeutung verleihen. Die konfessionslose Leiterin23 dieser Kita hat beobachtet, dass »Kinder … ganz intuitiv … ihre Auferstehungsgedanken selber« haben.24 In der Elementarpädagogik wird diskutiert, ob die unabhängig von der Sozialisation bei Kindern beobachtete Fähigkeit, existenzielle Fragen zu stellen und Antworten zu suchen, das zentrale Kennzeichen für eine starke Wissensdomäne im Bereich »Religion« darstellen könnte. So schlägt z.B. Gerhard Büttner vor, die Fähigkeit zur Kontingenz »im Sinne eines Nachdenkens, ob nicht alles auch ganz anders sein könnte« als das Merkmal für die Domäne Religion anzuerkennen.25 Folgender Fragekatalog eines siebenjährigen Mädchens ist ein authentisches Beispiel dieser Kompetenz:
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Kinder beim Nachsinnen, Fragen und bei der Antwortsuche dieser Fragen zu begleiten gehört zur Kompetenz religionssensibler Begleitung, auf die jedes Kindergartenkind – unabhängig von der Trägerschaft der Einrichtung – ein Recht hat. Einige Zeit später ist in der oben beschriebenen Einrichtung ein Kind am plötzlichen Kindstod verstorben. Mehrmals war ich in dieser Zeit in dieser Einrichtung. Die Erzieherinnen trösteten die jungen Eltern, die noch lange jeden Tag in die Einrichtung kamen. Sensibel gingen sie auf ihre Bedürfnisse ein, ohne vorschnelle Formeln oder Antworten zu geben. Sie trauerten mit den Eltern und fragten wie sie nach dem »Warum«? Auf einem Elternabend, den ich zusammen mit dem Team gestaltete, fragte eine Mutter: »Ihr seid doch hier irgendwie christlich. Erzählt ihr den Kindern, dass die Verstorbenen in den Himmel kommen?« Eine Erzieherin antwortete: »Nein. So erzählen wir es den Kindern nicht. Aber wir erzählen ihnen, dass es Menschen gibt, die daran glauben. Und wir fragen die Kinder, was sie glauben. Die haben ganz viele eigene Antworten darauf.« Indem diese konfessionslosen Erzieherinnen religionssensibel agieren, den Raum für transzendente Erfahrungen und Deutungen offen halten und auf die Spiritualität der Kinder vertrauen, ereignet sich eine Kommunikation des 23 Selbstbezeichnung der Kita-Leiterin: »Ich bin nicht kirchlich.« 24 Vgl. Anm. 21. 25 Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Göttingen 2013, 30.
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Evangeliums. Durch das Theologisieren kann diese zur Sprache gebracht, reflektiert und geteilt werden. Auch Kinder aus konfessionslosen Familien und konfessionslose Erzieherinnen sind dazu in der Lage, wenn sie dafür sensibilisiert und dabei begleitet werden. Das in diesem Beitrag publizierte Beispiel steht exemplarisch für viele weitere Beispiele, die ich in den vergangenen zehn Jahren in Kindertagesstätten dokumentieren konnte. Zu meiner Untersuchung zu den Gelingensbedingungen für das Theologisieren in Kindertagesstätten26 waren neben der Teilnahme an einer religionspädagogischen Langzeitfortbildung noch folgende Faktoren bedeutsam: Zu den biographischen Faktoren, die sich positiv auf ein Gelingen des Theologisierens auswirken, können folgende Einflüsse gezählt werden27: – Eine religiöse Sozialisation, die von einer Balance zwischen einer Orientierung an Traditionen (Strukturen) und eigenen Erfahrungen (Freiheit) geprägt ist. – Eine reflektierte eigene Theologie, die Glauben und Zweifeln nicht als Gegensätze deutet und sich immer wieder neu mit theologischen Fragen auseinandersetzt. – Eine Vertrautheit mit der Bibel und eine methodisch-hermeneutische Kom petenz. – Vorerfahrungen mit dialogischen Gesprächsrunden mit Kindern (z.B. Philosophieren). – Das Interesse an weiteren religionspädagogischen Fortbildungen bzw. Aufbaufortbildungen nach der RPQ.
Zu den auf die Einrichtung bezogenen Faktoren, die das Gelingen des Theologisierens beeinflussen, werden gezählt: – Das religionspädagogische Profil der Einrichtung und hier das Selbstverständnis der Erzieherinnen, für die religionspädagogische Arbeit zuständig zu sein. – Betonung der Partizipation der Kinder in der Konzeption und in der pädagogischen Praxis der Einrichtung. – Anteil der Kinder in der Gruppe, die durch ihre Familie einen Bezug zum christlichen Glauben haben. – Alter der Kinder, mit denen das Theologisieren versucht wurde (nur mit 3- bis 4- jährigen Kindern ohne eine altersgemischte Gruppenzusammensetzung ist das Theologisieren schwieriger als mit älteren Kindern und altersgemischten Gruppen). – Austauschmöglichkeiten über das Theologisieren mit anderen aus dem Kollegium. Zudem konnte beobachtet werden, dass in der religionspädagogischen Langzeit26 In dieser Studie wurden die Praxis des Theologisierens und die Gelingensbedingungen für das Theologisieren in Kindertagesstätten untersucht. Detaillierte Fallanalysen in der Form dichter Beschreibungen geben einen Einblick in die Praxis des Theologisierens im Kindergarten. In der Auswertung der Ergebnisse wurde u.a. deutlich, dass Kinder im Kindergarten bei entsprechenden Anregungen schon ab einem Alter von drei Jahren theologische Fragen stellen und im Kontext pädagogischer Beziehungen nach Antworten suchen. Vgl. Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologischsensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Untersuchung zur Praxis des Theologisierens, Leipzig 2017. 27 Vgl. ebd., 586f.
Kunze-Beiküfner Theologisieren mit Kindern im Kindergarten
qualifizierung nur erste Impulse zum Kennenlernen des Theologisierens gegeben werden konnten, während die eigentlichen Aneignungen in den Nachgesprächen und durch die Reflexion der dokumentierten Praxiserfahrungen möglich wurden. Fazit
Für am Philosophieren und Theologisieren interessierte Erzieher/innen sollte, unabhängig von der Trägerschaft der Einrichtung, ein Netzwerk aus qualifizierten Fachkräften installiert werden, welches vor Ort die Reflexion und Evaluation des Theologisierens mit Kindern unterstützt. Die Mühen, die damit
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verbunden sind, sollten nicht davor abschrecken, Erzieher/innen für das Theologisieren mit Kindern zu qualifizieren und sie darin zu begleiten, ihre sensitivresponsiven kindertheologischen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Dass die Kinder das Potential dafür mitbringen, konnte in vielen Untersuchungen nachgewiesen werden. Studien zum »Sustained Shared Thinking« haben gezeigt, dass hier besonders nachhaltige kognitive Lernprozesse angeregt werden. Welche nachhaltige Wirkung das Theologisieren mit Kindern gerade im Kontext der Konfessionslosigkeit entfaltet und wie Erzieherinnen, die selbst keiner Konfession angehören, mit Kindern theologisieren können, wäre ein lohnendes Thema für weitere Studien.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
Gerhard Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder
Vor Jahren gelang dem Filmemacher Reinhard Kahl ein seltenes Tonbanddokument. Einige Vorschulkinder unterhielten sich – scheinbar unbeobachtet – über Gott:1 »Mascha: Der sieht bunt aus. Fabian: … und hat Arme. Und hat … Mascha: … Beine … Fabian: Beine. Und alles normal wie ein Mensch. Aber das ist dran, daß er viele Menschen in seinem Körper hat und er die immer wieder lebendig bringen kann. Aber bloß keinen Mensch, der tot gegangen ist, kann er wieder lebendig bringen. Fabian: Gott hat ja alles erfunden Gott hat die Menschen erfunden und Gott hat ja auch das erfunden, daß in Echt keiner zaubern kann – Aber das kann sich niemand vorstellen. Sarah: Auch wenn man’s sich nicht vorstellen kann – aber das kann sich niemand vorstellen, ob das echt stimmt oder nicht. Das kann niemand wissen. Mascha: Der Gott sitzt auch in der Apfelsine. Das könnte doch sein, daß Gott in einer Apfelsine sitzt. Und ich glaube, daß Gott immer da im Tuch sitzt. Man kann’s nicht sehen. Leider, leider.«
Das kleine Tondokument gibt – unabhängig davon ob so etwas bei Fünfjährigen eher selten oder häufig ist – Martin Luther recht, wenn er in den Tischreden davon spricht, dass die Kindlein so feine Gedanken von Gott haben2 und erfüllt gleichzeitig das von Friedrich Schweitzer
für die Kindertheologie formulierte Kriterium, dass es nicht bloß eine religiöse Äußerung sein sollte, sondern reflexive bzw. argumentative Elemente erkennbar sein sollten.3 Interessanterweise haben die Bildungseinrichtungen der Vorschul phase schnell auf diese Einsicht reagiert und ambitionierte Formulierungen zum Philosophieren und Theologisieren in ihre Programme aufgenommen – unabhängig davon, wieweit das entsprechende Personal auf diese Aufgabe vorbereitet ist.4 Die Frage stellt sich aber – bei so jungen Kindern sowieso –, woher diese Kinder ihr Wissen haben.5 Die Kognitionspsychologie verweist nun darauf, dass Religion nicht zu den sog. core domains gehört, deren Kernwissen gewissermaßen von Geburt an zur Verfügung steht. D.h., dass das Wissen in der Domäne Re1 Reinhard Kahl, Laufen, Sprechen, Lutschen. Mascha, Fabian, Sarah, in: Antoinette Becker / Hartmut von Hentig (Hg.), Geschichten mit Kindern. Zum sechzigsten Geburtstag von Gerold Becker, Velber 1996, 121f. 2 Martin Luther, WA Tischreden 2, 412. 3 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18. 4 Eckehart Martens, Kinderphilosophie und Kindertheologie – Familienähnlichkeiten, in: JaBuKi 4, Stuttgart 2005, 12–28. 5 Gerhard Büttner, Where Do Children Get Their Theology from?, in: Annemie Dillen / Didier Pollefeyt (Hg.), Children’s Voices. Children’s Perspectives in Ethics, Theology and Religious Education, Löwen 2010, 357–372.
Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder
ligion demnach gesellschaftlich induziert ist, wobei ab dem vierten Lebensjahr die Disposition für solche Fragen vorhanden ist.6 Auf den ersten Blick kommen drei Instanzen für die Vermittlung religiöser Inhalte infrage. Die Familie, der Kindergarten und die Kirche bzw. deren Äquivalente. Betrachtet man die entsprechende Forschung, so stammen die meisten Daten aus dem Bereich des Kindergartens.7 Gibt es im Hinblick auf Familienreligiosität – aus forschungslogisch einsichtigen Gründen – eher weniger Daten8, so gilt dies noch mehr im Hinblick auf entsprechende Sozialisationsprozesse kleiner Kinder. Gleichwohl wollten wir im Rahmen dieser Tagung und des Bandes den Fokus auf die drei genannten Sozialisationsfelder richten. Ich werde im Folgenden versuchen, die hierzu vorgestellten Beiträge von Noemi Bravená, Sturla Sagberg und Angela Kunze-Beiküfner zu kontextualisieren.9 1. Kindertheologie in der Familie
In der Familie herrscht – mit einem Luhmann’schen Terminus – »enthemmte Kommunikation«10. Gemeint ist dabei die besondere Intimität in der familialen Interaktion, die natürlich auch der Thematisierung des heiklen Themas Religion entgegenkommt. Dieser intime Charakter ist aber auf der anderen Seite ein gewisses Hindernis bei der Erforschung der dort stattfindenden Kommunikation. Insofern ist es besonders spannend, wie sich die kindertheologische Forschung diesem Feld nähert. Jantine Nierop hat etwa einen Blick eröffnet zur Rolle der Großeltern bei der »Weitergabe des Glaubens«.11 Eine wichtige, von der Kindertheologie bis-
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lang kaum rezipierte Studie stellt Christoph Morgenthalers Untersuchung zu den »Abendritualen« dar.12 Indem die Eltern
6 Zum Überblick vgl. Gerhard Büttner / VeitJakobus Dieterich, Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Gottingen ²2016; im Detail Paul Harris, On Not Falling Down to Earth: Children’s Metaphysical Questions, in: Karl S. Rosengen / Carl N. Johnson / Paul Harris (Hg.), Imagining the Impossible. Magical, Scientific, and Religious Thinking in Children, Cambridge 2000, 157–178. 7 Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009; Eva Hoffmann, Interreligiöses Lernen im Kindergarten? Eine empirische Studie zum Umgang mit religiöser Vielfalt in Diskussionen mit Kindern zum Thema Tod, Münster 2010; Friedrich Schweitzer / Anke Edelbrock / Albert Biesinger (Hg.), Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmungen im Kindesalter, Münster 2010; Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Untersuchung zum Theologisieren mit Kindern, Leipzig 2017. 8 Aber Ulrich Schwab, Familienreligiosität. Religiöse Traditionen im Prozess der Generationen, Stuttgart 1995. 9 Vgl. in diesem Band Noemi Bravená, Theologische Gespräche in der Familie; Sturla Sagberg, Vermittlung der Guten Nachricht im Vorschulbereich und Angela Kunze-Beiküfner, Theologisieren mit Kindern im Kindergarten – Kommunikation des Evangeliums im Kontext religionssensibler Begleitung und Bildung. 10 Niklas Luhmann, Sozialsystem Familie, in: Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, Opladen ²1995, 196–217. 11 Jantine Nierop, Glaubensvermittlung durch Großeltern. Eine theologisch-rhetorische Analyse von Briefen von Großeltern an ihre Enkel, in: JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 179–190; Jantine Nierop (Hg.), Opa’s en oma’s schrijven. Wat ze hun kleinkinderen willen meegeven, Kampen 2009. 12 Christoph Morgenthaler, Abendrituale. Tradition und Innovation in jungen Familien, Stuttgart 2011.
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selbst durch Video-Kameras das Zu-Bettgeh-Ritual ihrer Kinder dokumentieren, erhalten wir Einblick in die Mikroprozesse, in denen sich u.a. auch die religiösen Vorstellungen der Kinder bilden. Morgenthaler geht davon aus, dass zumindest in der deutschsprachigen Schweiz das Abendritual eine besondere Situation in der familialen Kommunikation darstellt. Von Seiten der Eltern ist dies ein Termin, für den sich zumindest ein Elternteil Zeit nimmt, auch aus der Absicht heraus, einigermaßen sicher zu sein, dass das Kind danach auch definitiv schläft. Für das Kind bildet diese Situation insofern etwas Besonderes, als jetzt – in der bedrohlichen Situation des Dunkel-Werdens – eine Trennung von der erwachsenen Bezugsperson stattfindet. Damit ist das Ritual existentiell bedeutsam – jenseits einer spezifischen inhaltlichen Füllung. Dieses differiert natürlich bei den untersuchten Familien. Elemente des Rituals sind Geschichten (oft vorgelesen), Lieder und Gebete. Interessanterweise greifen die Eltern dabei oft auf Elemente dessen zurück, was sie aus ihrer eigenen Kinderzeit erinnern. Deshalb spielt etwa das fromme Lied vom Glöcklein in Mundart nach wie vor eine größere Rolle. Für den kindertheologischen Diskurs ist wichtig, dass man den ko-konstruktiven Charakter dieser Abendgespräche en detail nachvollziehen kann. Es ist also keineswegs so, dass die Kinder nur eine bestimmte Semantik oder Gestik übernehmen, sondern dass sie selber Einwände und Modifikationen einbringen, die dann auch übernommen werden. Es ist von daher sehr hilfreich, dass Noemi Bravená in einer kleinen explorativen Studie versucht hat, Elemente des Morgenthaler’schen Settings für ihre eigene Untersuchung zu benutzen.
Einerseits wählte sie explizit christliche Familien aus, andererseits arbeitete sie mit einem Bilderbuch, das zur religiösen Thematik in offener Weise Fragen und Antworten verbindet. Methodisch machte sie sich dabei die von Petra Wielers Studie13 her bekannte Situation der Ko-Konstruktion beim gemeinsamen Betrachten eines entsprechenden Bilderbuches zunutze. Ich möchte ihre drei referierten Gesprächssequenzen so einordnen: Wir erleben, dass Glauben und Spiritualität sich – in den Worten von Bonnie Miller-McLemore – »inmitten des Chaos« abspielen, ein Kontext, der vielleicht manchmal unterschätzt wird.14 Die zweite Szene lässt sich gut mit dem beschreiben, was Jerome Bruner ein »Format« genannt hat. In solchen geschieht Spracherwerb und zwar in der Weise, dass Wörter, Bedeutung und Gebrauch gleich in entsprechenden Kontexten angeeignet werden.15 Wenn – wie in Bravenás Beispiel – der Himmel eben auch auf Erden stattfindet, dann muss sich dies im Gespräch etwa auch durch eine Umarmung ausdrücken. Damit wird deutlich, was auch bereits Katharina Kammeyer konstatiert hat, dass bei der Kommunikation mit jüngeren Kindern, das Klären von Sachen und der handelnde Vollzug eng miteinander verbunden sind.16 Betrachtet man die inhaltlichen Beiträge der Kinder, dann be13 Petra Wieler, Vorlesen in der Familie. Fallstudien zur literarisch-kulturellen Sozialisation von Vierjährigen, Weinheim/München 1997. 14 Bonnie Miller-McLemore, In the Midst of Chaos. Care of Children as Spiritual Practice, San Francisco 2006. 15 Jerome Bruner, Wie das Kind sprechen lernt, Bern ²2008. 16 Katharina Kammeyer (Anm. 7).
Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder
stätigen diese, dass bereits die Vorschulkinder »Theologen« in dem Sinne sein können, wie dies das kindertheologische Programm beschreibt. Noemi Bravená nimmt nun allerdings noch einen anderen Aspekt in den Blick. Sie sieht gerade in der Intensität der intimen Gespräche eine besondere Qualität. Auch wenn die eindrückliche Identifikation konkreter Kuschelerfahrung mit explizit theologischer Begrifflichkeit beeindruckend ist, so vermutet Bravená, dass hier eine Dimension angestoßen ist, die über sich hinausweist und die man mit ihrer Begrifflichkeit »transzendenzsensibel« nennen könnte. Ich komme zum Ende meines Beitrages auf dieses Phänomen zurück. 2. Der Kindergarten als religiöser Lernort
Simone de Roos konnte zeigen, dass in den Fällen, in denen Eltern wenig religiös waren, das Gottesbild der Kindergartenkinder maßgeblich von der Gottesvorstellung der Erzieherin beeinflusst war.17 Der Kindergarten könnte demnach die zweite Quelle der Kindertheologie sein. Nun zeigt Sturla Sagberg, dass dies nicht so ohne weiteres gilt. Die säkularen Kindergärten nehmen religiöse Inhalte nur in der Weise programmatisch auf, dass sie ein friedvolles interreligiöses Miteinander intendieren und dass die christliche Tradition in der Weise thematisiert wird, dass deren kulturelle Niederschläge z.B. in den Festen, Gebäuden, ethischen Normen etc. zum Gesprächsgegenstand in der Kita werden. Nun könnte man fragen, ob solch eine eher religionskundliche Perspektive zum Theologisieren anregt. Sagberg sieht zwei
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wichtige Faktoren, die ihn diese Frage bejahen lassen. Einmal vertraut er der Kraft der biblischen Narrative, um die man nicht herumkommt, wenn man die Präsenz der christlichen Kultur erklären will. Zweitens setzt er auf die Authentizität der Rede der Erzieherinnen. Beide Faktoren zusammen sind nach Sagberg in der Lage, in konkreten Situationen als bestimmendes Interpretament zu dienen. Damit lassen sich konkrete Ereignisse im Leben der Kinder und im Zusammenleben mit diesen im Sinne einer »kontextuellen Theologie« deuten. Dabei ist es dann weniger entscheidend, ob die biblische Semantik immer vollständig und korrekt gebraucht wird, wichtiger ist ihm die Möglichkeit, dass sich so Evangelium ereignen kann. Die Rolle einer expliziten christlichen Theologie und der Gebrauch einer entsprechenden Semantik treten für Sagberg in ihrer Bedeutung hinter einer entsprechenden Praxis zurück. Als dritten Ort des elementaren Theologisierens denkt man an die Kirche. In der Tat gibt es verschiedene Aktivitäten wie z.B. Krabbelgottesdienste mit den Kleinsten.18 Institutionell am bedeutsamsten sind jedoch die zahlreichen Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft. Doch
17 Simone A. de Roos, Der Einfluss von Eltern und Erzieherinnen auf die Gottesbilder von Kindern, in: Albert Biesinger / Hans-Jürgen Kerner / Günter Klosinski / Friedrich Schweitzer (Hg.), Brauchen Kinder Religion? Neue Erkenntnisse – Praktische Perspektiven, Weinheim/Basel 2005, 80–94; Simone A. de Roos, Der Beitrag der Erziehungspersonen zur Gottesvorstellung von Kindergartenkindern, in: JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 42–56. 18 Hannegreth Grundmann, Mit den Kleinsten Gottesdienst feiern, Hannover 2010.
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zeigt sich hier dasselbe Problem, das bei Sturla Sagbergs Ausführungen bereits deutlich wurde. Diese Kitas richten sich im Prinzip an alle Kinder eines Wohngebietes und werden auch finanziell zu einem Gutteil staatlich finanziert. Das heißt, die Population der Kinder setzt sich je nach Region mehrheitlich aus Kindern zusammen, die keiner Religion oder keiner christlichen angehören. Nun hat Sturla Sagberg zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass es in einem christlich geprägten Land eine Bildungsaufgabe ist, diesen kulturellen Hintergrund zu thematisieren. In einem interreligiösen Kontext treten dann auch Elemente der anderen präsenten Religionen hinzu. Im Beitrag von Angela Kunze-Beiküfner werden Chancen und Grenzen eines solchen Projektes deutlich. Im Gespräch über einen möglichen Ort, an dem Gott »wohnt«, werden thematisch die Aspekte aufgenommen, die erwartbar bei dieser Thematik auftauchen. Die Erzieherin moderiert sensibel, ohne die Beiträge zu kommentieren oder zu einander in Beziehung zu setzen, macht aber mit dem Kanon: »Gott kommt manchmal ganz leise. Gott kommt manchmal ganz still. Kommt auf seine Weise, wie er kommen will« ein semantisches Angebot, an das die Kinder im Prinzip ihre Vorstellungen »andocken« können. Die erste Szene, die Kunze-Beiküfner referiert, zeigt jedoch auch die Problemfelder. Religionskundlich kann man natürlich etwas zu den christlichen Hauptfesten und ihrem Brauchtum sagen und auch narrativ Geschichten des »historischen Jesus« präsentieren. Doch spannend wird es bei der Frage einer »präsentischen Christologie«. Dabei tauchen epistemologische Grundfragen auf, deren Struktur nachvollziehbar ist. Es geht – wie häufig bei
theologischen Fragen – um Paradoxien: Wie kann Jesus tot sein, im Himmel und gleichzeitig bei uns? Wohnt Gott im Himmel oder in unserem Herzen? Die Erzieherin der ersten Szene kommt bei solchen Fragen an ihre Grenzen. Die zurecht postulierte Offenheit beim Theologisieren beruht auf vier Voraussetzungen: 1. Die Erziehungsperson sollte das Themenfeld so kennen, dass sie eine Art Landkarte im Kopf hat, die ihr Orientierung in diesem Feld ermöglicht; 2. sie sollte zumindest in Grundzügen wissen, wie die möglichen Optionen innerhalb einer konkreten Glaubensgemeinschaft bewertet bzw. beurteilt werden; 3. sie sollte in der Lage sein, sich selber in dieser Landkarte zu positionieren und 4. sie sollte die Voten der Kinder zumindest in ihrer Mehrheit ebenfalls in das Modell einordnen können. Dieser Anspruch ist recht hoch. Er erhöht sich noch, wenn etwa Elemente anderer Religionen nicht nur religionskundlich »gewusst«, sondern »theologisch verstanden« werden sollen. Überall, wo dieses Postulat nicht erfüllt wird, droht ein »Fundamentalismus aus Unkenntnis« – übrigens auch in allen, selbst unbewusst säkularen, Formen. 3. »Implizite Theologie« im Vorschulalter
Einer der wichtigen begrifflichen Beiträge, die Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer zur Jugendtheologie beigetragen haben, ist der der »impliziten Theologie«.19 Der 19 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011.
Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder
Begriff ist hilfreich, weil er einen Zugang zu den mehr oder weniger diffusen religiösen Vorstellungen Jugendlicher eröffnet. Springen Kinder in der Regel gerne auf theologierelevante Themen an, so tun dies Jugendliche eher selten und wesentlich verhaltener. Insofern ist es durchaus sinnvoll, sich diesen Vorstellungen erst einmal mit der Hypothese zu nähern, dass hinter den implizit manifestierten Fragestellungen gleichwohl Problemstellungen stehen, wie sie sich im Kanon der Theologie ebenfalls finden lassen. Theologie hätte in diesem Zusammenhang die Funktion der oben genannten Landkarte, die das gedankliche Navigieren erleichtern kann. Die Kehrseite des Begriffes liegt in einer gewissen Übergriffigkeit. Wieso maßen wir es uns an, dort von Theologie zu sprechen, wo die durchaus sprachmündigen Jugendlichen dies ablehnen würden?20 Es ist an dieser Stelle interessant, dass alle drei hier zu Wort kommenden Referierenden dort, wo sie ihre Beispiele theoretisch einordnen, auf Begriffe zurückkommen, die sich im Umfeld von »impliziter Theologie« verorten lassen. Dies ist erst einmal überraschend. Blicken wir zurück auf einige Einsichten aus dem Beginn der Kindertheologie. Anton Bucher hat in einer Reduplikationsstudie zu Piaget festgestellt, dass das kindliche Weltbild mit seinen stockwerkartigen Vorstellungen sich durchaus mit der biblischen Vorstellung deckt und der Gedanke des Artifizialismus eine Steilvorlage für die Annahme eines göttlichen Schöpfers bildet.21 Die Psychologin Deborah Kelemen und der Pädagoge Jürgen Oelkers sprechen mit Überzeugung davon, dass Kinder »geborene Theisten« seien.22 Für diesen Fall ständen dann diese Kinder einer Erwachsenenwelt gegenüber, die – vorsichtig
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gesprochen – mit dieser Tatsache deshalb nicht gut umgehen kann, weil sie sich entweder eher für areligiös ansieht, oder angesichts religiöser Pluralität vor Eindeutigkeit hüten möchte. Von daher ist es interessant, dass alle drei Referierenden in ihren Beispielen sehr wohl Kindertheologie in expliziter, auch sprachlich artikulierter Form präsentieren, theoretisch aber eher mit einem Modell von Kinderspiritualität sympathisieren, weil dieses weniger anstößig erscheint. Noemi Bravená situiert ihren Ansatz, den sie in ihrer erziehungswissenschaftlichen Dissertation empirisch untermauert hat, bzw. ihr Spiritualitätsverständnis in einem besonderen Weltzugang der Kinder, die willens und bereit sind, über die bloße Materialität der Dinge im Sinne einer Transzendenz hinaus zu gehen. Von daher empfiehlt sie allgemeinpädagogisch, diese Transzendenzsensibilität im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung fruchtbar zu machen.23 Es ist leicht nach20 Anton A. Bucher, Sind Jugendliche auch für Jugendliche Theologen? Eine Pilotstudie und konzeptuelle Überlegungen, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, 102–110. 21 Anton A. Bucher, Das Weltbild des Kindes, in: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Die religiöse Entwicklung des Menschen, Stuttgart 2000, 199–215. 22 Deborah Kelemen, Are Children ›Intuitive Theists‹?, in: Psychological Science, Vol. 15 2004), 295–301; Jürgen Oelkers, Die Frage nach Gott. Über die natürliche Religion von Kindern, in: Vreni Merz (Hg.), Alter Gott für neue Kinder? Freiburg i.Br. 1994, 13–22. 23 Noemi Bravená, »Nezabývej se jen sám sebou …« Přesah a jeho význam pro socializaci a formování dítěte jako osobnosti. Prag 2016; Noemi Bravená, Perspektiva osobnostně orientovaného pojetí výchovy v kontextu přesahu (transcendování) dítěte, in Pedagogika 1/16, 23–31.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Vorschulalter
vollziehbar, dass Programme zum Philosophieren und Theologisieren mit Kindern hier gut anschlussfähig sind. Sturla Sagberg argumentiert in seinem Betrag auf der Grundlage eines Konzepts von »Kontextueller Theologie«.24 Kindertheologie als Kontextuelle Theologie – wie sie v.a. in Norwegen verstanden wird,25 verweist fast automatisch auf eine andere Perspektive. Kontextuelle Theologie beobachtet weniger die Orthodoxie des Glaubens als seine Ortho praxie. D.h., dass es konsequent ist, wenn Sagberg fordert, mehr auf die spezifischen Interaktionen zwischen Kindern und ihren Erziehungspersonen zu achten als auf die Benutzung einer entsprechenden theologischen Semantik. Es ist der Beobachter, der die Theologizität des Geschehens im Sinne der Reich-GottesBotschaft Jesu festhält. Das »religionssensible« Konzept, innerhalb dessen Angela Kunze-Beiküfner argumentiert und das im Kreise der Religionspädagoginnen im Elementarbeich breit akzeptiert ist, stützt sich v.a. auf die Dissertation von Judith Weber.26 Diese bezieht sich wiederum auf das gleichlautende für die Jugendhilfe entwickelte Programm von Martin Lechner und Angelika Gabriel27. Mit dem Gedanken der Religionssensibilität reagiert man pädagogisch auf die Annahme einer »impliziten Theologie« bei den Kindern bzw. Jugendlichen. Angela Kunze-Beiküfner versucht dieses Programm biblisch-theologisch einzufangen, indem sie von »weisheitlicher Theologie« spricht. Man kann einigermaßen sicher sein, dass damit die v.a. von Rebbecca Nye beobachtete Spiritualität der Kinder gut erfasst wird.28 Die Frage bleibt, inwieweit eine solche Sichtweise, so »erfolgreich« sie auch sein
mag, den Ansprüchen einer »expliziten Theologie« immer gerecht wird. Karl Ernst Nipkow hat mit Recht darauf verwiesen, dass im deutschsprachigen Raum die Perspektive der Spiritualität v.a. im protestantischen Raum vernachlässigt worden sei.29 So verwundert es nicht, dass Lechner und Gabriel ihr Modell der Religionssensibilität auf der Grundlage katholischen Denkens entfaltet haben. 4. Die Kindertheologie und die »Kommunikation des Evangeliums«
Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die Feststellung, dass sich in Gesprächen von und mit Vorschulkindern Elemente dessen finden lassen, was wir per definitionem als Kindertheologie markiert haben. Die Gesprächspassagen von Noemi Bravená und Angela Kunze-Beiküfner haben diese Sicht bestätigt. Kinder dieses 24 Stephan B. Bevans, Models of Contextual Theology. Revised and Expanded Edition, Maryknoll 2002. 25 Elisabeth Teito Johnson / Friedrich Schweitzer, Was ist kritische Kindertheologie? Vergleichende Perspektiven aus Norwegen und Deutschland, in: JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 25–36. 26 Judith Weber, Religionssensible Bildung in Kindertagesstätten. Eine empirisch-qualitative Studie zur religiösen Bildung und Erziehung im Kontext der Elementarpädagogik, Münster/New York 2014. 27 Martin Lechner / Angelika Gabriel (Hg.), Religionssensible Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008), München 2009. 28 Rebecca Nye, Children’s Spirituality. What it is and Why it Matters, London 2009. 29 Karl Ernst Nipkow, Kinder und Transzendenz – Spuren natürlicher Religion, in: Karl Ernst Nipkow, Gott in Bedrängnis? Zur Zukunftsfähigkeit von Religionsunterricht, Schule und Kirche, Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert Bd. 3, Gütersloh 2010, 137–144.
Büttner Das Theologisieren der Vorschulkinder
Alters haben offensichtlich zu etlichen der im Gespräch angesprochenen Topoi eine eigene begründete Vorstellung und sind auch dazu in der Lage, diese mit anderen zu kommunizieren. Dabei wird gerade in den zitierten Beispielen deutlich, dass dazu ein vorheriger Input nötig ist und dazu »responsive« erwachsene Begleiter. Ich habe an anderer Stelle in Bezug auf kindertheologische Methoden dafür plädiert, den Begriff der Kindertheologie nicht so auszuweiten, dass darunter jegliche sinnvolle religionspädagogische Aktion mit Kindern subsumiert wird.30 Von daher bin ich auch zurückhaltend, alle Formen »impliziter Theologie« als Kindertheologie zu bezeichnen. Die Aufmerksamkeit für die Spiritualität der Vorschulkinder ist dringend geboten und eine Weiterführung der Studien von Rebecca Nye sehr erwünscht. Doch haben die Beiträge von Bravená und Kunze-Beiküfner gerade gezeigt, wie notwendig es ist, den Wahrnehmungen und Empfindungen der Kinder Sprache zu verleihen. Dies fordert dazu auf, implizite in explizite Theologie zu überführen. Soll dies induktiv erfolgen in dem Sinne, dass die Erzieherin erst einmal zu verstehen versucht, was das Kind zum Ausdruck bringen will, bevor man ihm begriffliche Vorschläge macht, erfordert dies auf der inhaltlichen Seite eine ausgeprägte Kompetenz der Erziehungspersonen. Die zitierten Beispiele geben hier einen Einblick in Stärken und Schwächen. Dass sich die eng gefasste Variante der Kindertheologie im Sinne Christian Grethleins als »Kommunikation des Evangeliums« begreifen lässt, leuchtet mir ein.31 Wie verhält es sich nun mit den von Sturla Sagberg ins Spiel gebrachten Interaktionen? Schauen wir auf die entsprechenden Passagen der Evangelien,
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dann scheint es unbestreitbar, dass Jesus selbst dieser kindlichen Existenz und ihrer Kommunikation eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, und in ihr Figurationen dessen sah, was wir Reich Gottes nennen.32 Insofern ist Sagbergs Argumentation konsequent, wenn er auf konkrete Interaktionen von und mit Kindern schaut und darauf, in welcher Weise sich dabei »frohe Botschaft« realisiert. Man wird hier durchaus auch eine Form »impliziter Theologie« erblicken können – gemäß den Vorgaben der Kontextuellen Theologie. Sturla Sagberg macht natürlich mit Recht darauf aufmerksam, dass die biblischen Narrative – in welcher Form auch immer – ein wichtiges Medium sind, um die entsprechenden Erfahrungen einordnen und benennen zu können. So fällt es mir leichter, die von ihm beschriebene Form der Praxis als eine Variante der Kommunikation des Evangeliums zu begreifen. Ob es in jedem Fall Kindertheologie ist, erscheint mir jedoch eher zweifelhaft. Ich plädiere also für ein eher weites Verständnis des Konzeptes der »Kommunikation des Evangeliums«, die ja nach Grethlein letztlich alle Facetten kirchlichen Handelns umfassen soll. Kindertheologie – auch und gerade mit Vorschulkindern – wäre dann eine Variante bzw. ein Aspekt dieser Kommunikation des Evangeliums, aber deutlich enger zu fassen. 30 Gerhard Büttner, Grenzen der Kindertheologie, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 47–55. 31 Gerhard Büttner, Kinder- und Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums und des Glaubens« – Im Lichte der Kritik von Bernhard Dressler, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 9–18. 32 Hans-Ruedi Weber, Jesus und die Kinder, Hamburg 1980; Peter Müller, In der Mitte der Gemeinde. Kinder im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 1992.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Oliver Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese. Ein Ort der Kommunikation des Evangeliums? Die Erstkommunionskatechese in Deutschland ist in den letzten Jahren von der Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft« intensiv auf ihre Wirkungen hin untersucht worden. Dabei zeigen sich in einer Nebenspur bedeutsame Leerstellen, wie die befragten Kinder und Jugendlichen den Gehalt der Eucharistie verstehen. Bietet die Kindertheologie eine Chance, sakramentale Lernprozesse anzuregen, die die Erstkommunionskatechese zu ihrem eigenen Gegenstand führen? Und werden dabei neue Formen der Kommunikation des Evangeliums möglich, die den Kommunikationsanforderungen der Moderne gerecht werden? 1. Zur Situation der Erstkommunionskatechese als Ort der Kindertheologie 1.1 Eucharistie verstehen in der Erstkommunionskatechese?
Die großangelegte Wirkungsstudie der Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft« zur Erstkommunionskatechese hat wichtige Erkenntnisse zu den gegenwärtigen Eucharistieverständnissen der Kinder und Eltern zu Tage gefördert. So wird in der quantitativen Linie der Studie deutlich, dass die klassische katholische Vorstellung der Sündenvergebung
über das Opfer Jesu Christi nur wenig Bedeutung zugesprochen bekommt. Die stärkste Zustimmung erfährt die Vorstellung von der Gemeinschaft mit Jesus. Außerdem stimmen die befragten Kinder in hohem Maße der Vorstellung einer Erinnerung an das letzte Abendmahl und den Tod Jesu zu. Die Vorstellung einer Gemeinschaft mit den anderen Gläubigen fällt schon deutlich dahinter zurück.1 Wenn man die qualitativen Ergebnisse hinzuzieht, dann sind vier Beobachtungen der Forschungsgruppe zentral: 1. Es fällt den Kindern und Erwachsenen schwer »in eigenen Worten, also ohne Rückgriff auf vorgeprägte Formeln, auszudrücken, was das Sakrament der Eucharistie bedeutet und in welcher Beziehung es zu ihrem ›normalen‹ Leben steht.«2 2. Jesus selbst wird ganz menschlich gesehen, so dass Jesus in der Kommunion als der irdische Jesus so konzentriert erinnert wird, dass man sich ihm nahe fühlt.3 1 Vgl. Norbert Mette, Wie Kinder und Erwachsene »Eucharistie« bzw. »Kommunion« verstehen, in: ThQ, 194. Jg. 2014, 40f. 2 Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft«, Kommunionskatechese und religiöse Entwicklung: eine Evaluationsstudie, in: KatBl, 138. Jg. 2013, Heft 5, 376. 3 Vgl. Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft«, Werte – Religion – Glaubenskommunikation. Eine Evaluationsstudie zur Erstkommunionkatechese, Wiesbaden 2015, 283–285.
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
3. Mit dem Begriff der »Kommunion« wird in der Regel das ästhetische, festliche Ereignis in einer bestimmten biographischen Phase verbunden und dessen Ablauf beschrieben.4 4. Entsprechend verbinden die Kinder die Kommunion auch nicht mit einem Symbolverständnis oder einem Transzendenzbezug. Brot und Wein bleiben gegenständlich.5 Dieser Befund passt zu dem Urteil von Christine Lambrich über das KatecheseMaterial: »Die eucharistische Dimension von Mahl und Gemeinschaft bleibt so unberücksichtigt. (…) Manche Mappen verzichten auf den biblischen Begriff des ›Gedächtnisses‹ und wählen das aus dem alltäglichen Sprachgebraucht stammende Wort der ›Erinnerung‹. (…) Leider bleiben in diesem Zusammenhang die Dimensionen von Erlösung und Befreiung unerwähnt. (…) In etlichen Mappen kommen nur sehr wenige Eucharistiekatechesen im engeren Sinn vor, und in manchen Mappen sind die ausgewiesenen Eucharistiekatechesen gar keine.«6
Und die Eltern? Die Eltern reagieren genauso sprachlos und formelhaft wie die Kinder, einzelne zeigen geradezu abwehrende Reaktionen gegenüber einem sakramentalen Anspruch der Eucharistie: »Wir treffen uns, um an ihn zu erinnern, um zu sagen, wir treffen uns in seinem Geist, wir treffen uns, weil er uns liebt und weil er uns viel von Gott erzählt hat und weil er uns dazu beauftragt hat. Ich finde, mehr ist es erst einmal nicht. Alles andere, alles Theologische über Wandlung und was es alles da so auch an Worthülsen, wie ich manchmal finde, gibt, das trifft nicht den Kern der Sache und das heißt auch nicht communio, sondern es ist
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alles andere, was noch dazugehört vielleicht, und wenn man dann wirklich drin steckt und sich also ganz insidermäßig damit auseinandersetzt, dann kann man auch darüber nachdenken.«7
Gegenwärtig bleibt die inhaltliche Auseinandersetzung mit der sakramentalen Wirklichkeit der Eucharistie und ihren Wirkungen für das Individuum und die Glaubensgemeinschaft eine Leerstelle in der Katechese und dem sie unterstützenden Material.8 Die Konzentration auf die »Gemeinschaftserfahrung mit Brotbacken« und die Vorbereitung auf den Ablauf der Erstkommunionsfeier erfüllen die Erwartungen der Kinder und Eltern nach niedrigschwelligen Angeboten. Die im Material und der Katechese eingestreuten Glaubensformeln und biblischen Zitate sowie die Instruktion des Leitsatzes »Kommunion heißt: Jesus kommt zu dir« werden zur Kenntnis genommen, vielleicht auch als kirchliches Sprechprogramm erwartet, bilden aber keine verständnisorientierte nachhaltige Lernspur in der Katechese.9 Angesichts der Ferne selbst der in der Kirche verbliebenen Katholiken zu einer kirchenbezogenen Glaubenspraxis sowie der Fremdheit gegenüber der biblischen,
4 Vgl. ebd., 286f; Norbert Mette (wie Anm. 1), 48f. 5 Vgl. Norbert Mette (wie Anm. 1), 42f. 6 Christine Lambrich, Erstkommunionskurse – quer gelesen, in: KatBl, 133. Jg. 2008, Heft 3, 201–204. 7 Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft« (wie Anm. 3), 279. 8 Vgl. Volker Malburg, Glauben lernen?! Inhaltliche Mindestanforderungen an die Sakramentenkatechese, Regensburg 2010, 325. 9 Vgl. Forschungsgruppe »Religion und Gesellschaft« (wie Anm. 3), 171–174, 282.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
liturgischen und theologischen Sprache ist dieser Trend nachvollziehbar, er geht trotzdem deutlich an den Zielvorstellungen der römisch-katholischen Kirche vorbei, dass die Kinder ein konsistentes Verständnis der Praxis entwickeln, an der sie sich zu beteiligen lernen.10 1.2 Theologisieren als Element der Erstkommunionskatechese in der Form der Kindertheologie
Drei gegenwärtig weit verbreitete Katechese-Ansätze reagieren auf unterschiedliche Weise auf diese Krise: Die »Weggottesdienste«11 setzen primär auf die Weggemeinschaft und die liturgische Erfahrung selbst, die den Graben zwischen dem Verstehen und dem formalen Ritual überwindet. In ähnlicher Weise konzentriert sich auch »Einfach Kommunion feiern«12 auf das Mitfeiern des Eucharistiegeheimnisses und deren Zeichen. Allerdings wird die schrittweise Initiation durch Katechesen unterstützt, die sich inhaltlich an dem orientieren, was in der Liturgie als Textoberfläche gefeiert wird. »Gott mit neuen Augen sehen«13 setzt dagegen bei den Beziehungs- bzw. Vertrauenserfahrung in der Familie an und macht hieran den Beziehungswillen Gottes und seine Gemeinschaftszusage in der Eucharistie fest. Ob die Konzepte die Katechese von der Liturgie, der inhaltlichen Botschaft oder der religiösen Beziehung her denken, sie lösen stets das Zuordnungsproblem der heterogenen Zugangsvoraussetzungen und der fremden Inhaltlichkeit durch Reduktion der zugelassenen Vorstellungen der Kinder oder durch inhaltliche Reduktion. Auf die Theologie als reflexiv
vermittelnde Größe zwischen dem Glauben der Vielen und dem einen Glauben der Kirche14 verweist keines der Konzepte und auch keines macht den Kindern die eigenen Überzeugungen und Vorstellungen reflexiv zugänglich, um sie in pädagogischen Interventionen weiter zu entwickeln. Ist es denn so, dass die Bedeutung der Eucharistie heute so eindeutig ist, dass Katechese nur (übersetzende) Vermittlung heißen kann? Und müssen die Kinder durch ihre Sozialisierung im Grunde schon das passende Verständnis mitbringen oder ihre alltagsbezogenen Konzepte im Sinne eines vertikalen Konzeptwechsels15 zugunsten der Norm aufgeben? Ist Katechese nur dann erfolgreich, wenn sie die Teilnahme an der Erstkommunion er10 Vgl. zu den kirchlichen Erwartungen die entsprechenden Abschnitte im Katechismus der Katholischen Kirche (München/Vatikan 1993) 1244, 1386 und 1387. Zu den Anforderungen an das liturgische Lernen vgl. Claudia Gärtner, Religionsunterricht ein Auslaufmodell? Begründungen und Grundlagen religiöser Bildung in der Schule, Paderborn 2015, 81–85. 11 Theodor Kramer u.a., Weggottesdienste in der Kommunionvorbereitung, München 2006. 12 Christian Hennecke u.a., Einfach Erstkommunion feiern. Erstkommunionvorbereitung unter veränderten Voraussetzungen, München 2010. 13 Albert Biesinger / Reinhold Boschki / Jörn Hauf, Gott mit neuen Augen sehen – Wege zur Erstkommunion; Leitungsteam, Elterntreffen, München 2012. 14 Vgl. Gerhard Büttner / Oliver Reis, Glaubens wissen – konstruktivistisch gelesen, in: Gehard Büttner / Oliver Reis (Hg.), Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd. 6: Glaubenswissen, Babenhausen 2015, 9–13. 15 Vgl. Susanne Prediger, »Do you want me to do it with probability or with my normal thinking?«. Horizontal and vertical views on the formation of stochastic conceptions, in: International Electronic Journal of Mathematics Education, Vol. 3 2008, Issue 3, 132f.
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
reicht? Oder kann die Katechese auch ein doppelter Lernort sein, an dem sich die Kinder und die Kirche Klarheit über die eigene Position im Spiegel pluraler Meinungen verschaffen? Wenn man die Erstkommunionskatechese als Lernort denkt, dessen besondere Qualität darin besteht, dass hier reflektierte Erfahrungen in einem ergebnisoffenen Prozess möglich sind, die vom Individuum und der Kirche darauf hin geprüft werden, ob eine weitere Teilhabe sinnvoll ist, dann benötigt die
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Erstkommunionskatechese systematisch altersangemessene Theologisierungsorte, die sich aus meiner Sicht treffend in der Form der »Kindertheologie« als Theologie mit, für und von Kindern strukturieren lässt. Aus meiner Sicht trägt die Kindertheologie in Anlehnung an Annike Reiß16 in die Erstkommunionskatechese als Strukturierungsprinzip das folgende dreischrittige Verfahren ein, das konkreten Methoden übergeordnet ist:
Abb. 1: Theologisieren als Lernformat
Grundmerkmal dieses Verfahrens ist, dass der Glauben der Vielen zu einer religiösen Fragestellung sichtbar gemacht wird und zwar so, dass hinter den realen Positionen Modelle erkennbar werden, die christlich, religionsübergreifend oder auch säkular geprägt sind. Diese Positionen in einer Gruppe lassen sich als partikulare Perspektiven zueinander in Beziehung setzen, weil die Modelle Ausschnitte eines Diskurses sind, indem letztlich die Modelle mit ihren spezifischen Bedeutungen, Funktionen und Wahrheitsverständnissen partikulare Relevanz zur Bearbeitung der Ausgangsfrage erlangen. Die Kinder werden an den Diskurs oder Ausschnitte herangeführt und systematisch aufgefordert, sich mit der Relevanz der anderen Positionen der Gruppe oder hinzugeholter Referenzen auseinanderzusetzen. Das Verfahren erfolgt zielgerichtet, nicht weil ein bestimmtes Verständnis übernommen
werden muss, sondern weil die Reflexion der eigenen intuitiven Vorstellungen und Überzeugungen auf einen horizontalen Konzeptwechsel17 abzielt: die bisherigen alltagsbezogenen Vorstellungen und Überzeugungen und die ausgearbeiteten Fremdreferenzen müssen sich jeweils situativ für die Person als relevant erweisen. Deshalb kann dieses Verfahren auch nicht sicherstellen, dass ein bestimmtes Konzept übernommen wird, aber es stellt sicher, dass die bisherigen und die neu kennen gelernten Konzepte in ihrer Relevanz ernsthaft geprüft wurden. Rollen-Asymmetrie und pädagogische stellvertretende Deutungen auf der Verfahrensebene ge16 Vgl. Annike Reiß, »Man soll etwas glauben, was man nie gesehen hat« – Theologische Gespräche mit Jugendlichen zur Wunderthematik, Kassel 2015, 559–564. 17 Vgl. Susanne Prediger (wie Anm. 15), 134.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
hören in diesem Sinne zur Kindertheologie dazu, während im eigenen Verstehen Raum für eine transparente Symmetrie ist.18 Die Implementation dieses Verfahrens hätte für die Katechese zur Folge, dass die Kirche darauf verzichten müsste, dass ihre inhaltliche Position als einzige wahr gesetzt ist. Das hebt das bisher dominierende Schema der Vermittlung auf. Andererseits müsste sich die Kindertheologie in der Katechese darauf festlegen, dass trotz des im Raum erlebbaren Glaubens der Vielen die Auseinandersetzung auf den öffentlichen Wahrheitswert abzielt und dass die Kirche das Recht behält, bestimmte Überzeugungen zur Eucharistie als nicht akzeptabel für die EucharistieTeilhabe auszugrenzen. Beide Ansprüche gehen zusammen, wenn die Teilnahme an der Sakramentskatechese nicht automatisch zum Sakramentsempfang führt. Denn dann wäre die ausreichende Norm im Verfahren, sich und seinen Glauben in die Öffentlichkeit zu stellen und vor den kirchlichen Vorstellungen (im Plural!) zu prüfen. So könnten kindertheologische Einheiten zum sakramentalen Gehalt der Eucharistie ein zentrales pluralitätserhaltendes und -stärkendes Element sein, das die anderen Elemente sinnvoll unterstützt. Was aber wäre der Gegenstand des Theologisierens? 2. Zum Gegenstand des Theologisierens in der Erstkommunionskatechese 2.1 Die fachliche Klärung: Der strukturierte Raum der Katholischen Eucharistie
Hat seit der Spätantike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Sakramententheologie den Zugang zur Eucharistie ge-
prägt, so steht heute zu Recht die zweckfreie Liturgie selbst im Vordergrund.19 Daran orientieren sich unter den Katechesen vor allem die »Weggottesdienste« und »Einfach Kommunion feiern«. Macht das die Auseinandersetzung mit der Sakramententheologie für die fachliche Klärung des Lerngegenstandes überflüssig? Nein, denn zum einen steht das Denken zu den Sakramenten in Beziehung zur Liturgie und sie durchformen sich gegenseitig. Deshalb braucht das eucharistische Verständnis einer Zeit immer die theologische Selbstaufklärung im Spiegel der biblischen Quellen und der Auslegung in der Tradition, damit es der liturgischen Struktur als Werk Gottes an den Menschen und den Menschen an Gott gerecht werden kann. Das gilt auch für den katechetischen Lernprozess. Zum anderen ist gerade das Theologisieren mit den Kindern auf einen mehrperspektivischen sakramententheologischen Modell-Rahmen angewiesen, der die Bedeutungsfülle und damit die vielen kontextuellen Verstehensmöglichkeiten der Eucharistie wieder sichtbar macht.20 Um den sakramententheologischen Diskurs21 zur Eucharistie in den bibli18 Vgl. Oliver Reis, »Öffnen kann ja jeder!« – von der hohen Kunst des Schließens beim Theologisieren mit Kindern, in: JaBuKi 15, Stuttgart 2016, 51–55. 19 Vgl. Franz-Josef Nocke, Allgemeine Sakramentenlehre, in: Franz-Josef Nocke u.a. (Hg.), Handbuch der Dogmatik Bd. 2, Düsseldorf 1992, 188, 208. 20 Christine Lambrich (wie in Anm. 6), 204. 21 Vgl. für die eucharistietheologische Rekonstruktion Thomas Ruster, Sakramente. Gestalten des Reiches Gottes auf Erden, Würzburg 2011; Eva-Maria Faber, Einführung in die Sakramentenlehre, Darmstadt 32011; KarlHeinz Menke, Sakramentalität. Wesen und
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
schen Quellen und den traditionalen Auslegungen bis heute zu ordnen, schlage ich vor, vier Modelle zu unterscheiden, die sich durch ihre inhaltliche Bedeu-
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tungsstruktur sowie die damit verbundene sakramentale Wirkung unterscheiden und so eine gewisse Funktionalität für einen bestimmten Kontext erreichen:
Modelle: Eucharistie als …
Pascha-Opfer
Himmlisches Festmahl
Gewandelte Präsenz
Anamnese göttlicher Heilstaten
Bedeutungsstruktur
Selbsthingabe Jesu Christi im inklusiven Opfer ermöglicht neues soziales Leben
Gegenweltliche Mahlgemeinschaft mit Gott-Vater, Christus und der Gemeinschaft der Heiligen
Die Leibwerdung Jesu Christi unter den Gestalten von Brot und Wein sowie die Kommunion in den Leib Christi (als Trans- bzw. Konsubstantiation, Annihilation oder Trans-finalisation)
Erneuerung des Bundes im Blut Jesu Christi in der Tradition des Exodus
Wirkung
Hoffnung für eine Inklusive Süngeschundene Welt denvergebung, Ermächtigung zum gottgerechten Leben
Stärkung der Welt in der Gegenwart Christi
Kommunikationsort der Heilsgeschichte mit der Gegenwart
Funktion
Bewältigung des Scheiterns in der sozialen Lebenspraxis
Imagination einer eschatologischen Differenz
Medikation für das Individuum darüber für die Gesellschaft
Stiftung einer lebendigen Lebensgemeinschaft
Reduktion unter den Bedingungen der a) Individualisierung b) Säkularisierung c) Privatisierung
a)+c) Opferung Jesu zu eigenen Zwecken
b) Gemeinschaft der Eucharistiegemeinde c) Familienfest
a)+c) Jesus kommt zu mir
b) Erinnerungsfeier an ein religiös bedeutsames Ereignis
Tab. 2: Matrix der Eucharistieverständnisse
Eine theologiegeschichtliche Epoche ist nicht von einem Modell alleine geprägt, sondern die Modelle werden unter einem Leitbild einander zugeordnet. Dadurch dominieren jeweils Modelle und andere werden fast unsichtbar oder stark reduziert rezipiert. Von der Scholastik bis zum II. Vatikanischen Konzil wurde Eucharistie z.B. in der röm.-kath. Kirche über die Opfervorstellung verstanden, die funktional auf eine Realpräsenz angewiesen ist. Eucharistie erscheint als heilvolle (individuelle) Medikation, die an dem äußeren Vollzug des Mahles verankert wird – was biblisch an das
Pascha-Mahl, die Mahlerzählungen der Evangelien bis zum letzten Abendmahl anknüpfen kann. Da die Transsubstantiation von der wandelbaren Welt ausgeht und jede Eucharistie diese Wandlung feiert, wird der eschatologische Charakter des himmlischen Festmahls unsichtbar.
Wunde des Katholizismus, Regensburg 2012; Stephan Ernst. Wandlung unserer Praxis. Der Zusammenhang von eucharistischer Feier und mitmenschlichem Handeln, in: Winfried Haunerland (Hg.), Mehr als Brot und Wein. Würzburg 2005, 11–30; Franz-Josef Nocke (wie in Anm. 19).
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Die Eucharistie wird konfessionell aufgeladen zum »Produktionsort« des wahren Leibes Christi, der in der Kommunion dargereicht wird, um durch die Sündenvergebung neues Leben zu ermöglichen. In der nachvatikanischen Zeit wird die Eucharistie stärker ekklesial von dem Communio-Gedanken her entfaltet. Das stärkt die Eucharistie als irdische, konkrete Mahlgemeinschaft, in die hinein der realpräsente Jesus Christus als Haupt des Leibes tritt. Das Opfer tritt nach der Liturgiereform in den Hintergrund und bleibt nur noch in dem Aspekt der Hingabe Jesu für mein Leben präsent. Deren stellvertretende Inklusivität, die die Wandlung der Gemeinde und deren Hingabe betont, ist bis in die 2000er Jahre kein großes Thema. Viel mehr wird die Sakramentalität der Eucharistie als anthropologisch heilsame Nähr-Erfahrung in einer in Gott tragenden Gemeinschaft verstanden. Die befragten Kinder und Eltern bewegen sich in den aktuell theologisch vorgegebenen Bahnen, sie entfernen dabei nur unter dem Vorzeichen der Säkularisierung jeweils die transzendente Dimension der Modelle. Dieses halbierte Verständnis stört nicht die kirchliche Praxis und es wird in der Katechese nicht gestört. Trotzdem bleibt das Problem, dass hier Eucharistie nicht mehr als Sakrament gesehen wird. Ist diese Situation alternativlos? Neuere sakramententheologische Ansätze, die bisher nicht in der Katechese rezipiert werden, könnten aus meiner Sicht einen anderen Rahmen setzen, der das in der Breite vorherrschende Denken der Kinder und Eltern, aber auch die Gemeinden selbst produktiv anregen könnte. Andrea Biehler und Luise Schottroff 22
übernehmen die Gegenwelt-Perspektive aus dem Modell des himmlischen Festmahles. Eucharistie befriedet nicht den Glauben mit der Welt, sondern reißt Imaginierungsfenster einer anderen Wirklichkeit auf. Eucharistie stellt sich auf die Seite von ausgegrenzten Menschen und nimmt sie in ihrer geschundenen Körperlichkeit ernst. Das Opfer wird in der Selbsthingabe Jesu und unserer Weitergabe aktualisiert und die Anamnese der Heilsgeschichte in der Eucharistie wird zum Schlüssel, dass das Brot des Lebens unsere Tische erreichen kann. Dass die Eucharistie nicht für sich als Ritual steht, sondern tief mit politischen Fragen verbunden ist, macht John Howard Yoder deutlich: »Eucharistie ist ökonomisches Handeln. Die rechte Praxis des Brotbrechens miteinander ist eine Sache wirtschaftlicher Ethik.«23 Eucharistie kann sakramental nur dort gefeiert werden, wo ihr eine geschwisterliche Fürsorge im Alltag entspricht. Statt sich lange an spekulativen Fragen der Wahrheit der Realpräsenz Jesu unter den Gestalten abzuarbeiten, konzentriert sich sein Ansatz auf die Wandlung der Gemeinde in den Leib Christi, die sich gesellschaftlich auswirken will. Dass es sich hierbei nicht um eine ethische Folge, sondern um eine angemessene Anamnese des göttlichen Heilswillens in der Gegenwart geht, betont Karl-Heinz Menke: »Das Wort ›Sakrament‹ bedeutet im Blick auf den biblisch bezeugten Gott des Bundes, dass er nicht allein Subjekt sein will; (…).
22 Andrea Bieler / Luise Schottroff, Das Abendmahl. Essen um zu leben, Gütersloh 2007. 23 John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, Schwarzenfeld 2011, 56.
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
Als Sakrament ist die Kirche insgesamt, aber auch jedes ihrer Glieder Subjekt des Heilsgeschehens.«24 Die Eucharistiefeier ist der zentrale Ort der Ermächtigung, die Hingabe Jesu zu leben. 2.2 Die didaktische Zielperspektive für die Kindertheologie
Die Bedeutung und die Wahrheit der Eucharistie werden in diesen Perspektiven neu in sozialen Fragen körperlich und öffentlich kontextualisiert. Sie stärken die frühen ostkirchlichen Linien im Eucharistieverständnis und führen differenzierte biblische Erzählungen zu Jesus in der Figur des Pascha-Lamms zusammen, die von der frühen Kirche mit der Leib Christi-Ekklesiologie verbunden und auf die Eucharistie als sakramentales Wandlungsereignis bezogen wurde. Erstkommunion ist damit Schritt einer Initiation, weil sie in eine verborgene ganzheitlich heilvolle Wirklichkeit hineinnimmt, die in der kirchlichen Praxis trotz aller Betonung von communio im Sinne von Gemeinschaft selbst noch aussteht. Im Zentrum steht nicht mehr das Problem der Behauptung, dass Jesus jetzt wirklich in Brot und Wein da ist, sondern die Frage, ob ich überhaupt Teil der eucharistischen Wirklichkeit sein möchte. In der Liturgie wird dieser Zielpunkt besonders deutlich in dem Satz vor der Kommunion: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter mein Dach, aber wenn du dein Wort sprichst, wird meine Seele gesund.« Dieser Satz kann ganz in dem heutigen Denken der Kinder und Eltern gelesen werden, wird er aber mit den biblischen Texten in der Spur des Gotteslammes aufgeladen,
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dann wird das Sprechen dieses Satzes zum Einstieg in die eigene sakramentale Wandlung. Deshalb wähle ich diesen Satz als kindertheologischen Zielpunkt, der die Kinder in eine für die Katechese zentrale Dynamik versetzt: zu verstehen, was es heißt, sich selbst als sakramentales Subjekt zu verstehen. Dieser Zielpunkt steht den erhobenen Vorstellungen unter den Bedingungen der Individualisierung, Privatisierung und Säkularisierung diametral gegenüber. Das wäre aber nur dann ein Problem, wenn die Kinder sich dieses Eucharistieverständnis aneignen sollten. Im Verfahren der Kindertheologie bietet sich dagegen die Chance, über die gezielte Konfrontation einen mehrperspektivischen Raum zu eröffnen und das eigene Eucharistieverständnis zu prüfen. Relevanz könnte diese Ausrichtung entfalten, weil sie dem grundsätzlichen Wunsch vieler Kinder entspricht, die Welt als gestaltbar zu imaginieren. 3. Projekt: Theologisieren mit Kindern zur Bedeutung von Eucharistie 3.1 Die Projektstruktur
Das folgende Projekt versucht exemplarisch, in eine bestehende klassische Erstkommunionskatechese in Kleingruppen mit bis zu 10 Kindern, in denen biblische Geschichten erzählt werden, gespielt und gefeiert wird, gezielt die Phasen des kindertheologischen Verfahrens zu implementieren. 24 Karl-Heinz Menke (wie in Anm. 21), 129.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Zeitlicher Ablauf
Schritte in der Untersuchung & Interventionen
I Beginn der Erstkommunionskatechese [Rekonstruktion der Positionen]
Vorwissen/Vorstellungen/Einstellungen erfragen: »Kommunion heißt für mich, dass …« »Bei der Kommunion passiert, dass …« »Ich möchte an der Kommunion teilnehmen, weil …« »Kommunion und mein Leben hängen (nicht) zusammen, weil …« »Ordnet euch den folgenden Sätzen zu« (Sätze aus der Untersuchung der Forschungsgruppe)
II Gruppentreffen zu den biblischen Geschichten (Lk 24,13–35, Lk 22,14–23, Joh 6,1–15; 22–59, Lk 19,1–10, Joh 1,19–34, Ex 12,21–28) [Einführung der biblischen Referenzen]
»Schreibt bitte Sätze oder auch Wörter aus den Erzählungen oder auch eigene Gedanken auf, was an der Erzählung wertvoll war, dass ihr es behalten wollt.«
III Zusammenfassendes Gruppentreffen [eigene und biblische Positionen aufeinander beziehen]
Strukturlegebild mit den ausgefüllten Fragebögen und den Speicherkarten um die Begriffe »Kommunion/Eucharistie« herum: »Was geben die Erzählungen mit, was Kommunion oder Eucharistie bedeutet?« »Was heißt der Satz ›Herr, ich bin …‹ für dich, wenn wir ihn von den biblischen Erzählungen her lesen?«
IV Gruppentreffen kurz vor der Erstkommunion [Einführung theologischer Referenzen, als Mittel, um die eigene Position anzuregen]
Frageimpulse über die Referenzen: »Passt das, was X sagt zu den biblischen Erzählungen?« »Könnt ihr daraus etwas lernen, was für euch Kommunion ist?« »Fasst bitte noch einmal zusammen: Was heißt das für eure Kommunion?«
Tab. 3: Implementationspunkte in der Katechese
Die dafür notwendigen Interventionen wären ohne das Projekt nicht erfolgt, sind aber auch keine Fremdkörper. Sie haben in den Schritten I und II die Funktion, Verstehensprozesse explizit zu machen sowie für den Lernprozess zu dokumentieren. Im Schritt III strukturieren die Interventionen den Lernprozess zielgerichteter, als es sonst üblich wäre. Nur Schritt IV ist eine Innovation, die sich aus dem kindertheologischen Verfahren und der skizzierten sakramententheologischen Neurahmung ergibt. Eine solche explizit theologisierende Arbeit findet
sich sonst in den Katechesen nicht, ist aber aus Kindersicht nicht störend, weil die Texte als Instrumente für das eigene Verstehen und nicht als Lernstoff eingeführt werden. 3.2 Arbeitsproben aus dem Prozess
Die folgenden Arbeitsproben zeigen exemplarische Reaktionen auf die in der Übersicht skizzierten Interventionen entlang der Verfahrensschritte.
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
I. Vorwissen
II. Verstehen der biblischen Texte
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
III. Vernetzung der biblischen Texte
I: Gibt es noch etwas dazu, dass wir sagen, »Ich bin nicht würdig« was ist damit gemeint? Wer könnte das auch gesagt haben, »Herr, ich bin nicht würdig«? K2: Zachäus. K1: Oder vielleicht auch der Johannes der Täufer, der Jesus getauft hat. I: Was verbindet beide? K1: Dass sie merken, wie klein sie sind. K3: Und beide hoffen auf Jesus, dass etwas passiert. K4: Wie ist das eigentlich emm mit dem Lamm? Also, eigentlich ist doch das Lamm klein. Und es ist schon komisch, dass das Lamm die Welt retten soll, oder? K2: Vor allem, dass ja gar nichts dafür kann! I: Ja, was denkt ihr? K5: Jesus weiß ja, was er tut und er ist erwachsen. Er geht ja zu den Leuten rein. K2: Das Lamm wird einfach geschlachtet und so an die Türpfosten gestrichen. K4: Das Blut nicht das Lamm (Lachen) K1: Jesus will für uns das Lamm sein, das sieht Johannes und Zachäus sieht das auch, aber die Leute beim Wunder, die sehen das nicht direkt. Die wollen essen und hoffen bei Jesus gibt es noch mehr zu holen.
IV.b Neudeutung
Schriftlich
IV.a Vernetzung mit der Theologie
Textimpuls »In der Eucharistie kommt Hoffnung auf. Hunger, Unterdrückung, Überfluss, Einsamkeit – alles kommt im Mahl zusammen. Wir geben unsere Gaben, unser Leben. Wir behalten es nicht für uns. Und Gott segnet diese Gaben und lässt uns Heilung schmecken.« (Andrea Bieler / Luise Schotthoff, Das Abendmahl)
Interviewsequenz I: Und was wird jetzt hier (Bieler/Schotthoff) noch mal konkret gesagt? K2: Also, dass was wir eben schon mal gesagt haben, dass wir in der Gemeinde, also in der Gemeinschaft das machen und nicht das alleine feiern, und dass Jesus, emm, sozusagen unseren Hunger stillt, wenn er zu uns kommt. Vielleicht auch nicht unbedingt den Hunger durch Brot, sondern auch den Hunger nach Liebe oder so. K1: Oder Aufmerksamkeit. K3: Jesus mag gerne bei uns bleiben, wenn wir nicht nur satt werden, sondern wenn wir so sind wie er. K1: wie bei Zachäus, wenn er also wenn er das Geld zurückgibt. K2: Also, dass von uns wirklich der Hunger und so gestillt wird zum Beispiel? K4: Da kann man ja eh nicht viel machen und ich glaube, dass Jesus jetzt mal so auch schon zufrieden ist, wenn sag ich mal, nicht viel streiten. K3: Aber es geht ja ums ewige Leben, quasi! K1: und das ist schon ein bisschen mehr wert, oder? (Lachen)
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
Mündlich I: Was behaltet ihr mit Blick auf die Kommunion, die demnächst für euch bevorsteht? K2: Also, dass ich das vielleicht auch direkt am Anfang mache, also dass ich jetzt versuche, also jetzt wo ich das verstanden habe, dass ich auch was mache und das berücksichtige und mir Mühe gebe, dass Jesus, das Lamm, gerne bei mir bleibt und mich mit anderen zusammen herausfordert, also manchmal klappt das ja auch nicht so, wie man sich das vorstellt, aber dass man darüber nachdenkt, wenn man das man das tut. K1: Also ganz viele Kinder gucken ja auch nur auf die Geschenke bei der Kommunion, also die man halt bekommt, von den Gästen und so, aber vielleicht wird man sich noch mal bewusster, also ich werde mir noch mal bewusster, weil dann wird die Gemeinschaft mit Jesus wichtiger, wenn man die Hostie isst, und dann, dass ich dann wirklich berufen bin, das zu tun, was Jesus uns quasi vorschreibt, was wir tun sollen als Schluss quasi.
3.2 Eine Auswertung des Projekts
Bei der Sicherung des Vorwissens bestätigen sich bei den befragten Kindern die Muster, die auch die Forschungsgruppe erhoben hat: Gemeinschaft mit Jesus und das soziale Fest prägen das EucharistieVerständnis. Bei den Bibelstellen reizen
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die Kinder oft die kantigen Stellen, die sie in Formeln aufgeschrieben haben. Oder sie interessieren sich für Dynamiken in den Beziehungen, wenn sich Menschen verändern oder sich nicht wie erwartet verändern. Gerade die Struktur ›Sündenerkenntnis-Reue-Sündenvergebung‹ wurde in der Rezeption der Texte stärker erhalten, als das von den Zugangsvoraussetzungen zu vermuten wäre. In den vernetzenden Gesprächen, bei denen die Merkzettel zu den Bibelstellen den Kindern vorlagen, fällt auf, dass die Textauswahl den Kindern eine intertextuelle Verdichtung leicht macht. Der Satz »Herr, ich bin nicht würdig, dass …« funktioniert als Leitperspektive, um Linien zwischen den Texten zu finden, die das »nicht würdig«, das »Eingehen« und »gesund« mit Bedeutung aufladen. Die Kommunionssituation wird in die biblischen Figuren des Zachäus oder Johannes des Täufers oder der Emmaus-Jünger hineingelesen. Dabei bleibt die im Vorwissen erhobene Denkfigur erhalten, aber die Mahlgemeinschaft mit Jesus wird nun weniger abstrakt verstanden: Es geht um mich (als Sünder/in), der oder die verändert wird. In der Beschäftigung mit den theologischen Thesen von Biehler/Schottroff, Yoder und Menke wird vor allem gesehen, dass es um etwas geht. Es gibt in der Eucharistie einen Anspruch. Die Kinder haben diesen
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Anspruch unterschiedlich stark kontextualisiert, aber dennoch sind in einigen Stichproben Anreicherungen erkennbar, dass die eigene Wandlung etwas mit dem Leben außerhalb der Liturgie selbst zu tun hat. In den Neudeutungen verknüpfen einzelne Kinder die Hingabe Jesu mit der Weitergabe der Hingabe in die Gemeinde und die Welt. Sie binden damit explizit die gewandelte Präsenz an das Festmahl der Gemeinde und die Ermächtigung zum Gabesein aus der Selbsthingabe Jesu (Opfermodell). Nahezu alle Kinder verknüpfen in der Neudeutung die Gemeinschaft mit Jesus mit einem expliziten Handlungsauftrag und schaffen so Relevanz für die Kommunionsteilhabe entkoppelt von der sozialen (Familien-)Feier. Wie stark dieser Handlungsauftrag dann die Differenzierungspotenziale der verschiedenen Impulse aufnimmt, fällt sehr unterschiedlich aus. Erfolgreich ist das Projekt aus meiner Sicht, weil die Kinder durch die gestuften Aufforderungen für sich und sichtbar für die anderen zu Formulierungen gefunden haben, die einerseits im Fluss der eucharistischen Interpretationssprache stehen und anderseits in eigensprachliche Muster eingebunden sind. Dass dabei bei einigen Kindern deutlich theologische Begründungsmuster aufscheinen, die die Breite der Modelle abgreifen und damit die sonst übliche formelhafte Monokultur überwinden, ist ein wichtiger Nebeneffekt. 4. Analyse der Erstkommunionskatechese als Kommunikation des Evangeliums
Schaut man aus der Perspektive der »Kommunikation des Evangeliums« als Paradigma der Praktischen Theologie25
auf den Stand der Erstkommunionskatechese und das vorgestellte kindertheologische Projekt, dann lässt sich die analysierte Krise der Katechese als Übergangsphänomen zwischen zwei Gestaltungsformen der Kommunikation des Evangeliums charakterisieren. Mit der weiterhin vorhandenen Vermittlungsfigur sowie der im Verfahren und der inhaltlichen Expertise vorherrschenden Asymmetrie zwischen den Katechetinnen und den Kindern verläuft die Katechese einerseits noch in den Mustern einer autoritär vorgetragenen Verkündigung, der man im Grunde nur zuhören muss, um zum Sakrament zugelassen zu werden – was die sozial erwünschte Erwartung in einem vormodernen Obrigkeitsstaat ist, der religiöse Erziehung als Teil der staatlichen Disziplinierung einsetzt. Andererseits betonen die Katechesen die Gemeinschaft der Lernenden, die Offenheit gegenüber den Lebenswelten und setzen eine Praxis fort, die sich offensichtlich von den selbstgesetzten Zielen der Katechese entfernt. Es scheint so, als wäre die Katechese ein Ort des gemeinsamen Lernens im Modus der Anerkennung verschiedener Zugänge – wie es für einen demokratischen gesellschaftlichen Kontext typisch ist, der von einer grundlegenden Symmetrie der Akteure ausgeht. Die Katechese – gerade in der Abgrenzung vom Religionsunterricht – sucht ihren Ort: Hier darf es ausdrück-
25 Vgl. hierzu den Beitrag von Christian Grethlein in diesem Band sowie Christian Grethlein, Kirche als Organisation zur Förderung der Kommunikation des Evangeliums. Vortrag zur Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken 16.11.2013.
Reis Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese
lich um Tradierung gehen, heute aber in Formen der freien Meinungsbildung. Wie geht das, wenn in den Ausläufern des autoritären Verkündigungssystems die Kinder und die Eltern damit überfordert sind, wenn sie in einen Diskurs der Übersetzung entlassen werden und dabei kaum auf Strukturen eines Speichermediums zurückgreifen (können)? In diesem Dilemma treffen die vorgestellten Katechese-Materialien ihre Entscheidungen. Auch wenn sich die drei deutlich darin unterscheiden, wie sie Verkündigung und die von der Person und ihrem Verstehen ausgehende Lernentwicklung denken, immer bleibt in der Katechese das Evangelium starr, als hätte die Kirche/die Theologie es schon vor der Katechese. Die Grundaufgabe für die Katechese in der Moderne wäre, Bedingungen zu schaffen, dass die Kommunikation des Evangeliums als Speichermedium zirkulär mit der als Übertragungsmedium personal verknüpft wird. Wie können dafür Situationen mit dem Evangelium als Speichermedium
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geschaffen werden, die Anschlussstellen für Kommunikation als Übersetzungsleistung liefern? Die kindertheologische Strukturierung könnte dafür einen Rahmen liefern. Sie führt fremde biblische Referenzen und deren theologische Übersetzungen ein, nicht um erneut inhaltlich autoritär umzuschlagen, sondern um ergebnisoffene Anlässe der eigenen synthetisierenden Übersetzungen zu schaffen, deren Plausibilität der Kommunikation selbst überlassen ist. Und sie sieht das Scheitern als Teil der Kommunikation selbst. Denn auch wenn in dem beschriebenen Projekt einzelne Kinder in ihrem nicht-sakramentalen Eucharistieverständnis bleiben, ist auch diese Kommunikation eine reale Form der Kommunikation des Evangeliums, deren Wert und Bedeutung für die Glaubensgemeinschaft intern theologisch zu klären ist. Die Kindertheologie könnte damit das Dilemma bearbeiten, das die Kommunikation des Evangeliums sauber zu beschreiben hilft, ohne es selbst lösen zu können.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Christina Kalloch »Er wollte nicht nur das Geld – er wollte auch seinen Vater wiederhaben!« – Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater (Lk 15,11–32) Lassen sich theologische Gespräche mit Kindern als »Kommunikation des Evangeliums« beschreiben? Anders als im Fall der Kindertheologie, die seit weit über einem Jahrzehnt erforscht, praktisch umgesetzt und reflektiert wird, handelt es sich bei Kommunikation des Evangeliums um einen Container-Begriff, der inhaltlich erst präzisiert und geschärft werden muss, um angemessen Verwendung in didaktischen Kontexten finden zu können. Zahllose Beispiele des Theologisierens mit Kindern sind publiziert und geben Aufschluss darüber, was unter diesem Etikett firmiert. Zwar zeigt ein Blick in unterschiedliche Gesprächsprotokolle und deren Analysen, wie weit der Rahmen dessen gesteckt ist, was als Kindertheologie gehandelt wird, Begriffsklärungen und Abgrenzungen zu anderen Zugängen haben jedoch ein relativ klar umrissenes Feld des Theologisierens mit Kindern entstehen lassen. Es gibt eine Theologie für, mit und von Kinder(n).1 Es ist definiert, was Kindertheologie ist und was sie nicht ist.2 Ihr Verhältnis zur Kinderphilosophie ist geklärt.3 Auch die Frage, ob es spezielle Methoden der Kindertheologie gibt, wurde erörtert.4 1. Kommunikation des Evangeliums
So stellt sich zunächst die Frage, inwieweit sich in den Ausführungen Christian Grethleins Markierungspunkte zur
Operationalisierung des Begriffs Kommunikation des Evangeliums finden lassen, die helfen können, die folgenden Gesprächssequenzen als Kommunikation des Evangeliums zu beschreiben und zu kategorisieren. Grethlein erkennt in den grundlegenden Kommunikationsmodi Lehren und Lernen, gemeinschaftliches Feiern und Helfen zum Leben die kommunikativen Vollzüge des Evangeliums in verbaler und nonverbaler Art, wobei Inhalt und Medium koinzidieren.5 Jesu Lehre und Botschaft verlangen aufmerksames Hören und intuitives Verstehen im Moment der Begegnung. Mimesis als Grundmodell des Lernens lebt durch die Person Jesu und die Begegnung mit ihm. Diese von Grethlein beschriebenen Konstellationen verdeutlichen bereits Grundparadigmen der Kommunikation des Evangeliums, die auf biblische Impulse 1 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie, in: JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–30. 2 Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?, in: JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9–27. 3 Ekkehard Martens, Kinderphilosophie und Kindertheologie – Familienähnlichkeiten, in: JaBuKi 4, Stuttgart 2005, 12–28. 4 Christina Kalloch / Martin Schreiner (Hg.), »Man kann es ja auch als Fantasie nehmen«. Methoden der Kindertheologie, JaBuKi 14, Stuttgart 2015. 5 Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 2012, 325.
Kalloch Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater
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angewiesen ist und ergebnisoffen zu sein hat. Obwohl im Kontext des schulischen Religionsunterrichts zunächst eine Konzentration auf den Modus des Lehrens und Lernens als Kommunikation über Gott erfolgt, sollten alle Kommunikationsmodi auch in der Institution Schule in ihrem Zusammenhang dargestellt werden. Diese Aufgabe gelingt nach Grethleins Auffassung der Institution Schule und dem Religionsunterricht allerdings nur selten. Obwohl die traditionelle Verankerung des Religionsunterrichts in der öffentlichen Schule doch gerade eine lange regelmäßige Kommunikation des Evangeliums im Modus des Lehrens und Lernens, dessen Methoden vorrangig das Erzählen und Miteinander-sprechen sind, ermöglichen sollte, bleibt der Religionsunterricht hinter seinen Möglichkeiten zurück.6
scher Perspektive vermieden werden sollte, erzählt die Geschichte doch in einer zentralen Facette, wie Gott vorzustellen ist. Das komplexe Gleichnis, das nur als Geschichte vom Vater und seinen beiden Söhnen richtig erfasst und gedeutet werden kann, stellt aufgrund seines zeit- und kulturbedingten Kontextes (Erbmodalitäten, Diasporajudentum, Reinheitsvorschriften), aber auch aufgrund seiner Rezeption im Horizont entwicklungsbedingter Moralvorstellungen (Gerechtigkeit, Gehorsam, Belohnung) für Grundschulkinder eine erhebliche Herausforderung dar. Gespräche mit ihnen werden daher die Frage fokussieren, was das Gleichnis vom guten Vater über Gott erzählt.
2. Gespräche mit Grundschulkindern zum Gleichnis vom guten Vater (Lk 15,11–32)
Diese Auseinandersetzung über Lk 15,11–327, zu der sich zwei Jungen und zwei Mädchen im privaten Umfeld zu einem biblischen Nachmittag treffen, findet unter der Regie einer erwachsenen, den Kindern vertrauten Person statt. Die Kinder kommen ihrem Auftrag entsprechend gut vorbereitet: Sie haben den Text sorgfältig gelesen, ihre Bibel oder gar mehrere Exemplare sowie ein zur Geschichte passendes Kuscheltier mitge-
Die beiden folgenden Gesprächssequenzen sind demselben thematischen Zusammenhang entnommen, der Auseinandersetzung von Kindern mit der Parabel vom guten Vater (Lk 15,11–32), einem Kernstück lukanischen Sonderguts. Sie ist die narrativ gestaltete Rechtfertigung Jesu seiner Mahlgemeinschaft mit Sündern (Lk 15,1). Lk 15,11–32 – auch als Evangelium im Evangelium bezeichnet – repräsentiert in signifikanter Weise das Gottesbild Jesu und hat wirkungsgeschichtlich mit der Figur des guten Vaters das christliche Gottesbild nachhaltig geprägt. Auch wenn eine vorschnelle Gleichsetzung Vater = Gott aus exegeti-
3. »Das hat eine Bedeutung!« Viertklässler finden den verlorenen Sohn
6 Ebd., 370. 7 Christina Hoegen-Rohls, »Das hat eine Bedeutung!« Viertklässler finden den verlorenen Sohn (Lk 15,11–32), in: Gerhard Büttner / Martin Schreiner (Hg.), »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten. Teil 2: Neues Testament, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2006, 106–121.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
bracht. Die Kinder treffen auf eine sehr gut vorbereitete, in drei Bereiche gegliederte Lernumgebung.8 3.1 Beobachtungen zur Gesprächssequenz
Das Sprechen über den Text gelingt – sicherlich auch aufgrund der ausgeprägten religiösen Sozialisation und des bibelkundlichen Wissens der vier beteiligten Kinder – auf sehr hohem Niveau. Sie lassen sich ganz auf den Text ein und übernehmen ohne Probleme die Perspektive der jeweils handelnden Personen. Eine sehr starke Leistung in der Rezeption des Gleichnisses ist darin zu sehen, dass die Kinder den älteren Sohn als »versorgten, geborgenen« gegenüber dem »verlorenen« jüngeren Sohn erkennen. Auch die Frage nach der Überschrift der Geschichte in verschiedenen Bibelausgaben wird produktiv aufgenommen. Aufgrund des bisher entwickelten Zugangs zum biblischen Text gelingt es Felix, das Gleichnis vom guten Vater als Auferstehungsgeschichte zu erkennen. Katharina entscheidet, im Rollenspiel als älterer Sohn das Fest mitzufeiern und Felix kann als Gleichnis-Erzähler sagen: »Ich wollte euch mit dem Gleichnis sagen, dass Gott uns verzeiht. Und die immer bei ihm sind, können sich ganz besonders freuen.« Die Bedeutung des Gleichnisses nicht in einer singulären Familienkonstellation zu suchen, sondern als Parabel für die verlorene und geborgene Menschheit zu sehen, verweist darauf, dass die Kinder Lk 15,11–32 als Gleichnis verstanden haben. Bemerkenswert ist, dass die Gesprächsleitung nicht nur die Modera-
torenrolle übernimmt, sie gestaltet die Auseinandersetzung mit dem Text phasenweise zu einem Rollenspiel, in dem sie selbst einen aktiven Part spielt. Ein Involviert-sein in den Text erreicht die Gesprächsleitung zudem oft darüber, einen Satz zu beginnen und ihn dann von ihren Grundschulgesprächspartner/ innen beenden zu lassen. Auffällig ist dabei jedoch, dass Formulierungen der Kinder (wie »Hol’ mich da raus«) durch schriftgetreue Zitate (»Vater, ich habe nicht mehr das Recht dein Sohn zu sein …«) kommentiert werden. Auf diese Weise wird der Schrifttext immer wieder aufgegriffen und im Wortlaut zur Sprache gebracht, wobei allerdings als unpassend empfundene Kinderäußerungen übergangen werden. Dass Begriffe und Erklärungen der Kinder jedoch sehr aufschlussreich sein können, zeigt sich auch an der Passage zur Überlegung, ob der jüngere Sohn wieder aufgenommen wird. Dies steht für die beteiligten Kinder außer Frage. Felix fordert sogar vehement ein, dass der Jüngere sich auf seine Sohnschaft berufen kann, die – unabhängig von seinem Fehlverhalten – lebenslang gilt. Interessant ist seine Verwendung des Begriffs »gläubig« (»schlimm gläubig«; »zu gläubig«), die es durchaus Wert gewesen wäre, thematisiert zu werden. Welche Vorstellung verbindet Felix mit zu schlimm gläubig?
8 1. Eine Ecke mit Schafen und Schweinen auf einer Leinendecke sowie Sitzkissen als erlebnisintensiv gestaltete Ausgangssituation. 2. Platz um einen großen Tisch zur kognitiven (bibelkundlichen) Auseinandersetzung mit dem Gleichnis. 3. Eine Bühne, die aus einem durch eine Stufe abgetrennten Erker besteht, auf der das Gleichnis als Spiel umgesetzt werden soll.
Kalloch Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater
Welche Motive leiten seiner Auffassung nach das Handeln des Vaters? Bemerkenswert ist auch die Äußerung von Fiammetta, die sinngemäß so verstanden werden könnte: Als Vater darf ich dich nicht wegschicken, obwohl du es verdient hättest. Pauls Antwort geht noch in eine andere Richtung, denn hier kommt die bedingungslose Liebe zum Sohn – ohne Wenn und Aber – am stärksten zum Tragen: Schön, dass du wieder da bist! An den skizzierten Stellen zeigt sich, dass ein Ermuntern der Kinder, ihre Vorstellungen zu erklären bzw. zu begründen, notwendig ist, um ihr Verständnis des Gleichnisses zu klären und ihren Zugang zum Text erfassen zu können. Dem wurde an dieser Stelle leider keine Rechnung getragen. 3.2 Einordnung der Gesprächssequenz
Wie bereits geschildert, wurde das Gespräch durch die Leitung sehr gut und minutiös vorbereitet. Obwohl es nicht im Religionsunterricht stattfand, wies das Setting eindeutig Unterrichtselemente auf. Die Ziele des geplanten biblischen Nachmittags wurden klar definiert: Der Text sollte ausdrücklich als biblischer Text in den Blick rücken und es sollte seine Verortung im Kontext von Lk 15 vorgenommen werden. Indem eine Übertragung der Bildhälfte auf die Sachhälfte intendiert war, wurde eine gattungsmäßige Auslegung angestrebt. Bezugnehmend auf G. Eichholz, der die Gleichnisse Jesu als »Dramen in Kleinstformat«9 definiert, wurde in einer weiteren Auseinandersetzungsphase die Umsetzung des Gleichnisses im Spiel anvisiert. Die gestaltete Lernumgebung begünstigte
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eine intensive emotionale wie kognitive Auseinandersetzung mit dem Gleichnis. Erzählen und Miteinander-sprechen als Hauptmethoden des Modus Lehren und Lernen bestimmen diesen Gesprächsmitschnitt. Beide Methoden werden in den wiedergegebenen Sequenzen konsequent eingesetzt und führen zu überzeugenden Ergebnissen in der Texterschließung. Dass das Miteinander-sprechen so gut gelang, ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass durch die erlebnisintensive Begegnung – in Ergänzung zum vorher bereits allein gelesenen Text – die Identifikation mit den Personen der Geschichte ermöglicht wurde. Zu fragen ist, ob dabei nicht auch die zunächst überraschende und sogar streckenweise irritierend dominante Einmischung der Gesprächsleitung von entscheidender Bedeutung war. Indem sie ihre Redeanteile sehr ausweitete und aus der Ich-Perspektive die Widerfahrnisse des jüngeren Sohnes schilderte, übernahm die Leitung in der Kommunikation über den Text immer wieder die Erzählerrolle und verlieh dadurch der Geschichte Authentizität und Anschaulichkeit. Die somit provozierte unmittelbare Verwicklung der Kinder in die Erzählung förderte die durchgängig gelungene Perspektivenübernahme. Der Botschaft Jesu wurde durch die Ermöglichung aufmerksamen Hinhörens Gehör verschafft. In dieser Gesprächskonstellation ereignete sich jedoch nicht nur intuitives Verstehen. Durch die Inszenierung
9 Peter Müller u.a., Die Gleichnisse Jesu. Ein Studien- und Arbeitsbuch für den Religionsunterricht, Stuttgart 2002, 39.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
des Gleichnisses in dialogischer Struktur konnten sich die Grundschüler/innen als kompetente Deuter/innen der Geschichte erweisen. Eine Einordnung der analysierten Gesprächssequenz als Kommunikation des Evangeliums erschiene vor diesem Hintergrund zutreffend und angemessen, wäre da nicht die eklatante Verletzung des Prinzips der Ergebnisoffenheit festzustellen. Mangelnde Ergebnisoffenheit korreliert hier in einem hohen Maß mit »vorausgesetztem Einverständnis«10, das eher für katechetische Praxis charakteristisch ist. 4. »Er wollte nicht nur das Geld – er wollte auch seinen Vater wiederhaben!« Viertklässler denken über Lk 15,11–32 nach
Das im Folgenden wiedergegebene Gespräch wurde mit drei Viertklässlern einer staatlichen Grundschule in Hannover, an der ein Religionsunterricht für alle erteilt wird, durchgeführt. Die beiden Mädchen und der Junge – nach Aussage der Religionslehrerin wenig religiös sozialisiert – kamen in gespannter Erwartungshaltung zu dem Gespräch. Religiöses Wissen beziehen sie hauptsächlich aus dem Religionsunterricht. Das Gespräch fand im zeitlichen Rahmen einer Schulstunde – parallel zum Klassenunterricht – in der Schulbibliothek statt. Bei der Durchführung des Gesprächs wurde so verfahren, dass die – allen schon bekannte, aber nach eigenem Bekunden nicht sehr präsente – Geschichte zunächst vorgelesen wurde und die Kinder dann aufgefordert wurden, auf das einzugehen, was ihnen besonders wichtig erschien.
Marlene: Es geht um einen Jungen, älteren äh, erwachsenen Sohn, der alles Geld versemmelt hatte und dann ist er zurück und da haben sie ein großes Fest gefeiert und da wurde das Mastkalb geschlachtet. Gregor: Er hatte das Geld vorher mit Freunden alles ausgegeben, aber das waren keine Freunde, keine echten, die waren nur so zum Feiern, Geldfreunde … eigentlich. Helene: Der große Bruder hat sich geärgert, weil er so mit seinen Freunden nicht einfach ein Fest feiern konnte. Und bei seinem Bruder wurde gleich ein großes Fest gemacht. Der, also der Ältere, hatte ja nichts Schlimmes gemacht und der kleine Bruder hatte was Schlimmes gemacht und der hat das Riesenfest gekriegt. Gregor: Der war einfach neidisch. L: Hätte der Ältere nicht auch ein Fest feiern können? Helene: Ja, irgendwie schon … Der Vater hat ja vorher gesagt: Alles, was mir gehört, gehört dir auch. Er hätte also alles nehmen können … aber er hat es nicht gemacht … Marlene: Komisch, ich glaube, der wusste gar nicht, dass er das auch machen darf. Der hatte Angst, dass er Ärger kriegt und dass der Vater ihn nie wieder sehen will … Helene: Ich glaube auch, dass er sich das nicht getraut hat. Aber wenn der Vater gesagt hat, dass alles, was ihm gehört hat auch dem älteren Sohn gehört … er hätte es einfach mal machen müssen! L: Stellt euch vor, der ältere Sohn hätte es ausprobiert. Marlene: Ich glaube, dann hätte er gemerkt, dass der Vater ihn genauso gern hat wie den jüngeren Bruder. Und dann hätte er gewusst, dass mit ihm das Gleiche passiert wäre, wenn er weggegangen wäre, also das Fest und alles. Helene: Wenn er’s bloß probiert hätte, dann hätte er gemerkt, dass er seinem Vater was bedeutet, dass er nicht … dass er nicht 10 Vgl. dazu den Beitrag von Oliver Reis in diesem Band.
Kalloch Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater
irgendwie … so ein … Bodyguard ist, der immer da ist und aufpasst und so … mehr nicht … Gregor: Wenn er seinen Vater gefragt hätte, wäre die Geschichte anders ausgegangen … dann hätte es ein Fest für beide gegeben. Dann hätte er ja gewusst, was er seinem Vater bedeutet … und dann hätte er auch mitfeiern können … Aber so will er nicht reingehen. Vielleicht weil er dann noch wütender wird, wenn … weil er dann sieht, wie die feiern … Gregor: Also wenn ich in die Vaterrolle schlüpfe, dann hätte ich gesagt: Nicht das Mastkalb, das ist für große Feste … wir können ja nicht das Mastkalb schlachten … jedes Mal, also das geht ja nicht … Marlene: Ich glaube nicht, dass der Vater den jüngeren Sohn lieber mochte, denn wenn der ältere weggegangen wäre, dann hätte der Vater alles genau so gemacht. Er hat beide gleich lieb … Helene: Aber der Ältere glaubt das nicht … L: Wann, meint ihr, hat denn der jüngere Sohn erfahren, wie lieb ihn sein Vater hat? Marlene: Als er wiederkommt und es ein Fest gibt. Helene: Nein vorher, als er zu ihm kommt … hinläuft … Gregor: Vielleicht schon immer, er hat ihm ja auch das Geld gegeben … und war nicht böse auf ihn. Und bei den Schweinen denkt er dran. Da geht es ihm schlecht, sehr schlecht … Helene: Er hatte so viel Geld ausgegeben und nun ging’s ihm schlecht. Und als er da an seinen Vater denkt, wird ihm bewusst, wie dolle er seinen Vater braucht … Marlene: Er hat erst dort … also bei den Schweinen – gemerkt, wie der Vater ihm gefehlt hat. Gregor: Ich habe mal einen Film gesehen, da kam ein Sohn zu seinem Vater, weil er Geld brauchte. Er wollte nicht seinen Vater eigentlich. Er wollte das Geld. Hier ist
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das anders. Er [der jüngere Sohn] wollte nicht nur das Geld, er wollte auch seinen Vater wiederhaben. Also, er wollte auch seine Liebe wieder spüren … Helene: Also, er wollte dann zurückgehen und dem Vater sagen: »Ich habe dir und Gott … also ich habe was falsch gemacht« … Und er möchte jetzt für seinen Vater arbeiten. Gregor: Er wollte knechten für seinen Vater, aber der hat das nicht zugelassen. Denn der Sohn kam zurück und das war ein besonderer Moment. Der Vater sagt: »Du wirst nicht für mich knechten. Du bist mein Sohn. Wir feiern ein Fest, eine Mahlzeit, wir laden Freunde ein …« Helene: Also, wenn ich so was gemacht hätte, dann wären meine Eltern auch sauer. Aber nach fünf Jahren oder so … da würden sie mir auch entgegenkommen wie der Vater in der Geschichte … Gregor: Ich muss mal ganz ehrlich sagen, das muss schon eine größere Liebe sein zwischen dem Sohn und dem Vater. Bei anderen Vätern hätte der Sohn erst einmal sagen müssen: »Ah, tut mir leid«. Aber in der Geschichte ist es anders. Da ist mehr Liebe, der Vater hat mehr Liebe als genug. Helene: Auch für den Älteren. Der hat so viel gearbeitet. Aber der war schon auch eifersüchtig, weil das mit dem Entgegenlaufen wie bei dem jüngeren Sohn, das hat er bestimmt … mit dem älteren bestimmt noch nie so gemacht … Marlene: Also der Vater ist vor Freude ausgeflippt, er ist hingerannt … zum jüngeren Sohn … Helene: Er vergisst alles um sich herum, weil er sich so superfreut. Gregor: Der Jüngere war ja schon bedroht vom Aussterben … (die anderen lachen), ich meine, also er dachte, er muss sterben, weil er verhungert! Der war in Lebensgefahr. Deshalb hat der Vater sich so gefreut. Er hatte ja gebetet, dass er [der jüngere Sohn] wiederkommt. Und dann
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
sagt der Vater auch, dass er wieder lebendig ist … Helene: Also wenn mein Bruder weg gewesen wäre und dann wiedergekommen wäre, dann … dann hätte ich mich auch gefreut, also ich wär wohl nicht so lange sauer … Gregor: In dieser Situation würde ich sagen, der jüngere Sohn hat den Vater im Stich gelassen. Er wollte gehen. Er wollte seinen Teil haben. Ich an seiner Stelle wäre aber beim Vater geblieben. Da könnte er auch alles haben … und er könnte leben mit dem Vater … L: In der Bibel steht, dass Jesus seinen Zuhörern diese Geschichte erzählt … Helene: … vielleicht, dass man daran was lernen kann? Marlene: Manche Menschen verhalten sich so, deswegen sagt Jesus das. Gregor: Vielleicht sollte der ältere Bruder lernen, mit seinem Bruder zu feiern. Das Fest ist ein Zeichen. Gott hat gewollt, dass der Bruder wiederkommt. Er hat den jüngeren Bruder auf einen guten Weg geschickt … Helene: Der große Bruder ist ein Beispiel für einen … äh, ähm … Pessimisten. Er hat nicht begriffen, dass ihm das alles gehört. Und da hat er sich überhaupt nicht darüber gefreut. Marlene: Eigentlich hätte er doch mitfeiern können … Helene: Jesus möchte den Leuten weiterhelfen, damit sie verstehen, dass Gott ganz viel Verständnis hat, dass er kein sehr strenger Vater ist. Marlene: Auch wenn man was Schlimmes gemacht hat, Gott wird einem immer verzeihen. Gregor: Wenn man mal logisch denkt, dann heißt das, Gott verzeiht jedem. Gott und den Vater in der Geschichte kann man schon vergleichen, die haben viel Ähnliches, die sind sich ähnlich. Es gibt auf der Welt nicht so viele Väter, die alles verzeihen …
Helene: Der jüngere Sohn hat nicht gewusst, dass ihm sein Vater verzeiht. Er wollte sagen: Ich habe gesündigt bei Dir und Gott. Aber sein Vater hat ihm verzeiht [sic!]. Und das heißt: Gott … dann doch auch … Irgendwie denke ich gerade: Gott ist wie mein Sorgenfresser. Gott kann man alles sagen. Gregor: Man kann ihm alles sagen, aber Gott er macht auch was … wie der Vater in der Geschichte. Er hilft nämlich!
4.1 Beobachtungen zur Gesprächssequenz
Zunächst ist festzustellen, dass das theologische Gespräch grundsätzlich anders angelegt war und in einem gänzlich anderen Kontext als das zuerst beschriebene stattfand. Die das Gespräch initiierende Lehrerin kannte die Kinder nur durch ein früheres theologisches Gespräch. Es fand parallel zum Unterricht der gesamten Klasse während einer Übungsstunde in der Schulbibliothek statt. Textgrundlage war die Grundschulbibel, aus der die Geschichte einmal vorgelesen wurde. Der Einstieg blieb betont offen, da erwartet wurde, dass die Kinder ihr Thema in der Geschichte finden. Die Lehrerin nimmt sich während des Gesprächs sehr zurück, setzt gelegentlich Impulse und ermuntert die Kinder, nachzudenken und ihre Vorstellungen zu äußern. Es werden weder zusätzliche Materialien noch das Gespräch ergänzende Methoden verwendet. Bezeichnenderweise setzt auch dieses Gespräch bei der Rivalitätssituation der Brüder an. Dass das Verhalten des Vaters ungerecht ist, wird stillschweigend vorausgesetzt und selbstverständlich wird das Verhalten der Brüder
Kalloch Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater
moralisch bewertet. Die Frage, ob der Ältere nicht auch ein Fest hätte feiern können – vom Vater im Gleichnis aufgeworfen – lenkt die Überlegungen von den Verfehlungen des Jüngeren und der damit verbundenen Gerechtigkeitsforderung in eine andere Richtung. Der Ältere wird in einem neuen Licht gesehen: Hätte er sich doch nur getraut, von seinem Vater etwas zu verlangen. Die Probe hätte gezeigt, dass er seinem Vater etwas bedeutet. Zugleich zeigt die Diskussion um das Mastkalb, dass die Kinder wohl wahrnehmen, dass hier etwas Besonderes passiert – ebenso wie beim Entgegen-laufen des Vaters – und dass es einen besonderen Anlass braucht, so ungewöhnliche Dinge zu tun. Der Vater lässt das Mastkalb schlachten, nicht, weil der jüngere Sohn wieder da ist, sondern weil beide Söhne da sind. Die Spekulationen über das Fest des älteren Sohnes erschließen einen zentralen Aspekt des Gleichnisses, der Kindern oft nicht zugänglich ist, der aber – wie der weitere Verlauf des Gesprächs zeigt – ihre theologische Deutung maßgeblich voranbringt. In diesem Kontext ist auch die Frage zu sehen, wann der jüngere Sohn denn erfahren habe, wie sehr sein Vater ihn liebhat. Das Verhältnis des Vaters zu seinem jüngeren wie älteren Sohn gerät dadurch noch einmal anders und neu ins Bewusstsein. Gregor erkennt aus der Ich-Perspektive heraus den Umweg, den der jüngere Sohn machen musste, um nachvollziehen zu können, was es heißt, beim Vater zu leben und dass auch der ältere Sohn umkehren muss, weil er seine Möglichkeiten, in der Nähe des Vaters zu leben, nicht erkennt und folglich aus dieser Nähe heraus nicht leben kann.
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4.2 Einordnung der Gesprächssequenz
Diese Gesprächssequenz musste auf das Prinzip der Ergebnisoffenheit setzen, da weder von grundlegenden Kenntnissen noch von »vorauszusetzenden Einverständnissen« ausgegangen werden konnte. Dies kam den weniger religiös sozialisierten Kindern offenbar entgegen, obwohl ausschließlich auf verbale Kommunikation gesetzt wurde. Die Geschichte war ihnen nach einmaligem (erneutem) Hören sehr präsent. Impulsfragen wurden aufgegriffen und – immer wieder nachdenkend und überlegend – beantwortet. Die Kinder zogen öfter Deutungen aus der eigenen Geschwisterperspektive heran und demonstrierten durch unkonventionelle Vergleiche (Bodyguard, Pessimist, Sorgenfresser) oder unmittelbare Identifikationen (»Wenn ich in die Rolle des Vaters schlüpfe …«, »Wenn mein Bruder weggegangen wäre …«) einen unbefangeneren und unvoreingenommeneren Umgang mit der Geschichte. Da ihre Ausdrücke und Begrifflichkeiten stehen blieben, wurden die Kinder ermutigt, ihr Verständnis des Textes offenzulegen und in diesem Sinne weiter zu argumentieren. Auf diese Weise erfolgte eine vertiefte Auseinandersetzung, die den notwendigen Perspektivenwechsel ermöglichte. Der am Anfang nur als der ungerecht behandelt wahrgenommene ältere Sohn wurde differenzierter gesehen. Hier zeigten sich Veränderungen im Denken, die in »normalen« Unterrichtsgesprächen zu Lk 15,11–32 oft nicht erreicht werden. »Im Stich lassen«, »Bodyguard« und »Pessimist« beschreiben in nicht-theologischer Sprache, in welchem Verhältnis die Söhne zu ihrem Vater stehen, und bringen doch damit auch theo-
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
logisch auf den Punkt, woran es Sündern wie Gerechten in ihrer Gottesbeziehung mangeln kann. Der Sinn der jesuanischen Gleichnisrede erschloss sich den Kindern mit Hilfe ihrer Theologie. Es bleibt offen, wie die Gruppe auf ein forcierteres Vorgehen mit Blick auf eine Übertragung des Gleichnisses reagiert hätte. Das im Gespräch gewonnene bzw. bewusst gemachte Gottesbild lässt zumindest die Vermutung zu, dass auch ohne expliziten Rückbezug auf die Rahmenhandlung das Heilshandeln Gottes gegenüber den Sündern als Kernpunkt der Geschichte erkannt wurde. 5. Theologie der Kinder als Kommunikation des Evangeliums?
Das erste Gespräch, das im familiären Kontext und mit ausgewählten befreundeten Kindern stattfand, die schon öfter gemeinsam Bibelnachmittage erlebt haben und von einer vertrauten Person befragt werden, erfüllt in hohem Maße die Kriterien einer Kommunikation des Evangeliums – gerade auch deshalb, weil es die von Grethlein als unbefriedigend beschriebenen Bedingungen des Lernorts Schule nicht berücksichtigen muss. Dies zeigt sich u.a. in der privaten Atmosphäre und der Bereitwilligkeit der Kinder, sich über so lange Zeit auf das Gleichnis einzulassen. Dass sie diese intensive Beschäftigung mit einem biblischen Text gewohnt sind und sehr selbstbewusst mit ihrem Wissen und dem Erarbeiteten umgehen, wird nicht zuletzt darin deutlich, dass sie den zuschauenden Eltern ein (auch objektiv im Sinne bibeltheologischer Erkenntnisse) äußerst gelungenes Ergebnis in der anspruchs-
vollen Form eines darstellenden Spiels präsentieren. Entscheidend für den Verlauf des Gesprächs scheint die Rolle der Gesprächsleitung zu sein. Die Lehrperson ist Exeget/in, die die Kinder nicht aus dem schulischen Kontext kennen. Ihre Rolle ist ambivalent, da sie einerseits auf Elemente des gelenkten Unterrichtsgesprächs zurückgreift, wofür das sorgfältige Lernarrangement, die klar umrissenen Ziele, die explizite Frage nach der gattungsmäßigen Einordnung des Textes sowie die Verknüpfung von Aussagen mit im Religionsunterricht gelerntem Wissen und die Arbeit mit verschiedenen Bibelausgaben sowie die gesamte Textarbeit sprechen. Auf der anderen Seite bringt sie sich mit einem hohen Redeanteil in das Gespräch ein: Sie erzählt, spielt und inszeniert auf unkonventionelle Weise Dialoge. Es zeigt sich, dass die Geschichte vom guten Vater über eine lange Zeit im Mittelpunkt intensiver Auseinandersetzung steht und auf vielfältige und lebendige Weise kommuniziert wird, so dass der Eindruck entsteht, hier geschehe im positiven Sinne »Privat-Religionsunterricht«. Dass es sich dabei zugleich um ein Kommunizieren im katechetischen Zusammenhang handelt, steht dazu nicht im Widerspruch. Das zweite Gespräch repräsentiert den schulischen – nicht explizit religionsunterrichtlichen – Kontext mit seinen speziellen Rahmenbedingungen (45-Minutentakt, heterogenere Gruppenzusammensetzung, nur grobe Kenntnis über Vorwissen) und wird damit stärker aus der Außenperspektive und nicht der katechetischen Binnenperspektive geführt. Dieser Situation entspricht auch die Rolle der Lehrperson. Sie setzt sparsam weiterführende Impulse und gibt damit den
Kalloch Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater
Vorstellungen der Kinder mehr Raum. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, Verbindungen zu ihrer eigenen Lebenswelt zu entwickeln, indem sie ihre Ausdrücke und Begriffe sowie die damit verbundenen Deutungen zulässt. Da beide Gespräche trotz zahlreicher inhaltlicher Übereinstimmungen unterschiedlich verliefen, stellt sich die Frage, ob die sich hier ereignende Kommunikation des Evangeliums noch einmal differenzierter mit Hilfe des Paradigmas der Kindertheologie beschrieben werden kann. Die erste Sequenz macht deutlich, dass aufgrund der sehr starken Lenkung durch die Gesprächsleitung eher die sprachliche Transformationsleistung der Kinder, eine biblische Wahrheit zu erkennen und angemessen zum Ausdruck zu bringen, intendiert ist. Aus Sicht der Kindertheologie ließe sich dieses Phänomen als Theologie für Kinder und mit Kindern fassen. Die zweite Sequenz gibt in erster Linie Aufschluss über die Rezeptionsbedingungen der Kinder und deren Weise, die Anschlussfähigkeit der Botschaft vom guten Vater an ihre Lebenswelt zu suchen. Kommunikation des Evangeliums geschieht hier auf weniger theologisch vorgeprägte Art. Dennoch ergründen die Viertklässler der zweiten Gruppe ebenfalls Strukturen des Gleichnisses und damit auch implizit der Argumentation Jesu. Diese wird jedoch durchgängiger mit eigenen Erfahrungen und Vorstel-
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lungen verknüpft, so dass aus kindertheologischer Perspektive möglicherweise hier von einer Theologie der Kinder gesprochen werden kann. Nimmt man die hier getroffenen Unterscheidungen als Grundlage, ließe sich vorsichtig bilanzieren, dass im Grundschul-Religionsunterricht die Dimension der Theologie von Kindern in der Auseinandersetzung mit biblischen Texten ein notwendiger Zugang ist. Sie ermöglicht, wie im zweiten Gruppengespräch deutlich geworden ist, wichtige Übersetzungsarbeit, um sich der biblischen Botschaft in ihrer tradierten Form überhaupt nähern zu können. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass sich das Verstehen eines biblischen Textes durch Grundschulkinder nur daran ablesen lässt, inwieweit sie in der Lage sind, das Gehörte bzw. Gelesene in ihre Vorstellungen und Begriffe zu bringen. Hier muss sich Theologie als anschlussfähig an Sprache, Denkmuster und Deutungen von Kindern erweisen – in dem Maße, in dem auch Religionslehrerinnen und -lehrer in der Lage sein sollten, die Potentiale einer Theologie von Kindern zu erkennen und im Unterricht aufzugreifen.11 11 Vgl. dazu auch den Beitrag von Hanna Roose, Kindertheologie und schulische Alltagspraxis. Eine rekonstruktive Studie zum Verhältnis von kindertheologischen Normen und eingeschliffenen Routinen im Religionsunterricht, in: JaBuKi 15, Stuttgart 2016, 13–22.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Hanna Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule. Notwendige Differenzierungen 1. Fragestellung und These
Bei meinem Blick auf die Beiträge von Christina Kalloch und Oliver Reis konzentriere ich mich auf die Frage, in welchem Verhältnis Kinder- und Jugendtheologie einerseits und Kommunikation des Evangeliums andererseits stehen. Meine diesbezügliche These lautet: Beide stehen in dem gleichen, spannungsvollen Raster von Symmetrie und Asymmetrie, von inhaltlicher Unbestimmtheit und inhaltlicher Bestimmtheit. Das Verhältnis zwischen Kinder- und Jugendtheologie einerseits und Kommunikation des Evangeliums andererseits gewinnt an Schärfe, wenn wir beide Leitbegriffe in dieses Raster einzeichnen. Ich werde daher zunächst auf die Profilierung der »Kommunikation des Evangeliums« nach Christian Grethlein schauen und sie anhand der Polaritäten von Symmetrie und Asymmetrie sowie von inhaltlicher Bestimmtheit und inhaltlicher Unbestimmtheit analysieren. Anschließend betrachte ich die Beiträge von Reis und Kalloch – ebenfalls unter der Perspektive dieser Polaritäten. Aus der Analyse ergeben sich sowohl Schärfungen als auch kritische Anfragen an das Verhältnis von »Kommunikation des Evangeliums« und Kinder- und Jugendtheologie.
2. Die »Kommunikation des Evangeliums« nach Christian Grethlein
Der Begriff der Kommunikation ist inhaltlich unbestimmt. »Alles ist Kommunikation.« – merkt Wilhelm Gräb kritisch an.1 Deshalb spezifiziert Grethlein die Kommunikation durch das Evangelium. Es geht also nicht allgemein um Kommunikation, es geht auch nicht um Kommunikation, die ihren Gegenstand in einer allgemeinen, unbestimmten Religiosität sucht. Die »Kommunikation des Evangeliums« gründet konkret in der christlichen Religion. Grethlein spezifiziert dann sehr präzise, was er unter »Evangelium« verstanden wissen möchte: Es geht ihm um die Gottesreichbotschaft des historischen Jesus, wie sie Jürgen Becker in seiner Monographie von 1996 rekonstruiert. Damit ist ein sehr hoher Grad an inhaltlicher Bestimmtheit erreicht. Das Evangelium dient aber nicht nur als inhaltliche, sondern auch als »klare normative Bestimmung«2. Die »Kommuni1 Wilhelm Gräb, Kommunikation des Evangeliums. Religionstheologische Ansichten und Anfragen, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 66. 2 Grethlein thematisiert dabei nicht, dass das Evangelium – einschließlich des Wirkens Jesu – selbst zum kommunikativen Tatbestand wird, dessen Bedeutungsgehalt sich nicht
Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule
kation des Evangeliums« wurzelt in einer Offenbarungstheologie, deren Kern der »Christusimpuls« ist, der aus der Gottesreichbotschaft hervorgeht. Diese offenbarungstheologische Fundierung mit ihrer normativen Bestimmung impliziert inhaltliche Bestimmtheit bei gleichzeitiger Asymmetrie. Allerdings haben wir es nun doch nicht mit einer starren inhaltlichen Fixierung zu tun. Grethlein »übersetzt« die Gottesreichbotschaft mit Ingolf Dalferth in die Botschaft von der »liebende[n] und wirksame[n] Gegenwart Gottes«.3 Außerdem verankert Grethlein den »normativen Anfang« im Evangelium als »Übertragungsmedium«. Er unterscheidet medientheoretisch zwischen Evangelium als »Speichermedium« – »eben konkret die Bücher der Evangelien im Neuen Testament«4 – und Evangelium als »Übertragungsmedium«. Zwischen dem Evangelium als »Speichermedium« und dem Evangelium als »Übertragungsmedium« konstatiert Grethlein eine Spannung. Historisch gesehen gründet diese Spannung darin, dass der historische Jesus nichts Schriftliches hinterlassen hat, seine weitere Wirkung aber erst durch schriftliche Texte ermöglicht wurde.5 Anders als beim historischen Jesus ist das Evangelium als »Übertragungsmedium« heute zwingend auf das Evangelium als »Speichermedium« angewiesen. »Am Anfang« steht bei Grethlein damit das Evangelium als »Übertragungsmedium«, wie es uns im Wirken des historischen Jesus begegnet. Als Übertragungsmedium hat das Evangelium einen kommunikativen Grundzug: »Dessen Kommunikation öffnet die Aufmerksamkeit für die anbrechende Gottesherrschaft bzw. die Liebe Gottes.
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Neue Lebensperspektiven entstehen. Die hierzu führende Kommunikation ist auf Verständigung angelegt und deshalb ergebnisoffen«.6 »Evangelium« ist damit in erster Linie nicht inhaltlich fixiert, sondern kommunikativ gestaltet. Es lässt sich in drei Kommunikationsmodi auseinanderfalten, die allesamt – so betont Grethlein – symmetrisch gestaltet werden können und sollen:7 – »In Lehr- und Lernprozessen wechseln die Positionen von Lehrenden und Lernenden, was bis heute zu den beglückenden Erfahrungen z.B. von Religionslehrer/innen gehört. – Das Feiern vollzieht sich grundsätzlich gemeinschaftlich. – Schließlich vertauschen sich beim Helfen zum Leben bisweilen die Rollen. Die Kranke hilft dem Gesunden, der Demente eröffnet seiner Pflegerin einen neuen Horizont usw.« Indem Grethlein »Evangelium« im Sinne von Kommunikationsmodi versteht, kann er den Gedanken stark machen, »dass der Vorgang des Kommunizierens
durch exegetisch-kritische Rekonstruktion eindeutig festlegen lässt, sondern sich je neu in kommunikativen Akten erschließt. Vgl. die Kritik bei Wilhelm Gräb (wie Anm. 1), 68. 3 Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 163; vgl. Ingolf Dalferth, Theologie und Gottes Gegenwart, in: Christian Grethlein, Gedeutete Gegenwart. Zur Wahrnehmung Gottes in den Erfahrungen der Zeit, Tübingen 1997, 273: »Gott ist gegenwärtig und in seiner Liebe hier und jetzt wirksam.« 4 Christian Grethlein (wie Anm. 3), 276. 5 Ebd., 237. 6 Ebd., 276. 7 Ebd., 168.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
konstitutiv in Wechselwirkung steht mit dem Gehalt des Evangeliums, oder schärfer: dass sich das Evangelium (für diejenigen, die an der Kommunikation teilhaben) erst im Vollzug von Kommunikation konstituiert«8. Fraglich ist allerdings, ob »Evangelium« damit inhaltlich nicht zu unbestimmt wird. So moniert Gräb: »Überall findet Lehren und Lernen, gemeinschaftliches Feiern, Hilfe zum Leben statt. Eine Praktische Theologie, die diese für die Kultur jeder Gesellschaft basalen Vollzüge zum Thema macht, hat kein Thema mehr, das für sie spezifisch wäre …«9 Bernd Schröder führt genau deshalb eine Beobachterperspektive zweiter Ordnung ein: Kommunikation des Evangeliums »liegt nicht vor Augen, ihr Vorhandensein bzw. Vollzug kann nicht ‚objektiv‘ (im Sinne empirischer Sozialforschung) konstatiert werden wie es im Falle von Kirche als Institution oder Religion als diskursivem Tatbestand möglich ist. Vielmehr kann sie nur unter Voraussetzung einer bestimmten, eben theologischen Brille im Blick auf Tätigkeiten, Sozialformen, Kommunikationsräume als vorhanden identifiziert werden; sie wird erst durch ein synthetisches Urteil a posteriori erkennbar und benennbar.«10 Die Frage wäre dann: Wodurch zeichnet sich die »theologische Brille« aus? Durch die – nun doch stärker material gefasste – Gottesreichbotschaft des historischen Jesus? Wir haben es also mit einer Grund-Spannung zu tun, die sich wahrscheinlich nicht auflösen lässt, sondern die für eine offenbarungstheologisch fundierte »Kommunikation des Evangeliums« konstitutiv ist.
3. Kindertheologie in der Katechese und »Kommunikation des Evangeliums« nach Oliver Reis
Oliver Reis attestiert der Katechese eine Krise, die er in die Polarität von Symmetrie und Asymmetrie einzeichnet und als »Übergangsphänomen zwischen zwei Gestaltungsformen der Kommunikation des Evangeliums« charakterisiert: »Mit der weiterhin vorhandenen Vermittlungsfigur sowie der im Verfahren und der inhaltlichen Expertise vorherrschenden Asymmetrie zwischen den Katechetinnen und den Kindern verläuft die Katechese einerseits noch in den Mustern einer autoritär vorgetragenen Verkündigung, der man im Grunde nur zuhören muss, um zum Sakrament zugelassen zu werden … Andererseits betonen die Katechesen die Gemeinschaft der Lernenden, die Offenheit gegenüber den Lebenswelten und setzen eine Praxis fort, die sich offensichtlich weit von den selbstgesetzten Zielen der Katechese entfernt.«11 In diesem Übergang kann die Kindertheologie nach Reis hilfreich sein. Denn 8 Michael Domsgen / Bernd Schröder, Vorwort, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 9. 9 Wilhelm Gräb (wie Anm. 1), 66. 10 Bernd Schröder, Das Priestertum aller Getauften und die Assistenz der Kirche. Überlegungen zur Neuformatierung der Praktischen Theologie im Anschluss an Christian Grethleins Praktische Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 145. 11 Vgl. dazu in diesem Band Oliver Reis, Kindertheologie als katalysierendes Element in der Erstkommunionskatechese. Ein Ort der Kommunikation des Evangeliums?
Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule
sie verknüpft als »Unterrichtsformat« das symmetrische Ideal einer »Gemeinschaft der Lernenden«, die die »Offenheit gegenüber den Lebenswelten« impliziert, mit der Einspielung von tradierten Elementen christlicher Theologie. Die Kindertheologie kommt damit der »Grundaufgabe für die Katechese in der Moderne« nach, nämlich »Bedingungen zu schaffen, dass die Kommunikation des Evangeliums als Speichermedium zirkulär mit der als Übersetzungsmedium personal verknüpft wird.« Die personale Verknüpfung impliziert dabei Involviertheit, und zwar sowohl auf seiten der Unterrichtenden als auch auf seiten der zu Unterrichtenden. Kindertheologie und Katechese »leben« von personenbezogenen Vorstellungen, die eine christlichtheologische Pluralität spiegeln. Anhand des Kriteriums der Involviertheit lassen sich Grenzen des Theologisierens und der »Kommunikation des Evangeliums« beschreiben: Beide enden einerseits dort, wo theologisierende Kommunikation verweigert wird, andererseits dort, wo es zu einem Reden über Religion kommt. Positiv gewendet erscheinen Kindertheologie und Kommunikation des Evangeliums als theologisierende Kommunikation, als selbstverwickeltes theologisches Reden, als Reflexion zwischen dem Glauben der Vielen und dem Ringen um den einen Glauben. Die anhand des Kriteriums der Involviertheit beschriebenen Grenzen sowohl der Katechese als Kommunikation des Evangeliums als auch der Kindertheologie (im Rahmen der Katechese) möchte ich weiter nachgehen, indem ich mich mit Christina Kalloch dem schulischen Rahmen zuwende. Wie genau ist das Kriterium der Involviertheit kindertheo-
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logisch im schulischen Handlungsfeld zu denken? 4. Kindertheologie im schulisch geprägten Rahmen und »Kommunikation des Evangeliums« nach Christina Kalloch
Christina Kalloch vergleicht in ihrem Beitrag12 zwei kindertheologische Gespräche, die sehr unterschiedlich gestaltet sind. Während das eine Gespräch im privaten Umfeld mit Kindern geführt wird, die stark religiös sozialisiert sind, und bei dem die Gesprächsleitung sehr dominant agiert, so dass das Gespräch kaum ergebnisoffen ist, wird das andere Gespräch im schulischen Umfeld mit Kindern geführt, die kaum religiös sozialisiert sind. Die Gesprächsleitung hält sich hier stark zurück, das Gespräch ist ergebnisoffen. Kalloch bezeichnet das erste Gespräch als ein Beispiel für »Theologie für Kinder«, das zweite als ein Beispiel für »Theologie von Kindern«. Kalloch spannt also Kindertheologie zwischen zwei Polen auf, die die Spannung zwischen inhaltlicher Bestimmtheit und inhaltlicher Unbestimmtheit sowie zwischen Symmetrie und Asymmetrie aufweisen: Theologie für Kinder ist inhaltlich bestimmt (nicht ergebnisoffen) und asymmetrisch (dominante Gesprächsleitung). Theologie von Kindern ist inhaltlich unbestimmter (ergebnisoffen) und symmetrischer (Gesprächs12 Vgl. dazu in diesem Band Christina Kalloch, »Er wollte nicht nur das Geld – er wollte auch seinen Vater wiederhaben!« – Gespräche mit Grundschulkindern über das Gleichnis vom guten Vater (Lk 15,11–32).
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
leitung hält sich zurück). Um entscheiden zu können, ob es sich jeweils auch um »Kommunikation des Evangeliums« handelt, legt Kalloch im Anschluss an Grethlein zwei Kriterien für die Kommunikation des Evangeliums fest: Es müssen biblische Impulse vorhanden sein und das Gespräch muss ergebnisoffen sein. In diesen Kriterien spiegelt sich wiederum die doppelte Spannung der vier Pole. Kalloch qualifiziert auf der Grund lage dieser Kriterien das zweite Gespräch eindeutig als Kommunikation des Evangeliums. Bei dem ersten Gespräch fehlt die Ergebnisoffenheit, so dass Kalloch hier zögert, dieses Gespräch ebenfalls als »Kommunikation des Evangeliums« zu bezeichnen. Der Begriff der Kindertheologie wäre in diesem Fall also weiter gefasst als derjenige der Kommunikation des Evangeliums. Er würde in der Dimension einer »Theologie für Kinder« über die Kommunikation des Evange liums hinausgehen. Mit ihren Überlegungen wirft Kalloch die Frage nach der inhaltlichen Bestimmtheit von Kindertheologie sowie von der Kommunikation des Evange liums auf. Diese Bestimmtheit hat – das haben wir gesehen – im Rahmen der Kommunikation des Evangeliums einen konstitutiven Gegenpol. Ähnliches gilt m.E. für die Kindertheologie. Im Vergleich von Kindertheologie und Kommunikation des Evangeliums könnten sich m.E. gleichwohl Verschiebungen abzeichnen: 1. Vielleicht muss eine »Theologie für Kinder« aus pädagogischen Gründen (im Sinne der Zielorientierung und der Leistungsmessung) inhaltlich bestimmter sein als es für die Kommu-
nikation des Evangeliums erforderlich wäre. 2. Vielleicht muss Kindertheologie aus pädagogischen Gründen gleichzeitig inhaltlich offener (unbestimmter) sein als es für die Kommunikation des Evangeliums möglich ist, und zwar indem sie häretisch gewordene Positionen mit einbezieht. 5. Kindertheologie als »Kommunikation des Evangeliums« im schulischen Handlungsfeld13
Bernhard Grümme wirft der Kindertheologie vor, den Glauben als einen wesentlichen Bestandteil der Theologie zu übersehen. »Ohne dies tiefgreifend zu reflektieren, unterstellt sie damit stillschweigend etwas, was für alle Kinder und Jugendlichen im Kontext von religiöser Pluralität und Säkularität nicht mehr unterstellt werden kann. Das Ergebnis: Sie kann sich nicht frei machen von einer Tendenz, alle Kinder (und Jugendlichen) über den Theologiebegriff zu vereinnahmen. Damit unterläuft sie ihr selbst gesetztes Postulat der Subjektorientierung und Pluralitätsfähigkeit.«14 Grümme plädiert für eine topographische Unterscheidung zwischen (schulischem) Religionsunterricht und Katechese: »Ein locus theologicus, ein ausgezeichneter Bezeugungsort ›authentischer 13 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Friedrich Schweitzer in diesem Band. 14 Bernhard Grümme, Zum Theologiebegriff in der Kinder- und Jugendtheologie, in: KatBl 4/14, 293.
Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule
Heilserfahrung und authentischen Heilsverständnisses‹ (Pottmeyer 104), kann und darf der Religionsunterricht nach seinem Selbstverständnis als Ort von religiöser Bildung – im Gegensatz zu Orten der Katechese – nicht sein.«15 Kindertheologie wäre nach diesem Verständnis im kirchlichen Handlungsfeld angemessen (da hier von einem »schon vorhandenen Einverständnis«16 ausgegangen werden könne), im schulischen Handlungsfeld dagegen vereinnahmend (da hier mit unterschiedlichen Graden des – auch fehlenden – Einverständnisses zu rechnen sei). Bezogen auf unser Thema ist zu fragen, ob sich eine Kindertheologie, die unter dem Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums steht, im schulischen Raum nicht noch verstärkt dem Vorwurf der Vereinnahmung17 bzw. der Klerikalisierung18 aussetzt. Oder anders formuliert: Welchen Stellenwert erhält der Glaube in der Kindertheologie, wenn wir Kindertheologie als Kommunikation des Evangeliums verstehen (und welchen Stellenwert hat er ohne diese Qualifizierung)? Wäre »Involviertheit« im kirchlichen Raum anders auszubuchstabieren als im schulischen? Dazu ein paar – durchaus disparate – Gedanken:19 – In Auseinandersetzung mit performativer Religionsdidaktik macht Gerhard Büttner im Rahmen der Kindertheologie das Gedankenexperiment stark: »Im Hinblick auf den probierenden Umgang mit liturgischgottesdienstlichen Formen wäre ich im Bezug auf Schüler/innen ohne christlichen Hintergrund eher vorsichtiger zugunsten einer Hochschätzung von Gedankenexperimenten, die im Prinzip allen Schüler/innen zuzumu-
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ten sind.«20 Involviertheit könnte im (schulischen) Kontext der Kindertheologie demnach (rein) kognitive Involviertheit (ohne Einverständnis im Glauben) bedeuten. – Der Pastoraltheologe Richard Hartmann sieht Kindertheologie und Glaube dagegen in einem engen Zusammenhang und spricht von der Kindertheologie als von einer »Kommunikation des Glaubens«. In dieser – symmetrisch angelegten – Kommunikation ringen die Gesprächspartner um Vergewisserung. Dabei gibt es keine klerikalen Sonderrechte.21 Glaube und Theologie sind in der Kindertheologie eng miteinander verknüpft: »Wenn es eine Differenz zwischen 15 Ebd., 297. 16 Karl Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt, 2 Bände (Band 1: Moralpädagogik im Pluralismus, Band 2: Religionspädagogik im Pluralismus), München/Gütersloh 1998, 223ff. 17 Vgl. dazu Anton A. Bucher, Sind Jugendliche auch für Jugendliche Theologen? Eine Pilotstudie und konzeptuelle Überlegungen, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion. Neukirchen-Vluyn 2012, 102–110. 18 Vgl. Thomas Schlag, Kirche und kirchliche Praxis in jugendtheologischer Perspektive, in: Thomas Schlag / Bert Roebben (Hg.), »Jedes Mal in der Kirche kam ich zum Nachdenken«. Jugendliche und Kirche, Jahrbuch für Jugendtheologie, Bd. 4, Stuttgart 2016, 19. 19 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Hanna Roose, Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie? in diesem Band. 20 Gerhard Büttner, Kinder – Theologie, Evangelische Theologie, 67. Jg 2007, 223. 21 Vgl. Gerhard Büttner, Kinder- und Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums und des Glaubens« – Im Lichte der Kritik von Bernhard Dressler, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 14.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Grundschulalter
Glaube und Theologie gibt, dann höchstens als Offenlegung der theoriegeleiteten Hintergründe der jeweils bezogenen Positionen.«22 – In der »Kommunikation des Evangeliums« nach Christian Grethlein fehlt dagegen das Wort »Glaube« im Register. Die Abschattung des Glaubensbegriffes geht bei ihm mit der Abschattung des Subjektbegriffes einher.23 Er sieht hier eine wesentliche Differenz zu einer religionstheoretischen Fundierung der Praktischen Theologie: »So nimmt eine am Religionsbegriff orientierte Praktische Theologie stärker das konstruierte ›Subjekt‹, eine an der »Kommunikation des Evangeliums« ausgerichtete eher die beobachtbaren Interaktionen und Beziehungen in den Blick.«24 Abgestellt ist hier also auf die sichtbare Kommunikation, nicht auf den »inneren« Glauben. Allerdings ist Wilhelm Gräb wohl dahingehend Recht zu geben, dass »Evangelium« »Bestandteil kirchlicher Verkündigungssprache«25 ist, der »nur offenbarungstheologisch [funktioniert]«26. »Evangelium« markiert damit eine christliche Innenperspektive. – Für den schulischen Religionsunterricht akzentuieren Oliver Reis und Thomas Ruster den Glaubensbegriff anders als Richard Hartmann. Sie sprechen von »einloggen, surfen, ausloggen«27. »Glaube« ist hier also nicht zwingend mit einem stabilen Einverständnis verbunden, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass schulischer Religionsunterricht mit unterschiedlichen, flexiblen (!) Graden des Einverständnisses seitens der Schülerinnen und Schüler rechnet.28
»Glaube« ist hier nicht nachhaltig! Er wird so kompatibel mit einem schulischen Religionsunterricht, der (anders als die Katechese) das dauerhafte Einverständnis, also den Glauben, nicht zur Voraussetzung der Teilnahme erklären kann und will. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die grundsätzliche Frage, wie sich die Qualifizierung der Kinder- und Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums« zum nicht-vorhandenen Einverständnis verhält, mit dem zumindest im schulischen Religionsunterricht auch zu rechnen ist. Eine Qualifizierung von Kinder- und Jugendtheologie als »Kommunikation des Glaubens« scheint mir für das schulische Handlungsfeld jedenfalls problematisch.
23 Vgl. Bernhard Kirchmeier, Drei Kommunikationsmodi – eine Funktion? Erwägungen zum Zweck der Kommunikation des Evangeliums, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums, Leipzig 2014, 38. 24 Christian Grethlein, »Religion« oder »Kommunikation des Evangeliums« als Leitbegriff der Praktischen Theologie? ZThK, 112. Jg 2015, 485. Bernhard Kirchmeier beklagt in diesem Zusammenhang bei Grethlein den »Verlust des Subjekts«. Bernhard Kirchmeier (wie Anm. 23), 37. 25 Wilhelm Gräb (wie Anm. 1), 64. 26 Ebd., 65. 27 Oliver Reis / Thomas Ruster, Die Bibel als »eigenwilliges und lebendiges« Kommunikationssystem, in: Evangelische Theologie, 72. Jg. 2012, 286. 28 Karl Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt, 2 Bände (Band 1: Moralpädagogik im Pluralismus, Band 2: Religionspädagogik im Pluralismus), München/Gütersloh 1998, 223ff.
Roose Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in Kirche und Schule
6. Offene Fragen
Zum Abschluss liste ich vier offene Fragen auf, die sich für mich aus der Frage nach dem Verhältnis von Kinder- und Jugendtheologie zur »Kommunikation des Evangeliums« ergeben: 1. Welche Bedeutung hat der Glaube im Kontext der Kinder- und Jugendtheologie? 2. Müsste Kinder- und Jugendtheologie konzeptionell stärker zwischen dem schulischen und dem kirchlichen Handlungsfeld differenzieren? Bisher hat sie das kaum getan.
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3. Lässt sich nur die Kinder- und Jugendtheologie im kirchlichen Handlungsfeld sinnvoll als »Kommunikation des Evangeliums« qualifizieren? 4. Lässt die »Kommunikation des Evangeliums« Außenperspektiven zu, und zwar sowohl auf der Inhaltsebene (trotz inhaltlich-theologischer Bestimmtheit durch das Einbeziehen »häretischer« Positionen) als auch auf der Beziehungsebene (durch das symmetrische Einbeziehen fehlender Einverständnisse) – oder geht Kinderund Jugendtheologie genau an diesen Punkten über die »Kommunikation des Evangeliums« hinaus?
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Johanna Kallies-Bothmann Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums – Erfahrungen aus der Kasseler Forschungswerkstatt ›Theologische Gespräche‹ zu Todesvorstellungen und christlicher Auferstehungshoffnung 1. Hinführung
»Das ist natürlich ziemlich cool: Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.«1 – Ein positiver Blick auf den Tod, Auferstehung als ›frohe Botschaft‹, als ›gute Nachricht‹? Auferstehung als Evangelium? Oder Auferstehung im Evangelium? … Diese Aussage einer Schülerin der 7. Jahrgangsstufe im Rahmen einer Unterrichtseinheit zu meiner Examensarbeit motivierte mich zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema Auferstehung.2 In dieser Schülergruppe im Schuljahr 2012/13 fällt auf, dass breite Bibelkenntnisse vorliegen, Jesu Auferstehung aber kaum in Verbindung gebracht wird mit der eigenen Heilsgeschichte. Diese Schülerinnen und Schüler reflektieren die Auswirkung ihres vornehmlich kritisch-rationalen Denkens. Sie betonen, wie schwer es ihnen schwer fällt, Deutungen zur Auferstehung zu finden, äußern aber durchaus den Wunsch, die persönliche Bedeutsamkeit für sich erfahren zu können. In Rahmen meiner Dissertation mit dem Arbeitstitel »Todesvorstellungen und christliche Auferstehungshoffnung im Blickfeld der Jugendtheologie« gehe ich den Fragen nach, inwiefern sich der Glaube an die Auferstehung in die (Nach-)Tod-Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler in der 9. Jahrgangsstufe integriert, welche Todesvorstel-
lungen bei den Jugendlichen überhaupt vorliegen, wie sich der Wandel vom Kinderglauben zum Jugendglauben in Bezug auf dieses Thema vollzieht, inwiefern es den Jugendlichen gelingt, komplementär zu denken und welche christlichen Glaubensinhalte sich überhaupt in ihren Deutungen wiederfinden. Zudem soll ergründet werden, inwiefern das Thema Auferstehung evident ist im eigenen Leben und Erleben der Jugendlichen, inwiefern die Hoffnung, die sich mit dem Glauben an die Auferstehung aus christlicher Perspektive verbindet, ins Gespräch gebracht werden kann und ob sie als Strategie zur Kontingenzbewältigung fungieren kann. Dieser Beitrag versteht sich als ein Werkstattbericht, der einige Gelingensbedingungen für die Thematisierung des ebenso sensiblen wie bedeutsamen Themas Tod und Auferstehung auf Sei1 Schülerin, weiblich, 7. Jahrgangsstufe, 2013. 2 Es lässt sich fragen, weswegen die Auseinandersetzung mit dem Thema überhaupt von Bedeutung ist. Der Tod wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend zum Thema wissenschaftlicher Betrachtung, wird aus dem Privaten verdrängt und institutionalisiert. Erfahrungen mit Sterben und Tod sind aber nicht auszuschließen, sondern früher oder später unausweichlich. Mit der Auferstehung hält der christliche Glaube eine nicht beschönigende, aber hoffnungsvolle Perspektive bereit. Aus religionspädagogischer Sicht ist zu wünschen, dass Schüler/innen Zugänge dazu finden.
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ten der Lehrenden und auf Seiten der Lernenden aufzeigen kann. Die Erkenntnisse speisen sich aus einer Forschungswerkstatt3 mit Studierenden im Sommersemester 2015.4 2. Tod und Auferstehung im Horizont verschiedener Studien und Untersuchungen zum Jugendalter5
Laut Birte Platow und Florian Böcher lassen sich bei Jugendlichen generell vier typische Haltungen gegenüber dem Tod unterscheiden: Sachlichkeit, Zynismus, Pessimismus und Faszination.6 Diese Haltungen treten in unterschiedlicher Intensität auf und einzelne Jugendliche können selbstverständlich situationsabhängig verschiedene Haltungen einnehmen. Jugendliche orientieren sich einerseits stark am Hier und Jetzt, anderseits stellen sie große Fragen des Menschseins wie die nach dem Woher und Wohin und dem Weiterleben nach dem Tod.7 Friedrich Schweitzer weist darauf hin, dass die Frage nach Gott weniger im Alltag, sondern eher in Grenzsituationen innerhalb der eigenen Lebenswelt präsent 3 Die Kasseler Forschungswerkstatt ist eine Form schulpraktischer Studien, welche der Professionalisierung Studierender in Theologischen Gesprächen dient und gleichzeitig der Erforschung von zumeist offenen Forschungsfragestellungen im Bereich der Kinder- und Jugendtheologie. Studierende, die das »Studienprofil Theologische Gespräche« wählen, nehmen an der Forschungswerkstatt teil. Sie werden durch das Team der Religionspädagogik an der Universität Kassel unterstützt. Dazu zählen auch studentische Mentor/innen, die eigens für diese Aufgabe qualifiziert werden. Eine Vernetzung mit Schulen im Raum Kassel und mit den drei Phasen der Lehrer/in-
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nenbildung besteht seit einigen Jahren und ist für die Verankerung des Konzeptes sehr wertvoll. Im Rahmen der »Qualitätsoffensive Lehrerbildung« findet eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation statt. Informationen finden sich unter http://www.uni-kassel. de/fb02/institute/evangelische-theologie/fachgebiete/ religionspaedagogik/studienprofiltheologische-gespraeche.html. 4 Es handelt sich dabei um dieselbe Schülergruppe wie oben zitiert nach weiteren zwei Jahren. Das Begleiten einer Schülergruppe über einen längeren Zeitraum ist ein wichtiges Anliegen der Kasseler schulpraktischen Forschungen. 5 In Soziologie und Psychologie ist man davon abgekommen, starre Altersgrenzen für bestimmte Entwicklungsabschnitte festzulegen. Stattdessen legt man biologische und soziologische Kriterien an, um das Jugendalter zu bestimmen (Vgl. Peter Rossmann, Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindesund Jugendalters, Bern 2012, 141). Friedrich Schweitzer weist darauf hin, dass Jugend ein unscharfer, nicht fest umrissener Begriff ist und immer auch von der Lebenslage abhängt (Vgl. Die Suche nach eigenem Glauben, Gütersloh 1996, 20). Der Begriff Jugend bezeichnet eine große Spanne an Lebensalter von 12 bis circa 25 Jahren (Vgl. z.B. Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2010). In den vorliegenden Ausführungen geht es um Schüler/innen der neunten Jahrgangsstufe. Sie lassen sich der Frühadoleszenz beziehungsweise Hochpubertät zuordnen (Zu den Einteilungen vgl. zum Beispiel Gunther Klosinski, Was bedeutet eigentlich Pubertät?, in: KatBl, 131 Jg. 2006); Das Thema Auferstehung mit Blick auf das Jugendalter ist insgesamt nicht sehr breit erforscht. Es gibt einige Studien, die sich mit eschatologischen Vorstellungen Jugendlicher beschäftigen. Einige sollen hier aufgeführt werden. Insgesamt sind die Vorstellungen von Kindern breiter erforscht als die von Jugendlichen und es mangelt an Differenzierungen bezüglich des Alters, der Entwicklungs- und Schulstufen. Diese Studien nehmen kaum das Blickfeld der Jugendtheologie ein. Diesem Forschungsdesiderat widmet sich die Dissertation. 6 Vgl. Birte Platow / Florian Böcher, Vom Tod reden im Religionsunterricht, Göttingen 2010, 17. 7 Vgl. Dominik Schenker, Pubertierende religiös ansprechen? in: KatBl, 131. Jg, 2006, 328.
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ist, »wo Alltag und alltägliche Lebenswelt brüchig werden«.8 Christologische Untersuchungen zeigen, dass – im Gegensatz zur Frage nach Gott – Jesu Tod für Jugendliche eher nicht bedeutsam ist und keine persönliche Dimension entfaltet. In einer Untersuchung von Helmut Hanisch und Siegfried Hoppe-Graff zielt eine Frage auf die Bedeutung des Todes Jesu für die Christen9 und führte zu dem Ergebnis, dass die meisten Schüler/in nen kein Verständnis davon haben.10 Laut Friedhelm Kraft und Hanna Roose hat für Jugendliche auch das Reden vom Kreuz keine persönliche Dimension, da sie nicht zwischen dem historischen Jesus und dem verkündigten, geglaubten Christus unterscheiden.11 Eine Studie zu elementaren Zugängen Jugendlicher zur Christologie von Tobias Ziegler, bei der 386 Schüleraufsätze ausgewertet wurden, in denen die Jugendlichen einem Freund oder einer Freundin ihr Jesusbild beschreiben sollten, wird der Tod von etwa 55 Prozent der Jugendlichen erwähnt.12 Ziegler stellt Ratlosigkeit der Jugendlichen gegenüber diesem Thema fest.13 Andreas Feige und Carsten Gennerich führten eine Befragung von mehr als 8000 Berufsschüler/innen durch. Sie schreiben in der Vorschau zu den Ergebnissen der Nach-Tod-Vorstellungen der Schüler/innen: »70% können sich nicht vorstellen, dass da ›einfach nichts‹ ist: Im Blick auf den (eigenen) ´Tod´ ist die (Un-)Vorstellung des ›Nichts‹ keine bevorzugte Option. Zugleich haben sie mit allen anderen Vorstellungsformulierungen noch größere Schwierigkeiten. Faktorenanalytisch wird aufgedeckt: Die Verweigerung der Option des ›Nichts‹ ist konnotativ angebunden an sprachliche Vorstellungsgestalten, die von den
Items ›auf irgendeine Weise Gott begegnen‹, ›das Paradies zu (er)leben)‹ und als Glaubender ›in den Himmel kommen‹ geprägt ist.«. Die Einsicht, dass das Thema Auferstehung für Jugendliche nur schwer zugänglich ist, durchzieht die meisten Studien. 3. Einblicke in die Kasseler Forschungswerkstatt ›Theologische Gespräche‹
Den Studierenden in der Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche zu Todesvorstellungen und christlicher Auferstehungshoffnung« im Sommersemester 2015 geht es im ersten Schritt um die Wahrnehmung der Theologie von den Jugendlichen, um anschließend in den Prozess des Theologisierens eintreten zu können. Bei der anonymen Eingangsbefragung14, an der sich die Planungen für die Unterrichtseinheit aus-
8 Friedrich Schweitzer, Die Suche nach eigenem Glauben, Gütersloh 1996, 40. 9 Vgl. Helmut Hanisch / Siegfried HoppeGraff, »Ganz normal und trotzdem König«. Jesus Christus im Religions- und Ethikunterricht, Stuttgart 2002, 24. 10 Vgl. ebd., 119. 11 Vgl. Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht, Göttingen 2011, 116. 12 Zu erwähnen ist, dass es eine Leitfrage gab, die direkt darauf abzielte. 13 Vgl. Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«?, Neukirchen-Vluyn 2006, 305. 14 Die Schüler/innen werden gebeten, in einer schriftlichen Befragung folgende Satzanfänge zu vervollständigen: »Sterben bedeutet …«, »Erfahrungen mit dem ›Tod‹ habe ich …«, »Nach dem Tod …«, »Am Thema ›Sterben, Tod und Auferstehung‹ interessiert mich …«.
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richten, kommen vielfältige Deutungen zum Tragen. Wenn Auferstehung sich den Jugendlichen auch oft als zweifelhaft darstellt, können sie sich – ähnlich der oben erwähnten Untersuchung von Ziegler – dennoch häufig nicht vorstellen, dass es keine Nach-Tod-Existenz gibt: Nach dem Tod … »wird es meiner Meinung nach nicht enden. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Tod das Ende ist und dass danach einfach nichts mehr ist.«15 Das Bedürfnis nach Kommunikation ist bei vielen Schüler/innen hoch und insgesamt sehr facettenreich: Am Thema »Sterben, Tod und Auferstehung« interessiert mich … »was Theologen und auch Wissenschaftlicher darüber denken und ob sie vielleicht in gewisser hinsicht sich sogar einnigen«16 »was andere über dieses Thema denken. Woran andere Religionen glauben und wie andere mit Todesfällen umgehen.«17 »Die Meinung der Gesellschaft durch die jeweiligen Jahrzehnte/ Epochen hindurch zu dem Thema Tod. … was in der Bibel über Auferstehung steht und die Diskussion darüber in der Klasse.«18
Die generelle Offenheit der Jugendlichen gegenüber religiösen Deutungsangeboten (oder auch einer nicht explizit religiös motivierten Form der Transzendenzoffenheit) in der Lerngruppe bietet Anknüpfungspunkte für das Theologisieren. Die Schüler/innen bedienen sich durchaus theologischen Vokabulars. Dass sich ihnen die persönliche Dimension nicht erschließt, wie Hanisch/ Hoppe-Graff und Kraft / Roose in Teilen feststellten, lässt sich in der Lerngruppe eher nicht bestätigen. Die Schüler/innen hegen den Wunsch, Hoffnung, Zuversicht oder auch Trost aus der Auferstehungsbotschaft
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schöpfen zu können. Es zeigt sich, dass – mit Verweis auf Schweitzer – Religiosität tatsächlich dort Bedeutung erfährt, wo ein Bedürfnis nach Unterstützung entsteht, wo die Jugendlichen mit dem Tod konfrontiert wurden, teils schwere Schicksalsschläge erlitten. Die Jugendlichen gehen sensibel und erwartungsvoll mit dem Thema um, eher nicht pessimistisch und nicht zynisch. Viele erwarten etwas Hoffnungsstiftendes vom Thema »Sterben, Tod und Auferstehung« und verwenden eo ipso Begriffe der Wortfamilie um das Substantiv Hoffnung: Nach dem Tod … »Hoffentlich gibt es noch ein Leben oder generell etwas nach dem Tod und nicht nur das »Nichts«. Ob es wirklich einen Himmel gibt, weiß ich bisher nicht, aber ich hoffe es, damit ich früher Verstorbene oder später noch sterbende Leute wiedersehen möchte.«19 Sterben bedeutet … »Bei Kranken bedeutet es vom Leiden erlöst zu werden und ihre Krankheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben im Himmel zu beginnen. Bei »normalen« Menschen finde ich bedeutet Sterben sich auf Wiedersehen zu sagen, da man sich im Himmel irgendwann wiedersieht und sich vereint. Ich habe leider schon viel mitmachen müssen, und ich finde dass ich erst so religiös wie jetzt geworden bin, weil ich schon so viel erlebt habe und eine Stütze brauchte.«20
Insgesamt wird ein breites Deutungsspektrum erkennbar. Innerhalb den sich 15 16 17 18 19 20
Schüler, 9. Jahrgangsstufe, 2015. Schüler, 9. Jahrgangsstufe, 2015. Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015. Schüler, 9. Jahrgangsstufe, 2015. Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015. Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015.
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ihnen bietenden Deutungen nehmen die Jugendlichen häufig eine Gewichtung nach dem Grad der Logik vor: Nach dem Tod … »glaube ich an drei Dinge. Entweder ist alles vorbei oder man wird wiedergeboren oder man lebt irgendwo anders weiter. Mir ist zwar die erste Möglichkeit am logischsten, aber ich hoffe immer, dass man wiedergeboren wird, oder irgendwo anders weiterlebt.«21
Der Zusammenhang von Wissenschaft und Glaube, von Thanatologie und christlichem Auferstehungsglauben wird im Verlauf der Forschungswerkstatt thematisiert, damit den Zweifeln der Schüler/innen Raum gegeben ist. Begünstigt wird das vor allem durch die offene, wertschätzende Haltung der Studierenden, die alle Schüleraussagen ernst nehmen. Besondere Bedeutung kommt aber auch dem Einbringen von weiterführenden Deutungsmöglichkeiten zu. Dabei zeigt sich, dass komplementäres Denken nicht angeregt werden kann, indem einseitig dogmatische Lehren über die Auferstehung vermittelt werden, sondern indem im Sinne der Theologie für und mit Jugendliche(n) ein lebendiger, subjektorientierter Austausch stattfindet. Herausforderungen bestehen in der Transformation des Kinderglaubens und des darauf gründenden Gottesbildes sowie im häufig kritisch-rationalen Denken der Schüler/innen, das einer reflexiven Auseinandersetzung bedarf. Häufig festzustellen ist, dass ein einseitig naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild den Jugendlichen den Zugang zum Auferstehungsglauben erschwert.22 Die Studierenden erkennen, dass es wichtig ist, die Denkmodelle der Schüler/innen zu thematisieren und sich über den Auf-
erstehungsbegriff zu verständigen. Hier erweist es sich als gewinnbringend, den Unterricht stark induktiv auszurichten, mehr bottom-up-Prozesse als top-down, von der Lebenswelt zu fachwissenschaftlichen Bezügen.23 Nachdem die Studierenden eingangs die Haltungen, Deutungen und Fragen der Schüler/innen wahrnahmen, greifen sie diese verschiedenartig auf und bringen sie mit Impulsen aus der Fachwissenschaft in Dialog: Zugänge über künstlerisch-bildliche Elemente, Bibelarbeit, Standbilder zu den Empfängern der Christophanien, Schreibgespräch, Filme, Positionieren zu Thesen … Auch beim Positionierungsspiel wird deutlich, dass eine Nicht-Existenz nach dem Tod für die Schüler/innen schwer vorstellbar ist (ähnlich wie in der Befragung von Feige und Gennerich). So positioniert sich eine Schülerin zur These »Nach dem Tod endet alles. Danach ist nichts«:
21 Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015. 22 Andererseits sind in dieser Zeit sehr gute Voraussetzungen für Wissens- und Fähigkeitserwerb gegeben. »Adoleszente denken im Vergleich zu Kindern abstrakter und sind weniger auf konkrete Beispiele und Illustrationen angewiesen; sie denken mehrdimensionaler und sind nicht mehr nur auf ein einziges Merkmal fixiert; sie denken relativer und weniger in absoluten Kategorien und sie werden selbstreflexiver, wissen also mehr über das eigene Denken und können es aufgrund dieser Fähigkeiten besser selber regulieren« (Helmut Fend, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, Wiesbaden 2005, 118). Das Nachdenken über Auferstehung erfordert genau dieses Vermögen, abstrakt und mehrdimensional zu denken. 23 Im Sinne des dialogischen Grundprinzips geht es schlussendlich um ein Both-Direction-Modell und die Verzahnung der drei Dimensionen des Theologisierens.
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»Ähm, nee, also es ist einfach so, ich kann mir nicht vorstellen, ich habe jetzt keine richtige Begründung oder so, oder nicht wegen Religion, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich sozusagen komplett weg bin, also dass ich gar nicht mehr da bin, mehr denken kann. Und das ist einfach so unvorstellbar für mich, deswegen«24.
Eine wesentliche Erweiterung des Deutungsspektrums der Schüler/innen findet durch die Standbildarbeit und die anschließende Vertiefung im Theologischen Gespräch statt, dessen Grundlage das Evangelium selbst bietet. Die biblischen Empfänger der Christophanien, der Erscheinungen des Auferstandenen, dienen als Identifikationsfiguren für die Jugendlichen, vor allem auch wegen der vorkommenden Zweifelsmotive (z.B. Thomas, Joh 20,24–31). Die Schüler/innen erkennen, dass der Auferstehungsglaube durch Erfahrungen mit dem Auferstandenen entsteht. In Bezug auf das Thema Auferstehung erfährt Kommunikation eine besondere Bedeutung. Der Osterglaube gründet in Erfahrung und Kommunikation mit dem Auferstandenen. Bei Markus und Matthäus wird auf Galiläa verwiesen, wo Jesu Weg begann. Im Lukasevangelium findet die entscheidende Begegnung mit dem auferweckten Jesus unterwegs statt. Er begegnet zwei Jüngern, die ihn zuerst nicht erkennen, sondern erst als er das Brot bricht, also in der lebendigen Praxis. Bei Johannes wird geschildert, dass Maria von Magdala Jesus nicht sofort erkennt, sondern erst als er sie namentlich anspricht. Durch Essen von Fisch vor den Jüngern muss Jesus seine Identität belegen (Lk 24,41– 43). Folglich lässt sich sagen, dass der
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auferstandene Jesus durch die Praxis des Glaubens, durch verbale und nonverbale Kommunikation erkennbar, lebendig und bedeutungsvoll wird. Für das Theologisieren bedeutet das, gemeinsam mit den Schüler/innen Wege zu finden, die im übertragenen Sinne auch heute diese Erfahrung mit dem Auferstandenen ermöglichen. Es geht nicht nur um Sehen; »erst indem das Sehen zum Erkennen wird, wird der Glaube an den Auferstandenen geweckt.«25 Die Forschungswerkstatt setzt sich zum Ziel, diese Erfahrungsräume ins Gespräch zu bringen beziehungsweise Erfahrungsräume für die Schüler/innen zu öffnen. Im Verlauf der Forschungswerkstatt kommt immer öfter zur Sprache, dass das Thema Tod für viele Jugendliche angstbesetzt ist. Es ist zu beobachten, dass die Schüler/innen sich zunehmend öffnen, da sie Wertschätzung seitens der Studierenden erfahren. Eine Schülerin schreibt: »Ich finde es schwer, KEINE Angst davor zu haben. Da braucht es wohl schon extrem viel Vertrauen an Gott.«26
Der Glaube an Gott sowie die Vorstellung der Auferstehung bilden für die Schüler/innen durchaus ein Gegengewicht (wenn nicht die Erfahrung von Gottes Nicht-Eingreifen oder mangelnde Plausibilität dem entgegenstehen). Die Schüler/innen stellen ihre Vorstellungen von Auferstehung bildlich-künstlerisch dar. Im anschließenden Theologischen Gespräch erläutert ein Schüler sein Bild: 24 Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015. 25 Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin 2012, 319. 26 Schülerin, 9. Jahrgangsstufe, 2015.
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»Also, ich bin der Künstler und ich habe mir das eigentlich so gedacht, dass das unten, das Schwarze, ähm, sind quasi die Ängste vor dem Tod, also das, was wir nicht wissen, wovor wir Angst haben beim Tod und das Ganze soll halt eben überstrahlt werden von der Auferstehung oder vom Himmel. Also das ist … Also für mich gibt es da eigentlich keine unterschiedlichen Schichten, sondern es ist quasi nur, dass der helle Himmel ist auch das Weiße. Also das gehört … helle Auferstehung, die halt eben die Ängste überstrahlt, würde ich mal so sagen.«27
Inwiefern die Beiträge der Forschungswerkstatt eine lebensstützende, resilienzfördernde Wirkung haben und sich tatsächlich als tragfähig im Leben der Schüler/innen erweisen, ist nicht messbar, die Rückmeldungen zur Forschungswerkstatt machen aber deutlich, dass die intensive Auseinandersetzung in den Theologischen Gesprächen die Schüler/innen bewegte. Ingo Baldermann beschäftigt sich mit dem hoffnungsstiftenden Moment der Auferstehung. Ihm nach wandelt sich durch den Glauben an die Auferstehung das Verhältnis zum Tod: »Er (der Tod) steht nicht mehr wie eine dunkle Wand vor mir, an der mein Leben wie das meiner liebsten Menschen zerschellen wird, sondern wie ein Ufer,
das sich beim Näherkommen in eine gegliederte Landschaft verwandelt, einen Zugang öffnet und weitere Wege ahnen lässt.«28 Die Forschungswerkstatt zeigt, dass für die Schülergruppe verschiedene Zugänge und Methoden dienlich waren, damit sich die mit der Auferstehungsbotschaft verbundene Hoffnung in die Fugen von Angst und Unsicherheit schleichen kann. Die äußerst prozess- und schülerorientierte Forschungswerkstatt vermag zu zeigen, dass im Vollzug des Kommunizierens, des Theologisierens ein Gewinn für die Schüler/innen entsteht. Sie können sich über ihre Ängste austauschen, ihre Fragen einbringen und das Moment der Hoffnung in der biblischen Botschaft erkennen. Im Feedback zur Forschungswerkstatt merken die Schüler/innen als gelungen vor allem den geschützten Raum für Meinungsaustausch, die kreativen Zugangsweisen und die starke Prozessorientierung an. 4. Jugendtheologie und Kommunikation des Evangeliums am Beispiel Auferstehung
Zunächst stellt sich die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Auferstehung und Evangelium.29 Die Auferstehung vollzieht sich nicht nur im Evangelium, sondern ist selbst Träger des Evangeli27 Schüler, 9. Jahrgangsstufe, 2015. 28 Ingo Baldermann, Auferstehung sehen lernen, Neukirchen-Vluyn 1999, 116. 29 In der Fachliteratur finden sich weder eine einheitliche Bestimmung der Herkunft des Begriffes Evangelium noch eine eindeutige Definition. Als verbindende Merkmale lassen sich Jesus Christus als Bezugspunkt und das Moment der Verkündigung fixieren.
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ums, frohe Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes, im Glaubensbekenntnis bezeugt, Kern des christlichen Glaubens, Träger von Hoffnung, in den Evangelien zwar nirgends beschrieben, aber ebenso vielfach wie eindrücklich bezeugt. Christian Grethlein erwähnt drei verschiedene Modi der Kommunikation des Evangeliums: Lehren und lernen, gemeinschaftliches Feiern und Helfen zum Leben. Diese Modi sollen nachfolgend mit den oben ausgeführten Aspekten der Jugendtheologie in Beziehung gesetzt werden:30 Sowohl dem Theologisieren als auch der Kommunikation des Evangeliums liegt ein dialogisches Prinzip zugrunde. Lehren und lernen vollzieht sich gemäß der Jugendtheologie vornehmlich kommunikativ. In Bezug auf die Auferstehungsbotschaft ist das Evangelium zugleich Subjekt und Objekt der Verkündigung. Der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« ist in diesem Zusammenhang insofern hilfreich für das Beschreiben der Phänomene der Forschungswerkstatt, als er das Bewusstsein schärft für die Mehrdimensionalität aus Kommunikation des Evangeliums, über das Evangelium, durch das Evangelium und im Evangelium, das sich in den Dimensionen des Theologisierens durchbuchstabieren lässt. Das Evangelium kommuniziert die Auferstehung nicht nur (als genitivus objectivus mit Jesus als Inhalt des Evangeliums), sondern der auferstandene Jesus selbst kommuniziert mit den Menschen (als genitivus subjectivus mit Jesus als Bote des Evangeliums).31 In der Forschungswerkstatt wird den Schüler/innen dieser Kommunikationsraum, dieser Erfahrungshorizont zugänglich. Michael Domsgen schreibt zur Kommunikation
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des Evangeliums: »Kommunikation ist also nicht ein beliebiger, sondern der entscheidende Modus des Evangeliums. Kommunikation ist keine Art warming up, um dann zum Eigentlichen zu kommen. Vielmehr steht Kommunikation für das Eigentliche.«32 Ins gleiche Horn stößt Marcel Saß in Anlehung an Christian Grethlein: »Evangelium sei eben keine von konkreten Kommunikationssituationen zu abstrahierende Größe, sondern dessen inhaltlicher Gehalt bilde sich erst in, mit und unter Kommunikation.«33 Mit dem Postulat der Kommunikation des Evangeliums geht es der Praktischen Theologie um Lebensbegleitung.34 Der Kommunikationsmodus des Helfens zum Leben beschreibt auch eine Intention der Jugendtheologie. Menschen werden nicht »als Instrumente oder Objekte der Verkündigung« betrachtet, sondern als »Subjekte ihres Lebens und Glaubens«35. Wilfried Engemann schreibt von 30 Vgl. Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 163ff. Hier fokussiere ich mich auf Lehren und Lernen und Helfen zum Leben, das gemeinschaftliche Feiern findet wohl hauptsächlich in der Gemeindepädagogik Anwendung. 31 Vgl. ebd., 161. 32 Michael Domsgen, Kommunikation des Evangeliums – Perspektiven der Lebensbegleitung, in: Michael Domsgen, Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 77. 33 Marcel Saß, Zwischen Partizipation und Distanzspielräumen. Kommunikation des Evangeliums in der Perspektive der Lebensbegleitung, in: Michael Domsgen (wie Anm. 32), 90. 34 Vgl. Michael Domsgen, Kommunikation des Evangeliums – Perspektiven der Lebensbegleitung, in: Michael Domsgen (wie Anm. 32), 75. 35 Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen (wie Anm. 32), 17.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Kommunikation des Evangeliums als Sinnarbeit und Lebensdeutung im Referenzrahmen des Christentums.36 Das Anliegen des Subjektbezugs, der Lebensweltorientierung, Begleitung und Sinnstiftung ist der Jugendtheologie ebenso eigen wie dem Ansatz der Kommunikation des Evangeliums: Es geht nicht um eine bestimmte, erwartete Form ›tiefer Religiosität‹, sondern darum, »dass Menschen als Menschen zum Vorschein kommen«.37 Engemann schreibt in Orientierung an Ernst Lange: Es geht um »die Lebens- und Glaubenssituation des Einzelnen jetzt und hier«38, nicht nur um Information, sondern »Partizipation und Motivation«.39 Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass die Kommunikation des Evangeliums als lebensrelevant erachtet wird. »Dass Menschen kommunizieren, gehört zu ihrer Grundausstattung. Dass sie das Evangelium kommunizieren, ist eine Option. Um sie zu wählen, bedarf es einer hinreichenden Plausibilität. Es ist nicht von vornherein ausgemacht und auch nicht ohne weiteres einsichtig, dass Menschsein mit der Kommunikation des Evangeliums besser gelingt als ohne dieselbe.«40 Bedingungen für das erfolgreiche Eintreten in den Prozess des Theologisierens zum Thema Auferstehung waren in der Forschungswerkstatt
vor allem ein facettenreicher und methodisch vielfältiger Zugang zum Thema, Sensibilität der Studierenden, Offenheit gegenüber den verschiedenen Schülerdeutungen, eine Kultur der Achtsamkeit und Wertschätzung und das Einbringen von jenen weiterführenden Deutungsangeboten, die für die Schüler/innen erkennbaren Lebensweltbezug aufweisen. Theologische Gespräche zur Auferstehung halten dann das Evangelium – verstanden als frohe, hoffnungsvolle Botschaft – lebendig, wenn sie im Vollzug des Kommunizierens Lebensperspektiven in den Blick nehmen, persönlichen Fragen oder auch Ängsten Raum geben, Erfahrungen thematisieren oder gar Erfahrungsräume öffnen und eine heilsgeschichtliche oder heilsbringende Dimension entfalten.
36 Vgl. ebd., 23. 37 Ebd., 17. 38 Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen (wie Anm. 32), 18. 39 Ebd., 19. 40 Michael Domsgen, Kommunikation des Evangeliums – Perspektiven der Lebensbegleitung, in: Michael Domsgen (wie Anm. 32), 79f.
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
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Mirjam Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren – Begriffsarbeit im Kontext der Jugendtheologie in der Sekundarstufe II Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, kam auch der Satan mit ihnen. Der Herr aber sprach zum Ankläger: Wo kommst du her? Der Ankläger antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe Schulen hin und her durchzogen. Der Herr sprach zum Ankläger: Hast du auch achtgehabt auf die »Kommunikation des Evangeliums«, die fromm und rechtschaffen versucht, die praktische Gottesgelehrtheit zu leiten1? Sie ist gottesfürchtig und meidet das Böse. Der Ankläger antwortete dem Herrn und sprach: Meinst du, dass die »Kommunikation des Evangeliums« etwa deshalb so erfolgreich ist? Habt ihr sie nicht mit vielen Geldern ausgestattet, sie ringsumher beschützt, Kongresse und Sammelbände organisiert, dass sie sich ausgebreitet hat in alle Lande2? Aber hält sie auch, was sie verspricht? Frage doch die Jugendlichen selbst! Verschaff ihnen Raum und lass sie zu Wort kommen! Der Herr sprach zum Ankläger: Siehe, es sei in deiner Hand zu tun, was du willst. Es geht also um die Hiob-Dichtung in diesem Beitrag zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen – und das nicht nur hinsichtlich der Frage nach Gott und dem Leid, sondern auch und gerade medial in Form und literarischer Gestalt des Vortrages selbst. Aber die Hiobthematik dient zugleich als Anschauungsfeld für die Frage der Zuordnung zweier Leitbegriffe, der »Kommunikation des Evangeliums« und der »Kinder-«
bzw. »Jugendtheologie«. Dabei wähle ich zwei Schwerpunkte: 1. Hiobs Klage: Die Fehlkommunikation mit den Freunden. 2. Doch Gottesbegegnungen? Kommunikationsversuche. Was auf den ersten Blick fremd erscheint, wird sich hoffentlich im weiteren Verlauf entwirren. 1. Hiobs Klage – Die Fehlkommunikation mit den drei Freunden
Kinder- und Jugendtheologie hat sich unter anderem über einen Perspektivenwechsel definiert. Im Horizont der so ge1 Vgl. den Untertitel »Leitbegriff der Praktischen Theologie«, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014. 2 Das Projekt von Christian Grethlein wurde durch ein Opus Magnum-Stipendium der Volkswagenstiftung ermöglicht. Im Mai 2014 veranstalteten Michael Domsgen und Bernd Schröder in Göttingen ein Symposium, in dessen Mittelpunkt das Konzept stand; siehe die Dokumentation der Beiträge in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (wie Anm. 1). Die weltweite Ausbreitung wurde durch ein an der Baekseok University in Seoul im November 2014 abgehaltenes Symposion zum Thema »Kommunikation des Evangeliums in der Postmoderne« und durch die für 2016 angekündigte englischsprachige Übersetzung (von Uwe Rasch, in: Baylor Press) gefördert; siehe dazu Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 22016, VI.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
nannten ›Neuen Kinderforschung‹3 sollten die Kinder- und Jugendlichen selbst zu Wort kommen. Kinder und Jugendliche wurden als Subjekte und Akteure wahrgenommen, »die ihre Lebensführung selbständig disponieren […] und aktiv an ihrer sozialen und persönlichen Entwicklung mitwirken«.4 Das Konzept der Kinder- und Jugendtheologie hat diesen Perspektivenwechsel aufgegriffen und innerhalb religionspädagogischer Arbeit befördert. Kinder- und Jugendtheologische Kompetenz kann sich dabei nicht nur in der Deutungskompetenz traditioneller Glaubenszeugnisse (wie z.B. der Bibel), sondern ebenso im eigenständigen Gebrauch theologischer Begriffe und Theologoumena erweisen. Dies haben die Themenhefte der Jahrbücher für Kinder- und Jugendtheologie immer wieder gezeigt.5 Ich habe darüber hinaus den Aspekt der MetaKommunikation als konstitutiv für einen engeren Begriff von Kindertheologie herausgearbeitet.6 Nicht jedes kindliche Artefakt oder jede jugendliche Äußerung ist bereits Kinder- bzw. Jugendtheologie, sondern die selbstreflexive und bewusste Kommunikation über theologische Fragen unter Einbeziehung geprägter und neuer Begrifflichkeiten. Kinder- und Jugendtheologie ist also selbst schon MetaKommunikation des Evangeliums, eine jugendliche Theorie der Glaubensfragen, wenn man so will.7 Was liegt also näher, als bei der mir gestellten Aufgabe eben diesen Perspektivenwechsel zu vollziehen? Nicht die Frage, wie ich die »Kommunikation des Evangeliums« jugendtheologisch beurteile, sondern was die Jugendlichen selbst mit diesem Begriff anfangen können, sollte im Vordergrund stehen.
Ein neuer Leitbegriff der Theorie der praktischen Theologie sollte die jugendtheologische Feuertaufe nicht scheuen. Denn ein theologischer Leitbegriff kann auch dadurch geprüft werden, ob die Jugendlichen selbst etwas damit anfangen können. Entsprechend habe ich in unterschiedlichen Szenarien die Meinung der Jugendlichen zur »Kommunikation des Evangeliums« abgerufen. Auf der Tagung vom 5.–7.9.2016 in Zürich wurde mein Ansatz, Jugendliche nach diesem Begriff und damit didaktisch reduziert nach einem wissenschaftlichen Konzept zu fragen, scharf kritisiert. Deshalb soll das Vorgehen an dieser Stelle auf zweifache Weise begründet werden: a) Kinder- und jugendtheologische Forschung wurde von Beginn an zu unterschiedlichsten theologischen Themen so durchgeführt: Man konfrontiert die Kinder und Jugendlichen mit mehr oder weniger sedimentierten Konzep3 Vgl. zu den Schnittstellen zwischen der »Neuen Kinderforschung« und der »Kindertheologie« meine Zusammenfassung in: Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 22012, 74f. 4 Vgl. Sebastian Honig, Entwurf einer Theorie der Kindheit, Frankfurt a.M. 1999, 157. 5 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 52– 54. Auch exegetisch und theologisch schwierigste biblische Texte wie die Bindung Isaaks, Jakobs Traum/Himmelsleiter, die Kreuzigung Jesu u.a. sind Basis von kinder- bzw. jugendtheologischen Untersuchungen. 6 Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 82–85. 7 Es gibt durchaus Vertreter der Kindertheologie, die die Grenzen in Richtung Kinderspiritualität und Kinderreligion ausgeweitet haben. Vgl. dazu Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 84–88.
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
ten der Theologie, sei es Rechtfertigung, Theodizee, Prädestination, Willensfreiheit, Auferstehung der Toten, Heiliger Geist8 und versucht, die »Theologie der Kinder und Jugendlichen« zu eruieren. Während es hier um Oberstufenschülerinnen und -schüler ging, finden sich z.B. zu so anspruchsvollen Themen wie zum freien Willen, zum Heiligen Geist etc. durchaus interessante Studien sogar aus der Primarstufe. Die Ergebnisse dienen dann quasi als Ausgangsbasis für weiteren Unterricht (Lernausgangslage) im Sinne des Theologisierens mit Kindern/ Jugendlichen bzw. einer Theologie für Kinder/Jugendliche. b) Der Religionsunterricht in der Oberstufe hat wissenschaftspropädeutischen Charakter, so dass es nicht nur berechtigt erscheint, sondern geradezu eine genuine Aufgabe des Unterrichts ist, mit Schülerinnen und Schülern auch über zentrale wissenschaftliche Konzepte ins Gespräch zu kommen. Die Metaebene von Theorien spielt daher in Fächern wie Philosophie, Sozialwissenschaften, Geschichte u.a. eine bedeutende Rolle in der Oberstufe, da Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Voraussetzungen, Axiome und Perspektiven wissenschaftlicher Erkenntnisse zumindest in nuce und exemplarisch kennenlernen sollen. Allerdings bedarf es dabei in aller Regel einer Komplexitätsreduktion, die gemeinhin als »didaktische Reduktion« im Unterricht verstanden wird. Diese Frage danach, ob es aus der Erfahrungs- und Theorieperspektive der Jugendlichen berechtigt erscheint, den Religionsunterricht als »Kommunikation des Evangeliums« zu bezeichnen, wurde daher in der Befragung stark auf den Begriff zugespitzt.
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1.1 Frage sie selbst! – Eine Fragebogenstudie zur »Kommunikation des Evangeliums«
Eine erste kleine Untersuchung war als Fragebogen-Studie mit Oberstufenschülerinnen und -schülern an Gymnasien und Berufsschulen angelegt, die letztlich zu einer Probandengruppe von insgesamt 53 Teilnehmer/innen führte. Es wurde danach gefragt, ob Gespräche im Religionsunterricht als »Kommunikation des Evangeliums« bezeichnet werden können und sollten und wie die Schülerinnen und Schüler diesen Begriff verstehen und konnotieren. Dabei wurden die Begriffsexplikation und semantische Füllung der Jugendlichen durch offene Fragen (z.B. »Was bedeutet in diesem Zusammenhang ›Evangelium‹«?) ebenso wie durch kleinschrittige Teilfragen (z.B. »Wer kommuniziert? Wie wird kommuniziert?«) herausgefordert. Die codierte qualitative Auswertung der Daten zeigt folgende Ergebnisse: Die SuS haben zwar ein durchaus weites Verständnis von Evangelium, das u.a. ethische Aspekte (z.B. »Wertebasis für Christen«) einschließt9; auch der Begriff 8 Zusammenstellung der Themen bis 2010 bei Zimmermann (wie Anm. 3), 53f. 9 Das Spektrum umfasst folgende Schwerpunkte: (A) Begriffliche Erläuterung: »frohe Botschaft« (2, 3, 13), »Reich Gottes Vorstellung« (4), Begriffsgebrauch: »Evangelium im Religionsunterricht bedeutet etwas anderes als in der Kirche. Man geht allgemeiner ran, weniger spezifisch, öfter historisch-kritisch« (10); (B) Kanonisch-quellenbezogene Deutung: »erzählt von dem Kommen, Wirken und Auferstehen des Sohn Gottes u. Messias« (9); (C) Dogmatisch-theologische Deutung: »Das Evangelium übermittelt die Idee Gottes von unserer Welt« (4), »Jesus hat uns durch seinen Tod am Kreuz von den Sünden befreit und durch sein
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Kommunikation wird, für sich genommen, recht vielfältig gedeutet10, wobei der freie, reziproke Meinungsaustausch im Vordergrund steht. Gleichwohl scheint die Kombination beider Begriffe »Kommunikation des Evangeliums« in Bezug auf den Religionsunterricht den Schülerinnen und Schülern eher rätselhaft bzw. wird durch ein vertikales Lehre-/Verkündigungs-Paradigma interpretiert, in dem Jugendliche als Unwissende und zu Belehrende fungieren. Ein Schüler schreibt dazu: »Der Religionslehrer belehrt den Unwissenden« / »Lehre über das Evangelium« (20); ein anderer erklärt schlicht mit dem Synonym »Verkündigung« (40), was ja laut den Vertretern des Konzepts explizit abgewiesen werden sollte.11 Eine andere Schülerin nimmt sofort kritisch Stellung: »Ich finde, Lehrer dürfen nicht vorgeben, was das Ziel der Diskussion und die ›ideale‹ Meinung ist. Damit wird maßgeblich beeinflusst« (10); wieder ein anderer: »Es darf nicht passieren, dass jemand für seine Meinung kritisiert wird« (6). Die freie »Meinungskundgabe« im offenen Gespräch wird quasi als das Proprium des RU angesehen, während der Terminus »Kommunikation des Evangeliums« als Gegenmodell religionspädagogischer Einflussnahme verstanden wird. Die SuS sind daran interessiert, von der Lehrkraft unkritisiert ihre (durchaus begründete) Meinung äußern zu können. Bei der Frage nach dem möglichen Ziel der Kommunikation des Evangeliums werden u.a.12 explizit religiöse Ziele angegeben: »Dass die Menschen Gott kennenlernen, wie Er ist« (37), oder gar »dass man in (sic! = ihn, den Schüler) zum Evangelium konvertiert« (20).
Handeln zur Nächstenliebe angeregt« (2, siehe unten auch ethisch); (D) Ethische Deutung: »Wertebasis für Christen« (1), »Ausdruck für ein vorbildliches Verhalten eines Menschen« (6), »Betriebsanleitung für ein friedlicheres Miteinander« (49), »Jesus hat uns durch seinen Tod am Kreuz von den Sünden befreit und durch sein Handeln zur Nächstenliebe angeregt« (2, siehe oben auch dogmatisch); (E) AntiDeutung: »Das Evangelium gibt es nicht. Jeder kann es anders verstehen und auslegen« (10). 10 Teilfragen bezogen sich auf: (A) Wer kommuniziert?: »Lehrer mit Schüler und umgekehrt« (18, 20, 21), »die Klasse« (24), »in der Bibel kommuniziert Gott mit den Menschen« (4); (B) Wie wird kommuniziert?, hier zeigt sich ein recht breites Spektrum: (B 1) dialogisch/reziprok/offen: »offene Diskussion« (19), »als freier Austausch der Gedanken/Meinungen in einer sich entwickelnden Diskussionsrunde« (8), »alle kommunizieren auf einem Niveau und gleichberechtigt; gute Zusammenarbeit, um alle Perspektiven zu erfassen« (7); (B 2) direktiv: »Lehrerin gibt den ersten Impuls/Input/Thema/Information« und »lenkt in eine Richtung« (1); »der Religionslehrer belehrt den Unwissenden« / »Lehre über das Evangelium« (20), »Lehrer erklärt, gibt Informationen weiter« (43); (B 3) inhaltlich dicht/fokussiert: »intensiv« (19), »Verkündigung« (40), »Der Versuch zu überzeugen, wie wichtig das Evangelium ist, liegt in dessen Relevanz begründet« (11); (B 4) keine Kommunikation: »Wenn ein Schüler zu einer Fragestellung oder zu einem Thema keine Antwort bzw. keine Meinung äußern will/ kann, dann enthält er sich der Gesprächsrunde oder hört den anderen SuS zu« (3). 11 Vgl. schon Ernst Lange, Aus der »Bilanz 65«, in: Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, hg. v. Rüdiger Scholz, München 1981, 101: »Wir sprechen von Kommunikation des Evangeliums und nicht von ›Verkündigung‹ oder gar ›Predigt‹, weil der Begriff das prinzipiell Dialogische des gemeinsamen Vorgangs akzentuiert (…).« Auch Michael Domsgen / Bernd Schröder, Vorwort, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (wie Anm. 1), 7–11, 9. 12 Eine Reihe von Jugendlichen sieht auch in der gelungenen Kommunikation selbst das »ideale Ziel«, so z.B. »das (sic!) beide Meinungen akzeptiert werden« (28), »jeder kann seine Meinung äußern« (31); »das (sic!) man auf einen Nenner kommt« (17, 19), »das (sic!) alle zufrieden sind« (27); »dass alle einer Meinung sind« (30), »das (sic!) man sich einig wird« (32).
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
Einige Schüler bewerten dies explizit als problematisch: »Es sollte nicht nur das Evangelium unterrichtet werden.« Dieser Begriff passe wohl besser auf »Jugendgottesdienst« (21), »Kirche« (41) und nicht so sehr für den Religionsunterricht an Schulen. Die hier gegebenen Einblicke stammen von weniger als 50 % der abgegebenen Fragebögen. Bei den anderen werden z.T. ganz leere Blätter abgegeben, oder es bleiben die Felder zu Fragen über die »Kommunikation des Evangeliums« leer. Aus diesem Befund kann man nur schließen, dass der Begriff bei etwa der Hälfte der Jugendlichen zu Ratlosigkeit bzw. Verwirrung und damit zum Kommunikationsabbruch geführt hat. Sie wissen nichts darauf zu sagen, sie können oder wollen ihn nicht mit eigenen Überlegungen vernetzen. Zusammenfassend kann man also festhalten, dass von Seiten der Jugendlichen der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« entweder gar nicht aufgenommen und nur selten sinnvoll interpretiert werden kann. Teilweise aber wird er mit Verdacht belegt, weil er klar in Richtung eines christlichen Überzeugungskonzepts gedeutet wird. Während die wissenschaftlichen Vertreter des Konzepts sowohl für ein »dialogisches Grundverständnis der Selbstmitteilung des Christentums, als auch für die Nutzung der Vielfalt der Kommunikationsmodi«13 eintreten, birgt der Begriff für die Jugendlichen eher die Vorstellung einseitiger, hierarchischer Kommunikation und einer inhaltlich festliegenden Themenzuspitzung. Sie würden überspitzt formuliert übersetzten: Wenn Gespräche im Religionsunterricht oder
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gar der Religionsunterricht als ganzer »Kommunikation des Evangeliums« ist, dann wollen Lehrerinnen und Lehrer uns mit der guten Nachricht von Jesus missionieren und bekehren. Hierzu haben die Jugendlichen ein klares Gegenkonzept im Kopf. 1.2 Kommuniziere mit ihnen! – Ein Leistungskursgespräch »Kommunikation des Evangeliums?«
Doch bevor ein vorschnelles Urteil gefällt wird, wollen wir uns im Sinne von Hiobs Freunden noch einmal auf andere Weise in den ›Staub‹ hinabbegeben. »Und als die Freunde von Hiob all das Unglück hörten, beschlossen sie hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten …« (nach Hiob 2,12). Die Reise ins Land »Uz« führt uns nun nach Nordhorn zu einem Leistungskurs Religion an einem Evangelischen Gymnasium. Das Unterrichtssetting war die letzte Stunde einer zweijährigen Leistungskurszeit, die die Lehrkraft dazu nutzte, eine reflexive und kritische Rückschau auf den zurückgelegten Weg im Unterrichtsgespräch zu moderieren. Es ging dabei im zweiten Teil auch um die Frage: Taugt der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« für den Religionsunterricht als Ganzen, so wie die Schülerinnen und Schüler ihn erlebt haben? Das Gespräch wurde mit einer Hausaufgabe vorbereitet und begann mit
13 Michael Domsgen / Bernd Schröder (wie Anm. 1), 9.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
längeren Gesprächsgängen über die Kommunikationskultur innerhalb des Leistungskurses sowie über einige inhaltliche Aspekte. Hierzu nur zwei knappe Statements – als Video-Einspielung.14 Ja, ich fand’s auch grad sehr wichtig – glaub ich – für unsere Gespräche, dass wir ja eigentlich frei erstmal reden konnten, eigentlich so ja nicht gerade geleitet wurden, dass man am Anfang ja ein Thema, so einen Aspekt so ’n bisschen vorgegeben hatte, so ’ne Information bekommen hat und dass wir dann eigentlich alle direkt losgelegt haben, so wie wir das eben dann versucht haben, diese Themen weiter zu erschließen für uns, und es gab eigentlich immer Pro und Contra, also ich glaub, es gab nie ja so einen Nenner, wo wir so direkt miteinander waren, sondern es musste erstmal alles ausdiskutiert werden. Und ja so kam man einfach auf so vielfältige Positionen, die man sonst so vielleicht für sich gar nicht so erschlossen hätte (…). (Jannis [5:59 min]
Ich fasse zusammen: Der Schüler beschreibt die Kommunikationssituation im Religionsunterricht als offen und frei, die thematischen Gesprächsanlässe boten Raum der Entfaltung unterschiedlicher Positionen im »Pro und Contra«. Das Gespräch war »ungeleitet«, d.h. nondirektiv und – wie er mehrfach betont – unter Beteiligung »aller«. Die Kommunikation diente schließlich der Erweiterung der eigenen Position durch das Kennenlernen anderer Standpunkte. Eine nahezu ideale Kommunikationssituation, über die sich vermutlich sogar Habermas gefreut hätte, aber ebenso die Vertreter des Konzepts der »Kommunikation des Evangeliums«. Aus dem kritischen Dialog mit Sozial- und Kulturwissenschaften heraus definiert etwa
Christian Grethlein »Kommunikation als ein mehrfachkomplexes Geschehen der Verständigung von Menschen«.15 Er führt zur handlungs- bzw. diskurstheoretischen Dimension weiter aus: »Hierarchien oder sonstige Abhängigkeiten stehen ebenso wie klare Zielvorgaben oder Taktiken einer solchen Kommunikation entgegen.«16 Würde man Grethlein fragen, ob sich in diesem Leistungskurs »Kommunikation des Evangeliums« ereignet habe, würde er vermutlich uneingeschränkt bejahen. Doch wie sehen das die Jugendlichen selbst? Die Lehrkraft bietet im weiteren Gesprächsverlauf den Begriff »Kommunikation des Evangeliums« als zusammenfassenden Leitbegriff des bisher geschilderten kommunikativen Geschehens an. Sie sagt: »Unsere religionspädagogische Forschung diskutiert zur Zeit darüber, ob man Religionsunterricht als ›Kommunikation des Evangeliums‹ begreifen kann.«17
Was denken die Jugendlichen darüber? Hanna: Also, ich glaub schon, dass wir durchaus Situationen hatten, weil wir ja doch oft auf die persönliche Ebene gegangen sind, wo das passte, aber letztlich ging es irgendwie doch ums Abi […]. Und den Begriff, dass wir Situationen haben, die Kommunikation des Evangeliums
14 Die Transkription wurde syntaktisch strukturiert, die »ehms« wurden weggelassen. 15 Christian Grethlein (wie Anm. 2), 158. 16 Ebd., 155. 17 Siehe Gesprächstranskription Z. 270f (ca. 18:56 min), Syntax wurde geringfügig verändert.
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
sind; naja, das möchte ich jetzt nicht ganz verneinen, aber das klingt für mich also eher, dass wir alle uns hier gegenseitig bekehren würden, das, das klingt so, als, als darf hier keiner rausgehen, der nicht das Evangelium grundlegend verstanden hat und als hätten wir hier keine Atheisten und also ganz ehrlich, wenn ich so’n Titel sehen würde für ’ne Jungscharmitarbeiterschulung oder so: »Wie rede ich mit Kindern übers Evangelium?«, Kommunikation im Evangelium, ja o.k., oder »Wie redet Jesus im Evangelium?«, auch noch gut, aber das für’n Religionsunterricht? Wie gesagt, ich möchte nicht verneinen, dass man in zwei Jahren nicht mal ’ne Situation hatte, wo irgendjemand für sich persönlich auf irgendeiner Ebene doch was mehr mitgenommen hat als – ich weiß nicht sonst was, aber den Begriff Religionsunterricht [gemeint ist RU als Kommunikation des Evangeliums] allgemein, ne tut mir leid, finde ich total komisch.« (Sequenz ab ca. 23:04 min)
Ich wiederhole noch einmal einige Sätze auch aus anderen Sequenzen: Hanna: Den Begriff finde ich total komisch. Antonia: Den Begriff halte ich nicht für zwingend notwendig. Felix: Ich tu mich mit diesem Begriff »Kommunikation des Evangeliums« im Religionsunterricht etwas schwer. Hanna: Das klingt für mich, dass wir uns hier alle gegenseitig bekehren würden (…) als darf hier keiner rausgehen, der nicht das Evangelium grundlegend verstanden hat. Felix: Deswegen finde ich diesen Besitzanspruch »Kommunikation des Evangeliums« halt irgendwie nicht so schön formuliert.
Wenn wir die Statements nach Codes auswerten, dann kann man folgende Aspekte festhalten:
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1) Begriff/Formulierung: Der Begriff wird als unglücklich, nicht so schön, unpassend empfunden. 2) Kommunikationsform: Mit dem Begriff wird eine direktive, geleitete Kommunikation assoziiert, die wenig Spielraum für eigene Meinung, Vielfalt und Abweichungen lässt.18 Den anderen in religiöser Hinsicht überzeugen wollen – genau das wollen die SuS nicht. 3) Ziel: Mit dem Begriff verbinden die Schüler einen klaren inhaltlichen Anspruch; einer spricht explizit vom »Besitzanspruch«, eine andere von »Bekehrung« zur christlichen Religion. Das heißt zusammenfassend: Der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« wird folglich bei den Jugendlichen dieses Leistungskurses als nicht adäquat für ihr Bild vom evangelischen Religionsunterricht an Schulen betrachtet. Ich weite aus: Bei jungen Menschen, die sich im schulischen »Modus des Lehrens und Lernens« theologischer Reflexion bewegen, wird der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« als problematisch eingestuft. Dies bestätigt etwa auch das abschließende Statement der Lehrkraft des Leistungskurses, die
18 Diese Kritik wird noch einmal untermauert, als die Lehrkraft offen nach der »Zielsetzung von Religionsunterricht« fragt, »wenn es nicht Kommunikation des Evangeliums ist, so wie ihr’s gesagt habt« (29:30min). Die Jugendlichen antworten: »Das Bilden einer eigenen Meinung« (Jonathan); »Möglichkeit, sich kritisch mit anderen Meinungen und Glaubensrichtungen auseinandersetzen zu können« (Jonathan); »kritische Auseinandersetzung« (Jannis).
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
in Zusammenfassung der Schülerstatements davon spricht, der Begriff sei von den Schülerinnen und Schülern als »zu einseitig« und »abstoßend« wahrgenommen worden.19 Dies bestätigt eine weitere von mir durchgeführte Diskussion mit Studierenden der Evangelischen Theologie im Praxissemesterseminar. Hier fallen die Kommentare wie: »unmissverständliche Vermittlung von Heilsansagen«, »Machbarkeit«, »Gemeinde in der Schule«, »Rückkehr zum kerygmatischen RU«, »Mission«, »Datentransfer in eine Richtung im Sinne eines Genetivobjektes«, »Ausdruck einer individuellen Glaubenskultur«, »gelebte und gelehrte christliche Religion im Klassenzimmer«, »Leben in Sinne Jesu«. Wir können die Kreise noch etwas weiter ziehen und das Echo einiger Theoretiker der Religionspädagogik wie Gottfried Lämmermann oder Jürgen Heumann einspielen, die ebenfalls kritisch rückfragen, ob der Begriff im schulischen Kontext tauglich sei.20 Als Ergebnis dieser (natürlich nur selektiven) Einblicke in jugendtheologische Überlegungen kann deshalb festgehalten werden: Die Jugendlichen wollen das Kommunikationsgeschehen im RU nicht »Kommunikation des Evangeliums« nennen und nehmen kritisch zu ihm innerhalb ihrer eigenen jugendtheologischen Reflexionen über den RU und sein Ziel Stellung. Es zeigt sich aber auch durch ihre positiven Statements, dass sie manchmal ein Kommunikationsgeschehen erlebt haben, das paradoxerweise an die Ideale dessen heranreicht, was Grethlein als gelungene Kommunikation (des Evangeliums) bezeichnen würde.
1.3 Ein dritter Anlauf und Seitenblick: Sinus-Studie 2016
Lassen wir noch einen dritten Freund ganz kurz zu Wort kommen, auch wenn hier nicht explizit von der »Kommunikation des Evangeliums« die Rede ist. Die Einschätzung der von mir befragten Jugendlichen konvergiert mit der Sinus-Studie von 2016, die festgehalten hat, dass Jugendliche innerhalb des schulischen Religionsunterrichts in keinem Fall »von einer Glaubensgemeinschaft missioniert werden (wollen). Dies wirkt eher abstoßend.«21 »Man erwartet und praktiziert gegenseitige Toleranz sowohl im Hinblick auf die Religionsausübung als auch bei der persönlichen Lebens19 Vgl. Transkript, Z. 471f: »… und genau das hat euch … abgestoßen bei dem Begriff Kommunikation des Evangeliums, weil ihr den zu einseitig (wahrgenommen habt).« 20 Vgl. hier z.B. Godwin Lämmermann, Was soll im Religionsunterricht gelernt werden? Unzeitgemäßes über Pisa, Bologna, Standards und Kompetenzen, in: JRP, 27. Jg. 2011, 135–144. Mit Replik von Christian Grethlein, Befähigung zum Christsein. Eine Kontroverse mit Godwin Lämmermann, in: JRP, 27. Jg. 2011, 125–134; Jürgen Heumann, Religionsunterricht darf kein Gebetsunterricht sein! Anmerkungen zum Problem einer Gebetspraxis im evangelischen und islamischen Religionsunterricht, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 8. Jg. 2009, 75–85; mit Replik von Christian Grethlein, Schülerorientierung, nicht ideologische Distanznahme! Eine Antwort an Jürgen Heumann, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 9. Jg. 2010, 240–248. 21 Marc Calmbach / Silke Borgstedt / Inga Borchard / Peter Martin Thomas / Berthold Bodo Flaig, Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendliche im Alter von 14–17 Jahren in Deutschland (Sinus-Milieu Studie), Heidelberg 2016, 345, http://www.wie-ticken-jugendliche.de/home.html [Zugriff: 1.12.2016].
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
führung. Man stört sich beispielsweise nicht daran, wenn andere aufgrund ihres Glaubens regelmäßig zur Kirche gehen, beten oder kein Schweinefleisch essen. Umgekehrt erwartet man von gläubigen Jugendlichen (…), dass sie sich tolerant zeigen und nicht Regeln aus ihrer Religion auf die Allgemeinheit übertragen.«22 Der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« scheint – zumindest wenn man vom Begriff ausgeht – wenig Raum für dieses Toleranzbekenntnis zu bieten. Fazit 1: Fehlkommunikation – Der Begriff ist für die Jugendlichen nicht adäquat
Die Ergebnisse dieser jugendtheologischen Studien zeigen, dass Jugendliche mit der Verwendung des Begriffs »Kommunikation des Evangeliums« ihre Probleme haben. Religionsunterricht soll nach Meinung der Jugendlichen gerade nicht im Modus der »Kommunikation des Evangeliums« ablaufen, so wie sie den Begriff interpretieren. Ergibt sich damit schon eine kritische Rückfrage an die Brauchbarkeit des Leitbegriffs in religionspädagogischen Kontexten? Müsste nicht zumindest geprüft werden, ob nicht Grethleins grundlegende Kritik an der Reichweite theologischer Begriffe auch auf diesen Leitbegriff bezogen werden muss? Wenn ein theologischer Begriff nicht mehr zum Medium gelingender Kommunikation werden kann, sondern eher abtötend wirkt, ordnet ihn Grethlein selbst der Kategorie der sogenannten »Zombie-Begriffe«23 zu. Er selbst attestiert dem Begriff in seiner Gemeindepädagogik von 1994 eine gravierende Diskrepanz zur aktuellen Gemeindesituation. Adaptiert auf den
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Bereich der Religionspädagogik führt dieses Diktum zu der kritischen Frage, ob »[…] der Rekurs auf den Langeschen Begriff der ›Kommunikation des Evangeliums‹ […] der gegenwärtigen Situation von [Religionsunterricht] (nicht) hinreichend gerecht« wird.24 Aber möglicherweise ist eine solche Schlussfolgerung auch zu negativ. Denn haben die Jugendlichen im Leistungskurs nicht gerade Kommunikation des Evangeliums betrieben? Der Begriff »Kommunikation des Evangeliums« ist zwar für das Theologisieren der Jugendlichen offensichtlich wenig hilfreich; aber heißt dies zugleich, dass er auch der Sache nach als analytischer oder konzeptioneller Begriff unzutreffend ist? Grethlein weiß selbst, dass »die Institution Schule« für die Kommunikation des Evangeliums eine »Gefährdung« darstellt, aber – wie er im gleichen Zusammenhang betont – eben auch eine »Chance«25 ist. Geben wir dem Begriff also diese Chance. 22 Ebd., 364. 23 So nach mündlicher Erinnerung von Bernhard Kirchmeier, siehe Bernhard Kirchmeier, Drei Kommunikationsmodi – eine Funktion? Erwägungen zum Zweck der Kommunikation des Evangeliums, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 1), 33–48, 38. Er verweist ferner auf das im Vorwort von Christian Grethlein verwendete Diktum der »zombie categories« (Ulrich Beck); siehe Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 2012, V. 24 Christian Grethlein, Gemeindepädagogik, Berlin/New York 1994, 1 (hier mit »Gemeinde« statt »Religionsunterricht«). 25 Christian Grethlein (wie Anm. 2), 372: »Die Institution Schule stellt für die Kommunikation des Evangeliums eine besondere Chance, aber ebenso eine Gefährdung dar.«
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Vielleicht wird er doch der gegenwärtigen Situation des Religionsunterrichts hier und da gerecht. Wie gut, dass es auch innerhalb der Hiobdichtung nach all der wenig weiterführenden Kommunikation mit den drei Freunden nach Hiobs Anklagerede und Reinigungseid noch weitergeht. Halten wir mit dem Lied von der Weisheit (Hiob 28) einen Moment inne und stimmen ein in den Refrain: »Woher kommt denn die Weisheit? Und wo ist die Stätte der Einsicht? Sie ist verhüllt vor den Augen aller Lebendigen, auch verborgen den Vögeln unter dem Himmel. (… Aber) Gott weiß den Weg zu ihr, er allein kennt ihre Stätte« (Hiob 28,12.20–21.23). Dies führt mich nun zum zweiten Teil. 2. Doch eine Gottesbegegnung? – Kommunikationsversuche
Im zweiten Teil soll jetzt nicht die diabolisch26-staubige Prüfung des Umgangs der Jugendlichen mit dem Begriff der »Kommunikation des Evangeliums« im Zentrum stehen, sondern die Analyse jugendtheologischer Artefakte, also von Produkten, die im Rahmen der Beschäftigung mit theologischen Fragen zum Hiobbuch entstanden sind, hinsichtlich des Leitbegriffs soll jetzt fokussiert werden. Man könnte mit gewissem Recht also einen ähnlich belehrend-deutenden Impetus vermuten wie bei den Elihu-Reden des Hiobbuches (Hiob 32–37). Als erkenntnisleitende Frage möchte ich für die folgende Analyse formulieren: Sind bestimmte theologische Artefakte der Jugendlichen als »Kommunikation des Evangeliums« zu deuten? – oder noch
grundsätzlicher: Hat sich hier »Kommunikation des Evangeliums« ereignet? Dabei wähle ich Erzeugnisse von Jugendlichen, die mit gutem Recht als »Jugendtheologie« betrachtet werden können, da sie eigenständige Leistungen von Jugendlichen darstellen, die theologische Kernfragen zum Gegenstand haben. Es geht deshalb hier auch um die Frage, wie sich die Leitbegriffe »Kinder-« bzw. »Jugendtheologie« und »Kommunikation des Evangeliums« zueinander in Beziehung setzen lassen. Wo könnte man mögliche Unterschiede festmachen, weisen sie eine Schnittmenge auf, oder sind sie womöglich sogar deckungsgleich? Die theologische Kernfrage, die mit den Jugendlichen bearbeitet wurde, kreist – wie man von meinem rhetorischen Setting her unschwer erahnen konnten – um die Frage nach Gott und dem Leid, also das Theodizeeproblem bzw. konkret um das biblische Buch Hiob. Dass es sich hier um eine zentrale Frage der Schülerinnen und Schüler handelt, bedarf kaum näherer Begründung, wurde aber sogar im oben besprochenen Leistungskursgespräch bestätigt: Hanna sagte hier: »Theodizee hätte ich gerne wesentlich ausführlicher gemacht …«27
Diese thematische Zuspitzung mit dem alttestamentlichen Hiob-Buch stellt in Auseinandersetzung mit Grethleins Entwurf eine doppelte Herausforderung: Grethlein bestimmt das »Evangelium« wesentlich vom Neuen Testament aus. Die Person, Botschaft und Lebensweise Jesu 26 Diabolos: Durcheinanderbringer. 27 Siehe Transkript, Z. 171f (ca. 12:05 min).
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
geben den »christlichen Grundimpuls«28 für das Evangelium vor. Er schreibt: »Kommunikation des Evangeliums ist also stets auf Jesu Auftreten, Wirken und Geschick bezogen.«29 Hier stellt sich die Frage, ob – und mit welcher Hermeneutik – ebenso auch das Alte Testament einbezogen werden kann? Gibt es im AT ein Evangelium, oder wer ist denn dieser Gott, um dessen Gegenwart es geht? Inhaltlich konzentriert sich Grethlein auf die durch Jesus vollzogene »Vermittlung der Nähe der Gottesherrschaft«30, die er in der Gleichnisrede, der Feiergemeinschaft und der Heilungstätigkeit Jesu konkretisiert sieht; unter Aufnahme einer Formulierung von Ingo Dalferth wird dies als »liebende und wirksame Gegenwart Gottes«31 ausbuchstabiert. Man muss kein Neutestamentler sein, um sich über diese Akzentuierung zu wundern. Die Evangelien sind – um an Martin Kählers Diktum zu erinnern – doch insbesondere Passionserzählungen mit ausführlicher Einleitung. Mit anderen Worten: Steht Grethleins Zuspitzung auf Kommunikationsprozesse Jesu nicht in der Gefahr, das Kreuz zu vernachlässigen und damit zu einer verharmlosenden Jesulogie der Menschenfreundlichkeit zu werden? Oder theologisch statt christologisch gewendet: Wo kommt zum Ausdruck, dass der Gott Jesu der Gott Israels ist und dass dieser Gott immer schon seine Zuwendung zu den Menschen bekundet und in Kraft gesetzt hat? Methodisch sollen unterschiedliche Produkte von Jugendlichen analysiert werden. Kinder- bzw. Jugendtheologie ist in Gestalt von »jugendtheologischen Gesprächen« nicht nur prozessorientiert, sondern als »Theologie der Kinder und Jugendlichen«32 auch Produkt- und Outcome-ori-
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entiert. Die Unterscheidung ist zwar nur heuristischer Art, denn die Artefakte der Jugendlichen sind in der Regel Ergebnisse eines vorgängigen und/oder nachfolgenden Kommunikationsprozesses. Ich habe bei meinem Ansatz einer »Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern« allerdings auf den Aspekt der Nachhaltigkeit besonderes Augenmerk gelegt.33 Wenn Kinder- und Jugendtheologie zur kindertheologischen Kompetenz im Sinne des bildungsorientierten Kompetenzbegriffs von Eckhard Klieme34 führen soll, dann kann sie sich nicht mit Momentaufnahmen begnügen. Zwei verschiedene, im handlungsorientierten RU produzierte Produkte der Kommunikation werde ich hinsichtlich der Ausgangsfrage analysieren. 28 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 1), 158, 161, 324. 29 Christian Grethlein (wie Anm. 2), 170. 30 Ebd., 165–169. 31 Ebd., 163 (hierbei wird eine Formulierung von Ingolf Dalferth aufgenommen). 32 Vgl. zu diesen heuristischen Differenzierungen zwischen der Kindertheologie der Kinder, der Kindertheologie mit Kindern und der Kindertheologie für Kinder: Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 123. 33 Vgl. hierzu den Begriff der »Resultatskompetenz« sowie die Diskussion um die »Gütekriterien« der Kindertheologie, in: Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 140, 214–230; zu Nachhaltigkeit kindertheologischer Produkte: Mirjam Zimmermann, Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie. Die Notwendigkeit einer »Theologie für Kinder« im Blick auf Zielgruppe, Basiswissen, Nachhaltigkeit und Inhalt, in: JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 40– 56, bes. 43–47. 34 Vgl. dazu Eckhard Klieme, Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, Bonn 2003, 134f (Kompetenz ist erlernbar und ausbaufähig); vgl. dazu auch Mirjam Zimmermann (wie Anm. 3), 136.
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2.1 Verwirrt: Fäden legen und Kommunizieren zum Theodizee-Problem
für die Menschen stehen, die trotz dem Leid an Gott glauben und immer in ihn vertrauen werden. (Schülerin, 16 Jahre, 10. Klasse)
In einer Klasse 10 werden zur Hinführung an die Theodizee-Einheit Legebilder erstellt, in der die Schüler/innen je einen Faden für Gott, das Leid in der Welt und sich selbst aus eine Fülle bereitgestellter Fäden in unterschiedlichen Farben und Dicken auswählen sollten. Die thematische Aufgabenstellung lautete: »Versuche, durch das Legen eines Fadenbildes das Verhältnis von Gott, Leid und dir abzubilden.« Im Sinne meiner engen Definition von Kindertheologie ist das Legebild allein noch keine »Theologie der Jugendlichen«. Erst die Kommunikation über das Bild, erst die Reflexion mit Sprache führen zur »Jugendtheologie«. Hier sei beispielhaft das Ergebnis einer 16-jährigen Schülerin dokumentiert: In dem Legebild soll der blaue Faden die Menschen darstellen. Sie sind auf der Erde und darum auch die etwas rundere und eher geordnetere Form des blauen Fadens. Richtung Himmel (oben im Bild) verzweigt sich der blaue Faden und hat mal den grünen Faden berührt. Dieser soll nämlich Gott darstellen und darum ist er auch dicker und im oberen Teil des Bildes, der den Himmel darstellen soll. Der rote Faden ist das Leid auf der Welt. Es ist überall und darum auch sehr ungeordnet zwischen den Menschen auf der Erde, also über dem blauen Faden. Außerdem ist das Leid dafür verantwortlich, dass die Beziehung von den Menschen zu Gott auseinandergeht, weil viele Menschen nicht an einen Gott glauben können, der Leid zulässt. Deshalb ist die Verbindung zwischen grünem und blauem Faden durch den roten Faden unterbrochen. Aber eine Verbindung des grünen und des blauen Fadens ist bestehen geblieben trotz des Leids, und dieser soll
Die Schülerin nutzt die Aufgabenstellung, um eine eigenständige Reflexion des Theodizee-Problems zu leisten. Sie spitzt die Fragestellung auf eine anthropologische und eine Glaubensfrage zu: Sie erklärt zum einen, dass Menschsein (blauer Faden) offenbar eng mit Leid (roter Faden) verbunden ist, und zwar auf eine unerwartete und deshalb erschreckende Weise, die die Ordnung des Lebens unterbricht. Zum anderen markiert das Leid eine deutliche Trennungslinie zwischen Gott und Mensch. Die beiden Enden des blauen Fadens stellen deskriptiv zwei Wege der Gottesbeziehung angesichts des Leids dar: (1) Es gibt Menschen, deren Gottesbeziehung wegen des Leids zerstört ist.
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
Im Text: »weil viele Menschen nicht an Gott glauben können, der Leid zulässt«. (2) Es gibt aber auch noch eine zarte Verbindung, diese »soll für die Menschen stehen, die trotz dem Leid (sic!) an Gott glauben und immer in ihn vertrauen werden«. Die Schülerin reflektiert angesichts der Anforderungssituation über die Gottesbeziehung und das Leid und erbringt so eine durchaus eigenständige theologische Leistung, die als Jugendtheologie gewürdigt werden kann. Didaktisch könnte man nun von dieser anschaulichen Szenerie als Voraussetzungskompetenz ausgehen und z.B. ein theologisches Gespräch über die Präsenz Gottes im Leid (z.B.: Warum kommt der grüne Faden nicht zum blau-roten …?) entwickeln. – Aber ist das auch »Kommunikation des Evangeliums«? Dazu zwei vorläufige Bemerkungen. Erstens zum Inhalt der Kommunikation: Die Äußerung der Jugendlichen kann als Teil eines Kommunikationsakts gesehen werden. Aber wie steht es um das »Evangelium«? Nach Grethlein ist Evangelium »als Inhalt von Kommunikation keine feststehende Größe unabhängig von der konkreten Kommunikation. Die genaue Bedeutung von ›Evangelium‹ wird erst im Kommunikationsprozess generiert und ist grundsätzlich ergebnisoffen.«35 Die hierzu vorgetragene Kritik an Grethlein verkennt aber zumeist, dass es ihm keineswegs um Inhaltsleere geht. Der Begriff »Evangelium« soll ja bewusst eine inhaltliche Eingrenzung auf die christliche Botschaft gegenüber dem abgewiesenen weiten Religionsbegriff sein: »Evangelium führt inhaltlich in die Mitte des
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christlichen Glaubensverständnisses.«36 – Kann das hier gezeigte Schülerergebnis in toto oder in Teilen mit der »Mitte des christlichen Glaubensverständnisses« in Beziehung gesetzt werden? Oder wird man es nicht eher als eine Form religiöser Suchbewegung, als Orientierungsversuch zu interpretieren haben, mit dem die Schülerin eine für sie plausible Struktur in das Gewirr von allgemein erfahrbaren Lebens- und Glaubenswidersprüchen bringen möchte? Zweitens eine Bemerkung zum Ziel der Kommunikation: Die Schülerin verändert die Aufgabenstellung vor allem dahingehend, dass sie die persönliche Dimension (Gott, Leid und dir) herausnimmt und stattdessen allgemein auf ›die Menschen‹ bezieht. Ernst Lange hatte die »persönliche Betroffenheit«37 bzw. die »konkrete Lebens- und Glaubenssituation des Einzelnen jetzt und hier«38 zum Kriterium seiner »Kommunikation des Evangeliums« erhoben. Bei Grethlein allerdings bleibt diese Dimension des Ziels, des »Woraufhin« bzw. »Worumwillen« – wie 35 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 2), 159. 36 Vgl. dazu ebd., 9: »Theologisch benennt ›Kommunikation des Evangeliums‹ präziser als ›Religion‹ den Gegenstand praktisch-theologischer Reflexion.« 37 Vgl. Ernst Lange, Der Pfarrer in der Gemeinde heute, in: Ernst Lange, Predigen als Beruf, hg. v. R. Schloz, Berlin/Stuttgart 1976, 117: »[…] dass er – selbst betroffen durch das Zeugnis der Kirche – in jeweils seiner Lebenssituation Schrift interpretieren und ihre Relevanz bezeugen muss durch Wort und Tat.« 38 So die Zusammenfassung bei Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 1), 18.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Wilfried Engemann es formuliert hat39 – der Kommunikation des Evangeliums merkwürdig unterbestimmt. Zumindest hält er aber einen »Biographiebezug«40 für unverzichtbar. Kinder- bzw. Jugendtheologie bleibt an diesem Punkt schon konzeptionell offener. Mir geht es darum, dass Jugendliche Kompetenzen entwickeln, um über Fragen des christlichen Glaubens zu reflektieren; dies muss aber nicht ihr eigener Glaube sein. Die Schülerin entwirft hier einen jugendgemäßen Theoriezusammenhang, der ihr bei der Welt- und Selbstdeutung helfen kann; aber ihr persönlicher Glaube kommt nur sehr subtil zur Sprache. 2.2 Hiob reloaded: Kreatives Erzählen bzw. Schreiben als mimetische Kommunikation
Mein zweites Beispiel bemüht sich, noch näher an konzeptionellen und methodischen Anregungen von Grethlein zu bleiben. »Die Bestimmung von ›Evangelium‹ bedarf der Arbeit an der Bibel«41, lese ich in seiner ›Praktischen Theologie‹. Und die Bibeldidaktikerin in mir42 nimmt nicht ohne Zustimmung wahr, dass Grethlein immer wieder die Anbindung an biblische Sprache und Texte sucht, was ihm das Urteil Wilhelm Gräbs als »biblisch fundiert« und »theologisch normativ«43 eintragen hat. Zugleich benennt Grethlein als »grundlegende« Form »für die Kommunikation des Evangeliums im Modus des Lehrens und Lernens (…) das Erzählen.«44 So komme ich nun tatsächlich zu der großen biblischen Erzählung zum Thema Leid und Gott, der Hiobdichtung. Die
methodischen Anregungen, die Grethlein zum unterrichtlichen Erzählen mit Neidharts und Steinwedes Erzählmodellen bzw. Bibliolog und Bibliodrama gibt45, kann vielleicht intentional aufgenommen und weitergeführt werden, indem die Jugendlichen selbst zu Erzählenden werden, womit die Kommunikationsform des biblischen Erzählens noch intensiver in der Gegenwart der Schülerinnen und Schüler ankommt. Auf diese Weise wird nicht nur der »mimetische Charakter von Erzählungen«46 aufgenommen, sondern so werden letztlich auch Grethleins medientheoretische Überlegungen umgesetzt bzw. sogar radikalisiert, indem Speichermedium (wie z.B. der biblische Text) und Übertragungsmedium (wie die aktuelle Kommunikation) koinzidieren.47 39 Wilfried Engemann (wie Anm. 38), 26–32, fragt hier kritisch zurück, ob die »Frage nach dem Worumwillen« nicht doch inhaltlich präziser bestimmt werden müsse, um dem anthropologischen Anspruch Grethleins, »in die Mitte des christlichen Glaubens zu führen«, auch gerecht werden kann. 40 Christian Grethlein (wie Anm. 2), 212f. 41 Ebd., 10. 42 Vgl. Mirjam und Ruben Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2013. 43 Vgl. Wilhelm Gräb, Kommunikation des Evangeliums. Religionstheologische Ansichten und Anfragen, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.) (wie Anm. 1), 61: »biblisch fundiertes, theologisch normatives Praxiskriterium«. 44 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 2), 528 sowie die Ausführungen dazu ebd., 529–534. 45 Ebd., 532–533. 46 Ebd., 533. 47 Für Grethlein reicht es, wenn der in der Bibel gespeicherte Grundimpuls präsent bleibt; in: Christian Grethlein (wie Anm. 1), 529: »Denn sie (sc. die Bibel, M. Z.) präsentiert die Entstehung und Gestaltung des christlichen Grundimpulses. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, ist dieses Speichermedium so zu interpretieren, dass das Evangelium als Übertragungsmedium präsent bleibt.«
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
So werden auch die Formen biblischen Sprechens ernst genommen und unterrichtlich aufgegriffen. Ich habe dies, wie an anderer Stelle ausgeführt, die »mimetische Bibeldidaktik«48 genannt. In Anlehnung an den aristotelischen Begriff der μίμησις geht es hierbei um eine kreative Fortschreibung eines zu imitierenden Gegenstands in einer aktuellen Situation. Auch die Bibel selbst ist voll solcher kreativer Fortschreibungsprozesse; man denke nur an das Jesajabuch, die synoptischen Evangelien oder die deuteropaulinischen Briefe. Auf die Bibeldidaktik übertragen heißt das: Es geht nicht nur um Vermittlung von Bibelinhalten, stattdessen sollen auch »Bibelformen«, also Sprachformen und Textformen, kommuniziert und in die eigene Sprachwelt der Kinder und Jugendlichen aufgenommen werden. Von diesem Ansatz aus habe ich das Unterrichtsszenario »Hiob reloaded«49 entwickelt: Schülerinnen und Schüler schreiben ihre eigene Hiob-Dichtung. Ausgangspunkt sind »Hiob-Schicksale« aus der aktuellen Presse. Menschen verlieren durch einen Tsunami ihr ganzes Hab und Gut, andere leiden unter Krebs oder Aids, durch Krieg und Vertreibung werden der kleinen Laila beide Eltern entrissen. Im zweiten Schritt wird für die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Liebe angesichts des Leids, also für die Theodizee-Frage, sensibilisiert. Die weitere Erarbeitung der Einheit ist als Wechselgespräch zwischen Bibel und Gegenwart aufgebaut. Die Jugendlichen sollten sich anhand von Foto-Material für eine fiktive Hauptfigur entscheiden, über die sie eine Hiob-Geschichte schreiben wollen.
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In einzelnen Schritten werden nun Teile der biblischen Hiob-Dichtung bearbeitet, (a) inhaltlich und (b) auch formal: z.B. die Differenz zwischen Rahmenhandlung und Dichtung, redaktionelle Eingriffe etc. Im Gleichtakt schreiben die Jugendlichen dann jeweils dazu ihre moderne Hiob-Dichtung fort: Zur Rahmenhandlung wird eine Rahmenhandlung erfunden, zu Hiobs Klage ein Klagepsalm verfasst. Die Dialoge der Hiob-Freunde führen zu Auseinandersetzungen mit Freunden der zeitgenössischen fiktiven Figur. Zur Veranschaulichung soll hier der eindrückliche Text einer Schülerin der 11. Klasse zitiert werden: In dem fernen Staat Haiti lebte eine Frau mit dem Namen Hanna. Sie wohnte in der Hauptstadt Port-au-Prince, und trotz der Armut in dem Land ging es ihr gut. Sogar sehr gut. Hanna war glücklich verheiratet und hatte drei Töchter und vier Söhne, die alle gesund waren. Ihr Mann José war Leiter einer Bank, sodass sie sich nie Sorgen um Geld machen mussten und in einem großen Haus mit mehreren Angestellten leben konnten. Ihre Kinder gingen auf die nahgelegene internationale Schule, und Hanna war so stolz, dass ihr Ältester bald studieren würde. Sie war dankbar um all diese Geschenke des Himmels und vergaß nie, Gott zu danken. Jeden Sonntag besuchte ihre ganze Familie den Gottesdienst, und zusätzlich betete sie 48 Siehe hier den Aufsatz Mirjam und Ruben Zimmermann, Mimetische Bibeldidaktik. Schrifthermeneutik in religionspädagogischer Perspektive, in: Praktische Theologie, 51. Jg. 2014, Heft 3, 165–172. 49 Mirjam Zimmermann, Hiob reloaded – nach Gerechtigkeit fragen. Schülerinnen und Schüler schreiben moderne Hiob-Erzählungen, in: Religion 5–10, 2011, Heft 4, 28–30 sowie die Materialen im Materialheft, 13–15.
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abends immer um das Wohlergehen ihrer Geliebten. (…) Doch dann ereignete sich jenes schlimme Erdbeben, welches das ganze Land zerstörte und die ganze Welt erschütterte. Und auch Hanna wurde nicht verschont. Ihr geliebter Mann wurde unter den Ruinen des Bankhauses begraben. Tagelang suchte sie mit ihren Kindern nach ihm. Bei einer der waghalsigen Suchaktionen kam ihr ältester Sohn ums Leben. Er wurde von einem herabfallenden Eisenträger erschlagen. Nach diesem Ereignis stoppten sie die Suchaktionen. Als sie jedoch verzweifelt nach Hause zurückkehren wollten, fanden sie ihr Haus nicht mehr in gewohntem Zustand vor. Es war Opfer eines der Nachbeben geworden. (…) In den nächsten Monaten wurden ihr ihre Kinder genommen. Eins nach dem anderen. Alle Opfer der schrecklichen Krankheit Cholera, die im Lager ausgebrochen war. Doch Hanna hielt am Glauben fest. Am Sterbebett ihres letzten Kindes sprach sie mit tränenüberströmtem Gesicht die Worte, die irgendwo in der Bibel standen und die sie auswendig kannte: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name der Herrn sei gelobt!« (…)
Man kann ahnen, wie die »Hiob-reloaded Fassung« weitergeht: Es folgen die Klage Hannas, das Ringen der modernen Freunde um Begründungen, warum Hannah leiden muss, und dann die Anfragen Hannas an Gott. Doch dann kommt es tatsächlich auch zur Gottesbegegnung, die in der Erzählung der Schülerin im Zwischenraum zwischen visionärer Ergriffenheit und Krankheitsdelirium verbleibt und doch Motive der Zuversicht, aber auch der Einsicht aufnimmt. Sie denkt, dass Gott ihr im gleißenden Licht selbst erschienen ist. Sie begreift nun, das Große und Ganze nicht verstehen zu können, aber auch nicht verstehen
zu müssen. Sie fühlt auf einmal einen tiefen Frieden: »Ja, nun habe ich dich wirklich mit eigenen Augen gesehen.« Auch der Schluss der Schülerin soll nicht verschwiegen werden: Doch das Licht hörte nicht auf. Es wurde immer heller, bis Hanna glaubte zu erblinden. Sie wollte schreien. Erschrocken riss sie die Augen auf. Der helle Strahl einer Taschenlampe war genau auf ihr linkes Auge gerichtet. »Können Sie mich hören?«, fragte ein Mann in weißem Kittel. (…) Am nächsten Tag fand sie neben dem Bett eine Bibel. Aus Langeweile blätterte sie darin, schlug sie auf, mehr zufällig und in Gedanken versunken. Hiob, ja, von dem hatte sie auch schon gehört, der war ihr ja in den letzten Wochen in manchem ähnlich geworden, auch ihm war alles genommen worden. Aber was stand da? ›Und der Herr wandte das Geschick Hiobs. Und der Herr gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.‹ Wütend warf sie die Bibel in den Abfalleimer neben dem Bett, über die blutigen Binden, die fauligen Essensreste und die Tagebücher der Nachbarin, die vor einer Stunde gestorben war.50
Kein Zweifel, hier kommt »persönliche Betroffenheit« sogar in emotionaler Weise zum Ausdruck. Im Nachgespräch versicherte die Schülerin, dass sich ihre Absage nicht auf den Glauben der Frau beziehe, sondern nur auf das »romantische« Ende der Hiob-Dichtung. Denn das Leid gehe doch weiter. Entscheidend sei aber, dass mitten im Leid Gotteserfahrungen möglich seien. Sei das nicht auch die Botschaft von Kreuz und Auferstehung?
50 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 49), 28–33; die Schülerlösung, aus der hier zitiert wird, ist im Beiheft S. 15 abgedruckt.
Zimmermann Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren
Ein beeindruckendes Zeugnis narrativer Jugendtheologie würde ich diese Erzählung nennen, auch und gerade in der kritischen eigenen Positionierung der Schülerin zu einem komplexen theologischen Thema. Das Nach- und Umerzählen der Hiob-Dichtung führt aber auch »in die Mitte des christlichen Glaubensverständnisses«.51 Hier verbindet sich nicht nur das Evangelium des Alten und Neuen Testaments. Hier geht die Kommunikation in eine »Kommunikation über Gott« über, die – in Worten Grethleins – »die kommunizierenden Personen und ihre Lebensausrichtung unmittelbar betreffen«.52 Man wird also ohne Zögern hier auch einen Akt der »Kommunikation des Evangeliums« sehen dürfen, der mit Grethlein so beschrieben werden kann: »Das vorzügliche Medium dieser Kommunikation ist die Bibel«53 – ja, besonders dann, wenn diese Kommunikation auch medial als mimetisches Kommunizieren mit den Sprachformen der Bibel vollzogen wird. Fazit 2: Verhältnisbestimmungen von Kinder- bzw. Jugendtheologie und Kommunikation des Evangeliums
Zum Schluss ein zweites Fazit, das aus der Reflexion dieser Beispiele heraus das Verhältnis der beiden Konzepte »Jugendtheologie« und »Kommunikation des Evangeliums« präziser bestimmen soll: Beide Konzepte sind verbunden durch a) die Vermeidung des Religionsbegriffs und stattdessen die inhaltliche Ausrichtung auf die spezifisch christliche Tradition,
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b) die Ergebnisoffenheit des unterrichtlichen Geschehens, c) die formale Bestimmung des Geschehens, sei es als ›Kommunikation‹, sei es als ›Theologisieren‹ im Sinne eines reflexiven Sprachgeschehens, d) den Biographie-Bezug, der Daseinsund Wertorientierung in der Gegenwart ermöglicht. Unterschiedliche Akzentsetzungen im Einzelnen wurden allerdings auch erkennbar, die ich hier aus meiner Perspektive kritisch so formulieren möchte: a) So stellt für mich der Evangeliumsbegriff eine Eingrenzung gegenüber dem offeneren Theologie-Begriff dar, und zwar sowohl hinsichtlich seiner dominant neutestamentlichen Verwurzelung, als auch seiner Anfälligkeit für eine Nivellierung des skándalons im Sinne von 1. Kor 1,23. b) Die Kinder- bzw. Jugendtheologie radikalisiert die Schülerorientierung, da sie neben dem theologischen Gespräch auch am kinder- bzw. jugendtheologischen Artefakt (im Sinne der Theologie der Kinder/Jugendlichen) interessiert ist. c) Im Sinne einer mimetischen Bibeldidaktik wird der medientheoretische Zugang von Christian Grethlein radikalisiert, indem die Medialität des biblischen Zeugnisses ernster genommen wird und eine stärkere Koinzidenz von Speicher- und Übertragungsmedium entsteht. d) Geht es in meinem Konzept der Kindertheologie um die nachhaltige För51 Christian Grethlein (wie Anm. 2), 9. 52 Ebd., 529. 53 Ebd. (kursiv M. Z.).
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derung theologischer Kompetenzen von Kindern, so hat Grethlein dagegen letztlich die Kommunikation über und sogar mit Gott zum Ziel. Wer aber denkt, dass diese Abgrenzungen und Rückfragen die Bedeutung des Leitbegriffs ernsthaft einschränken könnte, der sei getrost auf die Rahmenhandlung verwiesen:
Epilog
Und der Herr segnete die »Kommunikation des Evangeliums« fortan mehr als einst, so dass sie mehr Beachtung, Reichtum und Ansehen bekam als alle anderen Leitbegriffe. Und sie bekam Söhne und Töchter und lebte danach 140 Jahre und sah Kinder und Kindeskinder, bis sie starb – alt und lebenssatt.
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
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Nadja Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
1. Einleitung
»Das ist weißt du wie geil« war das Zitat eines Konfirmanden aus meiner Studie zur Bibelrezeption von Jugendlichen. Drei Interviews aus dieser Untersuchung sind Grundlage des vorliegenden Artikels. Insgesamt liegen bisher neun Gruppendiskussionen von KonfirmandInnen aus verschiedenen Konfirmationsgruppen vor. Für die Diskussionen bekamen die Jugendlichen die Ostermorgengeschichte aus dem Johannesevangelium (Joh 20,1–18) vorgelesen und ausgehändigt. Interviewtechnik und Analyse folgen der dokumentarischen Methode. Die Frage nach der Kommunikation des Evangeliums ist keine meiner ursprünglichen Leitfragen gewesen. Ich habe sie neu, also exmanent, an die Texte herangetragen. Dementsprechend habe ich die Kategorie der Kommunikation des Evangeliums nach der qualitativen Inhaltsanalyse theoriegeleitet an den drei ausgewählten Interviews geprüft. Der folgende Artikel zeigt, was ich auf diese Weise an Auffälligem und Besonderem gefunden habe. Ausgangsfrage war dabei ebenfalls, wie eine Theorie der Kommunikation des Evangeliums überhaupt auf die Interviewtexte angewendet werden kann. Denn sie ist nicht per se eine Analysekategorie.1 Christian Grethlein beschreibt in seiner Praktischen Theologie die Kommunikation des Evangeliums als
ein »lebensverändernde Perspektiven«2 eröffnendes Geschehen. Das erscheint eine hilfreiche Operationalisierung der Theorie der Kommunikation des Evangeliums zu einer Analyse- bzw. Beobachtungskategorie zu sein, mit der ich die Gruppendiskussionen neu lesen konnte. Es geht um das Geschehen, den Vollzug, das Kommunizieren des Evangeliums. So konnte ich neue Fragen an das Gruppengeschehen stellen: Wodurch wird diese gelingende Kommunikation ermöglicht/ begünstigt? Was verhindert sie? Was zeigen sich an Besonderheiten bei Jugendlichem kommunizieren über das Evangelium? Trotzdem darf die Gefahr nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beobachtungskategorie zu einer »Bewertungskategorie« wird, wenn sie nicht auf die Diskussionen der Jugendlichen angewandt wird. Dazu am Ende des Artikels mehr. Zum Setting der Gruppendiskussionen ist anzumerken, dass sie nicht im Konfirmationsunterricht stattfanden, aber in dessen zeitlichen und örtlichen Rahmen. Allerdings war die Lehrperson nicht präsent und die Jugendlichen diskutierten allein miteinander. Nur die Interviewerin war anwesend. Sie hat den Bibeltext eingebracht. Das Speicherme-
1 Vgl. Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 22016, 11. 2 Ebd., 336.
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dium Bibel3 wirkt für die Diskussionen also themengenerierend. Zudem wurden wenige erzählgenerierende Fragen gestellt, bzw. einige Verständnisfragen. Vielleicht wäre es gerade eine wichtige Erkenntnis, dass Jugendliche eben ohne Lehrperson auch zum Kommunizieren des Evangeliums in der Lage sind, eben zu einer jugendtheologischen Spielart der Kommunikation des Evangeliums? Der Durchgang durch die Interviewtexte versucht zu zeigen, wofür die Kategorie der Kommunikation des Evangeliums als ein Geschehen in diesem Setting hilfreich sein kann. 2. Jugendliche Kommunikation des Evangeliums ist emotional
Jugendliche reagieren auf die Emotionen von Trauer und Verlust. Wenn die Jugendlichen sich auf den Bibeltext einlassen, sind sie nicht (nur) an der intellektuellen Diskussion interessiert, sondern reagieren auf emotionaler Ebene, durch verschiedene Sprechcodes und Körpersprachen4. Insbesondere die Beziehung zwischen Jesus und Maria regt die Jugendlichen an und führt sie zu Interpretationen der Erzählung. (Gruppe G2) Melanie: Ich finde das schön. Andrea: Mhm. I: Was findest du schön? Melanie: Dass sie das sagt. Dass sie kommt und sie sieht Jesus dastehen, weiss aber nicht, dass es Jesus ist. Das finde ich schön. Andrea: Ich finde es auch irgendwie schön, dass sie so traurig ist und ihn sofort wieder suchen will und ihn holen will. […] Melanie: Was findest du schön? Sophie: Das Ganze eigentlich. Einfach der Sinn.
Melanie: Was ist für dich der Sinn? Sophie: Dass er da ist, aber sie merkt es zuerst nicht. Aber irgendwie… Eigentlich kümmern sich alle um ihn.
Die Mädchen aus G2 reagieren auf die Fürsorge und Liebe, die Maria für Jesus zeigt und sind berührt von der Spannung zwischen dem Verlust und ihrem Versuch ihn sofort wieder zu suchen. Sie finden es schön! Die Verbalisierung dieser Eindrücke führt Sophie dann zu einem Interpretationsversuch: Die Erzählung der Auferstehung bedeutet, dass Jesus eben da ist, auch wenn Maria es nicht sofort merkt. In der Jungengruppe W1 versucht Stefan die Deutung der Auferstehung, nachdem in der Gruppe das Thema Trauer erwähnt worden war. Die Jungen nehmen die Trauer Marias sehr ernst: (Gruppe W1) Stefan: Die Frau [Maria], die ihn gesehen hat. Vielleicht hat sie so sehr gewollt, dass es nicht wahr ist, dass sie ihn nicht mehr gesehen hat, hat sie ihn sich vielleicht eingebildet. Dann hat er nur das gesagt, was sie hören wollte und was sie den Jüngern erzählen wollte.
Stefans Interpretation ist eine andere, als die der Mädchen. Er führt die Auferstehungserzählung auf die Einbildung zurück, die Maria durch die Trauer gekommen sein könnte, nämlich dass Jesus wieder da ist. Während die Mädchen die 3 Zu diesem medienwissenschaftlichen Begriff, vgl. z.B. Knut Hickethier, Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart 22010, 20f. 4 Vgl. zu den Codes Karl-Heinrich Bieritz, Liturgik, Berlin 2004, 41–47.
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
Auferstehung emotional als ein Wiederfinden deuten, interpretiert Stefan das Geschehen als eine Art psychologische Trauerbewältigung. In beiden Gesprächen findet – gefördert durch die Emotionen – ein Kommunizieren des Evangeliums statt, denn die Themen Trauer, Verlust und Wiederfinden sind sichtbar Themen, an welche die Jugendlichen andocken können und verändert ihre Perspektiven auf den Text. Ebenso lassen sich insbesondere die Jungen in W1 von Wundern faszinieren. Faszination ist ebenso eine gewaltige emotionale Bewegung. Zuerst sieht es nicht nach einer ernsthaften Diskussion aus: Raphael: Moses hat das gemacht. (.) Der hatte so einen geilen Stock. Stefan: Ich möchte auch so einen. Tom: Weisst du, wie geil. So eine Schlange. Yannick: Schlange? Tom: Ja. Er konnte ihn auf den Boden werfen, dann wurde es zu einer Schlange. Yannick: Was hat er auf den Boden geworfen? Tom: Den Stock. Stefan: Stell dir vor, du fliegst auf den Boden und wirst eine Schlange. Tobias: Das wäre schon edel.
Und kurz darauf: Stefan: Ich meine zum Beispiel auch, er war ja irgendeinmal irgendwo in einem Haus, dann haben sie einen Gelähmten auf einer Bahre gebracht. Dann hat er ihn berührt, dann ist er plötzlich wieder aufgestanden. Tom: Das ist weisst du wie geil.
Die beiden Zitate zeigen, dass die Jungen die Wundererzählungen als Faszinosum an sich heranlassen können. Auch wenn sie kurz darauf doch betonen, dass das
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eigentlich nicht »logisch« ist. Das Primat der Logik, ist in den meisten Interviews mit den Jugendlichen die Kategorie, mit der die Jugendlichen die Erzählung der Auferstehung einordnen und beurteilen. Sie ist nicht logisch. Obwohl die Wunder doch wieder als »unlogisch« zurückgewiesen werden, hat die emotionale Faszination eine sehr wichtige Bedeutung in der Diskussion. Denn sie öffnet die Tür für neue Erkenntnisse. So sagt Stefan im weiteren Verlauf des Interviews kurz nach dem Abschnitt von dem Gelähmten auf der Bahre: Stefan: Aber ich muss auch sagen, ich meine, wieder die Sachen, die ich gesagt habe, heute passiert nichts mehr. Es gibt immer noch … so Sachen wie jemand stirbt und wacht nach sieben Minuten plötzlich wieder auf. Oder … ein Kind fällt von einem Haus und bricht sich nichts oder so. So etwas. Ein Kind hat ja sogar einen Flugzeugabsturz überlebt mit irgendwie ein paar Prellungen oder so, als einziger Überlebender. … Eben … Das könnte ja auch irgendwie … Ich sage nicht … Von mir aus ist es immer noch einfach … Man weiss es ja nicht, wieso oder wie das ging, das alles. … Also eben, eigentlich sti … Es ist schon nicht so, dass es heute wieder einen zweiten Jesus gibt, aber vielleicht sind ja Sachen … so wie das Kind oder so auch von Gott. […] Jetzt ist mir gerade irgendwie klargeworden, dass eigentlich auch heutzutage immer noch solche Sachen passieren, wo man nicht weiss, wie es überhaupt möglich ist oder so.
Stefan kann ganz konkret formulieren, dass er einen Erkenntnisgewinn durch die Diskussion hatte. Und diese Diskussion beinhaltete vor allem auch die Faszination über Wunder. Gerade Stefan scheint hier durch die Faszination gegen
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seine eigene Logik einen Perspektivenwechsel vollziehen zu können. Ist gerade das eine wichtige Form jugendlicher Kommunikation des Evangeliums? Die Jugendlichen hoffen gegen ihre eigene Logik auf ein Leben nach dem Tod, bzw. deuten Geschehen auf Gott hin, auch wenn ihre Logik ihnen etwas ganz anderes sagt? Die Beispiele zeigen, dass Emotionen ein wichtiger Motor für das gelingende Kommunizieren des Evangeliums sind. Durch den emotionalen Zugang kann Stefan eine neue Perspektive einnehmen und die Geschichte ganz neu mit seinen eigenen Erfahrungen verknüpfen. Ebenso können die Mädchen durch die Offenheit mit der sie die Schönheit des Textes, die Trauer und die Suche von Maria wahrnehmen zu einer Deutung finden, die für sie bedeutsam ist. Können Jugendliche dagegen keinen emotionalen Zugang zur Bibelgeschichte finden, bleibt auch der Zugang zum Text schwierig. (Gruppe H2) Alina: Es ist eine Geschichte. (.) Sicher ist es eine Geschichte. Lea: Ja, ja. Alessia: [zuckt die Schultern] Miriam: [nach einer Schweigepause] Jaa. @ Es handelt sich irgendwie um den, der (.) Jesus. Und so. Alina: Eben, es ist eine Geschichte. Johanna: Ja, wir sind nicht bei … Ich meine nicht die Geschichte. Ich meine um das, was es geht. Was haltet ihr davon? [Gekicher] Alina: Ein bisschen komisch. Miriam: Was willst du davon halten? Er ist gestorben. Alina: Verreckt.
In der Mädchengruppe H2 zeigen insbesondere Alina und Miriam klares Desinteresse an der Erzählung. Ihre Wortwahl drückt eine deutliche Distanzierung aus. Während die Jungengruppe W1 aus dem Herumblödeln über den Text durch die Faszination zu einer Interpretation finden, bleiben die Mädchen aus H2 auf Distanz zum Text. Sie lassen sich auf die emotionalen Themen wie Tod oder Trauer nicht ein. Obwohl auch hier ein Mädchen, Johanna, deutlich Interesse zeigt, sich näher mit dem Text zu befassen, aber sie wird von den anderen deshalb herablassend behandelt. Es mag verschiedene Gründe geben, warum die Mädchen bei ihrem Desinteresse verharren: Einerseits geht ihnen das Thema vielleicht zu nah. Sie wollen nicht über Tod oder Trauer sprechen. Andererseits und das ist hier vermutlich vorrangig der Fall, besteht in der Gruppe keine Vertrauensbasis für das Einlassen auf die Emotionalität des Textes. Das liegt nicht nur an der Kamera der Interviewerin, sondern scheint eine eingespielte Gruppendynamik zu sein. Johanna, die Interesse hätte, wird von Alina und Miriam nicht ernst genommen, Alessia, die Bibelwissen hätte, traut sich nicht, in das Gespräch einzugreifen. Hierarchische Codes in Gruppenkonstellationen müssen für solche Gruppenspräche ebenso in Betracht gezogen werden, denn sie beeinflussen die Ergebnisse enorm. Zu schlussfolgern ist daraus, dass die Arbeit mit KonfirmandInnen an Bibeltexten einen (sicheren) Raum für Emotionalität und Faszination bieten muss, damit den Jugendlichen die Kommunikation des Evangeliums möglich wird.
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
3. Kommunikation des Evangelium braucht Differenzkompetenz
»Es hängt davon ab, wie man glaubt.« Diese und ähnliche Äußerungen finden sich häufig in den Interviews. Die Jugendlichen halten oft zuerst fest, dass es unterschiedliche Glaubensoptionen gibt, bevor sie selbst zu ihrem Glauben Stellung nehmen. In der Gruppe G2 führt Andrea aus: Andrea: »Es ist das Gleiche, wie wenn etwas passiert, was man sich nicht erklären kann. Für die einen heisst es dann, es seien übernatürliche Mächte im Spiel gewesen. Die anderen sagen, es ist ein purer Zufall gewesen. Je nachdem, wie stark man daran glaubt.«
Andrea macht deutlich, es gibt verschiedene Modi der Weltdeutung. Im weiteren Verlauf bringen mehrere Mädchen diese Aussage mit Beispielen in Verbindung, die sie aus ihrem Leben kennen und die für sie ebenfalls Glaubensfragen sind: mit einer Heilerin oder homöopathischen Medikamenten. Allerdings fällt es den Mädchen schwer, persönlich Stellung zu nehmen. Sie erzählen zuerst immer in Stil einer globalen Erzählung5: »man glaubt«. Erst nach wiederholtem feststellen, dass es Ansichtssache sei, wagen sich die Jugendlichen, ihre persönlichen Einstellungen preiszugeben: (Gruppe G2) Fabienne: [Ich glaube] An das was ich sehe. Andrea: Was ich mich immer frage, irgendwie glaube ich schon, dass da etwas ist. Dominik: Eine höhere Macht einfach.Andrea: Ja irgendwie so (.) Dominik: Aber nicht Gott Person. Andrea: Oder nur die Toten, die über uns wachen. Irgendwie so etwas glaube ich.
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Nach diesen ersten Glaubensäußerungen kommt es im weiteren Verlauf des Gesprächs immer wieder zu persönlichen Stellungnahmen bezüglich ihres Glaubens. Die Gruppe tauscht sich darüber aus, an was sie glaubt und auch warum, sie daran glauben. Wenn Theologie im Anschluss an Joachim Matthes als Reflexion über den eigenen Glauben verstanden wird6, können wir sagen, es findet ein theologisches Gespräch statt: Sophie: Ich glaube eigentlich auch an Gott. Was hat man zu verlieren? Man hat eigentlich nichts zu verlieren. Melanie: Es ist ja keine Strafe. Es ist eher etwas Schönes. Für mich. Fabienne: Ich sehe es einfach so: Entweder man braucht es oder man braucht es nicht. Melanie: Was? Fabienne: Den Glauben. Melanie: Aha. Sophie: Jeder braucht doch irgendwie … Melanie: Irgendetwas. Andrea: An irgendetwas musst du glauben. Katja: An irgendetwas glaubt man, ob es nun an Gott ist oder an irgendetwas anderes. Aber an irgendetwas glaubt man schon. Melanie: Vielleicht auch unbewusst, aber.
Die Mädchen finden einen Weg, sich über ihre verschiedenen Positionen auszutauschen. Die vorhergehende Betonung, dass Glauben Ansichtssache 5 Vgl. Ralf Bohnsack, Iris Nentwig-Gesemann, Arnd-Michael Nohl (Hg.), Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Wiesbaden 32013, 339. 6 Vgl. Joachim Matthes, Auf der Suche nach dem »Religiösen«. Ein empirischer Zugang zu ihrer religionssoziologisch-theoretischen Definitionsproblematik, in: International Journal for Practical Theology 2/98, 52–64.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
ist, versichert die Gruppe dabei, dass niemandes Einstellung verurteilt wird. Vorherrschende Meinung ist, dass man an etwas glauben müsse, aber es immer verschiedene Meinungen gibt. Interessant zu beobachten ist, dass die Diversität der Glaubensinhalte akzeptiert ist. Die Position von Fabienne allerdings, dass es auch möglich ist, dass man Glauben nicht braucht, also an nichts glaubt, erregt Widerstand. An irgendetwas musst du glauben, sagt Andrea. Während die Glaubensinhalte ohne den Anspruch, die anderen zu überzeugen, ausgetauscht werden, also die Kommunikation des Evangeliums als ergebnisoffene Meinungsbildung stattfindet7, versucht die Gruppe Fabienne von der Notwendigkeit des Glaubens zu überzeugen und mit ihr auszuhandeln, dass »irgendein« Glauben wichtig ist. Hier wird m.E. besonders gut sichtbar ist, dass sich Jugendliche theologisch äussern können. Unter Bezug auf die Unterteilung von Thomas Schlag und Friedrich Schweizer in Theologie von Jugendlichen, Theologie für Jugendliche und Theologie mit Jugendlichen8, ist hier von einer Theologie von Jugendlichen zu sprechen. Das nicht nur im weiten, sondern auch im enggefassten Sinn: Die Jugendlichen reflektieren über ihren Glauben, an andere Stelle argumentieren sie soweit ihr Wissen und Sprache reicht, über klassisch theologische Themen wie Reich Gottes, die Theodizeefrage, Wunder, greifen christliche Semantiken auf, bedienen sich aus dem Text. Dass nicht die wissenschaftliche Theologie gemeint sein kann, wenn ich von jugendlicher Theologie spreche, liegt auf der Hand. Schon in der Kindertheologie wurde die Erweiterung des Theologiebegriffes,
u.a. von Anton A. Bucher9, diskutiert und durchdacht. In der Kindertheologie wird Theologie als Reflexion religiöser Vorstellungen durch Kinder verstanden.10 Bei dieser Definition setzt auch die Jugendtheologie mithilfe des diskursiven Religions- und Theologiebegriffes von Joachim Matthes11 an: Jugendliche reflektieren über ihren Glauben und ihre religiösen Vorstellungen.12 Diese Reflexion darüber, was die Jugendlichen selbst eigentlich glauben, bedarf eben, wie die Interviews zeigen, der vorherigen Versicherung innerhalb der Gruppe, dass Diversität in der Gruppe akzeptiert ist. Das Kommunizieren des Evangeliums bedarf also der Differenzkompetenz der Jugendlichen. Für den Umgang mit Diversität im Konfirmationsunterricht heisst das: Glaubensdiversität beginnt nicht erst bei anderen Religionen. Schon in den Konfirmationsklassen gibt es divergierende Glaubenseinstellungen. Damit alle Jugendlichen mit ihren Meinungen Raum finden, muss ein Bewusstsein für Glaubensunterschiede geschaffen werden. Es ist notwendig, dass die Gruppe zu einer Haltung findet, die diese Diver-
7 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 1), 159. 8 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vlyn 2011, 60f. 9 Vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie. Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?, in: JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9. 10 Vgl. Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer, Was ist kritische Kindertheologie? Vergleichende Perspektiven aus Norwegen und Deutschland, in: JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 25. 11 Vgl. Joachim Matthes (wie Anm. 6), 52–64. 12 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 8), 44.
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
sität positiv aufnimmt. Ansonsten wagen die Jugendlichen keine dezidierten Stellungnahmen. Die braucht es aber für die Kommunikation des Evangeliums. Kommunikation des Evangeliums ist kein Geschehen, das sich in einer globalen Erzählung (»man glaubt«) vollziehen kann. Wichtig ist ein Gruppenkonsens darüber, dass Diversität akzeptiert ist. Das hilft den Jugendlichen, Stellung zu beziehen. Ist in einer Gruppe dieser Konsens hergestellt, äussern sich viele über ihre individuellen Ansichten. Geschieht das nicht und in einer Gruppe werden bestimmte Glaubensüberzeugungen abgelehnt oder zumindest mit Vorurteilen bedacht, dann ist im Verlauf des Interviews klar zu sehen, dass persönliche Stellungnahmen unterlassen werden. Mindestens ebenso wichtig ist es, mit den Jugendlichen zu üben, ihre eigenen Einstellungen überhaupt formulieren zu können. Denn eine persönliche Stellungnahme fällt schwer, nicht nur, aus Angst vor Vorurteilen in der Gruppe. Auch in Worte zu fassen, was sie eigentlich glauben, ist für die Jugendlichen nicht einfach. Sie sprechen überwiegend in restringierten Codes, wenn sie sich über ihren Glauben äußern. In der Bibelarbeit mit Jugendlichen muss also einerseits Vertrauen hergestellt werden, dass die Meinungen akzeptiert sind, die geäussert werden, ebenso wie die Sicherheit gegeben werden muss, dass auch zaghafte Versuche zu verbalisieren, was sie glauben, in Ordnung sind. Sicherlich ist das eine Aufgabe des Konfirmationsunterrichtes, Jugendlichen zu helfen eine Sprache für ihren Glauben zu finden, wie es auch Martina Kumlehn gerade wieder gefordert hat, die von der »Suchsprache«13 spricht.
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4. Von der Kommunikation über das Evangelium zur Kommunikation des Evangeliums: Jugendliche Kommunikation des Evangeliums als Prozessgeschehen des Perspektivenwechsels
In der Gruppendiskussion W1 ist dieses Prozessgeschehen m.E. beeindruckend zu beobachten. Die Diskussion über den Bibeltext vertieft sich erst nach und nach. Zuerst legen die Jungen nach einigen wichtigen Aussagen mehrere »Blödelrunden« ein. Ein Beispiel dafür ist der folgende Ausschnitt. Die Jungen kamen auf die Frage, warum heutzutage keine Wunder mehr geschehen. Nach dieser Frage, die Stefan sehr ernsthaft gestellt hat, schliesst sich eine Runde mit viel Lachen und austoben in ihrer Jugendsprache an: Tobias: Das geht doch eh nicht. Wie kann sich das Meer trennen Tom: Mit Kraft. Raphael: Moses hat das gemacht. (.) Der hatte so einen geilen Stock. Stefan: Ich möchte auch so einen. Tom: Weisst du, wie geil. So eine Schlange. Yannick: Schlange? Tom: Ja. Er konnte ihn auf den Boden werfen, dann wurde es zu einer Schlange. Yannick: Was hat er auf den Boden geworfen? Tom: Den Stock. Stefan: Stell dir vor, du fliegst auf den Boden und wirst eine Schlange.
13 Martina Kumlehn, Hermeneutik christlicher Kommunikationsformen. Theologische Bildung zur Sprachfähigkeit, in: Thomas Schlag / Jasmine Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik, Stuttgart 2017, 69–84.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Tobias: Das wäre schon edel. Yannick: Es gibt doch auch so eine Geschichte, wo der Esel Gold scheisst, da… [lachen] Tobias: Kobra. Stefan: Du bist einfach [unv. alle durcheinander, lachen] Raphael: Das ist sicher wieder so ein Harrypotterscheiss. alle: [durcheinander, unv., lachen] Yannick: Das ist nicht aus der Bibel? Tom: Nein. Yannick: Dann ist es einfach ein Märchen. Tom: Ja. (.) Es gibt aber einen Esel in der Bibel, der reden kann. Yannick: Schon? Stefan: Eben, wieso passiert das heutzutage nicht mehr? Das frage ich mich. Tom: Weil wir zu gescheit sind. Tobias: Weil die Leute dort doch Paranoia hatten. Tom: Nein, weil wir in so verschiedene Richtungen gegangen sind, weil jetzt viele so Götzen anbeten und das gefällt Gott nicht.
Die Diskussion der Jungen findet immer wieder zurück zu biblischen Geschichten. Sie reden über diese Geschichten zum Teil mit Halbwissen, zum Teil sehr scherzhaft, ordnen zu, was biblische Inhalte sind und was nicht. Wieder ist auch die bereits erwähnte Faszination für Wunder zu erkennen. Die Jungen differenzieren zwischen Märchen, »Harry Potter« und Bibel und finden am Ende zu theologischen Überlegungen, warum es heute keine Wunder mehr gibt. Dieser Ablauf wiederholt sich besonders in der Gruppe W1 mehrere Male: Die Jungen reden und teilweise witzeln sie auch über biblische Geschichte. Nachdem sie Raum dafür hatten, vertieft sich ihr Gespräch und führt zu wichtigen Aussagen. Hier möchte ich von einem Prozess der Kommunikation über das
Evangelium hin zu einer Kommunikation des Evangeliums sprechen. Während die Kommunikation über das Evangelium teilweise durch Witzeleien geprägt ist und dem Ordnen von Inhalten, ist die Kommunikation des Evangeliums Deutung und wird zu einem Geschehen, dass tatsächlich lebensverändernde Perspektiven eröffnet. Die Perspektiven der Jungen verändern sich durch ihr Gespräch über das Evangelium, das zu einer Kommunikation des Evangeliums wird. Am beeindruckendsten ist das bei Stefan in dem bereits erwähnten Zitat zu beobachten (siehe Zitat S. 183) Auch diesem Zitat war eine »Blödelrunde« über sprechende Esel vorausgegangen. Die Jungen nehmen durch das Witzeln mit adoleszentem Gebahren Distanz gegenüber dem Text ein, sie blödeln über den Text. Während des Interviews haben sie es sichtlich genossen, zwischendurch Herumblödeln zu dürfen. Die Distanznahme gehört zu ihrer Diskussionskultur, ihrem Sprach- und Sprechcode. Aber sie schaffen es von allein zu ihrer Ausgangsfrage zurückzukommen. Das Blödeln ist hier kein Desinteresse sondern ihre Art der Annäherung an die Fragestellung und es ermöglicht Stefan einen beeindruckenden Perspektivenwechsel. Da kann wirklich von einem lebensverändernden Geschehen gesprochen werden, wenn Stefan plötzlich Geschehnisse auf Gott hin deutet. Diese »Blödelabschnitte« haben auch etwas sehr liebenswürdiges, denn die erwähnte Faszination und Begeisterungsfähigkeit für Wunder kommt darin besonders zum Ausdruck. Es erinnert an Jugendliche, die über die Fähigkeiten ihrer Avatare in Online-Games sprechen: jemanden heilen können, Esel, die
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
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sprechen können, ein Zauberstock. Das existiert sonst nur in Computerspielen wie World of Warcraft u.ä.. Selbst haben die Jungen diese Verknüpfung zur Computerwelt nicht explizit hergestellt. Aber es brauchte diese Art der witzigen Kommunikation über das Evangelium, damit die Kommunikation des Evangeliums möglich wurde. Das Witzeln über die Bibel kann als Teil adoleszenter Kommunikation des Evangeliums, sozusagen Kommunizieren des Evangeliums im jugendlichen Sprech- und Sprach-Code verstanden werden. Die Unterscheidung zwischen der Kommunikation über das Evangelium und der Kommunikation des Evangeliums ist auch deshalb wichtig, denn sie ermöglicht unterschiedliche Herangehensweisen an den Bibeltext in den Interviewgruppen festzuhalten. In der Gruppe H2 wird aus der Kommunikation über das Evangelium, auch hier mit der Funktion einer Distanznahme, keine Kommunikation des Evangeliums, sondern die Distanznahme bleibt bestehen. Für diese Jugendlichen war es das wichtigste Mittel, um ihr Desinteresse auszudrücken.
Miriam: Jaa. Alina: Dann ging sie zu den Jüngern. Miriam: Dann sah sie zwei Engel. Die fragten, wieso sie weint. Sie sagte, dass sie ihren Mann nicht mehr findet und so. Dies und das, dann drehte sie sich um und sah irgend so einen Geist. Alina: Sie dachte, es ist der Gärtner. Miriam: Anscheinend Jesus. Sie hat gemeint, es ist der Gärtner. (lacht) Dann sagte er ihr, sie solle ihrem Bruder sagen, ihren Brüdern sagen … Alina: Jünger. Dass er hochgeht. Johanna: Dass er zu Gott geht. Miriam: Genau. Ja. Er geht einen Kaffee trinken. (.) Miriam: War das jetzt so schwer zu kapieren? Johanna: Nein. Ich wusste es schon vorher.
Miriam: Sie ist zu diesem Dingsbums gegangen, zum Grab. Dann hat sie gesehen, dass er weggenommen worden war. Dann schaute sie hinein, dann war er weg. Er war nicht mehr drin. Alina: Zwei Engel hat sie gesehen. Zwei Engel. Johanna: Also als sie hinging, ist er auferstanden? Miriam: Das weiss ich auch nicht. Alina: Wahrscheinlich schon. Miriam: Nehmen wir es einmal an. Dann fing sie an zu heulen. Alina: (lacht)
5. Kommunikation des Evangeliums als Analysekategorie für die Theologie von Jugendlichen
Hier kommunizieren die Mädchen ziemlich »lässig« über das Evangelium. Versuche von Johanna, den Text genauer anzuschauen und zu interpretieren, werden von Alina und Miriam abgeschmettert. Johanna wird am Ende für ihre Fragen als dumm hingestellt. Dieses Verhalten blockiert jegliche Kommunikation des Evangeliums. Sie sprechen zwar über das Evangelium, aber nicht mehr.
Sicherlich würden auch die Jugendlichen, selbst im kirchlichen Setting, von ihrem Selbstverständnis her den Begriff der Kommunikation des Evangeliums nicht für ihre Annäherungsprozesse an den Text und für die Perspektivenwechsel, die durch die Kommunikation des Evangeliums ausgelöst werden, gebrauchen. Auch wenn es nicht Sinn und Zweck sein
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
soll, dass die Jugendlichen sich selbst als KommunikatorInnen des Evangeliums verstehen, bleibt für mich aber die Frage, was heisst es, eine Beobachtungskategorie für [jugendliche] Bibelrezeption anzuwenden, die von den Jugendlichen nicht übernommen werden kann. Was trägt es ein zu sagen, ob eine Kommunikation über das Evangelium stattfindet oder ob das Evangelium kommuniziert wird. Diese Reflektion ist auch deshalb wichtig, damit die Beobachtungskategorie nicht zu einer Bewertungskategorie wird. Die Rede von der jugendlichen Kommunikation des Evangeliums bleibt m.E. eine Metakategorie, die ich als Deuterin an die jugendlichen Diskussionen herantrage. Die Jugendlichen fänden wohl selbst die Feststellung, dass ihr Gespräch ein lebensveränderndes Geschehen gewesen sei, sehr hochgegriffen. Müssen wir dann nicht Übersetzungsarbeit leisten auch für unsere »Untersuchungsobjekte«? Was beobachten wir da eigentlich? Die Jugendlichen selbst helfen uns sogar dabei: auf Rückfragen in einigen der Gruppen, hatten die Jugendlichen folgendes Geschehen in den Diskussionen erlebt: Sie sagten z.B., sie nähmen aus der Diskussion mit, dass sie gar nicht so unterschiedlicher Meinung sind. Ein Prozess der Selbstversicherung hatte durch die Kommunikation des Evangeliums stattgefunden. Die weitergehende Frage wäre nun, was hat diese Selbstversicherung ermöglicht, denn einer Meinung waren die Jugendlichen in der Gruppe nicht. Eine andere Antwort war, dass es toll sei, dass die Texte so viel Diskussion auslösen. Die Kommunikation des Evangeliums war anregend, ich könnte sagen belebend für die Jugendlichen. Hier zeigt sich m.E. dass die Jugendlichen sehr
wohl etwas von dem lebensverändernde Perspektiven eröffnenden Geschehen wahrgenommen haben. Nennen würden sie es natürlich nicht so. Müssen sie auch nicht. Die Interpretation dieser drei Interviews aus der Perspektive der Kategorie Kommunikation des Evangeliums zeigt, dass Jugendliche zum Kommunizieren des Evangeliums fähig sind. Sie deuten ihre Lebenserfahrungen im Licht des Bibeltextes von der Auferstehung, auch ohne Lehrperson, die die Diskussion lenkt oder in sie eingreift. Nur das zeitliche und räumliche Setting des Konfirmationsunterrichtes war ausreichend und die Themengenerierung durch den Text. Allerdings wäre es einer Lehrperson möglich, nach einer solchen Diskussion das Geschehen wieder aufzunehmen, mit den Jugendlichen noch einmal zu reflektieren, welche Deutungen sie hatten, welche Frage und auch das Geschehen der Kommunikation des Evangeliums selbst mit den Jugendlichen zu reflektieren. Dadurch könnten die Jugendlichen befähigt werden, ihre Positionen klarer zu formulieren, Wissen zu vertiefen oder auch Kontroversen zu strukturieren.14 Genauso aber, dass zeigen die Interviews ebenso, verweigern die Jugendlichen sich auch dieser Kommunikation, dort, wo sie gar keine Verbindung zwischen dem Bibeltext und ihrer Lebenserfahrung machen können. Wenn ihnen der Text fremd bleibt, kommt es zwar zu einem Gespräch über das Evangelium, oft in distanzierender Weise, aber es kommt nicht 14 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, München 2012, 13, 17.
Troi-Boeck »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums
zu einer Kommunikation des Evangeliums. Ebenso kann auch die Gruppenkonstellation das Gespräch verhindern. Aufgabe im Konfirmationsunterricht ist es, dass die Lehrperson die Jugendlichen befähigt, eine Verknüpfung zwischen ihren Lebenserfahrungen und dem Bibeltext herstellen zu können – vielleicht eben gerade auch auf witzige Art – sich der Fremdheit des Textes zu nähern,
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die emotionale Ebene des Textes in den Mittelpunkt zu stellen und ganz wichtig, die Gruppenkonstellation zu verändern, damit eine Vertrauensbasis da ist. Denn egal, welche Vorerfahrungen, religiöse Sozialisation oder Sprachfähigkeit die Jugendlichen haben, wenn die Gruppendynamik die Kommunikation verhindert, kommt es sicher nicht zum Kommunizieren des Evangeliums.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Norbert Brieden »Ich lasse mich firmen, weil ich mich an dem Gedanken erfreue, selbstständig zu sagen, ja ich möchte der Gemeinschaft angehören« – Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese Die Aufgabenstellung lautete, zwei Beispiele aus der katholischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen darzustellen: Auf ein Beispiel sollte die Analysekategorie »Kommunikation des Evangeliums« zutreffen, auf das andere eher nicht. Die ausgewählten Beispiele protokollieren Situationen aus zwei verschieden großen Gruppen von Firmanden, die im Rahmen der Firmkatechese auf den Empfang des Firmsakraments vorbereitet wurden. In einem ersten Schritt werden kurze Erläuterungen zur theologischen Bedeutung des Firmsakraments mit Beschreibungen der unterschiedlichen Settings verknüpft, in denen die Daten erhoben wurden (1). Die strikte Trennung zwischen Datenerhebung und Datenauswertung ist ein Bestandteil der methodischen Grundlagen der objektiven Hermeneutik nach Ulrich Oevermann (2), anhand derer ausgewählte Fälle rekonstruiert werden: Welche Strukturgesetzlichkeiten lassen sich aus drei Ergebnissen einer schriftlichen Befragung von 23 Firmanden zu ihrer Firmmotivation und ihrer Firmvorbereitung1 erschließen (3)? Welche Fallstrukturen zeigen sich durch die Sequenzanalyse von Texten, die in einer kreativen Auseinandersetzung mit dem Buch Jona entstanden sind (4)? Die Protokolle und ihre Analysen zeigen, wie different sich die 14jährigen Jugendlichen die Gottesbeziehung Jonas jeweils angeeignet haben. Der abschlie-
ßende Rückbezug auf die Aufgabenstellung (5) hinterfragt eine Reduktion des Begriffs »Evangelium« auf seine neutestamentliche Basis: Inwiefern eröffnet das Geschick des Propheten Jona etwas von Jesu Reich-Gottes-Botschaft? Inwiefern kann auch die Auseinandersetzung mit alttestamentlichen Texten »Kommunikation des Evangeliums« sein? Und bezogen auf die Befragung der Firmanden: Garantiert die reflexiv-evaluative Perspektive des Fragebogens mit offenen Impulsen, dass das Ausfüllen des Fragebogens selbst nicht »Kommunikation des Evangeliums« ist? Inwiefern zeigen die Antworten der Firmanden gleichwohl, dass in der Firmvorbereitung »Kommunikation des Evangeliums« stattgefunden hat? 1. Der kontextuelle Rahmen: Vorbereitung auf den Empfang des Firmsakraments in unterschiedlichen Settings
Das Firmsakrament wird in der Katholischen Kirche in der Regel Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren 1 Nicole Meihsner, Was glauben Firmanden? Eine qualitativ-empirische Spurensuche zur Firmmotivation und zur Glaubenseinstellung Jugendlicher (Bachelorthesis Wuppertal, Juli 2016, unveröf fentlichtes Manuskript).
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
durch einen Bischof gespendet. Mit den Worten: »N. (Name des Firmanden), sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist« legt der Bischof der oder dem zu Firmenden die Hand auf und bezeichnet mit seinem in Salböl getauchten Daumen die Stirn seines Gegenübers mit dem Kreuz.2 Die Firmung gilt als Vollendung der Taufe, feiert die mündige Entscheidung für ein christliches Glaubensleben und bestärkt die Firmanden darin. Sie sind nun selbst zum Apostolat befähigt und beauftragt. Sie sind somit gesendet, ihren Glauben öffentlich zu bezeugen.3 Laut Statistiken der Deutschen Bischofskonferenz empfangen im Durchschnitt 7 von 10 Getauften das Firmsakrament, während fast alle Getauften ihre Erstkommunion feiern.4 In den evangelischen Landeskirchen lassen sich hingegen fast alle Getauften auch konfirmieren.5 Für evangelische Christen hat die Konfirmation einen ähnlichen Stellenwert wie die Erstkommunion für katholische Christen. In beiden Kirchen gehen jedoch die Zahlen kontinuierlich zurück, weil weniger Kinder getauft werden. Im Urteil der Jugendlichen selbst beeinflussen weder Medien, noch die Kirchengemeinde und auch nicht die Schule (auch der Religionsunterricht nicht) im Gegensatz zum familiären Umfeld ihre religiöse Entwicklung; die Pfarrer im Sinne der Vorbildfunktion und auch die Konfirmandenzeit hingegen schon.6 Diesen Befund können die folgenden Analysen analog für die Firmandenzeit bestätigen. Von den 67 zur Firmung eingeladenen Jugendlichen aus der Gemeinde von Frau Meihsner haben sich 26 für die Vorbereitung gemeldet.7 Nach der
193
Firmeröffnung im Januar fand Ende des Monats eine dreitägige Firmfahrt mit Glaubensgesprächen und Gottesdiensten statt. An drei Studientagen im Februar, März und Mai wurden Glaubensthemen vertieft, anlässlich eines Vorbereitungstreffens am Wallfohrtsort Neviges im April begegneten die Firmanden ihrem Firmbischof und konnten ihm Fragen stellen (»Firmday«). Während der Feier der Versöhnung mit Beichtgelegenheit im Juni füllten die 23 anwesenden Firmanden den Fragebogen aus; die einen, während sie auf das Beichtgespräch warteten, die anderen nach der Beichterfahrung.
2 Zur theologischen Auslegung dieser Symbolhandlung vgl. Hans-Joachim Höhn, spüren. Die ästhetische Kraft der Sakramente, Würzburg 2002, 70–72. 3 Vgl. Abteilung Jugendseelsorge im Erzbistum Köln, Impulspapier: »Firmung als Beauftragung zum Apostolat«, in: Patrik Höring (Hg.), Firmpastoral heute. Theologischer Anspruch und pastorale Realität, Düsseldorf 2008, 103– 115. 4 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Katholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2014/2015 (Arbeitshilfe 275) Bonn 2015, 37. 2014 wurden in Deutschland 161.715 Jugendliche gefirmt; es gab 188.342 Erstkommunionen (ebd., 42). 5 Vgl. https://www.evangelisch.de/inhalte/9350 0/06-04-2014/konfirmation-die-meisten-neh men-den-segen-mit [Zugriff: 26.07.2016]. In den evangelischen Landeskirchen wurden 2014 209.933 Jugendliche konfirmiert (vgl. http://www.ekd.de/statistik/amtshandlungen. html [Zugriff: 29.12.2016]. 6 Vgl. Kathrin Kürzinger, »Das Wissen bringt einem nichts, wenn man keine Werte hat«. Wertebildung und Werteentwicklung aus der Sicht von Jugendlichen, Göttingen 2014, 292, 303f. 7 Nicole Meihsner (wie Anm. 1), 12.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Ende Juni wurde die Firmung gefeiert. 8 Das Ausfüllen des Fragebogens wurde vorbereitet durch ein Schreibgespräch mit dem Impuls: »Glauben bedeutet für mich …« Auf die dort gesammelten neun Stichworte (Gott, Verbindung zu Gott, Hoffnung, Gemeinschaft, beichten, beten, Sicherheit, Geborgenheit, in die Kirche gehen)9 griffen einige Jugendliche beim Ausfüllen des Fragebogens zurück. Zur Bearbeitung verteilten sich die Jugendlichen weiträumig im Kirchenraum, so dass sie ihre Bögen konzentriert jeweils für sich ausfüllen konnten. Erst nach der Beichte gaben sie den Fragebogen ab, so dass zumindest die Gelegenheit bestand, ihn danach noch zu ergänzen.10 »Die Sakramente machen Ernst damit, dass man den Text des Evangeliums nicht zureichend versteht, wenn er bloß der ›Lektüre‹ dient. Sie begreifen das Evangelium als ›Partitur‹, die gespielt und inszeniert werden will.«11 Nicht nur im Modus des Feierns, sondern auch im Modus des Lehrens und Lernens kann das Evangelium gespielt und inszeniert werden. Wenn es beim zweiten Beispiel um eine Inszenierung des Buches Jona geht, stellt sich natürlich die Frage, inwiefern in ihm das Evangelium gegenwärtig zu werden vermag. Die Differenzierung zwischen der Taufe und ihrer Vollendung in der Firmung hilft, die Frage zu schärfen: »Die Firmung ist das sakramentale Zeichen für das Hineingenommensein der Christen und ihrer Beziehungen zueinander in das Gottesverhältnis Jesu. Sie ist sakramentales Zeichen für das Aufgehoben- und Geborgensein menschlichen Miteinanders in das Miteinander von Vater und Sohn, das der Geist ist. Im Unterschied dazu
verdeutlicht die Taufe, dass der Beziehungswille Gottes der Initiative des Menschen vorausgeht und dass jede/r Einzelne ein Adressat der nach menschlichen Maßstäben maßlosen Zuwendung Gottes ist. Im Taufsakrament geht es um die Unvertretbarkeit, Personalität und Unverwechselbarkeit des einzelnen Menschen, dem die Zuwendung Gottes gilt. Die Firmung als Sakrament des Geistes unterstreicht im Unterschied dazu die Aufgeschlossenheit und Beziehungshaftigkeit des Menschen. Wie Gott in sich Beziehung ist und neue Beziehungen schafft, so ist auch seine Gemeinschaft mit dem Menschen derart, dass sie ihn in seiner Beziehungswirklichkeit als Beziehungswesen anspricht.«12 Inwiefern bestärkt die Formulierung eines Gebets, in dem doch in erster Linie die Beziehung des/der Einzelnen zu Gott im Zentrum steht, das Bewusstsein um das Eingebundensein in die Gemeinschaft des menschlichen Miteinanders? Der tabellarische Vergleich zeigt deutlich: Erhebungssituationen, Ziele, Inhalte und Methoden waren so unterschiedlich, dass auf den ersten Blick ein Vergleich kaum sinnvoll möglich erscheint.
8 9 10 11 12
Ebd., 9–11. Vgl. ebd., 16f. Vgl. ebd., 22. Hans-Joachim Höhn (wie Anm. 2), 52. Ebd., 66.
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
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Lerngruppe/Beispiel 1
Lerngruppe/Beispiel 2
1. Teilnehmende
26 (von 67 Angeschriebenen)
7 (107 von 287 Angeschriebenen)
2. Raum
Heiligenhaus (Kleinstadt 26.000 E)
Wuppertal (Großstadt 370.000 E)
3. Zeitliche Organisation
Firmfahrt zu Beginn, danach Tages aktionen an Samstagen für die gesamte Gruppe; Start im Januar, Firmung im Juni
10–12 wöchentliche Treffen in Kleingruppen nach Themenwahl (hier: 6 w, 1m), dazu noch Aktionen für alle; Start Ende Februar, Firmung im Juni
4. Durchführung durch
Firmkatechetin Nicole Meihsner (Bachelor-Thesis bei N. Brieden)
Firmkatechet Norbert Brieden (Autor)
5. Erhebungs situation
Während der Feier der Versöhnung (Empfang des Beichtsakraments)
Nach Diskussion über Jona 1 im Gruppenraum: Wechsel in die Kirche
6. Vorbereitung
Schreibgespräch mit Impuls: Glaube bedeutet für mich … (= 1. Impuls des Fragebogens)
Phantasiereise: Jona wird über Bord geworfen und landet im Fischbauch
7. Methode
Standardisiertes Verfahren: Offener Fragebogen mit 5 Impulsen
Nicht-standardisiertes Verfahren: Formulieren eines Gebets aus der Perspektive von Jona (kreatives Schreiben)
8. Ziel
Evaluation/Reflexion der durchgeführten Firmkatechese und empirische Auswertung in einer Abschlussarbeit
Arbeit am gewählten Thema: »Der Gott der Bibel – was bedeutet er für mich?« (hermeneutische Auswertung erst nachträglich)
9. Inhalt
Firmmotivation, Erfahrungen mit der Firmkatechese
Situation des Propheten Jona (Flucht vor dem Auftrag Gottes, Rettung im Fisch)
Tab. 1: Übersicht der Settings zur Datenerhebung
2. Grundzüge der Datenauswertung: Fallanalysen angelehnt an die »Objektive Hermeneutik« nach Ulrich Oevermann
An dieser Stelle können weder die Methodik der »Objektiven Hermeneutik« noch ihre wissenschaftstheoretische Grundlegung angemessen dargestellt und diskutiert werden.13 Drei zentrale methodische Grundzüge werden skizziert: Erstens die Unterscheidung zwischen Datenerhebung und -auswertung, zweitens die Orientierung an protokollierten »Fällen« durch Analyse von
Sequenzen zur Erhebung von »Strukturgesetzlichkeiten« und drittens das »Kriterium des maximalen Kontrastes« als Auswahlprinzip der Fälle. 1. Bezüglich der Datenerhebung unterscheidet Oevermann zwischen den 13 Vgl. Ulrich Oevermann, Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der objektiven Hermeneutik – Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung (März 2002), http://www.ihsk.de/publikationen.htm [Zugriff: 30.12.2016]; Roland Becker-Lenz u.a. (Hg.), Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik. Eine Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2016.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
»Methoden und Praktiken des sozialen Arrangements« (s.o. Tab. 1, Stichworte 1–6) und den »Techniken der Protokollierung bei der Datenerhebung«.14 Bezüglich beider Ebenen differenziert er zwischen standardisierten und klinischen (nichtstandardisierten) Varianten: Bei Lerngruppe 1 handelt es sich mit dem offenen Fragebogen um ein standardisiertes Verfahren, bei Lerngruppe 2 mit dem Kreativen Schreiben um ein nicht-standardisiertes Verfahren zur Protokollierung, die in beiden Lerngruppen von den Probanden selbst vorgenommen wurde (s.o. Tab. 1, Stichwort 7). Im Sinne der »Objektiven Hermeneutik« können alle Texte zu Protokollen werden, auch wenn eine hermeneutische Analyse zunächst nicht angezielt war (s.o. Tab. 1, Stichwort 8).15 Zentral ist aber die Qualität der Datenauswertung, von der aus Oevermann die herkömmliche Differenzierung in qualitative und quantitative Verfahren kritisiert und durch die Unterscheidung von subsumtionslogischen (der theoretische Ansatz gibt das Ergebnis in gewisser Weise schon vor, insofern die Daten unter ihn subsumiert werden) und rekonstruktionslogischen Verfahren wie der »Objektiven Hermeneutik« präzisiert.16 2. Protokolle sind die materiale Basis von Ausdrucksgestalten, in denen Subjekte innerhalb der Dynamik ihres Lebens Sinn produziert haben (s.o. Tab. 1, Stichwort 9). Durch ihre Fixierung im »Protokoll« sind sie der hermeneutischen Analyse zugänglich und werden so jeweils zu einem »Fall«. In der Analyse geht es darum, den latenten Sinn des Falles herauszustellen. Dazu wird der Fall in Sequenzen eingeteilt. Die Erhebungssituation selbst ist quasi die erste Sequenz, die eine Vielzahl von Hand-
lungsoptionen eröffnet. Die Entscheidung des Subjekts für eine bestimmte Handlung (Äußerung) ist auf der Basis möglicher Handlungen zu erklären. Die gewählte Handlung schließt einerseits die nicht gewählten Handlungen aus, öffnet aber wiederum eine Vielfalt möglicher Anschlusshandlungen. Die durch die Sequenzanalyse erzielte Einsicht in die Handlungsstruktur des analysierten Falles erlaubt nun Rückschlüsse auf die Fallstruktur, die verallgemeinerbar ist auf ähnliche Fälle. Im Ideal beinhaltet die präzise Analyse des ersten Falles bereits alle anderen möglichen Fälle.17 3. Auf der Basis des ersten analysierten Falles werden weitere Fälle zur Analyse anhand des Kriteriums ausgewählt, möglichst unterschiedliche Anschlusshandlungen zu demselben Impuls aufzuweisen. Dadurch wird das Spektrum möglicher Fallstrukturen erweitert und der Blick für Handlungsalternativen geschärft.18 Im Folgenden werden tabellarisch jeweils drei Fall-Protokolle aus beiden Lerngruppen vorgestellt und sequenziert. Bezüglich der Fragebögen erfolgt die Sequenzierung auf der Grundlage der offenen Impulse; hinsichtlich der formulierten Gebetstexte nach inhaltlichen Kriterien, die aus den Protokollen erhoben werden (kursiv ge14 Ulrich Oevermann (wie Anm. 13), 18. 15 Vgl. ebd., 18. 16 Vgl. ebd., 20–23. 17 Vgl. ebd., 1–13. Zur Dialektik von Kontingenzschließung und -öffnung vgl. Norbert Brieden, Könnte wirklich auch alles ganz anders sein? Zur Kritik konstruktivistischer Unterrichtsplanung, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Religionsunterricht planen. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd. 5, Babenhausen 2014, 190f. 18 Vgl. Ulrich Oevermann (wie Anm. 13), 16f.
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
setzte Zeilen). Ergänzend wird auf nicht dokumentierte Fälle verwiesen. Die Fallvergleiche sollen die Analysen verdichten
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und abkürzen (jeweils drei Spalten); eine eingehende Analyse würde den Rahmen des Aufsatzes sprengen.
3. »Weil es mir ein gutes gefühl gibt und mich noch mehr mit gott verbündet« – Firmanden reflektieren ihre Firmmotivationen, die Firmvorbereitung und ihren Glauben (Fälle 1–3 aus Lerngruppe 1) Fall 1 [Fragebogen 2]19
Fall 2 [5]
Fall 3 [7]
(1) Glauben bedeutet für mich … das ich ein gutes gefühl habe wen ich [weiß] glaube das es was schönes in meinem Leben gibt
Gemeinschaft und eine Zusammengehörigkeit zu haben und das jeder Zeit. Wenn man Sorgen oder Bedenken hat kann man diese in einem Gebet äußern und sich sicher sein das diese gehört werden.
– in Gott Hoffnung fürs Leben finden – an Gott glauben – etw. zumindestens religiös
(2a) An das kann ich glauben / an das will ich nicht glauben Ich kann an gott glauben das er uns hilft
Ich glaube an den Vater den Sohn und den heiligen Geist.
kann ich: – Existenz einer höheren Lebensform (göttlich)
(2b) An das kann ich glauben / an das will ich nicht glauben jedoch glaube ich nicht das alles was in der Bibel steht wahr ist
kann ich nicht: – stimmt alles 1 zu 1 in der Bibel? – ist Gott wie von den Katholen beschrieben oder anders?
(3) Ich lasse mich firmen, weil … Weil es mir ein gutes gefühl gibt und ich mich an dem Gedanken erfreue, mich noch mehr mit gott verbündet selbstständig zu sagen, ja ich möchte der Gemeinschaft angehören
meine Eltern wollten das ich mich Firme → im Endeffekt war das trotzdem die richtige Entscheidung :)
(4) Das sind gute Gründe, um sich firmen zu lassen … ein gutes gefühl und freude das man Gemeinschaft und Verbundenheit mit gott noch mehr verbunden ist. um diese wieder zu finden
– Festigung im Glauben – Entscheidungen wie man sein Leben leben will (religiös?)
(5) Was war für dich bei der Firmvorbereitung wichtig? dass man sich [me] viel mit gott auseinandersetzt
Dem Glauben wieder näher zu kommen und mich wohl bei dem Gedanken oder den Gesprächen über Gott zu fühlen. Und neue Leute kennen zu lernen und mich mit denen zu verstehen
– nicht zu oft – nicht zu langwirig – nicht zu langweilig – Spaß – Erfahrungen sammeln
Tab. 2: Übersicht dreier Fälle aus Lerngruppe 1 19 Vgl. Nicole Meihsner (wie Anm. 1). Zahlen in den eckigen Klammern sind die durch Frau Meihsner nummerierten Fragebögen im Anhang zu ihrer Bachelor-Thesis (ohne Seitenangabe); auf Anfrage können die Fragebögen zugesendet werden.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Zu Beginn entscheiden sich die Probanden, ob sie Begriffe aus dem Schreibgespräch aufnehmen oder nicht (s.o. Tab. 1, Stichwort 6). Fall 2 fokussiert die Begriffe »Gemeinschaft« und »beten«; Fall 3 die Begriffe »Gott« und »Hoffnung«. Fall 1 verbindet die neuen Begriffe »gutes gefühl« und »schönes in meinem Leben«. Logisch wäre es noch möglich, die Frage nicht zu beantworten oder sie nicht ernst zu nehmen. Diese Möglichkeiten werden aber, vermutlich aufgrund der gemeinsamen Vorbereitung, nicht gewählt. Deshalb repräsentierten die ausgewählten Fälle im Sinne des Kriteriums des größtmöglichen Kontrastes alle gewählten Varianten (unterschiedliche Begriffe werden aufgenommen, neue werden gefunden). Ein Nicht-Ernst-Nehmen könnte beispielsweise durch die Antwort gezeigt werden: »ins Stadion zu gehen«. Bezüglich des zweiten Impulses haben zwei Probanden entsprechend reagiert (»Das Fortuna nicht absteigt«, »Das Stuttgart absteigt«), aber ansonsten die Fragen ernsthaft beantwortet. Impuls (2) mit seinen zwei Frageanteilen erweist sich somit als schwierig: zwei Jugendliche bezogen den Impuls auf Fußballfragen [3, 22], fünf Personen reagierten nicht auf den zweiten Teil des Impulses (u.a. Fall 1), eine nicht auf den ersten, eine Person bezeichnete ihn mit einem Fragezeichen – er war ihr also nicht klar [16], eine Antwort ist nicht eindeutig dem ersten oder zweiten Teil zuzuordnen: »An Bibelstellen, welche man selber nicht wahr nehmen darf« [8]. Entsprechend den ausgewählten Fällen stand bei den meisten Probanden der Gottesglaube im Zentrum mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, in Fall 1 ist es Gott als Hilfe, in Fall 2 der trinitarische
Gott und in Fall 3 die Existenz Gottes. Die nicht ausgewählten Fälle nennen weitere Glaubensartikel, an die geglaubt wird oder nicht, z.B. Glaube an ein Leben nach dem Tod [4, 12], allgemeine Sündenvergebung [8] Gott als Schöpfer [20]; Nicht-Glaube an ein Leben nach dem Tod [18], Gott als strafenden Richter [14], Gott als Person [23], Gottes Allmacht angesichts der Leiden [21], die Schöpfung in sieben Tagen [20]. Die in den Fällen 2 und 3 zum Ausdruck kommende Skepsis bezüglich biblischer Aussagen findet sich häufiger, das Kriterium bringt eine Aussage auf den Punkt: »ich kann an Dinge glauben, die mir sinvoll realistisch erscheinen, ich kann an dinge nicht Glauben, die mir nicht sinvoll sind« [9]. Die ausgewählten Fälle unterscheiden sich in ihrer Haltung: Während Fall 2 in seiner Aussage sicher scheint, weisen die Fragen in Fall 3 eher auf eine Unsicherheit bezüglich des eigenen Nicht-Glaubens hin: Vielleicht stimmen sie doch, wenn man biblische Aussagen eben nicht »1 zu 1«, sondern spielerisch-geistvoll versteht. Eine gewisse Distanz wird schließlich deutlich in der zweiten Frage: So ganz mag sich die Person doch nicht mit ihrem Katholischsein identifizieren. Dass Gott immer auch ganz anders ist als so, wie wir ihn uns vorstellen, ist freilich gut katholische (und evangelische) Lehrmeinung. Die Impulse (3) und (4) fragen mit unterschiedlicher Akzentuierung nach der Firmmotivation: (3) nach den persönlichen Motiven, (4) allgemein nach »guten Gründen«. Fall 1 wiederholt seine Wendung zu Impuls (1): Ein »gutes gefühl« erwartet der Proband für die Firmung und ist zugleich ein guter Grund für alle, sich firmen zu lassen. Mit diesem Gefühl verbindet er die Hoffnung, »noch mehr mit
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
gott verbündet zu sein«. Die ungewöhnliche Wortwahl präsentiert Gott als einen engen ›Verbündeten‹, mit dem er durch dick und dünn gehen kann, entsprechend der Antwort auf Impuls (2). Die Firmung bekräftigt sozusagen den Bund mit Gott, den auch die biblischen Texte beschwören, und erweckt »freude das man mit gott noch mehr verbunden ist«. Freude ist auch das zentrale Gefühl bei Fall 2, hier allerdings bezogen auf die freie, autonome Glaubensentscheidung; die allgemeinen Gründe rekurrieren hier auf die Antwort zu Impuls (1), die sich auch in der trinitarischen Gottesvorstellung spiegelt (Impuls 2): »Gemeinschaft und Verbundenheit«. Fall 3 formuliert die Firmmotivation aktivisch, nach dem Motto: ›Wenn schon der Gang zur Firmung passiv als Wunsch der Eltern erduldet wird, dann firme ich mich wenigstens selbst‹ – was natürlich nicht geht, da der Bischof das Sakrament spendet. Dabei tritt auch der Bischof nur als Mittler auf, denn die Gabe des Geistes stammt letztlich von Gott. Die Nicht-Entscheidung war »im Endeffekt (…) trotzdem die richtige Entscheidung«. Im Nachhinein ist die Person nicht unglücklich, sich der Entscheidung der Eltern gebeugt zu haben. Die wichtigste Erfahrung mag darin liegen, dass es gut und richtig ist, Entscheidungen zu treffen »wie man sein Leben leben will«. Der in der Firmung zugesprochene Geist Gottes ist verlässlich, indem er auf spielerische Weise Ernst macht gegen die Langeweile des Nicht-Entscheidens, die am Ende eine tödliche Langeweile ist.20 Bezüglich der Firmmotivation betonen insgesamt neun Jugendliche ihren Wunsch, dadurch die Gottesbeziehung bzw. ihren Glauben zu stärken (exemplarisch Fall 1), vier Jugendliche legen Wert
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auf die eigene Entscheidung (exemplarisch Fall 2), fünf Jugendliche weisen auf die Motivation durch Eltern bzw. Großeltern hin (exemplarisch Fall 3), vier Jugendliche möchten ihre Beziehung zur Kirche vertiefen und für acht Jugendliche ist die Perspektive einer späteren kirchlichen Heirat zentral. Der letzte Impuls (5) gibt Anlass zur Reflexion der Erfahrungen während der Firmvorbereitung. Fall 1 benennt die Voraussetzung für sein Leitmotiv, »Verbundenheit mit Gott« zu erleben: die Arbeit an der eigenen Gottesvorstellung. Bezüglich der Äußerung zu Impuls (1) ist es wegen fehlender Satzzeichen und Differenzierung von Artikel und Konjunktion nicht ganz klar, ob hier der Glaube an Gott gemeint ist oder der Glaube, »das es schönes in meinem Leben gibt«. Fall 2 verbindet im Rückblick Gottes- und Glaubenserfahrungen mit den Gemeinschaftserfahrungen. Fall 3 zeigt insgesamt, dass die Vorbereitung Impulse gab, die religiöse Seite des Lebens zu beachten: den Glauben an Gott zu festigen (Impuls 4) und in ihm »Hoffnung fürs Leben [zu] finden«: Es kann nicht schaden, »zumindestens etw. religiös« zu sein (Impuls 1). Denn die »Existenz einer höheren Lebensform« ist glaubwürdig (Impuls 2a). Die Entscheidung zur Firmung ist auch als Kompliment für die Katechet/innen zu verstehen, die Firmvorbereitung war immerhin – zunächst dreifach negativ formuliert – »nicht zu oft, nicht zu langwirig [und] nicht zu langweilig«. Positiv gewendet: Sie machte »Spaß« und bot Gelegenheit, »Erfahrungen [zu] sammeln«.
20 Vgl. Hans-Joachim Höhn (wie Anm. 2), 71.
200 Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter Bezüglich der Beurteilung der Firmvorbereitung ließen sich die Äußerungen unschwer den bekannten Sinusmilieus zuordnen:21 Steht bei dem einen der Spaß und die Vermeidung von Langeweile im Mittelpunkt (Fall 3), möchte der andere sich intensiv mit Experten und Expertinnen des christlichen Glaubens kritisch auseinandersetzen [15], über das Glaubensbekenntnis [20] oder kirchlich brisante Fragen [10]. Geht die eine in erster Linie gerne zu den Treffen, um neue Leute – damit auch sich selbst [13, 22] – (besser) kennen zu lernen und Gemeinschaft zu erleben (Fall 2), möchte die andere genau wissen, wie die Firmung verläuft und wie man sich denn nun Gott zuwenden kann [1]. Steht für einige die gerade erfahrene Beichte im Zentrum [17, 18, 19, 23], schätzen andere die kognitive Herausforderung [4, 6, 12, 14], auch auf einer ganzheitlichen Ebene (Fall 1).
Abschließend fasse ich die Fallstrukturen zusammen: Fall 1 (Leitmotiv »Verbundenheit mit Gott«): Der Glaube fordert den ganzen Menschen mit Kopf (Auseinandersetzung), Herz (Gefühl) und Hand: Schönes wahrzunehmen und im Leben zu realisieren. Dazu gibt die Firmung als Stärkung des Glaubens zugleich Kraft und ein sehendes Auge. Fall 2 (Leitmotiv »Gemeinschaft«): Gemeinschaft mit Gott und Gemeinschaft unter den Menschen gehören zusammen. Diese Gemeinschaftserfahrungen geben Kraft zur eigenen Glaubensentscheidung. Firmung ist Ausdruck der Freude über sie. Fall 3 (Leitmotiv »Freiheitsparadox«): Die Unterwerfung unter den Wunsch der Eltern erweist sich im Nachhinein als Freiheitsgewinn. Die Begegnungen während der Firmvorbereitung prägen die religiöse Sozialisation des Probanden.
4. »Ich sollte gegen Fehler handeln, und habe selbst Fehler gemacht!« – Firmanden formulieren das Gebet Jonas im Bauch des Fisches (Fälle 4–6 aus Lerngruppe 2) Fall 4
Fall 5
Fall 6
(1) Gott, ich rufe zu dir (Anfangsimpuls für alle gleich): Fragen/Dank Warum hast du mich errettet? Warum darf ich leben, ich habe doch einen so großen Fehler gemacht?!
Danke für deine Barmherzigkeit,
der du bist im Himmel, ich danke dir, dass du mich am Leben gelassen hast,
(2) Schuldeingeständnis und Charakterisierung der Schuld Ich habe versucht, mich gegen dich zu wehren, weil ich feige war und Angst bekam.
dafür, dass du mir vergeben konntest, dass ich dich vor mir selbst verleugnet habe.
ich bekenne mich schuldig und weiß, dass ich die größte Sünde in mir trage, die ein Mensch tragen kann, weil ich dich nicht anerkennen wollte.
21 Vgl. Marc Calmbach u.a., Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Wiesbaden 2016.
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
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(3) Freude über das Leben Trotz meiner Feigheit lässt du mich leben, wie groß ist doch deine Liebe!
Ich danke dir auch, dass du mir das Leben, vor allem den Glauben wieder neu geschenkt hast, und dass du die anderen Matrosen, die durch mich fast gestorben wären, doch noch am Leben gelassen hast.
Ich danke dir von ganzem Herzen, dass du mich am Leben gelassen hast und verschont hast.
(4) Gott-Mensch-Relation Ich sollte gegen Fehler handeln und habe selbst Fehler gemacht! Gott, ich bin ein Sünder, der deine Liebe nicht verdient! Wieviel Menschen müssen sterben, warum rettest du mich? Ich bin deiner nicht würdig gewesen, aber ich habe meine Fehler erkannt!
Doch verstehe ich nicht, dass dir mein Vergehen das Leben so vieler anderer Männer wert war?!
(5) Folgen Wenn du mich weiterhin für würdig ansiehst, gib mir eine zweite Chance, und ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, um meine Aufgabe zu erfüllen!
Darum bin ich froh, dass du mich nicht in dem Glauben hast sterben lassen, ich sei für den Tod all dieser Matrosen verantwortlich; denn als ich dachte, ich sterbe, wusste ich, die anderen sind gerettet.
Ich werde dir mein Leben lang folgen und stets dein Diener sein. Ich werde deine Nachrichten in alle Städte bringen und bis an mein Ende an deiner Seite stehen.
(6) Abschließender Dank Herr, du bist so groß und überall, ich habe vergessen, wie mächtig du bist. Jetzt habe ich deinen Zorn, aber auch deine Liebe erfahren! Danke Herr, dass du mir die Augen geöffnet hast!!!
Für all das möchte ich dir danken, dafür, dass du uns zwar bestrafst und damit aber auch gleich wieder auf den rechten Weg zurückführst und dass du diese Unschuldigen nicht hast für mich sterben lassen.
Gott, ich danke dir, dass du mich geweckt hast und mich vom Tod befreit hast. Gott, mein Vater, du bist für mich die wichtigste Person. Amen, Jona.
Tab. 3: Übersicht dreier Fälle aus Lerngruppe 2
Fälle 4–6 zeigen, ergänzt um den Auszug eines weiteren Falles, exemplarisch das breite Spektrum der kreativen Produktion. Diese verlangsamte im Sinne der »mimetischen Bibeldidaktik« (Mirjam Zimmermann) die Rezeption des Biblischen Buches, das aufgrund seiner ästhetischen Qualität zur Weltliteratur gehört.22 Wer sich selbst die Situation Jonas genau vor Augen führt und an seiner Stelle ein Gebet zu Gott antizipiert, kann danach das Gebet des Propheten (Jona 2,3–10) intensiver wahrnehmen, weil die Wahrnehmung durch eine eigene, per-
sönliche Auseinandersetzung vorbereitet ist.23 22 Zur Bedeutung von Wahrnehmung (aisthesis) und (phänomenologischer) Theorien zur Ästhetik für die Praktische Theologie vgl. Norbert Brieden, Praktische Theologie als Wahrnehmungswissenschaft, oder: Wie Weltmeister werden? (Friedrich C. Delius, »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde«, Reinbek 1994), eingestellt 2014. http://www.theologieund-literatur.de/wissenschaftliche-beitraegeonline/ [Zugriff: 01.01.2017). 23 Zum Diskurs mit der Literaturdidaktik vgl. Norbert Brieden, Religionsdidaktische Perspektiven durch Medienvergleich am Beispiel
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Nach der Phantasiereise erhielten alle Firmanden ein leeres Blatt, auf dem lediglich der Anfang »Gott, ich rufe zu dir« als Hilfe zum Einstieg vorgegeben war. Fall 4 reagiert auf diesen Impuls mit einer Frage, Fall 5 mit einer Aussage und Fall 6 mit einem Relativsatz, der angelehnt an das bekannte Vaterunser den Ort Gottes näher bestimmt: Weil er »im Himmel« ist, kann Gott aus der Tiefe des Meeres erretten. Deshalb bedankt sich der Beter folgerichtig bei Gott als dem Herrn des Lebens für »das Leben«. Auch Fall 5 dankt Gott für seine »Barmherzigkeit«, während Fall 4 fragt, warum die Rettung erfolgte und in der zweiten Frage mit dem Hinweis auf den »großen Fehler« zu Sequenz (2) überleitet: Neben dem Schuldeingeständnis reflektieren die Jugendlichen den Charakter der Schuld Jonas sehr unterschiedlich: Während Fall 4 Feigheit und Angst des Beters als Ursache der Flucht vor Gottes Auftrag betont, heben die beiden anderen das Verhältnis zu Gott hervor: Fall 5 verbindet das Bedauern, »Gott vor mir selbst verleugnet« zu haben, mit dem Dank, dass diese Schuld »vergeben« wurde; Fall 6 bekennt ausdrücklich die Schuld als mangelnde Anerkennung Gottes und bewertet diese sogar als die »größte Sünde, die ein Mensch tragen kann«. In Sequenz (3) wird die Freude über das Leben unterschiedlich zum Ausdruck gebracht: Während Fall 1 die Feigheit des (kleinen) Menschen der Größe der Leben schenkenden Liebe Gottes gegenüberstellt, wiederholt Fall 6 den Dank aus Sequenz (1) und ergänzt ihn um den Aspekt des ›Verschont-Seins‹ (sc. vom Tod). Fall 5 geht über diesen Dank für das bloße Leben hinaus, indem dort für den »wieder neu« geschenkten »Glauben«
gedankt wird und dafür, dass die »anderen Matrosen« nun ebenfalls gerettet sind. In Sequenz (4) wird dieser Gedanke an die anderen zum Anlass einer kritischen Frage an Gott. Die ersten beiden Fälle beleuchten in ihrem Gebetstext die GottMensch-Relation: Wie kann Gott wegen des Ungehorsams von Jona das Leben »so vieler anderer Männer« aufs Spiel setzen (Fall 5)? Die Verwunderung über die anhaltende Liebe, in der Gott Jona sucht, ist in Fall 4 in paradox-sprachmächtigen Wendungen ausgedrückt. Sie betonen die Kleinheit des Menschen gegenüber Gott und beweisen zugleich seine Würde durch die Erkenntnis seiner »Fehler«. Noch ein anderer Fall (7) reflektiert kritisch die Gott-Mensch-Relation: »… Ich kann nicht versprechen, dir immer treu zu bleiben. Aber ich habe gelernt. Gelernt, dass du bestrafst, gelernt, dass du grausam bist, und gelernt, dass du vergibst! Danke.« Der religiöse Lernprozess Jonas, sprachlich hervorgehoben durch die viermalige Wiederholung des Wortes »gelernt«, wird hier kritisch gegen Gott gewendet: Gottes Strafe kann »grausam« sein. Die Grausamkeit Gottes ist ein Einfallstor für Zweifel: Kann ich einem solchen Gott ewige Treue »versprechen«? Fall 7 gibt eine ehrliche Antwort, für Jona und auch für sich. Aber die Jugendliche bedankt sich auch: Nicht allerdings für das gerettete nackte Leben. Sie deutet vielmehr die Errettung als Zeichen dafür, dass Gott vergibt; für die beiden jungen Frauen
»Life of Pi/Schiffbruch mit Tiger«, in: TheoWeb. Zeitschrift für Religionspädagogik, 15. Jg. 2016, Heft 1, 257–283, http://www.theoweb.de/zeitschrift/ausgabe-2016-01/ [Zugriff: 01.01.2017].
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
(Fälle 5 und 7) ist das bloße Leben nicht der höchste Wert. In Sequenz (5) bedenken die Firmanden die Folgen der Rettung Jonas: In den Fällen 4 und 6 im Versprechen, den Auftrag Gottes nun zu erfüllen, einmal formuliert als Aufforderung an Gott, »eine zweite Chance« zu geben, das andere Mal als Treueeid für das ganze Leben. Fall 5 betont hingegen die Freude darüber, nicht sterben zu müssen im Bewusstsein, den Tod anderer zu verantworten. Denn Jona wusste um den Zusammenhang zwischen seiner Schuld und dem gefährlichen Unwetter (Jona 1,12). Wenn »ich sterbe«, sind »die anderen gerettet«. In diesem Tenor ist dann auch der abschließende Dank (Sequenz 6) formuliert: für Strafe, weil sie »auf den rechten Weg« führt, und dafür, dass »diese Unschuldigen nicht (…) für mich« (an meiner Stelle bzw. wegen meines Fehlverhaltens) sterben. Das Gebet zeigt hinter der Identifikation mit der Situation Jonas eine hohe soziale Kompetenz der jungen Frau, die sich innerhalb der Firmgruppe immer wieder bestätigte. Sie reflektiert ihre Gottesbeziehung über ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Fall 4 betont im Schlusswort ähnlich wie Gott in seiner Offenbarung an Ijob (38-41) die Macht Gottes, die »vergessen« wurde. »Zorn« und »Liebe« gehen bei Gott Hand in Hand. Sein großes Handeln wird für den kleinen Menschen nie ganz zu verstehen sein, auch wenn Gott durch sein Handeln an Jona ihm »die Augen geöffnet« hat, betont durch drei Ausrufezeichen. Der einzige Junge in der Firmgruppe (Fall 6) findet nicht nur in der Namensnennung, die wie eine Unterschrift dem traditionellen Gebetsschluss folgt, sondern auch in der Vorstellung, durch Gott »geweckt« und »vom Tod befreit« worden
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zu sein, angemessene Worte, um sowohl Gefühle zum Ausdruck zu bringen als sich auch zu distanzieren, denn er heißt schließlich nicht »Jona«. Spürbar wird ein tiefer Auferstehungsglaube, der mit der traditionell-typologischen Auferstehungsdeutung des Jonabuches kongruiert. Streng genommen wird Jona nicht »vom Tode befreit«, denn irgendwann muss er sterben. Aber aufgrund der Hoffnung, durch Gott (in Christus) generell »vom Tode befreit« zu sein, wirkt das persönliche Glaubensbekenntnis, Gott sei »für mich die wichtigste Person«, authentisch und passend. Auch hier zeigt sich in der Spiegelung über die Jonafigur die religiöse Persönlichkeit des Heranwachsenden. Mit dem Dank für die Rettung vor dem Tod durch Ertrinken liegen die Gebete auf einer Linie mit dem originalen Gebet im Buch Jona. Durch die Errettung erweist Gott Jona wieder seine Gunst: Gott will die Beziehung mit Jona, der in seiner Flucht vor dem göttlichen Auftrag seine Gottesbeziehung verleugnet hatte. Die Jugendlichen sind in ihrem religiösen Lernprozess allerdings bereits weiter als der Prophet, der vom Walfisch an Land gespuckt wird (Jona 2,11). Das Gebet Jonas kreist noch um ihn selbst und seine Gottesbeziehung. Sein Lernprozess vollendet sich erst am Schluss, wo sich Gott als behutsamer Pädagoge erweist. Zuvor ruft Jona die Menschen in Ninive zur Umkehr (Jona 3). Statt sich aber über den Erfolg seiner Predigt zu freuen, ist Jona sauer: Das von ihm prophezeite Unheil tritt nicht ein, weil die Menschen ihr frevelhaftes Handeln bedenken und umkehren. Jonas Beziehung zu den Menschen Ninives steht im Gegensatz zur Barmherzigkeit Gottes, der den Menschen selbst dann verzeiht,
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
wenn Vergebung nach menschlichem Maß unmöglich scheint (Fall 4). Weil Gott nicht strafend eingreift, ist Jona beleidigt und grantig. Dadurch gewinnt er aber auch an Profil und wird in seiner Schwäche zu einer Identifikationsfigur für uns.24 Um diesem Jona seine andere, liebende Beziehung zu den Menschen verständlich zu machen, lässt Gott eine Rizinusstaude wachsen, die Jona Schatten spendet und seinen Zorn besänftigt. Am nächsten Tag lässt Gott die Staude verdorren, so dass Jona sich aus Trauer über die verlorene Pflanze sogar den Tod wünscht (Jona 4,6–8). Jonas Beziehung zur Pflanze reicht tiefer als seine Beziehung zu den Menschen Ninives. Auf dieses Ungleichgewicht weist Gott seinen Propheten mit dem Gleichnis der Rizinusstaude hin: Die 120.000 Menschen in Ninive und alle dort lebenden Tiere stehen in einer Beziehung zu Gott, die unvergleichlich intensiver ist als Jonas Beziehung zur Schatten spendenden Staude (Jona 4,9–11). Ob Jona aus dem Gleichnis Gottes lernt, dass Menschen- und Gottesbeziehung ineinander verwoben sind, bleibt am Ende offen. So fordert das Buch Jona als »Lehrerzählung«25 dazu heraus, diese Leerstelle in der Rezeption zu füllen, wie Fall 5 in Sequenz (3): »Ich danke dir auch, dass du mir das Leben, vor allem den Glauben wieder neu geschenkt hast.« Leben und Glauben sind für die Jugendliche nicht getrennt, sondern ineinander verwoben in der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe. Abschließend fasse ich auch hier die Fallstrukturen zusammen: Fall 4 (Leitmotiv »Parodoxie im GottMensch-Verhältnis«): Der kleine Mensch erweist sich Gottes würdig, indem er
seine Fehler erkennt und bekennt. Aufgrund der unfassbaren Liebe Gottes ist der Mensch gerettet. Fall 5 (Leitmotiv »Sorge um die anderen«): Die Gottesbeziehung kann nicht in Ordnung sein, wenn die Beziehungen zu den anderen gestört sind. Indem Jona seine Gottesbeziehung klärt, rettet er auch andere Menschen. Fall 6 (Leitmotiv »Gottestreue«): Gott ist treu und wer Gott die Treue hält, ist gerettet. Am Beispiel Jonas verweist Gott auf seine Macht und rettende Kraft, die selbst den Tod überwindet. 5. Erfahrungen in der Firmkatechese: Jugendtheologische Kommunikation des Evangeliums
Hinter den beschriebenen Fällen stehen Lernerfahrungen Jugendlicher im Rahmen ihrer Vorbereitung auf den Empfang des Firmsakraments. Die auf den ersten Blick kaum vergleichbaren Protokolle zeigen im Vergleich der Fallstrukturen erstaunliche Parallelen: am augenfälligsten die Fälle 2 und 5 (Verbindung von Glaube und Gemeinschaft). Aber auch die Fälle 3 24 Vgl. Christina Kalloch, »Warum der Jona so sauer war« – Kinder als Exegeten der Jona-Geschichte, in: Gerhard Büttner / Martin Schreiner (Hg.), »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten, Teil I: Altes Testament, Stuttgart 2004, 195–205. Diese didaktische Chance wird verspielt, wenn man Jona nur als die »perfekte Karikatur« eines Propheten wahrnimmt; Ernst Axel Knauf, Jona, in: Thomas Römer u.a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Zürich 2013, 477. 25 Meik Gerhards, Art. »Jona/Jonabuch«, in: WiBiLex (2008) http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/22740/ [Zugriff: 02.01.17].
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
und 4 (Freiheit, die der große Gott dem kleinen Menschen in seiner Entscheidung für ihn eröffnet) und die Fälle 1 und 6 (Verbundenheit mit Gott, auch über den Tod hinaus) lassen sich vergleichen. Die sakramentale Feier – Kommunikation des Evangeliums im Grundvollzug der Leiturgia – ist als Zielpunkt der Katechese jene Gestalt, die Katechese begründet und ihr bewusst oder unbewusst vor Augen steht. Was in dieser Gestalt zum Ausdruck kommen soll, ist die Freiheit der Entscheidung zum Glauben an einen unfassbaren Gott (Fälle 3, 4), der selbst Beziehung ist und Beziehung stiftet (Fall 2), der alle Menschen als Kinder Gottes in seine Kommunikation der Liebe einlädt und dadurch untereinander verbindet (Fall 5), der uns in seinem Geist ermächtigt andere Menschen in diese Kommunikation einzuladen und einzuführen (Fälle 1, 6). Dieser göttliche Geist ist wie die Jugendlichen selber unberechenbar, spontan, attraktiv, vital und an dem interessiert, was anders ist und herkömmliche Gewohnheiten aufsprengt.26 Dieser evangeliumsgemäße Geistbezug tritt in beiden Lerngruppen aus unterschiedlichen Perspektiven hervor: Im ersten Beispiel im reflektierenden Blick auf die jeweils eigene Firmmotivation, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Glauben unter der Hand auch veränderte und das Urteil über die Firmvorbereitung steuerte; hier verlangte die Aufgabenstellung einen jeweils individuellen Überblick, der zugleich Distanz zur Beurteilung des Gelernten und Erfahrenen einräumte (Fälle 1–3). Im zweiten Beispiel im identifizierenden Blick auf den Propheten Jona, der an dem ihm von Gott gestellten Auftrag zu scheitern droht; hier verlangte die Aufgabenstel-
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lung eine ganzheitliche Einfühlung, die in der persönlichen Gebetssprache das Gottesverhältnis des Propheten zum Ausdruck brachte und zugleich ein Bewusstsein seiner Verantwortung für die Mitmenschen entwickelte (Fälle 4–6). Der subsidiäre27 Raum von Gemeinde/Kirche unterstützte beide Vorhaben auf verschiedenen Ebenen: Auf der Mikro-Ebene der unmittelbaren Erfahrung rahmte im ersten Beispiel das Erlebnis der unbedingten Vergebungsbereitschaft Gottes im Sakrament der Buße (Diakonia) das Ausfüllen der Fragebögen; im zweiten Beispiel trug der spärlich beleuchtete Kirchenraum während der Meditation und dem Verfassen des Gebets entscheidend zu den in den produzierten Gebeten spürbaren, persönlichen Identifikationen mit Jona bei. Auf der Meso-Ebene von Firmvorbereitung/Firmung ermöglichten beide Konzepte auf unterschiedlichen Wegen ein Vertrautwerden mit den jeweiligen Gruppen, das schulische Möglichkeiten in der Regel überbietet: erstens durch den zeitlich freieren Rahmen (Firmfahrt, Firmday, Studientage auf der einen; Jugendmessen, Ausflüge, offene Gruppenstunden auf der anderen Seite) und zweitens durch die freie Entscheidung zur Teilnahme, die jederzeit zurückgenommen werden kann. Schließlich haben Kirche/Gemeinde auf der Makro-Ebene den Auftrag, in subsi26 Vgl. Hans-Joachim Höhn (wie Anm. 2), 69. 27 Vgl. Bernd Schröder, Das Priestertum aller Getauften und die Assistenz der Kirche. Überlegungen zur Neuformatierung der Praktischen Theologie im Anschluss an Christian Grethleins Praktische Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 143–146.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
diärer Weise Salz der Erde zu sein: Kommunikationen des Evangeliums anzustoßen, die sich jeweils auf der Mikro-Ebene konkretisieren, wenn auf der Makro- und Mesoebene Hindernisse aus dem Weg geräumt werden können. Um diese Hindernisse wahrzunehmen, braucht es den reflektiert-evaluativen Blick aus der Distanz, wie er im ersten Beispiel gefordert war. Hier wurde besonders eine Paradoxie deutlich: Obwohl der (in der Regel sanfte) Druck der elterlichen Autorität, sich doch firmen zu lassen, grundsätzlich der Freiheit der Entscheidung widerspricht, gelangen die Jugendlichen meistens aufgrund der positiven Erfahrungen während der Vorbereitung zu einer persönlichen Annahme dieser (Vor)Entscheidung in Freiheit (Fall 2). Ohne diesen Druck hätten sich aber einige Jugendliche gar nicht erst angemeldet (Fall 3). Hier ist es anlässlich der Einladung zur Firmvorbereitung von zentraler Bedeutung, die Katechese als eine offene Lernerfahrung zu bewerben, die auch dann glückt, wenn sich Jugendliche am Ende dazu entscheiden, sich nicht firmen zu lassen. D. h., ob Kommunikation des Evangeliums stattgefunden hat, lässt sich nicht an äußerlichen Kriterien wie etwa der Firmrate bemessen (wieviele der angemeldeten Jugendlichen sich tatsächlich haben firmen lassen), sondern eher daran, ob in einer vertrauensvollen Atmosphäre das gute Gefühl der Verbundenheit mit Gott (Fall 1) und den anderen (Fall 2) entstehen kann. Die Firmung als ein Sakrament der feierlichen Bestätigung einer freien Glaubensentscheidung hat zur Voraussetzung, dass jeder Firmand sein Recht auf Glaubensfreiheit positiv und negativ ausüben kann. Die in den Fällen analy-
sierten Erfahrungen bieten Anlass, den beteiligten Jugendlichen diese Fähigkeit zu unterstellen. So erlaubte die paradoxe Situation des Propheten, von Gott im Fischbauch zugleich gerettet und gefangen zu sein, eine Distanzierung, die Eigenes schützte und zugleich spürbar machte. Hier ist in der Rückschau genau wahrzunehmen, was die Glaubensfreiheit fördert und was sie untergräbt. An Fall 6 wird etwa deutlich, wie wichtig solche Überlieferungen wie das von dem jugendlichen Hauptschüler zitierte ›Vaterunser‹ sind. Sie bieten eine Hilfestellung, die richtigen Worte zu finden. Denn in der Wortwahl geht der Jugendliche über die Zitate hinaus, und es zeigt sich, dass er sich, wie auch die drei Gymnasiastinnen (Fälle 4, 5, 7), mit der Situation des Propheten identifizieren konnte. Dabei zeigen sowohl die paradoxen Wendungen in Fall 4 wie das Schlusswort in Fall 6 und die versteckte Kritik in Fall 7 die paradoxe Einheit von Identifikation und Distanzierung. Der Austausch der im katechetischen (Ehren)Amt Tätigen ist wichtig, um das eigene Handeln etwa in der Diskussion über Produkte der Jugendlichen und die Ergebnisse der Fragebogenaktion zu evaluieren. Nur so ist auch die Gefahr zu bannen, durch die Macht der eigenen Erwartungen Jugendliche zu instrumentalisieren, statt ihnen Raum für ihre theologische Sprachfindung im Sinne einer Theologie von Jugendlichen zu geben. ›Kommunikation des Evangeliums‹ in der Katechese bedarf deshalb einer Haltung der Katechetinnen und Katecheten, die der ehemalige Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle (1929–1994), 1983 als »einen dreifachen provokatorischen Glauben« des Katecheten beschrieben hat:
Brieden Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese
»Er glaubt zum einen: Das ganze Evangelium und alles das, was es an Leben gewonnen hat in der Kirche, ist da für die nächste Generation – ich will es ganz weitergeben. Er glaubt zum zweiten: Das, was für die kommende Generation not tut, das, woraus sie Leben annehmen, Welt gestalten und Zukunft wagen kann, ist ganz drinnen im Evangelium – im Evangelium gebe ich ihr das weiter, wovon sie leben kann. Zum dritten glaubt er: Das, was das Evangelium braucht, um ganz gegenwärtig werden zu können, ist drinnen in der nächsten Generation, in den Möglichkeiten ihres Denkens und ihres Herzens – die neue Generation bringt Neues für das Evangelium, für sein Verständnis und für seine Lebbarkeit.«28 Die Katechese ist ein Beispiel des Grundvollzugs der Martyria. Jede/r Getaufte ist dazu berufen und jede/r Gefirmte dazu gesendet. Die Katechetin setzt ihre Persönlichkeit ein, um Jugendliche mit der Welt des Evangeliums und seiner Folgen bekannt zu machen – denn nur, wenn sie weitergibt, was sie selbst begeistert, kann das weiterleben, was für das Weiterleben jener da ist, denen sie begegnet. Sie lässt zweitens den Jugendlichen Freiräume, im Evangelium wahrzunehmen, was sie zum Leben brauchen – weil sie weiß, dass sie selbst diese Korrelationen nicht herstellen kann, und weil ihr glaubendes Vertrauen auf die lebendige Kraft des Wortes Gottes (der ›Heilige Geist‹) ihr den Sinn ihres katechetischen Handelns verbürgt. Sie öffnet sich drittens den ihr fremden Blicken, mit denen Jugendliche aus ihrer Situation heraus auf das Evangelium schauen und es auslegen – denn ihre Hoffnung auf das Neue, das Jugendliche dem Evangelium geben, macht ihr (Ehren)Amt span-
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nend und lehrreich, auch für ihr eigenes Wachstum im Glauben (ohne jedoch die Jugendlichen dafür zu verzwecken). Wer könnte abschließend beurteilen, dass eine bestimmte Katechese »Kommunikation des Evangeliums« gewesen ist? Leichter fällt es hingegen, die offensichtlichen Fälle negativ zu beurteilen, von denen unsere Kirchengeschichte voll ist: Wo vorgebliche Kommunikation des Evangeliums Freiheit behindert und Zwänge ausgeübt hat, statt zum Leben zu helfen, Diakonia zu sein; sei es auch in der besten Absicht. Dass die analysierten Fälle auf »Kommunikation des Evangeliums« hinweisen, sollte durch die Analyse der sechs protokollierten Fälle deutlich geworden sein. Diese Kommunikationen ereignen sich immer wieder neu in der Praxis mit ganz konkreten Subjekten in ihren individuellen Biografien – in der Spannung darauf, wie sich der Geist des Evangeliums in jeder Generation auf seine Weise zeigt. In einer anderen Firmgruppe sollten einmal Jugendliche den paulinischen Satz vervollständigen: »Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist …« (2. Kor 3,17). Niemand kam auf den Begriff ›Freiheit‹ – alle waren erstaunt über diese Aussage. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass in der Reflexion über die ›Kommunikation des Evangeliums‹ deren Freiheitscharakter noch geschärft werden könnte. Wann und aus wessen (theologischer) Perspektive ereignet sich Kommunikation des Evangeliums auch dann, wenn in anderen Religionen Gottes Wort lebendig wird? 28 Klaus Hemmerle, Was fängt die Jugend mit der Kirche an? Was fängt die Kirche mit der Jugend an? (1983), in: Klaus Hemmerle, Ausgew. Schriften, Bd. 4 Spielräume Gottes und der Menschen, Freiburg i.Br. 1996, 329.
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Phänomene einer altersbezogenen »Kommunikation des Evangeliums« – Jugendalter
Thomas Schlag Die Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Kinder- und Jugendtheologie – vom Blick auf das Jugendalter aus in ihrem möglichen Zusammenhang 1 dargestellt und reflektiert Führt man sich die in diesem Band versammelten Beiträge zum Jugendalter vor Augen und fragt man grundsätzlich nach den möglichen Zusammenhängen der programmatischen Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Jugendtheologie, so zeigt sich in den Forschungsdokumentationen eine erhebliche Kommunikations-, Begegnungs- und Beziehungsdynamik. In diesen erscheint im Vergleich etwa zu kindertheologischen Studien das Wechselverhältnis zwischen den AkteurInnen, Lebenswelten und Texten ungleich komplexer und auch komplizierter. So fühlt man sich an das altbekannte Warnschild am Berliner Checkpoint Charlie erinnert, und könnte entsprechend umformulieren: »You are now leaving the children’s sector«. Was man über die Kindertheologie weiß und hört, ist zwar ebenfalls komplex, aber dann doch auch in mancher Hinsicht fast ein Kinderspiel, bei dem den Forschenden und den Unterrichtenden die Deutungs- und Anknüpfungsbilder in buntester Farb- und Sprachpracht entgegenkommen. Viele Aussagen der Kinder fließen wie selbstverständlich ein, über manches mag man schmunzeln, anderes ist in seiner klaren Expression schlichtweg berührend. Aber nun – bei der Begegnung mit Jugendlichen – wird es ungleich riskanter. Man steht davor, unbekanntes Terrain zu
betreten und dabei auf Menschen zu stoßen, denen das professionelle Gesprächsangebot und die persönliche Begegnung möglicherweise alles andere als angenehm ist. So entsteht sogleich die Gefahr von kolossalen Grenzüberschreitungen. Der geplante Übertritt in die jugendliche Fremdheit könnte von diesen als eine Art Grenzverletzung, womöglich gar als Kolonialisierungsversuch interpretiert zu werden. Sollte man also im Anschluss an das Bonmot Odo Marquards – wonach die Geschichtsphilosophen die Welt zwar verschieden verändert hätten, es nun aber darauf ankomme, sie zu ver-
1 Die folgenden Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt in der Response zu den in diesem Band versammelten Beiträgen von Johanna Kallies-Bothmann, Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums – Erfahrungen aus der Kasseler Forschungswerkstatt ›Theologische Gespräche‹ zu Todesvorstellungen und christlicher Auferstehungshoffnung; Mirjam Zimmermann, Mit Hiob über das Evangelium kommunizieren – Begriffsarbeit im Kontext der Jugendtheologie in der Sekundarstufe II; Nadja Troi-Boeck, »Das ist weißt du wie geil« – Konfirmand/innen und die Kommunikation des Evangeliums und Norbert Brieden, »Ich lasse mich firmen, weil ich mich an dem Gedanken erfreue, selbstständig zu sagen, ja ich möchte der Gemeinschaft angehören« – Fallanalysen zur Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen anlässlich der Firmkatechese, gehen aber zugleich in programmatischer Absicht darüber hinaus.
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schonen2 – sagen: Die Theologen haben die Jugendlichen zwar verschieden verstanden; es kommt nun aber darauf an, sie zu verschonen? Insofern muss man sich nochmals ganz grundsätzlich die Frage stellen, mit welcher Absicht und Zielsetzung eigentlich von Jugendtheologie die Rede sein soll. Diese Frage gilt, natürlich in unterschiedlicher Weise, sowohl in Hinsicht auf die Religionspädagogik als forschende und lehrende Wissenschaft wie auch für die konkrete Kommunikationspraxis in unterschiedlichen unterrichtlichen Zusammenhängen.3 Deshalb ist an dieser Stelle zumindest ein genereller Hinweis, der sowohl für die Kinder- und Jugendtheologie wie auch für die Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« gelten kann, angebracht: Wenn wir mit diesen theologischen Perspektiven auf die Äußerungen und Fragen der Jugendlichen zugehen, dann ist erhebliche Achtsamkeit und Aufmerksamkeit gefordert. Nicht ohne Grund wird beiden theologischen Perspektiven immer eine gewisse Tendenz zur Übergriffigkeit, zur subkutanen Deutungsmacht und damit letztlich auch zur schleichenden Entmündigung vorgeworfen.4 Diesen Warnhinweisen entgeht man noch keineswegs dadurch, dass fast mantraartig von der Subjektorientierung, der eigenständigen persönlichen Auseinandersetzung Jugendlicher sowie von deren unbedingtem Ernstnehmen die Rede ist. Könnte es womöglich sogar sein, dass so intensiv von Subjektorientierung die Rede ist, weil man sich auf Seiten der Lehrenden und auch der wissenschaftlich Deutenden eben seiner Sache gar nicht so sicher ist wie dies
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auf den ersten Blick erscheint? Besteht womöglich tatsächlich die Gefahr, dass jede Form der theologischen Deutung konkreter Kommunikationspraxis von Beginn an eine bestimmte Deutungsabsicht mit sich bringt, die im Einzelfall höchst problematische Folgewirkungen nach sich zieht? Die Beiträge von Kallies-Bothmann, Zimmermann, Troi-Boeck und Brieden sollen deshalb vor diesem Problemhorizont eingehender beleuchtet werden, um von dort aus zu fragen, worin denn tatsächlich der Anspruch und Zusammenhang dieser beiden theologischen Leitperspektiven liegen könnte. Drei Warnhinweise und drei offene Brücken für das theologische Gespräch mit Jugendlichen über die Überlieferung des Evangeliums sind aus den vier Beiträgen herauszuhören – eingesetzt sei dabei bewusst mit den offenen Brücken, um sich die Sache nicht zu leicht zu machen: 2 Odo Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt a.M. 1982, 13. 3 Vgl. dazu Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011 sowie der daran anknüpfende Diskussionsband Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a., Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012. 4 Vgl. v.a. die Kritik von Bernhard Dressler, Zur Kritik der »Kinder- und Jugendtheologie«, in: ZThK 111 (2014), 332–356, die daran anschließende Debatte in Thomas Schlag/Jasmine Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik, Stuttgart 2017 sowie auch die weiterführenden Überlegungen in diesem Band von Bernd Schröder, Kommunikation des Evangeliums – gemeindepädagogische Perspektiven auf die Kinder- und Jugendtheologie.
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1) Bereitschaft zur Kommunikation und zum Sich-Einlassen sowie zur Reflexion Alle vier Beiträge machen durch ihre gewählten Beispiele deutlich, dass Jugendliche unter bestimmten Bedingungen dazu bereit sind, sich selbst auf solche Überlieferungen einzulassen, die sperrig und irritierend sind. Die von Brieden am Beispiel der Jona-Geschichte notierte Distanzierung trägt dabei durchaus produktiven Charakter, insofern sie im Akt kreativer Produktion »eigenes schützt und zugleich spürbar macht«. Dass sich diese Reflexionstätigkeit ihrerseits auch mit der Bereitschaft zur emotionalen, faszinierten Annäherung verbindet, wird in den dokumentierten Beispielen Troi-Boecks deutlich. Zudem zeigt sich hier erhebliche Differenzkompetenz – also etwas, was man landläufig den Jugendlichen gerade nicht zutraut. 2) Anknüpfungsbereitschaft an theologische Deutungsmuster Dass in den vier Beiträgen explizit wenig von Religion die Rede ist und auch die theologischen Perspektiven bzw. Konzepte über Phänomenbeschreibungen von Religion programmatisch hinausgehen (Zimmermann), gibt in positivem Sinn zu denken. Tatsächlich erschließen sich in den einzelnen Kommunikationssequenzen über die Auferstehungs-, Theodizee- und Wunderthematik sehr viel mehr als nur ein irgendwie geartetes, vages religiöses Gefühl oder bestimmte vorreflexive Assoziationen. Wenn als ein wesentliches Kriterium jugendtheologischer Deutung die »Offenheit gegenüber religiösen Deutungsangeboten« (Kallies) und deren
Reflexionsfähigkeit genannt wird, dann findet dies in den dokumentierten Gesprächen seinen im wahrsten Sinn des Wortes beredten Ausdruck. 3) Eigenständige Kommunikation Die Pointe der vier Beiträge ist hier, dass Jugendliche eben auch unter sich kommunizieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt bzw. eine bestimmte Thematik für sie relevant ist. D.h. die Rede von der »Theologie mit Jugendlichen« ist ihrerseits auch auf ihre eigenen Austauschprozesse und Sprechakte untereinander hin auszuweiten. Und Brieden verweist ganz zu Recht auf den bisher jugendtheologisch noch weitgehend unbeachteten Kommunikationsmodus des Gebets, der einen ganz eigenen kommunikativen Produktionsakt darstellt. Neben diesem Verweise auf mögliche offene Brücken sind aber auch Warnhinweise angebracht: 1) Grundsatzkritik und Verdacht der Übergriffigkeit: Die Terminologie des Theologisierens und insbesondere der »Kommunikation des Evangeliums« ist für Jugendliche bestenfalls unverständlich – jedenfalls wird sie nicht im Modus der Selbstbezeichnung formuliert. Hier zeigen die Befragungen Zimmermanns sehr deutlich die erhebliche Distanz Jugendlicher von theologischer Terminologie, aber interessanterweise auch deren hohe Decodierungsfähigkeit im Blick auf das, was sie als Kirchen- oder Missionssprache, möglichen kirchlichen Besitzanspruch oder Bekehrungsversuch identifizieren. Zugleich messen
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die Jugendlichen dem Religionsunterricht hier einen sehr viel weiteren Spielraum als dem kirchlichen Unterricht bei (Zimmermann). 2) Kommunikationsverweigerung und Fehlkommunikation Sehr deutlich wird in allen vier Beiträgen die jugendliche Distanznahme von konkreten biblischen Texten. Dies kann sich in Zuschreibungen wie »komisch«, aber auch in Blödelei oder körpersprachlichen Abwehrhaltungen (Troi-Boeck) manifestieren. Das Desinteresse hat dabei, dies ist aufschlussreich, sehr unterschiedliche Gründe: Es kann schlichtweg auf eine bestimmte Textsperrigkeit oder thematische Ratlosigkeit (Kallies) zurückzuführen sein. Aber auch die Dynamik in der Gesamtgruppe oder der fehlende Zusammenhang zur eigenen Lebenserfahrung (Troi-Boeck) sind hier wesentlich. Allerdings ist hier zugleich festzuhalten, dass es auch so etwas wie vermeintliche Kommunikationsverweigerung gibt, weil oftmals aus höchst guten Gründen der persönliche Glauben der Jugendlichen nur »sehr subtil zur Sprache kommt« (Zimmermann). 3) Exklusivität Angesichts der dokumentierten, teilweise höchst elaborierten Sprach- und Ausdruckskompetenzen einzelner Jugendlicher ist schon zu fragen: Wer ist überhaupt in der Lage, sich hier aufgrund der eigenen religiösen Sozialisation oder intellektuell in der benannten Weise einzulassen? Welche unausgesprochenen Vorentscheidungen, schon allein im Sinn der Entscheidung, wie und worüber gesprochen werden soll, verhindern positive »Gelingensbedingungen« (Kallies). Und wie steht es
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hier um die Kommunikationsbereitschaft von Jungen und Mädchen? Ich will aber hier doch gleichsam als einen Fixpunkt, der die offenen Brücken und die Warnhinweise miteinander verbindet, nochmals eine Sequenz aus den Beiträgen herausnehmen, die für mich in grandioser Weise verdeutlicht, was eine wesentliche Pointe jugendtheologischer Kommunikation und deren Deutung ausmacht: Es ist dies die von Zimmermann dokumentierte, von einer Schülerin transponierte Hiob-reloadedGeschichte, in der die haitianische Frau nochmals die Theodizeefrage für sich aufwirft – genauer der von ihr kreierte Schluss: Es endet eben nicht versöhnend mit den Worten »Und der Herr wandte das Geschick Hiobs. Und der Herr gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.« Sondern die Schülerin schließt mit dem eigenständigen Schlusssatz:« Wütend warf sie die Bibel in den Abfalleimer neben dem Bett, über die blutigen Binden, die faulen Essensreste und die Tagebücher der Nachbarin, die vor einer Stunde gestorben war.« Dieser Abschluss ist insofern großartig, als er zum einen die Erwartung unterläuft, als müsse diese transponierte Hiob-Geschichte gleichsam zu exakt demselben Ende wie in der biblischen Überlieferung führen. Zum anderen lässt sich dieser Schlussabschnitt gerade als ein Gesprächsangebot der Schülerin deuten, das angesichts der Dramatik der Ereignisse durch ihre eigene Deutung noch keineswegs ans Ende gelangt ist. So paradox es klingen mag: Selbst dort, wo für den Erwachsenen die jugendliche Kommunikation an ein Ende gekommen zu sein scheint, ist keinesfalls selbstver-
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ständlich davon auszugehen, dass dies faktisch auch für den Jugendlichen der Fall sein muss. Selbst diese Geschichte trägt sozusagen immer noch den Charakter eines durchaus offenen Ausgangs und das Potenzial, weitergeschrieben zu werden, mindestens theoretisch in sich. Nach diesen offenen Brücken und Warnhinweisen stellt sich mehr denn je die Frage nach dem wissenschaftssystematischen Zusammenhang der Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« mit den Grundsatzüberlegungen der Kinder- und Jugendtheologie – dies vor dem Hintergrund, dass zwischen der Begrifflichkeit selbst und der Sache, die darin zum Ausdruck gebracht wird, zu unterscheiden ist. Insofern sei im Folgenden in einer Matrix versucht, eine differenziertere Ortsbestimmung vorzunehmen, um von dort aus einige grundlegende Folgerungen aus den vier Beiträgen zu ziehen: Dieser Matrix ist die kategoriale Unterscheidung von Programm-, Analyse-, Praxis-, und Zielkategorie unterlegt (siehe Matrix S. 212): Für den Zuordnungsversuch der praktisch-theologischen Leiterspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der religionspädagogisch systematisch bearbeiteten Kinder- bzw. Jugendtheologie lässt sich eine gemeinsame programmatische Ebene und Fragestellung »Worin besteht der Wahrheitsanspruch bzw. die Relevanz bzw. die Lebensdienlichkeit christlicher Überlieferung?« namhaft machen – oder wie es Kallies in Aufnahme von Engemann als theologischanthropologisches Anliegen der »Kommunikation des Evangeliums« fasst: »dass Menschen als Menschen zum Vorschein kommen« (Kallies). In der Bearbeitung dieser Kernfragen zeigt sich das Grund-
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profil der Theologie als Wissenschaft bzw. die Grundaufgabe akademischer Theologie in ihren wissenschaftstheoretischen, theologischen, religions- und bildungstheoretischen wie in ihren interdisziplinären Zugängen. Auf der analytischen Ebene manifestiert sich das praktisch-theologische und das religionspädagogische Deutungsprofil entlang der Hauptfrage »Woher und wie wird religiöse Kommunikation beobachtet und gedeutet?«. Kinder- und Jugendtheologie kann hier verstanden werden als eine hermeneutische (»woher?«) und forschungsbasierte (»wie?«) Deutungsform im Sinn einer Meta-Kommunikation (Zimmermann) darüber, was sich im Modus der »Kommunikation im Licht des Evangeliums« ereignen kann. Dementsprechend verbinden sich hier Zugänge theologischer und pädagogischer Kriteriologie und Hermeneutik mit empirischer Forschung sowie wiederum der theologischen Deutung religiöser Kommunikationspraxis. Auf dieser analytischen Ebene kommen die »Kommunikation des Evangeliums« wiederum als theologisch-anthropologische Deutungskategorie sowie die Religionsdidaktik als Praxisdeutung, die ebenfalls von der theologischen Selbstverortung der Forschenden lebt, ins Spiel. Damit verbindet sich die aus meiner Sicht notwendige Unterscheidung zwischen verschiedenen Redeweisen von »Evangelium« – es sei hier dafür plädiert, die Signatur »Evangelium« jedenfalls nicht allzu schnell und unterschiedslos sogleich substantiell vom Verkündigungs- oder Offenbarungsbegriff hier zu bestimmen, sondern diese ihrerseits als eine höchst auslegungsbedürftige Grundfigur zu verstehen, die erheblicher theologischer Auslegungskunst bedarf.
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Auf der praxisbezogenen Ebene stellt sich die Hauptfrage »Wie findet religiöse Kommunikation und Reflexion über christliche Überlieferung statt?«. Hier manifestieren sich die »Kommunikation des Evangeliums« und die Kinder- und Jugendtheologie durch konkrete Akte des Kommunizierens und Theologisierens. Der Theologiebegriff wird hier nun neben seiner akademischen Fassung mit Begriffen wie dem der »Ordinary theology«, der Alltagstheologie oder der Laientheologe konnotiert und auf der Akteursebene kommen hier die Kinder und Jugendlichen bzw. die GesprächspartnerInnen an den unterschiedlichen Bildungsorten ins Spiel. Hinsichtlich der praxisbezogenen Zugänge geraten hier die unterschiedlichen Kontexte, Modi (verbale und nonverbale – vgl. etwa bei Kallies zu den Auferstehungshoffnungen) sowie Erschließungsdynamiken religiöser Emotion und Faszination (Troi-Boeck), Kommunikation und Reflexion in den Blick. Auf der Ebene der Zielkategorie wird wiederum in akademischer Hinsicht gefragt »Woher und mit welchem Ziel wird religiöse Kommunikation und deren kompetente Reflexion intendiert?«. Hier verbinden sich die Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Kinder- und Jugendtheologie zu einer gemeinsamen Deutungsaufgabe im Blick auf die theologische Kommunikation von, mit und für Kinder(n) und Jugendliche(n). Damit ist in Rückkoppelung an die programmatischen Aufgabenstellungen wiederum akademische Professionalität gefragt, jetzt aber nicht mehr nur im Kontext universitärer Forschung, sondern auch im Blick auf das Selbstverständnis der weiteren involvierten Bildungsinstitutionen. Als mögliche Zugänge sind hier
die Initiierung kompetenter theologischer Kommunikation als Reflexion religiöser Praxis, Relevanzerschließung, eine Sensibilisierung für Wahrheitsfragen sowie Möglichkeiten konkret erfahrbarer Lebensbegleitung zu nennen. Diese vierfache kategoriale Unterscheidung hat Folgerungen für die konkrete programmatische wie praktische Bildungsarbeit, die im abschließenden Abschnitt – in exemplarisch jugendtheologischer Hinsicht und wiederum mit Bezug auf die vier genannten Beiträge sowie die anfangs genannten offenen Brücken und Warnhinweise – wenigstens kurz angedeutet werden sollen: 1. Vielfach kommen in den vier Beiträgen mindestens durch die Zeilen hindurch die konkreten Lebenssituationen und Lebensfragen der Jugendlichen – auch in deren Brüchigkeit und mitsamt durchaus prekärer Zukunftsvorstellungen (Kallies) – deutlich zum Ausdruck und Vorschein. Dieser Biographiebezug (Zimmermann) verweist darauf, dass die jeweiligen Äußerungen eben nicht nur vor ihrem spezifisch religiösen Hintergrund zu betrachten sind. Vielmehr muss man sich klarmachen, dass diese im Einzelfall und vermutlich in allen Fällen in engstem Verhältnis zur konkreten Lebenssituation der einzelnen Jugendlichen stehen. Insofern sollte nicht nur darauf geachtet werden, wo und in welchem Sinne sich Jugendliche in Hinsicht auf Religion artikulieren, sondern in welchem weiteren Zusammenhang sie ihre jeweilige Deutung vornehmen. Dies umfasst zum einen, wie die Beiträge deutlich machen, existenzielle Fragen wie die nach Tod und Leben, aber auch nach Schönheit
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und Gerechtigkeit. Zum anderen aber sollten die einzelnen Aussagen auch von dorther gelesen werden, wo und wie sich Jugendliche in ihrer Lebensführung und Lebensweise aufgrund äußerer Verhältnisse limitiert, ausgegrenzt, oder gar abgeschoben fühlen. Insofern sind sowohl die Perspektive der Kinder- und Jugendtheologie wie auch die Perspektive der »Kommunikation des Evangeliums« zugleich heilsbedeutsame und heilsbringende (Kallies) Perspektiven für die gemeinsame Wahrnehmung und Analyse der spezifischen Lebenslagen, in denen sich die Jugendlichen befinden. 2. Von dort her ist die zu Recht aufgeworfene Frage, ob sich die Kommunikationsprozesse am Ort von Schule und Gemeinde eigentlich konstitutiv unterscheiden – ob also am Ort der Kirche gleichsam »mehr Substanz und Bekenntnis« als am Ort der Schule stattfinden kann und soll – mindestens von den genannten Kategorien aus sekundär. Denn an beiden Orten finden, weil es sich um dieselben Jugendlichen handelt, permanent Lebenserfahrungen und Narrationen statt. Oder wie gegenwärtig in den Trambahnen Zürichs für ein Stadtmagazin geworben wird: »In dieser Stadt geschehen jeden Tag neue Geschichten«. Tatsächlich sollte die Kraft biblischen Erzählens und Neu-Erzählens im Sinn der »Kommunikation über Gott« (so Zimmermann in Aufnahme von Grethlein) nicht nur an einen bestimmten Bildungsort verbannt werden. Allerdings weist Brieden zurecht darauf hin, dass am Bildungsort Kirche und Gemeinde insbesondere durch das hier initiierte sakramentale
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Geschehen auch eine zentrale und für die Jugendlichen unter Umständen ganz neue Dimension der Traditionserschließung im Sinn ihrer Lebensrelevanz erfahrbar werden kann – und dies sowohl in der Praxis des Lernens, Feiern wie des Helfens. 3. Die Deutung jugendlicher religiöser Kommunikation im Horizont der Kinder- und Jugendtheologie sowie im Horizont der Rede von der »Kommunikation des Evangeliums« muss konstitutiv davon ausgehen, dass Jugendliche in ihrem Eigenbereich, Eigeninteresse und eigenen Denken unbedingt zu schützen sind. All dies kann theologisch wiederum in einem weiten Sinn als Ausdruck und Konsequenz der unbedingt zu berücksichtigenden Glaubensfreiheit (Brieden) verstanden werden. Dies soll keineswegs ausschließen, dass man den Jugendlichen im Sinn einer theologischen Kommunikation mit ihnen Inhalte präsentiert, Gespräche anregt, Reflexion motiviert und gegebenenfalls auch bei bestimmten problematischen Aussagen und Deutungen plausibel interveniert. In diesem Sinn ist und bleibt aber zu fragen, ob die professionelle Wahrnehmungs- und Deutungspraxis in unterrichtlichen Prozessen tatsächlich schon in ausreichendem Maß vorhanden ist. 4. In pädagogischer Hinsicht kann nicht deutlich genug betont werden, dass alle Formen eines versteckten, geheimen Lehrplans im Sinn einer Art theologischer Teleologie zu vermeiden sind. Was hier gefragt ist – und auch davon leben alle vier genannten Beiträge und dokumentierten Gesprächssequenzen – ist die Frage der Haltung derjenigen, die sich in theologischer
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Hinsicht auf die Begegnungen mit Jugendlichen einlassen. Durch die unterschiedlichen Beiträge zieht sich unübersehbar eine Haltung des Respekts, der Anerkennung und auch der Offenheit für die jeweiligen individuellen Anschauungen und Äußerungen. Aber es ist doch noch einmal zu fragen, ob die notwendige Haltung, die den Jugendlichen entgegenzubringen ist, bei den Erwachsenen wirklich in tiefstem Sinn vorhanden ist. So banal es klingen mag: Letztlich werden Brückenüberschreitungen nur gelingen, wenn sich die erwachsenen BildungsakteurInnen bewusst sind, dass sie im Einzelfall tatsächlich fremdes Terrain begehen und zu respektieren haben, dass sie zuerst einmal Gäste derer sind, denen sie dort begegnen. Und hier scheint es mir nur wenig hilfreich, wenn man als Eingeladene den Gastgebern erst einmal vor Augen führt, wer sie angeblich sind oder erst recht was sie sein sollten. Man kann es an dieser Stelle mit der bulgarischen Philosophin Julia Kristeva sagen – und dies ist nicht zuletzt auch theologisch bedeutsam: »Können wir innerlich, subjektiv mit den anderen, können wir die anderen (er) leben? Ohne Ächtung aber auch ohne Nivellierung? Die Veränderung der Lage der Fremden, die sich gegenwärtig durchsetzt, nötigt uns, darüber nachzudenken wie weit wir fähig sind, neue Formen der Andersheit zu akzeptieren.«5 … »Das Gesicht des Fremden zwingt uns, die verborgene Art, wie wir die Welt betrachten … offen zu legen.«6 Und insofern kann man den notwendigen Perspektivenwechsel jugendtheologisch noch zu-
spitzen und sagen, dass wir erst vom Jugendlichen selbst die individuellen theologischen Fremdheitserfahrungen und die eigene Fremdheit überhaupt vor Augen geführt bekommen. 5. Man sollte nicht davon ausgehen, dass es sich – in Hinsicht auf die praxisbezogene Ebene – bei den Kommunikations- und Theologisierungsprozessen des wechselseitigen Austausches automatisch um linear gerichtete Erkenntnisprozesse handelt, an deren Ende dann eindeutige materiale Kenntnisse angeeignet sind. Mir erscheint es hier vielmehr angemessener, diese Prozesse selbst in ihrem zyklischen und zugleich höchst heterogenen Charakter zu denken. Hier ist auch zu betonen, dass diese wechselseitigen Erkenntnisprozesse eben nicht nur zwischen Erwachsenen und Jugendlichen stattfinden, sondern auch unter den Jugendlichen selbst (Troi-Boeck). An dessen verschiedenen Begegnungspunkten können sich jeweils neue Einsichten einstellen, die durchaus auch wieder revidiert, korrigiert oder überhaupt infrage gestellt werden können müssen – übrigens wie die von Troi-Boeck dokumentierten Gesprächssequenzen zeigen, unter den Jugendlichen selbst in sehr respektvoller Weise. Ob sich insofern theologisches Denken im engeren Sinn als ein Fortschrittsdenken, gar als normatives Homogenitätsdenken beschreiben lässt, wäre fundamentaltheologisch nochmals zu klären. Hochinteressant scheint mir hier jedenfalls, dass, so bei Troi-Boeck, 5 Julia Kristeva, Fremde sind wir uns selbst, Frankfurt a.M. 1990, 11. 6 Ebd., 13.
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die Jugendlichen selbst offenbar die geringsten Probleme mit der Diversität der verschiedenen Meinungen Andersdenkender haben. 6. Die Herausforderung für die professionellen TheologInnen besteht dann sowohl in programmatischer wie in zielorientierter Hinsicht darin, ihre eigenen Deutungen so einleuchtend zu gestalten, dass sie tatsächlich auch Raum für Ergebnisoffenheit (Zimmermann in Aufnahme von Grethlein) und zugleich für individuelle Verortungen bzw. Orientierungsmöglichkeiten eröffnen: Um Rudolf Bohrens Diktum aufzunehmen, »dass Gott schön werde …«7: es ist immer auch eine Frage der theologischen Kompetenz (Zimmermann), sich solchen Erkenntnis-Erfahrungen überhaupt öffnen zu können und zu wollen. Dabei eröffnet die Ausdifferenzierung der beiden theologischen Leitperspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« und der Kinder- und Jugendtheologie auch einen differenzierteren Umgang mit der Frage, ob individueller christlicher Glaube die notwendige Voraussetzung gelingender Kommunikation darstellt. Im Sinn eines hier favorisierten weiten Verständnisses der theologisch grundierten Suche nach dem Wahrheitsanspruch, der Relevanz und Lebensdienlichkeit christlicher Überlieferung kann diese Frage verneint werden. Denn diese Dimensionen des »Evangeliums« können sich der Sache nach auch denjenigen Jugendlichen erschließen, die diesen Überlieferungen selbst nicht »als für sie wahr« zustimmen. Mit anderen Worten: Die theologisch grundierte Rede von der Bedeutsamkeit des Evangeliums kann in ihrer Dignität und möglichen Le-
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bensrelevanz (wenn nicht für sie selbst, dann doch für andere) auch denjenigen Jugendlichen deutlich werden, die sich selbst keiner Religion oder Konfession zugehörig fühlen. Dass dies im besten Fall zugleich auch Anschlussstellen für die Theologie in anderen Religionen eröffnet, worauf Brieden am Koranbeispiel und des »schönen Tonfalls« hinweist, sei hier ebenfalls wenigstens erwähnt. 7. Insofern ist hier vielleicht wirklich so etwas wie eine prophetische Dimension der Theologie mit im Spiel, aber wiederum nicht im Sinn des »Auf den Kopf Zusagens«, als vielmehr im Sinn dessen, was John Hull folgendermaßen formuliert hat: »Theological education is often too concerned with knowledge, and with the interpretation of knowledge, as a way of maturing the faith of students but mature Christian faith does not consist only in having personal maturity but in pursuing the mission of God for life.«8 Und er setzt fort: »Just as theology is an emancipatory discipline, so the mission of God is primarily emancipatory.«9 Theologie als religionspädagogische Wissenschaft meint dann: missionarisch von Gott zu sprechen, aber nicht im alten Sinn, sondern eher in diesem Sinn: »Sie ist offen dafür, von ihrem Gegenüber etwas zu lernen, was den eigenen Glauben bereichert. Sie ermutigt Menschen zu einem eigenen kulturellen Ausdruck 7 Vgl. Rudolf Bohren, Daß Gott schön werde. Praktische Theologie als theologische Ästhetik, München 1975. 8 John Hull, Towards the Prophetic Church. A Study if Christian Mission, Norwich 2014, 242. 9 Ebd., 242.
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ihres Glaubens. Sie schätzt das Medium der Kultur als Chance, Menschen für die Kommunikation über Inhalte des Glaubens zu gewinnen. Sie geht nicht an Bewusstsein und kritischer Reflexion vorbei und will eine nachhaltige Mission mit Qualität sein.«10 Oder noch einmal deutlicher gesagt: Die Verantwortung einer theologisch fundierten Programmatik, Analyse, Praxis und Zielsetzung liegt eben nicht nur darin, die theologische Kompetenz der Jugendlichen zu erhöhen, sondern auch die Lebensvoraussetzungen aller kommunizierenden Akteure – mitsamt der hier intensiv vorhandenen Emotionen (TroiBoeck) – von Beginn ebenso scharf wie möglich im Blick zu haben und in alldem die theologische Grundüberzeugung von der prinzipiellen Annahme und Anerkennung jedes Einzelnen mitzuführen. In diesem Sinn verweist Kallies ganz zu Recht auf die »lebensstützende, resilienzfördernde Wirkung« und Tragfähigkeit theologischer Kommunikation. 8. In diesem Deutungsrahmen sind die beiden theologischen Perspektiven der »Kommunikation des Evangeliums« wie der Kinder- und Jugendtheologie durch das unhintergehbare Moment der Unverfügbarkeit miteinander verbunden. Dieses sollte nun aber nicht nur als eine Art pädagogisches Grundprinzip, dass jeder Lehrende aus seiner eigenen Unterrichtserfahrung ohnehin kennt, verstanden werden. Vielmehr haben wir es hier in theologischem Sinne mit einer Zentralkategorie aller Reflexions- und Kommunikationsprozesse zu tun, die ihrerseits durchaus auch pneumatologisch zu verstehen ist. Eine
solche Einsicht in die Unverfügbarkeit dessen, was geplant, strukturiert und intendiert werden soll, hat damit eine zugleich entlastende wie motivierende und durchaus auch zuspitzende Funktion. Sie entlastet die Lehrenden davor, ihre eigenen Möglichkeiten zu überschätzen, sie motiviert sie zugleich dazu, die vorhandenen Potenziale der Jugendlichen jedenfalls nicht zu unterschätzen und ihnen selbst zuzutrauen, dass diese ihre ganz eigenen, stimmigen Antworten für sich finden werden. Von dort aus könnte dann auch die Unterscheidung zwischen einer »Kommunikation des Evangeliums« und einer »Kommunikation im Licht des Evangeliums« Sinn machen. Denn religionspädagogische Theorie und Praxis haben eine beleuchtende Funktion, die ihrerseits von der bestimmten Überzeugung, dass diese Leuchtkraft nicht einfach aus sich selbst heraus generiert werden kann, getragen ist. Die Grundbedingung ist, dass zwischen den beteiligten Akteur/innen Vertrauen (Troi-Boeck) besteht und eben jene theologisch grundierte Achtsamkeit und Aufmerksamkeit der Unterrichtenden gegeben ist. Unter dieser Voraussetzung können dann unterschiedlichste persönliche, freie und kreative Manifestationen – mit anderen Worten: gelingendes Lernen, Feiern und Helfen – im Licht dessen entstehen, wovon theologisch gesprochen, immer schon die Rede ist.
10 Siegfried Eckert u.a., Bonner Thesen (2005) in: http://bgv.ekir.de/blog/mission-weiter-den ken/
Schröder Kommunikation des Evangeliums
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Bernd Schröder Kommunikation des Evangeliums – gemeindepädagogische 1 Perspektiven auf die Kinder- und Jugendtheologie
1. Vergegenwärtigung der Leitfrage
Die Tagung »Kinder- und Jugendtheologie als ›Kommunikation des Evangeliums‹?« führt drei bislang weitgehend selbständig geführte Diskurse – diejenigen zur Kindertheologie, zur Jugendtheologie und zur Kommunikation des Evangeliums – und deren Teilnehmende zusammen. Die Themenstellung ruft unterschiedliche Ebenen der Thematisierung und Einschätzung auf – drei dieser Ebenen möchte ich explizit machen und mit Leitfragen unterlegen. Auf der Theorieebene lautet die entscheidende Frage: Was gewinnt (oder verliert) Kinder- und Jugendtheologie an Einsichten, wenn sie im Licht der Theorie der Kommunikation des Evangeliums reflektiert wird? Auf der phänomenalen Ebene lautet die Frage: Wird durch Kinder- und Jugendtheologie (im Gelingensfall) Evangelium kommuniziert? Und auf der – zwischen den beiden zuvor genannten Ebenen liegenden – didaktischen Ebene ist zu fragen: Zielt Kinderund Jugendtheologie darauf, Evangelium zu kommunizieren oder nicht vielmehr etwa darauf, Schülerinnen und Schüler zur Selbstartikulation und Reflexion daseins- und wertorientierender Fragen zu veranlassen? Stellen die didaktischen Arrangements der Kinder- und Jugendtheologie ggf. angemessene Instrumente dar, um die Kommunikation des Evangeliums zu initiieren oder zu unterstützen?
Das Tagungsprogramm hat diese drei Ebenen z.T. zu unterscheiden getrachtet. In den ersten Beiträgen sollte die Kommunikation des Evangeliums als Theorem vorgestellt und diskutiert werden (Christian Grethlein sowie – jeweils im Modus kritischer Auseinandersetzung – Reinhold Boschki, Christiane Tietz, Bernd Krupka und Annemi Dillen), in allen übrigen ging es anhand verschiedener religionspädagogischer Handlungsfelder zwischen Familien- und Erwachsenenbildung z.T. in empirisch-analytischer Absicht, z.T. in didaktischer Abzweckung um die Prüfung, ob es durch kinder- und jugendtheologische Interventionen v.a. im Vorschul-, Grundschul- und Jugendalter zu etwas kommt, was man als »Kommunikation des Evangeliums« identifizieren kann (Beiträge von Noemi Bravená bis zu Norbert Brieden). Beim Hören der Beiträge drängten sich mir zwei Eindrücke auf. Erstens: Theorie-, Didaktik- und Phänomen-Ebene gerieten des Öfteren durcheinander
1 Der folgende Text ist als ertragssichernder Rückblick auf die erste gemeinsame Tagung der Arbeitskreise für Kinder- und Jugendtheologie im September 2016 entstanden und wurde am Ende dieser Tagung vorgetragen. In der Schriftfassung sollte dieser Sitz im Leben kenntlich und der damalige Duktus beibehalten bleiben; die Beobachtungen an den seinerzeit vorgetragenen Beiträgen wurden nicht an deren Schriftfassung verifiziert.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
bzw. wurden nicht hinreichend deutlich unterschieden, so dass etwa das Fehlen bestimmter Phänomene unmittelbar als ›Fehler‹ der Theorie der Kommunikation des Evangeliums verbucht wurde. Zweitens: Auf Seiten derer, die ihr Praxis- oder Forschungskonzept als Kinderoder Jugendtheologie verstehen, herrschte mehrheitlich Skepsis dem Begriff und dem Phänomen der Kommunikation des Evangeliums gegenüber, und zwar wohl vor allem, weil befürchtet wird, der Begriff »Evangelium« sei als normative Vorgabe der Kommunikation zu verstehen und stünde so in Spannung zur intendierten Offenheit des Kommunizierens. In Anbetracht dessen plädiere ich für eine deutliche begriffliche und sachliche Unterscheidung zwischen dem ›Kommunizieren des Evangeliums‹ (als Phänomen der Praxis), der Kinder- und Jugendtheologie (als didaktischem Konzept) und der ›Kommunikation des Evangeliums‹ (als Theorem oder Theorie2). Deren Zuordnung stellt sich aus meiner Sicht wie folgt dar: – Kinder- und Jugendtheologie als didaktischem Konzept muss – wenn sie denn als (christliche) Theologie identifizierbar sein soll – daran gelegen sein, in der Praxis darauf hinzuwirken, dass nicht irgendetwas, sondern Evangelium kommuniziert wird; dementsprechend müsste sie als Referenztheorie empirischen Arbeitens bereit und in der Lage sein, festzustellen, ob in einem Lehr-Lern-Prozess Evangelium kommuniziert wird. Da das Evangelium stets in, mit und unter Religiösem kommuniziert wird, ist hier theologisches Unterscheidungsvermögen gefragt. – Anders verhält es sich mit der ›Kommunikation des Evangeliums‹ als
Theorem. Kinder- und Jugendtheologie sollte zwar prüfen, ob sie sich entweder als Teil einer Theorie der Kommunikation des Evangeliums begreifen könnte oder umgekehrt ›Kommunikation des Evangeliums‹ als Teil einer umfassenderen Theorie der Kinder- und Jugendtheologie zu rezipieren sein könnte, doch eine sachliche Notwendigkeit der Zuordnung oder gar einer bestimmten Zuordnung besteht nicht. Bei diesen wie den folgenden Überlegungen ist im Blick zu behalten: Hier wird von der »Kinder- und Jugendtheologie« wie von der »(Theorie der) Kommunikation des Evangeliums« im Singular gesprochen, um Diskurslinien klar zu umreißen; dies geschieht im Wissen, dass es weder Kindertheologie noch Jugendtheologie oder die (Theorie der) Kommunikation des Evangeliums im Singular gibt. Im Falle der Kinder- und Jugendtheologie bildet sich diese Pluralität unübersehbar in der rasant wachsenden Ausdifferenzierung ihrer Binnenstruktur ab: Ist seit den Anfängen die Unterscheidung von Theologie »von« und »für« Kinder(n) sowie »mit« Kindern geläufig,3 so haben Thomas Schlag 2 Mit diesem weitreichenden Anspruch wird von »[Theorie der] Kommunikation des Evangeliums« in Christian Grethleins »Praktische[r] Theologie«, Berlin/Boston 22016, gesprochen; vgl. bes. § 1. 3 Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?, in: JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9–27, sowie Gerhard Büttner / Hartmut Rupp (Hg.), Theologisieren mit Kindern, Stuttgart 2002. Rezipiert wurde diese Trias zumeist im Anschluss an Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? in: JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18.
Schröder Kommunikation des Evangeliums
und Friedrich Schweitzer in ihren Bänden zur Jugendtheologie diese drei Kategorien mit fünf weiteren gekreuzt, so dass sich eine hochdifferenzierte Matrix ergibt;4 alternativ hat etwa Mirjam Zimmermann Substrukturen vorgeschlagen.5 Eine analytische Sichtung sowohl der einschlägigen Jahrbücher6 als auch des ca. vierzig Jahre währenden Gebrauchs des Begriffs »Kommunikation des Evangeliums«7 würde zudem unschwer positionelle Differenzen hervortreten lassen. 2. Wahrnehmungen an Tagungsbeiträgen 2.1 Wahrnehmungen zur Kommunikation des Evangeliums
Kommunikation des Evangeliums, verstanden als Theorie, bietet sich an als ein mögliches Dach für didaktische Konzepte wie die Kinder- und Jugendtheologie. Beide haben – so die Auffassung nicht weniger Vortragender – weithin gleichsinnige Anliegen (vgl. namentlich Christian Grethlein, Oliver Reis und Gerhard Büttner), wenn auch unterschiedliche theoretische Reichweite und sachliche Akzente. Eine Zuordnung der Kinder- und Jugendtheologie zu diesem Dach setzt (wie diejenige zu jedem anderen Dachbegriff bzw. -konzept) bestimmte Wahrnehmungen frei und verdunkelt andere. So lässt der Rekurs auf Kommunikation des Evangeliums die Kinder- Jugendtheologie u.a. verstärkt fragen nach … – dem Prozess des Kommunizierens, d.h. nach der Vielfalt der Kommunikationswege der Subjekte (Medien!), nach den vielfältigen, darunter non-verba-
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len Weisen, in denen theologisiert werden bzw. das Evangelium präsent sein kann, nach der Vielzahl der genutzten Codes und dem Einfluß der Kontexte und der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, – der methodischen und perspektivischen Komplexität, die sich in der Dokumentation und Interpretation von Kommunikationsprozessen wie etwa dem »Theologisieren« abbilden sollte. Die Theorie der Kommunikation des Evangeliums insistiert darauf, dass (unterrichtliche) Kommunikationsprozesse u.a. im Rekurs auf Kommunikationswissenschaften zu analysieren sind und die Vorstellung, die sich Kinder- und Jugendtheologie von Kommunikation macht, an Komplexität nicht hinter dem Kommunikati-
4 Hier zitiert nach Thomas Schlag: Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?, in: Petra FreudenbergerLötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«. Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, JaBuJu 1, Stuttgart 2013, 16. 5 Vgl. hier nur Mirjam Zimmermann, Art. Kindertheologie, in: WiReLex (2015); https://www. bibelwissenschaft.de/stichwort/100020/ [Zugriff: 28.12.2017]. 6 Das »Jahrbuch für Kindertheologie« erscheint, anfangs in der Herausgeberschaft von Anton A. Bucher / Gerhard Büttner / Petra FreudenbergerLötz / Martin Schreiner, seit 2001 in Stuttgart. Inzwischen liegen 15 Jahresbände und etliche Sonderbände vor. Das »Jahrbuch für Jugendtheologie« erscheint, verantwortet von einem größeren Herausgeberkonsortium, seit 2013, ebenfalls in Stuttgart. 5 Bände liegen vor. 7 Vgl. dazu abgesehen von den Hinweisen bei Christian Grethlein selbst: Michael Domsgen / Bernd Schröder, Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
onsverständnis eben dieser Kommunikationswissenschaft zurückbleiben sollte. Konkret bedeutet dies, dass Unterrichtsforschung im Zeichen von Kinder- und Jugendtheologie nicht etwa allein mit einem Verbatim von Unterricht arbeiten sollte, sondern mit Videografie, die verschiedene Kommunikationskanäle und -codes zu analysieren gestattet. – der Vielzahl möglicher Kommunikatoren des Evangeliums (Familie, Peers, Pfarrer/innen, Religionslehrende, Ehrenamtliche) und Kommunizierenden verschiedener Altersgruppen (auch jenseits des Jugendalters). Kinder- und Jugendtheologie rückt auf diese Weise aus dem Rahmen formaler Bildungsorte heraus – sie wäre, etwa in ihrer Gestalt als »implizite« Theologie von Kindern, auch in Multimedia oder im (Kinder-)Theater zu identifizieren. – der inhaltlichen Qualität des ›Theologisierens mit Kindern / Jugendlichen‹, nämlich danach, ob und inwiefern sich für die Kommunizierenden im Theologisieren Evangelium (als bestimmter, unverfügbarer Zuspruch Gottes, der als für tragfähig erachtete, verändernde Deutung des eigenen Lebens angeeignet wird) erschließt, – dem Zusammenhang des »Theologisierens« (in welchem Setting auch immer) mit Theologie in ihrer akademischen Gestalt und mit Kirche als deren institutioneller Sachwalterin. In diesen Hinsichten ergeben sich somit keine konzeptionellen Widersprüche, sondern – um mit Maria Montessori zu sprechen – Polarisationen von Aufmerksamkeit, darunter eine für Kriterien einer ausdrücklich theologischen Reflexion des-
sen, was im Theologisieren mit Kindern geschieht. 2.2 Wahrnehmungen zur Kinderund Jugendtheologie
Das Konzept der Kinder- und Jugendtheologie, im deutschsprachigen Diskurs seit Beginn der 2000er Jahre be- und ausgearbeitet, hat insbesondere die religionsdidaktische Debatte bereichert:8 Es hat den einschlägigen Diskurs vorangebracht und vergewissert, es hat aber auch – anregende – Fragen aufgeworfen. Beides bildet sich u.a. auch in den Beiträgen zur Züricher Tagung ab. 2.2.1 Gewinne Die eingespielten Gewinne versuche ich jeweils auf einen Begriff zu bringen, der anschließend knapp erläutert wird: – Verallgemeinerungsfähigkeit: »Theologisieren« ist als eine Art und Weise, religiöse Themen zu kommunizieren, erkennbar geworden, die die lernenden Individuen aktiviert, den Lehrenden eine subjektorientiert-schmiegsame Haltung erlaubt und an verschiedenen Lernorten und in verschiedenen Altersgruppen (auch jenseits des Jugendalters) möglich und sinnvoll einzusetzen ist. – Raumgewinn für Selbstexplikation von Kindern und Jugendlichen im Un8 In diesem Sinne konstatiert das »Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden«, hg. v. Gerhard Büttner / Petra Freudenberg-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner, Stuttgart / München 2014, 9, in seinem ersten Satz: »Kindertheologie ist ein erfolgreiches religionsdidaktisches Konzept.«
Schröder Kommunikation des Evangeliums
terricht: Kinder- und Jugendtheologie hat sich als ein wichtiger, v.a. in Grundschule und unterer Sekundarstufe I gerne beschrittener Weg zur Umsetzung des didaktischen Prinzips der Schülerorientierung in unterrichtliche Praxis erwiesen, damit verbunden auch als Stimulus zur Wertschätzung von Schüleräußerungen und als Instrument zum Sichtbarmachen von Bildung im Sinne intrinsisch motivierten, selbstgesteuerten Lernens. – Förderung der Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz von Lehrenden: Kinder- und Jugendtheologie hat zusammen mit entwicklungspsychologischen Einsichten und empirischer Forschung zur Religiosität von Kindern und Jugendlichen viele Lehrende sensibilisiert für die Religioidität und reflexive Qualität von Äußerungen Lernender. Sie regt zudem an, diese Äußerungen, die häufig nur implizit theologisch zu sein scheinen, mit expliziter Theologie in Beziehung zu setzen – insofern eröffnet Kinder- und Jugendtheologie ein Feld, auf dem sich bewährt, ob Lehrende »Äußerungen von Schülerinnen und Schülern […] genauso kundig lesen und interpretieren […] können wie theologische Texte«9. Es wird indes auch deutlich, dass diese Dechiffrierung nicht weniger, sondern mehr akademisch-theologische Bildung erforderlich werden lässt. – Wertschätzung von Heterogenität: Kinder- und Jugendtheologie erweist sich als ein didaktisches Arrangement, dass nicht auf Homogenität und gleichsinnige Informiertheit der Schülerinnen und Schüler angewiesen ist, sondern im Gegenteil von deren Heterogenität, von der faktischen Distanz vieler
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Lernender zu Kirche, christlicher Religionspraxis und Theologie, und, nicht zuletzt, sogar von »chaotischen« Rahmenbedingungen (Bravená, TrojBoeck) zu profitieren vermag. – Zugewinn an erhobenen Daten (qualitativer Art): Schließlich hat Kinder- und Jugendtheologie in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass – primär verbale – Äußerungen von Kindern und Jugendlichen zu theologischen Themen dokumentiert wurden und z.B. für die unterrichtliche Verwendung zur Verfügung stehen. 2.2.2 Problemanzeigen Allerdings gehen mit diesen Gewinnen auch Phänomene einher, die weiterer Klärung oder Korrektur bedürfen: – Konzentration auf das gesprochene Wort: Die verbale Äußerung und das Gespräch als Unterrichtsmethode haben in kinder- und jugendtheologischen Sequenzen – trotz einiger Versuche, dem entgegenzusteuern10 – nolens volens exponiertes Gewicht gewonnen – bis hin zur Programmformel »Theologische Gespräche mit Kindern«11. Dies kollidiert sowohl mit Einsichten der Unterrichtsforschung und mit inklusionspädagogischen Maximen, in deren Licht das Gespräch nicht als bestmög9 Kirchenamt der EKD (Hg.), Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD, Gütersloh 1994, Abs. 2.14. 10 JaBuKi 14, Stuttgart 2015. 11 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 22015.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
lich geeignet gilt, möglichst viele Mitglieder einer Lerngruppe aktiv einzubeziehen, als auch mit denjenigen der Kommunikationswissenschaft, die auf nonverbale Codes aufmerksam macht. – Passung zu regelschulförmigen Lernsettings: In dokumentierten Unterrichtsequenzen scheint selten eine reguläre Unterrichtssituation (Unterricht im Klassenverband, Einbettung in sequentielles Lernen, Lehrplanbezug) zugrunde zu liegen; dies wirft die Frage nach der Passung kinder- und jugendtheologischer Arrangements zu allgemein-schulischen Rahmenbedingungen und Standards auf. – Theologizität: In vielen Dokumentationen kinder- und jugendtheologischer Unterrichtssequenzen bleiben sowohl die Äußerungen der Lernenden als auch die Analysen der Interpreten im Bereich der »Objektreflexion«. Anders gesagt: Kaum je wird von »Mittelreflexion« als dem notwendigen Unterscheidungsmerkmal zwischen »Theologie« und »Religion« berichtet.12 Nicht minder bemerkenswert ist, dass kaum je (rückblickend) diagnostiziert wird, dass eine Schülerin oder ein Schüler nicht theologisiert. Dieser Umstand kann darauf hinweisen, dass Kinder- und Jugendtheologie zur Vereinnahmung von Schüler/innen im Sinne des Konzeptes neigt oder darauf, dass die These des Theologisierens von Kindern und Jugendlichen bislang zu lernspezifisch gefasst ist, um falsifizierbar sein zu können.13 – Weiterführende Konfrontation mit »Fremdpositionen«14: Kaum je wird erhellt, wie die – beobachtete oder empirisch erhobene – Theologie der Kinder und Jugendlichen kritisch-konstruktiv mit
theologischen Denkfiguren bzw. Einsichten akademischer Theologie in Beziehung gesetzt und herausgefordert wird. Gerade dieses In-BeziehungSetzen dürfte aber ein wesentliches Moment des Lernprozesses sein, der intendiert wird oder intendiert werden sollte – die bloße Artikulation von Gedanken ist zwar ebenfalls ein Gewinn, aber noch kein hinreichender für formale Bildungsprozesse. – Verhältnis zu anderen schülerorientierten didaktischen Konzepten: Kinder- und Jugendtheologie wird kaum einmal positiv ins Verhältnis gesetzt zu anderen, ebenfalls schülerorientierten Lernarrangements und didaktischen Konzeptionen – etwa zur Symbolbzw. Zeichendidaktik, zum interreligiösen Lernen oder auch bestimmten Lesarten der Kompetenzorientierung. 2.2.3 Kartografie Die in Zürich zu Gehör gebrachten Beiträge, aber auch die Artikel in den »Jahrbüchern für Kindertheologie« wie »für 12 Dieser Kritikpunkt wird seit dem Aufkommen dieses Paradigmas vorgetragen, zuletzt nachdrücklich und mit distinkter Begrifflichkeit durch Bernhard Dressler, Zur Kritik der »Kinder- und Jugendtheologie«, in: ZThK, 111. Jg. 2014, 332–356, etwa 339: »Die mit der Unterscheidung von Religion und Theologie verbundenen Distinktionsgewinne […] werden verspielt.« (vgl. nochmals 349). 13 Vgl. dazu die Überlegungen von Mirjam Zimmermann, Kann Kindertheologie auch unwahr sein? Ein Plädoyer für differenzierte Bewertungskriterien in der Kindertheologie, in: ZPT, 68. Jg. 2016, Heft 1, 58–72. 14 So mit Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II, in: Petra Freudenberger-Lötz u.a. (Hg.) (wie Anm. 4), 49 (Schritte 2a/b).
Schröder Kommunikation des Evangeliums
Jugendtheologie« sind in ihrem theoretischen Anspruch wie in ihrer inhaltlichen Ausrichtung keineswegs homogen. Es mag hilfreich sein, sie im Blick auf zwei – unbestreitbar – zentrale Dimen-
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sionen religionsdidaktischer Konzeptionen, nämlich pädagogische Qualität und Theologizität, zu kartografieren. Die entsprechende Landkarte ließe sich wie folgt zeichnen:
Programmatischer Anspruch (Kinder- und Jugendtheologie als »Konzept«)
Pädagogische Qualität
Selbstbindung an
christliche Theologie (»Bestimmtheit«)
Theologizität
Offenheit für Äußerungen der SuS (»Unbestimmtheit«)
Pragmatischer Zugang (Theologisieren als Methode)
3. Grundsätzliche Einsichten und Anfragen
In kinder- bzw. jugendtheologisch durchdachten Lernarrangements gelingt – soweit dies aus der Distanz eines Lesenden oder Hörenden mit den Informationen, die gegeben werden, beurteilbar ist – nicht selten das Kommunizieren zwischen Schülerinnen und Schülern sowie zwischen diesen und den Lehrkräften; es vollzieht sich demnach auch religiöses Lernen durch Förderung der Artikulationsfähigkeit, durch Erkenntnisgewinn, durch Aufbau theologischer
Urteilsfähigkeit u.ä.m. Gleichwohl geben die bisherigen theoretischen Klärungen zur Kinder- und Jugendtheologie Anlass zu fragen: Erstens: Worin besteht der konzeptionell intendierte Lernprozess bzw. Lernfortschritt? Wie wird er – zumal in Institutionen formaler Bildung wie der Schule – im Sinne der Kinder- und Jugendtheologie operationalisierbar (auf didaktischer Ebene) und beschreibbar (auf theoretischer Ebene)? Zweitens: Mit welchem Recht / aus welchem Grund bietet das – schülerorientiert und induktiv – angelegte »Theo-
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
logisieren« Kindern und Jugendlichen ausschließlich christliche Theologoumena an? Welche Kenntnisse und weitere Voraussetzungen bräuchten Religionslehrende für das Theologisieren mit jüdischen und muslimischen Schülerinnen und Schülern? Oder setzt das Theologisieren Konfessionsgleichheit von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden bzw. eine Art vorab gegebenes Einverständnis mit dem angestrebten inhaltlichen Gefälle des Lernprozesses voraus? Kann man sagen: Je religiös heterogener die Lernenden, desto religionswissenschaftlicher muss das Theologisieren grundiert sein, um den verschiedenen Lernenden pünktlich und passgenau die für ihre jeweils individuelle religiöse Entwicklung förderliche Denkfiguren und -gehalte anzubieten? Worin aber besteht dann das unterscheidende Moment zwischen »Theologisieren« und »Über- Religion-Kommunizieren«? Drittens: Welche Qualifikationen sind für das Theologisieren (im Unterschied zur allgemeinen ReligionslehrendenBildung) vorauszusetzen? In dieser Hinsicht sind zwei Akzente denkbar, die eine deutlichere Profilierung von Kinder- und Jugendtheologie implizieren: entweder ruht der Akzent auf pädagogisch-diagnostischen oder auf den theologisch-interpretativen Kompetenzen; dementsprechend würde Kinder- und Jugendtheologie entweder stärker als methodisches Arrangement oder als Quellort des Theologietreibens profiliert. Viertens: Welche Objektivität, Reliabilität und Validität kommt den empirischen Daten zu, die im Rahmen kinder- und jugendtheologischer Unterrichtssequenzen erhoben werden? In dieser Frage steckt ein Schibboleth für die verschiedenen Ansätze der Kinder- und Jugendtheo-
logie, die bislang ein didaktisches Interesse und zugleich, gleichsam nebenbei, ein empirisch-forschendes Interesse zu verfolgen versuchen. Ein methodisch geleitetes Bemühen um Verbesserung der Datenqualität würde die theoretische Nutzbarkeit deutlich erhöhen, zugleich aber die Praxisnähe und didaktische Applizierbarkeit des Konzepts, die wesentlich sein dürfte für die große Resonanz, die es bislang gefunden hat, reduzieren. Fünftens: Auf der Linie des oben zitierten Diktums aus der EKD-Denkschrift von 1994 erscheinen die Begriffe ›Kinder- und Jugendtheologie‹ in erster Linie als Ausdruck der Wertschätzung für die Artikulation und Reflexion religiöser Selbstverständnisse – eine Wertschätzung, die analog auch etwa einer ›(Jungen) Erwachsenen-‹ oder ›Senioren-Theologie‹15 gebühren würde. Im Kern bleibt die Frage, ob die Bezeichnung solcher Artikulation und Reflexion religiöser Äußerungen, die inhaltlich eine fluides Spektrum zwischen evangelikalen und bestenfalls religoid zu nennenden Positionen markieren, mit dem Begriff »Theologie« einerseits dem Selbstverständnis der jeweiligen Subjekte, andererseits den Merkmalen weisheitlicher oder wissenschaftlicher Theologie hinreichend Rechnung trägt.16 15 Vgl. Bernhard Dressler (wie Anm. 12), 348, Anm. 70. 16 Die Debatte zieht sich durch die »Jahrbücher für Kindertheologie«, insbesondere in Gestalt der Voten von (wissenschaftlichen) Theologen verschiedener Disziplinen, und ist mit den Explikationen im Diskussionsband »Jugendtheologie«, hg. v. Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer, Neukirchen-Vluyn 2012, bes. 102ff und 169f nicht beendet – vielmehr bricht sie neu auf in der Auseinandersetzung mit dem Theorem der »Kommunikation des Evangeliums«.
Schröder Kommunikation des Evangeliums
4. Gemeindepädagogische Perspektiven 4.1 Gewinne für gemeindepädagogische Kontexte aus der Anwendung der Kinder- und Jugendtheologie
Das Programm der Kinder- und Jugendtheologie sensibilisiert (auch) die Gemeindepädagogik für die Heterogenität der Kinder und Jugendlichen, mit denen sie es in der Praxis zu tun hat. Sie weist Gemeindepädagoginnen und -pädagogen konzeptionell geleitet hin auf die Differenziertheit kind- und jugendlicher Selbstexpression und Religiosität – gerade auch im Blick auf theologische Themen und die Wahrnehmung von Kirche(n) wie konfessioneller Differenz. Das Programm der Kinder- und Jugendtheologie kann Kinder und Jugendliche als Getaufte ernstnehmen, deren Glauben es wertzuschätzen und deren Erfahrung mit christlicher Religion, deren Glaubenswissen und -reflexion es zu fördern gilt. Mehr noch: Unter der Voraussetzung des Getauftseins und des Indie-Taufe-Hineinkriechen-Wollens der Kinder und Jugendlichen, mit denen es gemeindepädagogisch reflektiertes Handeln im Allgemeinen eher zu tun hat als schulisch-religionsunterrichtliches Handeln, ist die Rede von Theologie der Kinder/Jugendlichen als eine Facette ihres Priestertums am ehesten angemessen. Das Programm der Kinder- und Jugendtheologie unterstützt das Bemühen um möglichst symmetrische und beziehungsbasierte Kommunikation professioneller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kindern und Jugendlichen, das freilich in der Gemeindepädagogik seit ihren
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Anfängen in den 1970er Jahren angestrebt wird. Das Programm der Kinder- und Jugendtheologie bearbeitet die zentrale Baustelle, der sich auch die Gemeindepädagogik widmet: die Kluft zwischen dem (religiösen) Selbstverständnis von Menschen und den Einsichten wissenschaftlich elaborierter Theologie. 4.2 Gewinne für die Kinder- und Jugendtheologie aus ihrer Anwendung in gemeindepädagogischen Kontexten
Der Lernort »Gemeinde« bietet spezifische Möglichkeiten der Fortführung und Vertiefung dessen, was Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen als unterrichtliches Instrument in der Schule leistet bzw. leisten kann, etwa – einen (verglichen mit Schule und Unterricht) informellen Kontext, der die Kommunikation unter Peers und eine Kultur der Wertschätzung ihnen gegenüber erleichtert, – von Kindern und Jugendlichen nutzund gestaltbare Räume und Zeiten, die aber nicht neutral, sondern »kirchlich« bzw. »christlich« kontextualisiert sind und so eine »vorbereitete Umgebung« (Maria Montessori) für das Theologisieren mit Kindern/Jugendlichen bieten, – die Chance, Lernende mit bestimmter religiöser Praxis vertraut zu machen und religiöse Erfahrung anzubahnen. Insofern vermag die gemeindliche Arbeit ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten zu bieten, um Reflexion zu stimulieren, non-verbale und nicht primär kognitive Lernwege bzw. Modi der Kommunikation (Lernen, Feiern,
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
Helfen) zu nutzen und damit nicht zuletzt Anlässe für ein begründetes, ggf. verbindlich werdendes Sich-Verhalten-zu geben, – ein Gefüge unterschiedlicher professioneller wie nicht-professioneller Ansprechpartnerinnen und -partner (jugendliche Teamer, Diakon/inn/en, Pfarrer/innen, ggf. erwachsene Ehrenamtliche), denen sie einen religiösen bzw. theologischen Vorsprung zuschreiben bzw. von denen sie »sich etwas versprechen« (Th. Schlag), – einen Referenzrahmen, der eine über Reflexion hinausweisende Perspektive freisetzt, etwa Gemeinschaft (in der Lebensdeutung und -führung), Zugehörigkeit (durch Taufe), Mitgliedschaft (in der Kirche). 4.3 Spezifische Grenzen und Probleme der Kinder- und Jugendtheologie in gemeindepädagogischen Kontexten
Zugleich aber sind auch lernortspezifische Grenzen und Probleme zu gewärtigen: Gemeindliche Arbeit hat eine geringere Reichweite als schulischer Religionsunterricht, insofern ihre Öffentlichkeit für Nicht-Gemeindeglieder weniger deutlich erkennbar ist als diejenige des Schulfaches Religion. Die kommunikative Offenheit des Theologisierens wird im Rahmen der Parochialgemeinde durch kontextuelle Signale (Raumgestalt, christlich-religiöse Symbole, Person des Unterrichtenden usw.) restringiert. Die Ausrichtung der Kinder- und Jugendtheologie auf bestimmte Altersgruppen, die nur pragmatisch, nicht
aber sachlich und didaktisch einleuchtet – eine Erwachsenen- oder Seniorentheologie wäre unter prinzipiell ähnlichen Vorzeichen nicht nur denkbar, sondern wünschenswert –, steht in Spannung zum intergenerationellen Auftrag gemeindlicher Kommunikation des Evangeliums. Aus dieser Spannung resultiert eine Aufgabe, nämlich diejenige, Ergebnisse von Kinder- und Jugendtheologie in die gemeindliche Kommunikation einspeisen. Soll Kinder- und Jugendtheologie in Settings wie Konfirmanden- und Jugendarbeit oder Gottesdienst mit Kindern zum Einsatz kommen, zeigt sich eine möglicherweise exkludierende Wirkung: Jugendliche Teamer, primär pädagogisch qualifizierte Mitarbeitende, ehrenamtlich tätige Erwachsene dürften sich schwerlich in der Lage sehen, didaktisch initiierte Äußerungen der Schülerinnen und Schüler kundig zu interpretieren und passgenau theologisch zu herausfordern. Schließlich besteht die Gefahr, die besonderen Chancen des Lernortes »Gemeinde«, die, kurz gesagt, mit der Ganzheitlichkeit der Lernprozesse gegeben sind und im Zuge gemeindepädagogischer Reflexion als differentia specifica bewusst gemacht wurden, durch Fokussierung auf Gespräch und (sprachlich erschlossene) Denkfiguren zu verspielen. 5. Schlussbetrachtung
Die Tagung und ihre Beiträge haben verschiedene Diskurse bzw. Diskursteilnehmer zusammengeführt und eine wichtige, sachlich überfällige Verständigungsbemühung initiiert. Die asymme-
Schröder Kommunikation des Evangeliums
trische Tagungsstruktur – Präsentation der Theorie der Kommunikation des Evangeliums als Begriff und Theorem einerseits, Präsentation der Kinder- und Jugendtheologie in Gestalt von Praxisund Projektberichten einerseits – hat es ermöglicht, die gegenseitige Anschlussfähigkeit beider Konzepte zu prüfen, hat allerdings zugleich verhindert, dass die Theoriefragen, die sich aus der kinder-
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und jugendtheologischen Unterrichtsund Forschungspraxis ergeben, fokussiert bearbeitet werden, und die Praxisimpulse, die das Konzept der »Kommunikation des Evangeliums« freizusetzen vermag, wahrgenommen werden konnten. Insofern stehen im Anschluss an die Tagung Erfordernisse der Weiterarbeit präzise vor Augen.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
Friedrich Schweitzer Kommunikation des Evangeliums und die Kinder- und Jugendtheologie. Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
Im Folgenden soll es zum einen um eine grundsätzliche Reflexion auf die Kommunikation des Evangeliums in ihrem Verhältnis zur Kinder- und Jugendtheologie gehen, zum anderen um Perspektiven, die sich dafür speziell aus dem Bezug auf den Kontext schulischer Bildung ergeben. In beiden Hinsichten sind damit neue Fragestellungen angesprochen, die zwar in den Beiträgen des vorliegenden Bandes aufgenommen werden, sonst aber bislang eher am Rande der Diskussion standen. Der vorliegende Beitrag wurde in Kenntnis der übrigen Beiträge des Bandes verfasst, bezieht sich aber nur in allgemeiner Weise darauf. Im Zentrum steht der eigene Zugang zum Verhältnis zwischen der Kommunikation des Evangeliums und der Kinder- und Jugendtheologie im Kontext schulischer Bildung. 1. Kommunikation des Evangeliums und religiöse Bildung in der Schule
Der Schwerpunkt aller schulischen Arbeit besteht nach heutigem Verständnis in der Ermöglichung und Unterstützung von Bildungsprozessen.1 Deshalb steht im Zentrum der Schule der Unterricht, aber es wird auch wahrgenommen, dass zur Bildung mehr gehört als das, was im Unterricht erschlossen werden kann.
Fast alle Schulen bieten deshalb heute eine mehr oder weniger große Vielfalt an zusätzlichen Veranstaltungen an – Arbeitsgemeinschaften, Projekte und Projektwochen, Schulfeiern und Exkursionen, Praktika usw. Die Ermöglichung und Unterstützung von Bildungsprozessen reicht weiter als der herkömmliche Unterricht. Das gilt nicht zuletzt auch für religiöse Bildung.2 Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ist weiterhin entscheidend, dass das, was in Schule und Unterricht geschieht, tatsächlich der Bildung dient und nicht etwa anderen Zwecken oder Erwartungen beispielsweise politischer oder ökonomischer Art.3 Auch alle Erwartungen, die sich allein auf die Vermittlung von Fertigkeiten oder Qualifikationen beziehen, sind im Blick auf schulischen Unterricht nur legitim, wenn und soweit sie in einen Horizont der Bildung gerückt werden. Entsprechende Forderungen
1 Vgl. exemplarisch Dietrich Benner, Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns, Weinheim/ München 1987. 2 Zu meinem Verständnis religiöser Bildung vgl. Friedrich Schweitzer, Bildung, NeukirchenVluyn 2014 und Friedrich Schweitzer, Das Bildungserbe der Reformation. Bleibender Gehalt, Herausforderungen, Zukunftsperspektiven, Gütersloh 2016. 3 Vgl. dazu Dietrich Benner (wie Anm. 1).
Schweitzer Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
und Anforderungen an Schule und Unterricht begleiten die Pädagogik in ihrer gesamten Geschichte, besonders seit dem 19. Jahrhundert etwa im Anschluss an Johann Friedrich Herbart und sein Verständnis »erziehenden Unterrichts«.4 Bildung wird dabei, traditionell formuliert, als Bildung der Persönlichkeit verstanden oder, modern formuliert, als Bildung des Selbst und deshalb als Ausbildung von Selbstbestimmung oder Mündigkeit in sozialer Verantwortung.5 Die Persönlichkeit wird dabei zumeist mit allgemeinen Begriffen oder Zielsetzungen wie Autonomie und Verantwortung beschrieben. Dass Bildung, mit Friedrich Schleiermacher gesprochen, auch der Ausprägung von »Eigentümlichkeit« und also der Individualität dienen soll, kommt schulisch gesehen in vieler Hinsicht eher zu kurz.6 Bekanntlich war das für Schleiermacher auch ein Argument gegen den Religionsunterricht, weil religiöse Bildung individuell geschehen müsse, was in der Schule kaum möglich sei.7 Damit sind auch die spezifischen Probleme angesprochen, die Schule für Bildung mit sich bringt: Die institutionelle Gestalt von Schule mit ihren Zeitabläufen, ihrer typischen Sozialform der Schulklasse und der für die Schule konstitutiven Leistungsbewertung ziehen der Bildung ebenso Grenzen wie der Charakter von Schule als Schonraum, der beispielsweise nur wenig und vor allem kaum ernsthafte Chancen für die Übernahme von Verantwortung bietet. Insofern ist auch festzuhalten, dass Bildung mehr meint als Schule. Mit der für die heutige Diskussion kennzeichnenden Aufwertung informeller und non-formaler Bildung – also der sich von Beginn
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des Lebens an vollziehenden, nicht organisierten Bildung schon im Elternhaus oder mit den Medien sowie von zwar organisierten, aber nicht verpflichtenden Bildungsangeboten beispielsweise im Raum der Kirche – kommt Bildung jenseits von Schule zu Recht verstärkt in den Blick.8 Die Grenzen schulischer Bildung haben auch Folgen für die Kommunikation des Evangeliums. Christian Grethlein hat insofern zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Schule als Institution zumindest im Blick auf den Unterricht nur eingeschränkte Möglichkeiten für diese Kommunikation bietet.9 Er selbst möchte deshalb die Dimension des Schullebens stark machen, also den Bereich der Schule, der über den Unterricht hinausreicht – etwa im Blick auf religiöse Feiern. Das leuchtet ein Stück weit ein, aber diese Forderung wirft heute zugleich das prinzipielle Problem der Präsenz von Religion
4 Am leichtesten zugänglich in der Darstellung von Dietrich Benner, Die Pädagogik Herbarts. Eine problemgeschichtliche Einführung in die Systematik neuzeitlicher Pädagogik, Weinheim/Basel 1986. 5 Als modernen Klassiker vgl. dazu Wolfgang Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik, Weinheim/Basel 1985. 6 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Erziehungslehre. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. v. Carl Platz, Berlin 1849, 14ff. 7 Vgl. ebd., 370. 8 Vgl. etwa Bundesministerium für Bildung Forschung (Hg.), Stand der Anerkennung non-formalen und informellen Lernens in Deutschland im Rahmen der OECD Aktivität »Recognition of non-formal and informal Learning«, Bonn/Berlin 2008. 9 Vgl. Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 357ff.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
und Religionen in der Schule auf: Sollen religiöse Feste in der Schule öffentlich gefeiert werden? Unter Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit? Und welche Feste sollen dann gefeiert werden? Soweit meine Beobachtungen reichen, ist die Bereitschaft, beispielsweise auch das Opferfest in der Schule gemeinsam zu begehen, zumindest im Bereich der Sekundarstufe in den Kollegien und bei den Schulleitungen eher wenig ausgeprägt. Grundschulen gehen hier zum Teil einen etwas anderen Weg, aber am Gesamtbild ändert das wenig. Insofern sind auch im Schulleben einer Kommunikation des Evangeliums Grenzen gezogen. Zugleich sollte die mit dem Religionsunterricht eröffnete Chance religiöser Bildung ebenfalls nicht unterschätzt werden. Erhebliche Probleme für den christlichen Glauben stellen sich heute auf einer kognitiven Ebene – man denke nur an den Schöpfungsglauben, der bei den Jugendlichen in der Sekundarstufe längst zu einem Minderheitenphänomen geworden ist. Beispielsweise zeigen die aktuellen Repräsentativuntersuchungen zur Konfirmandenarbeit, dass weniger als die Hälfte der Konfirmandinnen und Konfirmanden einem solchen Glauben zustimmen kann.10 Sieht man die Bildungsaufgabe in dieser Hinsicht in der Unterstützung eines Denkens in Komplementarität, könnte gerade ein darauf eingestellter Unterricht wahrscheinlich einen deutlichen Beitrag dazu leisten.11 Wie aber steht es nun um die Kommunikation des Evangeliums speziell im Religionsunterricht? Klar ist auch hier, dass der Religionsunterricht Unterricht ist sowie Unterricht sein und bleiben muss.
Als Fach der Schule hat er die Aufgabe der Bildung, näherhin der religiösen Bildung. Weitere Aspekte oder Zielsetzungen kommen nur infrage, wenn sie sich auf diesen Horizont der Bildung beziehen lassen. Insofern kann es im Religionsunterricht von vornherein nur um eine Kommunikation des Evangeliums im Modus der Bildung gehen. Hier scheint mir die von Grethlein gewählte Formulierung »Modus des Lehrens und Lernens« noch nicht präzise genug, weil von Lehren und Lernen eben auch etwa bei der traditionellen Katechese gesprochen werden kann.12 Schulischer Unterricht unterliegt aber anderen Kriterien als die gemeindliche Katechese, soweit man diesen Begriff überhaupt noch benutzen will. Das ergibt sich aus dem staatlichen Rahmen für Schule und Unterricht, der im Grundgesetz gerade für den Religionsunterricht eigens hervorgehoben wird (vgl. Art 7,1 und 7,3 GG). Demnach kann der Religionsunterricht von vornherein beispielsweise nicht »Kirche in der Schule« sein, wie es in früherer Zeit im Sinne der Evangelischen Unterweisung durchaus gefordert wurde. Zu bedenken ist allerdings zugleich, dass der Religionsunterricht in Deutschland »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaf10 Vgl. Friedrich Schweitzer u.a., Konfirmandenarbeit im Wandel – Neue Herausforderungen und Chancen. Perspektiven aus der zweiten bundesweiten Studie, Gütersloh 2015, 300. 11 Vgl. dazu Friedrich Schweitzer, Schöpfungsglaube – nur für Kinder? Zum Streit zwischen Schöpfungsglaube, Evolutionstheorie und Kreationismus, Neukirchen-Vluyn 2012 (im Anschluss u.a. an die Untersuchungen von K. Helmut Reich u.a.). 12 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 9), 254ff.
Schweitzer Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
ten« erteilt wird (so ebenfalls Art. 7,3 GG). In der Kommunikation des Evangeliums schlägt sich nach heute verbreiteter Auffassung das Verständnis der evangelischen Kirche im Sinne solcher »Grundsätze« auch im Blick auf pädagogische Prozesse und Aufgaben nieder13, so dass die im Religionsunterricht ermöglichte Bildung in Übereinstimmung mit der Kommunikation des Evangeliums das vom Grundgesetz genannte Kriterium erfüllt. Insofern kann auch gesagt werden, dass der Religionsunterricht Kommunikation des Evangeliums sein soll – allerdings eben als Bildung. In meiner Sicht kann etwa formuliert werden, dass die Kommunikation des Evangeliums die Transzendenzoffenheit von Bildung sichert und damit auch einen für das gesamte Bildungsverständnis bedeutsamen Aspekt wahren hilft.14 Weiterhin zu bedenken ist auch die grundsätzliche Nähe zumindest eines wichtigen Teils religionsunterrichtlicher Inhalte zur Kommunikation des Evangeliums. Exemplarisch abzulesen ist dies vor allem an den im Unterricht behandelten biblischen Texten, ohne die ein evangelischer Religionsunterricht ja unter keinen Umständen zu denken ist. Da diese Texte weithin letztlich der Verkündigung oder eben der Kommunikation des Evangeliums dienen wollen, lassen sie sich auch unterrichtlich kaum erschließen, ohne diese Dimension zur Geltung kommen zu lassen. Das gilt jedenfalls dann und solange, als diese Texte in ihrer eigenen Intention zur Sprache kommen dürfen. So bleibt es auch am Ende dieses ersten Abschnitts bei der These, dass die Kommunikation des Evangeliums in Schule und Religionsunterricht im Mo-
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dus der Bildung geschehen muss, im Blick auf die Schule insgesamt ggf. ergänzt im Schulleben durch weitere Möglichkeiten etwa liturgisch-feiernder Art, die einer Erschließung des Evangeliums dienen. Darüber hinaus leistet die Kommunikation des Evangeliums auch einen bedeutsamen Beitrag zur Erfüllung des schulischen Bildungsauftrags, indem sie die über den Religionsunterricht hinaus bedeutsame Transzendenzoffenheit von Bildung sichert. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Überlegungen kann nun genauer nach den Problemen und Chancen gefragt werden, die sich aus einem Verständnis der Kinder- und Jugendtheologie als Kommunikation des Evangeliums in der Schule ergeben. 2. Kinder- und Jugendtheologie als schulische Kommunikation des Evangeliums? Probleme und Chancen
Wie im Folgenden deutlich werden soll, kann schon für Ernst Langes Verständnis der Kommunikation des Evangeliums und, im Anschluss daran, auch für die von Grethlein vertretene Auffassung zumindest von einer deutlichen Anschlussfähigkeit zur Kinder- und Jugendtheologie ausgegangen werden. Festzuhalten ist allerdings auch, dass die Kindertheologie
13 Vgl. etwa EKD, Kirche und Bildung. Herausforderungen, Grundsätze und Perspektiven evangelischer Bildungsverantwortung und kirchlichen Bildungshandelns. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2009, 44. 14 Vgl. Friedrich Schweitzer, Bildung (wie Anm. 2).
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
bei der umfänglichen Darstellung der Praktischen Theologie Grethleins, die ja durchweg im Zeichen der Kommunikation des Evangeliums steht, die Kindertheologie nur überaus knapp gestreift wird und die Jugendtheologie, jedenfalls dem Register zufolge, gar nicht vorkommt.15 Umgekehrt wurde in den Jahrbüchern für Kinder- oder Jugendtheologie bislang kaum einmal explizit auf die Kommunikation des Evangeliums Bezug genommen. Dies könnte im Einzelfall– im Blick auch auf implizite Bezüge – vielleicht anders gesehen werden, aber die Berufung auf die Kommunikation des Evangeliums gehört jedenfalls nicht zu den maßgeblichen Begründungsmustern für Kinder- und Jugendtheologie.16 Insofern ist die behauptete Anschluss fähigkeit zunächst eher theoretisch festzustellen, während sie faktisch noch kaum wahrgenommen wird. Inhaltlich ist diese Anschlussfähigkeit in der Ausrichtung der Kommunikation des Evangeliums vor allem durch zwei eng aufeinander bezogene Aspekte gegeben – jeweils in kritischer Unterscheidung zu klassischen Auffassungen von Verkündigung: – Ausrichtung auf Rezeptionsprozesse: Eine Kommunikation des Evangeliums gibt es nur dort, wo auch eine entsprechende Rezeption geschieht. Das besagt dezidiert bereits der Begriff der Kommunikation. Darüber hinaus verändert sich der Inhalt der Kommunikation durch die Rezeptionsform der »Adressaten«, um es mit einem traditionellen kommunikationstheoretischen Begriff auszudrücken. – Hervorhebung der Aneignung, die konstitutiv zur Kommunikation des
Evangeliums gehört: Aneignung und Rezeption liegen dabei nahe beieinander, sind aber doch voneinander zu unterscheiden: Nicht alles, was rezipiert wird, wird auch angeeignet. Allerdings ist dem hinzuzufügen, dass die Kommunikation des Evangeliums gerade bei Lange, wie an seinem Homiletikverständnis abzulesen ist, aus heutiger Sicht noch nicht wirklich frei war von, wiederum aus heutiger Sicht formuliert, instrumentellen kommunikationstechnologischen Auffassungen und Erwartungen. Letztlich scheint Lange dem Prediger doch noch zuzutrauen, dass er – wie es dann heißt – die Situation zu »klären« und also die Spannung zwischen Welterfahrung und Verheißung aufzulösen vermag.17 Auch wenn Lange selbstverständlich um die Grenzen des menschlich Machbaren weiß, ist diese Erwartung aus heutiger rezeptionstheoretischer Sicht kaum mehr überzeugend. Es bleibt vielmehr dem Rezipienten überlassen, was er mit kommunizierten Inhalten anzufangen weiß oder möchte. Auch in der etwa an Umberto Eco anschließenden Homiletik wird dies so wahrgenommen18.
15 Vgl. Christian Grethlein (wie Anm. 9), 93f. 16 Vgl. exemplarisch die Beiträge von Anton A. Bucher, Kindertheologie. Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?, in: JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9–27 und Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18. 17 Vgl. Ernst Lange, Predigen als Beruf. Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt, hg. v. Rüdiger Schloz, München 21982, 24. 18 Vgl. Gerhard-Marcel Martin, Predigt als »offenes Kunstwerk«? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik, in: Evangelische Theologie, 44. Jg. 1984, 46–58.
Schweitzer Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
Die von mir behauptete Anschlussfähigkeit zwischen Kinder- und Jugendtheologie einerseits und der Kommunikation des Evangeliums andererseits hebt zugleich die beschriebenen Grenzen der schulischen Kommunikation des Evangeliums keineswegs auf. Ähnlich ist davon auszugehen, dass die Schule – besonders in der zunehmend leistungsorientierten und auf vorgeplante Lehr-Lern-Prozesse eingestellten Sekundarstufe I und II – einem Ansatz, der vor allem an der Wahrnehmung der von Kindern oder Jugendlichen selbst hervorgebrachten Theologie ausgerichtet ist, nicht allzu viel Raum lässt. Prozesse des gemeinsamen Theologietreibens leiden unter den schulischen Parametern besonders von Leistung und Zeit ebenso wie eine offene Kommunikation des Evangeliums. Ob und wie Kinder- und Jugendtheologie im schulischen Religionsunterricht funktionieren kann, ist eine weithin noch offene Frage – besonders wenn nicht nur einzelne geglückte Beispiele als Sternstunden im Blick sein sollen, sondern auch der Alltag von Unterricht mit seinen Routinen. Umgekehrt wird gerade in schulischen Kontexten deutlich, dass eine Kinderund Jugendtheologie, die nicht auch auf eine Förderung von Kindern und Jugendlichen im Sinne von Fähigkeiten und Fertigkeiten oder eines sonstigen Kompetenzzuwachses zielt, hinter pädagogischen Ansprüchen zurückbleibt.19 Wo die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen nicht verbessert werden, kann nicht von einer pädagogischen Praxis gesprochen werden. Zur Pädagogik gehört immer auch Lernen – minimal als Befestigung und häufig auch als Zugewinn von Fähigkeiten und Fertigkeiten, von Wissen und Erkenntnis.
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Unter dem Aspekt der Kommunikation des Evangeliums werden deshalb – in meiner Terminologie gesprochen – über die Theologie von Kindern und Jugendlichen hinaus die Theologie mit Kindern und Jugendlichen sowie die Theologie für Kinder und Jugendliche umso wichtiger. In diesen beiden Hinsichten wird die Kommunikation des Evangeliums zumindest in zwei, vielleicht sogar in drei Hinsichten gefördert: – durch die Lehrpersonen, die beim konfessionellen bzw. evangelischen Religionsunterricht, für den ich hier spreche, in ihrem Selbstverständnis durch das Evangelium bestimmt sein müssen; – durch Inhalte, die zumindest immer wieder erfahrbar machen, was das Evangelium bedeutet; – möglicherweise auch im Rahmen der Lerngruppen, zu denen zumindest immer auch evangelische Kinder und Jugendliche gehören. Eine Kommunikation des Evangeliums kann auch zwischen den Kindern und Jugendlichen selbst geschehen, nicht nur von den erwachsenen Lehrpersonen her. Auch dies entspricht dem von Schleiermacher gewählten Bild einer »Zirkulation des religiösen Bewusstseins« oder des »Umlaufs«.20 Genau in dieser Hinsicht, in der tatsächlichen Zusammensetzung von Lern19 Vgl. dazu auch Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011. 20 Vgl. u.a. Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, hg. v. Hans Scholz, Darmstadt 1973, 103.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
gruppen im Religionsunterricht und den Schülervoraussetzungen im Blick auf Glaube, Religion und Kirchenzugehörigkeit bzw. Taufe, sind in der kritischen Diskussion allerdings auch Fragen und Probleme identifiziert worden, auf die im nächsten Abschnitt noch einmal gesondert eingegangen werden soll. Zunächst aber ist noch hervorzuheben, dass die Potenziale der Kinder- und Jugendtheologie selbstverständlich auch und gerade im Religionsunterricht genutzt werden sollten. Stichworte dazu sind, um nur Einiges zu nennen: kognitive Aktivierung Überwindung trägen Wissens Motivation durch Schülerorientierung Unterstützung der Entwicklung von Interesse Erwerb religiöser Sprach- bzw. Kommunikationsfähigkeit Entwicklung von Argumentationsund Urteilsfähigkeit. Alle diese Stichwort verweisen auf weiterreichende Hypothesen zur Praxis der Kinder- und Jugendtheologie, die im Einzelnen entfaltet werden müssten. Zugleich rufen sie in Erinnerung, dass eine empirische Prüfung der Wirksamkeit kinder- und jugendtheologischer Ansätze auch sonst noch weithin aussteht. Die bei entsprechenden Darstellungen gebotenen Äußerungen von Kindern und Jugendlichen lassen in aller Regel noch keine Schlüsse auf eine solche Wirksamkeit zu. Schließlich wären neben den (religions-)pädagogischen Potenzialen der Kinder- und Jugendtheologie für den Religionsunterricht auch weitere theologische Begründungen aufzunehmen. Neben dem Desiderat einer Laientheologie,
die allerdings häufig schon wegen des protestantisch wenig geliebten Begriffs »Laie« abgelehnt wird, kommt dafür vor allem der Hinweis auf das Priestertum aller Gläubigen in Frage. Bei Luther wird dies konkretisiert als die allen Christenmenschen vorgelegte Aufgabe, »alle Lehre zu beurteilen«21. Unter den Voraussetzungen von Moderne und Aufklärung wird daraus später die Forderung nach religiöser Mündigkeit. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sollen nun grundsätzliche kritische Anfragen aus der religionspädagogischen Diskussion aufgenommen werden, die auch für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsam sind. 3. Grundsätzliche Anfrage an Kinderund Jugendtheologie im Religionsunterricht: theologisch ausgeschlossen, religionspädagogisch illegitim oder doch eher vielversprechend?
An dieser Stelle sollen nicht erneut die eher didaktischen Überlegungen zur Kinder- und Jugendtheologie im Religionsunterricht wiederholt werden, die in den anderen Beiträgen des vorliegenden Bandes entwickelt werden. Vielmehr möchte ich zwei grundsätzliche Anfragen an Kinderund Jugendtheologie im Religionsunterricht in den Vordergrund stellen.
21 Vgl. Martin Luther, Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift, in: Karin Bornkamm / Gerhard Ebeling (Hg.), Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Bd. 5, Frankfurt a.M. 21982, 7–18.
Schweitzer Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
Die erste betrifft das Verhältnis der Kinder- und Jugendgeologie zu Taufe und Glaube. Hier wird argumentiert, dass Theologie nach evangelischem Verständnis die Taufe der Theologietreibenden voraussetzt und dass aus Kindertheologie ohne Glaube eine »Kinderreligionswissenschaft« werden müsse.22 Die zweite Rückfrage bezieht sich auf die – zumindest angebliche – Unterstellung von Glaube im Blick auf die Schülerinnen und Schüler, was religionspädagogisch als übergriffig ausgeschlossen bleiben müsse. Bernhard Dressler befürchtet hier sogar eine »Delegitimierung des Religionsunterrichts«.23 Denn die von ihm behauptete Unterstellung, dass Kinder oder Jugendliche theologisch denken, erscheine zwangsläufig als »klerikales Partikularinteresse«, das den Schülerinnen und Schülern ihr Recht auf »›religionswissenschaftliche‹ Distanz« gegenüber der gelebten Religion beschneide.24 Beide Einwände hängen eng miteinander zusammen und verlangen eine differenzierte Betrachtung. Ich muss mich gleichwohl auf thesenhafte Hinweise beschränken. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass in der Kinder- und Jugendtheologie selbst nie die Behauptung vertreten wurde, alle Schülerinnen und Schüler teilten den christlichen Glauben, auch nicht im Sinne einer Voraussetzung von (Kinder- oder Jugend)Theologie. Es handelt sich vielmehr um eine Konstruktion der Kritiker, die sie zuerst einführen, um sie dann »erfolgreich« ad absurdum führen zu können. Dass beispielsweise für Besetzungen von Lehrstühlen oder für die Vokation von Religionslehrkräften die Taufe vorausgesetzt wird, leuchtet insofern ein, als dies eine pragmatische Möglichkeit ist,
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den Glaubensbezug von Theologie als einer normativen Wissenschaft zu sichern. Dagegen will ich hier auch keinen Einspruch erheben. Schon im Blick auf die Universität ergibt sich jedoch – würde man den Rückfragen folgen – das Problem, dass das Studium der Theologie und damit auch alle Lehrveranstaltungen für unterschiedslos alle Studierenden zugänglich sind, unabhängig von ihrem Bekenntnisstand oder einer etwaigen Taufe, für Atheisten also ebenso wie etwa für Muslime oder Buddhisten. Die Anwesenheit nicht getaufter, beispielsweise einer nichtchristlichen Religion angehöriger Studierender wird in aller Regel ausdrücklich begrüßt und jedenfalls nicht als Hindernis dafür angesehen, dass an theologischen Fakultäten Theologie betrieben wird und also nicht Religionswissenschaft. Noch deutlicher kann die Situation des Religionsunterrichts in manchen Regionen so beschrieben werden, dass ein Drittel oder mehr der Schülerinnen und Schüler nicht der evangelischen Kirche angehört. Würde dies bedeuten, dass dann zwei Drittel tatsächlich Kinder- oder Jugendtheologie betreiben und das dritte Drittel, im selben Raum, Reli-
22 Vgl. mit unterschiedlichen Akzenten Wilfried Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie, in: JaBuKi 3, Stuttgart 2004, 11–27 und Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 86. 23 Bernhard Dressler, Zur Kritik der »Kinderund Jugendtheologie«, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 111. Jg. 2014, 340. 24 Ebd.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
gionswissenschaft? Gewiss: Definitionen auch dieser Art sind nicht verboten – es fragt sich aber doch, ob sie für die Praxis des Religionsunterrichts oder der Kinder- und Jugendtheologie sinnvoll sind. Jedenfalls ergibt sich daraus keine praktische Konsequenz. Das Lernangebot muss im Religionsunterricht auf jeden Fall so offen sein, dass kein Glaube vorausgesetzt wird. Immerhin hat die EKD bereits 1971 erklärt, dass der evangelische Religionsunterricht für alle offen sein muss, was dann in der Denkschrift von 2014 noch einmal bekräftigt wurde.25 Lässt sich dann aber keinerlei Voraussetzung mehr für den Gebrauch des Theologiebegriffs angeben? Aus meiner Sicht ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Man könnte von einer Bindung an Personvoraussetzungen dazu übergehen, den Prozess als maßgeblich anzusehen. Von Theologie – sei es im Religionsunterricht, in der Gemeinde oder im akademischen Betrieb – kann dann gesprochen werden, wenn die Beteiligten bereit sind, sich auf einen normativ ausgerichteten Prozess der Reflexion über Religion und Glaube einzulassen. Dabei wird eindeutig nicht – wie Bernhard Dressler und, aus anderen Gründen, auch Bernhard Grümme26 befürchten – den Schülerinnen und Schülern ein wie auch immer vorauszusetzender Glaube unterstellt. Erwartet wird aber die Bereitschaft, sich auf die beschriebene normativ ausgerichtete Reflexionsform einzulassen – wenn man das performative Unwort dafür bemühen will, zumindest »probehalber«. Diese Bestimmung impliziert freilich auch, dass Kinder- und Jugendtheologie in keinem Falle in der Theologie von Kindern und Jugendlichen erschöpfen kann. Theologie von, mit und für Kinder
und Jugendliche gehören zusammen. Auch die Theologie von Kindern und Jugendlichen kann zwar als Theologie angesprochen werden, aber eben nur unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Kinder und Jugendlichen sich ihrerseits – zwar nicht unbedingt aktuell, aber doch in einem weiteren Sinne – in ein dialogisches Verhältnis zur christlichen Tradition als Norm gesetzt sehen oder zu setzen bereit sind. Wird der erste Einwand im Blick auf Taufe und Glaube in dieser Weise beantwortet, ist auch der zweite Einwand definitiv hinfällig. Bereits an anderer Stelle habe ich ausgeführt, dass Dresslers Forderung, die Theologie gehöre nur auf die Lehrerseite, eher wenig Sinn macht.27 Sie ähnelte der – absurden – Forderung, die Mathematik solle beim Lehrer bleiben oder die sprachlichen Fähigkeiten gehörten der Lehrerin und nicht den Schülerinnen. Soweit dabei auch bei Dressler das Unterstellungsproblem, das soeben angesprochen wurde, gemeint sein sollte, entfällt auch dieses Problem unter den beschriebenen Voraussetzungen. Und von »klerikalen Partikularinteressen« kann nur dann die Rede sein, wenn die gesamte Theologie mit einem solchen In25 Vgl. mit Bezug auf die Stellungnahme von 1971 EKD, Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2014, 98. 26 Vgl. Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Lebenswelten, Stuttgart 2015, 241ff. 27 Vgl. Friedrich Schweitzer, Das Theologische der Religionspädagogik, in: Thomas Schlag / Jasmine Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik, 2017.
Schweitzer Religionspädagogische Perspektiven im Kontext schulischer Bildung
teresse gleichgesetzt würde. Der Versuch, den Religionsunterricht zu legitimieren, indem man ihn von einer Theologie als »Partikularinteresse« ablöst, muss aber gleichsam nach hinten losgehen. Denn dann bleibt dem Religionsunterricht keine andere Bezugsdisziplin mehr als die Religionswissenschaft – mit der Folge, dass er zur Religionskunde wird. 4. Versuch eines Resümees
Angesichts des beschränkten Raums nenne ich nur fünf knappe Punkte: 1. Es muss präzise bestimmt werden, wann in der Schule von Kommunikation des Evangeliums gesprochen werden kann und wann nicht. Die Grenze bleibt der Bildungsauftrag der Schule, so dass hier auch die Kommunikation des Evangeliums einzig im Modus der Bildung stattfinden kann. 2. Die Schultauglichkeit der Kinder- und Jugendtheologie steht weiter auf dem Prüfstand, weniger aus prinzipiellen Gründen als vielmehr im Sinne ihrer unterrichtlichen Praxistauglichkeit. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Kinder- und Jugendtheologie ursprünglich nicht etwa dazu ins Leben gerufen wurde, den herkömmlichen Religionsunterricht zu legitimieren, sondern um religiöse Bildungsprozesse neu ausgestalten zu helfen – nämlich so, dass sie Kindern und Jugendlichen gerechter werden können. Eine allzu – im schlechten Sinne – schul- oder unterrichtsförmige Kinder- und Jugendtheologie könnte dieser ebenso abträglich sein wie dem Anliegen einer überzeugenden Form der Kommunikation des Evangeliums.
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3. Die Kinder- und Jugendtheologie braucht eine tragfähige Empirie. Der Anspruch auf entsprechende Kompetenzen impliziert schon vom Begriff her eine empirische Validierung, die an den Kriterien der empirischen Bildungsforschung vorbei heute nicht mehr zu erreichen ist. 4. Die Kinder- und Jugendtheologie braucht eine explizite Forschungsethik. Vor allem das bei Tagungen vielfach übliche Vorführen von Bildern und Videos, auf denen Kinder zu sehen sind, wirft die Frage auf, wie dabei der Schutz der gezeigten Personen gewährleistet werden kann. Das an Kindern orientierte Erkenntnisinteresse reicht ethisch gesehen nicht aus, alle Präsentationsformen zu legitimieren. 5. Die Diskussion um die theologischen Grundlagen der Kinder- und Jugendtheologie muss weitergeführt werden, auch im Blick auf das Verständnis der Kinder- und Jugendtheologie. Dass Luther überzeugt war, dass Kinder »so feine gedanken de Deo« haben28, wurde bislang auch in der Kinder- und Jugendtheologie vor allem in einem bloß formalen Sinne rezipiert – also so, dass Kinder gut theologisch denken können. Tatsächlich meint das Zitat aber weit mehr: Kinder haben nach Luther Gedanken und Vorstellungen, die dem Evangelium besonders nahe sind. Das ist m.W. bislang auch bei allen Auslegungen zum Verständnis der Kommunikation des Evangeliums, pädagogisch gesprochen, sträflich vernachlässigt worden. 28 Martin Luther, WA, Tischreden 2, 411, 29f.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
Hanna Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie? Versuch einer Ortsbestimmung
Einleitung
(Inwiefern) Kann der Leitbegriff »Kommunikation des Evangeliums« für die Kinder- und Jugendtheologie fruchtbar gemacht werden? In einem ersten Schritt geht es mir unter dieser Fragestellung um die Klärung, inwiefern das religionspädagogische Leitbild unter diesem Leitbegriff der Praktischen Theologie überhaupt angemessen verortet ist. In einem zweiten Schritt frage ich danach, inwiefern sich durch diese Verortung möglicherweise Akzentsetzungen innerhalb der Kinder- und Jugendtheologie verschieben. 1. Affinitäten zwischen dem Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie und dem Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums«
Ich greife im Hinblick auf die Affinitäten zwischen dem Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie und dem Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums« fünf Aspekte heraus, die m.E. wesentlich sind: die Verortung in der christlichen Theologie, die Symmetrie in der Kommunikation, die Asymmetrie in der offenbarungstheologischen Fundierung bzw. in der pädagogischen Ordnung, die Abschattung des Glaubensbegriffs und die Hochschätzung der Empirie.
1.1 Verortung in der christlichen Theologie
Bernd Schröder und Michael Domsgen kontrastieren die »Kommunikation des Evangeliums« mit einer religionstheoretischen Fundierung von Religionspädagogik und Praktischer Theologie: »Nicht zuletzt kommt in der ›Kommunikation des Evangeliums‹ Skepsis gegenüber einer religionstheoretischen Grundierung von Religionspädagogik und Praktischer Theologie zum Ausdruck: Nicht eine als allgemein angenommene Religiosität, sondern die Befassung von Menschen mit Gehalt und Gestalt einer bestimmten Religion ist Ausgangs- und Bezugspunkt praktisch-theologischer Theoriebildung, die sich dieses Begriffs bedient.«1 Ganz im Duktus dieser Positionierung begründet Gerhard Büttner die Bezeichnung »Kindertheologie« damit, »dass der Begriff der Kindertheologie eine Abgrenzung gegenüber den Versuchen darstellt, das religionspädagogische Diskursfeld vom Begriff der Religion oder der Religiosität her zu bestimmen«2. 1 Bernd Schröder / Michael Domsgen, Vorwort, in: Bernd Schröder / Michael Domsgen (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 9–10. 2 Gerhard Büttner, Kinder – Theologie, in: Evangelische Theologie, 67. Jg. 2007, 220.
Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie?
Entsprechend charakterisiert Veit-Jakobus Dieterich das Ziel der Kinder- und Jugendtheologie folgendermaßen: »Das Ziel besteht darin, die unterschiedlichen Positionen der Jugendlichen (immer im Plural) mit den verschiedenen Positionen der theologischen Tradition (ebenfalls immer nur im Plural) in einen grundlegend gleichberechtigten, offenen Dialog zu bringen, wobei fremde Positionen anderer Jugendlicher oder der theologischen Tradition zwar verstanden werden sollen, aber zugleich die Freiheit besteht, mit ihnen aus berechtigten Gründen entweder einverstanden, nicht einverstanden oder nur partiell einverstanden zu sein.«3 Kinder- und Jugendtheologie konfrontiert junge Menschen mit Elementen aus der biblisch-christlichen Tradition und versucht, mit ihnen darüber in einen produktiven Austausch zu gelangen. Dabei ist vorausgesetzt, dass Kinder und Jugendliche (nach wie vor) ansprechbar sind auf zentrale Themen der christlichen Theologie und sich hierzu eigenständig Gedanken machen können. 1.2 Symmetrische Kommunikation
Einen zweiten wesentlichen Bezugspunkt findet die Kinder- und Jugendtheologie in der Betonung der Symmetrie, die die »Kommunikation des Evangeliums« auszeichnet. Christian Grethlein entfaltet die Symmetrie des kommunikativen Handelns für alle drei Modi ihrer Gestaltung:4 1. »In Lehr- und Lernprozessen wechseln die Positionen von Lehrenden und Lernenden, was bis heute zu den beglückenden Erfahrungen z.B. von Religionslehrer/innen gehört.
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2. Das Feiern vollzieht sich grundsätzlich gemeinschaftlich. 3. Schließlich vertauschen sich beim Helfen zum Leben bisweilen die Rollen. Die Kranke hilft dem Gesunden, der Demente eröffnet seiner Pflegerin einen neuen Horizont usw.« Insbesondere der erste Spiegelstrich, also die symmetrische Kommunikation in Lehr- und Lernprozessen, die bisweilen zu einer Vertauschung der Rollen zwischen Lehrkraft und Schüler/in führen kann, entspricht einem wesentlichen Anliegen der Kinder- und Jugendtheologie.5 Bei der Theologie von und mit Kindern und Jugendlichen strebt die Kinderund Jugendtheologie eine symmetrische Kommunikationsgemeinschaft an, die darin begründet liegt, dass die Lehrkraft bei existentiellen, »großen« Fragen – etwa der Frage nach unserem postmortalen Ergehen oder Fragen nach der Existenz und Wirklichkeit Gottes – die »richtige« Antwort genauso wenig wissen kann wie die Schülerinnen und Schüler.6
3 Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen. Einleitende Überlegungen, in: Veit-Jakobus Dietrich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012, 18. 4 Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, 168. 5 Vgl. ebd., 93–94; Gerhard Büttner, Kinderund Jugendtheologie als »Kommunikation des Evangeliums und des Glaubens« – Im Lichte der Kritik von Bernhard Dressler, in: JaBuKi 14, Stuttgart 2015, 13. 6 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007, 43–44.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
1.3 Asymmetrie
Neben der Symmetrie ist sowohl im Kontext der »Kommunikation des Evangeliums« als auch im Kontext der Kinderund Jugendtheologie eine strukturelle Asymmetrie unverzichtbar, auch wenn sie – anders als die Symmetrie – von beiden Leitbegriffen nicht so profiliert thematisiert wird. Diese Zurückhaltung mag im Kontext der »Kommunikation des Evangeliums« damit zusammenhängen, dass der Leitbegriff gerade von einem asymmetrischen Verkündigungsparadigma wegführen möchte: »Mit dem Begriff ›Kommunikation des Evangeliums‹ verbindet sich häufig die … Abwendung von der … Vorstellung, das Evangelium sei erst material und historisch-genetisch zu fixieren und dann zu kommunizieren, d.h. zu vermitteln oder mitzuteilen. An die Stelle dessen tritt die rezeptionsästhetisch untermauerte Vorstellung, dass der Vorgang des Kommunizierens konstitutiv in Wechselwirkung steht mit dem Gehalt des Evangeliums, oder schärfer: dass sich das Evangelium (für diejenigen, die an der Kommunikation teilhaben) erst im Vollzug von Kommunikation konstituiert.«7 C. Grethleins Ansatz bleibt an dieser Stelle ambivalent. Grundlage seines Entwurfes ist eine – asymmetrische – Offenbarungstheologie, die im historisch-kritisch rekonstruierbaren »Christusimpuls« – und damit im »Evangelium«8 als »normative[r] Bestimmung« – gründet.9 Allerdings entfaltet Grethlein den Christusimpuls nicht inhaltlichmaterial, sondern in der Form dreier Kommunikationsmodi (s.o.). Offenbarungstheologisch fundierte Entwürfe ei-
ner »Kommunikation des Evangeliums« haben es also mit einer strukturellen Spannung von (fundierender) Asymmetrie und (angestrebter) Symmetrie zu tun. Diese strukturelle Spannung findet sich ähnlich im Kontext der Kinder- und Jugendtheologie. Allerdings ist hier die Asymmetrie nicht offenbarungstheologisch, sondern pädagogisch motiviert. Henning Schluß10 hat aus pädagogischer Perspektive darauf hingewiesen, dass pädagogische Ordnung zwingend auf Asymmetrie angewiesen ist. Insofern muss die Kinder- und Jugendtheologie präzisieren, wo innerhalb ihres Leitbildes die Grenzen der Symmetrie liegen und wie diese Symmetrie in die grundsätzlich asymmetrische Ordnung von Unterricht passt.11 Sofern sich die Kinder- und Jugendtheologie unter einem 7 Bernd Schröder / Michael Domsgen (wie Anm. 1), 9. 8 Christian Grethlein (wie Anm. 4), 486. Gräb stellt dazu fest: »Der Begriff des Evangeliums funktioniert … nur offenbarungstheologisch.« Wilhelm Gräb, Kommunikation des Evangeliums. Religionstheologische Ansichten und Anfragen, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 65. 9 Grethlein thematisiert dabei nicht, dass das Evangelium – einschließlich des Wirkens Jesu – selbst zum kommunikativen Tatbestand wird, dessen Bedeutungsgehalt sich nicht durch exegetisch-kritische Rekonstruktion eindeutig festlegen lässt, sondern sich je neu in kommunikativen Akten erschließt. Vgl. die Kritik bei Wilhelm Gräb (wie Anm. 8), 68. 10 Henning Schluß, Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: ZPT, 57. Jg. 2005, Heft 1, 27. 11 Hanna Roose, Das religionspädagogische Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie in kontingenzsensibler Perspektive, in: ZPT, 67. Jg. 2015, Heft 1, 37–47.
Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie?
offenbarungstheologisch fundierten Leitbegriff von »Kommunikation des Evangeliums« verorten möchte, gilt es außerdem zu reflektieren, wie sich diese Form der Asymmetrie auswirken könnte bzw. sollte. 1.4 Abschattung des Glaubensbegriffs
Im Register zur »Praktischen Theologie« von Grethlein fehlt der Begriff »Glauben«12. Das ist kein Zufall, sondern hängt bei Christian Grethlein mit der theologischen Verortung seines Ansatzes zusammen. Die Abschattung des Glaubensbegriffes geht bei ihm mit der Abschattung des Subjektbegriffes einher.13 Die »Wende zum Subjekt« wiederum wird derzeit eher vom kulturhermeneutischen Strang der Praktischen Theologie eingeklagt.14 Die Abschattung des Glaubensbegriffs verbindet Grethleins Praktische Theologie mit der Kinder- und Jugendtheologie. In der Entstehungsphase der Kindertheologie wurde u.a. diskutiert, ob der Begriff des »Glaubens« passender sein könnte als derjenige der »Theologie«. Gerhard Büttner berichtet: »Dem von mir ins Auge gefassten Titel ›Kind und Glaube‹ wurde entgegen gehalten, dass das Wort Glaube auch den Begriff ›Unglaube‹ impliziere, was angesichts der empirischen Ausrichtung des Projektes weder sinnvoll noch stimmig gewesen wäre.«15 Systemtheoretisch markiert die Thematisierung des Glaubens eine Krise: »Das System [ist] in seiner Operation (der Beobachtung der Welt) so verunsichert, dass es zur Beobachtung der individuellen Bewusstseinssysteme (d.h. ihrer Mitglieder) und deren Differenztreue genötigt ist.«16 Schulischer Religions-
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unterricht kann und will den Glauben nicht zur Voraussetzung der Teilnahme erklären. Er meidet die explizite Thematisierung der Glaubensfrage und rechnet mit unterschiedlichen, flexiblen Graden des Einverständnisses seitens der Schülerinnen und Schüler.17 Die Abschattung der Glaubensfrage kommt insofern dem schulischen Religionsunterricht – und damit auch dem Leitbild der Kinderund Jugendtheologie – entgegen. »Glaube« ließe sich in diesem Zusammenhang am ehesten im Sinne eines »einloggen, surfen, ausloggen« verstehen.18 1.5 Hochschätzung der Empirie
Mit der Abschattung des Subjektbegriffes geht eine »empirische Erdung« im Kommunikationsbegriff einher.19 Denn – so Grethlein – »die bisherige Fokussie12 Vgl. Bernhard Kirchmeier, Drei Kommunikationsmodi – eine Funktion? Erwägungen zum Zweck der Kommunikation des Evangeliums, in: Michael Domsgen / Christian Grethlein (Hg.), Kommunikation des Evangeliums, Leipzig 2014, 38. 13 Vgl. ebd. 14 Wilhelm Gräb, Predigtlehre. Über religiöse Rede, Göttingen 2013, 103–104. 15 Gerhard Büttner (wie Anm. 2), 220. 16 Oliver Reis / Thomas Ruster, Die Bibel als »eigenwilliges und lebendiges« Kommunikationssystem, in: Evangelische Theologie, 72. Jg. 2012, 286. 17 Karl-Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt, 2 Bände (Band 1: Moralpädagogik im Pluralismus, Band 2: Religionspädagogik im Pluralismus), München / Gütersloh 1998, 223ff. 18 Oliver Reis / Thomas Ruster (wie Anm. 16), 286. 19 Christian Grethlein, »Religion« oder »Kommunikation des Evangeliums« als Leitbegriff der Praktischen Theologie?, in: ZThK, 112. Jg. 2015, 485.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
rung auf das ›Subjekt‹ bzw. das ›Individuum‹, und damit auf empirisch wegen der sozialen Vernetzung nicht vorfindliche Konstrukte, [wird] durch die Konzentration auf Beziehungen (›relationship‹) abgelöst«20. Hier schlägt sich u.a. der Ansatz Luhmanns nieder: »Nur als Kommunikation hat Religion … eine gesellschaftliche Existenz. Was in den Köpfen der zahllosen Einzelmenschen stattfindet, könnte niemals zur ›Religion‹ zusammenfinden – es sei denn durch Kommunikation.«21 Das heißt: Luhmann geht nicht vom Menschen (vom Subjekt) aus, »sondern von der Gesellschaft und damit gleichsam vom Sichtbaren«22. Kinder- und Jugendtheologie hatte von Beginn an eine empirische Ausrichtung. Den Jahrbüchern für Kindertheologie23 geht es wesentlich darum, möglichst niederschwellig in Gesprächen mit Kindern mehr über deren theologische Gedanken und Vorstellungen zu erfahren (s.u.). Die Diskursivität spielt eine wichtige Rolle. Kinder- und jugendtheologische Forschung befasst sich in weiten Teilen damit, Äußerungen von Kindern und Jugendlichen zu dokumentieren und vor dem Hintergrund biblisch-christlicher Tradition und psychologischer (Entwicklungs-) Theorien zu analysieren. 2. Verschiebungen im Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie durch ihre Verortung in der »Kommunikation des Evangeliums«
Bisher haben wir festgestellt, dass sich die Kinder- und Jugendtheologie im Leitbild der »Kommunikation des Evangeliums« gut verorten lässt, weil wesent-
liche Akzentsetzungen übereinstimmen. In gewisser Weise lässt diese Verortung die Kinder- und Jugendtheologie jedoch auch in einem neuen Licht erscheinen, die zu bestimmten Akzentverschiebungen führt. 2.1 Betonung der biblischen Fundierung
Christian Grethlein plädiert in seiner Ausarbeitung zur »Kommunikation des Evangeliums« »für eine sorgfältige biblische Klärung der leitenden theologischen Begriffe«.24 Er begibt sich zur Klärung des Begriffs Evangelium« auf die Suche nach dem historischen Jesus und seinem Wirken in Wort und Tat. Die drei Gestaltungsmodi der »Kommunikation des Evangeliums« leitet Grethlein aus dem Wirken des historischen Jesus ab. Er unterscheidet den Modus des Lehrens und Lernens (klassisch: Martyria – hier stehen v.a. die Gleichnisse im Hintergrund), den Modus des gemeinsamen Feierns (klassisch: Liturgia – hier stehen v.a. die Mahlfeiern im Hintergrund) und den Modus des Helfens zum Leben
20 Ebd., 482. 21 Niklas Luhmann, Religion als Kommunikation, in: Hartmann Tyrell u.a. (Hg.), Religion als Kommunikation, Würzburg 1998, 137. 22 Isolde Karle, Die markante Physiognomie der Religion, in: Wilfried Härle (Hg.), Systematisch praktisch. FS Reiner Preul, Marburger Theologische Studien, Marburg 2005, 306. Damit externalisiert Luhmann das Subjektive. Vgl. Raphael Beer / Ylva Sievi, Subjekt oder Subjektivation? Zur Kritik der Subjekttheorie von Andreas Reckwitz, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37. Jg. 2010, 3–19. 23 Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Jahrbücher für Kindertheologie, Stuttgart, seit 2001. 24 Christian Grethlein (wie Anm. 4), 157.
Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie?
(klassisch: Diakonia – hier stehen v.a. die Wundertaten Jesu im Hintergrund).25 Die Kinder- und Jugendtheologie bezieht sich klassischerweise in erster Linie auf die systematische Theologie.26 Das hängt einerseits mit ihrer Herkunft aus dem Philosophieren mit Kindern zusammen, andererseits mit der Überzeugung, dass es »Strukturähnlichkeiten zwischen den theologischen Aussagen der Kinder zur Gottesfrage und solchen theologischen Problemen [gebe], die die wissenschaftliche Theologie in ihrer Geschichte in diesem Zusammenhang bearbeitet hat«27. Biblische Erzählungen bieten dann »zusätzliche Facetten«28, sie können auch als narrative Christologie gelesen werden29. Drei (Sonder-)Bände der Jahrbücher für Kindertheologie haben sich bisher der Frage gewidmet, wie Kinder biblische Erzählungen deuten.30 Vom Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums her wäre zu fragen, inwiefern die Bezugsgröße der Kinder- und Jugendtheologie (auch) eine biblische (alt- und neutestamentliche, johanneische31, markinische32 etc.) Theologie sein könnte. Dabei wäre allerdings m.E. gerade nicht auf die Einheit des »Christusimpulses« abzuheben, sondern auf die Vielgestaltigkeit biblischer Theologien. 2.2 Theologisieren als Prozess
Eine zweite Akzentverschiebung betrifft die Betonung der Prozessqualität in der »Kommunikation des Evangeliums«. So formuliert Wilfried Engemann: Gegenstand der Praktischen Theologie ist »die Auseinandersetzung mit dem Prozess der Kommunikation des Evangeliums und der ihn prägenden Struktur«33. Diese
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Prozessqualität wird in der Kinder- und Jugendtheologie unterschiedlich stark hervorgehoben. In ihrer Anfangszeit hat die Kindertheologie einen Schwerpunkt auf die »Theologie von Kindern« gelegt. In den ersten Jahrbüchern für Kindertheologie finden sich zahlreiche explorative Untersuchungen, die Kinderäußerungen zu bestimmten theologischen Fragen im Sinne einer »Bestandsaufnahme« erheben und auswerten. Im Fokus stand das Interesse zu zeigen, wozu bereits Kinder in theologischer Hinsicht fähig sind. Das Augenmerk lag dabei mehr auf dem »Produkt« der Theologien von Kindern als auf dem Prozess, in dem sie im Gespräch allererst Gedanken entwi25 Ebd., 169–170. 26 Gerhard Büttner (wie Anm. 2), 224. 27 Gottfried Orth / Helmut Hanisch, Glauben entdecken – Religion lernen. Was Kinder glauben, Teil 2, Stuttgart 1998, 316. 28 Gerhard Büttner (wie Anm. 2), 227. 29 So die Anlage der Habilitationsschrift von Gerhard Büttner zur Christologie von Schülerinnen und Schülern. Gerhard Büttner, »Jesus hilft!«. Untersuchungen zur Christologie von Schülerinnen und Schülern, Stuttgart 2002. 30 JaBuKi 2, Stuttgart 2003; Gerhard Büttner / Martin Schreiner (Hg.), »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten, JaBuKi Sonderband Teil 1: Altes Testament, Sonderband Teil 2: Neues Testament, Stuttgart 2004 und 2006. 31 Vgl. Gerhard Büttner / Hanna Roose, Das Johannesevangelium im Religionsunterricht. Informationen, Anregungen und Materialien für die Praxis, Stuttgart 2007. 32 Vgl. Peter Müller, Mit Markus erzählen. Das Markusevangelium im Religionsunterricht, Stuttgart 1999. 33 Wilfried Engemann, Kommunikation des Evangeliums als interdisziplinäres Projekt. Praktische Theologie im Dialog mit außertheologischen Wissenschaften, in: Christian Grethlein / Helmut Schwier (Hg.), Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte, Leipzig 2007, 141 (Hervorhebung HR).
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
ckelten. Kinder und Jugendliche wurden (z.T. unfreiwillig) zu Theologinnen und Theologen, die ihre – bereits »vorhandenen« – Gedanken präsentierten. Eine Verortung der Kinder- und Jugendtheologie in der »Kommunikation des Evangeliums« führt demgegenüber zu einer Betonung der Prozessqualität des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen – im Unterschied zur Betonung der »Produktqualität« einer Theologie von Kindern und Jugendlichen. Diesen Aspekt macht z.B. Veit-Jakobus Dieterich stark, wenn er eine 21-jährige Lehramtsstudentin zustimmend mit den Worten zitiert: »Theologisieren ist eine Art ›Entdeckungstour‹ und das gemeinsame Suchen nach Antworten auf theologische Fragen mit Jugendlichen im RU.«34 Statt von Kinder- und Jugendtheologie spricht Dieterich daher vom »Theologisieren«, das dem »Philosophieren« aus der Philosophiedidaktik entspricht.35 Im religionspädagogischen Fokus stehen dann nicht die Theologien der Kinder und Jugendlichen, sondern das gemeinsame Entwickeln und Sichtbarmachen theologischer Gedanken im kommunikativen Prozess. Auf Seiten der Lehrkraft geht es dann darum, die Prozessqualität – oder systemtheoretisch formuliert: die Anschlussfähigkeit – der Kommunikation über ein theologisches Thema wahrscheinlich zu halten. In diesem Sinne insistiert Tanja Schmidt auf einer »Kommunikation biblischer Theologie«, in die sich Schülerinnen und Schüler einund ausklinken können – ohne dass die Lehrkräfte darüber verfügen könnten, wie sich dieses oder jenes Interpretament in der Theologie der Schülerinnen und Schüler niederschlägt.36 Empirisch
trägt diese Akzentverschiebung der Beobachtung Rechnung, dass v.a. Kinder in Unterrichtsgesprächen Gedanken äußern, die sie in anderen Kontexten nicht formulieren – und die sie außerhalb des Religionsunterrichts vielleicht auch gar nicht entwickeln und vertreten. 2.3 Abschattung der Subjektorientierung
Eine zweite Akzentverschiebung betrifft die Abschattung der Subjektorientierung in der »Kommunikation des Evangeliums« nach Christian Grethlein. Er sieht hier eine wesentliche Differenz zu einer religionstheoretischen Fundierung der Praktischen Theologie: »So nimmt eine am Religionsbegriff orientierte Praktische Theologie stärker das konstruierte ›Subjekt‹, eine an der »Kommunikation des Evangeliums« ausgerichtete eher die beobachtbaren Interaktionen und Beziehungen in den Blick.«37 An diesem Punkt schlagen sich u.a. die systemtheoretischen Anleihen nieder, die Grethlein bei seiner mehrper spektivischen Profilierung des Kommunikationsbegriffes vornimmt. Er betont in diesem Zusammenhang einerseits die »Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation«, andererseits die »Eigendynamik von Kommunikation«38 und resümiert:
34 Veit-Jakobus Dieterich (wie Anm. 3), 15. 35 Ebd., 12–14. 36 Tanja Schmidt, Die Bibel als Medium religiöser Bildung, Göttingen 2008, 203ff. 37 Christian Grethlein (wie Anm. 19), 485. Bernhard Kirchmeier beklagt in diesem Zusammenhang bei Grethlein den »Verlust des Subjekts«. Bernhard Kirchmeier (wie Anm. 12), 37. 38 Christian Grethlein, (wie Anm. 4), 151.
Roose Kommunikation des Evangeliums – ein Leitbegriff für die Kinder- und Jugendtheologie?
»Luhmann markiert durch die Trennung von – unzugänglichem – Bewusstsein und Kommunikation das Problem, das durch Kommunikation (unwahrscheinliche, aber) mögliche Verstehen überhaupt festzustellen.«39 Nach Luhmann kommunizieren bekanntlich nicht Menschen, sondern die Kommunikation kommuniziert.40 Nicht die Intentionen der Subjekte sind für die Kommunikation ausschlaggebend, sondern die Anschlussfähigkeit. Die damit markierte Einschränkung der Subjekt orientierung lässt sich dreifach entfalten:41 1. Grundsätzlich lässt sich Kommunikation nicht individuell denken, sondern nur dialogisch bzw. sozial. 2. Die Luhmann’sche Trennung zwischen Kommunikation und psychischen Systemen / Bewusstseinen lenkt die Aufmerksamkeit vom individuellen »Subjekt« auf die beobachtbare Kommunikation. 3. In der Kommunikation ist die Art der Aneignung für den oder die jeweils »anderen« (nach Luhmann: alter) unverfügbar. Sie ist aber entscheidend für die Anschlusskommunikation. Hieraus erklärt sich die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. Das Leitbild der Kinder- und Jugendtheologie gilt demgegenüber als extrem subjektorientiert. In ihrer ersten These zur Kindertheologie formulieren Friedhelm Kraft und Martin Schreiner: »Kindertheologie sieht Kinder als Subjekte und Ko-Konstrukteure ihrer Lebenswelt auch im religiösen Bereich. Sie löst den sog. ›Perspektivenwechsel‹ (EKD Synode Halle 1994) ein, der auf exegetisch-theologischen, systematisch-
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theologischen und praktisch-theologischen Erwägungen zu einer ›Theologie des Kindes‹basiert.«42 Die Entwicklung führt dabei von einem »falschen« Verstehen durch Kinder über ihr »anderes« Verstehen zum »eigenen« Verstehen. Kinder- und Jugendtheologien treten dabei – wenn es denn wirklich um »eigenes« Verstehen geht – je individuell auf. Rückt man nun die Kinder- und Jugendtheologie in den Horizont einer systemtheoretisch profilierten »Kommunikation des Evangeliums«, dann erfährt diese extreme Subjektorientierung notwendigerweise eine Abschattung. Was heißt das für die Kinder- und Jugendtheologie? Die systemtheoretischen Einsichten mahnen einerseits zur Vorsicht, zu kurzschlüssig von einzelnen Aussagen auf bestimmte stabile Bewusstseinsphänomene (hier: Theologien) zu schließen. Die Prozessqualität der Kommunikation rückt auch an dieser Stelle in den Blick (s. dazu oben). Die systemtheoretischen Einsichten lassen andererseits »Nachhaltigkeit« in der Kinder- und Jugendtheologie in einem neuen Licht erscheinen.43 Mirjam 39 Ebd., 151. 40 »Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können kommunizieren, nicht einmal das Bewusstsein kann kommunizieren. Nur die Kommunikation kann kommunizieren.« Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995, 37. 41 Gerhard Büttner (wie Anm. 5), 14. 42 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 6. Jg. 2007, 21. 43 Vgl. dazu ausführlich Hanna Roose, Nachhaltigkeit als Qualitätskriterium in der Kinderund Jugendtheologie?, in: JaBuKi 15, Stuttgart 2016, 56–61.
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Perspektiven für eine »Kommunikation des Evangeliums« mit Kindern und Jugendlichen
Zimmermann benennt »Nachhaltigkeit« als ein Qualitätskriterium »guter« Kindertheologie: »Nachhaltigkeit als Gegensatz zur Zufälligkeit einer Theologie der Kinder wird als Aspekt guter Kindertheologie konstatiert.«44 Die Begründung für diese These erfolgt vom Kind her: »Wenn Kindertheologie … für die Kinder selbst orientierend und sinnstiftend sein soll, dann muss sie auch nachhaltig abrufbar sein, also als Ergebnis eines Orientierungsprozesses als kindertheologische Kompetenz entwickelt sein.«45 Hier klingt als Zielperspektive an, dass (auch) Kinder Subjekte ihres Lebens und Glaubens sind bzw. werden. Zimmermann fordert Nachhaltigkeit. Es gelte, das sinnstiftende Potenzial von Kindertheologie zur Entfaltung zu bringen. Das gehe nur, wenn Kinder und Jugendliche je individuelle, relativ stabile Aneignungsformen der biblisch-christlichen Tradition ausbildeten. Wenn der Subjekt- und der Glaubensbegriff in der Kinder- und Jugendtheologie abgeschattet werden, erscheint dieser Anspruch unangemessen.46 Nachhaltigkeit als Qualitätskriterium bezöge sich dann nicht auf die individuellen Positio nierungen der Schülerinnen und Schüler in sog. »Glaubensfragen«, sondern auf die Aufrechterhaltung des Themas, das Bereitstellen von Anschlussmöglichkeiten, in die sich Schülerinnen und Schüler immer wieder neu und immer wieder anders einklinken können. Seel-
sorge markiert nach diesem Verständnis eine (legitime) Grenze von Kinder- und Jugendtheologie. Seelsorge bedarf der nachhaltigen Sinnstiftung und existentiellen Orientierung. Kinder- und Jugendtheologie lebt vom In-Frage-Stellen, vom kritischen Widerspruch, vom Austesten mehrerer Möglichkeiten, von (kognitiver) Verunsicherung. 3. Schlussbetrachtung
Wir haben gesehen, dass sich die Kinder- und Jugendtheologie durchaus gewinnbringend unter dem Leitbegriff der »Kommunikation des Evangeliums« verorten lässt. Allerdings bleibt diese Verortung nicht ohne Folgen. Sie führt – sofern wir sie ernst nehmen – zu einigen Akzentverschiebungen. Die Kinder- und Jugendtheologie wird zu entscheiden haben, ob sie sich diese Akzentverschiebungen zu Eigen machen möchte oder nicht. Unabhängig davon, wie die Entscheidung hier ausfallen mag, erweist sich das Einspielen des Leitbegriffs der »Kommunikation des Evangeliums« als ein Weg, die Profilschärfung der Kinder- und Jugendtheologie weiter voran zu treiben.
44 Mirjam Zimmermann, Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie. Die Notwendigkeit einer »Theologie für Kinder« im Blick auf Zielgruppe, Basiswissen, Nachhaltigkeit und Inhalt, in: JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 45. 45 Ebd., 47. 46 Henning Schluß (wie Anm. 10), 27.
van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess
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Christian van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess. Aspekte jugendtheologischer Wissensaneignungsprozesse im entdeckenden und forschenden Religionsunterricht
1. Einleitung
Im vorliegenden Artikel wird das Konzept der Jugendtheologie als Ausgangspunkt gesehen, um einen theologiehaltigen Gegenstand im Religionsunterricht durch die Schülerinnen und Schüler eigenständig erforschen zu lassen. Der dabei stattfindende Übergang von der gegenständlichen Weltperspektive in die theologische Weltperspektive wird mit Hilfe eines Modellierungsmodells – dem Theologisierungskompass – erklärt. Ein unterrichtspraktisches Beispiel zeigt auf, wie Lern- und Denkprozesse der Schülerinnen und Schüler bei der Untersuchung eines Liedes als ein theologischer Modellbildungsprozess verstanden werden können. Dabei konzentriere ich mich in dem Artikel auf das Theologisieren, also den Übergang in den Bereich der Theologie durch die Lernenden. Die grundlegende Unterscheidung in der Jugendtheologie ist die zwischen einer Theologie der, mit und für Jugendliche.1 Diese bildet den Ausgangspunkt für mein Theologisierungsmodell. Sehr oft erscheint das traditionelle Unterrichtsgespräch als zentraler Bestandteil des Theologisierens.2 In diesem Artikel hingegen gehe ich vom Ansatz eines forschenden und entdeckenden Lernens im Religionsunterricht aus. Eine Nähe der Kinder- und Jugendtheologie dazu sieht auch Schweitzer, wenn er die folgenden unter-
schiedlichen Zugänge beschreibt: »Setzt die traditionelle Katechetik darauf, dass den Kindern und Jugendlichen Einsichten gegeben und beigebracht oder vermittelt werden müssen, so legt die Kindertheologie großen Wert auf das eigene Finden, Entdecken, Hervorbringen und Erkennen von Kindern und Jugendlichen.«3 Daher geht es einerseits um die Theologie, die die Jugendlichen selber entdecken und artikulieren, also die Theologie der Jugendlichen. Andererseits wählt der Lehrende einen Gegenstand, ein Medium für den Unterricht aus. Damit kommen wir in den Bereich der Theologie für Jugendliche. Als dahinterstehende Begründung kann man mit Schweitzer den Bildungsauftrag des Religionsunterrichts sehen: »Religionspädagogische Angebote sind nur dann plausibel, wenn sie Kindern und Jugendlichen Lernmöglichkeiten erschließen, die ihnen sonst nicht offenstehen würden.«4 1 Vgl. etwa Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011. 2 Siehe z.B. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe, München/Stuttgart 2012 oder Friedhelm Kraft, Theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen. Eine didaktische Perspektive, in: Loccumer Pelikan 4/12, 153–157. 3 Friedrich Schweitzer, Welche Theologie brauchen Kinder?, in: JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 16. 4 Ebd., 19.
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Weitere aktuelle Forschung
Im Folgenden stelle ich dar, wie ein theologiehaltiges Medium von den Schülerinnen und Schülern erforscht wird und so ein jugendtheologischer Wissensaneignungsprozess beginnt. Ein Medium kann dabei eine Filmsequenz, ein Bild, Lied, Text oder auch nur ein Zitat oder ein bloßer Gegenstand sein. Medien drücken theologische Gedanken auf eine besondere Art und Weise aus. Dieses ist der Grund für die Lehrperson, ein bestimmtes Medium einzusetzen. Andererseits sind die Gegenstände selbst nicht Theologie, sondern sie können maximal als theologiehaltig bezeichnet werden. Sie besitzen ein – für die Lernenden zunächst verborgenes – theologisches Potenzial. Für den Lehrenden stellt sich als zentrale Aufgabe, eine geeignete Ausgangssituation durch Auswahl des Mediums und sinnstiftende Problemstellungen zu »orchestrieren«.5 Eine so gestaltete Lernumgebung ermöglicht dann eine Theologie mit Jugendlichen im Religionsunterricht. Bei meinem Ansatz wird den Schülerinnen und Schülern eine Ausgangssituation vorgegeben (Theologie für Jugendliche), die die Lernenden selbständig erforschen. Auf diese Weise zeigt sich die Theologie der Jugendlichen. Es entsteht im Unterricht ein Theologisierungskreislauf (Theologie mit Jugendlichen). 2. Theoretische Grundannahmen des Modellierens und Theologisierens
Ein Modell für ein Lernen mit einem Medium aus der »realen Welt« gibt es in der Didaktik schon länger. So findet sich in der Mathematikdidaktik bereits seit etwa dreißig Jahren ein Modellierungskreislauf, der immer wieder bearbeitet wurde und
wird.6 Die besondere Bedeutung des Modellierens für das Lernen im Mathematikunterricht zeigt sich nicht nur an den vielen Veröffentlichungen und Arbeitsgruppen in diesem Bereich7, sondern hat auch als eigenständige prozessbezogene Kompetenz in den Kernlehrplänen der Bundesländer8 bereits seit einigen Jahren seinen festen Platz. »Sowohl in der nationalen als auch in der internationalen mathematik-didaktischen Diskussion wurde in den letzten Jahren die Bedeutung re5 Zum Begriff der Orchestration siehe mit Blick auf den Einsatz von digitalen Technologien im Mathematikunterricht z.B. Luc Trouche, Instrumental genesis, individual and social aspects, in: Dominique Guin / Kenneth Ruthven / Luc Trouch (Hg.), The didactical challenge of symbolic calculators, New York 2005, 197–230 oder hinsichtlich des Einsatzes von (realen und digitalen) Zeichengeräten Christian van Randenborgh, Instrumente der Wissensvermittlung im Mathematikunterricht. Der Prozess der Instrumentellen Genese von historischen Zeichengeräten, Wiesbaden 2015. 6 Siehe z.B. Werner Blum, Anwendungsorientierter Mathematikunterricht in der didaktischen Diskussion, in: Mathematische Semesterberichte, 32. Jg.1985, Heft 2, 195–232; Hans Schupp, Anwendungsorientierter Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 1 zwischen Tradition und neuen Impulsen, in: MU – Der Mathematikunterricht, 34. Jg. 1988, Heft 6, 5–16; Werner Blum / Dominik Leiß, Modellieren im Unterricht mit der »Tanken«-Aufgabe; in: Mathematik lehren, 128. Jg. 2005, 18–21; Christian van Randenborgh, Instrumente der Wissensvermittlung im Mathematikunterricht. Der Prozess der Instrumentellen Genese von historischen Zeichengeräten, Wiesbaden 2015, 193ff. 7 Vgl. etwa die Projekte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der ISTRON-Gruppe. 8 Z.B. in NRW, Bayern oder Berlin. Im Öster reich wird vom Modellbildungsprozess gesprochen und in der Schweiz kommen mathematische Modelle im Rahmen der sog. Grundfertigkeiten vor.
van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess
alitätsbezogener Problemstellungen immer stärker betont und ihre Behandlung im Unterricht eingefordert […]. Bei der Auseinandersetzung mit derartigen Problemstellungen spielt die mathematische Kompetenz Modellieren eine zentrale Rolle. Sie ist daher in den Bildungsstandards Mathematik zu Recht als eine der sechs zentralen Kompetenzen fest verankert. Beim Modellieren geht es darum, realitätsbezogene Situationen durch den Einsatz mathematischer Mittel zu verstehen, zu strukturieren und das der Situation zugrundeliegende Problem einer Lösung zuzuführen sowie Mathematik in der Realität zu erkennen und zu beurteilen«9. Auf den Religionsunterricht bezogen könnte man sagen, dass es beim Theologisieren darum geht, bei realitätsbezogenen Situationen (alltäglichen, ethischen etc. oder auch biblischen) eine theologische Perspektive zu finden, durch den Einsatz theologischer Ansätze tiefer zu verstehen, zu strukturieren und für das der Situation zugrundeliegende Problem Antwortmöglichkeiten zu finden sowie Religion und Theologie in der Welt zu erkennen und so die eigene Urteilskompetenz weiterzuentwickeln. Anwendbar im Bereich der Religionsdidaktik und Theologie scheint mir dieser Ansatz vor allem deshalb zu sein, weil es hier auch die beiden zentralen Grundvoraussetzungen gibt: Erstens wird davon ausgegangen, dass das Medium ein Gegenstand aus der »Welt« ist und einen für die Schülerinnen und Schüler zunächst verborgenen theologischen Kern enthält. Zweitens sind bestimmte Bestandteile des Mediums zu theologisieren, so dass ein passendes Modell in der theologischen Weltperspektive von den Lernenden gefunden werden kann.
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3. Ein theologischer Modellbildungsprozess: Das Kompassmodell
In Abbildung 1 ist der Theologisierungskreislauf grafisch dargestellt10. Der erste Theologisierungsablauf beginnt mit der Situation (Abb. 1 unten links). Dieser Ausgangspunkt wird vom Lehrenden vorgegeben. Das Theologisieren wird also ausgelöst durch das eingesetzte theologiehaltige Medium und eine passende Aufgabenstellung. Dann beginnt der Prozess des Theologisierens. Das bedeutet, dass die Lernenden die für sie erkennbare theologische Dimension des Mediums entdecken und so einen Übergang von der rein gegenständlichen Welt hin zur theologischen Weltperspektive finden (vgl. die horizontale Zweiteilung in Abb. 1). Theologie wird dabei im Anschluss an Rupp verstanden als »der nachdenkliche, durchaus auch existenzielle Umgang mit religiösen Fragen«11. Für den konfessionellen Religionsunterricht kommt die Erweiterung hinzu, dass dazu auch »die Auseinandersetzung mit der biblischchristlichen Theologie gehört«12. So verstanden kann man Theologie mit Härle als »Reflexion des Glaubens«13 begreifen.
9 Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Handreichungen zu VERA 8 Mathematik, Berlin 2009, 77. 10 Die Grundlage dafür bildet das Modellierungsmodell von Hans Schupp, Anwendungsorientierter Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 1 zwischen Tradition und neuen Impulsen, in: MU – Der Mathematikunterricht, 34. Jg. 1988, Heft 6, 5–16. 11 Hartmut Rupp, Theologisieren mit Jugendlichen. Vortrag PTZ, Stuttgart 2008, 2. 12 Ebd., 2. 13 Wilfried Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie; in: JaBuKi 3, Stuttgart 2004, 23.
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Weitere aktuelle Forschung
Modell
Situation
Lösungsansätze
Deutungsansätze
Abb. 1: Theologisieren als Modellbildungsprozess: Der Theologisierungskompass
Damit ist Jugendtheologie definierbar als »Reflexion und Kommunikation religiöser Vorstellungen durch Jugendliche, wobei sich die Reflexion sowohl auf eigene Vorstellungen als auch auf die Vorstellungen anderer Menschen sowie deren Ausdruck etwa in religiösen Praktiken und Riten beziehen kann.«14 Diese »Reflexion und Kommunikation« durch die Schülerinnen und Schüler wird im Übergang von der Situation zum Modell (Abb. 1 links) für den Unterrichtenden erkennbar. Sie ist verbunden mit einem Wechsel in der Wahrnehmung des Mediums. Es werden nun von den Schülerinnen und Schüler zunächst ver-
borgene Aspekte der Situation aufgedeckt. Sie nähern sich damit Stück für Stück einem – dem Medium inhärenten – theologischen Kern.15 Ein theologischer Kern ist die religiöse Dimension eines Themas. Diese erscheint zunächst im Schritt des Theologisierens und wird im Laufe des Kreislaufes immer deutlicher herausgearbeitet (Abb. 1 oben). Die in 14 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Rückfragen – Klärungen – Perspektiven; in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a., Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, 167. 15 Damit ist gemeint, dass es mindestens einen theologischen Kern gibt.
van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess
der ersten Phase stattfindenden Denkund Arbeitsprozess der Lernenden kann man sich als einen Kreislauf zwischen theologischem Modellieren (Übergang von der gegenständlichen zur theologischen Weltperspektive) und Strukturieren (umgekehrter Übergang) vorstellen. Im Verlauf entwickeln die Schülerinnen und Schüler ein theologisches Modell. Dieses ist nicht abgeschlossen und enthält weitere Fragen oder Probleme, die nun theologisch bearbeitet werden (Abb. 1: deduzieren). Im Kompassmodell befinden wir uns nun in der Nordrichtung (›Nachdenken‹). Diese Phase ist gekennzeichnet durch das Wechselspiel von begründen und erklären. Einerseits werden Grundannahmen des theologischen Modells benutzt, um daraus gezogene Konsequenzen zu begründen. Die Konsequenzen sollten dann wieder mit Blick auf das Modell hin überprüft werden (›begründen‹). Beim Wechsel vom Bereich Modell zum Bereich Lösungsansätze, wird für die Lernenden mehr vom theologischen Kern sichtbar. Hier ist der Bereich der Antworten oder Lösungen erreicht (vgl. die vertikale Zweiteilung in Abb. 1). Die gefundenen Konsequenzen oder Lösungsansätze (also das subjektiv neue Wissen) werden nun mit Blick auf das bereits vorhandene Wissen interpretiert. Nun sind die Lernenden beim Ordnen. Die Schülertätigkeiten sind hier durch den wechselseitigen Prozess des Integrierens des subjektiv neuen Wissens in das bestehende und des Vernetzens geprägt. Auf diese Weise gelangen sie zu eigenen Deutungsansätzen, die dann wiederum mit Blick auf die Ausgangssituation untersucht werden. Dieses Systematisieren ist bestimmt durch einen Kreislauf des Validierens und Reflektierens. Für die Lernenden – und Lehrenden – wird an dieser Stelle (›Si-
253
chern‹) noch einmal ganz deutlich, was erreicht wurde (Antworten/Lösungen) und was noch zu bedenken ist (neue Fragen/ Probleme). Damit ist der theologische Modellbildungsprozess abgeschlossen bzw. es kann in einen weiteren Theologisierungsablauf eintreten werden. Im Rahmen der üblichen Einteilung befinden wir uns im Bereich der Theologie mit Jugendlichen. Da diese aber zunächst ganz eigenständig ihr theologisches Modell entwickeln, ist es vielleicht hilfreich an dieser Stelle von einer Theologie durch Jugendliche zu sprechen. 3.1 Das Kompassmodell und die Formen von Jugendtheologie
Schlag und Schweitzer unterscheiden verschiedene Formen von Jugendtheologie. Zunächst wird differenziert nach einer expliziten, einer persönlichen und einer impliziten Theologie.16 In Bezug auf den Theologisierungskompass ist grundsätzlich festzuhalten, dass das eingesetzte Material (Ausgangssituation) für den Lehrenden einen theologischen Anknüpfungspunkt hat, also theologiehaltig ist. Dieser kann für ihn explizit oder implizit sein, aber mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler lässt sich nur sagen, dass das Material eine inhärente Theologie enthält.17 Diese ist für die Lernenden zunächst ver16 Vgl. auch den Überblick in Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 179. 17 Auch hier ist – wie beim theologischen Kern – mindestens eine inhärente Theologie gemeint. Man könnte auch sagen, dass das Material verschiedene theologische Kerne mit jeweils einer eigenen inhärenten Theologie enthält.
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Weitere aktuelle Forschung
borgen und kann im Prozess des Theologisierens aufgedeckt werden. Gelingt dieses können alle drei Formen (explizite, implizite und persönliche Theologie) auftreten. Im weiteren Verlauf des Kreislaufmodells (s.o.: deduzieren) können die Schülerinnen und Schüler theologisch Argumentieren, was eine weitere Form nach Schlag und Schweitzer ist.18 Mit Blick auf die Form »theologische Deutung mit Hilfe der theologischen Dogmatik«19 lässt sich sagen, dass sie in den Phasen interpretieren oder systematisieren (s.o. Abb. 1) auftreten kann. Der Begriff der inhärenten Theologie erscheint mir auch hier hilfreich zu sein, um deutlich zu machen, dass das hier vorgestellte Kompassmodell die unterschiedlichen Aspekte, die die Unterscheidung der verschiedenen Formen und Arten der Jugendtheologie nach Schlag und Schweitzer deutlich gemacht haben20, berücksichtigt. Dadurch ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Zugänge zu der dem Medium zugrundeliegenden Theologie finden. 3.2 Die Lehrerrolle im Kompassmodell
Die Rolle des Unterrichtenden in diesem Modell lässt sich gut mit den von Petra Freudenberger-Lötz herausgearbeiteten Funktionen einer Lehrkraft in theologischen Gesprächen umschreiben. Sie spricht von der »aufmerksamen Beobachterin«, »stimulierenden Gesprächspartnerin« und der »begleitenden Expertin«.21 Die Expertenrolle beginnt beim Modell des Theologisierungskompasses mit der Auswahl und Gestaltung der Ausgangssituation. Darüber hinaus kommt diese Unterstützungsfunktion auch in
den anderen Phasen des Kreislaufes vor, wenn z.B. weitere Materialien bereitgestellt, Arbeitsaufträge gewählt oder Impulse im Unterrichtsgespräch formuliert werden.22 Die Beobachterrolle ist beim entdeckenden Lernen für den Lehrenden möglich. Er kann sich zurücknehmen, denn das bereitgestellte Material wird von den Lernenden eigenständig erforscht. In der Phase des theologischen Modellierens ist diese Funktion besonders wichtig, die Freudenberger-Lötz so beschreibt: »Die grundlegende Aufgabe, die den gesamten Unterricht durchzieht, besteht darin, wahrzunehmen, wie die Schülerinnen und Schüler mit einem Thema umgehen, was sie bewegt, wo sie ins Unterrichtsgeschehen Fragen eintragen und welche theologischen Grundfragen dabei zur Sprache kommen.«23 Die Stimulationsrolle kommt im Wesentlichen bei der Gestaltung der Lernumgebung (Auswahl der Materialien, Arbeitsaufträge etc.) vor. In Gesprächsphasen wird diese Rolle zentral beim Systematisieren, Vertiefen und Reflektieren.24 Im hier vorgestellten Modell also in den Bereichen Nachdenken, Ordnen und Sichern. 18 Siehe Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 179. 19 Ebd., 179. 20 Ebd. 21 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe, München/Stuttgart 2012, 15ff. 22 Vgl. ebd., 17. 23 Ebd., 16. 24 Vgl. ebd., 16.
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4. Ein Unterrichtsbeispiel
In der religionsdidaktischen Literatur findet man vorwiegend Gespräche oder explizite Fragen, z.B. nach Gott, als Auslöser von Theologisierungsgesprächen.25 Diese Fragen können vom Unterrichtenden eingebracht werden oder sie werden von den Jugendlichen eigenständig gestellt bzw. erwachsen teilweise auch aus dem Material selbst. Grundsätzlich hilfreich ist dabei die Unterscheidung zwischen Wissens- und Glaubensfragen.26 Allerdings sind die Bereiche durchaus miteinander verbunden. Freudenberger-Lötz stellt fest: »In theologischen Gesprächen haben wir es vorwiegend mit Glaubensfragen zu tun, doch ein nicht unerhebliches Maß an Wissen spielt mit hinein.«27 Sie sieht in diesen Gesprächen dann auch einen wichtigen Unterschied zu anderen Unterrichtsgesprächen. »Im Unterschied zum theologischen Gespräch ist der fragend-entwickelnde Religionsunterricht nicht ergebnisoffen. Es geht um Wissensfragen.«28 An diese grundsätzlichen Überlegungen lässt sich gut anknüpfen, denn Theologisieren beginnt dort, wo Schülerinnen und Schüler theologische Fragen in einem Medium entdecken. Derartige Situationen nenne ich Theologisierungsanlässe. Sie sind insofern ergebnisoffen, dass es keinen fest vorgeschrieben Bearbeitungs-, Lösungs- oder Denkweg gibt. Auch sind mehre Lösungswege und Ergebnisse denkbar. Denn – und hier ist wieder die Unterscheidung zwischen Glaubensund Wissensfragen hilfreich – wenn es sich nicht um reine Wissensfragen handelt, gibt es auch nicht die eine endgültig richtige Lösung. Andererseits sind sie dahingehend nicht ergebnis-
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offen, dass sie auf ein bestimmtes Ziel hin eingesetzt werden und es Kriterien für die Beurteilung gibt, ob es sich um eine angemessene Lösung, Erkenntnis etc. handelt. Die wesentlichen formalen Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit der Schülerergebnisse sind: das Vorhandensein einer sinnvollen Argumentationsstruktur, logisch korrekte Schlüsse und Widerspruchsfreiheit. Zentrale inhaltliche Kriterien sind: exegetische Verantwortbarkeit, historische und religionsgeschichtliche Richtigkeit und Verträglichkeit mit zentralen theologischen Denkmodellen, wie etwa der Rechtfertigungslehre. Diese Grundsätze bedeuten auch, dass es in der Phase der Ergebnissicherung nicht nur um die Dokumentation von Schülerlösungen und deren Bearbeitungswege gehen kann, sondern auch ggf. eine Anpassung oder Korrektur stattfindenden muss. Doch das ist ein anders Thema. In diesem Artikel liegt der Fokus auf dem Einstieg in den theologischen Modellbildungsprozess, also den Übergang von der Ausgangssituation zum Modell. Ein Theologisierungsanlass kann durch das nun vorgestellte Material erzeugt werden.
25 So lautet denn auch bereits der Titel des Buches von Petra Freudenberger-Lötz (2012) entsprechend: »Theologische Gespräche mit Jugendlichen«; vgl. auch den Titel von Friedhelm Kraft (2012). 26 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe, München/Stuttgart 2012. 27 Ebd., 14. 28 Ebd., 15.
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4.1 Die Konzeption
Ausgehend vom Hören (bzw. Sehen bei einem Clip) eines Liedes von Marteria aus dem Jahr 2014 mit dem Titel »Welt der Wunder« werden erste Eindrücke gesammelt. In der sich anschließenden Einzelarbeit (AB 1) werden Themen herausgearbeitet, die von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen wurden. Aufgaben:
AB 1
Bitte schriftliche Notizen machen! 1. Finden Sie für Sie zentrale Aussagen des Liedes. 2. Bennenen Sie Themen, die im Lied angesprochen werden. 3. Erläutern Sie, was eine Botschaft des Lieds sein könnte.
Bei den ersten Arbeitsaufträgen (AB 1) sollen die Lernenden sich dem für sie angesprochen Kern des Liedes nähern. Durch die Beantwortung der ersten Aufgabe (zentrale Aussagen des Liedes) sollen die Schülerinnen und Schüler die Aussagen des Liedes filtern. Sie können noch auf der Textebene bleiben, aber entscheiden, was für sie selbst wichtig ist. Bei der zweiten Aufgabe (im Lied angesprochene Themen) geht es darum, von den konkreten Aussagen des Liedes zu allgemeinen und ggf. hinter den Liedzeilen steckenden Themen zu gelangen. Die dritte Aufgabe (Botschaft) zielt auf den Kern des Liedes, wie er vom jeweiligen Lernenden wahrgenommen wird.
Abb. 2: Arbeitsaufträge für die Einzelarbeit
4.2 Erfahrungen in der gymnasialen Oberstufe
Mit dem Liedtext (im Internet zu finden unter: Marteria + Welt der Wunder) erkunden die Lernenden in der darauffolgenden Gruppenarbeit den möglichen theologischen Gehalt des Liedes (Abb. 3: AB 2). Das hier vorgestellte Vorgehen will zeigen, wie der Wechsel in die ›theologische Weltperspektive‹ stattfindenden kann.
Die gesammelten schriftlichen Schüleraussagen des ersten Arbeitsblattes ließen sich in die folgenden vier Themenkomplexe unterteilen: Wunder, Welt, Menschen und Aussagen ohne Zuordnung zu den drei vorherigen Bereichen. Es wurden hier bereits viele Themengebiete genannt, die im Religionsunterricht vorkommen. Abbildung 4 zeigt die originalen Schülerformulierungen. Damit wird schon deutlich, dass es für den Unterrichtenden zahlreiche theologische Anknüpfungspunkte, wie z.B. Wunderglaube, Schöpfung, Leben und Handeln der Menschen, gibt. Die Beschäftigung mit Wunderglauben führt dann in die Christologie, die Beschäftigung mit der Schöpfung in die Theologie und das Aufgreifen der Thematik Leben und Handeln der
Aufgaben:
AB 2
Bitte schriftliche Notizen machen! 1. Einigen Sie sich auf ein gemeinsames Thema, das für Sie alle im Lied wiederzufingen ist. 2. Untersuchen Sie die religiöse Bedeutung dieses Themas. Abb. 3: Arbeitsaufträge für die Gruppenarbeit
van Randenborgh Theologisieren als theologischer Modellbildungsprozess
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Themengebiet Wunder
Themengebiet Welt
Themengebiet Mensch
Existenz von Wundern
Existenz der Welt
Wahrnehmung der Welt durch den Menschen
Welt als Wunder
Erkenntnis und Würdigung von Wundern der Welt
Würdigung der Welt durch den Menschen
Welt besteht aus Wundern
Entwicklung/Entszehung der Erde
Menschheit – Gleichheit
Wahrnehmung von Wundern
Einzigartigkeit der Erde – Vollkommenheit der Schöpfung
Leben der Menschen
Wunderglaube
Wertschätzung der Welt
Menschheit – Gleichheit
Welt der Wunder
Ausbeutung der Erde
Leben der Menschen
Wundervorstellungen
Mensch – Natur
positiver Einfluss des Menschen
irdische Wunder
Würdigung der Welt
positive Sicht des Menschen
Erkennen von Wundern
Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf der Welt
negativer Einfluss des Menschen
Schöpfung
Nächstenliebe
Erde als Wunder
Mensch und Gesellschaft
Naturwissenschaft
Leben und Handeln der Menschen
Naturkatastrophen
Einzigartigkeit
Leben auf der Erde
Tod Glaube, Nächstenliebe, Hoffnung
Abb. 4: Schüleräußerungen von Arbeitsblatt 1 sortiert nach Themengebieten
Menschen in die Anthropologie oder Ethik. Die Schülerinnen und Schüler selbst formulierten in der sich anschließenden Gruppenarbeitsphase u.a. die Themen: »Alltag als Wunder«, »Wunderglaube«, »Wissenschaft vs. Wunder«, »persönliche Wirklichkeit bzw. Wahrnehmung«, »Erschaffen sein durch Gott« und vieles mehr. Welche theologische Dimension sich hier weiter anschließt ist von der Einbettung in die Unterrichtsreihe abhängig.
Lässt man beispielsweise Lehramtsanwärter die eben vorgestellten Arbeitsblätter (ohne einen konkreten unterrichtlichen Kontext) bearbeiten, finden sie ganz unterschiedliche Themenfelder. So wurde beispielsweise von einer Referendarin bei der Frage, worum es in dem Lied geht, formuliert: »es geht um die Naturwunder und darum, dass menschliches Leben voller Wunder ist und es den Menschen trotzdem schwerfällt oder nicht möglich ist, an Wunder zu glauben«. Ein anderer Lehramtsanwärter
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spricht von einem »›Gottesbeweis‹ durch die Natur«. Im Laufe der Bearbeitung von Arbeitsblatt 2 (Abb. 3) kristallisiert sich der Begriff ›Wunderbeweis‹ heraus. Hier wie auch im Unterricht ist exemplarisch der Übergang in die theologische Weltperspektive zu erkennen. Die Aussagen des Liedes wurden sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von den Referendarinnen und Referendaren theologisiert. Dieses führte auch dazu, den Liedtext neu wahrzunehmen, dementsprechend anders zu strukturieren und eigene Begriffe zu kreieren. 5. Fazit und Ausblick
Die Schülerrückmeldungen zu diesem Vorgehen sind insgesamt positiv. Dieses war für den Lehrenden auch an der konzentrierten und engagierten Arbeitshaltung der Lernenden erkennbar. Wichtig erscheint mir, noch einmal deutlich zu machen, dass das Lied durch diesen Einsatz nicht nur ein motivierender Einstieg war. Es wurde vielmehr zu einem Medium, das einen für die Schülerinnen und Schüler im Laufe des Unterrichts immer stärker sichtbar werdenden theologischen Kern enthielt. Es zeigte sich, dass der Übergang von der gegenständlichen in die theologische Weltperspektive den Lernenden selbständig gelingt, indem sie ein Medium auf seinen möglichen theologischen Gehalt hin erforschen. Dieser Weg gelingt je nach Medium sehr unterschiedlich. Wichtig sind zielgerichtete Arbeitsaufträge, die dennoch offen sind. Das bedeutet, dass sie den Schülerinnen und Schülern eigene Gedanken und Wege, Fragen und Antwortmöglichkeiten erlau-
ben. Der Lehrende gibt die Ausgangssituation durch seine Wahl des Mediums und die Arbeitsaufträge vor. Der weitere Ablauf ist durch die Schülertätigkeit bestimmt. Auf diese Weise können sie eigenständig theologische Fragestellungen entdecken und einen theologischen Gehalt des Mediums wahrnehmen. Wird das weitere Vorgehen im Theologisierungskompass nach einem Durchlauf reflektiert, können die Lernenden auch über ihren Lernprozess nachdenken. Ein derartiger Religionsunterricht führt zu einem Lernen von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen. Der Ansatz des hier beschriebenen Modellbildungsprozesses ist in der Mathematikdidaktik weit verbreitet und wird vielfach im Unterricht genutzt. Der Schritt des theologischen Modellierens ist vergleichbar mit dem Ansatz, der sich oft auch in anderen Fachdidaktiken findet, wenn von Hypothesenbildung oder Problemorientierung gesprochen wird. Im Rahmen der Jugendtheologie ist dieser Ansatz durchaus denkbar, aber er kommt insgesamt kaum vor. Ein möglicher Grund dafür ist, dass der religionsdidaktische Schwerpunkt oft im Umgang mit den religiösen Fragen der Schülerinnen und Schüler gesehen wurde. Der Theologisierungskompass ist eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie theologische Fragen, Denk- und Lösungsansätze im Religionsunterricht durch die Lernenden entstehen. Damit wird auch den Anforderungen an eine zeitgemäße Religionsdidaktik Rechnung getragen, die Kunstmann so formuliert: »Religionsdidaktik kann nicht mehr theologisch normierte Glaubenslehre sein. […] Über die Elementarisierung religiöser Gehalte und deren Vermittlung hinaus muss sie
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vor allem die individuelle Aneignung von Religion ermöglichen. Darum muss sie religiöse Wahrnehmungen und Erfahrungen und deren Kommunikation anstiften und zu religiöser Symbolisierung anleiten.«29 Eine Möglichkeit scheint mir die Gestaltung von Lernumgebungen zu sein, die entdeckendes und forschendes Lernen ermöglichen und die zu einem theologischen Modellbildungsprozess anregen, der sich mit Hilfe des Theolo-
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gisierungskompasses beschreiben lässt. Dabei liegt der Fokus allerdings neben der Wissensaneignung mehr auf der Förderung der Deutungs- und Urteilskompetenz der Lernenden bei religiösen oder theologischen Themen als auf einer »Aneignung von Religion«. 29 Joachim Kunstmann, Religionspädagogik. Eine Einführung, Tübingen/Basel 2010, 183.
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Buchbesprechung
Buchbesprechung
Theresa Schwarzkopf: Vielfältigkeit denken. Wie Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht argumentieren lernen, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2016.
Mit der Umstellung auf Kompetenzen haben die Curriculummacher mehr versprochen als sie halten können. Man müsste dazu nämlich Genaueres darüber wissen, wie sich Lernprozesse zu einem bestimmten Unterrichtsgegenstand abspielen. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, wenn wissenschaftliche Arbeiten zumindest in einem überschaubaren Feld hierzu einige Einblicke vermitteln können. Einen solchen ermöglicht die Dortmunder Dissertation von Theresa Schwarzkopf. Die Arbeit ist eingebunden in einen fachdidaktischen Forschungsverbund. In diesem werden grundsätzliche Möglichkeiten bedacht, wie man Einsicht in die komplexen Abläufe im Feld des fachbezogenen Lehrens und Lernens gewinnen kann. Hier situiert auch Theresa Schwarzkopf ihre Arbeit. Sie wählt dazu Schüler/innen der Kursstufe aus und studiert, wie diese in einem von ihr vorbereiteten Lernarrangement mit dem Thema »Auferstehung« umgehen. Die Zahl der Probandinnen ist klein und auch die Lernsequenzen sind gut überschaubar. Die Qualität der Arbeit besteht nun darin, dass das gewonnene Material nach qualitativen Methoden
akribisch ausgewertet wird. Dabei stellt Schwarzkopf jede der benutzten Methoden ausführlich in der sie interessierenden Perspektive dar. Die Grundthese der Arbeit besteht in folgenden Überlegungen: Die Frage nach der Auferstehungshoffnung (von Christinnen) betrifft eine sog. »unentscheidbare Frage«. D.h., dass man zu diesem Sachverhalt keine eindeutige, empirisch nachvollziehbare Aussage gewinnen kann. Man könnte darüber hinaus mit Blumenberg sagen, dass der Gegenstand »unzugänglich« ist. Von daher ergeben sich nach Theresa Schwarzkopf für einen bildungsorientierten Religionsunterricht zwei Aufgaben: Er muss durch ein Symbolangebot sprachliche Möglichkeiten bereitstellen und er muss dazu verhelfen, dass mehrere Deutungen zur Thematik generiert werden, die dann in einer begründeten Weise zu einander in Beziehung gesetzt werden können. Von daher begründet sich der Buchtitel »Vielfältigkeit denken«. Konkret ergaben sich für den Versuchsaufbau folgende Schritte: Erst wurden die Schülerinnen gebeten, ihre Vorstellung zum postmortalen Ergehen zu formulieren. Es wurde ihnen dann Material aus dem Fantasy-Bereich zur Verfügung gestellt (Narnia. Brüder Löwenherz, König der Löwen). Später tauschten die Teilnehmerinnen ihre Sicht in einer Schreibkonferenz miteinander aus und artikulierten schließlich
Buchbesprechung
in einem »Leserbrief« ihre Haltung zu diesem Thema. Die Idee war dabei, dass die Schülerinnen von einer Deutung zu einer Wahrnehmung der Pluralität von Antwortmöglichkeiten voranschreiten, zu der sie sich dann begründet ins Verhältnis setzen können. Die meisten der sechs Teilnehmerinnen entwickeln einen Lernzuwachs in der intendierten Weise, wobei Schwarzkopf akribisch die einzelnen Lernverläufe dokumentiert. Als Resultat bietet sie ein genaues Stufenschema des Lernens (187f). Ich sehe vier entscheidende Erkenntnisgewinne, die das Buch bietet: 1. Es offeriert ein überzeugendes Beispiel für qualitative Sozialforschung im Bereich der Religionspädagogik. Angesichts der kleinen Zahl der Probandinnen überzeugt die absolute Nachvollziehbarkeit auch der kleinsten Schritte. 2. Das Forschungssetting ist so unterrichtsnah, dass es leicht auf den »normalen« RU übertragen werden kann. Angesichts der dokumentierten Lerngeschichten kann nun recht genau analog konzipierter Unterricht unternommen werden – der dazu dann auch in seinem Ablauf und seinen Ergebnissen gut evaluiert werden kann. 3. Schwarzkopf hat zeigen können, dass die Kinder- und Jugendliteratur das Symbolangebot zur Verfügung stel-
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len kann, mit dessen Hilfe die großen mythischen Deutungen sprachlich überhaupt nur möglich werden können – in einer nachmythischen Zeit. Ihre Arbeit ist an dieser Stelle anschlussfähig an ähnliche Einsichten von Werner H. Ritter und Mirjam Zimmermann zur Deutung des Kreuzestodes Jesu – wo offenbar auch »neue Mythen« aus der Popularkultur die größte Überzeugungskraft haben. 4. Die Situierung der Arbeit im Kontext der Jugendtheologie ist überzeugend. Das Prozedere von Schwarzkopf fördert einmal die Argumentationskompetenz und damit die Fähigkeit zum Diskurs, sie zeigt aber auch, dass ein entsprechendes Materialangebot Voraussetzung dafür ist, dass ein bloß intuitiver Zugang etwa zur Frage der postmortalen Erwartung dann zu differenzierenden Aussagen führen kann. Das Buch erfüllt zwei wichtige Aufgaben – in Richtung Forschung und im Hinblick auf Unterrichtsarrangements. Vor allem für Leser/innen, die eher an zweitem interessiert sind, erfordert dies manchmal Lesegeduld und die Bereitschaft, sich zu den Passagen (v.a. im zweiten Teil des Buches) durchzukämpfen, wo sie dann aber reich belohnt werden. Gerhard Büttner
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Die Autorinnen und Autoren
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Edmund Arens ist em. Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Dr. Reinhold Boschki ist Professor für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen. Dr. Dr. Noemi Bravená ist Dozentin am Lehrstuhl für Pastoral- und Rechtwissenschaften an der Katholischen Theologischen Fakultät sowie am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Hussitischen Theologischen Fakultät der Karlsuniversität Prag. Dr. Norbert Brieden ist Junior-Professor für katholische Religionspädagogik und Fachdidaktik an der Bergischen Universität Wuppertal. Dr. Gerhard Büttner ist em. Professor für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie an der Technischen Universität Dortmund. Dr. Annemie Dillen ist Außerordentliche Professorin für Pastorale und Empirische Theologie sowie für Religionswissenschaften an der Katholischen Universität Leuven, Belgien. Dr. Christian Grethlein ist Professor für Praktische Theologie mit dem Schwer-
punkt Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Johanna Kallies-Bothmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Kassel. Dr. Christina Kalloch ist Professorin für Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Universität Hildesheim und im Lehrgebiet Katholische Theologie der Leibniz-Universität Hannover. Dr. Bernd Krupka ist Dozent für Religions pädagogik am kirchlichen Ausbildungszentrum für Nordnorwegen in Tromsö. Dr. Angela Kunze-Beiküfner ist Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Dr. Christian van Randenborgh ist Fachleiter für Evangelische Religionslehre und Mathematik am Seminar Gymnasium und Gesamtschule des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung in Bielefeld. Dr. Dr. Oliver Reis ist Professor für Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Hanna Roose ist Professorin für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.
Dr. Dr. hc. Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Dr. Sturla Sagberg ist em. Professor of Religious Education and Ethics, Queen Maud University College (QMUC), Trondheim, Norwegen.
Dr. Christiane Tietz ist Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich.
Dr. Thomas Schlag ist Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik, Kirchentheorie und Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich.
Dr. Nadja Troi-Boeck ist Habilitandin am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der Universität Zürich sowie Pfarrerin der ev.-reformierten Kirchgemeinde Regensdorf (ZH).
Dr. Bernd Schröder ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen.
Dr. Mirjam Zimmermann ist Professorin für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterricht an der Universität Siegen.