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German Pages [532] Year 2017
Johannes Koll (Hg.)
„Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934–1945 Voraussetzungen, Prozesse, Folgen
2017 B Ö H L AU V E R L AG W I E N KÖ L N W E I M A R
Veröffentlicht mit Unterstützung durch:
Univ.-Prof. Dr. Peter Berger Rektorat der Wirtschaftsuniversität Wien Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien.
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Umschlagabbildung: Isa Wolke/Frank Schwend
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Inhalt
Einleitung
Johannes Koll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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GESCHICHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN UND METHODISCHE ASPEKTE . . . 27 Die österreichischen Hochschulen in den politischen Umbrüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Mitchell G. Ash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
„Wie die Verbrecher wurden sie registriert.“
Verzeichnisse über illegale studentische politische Aktivitäten im Austrofaschismus als historische Quellen Markus Wurzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Vertreibung und Emigrationserfahrungen mit Fokus auf Akademiker und Akademikerinnen 1934–1945
Helga Embacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
HOCHSCHULEN IN ÖSTERREICH: FALLBEISPIELE UND VERGLEICHE . . . . . . 121 Vertreibungspolitik an der Universität Wien in den 1930er und 1940er Jahren
Katharina Kniefacz und Herbert Posch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945
Peter Berger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
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Inhalt
„Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“
Verfolgung und Vertreibung von Studierenden an der Wiener Hochschule für Welthandel nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs Johannes Koll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
‚Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung 1938 an der Technischen Hochschule in Wien
Juliane Mikoletzky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Drei Säuberungswellen
Die Hochschule für Bodenkultur 1934, 1938, 1945 Paulus Ebner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
„dass auch unsere Leute […] in Position gebracht werden“
Personalpolitik an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 1918–1945 Erwin Strouhal und Lynne Heller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Vom Dienst enthoben, vom Studium ausgeschlossen
Maßnahmen gegen Beschäftigte und Studierende der Akademie der bildenden Künste in Wien 1938–1945 Verena Pawlowsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
„[…] in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag.“
Die ‚Säuberungen‘ 1938/39 am Beispiel der Grazer Hochschulen Hans-Peter Weingand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Die politische Lage an der Universität Innsbruck 1933/34 – 1938 – 1945/1950
Austrofaschismus – Nazismus – Restauration – Entnazifizierung Peter Goller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Inhalt
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„Eine peinliche Zwischenzeit“
Entnazifizierung und Rehabilitierung der Professorenschaft an der Universität Wien Roman Pfefferle und Hans Pfefferle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Entnazifizierung der Studierenden an den österreichischen Hochschulen
Andreas Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
DER BIOGRAFISCHE BLICKWINKEL – AUSGEWÄHLTE EINZELSCHICKSALE . . . 457 Kämpfer gegen den Antisemitismus und Opfer der Shoah
Leben und Sterben von Josef Hupka (1875–1944), Ordinarius für Handels- und Wechselrecht an der Universität Wien Klaus Taschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
From Vienna to Malta
Interview with former student of the Vienna University for World Trade Robert Eder Johannes Koll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
Nachwort
Johannes Koll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .507 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Verzeichnis der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Verzeichnis der Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
Einleitung Johannes Koll
‚Säuberung‘. Zur Semantik und historischen Entwicklung eines Mediums politischer Steuerung
Der Geschichte der Moderne ist das Bestreben eines an die Macht gelangten politischen Regimes nicht fremd, ihm genehme und ihm ergebene Personalbestände besonders in herrschaftsrelevanten Bereichen entsprechend seinen Bedürfnissen einzustellen und oppositionelles oder als gefährlich wahrgenommenes Personal zu entfernen. Diese Bedürfnisse sind in der Regel an dem Bestreben ausgerichtet, die eigene Herrschaft durch systematische Installierung loyaler Personen abzusichern; sie können auch ideologischen Prämissen oder weltanschaulich begründeten Programmen folgen. Auf jeden Fall sind ‚Säuberungen‘ Teile eines politisch intendierten und induzierten Transformationsprozesses, der in erster Linie Eliten betrifft. Von ‚Säuberungen‘ kann freilich nur im Zusammenhang mit (dem Versuch) der Etablierung und Durchsetzung eines neuen politischen Regimes gesprochen werden. Der umfassende Austausch von Verwaltungspersonal infolge eines Regierungswechsels in demokratischen Systemen, wie dies beispielsweise in den USA nach Wahlen üblich ist und jeweils von allen Parteien gleichermaßen praktiziert wird,1 zählt nicht hierzu. Im Gegensatz zu regulären, konstitutionell abgesicherten Verfahrensweisen in stabilen Demokratien zielen ‚Säuberungen‘ denn auch auf die Schaffung irreversibler Strukturen infolge eines Regimewechsels. Hierzu ist oft die Schaffung neuer Rechtsgrundlagen notwendig. Essenziell ist die Anwendung institutioneller Gewalt, nicht jedoch notwendigerweise physische Gewalt. Zumindest im deutschsprachigen Raum hat der ‚Säuberungs‘-Begriff seine genuin politische Konnotation wohl erst im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg erhalten. Bis dahin wurde er – sofern er überhaupt auf Menschen als das Objekt eines entsprechenden Vorgangs bezogen wurde – fast ausschließlich in religiösen, militäri1
Vgl. Kurt L. Shell, Verfassungsordnung und politisches System: Kongreß und Präsident, in: Willi Paul Adams u.a. (Hg.), Länderbericht USA, Bd. 1: Geschichte – Politische Kultur – Politisches System – Wirtschaft, Bonn 19922, S. 404–406. Auch in mehreren europäischen Ländern ist es üblich, politische Beamte nach einem Regierungswechsel auszutauschen.
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schen oder kriminellen Kontexten verwendet. So bedeutete das Wort ‚säubern‘ nach der Ausgabe des Deutschen Wörterbuchs der Gebrüder Grimm von 1893 „in übertragung auf das geistes- und seelenleben“ die Befreiung „vom falschen, unrichtigen“, „von lastern, sünde und schuld“ oder bezog sich auf die Befreiung eines bestimmten Gebietes von Räubern oder feindlichen Soldaten.2 Das Phänomen, das der ‚Säuberungs‘-Begriff im 20. Jahrhundert beschreiben sollte, war natürlich wesentlich älter. Die Praxis, Gegner aus dynastischen, religiösen bzw. konfessionellen oder wirtschaftlichen Gründen zu beseitigen, ist schon aus der Vormoderne zur Genüge bekannt. Mit der Terreur erhielt die ‚Säuberung‘ in der Französischen Revolution eine neue und historisch wirkmächtige Dimension: Zum pragmatischen Nahziel, sich selbst oder eine loyale Klientelgruppe an die Stelle von Rivalen zu setzen, gesellte sich 1793/94 eine säkulare ideologische Fundierung. So wird seit dem Wüten des ‚Wohlfahrtsausschusses‘ gegen vermeintliche oder tatsächliche Feinde der Französischen Revolution mit ‚Säuberungen‘ der Anspruch auf eine Partikularinteressen überwindende Notwendigkeit erhoben; damit wiederum wurde ‚Säuberungen‘ vom herrschenden Regime eine politische Legitimation zugeschrieben, die Widerspruch gegen die Exklusion eliminierter Gegner nicht duldete.3 Seit dem frühen 20. Jahrhundert beschränkten sich ‚Säuberungen‘ nicht mehr auf punktuell eingesetzte Maßnahmen von begrenztem räumlichen und zeitlichen Umfang: Sie wurden zu systematisch betriebenen Vorgängen, die unter dem kombinierten Einsatz von legislatorischen, administrativen und gegebenenfalls gewaltförmigen Mitteln die politische Landschaft entsprechend den Vorgaben des herrschenden Regimes verändern wollten. Im ‚Zeitalter der Extreme‘ (Eric Hobsbawm) wurden sie zu Instrumenten, die ideologisch begründeten politischen Zielvorgaben dienten und vom jeweils herrschenden Regime bei Bedarf mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in der Praxis umgesetzt wurden. Die Politisierung und Radikalisierung des Phänomens der ‚Säuberung‘, die nun bis zur – mitunter massenhaften – physischen Liquidierung reichen konnte, spiegelt sich besonders in den Machttechniken wider, mit deren Hilfe Josef W. Stalin und Adolf Hitler jeweils ihre Herrschaft konsolidiert haben. Die Beseitigung von als Rivalen oder Gegner wahrgenommenen Personen oder Personengruppen im eigenen Herrschaftsbereich, wie sie der ‚Große Terror‘ in der Sowjetunion und der Röhm-Putsch im ‚Dritten Reich‘ darstellten,4 waren nur 2 3
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Artikel „säubern“, in: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 14, bearb. von Moriz Heyne, Leipzig 1893, Sp. 1858. Zur Bedeutung von ‚Säuberungen‘ seit dem Terror des Comité de salut public im Kontext der französischen Geschichte im Zeitalter der Moderne siehe Bénédicte Vergez-Chaignon, Histoire de l’épuration, Paris 2010, Prolog: Le mal vient de plus loin. Vgl. auch Rolf Reichardt, Terreur, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 13, Stuttgart/Weimar 2011, S. 372–380. Jörg Baberowski, Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, München 2003; Ian Kershaw, Hitler 1889–1936, Stuttgart 19982, 12. Kap.: Sicherung der totalen Macht.
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Teile des Bestrebens, mit staatsterroristischen Mitteln einer neuen politisch-gesellschaftlichen Ordnung zum Durchbruch zu verhelfen, die den Bedürfnissen und Vorstellungen dieser Diktatoren entsprachen. Vor allem Hitler und Stalin waren dafür verantwortlich, dass der ‚Säuberungs‘-Begriff eine weitere, ebenfalls gewaltgesättigte Dimension erhielt, die in geschichts- und politikwissenschaftlichen Nachschlagewerken oft in dessen Mittelpunkt gestellt wird: die ‚ethnische Säuberung‘; sie spielt in der Holocaust- und Genozidforschung eine tragende Rolle.5 Im Zweiten Weltkrieg stellte diese Form von ‚Säuberung‘ eine radikalisierte Fortführung von Ansätzen dar, die im Zeitalter des Imperialismus aus einer Verbindung von Sozialdarwinismus mit Rassismus entstanden war und bereits den Ersten Weltkrieg zu einer „Feuerprobe für die Entwicklung des modernen Nationalstaats und seinen Willen wie seine Fähigkeit“ gemacht hatte, „eine umfassende Bevölkerungspolitik zu betreiben.“6 Sie beschränkte sich nicht mehr auf gesellschaftliche Eliten und Inhaber von politisch relevanten oder sensiblen Posten, sondern zielte auf die zwangsweise Umsiedlung oder gar Vernichtung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Im Nationalsozialismus, der für den vorliegenden Band von besonderem Interesse ist, sorgte eine fundamental rassistisch und antisemitisch orientierte Gesetzgebung dafür, dass sich ‚Säuberungen‘ auf alle gesellschaftlichen Bereiche bezog; dies schloss das Bildungssystem ein. Immerhin trat das NS-Regime an, um erst im deutschsprachigen Raum, ab 1939 in Kontinentaleuropa und darüber hinaus eine ‚Neue Ordnung‘ zu etablieren, die auf ethnischen Kategorien gründete. Die ‚ethnischen Säuberungen‘ gingen somit weit über eine Ausschaltung von politischer Opposition und Dissidenz hinaus. Dahinter stand letztlich ein totalitärer Anspruch auf eine umfassende Steuerung der gesamten Bevölkerung im ‚Großdeutschen Reich‘ und aller Gesellschaften in einem deutsch beherrschten Europa. Im Nationalsozialismus waren ‚Säuberungen‘ demnach Teil der Bestrebungen, eine ethnisch homogene ‚Volksgemeinschaft‘ zu schaffen – und deren Angehörigen vorzugsweise, wenn nicht gar ausschließlich im geographischen wie im sozialen Sinn ‚Lebensraum‘ zu sichern. 5
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Stellvertretend für viele andere Definitionsansätze siehe die Lemmata Ethnische Säuberung (Holm Sundhausen) und Genozid (Boris Barth) in: Detlef Brandes/Holm Sundhausen/Stefan Troebst (Hg.), Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2010, S. 229–234 und 262–265; in ihnen wird Wert auf eine Differenzierung zwischen ethnischer ‚Säuberung‘ und Genozid gelegt. Ähnlich Roger W. Smith, Genocide, in: Bertrand Badie/Dirk Berg-Schlosser/Leonardo Morlino (Hg.), International Encyclopedia of Political Science, Bd. 1, Thousand Oaks u.a. 2011, S. 968. Norman M. Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 19. Naimark weist auch darauf hin, dass die Nachkriegsordnung in Europa auf ethnischen ‚Flurbereinigungen‘ aufbaute, die ab 1918/19 zu nationaler bzw. nationalstaatlicher Homogenisierung beitragen sollten.
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Eine letzte semantische Akzentuierung des ‚Säuberungs‘-Begriffs erstreckt sich auf die Liquidierung oder strafrechtliche Verfolgung von Nationalsozialisten und Kollaborateuren im Zuge der Befreiung vom NS-Regime in den Nachfolgestaaten des ‚Großdeutschen Reiches‘ wie auch in den einst besetzten Ländern.7 Der Begriff der ‚Säuberung‘ lässt somit für die Geschichte des 20. Jahrhunderts verschiedene semantische Festlegungen und historische Zuordnungen zu. Gemeinsam ist ihnen, dass sie implizit oder auch explizit auf einer Idealvorstellung von ‚Reinheit‘ aufbauen, an die der jeweils aktuelle Zustand nach Auffassung des ‚säubernden‘ Regimes angepasst werden müsse. Damit wiederum ist ‚Säuberung‘ im Prinzip kein neutraler Begriff; vielmehr muss er in der wissenschaftlichen Analyse als Ausdruck und als kathartisches Medium eines normativ ausgerichteten Politikverständnisses gesehen werden.8 Unter dieser Prämisse erweist sich die Beschäftigung mit den vielen Facetten, die ‚Säuberungen‘ inhärent sind, als anschlussfähig an einige spezialisierte Forschungsrichtungen, die sich innerhalb der zeithistorischen Forschung herausgebildet haben: an die Transformationsforschung, die sich in Anlehnung an politikwissenschaftliche Fragestellungen mit Übergängen zwischen politischen Regimen befasst;9 an die Emigrations- und Exilforschung;10 und last, but not least an die Holocaustforschung.11 ‚Säuberungen‘ in Österreich 1934–1945, besonders an den Hohen Schulen.12 Instrumente und zentrale Forschungsfragen
Mit seiner Konzentration auf die österreichische Hochschullandschaft in den 1930er und 1940er Jahren kann der vorliegende Band nicht alle Aspekte gleichermaßen zum Tragen bringen, die der Begriff und das Phänomen der ‚Säuberung‘ seit dem Ersten Weltkrieg angenommen haben. Doch ungeachtet der thematischen Begrenzung auf 7
Siehe den Überblick bei Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991. 8 Um seine Standortgebundenheit zu verdeutlichen, wird der ‚Säuberungs‘-Begriff in diesem Buch in Anführungszeichen gesetzt. 9 Vgl. Raj Kollmorgen/Wolfgang Merkel/Hans-Jürgen Wagener (Hg.), Handbuch Transformationsforschung, Wiesbaden 2015. 10 Siehe hierzu insbesondere den Beitrag von Helga Embacher in diesem Band sowie Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, 2 Teile, Münster 20042 und Johannes Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945, Frankfurt a.M./New York 2001. 11 Vgl. zusammenfassend Frank Bajohr/Andrea Löw (Hg.), Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt a.M. 2015. 12 Die Begriffe ‚Hohe Schule‘ und ‚Hochschule‘ umfassen mitunter alle Einrichtungen des tertiären Bildungswesens, also Universitäten, Akademien und die fachlich spezialisierten Hochschulen.
Einleitung
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die Hohen Schulen werden Facetten der ‚ethnischen Säuberungen‘ im Gefolge antisemitischer Politik in zahlreichen Beiträgen thematisiert, und auch die Entnazifizierung wird in diesem Buch dezidiert in den Blick genommen. Österreich ist für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts deshalb besonders interessant, weil mehrere Regimewechsel mit dem Austausch von Personal einhergingen. Nach dem Übergang von der Monarchie zur Republik im November 1918 waren es drei Zäsuren, die die Möglichkeit zu ‚Säuberungen‘ schufen und im Mittelpunkt des vorliegenden Buches stehen: die Ablösung der Ersten Republik durch den Austrofaschismus 1933/34, die Nazifizierung infolge des ‚Anschlusses‘ des Landes an das ‚Dritte Reich‘ im März 1938 und die Begründung der Zweiten Republik im Gefolge der Befreiung vom NS-Regime im Mai 1945. In Summe waren die österreichischen Hochschulen in keinem anderen historischen Zeitraum derartig häufigen und umfangreichen Wandlungen ausgesetzt wie zwischen 1934 und 1945. Zu fragen ist, welche Formen von ‚Säuberungen‘ sich unter den jeweiligen Regimen ausmachen lassen, in welchem Umfang und mit welchen Begründungen im tertiären Bildungssektor Personal ausgetauscht wurde. Inwieweit griffen die jeweiligen Machthaber in die Zusammensetzung der Hohen Schulen ein, und was geschah mit Lehrenden, Studierenden und Verwaltungsangestellten, die aus politischen oder ‚rassischen‘ Gründen schikaniert, diskriminiert, vertrieben oder gar umgebracht wurden? Allgemein gesprochen boten sich den Machthabern verschiedene Instrumente an, um an den Hochschulen regimekonformes Personal in Stellung zu bringen oder akademischen Nachwuchs im Sinne des Regimes zu fördern: personalpolitische Maßnahmen wie Beurlaubungen, Suspendierungen, Enthebungen und Entlassungen, vorzeitige Pensionierungen, Neuernennungen oder -einstellungen, Beförderungen und Disziplinarverfahren sowie die Einforderung einer bestimmten Eidesformel; die Gewährung von Stipendien und andere Formen der Begabtenförderung; die Steuerung von akademischen Qualifizierungsprozessen wie Promotion und Habilitation; die Beschränkung der Studienzulassung; die Verpflichtung zur Teilnahme an außerwissenschaftlichen Veranstaltungen oder an Arbeitsdiensten; der gezielte Einsatz von Forschungsförderungen.13 Besonders für das NS-System ist darüber hinaus der Ausschluss von Angestellten wie auch von Studierenden auf der Grundlage rassistisch motivierter Gesetzgebung charakteristisch. Bei der Analyse der Anwendung von ‚Säuberungs‘-Instrumenten sind eine Reihe von Momenten zu berücksichtigen: weltanschauliche Motivationen oder Begrün13 Hierzu konnte für die Drucklegung leider nicht mehr die Freiburger Habilitationsschrift von Karin Orth berücksichtigt werden: Die NS-Vertreibung der jüdischen Gelehrten. Die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Reaktionen der Betroffenen, Göttingen 2016.
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dungen; Rechtsgrundlagen inklusive ihrer Auslegung und Umsetzung; machtpolitische Auseinandersetzungen und administrative Zuständigkeiten innerhalb wie auch außerhalb der betreffenden Hochschulen; Netzwerke und Seilschaften, ebenfalls innerhalb und außerhalb der Hochschule. Es ist auch von Interesse, welche lebensweltlichen Implikationen ‚Säuberungen‘ für die betroffenen Personen und ihr soziales Umfeld hatten und welche Folgen die entsprechenden Maßnahmen für die betreffende Institution zeitigten. Die Opfer von ‚Säuberungen‘ stellen denn auch einen der drei gesellschaftlichen Faktoren dar, die eine umfassende Annäherung an dieses Phänomen jeweils für sich und in ihren Wechselbeziehungen zu untersuchen hat. Dazu kommen die Agenten, die den Verdrängungsprozess konzipiert, organisiert und exekutiert haben, und diejenigen, die an die Stelle der verdrängten Personen traten. Eine weitere Leitfrage schließlich lautet, wie sich ‚Säuberungen‘ auf die österreichische Gesellschaft insgesamt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auswirkten. Anhand dieser Momente und Fragen lassen sich die politischen Umbrüche in Österreich auf der gesellschaftlichen Makroebene ebenso wie auf der institutionellen Mesoebene und der individuellen Mikroebene deutlich machen. Auf all diesen Ebenen ist nicht zuletzt danach zu fragen, inwieweit ‚Säuberungen‘ gleichgesetzt werden können mit Diskontinuität zwischen den verschiedenen Regimen. Wie umfassend und einschneidend waren die jeweils angewandten Maßnahmen? Inwieweit führte der Austausch von Personal zu Brüchen in der Ausrichtung der Lehr- und Forschungstätigkeit österreichischer Hochschulen? Oder waren ungeachtet von ‚Säuberungen‘ Traditionen oder Kontinuitäten über den Wechsel politischer Regime hinweg wirksam? Die Frage nach Kontinuität stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit einem ‚völkisch‘ aufgeladenen Nationalismus und mit Antisemitismus. Hierbei war Österreich mitnichten ein Unikum: Besonders das Ziel, Juden zu marginalisieren oder gar gänzlich aus den Hochschulen zu verdrängen, war auch in Deutschland sowie geradezu flächendeckend in Mittel- und Osteuropa verbreitet;14 Österreich war somit schon lange vor dem ‚Anschluss‘ Teil einer antisemitisch verseuchten politischen Landschaft. Die schon in der Zeit der Monarchie15 gepflegte Judenfeindschaft wurde im und nach dem Ersten Weltkrieg fortgeführt und intensiviert: Anfang 1919 14 Zu Deutschland siehe Konrad Jarausch, Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a.M. 1984, Kap. II bis IV, hier besonders S. 176–187, zu Mittel- und Osteuropa und einigen anderen Ländern unter Einschluss von Italien und den USA Regina Fritz/Grzegorz Rossoliński-Liebe/Jana Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939, Wien 2016. 15 Vgl. Michael Wladika, Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u. k. Monarchie, Wien/Köln/Weimar 2005.
Einleitung
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bestimmte Kurt Knoll, der in der NS-Zeit Rektor der Wiener Hochschule für Welthandel werden sollte, als Hauptaufgabe der auch in Österreich tätigen Deutschen Burschenschaft „den unentwegten Kampf für das deutsche Volkstum sowohl auf akademischem Boden, als auch ausserhalb desselben“. Von hier aus bezog er mit antisemitischer Stoßrichtung Stellung gegen alle, „die als Volks- und Rassenfremde den Deutschen gegenüberstehen“, und forderte „die sofortige Reinigung aller Hochschulen Deutschösterreichs von allen volksfremden Elementen, sowohl unter der Lehrer- als auch unter der Studentenschaft.“16 Solche ‚Säuberungs‘-Gelüste gehörten zu jenem „offenen und ungescheuten Judenabwehrkampf“, den das Kulturamt der Deutschen Studentenschaft (DSt) im Juni 1925 in einer Denkschrift mit dem Ziel propagierte, eine „sittliche Orientalisierung und rassische Judaisierung“ aufzuhalten.17 Vor allem in dem Bestreben, eine an ‚völkischen‘ Gesichtspunkten ausgerichtete Studierendenvertretung zu etablieren und der DSt gegenüber den Vertretungsorganen von jüdischen und ausländischen Studierenden einen Primat einzuräumen, waren sich Katholiken auf der einen und Deutschnationale bzw. Nationalsozialisten auf der anderen Seite im Prinzip einig, trafen sich Professoren, Hochschulleitungen und -verwaltungen, die Ministerialbürokratie und die Studierendenschaft, die überwiegend politisch rechts stand.18 Aus katholischer Sicht brachte die Katholisch-deutsche Studentenschaft an der Technischen Hochschule (TH) Wien Anknüpfungspunkte bei Leitbegriffen von „Volk“ und „Nation“ dadurch beispielhaft zum Ausdruck, dass sie „die Wiedergewinnung eines christlich-deutschen Kulturideals aus dem seelischen Jungbrunnen des Volkstums“ als „eine heilige, gottgewollte Aufgabe und Pflicht“ definierte.19 Der Bruch mit den Nationalsozialisten, der sich im Dezember 1932 nach tätlichen Angriffen von ‚Hakenkreuzlern‘ auf katholische Studierende im Auszug der 16 Universitätsarchiv der Wirtschaftsuniversität Wien, Präs. Zl. 352/1918, Schreiben von Dr. Kurt Knoll und Ing. Klimpflinger, dem Professorenkollegium der k. k. Export-Akademie, der Vorgängerinstitution der Hochschule für Welthandel, am 22. Februar 1919 mitgeteilt; das gleiche Schreiben ging vermutlich an die Rektorate der anderen Hochschulen. 17 Diese Denkschrift ist abgedruckt in Paulus Ebner, Politik und Hochschule. Die Hochschule für Bodenkultur 1914–1955, Wien 2002, S. 46. 18 Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien/Salzburg 1990. Siehe auch Anselm Faust, „Überwindung des jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, in: Joachim Scholtyseck/Christoph Studt (Hg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Berlin 2008, S. 108. 19 Katholisch-deutsche Studentenschaft, Weltanschauungen innerhalb der Deutschen Studentenschaft, in: Jahrbuch für das Studium an der Technischen Hochschule in Wien 1932–33 […], hg. von der Geschäftsführung der Deutschen Studentenschaft der Technischen Hochschule in Wien, Wien o.J. [1933], S. 29.
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Katholiken aus der DSt manifestierte,20 kam den Jüdinnen und Juden kaum zugute. Das Klima an den österreichischen Hochschulen blieb auch im Austrofaschismus gegenüber jüdischen Studierenden und Angestellten im Großen und Ganzen reserviert bis ablehnend und feindlich;21 die ‚Machtergreifung‘ in Deutschland im Januar 1933 wirkte in dieser Hinsicht sogar stimulierend. Der Habilitierung jüdischer Wissenschaftler wurden in der Zwischenkriegszeit mitunter ohne sachliche Begründung Steine in den Weg gelegt, die Berufung von Juden auf Lehrkanzeln war schon lange vor dem ‚Anschluss‘ praktisch ausgeschlossen. Und jüdischen Studierenden wurden vonseiten der Hochschulen Rechte verwehrt, die katholischen und deutschnationalen Kommilitonen sehr wohl eingeräumt wurden, etwa die Nutzung universitärer Räumlichkeiten für Zusammenkünfte und Veranstaltungen, der Aushang von Mitteilungen in eigenen Anschlagkästen oder der Bummel farbentragender Korporationen.22 Der Versuch der österreichischen Regierungen unter Engelbert Dollfuß (1932–1934) und Kurt Schuschnigg (1934–1938), der gegen Juden und Sozialisten gerichteten Gewalt mit legistischen Mitteln wie dem Erlass des Hochschulermächtigungsgesetzes23 und mit administrativen Maßnahmen wie der Einrichtung von Polizeiwachen auf Hochschulgelände, der obligatorischen Einbindung der Sicherheitsbehörden in die Genehmigung der Inskription ausländischer – besonders deutscher – Studierender und der Einführung des Legitimationszwangs im Hochschulgebäude Einhalt zu gebieten, gelang zwar bedingt und für einen begrenzten Zeitraum; unter der Oberfläche aber gärte der Antisemitismus trotz – oder gerade wegen – des über die NSDAP verhängten Betätigungsverbots vom 19. Juni 193324 weiter und trat bekanntlich mit dem ‚Anschluss‘ Österreichs explosionsartig in Erscheinung. Die ‚völkisch‘ begrün20 Siehe Gerhard Wagner, Von der Hochschülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft. Kontinuitäten und Brüche, Diplomarbeit Universität Wien 2010, S. 85, http://othes.univie. ac.at/10332/ [10. Februar 2017]. 21 Siehe hierzu demnächst meinen Aufsatz „Die Vernichtung der jüdischen Lehr- und Lerntätigkeit“. Antisemitismus an den wissenschaftlichen Hochschulen in Wien bis zum ‚Anschluss‘ Österreichs, in: Gertrude Enderle-Burcel/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), Antisemitismus in Österreich 1933–1938 [i.E.], sowie allgemein Bruce F. Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien 1993, Kap. 18. 22 Zum Vorstehenden siehe Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, passim und Johannes Koll, Wider den Antisemitismus an Österreichs Hochschulen. Eine vergessene Denkschrift von 1930, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63 (2015), S. 451–474. 23 Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich (BGBl.), Nr. 266/1935, S. 965 f. Zusammen mit dem Hochschulerziehungsgesetz (ebd., Nr. 267/1935, S. 966–968) bildete dieses Gesetz eine der zentralen Grundlagen für den Aufbau eines im christlich-konservativen Sinne politisierten Hochschulwesens. 24 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 240/1933, S. 569.
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dete Inklusion und die gegen Juden und ‚linke‘ Politikangebote gerichtete Exklusion waren komplementäre Seiten eines Nationalismus, der sich vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg spannte – und zum Teil lange darüber hinaus in Geltung geblieben ist. Das Aufzeigen von historischen Kontinuitäten wie Nationalismus und Antisemitismus bedeutet freilich nicht, Unterschiede einzuebnen oder gar die drei politischen Umbrüche der 1930er und 1940er Jahre wertungsmäßig über einen Kamm zu scheren. Wie Katharina Kniefacz und Herbert Posch für die Universität Wien, Peter Berger und ich für die Hochschule für Welthandel, Juliane Mikoletzky für die TH Wien, Paulus Ebner für die Hochschule für Bodenkultur (BOKU), Lynne Heller für die Vorgängerinstitution der heutigen mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Verena Pawlowsky für die Akademie der bildenden Künste in Wien, Hans-Peter Weingand für Universität und Technische Hochschule Graz sowie Peter Goller für die Universität Innsbruck zeigen, war unter dem Nationalsozialismus der Eingriff der Politik in die Zusammensetzung des Lehrkörpers, der Hochschulverwaltung und der Studierendenschaft in qualitativer und quantitativer Hinsicht singulär. In keiner anderen Phase der österreichischen Hochschulgeschichte wurden ‚Säuberungen‘ so rasch, radikal und konsequent durchgeführt wie zwischen März 1938 und Mai 1945, die Hochschulen der ‚Ostmark‘ degenerierten durchgängig zur „willfährigen Wissenschaft“.25 Dies wurde durch zwei Umstände begünstigt: Erstens konnten die nationalsozialistischen Hochschulpolitiker und -funktionäre im ‚angeschlossenen‘ Österreich auf Erfahrungen aufbauen, die sie in den vorangegangenen fünf Jahren bei der Nazifizierung der Hochschulen im ‚Altreich‘ gesammelt hatten.26 Zweitens wird nicht zuletzt in den einschlägigen Beiträgen dieses Bandes deutlich, dass das NS-Regime in den Hochschulleitungen und -verwaltungen von Anfang an auf engagierte Mitarbeit und Unterstützung stieß. An etlichen Hohen Schulen warteten die Rektoren nicht auf Vorgaben ‚von oben‘ zur Durchführung von ‚Säuberungen‘, sondern initiierten 25 So der treffende Titel zu Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, Wien 1989. Zur ‚Säuberung‘ und Nazifizierung ab März 1938 siehe auch zusammenfassend Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 5: Von 1918 bis zur Gegenwart, Wien 1988, Kap. 10.2 und 10.5, und Willi Weinert, Die Maßnahmen der reichsdeutschen Hochschulverwaltung im Bereich des österreichischen Hochschulwesens nach der Annexion 1938, in: Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewußtsein. Festschrift zum 20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und zum 60. Geburtstag von Herbert Steiner, Wien/München/Zürich 1983, S. 127–134. 26 Siehe hierzu Michael Grüttner, Die „Säuberung“ der Universitäten: Entlassungen und Relegationen aus rassistischen und politischen Gründen, in: Scholtyseck/Studt (Hg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich, S. 23–39.
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in einer Mischung aus vorauseilendem Gehorsam, opportunistischer Anpassungsbereitschaft und nachholenden Revanchegelüsten gegen die Wissenschaftspolitik des austrofaschistischen Regimes, von der sich vor allem die in die Illegalität gezwungenen Nationalsozialisten getroffen gefühlt hatten, eine Art von ‚Selbstreinigung‘ ihrer Institution. Der Aderlass, der in erster Linie zulasten der Jüdinnen und Juden ging, sollte die österreichische Hochschullandschaft auf Jahrzehnte hinweg schädigen. Dass es wiederum die Hohen Schulen waren, die in besonderem Maße Objekt nationalsozialistischer ‚Säuberungs‘-Maßnahmen wurden, hing nicht nur damit zusammen, dass spezialisierte Hochschulen wie die ‚Welthandel‘ oder universitäre Fachrichtungen wie Medizin oder Rechtswissenschaft für Jüdinnen und Juden besonders attraktiv waren, sondern dürfte auch aus dem antiintellektualistischen Gehabe und dem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Universitätslehrern resultiert haben, das für den Nationalsozialismus charakteristisch war.27 Die Nazifizierung der Hohen Schulen war somit ein wichtiger Teil des Bestrebens, zwischen 1938 und 1945 eine neue, gleichgeschaltete gesellschaftliche Ordnung zu etablieren.28 Im Vergleich zur NS-Zeit stellte sich die Situation in den späten Jahren der Ersten Republik und unter dem Austrofaschismus wesentlich subtiler dar. Wie Katharina Kniefacz und Herbert Posch sowie Peter Goller betonen, ist beim Personalabbau der Jahre vor dem ‚Anschluss‘ eine präzise Abgrenzung zwischen den Budgetnöten des Staates und dem berechtigten Bestreben, aus den Hochschulen NS-affines Personal zu entfernen, analytisch nicht immer möglich.29 Die Drohung von Unterrichtsminister Hans Pernter, Äußerungen, die „gegen das österreichische Staatsprogramm oder die religiös-sittliche Ordnung gerichtet“ seien, mit der „Pensionierung des Lehrers“ zu parieren, deutet aber darauf hin, dass das austrofaschistische Regime seine Hochschulpolitik nicht nur den eng begrenzten finanziellen Ressourcen des Staatshaushalts anpasste, sondern durch staatliche Eingriffe unter Einschluss von ‚Säuberungen‘ 27 So auch Ilse Reiter, Die Universität im Dritten Reich. Hochschulrecht im Dienste ideologischer Gleichschaltung, in: Dies. u.a. (Hg.), Nationalsozialismus und Recht. Rechtssetzung und Rechtswissenschaft in Österreich unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, Wien 1990, S. 356 f. 28 Zur normativen Ausrichtung der nationalsozialistischen Hochschulpolitik siehe Hans Huber, Der Aufbau des deutschen Hochschulwesens. Vortrag gehalten auf der dritten fachwissenschaftlichen Woche für Universitätsbeamte der Verwaltungsakademie Berlin am 30. Januar 1939, hrsg. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Gräfenhainichen o.O. [1939]. Als Oberregierungsrat im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung war Huber nach dem ‚Anschluss‘ nach Wien entsandt worden, um an führender Stelle an der Nazifizierung und Gleichschaltung des österreichischen Hochschulwesens teilzunehmen. 29 Die Überlappung bestätigt auch Walter Höflechner, Wissenschaft, Hochschule und Staat in Österreich bis 1938, in: Christian Brünner/Helmut Konrad (Hg.), Die Universität und 1938, Wien/Köln 1988, S. 70 f.
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eigene weltanschauliche Ziele verfolgte: Pernter ging es darum, über kurz oder lang ein „neues Österreich“ auf die Beine zu stellen, das österreichischem Patriotismus, deutscher Kultur und einem christlichen Menschen- und Gesellschaftsbild huldigte.30 Eine solche programmatische Positionierung, die unter anderem in den per Gesetz auferlegten Vorlesungen zur weltanschaulichen und staatsbürgerlichen Erziehung31 propagiert werden sollte, ließ sich vor dem Hintergrund der Niederschlagung des Februaraufstands und des Juliputsches von 1934 gegen verschiedene politische Gruppierungen in Stellung bringen: gegen jene, die aus konservativ-katholischer Sicht als ‚links‘ wahrgenommen wurden, und gegen Nationalsozialisten. Wie auch Paulus Ebner für die BOKU und Erwin Strouhal für die Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien deutlich machen, zielten die Maßnahmen des austrofaschistischen Regimes in erster Linie auf die NSDAP, die ungeachtet des erwähnten Betätigungsverbots im Untergrund in staatsgefährdender Absicht den ‚Anschluss‘ an NS-Deutschland vorbereitete. Die ‚Säuberungen‘ nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches hätten am ehesten die Möglichkeit zu einer Neuausrichtung des österreichischen Wissenschaftssystems bieten können. Tatsächlich wurden die amtierenden NS-Rektoren im Zuge der Befreiung umgehend von ihren Funktionen entbunden; Professoren, die vor dem ‚Anschluss‘ die deutsche Staatsbürgerschaft gehabt hatten, wurde jede weitere Lehrtätigkeit in Österreich untersagt; Wissenschaftler, die sich in der NS-Zeit habilitiert hatten, verloren die Lehrbefugnis; besonders belastete Dozenten unter Einschluss derjenigen, die in der Zeit der Illegalität Parteigenossen gewesen waren, wurden beurlaubt, emeritiert, pensioniert oder entlassen; Entnazifizierungskommis30 Pernter auf dem Herbstappell 1937 der Vaterländischen Front, also der Einheitspartei des austrofaschistischen Regimes, in St. Pölten, zit. nach der Österreichischen Hochschulzeitung vom 20. November 1937. Diesem Zweck diente auch, dass eine Bestätigung im akademischen Amt seit Juli 1934 von der Mitgliedschaft in der Vaterländischen Front abhängig war (Höflechner, Wissenschaft, Hochschule und Staat, S. 72). Zur austrofaschistischen Hochschulpolitik siehe zusammenfassend Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 5, Kap. 9.4. Siehe auch Anton Staudinger, Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 20055, S. 28–53. Einschlägig zum Hochschulbereich sind in diesem Zusammenhang die Aufsätze von Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938 (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 [2014], S. 377–396), und Dies., Neue Österreicher. Die austrofaschistischen Hochschullager der Jahre 1936 und 1937 (in: Christoph Jahr/ Jens Thiel [Hg.], Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, S. 250–267). 31 § 2 des Hochschulerziehungsgesetzes. § 1 stellte „die Erziehung der Studierenden zu sittlichen Persönlichkeiten im Geiste vaterländischer Gemeinschaft“ gleichberechtigt neben die Pflege von Forschung und Lehre (BGBl., Nr. 267/1935, S. 966 f.).
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sionen wurden beauftragt, Dozenten und Studierende auf ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus hin zu durchleuchten. Allgemeine Rechtsgrundlagen wie insbesondere das Verbotsgesetz (8. Mai 1945), das Kriegsverbrechergesetz (26. Juni 1945) oder das Nationalsozialistengesetz (6. Februar 1947)32 sowie beamtenrechtliche Vorgaben wie das Beamten-Überleitungsgesetz (30. August 1945)33 schufen Rahmenbedingungen, die auch für das Personal der Hochschulen galten. Die Frage, wie tief greifend die personellen Einschnitte nach der Befreiung waren, lässt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht abschließend beantworten. Mitchell G. Ash konstatiert einen starken Einschnitt, der seinerzeit nicht nur an der Universität Wien von den Hochschulleitungen als bedrohlich empfunden wurde und für die Geschichtsforschung Anlass zu einer kritischen Neubewertung der Nachkriegszeit im Hinblick auf personelle Kontinuität im österreichischen Hchschulwesen in kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive ist. Für die TH Wien weist Juliane Mikoletzky nach, dass von den Angestellten, die ab 1938 aus politischen und/oder ‚rassischen‘ Gründen vertrieben worden waren, gut die Hälfte nach der Befreiung an diese Hochschule zurückgekehrt sind, und Paulus Ebner attestiert der BOKU für das erste Studienjahr der Nachkriegszeit eine rigoros durchgeführte und nachhaltige Entnazifizierung. Aus diesen Befunden lässt sich allerdings nicht ableiten, dass die Begründung der Zweiten Republik für die österreichische Hochschullandschaft in ihrer Gesamtheit zu einer fundamentalen Neuausrichtung geführt habe. Denn zum einen blieb landesweit eine umfassende oder gar koordinierte Rückberufung von Wissenschaftlern aus, die ins Exil gezwungen worden waren. Zum anderen profitierten vorwiegend in den Hohen Schulen und in der Ministerialbürokratie jene katholisch-konservativen Eliten vom Ausschluss von belasteten Nationalsozialisten, die schon in der Ersten Republik und im Austrofaschismus den tertiären Bildungssektor dominiert hatten. Überdies fanden selbst von den Nationalsozialisten, die an den Hochschulen nicht mehr tragbar waren, etliche freundliche Aufnahme in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; diese Einrichtung wurde in der Nachkriegszeit zu „einem richtiggehenden Auffanglager für ‚Ehemalige‘“.34 So ist kaum verwunderlich, dass „an die 32 Abgedruckt im Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.), Nr. 13/1945, S. 19–22, Nr. 32/1945, S. 55–57, und in BGBl., Nr. 25/1947, S. 277–303. 33 StGBl., Nr. 134/1945, S. 173–175. Zu den vorgenannten Gesetzen vgl. auch Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien/München/Zürich 1981, 2. Teil, zu deren Umsetzung im Hochschulwesen ebd., S. 170–185. 34 Klaus Taschwer, Eher verfehlte Gelehrten-Ehrungen, in: Der Standard vom 16. November 2016. S iehe auch Johannes Feichtinger u.a. (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, Teil II. Die historische Konsistenz und Kontinuität schwarz-brauner Netzwerkpolitik und wechselseitiger Protektion in den führenden wissenschaftlichen Organisationen des Landes fassen Johannes Feichtinger und Dieter J. Hecht treffend zusammen: „An der Akademie
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Stelle der möglichen re-education […] eine zweite Gegenreformation [trat].“35 Eine entschiedene Abkehr vom Ungeist der jüngsten Vergangenheit wurde auch dadurch erschwert, dass die ‚Minderbelasteten-Amnestie‘ von 1948 Hunderttausenden von einstigen Parteigenossen eine berufliche Reintegration ermöglichte; dies blieb auch für die Hochschulen nicht ohne Folgen. Im Vor- und Umfeld der Wiedergewinnung der Souveränität infolge des Staatsvertrags und des Abzugs der alliierten Militärverwaltungen und -soldaten im Jahr 1955 kehrten weitere ‚Ehemalige‘ an die Hohen Schulen zurück. Der „Eindruck von nicht unbeträchtlicher Kontinuität des Lehrkörpers“, den Hans und Roman Pfefferle für die Entwicklung der Universität Wien in den 1940er und 1950er Jahren formulieren, gilt nachweislich für die Universität Innsbruck, wie Peter Goller deutlich macht.36 Mitchell G. Ash weist ergänzend darauf hin, dass der Besatzungspolitik der Alliierten im Bereich der Hochschulpolitik jene Nachdrücklichkeit fehlte, die eine Öffnung des österreichischen Wissenschaftssystems hätte befördern können. Obendrein war das Wissenschaftsverständnis der Sow jetunion mit dem der westlichen Alliierten nicht kompatibel. Die stark restaurativen Tendenzen, die die Hochschulpolitik der jungen Zweiten Republik unter diesen Umständen prägten, wurden nicht zuletzt von der Rechtslage unterstützt. Noch im Mai 1945 wurden die Anordnungen des Deutschen Reiches zum Hochschulwesen aufgehoben und etliche österreichische Rechtsvorschriften aus der Zeit vor dem ‚Anschluss‘ wieder in Geltung gesetzt; „darunter befand sich überraschenderweise auch das Hochschulermächtigungsgesetz von 1935.“37 Angesichts all dieser problematischen Entwicklungen und Weichenstellungen erscheint die nachhaltig wirksame „autoch thone Provinzialisierung“ des österreichischen Hochschulsystems, die Christian Fleck zu Recht für die Nachkriegszeit konstatiert hat,38 in der Rückschau erklärbar.
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wie auch an der Universität übernahmen 1945 ehemalige Proponenten des autoritären Ständestaates das Ruder. An der Universität hatten sie als Konservative nationaler und großdeutscher Orientierung ihre Stellen nach dem ‚Anschluss‘ mit Hilfe nationalsozialistischer Fürsprecher sichern können. Ab 1948 waren es die vor 1938 federführenden Eliten, die ehemaligen NSDAP-Mitgliedern nach der Phase der personellen Entnazifizierung […] wieder die Rückkehr in ihre Positionen ermöglichten […].“ (1945 und danach. Eine Zäsur und zwei Kontinuitäten, in: ebd., S. 190) Christian Fleck, Österreichs Universitäten am Beginn der Zweiten Republik: Entnazifizierung und Nicht-Rückkehr der Vertriebenen, Wien 2002, S. 4, http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/23478 [10. Februar 2017]. Auch die Berufung von Taras Borodajkewycz an die ‚Welthandel‘ gehört in diesen Kontext; vgl. hierzu Rafael Kropiunigg, Eine österreichische Affäre: der Fall Borodajkewycz, Wien 2015. Über die Rückkehr von ‚Ehemaligen‘ ins akademische Milieu nach der Befreiung wird Linda Erker 2017 einen Beitrag in der Fachzeitschrift Zeitgeschichte veröffentlichen. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 5, S. 450. Christian Fleck, Autochthone Provinzialisierung. Universität und Wissenschaftspolitik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996), S. 67–92.
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Die Unterschiede, die hier nur summarisch und unvollständig referiert werden können, rechtfertigen es, die Regimewechsel von 1934, 1938 und 1945 unter komparatistischen Gesichtspunkten zu analysieren und zueinander in Beziehung zu setzen. Dafür spricht nicht nur, dass Vergleiche generell geeignet sind, Kontinuitäten und Zäsuren, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.39 Gerade die Tatsache, dass die in obszöner Brutalität durchgeführten ‚Säuberungen‘ der NS-Zeit in negativer Singularität hervorstechen, stellt eher eine Bestätigung als eine Infragestellung des komparatistischen Ansatzes dar. Außerdem zeigt Ashs Befassung mit Ressourcenkonstellationen auf empirischem Wege, dass die Analyse von Funktionsweisen von ‚Säuberungen‘ einen wichtigen Ansatz zur Gesamtinterpretation der Hochschulgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bietet: Die gezielte Einflussnahme politischer Regime auf personelle, aber auch institutionelle und diskursiv-symbolische Ressourcen ist ein Schlüssel zum Verständnis der Zäsuren, denen die österreichische Hochschullandschaft ausgesetzt war. Zudem gilt zu bedenken, dass die drei ungemein kurz aufeinander folgenden Regimewechsel in einem geschichtlichen Ereigniszusammenhang standen – bezogen sich doch die späteren ‚Säuberungen‘ auf die vorangegangenen ‚Säuberungen‘. Neben der Differenzierung nach politischen Regimen und Umbrüchen deuten Beiträge dieses Bandes gelegentlich an, dass regionale oder lokale Gesichtspunkte bei der Beschäftigung mit ‚Säuberungen‘ zu berücksichtigen sind. Ungeachtet der Tatsache, dass die Hohen Schulen der österreichischen bzw. der reichsdeutschen Ministerialverwaltung unterstanden und der Bundes- bzw. Reichsgesetzgebung unterlagen, legten die Almae matres traditionell auf eine gewisse institutionelle Eigenständigkeit Wert; wie Mitchell G. Ash mit Blick auf die Fusionierung der TH Graz mit der Montanistischen Hochschule Leoben im Austrofaschismus und Peter Berger zur ‚Welthandel‘ unter dem NS-Regime nachweisen, ging es mitunter sogar für einzelne Hochschulen ums schiere Überleben als selbstständige Einrichtung. Selbst unter den Bedingungen der Gleichschaltung und präzedenzlosen Zentralisierung des Hochschulwesens im Nationalsozialismus hatten die Rektoren Freiräume, die sie beispielsweise bei der Zulassung von ‚Mischlingen‘ zum Studium oder zu Prüfungen bedingt nutzen konnten. Auch in der Frage, ob nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs ein Parteigenosse eigenmächtig die Führung an sich riss (wie Franz Sekera an der Hochschule für Bodenkultur),40 ein bisher illegaler NSDAP-Funktionär nach dem erklärten Rücktritt des Amtsvorgängers
39 Vgl. die methodologischen Überlegungen bei Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 1999. 40 Siehe den Beitrag von Paulus Ebner in diesem Band.
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die Rektorswürde übernahm (wie Fritz Knoll an der Universität Wien)41 oder ein unter dem Austrofaschismus gewählter Rektor für die Umsetzung des Umbruchs verantwortlich zeichnete (wie Bruno Dietrich an der Hochschule für Welthandel),42 sind lokale Unterschiede zu erkennen.43 Schließlich boten nach Kriegsende die Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen und die Einbeziehung der Hochschulen in die Tätigkeiten der Entnazifizierungskommissionen die Möglichkeit, die ‚Säuberung‘ der Hochschulen von Nationalsozialisten lokalen Gesichtspunkten anzupassen. Wie Andreas Huber deutlich macht, verfuhren Hochschulen in Wien, Graz oder Innsbruck beim Ausschluss von nationalsozialistischen Studierenden besonders in den ersten Monaten nach der Befreiung keineswegs nach einem einheitlichen Muster. Vor diesem Hintergrund wird bei zukünftigen Forschungen verstärkt danach zu fragen sein, welche Bedeutung die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bundesland oder Gau oder zu einer Besatzungszone oder spezifische örtliche Verhältnisse innerhalb und außerhalb des hochschulpolitischen Raums für die Entwicklungen an den einzelnen Hohen Schulen hatten, um weiterführende Vergleiche zu fördern. Desiderat bleibt einstweilen eine systematische Befassung mit dem Wirken des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in Österreich vor und während der NS-Zeit.44 Deren Einfluss auf Stellenbesetzungen wird zwar in etlichen Beiträgen des vorliegenden Bandes dargelegt, bedarf aber aus organisationshistorischer Sicht durchaus einer vertieften Analyse. Zum Buch
Unter dem Blickwinkel von ‚Säuberungen‘ fragt der vorliegende Sammelband nach Unterschieden, Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten zwischen den drei Regimewechseln, die in den 1930er und 1940er Jahren in Österreich stattgefunden haben. Er konzentriert sich auf Entwicklungen im Personalbereich; die Neugründung von 41 Siehe den Beitrag von Katharina Kniefacz und Herbert Posch in diesem Band. 42 Siehe die Aufsätze von Peter Berger und mir („Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“) in diesem Band. 43 Vgl. auch Weinert, Die Maßnahmen der reichsdeutschen Hochschulverwaltung, S. 129 f. 44 Für Deutschland siehe hierzu Anne C. Nagel, „Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund in der Wissenschaftspolitik des Dritten Reiches, in: Scholtyseck/Studt (Hg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich, S. 115–132, und Anselm Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, 2 Bde., Düsseldorf 1973. Für Österreich liegt allenfalls die Fallstudie von Joël Adami und Fabian Frommelt vor: Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund an der Hochschule für Bodenkultur, in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, Wien 2013, S. 85–101.
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weltanschaulich opportunen Instituten oder Formen materieller ‚Reinigung‘ wie die Aussonderung verfemter Literatur aus Universitätsbibliotheken oder die Aneignung ‚arisierter‘ Buchbestände in der NS-Zeit45 werden eher am Rande behandelt. Für die personalpolitischen Entwicklungen unternimmt das Buch nicht nur den Versuch, vorhandene Forschungsergebnisse zu ‚Säuberungen‘ an österreichischen Hochschulen zu bündeln. Es präsentiert zugleich neue Forschungen und stellt eine Vergleichbarkeit der Entwicklungen an einzelnen Hohen Schulen in einem politisch hochgradig instabilen Zeitraum her. In zweierlei Hinsichten stößt die Vergleichbarkeit jedoch an Grenzen: Die Quellenlage ist zu einzelnen Hochschulen unterschiedlich und nicht immer hinreichend für komparatistisch belastbare Aussagen. Und die Forschungslage lässt es nicht zu, den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, denn zu etlichen Hochschuleinrichtungen liegen keine bzw. noch unzureichende Resultate vor.46 Zu berücksichtigen ist auch, dass nicht notwendigerweise alle Aufsätze jeweils alle drei Regimewechsel behandeln, und nicht alle Beiträge befassen sich gleichermaßen mit den Entwicklungen bei den Angestellten, Beamten oder Arbeitern und bei den Studierenden. Die Unterschiede im Umfang der einzelnen Aufsätze sind denn auch vor allem auf die Disparitäten bei der Quellensituation, dem Forschungsstand und der thematischen Schwerpunktsetzung zurückzuführen; sie lassen keinen Rückschluss auf die historiografische Relevanz des jeweiligen Themas zu. Ungeachtet der Disparitäten bietet das Buch in seiner Gesamtheit einen Überblick zur Geschichte von politisch intendierten Eingriffen in den Personalbestand von Hochschulen und in die Zusammensetzung der Hörerschaft. Es lässt somit die Dimension erkennen, die die verschiedenen ‚Säuberungs‘-Prozesse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im tertiären Bildungssektor Österreichs gehabt haben. 45 Zu diesem Aspekt siehe insbesondere die seit 2009 erscheinende Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung. 46 Die Geschichte der Tierärztlichen Hochschule Wien in Nationalsozialismus und Nachkriegszeit beispielsweise wird zur Zeit der Veröffentlichung des vorliegenden Bandes an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz erforscht. Die Projektbeschreibung https://www.vetmeduni.ac.at/fileadmin/v/z/universitaet/FWFProjekt_NS-Zeit_Rettl.pdf lässt gegenüber den Dissertationen von Theresa Maria Kuen (Studien zu Geschichte und politischer Orientierung des Lehrkörpers der Tierärztlichen Hochschule Wiens während der Zeit des „Austrofaschismus“ [1933–1938], Veterinärmedizinische Universität Wien 2012, http://www.vetmeduni.ac.at/hochschulschriften/dissertationen/AC07813881.pdf) und Stephanie Fischer („[…] grüßt die Tierärztliche Hochschule Wien ihre Brüder in deutscher Treue […]“. Die Tierärztliche Hochschule Wien im Schatten des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung des klinischen Lehrkörpers, Veterinärmedizinische Universität Wien 2011, http://www. vetmeduni.ac.at/hochschulschriften/dissertationen/AC07810749.pdf) vertiefte, wissenschaftlich valide Erkenntnisse erwarten [alle Zugriffe vom 10. Februar 2017].
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Dabei stehen eine personenzentrierte Perspektive sowie institutionelle Aspekte im Vordergrund. So fragt der Band im Kern danach, was ‚Säuberungen‘ für die jeweiligen Hochschulen, für das Hochschulsystem und für die betroffenen Menschen bedeutet haben. Unter welchen Voraussetzungen, in welchen Formen und mit welchen Folgen wurde in Austrofaschismus, Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit in die personelle Zusammensetzung von Hohen Schulen eingegriffen? Die räumliche Dimension der ‚Säuberungen‘ kommt besonders dann zum Tragen, wenn Hochschulangehörige in die Emigration gezwungen wurden; dies gilt in besonders konzentrierter Weise für den Beitrag von Helga Embacher über das Exil von österreichischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Die historischen Eckdaten 1934, 1938 und 1945 stellen einerseits höchst reale Zäsuren dar, die für die betroffenen Personen und Institutionen spürbare Konsequenzen hatten und als tiefe Einschnitte erfahren wurden. Andererseits werden sie als Ziel- wie auch als Ausgangspunkte von Entwicklungen verstanden, die jeweils ihre Vorgeschichten hatten und nicht mit dem Ablauf des betreffenden Zäsurjahres endeten. So setzte beispielsweise die strukturelle Benachteiligung von jüdischen Gelehrten bei Berufungen auf Ordinariate oder Exordinariate nicht erst mit der Installierung des austrofaschistischen Regimes ein. Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes zogen sich bis Kriegsende hin und waren mithin in den sieben Jahren zwischen ‚Anschluss‘ und Zusammenbruch des Deutschen Reiches Änderungen unterworfen.47 Und die Entnazifizierung stellte einen mehrjährigen Prozess dar, die justizielle Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sollte sich gar über Jahrzehnte erstrecken.48 Darüber hinaus belegen mehrere Beiträge des Bandes, dass insbesondere bei Jüdinnen und Juden die Vertreibung von den Hochschulen das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen weit über das Kriegsende hinaus beeinflussen oder gar bestimmen und Österreich als Wissenschaftsstandort über Jahrzehnte beeinträchtigen sollte. In diesem Sinn stellen die Zäsurjahre 1934, 1938 und 1945 neben ihrem ‚harten‘ realpolitischen Gehalt zugleich metaphorische Daten mit einem ‚weichen‘ Zeithorizont dar. Eine historische Einbettung der drei Zäsurjahre in einen größeren historischen Kontext leistet Mitchell G. Ash mit einer vergleichenden Analyse der politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Er eröffnet den ersten Teil des Buches zu den geschichtlichen Rahmenbedingungen für ‚Säuberungen‘ an den österreichischen Hoch47 Siehe zum Beispiel meine Ausführungen zum Umgang mit ‚Mischlingen‘ an der Hochschule für Welthandel, „Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“, Kap. 2.2. 48 Vgl. Winfried R. Garscha, Entnazifizierung und gerichtliche Ahndung von NS-Verbrechen, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, S. 852–883.
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schulen. Dazu gehören auch die von Helga Embacher thematisierten Umstände und Bedingungen des Exils von österreichischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Markus Wurzer schließlich wendet sich mit seinem Beitrag über Verzeichnisse illegaler studentischer Aktivitäten methodischen Aspekten zu, die unter quellenkritischen Gesichtspunkten für Forschungen über ‚Säuberungen‘ im Austrofaschismus zu berücksichtigen sind. Die Aufsätze des zweiten Teils sind einzelnen Hochschulen gewidmet, und Andreas Huber setzt mit Blick auf die Entnazifizierung die Entwicklungen an verschiedenen Hochschulen dezidiert zueinander in Beziehung. Mit seinen Fallstudien stellt dieser Teil den analytischen Schwerpunkt des vorliegenden Bandes dar. Im letzten Teil stellen Klaus Taschwer und ich ausgewählte Einzelschicksale von Personen vor, die unter dem NS-Regime ihre Hochschule verlassen mussten: der liberale Rechtsgelehrte Josef Hupka die Universität Wien und der Student Robert Eder die Hochschule für Welthandel. Während Eder als der einzige jüdische Student, mit dem ich noch ein Zeitzeugeninterview führen konnte, im maltesischen Exil Judenverfolgung und Krieg überlebt hat, wurde Hupka ein Opfer der Shoah. Mit der exemplarischen Vorstellung dieser beiden Lebensläufe ist nicht der Anspruch verbunden, repräsentative Schicksale zu präsentieren. Sie stehen primär in ihrer jeweiligen Singularität, lassen aber dennoch Parallelen zu zahlreichen gleichartigen Schicksalen erkennen. Abschließend sind technische Hinweise zum Buch erforderlich. 1. Da etliche Beiträge mitunter auf dieselben historischen Kontexte, Rechtsgrundlagen oder politischen Rahmenbedingungen Bezug nehmen, sind Überschneidungen und Wiederholungen unvermeidlich. 2. Es wird darauf verzichtet, an allen Stellen konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden; zwecks Förderung der Lesbarkeit wird an vielen Stellen das generische Maskulinum zugrunde gelegt. 3. Doppelte Anführungszeichen sind ausschließlich belegten Zitaten vorbehalten.
Die österreichischen Hochschulen in den politischen Umbrüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Mitchell G. Ash
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In diesem Aufsatz soll ein skizzenhafter Überblick über ein breites Feld versucht werden. Nach kurzen Vorbemerkungen zu den Begrifflichkeiten im Titel des Beitrags sowie zur Entwicklung der Hochschulen bis 1918 wird die allgemeine Situation der Hochschulen in jedem der politischen Umbrüche bis 1945 besprochen. Dabei soll keine teleologische Perspektive mit bereits bekanntem Ausgang zum Besten gegeben, sondern eine prozesshafte Betrachtung der jeweiligen Ereignisse angedeutet werden. Abschließend werden Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen eines Gesamtnarrativs der Geschichte der Hochschulen in Österreich in dieser politisch sehr bewegten Zeit zur Diskussion gestellt. Der Begriff Hochschulen umfasst die große Bandbreite von Institutionen tertiärer Bildung. Diese waren im hier zu besprechenden Zeitraum formaljuristisch betrachtet keine selbstständigen Rechtskörper, sondern staatliche Einrichtungen, die im damaligen Hochschulrecht sogar ‚akademische Behörden‘ hießen.1 So gesehen war die immer wieder behauptete ‚Autonomie‘ dieser Einrichtungen von vornherein relativ, denn sie bestand in übertragenem, sozusagen verliehenem Recht. Es ist daher irreführend, von Hochschulen und Politik in diesem Kontext als zwei getrennten Größen zu sprechen. Vielmehr geht es um das Verhältnis eines mit einer gewissen Selbstständigkeit ausgestatteten Teils der staatlichen Behörden zum Staat insgesamt wie auch zur ‚hohen Politik‘, also zur Macht im Staate. Eine politische Geschichte der Hochschulen kann daher nicht bei der Frage stehen bleiben, ob deren wie auch immer definierte ‚Autonomie‘ Bestand hatte oder nicht, sondern muss sich mit dem Gebrauch dieser vom Staat verliehenen Macht befassen.2 1
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Daher wird ein beachtlicher Teil der Literatur zum Thema aus der Sicht der Rechts- und Verwaltungsgeschichte geschrieben. Vgl. hierzu Sascha Ferz, Ewige Universitätsreform. Das Organisationsrecht der österreichischen Universitäten von den theresianischen Reformen bis zum UOG 1993, Frankfurt a.M. 2000. Vgl. hierzu Johannes Feichtinger, Die verletzte Autonomie. Wissenschaft und ihre Struktur in Wien 1848 bis 1938, in: Katharina Kniefacz u.a. (Hg.), 650 Jahre Universität Wien, Bd. 1: Universität
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Hochschulen weisen auch Status- und Machthierarchien im Innern auf. Deshalb ist es legitim, von einer ‚Hochschulinnenpolitik‘ zu sprechen. Bereits 1988 schrieb der Universitätshistoriker Walter Höflechner zu Recht von einer „politischen Geschichte der Universitäten“ und differenzierte zwischen einer „äußeren“ und einer „inneren politischen Geschichte“ der österreichischen Hochschulen.3 Ein weiteres Thema dieses Beitrags wird daher das Spannungsverhältnis zwischen der Elite der Professorenfunktionäre auf der einen und der Gruppe der übrigen Professoren, der Dozenten und der Studentenschaft auf der anderen Seite sein. Gerade in diesem Zusammenhang kommt der politischen Tätigkeit studentischer Gruppierungen eine eigene Bedeutung zu. Wenn hier von ‚politischen Umbrüchen‘ die Rede ist, sind die vier Regimewechsel der österreichischen Geschichte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeint. Das jeweilige allgemeinpolitische Geschehen kann hier nur punktuell einbezogen werden. Gleichwohl dürfte klar sein, dass weder eine ausschließlich auf institutionengeschichtliche Fragen gerichtete Sicht noch eine allein auf politische Ideologien gerichtete Perspektive ausreichen kann. Eine Gesamtgeschichte der österreichischen Hochschulen in dieser Zeit, die auf dem Stand der heutigen Forschung ist und beide Perspektiven einschließt, fehlt noch. Im Kern begreife ich die vier Umbrüche als Umgestaltungen von Ressourcen konstellationen, wobei ich von einer Erweiterung des Ressourcenbegriffes über seine gängige, finanzielle Bedeutungsebene hinaus ausgehe.4 Konkret bilden drei Ressourcentypen die Grundlage der Analyse: 1. personelle Ressourcen, darunter insbesondere die in diesem Band extensiv behandelten politischen ‚Säuberungen‘ unter Hochschulangehörigen, die Rekrutierung neuen Personals unter gewandelten politischen Bedingungen und der Ausschluss von Studierenden nach politischen Kriterien; 2. institutionelle Ressourcen, darunter Wandlungen der Hochschulpolitik wie der
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– Forschung – Lehre. Themen und Perspektiven im langen 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 261–292. Walter Höflechner, Die Baumeister des künftigen Glücks. Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938, Graz 1988, Abs. 1.1., 2.1.2., 2.1.3. Die hier eingenommene Perspektive kann an dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Vgl. hierzu ausführlicher Mitchell G. Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik – Bestandaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51; Ders., Wissenschaft und Politik. Eine Beziehungsgeschichte im 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S. 11–46.
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Hochschulinnenpolitik, sprich: Machtkämpfe bzw. Neuverteilung der Machtverhältnisse innerhalb der Institutionen; 3. diskursive Ressourcen, darunter unter anderem Loyalitätsbekundungen zum jeweils neuen Regime und ihre Ambivalenzen; politisch umkämpfte Schlüsselworte; symbolträchtige Handlungen; Versuche einer ideologischen Neupositionierung bzw. einer an politischen Projekten ausgerichteten Umlenkung von Forschungsprogrammen; und nicht zuletzt Vergangenheitspolitik im Sinne einer Mobilisierung historischer Semantiken zum Zweck einer Positionierung im jeweils neuen Regime. An dieser Stelle können lediglich Grundzüge einer solchen Analyse thesenartig formuliert werden.5 Auch ist es nicht möglich, alle Hochschulen in angemessener Weise einzubeziehen6 oder der oben genannten Hochschulinnenpolitik die ihr gebührende Detailanalyse zuteilwerden zu lassen. Derzeit offene Forschungsfragen werden an geeigneter Stelle explizit benannt. Vorbemerkung zur Situation um 1900 sowie im Ersten Weltkrieg
Nach der Schaffung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie (1867) entstand ein eigenständiges Hochschulsystem in deren österreichischem Teil (Cis leithanien), das eine zum Teil durch das Unterrichtsministerium, häufiger aber durch kollegiale Netzwerke gesteuerte Zirkulation unter den Lehrenden aufwies.7 Zentrale Eigenschaften dieses Systems waren seine funktionalen und regionalen Differenzierungen. Neben den sechs mit Traditionsfakultäten ausgestatteten Universitäten in Wien, Graz, Innsbruck, Prag, Lemberg und Czernowitz gewannen die technisch ausgerichteten, an Berufsvorbildungen orientierten (Fach-)Hochschulen zunehmend an Bedeutung, die teilweise erst in dieser Zeit gegründet wurden. Klagen über eine 5
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Für eine detaillierte Analyse bezogen auf die größte österreichische Hochschule vgl. Mitchell G. Ash, Die Universität Wien in den politischen Umbruchzeiten des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Ders./ Joseph Ehmer (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 2: Universität – Politik – Gesellschaft, Göttingen 2015, S. 29–172. Die kurz vor Fertigstellung dieses Beitrags bzw. vor Drucklegung des Bandes erschienenen Arbeiten von Verena Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus. Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal, Wien/Köln/Weimar 2016, sowie Juliane Mikoletzky/ Paulus Ebener, Die Geschichte der Technischen Hochschule in Wien 1914–1955, 2 Teile, Wien 2016, konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. Vgl. hierzu Jan Surman, Vom „akademischen Altersheim“ zur Spitzenforschungsanstalt? Mobilität der Wiener Professoren 1848–1914, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 621–648.
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strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen vor allem in personeller Hinsicht waren schon damals zu vernehmen.8 In der Zeit um 1900 wurden jedoch auch ambitionierte Bauvorhaben realisiert, überwiegend als staatliche Investitionen.9 Große Forscher wie der Theoretische Physiker Ludwig Boltzmann, der Naturwissenschaftler und Philosoph Ernst Mach sowie der Musikwissenschaftler Guido Adler an der Wiener Universität oder der Kulturpflanzenforscher Erwin Tschermak-Seysenegg an der Hochschule für Bodenkultur sorgten für einen ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf der Hochschulen. Die Arbeiten jüngerer Forscher wie Fritz Pregl zu den überatmosphärischen, später so genannten kosmischen Strahlen oder von Karl Landsteiner zu den Blutgruppen sind Beispiele für Leistungen, durch die ihre Träger später ebenfalls Weltruf erlangen sollten. Parallel zu alledem sorgten aber Wandlungen der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft in explosiver Verbindung mit der zunehmenden Ethnisierung der allgemeinen Politik und der damit einhergehenden Dominanz völkisch-nationalistischer, zunehmend rassistischer Identitätsdiskurse für Verteilungskämpfe, die häufig in Gewalt ausarteten.10 Die Chance, solche Spannungen aggressiv nach außen entladen zu können, gehörte zum Hintergrund der großen Begeisterung zum Kriegsbeginn im Juli 1914. Der Hurrapatriotismus am Beginn des Krieges wich aber bald der Ernüchterung. An mehreren Hochschulen wurden ab Oktober 1914 Hilfslazarette eingerichtet; einige Hochschulen wurden deshalb zeitweilig geschlossen.11 Wegen der zunächst freiwilligen, später zwangsweise erfolgten Einrückung vieler männlicher Studierender ging die Frequenz bald drastisch zurück. Teilweisen Ersatz brachten Migrationsbe8
Als spektakuläres Beispiel unter vielen vgl. die Denkschrift über die gegenwärtige Lage der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Motivenbericht aus einer dem k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht überreichten Eingabe des Professorenkollegiums der Philosophischen Fakultät, Wien 1902. Siehe hierzu Irene Ranzmaier, Die Philosophische Fakultät um 1900, in: Kniefacz u.a. (Hg.), Universität – Forschung – Lehre, S. 145. 9 Vgl. zum Beispiel Walter Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz. Von den Anfängen bis in das Jahr 2008, Graz 20092, S. 55 ff. 10 Vgl. hierzu bereits Höflechner, Baumeister, Abs. 1.1. Siehe neuerdings unter anderem Felicitas See bacher, Das Fremde im „deutschen“ Tempel der Wissenschaften. Brüche in der Wissenschaftskultur der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, Wien 2010; Oliver Rathkolb, Gewalt und Antisemitismus an der Universität Wien und die Badeni-Krise 1897. Davor und danach, in: Ders. (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 69–92. 11 Zum Folgenden vgl. unter anderem Paulus Ebner, Politik und Hochschule. Die Hochschule für Bodenkultur 1914–1955, Wien 2002, S. 17 ff.; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 83–87; Klaus Taschwer, „Ein seltsamer Körper war diese Universität im Krieg“. Über die Alma Mater Rudolphina in den Jahren 1914 bis 1918 – und danach, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2014, S. 386–393.
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wegungen aus den östlichen Provinzen der Monarchie mit sich, vor allem infolge der russischen Besetzung Galiziens. Dies führte aber auch, zumindest an den Universitäten Wien und Graz, zu einem stark erhöhten Anteil von Frauen und Juden unter den Studierenden.12 Die Abwehrhaltung der organisierten ‚deutschen‘ Studentenschaft gegen diesen Trend wurde schon seit 1916 in Eingaben zum Ausdruck gebracht, die als Vorboten der Kämpfe der Zwischenkriegszeit gesehen werden können. Währenddessen wurden personelle wie wissenschaftlich-technische Ressourcen aus den Hochschulen im Rahmen der Arbeit des k. k. Militär-Technischen-Komitees in erheblichem Umfang mobilisiert.13 Wie die anthropologische Forschung an Kriegsgefangenen oder Beispiele aus der Meteorologie zeigen, konnte der Krieg auch als Ressource für die Wissenschaften begriffen werden.14 Dass der Krieg für die Wissenschaften auch hohe Kosten, insbesondere durch den Abbruch internationaler Verbindungen, verursachte, nahmen Einzelne mit Sorge zur Kenntnis.15 Trotzdem gaben sich Universitätsprofessoren in großer Zahl für Aktionen wie für das von 855 Personen unterschriebene Manifest Eugen von Philippovichs mit seiner kaum verhohlenen Forderung nach einem Anschluss Österreichs an Deutschland16 oder für solche Ausblicke auf Probleme der Nachkriegszeit her, die von einem Siegfrieden ausgingen.17 Die lange Dauer des Krieges, der dadurch entstandene Produktionsdruck in den Rüstungsfabriken sowie die Versorgungskrise an der ‚Heimatfront‘ führten zu zunehmenden Agitationen, Streiks und später zu Friedensdemonstrationen, deren Spuren auch an den Hochschulen spätestens ab 1918 sichtbar waren. Ab 1916 griff die Politik auch durch die Berufung von Professoren in Ministerämter zunehmend nach der Ressource Wissenschaft.18 Unter den letzten Ministerpräsidenten der Mon12 Vgl. Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, Kap. 2; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 83. 13 Die Reichweite und Bedeutung dieser Forschungen für Kriegszwecke ist – im Gegensatz zur Situation im Deutschen Reich – noch kaum erforscht. Für einen ersten Überblick vgl. Rudolf Werner Soukup, Das k. u. k. Technische Militärkomitee im Spannungsfeld von Industrie und Wissenschaft, in: Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (Hg.), Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, Wien 2014, S. 307–324. 14 Britta Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915–1918, Wien 2013; Christa Hammerl, Meteorologie und militärische Feldwetterdienst im Ersten Weltkrieg, in: Matis/Mikoletzky/ Reiter (Hg.), Wirtschaft, Technik und das Militär, S. 325–349. 15 Vgl. hierzu Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 82 f. 16 Ebd. 17 Emil Reisch, Aufgaben unserer Universitäten nach dem Kriege, in: Die feierliche Inauguration des Rektors der Wiener Universität für das Studienjahr 1916/1917 am 6. November 1916, Wien 1916, S. 55–96. 18 Zum Folgenden vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 60 und die dort angegebene Literatur.
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archie befanden sich gleich zwei Professoren: zunächst Ernst Seidler von Feuchtenegg (Amtszeit 1916–1918) von der Hochschule für Bodenkultur, dann als letzter k. k. Ministerpräsident der Wiener Professor für Strafrecht Heinrich Lammasch; in dessen Kabinett amtierten drei weitere Wiener Professoren.19 Gerade dieser Regierungseinsatz belegt, dass und wie sehr die Loyalität der großen Mehrheit der Hochschulangehörigen gegenüber der Monarchie bis Kriegsende unumstritten blieb. 1918
Umso erstaunlicher ist, wie schnell sich die Hochschulleitungen nach dem Umsturz umstellten. Bereits im Oktober 1918 trafen binnen weniger Tage klare Bekenntnisse der Akademischen Senate zum neu gegründeten Staat Deutschösterreich in Wien ein. Der Senat der Universität Wien ging noch weiter: Seine Mitglieder begaben sich mit „Stimmeneinhelligkeit“ „an die Seite ihres deutschen Volkes“ und sprachen sich dafür aus, dass der neue Staat „die politische Zusammenfassung sämtlicher deutschen Staatsgebiete der Monarchie [sic] verwirklichen und für den Schutz der deutschen Sprachinseln und Minderheiten in den Fremdsprachengebieten Sorge tragen wird.“20 Eine gewisse Ambivalenz ist bereits in diesen Bekenntnissen erkennbar. Sie bezogen sich auf den neuen Staat, aber nicht auf die damals ja noch nicht ausgerufene Republik. Noch wichtiger war die allseits geteilte Hoffnung auf einen Anschluss Deutschösterreichs an den größeren und, wie man meinte, lebensfähigeren Bruderstaat im Norden. So löste das Verbot des Anschlusses an Deutschland in den Verträgen von Saint-Germain und Versailles (1919) Verwunderung, Bitterkeit und Massenproteste aus. Besonders schwer getroffen sahen sich die Hochschulen in Innsbruck und Graz durch die Abtrennung Südtirols und der Südsteiermark. Im Kontext der bereits vorher begonnenen nationalstaatlichen Neuordnung der Territorien der ehemaligen Monarchie blieb daher der Kampf um die Renationalisierung Deutschösterreichs unter völkischem Vorzeichen ein zentrales politisches Thema. Diese Haltung war jedoch umstritten. Die Sozialdemokraten waren mehrheitlich zwar auch für den Anschluss an das Deutsche Reich, dessen Regierung ja zu diesem Zeitpunkt von Sozialdemokraten geleitet wurde; die Akademiker unter ihnen
19 Peter Berger, Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Wien 20082, S. 55, nennt diese Regierung „am intellektuellen Niveau ihrer Mitglieder gemessen […] die beste, die je einem Habsburger gedient hatte.“ Sie währte auch am kürzesten. 20 Universitätsarchiv Wien (UAW), Z. 198 ex 1918/19, Kundgebung des Senats, Sondersitzung am 26. Oktober 1918. Ebendort auch die Erklärungen der anderen Hochschulen. Der Text wurde den Tageszeitungen zum Abdruck freigegeben.
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begriffen sich ohnehin seit Langem als Angehörige der deutschen Kulturnation.21 Als es aber um die rechtliche Festlegung der Zugehörigkeit zur Beamtenschaft im neuen Staat ging, stellten sie sich auf den Standpunkt der Staats- und nicht der Volkszugehörigkeit. Eine für die Hochschulen bedeutende Wandlung zu Beginn dieses Regimewechsels stellt die im März 1919 verkündete Neuorganisation der Regierung dar, in deren Rahmen das bisherige Unterrichtsministerium dem Staatsamt des Innern unterstellt wurde. Als Unterstaatssekretär für Unterricht firmierte der Sozialdemokrat und Schulreformer Otto Glöckel; eine vergleichbare Rolle spielte als Unterstaatssekretär für Volksgesundheit im Staatsamt für soziale Verwaltung der Wiener Anatomieprofessor und Sozialdemokrat Julius Tandler.22 Tandler setzte die bereits erwähnte Übernahme staatspolitischer Verantwortung durch Professoren in den letzten Kriegsjahren fort. Hierzu kamen die siebenmonatige Tätigkeit des politisch ungebundenen Grazer Ökonomen Joseph A. Schumpeter als Staatssekretär für Finanzen in der Regierung Renner II (15. März–17. Oktober 1919) sowie die Schlüsselrolle des Wiener Juristen Hans Kelsen als Berater der Staatskanzlei in der Schaffung der ersten demokratischen Verfassung.23 Jeder politischen Bemühung stand allerdings die katastrophale wirtschaftliche Situation im Wege. Die anfängliche Abschneidung von Rohstoff- und Nahrungslieferungen aus den vormaligen Kronländern, der Währungsverfall und die Inflation sowie die Tatsache, dass die österreichischen Staatsfinanzen infolge des Genfer Protokolls von 1922 unter Kuratel gestellt wurden – all das hatte auch verheerende Auswirkungen auf die Hochschulen. Schon während des Ersten Weltkriegs hatte es wegen der notwendigen Erhöhungen der Personalkosten infolge der Inflation keinen Raum mehr für eine entsprechende Anpassung der Sachkosten gegeben. Der Währungsverfall nach dem Krieg traf die gesamte Mittelschicht, insbesondere die Privatdozenten, 21 Vgl. hierzu Christian Stifter, Ludo Moritz Hartmann. Wissenschaftlicher Volksbildner – sozialdeterministischer Historiker – realitätsferner Politiker, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 254. 22 Bericht über das Studienjahr 1918/1919, erstattet von Dr. Friedrich Becke, in: Die Feierliche Inauguration des Rektors der Wiener Universität am 5. November 1919, Wien 1919, S. 21 f. Allerdings sorgte die Übernahme von Sektionschef Carl von Kelle aus der Monarchie für Kontinuität in der Unterrichtsverwaltung. Zu Tandler vgl. Birgit Nemec, Julius Tandler. Anatom – Politiker – Eugeniker, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 257–264. 23 Zu Schumpeter siehe unter anderem Christian Seidl, Schumpeter, Joseph Alois, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 11, Wien 1999, S. 370, sowie https://de.wikipedia.org/wiki/ Joseph_Schumpeter [10. April 2016]. Zu Kelsen vgl. Clemens Jabloner, Hans Kelsen – Jurist und Demokrat, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 265–270 und die dort angegebene Literatur.
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doch selbst „das Professorengehalt lag unter dem eines Bierkutschers“.24 Diese Situation, verbunden mit der von vielen Hochschulangehörigen als unerträglich empfundenen politischen Lage, bildet den Rahmen für die Konflikte jener Zeit und helfen wohl auch, ihren gewalttätigen Charakter zu erklären.25 Eine Analyse der Umgestaltung der Ressourcenkonstellationen zu dieser Zeit entlang der oben genannten Ressourcentypen zeigt folgendes Bild: Personal: Politische ‚Säuberungen‘ an den Hochschulen hielten sich nach dem Ende der Monarchie in engen Grenzen, doch verfehlten die Gründung neuer Nationalstaaten und die Vorschriften über die Nationalität von Staatsbeamten der neuen Republik ihre Wirkung auf den Lehrkörper nicht. In der Folge sind einzelne Lehrende aus Deutschösterreich beispielweise nach Prag, Brünn, Zagreb oder an die neu gegründete slowenische Universität in Ljubljana berufen worden.26 Dem stehen zum Teil folgenschwere Berufungen aus den ehemaligen Kronländern nach Deutschösterreich gegenüber, beispielsweise die Berufung Othmar Spanns von der Technischen Hochschule (TH) Brünn nach Wien 1919. Eine umfassende Untersuchung dieser kleinen, aber keineswegs unbedeutenden Elitenzirkulation steht noch aus. Als eine Art perverse Fortsetzung dieser national-völkischen Umverteilung des Lehrpersonals lassen sich die konspirativen Aktivitäten einer Professorenclique an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien gegen die Habilitation von Wissenschaftlern jüdischer Herkunft begreifen.27 Ob derartige konspirative Netzwerke auch an den anderen österreichischen Hochschulen tätig waren, ist derzeit nicht bekannt. Ebenso fehlt eine systematische Untersuchung der Situation der ausländischen bzw. zu Ausländern gewordenen Studierenden in der frühen Zwischenkriegszeit; ihr unsicherer Studien- und Aufenthaltsstatus wie die krisenhafte Wirtschaftslage gehören zum Hintergrund der unten erörterten politischen Gewalt jener Zeit. Institutionelle Wandlungen – Finanzkrise und Machtkämpfe: Nicht alle Wandlungen dieser Übergangszeit waren krisenhaft. Zu den positiven Entwicklungen gehören die von den Staatsämtern für Handel und für Unterricht unterstützte, von einem Verein getragene Umwandlung der 1898 gegründeten k. k. Exportakademie in die Hoch-
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Höflechner, Baumeister, S. 163. Siehe hierzu unten, S. 38 f. Beispiele bei Ebner, Politik und Hochschule, S. 61, und Ash, Die Universität Wien, S. 73. Siehe hierzu ausführlich Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, Kap. 4, sowie Ders., Geheimsache Bärenhöhle. Wie eine antisemitische Professorenclique nach 1918 an der Universität Wien jüdische Forscherinnen und Forscher vertrieb, in: Regina Fritz/Grzegorz Rossoliński-Liebe/Jana Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939, Wien 2016, S. 221–242.
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schule für Welthandel 191928 sowie an der TH Wien die Schaffung neuer Unterabteilungen von Instituten, später ein Budgetzuwachs und neue Bauvorhaben.29 Auf die oben erwähnte Geldentwertung antwortete man zunächst mit nominalen Gehaltserhöhungen und 1920 mit einer Neuregelung des Kollegiengeldes, die eine kaum verhüllte Abwälzung der Kosten auf die Studierenden darstellte.30 Parallel hierzu kam es seitens der Hochschulen zu beachtlichen Versuchen, Ressourcen von außerhalb des Staates zu mobilisieren, zum Teil mithilfe eigens hierfür gegründeter Vereine.31 Die Bedeutung von Hilfen aus Staaten mit harter Währung wie der Schweiz, den skandinavischen Ländern, Großbritannien und den USA erkannte man schon damals. Gleichwohl ist diese Umbruchzeit vom Versagen grundlegender Reformversuche gekennzeichnet. Im November 1920 schlugen der damalige Rektor der Wiener Universität, der Wirtschaftshistoriker Alfons Dopsch, und Hans Kelsen als Dekan der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften eine Änderung der Finanzverfassung der Hochschulen vor. Demnach sollten die Kollegiengelder den Hochschulleitungen direkt übertragen und deren Höhe von diesen selbstständig festgelegt werden. Teilnehmer an der darauf folgenden Debatte nannten diese Initiative mit einem kaum verhüllten antisemitischen Unterton ‚Lex Kelsen‘. Sie scheiterte am Einspruch der anderen Hochschulen, die einen Wiener Alleingang befürchteten.32 Am bedrohlichsten für die Machtstellung der Professorenfunktionäre waren die Auseinandersetzungen der ersten Monate nach dem Regimewechsel über die Schaffung einer neuen Selbstverwaltung an den Hochschulen. Deren Folgen waren aber letztlich ebenso wenig spürbar wie beim Personal. Die Versuche, 1919 Räte der Studierenden und der Lehrenden wählen zu lassen, waren bei den Studierenden nur kurzfristig erfolgreich, bei den anderen Gruppen der Hochschulangehörigen scheiterten sie durchweg. Vorschläge zugunsten einer ‚gewerkschaftsmäßigen Organisation‘ der Lehrenden blieben ebenfalls erfolglos.33 Glöckels Versuch, Hochschullehrerkammern mit Beratungsfunktion im Sinne einer Mitbestimmung durch Nichtprofessoren 28 Vgl. Peter Berger, Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945, wiederabgedruckt in diesem Band. 29 Vgl. Juliane Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“. Die Technische Hochschule in Wien und der Nationalsozialismus, Wien 2003, S. 8. 30 Vgl. hierzu nach wie vor Höflechner, Baumeister, S. 171. 31 Vgl. hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 69 f. An der TH Wien wurde ein solcher Verein allerdings erst 1926 gegründet; vgl. Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 8. Mangels detaillierter Forschung über den Umfang dieser Hilfen kann noch nicht gesagt werden, inwieweit sie imstande waren, den Ausfall der staatlichen Dotationen zu kompensieren. 32 Vgl. hierzu Höflechner, Baumeister, S. 173 ff. 33 Vgl. zum Beispiel UAW, Z. 943 ex 1918/19, Protokoll der Senatssitzung vom 27. Juni 1919, Bl. 56 Z. 695b; vgl. Höflechner, Baumeister, S. 122, Fußnote 48.
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einzurichten, erlitt durch die gezielte Hinhaltetaktik der Professoren Schiffbruch.34 Doch nicht nur Vorschläge von sozialistischer Seite schlugen fehl: Im Gegensatz zur 1921 erfolgten Gründung des Deutschen Hochschulverbandes kam es wegen interner Konkurrenzverhältnisse und des Misstrauens gegenüber der großen Wiener Universität nicht zur Etablierung der bereits vor dem Krieg gegründeten Österreichischen Rektorenkonferenz als oberster Vertretung der Hochschulen.35 Nachdem die Privatdozenten schon Ende 1918 in einer Eingabe auf ihre Notlage aufmerksam gemacht hatten, brachte 1920 eine neue Habilitationsordnung eine Besserstellung ihrer Rechtslage. So erhielten sie beispielsweise das Recht, bei Ablehnung eines Habilitationsansuchens seitens der Fakultät von dieser eine Begründung zu verlangen sowie um Rekurs beim Senat und – bei erneuter Ablehnung von dieser Seite – auch im Ministerium anzusuchen.36 Sie blieben jedoch weiterhin unbesoldet. Im neuen Assistentengesetz von 1919 fungierten diese nunmehr als „Staatslehrpersonen außerhalb des bestehenden Rangsystems“ und erhielten dadurch Anspruch auf eine vertragliche Anstellung mit Jahresbesoldung.37 Durch die 1922 beschlossene Novelle zum Gesetz über die Organisation der Universitäten von 187338 kam es zu institutionellen Neuerungen wie der Eingliederung der bis dahin eigenständigen Evangelisch-Theologischen Fakultät in die Universität Wien sowie zu einer geringfügigen Änderung im Rechtsstatus verschiedener anderer Teilgruppierungen des Personals und zu einer verstärkten Vertretung der außerordentlichen Professoren und Privatdozenten in den Akademischen Senaten, freilich ohne die Dominanz der Professorenfunktionäre zu gefährden; deren Rechtsstatus als akademische Behörden blieb bestehen. Im Kontext der politischen Kämpfe jener Zeit war die Bestimmung der Hochschulen als „deutsche Forschungs- und Lehranstalten“ in der Präambel des Gesetzes ein deutliches Zeichen gegen das Judentum.39 Derweil tobte nämlich ein lautstarker, häufig gewaltsamer Kampf innerhalb der Studentenschaft um die ‚Hausherrenrechte‘, die die seit 1919 so genannte Deut34 Vgl. zum Vorgang insgesamt Höflechner, Baumeister, S. 115 f. und 118, sowie unter Heranziehung weiterer Quellen Ash, Die Universität Wien, S. 67. 35 Siehe hierzu ausführlich Höflechner, Baumeister, S. 173 ff. 36 Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.), Nr. 415/1920, S. 1643–1647. Vgl. Kamila Staudigl-Ciechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung. Politik und Hochschulrecht 1848– 1945, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 454. 37 StGBl., Nr. 557/1919, S. 1292–1294. Vgl. Höflechner, Baumeister, S. 135 f., sowie StaudiglCiechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, S. 455. 38 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 546/1922, S. 1022 f.; vgl. StaudiglCiechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, S. 450 f. 39 Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 99; Staudigl-Ciechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, S. 450.
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sche Studentenschaft (DSt) gegen Ausländer und gegen nach rassistischen Kriterien definierte ‚Juden‘ ungeniert für sich in Anspruch nahm.40 Basis der Vormachtstellung der DSt waren eine formelle Allianz zwischen deutschnationalen und katholisch gesinnten Studentengruppierungen einerseits und eine informelle Allianz mit den mehrheitlich deutschnational gesinnten Professorenfunktionären andererseits. Zwar gab es auch jüdisch-nationale, sozialdemokratische und noch weiter links stehende Studentengruppen, vor allem in Wien. Doch sie wurden von der DSt mithilfe ihrer Verbündeten in den Senaten systematisch marginalisiert. Hinzu kam, dass die sozialdemokratischen Studentengruppen von der eigenen Partei, die sich eher der Arbeiterschaft verpflichtet sah, stiefmütterlich behandelt wurden.41 Die Sonderstellung des österreichischen Zweigs der DSt wurde bereits 1920 deutlich, als Anträge der Österreicher auf Einführung eines ‚Arierparagrafen‘ beim Gesamtkongress der Deutschen Studentenschaft in Würzburg wie bei der Internationalen Versammlung des Kartellverbandes der katholischen Studenten in Regensburg abgelehnt wurden.42 Ebenfalls 1920 scheiterte der Versuch, allgemeine Studentenschaftswahlen an den österreichischen Hochschulen abzuhalten, weil das damals noch von Glöckel geleitete Unterstaatssekretariat in der Frage der Wahlberechtigung auf dem Staatsbürgerschaftsprinzip bestand. Nach dem Regierungswechsel im selben Jahr kam es jedoch faktisch zur Anerkennung der DSt als Studentenvertretung durch die Akademischen Senate, die von ministerieller Seite nicht beanstandet wurde. An den Hochschulen außerhalb Wiens scheinen allerdings die Auseinandersetzungen innerhalb des deutschnationalen Lagers zwischen Korps- und anderen Studenten sowie zwischen diesen und den katholischen Verbindungen eher vorrangig gewesen zu sein.43 Im politischen Kontext gesehen sind diese Konflikte in ihrer Gesamtheit unschwer als Teile des auf so gut wie allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens ausgetragenen Kampfes um die Identität des neuen Staates zu erkennen. 40 Zum Folgenden vgl. für die Universität Innsbruck Michael Gehler, Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918–1938, Innsbruck 1990; für Wien Brigitte Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien 1990 sowie jetzt auch Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, Kap. 3; zur Hochschule für Bodenkultur Ebner, Politik und Hochschule, Abs. 1.3. Für Graz vgl. Hans Peter Weingand, Die Technische Hochschule Graz im Dritten Reich. Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an einer Institution, Graz 1988, Kap. 3, sowie Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Abs. 2.2.1. 41 Vgl. hierzu im Detail Helge Zoitl, „Student kommt von Studieren!“ Zur Geschichte der sozialdemokratischen Studentenbewegung in Wien, Wien/Zürich 1992. 42 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, S. 71, 75, 80; Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 66. 43 Vgl. hierzu bereits Gehler, Studenten und Politik, passim.
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Diese Macht- und Verteilungskämpfe hatten eine durchaus reale Grundlage in einem starken Anstieg der Studierendenzahlen zu dieser Zeit, der sowohl auf die Kriegsheimkehrer als auch auf den Verbleib vieler Migranten aus den ehemaligen Ostprovinzen der Monarchie, vor allem in Wien, zurückzuführen ist.44 Während sich die Rektoren immer wieder über eine „Überflutung“ durch ausländische, insbesondere jüdische Studierende beklagten,45 erhob die DSt, möglicherweise inspiriert durch die Einführung eines Numerus clausus in Ungarn 1920,46 Forderungen nach Zugangsbeschränkungen für Studierende jüdischer Herkunft. Im November 1922 forderten ihre Vertreter bei Studierenden und Lehrenden der Universität Wien einen dem Anteil der Juden in der Bevölkerung Wiens entsprechenden Numerus clausus von 10 %; dafür erhielt die DSt vonseiten des amtierenden Rektors der Universität, des Geologen Karl Diener, Unterstützung in der Öffentlichkeit.47 Diener bedauerte zwar, dass die Einführung eines Numerus clausus bei den Lehrenden nicht möglich sei, weil nach den geltenden Habilitationsvorschriften „ausschließlich die wissenschaftliche Qualifikation“ ausschlaggebend sei.48 Er weckte aber die Hoffnung auf eine solche Regelung für die ausländischen Studierenden jüdischer Herkunft. Dazu kam es denn auch, wenngleich nur indirekt. Der Senat der Universität Wien beschloss eine Verschärfung der Aufnahmebedingungen für Hörer aus den osteuropäischen Staaten;49 die Regelungen an der TH Wien und der Hochschule für Bodenkultur gingen sogar darüber hinaus.50 In leichter Abweichung davon bemühte man sich an der Universität Graz nach einem anfänglichen Boykott der neuen slowenischen Universität in Ljubljana um eine erhöhte Attraktivität für Studierende aus südosteuropäischen Ländern.51 44 Vgl. Taschwer, „Ein seltsamer Körper“ und Ders., Hochburg des Antisemitismus. Differenzierend sei hinzugefügt, dass die Auseinandersetzungen sich auch auf ausländische Studierende nichtjüdischer Herkunft bezogen. Nach Zoitl („Student kommt von Studieren!“, S. 105) wurde von den deutschnationalen Studierenden das Schlagwort „Nicht-Deutsche“ durch „Nicht-Arier“ aber bereits während des Krieges „einfach ausgetauscht“. 45 Beispiele bei Ebner, Politik und Hochschule, S. 62, und Ash, Die Universität Wien, S. 75. 46 Hierzu vgl. Mária Kovács, The Numerus Clausus in Hungary, 1920–1945, in: Fritz/RossolińskiLiebe/Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica, S. 85–112. 47 Siehe hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 79, und Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 67 f. 48 Karl Diener, Das Memorandum der deutschen Studentenschaft, in: Reichpost vom 10. Dezember 1922. 49 Bericht über das Studienjahr 1922/1923, erstattet von Dr. Karl Diener, in: Die Feierliche Inauguration des Rektors der Wiener Universität für das Studienjahr 1923/1924 am 29. Oktober 1923, Wien 1923, S. 6. 50 Ash, Die Universität Wien, S. 79 f.; Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 82; Ebner, Politik und Hochschule, S. 40 f.; Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 11 f. 51 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 98, 100, 111.
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Die Kontroverse um den Numerus clausus brachte eine grundsätzliche Ambivalenz zum Ausdruck, die für die Hochschulinnenpolitik in dieser Umbruchzeit und danach charakteristisch blieb: Einerseits hatten die Professorenfunktionäre unter Eid geschworen, dem neuen Staat treu zu dienen, und zur Aufrechterhaltung der Gesetze waren sie durch ihre Stellung als akademische Behörde ohnehin verpflichtet. Andererseits waren sie mehrheitlich Gegner der Republik. Diskurse: Zum Kampf um diskursive Ressourcen gehörte eine harte Konkurrenz um die Deutungshoheit über wesentliche politische Termini. Einerseits wurden die Vorlesungen Othmar Spanns über den „wahren Staat“ und die dort vertretene ‚ganzheitliche‘, korporatistische Auffassung von Staat und Gesellschaft begeistert aufgenommen, und zwar nicht nur in Studentenkreisen. Andererseits fanden parallel dazu die kurze Demokratieschrift Hans Kelsens und die darin enthaltenen Thesen weite Verbreitung, dass Demokratie und Rechtsstaat zusammengehören und auf dem Wert der Freiheit des Menschen sowie dem Verzicht auf die Behauptung absoluter Wahrheiten beruhen.52 Im Kampf um den Numerus clausus spielten die Printmedien als Sprachrohr der beteiligten Gruppierungen, aber auch als Mitgestalter des Geschehens eine wichtige Rolle: Während die Reichspost als Organ der konservativ-reaktionären Professoren fungierte, setzte vor allem die NS-nahe Deutschösterreichische Tages-Zeitung auf die Verbreitung einer rassistischen Durchformung des Volksbegriffs. Diese Praxis blieb jedoch bei liberalen Zeitungen wie der Neuen Freien Presse oder der sozialistischen Arbeiter-Zeitung nicht unwidersprochen.53 Eine prominente Rolle im Kampf um die diskursive Vorherrschaft spielte die deutschnational geprägte Vergangenheitspolitik an den Hochschulen. Sie manifestierte sich in der Bevorzugung von Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der deutschen Reichsgründung von 1871 gegenüber der Feier des Gründungstages der Republik sowie durch Protestkundgebungen gegen die Besetzung des Rheinlandes und des Ruhrgebietes 1923 durch französische und belgische Soldaten.54 Zum Mittel52 Othmar Spann, Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau des Staates, Leipzig 1921; Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1920 bzw. 19292. Die beiden Gelehrten bekämpften sich nicht nur diskursiv in der Öffentlichkeit, sondern überzogen sich in diesen Jahren auch gegenseitig mit Disziplinarverfahren. Vgl. Kamila Staudigl-Ciechowicz, Disziplinarrecht, in: Thomas Olechowski/Tamara Ehs/Dies., Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938, Göttingen 2014, S. 82–85. 53 Klaus Taschwer, Nachrichten von der akademischen Kampfzone. Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen, 1920–1933, in: Margarete Grandner/Thomas König (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 3: Reichweiten und Außensichten. Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche, Göttingen 2015, S. 99–126. 54 Vgl. hierzu bereits Helge Zoitl, Akademische Festkultur, in: Franz Kadrnoska (Hg.), Aufbruch und
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punkt des Symbolkampfes und der Krawallaktionen deutschnationaler Studierender an der Universität Wien wurde das am 9. November 1923 – ausgerechnet am Tag des Hitler-Putsches in München – eingeweihte Gefallenendenkmal, der sogenannte Siegfrieds-Kopf in der Aula des Hauptgebäudes der Universität Wien.55 Andere Hochschulen richteten ihre Kriegsdenkmäler erst später ein, pflegten aber dieselbe Tendenz zum ‚Helden‘-Gedenken versus Trauer um die menschlichen Verluste des Krieges oder gar darum, dass der Krieg überhaupt stattgefunden hatte.56 Parolen wie ‚Freiheit der Forschung‘ und ‚Autonomie der Hochschule‘ wurden in den Auseinandersetzungen dieser Zeit immer wieder bemüht, ihre Vieldeutigkeit war jedoch offenkundig. Unter den deutschnationalen Studierenden war der Topos ‚Autonomie‘ eine Chiffre für die Selbstermächtigung, auf Minderheiten auf akademischem Boden nach Belieben einzuprügeln, ohne polizeilich belangt zu werden.57 Für Sozialdemokraten wie Ludo Moritz Hartmann stand diese Parole denn auch für die Vorherrschaft einer „im Wesentlichen unkontrollierbaren Clique“, während die hiermit angesprochenen Professorenfunktionäre solche Kritik wiederum als Politisierung der Universität brandmarkten.58 Die Vorherrschaft der mehrheitlich konservativ-reaktionären Professorenfunktionäre war jedoch bereits in den 1920er Jahren durch die Unfähigkeit der Rektoren und Senate, gegen die studentischen Krawallmacher effektiv vorzugehen, geschwächt. Ob ihre Vormachtstellung tatsächlich aufrechtzuerhalten war, entschieden die Ereignisse der frühen 1930er Jahre. 1933/34
Zu Beginn der 1930er Jahre stand Österreich wieder unter dem Vorzeichen einer katastrophalen Wirtschaftslage. Infolge des Kollapses der Wiener Creditanstalt und des darauf folgenden Zusammenbruchs der Staatsfinanzen kam es zu Kürzungen im Gesamtbudget der Republik und daher zu starken Dotationskürzungen an den Hochschulen. Diese versuchte man wie in den frühen 1920er Jahren durch eine Erhöhung bestehender Studiengebühren sowie mit neu eingeführten Zuschlägen zu kompensie-
Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938, Wien 1981, S. 167–204. 55 Vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 80 f. und die dort angegebene Literatur. 56 Vgl. beispielsweise Ebner, Politik und Hochschule, S. 56; Höflechner, Geschichte der Karl-FranzensUniversität Graz, S. 87. 57 Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, passim. 58 Ludo Moritz Hartmann, Grundlagen einer Universitätsreform. Vortrag, gehalten in der Vereinigung sozialistischer Hochschullehrer, in: Der Kampf 7 (1924), S. 142–145, zit. nach Feichtinger, Die verletzte Autonomie, S. 264.
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ren.59 Das reichte jedoch bei Weitem nicht aus. Ab Herbst 1933 kam es auf mehreren Ebenen zu Kürzungen im Personalbereich; im Haushaltsjahr 1933/34 wurden an den österreichischen Hochschulen 119 Lehrkanzeln nicht nachbesetzt.60 Die vorher beschlossene Versetzung von Beamten auf Wartegeld (das heißt ihre vorübergehende Versetzung in den Ruhestand bis zum Pensionsalter) wurde auf Hochschullehrer ausgedehnt, die Aufnahme von Frauen in den Staatsdienst überhaupt für „unzulässig“ erklärt und ihre Eheschließung mit einem „freiwilligen Dienstaustritt“ gleichgesetzt.61 Die Wirtschaftskrise gab den Ansporn zum rasanten Aufstieg des 1926 gegründeten Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) in Österreich. Dessen Aktivismus wurde zu einer „kalkulierten Eskalation“ mit dem Ziel, die Allianz der deutschnationalen und katholischen Fraktionen in der DSt zu brechen.62 Die Taktik hatte Erfolg. Bereits 1931 wurde der NSDStB bei den Studentenschaftswahlen an der Universität Wien, der Hochschule für Bodenkultur und der Technischen Hochschule Wien – wie auch an der Universität Berlin zur gleichen Zeit – die stärkste Fraktion; an der Tierärztlichen Hochschule erreichte er sogar die absolute Mehrheit, an der TH Wien lag er nur knapp darunter. Auf der Gesamtversammlung der Deutschen Studentenschaft in Graz im Juli 1931 errang der NSDStB ebenfalls die Mehrheit.63 Zum endgültigen Bruch mit den Studierenden des Cartellverbands (CV) kam es jedoch erst nach Krawallen in den Wiener Sophiensälen im Dezember 1932.64 Die Krawalltaktik der NS-Studierenden war wohl auch Teil einer Umsturzstrategie der österreichischen Nationalsozialisten gegen die Republik insgesamt, und tatsächlich erlangten die Studentenkämpfe dieser Zeit eine allgemeinpolitische Bedeutung, die sie bis dahin nicht gehabt hatten. An den Hochschulen, vornehmlich in Wien, verprügelten die nationalsozialistischen Studenten mehrfach diejenigen, die sie für ‚Juden‘ hielten. Deshalb musste oftmals der Legitimierungszwang oder gar die tagelange Schließung der Einrichtungen angeordnet werden. Mitverantwortlich dafür waren die damals amtierenden Wiener Rektoren Wenzeslaus Gleispach, Hans Ue59 60 61 62
Vgl. Höflechner, Baumeister, S. 397 und Fußnote 34. Ebd., S. 402, Fußnote 67. BGBl., Nr. 545/1933, S. 1464; vgl. Höflechner, Baumeister, S. 484 f. Kurt Bauer, Schlagring Nr. 1. Antisemitische Gewalt an der Universität Wien von den 1870er- bis in die 1930er-Jahre, in: Fritz/Rossoliński-Liebe/Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica, S. 137–160. Die naheliegende Frage nach einer Verbindung der beiden NSDStB-Organisationen in Deutschland und Österreich ist noch nicht im Detail erforscht. 63 An der TH Graz konnten die Wahlen durch manipulatives Manövrieren um ein Jahr verschoben werden; vgl. Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 9. 64 Zum Folgenden vgl. Höflechner, Baumeister, Abs. 2.2.2., sowie neuerdings Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, Kap. 5.
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bersberger und Othenio Abel, die unverhohlen Sympathie für die Nazistudenten an den Tag legten.65 Gerade diese Haltung bereitete den Boden für die Aushöhlung der Autonomie der Hochschulen, die – wie die Auflösung der Ersten Republik und die Einrichtung der ersten österreichischen Diktatur insgesamt – nicht schlagartig, sondern in mehreren Phasen vollzogen wurde. Die erste Phase setzte nach einer Reihe von kaum verhohlenen Siegesfeiern ein, die an den Hochschulen anlässlich der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler Anfang Februar 1933 stattfanden. Sie bestand im Wesentlichen aus reaktiven Einzelmaßnahmen, zuletzt in der eine Woche nach dem Verbot der NSDAP verfügten Einrichtung von provisorischen Polizeiwachen in den Aulen der Hochschulen.66 Ab Mai erließ die Bundesregierung erste Maßregelungen gegen Beamte unter Einschluss der Hochschullehrenden wegen Verletzung des Diensteides (womit die NSDAP-Mitgliedschaft gemeint war) oder „exponierter politischer Haltung“.67 Schließlich erlaubte eine Verordnung vom September 1933 die Beurlaubung und Versetzung von Lehrenden ohne besondere Begründung.68 Einem Artikel der Wiener Juristen Gleispach, Max Layer und Leopold Zimmerl gegen diesen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit schlossen sich zunächst mehrere Akademische Senate wie auch die Rektorenkonferenz zaghaft an. Doch die Kündigung bzw. Zwangspensionierung der Protestierenden, beginnend im Oktober mit Gleispach,69 setzte jedem öffentlichen Protest bald ein Ende. Die zweite Phase des Aushöhlungsprozesses wurde nach den Kämpfen gegen den Republikanischen Schutzbund im Februar 1934 und insbesondere nach dem nationalsozialistischen Juliputsch und der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß eingeleitet. Nun griff das Regime in aller Härte auch an den Hochschulen durch, beispielsweise durch das Bundesgesetz betreffend Maßnahmen an Hochschulen vom 7. August 1934.70 Mehrere Professoren und Studierende wurden unter dem Vorwurf der Beteiligung am Juliputsch festgenommen. Das Bundesgesetz zur Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden der Hochschulen vom 6. September 1934 überantwortete die Durchsetzung von ‚Recht und Ordnung‘ einem von der 65 Zur entgegengesetzten Haltung des Grazer Rektors Hans Benndorf vgl. Höflechner, Baumeister, S. 473 ff. 66 Vgl. etwa Ebner, Politik und Hochschule, S. 72 f.; Höflechner, Baumeister, S. 445–462; Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 110. 67 Vgl. hierzu Höflechner, Baumeister, S. 462 ff., sowie Staudigl-Ciechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, S. 452. 68 BGBl., Nr. 445/1933, S. 1095. 69 Rektor Gleispach pensioniert, in: Der Abend vom 5. Oktober 1933. Vgl. Höflechner, Baumeister, S. 476 f. 70 Vgl. hierzu Höflechner, Baumeister, S. 502 f. Das Gesetz ist abgedruckt im Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich (BGBl.), Nr. 208/1934, S. 500 f.
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Regierung eingesetzten Kommissär. Die Ahndung von Vorwürfen der Teilnahme von Studierenden am Juliputsch wurde der Polizei übertragen; den Akademischen Senaten überließ man nur die Ahndung der ‚kleineren Delikte‘.71 Erst in der dritten Phase kam es – nachdem das autoritäre Regime sich fest im Sattel wähnte – zur Beseitigung der Reste der Eigenständigkeit der Hochschulen. Das Hochschulermächtigungsgesetz vom 1. Juli 1935 – betitelt nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917, mit dessen Hilfe 1933 das Parlament ausgeschaltet und die Diktatur etabliert worden war – sah umfangreiche Eingriffsrechte für die Regierung bzw. für das jeweils zuständige Ministerium an den Hochschulen vor. Mit dem Hochschulerziehungsgesetz vom selben Datum wurde der Zweck dieser Einrichtungen „außer der Pflege von Lehre und Forschung“ um die „Erziehung der Studierenden zu sittlichen Persönlichkeiten im Geiste vaterländischer Gemeinschaft“ eweitert, also im Sinne der Diktatur neu festgelegt.72 Was bedeuteten diese Entwicklungen für die Umgestaltung der Ressourcen konstellationen nach Ressourcentypen für den Umbruch von 1933/34? Personal: Den Auftakt eines tief greifenden Personalumbaus an den Hochschulen stellten die Stellenkürzungen von 1931 und die Einführung eines verpflichtenden Pensionierungsalters für Professoren im folgenden Jahr dar. Hinzu kamen die ersten Disziplinarmaßnahmen gegen Lehrende nach dem Verbot der NSDAP und Maßregelungen gegen Studierende nach den Ereignissen vom Februar und Juli 1934. In der ersten Hälfte der 1930er Jahre potenzierten sich also die Entlassungsgründe für die Lehrenden; zu einer Potenzierung mehrerer Entlassungsgründe sollte es – wie im Einzelnen noch gezeigt wird – auch in den folgenden Regimewechseln in einer jeweils anderen Form kommen. Insgesamt führten die Budgetmaßnahmen und die politisch motivierten Entlassungen im engeren Sinne zwischen 1933 und 1936 zu einer Verminderung der Anzahl der Stellen an den Hochschulen. Der amtlichen Statistik zufolge büßten die Hochschulen insgesamt 34,8 % an Personal ein; an der Universität Wien, der größten Hochschule des Landes, betraf die Reduktion des Lehrkörpers zwischen 1933 und 1938 etwa ein Viertel der Professorenstellen.73 Wegen der wohl bewussten Vermengung politi71 BGBl., Nr. 232/1934, S. 554–556. 72 BGBl., Nr. 266/1935 und Nr. 267/1935, S. 965–968, hier S. 966. Zu den beiden Gesetzen vgl. im Detail Staudigl-Ciechowciz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung. 73 Höflechner, Baumeister, S. 480, Fußnote 56; Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 167. In Innsbruck war der Verlust bis 1935 ähnlich hoch, doch kam es im Folgejahr zu einer Aufstockung der Stellen um 14 %; vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 161. Im starken Kontrast hierzu sind Weingand zufolge (Die Technische Hochschule Graz, S. 19) Maßnahmen gegen Nationalsozialisten an der TH Graz „nicht nachweisbar“.
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scher ‚Säuberungs‘- und budgetärer Sparmaßnahmen ist bis heute nicht in allen Fällen klar, worauf die Versetzungen in den Warte- bzw. den Ruhestand jeweils zurückzuführen waren. Dabei hielt sich unter der neuen Diktatur die Zahl der von den Hochschulen entfernten Sozialdemokraten unter den Professoren in engen Grenzen.74 Im akademischen Mittelbau waren zwar mehrere Sozialdemokraten von Kündigungen betroffen,75 der Schwerpunkt der politischen ‚Säuberungen‘ lag aber bei den Nationalsozialisten. An der Universität Wien sind allein im Studienjahr 1933/34 30 Lehrende, darunter 19 Professoren, aus dem Amt entfernt worden; unter ihnen waren alle die oben genannten prominenten NS-Sympathisanten.76 An der ‚Bodenkultur ‘ wurde sogar mehr als ein Viertel (sechs von 23) der Professoren, ein Fünftel der Privatdozenten und ein Drittel der Honorardozenten entlassen.77 Die Entfernung der NS-Sympathisanten bedeutete jedoch keineswegs eine Beendigung ihrer Karrieren. Im Gegenteil: Viele von ihnen nahmen sehr bald einen Ruf an eine Hochschule im ‚Dritten Reich‘ an.78 Eine Studie über diese Elitenzirkulation zwischen den beiden Diktaturen liegt nicht vor. Wer daran nicht teilhatte und nicht jüdischer Herkunft war, musste sich aber um die Karriere nicht allzu lange Sorgen machen. Nach dem Juliabkommen von 1936, mit dem die Regierung von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg das Verhältnis zum Deutschen Reich verbessern wollte, ließ man mehrere suspendierte Professoren 74 Vgl. hierzu Leena Eichberger, Politisch motivierte Disziplinarverfahren und Entlassungen an der Universität Wien zur Zeit des Austrofaschismus. Eine Bestandaufnahme für das Aktenjahr 1934, in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, Wien 2013, S. 313–328. 75 Für Einzelheiten siehe Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 186 ff. 76 Bericht über das Studienjahr 1933/34, erstattet von Prof. Dr. Ernst Tomek, Wien 1935, S. 5. Allerdings weist Taschwer darauf hin, dass von den 19 entfernten Professoren elf jüdischer Herkunft waren (Hochburg des Antisemitismus, S. 185). Für aktualisierte Angaben zu den anderen österreichischen Hochschulen siehe die einschlägigen Beiträge in diesem Band. 77 Ebner, Politik und Hochschule, S. 96 f. Siehe auch unten, S. 272. 78 Einige brachten es sogar zur Rektorswürde, zum Beispiel der aus Innsbruck entlassene Friedrich Metz in Freiburg i.Br., Leopold Zimmerl in Marburg (Anne C. Nagel [Hg.], Die Phillips-Universität im Nationalsozialismus. Dokumente zu ihrer Geschichte, Stuttgart 2000, S. 326 ff.) und der von der ‚Bodenkultur ‘ entlassene Leopold Kölbl in München (Ebner, Politik und Hochschule, S. 102). Othenio Abel wurde nach Göttingen berufen, Gleispach und Uebersberger gingen nach Berlin. Der Jurist Karl Gottfried Hugelmann, der wegen des Verdachts einer Beteiligung am Juliputsch von der Polizei festgenommen wurde, entging einer Haftstrafe und einem Disziplinarverfahren dadurch, dass er nach Münster berufen wurde (vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 99 f.). Der Physiologe Friedrich Plattner, selbsternannter ‚Gauleiter von Tirol‘, wurde infolge einer Intervention aus Berlin aus dem Anhaltelager Wöllersdorf auf eine Professur nach Königsberg berufen; über diesen bislang unbekannten Vorgang vgl. die Personalunterlagen Plattners im Bundesarchiv Berlin (BArch), DS (ehemaliger BDC-Bestand), Sign. A0052, REM-Pakte P179, Bl. 5455–5470.
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in ihre Ämter zurückkehren. Andere blieben aus bis heute nicht geklärten Gründen unangetastet.79 Sofern die durch ‚Säuberungen‘ vakant gewordenen Stellen überhaupt von der Regierung freigegeben wurden, kam es häufig zu politisch bestimmten Nachbesetzungen wie in den Fällen der Professuren von Heinrich Gomperz und Julius Tandler in Wien.80 Eine vergleichende Untersuchung dieser Praxis an mehreren Hochschulen liegt noch nicht vor. Ebenso wenig bekannt sind Gesamtangaben zu den relegierten Studierenden. Deshalb können die Folgen der Disziplinarmaßnahmen gegen die Studierenden für die personelle Zusammensetzung der Studentenschaft nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden. Institutionelle Ressourcen: Als gescheiterte Strukturmaßnahme ist der Zusammenschluss der TH Graz und der Montanhochschule Leoben zur ‚Technischen und montanistischen Hochschule Graz–Leoben‘ durch das bereits erwähnte Bundesgesetz vom 7. August 1934 anzuführen. Der Zusammenschluss funktionierte jedoch nicht und wurde am 3. April 1937 rückgängig gemacht.81 Erfolgreicher war die schrittweise Rücknahme der den Hochschulen verliehenen Selbstverwaltungsrechte und ihre Übertragung an die zuständigen Ministerien. Den Anfang machten bereits die Auflösung der Deutschen Studentenschaft und die darauf folgende Einführung der sogenannten Sachwalterschaft der Österreichischen Hochschülerschaft im September 1933. Die neue Einrichtung war dem Unterrichtsministerium unterstellt und durch keine Studentenwahlen legitimiert. Noch radikaler war die am 26. April 1934 per Verordnung erfolgte Übernahme der Amtsgeschäfte der Hochschule für Bodenkultur durch den Referenten im Unterrichtsministerium, Otto Skrbensky, die vorgeblich als Einsparung, tatsächlich aber infolge der fortwährenden Studentenunruhen an dieser Hochschule vorgenommen wurde.82 Mit Erlass vom Juni 1934, das heißt einen Monat nach der Verkündung der neuen Verfassung, mit der sich Österreich zu einem „christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage“ machte, und dem gleichzeitigen Inkrafttreten des Bundesgesetzes betreffend die „Vaterländische Front“ (VF), verfügte das Ministerium, dass nur VF-Mitglieder akademische Ämter innehaben durften.83 Infolge des oben erwähnten Hochschulermächtigungsgesetzes vom 1. Juli 1935 wurden die bereits eingerichteten Polizeiwachen in den Aulen zu dauer79 Beispiele finden sich bereits bei Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 19; siehe auch Ash, Die Universität Wien, S. 100. 80 Vgl. Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 185, 195 und die dort angegebene Literatur. 81 Höflechner, Baumeister, S. 502; Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 18 f. 82 Ebner, Politik und Hochschule, S. 82 f. 83 Höflecher, Baumeister, S. 511. Die erwähnte Bundesverfassung ist abgedruckt in BGBl., Nr. 1/1934, S. 1–32, das Gesetz zur VF in ebd., Nr. 4/1934, S. 53 f.
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haften Einrichtungen. Darüber hinaus wurden die zuständigen Ministerien ermächtigt, in vielen Bereichen wie Prüfungs- und Anrechnungsfragen Bestimmungen zu treffen, die bislang den Fakultäten und Akademischen Senaten vorbehalten waren. Rektoren und Senate wurden zwar weiterhin gewählt, ihre faktischen Befugnisse waren jedoch erheblich eingeschränkt. Wie schon erwähnt, erklärte das zweite Gesetz vom 1. Juli 1935 die ‚Erziehung der Studierenden‘ im Sinne der Diktatur zum Ziel der Hochschulen und schrieb zu diesem Behufe Vorlesungen zur weltanschaulichen Erziehung sowie die Beteiligung an Studentenlagern zur Schaffung eines „neuen österreichischen Menschen“ vor.84 Fragt man jedoch nach den tatsächlichen Folgen dieser Maßnahmen, so ist eine Kluft zwischen ihrer programmatischen Stoßrichtung und ihrer Realisierung zu konstatieren, die nicht allein auf die kurze Dauer des Regimes zurückgeführt werden sollte. Schon das Gerangel um die Besetzung der Disziplinargerichte ist ein Beispiel für die begrenzte Funktionstüchtigkeit der Diktatur.85 Es scheint den neuen Ordnungshütern an den Hochschulen nicht gelungen zu sein, sich gegen Aktionen der im Untergrund agierenden nationalsozialistischen wie sozialrevolutionären Studenten durchzusetzen. Immer wieder waren Störaktionen zu vernehmen; sie reichten von Böllerexplosionen und lautem Treten in der Weltanschaulichen Pflichtvorlesung an der TH Graz bis zu einer Anschlagsserie an der ‚Bodenkultur‘.86 Dabei ist eine gewisse Asymmetrie festzustellen: Während Sozialrevolutionäre und Kommunisten nur im Untergrund tätig waren und ständig mit Verhaftung rechnen mussten – die im Falle der Wiener Sozialwissenschaftler Marie Jahoda und Hans Zeisel im März 1936 tatsächlich geschah87 –, konnten sich Nazistudenten durch Integration in nationale Korporationen frei bewegen und an Schulungen, Schießkursen und Wehrübungen teilnehmen.88 Infolge des Berchtesgadener Abkommens vom 12. Februar 1938, das heißt auf Druck aus Deutschland, erließ die österreichische Regierung am 17. Februar 1938 für die an den Disziplinargerichten belangten Studierenden eine Amnestie. Unbekannt ist auch, wie viel durch die Studentenlager erreicht wurde, die nicht mehr als zwei Mal durchgeführt wurden.89
84 Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 62 (2014), S. 377–396. 85 Vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 103. 86 Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 16 f., 22; Ebner, Politik und Hochschule, S. 85 ff. 87 Vgl. hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 107 und die dort angegebene Literatur. 88 Albert Massiczek, Die Situation an der Universität Wien März/April 1938, in: Felix Czeike (Hg.), Wien 1938, Wien 1978, S. 218. 89 Ehs, Der „neue österreichische Mensch“.
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Diskurse und Symbole: Am Beginn des Umbruchs von 1933/34 steht ein bewusster Verzicht auf symbolträchtige Rituale: Nach den oben erwähnten Eingriffen des Staates in die Belange der Hochschulen vom März und Juli 1933 verbot Vizekanzler und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg mit Erlass vom 30. September „mit Rücksicht auf die besonderen Zeitverhältnisse“ für alle Hochschulen die Feierliche Inauguration des Rektors.90 Die Zeremonie wurde erst zehn Jahre später unter völlig anderen politischen Vorzeichen wieder abgehalten. Anders verhielt es sich mit der Symbolik bei der Umbenennung des Abschnitts der Wiener Ringstraße, an dem das Hauptgebäude der Universität steht, in Dr.-Karl-Lueger-Ring. Damit wurde der ehemalige christlichsoziale Bürgermeister von Wien geehrt, den man als politischen Ahnherrn begriff und der sich als Stratege des politischen Antisemitismus hervorgetan hatte. Bezeichnend für die spätere Phase der Festigung des Regimes waren die Worte von Unterrichtsminister Hans Pernter und von Kardinal Theodor Innitzer bei der Eröffnung des neuen Auditorium maximum an der Wiener Universität am 14. Dezember 1936. Innitzer nahm die Einweihung des Saales in der Hoffnung vor, „es möge sich von hier aus christliche Weltanschauung in die Herzen der akademischen Bürger senken“, und Pernter hielt fest, dass „der Staat von den Hochschulen erwarte, dass sie der Idee des neuen Staates dienen“.91 Das große Kreuz an der Wand gab die neue Richtung in aller Deutlichkeit vor, die vorgesehene Funktion des Raumes als Ort der verpflichtenden Weltanschauungs-Vorlesungen wurde in den Ansprachen eigens hervorgehoben. Wie im vorhergehenden politischen Umbruch entfaltete sich auch während und nach der Errichtung der ersten österreichischen Diktatur ein Kampf um bestimmte Schlüsselworte; diesmal gebührte der Parole ‚Österreich‘ der Vorrang. Dabei war wieder eine gewisse Ambivalenz feststellbar. Auf der einen Seite zeichnete die von dem einflussreichen Historiker Heinrich Srbik und gleichgesinnten Kollegen seit den 1920er Jahren vertretene ‚gesamtdeutsche Geschichtsauffassung‘ das alte Deutsche Reich als Vorbild für ein völkisch aufgefasstes, unter der Vorherrschaft ‚germanischer‘ Stämme stehendes und durch katholische Kaiser regiertes Mitteleuropa. Für die Gegenwart schrieb man jedoch weniger Österreich als dem Deutschen Reich die Führungsrolle bei der Errichtung einer Friedensordnung in der Region zu, beispielsweise in dem von Srbik und dem Neugermanisten Josef Nadler herausgegebenen Sammelwerk Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum (1936).92 90 Erlass vom 30. September 1933, Zl. 26527-I/1, zit. nach dem Bericht über das Studienjahr 1932/1933, erstattet von Othenio Abel, Wien 1934, S. 15. 91 Zit. nach Kurt Mühlberger, Palast der Wissenschaft. Ein historischer Spaziergang durch das Hauptgebäude der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis, Wien 2007, S. 158. 92 Josef Nadler/Heinrich von Srbik (Hg.), Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum, Salzburg/Leipzig 1936. Vgl. Gernot Heiß, Zwischen Wissenschaft und Ideologieproduktion. Geschichte
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Der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 12. März 1938 und Hitlers Ankunft in Linz wurden mit „Jubel ohne Ende!“ gefeiert, wie es in einer Grußbotschaft des Innsbrucker Geologieprofessors und späteren Rektors Raimund Klebelsberg an den Freiburger Rektor Friedrich Metz hieß.93 Wie eine makabre Reminiszenz an den Regimewechsel 1918 verlief eine Sondersitzung des Senats der Universität Wien am 13. März, deren einziger Tagesordnungspunkt ein Grußwort an den Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart war.94 Bei seiner Ansprache zur Wiedereröffnung der TH Wien am 20. April flehte der dortige Rektor sogar „den Segen des Himmels“ auf Adolf Hitler herab.95 Der ‚Anschluss‘ verlief an den Hochschulen jedoch keinesfalls so einheitlich und reibungslos, wie solche Aussagen suggerierten oder wie er in der Forschungsliteratur seit Langem dargestellt wird.96 Sowohl Verlauf als auch Folgen der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich waren an den österreichischen Hochschulen durchaus unterschiedlich.97 Im Sinne analytischer Konsistenz werden im Folgenden für den Umbruch von 1938 die drei Ressourcentypen weiterhin ge-
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an der Universität Wien 1848 bis 1965, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 317. Zu Srbik als Nationalsozialist siehe Martina Pesditschek, Heinrich (Ritter von) Srbik (1878– 1951). „Meine Liebe gehört bis zu meinem Tod meiner Familie, dem deutschen Volk, meiner österreichischen Heimat und meinen Schülern“, in: Karel Hruza (Hg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Bd. 2, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 263–328. Peter Goller/Georg Tidl, „Jubel ohne Ende …!“ Die Universität Innsbruck im März 1938. Zur Nazifizierung der Tiroler Landesuniversität, Innsbruck 2011, S. 5. UAW, Z. 665 ex 1937/38, Senatsprotokoll VI, 12. März 1938, zit. nach Ash, Die Universität Wien, S. 109. Zit. nach Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 19. Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“. Österreichs Hochschulen und Universitäten und das NS-Regime, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien 2000, S. 549–569. Die scheinbar unkritische Übernahme eines von Eigenlob getragenen Berichtes des Wiener Rektors Fritz Knoll im Titel, die Tendenz, die Universität Wien pars pro toto abzuhandeln, und die fehlende Einbeziehung jeglicher Literatur über die polykratische Realverfassung des ‚Dritten Reiches‘ beeinträchtigen diesen ansonsten noch immer brauchbaren Einführungstext. Vgl. zum Folgenden vor allem die bereits genannten Arbeiten: Weingand, Die Technische Hochschule Graz; Berger, Hochschule für Welthandel; Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“; Ebner, Politik und Hochschule; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Abs. 2.4 sowie Juliane Mikoletzky, „Mit ihm erkämpft und mit ihm baut deutsche Technik ein neues Abendland“. Die Technische Hochschule Wien in der NS-Zeit, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖGZ) 10 (1999), S. 51–70; Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Geschichte der Universität Innsbruck (1669–1945), Frankfurt a.M. u.a. 19962, S. 315–329. Außerdem sei auf die entsprechenden Beiträge in diesem Band verwiesen.
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trennt voneinander untersucht, auch wenn bald klar werden wird, wie eng sie in diesem Fall ineinander verzahnt waren. Personen: Die Vertreibungen begannen bereits am 23. März 1938 mit der Vereidigung der Beamtenschaft unter Einschluss der Professoren. Wer zur Vereidigung zugelassen war, wurde durch eine Kundmachung des Reichsstatthalters vom 15. März festgelegt. Darin hieß es explizit, dass jüdische Beamte im Sinne der ‚Nürnberger Rassengesetze‘ nicht zu vereidigen waren.98 Parallel hierzu wurden Dutzende Hochschullehrer von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Diesen Vorentscheidungen folgte die massenhafte ‚Beurlaubung‘ von Lehrenden, ihre Versetzung in den Ruhestand oder die Entlassung nach Maßgabe des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sowie der ‚Nürnberger Gesetze‘, die durch eine entsprechende Verordnung erst nachträglich am 31. Mai 1938 legalisiert wurde. Am selben Tage wurde allen ‚nicht arischen‘ Lehrbeauftragten die Venia legendi aberkannt. Bis auf die zuletzt genannte Maßnahme handelte es sich nicht um hochschul-, sondern um staatspolitische Handlungen. Ihre verheerenden Folgen für die österreichischen Hochschulen, insbesondere für die Universität Wien, nahmen die neuen Machthaber schlicht in Kauf. An den einzelnen Hochschulen hatten die ‚Säuberungen‘ jedoch unterschiedliche Auswirkungen.99 Bekanntlich war der Aderlass an der Universität Wien mit insgesamt 303 entfernten Lehrenden bei Weitem am größten; diese Zahl entsprach 39 % der 765 Personen, die im Personalverzeichnis des Wintersemesters 1936/37 aufgeführt sind.100 Damit verlor die Universität Wien absolut und prozentual mehr Lehrende als alle anderen deutschsprachigen Hochschulen. Hier wirkte sich die NS-spezifische Potenzierung der rassistischen und der im engeren Sinne politischen Entlassungsgründe am stärksten aus.101 Weitaus niedriger, wenn auch immer noch beachtlich, war der Einschnitt an den Universitäten Innsbruck (mit 39 Entfernten = 21,9 %)102 und Graz (33 Entfernte 98 Kundmachung des Reichsstatthalters für Österreich, wodurch der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der öffentlichen Beamten des Landes Österreich bekanntgemacht wird, in: Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 3/1938, S. 13. 99 Die folgenden Angaben sind der Übersichtstabelle für die österreichischen Hochschulen entnommen aus: Andreas Huber, Rückkehr erwünscht. Im Nationalsozialismus aus „politischen“ Gründen vertriebene Lehrende der Universität Wien, Wien 2016, S. 18. 100 Die hier zitierten Angaben weichen von den bislang häufig angeführten Zahlen ab, weil Huber auch die nichthabilitierten aktiv Lehrenden mitgezählt hat (allerdings ohne Emeritierte und Honorarprofessoren), während die bisherigen Zählungen häufig nur die habilitierten Lehrenden bzw. ordentlichen und außerordentlichen Professoren einbezogen haben. 101 Für vergleichende Angaben zur Entfernung aus 15 der 23 reichsdeutschen Universitäten von 1933 bis 1939 siehe Michael Grüttner/Sven Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: VfZ 55 (2007), S. 123–186. 102 Vgl. hierzu die abweichenden Angaben in: Gerhard Oberkofler, Bericht über die Opfer des Natio-
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= 15 %),103 an der TH Wien (34 = 17,7 %)104 und an der Hochschule für Welthandel (sieben = 12,7 %).105 An der Universität Innsbruck wie überall sonst fielen die Verluste, die auf Verfolgung aus rassistischen Gründen zurückgingen, geringer aus. Dies lag vermutlich daran, dass sich an den österreichischen Hochschulen mit Ausnahme der Universität Wien wenige bis gar keine Lehrende jüdischer Herkunft befanden. Allgemein gesprochen sind diese Zahlenangaben Indizien für die sehr unterschiedliche Offenheit der österreichischen Hochschulen für Wissenschaftler jüdischer Herkunft, wie sie schon seit Jahrzehnten bestanden hatte. Doch selbst innerhalb der Wiener Universität, die noch in den 1930er Jahren weitaus mehr Lehrende jüdischer Abstammung aufwies als die anderen Hochschulen, variierten die Zahlen der ab 1938 aus rassistischen Gründen Entlassenen zwischen den Fakultäten und sogar zwischen Disziplinen einzelner Fakultäten stark, was ebenfalls als Indiz für die relative meritokratische Offenheit oder für die antisemitische Verschlossenheit vor 1933 gelten kann.106 Allerdings fanden an den Hochschulen auch politische Entlassungen im engeren Sinne statt, und auch hier variierten die Verluste unter den Hochschulen. Allein an der Wiener Universität wurden insgesamt 86 Personen Opfer von politisch motivierten ‚Säuberungen‘ (28,4 % der Entfernten, 11,1 % der Lehrenden insgesamt).107 Die große Mehrheit der Betroffenen waren Anhänger oder Amtsträger der vorigen Diktatur wie der letzte Justizminister der Regierung Schuschnigg, Ludwig Adamovich. In dieser Hinsicht am stärksten betroffen war jedoch die Hochschule für Bodenkultur (mit 20 Entfernten = 30,7 % der Lehrenden). Sie war die am zweitstärksten von ‚Säuberungen‘ betroffene Hochschule; dort mussten ausgerechnet die Anhänger der vorigen Diktatur, die erst vor wenigen Jahren in ihre Ämter gekommen waren, die Hochschule wieder verlassen.108 An den Universitäten in Graz und Innsbruck waren die Katholisch-Theologischen Fakultäten am stärksten betroffen: Im Gegensatz zur Wiener Universität
nalsozialismus an der Universität Innsbruck, in: Zeitgeschichte 8 (1981), S. 142–149; Oberkofler/ Goller, Geschichte der Universität Innsbruck, S. 317 f.; Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 7–11, und den Beitrag von Peter Goller in diesem Band. 103 Vgl. hierzu die abweichenden Angaben in Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 188. Darunter waren die Nobelpreisträger Fritz Pregl, Otto Loewy und Victor Franz Hess, die aus rassistischen Gründen entlassen wurden, sowie Erwin Schrödinger, der wegen ‚politischer Unzuverlässigkeit‘ aus dem Amt gedrängt wurde. 104 Vgl. hierzu die Angaben in Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 20. 105 Vgl. hierzu die Angaben in Berger, Hochschule für Welthandel, in diesem Band S. 168. 106 Für Einzelheiten hierzu vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 115 f. und die dort angegebene Literatur. 107 Eigene Berechnung nach der Zahlenangabe in Huber, Rückkehr erwünscht, S. 18. 108 Für die Zahlen vgl. ebd. Für eine namentliche Auflistung der entfernten Lehrenden vgl. Ebner, Politik und Hochschule, S. 119 ff.
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wurden sie aufgelöst.109 Hier griffen staatspolitische und hochschulpolitische Prioritäten ineinander, denn die Auflösung der Theologie war Fernziel der Politik des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM).110 Der ausschließliche Blick auf die rassistisch motivierten ‚Säuberungen‘ greift auch deshalb zu kurz, weil ein tief greifender Elitentausch eingeleitet werden sollte. Daher stellt sich die Frage, ob für die aus rassistischen Gründen Vertriebenen und aus politischen Gründen Entfernten tatsächlich Nachfolger gefunden wurden und, wenn ja, welche. Umfassende Zahlenangaben zu dieser Frage liegen bislang nur für die Universität Wien vor. Für sie konstatiert Andreas Huber einen „immensen Austausch“: Zwischen 1938 und 1943 wurden 51 Professoren neu berufen; davon kamen 33 (= 64,7 %) von anderen Universitäten, die meisten aus dem ‚Altreich‘. Auch in den unteren Rängen griffen viele zu: Drei Viertel der Dozenten (121 von 160) und zwei Drittel der sonstigen Lehrenden (48 von 72) erlangten ihre Stellungen in diesen Jahren.111 Allerdings verbergen sich hinter diesen Zahlen teils zügige, teils äußerst schwierige oder gar fehlgeschlagene Nachbesetzungen, deren Folgen für die Zusammensetzung des Lehrkörpers noch einmal differenziert zu betrachten sind. Auf der einen Seite forcierte man die Rückholung der in der vorigen Diktatur entlassenen Nationalsozialisten, die bereits mit der oben zitierten Kundmachung verfügt, aber nicht in jedem Einzelfall realisiert worden war.112 Auf der anderen Seite gab es in Berlin Abwehr gegen ‚Konjunkturritter‘ vor Ort sowie strategische, vom REM forcierte Berufungen aus dem ‚Altreich‘.113 Später kamen weitere substanzielle Kompli109 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 195 f.; Oberkofler/Goller, Geschichte der Universität Innsbruck, S. 324; Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 11. 110 Vgl. hierzu Michael Grüttner, Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: Ders./ John Connelly (Hg.), Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn u.a. 2003, S. 81. 111 Andreas Huber, Die Hochschullehrerschaft der 1930er- und 1940er Jahre. Sozialstruktur und Karrierewege vor dem Hintergrund politischer Zäsuren, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 674. Zum Vergleich siehe die Einzelfälle in Peter Goller, Faschistischer Wissenschaftsnachwuchs. Geisteswissenschaftliche Berufungen und Habilitationen an der Universität Innsbruck in den NS-Jahren 1938–1945, in: Hans Mikosch/Anja Oberkofler (Hg.), Gegen üble Tradition, für revolutionär Neues. Festschrift für Gerhard Oberkofler, Innsbruck/Wien/Bozen 2012, S. 25–42. 112 Neue Ordnung an den Hochschulen, in: Wiener Zeitung vom 30. März 1938. Dort ist zynischerweise von einer „Wiedergutmachung“ die Rede; vgl. Ebner, Politik und Hochschule, S. 128. Für einen negativen Fall vgl. Albert Müller, Dynamische Anpassung und „Selbstbehauptung“. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 610. 113 Einer der ersten Fälle war die Berufung Friedrich Plattners von Königsberg nach Wien im April 1938. Er sollte zunächst ‚vertretungsweise‘ die Nachfolge des vertriebenen Physiologen Arnold Durig antreten, kurz darauf wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Wie weiter unten erläutert wird, übernahm er bald noch bedeutendere Funktionen, behielt aber diese Stelle während der gesamten NS-Zeit.
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kationen hinzu, die durch den Krieg bedingt waren. So erfuhren die anfangs großen Hoffnungen auf einen durch heimische Nationalsozialisten getragenen Aufschwung an den Hochschulen der ‚Ostmark‘ zuweilen eine herbe Enttäuschung. Auch für die Studierenden jüdischer Herkunft begann der ‚Anschluss‘ mit einem radikalen Einschnitt: Am 29. März wurde ein Immatrikulationsstopp für ‚nichtarische‘ Studierende verfügt. Dieser wurde, jedenfalls in Wien, später teilweise wieder aufgehoben, um einigen wenigen Studierenden Abschlüsse, sogenannte ‚Nichtarierpromotionen‘, zu ermöglichen.114 Am 11. November 1938, zwei Tage nach der Reichspogromnacht, wurde als ‚Juden‘ definierten Studierenden der Zutritt zur Universität verboten.115 Hinzu kam in mehreren Fällen die Aberkennung der Doktorgrade aufgrund der angeblichen ‚Unwürdigkeit‘ der Inhaber.116 Allerdings erklären diese Ausschlussmaßnahmen nicht die Gesamtheit des historisch einmaligen Frequenzrückgangs, der zwischen dem Wintersemester 1937/38 und dem Wintersemester 1938/39 messbar ist.117 Über die Frage, welche Faktoren neben dem Ausschluss der Studierenden jüdischer Herkunft noch eine Rolle spielten, sind bislang nur Vermutungen angestellt worden. Institutionelle Wandlungen: ‚Führeruniversität‘?118 Auf der Ebene der institutionellen Ressourcen ist die rapide Einführung der sogenannten ‚Führeruniversität‘ an 114 Zur Vertreibung der Studierenden jüdischer Herkunft und zum bewusst erniedrigend gestalteten Zeremoniell dieser Promotionen vgl. Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008, S. 126 ff., sowie die Ausführungen von Katharina Kniefacz und Herbert Posch und von Johannes Koll („Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“) in diesem Band, unten S. 133 f. bzw. 211–213. Vgl. auch Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 9 f. 115 In Innsbruck meldete das Rektorat dem REM am 15. November, diese Maßnahme sei nicht nötig, denn die Universität sei ohnehin seit dem Wintersemester 1938/39 „judenfrei“. Vgl. Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 10. Wie die Aussage des damaligen ‚Welthandels‘-Studenten Robert Eder belegt (siehe oben, S. 493), praktizierten Hochschulen faktisch schon bald nach dem ‚Anschluss‘ ein Betretungsverbot für jüdische Studierende. 116 Herbert Posch/Friedrich Stadler, „… eines akademischen Grades unwürdig“. Nichtigerklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien, Wien 2005. 117 Allein an der Universität Wien ging es um 42 %; vgl. hierzu Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 74. 118 Mit Bezug auf diesen Aspekt wie auch bezüglich des oben erwähnten Elitenaustauschs muss auf ein gewichtiges Forschungsdefizit hingewiesen werden: Bislang wurde die NS-Zeit an den österreichischen Hochschulen fast ausschließlich aus der jeweiligen lokalen Sicht und auf Grundlage der österreichischen Akten behandelt, ohne die sich wandelnden Situationen der Machthaber in Berlin oder gar die deutschen Staats- und Parteiakten einzubeziehen. Dieses Defizit kann hier natürlich nicht behoben werden. Für einen ersten Versuch, diese Zeit unter Einbeziehung der relevanten Berliner Ministerialakten analytisch zu betrachten, vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 108–134. Siehe auch den Beitrag von Hans-Peter Weingand in diesem Band.
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vorderster Stelle zu nennen. Dahinter steckt ein Machtwechsel an den Hochschulen, der – im Gegensatz zu bisherigen Schilderungen eines reibungslosen Verlaufs der Gleichschaltung – keinesfalls geplant oder vorhersehbar war. Am Beginn stand an mehreren Hochschulen nicht eine Maßnahme ‚von oben‘, sondern eine kalte Entmachtung der Ordinarien durch ehemals ‚illegale‘ NS-Dozenten. Am radikalsten verlief dieser Prozess an der Hochschule für Bodenkultur, wo der Dozent und ehemalige Leiter der illegalen NS-Betriebsorganisation, Franz Sekera, die Fäden sofort an sich riss und die Absetzung des amtierenden Rektors verfügte.119 Nicht ganz so handstreichartig verlief der Machtwechsel an den Technischen Hochschulen – auch wenn hier ebenfalls nationalsozialistische Dozenten direkt oder indirekt die Fäden zogen.120 Es ist also falsch, den scheinbar reibungslosen Wechsel an der Universität Wien pars pro toto zu nehmen. Und selbst dort sprechen die schnellen und recht beherzten Zugriffe auf Räume und Bücher durch den kommissarischen Dekan der Philosophischen Fakultät, Viktor Christian, eher gegen ordentliche Verhältnisse am Beginn der NS-Herrschaft.121 Die schnelle Umbesetzung der Leitungsämter sollte den ‚Säuberungen‘ vor allem den Anschein eines ordnungsgemäßen Vorgehens verleihen. Der Anstoß, „in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag“ vorzugehen, kam von Oberregierungsrat Hans Huber, der vom Reichswissenschaftsministerium nach Wien abgeordnet worden war und sich bereits im April 1938 in den Amtsräumen des nationalsozialistischen Unterrichtsministers Oswald Menghin installiert hatte.122 Der Anstoß diente zugleich zur Einführung des Modells der ‚Führeruniversität‘ in Österreich; Huber selbst machte die neuen Funktionsträger mit den Grundsätzen einer nationalsozialistischen Amtsführung an den Hochschulen vertraut. Doch erst nach den ‚Säuberungen‘, als es um die konkrete Umsetzung der hochschul- und wissenschaftspolitischen Zielsetzungen Berlins ging, offenbarten sich die Schwierigkeiten 119 Ebner, Politik und Hochschule, S. 105 ff. und seinen Beitrag in diesem Band, S. 273 f. Die Frage, ob Sekera bei dieser und den bald darauf folgenden, noch weiterreichenden Verfügungen tatsächlich als Parteibeauftragter gehandelt hat, wurde später zum Gegenstand eines Parteiverfahrens gegen ihn. 120 Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 17 f.; vgl. Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 33. 121 Vgl. hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 123. Für weitere Beispiele von ‚Arisierungen‘ siehe Ebner, Politik und Hochschule, S. 115 f. 122 Hans Huber an Otto Wacker, Anfang April 1938, zit. nach Willi Weinert, Die Maßnahmen der reichsdeutschen Hochschulverwaltung im Bereich des österreichischen Hochschulwesens nach der Annexion 1938, in: Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewußtsein. Festschrift zum 20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und zum 60. Geburtstag von Herbert Steiner, Wien/München/Zürich 1983, S. 129.
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und Widersprüche, die sich hinter der scheinbar eindeutigen Bezeichnung ‚Führer universität‘ verbargen. Bereits im Sommer 1938 wandelte sich die Lage in Wien grundsätzlich durch die Einsetzung von Friedrich Plattner als Leiter der Abteilung IV (Unterricht) im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten. Er fungierte damit de facto in der ‚Ostmark‘ als Unterrichtsminister, während Menghin bis August nur noch formaliter amtierte; zugleich war Plattner ‚Beauftragter des Gauleiters [von Wien] für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung‘.123 Auch Plattner war demnach mit Partei- und Staatsaufträgen ausgestattet, allerdings auf einer höheren Ebene als die Rektoren. Zwecks Finanz- und Verwaltungskontrolle mussten fortan alle Amtsvorgänge der Wiener Hochschulen über Plattners Schreibtisch gehen. Vorschläge zur Errichtung bzw. Besetzung einer Professur gab er erst dann weiter, wenn er aus Berlin bestätigt bekam, dass eine entsprechende Stelle ausgewiesen war. Mit seiner Funktion wurde bewusst ein Zwischenglied zwischen den Hochschulleitungen und dem Reichsministerium geschaffen – sozusagen eine Führung der ‚Führeruniversität‘. Diese ‚Verreichlichung‘ sollte 1940 durch die Einsetzung des erfahrenen Verwaltungsfachmanns Walter von Boeckmann als ‚Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien‘ verstetigt werden. Eine Kuratoriumsverfassung hatte es in Österreich bis dahin gar nicht und im ‚Altreich‘ lediglich für einzelne Hochschulen gegeben. Jetzt wurde eine Zwischeninstanz für alle Hochschulen Wiens sowie für die Steiermark und für Tirol geschaffen. Die eigentliche Zielsetzung des REM war die Überwindung der Kulturhoheit der deutschen Länder insgesamt; dafür sollte die ‚Ostmark‘ beispielgebend wirken.124 Gegen die Abgabe der Verwaltungshoheit und die Einschränkung ihrer Befugnisse auf wissenschaftliche Belange protestierten alle Wiener Rektoren im Juli 1941 – vergebens – mit einer gemeinsamen Eingabe an das REM.125 Ob solche Proteste auch andernorts vorgebracht worden sind, entzieht sich der Kenntnis. In der Steiermark wurde das Amt des Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen im Büro des dortigen Reichsstatthalters eingerichtet. Immerhin wurde es mit dem ehemaligen Kanzleidirektor der Universität Graz, Ernst Weidmann, besetzt – also nicht mit einem aus Berlin eingesetzten Funktionär, sondern mit einem lokalen, ehemals illegalen Nationalsozialisten.126 123 Zur Rolle und Tätigkeit Plattners vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 125. Eine Untersuchung der Karriere Plattners fehlt ebenso wie Biografien fast aller leitenden NS-Funktionäre auf diesem Gebiet. 124 Vgl. hierzu die Rede des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, zur Einführung des Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien am 6. November 1940, BArch, R 4901/13204, S. 2 f., sowie Anne C. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a.M. 2012, S. 109 ff. 125 Vgl. hierzu ausführlich Berger, Hochschule für Welthandel, in diesem Band S. 178. 126 Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 72 f.
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Noch komplizierter wurde die Lage durch das unklare Verhältnis von Partei und Staat, das für das NS-Regime insgesamt konstitutiv war. An den Hochschulen manifestierte sich dieses grundlegende Problem in der Frage nach der Rolle des Dozentenbundführers bei Professorenberufungen.127 Einer reichsdeutschen Vorschrift zufolge hatte der Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes der betreffenden Hochschule bei jeder Berufung eine Stellungnahme abzugeben. Der Wiener Dozentenbundführer Arthur Marchet betrieb jedoch auch Fachpolitik mithilfe von Berufungsverfahren und schreckte nicht davor zurück, in die eigene Tasche zu wirtschaften. So gelang es ihm, sich 1941 selber zum ordentlichen Professor für Petrologie befördern zu lassen. Inwiefern derlei Kungeleien der Nazifunktionäre oder Versuche anderer, Verbindungen mit dem REM und anderen Berliner Instanzen als Ressourcen für interne Machtkämpfe zu mobilisieren, das Geschehen auch an den anderen österreichischen Hochschulen bestimmten, ist nur punktuell bekannt.128 Trotz oder vielleicht mithilfe von all dem setzte sich im Verlauf der NS-Zeit innerhalb der hochschulpolitischen Prioritäten eine Wandlung in Richtung einer verstärkten Praxisbezogenheit sowie einer von örtlichen Kräften stark mitgetragenen Ausrichtung auf die politischen Kernprojekte des Nationalsozialismus durch. Im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin sind die Gründungen von Instituten für Rassenbiologie in Wien und in Innsbruck als prominente Beispiele zu nennen.129 Hinzu kamen Institutsneugründungen für Dolmetschen und für Zeitungswissenschaft sowie die Eingliederung ehemals außeruniversitärer Institute für Leibeserziehung und für ‚Lebenswirtschaftskunde‘, später ‚Fächer des Frauenschaffens‘ an der Universität Wien.130 Im Rahmen der ‚Südostgemeinschaft der Wiener Hochschulen‘, der vom 127 Vgl. hierzu Anne C. Nagel, „Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund in der Wissenschaftspolitik des Dritten Reichs, in: Joachim Scholtyseck/Christoph Studt (Hg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Münster 2008, S. 107–132. 128 Edith Saurer hat schon 1989 von einem „wild wuchernden Erobererrecht“ gesprochen, dem zufolge eine „Logik der Ideologie“ durch eine „Logik der Clanbildung“ ersetzt würde: Institutsneugründungen 1938–1945, in: Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, Wien 1989, S. 303. 129 Vgl. Thomas Mayer, Eugenics into Science. The Nazi Period in Austria, 1938–1945, in: Anton Weiss-Wendt/Rory Yeomans (Hg.), Racial Science in Hitler’s New Europe, 1938–1945, Lincoln 2013, S. 150–174; vgl. Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 13. 130 Saurer, Institutsneugründungen, insbesondere S. 308–312. Das Institut für ‚Lebenswirtschaftskunde‘ bzw. ‚Fächer des Frauenschaffens‘ diente vor allem der Ausbildung von Lehrerinnen an Mädchenschulen. Neueres hierzu bietet vor allem Vera Sophie Ahamer, „… wird ausdrücklich der Bestand eines Dolmetschinstitutes mit einem Direktor vorausgesetzt“ – Die Gründung des Dolmetsch institutes 1943, in: Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen 2010, S. 261–283; Wolfgang
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Mitteleuropäischen Wirtschaftstag (MWT) in Berlin finanzierten ‚Südost-Stiftung‘ und weiterer einschlägiger Einrichtungen wurden personale und materielle Ressourcen bereitgestellt; diese Institutionen betrieben wissenschaftliche Politikberatung für die NS-Besatzungspolitik.131 In Innsbruck versuchte man den Traum einer ‚Alpengrenzlanduniversität‘ zu realisieren, wurde aber mit einer italienfreundlichen Südtirolpolitik der Reichsführung konfrontiert, die derartigen Bestrebungen entgegenzustehen schien.132 An den Technischen Hochschulen und der Hochschule für Bodenkultur deuten die bisherigen, allerdings leider noch spärlichen Hinweise darauf hin, dass die behauptete oder faktische Kriegsrelevanz bestimmter Fächer für ihre Förderung ausschlaggebend war.133 Konkrete Forschungen zur Bedeutung und zum Inhalt der Kriegsforschung in dieser Zeit sind nach wie vor Desiderat. Spätestens mit Kriegsbeginn scheint sich an den österreichischen Hochschulen infolge des Ausbleibens erhoffter Mittelzuflüsse oder Berufungen von einheimischen Wissenschaftlern eine gewisse Dämpfung oder gar Umkehrung der anfänglichen Begeisterung für das Regime breitgemacht zu haben. Dies mag die gelegentlich widerspenstig erscheinenden Stellungnahmen aus den Fakultäten in der ersten Hälfte der 1940er Jahre motiviert haben.134 Nach 1945 war man bemüht, solche Aktionen zu politischem Widerstand hochzustilisieren. Sie werden heute als Grundlage eines gesteigerten Österreichbewusstseins gedeutet, das sich nach dem Ende der NS-Herrschaft fortsetzen sollte.135 Auch im Studentenleben kam es zu weitgehenden institutionellen Veränderungen. Bereits am 30. März 1938 wurde die Sachwalterschaft der Hochschülerschaft aufgehoben, bis Juli wurden alle noch bestehenden Studentenverbindungen im Wege der Vereinsliquidierung aufgelöst und der Nationalsozialistische Deutsche StudenDuchkowitsch, Zeitungswissenschaft in der „universitas litterarum“. Ausrichtung und Funktion des Instituts für Zeitungswissenschaft, in: ebd., S. 521–549. 131 Berger, Hochschule für Welthandel, Kap. „Für die Neuordnung Europas“; Petra Svatek, „Wien als Tor nach dem Südosten“. Der Beitrag Wiener Geisteswissenschaftler zur Erforschung Südosteuropas während des Nationalsozialismus, in: Ash/Nieß/Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus, S. 111–139. Zum MWT vgl. Carola Sachse (Hg.), „Mitteleuropa“ und „Südosteuropa“ als Planungsraum. Wirtschafts- und kulturpolitische Expertisen im Zeitalter der Weltkriege, Göttingen 2010. Für vergleichbare ‚Südost‘-Aktivitäten von Grazer Hochschullehrern vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 198. 132 Goller/Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 19 ff. 133 Beispiele bei Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 52–54, Ebner, Politik und Hochschule, S. 162 ff., sowie Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 37 f. 134 Vgl. dazu ausführlich Müller, Dynamische Anpassung. 135 Mikoletzky, „Mit ihm erkämpft“, S. 68 f.; Dies., „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 34.
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tenbund als alleinige Vertretung der Studentenschaft eingeführt.136 Es bestand jedoch keine Zwangsmitgliedschaft, weil die Aufnahme als Privileg betrachtet wurde und eine ‚Bewährung‘ im Sinne des Nationalsozialismus voraussetzte, wenngleich gewisse Studienvergünstigungen von der Mitgliedschaft in NS-Gliederungen bzw. der Gunst der Leitung des NSDStB abhängig waren.137 Verordnet waren hingegen eine Gesundheitsuntersuchung sowie Lageraufenthalte, Ernteeinsatz, Arbeitsdienst und weitere zeitraubende Tätigkeiten, die dem Studium nicht unbedingt förderlich waren. Zu Kriegsbeginn im September 1939 wurden die Hochschulen überhaupt vorläufig geschlossen. Anfang 1940 wurden sie mit einem reichsweit geltenden Trimesterkalender zwecks Beschleunigung der Studienabschlüsse wiedereröffnet; dieser wurde allerdings mangels Praktikabilität im Sommersemester 1941 wieder zurückgenommen. Was die Studieninhalte betrifft, ist in der Forschungsliteratur immer wieder die Einführung neuer Wehrfächer betont worden. Dazu gehörten Vorlesungsreihen zum Gasschutz, ideologisch ausgerichtete Fächer wie Rassenhygiene und Rassenbiologie an den Medizinischen Fakultäten sowie einschlägige Vorlesungen an den Juridischen Fakultäten sowie im Lehramtsstudium.138 Im Gegensatz zu den weltanschaulichen Pflichtvorlesungen der vorigen Diktatur glaubten die Nationalsozialisten mit Ausnahme des Lehramtsstudiums, für das etwa Rassenkunde Pflicht gewesen war, meist ohne Zwangsverpflichtung auskommen zu können. Bemühungen der Professorenschaft um Eigenständigkeit zeigt eine schrittweise Wiedereinführung von Elementen aus den vor 1938 geltenden Studienplänen, beispielsweise in der Medizin, die angeblich aus praktischen Gründen geschah und wohl kaum als Widerstand zu bezeichnen ist, nach 1945 aber genau in diesem Sinne gedeutet wurde.139 Im Verlauf des Krieges nahmen der Kampf um ‚Unabkömmlichstellungen‘ sowie die Zwangsrekrutierung für den Reichsarbeitsdienst (bzw. deren Vermeidung) überhand.140 Diskurse: Frühere Schilderungen einer Einschwörung der gesamten Gesellschaft auf eine vermeintlich einheitliche NS-Ideologie sind in letzter Zeit einer diskursund strukturanalytischen Sicht gewichen. Die Bedeutung von Schlagwörtern wie 136 Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 552. 137 Ebd., S. 556. Siehe auch Weingand, Die Technische Hochschule Graz. Auch hierbei handelte es sich um reichsweite Politik; vgl. Grüttner, Die deutschen Universitäten, S. 91 ff. 138 Vgl. beispielsweise Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 558 ff. 139 Zu den Wandlungen der Studienordnungen vgl. etwa Irmgard Schartner, Die Staatsrechtler der juridischen Fakultät der Universität Wien im „Ansturm“ des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. u.a. 2011, hier S. 11–28, und Matthias Köhler, Das Medizin-Studium im Nationalsozialismus. Änderungen im Studienplan und Lehrangebot an der Universität Wien, Diplomarbeit Universität Wien 2013, http://othes.univie.ac.at/27014/ [10. August 2016], besonders Abs. 3.3. 140 Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 564. Eine Untersuchung des Umgangs mit Uk-Stellungen an den Hochschulen fehlt.
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‚Wien als das Tor zum Südosten‘ oder ‚Grenzlanduniversität‘ als symbolische Hebel im Kampf um vergrößerte Ressourcenzuflüsse ist oben bereits erwähnt worden. Von einer ‚deutschen Sendung Wiens‘ im Donauraum ist in der Forschung auch schon die Rede gewesen.141 Der Versuch, fachliche Inhalte im Sinne der nun vorherrschenden Doktrin umzuschreiben, blieb nicht aus, war aber nicht immer erfolgreich.142 Selbst Srbiks ‚gesamtdeutsche Geschichtsauffassung‘ hielten Verfechter einer ‚kämpfenden Wissenschaft‘ und Kulturfunktionäre des Sicherheitsdienstes der SS wegen der fehlenden Betonung des Rassebegriffs für ungenügend.143 Am allerwenigsten waren wegen ihrer potenziellen Kriegswichtigkeit die Naturwissenschaften vor Ideologisierung geschützt. So publizierte der nach Wien berufene Astronom Bruno Thüring 1941 in der vom ‚Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands‘ herausgegebenen Reihe Forschungen zur Judenfrage eine antisemitische Polemik gegen Albert Einstein. Doch sein Versuch, derartige Ansichten in Wien durchzusetzen, scheint an der Opposition der Physiker vor Ort gescheitert zu sein.144 Völkische und rassistische Parolen, vor allem die zentralen Topoi ‚Volk‘ und ‚Rasse‘, wurden immer wieder bei sogenannten ‚Appellen‘ (wie anlässlich der Hitler-Geburtstage) als Symbole für die Zusammengehörigkeit der bereits Überzeugten eingesetzt, konnten aber auch als Drohgebärden gegen Zögerliche oder noch Zurückhaltende inszeniert werden.145 Dass derartige Hetz- und Einschwörungsriten in den letzten Kriegsjahren tatsächlich Eindruck gemacht haben, darf bezweifelt werden.
141 Vgl. hierzu Petra Svatek, Hugo Hassinger: Wiens deutsche Sendung im Donauraum (1942), in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 9 (2009), H. 2, S. 163–170. 142 Ein eklatantes Beispiel ist die Neuauflage der Literaturgeschichte Josef Nadlers; vgl. Irene Ranzmaier, Germanistik – Kontinuitätsstiftende Ansätze der Wissenschaft und die Bedeutung kollegialer Unterstützung, in: Ash/Nieß/Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus, S. 427–454. 143 Vgl. Joachim Lerchenmüller, Neuere und Neueste Geschichte, in: Jürgen Elvert/Jürgen NielsenSikora (Hg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, Stuttgart 2008, S. 244. 144 Bruno Thüring, Albert Einsteins Umsturz-Versuch in der Physik und seine inneren Ursachen und Möglichkeiten, Berlin 1941. Vgl. Franz Kerschbaum/Thomas Posch/Karin Lackner, Die Wiener Universitätssternwarte und Bruno Thüring, in: Wolfgang R. Dick/Jürgen Hamel (Hg.), Beiträge zur Astronomiegeschichte, Bd. 8, Frankfurt a.M. 2006, S. 185–202. 145 Siehe unter anderem: Die Universität Wien im Kriege. 3 Reden, gehalten beim Appell der Wiener Universität am 20. April 1940, dem Geburtstage des Führers, anläßlich der Eröffnung des neuen Trimesters, Wien 1940. Über vergleichbare Äußerungen an der Universität Innsbruck vgl. Goller/ Tidl, „Jubel ohne Ende …!“, S. 6.
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Im Februar 1945 erreichte der Bombenkrieg die Steiermark und Wien. Bereits vorher hatte die Verlagerung vieler Hochschulinstitute begonnen. Währenddessen setzten sich viele Lehrende ab; später kamen mehrere von ihnen in Gefangenschaft.146 Ungeachtet dessen wurden alle österreichischen Hochschulen schon bis zum Sommer 1945 wiedereröffnet. Die Wiedereröffnung der Wiener Universität wurde von der sowjetischen Besatzungsbehörde bereits am 2. Mai genehmigt, die der Universität Graz folgte auf Anordnung des Landeshauptmanns der Steiermark, Reinhard Machold, am 30. Mai.147 Überall geschah dies, ohne dass die Besatzungsmächte eine vorherige ‚Säuberung‘ anordneten. Die Entscheidung der Sowjets, die in Wien zunächst allein herrschten, die Eröffnung der dortigen Universität vor jeder Entnazifizierung des Personals zuzulassen, erscheint besonders bemerkenswert, weil die sowjetischen Besatzer in Berlin zur selben Zeit das genaue Gegenteil taten: Dort wurde die Universität erst Ende Januar 1946 feierlich wiedereröffnet, nachdem die Besatzer die Entlassung sämtlicher Mitglieder der NSDAP angeordnet hatten.148 Als Hintergrund des gegenteiligen Vorgehens in Wien vermutet man eine Strategie der österreichischen Kommunisten, unter dem Schlagwort ‚Österreich‘ die vormals von den Nationalsozialisten geschassten katholischen Kräfte als Verbündete zu gewinnen und mit ihnen gemeinsam gegen die ‚Reichsdeutschen‘ und Deutschnationalen vorzugehen.149 Wie dem auch sei, die für die Hochschulpolitik zuständigen Offiziere der übrigen Besatzungsmächte schritten nach ihrer späteren Ankunft in Wien nicht gegen die frühzeitige Wiedereröffnung der Hochschulen ein – war doch die Verselbstständigung Österreichs, das hieß nicht zuletzt die Rücknahme des ‚Anschlusses‘, das Ein-
146 Vgl. Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 83 und passim; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 202. Eine umfassende Studie zur Ahndung von Nazi-Lehrenden durch Internierung in Anhaltelagern der Alliierten und später durch Anklagen vor den österreichischen Volksgerichten fehlt. 147 Vgl. Ash, Die Universität Wien, S. 137; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 204. Ob die Wiedereröffnung in Graz im Einvernehmen mit den damals dort noch herrschenden Sowjets geschah, ist dieser Studie nicht zu entnehmen. 148 Vgl. hierzu Rainer Hansen, Von der Friedrich-Wilhelms-Universität zur Humboldt-Universität zu Berlin, in: Konrad H. Jarausch/Matthias Middell/Annette Vogt (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010, Bd. 3: Sozialistisches Experiment und Erneuerung in der Demokratie – die Humboldt-Universität zu Berlin 1945–2010, Berlin 2012, S. 44 ff., 65 ff. 149 Oliver Rathkolb, Die Universität Wien und die „Hohe Politik“ 1945–1955, in: Margarete Grandner/Gernot Heiß/Ders. (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955, Innsbruck u.a. 2005, S. 42.
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zige, worauf sich alle vier Besatzungsmächte einigen konnten.150 Diese Grundsatz entscheidung öffnete die Tür zur Wiederherstellung älterer Herrschaftsverhältnisse an den Hochschulen wie auch im österreichischen Staat insgesamt. Den Grundstein legte ausgerechnet der kommunistische Leiter des Staatsamtes für Volksaufklärung und Unterricht, Ernst Fischer (KPÖ), indem er Mitglieder der neu gegründeten Österreichischen Volkspartei (ÖVP) in hochschulpolitische Schlüsselämter einsetzte. Dies betraf namentlich Karl Lugmayer als Unterstaatssekretär für Bildung und den bereits erwähnten Otto Skrbensky als Sektionschef für den Hochschulbereich.151 Für die Analyse der Umgestaltung der Ressourcenkonstellationen nach Ressourcentypen ergibt sich für die Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus folgendes Bild: Personal – Entnazifizierung und danach: Im Personalwesen führte eine Reihe von Maßnahmen – in Analogie zur Entwicklung bei der Beamtenschaft insgesamt – an den Hochschulen vorerst zu einem starken Einschnitt. Verantwortlich dafür waren das Verbotsgesetz von 8. Mai und das Beamten-Überleitungsgesetz vom 22. August 1945.152 Ersteres sah die sofortige Entfernung der sogenannten ‚Reichsdeutschen‘ aus dem Staatsdienst sowie die Entlassung oder Zwangspensionierung derjenigen Beamten vor, die zwischen dem 4. März 1933 und dem 12. März 1938 Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen waren. In Tirol – und daher auch für die Universität Innsbruck – kamen diese Maßnahmen allerdings erst später zum Tragen. Dort galt vorerst eine Verordnung des Landeshauptmanns Karl Gruber vom 5. Juni 1945.153 Wie seit März 1938 ging es hier wohlgemerkt nicht um Hochschulpolitik, sondern um die Folgen staatspolitischer Maßnahmen für die Hochschulen. Pferdefuß dieser formal strengen Regelung war eine Ausnahmebestimmung des Verbotsgesetzes, die für jene Österreicher, die seit dem 13. März 1938 der NSDAP 150 Zur Haltung vor allem der amerikanischen und punktuell der britischen Besatzungsoffiziere siehe Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft 1941–1955, Wien 2014. Eine vergleichende Behandlung der Standpunkte und der Tätigkeit der Besatzungsmächte im Nachkriegsösterreich auf diesem Gebiet steht noch aus. 151 Fischer selbst notierte den ironischen Kommentar des damaligen Staatskanzlers Karl Renner dazu in seinen Memoiren: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955, Wien/München/Zürich 1973, S. 119. 152 Die Anlehnung des Obertitels dieses Gesetzes zur Widerherstellung österreichischen Beamtentums an die frühere NS-Gesetzgebung verdient angemerkt zu werden. Die genannten Gesetze sind abgedruckt in StGBl., Nr. 13/1945, S. 19–24, und Nr. 134/1945, S. 173–175. 153 Vgl. Peter Goller, „… natürlich immer auf wissenschaftlicher Ebene!“ Mystifikationen. Die geistes wissenschaftlichen Fächer an der Universität Innsbruck im Übergang von Nazifaschismus zu demokratischer Republik nach 1945. Dokumentation einer Kontinuität, Innsbruck 1999, S. VII.
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oder einem ihrer Wehrverbände beigetreten waren, ihre Mitgliedschaft aber „niemals missbraucht“ hatten und aus deren Verhalten unter dem Nationalsozialismus „eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann“,154 die Möglichkeit eines Ansuchens um Erlassung der Registrierungspflicht bzw. der vorgeschriebenen Sühnefolgen vorsah; hiervon machten viele der Betroffenen Gebrauch. Die Gesetzesvorschriften schufen also im Wesentlichen drei Gruppen: die ‚Reichsdeutschen‘, die nach der Befreiung bis auf wenige Ausnahmen aus dem Hochschuldienst entfernt wurden; die ‚Illegalen‘ und Opportunisten, die Peter Goller als „vorübergehend gefährdet“155 beschreibt; und die wenigen formal ‚nicht Belasteten‘. Das Gros der Entnazifizierungsvorgänge betraf die zweite Gruppe. Die Folgen von alledem für die personelle Zusammensetzung der österreichischen Hochschulen in den unmittelbaren Nachkriegsjahren sind noch nicht umfassend dargestellt worden. Für einzelne Hochschulen liegen immerhin mehr oder weniger umfassende Zahlenangaben und Dokumentationen vor.156 Die Fluidität des Geschehens insgesamt und die Unebenheiten der Entscheidungsfindungen erschweren den Versuch eines summarischen Überblicks. Über die Struktur und Nachhaltigkeit der ‚Säuberungen‘ ab 1945 kann gleichwohl eine Aussage formuliert werden, die bislang gängigen Formulierungen widerspricht, sofern sie auf vermeintliche ‚Kontinuitäten‘ abzielen: Im ersten Nachkriegsjahr vollzog sich ein starker Bruch, der in den Folgejahren nur teilweise zurückgenommen wurde. An der TH Wien wurden 224 von 365 (= 65 %) Angehörigen des wissenschaftlichen Personals, darunter 35 (= 72 %) der ordentlichen Professoren, aus dem Hochschuldienst entfernt; somit war der Einschnitt dort „bedeutend größer als 1938“.157 An der Grazer Universität wurden einem Bericht vom 1. Juni 1946 zufolge 108 von 179 (= 60 %) Professoren und Dozenten des Jahres 1945 entfernt; unter den ordentlichen und außerordentlichen Professoren wurden 47 von 68 (= 70 %) Personen entlassen.158 Einem Schreiben der 154 Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), in: StGBl., Nr. 13/1945, S. 19–22, hier: Art. VI, § 27, S. 21 f. Vgl. Roman Pfefferle/Hans Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren, Göttingen 2014, S. 33. 155 Peter Goller, Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitierung von Nazikadern (1945– 1950), Innsbruck 2003, S. 20 ff. Siehe auch Kap. 3.2 seines Beitrags zu diesem Band. 156 Vgl. Ebner, Politik und Hochschule, S. 196 ff.; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 212. Zur Universität Wien vgl. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Für die Universität Innsbruck liegen neben Goller (Universität Innsbruck) mehrere umfangreiche Studien zu den einzelnen Fakultäten mit biografischen Einzelfalldokumentationen vor. Siehe auch die Beiträge von Berger, Ebner, Goller und Pfefferle/Pfefferle in diesem Band. 157 Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 42. 158 Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 212.
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Innsbrucker Medizinischen Fakultät vom 21. Juni 1946 ist zu entnehmen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Hälfte der Angehörigen ihres Lehrkörpers entfernt worden war.159 Für viele entlassene prominente Nationalsozialisten diente die Akademie der Wissenschaften als Auffangbecken.160 Dieser einschneidende Bruch führte zu einer Schrumpfung der Lehrkapazitäten just zu einer Zeit, in der die Studierendenzahlen wegen der rückkehrenden Soldaten in bis dahin noch nie erreichte Höhen stiegen. Darauf wiesen die zuständigen Rektoren mit Nachdruck hin. Trotzdem gab es nur vereinzelt Versuche einer Rückberufung der aus rassistischen Gründen vertriebenen Hochschullehrer, die meist auf Prominente beschränkt waren.161 Eine umfangreiche Liste von potenziell Rückkehrwilligen, die von der Austrian League of America erstellt und im Mai 1946 dem Unterrichtsministerium vom amerikanischen Besatzungsoffizier Major William Featherstone vorgelegt wurde, tat man dort als Werk einer „Emigrantenregierung“ ab.162 Allerdings erhielten die wenigen Vertriebenen, die in Europa überlebt hatten, nach Österreich zurückfanden und um ihre alten Stellen ansuchten, relativ häufig Posten.163 Bei den anderen standen der Rückkehr „geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten“164 entgegen. So umschrieb der einstige Justizminister und nunmehrige Wiener Rektor Adamovich Hemmnisse wie die Reiserestriktionen der Alliierten, das Insistieren des Unterrichtsministeriums auf der Aufgabe der im Exil erworbenen ausländischen Staatsbürgerschaft und die Verpflichtung zum Ansuchen um eine Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft oder die Weigerung des Finanzministeriums, Übersiedelungskosten der aus Übersee Berufenen zu vergüten. Gleichwohl ist es in 159 Zit. nach Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Die Medizinische Fakultät Innsbruck. Faschistische Realität (1938) und Kontinuität unter postfaschistischen Bedingungen (1945). Eine Dokumentation, Innsbruck 1999, S. 37. 160 Vgl. hierzu Johannes Feichtinger/Dieter Hecht, Die Entnazifizierung an der Akademie der Wissenschaften, in: Johannes Feichtinger u.a. (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, S. 176. 161 Der Prominenteste war wohl Erwin Schrödinger, dessen Berufung Staatspräsident Karl Renner unter anderem deshalb empfahl, weil er „Österreicher und Arier [sic]“ war; zit. nach Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 362, Fußnote 1540. 162 Vgl. hierzu Christian Fleck, Österreichs Universitäten am Beginn der Zweiten Republik. Entnazifizierung und Nicht-Rückkehr der Vertriebenen. Wien 2002, S. 7, http://www.ssoar.info/ssoar/handle/ document/23478 [8. August 2016]. 163 Beispiele aus der Physik in Wien finden sich bei Wolfgang L. Reiter, Naturwissenschaften und Remigration, in: Sandra Wiesinger-Stock/Erika Weinzierl/Konstantin Kaiser (Hg.), Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft, Wien 2006, S. 186–188. Für Beispiele aus Graz vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 209. 164 Ludwig Adamovich, Bericht über den Studienbetrieb an der Wiener Universität vom Sommer-Semester 1945 bis zum Sommer-Semester 1947, Wien 1947, S. 18.
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Einzelfällen zu Rückrufen gekommen.165 Ob weitere Vertriebene tatsächlich zurückgekehrt wären, wenn man sie berufen hätte, steht auf einem anderen Blatt. Aufgrund der Wirtschaftslage konnten die österreichischen Hochschulen mit den Bedingungen an amerikanischen oder britischen Universitäten kaum konkurrieren, und die Vertriebenen hatten doch gute Gründe, nichts mehr mit dem Land ihrer Verfolgung zu tun haben zu wollen. Anstelle von Bemühungen um die Rückholung der aus rassistischen Gründen Vertriebenen herrschte anfangs Improvisation vor. Sie beinhaltete neben dem massiven Einsatz von Gastprofessoren, der Aufwertung von Nichthabilitierten oder der zeitweisen Anhebung der Altersgrenze auf 70 Jahre, um Emeriti wieder einsetzen zu können, eine schleichende Aushöhlung der strengen Entnazifizierungsmaßnahmen durch einstweilige ‚Belassungen‘ zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs bis zur Klärung der allfälligen Einsprüche gegen Entlassungen oder der Ansuchen um Ausnahme von den Sühnefolgen. Erst die scharfe Kritik eines Teils der Medien Ende 1945 und Anfang 1946 in Wien und ab Februar 1946 in Graz führte auf Druck der Alliierten zu einer nochmaligen Überprüfung durch das Unterrichtsministerium, die zum Teil durch eine Sonderkommission in Wien vorgenommen wurde.166 Flankiert wurde dieser Schwenk durch Stellungnahmen des Unterrichtsministers Felix Hurdes – selbst ein Opfer des NS-Regimes –, in denen er auf den Druck der Öffentlichkeit und „ganz besonders von den Alliierten“ gegen das „viel zu langsame Fortschreiten der Säuberung des Beamtenapparates von nationalsozialistischen Elementen“ hinwies und forderte, dieses Problem „nun endlich einmal und mit aller Gründlichkeit“ anzufassen.167 In Innsbruck waren allerdings solche Medien kaum vorhanden, geschweige denn wirksam.168 Vertreter der Besatzungsmächte legten in Einzelfällen Einspruch gegen Wiedereinsetzungen ein,169 aber derartige Schritte blieben wegen fehlender personeller Kontinuität unter den Hochschuloffizieren selten längerfristig wirksam. Das Interesse an solchen Kontrollen erlahmte ohnehin nach dem nur für ein Jahr geltenden Nationalsozialistengesetz von 1947, das eine Unterscheidung zwi165 Für Beispiele aus der Medizin bzw. der Ethnologie vgl. die Beiträge von Ingrid Arias und von Andre Gingrich in Grandner/Heiß/Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten. 166 Vgl. hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 148 ff. und die dort angegebene Literatur, Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 210 f., sowie die einschlägigen Ausführungen von Pfefferle/Pfefferle in diesem Band. Erst ab April 1946 waren die bis dahin zurückbehaltenen Gau akten, wieder auf Druck der Alliierten, verfügbar. 167 Bundesminister Hurdes an den Stadtschulrat für Wien und an den Landesschulrat für Niederösterreich, 13. Februar 1946, zit. nach Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 329. 168 Vgl. der Beitrag von Peter Goller in diesem Band. 169 Goller, „Natürlich immer auf wissenschaftlicher Ebene!“, S. IX; Ders., Universität Innsbruck, S. 21. Siehe auch Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 93.
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schen einer eng definierten Gruppe der ‚Belasteten‘ und dem Gros der ‚Minderbelasteten‘ einführte, und der sogenannten Minderbelastetenamnestie von 1948, die das Ende der Entnazifizierung in Österreich einleitete.170 Beim Vergleich der bislang bekannten Forschungsergebnisse zu einzelnen Hochschulen drängt sich der Eindruck eines merkwürdigen Kontrastes auf. Laut einer neuen Untersuchung von Andreas Huber zur Universität Wien, die so weit wie möglich alle Lehrenden einbezieht, waren bis Mai 1950 ca. 30 % der Lehrenden von 1943 (151 von 495 Personen) wieder bzw. noch im Dienst, was seiner Meinung nach für eine „einigermaßen konsequente Entnazifizierung“ bis zu diesem Zeitpunkt spricht.171 In den 1950er Jahren machte man sich zwar gezielter an einen politisch gefärbten Wiederaufbau des Lehrkörpers heran, doch selbst damals kamen viele Prominente der NS-Zeit nicht wieder zum Zug. An der Universität Innsbruck waren dagegen alle von Peter Goller als „vorübergehend gefährdet“ bezeichneten Hochschullehrer, darunter vormals exponierte Persönlichkeiten wie die ehemaligen Rektoren Raimund Klebelsberg und Harold Steinacker sowie der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Otto Steinböck, mit beherzter Hilfe ihrer Kollegen bis 1948 bzw. 1951 wieder im Dienst.172 Angesichts solcher Ergebnisse bedarf es wohl einer verstärkten Reflexion über den Begriff der Kontinuität.173 Es greift offenbar zu kurz, schon dann von Kontinuität zu sprechen, wenn ein ehemaliges NSDAP-Mitglied wieder in eine Professur einrückte, obwohl selbst in solchen Fällen die Zeit von der Entfernung aus dem Dienst bis zum Wiedereintritt bis zu neun Jahre oder länger betrug und viele prominente Nationalsozialisten zumindest der Wiener Universität nie wieder berufen wurden. Nur die kleine Gruppe der ‚nicht belasteten‘ Hochschullehrer, die ihre Einordnung in diese Kategorie der Tatsache zu verdanken hatten, dass sie einst nicht in die NSDAP eingetreten waren, weist eine kontinuierliche Laufbahn im eigentlichen Wortsinn auf. Dass auch Wissenschaftler wie der Kulturgeograf Hugo Hassinger, die der Eroberungspolitik der Nationalsozialisten zugearbeitet hatten und damit selber Teil des NS-Systems gewesen waren, zu dieser Gruppe gehörten, spielte bei ihrer Weiterverwendung keine Rolle.
170 Siehe BGBl., Nr. 99/1948, S. 449. 171 Huber, Die Hochschullehrerschaft, S. 685. 172 Vgl. Peter Goller, Der Dozentenkader der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck und die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945–1951, Innsbruck 2000, und seinen Beitrag in diesem Band. 173 Vgl. hierzu ausführlicher Ash, Die Universität Wien, S. 155 f.
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Im eklatanten Gegensatz zur Behandlung der Lehrenden stand die Entnazifizierung der Studierenden. Sie stand von vornherein unter dem Zeichen ihres zu erwartenden „Beitrags zum Neuaufbau dieses Staates“, wie Leopold Figl es schon 1945 ausdrückte.174 Folglich ging man bei der Zulassung zum Studium anders vor als bei der politischen Überprüfung der Lehrenden. Die Richtlinien des Staatsamtes für Unterricht vom 16. August 1945 sahen den Ausschluss von ‚Illegalen‘, SS-Mitgliedern und Funktionären der Partei und ihrer Wehrverbände (SA, NSKK, NSFK) vor, erlaubten jedoch „bei Vorliegen rücksichtswürdiger Gründe“ die Zulassung von Parteimitgliedern und -anwärtern, die nach dem ‚Anschluss‘ zur NSDAP gestoßen waren, und sogar von Personen, die in der Studentenführung tätig gewesen waren. Die Vorprüfung wurde der Studentenvertretung überlassen, die Ergebnisse waren aber den akademischen Behörden vorzulegen.175 Dass diese Regelung Willkür bzw. gezielten Absprachen unter den Zeugen Tür und Tor öffnete, wurde schnell klar. Trotz späterer Verschärfungen des Verfahrens und der Ausschlusskriterien blieb die Ausschlussquote gering: Einer in der Akademischen Rundschau, der Zeitung der Österreichischen Hochschülerschaft, am 6. Juli 1946 publizierten Statistik zufolge betrug sie an der Universität Wien nicht mehr als 2 %; im Wintersemester 1946/47 lag sie nur noch bei 0,54 %.176 Institutionelle Wandlung – Restauration oder ‚Rückbruch‘? Zwei Aspekte scheinen für den Umbruch von 1945 grundlegend gewesen zu sein: 1) eine selektive Reaktivierung der Gesetzesvorschriften der Ersten Republik und der ersten österreichischen Diktatur sowie 2) Netzwerkbildungen zwischen der kleinen Gruppe der Professorenfunktionäre und ihren Freunden in der staatlichen Bürokratie, namentlich im Wiener Unterrichtsministerium und in der Landeshauptmannschaft. Im Hinblick auf den ersten Aspekt war die Wiedereinführung des Hochschulermächtigungsgesetzes von 1935 auf den ersten Blick ebenso überraschend wie richtungsweisend.177 Damit wurde der Zugriff der staatlichen Behörden zunächst bei der Einsetzung der Hochschulleitungen und danach im Rahmen der Entnazifizierung erleichtert.178 Zum zweiten Aspekt gibt es noch keine gezielte Untersuchung, dafür aber einschlägige Indizien eines Zusam174 Leopold Figl, Der Student im neuen Österreich, in: Der Student, November 1945, zit. nach Andreas Huber, Entnazifizierung und Rückbruch. Studierende 1945–1950, in: Ders. u.a., Universität und Disziplin. Angehörige der Universität Wien und der Nationalsozialismus, Wien/Berlin/Münster 2011, S. 182. 175 Vgl. Akademische Rundschau vom 24. November 1945, zit. nach Huber, Entnazifizierung, S. 190. NSKK = Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps, NSFK = Nationalsozialistisches Fliegerkorps. 176 Huber, Entnazifizierung, S. 214, 220. 177 Vgl. hierzu im Allgemeinen Ilse Reiter-Zatloukal, Restauration – Fortschritt – Wende. Politik und Hochschulrecht 1945–2015, in: Ash/Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft, S. 462. 178 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 205.
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menspiels zwischen Professorenfunktionären und ihren Vertrauten im Staatsamt bzw. Ministerium für Unterricht. So warnte beispielsweise Sektionschef Skrbensky seinen Duzfreund Richard Meister, damals Prorektor der Universität Wien, am 19. Mai 1945, Staatssekretär Fischer habe vor, Rückberufungen der von den Nationalsozialisten vertriebenen Hochschullehrer „im großen Stil“ voranzutreiben.179 Überall standen der materielle Wiederaufbau, die Aufrechterhaltung der Lehre und die Wiederherstellung der Machtverhältnisse im Innern zugunsten der konservativ-katholischen Eliten der Zeit vor dem ‚Anschluss‘ im Vordergrund. In letzterer Hinsicht hatte die Ernennung von formal ‚nicht belasteten‘ Professoren als Rektoren, die nach anfänglichem Stolpern an allen Hochschulen vorgenommen wurde, eine strukturkonservative Wirkung. Weitergehende strukturelle Wandlungen wurden gelegentlich angedacht; dies war etwa bei der vom damaligen Grazer Rektor Karl Rauch schon 1945 vorgeschlagenen Vereinigung der dortigen Universität mit der Technischen Hochschule und der Montanistischen Hochschule in Leoben oder bei der im Unterrichtsministerium anvisierten Schließung der Grazer Universität der Fall, gegen die sich die dortige Universitätsleitung und die Steirische Landesregierung im Frühjahr und Sommer 1946 aus wohlverstandenem regionalen Interesse erfolgreich zur Wehr setzten.180 Keine der Besatzungsmächte scheint auf einer grundlegenden Hochschulreform bestanden zu haben. Ob entsprechende Konzepte für Österreich überhaupt vorlagen, bleibt unklar. Anscheinend beschränkten sich die Alliierten neben den genannten Interventionen im Personalbereich auf Hilfe bei der Wiederbeschaffung von ausgelagerten Unterlagen oder Bibliotheksbeständen und auf Initiativen zugunsten von Austauschprogrammen, die tatsächlich eine längerfristige Wirkung entfalten sollten.181 Eine bedeutende Frage struktureller Art war die nach der Zuständigkeit für studentische Angelegenheiten. Obwohl sich die neuformierte österreichische Rektorenkonferenz und die Akademischen Senate der Hochschulen gegen eine zentrale Aufsicht und für eine Steuerung über die jeweilige Hochschule aussprachen, wurde die Österreichische Hochschülerschaft per Verordnung vom 3. September 1945 auf der Grundlage des wieder geltenden Hochschulermächtigungsgesetzes von 1935 gegründet. Wahlen zu Fachschaften fanden Anfang 1946 und die ersten gesamtösterreichischen Hochschülerschaftswahlen am 19. November desselben Jahres statt. Dass dies 179 Zit. nach Ash, Die Universität Wien, S. 151. 180 Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 213 f. 181 Vgl. hierzu beispielsweise Thomas König, Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich. Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“, Innsbruck 2012. Die akademische Arbeit des British Council und der Alliance Française in der Besatzungszeit ist noch weitgehend unerforscht.
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mit ministerieller Genehmigung geschah, verweist darauf, dass die ‚Autonomie‘ der akademischen Behörden hier auf eine Grenze stieß. Allerdings erwies sich das Misstrauen der Rektoren und Akademischen Senate gegenüber der politischen Reife der Studierenden als durchaus begründet; nach anfänglicher Ruhe gerieten die Wahlen in Wien wegen heftiger Agitation von NS-Studenten und entsprechenden Reaktionen von kommunistischen Gruppen im Vorfeld zu einem Eklat.182 Eine Großdemonstration vor dem Hauptgebäude der Universität am Wahltag, zu der die Kommunisten aufgerufen hatten, artete in Unruhen aus. Das Gebäude wurde zeitweilig gesperrt, erst eine vom Rektor angerufene Abordnung amerikanischer Militärpolizisten stellte die Ruhe wieder her. Die Unruhen hatten ein parlamentarisches Nachspiel, in dem der Vorwurf laut wurde, der Vorfall würde im Ausland den Eindruck erwecken, dass Österreich nicht reif für die Demokratie sei. Das Ergebnis der Wahlen war ein haushoher Sieg der Konservativen, die auf absehbare Zeit die Mehrheit in der Hochschülerschaft behalten sollten. Diskurse: Wie bereits erwähnt, stand im Umbruch von 1945 wie in den Zeiten der ersten Diktatur die nationale Parole ‚Österreich‘ von Anfang an im Vordergrund, deren konkreter Gehalt war aber keineswegs unumstritten. Staatssekretär Fischer plädierte am 22. Mai 1945 in seinem Vortrag zum Thema Die Aufgaben der Universität im neuen Staat recht unspezifisch dafür, „dass die Hochschulen zu Hochburgen eines demokratischen, geistigen und verantwortungsbewussten Österreichertums werden“.183 Unterstaatssekretär Lugmayer knüpfte demgegenüber in der Vorlesung Christliche Weltanschauungslehre für Hörer aller Fakultäten der Universität Wien wieder an die Inhalte der Pflichtvorlesung zur ‚staatsbürgerlichen Erziehung‘ der 1930er Jahre an. In diesem Zusammenhang versuchte man auch die österreichische Geschichte, im Wesentlichen verstanden als die Geschichte der Monarchie statt der Republik, im Sinne einer ‚erfundenen Tradition‘ (Eric Hobsbawm und Terence Ranger) zu mobilisieren.184 Hinzu gesellten sich im Verlauf der frühen Nachkriegszeit die weiteren, inhaltlich ebenfalls umstrittenen Parolen ‚Freiheit‘ und ‚Demokratie‘, die in ihrer Kombination bald zu einem doppelt besetzten antikommunistischen Topos wurden. Von zentraler Bedeutung für diesen Umbruch war die diskursive Dimension der Entnazifizierung, die zwei Seiten aufwies. In der Öffentlichkeit blieb heiß umstritten, was unter einer Reinigung des Lehrkörpers im Sinne eines demokratischen Neube182 Vgl. hierzu Ash, Die Universität Wien, S. 162 f. und die dort angegebene Literatur sowie den Beitrag von Andreas Huber in diesem Band, Kap. Die ÖH-Wahlen 1946 und ihre Folgen. 183 Ernst Fischer, Das Jahr der Befreiung. Aus Reden und Aufsätzen, Wien 1946, S. 14. 184 Für Beispiele vgl. Gernot Heiß, Wendepunkt und Wiederaufbau: die Arbeit des Senats der Universität Wien in den Jahren nach der Befreiung, in: Grandner/Heiß/Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten, S. 17 f.
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ginns zu verstehen sein sollte. Während die Autoren der Schrift Die Wehrlosen. Zum Problem der nationalsozialistischen Hochschullehrer (1946) die NSDAP-Mitgliedschaft an sich für disqualifizierend hielten,185 behauptete der Grazer Rektor Rauch, die Universität sei „als Institution vom fremden Gift [sic] des Nationalsozialismus nicht tödlich getroffen“ und in „ihrem Wesen davon kaum berührt worden“.186 Derartige Formulierungen waren richtungsweisend für einen Diskurs der Externalisierung, der darauf abzielte, die eigene Beteiligung am NS-Regime quasi ungeschehen zu machen. In den Entnazifizierungsakten entfalteten sich hingegen völlig andere, auf persönliche Entlastung zielende Diskurse, die in der Literatur vielfach spöttisch bis sarkastisch referiert worden sind.187 Was Professoren 1938 im Brustton der Überzeugung behauptet hatten, um ihre Loyalität zum NS-Regime zu bezeugen, wurde nach 1945 relativiert, abgeschwächt oder geleugnet.188 Allerdings genügt es nicht, dieses Verhalten nach dem Muster eines Strafgerichts zu deuten, denn die beurteilenden Fakultäten zogen oft mit und erklärten sich bereit, zumindest gewissen Kollegen ‚korrektes‘ Verhalten oder gar ‚innere Opposition‘ zum Regime bzw. eine ‚innere Abkehr‘ von ihm nach 1945 zu bezeugen.189 Als eine Art universitätspolitisches Pendant benützte man opportune Jubiläums termine dieser Zeit, um eine traditionelle Auslegung des Topos ‚Autonomie‘ wiederzubeleben. So knüpfte Richard Meister 1949 in seiner Inaugurationsrede als Rektor der Universität Wien an die Universitätsreform des Grafen Thun-Hohenstein von 1849/50 an. Diese Reform, die die Leitung der Hochschulen in die Hände der Professoren gelegt hatte, betrachtete Meister als von „unvergleichlichem Wert“, weil die damals vom Staat zugestandene Autonomie Schutz vor „politischen Triebkräften“ geboten habe.190 Damit reklamierte er das Selbstbild der mehrheitlich liberalen Professo185 Vereinigung Demokratischer Hochschullehrer, Die Wehrlosen. Zum Problem der nationalsozialistischen Hochschullehrer, Wien 1946, S. 9. Anlass dieser Publikation war der Fall des Germanisten Josef Nadler, der sich als einen solchen „Wehrlosen“ bezeichnet hatte. Vgl. hierzu Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 440. 186 Zit. nach Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 205. 187 Vgl. Goller, „… natürlich immer auf wissenschaftlicher Ebene!“; Ders., Der Dozentenkader; Ders., Universität Innsbruck. 188 Mikoletzky spricht von „erstaunlichen Interpretationsunterschieden“ („Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 42). 189 Dass dies sogar bei exponierten Nationalsozialisten wie dem damaligen Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät Otto Steinböck möglich war, zeigt Goller, Der Dozentenkader, S. 16 ff. 190 Richard Meister, Die Universitätsreform des Ministers Graf Thun-Hohenstein. Inaugurationsrede, gehalten am 23. November 1949, in: Die Feierliche Inauguration des Rektors der Universität Wien für das Studienjahr 1949/50, Wien 1949, S. 96 f., zit. nach Feichtinger, Die verletzte Autonomie, S. 262.
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renschaft des späten 19. Jahrhunderts als freie Forschende und Lehrende als Ressource für den Machterhalt ihrer klerikal-konservativ gesinnten Nachkommen nach 1945. Schluss – Möglichkeiten und Probleme eines Gesamtnarrativs
Angesichts der Vielfältigkeit und Komplexität der immer wieder neu verwobenen Beziehungsgeflechte der österreichischen Hochschulen mit verschiedenen Regimen ist die Frage berechtigt, inwiefern eine Gesamterzählung überhaupt möglich ist. Eine naheliegende Möglichkeit besteht darin, die Geschichte der österreichischen Hochschulen mit einem häufig vertretenen Gesamtnarrativ der österreichischen Geschichte im 20. Jahrhundert zu verknüpfen, nämlich als Weg in den Abgrund mit Terminus ad quem im März 1938 bzw. im Mai 1945. Unklar bleibt aber dann, wie die Zeit danach aufzufassen ist – als ambivalenter Aufbruch in die Demokratie, der um den hohen Preis der Integration der NSDAP-Wähler bzw. der ehemaligen Nazi-Professoren erkauft wurde, oder als ,Rückbruch‘ zu älteren Machtverhältnissen, bedingt durch Verbindungen ins österreichische Unterrichtsministerium oder in die Landeshauptmannschaften.191 Einem linear-teleologischen Narrativ steht ohnehin der hohe Grad an Kontingenz entgegen, die in jedem Umbruch gegeben war – haben doch die deutschnationalen Professoren der 1920er und frühen 1930er Jahre den schrittweisen Übergang in die klerikal-faschistische Diktatur, die mitunter zur eigenen Entfernung von der Hochschule führte, ebenso wenig vorausahnen können wie die Steigbügelhalter des klerikal-faschistischen Regimes ihren Hinauswurf durch die Nationalsozialisten 1938 oder die Nazi-Professoren ihre Entfernung von den Hochschulen im Jahr 1945. Für die Hochschullehrer und Studierenden jüdischer Herkunft trifft dies allerdings nur bedingt zu; zumindest die politisch bewussten unter ihnen wussten spätestens 1934, was auf sie zukommen würde, wenn die Nationalsozialisten auch in Österreich an die Macht kommen würden.192 Das Narrativ eines Weges in den Abgrund wird häufig mit einer zweiten Erzählung der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Österreichs als Weg von einstigem 191 Zur Interpretation der unmittelbaren Nachkriegszeit an den Hochschulen als ‚Rückbruch‘ bzw. ‚sanften Rückbruch‘ vgl. Rathkolb, Die Universität Wien und die „Hohe Politik“, S. 39, 53 sowie Heiß, Wendepunkt und Wiederaufbau, S. 15. 192 So schrieb Sigmund Freud am 20. Februar 1934, also kurz nach der Niederschlagung des Februaraufstandes, an seinen Sohn Ernst: „Die Zukunft ist ungewiss: entweder ein österreichischer Faschismus oder das Hakenkreuz. Im letzteren Fall müssen wir weg: vom heimischen Faschismus wollen wir uns einiges gefallen lassen, da er uns kaum so schlecht behandeln wird als sein deutscher Vetter. Schön wird er auch nicht sein“. Zit. nach Sigmund Freud, Briefe 1873–1939, hg. von Ernst L. Freud/Heinrich Meng, Frankfurt a.M. 19682, S. 434.
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Glanz in die Provinzialität vermengt. Neuerdings werden diese beiden Erzählungen wiederum, vor allem im Fall der Universität Wien, mit einer dritten verbunden, nämlich mit der ebenso vertrauten Erzählung der jüdischen Geschichte als Leidensweg mit der Shoah als Terminus ad quem.193 Alle drei Erzählungen haben etwas für sich – an Beispielen für ihre Schlüssigkeit hat es auch in diesem Beitrag nicht gefehlt. Doch es stellt sich die Frage, ob sie das politische Hochschulgeschehen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seiner Komplexität vollständig abzubilden vermögen. Schließlich kann die für die Universität Wien zu Recht behauptete Weltgeltung um 1900 wohl kaum für alle Hochschulen auf dem Territorium des heutigen Österreichs beansprucht werden. Richtig ist, dass die Diskriminierung von Lehrenden und Studierenden jüdischer Herkunft nicht erst 1938, sondern viel früher begonnen hat, aber der Qualitätsverlust und die provinzielle Einengung der österreichischen Hochschulen in dieser Zeit sind nicht allein auf den Antisemitismus zurückzuführen. Die Finanzlage des Staates insgesamt am Anfang wie am Ende der Ersten Republik und dann wieder nach 1945 war ohnehin nicht dazu angetan, einen Abstieg von der früheren, nur relativen Prosperität aufzuhalten. Wichtiger noch ist die Feststellung, dass die fortgesetzte „autochthone Provinzialisierung“194 der österreichischen Hochschulen nach 1945 keine automatische Folge der ‚Säuberungen‘ des Jahres 1938 war, von denen die Hochschulen, wie oben gezeigt, ohnehin in höchst unterschiedlichem Ausmaß betroffen waren. Sie war vielmehr das Ergebnis bewusster Entscheidungen konservativ-reaktionärer Hochschulmachthaber in Zusammenarbeit mit den zuständigen Verantwortungsträgern im Staat nach 1945. Das gebannte Schielen der Historiografie wie der Geschichtskultur auf die Ereignisse von 1938 mag berechtigt sein, um die damals geschlagenen Wunden kenntlich zu machen. Es hat aber die Bedeutung dieser Entscheidungen der zweiten Nachkriegszeit sowie der Unterlassungen der Alliierten, die andere Prioritäten gesetzt haben, und der Sozialdemokratie, die die Hochschulpolitik nach 1918 wie nach 1945 den Konservativen überlassen hat, zu lange verdeckt.
193 Das jüngste Beispiel ist wohl Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Zur Kritik einer negativteleologischen Sicht der jüdischen Geschichte auf diesem Themenfeld vgl. Mitchell G. Ash, Jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Wien von der Monarchie bis nach 1945. Stand der Forschung und offene Fragen, in: Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus, S. 87–116. 194 Christian Fleck, Autochthone Provinzialisierung. Universität und Wissenschaftspolitik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich, in: ÖGZ 7 (1996), S. 67–92.
„Wie die Verbrecher wurden sie registriert.“1 Verzeichnisse über illegale studentische politische Aktivitäten im Austrofaschismus als historische Quellen
Markus Wurzer
1 Einleitung und Forschungsstand
Die mit politischen Umbrüchen einhergegangenen ,Säuberungen‘ betrafen nicht nur die Lehrenden, sondern auch die Studierenden. Hochschülerinnen und Hochschüler, die den ideologischen Standpunkt des jeweiligen neuen Machthabenden nicht teilten, sich aktiv gegen ihn stellten oder sich für eine andere politische Partei betätigten, mussten damit rechnen, aus politischen Gründen bestraft und/oder von der Hochschule verwiesen zu werden. Bislang konzentrierte sich die Historiografie vor allem auf die ,Säuberungswellen‘, die nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an Hitler-Deutschland durchgeführt und in deren Kontext gerade auch jüdische Studierende – aus ,rassischen‘ Gründen – ausgeschlossen worden waren.2 Der austrofaschistische ‚Ständestaat‘ hatte die Hochschulen allerdings bereits zuvor als Orte der politischen Erziehung erkannt. Die Studierenden sollten dort antiliberal, antisozialdemokratisch und vor allem antinationalsozialistisch erzogen werden und eine ‚vaterländische Gesinnung‘ vermittelt bekommen. Dazu wurden die Hochschülerinnen und Hochschüler einerseits verpflichtet, ‚vaterländische‘ Vorlesungen und Hochschullager zu besuchen. Zum anderen wurden sie bei Vergehen gegen die Ordnung diszipliniert.3 Die Bandbreite an Disziplinierungsmaßnahmen war, wie noch gezeigt wird, umfas1 2
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Otto Reich von Rohrwig, Der Freiheitskampf der Ostmark-Deutschen. Von St. Germain bis Adolf Hitler, Graz/Wien/Leipzig 1942, Bildtafel XIII. Dieter A. Binder, Das Schicksal der Grazer Juden 1938, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 18/19 (1988), S. 219; Herbert Posch, März 1938. „Anschluß“ und Ausschluss. Vertreibung der Studierenden der Universität Wien, in: Ders./Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008, S. 99–140. Marina Fischer-Kowalski, Zur Entwicklung von Universität und Gesellschaft in Österreich, in: Heinz Fischer (Hg.), Das politische System Österreichs, Wien/Köln 19743, S. 583; zur ‚vaterländischen‘ Erziehung an Hochschulen vgl. Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), S. 377–396.
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send und konnte im äußersten Fall bedeuten, dass der oder die Studierende von der Hochschule verwiesen wurde. Historiografische Studien zur Studierendenschaft im Austrofaschismus sind bislang rar. Sie konzentrieren sich auf einzelne Hochschulorte und wenden sich den allgemeinen Entwicklungen zu, die zum ‚Anschluss‘ vom März 1938 führten. Die ,Säuberungen‘ von regimefeindlichen Studierenden würden diese Arbeiten, so Stephanie Mittendorfer, nur streifen, explizite Untersuchungen dazu fehlten.4 Mittendorfer selbst hat dieses Feld durch eine Mikrostudie geöffnet, in der sie die studentischen Disziplinarakten der Universität Wien für die Jahre 1933 und 1934 quantitativ ausgewertet hat. Derlei Akten entstanden, wenn von der zuständigen Sicherheits- oder der akademischen Behörde ein Vergehen gegen die bestehende Ordnung festgestellt und daraufhin ein Verfahren eingeleitet worden war. Mittendorfer hat in ihrer Studie erörtert, welche Behörden an den Verfahren beteiligt waren, welche Entscheidungen von den Kommissionen getroffen wurden und in welchen politischen Kontexten die betroffenen Studierenden zu verorten waren.5 Für gewöhnlich lag die Durchführung der Verfahren im Verantwortungsbereich der akademischen Behörden. Angesichts der zunehmenden Agitation an den Hochschulen durch nationalsozialistische Studierende, die im Gefolge des Betätigungsverbots für NSDAP und Steirischen Heimatschutz vom 19. Juni 19336 noch im selben Monat einen ersten Höhepunkt erfuhr und im Juliputsch 1934 kulminierte, verschafften sich die ständestaatlichen Behörden schrittweise mehr Einfluss auf diese Sanktionierungsprozesse und mehr Teilhabe an ihnen.7 Um einen Überblick über die Situation an den Hochschulen zu erhalten, ließ die Bundesregierung von Hochschulen, Sicherheits- und Polizeidirektionen Verzeichnisse über studentische Verfahren erstellen und übermitteln. Diese Verzeichnisse, die im Allgemeinen Verwaltungsarchiv (AVA) des Österreichischen Staatsarchivs überliefert sind, wurden bislang von 4
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Vgl. Stephanie Mittendorfer, Die Disziplinarakten der „politischen“ Studierenden der Universität Wien. Der Umgang mit „oppositionellen“ Studierenden der Universität Wien im Austrofaschismus am Beispiel der Jahre 1933 und 1934, in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, Wien 2013, S. 113. Beispielsweise für die Karl-Franzens-Universität (KFU) Graz: Dieter A. Binder, Der Weg der Studentenschaft in den Nationalsozialismus, in: Helmut Konrad (Hg.), Die Universität und 1938, Wien/Köln 1989, S. 89; für die Universität Innsbruck: Michael Gehler, Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918–1938, Innsbruck 1990; für die Universität Wien: Herbert Posch, Studierende und die Universität Wien in der Dauerkrise 1918 bis 1938, in: Ders./Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 61–97. Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 114, 123. Siehe Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 240/1933, S. 104. Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 130.
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der Forschung kaum berücksichtigt.8 Dabei lassen sie interessante Rückschlüsse auf die Art und Weise zu, wie sich Studierende in den 1930er Jahren für verbotene Parteien oder generell regierungskritisch engagierten, wie das Rechtssystem mit straffällig gewordenen Hochschülern und Hochschülerinnen umging und wer diese Studierenden überhaupt waren. Gerade aus der Retrospektive lohnt es sich, diesen Fragen mit Blick auf die nachfolgenden Ereignisse, den ‚Anschluss‘ und die Etablierung der NS-Herrschaft in Österreich, nachzugehen; schließlich zählte die Studentenschaft zu den wichtigsten Trägerschichten des Nationalsozialismus vor dem ‚Anschluss‘.9 Während zur Sozialstruktur der Wählerschaft und der Mitglieder der NSDAP im Allgemeinen wie auch zum nationalsozialistisch motivierten Terror in der Zeit der ‚Illegalität‘, also zwischen dem Erlass des Verbots für NSDAP und Steirischen Heimatschutz und dem ‚Anschluss‘ Österreichs, umfangreiche Arbeiten vorliegen,10 gibt es zu den nationalsozialistischen Studierenden in Österreich bislang nur punktuelle Studien zu einzelnen Hochschulen.11 Gerade im Hinblick auf die Sozialstruktur dieser Personengruppe werden Michael Gehler zufolge dringend weitere Untersuchungen benötigt, um die allgemein akzeptierte Aussage, die nationalsozialistischen Studierenden stammten aus dem kleinbürgerlich-mittelständischen Milieu, verifizieren oder falsifizieren zu können.12 8
Michael Gehler hat das Aktenmaterial erstmals für eine kurze Auswertung von 64 Disziplinarverfahren verwendet, die im Studienjahr 1933/34 an der Hochschule Innsbruck eingeleitet wurden: Gehler, Studenten und Politik, S. 380 f. 9 Michael Gehler, Korporationsstudenten und Nationalsozialismus in Österreich: Eine quantifizierende Untersuchung, in: Geschichte und Gesellschaft 20 (1994), S. 1. 10 Zur Sozialstruktur: Gerhard Botz, Soziale „Basis“ und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte (Hg.), Faschismus in Österreich und international, Wien 1982, S. 15–77; für eine Übersicht vgl. Kurt Bauer, Literaturliste zum Forschungsprojekt „Die Sozialstruktur der illegalen NS-Bewegung in Österreich (1933–1938)“, Stand: 16. Dezember 2006 http://www.kurt-bauer-geschichte.at/PDF_Forschung_Material/literaturliste_ns_sozialstruktur.pdf [13. Februar 2017]; für die NS-Betätigung und Organisation etwa: Vgl. Kurt Bauer, Der Weg zum Juliputsch. Zu Struktur und Dynamik des Nationalsozialismus in der Steiermark von 1932 bis 1934, in: Heimo Halbrainer/Martin Polaschek (Hg.), Aufstand, Putsch und Diktatur. Das Jahr 1934 in der Steiermark, Graz 2007, S. 103–106 sowie 110 f. 11 Für die Universität Innsbruck: Gehler, Korporationsstudenten, S. 1–28; für die Hochschulen in Leoben und Graz: Hans-Peter Weingand/Markus Wurzer, Innensichten und Außenblicke. Studentische NS-Aktivitäten in Graz und Leoben 1930–1938, in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert, S. 54–84; Markus Wurzer, Die Grazer NS-Studentenschaft im Studienjahr 1933/34. Eine quantifizierende Untersuchung, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 44 (2015), S. 95–120. 12 Gehler, Korporationsstudenten, S. 1.
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Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die erwähnten Verzeichnisse als Quellenkorpus vorzustellen, Rahmenbedingungen für deren Verwendung aufzuzeigen und sie dadurch für weiterführende Studien fruchtbar zu machen. Dazu wird zuerst im Rahmen von quellenkritischen Überlegungen der Entstehungskontext des Korpus erörtert. In einem weiteren Schritt werden Form und Inhalt der Verzeichnisse näher beschrieben. Schließlich wird durch die Analyse des Verzeichnisses der Technischen Hochschule (TH) Graz ein konkretes Anwendungsbeispiel gegeben. 2 Quellenkritische Überlegungen 2.1 Entstehungskontext
Nach der Ausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 ging Bundeskanzler Engelbert Dollfuß daran, einen autoritären ‚Ständestaat‘ zu errichten: Es wurden die Pressefreiheit eingeschränkt und ein Versammlungsverbot erlassen, die kommunistische Partei wurde verboten und die Vaterländische Front als Einheitspartei gegründet. Aus der im Weiteren erzwungenen Entwaffnung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bzw. des Republikanischen Schutzbundes resultierten die sogenannten Februarkämpfe 1934, in deren Folge die SDAP und der Schutzbund aufgelöst bzw. verboten wurden. Zudem wurden ,Anhaltelager‘ eingerichtet. In ihnen konnten politische Gegner des Austrofaschismus ohne gerichtliche Verurteilung auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden.13 Der Terror der nationalsozialistischen Partei war unterdessen bereits im Laufe des Frühsommers 1933 in Österreich kulminiert. Er manifestierte sich in Sprengstoffanschlägen, Überfällen und Böllerwürfen, was schließlich das oben erwähnte Verbot der NSDAP unmittelbar nach sich zog.14 Genauso wie die anderen verbotenen politischen Gruppierungen setzten auch die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten ihre Agitation gegen die österreichische Regierungsdiktatur von dort an im Untergrund fort. So verringerten sich Umfang und Intensität des NS-Terrors nach dem Verbot nur für kurze Zeit und nahmen ab Oktober 1933 wieder signifikant zu. Während des Februars 1934, also auch während der Februarkämpfe, hielt der NS-Terror kurz inne, ehe er im darauf folgenden März wieder einsetzte und sich schließlich im Juliputsch desselben Jahres entlud.15 13 Herbert Posch, Timeline. Hochschulen 1930–1950, in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert, S. 25 f. 14 Eduard Staudinger, Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 18/19 (1988), S. 57 f. 15 Bauer, Weg zum Juliputsch, S. 100–102. Das Ein- und Aussetzen von Gewalt fiel jeweils mit dem
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Von Beginn an engagierten sich besonders Studierende für den Nationalsozialismus. Eine Studie zur studentischen NS-Betätigung in Graz im Studienjahr 1933/34 zeigt, dass sie sowohl als ‚geistige Hintermänner‘ als auch im Kampf auf der ‚Straße‘ aktiv waren. Ihre Aktionen beschränkten sich nicht auf den Hochschulboden; sie waren genauso an Agitationen im gesamten Stadtgebiet und auf dem Land beteiligt. Studierende betätigten sich propagandistisch (Herstellen und Verteilen von Flugschriften, Schmieraktionen usw.) und nahmen am gewalttätigen Terror gegen politische Gegner und Infrastrukturen teil (Prügeleien, Sabotageakte, Böllerwürfe usw.).16 Um nach dem Verbot von NSDAP und Steirischem Heimatschutz im Juni 1933 mit Beginn des neuen Studienjahres der brenzligen Lage an den Hochschulen Herr zu werden, wurden der Legitimationszwang eingeführt17 und eigene Polizeiwachstuben eingerichtet.18 Zudem wurde am 16. Oktober 1933 die erste Verordnung erlassen, die sich auf die Disziplinierung von Studierenden bezog.19 Die Verordnung der Minister für Unterricht sowie für Handel und Verkehr über vorübergehende besondere Disziplinarvorschriften für die Studierenden an den Hochschulen bestimmte, dass Studierende, die nach Ansicht der Behörden die öffentliche Ruhe und Ordnung auf akademischem Boden gestört hatten, für das laufende und zwei weitere Semester von der Hochschule verwiesen werden konnten. Dabei wurde der Begriff des ‚akademischen Bodens‘ sehr großzügig ausgelegt: Gegenstand von Verfahren wurden auch Delikte, die in der Umgebung der Universitäten stattgefunden hatten. Als Tatbestand reichten bereits die Absicht, die Beihilfe oder das Verleiten zu einer strafbaren Handlung. Zusätzlich wurde für das Studienjahr 1933/34 an jeder Hochschule mit der Besonderen Disziplinarkommission eine neue Behörde eingerichtet, die sich (vorübergehend)20 mit diesen Vergehen zu beschäftigen hatte. Ein Disziplinarverfahren kam auf folgende Weise zustande: Die zuständige Verwaltungsbehörde bzw. das zuständige Polizeikommissariat verständigte die Hochschule darüber, dass die Tat eines Studierenden nicht nur gegen die staatlichen Gesetze, sondern potenziell auch gegen die akademische Ordnung verstoßen hatte. Daraufhin wurde ein Disziplinarverfah-
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Beginn und dem Ende des Winter- bzw. Sommersemesters zusammen. In der vorlesungsfreien Zeit war die Gewalt an Umfang und Intensität geringer. Die Vermutung liege nahe, dass hier ein Zusammenhang besteht; die Verifizierung der These steht noch aus. Weingand/Wurzer, Innensichten und Außenblicke, S. 56, 75 sowie 82. Gehler, Studenten und Politik, S. 90. Posch, Timeline, S. 26. BGBl., Nr. 474/1933, S. 1145–1147, zit. nach Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 119. Die Besonderen Disziplinarkommissionen wurden im September 1934 auf der Grundlage des Gesetzes betreffend die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen durch Dr. Otto Skrbensky als ,Kommissär für die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen‘ ersetzt; siehe hierzu weiter unten in diesem Kapitel.
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ren eingeleitet.21 Hochschülerinnen oder Hochschüler, die gegen beide Ordnungen verstießen, mussten mit einer doppelten Bestrafung rechnen: Sie konnten sich eine Rüge durch den Dekan oder den Rektor sowie einen temporären oder endgültigen Verweis von der Hochschule einhandeln. Dazu konnten von den staatlichen Strafverfolgungsbehörden Verwaltungsstrafen (Geldstrafen) oder Haftstrafen (Arrest, Kerker) verhängt werden. In schwerwiegenden Fällen konnte auch die Einweisung in ein Anhaltelager erfolgen.22 In einem Bericht an das Bundeskanzleramt machte Franz Zelburg, der Leiter der Sicherheitsdirektion Steiermark, allerdings darauf aufmerksam, dass die nationalsozialistischen Studierenden die Einweisung in ein Anhaltelager als „Auszeichnung“ empfanden; deshalb plädierte er dafür, diese Strafe mit einem persönlichen Nachteil für die Betroffenen zu verknüpfen.23 Seiner Forderung wurde entsprochen: Studierenden, die sich während des Studienjahres länger als eine Woche in Untersuchungshaft oder in Anhaltelagern befanden, wurde schließlich die Anrechnung des Semesters verweigert.24 Um sich einen Überblick über die Situation an den Hochschulen zu verschaffen, verfügte das Bundesministerium für Unterricht am 11. Juli 1934 per Erlass, dass sämtliche Disziplinarverfahren, die seit 1. Oktober 1933, also dem Beginn des vorangegangenen Wintersemesters, eröffnet worden waren, in Form einer Liste bekannt zu geben seien.25 Die Universität Wien,26 die Tierärztliche Hochschule,27 die Akademie der bildenden Künste28 und die Hochschule für Bodenkultur29 (allesamt in
21 Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 122 f. 22 Weingand/Wurzer, Innensichten und Außenblicke, S. 79 f. 23 Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv (ÖStA/AVA), BMfU (Bundesministerium für Unterricht), 2D2, Hochschule 1934, Fasz. 357, Bericht der Sicherheitsdirektion Steiermark vom 9. Februar 1934. 24 Erlass des BMfU vom 16. März 1934, zit. nach Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 121. Gegen diese Maßnahme regte sich vonseiten der Rektoren Widerstand. Beispielsweise argumentierte der Rektor der KFU Graz Hans Benndorf, dass dies eine ungewöhnlich harte Disziplinierungsmaßnahme darstelle, da nicht die Studierenden selbst, sondern die Eltern für die Finanzierung des Studiums aufkämen. So seien die Eltern von der Maßnahme betroffen, obwohl sie die politische Einstellung der Studierenden nicht teilen würden. ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Rektor der KFU Graz an BMfU vom 26. März 1934. 25 Erlass des BMfU vom 11. Juli 1934, zit. nach Brief des Rektorats der KFU Graz an BMfU vom 17. August 1934, ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371. 26 ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Akademischer Senat der Universität Wien an BMfU vom 13. August 1934. 27 Ebd., Rektorat der Tierärztlichen Hochschule Wien an BMfU vom 30. Juli 1934. 28 Ebd., Rektorat der Akademie Wien (AbKW) an BMfU vom 23. Juli 1934. 29 Ebd., Rektorat der Hochschule für Bodenkultur Wien (BOKU) an BMfU vom 30. Juli 1934.
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Wien) kamen der Aufforderung genauso nach wie die beiden Grazer Hochschulen,30 die Montanistische Hochschule in Leoben31 und die Innsbrucker Universität.32 Ihre Hochschulleitungen retournierten bis Ende Oktober 1934 die geforderten Verzeichnisse. Diese listeten allerdings nicht nur Verfahren gegen nationalsozialistische Studierende auf, sondern auch Verfahren gegen andere Studierende, die sich aus unterschiedlichen Gründen strafbar gemacht hatten. Offenbar war vorgesehen gewesen, diese Listen regelmäßig zu aktualisieren; sie tauchen aber später in den infrage kommenden Beständen nicht mehr auf.33 Einzig von der Universität Graz existiert ein weiteres Verzeichnis über Disziplinarfälle, die sich bis in den September 1935 hin ereignet hatten.34 Außerdem sei an dieser Stelle auf ein weiteres Verzeichnis hingewiesen, das sich im AVA erhalten hat: Im April 1934 legte die Bundespolizeidirektion dem Unterrichtsministerium eine umfangreiche Liste von Wiener Mittel- und Hochschülerinnen und -schülern vor, die seit dem 1. Juli 1933 eine Verwaltungsstrafe wegen eines politischen Vergehens erhalten hatten.35 Im Universitätsarchiv der Wirtschaftsuniversität Wien ist zudem ein Kasten mit Karteikarten überliefert, in denen Studierende österreichischer Hochschulen erfasst wurden, die ab 1934 mit der Rechtsordnung in Konflikt gekommen waren und zumindest temporär aus straf- und/oder disziplinarrechtlichen Gründen vom Studium ausgeschlossen wurden. Die Existenz dieses Karteikastens deutet darauf hin, dass nicht nur die Rektorate staatliche Behörden über derartige Fälle informierten, sondern auch vice versa. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass eine Hochschule in diesem Zusammenhang nicht nur über die eigenen Studierenden informiert wurde, sondern offenbar über die Studierenden aller österreichischen Hochschulen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren.36 30 Ebd., Prorektor der TH Graz an BMfU vom 26. Juli 1934 und Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 17. August 1934. 31 Die Montanistische Hochschule in Leoben wurde am 7. August 1934 mit der TH Graz zusammengelegt; vgl. Posch, Timeline, S. 27. Trotzdem wurde noch ein Verzeichnis über die Disziplinarverfahren für 1933/34 eingereicht; siehe ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Montanistische Hochschule an BMfU vom 7. und vom 25. Oktober 1934. 32 ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Rektor der Universität Innsbruck an BMfU vom 2. August 1934. 33 Hinweise auf weitere Listen finden sich etwa in den Briefen, die die Montanistische Hochschule Leoben, das Prorektorat der TH Graz und das Rektorat der BOKU am 7. Oktober 1934, 25. Oktober 1934 bzw. 11. April 1935 an das BMfU richteten, alle in ebd. 34 Ebd., Ktn. 372, Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 28. September 1935. 35 Ebd., Ktn. 371, Polizeikommissariat (PolKom) Wien an BMfU vom 17. April 1934. 36 Universitätsarchiv der Wirtschaftsuniversität Wien, Karteikarten Disziplinarmaßnahmen 1934 ff.; Analoges gilt für den Registerband zu relegierten Hörern im selben Archiv. Ich danke Johannes Koll, dem Leiter des Universitätsarchivs, für diesen Hinweis.
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Noch vor Beginn des Studienjahres 1934/35 wurden unter dem Eindruck des Juliputschs, an dem auch zahlreiche Studierende teilgenommen hatten, das Gesetz zur Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen erlassen.37 Es sah vor, dass alle Studierenden, die sich nach dem 30. Juni 1934 für eine verbotene Partei betätigt hatten, für mindestens zwei Semester von allen österreichischen Hochschulen zu verweisen waren – sofern die akademische Behörde nicht ohnehin schon ein Verfahren eingeleitet hatte. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wurden die oben erwähnten Besonderen Disziplinarkommissionen an den Hochschulen aufgelöst. Sie wurden durch den Ministerialbeamten Dr. Otto Skrbensky ersetzt, der das neu geschaffene Amt des ‚Kommissärs für die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen‘ bekleidete. In seine Zuständigkeit fiel die Ahndung von politischen Vergehen, besonders von jenen, die mit dem Juliputsch in Zusammenhang standen.38 Der Kommissär durfte bedingte Verweise aussprechen, widerrufen und tatsächliche Verweise in bedingte umwandeln.39 Den akademischen Behörden dagegen blieben nur jene Disziplinarangelegenheiten, die nicht in den Aufgabenbereich des Kommissärs fielen.40 Mittendorfer meint, dass speziell zu Beginn Unklarheit über die Zuständigkeiten von Kommissär und akademischen Behörden geherrscht habe; deshalb sei es zu Doppelverurteilungen gekommen.41 Mit einer späteren Verschärfung des Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Disziplin wurde der Handlungsspielraum des Kommissärs zusätzlich erweitert. Ihm wurde im September 1935 ermöglicht, endgültige Verweise auszusprechen und Strafen ohne neuerliche Verfahren zu erhöhen. Die Liste an Vergehen, die mit einer Verweisung geahndet werden konnten, wurde erweitert. Und von jetzt an konnten die Verleihung von akademischen Graden und die Neu- oder die Wiederaufnahme von Nichtinskribierten verweigert werden.42 Schließlich wurden am Juliputsch beteiligte Studierende temporär oder endgültig von der Hochschule verwiesen und nach Wöllersdorf überstellt; der Aufenthalt in dem dortigen Anhaltelager hatte zugleich den Verlust der Anrechenbarkeit des Semesters zur Folge.43 Dieser Gefahr entzogen sich viele nationalsozialistische Studierende durch die Flucht ins Deutsche Reich.44 37 38 39 40 41 42 43 44
BGBl. Nr. 232/1934, S. 554, zit. nach Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 120. BGBl. Nr. 381/1935, S. 1596 f., zit. nach ebd., S. 121. Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 127. Ebd., S. 120, 130; ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 28. September 1935. Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 129. BGBl. Nr. 381/1935, S. 1596 f., zit. nach Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 121. Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 128. Hans-Peter Weingand, Nationalsozialistische Studierende. „Österreichische Studenten in Not“ und „Vertreter des Dritten Reiches in Österreich“, in: Acta Studentica. Österreichische Zeitschrift für
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Mit dem Gesetz betreffend die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden vom September 1934 wurden die Sicherheitsdirektionen der einzelnen Bundesländer aufgefordert, das Bundeskanzleramt über die studentische Teilnahme am nationalsozialistischen Umsturzversuch zu informieren. Zur Erfassung der betreffenden Personen wurden ebenfalls Listen angelegt. Diese wurden schließlich an das Unterrichtsministerium und an den Kommissär weitergeleitet. Die Verzeichnisse geben Aufschluss, welche Studierenden in der Steiermark,45 Niederösterreich,46 Kärnten, Oberösterreich und Tirol47 am Juliputsch teilgenommen hatten. Am 1. Juli 1935 folgten das Hochschulermächtigungsgesetz sowie das Hochschulerziehungsgesetz. Während Ersteres de facto die Abschaffung der universitären Autonomie bedeutete und dem Unterrichtsministerium direkten Eingriff in Hochschulangelegenheiten erlaubte, wurden die Universitäten durch das Hochschulerziehungsgesetz endgültig zu staatspolitischen Erziehungsanstalten. Pflichtvorlesungen, Hochschullager, vormilitärische Übungen sollten die Studierenden ganz in der ‚vaterländischen Gesinnung‘ erziehen. Mit weiteren Maßnahmen, wie dem Gesetz vom 17. August 1937, das erlaubte, studentische Briefe und Telegramme zu beschlagnahmen und zu öffnen, versuchte die österreichische Regierungsdiktatur die Kontrolle über die Hochschülerinnen und Hochschüler weiter auszudehnen.48 Dies änderte sich erst Anfang 1938 in der Folge des Berchtesgadener Abkommens, bei dem Adolf Hitler Kurt Schuschnigg Maßnahmen zur Begünstigung der Nationalsozialisten in Österreich diktierte und das auch Auswirkungen auf die Disziplinierungspraxis an den Hochschulen zeitigen sollte: Mit dem 17. Februar 1938 wurden laufende Verfahren eingestellt und Disziplinarstrafen sowie Verweise gegen Studierende wegen illegaler politischer Betätigung widerrufen.49
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Studentengeschichte 45 (2014), H. 188, S. 5–8: Weingand zieht zur Bearbeitung dieser Frage erstmals Quellenmaterial aus dem Bundesarchiv und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin sowie aus dem Archiv der Deutschen Burschenschaft in Koblenz heran. ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Bundeskanzleramt (BKA) an BMfU vom 15. September 1934. Ebd., BKA an BMfU vom 15. November 1934. Die Liste ist nicht überliefert. Ebd., BKA an BMfU vom 29. September 1934. Der Brief enthält die Listen der im Fließtext genannten Bundesländer. In Vorarlberg wurde kein Hochschüler im Zusammenhange mit dem Juliputsch 1934 straffällig. BGBl. Nr. 266/1935, S. 965 f., und BGBl. Nr. 267/1935, S. 966–968, zit. nach Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 117 f.; vgl. auch Posch, Timeline, S. 29. Posch, Timeline, S. 29 f.
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2.2 Form und Inhalt der Verzeichnisse – ein Vergleich
Die im vorangehenden Kapitel aufgezählten Verzeichnisse unterscheiden sich zuallererst hinsichtlich der Behörden, von denen sie ausgestellt wurden. Während jene Liste, die vom 17. April 1934 datiert, vom Polizeikommissariat Wien ausgestellt wurde, wurden die Verzeichnisse, die auf den oben erwähnten Erlass des Unterrichtsministeriums vom 11. Juli 1934 reagierten, von den jeweiligen Hochschulbehörden angefertigt. Die Verzeichnisse über die nationalsozialistischen Studierenden wiederum, die das Kanzleramt dem Unterrichtsministerium am 29. September 1934 übermittelte, wurden von den jeweiligen Sicherheitsdirektionen der Bundesländer erstellt. Empfänger der Schreiben war stets das Unterrichtsministerium. Alle Dokumente weisen die gleiche Grobstruktur auf: Einem meist einseitigen Anschreiben, in dem auf den jeweiligen Erlass Bezug genommen wurde, der die Kundmachung der Verwaltungsstrafen, Disziplinarverfahren oder studentischen Teilhabe am Juliputsch einforderte, folgten die namentlichen Verzeichnisse. In deren grafischer Aufbereitung gab es Unterschiede: Während manche als Aufzählungen aufgebaut sind,50 wurden andere in tabellarischer Form vorgelegt.51 Grundsätzlich sind die Einträge zu den straffällig gewordenen Studierenden chronologisch und fortlaufend geordnet.52 Die TH Graz unterteilte zusätzlich in Winterund Sommersemester.53 Die Universität Innsbruck teilte dagegen zuerst noch nach Fakultäten auf.54 Die Verzeichnisse unterscheiden sich außerdem wesentlich hinsichtlich ihres Umfangs. Während etwa die Liste über die bestraften Wiener Mittel- und Hochschüler 411 Einträge zählt,55 enthält jene der Universität Wien 21556 und die der Akademie der bildenden Künste nur neun.57 Die Gründe für diese Unterschiede liegen einerseits in den unterschiedlichen Entstehungszeiträumen der Dokumente, andererseits im unterschiedlich großen ‚Einzugsgebiet‘ der Listen: Die Universität Wien verfügte im Vergleich zur genannten Akademie über ein Vielfaches an Hörerinnen und Hörern. 50 Beispielsweise ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Rektorat der AbKW an BMfU vom 23. Juli 1934. 51 Beispielsweise ebd., Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 17. August 1934. 52 Ebd., Rektorat der BOKU an BMfU vom 30. Juli 1934. 53 Ebd., Prorektor der TH Graz an BMfU vom 26. Juli 1934. 54 Ebd., Rektor der Universität Innsbruck an BMfU vom 2. August 1934. 55 Ebd., PolKom Wien an BMfU vom 17. April 1934. 56 Ebd., Akademischer Senat der Universität Wien an BMfU vom 13. August 1934. 57 Ebd., Rektorat der AbKW an BMfU vom 23. Juli 1934.
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Was den Inhalt betrifft, bildeten die Verzeichnisse für das Unterrichtsministerium eine Zusammenschau darüber, wie viele Studierende sich aufgrund ihres politischen Engagements strafbar gemacht hatten und mit welchen Strafen sie hierfür belegt worden waren. Aufgrund des übereinstimmenden Aufbaus der Aufzählungen bzw. Tabellen stimmen die Informationen, die sie bereitstellten, weitgehend überein. Sie enthielten folgende Angaben: Name, Lehranstalt/Fakultät, Personaldaten (Geburtsdatum und -ort, melderechtliche Zuständigkeit [„Heimatzuständigkeit“], Religionsbekenntnis) und Straftat. Je nach Entstehungskontext verzeichneten sie zusätzlich die von den akademischen und/oder den staatlichen Behörden festgesetzten Strafverfügungen.58 Manche Listen geben darüber hinaus Auskunft über Semesteranzahl, Inskriptionsstatus, Matrikelnummer und Zeitpunkt des Delikts.59 Ausdrücklich ist darauf aufmerksam zu machen, dass die Verzeichnisse nicht nur Hochschülerinnen und Hochschüler auflisteten, die sich für den Nationalsozialismus betätigt hatten. Sie führen genauso Studierende an, die dem sozialdemokratischen oder kommunistischen Lager zuzuordnen sind oder sich der Regierung gegenüber allgemein kritisch verhielten.60 Darüber hinaus tauchen auch nichtpolitische Straftaten wie übermäßige Trunkenheit, Diebstähle oder Raufhandel in den Verzeichnissen auf.61 Einzig die Einträge über die studentischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Juliputsch sind zweifelsohne vollständig im nationalsozialistischen Umfeld zu verorten.62 Wie das Beispiel zur TH Graz zeigen wird, ist die Bestimmung des ideologischen Hintergrunds aufgrund der knappen Angaben zu den Delikten mitunter schwierig. 3 Beispiel: Disziplinarverfahren an der Technischen Hochschule Graz 1933/34
Um die Liste über die Disziplinarverfahren an der TH Graz des Studienjahres 1933/34 quantifizierend analysieren zu können, muss sie EDV-mäßig in einer Datenbank erfasst 58 Beispiel für nur akademische Strafverfügung: Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 17. August 1934; für nur staatsbehördliche Strafverfügung: PolKom Wien an BMfU vom 17. April 1934; für sowohl staatsbehördliche als auch akademische Strafverfügung: Prorektor der TH Graz an BMfU vom 26. Juli 1934, alle in ebd. 59 Semesteranzahl: Rektorat der BOKU an BMfU vom 30. Juli 1934; Inskriptionsstatus: Rektor der Universität Innsbruck an BMfU vom 2. August 1934; Matrikelnummer: Rektorat der Tierärztlichen Hochschule Wien an BMfU vom 30. Juli 1934; Zeitpunkt des Delikts: PolKom Wien an BMfU vom 17. April 1934, alle in ebd. 60 Mittendorfer, Disziplinarakten, S. 123 f. 61 ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Verzeichnis Nr. 6, 17 und 21, Rektorat der KFU Graz an BMfU vom 17. August 1934. 62 Ebd., BKA an BMfU vom 29. September 1934.
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werden. In ihrer Form ist diese dem Muster der Verzeichnisse nachzuempfinden. Folgende Informationskategorien wurden in die Datenbank übertragen: Name, Fakultät, Geburtsdatum (Jahr) und -ort (Staat), Heimatzuständigkeit (Bundesland und Staat), Delikt, Strafverfügung der staatlichen und akademischen Behörden. In der Generierung der Datenbank wurde deutlich, dass weitere Kategorien zu kreieren waren, die auf den Dokumenten nicht aufscheinen: Geschlecht und ideologischer Hintergrund. Die folgende Tabelle dient dem Ziel, die Delikte nach ideologischem Hintergrund zu unterscheiden. Delikt NS-Propaganda Verdacht der NS-Propaganda Einweisung in Anhaltelager Beteiligung am Raucherstreik Besitz von Papierböllern Beschädigung einer Lichtleitung NS-Parolen und Lieder propagieren Hitlergruß geleistet, Kornblume getragen Widersetzung gegen Assistenzmann* Ohrfeige gegen politischen Gegner Einweisung zur Voruntersuchung in das Landesgericht Diebstahl Beschädigung eines Staatstelegrafen Gesamt
Anzahl 16 10 5 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 43
Politischer Hintergrund nationalsozialistisch nationalsozialistisch regierungskritisch nationalsozialistisch nicht eindeutig zuordenbar nationalsozialistisch nationalsozialistisch nationalsozialistisch nicht eindeutig zuordenbar nicht eindeutig zuordenbar nicht eindeutig zuordenbar nicht eindeutig zuordenbar regierungskritisch
Quelle: Eigene Darstellung nach Liste über Disziplinarverfahren an der TH Graz des Studienjahrs 1933/34 in: ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Prorektor der TH Graz an BMfU vom 26. Juli 1934. * Mitglied der aus regierungstreuen Wehrverbänden aufgestellten Hilfstruppen der Exekutive.
Die hinter dem Delikt stehende Motivation einem politischen Lager zuzuordnen ist aufgrund der knappen Deliktbeschreibungen nicht einfach. Während beim Tatbestand „Hitlergruß, Kornblume getragen“ kein Zweifel an der nationalsozialistischen Gesinnung besteht, ist die politisch-ideologische Zuordnung bei „Beteiligung am Raucherstreik“, „politischen Gegner geohrfeigt“ oder „Störung einer Lichtleitung“ nicht eindeutig.63 In manchen Fällen ist es möglich, die Delikte durch einen Ab63 ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Verzeichnis a, Nr. 7, und Verzeichnis b, Nr. 17, 34, Rektorat der TH Graz an BMfU vom 25. Oktober 1934.
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gleich mit Berichten der Bundespolizeidirektionen mit einem politischen Motiv in Zusammenhang zu bringen. So ließ sich etwa klären, dass die genannte „Störung einer Lichtleitung“ aus Kreisen vorgenommen worden war, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten.64 In anderen Fällen können allgemeine zeitgeschichtliche Ereignisse bei der Klärung helfen. Der „Raucherstreik“ wurde von Anhängerinnen und Anhängern der NS-Bewegung organisiert, um die Einnahmen der Regierung aus dem Tabakmonopol zu verringern.65 Die Tabelle zeigt also, dass mit Abstand die meisten Disziplinarverfahren aufgrund von NS-Propaganda und eines entsprechenden Verdachts eingeleitet worden waren. Fünf Verfahren wurden gegen Hochschüler eingeleitet, weil sie von den staatlichen Behörden in ein Anhaltelager eingewiesen worden waren. Die übrigen Delikte blieben Einzelfälle. Bei der Gesamteinschätzung ist zu berücksichtigen, dass im Studienjahr 1933/34 667 Studierende an der TH Graz eingeschrieben waren.66 Gegen 43 wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet (6,4 %). Bei nicht weniger als 31 Studierenden wurde die Straftat zweifelsfrei aus nationalsozialistischer Motivation heraus begangen. Zwölf konnten aufgrund der knappen Deliktbeschreibung nicht zugeordnet werden, wobei die fünf Anhaltelagereinweisungen sowie die Beschädigung des Staatstelegrafen als regierungskritisch einzustufen sind. Kein Delikt ist explizit dem sozialdemokratischen oder kommunistischen Kontext zuzuschreiben. Folgt man der Einschätzung von Dieter A. Binder, dass im Sommer 1933 über 70 % der Grazer TH-Studierenden mit dem Nationalsozialismus sympathisierten,67 wäre gegen gut 7 % dieser Gruppe ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. In weiterer Folge sollen die 31 nationalsozialistischen Studierenden quantifizierend untersucht werden. Vorweg sei darauf verwiesen, dass Aussagen repräsentativer Natur über solche Studierenden im Allgemeinen und die straffällig gewordenen Personen im Speziellen aufgrund der geringen Anzahl nicht möglich sind. Wie in der Einleitung formuliert, soll anhand des Beispiels der TH Graz gezeigt werden, welche Informationen aus den Listen gewonnen werden können. 64 Steiermärkisches Landesarchiv, ZGS (BKA), 82, 282 f., Bericht der Bundespolizeidirektion Graz an BKA vom 30. Oktober 1933. 65 Kurt Bauer, Der Weg zum Juliputsch, http://www.kurt-bauer-geschichte.at/PDF_Texte%20&%20 Themen/NS_Steiermark_1932-34.pdf [13. Februar 2017]. 66 Bundesamt für Statistik (Hg.), Statistisches Handbuch für den Bundesstaat Österreich, Wien 1935, S. 206. 67 Binder, Der Weg der Studentenschaft, S. 81. Für die Situation an der TH Graz vgl. vertiefend: HansPeter Weingand, Die Technische Hochschule Graz im Dritten Reich. Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an einer Institution, Hochschülerschaft an der Technischen Universität, Graz 19952.
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25 der 31 Verfahren wurden nach Meldungen der Polizeidirektion Graz an die Hochschule eingeleitet. Vier wurden von der Bezirkshauptmannschaft Graz sowie je eine von der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg und von der Polizeiexpositur Voitsberg gemeldet. Das Verzeichnis gibt darüber Aufschluss, wie die staatlichen Behörden die Vergehen sanktionierten. Für dieselben Delikte wurden dabei mitunter unterschiedliche Strafausmaße verhängt, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen: Für die Beteiligung an NS-Propaganda wurden etwa Arreststrafen zwischen sieben Tagen und sechs Monaten oder auch eine Geldstrafe in Höhe von 33 Schilling verhängt. Der Hitlergruß und das Singen von NS-Liedern wurden mit 14 bzw. 21 Tagen Arrest geahndet. Woraus die Differenzen in Art und Höhe der Strafen resultierten, lässt sich auf aufgrund der knappen Angaben im Verzeichnis nicht nachvollziehen. Ein Vergleich mit den Entscheidungen der akademischen Disziplinarbehörde zeigt, dass eine Verurteilung durch die staatlichen Behörden nicht gleichzeitig eine Verurteilung auf universitärer Ebene bedeuten musste: Für die Beteiligung an NS-Propaganda wurden von der Besonderen Disziplinarkommission sieben Studierende freigesprochen; drei wurden der Hochschule verwiesen. Da das Verzeichnis eine Momentaufnahme über den Stand der Verfahren darstellt, ist zu berücksichtigen, dass vier Verfahren noch nicht abgeschlossen waren, zehn von der Besonderen Disziplinarkommission für weitere Untersuchungen weiterverwiesen wurden,68 und sechs Einträge geben gar keine Auskunft, wie entschieden wurde. Jedenfalls ist unbedingt zu vergegenwärtigen, dass sämtliche Studierende, die während des Studienjahres 1933/34 länger als sieben Tage in Arrest oder in einem Anhaltelager gewesen waren, ihr Recht auf Anrechenbarkeit des jeweiligen Semesters verloren hatten. Dies trifft auf 18 von 31 Hochschülern zu. Laut Liste konnten nur drei hoffen, das Semester angerechnet zu bekommen. Sämtliche Disziplinarverfahren betrafen Männer. Da 1933/34 an der TH Graz nur neun Frauen studierten, erscheint dieser Umstand nicht außergewöhnlich.69 In diesem Kontext muss auf die Feststellung Heidrun Zettelbauers hingewiesen werden, dass Studentengeschichte vor allem eine männliche ist und der weibliche Partizipationsgrad an der politischen Radikalisierung der Studierenden aus diesem Grund schwer einzuschätzen ist.70 Für die Analyse des kalendarischen Alters wurde in den Verzeichnissen 1933 als Bezugsjahr festgelegt. Während der älteste Hochschüler 29 Jahre alt war, betrug das 68 Die Eintragungen geben keinen Aufschluss darüber, an wen die Disziplinarfälle weitergeleitet wurden. 69 Bundesamt für Statistik (Hg.), Statistisches Handbuch, S. 206. 70 Heidrun Zettelbauer, „Lauter Weiber im Hörsaal ...“. Studentinnenalltag in Graz 1918 bis 1938, Graz 1998, S. 145.
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Alter des jüngsten Studenten 18 Jahre; das Durchschnittsalter belief sich auf 21 Jahre. Die Studenten waren noch vor dem Ersten Weltkrieg oder während des Krieges geboren worden, waren zum Zeitpunkt ihrer Straftat ausgesprochen jung und befanden sich am Beginn ihres Studiums. Hinsichtlich der geografischen Herkunft führen die Listen sowohl Geburtsort als auch Heimatzuständigkeit an. Letztere können (wie im Falle von Hellmuth W., der in Graz geboren wurde und dort zuständig war) gar nicht oder (wie bei Kurt L., der in Peggau in der Steiermark aufwuchs und später nach Bruck an der Mur übersiedelte) gering voneinander abweichen. Im Falle von Johann E. ist der Unterschied jedoch erheblich: Er kam vor dem Ersten Weltkrieg in Sinj/Dalmatien zur Welt und zog später nach Graz.71 Der Zusammenbruch der Donaumonarchie und die wirtschaftlich schwierigen 1920er Jahre schienen diese Mobilität zu fördern. Die meisten nationalsozialistischen Studierenden, die auf der Liste verzeichnet sind, wurden in Österreich (in seinen Grenzen von 1920) geboren. Auffällig erscheint, dass fast jeder Dritte im Ausland zur Welt gekommen war. 16 % stammten aus Gebieten, die vor 1918 noch zum habsburgischen Reich gehört hatten (zwei aus der Tschechoslowakei, drei aus Jugoslawien). Die übrigen stammten aus Deutschland (zwei), Russland (einer) und Ägypten (einer). Die Analyse der Heimatzuständigkeit zeigt, dass 20 der 31 Studenten in der Steiermark ihren Wohnsitz hatten. Die übrigen elf verteilen sich auf Burgenland, Niederösterreich, Vorarlberg (je einer), Kärnten (drei), Oberösterreich (zwei) sowie, außerhalb von Österreich, auf Deutschland (einer) und Estland (zwei). Wie schließlich verteilten sich die von Disziplinarverfahren betroffenen Studenten auf einzelne Fächer? Die meisten Verfahren führte die Besondere Disziplinarkommission im Studienjahr 1933/34 gegen Studierende der Fakultät für Maschinenbau (13) durch, gefolgt von Bauingenieurwesen (neun), Architektur (acht) und Chemie (eines). Bezogen auf die Gesamtzahl der Hochschüler studierten fast 40 % Bauingenieurswesen, jeder Dritte Maschinenbau und fast jeder Zehnte Chemie.72 Der typische NS-Student an der TH Graz war also männlich, jung, etwa 21 Jahre alt, hatte in Graz seine Heimatzuständigkeit und war mitunter außerhalb von Österreich geboren worden. Er hatte das Studium erst vor Kurzem begonnen und war vom Berufseinstieg noch relativ weit entfernt. Weitere allgemeine Aussagen zu tätigen erweist sich aufgrund der geringen Anzahl von untersuchten Disziplinarverfahren als schwierig. Im Folgenden werden jedoch Möglichkeiten für weiterführende Studien aufgezeigt. 71 ÖStA/AVA, BMfU, 2D2, Hochschule 1934/1935, Ktn. 371, Verzeichnis a, Nr. 7, und Verzeichnis b, Nr. 14 und 28, Prorektor der TH Graz an BMfU vom 26. Juli 1934. 72 Bundesamt für Statistik (Hg.), Statistisches Handbuch, S. 206.
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4 Ausblick
Wie einleitend angemerkt worden ist, präsentiert sich der Forschungsstand zur Sozialstruktur der nationalsozialistischen Studierenden, zum Umgang des austrofaschistischen Rechtssystems mit ihnen und ihrem Engagement in der Illegalität fragmentiert. Die Verzeichnisse sämtlicher Hochschulen Österreichs über Studierende, die im akademischen Jahr 1933/34 aufgrund ihrer Betätigung für eine verbotene politische Partei registriert wurden, ermöglichen aufgrund ihrer formalen und inhaltlichen Ähnlichkeiten die Durchführung von bundesweiten, komparativen Studien. Gerade für die Analyse der studentischen Sozialstrukturen liefern die Verzeichnisse allerdings wenige Informationen, da sie keine Auskunft über die soziale Herkunft der nationalsozialistischen Studierenden liefern. Für weitere Forschungen in diesem Bereich wäre es notwendig, aus den Matrikel- und Studienblättern der in den Verzeichnissen aufgeführten Studierenden den Beruf des Vaters bzw. Erziehungsberechtigten zu eruieren, da daraus etwa auf die soziale Herkunft geschlossen werden kann. Außerdem scheinen in diesen Dokumenten üblicherweise das Religionsbekenntnis, die Staatszugehörigkeit, die Muttersprache, die Semesteranzahl und andere persönliche Angaben auf. Eine quantifizierende Studie zu den Grazer NS-Studierenden hat sich bereits dieses Quellentypus bedient und konnte exemplarisch zeigen, wie mit diesen zusätzlichen Quellen gearbeitet werden kann.73 Um die Größe des Korpus über die genannten Verzeichnisse hinaus zu erhöhen, hat diese Studie zusätzlich eine Vollerhebung der polizeilichen Vorfallenheitsberichte, der Berichte der Sicherheitsdirektion Steiermark und der Vereinsakten von studentischen Verbindungen durchgeführt, die wegen nationalsozialistischer Betätigung aufgelöst wurden. So konnten Aussagen aufgrund der Daten von 231 Grazer Studierenden getroffen werden. Darunter befanden sich 81 statt – wie im vorliegenden Aufsatz – 31 TH-Studierende. Diese Anzahl entspricht 12 % der Gesamthörerzahl der Technischen Hochschule 1933/34. Mindestens jeder zehnte Grazer TH-Student wurde in diesem Studienjahr also für seine NS-Betätigung aktenkundig. Hinsichtlich des kalendarischen Alters, des Geschlechts, des Geburtsortes und der Heimatzuständigkeit kommt die Untersuchung mit dem größeren Sample zu ähnlichen Ergebnissen wie der vorliegende Aufsatz: Die für den Nationalsozialismus straffällig gewordenen Studierenden waren mit durchschnittlich 22 Jahren noch relativ jung und ausschließlich männlichen Geschlechts. Die meisten Studierenden waren in Österreich (in den Grenzen von 1920) geboren worden. Beinahe jeder Dritte kam allerdings im Ausland und jeder Fünfte in einem Land zur Welt, das vor 1918 Österreich-Ungarn angehört hatte. Wenig überraschend 73 Wurzer, Grazer NS-Studentenschaft im Studienjahr 1933/34, S. 95–120.
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hatten die meisten Hochschüler ihre Heimatzuständigkeit in der Steiermark. Darüber hinaus ergab diese Untersuchung hinsichtlich der Sozialstruktur der Studierenden, dass fast jeder Zweite der Sohn eines Beamten oder Dienstnehmers im öffentlichen Dienst und fast jeder Dritte der Sohn eines selbstständigen Unternehmers gewesen war. Der Großteil der Straffälligen entstammte außerdem der sozialen Schicht des Mittelstandes und war häufig evangelischen Bekenntnisses. Wie dieses Beispiel zeigt, können die im Rahmen dieses Beitrags vorgestellten Verzeichnisse über illegale studentische politische Aktivitäten als Grundlagen für weiterführende, vergleichende Untersuchungen fungieren, etwa zur Überprüfung der allgemein akzeptierten These, dass die nationalsozialistischen Studierenden dem kleinbürgerlich-mittelständischen Milieu angehörten. Dabei darf nicht vergessen werden, auch ausdrücklich auf ihre Schwachstelle hinzuweisen: Auch wenn die Listen für jeden Hochschulstandort und besonders auf Bundesebene ein enormes Konvolut an Studierenden, die durch nationalsozialistische Tätigkeiten aktenkundig geworden sind, darstellen, kann mit ihrer Hilfe nicht eine Kollektivbiografie der gesamten NS-Studentenschaft Österreichs nachgezeichnet werden. Die Verzeichnisse erfassen nur einen Teil der nationalsozialistischen Studierenden, nämlich jene, die bei einer illegalen Aktivität erwischt wurden oder deren Täterschaft ausgeforscht werden konnte und die dadurch einen Aktenvermerk erhielten. Diese Tatsache muss bei der Betrachtung der Zahlen und ihrer Interpretation stets berücksichtigt werden.
Vertreibung und Emigrationserfahrungen mit Fokus auf Akademiker und Akademikerinnen 1934–1945 Helga Embacher
1 Österreich und die Exilproblematik: zur Situation vor dem ‚Anschluss‘
Im Jahr 1938 galten in Österreich nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ rund 200.000 Menschen als jüdisch. Etwa 135.000 gelang, oft im letzten Moment, die Flucht ins rettende Ausland. 65.000 wurden ermordet, lediglich 5.816 Personen erlebten die Befreiung in Österreich.1 Tausende wurden seit dem Westfeldzug vor allem in Frankreich, Belgien und den Niederlanden von der deutschen Wehrmacht eingeholt. Trotz vieler allgemeiner Erfahrungen wie dem Verlust von Heimat und Sprache, der zumindest in den Anfangsjahren häufigen Hinnahme eines sozialen Abstiegs und der Sorge um zurückgelassene Freunde und Familienmitglieder verlief die Vertreibung für die Einzelnen höchst unterschiedlich und war von Zufällen bestimmt. Neben dem Zeitpunkt der Flucht und den Bedingungen in den jeweiligen Aufnahmeländern waren die soziale Herkunft, Ausbildung und Beruf, Alter und Geschlecht, jüdisches Bewusstsein sowie die Einbindung in Netzwerke ausschlaggebend. Von Bedeutung war die Zugehörigkeit zu jüdischen/zionistischen Organisationen und politischen Parteien, die Hilfestellungen boten, zu einem Visum verhelfen konnten und in der Fremde ein Gefühl von Zugehörigkeit und politischer Kontinuität bzw. jüdischer Tradition vermittelten. Österreichische Vertriebene zeigten insgesamt jedoch ein geringes Interesse an jüdischen Exilorganisationen. Das politische Exil war äußerst gespalten, zur Bildung einer Exilregierung ist es nie gekommen.2 Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass politisch exponierte Sozialdemokraten und Kommunisten, von denen viele jüdischer Herkunft waren, oft wenig Bezug zum Judentum hatten und bereits 1933/34 fliehen mussten. Damit entstanden in der Tschechoslowakei sowie in London und Paris politische und kulturelle Exilorganisationen.3 Die Sowjetunion nahm 800 Kämpfer des Republikanischen Schutzbundes 1 2
3
Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Wien 1999. Vgl. Thomas Albrich, Österreichs jüdisch nationale und zionistische Emigration, in: Zeitgeschichte 18 (1991), S. 183–197; Helga Embacher, Restitutionsverhandlungen mit Österreich aus der Sicht jüdischer Organisationen und der Israelitischen Kultusgemeinde, Wien/München 2003, S. 15–23. Vgl. exemplarisch Hans Christian Egger, Die Exilpolitik der österreichischen Sozialdemokratie 1938 bis 1945. Denkstrukturen, Strategien, Auswirkungen, München 2008.
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aus Österreich auf, von denen etwa die Hälfte wieder nach Hause zurückkehrte, obwohl ihnen hier Haftstrafen drohten. Vorwiegend mit Sammelvisa gelangten Kommunisten, unter ihnen zahlreiche Intellektuelle, in die Sowjetunion; ‚rassisch Verfolgte‘ hingegen fanden hier nur in Ausnahmefällen Exil. Im Zuge der 1935 einsetzenden stalinistischen ‚Säuberungen‘ kamen auch vertriebene Österreicher in Arbeitslager, manche verschwanden einfach.4 Der bekannte Physiker Franz Quittner hatte beispielsweise bereits 1930 mit seiner Frau Genia die „Reise ins Paradies, in das Land unserer Sehnsüchte, unserer Träume“ angetreten. Zurückgekehrt war Genia Quittner alleine, ihr Mann war 1938 verhaftet und wegen des Vorwurfs der Spionage erschossen worden.5 Rund 1.700 Österreicher setzten nach 1934 den Kampf gegen den Faschismus im Spanischen Bürgerkrieg fort, unter ihnen einige Frauen. 220 mussten ihr Leben lassen, viele endeten nach der Zerschlagung der Spanischen Republik in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern; andere schlossen sich dem Widerstand in Belgien oder Frankreich an.6 Eine Reihe zumeist linker Künstler und Wissenschaftler verließ Österreich vor 1938 aufgrund beschränkter Karrieremöglichkeiten oder, wie es die nach England emigrierte Schriftstellerin Hilde Spiel ausdrückte, „aus Ekel vor den Hahnenfedern am Hut und aus Angst, selbst von der Fäulnis des Systems angesteckt zu werden.“7 Antisemitismus war im Austrofaschismus zwar nicht staatlich verordnet, allerdings geduldet.8 Die österreichischen Universitäten galten als Hort des Antisemitismus,9 und auch in öffentlichen Schulen und Krankenhäusern war es für linke Juden schwer, eine Anstellung zu bekommen.10 Für verheiratete Frauen kam als weitere Erschwernis das im Dezember 1933 erlassene ‚Doppelverdienergesetz‘ hinzu, mit dem weibliche Bundesbedienstete aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wurden.11 4
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) (Hg.), Österreicher im Exil: Sowjetunion 1934–1945. Eine Dokumentation, bearb. von Barry McLoughlin/Hans Schafranek, Wien 1999. Aus der Perspektive einer Zeitzeugin vgl. Hilde Koplenig, „… genug Geschichte erlebt“ (1904–2002). Erinnerungen, Wien 2008. 5 Genia Quittner, Weiter Weg nach Krasnogorsk. Schicksalsbericht einer Frau, Wien/München 1971. Siehe auch Rosa Puhm, Eine Trennung in Gorki, Wien 1990. 6 DÖW (Hg.), Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation, bearb. von Brigitte Bailer-Galanda, Wien 1986. 7 Hilde Spiel, Im Gespräch, Österreichischer Rundfunk: Ö1 vom 12. Oktober 1989. 8 Vgl. exemplarisch Angelika Königseder, Antisemitismus 1933–1938, in: Emmerich Tálos (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 2005, S. 54–67. 9 Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015. 10 Vgl. exemplarisch Stella Klein-Löw, Erlebtes und Gedachtes. Erinnerungen, Wien 1980, S. 103. 11 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 545/1933, S. 1464–1466. Vgl. exemplarisch Minna Lachs, Warum schaust du zurück. Erinnerungen 1907–1941, Wien/München/Zürich 1986.
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Wenn auch widerwillig, fungierte Österreich von 1933 bis 1938 für einige Tausend Menschen, die im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt waren, als Exilland. Die deutsche Emigration in Österreich war insgesamt sehr heterogen und umfasste sowohl Mitglieder linker Parteien als auch Vertreter konservativ-katholischer, gesamtdeutscher und legitimistischer Positionen. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch gebürtige Österreicher und Österreicherinnen, etwa bekannte Künstler und Künstlerinnen wie Max Reinhardt und Helene Thimig, die zumindest vorübergehend aus Deutschland zurückkehrten. Die autoritäre österreichische Regierung reagierte auf die Verfolgten, sofern es sich nicht um katholisch-konservative Intellektuelle handelte, sehr ablehnend und versuchte, ihr Bleiben mit einer neuen, restriktiven fremden- und arbeitsrechtlichen Gesetzgebung zu verhindern.12 Die österreichische Exilforschung setzte in einem größeren Ausmaß erst in den 1980er Jahren ein. Mittlerweile liegen zahlreiche verdienstvolle Arbeiten zum politischen Exil, zur Literatur, Kunst und Wissenschaft, zum ‚Exil der kleinen Leute‘ sowie zu einzelnen Exilländern vor, und viele Vertriebene sind mit Autobiografien an die Öffentlichkeit getreten.13 Relativ wenig wissen wir nach wie vor über die konkreten ökonomischen Bedingungen in den diversen Exilländern und damit über die Rolle von Hilfsorganisationen und Netzwerken sowie über die Problematik der Illegalität, in die Vertriebene in ihrem Kampf ums Überleben immer wieder gedrängt wurden. Ein weiteres Forschungsdesideratum bilden die vielfältigen Formen der Konfrontation mit dem ‚Fremden‘ sowie der in vielen Exilländern virulente Antisemitismus. Im Folgenden wird ein Überblick über die unterschiedlichen Exilbedingungen in den zentralen Exilländern gegeben. Dabei wird ein spezieller Fokus auf Exilbedingungen von Akademikern und Wissenschaftlern gelegt. Aufgrund der Breite des Themas ist nicht mehr als eine exemplarische Behandlung möglich. 2 Flucht aus Österreich ab März 1938: Ein Spießrutenlauf
Nach dem ‚Anschluss‘ im März 1938 ging es in Österreich Schlag auf Schlag. Jüdische Männer befanden sich mit Repräsentanten des Austrofaschismus unter den Ersten, die nach Dachau deportiert wurden. Vor allem in Wien, wo der Großteil 12 Vgl. exemplarisch Oliver Rathkolb, Asyl- und Transitland 1933–1938?, in: Gernot Heiß/Oliver Rathkolb (Hg.), Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext, Wien 1995, S. 109–121; Ursula Seeber (Hg.), Asyl wider Willen: Exil in Österreich 1933–1938, Wien 2003; Mit der Ziehharmonika. Zeitschrift für Literatur des Exils und des Widerstandes 16 (1999), Schwerpunktheft Deutsche im Exil: Österreich 1933–1938. 13 Über den Forschungsstand vgl. Evelyn Adunka u.a. (Hg.), Exilforschung: Österreich. Leistungen, Defizite & Perspektiven, Wien [i.E.].
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der jüdischen Bevölkerung lebte, kam es zu pogromartigen Ausschreitungen. Besonders begehrt waren die rund 60.000 jüdischen Gemeindewohnungen, die sich Wiener zuerst durch ‚wilde Arisierungen‘, später per Gesetz aneigneten.14 In dieser Phase zielte das Regime noch auf die Beraubung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung ab; zu diesem Zweck wurde eine Reihe diskriminierender Maßnahmen und Gesetze erlassen. Mit der am 26. April 1938 erlassenen Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden ab einem Betrag von 5.000 Reichsmark waren diese praktisch sequestriert und der freien Verfügung der Eigentümer entzogen.15 Es folgten unter anderem die Registrierung und Kennzeichnung jüdischer Gewerbebetriebe, die Streichung der Approbation jüdischer Ärzte und die Aufhebung der Zulassung für jüdische Rechtsanwälte. Die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 erzwang die Schließung aller jüdischen Geschäfte und das Ende eines selbstständigen Betriebs eines Handwerkes.16 Seit dem 28. November 1938 ‚regelte‘ eine Polizeiverordnung das „Auftreten in der Öffentlichkeit“; bestimmte Orte und Plätze wie Schwimmbäder oder Unterhaltungseinrichtungen durften von der jüdischen Bevölkerung nicht mehr betreten werden, zu bestimmten Zeiten bestand ein Ausgehverbot.17 Ab April 1938 wurden jüdische Schüler in eigenen Klassen unterrichtet, mit Ende des Schuljahres 1938/39 war ihnen jeder öffentliche Unterricht untersagt. Im Juli 1938 erhielten Juden und Jüdinnen eine eigene Kennkarte, und ab 1939 mussten sie den zusätzlichen Vornamen Sara bzw. Israel führen – eine Vorstufe zur Kennzeichnung mit dem Judenstern, der ab September 1941 zu tragen war. Ende 1941 entzog ein Gesetz Juden die Staatsbürgerschaft, fortan waren sie staatenlos.18 Im selben Jahr wurde die Ausreise offiziell verboten, es begannen die Deportationen in die Konzentrationsund Vernichtungslager. Zur Beschleunigung der Auswanderung und staatlich gelenkten Schröpfung wurde im August 1938 die von Adolf Eichmann geleitete ‚Zentralstelle für jüdische Auswanderung‘ in Wien gegründet. Untergebracht im beschlagnahmten Rothschild-Palais in der Prinz-Eugen-Straße, durfte sie als einzige SS-Dienststelle Ausreisegeneh-
14 Georg Graf u.a., „Arisierung“ und Rückstellung von Wohnungen in Wien, Wien/München 2004. 15 Vgl. exemplarisch Helen B. Junz u.a., Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NSRaub und Restitution nach 1945, Wien/München 2004. 16 Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 584/1938, S. 2837. 17 Ebd., Nr. 622/1938, S. 3057. 18 Harald Wendelin/Hannelore Burger, Vertreibung, Rückkehr und Staatsbürgerschaft. Die Praxis der Vollziehung des Staatsbürgerschaftsrechts an den österreichischen Juden, Wien/München 2004, S. 239–504.
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migungen erteilen.19 Der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), die seit Mai 1938 wieder zugelassen war, kam hinsichtlich der Organisation der jüdischen ‚Auswanderung‘ eine zentrale Rolle zu. Sie bot Umschulungs- und Sprachkurse an, vermittelte Kontakte zu ausländischen Stellen, beschaffte Visa und streckte den in die Armut gezwungenen Jüdinnen und Juden Geld für Fahrkarten vor. Wie Doron Rabinovici gezeigt hat, war die IKG in dieser Tätigkeit zur Zusammenarbeit mit NS-Behörden gezwungen, die letztendlich die Bedingungen diktierten.20 Einerseits unter Druck gesetzt, das Land so schnell wie möglich zu verlassen, wurden den Ausreisewilligen gleichzeitig viele Hürden in den Weg gelegt. Mittels einer ‚Steuerunbedenklichkeitserklärung‘ musste belegt werden, dass keine Steuern, Gebühren oder Mietrückstände offen waren. Als diskriminierende Steuern kamen eine ‚Passumlage‘, die ‚Reichsfluchtsteuer‘ und nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 die ‚Judenvermögensabgabe‘ hinzu. Da der Zugriff auf das eigene Vermögen untersagt war, konnten selbst Vermögende die geforderten Beträge oft schwer aufbringen. Nicht selten verfiel die Gültigkeit von wichtigen Dokumenten oder der Steuerunbedenklichkeitserklärung, noch bevor das Visum eingetroffen war; damit begann der Spießrutenlauf von Neuem.21 Wer es geschafft hatte, durfte lediglich die Auswanderungsfreigrenze von zehn Reichsmark ins Exil mitnehmen. Der NS-Staat verfolgte somit eine sehr widersprüchliche Politik: Förderte die Verdrängung aus der Wirtschaft und der Gesellschaft den Emigrationswillen, so hemmten die Ausplünderung durch Vermögenskonfiskation und ruinöse Abgaben die Auswanderungsmöglichkeit, da kein Land an der Aufnahme der völlig verarmten Juden interessiert war.22 3 Aufnahmekriterien und Überlebensbedingungen in den bedeutendsten Exilländern
Als nach dem ‚Anschluss‘ eine massive Fluchtbewegung aus Österreich einsetzte, schlossen sämtliche Länder schnell ihre Grenzen, erschwerten die Einreise- und Aufnahmebedingungen bzw. stellten keine Visa mehr aus. Viele dieser Länder waren als 19 Vgl. Gabriele Anderl/Dirk Rupnow/Alexandra-Eileen Wenck, Die Zentralstelle für Jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien/München 2002. 20 Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht: Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt a.M. 2000, S. 171–174. 21 Dorit Whiteman, Die Entwurzelten. Jüdische Lebensgeschichten nach der Flucht 1933 bis heute, Wien/Köln/Weimar 1995. 22 Wolfgang Benz, Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration, München 1991, S. 24.
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Folge der Weltwirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert, und Flüchtlinge galten als Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Nicht selten mischten sich die hieraus resultierenden Ängste mit Antisemitismus. Auch in dem Bestreben, sich kein ‚jüdisches Problem‘ zu schaffen,23 wollte kaum ein Land ‚rassisch Verfolgte‘ aufnehmen. Im Juli 1938 lud US-Präsident Franklin D. Roosevelt in Evian am französischen Ufer des Genfer Sees 32 Nationen zu einer internationalen Konferenz über die Flüchtlingsproblematik ein. Das Ergebnis war enttäuschend: Jedes Land definierte weiterhin bürokratisch sorgfältig, welche Bedingungen und Eigenschaften von Bewerbern verlangt wurden. Nur vage Zusagen gab es von einigen Staaten, dass die Einwanderungsquote in Zukunft voll ausgeschöpft werden könne. Die USA und westeuropäische Staaten hatten sich von der Konferenz vor allem erhofft, das ‚Flüchtlingsproblem‘ auf die dünn besiedelten Staaten Lateinamerikas abzuwälzen. Diese allerdings stellten, wie noch genauer thematisiert wird, ihre eigenen Bedingungen.24 In Wien stürmte die jüdische Bevölkerung Konsulate und stand vor Botschaften Schlange. Einzelne Menschen wurden aus den Warteschlangen herausgegriffen und öffentlich misshandelt. Täglich machten neue Gerüchte über Wege zu einem begehrten Visum die Runde. Zwielichtige Figuren und Beamte der Botschaften und Konsulate nutzten die Situation dieser verzweifelten Menschen aus, indem sie völlig überteuerte und mitunter gefälschte Visa verkauften. Viele bezahlten Schlepper, um sich außer Landes bringen zu lassen.25 Während zuerst europäische Länder sowie das traditionelle Einwanderungsland USA bevorzugt wurden, war später kein Land mehr zu entlegen. Österreichische Juden und Jüdinnen überlebten nicht nur in traditionellen Exil- und Einwanderungsländern wie Frankreich, Großbritannien, den USA und Lateinamerika, sondern in kleiner Anzahl auch in der Türkei, in Casablanca, im damals noch sehr bevölkerungsarmen Australien, im mythenumwobenen Schanghai, auf den Philippinen, in Indien, in Afrika und sogar in Japan; insgesamt fanden die Verfolgten in über 60 Ländern zumindest für einige Jahre Exil. 3.1 Europäische Nachbarländer und das neutrale Schweden
Unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ lag für viele nahe, sich in die Schweiz zu retten. Das neutrale Land führte jedoch schnell die Visumpflicht für österreichische Pässe ein 23 Vgl. exemplarisch Philipp Mettauer, Erzwungene Emigration nach Argentinien. Österreichischjüdische Lebensgeschichten, Wien 2010, S. 91. 24 Siehe unten Kap. 3.3 und Wolfgang Benz/Claudia Curio/Heiko Kauffmann (Hg.), Von Evian nach Brüssel. Menschenrechte und Flüchtlingsschutz 70 Jahre nach der Konferenz von Evian, Karlsruhe 2008. 25 Whiteman, Die Entwurzelten, S. 53–60.
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und gab nur in einem beschränkten Ausmaß Durchreisevisa aus. Bis zum Juli 1944 weigerten sich die Schweizer Behörden, einem Juden den Status eines politischen Flüchtlings zuzuerkennen. Um illegale Flüchtlinge bereits an der Grenze abschieben zu können, drängte die Schweiz Deutschland, jüdische Pässe mit dem Buchstaben ‚J‘ abzustempeln. Dem Gesuch wurde von der Reichsregierung im Oktober 1938 stattgegeben. Auf dieser Grundlage wurden zwischen 1939 und 1945 mindestens 25.000 jüdische Flüchtlinge an den Schweizer Grenzen zurückgewiesen. Die Fremdenpolizei machte den Flüchtlingen nicht nur die Einreise, sondern auch das Exilleben so schwer wie möglich. Ausländer mussten sich innerhalb einer bestimmten Frist bei den Behörden melden, die über eine Aufenthaltsbewilligung entschieden. Selbst anerkannte Flüchtlinge durften weder arbeiten noch sich politisch betätigen, Schriftstellern war es nicht erlaubt zu publizieren; die Aufnahme eines Studiums war unter bestimmten Voraussetzungen allerdings möglich. Mit Kriegsbeginn wurde die ‚Ausschaffung‘ aller illegalen männlichen Einwanderer mit Ausnahme von Deserteuren und anerkannten politisch Verfolgten angeordnet. Das massive Vordringen der deutschen Wehrmacht in Europa führte in der Schweiz zu neuen Restriktionen: 1940 begann die Internierung der Flüchtlinge, unter anderem mit dem Ziel, sie besser überwachen zu können. Flüchtlinge wurden allerdings auch zur Arbeit in der Landwirtschaft und für den Straßenbau herangezogen, weil aufgrund des Wehrdienstes der Schweizer Männer Arbeitskräfte fehlten. Nicht zuletzt reagierte man mit der Internierung auf die negative Stimmung in der Bevölkerung – verweigerten einige Orte doch Flüchtlingen den Besuch von Kaffeehäusern.26 1942 machte die Schweiz die Grenzen für jüdische Flüchtlinge vollkommen dicht, und zwar zu einem Zeitpunkt, als im benachbarten Frankreich die Deportationen in Gang waren. Dennoch gelang es vielen Flüchtlingen, die Schweiz als Durchgangsland zu nutzen; länger Aufnahme gefunden haben allerdings nur etwa 5.000 Personen, davon 2.000 bis 3.000 aus Österreich.27 Einige von ihnen verdankten ihr Leben dem couragierten Handeln des Polizeihauptmannes Paul Grüninger, der bis zu seiner Verhaftung und fristlosen Entlassung 1939 die fremdenpolizeilichen Bestimmungen ignorierte.28 Das neutrale Schweden wird vielfach mit dem Exil von prominenten Flüchtlingen wie Bruno Kreisky und Willy Brandt assoziiert. Weniger bekannt ist, dass auch die 26 Werner Mittenzwei, Exil in der Schweiz, Leipzig 1981, S. 23. 27 Claudia Hoerschelmann, Exilland Schweiz. Lebensbedingungen und Schicksale österreichischer Flüchtlinge 1938 bis 1945, Innsbruck 1997; Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Bern 1999, S. 77 ff. 28 Wulff Bickenbach, Gerechtigkeit für Paul Grüninger. Verurteilung und Rehabilitierung eines Schweizer Fluchthelfers (1938–1998), Köln 2009.
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schwedische Regierung bei deutschen Behörden für die Kennzeichnung der jüdischen Pässe intervenierte. Insgesamt fanden nur 4.000 bis 5.500 Flüchtlinge Aufnahme, davon etwa 1.000 Personen aus Österreich. Für die legale Einreise waren eine von einer diplomatischen Vertretung ausgestellte Grenzempfehlung sowie eine Bestätigung notwendig, dass man ansässige Verwandte im Land hatte und niemandem zur Last fallen werde. Wie in der Schweiz wurden Flüchtlinge ab 1940 interniert. Auch hier reagierte die Politik auf den Druck der öffentlichen Meinung, in der Angst um den Arbeitsplatz und Furcht vor ‚Überfremdung‘ zum Ausdruck kamen. 1943 beschloss die schwedische Regierung allerdings, die nunmehr auch einer massiven deutschen Verfolgung ausgesetzten dänischen Juden aufzunehmen. Es war diese Maßnahme, die das Bild von Schweden als einem humanen Land in historisch schwierigen Zeiten nachhaltig prägen sollte.29 Zumindest zeitweise fanden im faschistischen Italien etwa 18.000 Flüchtlinge überwiegend jüdischer Herkunft Aufnahme; darunter waren rund 5.000 Personen aus Österreich. Vor allem bestiegen viele Verfolgte in italienischen Häfen die Schiffe in die Exilländer. Mit dem ‚Anschluss‘ Österreichs führte Italien eine Einreisesperre für Juden ein – eine vor Einführung des J-Stempels im Pass allerdings schwer kontrollierbare Maßnahme. Mit dem im September 1938 beschlossenen ersten antisemitischen Gesetz mussten dann selbst getaufte Juden, die sich nach 1918 in Italien niedergelassen hatten, innerhalb von sechs Monaten das Land verlassen. Viele reisten jedoch mit einem Touristenvisum ein, auch um illegal nach Südfrankreich zu gelangen. Obwohl deutsche und österreichische Juden keinem Feindesland angehörten, wurden sie mit dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 als ‚feindliche Ausländer‘ (enemy aliens) interniert. Mit der deutschen Besetzung von Nord- und Mittelitalien setzten im September 1943 die Deportationen der noch rund 6.000 im Land verbliebenen Juden und Jüdinnen ein, von denen etwa ein Drittel Flüchtlinge waren.30 In Frankreich, wo die ersten NS-Flüchtlinge aus Deutschland anfangs auf große Sympathien gestoßen waren, führten Massenarbeitslosigkeit und eine unsichere politische Lage zusehends zu einer Haltungsänderung. Ab Mai 1938 erhielten Flüchtlinge nur in Ausnahmefällen eine Aufenthaltsgenehmigung; ab Oktober 1938 wurde rückwirkend allen Personen ohne Visum das Aufenthaltsrecht verweigert. Auch bereits zuerkannte Aufnahmegenehmigungen mussten ständig erneuert werden.31 „Man 29 Vgl. exemplarisch Irene Nawrocka (Hg.), Im Exil in Schweden. Österreichische Erfahrungen und Perspektiven in den 1930er und 1940er Jahren, Wien 2013. 30 Christina Köstner/Klaus Voigt (Hg.), Österreichisches Exil in Italien 1938–1945, Wien 2009. 31 Zum österreichischen Exil in Frankreich vgl. exemplarisch DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Frankreich 1938–1945. Eine Dokumentation, bearb. von Ulrich Weinzierl, Wien 1984.
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hatte Angst, zurückgeschickt zu werden. Es ging alle 14 Tage um Leben und Tod“, erinnerte sich der Filmemacher Georg Stefan Troller, der 1939 als 17-Jähriger in Paris angekommen war.32 Mit Kriegsbeginn galten sämtliche Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich als sujets ennemis, und Männer zwischen 17 und 50 Jahren (später bis 65 Jahre) mussten sich umgehend in einem der zahlreichen Sammellager einfinden, in denen primitive Lebensumstände und administratives Chaos herrschten. Mitte Januar 1940 wurden die meisten ‚politisch Unverdächtigen‘ wieder entlassen und erhielten das Angebot, der Fremdenlegion beizutreten oder sich dem militärischen Arbeitsdienst anzuschließen; hiervon machten einige Tausend Österreicher Gebrauch. In Frankreich (wie auch in Belgien) beteiligten sich Flüchtlinge am Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wobei sich die meisten primär als politisch Verfolgte verstanden. Nach der Besetzung Belgiens Ende Mai 1940 setzte eine neue Internierungswelle ein, und nach der Niederlage Frankreichs einen Monat später befanden sich Tausende jüdische Flüchtlinge in Lagern.33 Wem die Flucht gelang, schloss sich der massiven Fluchtbewegung in die ‚freie Zone‘ im Süden Frankreichs an. Marseille wurde zum Tor zur Welt, wo Tausende auf ein Visum warteten oder mithilfe von Schleppern versuchten, über die Berge nach Spanien und Portugal zu gelangen.34 Lissabon erwies sich für viele als der letzte offene Hafen.35 Unter Mithilfe der französischen Kollaborateure und der französischen Gendarmerie begannen im Sommer 1942 die Deportationen von insgesamt 76.000 französischen und ausländischen Juden, darunter etwa 2.000 Österreicher jüdischer Herkunft.36 3.2 Exilland Großbritannien
Auch Großbritannien änderte nach dem ‚Anschluss‘ aufgrund des drastischen Anstiegs der Flüchtlingszahlen schnell seine Einwanderungspolitik. War bisher lediglich ein gültiger Reisepass notwendig, bestand für deutsche und österreichische Pässe ab nun Visumszwang. Das zentrale Kriterium für die Ausstellung war der „Wert oder 32 Ursula Kastler, Wohin und zurück. Interview mit Georg Stefan Troller, in: Salzburger Nachrichten vom 5. Juli 2014. 33 Zur Ökonomie des Lagersystems vgl. Georg Pichler, Im Lager (über-)leben. Formen der Wirtschaft in den französischen Internierungslagern, in: Ursula Seeber/Veronika Zwerger/Claus-Dieter Krohn (Hg.), „Kometen des Geldes“. Ökonomie und Exil, Jahrbuch der Gesellschaft für Exilforschung 33 (2015), S. 199–212. 34 Jacques Grandjonc/Theresia Grudtner, Zone der Ungewissheit. Exil und Internierung in Südfrank reich 1933–1944, Reinbek bei Hamburg 1993. Diese dramatische Situation wurde auch häufig literarisch bearbeitet. Vgl. exemplarisch Anna Seghers, Transit, Berlin 1993. 35 Uli Jürgens, „Ziegensteig ins Paradies“. Exilland Portugal, Wien 2015. 36 Julian Jackson, France. The Dark Years 1940–1944, Oxford 2001.
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Abb. 1: ‚Kindertransport‘: Jüdische Kinder aus Berlin und Hamburg treffen am 2. Februar 1939 in der Londoner Waterloo Station ein.
Unwert des Antragstellers für das Vereinte Königreich“.37 Demnach stand prominenten Persönlichkeiten oder Unternehmern kaum etwas im Wege, wohingegen Berufsgruppen wie Handwerker, kleine Gewerbetreibende oder Künstler weniger Chancen hatten.38 Als Reaktion auf die Reichspogromnacht nahm Großbritannien zwischen Dezember 1938 und August 1939 insgesamt 10.000 Kinder aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei auf. Eine besondere Rolle kam hierbei den Quäkern zu.39 Die jahrelange Trennung entfremdete Kinder und ihre Eltern, für viele war es ein Abschied für immer. Etwa 20.000 domestic permits erhielten österreichische Frauen als Hausangestellte und einige Männer als Gärtner und Chauffeure, die oft 37 DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Großbritannien 1938–1945, bearb. von Wolfgang Muchitsch, Wien 1992, S. 5. 38 Vgl. exemplarisch DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Großbritannien; Marietta Bearman/Charmian Brinson/Richard Dove (Hg.), Wien – London, hin und retour. Das Austrian Centre in London 1939 bis 1947, Wien 2003. 39 Vgl. exemplarisch Anna Wexberg-Kubesch, Vergiss nie, dass du ein jüdisches Kind bist. Der Kindertransport nach England 1938/39, Wien 2013.
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ihre Familien nachkommen lassen konnten. Damit wurde eine langjährige Tradition der britischen Arbeitsmigration fortgesetzt, die dem chronischen Mangel an Hausangestellten abhelfen sollte. Dieses Mal kamen allerdings auch Frauen, die eine akademische Ausbildung aufwiesen und in Österreich einst selber Dienstmädchen beschäftigt hatten.40 Die Kriegserklärung Großbritanniens an das nationalsozialistische Deutschland vom 3. September 1939 hatte unmittelbare Konsequenzen für die Flüchtlinge. Aus Angst vor nationalsozialistischen Sabotageakten wurden viele von ihnen vor Ausländergerichte (alien tribunals) zitiert, um herauszufinden, ob sie tatsächlich eine Gefahr für Großbritannien darstellten. Dabei wurde zwischen drei Kategorien unterschieden. Zur Kategorie A gehörten Personen, deren Loyalität bezweifelt wurde. Unter Kategorie C fielen alle Zuverlässigen, und Kategorie B umfasste eine Art Mittelstufe. Der Großteil der jüdischen Flüchtlinge wurde als Kategorie C eingestuft. Nach der Besetzung der Niederlande, Belgiens und Frankreichs und dem Vormarsch der Wehrmacht bis zum Ärmelkanal ging die britische Regierung als Folge einer wachsenden Kriegsangst zur Internierung über. Im Sommer 1940 befanden sich über 27.000 deutsche und österreichische Flüchtlinge, darunter 4.000 Frauen mit Kindern, in Lagern. Die meisten waren auf der Ilse of Man, dem weitaus größten Internierungslager der britischen Inseln, untergebracht, und zwar gemeinsam mit Nationalsozialisten. Obwohl der U-Boot-Krieg bereits voll im Gang war, wurden enemy aliens nach Kanada und Australien, die zu den britischen Dominions gehörten, geschifft und dort interniert. Nach der Torpedierung der Arandora Star, bei der 174 deutsche und österreichische sowie 486 italienische Internierte umkamen, mehrte sich Kritik an der Internierungspolitik; daraufhin wurden die Lager allmählich aufgelöst.41 Die militärische Mobilmachung verhalf den Flüchtlingen zu einer massiven Verbesserung ihrer Situation. Denn nunmehr war ihnen erlaubt, Arbeit anzunehmen, sofern diese nicht für Ausländer gesperrt war. Mit dem Bombenkrieg (Blitz) der deutschen Luftwaffe auf britische Städte waren die Flüchtlinge vom September 1940 bis Mai 1941 allerdings weiteren lebensbedrohlichen Umständen ausgeliefert. Mit der Moskauer Deklaration vom Herbst 1943 durften sich österreichische Flüchtlinge zu Österreichern umregistrieren lassen, den Status eines enemy alien mussten sie allerdings beibehalten. Für Angehörige der Kategorie C fielen zumindest gewisse Beschränkungen weg, etwa die polizeiliche An- und Abmeldepflicht bei kurzzeitiger Abwesenheit vom Wohnort, die nächtliche Ausgangssperre sowie das Verbot, ein Fahrrad, ein Fahrzeug 40 Traude Bollauf, Dienstmädchenemigration nach England. Die Flucht jüdischer Frauen aus Österreich und Deutschland nach England 1938/39, Berlin u.a. 2010. 41 Vgl. Eugen Banauch, Fluid Exile. Jewish Exile Writers in Canada 1940–2006, Heidelberg 2009.
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oder einen Fotoapparat ohne polizeiliche Genehmigung zu besitzen. Einige Tausend österreichische Flüchtlinge stellten sich im Kampf gegen Hitler der britischen Armee zur Verfügung.42 Insgesamt konnten sich bis Kriegsausbruch etwa 80.000 Flüchtlinge aus Europa unter Einschluss von etwa 30.000 Österreichern auf die britischen Inseln retten. Damit nahm das Vereinigte Königreich bis Kriegsbeginn im Verhältnis zu seiner Größe trotz aller Einschränkungen wesentlich mehr Flüchtlinge auf als die USA.43 In Großbritannien entstand Ende 1941 mit dem Free Austrian Movement auch die bedeutendste österreichische Exilorganisation. Von Kommunisten dominiert, bot sie nicht nur Parteimitgliedern eine Art Ersatzheimat in der Fremde. 3.3 Traditionelle Einwandererländer: Nord- und Lateinamerika
Auch das bedeutendste Exilland, die USA, hielt weiterhin am Quotensystem fest, das 1924 zur Einschränkung vor allem der jüdischen Zuwanderung aus Osteuropa beschlossen worden war. Demnach durften aus Deutschland und Österreich jährlich rund 30.000 Menschen einwandern, die Quoten für osteuropäische Länder lagen um ein Vielfaches niedriger.44 Familien standen damit oft vor äußerst schwierigen Entscheidungen: Sollten Kinder auswandern und ihre alten Eltern, die unter die aussichtslosen ungarischen oder polnischen Quoten fielen, zurücklassen oder zusammen mit den Eltern die weitere Entwicklung abwarten?45 Die Zuteilung einer Quotennummer war zudem an ein Affidavit gebunden, das heißt an die Bürgschaft von US-Bürgern. Wer in den USA keine Verwandten hatte, suchte in Telefonbüchern fieberhaft nach Namensvettern. Manche Flüchtlinge umgingen diese Situation, indem sie mit einem Touristenvisum einreisten und dieses später in einem Nachbarland wie Kanada, Kuba oder Mexiko in ein permanentes Visum umwandeln ließen. Die Ausreise war notwendig, da nach der amerikanischen Gesetzgebung nur amerikanische Konsuln und keine Inlandsbehörden Einwanderungsvisa ausstellen durften. Die Beibehaltung der Quotenregelung muss auch als Reaktion auf die Stimmung in der Bevölkerung gesehen werden. Mit der Wirtschaftskrise vermischte sich Antisemitismus mit einer allgemeinen Fremdenfeindlichkeit, der wiederum die Angst um den Verlust von Arbeitsplätzen zugrunde lag. Angesichts der hohen Ar42 Wolfgang Muchitsch, Mit Spaten, Waffen und Worten. Die Einbindung österreichischer Flüchtlinge in die britischen Kriegsanstrengungen 1939–1945, Wien/Zürich 1992. 43 DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Großbritannien, S. 5 ff. 44 Vgl. exemplarisch Michael R. Marrus, The Unwanted. European Refugees in the Twentieth Century, Philadelphia 2001. 45 Vgl. exemplarisch Gerda Lerner, Fireweed. A Political Autobiography, Philadelphia 2002.
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beitslosigkeit mobilisierten auch Gewerkschaften gegen die Einwanderung. Anfang 1939 lehnten 66 % der befragten Amerikaner eine einmalige Ausnahmeregelung zur Aufnahme von 10.000 Flüchtlingskindern ab. Im selben Jahr waren 53 % der Meinung, dass Juden anders seien und ausgegrenzt werden sollten.46 In der Erinnerung vieler Flüchtlinge kommt allerdings dem Antisemitismus eine geringere Bedeutung zu als dem Rassismus, rief doch bei vielen von ihnen die Behandlung der Afroamerikaner die selbst erlebte Diskriminierung in Europa in Erinnerung.47 Die Ärztin Else Pappenheim war noch im Rückblick entsetzt darüber, dass die Johns Hopkins University und das Johns Hopkins Hospital damals keine Menschen mit schwarzer Hautfarbe aufgenommen haben, weder Studenten noch Ärzte und Krankenschwestern. Schwarze wurden nur in Ambulatorien behandelt und durften nicht einmal in der Psychiatrie neben Weißen sitzen.48 Der Blick auf die Afroamerikaner war mitunter auch durch eine gut gemeinte europäisch-koloniale Sichtweise getrübt, wenn beispielsweise Klaus Mann über die Porgy-and-Bess-Produktion am Broadway festhielt: „Die Neger hatten Temperament, Witz, Rhythmus, Pathos, Komik, Zärtlichkeit; die Neger boten etwas essentiell Neues – eine zugleich urwaldhaft primitive und weltstädtisch raffinierte Kunst.“49 Mit dem Kriegseintritt der USA wurden Flüchtlinge 1941 auch hier zu ‚feindlichen Ausländern‘. Hinsichtlich der Einstufung der Österreicher gab es allerdings unterschiedliche Auffassungen und keine einheitliche Praxis.50 Im Unterschied zu den Japanern wurden Europäer jedoch nie interniert, ab 1942 durften sie sich sogar zur amerikanischen Armee melden. Voraussetzung war ein einwandfreier Ruf, nicht einmal die englische Sprache musste man beherrschen. Nach Kriegsende bot die G.I. Bill of Rights Soldaten die Möglichkeit, ein vom Staat finanziertes Studium aufzunehmen.51 Flüchtlinge profitierten auch vom kriegsbedingten Wirtschaftsaufschwung sowie vom Wirtschaftsboom in den Nachkriegsjahren. Zumeist erhielt man 46 David S. Wyman, Das unerwünschte Volk. Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt a.M. 2000, S. 9 ff. 47 Die gebürtige Wienerin Lore Segal thematisierte am Beispiel der Freundschaft zwischen einer jungen Jüdin und einem afroamerikanischen Künstler den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Lore Segal, Her First American. A Novel, New York 1990. 48 Else Pappenheim, „Kein Mann hätte sich das gefallen lassen“, in: Elfi Hartenstein, Heimat wider Willen. Emigranten in New York – Begegnungen, Berg am See 1991, S. 240. 49 Anthony Heilbut, Kultur ohne Heimat. Deutsche Emigranten in den USA nach 1930, Weinheim/ Berlin 1987, S. 60; Hervorhebung im Original. 50 DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: USA 1938–1945, bearb. von Peter Eppel, Bd. 2, Wien/München 1995, S. 5 ff. 51 Claudia Appelius, Die schönste Stadt der Welt. Deutsch-jüdische Flüchtlinge in New York, Essen 2003, S. 210 ff.
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die Staatsbürgerschaft innerhalb von vier Jahren, häufig ging es sogar schneller. Insgesamt nahmen die USA zwischen 1933 und 1945 rund 200.000 jüdische Flüchtlinge aus Europa auf, von denen viele über den Umweg Frankreich, Spanien, Portugal, England, Casablanca oder Kuba eingereist waren.52 Im Vergleich dazu fanden in Kanada nur etwa 5.000 Flüchtlinge Aufnahme. Bereits seit 1930 hatten die Behörden nur noch Immigranten ins Land gelassen, die genügend Geld für den Aufbau eines landwirtschaftlichen Betriebes mitbrachten.53 Lateinamerika geriet als mögliches Exil erst in das Blickfeld der Verfolgten, als sie bereit waren, in jedes Land, das ein Visum anbot, zu gehen. In welchem lateinamerikanischen Land man landete, war oft vom Zufall abhängig. Insgesamt dürften 7.500 bis 9.000 Österreicherinnen und Österreicher nach Lateinamerika geflüchtet sein. Konkrete Zahlen sind nur schwer zu nennen, da viele von ihnen illegal eingereist oder von Land zu Land weitergewandert sind. Der Großteil ließ sich in Argentinien nieder, gefolgt von Brasilien, Chile und Uruguay. Auch diese Länder hatten mit dem Anstieg der asylsuchenden Juden aus Europa ihre Einreisebedingungen verschärft. Erwünscht waren Personen, die genügend Kapital mitbrachten, und bestimmte Berufsgruppen wie Handwerker oder Bauern. Wenig Interesse gab es an verarmten, großstädtisch geprägten Flüchtlingen, die mit Einheimischen um Arbeitsplätze konkurriert hätten.54 In das klassische Einwanderungsland Argentinien gelangte man am häufigsten mit einer ‚Anforderung‘ (das heißt einer Einladung) durch bereits ansässige Verwandte. Eine weitere Möglichkeit bot ein Touristenvisum, für dessen Erteilung allerdings eine beträchtliche Geldsumme vorgelegt und eine Schiffspassage erster Klasse gekauft werden musste. Einige kamen – und blieben – mit einem Transitvisum. 1938 erließ die antisemitisch eingestellte Militärregierung das Geheimpapier Circular 11, wonach Juden und politisch Verfolgten die Einreise verwehrt bleiben sollte.55 In Brasilien waren keineswegs alle Flüchtlinge so willkommen wie Stefan Zweig, der sich 1941 mit seiner zweiten Frau Lotte Altmann in Petrópolis niedergelassen 52 Vgl. Eva Schweitzer, Amerika und der Holocaust. Die verschwiegene Geschichte, München 2004, S. 79 f. 53 Andrea Strutz, Sie kamen als „enemy aliens“. Kanadas verschlossene Grenzen für jüdische Flüchtlinge, in: Gerald Lamprecht/Ursula Mindler/Heidrun Zettelbauer (Hg.), Zonen der Begrenzung. Aspekte kultureller und räumlicher Grenzen in der Moderne, Bielefeld 2012, S. 47–60. 54 Vgl. exemplarisch Alisa Douer/Ursula Seeber (Hg.), Wie weit ist Wien. Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler, Wien 1995; Sonja Wegner, Immigrant Entrepreneurs. Jüdische Emigration in Montevideo und die Gründung einer beruflichen Existenz , in: Seeber/ Zwerger/Krohn (Hg.), „Kometen des Geldes“, S. 114; Irmtrud Wojak, Exil in Chile. Die deutschjüdische und politische Emigration während des Nationalsozialismus 1933–1945, Berlin 1994. 55 Mettauer, Erzwungene Emigration, S. 85–93.
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hatte. Ab 1937 – im selben Jahr übernahm Getúlio Vargas die Macht und regierte das Land autoritär – untersagte ein geheimer Erlass den Konsulaten, Personen ‚semitischer Herkunft‘ Visa auszustellen. Durch Intervention und Bestechung wurden allerdings immer wieder Ausnahmen gemacht. Auf Drängen von Papst Pius XII. erklärte sich Vargas bereit, 3.000 europäische Juden aufzunehmen, die allerdings getauft sein mussten.56 Ein kurzes Zeitfenster stand Verfolgten für die Einreise in Bolivien offen, das ärmste Land Südamerikas mit einem für viele unverträglichen Höhenklima. Wirtschaftlich durch den verlorenen Krieg gegen Paraguay (1932–1935) geschwächt und vom Militär regiert, wollte das Land Einwanderer mit landwirtschaftlichem Knowhow und einer Mindestsumme von 5.000 US-Dollar ins Land holen. Die meisten Vertretungen in Europa stellten allerdings auch ohne einen Nachweis für die geforderte berufliche Qualifikation bereitwillig Visa aus, und die bolivianischen Diplomaten verkauften teure Visa.57 Einen anderen Weg ging Mexiko. Noch immer von der Revolution von 1910 geprägt, zeigte das Land große Bereitschaft, politisch Verfolgte aus Europa aufzunehmen, und wurde zum Anziehungspunkt für Spanienkämpfer, Kommunisten und Antifaschisten. ‚Emigranten aus anderen Gründen‘ erschwerte die Regierung jedoch die Einreise, und Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen wurden abgewiesen. In den 1930er Jahren entstanden auch in Mexiko rassistische und antisemitische Gruppierungen; dabei kam der in der Revolution enteigneten katholischen Kirche eine tragende Rolle zu.58 Exil in vielen lateinamerikanischen Ländern hieß für Vertriebene auch die Konfrontation mit deutschen Minderheiten, die sich für die nationalsozialistische Propaganda empfänglich zeigten. Die weltweit erste Auslandsorganisation der NSDAP war 1929 in Paraguay gegründet worden. Es folgten 1931 Argentinien und ein Jahr später Uruguay. In den meisten Staaten Lateinamerikas unterwanderten lokale Ortsgruppen der NSDAP bestehende deutschsprachige Institutionen wie Schulen, Kirchengemeinden oder Clubs.59 Nach dem Krieg fanden Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher in Lateinamerika unbehelligt Aufnahme. Schwer taten sich viele 56 Vgl. exemplarisch Marlen Eckl, Das Paradies ist überall. Das Brasilienbild von Flüchtlingen des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2010; Zwischenwelt 3–4 (2013), Themenheft Exil in Brasilien. 57 Vgl. exemplarisch Egon Schwarz, Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderung, Frankfurt a.M. 1992; Leon E. Bieber, Jüdisches Leben in Bolivien. Die Einwanderungswelle 1936– 1940, Berlin 2012. 58 DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Mexiko 1938–1947. Eine Dokumentation, bearb. von Christian Kloyber/Marcus G. Patka, Wien 2002. 59 Mettauer, Erzwungene Emigration, S. 142.
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europäische Flüchtlinge auch mit dem bisher unbekannten Ausmaß an Armut. Sie mussten feststellen, dass die indigene Bevölkerung wenig mit den klischeebesetzten Indianern gemein hatte, die ihnen aus den Romanen Karl Mays vertraut waren.60 3.4 Ein nicht nur ‚gelobtes Land‘: Palästina/Israel
Schätzungsweise 7.000 bis 12.000 österreichische Vertriebene fanden in Palästina Aufnahme, exakte Zahlenangaben sind wegen der vielen illegalen Transporte schwierig. Das Gebiet stand seit 1922 im Rahmen eines Völkerbundmandats unter britischer Verwaltung. Da es sowohl von Arabern als auch von Juden als Heimstätte beansprucht wurde, achteten die Briten auf eine strenge Regelung der Einwanderung. Es gab jeweils bestimmte Quoten für Kapitalbesitzer, Rabbiner und Schüler, Arbeiter-Pioniere und Familienangehörige. Die Verteilung oblag der Jewish Agency, die sich ständig bemühte, die Zahl zu erhöhen. Als Reaktion auf den Aufstand der Araber (1936–1939), als die jüdische Bevölkerung mit etwa 400.000 Personen ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachte, erließen die Briten das sogenannte Weißbuch: Demnach sollten von 1939 bis 1945 nur 75.000 Flüchtlinge aufgenommen werden.61 Diese restriktive Einwanderungspolitik wurde aber durch illegale Einwanderung umgangen. Als letzter Ausweg boten sich den Verfolgten illegale Transporte auf überfüllten und wenig seetauglichen Schiffen. Solche Transporte wurden bis 1940 von nationalsozialistischen Behörden unterstützt, wollte man doch die Juden und Jüdinnen so schnell wie möglich loswerden. NS-Funktionäre bereicherten sich an der illegalen Ausreise zudem durch Korruption und Bestechung. Manche Schiffe trieben monatelang im Mittelmeer umher und wurden vor der Küste Palästinas von den Briten abgefangen, die Odyssee endete in Lagern auf Mauritius.62 In Kladovo wiederum, einem Ort im damaligen Königreich Jugoslawien, wurden etwa 1.000 Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Palästina von der deutschen Wehrmacht brutal ermordet.63 60 Ebd., S. 113. 61 Vgl. exemplarisch Dieter J. Hecht, Juden aus Österreich in Israel – Die Hitachdut Olej Austria. Die Einwanderung und Integration von Juden aus Österreich in Israel von den Anfängen bis in die 1960er Jahre, in: Sabine Falch/Moshe Zimmermann (Hg.), Israel – Österreich. Von den Anfängen bis zum Eichmann-Prozess 1961, Innsbruck 2005, S. 15–45. Allgemein zu dieser Problematik jetzt Victoria Kumar, Land der Verheißung – Ort der Zuflucht. Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945, Innsbruck/Wien/München 2016. 62 Vgl. exemplarisch Gabriele Anderl, 9096 Leben – Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer, Berlin 2012; Dies., Auf dem Weg nach Palästina – Interniert auf Mauritius, in: Margit Franz/Heimo Halbrainer (Hg.), Going East – Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika, Graz 2014, S. 323–334. 63 Gabriele Anderl/Walter Manoschek, Gescheiterte Flucht. Der Kladovo-Transport auf dem Weg nach Palästina 1939–1942, Wien 1993.
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Wer es nach Palästina schaffte, konnte sich nicht in einem ‚fertigen Staat‘ einrichten. Hier herrschte hohe Arbeitslosigkeit, das Klima war für viele unerträglich, vor allem die ältere Generation scheiterte an der Sprache. Den deutschen und österreichischen Flüchtlingen war der von osteuropäischen Einwanderern geprägte Yishuv, die jüdische Gesellschaft in Palästina, fremd. Jecke, so die Bezeichnung für deutsche und österreichische Einwanderer, hatten im Yishuv keinen guten Ruf. Sie galten als ‚Musskommer‘, die nicht aus zionistischer Überzeugung, sondern ‚wegen Hitler‘ gekommen waren und vehement an deutscher Lebensweise und Kultur festhielten, ja diese teilweise weiterhin als höherwertig betrachteten.64 Exil in Palästina bedeutete nicht zuletzt eine neuerliche Bedrohung durch die Nationalsozialisten: Rommels Armee drang 1942 bis El-Alamein vor, und italienische Flugzeuge bombardierten Haifa. Einige Flüchtlinge trugen Gift bei sich, um sich nicht noch einmal den Nationalsozialisten ausliefern zu müssen. Die jüdische Bevölkerung führte insgesamt einen Dreifrontenkrieg: Man kämpfte gegen aufständische Araber, die wiederum durch die Zuwanderung von 100.000 NS-Flüchtlingen ihre Bestrebungen für einen eigenen Staat gefährdet sahen, sowie gegen die Quotenregelung der Briten und damit für einen eigenen jüdischen Staat; gleichzeitig kämpften Juden in der britischen Armee gegen die Nationalsozialisten. Auf die Euphorie über die Staatsgründung im Mai 1948 folgte der erste israelisch-arabische Krieg, infolge dessen 300.000 Palästinenser zu Flüchtlingen wurden. Viele jüdische Vertriebene wurden Soldaten und mussten in weiteren Kriegen erneut zur Waffe greifen.65 3.5 Das mythenumwobene Schanghai
Schanghai erwies sich für etwa 5.000 österreichische Juden als letzter Rettungsanker.66 Seit den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert unterstanden Teile der Stadt 64 Moshe Zimmermann/Yotam Hotam, Zweimal Heimat: Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost, Frankfurt a.M. 2005. Vgl. auch Interview mit Anna Rattner, Wien 1990 (im Besitz der Verfasserin). 65 Zum österreichischen Exil in Palästina bzw. Israel vgl. exemplarisch Dieter Josef Hecht/Albert Lichtblau, Mutterland – Vatersprache. Eine Dokumentation des Schicksals ehemalige Österreicher in Israel, Tel Aviv 2006; Helga Embacher/Margit Reiter, Gratwanderungen. Die Beziehungen zwischen Österreich und Israel, Wien 1998, S. 28–40; Evelyn Adunka, Exil in der Heimat. Über die Österreicher in Israel, Innsbruck 2002; Erika Weinzierl/Otto D. Kulka (Hg.), Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft, Wien/Köln/Weimar 1992. 66 Zwischen 1938 und Ende 1939 kamen zwischen 18.000 und 20.000 Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei nach Schanghai, ungefähr 4.000 bis 5.000 stammten aus Österreich. Unter ihnen befanden sich rund 13 % nichtjüdische Flüchtlinge wie z. B. christliche Ehepartner. Daneben gab es auch eine kleine Anzahl von politischen Flüchtlingen wie Spanien-
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ausländischen Kolonialmächten. Es gab eine französische Konzession und ein internationales Gebiet (international settlement), das aus den britischen und amerikanischen Pachtgebieten hervorgegangen war und von örtlichen Geschäftsleuten verwaltet wurde. In diese Stadtteile konnte jeder ohne Visum einreisen und sich dort niederlassen. Damit gewährte Schanghai nicht nur Abenteurern, die schnell reich werden wollten, sondern auch Flüchtlingen aus NS-Deutschland die Einreise. Wer in einem Reisebüro eine Schiffspassage ergatterte, konnte dorthin reisen. Bis zum Ausbruch des Krieges war Schanghai zudem mit der Transsibirischen Eisenbahn über Wladiwostok zu erreichen. Wenige hatten allerdings konkrete Vorstellungen von ihrem Exilland. Die Fünf-Millionen-Stadt war zur fünftgrößten Hafenmetropole der Welt herangewachsen und beherbergte unzählige Nationen. Schanghai war aber auch ein Seuchengebiet mit einer der höchsten Prostitutions- und Kriminalitätsraten der Welt, eine Stadt, in der neben großem Reichtum ein Europäern unvertrautes Ausmaß an Armut herrschte. Auch das ungewohnte Klima mit feuchtheißen Sommern und kalten Wintern schreckte ab. Wenigen Flüchtlingen war bewusst, dass als Folge des Japanisch-Chinesischen Krieges (ab Juli 1937) in der Stadt bereits 150.000 chinesische Kriegsflüchtlinge lebten, die sich vornehmlich im vom Krieg stark zerstörten Stadtteil Hongkew niedergelassen hatten. Den mittellosen europäischen Flüchtlingen blieb zumeist kaum eine andere Möglichkeit, als ebenfalls nach Hongkew zu gehen.67 Trotz des Mitleids mit den Chinesen gestalteten sich die Beziehungen aufgrund der schwierigen Lebensumstände sehr ambivalent. Der Kriegseintritt der Japaner im Dezember 1941 mit dem Angriff auf Pearl Harbor zeitigte massive Auswirkungen auf das Leben der Flüchtlinge. Die Tätigkeit der US-amerikanischen Hilfsorganisationen, von denen Tausende abhängig waren, wurde erschwert, während zugleich die Arbeitslosigkeit stark anstieg. Im Februar 1943 errichteten die Japaner auf Druck ihres Achsenpartners Deutschland in Hongkew ein Ghetto, das allerdings nicht mit jenen in Osteuropa zu vergleichen ist. Aufgrund einer Anordnung mussten sich alle seit 1937 eingewanderten staatenlosen Juden und Jüdinnen in diesem Distrikt ansiedeln; nur mit japanischer Erlaubnis durfte man ihn verlassen. Viele verloren damit Wohnung
kämpfer, Kommunisten, Sozialisten oder Monarchisten. Vgl. Ossi Lewin (Hg.), Almanac – Shanghai 1946/47, Schanghai 1946. 67 Zum Exil in Schanghai vgl. exemplarisch Georg Armbrüster/Michael Kohlstruck/Sonja Mühlberger (Hg.), Exil Shanghai 1938–1947. Jüdisches Leben in der Emigration, Berlin 2000; Irene Eber, Wartime Shanghai and the Jewish Refugees from Central Europe: Survival, Co-existence, and Identity in a Multi-ethnic City, Berlin/Boston 2012; Ursula Krechel, Shanghai fern von wo. Roman, Salzburg/ Wien 2008.
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und Arbeitsplatz.68 1944 begannen die USA, Schanghai zu bombardieren. Noch beim letzten Bombardement im Juli 1945 kamen Flüchtlinge ums Leben. Der Krieg endete in Schanghai erst nach den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Nagasaki und Hiroshima und der am 15. August 1945 erfolgten Kapitulation Japans. „Die Zeit der Siegesfeiern war großartig, und ich kam viele Tage und Nächte nicht zur Ruhe. Der Sieg, der große Sieg war endlich da“,69 erinnerte sich die Wienerin Franziska Tausig, die sich und ihren Ehemann in Schanghai mit dem Verkauf von selbstgebackenem Apfelstrudel über Wasser hielt. Die meisten Flüchtlinge mussten allerdings noch lange auf die Weiterreise warten, denn die westlichen Demokratien hielten auch nach Kriegsende an ihrer restriktiven Einwanderungspolitik fest. Eine neue Perspektive eröffnete die Gründung Israels im Mai 1948: Hier fanden mehrere Tausend Schanghai-Flüchtlinge Aufnahme. 4 Geschlecht und Generation als Kategorien in der Exilforschung
Die Vertriebenen waren in den einzelnen Ländern somit mit höchst unterschiedlichen und oft wenig konstanten Lebens- und Überlebensbedingungen konfrontiert. Bestand in den meisten europäischen Ländern für Flüchtlinge zumindest in den ersten Jahren Arbeitsverbot, konnten sie in den USA und Lateinamerika legal einer Arbeit nachgehen. Auch der Krieg hatte höchst unterschiedliche Auswirkungen: Während in europäischen Ländern Flüchtlinge interniert und von Land zu Land getrieben wurden, profitierten in den USA sehr viele vom kriegsbedingten Wirtschaftsaufschwung. Außerdem waren sie hier – wie die übrige Bevölkerung – vor Luftangriffen durch die Achsenmächte sicher. In Palästina wiederum waren Flüchtlinge nicht nur mit dem Aufstand der Araber und der immer näher rückenden deutschen Wehrmacht konfrontiert. Auch der Wirtschaftsaufschwung ließ noch lange auf sich warten, und auf die Staatsgründung folgte 1948 der ‚Unabhängigkeitskrieg‘. Als länderübergreifendes Phänomen kann zumindest für die ersten Monate die Abhängigkeit von zumeist (aber nicht nur) jüdischen Hilfsorganisationen, vor allem dem American Joint Distribution Committee, genannt werden. Wurde in manchen Ländern nur eine Übergangshilfe benötigt, mussten beispielsweise in Schanghai die meisten Flüchtlinge bis zur Befreiung vom Joint unterstützt werden. Vor allem älteren Menschen fiel es schwer, diese Hilfe – und damit ihre gesellschaftliche Deklassierung – anzunehmen. Vielfach wird angenommen, dass Frauen 68 Vgl. Helga Embacher/Margit Reiter, Schmelztiegel Shanghai? Begegnungen mit dem „Fremden“, in: Zwischenwelt 18 (2001), S. 40–45. 69 Franziska Tausig, Shanghai Passage. Emigration ins Ghetto, Wien 20072, S. 115.
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sich in der Emigration als anpassungsfähiger erwiesen als Männer. Das lag unter anderem daran, dass ihre Identität weniger stark durch den Beruf bestimmt war. In vielen Ländern war es für Frauen auch leichter, eine Arbeit zu finden, da sie als billige Arbeitskräfte galten und oft mehr offene Stellen für Frauen vorhanden waren. Frauen zeigten sich darüber hinaus als kreativ im Erfinden von Arbeit: Manche entwarfen eine eigene Kleiderkollektion, verkauften selbstgebackene Mehlspeisen oder kunstvoll gefertigte Lampenschirme. Bürgerliche Frauen verdienten nicht ohne Stolz als Verkäuferin oder Putzfrau ihr erstes eigenes Einkommen und hielten damit ihre Familien über Wasser. Bei Männern bewirkte diese Rollenumverteilung oft Verunsicherung, Scham und mitunter auch aggressives Verhalten gegenüber ihren – nicht immer freiwillig – selbstständig gewordenen Frauen.70 Dennoch darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass Frauen nicht auch am Exil zerbrechen konnten. Bei manchen geschah dies nicht zuletzt dadurch, dass sie die eigene Karriere für jene ihres Mannes geopfert oder hintangestellt haben.71 Die durch die Vertreibung erzwungene Emanzipation war zudem häufig eine vorübergehende Erscheinung. Mit der gesellschaftlichen Etablierung der Männer kehrten viele in traditionelle Rollen zurück, zumal Frauen mit ihren Mehrfachbelastungen überfordert waren.72 Insgesamt liegen allerdings noch zu wenige umfassende Studien mit einem geschlechterspezifischen Ansatz vor, um Aussagen tätigen zu können, die über Beispiele hinausgehen.73 Neben dem Geschlecht kommt in der Exilforschung dem Alter bzw. der Kategorie Generation eine zentrale Rolle zu. Während ältere Menschen oftmals am Exil zerbrachen, beschrieben jüngere die Emigration oft als Abenteuer, zeigten sich offen für das Fremde und waren stolz darauf, dass sie als Jugendliche bereits ganze Familien ernährten.74 Der bekannte Wiener Fotograf Erich Lessing beispielsweise, der 70 Vgl. exemplarisch Sibylle Quack, Zuflucht Amerika. Zur Sozialgeschichte der Emigration deutschjüdischer Frauen in die USA 1933–1945, Bonn 1995; Institut für Wissenschaft und Kunst (Hg.), Frauen im Exil. Die weibliche Perspektive, Wien 2005; Geneviève Susemihl, „Wir bauen auf“ – Deutsch-jüdische Frauen in der amerikanischen Emigration, in: Ulla Kriebernegg (Hg.), „Nach Amerika nämlich!“ Jüdische Migrationen in die Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2012, S. 157–180; Laura Cohn, „Sag einmal, wo bist du zu Hause? Ich? Überall und nirgends“, in: Victoria Kumar (Hg.), In Graz und andernorts. Lebenswege und Erinnerungen vertriebener Jüdinnen und Juden, Graz 2013. 71 Vgl. exemplarisch Hertha Nathorff, Berlin – New York. Aufzeichnungen 1933 bis 1945, Frankfurt a.M. 1987. 72 Vgl. exemplarisch Helga Embacher/Margit Reiter, Geschlechterbeziehungen in Extremsituationen: Österreichische und deutsche Frauen im Shanghai der 30er und 40er Jahre, in: Armbrüster/Kohlstruck/Mühlberger (Hg.), Exil Shanghai, S. 133–146. 73 Vgl. exemplarisch Brigitta Keintzel/Ilse Korotin (Hg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Wien/Köln/Weimar 2002. 74 Embacher/Reiter, Geschlechterbeziehungen in Extremsituationen, S. 139 f.
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1939 als 16-Jähriger alleine nach Palästina flüchtete, während seine Mutter und seine Großmutter in Vernichtungslagern umkamen, betrachtete seine Jahre in Haifa als eine „herrliche Zeit“. Er arbeitete zuerst als Taxifahrer und erhielt dann zufällig ein Angebot als Strand- und Kindergartenfotograf. Seinen Zugang zur Fotografie hat er später als learning by doing beschrieben.75 Henry (Heinz) Kissinger passte sich schnell an die amerikanische Kultur an und brachte es trotz seines starken deutschen Akzents bis zum amerikanischen Außenminister, während sein Vater als ehemaliger Lehrer mit 50 Jahren den Verlust seines sozialen Status nur schwer verkraften konnte und in New York dem deutsch-jüdischen Emigrantenmilieu verhaftet blieb.76 Die schnelle Akkulturation der jüngeren Generation führte teilweise zu Konflikten und einer zunehmenden Fremdheit zwischen den Generationen.77 Die vielen positiven Erzählungen junger Vertriebener sollen auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie viele Hürden zu meistern hatten und Differenzierungen hinsichtlich der einzelnen Schicksale oder Erfolgsgeschichten notwendig sind. Es machte beispielsweise einen großen Unterschied, ob Kinder und Jugendliche mit ihren Familien emigrieren konnten oder in der Fremde auf sich alleine gestellt waren. Auch im Umgang mit Lebenskonzepten gab es Unterschiede.78 Wer eine akademische Karriere geplant hatte, litt oft an der unterbrochenen Schulausbildung bzw. am abgebrochenen Studium. Egon Schwarz etwa empfand es als schmerzhaft, dass er als Jugendlicher in Bolivien am Bau und in Zinngruben seinen Lebensunterhalt verdienen musste, bis er 1948 in Chile eine höhere Schule abschließen und mit finanzieller Hilfe eines Bekannten in den USA ein Studium aufnehmen konnte.79 In Großbritannien hatten Jugendliche große Chancen auf eine gute schulische Ausbildung. Allerdings wurden infolge der Internierungen während des Krieges auch 16-Jährige aus Schulen herausgerissen und nach Kanada verschifft. Hier profitierten viele vom reichen Wissen der älteren Mitgefangenen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die camp boys auf das Studium an einer Universität vorzubereiten.80 In Schanghai musste man im schulpflichtigen Alter sein, um in der von sephardischen Juden finanzierten Kadori-Schule aufgenommen 75 Renate Graber, „Die Unversöhnlichen gehen am Leben vorbei“, in: Der Standard vom 22. Juni 2014. 76 Walter Isaacson, Kissinger. A Biography, New York/London 1992 (deutsche Ausgabe Berlin 1993). 77 Vgl. exemplarisch Reinhard Bendix, Von Berlin nach Berkeley. Deutsch-jüdische Identitäten, Frankfurt a.M. 1990. 78 Vgl. exemplarisch Kindheit und Jugend im Exil – Ein Generationenthema, Jahrbuch der Gesellschaft für Exilforschung 24 (2006). 79 Egon Schwarz, Die Vertreibung aus Wien, perspektivisch gesehen, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, Bd. 2, Neuaufl. Münster 2004, S. 529–537. 80 Alfred Bader, Adventures of a Chemist Collector, London 1995.
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zu werden; an ein Studium war kaum zu denken.81 Vertriebene konnten aber auch trotz eines verhinderten oder abgebrochenen Studiums auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken. Der spätere Lord George Weidenfeld musste die Wiener Universität verlassen und arbeitete bei der BBC im Propagandadienst; hier profitierte er von seiner weltläufigen Erziehung und den noch in Wien erworbenen Sprachenkenntnissen. Mit Nigel Nicolson gründete er den Verlag Weidenfeld & Nicolson und trug zur Revolutionierung des britischen Verlagswesens bei.82 Ari Rath gelangte als Zehnjähriger mit einem Jugendtransport nach Palästina, wo er im Kinderheim Ahava zum „wehrhaften Bauern“ erzogen wurde und danach den Kibbuz Hamadia mit aufbaute. Sein Studium in Jerusalem, das er entgegen dem Willen der Kibbuz-Leitung aufnahm, brach er bald ab, um zum Journalismus zu wechseln. Schließlich avancierte er zum Chefredakteur der englischsprachigen Jerusalem Post.83 5 Neubeginn und Karrieremöglichkeiten von Akademikern und Wissenschaftlern
Eine ‚fertige‘ akademische Ausbildung erwies sich in vielen Ländern als wenig vorteilhaft. Günstiger waren handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe, unternehmerische Fähigkeiten oder eine technische Ausbildung. Ingenieure, Handwerker, Techniker und Kaufleute konnten sich in den unterschiedlichsten Ländern relativ schnell hocharbeiten,84 vor allem wenn sie nicht ganz mittellos ins Land kamen. Akademikerinnen und Akademiker hingegen arbeiteten in den Anfangsjahren auch in den USA oft in schlecht bezahlten entry jobs als Türsteher, in Botendiensten oder als Packer in einem Warenhaus. In Lateinamerika wurden akademische Titel häufig nicht anerkannt, und die Universitäten verschlossen sich den europäischen Wissenschaftlern.85 In Palästina witzelte man über Akademiker, die auf Baustellen die Ziegelsteine mit „Bitte, Herr Doktor“ und „Danke, Herr Doktor“ weiterreichten. Beliebt war auch die Geschichte vom Eier-Jecke, der sich vom deklassierten Akademiker durch Erfindungsreichtum und Klugheit zum Eierbauern, zum Kellner und schließlich zum Ministerialbeamten hocharbeitete. In der Realität waren diese Tätigkeiten oft nur vorübergehende Arbeiten, die man mit geringen wirtschaftlichen Qualifikationen ausüben konnte, und sie führten nicht selten zu einem beruflichen 81 Vgl. Steve Hochstadt, Shanghai-Geschichten. Die jüdische Flucht nach China, Berlin 2007. 82 Walter Laqueur, Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933, Berlin/ München 2000, S. 34. 83 Ari Rath, Ari heißt Löwe. Erinnerungen, aufgezeichnet von Stefanie Oswalt, Wien 2012. 84 Vgl. exemplarisch Patrik von zur Mühlen, Die österreichische Emigration in Lateinamerika, in: Douer/Seeber (Hg.), Wie weit ist Wien, S. 14. 85 Ebd.
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Zickzackkurs bei allgemeiner Mittellosigkeit.86 Wenig Aussicht hatten Akademiker auf eine Anstellung an der Hebräischen Universität in Jerusalem, damals der einzigen Universität im Land. Da sich die Hebrew University noch im Aufbau befand, waren die zentralen Fächer Geschichte, Philosophie und jüdische Theologie. Es gab weder eine medizinische noch eine rechtswissenschaftliche Fakultät, und selbst die Professoren sprachen oft schlecht Hebräisch.87 Walter Grab beschreibt in seinen Memoiren, wie er sich in Tel Aviv in den Anfangsjahren als Taschner, also mit der Erzeugung von Lederwaren, über Wasser halten musste. Erst Ende der 1950er Jahre schaffte er den Sprung auf die Hebräische Universität, wo er 1972 zum Geschichtsprofessor ernannt wurde. 25 Jahre lang fühlte er sich, wie er es ausdrückte, sowohl im Land als auch im Berufsleben „in der Fremde.“88 In fast allen klassischen Einwanderungsländern gab es für freie Berufe Zugangsbestimmungen. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Architekten mussten eine Zulassungsprüfung ablegen, für die gute Englischkenntnisse notwendig waren. Oft konnten Akademiker die Zulassungsprüfung nur absolvieren, indem die Ehefrauen, die oft selbst über eine akademische Ausbildung verfügten, in Hilfsarbeiterjobs für den Erhalt der Familie aufkamen. In Großbritannien waren für die Zulassung zumindest bis Kriegsbeginn die Ablegung einer Fachprüfung und ein zweijähriges Praktikum notwendig. Aufgrund der Proteste der britischen Ärzteschaft war die Zahl der Zulassungen limitiert; selbst wenn die Bedingungen erfüllt wurden, war es schwer, eine Zulassung zu bekommen. Ab 1941 wurden immerhin Ärzte ohne zusätzliche Qualifikation in Krankenhäusern angestellt. Angesichts dieser Schwierigkeiten versuchten viele Mediziner, in die USA zu gelangen.89 Aus Konkurrenzgründen durften Ärzte auch in Bolivien beispielsweise in den Städten keine Praxis eröffnen und mussten auf die weniger lukrativen Minenbezirke oder auf ländliche Gebiete ausweichen.90 Wesentlich seltener als Ärzte konnten Juristen Fuß fassen. Ihr Beruf war an nationales Recht gebunden und verlangte eine gute Sprachbeherrschung, die keineswegs alle Exilanten mitgebracht hatten. In den USA sattelten viele auf Immobilienhändler, 86 Patrick Farges, „Israels fleißige Jeckes“: der deutsch-jüdische Einwanderer als wirtschaftlicher Pionier und erfolgreicher Entrepreneur in Palästina/Israel, in: Seeber/Zwerger/Krohn (Hg.), „Kometen des Geldes“, S. 89 ff. 87 Laqueur, Geboren in Deutschland; Doron Niederland, Die Immigration, in: Weinzierl/Kulka (Hg.), Vertreibung und Neubeginn, S. 408 ff. 88 Walter Grab, Meine vier Leben. Gedächtniskünstler, Emigrant, Jabobinerforscher, Demokrat, Köln 1999. 89 Renate Feikas, Exil der Wiener Mediziner in Großbritannien, in: Marietta Bearman/Charmian Brinson/Richard Dove (Hg.), „Immortal Austria“? Austrians in Exile in Britain, Amsterdam 2007, S. 67 ff. 90 Wegner, Immigrant Entrepreneurs, S. 111.
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Manager oder Steuerberater um, einige spezialisierten sich auf ‚Wiedergutmachungsfragen‘.91 In Chile arbeiteten Rechtsanwälte als Lageristen, Verkäufer von Erfrischungen und von Schreibwaren.92 Nur wenige Länder boten erfolgversprechende Arbeitsmöglichkeiten an Universitäten. Frankreich als das wichtigste Zufluchtsland des kulturellen und politischen Exils erwies sich aufgrund der politischen Entwicklung als wenig geeignet für eine wissenschaftliche Karriere. Einige Hundert verfolgte Wissenschaftler fanden aufgrund persönlicher Einladungen und der Anwerbungen von renommierten Wissenschaftlern in Japan93 Aufnahme. In der Türkei94 holte Staatspräsident Atatürk von 1933 bis 1945 etwa 1.000 in Deutschland und Österreich verfolgte Wissenschaftler ins Land. Im Kontext der von ihm verfolgten Modernisierung des Landes nach westlichem Vorbild sollten sie die Reformen an den Universitäten vorantreiben. Als Bedingung für eine Anstellung mussten sie sich verpflichten, Türkisch zu lernen und Lehrbücher auf Türkisch zu publizieren. In der Regel erhielten sie gut dotierte Positionen an Universitäten und bei Regierungsbehörden. Gleichzeitig bestand in der Türkei ein ‚Berufssperrverbot‘, das die Einwanderung von Ungelernten sowie von Angehörigen der handwerklichen Berufe verhindern sollte. Die türkische Regierung entzog auch türkischen (sephardischen) Juden und Jüdinnen, die in Österreich und Deutschland lebten, die Staatsbürgerschaft und lieferte sie auf diese Weise der nationalsozialistischen Verfolgung aus. In der Türkei selbst wurden Juden mit einer Sondersteuer belegt.95 Diese Politik ist auf den im Zuge der Republikgründung instrumentalisierten türkischen Nationalismus zurückzuführen, der auf Angehörige anderer Ethnien einen massiven Assimilationsdruck ausübte. Einzelne türkische Diplomaten, wie Selahattin Ülkümen, Generalkonsul auf Rhodos, oder der Generalkonsul in Marseille, İsmail Necdet Kent, widersetzten sich dieser offiziellen Politik und stellten verfolgten Juden Visa aus.96 91 Herbert A. Strauss, Zur sozialen und organisatorischen Akkulturation deutsch-jüdischer Einwanderer der NS-Zeit in den USA, in: Wolfgang Frühwald/Wolfgang Schieder (Hg.), Leben im Exil: Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933–1945, Hamburg 1981, S. 230. 92 Wojak, Exil in Chile, S. 166. 93 Martin Kaneko, Die Judenpolitik der japanischen Kriegsregierung, Berlin 2008. 94 Vgl. exemplarisch Kerstin Tomendal/Fatma Doğuş Özdemir/F. Özden Mercan, German-Speaking Academic Emigres in Turkey of the 1940s, in: Christian Fleck (Hg.), Vertriebene Wissenschaft, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 21 (2010), S. 69–99. Aus der Sicht einer Zeitzeugin vgl. Margarete Schütte-Lihotzky, Erinnerungen aus dem Widerstand. Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938–1945, Wien 1994. 95 Corry Guttstadt, Die Türkei, die Juden und der Holocaust, Hamburg 2008. 96 Stanford J. Shaw, Turkey and the Holocaust. Turkey’s Role in Rescuing Turkish and European Jewry from Nazi Persecution, 1933–1945, New York 1993.
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Die USA nahmen rund 1.400 Wissenschaftler auf, also zwei Drittel der aus dem deutschsprachigen Raum Geflohenen. Bis zum Kriegsausbruch 1939 hatten rund 90 % eine permanente Beschäftigung gefunden. Etwa ein Drittel fand in Großbritannien Aufnahme. Fiel in Großbritannien Naturwissenschaftlern der Neubeginn leichter, zählten in den USA, wie es Claus-Dieter Krohn formuliert hat, Sozialwissenschaftler zu den „Emigrationsgewinnlern“. Sie kamen offensichtlich mit dem richtigen Konzept zur richtigen Zeit.97 Auch österreichische Psychologen und Psychoanalytiker, unter denen relativ viele Frauen waren, fanden in den USA, wo die Psychoanalyse regelrecht boomte, schnell Beschäftigung. Manche beklagten allerdings, dass die Psychoanalyse durch die Anpassung an die amerikanische Gesellschaft eine „Verflachung“ erfahren habe.98 Die Vertriebenen verdankten ihre Aufnahme vielfach der Solidarität ihrer Berufskollegen sowie dem Engagement der Zivilgesellschaft. In London gründete Sir William Beveridge, Sozialwissenschaftler und langjähriger Direktor der London School of Economics, bereits 1933 den Academic Assistance Council, der später zur Society for the Protection of Science and Learning (S.P.S.L.) wurde.99 Durch Selbstbesteuerung und Spenden sollte vertriebenen Kolleginnen und Kollegen die Weiterarbeit in Großbritannien ermöglicht werden. Aufgrund der knappen Zahl an Arbeitsplätzen stießen die Bemühungen der S.P.S.L. auch auf Proteste seitens britischer Wissenschaftler und der Gewerkschaft der Universitätsbediensteten, die um die eigenen Karrieren fürchteten. Die S.P.S.L. war daher bestrebt, nur hochqualifizierte und international renommierte Wissenschaftler zu vermitteln, darunter etwa 70 Personen aus Österreich.100 Für viele Vertriebene wurde Großbritannien somit zu einer Zwischenstation auf dem Weg in die USA, wo bereits etablierte Wissenschaftler wie Joseph A. Schumpeter, der seit 1932 in Harvard angestellt war, oder der Nobelpreisträger Albert Einstein sich für verfolgte Kollegen einsetzten. In New York bildete die New School for Social Research, eine Hochschule zur Weiterbildung von Erwachsenen, eine wichtige erste Anlaufstelle. Der damalige Schulpräsident Alvin Johnson richtete an seiner Univer97 Claus-Dieter Krohn, „Emigrationsgewinnler“. Zur Politischen Ökonomie vertriebener Wissenschaft, in: Seeber/Zwerger/Krohn (Hg.), „Kometen des Geldes“, S. 150–171. 98 Vgl. Bernhard Handlbauer, Brüche und Brücken – Psychoanalyse und Individualpsychologie im Exil, in: Sandra Wiesinger-Stock/Erika Weinzierl/Konstantin Kaiser (Hg.), Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft, Wien 2006, S. 244–260. Vgl. auch Eric R. Kandel, Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes, München 2006, S. 55 ff. 99 Christian Fleck, Es begann in Wien: Hilfe für vertriebene Wissenschaftler/innen, in: Ders. (Hg.), Vertriebene Wissenschaft, S. 212–222. 100 DÖW (Hg.), Österreicher im Exil: Großbritannien, S. 374.
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sität bereits im April 1933 die University in Exile ein, wo zahlreiche Wissenschaftler und Künstler aus Deutschland und Österreich Arbeit fanden. Hierzu zählten beispielsweise Hannah Arendt, Leo Strauss, Hans Jonas, Erwin Piscator und Hans Eisler. Die University in Exile diente auch als Sprungbrett für eine neue Hochschulkarriere.101 Daneben entwickelten viele private Hilfsorganisationen und Stiftungen wie das Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, das American Friends Service der Quäker und der Rosenwald Family Fund oder der Oberlaender Trust eine äußerst rege Tätigkeit, um gut ausgebildeten Vertriebenen eine Stelle an einer Universität zu finanzieren. Von zentraler Bedeutung war die Rockefeller Foundation, die zahlreiche Organisationen in ihren Bemühungen, den Vertriebenen eine Anstellung an einer amerikanischen Universität zu verschaffen, äußerst großzügig unterstützte.102 Dazu zählte vor allem das Emergency Committee, das 1933 ins Leben gerufen wurde. Bei der Auswahl der Wissenschaftler arbeitete es eng mit Stiftungen, Philanthropen und Initiativen in Europa (vornehmlich in Paris und London, aber auch in der Schweiz) zusammen, die auf Kontakte zu Universitäten, Netzwerken oder einzelnen Hochschullehrern zurückgreifen konnten. Insgesamt wurden nach einem anspruchsvollen Auswahlverfahren über 600 deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert. Der Soziologe Christian Fleck hat anhand des umfangreichen Schriftverkehrs des Emergency Committee Einblick in diese Problematik gegeben. Nicht immer zählten in der Förderungspraxis objektive Kriterien. Ausschlaggebend waren auch zum richtigen Zeitpunkt genutzte Netzwerke, die Beziehung zu einflussreichen Wissenschaftlern oder eine gewagte Selbstdarstellung.103 In manchen Briefen und Empfehlungsschreiben kam auch Antisemitismus gegen jüdische Vertriebene zum Ausdruck. Wie in Großbritannien gab es an amerikanischen Universitäten vor allem unter jungen Kollegen Konkurrenzängste, und viele der führenden Universitäten hielten nach wie vor an einem Quotensystem für Juden fest. Über die spezielle Situation von Wissenschaftlerinnen liegen bislang noch keine umfassenden Arbeiten vor. Die Vertreibung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und Österreich stellt fraglos einen enormen Kulturtransfer dar, wobei viele Vertriebene vor allem in den USA äußerst günstige Bedingungen für eine erfolgreiche Karriere vorfanden. Allerdings wissen wir sehr wenig über jene, deren Netzwerke sich als 101 Claus-Dieter Krohn, Intellectuals in Exile: Refugee Scholars and the New School for Social Research, Amherst 1993. 102 Christian Fleck, Etablierung in der Fremde. Vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933, Frankfurt a.M. 2015. 103 Christian Fleck, Transatlantische Bereicherung. Zur Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt a.M. 2007.
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zu schwach erwiesen oder die an mangelhafter Anpassung an das amerikanische Universitätssystem gescheitert sind. Schwer etablieren konnten sich auch Forscher, die sich noch keinen wissenschaftlichen Namen gemacht hatten; sie wurden selten von Hilfsinstitutionen gefördert. Wichtig für den Neustart war zudem eine gewisse geistige und kulturelle Flexibilität, um vom europäischen auf das amerikanische Wissenschaftssystem umzusatteln. Wie Fleck in seiner Studie über das Emergency Committee gezeigt hat, konnten auch vielversprechende Wissenschaftler wie der Philosoph und Soziologe Edgar Zilsel oder Gustav Ichheiser, Psychologe und Schüler von Karl Bühler, an den Exilbedingungen scheitern: Beide nahmen sich in den USA das Leben. Fleck gibt zudem zu bedenken, dass eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte wenig darüber aussagt, ob man in seinem neuen Dasein auch zufrieden war.104 6 Exil als Prozess
Von den 135.000 Vertriebenen zumeist jüdischer Herkunft kehrten nach 1945 lediglich einige Tausend zurück. Neben persönlichen Gründen waren für die Rückkehr Alter, Beruf und Exilland ausschlaggebend. Die Remigranten wiesen insgesamt einen hohen Altersdurchschnitt auf. Unter ihnen waren viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Angehörige freier Berufe, vor allem Anwälte und Beamte, deren Pensionen die österreichische Regierung in den Nachkriegsjahren nicht ins Ausland ausbezahlte. Kehrten aus den USA nur sehr wenige zurück, wiesen ‚schwierige‘ Exilländer wie Israel oder die Stadt Schanghai eine relativ hohe Remigrationsrate auf. Abgesehen von einzelnen Rückkehrern war die Remigration in den 1960er Jahren beendet.105 In den USA und Großbritannien lebende Wissenschaftler zeigten wenig Interesse, in das moralisch und materiell verwüstete und politisch unsichere Österreich zurückzukehren, in dem Antisemitismus nach wie vor weitverbreitet war. Viele hatten sich in ihrer neuen Heimat nicht nur beruflich etabliert, sondern auch Familien gegründet. Die österreichische Regierung hat nur wenige Einladungen ausgesprochen.106 Wann und ob der Prozess der Vertreibung für die Vertriebenen als beendet angesehen werden kann, ist schwer zu sagen. Die Erfahrung des Ausschlusses aus der 104 Ebd. 105 Über die Remigration wurde in Österreich erst wenig geforscht. Vgl. exemplarisch Helga Embacher, Eine Heimat gibt es nicht? Remigration nach Österreich, in: Jahrbuch der Gesellschaft zur Exilforschung 19 (2001), S. 187–209; Jacqueline Vansant, Reclaiming Heimat. Trauma and Mourning in Memoirs by Jewish Austrian Reémigrés, Detroit 2001. 106 Vgl. Klaus Taschwer, Rückkehr nach 1945 unerwünscht, in: Der Standard vom 22. April 2015. Vom 24. bis 26. April 2015 fand in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Tagung Returnees and their Impact in the Humanities and Social Sciences in Austria and Central Europe statt.
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Gesellschaft, Staatenlosigkeit und ein schwieriger Neubeginn in der Fremde hatten nachhaltige Wirkung auf die Betroffenen, selbst wenn sie im Exil oder in ihrem mittlerweile neuen Heimatland beruflich und privat erfolgreich waren. Den meisten wurde erst 1945 das wahre Ausmaß der Shoah, die Ermordung von Verwandten und Freunden bewusst. Auch die jahrelang herbeigesehnte Begegnung mit Familienmitgliedern, die Konzentrationslager überlebt hatten, erwies sich nicht immer als einfach.107 Die von der österreichischen Regierung in die Länge gezogenen ‚Wiedergutmachungs‘-Verhandlungen, komplizierte Ansuchen um Entschädigungszahlungen oder Bemühungen um die Rückstellung von geraubtem Besitz holte sie in die Zeit der Verfolgung zurück. Die Vertriebenen haben auch selbst lange geschwiegen, unter anderem weil sie glaubten, dass ihnen im Vergleich zu Holocaustüberlebenden ‚nichts passiert sei‘ und es ihnen nicht zustehen würde, über ihr Schicksal zu sprechen. Viele plagten sogar Schuldgefühle, überlebt zu haben, während andere umgekommen waren.108 Seit den 1980er Jahren sind allerdings zahlreiche Vertriebene, darunter viele Frauen, mit Autobiografien an die Öffentlichkeit getreten oder haben in Interviews ihre Lebensgeschichten dargelegt. Viele haben sich Österreich schrittweise angenähert, etwa im Rahmen einer Gastprofessur oder auf Urlaubsreisen, auf denen sie oft mit Kindern oder Partnern auf die Suche nach familiären Wurzeln gingen.109 Wissenschaftler fanden auch über jüngere österreichische Kolleginnen und Kollegen Zugang zu einem ‚anderen‘ Österreich. Seit den 1980er Jahren wurden viele von ihnen mit Ehrungen ausgezeichnet, auf österreichischer Seite teilweise begleitet von einem gewissen Selbstmitleid über den Verlust, den, wie es hieß, Österreich zu erleiden hatte. Mitunter wurde der österreichische Anteil an der wissenschaftlichen Karriere überbetont, wenn beispielsweise Vertriebene geehrt wurden, die wie die Nobelpreisträger Eric Kandel, Walter Kohn oder Martin Karplus noch als Kinder vertrieben worden waren und ihre Jahre in Österreich keineswegs nur mit positiven Erinnerungen verbunden haben.110 Auch politische und gesellschaftliche Veränderungen im Aufnahmeland lösten neue Identitätsfragen aus. Viele österreichische Juden und Jüdinnen, die vor 1938 nie daran gedacht hätten, nach Palästina auszuwandern, wurden zu überzeugten Zionisten, während umgekehrt einige überzeugte Zionisten von der politischen Ent107 Vgl. exemplarisch Segal, Her First American; Leo Glückselig, Gottlob kein Held und Heiliger! Ein Wiener „Jew-boy“ in New York, hg. von Daniela Ellmauer/Albert Lichtblau, Wien 1999. 108 Whiteman, Die Entwurzelten, S. 10. 109 Vgl. dazu Albert Lichtblau, Community-orientierte Arbeit konkret. Die Austrian Heritage Collection in New York, in: Kriebernegg (Hg.), „Nach Amerika nämlich!“, S. 137–156. 110 Vgl. exemplarisch Peter Illetschko, Treffen mit Martin Karplus: „Österreich nützt mich aus“, in: Der Standard vom 15. Oktober 2014.
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wicklung Israels enttäuscht dem Land den Rücken kehrten.111 In den USA waren die McCarthy-Ära und der Vietnamkrieg vor allem für links Orientierte eine Herausforderung. In Argentinien machte der Peronismus mit populistischen Reden und Massenveranstaltungen vielen Angst; General Juan Perón, der 1946 bei freien Wahlen an die Macht kam, hatte selbst nie ein Hehl aus seiner großen Bewunderung für Hitler gemacht.112 In Chile putschte sich 1973 General Augusto Pinochet an die Macht und leitete damit eine 17-jährige Diktatur ein. Nicht immer wurden somit aus Staatenlosen überzeugte Staatsbürger des Exillandes. In Lateinamerika und Israel behielten beispielsweise viele ehemals Vertriebene die österreichische und deutsche Staatsbürgerschaft bzw. suchten um deren Wiederverleihung an. Dies sagt allerdings oft weniger über ihre Beziehung zu Österreich und mehr über die Instabilität des Exillandes aus. Viele sind auch überzeugte Pendler zwischen den Welten geworden und fühlten sich in dieser Rolle ganz wohl.113 Vor allem Ältere richteten sich im Exil ein imaginiertes Österreich ein, wobei die politische Realität ausgeklammert und der deutschen Sprache und Kultur in der k. u. k. Monarchie eine besondere Bedeutung zugewiesen wurde.114 Wenig wissen wir über jene, denen es zu schwerfiel, nach Österreich zurückzukehren, und die sich von österreichischen Institutionen und Exil organisationen ferngehalten haben. Mittlerweile sind wir mit der letzten Generation der Vertriebenen konfrontiert: Sie waren 1938 Kinder, womit neue Themen zu und Sichtweisen auf Vertreibung und Exil eingebracht werden.115 Viele Erfahrungen können damit allerdings nur mehr aus der Tradierung durch die Elterngeneration wiedergegeben werden. Zur Beantwortung vieler in der Forschung neu entstandener Fragen ist es somit zu spät geworden.
111 Vgl. Willi Verkauf-Verlon, Situationen. Eine autobiographische Wortcollage, Wien 1983. 112 Mettauer, Erzwungene Emigration, S. 135–141. 113 Exemplarisch dazu Meinrad Hofer, Witness. Realities of Forced Emigration 1938–45, Heidelberg/ Berlin 2015. 114 Über das imaginierte Österreichbild von Vertriebenen vgl. Helga Embacher, Sissi als Kassenschlager in Israel. Die k. u. k. Monarchie in israelischen Erinnerungen, in: Yotam Hotam/Joachim Jacob (Hg.), Populäre Konstruktion von Erinnerung im deutschen Judentum und nach der Emigration, Göttingen 2004, S. 225–241. 115 Vgl. exemplarisch Gerhard Sonnert/Geralt Holton, Was geschah mit den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flüchtlinge, die von den Nationalsozialisten vertrieben wurden, Wien 2008.
Vertreibungspolitik an der Universität Wien in den 1930er und 1940er Jahren Katharina Kniefacz und Herbert Posch
„Then at last came the day which was to put the crowning glory on our six years of study and bestow on us the doctorate of medicine of the Universitas Vindobonensis. […] We stood huddled in the small side room. Not for us the grandeur of the Festsaal, the rejoicing relatives, the flowers, the medieval stage decor surrounding the Dean and his acolytes. […] Suddenly the side door opened and the Dean entered followed by an official who was carrying a pile of black folders in his arms. […] I heard my own name and this time it was no courtesy title. I clutched my folder, shook hands and stepped back into line. We all stood to attention until the last diploma had been duly handed over and the last handshake had taken place. No music, no singing of Gaudeamus Igitur. The Dean inclined his head and both men left by the side door. We hardly looked at each other as we hurried down the grand staircase. With a wave of my hand I parted from my colleagues, perhaps never to meet again.“1 Mit diesen Worten beschrieb die Medizinstudentin Fanny Stang ihre ‚Nichtarierpromotion‘ am 31. Oktober 1938 an der Universität Wien. Das akademische Abschlussritual der Graduierung zur Doktorin, das üblicherweise am Ende eines Universitätsstudiums stand und bis heute in Wien mit repräsentativem Pomp gefeiert wird, geriet nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs im März 1938 für all jene zu einer symbolischen Diskriminierung, die nunmehr als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden.2 Die österreichischen Universitäten generell und die Universität Wien im Besonderen erwiesen sich nicht als Schutz vor, sondern vielmehr als Vorkämpfer von irrationalen Dogmen, Faschismus, Nationalsozialismus und Rassenhass. Als Orte der Wissenschaft mit ihrer Forderung nach emotionslosem, rationalem und skeptischem Denken hätten Universitäten gegen diese Bedrohungen immun sein müssen.3 1
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Fanny Stang, Fräulein Doktor, Sussex 1988, S. 192 f. Vgl. Katharina Kniefacz, Fanny Knesbach (verh. Stang), in: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, http://gedenkbuch.univie.ac.at (im Folgenden: Gedenkbuch); dieser und alle folgenden Internetzugriffe datieren vom 15. Feburar 2017. Vgl. zu den Studierenden der Universität ausführlich: Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008. Gottfried Schatz, Universitäten – Hüterinnen unserer Zukunft. Festvortrag am 650. Gründungstag
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1 Erste Republik
Die Deutsche Studentenschaft – gegründet 1919 als länderübergreifende Dachorganisation „aller Studenten ‚deutscher‘ Abstammung und Muttersprache der Hochschulen des deutschen Sprachgebiets“4 – wurde in ihrer österreichischen bzw. Wiener Ausprägung zum zentralen Motor der antisemitischen Hetze auf akademischem Boden und wirkte von dort aus in die Gesellschaft hinein. Sie fasste bis 1932 völkische, deutschnationale und katholische Studentenorganisationen zusammen und wurde von den österreichischen akademischen Behörden als einzige Studentenvertretung anerkannt, obwohl sie mehr als ein Drittel aller Studierenden explizit von der Vertretung ausschloss: alle ausländischen und alle jüdischen Studierenden.5 Neben dem Leitmotiv des (Deutsch-)Nationalen war jenes des rassistischen Antisemitismus für die gesamte Zeit zentral.6 Konrad Jarausch konstatiert, dass der „aggressive Antisemitismus vor allem von den Österreichern in die Deutsche Studentenschaft hineingetragen“7 wurde. Die österreichischen Studierenden spalteten sich in den 1920er Jahren in einen ‚arischen Ring‘ der Nationalisten und Katholiken und in einen opponierenden liberal-jüdischen Flügel, wobei lediglich der ‚arisch-nationale‘ Flügel von der Deutschen Studentenschaft als legitim anerkannt wurde und den Arierparagrafen durchsetzte – unter Ausschluss der jüdischen, sozialistischen und liberalen Studierenden.8 Als Resultat unter anderem einer intensiven Propaganda für einen Numerus clausus für jüdische Studierende von 1928 bis 1930 wurde der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) 1931 zur stärksten Fraktion in der Deutschen Studentenschaft an allen Wiener Hochschulen gewählt. Damit waren die Studierenden
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der Universität Wien, Wien, 12. März 2015, http://www.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/startseite/650/Dokumente/Rede-Schatz.pdf. Zit. nach Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a.M. 1998, S. 121. Im Wintersemester 1932/33 hatten 19 % der Studierenden der Universität Wien jüdische Religionszugehörigkeit, 18,7 % hatten keine österreichische Staatsbürgerschaft. Vgl. Statistisches Handbuch für die Republik Österreich (StHB) 14, Wien 1933, S. 190–197. Vgl. unter anderem Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015; Kamila Staudigl-Ciechowicz, Exkurs: Akademischer Antisemitismus, in: Thomas Olechowski/Tamara Ehs/Dies., Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938, Göttingen 2014, S. 67–77. Jarausch, Deutsche Studenten, S. 123. Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien/Salzburg 1990; Helge Zoitl, Hochschulautonomie und Studentenrecht, in: Erika Weinzierl u.a. (Hg.), Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993, Bd. 1, Wien 1995, S. 86–98; Taschwer, Hochburg des Antisemitismus.
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eine der ersten gesellschaftlichen Gruppen, in denen der Nationalsozialismus auf demokratischem Wege die politische Hegemonie erringen konnte.9 Die ohnehin schon zahlreichen Ausschreitungen gegen jüdische und linke Studierende verschärften sich noch mehr, als der Verfassungsgerichtshof die nach dem damaligen Rektor benannte Gleispach’sche Studentenordnung aufhob – eine Studierendenordnung, die die Vertretung der Studierenden gegenüber den akademischen Behörden streng nach ‚rassischen‘ Kriterien geregelt und Jüdinnen und Juden prinzipiell aus der Deutschen Studentenschaft ausgeschlossen hatte. Die Spannungen zwischen deutschnationalen und katholischen Studierenden wurden immer größer, bis es 1932 zum Bruch zwischen dem NSDStB auf der einen und dem Cartellverband und den schlagenden Verbindungen auf der anderen Seite kam, die beide aus der Deutschen Studentenschaft austraten. An der Universität Wien war die ideologische Selbstreproduktion der Professoren ebenfalls stark antisemitisch, antidemokratisch und antiliberal. Katholische und deutschnationale Eliten sorgten schon vor 1933 für die Verhinderung von Habilitationen jüdischer sowie pazifistisch, liberal, sozialdemokratisch oder kommunistisch gesinnter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bzw. von deren Berufungen in die ökonomisch abgesicherte Stellung einer besoldeten Professur, sodass diese kaum an der Universität Fuß fassen konnten und verstärkt in die außeruniversitäre Forschung bzw. ins Exil auswichen (z. B. Herbert Feigl, Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda).10 Für die Verfolgung jüdischer Professoren gab es an der Universität Wien schon in der Zwischenkriegszeit ‚schwarze Listen‘: 1929 etwa verteilte eine Unterorganisation des Deutschen Studentenbundes vor der Universität Wien einen Aufruf zum Boykott von 191 „Professoren jüdischer Volkszugehörigkeit oder jüdischer Abstammung“,11 darunter Stephan Braßloff, Josef Hupka, Hans Kelsen (mit dem Zusatz „Marxist“), Elise Richter, Sigmund Freud, Julius Tandler und Egon Wellesz.12 Schlägereien und Krawalle an der Universität Wien waren 1929 schon fast alltäglich geworden: Die eingangs bereits zitierte Fanny Knesbach (verh. Stang) begann 9
Vgl. Michael Grüttner, Studenten im Dritten Reich. Geschichte der deutschen Studentenschaft 1933–1945, Paderborn u.a. 1995, S. 11. 10 Vgl. unter anderem Tamara Ehs, Extra muros: Vereine, Gesellschaften, Kreise und Volksbildung, in: Olechowski/Ehs/Staudigl-Ciechowicz, Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 701–743; Johannes Feichtinger, Die verletzte Autonomie. Wissenschaft und ihre Struktur in Wien 1848 bis 1938, in: Katharina Kniefacz u.a. (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 1: Universität – Forschung – Lehre. Themen und Perspektiven im langen 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 261–292, besonders S. 285–291. 11 Abdruck des Flugblattes in: Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ) vom 13. Oktober 1929; vgl. auch frühere Aufrufe wie zum Beispiel in DÖTZ vom 23. April 1924. 12 Vgl. Michael Hubenstorf, Medizinische Fakultät 1938–1945, in: Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, Wien 1989, S. 234 f., 239.
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1932 ihr Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität. Bei den Anatomie-Vorlesungen des jüdischen, sozialistischen Sozialreformers Julius Tandler wurde sie 1933 Augenzeugin antisemitischer Schikanen: „Suddenly above the general chatter we heard a commotion from the top rows of the lecture theatre. We turned and saw a crowd of Burschenschaft-capped students. They bawled a chorus of the Horst Wessel Lied and then started to come down the aisle in two tight gangs screaming: ‚Juda verrecke!‘ They were hitting out at Jewish-looking students and fights started in the crowded auditorium. Max was sitting near the aisle and he with his black curly hair and semitic nose would be their next target. […] At this moment Professor Tandler appeared. Summing up the situation at a glance he took off his white coat and threw it on the table in front of him. Even the Nazis had frozen into silence. ‚Gentlemen, unless all my students resume normal academic behaviour I shall stop all anatomy lectures this semester. You have five minutes to clear the theatre and restore order.‘ He withdrew. The largely imported Nazi groups made themselves scarce, no doubt encouraged by their medical comrades. The closure of Tandler’s lectures would have meant the anatomy exams could not be held and thus the loss of half a year for Jew and Aryan alike.“13 Die infolge der Gewalttätigkeiten (besonders im Hauptgebäude und am Anatomischen Institut) immer wieder notwendige Schließung der Universität, die darauf folgenden Aufrufe und Kundmachungen des Rektorats wie auch die in den Bild- und Presseberichten zitierten Polizei- und Krankenhausberichte über die Verletzten verankerten das Bild auch bei den nicht direkt in die Gewalttätigkeiten verwickelten Studierenden.14
13 Stang, Fräulein Doktor, S. 100. 14 Vgl. Linda Erker, „Jetzt weiss ich ganz, was das ‚Dritte Reich‘ bedeutet – die Herrschaft schrankenloser, feiger Brutalität.“ Eine Momentaufnahme der Universität Wien im Oktober 1932, in: Lucile Dreidemy u.a. (Hg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert, Bd. 1, Wien/Köln/Weimar 2015, S. 177–190; Birgit Nemec/Klaus Taschwer, Terror gegen Tandler. Kontext und Chronik der antisemitischen Attacken am I. Anatomischen Institut der Universität Wien, 1910 bis 1933, in: Oliver Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 147–171; Klaus Taschwer, Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone. Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen, 1920– 1933, in: Margarete Grandner/Thomas König (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 3: Reichweiten und Außensichten. Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche, Göttingen 2015, S. 99–126, Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss.
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2 Austrofaschismus
Die Situation änderte sich, als die Regierung unter Engelbert Dollfuß im März 1933 das Parlament ausschaltete, um auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes vom 24. Juli 1917 autoritär zu regieren. Auch an den Universitäten fanden direkte Eingriffe des austrofaschistischen ‚Ständestaates‘ mit dem Ziel der Einschränkung nationalsozialistischer oder linker Aktivitäten unter dem Schutzmantel der universitären Autonomie statt. Nach dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 wurde zur Schlichtung der darauf folgenden Unruhen an den Hochschulen ein Legitimationszwang eingeführt, da man von der Annahme ausging, dass es sich bei den Anstiftern der Ausschreitung um universitätsfremde Personen handle. Die Polizei wurde zur Ordnungssicherung auf dem Universitätsgelände eingesetzt, und es wurde eine eigene Polizeiwachstube in der Universität Wien eingerichtet.15 Infolge weiterer schwerer Ausschreitungen zwischen nationalsozialistischen und katholischen Studierenden wurde die nationalsozialistisch geführte Deutsche Studentenschaft per Erlass des Unterrichtsministeriums mit 23. September 1933 aufgelöst, in weiterer Folge ebenso der NSDStB und alle sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen von Studierenden.16 Am 1. Oktober 1933 wurden staatlich bestellte, nicht demokratisch gewählte ‚Sachwalter‘ als studentische Vertretungsorgane eingesetzt und in die Vaterländische Front, die Einheitspartei des austrofaschistischen Staates, integriert: Erster Sachwalter für Gesamtösterreich wurde Heinrich Drimmel,17 für die Universität Wien Josef Klaus18 – beide Mitglieder des Cartellverbandes. Klaus hatte bereits 1932 den Rücktritt von Professor Ernst Peter Pick gefordert, mit der ‚Begründung‘, dass dieser als jüdischer Dekan nicht christlichen Studierenden vorstehen könne.19
15 Franz Gall, Alma Mater Rudolphina 1365–1965. Die Wiener Universität und ihre Studenten, Wien 1965, S. 90 f. 16 Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. 17 Vgl. Gerhard Wagner, Von der Hochschülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft. Kontinuitäten und Brüche, Diplomarbeit Universität Wien 2010 http://othes.univie. ac.at/10332/1/2010-06-10_8103461.pdf; Thomas König, Heinrich Drimmel and the system of containment: shaping higher education in the early Second Republic, https://www.academia. edu/3588652/Heinrich_Drimmel_and_the_system_of_containment_shaping_higher_education_in_ the_early_Second_Republic. 18 Vgl. Josef Klaus, Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versuche, Wien/München/Zürich 1971. 19 Hubenstorf, Medizinische Fakultät, S. 234 f., 239. Pick wurde schließlich 1938 aus ‚rassischen‘ Gründen entlassen.
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1935 griff der autoritäre ‚Ständestaat‘ mithilfe des Hochschulerziehungs- und des Hochschulermächtigungsgesetzes auch direkt auf Studierende und Studieninhalte zu, um die Studierenden zu disziplinieren und die Universität zu einer politischen Erziehungsanstalt umzufunktionieren. Neben Forschung und Lehre wurde die ‚vaterländische Erziehung‘ zur gleichrangigen Aufgabe der Universität.20 Als Mittel dazu bestimmte das Gesetz neben den verpflichtend eingeführten ‚ständestaatlichen‘ Pflichtvorlesungen die Teilnahme an vormilitärischen Übungen und die Ableistung einer Schuldienstzeit im Hochschullager.21 Die Ausschreitungen gegenüber jüdischen Studierenden gingen als Folge der Disziplinierungen merkbar zurück. Bei den Professoren war schon 1933 mithilfe des sogenannten Beamtenabbaugesetzes Universitätspolitik durch Personalpolitik gemacht worden: Politisch und weltanschaulich unliebsame Persönlichkeiten unter den Lehrenden wurden ‚abgebaut‘ und die ‚Säuberungen‘ offiziell als Einsparungsnotwendigkeiten legitimiert. Gesicherte Zahlen, wie viele Lehrende aus politischen Gründen an der Habilitation gehindert, suspendiert, entlassen oder zwangspensioniert wurden, liegen bis heute nicht vor. Recherchen von Linda Erker und Klaus Taschwer haben ergeben, dass im Zeitraum 1932–1937 etwa ein Viertel der Professorenstellen an der Universität Wien ‚gekürzt‘ wurde. Erker, die die individuellen Vertreibungen im Detail untersucht, betont, dass aufgrund des Fehlens sozialdemokratischer oder jüdischer Lehrender in erster Linie nationalsozialistische Professoren betroffen waren,22 darunter die ehemaligen Rektoren Wenzeslaus Gleispach und Othenio Abel,23 die ihre Karrieren in NS-Deutschland fortsetzen konnten. Zu den wenigen Lehrenden, die wegen ihrer sozialdemokratischen Überzeugung vorzeitig zwangspensioniert wurden, zählte Julius Tandler. Auf all diese Maßnahmen erfolgte kein Protest der Hochschulen. Das vergiftete Klima bildete auch den Hintergrund der Ermordung des Philosophieprofessors Moritz Schlick: Der Begründer des Wiener Kreises wurde im Juni 1936 in der Universität erschossen.24 Für den Jusstudenten Arthur Georg Weidenfeld war die antisemi20 Bundesgesetz betreffend die Erziehungsaufgaben der Hochschulen (Hochschulerziehungsgesetz) vom 1. Juli 1935, § 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Nr. 267/1935, S. 966. 21 Ebd., § 2; vgl. Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3 (2014), S. 377–396. 22 Klaus Taschwer, Die Universität unter dem Kruckenkreuz, in: derStandard.at, 23. Oktober 2014, ; Lukas Wieselberg, Die Universität Wien im Austrofaschismus, in: science.ORF.at, 13. März 2015, http://science.orf.at/stories/1755358/; aktuellere Angaben demnächst in der Dissertation von Linda Erker zur Geschichte der Universität Wien im Austrofaschismus im Vergleich zur Universidad Central in Madrid im frühen Franquismus. 23 Zum Fall Othenio Abel vgl. Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 99–133. 24 Renata Lotz-Rimbach, Mord verjährt nicht: Psychogramm eines politischen Mordes, in: Friedrich Stadler/Hans Jürgen Wendel (Hg.), Stationen: dem Philosophen und Physiker Moritz Schlick zum 125. Geburtstag, Wien/New York 2009, S. 81–104.
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tische Stimmung während seines kurzen Studiums 1937/38 deutlich spürbar: „Die juristische Fakultät der Universität mit ihren überfüllten Hörsälen und ihrer unpersönlichen Atmosphäre hinterließ bei mir nur einen blassen Eindruck. Hauptsächlich erinnere ich mich an die unterschwellige und ständig wachsende Spannung zwischen der Nazi-Mehrheit unter den Studenten und den anderen Gruppierungen, die ich bereits aus meiner Schulzeit kannte. Die Nazi-Professoren benutzten ihre Vorlesungen mehr und mehr für Verlautbarungen ex cathedra nationalsozialistischer Ideologie oder für antisemitische Äußerungen.“25 Der antifaschistische Widerstand fand unter Studentinnen und Studenten noch zahlreiche Anhänger und organisierte verschiedene Widerstandsaktionen wie das Streuen von antifaschistischen Flugblättern. Er wurde beispielsweise vom Roten Studentenverband (RSV) getragen, einer verbotenen Vereinigung von kommunistischen und sozialistischen Studierenden. Einer der Mitbegründer des RSV war Hans Friedmann, der als Student der Chemie zu einer der stärksten und aktivsten Fachabteilungen dieser Organisation gehörte.26 Anfang der 1930er Jahre gehörte auch der Geografiestudent Otto Langbein zu den Leitern des RSV. Seine Polizeistrafen aus seiner außeruniversitären Tätigkeit für die Sozialistische Arbeiter-Jugend wurden dem Dekanat gemeldet. Hierdurch konnte er erst nach einer persönlichen Fürsprache von Professor Hugo Hassinger zur Promotion antreten, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass er auf die Lehramtsprüfung verzichtete. Er erwarb 1935 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien den Doktortitel, der ihm jedoch sieben Jahre später aus rassistischen Gründen aberkannt wurde.27 Im Widerstand gegen den Austrofaschismus engagierte sich auch die Amerikanerin Muriel Gardiner, die neben ihrer psychoanalytischen Ausbildung an der Universität Wien Medizin studierte. Sie stellte der sozialistischen Untergrundbewegung Räume für konspirative Treffen zur Verfügung, versteckte vier Jahre lang den Leiter der illegalen Revolutionären Sozialisten Joseph Buttinger und verhalf auch nach dem ‚Anschluss‘ unter Lebensgefahr zahlreichen Verfolgten mit Geld, Bürgschaften und falschen Pässen zur Flucht. Gardiner konnte 1938 noch an der Universität Wien promovieren, kehrte in die USA zurück und arbeitete als Psychoanalytikerin sowie in der Flüchtlingshilfe.28
25 George Weidenfeld, Von Menschen und Zeiten. Die Autobiographie, Wien/München 1995, S. 77 f. 26 Katharina Kniefacz, Hans Friedmann, in: Gedenkbuch. 27 Reinhard Zeilinger, Die Roten Geographen, in: Ders. (Hg.), Die Geographie der Aussteiger, Wien 1986, S. 4–6; Herbert Posch, Otto Langbein, in: Gedenkbuch. 28 Muriel Gardiner, Deckname „Mary“. Erinnerungen einer Amerikanerin im österreichischen Untergrund, Wien 1989; Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 347 f.
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Mindestens sechs Studenten der Universität Wien, die im Austrofaschismus wegen illegaler parteipolitischer Betätigung verurteilt und in weiterer Folge vom Studium ausgeschlossen wurden, kämpften später als Mitglieder der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gegen das Franco-Regime.29 3 Ausgrenzung ‚rassisch‘ und politisch verfolgter Studierender und Lehrender 1938
Der Umwandlungsprozess der Universität Wien nach dem ‚Anschluss‘ 1938 verlief wie an den anderen österreichischen Universitäten rasch und reibungslos, von oben und unten, von innen und außen gleichzeitig – nach dem gleichen Muster wie zuvor im ‚Altreich‘, nur wesentlich intensiver und rascher. ‚Selbstgleichschaltung‘ und ‚Gleichschaltung‘ durch die neuen Machthaber griffen ineinander, ergänzten und beschleunigten einander. Die Universität Wien blieb nach dem ‚Anschluss‘ sechs Wochen lang geschlossen. Das Aussetzen des Lehrbetriebes wurde intensiv genutzt, um die Universität nach dem ‚Führerprinzip‘ umzuorganisieren. Der amtierende Rektor Ernst Späth legte am Tag nach dem ‚Anschluss‘ sein Amt nieder, der Vertrauensmann der NSDAP, der Botaniker Fritz Knoll,30 übernahm als kommissarischer Rektor die Leitung der Universität und deren ‚Gleichschaltung‘ im Sinne des Nationalsozialismus. Das Lehrpersonal wurde durch ‚Säuberungen‘ und Vertreibung sowie durch eine dezidiert politische Rekrutierungspraxis systematisch umgebaut: Nach ersten Verhaftungen und Hausdurchsuchungen bei jüdischen Professoren und bei bekannten Vertretern des austrofaschistischen ‚Ständestaates‘ wurden bereits am 22. März 1938 die ‚arischen‘ ordentlichen und außerordentlichen Professoren auf Adolf Hitler vereidigt, unter Ausschluss der Jüdinnen und Juden sowie der sogenannten ‚Mischlinge‘.31 Nach der hochgradig manipulierten ‚Volksabstimmung‘ vom 10. April über den ‚Anschluss‘ Österreichs erfolgte auf Basis von Listen, welche die Dekanate erstellten, die systematische Erfassung, Einteilung und ‚Säuberung‘ des Lehrkörpers nach Kategorien wie ‚Jude‘, ‚Anhänger des (alten) Systems‘ oder schlicht als ‚charakterlich ungeeignet‘. Jede Kategorie bedeutete den Verlust von Amt und Gehalt, der Venia legendi und oft auch den Verlust oder die Kürzung der Pension. Die ‚ständestaatlichen‘ studentischen Organisationen (Sachwalterschaft) 29 Linda Erker, Relegierte Interbrigadistas. Österreichische Freiwillige mit Disziplinarverfahren an der Universität Wien im Austrofaschismus, in: 80 Jahre Internationale Brigaden. Neue Forschungen über österreichische Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg, Wien 2016, S. 25–41. 30 Klaus Taschwer, Die zwei Karrieren des Fritz Knoll, in: Johannes Feichtinger u.a. (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, S. 47–54. 31 Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 3/1938, S. 13.
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wurden aufgelöst und sämtliche Agenden und Ressourcen vom NSDStB übernommen. Ein Erlass des österreichischen Unterrichtsministeriums vom 29. März 1938 gegen „die Überfremdung der deutschösterreichischen Hochschulen durch jüdische Hörer“ schloss weitere Inskriptionen oder Prüfungszulassungen für als ‚Juden‘ geltende Studierende aus, erklärte bereits vorgenommene Einschreibungen für nur bedingt gültig, kündigte die Einführung eines Numerus clausus für inländische jüdische Studierende an und verpflichtete alle Studierenden, vorläufig ersatzweise für den später verpflichtenden ‚Ariernachweis‘ eine Erklärung abzugeben, ob sie nach den NS-Rassekriterien als ‚Jude‘ zu gelten hätten.32 Einen Monat später wurde der angekündigte Numerus clausus für inländische jüdische Studierende mit 2 % festgelegt, um Zulassung musste individuell angesucht werden.33 Das hieß für die Betroffenen: Warten und Hoffen unter existenzieller Unsicherheit, ob ein Weiterstudium und ein Studienabschluss noch möglich waren. Im Wintersemester 1937/38 hatten 15 % aller Studierenden der Universität Wien bei der Inskription als Religionszugehörigkeit ‚mosaisch‘ angegeben – das heißt, der Numerus clausus bedeutete nun einen gezielten Ausschluss von 80 bis 90 % dieser Studierenden. Und selbst diese 2 % waren – wie es in einer Verfügung des Unterrichtsministeriums hieß – nur insofern einzuhalten, „als hierbei nicht arische Studierende (insbesondere bei Zuerkennung von Arbeitsplätzen in medizinischen, chemischen und anderen Instituten) verdrängt werden.“34 Am 23. Mai 1938 konkretisierte das Rektorat, dass im Rahmen des Numerus clausus maximal 136 jüdische Studierende zugelassen würden: 34 an der Juridischen Fakultät, 56 an der Medizinischen, 45 an der Philosophischen, einer bzw. keiner an den beiden Theologischen Fakultäten. Erst ab dem 3. Juni 1938, als das Sommersemester schon fast beendet war, erfuhren die Studierenden, ob sie zum Studium zugelassen waren oder nicht. Die Medizinische Fakultät unter dem Dekan (und späteren Rektor) Eduard Pern kopf war besonders aktiv bei der Verfolgung und schickte die gesamte Liste der zum Weiterstudium zugelassenen inländischen jüdischen Studierenden an die Geheime Staatspolizei Wien mit dem Ersuchen zu überprüfen, ob von „diesen zugelassenen Hörern einzelne in Haft oder Schutzhaft genommen worden sind oder noch genommen werden sollten.“35 32 Universitätsarchiv Wien (UAW), RA, GZ 722/I–1 ex 1937/38, Erlass des Österreichischen Unterrichtsministeriums, Zl. 10039-I/1 vom 29. März 1938 (Abschrift). 33 UAW, RA, GZ 722-I/6 ex 1937/38, Erlass des Österreichischen Unterrichtsministeriums, Zl. 12976-I/1 vom 23. April 1938. 34 UAW, RA, GZ 722-I/30 ex 1937/38, Verfügung des Österreichischen Unterrichtsministeriums in Ergänzung des ho. Erlasses vom 23. April 1938 Zl. 12.976, Zl. 13.540/II-4 vom 5. Mai 1938. 35 UAW, RA, GZ 722/II-14 ex 1937/38, Brief Dekan der Medizinischen Fakultät an die Geheime Staatspolizei in Wien vom 12. Juli 1938.
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Mit der feierlichen Wiedereröffnung der Universität am 25. April 1938 wurde jüdischen Studierenden der Zutritt zu Universitätsgebäuden, zu Bibliotheken und Instituten verboten und nur noch in Ausnahmefällen einmalig gestattet. Forschung und Studium waren damit praktisch unmöglich geworden. Dass nach der Reichspogromnacht inländischen jüdischen Studierenden ab 11. November 1938 das Betreten der Universität flächendeckend verboten wurde, war nur noch Symbolpolitik36 – waren zu diesem Zeitpunkt doch bereits alle jüdischen Studierenden von der Universität Wien vertrieben. Nur jene Studierenden, die in der NS-Zeit als ‚Mischlinge‘ galten,37 konnten ihr Studium mit gewissen Einschränkungen noch fortsetzen und teilweise abschließen. Weiterhin im Unklaren gelassen wurden die ‚fast fertigen‘ Studierenden, also jene, die alle Anforderungen zur Ablegung der Abschlussprüfungen erfüllt und das Absolutorium erfolgreich abgelegt hatten, aber nicht zu Prüfungen einschließlich der Abschlussprüfungen bzw. zu Sponsion oder Promotion zugelassen worden waren. Nach dem ‚Anschluss‘ wurden vorerst alle laufenden Prüfungs- und Promotionsverfahren jüdischer Studierender unterbrochen und diesbezügliche Anfragen wochenlang hinhaltend oder abschlägig beantwortet. Der Medizinstudent Heinz Pollak38 hielt dazu fest: „Ich hatte das zweite Rigorosum gerade beendet und stand vor dem dritten und letzten Abschnitt meines Medizinstudiums, es fehlten mir die Prüfungen in Chirurgie, Haut, Psychiatrie, Gerichtsmedizin und Augen. Im März kam bereits die Verordnung, Juden dürfen die Universität nicht mehr betreten. […] Mir war schon klar, daß ich sobald wie möglich auswandern sollte. Aber ich war noch immer halbfertig und zu gar nichts gut.“39 Bereits ab Herbst 1937 war ein starkes Ansteigen der Anmeldungen zu den Rigorosen festzustellen. Bis zum Juni 1938 sollten die Zahlen noch weiter zunehmen. Doch 60 % dieser Verfahren wurden trotz erfolgreicher Ablegung der Rigorosen – und im Falle de Philosophischen Fakultät trotz positiver Approbation der Dissertation – nicht mehr abgeschlossen.40 Für den Medizinstudenten Ephraim (Ef ) Racker, dessen letzte Prüfung in der Woche vor dem ‚Anschluss‘ ausgefallen war, folgten fast zwei Monate existenzieller Unsicherheit, ob er noch antreten könne. Trotz der 36 37 38 39 40
UAW, RA, GZ 50 ex 1937/38; GZ 662 ex 1937/38; GZ 901 ex 1938/39. Siehe hierzu Kap. 3.1 und 3.3.1. Vgl. Katharina Kniefacz, Heinz Pollak, in: Gedenkbuch. Susanne Pollak, Familientreffen. Eine Spurensuche, Wien 1994, S. 52. Im langjährigen Durchschnitt wurden 93 % der eröffneten Promotionsverfahren positiv abgeschlossen, 1938 führten nur 40 % der 848 Verfahren bis zur Promotion. Dieser hohe Wert lässt sich nur aus der ‚rassischen‘ und/oder politischen Vertreibung erklären. Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 118.
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Hinweise auf völlige Mittellosigkeit und den Tod seines Vaters verschob das Ministerium die Entscheidung auf einen späteren unbestimmten Zeitpunkt.41 Seine spätere Ehefrau Franziska Weiss (Weiss-Racker) war in derselben unsicheren Situation. Sie hielt später rückblickend fest: „Jews were immediately barred from the university and it appeared that our five years of medical training were wasted. Many of us started to learn new skills. Ef and I attended a course on microchemical methods and another course on therapeutic exercises and massage. […] For reasons which none of us understood (they could not have been based on humane considerations), we were allowed to finish our final examinations between 20 June and 11 July of 1938. I still had five major examinations and I will never cease to be grateful for the encouragement and help of my friends, especially Ef, in the completion of my degree.“42 Erst am 20. Juni 1938, also am Ende des Semesters, entschied das Unterrichtsministerium, dass inländische jüdische Studierende, „welche sich nach Erlangung des Absolutoriums im Stadium der Abschlussprüfungen befinden, zu diesen […] bis zum Ende des Studienjahres 1937/38 zuzulassen sind.“43 Auch Heinz Pollak konnte die Prüfungen noch innerhalb dieser Frist absolvieren: „Im August fuhr ich wieder nach Wien und ging bestimmt täglich zur Universität nachschauen, ob sich nicht doch irgend etwas zu meinen Gunsten geändert hatte. Dann, am 3. September, hing plötzlich am Anatomischen Institut ein Zettel, auf dem stand, daß alle jüdischen Medizinstudenten im zweiten und dritten Rigorosum bis zum 15. Oktober fertig machen könnten! […] Wir haben zwar alle gelernt wie die Verblödeten, aber du kannst den Stoff in der kurzen Zeit, vier, fünf Wochen, gar nicht schaffen.“44 Der an der Universität Wien übliche Akt der feierlichen Promotion war einerseits mit der Eidesleistung der rechtlich relevante letzte Schritt zum Doktorgrad, andererseits eine zeremoniell hoch aufgeladene öffentliche Feier sowie gleichzeitig ein großes soziales Ereignis, das die frisch Promovierten symbolisch zu einem Teil dieser Institution erklärte.45 Ministerium und Universität tasteten 1938 den rechtssetzenden Cha41 UAW, RA, GZ 698/7 ex 1937/38; UAW, RA, GZ 722-I/42 ex 1937/38. 42 Efraim Racker/Franziska W. Racker, Resolution and Reconstitution. A Dual Autobiographical Sketch, in: Giorgio Semenza (Hg.), Of Oxygen, Fuels and Living Matter, T. 1, Chichester u.a. 1981, S. 266. Vgl. auch Katharina Kniefacz, Franziska Racker, geb. Weiss, in: Ilse Korotin/Nastasja Stupnicki (Hg.), „Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen“. Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen, Wien 2017 [i.E.]. 43 UAW, RA, GZ 722-I/59 ex 1937/38, Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten Zl. 21227-/I/1 vom 20. Juni 1938. 44 Pollak, Familientreffen, S. 53. 45 Vgl. zum Promotionszeremoniell an der Universität Wien: Gertrud Regner, Protokoll und akademische Tradition. Akademische Feiern, Ehrungen und Symbole der Universität Wien 1365–2005, Wien 2006.
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rakter nicht an, taten aber alles, den Akt zu einer symbolischen Diskriminierung von Jüdinnen und Juden umzugestalten. Rektor Knoll entwickelte Vorschläge für den Ablauf, die letztendlich mit geringfügigen Änderungen vom Ministerium befürwortet wurden und am 9. Juli 1938 als ministerielle Richtlinie an alle österreichischen Hochschulen ergingen.46 Demnach wurden die ‚Nichtarierpromotionen‘ vom feierlichen öffentlichen Akt zu einem Verwaltungsakt unter Ausschluss der Öffentlichkeit herabgestuft und sollten „nicht feierlich“47 abgehalten werden: Der Rektor erschien ohne Talar, Universitäts- bzw. Fakultäts-Symbole wie das Szepter durften nicht zum Einsatz kommen. Die Promovierten wurden nicht aktiv in die Feier eingebunden und hatten den Promotionseid anstelle des üblichen mündlichen Gelöbnisses lediglich auf einem Formular zu unterschreiben. Ohne jede Ansprache, ohne Handschlag oder Gratulation durch Rektor oder Dekane war das Diplom schweigend zu übernehmen.48 Zusätzlich hatten die jüdischen Promovierten vor der Übernahme des Diploms einen Verzicht auf jede einschlägige Berufsausübung im Deutschen Reich abzulegen; dies wurde auf dem Diplom auch eigens vermerkt. Am 21. Juli 1938 und am 31. Oktober 1938 wurde für alle Fakultäten in einer Art Massenabfertigung das Gros (191) dieser Promotionen vollzogen, dazwischen fanden kleinere Gruppen- und Einzeltermine statt. In der NS-Zeit konnten an der Universität Wien somit noch 231 als ‚jüdisch‘ kategorisierte Personen ihr Studium abschließen (207 mit Doktorat und 14 mit Magisterium).49 3.1 Ausnahme ‚Mischlinge‘ – rechtliche Rahmenbedingungen
Als nach dem ‚Anschluss‘ die ‚Nürnberger Rassengesetze‘ mit Mai 1938 auch in Österreich in Kraft traten,50 waren davon nicht nur alle Jüdinnen und Juden betroffen, sondern auch als ‚Mischlinge‘ eingestufte Personen. Besonders ‚Mischlinge ersten Grades‘ waren Maßnahmen der Exklusion ausgesetzt: unter anderem Ausschluss aus dem Staatsdienst, aus Rechtsberufen, ärztlichen Berufen und allen Berufen, die eine Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer voraussetzten, Entlassung aus dem 46 UAW, RA, GZ 1063 ex 1937/38, O.-Nr. 9, Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten Zl. 24342-I/1a vom 9. Juli 1938. 47 UAW, RA, GZ 1063 ex 1937/38, O.-Nr. 4, Entwurf von Rektor Knoll; O.-Nr. 10, Ergänzung Rektor Knoll vom 12. Juli 1938. 48 Ebd. 49 Davon 111 an der Medizinischen, 60 (+14 Mag. pharm.) an der Philosophischen und 36 an der Juridischen Fakultät. Vgl. Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 123–136. 50 Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich vom 20. Mai 1938, in: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, S. 594 f.
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Beamtenverhältnis sowie Ausschluss aus Lehrerberufen und Lehramtsstudien.51 Als ‚Mischlinge‘ kategorisierte Lehrende waren demnach ebenso wie jene, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als ‚Juden‘ galten, von jeder weiteren Lehrtätigkeit ausgeschlossen. Auch laufende Habilitationsverfahren wurden aufgrund einer Einstufung als ‚Mischling ersten Grades‘ abgebrochen.52 In einer unklaren Situation waren die als ‚Mischlinge‘ kategorisierten Studierenden. Im Oktober 1938 verfügte das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM): „Die Immatrikulation jüdischer Mischlinge […] kann nur unter Vorbehalt des Widerrufes erfolgen.“53 ‚Mischlinge‘, die ihr Studium der Medizin abschlossen, mussten ab Dezember 1938 eine Erklärung unterschreiben, mit der sie vorerst auf die Berufsausübung im ehemaligen Österreich verzichteten.54 Die Zulassung zu juristischen Staatsprüfungen und Lehramtsprüfungen wurde wenig später untersagt.55 Ab 5. Januar 1940 wurde die Zulassung zum Studium mehrfach von einer individuellen Genehmigung des REM abhängig gemacht: zu Studienbeginn bzw. zum Weiterstudium, vor den Rigorosen und vor der Promotion. Grundlage der Entscheidung waren ausführliche individuelle Anträge mit Abstammungsnachweis, ausführlichem Lebenslauf, ‚rassekundlich‘ auswertbaren Porträtfotografien der Betroffenen und Lebensläufen der Eltern und Großeltern sowie eine persönliche Einschätzung des zuständigen Dekans über „Merkmale der jüdischen Rasse“ in Persönlichkeit und Aussehen.56 51 Vgl. Beate Meyer, „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, Hamburg/München 2002², besonders S. 162–259; Albrecht Götz von Olenhusen, Die „nicht arischen“ Studenten an den deutschen Hochschulen: zur nationalsozialistischen Rassenpolitik 1933–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14 (1966), S. 186, 192. 52 Zum Beispiel im Fall des Klassischen Philologen Walther Kraus: Erst nach Kriegsende wurde er habilitierter Privatdozent (1945), Ordinarius, Dekan (1964/65) und sogar Rektor (1968/69) an der Universität Wien. Vgl. Franz Römer, „Cum ira et studio“. Beobachtungen zur Entwicklung der Wiener Klassischen Philologie nach 1945, in: Margarete Grandner/Gernot Heiß/Oliver Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945–1955, Innsbruck u.a. 2005, S. 224–226, 230–232. 53 UAW, RA, GZ 464 ex 1938/39, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten an alle Rektorate (Zl. IV-2-39810-a) vom 24. Oktober 1938. 54 UAW, RA, GZ 464 ex 1938/39, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten an Rektorat der Universität Wien (Zl. IV-2-47770-c) vom 19. Dezember 1938. 55 UAW, RA, GZ 464 ex 1938/39, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten an Rektorate im ehemaligen Österreich u.a. (Zl. IV-2-306.645-a) vom 13. Februar 1939 (Abschrift). 56 UAW, RA, GZ 97/II ex 1942/43, Erlass REM WJ 4790/39 (b) vom 5. Januar 1940, § 4, Abs. 2h. Vgl. Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg/Karlsruhe 1981, S. 314, 393, 404 u.a.
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Im Juni 1940 erließ das REM grundsätzliche Regelungen für die individuelle Zulassung zum Medizinstudium und differenzierte hier ausdrücklich zwischen ‚Misch lingen ersten und zweiten Grades‘. ‚Mischlinge zweiten Grades‘ wurden unter dem Vorbehalt zu den Prüfungen zugelassen, dass sie nicht automatisch auch die Berufszulassung als Arzt oder Ärztin erhielten. ‚Mischlinge ersten Grades‘ hingegen waren bis auf Ausnahmen vom Studium auszuschließen,57 welche kontinuierlich weiter eingeschränkt wurden. Ab Mai 1944 konnten sie nur zugelassen werden, wenn „der Nachweis erbracht ist, daß die Gesuchsteller sich jahrelang vor der Machtübernahme in Unkenntnis ihrer Mischlingseigenschaft als Nationalsozialisten bewährt haben.“58 Doch auch für ‚Mischlinge zweiten Grades‘ war die Einholung der politischen Stellungnahme der NSDAP-Gauleitung ab 1942 zwingende Voraussetzung für eine Zulassung.59 3.2 Ausmaß der ‚Säuberungen‘ – Betroffene
Zur Vertreibung und Emigration von Lehrenden der Universität Wien wurden in den letzten Jahrzehnten grundlegende Forschungsarbeiten publiziert.60 Die zahlenmäßig größte Gruppe der Vertriebenen, die Studierenden, sind erst seit einigen Jahren näher untersucht.61 Mehrere einschlägige Forschungsprojekte der letzten Jahrzehnte ermöglichten es, das Ausmaß der Vertreibung nach dem ‚Anschluss‘ 1938 zu konkretisieren.62 An der Universität Wien wurden mit der Machtübernahme des Nationalsozia57 UAW, MED, GZ 1115 ex 1939/40, Erlass REM WF 2541 vom 19. Juni 1940. 58 UAW, RA, GZ 97/I ex 1944/45, Erlass REM WJ 552/44 (b) vom 13. Mai 1944. Vgl. Olenhusen, Die „nichtarischen“ Studenten, S. 204. 59 Ebd., Erlass REM WJ 3120 (b) vom 2. Dezember 1942. 60 Vgl. unter anderem Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, 2 Bde., Münster u.a. 2004²; Kurt Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz 1938“. Der Verlust geistiger und menschlicher Potenz an der Universität Wien 1938–1945, Wien 1993²; Christian Fleck, Autochthone Provinzialisierung. Universität und Wissenschaftspolitik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996), S. 67–92. 61 Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss; Michaela Raggam, Jüdische Studentinnen an der Medizinischen Fakultät in Wien, in: Birgit Bolognese-Leuchtenmüller/Sonia Horn (Hg.), Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich, Wien 2000, S. 139–156; Elisabeth Klamper, Die Studenten und der „Anschluß“, in: Wien 1938. Katalog zur Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 179–195. 62 Das 2009 der Öffentlichkeit präsentierte und schon mehrfach erwähnte Online-Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938 enthält als Ergebnis langjähriger Forschungen einen Großteil der Namen sowie zahlreiche Biografien und Fotografien der 1938 Vertriebenen.
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lismus 1938 über 2.700 vorwiegend ‚jüdische‘ Universitätsangehörige ausgeschlossen und in der Folge vertrieben, verfolgt und/oder ermordet. Neben der Entlassung von rund 320 Professoren, Universitäts- und Privatdozentinnen und -dozenten erfolgte bis Ende Juni 1938 die fast lückenlose Vertreibung ‚jüdischer‘ Studierender: Von den ca. 2.230 verfolgten Studierenden konnten bislang die Namen und Biografien von rund 1.850 Personen eruiert werden. Daneben wurde über 230 Absolventinnen und Absolventen der Universität Wien ihr zuvor erworbener akademischer Grad aus rassistischen Gründen aberkannt.63 3.2.1 Lehrende
Aufseiten der Lehrenden waren alle Statusebenen – vom ordentlichen Professor bis zu den nur prekär angebundenen Personen – betroffen. Insgesamt wurden nach derzeitigem Forschungsstand, gemessen am gesamten Personalstand des Wintersemesters 1937/38, etwa 12 % der habilitierten Lehrenden (ca. 90 Personen) aus politischen und rund 30 % (etwa 230 Personen) aus rassistischen Gründen vertrieben.64 Darunter waren berühmte Wissenschaftler wie der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, der Chemiker Hermann Mark, der Mathematiker Kurt Gödel und der Zahnmediziner Bernhard Gottlieb. Besonders bei einigen jungen Disziplinen, die sich in interdisziplinären Milieus am Rande oder außerhalb der universitären Strukturen zu entfalten begannen (wie beispielsweise der Kreis um das Psychologenpaar Karl und Charlotte Bühler), hemmte die Vertreibungswelle für viele Jahrzehnte die weitere Entwicklung in Österreich. Manche waren gerade dabei gewesen, den Status eines Lehrenden an der Universität Wien zu erhalten, und wurden daran gehindert. Dies gilt etwa für Dr. Ludwig Popper, der sich zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ gerade im Habilitationsstadium befand. Er hatte als Assistent am Institut für medizinische Chemie seine Habilitationsschrift bereits vorgelegt und arbeitete ehrenamtlich, also unbezahlt, als Leiter der Schwesternstation des Wiener Allgemeinen Krankenhauses sowie als Hospitant an der Ambulanz der Frauenklinik, als ihm 1938 vom Dekanat mitgeteilt wurde, das 63 Herbert Posch/Friedrich Stadler (Hg.), „… eines akademischen Grades unwürdig“. Nichtigerklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien, Wien 2005; Herbert Posch, Akademische „Würde“. Aberkennungen und Wiederverleihungen akademischer Grade an der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, unveröffentlichte Dissertation Universität Wien 2009. 64 Vgl. Andreas Huber, Rückkehr erwünscht. Im Nationalsozialismus aus „politischen“ Gründen vertriebene Lehrende der Universität Wien, Wien/Münster 2016; Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz“.
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Habilitationsverfahren sei „infolge Ihrer nichtarischen Abstammung gegenstandslos“ geworden.65 Auch einer Schwiegertochter von Sigmund Freud, Ernestine (Esti) Freud, die seit 1932 als Lektorin für Sprechtechnik und Stimmbildung an der Philosophischen Fakultät unbezahlt tätig war und nur die Kollegiengelder erhielt, die die Studierenden an sie zahlen mussten, wurde aus rassistischen Gründen der Lehrauftrag entzogen.66 Die etwa 90 Lehrenden, die aus politischen Gründen zwischen 1938 und 1945 ihre Lehrtätigkeit beenden mussten oder dies aufgrund drohender Verfolgung ‚freiwillig‘ taten, waren zur Hälfte Vertreter des austrofaschistischen ‚Ständestaates‘ gewesen bzw. mussten aufgrund ihrer katholisch-konservativen Einstellung und einschlägiger Mitgliedschaften ihre Lehrtätigkeit beenden. Einige weitere Lehrende wurden nach dem ‚Anschluss‘ aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Kreis um Othmar Spann, den maßgeblichen Vertreter einer konservativ bis faschistisch ausgerichteten korporatistischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie in Österreich, vertrieben. Dagegen wurden nur sechs Personen aufgrund ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bzw. ihrer liberalen, pazifistischen oder linken politischen Haltung von der Universität Wien entfernt.67 Am Beispiel von Johannes Sauter wird deutlich, wie nahe die Begriffe ‚Opfer‘ und ‚Täter‘ beieinanderliegen konnten. In der Ersten Republik war Sauter ab 1927 Privatdozent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gewesen (ab 1933 mit dem Titel eines außerordentlichen Professors), nach dem ‚Anschluss‘ wurde er im März 1938 zum Ordinarius der Rechtsphilosophie ernannt. Doch bereits Ende 1938 wurde ihm nahegelegt, um sofortige Beurlaubung anzusuchen. Aufgrund seiner Bekanntschaft mit Spann und Verbindungen zu christlichsozialen Kreisen wurde ihm 1939 jede weitere Lehrtätigkeit untersagt. Dabei hatte er 1936 ein bekanntes antisemitisches Pamphlet gegen Moritz Schlick nach dessen Ermordung geschrieben, in dem er in klassischer Opfer-Täter-Umkehr Schlick selbst und seine Lehre für seinen gewaltsamen Tod auf der Philosophenstiege des Universitätsgebäudes verantwortlich machte.68 Trotz seines Antisemitismus wurde sein Antrag zur Aufnahme in die NSDAP abgelehnt. 1943 wurde er sogar von der Gestapo festgenommen, weil er verdächtigt wurde, durch „defaitistische Äusserungen die Widerstandskraft der 65 Lutz Elija Popper, Briefe aus einer versinkenden Welt 1938/1939, Oberwart 2008, S. 14–19. 66 Nach der Emigration erhielt sie erst 1946 im Alter von 50 Jahren ihre erste regulär bezahlte Teilzeitstelle als Logopädin am New York Hospital. Vgl. Katharina Kniefacz, Ernestine (Esti) Freud, geb. Drucker, in: Korotin/Stupnicki (Hg.), „Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen“ [i.E.]. 67 Huber, Rückkehr erwünscht. 68 Austriacus [Ps. Johannes Sauter], Der Fall des Wiener Professors Schlick – eine Mahnung zur Gewissenserforschung, in: Schönere Zukunft, zugleich Ausgabe von Das Neue Reich, XI (1936), S. 1 f.
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inneren Front geschwächt zu haben“.69 Tamara Ehs, die den Fall Sauter umfassend untersucht hat, resümiert treffend: „Johannes Sauter war wohl ebenso (verhinderter) Vertreibender wie auch Vertriebener der Universität Wien.“70 3.2.2 Studierende
Im Austrofaschismus war die Zahl der Studierenden in den fünf Jahren bis 1938 kontinuierlich um 25 % auf 9.180 im Wintersemester 1937/38 gesunken. Staatsdiktatur, Bürgerkrieg 1934, Verbot der sozialistischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Parteien, Studier- und Promotionsverbot ihrer politisch aktiven Studierenden und Ausbleiben der ausländischen Studierenden71 wirkten sich aus. Nach dem ‚Anschluss‘ im März 1938 stürzte die Zahl der Studierenden dann innerhalb eines Jahres um 42 % ab, von 9.180 auf 5.331; dies bedeutete den stärksten Einbruch im gesamten 20. Jahrhundert. Mehr als die Hälfte davon war auf direkte rassistische und politische Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen. Bald darauf fiel die Zahl der Studierenden durch die NS-Politik, die Einberufungen der männlichen Studierenden zur Wehrmacht und die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges und erreichte im Wintersemester 1944/45 den historischen Tiefststand des gesamten 20. Jahrhunderts mit 3.446 Studierenden (Frauenanteil 50,6 %).72 In Wien, dem Haupteinzugsbereich der Universität Wien, lebten mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung Österreichs und 92 % aller Angehörigen jüdischen Glaubens Österreichs, die 9,4 % der Wiener Bevölkerung bildeten.73 Dementsprechend war der Anteil jüdischer Studierender an der Universität Wien mit 19 % (1932/33)74 traditionell sehr viel höher als an den Universitäten Graz (2,1 %) und 69 Gestapo-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 7 vom 19.–22.3.1943, zit. nach: Tamara Ehs, Die Vertreibung der ersten Staatswissenschafter: Helene Lieser und Johann Sauter, in: Franz Stefan Meissel/Thomas Olechowski/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), Vertriebenes Recht – vertreibendes Recht. Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1938–1945, Wien 2012, S. 257. 70 Ehs, Vertreibung. 71 Der Anteil ausländischer Studierender sank von rund 33 % der Studierenden der Universität Wien (bis 1924) auf lediglich 9 % im Wintersemester 1937/38. Fast die Hälfte der ausländischen Studierenden stammte aus dem Deutschen Reich. Vgl. Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 158. 72 Ebd., S. 74. 73 StHB 15, Wien 1935, S. 8. Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Wien 1999. 74 Die Verteilung auf die einzelnen Fakultäten innerhalb der Universität Wien war sehr unterschiedlich. Den höchsten Anteil jüdischer Studierender hatte in den 1930er Jahren die Medizinische Fakultät (32,8 % im Wintersemester 1933/34), vor der Juridischen Fakultät (15,8 %) und der Philosophischen (12,3 %). An den beiden theologischen Fakultäten gab es in den 1920er und 1930er Jahren
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Innsbruck (1 %).75 Der Anteil nahm im Verlauf der 1930er Jahre in Wien wie in Österreich insgesamt kontinuierlich um etwa ein Viertel ab, bis er 1938 durch die gewaltsame Vertreibung im Nationalsozialismus auf 0 % gebracht wurde. Der Frauenanteil unter den Studierenden der Universität Wien war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts rasch zu einer signifikanten Größe herangewachsen: 15 % im Wintersemester 1919/20, über 26 % noch in der Zeit des Austrofaschismus bzw. 24 % im Wintersemester 1938/39. Viele Angehörige der ersten Akademikerinnengeneration der Universität Wien wurden im Nationalsozialismus verfolgt, manche ermordet.76 Darunter war die erste habilitierte Frau dieser Universität, die Romanistin Elise Richter. Die Zahl der Studierenden sank zwischen dem Wintersemester 1937/38 und dem Wintersemester 1938/39 – wie erwähnt – um 42 %. Rund 40 % der Studierenden von 1937 konnten auch nach dem ‚Anschluss‘ ungehindert an der Universität Wien weiterstudieren. 23 % wurden nachweisbar vertrieben, der Rest teilt sich in Absolventinnen und Absolventen, die ihr Studium regulär abschließen konnten, an andere Universitäten wechselten oder aus anderen Gründen das Studium aussetzten. Neben fast einem Viertel vertriebener Studierender ging aber etwa auch der Anteil der Studienanfänger und -anfängerinnen um fast ein Drittel auf 12 % zurück. Dies lag einerseits an der Vertreibung von Maturantinnen und Maturanten, die als Jüdinnen und Juden vom Studium ausgeschlossen wurden. Darüber hinaus ist der Rückgang wohl auch ein Indiz dafür, dass das akademische Studium in der eher antiintellektuellen NS-Aufbruchsstimmung an Attraktivität einbüßte und andere Karrierewege gesucht wurden. Im Wintersemester 1938/39 finden sich unter den Studierenden noch 127 Personen, deren Inskription nur „unter Vorbehalt des Widerrufs“ angenommen wurde. Hiervon galten 82 als ‚Mischling ersten Grades‘ und 33 als ‚Mischling zweiten Grades‘.77 Bisher konnten insgesamt rund 400 ‚Mischlinge‘ namentlich identifiziert werden, die zwischen dem ‚Anschluss‘ 1938 und Kriegsende 1945 an der Universität Wien studierten bzw. um Beginn, Fortsetzung oder Beendigung des Studiums ansuchten. ‚Mischlinge ersten Grades‘ wurden im Laufe der siebenjährigen NS-Herrkeine jüdischen Studierenden. Siehe Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 82. 75 StHB 14, Wien 1933, S. 160, 196. 76 Waltraud Heindl/Martina Tichy (Hg.), „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …“. Frauen an der Universität Wien, Wien 1990. Vgl. auch Ingrid Arias, Die ersten Ärztinnen in Wien. Ärztliche Karrieren von Frauen zwischen 1900 und 1938, in: Bolognese-Leuchtenmüller/Horn (Hg.), Töchter des Hippokrates, S. 55–78. 77 Bei zwölf Personen ist eine Kategorisierung nicht eindeutig möglich. Siehe UAW, RA, GZ 464 ex 1938/39, Dekan der Medizinischen Fakultät an Ärztekammer vom 7. April 1943.
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schaft fast vollständig von allen Universitätsstudien und den entsprechenden akademischen Berufen exkludiert. Da ihre ‚ausnahmsweise‘ Genehmigung zunehmend an Kriegsbewährung gebunden war, waren von der Exklusion besonders Frauen betroffen. ‚Mischlinge zweiten Grades‘ konnten dagegen häufig ungehindert studieren: Mindestens 90 % wurden zum Studium zugelassen. Diesem Personenkreis, dessen Zahl im Zeitraum 1938 bis 1944 sogar anstieg, standen zumindest noch einige Berufslaufbahnen offen.78 3.3 Folgen der Vertreibung
Die meisten der mehr als 2.200 Studierenden und über 300 Lehrenden, die 1938 von der Universität Wien vertrieben wurden, mussten versuchen, zu emigrieren und in den Emigrationsländern ein neues Leben aufzubauen. Diejenigen, denen dies nicht gelang, liefen Gefahr, in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet zu werden. Für manche war die Perspektive so aussichtslos, dass sie ihrem Leben selbst ein Ende setzten. 3.3.1 ‚Mischlinge‘ – Identitäts- und Abstammungsfragen
Bei den ‚Mischlingen‘ handelte es sich um eine äußerst inhomogene und ambivalente Gruppe. Allein die Anzahl der ‚jüdischen‘ Großeltern unterschied die ‚Mischlinge ersten Grades‘ (mit zwei ‚jüdischen‘ Großelternteilen) von den ‚Mischlingen zweiten Grades‘ (mit einem ‚jüdischen‘ Großelternteil). Die Kategorie der ‚Mischlinge‘ war ein „Konstrukt ihrer Verfolger“79 und für die Betroffenen selbst nicht identitätsstiftend. Die meisten Betroffenen hatten einen großstädtischen und eher religionsfernen Hintergrund, waren evangelisch oder katholisch getauft, meist in Österreich geboren und aufgewachsen, hatten die österreichische Staatsbürgerschaft und waren bis 1938 in ihrer Selbst- wie auch in der Fremdwahrnehmung Österreicherinnen oder Österreicher sowie Angehörige der deutschsprachigen Kultur. Harald Erhardt etwa, der sein Germanistikstudium am 15. Juli 1939 abschließen konnte, wurde 1948 zum römisch-katholischen Priester geweiht und arbeitete später als Lehrer an einem Bischöflichen Seminar sowie als Pfarrseelsorger.80 78 Eigene Recherchen und Erhebungen im Archiv der Universität Wien sowie im Österreichischen Staatsarchiv. Vgl. Katharina Kniefacz/Herbert Posch, „… unter Vorbehalt des Widerrufes“ – Jüdische „Mischlinge“ als Studierende an der Universität Wien, in: Zeitgeschichte 43 (2016), S. 274– 290. 79 Meyer, „Jüdische Mischlinge“, S. 13. 80 Katharina Kniefacz, Harald Erhardt, in: Gedenkbuch.
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Den als ‚Mischlingen‘ diskriminierten Personen blieben ähnliche Handlungsalternativen wie den als ‚Juden‘ verfolgten Studierenden und Lehrenden. Der Verbleib im Land (‚extramurales Exil‘81), den Erhardt als ‚Mischling zweiten Grades‘ wählen konnte, war jedoch auch für ‚Mischlinge‘ mit der ständigen Gefahr verbunden, denunziert, immer weiter entrechtet oder schließlich zur Zwangsarbeit gezwungen zu werden. Der Medizinstudent Waldemar Eckfeld wählte die Emigration. Als ‚Mischling ersten Grades‘ musste er sein Studium 1939 im fünften Semester abbrechen. Er emigrierte nach Großbritannien, wurde dort aber als enemy alien interniert und auf dem Schiff HMT Dunera nach Australien abgeschoben und siedelte sich später in Melbourne an.82 Um dem stigmatisierten Status zu entgehen bzw. Verfolgungsdruck und Diskriminierung zumindest zu verringern, konnten Betroffene – sowohl ‚Mischlinge‘ als auch Jüdinnen und Juden – versuchen, ihre ‚Abstammung‘ zu verschleiern oder eine individuelle rechtliche Gleichstellung mit ‚Deutschblütigen‘ direkt bei Hitler zu beantragen. Dem entlassenen Privatdozenten für Indogermanische Sprachwissenschaft Norbert Jokl, der als ‚Jude‘ galt, blieb dies jedoch versagt. Sein Antrag auf „gnadenweise Gleichstellung mit Mischlingen ersten Grades“ wurde 1940 abgelehnt, und alle Versuche, aus Österreich zu emigrieren, scheiterten. 1942 wurde Jokl von der Gestapo verhaftet, nach Maly Trostinec verschleppt und ermordet.83 Abgesehen von der – ‚legalen‘ oder ‚illegalen‘ – Umgehung der ‚Nürnberger Rassengesetze‘84 konnten ‚Mischlinge‘ noch versuchen, gemäß den im Gesetz vorgesehenen, sich jedoch stetig ändernden Ausnahmebestimmungen zum Studium zugelassen zu werden. Dies zwang sie aber, eine unbedingte, lang anhaltende und nachvollziehbare Verbundenheit mit der NS-Ideologie glaubhaft zu machen, obwohl sie gleichzeitig als ‚Mischlinge‘ von den allermeisten NSDAP-Organisationen ausgeschlossen waren. Männer hatten die Möglichkeit – oder Pflicht –, sich der aktiven ‚Frontbe81 Vgl. Tamara Ehs, Das extramurale Exil. Vereinsleben als Reaktion auf universitären Antisemitismus, in: Evelyn Adunka/Gerald Lamprecht/Georg Traska (Hg.), Jüdisches Vereinswesen in Österreich im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck 2011, S. 15–29. 82 Reinhold Eckfeld, Letzte Monate in Wien, Aufzeichnungen aus dem australischen Internierungslager 1940/41, Wien 2002; Herbert Posch, Waldemar Eckfeld, in: Gedenkbuch. Vgl. das laufende Forschungsprojekt Dunera-Boys (Christine Kanzler, Elisabeth Lebensaft, Wien). HMT steht für His Majesty’s Transport. 83 Gerd Simon u.a., Buchfieber. Zur Geschichte des Buches im 3. Reich, Tübingen 2008, online unter https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/46309, S. 98–101. 84 Vgl. unter anderem John M. Steiner/Jobst Freiherr von Cornberg, Willkür in der Willkür. Befreiungen von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 143–187.
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währung‘ in den Eroberungskriegen der Wehrmacht zu unterziehen, und konnten, sofern sie dies überlebten, ‚heldenhaft‘ und erfolgreich von der militärischen Umsetzung der NS-Ziele zurückkehren und auf Studiengenehmigung hoffen. So war es Wilhelm August Schwab als ‚Mischling ersten Grades‘ zwar noch 1940 möglich, sein Studium an der Medizinischen Fakultät abzuschließen, jedoch wurde er bald darauf zur Wehrmacht eingezogen und starb 1941.85 Einige ‚Mischlinge‘ sahen sich trotz anfänglicher Versuche, dem Anpassungsdruck durch regimekonforme Integration in die ‚deutsche Volksgemeinschaft‘ zu begegnen, letztendlich gezwungen, die Entrechtung und Benachteiligung zu akzeptieren. Manche resignierten oder gingen in Opposition zum NS-Regime und riskierten damit harte Verfolgung, später auch Deportation, Zwangsarbeit, KZ-Haft und Ermordung. 3.3.2 Flucht – Emigration
Für einen großen Teil der als ‚nichtarisch‘ kategorisierten Studierenden der Universität Wien bedeutete der Studienabbruch 1938 das Ende des Berufsziels: Sie hatten keine Gelegenheit mehr, an das abgebrochene Studium anzuschließen. Oft musste bei der Flucht die Familie zurückgelassen werden, die Studierenden verloren damit nicht selten auch den finanziellen Rückhalt. Die Vertriebenen mussten sich im Exil ein neues eigenständiges Leben aufbauen und häufig einen Brotberuf ergreifen, der unter ihrer Qualifikation lag,86 beispielsweise als Dienstbote oder Dienstbotin.87 Dies galt beispielsweise für die Schulfreundinnen Lucie Smetana (verh. Fowler) und Annie Altschul, die erst im Wintersemester 1937/38 ihre Studien der Medizin bzw. der Mathematik und Physik aufgenommen hatten. Beide konnten ihre Studien in Großbritannien nicht weiterführen, da sie in erster Linie für ihren Lebensunterhalt sorgen mussten. Die Familie von Lucie Smetana wurde im Einflussbereich des Großdeutschen Reiches systematisch verfolgt: Ihr Vater sowie ihre Großeltern nahmen sich in Wien das Leben, während ihre Mutter und ihre Schwester 1942 in Frankreich verhaftet und später in Auschwitz ermordet wurden; der gesamte Familienbesitz wurde ‚arisiert‘. Sie selbst konnte im Sommer 1938 noch alleine nach England flüchten und musste dort zunächst als Hausmädchen arbeiten. Annie Altschul konnte zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester emigrieren und arbeitete zunächst als Kindermädchen und Haushaltshilfe. Später absolvierten Smetana und Altschul eine Ausbil85 Auskunft von Barbara Sauer und Maria Czwik, Wien 2015. 86 Siehe hierzu auch den Beitrag von Helga Embacher in diesem Band. 87 Vgl. Traude Bollauf, Dienstmädchen-Emigration. Die Flucht jüdischer Frauen aus Österreich und Deutschland nach England 1938/39, Wien/Münster 2010.
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dung zur Krankenschwester. Während Lucy Fowler 1959, im Alter von 40 Jahren, neben ihrer Berufstätigkeit sowie der Erziehung von drei Kindern eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvierte,88 spezialisierte sich Annie Altschul im Bereich Pflegewissenschaften und wurde als Pionierin der Pflegewissenschaft 1976 Professorin an der University of Edinburgh.89 Besonders das Medizinstudium war in den USA im Vergleich sehr teuer und von strengen Zugangsbeschränkungen geprägt. Die fast fertige Medizinstudentin Gertrud Roth konnte zwar 1938 in die USA emigrieren, ihr Studium dort jedoch nicht mehr abschließen. Sie war zwei Mal, jeweils mit einem Arzt, verheiratet, beschränkte sich selbst jedoch auf die Tätigkeit als Hausfrau und Mutter. Ihre Tochter berichtet: „Her expulsion from medical school was a great blow to her and, understandably, she didn’t have the courage to re-start the lengthy schooling. She was a very intelligent woman who became a willing, but possibly, frustrated stay-at-home mother, a job she put her whole heart into.“90 Bei gleicher Qualifikation hatten Frauen deutlich schlechtere Chancen, ihre Ausbildung abzuschließen. Bei der Wahl der ‚Brotberufe‘ wogen andere Qualifikationen oft mehr als das bisherige Studium. Kurt Klagsbrunn beispielsweise musste, ebenso wie sein Bruder Peter, das Medizinstudium in Wien abbrechen und im Oktober 1938 nach Rio de Janeiro flüchten. In Brasilien konnten die Brüder ihr Studium nicht wieder aufnehmen. Neben mangelnden Sprachkenntnissen und der prekären finanziellen Situation standen dem auch die strengen Zugangsbedingungen der Universitäten im Wege. Kurt Klagsbrunn hatte sich aber schon in Wien sehr für Fotografie interessiert und eröffnete 1941 in Rio de Janeiro sein erstes Fotostudio. Später wurde er ein erfolgreicher Mode- und Lifestyle-Fotograf.91 Vergleichsweise wenig Einfluss hatte der Studienabbruch auf die Bildungsbiografien jener Studierenden, die schon eine andere Ausbildung abgeschlossen hatten. Dies trifft beispielsweise auf den schon genannten Arthur Georg Weidenfeld zu, der 1938 sein rechtswissenschaftliches Studium abbrechen musste, aber seine parallele Diplomatenausbildung an der Konsularakademie nach dem ‚Anschluss‘ noch erfolgreich beenden konnte. 1938 emigrierte Weidenfeld nach Großbritannien, wo er ab 1939 für die BBC und im Printjournalismus arbeitete. Aufgrund guter Kontakte zur Politik sowie seines zionistischen Engagements ernannte ihn Chaim Weizmann, der erste Präsident des neu gegründeten Staates Israel, 1949 zum Chef de Cabinet und 88 Katharina Kniefacz, Lucie (Lucy) Smetana (Fowler), in: Gedenkbuch; Susan Soyinka, A Silence that Speaks. A Family Story through and beyond the Holocaust, Derby 2013. 89 Herbert Posch, Annie Altschul, in: Gedenkbuch. 90 Herbert Posch, Gertrud Roth, in: ebd. 91 Katharina Kniefacz, Kurt Klagsbrunn, in: ebd.
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politischen Berater im israelischen Außenministerium. Von 1963 bis 1976 war er als Berater für den britischen Premierminister Harold Wilson tätig, wurde 1969 zum Sir geadelt sowie 1976 zum Lord of Chelsea und Mitglied des britischen Oberhauses ernannt.92 Auch für den ‚Seniorstudenten‘ Sándor Wolf, der neben seiner Tätigkeit als Forscher, Kunst- und Antiquitätensammler und Weinhändler im 34. Semester Kunstgeschichte studierte, stellte der Studienabbruch keinen Einschnitt in eine ökonomisch notwendige Berufsausbildung dar. Er konnte nach seiner Vertreibung 1939 nach Haifa (Palästina) emigrieren.93 Mehrere Studierende der Musikwissenschaft, die ihr Studium im Juli 1938 noch im Rahmen einer ‚Nichtarierpromotion‘ abschlossen, konnten ihre Karriere im jeweiligen Emigrationsland äußerst erfolgreich fortsetzen. Dazu gehören Ida Halpern (geb. Ruhdörfer) (Metropolitan Opera, Symphony Orchestra und Community Music School in Vancouver)94 und Sigmund Levarie (geb. Löwenherz) (Universität Chicago, Brooklyn College der City University of New York, Brooklyn Community Symphony Orchestra).95 Einigen Emigrierten gelang es trotz der widrigen Umstände, das in Wien begonnene Studium im Exil fortzusetzen und abzuschließen. Neben den ‚klassischen‘ Emigrationsländern USA, Großbritannien und Palästina erschien auch die Schweiz als ein wichtiges Emigrationsland. Die dort geforderte Wiederholung von Kursen und Prüfungen führte meist zu einer deutlichen Verspätung des Abschlusses. Viele emigrierten danach weiter in andere Länder. Der Medizinstudent Wilhelm Krumholz, der an der Universität Wien bereits die Prüfungen des ersten Rigorosums erfolgreich abgelegt hatte, erhielt 1939 in Basel ein Stipendium, absolvierte die Abschlussprüfungen und konnte 1944 sein Medizinstudium an der Universität Basel abschließen. Da keine Verwandten die Abschlusszeremonie hätten besuchen können – seine Eltern sowie sein Bruder wurden Opfer der NS-Vernichtungspolitik – und er kein Geld für den traditionellen Talar der Absolventen hatte, legte er den hippokratischen Eid außerhalb einer offiziellen Abschlusszeremonie ab.96 Im Gegensatz dazu hat die schon mehrfach erwähnte Fanny Stang, die 1939 nach Großbritannien emigriert war, ihre Promotion an der Universität Glasgow in bester 92 Weidenfeld, Von Menschen und Zeiten; Katharina Kniefacz, Arthur Georg Weidenfeld, in: Gedenkbuch. 93 Herbert Posch, Sándor (Alexander) Wolf, in: Gedenkbuch. 94 Katharina Kniefacz, Ida Ruhdörfer (Halpern), in: ebd. 95 Herbert Posch, Sigmund Löwenherz (später: Levarie), in: ebd. 96 University of Southern California, Shoah Foundation. The Institute for Visual History and Education, Interview 39915 (22. März 1998, Bohemia/USA, Interviewer: Marc Schimsky); vgl. Katharina Kniefacz, Wilhelm Krumholz, in: Gedenkbuch.
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Erinnerung behalten. Sie wiederholte Teile ihres Medizinstudiums, um sich erneut zu qualifizieren und ihre Zulassung als praktische Ärztin zu erhalten. Am 20. Juli 1944 fand in Glasgow die Promotionsfeier statt, die bei ihr Erinnerungen an die diskriminierende ‚Nichtarierpromotion‘ an der Universität Wien 1938 wachrief: „Then suddenly I found myself in the Great Hall. When the ceremony started, I viewed the row of colleagues with me, mainly male. […] During the speeches they turned and smiled at their families and friends behind us. I recalled my first graduation in Nazi-torn Vienna, in October 1938. My parents had rushed to the windows each time they heard a tram stop. They were afraid I might have been beaten up or seized as I came down the blood-stained great stairway of the classical facade of the university. When they saw me cross the street they waved and laughed and my brother came rushing down the stairs to meet me. In the sitting room my mother and father hugged me and I had to unfold the impressive document and translate the Latin text of the MD Vienna. This was disfigured, alas, by Nazi stamps which prohibited my practising in the great German Reich. The speeches and the reading of the Hippocratic oath ended. I shook hands with the dignitaries, was given my scroll and returned to my two friends, for whose company I was grateful. […] I looked at the black Latin lettering and saw my married name in blue ink. No more German name and no more German stamps forbidding me to practise at the very moment of my graduation. It is a new beginning. […] After six years of struggle, I am at last fully fledged to work in my profession. That will be my true graduation.“97 Für wenige Vertriebene eröffneten sich nach der Flucht aus Österreich neue Chancen. Zu diesen Ausnahmen zählte Klemens Klemperer-Klemenau, der seit 1935 an der Universität Wien Rechtsgeschichte studiert hatte. Er konnte nach der Emigration in die USA 1939 im Rahmen eines Programms der Roosevelt-Regierung für exilierte Wissenschaftler aus Europa an der Harvard University Geschichte studieren. Von 1942 bis 1946 diente er im Nachrichtendienst der US Army. 1949 promovierte er in Harvard zum Doctor of philosophy (Ph.D.) und wurde im gleichen Jahr Dozent für Geschichte am Smith College in Northampton (Massachusetts):98 „In Northampton I came to appreciate fully the merits of the American liberal arts college system. The University of Vienna, where I started my advanced studies before emigrating to the United States, was a huge impersonal factory of learning.“99 Die G.I. Bill of Rights, die den im Zweiten Weltkrieg dienenden US-amerika97 Fanny Stang, A New Beginning, London 1997, S. 164 f. MD = „Medical Doctor“. 98 Katharina Kniefacz, Klemens Klemperer Klemenau, in: Gedenkbuch. 99 Klemens von Klemperer, Voyage through the Twentieth Century. A Historian’s Recollections and Reflections, New York/Oxford 2009, S. 80 f.
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nischen Soldaten nach der Ableistung ihres Dienstes den Berufseinstieg erleichtern sollte, ermöglichte unter anderem, auf Staatskosten eine Universität zu besuchen. In der US Army dienten auch die von der Universität Wien vertriebenen Studenten der Klassischen Philologie Ernst Pulgram100 und Eduard Glaser.101 Nach dem Militärdienst konnten sie ein Studium der vergleichenden Sprachwissenschaften bzw. der spanischen und portugiesischen Literatur absolvieren und übernahmen später beide Professuren an der University of Michigan. Auch der damalige Student der Wirtschaftswissenschaft Eduard März diente in der Emigration zunächst als Soldat bei der US-Marine. 1948 konnte er sein an der Universität Wien begonnenes Studium mit einem Ph.D. an der renommierten Harvard University in Boston beenden, wo er bei Joseph Schumpeter dissertierte. In der Folge lehrte er an mehreren amerikanischen Hochschulen theoretische Nationalökonomie, Geldtheorie und Wirtschaftsgeschichte, bevor er 1953 nach Österreich zurückkehrte und zwischen 1957 und 1973 Leiter der von ihm aufgebauten Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien wurde.102 Wenige vertriebene Studierende konnten ihr 1938 abgebrochenes Studium nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich abschließen. In diesem Zusammenhang ist etwa Ella Lingens zu nennen, die wegen ihrer Arbeit im antifaschistischen Widerstand nach Auschwitz und Dachau deportiert worden war und nach der Befreiung nach Wien zurückkehrte. Auch einige vom Studium ausgeschlossene ‚Mischlinge ersten Grades‘ konnten nach Kriegsende 1945 ihr Studium an der Universität Wien abschließen, wie Martha Meisl:103 Die Tochter des bekannten Fußballtrainers Hugo Meisl durfte ihr 1938 begonnenes Studium der Germanistik und Geschichte 1940 nicht fortsetzen. Erst nach dem Ende des Nationalsozialismus konnte sie am 20. Mai 1947 promovieren und wurde anschließend Gymnasiallehrerin für Deutsch und Geschichte. Eine spätere Schülerin berichtet: „Sie hatte einen angenehm lockeren Stil zu unterrichten und hat uns zu einer Zeit, da die Jahre 1920 bis 1950 im Geschichtsunterricht eigentlich ausgeblendet waren, über Judenverfolgung, Holocaust, KZ erzählt.“104 Otto Knoller, der sein Medizinstudium im zehnten Semester abbrechen musste und nach Großbritannien, später in die USA emigrierte, entschied sich explizit gegen 100 Nachruf der University of Michigan, http://www.ur.umich.edu/0506/Oct17_05/obits.shtml. 101 Briefe von Lucy G. Merritt an Herbert Posch vom 2. September und 2. November 2002. 102 Auskunft ihrer Tochter Mag. Eveline Elisabeth März, 2013; Eveline März: Familie März und der März 1938, in: Jüdisches Echo 36 (1987), S. 178–181; Herbert Posch, Eduard März, in: Gedenkbuch. 103 Katharina Kniefacz, Martha Meisl, in: Gedenkbuch. 104 Auskunft ihrer ehemaligen Schülerin Ingrid Kaan, Wien 2014.
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die Rückkehr: Er erhielt zwar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Nachricht von der Universität Wien, dass er sein 1938 abgebrochenes Studium jederzeit fortsetzen und abschließen könne, beschloss jedoch, in die Schweiz zu gehen; hier promovierte er im Jahr 1947.105 3.4 Widerstand – Verfolgung – Shoah
Die ‚Roten Studenten‘ setzten ihre antifaschistischen Aktivitäten nach dem ‚Anschluss‘ 1938 fort, jedoch unter steigender Gefahr und geschwächt durch die erzwungene Emigration verfolgter Mitglieder. Aus dem Kreis des RSV wurden mehrere Studierende verhaftet und in Gerichtsverfahren zu langer Haft oder zum Tod verurteilt; dies trifft unter anderem auf den angehenden Psychoanalytiker und Medizinstudenten Karl Motesiczky zu. Er beherbergte und versteckte ab 1938 rassistisch und politisch Verfolgte und bildete mit Ella Lingens und Kurt Lingens 1939 eine kleine Widerstandsgruppe, die allerdings 1942 verraten wurde. Nach Verhaftung, Verurteilung und Deportation wurde Motesiczky am 25. Juni 1943 in Auschwitz ermordet.106 Die wohl bekannteste und am engsten mit der Universität Wien verbundene Widerstandsgruppe war jene am Chemischen Institut in der Währinger Straße 42. Hier war unter anderem der ‚Rote Student‘ Peter Schramke aktiv, der ab 1940 als ‚Mischling ersten Grades‘ nicht weiterstudieren durfte; er solle sich „an der Front bewähren“ und könne danach noch einmal um Weiterstudium ansuchen. Tatsächlich aber wurde Schramke aufgrund von Widerstandsaktivitäten verhaftet und 1943 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Kriegsende wurde er aus der Haft entlassen und schloss 1947 ein Studium der Staatswissenschaften an der Universität Wien ab.107 Elfriede Hartmann musste als ‚Mischling‘ ebenfalls 1940 ihr Chemiestudium abbrechen. Sie wurde 1942 beim Verteilen von Flugblättern für die Widerstandsgruppe ‚Soldatenrat‘ verhaftet, 1943 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und im Landgericht Wien hingerichtet.108 105 Katharina Kniefacz, Otto Knoller, in: Gedenkbuch. 106 Christiane Rothländer, Karl Motesiczky 1904–1943. Eine biografische Rekonstruktion, Wien/Berlin 2010, S. 322–337; UAW, MED, GZ 1115 ex 1939/40. 107 UAW, PHIL, GZ 743 ex 1939/40, O.-Nr. 34, 44; UAW, Promotionsprotokoll Staatswissenschaften, Nr. 1041; Marie Tidl, Die Roten Studenten. Dokumente und Erinnerungen 1938–1945, Wien 1976, S. 96, 99, 162; Robert Winter, Das Akademische Gymnasium in Wien. Vergangenheit und Gegenwart, Wien u.a. 1996, S. 211. 108 Vgl. unter anderem Johanna Mertinz/Winfried R. Garscha (Hg.), „Mut, Mut – noch lebe ich“. Die Kassiber der Elfriede Hartmann aus der Gestapo-Haft, Wien 2013, S. 16–28.
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Der im ‚Roten Studentenverband‘ engagierte Universitätsassistent am 1. Chemischen Institut Kurt Horeischy sowie sein Kollege Hans Vollmar schlossen sich gegen Ende des Krieges der Widerstandsgruppe ‚Tomsk‘ an, die sich zum Teil in den Institutskellern versteckt hielt. Als sie am 5. April 1945, einem der letzten Tage des Krieges, versuchten, ihren Vorgesetzten, den Nationalsozialisten Professor Jörn Lange, daran zu hindern, das Elektronenmikroskop des Instituts vor einem allfälligen Zugriff durch die Rote Armee zu zerstören, wurden sie von ihm erschossen.109 Doch auch von katholisch-legitimistischer Seite gab es Widerstand. Der Theologiestudent und Minoritenbruder Peter August Blandenier war im Rahmen der Gruppe ‚Hebra‘ aktiv, bis sie 1939 verraten wurde. Blandenier wurde verhaftet, nach Dachau deportiert und starb in diesem Konzentrationslager im Jahr 1941.110 1944 wurde auch der Theologiestudent und Kaplan Heinrich Maier aufgrund der Tätigkeit in einer Widerstandsgruppe von der Gestapo verhaftet und vom Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Nachdem er zu Verhörzwecken für vier Monate im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert war, wurde Maier noch kurz vor der Befreiung am 22. März 1945 im Landgericht Wien enthauptet.111 Von den bisher bekannten verfolgten Studierenden wurden etwa 7 % Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungsapparats. Angesichts der Tatsache, dass insgesamt 32 % der jüdischen Bevölkerung Österreichs ermordet wurden, ist dieser Anteil im Vergleich mit anderen Berufs- oder Altersgruppen relativ niedrig. Er erklärt sich wohl teilweise durch das niedrigere Durchschnittsalter der Studierenden sowie möglicherweise ihre überdurchschnittliche Bildung und die noch nicht erfolgte berufliche Etablierung. Diese Faktoren dürften die Entscheidung zur Emigration in vielen Fällen beschleunigt haben.112 Das hohe Alter erschwerte wohl einigen vertriebenen Lehrenden der Universität Wien die Flucht. Zu jenen zahlreichen Lehrenden, die in der NS-Zeit nicht nur entlassen, sondern auch deportiert und ermordet wurden, zählen der Jurist Josef Hupka113 sowie die Romanistin Elise Richter, der aufgrund ihrer Rolle als zentrale Pionierin des wissenschaftlichen Wirkens von Frauen an der Universität Wien besondere Bedeutung zukommt: Als eine der ersten weiblichen Hörerinnen hatte sie Sprachwissenschaften an Universität Wien studiert, war 1907 als erste Frau habilitiert worden und hatte 1921 als erste Frau in Österreich den Titel ‚außerordentlicher Universitätsprofessor‘ erhalten (eine weibliche Form des Titels war damals nicht vor109 Johannes Mario Simmel, Wir heißen euch hoffen. Roman, München 1980. 110 Herbert Posch, Peter Blandenier, in: Gedenkbuch. 111 Katharina Kniefacz/Herbert Posch, Heinrich Maier, in: ebd. 112 Posch/Ingrisch/Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 34. 113 Vgl. Taschwer, Hochburg des Antisemitismus, S. 224–229 sowie Taschwers Beitrag in diesem Band.
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stellbar). 1938 wurde ihr die Venia legendi entzogen, im Alter von 73 Jahren wurde sie von der Universität Wien vertrieben. Dennoch blieb sie zusammen mit ihrer Schwester Helene Richter in Wien. 1942 wurden sie zunächst zwangsweise umquartiert und im Oktober desselben Jahres in das Ghetto Theresienstadt deportiert; in diesem Lager kamen beide ums Leben. Doch unter dem Druck der Verfolgung boten auch scheinbar ‚ideale‘ Ausgangsbedingungen keine Überlebensgarantie. Der 23-jährige Otto Popper konnte als ‚Mischling ersten Grades‘ das Jusstudium an der Universität Wien am 12. Dezember 1938 noch beenden und emigrierte wenig später aus dem Deutschen Reich. In Italien schloss er sich der Widerstandsbewegung an, wurde 1943 verhaftet und starb 1944 im Krankenrevier eines Außenlagers des Konzentrationslagers Mauthausen (Linz III).114 4 Nachwirkung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Involvierung der Universität Wien und ihrer Angehörigen in den Nationalsozialismus nicht grundlegend aufgearbeitet. Die ‚Entnazifizierung‘ der Lehrenden und Studierenden der Universität Wien zog sich bis in die späten 1950er Jahre hin.115 Von denen, die 1938 vertrieben worden waren, kehrten nur wenige an die Universität zurück, konzentrierte sich die Politik des Unterrichtsministeriums doch vor allem auf die Berufung katholisch-konservativ orientierter Lehrkräfte.116 Um die Präsidentschaftskandidatur von Kurt Waldheim 1986 und das ‚Bedenkjahr‘ 1988 (50 Jahre ‚Anschluss‘) begann auch an der Universität Wien allmählich eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an der eigenen Institution.117 1990 wurde zum Jubiläum des 625-jährigen Bestehens der Universität mit der Broschüre Vertriebene Intelligenz erstmals ein Überblick über die Vertreibung der Leh114 Katharina Kniefacz/Herbert Posch, Otto Michael Popper, in: Andreas Kranebitter (Hg.), Gedenkbuch für die Toten des KZ Mauthausen und seiner Außenlager, Bd. 1: Kommentare und Biografien, Wien 2016, S. 332 f. 115 Vgl. dazu die Beiträge von Roman Pfefferle und Hans Pfefferle sowie von Andreas Huber in diesem Band. 116 Vgl. dazu ausführlich Huber, Rückkehr erwünscht. 117 Wichtige frühe Initiativen, die sich dem Engagement von einzelnen Historikerinnen und Historikern verdankten, waren in diesem Zusammenhang die Ringvorlesung Die Universität Wien 1938– 1945 (1988) oder die Gedenkinschrift für den 1936 in der Universität ermordeten Philosophen Moritz Schlick (1993). Vgl. Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft; Philipp Selim, Wissenschaft, Philosophie und Intoleranz. Ein Gespräch mit Prof. Gernot Heiss über die Moritz-Schlick-Inschrift an der Universität Wien, in: Gedenkdienst 3 (2011), S. 3 f., http://www.gedenkdienst.at/fileadmin/ zeitung/gd2011-3.pdf.
Vertreibungspolitik an der Universität Wien in den 1930er und 1940er Jahren
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renden 1938 veröffentlicht. Das Senatsprojekt Untersuchungen zur anatomischen Wissenschaft in Wien 1938–1945 („Pernkopf-Atlas“)118 und die im Arkadenhof enthüllte Gedenktafel für die vertriebenen Lehrenden und Studierenden der Medizinischen Fakultät benannten 1998 erstmals explizit die Mitverantwortung der Universität. Auf symbolischer Ebene ist auch die Ehrendiplomverleihung am 4. Oktober 1999 an sechs vertriebene Studierende der Medizin zu nennen. Bei dieser Gelegenheit sprachen Rektor Wolfgang Greisenegger und Dekan Wolfgang Schütz das Bedauern aus, dass die Universität ihre historische Schuld nicht früher einbekannt habe. In Anbetracht der Tatsache, dass am Vortag bei der Nationalratswahl die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Jörg Haider starke Zugewinne erreicht hatte und wenige Monate später eine schwarz-blaue Regierung gebildet wurde, die EU-weit zu diplomatischen Sanktionen führen sollte, betonte einer der Geehrten, Otto Fleming, in seinem Bericht zur Veranstaltung, dass alle Anwesenden das Gefühl begleitet hatte, einen günstigen Zeitpunkt erwischt zu haben: „In his speech the Rector apologized on behalf of the University for the injustice done to these former students. He said how glad he was that this ceremony could take place today ‚since this may be a unique window of opportunity and who could tell when one would be open again‘.“119 Die Ärztin Rita Krause (geb. Smrčka), die ebenfalls an diesem Tag geehrt wurde, war 1945 nach drei Jahren Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern nach Wien zurückgekehrt. Die tief sitzende Erfahrung der Diskriminierung, der sie 1938 bei ihrer ‚Nichtarierpromotion‘ ausgesetzt gewesen war, prägte auch ihr weiteres Leben, etwa als sie 1945 als Jüdin ihren Partner Walter Krause, einen gläubigen Katholiken, kirchlich heiraten wollte: „Die Antwort eines Experten kanonischen Rechts lautete: Zweifellos würden wir eine Dispens erhalten, aber die Trauung würde nicht in der Kirche, sondern in der Sakristei stattfinden. Da sprudelte ich impulsiv hervor: ‚Meine Promotion war im Vorraum vom Häusl. Ich will eine ordentliche Hochzeit. Ich lasse mich taufen.‘ So unrichtig negativ übertreibend meine Worte über den Ort unserer Promotion auch waren, brachten sie in ihrer Spontaneität doch bestens zum Ausdruck, wie sehr uns die seinerzeitige Zurücksetzung bei der zentralen Zeremonie im Leben jedes Akademikers getroffen hatte, und wie dankbar wir daher den heutigen akademischen Behörden für die Nachholung der Promotionsfeier sind.“120 118 Akademischer Senat der Universität Wien (Hg.), Untersuchungen zur anatomischen Wissenschaft in Wien 1938–1945, Senatsprojekt der Universität Wien, Wien 1998². 119 Otto Fleming, A healing process of sorts, in: The Association of Jewish Refugees (Hg.), AJR Information 55/1 (2000), S. 15. 120 Privatsammlung Dr. Isabelle Krause, Wien, Hofrat Dr. med. Rita Krause, Mein Lebenslauf, undatiert (um 1999), S. 3 f.; vgl. dazu auch: Katharina Kniefacz, Rita Smrčka (Krause), in: Korotin/ Stupnicki (Hg.), „Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen“ [i.E.].
Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945* Peter Berger
So ist das klägliche Gebaren der armen Seelen, die ihr Leben lang sich weder Ruhm noch Schmach verdienen konnten. Sie sind den faulen Engelscharen beigemischt, die gegen Gott sich nicht empörten, noch treu ihm waren, sondern nur für sich. Dante Alighieri, Die göttliche Komödie
Die Geschichte der Hochschule für Welthandel in Wien während der NS-Zeit ist noch ungeschrieben. An diesem Befund können gelegentliche Erwähnungen der Anstalt und ihrer Professoren in historischen Arbeiten zur deutschen1 beziehungsweise österreichischen2 Hochschullandschaft unter dem Hakenkreuz nichts ändern. Auch die Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der in Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) umbenannten Hochschule für Welthandel räumt der nationalsozialistischen Ära nur ganze 52 Zeilen ein.3
*
1 2
3
Wiederabdruck aus: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 10 (1999), S. 9–49, mit freundlicher Zustimmung des Verlags Turia + Kant. Da sich die Forschungslage zur Hochschule für Welthandel seit der Erstveröffentlichung kaum geändert hat, kann sich der Neuabdruck weitgehend auf redaktionelle Anpassungen beschränken. Als Ergänzung zu der hier behandelten Thematik ist lediglich auf folgenden Aufsatz zu verweisen: Roumiana Preshlenova, Elitenbildung. Die „Südoststiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags Berlin an der Hochschule für Welthandel in Wien“, in: Carola Sachse (Hg.), „Mitteleuropa“ und „Südosteuropa“ als Planungsraum. Wirtschafts- und kulturpolitische Expertisen im Zeitalter der Weltkriege, Göttingen 2010, S. 391–417. Ich möchte mich bei Elisabeth Eichinger für wertvolle archivalische Vorarbeiten sehr herzlich bedanken. Vgl. Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1: Der Professor im Dritten Reich, München u.a. 1991; Teil 2: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Bd. l, München u.a. 1992. Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz, Österreichs Hochschulen und Universitäten und das NS-Regime, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, Wien 1988, S. 269–282; Sebastian Meissl, Wiener Universität und Hochschulen, in: Wien 1938. Katalog zur 110. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 197–209. Vgl. Alois Brusatti (Hg.), 100 Jahre im Dienste der Wirtschaft, Wien 1998, S. 20 f.
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Peter Berger
In einer 1990 erschienenen Rezension des inzwischen zur Standardliteratur zählenden Sammelbandes über die Entwicklung der Universität Wien nach dem ‚Anschluss‘, Willfährige Wissenschaft,4 weist Christian Fleck der historischen Beschäftigung mit dem Thema Universität und Nationalsozialismus drei wichtige Aufgaben zu: erstens die Untersuchung der Auswirkungen einer staatlichen Wissenschaftspolitik, die die traditionelle Universitätsautonomie aus ideologischen Motiven weder respektieren konnte noch wollte und die im Bereich der Hochschulen selbst von der Machtübernahme einer „politisierenden und politisierten“ Clique von NS-Professoren, Dozenten und Studenten begleitet war; zweitens die Feststellung der Langzeitfolgen einer rücksichtslosen personellen ‚Säuberung‘ der Fakultäten für die soziale und kognitive Gestalt der in ihrem Rahmen gepflegten Wissenschaftsdisziplinen; und drittens die Darstellung der Verschiebungen der disziplinären Forschungsprogramme als Folge einer geforderten Unterordnung der „disziplinspezifischen Kriterien der Wahrheitssuche unter die Imperative der Weltanschauung“.5 Soweit es schon jetzt, am Beginn der systematischen Erforschung der Vergangenheit der WU Wien, möglich ist, werde ich auf den folgenden Seiten versuchen, Flecks Postulate zu erfüllen. Das fällt dort relativ leicht, wo es um die Darstellung von Eingriffen der deutschen Hochschulverwaltung in den vom Christlichen Ständestaat 1934–1938 bereits autoritär vorgeformten österreichischen Hochschulbereich geht.6 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wirkte sich zunächst auf die Stellung der Rektoren aus, die nach dem ‚Anschluss‘ zu ‚Führern‘ der Universitäten beziehungsweise Hochschulen wurden, sekundiert von den gleichfalls als ‚Führer‘ titulierten Chefs der NS-Dozentenschaft und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes. Weiters richtete Reichserziehungsminister Bernhard Rust Anfang 1940 das der preußischen Tradition entstammende Amt des Universitätskurators auch in der ‚Ostmark‘ ein – ein Schritt, der von der Professorenschaft als Entmündigung empfunden und mit zahlreichen Protesten quittiert wurde. Speerspitze der Unmutsbekundungen war der Rektor der ‚Welthandel‘, SS-Obersturmbannführer Kurt Knoll. Knoll und sein Vorgänger im Rektorsamt, Bruno Dietrich, widersetz4 5 6
Vgl. Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938 bis 1945, Wien 1989. Christian Fleck, Rezension über Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 1 (1990), S. 139–143. Vgl. Willi Weinert, Die Maßnahmen der reichsdeutschen Hochschulverwaltung im Bereich des österreichischen Hochschulwesens nach der Annexion 1938, in: Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewußtsein. Festschrift zum 20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und zum 60. Geburtstag von Herbert Steiner, Wien/München/Zürich 1983, S. 127–134.
Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945
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ten sich auch mehrmaligen Versuchen, ihre Hochschule zu einer Wirtschaftsfakultät der Universität Wien zu machen oder überhaupt zu schließen. Der erste darauf abzielende Vorstoß im Dezember 1938 wurde deutscherseits mit dem Vorhandensein mehrerer gleichgearteter Ausbildungsstätten für Handelskaufleute im ‚Altreich‘ (in Leipzig, Nürnberg und Berlin) begründet. Das Argument der besonderen, historisch begründeten Affinität der Wiener Hochschule zum südosteuropäischen Raum, der in den Expansionsplänen Hitlerdeutschlands eine prominente Stellung einnahm, rettete schließlich die Existenz der Hochschule für Welthandel. Die „Verdrängung der Juden aus dem zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr mit den Südost-Staaten“ sollte, wie man den deutschen Behörden plausibel machen konnte, unbedingt durch in Wien ausgebildete Fachkräfte geschehen.7 Was die ‚Säuberung‘ des Personals der Hochschule von Juden und politisch Missliebigen betrifft, kamen den Nationalsozialisten die Verhältnisse, die ihre Vorgänger geschaffen hatten, zweifellos entgegen.8 Im Professorenkollegium der Hochschule für Welthandel war schon während der ganzen Zwischenkriegszeit kein Jude vertreten gewesen, und die fünf Extraordinarii, die nach dem ‚Anschluss‘ aus sonstigen Gründen beurlaubt und später entlassen oder pensioniert wurden, stellten nur einen relativ kleinen Prozentsatz der an der ‚Welthandel‘ beschäftigten Lehrenden dar. Immerhin bedeutete die Entfernung von prononcierten Vertretern der ständestaatlichen Ideologie österreichischer Prägung (Richard Kerschagl, Walter Heinrich) aus dem Lehramt und ihr Ersatz durch teilweise fanatische Nationalsozialisten eine Akzentverschiebung im geistigen Profil der Hochschule. Auswirkungen zeigten sich vor allem im Bereich des extrakurrikularen Studienangebots, das bedingungslos in den Dienst der nationalsozialistischen Großraumpolitik gestellt wurde (von den Südost-Kursen der ‚Welthandel‘ wird noch ausführlich die Rede sein), und im 1943 unternommenen Versuch, ein als Amerikakunde-Institut getarntes Zentrum des deutschen Auslandsnachrichtendienstes an der Hochschule für Welthandel zu errichten.9 Während diese Initiative scheiterte, entwickelten sich die scheinbar unpolitischen Reichshochschulkurse für Fremdenverkehr, die ab 1940 vom Institut für Fremdenverkehrsforschung 7 8
9
Universitätsarchiv der Wirtschaftsuniversität Wien (WUW-AR), Dossier Personalangelegenheiten Nr. 22, Vier Semester Südost-Stiftung zur Heranbildung junger Kaufleute für Südost-Europa, o.J. An der Universität Wien, und da vor allem an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen, der Medizinischen und der Philosophischen Fakultät, waren die personellen Konsequenzen der NS-Macht übernahme besonders ausgeprägt; vgl. Albert Müller, Dynamische Adaptierung und „Selbstbehauptung“. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 603. Vgl. Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR), Unterricht, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, AZ 1143, 1940–45, Hochschule für Welthandel, Lehrkanzel für Amerikakunde.
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Peter Berger
der Hochschule für Welthandel in Zusammenarbeit mit der Berliner Reichsgruppe Fremdenverkehr und der Stadt Wien organisiert wurden, günstig.10 Falls, wofür einiges spricht, an ihre spätere Instrumentalisierung durch die Nazipropaganda gedacht war, machte der Kriegsausgang dieses Vorhaben zunichte. 1945 sah es so aus, als wollte die ‚Welthandel‘ mit der beeindruckenden Zahl von 59 dienstsuspendierten Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten einen klaren Schlussstrich unter die kompromittierende Episode des Nationalsozialismus ziehen.11 Bei näherer Betrachtung sticht allerdings das Element der Kontinuität zwischen der ständestaatlichen, nationalsozialistischen und postnationalsozialistischen Ära stärker ins Auge, sowohl in personeller als auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Mit Franz Dörfel wurde zum Beispiel im ersten Friedensjahr – gegen den Protest der amerikanischen Besatzungsmacht – ein Mann zum Rektor der Hochschule gewählt, der dieses Amt schon zu Zeiten Dollfuß’ und Schuschniggs innegehabt, später als Prorektor über den ‚Anschluss‘ hinaus gewirkt und immerhin eine provisorische Mitgliedsnummer der NSDAP erhalten hatte.12 Die Lehre an der Hochschule für Welthandel orientierte sich nach der Außerkraftsetzung der reichsdeutschen Studien- und Prüfungsordnung, die vom Wintersemester 1938/39 bis August 1945 gegolten hatte, wieder an den Vorkriegsverhältnissen, was letztlich auch die Beibehaltung von wissenschaftlicher Basisliteratur aus den 1920er und 1930er Jahren (bis über die Studienreform von 1966 hinaus) implizierte. So war Othmar Spanns Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre,13 ein Werk, welches das universalistische Credo des Ständestaates untermauern geholfen hatte, noch in den 1970er Jahren für Hörer aller Studienrichtungen Pflichtlektüre. Pflichtlektüre blieb auch Karl Oberparleiters leicht angestaubter (erstmals 1918 veröffentlichter) Klassiker Funktionen und Risiken des Warenhandels. Einen viel beachteten Beweis für mangelnde Sensibilität im Umgang mit der Vergangenheit lieferte die Hochschule für Welthandel 1954 anlässlich der Nachbesetzung der Wirtschaftsgeschichte-Lehrkanzel, die durch den altersbedingten Abgang von Arnold Winkler vakant geworden war. Obwohl mit den Dozenten Alfred Hoffmann, Jan Jacob van Klaveren und Benedikt Kautsky interessante und politisch unbelastete Bewerber zur Verfügung standen, entschloss sich eine dreiköpfige Berufungskommission (Oberparleiter, Kerschagl, Bouffier) dazu, Taras von Borodajkewycz vorzuschlagen, einen Schüler Heinrich von Srbiks, der ab 1934 Mitglied der illegalen NSDAP und später SS-Schulungsleiter gewesen war. Der ‚Fall Borodajkewycz‘, aus10 Vgl. Die Wissenschaft vom Fremdenverkehr, in: Neues Wiener Tagblatt vom 15. Juli 1943. 11 Vgl. WUW-AR, Beilage zu Präs. Zl. 77/1945, Verzeichnis sämtlicher vom Dienste Enthobenen vom 22. August 1945. 12 Vgl. ÖStA/AdR, Inneres, Gauakt Franz Dörfel. 13 Erstauflage 1911.
Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945
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gelöst durch den antisemitischen und revisionistischen Inhalt der Vorlesungen des geltungssüchtigen Professors, erschütterte 1965 die Zweite Republik und konnte erst im Mai 1966 durch den Spruch einer Disziplinarkommission abgeschlossen werden. Borodajkewycz wurde mit reduzierten Bezügen pensioniert. Genau genommen markiert also erst das Jahr 1966 das wirkliche Ende der Verbindung der Hochschule für Welthandel zu Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Umgekehrt beginnt die Geschichte dieser Liaison lange vor 1938, eigentlich schon im letzten Dezennium der Habsburgermonarchie, und kann nur als Teil der Gesamtentwicklung des Hochschulwesens in Österreich unter dem vergiftenden Einfluss völkischer und rassistischer Ideen verstanden werden. Von der Gründung der k. k. Exportakademie bis zum ‚Anschluss‘
Sieht man von den frühesten Anläufen unter Kaiserin Maria Theresia (Gründung der Theresianischen Handelsakademie) ab, geht die höhere kaufmännische Ausbildung in Österreich auf die Weltausstellung von 1873 zurück. In ihrem Gefolge entstand die erste Handelshochschule der Donaumonarchie, die jedoch wegen der globalen Wirtschaftskrise rasch wieder eingestellt wurde. Mehr Standfestigkeit zeigte das Orientalische Museum von 1874. Nach drei Jahren zum k. k. Österreichischen Handelsmuseum ausgestaltet, bot es einzelne Kurse für Osthandelskaufleute an, aber kein planmäßiges und mehrere Semester dauerndes Studium. Um diesem Übelstand abzuhelfen, wurde 1898 auf gemeinsame Initiative der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer und der Leitung des Handelsmuseums der Entwurf für eine Exportakademie ausgearbeitet und ein Generalkomitee für die Gründung einer solchen Anstalt ins Leben gerufen. Die noch im selben Jahr im Palais Festetics, Berggasse 16, eingerichtete Exportakademie wurde, so wie die 1919 aus ihr hervorgegangene Hochschule für Welthandel auch, von einem Verein (der k. k. Exportakademie, später der Hochschule für Welthandel in Wien) erhalten und geführt, in dessen Kuratorium je ein Vertreter des Handelsministeriums und des Unterrichtsministeriums saßen. Die Liste der fördernden Mitglieder des Hochschulvereins liest sich wie ein Gotha der zeitgenössischen Industrie, von der AEG-Union bis zum Zentralverein der Bergwerksbesitzer Österreichs. Aus Spenden der Wirtschaft, aber auch aus staatlichen Zuschüssen – Erstere hauptsächlich für den Unterhalt der Räumlichkeiten der Exportakademie/Hochschule, Letztere für die Remunerierung des Lehrkörpers (bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es 46 wissenschaftlich tätige Mitarbeiter) – wurde der laufende Lehr- und Forschungsbetrieb finanziert. Die erste Festschrift
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Peter Berger
der k. k. Exportakademie14 stellte das „Lehrgebiet“ der Anstalt dar: Es umfasste die sogenannten kaufmännischen Lehrgegenstände (allgemeine und spezielle Welthandelslehre, Organisationslehre, Betriebslehre und Handelstechnik), die Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsgeografie, Warenkunde, Rechtsfächer und fremde Sprachen. Das Studium an der Exportakademie war zunächst sechssemestrig, es umfasste zwei Semester Vorbereitungskurse und anschließend zwei reguläre Jahrgänge. Die Vorbereitungskurse wurden 1902/03 in Allgemeine Abteilung umbenannt und konnten mit Erlangung eines Zeugnisses abgeschlossen werden – eine heute sehr aktuell anmutende Aufwertung zum Kurzstudium, die der Anstalt zahlreichen Hörerzuwachs brachte.15 Das Normalprogramm der Exportakademie wurde noch vor der Jahrhundertwende um Spezialkurse (unter anderem zur Lehrervorbildung für kaufmännische Unterrichtsanstalten, aber auch für Spediteure, Wirtschaftsjuristen, Bankbeamte) und um ein Abendkursprogramm für berufstätige Hörer ergänzt. Mit der Übersiedlung in das heute noch als Hochschule für Welthandel bekannte Gebäude am Währinger Park (1916) intensivierten sich die Bemühungen um ein vollwertiges Hochschulstatut für die Exportkaufleuteausbildung, das, wie schon erwähnt, 1919 erreicht wurde. Die Hochschule für Welthandel bekam einen Rektor, ordentliche und außerordentliche Professoren sowie staatliche Dozenten, die analog zu den Berufungsbestimmungen an staatlichen Hochschulen Österreichs ernannt wurden (das heißt nach Erstellung eines Vorschlags durch das Professorenkollegium). Das Vereinskuratorium blieb auch nach 1919 für die Führung der Anstalt maßgeblich, soweit nicht die letzte Entscheidung beim Handelsministerium lag. Ein Umbau der Lehrund Prüfungsordnung wurde dahingehend vorgenommen, dass nunmehr das sechs semestrige Regelstudium obligatorisch war. Nach den ersten beiden Semestern musste eine kommissionelle Prüfung aus Betriebs- und Verkehrslehre (den zwei Kernbestandteilen der inzwischen zu wissenschaftlichem Ansehen gelangten Privatwirtschaftslehre), Volkswirtschaftslehre, Handelsrecht, Geografie und Technologie sowie einer fremden Sprache abgelegt werden. Für die Inskription des fünften Semesters galt die Absolvierung mehrerer Einzelprüfungen als Voraussetzung (Privatwirtschaftslehre, Wirtschaftspolitik, Recht, zwei Fremdsprachen); nach dem vollendeten sechsten Semester folgten die abschließende Diplomprüfung und der Erwerb des Titels Diplomkaufmann. Die 1920er Jahre waren die Zeit des engagiert geführten Kampfes der Hochschule für Welthandel um das Promotionsrecht. Ab 1930 (Bundesgesetz vom 2. Juli 1930) 14 Vgl. Die k. k. Exportakademie in Wien, Wien 1916. 15 Bald nach ihrer Einrichtung besuchte Joseph A. Schumpeter mehrere Lehrveranstaltungen der ‚Allgemeinen Abteilung‘. Für den Hinweis bin ich meinem Kollegen Ingo Andruchowitz zu Dank verpflichtet.
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Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945
durfte sie nach zwei gescheiterten Anläufen zur Beschlussfassung im Nationalrat, 1922 und 1924, den Titel ‚Doktor der Handelswissenschaft‘ verleihen (‚Doktor der Wirtschaftswissenschaften‘ scheiterte am Einspruch der Universität Wien). Die zweite Festschrift der Hochschule, 1948 anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums erschienen,16 umschreibt verschämt ein gravierendes Problem, das mit der Verleihung der Promotionsbefugnis auftrat: Die wenigsten Lehrkräfte der Hochschule für Welthandel waren wissenschaftlich ausreichend qualifiziert, um Doktoranden auszubilden, manche hatten nicht einmal einen akademischen Grad, sodass dringender Bedarf an habilitierter Verstärkung für den Lehrkörper bestand. 1933 erwarben drei Assistenten des Hauses die Venia legendi: Wilhelm Bouffier, Hans Nusko und Ernst Steiner. Nusko sollte bis kurz nach dem ‚Anschluss‘ als Sprecher der Welthandel-Dozenten fungieren, Bouffier und der kriegsversehrte jüdische Privatdozent Steiner wurden Opfer der nationalsozialistischen ‚Säuberung‘ der Hochschule für Welthandel von ‚politisch und rassisch unzuverlässigen‘ Personen. Tab.: Studierende an der Hochschule für Welthandel 1919–1947.
gesamt
ausländisch
weiblich
Wintersemester bzw. Trimester: 1919/20
1.519
920
0
1920/21
2.400
1.686
84
1921/22
2.277
1.731
92
1922/23
1.591
1.006
75
1923/24
1.689
1.031
92
1924/25
1.963
1.140
88
1925/26
1.678
914
59
1926/27
1.613
774
65
1927/28
1.600
834
64
1928/29
1.523
789
61
1929/30
1.411
740
85
1930/31
2.111
927
148*
1931/32
1.745
713
105*
1932/33
1.441
501
101*
1933/34
1.095
337
55*
16 Vgl. 50 Jahre Hochschule für Welthandel in Wien, Wien 1948.
160
Peter Berger
gesamt
ausländisch
weiblich
1934/35
900
241
45*
1935/36
761
207
30*
1936/37
720
204
36*
1937/38
764
259
153*
1938/39
464
105
65*
Trim. 1939
551
57
65*
I. Trim. 1940
540
78
65*
II. Trim. 1940
514
91
65*
III. Trim. 1940
973
158
145*
Trim. 1941
884
219
119*
1941/42
1.108
328
238*
1942/43
1.321
517
357*
1943/44
1.224
476
408*
1944/45
615
86
221*
1945/46
2.126
604
672*
1946/47
3.184
465
682
Quelle: Brusatti (Hg.), 100 Jahre im Dienste der Wirtschaft, S. 105 f. Mit Ausnahme der Jahre 1939– 1941 gelten die Angaben jeweils für das Wintersemester. * Schätzung.
Dass die Gestion der ‚Welthandel‘ nicht (wie bei Österreichs übrigen Hochschulen der Fall) in die alleinige Zuständigkeit des Unterrichtsministeriums fiel, beeinflusste ebenso wie der ungewöhnlich hohe Anteil von Ausländern an der Hörerschaft besonders in der ersten Hälfte der 1930er Jahre die Geschicke des Hauses. Für die Vertreter der österreichischen Großindustrie im Parlament, die die Anliegen der Hochschule für Welthandel unterstützten, und vielleicht in noch stärkerem Maße für die Exponenten der Wiener Kaufmannschaft, die im Kuratorium des Hochschulvereins und in der Diplomprüfungskommission saßen, war es wichtig, dass ‚ihre‘ Anstalt das Bild einer weltoffenen, von nationalistischen und rassistischen Vorurteilen freien Bildungsstätte vermittelte, im Interesse der fortgesetzten Attraktivität des Hauses für ausländische Studenten (die hohe Studiengebühren entrichten mussten und deshalb umworben wurden) und im Einklang mit der kosmopolitischen Tradition des Handelsgeschäfts.
Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945
161
Dem standen die aggressiv-deutschnationalen Bestrebungen eines großen Teils der politisch organisierten Studentenschaft, gefördert von zahlreichen Professoren und Assistenten und toleriert von den Unterrichtsministern Srbik (parteilos), Emmerich Czermak und Anton Rintelen (christlichsozial), entgegen. Die periodisch wiederkehrenden Störungen des Lehr- und Forschungsbetriebs an der ‚Welthandel‘ durch rechtsradikale Krawallmacher, die jüdische, sozialdemokratische und ausländische Hörerinnen und Hörer provozierten und meist auch physisch misshandelten,17 lösten immer wieder dieselben Reaktionen aus: Rektor und Professoren scheuten sich, konsequent gegen die Unruhestifter aus dem Nazi- oder Heimwehrlager vorzugehen, die sich der stillschweigenden Billigung durch das Unterrichtsministerium sicher waren. Umgekehrt protestierten die Spitzengremien der österreichischen Wirtschaft und einzelne ihrer Funktionäre heftig (und teils mit Erfolg) gegen die halbherzigen Disziplinarmaßnahmen des Welthandel-Rektorats. Im Dezember 1931 verabschiedete das Professorenkollegium der Hochschule eine in mehrfacher Hinsicht diskriminierende Studentenverfassung, die sowohl Wirtschaftskreise als auch das Handelsministerium in hellen Aufruhr versetzte. Nach nur drei Tagen musste der Professorenbeschluss zurückgenommen werden. Die Vorgänge rund um die gescheiterte Studentenordnung der Hochschule für Welthandel sind bezeichnend für das akademische Klima der 1930er Jahre und sollen hier deshalb etwas ausführlicher behandelt werden. 17 Hier kann aufgrund des Gebots der Kürze nur ein unvollständiger Überblick über die Ausschreitungen von 1930 bis 1933 und deren jeweilige Anlässe gegeben werden. Im Juni 1930 löste eine Verzögerung bei der Vergabe des Promotionsrechts an die Welthandelshochschule durch das Unterrichtsministerium Krawalle aus. Im November desselben Jahres führte das Ansinnen der jüdischen Studierenden, einen Tisch für Werbemittel in der Aula aufzustellen, zu mehrtägigen Unruhen. Ende Juni 1931 bot die Außerkraftsetzung der Studentenordnung der Uni Wien durch den Verfassungsgerichtshof Anlass zu Prügelorgien an allen Wiener Hochschulen. Die ‚Welthandel‘ musste für drei Tage gesperrt werden. Am 28. und 29. Januar 1932 kam es zu Übergriffen von Nazis und Heimwehrstudenten auf jüdische Hörer im Währinger Park vor der Hochschule für Welthandel. Im Mai 1932, nach der Ermordung eines SA-Studenten in Innsbruck, folgten wieder Krawalle, die diesmal Vertreter der polnischen, tschechischen und baltischen Studierenden dazu bewogen, ihre kollektive Übersiedlung an die Handelshochschule Florenz anzudrohen. Im Oktober 1932 schloss die Hochschule für Welthandel nach Zusammenstößen zwischen Hakenkreuzlern und Schutzbündlern im Wiener Arbeiterbezirk Simmering ihre Pforten, um zu verhindern, dass völkische Studenten ihren Unmut über die Simmeringer Ereignisse gewaltsam artikulierten. Im März 1933 führte der Protest eines jüdischen Studentenvertreters gegen ein antisemitisches Flugblatt der Deutschen Studentenschaft der Hochschule für Welthandel zu Schlägereien und zur vorübergehenden Stilllegung des Lehrbetriebs. Vom 30. Mai bis zum 10. Juni 1933 blieb die ‚Welthandel‘ wie alle anderen Hochschulen aufgrund einer Weisung des Unterrichtsministers gesperrt. Nach dem Verbot der Deutschen Studentenschaft durch das Dollfußregime am 31. August 1933 gab es zwar noch gelegentlich Studentenkrawalle, aber ihre Frequenz nahm deutlich ab, vor allem weil nunmehr die Exekutive das Recht hatte, auf universitärem Boden gegen Unruhestifter vorzugehen.
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Peter Berger
Theoretisch verfolgten Studentenordnungen in der Zwischenkriegszeit den Zweck, alle Hörerinnen und Hörer der österreichischen Hochschulen durch verbandsmäßige Gliederung „in die behördliche Verfassung und Verwaltung [ihrer] Universität[en]“ einzubeziehen18 – was auf den ersten Blick dem schönen Ideal der Hochschulautonomie entsprach. In der Praxis lief der von den akademischen Senaten diverser Hoher Schulen sanktionierte Zusammenschluss der Studierenden zu privaten Verbänden, die die Bezeichnung Nationen trugen und ‚volksbürgerschaftlich‘ organisiert waren (Mitglieder einer Studentennation waren alle immatrikulierten Personen ‚gleicher Sprache und Abstammung‘) auf einen nur notdürftig verschleierten Versuch hinaus, jüdische Studenten in der Universitätspolitik zu entrechten, wie der amerikanische Historiker Bruce Pauley festgestellt hat.19 Sowohl an der Technischen Hochschule, die 1924 eine volksbürgerschaftliche Studentenordnung in Kraft setzte, als auch an der Universität Wien, deren berüchtigte Gleispach’sche Studentenordnung20 am 8. April 1930 verlautbart wurde, dominierte die Deutsche Studentennation, genannt Deutsche Studentenschaft. Ihr gehörte automatisch an, wer Deutsch sprach und ‚arische‘ Eltern und Großeltern hatte. Ausgeschlossen war hingegen, wer den Nachweis der Taufe der Eltern und aller vier Großelternteile schuldig bleiben musste. Das bedeutete für nichtreligiöse ebenso wie für zum Christentum konvertierte jüdische Hörer und Hörerinnen den skurrilen Zwang, sich entweder der jüdischen Studentennation anzuschließen oder einer von den Studentenordnungen gleichfalls autorisierten Verlegenheitskonstruktion, bestehend „aus ordentlichen Hörern, die wegen gemischter Abstammung keine Studentennation darstellen.“ Letzteres war krasse Diskriminierung. Gegen Ersteres protestierten primär die sozialistischen Studenten, aber auch politisch konservative Konvertiten oder Kinder von Konvertiten: „Die ‚katholischen Juden‘ sollen sich einer jüdischen Studentennation anschließen. Aber in dieser werden bestenfalls die wenigen mosaischen Orthodoxen, indifferente Liberale und Zionisten, vor allem, wie jedermann bekannt ist, die überwiegend semitischen glaubensfeindlichen Sozialisten zum Worte kommen“, hieß es in einer bezeichnenden Zuschrift an die Redaktion der katholischen Reichspost.21 18 Dr. Josef Hupka, Die Studentenordnung der Universität Wien, in: Neue Freie Presse vom 23. April 1930. 19 Vgl. Bruce F. Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien 1993, S. 172. 20 Wenzel Graf Gleispach war Rektor der Universität Wien im Studienjahr 1930/31 und der Archetypus des deutschnationalen, antidemokratischen und antisemitischen Hochschulprofessors. Paradoxerweise hatte der fanatische Deutsche Gleispach eine ungarische Mutter, sein Vater sprach Tschechisch und galt als Tschechenfreund; vgl. Karl Tschuppik, Von Goethe zu Gleispach, in: Wiener Sonn- und Montagszeitung vom 7. Dezember 1931. 21 Der Konvertit im neuen Studentenrecht, in: Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk vom 16. April 1930.
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Eigentlich hätten solche Beschwerden zumindest den sensibleren christlichen Politikern Österreichs zu denken geben müssen. In der turbulenten Situation zu Beginn der 1930er Jahre verteidigten aber selbst dem Judentum gegenüber ‚gemäßigt‘ eingestellte Christlichsoziale wie Ignaz Seipel oder Viktor Kienböck das Prinzip der Volksbürgerschaft im Studentenrecht.22 Wie die Arbeiter-Zeitung zu Recht vermutete, spekulierten sie darauf, den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten auf Hochschulebene durch Tolerierung der rassischen Segregation der Studenten, die ein altes deutschnationales Anliegen war, eindämmen zu können.23 Erst als studentische Nazi-Aktivisten begannen, neben Juden und Ausländern auch Mitglieder farbentragender katholischer Studentenverbindungen zu terrorisieren, besann sich die christlichsoziale Führung auf die Unverträglichkeit der Grundsätze des katholischen Glaubens mit einem neuheidnischen Rassismus. Der Cartellverband (CV) trat im Dezember 1932 aus der bundesweiten Deutschen Studentenschaft aus, die kurz darauf von der Dollfußregierung „wegen fortgesetzter Propaganda und sonstiger Treibereien gegen die staatliche Ordnung in Österreich“ überhaupt aufgelöst und durch obrigkeitlich ernannte ‚Sachwalter‘ an den Hochschulen ersetzt wurde.24 Am 17. Dezember 1930 entschloss sich der Rektor der Hochschule für Welthandel, Ernst Beutel, dem Vorbild der Technischen Hochschule und der Universität Wien zu folgen und, ermächtigt durch sein Professorenkollegium, zur offiziellen Anerkennung der Deutschen Studentenschaft als Alleinvertreterin der Interessen aller „zugelassenen ordentlichen Hörer deutscher Volkszugehörigkeit“. Für Nichtdeutsche war die Bildung eigener nationaler Vereinigungen vorgesehen. Die Auslegung des 22 Ignaz Seipel, Der Gedanke der Volksbürgerschaft in Österreich, in: Reichspost vom 9. Juli 1931. Seipel hatte sich übrigens schon 1920 für universitätspolitische Maßnahmen gegen die Juden ausgesprochen. Damals befürchteten weite Kreise in Österreich eine bevorstehende Massenarbeitslosigkeit unter christlichen Akademikern, als Folge der hohen Zahl ostjüdischer Inskribenten an den Hohen Schulen der Republik; vgl. Elisabeth Klamper, „Sie sollen sie nicht haben, des Ostens Deutsche Mark, solang noch deutsche Knaben sie schirmen waffenstark …“ Die Studenten und der „Anschluß“, in: Wien 1938 [Katalog], S. 179–198. 23 Vgl. Kampf um die Staatskrippe. Der Zerfall der Deutschen Studentenschaft, in: Arbeiter-Zeitung vom 8. Dezember 1932. Emmerich Czermak, christlichsozialer Unterrichtsminister ab Dezember 1930 und gleichfalls ein Vertreter des volksbürgerlichen Prinzips, sagte bei einem CV-Treffen kurz nach seiner Amtsübernahme, er fühle sich außerstande, „die Ostjuden, die die deutsche Sprache in dem eigenartigen Idiom des Jiddischen gebrauchen, […] zu einem deutschen Stamm [zu] machen“ – deshalb hätten sie in der Deutschen Studentenschaft nichts verloren. Dem fügte er zynisch hinzu, dass man einem getauften Juden wegen seiner Religionszugehörigkeit wohl nicht verwehren werde können, der jüdischen Studentennation beizutreten; vgl. Rasse, Judentum und Studentenrecht, in: Neues Wiener Journal vom 13. Dezember 1931. 24 Vgl. Klamper, „Sie sollen sie nicht haben“, S. 184, und: Ordnungmachen an den Hochschulen, in: Reichspost vom 31. August 1933.
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Begriffes ‚Volkszugehörigkeit‘ sollte jeder Studentennation selbst überlassen bleiben. Damit stand fest, dass Juden mit deutscher Muttersprache und österreichischem Pass keine Aufnahme in der Deutschen Studentenschaft finden würden; denn deren Führer an der Hochschule für Welthandel waren samt und sonders radikale Antisemiten. Angesichts dieses Umstands klang es wie Hohn, dass die neue Studentenordnung der ‚Welthandel‘ verfügte, die Satzungen einer Studentennation dürften „Fragen des Glaubensbekenntnisses und der Parteipolitik“ keinesfalls berühren. Waren die ‚arischen Deutschen‘ erst einmal unter sich, konnte man sich ausmalen, wozu ihr amtliches Monopol auf Vertretung der Mehrheit der Welthandel-Hörerschaft führen musste. Die von Beutel erlassene Studentenordnung listete folgende Rechte der Deutschen Studentenschaft auf: die Vertretung der durch sie zusammengefassten Hörer in wirtschaftlichen und fachlichen Fragen; die Mitwirkung an der Regelung der akademischen Disziplin nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften; die Stellungnahme zu allgemeinen Fragen der Kultur und Bildung sowie die Pflege der Leibesübungen. Um alle diese Aufgaben erfüllen zu können, wurde der Deutschen Studentenschaft (nicht aber den anderen Studentennationen) das Recht eingeräumt, über die Quästur der Hochschule für Welthandel Mitgliedsbeiträge einheben zu lassen. Am 19. Dezember, also zwei Tage nach der Veröffentlichung des neuen Studentenstatuts, trat das Kuratorium des Vereins Hochschule für Welthandel in den Räumlichkeiten der Wiener Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie zur letzten turnusmäßigen Sitzung des Jahres 1930 zusammen. Wie aus dem erhaltenen Protokoll hervorgeht, protestierte zunächst ein Kuratoriumsmitglied, Hofrat Dr. Hans Fischl, mit Nachdruck dagegen, dass der zur administrativen Leitung der Hochschule befugte Ausschuss in der Frage der Studentenordnung einfach übergangen worden war.25 Ministerialrat Ballacs vom Handelsministerium goss weiteres Öl ins Feuer, indem er feststellte, dass seine Dienststelle sich gegen die Einhebung von Zwangsmitgliedsbeiträgen für die Deutsche Studentenschaft durch die Quästur wehren würde. Verschleierte Hinweise im Sitzungsprotokoll auf eine anschließende erregte Diskussion zwischen den ‚Welthandels‘-Kuratoren lassen nur erahnen, was ein Artikel der Neuen Freien Presse zwei Tage später offen aussprach: Führende Wirtschaftsvertreter machten sich ernste Sorgen über die politische Einstellung von Rektor und Professorenschaft der Hochschule für Welthandel, eine Einstellung, die als unpassend für eine kommerzielle Bildungsanstalt von grenzüberschreitendem Ruf bezeichnet wurde.26 Schließlich verständigte man sich im Kuratorium darauf, den hoch angesehenen 25 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 371/1931, Kuratorium, 71. Sitzung vom 19. Dezember 1931. 26 Vgl. Vorläufige Suspendierung des Studentenrechts an der Hochschule für Welthandel, in: Neue Freie Presse vom 21. Dezember 1930.
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Altrektor des Hauses am Währinger Park, den Ökonomen Prof. Josef Gruntzel, für die nächste Sitzung im Februar 1931 „behufs Berichterstattung über die Studentenordnung“ einzuladen. Bis dahin sollte das Studentenrecht von Rektor Beutel als suspendiert gelten. Beutel musste noch eine zweite Niederlage einstecken. Nachdem es am 10. und 11. November zu einer besonders brutalen Prügelaktion gegen jüdische und ausländische Studierende der ‚Welthandel‘ gekommen war, hatten die Wiener Kaufleute und Industriellen angedroht, Absolventen der Hochschule entweder gar nicht mehr oder nur nach sorgfältiger Überprüfung ihres Leumunds anzustellen. Die Reaktion der Rektoratskanzlei auf den Terror der völkischen Studenten bestand zunächst in der Veröffentlichung von je einer Kundmachung an die deutsche beziehungsweise jüdische Hörerschaft. Erstere wurde in höflichem Ton ersucht, „die Würde des akademischen Bodens [zu wahren] und sich zu Unbesonnenheiten oder gar Gewalttaten nicht hinreißen [zu lassen].“ Den Juden richtete der Rektor barsch aus, dass „Provokationen, von welcher Seite immer, auf akademischem Boden unstatthaft“ seien.27 Große Empörung in einigen bürgerlichen Blättern und bei der Arbeiter-Zeitung war die Folge dieser manifesten Ungleichbehandlung. Die Neue Freie Presse brachte am 20. November einen Kommentar zu den Hochschulereignissen, worin es hieß, die Politik Beutels sei wegen ihres diskriminatorischen Charakters unverständlich: „Für den Rektor der Handelshochschule darf es nur Studenten geben, und diese Auffassung muß auch in allen offiziellen Verlautbarungen zum Ausdruck kommen. Das gilt in erster Linie für eine Hochschule, die sich mit dem Handel befaßt, denn wir wüßten kein Gebiet, auf dem man über konfessionelle, nationale und politische Gegensätze so sehr hinwegsehen muß, wie im kaufmännischen Leben.“28 Beutel sah sich, weil auch Regierungsstellen bei ihm intervenierten, daraufhin gezwungen, seine beiden Anschläge vom Schwarzen Brett der Hochschule entfernen und durch einen einzigen Aufruf zur Disziplin an alle Studierenden ersetzen zu lassen. Das Welthandel-Kuratorium forderte ihn am 19. Dezember schließlich ultimativ auf, „eine Differenzierung der Studentenschaft nicht mehr zu dulden, in Hinkunft nur mehr gemeinsame Anschläge herauszugeben und gegen Mißbräuche im Anschlagswesen Vorkehrungen zu treffen.“29 Gelegentliche Siege des zivilisierten common sense an Nebenfronten dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hochschule für Welthandel in der Zwischenkriegszeit, vor allem aber nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, ein Zentrum 27 Zwei Kundmachungen, in: Arbeiter-Zeitung vom 19. November 1930. 28 Die Vorgänge an der Hochschule für Welthandel, in: Neue Freie Presse vom 20. November 1930. 29 WUW-AR, Präs. Zl. 371/1931, Kuratorium, 71. Sitzung vom 19. Dezember 1931.
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der deutschnationalen und nationalsozialistischen Agitation war. Das belegen unter anderem die Resultate der Kammerwahlen der Deutschen Studentenschaft, die im Februar 1931 stattfanden. An der ‚Welthandel‘ waren 1.224 von insgesamt 1.311 inländischen Studierenden wahlberechtigt, und 947 übten ihr Wahlrecht aus. Die Nationalsozialisten erhielten 530, die Deutschvölkischen 250 Stimmen. Nur 163 Stimmen entfielen auf die katholische Studentenfraktion, während die Sozialdemokraten die Wahl überhaupt boykottierten.30 Natürlich sagen diese Zahlen für sich genommen nicht viel über das Studienklima an der Hochschule für Welthandel aus, das von einigen überlebenden Hörern der 1930er Jahre, die unlängst dazu befragt wurden, als relativ unpolitisch und kollegial geschildert worden ist.31 Aber immerhin verzeichnete die Hochschule für Welthandel 1931 einen höheren Prozentsatz deklarierter nationalsozialistischer Parteigänger unter ihren Studenten als die Technische Hochschule und die Universität Wien. Das bevorzugte Objekt des Hasses der Völkischen, die jüdische Hörerschaft, war hingegen einem stetigen Erosionsprozess unterworfen. Ihren Höhepunkt hatte die Präsenz von jüdischen Studenten an der Hochschule für Welthandel 1920/21 erlebt, als zahlreiche aus dem Osten der früheren Habsburgermonarchie zugewanderte mosaische Familien ihren Kindern eine kaufmännische Ausbildung angedeihen lassen wollten. Zugleich war das Studium in Wien auch für Juden aus den Nachfolgestaaten Tschechoslowakei, Polen, Rumänien und Jugoslawien attraktiv, wegen der in Österreich herrschenden Inflation, die Ausländern im Besitz von stabiler Währung ein verhältnismäßig billiges Leben ermöglichte. 1920 gaben 53 % aller Hörer der Hochschule für Welthandel als Religionsbekenntnis ‚jüdisch‘ an, wie Rektor Gruntzel dem deutschnationalen Parlamentsabgeordneten Josef Ursin auf eine diesbezügliche Anfrage mitteilte.32 1921/22 sank der Anteil der mosaischen Studierenden auf 39 %, 1922/23 auf 29 % ab. Für die späteren Jahre sind die Werte noch nicht erhoben, sie dürften aber bis auf etwa 15 % gefallen sein. Die Professoren und Dozenten der Welthandelshochschule nutzten ihre Lehrveranstaltungen nicht in auffälliger Weise als Plattform zur Verbreitung politischer Ansichten. Nationalsozialistische enfants terribles wie den Botaniker Fritz Knoll oder den Anatomen Eduard Pernkopf (beide lehrten an der Universität Wien) kannte das Haus am Währinger Park nicht. Manche Ordinarien wie der Betriebswirt Karl Oberparleiter und der Doyen der Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel, Josef Gruntzel, traten mutig gegen die antisemitischen Krawallmacher von der 30 Vgl. Arbeiter-Zeitung vom 11. Februar 1931: Die Wahlzahlen der „Deutschen Studentenschaft“. 31 Vgl. Außeninstitut der WU Wien, Zeitzeugeninterviews zur Jubiläumsausstellung (Videofilm, 1998), Interview mit Dkfm. Friderik Degn. 32 Vgl. WUW-AR, Schreiben von Rektor Gruntzel an Nationalrat Ursin vom 5. April 1923.
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Deutschen Studentenschaft auf und versuchten gelegentlich sogar, bedrohte jüdische Hörer zu schützen.33 Das war allerdings eher die Ausnahme. Die meisten ‚Welthandels‘-Professoren hielten sich in der Öffentlichkeit bedeckt, privat hegten sie deutschnationale Sympathien. Ein typisches Beispiel für diese Haltung bot der Wirtschaftsgeograf Bruno Dietrich, ein gebürtiger Potsdamer, der am 1. Oktober 1928 an die Hochschule berufen wurde. Glaubhaften Berichten zufolge verdankte Dietrich seine Ernennung dem Wunsch des großdeutschen Handelsministers Schürff, „zur Förderung der Anschluß- und Angleichungsbestrebungen in Österreich an das Reich einen reichsdeutschen Fachvertreter“ nach Wien zu holen.34 Trotz eines gewissen Hanges zur Intrige fand der neue Ordinarius rasch Zugang zu einem Zirkel nationaler oder nationalsozialistischer Professorenkollegen, der regelmäßig im Restaurant Auge Gottes, unweit der Hochschule im 9. Wiener Gemeindebezirk, zusammenkam. Auch der uns schon bekannte Professor Beutel gehörte zu diesem Kreis. Dietrich sollte 1938 der erste Rektor der Hochschule für Welthandel im ‚Dritten Reich‘ werden. Beutel beging Ende 1944, als die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg nur noch eine Frage der Zeit war, Selbstmord. Der März 1938 und seine Folgen: Nazifizierung des Lehrkörpers, Führerprinzip und Judenquote
Die Möglichkeit eines neuerlichen Weltkriegs war nur ein ferner und von den meisten Österreichern verdrängter Schatten am Horizont, als Hitler sich anschickte, seine frühere Heimat dem ‚Dritten Reich‘ einzuverleiben. Freudige Zustimmung zum ‚Anschluss‘ in weiten akademischen Kreisen erleichterte es den Beamten des Reichserziehungsministeriums (REM), die kurz nach dem deutschen Einmarsch ihre Arbeit in Wien aufnahmen,35 Vorbereitungen für die Gleichschaltung des österreichischen Hochschulwesens zu treffen. Anvisiert wurde die rasche Einsetzung kommissarischer Rektoren und Dekane, die dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstanden, die Vereidigung des Hochschulpersonals auf den ‚Führer‘ und Reichskanzler und die Beurlaubung solcher Personen, deren rassische oder politische Zuverlässigkeit den Nazis nicht gegeben schien – weiters die Liquidation der Sachwalterschaft (der unter Dollfuß errichteten studentischen Interessenvertretung) und die Einführung eines universitären Numerus clausus für inländische Juden. Dem österreichischen Unter33 Vgl. Der Hakenkreuzler-Radau an der Hochschule für Welthandel, in: Neue Freie Presse vom 12. November 1930. 34 ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Bruno Dietrich: Stellungnahme von Kurt Knoll zu Händen des Kurators für die wissenschaftlichen Hochschulen in Wien. 35 Vgl. Weinert, Maßnahmen, S. 127.
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richtsminister Oswald Menghin brauchte nicht lange erklärt zu werden, dass „gerade auf dem Gebiete der Hochschul- und Wissenschaftsverwaltung das Reich stärker und unmittelbarer [eingreifen müsse] als [in] anderen Verwaltungszweigen.“36 Wie Menghins Berliner Ressortkollege Rust anlässlich eines Besuchs in Wien sagte, stand nichts Geringeres auf dem Spiel als der Ausbau der neugewonnenen Universitäten und Hochschulen zu „Bollwerk[en] des Nationalsozialismus im Osten des Reiches.“37 Die Vereidigung des seit 1936 amtierenden Rektors der Hochschule für Welthandel, Bruno Dietrich, auf Adolf Hitler erfolgte am 17. März 1938 im Ministerbüro Menghins am Wiener Minoritenplatz.38 Dietrichs Bestätigung durch die neuen Herren Österreichs war nicht unumstritten. Zwei prominente Funktionäre der österreichischen NSDAP der ‚Kampfzeit‘, Hubert Klausner und Odilo Globocnik, hatten sich für den Anglisten Kurt Knoll, von dem später noch zu sprechen sein, wird, als kommissarischen Rektor stark gemacht, waren aber mit ihrem Vorschlag nicht durchgedrungen.39 Am 18. und 19. März vereidigte Dietrich seinerseits in einer feierlichen Zeremonie die Professoren, Beamten und Angestellten der ‚Welthandel‘. Von der Eidesleistung ausgeschlossen waren gemäß einer Verlautbarung des Reichsstatthalters für Österreich vom 15. März „Volljuden“ und „von drei jüdischen Großeltern abstammende jüdische Mischlinge“ sowie als Gegner des Nationalsozialismus eingestufte Personen.40 Fünf außerordentliche Professoren der Hochschule für Welthandel fielen in die letztgenannte Kategorie, und vier von ihnen wurden sofort nach dem ‚Anschluss‘ festgenommen. Das Misstrauen der Nationalsozialisten gegenüber den Volkswirten Richard Kerschagl und Walter Heinrich ging auf deren frühere Verbindungen zum Christlichen Ständestaat zurück. Kerschagl, ein gebürtiger Wiener, der allerdings gern seine Abstammung aus ‚altem Kärntner Bauerngeschlecht‘ betonte, war während der Kanzlerschaft Schuschniggs Staatsrats- und Bundesratsmitglied gewesen und hatte in diesen beratenden Körperschaften des Austrofaschismus als Währungsfachmann verschiedene wirtschaftspolitische Gesetzesvorlagen vertreten.41 Dass er 36 Ebd., S. 131. 37 WUW-AR, Präs. Zl. 124/1940, Protokoll über die Sitzung des Professorenkollegiums der Hochschule für Welthandel am 12. März 1940. 38 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 60/1938, Mitteilung an das Ministerium für Handel und Verkehr vom 21. März 1938. 39 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Bruno Dietrich. 40 Brigitte Lichtenberger-Fenz, Österreichs Universitäten 1930 bis 1945, in: Friedrich Stadler (Hg.), Kontinuität und Bruch 1938 – 1945 – 1955. Beiträge zur österreichischen Wissenschaftsgeschichte, Wien/München 1988, S. 75. 41 Vgl. Gertrude Enderle-Burcel, Christlich – ständisch – autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934– 1938, Wien 1991, S. 120 ff.
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sich am 15. März 1938 in einem Bittschreiben an Minister Menghin als „Urarier und Grenzlanddeutscher“ bezeichnete, konnte seine Entfernung von der Hochschule für Welthandel nicht rückgängig machen.42 Walter Heinrich war in den Jahren 1929 und 1930 nach eigener, später allerdings widerrufener Aussage Generalsekretär der Bundesführung des Heimatschutzes gewesen, den er – gemeinsam mit seinem intellektuellen Mentor Othmar Spann – in zahlreichen ‚Führerlehrgängen‘ auf die ständische Ideologie verpflichten hatte wollen. Er galt als Autor oder zumindest Mitverfasser des Korneuburger Eides, mit dem sich die österreichische Heimwehrbewegung am 18. Mai 1930 unmissverständlich von Demokratie und Liberalismus distanzierte. Obwohl Heinrich den deutschen Nationalsozialisten in einem seiner Bücher43 attestiert hatte, die ständische Bewegung „gewaltig vorwärtsgebracht“ zu haben, wurde er von ihnen am 16. März 1938 nach Dachau verschleppt und blieb dort bis 31. August in Haft. Die beiden anderen Opfer der ersten Verhaftungswelle unter den Professoren, Karl Meithner und Arnold Winkler, waren weniger prominent als Kerschagl und Heinrich. Meithner, studierter Jurist und Betriebswirt, hatte von 1919 bis 1924 der Großdeutschen Volkspartei angehört, von 1926 bis 1934 der Christlichsozialen Partei. Ab Ende Februar 1934 Mitglied der Vaterländischen Front (VF), fungierte er bis zum Ende des Ständestaates als ihr Vertrauensmann an der Welthandelshochschule, doch waren die Nazis klug genug, um zu erkennen, dass nicht genuine Begeisterung für den Austrofaschismus, sondern Opportunismus oder vielleicht sogar Druck von oben Meithner zur Übernahme dieses Amtes getrieben hatten. In einer politischen Beurteilung durch die NSDAP-Kreisleitung seines Wohnbezirks wurde er folglich nicht als entschiedener Gegner des neuen Regimes charakterisiert, sondern eher als Wendehals oder Konjunkturritter, wie man in den 1930er Jahren sagte.44 Nach zwei Monaten Gestapohaft wurde Meithner entlassen. Er durfte zwar nicht an die Hochschule für Welthandel zurückkehren, aber immerhin dem NS-Rechtswahrerbund und der NS-Volkswohlfahrt beitreten. Einigermaßen überraschend sollte er später als einziger Angehöriger des ‚Welthandels‘-Lehrkörpers wegen Widerstands gegen das Hitlerregime zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt werden und in Gefangenschaft zugrunde gehen. Der Historiker Arnold Winkler war unter dem Regime Dollfuß–Schuschnigg mit der Abhaltung von Lehrveranstaltungen, die das Öster42 ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Richard Kerschagl; zur Biografie vgl. Bernhard Dachs, Richard Kerschagl. Zur Geschichte der Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel, Diplomarbeit Wien 1995. 43 Vgl. Walter Heinrich, Das Ständewesen mit besonderer Berücksichtigung der Selbstverwaltung der Wirtschaft, Jena 1932. 44 Vgl. ÖStA/AdR, Inneres, Gauakt Karl Meithner.
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reichbewusstsein (im Unterschied zur pangermanischen Ideologie) fördern sollten, beauftragt gewesen. Das genügte, um ihn im März 1938 für einige Wochen hinter Gitter zu bringen. 1939 wurde Winkler mit Anspruch auf den halben Ruhegenuss frühpensioniert.45 Wilhelm Bouffier, Betriebswirtschaftsprofessor wie Meithner, wurde nach dem ‚Anschluss‘ nicht eingesperrt, wohl aber vom Dienst suspendiert und später mit ungeschmälertem Pensionsanspruch in den Ruhestand versetzt. Der Grund für seine Entfernung von der Hochschule könnten Intrigen gewesen sein, die ein politisch einflussreicher Fachkollege, Leopold Mayer, illegaler Nationalsozialist seit 1. Juni 1933, gegen ihn eingefädelt hatte. Mayer war 1936 bei der Besetzung der außerordentlichen Lehrkanzel für Betriebswirtschaftslehre des Kleingewerbes zugunsten von Bouffier übergangen worden. Möglicherweise gefielen aber auch andere Aspekte von Bouffiers Werdegang den Nazis nicht. So war er in seiner Jugend in Frankfurt am Main linksdemokratischer Studentenfunktionär gewesen.46 Er war an einem Textilgeschäft in der Wiener Innenstadt beteiligt, wo dem Vernehmen nach viele Juden einkauften. Schließlich wurden ihm Beziehungen zu führenden Politikern des Ständestaates, vor allem zu Handelsminister Fritz Stockinger, nachgesagt, in den Augen der neuen Machthaber absolut keine Empfehlung. Mit den fünf beurlaubten Professoren war die Liste der Leidtragenden der nationalsozialistischen Machtübernahme an der Hochschule für Welthandel keineswegs abgeschlossen. Bibliotheksdirektor Dr. Gustav Blenk, Angehöriger des CV, wurde ebenso vom Dienst enthoben wie Amtsrat Engelbert Taborsky, über den in einem Bericht an das Handelsministerium zu lesen stand, er habe sich „noch kurz vor [dem] 13. März in den unglaublichsten Schmähungen über die Nationalsozialisten und ihren Führer [ergangen].“47 Der einzige jüdische Angestellte der Hochschule für Welthandel, Kanzleileiter Dr. Fritz Grossmann, musste selbstverständlich gehen. Er sei „wegen seiner internationalen jüdischen Einstellung und Betätigung von der gesamten deutschen Hörerschaft abgelehnt [worden]“, so Rektor Dietrich. Beurlaubt wurde schließlich auch Dr. Erich Gradischnig, einst Mitglied des Büros des Frontführers der VF und Assistent bei Kerschagl, was allein ausgereicht hätte, um die Nazis gegen ihn einzunehmen. Am 25. April 1938 konnte der Rektor in der ersten Sitzung des Professorenkollegiums der Hochschule für Welthandel seit dem ‚Umbruch‘ – sprachlich noch etwas 45 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Arnold Georg Winkler. 46 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Wilhelm Bouffier. 47 WUW-AR, Präs. Zl. 56/1938 und Zl. 57/1938, Bericht Rektor Dietrichs an das Ministerium für Handel und Verkehr vom 13. April 1938.
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Abb. 1: Ausschnitt aus dem Sitzungsprotokoll des Professorenkollegiums zum zynischen Umgang mit „dem Juden“ Ernst Steiner.
unsicher – „die erfolgte rassiale und politische Reinigung des Lehrkörpers und der Beamtenschaft der Hochschule“ bekannt geben.48 Die Umwandlung der insgesamt neun Beurlaubungen in Kündigungen beziehungsweise Ruhestandsversetzungen war allerdings erst nach Inkrafttreten der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums, die am 5. Juni in der Wiener Zeitung publiziert wurde, möglich.49 Unterdessen hatte ein anderer Erlass des Unterrichtsministers vom 6. April 1938 den jüdischen Privatdozenten die Lehrbefugnis an allen Hochschulen Österreichs abgesprochen,50 sodass eine Neuordnung des Vorlesungsplans der ‚Welthandel‘ für das bereits angelaufene Sommersemester nötig wurde. Auch darüber legte Rektor Dietrich vor dem Professorenkollegium Rechenschaft ab. Zwölf externen Lehrbeauftragten war, wie im Sitzungsprotokoll vermerkt ist, „der Vorlesungsbetrieb eingestellt worden“. Einige davon waren Juden, so zum Beispiel der bereits erwähnte Privatdozent der Volkswirtschaft Dr. Ernst Steiner, der Sozialpolitik gelesen hatte und als Entschädigung für seinen Hinauswurf die Erweiterung seiner Venia zugesagt bekam (er durfte sie allerdings innerhalb des Reiches nicht ausüben). Die Gnade der Verabschiedung in Ehren verdankte er nur dem Umstand seiner schweren Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg. Außer Steiner wurden unter anderen der Gewerberechtler Gustav Arzt, der Strafrechtler Siegfried Jakob, die Warenkundler Edmund Grünsteidl und Adolf Jolles, der Versicherungsfachmann Georg Schlesinger und zwei ehemalige Minister der Ersten Republik, Josef Resch (er trug wie Steiner Sozialpolitik vor) und Ludwig Strobl (Genossenschaftswesen) als Lektoren verabschiedet.51 Neben der Personalsituation waren die Auswirkungen des neuen Führerprinzips auf die Universität und die künftige Behandlung der jüdischen Studenten zentrale 48 WUW-AR, Präs. Zl. 46/1938, Verhandlungsschrift der Sitzung des Professorenkollegiums, 25. April 1938. 49 Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, S. 607–610. Vgl. Weinert, Maßnahmen, S. 131. 50 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 600. 51 Vgl. WUW-AR, Präs. AD 50/1937.
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Themen der Professorensitzung vom 25. April. Zum ersten Punkt teilte Dietrich seinen versammelten Kollegen mit, dass seit dem ‚Anschluss‘ – analog zur Rechtslage im ‚Altreich‘ – dem ernannten und nicht mehr gewählten Rektor die verantwortliche Leitung der Universität oblag.52 Das hatte unter anderem zur Folge, dass in Kollegial organen nicht mehr abgestimmt werden durfte. Der Rektor konnte, assistiert von je einem Vertreter der nationalsozialistischen Dozenten- und Studentenschaft, aus eigener Machtvollkommenheit Beschlüsse fassen, es sei denn, er wurde vom Ministerium in seiner Freiheit eingeschränkt.53 Nicht bei allen Welthandel-Professoren stieß die Abschaffung der kollegialen Mitbestimmungspraxis auf helle Freude, wie sich bald herausstellen sollte. Als im Juni über den Habilitationsantrag von Reinhard Kamitz – dem späteren Finanzminister der Zweiten Republik – zu befinden war, vertraten einige von ihnen den Standpunkt, der alte Brauch einer Abstimmung im Kollegium solle wiederbelebt werden. Sie holten sich allerdings beim amtierenden Führer-Rektor eine kalte Abfuhr.54 Was die ‚Judenfrage‘ betraf, war erst am 23. April ein Erlass des Ministeriums Menghin ergangen, der den Zugang von Juden zu den Universitäts- und Hochschulstudien regelte. In dem Erlass hieß es, dass ein Numerus clausus von zwei Prozent für jüdische Studienwerber gelten sollte, vorausgesetzt, dass bei einer solchen Quote keine ‚arischen‘ Aspiranten auf Studienplätze verzichten mussten.55 Mit dieser Zusatzbedingung schien faktisch die Hintertür für einen kompletten Ausschluss der Juden von den Hochschulen geöffnet. In Dietrichs Interpretation vor dem Professorenkollegium hörte sich die Sache weniger dramatisch an. Der Rektor erklärte, „dass den inländischen Juden höherer Semester die Möglichkeit zur Beendigung ihres Studiums und den ausländischen Juden die Möglichkeit des Studiums überhaupt gewährleistet werden [sollte]. Eine Neuinskription von inländischen Juden in diesem Semester [sollte] nicht stattfinden, vom Wintersemester [an] aber ein numerus clausus von zwei Prozent in Aussicht genommen werden.“56 Die Aufnahme oder Ablehnung jüdischer Studierender im Rahmen der neuen Quotenregelung fiel laut Ministerial erlass in die Kompetenz des Rektors, der aufgrund von an ihn gerichteten Einzelansuchen zu entscheiden hatte.
52 Der Führer-Rektor hatte seinerseits seinen Stellvertreter und die Dekane der Fakultäten auszuwählen und zu ernennen. 53 Vgl. Heiber, Universität, II/1, S. 263. 54 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 153/1938, Juni 1938. 55 Vgl. Lichtenberger-Fenz, Österreichs Universitäten, S. 76. 56 WUW-AR, Präs. Zl. 46/1938, Verhandlungsschrift der Sitzung des Professorenkollegiums, 25. April 1938, Bl. 2 f.
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Pläne der deutschen Hochschulverwaltung zur Schließung der Hochschule für Welthandel – der Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien
Nach Abschluss der personellen ‚Säuberungen‘ an den Universitäten schien es nur eine Frage der Zeit, bis sich die nationalsozialistischen Wissenschaftsbehörden dem studienplantechnischen und organisatorischen Einbau von Österreichs Hochschulen in die Bildungslandschaft des ‚Großdeutschen Reiches‘ zuwenden würden. Tatsächlich stand seit Mitte 1938 dieses Ziel im Vordergrund, wobei sich das Verhältnis zwischen österreichischen und reichsdeutschen ‚Reformern‘ ähnlich entwickelte wie die Beziehung zwischen den ostmärkischen und deutschen Nationalsozialisten im Allgemeinen. Anfangs war das Engagement der Österreicher für die Sache der Vereinheitlichung sehr groß. Als sie merkten, dass von einer Wahrung ihrer Traditionen oder gar von deren Export ins ‚Altreich‘ keine Rede sein konnte, kühlte die Begeisterung rasch ab. Anfang Juli 1938 reiste der Rektor der ‚Welthandel‘ im Auftrag des österreichischen Ministers für Wirtschaft, Arbeit und Finanzen, Hans Fischböck, nach Berlin, um sich an der dortigen Wirtschaftshochschule über die Studienverhältnisse und Lehrinhalte informieren zu lassen. Zuvor waren Dietrich und der Staatskommissar für innere und kulturelle Angelegenheiten Plattner – in dessen Zuständigkeit die ostmärkischen Hochschulen fielen – gesprächsweise übereingekommen, dass Berlin prinzipiell als Muster für die Umorganisation der Hochschule für Welthandel dienen sollte, dass jedoch „die Eigenart der österreichischen Wirtschaftshochschule mit der Blickrichtung nach dem Süd-Osten besonders herausgearbeitet werden [möge].“57 Von Beginn an setzte man in Wien also bewusst auf die Karte des deutschen Ost-Imperialismus. Die Resultate, die Dietrich aus Berlin mitbrachte, waren durchaus ermutigend. Am 11. Juli berichtete er seinen Professorenkollegen von der bevorstehenden Übernahme der Bestimmungen des in Deutschland geltenden Wirtschaftsstudienplanes. Das sechssemestrige Studium würde fortan in zwei Teile zerfallen, einen ersten Abschnitt von zwei Semestern zur Vermittlung der „völkischen Grundlagen der Wissenschaft“58 (Eckardt’scher Grundplan) und einen zweiten Abschnitt, in welchem die Studierenden zunächst mehrere Klausuren aus den kaufmännischen Fächern ablegen mussten, ehe sie sich – ohne weitere Zwischenprüfungen – auf die Diplomprüfung vorbereiten durften. Was die Vorlesungen und Übungen des zweiten, relativ frei 57 WUW-AR, Präs. Zl. 174/1938, Bericht von Rektor Dietrich über Vorarbeiten bzw. Verhandlungen an der Wirtschaftshochschule Berlin vom 8. Juli 1938. 58 Vgl. auch Karl Oberparleiter, Geschichte der Exportakademie und der Hochschule für Welthandel, in: 50 Jahre Hochschule für Welthandel, S. 20.
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gestaltbaren Abschnittes betraf, so sollten diese, so Dietrich, „genügend Gelegenheit geben, um alle berechtigten Forderungen und Wünsche nach Herausarbeitung der besonderen Eigenart der Hochschule für Welthandel und ihrer Leistung als Brücke Großdeutschlands nach dem Süd-Osten“ zu erfüllen. Durch die Einrichtung spezieller Lehrveranstaltungen für künftige Osthandelskaufleute hoffte man, langfristig 500 bis 600 Studenten aus dem ‚Altreich‘ dazugewinnen zu können. Die Anerkennung des Titels Diplomkaufmann als akademischer Grad, die dort noch ausstand, sei vom Reichserziehungsministerium bereits in die Wege geleitet worden, versicherte der Rektor, der gleich die Gelegenheit beim Schopf packte, das österreichische Innenministerium um eine Blankovollmacht zur Durchführung (und nicht bloß zur Vorbereitung) des neuen Studienplans zu ersuchen. Wie sich bald zeigen sollte, hatte man im Reichserziehungsministerium Berlin ganz andere Dinge mit der Hochschule für Welthandel vor. Mitte November 1938 verdichteten sich die Gerüchte, dass „maßgebliche Reichsstellen“ beabsichtigten, die einzige wirtschaftswissenschaftliche Ausbildungsstätte der ‚Ostmark‘ kurzerhand zu schließen – „durch Versagung von Reichsmitteln dem Absterben zuzuführen“, wie es in einem gemeinsamen Protestschreiben von Rektor, Prorektor und Dozentenschaftsführer der Hochschule für Welthandel an Minister Rust hieß.59 Eine eilig anberaumte Unterredung mit Staatskommissar Plattner am 23. November, an der vonseiten der Hochschule für Welthandel außer Dietrich auch Dozentenschaftsführer Kurt Knoll und der Führer der NS-Studentenschaft Otto Schimpf teilnahmen, brachte eine Klärung des Sachverhalts. Von den vier theoretischen Möglichkeiten, (1) Auflassung der Hochschule von Reichs wegen, (2) Beibehaltung der Hochschule als Vereinsinstitution mit Privatfinanzierung und verbeamtetem Personal, (3) Beibehaltung der Hochschule als Reichseinrichtung mit staatlicher Finanzierung und (4) Umwandlung der Hochschule für Welthandel in eine Wirtschaftsfakultät der Universität Wien, galt die vierte als die wahrscheinlichste. Die endgültige Entscheidung würde allerdings, so Plattner, erst „mit der Aufstellung des Reichsetats von Berlin aus fallen“.60 An der Hochschule für Welthandel war man über die Aussicht, Teil der Alma mater Vindobonensis zu werden, ebenso entsetzt wie über die Schließungsgerüchte. Die Verteidigungsstrategie, die vom Rektorat eingeschlagen wurde, bestand in wiederholten Appellen an Staats- und Parteistellen, die Bedeutung der Hochschule für Welthandel als östlichster Vorposten der Handelswissenschaften im Reich nicht zu 59 WUW-AR, Präs. Zl. 322/1938, Dietrich, Dörfel und Knoll an den Reichserziehungsminister vom 17. November 1938. 60 WUW-AR, Präs. Zl. 322/1938, Amtsvermerk über die Unterredung beim Staatskommissar für innere und kulturelle Angelegenheiten am 23. November 1938.
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unterschätzen. Speziell die Partei versuchte man mit dem Argument zu ködern, dass ein Aufgehen der ‚Welthandel‘ in der viel größeren Universität Wien die Beeinflussung der akademischen Jugend im nationalsozialistischen Sinne unnötig verkomplizieren würde: „Ist doch schon mehrfach von parteilicher wie auch von staatlicher Seite zum Ausdruck gebracht worden, daß die weltanschauliche […] Ausrichtung der Hörerschaft gerade an den ganz großen Hochschulen und Universitäten am schwierigsten zu erreichen sei.“61 Offenbar verfehlten solche Hinweise ihre Wirkung nicht. Am 15. Dezember erklärte sich der Reichsfinanzminister in einem Schreiben an seinen für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zuständigen Amtskollegen grundsätzlich bereit, alle Kosten der Hochschule für Welthandel in Wien (falls sie weitergeführt würde) in das Reichsbudget zu übernehmen. Anfang 1939 forderte das Reichserziehungsministerium von der Hochschule für Welthandel einen „selbständigen Finanzplan“ zum Einbau in den Reichsetat an, der am 16. Januar abgeliefert wurde. Dietrich wurde von Staatskommissar Plattner am 6. Februar 1939 offiziell verständigt, dass die Hochschule für Welthandel fortbestehen und beginnend mit 1. April 1939 eine Reichsinstitution sein würde. Damit wurde die Konstruktion eines Kuratoriums und Vereins Hochschule für Welthandel hinfällig. Nachdem die Nazis den Verein bereits im Gefolge des ‚Anschlusses‘ unter kommissarische Verwaltung gestellt und de facto entmachtet hatten, brauchte er jetzt nur noch formell liquidiert zu werden, was durch ein Schreiben des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände an Rektor Dietrich62 vom 17. März 1939 geschah. Nicht ganz sechs Monate später kam die Frage der Verschmelzung der Welthandelshochschule mit der Universität Wien etwas überraschend noch einmal auf die Tagesordnung, und zwar im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch am 1. September 1939, der zur zeitweiligen Schließung aller Universitäten und Hochschulen des ‚Dritten Reiches‘ führte. Als sich das rasche Ende des Polenfeldzuges abzuzeichnen begann, gestatteten die zuständigen Stellen der Wehrmacht, der Staatsbürokratie und der Partei die schrittweise Wiederaufnahme des Hochschulunterrichts, zunächst in den weiter vom Kriegsschauplatz entfernten Universitätsorten. Durch einen Erlass des Reichserziehungsministeriums vom 27. September wurde auch die Sperre der ‚Welthandel‘ aufgehoben, zugleich aber verfügt, dass sie ihren Lehr- und For-
61 WUW-AR, Präs. Zl. 322/1938, Dietrich, Dörfel und Knoll an den Reichserziehungsminister vom 17. November 1938. 62 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 273/1939, Reichsamtsleiter Hoffmann an Rektor Dietrich vom 17. März 1939. Sinnigerweise fungierte Dietrich ab September 1938 im Auftrag des Gauleiters von Wien als kommissarischer Leiter des Hochschulvereins; vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 237/1938, Bestätigung Nr. 232 vom 3. September 1938.
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schungsbetrieb im Rahmen der Universität Wien fortzusetzen hatte.63 Dem gerade in Berlin weilenden Dozentenbundführer der Hochschule für Welthandel, Leopold Mayer, wurde die Auskunft erteilt, es handle sich dabei nur um eine kriegsbedingte Übergangsmaßnahme, die dauernde Eingliederung der Hochschule in die Wiener Universität sei nicht geplant.64 Insbesondere würde der Hochschule für Welthandel das Gebäude am Währinger Park belassen werden, „Bibliothek, Kanzleibetrieb und geldliche Gebarung“ sollten wie bisher weiterlaufen. Daraufhin trafen der Rektor der Universität, Fritz Knoll, und der Prorektor der ‚Welthandel‘, Franz Dörfel, am 3. Oktober eine vorläufige Vereinbarung des Inhalts, dass die Inskriptionen für das kaufmännische Studium wie bisher in den Räumlichkeiten der Hochschule für Welthandel stattfinden sollten. Sichtbare Veränderungen im Unterrichts- und Prüfungswesen sollten durch die formale Zusammenlegung der beiden Hochschulen nicht eintreten.65 Die Studenten spürten nur eine einzige Neuerung: die Einführung von Trimestern anstelle der bisher üblichen Semestereinteilung des Studienjahres. Mit dieser das ganze Reichsgebiet umfassenden Regelung beabsichtigte man, Kriegsteilnehmern den Besuch von Lehrveranstaltungen und die Ablegung von Prüfungen zu erleichtern. Als der angestrebte Effekt ausblieb, wurde die Trimestereinteilung im Sommer 1941 wieder aufgegeben.66 Die Begleitumstände, unter denen die Hochschule für Welthandel schon im Dezember 1939 ihre volle Selbstständigkeit wiedererlangte, entbehrten nicht der Skurrilität. Gegen Rektor Bruno Dietrich war während des Sommers eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet worden, zu der diverse Anschuldigungen seines Professorenkollegen am Geografie-Institut, Hermann Leiter, Anlass gegeben hatten. Leiter warf Dietrich unter anderem „merkwürdige Abrechnungen von Institutsgeld“, Missgriffe bei der Verwaltung der geografischen Bibliothek und die Benützung einer hochschuleigenen Erika-Schreibmaschine für ausschließlich private Zwecke vor.67 Später kulminierten seine (wahrscheinlich durch ein Gefühl der ungerechtfertigten fachlichen Zurücksetzung motivierten) Attacken im Vorwurf, Dietrich habe sich von einem jüdischen Arzt unentgeltlich behandeln lassen – worauf der Angegriffene seinerseits Leiter des unstatthaften Umgangs mit Juden, Sozialisten und Klerikalen be63 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 321/1939, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 27. September 1939. 64 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 501/1939, Dozentenbundführer Mayer an Prorektor Dörfel vom 28. September 1939. 65 Vgl. WUW-AR, Gz. 219 aus 1939/40, Protokoll über eine Besprechung zwischen dem Rektor der Universität Wien und dem Prorektor der Hochschule für Welthandel vom 3. Oktober 1939. 66 Vgl. Lichtenberger-Fenz, Österreichs Hochschulen, S. 280. 67 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Bruno Dietrich, Stellungnahme von Rektor Kurt Knoll.
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zichtigte. Wie auch immer, Dietrich sah sich nach der Beschäftigung höchster Partei gerichtsinstanzen mit seinem ‚Fall‘ genötigt, die aktive Ausübung seines Rektorats niederzulegen und seine Funktionen auf den Prorektor, Franz Dörfel, zu übertragen. Dörfel war es denn auch, der im September die administrative Vereinigung der Hochschule für Welthandel mit der Universität Wien zur Kenntnis nehmen musste. Dass er nicht auf unbegrenzte Zeit als Rektor amtieren würde können, stand von vornherein fest. Ein neuer Führer-Rektor musste über kurz oder lang vom Reichs erziehungsministerium ernannt werden. Das geschah am 23. Oktober 1939, mit welchem Tag Minister Rust den Professor für Englische Sprache Kurt Knoll zum „endgültigen Rektor der Hochschule für Welthandel“ berief (Dietrich hatte, wie wir wissen, nur ‚kommissarisch‘ fungiert). Durch die Bestellung eines Rector magnificus hatte das Reichserziehungsministerium zugleich aber auch klargemacht, dass die ‚Welthandel‘ keine Fakultät einer anderen Hochschule sein konnte – denn Fakultäten wurden nicht von Rektoren, sondern von Dekanen geleitet. Aufgrund dieses Umstands stellten die Wiener Universität und die Hochschule für Welthandel in einer gemeinsamen Erklärung, die vom Reichserziehungsministerium nicht beeinsprucht wurde, fest, dass ihre administrative Verbindung mit 31. Dezember 1939 auslief.68 Vom 1. Januar 1940 bis zum Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ im Mai 1945 genoss die Hochschule für Welthandel unangefochten einen autonomen Status. Mit dem, was man gewöhnlich unter Hochschulautonomie versteht, nämlich der Unabhängigkeit akademischer Bildungsstätten von staatlichen Instanzen, hatte dieser Zustand jedoch nichts gemein. Eine Verordnung der Reichsregierung unterstellte im Gegenteil die Hochschule für Welthandel mit Wirkung vom 1. Februar 1940 unmittelbar dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Dieser betraute seinerseits den früheren Universitätskurator von Breslau, Walter von Boeckmann, mit der kommissarischen Stelle eines Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, folglich auch der Hochschule für Welthandel. Am 14. Februar 1940 stellte sich der designierte Kurator brieflich bei Rektor Knoll vor und bat diesen schon einmal vorsorglich, in Hinkunft allen Schriftverkehr mit dem Reichserziehungsministerium in Berlin nur über seine Dienststelle zu führen.69 Die endgültige, feierliche Amtseinführung Boeckmanns fand am 6. November 1940 statt. Bei dieser Gelegenheit hielt Minister Rust, der eigens nach Wien gekommen war, eine Rede.70 Für alle Rektoren der Wiener Hochschulen, nicht nur für Kurt Knoll, bedeutete die Übertragung der im ‚Altreich‘, insbesondere in Preußen, traditionellen Einrichtung 68 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 416/1939. 69 Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 103/1940, Kurator Boeckmann an Rektor Knoll vom 14. Februar 1940. 70 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 615.
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des Kurators auf die ‚Ostmark‘ einen Affront. Gerade erst zu Führern der Universität avanciert, sollten sie ihre administrativen Kompetenzen jetzt auf wissenschaftliche Belange beschränken und die sozusagen technische Verwaltung ihrer Häuser Boeckmann überlassen. Zu dessen Agenden gehörte unter anderem die Dienstaufsicht höchster Instanz über das Hochschulpersonal, die Ausübung des Rechts zur Ernennung von Beamten und zur Beendigung solcher Dienstverhältnisse, die Aufsicht über das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen der Hochschulen, die „gesamte äußere Verwaltung der Institute, Seminare, Kliniken und sonstigen Anstalten“ sowie die Leitung der universitären Gebäude- und Vermögensverwaltung.71 Gegen diese Machtkonzentration erhob sich schon im Vorfeld der Vereidigung Boeckmanns, im Oktober 1940, koordinierter Widerstand der österreichischen Rektorenschaft, der neun Monate später, im Juli 1941, in der Abfassung einer gemeinsamen Eingabe an das Reichserziehungsministerium gipfelte.72 Darin machten die Beschwerdeführer geltend, dass die alte österreichische Praxis der Immediatstellung von Rektoren und Professoren gegenüber dem Unterrichtsministerium viel weniger Kosten verursacht habe als das neue Kuratorenamt und dass anstelle einer zweigleisigen Hochschulverwaltung (der Rektor als wissenschaftlicher, der Kurator als dienstrechtlicher Vorgesetzter der Hochschulangehörigen) ein Zustand angestrebt werden sollte, der dem Kurator bloß erlaubte, „die Dienstaufsicht zu führen […] ohne selbst zu verwalten“, während der Rektor als verantwortlicher Führer der Hochschule agieren sollte, idealerweise unterstützt durch einen jeder Hochschule beizuordnenden akademisch gebildeten Verwaltungsfachmann, vergleichbar „dem Sekretär, Generalsekretär oder Verwaltungsdirektor“ in kommerziell orientierten Betrieben. In einer Begleitnotiz zur Durchschrift des rektoralen Protestbriefes, die an Kurator Boeckmann übersandt wurde, betonten die Verfasser ihr gutes persönliches Verhältnis mit ihm und gaben sich zuversichtlich, „daß Sie unsere Gründe anerkennen, wenn es Ihnen in Ihrer besonderen Stellung auch nicht zugemutet werden kann, sich unseren Folgerungen anzuschließen“.73 Überflüssig zu sagen, dass Boeckmann die Position der Rektoren natürlich ebenso wenig anerkannte wie die Beamten des Reichserziehungsministeriums, die im Oktober 1941 die Verteidigung des Kurators 71 WUW-AR, Präs. Zl. 38/1940, Rektor Knoll an die Gefolgschaftsangehörigen der Hochschule vom 2. Februar 1940. 72 WUW-AR, Präs. Zl. 322/1938, Dietrich, Dörfel und Knoll an den Reichserziehungsminister vom 17. November 1938. Vgl. WUW-AR, Präs. Zl. 326/1941, Die Rektoren der wissenschaftlichen Hochschulen Wiens an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 18. Juli 1941. 73 WUW-AR, Präs. Zl. 326/1941, Der Rektor der Technischen Hochschule namens der Rektoren der wissenschaftlichen Hochschulen Wiens an den Kurator vom 28. Juli 1941.
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in die Hand nahmen.74 Anlässlich einer Aussprache in Berlin wurde Kurt Knoll, dem Sprecher des Wiener Rektorenquintetts,75 und seinen mit anwesenden Amtskollegen unmissverständlich klargemacht, dass sich weder an der Trennung der Hochschulverwaltung in einen wissenschaftlichen und einen administrativen Bereich noch an der Stellung Boeckmanns als lokaler Vertreter des Ministers etwas ändern ließ. Der Kurator übte sein Amt von da an ungehindert aus, und zwar bis zur Zerstörung seines Büros im Wiener Philippshof durch den Bombenangriff vom 12. März 1945. Albert Müller hat in einem ausführlichen Resümee des Hochschulkonflikts von 1940/41 das dahintersteckende „Kerndilemma“ der Österreicher identifiziert.76 Sie sahen sich als Träger bewahrenswerter partikularer Kulturtraditionen innerhalb des Deutschen Reiches, in das ihre Heimat im März 1938 „freiwillig zurückgekehrt“ war; zugleich waren ihre deutschen „Brüder“ immer weniger bereit, ihnen die angestrebte Sonderrolle zuzugestehen. Aus der daraus resultierenden Missstimmung nährten sich gewisse nostalgische Österreich-Reminiszenzen, die man aber kaum als Ansätze echter Widerstandsgesinnung betrachten wird dürfen. Zwischen stiller Anpassung und Fanatismus: die Professoren der ‚Welthandel‘ in den Kriegsjahren
Schon vor 1938 war die Hochschule für Welthandel gelegentlich spöttisch „eine Filiale des Dritten Reiches“ genannt worden.77 Nach ihrer endgültigen Umwandlung in eine deutsche Reichshochschule im Februar 1940 ließ Reichserziehungsminister Rust Rektor Knoll ausrichten, dass er von allen Angehörigen der ‚Hochschulgefolgschaft‘ bedingungslosen Einsatz für die Ziele des Nationalsozialismus erwarte. Wurde die ‚Welthandel‘ in den Kriegsjahren den Ansprüchen der Machthaber gerecht? Wahrscheinlich lässt sich die Frage überhaupt nur dann sinnvoll beantworten, wenn man zwischen dem individuellen Verhalten der einzelnen wissenschaftlichen Mitarbeiter und dem quasi institutionellen Beitrag der Hochschule zur Festigung des NS-Systems unterscheidet. Auf der persönlichen Ebene ist wiederum eine Unterscheidung zu treffen: Es gab die Praxis der unauffälligen Anpassung, deren Resultate das Regime – mehr oder weniger gewollt – begünstigten. Zugleich legte sich jene „Clique von politisierenden und politisierten NS-Professoren (und) Dozenten“, von der anfangs 74 Vgl. Heiber, Universität, II/1, S. 414 f. 75 Bestehend aus den Magnifizenzen der Universität Wien, der Technischen Hochschule, der Veterinärmedizin, der Hochschule für Bodenkultur und der ‚Welthandel‘. 76 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 616. 77 Die Hochschule für Welthandel: Eine Filiale des Dritten Reiches, in: Der Morgen vom 29. Mai 1933.
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schon die Rede war, enorm ins Zeug, um die Hochschule für Welthandel ganz bewusst zum Bollwerk der Hakenkreuzideologie am Ostrand Deutschlands zu machen. Von Marc Bloch stammt das Diktum, dass moralisierende Geschichtsschreibung schlechte Geschichtsschreibung sei. In der Tat muss man sich davor hüten, die Motive jener Welthandel-Professoren leichtfertig abzuqualifizieren, die unter der Naziherrschaft business as usual betrieben und augenscheinlich als gute Untertanen der Diktatur gelten wollten. Oft waren wirtschaftliche Erwägungen für so eine Haltung verantwortlich, manchmal auch der Wunsch, die Behörden von familiären Umständen abzulenken, die zumindest latent eine existenzielle Bedrohung darstellten. Ein besonders komplexer Fall war der des zweifachen Rektors der Schuschnigg-Ära und Professors der Betriebswirtschaftslehre, Franz Dörfel. 1897 im böhmischen Komotau geboren, absolvierte Dörfel die idealtypische Bildungslaufbahn eines ‚grenzlanddeutschen‘ Bürgerkindes. Auf den Besuch der Handelsakademie in Aussig folgte das Studium an der Handelshochschule Leipzig, gekrönt durch den Erwerb eines staatswissenschaftlichen Doktorats der Universität Tübingen. Beruflich war Dörfel zunächst in Olmütz engagiert, als Lehrer an der dortigen Handelsakademie. 1908 wechselte er in gleicher Funktion nach Wien, um dort 1921 als Extraordinarius an die Hochschule für Welthandel geholt zu werden. Ab 1931 fungierte er als Vorstand des Instituts für Fremdenverkehrs- und Versicherungswesen. Das war insofern eine strategisch sensible Position, als der Tourismus zu den Hoffnungsträgern der österreichischen Wirtschaftspolitiker der Depressionszeit zählte und zugleich jener Zweig der Volkswirtschaft war, durch dessen Schädigung die deutschen Nazis ab 1933 (‚Tausendmarksperre‘) den Sturz der Regierung in Wien herbeiführen wollten. Dörfel exponierte sich politisch nicht allzu sehr. Im April 1934 trat er, weil es der Belegschaft der Hochschule für Welthandel korporativ abverlangt wurde, der Vaterländischen Front bei. Er unterhielt Beziehungen zu regierungsnahen Persönlichkeiten und galt als guter Katholik. Seine Tochter heiratete allerdings, was die Nazis sehr wohl vermerkten, einen Juden.78 Genau zwölf Monate nachdem Österreich Bestandteil des Großdeutschen Reiches geworden war, reichte Dörfel ein Gesuch um Aufnahme in die NSDAP ein. Es wurde vom Wiener Gaupersonalamt, mit einer unterstützenden Stellungnahme versehen, an die NSDAP-Reichsleitung in München weitergeleitet. Am l. Juli 1940 bekam der Antragsteller die vorläufige Mitgliedsnummer 8.119.084 zugewiesen, allerdings gegen den aktenkundigen Widerstand der für seine Wohnadresse zuständigen Kreis parteileitung. Bis März 1943, das heißt ungewöhnlich lang, blieb das Aufnahmeverfahren in Schwebe. Zu diesem Zeitpunkt entschloss man sich in der Münchner 78 Vgl. ÖStA/AdR, Inneres, Gauakt Franz Dörfel.
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NSDAP-Zentrale, Dörfel abzulehnen, offenbar deshalb, weil Bedenken wegen seiner katholischen Orientierung und wegen seiner Duldsamkeit gegenüber dem jüdischen Schwiegersohn nicht ausgeräumt werden konnten. Außer dem Verlust seiner Parteianwärterschaft erwuchsen Dörfel durch die geschilderte Episode jedoch keine Nachteile, und kaum war Österreich wieder selbstständig, profitierte er sogar davon, sich als politisch unbelastet darstellen zu können. Wie schon erwähnt, wählte ihn ein Rumpf-Professorenkollegium der ‚Welthandel‘ am 16. Mai 1945 zum ersten Rector magnificus der Nachkriegsära. Prorektor wurde Karl Oberparleiter, auch er ein Mann der Kompromisse mit dem untergegangenen Regime – obzwar diese Kompromisse im Einzelnen anders aussahen als bei Dörfel. Von allen ‚Koryphäen‘ der Hochschule für Welthandel dürfte der 1886 in Salzburg geborene Oberparleiter am meisten Charisma gehabt haben. Seine Schüler jedenfalls verehrten den Professor der Betriebswirtschaftslehre, dessen Spezialgebiete der Warenhandel, das Kalkulationswesen und die Betriebsstatistik waren, wie es scheint, ohne Ausnahme. In Oberparleiters Personalakt im Österreichischen Staatsarchiv findet sich ein von ihm selbst während des Zweiten Weltkriegs handschriftlich verfasster Lebenslauf. Aus diesem Dokument geht hervor, dass der Sohn eines Salzburger Schlachthofverwalters und Tierarztes nach dem Besuch des Untergymnasiums in Salzburg, der Handelsakademie in Linz und der Exportakademie in Wien zwei Jahre als Volontär bei einer Londoner Handelsfirma gearbeitet hatte, ehe er als unbesoldeter Assistent Josef Hellauers79 an die Exportakademie zurückkehrte. Der Erste Weltkrieg unterbrach eine vielversprechende Jungakademikerkarriere für vier lange Jahre, in deren Verlauf Oberparleiter an der russischen und der Isonzofront kämpfen musste. Unversehrt abgemustert, nahm er noch 1918 die Ernennung zum außerordentlichen Professor entgegen. 1920 wurde er zum Vorstand des Instituts für Welthandelslehre an der Hochschule für Welthandel ernannt und nahm zugleich die Arbeit als beeideter Buchsachverständiger beim Handelsgericht Wien auf, eine Arbeit, die ihm Einblicke in die (und wertvolle Beziehungen zur) Wirtschaftspraxis verschaffte. Auf das Jahr 1924 gingen seine ersten Kontakte zu den Ankerbrotwerken zurück. In diesem riesigen Nahrungsmittelbetrieb des ‚Roten Wien‘ lernte er nach und nach sämtliche Zweige der Geschäftstätigkeit kennen, während er – ausgestattet mit einem Konsulentenvertrag – eine neue Kalkulationsabteilung einrichtete und die Bilanzbuchhaltung reorganisierte. 1929/30 trafen ehrende Berufungsangebote auf Lehrkanzeln in Berlin und Königsberg ein, die er jedoch ablehnte. Oberparleiter 79 Hellauer gilt als einer der Begründer der Betriebswirtschaftslehre im deutschen Sprachraum. Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden mit Berufungen an die Berliner Handelshochschule und später an die Universität Frankfurt am Main honoriert.
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blieb Wien, der ‚Welthandel‘ und den Ankerbrotwerken treu und mehrte als Herausgeber der Zeitschrift Betriebswirtschaftliche Forschungen des Wirtschaftsverkehrs seine wissenschaftliche Reputation. Dann kam der ‚Anschluss‘. Er bedeutete zunächst insofern eine Veränderung von Oberparleiters Lebensumständen, als die neuen Herren Österreichs seine Arbeitskraft in der Wirtschaft viel dringender benötigten als auf der Hochschule. Die Ankerbrotwerke wurden derart gründlich ‚arisiert‘ und von Regimegegnern ‚gesäubert‘, dass kaum noch mit den Betriebsverhältnissen vertraute Personen übrig blieben. Aus diesem Grund forderte die NSDAP-Landesleitung Oberparleiter, der die Firma genauestens kannte, als ‚Betriebsführer‘ an. Heute kann nicht mehr festgestellt werden, ob er Skrupel hatte, dem Ruf zu folgen. Aus seinem an das Welthandel-Rektorat gerichteten Gesuch um einjährige Karenzierung als Hochschullehrer lässt sich ein gewisser Stolz auf das Vertrauen herauslesen, das ihm angesichts der großen, bei Ankerbrot wartenden Reorganisationsaufgaben entgegengebracht wurde.80 Jedoch versagte er sich jede affirmative Äußerung zu den innerbetrieblichen Umwälzungen, die der Umbruch nach sich gezogen hatte, und es ist durchaus möglich, dass seine Bereitschaft, die Ankerbrotwerke ‚an Altreichverhältnisse anzugleichen‘, eher Pflichtgefühl als begeisterter Aufbruchstimmung geschuldet war. Für eine solche Interpretation spricht jedenfalls der Umstand, dass Oberparleiter nach der deutschen Niederlage im Mai 1945 weiter als Berater des (entnazifizierten) Backwarenkonzerns fungieren durfte. Im Januar 1939, noch vor Ablauf seines Karenzurlaubs, zwangen die gesetzlichen Bestimmungen über die ‚Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums‘ Oberparleiter eine Konfrontation mit den nationalsozialistischen Hochschulbehörden auf, die für ihn überraschend glimpflich ausging. Laut der bereits erwähnten Berufsbeamtenverordnung vom 31. Mai 1938 waren Hochschulangehörige verpflichtet, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Ehefrauen den ‚Ariernachweis‘ zu erbringen – was Oberparleiter nicht konnte. Seine Gattin galt nach den Bestimmungen der ‚Nürnberger Gesetze‘ als ‚Mischling zweiten Grades‘. Sobald dieser Umstand zweifelsfrei eruiert war, bat Oberparleiter den Rektor der Hochschule für Welthandel umgehend um seine Versetzung in den dauernden Ruhestand. Das Pensionsgesuch war in einem Ton abgefasst, der die Verbitterung des Antragstellers deutlich durchscheinen ließ. Er erinnerte an seine Verdienste um „den Aufstieg der Hochschule im allgemeinen und den Aufbau der Betriebswirtschaftslehre im besonderen“, verwies auf seinen Einsatz als Frontoffizier im Ersten Weltkrieg und die dabei erworbenen zahlreichen Dekorationen und schloss mit der Bemerkung, er habe wohl ein Anrecht 80 Vgl. WU Wien, Personalabteilung, Personalakt Karl Oberparleiter, Präs. Zl. 188/1938, Karenzierungsgesuch vom 12. Juli 1938.
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darauf, seinen Wunsch nach ehrenhafter Entlassung aus dem Berufsdienst erfüllt zu sehen.81 Aus heute nicht mehr feststellbaren Gründen kam es wochenlang zu keiner Reaktion des sachlich zuständigen Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten in Wien. Am 1. April 1939 ging Oberparleiters Dienstverhältnis bei Ankerbrot zu Ende. Sicherheitshalber bekundete er seine Bereitschaft zur Rückkehr an die Hochschule, „wenn möglich unter Zurückziehung [des] laufenden Gesuches um Pensionierung“.82 Wie es scheint, schloss sich die Behörde der Einschätzung des Welthandel-Rektorats an, dass ein „nicht-arischer Großelter“ (sic) der Ehegattin kein zwingender Pensionierungsgrund sei und daher nichts gegen Oberparleiters Weiterverwendung spreche. Jedenfalls durfte er das Institut für Welthandelslehre bis Kriegsende unbehindert leiten und auch Vorlesungen im Rahmen der Südost-Kurse der Hochschule für Welthandel halten, die uns noch beschäftigen werden. Der NSDAP trat Oberparleiter nie bei. Er war allerdings ab März 1938 Mitglied bei verschiedenen Vorfeldorganisationen der Partei wie dem Reichskriegerbund und der Studentenkampfhilfe. Anders lagen die Dinge bei Oberparleiters Assistenten Max Stadler. 1906 in Probstau (Nordböhmen) geboren, zählte Stadler zusammen mit seinem Fachkollegen Ernst Hatheyer sowie dem Nationalökonomen Arnold Pöschl zu jener Gruppe jüngerer Wissenschaftler, die sich lange vor dem ‚Anschluss‘ voll und ganz der Sache des Nationalsozialismus verschrieben hatten und nach der Machtübernahme erwarten durften, dafür belohnt zu werden. Umgekehrt erwartete sich das NS-Regime gerade von dieser Kategorie ambitionierter akademischer Nachwuchskräfte die wertvollsten Leistungen für den Aufbau einer nationalsozialistischen Gesellschaft – nicht zu Unrecht, wie sich bald zeigte. Im Fall des Max Stadler bestand die Leistung zunächst in der nebenberuflichen Übernahme der Funktion eines Abteilungsleiters der Vermögensverkehrsstelle in Wien. Als solcher war Stadler, wie es in einem amtlichen Erläuterungsschreiben an den Rektor der Hochschule für Welthandel hieß, „mit der Betreuung eines Sektors der Entjudungen in der Ostmark beauftragt“.83 Dasselbe Dokument vermerkt auch den Umstand, dass die Arbeit von Stadlers Abteilung nach einem von ihm selbst entwickelten System durchgeführt wurde und dass sie „einen sowohl theoretisch als auch praktisch vorgebildeten Betriebswirtschafter [erforderte]“. An solchen Leuten herrschte 1938/39 offenbar Mangel, weshalb Stadler zwar an der Hochschule für 81 WUW-AR, Präs. Zl. 38/1939, Oberparleiter an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 18. Januar 1939. 82 WUW-AR, Präs. Zl. 114/1939, Oberparleiter an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 25. März 1939. 83 WU Wien, Personalabteilung, Personalakt Max Stadler, Der Staatskommissar für die Privatwirtschaft an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 3. April 1939.
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Welthandel seine Habilitation anstreben durfte (mit Wirkung vom 30. Juni 1938 wurde ihm die Venia legendi zuerkannt), aber keine Freistellung zwecks Abhaltung von betriebswirtschaftlichen Vorlesungen an der Universität Heidelberg bekam, obwohl ihn das Reichserziehungsministerium im Sommersemester 1939 ausdrücklich für diese Tätigkeit angefordert hatte. Im Mai 1940 betraute der Gauleiter von Wien Stadler mit einer anderen praktischen Aufgabe: der Leitung einer Sektion des Haupternährungsamtes.84 Obzwar ihm zugesichert wurde, wie bisher an der Hochschule für Welthandel unterrichten und forschen zu dürfen, scheint seine kriegswirtschaftlich wichtige Funktion in der Lebensmittelversorgung ein Handicap für den Aufstieg zu höheren universitären Weihen dargestellt zu haben. Stadler verpasste eine Berufungschance als Betriebswirt an die juridische Fakultät der Universität Wien. Hoffnungen auf eine Professur in Nürnberg (an der Hindenburg-Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) oder Berlin (an der Wirtschaftshochschule) zerschlugen sich ebenfalls. Schließlich wurde folgender Ausweg für ihn gefunden: Er übernahm per 1. März 1942 die stellvertretende Leitung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Zagreb und wurde mit Wirkung vom 1. August desselben Jahres in den Rang eines außerordentlichen Reichsprofessors erhoben, sodass er bei allfälliger Rückkehr nach Deutschland das Recht auf Einweisung in eine Planstelle des öffentlichen Dienstes besaß. Im November 1942 schlug eine Berufungskommission der Hochschule für Welthandel Stadler in absentia zum Nachfolger des scheidenden Betriebswirtschafts-Extraordinarius Theodor Ferjancic vor,85 und knapp ein Jahr später erhielt er die Stelle – ohne sie allerdings antreten zu können, weil er zunächst in Zagreb bleiben, später „für besondere Wehrmachtsdienstleistungen“ nach Berlin übersiedeln musste. Erst am 24. April 1945 meldete sich Stadler zum Dienstantritt im inzwischen befreiten Österreich zurück, wo ihn der Staatssekretär für Unterricht in der Provisorischen Staatsregierung, Ernst Fischer, umgehend beurlaubte. Ähnlich wie Stadler setzte Ernst Hatheyer, 1938 unbesoldeter Privatdozent am Institut für Industriebetriebslehre, große Hoffnungen in die Nationalsozialisten. Bis zu deren Machtantritt in Österreich war Hatheyers Karriere nicht besonders zufriedenstellend verlaufen, obwohl er nach dem Erwerb des Titels Diplomkaufmann im Jahr 1928 gleich einen Vertrag als wissenschaftliche Hilfskraft erhalten hatte und dann in rascher Folge an der Universität Bern promoviert und an der Hochschule für Welt84 Vgl. ebd., Der Reichsstatthalter in Wien an den Rektor der Hochschule für Welthandel vom 18. Mai 1940. 85 Vgl. ebd., Der Rektor der Hochschule für Welthandel an den Reichserziehungsminister vom 23. Oktober 1942.
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handel habilitiert worden war. Der ‚Anschluss‘ verbesserte zumindest seine materielle Lage schlagartig. Als Fachmann für Kosten- und Gewinnfragen wurde er vom Staatskommissariat für die Privatwirtschaft „zur Ausführung einer Reihe von staatswichtigen Aufgaben im Zusammenhang mit der Arisierung der ostmärkischen Wirtschaft“ herangezogen. Insbesondere ‚arisierte‘ Hatheyer den Textilkonzern Bunzl & Biach, was ungefähr ein Dreivierteljahr dauerte. In der Folge wurde er zum Dozenten neuer Ordnung – das heißt gemäß der reichsdeutschen Habilitationsnorm – befördert und durfte die Lehrkanzel für Betriebswirtschaftslehre des Kleingewerbes zeitweilig betreuen, die aufgrund der Entlassung des früheren Lehrstuhlinhabers Wilhelm Bouffier aus politischen Gründen verwaist war. Am 7. Januar 1941 musste Hatheyer jedoch zur Wehrmacht einrücken, seine Vertretung im Studienbetrieb übernahm Prof. Leopold Mayer, auch er ein früherer illegaler Nationalsozialist. Mayer und Rektor Knoll beantragten im Februar 1942 gemeinsam Hatheyers Ernennung zum planmäßigen Extraordinarius der Hochschule für Welthandel und seine Beurlaubung vom Kriegsdienst, die tatsächlich gewährt wurde. Hatheyer fungierte bis zu seiner Entlassung 1945 als Direktor eines Instituts für Handwerkswirtschaft an der Hochschule für Welthandel.86 Später bemühte er sich um die Wiedereinsetzung ins akademische Lehramt, doch wurde ihm signalisiert, dass dafür ein Berufungsvorschlag des Professorenkollegiums einer Universität oder Hochschule unabdingbare Voraussetzung sei. Bis 1957 wurde Hatheyer nicht ‚wiederverwendet‘, dann verliert sich seine Spur in den Archiven. Der letzte junge ‚Radikale‘, von dem hier die Rede sein soll, ist Arnold Pöschl, Spross einer Grazer Akademikerfamilie (der Vater war zeitweise Dekan der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz). 1910 zur Welt gekommen, war Pöschl allem Anschein nach ein sehr begabter Schüler und Student, aber auch glühender Nationalsozialist. Er gehörte der NSDAP bereits an, als diese in Österreich noch legal war, und bekleidete zum Zeitpunkt des Parteiverbots am 19. Juni 1933 die Funktion eines Bezirksredners für Graz und Umgebung. Außerdem war er Mitglied der rechtspolitischen Abteilung der Gauleitung Steiermark. Nach dem ‚Anschluss‘ gab er an, von der Regierung Dollfuß–Schuschnigg aufgrund seiner politischen Überzeugungen um die Zulassung zur Gerichtspraxis, die normalerweise auf das Jusstudium folgte, betrogen worden zu sein. Was immer der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung gewesen sein mag, jedenfalls nutzte Pöschl die Zeit von 1932 (dem Zeitpunkt seiner Promotion zum Doktor der Rechte) bis 1938 sehr effizient. Zunächst erwarb er ein zweites Doktorat (aus Staatswissenschaft), nach Vorlage einer Dissertation über Gottfried Feders Geldtheorien. Dann profitierte er von einem 86 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Ernst Hatheyer.
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Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft Berlin und verfasste eine Habilitationsschrift, die er 1938 nicht an seiner Heimatuniversität in Graz, sondern in Innsbruck einreichte, um jeden Anschein der Protektion durch seinen Vater, den Dekan, zu vermeiden. Ab 1934 zeigte Pöschl besonderes Interesse für Wirtschaftsfragen, insbesondere für die rheinisch-westfälische Industrie, für den deutschen Vierjahresplan und die Kolonialpolitik. 1939 ernannte ihn die nationalsozialistische österreichische Hochschulbehörde zum Dozenten neuer Ordnung mit Diäten und erteilte ihm den Auftrag zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen aus Volkswirtschaftstheorie und -politik sowie Finanzwissenschaft an der Universität Graz.87 Unterdessen waren an der Hochschule für Welthandel durch den erzwungenen Abgang von Heinrich und Kerschagl zwei Planposten für Volkswirtschaftsprofessoren frei geworden. Im Protokoll der Sitzung des Professorenkollegiums vom 11. Juli 1938 tauchte zum ersten Mal Pöschl als einer der aussichtsreichen Kandidaten für die Nachfolge Kerschagl auf.88 Im Dezember 1939 war er auch als Anwärter auf die Stelle Heinrichs im Gespräch, doch setzte sich schließlich der Breslauer Professor Nöll von der Nahmer durch, den eine Berufungskommission der Hochschule für Welthandel an die Spitze eines Ternavorschlags gesetzt hatte. Im Oktober 1941 bekam Pöschl sein ersehntes Welthandel-Extraordinariat, allerdings hielt er schon seit 25. Januar 1940 im Haus am Währinger Park Volkswirtschaftslehre-Vorlesungen ab. Gleichfalls im Oktober 1941 wurde dem Zuzügler aus Graz der Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte vertretungsweise überlassen; er war vakant, seit man den Nazigegner Arnold Winkler im März 1938 entlassen hatte. Pöschl bezog eine Wohnung in unmittelbarer Nähe seines Dienstortes, in der Döblinger Hauptstraße 73. Von der Hochschule erhielt er einen Instandsetzungsbeitrag von 344 Reichsmark, aufgrund eines ‚bautechnischen Gutachtens‘, das die Notwendigkeit von Sanierungs- und Reinigungsarbeiten nach der Ausquartierung jüdischer Vormieter bestätigte. Die Freude an der renovierten Wohnung währte jedoch nicht lange: 1942 bekam Pöschl seinen Einberufungsbefehl zur Marine nach Kiel. Das Kriegsende erlebte er in Prag, im Rang eines Oberleutnants der Reserve. An die Welthandelshochschule konnte er nicht zurück; dort war er als illegaler Nationalsozialist aller Funktionen enthoben worden. Später teilte das Rektorat der Hochschule für Welthandel ihm auf eine diesbezügliche Anfrage mit, die Reaktivierung der Venia docendi könne nur dort erfolgen, wo sie das erste Mal erteilt worden sei – im konkreten Fall war das Innsbruck. Schließlich beendete Pöschl seine universitäre Karriere aber in Salzburg, wo er an der Rechtsfakultät der Universität zuletzt (in den 87 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Arnold Pöschl. 88 WUW-AR, Präs. Zl. 187/1938, Sitzungsprotokoll des Professorenkollegiums vom 11. Juli 1938.
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1960er Jahren) über Ausgewählte Themen der ökonomischen Aspekte der Rechts- und Staatsphilosophie in Gegenwart und Vergangenheit las.89 „Für die Neuordnung Europas“: die Hochschule für Welthandel im Dienste der deutschen Ostexpansion
An verschiedenen Stellen dieses Beitrags wurde schon von Kurt Knoll gesprochen, dem am längsten amtierenden Welthandel-Rektor der NS-Ära (23. Oktober 1939 bis 1. November 1944). Die Persönlichkeit dieses Mannes verdient insofern etwas mehr Aufmerksamkeit, als es seine Ideen und Initiativen waren, die das fachliche und politische Profil der Hochschule in den Kriegsjahren prägten. Knoll war mit Sicherheit der einfluss reichste Nationalsozialist im Professorenkollegium der ‚Welthandel‘ und wahrscheinlich einer der überzeugtesten. Geboren 1889 in Parschnitz im böhmischen Bezirk Trautenau, teilte er mit Kollegen wie Stadler und Abb. 2: Rektor Kurt Knoll in der Uniform eines SSDörfel die Erfahrung einer deutschen Standartenführers auf einem Gemälde von Rudolf Kinderstube in mehrheitlich fremdSchilbach aus dem Jahr 1943. sprachiger Umgebung. Er maturierte 1907 mit Auszeichnung in Trautenau, um anschließend an den Universitäten Wien, Prag und Göttingen Germanistik, Anglistik und Romanistik zu studieren. Auslandsaufenthalte in Frankreich und England (in London absolvierte Knoll eine zweijährige kaufmännische Praxis als Volontär der Kommissionsfirma Beacroft) rundeten seine Ausbildung ab. Im Mai 1913 promovierte Knoll zum Dr. phil. der Universität Wien. Dann arbeitete er als Lehrer, zunächst an der k. k. Staatsrealschule Wien XIX, später im renommierten Vereins-Realgymnasium im 18. Bezirk. Sein Kriegsdienst 1914 als Einjährig-Freiwilliger währte nur kurz, weil er nach vier Monaten dienstuntauglich geschrieben wurde. 1916 wurde ihm die Aufnahme in den Landsturm verwehrt. 89 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Arnold Pöschl.
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Ab 1921 unterrichtete Knoll als Honorardozent am Englischinstitut der Hochschule für Welthandel, zehn Jahre später schaffte er den Sprung zum planmäßigen Extraordinarius. Das Ordinariat für Englische Sprache an der Hochschule für Welthandel wurde in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise gestrichen, sodass erst die Nationalsozialisten ihrem treuen Gefolgsmann die Freude der Ernennung zum ordentlichen Professor machen konnten. Die Mittel für Knolls neuen Dienstposten wurden durch die Auflösung zweier Lehrkanzeln für katholische Theologie in Innsbruck respektive Salzburg disponibel gemacht. Knolls politische Laufbahn begann, sieht man von seiner Mitgliedschaft bei der Großdeutschen Volkspartei in den Jahren 1920 bis 1929 ab, mit dem Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933. An der Hochschule für Welthandel fungierte er zunächst illegal und ab dem ‚Anschluss‘ offiziell als NS-Dozentenbundführer. Ab Juni 1939 bekleidete er das Amt des Gaudozentenführers. Im September 1938 wurde er in die SS aufgenommen. Außerdem war er Mitglied zahlreicher NSDAP-Vorfeldorganisationen und einer waffentragenden Studentenverbindung. Am 1. September 1944 zeichnete ihn Hitler mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse aus – für seine Leistungen als Gaudozentenführer. Diese Auszeichnung dürfte allerdings eine Art Trost für den bevorstehenden Verlust der Rektorswürde gewesen sein, die Knoll im November nach einigem Widerstand an Leopold Mayer abgeben musste. Solange Knoll für die wissenschaftliche Ausrichtung und den Lehrplan der ‚Welthandel‘ verantwortlich zeichnete, galt seine Hauptsorge der Erfüllung des Auftrags von Reichserziehungsminister Rust, die Hochschule zu einer NS-Kaderschmiede auszubauen. Das sollte vor allem mittels der Einrichtung von ‚Südost-Kursen zur Heranbildung junger Kaufleute‘ geschehen, die am 15. April 1940 begannen. Der Gedanke, Wien und seine Hochschulen zu einem Zentrum der nationalsozialistischen Beschäftigung mit dem ‚Südosten‘90 zu machen, stammte nicht von Knoll, sondern war so etwas wie ein politischer und akademischer Trend der Jahre 1938 bis 1940. Knoll selbst ironisierte diesen Trend in einem wahrscheinlich Anfang 1942 verfassten Artikel, in dem er schrieb, nach dem ‚Anschluss‘ hätten „Berufene und noch mehr Unberufene in allen Gauen [geglaubt], mit allerhand Plänen Wien und den Südosten […] beglücken [zu können].“ Letztlich hätten sich jedoch die wenigen brauchbaren Ideen durchgesetzt, dank der „nationalsozialistischen Methode, die widerstreitenden Kräfte austoben und die natürliche Entwicklung unter dem Einfluss 90 Welche Gebiete konkret unter diese Bezeichnung fielen, war nicht klar. Fraglos knüpften die Nationalsozialisten, wenn sie von Wien als dem Ausfallstor nach Südosten sprachen, an die Traditionen und territorialen Aspirationen des Habsburgerreiches auf dem Balkan und in der Levante an. Albert Müller hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass „Südost“ sehr weitgehende Assoziationen zuließ, vom Burgenland bis „in die Gegend von Persien“; Müller, Dynamische Adaptierung, S. 611.
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der Zeit ausreifen zu lassen.“91 Zum Zeitpunkt, als Knoll diese treffende Schilderung der Verwaltungspraxis des NS-Regimes gab, existierte bereits eine unter der Patro nanz Baldur von Schirachs stehende Südosteuropa-Gesellschaft für den Gedankenaustausch zwischen Hochschule, Partei und Staat; weiters ein Institut für Südostrecht an der Juridischen Fakultät der Universität Wien und ein als Südostgemeinschaft der Wiener Hochschulen firmierender Dachverband der fünf Hochschulen Wiens (Universität, Technische Hochschule, Hochschule für Bodenkultur, Tierärztliche Hochschule und Hochschule für Welthandel), der die Planung und Lenkung akademischer ‚Südostarbeit‘ übernehmen sollte.92 Knolls besonderer Stolz war jedoch die vom Mitteleuropäischen Wirtschaftstag in Berlin93 finanzierte Südost-Stiftung. Sie sorgte dafür, dass die Hochschule für Welthandel als einzige Wiener Hochschule ein konkretes und besonders ehrgeiziges Ausbildungsprogramm mit Schwerpunkt Südosteuropa verwirklichen konnte. Die Modalitäten dieses Programms wurden in Verhandlungen zwischen dem Hauptgeschäftsführer des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags, Bernhard Dietrich, und Knoll im Dezember 1939 und im März 1940 festgelegt. Sämtliche Kosten des Unterrichtsbetriebs wurden vom Mitteleuropäischen Wirtschaftstag getragen, die Kursteilnehmer – deren Mehrheit nicht die Staatsangehörigkeit des Deutschen Reiches besaß94 – mussten nur für ihre Lebenshaltungskosten in Wien aufkommen. Für Fälle materieller Bedürftigkeit gab es ausreichend Stipendien, die von Unternehmen wie IG Farben oder der Deutschen Industriebank beigesteuert wurden.95 Ein kompletter Lehrgang dauerte vier Semester, in deren Verlauf folgende inhaltliche Schwerpunkte gesetzt wurden: Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftskunde des Südostens einschließlich der gesamten Verkehrswirtschaft zu Wasser, zu Lande und in der Luft, 91 WUW-AR, Kurt Knoll, Südostarbeit, o.J. 92 Zu den organisatorischen Grundlagen der diversen nationalsozialistischen Südostprojekte vgl. Siegfried Mattl/Karl Stuhlpfarrer, Angewandte Wissenschaft im Nationalsozialismus. Großraumphantasien, Geopolitik, Wissenschaftspolitik, in: Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft, S. 289 ff. 93 Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag war ein Interessenverband der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, der chemischen und elektrotechnischen Industrie Deutschlands und des preußischen Großgrundbesitzes; vgl. ebd., S. 290. 94 Über die Staats- und Volkszugehörigkeit der Absolventinnen und Absolventen des zweiten SüdostLehrganges gibt es detaillierte statistische Unterlagen. Ihnen zufolge waren von 88 Teilnehmern, die die Abschlussprüfung bestanden, 21 deutsche Staatsbürger, 50 „Volksdeutsche“ aus Ungarn, Rumänien und der Slowakei, ein Angehöriger des Protektorats Böhmen und Mähren mit deutscher Muttersprache und 16 „fremdnationale“ Ausländer (mehrheitlich aus Bulgarien, Ungarn und Kroatien). Von einem deutschen Reichsbürger ist ausdrücklich vermerkt, dass er „Mischling“ war; WUW-AR, Liste der Absolventen des II. Lehrganges, Juli 1942. 95 Vgl. WUW-AR, Bernhard Dietrich an Knoll vom 20. Dezember 1940.
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Handelsvertragspolitik, Zahlungs- und Verrechnungsabkommen, Währungs-, Devisen-, Zoll- und Handelsrecht der Südoststaaten, insbesondere im Verkehr der Länder unter einander und […] mit Deutschland und Presse, Zeitschriften, Propaganda des Südostens und ihre politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen.96 Ein zentrales Anliegen des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags und des Welthandel-Rektors war auch die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen diverser Ostsprachen (einschließlich des Griechischen und Türkischen). Zu diesem Punkt lieferte Knoll in einem seiner zahlreichen Positionspapiere folgende, sehr offenherzige Begründung: „Insbesondere wird die [Südost-]Stiftung dazu beitragen, der in verschiedenen südost-europäischen Ländern eingeleiteten Judengesetzgebung zur wirklichen Durchführung zu verhelfen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass gerade im Handel der Südost-Staaten und im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr die Juden infolge ihrer Sprachkenntnisse ein Element darstellen, das nur dann wirklich mit Erfolg ausgeschieden werden kann, wenn man gleichzeitig für den nötigen Ersatz Sorge trägt[,] und dies ist eines der wichtigsten Ziele der Südost-Kurse.“97 Für den ersten Südost-Lehrgang an der Hochschule für Welthandel meldeten sich 163 Teilnehmer an, 47 schafften im Juli 1941 die Abschlussprüfung, die vom eigens dafür ins Leben gerufenen Prüfungsamt für Auslandskunde des Südostens der Wiener Hochschulen abgenommen wurde.98 Der zweite Lehrgang begann im Herbst 1940 mit 300 Teilnehmern, 88 erhielten nach vier Semestern ihr Diplom. Absolventen der Südost-Kurse hatten grundsätzlich die Möglichkeit, sich beim Mitteleuropäischen Wirtschaftstag um ein Praktikum zu bewerben. Hatten sie von einem bestimmten Unternehmen ein Stipendium erhalten, erwartete man, dass sie diesem Unternehmen ihre Dienste anboten. Listen im Universitätsarchiv der WU Wien beweisen, dass die Stellenvermittlung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags rege in Anspruch genommen wurde. In den Jahren ab 1940 lockten nicht nur die Südost-Kurse zahlreiche ausländische Studierende an die ‚Welthandel‘, sondern auch das Regelstudium entfaltete eine beachtliche Anziehungskraft, nicht zuletzt deshalb, weil junge Leute aus Ungarn, der 96 WUW-AR, Memorandum, Südoststiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags vom 19. Februar 1940. 97 WUW-AR, Kurt Knoll: Vier Semester Südost-Stiftung zur Heranbildung junger Kaufleute für Südost-Europa, Konzept. 98 Aus dem Absolventenkreis des ersten Südost-Kurses erlangte Margarete Ottilinger in der Zweiten Republik einige Berühmtheit, als Mitarbeiterin des Ministeriums für Vermögenssicherung unter Peter Krauland und Entführungsopfer der Sowjets. Ottilinger hat mit größter Wahrscheinlichkeit beim jungen Dozenten der Südost-Stiftung und späteren Finanzminister Österreichs, Reinhard Kamitz, ein Seminar über Außenwirtschaft des Südostens belegt.
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Slowakei und der Balkanregion mit relativ großzügigen Stipendien versorgt wurden. Die Wintersemester 1941/42,99 1942/43 und 1943/44 verzeichneten jeweils etwa ein Drittel Ausländer unter der Hörerschaft der Hochschule für Welthandel, ein Umstand, der dem Außenamt der Reichsstudentenführung in Berlin Kopfzerbrechen bereitete. Dort verfügte man über Berichte, die besagten, dass sich viele ausländische Hörer (nicht nur Welthandel-Studenten) in Briefen an Verwandte und Freunde daheim negativ über die Zustände im Dritten Reich äußerten. Schlimmer noch: Gaststudenten, die sich durch Gelegenheitsarbeit „als Zeitungsausträger, Nachtwächter, etc.“ ein Zubrot verdienten, kamen mit Einheimischen in Berührung, was unerwünscht war, weil diese Berührung von den Behörden kaum kontrolliert werden konnte.100 Folglich wurden von der Reichsstudentenführung Vorschläge zur Abhilfe gemacht, die von einer Verschärfung der Briefzensur und politischen Überprüfung jedes einzelnen inskribierten Ausländers bis zur Kontingentierung von Ausländerstudienplätzen in den universitären Zentren Wien, Berlin und München reichten. Gegen die letztgenannte Maßnahme setzte sich die Gaustudentenführung Wien mit dem Argument zur Wehr, die Hauptstadt der ‚Ostmark‘ dürfe ihr Kapital als intellektuelles und kulturelles Zentrum des Südostens nicht verspielen.101 Durch den drastischen Rückgang der Hörerzahlen im Wintersemester 1944/45 verlor die Debatte jedoch rasch ihre Brisanz. Die sich abzeichnende Kriegsniederlage des ‚Dritten Reiches‘ brachte auch ein Projekt zu Fall, das Knoll nach der Verwirklichung der Südost-Kurse mit besonderem Eifer betrieben hatte: die Ansiedlung eines Amerikakunde-Instituts im Hochschulgebäude am Währinger Park. Analog zur Vorgangsweise bei der Südost-Stiftung gab es auch hier einen interessierten Partner außerhalb der Hochschule für Welthandel, nämlich das Reichssicherheitshauptamt Berlin, wo man sich von einer wissenschaftlichen Institution zur Unterstützung der Auslandsspionage, die idealerweise außerhalb der Hauptzielgebiete anglo-amerikanischer Luftangriffe liegen sollte, einiges erwartete. Reichserziehungsminister Rust wurde vom Reichssicherheitshauptamt im Januar 1944 aufgefordert, sich mit seinem für die Finanzen zuständigen Kabinettskollegen über Mittel und Wege zur Dotierung der Welthandel-Amerikalehrkanzel zu verständigen.102 Knoll hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Kandidaten für 99 Ab Herbst 1941 galt in der ‚Ostmark‘ wieder die Semestereinteilung des Regelstudiums. 100 WUW-AR, Aufzeichnung über die Qualität ausländischer Studierender, Außenamt der Reichsstudentenführung Berlin vom 6. Dezember 1941. 101 WUW-AR, AZ 3631/1941, Der Leiter des Außenamtes der Gaustudentenführung Wien an das Außenamt der Reichsstudentenführung vom 20. Dezember 1941. 102 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, AZ 1143/194045, Hochschule für Welthandel, Lehrkanzel für Amerikakunde, Reichssicherheitshauptamt an den Reichserziehungsminister vom 26. Januar 1944.
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die Institutsleitung parat, Heinrich Willmes, einen deutschen Nationalökonomen mit USA-Erfahrung (Universität Detroit), der vorsorglich mit einem dreistündigen Lehrauftrag für das Wintersemester 1943/44 ausgestattet worden war (Wirtschaftsprobleme der Vereinigten Staaten). Mitte Januar 1945 kam die Ernüchterung für den Rektor und das Reichssicherheitshauptamt: Kurator Boeckmann musste Knoll mitteilen, dass das Reichsfinanzministerium die Amerikalehrkanzel als nicht kriegswichtig eingestuft und deshalb keine Planstelle für Willmes bewilligt hatte.103 Doch hätte man drei Monate vor Kriegsende ohnedies kein adäquates Umfeld mehr für ein neues Institut vorgefunden. Der reguläre Studienbetrieb war unter den Bedingungen permanenter Fliegeralarme, Aufräumarbeiten und ähnlicher Dienste, die Studenten und Hochschulangehörige leisten mussten, nicht aufrechtzuerhalten.104 Nur noch ganz wenige Professoren, Assistenten und Lektoren harrten an der ‚Welthandel‘ aus. Der Rest des wissenschaftlichen Personals stand entweder im Kriegseinsatz oder wartete in diversen ländlichen Zufluchtsorten auf den Zusammenbruch und seine politischen Konsequenzen. Trennung von den Nationalsozialisten, aber kein Bruch mit der Vergangenheit
Diese Konsequenzen wurden zunächst in Gestalt des österreichischen Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP sichtbar, später in Form der Dritten Durchführungsverordnung zum Verbotsgesetz, die die Bildung von Sonderkommissionen zur Beurteilung des Verhaltens belasteter öffentlicher Bediensteter vorschrieb.105 Als politisch schwer belastet wurden an der Hochschule für Welthandel gleich nach Kriegsende die Professoren Dietrich, Mayer und Knoll ihrer Stellung enthoben.106 Knoll befand sich in amerikanischer Gefangenschaft, Dietrich starb 1946 in seinem Refugium Fieberbrunn in Tirol, ohne je den Versuch einer Rückkehr an die Hochschule für Welthandel unternommen zu haben. Neun weitere planmäßige und außerplanmäßige Professoren bekamen vom Staatsamt für Unterricht bis August 1945 Enthebungsbescheide zugestellt. Unter ihnen waren Hatheyer, Pöschl, Stadler 103 Vgl. ebd., Reichserziehungsminister an Kurator Boeckmann vom 12. Januar 1945. 104 Vgl. Lichtenberger-Fenz, Österreichs Universitäten, S. 79 ff. 105 Zu den rechtlichen Grundlagen der Entnazifizierung in Österreich vgl. Dieter Stiefel, Der Prozeß der Entnazifizierung in Österreich, in: Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 108–147; zum Prozedere an den österreichischen Hochschulen vgl. Ders., Entnazifizierung in Österreich, Wien/München/Zürich 1981, S. 170–185. Siehe auch verschiedene Beiträge im vorliegenden Sammelband. 106 WUW-AR, Präs. Zl. 22/1945, Liste der enthobenen Professoren, Lehrkräfte und Angestellten.
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und Kamitz. Jene Ordinarii und Extraordinarii der NS-Zeit, die man aus dem ‚Altreich‘ berufen hatte, wurden als nunmehrige Ausländer formlos ‚außer Dienst gestellt‘: die Volkswirte Nöll von der Nahmer, Preiser und Timm sowie der Jurist Isele. In 26 Fällen hatten Sonderkommissionen, die an der Hochschule für Welthandel eingerichtet wurden, über den Grad der politischen Belastung und die weitere Verwendbarkeit von Hochschulangehörigen zu entscheiden.107 Unter den Assistenten, die sich vor einer derartigen Sonderkommission verantworten mussten, befand sich auch Richard Mortenthaler, der engste Mitarbeiter von Rektor Knoll und Co-Direktor der Südost-Lehrgänge. Parallel zur Entnazifizierung der Hochschule für Welthandel vollzog sich die Rückkehr der nach dem ‚Anschluss‘ entlassenen Professoren in ihre alten Funktionen – mit Ausnahme Karl Meithners, der am 13. Dezember 1942 als politischer Häftling im Wiener Inquisitenspital verstorben war. Die näheren Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Auch kann man nicht mit Sicherheit sagen, warum er im März 1942 aus heiterem Himmel der Vorbereitung zum Hochverrat beschuldigt und vor einen Sondersenat des Oberlandesgerichts Wien gestellt wurde. Die offizielle, im Urteil des Richters Lux festgehaltene Begründung lautete, Meithner habe sich schon seit längerer Zeit „in Verbindung mit Kommunistenkreisen“ befunden und sich staatsfeindlich betätigt.108 Dafür wurde er mit sechs Jahren Zuchthaus und sechs Jahren Ehrverlust bestraft und kam auf diese Weise – wie berechtigt, sei dahingestellt – zum Ruf eines Märtyrers der österreichischen Freiheitsidee. Als das Rektorat der Hochschule für Welthandel im April 1946 vom Unterrichtsministerium aufgefordert wurde, markante Fälle zu dokumentieren, in denen sich Hochschulangehörige der nationalsozialistischen Okkupation widersetzt hatten, bezeichnete Rektor Dörfel Meithner jedenfalls als „einen der leitenden Faktoren der (österreichischen) Widerstandsbewegung“.109 Auf die Bezeichnung Widerstandskämpfer glaubte auch Richard Kerschagl Anspruch erheben zu dürfen. Er hatte die letzten Kriegsmonate auf dem Landgut seiner Schwiegereltern in Kärnten verbracht und nahm im Oktober 1945 die Lehrtätigkeit an der ‚Welthandel‘ wieder auf, wobei ihm Atteste aller drei in der Kärntner Landesregierung vertretenen Parteien, die seine antinationalsozialistische Einstellung bestätigten, zugutekamen. Trotzdem tauchten bald Schwierigkeiten auf. Der Wirtschaftshistoriker Arnold Winkler, wie Kerschagl ein Opfer der nationalsozialis107 WUW-AR, Präs. Zl. 93/1946, Bericht des Rektors der Hochschule für Welthandel an das Bundesministerium für Unterricht vom 24. April 1946. 108 ÖStA/AdR, Inneres 165266, Gauakt Karl Meithner. 109 WUW-AR, Präs. Zl. 93/1946, Bericht des Rektors der Hochschule für Welthandel an das Bundesministerium für Unterricht vom 24. April 1946.
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tischen ‚Säuberungen‘ im März 1938, wandte sich mit einer Beschwerde gegen dessen Wiedereinstellung an den Zentralsekretär der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), Erwin Scharf, der seinerseits beim Welthandel-Rektor intervenierte. Wenig später erhob Winkler auch gegen die geplante Bestellung seines ungeliebten Kollegen zum Sachverständigen für Geld- und Währungsfragen beim Handelsgericht Wien Einwände.110 Kerschagl sei ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen, so der Sukkus von Winklers Anschuldigungen. Als führender Exponent des Starhemberg-Heimatschutzes sei er nach dem ‚Anschluss‘ von den Nazis eingesperrt worden, weil sie seinen „Konkurrenzfaschismus“, nicht aber seine grundsätzliche geistige Gegnerschaft fürchteten. Seine Freilassung aus der Gestapohaft nach nur viereinhalb Monaten sei aufgrund einer Intervention der Familie bei Hermann Göring zustande gekommen; Kerschagls Bruder habe als Wiener Kreisjägermeister gute Beziehungen zum obersten Waidmann des ‚Dritten Reiches‘ unterhalten. Nach dem Krieg hätte sich Kerschagl von der britischen Besatzungsmacht in Kärnten „eine nicht vorhandene Widerstandstätigkeit bestätigen lassen“, lautete Winklers Resümee. Der Angegriffene konterte mit neuen Belegen für seine angeblich kompromisslose antinazistische Haltung. Wieder unterstützten ihn namhafte Kärntner Landespolitiker, aber auch der Vorsitzende des Verbandes der österreichischen KZ-Häftlinge gab zu seinen Gunsten eine Ehrenerklärung ab. Resultat war, dass Kerschagl am 11. Mai 1946 vom Bundespräsidenten zum Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel ernannt und ein Jahr später sogar zum Rektor des Hauses gewählt werden konnte.111 Die Rückkehr des Spann-Schülers Walter Heinrich an die Hochschule für Welthandel war ähnlich umstritten wie die Kerschagls, nur dass sie noch mehr öffentliches Interesse auf sich zog. Am 10. März 1946 erklärte die Arbeiter-Zeitung den „Verfasser des Korneuburger Faschistenprogramms“ zur Gefahr für die studierende Jugend des demokratischen Österreich und plädierte gegen seine Wiederverwendung in der akademischen Lehre. In dieselbe Kerbe hieb eine parlamentarische Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Scharf, Hackenberg und Zechner vom 20. März 1946, untermauert durch Zitate aus Heinrichs Buch Das Ständewesen, die beweisen sollten, dass der Autor die Würde eines Hochschulprofessors der Republik nicht verdiene. Im Zuge seiner Verteidigung spielte Heinrich seine Rolle bei der Formulierung der Heimwehrideologie herunter, setzte sich deutlich von der Person Spanns ab112 und 110 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Richard Kerschagl. 111 Vgl. Dachs, Richard Kerschagl, S. 45. 112 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Personalakt Walter Heinrich, Stellungnahme Heinrichs zu Spann vom 7. Juni 1945.
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bemühte sich sogar um eine Uminterpretation des Ständegedankens im Sinne von sozialistischer Planwirtschaft – wie es scheint, um damit seinen Kritikern in der SPÖ Wind aus den Segeln zu nehmen. Fast überflüssig zu sagen, dass Heinrichs Strategie erfolgreich war. Er wurde 1949 ordentlicher Professor der ‚Welthandel‘, amtierte während des Borodajkewycz-Skandals als Rektor und bekannte sich wieder offen zu Spanns Universalismus, den er in einem 1956 erschienenen Traktat ausführlich würdigte.113 Albert Müller hat in seiner Studie über die Wiener Universität im ‚Dritten Reich‘ von einem „Prozeß des selektiven Vergessens“ gesprochen, der unmittelbar nach Kriegsende einsetzte.114 Dieser Prozess vollzog sich allem Anschein nach auch an der Hochschule für Welthandel, begünstigt von der sukzessiven Aufweichung der Entnazifizierungsgesetze bis zu den Amnestien des Jahres 1948. Im Amnestiejahr 1948 wurde der 50. Jahrestag der Gründung der Exportakademie gefeiert. Beiträge zur Festschrift verfassten unter anderen Franz Dörfel (ehemals NS-Parteianwärter), Wilhelm Bouffier (1938 von den Nazis entlassen und 1946 wieder eingestellt), Karl Oberparleiter (von 1918 bis 1957 ununterbrochen an der Exportakademie beziehungsweise Hochschule für Welthandel beschäftigt), Viktor Fux-Eschenegg (1945 neu an die Lehrkanzel für Rechtswissenschaft berufen), Heinrich und Kerschagl. Oberparleiter lobte in seinem historischen Abriss über die vergangenen fünf Dezennien115 ausdrücklich die Leistungen der entlassenen Nationalsozialisten (im Rahmen der ‚Südost‘-Kaufleuteausbildung) und Mayer (als Anwalt der Beibehaltung österreichischer Studienvorschriften unter dem deutschen Regime) für die Hochschule. Mag sein, dass das ostentativ hervorgekehrte Harmoniebedürfnis der ‚Welthändler‘ von der Notwendigkeit diktiert war, eine tragfähige Grundlage für die gemeinsame Weiterarbeit zu schaffen. Dass es der Aufklärung über eine dunkle Zeit nicht gedient hat, steht fest.
113 Vgl. Walter Heinrich, Othmar Spanns Leben und Werk, in: Der neue Bund 5 (1956), Folge 2. 114 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 617. 115 Vgl. Oberparleiter, Geschichte der Exportakademie, S. 21 f.
„Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“ Verfolgung und Vertreibung von Studierenden an der Wiener Hochschule für Welthandel nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs
Johannes Koll
1 Zur Einführung
In der zweiten Hälfte des Januar 1938 hatten die Professoren der Wiener Hochschule für Welthandel Hermann Leiter und Bruno Dietrich zwei Dissertationen zu begutachten, deren Verfasser im ‚Dritten Reich‘ nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als ‚Volljuden‘ gegolten hätten. Bei ihnen handelte es sich um Karl Löwy, der vor gut anderthalb Jahrzehnten an derselben Hochschule erfolgreich die Prüfung zum Diplomkaufmann abgelegt hatte, und um Arthur Luka, der im Anschluss an die drei Doktortitel, die er an den Universitäten von Wien und Marburg erworben hatte, an der ‚Welthandel‘ zum Doktor der Handelswissenschaften promovieren wollte. Obwohl die Gutachten in beiden Fällen die Zulassung zu den Rigorosen empfahlen, wurde Löwy wie auch Luka in weiterer Folge der Abschluss des Promotionsverfahrens verwehrt. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs hieß es auf den entsprechenden Formularen lapidar: „da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“.1 Dass solch eine kryptische Formulierung unter dem neuen Regime als ‚Begründung‘ für die Verweigerung einer akademischen Qualifizierung als legitim galt, macht symptomatisch deutlich, dass in den folgenden sieben Jahren Leitlinien den Vorrang vor fachwissenschaftlichen Kriterien haben sollten, die aus dem Totalitätsanspruch nationalsozialistischer Ideologie abgeleitet wurden: Juden gemäß der Definition 1
Universitätsarchiv der Wirtschaftsuniversität Wien (WUW-AR), Allgemeine Akten 1938, vorläufige Kartonnummer S 30a, Zl. 47/38 und 154/38. Zu den Biografien von Luka und Löwy sowie zu fast allen weiteren nichtnationalsozialistischen Angehörigen der Hochschule für Welthandel, die in diesem Aufsatz vorgestellt werden und in irgendeiner Weise Opfer des NS-Regimes geworden sind, finden sich auf den jeweiligen Einträgen im Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Hochschule für Welthandel 1938–1945 (http://gedenkbuch.wu.ac.at/) weitere Informationen und Quellenangaben. Bei den Studierenden entstammen grundlegende biografische Informationen den jeweiligen Studierendenkarteikarten (WUW-AR); auf sie wird im Folgenden in der Regel nicht eigens verwiesen.
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Abb. 1: Verweigerung der Zulassung zu den Rigorosen für Arthur Luka nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs. Das Datum 21. Januar 1938 bezieht sich auf die Entgegennahme der Dissertation durch Rektor Bruno Dietrich, der Eintrag „da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“ wurde nach der nationalsozialistischen Machtübernahme hinzugefügt.
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der ‚Nürnberger Gesetze‘ von 1935 sowie die Vertreter dissentierender politischer oder weltanschaulicher Richtungen wie Mitglieder und Anhänger des austrofaschistischen Regimes oder Befürworter des politischen Liberalismus wurden bald nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich von den Hochschulen ausgeschlossen oder weitgehend marginalisiert.2 Die inhaltliche, organisatorische und personelle Neuausrichtung des Hochschulwesens in der ‚Ostmark‘ unter nationalsozialistischen Vorzeichen braucht an dieser Stelle nicht nachgezeichnet zu werden; hierzu kann auf einschlägige Literatur verwiesen werden.3 Und Peter Berger ist zu verdanken, dass die ‚Säuberungen‘ unter den Angestellten der Hochschule für Welthandel als zuverlässig erforscht gelten dürfen.4 Die Folgen der Nazifizierung für die Studierenden dieser Einrichtung, die 1919 aus der 1898 gegründeten k. k. Exportakademie hervorgegangen ist, waren jedoch noch über sieben Jahrzehnte nach dem ‚Anschluss‘ nicht bekannt. Erst ein Forschungsprojekt, das die Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) 2
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Kommunisten und Sozialisten hatten schon zur Zeit der Ersten Republik und des Austrofaschismus kaum eine Anstellung an den österreichischen Hochschulen finden können; nach der Niederschlagung des Februaraufstands von 1934 war ihnen auch auf studentischer Ebene jede legale Betätigung verwehrt. Die Einrichtung der Österreichischen Hochschülerschaft, die Bestellung von ‚Sachwaltern‘ durch die Bundesregierung, die Einsetzung von Disziplinarkommissionen, der Erlass von Gesetzen wie dem Hochschulermächtigungsgesetz und dem Hochschulerziehungsgesetz, mit denen sich der Staat unter Umgehung der traditionellen Autonomie der Hochschulen und frei von parlamentarischer Kontrolle die Steuerung der Hochschulen sicherte, zielten zwar seit 1933 primär auf nationalsozialistische Studierende, drängten aber auch jene Studierenden aus den legalen Strukturen heraus, die sich links von der Vaterländischen Front, der Einheitspartei des austrofaschistischen Regimes, engagieren oder artikulieren wollten. Zur Entwicklung des österreichischen Hochschulwesens zwischen 1933 und 1938 siehe Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 5: Von 1918 bis zur Gegenwart, Wien 1988, S. 293–297; Walter Höflechner, Die Baumeister des künftigen Glücks. Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938, Graz 1988, Kap. 3; Gerhard Wagner, Von der Hochschülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft. Kontinuitäten und Brüche, Diplomarbeit Universität Wien 2010, S. 99–281, http://othes. univie.ac.at/10332/ [13. August 2016] sowie die einschlägigen Beiträge in diesem Sammelband und in: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, Wien 2013. Siehe zusammenfassend Anne C. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a.M. 2012, S. 296–308. Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen von Mitchell G. Ash im vorliegenden Sammelband. Siehe den Wiederabdruck seines Beitrags zur Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften in diesem Band. Ergänzend ist zu verweisen auf Ingo Andruchowitz, Die Übernahme der Hochschule für Welthandel durch das nationalsozialistische Regime und die „gebrochene“ Karriere von Reinhard Kamitz (1907–1993), in: Gertrude Enderle-Burcel/Alexandra Neubauer-Czettl/Edith Stumpf-Fischer (Hg.), Brüche und Kontinuitäten 1933 – 1938 – 1945. Fallstudien zu Verwaltung und Bibliotheken, Wien 2013, S. 181–205.
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als Nachfolgerin der ‚Welthandel‘ im Rahmen eines Gedenkprojekts durchgeführt hat, hat sich ab November 2012 gut zwei Jahre lang dieser Thematik gewidmet.5 Die Ergebnisse der biografischen Recherchen dieses Projekts werden im vorliegenden Aufsatz präsentiert. Um die individualbiografische Tiefendimension und zugleich die gesellschaftliche Breite der ‚Säuberungen‘ anzudeuten, werden neben den Maßnahmen, die an der Hochschule für Welthandel unter dem NS-Regime zur Ausgrenzung, Vertreibung und zu anderweitigen Formen der Diskriminierung von Studierenden geführt haben, auch die Folgen für die Betroffenen und ihre Angehörigen thematisiert. Die Gliederung des Beitrags richtet sich nach den unterschiedlichen ‚Zielgruppen‘ und Instrumenten der ‚Säuberungs‘-Politik, die zwischen Frühjahr 1938 und Frühjahr 1945 praktiziert wurde.6 Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das NS-Regime in der Verfolgung von Studierenden(gruppen) zwischen Juden mit österreichischer Staatsbürgerschaft, ausländischen oder staatenlosen Juden, ‚Halbjuden‘ und ‚Vierteljuden‘ differenzierte; für die Aberkennung akademischer Titel konnte neben rassistischen Kriterien auch ein Verhalten der Betroffenen ausschlaggebend sein, das von den nationalsozialistischen Machthabern als widerständig interpretiert und entsprechend geahndet wurde. Mit der Orientierung an den unterschiedlichen Opfergruppen unter den Studierenden der Hochschule für Welthandel kann zum einen die Differenzierung innerhalb des Verfolgungsprozesses transparent gemacht werden. Zum anderen wird es durch diesen Zugang erleichtert, die Schicksale der Betroffenen in Relation zu den jeweiligen Verfolgungsmaßnahmen zu sehen. 2 ‚Säuberungen‘
Wie an den anderen Hohen Schulen von ‚Altreich‘ und ‚Ostmark‘ setzte die Neuausrichtung des Betriebs an der ‚Welthandel‘ unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Gefolge des Einmarschs der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 ein, und auch hier resultierten die ‚Säuberungen‘ aus einem Zusam5
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Siehe hierzu das Nachwort in diesem Band. Da erst nach dem Auslaufen des Gedenkprojekts mit dem systematischen Aufbau des Universitätsarchivs der WU Wien begonnen wurde, ist nicht auszuschließen, dass im Zuge der sukzessiven Erschließung von Beständen in Einzelfällen neue Rechercheergebnisse erzielt werden. Nicht berücksichtigt werden konnten zahlreiche Akten und Protokollbände, die erst unmittelbar vor Drucklegung dieses Bandes entdeckt wurden. Der vorliegende Aufsatz reflektiert im Wesentlichen den Forschungsstand vom Herbst 2016. Das erwähnte Gedenkbuch wird laufend aktualisiert. Nicht berücksichtigt sind die Studierenden, die als Angehörige von ‚Feindstaaten‘ infolge des Angriffs der Wehrmacht auf die verschiedenen europäischen Länder die Hochschule für Welthandel verlassen mussten.
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menspiel von übergeordneten Instanzen in Berlin und Wien auf der einen und der Hochschulverwaltung auf der anderen Seite. Allgemeine Rahmenbedingungen, durch die der Nazifizierungsprozess in einheitliche Bahnen gelenkt werden sollte, wurden vorwiegend vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) und vom österreichischen Unterrichtsministerium unter Oswald Menghin festgelegt, dessen Agenden Ende Mai in das von Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart geleitete Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten überführt wurden; wie noch gezeigt wird, waren aber auch andere NS-Instanzen in die Neuausrichtung der Hochschulen involviert.7 Zu den Rahmenbedingungen gehörte die Liquidierung der ‚Sachwalterschaft‘, die unter dem austrofaschistischen Regime für die Vertretung der studentischen Belange gegenüber den akademischen Behörden zuständig gewesen war. An ihre Stelle trat der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB), der unter Aufsicht des Reichsstudentenführers, SS-Offiziers und späteren Salzburger Gauleiters Gustav Adolf Scheel stand und an den einzelnen Hochschulen örtliche Dienststellen unterhielt. In dieser Organisation, die nach Darstellung des für Österreich zuständigen Beauftragten Südost des Reichsstudentenwerks, Dr. Hubert Freisleben, als „politische Kampf- und Erziehungsgemeinschaft“ die Aufgabe hatte, „die gesamte deutsche Studentenschaft […] in den Lebenskampf unseres deutschen Volkes [einzuspannen]“,8 konnten Juden nicht Mitglied sein. Mit der „wirtschaftlichen und gesundheitlichen Betreuung des deutschen Nachwuchses an den deutschen Hoch- und Fachschulen“9 wiederum wurde das Reichsstudentenwerk betraut, das der Aufsicht von Reichs7
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Siehe die Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich über die Geschäftsverteilung des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, in: Gesetzblatt für das Land Österreich (GBl. Ö), Nr. 174/1938, S. 505. Innerhalb des Ministeriums, dessen Hauptaufgabe in der Liquidierung des früheren Bundesministeriums für Unterricht lag, war Abteilung IV (Erziehung, Kultus und Volksbildung) unter Friedrich Plattner für die Hochschulen zuständig. Hubert Freisleben, Vom Studententum im Großdeutschen Reich, in: Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft an den Ostmarkdeutschen Hochschulen 1938/39, hg. von der Bereichsstudentenführung Süd-Ost [der Reichsstudentenführung], Ausgabe der Hochschule für Welthandel, Wien o.J. [1938], S. 13. Freisleben war in der Zeit der Illegalität, also zwischen dem Betätigungsverbot für NSDAP und Steirischen Heimatschutz (19. Juni 1933) und ‚Anschluss‘, NS-Landesstudentenführer gewesen; siehe das Schreiben von Rudroff (Bundesministerium für Unterricht [BMfU]) an das Rektorat der ‚Welthandel‘ vom 22. März 1938, WUW-AR, Präsidialakten (Präs.) 62/1938, Zl. 19/301. An dieser Hochschule wurde Otto Schimpf mit der Führung des NSDStB betraut; vgl. seinen Beitrag im Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft an den Ostmarkdeutschen Hochschulen 1938/39, S. 62–65. Gesetz über das Reichsstudentenwerk vom 6. Juli 1938, Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1938, Teil I, S. 802. In Österreich erhielt das Gesetz am 7. März 1939 Rechtskraft; siehe die Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich in: GBl. Ö, Nr. 334/1939, S. 1149 f.
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wissenschaftsminister Bernhard Rust unterstand und ebenfalls Dienststellen an den Hochschulen unterhielt; auch die Arbeit dieser nationalsozialistischen Organisation war strikt an weltanschaulichen und ‚rassischen‘ Zielsetzungen ausgerichtet.10 In der erklärten Absicht, „der Überfremdung der deutschösterreichischen Hochschulen durch jüdische Hörer zu steuern“, verfügte Unterrichtsminister Menghin zweieinhalb Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich einen Inskriptionsstopp für inländische jüdische Studierende; ausländische jüdische Studierende bedurften zur Fortsetzung ihres Studiums der Zustimmung des österreichischen Ministeriums für Handel und Verkehr, das seit jeher die Aufsicht über die ‚Welthandel‘ geführt hatte. In beiden Fällen galten die bereits vorgenommenen Inskriptionen nur als „bedingt“ und konnten jederzeit widerrufen werden.11 Am 23. April 1938 folgte die Einführung eines Numerus clausus für jüdische Studierende von 2 %, die seit Langem von der politischen Rechten gefordert worden war. Zum Wintersemester 1938/39 wurde der Prozentsatz halbiert; zugleich durften Juden nicht mehr als Gast- oder außerordentliche Hörer an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Doch auch damit war das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurden Juden im Sinne der ‚Nürnberger Gesetze‘, die in Fortführung ‚völkischer‘ Vorstellungen nicht vom individuellen Religionsbekenntnis, sondern von der familiären Abstammung einer Person ausgingen, generell vom Studium ausgeschlossen. Von da an standen die Hochschulen der ‚Ostmark‘ nur noch ‚arischen‘ Studierenden und allenfalls ‚Mischlingen‘ offen, also Personen, die selber nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, sondern sich zum Christentum bekannten oder konfessionslos waren.12 Der aufgrund von 10 Die Nazifizierung und Gleichschaltung der Fürsorge für bedürftige Studierende kam der Darstellung des Leiters der Presse- und Propagandaabteilung der Bereichsführung Südost des Reichsstudentenwerks, Rudolf Wihan, zufolge darin zum Ausdruck, dass in dieser Organisation „alle früheren studentischen Hilfseinrichtungen aufgegangen“ seien und damit „eine Zersplitterung der hilfswilligen Kräfte beseitigt“ sei (Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, in: Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft an den Ostmarkdeutschen Hochschulen 1938/39, S. 24). In den Genuss einer Förderung konnten erklärtermaßen nur Nationalsozialisten kommen, die ihre Gesinnung „durch ihre innere Haltung und durch den Einsatz in der Partei oder einer ihrer Gliederungen […], im Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst unter Beweis gestellt haben“ – ging es dem Reichsstudentenwerk doch um die „Heranbildung und Erhaltung eines rassisch wertvollen und in der nationalsozialistischen Weltanschauung fest verankerten Nachwuchses […].“ (Karl Schott, Das Reichsstudentenwerk, in: ebd., S. 29) 11 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Handel und Verkehr (BMHuV), Fasz. 577, Zl. 127120, Menghin an das Ministerium mit der Bitte um Mitteilung an das Rektorat der Hochschule für Welthandel vom 29. März 1938. 12 Zum Vorstehenden siehe Brigitte Lichtenberger-Fenz, Österreichs Universitäten und Hochschulen – Opfer oder Wegbereiter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (Am Beispiel der Universität Wien), in: Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938 bis 1945,
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‚rassischen‘ Gesichtspunkten limitierte Hochschulzugang wurde bei der Einschreibung streng überwacht – schrieb doch das Reichswissenschaftsministerium am selben Tag, an dem in Österreich der Numerus clausus von 2 % bekannt gemacht wurde, in einem Runderlass für alle Hochschulen des ‚Großdeutschen Reiches‘ „den Nachweis der arischen Abstammung“ vor.13 Offenkundig wartete die Hochschule für Welthandel nicht auf Direktiven des Reichswissenschaftsministeriums oder des nazifizierten und schließlich aufgelösten Unterrichtsministeriums – hatte Rektor Bruno Dietrich doch bald nach der bejubelten „Heimkehr Österreichs in das [Deutsche] Reich“ die Ausbildung von „aufrechten Deutschen und überzeugten Nationalsozialisten, die willens und […] in der Lage sind, in der Ostmark die Wirtschaftsbrücke vom Altreich zum wirtschaftlichen Südosten Europas zum Wohle des Gesamtreiches zu schlagen“, als Ziel seiner Hochschule benannt.14 Wie der ‚Säuberungs‘-Prozess an der ‚Welthandel‘ hinsichtlich der Studierenden im Detail verlaufen ist und welchen Umfang er bis zum Ende der NS-Herrschaft angenommen hat, lässt sich aufgrund der defizitären Quellenlage nicht zuverlässig rekonstruieren. Doch die im Folgenden präsentierten Ergebnisse belegen, dass die Hochschulleitung bemüht war, von Anfang an im Sinne von Ian Kershaw „dem Führer entgegen zu arbeiten“.15 Wien 1989, S. 11, und – unter besonderer Berücksichtigung der Universität Wien – Herbert Posch, März 1938. „Anschluß“ und Ausschluss: Vertreibung der Studierenden der Universität Wien, in: Ders./Doris Ingrisch/Gert Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008, S. 105–114. Mit der Bestimmung, dass deutsche Staatsangehörige in der Regel nur dann zur Habilitation zugelassen wurden, wenn sie gemäß dem Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 „deutschen oder artverwandten Blutes“ waren, die Reichsbürgerschaft besaßen und die Gewähr boten, dass sie „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ eintraten (§§ 25 und 26, in: RGBl. 1937/I, S. 45), versperrte die Reichs-Habilitations-Ordnung vom 17. Februar 1939 Juden und ‚Mischlingen ersten Grades‘ auch die Möglichkeit, sich für die Professorenlaufbahn zu qualifizieren (Runderlass des REM, WA 2920/38, Z IIa Z I [a]; in der Abschrift, die sich heute im Handapparat von WUW-AR befindet, wurden die Inhalte der erwähnten Paragrafen vom Kanzleipersonal der ‚Welthandel‘ handschriftlich ergänzt). 13 Runderlass des REM vom 23. April 1938, AZ WJ 1320, in: Gerhard Kasper u.a. (Hg.), Die Deutsche Hochschulverwaltung. Sammlung der das Hochschulwesen betreffenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse, Bd. 2, Berlin 1943, S. 497 f. Der Abstammungsnachweis hatte vorzugsweise durch Vorlage von Ahnenpass oder SS-Ausweis zu erfolgen. Die Hochschule für Welthandel „empfahl“ ihren Studierenden, zur Immatrikulation alternativ die eigene Geburtsurkunde, die Geburtsoder Heiratsurkunde der Eltern sowie die Geburtsurkunden der Großeltern vorzulegen; siehe ihr Personal- und Vorlesungsverzeichnis zum Studienjahr 1938/39, Wien 1938, S. 9. 14 Bruno Dietrich, Dem neuen Studienjahr zum Geleit!, in: Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft an den Ostmarkdeutschen Hochschulen 1938/39, S. 60. 15 Ian Kershaw, „Working towards the Führer.“ Reflections on the Nature of the Hitler Dictatorship,
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So wusste Dietrich der Professorenschaft Ende April 1938 bereits einiges „über die erfolgte rassische und politische Reinigung des Lehrkörpers und der Beamtenschaft der Hochschule“ zu berichten.16 Auch der Ausschluss oder die strukturelle Diskriminierung von Studierenden, die dem NS-Regime nicht genehm waren, wurde zügig in Angriff genommen. Hierin liegt eine der Ursachen für den radikalen Einbruch der Studierendenzahlen: Waren im Wintersemester 1937/38 noch 817 Studierende an der ‚Welthandel‘ eingeschrieben, wies die Statistik für das folgende Semester nur noch 553 Studierende aus; im Wintersemester 1938/39 sank die Zahl gar auf 510 Personen.17 Damit büßte die einzige österreichische Handelshochschule im Zuge des ‚Anschlusses‘ innerhalb eines Semesters nicht weniger als 33 %, innerhalb von zwei Semestern gar 38 % ihrer Hörerschaft ein; das war der größte Einbruch seit dem Ersten Weltkrieg. Freilich war der Verlust von über 300 Studierenden innerhalb eines Jahres nicht ausschließlich auf Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes zurückzuführen. Etliche Studierende aus dem ‚Dritten Reich‘, die vor dem ‚Anschluss‘ zum Studium nach Wien gekommen waren, kehrten nun ins ‚Altreich‘ zurück. In diesem Zusammenhang wird man auch davon ausgehen dürfen, dass die neue Situation, die die Vereinigung Österreichs mit Deutschland und die ‚Arisierung‘ des Wirtschafts- und Sozialsystems im ‚Großdeutschen Reich‘ mit sich zu bringen versprach, für manche Studierende neue berufliche Perspektiven außerhalb des Hochschulbereichs eröffnete. Trotzdem bedeutete der politische Umbruch vom März 1938 eine dramatische Zäsur in der Hochschulgeschichte: Er führte zu einer nie dagewesenen Welle von Verfolgung und Vertreibung. Der Einbruch der Hörerzahlen im Zuge des ‚Anschlusses‘ bedeutete somit qualitativ etwas anderes als eine simple Fortschreibung der seit Beginn der 1930er Jahre kontinuierlich gesunkenen Hörerzahlen.18 Er war das Rein: Contemporary European History 2 (1993), S. 103–118. Der einem zeitgenössischen Zitat entnommene Begriff des Entgegenarbeitens (Ders., Hitler 1889–1936, Stuttgart 19982, S. 663 mit 13. Kap.) ist im Sinne von Zuarbeiten zu verstehen. 16 WUW-AR, Protokoll der Sitzung des Professorenkollegiums (Prof.koll.) vom 25. April 1938, Bl. 2. Zur ‚Säuberung‘ des Hochschulpersonals sei noch einmal auf den Beitrag von Peter Berger in diesem Band verwiesen. 17 WUW-AR, Statistik der Hochschule für Welthandel für den Zeitraum Wintersemester 1937/38 bis Wintersemester 1938/39, vorl. Ktn.-Nr. S 179, und Anja Defren, Die Hochschule für Welthandel in Wien. Geschichte und Entwicklung von 1919 bis 1942, Saarbrücken 2007, S. 92; Defrens Darstellung der ‚Säuberungen‘ nach dem ‚Anschluss‘ bleibt hinter den Erwartungen zurück. 18 Vgl. die Tabelle zu den Hörerzahlen oben, S. 159 f. unter Berufung auf Alois Brusatti (Hg.), 100 Jahre im Dienste der Wirtschaft, Wien 1998. Auch für andere Handelshochschulen im deutschsprachigen Raum lässt sich – unter Berücksichtigung regionaler Abweichungen – ein Rückgang der Studierendenzahlen konstatieren; vgl. die Tabelle bei Georg Heinz Lobnig, Die Hochschule für Welthandel im Spannungsfeld von Weltoffenheit und Nationalismus. Entwicklung und Struktur der ausländischen Hörerschaft in den Jahren 1930–1938 im Kontext der wirtschaftlichen und politischen Zäsuren, unveröffentlichte Diplomarbeit Wirtschaftsuniversität Wien 2001, S. 80.
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sultat politisch gewollter und systematisch betriebener ‚Säuberungen‘. Dabei stellten die Angestellten und die Studierenden wie bei den anderen Hochschulen19 auch an der Hochschule für Welthandel jeweils unterschiedliche Ziel- bzw. Opfergruppen dar. Während unter den Angehörigen des Lehrkörpers und der Hochschulverwaltung vorwiegend Personen betroffen waren, die vor dem März 1938 dem austrofaschistischen Regime, der Heimwehrbewegung oder dem (rein katholischen) Cartellverband nahegestanden hatten, litten unter den Studierenden diejenigen am stärksten unter der Nazifizierung des Hochschulwesens, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als ‚jüdisch‘ galten, die also mindestens drei jüdische Großeltern hatten.20 2.1 Die Verfolgung der jüdischen Studierenden
Für diese Gruppe von Studierenden lässt schon die offizielle Statistik der Hochschulverwaltung die dramatischen Folgen der nationalsozialistischen ‚Säuberung‘ erkennen: Im Sommersemester 1938 waren von 184 Studierenden, die im vorangegangenen Semester in der Rubrik zum Religionsbekenntnis unter „mosaisch“ geführt wurden, nur noch 39 Personen übrig geblieben; dies entspricht einem Verlust von fast 80 %! Im Wintersemester 1938/39 waren auch die restlichen 20 % vertrieben. Von da an hatte die Hochschule für Welthandel den Zustand, den das neue Regime von allen öffentlich-rechtlichen Institutionen erwartete und für den diese weitgehend zuverlässig sorgten: Sie war ‚judenrein‘.21 Gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden führte der Ausschluss der jüdischen Studierenden, die nach den Katholiken die größte Religionsgemeinschaft gebildet hatten, innerhalb weniger Monate sprung19 Vgl. oben, S. 52, für die Universität Wien nachdrücklich Andreas Huber, Rückkehr erwünscht. Im Nationalsozialismus aus „politischen“ Gründen vertriebene Lehrende der Universität Wien, Wien/ Münster 2016, S. 253. 20 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, § 5, in: RGBl. 1935/I, S. 1334. Wer unter den Studierenden der ‚Welthandel‘ nach dem ‚Anschluss‘ aus ausschließlich politischen Gründen von der ‚Welthandel‘ vertrieben wurde, lässt sich aus den überlieferten Quellen nicht einmal ansatzweise eruieren und in Relation zur rassistisch motivierten Verfolgung setzen. Aus dem Kreis der Doktoranden zeigt das Beispiel von Walter Wiltschegg, dass ein der Heimwehr und dem austrofaschistischen Regime verbundener Funktionär mit Anpassungsbereitschaft seine Promotion unter dem NS-Regime erfolgreich abschließen konnte – in seinem Fall gar mit einer Doktorarbeit über das Thema Die berufsständische Wirtschaftsordnung Österreichs. Idee – Kampf – Wirklichkeit. Die Drucklegung wurde ihm erlassen, die maschinenschriftliche Dissertation war für den Austausch gesperrt. Zu Wiltscheggs Promotion siehe WUW-AR, Allgemeine Akten 1938 und 1939, vorl. Ktn.Nr. S 30a, und die Katalogkarte zu seiner Dissertation in der Universitätsbibliothek der WU Wien, Sign. 38.936 C. 21 WUW-AR, Statistiken der Hochschule für Welthandel für den Zeitraum Wintersemester 1937/38 bis Wintersemester 1938/39, vorl. Ktn.-Nr. S 179. Ab 1940 verschwand die Rubrik „mosaisch“ aus den Studierendenstatistiken.
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Abb. 2: Als Folge des Ausschlusses der jüdischen Studierenden blieb die Rubrik „mosaisch“ in der Statistik der Hochschule für Welthandel zum Wintersemester 1938/39 leer. Dafür wurde erstmals die Rubrik „gottgläubig“ als Chiffre für SS-affine Pseudoreligiosität in die Hochschulstatistik eingeführt.
haft zu einem Rückgang von 22,5 % (WiSe 1937/38) über 7 % (SoSe 1938) zum Numerus nullus (ab WiSe 1938/39). Neben dem allgemeinen radikalen, auf vollständige Segregation und Exklusion zielenden Antisemitismus des NS-Regimes lassen sich zwei Gründe dafür angeben, dass an der Hochschule für Welthandel die Vertreibung der jüdischen Studierenden derart gravierend ausfiel: Erstens stand diese Hochschule mit ihrer Spezialisierung auf den Handel für eines jener Berufsfelder, in denen Juden traditionell stark vertreten gewesen waren. Zweitens hatte die ‚Welthandel‘ in der Zwischenkriegszeit nicht zuletzt auf Studierende aus den mittel- und osteuropäischen Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches eine starke Anziehungskraft ausgeübt, und hierunter befand sich nun einmal ein hoher Anteil an Jüdinnen und Juden. Deren Zahl hatte zwar nicht
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zuletzt vor dem Hintergrund der Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 abgenommen, war aber seit Mitte der 1930er Jahre – im Gegensatz zum allgemein rückläufigen Trend der Hörerzahlen – wieder gestiegen und befand sich am Vorabend des ‚Anschlusses‘ immer noch auf einem Niveau, das dem Einbruch in der Hochschulstatistik seine signifikante Dimension verlieh.22
22 Zur Entwicklung der Anzahl ausländischer Studierender an der ‚Welthandel‘ unter Einschluss der Jüdinnen und Juden vgl. Lobnig, Die Hochschule für Welthandel, besonders Kap. 5. Für die Jahre bis 1931 siehe auch Alois Mosser, Die Absolventen der Hochschule für Welthandel in Wien 1920 bis 1945, in: Ders./Evelyn Dawid, SPONDEO. Die Absolventen der k. k. Exportakademie, der Hochschule für Welthandel und der Wirtschaftsuniversität Wien, Wien/Frankfurt a.M. 2000, S. 73–82.
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2.1.1 Antisemitismus vor dem ‚Anschluss‘
Der Ausschluss der jüdischen Studierenden, die sich mit dem ‚Anschluss‘ auch außerhalb des Studiums gravierenden bis existenzbedrohenden Restriktionen und Diskriminierungen ausgesetzt sahen,23 fiel freilich nicht vom Himmel. In den 1920er und frühen 1930er Jahren war es an den österreichischen Hochschulen immer wieder zu antisemitischen Hetzkampagnen und Gewaltexzessen gekommen, die unter dem austrofaschistischen Regime nur mühsam hatten eingehegt werden können.24 Immer wieder hatten deutschnationale und nationalsozialistische Studenten Tumulte inszeniert, Wände mit Hakenkreuzen und aggressiven judenfeindlichen Losungen beschmiert, Böller in Seminarräume geworfen, deren Detonationen gelegentlich zu Sachschäden führten, und jüdische Studierende wiederholt brutal aus Hörsälen gedrängt. 1927 berichtete die liberale Neue Freie Presse beispielsweise unter dem bezeichnenden Titel Krawalle in Permanenz, an der ‚Welthandel‘ werde „lustig weitergeprügelt.“ Vorlesungen könnten nicht abgehalten werden, weil die Hochschule aus „dünkelhaftem Rassenhass“ heraus von studentischer Seite lahmgelegt werde mit dem Ergebnis, „daß die Polizei alle Hände voll zu tun hat und täglich einen Hussitensturm auf das Anstaltsgebäude verhindern muß.“25 Im Umfeld von Hitlers ‚Machtergreifung‘ in Deutschland intensivierten nationalsozialistische Studierende an der ‚Welthandel‘ wie auch an anderen österreichischen Hochschulen die Bemühungen, durch Gewalt einzuschüchtern. So wurden etwa am 20. März 1933 sechs Hochschüler durch Prügeleien verletzt, nachdem NS-Redner rechtswidrig den Zutritt zum Hochschulgebäude auf Mitglieder der Deutschen Studentenschaft (DSt) beschränkt hatten, in der weder Ausländer noch Juden (welcher Staatsangehörigkeit auch immer) vertreten waren.26 Und nachdem im ‚Dritten Reich‘ der Boykott der 23 Zum stufenweisen Prozess der Judenverfolgung in Wien siehe zusammenfassend Gerhard Botz, Ausgrenzung, Beraubung und Vernichtung. Das Ende des Wiener Judentums unter der nationalsozialistischen Herrschaft (1938–1945), in: Ders. u.a. (Hg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, Wien 20022, S. 315–339. 24 Siehe hierzu Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, passim; Werner Hanak-Lettner, Ausschluss, Terror und Pogrome. Nachrichten, Protokolle und Erinnerungen 1918–1938, in: Ders. (Hg.), Die Universität. Eine Kampfzone, Wien 2015, S. 123–126; sowie unter Berücksichtigung der Hochschule für Welthandel meinen Aufsatz „Die Vernichtung der jüdischen Lehr- und Lerntätigkeit“. Antisemitismus an den wissenschaftlichen Hochschulen in Wien bis zum ‚Anschluss‘ Österreichs, der voraussichtlich 2017 erscheinen wird in: Gertrude Enderle-Burcel/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), Antisemitismus in Österreich 1933–1938. Siehe auch die Beispiele oben, S. 161, Fußnote 17. 25 Neue Freie Presse (NFP), Morgenblatt vom 15. März 1927. 26 NFP, Morgenblatt vom 21. März 1933.
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Geschäfte jüdischer Besitzer angezettelt worden war, wurden jüdische Studierende von nationalsozialistischen Kommilitonen gewaltsam aus der Aula der ‚Welthandel‘ gedrängt.27 Die an die randalierenden Studierenden gerichtete „dringliche Mahnung“ etlicher Rektoren unter Einschluss von ‚Welthandels‘-Rektor Julius Ziegler, „Ruhe und Disziplin strengstens zu wahren“,28 verhallte ungehört. Erst die Einrichtung von Polizeiwachen im Hochschulgebäude und die restriktiven Gesetze, mit denen die Regierung unter Dollfuß und Schuschnigg dem NS-Terror Einhalt zu gebieten versuchte, konnten die Gewalt in den Folgejahren einschränken. Doch „Sieg Heil“Rufe an der Hochschule für Welthandel, der Universität Wien und der Technischen Hochschule Wien29 nährten im Vorfeld des ‚Anschlusses‘ auf jüdischer Seite zu Recht unangenehme Erinnerungen und zugleich Befürchtungen für die Zukunft. Angesichts des fortgesetzten „Naziterrors“ wurde die ‚Welthandel‘ einmal – ebenso zutreffend wie einseitig – als „die Hochburg des braunen Bolschewismus“ bezeichnet.30 Zeitgenössische Zeitungsberichte31 lassen allerdings vermuten, dass die ‚Hakenkreuzler‘ (wie die antisemitischen und antisozialistischen Randalierer bisweilen genannt wurden) damals nicht ausschließlich an der jeweils eigenen Hochschule ihr Unwesen trieben. Zumindest an einem Standort mit mehreren Hochschulen wie Wien scheint es eine Art von interuniversitärem ‚Krawalltourismus‘ gegeben zu haben; dabei war die ‚Welthandel‘ neben der Universität Wien, der Hochschule für Bodenkultur und der Technischen Hochschule eines der Zentren antisemitischer und antisozialistischer Agitation. Selbst ein niederschwelliger Organisationsgrad hatte für eine Vernetzung gesorgt, der die jüdischen Studierenden nichts Gleichwertiges hatten entgegensetzen können. Dazu war die wohlwollende, mitunter ostentative Duldung oder auch aktive Unterstützung gekommen, die deutschnationale Studierende seitens der überwiegenden Mehrheit der Professoren erfahren hatten. Die Kumpanei zwischen rechtsextremen Studierenden, deutschnationalen Hochschullehrern und -leitungen und der staatlichen Bürokratie wie namentlich dem Unterrichtsministerium war seit den 1920er Jahren auch in den Bemühungen zum Ausdruck gekommen, durch den Erlass diskriminierender Studierendenordnungen und die Einführung eines Numerus clausus einen Großteil der jüdischen Studierenden
27 ÖStA/Allgemeines Verwaltungsarchiv, BMfU, Allgemein, Fasz. 3988, Bericht der Bundes-Polizeidirektion Wien vom 5. April 1933. 28 Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk vom 14. Oktober 1933. 29 Siehe die Berichte in NFP vom 23. November und in Das Kleine Blatt vom 25. November 1937. 30 Gegen Naziterror an den Hochschulen, in: Sturm über Österreich vom 16. Juli 1933. 31 Schon die Auswahl an Zeitungsartikeln, die das Tagblattarchiv der Wienbibliothek im Rathaus zu den Hochschulen in der Zwischenkriegszeit umfasst, ist in dieser Hinsicht aufschlussreich.
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vom Studium auszuschließen.32 Für diesen Teil der Studentenschaft war es auch ein Menetekel gewesen, dass der NSDStB im Februar 1931 bei den Wahlen zur Deutschen Studentenschaft an allen Wiener Hochschulen zur stärksten Fraktion geworden war.33 An der ‚Welthandel‘ war der Sieg der Nationalsozialisten bei einer Wahlbeteiligung von 77,37 % besonders krass ausgefallen: Während die katholisch-deutsche Liste nur 163 und die deutschvölkische Liste 250 Stimmen auf sich hatten vereinigen können, hatten die Nationalsozialisten 530 Stimmen errungen. Sie hatten aus dem Stand 13 Mandate erhalten, während die anderen beiden Fraktionen sich mit vier bzw. sechs Mandaten hatten begnügen müssen.34 Im Juli desselben Jahres hatten die Nationalsozialisten denn auch die Führung der DSt übernommen, die ihrerseits den Anspruch erhob, die einzig legitime Vertretung aller deutschsprachigen Studierenden gegenüber den akademischen Behörden zu sein und Vorrang gegenüber Vertretungsorganen von nichtdeutschen Studierenden zu haben, zu denen auch Juden mit deutscher Muttersprache und österreichischer Staatsbürgerschaft zählten. Weder die Dominanz nationalistischer Kreise im Allgemeinen noch der Antisemitismus im Besonderen waren im Hochschulwesen der Zwischenkriegszeit ein österreichisches Alleinstellungsmerkmal.35 Aber sie waren in Österreich mindestens so stark ausgeprägt wie in Deutschland, und noch ehe die NSDAP dort an die Macht kam, hatte die NS-Bewegung in Österreich bereits die Hochschulen erobert. Besonders für die jüdischen Studierenden bedeutete dies nichts Gutes. Die wohlbegründeten Proteste ihrer Interessenvertretungen36 verhallten fast ungehört. Das NS-Regime 32 Nach wie vor grundlegend ist vor allem Brigitte Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien/Salzburg 1990. Zur Situation an der ‚Welthandel‘ siehe oben, S. 164 ff. 33 Vgl. Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a.M. 1984, S. 152–163 und Michael Grüttner, Studenten im Dritten Reich. Geschichte der deutschen Studentenschaft 1933– 1945, Paderborn u.a. 1995, S. 19–30. 34 Zahlen nach Reichspost vom 10. Februar 1931. Der Kommentar des katholischen Blattes, der exorbitante Wahlsieg der Nationalsozialisten sei auf Kosten der deutschvölkischen Liste gegangen, während die katholische Studentenschaft mit ihren vier Mandaten „ihren Besitzstand ungeschmälert behauptet“ habe, verschleierte den dramatischen Erdrutschsieg, den der NSDStB an der ‚Welthandel‘ errungen hatte. 35 Vgl. Lieve Gevers/Louis Vos, Studentische Bewegungen, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 3: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800–1945), München 2004, S. 287–298 und Regina Fritz/Grzegorz Rossoliński-Liebe/Jana Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939, Wien 2016. 36 Vgl. beispielsweise Johannes Koll, Wider den Antisemitismus an Österreichs Hochschulen. Eine vergessene Denkschrift von 1930, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63 (2015), S. 451–474.
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wiederum konnte ab März 1938 auf Grundlagen aufbauen, die – wenn auch in diskontinuierlicher Intensität – seit gut zwei Jahrzehnten gelegt worden waren. Trotz all der unheilvollen Vorzeichen war die Wucht des ‚Anschlusses‘ für die jüdischen Studierenden enorm. Was bedeuteten die Ereignisse vom März 1938 für die Betroffenen der Hochschule für Welthandel? 2.1.2 Der Ausschluss von der Hochschule ab 1938 und seine Folgen
Die Spannweite der Folgen, die der ‚Anschluss‘ Österreichs für die jüdischen Studierenden dieser Hochschule haben konnte, lässt sich exemplarisch am Schicksal der eingangs erwähnten Doktoranden Karl Löwy und Arthur Luka illustrieren: Während Löwy mit seiner hochschwangeren Ehefrau Martha und seiner vierjährigen Tochter Ilse im Mai 1938 in die USA emigrieren konnte, blieb Luka fatalerweise in Wien. Hier wurde er am 17. November 1941 aufgegriffen und elf Tage später ins Ghetto Minsk deportiert; das Ende des Zweiten Weltkriegs hat er nicht erlebt. Luka wurde somit genauso Opfer der Shoah wie etliche Verwandte von Karl Löwy, die im Unterschied zu ihm nicht rechtzeitig das ‚Großdeutsche Reich‘ hatten verlassen können; dazu zählte sein Bruder Ignatz, der 1943 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und Ende September 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.37 Im Unterschied zu Löwy und Luka wurde 13 anderen jüdischen Doktorandinnen und Doktoranden, die zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ kurz vor dem Abschluss ihres Promotionsstudiums standen, sehr wohl die Gelegenheit gegeben, zu den Rigorosen anzutreten – und dies, obwohl Minister Menghin am 29. März 1938 verfügt hatte, dass inländische Juden nicht mehr zu Prüfungen zugelassen werden durften.38 Das ‚Zugeständnis‘, mit dem das NS-Regime möglicherweise die Ausreise jüdischer Akademiker aus dem ‚Großdeutschen Reich‘ beschleunigen wollte, hatte allerdings Haken. Zum einen stand den jüdischen Doktorandinnen und Doktoranden ausschließlich das Sommersemester zur Verfügung; dass eine allfällige Wiederholung im Wintersemester 1938/39 ausgeschlossen war, erhöhte für sie den Erfolgsdruck. Zum anderen wurden die ‚Nichtarierpromotionen‘ jedes feierlichen Charakters beraubt: Siehe auch den Bericht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien über die Tätigkeit in der Periode 1929–1932, Wien 1932. 37 Zu Ignatz Löwy siehe den Eintrag in Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, http://www.doew.at/ [31. Januar 2017]. 38 ÖStA/AdR, BMHuV, Fasz. 577, Zl. 127120, Menghin an das österreichische Handelsministerium vom 29. März 1938. Zur Promotion der 13 jüdischen Doktoranden siehe ebd., Zl. 129630 und Zl. 129630-14a/38.
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Abb. 3: Karl Löwy mit Ehefrau Martha und der vierjährigen Tochter Ilse im Mai 1938 in Hamburg, kurz vor der Überfahrt nach New York.
Die Öffentlichkeit, Verwandte und Bekannte hatten keinen Zugang; akademische Funktionsträger wie Rektor oder Doktorvater durften nicht im Talar auftreten; feierliche Ansprachen waren untersagt; und das Gelöbnis war von den frisch promovierten Doktoren der Handelswissenschaft nicht mündlich, sondern durch Unterzeichnung eines vorgedruckten Formulars abzulegen.39 Dazu kam, dass das Professorenkollegium jüdischen Promovenden in mindestens zwei Fällen die beantragte Befreiung von der Verpflichtung zur kostenintensiven Drucklegung der Dissertation verweigerte.40 Dies war umso belastender, als Juden ohnehin durch ‚wilde‘ wie auch durch organisierte ‚Arisierungen‘ ausgebeutet wurden. Die Befreiung von der Drucklegung, die die Promotionsordnung in Übereinstimmung mit der österreichischen Bundesverfassung „aus wirtschaftlichen Gründen“ grundsätzlich als Möglichkeit vorsah,41 39 Ebd., Zl. 129630-14a/38. Die Gelöbnisformel findet sich als Anlage 1 zur Promotionsordnung von 1930 abgedruckt im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 317/1930, S. 1454. Zur ‚abgespeckten‘ Zeremonie der ‚Nichtarierpromotion‘ vgl. auch den Beitrag von Katharina Kniefacz und Herbert Posch in diesem Band, S. 133 f. 40 WUW-AR, Prof.koll. vom 5. Juli 1938. Betroffen von der Entscheidung waren Leo Färber und Josef Zimet. 41 BGBl., Nr. 317/1930, hier § 5, S. 1452.
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galt nach dem ‚Anschluss‘ offenbar nicht mehr im gleichen Maße für Juden wie für ‚Arier‘. Ob es übrigens sachliche Kriterien gab, die über die Zulassung oder – wie im Falle von Luka und Löwy – die Verweigerung der Zulassung zu den Rigorosen entschieden, lässt sich aus den überlieferten Akten nicht erschließen. Der rechtliche Rahmen jedenfalls ließ nur die Unterscheidung zwischen österreichischen und ausländischen Juden zu, und dieses Kriterium scheidet bei den genannten Doktoranden aus. Andere Differenzierungen waren legistisch nicht gedeckt. Analog zu den Doktoranden blieb der zahlenmäßig weitaus größeren Gruppe der jüdischen Hörerinnen und Hörer, die für den Diplomstudiengang immatrikuliert waren, höchstens das Sommersemester 1938, um – ebenfalls unter hohem Druck – Prüfungen abzulegen und ein Abgangszeugnis oder eine Diplomurkunde zu erwirken.42 Wie Robert Eder bezeugt, konnte es jüdischen Studierenden widerfahren, dass sie das Hochschulgebäude im Währinger Park gar nicht mehr betreten durften.43 Wem aus diesem Personenkreis dennoch für einige Wochen der Zutritt gestattet war, sah sich Bedingungen und Stimmungen ausgesetzt, die einem regulären Studien- und Prüfungsalltag entgegenstanden. Vor allem Studierende, die aus mittel- und osteuropäischen Ländern nach Wien gekommen waren, warteten nach dem Einmarsch der Wehrmacht die weitere Entwicklung gar nicht erst ab, sondern meldeten sich noch im März oder April 1938 von den Wohnungen oder Zimmern ab, die sie während des Studiums in Wien bezogen hatten. Die antisemitische Hetze der zurückliegenden Jahre, das abschreckende Vorgehen der Nationalsozialisten in Deutschland nach der ‚Machtergreifung‘, die martialischen Ankündigungen und einschüchternden Drohgebärden der neuen Machthaber im ‚angeschlossenen‘ Österreich, die marodierenden SA-, SS- und NSDAP-Horden insbesondere in Wien sowie die berüchtigten ‚Reibpartien‘, bei denen Jüdinnen und Juden unter allgemeiner Pogromstimmung zur Reinigung des Straßenpflasters von Losungen des austrofaschistischen Regimes gezwungen wurden, ließen die Abreise aus Wien schon in den ersten Tagen nach dem ‚Anschluss‘ durchaus als eine vernünftige Option erscheinen. Für etliche jüdische Studierende der ‚Welthandel‘ mit österreichischer Staatsbür42 Nicht bei allen Betroffenen ist auf den Studierendenkarteikarten die Ausstellung eines Abgangszeugnisses vermerkt worden. Inwieweit diese Studierenden tatsächlich kein Zeugnis bekommen haben oder das gelegentliche Fehlen eines entsprechenden Vermerks auf eine inkonsequente Aktenführung der Hochschulverwaltung zurückzuführen ist, entzieht sich der Überprüfbarkeit. 43 Siehe unten, S. 493. Ob das Betretungsverbot vom Rektorat der ‚Welthandel‘ genehmigt war, konnte nicht geklärt werden. Auch wenn die Verweisung vom Hochschulboden Robert Eders Erinnerung zufolge bald auf den Einmarsch der Wehrmacht erfolgte, muss offenbleiben, ob sie im Zusammenhang mit dem Numerus clausus stand oder auf ein frühzeitiges eigenmächtiges Vorgehen nichtautorisierter Personen oder Organe zurückging.
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gerschaft, mit einer anderen Staatsangehörigkeit wie auch für staatenlose Juden sollten sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Länder in Nord- und Südamerika, die Schweiz, Länder des britischen Commonwealth unter Einschluss des Mutterlandes und das unter britischem Völkerbundmandat stehende Palästina als relativ sichere Zufluchtsorte erweisen. Die Voraussetzungen für eine reguläre Einwanderung waren allerdings erheblich und setzten in der Regel entsprechende persönliche oder geschäftliche Kontakte sowie finanzielle Ressourcen voraus, über die die wenigsten nach der systematischen Beraubung durch das NS-Regime verfügten.44 Einigen ‚Welthandels‘-Studierenden gelang es dennoch, sich im jeweiligen Aufnahmeland eine neue Existenz aufzubauen. Dazu zählte neben Robert Eder und seinem Bruder Hans, die sich auf dem britisch verwalteten Malta niederlassen konnten, der 1917 geborene Georg Schüller, dessen Vater nach dem ‚Anschluss‘ die Leitung des Familienunternehmens mit gut 1.000 Arbeitern und Angestellten und Niederlassungen in Wien, Niederösterreich und Budapest entrissen wurde. Nach der Ausreise in die USA erhielt Georg Schüller eine Anstellung an der Stanford University; an deren Hoover Institution on War, Revolution, and Peace betrieb er unter dem amerikanisierten Namen George K. Schueller politik- und geschichtswissenschaftliche Studien über die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts.45 Andere wiederum konnten im Exil allenfalls mit Mühe Fuß fassen. Hans Gerhard Stern beispielsweise, der nach der ‚Nichtarierpromotion‘ vom 12. Juli 1938 nach Neuseeland auswandern konnte, den größten Teil seiner Familie aber in der Shoah verlor, war den Angaben seines Sohnes zufolge so traumatisiert, dass ihm sein Leben lang die Führung eines größeren Unternehmens nicht möglich war.46 Besondere Erwähnung unter den jüdischen ‚Welthandels‘-Studierenden, die emigrieren konnten, verdienen Personen, die sich im Dienst der alliierten Streitkräfte an der Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Herrschaft beteiligt haben, namentlich Julius Winter und Alfred Diamant.47 Winter hatte nach dem ‚Anschluss‘ 44 Allgemein zu dieser Problematik siehe Kap. 2 und 3 im Beitrag von Helga Embacher zu diesem Band. 45 Zum Familienunternehmen vgl. Compass. Finanzielles Jahrbuch 1938: Personenverzeichnis, Wien 1938, S. 1148 mit Compass. Kommerzielles Jahrbuch 1938: Österreich, Wien 1938, S. 1235 und Franz Mathis, Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987, S. 264 f. 46 Freundliche Mitteilung von Univ.-Prof. Dr. Tim Stern (Wellington) vom 11. und 18. Juli 2016. 47 Den – wechselnden – Angaben von Adolf M. Posselt zufolge haben auch er selber (als ‚Mischling‘) und Wilhelm Reindler (als Jude) im und teilweise auch noch nach dem Krieg im Offiziersrang in alliierten Streitkräften gedient: Österreichische Soldaten in den alliierten Streitkräften des Zweiten Weltkrieges (1938–1945), Teil I: Bearbeitung des statistischen Materials (Fakten und Zahlen), Wien 1987, S. 1, und Teil II: Darstellung und Kommentar, Wien 1988, S. 16, 39, 47 und 52 (Posselt),
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den Diplomstudiengang abbrechen müssen und war im Sommer 1939 über Großbritannien in die USA emigriert. Dort schloss er sich drei Jahre später der amerikanischen Armee an. Als Übersetzer wurde er in Tunesien, Italien, Südfrankreich und im Rheinland eingesetzt und mehrfach ausgezeichnet. Während er und seine Schwester Irene Krieg und Shoah überlebten, wurden seine Eltern sowie seine Schwester Grete im Ghetto Łódź bzw. im Vernichtungslager Kulmhof/Chełmno umgebracht.48 Auch Diamant sah seine Zukunft als Diplomkaufmann durch den ‚Anschluss‘ abrupt beendet.49 Ihm gelang nach einem Zwischenaufenthalt in Großbritannien Anfang 1940 die Emigration in die Vereinigten Staaten. Einen Tag nachdem die japanischen Luftstreitkräfte die Pazifikflotte der USA in Pearl Harbor angegriffen hatten (7. Dezember 1941), meldete Diamant sich freiwillig zur US Army. Hier wurde er zum Fallschirmspringer und Verhöroffizier ausgebildet – war er aufgrund seiner muttersprachlichen Deutschkenntnisse doch für die Befragung von deutschen Kriegsgefangenen prädestiniert. Bei der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 aber wurden er und die 18 anderen Angehörigen der von ihm befehligten Einheit, die zum 508. Fallschirmjägerregiment der 82. US-Luftlandedivision gehörte, hinter der Frontlinie in Nordfrankreich so ungünstig versprengt, dass sie ihren Auftrag nicht ausführen konnten. Zu den wenigen Überlebenden der Einheit zählte Alfred Diamant, der allerdings durch einen Schuss in den Rücken verletzt wurde und bei der 709. Infanteriedivision in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Hier sowie ebd., S. 54 (Reindler). Ein weiterer jüdischer Studierender, der 1938 infolge des ‚Anschlusses‘ die Hochschule für Welthandel hatte verlassen müssen, soll sich 1941 der Roten Armee angeschlossen haben: Zacharias Murmelstein, jüngerer Bruder des Rabbiners und späteren Wiener Judenrats und Judenältesten in Theresienstadt Benjamin Murmelstein; freundliche Mitteilung von Dr. Wolf Murmelstein (Ladispoli, Italien) vom 8. und 11. Juni 2013. Den amerikanischen Streitkräften diente zwischen 1941 und 1945 Joseph Hauser (United States Department of Veterans Affairs, https:// www.va.gov/ [21. Dezember 2016]), während sich der aus Sofia stammende Hans Liatscheff der französischen Befreiungsarmee anschloss, die Charles de Gaulle im Juni 1940 im Londoner Exil ins Leben gerufen hatte. Nach Einsätzen im Libanon und in Nordafrika kam er als Leutnant einer Pioniereinheit der Forces françaises libres am 5. September 1943 bei einem Unfall ums Leben. Siehe den Eintrag zu ihm in: République Française – Ministère de la Défense, Mémoire des hommes, Parcours individuels, http://www.memoiredeshommes.sga.defense.gouv.fr/fr/ [10. März 2017]. Für die Unterstützung bei Recherchen zu Hauser und Liatscheff danke ich Barbara Timmermann (Wien). 48 Zu Julius Winter siehe die nach ihm benannte Sammlung im Center for Jewish History (PID 1552553), zur Ermordung seiner Eltern Berthold und Selma und seiner Schwester Grete die Einträge ID 1113834 (Berthold), 1954178 (Selma), 1392653, 3989775 und 597228 (Grete) in Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, http://www.yadvashem.org/yv/de/about/ hall_of_names/about_central_database.asp [6. März 2017]. 49 So seine eigene Darstellung in der Doppelautobiografie, die er mit seiner Ehefrau herausgebracht hat: Ann Redmon Diamant/Alfred Diamant, Worlds Apart, Worlds United. A European-American Story. The Memoirs of Ann & Alfred Diamant, Bloomington 2010, S. 110.
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wurde seine Identität zu seinem Glück nicht genauer überprüft – für ihn als exilierten Juden, der den alliierten Streitkräften als Offizier diente, wäre die standrechtliche Exekution wohl unausweichlich gewesen. Der chaotische Rückzug, zu dem sich die Wehrmacht angesichts des raschen Vormarschs der Alliierten gezwungen sah, führte dazu, dass Diamant zurückgelassen wurde und bald danach in ein britisches Militärspital gebracht werden konnte. So wurde er zwar zu einem Verhöroffizier „who never saw a German soldier to interrogate“,50 kam aber mit dem Leben davon. In der Nachkriegszeit hat er sich dann auf andere Weise mit der NS-Zeit auseinandergesetzt: Nach Studium und Promotion hat sich Alfred Diamant an verschiedenen amerikanischen Universitäten als Politikwissenschaftler etabliert und sich in historischen Abhandlungen kritisch mit der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert beschäftigt. Angesichts der aggressiven Außenpolitik der NS-Führung boten allerdings die Rückkehr ins außerdeutsche Heimatland, die Emigration oder die Flucht aus der ‚Ostmark‘ jüdischen Studierenden nicht in allen Fällen Sicherheit. Einige von ihnen wurden nachweislich vom nationalsozialistischen Regime wieder eingeholt, nachdem das ‚Großdeutsche Reich‘ sukzessive die Tschechoslowakei, Polen und andere Länder überfallen und besonders in Osteuropa mit Unterstützung verbündeter Staaten einen brutalen ‚Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg‘ begonnen hatte. Wie einige jüdische Studierende der ‚Welthandel‘, die im Deutschen Reich verblieben waren, waren auch unter ihnen etliche Personen von der Internierung in einem Konzentrationslager, der Ermordung im Zuge der Shoah oder dem Tod infolge von militärischen Operationen des Zweiten Weltkriegs betroffen. Als erstes Beispiel sei auf Maksymiljan Mordekhai Dzialoszynski aus dem polnischen Łódź verwiesen. Er gehörte zu jenen jüdischen Studierenden, die im Sommersemester 1938 an der Wiener ‚Welthandel‘ die Erste (allgemeine) Prüfung sowie – mit sehr gutem Erfolg – Teile der Diplomprüfung hatte ablegen dürfen. Anschließend kehrte er nolens volens in seine Heimatstadt zurück, wo er sich als Händler niederließ. Nach dem deutschen Überfall auf Polen aber wurde er zusammen mit seinen Eltern Avraham und Roza im Ghetto von Łódź, das im NS-Jargon Litzmannstadt genannt wurde, ermordet.51 Ein besonderes Schicksal erlitt György Stern, der nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs in seine ungarische Heimatstadt Raab/Győr zurückgekehrt war. In Ungarn wurde er in eines der jüdischen Zwangsarbeiterbataillone eingezogen, die dem Kommando von nichtjüdischen ungarischen Offizieren unterstanden. Dass diese Einheiten Teil 50 Florian Traussnig, Militärischer Widerstand von außen. Österreicher in US-Armee und Kriegsgeheimdienst im Zweiten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2016, Kap. 1.2.4; hier finden sich auch weitere Informationen zu Diamants Einsatz in den amerikanischen Streitkräften. 51 Siehe die Einträge ID 520519 (Maksymiljan), 1448768 und 1448770 (Roza bzw. Shoshana) sowie 1448699 (Avraham) in Yad Vashem, Zentrale Datenbank.
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der antisemitischen Diskriminierung waren, die das Land unter Reichsverweser Miklós Horthy schon frühzeitig betrieb, erhellt aus den Bedingungen, unter denen ihre Angehörigen an der Front eingesetzt wurden: Im Gegensatz zu den Soldaten der ungarischen Armee, von denen sie bewacht wurden, durften die jüdischen Zwangsarbeiter keine Waffen tragen; sie wurden nur mit Arbeitsgerätschaften ausgestattet und konnten sich somit im Falle eines Angriffs nicht verteidigen. Ihnen war untersagt, Uniform zu tragen, und gelbe Armbinden, die analog zum ‚Judenstern‘ im Deutschen Reich zu einer sichtbaren Stigmatisierung führten, wiesen sie für jedermann als Juden aus. Unter oft lebensgefährlichen Bedingungen wurden sie während des Krieges beim Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Verteidigungsanlagen eingesetzt; auch der Transport von Minen oder die Räumung von Minenfeldern zählten zu ihren Aufgaben.52 György Stern gehörte dem ungarischen Zwangsarbeiterbataillon II/6 an, das am 20. Januar 1943 im ukrainischen Ort Poltava eingesetzt war. Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen er ums Leben kam, lässt sich nicht eindeutig klären. Ist er bei den Kämpfen ums Leben gekommen, die sich Deutschland im Rahmen der bald folgenden Schlacht bei Charkow mit der Roten Armee lieferte? Wurde er von ungarischen Soldaten oder von Angehörigen deutscher Verbände liquidiert? Oder wurde er – wie viele andere Zwangsarbeiter – vom sowjetischen Regime unter der perversen Beschuldigung, für den Kriegsgegner gearbeitet zu haben, gefangen genommen? In diesem Fall wäre weiter zu fragen, ob er gegebenenfalls vor Ort liquidiert oder in einem sowjetischen Lager ermordet wurde. Der familiären Überlieferung nach erlebte György Stern zwar im Gegensatz zu seinen Eltern Janka und Ferenc die Befreiung Ungarns, wurde aber danach ungeachtet seiner Sympathien für den Kommunismus in die Sowjetunion verschleppt und hier ermordet.53 Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs bot nicht einmal die Flucht in ein westeuropäisches Land Sicherheit vor Verfolgung. Diese bittere Erfahrung musste Leo Färber machen. Er hatte zu den sieben jüdischen Doktoranden gehört, die die ‚Nichtarierpromotion‘ vom 12. Juli 1938 abgelegt hatten. Gut sieben Monate später konnte sich Färber zwar nach Belgien absetzen, geriet aber im Zuge des Westfeldzugs (ab 52 Randolph L. Braham zufolge verloren schätzungsweise 40.000 Angehörige solcher Einheiten ihr Leben (The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary, Washington 2000, Kap. 2). 53 Seine Schwester Eva wurde nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn (März 1944) zusammen mit ihren Eltern aus dem Ghetto in Raab nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte den berüchtigten Todesmarsch und gehörte zu den Insassen, die am 15. April 1945 von britischen Einheiten aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit wurde. Dem jüngeren Bruder von Eva und György, Stefan Stern, gelang es, sich in den letzten Monaten vor Kriegsende dem Schutz des couragierten schweizerischen Diplomaten Carl Lutz zu unterstellen. Freundliche Mitteilung von Stefan Sterns Witwe Rosemarie Stern (Wien).
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Mai 1940) in die Fänge des NS-Regimes und wurde zwölf Monate lang im südfranzösischen Konzentrationslager Gurs interniert. Glücklicherweise gehörte der Wiener Diplomkaufmann nicht zu jenen Tausenden von Insassen, die in diesem Lager infolge von Hunger, den katastrophalen hygienischen Umständen oder Krankheiten umkamen oder von hier aus in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.54 Wie viele jüdische Studierende der Hochschule für Welthandel zwischen ‚Anschluss‘ und Kriegsende infolge der nationalsozialistischen Politik ums Leben gekommen sind, wie viele Shoah und Weltkrieg überlebt haben, wie viele emigriert oder geflüchtet sind und wie viele trotz Emigration oder Flucht im Zuge des Überfalls der Wehrmacht auf andere Länder vom NS-System wieder eingeholt oder von Bündnispartnern des Deutschen Reiches in den Tod geführt wurden, lässt sich nicht ermitteln. Denn die bruchstückhafte Überlieferung erlaubt es trotz intensiver Recherchen nicht, die Schicksale von allen 184 jüdischen Studierenden aufzuklären, die im letzten Semester vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich inskribiert waren. Fest steht derzeit, dass unter den vom NS-Regime als ‚jüdisch‘ oder ‚halbjüdisch‘ qualifizierten Hochschulangehörigen fünf Personen der Shoah zum Opfer gefallen sind: Der Technologie-Dozent Dr. Adolf Jolles und seine Frau Rosa wurden 1942 in Theresienstadt umgebracht;55 der ‚Mischling ersten Grades‘ und Angehörige der katholischen Studentenverbindung Marco-Danubia Karl von Kummer wurde 1942 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert und kam bei einem Arbeitseinsatz in der Nähe von Weimar, zu dem er am 24. August 1944 mit anderen KZ-Häftlingen gezwungen worden war, durch einen Luftangriff der Alliierten ums Leben;56 der ungarische Student György Hajdu verlor während des Zweiten Weltkriegs unter unbekannten Umständen sein Leben;57 schließlich sind in diesem Zusammenhang noch einmal Maksymiljan M. Dzialoszynski und Arthur Luka zu nennen.
54 Zu seinem KZ-Aufenthalt siehe ÖStA/AdR, Bundesministerium für Finanzen (BMfF), Hilfsfonds, Zl. 3912. 55 Siehe Yad Vashem, Zentrale Datenbank, ID 1012731 und 1400759 (Adolf ), 1015460, 1400762 und 4768922 (Rosa). 56 Siehe Herbert Fritz/Peter Krause (Hg.), Farben tragen, Farbe bekennen 1938–1945. Katholische Korporierte in Widerstand und Verfolgung, Wien 20132, S. 395. Zum Bombenangriff siehe Harry Stein, Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Begleitband zur ständischen historischen Ausstellung, hrsg. von der Gedenkstätte Buchenwald, Göttingen 20075, S. 205 f. 57 Yad Vashem, Zentrale Datenbank, ID 10976491.
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2.1.3 Resümee: Dimensionen der ‚Säuberungen‘ unter jüdischen Studierenden
Dies alles zeigt, dass die ‚Säuberungen‘ von 1938 weit über das erzwungene Ende einer Hochschulausbildung hinausgingen. Sie hatten Folgen für die gesamte weitere Biografie der betroffenen Hochschulangehörigen. Mehr noch: Wie schon am Schicksal von einigen der genannten ‚Welthandels‘-Studierenden deutlich geworden ist, wurden in vielen Fällen Verwandte Opfer der Verfolgungspolitik. Das gilt auch für Hans Ungar.58 Ihm selber gelang es zwar, sich rechtzeitig nach dem ‚Anschluss‘ nach Kolumbien abzusetzen. Sein Bruder Fritz hingegen war kurz nach dem ‚Anschluss‘ verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Auschwitz verschleppt worden; im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde er im Februar 1943 umgebracht. Auch die Eltern, in deren großbürgerlichem Wiener Haus einst Schriftsteller wie Stefan Zweig und Hermann Bahr zu Gast gewesen waren, wurden Opfer der Shoah: Alice und Paul Ungar wurden vermutlich 1942 in Sobibór umgebracht. Hans heiratete in Kolumbien die gebürtige Wienerin Elisabeth Bleier, die ebenso wie Hans durch Emigration der Judenverfolgung entkommen war und die genauso wie ihr Bräutigam die nächsten Verwandten in der Shoah verloren hatte. Der historische Horizont der ‚Säuberungen‘ war somit nicht nur topografisch, sondern auch in seinen sozialen Verflechtungen keineswegs auf die Hochschule im Währinger Park beschränkt. In seiner Gesamtheit hatte der ‚Säuberungs‘-Prozess weitreichende, geradezu globale Konsequenzen. 2.2 Restriktionen und permanenter Schwebezustand: das Studium der ‚Mischlinge‘
Im Unterschied zu denjenigen, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als ‚Volljuden‘ galten, mussten die Studierenden, die mit ein bis zwei jüdischen Großelternteilen in der nationalsozialistischen Umgangssprache mal als ‚Mischlinge‘ (ersten bzw. zweiten Grades), mal als ‚Halb‘- bzw. ‚Vierteljuden‘, dann wieder als ‚Judenstämmlinge‘ oder als ‚Judenabkömmlinge‘ bezeichnet wurden, nicht unmittelbar oder innerhalb weniger Monate nach dem ‚Anschluss‘ die Hochschulen verlassen. Das Reichswissenschaftsministerium beschied denn auch Anfang Januar 1940, dass „jüdischen Mischlingen deut58 Zum Folgenden siehe Bernhard Brudermann, „Wahrscheinlich ist die Literatur der beste Weg, um dieses einzigartige, widersprüchliche, großartige Land zu verstehen“ (Kolumbien), in: DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift, H. 65 vom Juni 2005 (http://www.david.juden.at/kulturzeitschrift/61-65/65Ungar.htm [5. November 2016]), mit Karen Naundorf: Señora Lilly und die Bücher. Geschäftssprache Wienerisch: Ein Besuch in der ältesten Buchhandlung Kolumbiens, in: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben vom 11. Oktober 2007. Zu Fritz, Alice und Paul siehe die Einträge in der Internetdatenbank des DÖW.
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scher Staatsangehörigkeit“ das Studium grundsätzlich nicht verwehrt werden dürfe. Doch der Teufel steckte im Detail: In seinem als „vertraulich“ eingestuften Erlass wurde die Studienzulassung an eine Genehmigung durch das REM gebunden. Außerdem handelte es sich um eine Kann-Bestimmung, aus der die Betroffenen keinen Rechtsanspruch ableiten konnten.59 Überdies wurde die Zulassung von ‚Mischlingen‘ im Laufe der Zeit eingeschränkt und von der Zustimmung durch die NSDAP abhängig gemacht.60 Schon Ende desselben Jahres etwa blieb die grundsätzliche Studienzulassung nur noch für die ‚Mischlinge zweiten Grades‘ in Geltung, während männliche ‚Mischlinge ersten Grades‘ fortan nur noch dann zugelassen waren, wenn sie ihren Wehrdienst an der Front ordnungsgemäß beendet hatten oder „ohne Beendigung des Frontdienstes ihr Studium hätten abschließen können.“61 Außerdem mussten ‚Mischlinge‘ per Unterschrift zur Kenntnis nehmen, dass die Diplomurkunde „nicht zur Erlangung eines öffentlichen Amtes im Gebiete des Deutschen Reiches“ berechtigte,62 und 1944 wurden unter den ‚Mischlingen ersten Grades‘ nur noch diejenigen im Wege einer Ausnahmeregelung zugelassen, die sich nachweislich „jahrelang vor der Machtübernahme in Unkenntnis ihrer Mischlingseigenschaft als Nationalsozialisten bewährt“ hatten.63 Schließlich kam erschwerend hinzu, dass die Zuständigkeit für den Umgang mit ‚Mischlingen‘ im Hochschulbereich – wie so viele andere Politikbereiche im polykratischen NS-System – zwischen verschiedenen parteiamtlichen und staatlichen Instanzen umstritten und Wandlungen unterworfen war. Schon lange vor dem ‚Anschluss‘ Österreichs hatten sich das Reichsministerium in Berlin und die Parteikanzlei in München eine Auseinandersetzung geliefert; mit dem Umbruch vom März 1938 hörte der „uferlose Aktenkrieg“, der „auf beiden Seiten mit wachsender Schärfe und Erbitterung geführt“ wurde,64 keineswegs auf. In die Beurteilung von 59 REM-Erlass WJ 4790/39 (b) vom 5. Januar 1940, hier zit. nach Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 19962, Dok. IV/58, S. 314; bei derselben Gelegenheit schloss das Ministerium ausländische Juden explizit vom Studium aus. 60 Grundlegend ist Beate Meyer, „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, Hamburg/München 20022, hier besonders S. 96–104 und 200 f. 61 Erlass des Stellvertreters des Führers vom 16. Dezember 1940, hier zit. nach Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Dok. IV/152, S. 332. 62 Siehe etwa die Erklärung von E. Ebert vom 20. November 1942, WUW-AR, Allgemeine Akten 1942/2, Zl. 664/42 unter Bezugnahme auf den Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten Zl. IV-2-306645-a. 63 REM-Erlass WJ 552/44 (b) vom 13. Mai 1944 („vertraulich“), zit. nach ebd., Dok. IV/511, S. 404. 64 Albrecht Götz von Olenhusen, Die „nichtarischen“ Studenten an den deutschen Hochschulen. Zur nationalsozialistischen Rassenpolitik 1933–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14 (1966), S. 198.
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Einzelfällen konnten auch die Wehrmacht, die zuständige Gauleitung, die jeweilige Hochschulleitung, das Reichsinnenministerium, der NSDStB und die Kuratoren der wissenschaftlichen Hochschulen, die als Zwischeninstanzen zwischen REM und Hochschulleitungen fungierten, einbezogen sein. Für die ‚Mischlinge zweiten Grades‘ schließlich wurde in der zweiten Junihälfte 1942 die Entscheidung über Aufnahmeanträge vom Reichswissenschaftsministerium an die Rektoren delegiert,65 bei denen es sich keineswegs nur im Fall der Hochschule für Welthandel um überzeugte Nationalsozialisten handelte. Dass sich einige Verfahren um Zulassung zu Studium oder Prüfungen in die Länge zogen, ist bei dieser komplizierten Konstruktion nicht verwunderlich. Für die Betroffenen besonders belastend war die Tatsache, dass viele Bescheide nur vorläufig, bedingt oder unter Vorbehalt ergingen; damit waren ‚Mischlinge‘ auch im Hochschulbereich permanent existenzieller Unsicherheit ausgesetzt, ihr Studium wurde künstlich in der Schwebe gehalten. Angesichts der besonderen Zulassungsvoraussetzungen sahen sich die Angehörigen dieses Personenkreises neben den allgemeinen Restriktionen wie Einschränkungen bei der Wahl von Ehepartnern oder der Ausübung von Berufen (namentlich im öffentlichen Dienst und in der Wehrmacht), die sich für alle ‚Halb‘- und ‚Vierteljuden‘ insbesondere aus dem Reichsbürgergesetz, dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre66 und den zugehörigen Durchführungsverordnungen ergaben, spezifischen Formen der Diskriminierung ausgesetzt. Damit verfolgte das NS-Regime erklärtermaßen das Ziel, „eine allzu starke Anhäufung teilweise rassefremder Elemente an den Hochschulen auszuschalten.“67 Wie an den anderen Hochschulen des ‚Großdeutschen Reiches‘ bedurften die „teilweise rassefremden Elemente“ auch an der ‚Welthandel‘ zwingend der formellen Zustimmung des REM bzw. des Rektors, um ein Studium aufnehmen oder fortsetzen zu dürfen oder um Prüfungen ablegen zu können. 65 ÖStA/AdR, BMfU, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien (Kart. 13)/GZ 5201 ex 1941–1944, Betr.: Jüdische Mischlinge, Zulassung zum Hochschulstudium, Rundschreiben des REM vom 22. Juni 1942, AZ WJ 1170 (b). 66 Beide Gesetze vom 15. September 1935 sind abgedruckt in RGBl. 1935/I, S. 1146 f.; für Österreich siehe die Kundmachung von Reichsstatthalter Seyß-Inquart in GBl. Ö, Nr. 150/1938, S. 420–423. Zu den Folgen für die Betroffenen bietet Bertrand Perz einen komprimierten Überblick: Neuere Forschungen zur Frage des Status von Personen, die im Deutschen Reich nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischlinge“ definiert wurden. Ein Literaturbericht, in: Susanne Hehenberger/Monika Löscher (Hg.), Die verkaufte Malkunst. Jan Vermeers Gemälde im 20. Jahrhundert, Wien/Köln/ Weimar 2013, S. 230–240. Siehe auch Michaela Raggam-Blesch, „Mischlinge“ und „Geltungsjuden“. Alltag und Verfolgungserfahrungen von Frauen und Männern „halbjüdischer“ Herkunft in Wien, 1938–1945, in: Andrea Löw/Doris L. Bergen/Anna Hájková (Hg.), Alltag im Holocaust. Jüdisches Leben im Großdeutschen Reich 1941–1945, München 2013, S. 81–97. 67 Runderlass des REM vom 25. Oktober 1940, AZ WJ 2850, in: Kasper u.a. (Hg.), Die Deutsche Hochschulverwaltung, Bd. 2, S. 384.
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Gegenüber ihren ‚arischen‘ Kollegen und Kolleginnen bedeutete dies von vornherein eine Diskriminierung. Im Unterschied zur Situation an der Universität Wien68 lässt der Mangel an Quellen nicht zu, das Prozedere an der Hochschule für Welthandel zu rekonstruieren. Wurden die Angehörigen dieser Gruppierung von ‚Nichtariern‘ von Rektor Kurt Knoll, der die Professorenschaft im November 1939 nachdrücklich zur „Ausrichtung unserer akademischen Tätigkeit im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung“ aufgerufen hatte69 und sich gerne in der Uniform eines SS-Stan dartenführers porträtieren ließ,70 oder von dessen Nachfolger Leopold Mayer zur ‚rassekundlichen Begutachtung‘ vorgeladen? Es ist nicht einmal möglich, die betroffenen Studierenden vollständig zu identifizieren. Am allerwenigsten ist eine Einschätzung möglich, ob bei der Zulassung von ‚Mischlingen‘ zu Studien oder zu Prüfungen an der ‚Welthandel‘ großzügiger verfahren wurde als an anderen Hochschuleinrichtungen des ‚Großdeutschen Reiches‘.71 Anhand der bekannten Einzelfälle lässt sich festhalten, dass die Entscheidungsträger von ihren Spielräumen reichlich Gebrauch gemacht haben: Es kam vor, dass eine bereits erteilte Zulassung zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgenommen wurde – auch wenn Studierende in der Zwischenzeit Studienleistungen erbracht hatten; die Ablegung von Examensprüfungen wurde auf einen bestimmten Zeitraum eingeschränkt und eine Wiederholungsmöglichkeit ausgeschlossen; man hat zwar das Diplomstudium genehmigt, ein Promotionsstudium aber untersagt – obwohl die nationalsozialistische Promotionsordnung von 1939 die Promotion von ‚Mischlingen‘ explizit für zulässig erklärte.72 Inwieweit Betroffene von der theoretisch gegebenen 68 Vgl. hierzu die Ausführungen von Katharina Kniefacz und Herbert Posch in Kap. 3 ihres Beitrags zu diesem Band; hier werden auch die Bedingungen skizziert, unter denen ‚Mischlinge‘ sich an ihrer jeweiligen Hochschule einer ‚rassekundlichen‘ Prüfung unterziehen mussten. 69 WUW-AR, Prof.koll. vom 30. November 1939, Bl. 6. 70 Siehe oben, S. 187. 71 Dies deutet von Olenhusen an (Die „nichtarischen“ Studenten, S. 198). In Einzelfällen ist nachweisbar, dass Rektor Knoll entsprechende Gesuche befürwortet hat, wenn sich die betreffenden ‚Mischlinge‘ in der Wehrmacht ‚bewährt‘ hatten. Bei einem Studierenden spielte darüber hinaus eine Rolle, dass der Betreffende „noch in der Kampfzeit für die [NS-]Bewegung und den Anschluss der Ostmark an das Reich eingestellt und tätig war“ (ÖStA/AdR, BMfU, Kurator [Kart. 13]/GZ 5201 ex 1941–1944). 72 Promotionsordnung der Hochschule für Welthandel. Genehmigt durch Erl[ass] d[es] Reichsmin[isteriums] f[ür] Wiss[enschaft], Erzieh[un]g u[nd] Volksbild[un]g WA 2044/39 vom 25.VII.1939, Wien o.J. [1939], § 6, S. 2. Dass im selben Paragrafen ‚Volljuden‘ die Promotion untersagt wurde, war nach Einführung des Numerus nullus eine in praktischer Hinsicht irrelevante juristische Formalität. An ihr wurde in der ansonsten kaum geänderten Promotionsordnung von 1944 kurioserweise festgehalten, während die generelle Ermächtigung zur Zulassung von „jüdischen Mischlingen“ zur Promotion gestrichen wurde – ein Indiz für die fortgeschrittene Verschärfung der
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Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, einen ablehnenden Bescheid im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde anzufechten,73 ist nicht bekannt. Bei vielen der Fälle, die für diese Hochschule im Rahmen des Gedenkprojekts ermittelt werden konnten, geben die Akten keinen Hinweis, nach welchen Kriterien Zustimmungen erteilt oder verweigert wurden.74 Einige ‚Halbjuden‘ konnten ihr Studium – abgesehen von der prinzipiell diskriminierenden Abhängigkeit von einem behördlichen Genehmigungsverfahren – ohne erkennbare äußere Beeinträchtigung absolvieren, während gelegentlich ‚Vierteljuden‘ ohne dokumentierte Begründung oder rekonstruierbare Motivation am Studium oder an der Ablegung von Prüfungen gehindert wurden. Waren für die Zulassung oder die Verweigerung Faktoren wie Lebensalter, Geschlecht, die wirtschaftliche Situation und das familiäre und berufliche Umfeld der Betroffenen ausschlaggebend? Bei männlichen ‚Mischlingen‘ war – sofern sie überhaupt zum Wehrdienst zugelassen waren75 – nachweislich der Dienst in der Wehrmacht ein Entscheidungskriterium, und man wird davon ausgehen können, dass auch die politische Einstellung oder allfällige politische Aktivitäten für oder gegen das Regime in die Waagschale geworfen worden sind. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die wechselnden Rahmenbedingungen der reichsdeutschen Hochschulpolitik76 oder persönliche Verbindungen innerhalb und außerhalb der ‚Welthandel‘ von Einfluss auf die Entscheidungsfindung gewesen sind. Dass zu vielen ‚Mischlingen‘ nur rudimentäre Informationen zur Verfügung stehen, macht eine historiografische Bewertung der ‚Säuberungs‘-Praktiken und anderweitigen Schikanen gegenüber dieser Personengruppe zum gegenwärtigen Stand der Forschung unmöglich. Noch weniger ist quellenmäßig belegbar, ob Studierende der ‚Welthandel‘, die in einer jüdisch–nichtjüdischen ‚Mischehe‘ lebten, Restriktionen ausgesetzt waren. Im Kontext von ‚Mischlingen‘ und ‚Mischehen‘ recht gut belegt ist das Schicksal von Familie Figge. Der ‚Welthandels‘-Student Eitel Fritz Figge war Sohn des früh verstorbenen jüdischen Bankdirektors Heinz Figge. Nach dem ‚Anschluss‘ wurde seine Mutter Irene gezwungen, ihr gesamtes Vermögen gegenüber der Vermögensverkehrsstelle zu deklarieren, die unter dem Dach des österreichischen Ministeriums für
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Kriterien für diesen Personenkreis: Promotionsordnung der Hochschule für Welthandel in Wien. Genehmigt durch Erl[ass] d[es] Reichsmin[isteriums] f[ür] Wiss[enschaft], Erzieh[un]g u[nd] Volksbild[un]g WA 2044 vom 25.VII.1939 / WA 188 vom 1.IV.1944, § 6, S. 2. Siehe Runderlass des REM vom 25. Oktober 1940, AZ WJ 2850, in: Kasper u.a. (Hg.), Die Deutsche Hochschulverwaltung, Bd. 2, S. 385. Allgemein hierzu Perz, Neuere Forschungen, S. 223 mit 229. Vgl. Bryan Mark Rigg, Hitlers jüdische Soldaten, Paderborn u.a. 2003, mit den kritischen Bemerkungen bei James F. Tent, Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer „Mischlinge“ im Dritten Reich, Wien/Köln/Weimar 2007, S. 20 f. Vgl. hierzu im Einzelnen von Olenhusen, Die „nichtarischen“ Studenten, S. 175–206.
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Wirtschaft und Arbeit dafür verantwortlich war, jüdisches Privatvermögen und jüdische Unternehmen der ‚Arisierung‘ zuzuführen. Obwohl Irene Figge wie ihr Sohn evangelisch getauft war, fiel sie unter die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 – hatte Hermann Göring doch hierin festgelegt, dass die Vermögensanmeldung „auch den nichtjüdischen Ehegatten eines Juden [trifft].“77 Mutter und Sohn Figge gelang es zwar, bald nach dem ‚Anschluss‘ in die Schweiz zu entkommen. Von den beachtlichen Vermögens- und Besitzständen aber, die Familie Figge erworben hatte, war nach der systematischen Plünderung durch die Vermögensverkehrsstelle und die ‚Zentralstelle für jüdische Auswanderung‘, nach der Abwicklung der Emigration über die sogenannte Aktion Gildemeester, nach der Versteigerung wertvoller Gegenstände über das Wiener Dorotheum und nach der Beschlagnahmung der verbliebenen Besitztümer zugunsten des Deutschen Reiches durch die Geheime Staatspolizei vermutlich nichts übrig geblieben. Während Irene während des Krieges nach Schanghai übersiedelte, wo ihr Sohn im August 1913 auf die Welt gekommen war, blieb Eitel Fritz in der Schweiz. An der Handelshochschule in St. Gallen konnte er 1942 immerhin das erreichen, was ihm an der Wiener ‚Welthandel‘ verwehrt worden war: den Titel eines Diplomkaufmanns. Die wenigen überlieferten Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen deuten darauf hin, dass er zeit seines Lebens unter gesundheitlichen Problemen litt. Dass dies und sein früher Tod im Alter von 59 Jahren auf die Erlebnisse der NS-Zeit zurückzuführen sind, kann nicht ausgeschlossen werden. Tatsache ist, dass Mutter und Sohn Figge Opfer eines radikalen sozioökonomischen Absturzes geworden sind, der traumatisierend gewirkt haben muss. Ihr Schicksal ist nicht repräsentativ für den Umgang des NS-Regimes mit ‚Mischlingen‘. Dafür lässt es umso greller die existenzerschütternde und -gefährdende Dimension der nationalsozialistischen Raubpolitik erkennen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Widerstandsorganisation ‚Mischlingsliga Wien‘, die sich später in ‚Antifaschistische Partei Österreichs‘ umbenannte, an der Hochschule für Welthandel über eine Zelle verfügte.78 Wie viele Mitglieder sie 77 RGBl. 1938/I, § 1, S. 414 und GBl. Ö, Nr. 102/1938, S. 249–251; semantisch durchaus zutreffend wurde in der Verordnung als Verb „trifft“ statt „betrifft“ verwendet. Die außergewöhnlich umfangreiche, als „Sonderakt“ geführte Vermögensanmeldung von Irene Figge findet sich in ÖStA/AdR, BMfF, Vermögensverkehrsstelle (VVSt), VA 40071. Zum Folgenden siehe auch Gabriele Anderl/ Edith Blaschitz/Sabine Loitfellner, Die Arisierung von Mobilien und die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut, in: Dies. u.a., „Arisierung“ von Mobilien, Wien/München 2004, S. 164–169, wo allerdings nicht die Vermögensanmeldung berücksichtigt ist. 78 Zum Folgenden siehe Alfred M. Posselt, Die Ehrenarier – Verräter oder geschonte Opfer? Eine zeitgeschichtliche Studie (150 untersuchte Einzelfälle), Wien 1992, S. 92 und 25; Wolfgang Neugebauer, Der österreichische Widerstand 1938–1945, Wien 2008, S. 171–173, sowie DÖW (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation, Bd. 3, Wien 19842, Dok. VI/41, S. 351. Die Präsidialakten der ‚Welthandel‘ enthalten keinen Hinweis auf diese Organisation.
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insgesamt umfasste und ob ihr auch Studierende angehörten, ist nicht bekannt. Mit Adolf Hübner gehörte jedenfalls ein Absolvent der ‚Welthandel‘ zu den 13 Ligisten, die aufgrund einer Denunziation zwischen Ende Januar und Anfang März 1944 verhaftet und anschließend vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum „Verfassungshochverrat“ und wegen ‚Feindbegünstigung‘ angeklagt wurden.79 Die Anklage sah in der ‚Mischlingsliga‘ eine „geheime, militärisch ausgerichtete Organisation“, die das das Ziel gehabt habe, „mit Hilfe anderer illegaler Organisationen und der Feindmächte die Verfassung des Reiches zu stürzen […].“80 Flugblätter, in denen die weltanschaulich breit gefächerte Liga im Herbst oder Winter 1943 die österreichische Bevölkerung unter Berufung auf die Moskauer Deklaration der Außenminister Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion nach dem Vorbild der jugoslawischen Partisanen zur Bildung einer „antifaschistischen Front“ und zur Unterstützung der „alliierten Kriegsanstrengungen“ aufrief,81 waren Wasser auf die Mühlen der NS-Justiz. Bis zur Mitwirkung am Widerstand hatte Hübner wohlgemerkt einen langen Weg zurückgelegt: Ungeachtet seines Status als ‚Mischling‘ war der Sohn eines Obristen während des Betätigungsverbots für die NSDAP (1933–1938) in deren Sinn aktiv gewesen. Schon im ersten Jahr seines Studiums an der ‚Welthandel‘ (1936/37) war er wegen nationalsozialistischer Umtriebe zweimal zu mehrmonatigen Arreststrafen verurteilt und für drei Semester von allen österreichischen Hochschulen relegiert worden. Die zwei Semester, die er anschließend an der Königsberger Universität verbrachte, wurden ihm nach dem ‚Anschluss‘ und seiner Rückkehr nach Wien von der ‚Welthandel‘ anerkannt. Seine nationalsozialistische Orientierung ist auch an der Tatsache ablesbar, dass er sich ursprünglich bei der Einschreibung zum Studium an der ‚Welthandel‘ als Katholik hatte registrieren lassen, sich nach dem ‚Anschluss‘ aber als „gottgläubig“ – und damit als konfessionsloser, nicht antireligiöser Nationalsozialist – bekannte. Außerdem stellte er im Juni 1938 den Antrag auf offizielle Mitgliedschaft in der NSDAP, die ihm – möglicherweise mit Blick auf seine ‚Verdienste‘ in der ‚Verbotszeit‘ – rückwirkend zum 1. Mai 1938 bewilligt wurde.82 79 Posselts Behauptung, dem Mitangeklagten Egon Schlesinger sei in der NS-Zeit ein Studium an der ‚Welthandel‘ verwehrt worden (Die Ehrenarier, S. 90), lässt sich anhand der Bestände des Universitätsarchivs nicht verifizieren. 80 DÖW (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Wien, Bd. 3, Dok. VI/38, S. 349. 81 Ebd., Dok. VI/39 f., S. 350. Allgemein zur Moskauer Deklaration siehe jetzt Stefan Karner/Alexander O. Tschubarjan (Hg.), Die Moskauer Deklaration 1943. „Österreich wiederherstellen“, Wien/ Köln/Weimar 2015. 82 Die biografischen Informationen zu Hübner entnehme ich seiner regulären Studierendenkarteikarte und seiner Karteikarte in Disziplinarmaßnahmen 1934 ff. (beides in WUW-AR), die Hinweise auf seine Parteimitgliedschaft seiner Karteikarte in der NSDAP-Ortsgruppenkartei (hier nach Universität Wien, Institut für Zeitgeschichte, Rolle I-074).
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Unter welchen Umständen Hübner sich vom NS-Regime abgewendet und dem Widerstand angeschlossen hat, ist unbekannt. Befürchtete er, dass sich die rassistische Verfolgungspolitik des Nationalsozialismus nach der Niederlage bei Stalingrad intensivieren und verstärkt auch gegen ‚Mischlinge‘ wenden würde? Spielte die Tatsache eine Rolle, dass er – aus welchen Gründen auch immer – innerhalb der Partei angeeckt war und 1941 zur Beantragung einer Wiederaufnahme genötigt war? Ungeklärt ist vor allem, ob das Verfahren vor dem Volksgerichtshof eine der Ursachen oder eine Folge der Verweigerung des Doktoratsstudiums im Jahr 1944 war, zu dem Hübner nach dem erfolgreich absolvierten Diplomstudium im Juli 1942 zunächst zugelassen worden war. Tatsächlich hat er bis zu seinem Tod 1978 nicht promoviert.83 Im Unterschied zur Behandlung der ‚Volljuden‘, die innerhalb kurzer Zeit vollständig von der Hochschule ausgeschlossen wurden, weist der Umgang des NS-Regimes mit den ‚Mischlingen‘ eine enorme Spannweite auf: Sie reicht von der mutmaßlichen Beschränkung auf eine ‚rassekundliche Begutachtung‘ bis zum Studien- oder Prüfungsverbot, das mitunter erst nachträglich dekretiert wurde. Auch die Einstellungen, Verhaltensweisen und Schicksale dieser speziellen Gruppierung nationalsozialistischer Klassifizierungsbemühungen decken ein breites Spektrum ab: Während Karl von Kummer – wie schon erwähnt – als KZ-Häftling bei einem Zwangsarbeitereinsatz ums Leben kam, betätigten sich andere wie Hübner als militante Nationalsozialisten. Zugleich jedoch ist Hübner ein Beleg dafür, dass ‚Mischlinge‘ durchaus den Weg in den Widerstand finden konnten. Schließlich ist auf Bestrebungen von ‚Mischlingen‘ hinzuweisen, sich von Hitler zum ‚Ehrenarier‘ erklären zu lassen, um eine Aufwertung innerhalb der rassistischen Hierarchisierung des NS-Systems erreichen zu können – und damit zu versuchen, sich selber und/oder nächste Angehörige vor lebensbedrohlichen Maßnahmen wie der Deportation in ein Konzentrationslager zu schützen.84 3 Aberkennung akademischer Grade
Eine Art symbolischer ‚Säuberung‘ des Hochschulwesens, die gleichwohl für die berufliche Entwicklung der betroffenen Personen nicht ohne handfeste Konsequen83 In WUW-AR ist der Erwerb des Doktortitels nicht belegbar, auf der Verstorbenensuche der Friedhöfe Wien wird er ausschließlich als Diplomkaufmann geführt (http://www.friedhoefewien.at/grabsuche_de, 21. Oktober 2016). 84 Posselt, der hierüber 1992 im Selbstverlag eine Monografie herausbrachte (Die Ehrenarier), war selber in der NS-Zeit am Abschluss des Diplomstudiums an der Hochschule für Welthandel gehindert worden. Zum Verfahren siehe Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 2. Teil. Die populärwissenschaftliche Studie von Volker Koop („Wer Jude ist, bestimme ich“. „Ehrenarier“ im Nationalsozialismus, Köln/ Weimar/Wien 2014) ist nicht ohne Vorbehalte zu konsultieren; siehe die kritische Rezension von Beate Meyer in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 102 (2015), S. 102 f.
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zen blieb, stellt die Aberkennung akademischer Titel und Grade dar; auch sie wurde gezielt als Nazifizierungsinstrument eingesetzt. Während weder die Studien- und Prüfungsordnung noch die Promotionsordnung von 1930 Regelungen für eine Entziehung enthalten hatten,85 wurde in der Promotionsordnung von 1939 sehr wohl ein entsprechender Paragraf verankert. Demnach konnte ein Doktorgrad nicht nur entzogen werden, wenn nachträglich eine Täuschung festgestellt wurde, sondern auch, „wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten des Tragens eines deutschen [sic] akademischen Grades unwürdig erweist.“86 Durch die Hinzufügung des Adjektivs „deutsch“ ging die Hochschule für Welthandel über die Bestimmung des Gesetzes über die Führung akademischer Grade hinaus.87 Zwar hat die zitierte Formulierung nicht zu einer Regelaberkennung von akademischen Graden unter jüdischen Absolventen geführt. Doch soweit bekannt, fand an der Hochschule für Welthandel während des Zweiten Weltkriegs in drei Arten von Fällen eine Entziehung akademischer Grade statt: Wenn Juden das ‚Großdeutsche Reich‘ verließen und dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft verloren; wenn ein Soldat den Forderungen, Erwartungen oder Befehlen seiner Vorgesetzten nicht im erwarteten Ausmaß gerecht geworden war; und wenn jemand wegen widerständigen Verhaltens verurteilt wurde.88 Letzteres war bei Franz Josef Maria Krusche der Fall. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er mit dem ehemaligen Bundesminister für Handel und Verkehr Friedrich Stockinger, der in dieser Funktion unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg zwischen 1933 und 1936 unter anderem die Aufsicht über die Hochschule für Welthandel geführt hatte und als Träger des austrofaschistischen Systems nach dem ‚Anschluss‘ nach Frankreich geflüchtet war, in brieflichem und persönlichem Kontakt geblieben war. Dabei hatte er nach Ansicht des Landgerichts Wien, das am 28. Dezember 1939 als Sondergericht tagte, die Erwartung geäußert, dass „das nationalsozialistische Regime nicht mehr von langer Dauer sein könne, da es schon wanke und der kleinste Anlass den Zusammenbruch zur Folge haben werde.“89 Obwohl die Beweislage ausge85 Vgl. BGBl., Nr. 317 und 318/1930, S. 1451–1461. 86 Promotionsordnung der Hochschule für Welthandel [1939], § 51, S. 14. In der Promotionsordnung von 1944 (S. 14) war „deutsch“ gestrichen. 87 RGBl. 1939/I, S. 985 mit der Durchführungsverordnung vom 21. Juli 1939 in: ebd., S. 1326, und der Kundmachung des Reichsgesetzes in GBl. Ö, Nr. 716/1939, S. 2829 f. 88 Außer Betracht bleiben Entziehungen, die auf reguläre Strafurteile folgten und nicht spezifisch nationalsozialistischem Unrecht zuzurechnen sind; sie konnte die Hochschule in den Fällen zur Anwendung bringen, in denen sich nachträglich herausstellte, „daß der Inhaber der Verleihung eines akademischen Grades unwürdig war“, wie das Reichsgesetz und die Promotionsordnungen von 1939 und 1944 gleichlautend festhielten. 89 Zitiert aus dem Gerichtsurteil nach Bundesarchiv Berlin (BArch), R 4901/25828, Bl. 51; bei den folgenden Ausführungen zu Krusche stütze ich mich auf weitere Archivalien aus diesem Bestand.
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sprochen dünn war, wurde Krusche aufgrund des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei90 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt; außerdem hatte er die Verfahrenskosten zu tragen. Das Urteil wiederum nahm Rektor Knoll zum Anlass, bei Reichsminister Rust die Aberkennung des Diplom- und des Doktorgrades, die Krusche 1930 bzw. 1935 an der ‚Welthandel‘ erworben hatte, zu beantragen und alle akademischen Behörden des ‚Großdeutschen Reiches‘ hiervon in Kenntnis zu setzen – ein Ansinnen, dem der Minister am 25. Oktober 1940 stattgab. Knoll sprach sich auch vehement gegen Krusches Antrag aus, nach der Entlassung aus dem Gefängnis „aus Billigkeitsgründen“ die Entziehung der beiden akademischen Grade aufzuheben.91 Auch an diesem Punkt folgte der Reichsminister dem Rektor der ‚Welthandel‘. Erst nach der Befreiung wurden die Grundlagen für eine Wiederanerkennung der akademischen Grade gelegt: Gestützt auf eine Verordnung des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten92 erkannte das Professorenkollegium im Sommer 1945 Krusche den Doktortitel wieder zu. Die entsprechende Mitteilung, die der damalige Rektor Franz Dörfel auf einem wenig ansprechenden, durchlöcherten Briefpapier an Krusche sandte, konnte aber nicht zugestellt werden, da der Empfänger zu diesem Zeitpunkt nicht in Wien gemeldet war. Recherchen nach Krusches aktueller Adresse scheint die Hochschule seinerzeit nicht veranlasst zu haben; bis April 2015 lagerte der Brief des Rektors jedenfalls ungeöffnet im Universitätsarchiv der WU Wien.93 Dies hielt Krusche freilich nicht davon ab, in der Nachkriegszeit seine rechtmäßig erworbenen akademischen Titel zu tragen. Bei Josef E. Hillebrand war es die Verurteilung durch ein Feldgericht wegen „fortgesetzter Feigheit vor dem Feinde“, die während des Krieges zur Aberkennung von Diplom- und Doktorgrad führte. Ihm wurde vorgeworfen, mehrmals an der OstSiehe auch Krusches Studierendenkarteikarte und seine Karteikarte in Disziplinarmaßnahmen 1934 ff. (beide WUW-AR). 90 RGBl. 1934/I, S. 1269, § 1. 91 BArch, R 4901/25828, Bl. 45, Krusche an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 16. Juli 1941. 92 Die Verordnung […] über den Erwerb, die Führung und den Verlust inländischer akademischer Grade vom 9. Juli 1945 sah eine neuerliche Verleihung akademischer Grade vor, die in der NS-Zeit „aus ausschließlich politischen Gründen“ aberkannt worden waren, nicht jedoch eine Nichtigkeitserklärung des nationalsozialistischen Rechtsaktes (Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 78/1945, § 4, S. 101). In Krusches Fall war auch von Belang, dass Gerichtsurteile, die nach dem ‚Heimtückegesetz‘ gefällt worden waren, infolge des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes vom 3. Juli 1945 als „nicht erfolgt“ galten (ebd., Nr. 48/1945, § 1, S. 70). 93 WUW-AR, Präs. Zl. 80/1945; in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Professorenkollegiums vom 28. Juli 1945 (siehe Protokoll in WUW-AR, Bl. 4) galt die neuerliche Zuerkennung rückwirkend zum 16. Oktober 1941 als dem Zeitpunkt der Aberkennung. Diplomgrad und -titel wurden von Dörfel nicht benannt.
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front „vorsätzlich eine militärische Dienstpflicht“ verletzt zu haben. Seine Kameraden und Vorgesetzten nahmen ihm schon übel, dass er es gewagt hatte, um eine Verwendung als Dolmetscher anzusuchen, die eher seinen Qualitäten entsprach als der Frontdienst mit der Waffe; nach Ansicht des Militärstrafrichters, Oberleutnant Dr. Staud, kam darin zum Ausdruck, dass Hillebrand „trotz seiner Bildung den Wert und die Aufgaben des jetzigen Kampfes nicht erfasst hat.“ Der Abkommandierung zu einem Stoßtruppunternehmen, die als „Mutbeweis“ eingefordert wurde, leistete Hillebrand zwar Folge, entzog sich aber in der Folge so gut es ging vier Mal der unmittelbaren Gefahr, erschossen zu werden. Das Feldkriegsgericht der 52. Infanteriedivision sah hierin einen hinreichenden Grund, den ‚Welthandels‘-Absolventen am 2. Mai 1942 zu sechs Jahren Zuchthaus zu verurteilen; gleichzeitig wurden ihm auf die Dauer von fünf Jahren die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt, und er wurde für wehrunfähig erklärt.94 Dies wiederum nahm Rektor Knoll zum Anlass, Hillebrand knapp zweieinhalb Monate später die akademischen Grade abzuerkennen, die dieser 1932 bzw. 1937 erworben hatte.95 Wie der Rektor wenig später vom Reichswissenschaftsministerium belehrt wurde, hätte die Hochschule in diesem Fall gar nicht tätig werden müssen – ging doch mit dem verhängten Strafmaß aufgrund von § 33 des deutschen Strafgesetzbuches von 1871 „zwangsläufig“ die Aberkennung von akademischen Graden einher; „einer besonderen Entscheidung der Hochschule bedarf es in diesen Fällen nicht.“96 Dass Knoll trotzdem in dieser Angelegenheit von sich aus aktiv gewesen ist, kann mit Unkenntnis der Rechtslage und der Verfahrensweisen in derartigen Angelegenheiten zu tun gehabt haben, belegt aber auf jeden Fall einmal mehr seinen ‚Säuberungs‘-Fanatismus. Nachdem Hillebrand am 23. Juli 1944 östlich von Lemberg gefallen war, zeigte sich die Hochschule zwar geneigt, Diplom- und Doktortitel „gnadenweise“ wieder zuzuerkennen. Der Rektor erkundigte sich aber bei Hillebrands Einheit, „ob die Umstände, unter denen der Genannte gefallen ist, einen solchen Schritt rechtfertigen“ – war doch ein „Heldentod“ für einen strammen Nationalsozialisten die unumgängliche Voraussetzung für einen solchen ‚Gnadenerweis‘.97 Obwohl der zuständige Kompanieführer bald darauf bestätigte, dass Hillebrand „in heldenmütigem Einsatz“ gefallen sei und „die nachträgliche Wiedereinsetzung in seine akademischen Grade“ befürwortete, und obwohl Leopold Mayer, der inzwischen von Knoll die Führung der ‚Welthandel‘ übernom94 Das Vorstehende nach dem Urteil in BArch, R 4901/25828, Bl. 9–18. Die 52. Infanteriedivision unterstand damals dem fanatischen ‚ostmärkischen‘ Generalleutnant Lothar Rendulic. 95 BArch, R 4901/25828, Bl. 5, Amtsvermerk Knolls vom 13. Juli 1942. 96 Ebd., Bl. 8, Oberregierungsrat Heitzer (REM) an Rektor Knoll vom 31. Juli 1942. Siehe auch Runderlass des REM vom 27. Dezember 1937, AZ WF 2973, in: Kasper u.a. (Hg.), Die Deutsche Hochschulverwaltung, Bd. 2, S. 486. 97 Ebd., Bl. 22, Schreiben des Rektors der ‚Welthandel‘ vom 14. Oktober 1944.
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Abb. 4: Vermerk zur Entziehung des Diplom- und des Doktorgrades auf der Studierendenkarteikarte von Josef E. Hillebrand: „Gefallen bei Potjakow am 23. Juli 1944 […]. Wiedergutmachung daher nicht möglich.“
men hatte, daraufhin einen entsprechenden Antrag beim REM einbrachte,98 ist es vor der Kapitulation der Wehrmacht (8. Mai 1945) wegen des Zusammenbruchs von Ostfront und Deutschem Reich nicht zu einer Wiederverleihung gekommen. Zu der Frage, ob Hillebrand nach der Befreiung der Doktortitel wieder zuerkannt wurde, liegen widersprüchliche Quellenaussagen vor. Während er im Protokoll der Sitzung des Professorenkollegiums vom 9. März 1946 als eine der Personen genannt wurde, denen der Doktortitel als Opfer politischer Verfolgung wieder zuerkannt wurde,99 ist auf seiner Studierendenkarteikarte vermerkt, dass eine „Wiedergutmachung“ „nicht möglich“ sei, da Hillebrand nicht mehr lebe. 98 Ebd., Bl. 27 und 31. 99 WUW-AR, Prof.koll. vom 9. März 1946, Bl. 5; siehe auch Prof.koll. vom 28. Juli 1945, Bl. 4. Im Präsidialakt Zl. 80/1945, der sich unter Bezugnahme auf die oben genannte Verordnung des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten mit der neuerlichen Verleihung aberkannter akademischer Grade befasste, wird sein Name nicht genannt.
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In einigen anderen Fällen verzichtete die Hochschule zwar darauf, den Grad des Diplomkaufmanns nach der Verurteilung durch ein Wehrmachtsgericht zu entziehen. Aber auch diesen Beschlüssen lag eine spezifisch nationalsozialistische Logik zugrunde: Der Verzicht auf die Aberkennung des akademischen Grades galt nämlich nur unter Vorbehalt und im Hinblick auf die Tatsache, dass die Strafen von den betreffenden Feldgerichten zur „Frontbewährung“ ausgesetzt worden waren. Damit behielt sich die Hochschule vor, bei nicht ausreichender „Bewährung“ im Sinne des Nationalsozialismus die Entziehung des Grades zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.100 Die Aberkennung akademischer Grade im Kontext der Verfolgung aus ‚rassischen‘ Gründen schließlich fand bei Felix Glattauer und Leopold Weiß statt. Sie war die Folge eines Aktes, der außerhalb der Zuständigkeit der Hochschule lag: der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft infolge einer Ausbürgerung. Rechtsgrundlage hierfür war in Verbindung mit dem Gesetz über die Führung akademischer Grade das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933.101 Dessen Durchführungsverordnung vom 26. Juli desselben Jahres stipulierte unmissverständlich, dass sich die deutsche Staatsbürgerschaft nach „völkisch-nationalen Grundsätzen“ richtete, ging es dem Regime doch um „die rassischen, staatsbürgerlichen und kulturellen Gesichtspunkte für eine den Belangen von Reich und Volk zuträgliche Vermehrung der deutschen Bevölkerung“. Daraus wiederum folgerte das Reichsinnenministerium in seiner Verordnung, dass die deutsche Staatsbürgerschaft bei „Ostjuden“ und bei Personen widerrufen werden konnte, „die sich eines schweren Vergehens oder eines Verbrechens schuldig gemacht oder sich sonstwie in einer dem Wohle von Staat und Volk abträglichen Weise verhalten haben.“ Mit der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft war erstens verbunden, dass das Vermögen eingezogen und für dem Reich verfallen erklärt wurde. Zweitens wurde der Name der betroffenen Person im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger öffentlich gemacht. Drittens wurden allfällig erworbene akademische Grade aberkannt. Das erste Opfer dieser Momente von Diskriminierung, Stigmatisierung und Beraubung an der Hochschule für Welthandel war Leopold Weiß. Er entstammte einer wirtschaftlich erfolgreichen Industriellenfamilie.102 Als Sohn eines jüdischen Vaters 100 WUW-AR, Disziplinarverfahren gegen Dkfm. J. K. und gegen Dkfm. K. K., vorl. Ktn.-Nr. S 39. 101 Zum Folgenden siehe RGBl. 1933/I, S. 480 (Gesetz) und S. 538 f. (Durchführungsverordnung). Für Österreich wurden die hier festgelegten Bestimmungen erst nach Inkrafttreten des Ostmark-Gesetzes verbindlich; siehe § 1 der Verordnung von Reichsinnenminister Wilhelm Frick vom 11. Juli 1939, RGBl. 1939/I, S. 1235. 102 Zur Situation am Vorabend des ‚Anschlusses‘ vgl. die Einträge im Compass. Personenverzeichnis 1938, S. 1415 f.
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und einer katholischen Mutter war er wie seine Brüder katholisch erzogen worden. 1920 hatte Leopold an der ‚Welthandel‘ die Diplomprüfung abgelegt; drei Jahre vorher war er an der Universität Wien zum Doktor der Jurisprudenz promoviert worden. Anschließend war er in der Industrie tätig gewesen, unter anderem als Direktor der Vereinigten Fettwarenindustrie Josef Estermann AG in Linz. Der ‚Anschluss‘ Österreichs bedeutete für die gesamte Familie eine dramatische Zäsur. Bereits einen Tag nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden Leopold, sein Vater Leo und sein Bruder Richard aus der Estermann AG gedrängt. Darüber hinaus wurde der Vater – bis dahin ein angesehener Kommerzialrat und Handelskammerrat – aus seinen Funktionen als Börsenpräsident, als Mitglied der Handelskammer für Oberösterreich und des Kuratoriums der Postsparkasse Wien sowie als Stellvertretender Vorstand des Verbandes der Öl- und Fettindustrie entlassen. Richard wiederum musste seine Firma, die Richard Weiß und Co. KG, aufgeben und verlor die lukrativen Schürfrechte, die er über die Erdöl- und Erdgasgesellschaft Petrolea im Burgenland, in Nieder- und Oberösterreich sowie in Salzburg erworben hatte. Die nationalsozialistische Presse begleitete diese ‚Säuberungen‘ mit ätzender Propaganda. So hieß es im Arbeitersturm vom 20. März 1938: „Endlich ist es soweit, dass mit dieser galizischen Judenfamilie aufgeräumt werden kann.“103 An demselben 26. April, an dem Göring mit seiner erwähnten Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden eine der zentralen Grundlagen für die systematische Beraubung der jüdischen Bevölkerung legte, wurde das gesamte Vermögen der Familie von der Staatspolizeistelle Linz beschlagnahmt, und zwar rückwirkend zu jenem 20. März, an dem das Kampfblatt der nationalsozialistischen Arbeiter und Angestellten Deutschösterreichs (wie der Untertitel des Arbeitersturms lautete) gegen Familie Weiß gewütet hatte. In deren Linzer Wohnhaus nistete sich die SA-Standarte 14 ein, Einrichtungsgegenstände, Schmuck, Pelze und Waffen fielen der Plünderung anheim. Im April 1940 schließlich wurde die Ziegelei Gaumberg, in der Leopolds anderer Bruder Josef bis zum ‚Anschluss‘ als Direktor gearbeitet hatte, an die Reichswerke Steine und Erden verkauft, eine Tochtergesellschaft der Hermann-Göring-Werke; wie Michael John hervorhebt, geschah dies „ohne Deckung nach NS-Gesetzen“.104 Leopold, gemäß ‚Nürnberger Gesetzen‘ ein ‚Halbjude‘, 103 Zit. nach dem Beitrag von Michael John, Ein Vergleich – „Arisierung“ und Rückstellung in Ober österreich, Salzburg und Burgenland, in: Ders./Daniela Ellmauer/Regina Thumser, „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich, München 2004, S. 174–184, hier S. 175, der weitere Informationen enthält. Die Qualifizierung als „galizisch“ bezieht sich darauf, dass Vater Leo 1867 in Bielitz/Bielsko-Biała geboren worden war (Michael John, Arisierung und Restitution im Fall Richard Weihs, http://members.aon.at/richard.weihs/Heimatkunde. htm [2. November 2016]). 104 John, Ein Vergleich, S. 177.
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wurde kurz nach dem ‚Anschluss‘ von der Gestapo festgenommen und fast neun Monate lang inhaftiert. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im November 1938 konnte er sich nach London absetzen, wo er seine schon vorher exilierten Eltern und Geschwister wiedersah. Während Vater Leo mit seiner Gattin Karoline in die USA emigrierte, wurden Leopold und Richard in Großbritannien mit Beginn des Zweiten Weltkriegs als enemy aliens interniert und anschließend mit über 2.500 anderen ‚feindlichen Ausländern‘ auf dem Truppentransporter Dunera nach Australien verschifft – zusammengepfercht nicht nur mit jüdischen Flüchtlingen, sondern auch mit deutschen und italienischen Kriegsgefangenen, mit Nationalsozialisten und deren Gegnern, mit Exekutoren und Opfern nationalsozialistischer Verfolgungspolitik.105 Auch auf dem fünften Kontinent blieben Leopold und Richard bis Kriegsende interniert. Die Ausbürgerung, die am 28. November 1940 im Reichsanzeiger publik gemacht wurde,106 veranlasste Rektor Knoll, Leopold bereits einen Monat später „mit sofortiger Rechtswirksamkeit“ namens der Hochschule für Welthandel den Diplomgrad zu entziehen.107 Die Universität Wien zog am 8. Mai des folgenden Jahres mit der Aberkennung des Doktorgrades nach.108 Nach dem Krieg rang sich die ‚Welthandel‘ bei Leopold Weiß nicht zu einer Wiederverleihung der entzogenen Grade durch. Rektorat und Professorenkollegium waren sich einig, dass „im Falle Weiß […] zugewartet werden [sollte], bis er sich selber darum bewerbe.“109 Im Unterschied zu Krusche, Glattauer und möglicherweise Hillebrand sowie bemerkenswerterweise zu zwei ‚Welthandels‘-Absolventen, denen in der NS-Zeit wegen Betrugs bzw. Vergehens gegen Devisenvorschriften der Doktortitel entzogen worden war,110 sah die Hochschule bei ihm keine Bringschuld, nach der Befreiung nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen.111 105 Zu diesem Transport vom Sommer 1940 siehe die anschauliche Schilderung durch den ebenfalls aus Wien stammenden Kurt Flussmann: Stationen meines Lebens, in: Renate S. Meissner (Hg.), Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus, Wien 2010, S. 141 f. 106 Michael Hepp (Hg.), Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Bd. 1, München u.a. 1985, Liste 211, Nr. 156, S. 441. 107 BArch, R 4901/25828, Bl. 60, Knoll an Reichsminister Rust vom 30. Dezember 1940. 108 Siehe den Eintrag zu ihm im Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, http://gedenkbuch.univie.ac.at/ [2. November 2016]. 109 WUW-AR, Prof.koll. vom 9. März 1946, Bl. 5. Eine Begründung für die abweichende Praxis ist nicht aktenkundig gemacht worden. 110 WUW-AR, Präs. Zl. 80/1945. Unter den beiden Kriminellen befand sich sogar ein NSDAP-Mitglied. 111 Die Universität Wien verlieh Weiß im April 2003 posthum den Doktorgrad wieder. Siehe Herbert Posch/Friedrich Stadler (Hg.), „… eines akademischen Grades unwürdig“. Nichtigkeitserklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien, Wien 2005, mit dem biografischen Überblick S. 109 f.
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Felix Glattauer, der im Unterschied zu Weiß in den Studierendenunterlagen als „mosaisch“ registriert war, hatte an der Hochschule für Welthandel 1932 die Diplomprüfung abgelegt und ein Jahr später das Doktorat erworben. Anschließend war er als einer der beiden Prokuristen in der Firma seines Vaters tätig gewesen, der am Ostbahnhof beheimateten Ungarischen Weinbau Gesellschaft m.b.H. Nachf. Hugo Glattauer. Auch für diese jüdische Familie wurde der ‚Anschluss‘ zu einer radikalen Zäsur: Felix wurde entlassen, die Firma wurde liquidiert, und die Familienangehörigen mussten die Vermögensanmeldung einreichen.112 Nachdem die Familie das Deutsche Reich verlassen hatte, kamen die genannten Gesetze zum Tragen: Felix, Vater Hugo, Mutter Elsa und Schwester Edith erkannte man die deutsche Staatsbürgerschaft ab, ihre Namen wurden im Reichsanzeiger vom 28. Februar 1941 kundgetan.113 Im Juni desselben Jahres meldete Rektor Knoll in seiner erschreckenden Zuverlässigkeit bei der Anwendung nationalsozialistischen Unrechts dem Reichswissenschaftsministerium, dass die Hochschule für Welthandel „dem Juden Felix Israel Glattauer“ „mit sofortiger Wirkung“ seine akademischen Grade aberkannt hatte.114 Wie bei Krusche wurden sie Glattauer, der in Jaffa (Palästina) Krieg und Shoah überlebt hat, nach der Befreiung Mitte August 1945 wieder zuerkannt, und zwar rückwirkend zum Tag der Aberkennung (11. Juni 1941).115 Glattauer gehörte allerdings nicht zu denen, die in den Genuss einer Erneuerung des Doktorats gekommen sind, die in den 1980er Jahren anlässlich des Goldenen Jubiläums rechtlich möglich gewesen wäre. Denn auf eine entsprechende Rundfrage des damaligen Rektors Heinrich Stremitzer hin fand Glattauer keine Unterstützung unter den Professoren der mittlerweile zur Universität gewordenen Hochschuleinrichtung.116 112 Angaben zu Felix Glattauer nach seiner Studierendenkarteikarte und der Karteikartei in Disziplinarmaßnahmen 1934 ff. (beides in WUW-AR), zur Firma nach den Ausgaben für 1938 und 1939 im Wiener Adreßbuch. Lehmanns Wohnungsanzeiger (Wien 1938, Bd. 1, II. Teil, S. 101 bzw. Wien 1939, Bd. 1, II. Teil, S. 85). Das Gesamtvermögen von Felix, Vater Hugo, Mutter Elsa und Schwes ter Edith wurde von Kanz (Leiter der Abteilung Vermögensanmeldung in der Wiener Vermögensverkehrsstelle) auf über 800.000 Reichsmark geschätzt; siehe sein Schreiben an das Finanzamt Wien IV/V vom 15. Dezember 1938, ÖStA/AdR, BMfF, VVSt, VA 27146. 113 Hepp (Hg.), Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger, Bd. 1, Liste 220, Nr. 63–66, S. 466. 114 BArch, R 4901/25828, Bl. 68, Knoll ans REM vom 11. Juni 1941. Das stigmatisierende Einschmuggeln des Vornamens „Israel“ ging auf die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 zurück; siehe Götz Aly u.a. (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 2: Deutsches Reich 1938 – August 1939, bearb. von Susanne Heim, München 2009, Dok. 84, S. 269 f. mit Fußnote 2. 115 WUW-AR, Präs. Zl. 80/1945 und Prof.koll. vom 9. März 1946, Bl. 5. 116 WUW-AR, Präs. Erneuerung akademischer Grade 1980–1984, vorl. Ktn.-Nr. 409. Nach § 98 des Universitätsorganisations-Gesetzes von 1975 hatten die Hochschulen der Zweiten Republik die Mög-
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Auch wenn der erste Schritt bei der Aberkennung von akademischen Graden bei Gerichten und staatlichen Behörden lag, hat sich die Führung der ‚Welthandel‘ an der Umsetzung umstandslos und engagiert beteiligt; Widerstand gegen solche Maßnahmen scheint es unter den Professoren und in der Hochschulverwaltung nicht gegeben zu haben. Nur selten ist dokumentiert, dass die zuständigen Personen und Instanzen zugunsten von Studierenden mäßigend aufgetreten sind. Letzteres war der Fall, als der Landesstudentenführer der Deutschen Studentenschaft in der Slowakei Knechtl im Sommer 1943 forderte, dem aus der Slowakei stammenden Paul Georg Protić den frisch erworbenen Diplomtitel abzuerkennen, weil dieser zusammen mit seinem Bruder, zwei weiteren Studierenden der ‚Welthandel‘ und drei Studierenden der Technischen Hochschule Wien der Aufforderung zur Meldung zur Waffen-SS nicht nachgekommen war und obendrein um Aufnahme beim Verein der slowakischen Akademiker in Wien, Tatran, angesucht hatte. Während Knechtl es für „untragbar“ hielt, „daß derartige Elemente Diplome deutscher Hochschulen besitzen“, sprach sich ein dreiköpfiger Ausschuss der ‚Welthandel‘ unter Vorsitz von Rektor Knoll gegen einen Widerruf des gerade erst verliehenen akademischen Grades aus – nicht zuletzt, „weil die Rechtslage hinsichtlich der Meldepflicht zur [Waffen-]SS oder mindestens das subjektive Unrechtsbewußtsein der Beschuldigten noch einige nicht zu klärende Zweifel offenließ“.117 Solch eine Positionierung erscheint freilich nur vor dem Hintergrund radikalerer Positionen als moderat; obendrein ist das slowakische Bruderpaar einer Religierung seitens der ‚Welthandel‘ nicht entgangen.118 Mit der im Allgemeinen harten Haltung bei der Aberkennung von Diplom- bzw. Doktortitel korrelieren zwei weitere Tatsachen, die zum Umgang mit akademischen Graden in der NS-Zeit gehören. Erstens ist darauf hinzuweisen, dass es keine Aberkennung akademischer Ehrungen gegeben hat. Beim ersten – und bis 1946 einzigen – Ehrendoktor der Hochschule für Welthandel, Josef Hellauer, gab es aus nationalsozialistischer Sicht keinen Grund für eine Aberkennung. Und die einzigen Ehrenbürger, Tilo Freiherr von Wilmowsky und Ministerialrat Josef Ballacs sowie Klemens Otlichkeit zu einer neuerlichen Verleihung eines Doktorats, „wenn dies im Hinblick auf die besonderen wissenschaftlichen Verdienste, das hervorragende berufliche Wirken oder die enge Verbundenheit des Absolventen mit der Universität gerechtfertigt ist.“ (BGBl., Nr. 258/1975, S. 1135) 117 Disziplinarverfahren gegen die Brüder Protić (in Disziplinarverfahren gegen F. K. und G. G.), vorl. Ktn.-Nr. S 39, Studierendenkarteikarten des Bruderpaars und deren Karteikarten in Disziplinarmaßnahmen 1934 ff. (alles in WUW-AR). Neben Knoll bildeten Leopold Mayer als Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes und der „Rechtsrat“ der Hochschule, Hellmut Georg Isele, den erwähnten Ausschuss; dieser bestand den gesetzlichen Vorschriften entsprechend aus dem amtierenden Rektor sowie zwei ordentlichen Mitgliedern des Lehrkörpers, die vom REM für fünf Jahre bestellt wurden (siehe RGBl. 1939/I, Art. 3, S. 1326). 118 WUW-AR, Disziplinarverfahren gegen die Brüder Protić.
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tel, hatten diese Ehrung 1943 bzw. 1944 erhalten und waren Mitglieder der NSDAP oder standen ihr zumindest nahe.119 Der Umgang mit akademischen Titeln war somit eines der Felder, auf denen von 1938 bis 1945 regimekonforme Wissenschaftspolitik betrieben wurde. Das Gleiche gilt – zweitens – für reguläre Promovierungen. So verfuhr die Hochschule ausgesprochen großzügig, wenn es um die posthume Verleihung von Doktorgraden an Promovenden ging, die im Zweiten Weltkrieg als Soldaten gefallen waren. Ab dem Sommersemester 1943 führte die ‚Welthandel‘ in den Personal- und Vorlesungsverzeichnissen unter einer Abbildung des Eisernen Kreuzes, in welches das Hakenkreuz einmontiert war, nicht nur die Namen und Todesdaten der Hochschulabsolventen auf, die – laut Überschrift – „im Kampf für Deutschlands Zukunft […] auf dem Felde der Ehre“ gefallen waren. Es wurde auch eigens vermerkt, welche der Promovenden nach ihrem „Heldentode“ zum Doktor der Handelswissenschaften promoviert wurden; bis zum letzten Kriegssemester betraf dies 13 Personen.120 Wohl bis 1942 war in allen Fällen die Zustimmung des Reichswissenschaftsministeriums erforderlich, das im Juni 1940 einen entsprechenden Erlass herausgegeben hatte.121 Das Prozedere der posthumen Promovierung zeichnete sich in mehrfacher Hinsicht durch makabre Skurrilität aus: In den meisten Fällen wurden die Titel der Doktorarbeiten erst nach dem „Heldentod“ vergeben – die Kandidaten wurden also post mortem promoviert über Themen, die ihnen zu Lebzeiten unbekannt gewesen waren. So ist immerhin erklärlich, dass aus dem Kreis der gefallenen Soldaten nicht mehr als drei Dissertationen vorhanden sind. Aus der Rückschau mutet auch bizarr an, dass die Hochschule den Tod „auf dem Felde der Ehre“ zum Anlass nahm, den Kandidaten die Promotionstaxe zu erlassen und von der Verpflichtung zur Drucklegung der Dissertation oder zur Abgabe von Pflichtexemplaren abzusehen. Überhaupt 119 Zur Verleihung akademischer Ehrungen in der NS-Zeit siehe Roumiana Preshlenova, Elitenbildung. Die „Südoststiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags Berlin an der Hochschule für Welthandel in Wien“, in: Carola Sachse (Hg.), „Mitteleuropa“ und „Südosteuropa“ als Planungsraum. Wirtschafts- und kulturpolitische Expertisen im Zeitalter der Weltkriege, Göttingen 2010, S. 410 f. Die Geehrten sind namentlich erfasst im letzten Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Hochschule für Welthandel vor Kriegsende, nämlich zum Wintersemester 1944/45, Wien 1944, S. 18. Im ersten Nachkriegsverzeichnis (Wintersemester 1946 bis Sommersemester 1947) waren die Namen der Ehrenbürger eliminiert, lediglich die Rubrik der Ehrendoktoren blieb bestehen (Wien 1946, S. 13). In den dazwischenliegenden Semestern hatte die Hochschule in den nicht gedruckten Verzeichnissen gar keine geehrten Persönlichkeiten aufgeführt. 120 Hochschule für Welthandel in Wien, Personal- und Vorlesungs-Verzeichnis, Wintersemester 1944/45, Wien 1944, S. 3–7. 121 Laut Eintrag in WUW-AR, Studierendenkarteikarte Rolf Winkler handelte es sich um REM-Erlass WA 1411, h. Zl. 1042/40 vom 20. Juni 1940.
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wich man bei einem „Heldentod“ so gut wie durchgängig von der Bestimmung der Promotionsordnung ab, dass von der positiven Begutachtung einer Dissertation die Zulassung zu den Rigorosen abhing – wurden doch die beiden mündlichen Prüfungen bei Wehrmachtssoldaten in der Regel vor der Begutachtung oder gar Einreichung der Doktorarbeit abgelegt. Besonders eklatant tritt das systematische Unterlaufen jeglicher wissenschaftlicher Qualitätsstandards bei Kurt Rabas hervor, der 1942 an der Ostfront gefallen war: War seine Dissertation über die österreichische Filmwirtschaft im Juni 1938 noch als nicht genügend zurückgewiesen worden, hieß es nach seinem „Heldentod“: „Da Kandidat gefallen, wurde Dissertation angerechnet.“122 In der Begründungslogik, die in dieser Formulierung zum Ausdruck kommt, ‚qualifizierte‘ der Tod im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg zu einem akademischen Grad. Noch monströser erscheint der Verzicht auf wissenschaftliche Qualität und akademische Dignität, wenn die auf Verfolgung beruhenden Aberkennungen akademischer Grade bei der Gesamtbeurteilung mit berücksichtigt werden: Im Nationalsozialismus waren die Förderung von Personen in regimekonformen Kontexten und die Diskriminierung von Menschen, deren Verfolgung sich das NS-System auf die Fahnen schrieb, zwei Seiten derselben Medaille. 4 Nach der Befreiung
Ein überzeugender Neustart nach demokratischen Gesichtspunkten, geschweige denn ein Bruch mit einer kontaminierten Vergangenheit stand nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und dem Zusammenbruch des ‚Tausendjährigen Reiches‘ in der Hochschule für Welthandel nicht auf der Tagesordnung. Schon mit der Person des Rektors knüpfte man auf problematische Weise an die Vergangenheit an – hatte doch der politisch anscheinend unverwüstliche Franz Dörfel schon im Austrofaschismus und interimistisch in der NS-Zeit die Leitung der Hochschule innegehabt. Vor diesem Hintergrund und eingedenk der administrativen Radikalität und nachhaltigen Effizienz, mit der Jüdinnen und Juden seit März 1938 von der ‚Welthandel‘ vertrieben worden waren, verwundert nicht, dass von den jüdischen Studierenden kein Einziger zurückkehrte, um sich erneut einzuschreiben. Zur Remigration nach Österreich scheint sich mit Kurt Waldapfel, der sich in der zweiten Jahreshälfte von 1938 zunächst in die Türkei und später nach Palästina in Sicherheit gebracht hatte, nur ein jüdischer Studierender entschlossen zu haben.123 Waldapfels Entscheidung zur Rückkehr ins Land der Vertreibung dürfte allerdings nichts mit der ‚Welthandel‘ 122 WUW-AR, Studierendenkarteikarte Kurt Rabas. 123 Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 699796/2013.
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zu tun gehabt haben, weil er in seiner früheren Hochschule in der Nachkriegszeit nicht wieder als Studierender geführt wurde. Jedenfalls ergriff die Hochschule im Währinger Park keinerlei Initiative, das Unrecht der Vertreibung wiedergutzumachen; bei der Wiederzuerkennung von akademischen Graden ging sie nicht über den engen Rahmen hinaus, den die österreichischen Regierungen in der Nachkriegszeit durch entsprechende gesetzliche Vorgaben festlegten. Den Betroffenen blieben allenfalls – sofern sie Krieg und Shoah überlebt hatten – die allgemeinen Ansprüche, die Verfolgte des NS-Regimes beispielsweise im Rahmen des ‚Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben‘ (Hilfsfonds)124 geltend machen konnten; in dessen Antragsformularen konnten sie immerhin auf den erzwungenen Abbruch eines Studiums hinweisen. Eine darüber hinausgehende studienspezifische Entschädigung hat es nicht gegeben. Anders stellt sich die Situation nach der Befreiung bei denjenigen dar, die von den Nationalsozialisten als ‚Mischlinge‘ stigmatisiert und diskriminiert worden waren. Viele Angehörige dieses Personenkreises haben nach der Wiedereröffnung der Hochschule am 26. Mai 1945125 ihr Studium fortgesetzt oder abgeschlossen, nicht wenige von ihnen haben in der Nachkriegszeit hohe Positionen in Unternehmen, Wirtschaftsverbänden oder Kammern bekleidet. In etlichen Fällen ist in den Studierendenkarteikarten eine „Wiedergutmachung“ vermerkt; ob sich dies auf politisch oder ‚rassisch‘ motivierte Verfolgung oder auf den Wehrdienst bezog, ist bei den männlichen Studierenden nicht immer eindeutig zu klären. 5 Zusammenfassung
Die ausgewählten Biografien zeigen beispielhaft, wie unterschiedlich die Formen und Folgen von ‚Säuberungen‘ sein konnten. Sie führen auch vor Augen, dass der Ausschluss von der Hochschule oft nur ein Teil eines umfassenderen, oftmals grausamen lebensweltlichen Prozesses gewesen ist, der bis in den Tod führen konnte. Und schließlich weisen die vorgestellten Biografien exemplarisch darauf hin, dass bei (kollektiv)biografischen Forschungen auch das soziale Umfeld zu berücksichtigen ist; besonders bei jüdischen Hochschulangehörigen lässt die Einbeziehung der Beraubung und/oder Ermordung von Angehörigen die systemische Dimension erkennen, die das nationalsozialistische Terrorregime anstrebte.126 124 Der Fonds wurde per Bundesgesetz am 18. Januar 1956 ins Leben gerufen; siehe BGBl., Nr. 25/1956, S. 291. 125 WUW-AR, Prof.koll. vom 16. Mai 1945, Bl. 2. 126 Ansonsten verdienstvolle Personendatenbanken wie die von Yad Vashem und des DÖW lassen bedauerlicherweise Verwandtschaftsbeziehungen von Opfern des NS-Regimes nicht oder nicht immer explizit erkennen.
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In ihren Grundzügen verliefen die ‚Säuberungen‘ an der Hochschule für Welthandel nach dem Muster, das in der NS-Zeit für alle österreichischen Hohen Schulen maßgeblich war: -- Juden im Sinne der ‚Nürnberger Gesetze‘ wurden noch vor dem Ende des Jahres 1938 gänzlich verbannt; in etlichen Fällen konnten Juden und Jüdinnen ihre Diplom- oder Doktoratsstudien abschließen, in anderen Fällen wurde diese Möglichkeit verwehrt. Die Improvisation, die Hochschulleitung und -verwaltung beim Ausschluss der jüdischen Studierenden und Promovenden in den ersten Wochen nach dem ‚Anschluss‘ an den Tag legten, stand der Effizienz ihrer diesbezüglichen Aktivitäten erkennbar nicht im Wege. -- Die ‚Mischlinge‘ wurden zwar nicht von vornherein vom Hochschulbesuch abgehalten. Doch um zu Studium und Prüfungen zugelassen zu werden, mussten sie ein diskriminierendes Verfahren über sich ergehen lassen, waren einem Kompetenzgerangel unterschiedlicher nationalsozialistischer Instanzen ausgesetzt und unterlagen einem kontinuierlich sich verschärfenden Rechtsetzungsprozess. Die unzulängliche Quellenlage verhindert leider eine Einschätzung, inwieweit die allgemeine Tendenz, ‚Mischlinge ersten Grades‘ schlechter zu stellen als diejenigen ‚zweiten Grades‘, generell auch für die Hochschule für Welthandel galt. Es muss einstweilen auch offenbleiben, wie die an der ‚Welthandel‘ geübte Praxis in Relation zu den Vorgängen an anderen Hochschulen zu sehen ist. -- Die Aberkennung akademischer Grade wurde auf der Grundlage einer ganzen Reihe von ineinandergreifenden nationalsozialistischen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen als Teil rassistischer und politischer Verfolgung praktiziert. Auch auf diesem Gebiet erwies sich die ‚Welthandel‘ als ein ungemein verlässlicher Teil des herrschenden Regimes. -- Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs mussten Studierende aus Staaten, die von der Wehrmacht überfallen wurden, die Hochschule verlassen. Auch wenn diese – bisher unerforschte – Folge des Krieges hier nicht dargestellt werden konnte, stellt sie ebenfalls eine Form der ‚Säuberung‘ des Hochschulwesens dar. Sie hatte übrigens auch Konsequenzen für Hochschulangehörige, die zwar die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, aber vom NS-Regime einem anderen ‚Volk‘ zugerechnet und mit Beginn des Krieges gegen ihr angebliches ‚Mutterland‘ Schikanen ausgesetzt wurden. Dies war bei Vinzenz (slowenisch: Vinko) Zwitter127 der Fall, der 1928 127 Über Zwitter siehe neben dem Eintrag im Gedenkbuch der WU Wien die Kurzbiografie von Janez Stergar in: Katja Sturm-Schnabl/Bojan-Ilija Schnabl (Hg.), Enzyklopädie der slowenischsprachigen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška. Von den Anfängen bis 1942, Bd. 3, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 1563 f.
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die Diplom- und im März 1941 die Doktorprüfung an der ‚Welthandel‘ abgelegt hatte. Nur zwei Wochen nach dem letzten Rigorosum wurde er unmittelbar nach der Palmsonntagsmesse vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder von der Staatspolizeistelle Klagenfurt verhaftet – nicht zufällig am selben Tag, an dem die Wehrmacht das Königreich Jugoslawien überfiel (6. April 1941). Weil Zwitter sich seit den 1920er Jahren in der Publizistik und in entsprechenden Organisationen für die in Österreich lebenden Slowenen eingesetzt hatte, gehörte er zu den Opfern der „Verfolgung von Funktionären und Mitgliedern der slowenischen Kultureinrichtungen“,128 die das NS-Regime mit dem Krieg gegen Jugoslawien verschärfte. Nach drei Monaten wurde der bekennende Katholik mit der Maßgabe aus der Haft entlassen, die ‚Ostmark‘ zu verlassen – und damit seine Familie alleine zurückzulassen. Da er für wehrunwürdig befunden worden war, wurde Zwitter als kaufmännischer Angestellter zur Deutschen Lufthansa nach München beordert; später war er in leitender Position in der Personalabteilung eines Werkes in Náchod (Protektorat Böhmen und Mähren) tätig, in dem die Lufthansa 1943/44 überwiegend tschechische Arbeitskräfte zwangsweise zu Reparaturarbeiten einsetzte.129 Von Vertreibung waren auch Familienangehörige von Vinzenz Zwitter betroffen: 1942 wurden seine Schwiegereltern Franz und Marija Prušnik zwangsweise aus Kärnten ausgesiedelt, und im Frühjahr 1944 musste seine Frau Terezija mit den damals vier Kindern ihre Heimat verlassen, nachdem sie wegen Kontakten zur Partisanenbewegung denunziert und von der Gestapo verhaftet und verhört worden war. Tochter Agnes erinnerte sich im Dezember 2015, dass man im Gurktal bis Kriegsende ohne Vater eine Zeit „äußerst karger Verhältnisse und großer Isolation“ verbrachte. „Weder unsere Mitschüler noch die Lehrer und Nachbarn durften über den Grund unseres Aufenthaltes und unsere Zugehörigkeit zur slowenischen Volksgruppe ins Vertrauen gezogen werden.“130 Auch in solch einem Fall griffen die Bestrebungen zur Etablierung einer ‚Neuen Ordnung‘ nach nationalsozialistischen Vorstellungen tief in die Lebens- und Familiengeschichte von Angehörigen der Hochschule für Welthandel ein. Sozusagen das spiegelbildliche Pendant zur Einschüchterung, Schikanierung oder Vertreibung derjenigen, die aus ‚rassischen‘ oder politischen Gründen verfolgt wurden, stellt die gezielte Förderung von regimekonformen Personen dar. Neben der 128 Augustin Malle u.a., Vermögensentzug, Rückstellung und Entschädigung am Beispiel von Angehörigen der slowenischen Minderheit, ihrer Verbände und Organisationen, Wien 2004, S. 236. 129 Siehe Lutz Budraß, Die Lufthansa und ihre ausländischen Arbeiter im Zweiten Weltkrieg, München/Berlin 2016, S. 88 und 92–99. 130 Agnes Zikulnig im Gespräch mit dem Verfasser am 8. Dezember 2015.
„Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“
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erwähnten posthumen Promovierung gefallener Soldaten ist darauf hinzuweisen, dass ein lupenreiner Nationalsozialist wie SS-Obersturmführer Josef Heintschel von Prüfungsleistungen befreit wurde, weil er vier Jahre als Verwaltungsführer der NSDAP-Reichsleitung tätig gewesen war, ein Jahr lang eine Abteilung in der Vermögensverkehrsstelle geleitet hatte und zum Zeitpunkt der Diplomprüfung Finanzreferent der Wiener Industrie- und Handelskammer war.131 Und die Studierenden aus Deutschland sowie aus mittel- und südosteuropäischen Ländern, die ab April 1940 an den Kursen der ‚Südost-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages Berlin zur Heranbildung junger Kaufleute für Südost-Europa an der Hochschule für Welthandel‘ teilnahmen, wurden gezielt gefördert132 – waren sie doch aus Sicht des NS-Regimes ein ausgesprochen nützliches Instrument für die enge Einbindung der südosteuropäischen Volkswirtschaften in das Hegemonialstreben des ‚Großdeutschen Reiches‘. Es steht zwar außer Frage, dass viele ‚Säuberungs‘-Maßnahmen aus allgemeinen Rechtsvorschriften des ‚Großdeutschen Reiches‘ resultierten. Genauso ist deutlich geworden, dass die Führung der Hochschule für Welthandel in der NS-Zeit nicht nur bereitwillig, sondern auch höchst engagiert die Verfolgungs-, Diskriminierungs- oder sonstigen Sanktionsmaßnahmen, die der Etablierung einer genuin nationalsozialistischen Hochschule dienen sollten, in die Wege geleitet und gleichzeitig überzeugte Nationalsozialisten gefördert hat. An einigen Stellen hat sich gar der Eindruck vorauseilenden Gehorsams aufgedrängt, und zwar nicht nur in den ersten Wochen nach dem ‚Anschluss‘, als das Fehlen von reichs- oder zumindest österreichweiten gesetzlichen Vorgaben den einzelnen Hochschulen in der entstehenden ‚Ostmark‘ Freiraum zur Ausgestaltung des Umgangs mit ihren Studierenden ließ. Auch die proaktive Haltung von Rektor Knoll bei der Aberkennung von Doktorgraden weist in diese Richtung. Unterm Strich hat die ‚Welthandel‘ bei allen Formen der Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung von Personen, die aus ideologischen Gründen unter dem NS-Regime Diskriminierung ausgesetzt sein sollten, loyal und geschmeidig mit anderen Instanzen der nationalsozialistischen Hochschulpolitik und -verwaltung wie dem Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien und dem Reichswissenschaftsministerium zusammengearbeitet. Für eine abschließende Bewertung, ob im Währinger Park in Einzelfällen Spielräume zur Abschwächung allgemeiner Vorgaben genutzt wurden, sind Quellenlage und Forschungsstand unzulänglich. Doch es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die Hochschule für Welthandel ihren Beitrag zur Nazifizierung des ‚ostmärkischen‘ Hochschulwesens zuverlässig geleistet hat. 131 WUW-AR, Allgemeine Akten 1939, vorl. Ktn.-Nr. S 30a. 132 Siehe hierzu Preshlenova, Elitenbildung.
‚Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung 1938 an der Technischen Hochschule in Wien Juliane Mikoletzky
Der Verlust wissenschaftlicher Exzellenz an den österreichischen Universitäten aufgrund der Verfolgungspolitik des Nationalsozialismus und die Folgen für das Wissenschaftssystem sind inzwischen in zahlreichen Detailstudien untersucht worden, sodass die Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern heute für Österreich nicht mehr zu den völlig ‚weißen Flecken‘ der Historiografie gehört.1 Allerdings hat sich die Forschung hier zunächst stark auf die klassischen Universitäten und auf einzelne besonders betroffene Fakultäten bzw. Disziplinen wie Medizin, Psychologie, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie die Geisteswissenschaften konzentriert, wobei in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin die Entwicklung an der Universität Wien dominiert. Die Hochschulen technischer Richtung sind erst seit wenigen Jahren stärker in den Blick genommen worden – übrigens nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland.2
1
2
Von den inzwischen zahlreichen Publikationen zum Thema sei hier als eine der ersten und mit ihrem Titel geradezu paradigmatischen Veröffentlichungen genannt: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, Münster 2004 (19871). Vgl. dazu die Konferenz Technische Hochschulen in der Zeit des Nationalsozialismus, Leibniz Universität Hannover, 11. und 12. Mai 2015, deren Ergebnisse demnächst in einem Tagungsband veröffentlicht werden. Für Österreich liegen inzwischen neuere Untersuchungen vor, so für die Hochschule für Bodenkultur: Paulus Ebner, Politik und Hochschule. Die Hochschule für Bodenkultur 1914–1955, Wien 2002; für die Technische Hochschule in Wien: Juliane Mikoletzky, „Mit ihm erkämpft und mit ihm baut deutsche Technik ein neues Abendland“. Die Technische Hochschule in Wien im Nationalsozialismus, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 10 (1999), S. 51–70; Dies., „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“. Die Technische Hochschule in Wien und der Nationalsozialismus, Wien 2003, sowie Dies./Paulus Ebner, Die Technische Hochschule in Wien 1914–1955, T. 2: Nationalsozialismus – Krieg – Rekonstruktion (1938–1955), Wien 2016; jüngst für die Akademie der bildenden Künste: Verena Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus. Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal, Wien/Köln/Weimar 2015. Zu den genannten und weiteren Hochschulen siehe auch die Beiträge in diesem Sammelband. Universitätsübergreifend ist der Sammelband: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, Wien 2013, der auch Beiträge zum Thema der Vertreibung von Hochschulangehörigen verschiedener Universitäten und Hochschulen enthält.
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Juliane Mikoletzky
Tatsächlich war die Ausgangssituation an den verschiedenen Wiener Hochschulen sehr unterschiedlich, was Verlauf und Auswirkungen der NS-‚Säuberungen‘ wesentlich mitbestimmt hat. Maßgeblich für das Ausmaß, in dem sich die ‚Säuberungen‘ ab 1938 manifestiert haben, erscheinen insbesondere jene Voraussetzungen, die dafür in den 1920er und 30er Jahren geschaffen wurden. Daher soll der Darstellung der ‚Säuberungen‘ an der Technischen Hochschule (TH) in Wien eine kurze Skizze der wesentlichen Rahmenbedingungen vorangestellt werden. Den Schwerpunkt wird der Prozess der Entfernung von ‚rassisch‘ und/oder politisch missliebigen Angehörigen von der Hochschule für die Gruppen wissenschaftliches Personal, nichtwissenschaftliches Personal und Studierende nach Verlauf und quantitativen Auswirkungen bilden. Dabei handelt es sich um einen komplexen Vorgang, der in Einzelfällen mehrere Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen konnte und der – zumindest an der TH in Wien – keinesfalls immer geradlinig verlief. Im Wesentlichen konnten die administrativen Vertreibungen erst im Laufe des Jahres 1939 abgeschlossen werden. Kurz eingegangen werden soll auf die Frage der Aberkennungen akademischer Grade an der TH in Wien sowie auf die ‚Entnazifizierung‘ und auf den Umgang mit den Vertriebenen nach dem Ende der NS-Herrschaft 1945. Die Technische Hochschule in Wien bis zum März 1938
Die Zwischenkriegszeit war für die TH in Wien, wie für alle Hochschulen in der neuen Republik Österreich, eine schwierige Periode. Problematisch war schon der teilweise Verlust ihres früheren Einzugsgebiets: Studierende aus den ehemaligen östlichen Kronländern galten ab der Gründung der Republik (Deutsch-)Österreich 1918 als ‚Ausländer‘ bzw. ‚Ausländerinnen‘ (seit dem Wintersemester 1919/20 konnten in Österreich auch Frauen als ordentliche Hörerinnen technische Fächer inskribieren) und mussten mit deutlich höheren Studiengebühren rechnen, wenn sie es nicht vorzogen, Hochschulen in ihren neuen Heimatstaaten zu besuchen.3 An der TH in Wien führte dies ab Mitte der 1920er Jahre zu deutlichen Rückgängen der Studierendenzahlen. Dazu kam der Verlust von Arbeitsmärkten für die Absolventinnen und Absolventen. Dies betraf sowohl die öffentliche Verwaltung, wo der Stellenmarkt durch den Abbau von 100.000 Beamten zur Re-Dimensionierung des Verwaltungsapparats der Monarchie dramatisch schrumpfte, als auch die Arbeitsmöglichkeiten in der Indus3
Siehe dazu Juliane Mikoletzky, Historische Entwicklung der Stellung von AusländerInnen und Frauen an österreichischen Hochschulen, in: Manfred Prisching/Werner Lenz/Werner Hauser (Hg.), Gleichbehandlung im Hochschulbereich, Wien 2008, S. 55–80.
‚Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung
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trie. Darunter litten vor allem die anwendungsorientierten technisch-naturwissenschaftlichen Fächer, was schon seit den frühen 1920er Jahren zur Abwanderung von Absolventen ins Ausland führte. Ein Beispiel dafür aus dem Bereich der TH in Wien ist der Architekt Richard Neutra, der bereits 1923 nach Abschluss seines Studiums in die USA ging. Seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden in Studienführern der Hochschule Einschätzungen der Erwerbsaussichten für die einzelnen Studienrichtungen gegeben, mit expliziten Empfehlungen, sich auch außerhalb Österreichs nach Arbeitsmöglichkeiten umzusehen. Neben Deutschland wurden unter anderem die USA, aber auch südamerikanische Staaten und China als mögliche Zielländer empfohlen.4 Die dauerhafte Finanzkrise der Ersten Republik traf die Hochschulen schwer. Die Wiener Technische Hochschule erlebte in den 1920er Jahren zwar zunächst noch eine Phase des äußeren und inneren Ausbaus: Es wurden neue und zukunftsträchtige Studienrichtungen (zum Beispiel die Technische Physik) geschaffen, neue Standorte, etwa auf dem Getreidemarktareal, erschlossen und Laborkapazitäten ausgebaut. Die Finanzierung erfolgte jedoch schon in diesen Jahren teilweise durch Sponsorengelder der Industrie, bis ab 1930 diese Quelle infolge der Weltwirtschaftskrise versiegte.5 Ab 1933/34 begann eine Phase gezielter finanzieller wie personeller ‚Aushungerung‘ der österreichischen Hochschulen. Die allgemeinen Sparmaßnahmen des ‚Ständestaats‘ trafen die beamteten Hochschullehrer in Form von Zwangspensionierungen, Einziehung oder Abwertung von Stellen und Gehaltskürzungen insbesondere für wissenschaftliche Nachwuchskräfte. An der TH in Wien verringerte sich die Anzahl der ordentlichen Professuren von 55 im Jahr 1929 auf 45 im Sommersemester 1937. Die Zahl der wissenschaftlichen Hilfskräfte nahm ebenfalls ab, und ihre Positionen wurden durch häufige Stellenteilungen und Befristungen prekarisiert. Zusätzlich verschlechterte sich die allgemeine Finanzierungsgrundlage der Hochschulen durch wiederholte Dotationskürzungen. Gebührenerhöhungen waren nur teilweise geeignet, diese Defizite auszugleichen; außerdem führten sie zu Unruhen und Streiks der Studierenden. 1938 bestand jedenfalls an der TH in Wien ein enormer Nachholbedarf nicht nur bei den personellen Ressourcen, sondern auch hinsichtlich der Forschungsinfrastruktur. 4
5
So zum Beispiel: Das Studium an der TH in Wien, in: Jahrbuch der Studentenschaft der TH in Wien 1927/28, Wien 1927, S. 62 ff., mit detaillierten Einschätzungen der Arbeitsmarktsituation für jede Studienrichtung. Auch die folgenden Ausgaben enthalten solche Hinweise. Siehe dazu: Juliane Mikoletzky/Paulus Ebner, Finanzielle Auszehrung und politische Repression: Die Technische Hochschule in Wien im „Ständestaat“ 1933–1937, in: Dies., Die Geschichte der Technischen Hochschule in Wien 1914–1955, T. 1: Verdeckter Aufschwung zwischen Krieg und Krise (1914–1937), Wien 2016, S. 133–144.
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Prägend für die weitere Entwicklung waren neben den materiellen auch die politischen Konstellationen. An der TH in Wien manifestierten sich, wie an den übrigen österreichischen Hochschulen, schon bald nach der Konstituierung der Republik Österreich deutschnationale und antisemitische Strömungen, die sich, durchaus in Fortsetzung von Traditionen der späten Monarchie, besonders gegen die zuströmenden ‚ostjüdischen‘ Studierenden richteten. Bereits 1923/24 kam es aufgrund eines Numerus clausus zu einer Inskriptionsbeschränkung für jüdische Hörerinnen und Hörer auf 10 % der Studierenden (bisher hatte der Anteil von Angehörigen mosaischer Konfession bis zu 30 % betragen) und infolge des ‚Studentenrechts‘ von 1925 mit seiner ‚völkisch‘ orientierten Wahlordnung zu minderen politischen Partizipationsrechten für jüdische und ausländische Studierende. Damit nahm die Wiener ‚Technik‘ in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle ein. Wie andere Hochschulen hatte sie sich 1918 dezidiert als ‚deutsch‘ deklariert, mit dem Versprechen, sich hinsichtlich der Auswahl der Lehrenden dafür einzusetzen, „dass der rein deutsche Charakter der Hochschule ausnahmslos gewahrt bleibe.“6 In der Folge blieb an der TH in Wien der Anteil jüdischer Lehrpersonen extrem gering; als letzter ordentlicher Professor jüdischer Herkunft wurde 1919 der Physikochemiker Emil Abel berufen. Generell hatten jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler de facto verminderte Karrierechancen, obwohl gesetzlich keine Grundlage dafür bestand. Ab 1934 begann zudem eine starke Einflussnahme des Unterrichtsministeriums auf die Hochschulen im Sinne des ‚Ständestaates‘, insbesondere bei Lehrkanzel-Besetzungen. An der TH in Wien wurden in mehreren Fällen Professoren gegen den Willen der Hochschule berufen, obwohl es nicht zu einem so weitgehenden Personalaustausch im Sinne des Austrofaschismus kam wie an der Hochschule für Bodenkultur. Diese Besetzungspolitik schuf geradezu vorprogrammierte Bedingungen für die Entlassung von sogenannten ‚Systemvertretern‘ (die persönlich durchaus deutschnational und antisemitisch eingestellt sein konnten) nach der NS-Machtergreifung 1938. 1938: Der ‚Anschluss‘ an der Technischen Hochschule in Wien und erste Enthebungen
Auch für die TH in Wien zog der politische ‚Umbruch‘ des Jahres 1938 eine Reihe struktureller und personeller Veränderungen nach sich. Dabei ist die außerordentliche Geschwindigkeit hervorzuheben, mit der nicht nur die Umbildung der Hoch6
So der damalige Rektor Emil Artmann als Berichterstatter eines Ausschusses zur Behandlung einer Eingabe der deutschen Studentenschaft zum Ausschluss jüdischer Lehrender 1922, Archiv der Technischen Universität Wien (TUWA), RZl. 752–1922/23.
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schulleitung im Sinne des ‚Führerprinzips‘ vorgenommen, sondern auch mit dem Ausschluss von nunmehr nicht mehr ‚tragbaren‘ Angehörigen begonnen wurde.7 Bereits am 13. März versammelte sich das Professorenkollegium unter dem Vorsitz des Rektors Karl Holey, um in einer Kundgebung seiner „freudigen Genugtuung darüber Ausdruck [zu geben, dass] in Österreich der deutsche Volksgedanke zum vollen Durchbruch gelangt“ sei.8 Nur wenige Stunden später erklärte Holey in einem Schreiben an das Professorenkollegium seinen Verzicht auf das Amt des Rektors.9 Über die Hintergründe dieser Entscheidung geht aus den Akten des Archivs nichts hervor. Zufolge einer Tagebucheintragung des damaligen Professors Karl (von) Terzaghi soll jedoch Professor Lösel am Morgen des 14. März vor einer in der Früh anberaumten Kollegiumssitzung gegenüber Holey bemerkt haben, dass er nun als ‚Schwarzer‘ an der Hochschule nichts mehr zu sagen habe; in der Folge hätten die Professoren Fritz Haas und Friedrich Schaffernak mit ihm über einen Amtsverzicht verhandelt.10 Jedenfalls wurde sein Rücktritt in der für den Mittag des 14. März durch den Prorektor Friedrich Böck kurzfristig anberaumten außerordentlichen Kollegiumssitzung angenommen, ebenso wie der des Prorektors selbst. Die vorläufige Geschäftsführung des Rektorats wurde „einstimmig per acclamationem dem rangsältesten [sic] Mitglied des Professorenkollegiums, das sich dazu bereit erklärte“,11 Rudolf Saliger, übertragen. Darauf wurden weitere Personalmaßnahmen verkündet: Das Gesuch des Professors Emil Abel, der nun als Jude nicht mehr ‚tragbar‘ war, um vorläufige Enthebung sowie die Zurücklegung der Funktion als Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen durch Karl Wolf wurden „angenommen“ und die vorläufige Beurlaubung des ‚nicht arischen‘ bisherigen Leiters der Rektoratskanzlei Dr. Josef Goldberg ausgesprochen. Für die Orchestrierung dieser Maßnahmen scheint vorerst der kommissarische und später im Amt bestätigte Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes und „letzte illegale Parteibeauftragte für die Technische Hochschule in Wien“, der Privatdozent für Physik Herbert Schober, verantwortlich gewesen zu sein. Er lud noch am 14. März alle Bediensteten der Hochschule zu einer „gemeinsamen Kundgebung zum Empfang des Führers“, der soeben, von Linz kommend, Wien erreicht hatte.12 7
Vgl. zum Folgenden: Bericht über das Studienjahr 1937/38, erstattet vom kommissarischen Rektor Dr. Ing. Rudolf Saliger, Wien 1938, S. 14 ff. 8 Ebd., S. 15. 9 Bericht über das Studienjahr 1937/38 und TUWA, RZl. 1472-1937/38, Bericht des Rektors der TH in Wien an das Österreichische Ministerium für Unterricht vom 19. März 1938. 10 Zit. bei Reint de Boer, The Engineer and the Scandal. A Piece of Science History, Berlin/Heidelberg/ New York 2005, S. 244 f. 11 TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1472-1937/38. 12 TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1474-1937/38.
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In einer Sitzung des Geschäftsausschusses des Professorenkollegiums am Nachmittag des 21. März wurden weitere personelle Veränderungen bekannt gegeben bzw. vorgenommen.13 Inzwischen hatte der außerordentliche Professor Adalbert Duschek (der als Sympathisant der Sozialisten galt und zudem mit einer ‚nichtarischen‘ Frau verheiratet war) seine Funktion im Geschäftsausschuss niedergelegt; die Professoren Friedrich Hopfner und Ludwig Eckhart wurden von ihren Positionen enthoben, weil sie als dem ‚System‘ des ‚Ständestaates‘ nahestehend galten.14 Für den 22. März war an der Wiener Technischen Hochschule im Festsaal die feierliche Vereidigung auf den ‚Führer‘ für alle Beschäftigten angeordnet worden. Jüdischen Angehörigen der Hochschule war die Eidesleistung verboten, die Vereidigung bot also auch Gelegenheit zu einem entsprechenden administrativen ‚Screening‘ der über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am 24. März erging ein Rundschreiben des Rektorats an die Bediensteten der Hochschule, das nicht nur einen Nachtragstermin zur Vereidigung für jene, die am 22. März verhindert gewesen waren, ansetzte, sondern auch alle Beschäftigten, die nach den neuen Grundsätzen als nicht mehr ‚tragbar‘ galten, ersuchte, von sich aus „bis auf Weiteres“ auf ihre Tätigkeit an der TH in Wien zu verzichten.15 Soweit feststellbar, dürften die meisten der Betroffenen dieser Aufforderung nachgekommen sein. Möglicherweise schien dieses Verfahren erforderlich, weil die Enthebungen vorerst noch ohne gesetzliche Grundlage erfolgten: Die Verordnung zur Erneuerung des österreichischen Berufsbeamtentums mit den entsprechenden Durchführungsverordnungen erging erst am 31. Mai 1938. Offensichtlich war die neue ‚Führung‘ der Hochschule bemüht, die Anpassung des Lehrkörpers an die neuen Gegebenheiten so rasch als möglich durchzuführen. Formal handelte es sich bei diesen Enthebungen um Suspendierungen, die der Bestätigung durch die vorgesetzte Behörde bedurften. Die betreffenden Personen wurden am 22. April vom österreichischen Unterrichtsministerium „bis auf weiteres“ beurlaubt bzw. es wurde ihre Venia legendi oder Lehrbeauftragung sistiert, wobei die „endgiltige Regelung des Dienstverhältnisses bezw. der Lehrbefugnis […] einer abgesonderten Entscheidung vorbehalten“ blieb.16 Damit wurde eine gewisse ‚Rechtsförmigkeit‘ der Enthebungsverfahren aufrechterhalten: Die Parteistellen hatten die Möglichkeit, jeden Fall ordnungsgemäß zu prüfen, und die Betroffenen bekamen Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. zu einem Einspruch gegen diese Maßnahmen. 13 14 15 16
Ebd., Einladung und Tagesordnung. Ebd. und Bericht über das Studienjahr 1937/38, S. 4. TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1492/II-1937/38. TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1733-1937/38, Erlass des Österreichischen Unterrichtsministeriums betr. Personalverfügungen an das Rektorat der TH in Wien, Z. 12479/I-2 vom 22. April 1938.
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Der ganze Überprüfungsprozess erstreckte sich daher über einen längeren Zeitraum, letzte Entlassungen erfolgten noch bis in den Herbst 1939 hinein. Bei Fällen, in denen befristete Dienstverträge stillschweigend nicht mehr verlängert oder Personen an eine andere Dienststelle versetzt wurden, ist es jedoch heute oft nicht möglich, zweifelsfrei zu erkennen, ob es sich dabei um einen ‚normalen‘ Vorgang, eine politisch motivierte Disziplinierung oder sogar um eine Beförderung handelte. Diese Umstände erschweren eine Angabe der genauen Anzahl aller an der TH in Wien im Zuge des ‚Umbruchs‘ aus dem Dienststand entfernten Personen. Zeitgenössische Zusammenstellungen, wie jene im Bericht des Rektors Saliger über seine Funktionsperiode von Ende 1938, sind in der Regel auf den jeweiligen Stichtag bezogen und trennen oft nicht Entlassungen aus sogenannten ‚rassischen‘ von solchen aus politischen Gründen. Die im Folgenden angegebenen Daten basieren auf einer Totalerhebung aller Personalakten der TH in Wien für den Zeitraum 1937–1945, die im Rahmen eines Forschungsprojekts im Archiv der TU Wien durchgeführt wurde.17 Übersicht über die Enthebungen bzw. Entlassungen an der TH in Wien
Der Kreis der von den Enthebungen und Entlassungen Betroffenen an der TH in Wien ist, verglichen etwa mit der Universität Wien, ziemlich überschaubar. Das ist auch eine Folge der in den Jahren vor dem ‚Anschluss‘ betriebenen Personalpolitik. Als ‚Juden‘ im Sinne der ‚Nürnberger Gesetze‘ von 1935 wurden 1938 enthoben und entlassen: -- die ordentlichen Professoren Emil Abel (Physikalische Chemie) und Leo Kirste (Luftfahrtwesen); -- der außerordentliche Titularprofessor Ernst Fanta (Versicherungsmathematik); -- die Honorardozenten Leopold Freund (Erste Hilfe bei Unglücksfällen; Freund war zugleich Professor für medizinische Radiologie an der Universität Wien), Stefan Guczky (Schiffsmaschinenbau), Stefan Jellinek (Elektropathologie; Jellinek war zugleich Professor an der Universität Wien), Franz Magyar (Maschinenbau), Otto Redlich (Physikalische Chemie), Siegmund Schwätzer (Theorie der Gewölbelehre) und Alfred Tauber (Versicherungsmathematik; auch Tauber war zugleich Professor an der Universität Wien); 17 Forschungsprojekt Die Rolle der Technischen Hochschule in Wien in den Jahren 1938–1945, GZ 21.124/1-VIII/A/3-2001, durchgeführt 2001–2003, Projektleitung: Juliane Mikoletzky, Projektmitarbeiter: Werner M. Schwarz, der die Auszählungen vorgenommen hat. Vgl. dazu jetzt auch: Vertriebene Angehörige der TH in Wien, in: Paulus Ebner/Juliane Mikoletzky/Alexandra Wieser, „Abgelehnt“ – „Nicht tragbar“. Verfolgte Studierende und Angehörige der TH in Wien nach dem „Anschluss“ 1938, Wien 2016, S. 77–96.
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Juliane Mikoletzky
-- die Privatdozenten Alfred Basch (Mathematik), Iwan Döry (Bau elektrischer Maschinen), Ludwig Hofmann (Mathematik), Hans Pöll (Chemie) und Franz Russ (Chemische Technologie anorganischer Stoffe); -- die Assistenten und wissenschaftlichen Hilfskräfte Karl Brandner, Theodor Hoppe, Anton Mayer und Armin Szilvinyi; -- die Bibliotheksbeamten Otto Lazar und Hanns Leo Mikoletzky und der Kanzleidirektor Josef Goldberg. Als ‚jüdisch versippt‘ enthoben und entlassen wurden: -- der ordentliche Professor Karl Wolf (Allgemeine Mechanik und graphische Statik); -- die außerordentlichen Professoren Adalbert Duschek (Mathematik), Franz Knoll (Mathematik) und der außerordentliche Titularprofessor Ernst Brezina (Hygiene); -- der Honorardozent Anton Grzywienski (Wasserbau); -- der Assistent Theodor Hoppe und -- die nichtwissenschaftlichen Bediensteten Eduard Frank und Rudolf Mucha. Aus ‚politischen‘ Gründen enthoben und entlassen wurden: -- die ordentlichen Professoren Ludwig Eckhart (Mathematik), Friedrich Hopfner (Geodäsie), Alfons Klemenc (Anorganische und analytische Chemie; Klemenc war zugleich Privatdozent an der Universität Wien, wo er ebenfalls enthoben wurde), Leo Kirste und Karl Wolf (die damit gewissermaßen doppelt ‚belastet‘ erschienen), Wolf Johannes Müller (Chemische Technologie anorganischer Stoffe) sowie Ernst Felix Petritsch (Schwachstromtechnik); -- der außerordentliche Professor Adalbert Duschek (auch er gewissermaßen ‚doppelt belastet‘); -- die Privat- bzw. Honorardozenten Karl Lego (Geodäsie), Gustav Linnert (Technologie der Faserstoffe), Hermann Michel (Mineralogie und Lagerstättenkunde; Michel wurde auch an der Universität Wien enthoben), Vinzenz Neubauer (Psychotechnik), Leo Neumann (Buchhaltung im Versicherungswesen), Josef Resch (Sozialverwaltung und Sozialpolitik) und Ernst Seefehlner (Elektrotechnik) sowie der akademische Bildhauer Adolf Wagner von der Mühl; -- die Assistenten Armin Szilvinyi und Alois Kieslinger. Außer diesen bereits knapp nach dem ‚Anschluss‘ 1938 suspendierten Personen wurden später weitere 13 Angehörige der Hochschule aus politischen Gründen beurlaubt beziehungsweise nicht weiterbestellt: -- der Honorardozent Eduard Castle (auch Professor an der Universität Wien) und der Lektor für Esperanto Hugo Sirk;
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-- der Assistent Richard Henke; -- die wissenschaftlichen Hilfskräfte Franz Jaroschin und Josef Prachar; -- die Kanzleibeamten Friedrich Birkmayer und Augustin Rudel, der Fachlehrer Franz Petschnigg, der Laborant Karl Slaby, der Hausinstallateur Ernst Plaschkes und der Bedienstete Ernst Tatowsky jun. Der Oberaufseher Johann Artner wurde Ende 1939 nach einer Anzeige wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ enthoben. Das Verfahren gegen ihn nach dem sogenannten Heimtückegesetz wurde 1940 allerdings eingestellt.18 Der Betriebsleiter des Elektrotechnischen Instituts, Ing. Leopold Fink, wurde – nach seinen eigenen Angaben im Jahr 1945 – aus „politischen“ Gründen zur Bundestheaterverwaltung versetzt.19 Wie bereits erwähnt stand eine ganze Reihe der Enthobenen gleichzeitig auch in einem Dienstverhältnis an der Universität Wien; in diesen Fällen ging die Enthebung zum Teil zunächst von der Universität aus. Bemerkenswert erscheint weiters, dass bei den nichtwissenschaftlichen Beschäftigten offenbar weniger strenge Kriterien angelegt werden sollten. Dies geht aus einer Weisung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, vom 2. Dezember 1938 hervor: Er sehe sich aufgrund der bisherigen Handhabung der Säuberungsmaßnahmen (bei der die ‚Volksgenossen‘ offenbar über Gebühr ihrer Denunziationslust freien Lauf gelassen hatten) „veranlasst, neuerlich darauf hinzuweisen, dass die Behandlung nach der Berufsbeamtenverordnung bei Bediensteten, die auf Dienstposten von geringerem Einfluss verwendet werden, nicht mit derselben Strenge durchzuführen ist, wie dies bei Bediensteten auf einflussreichen Stellen notwendig ist. Der nationalsozialistische Staat ist stark genug, um an nicht leitenden Stellen auch ehemalige Gegner im Dienst belassen zu können.“20 Insgesamt waren Zahl und Anteil der an der TH in Wien aus ‚rassischen‘ Gründen Entlassenen eher niedrig, obwohl die NS-Definition der ‚nichtarischen‘ Personen auch Nichtglaubensjuden, sogenannte ‚Mischlinge‘ und ‚jüdisch versippte‘ Personen in die Verfolgungsmaßnahmen einbezog. Auch der Anteil der aus politischen Gründen entfernten Personen war vergleichsweise gering.
18 TUWA, Personalakt Johann Artner. Das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, S. 1269 f.) stellte jede Form von als regimekritisch zu interpretierenden Äußerungen unter Strafe. 19 TUWA, Personalakt Leopold Fink. 20 TUWA, Rektoratsakten, RZl. 522-1938/39, bei RZl. 2439-38/39.
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Juliane Mikoletzky
Beschäftigte insgesamt 309
27
2
7
193
26
5,2
3
12
502
53
10,6
in %
davon entlassen
Nichtwiss. Personal 5
Wiss. Hilfskraft
Assistent
Privatdozent
Honorardozent
o. und a.o. Professor
Tab.: Entlassungen an der TH in Wien aus ‚rassischen‘ und politischen Gründen 1938/39.
Entlassungsgrund: ‚rassisch‘
4
politisch
4
Gesamt
8
5
8
4
1
7
4
2
12
12
6
5,4
Quelle: TUWA, Personalakten. Eigene Auszählungen und Berechnungen (J. Mikoletzky, W. M. Schwarz).
Der Prozentsatz der 1938 insgesamt entlassenen Angehörigen der Technischen Hochschule in Wien betrug 10,6 % (für das wissenschaftliche Personal allein 13,3 %). Dieser Anteil war im Vergleich zur Universität Wien niedrig, wo rund 50 % der Lehrenden – mit allerdings deutlichen Schwankungen zwischen den Fakultäten und Fächern – entlassen wurden.21 Auch an der deutlich kleineren Hochschule für Bodenkultur lag der Anteil der Entlassenen wesentlich höher.22 Dagegen verzeichnete die Montanhochschule in Leoben unter den Professoren keine einzige Enthebung, an der Technischen Hochschule in Graz wurden nur zwei der 28 ordentlichen und außerordentlichen Professoren entlassen. Vergleichszahlen von Universitäten und Hochschulen im Deutschen Reich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 liegen zwischen 8 % an der Universität München und 32 % an den Universitäten Berlin und Frankfurt. Bei technischen Hochschulen lag der Anteil der Entlassenen im Durchschnitt bei 11 %, also in der Regel niedriger als bei den Universitäten mit durchschnittlich 17 %.23 Die Situation an der TH in Wien entsprach also in etwa jener an den reichsdeutschen technischen Hochschulen. 21 Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz: „Es läuft alles in geordneten Bahnen“. Österreichs Hochschulen und Universitäten und das NS-Regime, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2001, S. 549 ff. Siehe auch den Beitrag von Katharina Kniefacz und Herbert Posch in diesem Sammelband. 22 Vgl. Ebner, Bodenkultur, S. 121 ff. 23 Siehe Alan D. Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler. Physiker im Dritten Reich, Köln 1980, S. 70 ff.
‚Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung
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Widersprüche gegen Enthebungen
Wenig beachtet wurde bisher, dass die Enthebungen von den Betroffenen keineswegs immer passiv hingenommen wurden; vielmehr war die große Zahl von Einsprüchen gegen diese Maßnahme mitverantwortlich für die oft lange Verfahrensdauer. Nur die ‚volljüdischen‘ Angehörigen des Lehrkörpers haben offenbar kaum versucht, ihre Enthebung zu beeinspruchen – vermutlich, weil sie dies für nicht erfolgversprechend hielten, zumal der ‚Tatbestand‘ hier eindeutig definiert war. Aber unter jenen, die wegen ihrer ‚nichtarischen‘ Ehefrau als ‚jüdisch versippt‘ galten, protestierten viele oder baten zumindest um Nachsicht, und hier zeigt sich, dass es durchaus Handlungsspielräume gab. So richtete Franz Knoll, der zwar mit einer ‚nichtarischen‘ Frau verheiratet, aber auch NS-Parteimitglied seit 1930 und ‚Illegaler‘ während der Verbotszeit war, an das Unterrichtsministerium ein Gesuch um ausnahmsweise Belassung im Dienst.24 Seine bereits ausgesprochene Enthebung wurde 1939 rückgängig gemacht und seine „ausnahmsweise“ Weiterbelassung im Dienst gewährt. Maßgeblich dafür dürfte vor allem die Befürwortung seines Fachkollegen Lothar Schrutka gewesen sein, der nicht nur Knolls Verdienste als Parteimitglied, sondern auch seine Unentbehrlichkeit für die Gewährleistung des Unterrichts hervorhob.25 Hier fiel also das Interesse der Hochschule an einem geordneten Studienbetrieb mit ins Gewicht – ein Vorgang, der sich 1945 spiegelbildlich wiederholen sollte. Auch Adalbert Duschek erhob Einspruch gegen seine Suspendierung, indem er unter anderem auf die zum Zeitpunkt ihrer Umsetzung fehlende Rechtsgrundlage und mangelnde Begründung hinwies. Seinem Rekurs wurde nicht stattgegeben, auch mit Hinweis darauf, dass er seinerzeit gegen den Wunsch des Kollegiums zum außerordentlichen Professor ernannt worden sei. Übrigens begannen erst nach seinem Einspruch die Nachforschungen hinsichtlich der Abstammung seiner Ehefrau. Duscheks endgültige Entlassung erfolgte mit dem 15. Juni 1938.26 Ebenfalls erfolglos blieb der Rekurs von Karl Wolf. Von den aus ‚politischen‘ Gründen Enthobenen haben sich fast alle gegen ihre Entfernung von der Hochschule zur Wehr gesetzt – auch sie mit unterschiedlichem Erfolg. Tatsächlich gab es gerade in dieser Gruppe zahlreiche Fälle, in denen es keineswegs 24 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR), Gauakt Franz Knoll; TUWA, Personalakt Franz Knoll. 25 Vgl. TUWA, Rektoratsakten, RZl. 2439-1937/38, Schreiben Schrutkas an den Rektor vom 28. Oktober 1938. Knoll konnte in der Folge noch einige Karriereschritte setzen: Er wurde 1941 zum außerplanmäßigen und 1943 zum außerordentlichen Professor ernannt. 26 Vgl. TUWA, Personalakt Adabert Duschek.
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nur um die jeweilige, tatsächliche oder auch nur behauptete, politische Einstellung ging, sondern auch das sonstige Verhalten der Betroffenen eine Rolle spielte. In den Bewertungen durch die Parteistellen figurierten solche Einwände oft als ‚charakterliche‘ Mängel – Vorwürfe, die oft genug nicht nur auf persönliche Schwächen abzielten, sondern auch Begehrlichkeiten von Kollegen und interne Machtkämpfe verdeckten. Ohne Erfolg haben die Professoren Friedrich Hopfner und Ernst Felix Petritsch Einspruch erhoben – beide galten als ‚Systemberufungen‘ und standen auch Repräsentanten des ‚Ständestaates‘ nahe. Während sich Hopfner jedoch völlig ins Privatleben zurückzog, versuchte Petritsch auch später immer wieder in eigener Sache zu intervenieren, wenn auch ohne Ergebnis.27 Erfolglos blieben auch die Rekurse der Honorardozenten Gustav Linnert und Karl Lego. Dagegen zog der Dozent Leo Neumann, höchst ungewöhnlich, seinen ursprünglichen Einspruch zurück, nachdem man ihm bedeutet hatte, dass sein bereits bestellter Nachfolger Rudolf Tanzner ‚eigentlich‘ schon früher für diese Position bestimmt gewesen sei und diese nur wegen seiner (illegalen) NS-Nähe nicht erhalten habe, es sich hier also um eine „Wiedergutmachung“ für einen verdienten Parteigenossen handle.28 Zumindest partiell erfolgreich waren die Berufungen von Alfons Klemenc und Alois Kieslinger gegen ihre Enthebungen. Klemenc, damals außerordentlicher Professor an der Universität Wien, war 1934 unter nachdrücklicher Intervention des Unterrichtsministeriums als ordentlicher Professor auf die Lehrkanzel für Analytische Chemie an der TH in Wien berufen worden;29 die Hochschule hatte den Münchener Professor Otto Hönigschmid bevorzugt, dessen Verpflichtung an eine österreichische Hochschule damals jedoch aus politischen Gründen nicht infrage kam. Klemenc wurde daher noch im April 1938 enthoben, wogegen er am 11. Mai 1938 Einspruch erhob. In einem Gutachten des Dozentenbundführers Schober wurde ihm vorgeworfen, durch einen „vaterländisch-jüdischliberalen Kreis um Prof. [Hermann] Mark und dessen Dufreund Dollfuss“ gefördert worden zu sein (was Klemenc in einem Schreiben vom 17. Oktober 1938 an den Rektor der TH in Wien nachdrücklich zurückwies), außerdem aber auch eine „völlig unzulängliche“ Lehrtätigkeit.30 Letzteres dürfte wohl der Hauptgrund dafür gewesen sein, dass Klemenc 1939 trotz allem als ordentlicher Professor entlassen wurde. Dafür spricht sowohl, dass 27 Vgl. TUWA, RZl. 1733-1937/38; Personalakten Friedrich Hopfner und Ernst Felix Petritsch. 28 TUWA, Personalakt Leo Neumann. 29 Siehe zum Folgenden TUWA, Personalakt Alfons Klemenc; ÖStA/AdR, Gauakt Alfons Franz Klemenc. Vgl. auch Andreas Huber, Rückkehr erwünscht. Im Nationalsozialismus aus „politischen“ Gründen vertriebene Lehrende der Universität Wien, Wien 2016, besonders S. 145 ff. 30 Gutachten des Dozentenbundführers Schober vom 28. November 1938, ÖStA/AdR, Gauakt Alfons Franz Klemenc.
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er aufgrund von § 6 der Berufsbeamtenverordnung („im Interesse des Dienstes“) in den Ruhestand versetzt wurde,31 als auch der Tenor weiterer Stellungnahmen von Professoren der Universität Wien wie der TH in Wien. So wies der Professor für Organische Chemie an der TH in Wien, Friedrich Böck, in einem Gutachten vom April 1938 darauf hin, dass die Studierenden mit den Vorlesungen von Klemenc „nicht restlos zufrieden waren“ und sogar Sammlungen von „Irrtümern“ angelegt hätten.32 Der Rektor der TH in Wien Haas argumentierte in einer Stellungnahme an das österreichische Unterrichtsministerium vom 5. Dezember 1938, dass Klemenc von der Studentenschaft „weitgehende Ablehnung“ erfahren habe, und plädierte dafür, „dass die fachlichen Kräfte des Professor Klemenc besser an einem Forschungslaboratorium eingesetzt werden könnten, als zur Erziehung nationalsozialistischer Techniker.“33 Der Wiener Dozentenbundführer Arthur Marchet schließlich gab in seiner Äußerung zu Klemenc’ Ansuchen um die Erteilung der Dozentur neuer Ordnung34 an der Universität Wien 1939 explizit an, dass dieser nicht aus „politischen Gründen“, sondern wegen „Nichteignung als Vorstand eines großen Instituts“ entlassen worden sei.35 Diese Hinweise lassen die ‚politischen‘ Einwendungen gegen Klemenc eher als willkommene Vorwände erscheinen, während die eigentlichen Gründe für seine Entlassung persönlicher Natur waren. Dennoch hatte er offenbar einflussreiche Unterstützer. So durfte er an der TH Wien weiterhin ein Labor benutzen, wo er ab 1940 kriegswichtige Forschungen zur wässrigen Elektrolyse im Auftrag der IG Farben durchführte.36 1942 wurde ihm, nach heftiger Intervention unter anderem vonseiten des Reichsstatthalters, unter Hinweis auf die „Kräftenot“ in der Forschung, die Dozentur neuer Ordnung und damit die Lehrbefugnis an der Universität Wien, seiner eigentlichen wissenschaftlichen Heimat, (wieder) verliehen.37 31 TUWA, Personalakt Klemenc, RZl. 840-1938/39. 32 Ebd. 33 Ebd., RZl. 2659-1937/38. 34 Die Reichshabilitationsordnung von 1934 (Runderlass vom 14. Dezember 1934 RU I 730.1 und Neufassung vom 17. Februar 1939, REM-Erlass WA 2920/38 ZIIa, ZI [a]) etablierte ein zweistufiges Habilitationsverfahren, in dem die Lehrbefugnis nach der Prüfung der wissenschaftlichen Eignung (Dr. habil.) durch die Ernennung zum Dozenten neuer Ordnung bestätigt wurde. Seit 1939 war damit auch die Berufung in ein außerplanmäßiges Beamtenverhältnis verbunden (siehe TUWA Rektoratsakten, RZl. 1400-1938/39). 35 Ebd., Gutachten des Gaudozentenbundführers Marchet vom 20. September 1939. 36 Vgl. Ute Deichmann, Flüchten, Mitmachen, Vergessen. Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit, Weinheim u.a. 2001, S. 240. 37 Vgl. dazu Helmut Heiber, Die Akten der Parteikanzlei. Versuch der Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes, Bd. 1, München 1983, S. 487, Regest-Nr. 14.253.
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Der Privatdozent Alois Kieslinger wurde im April 1938 als Assistent enthoben und mit dem 30. September 1938 vorzeitig gekündigt (sein Vertrag wäre bis 1940 befristet gewesen); seine Venia legendi wurde für ruhend erklärt. Als Begründung hieß es, er sei ein „Systemanhänger“ und (unzutreffenderweise) „Halbjude“, außerdem wurde ihm „unsoziales und unkameradschaftliches Verhalten“ vorgeworfen.38 Seine Entlassung wurde vor allem von dem Professor für Mineralogie und Baustofflehre, Roman Grengg, betrieben, der dafür den Dozentenbundführer Schober und den kommissarischen Rektor Rudolf Saliger mobilisieren konnte. Grengg gehörte zum Kreis der illegalen Nationalsozialisten im Professorenkollegium und war Mitglied im NS-Beirat des Rektors, verfügte daher in dieser Zeit über einigen Einfluss. Der Vorgesetzte Kieslingers und Vorstand des Instituts für Geologie, der wissenschaftlich weitaus bedeutendere Professor Josef Stiny (ab 1942 Stini), verweigerte jedoch die Unterschrift unter die vorzeitige Kündigung, bis ihm durch Saliger ein Disziplinarverfahren angedroht wurde.39 Dies war das einzige Mal, dass gegen die Entlassung eines Angehörigen der Hochschule aktiver Widerstand geleistet wurde. Hintergrund war ein weit zurückreichender Dauerkonflikt zwischen den beiden geologischen Instituten der Hochschule, keine grundsätzliche Ablehnung der Vorgangsweise bei den Entlassungen. Seine Rehabilitierung erreichte Kieslinger erst im August 1939, nach einer Intervention von Reichskommissar Bürckel und des Reichsbeauftragten für Wirtschaftsfragen in Österreich Wilhelm Keppler. Der inzwischen ernannte Rektor Haas musste schließlich einräumen, dass die Gründe für Kieslingers Beurlaubung „nach strengerer und ruhigerer Prüfung[,] als dies im Schwunge des Umbruches möglich war, nicht standhalten“ würden.40 In der Folge konnte er bis zum regulären Auslaufen seines Assistentenvertrages an der Hochschule verbleiben. Die Enthebung des Privatdozenten für Mineralogie und Geologie und Direktors des Naturhistorischen Museums in Wien, Hermann Michel, dürfte ebenfalls auf eine interne Intrige zurückgehen: Er wurde zunächst an der Universität Wien und in der Folge auch an der TH Wien enthoben, bzw. es wurde seine Venia ruhend gestellt. Auch Michel legte Rekurs ein, seine Suspendierung wurde per 24. September 1939 auf Weisung von Reichskommissar Bürckel aufgehoben, da dafür keine Grundlage bestehe. 1940 wurde Michel zum Dozenten neuer Ordnung ernannt.41 Zwei weitere Fälle fanden ein Echo, das weit über die TH in Wien hinausreichte, 38 Notizen zur Beurlaubung vom Lehramt und Kündigung der Assistentenstelle des Reichsbeauftragten für Österreich, Staatssekretär Wilhelm Keppler, vom 5. August 1939, ÖStA/Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Unterricht, allgemein, Fasz. 1244. 39 Ebd.; siehe auch TUWA, Personalakt Kieslinger. 40 Ebd. 41 ÖStA/AdR, Gauakt Hermann Michel; TUWA, Personalakt Hermann Michel.
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und erlauben Einblick in das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen den damit befassten Reichsstellen und den österreichischen Hochschulen: die Enthebung des Professors für Darstellende Geometrie Ludwig Eckhart und des Professors für Chemische Technologie der anorganischen Stoffe Wolf Johannes Müller. Die Enthebung von Eckhart endete tragisch.42 Er hatte nach seiner vorläufigen Beurlaubung 1938 wegen des „Verdachts unzuverlässiger Haltung“ in wiederholten Eingaben seine „nationale“ Gesinnung beteuert. Der Vorwurf der „Systemanhängerschaft“ wurde mit der Beschäftigung eines „volljüdischen Assistenten“ (Anton Mayer) und der Unterstützung sogenannter „Systemvertreter“ an der Hochschule wie Ernst Felix Petritsch begründet. Auch die Teilnahme Eckharts an Fronleichnamsprozessionen während des ‚Ständestaates‘ wurde in einer Beurteilung durch den zuständigen Ortsgruppenleiter negativ vermerkt, von diesem jedoch eher dem Einfluss seiner „ehrgeizigen“ Frau zugeschrieben.43 Offenbar wurde bald deutlich, dass die zusammengetragenen Argumente nicht ausreichend für eine Entlassung waren. Es liegt das Konzept eines Schreibens mit Datum vom 4. Oktober 1938 vor, das Eckharts Rehabilitierung bestätigen sollte, allerdings mit der Auflage der Versetzung an eine andere Universität. Das Schreiben wurde jedoch offenbar nicht mehr abgeschickt. Eckhart war dem Druck nicht gewachsen und nahm sich am 5. Oktober 1938 das Leben.44 Sein Fall wurde von den Verantwortlichen im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung missbilligend zur Kenntnis genommen und führte zu einer wenig günstigen Beurteilung der ‚Personalpolitik‘ der TH in Wien durch die Berliner Stellen. Er spielte dann auch eine Rolle bei der Beurteilung des Falles von Wolf Johannes Müller.45 Der gebürtige Schweizer Müller, der seit 1925 an der TH in Wien lehrte und von 1936 bis zum ‚Anschluss‘ das Amt des Dekans der Fakultät für Technische Chemie versehen hatte, legte ebenfalls Rekurs gegen seine Enthebung aus ‚politischen‘ Gründen ein, der zunächst auch erfolgreich war: Seine Beurlaubung wurde über direkte Intervention von Reichskommissar Bürckel aufgehoben.46 Diese Entscheidung löste jedoch, was sehr ungewöhnlich war, heftigen Widerstand der Hochschule aus, die nun ihrerseits den Reichsdozentenbund und den Sicherheitsdienst der SS einschal42 43 44 45
Siehe TUWA, Personalakt Ludwig Eckhart. ÖStA/AdR, Gauakt Ludwig Eckhart, Gutachten des Ortsgruppenleiters vom 16. August 1938. TUWA, Personalakt Ludwig Eckhart. Zu Müller siehe die Kurzbiografie von R. Werner Soukup in: Ders. (Hg.), Die wissenschaftliche Welt von gestern. Die Preisträger des Ignaz L. Lieben-Preises 1865–1937 und des Richard Lieben-Preises 1912–1928. Ein Kapitel österreichischer Wissenschaftsgeschichte in Kurzbiografien, Wien/Köln/ Weimar 2004, S. 267 ff. 46 TUWA, Personalakt Wolf Johannes Müller.
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tete, um die Aufhebung der Beurlaubung wieder rückgängig zu machen. In diesem Zusammenhang wurden die gegen Müller erhobenen Vorwürfe ausführlich begründet. Sie betrafen zunächst seine politische ‚Unzuverlässigkeit‘, da er Mitglied der Freimaurerloge Minerva-Rhenania und außerdem ein „Judenfreund“ sei. In einem Schreiben des Dozentenbundführers Schober an den Reichsdozentenbundführer Marchet vom 1. November 1938 heißt es dazu, Müller habe seine Institutsräume einer „fast ausschliesslich aus Juden bestehenden Gesellschaft“ vermietet.47 Zudem habe er das Ausschlussverfahren gegen einen jüdischen Studenten zu verzögern versucht, um noch dessen Zulassung zur Diplomprüfung zu ermöglichen. Dabei handelte es sich um den Hörer Ernst Felix Roman Schneuer, der zunächst an der TH Brünn studiert hatte, dort aus politischen Gründen relegiert worden war und dies 1935 bei seiner Inskription an der TH in Wien verschwiegen hatte. Nach Bekanntwerden dieses Umstands Anfang 1938 erhielt Schneuer zwar eine Rüge, durfte aber vorerst weiterstudieren, bis er durch die Ausschlussbestimmungen des NS-Regimes ab März 1938 erfasst wurde. Schneuer wollte die Bestimmung, wonach Hörer im Examensstadium ihre letzten Prüfungen noch im Sommersemester 1938 ablegen konnten, nutzen. Wolf verwies ihn mit seinem Anliegen an den dafür zuständigen Schober, der dies aber offenbar als persönlichen Affront auffasste. Die Mitarbeiter Müllers reichten außerdem eine Disziplinaranzeige im Rektorat ein, in der sie ihm Unregelmäßigkeiten in der finanziellen Gebarung und „unsoziales“ Verhalten vorwarfen.48 Für Müller setzte sich Bürckel beim Gauleiter von Wien, Odilo Globocnik, ein, der sich Müllers Fall persönlich angenommen und ihm attestierte hatte: „Professor Müller war während der Systemzeit nationalsozialistisch gesinnt und gilt als hochanständiger, charaktervoller und nationalbewusster Deutscher.“49 Auch Wolfgang Ostwald, Professor für Chemie an der Universität Leipzig, der ebenfalls zu einer Beurteilung aufgefordert wurde, hielt die Vorwürfe gegen Müller für nicht stichhaltig und wies in seiner Stellungnahme auf Ähnlichkeiten mit Fällen im ‚Altreich‘ aus dem Jahr 1933 hin: „Zusammenfassend komme ich also zu folgendem Schluss: Ich finde es unbegründet, unverständlich und überaus bedauerlich, dass Prof. Müller zeitweilig beurlaubt worden ist. Die von Dr. [Rudolf ] Püringer [einem von Müllers Assistenten] erhobenen Anschuldigungen fasse ich auf als pathologische Expektorationen bzw. als psychopathische Ab-Reaktionen eines verbitterten älteren Fachgenossen in untergeordneter Stellung kurz vor seiner Pensionierung, Re47 ÖStA/AVA, Unterricht, allgemein, Fasz. 1320. 48 Ebd., Schreiben von Rektor Haas an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 22. November 1938. 49 Ebd., das Gutachten ist einem Schreiben des Reichskommissars für die Wiedervereinigung an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 3. Oktober 1939 beigelegt.
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aktionen, die auch bei der Machtübernahme 1933 an fast allen Universitäten und zu Hunderten vorkamen“.50 In einem abschließenden Kommentar vom Frühjahr 1939 aus dem Büro des Reichsstatthalters an das Reichswissenschaftsministerium und den Reichsdozentenführer wurde der Fall noch einmal zusammengefasst.51 Dabei zog der Berichterstatter abschließend ein kritisches Resümee über die Durchführung der in allen diesen Stellungnahmen als „Maßnahmen“ verharmlosten ‚Säuberungen‘ in Wien: „Ich verrate Ihnen vielleicht kein Geheimnis[,] wenn ich Ihnen sage, daß hier eine zeitlang von manchen Dienststellen viel [sic] unzweckmäßige und sinnlose Maßnahmen getroffen wurden, die einer dringenden Korrektur bedurften. Bei der Behandlung des Falles Müller war mir unverständlich[,] mit welcher Hartnäckigkeit die in Frage kommende Dienststelle auf der Entfernung Müllers bestand. Ich glaube, sicher nicht mit Unrecht, dass der maßgebenden Stelle, die dies [sic] Verfahren gegen Müller betrieb, nicht so sehr darum zu tun war[,] nationalsozialistischen Auffassungen der Technischen Hochschule zum Durchbruche zu verhelfen, sondern vielmehr darum, eine Stelle frei zu bekommen. Wie unsinnig und verantwortungslos hier gehandelt wurde[,] ist an dem Beispiel des Professors Dr. Eckhart zu sehen. Dieser Mann wurde zu Unrecht beurlaubt und wurde immer wieder vertröstet. Schließlich konnte er diesen ehrlosen und unverschuldeten Zustand nicht mehr ertragen und erschoss sich. So sieht das Verantwortungsbewußtsein mancher Herren hier in Wien aus.“52 Müller behielt seine Position als Professor, starb aber bereits 1941. Er war der einzige Angehörige der TH in Wien, bei dem es zu derart offenen und heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Hochschule und den zuständigen Reichsstellen kam und der diese zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Möglich wurde das wohl vor allem durch seine exzellenten Beziehungen außerhalb der Hochschule, insbesondere zu NS-Verwaltungsstellen. In seinem Fall manifestierte sich besonders deutlich der Kulturkonflikt, der zwischen den reichsdeutschen und den ‚ostmärkischen‘ Akteuren bestand und der immer wieder zu Reibungen und Missverständnissen führte. Hervorzuheben ist, dass keineswegs alle, deren persönliches Profil eine Enthebung aus ‚politischen‘ Gründen indizierte, auch tatsächlich entlassen wurden: Angehörige der Hochschule, die zwar als politisch ‚unzuverlässig‘ oder indifferent beurteilt wurden, aber sozial über eine gute Verankerung in die Hochschule verfügten – wie 50 Ebd., Beilage zum Schreiben des Reichskommissars für die Wiedervereinigung an den Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart vom 21. August 1938. 51 Bundesarchiv Berlin, PK (ehem. BDC), Müller, Wolf Johannes, geb. 8. Juli 1874. Das Schreiben aus dem Büro des Reichsstatthalters an den Reichsdozentenführer stammt vom 3. März 1939 und ist einem Schreiben an das Reichswissenschaftsministerium vom 26. April 1939 beigelegt. 52 Ebd.
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der außerordentliche Titularprofessor und Honorardozent für Mikroanalyse Robert Strebinger (dem Sympathien für die Sozialisten nachgesagt wurden), der Professor für Baukunst Karl Holey (ein typisches Beispiel für einen ‚Systemanhänger‘) oder der Professor für Physik Heinrich Mache (der durch seine Ehe mit einer Enkelin des Geologen und liberalen Politikers Eduard Suess ‚belastet‘ erschien53) – konnten an der TH in Wien bleiben. Sie wurden allerdings bei Karriereschritten behindert und blieben von Ämtern und Funktionen ausgeschlossen. Am stärksten gefährdet und von Vertreibung bedroht waren jene Personen, die aufgrund der NS-Rassengesetze persönlich als ‚Juden‘ galten. Sie mussten die Hochschule ausnahmslos verlassen, und es fanden sich auch keine Kollegen, die sich für ihren Verbleib einsetzten. Auch Persönlichkeiten, die nicht Parteimitglieder waren und dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden und/oder die aufgrund ihrer Persönlichkeit oder Position in der Hochschule nicht gut verankert waren, mussten mit ihrer Entlassung rechnen. Dazu gehörten auch die sogenannten ‚jüdisch Versippten‘ mit einer ‚nichtarischen‘ Ehefrau – Ausnahmen wie der oben erwähnte Franz Knoll bestätigen hier die Regel. ‚Gewinner‘ des ‚Umbruchs‘ vom März 1938 waren ausgewiesene Nationalsozialisten, die auch in der Hochschule gut verankert waren, und nicht zuletzt die nicht kleine Gruppe derjenigen, die sich auch in der NS-Zeit weltanschaulich nicht deklarierten und sich zumindest formal in die Sphäre des ‚Unpolitischen‘ zurückzogen. Insgesamt ergibt sich jedoch aus der Untersuchung der Entlassungen der Befund, dass, unabhängig von der jeweiligen Gesetzeslage, die Einbettung einer Person in ihr jeweiliges soziales Umfeld als ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für ihre tatsächliche Situation angesehen werden muss. Bei der Analyse und Beurteilung der ‚Säuberungen‘ sollte dieser Aspekt mehr Berücksichtigung finden. Die Vertreibung der jüdischen Studierenden
Wie die Beschäftigten unterlagen auch die Studierenden den NS-Rassengesetzen.54 53 Die Mutter von Eduard Suess, Eleonore Zdekauer, war ursprünglich mosaisch und konvertierte erst später zur protestantischen Konfession. Aus diesem Grund war Suess bereits in den 1880er Jahren antisemitischen Angriffen ausgesetzt gewesen. 54 Vgl. zum Schicksal der Studierenden für die Universität Wien unter anderem Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel: „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008. Siehe auch den Beitrag von Katharina Kniefacz und Herbert Posch zur Universität Wien in diesem Sammelband sowie weitere Aufsätze zu anderen Hochschulen. Zu den 1938 von der TH in Wien vertriebenen Studierenden vgl. jetzt auch Ebner/ Mikoletzky/Wieser, „Abgelehnt“ – „Nicht tragbar“.
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Schon im April 1938 wurde für jüdische Studierende ein Numerus clausus von 2 % der inskribierten Hörerinnen und Hörer erlassen (also ohne jene, die sich bereits im Examensstadium befanden).55 Bereits inskribierte Studierende, die nun als ‚nicht arisch‘ galten, mussten exmatrikulieren und erhielten ihre Studiengebühren zurückerstattet. Vor einer neuerlichen Inskription mussten sie um eine Zulassungsbewilligung ansuchen, die nur dann erteilt wurde, wenn damit das Studium abgeschlossen werden konnte. Von 134 Ansuchen um Zulassung wurden 67 positiv beschieden, von den übrigen wurden einige zurückgezogen, die restlichen abgelehnt.56 Ansonsten durften als jüdisch geltende Studierende das Gebäude der TH in Wien nicht mehr betreten und natürlich auch nicht mehr an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Für ‚Mischlinge‘ ersten und zweiten Grades gab es vorerst noch mildere Bestimmungen, die ab 1940 allmählich verschärft wurden. Eine genaue Angabe der Anzahl jener Studierenden, die von der TH in Wien vertrieben wurden, ist aufgrund der vorliegenden Daten nicht möglich: Zum einen gab es zur damaligen Zeit noch keine formelle Exmatrikel (diese wurde erst ab dem Studienjahr 1938/39 eingeführt);57 daher lässt sich nicht feststellen, ob Hörerinnen und Hörer, die im Sommersemester 1938 nicht mehr inskribiert waren, wegen ihrer ‚rassischen‘ Zugehörigkeit nicht mehr aufscheinen, ob sie die Hochschule gewechselt oder aus anderen Gründen ihr Studium abgebrochen haben. Zum anderen können aus den Angaben zur Konfession nur bedingt entsprechende Schlüsse gezogen werden, da viele der nun als ‚nichtarisch‘ geltenden Studierenden nicht der jüdischen Konfession angehörten. Die nach der Konfessionszugehörigkeit gegliederten Frequenztabellen für das Wintersemester 1937/38 und das Sommersemester 1938 erlauben nur die Ermittlung von Mindestzahlen.58 Daraus ergibt sich ein Rückgang der Studierenden insgesamt vom Wintersemester 1937/38 auf das Sommersemester 1938 um 32,5 % (N = 570), bei den Angehörigen ‚israelitischer‘ Konfession allein dagegen um 92,6 % (N = 199). Ihre Zahl schrumpfte von 215 im Wintersemester 1937/38 auf ganze 16 im Sommersemester 1938, das waren 1,3 % der Gesamtzahl der Inskribierten. Damit hatte die TH in Wien bereits für das Sommersemester den mit Erlass vom 23. April 1938 festgesetzten Numerus clausus für jüdische Hörer von 2 % deutlich unterschritten. Tatsächlich dürfte die Zahl der vertriebenen Studierenden noch deutlich höher gewesen sein. 55 56 57 58
TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1567-1937/38 und 1749-1937/38. TUWA, Rektoratsakten, RZl. 1567-1937/38. Vgl. dazu TUWA, Rektoratsakten, RZl. 3414-1937/38. Vgl. Bericht über das Studienjahr 1937/38, Tabelle S. 83.
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Grafik: Die Studierenden der TH in Wien nach ihrer Konfession, 1918–1938.59
Aberkennung von akademischen Graden
Bei der ersten an der TH in Wien vorgenommenen Aberkennung handelt es sich um die Rücknahme einer akademischen Ehrung: Der Technikphilosoph Friedrich Dessauer, seit 1927 Ehrenbürger der Hochschule, verlor diese Würde auf Betreiben von Dozentenbundführer Schober bereits 1938.60 Aberkennungen akademischer Grade begannen 1939. An einer österreichischen technischen Hochschule kamen dafür zu dieser Zeit nur Doktorate infrage, da der bis 1938 nach der II. Staatsprüfung verliehene ‚Ing.‘ kein akademischer Grad, sondern eine Standesbezeichnung war.61 Weil das Doktorat für Ingenieure Zweitabschluss war und wesentlich seltener abgelegt wurde als an der Universität, ist die Zahl der Aberkennungen an der TH in Wien sehr gering: Insgesamt konnten nur 13 Fälle für die Zeit zwischen 1939 und 1945 ermittelt werden, davon einer aus strafrechtlichen Gründen, die übrigen aufgrund einer Ausbürgerung ehemaliger jüdischer Hörer wegen Emigration. 59 Quelle: Inaugurationsberichte der TH in Wien, Hörerstatistiken. 60 TUWA, Rektoratsakten, RZl. 198-1938/39. 61 Der Titel ‚Diplomingenieur‘ (Dipl.-Ing.) wurde in Österreich erst in der NS-Zeit eingeführt und war für ‚nichtarische‘ Absolventen nicht zugänglich.
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Nach Kriegsende: Entnazifizierung und Reintegration der 1938 Entlassenen
Die Entnazifizierung an der TH in Wien ergibt in der ersten Phase bis 1947 ein nahezu spiegelbildliches Resultat der Ereignisse von 1938.62 Wieder handelte es sich um einen Prozess des Personalaustauschs, wenn auch unter veränderten Rahmenbedingungen. Wie damals war der Ablauf teils durch gesetzliche Vorgaben (die sich zwischen 1945 und 1955 erheblich wandelten) gesteuert, teils durch die Nutzung der vorhandenen Handlungsspielräume der beteiligten Akteure bestimmt. Es lassen sich dabei drei Phasen unterscheiden: 1. Die kurze Zeit zwischen Mitte April (erste Sitzung des neuen, noch provisorischen Senats am 19. April) und 8. Mai 1945 (Erlass des Verbotsgesetzes): In dieser Phase ging es um die Rekonstruktion der Verwaltung: Mit Ämtern und Führungspositionen wurden politisch ‚unbelastete‘ Hochschulangehörige betraut. Viele davon waren ehemals als ‚Mischlinge‘ oder aus ‚politischen‘ Gründen Entlassene, die den Krieg meist in Wien überlebt hatten und rasch an die Hochschule zurückkehrten. 2. Die Phase der Entnazifizierung aufgrund des Verbotsgesetzes vom 8. Mai 1945 und der zahlreichen Novellierungen und Begleitgesetze bis zum Nationalsozialistengesetz 1947.63 Nach dem Verbotsgesetz wurden alle jene Personen sofort entlassen, die als „Illegale“ galten. Die gesetzliche Definition (Art. III, § 9) umfasste – abweichend von den entsprechenden Zuschreibungen im Jahre 1938 – nun alle, die nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 in Österreich weiterhin Mitglied der Partei oder einer ihrer Gliederungen (SA, SS, NSKK, NSFK)64 geblieben oder ihr nach diesem Zeitpunkt beigetreten waren. Durch diese wesentlich formalere Definition ergaben sich erhebliche quantitative Differenzen zwischen der Anzahl der jeweils 1938 und 1945 als ‚illegal‘ eingestuften Personen, und auch bei ein und derselben Person lassen sich in den verschiedenen Personalbögen oft erstaunliche Interpretationsunterschiede feststellen: Was 1938 als opportun erschien, war es 1945 nicht mehr, und umgekehrt. Auf der Grundlage des Beamten-Überleitungsgesetzes vom 22. August 1945 wurden 62 Vgl. dazu unter anderem Sarah Reisenbauer, Die Entnazifizierung des Lehrpersonals an der Technischen Hochschule in Wien, in: Österreichischen HochschülerInnenschaft (Hg.), Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert, S. 361–372, sowie Paulus Ebner, Die Entnazifizierung an der Hochschule, in: Mikoletzky/Ebner, Die Technische Hochschule in Wien 1914–1955, T. 2 , S. 161– 176 . 63 Die Gesetze sind abgedruckt im Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 13/1945, S. 19– 24 bzw. im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.), Nr. 25/1947, S. 277–303. Die Novellierungen und Begleitgesetze sind über das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts zu eruieren (https://www.ris.bka.gv.at/, 6. März 2017). 64 NSKK = Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps; NSFK = Nationalsozialistisches Fliegerkorps.
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alle Professoren ohne weitere Überprüfung65 entlassen, die als ‚Reichsdeutsche‘ nach dem März 1938 berufen worden waren und nun als Ausländer galten. Insgesamt wurden an der TH in Wien von den im April 1945 anwesenden 346 Personen in wissenschaftlicher Verwendung 224 (65 %) aus ihren Positionen entfernt. Unter den ordentlichen Professoren waren es 72 % (N = 35); davon wurden zwölf als ‚Illegale‘ sofort entlassen, 23 bei stark gekürzten Bezügen suspendiert. Beim nichtwissenschaftlichen Personal wurden 89 von 265 Personen entlassen (33,6 %). Damit war der personelle Verlust 1945 bedeutend größer als 1938, insbesondere innerhalb des Lehrkörpers. Dies war mit ein Grund, warum etwa ein Drittel der Entlassenen (insgesamt 56) trotzdem vorerst weiter beschäftigt wurde: Sie galten als für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs unentbehrlich. Diejenigen Angehörigen der TH in Wien, die suspendiert worden waren, mussten sich einer Überprüfung durch die sogenannten Sonderkommissionen unterziehen, die mit dem 22. August 1945 eingerichtet wurden. Die Aufgabe der Sonderkommissionen, nämlich zu entscheiden, ob jemand „jederzeit die Gewähr [bietet,] rückhaltlos für die Republik Österreich einzutreten“, bot einerseits Spielraum für individuelle Bewertungen. Andererseits erschwerte es der situationsbedingt unvollständige Informationsstand der Mitglieder der Sonderkommissionen, belastende Sachverhalte zu eruieren. Negativ für eine Weiterbestellung wirkte sich jedenfalls aus, wenn jemand in der NS-Zeit seine Position persönlich zuungunsten von Kollegen ausgenutzt hatte oder seinen Fürsorgeverpflichtungen gegenüber Untergebenen aus politischen Gründen nicht nachgekommen war. In solchen Fällen wurde eine Wiedereinstellung in der Regel ausgeschlossen. Auch Personen, die sich bereits in der Nähe des Pensionsalters befanden (60 Jahre und älter) wurden meist nicht reaktiviert. Allen Dozenten und Dozentinnen, die ihre Venia nach der Reichshabilitationsordnung erworben hatten, wurde die Lehrbefugnis entzogen, da für sie der Generalverdacht einer politisch motivierten Habilitierung galt. Sie mussten neuerlich um eine Erteilung ansuchen. An der TH in Wien wurde die Erneuerung der Lehrbefugnis jedoch in den meisten Fällen problemlos auf der Grundlage der früheren Habilitationsschrift wieder erteilt. Von den 48 ordentlichen Professoren wurden 23 enthoben und zwölf wegen Illegalität entlassen, insgesamt mehr als 72 %. Bezieht man die außerordentlichen und außerplanmäßigen Professoren mit ein, waren 58 von 82 Hochschullehrern (70 %) von diesen Maßnahmen betroffen. Von den 50 Honorar- und Privatdozenten wurden 33 (66 %) enthoben bzw. entlassen. Mit 30,4 % (N = 14) war der Anteil der wissen65 StGBl., Nr. 134/1945, S. 173–175.
‚Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung
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schaftlichen Hilfskräfte unter den Enthobenen und Entlassenen deutlich geringer. Ein Grund dafür dürfte darin zu suchen sein, dass vor allem während des Krieges bei der Rekrutierung dieser in der Regel nur temporär eingestellten Personen kaum noch auf eine Parteimitgliedschaft geachtet worden war. Von den 2.256 Studierenden des Wintersemesters 1945/46 waren 55 vom Studium ausgeschlossen und 416 zu Sühneleistungen verpflichtet worden. 3. Die Phase ab dem Nationalsozialistengesetz vom Februar 1947. Die durch dieses Gesetz eingeführte neue Unterscheidung in ‚Belastete‘ und ‚Minderbelastete‘ veränderte die Situation. Unter die ‚Belasteten‘, die nunmehr als Einzige noch zu entlassen waren, fielen in erster Linie ehemalige politische Funktionsträger. An der TH in Wien traf dies nur auf den letzten NS-Rektor Heinrich Sequenz zu, da sein Vorgänger Haas aus Altersgründen nicht mehr für eine Reaktivierung in Betracht gezogen worden war. Die als ‚minderbelastet‘ Eingestuften wurden von den ‚Sühnefolgen‘ (Suspendierungen, Gehaltseinbußen etc.) befreit. Dies ermutigte eine ganze Reihe von Wissenschaftlern, die aufgrund der früheren Regelung enthoben worden waren, um eine Einstufung als ‚Minderbelastete‘ und in der Folge um ihre Wiedereinstellung anzusuchen, bis dann die Generalamnestie von 1957 alle Hürden beseitigte. Von den 169 im Jahr 1945 tatsächlich enthobenen und entlassenen Wissenschaftlern kehrten letztlich 33 (knapp 20 %) zwischen 1948 und 1975 wieder an die Hochschule zurück. ***
Die Emigrations- und Exilforschung hat darauf hingewiesen, dass nach 1945 nur geringe Bemühungen unternommen wurden, Vertriebene für die österreichischen Universitäten und Hochschulen wieder zurückzugewinnen. Auf die TH in Wien trifft das nur mit Einschränkungen zu.66 Von den sechs aus ‚rassischen‘ Gründen emigrierten Wissenschaftlern kehrte nur der Privatdozent Alfred Basch an die Hochschule zurück. Der Assistent Anton Mayer hätte 1946 als Professor für Mathematik zurückberufen werden sollen, sein Tod im Londoner Exil 1942 war an der TH in Wien zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Auch von den übrigen aus dieser Gruppe war die Mehrzahl entweder noch vor der Emigration oder im Exil verstorben oder, wie Alfred Tauber, im Konzentrationslager ermordet worden. Emil Abel und Stefan Jellinek nahmen schon 1946 wieder Kontakt zur Hochschule auf – Abel wurde sogar vom damaligen Rektor Holey 1946 66 Vgl. dazu auch Juliane Mikoletzky, Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Personalpolitik 1945– 1955, in: Dies./Ebner, Die Technische Hochschule in Wien 1914–1955, T. 2 , S. 177–192 .
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Juliane Mikoletzky
zur Rückkehr an seine Lehrkanzel eingeladen – und waren dort bis zu ihrem Lebensende regelmäßig als Gastprofessoren tätig.67 Grundsätzlich ist bei dieser Gruppe zu berücksichtigen, dass sie durchwegs bereits bei ihrer Entlassung in der Nähe des Pensionsalters standen. Von den 17 als ‚Mischlinge‘ ersten und zweiten Grades oder ‚jüdisch versippt‘ Entlassenen kehrten elf wieder in ihre Positionen an der Hochschule zurück: Adalbert Duschek, Herbert Feichtinger, Anton Grzywienski, Stefan Guczky, Ludwig Hofmann, Theodor Hoppe, Leo Kirste, Franz Magyar, Hans Pöll, Anton Szilvinyi und Karl Wolf. Von den übrigen sechs Wissenschaftlern hatten vier bereits das 60. Lebensjahr überschritten, was ihre Rückkehr verhindert haben dürfte. Unter den 17 aus ‚politischen‘ Gründen Entlassenen kehrten 1945 neun wieder an die Hochschule zurück: August Chwala, Friedrich Hopfner, Rudolf Inzinger, Alfons Klemenc, Karl Lego, Gustav Linnert, Ernst Felix Petritsch, Hugo Sirk und Adolf Wagner von der Mühl. Insgesamt wurden damit von den 41 entlassenen Wissenschaftlern 23 nach 1945 wieder an der Hochschule tätig. Von den zwölf 1938 entlassenen Nichtwissenschaftlern kehrten zumindest sechs nach dem Krieg wieder in ihre alten Positionen zurück: Johann Artner, Eduard Frank, Otto Lazar, Hanns Leo Mikoletzky, Rudolf Mucha und Augustin Rudel. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass von den Vertriebenen etwa die Hälfte wieder an die Hochschule zurückkehrte, und zwar sowohl von den aus ‚rassischen‘ wie von den aus ‚politischen‘ Gründen Vertriebenen. Sie fanden sich in der Regel kurz nach Kriegsende wieder an der TH in Wien ein, leiteten den Wiederaufbau in die Wege und wurden dort meist bald darauf im Zuge der ‚Wiedergutmachung‘ befördert. Diejenigen, die emigrieren mussten (und konnten), wurden zwar nicht systematisch ausgeforscht (dies war unmittelbar nach Kriegsende auch wegen der Kommunikationsverhältnisse schwierig), es gab aber durchaus Ansätze, sie an die Hochschule zurückzuholen. Viele von ihnen waren allerdings im Jahr 1945 schon nicht mehr am Leben, oder sie konnten oder wollten aus Altersgründen nicht mehr reaktiviert werden. Der hohe Altersschnitt gerade dieser Gruppe reflektiert somit noch ein letztes Mal die Folgen der ab 1918 eingeleiteten Personalpolitik, die einer Berufung bzw. Einstellung jüdischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weitgehend ablehnend gegenübergestanden hatte.
67 TUWA, Personalakten von Emil Abel und Stefan Jellinek.
Drei Säuberungswellen Die Hochschule für Bodenkultur 1934, 1938, 1945
Paulus Ebner
Die von den anderen österreichischen Universitäten sehr stark abweichende Geschichte der Hochschule für Bodenkultur (BOKU) von 1934 bis 1945 wurde in den letzten Jahren schon öfters ausführlich thematisiert.1 Hier soll in aller Kürze ein Überblick über die drei großen Säuberungswellen der Jahre 1934, 1938 und 1945 und eine Einschätzung ihrer Folgen gegeben werden. Alle drei betrafen sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden, die Durchführung verlief hier deutlich anders, und zwar radikaler, als an vergleichbaren Hochschulen. Die politische und gesellschaftliche Entwicklung der 1872 gegründeten Hochschule für Bodenkultur in Wien, der einzigen tertiären land- und forstwirtschaftlichen Ausbildungsstätte in Cisleithanien, unterschied sich in den ersten Jahrzehnten nicht wesentlich von der an den anderen österreichischen Hochschulen: Ab den 1890er Jahren gewannen deutschnationale Strömungen immer mehr an Gewicht. An der BOKU wurde dies erstmals deutlich sichtbar in der Badeni-Krise, als der Plan der Einführung der zweisprachigen Amtsführung in Böhmen und Mähren zu einem deutschnationalen Proteststurm und zum Rücktritt des Ministerpräsidenten Kasimir Felix Graf Badeni führte. Diese Tendenz verstärkte sich nach dem Zusammenbruch der Monarchie. Zunächst gab das Professorenkollegium eine Loyalitätserklärung an die deutschösterreichische Republik ab, wobei diese Loyalität dem nun – verglichen mit der Monarchie – eindeutig „deutschen Charakter“ dieser Republik geschuldet war.2 Später schätzten die Hochschulverantwortlichen an der Republik vor allem die deutlich stärker ausgeprägte ‚Hochschulautonomie‘, die nationale (also deutschnationale) Hochschulpolitik eher ermöglichte, als dies vor 1918 der Fall gewesen war. Für den Umstand, dass sich die BOKU in der jungen Republik sehr rasch den Ruf einer besonders stark deutschnational ausgerichteten Hochschule erwarb, waren ohne 1 Österreichische Hochschülerschaft an der Universität für Bodenkultur (Hg.), Verdrängte Geschichte? Die Hochschule für Bodenkultur im Austrofaschismus und im Nationalsozialismus, red. von Hannes Balas/Heinz Auer, Wien 1985; Manfried Welan (Hg.), Die Universität für Bodenkultur Wien. Von der Gründung in die Zukunft 1872–1997, Wien 1997; Paulus Ebner, Politik und Hochschule. Die Geschichte der Hochschule für Bodenkultur von 1914 bis 1955, Wien 2002. 2 Archiv der BOKU, R.Z. 1711/1918 (Erklärung vom 14. November 1918).
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Paulus Ebner
Zweifel der vergleichsweise geringere Anteil an jüdischen und die komplette Marginalisierung der sozialistischen Studierenden mitverantwortlich. Nach 1918 ging auch der Anteil der nichtdeutschsprachigen Hörer deutlich zurück. Binnen weniger Jahre war die Homogenisierung der Hochschule, die im Studienjahr 1899/1900 mit Simon Zeisel3 noch einen Wissenschaftler jüdischen Glaubens zum Rektor gewählt hatte, weitgehend abgeschlossen. Die wie überall an österreichischen Hochschulen vorhandenen Ressentiments verstärkten sich in den ersten Jahren der Republik, nicht zuletzt deshalb, weil es seitens der christlichsozial dominierten Unterrichtsverwaltung kaum Gegendruck gab. Spätestens mit der Annahme des rassistischen ‚Studentenrechts‘ im Sommer 1924 war die BOKU endgültig zu einer Vorreiterin des Antisemitismus in Österreich geworden und hatte einem rassistisch definierten ‚Volksbürgerrecht‘ den Vorrang gegenüber dem Staatsbürgerschaftsrecht eingeräumt.4 Wie an der Technischen Hochschule (TH) in Wien setzte auch an der BOKU die ‚Deutsche Studentenschaft‘ (DSt), also die gemeinsame Kammer der deutschnationalen und der katholisch-deutschen Studenten, das rassistische ‚Studentenrecht‘ im Zusammenspiel mit Rektorat und Professorenkollegium durch. Mit der Schaffung von ‚Studentennationen‘, die sich ihre Mitglieder selber aussuchen konnten, wurde der größten (und letztlich einzigen) derartigen ‚Nation‘ und ihrer Vertretung, also der DSt, ein Alleinvertretungsanspruch für alle Studierenden zugeschanzt. Juden wurden, ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft, nicht in die Deutsche Studentenschaft aufgenommen. Wes Geistes Kind die überwiegende Mehrheit im Professorenkollegium der BOKU war, hatte die Öffentlichkeit schon im Jahr davor feststellen können: Eine am 12. Juli 1923 am Schwarzen Brett angeschlagene antisemitische Erklärung des Professorenkollegiums, deren Tonfall selbst in der österreichischen Universitätsgeschichte seinesgleichen sucht, beschäftigte nicht nur die österreichische Presse. Auch das Bundesministerium für Unterricht verlangte nach Beschwerden aus der Israelitischen Kultusgemeinde eine Stellungnahme. Doch diese Klarstellung war offensichtlich bemüht, den ursprünglichen Text an plumpem, antikommunistisch argumentierendem Judenhass noch zu übertreffen. Weitere Folgen für die professoralen Autoren der Pamphlete gab es nicht.5 3
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Ein biografischer Abriss von Peter Wiltsche, der auch auf die antisemitischen Anfeindungen eingeht, denen Zeisel schon in der Monarchie ausgesetzt war: http://www.boku.ac.at/fileadmin/data/H01000/ H10090/H10400/H10420/Geschichte/Rektoren/Zeisel_Simon.pdf [14. Juni 2016]. Archiv der BOKU, Sammelakt R.Z. 1865/1919 und R.Z. 1167/1924. Archiv der BOKU, R.Z. 1037/1923. Die Bedeutung dieser Proklamation für das antisemitische Lager in Österreich hebt auch Erich Witzmann hervor: Der Anteil der Wiener waffenstudentischen Verbindungen an der völkischen und politischen Entwicklung 1918–1938, Dissertation Universität Wien 1940, S. 52 und S. 55.
Drei Säuberungswellen
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Es kann nicht überraschen, dass sich in diesem von der Professorenschaft aktiv geförderten Klima die Sicherheitslage an den Wiener Hochschulen immer weiter verschlechterte: Unter nichtigem Vorwand hatten vor allem jüdische und sozialdemokratische Studierende jederzeit mit Übergriffen zu rechnen. Die ins Treffen geführten Ursachen für die Gewalttaten lagen sehr oft gar nicht im Hochschulbereich. Auslöser für diese nach 1927 in immer kürzeren Abständen auftretenden gewalttätigen ‚Zwischenfälle‘ waren Zeitungsberichte und -kommentare, Äußerungen von missliebigen Politikern, Wahlergebnisse oder (seltener) Ereignisse an anderen Hochschulen. Gerade Studenten der BOKU waren – mangels Gegnern an der eigenen Hochschule – immer wieder in Schlägertrupps an anderen Hochschulen aktiv.6 Stärker als andere Hochschulen litt die BOKU aber auch unter der Weltwirtschaftskrise. 1932 wurden neuerliche Kürzungsmaßnahmen beschlossen, Lehrkanzeln zusammengelegt und Assistentenstellen eingespart. Immer wieder wurden Pläne zur Auflassung der Hochschule und zu einer Fusion mit der TH in Wien oder der Tierärztlichen Hochschule (TÄH) laut. Einen Höhepunkt erreichten derartige Überlegungen mit der Ausgliederung der Lehrveranstaltungen für Studienanfängerinnen und -anfänger an die TH und die TÄH im Wintersemester 1933/34. Diese Maßnahme trug jedoch nicht zur Beruhigung der angespannten Lage bei und stellte die Studierenden vor fast unlösbare logistische Probleme.7 Vor dieser hier nur skizzenhaft dargelegten Folie der Entwicklung der einzigen landwirtschaftlich orientierten Hochschule der Republik sollen die drei großen politischen Säuberungswellen von 1934, 1938 und 1945 nachgezeichnet werden. Dass dabei der Fokus auf die Lehrenden gerichtet sein wird, ist nicht zuletzt der Quellenlage geschuldet. August 1934 – die ‚Säuberung‘ von national(sozialistisch)en Professoren
Spätestens seit dem Zerbrechen der Koalition von deutschnationalen und katholischen Studierenden in der Deutschen Studentenschaft im Dezember 1932 hatten die Auseinandersetzungen auf Hochschulboden eine neue Qualität gewonnen. Die DSt, de facto das alleinige Vertretungsorgan der Studierenden, stand nun nämlich komplett unter nationalsozialistischer Kontrolle. Auch vorher waren die katholisch-deutschen Studenten nur eine kleine und lange Zeit loyale Minderheit gewesen. Der Bruch mit der deutschnationalen Mehrheit führte dazu, dass nicht länger nur jüdi6 7
Zu dieser Taktik und der immer wiederkehrenden beschwichtigenden Kommentierung durch Rektorat und Professorenkollegium vgl. Ebner, Politik und Hochschule, S. 42 f. Archiv der BOKU, R.Z. 1055/1933.
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Paulus Ebner
sche und sozialistische, sondern auch katholische Studierende Opfer von gewalttätigen Auseinandersetzungen auf Hochschulboden wurden. Diese Entwicklung führte zu einem langsamen Umdenken der ab März 1933 ohne parlamentarische Kontrolle agierenden Unterrichtsverwaltung. Einer der Auslöser dafür war eine „Anschlußkundgebung“ der Studentenschaft der BOKU am 7. März 1933. Nicht nur, dass hier auf Hochschulboden der Sieg der NSDAP in den unter Terrorbedingungen abgehaltenen Reichstagswahlen in Deutschland gefeiert, das Horst-Wessel-Lied gesungen, NS-Symbole offen zur Schau gestellt und in Reden die österreichische Bundesregierung angegriffen wurde. Ein studentischer Redner stellte die Existenz Österreichs direkt infrage. All dies geschah unter wohlwollender Beteiligung einer Delegation des Professorenkollegiums. Anstelle des erkrankten Rektors Otto Porsch hielt Prorektor Wilhelm Olbrich eine verhältnismäßig zurückhaltende Rede. Doch alleine die Tatsache, dass bei dieser Veranstaltung ein Vertreter des Rektorats gesprochen hatte und Professoren Spalier gestanden waren, wurde allgemein als Anerkennung der in der Kundgebung manifest gewordenen österreichfeindlichen Inhalte verstanden. Die kleine katholische Minderheit innerhalb des Professorenkollegiums – also die Professoren Emmerich Zederbauer und Hans Karl Zeßner-Spitzenberg – hatte im Vorfeld vergeblich versucht, die offizielle Mitwirkung des Kollegiums an der Veranstaltung zu verhindern.8 Die hier auftretenden Bruchlinien zwischen diesen beiden Persönlichkeiten auf der einen und der deutschnationalen Mehrheit im Kollegium auf der anderen Seite sollten in den ‚Säuberungen‘ der Jahre 1934 und 1938 große Bedeutung gewinnen. In den folgenden Monaten bis zum Verbot der NSDAP im Juni 1933 intensivierte sich die Propaganda der Deutschen Studentenschaft noch einmal, und zwar auch auf paramilitärischem Gebiet. Davon zeugten Aktivitäten in der Schießhalle der BOKU und Waffenfunde.9 Die auf das Verbot der NSDAP folgenden schweren Übergriffe richteten sich an der BOKU in erster Linie gegen Mitglieder des Cartellverbands und katholische Studenten. Dies hatte Ende Juni 1933 die Schließung der Hochschule sowie erstmals heftige Angriffe in der christlichsozialen Presse gegen den amtierenden, dezidiert deutschnationalen Rektor Otto Porsch zur Folge.10
8 9
Vgl. dazu ausführlich Ebner, Politik und Hochschule, S. 71–73. Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv (ÖStA/AVA), Ministerium für Kultus und Unterricht, Fasz. 1214, 19.687/1933 (Berichtsentwurf der ‚Waldstein-Kommission‘). 10 Was geht an der Hochschule für Bodenkultur vor? Ein merkwürdiger Rektor, in: Reichspost vom 22. Juni 1933.
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Als logische Konsequenz der antinationalsozialistischen Politik des Jahres 1933 wurde im Sommer dieses Jahres die Auflösung der DSt beschlossen; an ihre Stelle trat die ‚Sachwalterschaft‘. Fast gleichzeitig konstituierte sich im Unterrichtsministerium eine Untersuchungskommission (‚Waldstein-Kommission‘), die die Vorgänge an der BOKU im Sommersemester 1933 akribisch prüfen sollte.11 Trotz der gespannten Lage kam im April 1934 die Einsetzung eines Bundeskommissärs für die BOKU in Gestalt von Ministerialrat Otto Skrbensky für alle Beteiligten überraschend, denn Anzahl und Intensität der Übergriffe und Anschläge an der BOKU waren in der Zwischenzeit zurückgegangen. Unmittelbar nach der Ernennung Skrbenskys flammten die gewalttätigen Übergriffe wieder auf. Rund um die BOKU herrschten fast bürgerkriegsähnliche Zustände, woran auch die 1933 im Hauptgebäude eingerichtete Polizeiwache nichts ändern konnte. Böller- und Stinkbombenanschläge waren im Mai und Juni 1934 buchstäblich an der Tagesordnung. Unter anderem wurde dabei der Festsaal schwer beschädigt. Die nazistischen Attentäter wollten auf diese Weise wenigstens das zurückgewinnen, was sie unter ‚Hochschulautonomie‘ verstanden. Skrbensky reagierte mit einer weiteren Verschärfung der Zutrittsbedingungen und erlegte den Studenten eine Sondersteuer zur Begleichung der Kosten der Reparaturen auf. Ausgenommen davon waren nur nachweisbar ‚vaterlandstreue‘ Studierende. Auf Aufforderung von Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg forderte Skrbensky Ende Juni 1934 in einem Schreiben die Lehrkanzelinhaber und Honorardozenten dringend zum energischen Einschreiten gegen „vom Ausland beauftragte subversive Tätigkeiten“ auf. Bei Zuwiderhandeln werde mit „allen zu Gebote stehenden dienstrechtlichen Mitteln“ vorgegangen.12 Begleitet wurden diese ungewöhnlichen Drohungen mit Artikeln in der nun nicht mehr freien Presse. Besonders interessant ist der Leitartikel von Rudolf Kalmar im Morgen, der sich unter dem Titel Sprengstoff für die Wissenschaft sehr kritisch mit dem laxen Umgang der akademischen Behörden mit den gewalttätigen Übergriffen an den Hochschulen in den vorangegangenen Jahren auseinandersetzte und somit indirekt Selbstkritik erkennen ließ.13 Unmittelbar nach der Niederschlagung des nationalsozialistischen Putsches gegen die österreichische Regierung vom 25. Juli 1934 wurden folgerichtig Maßnahmen gegen NS-Sympathisanten in den Professorenkollegien beschlossen – allerdings nur an zwei Institutionen: an der Montanistischen Hochschule in Leoben und an der 11 ÖStA/AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht, Fasz. 1214, 19.687/1933 (Berichtsentwurf ). In diesem Faszikel befinden sich auch die Protokolle der Aussagen vor der Kommission. 12 Archiv der BOKU, R.Z. 598/1934. 13 Der Morgen vom 18. Juni 1934.
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Hochschule für Bodenkultur in Wien. In dem am 7. August 1934 beschlossenen Bundesgesetz betreffend Maßnahmen an den Hochschulen verlor die BOKU weitere Befugnisse. Folgenreich war das im Gesetz vorgesehene komplette ‚Screening‘ des Lehrkörpers. In der Praxis bedeutete dies, dass die Fortführung der Lehrtätigkeit an der BOKU von einer expliziten Erlaubnis des Ministeriums nach einer Überprüfung abhängig gemacht wurde.14 Auf diese Weise verloren sechs von 23 Professoren ihr Amt, ähnliche Zahlen gab es bei den Dozenten. Betroffen von der ‚Säuberung‘ waren die wesentlichen Protagonisten des nationalen Kurses der Hochschule, darunter drei der vier Rektoren der letzten fünf Jahre, also Emil Hellebrand (1929/30), der schon genannte Otto Porsch (1932/33) und Emanuel Hugo Vogel (1933/34) sowie die Professoren Oskar Haempel, Robert Stigler und Wilhelm Tischendorf. Letzterer kehrte noch vor 1938 an die BOKU zurück. Der ebenfalls dezidiert national gesinnte Rektor der Studienjahre 1930/31 und 1931/32 Wilhelm Olbrich wurde nach langer Überprüfung schließlich doch im Amt belassen.15 Bereits ein halbes Jahr davor hatte der Leiter der NS-Zelle an der BOKU, der Professor für Geognosie Leopold Kölbl, sein Amt verloren. Kölbl hatte sich im April 1934 angesichts einer drohenden Verhaftung nach Deutschland abgesetzt, wo er an der Universität München sofort zum Professor avancierte und zunächst eine steile Karriere als Dekan der Philosophischen Fakultät (ab Juli 1935) und Rektor machte.16 Die Zahl der Maßregelungen und Relegierungen unter den mehrheitlich nationalsozialistisch eingestellten Studenten war zunächst sehr hoch, eine genaue quantitative Untersuchung dazu steht aber noch aus.17 1938 – eine nationalsozialistische Revolution an der BOKU
Ab 1936 erlahmte die Widerstandskraft des Schuschnigg-Regimes gegen den Nationalsozialismus zusehends. Trotzdem hielt die wenigstens vordergründige Befriedung der Hochschulen auch an der BOKU bis in den Februar 1938 an. Die Zerschlagung der NS-Zelle des Jahres 1933/34, die ‚Säuberungen‘ im Professorenkollegium und die hohe Zahl der Relegierungen von Studierenden nach den Unruhen von 1934 waren für die trügerische Ruhe ab dem Wintersemester 1934/35 verantwortlich. 14 Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Nr. 208/1934, Art. 2, §§ 2–4, S. 500. 15 Ebner, Politik und Hochschule, S. 95–103. 16 Zu Kölbls Aufstieg und Fall in München vgl. Helmut Böhm, Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip. Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reichs (1933–1936), Berlin 1995. Zu Kölbls bewegter Biografie siehe auch Ebner, Politik und Hochschule, S. 100–102 und 201. 17 Einige Beispiele dazu bei Ebner, Politik und Hochschule, S. 89–94.
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Doch im Untergrund konnte die illegale NSDAP an der BOKU sehr bald wieder ein Netzwerk aufbauen. Spätestens 1937 war die nationalsozialistische Struktur wieder intakt, die Protagonisten hielten zunächst aber noch still: Es gab weder Anschläge noch Übergriffe auf Studierende in größerem Ausmaß. Nachdem die wissenschaftlichen Kontakte mit NS-Deutschland in der Folge des Juliabkommens von 1936 wieder aufgebaut waren, wurden in Deutschland stattfindende Fachkongresse auch zu parteiinternen Weichenstellungen und zur Vorbereitung des Umsturzes genutzt.18 Auf diese Weise wurde bei einem Kongress in Berlin 1937 der eben habilitierte Franz Sekera zum kommissarischen Leiter der illegalen Betriebszelle der BOKU bestellt.19 Beinahe verzweifelt erscheinen die ständig wiederholten Versuche von Rektor Zederbauer im Februar 1938, das Verbot des Tragens von NS-Symbolen auf Hochschulboden aufrechtzuerhalten. Letztlich konnte die Hochschulleitung dem nationalsozialistischen Ansturm nichts entgegensetzen. Dass Anfang 1938 kein einziger ordentlicher Professor der BOKU Mitglied der NSDAP war, dafür aber etwa die Hälfte der Professoren als explizite Gefolgsleute des ‚ständestaatlichen‘ Regimes galten, war eine direkte Folge der ‚Säuberung‘ des Jahres 1934. Der Umstand, dass deswegen nationalsozialistische Parteigänger oder auch nur national gesinnte Persönlichkeiten (fast) nur außerhalb des Kollegiums zu finden waren, mag als eine Erklärung für die besonders brachiale Vorgangsweise bei der nationalsozialistischen Machtübernahme an der BOKU dienen. Hier hatte die Machtübernahme des Jahres 1938 – im Gegensatz zu den meisten anderen Hochschulen – auch eine sozialrevolutionäre Stoßrichtung, denn nirgendwo sonst war die Professorenschaft für den nationalsozialistisch gesinnten akademischen Nachwuchs so angreifbar wie hier. Nirgendwo sonst war die Chance auf den Gewinn von Macht und Bedeutung im Hochschulgefüge, die für Mittelbau und Studierende sonst niemals erreichbar gewesen waren, so groß wie an dieser Hochschule. Ein singuläres Beispiel dafür ist Franz Sekera, promoviert an der TH in Wien, habilitiert an der BOKU, der sich lediglich auf der Grundlage einer Legitimationskarte der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation im März 1938 selbst zum ‚kommissarischen Leiter‘ der gesamten Hochschule ernannte und dabei eigenmächtig, also ohne Parteiweisungen, agierte. In den auf den ‚Anschluss‘ folgenden Wochen trieb 18 Über die Zusammenarbeit auf dem Hochschulsektor vgl. Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936, Wien/Köln/Weimar 2001, S. 171 ff. 19 Vgl. dazu Bericht von Prorektor Anton Steden über die Hochschule für Bodenkultur vom 1. Oktober 1937 bis zum 30. September 1945, in: Feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1945/46 zum Rector magnificus gewählten ord[entlichen] Professors der Geologie und Bodenkunde Dr. Alfred Till, Wien 1946, S. 4.
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Sekera die ohnehin schon menschenverachtende NS-Politik auf die Spitze und setzte ohne rechtliche oder auch nur pseudorechtliche Deckung ständig neue Maßstäbe und Richtlinien: So enthob er den amtierenden Rektor, entließ Professoren und Verwaltungsbeamte und kürzte die Gehälter von anderen. Sekera setzte auch noch in den Wochen nach dem ‚Anschluss‘ Gehälter und sogar Pensionen von Professoren und Mitarbeitern teilweise auf das Existenzminimum herab. Mit dem so gewonnenen Geld wollte er einen Wiedergutmachungsfonds für die 1934 aus dem Amt gezwungenen oder relegierten Nationalsozialisten aufbauen. Es wurde zwar mit dem Prorektor Hermann Kaserer (Rektor des Studienjahres 1936/37), der 1938 noch nicht Mitglied in der NSDAP war, am 17. März formal ein Nachfolger von Emmerich Zederbauer als Rektor zunächst bestimmt und schließlich gewählt,20 doch hatte dieses Amt sehr stark an Gewicht verloren. Kaserer bildete nämlich mit Sekera und dem Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes eine Art Triumvirat, das die Leitung der Hochschule innehatte. Jede schriftliche Entscheidung an der Hochschule musste alle drei Unterschriften tragen. Dieser enorme Machtverlust des Rektors und die direkte Einbindung der NS-Studenten in die Hochschulleitung waren rechtlich nirgends vorgesehen und in dieser Form auch einzigartig im nationalsozialistischen Österreich. In den Folgemonaten wurden auch an der BOKU die ‚wilden Säuberungen‘ des März 1938 langsam in die dafür vorgesehenen Bahnen gelenkt. Manche von Sekeras Entscheidungen wurden nachträglich bestätigt, andere rückgängig gemacht oder zumindest abgemildert (vor allem die Gehaltskürzungen). Was die Enthebungen von Professoren und Dozenten betrifft, wurde jedoch keine der Entscheidungen des ‚kommissarischen Leiters‘ rückgängig gemacht. Im Gegenteil: In den folgenden Wochen und Monaten gerieten weitere Personen in die Fänge der NS-Säuberungsmaschinerie. Letztlich verloren zehn von 23 Professoren ihr Amt. Acht Enthebungen hatten politische, eine ‚rassische‘ und eine sowohl politische als auch ‚rassische‘ Gründe. Rektor Emmerich Zederbauer, Professor für Obst- und Gartenbau, wurde kurz nach seiner Entlassung verhaftet. Er hatte unter anderem das Amt eines Dienststellenleiters der Vaterländischen Front an der BOKU innegehabt. Zusammen mit Zeßner-Spitzenberg war er einer der ganz wenigen Opponenten gegen die Abhaltung der oben erwähnten „Anschlußkundgebung“ von 1933 gewesen. Seine Aussagen in der Aufarbeitung der Anschlagsserien von 1933 und 1934 hatten direkt zu Maßregelungen und Relegierungen geführt. Zederbauer wurde im ersten Transport von Österreichern, dem sogenannten Prominententransport, ins Konzentrationslager Dachau 20 Vgl. Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand von Prof. Kaserer vom 11. Januar 1946, in: Archiv der BOKU, 105/1946.
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deportiert. Ende September 1938 wurde er entlassen und durfte – gesundheitlich schwer beeinträchtigt – unter strenger Observanz der Geheimen Staatspolizei nach Wien zurückkehren. Mit dem Juristen Hans Karl Zeßner-Spitzenberg wurde ein zweiter ordentlicher Professor der BOKU verhaftet, und zwar unter dramatischen Umständen während eines Gottesdienstes. Das Schicksal des führenden Protagonisten der monarchistischen Bewegung in Österreich war noch viel schrecklicher als das von Zederbauer. Zeßner-Spitzenberg war den Studenten als Vorsitzender der Disziplinarkommission besonders verhasst. Gesteigert wurde dies noch durch österreichisch-nationale Pflichtlehrveranstaltungen, die er nicht nur an der BOKU, sondern auch an der TH Wien und an der Hochschule für Welthandel abhielt. Nach seiner Verhaftung wurde er von der Gestapo schwer gefoltert. Zeßner-Spitzenberg kam mit dem letzten ‚Österreichertransport‘ im Juli 1938 nach Dachau, wo er weiter misshandelt wurde und am 1. August an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen starb.21 Weiters waren von den ‚Säuberungen‘ betroffen: der Professor für Tierzucht Wolfgang Amschler, der in die USA emigrieren und dort weiter an Universitäten lehren konnte; er kehrte schon 1946 zurück nach Wien; der Botaniker Othmar Werner, der das Land trotz einer Einladung ins neuseeländische Wellington nicht mehr verlassen konnte, und sein Fachkollege Josef Kisser; der Bodenkundler Alfred Till; der Betriebswirt Anton Steden; der Volkswirt Ferdinand Westphalen sowie die Forstwissenschaftler Max Schreiber und Wilhelm Leiningen-Westerburg. Jeweils fünf Privat- und Honorardozenten verloren ihre Stellung. Besonders tragisch war der Fall des Mediziners Felix Reach, der in die Fänge der NS-Vernichtungsmaschinerie geriet: Er wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und kam dort wie seine Frau im folgenden Jahr ums Leben.22 Auch bei den ‚Säuberungen‘ unter den Studierenden ging der ‚kommissarische Leiter‘ eigenmächtig vor: Sekera bestand darauf, dass die BOKU als Hochschule für ‚Blut und Boden‘ eine Sonderstellung habe; in diesem Zusammenhang kämpfte er gegen den vom Unterrichtsministerium verordneten Numerus clausus von maximal zwei Prozent jüdischer Studierender an jeder Hochschule. Sein Ziel war, schon im Sommersemester 1938 alle als jüdisch eingestuften Studierenden von der BOKU zu entfernen. Im Gegensatz zu anderen Universitäten wurden ausnahmslos alle Ansu21 Vgl. dazu Manfried Welan/Herbert Wohnout, Hans Karl Zeßner-Spitzenberg – einer der ersten toten Österreicher in Dachau, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) (Hg.), Forschungen zum Nationalsozialismus und dessen Nachwirkungen in Österreich. Festschrift für Brigitte Bailer, Wien 2012, S. 21–41. 22 Biografischer Abriss zu Reach von Katharina Kniefacz im Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, http://gedenkbuch.univie.ac.at [14. Juni 2016].
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Paulus Ebner
chen von inländischen jüdischen Hörerinnen und Hörern auf eine Fortführung des Studiums negativ beschieden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass irgendeiner der Betroffenen erfolgreich Rekurs eingelegt hätte, wie dies etwa an der TH in Wien der Fall war.23 Was die ausländischen jüdischen Studierenden betrifft, konnte Sekera nicht verhindern, dass drei von ihnen im Sommersemester 1938 ihre Dritte Staatsprüfung noch erfolgreich abschließen konnten.24 Beinahe alle der 1934 Enthobenen kehrten im Rahmen von damals so genannten Wiedergutmachungsaktionen an die BOKU zurück. Damit und mit dem Zuzug von überwiegend österreichischen Professoren, die aufgrund der politischen Lage im ‚Dritten Reich‘ Karriere gemacht hatten, wurde ein Prozess einer weitgehenden Nazifizierung der Professorenschaft eingeleitet. Somit gewannen die national(sozialistisch) orientierten Professoren sukzessive ihre alten – und auch rechtlich vorgesehenen – Positionen innerhalb des Hochschulgefüges zurück. Mit der Übernahme des Rektorats durch den nationalsozialistischen Professor Otto Porsch im Jahr 1939 war die Rekonsolidierung der Professorenschaft abgeschlossen, die Bedeutung von NS-Dozentenbund und Deutscher Studentenschaft näherte sich langsam wieder dem an nationalsozialistischen Hochschulen üblichen Niveau. Auf ungewöhnliche Weise trat Sekeras NS-Fanatismus im Herbst 1938 zutage: Dieses Mal wurde einer der wieder in ihre Positionen eingesetzten Professoren das Opfer einer ‚Säuberungs‘-Aktion. Der Rektor des Jahres 1933/34, Emanuel Hugo Vogel, der 1934 als Nationalsozialist seine Professur verloren hatte, geriet kurz nach seiner Reinstallierung aus einem zunächst nichtigen Anlass in Sekeras Fadenkreuz: Er wurde nämlich verdächtigt, bei einer der vielen NS-Sammelaktionen an der Hochschule zu wenig gespendet zu haben. Sehr bald schaltete sich auch die ‚Studentenschaft‘ ein und forderte einen Boykott gegen Vogel, dem auch gleich vorgeworfen wurde, aus dem ‚Anschluss‘ persönliche Vorteile gezogen zu haben. Der Versuch Vogels, mit einer Aufstockung seiner Spende der Hexenjagd zu entgehen, scheiterte. Es hagelte weitere Vorwürfe, auch ‚jüdische Versippung‘ wurde ins Spiel gebracht. Einen Höhepunkt erreichte die Affäre, als Vogels volkswirtschaftliche Aufsätze aus den Jahren 1934 bis 1937 auf ihre ideologische Tauglichkeit geprüft und schließlich als proösterreichisch und antinationalsozialistisch eingestuft wurden. Das NSDAP-Mitglied Vogel, dem an der BOKU schließlich eine von Sekera orchestrierte komplette Ablehnung entgegenschlug, resignierte und verließ die BOKU. 1939 erhielt er eine Professur an der Universität Wien.25 23 Alle Ansuchen in Archiv der BOKU, R.Z. 398/1938. Die Liste der Anträge an der TH in Wien findet sich in Archiv der TU Wien, Rektoratsakten, R.Z. 1567-1937/38. 24 Ich danke Peter Wiltsche (Archiv der BOKU) für diesen Hinweis. 25 Vgl. Ebner, Politik und Hochschule, S. 133–138.
Drei Säuberungswellen
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Doch dies war der letzte ‚Erfolg‘ Sekeras bei den ‚Säuberungen‘. Schon seit Juni 1938 lief gegen ihn eine ministerielle Untersuchung. Diese sollte erstens klären, wie seine Stellung an der BOKU zu bewerten sei, und zweitens alle seine Aktivitäten seit dem März 1938 untersuchen. Im August konnte Sekera seine Entmachtung noch mit dem Argument, dass sie der NSDAP und ihrem Ansehen schaden könnte, entgehen. Es blieb bei schriftlichen Maßregelungen.26 Mit der Causa Vogel hatte Sekera aber den Bogen zunächst überspannt. Die Phase der besonders radikalen nationalsozialistischen Revolution an der BOKU, die die offiziellen Stellen in Partei und Verwaltung immer wieder brüskiert hatte, fand im März 1939 ein Ende. Ziemlich genau ein Jahr nach der NS-Machtübernahme wurde er als Dozentenführer der BOKU abgesetzt. Die ‚Triumvirats‘-Regelung war bereits zuvor stillschweigend abgelöst worden. Gauleiter Josef Bürckel hielt in seinem Enthebungsschreiben fest, dass er Sekeras „Verhalten in seiner Eigenschaft als Leiter der Dozentenschaft aufs schärfste mißbillige.“27 Dieser führte alle möglichen Verbündeten ins Feld, um seine Absetzung zu verhindern. Damit hatte er offensichtlich Erfolg: Auch wenn im Sommer 1939 kurzfristig Wilhelm Tischendorf mit diesem Amt betraut wurde,28 gelang es Sekera letztlich, bis ins Studienjahr 1941/42 seine Position zu halten.29 Der Hochschulkarriere von Franz Sekera taten diese Kalamitäten jedenfalls keinen Abbruch. Er wurde 1942 zum ordentlichen Professor für Pflanzenernährung und Bodenkunde ernannt. So wie beinahe alle wichtigen Protagonisten des illegalen Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes des Jahres 1938 avancierte auch er in der NS-Zeit zum Hochschulprofessor. 1945 – eine radikale Entnazifizierung
Die Entnazifizierung der Jahre 1945/46 stellte und stellt bis heute die größte kurzfristige Veränderung im Personalstand in der Geschichte der Hochschule für Bodenkultur dar. Durch die ‚Säuberungen‘ der Jahre 1938 und 1939 und eine politisch gezielte Besetzungspolitik waren fast ausschließlich nationalsozialistische Professoren berufen worden. 26 ÖStA/AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht, Fasz. 1207, 29.476/1938 (Schreiben Sekeras vom 12. August 1938) und 17.142/1938 (vorläufige Bestätigung im Amt). 27 ÖStA/AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht, Fasz. 1199, IV-2-312.752-b/39 (Enthebungsschreiben vom 16. März 1939). 28 Vgl. dazu ÖStA/AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht, Fasz. 1199, IV-2-312.752-b/39, IV2-48.962-b und IV-2b-338.931/39. 29 In den Vorlesungsverzeichnissen ist Sekera durchgehend von 1938/39 bis 1941/42 als Dozentenbundführer vermerkt. Alle Vorlesungsverzeichnisse sind inzwischen digital abrufbar: http://epub. boku.ac.at/obvbokvv [14. Juni 2016].
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Paulus Ebner
Im Studienjahr 1944/45 gab es an der Hochschule für Bodenkultur 27 Professoren im Personalstand. Von diesen wurden 23 im Zuge der Entnazifizierung entlassen oder in den Ruhestand versetzt. Die folgende Tabelle, die einer Personalliste folgt, die unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen in Wien erstellt wurde, zeigt auch, dass an der BOKU der NSDAP-Organisationsgrad eng mit der sozialen Stellung verbunden war, dass also aus der selbst ernannten ‚Arbeiterpartei‘ wenigstens an der BOKU eine ‚Professorenpartei‘ geworden war. Tab. 1: Parteimitgliedschaft, Studienjahr 1944/45.
Position:
NSDAPMitglieder
nicht in NSDAP
unbekannt
20
4
3*
Dozenten
4
1
–
Assistenten
8
7
6
Wissenschaftliche Hilfskräfte
6
5
4
Verwaltungsbeamte
5
23
1
Angestellte
5
15
1
Arbeiter
1
11
15
Gesamt
49
66
30
Professoren
Quelle: Personalliste, in: Archiv der BOKU, R.Z. 313/1945, eigene Auswertung. * Die Professoren Ernst Brandenburg, Hans Mayer-Wegelin und Klaus Thiede wurden als ‚Reichsdeutsche‘ sofort entlassen. Es wurden keine weiteren Nachforschungen über ihre NSMitgliedschaft angestellt.
Die an der BOKU zunächst rigoros durchgeführte Entnazifizierung hatte zur Folge, dass es im Studienjahr 1945/46 zu einem beinahe kompletten Austausch der Lehrenden kam. Nur mehr zwei ordentliche Professoren (die Forstwirte Leo Hauska und Wilhelm Neubauer) und zwei außerordentliche Professoren (der Geodät Franz Ackerl und der Forstwissenschaftler Josef Hermann Flatscher) bekleideten die gleiche Funktion wie 1944/45. Von den Dozenten dieses Studienjahres war ein einziger (Karl Schuhecker) in seiner Position verblieben, die Lehrbeauftragten waren komplett anders besetzt.
279
Drei Säuberungswellen
Tab. 2: Vergleich der Personalstände in den Vorlesungsverzeichnissen der BOKU für die Studienjahre 1944/45 und 1945/46, eigene Auswertung.
Position der Lehrenden:
1944/45
Ordentliche Professoren
1945/46
davon ident
21
5
2
Außerordentliche Professoren
6
5
2
Honorarprofessoren
3
–
–
Außerplanmäßige Professoren
4
–
–
Dozenten
11
16
1
Lehrbeauftragte
17
10
–
Gesamt
62
36
5
Wie konnte unter diesen Umständen überhaupt ein Lehrbetrieb aufrechterhalten werden? In erster Linie war dies durch die sofortige Rückkehr der 1938 vertriebenen und sich in Wien aufhaltenden Professoren und Dozenten möglich. So ist wenig verwunderlich, dass die personelle Zusammensetzung des Lehrkörpers der BOKU 1945 viel mehr mit dem Studienjahr 1937 als mit dem Jahr 1944 zu tun hatte, wie Tabelle 3 sehr deutlich zeigt. Immerhin 22 Mitglieder des Lehrkörpers von 1937/38 waren auch 1945/46 an der BOKU aktiv, während im Vergleich zu 1944/45 lediglich fünf Personen übrig geblieben waren. Tab. 3: Vergleich der Personalstände in den Vorlesungsverzeichnissen der BOKU für die Studienjahre 1937/38 und 1945/46, eigene Auswertung.
Position: Ordentliche Professoren Außerordentliche Professoren Honorarprofessoren und Privatdozenten Provisorische Lehrbeauftragte Gesamt
1937/38
1945/46
14
5
idente Position andere Position 4
1
8
5
5
–
51
17
11
1
–
10
–
–
73
36
20
2
Auf die Abwicklung der Entnazifizierung an der BOKU kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, es gab – ebenfalls im Gegensatz zu den meisten anderen Universitäten – nur wenige Versuche von enthobenen oder entlassenen Professoren, ihre Position zu behalten, so etwa seitens des Professors Kubiena.30 An dieser Stelle 30 Recherchen über die Arbeit der Sonderkommissionen an der Hochschule für Bodenkultur stellen
280
Paulus Ebner
sollen noch kurz zwei große Prozesse gegen ehemalige Angehörige der BOKU erwähnt werden. Dozent Erwin Hopp wurde am 4. November 1946 im dritten Engerau-Prozess wegen seiner Beteiligung an der Deportation und Ermordung ungarischer Juden, die er als Bauabschnittsleiter des Südostwalls 1945 mit zu verantworten hatte, zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.31 Großen Widerhall in der Öffentlichkeit fand der Prozess gegen Franz Sekera. Sekera war im Juli 1945 verhaftet worden. Beim 1946 abgehaltenen Prozess lautete die Anklage auf Hochverrat, weil sich der Beschuldigte schon vor dem ‚Anschluss‘ für die verbotene NSDAP betätigt hatte. Auch seine Involvierung in die Verhaftung der Professoren Zederbauer und Zeßner-Spitzenberg und deren Verschleppung nach Dachau kam zur Sprache. Eine Reihe von Angehörigen der BOKU wie Rektor Alfred Till und die Professoren Amschler und Kaserer traten als Zeugen auf. Sekera zeigte sich weitgehend geständig, erwähnte aber auch, dass er unter dem Druck der Studenten und der Partei gestanden sei. Er wurde schuldig gesprochen und schließlich zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die zahlreichen Zeitungsberichte zeigten sich über das milde Urteil erstaunt bis empört.32 Andere Professoren wie Wilhelm Liebscher und Ludwig Löhr wurden vom Volksgericht zwar angeklagt, letztlich aber freigesprochen. Andere, wie Erwin Aichinger, blieben lange Zeit interniert, zu einer Anklageerhebung kam es aber nicht. Im Gegensatz zu anderen Universitäten war die Entnazifizierung des Lehrkörpers an der BOKU durchaus nachhaltig. Von den 23 Professoren, die 1945/46 entlassen oder enthoben wurden, kehrten nur zwei wieder an die Hochschule zurück. Weniger nachhaltig war die Entnazifizierung offenbar unter den Studierenden, wo sich unter dem Mantel des Forstwirte-Vereins schon in den späten 1940er Jahren eine revisionistische, wenn nicht sogar neonazistische Gruppe an der Hochschule bildete, die die damals (aus eigener Erfahrung) noch strikt antinazistische Hochschulleitung herausforderte.33 bisher ein Forschungsdesiderat dar, die Quellenlage dazu ist an den meisten Universitäten sehr dürftig. Zu Kubienas Bitte: Archiv der BOKU, Sitzungen des Professorenkollegiums, Protokolle der Sitzungen vom 24. Juli 1945 und vom 28. November 1946. 31 Vgl. dazu den Bericht über die Gedenkfahrt nach Engerau 2002, http://www.nachkriegsjustiz.at/service/archiv/engerau_2002b.php [14. Juni 2016]; Claudia Kuretsidis-Haider, Der Fall Engerau und die Nachkriegsgerichtsbarkeit. Überlegungen zum Stellenwert der Engerau-Prozesse in der österreichischen Nachkriegsjustizgeschichte, in: DÖW (Hg.), Jahrbuch 2001, Wien 2001, S. 67; Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jungendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager, München 2009, S. 231. 32 Zusammengefasst aus Ebner, Politik und Hochschule, S. 206–209. 33 Siehe ebd., S. 223–229.
Drei Säuberungswellen
281
Was waren nun die Gründe dafür, dass diese letzte ‚Säuberung‘ aus politischen Gründen im 20. Jahrhundert die mit Abstand nachhaltigste war? Hier gibt es wohl zwei Antworten. Als externer Faktor steht der politische Wille, es nicht zuzulassen, dass aus der BOKU jemals wieder ein Hort des Nationalsozialismus wird. Dass die einzige land- und forstwirtschaftliche Hochschule Österreichs nach 1918 fast komplett zum deutschnationalen Lager tendierte, war für die Christlichsozialen in der Ersten Republik, die ja auch die mit Abstand größte Bauernpartei waren, sehr schmerzhaft. Die Chance, gerade diese Hochschule für das eigene Lager zu gewinnen, war für Wissenschaftspolitiker der Österreichischen Volkspartei, die an die Christlichsoziale Partei der Ersten Republik anknüpfte, von großer Bedeutung. Die enge Verbindung von Karl Lugmayer, dem ersten Unterstaatssekretär im Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, zur BOKU mag als Indiz dienen. Als hochschulinterner Faktor mag die besonders gewalttätige Nazifizierung der BOKU gelten. Solange Personen an der Spitze der Hochschule standen, die die Auswirkungen des ‚Anschlusses‘ am eigenen Leib hatten erfahren müssen, gab es keinerlei Sympathien mit deutschnationalem Gedankengut mehr; ja, man war bereit, solchen Tendenzen und Organisationen (wie etwa dem Forstwirte-Verein) offensiv entgegenzutreten. Zu einer intensiven Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit kam es deswegen auch nicht früher als an anderen Universitäten. Insofern war die BOKU spätestens ab den 1960er Jahren (wieder oder erstmals?) eine ganz normale österreichische Universität.
„dass auch unsere Leute […] in Position gebracht werden“ Personalpolitik an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 1918–1945*
Erwin Strouhal und Lynne Heller
1 Vorbemerkung
Unter dem Schatten der 1938 ergriffenen perfiden Maßnahmen zur Vertreibung, Verfolgung und Ermordung ideologisch missliebiger Personen an der heutigen mdw1 wird der Begriff der ‚Säuberung‘ vor allem als punktuelle Maßnahme nach einem politischen Umbruch verstanden. Würde man das politisch brisante Jahr 1934 von einem solchen Ansatz ausgehend an der mdw untersuchen, müsste man schließen, dass dieses Bruchjahr nahezu folgenlos für die Institution geblieben wäre. Daher wird für die vorliegende Untersuchung der Betrachtungszeitraum erweitert, und es werden die bewegten Zeiten, die das Haus ab den 1920er Jahren mit zahlreichen Reformen und organisatorischen Änderungen durchlebt hat, mit einbezogen. Mit der chronologischen Ausweitung verbunden ist die Erweiterung des Begriffsverständnisses der ‚Säuberungen‘ auf längerfristige Prozesse der Reinerhaltung und die Erforschung der diese bestimmenden Kriterien. Während die ‚Säuberungen‘ an der Akademie (ab 1941: Reichshochschule) für Musik und darstellende Kunst in Wien für die NS-Zeit bereits mehrfach beschrieben worden sind2 und deren Darstellung in diesem Beitrag deshalb relativ kurz gehalten * 1
2
Für die Darstellung der Zeit bis 1938 zeichnet Erwin Strouhal verantwortlich, für die der Zeit ab dem ‚Anschluss‘ Österreichs Lynne Heller. Die mehrfache Umbenennung der heutigen mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Konservatorium, Akademie, Staatsakademie, Fachhochschule, Reichshochschule, Hochschule, Universität) erschwert mitunter die Lesbarkeit des Textes. Soweit eine eindeutige Benennung nicht möglich oder notwendig ist, wird das heute gebräuchliche Kürzel ‚mdw‘ stellvertretend für alle früheren Bezeichnungen verwendet. Die Darstellung der ‚Säuberungen‘ ab 1938 basiert teilweise auf bereits veröffentlichten Texten von Lynne Heller und ist streckenweise mit diesen ident; Eigenzitate wurden nicht extra angemerkt. Siehe Lynne Heller, „Ich lege auf die Rückberufung der obgenannten ehemaligen Lehrkräfte keinen besonderen Wert“. Zur Wiedereinstellungspolitik an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien, in: Matthias Pasdzierny/Dörte Schmidt (Hg.), Zwischen individueller Biographie und
284
Erwin Strouhal und Lynne Heller
werden kann, sind die Entwicklungen vor dem ‚Anschluss‘ Österreichs noch nicht eingehend untersucht worden. Sie werden in diesem Beitrag erstmals analysiert. 2 ‚Säuberungen‘ im Lehrkörper vor 1938
1934 schieden fünf Lehrende aus der Akademie aus: infolge des Ablebens,3 der Versetzung in den Ruhestand4 oder des Ablaufs einer Supplierung;5 zwei Lehrende verloren aufgrund der Verordnung über den Abbau verheirateter weiblicher Personen im Bundesdienst ihre Stellung.6 Der Tod eines Lehrenden, die Pensionierung eines verdienten Klavierpädagogen nach über 30 Dienstjahren oder das Ende einer Urlaubsvertretung lassen nicht auf ‚Säuberungen‘ schließen. Jene beiden Frauen, die im Zuge des sogenannten ‚Doppelverdienergesetzes‘ ihre Position verloren, sind als Opfer einer ‚geschlechtsspezifischen Diskriminierung‘7 bzw. einer ‚Säuberung‘ in der Umsetzung einer frauenfeindlichen Politik anzusehen; dies lässt jedoch aufgrund der geringen Zahl der betroffenen Personen keinen Rückschluss auf eine den Lehrkörper betreffende Säuberungswelle zu.
3 4 5
6
7
Institution. Zu den Bedingungen beruflicher Rückkehr von Musikern aus dem Exil, Schliengen 2013, S. 235–254; Dies., Vorläufer der Abteilung Musikpädagogik 1896–1947, in: Ewald Breunlich (Hg.), Zur Geschichte der Abteilung Musikpädagogik 1947–1997. 50 Jahre Abteilung Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Wien 1997, S. 1–58; Dies., Von der Staatsakademie zur Reichshochschule für Musik in Wien, in: Hartmut Krones (Hg.), Geächtet, verboten, vertrieben. Österreichische Musiker 1934 – 1938 – 1945, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 153–172; Dies., Die Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien 1945–1970 in: Markus Grassl/Reinhard Kapp/Cornelia Szabó-Knotik (Hg.), Österreichische Musikgeschichte der Nachkriegszeit, Themenheft von Anklaenge 2006. Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft, Wien 2006, S. 47–72; Dies., Die Reichshochschule für Musik in Wien 1938–1945, Dissertation Universität Wien 1992; Dies., Die Reichshochschule für Musik in Wien 1938–1945, in: Carmen Ottner (Hg.), Musik in Wien 1938–1945, Wien 2006, S. 210–221; Dies., Die Staatsakademie bzw. Reichshochschule für Musik in Wien 1938–1945, in: Juri Giannini/Maximilian Haas/Erwin Strouhal (Hg.), Eine Institution zwischen Repräsentation und Macht. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Kulturleben des Nationalsozialismus, Wien 2014, S. 13–56. Jacques van Lier (geb. 1883), verstorben am 18. Januar 1934. Hans Hofmann (geb. 1874), der seit 1900 Klavier unterrichtet hatte. Archiv der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw-Archiv), 3048/1934 PU. Loli Petri war während der Dauer einer vierwöchigen Reise als Ersatzkraft für Gertrud Bodenwieser an der Akademie tätig. Hilde Müller-Pernitza (1888–1974), die seit 1919, und Stella Wang-Tindl (1895–1974), die seit 1918 Klavier unterrichtet hatten. Die Verordnung vom 15. Dezember 1933 ist abgedruckt im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 545/1933, S. 1464–1466. Vgl. Emmerich Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938, Wien/Berlin 2013, S. 383 f.
„dass auch unsere Leute […] in Position gebracht werden“
285
Auch die folgenden Jahre zeigen keine steigende Tendenz: Mit dem Ausscheiden von 3,8 % (1935), 3,9 % (1936) bzw. 4,8 % (1937) des Lehrkörpers wurden keine über ein am Hause übliches Maß hinausgehenden Größenverhältnisse erreicht. Angesichts der vorliegenden Zahlen kann damit festgestellt werden, dass die Beendigung von Anstellungen 1934 und in den Folgejahren nicht bzw. in nur geringem Ausmaß als Mittel für ‚Säuberungen‘ angewendet wurde. Auch über einen weiter gefassten Zeitraum betrachtet8 erweist sich, dass Pensionierungen bzw. Versetzungen in den Ruhestand und das Ausscheiden infolge des Ablebens (zusammen 39 %) gemeinsam mit von Lehrenden selbst angestrebten Austritten (18,3 %) fast zwei Drittel (57,3 %) der personellen Abgänge ausmachten. Etwa ein weiteres Drittel setzte sich vorwiegend aus dem Auslaufen von Dienstverträgen (22,6 %) und Kündigungen (5,5 %) zusammen. Den verbleibenden Rest machen Supplierungen bzw. für nur einen kurzen Zeitraum abgeschlossene Verträge (9,1 %), unbekannte Gründe (2,4 %) bzw. Ursachen wie die Implementierung des ‚Doppelverdienergesetzes‘ aus. Sämtliche Kündigungen bzw. Nichterneuerungen von Dienstverträgen wurden in den Jahren 1931 und 1932 ausgesprochen. Auch das Ablaufen befristeter Verträge ist als personalpolitisches Mittel zu einem großen Teil auf das Jahr 1931 konzentriert9 und ergab sich vor allem durch die Ausgliederung des von Max Reinhardt geleiteten Schauspiel- und Regieseminars. Um die auffallende Konzentration auf das Jahr 1931 zu erklären, ist es erforderlich, einen Blick auf die in den Jahren zuvor am Hause durchgeführten strukturellen ‚Säuberungen‘ zu werfen. 2.1 Organisations(re)formen und ‚Säuberungen‘ der Leitung vor 1938
Infolge des Endes der Monarchie wurde auch an der Akademie der bereits länger schwelende Wunsch nach einer neuen, demokratisch bzw. an der Verwaltung von Hochschulen orientierten Organisationsstruktur laut, bei der dem Lehrkörper die bisher verwehrte Möglichkeit zur Mitbestimmung eingeräumt werden sollte.10 Diese Wünsche konnten mit der Durchsetzung eines neuen Statuts erreicht werden. Auf dieser Grundlage konnten 1919 eine von den Angehörigen des Hauses gewählte Leitung und ihr nachgereihte Kollegialorgane eingesetzt werden. Wenngleich damit eine Lockerung 8
Es wurden die Beendigungen von Anstellungsverhältnissen im Lehrkörper zwischen 1918 und 1937 untersucht. 9 Dies betrifft zehn von den 28 im gesamten Zeitraum von 1918 bis 1937 vorkommenden Fällen. 10 Seit der 1909 erfolgten Verstaatlichung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde war die damit neu geschaffene k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst durch einen vom Unterrichtsministerium eingesetzten Beamten, Karl Ritter von Wiener, geleitet worden.
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Erwin Strouhal und Lynne Heller
des bisher unmittelbaren Zugriffs seitens des Unterrichtsministeriums erfolgte, wurde das angestrebte Ziel einer weitgehend autonomen Selbstverwaltung nicht erreicht. Bereits vor der Demokratisierung der Organisationsform hatten sich Gruppen gebildet, deren Meinungsäußerungen bzw. Positionierungen aber aufgrund mangelnden Mitspracherechts bzw. der Unmöglichkeit der Stellungnahme in Gremien keinen bzw. kaum Niederschlag in der schriftlichen Überlieferung des Hauses gefunden haben. Die Protokolle der diversen Kollegialorgane, die ab 1919 eingerichtet wurden, sind zwar nicht komplett erhalten, doch bietet das vorhandene Material einen guten Einblick in die geführten Auseinandersetzungen. Dabei können zwei Lager definiert werden: Zum einen eine Gruppierung um Joseph Marx, Franz Schmidt und Alexander Wunderer,11 zum anderen eine von Max Springer12 vertretene Fraktion, deren Angehörige sich zum größten Teil aus der Riege der kirchenmusikalischen Abteilung zusammengesetzt haben dürften. Anzumerken ist, dass die Angehörigen beider Lager nur zum Teil parteipolitisch konkret zuordenbar sind. Als zu dieser Zeit den klerikal orientierten Christlichsozialen nahestehend kann Max Springer identifiziert werden, während die Personen um Marx, Schmidt und Wunderer zwar durchwegs ebenfalls dem konservativen Lager angehört haben dürften, es sich bei ihnen aber um eine heterogene Gruppe handelte, in deren Spektrum verschiedene Schattierungen von liberal bis (deutsch-)national in diversen, auch zeitlichem Wandel unterliegenden (Misch-)Formen vertreten waren. Die von ihnen gebildete Fraktion dürfte sich eher durch freundschaftliche Verbundenheit, ähnliche Zugänge in Sachfragen bzw. den in der kirchenmusikalischen Abteilung verorteten ‚Feind‘ verbunden gesehen haben.13 Allen Exponenten der ‚unpolitischen‘14 Gruppierung ist gemeinsam, dass sie anerkannte Größen des Wiener Musiklebens waren: Marx als Komponist und Musikkritiker, Schmidt als Komponist, Pianist und Violoncellist und Wunderer als Oboist und Vorstand der Wiener Philharmoniker. Ihr hohes Ansehen verlieh ihnen Gewicht, stand doch ihre künstlerische Kompetenz außer Zweifel. Dass Kompetenz und die Betrauung mit 11 Joseph Marx (1882–1964), Komponist, Musikjournalist; 1914–1952 an der mdw tätig. Franz Schmidt (1874–1939), Komponist, Pianist, Violoncellist; 1901–1937 an der mdw tätig. Alexander Wunderer (1877–1955), Oboist, Dirigent, Komponist; 1919–1939 an der mdw tätig. 12 Max Springer (1877–1954), Komponist, Organist; 1910–1945 (1947) an der mdw tätig. 13 Vgl. Lynne Heller, Geschichte der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien. Schlussbericht eines Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, Bd. 3 (1918–1931), Typoskript, Wien 1994, S. 312. 14 Vor allem Joseph Marx thematisierte eine entsprechende Haltung mehrfach in Sitzungen. Siehe zum Beispiel seine Aussage „Was meine politische Einstellung anlangt, so stehe ich auf dem Standpunkte[,] so unpolitisch als möglich zu sein.“ Siehe mdw-Archiv, 338/D/1925, Protokoll der Vollversammlung des Professorenkollegiums vom 13. Juni 1925.
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Funktionen nicht zwingend miteinander einhergehen müssen, sei generell festgestellt und im Hinblick auf spätere Ereignisse vorweggenommen. Bereits zum Zeitpunkt der Verstaatlichung wie auch der Reform von 1919 war der Gedanke der Schaffung einer Hochschule im Raum gestanden.15 Diese Bestrebungen zeitigten 1923 Erfolg, als die Errichtung einer Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst beschlossen wurde.16 Diese nahm 1924 ihre Tätigkeit auf, als erster Rektor wurde Joseph Marx gewählt. Obwohl formell und organisatorisch von der Akademie abgespalten, blieb sie personell wie räumlich eng mit ihr verflochten, setzte sich doch der Lehrkörper zum größten Teil aus Lehrenden der Akademie zusammen und gab es nur ein gemeinsames Gebäude. Das Studienangebot bestand aus den zuvor an der Akademie unterrichteten letzten Ausbildungsjahrgängen in den Instrumentalfächern, Gesang, Kirchenmusik und Komposition. Die Kapellmeisterschule wurde nur an der Fachhochschule angeboten, der ab 1928/29 auch das Max Reinhardt Seminar angegliedert war.17 Die Leitung der Fachhochschule oblag dem Professorenkollegium und dem diesem vorstehenden Rektor, der auf die Dauer von zwei Studienjahren (ab 1927 nur mehr eines Studienjahres) gewählt wurde.18 1927 erfolgte an der Akademie eine Änderung der Statuten, von der vor allem die Leitungsorgane betroffen waren. Die Festschreibung eines durch die Vollversammlung des Professorenkollegiums zu wählenden Ternavorschlags für den Direktor wurde durch die Regelung ersetzt, dass die Vollversammlung einen solchen Vorschlag zwar erstatten konnte, der Direktor jedoch „vom Bundespräsidenten auf Antrag des Bundesministers für Unterricht“ zu ernennen war.19 Weiters wurde der Posten eines stellvertretenden Direktors geschaffen, der mit der „Verantwortung für die Führung der administrativen Geschäfte“20 betraut und direkt vom Bundesminister zu ernennen war.21 15 Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Jahresbericht über das Schuljahr 1918/19, Wien 1920, S. 17 und 24. 16 Bundesgesetz vom 13. Juli 1923, betreffend die Errichtung einer Fach-Hochschule für Musik und darstellende Kunst, in: BGBl., Nr. 403/1923, S. 1374. 17 Das Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn – so der damalige Name – wurde im November 1928 feierlich eröffnet, der Unterricht wurde aber erst im Sommersemester 1929 aufgenommen. Siehe dazu Peter Roessler, Zur Geschichte des Reinhardt-Seminars von 1928 bis 1938, in: Ders./ Günter Einbrodt/Susanne Gföller (Hg.), Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars, Wien 2004, S. 11. 18 Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 22. Januar 1927, § 1, in: BGBl., Nr. 36/1927, S. 127. 19 Statut der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Genehmigt mit Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht, Z. 24.809-I-6 [Kunst]/26) vom 13. Januar 1927, 1. Teil, § 7. 20 Ebd. 21 Als stellvertretender Direktor wurde Ministerialrat Dr. Josef Gurtner (1883–?) eingesetzt.
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Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Fraktion um Marx, Schmidt und Wunderer die Leitung der Akademie gestellt22 und war der Letztgenannte der ‚logische‘ Kandidat für die Nachfolge des zurückgetretenen Schmidt. Aus der am 22. Januar 1927 abgehaltenen Wahl ging Wunderer als Favorit des Lehrkörpers für die Erstreihung in dem dem Ministerium zu unterbreitenden Ternavorschlag hervor.23 Ernannt wurde jedoch Max Springer, dessen politisches Naheverhältnis24 zu dem dem katholisch-kirchlichen Lager angehörenden Unterrichtsminister Richard Schmitz25 recht offenkundig der Grund für seine Bestellung zum Direktor gewesen sein dürfte.26 Die Neue Freie Presse konstatierte hierzu: „Früher einmal hat man sich die Mühe gegeben, vor der Abstimmung sanften Druck auszuüben. Heute schlägt man einen kürzeren Weg ein. Man wirft das Votum des Professorenkollegiums einfach in den Papierkorb.“27 Bereits der Wahl- bzw. Bestellvorgang von 1927 kündete vom nahen Ende des demokratischen Leitungsprinzips an der Institution. Es wäre jedoch verfehlt, das Betreiben ausschließlich aufseiten der Politik bzw. im Ministerium zu sehen. Auch aus der Gruppe der Lehrenden sind solche Bestrebungen festzustellen. „Im Lehrkörper der Musikakademie besteht seit einiger Zeit eine Bewegung, die nach Abschaffung des Direktoriums und des Senates und damit nach Wiederherstellung des Zustandes strebt, wie er bis vor etwa 19 Jahren bestand. Ein grosser Teil des Lehrkörpers ist nämlich zu der Einsicht gekommen, dass diese scheinbare Autonomie, die wir damit errungen haben, nichts anderes bedeutet, als eine schwere Belastung für unsere beiden Direktoren, nachdem jetzt jede, auch die kleinste Angelegenheit nicht weniger als 5 Instanzen zu durchlaufen hat […]. Diesen schwerfälligen Apparat zu beseitigen, erstrebt nun eine seit mehreren Monaten erwachte Bewegung im Lehrkörper, schon deshalb, weil wir damit unser volles Vertrauen gegenüber unserm [sic] Direktor Springer zum Ausdruck bringen können, der unter diesem Apparat, der i[h]m die Hände bindet, in hohem Grade leidet.“28 22 Marx war 1922–1924, Schmidt 1924–1927 Direktor, Wunderer vertrat Schmidt 1926–1927. 23 Auf Wunderer entfielen insgesamt 61 Stimmen, davon 38 für die Erstreihung. Springer erhielt insgesamt 28 Stimmen, davon elf für die Erstreihung, Robert Lach insgesamt 26 Stimmen, davon keine für die Nominierung an erster Stelle. 24 Thematisiert beispielsweise in: Der Morgen vom 24. Januar 1927 („treuer Parteigänger des Unterrichtsministers“), Wiener Sonn- und Montagszeitung vom selben Tag („Schützling des Unterrichtsministeriums“) bzw. Arbeiter-Zeitung vom 6. Februar 1927 („zweifelloser, waschechter Klerikaler“). 25 Anton Staudinger, Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien/Berlin 20147, S. 29. 26 mdw-Archiv, 73/D/1927, in: Sammelmappen 1919–1944 Hofrat Schmidt. 27 Neue Freie Presse vom 5. Februar 1927. 28 Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv (ÖStA/AVA), Unterrichtsministerium
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Wie am Ausgang der Wahl ablesbar, stellte die Fraktion Springers keine Mehrheit. Daher ist in Zweifel zu ziehen, wie breit die ‚Bewegung‘ aufgestellt war. Aus einer von Joseph Marx getätigten Aussage – „Es zeigt sich, dass in Qualitätsbetrieben das demokratische Prinzip nicht gut sei“29 – lassen sich jedoch ähnliche Zweifel erkennen wie in der rückblickenden Sichtweise Alexander Wunderers: „Bald kamen die Mängel jeder demokratischen Verfassung zur Erscheinung: Parteibildung, aufhaltendes Geschwätz, versuchte Schiebereien, Indolenz der Masse und dergleichen.“30 Springers Amtsführung war von seinen Gegnern stets heftig kritisiert worden, ein politischer Rückhalt war seit dem Abgang Minister Schmitz’ nicht mehr gegeben, und die Zweiteilung der Institution war immer mehr in Zweifel gezogen worden. Als erster Schritt zu einer Wiedervereinigung von Akademie und Fachhochschule ist die 1930 erfolgte Absetzung Springers als Direktor unter gleichzeitiger Einsetzung31 des Rektors der Fachhochschule Franz Schmidt als Leiter beider Institutionen zu sehen. Ob Schmidt zu Recht als „deutschnational angehaucht“32 angesehen wurde oder nicht: Zusätzlich zu seiner Erfahrung in der Leitung des Hauses war es bei Unterrichtsminister Heinrich Srbik wohl kein Nachteil, sich dieses Rufs zu erfreuen. 1931 kam es schließlich zur Auflösung der Fachhochschule33 und der bereits erwähnten Reorganisation der Akademie, in deren Zuge autoritäre Tendenzen deutlich sichtbar wurden. Anfang des Jahres war der aus dem Ruhestand reaktivierte ehemalige Präsident der Akademie Karl Wiener34 an der Fachhochschule „an Stelle des Rektors und des Professorenkollegiums“35 getreten und gleichzeitig „mit der Funk15 A Musikakademie, 19.145-I-6/1928, Brief Richard Stöhrs an Sektionschef Viktor Prüger vom 15. Juni 1928. 29 mdw-Archiv, 210/R/1929; Feststellung von Joseph Marx in der Sitzung des Hochschulkollegiums vom 17. Juni 1929. 30 Zit. nach Josef Bednarik, Das Leben Alexander Wunderers, Teil 2, in: Wiener Oboen-Journal 30 (2006), S. 11. 31 Schmidts Ernennung war keine Wahl vorausgegangen, ihm wurde die Leitungsfunktion direkt vom Ministerium übertragen; siehe mdw-Archiv, 33/1930 P1 in: 35/1930 P1. 32 Wiener Allgemeine Zeitung vom 24. November 1931: „Dagegen sei es pikant und interessant, daß von den beschwerdeführenden Hofräten und Professoren Franz Schmidt deutschnational angehaucht, Hofrat Max Springer klerikal und Professor Franz Schütz nationalsozialistisch eingestellt seien.“ Die darin vorgenommenen Zuschreibungen der beiden anderen erwähnten Personen können aufgrund anderer Quellen als zutreffend bezeichnet werden. 33 Bundesgesetz vom 7. Juli 1931 betreffend die Auflassung der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst, in: BGBl., Nr. 204/1931, S. 1125 f. 34 Karl (Ritter von) Wiener (1863–1945), Ministerialbeamter, Jurist, leitete 1909–1919 und 1930– 1932 die mdw. 35 Siehe die Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 17. Februar 1931, in: BGBl., Nr. 60/1931, S. 162.
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tion des Direktors der Akademie“36 betraut und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet worden. Als künstlerischer Leiter wurde ihm der bisherige Rektor bzw. Direktor Franz Schmidt „beigegeben“.37 Da die Auflassung der Fachhochschule eines Gesetzes bedurfte, befasste sich auch der Nationalrat mit der Reorganisation. Von sozialdemokratischer Seite wurde dabei Unterrichtsminister Emmerich Czermak vorgeworfen, die Fachhochschule sei durch christlichsoziale „Parteiwirtschaft […] heruntergebracht“ und „im Entpolitisierungsrummel der Jahre 1926, 1927 und 1928 […] mit dem politischen Gift infiziert“ worden. „Die gesamte Gewalt über die Schule wird – Demokratie Nebensache, Demokratie ausgeschaltet – dem Ministerium, beziehungsweise dem Herrn Präsidenten Wiener übertragen. Das Mitbestimmungsrecht des Lehrkörpers ist fast vollständig beseitigt – jenes Mitbestimmungsrecht des Lehrkörpers, das heute, weil es gesetzlich verbrieft und verankert ist, in der letzten Provinzmittelschule mit Erfolg gehandhabt wird.“38 Das Jahr 1931 markiert einen nachhaltigen Bruch in der Geschichte des Hauses, einen von inhaltlichen und personellen Konsequenzen flankierten Wendepunkt in der Entwicklung der Organisation hin zu einer engster ministerieller Kontrolle unterstehenden Institution39 und nimmt gleichsam die Entwicklung des Staates vorweg. Es dauerte noch bis 1933, bis per Verordnung40 ein neues Statut für die Akademie erlassen wurde, mit dem die seit 1931 gelebte Verwaltungsform festgeschrieben wurde. Für den Aspekt der personellen ‚Säuberungen‘ von Bedeutung ist, dass die Lehrenden durch die in den Statuten vorgesehene vertragliche Bestellung jährlich unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist ohne Angabe von Gründen gekündigt werden konnten.41 2.2 Reorganisation und ausgeschiedene Lehrende 1931
Wieners Zugang zu der Reorganisation war durchaus pragmatisch und folgte, im Gegensatz zu anderen, (partei)politischen Eingriffen in das Gefüge des Hauses, kla36 mdw-Archiv, 7/Res/1931. 37 Ebd. 38 Zitate von Ernst Koref (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs) aus: 40. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, IV. Gesetzgebungsperiode, Stenographisches Protokoll vom 7. Juli 1931, S. 1047–1050. 39 Abgesehen von der Zeit des Nationalsozialismus stand dem Haus bis 1970/71 ein Ministerialbeamter vor. 40 BGBl., Nr. 220/1933, S. 545–549. 41 Davon nicht betroffen waren die bereits zuvor an Akademie bzw. Fachhochschule tätigen „wirklichen Bundeslehrer“ bzw. ordentlichen und außerordentlichen Professoren, die jedoch nur einen geringen Teil des Lehrkörpers ausmachten.
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ren inhaltlichen Ansätzen. In einem Bericht an das Ministerium beschrieb er zwei grundlegende Phänomene – die „Mechanisierung der Musik“ und die „Verarmung der Bevölkerung“ –, die eine Neuausrichtung der angebotenen Ausbildung erforderlich machten: „Dabei stehen Grammophon, Radio und Tonfilm erst am Beginn weiterer technischer Möglichkeiten und werden in wenigen Jahren ungeahnte Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit erfahren. Schon wird, wie mir von fachmännischer Seite mitgeteilt wurde, in England an einer Erfindung gearbeitet, die für Grammophonplatten eine Spieldauer, nicht mehr wie bis jetzt von etwa 5 Minuten, sondern von ½–1 Stunde vorsieht, was zur Folge hat, dass ganze Akte einer Oper und ganze Symphonien ohne Plattenwechsel abgespielt werden können. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass man in wenigen Jahren im Tonfilm die hervorragendsten Künstler zu einem Orchester vereinigt und von den ersten Dirigenten geleitet zu hören und zu sehen bekommen wird – alles zu den bescheidenen Preisen des Kinos. […] Hier vollzieht sich ein Prozess, wie er sich vor mehr als 100 Jahren zu Beginn des ‚Maschinenzeitalters‘ entwickelt hat. Damals wollten die Weber die Maschinen, die sie um ihre Arbeit brachten, zerstören – heute werden die Musiker daran glauben müssen. Man kann diese ‚Mechanisierung‘ der Musik und des Dramas bedauern – aufhalten kann man diese Entwicklung nicht. Aber trotzdem wird es natürlich immer Musiker und Schauspieler geben müssen, weil auch die weitgehendste Mechanisierung ihrer nicht entraten kann; sicher werden aber nur besonders qualifizierte, auf einem höheren künstlerischen Niveau stehende Absolventen der verschiedenen Lehranstalten in Zukunft Aussicht auf ein entsprechendes Fortkommen haben. Es wird Aufgabe unserer Akademie sein, – die dringendste Aufgabe – in dieser Hinsicht rechtzeitig vorzusorgen. […] Es ist nicht Sache des Staates, ein Musiker- oder Schauspieler-Proletariat heranzubilden.“ Hinsichtlich der Verarmung der Bevölkerung führte Wiener ins Treffen, „eine Studiendauer von 9–10 Jahren ist bei den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr denkbar. Die materielle Lage unserer Bevölkerung gestattet einfach nicht mehr einen derart eingerichteten Studienbetrieb“.42 Auf dieser Analyse der Situation basierend definierte er die Senkung der Studierendenzahlen und die Verkürzung der Studiendauer durch die Beseitigung als unnötig empfundener ‚Nebenfächer‘ sowie die Auflassung der Vorbildungsklassen als Ziele. Aus diesen Maßnahmen und aufgrund der bereits erwähnten Auflassung des Max Reinhardt Seminars ergab sich in der Folge der Abbau nicht mehr benötigter Lehrkräfte. Mit 29 Personen, die das Haus verlassen mussten, waren etwa 22 % des Lehrkörpers von der Reorganisation betroffen.43 42 mdw-Archiv, 1/Res/1931 vom 4. März 1931. 43 Insgesamt schieden 40 Personen aus dem Lehrkörper, davon neun durch Pensionierung bzw. Ableben und zwei auf eigenen Wunsch.
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Politische bzw. ideologische Hintergründe lassen sich bei der Auswahl der ausgeschiedenen Personen nicht bzw. nur schwer festmachen. Erstgenannte Motivationen werden nur in den seltensten Fällen aktenkundig; entsprechende Positionierungen einzelner Personen lassen sich kaum feststellen, wenn sie nicht in Zeiten politischer Umbrüche offen zur Schau getragen wurden. Ein Verdachtsmoment, dass ideologische Aspekte eine Rolle gespielt haben könnten, ergibt sich bei der Untersuchung des Ausscheidens von Lehrenden jüdischer Herkunft. Insgesamt verloren zehn Angehörige dieses Personenkreises ihren Posten; mit fünf Personen war das Max Reinhardt Seminar besonders stark betroffen. „Exklusiv, schillernd, unberechenbar, und bürokratisch schwierig zu kontrollieren“44 – diese Beschreibung umreißt sehr treffend, wie das Seminar am Haus empfunden wurde. Der Nimbus der Andersartigkeit, der Fremdheit weist Parallelen zu antisemitischen Ressentiments auf. Die von Karl Kraus verwendete, auf die Regierung bzw. Unterrichtsminister Czermak weisende Bezeichnung „Antiseminarier“45 verwundert angesichts des in der kulturellen wie universitären Landschaft schwelenden Antisemitismus nicht und legt nahe, dass – in Verbindung mit der hausinternen Verknüpfung von Einsparung und Intrige46 – eine von außen einwirkende antisemitische Dimension als möglich erachtet werden kann. Dass Wiener in der Umsetzung der Reorganisation mehr inhaltlichen als politischen Zielsetzungen folgte und auch nicht die Konfrontation mit dem Ministerium scheute, mag 1932 nicht zuletzt ausschlaggebend für seine Abberufung gewesen sein; dies sei abschließend als Nachtrag zu den ‚Säuberungen‘ in der Leitung erwähnt. 2.3 Prinzipien der ‚Reinhaltung‘ des Lehrkörpers
Wie eingangs dargelegt, waren Beendigungen von Anstellungen bis 1938 ein eher selten genutztes personalpolitisches Mittel. Wer es einmal an das Haus geschafft hatte, konnte sich zumeist hier halten. Doch wer schaffte es, bzw. wer wurde ferngehalten? Die Ausgrenzung von Frauen kann relativ einfach an konkreten Zahlen festgemacht werden: An der Akademie schwankte die Quote weiblicher Lehrender in der Ersten Republik und im Austrofaschismus zwischen 16 und 20 %. Dieser recht geringe Anteil fällt vor allem im Vergleich mit dem Prozentsatz weiblicher Studierender auf, der sich stets um 50 % bewegte. Dass die am Haus ausgebildeten Frauen selten eine Karriere als Lehrende einschlugen bzw. einschlagen konnten, ist wohl mehreren 44 Peter Roessler, Das Reinhardt-Seminar 1928–1938, in: Edda Fuhrich/Ulrike Dembski/Angela Eder (Hg.), Ambivalenzen. Max Reinhardt und Österreich, Wien 2004, S. 167. 45 Die Fackel, Nr. 857–863, 23. Jg., August 1931, S. 36. 46 Roessler, Das Reinhardt-Seminar, S. 168.
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Faktoren geschuldet: teils bürgerlichen Idealen, die zwar eine künstlerische Ausbildung, nicht jedoch eine künstlerische Berufsausübung guthießen, teils der Konzentration weiblicher Studierender auf die Fächer Klavier und Violine sowie Gesang, Schauspiel und Tanz. Die für Klavier und die Bühnenfächer zu vergebenden Positionen waren im Verhältnis zu den hohen Zahlen von Studentinnen und Absolventinnen gering. In den Orchesterfächern wurden die zahlenmäßig überlegenen männlichen Konkurrenten nicht zuletzt wegen ihrer Berufspraxis in Orchestern bevorzugt, die Frauen damals nicht möglich war. Auch bestanden im konservativ eingestellten Haus prinzipielle Zweifel gegenüber der Anstellung von Frauen.47 Dass eine wesentlich höhere Frauenquote möglich gewesen wäre, lässt sich anhand des Neuen Wiener Konservatoriums, eines Konkurrenzinstituts, zeigen: Hier lag der Anteil weiblicher Lehrender in einem vergleichbaren Zeitraum bei 40 %.48 Bei den jüdischen Lehrenden ist eine Ermittlung schwierig, da sich dabei definitorische Probleme ergeben (zum Beispiel die Frage, ob aktuelle oder auch frühere Glaubensbekenntnisse zugrunde gelegt werden sollen), die wiederum mangels biografischer Daten oft nicht hinreichend geklärt werden können. Somit kann für die Zeit zwischen 1920 und 1935 nur eine ungefähre Größenordnung von ca. 20 % angenommen werden. Entsprechend schwierig ist der Vergleich mit Studierendenzahlen, da bei Zählungen nur nach dem in den Matrikelblättern vermerkten Glaubensbekenntnis vorgegangen werden kann. Dass die Zahl mosaischer Studierender eine stark rückläufige Tendenz aufweist, ist jedenfalls festzustellen: Sie lag 1915/16 bei 24,02 %, 1925/26 bei 15,85 % und 1935/36 nur mehr bei 8,95 %. Ob dies einer möglichen Aufnahmepolitik des Hauses und/oder exogenen Ursachen (zum Beispiel Konversion, Wirtschaftslage, Bildungsziele) geschuldet war, muss an dieser Stelle leider ein Desideratum bleiben.49 Zum Antisemitismus ist eine Passage aus der Nationalratssitzung von 1931 von Interesse, in der sich Unterrichtsminister Czermak gegen die oben erwähnte politische Beeinflussung bei der Besetzung von Lehrstellen verwahrte: „Der Vorwurf der Politisierung, der hier gemacht wurde, wurde auf ein sehr einfaches Argument gestützt, 47 Siehe dazu zum Beispiel mdw-Archiv, Protokolle akademischer Gremien, Protokoll der Sitzung des Professorenkollegiums der Fachhochschule vom 27. November 1924: „Hofrat Prof. Marx gibt zu, dass er überhaupt gewisse Bedenken gegen die Berufung von Frauen habe, welchen Bedenken sich auch Reg.Rat Prof. Schmidt unter dem Hinweis auf gewisse an der Akademie durch Frauen hervorgerufene Reibereien anschliesst.“ 48 Die Zahlen wurden für die Jahre 1909 bis 1934 anhand einer Liste der Lehrenden ermittelt, die in der Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des Neuen Wiener Konservatoriums publiziert wurde: [Josef Reitler (Hg.),] 25 Jahre Neues Wiener Konservatorium 1909–1934, o.O. o.J. [Wien 1934]. 49 An dieser Stelle sei Primavera Driessen Gruber für viele wertvolle Anregungen, Hinweise und Hilfestellungen gedankt.
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nämlich darauf, dass es unter den 130 Lehrern mehrere gibt, die christlichsozial sind. (Heiterkeit rechts.) Es gibt tatsächlich eine ganze Anzahl von Lehrern, welche sich offen zur christlichen Weltanschauung bekennen – und das ist in Österreich bereits eine Politisierung. (Heiterkeit rechts.) Daß es zahlreiche [sic] gibt, bei denen man beim ersten Anblick erkennt, daß sie gewiß nicht christlichsozial sind, das ist keine Politisierung. […] Ich werde selbstverständlich in diesem Hause die wohlklingenden Namen nicht alle aussprechen, aber es ist selbstverständlich, daß wir auch weiterhin Koryphäen auf dem Gebiete der Musik, ob sie nun christlichsozial oder das Gegenteil sind, gerne bestellen werden, wenn wir uns von ihrem Wirken einen Erfolg versprechen.“50 Den „wohlklingenden Namen“ von Personen, „bei denen man beim ersten Anblick erkennt, daß sie gewiß nicht christlichsozial sind“, als Code für Menschen jüdischer Herkunft, sei mit besonderem Hinweis auf das von Czermak erwähnte bestimmende „wir“ ein Auszug aus einer Sitzung der Klavier-Fachgruppe gegenübergestellt, in der nach monatelangem Findungsprozess abschließend über die Erstellung zweier Ternavorschläge beraten wurde: „[Franz] Schütz eröffnet nunmehr eine Debatte über einen, respektive zwei neue Ternovorschläge. […] Der Vorschlag des Vorsitzenden Prof. Schütz geht nun dahin, folgende zwei Terno-Vorschläge zur Abstimmung zu bringen: A) Jahn-Beer, Trost & Eisenberger. B) Hinterhofer, Askenase & Steuermann. […] Dr. [Paul] Weingarten vertritt die Meinung, dass [Severyn] Eisenberger, [Eduard] Steuermann oder [Stefan] Askenase primo loco genannt werden müssten, wenn es der Akademie wirklich um ihre Anstellung zu tun ist. Auch Prof. [Friedrich] Wührer ist dafür, Steuermann oder Eisenberger an die erste Stelle zu setzen. Schütz glaubt, dass das Ministerium weder Steuermann noch Eisenberger oder Askenase bestätigen werde, weil alle drei Künstler – Juden sind. Es wird nunmehr mittels Stimmzetteln über die zwei neuen Terno-Vorschläge abgestimmt. Das Resultat ist: 1. Terno-Vorschlag: Jahn-Beer – Trost – Eisenberger. 2. Terno-Vorschlag: Hinterhofer – Askenase – Steuermann.“51 Der an den Tag gelegte vorauseilende Gehorsam irritiert, zeigte sich doch gerade die Klavier-Fachgruppe sonst gerne kämpferisch. Schütz52 war gut vernetzt und stets bestens informiert, weswegen seine Aussage glaubhaft erschienen sein mag (auch wenn eigene antisemitische Intentionen gerade in seinem Fall angenommen werden 50 Emmerich Czermak (Christlichsoziale Partei Österreichs), Stenographisches Protokoll, Nationalratssitzung vom 7. Juli 1931, S. 1053. 51 mdw-Archiv, 2357/1929, Protokoll über die Sitzung der Klavier-Fachgruppe am 13. März 1929, in: 2937/1928-29 P2. 52 Franz Schütz (1892–1962), Organist; 1918–1945 an der mdw tätig und 1938–1945 deren Leiter. Zu seiner Tätigkeit als Leiter der Akademie siehe die Darstellung zur NS-Zeit in diesem Beitrag.
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könnten). Sie würde erklären, warum die Fachgruppe sich angesichts der erwarteten Chancen einer Genehmigung so rasch auf einen dem Wunsch des Ministeriums genehmen Vorschlag einigte. Bemerkenswert ist, dass die nun erstgereihten Frauen (Berta Jahn-Beer und Grete Hinterhofer) in früheren Reihungen an dritter Stelle rangiert hatten53 und der antifeministische durch einen antisemitischen Ansatz ersetzt wurde. Skepsis und Ausgrenzung betrafen bestimmte Strömungen zeitgenössischer Musik. Ein 1932 veranstaltetes Modernes Orchesterkonzert54 illustriert, was als Moderne verstanden und akzeptiert wurde: Max Reger, Anton Bruckner, Sergej Rachmaninov und Richard Strauss – allesamt Komponisten, die ebenso wie die am Haus tätigen Marx und Schmidt nie den Boden der Tonalität verlassen haben. Die Metapher des Bodens sei um die Beantwortung eines ministeriellen Ersuchens „um vertrauliche Aeusserung über die Förderungswürdigkeit“55 des Wiener Konzertorchesters durch Karl Kobald ergänzt: „Sowohl dem Werbeblatt des Wiener-Konzertorchesters als auch den Kritiken über seine künstlerische Tätigkeit ist eindeutig zu entnehmen, dass sich diese Orchestervereinigung vor allem der Pflege der zeitgenössischen Musik modernster Richtung zu widmen gedenkt. Wenn sich die genannte Orchestervereinigung nun nicht allzu einseitig auf dieses Programm festlegt und vor allem auch das bodenständig Österreichische der zeitgenössischen ernsten Musik in dem ihm gebührenden Ausmasse zu Worte kommt, so wäre vom Standpunkte der Musikakademie gegen eine Förderung der mehrgenannten Orchestervereinigung nichts einzuwenden.“56 Ursprünglich hatte die Akademie „nichts Wesentliches“ gegen eine Förderung einzuwenden. Dass diese Formulierung in der Reinschrift gestrichen wurde, lässt erkennen, dass Ressentiments – wenn auch keine ‚wesentlichen‘ – vorhanden waren. Was das „bodenständig Österreichische“ zu bedeuten hatte, soll anhand einer Anekdote aus Ernst Kreneks Erinnerung an ein Gespräch mit Josef Lechthaler57 illustriert werden: „Lechthaler erklärte mir unter anderem, man dürfe sich nicht wundern, daß die moderne Musik in Österreich so wenig beliebt sei, da diese Musik doch ausschließlich von Juden für Juden komponiert werde und daher bestenfalls 53 mdw-Archiv, 1380/1928-29 P2: Dirk Schäfer – Josef Pembaur – Grete Hinterhofer bzw. 32/1928 P2, in: 2937/1928-29 P2: Alfred Höhn – Eduard Steuermann – Berta Jahn-Beer. 54 mdw-Archiv, Programmzettel vom 17. März 1932. 55 Zl. 38.309-I-6b vom 12. Dezember 1934, in: mdw-Archiv, 6/Res/1935. 56 mdw-Archiv, 6/Res/1935, Schreiben Karl Kobalds vom 16. Januar 1935. 57 Josef Lechthaler (1891–1948), Musikpädagoge und Komponist; 1924–1938 und 1941–1948 an der mdw tätig und Leiter der Abteilung für Kirchenmusik (1932) bzw. Abteilung Kirchen- und Schulmusik (1933–1939, 1945–1947), außerdem Konsulent für das Musikschulwesen im Unterrichtsministerium (1931–1938) und als Leiter des Arbeitskreises Musik der Vaterländischen Front aktiv.
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die Angelegenheit einer exotischen Minderheit sei. Auf diese alarmierende Behauptung erwiderte ich, wenn jemand glaube, daß diese Musik ausschließlich für Juden komponiert werde, könne man dem leicht Abhilfe schaffen: Man brauche nur die Nichtjuden zu ermutigen, sich die Werke anzuhören, anstatt sie zu verscheuchen. […] In Bezug auf den anderen Punkt sagte ich, mir wäre unter den Komponisten der verdächtigeren Art von fortschrittlicher atonaler Musik nur ein Jude bekannt, nämlich Schönberg. Das schien Lechthaler nicht wenig zu überraschen, so daß ich ihn fragte, ob er mich auch für einen Juden halte.“58 Die Assoziation der Moderne mit Arnold Schönberg und deren Konnotation mit dem Judentum fand auch in dem bereits zitierten Schreiben Kobalds ihren Niederschlag: das „bodenständig Österreichische“ ist als Gegenpol zu der als jüdisch erachteten Moderne zu verstehen. Seit dem Abgang Franz Schrekers im Jahr 1920,59 der in seinem kompositorischen Schaffen an die Grenzen der Tonalität gegangen war, war durch dessen Nachbesetzung mit Franz Schmidt der Weg der gemäßigten Moderne eingeschlagen bzw. gehalten worden. Die Vorstellung von ‚Reinheit‘ als Leitidee einer kulturellen, politischen und sozialen Ordnung funktioniert über Prozesse der Grenzziehung bzw. der Definition.60 Während die Zuordnung zu einem Geschlecht oder zur Moderne relativ einfachen Ordnungen unterlag, verhielt es sich bei der Zuordnung zum Judentum wesentlich komplexer. Die Frage nach einer möglichen jüdischen Herkunft61 kann für die 1920er und 1930er Jahre als stets immanent angenommen werden. Die Antworten fielen – ganz im pragmatischen Sinn Karl Luegers62 – individuell aus, wohl abhängig 58 Ernst Krenek, Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne, Hamburg 1998, S. 888. 59 Franz Schreker (1878–1934); 1912–1920 an der mdw tätig. 60 Siehe dazu Christoph Marx/Peter Burschel, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Reinheit, Wien/Köln/Weimar 2011, S. 10. 61 Ludwig Hirschfeld, Was nicht im Baedeker steht. Wien und Budapest, München 1927, S. 56 f.: „‚Ist er ein Jud?‘ – Alle anderen Fragen kommen nachher: Ob der Komponist, der Schriftsteller wirklich Talent hat, ob der berühmte Arzt schon viele Patienten geheilt, der Fußballchampion schon viele Goals geschossen hat. Die primäre Frage lautet: ‚Ist er ein Jud?‘“ , hier zit. nach Steven Beller, Was nicht im Baedeker steht. Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit, in: Frank Stern/Barbara Eichinger (Hg.), Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938. Akkulturation – Antisemitismus – Zionismus, Wien/Köln/Weimar 2009, S. 1. Zur Bedeutung dieser Frage bei Anstellungen im öffentlichen Dienst siehe unter anderem Peter Melichar, Definieren, Identifizieren, Zählen. Antisemitische Praktiken in Österreich vor 1938, in: Reinhard Sieder (Hg.), Die Räume der Geschichte, Themenheft der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 17 (2006), S. 114–146, besonders S. 130 und 123. 62 Karl Lueger (1844–1910), Rechtsanwalt, 1897–1910 Bürgermeister von Wien. Er setzte Antisemitismus als politisches Instrument ein und war Vertreter eines antisemitischen Populismus. Ihm wird der Ausspruch ‚Wer Jude ist, bestimme ich‘ zugeschrieben, auf den sich der angeführte Pragmatismus bezieht.
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von Kenntnis und Wertschätzung der jeweiligen Person. Vor allem die künstlerische Qualität konnte die Herkunftsfrage gleichgültig machen,63 wie sie auch die Möglichkeit schuf, über missliebige politische Haltungen oder das ‚falsche‘ Geschlecht hinwegzusehen. Aus einem solchen stets wandelbaren und auf die jeweilige Person angepassten Definitionsansatz wird die Parallelität von Ausgrenzung und Integration, die Uneindeutigkeit der zu rekonstruierenden Situation erklärbar, in der die Exklusion auf einer nicht dokumentierten Ebene, gleichsam subkutan, ablief. Exklusion wird, neben der konservativen Grundhaltung, nur anhand einzelner Indizien sichtbar: der in Sitzungen getätigten Aussagen,64 der auffallenden Häufigkeit der Reihung von Personen jüdischer Herkunft an zweiter und dritter Stelle in Ternavorschlägen, der geringen Berücksichtigung weiblicher Bewerberinnen. 2.4 Politische Einflussnahme auf die Besetzung von Lehrstellen im Austrofaschismus
„Lieber Freund Engelbert! Möge Gott Deine Arbeit segnen und Dir zum Nutzen unseres Vaterlandes vollen Erfolg gewähren! Als Mitglied der Vaterländischen Front unterbreite ich Dir eine Bitte. Um Deinen, unseren Kurs zu festigen[,] ist es notwendig, dass auch unsere Leute, vaterlandstreue Männer, sofern sie ihren Posten gut versehen können, in Position gebracht werden; ohne verlässliche Stützen von unten herauf wird das ganze schön gedachte Gebäude ansonsten einmal einstürzen!“65 Die einleitenden Sätze zugunsten des bereits seit 1928 an der Abteilung für Kirchenmusik der Akademie tätigen Violinlehrers Georg Popa-Grama66 beinhalten zwar, dass ein „Posten gut versehen“ werden muss. Aus den Unterlagen zur Entscheidungsfindung des Ministeriums über die Anstellung Popa-Gramas wird jedoch deutlich, dass Zweifel an dessen Eignung bestanden. Mit der Aufteilung der Stelle auf den als kompetenter 63 Siehe dazu Leon Botstein, Sozialgeschichte und die Politik des Ästhetischen: Juden und Musik in Wien 1870–1939, in: Ders./Werner Hanak (Hg.), quasi una fantasia. Juden und die Musikstadt Wien, Hofheim/Wien 2003, S. 52. 64 „Er muss auch berichten, dass man sich mit der Absicht trage, einige jüdische Journalisten mit diesem Titel [Professor, Anm.] auszuzeichnen.“ (Joseph Marx, in: mdw-Archiv, Akademische Gremien – Protokolle, Protokoll der Sitzung des Akademiesenates vom 6. Dezember 1924) bzw. „Frauen als Hochschullehrer seien ein Novum und sehr seltenes Kuriosum. Frau Courie [Marie Curie] in Paris sei Hochschullehrer, die habe aber auch das Radium entdeckt, aber im allgemeinen kommen Frauen nicht in Betracht“ (Joseph Marx, in: mdw-Archiv, Akademische Gremien – Protokolle, Protokoll des Direktoriums der Akademie vom 27. September 1924). 65 ÖStA/AVA, Unterricht, 15 C1 Musikakademie (i.d.F. ÖStA/AVA, Unterricht 15 C1), Zl. 16.655I/6b/1933, Sigismund Schnabel an Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Der Musikpädagoge, Chormeister und Komponist Schnabel (1895–1985) war 1925–1938 und 1945–1960 an der mdw tätig. 66 Georg Popa-Grama (1900–1984), Geiger; 1928–1939 an der mdw tätig.
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erachteten Kandidaten67 und den politisch genehmen Popa-Grama wurde schließlich eine Kompromisslösung gefunden. Ein ab 1933/34 auftretendes Novum war, dass politische Hintergründe häufiger aktenkundig und dadurch wesentlich offensichtlicher wurden. So wurden dem Haus unter Kurt Schuschnigg als Unterrichtsminister bzw. Hans Pernter als Staatssekretär und späterem Minister mit Schreiben, die mit der Formel „Die Aufmerksamkeit des Herrn Bundesministers wurde auf die Bewerbung […] gelenkt“68 oder ähnlichen Floskeln beginnen, Empfehlungen deutlich gemacht. Die gleichsam standardisierte Antwort auf Interventionen beinhaltete in der Regel, dass die Bewerbung in unverbindliche Vormerkung genommen würde, da derzeit kein Bedarf oder die finanzielle Bedeckung nicht gegeben sei. Einen Einblick in die Haltung der Akademie respektive ihres Präsidenten Kobald gibt die – nachträglich gestrichene – Passage eines solchen Antwortschreibens: „Da für die Staatsakademie als die höchste musikalische Lehranstalt Oesterreichs selbstverständlich nur höchstqualifizierte Lehrpersonen, also z. B. für das Hauptfach Gesang erstklassige vormalige Opernsängerinnen wie Frau Wildbrunn, Frau Mark-Neusser, Frau Cahier oder ganz hervorragende und auch im Auslande bekannte Pädagogen wie etwa Dr. Lierhammer in Betracht kommen, würde es sich dringend empfehlen, wenn Frau Spieler trachten würde, sobald als möglich auf an ersten Bühnen in prominenter Stellung untergebrachte Privatschüler hinweisen zu können.“69 Deutlich wird die Bemühung, die künstlerische Qualität der Aufzunehmenden und damit der Ausbildung hoch zu halten. Anstellungen nach künstlerisch-pädagogischen bzw. politisch-ideologischen Gesichtspunkten durchzuführen ergab eine Gratwanderung zwischen einem ‚Sowohl-als-auch‘ und einem ‚Entweder-oder‘. Das hieraus resultierende Dilemma spiegelt sich darin wider, dass die 28 ab 1934 aufgenommenen Personen eine ziemlich inhomogene Gruppe darstellen. Es galt, Kompromisse zu finden, denn nicht immer war der oder die politisch ‚Richtige‘ auch nach fachlichen Gesichtspunkten geeignet und umgekehrt.70 Zwar ist erkennbar, dass auf Zurufe reagiert wurde, doch liegen die einzelnen Fälle recht unterschiedlich. Trotz 67 Georg Steiner (1892–1945), Geiger; 1933–1939 an der mdw tätig. 68 Zum Beispiel mdw-Archiv, 2047/1937 P2, Schreiben Ministerialrats Karl Wisoko-Meytsky vom 15. Januar 1937 betreffend Otto Waldner, für den sich in weiterer Folge auch das Generalsekretariat der Vaterländischen Front (Schreiben vom 27. August 1937) einsetzte und um „Bevorzugung unseres Schützlings“ bat. 69 mdw-Archiv, 807/1935 P2. 70 Zum Beispiel Hugo Burghauser, der nicht nur Vorstand der Wiener Philharmoniker, sondern ab 1934 auch Erster Vorsitzender (Präsident) des Ringes der ausübenden Musiker war. Mit der Übernahme der Lehrstelle für Fagott 1937 folgte er einem pensionierten Kollegen der Philharmoniker nach. mdw-Archiv, 233/Res/1936, undatierter Lebenslauf Hugo Burghausers (1896–1982).
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Protektion konnte sich die Betrauung mit einer Lehrstelle jahrelang hinziehen,71 da angesichts der überschaubaren Größe des Hauses und der geringen Zahl an Abgängen nur wenige Positionen frei wurden, und man musste Flexibilität an den Tag legen, um eine Anstellung zu erhalten.72 Ebenso war Kreativität gefragt, um innerhalb der finanziellen Möglichkeiten Posten neu zu schaffen,73 was bei entsprechendem Gewicht des politischen Rückhalts auch durchaus schnell vor sich gehen konnte.74 Trotz des spürbar erhöhten politischen Drucks setzte sich der zwar einem groben ideologischen Wertesystem folgende, jedoch von Ausnahmen geprägte Kurs der davorliegenden Jahre auch im Austrofaschismus fort. 3 ‚Säuberungen‘ nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs
Während ‚Säuberungen‘ bzw. ‚Ausgrenzungen‘ in der Zeit vor 1938 schwierig nachzuweisen sind, sind sie für die Zeit des Nationalsozialismus relativ leicht zu belegen, nicht zuletzt aufgrund der viel klareren gesetzlichen Möglichkeiten bzw. Vorschriften nach dem ‚Anschluss‘, vor allem nach der Bekanntmachung der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums am 31. Mai 1938.75 In den ersten Tagen nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde ein Großteil der Leitungsposten im österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb neu besetzt, doch darf man sich dies nicht als eine lange im Voraus geplante konzertierte Aktion vorstellen. Vielmehr handelte es sich weitgehend um unkoordinierte Entscheidungen selbst ernannter Funktionäre, die sich gegenseitig aufgrund von Seilschaften die Positionen zuschoben.
71 Bei Oskar Dachs (1881–1957) zum Beispiel dauerte es von der ersten Intervention bis zur Anstellung vier Jahre. mdw-Archiv, 3387/1933 P2. 72 Zum Beispiel bei Louis Dité (1891–1969), eigentlich Organist, der mangels einer freien Lehrstelle für Orgel 1937–1938 Klavier unterrichtete. 73 Zum Beispiel bei Arthur Johannes Scholz (1883–1945), 1937–1945 an der mdw tätig, durch eine Verlagerung von Unterrichtsstunden Alexander Wunderers und Aufstockung der frei gewordenen Stunden. mdw-Archiv, 2748/1936 P2, in: 90/1938 P2 bzw. 31/Res/1937. 74 Zum Beispiel bei Karl Rössel-Majdan (1885–1948), 1934–1938 und 1945–1948 an der mdw tätig: „Im Interesse der rascheren Erledigung schreibe ich in gleichem Sinne auch an Herrn Min.Rat Dr. Pernter sowie an den Herrn Vizekanzler, der meine Bestrebungen ja befürwortet und unterstützt.“ mdw-Archiv, 58/Res/1934, in: Sammelmappen 1919–1944, Rössel-Majdan. 75 Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1938, Teil I, S. 607–610.
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3.1 Entlassungen bei den Lehrkräften
Zur Zeit des Einmarsches der deutschen Truppen am 12. März 1938 beschäftigte die Akademie ca. 90 Lehrkräfte76 und war mit etwa 1.000 Schülerinnen und Schülern die größte Musiklehranstalt in Österreich. Bereits am 15. März wurde der bisherige Präsident der Akademie Karl Kobald durch den Musikwissenschaftler Alfred Orel als kommissarischer Leiter ersetzt.77 Dieser beurlaubte am selben Tag auf der Grundlage eines Führererlasses acht Lehrkräfte (wenige Tage später kam eine weitere hinzu), die aufgrund ihrer – offensichtlich allgemein bekannten – jüdischen Abstammung nicht ‚berechtigt‘ waren, den Diensteid auf Adolf Hitler abzulegen.78 Doch zu diesem Zeitpunkt war das Wissen um die rassische Abstammung sämtlicher Lehrkräfte keineswegs gesichert, da die Standesausweise lediglich die Religionszugehörigkeit zum Zeitpunkt der Aufnahme in den Bundesdienst enthielten. Die ‚Beurlaubungen‘ hatten auch nichts mit dem jeweiligen Anstellungsverhältnis zu tun und wurden zunächst nur bei jenen Lehrkräften eingesetzt, bei denen der kommissarische Leiter sicher war, dass sie den Vorgaben im Erlass entsprachen. In seinem ersten Umorganisationsbericht vom 5. April 1938 schrieb Orel,79 er habe die Lehrenden, die den Diensteid nicht ablegen konnten, „unter Wahrung ihrer materiellen Rechte vom Unterricht vorläufig enthoben und sie eingeladen, selbst Urlaubsgesuche einzubringen“.80 In den folgenden Tagen und Wochen ging er zwar 76 ‚Pragmatisierte‘ Lehrkräfte, also solche, die dauerhaft angestellt waren, vertraglich bestellte Lehrkräfte und Kursleiter. 77 Die Wahl Orels wurde am 18. März vom Unterrichtsministerium bestätigt. Sie überrascht, weil Orel kein Parteigenosse war und in der Vergangenheit enge Kontakte sowohl zur Sozialdemokratie als auch zu den Christlichsozialen gepflegt hatte. Die Beweggründe für seine Wahl dürften in einer persönlichen Freundschaft mit dem Leiter des Landeskulturamts Hermann Stuppäck und dessen Musikreferent Robert Ernst gelegen haben. mdw-Archiv, 89/Res/1938. 78 Nach dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Landes Österreich (RGBl. 1938/I, S. 245 f.) war von der Vereidigung ausgeschlossen, „wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt. […] Als Jude gilt der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende jüdische Mischling, a) der am 16. September 1935 der jüdischen Religionsgesellschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der am 16. September 1935 mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem Juden verheiratet“. Von den neun ursprünglich ‚beurlaubten‘ Lehrkräften konnten Dr. Richard Stöhr, Dr. Max Graf und Edgar Schiffmann in die USA emigrieren, Friedrich Buxbaum gelangte nach Großbritannien. Grete Bodenwieser konnte mit ihrer Tanzgruppe zunächst nach Kolumbien und dann über Neuseeland nach Australien flüchten, Josef Krips und Dr. Heinz Schulbaur überlebten in Wien. Erwin Weill und Erna Kremer wurden in Konzentrationslagern ermordet. 79 mdw-Archiv, 92/Res/1938. 80 Das Deutsche Reich war vielfach auf die genaue Einhaltung der Buchstaben der Gesetze erpicht. So dauerte zum Beispiel die Versetzung der nach § 3 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen
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mit geradezu detektivischem Spürsinn Hinweisen über mehrere Lehrkräfte nach, von denen er vermutete, sie könnten ‚Mischlinge‘ oder gar ‚Juden‘ sein, doch enthielt er sich voreiliger Maßnahmen, die den Unterrichtsbetrieb hätten gefährden können. In einem Schreiben vom 5. April merkte er 15 weitere Personen an, die er aus politischen Erwägungen, aus Altersgründen oder wegen Nichtbedarfs – allerdings erst mit Ende des Studienjahres – kündigen wollte. Bald aber zeichnete sich eine Möglichkeit ab, einen Großteil der Entlassungen auf unkomplizierte Weise zu erledigen. Zu diesem Zeitpunkt war der überwiegende Teil der Lehrkräfte über Jahresverträge beschäftigt, die ohne Angabe von Gründen bzw. wegen ‚Nichtbedarfs‘ unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist jeweils zum 31. August gekündigt werden konnten; dafür musste nur die formlose Ankündigung der Nichterneuerung vor dem 31. Mai bekannt gegeben werden. Am 24. Mai 1938 beschloss daher das österreichische Unterrichtsministerium die Kündigung sämtlicher vertraglicher Dienstverhältnisse;81 die Kündigungsbriefe an die 66 betroffenen Lehrkräfte wurden am 30. Mai versendet.82 Nach Rücksprache mit dem Ministerium enthielten 36 der 66 Briefe den Zusatz: „Die Leitung der STAK [Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst] beabsichtigt mit Ihnen einen Dienstvertrag unter teilweise geänderten Bedingungen mit Beginn des kommenden Studienjahres abzuschließen“. Die völlig gesetzeskonforme Nichterneuerung der Verträge bot nicht nur Zeit und Raum, um in den folgenden drei Monaten die Abstammung und politische Zuverlässigkeit der Lehrkräfte in Ruhe zu überprüfen; sie erleichterte wohl auch politische Interventionen. Der Zeitpunkt der Kündigung knapp vor dem Inkrafttreten der ‚Neuordnung‘ am 31. Mai hatte allerdings nach Kriegsende verheerende Folgen für die Betroffenen, da die Kündigungen nicht als rassisch oder politisch motivierte
Berufsbeamtentums entlassenen pragmatisierten Lehrer in den dauernden Ruhestand in der Regel mehr als ein Jahr; in dieser Zeit hatten sie Anspruch auf ihr volles Gehalt. Noch erstaunlicher waren die Vorgänge um die ‚Außerdienststellung‘ der ‚Volljuden‘ Erwin Weill und Heinz Schulbaur, die wegen der Nichtleistung des Diensteides auf den Führer ab dem 15. März 1938 ihren Unterricht nicht erteilen konnten. Der Bescheid mit der Bekanntgabe der Einstellung der Gehälter wurde vom Ministerium am 31. August widerrufen, da eine Durchführungsvorschrift nicht beachtet worden war. „Die Wiederflüssigmachung der eingestellten Vortragsbezüge der beiden genannten […] wird veranlasst.“ Angesichts der Tatsache, dass Weill 1942 im Konzentrationslager Riga-Kaiserwald ermordet wurde, erscheint die penible Wahrung dieser Rechte vollkommen paradox. ÖStA/AVA, Unterricht, 15 C1 Musikakademie, Fasz. 2901, 312.892/1939. 81 mdw-Archiv, 17.166-IV-13/1938 vom 24. Mai 1938 in: 94/Res/1938. 82 mdw-Archiv, 94/Res/1938, Reorganisationen der STAK, Personalmaßnahmen vom 30. Mai 1938: „Das österreichische Unterrichtsministerium hat mit dem Erlasse Zahl 17166-IV-13/38 vom 24.d.M. die Kündigung Ihres vertraglichen Dienstverhältnisses angeordnet.“
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Maßregelungen gewertet wurden.83 Damit hatten die Betroffenen kein Anrecht auf Wiedergutmachung – eine juristische Finesse mit schwerwiegenden Konsequenzen. Im Juli 1938, also nach dem Inkrafttreten der ‚Neuordnung‘, verfasste Orel einen weiteren Reorganisationsbericht. Seine nunmehrige Abbauliste sah 34 Entlassungen vor und enthielt kurze Angaben über die Beweggründe für die Kündigungen: „Volljude“, „überaltert“, „sachlich überflüssig“, „Frau Jüdin“, „politisch untragbar“ und „überflüssig“ waren die häufigsten Kommentare.84 Orel ersuchte auch um die Beibehaltung von fünf Lehrkräften nach den Ausnahmebestimmungen der §§ 3 bzw. 7 der ‚Neuordnung‘.85 Die Sängerin Minna Singer-Burian, die Pianistin Berta Jahn-Beer und der Bratschist Ernst Morawec galten als ‚jüdisch versippt‘. Jahn-Beer wurde mit Ende des Studienjahres gekündigt.86 Singer-Burian wurde wohl dank der besonderen Wertschätzung von Franz Schütz, der im September 1938 die Leitung der Anstalt von Alfred Orel übernommen hatte, zunächst weiter beschäftigt. Aufgrund des Todes ihres jüdischen Ehemanns am 6. November 1939 entfiel allerdings die Notwendigkeit, weiter eine Ausnahmeregelung zu erwirken. Ernst Morawec weigerte sich zwar, sich scheiden zu lassen, durfte aber dennoch bis Kriegsende – wohl nicht zuletzt als Mitglied der Wiener Philharmoniker – unterrichten.87 Der Hornist Gottfried Frei83 In dieser schon mehrfach genannten Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums wurde geregelt, welche Beamte bzw. Lehrkräfte aus rassischen oder politischen Gründen in den Ruhestand geschickt bzw. gekündigt werden sollten. Beamte bzw. Angestellte, die aufgrund der Verordnung in RGBl. 1938/I, S. 607–610 ihre Arbeitsstelle verloren, hatten nach Kriegsende Anspruch auf Wiedergutmachung. 84 Es handelte sich um zehn pragmatisierte Lehrkräfte und 24 Vertragslehrer. mdw-Archiv 98/ Res/1938. 85 Der hier grundlegende § 3 lautete: „Ausnahmsweise können mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle im Dienste belassen werden: 1. Beamte, die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind; 2. Beamte, die jüdische Mischlinge sind, a) wenn sie am 1. August 1914 bereits angestellte Beamte im Sinne des § 5 des österreichischen Gehaltsgesetzes 1924 waren, oder b) wenn sie im Weltkrieg an der Front auf seiten Österreich-Ungarns oder seiner Verbündeten gekämpft haben oder wenn ihre Väter, Söhne oder Ehemänner auf dieser Seite im Weltkrieg gefallen sind; dem Kampf im Weltkrieg stehen die Kämpfe gleich, die nach ihm zur Erhaltung deutscher Bodens und im Juli 1934 für die nationalsozialistische Erhebung geführt worden sind […].“ 86 Jahn-Beer emigrierte kurz darauf hin in die USA, wo sie von 1939 bis zu ihrem Tode 1942 an der Longy School of Music in Cambridge unterrichtete. Daily Boston Globe, January 23, 1942, S. 21. 87 ÖStA/AVA, Unterricht, 15 C1 Musikakademie, Fasz. 2901, 23.888/1938. Obwohl Morawec mit seiner Weigerung, sich scheiden zu lassen, gegen einen Erlass des Führers verstieß, schrieb Orel: „Es war geradezu wohltuend[,] wie er anlässlich des von ihm geforderten Ariernachweises im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des Lehrkörpers, die Mängel auf alle mögliche Weise zu verschleiern suchten, mir sofort erklärte, dass er mit seiner jüdischen Frau seit 18 Jahren gut verheiratet sei und es als unanständig empfinden würde, sich jetzt aus Konjunkturgründen von ihr scheiden zu lassen, um vielleicht dadurch seine Stelle zu behalten.“
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berg und der Bibliothekar Dr. Gustav Donath waren beide ‚Mischlinge‘. Freiberg – wie Morawec Mitglied der Wiener Philharmoniker – durfte bleiben, während das Ansuchen um Weiterbeschäftigung von Donath, der auch Lehrbeauftragter war, abschlägig beschieden wurde. Donath war in der Zeit, in der die NSDAP in Österreich verboten gewesen war (Juni 1933 bis März 1938), mehrfach als Sympathisant dieser Partei aufgefallen. Bei der Besorgung der Unterlagen für seinen Ahnenpass aber war – wie bei manch anderen – bekannt geworden, dass beide Großeltern väterlicherseits Juden waren. Donath wurde – trotz des Bedauerns der Akademieleitung – in den Ruhestand versetzt. Nachdem der Organist und langjährige Akademielehrer Franz Schütz, der überdies am 14. März 1938 als kommissarischer Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde eingesetzt worden war, am 1. September 1938 die Leitung übernommen hatte, kam es zu Änderungen in den Listen der zu entlassenden bzw. neu zu verpflichtenden Lehrkräfte. Orel und Schütz hatten vielfach vollkommen diametral entgegengesetzte Auffassungen über künstlerische Lehrziele bzw. -inhalte. Gemeinsam aber war ihnen die Bereitschaft, gesetzliche Vorgaben zu umgehen bzw. Ausnahmeregelungen auszureizen, um ihre Vorstellungen umzusetzen. Wegen der unterschiedlichen Kündigungsgründe und Gesetzesänderungen ist es schwierig bis unmöglich, eine genaue Zuordnung der Lehrkräfte zu ermitteln, die 1938 aus rassischen, politischen,88 persönlichen oder auch fachlichen Gründen ihre Stellungen verloren. Die genaueste Annäherung ergibt nach Untersuchung sämtlicher Quellen eine Zahl von mindestens 26 Lehrkräften, die nach den Bestimmungen der ‚Nürnberger Gesetze‘ von 1935 ihre Stelle hätten verlieren sollen;89 von ihnen konnten nur zwei Personen ihre Stelle auf Dauer behalten. Da sich der Lehrkörper am 13. März aus 92 Personen zusammensetzte, fielen mindestens 26 % des Lehrkörpers den Rassengesetzen zum Opfer. Dazu kamen sechs Lehrkräfte, die nachweislich als ‚politisch untragbar‘ eingestuft wurden. Weitere 17 Personen verloren ihre Stelle aus anderen Gründen, wobei politische Gründe bei einigen zumindest sehr wahrscheinlich sind. Nicht in dieser Zahl enthalten sind die Lehrkräfte des Max Reinhardt Seminars. Obwohl sie im März 1938 nicht zum Lehrkörper der Akademie zählten (das Schauspiel- und Regieseminar war 1931 bei der oben erwähnten Auflassung der Fachhochschule in seiner bisherigen Form geschlossen und von Max Reinhardt als privates Seminar weitergeführt worden), gab es weiterhin eine enge Verbindung zur Akademie, da das Unterrichtsministerium dem nunmehrigen Reinhardt-Seminar bis 1938 das Schönbrunner Schlosstheater als Natural-Subvention zur Verfügung stellte. 88 Hier galt in erster Linie die Nähe zum austrofaschistischen Regime als Beweggrund. 89 mdw-Archiv, 1843/1938 Min.
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Elf Lehrende durften ab dem 15. März nicht mehr am Seminar unterrichten, die meisten, weil sie jüdischer Herkunft waren.90 Mit Erlass vom 20. September 1938 wurde das Seminar der Akademie angeschlossen.91 Damit verloren über 50 % der Lehrkräfte der Akademie im Zuge der personellen Umgestaltungen, die am 13. März 1938 ihren Ausgang nahmen, ihre Arbeitsstelle; unter Einrechnung des Reinhardt-Seminars ist der Prozentsatz sogar geringfügig höher. 3.2 Ausscheiden der jüdischen Schülerinnen und Schüler
Die Angaben über eine ‚Säuberung‘ der Schülerschaft lassen sich noch schwieriger nachweisen, da die Zuordnung der Staatsakademie zur Kategorie der Mittelschulen bzw. deren Bezeichnung als Schule sui generis eine große Rechtsunsicherheit – oder aber auch einen großen Freiraum – in Bezug auf die Weiterinskription der jüdischen Schülerinnen und Schüler ermöglichte. Am 26. August 1938 richtete Alfred Orel eine Anfrage an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, in der er um Weisungen betreffs der „Neu- und Wiederaufnahme in- und ausländischer Studierender der jüdischen Rassezugehörigkeit“ ersuchte.92 Zu diesem Zeitpunkt gab es keine gesetzliche Grundlage, aufgrund derer den jüdischen Schülern und Schülerinnen (im Gegensatz zu den jüdischen Lehrkräften) das Betreten der Akademie untersagt worden wäre, doch zeigen die Bitten um Schulgeldbefreiung ein vollkommen anderes Bild von der Realität. In den Wochen und Monaten nach dem 13. März gingen zahlreiche Schreiben ein, in denen Eltern bzw. Vormunde um Erlass der Studiengebühren für das Sommersemester 1938 ansuchten. Diese Eingaben wurden teilweise mit der finanziellen Situation innerhalb der Familie begründet – hatten doch zahlreiche jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen ihre Arbeitsstelle verloren –, vor allem aber mit dem Hinweis, dass ihre Kinder bzw. Mündel nun nicht mehr den Unterricht besuchen dürften. Sämtliche Ansuchen wurden abschlägig beschieden. So wurde zum Beispiel die Eingabe eines Vaters vom 17. Juni 1938, der seine Tochter „seit dem Umbruche in der Meinung, daß sie als Nichtarierin die Schule nicht wird besuchen können, vom Unterrichte ferne hielt“, seitens der Staatsakademie am 28. Juli 1938 lapidar beantwortet: „eine Erkundigung Ihrerseits hätte sie darüber aufgeklärt, dass Nichtariern der Weiterbesuch der Anstalt keineswegs untersagt war“.93 90 91 92 93
Roessler, Zur Geschichte des Reinhardt-Seminars, S. 41–47. mdw-Archiv, 2497/1938 ST. ÖStA/AVA, Unterricht, Fasz. 2910, 33.484/1938. mdw-Archiv, 1703/1938 Sch3.
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Im selben Bericht vom 26. August 1938 bezifferte Orel die Zahl der Studierenden, die aus ‚rassischen‘ Gründen die Akademie im Sommersemester 1938 letztmalig besuchten, mit 100, von denen 24 Personen mit Ende des Studienjahres 1937/38 ihr Studium noch abschließen konnten. Namentlich nachweisbar sind 81 Angehörige des mosaischen Glaubensbekenntnisses, die ihr Studium im Herbst 1938 nicht mehr fortsetzten.94 Von den wenigsten ist bekannt, wie ihr weiterer Lebensweg verlief.95 Für vorläufig fünf Studierende steht fest, dass sie im Holocaust ermordet wurden.96 Als Franz Schütz die Leitung im September 1938 übernahm, verfasste er eine Eingabe an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten mit detaillierteren Vorschlägen zur Zulassung der jüdischen Schüler und Schülerinnen: „Da die STAK eine Anstalt sui generis mit besonderen und einmaligen Aufgaben und Lehrzielen ist, stelle ich den Antrag, dass ebenso wie bei Kongressen, wissenschaftlichen Veranstaltungen und dgl. auch an der STAK ausländische Staatsangehörige jüdischer Rassezugehörigkeit zum Studium insolange zugelassen werden, als sie das ihnen gewährte Gastrecht nicht verletzen. Begünstigungen irgendwelcher Art sollen solche ausländische Studierende jüdischer Rassezugehörigkeit nicht zugestanden erhalten. Inländische[n] Musikstudierende[n] jüdischer Rassezugehörigkeit, die bereits an der STAK mindestens ein Studienjahr als Schüler verbracht haben, wäre die Fortsetzung ihrer Studien bis zum Abschluss unter der Voraussetzung zu gestatten, dass sie keinerlei Begünstigungen für sich in Anspruch nehmen. Bei öffentlichen Aufführungen der STAK sollten aber jüdische Schüler, gleichviel ob sie Ausländer oder Inländer sind, nicht zugelassen werden. Inländischen jüdischen Musikstudierenden, die in die Staatsakademie als neue Schüler eintreten wollen, wäre die Aufnahme nicht zu bewilligen.“97 Die Neu- bzw. Wiederaufnahme von ‚Volljuden‘ wurde untersagt, 94 Bekannt sind sieben jüdische Schüler und Schülerinnen, die im Studienjahr 1937/38 ihre Studien mit der Reifeprüfung abschlossen. 95 Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Lebenswege vertriebener, verfolgter und ermordeter Musikerinnen und Musiker, darunter zahlreicher ehemaliger Studierender der mdw, leistet Primavera Driessen Gruber, der für ihren unermüdlichen Einsatz herzlich zu danken ist. 96 Abraham Ehrlich (geb. 1922 in Wien) studierte Klavier und Theorie und wurde am 15. Februar 1941 nach Oppeln deportiert. Ida Friedmann (geb. 1923 in Wien) studierte Klavier und wurde am 16. November 1941 nach Minsk deportiert. Felicitas Pauline Ichheiser (geb. 1915 in Wien) besuchte die Meisterklasse Opernschule und wurde am 11. Januar 1942 nach Riga deportiert. Otto Pollak (geb. 1916 in Wien) studierte Violine und wurde in ein unbekanntes Lager in Frankreich deportiert. Alfred Stein (geb. 1911 in Lemberg) studierte Pauke und wurde am 19. August 1942 nach Auschwitz deportiert. Die vorstehenden Angaben wurden ermöglicht durch einen Abgleich der Datenbank Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes mit den namentlich bekannten jüdischen Schülern der Akademie. 97 mdw-Archiv, 2264/1938 Au Mi.
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‚Mischlinge‘ hingegen durften in Ausnahmefällen weiterhin inskribieren. Einerseits sollte diese Regelung den zunehmenden Mangel an männlichen Schülern kompensieren, der sich in den klassischen Rollen im Schauspiel, in der Oper und vorwiegend bei den Blechblasinstrumenten bemerkbar machte. Anderseits kann man davon ausgehen, dass der Leiter bzw. die Lehrkräfte der Akademie vor allem daran interessiert waren, ihre begabtesten Schüler und Schülerinnen zu behalten, da deren Erfolge infolge des Meisterschulprinzips auf sie selbst abstrahlten. Es gibt zahlreiche Hinweise bzw. Aussagen von ‚Mischlingen‘, die zwischen 1938 und 1945 an der Akademie bzw. Reichshochschule studierten, denen zufolge die Frage nach der rassischen Zugehörigkeit im Rahmen ihres Studiums keinerlei Rolle spielte, weder bei Franz Schütz noch bei ihren Hauptfachlehrern – selbst wenn es sich hierbei um ‚illegale‘ Parteigenossen handelte. 4 Die Frage der Rückkehr nach der Befreiung
Von den Lehrkräften, die ab 1938 ihre Stellen verloren hatten, konnten nur wenige nach Kriegsende zurückkehren. Dies lag zum Teil daran, dass bei den meisten gekündigten Instrumentalisten, die in Österreich hatten verbleiben können, der Kriegs alltag ein regelmäßiges Üben oder gar Auftreten unmöglich gemacht hatte. Im Gegensatz dazu waren die Lehrkräfte, die den Krieg hindurch unterrichtet und gespielt hatten, ‚in Form‘. In den unmittelbaren Nachkriegsmonaten nahm die Akademie keinerlei Kontakt mit Lehrkräften auf, die 1938 entlassen worden waren; sie war vielmehr bestrebt, die qualifizierten Lehrkräfte, die den Krieg hindurch unterrichtet hatten, weiterhin beschäftigen zu können, obwohl diese vielfach belastet waren. Eine Anfrage des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten vom 21. August 1954 um Bekanntgabe der Lehrer, „die aus […] rassischen oder politischen Gründen entfernt wurden“, beantwortete der interimistische Leiter Karl Kobald mit den Namen von drei emigrierten Lehrern und dem lapidaren Satz: „Ich lege auf die Rückberufung der obgenannten [sic] ehemaligen Lehrkräfte keinen besonderen Wert“.98 Von den Lehrkräften mit Rechtsanspruch kehrten lediglich die Pianisten Dr. Paul Weingarten99 und Viktor Ebenstein100 sowie der Dramatiker Dr. Heinz Schulbaur101 an die Akademie zurück. Von den Lehrenden, die nachweislich aus rassischen Gründen gekündigt worden waren, 98 mdw-Archiv, 227/Res/45. 99 Tätig an der Akademie 1921–1938, 1945–1948. 100 Tätig an der Akademie 1921–1938, 1945–1956. 101 Tätig an der Akademie 1923–1938, 1945–1949.
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aber keinen Rechtsanspruch auf eine Wiedereinstellung hatten, konnten lediglich der Klavierbegleiter Otto Schulhof102 (wegen dringenden Bedarfs nach dem Tod zweier Korrepetitoren), der Musiktheoretiker Dr. Max Graf103 sowie mit Josef Krips104 der einzige namhafte österreichische Dirigent, der nicht politisch belastet war, ihre Unterrichtstätigkeit wieder aufnehmen. Von den Lehrenden ohne Rechtsanspruch, die offiziell wegen ‚Nichtbedarfs‘, aber nachweislich aus politischen Gründen gekündigt worden waren, kehrten lediglich Karl Rössel-Majdan,105 der den Krieg in Wien überlebt hatte, und Dr. Friedrich Hartmann,106 der 1938 die Akademie hatte verlassen müssen und 1939 nach Südafrika ausgewandert war,107 an die Akademie zurück. Zwar bemühte sich Kobalds Nachfolger Hans Sittner ab 1946 um die Rückholung namhafter Künstler, die in die Emigration gezwungen worden waren. Doch befanden sich darunter kaum Lehrkräfte, die einst an der Akademie tätig gewesen waren. Der Verlust des Arbeitsplatzes infolge des ‚Anschlusses‘ bedeutete daher für einen Großteil der 1938 entlassenen Lehrenden ein Ende ihrer beruflichen Laufbahn. Die ‚Entnazifizierung‘ bzw. deren Fehlen wäre natürlich auch als ‚Säuberung‘ zu verstehen, ist aber nicht mehr Gegenstand dieser Abhandlung.108
102 Tätig an der Akademie 1934–1938, 1945–1954. 103 Tätig an der Akademie 1908–1938, 1947–1950. 104 Tätig an der Akademie 1935–1938, 1948–1949. 105 Tätig an der Akademie 1934–1938, 1945–1948. 106 Tätig an der Akademie 1930–1938, 1961–1970. 107 Primavera Driessen Gruber, Kap der guten Hoffnung – aber für wie lange? Österreichisches MusikExil in Südafrika, in: Margit Franz/Heimo Halbrainer (Hg.), Going East – Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika, Graz 2014, S. 335–359. 108 Vgl. hierzu die in Fußnote 2 angegebene Literatur.
Vom Dienst enthoben, vom Studium ausgeschlossen Maßnahmen gegen Beschäftigte und Studierende der Akademie der bildenden Künste in Wien 1938–1945
Verena Pawlowsky
1 Sonderstellung der Akademie in der Zwischenkriegszeit
Gleich in mehrerlei Hinsicht befand sich die Akademie der bildenden Künste in Wien in den 1930er Jahren innerhalb der österreichischen Hochschullandschaft in einer Sonderposition: Sie war – was die Zahl der Studierenden betraf – eine der kleinsten Universitäten. Sie war wahrscheinlich jene mit dem höchsten Frauenanteil unter den Studierenden. Und sie war, obwohl sie über den Status einer Hochschule verfügte, angesichts ihres Gegenstandes, der Kunst, eine der ungewöhnlichsten unter den österreichischen Hochschulen. Diese Sonderrolle bildet den Hintergrund für die nachfolgenden Ausführungen. Diese befassen sich zunächst mit der Situation der Akademie der bildenden Künste in Wien vor der nationalsozialistischen Machtergreifung im März 1938, dann mit den Maßnahmen gegen Mitglieder des Lehrkörpers und andere Angestellte unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ und dem im Sommersemester 1938 beginnenden Ausschluss von Studierenden vom weiteren Hochschulbesuch. Der Beitrag ist die Kurzversion jenes Textes, der das Ergebnis eines vom Rektorat der Akademie der bildenden Künste 2013 in Auftrag gegebenen und von der Autorin zwischen Oktober 2013 und April 2014 durchgeführten Forschungsprojektes bildete.1 Dieses sollte unter den während der NS-Zeit an der Akademie Lehrenden und Studierenden sowie in der Gruppe des Verwaltungspersonals und bei den Ehrenmitgliedern Personen identifizieren, die durch das NS-Regime geschädigt wurden. Darüber hinaus ging es darum, unter den Lehrenden und den nicht 1
Verena Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste in Wien zwischen 1920 und 1960: Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal der Akademie im Nationalsozialismus, Projektendbericht, Wien, Mai 2014; überarbeitet publiziert als: Dies., Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus. Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal, Wien/Köln/Weimar 2015. Integraler Bestandteil des Projektergebnisses ist eine Personendatenbank, die seit 2015 unter http://ns-zeit.akbild.ac.at [6. März 2017] online ist und zu allen in diesem Aufsatz genannten Personen Kurzbiografien enthält.
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dem Lehrkörper angehörenden Beschäftigten jene Personen namhaft zu machen, bei denen eine gewisse Involvierung in das NS-Regime nachzuweisen ist. Notwendigerweise mussten bei dieser Fragestellung daher auch Überlegungen angestellt werden, wie einerseits Schädigungen durch das NS-Regime zu definieren sind, wer also als Opfer des NS-Regimes anzusprechen ist, und woran andererseits eine ‚Involvierung‘ in das verbrecherische System festgemacht werden könnte. Die datenbankgestützte Erhebung und Auswertung erforderte die – wie im Folgenden gezeigt wird, oft gar nicht so einfache – Festlegung klarer Kriterien. Der vorliegende Beitrag referiert nur die Ergebnisse zu den Geschädigten. Für Fragen nach dem Ausmaß der Verstrickung von Akademieangehörigen in das NS-System und die Thematik der Entnazifizierung nach 1945 sei auf den veröffentlichten Bericht sowie die im Zuge der Forschungsarbeit erstellte Datenbank verwiesen. Von den übrigen österreichischen Universitäten hob sich die Akademie der bildenden Künste, wie eingangs erwähnt, mehrfach ab. Zunächst war sie in der Ersten Republik die einzige Kunsthochschule. Die Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für Kunst und Industrie, Vorläuferin der heutigen Universität für angewandte Kunst Wien, war zwar 1931 eine Bundesanstalt geworden, hatte jedoch noch keinen Hochschulstatus.2 Auch die Akademie für Musik und darstellende Kunst war noch keine Hochschule.3 Unter den kleinen österreichischen Spezial-Hochschulen mit einer vergleichbaren Hörerzahl verfügte die Akademie der bildenden Künste am längsten über den Hochschulstatus. Sie hatte ihn bereits 1872 erhalten4 und war von Anfang an in der 1920 geschaffenen Österreichischen Rektorenkonferenz vertreten. Die Tierärztliche Hochschule in Wien galt hingegen erst seit 1896,5 die heutige Montanuniversität Leoben (damals: Montanistische Hochschule) erst seit 1904 als wissenschaftliche Hochschule.6 2
Architekturzentrum Wien, Architektenlexikon Wien 1770–1945, http://www.azw.at/page.php?node_ id=96 [12. März 2016]. 3 Lynne Heller, Stationen in der Geschichte der mdw, https://www.mdw.ac.at/405 [16. Juli 2015]. Siehe auch den Beitrag von Erwin Strouhal und Lynne Heller in diesem Band. 4 Vgl. die Zeittafel auf https://www.akbild.ac.at/Portal/organisation/uber-uns/Geschichte [12. März 2016]. 5 Siehe die Zeitleiste unter https://www.vetmeduni.ac.at/de/universitaet/geschichte/zeitleiste/ [12. Februar 2017]. An der Tierärztlichen Hochschule studierten 1937 rund 300 Personen; siehe Stephanie Fischer, „[…] grüßt die Tierärztliche Hochschule Wien ihre Brüder in deutscher Treue […]“. Die Tierärztliche Hochschule Wien im Schatten des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung des klinischen Lehrkörpers, Dissertation Universität Wien 2011, S. 40, http://www.vetmeduni.ac.at/ hochschulschriften/dissertationen/AC07810749.pdf [12. März 2016]. 6 Ihre Selbstständigkeit als Hochschule war allerdings in den Jahren 1934 bis 1937 durch die Zusammenlegung der Montanistischen Hochschule mit der Technischen Hochschule Graz vorüberge-
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Die Akademie der bildenden Künste konnte zum Zeitpunkt, als ihr der Hochschulstatus zugesprochen wurde, auf eine schon mehr als 200-jährige Geschichte zurückblicken: 1692 gilt als ihr Gründungsjahr. Seit den 1870er Jahren war sie in dem von Theophil Hansen geplanten Gebäude am Schillerplatz untergebracht. Trotz ihres Hochschulstatus hatte die künstlerische Lehranstalt eigene Regeln. So konnte etwa das formale Erfordernis des Reifezeugnisses – es war seit 1920 Aufnahmebedingung – leicht umgangen werden: Besonders begabte Personen durften als außerordentliche Hörer und Hörerinnen (oder Gäste) auch ohne Abschlusszeugnis eines Gymnasiums aufgenommen werden. Nach Absolvierung der vorgeschriebenen Prüfungen in den wissenschaftlichen Fächern wurden sie automatisch zu ordentlichen Hörern.7 Eine Besonderheit der Akademie der bildenden Künste bestand weiters in ihrer speziellen Organisationsform – dem 1850 eingeführten Meisterschulprinzip8 – sowie im Fehlen eines geregelten Studienplans, einer festgelegten Studiendauer und einer Abschlussprüfung mit Diplom. Eine solche wurde erst mit der Studienreform des Jahres 1940 eingeführt.9 Vorgeschrieben war lediglich die Zulassungsprüfung und der Besuch einiger wissenschaftlicher Fächer. War man als Hörer oder Hörerin aufgenommen, studierte man zunächst in einer allgemeinen Klasse und dann in der Meisterschule eines Professors.10 Das Meisterschulprinzip förderte – gepaart mit hend außer Kraft gesetzt; vgl. Montanuniversität Leoben, Geschichtlicher Überblick, https://www. unileoben.ac.at/de/3023/?tx_ttnews[cat]=108%2C113&tx_ttnews[year]=2014&tx_ttnews[pointer]=6 [12. März 2016]. Dieser organisatorische Einschnitt führte auch dazu, dass die mit der Akademie der bildenden Künste zunächst noch vergleichbar gewesenen Hörerzahlen von 316 im Studienjahr 1931/32 auf etwa 100 im Jahr 1937 zurückgingen. Für die Informationen zu den Studierendenzahlen geht mein Dank an Dr. Johann Delanoy vom Archiv der Montanuniversität Leoben; E-Mail an die Autorin vom 20. Juli 2015. 7 Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR), UWK BMU 2Rep Kunst, Kunstsektion, Ktn. 63, Sign. 15 B1, 50390/1952. Expliziter Maturazwang bestand nur für die später (1941) eingerichtete Meisterschule für Kunsterziehung; siehe Joseph Gregor, Die Akademie der bildenden Künste in Wien. Ein Abriß ihrer Geschichte aus Anlaß des 250jährigen Bestehens 1692– 1942 [ungebundenes Exemplar in der Bibliothek der Akademie], Wien 1944, S. 84. 8 Walter Wagner, Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967, S. 198. Nach dem Ersten Weltkrieg löste der Begriff der Meisterschule die ältere Bezeichnung der Spezialschule ab. Trotzdem wurden für die Studierendenakten die alten Formulare mit dem aufgedruckten Begriff „Spezialschule“ bis in die NS-Zeit hinein verwendet. 9 Wagner, Geschichte, S. 339. Die Studienordnung von 1940 setzte zugleich die Studiendauer der einzelnen Fächer auf zwölf, zehn bzw. sechs Semester fest und normierte folgende Schulen: die allgemeinen Meisterschulen: Malerei, Bildhauerei; die Fachmeisterschulen: graphische Künste, Freskomalerei, Bildnismalerei, Tiermalerei, Landschaftsmalerei, Medailleurkunst; zwei Meisterschulen für Architektur, eine für Konservierung und Technologie, eine für Bühnenbildnerei und Festgestaltung (ebd.). 10 In der Zwischenkriegszeit war der Lehrkörper noch ausschließlich männlich.
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der geringen Studierendenzahl – zweifellos einen gewissen Geniekult und oftmals ein sehr privates Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden, die einander gut kannten und in einem hierarchischen und zugleich auch familiären System miteinander verbunden waren. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Akademie nicht nur Unterrichtsanstalt war. Seit 1822 war ihr auch eine Gemäldegalerie angeschlossen, und sie verfügte über eine mit einem Archiv und diversen Sammlungen verbundene Bibliothek.11 Ein gewisses Kuriosum ist weiters die der Akademie angegliederte Medailleurschule, die in künstlerischer und pädagogischer Hinsicht unabhängig war, wenngleich Rudolf Marschall, der sie seit 1903 leitete, dienstrechtlich der Akademie unterstand. Die Schule hatte 1938 gerade noch einen einzigen Schüler.12 2 Die Situation im März 1938
Was die Größe der Akademie, gemessen an der Hörerzahl, betraf, so muss sie als außerordentlich klein bezeichnet werden. Während der Ersten Republik lag die Zahl der Hörer und Hörerinnen pro Jahrgang immer im kleinen dreistelligen Bereich. Im Studienjahr 1937/38 zum Beispiel waren insgesamt 289 Studierende eingeschrieben13 – unter ihnen 87 Frauen. 20 Jahre nachdem Frauen der Zugang zur Akademie der bildenden Künste gewährt worden war,14 lag der Anteil der Hörerinnen damit bei 30 %. Viele von ihnen hatten, bevor sie an die Hochschule kamen, an der ‚Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst‘ (Frauenakademie) 11 Zu diesen Sammlungen gehörten damals die Gipsabguss-Sammlung (heute Teil der Gemäldegalerie), die Kostümsammlung (existiert heute nicht mehr), die Sammlung der Handzeichnungen und der Fotografien sowie das Kupferstichkabinett (seit dem Universitätsgesetz 2002 eine eigenständige Einrichtung). 12 Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien (UAAbKW), VA 501/1938; siehe auch die Belege in Fußnote 72. 13 Im Wintersemester studierten 276 Hörerinnen und Hörer an der Akademie, von ihnen inskribierten im Folgesemester nicht mehr alle. Die Neueintritte – im Sommerhalbjahr traditionell weniger als im Winterhalbjahr – glichen den Verlust nicht ganz aus, sodass die Akademie im Sommersemester nur mehr 227 Hörerinnen und Hörer zählte. Die Verringerung der Studierendenzahl vom Winter- auf das Sommersemester ist jedoch nur zum Teil den politischen Umwälzungen zuzuschreiben. Diese und alle folgenden Zahlen, die sich auf das Jahr 1938 beziehen, wurden von der Autorin erhoben; den statistischen Berechnungen liegt die im Rahmen des oben genannten Projektes erstellte Datenbank zugrunde; vgl. Fußnote 1. 14 Siehe Wagner, Geschichte, S. 296 und vor allem Margarete Poch-Kalous, Das Frauenstudium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, in: Albert Massiczek (Red.), 100 Jahre Hochschulstatut. 280 Jahre Akademie der bildenden Künste in Wien, hg. von der Akademie der Bildenden Künste, Wien 1972, S. 204–207.
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studiert. Diese Vorbildung erlaubte ihnen einen Übertritt ohne Eingangsprüfung.15 Nicht nur der außergewöhnlich hohe Frauenanteil unterschied die Hörerschaft der Akademie von jener anderer Universitäten: Die Studierenden waren auch – hier wieder vor allem die Frauen – älter als an anderen Hochschulen: 93 % (oder 269) der im Studienjahr 1937/38 eingeschriebenen Studierenden hatten zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ ihr 20. Lebensjahr bereits überschritten; 64 (22 %) waren sogar älter als 30 Jahre, 19 hatten ein Geburtsdatum vor 1900. Die Älteste unter den Studierenden dieses Jahrgangs war die 1878 geborene und im März 1938 knapp 60-jährige Malerin Luise Fraenkel-Hahn. Mit ihr, der Mitbegründerin und Präsidentin der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, ist zugleich das erste Opfer der NS-Vertreibungspolitik genannt. Sie starb 1939 in der Emigration in Paris.16 Was bei der Zusammensetzung der Hörerschaft der Akademie ebenfalls auffällt, ist eine große soziale Heterogenität: Unter den Studierenden waren ehemalige Adelige und Personen aus dem Bildungsbürgertum genauso vertreten wie junge Männer und Frauen aus Handwerker- oder Bergbauernfamilien. Es gab Söhne und Töchter von kleinen Beamten und Gewerbetreibenden, von Lokführern und Straßenbahnschaffnern. Viele suchten um Reduktion oder Erlass der Studiengebühren an.17 Die Akademie der bildenden Künste in Wien war zudem für Studierende aus dem Ausland höchst attraktiv. Diese blieben jedoch oft nur für ein oder zwei Semester. 27 (9,3 %) der Studierenden des Studienjahres 1937/38 waren Ausländerinnen und Ausländer, wobei die Angehörigen der beiden größten Gruppen die deutsche oder die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft hatten. Aber es gab auch einzelne Hörer und Hörerinnen aus Italien, Jugoslawien, der Schweiz, den Niederlanden und anderen europäischen Ländern. Die einzige außereuropäische Studentin war eine Chilenin.18 Auch drei der insgesamt zehn Studierenden, die im Wintersemester 1937/38 ‚mosaisch‘ als Religionsbekenntnis angegeben hatten, besaßen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Situation der Akademie in der Zwischenkriegszeit war durch Mangelwirtschaft, Unterfinanzierung und beengte Raumverhältnisse gekennzeichnet. Darin unterschied sie sich nicht von anderen Hochschulen. Vielfach mussten Professoren 15 UAAbKW, SProt., Sitzung vom 4. Oktober 1941. 16 Eintrag zu Luise Fraenkel-Hahn in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus/Dietrich von Engelhardt (Hg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, München 1996 (hier nach World Biographical Information System – WBIS). 17 Das zeigte sich bei der Durchsicht der Studierendenakten im Archiv der Akademie. Bei dieser Gelegenheit sei den beiden Archivarinnen Dr. Eva Schober und Dr. Ulrike Hirhager für ihre kompetente Unterstützung und freundliche Aufnahme herzlich gedankt. 18 UAAbKW, Stud. 1740, Victoria Maier.
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Hilfskräfte aus der eigenen Tasche entlohnen und notwendige Anschaffungen selbst finanzieren.19 Hinzu kam für die Akademie noch die schwelende Konkurrenz mit der Technischen Hochschule in Wien, an der ebenfalls ein Architekturstudium angeboten wurde.20 Trotz der krisenhaften Finanzlage des Staates kam es aber in der Zwischenkriegszeit durch die Schaffung von zwei neuen Meisterschulen zu einem Ausbau der Akademie. Dieser Ausbau, der auch mit einer gewissen Öffnung gegenüber neuen Strömungen verbunden war, erfolgte in den Jahren des ‚Ständestaates‘ und – wie Irene Nierhaus mit Verweis auf den 1924 als Professor an die Akademie berufenen Architekten und eng mit dem austrofaschistischen Regime verbundenen Clemens Holzmeister hervorgehoben hat – „unter den Vorzeichen engster Verflechtung mit der Machtpolitik“.21 Auf Betreiben Holzmeisters wurde 1936 eine Meisterklasse für szenische Kunst geschaffen.22 Schon 1934 war es dem 1933 zum Leiter des (seit 1917 an der Akademie fix etablierten) Restaurierkurses ernannten Robert Eigenberger gelungen, ein eigenes Extraordinariat für Konservierungs- und Restaurierungstechniken einzurichten, das sich seit 1935 auf seinen Wunsch hin ‚Fachschule für Konservierung und Technologie‘ nannte.23 Grundsätzlich war die Zwischenkriegszeit an der Akademie aber geprägt von Lehrenden mit einem „regressiven Kunstverständnis“, das „dem Nationalsozialismus entgegenkam bzw. nicht widersprach“.24 Ausnahmen stellten nur die beiden Architekturmeisterschulen dar, die in den 1920er Jahren mit Peter Behrens und Clemens Holzmeister neu besetzt worden waren.25 In den Jahren des ‚Ständestaates‘ waren drei Professoren neu an die Akademie berufen worden: Albert Bechtold (1934, Meisterschule für Bildhauerei), Herbert Boeckl (1935, 19 Auf eigene Kosten bzw. angeblich finanziert aus den „privaten Mitteln einer nationalsozialistischen Werkgemeinschaft“ beschäftigte etwa der Direktor der Gemäldegalerie Robert Eigenberger den bekennenden Nationalsozialisten Albert Magnaghi als Chemiker (bis 1935) und das illegale NSDAPMitglied Karl Märzinger als technische Hilfskraft (bis 1939); UAAbKW, VA 1242/1938; PA Karl Märzinger. Der Leiter der Meisterschule für Malerei Ferdinand Andri zahlte seinem Assistenten Sepp Mayerhuber bis April 1938 aus seiner Tasche ein Gehalt; siehe UAAbKW, PA Sepp Mayerhuber. Eigenberger finanzierte sogar den Telefonanschluss der Gemäldegalerie selbst; UAAbKW, VA 383/1938. 20 Irene Nierhaus, Adoration und Selbstverwirklichung. Künstlerische und kunstpolitische Schwerpunkte an der Akademie der bildenden Künste von den dreißiger bis Ende der vierziger Jahre, in: Hans Seiger/Michael Lunardi/Peter Josef Populorum (Hg.), Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der Bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik, Wien 1990, S. 65. 21 Ebd., S. 82. 22 Wagner, Geschichte, S. 306; Nierhaus, Adoration, S. 77–79. 23 Wagner, Geschichte, S. 305. 24 Nierhaus, Adoration, S. 65, führt diese Einschätzung im Folgenden überzeugend aus. 25 Ebd., S. 65–67.
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Meisterschule für Malerei) und Viktor Hammer (im Januar 1938, Meisterschule für Malerei).26 Zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ im März 1938 gab es an der Akademie neben den beiden allgemeinen Schulen, der allgemeinen Malerschule und der allgemeinen Bildhauerschule, fünf Meisterschulen (zum Teil mit mehreren Klassen) sowie die Fachschule für Konservierung und Technologie.27 Dem Lehrkörper gehörten zu diesem Zeitpunkt 35 Personen an: 14 Professoren, 17 Lehrbeauftragte (meist in den Hilfsfächern und Hilfswissenschaften) und vier Assistenten (technische Hilfskräfte der Schulen). Unter ihnen war keine einzige Frau. Zehn hatten bereits ihr 60. Lebensjahr vollendet. Alle stammten aus Österreich, fast die Hälfte war in Wien geboren; die Geburtsorte der übrigen lagen in anderen österreichischen Bundesländern oder in ehemaligen Kronländern der 1918 untergegangenen Monarchie. Manche waren vollbeschäftigte Dienstnehmer, andere hatten nur einen einzelnen Lehrauftrag von zwei oder mehreren Wochenstunden, manche waren pragmatisierte Beamte, andere nicht. Unter diesen 35 Personen war der mit einem zweistündigen Lehrauftrag für Regiekunst an der Akademie beschäftigte Lothar Wallerstein, im Hauptberuf Regisseur und Oberspielleiter der Wiener Staatsoper, der einzige Mann mit jüdischer Konfession. Männer, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ von 1935 als Juden galten, aber einer anderen Konfession angehörten, gab es in der Gruppe nicht. Weitere 29 Personen arbeiteten im März 1938 in der Verwaltung der Akademie. Die größte Gruppe – mindestens die Hälfte – stellten die als Amtswarte bezeichneten und als Hausdiener, Schulwarte oder Portiere eingesetzten männlichen Arbeiter. Mindestens vier Personen (darunter eine Frau) besorgten die Sekretariatsarbeiten. Zwei Frauen arbeiteten als Reinigungskräfte. Außerdem gab es einige der Bibliothek zugeteilte Beschäftigte, technische Hilfskräfte, zwei Maschinisten bzw. Kesselwärter für die hauseigene Heizungsanlage sowie eine für die Kostümsammlung zuständige weibliche Angestellte. Viele der in subalternen Positionen an der Akademie beschäftigten Männer hatten handwerkliche Ausbildungen absolviert, bevor sie den Posten an der Akademie, und damit eine Stelle im sicheren Staatsdienst, antraten; vielfach waren sie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg – meist noch bis 1933/34 – Mitglieder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, oft auch der Gewerkschaft gewe26 Zu diesen Berufungen siehe ebd., S. 72–77. 27 Allgemeine Malerschule (Herbert Boeckl, Wilhelm Dachauer, Karl Fahringer, Viktor Hammer, Hans Larwin), Allgemeine Bildhauerschule (Josef Müllner), Meisterschule für Malerei (Ferdinand Andri, Karl Sterrer, Wilhelm Dachauer), Meisterschule für Bildhauerei (Josef Müllner, Albert Bechtold), Meisterschule für graphische Künste (Ludwig Christian Martin), Meisterschule für Architektur (Clemens Holzmeister, Erich Boltenstern [vertrat Peter Behrens]), Meisterschule für szenische Kunst (Clemens Holzmeister, Emil Pirchan), Fachschule für Konservierung und Technologie (Robert Eigenberger); vgl. Wagner, Geschichte, S. 381–383.
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sen.28 Auffallend ist, dass manche Familien der Akademie in mehreren Generationen dienten und über Jahrzehnte hinweg Amtsdiener stellten. So taten insgesamt vier Mitglieder der Familie Englisch Dienst an der Akademie,29 die Familie Watzek ist mit fünf Mitgliedern unter den Angestellten der Akademie vertreten.30 Zum gehobenen Verwaltungsdienst zählten der ständige Sekretär der Akademie Eduard Josch sowie der Bibliotheksleiter Otto Reich und sein Mitarbeiter Anton Kraus. Einige Angehörige des Verwaltungspersonals – allen voran Josch, zu nennen sind aber auch einzelne Portiere – verfügten über Dienstwohnungen direkt im Akademiegebäude.31 Kein Einziger war im März 1938 Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) oder Jude im Sinne der ‚Nürnberger Gesetze‘. Zählt man die Angehörigen des Lehrkörpers und des Verwaltungspersonals zusammen, so waren an der Akademie – bei einem Frauenanteil von 6,25 % – im März 1938 insgesamt 64 Personen beschäftigt.32 3 Forschungslücke 1938–1945?
Die dem ‚Anschluss‘ folgenden sieben Jahre sind noch nicht gut erforscht, wie insgesamt die bislang erschienene Literatur zur Geschichte der Akademie im 20. Jahrhun28 Das ist jenen – den Personalakten meist beiliegenden – Fragebögen zu entnehmen, die nach dem ‚Anschluss‘ von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgefüllt werden mussten und in denen unter anderem nach der politischen Vergangenheit der Betroffenen gefragt wurde. Einige waren auch Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes gewesen: Franz Usch in seiner Jugend, Leonhard Karnal bis 1934, Leopold Gebhart sogar bis 1938; siehe deren Personalakten in UAAbKW. 29 Der 1913 verunglückte Karl Englisch, sein Neffe Karl Englisch sen. (geb. 1874) sowie dessen Kinder, der Sohn Karl Englisch jun. (geb. 1905) und die Tochter Josefine Ondracek (geb. Englisch). Vgl. zur Familie Englisch die Personalakten von Karl Englisch sen., Karl Englisch jun. und Josefine Ondracek in den Beständen UAAbKW und ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep. 30 Im Personalbuch sind folgende Angehörige der Familie Watzek – alle als Aushilfsdiener – eingetragen: Josef Watzek (1833–1890), dessen Sohn Otto Watzek sen. (1867–1938), Otto Watzek jun. (1902–1989), Franz Watzek (1834–1904) und dessen Sohn Karl Watzek (1868–1945; seit Ende Januar 1938 im Ruhestand); UAAbKW, unerschlossene Bestände, Personalbuch ab 1875. 31 Josch bewohnte eine Wohnung im Mezzanin. Den einfacheren beamteten Angestellten wurden Wohnmöglichkeiten im Untergeschoss des Akademiehauptgebäudes am Schillerplatz zugewiesen. 32 Die Feststellung des genauen Personalstandes war kompliziert. Die Personalakten im Archiv der Akademie der bildenden Künste sind leider nicht vollständig erhalten; im Zuge des Projektes wurde ein Fehlbestand von 26 % errechnet. Während die Lehrenden bei Wagner aufgelistet sind und daher auch die im Österreichischen Staatsarchiv einliegenden (und nach Namen zu bestellenden) Akten ausgehoben werden konnten, ließen sich die dem Verwaltungspersonal angehörenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur mit viel größerem Aufwand (und nicht mit letzter Gewissheit vollständig) eruieren. Zur Vorgangsweise bei der Erhebung vgl. Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus, Teil 2.
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dert als eher dürftig bezeichnet werden muss. An offiziellen Schriften gibt es eine im Jahr 1967, anlässlich des 275-jährigen Bestehens der Akademie, veröffentlichte Überblicksdarstellung des damaligen Akademiearchivars Walter Wagner33 (gewissermaßen als Fortsetzung jener Arbeiten, die sich schon zuvor mit der Geschichte der Akademie beschäftigt haben und deren letzte 1917 erschienen ist)34 sowie eine Festschrift aus dem Jahr 1972.35 Einige zeitgenössische Berichte befassen sich mit den Jahren der Ersten Republik.36 Außerdem existiert in der Akademiebibliothek eine nicht mehr im Druck erschienene Arbeit, die anlässlich des 250-Jahr-Jubiläums der Akademie im Jahr 1942 die Geschichte der Anstalt seit ihrer Gründung in den Blick nahm.37 Die bis 1987 erschienene Literatur zur Historie des Hauses ist durch die annotierte Bibliografie der früheren Leiterin der Akademiebibliothek, Gerda Königsberger, gründlich erfasst.38 Eine aktuelle Geschichte des Hauses, wie es sie – jedenfalls aus kunsthistorischer Sicht – etwa für die Akademie für angewandte Kunst gibt,39 fehlt für die Akademie der bildenden Künste. Die Geschichte der Akademie in der NS-Zeit war bislang kaum Thema. Wagner widmet sich in seinem fast 500 Seiten starken Werk der Zeit des Nationalsozialismus auf gerade einmal sechs Seiten und stellt keine kritischen Fragen zu dieser problematischen Periode. Seine Bemerkung zur „provisorischen Enthebung von neun Mitgliedern des Lehrkörpers“40 durch die neu eingesetzte kommissarische Leitung der Akademie bleibt der einzige Hinweis auf eine Säuberungswelle. Wagners Verdienst ist die Erstellung einer gründlichen Institutionengeschichte. Die mit zahlreichen Anhängen, wenn auch nicht mit Fußnoten versehene Arbeit basiert im Wesentlichen auf dem Aktenmaterial des Akademiearchivs. 33 Wagner, Geschichte. 34 Carl Friedrich Arnold von Lützow, Geschichte der k. k. Akademie der bildenden Künste. Festschrift zur Eröffnung des neuen Akademie-Gebäudes, Wien 1877; Theodor Lott, K. K. Akademie der bildenden Künste in Wien. Bericht über die Studienjahre 1876/77 bis 1891/92, Wien 1892; Die K. k. Academie der bildenden Künste in Wien in den Jahren 1892–1917. Zum Gedächtnis des 225jährigen Bestandes der Akademie, Wien 1917. 35 Massiczek (Red.), 100 Jahre Hochschulstatut. 36 Die Akademie der Bildenden Künste in Wien in den Studienjahren 1926/27 und 1927/28. Bericht erstattet von Rektor Professor Josef Müllner, Wien 1928; Die Akademie der Bildenden Künste in Wien in den Studienjahren 1928/29 und 1929/30. Bericht erstattet von Rektor Professor Josef Jungwirth, Wien 1930. 37 Gregor, Akademie. 38 Gerda Königsberger, Die Akademie der Bildenden Künste in Wien. Eine Bibliographie, Wien 1988. 39 Gottfried Fliedl, Kunst und Lehre am Beginn der Moderne. Die Wiener Kunstgewerbeschule 1867– 1918, Salzburg/Wien 1986; Erika Patka (Red.), Kunst: Anspruch und Gegenstand. Von der Kunstgewerbeschule zur Hochschule für angewandte Kunst in Wien 1918–1991, hg. von der Hochschule für angewandte Kunst, Salzburg/Wien 1991. 40 Wagner, Geschichte, S. 336.
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Die angesprochene Lücke wurde mit dem 1990 veröffentlichten Sammelband Im Reich der Kunst erstmals geschlossen.41 Dieser Band steht in einer Reihe mit vergleichbaren Publikationen zu anderen österreichischen Hochschulen.42 Er erschien anlässlich eines zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich veranstalteten Symposions, das – nachdem die Idee eines von allen Akademieangehörigen getragenen Projektes gescheitert war – von einer studentischen Arbeitsgruppe allein ausgerichtet wurde. Die in ihm versammelten Beiträge stellen eine erstmals nicht von der Akademie ausgehende, sondern gleichsam von außen kommende Forschung zur Geschichte des Hauses dar. Die Publikation bietet, vor allem mit den beiden zentralen Beiträgen von Elisabeth Klamper und Irene Nierhaus,43 die – wie im Vorwort betont wird – „als Einheit zu sehen und auch so zu lesen“44 sind, eine gründliche historische und kunsthistorische Aufarbeitung der NSZeit unter Einschluss der Vor- und Nachgeschichte. Grundsätzliche Fragen nach der Mittäterschaft und Mitverantwortung von Künstlern und Kunstinstitutionen sind hier bereits formuliert. Auch erste biografische Hinweise – sowohl was Geschädigte als auch was Nutznießer des NS-Regimes betrifft – finden sich hier. Da Vorarbeiten fehlten, sind beide Autorinnen quellenbasiert vorgegangen. Eine vollständige Identifizierung der durch das NS-Regime Geschädigten für die Akademie der bildenden Künste, eine Erhebung der Vertriebenen, Entlassenen und 41 Seiger/Lunardi/Populorum (Hg.), Im Reich der Kunst. 42 Exemplarisch und nur auf Wiener Hochschulen bezogen: Universität Wien: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, Münster 2004 (ursprünglich Wien 1987); Gernot Heiß u. a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, Wien 1989; Namensliste nach Fakultäten geordnet: Kurt Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz 1938“. Der Verlust geistiger und menschlicher Potenz an der Universität Wien von 1938 bis 1945, Wien 1990; Herbert Posch/Friedrich Stadler (Hg.), „… eines akademischen Grades unwürdig“. Nichtigerklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien, Wien 2005; Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel, Einleitung, in: Dies., „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008, S. 19–60. Technische Universität Wien: Juliane Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“. Die Technische Hochschule in Wien und der Nationalsozialismus, Wien 2003. Veterinärmedizinische Universität Wien: Fischer, „[…] grüßt die Tierärztliche Hochschule Wien […]“. Daneben gibt es mittlerweile auch viele Auseinandersetzungen mit der Geschichte einzelner Fakultäten oder Universitätsinstitute in der NS-Zeit, etwa der Theologie, der Philosophie, der Germanistik; vgl. exemplarisch: Mitchell G. Ash (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen/Wien 2010. 43 Elisabeth Klamper, Zur politischen Geschichte der Akademie der bildenden Künste 1918 bis 1948. Eine Bestandsaufnahme, in: Seiger/Lunardi/Populorum (Hg.), Im Reich der Kunst, S. 5–64; Nierhaus, Adoration. 44 Vorwort, in: Seiger/Lunardi/Populorum (Hg.), Im Reich der Kunst, S. 2.
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Verfolgten in den Reihen der Professoren und Lektoren, der Studierenden und des Verwaltungspersonals, stand bisher aus. Aus den genannten Arbeiten und einem jüngst erschienenen Aufsatz der früheren Bibliotheksleiterin45 sind bereits einige Namen von geschädigten Akademieangehörigen bekannt gewesen. Die Gesamterhebung dieser Namen blieb jedoch dem oben genannten Projekt vorbehalten. 4 Die Akademie in der NS-Zeit
Dem ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 folgte eine extrem rasche Gleichschaltung der Akademie, die in dieser Geschwindigkeit nur möglich war, weil der Boden gewissermaßen aufbereitet war. Die Anpassung an die neuen Verhältnisse vollzog sich im Gleichklang mit den übrigen Hochschulen des ehemaligen Österreich.46 Schon am 12. März 1938 betraute die Landesleitung Wien der NSDAP47 drei Männer – zwei Professoren und einen Lehrbeauftragten, alle aus dem Umkreis der Secessionisten48 – mit der kommissarischen Führung der Akademie. Dieses aus dem Leiter der Meisterschule für Malerei Ferdinand Andri, dem Professor für Malerei Wilhelm Dachauer und Alexander Popp (nachdem Andri 1939 in den Ruhestand trat49 nur mehr aus Dachauer und Popp) bestehende Leitungsgremium führte die Akademie bis zu Popps Ernennung zum Rektor im Sommer 1941. In der erweiterten Führung, dem sogenannten engeren Ausschuss, saßen auch der Leiter der Meisterschule für Bildhauerei Josef Müllner sowie der Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes und Leiter der Gemäldegalerie Robert Eigenberger.50 Die zentrale Figur im Leitungsgremium war der Architekt Alexander Popp,51 der zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ nur einen unentgeltlichen Lehrauftrag innehatte, mit 47 Jahren der jüngste unter seinen Kollegen war und durch seine 45 Beatrix Bastl, „Herrschaft des Abschaums“. Universitätsbibliothek und Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien von 1933 bis 1948, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2 (2012), S. 7–28. 46 Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 5. Zur Universität Wien vgl. Elisabeth Klamper, „Sie sollen sie nicht haben, des Ostens deutsche Mark, solange noch deutsche Knaben sie schirmen waffenstark“. Die Studenten und der „Anschluss“, in: Wien 1938 [Katalog der 110. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien], Wien 1988, S. 187–194; Herbert Posch, März 1938. „Anschluß“ und Ausschluss: Vertreibung der Studierenden der Universität Wien, in: Ders./Ingrisch/ Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss, S. 99–140. 47 Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 25. 48 Nierhaus, Adoration, S. 83. 49 UAAbKW, SProt., Sitzung vom 6. Juli 1939. 50 UAAbKW, SProt., Sitzung vom 14. Juni 1938. 51 Zu Popp und seiner Rolle siehe Nierhaus, Adoration, S. 83–85 und 95 f.
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Nominierung in die kommissarische Leitung einen großen Karrieresprung machte. 1940 wurde Popp zum ordentlichen Professor, ein Jahr darauf – wie erwähnt – zum Rektor der Akademie ernannt. Die Vertreter der Akademie hofften für das Renommee ihres Hauses, dass Wien wieder jene Bedeutung erhalten würde, die der Stadt als Zentrum der bildenden Künste in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zugekommen war,52 sie wurden in dieser Erwartung aber enttäuscht. Auf eine von der Akademie bereits im Juni 1938 vorgelegte Denkschrift, in der die angestrebte Entwicklung der Hochschule unter den neuen Verhältnissen zusammengefasst war,53 und ein im Herbst erstelltes sogenanntes Aufbauprogramm54 blieb die Antwort des zuständigen Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten lange aus. Erst im Dezember 1938 fand unter dem Vorsitz des Ministers Bernhard Rust im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin eine Sitzung sämtlicher Kunstakademien statt; auch sie blieb letztlich ohne greifbares Ergebnis.55 Die hochfliegenden Pläne eines Ausbaus der Akademie mussten begraben werden. Dennoch brachte die NS-Zeit der Akademie zwei konkrete Neuerungen: die Etablierung einer neuen, Anfang April 1940 in Kraft tretenden Studienordnung sowie die Einrichtung der neuen Meisterschule für Kunsterziehung im Jahr 1941. Was die Personalentwicklung während der NS-Zeit anbelangt, so sind vier Berufungen zu nennen. Herbert Dimmel (1938, Professor für Malerei), Fritz Behn (1940, Professor für Bildhauerei), Sergius Pauser (1943, Professor für Bildnismalerei) und Ernst August Mandelsloh (1941, Professor für Kunsterziehung) kamen neu an die Akademie.56 Außer diesen Professoren wurden bis 1945 insgesamt 18 Lehrbeauftragte sowie zehn Assistentinnen und Assistenten 52 Den Rang als ‚Zentrum der Moderne‘ hatte Wien in der Zwischenkriegszeit an Berlin, Paris und München abtreten müssen; siehe Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 12. Zu dem von österreichischer Seite bemühten Mythos von der ‚kulturellen Sendung Wiens‘ siehe Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 39 und Nierhaus, Adoration, S. 89. Auch an anderen Hochschulen waren die Erwartungen groß; vgl. für die Technische Hochschule Wien: Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 30. 53 UAAbKW, VA 590/1938, Denkschrift vom 23. Juni 1938. 54 Zweite Aufbauschrift vom 20. Oktober 1938, siehe Nierhaus, Adoration, S. 131, Fußnote 121. 55 Wagner, Geschichte, S. 337 f.; Nierhaus, Adoration, S. 93 f. 56 Zur Meisterschule für Kunsterziehung siehe Wagner, Geschichte, S. 340; zu den Berufungen dieser Zeit siehe im Detail Nierhaus, Adoration, S. 95–106. Jan Tabor schreibt fälschlich, dass auch Werner March, der Architekt des Berliner Olympiastadions, berufen worden sei. Das stimmt nur insofern, als die Berufung ausgesprochen wurde. Es kam aber bis Kriegsende nicht zum Abschluss der Berufungsverhandlungen, weil March sich erbat, seine definitive Zusage bis auf die Zeit nach dem Krieg verschieben zu dürfen. Siehe UAAbKW, VA 250/1940, March vom 30. April 1940; Jan Tabor, … und sie folgten ihm. Österreichische Künstler und Architekten nach dem „Anschluss“ 1938. Eine Reportage, in: Wien 1938, S. 407 f.
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neu eingestellt, unter ihnen mit Margarete Kalous (seit 1941),57 Elisabeth Huber (seit 1941),58 Erika Rieder (seit 1942),59 Friderike Ströbeck-Forner (seit 1944), Renate Rainer (seit 1944) und Maria-Magdalena Roeder (seit 1944) auch die ersten Frauen, die an der Akademie lehrten. Mit Ausnahme von Erika Rieder, Assistentin an der Meisterschule für Bühnenbildnerei und Festgestaltung, lehrten alle an der Meisterschule für Kunsterziehung, zumeist klassische weibliche Techniken wie Nadelarbeit oder Modezeichnung. Unter den 32 neuen Mitgliedern des Lehrkörpers waren nun erstmals auch sieben Personen, die nicht aus dem ehemaligen Österreich oder dem Gebiet der ehemaligen Monarchie, sondern aus dem ‚Altreich‘ stammten. Formal60 war die Akademie nach dem ‚Anschluss‘ der Abteilung IV des in Wien neu gegründeten Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten unterstellt, in das die Agenden des ehemaligen österreichischen Unterrichtsministeriums überführt worden waren. Der Leiter dieser Abteilung, Kajetan Mühlmann, stand in Personalunion auch der für kulturelle Angelegenheiten zuständigen Abteilung III des Reichsstatthalters in Österreich (Arthur Seyß-Inquart) vor. Ab 1. Februar 1940 fungierte das Generalreferat Kunstförderung des Reichsstatthalters in Österreich als übergeordnete Behörde der Akademie, ab 1. April 1940 dasselbe Referat des Reichsstatthalters in Wien. 4.1 Geschädigte Akademiebeschäftigte
Die Lehrenden an der Akademie der bildenden Künste sind vergleichsweise gut erforscht. Zu den ja durchwegs bekannten Künstlerpersönlichkeiten gibt es Veröffentlichungen. Man kennt die Opfer des NS-Regimes, und wenn eine Nähe zum NS-System bestand, ist das – nicht zuletzt durch die Studien von Klamper und Nierhaus – bekannt. Die nachfolgenden Bemerkungen bleiben daher kursorisch, sind 57 Ab 1945: Poch-Kalous. Sie war die erste weibliche Lehrende an der Akademie und spielte als einzige auch nach dem Krieg noch eine wichtige Rolle. Von 1945 bis 1947 leitete sie die Gemäldegalerie interimistisch; in diese Zeit fallen nicht zuletzt die Rückbergungen. Sie war damals als künftige Leiterin der Gemäldegalerie schon im Gespräch, musste aber vorerst hinter dem aus der Emigration zurückgekehrten Ludwig Münz zurücktreten und übernahm die Galerieleitung erst nach seinem Tod im Jahr 1957. Zu den Bergungen vgl. René Schober, „… da ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde.“ Bergungen und kriegsbedingte Verluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg, in: Pia Schölnberger/Sabine Loitfellner (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen, Wien/ Köln/Weimar 2016, S. 149–174. 58 Ab 1944: Huber-Rosenkranz. 59 Ab 1944: Scheppelmann-Rieder. 60 Diese Ausführungen folgen Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 40 f.
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aber insofern umfassender als frühere Ausführungen, als sie erstmals nicht bei den exponierten Vertretern des Hauses Halt machen, sondern alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Blick nehmen. Zu den ersten Amtshandlungen der im März 1938 etablierten kommissarischen Leitung der Akademie gehörte die Dienstenthebung von insgesamt 13 Angestellten: Neun Angehörige des Lehrkörpers sowie vier Angehörige des Verwaltungspersonals wurden, zunächst vorläufig, vom Dienst enthoben.61 Während die Namen der Lehrenden aus der Literatur bekannt waren (es sind dies die Professoren Albert Bechtold, Viktor Hammer, Clemens Holzmeister, Rudolf Marschall und Karl Sterrer, die Assistenten Erich Boltenstern und Eugen Wachberger sowie die Lehrbeauftragten Joseph Gregor und Lothar Wallerstein), wurden die Enthebungen im Verwaltungspersonal bislang nur summarisch erwähnt.62 Die vier Betroffenen des Verwaltungspersonals sind der Kanzleioberoffizial Richard Blach, die beiden Amtswarte Josef Grossauer und Alexander Kurz sowie der Vertragsbedienstete Franz Skaloud.63 In Relation zur Gesamtzahl der Beschäftigten waren damit 25,7 % der Lehrenden und 13,8 % der Angehörigen des Verwaltungspersonals (in Summe 20,3 % aller Angestellten) von den Enthebungen betroffen. Vier dieser vorläufigen Enthebungen wurden bis 1940 wieder rückgängig gemacht (Gregor, Grossauer, Kurz, Sterrer). Definitiv enthoben wurden also neun Personen, 20 % im Lehrkörper, 6,9 % im Verwaltungspersonal. Zusätzlich ist mit Karl Heinrich Brunner-Lehenstein ein weiterer Geschädigter zu nennen. Die Berufung des aus Niederösterreich stammenden und seit den 1920er Jahren in Südamerika lebenden Architekten an die Akademie wurde unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ annulliert. Er hätte Nachfolger von Peter Behrens werden sollen. Brunner-Lehenstein kehrte erst nach dem Krieg nach Österreich zurück und wurde Leiter der Stadtplanung in Wien.64 61 Vollständige Liste in UAAbKW, VA 1162/1938. Siehe zu den Personen im Detail: Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus, S. 40–46, und die Einträge in der Datenbank http://ns-zeit.akbild.ac.at [6. März 2017], zu den Enthebungen besonders UAAbKW, VA 392/1938; weiters UAAbKW, VA 308/1938; 721/1945; UAAbKW, unerschlossene Bestände, 858/geheim/1938; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep Kunst, Kunstsektion, Ktn. 63, Sign. 15 B 2a, 6426/1945; ÖStA/AdR, ZNsZ, RSthOe III, 75622/1939. 62 Wagner, Geschichte, S. 336; Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 5 f., 25–30 und 59, Fußnote 105; Bastl, „Herrschaft des Abschaums“, S. 11–14. 63 Zu Blach: UAAbKW, PA Richard Blach; VA 722/1939; VA 820/1939. Zu Grossauer: UAAbKW, PA Josef Grossauer; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Josef Grossauer. Zu Kurz: UAAbKW, PA Alexander Kurz; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Alexander Kurz. Zu Skaloud: UAAbKW, VA 1033/1939; VA 1108/1939. 64 UAAbKW, PA Karl-Heinrich Brunner-Lehenstein, VA 238/1938 und VA 282/1938; Wer ist wer in Österreich, Wien 19532, S. 410 (hier nach WBIS). Zusätzlich sind zwei Personen zu nennen, die
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Eine gesetzliche Grundlage für die Enthebungen gab es zunächst nicht. Sie wurde in Form der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 erst zweieinhalb Monate später nachgeliefert.65 Diese Verordnung sah eine Ruhestandsversetzung aller als jüdisch geltenden oder politisch missliebigen öffentlich Bediensteten vor, bot aber auch viel schwammigere Gründe,66 um öffentlich Bedienstete zu entlassen. Die vorgesetzte Behörde ließ sich wie an anderen Universitäten mit der definitiven Entscheidung darüber, wie mit den Enthobenen umgegangen werden soll, viel Zeit.67 Um die Jahreswende von 1938 auf 1939 drängte die Akademie, die unter Personalmangel litt, auf eine beschleunigte Entscheidung.68 Die Wiedereinstellungen erfolgten dann im Laufe des Jahres 1939, bei Grossauer erst 1940.69 Der einzige Enthobene jüdischer Konfession war, wie schon erwähnt, Lothar Wallerstein.70 Die meisten Dienstenthebungen erfolgten nicht aus ‚rassischen‘, sondern aus politischen Gründen. Dabei war nie die Nähe zur Sozialdemokratie ausschlaggebend, sondern immer das Naheverhältnis zum ‚Ständestaat‘. Clemens Holzmeister, der zwischen 1934 und 1938 Mitglied des Staatsrates und damit der prononcierteste Vertreter des ‚Ständestaates‘ an der Akademie war, ist das prominenteste Beispiel. Auch Richard Blach war dem neuen Regime verdächtig, er hatte beim HermaSchuschnigg-Fonds gearbeitet.71 Im Übrigen ist über die wahren Gründe für die Enthebungen nicht viel bekannt. Grundsätzlich boten die Veränderungen des März 1938 wohl oft auch einfach die Gelegenheit, sich bestimmter Personen zu entledigen. Das dürfte jedenfalls bei Rudolf Marschall, Leiter der Medailleurschule, und Albert Bechtold, Professor für Bildhauerei, der Fall gewesen sein. Beide verdankten ihre Berufungen offenbar politischen Interventionen und wurden von ihren Kollegen als
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trotz intensiver Recherche nicht identifiziert werden konnten: Gisella Bloch und ein Tischler namens Prager finden sich nur in einem einzigen – zudem recht fragwürdigen – Nachkriegsdokument. Dort heißt es, dass diese beiden, obwohl Juden, von Eigenberger auch nach dem ‚Anschluss‘ nicht fallen gelassen worden seien; UAAbKW, VA 265/1945. Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1938, Teil I, S. 607, mit der Kundmachung durch Reichsstatthalter SeyßInquart im Gesetzblatt für das Land Österreich (GBl. Ö), Nr. 160/1938, S. 445–449. Die Anwendung von § 6, der eine Entlassung selbst „zur Vereinfachung der Verwaltung oder im Interesse des Dienstes“ erlaubte, betraf etwa Viktor Hammer. An der Universität Wien kam es zur ersten großen ‚Säuberungswelle‘ am 22. April 1938; auch hier blieb die definitive Regelung der Enthebungen vorerst noch offen. Vgl. Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz“, S. 8. UAAbKW, VA 1315/1938 und VA 100/1939. ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Josef Grossauer. UAAbKW, VA 392/1938, VA 924/1938 und VA 570/1945; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep Kunst, Kunstsektion, Ktn. 63, Sign. 15 B2a, 6426/1945. UAAbKW, VA 526/1938 und VA 1037/1938.
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Abb. 1: Der Prähistoriker und Rektor der Universität Wien Oswald Menghin, unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ kurzzeitig Unterrichtsminister, präzisierte in diesem Rundschreiben die Erlässe, die Mitte März 1938 dazu führten, dass viele Beschäftigte die österreichischen Hochschulen aus ‚rassischen‘ oder politischen Gründen verlassen mussten.
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reine Protegés angesehen, von denen sich jene, die an der Akademie nun das Sagen hatten, gerne trennten.72 Der Architekt Erich Boltenstern, Assistent von Holzmeister, war mit einer Frau verheiratet, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als ‚Mischling ersten Grades‘ galt.73 Bei Joseph Gregor, der im Hauptberuf Leiter der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek war und an der Akademie einen Lehrauftrag für Theatergeschichte, Bühnenbau und Bühnendekorationswesen innehatte, wurde anfangs die arische Herkunft angezweifelt; außerdem hieß es, er sei „philosemitisch“.74 Der als technische Hilfskraft an der Architekturmeisterschule beschäftigte Architekt Eugen Wachberger galt als Regimegegner.75 Gegen den Professor der Malerei Karl Sterrer und gegen Josef Grossauer wurden letztlich Verfahren nach der Berufsbeamtenverordnung gar nicht erst eingeleitet (Grossauer blieb dennoch fast zwei Jahre dienstenthoben), das Verfahren gegen Alexander Kurz wurde eingestellt; nur Viktor Hammer wurde gemäß Berufsbeamtenverordnung gekündigt. Als Basis für die Kündigung von Franz Skaloud diente ein österreichisches Gesetz aus dem Jahr 1934.76 Drei Professoren gingen in die Emigration: Hammer nahm 1938 eine Gastprofessur an der Universität Aurora in den USA an und kehrte nach 1945 nicht mehr zurück. Holzmeister, zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ in der Türkei tätig, blieb dort bis 1954 und erhielt dann eine ordentliche Professur an der Akademie. Wallerstein emigrierte 1940 in die USA, wo er von 1941 bis 1946 Oberspielleiter der Metropolitan Opera in New York war und 1949 starb.77 Im Vergleich vor allem mit der Universität Wien war der Prozentsatz der an der Akademie der bildenden Künste zwangsweise aus dem Dienst geschiedenen Lehrpersonen mit 25,7 % gering. An der Philosophischen Fakultät der Universität Wien wurden – unter ordentlichen, außerordentlichen und emeritierten Professoren sowie Privatdozenten – unterschiedliche Anteile, aber jedenfalls zwischen 30 % und 50 %, 72 Zu Marschall: UAAbKW, VA 392/1938, VA 416/1938, VA 510/1938, VA 724/1938, VA 936/1939 und VA 1132/1939; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Josef Marschall. Zu Bechtold vor allem: UAAbKW, VA 611/1938 und VA 482/1939; PA Albert Bechtold; ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Albert Bechtold; Nierhaus, Adoration, S. 86–89. 73 UAAbKW, PA Erich Boltenstern. 74 ÖStA/AdR, ZNsZ, GA Joseph Gregor; Christina Gschiel, Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung, in: Eva Blimlinger/ Heinz Schödl (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 263–298. 75 ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep, PA Eugen Wachberger. 76 Zu diesen Personen vgl. unter anderem die Belege in Fußnote 63. 77 Vgl. zu den Professoren im Einzelnen die Einträge in der Datenbank http://ns-zeit.akbild.ac.at [6. März 2017].
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der Lehrpersonen aus ihren Positionen entfernt.78 Aus dem Lehrkörper der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät mussten 50 %, bei den Medizinern gar 67 % ausscheiden. Insgesamt verlor – so wurde 1990 erstmals errechnet – an der Wiener Universität „nahezu die Hälfte der Universitätslehrer“ ihre Position.79 Am ehesten vergleichbar ist die Situation an der Akademie mit jener an der Technischen Hochschule Wien und der Hochschule für Welthandel. An der Ersteren waren 16,8 % des Lehrkörpers betroffen, an der Letzteren 29,4 %.80 An der Hochschule für Bodenkultur wurde ein gutes Drittel der Lehrenden entlassen, nur an der Tierärztlichen und der Montanistischen Hochschule gab es gar keine Entlassungen. An der Akademie der bildenden Künste fiel die ‚Säuberung‘, so fasste es Jan Tabor 1988 zusammen, „wegen der ohnehin traditionellen großdeutsch-konservativen Einstellungen der Lehrerschaft verhältnismäßig unspektakulär aus“.81 4.2 Geschädigte Studierende 4.2.1 Die Datenerhebung
Spätestens wenn man den Fokus auf die Studierenden der Akademie legt, von denen oft nicht sehr viel mehr als ein magerer Studierendenakt vorhanden ist, zeigt sich, wie schwierig es ist, eine Schädigung überhaupt festzustellen. Die Beschäftigten standen in einem Vertragsverhältnis zur Akademie, dieses wurde im Fall einer Entlassung gelöst. Studierende aber verließen die Hochschule, indem sie einfach nicht mehr inskribierten, sie ‚verschwanden‘, und die vorhandenen Studierendenakten enthalten nur ganz selten Hinweise darauf, warum sie das taten. Sie allein sind in dieser Hinsicht in den allermeisten Fällen nicht aussagekräftig genug,82 andere Quellen müssen zurate gezogen werden. Da die Akademie weder eine vorgegebene Studiendauer noch einen formalen Studienabschluss kannte, lässt sich nicht einmal sagen, ob ein solches ‚Verschwinden‘ vorzeitig war. Auch die Titel, die Abgängerinnen und Abgänger der Akademie trugen 78 Sebastian Meissl, Wiener Universitäten und Hochschulen, in: Wien 1938, S. 198. 79 Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz“, S. 7. 80 Berechnungen auf Basis der Zahlenangaben von Meissl, Wiener Universitäten, S. 198. Mikoletzky („Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 20 f.) nennt für die Technische Hochschule 40 Enthebungen unter den 309 in wissenschaftlicher Verwendung stehenden und acht unter den 193 nichtwissenschaftlichen Bediensteten, also Prozentsätze von 3,1 % bzw. 13 %. 81 Tabor, … und sie folgten ihm, S. 407. 82 Die Studierendenakten sind knapp gehaltene Dokumente, die neben den notwendigen, auf einem Formular oder dem beiliegenden ‚Nationale‘ festgehaltenen Studien- und Personaldaten sowie den inskribierten Semestern nur selten weitere Informationen bieten.
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(akademischer Maler, akademischer Bildhauer, akademischer Konservator usw.), sind kein Hinweis auf ein ‚abgeschlossenes‘ Studium. Denn jede Person, auch wenn sie nur für kurze Zeit eine Meisterschule besucht hatte, durfte sich so nennen. Diese Titel genossen denn auch keinen gesetzlichen Schutz.83 Anders als bei anderen Hochschulen ist die Frage, was ein Normstudienabschluss an der Akademie ist, also nicht leicht zu beantworten. Daraus ergibt sich für die hier interessierende Thematik zweierlei: Einerseits ist schwer festzumachen, in welchen Fällen ein Austritt aus der Akademie als Studienabbruch zu werten ist. Andererseits stellt sich im Zusammenhang mit der Akademie der bildenden Künste die Frage der Aberkennung akademischer Titel nicht. Von dieser an anderen Hochschulen während der NS-Zeit gängigen Praxis84 waren die Abgängerinnen und Abgänger der Akademie der bildenden Künste nicht betroffen, da die hier gebräuchlichen Titel eben keine verliehenen akademischen Titel waren und daher nicht aberkannt werden konnten. Grundsätzlich kann daher jeder Student oder jede Studentin des Wintersemesters 1937/38, der oder die im Sommersemester 1938 nicht mehr eingeschrieben war, die Hochschule unfreiwillig verlassen haben. Von Relegierungen aus ‚rassischen‘ Gründen ist mit Sicherheit bei jenen Studierenden auszugehen, die im Studierendenbogen als Konfession ‚mosaisch‘ angegeben hatten. Doch die Gruppe der aus ‚rassischen‘ Gründen Verfolgten definiert sich nicht nur durch die konfessionelle Zugehörigkeit. Sie war größer und basierte auf den Festsetzungen der ‚Nürnberger Gesetze‘. Über Studierende aber, die nach diesen Gesetzen als Juden oder als ‚Mischlinge‘ galten, geben die Studierendenbögen keine Auskunft. Dasselbe gilt für Hörerinnen oder Hörer, die die Hochschule aus anderen Gründen verließen – etwa weil das neue Regime sie zu den politischen Gegnern zählte; auch sie sind bloß aus den Angaben des Studierendenaktes nicht zu identifizieren. Ob jemand Opfer des NS-Regimes wurde, erschließt sich daher meist erst aus zusätzlichen und an anderen Orten aufzuspürenden Informationen, wie beispielsweise aus der Tatsache der Emigration oder aus dem Eintrag in einer der Opferdatenbanken.85 Umgekehrt kann man daraus, dass etwa ein 83 Die Situation ist in einem Nachkriegsakt genau beschrieben: ÖStA/AdR, UWK BMU 2Rep Kunst, Kunstsektion, Ktn. 63, Sign. 15 B1, 50390/1952. „Einen äußerlich sichtbaren Titel, es sei denn jenen eines akademischen Malers, Bildhauers usw., kann die Akademie nicht verleihen. Es gibt nur den inneren Titel der Kunst, den sich unzählige Meister, die hier einst Schüler waren, errungen haben.“ Gregor, Akademie, S. 82. 84 Basis für die Aberkennung akademischer Grade im Nationalsozialismus waren das Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 (RGBl. 1939/I, S. 985) und die Durchführungsverordnung vom 21. Juli 1939 (RGBl. 1939/I, S. 1326); vgl. Posch/Stadler, „… eines akademischen Grades unwürdig“. 85 Für Österreich besonders: Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus, https://www.findbuch.at und Opfersuche des DÖW – Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: http://www. doew.at/ [beide 6. März 2017].
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männlicher Student zur deutschen Wehrmacht eingezogen wurde (was oft durch den Hinweis im Studierendenakt, dass der Betreffende gefallen ist, bekannt ist), indirekt schließen, dass dieser Student nicht als Jude im Sinne der ‚Nürnberger Gesetze‘ galt.86 Für die Untersuchung wurden alle Studierenden des Jahrganges 1937/38 (also des Wintersemesters 1937/38 und des Sommersemesters 1938, des ersten nach dem ‚Anschluss‘ beginnenden Semesters) erhoben.87 Unter den Studierenden dieses Studienjahres müssen sich die Relegierungen aus ‚rassischen‘ Gründen finden, denn danach war es Juden nicht mehr gestattet zu studieren. Relegierungen aus anderen Gründen konnten sich theoretisch auch noch später ereignet haben. Auf die Erhebung aller Personen, die zwischen dem Studienjahr 1937/38 und dem Studienjahr 1944/45 an der Akademie inskribiert waren, wurde aus einem einfachen Grund jedoch verzichtet: Es kann hier – mit Ausnahme der ‚Mischlinge‘ – keine aus ‚rassischen‘ Gründen Verfolgten mehr geben. Diese sind aber die Einzigen, die sich durch den Abgleich der Namen in den einschlägigen Opferdatenbanken identifizieren lassen. Studierende, die nach dem Sommersemester 1938 an der Akademie eingeschrieben waren und zu Opfern des NS-Regimes wurden, mussten auf anderem Weg aufgespürt werden. Tatsächlich fanden sich im Zuge der Durchsicht der Verwaltungsakten der Akademie noch andere Geschädigte. Den Begriff der Schädigung fasst die vorliegende Untersuchung sehr weit. So ging es bei der Identifizierung der Geschädigten an der Akademie der bildenden Künste in Wien nicht ausschließlich darum, Personen zu nennen, die durch die Akademie bzw. in ihrem Fortkommen an der Akademie geschädigt wurden. Es sollten alle Personen aufgespürt werden, die in irgendeiner Weise mit der Akademie verbunden waren und durch das NS-Regime zu Schaden gekommen sind. Für die Gruppe der Studie86 Bei manchen Studierendenakten finden sich Korrespondenzen aus der Nachkriegszeit, die sich auf die Beschaffung verloren gegangener Zeugnisse, manchmal auch auf die Verleihung des Goldenen Diploms oder des erst nach dem Krieg geschaffenen Titels Magister Artium beziehen. Solche Splitter belegen zumindest, dass die betreffende Person Krieg und/oder Verfolgung überlebt hat. 87 Als Ausgangsmaterial zur Erhebung der Studierenden dienten die Schülerlisten, im Archiv der Akademie als Abschriften vorliegende Verzeichnisse, die – semesterweise und nach Klassen geordnet – die Studierenden der Akademie auflisten. Sie existieren durchgängig bis zum Studienjahr 1942/43. Die für das gegenständliche Projekt relevanten Listen waren jene für das Studienjahr 1937/38. Sie sollten eigentlich alle Studierenden des Wintersemesters 1937/38 und jene des Sommersemesters 1938 erfassen. Das Wintersemester war noch vor dem ‚Anschluss‘ zu Ende, das Sommersemester startete im März, der reale Lehrbetrieb blieb aber wie an den übrigen Hochschulen nach dem ‚Anschluss‘ vorerst ausgesetzt und begann verspätet. Die Hochschulen wurden erst am 25. April 1938 wiedereröffnet; vgl. Mikoletzky, „Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung“, S. 19. Aus den Schülerlisten konnten insgesamt 231 Namen erhoben werden, die zusätzliche Durchsicht der Studierendenakten erbrachte weitere 58 Namen. Das Sample, auf Basis dessen im Folgenden Aussagen getroffen werden, umfasst also die Namen von insgesamt 289 Hörerinnen und Hörern.
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renden bedeutet das, all jene Personen zu identifizieren, die nach dem ‚Anschluss‘ ihr Studium aus ‚rassischen‘, politischen oder anderen Gründen (‚Erbkrankheit‘, Homosexualität, Desertion) nicht fortsetzen oder antreten konnten. Bei der Analyse unberücksichtigt blieben Personen, die als Angehörige sogenannter Feindstaaten oder wegen unerwünschter ‚Volkszugehörigkeit‘ einem Studienverbot unterlagen;88 Hörerinnen und Hörer, die 1943/44 der von der NS-Studentenführung initiierten sogenannten ‚Ausmerzaktion‘ zum Opfer fielen;89 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die ihr Staatsreisestipendium 1938 nicht in Form von Geld erhielten, sondern nur an einer gemeinsamen Reise ins ‚Altreich‘ teilnehmen konnten;90 schließlich jene Studierenden der Akademie, die im Holocaust Angehörige verloren haben. 4.2.2 Antijüdische Maßnahmen an den Hochschulen
Der Anteil der jüdischen Hörer und Hörerinnen an der Akademie war schon in der Zwischenkriegszeit sehr gering. Er lag im Wintersemester 1929/30 bei 5,7 % (16 von 277). Die antijüdischen Maßnahmen an den Hochschulen nach dem ‚Anschluss‘ betrafen freilich nicht nur diese, sondern alle nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als Juden geltenden Personen und in weiterer Folge auch die als ‚Mischlinge‘ kategorisierten Menschen. Studierende, die nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ als Juden galten, wurden ab dem März 1938 schrittweise vom Besuch der Hochschulen ausgeschlossen. Teilweise konnten die Universitäten auch eigenmächtig handeln.91
88 So durften etwa russische ‚Volksangehörige‘ aus den ehemaligen polnischen und den besetzten sow jetrussischen Gebieten ab März 1942 grundsätzlich nicht mehr immatrikulieren; UAAbKW, unerschlossene Bestände, 62/geheim/1942; vgl. zu den Ukrainern: UAAbKW, unerschlossene Bestände, 74/geheim/1942. Auch ‚Reichsdeutsche tschechischer Volkszugehörigkeit‘ durften (ab 1942) nicht mehr inskribieren; UAAbKW, SProt., Sitzung vom 8. Oktober 1942. 89 Bei dieser Aktion wurden Studierende während des Studiums in künstlerischer Hinsicht noch einmal überprüft. Wie viele Studierende dieser Aktion zum Opfer fielen, ist nicht bekannt. Dieser Eingriffsversuch der Studentenführung in fachliche Belange des Professorenkollegiums führte jedenfalls zu großer Verstimmung in der Professorenschaft; UAAbKW, SProt., Sitzungen vom 1. Juli 1943, 17. Juni 1944, 30. Juni 1944 und 1. Juli 1944. 90 Glaubt man der Argumentation der kommissarischen Leitung, so entstand die Idee, die Einzelpreise in eine gemeinsame Autobusreise ins ‚Altreich‘ (mit entsprechender ‚weltanschaulicher Führung‘) umzuwandeln, aus der Befürchtung, dass die Schlussarbeiten infolge der monatelangen Studienunterbrechung nach dem ‚Anschluss‘ nicht so qualitätvoll sein würden, dass man Meisterschulpreise vor der Öffentlichkeit hätte rechtfertigen können; UAAbKW, VA 380/1938. Ein Betroffener bezeichnete die Vorenthaltung der pekuniären Form des Staatsreisestipendiums nach dem Krieg als Beschlagnahme; UAAbKW, Stud. 1468, Friedrich Cernajsek. 91 Die Ausführungen folgen Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 30–38.
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Am 29. März 1938 wurde verfügt, dass „inländische Juden“ für das Sommersemester 1938 nicht mehr inskribieren durften und bereits getätigte Inskriptionen nur bedingt galten.92 Vom 1. April 1938 an, als dieser Erlass am Schwarzen Brett der Akademie angeschlagen wurde, mussten jeder Hörer und jede Hörerin bei der Inskription eine schriftliche Erklärung abgeben, „nicht Jude [zu sein] und nicht als Jude zu gelten“.93 Bei der Überprüfung der Studierenden bezüglich ihres Status nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ dürfte die Akademie der bildenden Künste nicht sehr streng vorgegangen sein. Lange wurde nur diese „mehr oder weniger unkontrollierbare ehrenwörtliche Erklärung“94 verlangt. Ein regelrechter ‚Ariernachweis‘ musste auch im Wintersemester 1938/39 noch nicht erbracht werden.95 Hermine Hauser, die seit dem Wintersemester 1941/42 NS-Studentenführerin an der Akademie war und als solche durch besondere Verbissenheit auffiel, behauptete noch 1942, dass die Akademie den ‚Ariernachweis‘ nicht verlange. Sie nahm die Sache sofort in die Hand, provozierte einen Konflikt mit Professorenkollegium und Rektorat und setzte letztlich durch, dass Studierende von nun an bei der Inskription bestätigen mussten, nicht ‚Mischling‘ ersten oder zweiten Grades zu sein.96 Hierbei handelt es sich um eines von zahlreichen Beispielen, die belegen, dass das NS-Studentenwerk sich in Angelegenheiten der Führung der Akademie einmischte und dabei beträchtliche Macht erreichte.97 Seit dem 23. April 1938 galt für inländische jüdische Studierende ein Numerus clausus von 2 %, der ausgeschöpft werden konnte, aber nicht musste.98 Ein Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 20. Juni 1938 erlaubte Juden und Jüdinnen, die noch studierten, ihre Abschlussprüfungen bis zum Ende
92 UAAbKW, VA 301/1938. 93 Hier zit. nach dem Studierendenakt von Maria Immaculata Rappaport, UAAbKW, Stud. 1649. Dieses Papier ist bei manchen Studierendenakten noch erhalten. Manchmal findet sich auf dem Akt auch nur der handschriftliche Zusatz „Arierstatus angemerkt“. Diese frühen Erhebungen sind ungenau. Einerseits enthält nur die Minderheit der Akten diesen Zusatz, andererseits stammten die Angaben von den Studierenden selbst. Rappaport erklärte zum Beispiel am 26. April 1938, nicht Jüdin zu sein. Nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ galt sie aber als ‚Mischling‘ und musste die Hochschule nach dem Wintersemester 1937/38 verlassen; ebd. 94 UAAbKW, VA 952/1938; Studentenwerk Wien vom 22. Oktober 1938. 95 Obwohl es etwa zur selben Zeit auch hieß, dass Studierende, die Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen waren, von der Beibringung eines ‚Ariernachweises‘ befreit seien – was ja insinuiert, dass ein solcher erbracht werden musste; UAAbKW, VA 1202/1938. 96 UAAbKW, VA 622/1942. 97 Vgl. auch UAAbKW, unerschlossene Bestände, 120/geheim/1944 und die weiter oben beschriebene ‚Ausmerzaktion‘. 98 UAAbKW, VA 375/1938; Konkretisierung: VA 426/1938.
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des Studienjahres 1937/38 abzulegen.99 Vier Monate später, am 21. Oktober 1938, verfügte dasselbe Ministerium – übrigens im Vorgriff auf eine reichseinheitliche Regelung –, dass Juden und Jüdinnen an Hochschulen nicht mehr immatrikulieren und auch zur Promotion nicht mehr zugelassen werden durften.100 Ab 11. November 1938 war es Rektoren erlaubt, jüdische Studierende grundsätzlich vom Betreten der Universitäten auszuschließen,101 und ab 8. Dezember 1938 war als Juden geltenden Personen ein Studium an deutschen Hochschulen generell verboten.102 Die ‚Nürnberger Gesetze‘, die am 20. Mai 1938 in Österreich in Kraft traten,103 kannten neben ‚Volljuden‘ auch die schon mehrfach erwähnte Kategorie der ‚Misch linge‘. Diesen standen die Hochschulen unter bestimmten Bedingungen noch offen. Ihr Anteil durfte einen vorgegebenen Prozentsatz jedoch nicht überschreiten, und ihre Zulassung musste in jedem Einzelfall – seit Ende 1941 vom Reichswissenschaftsministerium – genehmigt werden. Selbst wenn sie diese Zulassung erlangten, waren sie benachteiligt: Zwar war ihr genereller Ausschluss von den Staatsprüfungen104 für das Studium an der Akademie irrelevant, da es Staatsprüfungen hier nicht gab. Doch es hieß explizit, dass sie auch von der staatlichen Prüfung für das Lehramt des Zeichnens und der Handarbeit an Mittelschulen ausgeschlossen waren.105 Damit war ‚Mischlingen‘ das Studium der Kunsterziehung, das an der Akademie seit 1941 angeboten wurde, praktisch verwehrt – lag dessen einziger Zweck doch in der Ausbildung von Lehrkräften für Schulen. Außerdem waren die Schlusszeugnisse für ‚Mischlinge‘, die ein Architekturstudium absolvierten, minderwertig. Sie mussten nämlich eine Klausel enthalten, dass der Studienabschluss nicht zur Ausübung eines öffentlichen Amtes im Deutschen Reich berechtigte.106 Da es aber unter den als ‚Mischlinge‘ kategorisierten Studierenden nur einen Architekturstudenten gab und dieser sein Studium erst nach dem Krieg abschloss,107 kam es an der Akademie der bildenden Künste in Wien nie zur Ausstellung eines solchen Zeugnisses.
99 UAAbKW, VA 625/1938. 100 UAAbKW, VA 964/1938; Konkretisierung: VA 1009/1938. 101 UAAbKW, VA 1250/1938. 102 Nach Michael Jung, „Voll Begeisterung schlagen unsere Herzen zum Führer“. Die Technische Hochschule Hannover und ihre Professoren im Nationalsozialismus, Norderstedt 2013, S. 351. 103 RGBl. 1938/I, S. 594 f., und GBl. Ö, Nr. 150/1938, S. 420–423. 104 Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 13. Januar 1939, zit. bei Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 31. 105 UAAbKW, VA 226/1939. 106 Ebd. 107 UAAbKW, Stud. 3482, Eduard Henrich.
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4.2.3 Vertriebene des Jahres 1938
Unter den Studierenden des Wintersemesters 1937/38 gab es insgesamt zehn Studierende jüdischer Konfession.108 Sie stellten damit 3,6 % aller an der Akademie inskribierten Hörerinnen und Hörer. Drei von ihnen stammten aus dem Ausland. Im Vergleich mit anderen Hochschulen war der Anteil der jüdischen Studierenden damit sehr gering.109 Unter ihnen überwogen die Hörerinnen, und umgekehrt waren fast 7 % der weiblichen Studierenden jüdischer Konfession, während dieser Anteil bei den männlichen Studierenden 2 % betrug. Die Zahl von zehn Studierenden ist an sich zu gering, um hier gültige Schlüsse ziehen zu dürfen. Doch es ist für die Akademie bereits an anderer Stelle festgehalten worden, dass sich dieses Phänomen durchzog, seit es Frauen erlaubt war, an der Kunsthochschule zu studieren. Wie andere Hochschulen war auch die Akademie ab dem Wintersemester 1921/22 erstmals für Frauen zugänglich.110 Für sie gab es zuvor die Möglichkeit einer künstlerischen Ausbildung nur an der Frauenakademie.111 Von jenen 204 Frauen, die seit damals bis zum Studienjahr 1934/35 an der Akademie studierten, waren insgesamt 16,2 % jüdischer Konfession.112 Warum unter den Frauen, die an der Akademie im Vergleich zu anderen Hochschulen an sich schon stark vertreten waren, Frauen jüdischer Konfession stärker vertreten waren als Männer jüdischer Konfession unter den männlichen Studierenden, muss eine offene Frage bleiben. Nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ galten mindestens weitere zehn Studierende als „Juden“ oder „jüdische Mischlinge“.113 Ein Student emigrierte überdies, ohne dass wir heute wissen, ob er zur Gruppe der ‚rassisch‘ Verfolgten gehörte oder ob er aus anderen Gründen ins Ausland ging. Diese 21 Studierenden, bei denen es sich um 108 Dieser Befund widerspricht der von Klamper (Zur politischen Geschichte, S. 24) aufgestellten Behauptung, dass zwischen 1934 und 1938 nur acht Hörerinnen und Hörer der Akademie angegeben hatten, mosaischen Glaubens zu sein. 109 Auf diesen Umstand verweist schon Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 13 und 24. 110 Dazu siehe vor allem Poch-Kalous, Frauenstudium; Wagner, Geschichte, S. 296. 111 Siehe Sabine Forsthuber, Vom Ende der Wiener Frauenakademie in der NS-Zeit, in: Seiger/Lunardi/ Populorum (Hg.), Im Reich der Kunst, S. 217–246; Poch-Kalous, Frauenstudium, S. 206. 112 Rebecca Cäcilia Loder, Die ersten jüdischen Studentinnen an Österreichs Universitäten (bis 1939). Eine Darstellung anhand autobiografischer Texte, Diplomarbeit Universität Graz 2011, http://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/212946 [6. März 2017], S. 80–84 und 122 f. Loder bezieht sich auf Barbara Doser, Das Frauenkunststudium in Österreich 1870–1935, Dissertation Universität Innsbruck 1988. 113 So die Begriffe in den ‚Nürnberger Gesetzen‘. Vgl. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz (RGBl. 1935/I, S. 1333 f., § 2 und § 5). Zur Schwierigkeit, diese Personen zu identifizieren, vgl. Posch/Ingrisch/Dressel, Einleitung, S. 30 f.
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neun Männer und zwölf Frauen handelte, waren die ersten Geschädigten der Akademie. Sie stellen 7,3 % der Hörerzahl des Jahrganges 1937/38. Die Betroffenen entsprachen durchaus nicht dem Bild einer jungen Studentengruppe: Niemand war jünger als 20 Jahre, 13 waren in ihren Zwanzigern, vier in ihren Dreißigern, vier sogar über 40 Jahre alt; das Durchschnittsalter der Gruppe lag bei 30 Jahren. Viele hatten zuvor schon andere Ausbildungen absolviert oder begonnen: Sechs kamen von der Kunstgewerbeschule, zwei von der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, vier hatten sogar schon an einer Hochschule studiert, nur fünf kamen direkt vom Gymnasium. Zwei von ihnen wollten im Sommersemester 1938 das erste Mal studieren, sie konnten ihr Studium aber nicht mehr aufnehmen; acht hatten vor dem ‚Anschluss‘ erst ein Semester an der Akademie inskribiert gehabt. Nur drei hatten bereits mehr als vier Semester an der Akademie verbracht. Fünf durften die Akademie im Sommersemester 1938 noch besuchen, drei nachweislich mit Ausnahmegenehmigung.114 14 von ihnen sind in Wien geboren, 18 hatten die österreichische Staatsbürgerschaft. Neben den genannten zehn jüdischen Studierenden gehörten fünf Studierende der katholischen, fünf weitere der evangelischen Kirche an. Eine Studentin war alt-katholisch. Fünf studierten Architektur bei Holzmeister, sechs szenische Kunst bei Emil Pirchan, drei Bildhauerei bei Bechtold, zwei Konservierung bei Eigenberger, nur fünf verteilten sich auf die verschiedenen Malerschulen. Von diesen 21 Studierenden gelang 15 nachweislich die Flucht; bei dreien verlieren sich danach die Spuren. Unter den sechs Personen, bei denen sich nicht eruieren ließ, ob sie emigrierten, haben nachweislich vier Menschen überlebt. In der Gruppe der 21 Personen konnten keine Opfer des Holocaust festgestellt werden, die älteste unter ihnen – Luise Fraenkel-Hahn – starb allerdings auf der Flucht in Paris; sie war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt. Das Schicksal von fünf Personen ist zwar unbekannt, ihre Namen finden sich jedoch nicht in den einschlägigen Opferdatenbanken. Zuletzt sei noch erwähnt, dass unter den Studierenden des untersuchten Studienjahres zwei Personen ihr Leben durch Selbstmord beendeten: der 27-jährige Sohn eines Bezirksfürsorgesekretärs aus Horn in Niederösterreich im November 1938115 und der 29-jährige Sohn eines Landwirts in Ullrichskirchen am 28. April 1938.116 Beide waren Studenten der Bildhauerei. Es ist unbekannt, ob die Selbstmorde in ursächlichem Zusammenhang mit den politischen Veränderungen standen.
114 Anträge auf Studienfortsetzung liegen vor von Hans Hitschmann, Ludwig Mestler und Margarete Zak; UAAbKW, VA 418/1938. 115 UAAbKW, Stud. 1182. 116 UAAbKW, Stud. 2028.
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Verfolgte Studierende – Kurzbiografien
Die Bankiersgattin Lotte Aninger (geb. 20. Mai 1905 in Bamberg [Deutschland], österreichische Staatsbürgerin, „mosaisch“) war im Wintersemester 1937/38 Hospitantin an der Meisterschule für szenische Kunst bei Pirchan. Am 25. Juli 1938 unterschrieb sie ihre Vermögensanmeldung, am 29. September 1938 verließ sie Österreich und reiste mit ihren Eltern nach Tyrnau/Trnava (Slowakei). Später emigrierte sie in die USA, von wo aus sie nach dem Krieg einen Rückstellungsantrag auf das 1941 beschlagnahmte Vermögen der Familie stellte. Ihr Vater war im November 1938 auf der Flucht gestorben, ihre Mutter und ihr Mann waren ebenfalls in die USA emigriert.117 Anna Barer (geb. 9. Oktober 1912 in Gródek [Galizien, Ukraine/Polen], österreichische Staatsbürgerin, „mosaisch“) studierte seit 1932 Bildhauerei an der Akademie. Die Meisterschule bei Bechtold konnte sie nur mehr für ein Semester besuchen. Am 8. September 1938 verließ sie Wien und emigrierte mit ihren Eltern, die ein Lebensmittelgeschäft im 20. Gemeindebezirk geführt hatten, über Belgien nach New York. Das Vermögen der Familie fiel später nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz118 an das Deutsche Reich. Nach dem Krieg korrespondierte sie mit der Akademie wegen Zeugnisduplikaten.119 Gottfried Berger (geb. 16. Mai 1915 in Wien, österreichischer Staatsbürger, „mosaisch“) studierte nur ein Semester an der Akademie, wo er die Meisterklasse für Architektur bei Holzmeister belegte. Er lebte bei seinen Eltern, die eine Antiquitäten- und Kunsthandlung im 6. Wiener Gemeindebezirk betrieben. Am 15. September 1938 meldete er sich aus der gemeinsamen Wohnung nach Schanghai ab. Auch den Eltern gelang die Flucht: Ihre Abmeldung nach London datiert vom 10. März 1939.120
117 UAAbKW, Stud. 1728; ÖStA/AdR, E-uReang Hilfsfonds, AbgF 10175 Georg Aninger [Gatte von L. A.]; ÖStA/AdR, E-uReang, FLD 14871 Viktor Treumann [Vater von L. A.]; ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, VA 45959 Lotte Aninger. 118 RGBl. 1941/I, S. 722 ff. 119 UAAbKW, Stud. 1297; ÖStA/AdR, E-uReang, FLD 10926 Jakob Barer [Vater von A. B.]; Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Meldeauskunft. 120 UAAbKW, Stud. 1692; ÖStA/AdR, E-uReang, FLD 9904 Rudolf Berger [Vater von G. B.]; WStLA, Meldeauskunft.
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Die in Amsterdam aufgewachsene Feda Berler (geb. 20. April 1896 in Görlitz/ Gorlice [Polen], österreichische Staatsbürgerin, „mosaisch“) schrieb sich 1936 an der Bildhauerschule bei Bechtold ein. Ihr Vater lebte zu diesem Zeitpunkt als Kaufmann in Antwerpen. Berler unterbrach ihr Studium nach dem Wintersemester 1937/38 „krankheitshalber“, wie es hieß. Ihr letztes Zeugnis stammt vom 14. April 1938, danach verlieren sich ihre Spuren. Ihr Name findet sich weder in den Datenbanken der Holocaustopfer noch im Wiener Melderegister.121 Die zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ knapp 60-jährige Malerin Luise Fraenkel-Hahn (geb. 12. Juli 1878 in Wien, österreichische Staatsbürgerin, röm.-kath., nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jüdin oder ‚Mischling‘), Mitbegründerin und Präsidentin der ‚Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs‘ und Gattin des Malers Walter Fraenkel, hatte fünf Semester bei Eigenberger an der Fachschule für Konservierung und Technologie studiert. Sie emigrierte nach Paris, wo sie 1939 starb. Ihr Mann gilt seit 1940 als in Frankreich verschollen.122 Max Heine-Geldern (geb. 9. Juli 1916 in Wien, österreichischer Staatsbürger, röm.-kath., nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jude oder ‚Mischling‘) hatte drei Semester szenische Kunst bei Pirchan studiert, bevor er die Akademie nach dem Sommersemester 1938 verließ. Er erklärte zwar, nicht jüdischer Herkunft zu sein, entstammte mit größter Wahrscheinlichkeit aber der Familie Gustav Heine-Gelderns, der ein Bruder Heinrich Heines war und bei seiner Erhebung in den österreichischen Ritterstand 1867 den Namen ‚von Heine-Geldern‘ erhielt. Aus der Linie seines Sohnes Maximilian stammte auch der Völkerkundler Robert Heine-Geldern, von dem man weiß, dass er 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft emigrieren musste. Max’ Vater war Adolf Heine-Geldern, der 1904 am Wiener Gymnasium Stubenbastei maturiert hatte, dann Beamter und nach dem Krieg Übersetzer aus dem Französischen war. Max Heine-Geldern 121 UAAbKW, Stud. 1671; keine Suchergebnisse: WStLA, Meldeauskunft; Archiv der IKG Wien, Auswandererkartei; Matrikenamt der IKG Wien; Friedhöfe Wien, Verstorbenensuche, http:// www.friedhoefewien.at; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, http:// yvng.yadvashem.org/; Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus, https://www.findbuch.at [6. März 2017]. 122 UAAbKW, Stud. 1557; WBIS: diverse Einträge; Österreichische Nationalbibliothek, Frauen in Bewegung: 1848–1938, http://www.fraueninbewegung.onb.ac.at/Pages/PersonDetail.aspx?p_iPersonenID=8675231 [17. Mai 2016]; http://www.skgal.org/einladung-zur-recherche-invitation-toinvestigate/ [26. Juli 2015].
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starb 1964, ein Jahr vor seinem Vater, und ist in einem Familiengrab in Wien beigesetzt.123 Hans Hitschmann (geb. 1. September 1913 in Wien, österreichischer Staatsbürger, „mosaisch“) war Sohn eines Arztes. Da die Eltern kurz hintereinander im April 1919 starben, war er seit seinem sechsten Lebensjahr Vollwaise. Im Wintersemester 1937/38 inskribierte er Architektur an der Akademie. Deren kommissarische Führung ließ ihn zum Studium im Sommersemester 1938 noch zu. Am 8. Juli 1938 legte Hitschmann eine Vermögensanmeldung vor, am 14. September 1938 meldete er sich aus seiner Wohnung in Wien nach „unbekannt“ ab. Danach verlieren sich seine Spuren. Auch weil sich sein Name in den einschlägigen Opferdatenbanken nicht findet, ist anzunehmen, dass er emigrieren konnte.124 Stefan Laad (geb. 5. Mai 1917 in Sarajevo [Jugoslawien], österreichischer Staatsbürger, röm.-kath., nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jude oder ‚Mischling‘), Sohn eines Prokuristen, studierte im Wintersemester 1937/38 an der Akademie, die er anschließend verließ. Er war auch Musiker und ist im 1940 herausgegebenen Lexikon der Juden in der Musik genannt. Über sein Schicksal in der NS-Zeit ist nichts bekannt. Nach dem Krieg trat er als Autor verschiedener Musikschulen (für Keyboard und Orgel) hervor.125 Marya Lilien (geb. 27. März 1906 in Lemberg [Polen], polnische Staatsbürgerin, „mosaisch“) studierte ein Semester als Hospitantin an der Akademie szenische Kunst bei Holzmeister. Ihr Studierendenakt ist einer der wenigen, der mit dem Vermerk „scheidet wieder aus (Schulg[eld] nicht bezahlt.) da Jüdin“ den Grund für ihren Abgang nennt. Lilien hatte schon zuvor eine Architekturausbildung in Polen absolviert und außerdem als erste Frau bei Frank Lloyd Wright in den USA gelernt. Nach dem ‚Anschluss‘ ging sie – über Polen – wieder in die USA, wo sie bis 1967 in Chicago an der School of the Art Institute of Chicago und später am 123 UAAbKW, Stud. 1660; WBIS; Friedhöfe Wien, Verstorbenensuche; Gymnasium Realgymnasium 1, AbsolventInnen, http://www.stubenbastei.at/?page_id=2559 [17. Mai 2016]. 124 UAAbKW, Stud. 1741; UAAbKW, VA 418/1938; ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, VA 9383; Matrikenamt der IKG Wien, GB 1546/1913; WStLA, Meldeauskunft; keine Suchergebnisse: Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; DÖW, Opfersuche. 125 UAAbKW, Stud. 1717; Theo Stengel/Herbert Gerigk (Bearb.), Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke (= Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage, Bd. 2), Berlin 1940.
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Columbia College lehrte. 18 Monate vor ihrem Tod Anfang 1998 kehrte sie nach Polen zurück.126 Ludwig Mestler (geb. 25. August 1891 in Wien, staatenlos, „mosaisch“), Sohn des Staatsopernchorsängers Joseph Mestler, war ursprünglich österreichischer Staatsbürger gewesen, hatte aber 1931 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Zum Zeitpunkt seiner Inskription an der Malerschule bei Sterrer im Wintersemester 1937/38 bemühte er sich gerade um die Wiedereinbürgerung. Mestler hatte eine abgeschlossene Ausbildung an der Technischen Hochschule in Wien und eine mehrjährige Tätigkeit als Architekt in den USA hinter sich. Die kommissarische Führung der Akademie ließ ihn zum Studium im Sommersemester 1938 noch zu. Danach ging Mestler in die USA zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1959 lebte.127 Lizzi Rapp (geb. 22. April 1915 in Wien, österreichische Staatsbürgerin, alt-kath., nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jüdin oder ‚Mischling‘), die Tochter eines 1935 verstorbenen Journalisten, studierte nicht nur an der Akademie, sondern war zeitgleich auch an der Universität Wien im Fach Kunstgeschichte eingeschrieben. Als junge Frau bereiste sie selbstständig viele Länder Europas. Während ihres Studiums entwarf sie Plakate. Nach dem ‚Anschluss‘ und vielen Schikanen gelang ihr im Juni 1938 die Emigration nach Großbritannien, wo sie und ihre Mutter als Hausmädchen unterkamen. Im Mai 1940 heiratete sie ihren Jugendfreund Joe Bauer, der ein Visum für die USA hatte. Sie konnte ihm später in die USA folgen.128
126 UAAbKW, Stud. 1765; Meg McSherry Breslin, Marya Lilien […], in: Chicago Tribune vom 22. Januar 1998, http://articles.chicagotribune.com/1998-01-22/news/9801220139_1_art-institute-poland-art-schools [17. Mai 2016]. 127 UAAbKW, Stud. 1751; UAAbKW, VA 418/1938; https://en.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Mestler [17. Mai 2016]. 128 UAAbKW, Stud. 1452; Anna Michalowska/Gabriele Mohler, Lizzy Rapp, verh. Rapp-Bauer, in: Wiener Kunstgeschichte gesichtet, http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/2010/l_rapp.html [17. Mai 2016]. Unter dem Titel Lest We Forget – The Nazi Era schrieb Lizzy Rapp-Bauer 1991 ihre Erinnerungen nieder; sie sind im Leo Baeck Institut (New York) aufbewahrt und über die Europeana Collections im Internet zugänglich: http://www.europeana.eu/portal/record/2048612/ data_item_cjh_lbiarchive_oai_digital_cjh_org_396150.html [17. Mai 2016].
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Maria Immaculata Rappaport (geb. 18. November 1905 in Wien, österreichische Staatsbürgerin, röm.-kath., nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ ‚Mischling‘) musste die Fachschule für Konservierung und Technologie an der Akademie nach drei Semestern im März 1938 verlassen. Ihr Vater, der österreichische Diplomat Alfred Ritter von Rappaport-Arbengau, Sektionschef a.D., entstammte einer jüdischen Familie, war 1883 zum Katholizismus übergetreten und 1916 geadelt worden. Maria Rappaport hatte gegenüber der Akademie im April 1938 noch angegeben, nicht Jüdin zu sein. Anlässlich der Ausstellung des letzten Zeugnisses im Mai 1938 verlangte sie folgenden Vermerk auf ihrem Studierendenakt: „Das Ausscheiden des Frl. Maria Rappaport hängt mit den Bestimmungen anlässlich des Zusammenschlusses Oesterreichs mit dem Deutschen Reich zusammen.“ Nach dem Krieg stellte ihr die Akademie ein Diplom als akademische Konservatorin aus. In den 1970er und 1980er Jahren erhielt sie Zuwendungen aus dem sogenannten Hilfsfonds. Rappaport starb 1996.129 Adele Rosenzweig-Steiner (geb. 24. Februar 1900 in Wien, österreichische Staatsbürgerin, evang. [Augsburger Bekenntnis], nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jüdin), Tochter eines Juweliers, begann ihr Studium der szenischen Kunst bei Pirchan, nachdem ihr Mann 1936 gestorben war. 1938 heiratete sie wieder und erwarb dadurch die jugoslawische Staatsbürgerschaft. Sie nahm den Namen ihres Mannes an und konnte emigrieren: 1938 nach Jugoslawien, später in die USA, wo sie spätestens seit 1940 lebte. Von dort stellte sie nach dem Krieg einen Rückstellungsantrag auf ihren Liegenschaftsbesitz.130
129 UAAbKW, Stud. 1649; ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, VA 4563 Alfred Rappaport [Vater von M. I. R.]; William D. Godsey, Jr., Aristocratic Redoubt. The Austro-Hungarian Foreign Office on the Eve of the First World War, West Lafayette (Ind.) 1999, S. 89 und https://en.wikipedia.org/ wiki/Alfred_Rappaport_(diplomat) [17. Mai 2016]; ÖStA/AdR, E-uReang Hilfsfonds, HF 5850; Hedwig Abraham, Friedhof Neustift am Walde: Maria Rappaport von Arbengau, http://www. viennatouristguide.at/Friedhoefe/Neustift/pers_neustift/rappaport.htm [17. Mai 2016]. Der Anfang 1956 ins Leben gerufene ‚Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben‘ (Hilfsfonds) sollte vor allem den jüdischen Vertriebenen zugutekommen, die nicht mehr die österreichische Staatsbürgerschaft besaßen; siehe Demokratiezentrum Wien, Hilfsfonds, http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon/hilfsfonds. html [16. Juli 2016]. 130 UAAbKW, Stud. 1666; ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, VA 32837; ÖStA/AdR, E-uReang, FLD 16841.
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Hildegard Scheufler (geb. 21. Juni 1917 in Wien, österreichische Staatsbürgerin, evang. [Augsburger Bekenntnis], nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ Jüdin), Tochter eines Majors, hatte am Neuen Wiener Konservatorium und an der Musikakademie Operngesang studiert und wollte im Sommersemester 1938 szenische Kunst bei Pirchan belegen. Sie konnte ihr Studium an der Akademie nicht mehr beginnen, auf ihrem Studierendenakt ist vermerkt: „wegen schlechten Schulbesuch u[nd] Fortschritt gestrichen – (jüdischer Abstammung) Schulgeld nicht erlegt“. Die Existenz eines Hilfsfondsakts belegt, dass sie nach dem Krieg im Ausland lebte.131 Simon Schmiderer (geb. 27. Januar 1911 in Saalfelden, österreichischer Staatsbürger, röm.-kath., unklar, ob aus ‚rassischen‘ oder politischen Gründen verfolgt) studierte im Wintersemester 1937/38 Architektur in der Holzmeister-Klasse und arbeitete nebenbei in einem Architekturbüro. 1934 war er wegen der Verteilung sozialistischer Flugblätter für kurze Zeit verhaftet gewesen. Im März 1938 emigrierte er in die Niederlande und – nach der Heirat mit der Amerikanerin Mary Bulingham, die er an der Akademie kennengelernt hatte – im August weiter in die USA. Er wurde ein renommierter Architekt und arbeitete in New York und in Puerto Rico. Er starb 2001 in den USA.132 Herbert Schütz (geb. 27. Mai 1913 in Wien, österreichischer Staatsbürger, „mosaisch“), Sohn eines Kaufmanns, Mitglied der ‚Kunstgemeinschaft‘, einer 1919 in Wien gegründeten radikalen Künstlervereinigung, studierte drei Semester an der Akademie Malerei bei Hans Larwin und war ab dem Sommersemester 1938 nicht mehr inskribiert. 1952 wurde ihm ausnahmsweise ein Diplom als akademischer Maler ausgestellt. Wie und wo er die Zeit zwischen seinem Studienabbruch und dem Ende des Krieges verbracht hat, ist unbekannt.133 131 UAAbKW, Stud. 1771; ÖStA/AdR, E-uReang Hilfsfonds, HF, aus Datenschutzgründen noch nicht einsehbar. 132 UAAbKW, Stud. 1703; Austria-Forum, Schmiderer, Simon, http://austria-forum.org/af/AEIOU/ Schmiderer%2C_Simon [16. Juli 2016]; Karlsruher Institut Kunst- und Baugeschichte/Fachgebiet Kunstgeschichte, Architekten im Exil 1933–45: Schmiderer, Simon, http://kg.ikb.kit.edu/ arch-exil/450.php [17. Mai 2016]; https://de.wikipedia.org/wiki/Simon_Schmiderer [17. Mai 2016]. 133 UAAbKW, Stud. 1617; Matrikenamt der IKG Wien, GB 1308/1903; WStLA/Wienbibliothek im Rathaus, Wien Geschichte Wiki: Kunstgemeinschaft, https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/ Kunstgemeinschaft [17. Mai 2016].
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Anita Weil (geb. 11. April 1914 in Weipert/Vejprty [Tschechoslowakei], tschecho slowakische Staatsbürgerin, „mosaisch“) hatte an der Prager Karl-Ferdinands-Universität studiert, bevor sie am 7. März 1938, fünf Tage vor dem ‚Anschluss‘, nach Wien kam, um an der Akademie Bildhauerei bei Bechtold zu inskribieren. Schon am 28. März 1938 verließ sie die Stadt wieder und ging zu ihrem Vater nach Liberec/Reichenberg (Tschechoslowakei). Auf dem Studierendenakt wurde vermerkt: „Anita Weil war nach 14 täg[igem] Studium gezwungen[,] die Akademie zu verlassen, da sie als Jüdin von der Studentführung [sic] abgelehnt wurde. Schulgeld nicht erlegt.“ Über ihr weiteres Schicksal ist nichts in Erfahrung zu bringen. In den Opferdatenbanken scheint ihr Name nicht auf.134
134 UAAbKW, Stud. 1770; keine Suchergebnisse: Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; Archiv der IKG Wien, Auswandererkartei; WStLA, Meldeauskunft.
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4.2.4 Manchmal geduldet, aber nie erwünscht: ‚Mischlinge‘ nach 1938
Der Unterricht an der Akademie war infolge der militärischen Einberufungen der männlichen Studierenden und der zunehmend auch die weiblichen Studenten treffenden Arbeitspflicht von einer starken Fluktuation der Hörerschaft gekennzeichnet. Das Geschlechterverhältnis verschob sich außerdem während der NS-Zeit kriegsbedingt deutlich zugunsten der Frauen.135 Die regulär Studierenden waren bald nur noch Frauen. Für einzelne Semester liegen statistische Angaben vor. So weiß man etwa, dass im Sommersemester 1944136 271 reguläre Hörerinnen und Hörer an der Akademie eingeschrieben waren, nur drei von ihnen waren Männer. Zusätzlich studierten 42 Kriegsversehrte, 36 Ausländer und Staatenlose sowie fünf ‚Volksdeutsche‘, zusammen also 354 Personen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nicht nur die Kriegsversehrten, sondern auch alle als Ausländer bzw. Staatenlose und ‚Volksdeutsche‘ gezählten Studierenden Männer waren, betrug der Frauenanteil in diesem Semester knapp 76 %. Wie viele Studenten der Akademie im Krieg fielen oder aus der Kriegsgefangenschaft nicht zurückkehrten, ist unbekannt. Eine während des Krieges geführte Gefallenenliste137 ist nicht mehr erhalten. Während die 21 geschädigten Studierenden des Studienjahres 1937/38 in einen statistisch-vergleichenden Zusammenhang gestellt werden konnten, ist das bei den für die Folgejahre identifizierten Geschädigten nicht mehr möglich. Es sind Einzelfälle, die nur dank günstiger Quellenlage aufgespürt werden konnten. So gab es fünf Personen, denen es trotz ihres Status als ‚Mischlinge‘ gelang, nach dem Studienjahr 1937/38 an der Akademie zu studieren. Nachweislich zweien von ihnen wurde nach einigen Semestern der weitere Hochschulbesuch verwehrt. Die anderen unterbrachen ihr Studium aus unbekannten Gründen, wahrscheinlich jedoch nicht deshalb, weil ihnen verwehrt wurde, weiter zu studieren, sondern wegen der Stilllegung der Kunsthochschulen.138 Mindestens drei weitere als ‚Mischlinge‘ kategorisierte Personen versuchten während der NS-Zeit erfolglos, an der Akademie zu inskribieren.139 Bei all diesen Bewerberinnen und Bewerbern zeigte sich, dass die NS-Studentenführung an der Akademie sich mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Studium von ‚Mischlingen‘ meist durchsetzte. 135 Klamper, Zur politischen Geschichte, S. 42. 136 UAAbKW, unerschlossene Bestände, Übersicht über die Studien- u[nd] Lehrverhältnisse an der Akademie der bildenden Künste [1944]. 137 Hinweis auf diese Kriegsgefallenenliste in UAAbKW, Stud. 1495. 138 Die sogenannte Stilllegung der Kunsthochschulen, nach der nur mehr ein eingeschränkter Unterricht möglich war, wurde am 20. Oktober 1944 beschlossen; UAAbKW, VA 34/1945. 139 Bastl („Herrschaft des Abschaums“, S. 20) nennt für beide Gruppen zusammen vier Personen, nämlich Grete Adler, Elisabeth Eisler, Viktor Marischka und Erika Millet.
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Drei Personen140 verwehrte das Reichswissenschaftsministerium mit dem Hinweis auf ihren Status als ‚Mischlinge‘ das Studium an der Akademie. Es sind dies Grete Adler, die 1941 um Genehmigung eines Studiums ansuchte,141 Schiedler, eine Frau, die dasselbe 1942 tat,142 und Rudolf Alexander Dinner, der 1941 einen Antrag auf Aufnahme an die Architekturschule der Akademie stellte. Während die kommissarische Leitung explizit betonte, dass Dinner – wäre er ‚Arier‘ – nach Vorlage seiner Kunstproben aufgenommen würde, sprach sich die Studentenführung gegen seine Aufnahme aus. Dinner erhielt im Februar 1942 ein abschlägiges Schreiben. Nach dem Krieg inskribierte er an der Akademie, studierte jedoch nur ein Semester.143 4.2.5 Drei Sonderfälle
Mindestens drei weitere Namen männlicher Studenten sind als unmittelbar durch das NS-Regime geschädigte Studierende der Akademie zu nennen.144 Unter ihnen sind auch die beiden einzigen nachweislich mit der Verfolgung durch das NS-Regime in Zusammenhang stehenden Todesfälle. Zwei Männer wurden wegen psychischer Probleme aktenkundig: Johann Hinterreitner verließ die Akademie, an deren allgemeiner Malerklasse er acht Semester studiert hatte, nach dem Sommersemester 1938. Die Akademie hatte den Vater des Hörers schon vor dem ‚Anschluss‘ gebeten, den Sohn von der Hochschule zu nehmen, da seine „Aufregungszustände“ den Unterricht störten. Ob er die Hochschule unfreiwillig oder freiwillig verließ, ist unbekannt.145 Nachweislich von der Hochschule verwiesen wurde aber Adolf S., der am 20. April 140 Eine vierte Betroffene, Anna Maria Seitle, die im Indexband des Jahres 1943 als ‚Mischling ersten Grades‘ genannt wird, konnte nicht identifiziert werden. Da auch der zugehörige Akt fehlt, ist nicht einmal klar, ob es sich bei Seitle um eine Studienwerberin handelte; UAAbKW, Indexband, Nr. 475/1943. 141 UAAbKW, VA 1108/1941. Offenbar wurde ihr Ansuchen abschlägig beantwortet, denn es gibt keinen Studierendenakt der jungen Frau. 142 UAAbKW, SProt., Sitzung vom 14. September 1942. Christian Ludwig Martin, Leiter der Meisterschule für graphische Künste, sagte zu, sie in seine Klasse aufzunehmen, wenn das Reichswissenschaftsministerium das Studium genehmigen würde. Das tat es offenbar nicht, denn es gibt keinen Studierendenakt von Schiedler. 143 UAAbKW, Stud. 3742, VA 276/1941 und VA 1231/1941; ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, VA 21491 Michael Dinner [Vater von Rudolf Alexander]. 144 Nicht zu ihnen zählte Robert Voss. Er behauptete nach dem Krieg zwar, als ‚Mischling ersten Grades‘ von der Hochschule verwiesen worden zu sein, hatte die Akademie aber schon nach dem Wintersemester 1936/37 verlassen und war ins Ausland gegangen; siehe UAAbKW, Stud. 1639. 145 UAAbKW, Stud. 1475. Hinterreitner war am 20. Oktober 1914 in Steyr (Oberösterreich) geboren worden, hatte die österreichische Staatsbürgerschaft und gehörte der römisch-katholischen Kirche an.
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1945 in der Nervenheilanstalt Niedernhart starb. Zu diesem Zeitpunkt war das offizielle NS-Euthanasieprogramm schon lange gestoppt. Ob S. trotzdem Opfer der (dezentralen) Euthanasie geworden ist, lässt sich seriöserweise nicht beantworten; er könnte auch eines natürlichen Todes gestorben sein. S. hatte seit 1936 Malerei an der Akademie studiert, war 1939 erkrankt und – nicht zuletzt auf Drängen der NS-Studentenführung – 1941 als „dauernd unbedingt studienuntauglich“ vom weiteren Studium an der Akademie ausgeschlossen worden.146 Einziges unter den Studierenden identifiziertes politisches Opfer ist Alfred Ortenberg, ein SS-Schütze, der nur ein Semester lang Student der Akademie war. Ortenberg, Sohn eines Wachtmeisters, studierte im Wintersemester 1943/44 Bühnenbildnerei. Am 17. April 1944, eine Woche vor seinem 18. Geburtstag rückte er zur SS-Panzergrenadierausbildung in die Kaserne der Leibstandarte-SS Adolf Hitler nach Berlin ein. Später – es ist nicht bekannt wann – desertierte er und wurde, nachdem er wieder gefasst war, am 19. März 1945 zum Tod verurteilt. Die Vollstreckung des Todesurteils – der Schuldspruch lautete auf Fahnenflucht, Missbrauch von Ausweispapieren und Verstoß gegen die sogenannte Verbrauchsregelungs-Strafverordnung147 – wurde zunächst bis zur Entscheidung über ein Gnadengesuch ausgesetzt. Die Akademie der bildenden Künste erstellte in diesem Zusammenhang am 26. März 1945 ein Gutachten über seine Berufschancen und attestierte ihm „für sein künftiges Schaffen beste Aussichten“.148 Am 5. April 1945, dem Tag, an dem die Rote Armee mit dem Sturm auf Wien begann, wurde Ortenberg gemeinsam mit 45 anderen zum Tode verurteilten Häftlingen von der Haftanstalt Wien Richtung Bayern in Marsch gesetzt. Ziel des Marsches war die Haftanstalt Bernau in Oberbayern. Die Gruppe, aus der zwei Häftlinge fliehen konnten, kam am 9. April 1945 zu Fuß in Krems an. Die 44 Gefangenen wurden in der Strafanstalt Stein a.d. Donau untergebracht und dort am 15. April 1945 hingerichtet. Sie wurden „in der Weise zum Tode befördert, daß sie mit Genickschüssen in ein Massengrab hineinfielen“.149 146 UAAbKW, Stud. 1618, VA 916/1940 und VA 671/1941; Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Dokumentationsstelle des Oberösterreichischen Landesarchivs (OÖLA), Gedenkbuch Hartheim, http://www.schloss-hartheim.at/index.php/gedenken-ausstellung/dokumentationsstelle/gedenkbuch-hartheim [17. Mai 2016]; OÖLA, Wagner-Jauregg-Krankenhaus Linz („Landes-Nervenklinik WagnerJauregg Linz“), Krankenakten. Adolf S. war am 12. April 1910 in Hackenbuch (Oberösterreich) geboren worden, hatte die österreichische Staatsbürgerschaft und gehörte der römisch-katholischen Kirche an. 147 RGBl. 1939/I, S. 610. 148 UAAbKW, Stud. 3371 und VA 184/1945. 149 Zu Verurteilung und Hinrichtung Ortenbergs siehe Heinz Arnberger (Bearb.), Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934–1945. Eine Dokumentation, hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Bd. 2, Wien 1987, S. 554–557. Ortenberg war am 24. April 1926
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5 Schluss
Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Angesichts des relativ geringen Anteils jüdischer Lehrender und Studierender an der Akademie der bildenden Künste in Wien ist auch die Zahl jener, die die Akademie aus Gründen ‚rassischer‘ Verfolgung verlassen mussten, niedrig. Bei den Lehrenden und Angehörigen des Verwaltungspersonals war es zumeist die Unterstellung politischer ‚Unzuverlässigkeit‘, die zu Dienstenthebungen führte. Bei den Studierenden kam es hingegen praktisch ausschließlich aus ‚rassischen‘ Gründen zu Relegierungen; die Zahl der Betroffenen ist jedoch überschaubar. Den meisten dieser Studierenden gelang es, zu emigrieren. Es gibt in den einschlägigen Opferdatenbanken keine Hinweise darauf, dass die namentlich identifizierten Personen im Holocaust umkamen – ein Ergebnis, das, sollte es nicht durch neue Erkenntnisse noch revidiert werden, unerwartet ist.
in Wien geboren worden, besaß die österreichische Staatsbürgerschaft und gehörte der römischkatholischen Kirche an.
„[…] in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag.“ Die ‚Säuberungen‘ 1938/39 am Beispiel der Grazer Hochschulen
Hans-Peter Weingand
1 Einleitung
Eine Bewegung, die nicht imstande sei, sich die Hochschulen zu erobern, habe keine Aussicht, sich durchzusetzen. Auf dieses „Wort des Führers“ berief sich Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust am 26. Mai 1938 in seiner Rede an Professoren, Dozenten und die Formationen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) der beiden Grazer Hochschulen in der Aula der Universität Graz.1 Zu diesem Zeitpunkt war die Konsolidierung der Macht des NS-Regimes an den Hochschulen praktisch schon abgeschlossen,2 insbesondere der Großteil der ‚Säuberung‘ bereits erfolgt – „in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag“,3 wie es ein Beamter aus Rusts Ministerium formuliert hatte. Die Auswirkungen dieser Eroberung lassen sich beispielhaft gut an dem Foto Otto Loewy im Laboratorium im Kreise seiner Schüler zeigen; es wurde 1936 aufgenommen (Abb. 1). Anlass war die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an den Gelehrten, der seit 1909 Professor für Pharmakologie an der Universität Graz gewesen war. Von links nach rechts sind zu sehen: Dozent Häusler, Assistent Ladislaus Vogel, Professor Loewy, der amerikanische Gastarzt Professor Smith und die beiden studentischen Hilfskräfte Hagen und Singer.4 Hans Häusler wurde am 30. November 1938 entlassen, da seine Frau nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ von 1935 ein ‚Mischling‘ war. 1 2
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Kleine Zeitung vom 28. Mai 1938. Vgl. Brigitte Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“. Österreichs Hochschulen und Universitäten und das NS-Regime, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, S. 550 f. Zit. nach Willi Weinert, Die Maßnahmen der reichsdeutschen Hochschulverwaltung im Bereich des österreichischen Hochschulwesens nach der Annexion 1938, in: Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewußtsein. Festschrift zum 20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und zum 60. Geburtstag von Herbert Steiner, Wien/München/Zürich 1983, S. 129. Vgl. das Kapitel Ein Foto in: Hans-Peter Weingand/Werner Winkler, Diese Welt muß unser sein. Die sozialistischen Studierenden in Graz 1919–1991, Graz 1992, S. 95 f.
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Abb. 1: Otto Loewy im Laboratorium im Kreise seiner Schüler (1936).
Auch sein Versuch, 1941 der NSDAP beizutreten, half ihm nichts, der Beitritt wurde 1944 abgelehnt. Otto Loewy war als Jude vom 17. bis 25. März 1938 im Grazer Gefangenenhaus Karlau in ‚Schutzhaft‘ und musste das Land verlassen. Vorher musste er jedoch die schwedische Bank in Stockholm anweisen, das Preisgeld für den Nobelpreis an eine Bank zu überweisen, die von den Nationalsozialisten kontrolliert wurde. Robert Hagen hatte sich gemeinsam mit seinem besten Freund Gustav Singer um eine Stelle als studentische Hilfskraft bei Otto Loewy beworben, beide hatten diese im Wintersemester 1936/37 auch bekommen; deutschnationale Studierende hätten keine Ambitionen gehabt, mit Loewy zu arbeiten. Hagen hatte sich in dem 1934 aufgelösten Verband Sozialistischer Studenten engagiert und war dort 1933 stellvertretender Obmann gewesen. Seine Promotion erlebte er am 25. Februar 1938 im Dienstzimmer des Rektors. Denn in Graz hatten die Nationalsozialisten de facto bereits die Macht ergriffen, weshalb auf Weisung des Unterrichtsministeriums seit dem 25. Februar die Grazer Hochschulen geschlossen waren. Hagen wurde später zur Wehrmacht eingezogen und erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges als Arzt in einem Feldlazarett.5 Für Gustav Singer als Juden gab es 1938 nur mehr eine stille 5
Vgl. Petra Scheiblechner, „… politisch ist er einwandfrei …“. Kurzbiographien der an der Medizi-
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Promotion, er wollte so schnell wie möglich das Land verlassen. Durch seinen Vater tschechischer Staatsbürger, heiratete er seine Freundin, die Medizinstudentin Margarete Bendiner; dadurch konnten sich beide legal in Prag niederlassen. Als die Deutschen in die Tschechoslowakei einmarschierten, flohen sie weiter nach Polen und sollten in Kattowitz/Katowice am 7. September 1939 englische Visa erhalten. Doch bekanntlich überfielen bereits am 1. September deutsche Truppen Polen. Singers Eltern kamen in einem Konzentrationslager ums Leben, während er und seine Frau in die Ukraine flohen und sich als Arzt und als Krankenschwester dem tschechischen Freiwilligenkorps unter Ludvik Swoboda anschlossen. Nach Kriegsende blieben beide in der Tschechoslowakei.6 Gustav Singer arbeitete als Augenarzt beim Militär. Er erhielt 1988 das Goldene Doktordiplom7 der Universität Graz und lebt heute als über 100-jähriger hochgeehrter Veteran in Prag. Die Eroberung der Hochschulen durch das NS-Regime hatte Einfluss auf alle Beteiligten – bei manchen waren die Folgen existenz- und lebensbedrohlich. Dennoch fehlt es bis heute an einer Gesamtschau und an verlässlichen Angaben, anhand derer man das Ausmaß der ‚Säuberungen‘ für alle österreichischen Hochschulen vergleichen könnte – ein Anliegen, das mit dem vorliegenden Sammelband punktuell aufgegriffen werden soll. Oft werden zwar Zahlen genannt, aber keine Namen. Noch schlechter ist es um das Wissen über die ‚Säuberungen‘ im ‚Ständestaat‘ bestellt, etwa zur Rolle des Dritten Reichs als ‚Auffanglager‘ für disziplinierte NS-Aktivisten aus Österreich. Dieser Beitrag versucht, nicht zuletzt mit Material aus dem Bundesarchiv Berlin, in diesen Bereichen unser Wissen zu erweitern. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Grazer Hochschulen. 2 „Neue Ordnung“
Neue Ordnung an den Hochschulen – unter diesem Titel berichtete noch nicht einmal drei Wochen nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs die Wiener Zeitung über Maßnahmen „gegen die Überfremdung durch Juden“ durch sofortigen Inskriptionsstopp und einen künftigen Numerus clausus. Und mit der „Reinigung des Lehrkörpers“ wollte
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nischen Fakultät der Universität Graz in der Zeit von 1938 bis 1945 tätigen WissenschafterInnen, Graz 2002, S. 76 f., 152–154 und 67. Vgl. Memory of Nations. Gustav Singer (1914) – Lebenslauf, http://www.pametnaroda.cz/witness/ index/id/1143 [15. Februar 2017]. Vgl. Ansprache von Rektor Christian Brünner anlässlich der Erneuerung akademischer Grade am 1. Juni 1988, in: Werner Hauser/Andreas Thomasser (Hg.), Bildung, Wissenschaft, Politik. Instrumente zur Gestaltung der Gesellschaft. Christian Brünner zum 72. Geburtstag, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 61–64; Uni-Absolventen von 1938 geehrt, in: Kleine Zeitung vom 2. Juni 1938.
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man verhindern, „daß staats- und volksfeindliche Elemente ihre Tätigkeit an den österreichischen Hochschulen fortsetzen“.8 Dies war nicht nur Thema im noblen Amtsblatt: Die Wiener Neuesten Nachrichten titelten mit Hochschulen judenrein, das Kleine Blatt mit Die Entjudung der Wiener Hochschulen, und die Reichspost zitierte Reichswissenschaftsminister Rust: Besonders die Universität Wien müsse als älteste reichsdeutsche Universität ein „Bollwerk germanischen Geistes und deutscher Kultur sein“, was nicht nur „organisatorische Maßnahmen“ erfordere, sondern auch „die Mitarbeit der besten und zuverlässigsten Kräfte“.9 Erster Schritt zur Etablierung der „Neuen Ordnung“ war die Vereidigung der Beamten auf Adolf Hitler am 22. März 1938. Zugelassen war dazu nur, wer nach den ‚Nürnberger Gesetzen‘ nicht als Jude galt.10 Nicht vereidigt wurden deshalb an der Universität Graz der Jurist Georg Hendel, der Nobelpreisträger Otto Loewy und der Althistoriker Franz Schehl.11 An der Technischen Hochschule (TH) Graz wurde der Mathematiker Bernhard Baule nicht vereidigt, da dieser bereits kurz nach dem ‚Anschluss‘ als deutscher Staatsbürger unter dem Vorwurf des „Landesverrats“ verhaftet worden war.12 Da der Personalstand der Hochschulen auch nichtbeamtete Mitglieder umfasste, widerrief am 6. April ein Erlass des Unterrichtsministeriums den jüdischen Privatdozenten die Bestätigung der Lehrbefugnis.13 Am 30. März 1938 verfügte das Unterrichtsministerium ein sofortiges Inskriptionsverbot für inländische Studierende jüdischer Herkunft, am 23. April folgte ein Numerus clausus von zwei Prozent.14 Wie eine in der NS-Zeit publizierte Statistik zeigt, waren davon vor allem die Wiener Hochschulen betroffen: Von den 1.864 Studierenden mosaischen Religionsbekenntnisses im Wintersemester 1937/38 studierten 1.375 an der Universität Wien und 215 an der Technischen Hochschule Wien – im Vergleich zu 37 an der Universität Graz und sechs an der Technischen 8 9 10
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Wiener Zeitung vom 30. März 1938. Wiener Neueste Nachrichten vom 30. März 1938; Das Kleine Blatt vom 3. April 1938; Reichspost vom 7. April 1938. Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 551; Albert Müller, Dynamische Adaptierung und „Selbstbehauptung“. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 599. Vgl. Walter Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz. Von den Anfängen bis in das Jahr 2008, Graz 2009, S. 185. Vgl. Hans-Peter Weingand, Die Technische Hochschule Graz im Dritten Reich. Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an einer Institution, Graz 19952, S. 39. Zu den Angriffen gegen Baule vgl. Die Staatsfeindlichkeit katholischer Studentenverbände, in: Priester ohne Maske (= Die Studentische Kameradschaft, Folge 10), München, Januar 1939, S. 58–64. Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 600. Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 552.
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Hochschule Graz.15 Durch die Anwendung der ‚Nürnberger Gesetze‘ mit ‚Ariernachweis‘ bis zur Großelterngeneration waren natürlich wesentlich mehr Studierende betroffen: An der Universität Wien sind allein 2.230 Studierende namentlich bekannt, die innerhalb von nur wenigen Wochen vertrieben wurden.16 Im Wintersemester 1938/39 wurde zuerst der Numerus clausus auf ein Prozent gesenkt, nach der ‚Reichskristallnacht‘ vom 11. November 1938 wurden dann sämtliche als jüdisch definierte Studierende vom Hochschulbesuch ausgeschlossen.17 Parallel zu den Vertreibungen ging es um die Organisierung der NS-Studierenden. Das Reichsstudentenwerk hatte noch im März 1938 mit der „allgemeinen Durchmusterung aller deutschblütigen österreichischen Hochschüler“ begonnen und sammelte umfangreiche Daten über 13.992 Studierende – das waren circa 80 % aller Studierenden des Wintersemesters 1937/38 in der nunmehrigen ‚Ostmark‘. Laut Fragebögen waren hiervon 57,1 % in der NS-Bewegung organisiert (bei den Männern 59,7 %, bei den Frauen 46,9 %). Am Beispiel Wien zeigte sich, dass über die Hälfte (54 %) der in der NSDAP oder ihrer Gliederungen organisierten Studierenden dies bereits vor dem 11. März 1938 gewesen war. Der Anteil der sogenannten ‚Illegalen‘ war somit sehr groß: „Dabei sind die Wiener Zahlen nicht kennzeichnend für die ostmärkischen Hochschüler. Der Anteil der Alten Kämpfer liegt in Graz und Innsbruck wesentlich höher.“ Nach Gauen gegliedert, lagen die Studierenden aus der Steiermark mit einem Organisierungsgrad von 62 % an der Spitze.18 Geplant war, die „Studenten, die im illegalen Kampf gestanden haben“, in Kameradschaften als den „Erziehungs- und Lebensgemeinschaften der deutschen Studenten“ zusammenzufassen. Dabei sollten waffenstudentische Korporationen nach Möglichkeit in eine Kameradschaft übergeführt werden. Dazu kam die Zusammenfassung der Studenten, die sich zum NS-Studentenbund anmeldeten, in sogenannten Hundertschaften, die in Züge zu 20 bis 30 Mann eingeteilt werden sollten: „Diese vorgeschaltene Organisation hat den Zweck, die Aufblähung des Studentenbundes 15 Vgl. Alois Kernbauer, Der lange Marsch zur „politischen Hochschule“. Die Grazer Hohen Schulen in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, in: Stefan Karner (Hg.), Graz in der NSZeit 1938–1945, Graz/Wien/Klagenfurt 1998, S. 188 f. 16 Vgl. Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Wien/Berlin/Münster 2008, S. 153 f. 17 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 555. 18 Otto Reise, Der Nachwuchs an den Hochschulen der Ostmark bei der nationalsozialistischen Machtübernahme. Ein Beitrag zur Hochschulstatistik, in: Nachwuchs und Auslese, Schriftenreihe zu „Der Altherrenbund“, Bd. 2, Großenhain 1939, S. 5 und 30–33: Von den 13.922 „deutschblütigen“ Studierenden (davon 2.824 weiblich) waren 431 „volksdeutsche Ausländer“ und 43 Staatenlose. „Nichtarier waren zu der Musterung nicht zugelassen. Die Zahl der erfaßten Mischlinge beträgt 279.“
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zu vermeiden und die neuen Studenten erst einmal zu prüfen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die Mitglieder des C[artell]V[erbands] sich fast geschlossen für den Eintritt in den Studentenbund melden.“19 Von der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen gab es Gruppen in Wien und Graz, hier wurde über organisatorische Auseinandersetzungen mit dem Bund Deutscher Mädel berichtet.20 Bis Ende April 1938 wurden bereits zentrale Fragen geklärt: „Alle diejenigen, die vor dem 1. Februar 1937 im [Nationalsozialistischen Deutschen] Studentenbund (damit sind auch die waffenstudentischen Korporationen erfaßt) oder in einer Gliederung der NSDAP illegal tätig waren und dies durch eine Bestätigung des damaligen Einheitsführers nachweisen können, werden sofort als Vollmitglieder in den NSDStB aufgenommen.“ Andere wurden, ebenfalls mit Abstufungen, als „Anwärter“ mit Probezeit in den NS-Studentenbund aufgenommen.21 Drei Wochen später konnte bei einer Arbeitsbesprechung der Kameradschaftsführer sämtlicher Wiener Hochschulen über den Stand der Entwicklung berichtet werden: An der Universität Wien waren 14 Kameradschaften mit einer Gesamtstärke von 510 Mann gebildet worden, weiters zwei Hundertschaften von etwa 500 Mann, die jene erfassten, „die bis zur Machtergreifung außerhalb der Bewegung standen oder katholischen Verbindungen angehörten“.22 An der Technischen Hochschule wurden acht Kameradschaften und zwei Hundertschaften gebildet, an der Hochschule für Welthandel drei Kameradschaften und eine Hundertschaft, an der Hochschule für Bodenkultur zwei Kameradschaften und eine Hundertschaft, an der Tierärztlichen Hochschule zwei Kameradschaften und an der Kunstakademie eine.23 In Innsbruck gab es am 26. Mai neun Kameradschaften mit insgesamt 100 Mann und Hundertschaften von insgesamt 200 Mann: „CVer älteren Semesters wurden nicht übernommen. Brauchbar sind von 200 Mann in einer Mannschaft erfassten Männer voraussichtlich nur 45.“24 Ergänzt sei, dass es in der Folge an der Universität Graz fünf, an der Technischen Hochschule Graz vier und an der Montanistischen Hochschule Leoben drei Kameradschaften gab.25 19 Bundesarchiv Berlin (BArch), NS 38/3844, Bericht des Leiters der Hauptstelle Kameradschaftserziehung über das Landdienstlager in Österreich vom 13. bis 26. April 1938, Bl. 10. 20 Vgl. ebd., Bl. 20. 21 BArch, NS 38/3642, Bericht des Leiters der Organisationshauptstelle der Reichsstudentenführung an den Reichsstudentenführer vom 2. Mai 1938, Bl. 4. 22 BArch, NS 38/4013, Bericht des Leiters der Hauptstelle Studentischer Einsatz über den Besuch der Hochschulen in Wien und Innsbruck vom 31. Mai 1938, Bl. 2. 23 Ebd., Bl. 8, 11 und 13. 24 Ebd., Bl. 14. CVer = Anhänger oder Mitglied des Cartellverbands. 25 Vgl. das Faksimile in: Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 70.
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Die Grazer Universität sah sich nun selbst stolz „als südöstlichste deutsche und Grenzland-Universität“,26 und Gauleiter Sigfried Uiberreither verpflichtete die Hochschulen, „Grenzwacht zu halten für die deutsche Kultur“.27 So bestand 1938 das erste Projekt im Rahmen des Landdienstes, eines unentgeltlichen studentischen Einsatzes vor allem in Grenzgebieten zur politischen Erziehung, mit in Summe 60 „Kameraden“ des Grazer NS-Studentenbundes in einer umfangreichen Untersuchung an „Steiermarks Südgrenze“. Im zweisprachigen Gebiet in der Gegend von Leutschach/ Lučane und speziell in der untersuchten Gemeinde Glanz an der Weinstraße fanden die jungen Nationalsozialisten „ein Menschenmaterial […], das unseren Anforderungen weder leistungs- noch haltungsmäßig entspricht“.28 18 dieser Studierenden erarbeiteten eine umfangreiche Studie, die sie unter dem Titel Lebensfragen der Grenzbevölkerung als Grazer Beitrag für den ‚Reichsberufswettkampf der deutschen Studenten 1938/39‘ einreichten. Behandelt wurden unter anderem „Volkskundliches“, „Erbpathologische Belastung“ und ein „Rassenkundlicher Beitrag“.29 Im Vergleich zu den Hochschulen im Deutschen Reich nach der ‚Machtergreifung‘ von 1933 verlief die ‚Gleichschaltung‘ in Österreich wesentlich beschleunigter: Rasch waren neue NS-Eliten eingesetzt, wurden ‚unten‘ direkt an den Hochschulen Listen unliebsamer Lehrender erstellt. Zusätzlich wurde der Prozess ‚oben‘ von den erfahrenen Verwaltungsspezialisten aus dem Berliner Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) begleitet.30 Oberregierungsrat Hans Huber, einer dieser REM-Spitzenbeamten, wies im Januar 1939 bei einer Tagung darauf hin, dass im ‚Altreich‘ in den fünf Jahren von 1933 bis 1938 durchschnittlich 45 % aller beamteten wissenschaftlichen Stellen innerhalb der Hochschulen neu besetzt wurden.31 Das ging in der ‚Ostmark‘ schneller: NS-Aktivisten legten Listen 26 Tagespost vom 16. März 1938, zit. nach Gerald Lichtenegger, Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an der Universität Graz, in: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hg.), Grenzfeste deutscher Wissenschaft. Über Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz, Wien 1985, S. 51. 27 So im Vorlesungsverzeichnis der TH Graz 1938/39, zit. nach Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 47. 28 Steiermarks Südgrenze, in: Kämpfendes Deutschtum. Lebensfragen der Nation in den Ostgauen und Volksgruppen Osteuropas (= Die Studentische Kameradschaft, Folge 13), o.O. [München], Mai 1939, S. 21 f.; vgl. Christian Promitzer, Täterwissenschaft: Das Südostdeutsche Institut in Graz, in: Mathias Beer/Gerhard Seewann (Hg.), Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen, München 2004, S. 101–103. 29 Lebensfragen der Grenzbevölkerung untersucht an der steirischen Südgrenze. Mannschaftsführer: Willi Schüller. Arbeit im Reichsberufswettkampf der deutschen Studenten 1938/39, Inhaltsverzeichnis und S. 1. 30 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 595 f. 31 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 566 f., Anm. 13.
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vor, wer an ihrer Hochschule zu entheben bzw. einzustellen sei, und durch die Übernahme von deutschen NS-Gesetzen gab es auch bald nach dem ‚Anschluss‘ die rechtlichen Grundlagen dazu. Die Gleichschaltung verlief rasch, reibungslos und ohne Widerstand.32 3 Exkurs ‚Ständestaat‘
An der Universität Graz übernahm am 30. März 1938 Hans Reichelt als nationalsozialistischer Rektor kommissarisch die Führung. Gemeinsam mit NS-Dozentenführer Alfred Pongratz beantragte er am 6. April in Wien die Rückholung von vier im ‚Ständestaat‘ in den Ruhestand geschickten nationalsozialistisch gesinnten Professoren, die Beförderung von zwölf Nationalsozialisten und die Versetzung in den Ruhestand bzw. die Entziehung der Lehrbefugnis für sieben Lehrende.33 Die beantragten Rehabilitierungen für Nationalsozialisten betrafen an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Paul Otto Dungern und Arnold Pöschl, an der Philosophischen Fakultät Bruno Kubart und Carl Siegel.34 An der Medizinischen Fakultät war weiters Professor Fritz Hartmann 1934 in den Ruhestand versetzt, im selben Jahr der außerordentliche Professor Max de Crinis nicht weiter bestellt worden.35 Im ‚christlichen Ständestaat‘ waren allerdings nicht nur Nationalsozialisten missliebig gewesen. Ebenfalls entlassen worden war im September 1934 an der TH Graz mit dem Mechanik-Professor Alfons Leon ein deklarierter Sozialdemokrat.36 Für die vom ‚Ständestaat‘ mit Disziplinarmaßnahmen belegten oder entlassenen Anhänger der illegalen NSDAP waren die Hochschulen im Deutschen Reich natürlich ein beliebtes Ziel gewesen; dies galt für Studierende wie für Lehrende gleichermaßen. Ab 1934 waren die meisten österreichischen Studierenden im Deutschen Reich dort vom Reichsstudentenwerk unterstützte NS-Flüchtlingsstudenten.37 Bereits im November 1933 befürwortete das Auswärtige Amt in Berlin im Einvernehmen mit der NSDAP-Landesleitung Österreich, dass die Hochschullehrer, die von der österreichischen Regierung aus „nationalpolitischen Gründen“ gemaßregelt 32 Ebd., S. 565. 33 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 186. 34 Vgl. ebd., S. 163; Amtliche Vergangenheitsbewältigung. Dokumente der Universität Graz aus dem Jahr 1946, in: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hg.), Grenzfeste deutscher Wissenschaft, S. 147 und 151. 35 Vgl. Amtliche Vergangenheitsbewältigung, S. 149. 36 Vgl. das Kapitel Alfons Leon in: Weingand/Winkler, Diese Welt muß unser sein, S. 81–94. 37 Vgl. Hans-Peter Weingand, Nationalsozialistische Studierende. „Österreichische Studenten in Not“ und „Vertreter des Dritten Reiches in Österreich“, in: Acta Studentica. Österreichische Zeitschrift für Studentengeschichte 45/188 (Juni 2014), S. 5–11.
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wurden, umgehend eine Berufung an eine deutsche Hochschule erhalten sollten.38 Zu den Nutznießern dieser Unterstützungen bedarf es weiterer Forschungen. Nach einer Zusammenstellung des Reichswissenschaftsministeriums gab es bei Professoren zwischen 1933 und 1937 16 Transfers von österreichischen an deutsche Hochschulen:39 Demnach gingen von der Universität Wien im Jahr 1934 Wenzeslaus von Gleispach nach Berlin, Karl Gottfried Hugelmann nach Münster, Friedrich Karl von Faber nach München, Hans Uebersberger nach Breslau und 1935 nach Berlin, Hans Koch nach Breslau; 1935 wechselten Emil Winkler nach Heidelberg und 1938 nach Berlin, Friedrich Nötscher nach Bonn, Othenio Abel nach Göttingen und Friedrich Machatschek nach München. Bei den anderen österreichischen Hochschulen sah die Situation folgendermaßen aus: 1933 gingen Theodor Vahlen von der TH Wien nach Greifswald, Wilhelm Andreae von der Universität Graz nach Gießen; 1934 wechselten Friedrich Metz von der Universität Innsbruck nach Erlangen und Adolf Helbok nach Leipzig bzw. Berlin; 1936 gingen Werner Mulertt von der Universität Innsbruck nach Halle an der Saale und von der Universität Graz Wilhelm Enßlin nach Erlangen sowie Friedrich Schürr nach Marburg. Von diesen 17 Professoren verloren mindestens sieben ihre Professur in Österreich wegen ihrer nationalsozialistischen Gesinnung: Gleispach, Hugelmann, Uebersberger, Abel, Machatschek, Metz und Helbok. 4 Beschleunigte Entlassung
Wie bereits erwähnt, fand 1938 nach dem ‚Anschluss‘ die Etablierung der „neuen Ordnung“ Unterstützung aus Berlin. Gleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich begab sich der Leiter des Amtes Wissenschaft des Reichswissenschaftsministeriums, Staatsminister Otto Wacker, mit Oberregierungsrat (ORR) Hans Huber in das Wiener Unterrichtsministerium.40 Bereits am 24. März konnte er in Berlin einen Überblick über die Aktivitäten in Österreich geben, die wie besprochen auch durchgeführt wurden: Beurlaubung von Juden und sonstigen nicht vereidigten Personen41 und möglichst rasches Setzen vergleichbarer Maßnahmen gegen politische Gegner noch vor dem Vorliegen einer verbindlichen rechtlichen Grundlage: „Bezüglich der politisch Unzuverlässigen wurde folgendes vereinbart: wer endgültig als politisch unzuverlässig zu bezeichnen ist, steht heute noch nicht fest. 38 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 30409a, Bd. 1: Geheim. Unterstützung österr[eichischer] Flüchtlinge (November 1933), Bl. 19. 39 Vgl. BArch, R 4901/13193, Aufstellung über gewechselte Hochschulkräfte, 1938. 40 Vgl. Weinert, Maßnahmen, S. 127. 41 Vgl. BArch, R 4901/681, Bl. 24–31: Protokoll über die Sitzung vom 24. März 1938, hier Bl. 25.
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Es wird sich dies erst dann ergeben können, wenn abschließende politische Beurteilungen durch den Stellvertreter des Führers42 eingeholt werden können. Auch hier werden grundsätzlich die Berufsbeamtengesetze43 abgewartet werden müssen. Es gibt jedoch zahlreiche Fälle, wo jetzt schon ohne weiteres gesagt werden kann, dass die politische Zuverlässigkeit im Sinne der zu erwartenden Reichsbestimmung vorliegt, z. B. bei solchen Leuten, die in den vergangenen Jahren öffentlich als Gegner des Anschlussgedankens oder Gegner der NSDAP. aufgetreten sind oder sich gegnerisch betätigt haben. Ferner bei solchen Leuten, die in der Öffentlichkeit als Anhänger des Regierungskurses Dollfuß–Schuschnigg bekannt sind usw. In diesen Fällen wird durch den ORR Huber bereits eine politische Beurteilung bei der Geheimen Staatspolizeileitstelle Wien eingeholt.“44 Am nächsten Tag wurden auch in Berlin Aufgaben festgelegt: Alle Referenten hatten Österreich-Angelegenheiten zu bearbeiten, für grundsätzliche und schwierige Fragen gab es in jedem Amt ein Österreich-Referat, im Amt Wissenschaft war damit ORR Huber betraut. Als vorbereitende Arbeiten galt die Beschaffung von Unterlagen über Hochschulbauten, von Zahlen über Studierende und den Lehrkörper sowie „über die in Österreich zur Zeit tätigen Emigranten, […] Juden, […] weltanschaulich und politisch Unzuverlässigen“.45 Über die neue Situation informierte der kommissarische Rektor der Universität Wien, Fritz Knoll, am 5. April 1938 seinen Amtskollegen an der Universität Graz, Hans Reichelt: „Sehr geehrter Herr Kollege! […] ich möchte Ihnen nun mitteilen, daß die wichtigste Persönlichkeit im Ministerium Oberregierungsrat Huber ist, der dem Reichswissenschaftsministerium angehört und abwechselnd hier und in Wien amtiert“.46 Und er gab den Rat, es werde gut sein, „wenn Sie bei Ihrer Fahrt nach Wien die vollständig redigierte Personalliste 42 Per Führererlass erhielt der Stab von Rudolf Heß 1935 ein Mitwirkungsrecht bei der Besetzung aller höheren Beamtenstellen. Nach dem Englandflug des Stellvertreters des ‚Führers‘ im Mai 1941 nahm Martin Bormann dessen Platz ein; die Dienstelle erhielt die Bezeichnung Partei-Kanzlei. Vgl. Anne C. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a.M. 2012, S. 127–129. 43 Das deutsche Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 wurde dann Ende Mai 1938 inhaltlich in der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums herangezogen (siehe hierzu auch unten in diesem Aufsatz). Kurz davor wurden auch die ‚Nürnberger Rassengesetze‘ von 1935 in Österreich eingeführt. Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 553. 44 BArch, R 4901/681, Bl. 24–31: Protokoll über die Sitzung vom 24. März 1938, hier Bl. 27; vgl. Weinert, Maßnahmen, S. 127. 45 BArch, R 4901/681, Bl. 7–10: Besprechung am 25. März 1938. 46 Knoll an Reichelt vom 5. April 1938, aus Universitätsarchiv Wien (UAW), Rektorat SZ 669 ex 1937/38, zit. nach Weinert, Maßnahmen, S. 128.
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der Grazer Universität mitbringen, da sich das Ministerium jetzt besonders für die Personalfrage interessiert“.47 Wie die oben erwähnte Zeitungskampagne ab Ende März zeigt, sollte die ‚Entjudung‘ der Hochschulen, speziell der Universität Wien, noch vor der Volksabstimmung über den ‚Anschluss‘ am 10. April 1938 die breite Öffentlichkeit erreichen. Umgekehrt waren die Listen so weit vorzubereiten, dass bald nach der Volksabstimmung gehandelt werden konnte, um alle unliebsamen Personen noch vor der Einführung des Beamtengesetzes in Österreich zu beurlauben. Huber plädierte dafür, die „Bereinigung des Beamtentums […] in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag durchzuführen“.48 Auf Basis der Vorarbeiten an den einzelnen Hochschulen verschickte Unterrichtsminister Oswald Menghin zwischen dem 21. und 23. April nach Hochschulen und Fakultäten gegliederte Erlässe, in denen angegeben war, welche Universitätslehrer vorläufig zu beurlauben oder anderweitig von Lehrverpflichtungen zu entbinden seien.49 Aufgrund der nach Berlin geschickten Abschriften dieser Erlässe sei hier die Größenordnung dieser ersten Maßnahme im großen Stil zur ‚Säuberung‘ des Lehrkörpers dokumentiert. Diese Dokumente belegen bereits im April 1938 in Summe 312 Beurlaubungen bzw. eingestellte Lehrbefugnisse.50 An der Philosophischen Fakultät der Universität Wien wurden 16 Lehrende beurlaubt, 20 Lehrbefugnisse ruhend gestellt und 23 widerrufen. Zusätzlich wurde hier einem hauptsächlich an der Grazer Universität lehrenden Professor die Unterrichtsbefugnis entzogen. Neun Beurlaubungen gab es an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, sechs ruhende und 20 widerrufene Lehrbefugnisse. Die meisten ‚Säuberungsmaßnahmen‘ wurden an der Medizinischen Fakultät gesetzt: 16 Beurlaubungen, 16 ruhende und 105 widerrufene Lehrbefugnisse. Zusätzlich vermerkt der Erlass drei Untersagungen der Lehrtätigkeit und eine Enthebung vom Lehramt bis auf Weiteres. Alleine an der Universität Wien summieren sich diese Anordnungen auf 236 der österreichweit 312 Fälle. Der langjährige Direktor des Archivs der Universität Wien, Kurt Mühlberger, kam aufgrund von Dokumenten für diese erste ‚Säuberungswelle‘ im Frühjahr 1938 sogar auf einen noch höheren Wert: Demnach wurden an der Universität Wien 252 Universitätslehrer von ihren Posten entfernt: 52 Professoren, 195 Privat47 Knoll an Reichelt vom 5. April 1938, aus UAW, Rektorat SZ 669 ex 1937/38, zit. nach Müller, Dynamische Adaptierung, S. 599 f. 48 So der Bericht Hubers über seinen Aufenthalt in Wien vom 5. bis 11. April 1938, zit. nach Weinert, Maßnahmen, S. 129. 49 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 602. 50 Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschriften von Erlässen des Unterrichtsministers Menghin.
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dozenten und fünf Lektoren.51 Berücksichtigt man die gesamte NS-Zeit bis 1945, so war die Vertreibung von über 40 % aller habilitierten Lektoren und Lehrbeauftragten nicht nur der höchste Verlust unter den österreichischen Hochschulen. Auch im Deutschen Reich verlor nach der ‚Machtergreifung‘ keine Universität anteilsmäßig mehr Lehrende.52 Mühlberger verzeichnet für die Universität Wien von 1938 bis 1945 322 aktenkundige Fälle von Enthebungen, Entlassungen oder Entzug der Lehrbefugnis. Bezogen auf die Professoren und Dozenten verloren 45 % ihre Position.53 An der Technischen Hochschule Wien gab es im April 1938 neun Beurlaubungen, zehn ruhende und sieben widerrufene Lehrbefugnisse, an der Hochschule für Bodenkultur sieben Beurlaubungen und zwei ruhende Lehrbefugnisse, an der Universität Innsbruck elf Beurlaubungen, sechs ruhende Lehrbefugnisse und die Entziehung einer befristeten Unterrichtserteilung.54 Keine Maßnahmen wurden an der Tierärztlichen Hochschule Wien und an der Montanistischen Hochschule Leoben gesetzt, hier wurden keine Entlassungen für notwendig erachtet.55 5 Beispiel Graz
Wie nun stellte sich die Situation an der Universität Graz dar? Da die offizielle Geschichtsschreibung hier eine großteils namenlose ist,56 seien für Graz auch die betroffenen Personen genannt bzw. rekonstruiert. Auf Anordnung von Unterrichtsminister 51 Vgl. Kurt Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz 1938“. Der Verlust geistiger und menschlicher Potenz an der Universität Wien von 1938 bis 1945, Wien 19932, S. 8. 52 Vgl. Andreas Huber, Die Hochschullehrerschaft der 1930er und 1940er Jahre. Sozialstruktur und Karrierewege vor dem Hintergrund politischer Zäsuren, in: Mitchell G. Ash/Josef Ehmer (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 2: Universität – Politik – Gesellschaft, Göttingen/Wien 2015, S. 668. 53 Vgl. Mühlberger, Dokumentation „Vertriebene Intelligenz“, S. 9: 82 Professoren und 233 Dozenten der 221 Professoren und 474 Dozenten des Personalverzeichnisses des Wintersemesters 1937/38. Berücksichtigt man alle Lehrenden, kommt der Verlust von sieben der 75 Lektoren dazu. 54 Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschriften von Erlässen des Unterrichtsministers Menghin. Zu den ‚Säuberungen‘ an den genannten Hochschulen vgl. auch die einschlägigen Beiträge in diesem Band. 55 Vgl. Weinert, Maßnahmen, S. 130. Zur Hochschule für Welthandel siehe den Beitrag von Peter Berger in diesem Band. 56 Vgl. die (unterschiedlichen) Zahlenangaben in: Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 188; Alois Kernbauer, Die Hochschulen in Graz in der NS-Zeit, in: Heimo Halbrainer/ Gerald Lamprecht/Ursula Mindler (Hg.), NS-Herrschaft in der Steiermark. Positionen und Diskurse, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 230–239. Mit Scheiblechner („… politisch ist er einwandfrei …“) ist nur die Medizinische Fakultät aufgearbeitet. Vgl. Robert Moretti/Martin Rainer, Die Darstellungen der Zeit des Nationalsozialismus in den Festschriften der Universität Graz, in: Sabine Kaspar u.a. (Hg.), Die Karl-Franzens-Universität Graz und der lange Schatten des Hakenkreuzes. 15 Beiträge von Studierenden und TutorInnen, Graz 2017, S. 97–114.
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Menghin wurden am 23. April 1938 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vier Professoren beurlaubt: Adolf Lenz (Österreichisches Strafrecht), Georg Hendel (Österreichisches Zivilrecht), Alois Dienstleder (Kirchenrecht), der im ‚Ständestaat‘ Landeshauptmann gewesen war, sowie Josef Dobretsberger (Volkswirtschaft), der 1936 Bundesminister und 1937/38 Rektor gewesen war. Bei zwei Betroffenen hatte die Lehrbefugnis „bis auf weiteres zu ruhen“: Hans Riehl (Gesellschaftslehre) und Hans Mokre (Rechtsphilosophie).57 An der Medizinischen Fakultät waren fünf Professoren betroffen: der bereits mehrfach genannte Nobelpreisträger Otto Loewy (Pharmakologie), Walter Schwarzacher (Gerichtsmedizin), Otto Kauders (Psychiatrie), Otto Rösler (Innere Medizin) und Philipp Erlacher (Orthopädische Chirurgie). Drei Lehrbefugnisse hatten zu ruhen: Franz Spath (Chirurgie), Wolfgang Laves (Gerichtsmedizin) und Alois Grabner (Zahnheilkunde).58 Ebenfalls fünf Professoren wurden an der Philosophischen Fakultät beurlaubt: der Nobelpreisträger Victor Franz Hess (Theoretische Physik), Heinrich F. Schmid (Slawische Philologie), Otto Storch (Zoologie), Hugo Hantsch (Österreichische Geschichte), Franz Schehl (Alte Geschichte). Die Lehrbefugnis für Landesrabbiner David Herzog (Semitische Sprachen) wurde widerrufen, bei Albert Wesselski (Vergleichende Literaturwissenschaft) hatte sie bis auf Weiteres zu ruhen.59 Hier zeigt sich auch, dass an einzelnen Hochschulen verschiedene Kriterien angelegt wurden: Der Nobelpreisträger von 1933, Erwin Schrödinger, war neben der Grazer Lehrkanzel auch an der Universität Wien Honorarprofessor. Dort war er bereits am 22. April als politisch unzuverlässig eingestuft worden, an der Universität Graz wurde er erst am 26. August 1938 entlassen.60 Für Personalfragen änderten sich nun die Zuständigkeiten und die Rechtsgrundlage: Im Juni 1938 wurde das Unterrichtsministerium zur Abteilung IV (Erziehung, Kultus und Volksbildung) des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten.61 Geleitet wurde die Abteilung IV von Staatskommissar und SS-Standartenführer Dr. Friedrich Plattner, der sich auch die unmittelbare Führung der ‚Gruppe 2: Wis57 Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschrift des Erlasses 12680 – I/1 des Unterrichtsministers Menghin vom 23. April 1938; vgl. Lichtenegger, Nationalsozialismus, S. 54 f. 58 Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschrift des Erlasses 12680 – I/1; Lichtenegger, Nationalsozialismus, S. 54 f.; Scheiblechner, „… politisch ist er einwandfrei …“, S. 153, 236, 108, 217, 38, 242, 140 und 55. 59 Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschrift des Erlasses 12680 – I/1; Lichtenegger, Nationalsozialismus, S. 54 f. 60 Vgl. Müller, Dynamische Adaptierung, S. 606; Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 187. 61 Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 555.
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Abb. 2: Das Hauptgebäude der Grazer Universität auf einer Postkarte aus der Zeit nach dem ‚Anschluss‘ von 1938.
senschaftliche Hochschulen und Anstalten‘ vorbehalten hatte.62 1940 wurden alle österreichischen Ministerien beseitigt, und mit Verordnung vom 11. Januar wurden die österreichischen Universitäten unmittelbar dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin unterstellt.63 Als lokale Zwischeninstanzen wurden Kuratoren bestellt, die nach dem Erlass von Reichswissenschaftsminister Rust vom 26. Januar 1940 diesem als dessen „ständiger örtlicher Vertreter für die Gesamtverwaltung der wissenschaftlichen Hochschulen verantwortlich“ waren.64 Dies war übrigens der erste Schritt zu einer geplanten (und gescheiterten) ‚Verreichlichung‘ des deutschen Hochschulwesens.65
62 BArch, R 4901/13829, Personal- und Geschäftsverteilung vom 12. April 1939. 63 Vgl. Reichsgesetzblatt 1940, Teil I, Nr. 9, S. 52–55, § 7. 64 Gerhard Kasper u.a. (Hg.), Die deutsche Hochschulverwaltung. Sammlung der das Hochschulwesen betreffenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse, Bd. 1, Berlin 1942, S. 37 f. 65 Vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer, S. 317–320. Erster Schritt war die Installierung des ‚Kurators der Deutschen wissenschaftlichen Hochschulen in Prag‘. Dann folgten die drei Kuratoren für die Hochschulen in Wien, in der Steiermark bzw. für Innsbruck und schließlich der ‚Kurator der Reichsuniversität Straßburg‘.
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Angelehnt an das deutsche Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 wurde am 4. Juni 1938 die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums veröffentlicht.66 Mit dieser Rechtsgrundlage konnten die bisherigen Beurlaubungen für jüdische Lehrende oder solche, die mit als jüdisch geltenden Partnerinnen oder Partnern verheiratet waren, für Gegner der nationalsozialistischen Bewegung und für andere als missliebig angesehene Hochschulangehörige mit Regelung von Bezügen und Ruhebezügen in Versetzungen in den Ruhestand umgewandelt werden. Auch die Versetzung in den Ruhestand im Rahmen einer „Verwaltungsvereinfachung“ war möglich.67 Bereits am nächsten Tag sandte Hans Reichelt in seiner Funktion als kommissarischer Rektor der Grazer Universität eine lange Liste der zu entfernenden Lehrenden an das Ministerium und legte – bei Details hatte das Placet des mächtigen kommissarischen NS-Dozentenbundführers Karl Brauner68 gefehlt – zwei Wochen später in Wien eine neue Liste vor.69 Um sich ein Bild von den ‚Argumenten‘ machen zu können, sei ein Beispiel zitiert: „Schrödinger Erwin, Dr. ord. Prof. f. theoretische Physik, Nobelpreisträger 1936. Trutzemigrant v. 1935. Ausgesprochen judenfreundlich und Hasser des Nationalsozialismus, ergibt sich aus seiner hiesigen Tätigkeit in der Besetzungskommission und in der Fakultät, ferner aus zahlreichen Briefen […]. Ferner bestehen nachweisbare Verbindungen mit Thomas Mann, Stefan Zweig, u.s.w. Sch. ist daher an jeder deutschen Hochschule völlig untragbar. Ersatz wird später bekanntgegeben werden.“70 Nach den in Summe 21 von Unterrichtsminister Menghin gesetzten Maßnahmen vom 23. April 1938 kamen bis Jahresende noch einige dazu: die Grazer Universitätsgeschichte verzeichnet mit Jahresende den Verlust von 14 Professoren, 14 Dozenten bzw. Lektoren und zwölf Assistenten und Assistentinnen.71 Berücksichtigt man die gesamte NS-Zeit bis 1945, so stiegen diese Zahlen insgesamt auf 20 Professoren, 14 Dozenten bzw. Lektoren und 13 Assistentinnen bzw. Assistenten an. Die Universität Graz verlor somit etwa ein Drittel ihrer Professorenschaft.72 66 67 68 69
Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 160/1938, S. 445–449. Weinert, Maßnahmen, S. 131. Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 186. Vgl. Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv, Unterricht UM, allg. Akten 999, Zl. 21.980/1938: Liste vom 6. Juni 1938 sowie Reichelt an Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 23. Juni 1938 mit Beilage. 70 Ebd., Liste vom 6. Juni 1938, Nr. 1. Zu Schrödingers Versuchen, sich mit dem Nationalsozialismus zu akkordieren, vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 187. 71 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 188. 72 Vgl. ebd., S. 186.
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Zumindest die Namen der betroffenen Professoren und Dozenten können rekonstruiert werden. Zusätzlich zu den bereits genannten Personen waren an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät73 Erich Sachers (Römisches Recht), Wilhelm Taucher (Wirtschaftswissenschaften) und Anton Tautscher (Nationalökonomie) betroffen. An der Medizinischen Fakultät74 wurden weitere Lehrende entlassen: Ernst Lorenz (Kinderheilkunde), Alfons Mahnert (Gynäkologie), Paul Widowitz (Kinderheilkunde) und Hans Zacherl (Gynäkologie). An der Philosophischen Fakultät75 erhöhten sich die Fälle von Entlassungen um Hans Benndorf (Physik), Eduard Coudenhove (Kunstgeschichte), Viktor Geramb (Volkskunde), Karl Mlaker (Orientalistik), Konstantin Radaković (Philosophie) und Erwin Schrödinger. An der Technischen Hochschule Graz wurden am 21. April 1938 Bernhard Baule (Mathematik) und Gustav Jantsch (Chemie) beurlaubt.76 An dieser Hochschule sollte es während der NS-Herrschaft bei der politisch motivierten Entfernung dieser zwei von 27 Professoren bleiben.77 Bei den Maßnahmen zur ‚Säuberung‘ blieb ein Bereich zunächst ausgeklammert: das Schicksal der katholischen theologischen Fakultäten in Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg. Die Regelung dieser Frage sei davon abhängig, „welche endgültige Stellungnahme die verantwortlichen Stellen zu der Frage der Geltung der Konkordate auf dem Gebiet des Landes Österreich einnehmen“, berichtete Staatsminister Wacker noch Anfang Juli 1938: „Wird der Standpunkt vertreten, daß das österreichische Konkordat infolge des Aufhörens der Souveränität des Landes Österreich gegenstandlos geworden sei, das Reichskonkordat aber keine Anwendung auf das Gebiet des Landes Österreich finde, so besteht damit bezüglich des Landes Österreich ein konkordatsloser Zustand, der auch die Aufhebung der theologischen Fakultäten gestatten würde.“78 Zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler bereits dem ,Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich‘ Josef Bürckel mitgeteilt, „daß für Maßnahmen in Österreich das österreichische Konkordat als nicht existent zu behandeln“ sei. Im Sommer 1938 wurden darauf zunächst die theologischen Fakultäten Salzburg und Innsbruck aufgelöst.79 An der Universität Graz war 73 74 75 76
Vgl. Lichtenegger, Nationalsozialismus, S. 54 f. Vgl. Scheiblechner, „… politisch ist er einwandfrei …“, S. 156, 160, 272 und 279. Vgl. Lichtenegger, Nationalsozialismus, S. 54 f.; Amtliche Vergangenheitsbewältigung, S. 151. Vgl. BArch, R 4901/13193, Abschrift des Erlasses 12477 – I/1 des Unterrichtsministers Menghin vom 21. April 1938. 77 Vgl. Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 39–42. 78 BArch, R 4901/13856, Bl. 69–74: Bericht Staatsminister Wacker vom 4. Juli 1938, hier Bl. 71 f. 79 Zit. nach Maximilian Liebmann, Aufhebung und Wiedererrichtung der theologischen Fakultät der Universität Graz, in: Ders. (Hg.), Metamorphosen des Eingedenkens. Gedenkschrift der KatholischTheologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz 1945–1995, Graz u.a. 1995, S. 35–37; vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer, S. 291.
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es Dozentenbundführer Brauner, der ab Anfang Juni in Wien die sofortige Enthebung von zehn Dozenten der Theologischen Fakultät und deren restlose Aufhebung forderte. Dies geschah schließlich am 1. April 1939 mit der Vereinigung der Grazer Fakultät mit der in Wien – womit sie in Graz de facto aufgehoben war.80 6 Verzögerte Neubesetzung
Einen Monat nach der Veröffentlichung der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums äußerte sich am 4. Juli 1938 in Berlin Staatsminister Otto Wacker recht optimistisch: „Durch diese Maßnahmen, wie auch durch die im Zuge der Durchführung der erwähnten Verordnung erforderlich werdenden Maßnahmen, ist eine Reihe von Planstellen an den österreichischen Hochschulen frei geworden und wird eine weitere Anzahl frei werden. Um die österreichischen Hochschulen möglichst sofort wieder voll arbeitsfähig machen zu können, lege ich größten Wert darauf, möglichst rasch zu einer Wiederbesetzung der freien und freiwerdenden Lehrstühle zu gelangen. Ich habe deshalb auch den Herrn Reichsstatthalter in Österreich [Arthur Seyß-Inquart], dem die Durchführung der genannten Verordnung obliegt, gebeten, die Maßnahmen mit größter Beschleunigung durchzuführen. Für die Wiederbesetzung der freien und freiwerdenden Lehrstühle habe ich Vorschläge angefordert. Ich hoffe, daß die überwiegende Zahl der freien Lehrstühle, soweit dies möglich und zweckmäßig ist, zum Beginn des kommenden Wintersemesters wieder besetzt werden können.“81 In diese Richtung intervenierte im Sommer auch Rektor Fritz Knoll, der darum bat, klare Berufungsfälle möglichst rasch zu erledigen, zumal an der Universität Wien „etwa 40–50 richtige Lehrkanzeln unbesetzt [sind], ungerechnet der Lehrkanzeln, welche von der Partei gewünscht werden“.82 In der Praxis dauerten die Neubesetzungen wesentlich länger als erwartet. Einerseits war nach Ansicht von Reichswissenschaftsminister Rust „ein möglichst weitgehender Austausch zwischen den bisher im Altreich wirkenden Hochschullehrern und österreichischen Hochschullehren angebracht“: „Aus diesem Grunde wird auch den Bestrebungen einzelner örtlicher Stellen in Österreich, Lehrstühle an österreichischen Hochschulen nur mit Österreichern zu besetzen, entgegengetreten werden müssen, um die Gefahr einer Inzucht von vornherein auszuschließen.“83 Andererseits erwiesen sich die Neubesetzungsverfahren als umständlich und richteten sich auffallend nicht 80 Vgl. Liebmann, Aufhebung und Wiedererrichtung, S. 40–42. 81 BArch, R 4901/13856, Bericht Staatsminister Wacker vom 4. Juli 1938, Bl. 69. 82 Vermerk Wacker über eine Besprechung mit Knoll am 18. August 1938, zit. nach Nagel, Hitlers Bildungsreformer, S. 304. 83 BArch, R 4901/13856, Bericht Staatsminister Wacker vom 4. Juli 1938, Bl. 69.
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nach abgestimmten bürokratischen Verfahren, wie der Universitätshistoriker Walter Höflechner angesichts der ersten Ernennungswelle von 1939, durch die vakante Professuren, teilweise niederrangig, an der Universität Graz besetzt wurden, konstatiert hat.84 Die Nachbesetzung war größtenteils erst 1941 abgeschlossen.85 Die Verzögerungen wurden denn auch im März 1939 von österreichischen Rektoren bei der reichsweiten Rektorenkonferenz beklagt, an der auch Vertreter der Ministerialbürokratie teilnahmen. Offenbar richtete sich die Aggression illegaler Nationalsozialisten, die noch keinen – oder zumindest nicht den erwünschten – Posten bekommen hatten, gegen vertriebene Lehrende! So kritisierte Bruno Dietrich, der Rektor der Hochschule für Welthandel: „In der Ostmark bekommen diejenigen, die wir aus politischen Gründen vom Dienst beurlaubt haben, noch 12 Monate lang ihr volles Gehalt weiter. Ich kann unserer Obrigkeit den Vorwurf nicht ersparen, daß das bei allen denen böses Blut macht, die wohlverdiente alte nationalsozialistische Kämpfer sind und die wissenschaftlich und charakterlich 100-%ig geeignet sind. Ihre Verwendung wird von Monat zu Monat hinausgeschoben, bis es der Obrigkeit einfällt, sie mit halbem Gehalt oder Viertelgehalt oder ohne Gehalt zu verwenden.“86 Dietrich forderte auch eine einheitliche Bewertung ein: „Wer für uns nicht tragbar ist, sollte auch für das Altreich nicht tragbar sein. Wir von uns wünschen jedenfalls nicht, daß von der Ostmark aus Schutt im Altreich abgeladen wird.“87 Staatsminister Wacker, der bei dieser Konferenz den Vorsitz führte,88 verwies auf die Zuständigkeit des Stabes von Rudolf Heß bei politischen Beurteilungen, räumte aber die häufigen Einmischungen diverser Verbände oder Dienststellen ein.89 Harold Steinacker, Rektor der Universität Innsbruck, ortete die Probleme eher bei staatlichen Stellen: „Ich glaube, daß die Verzögerungen bei den Besetzungen, die allgemein beklagt werden, nicht nur aus dem Parteisektor kommen. […] Bei uns in der Ostmark stecken die Verzögerungen mehr im staatlichen Sektor. Wir sind dort in eine gewisse Zweigleisigkeit gekommen, unter der wir schwer gelitten haben. Wir 84 Vgl. Höflechner, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, S. 196. 85 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „Es läuft alles in geordneten Bahnen“, S. 557. 86 BArch, R 4901/13856, Stenographischer Bericht über die Rektorenkonferenz vom 7. und 8. März 1939, Bl. 209 (S. 54). 87 Ebd. 88 Vgl. Nagel, Hitlers Bildungsreformer, S. 110. 89 Vgl. BArch, R 4901/13856, Stenographischer Bericht über die Rektorenkonferenz vom 7. und 8. März 1939, Bl. 209 f. (S. 54 f.). Von der Machtübernahme bis Ende 1938 waren in Deutschland 1.231 Planstellen von Professoren besetzt worden, davon seit Anfang 1937 426. Von den Neubesetzungen in den Jahren 1937 und 1938 waren 213 Mitglieder der NSDAP und 51 Mitglieder einer Parteigliederung, also 62 % organisiert (ebd., Bl. 184: Hochschulen des Altreichs, Stand 1. Januar 1939. Planstellen [Professoren] Besetzung bei den deutschen Hochschulen).
„[…] in möglichst beschleunigtem Tempo und mit einem Schlag.“
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konnten eine Sache nicht betreiben, weil wir nicht wußten, ob sie in Wien oder in Berlin lag. In Wien liegt es auch nicht am Unterrichtsministerium allein, sondern an der Reichsstatthalterei. Da liegt des Pudels Kern. Dort geht absolut nichts weiter. Bezüglich dieser Verzögerung durch staatliche Stellen erwarten und erbitten wir uns Hilfe vom Reichserziehungsministerium.“90 Die Spitzenbeamten des Reichswissenschaftsministeriums schlossen die Debatte ab. Oberregierungsrat Huber erinnerte daran, dass man eigentlich alle Entlassungen binnen zwei Monaten durchführen wollte, diese aber noch immer nicht alle erledigt seien.91 Staatsminister Wacker spielte abschließend den Ball nach Wien zurück: „Wir haben schließlich im Zuge der Rückkehr Österreichs ins Reich den Fall gehabt, daß es in Wien folgendes gab: Die Dienststelle des Reichsstatthalters, die Dienststelle des Reichskommissars Bürckel, die Dienststelle des Generalbeauftragten für österreichische Fragen, des Staatssekretärs [Wilhelm] Keppler, und das österreichische Unterrichtsministerium, so daß wir also von vornherein mit vier Dienststellen zu arbeiten hatten.“92 Zur Etablierung der „Neuen Ordnung“ wirkten die parallelen Aktivitäten von lokalen und zentralen Stellen in der Phase der ‚Säuberung‘ mit dem Sammeln von Daten, Erstellen von Listen und Intervenieren beschleunigend – jemanden zu entfernen, ging offenbar rasch. Für die Phase der Neubesetzungen erwies sich das Wirken verschiedener Ebenen und verschiedener Stellen dann als bremsend – jemanden auf einen Posten zu bringen, konnte schwierig werden. Im Rahmen der Etablierung dieser „Neuen Ordnung“ verlor allein die Universität Graz drei Nobelpreisträger – und Österreich die Grundlage für mehrere Nobelpreise.
90 Ebd., Stenographischer Bericht über die Rektorenkonferenz vom 7. und 8. März 1939, Bl. 213 (S. 58). 91 Vgl. ebd., Bl. 214 (S. 59). 92 Ebd., Bl. 216 (S. 61).
Die politische Lage an der Universität Innsbruck 1933/34 – 1938 – 1945/1950 Austrofaschismus – Nazismus – Restauration – Entnazifizierung
Peter Goller
1 Die austrofaschistische Periode (1933–1938)
Mit dem Wintersemester 1932/33 verschärften sich die wirtschaftlichen und politischen Konflikte an der Universität Innsbruck. Im Zug der kapitalistischen Krise, im Besonderen der österreichischen Bankenzusammenbrüche war auch die Innsbrucker Hochschule mit forcierten ‚Budgetsanierungs‘-Maßnahmen konfrontiert. Die Folgen von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau erreichten nun auch das etablierte akademische Milieu. Im Oktober 1932 war der Akademische Senat mit dem Plan einer schrittweisen Schließung der Medizinischen Fakultät konfrontiert.1 Parallel zur nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland und zur eskalierten Krise um eine vom katholischen Studententum boykottierte Hochschülerschaftswahl ergingen im Januar 1933 weitere ‚Abbau‘-Erlässe. So sollten Assistenten zu unbesoldeten Hilfskräften auf prekärer Stipendienbasis herabgewertet werden, wie die Abendausgabe der Innsbrucker Nachrichten vom 20. Januar 1933 berichtete.2 Dabei war der Personalstand im Bereich der Professorenstellen schon seit Mitte der 1920er Jahre im Gefolge der sogenannten Genfer Währungssanierung um ca. 15 % gesunken. Zählte die Universität Innsbruck um 1925 knapp über 80 beamtete Professoren, waren es um 1930 nur mehr gegen 70, wobei besonders viele Ordinariate aus Ersparnisgründen zu Extraordinariaten herabgestuft worden waren.3 Aus Anlass der Berufung des späteren Nobelpreisträgers für Physik Victor Franz Hess an die Universität Innsbruck beklagte die Philosophische Fakultät im Oktober 1930 einen schleichenden Personalabbau: „Trotz der enormen Steigerung der Frequenz unserer Universität und der hierdurch bedingten erhöhten Anforderungen an 1
2 3
Nach Walter Höflechner, Die Baumeister des künftigen Glücks. Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938, Graz 1988, S. 406 f. Universitätsarchiv Innsbruck (UAI), Akten des Rektorats, Nr. 1408 aus 1932/33. UAI, Ktn. Statistik 1923–1945.
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Peter Goller
Personal und Institut ist in den letzten Jahren ein Abbau und eine Reduktion der Lehrstellen […] eingetreten und nicht ein Ausbau.“ Im Dezember 1930 begründete die Fakultät die Forderung nach personellem Aufbau mit dem Zustrom ‚reichsdeutscher‘ Hörer und stellte einen Konnex zum ‚Anschluss‘ Österreichs her: „Man spricht von Anschluss an das deutsche Volk, vorläufig nur vom Zusammenschluss zu geistiger Gemeinschaft, weil wir politisch nicht frei sind. Der Zustrom zu unserer, den deutschen Grenzen am nächsten liegenden Universität ist ein Symptom des Gemeinsamkeitsgedankens.“4 Im Zug langjähriger Unterdotation geriet die Universität in Abhängigkeit von deutscher Wissenschaftshilfe. Die Bedeutung der Deutschen Notgemeinschaft brachte Rektor Richard Seefelder im Mai 1930 in einem Antrag auf Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an den preußischen Staatsminister Friedrich Schmidt-Ott zum Ausdruck: „Ich möchte nur darauf hinweisen, dass vor allem dem Einflusse dieses Mannes es zuzuschreiben ist, dass die Tätigkeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft) auch auf Österreich ausgedehnt wurde, so dass die Forschung österreichischer Gelehrter durch Zuwendung von Mitteln vielfach gefördert, zum Teil überhaupt erst ermöglicht wurde.“5 Der Zoologe Adolf Steuer hatte sich bereits 1927 eine materielle Verbesserung allein „durch raschen baldigen Anschluss an das deutsche Reich“ erhofft. Der Innsbrucker Botanikprofessor Emil Heinricher wünschte 1933/34, dass die „unselige Spannung, die zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich ausgebrochen ist“, beseitigt werde.6 Nicht zuletzt wegen der sogenannten ‚Tausendmarksperre‘, die die deutsche Reichsregierung Ende Mai 1933 mit dem Ziel verhängt hatte, die österreichische Wirtschaft zu schädigen, brach die in den späten 1920er Jahren stark erholte studentische Frequenz ein, besonders in der Medizinischen Fakultät.
4 5 6
UAI, Ktn. Victor Franz Hess, Physiknobelpreisträger. Vgl. Peter Goller/Gerhard Oberkofler, Erwin Schrödinger. Briefe und Dokumente aus Zürich, Wien und Innsbruck, Wien 1992. UAI, Ktn. Ehrenmitgliedschaften vor 1945. Vgl. Peter Goller/Gerhard Oberkofler, Krise der Wissenschaftspolitik und Faschismus an Österreichs Universitäten. Zur materiellen Basis der „Anschlussideologie“ am Beispiel der Universität Innsbruck, in: Jahrbuch 1996 des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Wien 1996, S. 101–122.
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Die politische Lage an der Universität Innsbruck
Tab. 1: Studierendenzahlen an der Universität Innsbruck und ihrer Medizinischen Fakultät zwischen 1932 und 1935.
Semester
Gesamt
Medizin
WiSe 1932/33
3.121
1.117
WiSe 1933/34
1.915
477
WiSe 1934/35
1.751
474
War das Ausbleiben der reichsdeutschen, oft nazistisch gesinnten Studenten zwar politisch erwünscht, wirkte sich der Rückgang der Studierenden aber wegen ausbleibender Studiengebühren, einbrechender Kolleggelder und Prüfungstaxen desaströs aus. Die Innsbrucker Medizin-Fakultät klagte im Dezember 1933: „Eine weitere Verminderung der Auditoriengelder und Laboratoriumstaxen würde an manchem Institut Anschauungsunterricht, Übungen und Forschung völlig still legen.“7 Gegen Ende 1932 hatte der in Innsbruck seit 1929 bestehende Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) sein Auftreten verschärft. Am 8. November 1932 störten 70 nationalsozialistische Studierende die Vorlesung des Völkerrechtsdozenten Eduard Reut-Nicolussi, nachdem dieser vom Mussolini-Faschismus vertriebene Südtirolpolitiker die nazistische Anbiederung Österreichs an Italien kritisiert hatte. Die sozialdemokratische Volkszeitung qualifizierte dies als einen „Hakingerwirbel an der Universität“.8 Eine nazistische Propagandaoffensive erfolgte im Sog der Innsbrucker Gemeinderatswahlen im April 1933 mit dem großen Erfolg von 41 % der Stimmen für die NSDAP. Auf Universitätsboden wurde diese Welle nazistischer Aktivitäten vor allem vom Protest gegen die am 2. Mai 1933 von der Tiroler Landesregierung angeordnete Auflösung der Deutschen Studentenschaft Innsbruck (DStI) getragen. Die Studentenkammer war seit der Wahl vom Januar trotz einer Wahlbeteiligung von 52 % wegen des Boykotts durch das Lager des Cartellverbandes (CV) nur mehr ein ‚Rumpfparlament‘, in dem die Listen der waffenstudentischen Verbindungen und des NSDStB – die vereinigt auf der Liste der Völkischen Arbeitsgemeinschaft angetreten waren – jeweils zehn Mandate hielten.9 Auf die Auflösung der DStI erfolgte im Herbst 1933 – wie vom Ring Katholisch deutscher Studierender Österreichs verlangt – die Errichtung einer austrofaschistischen ‚Sachwalterschaft‘, deren erster lokaler Vorsitzender der Rechtsstudent und angehende Polizeikommissär Oswald 7 8 9
UAI, Ktn. Normalien 7/8, Akt Medizinischer Numerus Clausus 1932/33. UAI, Akten des Rektorats, Nr. 852 und Nr. 1062 aus 1932/33. Dazu kamen neun Mandate für die Nationalen Freistudenten.
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Peter Goller
Peterlunger wurde.10 Nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 wurde auch das Hochschulgelände von zahlreichen Hakenkreuzschmierereien und NS-Streuzettelwürfen überzogen. Verdeckt bildeten sich Zellen nazistischer Studierender.11 Im Frühsommer 1933 hatten sich die politischen Konflikte auch innerhalb der akademischen Leitungsgremien verschärft. So scheiterte der deutschnationale (nazistische) Flügel um Rektor Bernhard Mayrhofer beim Versuch, katholische Studierende zu disziplinieren. Oswald Peterlunger beispielsweise konnte nicht belangt werden, nachdem er am 26. Mai 1933 in seiner Eigenschaft als „Hochschulführer der ostmärkischen Sturmscharen“ gedroht hatte, eine vom Rektor in der Universitätsaula abgehaltene „Schlageter-Feier“ zu sprengen: „Sollten Schmährufe gegen Heimat, bzw. gegen unsere Regierung laut werden, so stehen wir davon nicht ab, die Universität in kurzer Zeit zu säubern.“12 Im Juni 1933 kam es aus Anlass einer geplanten ‚vaterländischen Kundgebung‘ zu einer Kontroverse zwischen dem deutschnationalen bzw. nazistischen und dem katholischen Professorenflügel. Nachdem ein Komitee um den Historiker Ignaz Philipp Dengel zu einer rückschrittlichen Veranstaltung unter dem Motto Österreich über alles, wenn es nur will! aufgerufen hatte, distanzierte sich Rektor Mayrhofer am 27. Juni 1933 von einer potenziell „gegen das deutsche Reich“ gerichteten Kundgebung. Dengel protestierte von einer habsburgischen Reichsmythologie aus gegen die Unterstellung, „reichsfeindlich“ zu agieren: „Aus der Geschichte, aus unserem heute noch wirksamen Ostmarkberuf heraus vertrete ich die These, dass es im Interesse des gesamten deutschen Volkes liegt, wenn der Österreicher nie vergisst, dass er dann der beste Deutsche ist, wenn er aus ganzer Seele ein guter und treuer Österreicher bleibt.“13 Angesichts der zunehmenden Dominanz des ‚nationalfreiheitlichen‘ Lagers an den Universitäten erklärte Heimwehrführer Richard Steidle in seiner Eigenschaft als Tiroler Sicherheitsdirektor und als Vertreter des antidemokratisch-katholischen Bürgertums im September 1933 gegenüber Rektor Mayrhofer, der wegen seiner nationalsozialistischen Gesinnung bereits vor dem Zwangsruhestand stand, dass ab dem nächsten Monat eine eigene polizeiliche Hochschulwache einziehen werde: „Der Sicherheitsdirektor stellt mit großer Schärfe voran, dass die Aufrechterhaltung der 10 Vgl. Michael Gehler, Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918–1938, Innsbruck 1990, S. 216–278. In der Zweiten Republik sollte Peterlunger Chef der österreichischen Staatspolizei werden. 11 Vollständig dokumentiert in Alexander Freiberger, Die Universität Innsbruck im Austrofaschismus 1933–1938. Am Beispiel von Disziplinarverfahren gegen NS-Studierende, unveröffentlichte Diplomarbeit Universität Innsbruck 2014. 12 UAI, Ktn. Normalien 7/8, Akt Sachwalterschaft 1933 ff. 13 UAI, Personalakt Ignaz Philipp Dengel.
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Ruhe und Ordnung zunächst Sache der akademischen Behörden sei. Die Professoren müssten, was bisher nicht geschehen sei, die Studentenschaft fest in die Hand nehmen und so Unruhen von Haus aus verhüten.“14 Um den ersten Jahrestag der ‚Machtergreifung‘ der NSDAP in Deutschland kam es Ende Januar 1934 und im Vorfeld des Juliputschs desselben Jahres an der Universität vermehrt zu nationalsozialistischen Aktionen, inbesondere zu Bölleranschlägen im Hauptgebäude. Nach der Einquartierung von Heimwehr-Einheiten im Kellergeschoss stießen diese mit NS-Studenten zusammen. Unter vielen anderen klagte am 1. Februar 1934 der Medizinstudent Walter Koban (der in den ‚Anschlusstagen‘ von 1938 aktiv werden sollte), dass er am Betreten der Universität gehindert worden sei: „Als ich durch die Anlage ging, hörte ich in einer Gruppe von Heimwehrleuten einen Mann zu einem anderen mit Bezug auf mich sagen: ‚Da geht schon wieder so ein freiheitliches Schwein vorbei!‘“ Bezeichnend ist, dass der Arbeiterwiderstand vom 12. Februar 1934 Rektor Raimund Klebelsberg in einem Bericht an das Unterrichtsministerium vom 28. Februar nur eine Randbemerkung wert war: „Im Zuge der Schutzbund-Unruhen blieb die ganze Universität vom 15. bis einschließlich 20. d[ieses] M[onats] geschlossen. Ruhestörungen sind nicht vorgefallen, waren m[eines] E[rachtens] auch nicht zu befürchten.“15 Nach der behördlich angeordneten Beseitigung der offiziellen Studentenkammer im Januar 1933 lösten sich im Folgejahr auch die von ihrem Verständnis her ‚unpolitischen‘ Fachvereine zunehmend auf. Die wegen Absingens des Horst-Wessel-Liedes disziplinarrechtlich verurteilte Dissertantin des Historikers Harold Steinacker, die spätere Schriftstellerin Gertrud Fussenegger, fühlte sich im Mai 1934 von ihren katholischen Studienkollegen im Akademischen Historikerklub denunziert: „Ich melde hiermit meinen Austritt aus dem Historiker-Klub an, da mir hier weder die wissenschaftliche Arbeit noch die akademische Kollegialität gewährleistet erscheint.“16 Im Dezember 1937 schätzte die Bundespolizeidirektion Innsbruck das nazistische Potenzial unter Innsbrucks Studenten als ungebrochen sehr hoch, seit 1936 sogar wieder ansteigend ein.17 Bereits im Sommer 1933 hatte die Unterrichtsverwaltung drei kryptonazistische Professoren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt: Paul Kretschmar (Römisches Recht), Karl Lamp (Staatsrecht) und den schon genannten Bernhard Mayrhofer (Zahnheil14 15 16 17
UAI, Akten des Rektorats, Nr. 2023 aus 1932/33. UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1366 und 1468 aus 1933/34. UAI, Ktn. Akademischer Historikerklub 1873–1938. UAI, Akten des Rektorats, Nr. 742 aus 1937/38, Liste studentischer Korporationen Dezember 1937.
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Peter Goller
kunde). Mit diesen staatsfinanziell begründeten Maßnahmen wollte das Ministerium den Einfluss des Nationalsozialismus unter Innsbrucks Professoren brechen. Dies gelang nur begrenzt, obwohl 1934 mit der Verhaftung des Geografen Friedrich Metz und des Volkskundlers Adolf Helbok – beide haben dann Professuren im ‚Dritten Reich‘ erhalten – zwei weitere Anhänger des Nazismus eliminiert wurden. Auch die Maßregelung von Assistenten, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten, konnte die Bildung eines NS-Dozentenblocks zwischen 1934 und 1938 nicht verhindern. Zu diesem Personenkreis gehörten die Medizindozenten Friedrich Plattner, Otto Hoche, Otto Reisch, Hugo Gasteiger, Norbert Piechl und Karl Lisch sowie der Philosophiedozent Ernst Foradori; sie alle setzten sich nach Deutschland ab. Analoges gilt für die Zurücksetzungen der Psychiatriedozenten Helmut Scharfetter und Hans Ganner sowie von Ferdinand Ulmer (Politische Ökonomie) und Kurt Strele (Öffentliches Recht). Plattner fungierte nach dem gescheiterten Juliputsch von 1934 kurzfristig als Tiroler Gauleiter. Nach seiner Flucht nach Deutschland erhielt er in Königsberg eine Professur für Physiologie. Im März 1938 wurde er nach der Rückkehr nach Wien Staatssekretär im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten. In dieser Funktion wurde Plattner eine Zentralfigur für die ‚Säuberung‘ und ‚Arisierung‘ der ‚ostmärkischen‘ Hochschulen. Otto Reisch war neben Plattner 1934/35 Mitglied der Landesleitung der Tiroler NSDAP. Er flüchtete 1936 nach dem Verlust der Assistentenstelle nach Deutschland. Der 1932 für Philosophie habilitierte Ernst Foradori war seit 1931 Mitglied der SA. Er lehrte ab 1934 in Berlin und wurde 1939 Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes an der Universität Innsbruck. Rund ein Viertel der Professoren der drei weltlichen Fakultäten blieb trotz der erwähnten drei Ruhestandsversetzungen und der zwei offen politischen Relegierungen ab 1933/34 im nationalsozialistischen Sinne aktiv. Hinzu kam eine einflussreiche Gruppe mehr oder weniger verdeckt deutschnationaler Sympathisanten. Mit dem Ökonomen Adolf Günther, der für einen ‚großdeutschen Wirtschaftsraum‘ plädierte, war 1934 ein maßgeblicher NS-Aktivist der Entlassung durch die austrofaschistischen Disziplinarbehörden entgangen. An den chemischen Instituten bildete sich um Ordinarius Ernst Philippi eine illegale NS-Zelle. Philippis Assistent Guido Machek wurde nicht zufällig später Leiter des NS-Dozentenbundes. Mit Recht schätzte Rektor Karl Brunner in einem Memorandum vom April 1946 rückblickend die Lage so ein: „Am stärksten war der Prozentsatz [nazistischer Studierender] unter den Medizinern, den Studierenden für Turnlehrerausbildung und den Chemikern. Bei letzteren hat die Zusammensetzung des Lehrkörpers der Chemie gewiss mitgespielt.“18 18 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 234 aus 1946/47. Alle vorhin und im Folgenden erwähnten Namen
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Ähnlich stark verankert war eine Gruppe (habilitierter) Assistenten an der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik. Vorstand Karl Meixner deckte illegale NS-Aktionen im Gerichtsmedizinischen Institut. Richard Seefelder, Ordinarius der Augenheilkunde, unterstützte ebenfalls seit 1933 die NSDAP. Das Umfeld des Botanischen Instituts – mit Vorstand Adolf Sperlich – und der Zoologische Fachbereich um Otto Steinböck sowie der Mathematikprofessor Heinrich Schatz oder der Meteorologe Arthur Wagner waren in illegalen Zellen des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) tätig. Gestützt wurde das verbotene NS-Lager von drei Professoren des historischen Fachbereichs, die sich früh für den Hitlerfaschismus einsetzten: Harold Steinacker, Richard Heuberger und Franz Miltner. Mit Ludwig Kofler und seinem habilitierten Assistenten Robert Fischer konnte auch im Pharmakognostischen Institut eine zuverlässige NSGruppe gebildet werden. Wie begrenzt die politischen Maßnahmen des ‚Ständestaats‘ allenfalls wirksam werden konnten, zeigt sich daran, dass Ludwig Kofler als ein Funktionär des NS-Dozentenbundes für das Studienjahr 1935/36 zum Rektor der Universität Innsbruck gewählt werden konnte. Im März 1938 sollte diese Professorengruppe dann die Leitung der Universität übernehmen. Es war kein Zufall, dass Harold Steinacker im Herbst 1942 dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für das Rektorsamt wieder drei Kandidaten vorschlug, die sich schon in der „Kampfzeit“ in dieser Position ausgewiesen hätten: „So kommen vor allem zwei Kollegen in Betracht, die in der schweren Systemzeit das Rektorat vorbildlich geführt haben, die Professoren R. v. Klebelsberg und L. Kofler, von den jüngeren Kräften Prof. Fr. Miltner […].“19 Zum seit 1933/34 bestehenden Netzwerk von nazistischen Dozenten kam verstärkend das nahestehende Lager der unterstützenden ‚freiheitlichen Großdeutschen‘. Der Geologe Raimund von Klebelsberg galt als deren Kollaborateur. Er wurde deshalb vom österreichischen Unterrichtsministerium im Herbst 1934 nicht für ein zweites Rektorat bestätigt.20 Statt Klebelsberg wurde mit Theodor Rittler ein zurückhaltender ‚Großdeutscher‘, keineswegs aber ein ‚Ständestaatler‘ als Rektor für das Studienjahr 1934/35 installiert. Rittler, der den Behörden wegen seiner nazistisch aktiven studierenden Söhne verdächtig war, vertrat als Strafrechtler das verfassungsliberale Erbe von 1867. Er wandte sich gegen eine ‚völkische‘ Grundlegung der Kriminalistik. Der 1912 aus Wien nach Innsbruck berufene Rittler galt so als eine Vermittlerfigur, die auch alle weiteren politischen Umbrüche von 1938 und 1945 unbeschadet überleben konnte. sind erläutert in Peter Goller/Georg Tidl, Jubel ohne Ende. Die Universität Innsbruck im März 1938. Zur Nazifizierung der Tiroler Landesuniversität, Wien 2012. 19 UAI, Nachlass Harold Steinacker, Ktn. 1. 20 Vgl. Raimund Klebelsberg, Innsbrucker Erinnerungen 1902–1953, Innsbruck 1953, S. 54 und 86–88.
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Peter Goller
Mit den herkömmlich ‚großdeutsch‘ orientierten Professoren Heinrich Hammer (Kunstgeschichte), Josef Schatz (Ältere Sprachgermanistik), mit Hermann Ammann (Sprachwissenschaft) oder mit Heinrich Sitte (Klassische Archäologie) sowie den Naturwissenschaftlern Friedrich Lerch (Experimentalphysik), Josef Lindner (Pharmazeutische und Physikalische Chemie) und dem 1935 aus Heidelberg zurückberufenen Hans Kinzl (Geografie) fand die Gruppe offen nazistisch eingestellter Professoren innerhalb der Philosophischen Fakultät eine starke Stütze. An der Rechtsfakultät zählte der Verfassungsjurist Max Kulisch zu dieser Gruppe. An der Medizinischen Fakultät sympathisierten Burghard Breitner, Vorstand der Chirurgie, oder der Pathologische Anatom Franz Josef Lang mit der illegalen NS-Bewegung. Die Gruppe der Vertrauensleute des ‚Ständestaats‘ blieb dagegen vom Beginn der austrofaschistischen Periode an innerhalb der Professorenkollegien eher defensiv und isoliert. Es erscheint im schlechten Sinn paradox, dass diese Professorengruppe an der Universität Innsbruck nach der Befreiung 1945 unter den katholisch-restaurativen Bedingungen im Zeichen der von Sektionschef Otto Skrbensky zwischen 1945 und 1952 geprägten Hochschulpolitik einflussreicher war als in den Jahren 1933 bis 1938, als Skrbensky noch Kommissar zur Aufrechterhaltung der politischen Diszi plin unter den Studierenden an den österreichischen Hochschulen gewesen war. August Haffner, Rektor im Studienjahr 1931/32, galt schon seit seiner 1906 gegen freisinnigen Widerstand im Weg eines Ministerialoktroy erfolgten Berufung zum Professor der semitischen Sprachen als ein Funktionär des politischen Katholizismus. Unter dem Austrofaschismus war er ein erster Vertrauensmann des Regimes. Klebelsberg bezeichnete Haffner in seinen Erinnerungen als den „spiritus rector jener Bestrebungen, die die Universität gerne aktivistisch-katholisch ausgerichtet hätten“.21 Haffner zur Seite standen der – allerdings oft in seiner Funktion als Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom abwesende – Historiker Ignaz Phi lipp Dengel, Schüler und Nachfolger des ultramontan-katholischen ‚Päpste-Historikers‘ Ludwig Pastor, sowie der Anglist Karl Brunner, der Philosoph Richard Strohal und der Anatom Felix Sieglbauer. Zu den ‚Ständestaatlern‘ zählt auch der 1934 in der Nachfolge Bernhard Mayrhofers zum Professor ernannte Zahnheilkundler Wilhelm Bauer, gegen dessen Habilitation die Innsbrucker Burschenschaften 1925 mit antisemitischer Stoßrichtung gehetzt hatten. Der zum Katholizismus konvertierte Bauer unterstützte die Tiroler Heimwehrverbände. Der 1937 nach Graz zurückberufene Physiknobelpreisträger Victor Franz Hess fungierte als Kulturrat des ‚Ständestaats‘. Das ‚vaterländisch‘-katholische Professorenlager sollte mithilfe von Neuberufungen gestärkt werden. In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf den 1934 beru21 Ebd., S. 53.
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fenen Römischrechtler Arnold Herdlitczka, auf den in Köln vom NS-Regime 1935 entlassenen Kirchenrechtler Godehard Josef Ebers, einen Vertreter des politischen Zentrum-Katholizismus, auf den Fachmann für Politische Ökonomie Hans Bayer, der 1937 aus dem Umfeld von Kanzler Schuschnigg aus Wien geholt wurde, und auf den 1938 kurz vor dem ‚Anschluss‘ ernannten Psychiatrieprofessor Hubert Urban. Aus der Sicht des Innsbrucker NS-Rektors Harold Steinacker stellte sich dies in einem für die Gauleitung erarbeiteten Memorandum rückblickend im August 1941 so dar: „Einen besonderen Charakter trugen die Jahre des Verfalles in der Ära Dollfuss– Schuschnigg, als Schuschnigg und dann [Hans] Pernter Unterrichtsminister waren. Die Universitäten, namentlich Innsbruck und Graz, die als Nazi-Hochburgen galten, wurden systematisch vernachlässigt, nationale Professoren entlassen oder vorzeitig pensioniert, bei Neubesetzungen klerikale Kandidaten oktroyiert […].“22 Eine dritte Professorengruppe verhielt sich passiv, scheinbar ‚unpolitisch‘. Manchmal bürgerlich-‚kultiviert‘, humanistisch, liberal gesinnt, standen sie der NS-Gruppe fern, waren aber auch keine unmittelbare Stütze des ‚Ständestaats‘. Da sie sich nie republikanisch-demokratisch, ja nicht einmal als bürgerliche ‚Vernunftrepublikaner‘ geäußert hatten, konnten sie über die politischen Brüche von 1933/34, 1938 und auch nach der Befreiung 1945 ungebrochen in der Professur verbleiben. Zu dieser ‚Zwischengruppe‘ zählten der Zivilrechtler Franz Gschnitzer, der Mineraloge Bruno Sander, der Philosoph Theodor Erismann, der Theoretische Physiker Arthur March oder der Mathematiker Leopold Vietoris, auch wenn Letzterer sich etwa an katholisch-habsburgischen Ordnungsvorstellungen orientierte. Auch die tendenziell dem katholischen Lager zugehörenden Philologen Moriz Enzinger (Deutsche Literaturwissenschaft, lange CV-Mitglied), Albin Lesky, Karl Jax (beide Klassische Philologie) und Josef Brüch (Romanistik) wurden vom NS-Regime 1938 im Amt belassen. In der Zweiten Republik stiegen Enzinger, Lesky und Brüch dann in zentrale Ordinariate der Universität Wien auf. Zu Sonderfällen mit scheinbar politischem Eigenleben entwickelten sich wegen ihres hohen lokal-tirolerisch, reaktionär geprägten Ansehens der Historiker Hermann Wopfner sowie der als Flüchtling vor Mussolini unangreifbare Völkerrechtler Eduard Reut-Nicolussi. Wopfner, familiär dem Schuschnigg-Milieu verbunden und in diversen konservativ nationalen Vereinigungen wie dem Andreas-Hofer-Bund aktiv, galt nicht zuletzt wegen seiner Forschungen zur Geschichte des Bergbauerntums – ohne ‚großdeutsch‘ aufzutreten – als ein Protagonist des ‚Tirolertums‘. Eduard Reut-Nicolussi galt schon dem Schuschnigg-Regime als ‚Störfaktor‘ in den Beziehungen zum faschistischen Italien. Als Opfer des Mussolini-Regimes war Reut-Nicolussi aber 22 UAI, Nachlass Harold Steinacker, Ktn. 1.
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auch für die NS-Behörden kaum angreifbar, obwohl er nach dem von ihm abgelehnten ‚Südtiroler Umsiedlungsabkommen‘ von 1939 und seiner vorübergehenden Flucht in die Niederlande als Risikofaktor für die Achsenmächte erscheinen sollte. So wurde Reut-Nicolussi von der Gauleitung noch im Juli 1943 aus Anlass einer möglichen Versetzung an die Technische Hochschule Wien als schwer zu durchschauender „Anhänger der Völkerbundidee“ dargestellt, der zwar ein „deutschbewußter Mann“, aber „konfessionell gebunden“ sei, „gewissen demokratischen Gedankengängen“ nachhänge und stur „die ganze Welt nur unter dem Gesichtspunkt der Abtrennung Südtirols“ sehe.23 In den Innsbrucker Fakultätskollegien fanden sich nur sehr wenige offen demokratisch gesinnte Gegner des aufkommenden Nazismus. Hierzu zählten die Mediziner Ernst Theodor Brücke und Martin Henze, die 1938 sofort enthoben werden sollten – Brücke übrigens auch aus ‚rassischen‘ Gründen. Henze, seit 1921 Professor für Medizinische Chemie in Innsbruck, wurde im April 1938 selbst „für den Rest des Sommer-Semesters wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus als untragbar bezeichnet“.24 Schon zum Oktober 1933 hatte sich der Philosoph Alfred Kastil angesichts des aufkommenden NS-Einflusses in der Innsbrucker Philosophischen Fakultät vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen. Kastil hatte sich bereits 1920 als Verteidiger von Karl Kraus’ Innsbrucker Vorlesungen den Hass der deutschnationalen und katholischen Studentenschaft zugezogen.25 Alle Versuche des ‚Ständestaats‘, den Hitlerfaschismus propagandistisch zu überbieten (‚Überhitlern‘), blieben hilflos. So wurden erstmals im Sommer 1936 auf der Grundlage des im Vorjahr in Kraft gesetzten Hochschulerziehungsgesetzes26 Hochschullager organisiert. Die im selben Gesetz für alle Studierenden verpflichtend vorgeschriebene „Weltanschauungsvorlesung“ zur „Bildung von sittlichen Persönlichkeiten im Geiste vaterländischer Gemeinschaft“ hielt in Innsbruck der katholische Philosophieprofessor Richard Strohal. Dem ‚vaterländischen‘ Innsbrucker Philosophiedozenten Simon Moser wurde 1937 die analoge Vorlesung an der Universität Wien übertragen. Moser war 1936 als sogenannter Bildungsführer an der Durchfüh23 Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR), Bundesministerium für Unterricht (BMfU), Personalakt Eduard Reut-Nicolussi. Vgl. Michael Gehler, Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918–1958, Teil 1: Biographie und Darstellung, Innsbruck 2007, S. 114–125. Zu Wopfners politischer Haltung vgl. Herbert Dachs, Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluss 1918–1930, Wien/Salzburg 1974, S. 223–235. 24 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1455 aus 1937/38. 25 Vgl. Franziska Mayer-Hillebrand, Nachruf auf Alfred Kastil, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 5 (1951), S. 272–276. 26 Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Nr. 267/1935, S. 966–968.
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rung der Hochschullager im Tiroler Rotholz und im Kärntner Ossiach beteiligt. Der seit Jahren in Innsbruck im klerikalen Bruder-Willram-Bund aktive Moser, der für eine ‚abendländisch‘-austrofaschistische Überhöhung von Sport und Alpinismus gesorgt hatte, wurde Ende 1937 zum Dozenten an die Universität Wien befördert und gleichzeitig zum zentralen Kulturreferenten im Vaterländische-Front-Werk ‚Neues Leben ‘ ernannt. An dessen Grundlinien sollte Moser in vielem ungebrochen im August 1945 als Mitorganisator der Alpbacher Hochschulwochen anknüpfen.27 Auf Intervention des klerikalen Unterrichtsministers Hans Pernter hin sollte das ‚Ständestaatslager‘ auch durch die Wiederzulassung der Jesuiten-Theologen zum Rektorsamt gestärkt werden: „Der akademische Senat hat in seiner Sitzung vom 28. April [1936] festgestellt, dass […] der Erlass des k .k. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 26. Juni 1872 […] kraft dessen an der Universität Innsbruck von der Wahl eines Theologen zum Rektor bis auf weiteres abzusehen war, als aufgehoben zu betrachten ist und dass sohin einer solchen Wahl kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht.“ So wurde mit dem Moraltheologen Albert Schmitt für 1936/37 erstmals seit dem ‚Kulturkampf‘, in dessen Rahmen es zwischen 1868 und 1873 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche gekommen war, wieder ein Jesuit zum Rektor gewählt.28 2 ‚Rassische‘ und politische ‚Säuberung‘ im Sommersemester 1938
Der Anglist Karl Brunner wurde als Exponent der Vaterländischen Front am 13. März 1938 seines Rektoramtes enthoben und durch den nazistischen Historiker Harold Steinacker ersetzt. Zum Höhepunkt universitärer Anbiederung geriet die Feier „zum 50. Geburtstag des Führers“ am 20. April 1939. Steinacker, der federführende Exponent der historisch-kritischen Hilfswissenschaften, bot in seiner Festrede Versatzstücke aus dem bürgerlichen ‚großdeutschen‘ Geschichtsdiskurs. Von Überlegungen, der ‚Führer‘ sei der Vollender der Bismarck’schen Reichseinigung von 1871, ging Steinacker direkt zu Blut-und-Boden-Ideologien, zu Thesen vom „plutokratischen“ und „bolschewistischen Judentum“ über.29 Das vor dem ‚Anschluss‘ gedruckte Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1938 gab noch einmal das Bild der von der Vaterländischen Front kontrollierten 27 UAI, Ktn. Präsidialakten 1933–1938: Neueste Zeitung (Innsbruck) vom 1. Dezember 1937. Vgl. Tamara Ehs, Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), S. 377–396. 28 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1573 aus 1935/36. 29 Vgl. Harold Steinacker, 1889 – 1919 – 1939. Gedenkrede am 50. Geburtstag des Führers, in: Ders., Volk und Geschichte. Ausgewählte Reden und Aufsätze, Brünn/München/Wien 1943, S. 378–395.
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Universität Innsbruck wieder, an der zu diesem Zeitpunkt 1.750 Studierende inskribiert waren. Demnach zählte die Universität im Februar 1938 insgesamt 73 beamtete Hochschulprofessoren: 15 Theologen, 17 Mediziner, zehn Juristen (davon zwei Nationalökonomen) und 31 Philosophen, das heißt 17 Vertreter geistes- und 14 Vertreter naturwissenschaftlicher Fächer. Ferner lehrten zu Beginn des Sommersemesters 1938 an der Universität Innsbruck 65 habilitierte Privatdozenten: neun Theologen, 24 Mediziner, sechs Juristen (davon drei Nationalökonomen) und 26 Philosophen (davon 16 Naturwissenschaftler). Seit dem Beginn der ‚Sparprogramme‘ waren ab 1931/32 maximal 60 bis 70 wissenschaftliche Hilfskräfte bzw. Assistenten beschäftigt gewesen. Der Großteil (ca. 50) hatte zur Medizinischen Fakultät gehört, nur ein oder zwei Assistentenstellen waren den Rechts- und Staatswissenschaften zugeteilt gewesen. An der Philosophischen Fakultät waren ca. 20 Assistenten tätig, mehr als drei Viertel hiervon an naturwissenschaftlichen Instituten. An der Rechtsfakultät wurden nun im Verlauf des Sommersemesters 1938 fünf von zehn Professoren entlassen; besonders schwer traf es den aus ‚rassischen‘ Gründen entlassenen Zivilrechtler Karl Wolff. Die Professoren Ferdinand Kogler (Rechtsgeschichte), Arnold Herdlitczka (Römisches Recht), Godehard Josef Ebers (Kirchenrecht) und Hans Bayer (Politische Ökonomie) wurden als Anhänger des austrofaschistischen Regimes mit unterschiedlichen Ruhestandszumessungen enthoben. An der Medizinischen Fakultät kam es unter den 17 Professoren zu sechs Enthebungen. Pathologieprofessor Gustav Bayer befürchtete die ‚rassische‘ Verfolgung und flüchtete im März 1938 in den Freitod. Der Physiologe Ernst Theodor Brücke und der Zahnheilkundler Wilhelm Bauer wurden aus ‚rassischen‘ Gründen vertrieben. Zusätzlich wurden die mit dem austrofaschistischen ‚System‘ sympathisierenden Professoren Hubert Urban (erst Tage vor dem ‚Anschluss‘ ernannter Psychiatrieprofessor) und der Medizinische Chemiker Martin Henze ihrer Lehrämter enthoben. An der Philosophischen Fakultät mussten von den 31 Professoren fünf die Universität verlassen: Der Musikwissenschaftler Wilhelm Fischer aus ‚rassischen‘ Gründen, der Historiker Ignaz Philipp Dengel, der Semitologe August Haffner, der Anglist Karl Brunner und der Philosoph Richard Strohal galten „aus weltanschaulichen Gründen“ als „untragbar“.30 Keinem der sechs Privatdozenten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurde die Lehrbefugnis entzogen. An der Medizinischen Fakultät verloren von 24 Dozenten zwei ihre Venia legendi. An der Philosophischen Fakultät lehrten zu Be30 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1455, 1554, 1598 und 1817 aus 1937/38, Sammelakt Personalverfügungen.
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ginn des Sommersemesters 26 Privatdozenten. Dem Botaniker Helmut Gams wurde das Lehramt Ende 1938 aus ‚rassischen‘ Gründen entzogen, sechs weitere Dozenten galten als Exponenten des politischen Klerikalismus, weshalb ihnen zumindest temporär die Habilitation aberkannt wurde. Unter ihnen befand sich der in der Zweiten Republik einflussreiche Wiener Psychologie-Ordinarius Hubert Rohracher.31 Um der „Überfremdung der deutschösterreichischen Hochschulen durch jüdische Hörer zu steuern“, wurde mit Erlass des Unterrichtsministeriums vom 29. März 1938 ein Numerus clausus für jüdische Hörerinnen und Hörer verfügt. An der Universität Innsbruck suchten daraufhin für das Sommersemester 1938 vier Studierende um nochmalige Durchführung der Inskription an. Am 15. November 1938 teilte das Rektorat dem Ministerium mit, „dass unter den bisher gemeldeten Studierenden an der Universität Innsbruck sich kein Jude befindet“.32 Die Eliminierung jüdischer Studierender wurde bis zum Ende des NS-Regimes mit bürokratischem Eifer weiterverfolgt. Als die NS-Behörden 1944 die Bestimmungen über „die Zulassung von jüdischen Mischlingen zum Hochschulstudium“ verschärften, meldete Rektor Klebelsberg am 19. Mai 1944, dass an der Universität Innsbruck im laufenden Sommersemester 1944 nur eine Studierende als „Mischling 2. Grades“ zum Studium zugelassen sei.33 Schon vor der Aufhebung der Katholisch-Theologischen Fakultät wurde nach dem ‚Anschluss‘ das laufende Berufungsverfahren für den Privatdozenten des Neuen Testaments und Jesuitenpater Paul Gächter eingestellt, nachdem am 1. Juni 1938 ein Universitätsbediensteter zu Protokoll gegeben hatte, dass Gächter „im Jahre 1937, vermutlich im Spätherbst, ein Führerbild auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Auf die Frage Gächters […], wer dies wohl sei und dessen Antwort, dass es der Führer sei, sagte P. Gächter: ‚Das ist der Henker Deutschlands.‘ Aus Anlass der Unterschriftseinholung für ein Zirkular sagte P. Gächter: Ich bin kein Deutscher.“ Am 20. Juli 1938 wurde schließlich die über ein austrofaschistisches Konkordat erst 1934 abgesicherte Katholisch-Theologische Fakultät aufgelöst.34 Auf der Ebene der Universitätsleitung wurde nach dem 13. März 1938 ein ‚kommissarischer‘ Stab eingerichtet, der sich seit 1933/34 im nazistischen Sinne ‚bewährt‘ hatte. Zur nationalsozialistisch-faschistischen Führungsspitze der Universität Inns31 Vollständige Liste bei Gerhard Oberkofler, Bericht über die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Innsbruck, in: Zeitgeschichte 8 (1981), S. 142–149. 32 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 741 aus 1938/39. 33 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 70 aus 1944/45. 34 UAI, Akten des Rektorats, NS-Reservatakten I: Protokoll in der Angelegenheit Prof. Gächter. Vgl. Andreas Batlogg, Die Theologische Fakultät Innsbruck zwischen „Anschluss“ und Aufhebung (1938), in: Zeitschrift für Katholische Theologie 120 (1998), S. 164–183.
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bruck zählten neben Rektor Steinacker (Geschichte) die Ordinarien Ludwig Kofler (Pharmazie), Adolf Sperlich (Botanik), Ernst Philippi (Chemie), Franz Miltner (Althistoriker), Adolf Günther (Politische Ökonomie) und der Zoologe Otto Steinböck, die – wie oben aufgelistet – längst ‚illegale‘ Parteigenossen waren. Auf der Ebene der Lehrkanzeln wurden zahlreiche NS-Berufungen vorangetrieben. Dem Dekan der Juridischen Fakultät Adolf Günther war es gelegen gekommen, dass er im Frühjahr 1938 dem „jüdischen Professor“35 Karl Wolff die Professur wegnehmen konnte und den eben im Windschatten der NS-Truppen nach Österreich zurückgekehrten, im nazistischen Sinn „politisch wertvollen“ Zivilrechtler Hermann Hämmerle Ende April 1938 vorschlagen konnte. Im Zug eines illusionären „Aufbauprogramms“ wollte die Rechtsfakultät 1938 nach dem ‚Anschluss‘ für die ‚Grenzland universität Süd‘, in die die Innsbrucker Universität umgewandelt werden sollte, in einem Dreiervorschlag exponiert ausgewiesene Juristen des NS-Regimes wie Ernst Rudolf Huber (Leipzig), Gustav Adolf Walz (Köln) oder Theodor Maunz (Freiburg) gewinnen. Der Vorschlag war unrealisierbar. Die Fakultät konnte 1939 nur den zu Beginn der 1930er Jahre habilitierten Lamp-Mitarbeiter Kurt Strele, eine „während der Systemzeit zurückgesetzte Kraft“, in ein neues Extraordinariat des Öffentlichen Rechts heben. Im Bereich der Politischen Ökonomie musste sich die Fakultät in der Person Ferdinand Ulmers ebenfalls mit der Hausberufung eines nazistischen Wissenschaftlers begnügen.36 Am 21. Mai 1938 beantragte Franz Josef Lang als Dekan der Medizinischen Fakultät im Rahmen eines „Aufbauprogramms“ die Neuausrichtung jener Lehrkanzel, die nach dem Freitod Gustav Bayers vakant geworden war: „Umwandlung des In stitutes für allgemeine und experimentelle Pathologie in eine selbständige Unterabteilung der Lehrkanzel für Pathologie mit besonderer Pflege der Erbbiologie und Erbpathologie“. Mit Eduard Pernkopf und Friedrich Plattner erstellten am 20. Juni 1938 zwei maßgebliche Funktionäre der Wiener NS-Medizin einen Bericht über ein zu gründendes Erb- und Rassenbiologisches Institut. Die Innsbrucker Medizinfakultät hat dann den 1936 in München habilitierten Friedrich Stumpfl berufen. Politisch wies sich Stumpfl 1939 so aus: „Seit 15.1.1934 habe ich im Rahmen des Hilfsbundes (Kampfbundes) der Deutschösterreicher im Reich illegal für die NSDAP gearbeitet.“37 Für die philosophische Fachgruppe verlangte Dekan Ernst Philippi im Mai 1938 35 So in einer Ministerialeingabe vom 30. September 1938: UAI, Akten des Rektorats Nr. 2433 aus 1937/38. 36 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1817 aus 1937/38 und Nr. 1092 aus 1938/39. 37 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 2235 aus 1937/38. Berufungsakt Erb- und Rassenbiologie.
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eine weltanschauliche Neuausrichtung: „Hier liegen die Dinge in personeller Hinsicht besonders traurig, indem der Inhaber der einen philos[ophischen] Lehrkanzel einschl[ießlich] Pädagogik (Strohal) wegen seiner politischen Einstellung beurlaubt wurde, und der Vertreter der anderen, der philos[ophisch-]psychol[ogischen] Kanzel (Erismann), wie sämtliche vier Privatdozenten des Faches (Rohracher, Mayer, Moser und Windischer) zum mindesten nicht der NS-Weltanschauung angehören.“38 Für die philosophische Lehrkanzel gewann die Fakultät mit dem aus Greifswald berufenen Walter Schulze-Soelde einen Vertreter einer ‚völkisch‘-idealistischen Mystik. Für die vakante Professur der Neueren Geschichte nannte die Fakultät „gesamtdeutsch“ orientierte NS-Anhänger wie die Wiener Dozenten Reinhold Lorenz und Taras Borodajkewycz. Steinacker forcierte aber den „kämpfenden“, „total volksbezogenen“ NS-Historiker Kleo Pleyer, einen seit seinen Prager Studententagen berüchtigten antisemitischen Hetzer. Nach Pleyers „Heldentod“ bemühte sich Stein acker 1942 vergeblich um adäquaten Ersatz in der Person eines Nachwuchsdozenten vom Zuschnitt eines Theodor Schieder, Reinhard Wittram oder Fritz Valjavec. Im Sinne der von Steinacker und Dekan Franz Miltner geplanten nazistischen „geisteswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“ wurden zwischen 1939 und 1942 der Musikwissenschaftler Wilhelm Ehmann, der Kunsthistoriker Werner Körte, der Anglist Reinald Hoops, der Altgermanist Kurt Herbert Halbach, der Urhistoriker Leonhard Franz, der 1933 aus Innsbruck als ‚illegaler‘ NS-Anhänger nach Leipzig geflüchtete Volkskundler Adolf Helbok oder der Tirol-Historiker Franz Huter berufen.39 Die Berufungsverhandlungen führte Leonhard Franz im September 1942 mit Blick auf „die nationalpolitische Bedeutung der Vor- und Frühgeschichte im Grenzgau Tirol und Vorarlberg“.40 Die unter Steinackers und Miltners Federführung 1940 habilitierten Geisteswissenschaftler Walter Del Negro (Philosophie) und Peter Julius Junge (Alte Geschichte) bemühten sich um eine rassistische Profilierung ihrer jeweiligen Fächer. Gleiches gilt für den 1942 ernannten Zivilrechtsdozenten Herbert Feuchter. Der 1943 für deutsche Literaturwissenschaft habilitierte Herbert Seidler wollte sich nicht zuletzt an Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts orientieren.41 38 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 2521 aus 1937/38, Fasz. Aufbauprogramm für die Universität Innsbruck, Sommer 1938. 39 Vgl. Gerhard Oberkofler, Ludwig Spiegel und Kleo Pleyer. Deutsche Misere in der Biografie zweier sudetendeutscher Intellektueller, Innsbruck 2012, S. 207–213. 40 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1397 aus 1941/42. 41 Vgl. Peter Goller/Georg Tidl, Faschistischer Wissenschaftsnachwuchs. Geisteswissenschaftliche Berufungen und Habilitationen an der Universität Innsbruck in den NS-Jahren 1938–1945, in: Dies., Jubel ohne Ende, S. 169–192.
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Bei der Einstellung von Assistenten betrieb die Universität Innsbruck bereits für das Sommersemester 1938 eine offensive nazistische Politik. Zahlreiche ‚illegal Verdiente‘ suchten um ‚Wiedergutmachung‘ an, etwa der als SA-Truppführer ausgewiesene Historiker Wilhelm Neumann (nach 1945 Landesarchivdirektor in Klagenfurt). So wurde der seit 1931 aktive SA-Sturmbannführer Walter Koban Assistent an der Medizinischen Fakultät. Zur Schlüsselfigur der nazistischen ‚Gleichschaltung‘ der Innsbrucker Studentenschaft wurde der eigens aus dem ‚Altreich‘ nach Innsbruck versetzte NS-Vertrauensmann Hanns Martin Schleyer, der bis 1940 das offiziöse ‚Studentenwerk‘ Innsbruck leitete.42 Nachdem sich die nationalen Studentenverbindungen, das heißt die Corps und die Burschenschaften, im Rahmen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in NS-Kameradschaften überführt hatten, traten sie Ende Februar 1940 in der Universitätsaula in Gegenwart von Schleyer, der zu diesem Zeitpunkt die ‚Abteilung Kameradschaftserziehung in der Reichsstudentenführung‘ leitete, als ‚Kameradschaft Arthur Seeber‘, ‚Leutnant Günther‘, ‚Georg Ritter von Schönerer‘ und ‚Walter von der Vogelweide‘ auf. Die Innsbrucker Nachrichten zitierten am 26. Februar 1940 aus Schleyers Rede: „Der Reichsstudentenführer hat anlässlich der zehnjährigen Wiederkehr des Todestages Horst Wessels achtzig Kameradschaften des NSDStB Namen verliehen.“ Die 1938 großspurig angekündigten ‚Aufbauprogramme‘ waren schon ein Jahr später Makulatur. Zu Kriegsbeginn wurde die Universität Innsbruck für das Wintersemester 1939/40 vorübergehend geschlossen. Gerüchte über eine definitive Aufhebung oder eine Zusammenlegung mit der Universität München kursierten. Allein der Rückgang der Inskriptionen zu Beginn des ersten Trimesters am 7. Januar 1940 um über ein Viertel (gegenüber Anfang 1938) und der schon 1939 einsetzende Rückgang der Promotionen um bis zu zwei Drittel waren Zeichen dafür, dass die Inns brucker Professoren auf die faschistische Propaganda hereingefallen waren. Mit dem ‚Anschluss‘ hatten viele Universitätsgelehrte die Hoffnung auf eine grundlegende Verbesserung verbunden. Nach den Jahren materieller Auslaugung setzten die Professoren im Zusammenhang mit der Rüstungsscheinkonjunktur und dem deutschen Großmachtstreben auf ‚Aufbauprogramme‘. Kurzfristig gewährte Sonderdotationen nährten Illusionen vom Ausbau zu einer ‚Grenzlanduniversität Süd‘. Dekan Ernst Philippi, Professor der Chemie, stellte im Aufbauprogramm für die Philosophische Fakultät vom Juni 1938 die naturwissenschaftlichen Disziplinen in den Mittelpunkt: „Hier hat sich das Fehlen jeglichen ordentlichen Etats durch nun42 Vgl. Lutz Hachmeister, Schleyer. Eine deutsche Biographie, München 2004, S. 154–159. 1970 wurde Schleyer zum Ehrensenator der Universität Innsbruck ernannt.
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mehr 6 1/2 Jahre auf alle Institute verheerend ausgewirkt. Außerdem gingen in den letzten Jahren die zweite botanische, die zweite zoologische und die mit dem Strahlenforschungsinstitut verbundene zweite physikalische Lehrkanzel verloren. […] Bei den Assistentenbestellungen und Weiterbestellungen ließ man die Vorgeschlagenen zumeist aus politischen Gründen monatelang unbestätigt – kurzum, die Tatsache, dass sich unter der Professorenschaft der Naturwissenschaften kein einziger ‚Vaterländer‘, wohl aber etwa die Hälfte illegaler P[artei]g[enossen] befanden, während die andere Hälfte mit diesen sympathisierte, wurde von den Unterrichtsministern Schuschnigg und Pernter mit biblischer Grausamkeit an den Kindern gerächt.“43 1941/42 musste indirekt auch Harold Steinacker als nazistischer Rektor eingestehen, dass die ‚Aufbaupläne‘ für eine „Deutsche Alpenuniversität“44 gescheitert waren und nur wenige Fortschritte gegenüber dem ‚System‘ der austrofaschistischen Periode erzielt werden konnten. Bei seinem Amtsabtritt schob er am 29. September 1942 gegenüber Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust die Schuld auf die im Übergang 1938/39 noch existente Wiener Ministerialbürokratie: „Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, dass nach dem Kriege, der auch uns manchen Verzicht auferlegt hat, die empfindliche Benachteiligung ausgeglichen werden kann, die das Wiener Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten uns zu Teil werden ließ, indem es 1939 den Etat unserer Hochschule zum größten Teil mit dem Stand übernommen hat, auf den wir durch die österreichische Systemregierung geschrumpft waren.“ Stein acker, der die Budgetknappheit mit Blick auf die Kriegserfordernisse akzeptierte, dabei aber nicht erkannte, dass Aufrüstung und Krieg nicht die Ausnahme, sondern faschistischer Normalzustand waren, wollte die Universität Innsbruck wenigstens vor einer Unterstellung unter eine Gesamt-Kuratorverwaltung bewahren, die angeblich in München oder Wien angesiedelt werden sollte. Mit dem Ziel, die herkömmliche ‚Universitätsautonomie‘ zu verteidigen, führte er aus: „Natürlich muss der Rektor auch eine klare politische Linie einhalten. Aber das ist durch sein Angewiesensein auf das Zusammenwirken mit dem Gaudozentenbundführer, der die Verbindung zu Partei und Gau vermittelt, gesichert.“45
43 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 2521/2 aus 1937/38. 44 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 873 aus 1940/41. 45 UAI, Nachlass Harold Steinacker, Ktn. 1.
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3 Restauration: Entnazifizierung und ‚Rehabilitation‘ (1945–1950)46
Nach der Befreiung Österreichs im Mai 1945 stand an der Universität Innsbruck kein demokratisches Potenzial zur Erneuerung zur Verfügung. In Innsbruck hatten nun wieder die alten austrofaschistischen Kader das Sagen, die in den folgenden fünf Jahren einen personellen Ausgleich mit den ‚belasteten‘, aber in der Innsbrucker Zivilgesellschaft weiter gut verankerten ‚Deutschnationalen‘ finden sollten. Eine Öffnung des politischen Spektrums der Innsbrucker Universität in eine bürgerlich-liberale und republikanisch-demokratische Richtung war unter den Tiroler Bedingungen des Jahres 1945, die von einer katholisch-konservativen, antisozialistischen Grundprägung gekennzeichnet waren, nicht zu erwarten.47 Fast materialistisch hört es sich an, wenn ‚Anschlussrektor‘ Steinacker im Dezember 1945 in Bemerkungen zum Rekurs gegen meine Entlassung die faschistische Lösung in die Kontinuität bürgerlicher Ideologie stellte und die antisozialistische Stoßrichtung als Verdienst des Nazismus hervorhob: „Im [deutschen] Reich wie bei uns wuchs [nach 1918] die Lähmung des politischen Willens und die wirtschaftliche Not, der kulturelle und sittliche Verfall in erschreckendem Ausmaß. Der Kommunismus gewann an Boden und sein Sieg schien sicher. Es lag das Experiment nahe, mit ganz anderen, undemokratischen Mitteln die Rettung zu versuchen.“48 Insbesonders die im Spätsommer 1945 in den Alpbacher Hochschulwochen kultivierte restaurative Erneuerung der geisteswissenschaftlichen Fächer zeigt, wie die bürgerliche Ideologie nach dem Wegfall der faschistischen Herrschaftsform opportun zu adaptieren war. Die dominierende katholische Universitätsgruppe gewährte sich durch ihre pathetisch-religiöse Orientierung auf „den Kosmos“ und die „humanis46 Referiert nach Peter Goller/Gerhard Oberkofler, Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation von Nazikadern (1945–1950), Innsbruck 2003. Ferner siehe Peter Goller, „… natürlich immer auf wissenschaftlicher Ebene!“ Mystifikationen. Die geisteswissenschaftlichen Fächer an der Universität Innsbruck im Übergang von Nazifaschismus zu demokratischer Republik nach 1945, Innsbruck 1999, und Ders., Der Dozentenkader der Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Innsbruck und die Befreiung vom Nazifaschismus 1945–1951, Innsbruck 2000. Weiters ist zu verweisen auf Susanne Lichtmannegger, Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck 1945–1955. Zur Geschichte der Rechtswissenschaft in Österreich im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1999, und Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Die Medizinische Fakultät Innsbruck. Faschistische Realität (1938) und Kontinuität unter postfaschistischen Bedingungen (1945), Innsbruck 1999. 47 Dieser Abschnitt folgt Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Betrachtungen zur bürgerlich-restaurativen Universitätsideologie. Am Beispiel des Innsbrucker Universitätslebens nach 1945, in: Hermann Klenner u.a. (Hg.), Repraesentatio mundi. Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Heinz Holz, Köln 1997, S. 379–409. 48 UAI, Personalakt Harold Steinacker.
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tischen Ideale der Antike“ einen Überbau, mit dessen Hilfe der konkreten, ein paar Wochen zurückliegenden Geschichte leicht zu entfliehen war. Anstelle konkreter Geschichtsanalyse wurde in Alpbach „Ehrfurcht vor den wirklichen Mächten unserer, d. h. der abendländischen Tradition“, verordnet und an die Ständestaatsideologie anknüpfend gegen die „willkürliche Zügellosigkeit eines antiquierten Liberalismus“ polemisiert. In austrofaschistischem Stil heißt es im Alpbach-Protokoll des Sommers 1945: „Der übersteigerte Parlamentarismus mit seiner Herrschaft der reinen Quantität hatte es verantwortungslosen Elementen erlaubt, mit skrupellosen Versprechungen und Verführungen zur unumschränkten Macht der Diktatur zu kommen.“49 Politisch war die Umstellung des wissenschaftlichen Personals vom katholischen Cartellverband beherrscht. Bis zur Übernahme der Universität Innsbruck in unmittelbare Ministerialverwaltung im Frühjahr 1946 liefen die Entscheidungen über den Staatskommissär für die unmittelbaren Bundesangelegenheiten im Lande Tirol, Erich Kneussl. Dieser Spitzenbeamte, der noch von obrigkeitsstaatlichem Denken geprägt war und im ‚Ständestaat‘ politischer Funktionär gewesen war, gehörte der CV-Verbindung ‚Austria‘ an. Ein weiteres Mitglied dieser Verbindung war Oberlandesgerichtsrat Anton von Petzer. Er saß dem ‚Überprüfungsausschuss‘ vor, der im Oktober 1945 direkt an der Universität eingerichtet wurde, von den politischen Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) mit je einem Vertreter beschickt wurde und der nachprüfenden Kontrolle der französischen Militärregierung unterstand. Die entscheidenden Vorarbeiten für den Petzer-Ausschuss erbrachte mit dem neuen Universitätsdirektor Richard Pokorny, der später zum stellvertretenden Tiroler Landesamtsdirektor aufsteigen sollte, ebenfalls ein Mitglied der ‚Austria‘. Den Vertretern von SPÖ und KPÖ fehlte es demgegenüber schon an Hintergrundwissen über die lokale akademische Welt. Auch von studentischer Seite konnten sie nicht auf politische Unterstützung bauen. Zwar hat der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (VSStÖ) – maßgeblich organisiert vom Medizinstudenten Hans Hüttenberger, dem Sohn des Tiroler SPÖ-Vorsitzenden Franz Hüttenberger – bei der ersten Innsbrucker Hochschülerschaftswahl im Herbst 1946 29 % der Stimmen erreicht, nachdem zuvor im November 1945 ein überparteilicher Hauptausschuss unter dem Vorsitz des Psychologiestudenten Eduard Grünewald eingesetzt worden war. Der relativ hohe VSStÖ-Stimmenanteil von 1946 ist aber nur zum geringen Teil auf die Existenz von gut organisierten und geschulten sozialistischen Studenten zurückzuführen. Er erklärt sich primär aus einer antinazistischen Befreiungsstimmung, 49 Vgl. Simon Moser/Robert Muth (Hg.), Wissenschaft und Gegenwart. Internationale Hochschulwochen des Österreichischen College Alpbach, Tirol 25. August bis 10. September 1945, Innsbruck 1946, u.a. S. 15, 18 und 87 f.
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die für kurze Zeit bemerkbar war, und aus opportunistischen Verhaltensweisen. Hierauf deutet nicht zuletzt die Tatsache, dass der VSStÖ bei der Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) von 1948 noch knapp 20 % zählte und sein Anteil im Frühjahr 1949 auf 17 % sank. Die Kommunistische Studentengruppe hatte 1946 1,5 % erhalten. Die Innsbrucker Hochschülerschaft war von Anfang an von der bürgerlich-katholischen Union der Österreichischen Akademiker dominiert. 1946 gehörten mehr als 50 % der Wahlkandidaten der ‚Union‘ zugleich dem CV an. Die Innsbrucker ‚Union‘ konnte ihren Stimmenanteil von 69 % im Jahr 1946 auf 80 % bei den Wahlen von 1949 steigern. Neben dem ‚nationalen Lager‘, das im Ring Freiheitlicher Studenten vertreten war, beherrschte die ‚Union‘ auch in den 1950er Jahren die ÖH Innsbruck. Die sozialistischen Studierenden hingegen waren seit Mitte desselben Jahrzehnts nicht mehr im Innsbrucker Studentenparlament vertreten.50 Für den Wiederaufstieg des deutschnational-‚freiheitlichen‘ Lagers an der Universität Innsbruck und für die rückwärtsgewandte Stimmung bezeichnend ist, dass eine im Dezember 1950 vom Bund Unabhängiger Studenten (BUS) verdeckt organisierte Störung eines Filmabends der Israelitischen Kultusgemeinde in einem Universitätshörsaal auf keinen wirklichen Gegenprotest stieß. Gegen zwei antinationalsozialistische Filme zirkulierten auf dem Universitätsgelände antisemitische Flugzettel: „Studenten, Studentinnen! In den Räumen unserer Universität wird Propaganda getrieben! Die Filme Der Prozess und Duell mit dem Tod sind gerade noch gut genug, nachdem sie in der Öffentlichkeit schlechte Erfolge hatten, auf akademischem Boden aufgeführt zu werden. In Berlin demonstrieren jüdische D[isplaced] P[ersons] gegen hochwertiges Künstlertum des Wiener Burgtheaters! Und wir sollen hier Propaganda zulassen? Studenten, Studentinnen! Sammelt Euch heute abend [12. Dezember 1950] um 1945 Uhr in der Universität, um diese Aufführungen zu verhindern.“51 Nachdem im Sommer 1945 im Weg von Anweisungen der provisorischen Landesregierung die offen nazistischen Professoren und Assistenten bis zur weiteren Prüfung suspendiert bzw. entlassen worden waren, nachdem alle während der NS-Jahre aus dem ‚Altreich‘ ernannten Dozenten im Rahmen der Liquidierung der Universität Innsbruck als einer Einrichtung des Deutschen Reichs wegen nunmehr fehlender österreichischer Staatsbürgerschaft auszuscheiden hatten und nachdem der Petzer-Ausschuss zwischen Oktober 1945 und Februar 1946 auf der Basis einer an das NS-Verbotsgesetz angelehnten Verordnung der Tiroler Landesregierung die Lehrenden
50 UAI, Ktn. Österreichische Hochschülerschaft 1945 ff. 51 UAI, Ktn. Disziplinarakten 1945 ff.: BUS-Affäre 1950.
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überprüft hatte,52 hielt Rektor Karl Brunner die ‚Entnazifizierung‘ mehr als voreilig für abgeschlossen. Brunner verlieh im Oktober 1946 auch der im akademischen Umfeld zirkulierenden Legende vom NS-Beitritt als einem angeblichen intellektuellen Opfer einen amtlichen Charakter: „Gerade unter den akademischen Lehrern haben auch gar manche gegen ihre Überzeugung das Opfer eines solchen Parteibeitritts […] auf sich genommen, um zu verhüten, dass die Durchdringung unseres Schulwesens mit ausgesprochenen Parteianhängern ohne entsprechende Qualifikation nicht noch weiter um sich griff, zum Schaden unserer Jugend und der Zukunft.“53 Allein die Entlassung der ‚Altreichsdeutschen‘ auf staatsbürgerlicher Rechtsgrundlage führte dazu, dass bei Wiedereröffnung der Universität im September 1945 von den insgesamt 66 etatmäßigen (Extra-)Ordinariaten des Wintersemesters 1944/45 17 Professorenstellen vakant waren. Dazu zählten medizinische und naturwissenschaftliche Schlüsselprofessuren wie jene der Inneren Medizin, jene für Hals-, Nasenund Ohrenheilkunde, jene der Hygiene, der Medizinischen, der Pharmazeutischen und auch jene der Physikalischen Chemie sowie die Meteorologische Lehrkanzel. Im Bereich der Rechts- und Staatswissenschaften erledigten sich allein in diesem Weg vier Lehrkanzeln, im Bereich der Geisteswissenschaften eine philosophisch- pädagogische, zwei philologische und drei Professuren aus dem erweiterten historischen Fachbereich. Gut zwei Drittel dieser in Innsbruck enthobenen Professoren konnten die akademische Laufbahn an Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. In drei Ausnahmefällen verblieben ‚altreichsdeutsche‘ Staatsbürger in ihrer Stellung, so neben der Physikalischen Chemikerin Erika Cremer und dem Zivilrechtler Josef Esser der besonders umstrittene, 1943 von der Wirtschaftshochschule Berlin nach Innsbruck berufene Politische Ökonom Theodor Pütz. Vor allem seine 1944 erschienenen Grundlagen der Außenwirtschaftstheorie waren wegen ihres von nationalsozialistischen Kraftausdrücken untermauerten Plädoyers für die d eutsche Expansionspolitik umstritten. Teile des konservativ-katholischen Universitätsmilieus – wie der junge Rechtshistoriker Nikolaus Grass – machten sich die Vorwürfe der sozialdemokratischen Tiroler Volkszeitung zu eigen, wonach Pütz ein Apologet der „europäischen Großraumwirtschaft“ auf Grundlage einer ‚völkisch‘-imperialistischen Gewaltherrschaft Deutschlands war.54
52 Gemäß Verordnung des Tiroler Landeshauptmanns vom 12. Oktober 1945, Tiroler Amtsblatt II, Nr. 78, S. 45. 53 Karl Brunner am 26. Oktober 1946 bei seinem Ausscheiden aus dem Rektorsamt. UAI, Akten des Rektorats Nr. 90 aus 1946/47. 54 UAI, Akten des Staatskommissärs für die unmittelbaren Bundesangelegenheiten im Land Tirol, Unterricht, Ktn. 1, Fasz. Entnazifizierungsunterlagen Nikolaus Grass.
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Als im April 1946 im Weg von Einsprüchen der französischen Militärregierung und über das vom Ministerrat eingesetzte Ministerkomitee im Bundeskanzleramt zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen von Nazielementen (Ministerkomitee) weitere Enthebungen ausgesprochen wurden, reagierte Rektor Brunner scharf ablehnend. Mitte Mai 1946 schrieb er an den Tiroler Landeshauptmann Alfons Weißgatterer (ÖVP): „Kurz vor dem Besatzungswechsel [von der amerikanischen zur französischen Militärverwaltung am 10. Juli 1945] habe ich zusammen mit den neugewählten Dekanen den gesamten Lehrkörper mit Herrn Landesrat Dr. [Hans] Gamper durchbesprochen und die nötigen Enthebungen verfügt. Hiebei waren uns die Bestimmungen des Verbotsgesetzes maßgebende Richtschnur. Mit diesem so gesäuberten Lehrkörper wurde Ende September 1945 der Unterrichtsbetrieb an der Universität mit Zustimmung der Militärregierung aufgenommen.“55 Und der im Oktober 1945 eingesetzte Petzer-Ausschuss habe rechtsstaatlich einwandfreie Erkenntnisse gefällt, die von Wiener Zentralstellen im April 1946 ausgehebelt worden seien: „Leider hatte einige Tage vorher das mit der ‚Entnazifizierung‘, wie der schöne Ausdruck lautet, beauftragte Ministerkomitee[,] ohne dass ihm die Akten und Urteile unserer Kommissionen vorlagen oder deren Zusammensetzung bekannt war, eine Reihe unserer Professoren aus uns nie bekannt gegebenen Gründen teils sofort, teils mit Ende des Sommersemester (also Ende September 1946) vorläufig enthoben. Damit wurde ein richterliches Verfahren durch eine administrative Maßnahme einer nicht durch unsere Schuld schlecht informierten Zentralstelle durchkreuzt.“56 Gemeint waren die im April und Mai 1946 vom Unterrichtsministerium ausgesprochenen Suspendierungen folgender Professoren: Burghard Breitner (Chirurgie), Franz Josef Lang (Pathologische Anatomie), Siegfried Tapfer (Frauenheilkunde), Friedrich Stumpfl (Erb- und Rassenbiologie), Raimund Klebelsberg (Geologie), Otto Steinböck (Zoologie), Hans Kinzl (Geografie), Arthur March (Theoretische Physik), Viktor Oberguggenberger (Astronomie), Moriz Enzinger (Deutsche Literaturwissenschaft), Josef Brüch (Romanische Philologie) und Leonhard Franz (Urgeschichte). Außerdem waren die Klassischen Philologen Albin Lesky und Karl Jax sowie der Sprachwissenschaftler Hermann Ammann betroffen gewesen. Die meisten der Genannten konnten semesterweise provisorisch weiterbeschäftigt werden. Außer Stumpfl wurden schlussendlich alle dauerhaft übernommen. Mit dem sogenannten Nationalsozialistengesetz von 194757 und der damit verbun55 UAI, Akten des Rektorats, Nr.75/4 aus 1945/46. 56 So wieder Rektor Brunner bei der Amtsübergabe Ende Oktober 1946. UAI, Akten des Rektorats, Nr. 90 aus 1946/47. 57 Das Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten, wie seine volle Bezeichnung lautete, ist abgedruckt in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 25/1947, S. 277–303.
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denen Umstellung der Verteidigungslinie von ‚illegal/nicht illegal‘ auf ‚belastet/minderbelastet‘ und der Einsetzung neuer gemischt ministeriell–universitärer Überprüfungssenate konnten alle vorläufig außer Dienst gestellten Professoren bis spätestens 1950/51 wieder definitiv auf den Lehrstuhl zurückkehren. Unter dem Vorsitz von Sektionschef Otto Skrbensky gehörten dem Innsbrucker Senat 1947 die Professoren Karl Brunner, Hans Bayer, Godehard Josef Ebers und Theodor Erismann sowie die jungen, bald in Professuren aufrückenden Privatdozenten Robert Muth (Klassische Philologie) und Nikolaus Grass (Rechtsgeschichte) an. Bei allen handelte es sich – mit Ausnahme von Erismann – um Vertreter des politischen Katholizismus. Der Personalbestand von Professoren, Dozenten und Assistenten umfasste 1945 (ohne die gesondert überprüften Hilfsärzte) rund 150 Angestellte, davon 66 wirkliche Professoren. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die ordentlichen und außerordentlichen Professoren, die im Wintersemester 1944/45 aktiv lehrten, fünf Jahre später noch an der Universität Innsbruck oder einer anderen Universität tätig waren oder das Emeritierungs- bzw. Ruhestandsalter erreicht hatten. Tab. 2: Der Innsbrucker Lehrkörper zwischen 1944/45 und 1950 nach Fakultäten.
Fakultät:
WiSe 1944/45
1950 in Innsbruck
an einer anderen Universität
im Ruhestand bzw. emeritiert
Jus
12
6
2
3
Medizin
17
6
4
4
Geisteswissenschaften
22
9
3
5
Naturwissenschaften
15
7
3
3
Gesamt
66
28
12
15
Demnach waren von den 51 altersmäßig infrage kommenden Professoren des Wintersemesters 1944/45 im Jahr 1950 40 Personen in der Professorenlaufbahn geblieben. Maximal 15 bis 20 % fielen als ‚entnazifiziert‘ aus. Von den rund 80 habilitierten wie nichthabilitierten Assistenten und Assistentinnen des Wintersemesters 1944/45 konnte nach 1945 rund ein Viertel die Laufbahn an der Universität Innsbruck fortführen. Die universitären Karrieren jener Assistenten, die als Studenten oder Jungärzte schon um 1933 nazistisch aktiv gewesen waren, brachen durchgehend ab, etwa jene von Walter Koban, von Alfred Krejci (später: Alfred Schneider, 1938/39 NS-Studentenführer) oder von Theodor Tapavicza. Letzterer wurde am 27. November 1946 vom Volksgericht Innsbruck als Mittäter „an den Judenverfolgungen in Innsbruck in der Nacht zum 10. November 1938“ zu einer fünfjährigen Freiheits-
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strafe verurteilt.58 Mit dem Ausscheiden von offen nazistischen Assistenten wie dem Historiker Wilhelm Neumann wurde der Weg frei für bis zum Ordinariat führende und zeitlich bis in die 1980er Jahre hineinreichende Aufstiegslaufbahnen von formal ‚nicht belasteten‘, dem bürgerlich-katholischen Lager zugehörenden Nachwuchswissenschaftlern, die nichtsdestotrotz während der NS-Jahre bis zur Promotion und teilweise bis zur Habilitation hatten fortschreiten können. Dies war bei Otto Lutterotti (Kunstgeschichte), Robert Muth (Klassische Philologie), Karl Ilg (Volkskunde) oder Eugen Thurnher (Germanistik) der Fall. 3.1 Die aus politischen Gründen ‚Entlassenen‘ (1945/46)
Auf den ersten Blick wirken die Personalmaßnahmen des Jahres 1945/46 einschneidend. Fast alle seit 1933/34 aktiven NS-Funktionäre wurden entlassen, voran Harold Steinacker. Der in der Großdeutschen Partei organisierte Historiker, von früh an Unterstützer der illegalen NS-Bewegung in Österreich, verklärte in einer Apologetik vom 28. August 1945 seinen Einsatz zugunsten des Nationalsozialismus folgendermaßen: „Angenommen habe ich das Rektorat, weil ich an der Reihe war und weil ich als Angehöriger der Großdeutschen Partei die Hauptpunkte unseres Programmes – Anschluß und Volksgemeinschaft – im 3. Reich verwirklicht sah.“59 Mit Steinacker, der 1945 zur Emeritierung angestanden wäre, wurden auch die NS-Philosophen Walter Schulze-Soelde und Walter Del Negro entlassen. Del Negro hatte 1942 seine Philosophie der Gegenwart in Deutschland rassistisch begründet, indem er unter anderem die Phänomenologie von Edmund Husserl oder den Marburger Neukantianismus Hermann Cohens als „jüdisch“, dem Wesen des „deutschen Idealismus“ fremd markierte.60 Als Schlüsselfunktionäre der Philosophischen Fakultät wurden 1945/46 auch Franz Miltner und der Volkskundler Adolf Helbok entlassen. Miltner, 1933 von der Universität Wien nach Innsbruck berufener Althistoriker, musste sich nach 1945 mit einer – lukrativen – staatsarchäologischen Planstelle zufriedengeben: „Dr. Miltner war illegales Mitglied der NSDAP und hat sich als solches auch betätigt.“61 Helbok,62 58 Urteil des Volksgerichts Innsbruck gegen Theodor Tapavicza und andere vom 27. November 1946. Abschrift einliegend in UAI, Ktn. Doktoratswiederverleihungen 1945 ff., Wiederverleihungsakt Theodor Tapavicza 1956. 59 UAI, Personalakt Harold Steinacker. 60 Vgl. Peter Goller, Die Lehrkanzeln für Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck 1848–1945, Innsbruck 1989, S. 232–237. 61 UAI, Personalakt Franz Miltner. 62 Vgl. Esther Ludwig, Adolf Helbok (1883–1968) und die „Gleichschaltung“ des Seminars für Lan-
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seit 1924 Professor für Geschichte und Volkskunde an der Universität Innsbruck, 1934 als illegaler Nazi amtsenthoben und danach Professor in Berlin und Leipzig, ehe er 1941 wieder als Ordinarius für Volkskunde nach Innsbruck zurückkehrte, strich nach 1945 zu seiner Verteidigung die Kontroversen hervor, die er in der NSZeit mit dem Amt Rosenberg in innernazistischen volkskundlichen Streit- und ‚Rasseneinteilungs‘-Fragen ausgetragen hatte.63 An der Spitze der 1945 Entlassenen aus dem naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich stand der Pharmakognost Ludwig Kofler. Unter dem Eindruck des ‚Anschluss‘-Jubels hatte Kofler 1938 angegeben: „Während der Verbotszeit für die NSDAP tätig. […] Jetzt SS[-]Oberscharführer.“ Noch im März 1949 stellte der zuständige Innsbrucker Stadtmagistrat fest, dass Kofler neben Steinacker ein maßgeblicher NS-Funktionär gewesen war, ein „illegaler und radikaler Nationalsozialist“.64 Der Chemieordinarius Ernst Philippi, der 1938 in das Amt des Dekans der Philosophischen Fakultät gelangt war, konnte 1945 ebenfalls nicht in der Professur gehalten werden. Wie oben dargestellt, war Philippi früh als Exponent des nazistischen Flügels in der Innsbrucker Professorenschaft aufgefallen: „Prof. Dr. Philippi trat als Österreicher schon im Jahre 1933 der NSDAP bei, er bekleidete im SA-Sturm Innsbruck den Rang eines Obersturmführers und steht auf der Standesliste der SA-Stäbe.“65 Ähnlich wie bei Philippi verlief die Amtsenthebung des Botanikordinarius Adolf Sperlich, der nach dem März 1938 als stellvertretender Rektor fungiert hatte, über eine Anweisung der provisorischen Landesregierung im Juli 1945: „Als Student alldeutsch; Mitglied der Großdeutschen Partei bis zu ihrer Auflösung; illegaler Anhänger der NSDAP.“66 Der 1933 für Organische Chemie habilitierte Guido Machek wurde als Diätendozent im Frühsommer 1945 über Anweisung der Landesregierung ebenso entlassen wie der Meteorologiedozent Erwin Ekhart. Machek, ab 1941 auch kommissarischer Leiter des Innsbrucker NS-Dozentenbundes, hatte 1938 eine im Sinne des deutschen Faschismus mustergültige Laufbahn vorzuweisen gehabt: „Mitgliedschaft in nationalen Verbänden: Akademischer Alpenklub Innsbruck seit 1919, Innsbrucker Turnverein seit 1919, Deutscher Alpenverein seit 1918 – Politische Be-
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desgeschichte und Siedlungskunde an der Leipziger Universität (1935–1941), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 40 (1991), S. 81–91. UAI, Personalakt Adolf Helbok. UAI, Personalakt Ludwig Kofler. UAI, Personalakt Ernst Philippi. UAI, Personalakt Adolf Sperlich.
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tätigung: Beitritt zur NSDAP am 26. April 1933“.67 Ekhart, seit 1927 Assistent am Institut für Kosmische Physik (Meteorologie), 1934 habilitiert für Geophysik, wurde am 28. Juli 1945 mit dem Hinweis auf seinen NSDAP-Parteibeitritt im April 1933 und seine Tätigkeit als SA-Sturm-Schulungsleiter in „illegaler Zeit“ vom „Sommer 1936 bis [zum] Umbruch“ entlassen. Nach 1945 wurde Ekhart dem Wetterdienst in Salzburg zugeteilt.68 Keiner der genannten Naturwissenschaftler konnte später wieder eine universitäre Planstelle erlangen, auch wenn Machek als Leiter der Forschungsabteilung bei der Biochemie GmbH in Kundl 1958 nach der Lehrbefugnis wieder eine Titularprofessur verliehen werden sollte. Nur dem nach einem analogen Überprüfungsverfahren entlassenen Mathematiker Heinrich Schatz gelang 1958 noch die Rückkehr in sein Innsbrucker Ordinariat. Ausgangspunkt der politischen Überprüfung von Schatz war 1945 dessen Personal-Standesblatt vom März 1938 gewesen: „Mitgliedschaft in nationalen Verbänden: ab Juni 1934 Obmann des Kreises Tirol des Deutschen Schulvereins Südmark – Politische Betätigung: Seit 15.11.1937 in Zelle [von] Prof. Sperlich über [den] NSLB Mitglied der NSDAP, NSD Dozentenbund.“69 An Fürsprechern mangelte es auch Schatz nicht. Diesen galt er – ebenso wie dem späteren Staatssekretär im Außenamt Franz Gschnitzer – als ein bloß irregeführter idealistischer Kämpfer für Südtirol.70 Der beamtete Zivilrechtsdozent Herbert Feuchter, 1930 erstmals der NSDAP beigetreten und zeitweise nach 1938 Mitarbeiter von deren Rassenpolitischem Amt, wurde ebenfalls im Sommer 1945 per Rektorsbeschluss enthoben. In seiner von Franz Gschnitzer begutachteten Habilitationsschrift Satzungsgebundenes und blutgebundenes Denken im Verwandtschaftsrecht hatte Feuchter 1941 jüdische Autoren nach den Normen des nazistischen Rassismus markiert. Die Lehrbefugnis als Privatdozent erlangte der fortan als Rechtsanwalt tätige Jurist im Jahr 1949 wieder.71 Ein Teil der führenden Innsbrucker NS-Juristen und NS-Staatswissenschaftler des Jahres 1938 war in der Zwischenzeit an auswärtige Universitäten berufen worden – und wurde in der Nachkriegszeit dennoch rehabilitiert. Ein Beispiel hierfür ist der Nationalökonom Ferdinand Ulmer. Er war 1938 für die Innsbrucker Professur 67 UAI, Ktn. Standesblätter 1938–1945, Standesblatt Guido Machek. 68 UAI, Personalakt Erwin Ekhart. 69 UAI, Ktn. Standesblätter 1938–1945, Standesblatt Heinrich Schatz. NSD Dozentenbund = Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund. 70 UAI, Personalakt Heinrich Schatz. 71 Über Ulmer, Günther, Hämmerle und Feuchter vgl. Susanne Lichtmannegger, Geschichte des Lehrkörpers der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Innsbruck 1945–1955, 2 Bde., Dissertation Universität Innsbruck 1998, hier Dokumentenband, S. 111–131, 161–213 und 350–364.
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im Fakultätsbericht als politisch geeignet dargestellt worden: „Ulmer ist seit 1934 Parteigenosse und stand zur Verwendung des Gauleiters und Landeshauptmannes [Edmund] Christoph.“72 1942 war er nach Prag gegangen und konnte ungeachtet seiner nationalsozialistischen Vergangenheit 1953 wieder in sein Innsbrucker Ordinariat einrücken. In den 1960er Jahren repräsentierte er als Rektor die Universität Innsbruck einer problematischen politischen Kontinuität entsprechend. Initiiert hatte die Berufung Ulmers im Jahr 1938 der Nationalökonom Adolf Günther, der nach dem ‚Anschluss‘ zum Dekan der Juridischen Fakultät ernannt worden war. Nach der 1939/40 in der Nachfolge Othmar Spanns erfolgten Berufung Günthers an die Universität Wien hatte der Zivilrechtler Hermann Hämmerle dessen universitätspolitische Funktionen in Innsbruck übernommen. Er hatte in der Folgezeit versucht, den nazistischen Umbau der Juristenfakultät fortzusetzen – ein Unterfangen, das er im Oktober 1939 gefährdet sah, da die ehemals katholisch-ständestaatlichen Professoren ihre Positionen wiederzuerlangen suchten: „Ich kann nur wiederholt betonen, dass es sich sowohl bei Prof. Herdlitczka wie auch bei Prof. Ebers um Vertreter des politischen Katholizismus handelt und beide für die Universität Innsbruck völlig untragbar sind.“73 Hämmerle war deshalb 1945 unhaltbar. Das Professorenkollegium „gelangte in der Folge zur Auffassung, dass […] eine Rückkehr des Prof. Hämmerle in das Professoren-Kollegium nicht in Frage kommt“. Nichtsdestotrotz erlangte Hämmerle 1952 seine Innsbrucker Lehrbefugnis wieder, um sogleich an der Universität Graz wieder ein einflussreicher Rechtsordinarius zu werden.74 An der Medizinischen Fakultät wurden im Dezember 1945 nach einer Rektoratsaufstellung 15 Habilitierte „aus politischen Gründen“ dauerhaft amtsenthoben.75 Unter ihnen befanden sich der Histologieprofessor Jürg Mathis und der Psychiatrieprofessor Helmut Scharfetter, der wohlgemerkt bald darauf zum Direktor der Tiroler Landesnervenklinik in Hall ernannt wurde. Andere maßgebliche NS-Funktionäre der Medizinischen Fakultät konnten sich hingegen längerfristig auf ihren Stellen halten. Wie unten noch gezeigt wird, gilt dies etwa durchgehend für den sehr nachsichtig überprüften Dekan der Jahre nach 1938, Franz Josef Lang. Die im Sommer 1945 enthobenen Medizindozenten Hans Ganner (Psychiatrie), Theodor Wense (Physiologie), der Gerichtsmediziner Walter Krauland, der Chirurgiedozent Wolfgang Baumgartner oder der Röntgenologe Ernst Ruckensteiner, der noch nach 1945 einen an72 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1538 aus 1937/38. 73 UAI, Personalakt Godehard Josef Ebers, Schreiben von Dekan Hermann Hämmerle an die Reichsdozentenbundführung in München vom 30. Oktober 1939. 74 Siehe dessen Personalakten in UAI und ÖStA/AdR, BMfU. 75 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 710 aus 1945/46: Sammelakt Personalverfügungen im Lehrkörper der Universität Innsbruck.
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geblichen Einsatz für „Judenmischlinge“ geltend machte,76 kehrten nach und nach an die Fakultät zurück und konnten hier ihren beruflichen Aufstieg fortsetzen. Krauland wurde 1950 an die Universität Münster, 1955 an die Freie Universität Berlin berufen. Die anderen Dozenten aus dieser Gruppe erhielten spätestens in den 1960er Jahren wieder Ordinariate an der Innsbrucker Fakultät. Den Leiter des 1939 errichteten Erb- und Rassenbiologischen Instituts, Friedrich Stumpfl, wollte die Fakultät sogar als einen gleichsam reinen, politisch unverdächtigen Anthropologen im Amt halten. Zwar hatte Stumpfl 1939 seine Arbeit als ideologische Begleitforschung zur NS-Ideologie qualifiziert: „Mein freiwillig gewähltes engeres Fachgebiet, die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Erbanlage und sozialem Verhalten im allgemeinen, zwischen Erbanlage und Verbrechen im besonderen, dient der wissenschaftlichen Unterbauung und der lebendigen Verbreitung des rassenhygienischen Gedankens. Es ist somit untrennbar mit dem Fundament des Nationalsozialismus verbunden.“ Trotzdem versuchte die Medizinische Fakultät, Stumpfl zu halten. Im Januar 1946 wurde das Überprüfungsverfahren gegen ihn sogar eingestellt: „Dr. Stumpfl war seit 1939 Mitglied der NSDAP. Er wurde zwar für Rassenkunde an die hiesige Universität berufen, seine Vorträge blieben aber stets auf streng wissenschaftlichem Niveau und zeigten nie irgendwelchen parteipolitischen Einschlag.“77 Erst auf Druck der französischen Militärbehörde wurde Stumpfl aus dem universitären Dienst entfernt. 3.2 Die vorübergehend ‚schwebend‘ Amtsenthobenen 1946–1950
Ab dem Frühjahr 1946 kam es seitens des Ministerkomitees zu weiteren Überprüfungsmaßnahmen. Hiergegen protestierte die Universität Innsbruck, die sich selbstgefällig für antinazistisch ‚gereinigt‘ hielt, im Mai 1946. Unter der Federführung von Rektor Karl Brunner schritt sie zum empört vorgetragenen Schutz der ‚Gefährdeten‘, unter denen zahlreiche zentrale Funktionsträger der Universität Innsbruck seit den 1920er Jahren waren. An führender Stelle dieser vormals bestimmenden Universitätsfunktionäre standen Raimund Klebelsberg, der seit dem 1. Mai 1938 Parteimitglied gewesen war und sich jetzt als vornehmer Verwaltungsrektor der Jahre 1942 bis 1945 präsentierte, und der Zoologe Otto Steinböck. Beide fühlten sich als vorgeblich ‚reine Wissenschaftler‘ jeder politischen Kritik und Überprüfung überhoben. Ferner standen nachmals wieder im akademischen Umfeld angesehene Rektoren und Dekane wie der Geograf Hans Kinzl zur Disposition, die mit dem Nazismus, 76 So die Diktion auch nach der Befreiung! UAI, Akten des Rektorats, Nr. 272 aus 1945/46. 77 UAI, Personalakt Friedrich Stumpfl.
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den sie nun plebejisch bildungsfernen Gruppen zuschoben, nie wirklich ernsthaft in Berührung gekommen sein wollten. Der 1938 amtsenthobene Rektor Karl Brunner forderte im Frühjahr 1946, es müsse Schluss mit ‚der Politik‘ sein, die soviel Unglück über die ‚Hochschulautonomie‘ gebracht habe. Da die Entnazifizierung 1946/47 zu einem Verfahren geworden war, das viele legistische Auswege bot und keine reale demokratische Basis hatte, gelang es gerade dem führenden Universitätsfunktionär der letzten Jahre der NS-Zeit, Raimund Klebelsberg, mithilfe alter Seilschaften, in deren Rahmen man sich gegenseitig politische Unbedenklichkeit zusicherte, rasch in seine Professur zurückzukehren. Die erste universitätsinterne Überprüfung von Klebelsberg fand im Dezember 1945 statt. Hier wurde ihm nur die Wahlfähigkeit zum Rektor oder Dekan abgesprochen und eine Gehaltskürzung um 25 % für die Dauer von nicht mehr als einem Jahr auferlegt. Damit hatte Klebelsberg das Überprüfungsverfahren fast unbeschadet überstanden. Seine Enthebung, die im April 1946 auf ministerieller Ebene verfügt wurde, ging auf einen sehr scharfen Einspruch der französischen Militärregierung zurück. Klebelsberg gelang es aber mithilfe seiner Fakultätskollegen, die durch keinerlei Fakten belegbare Interpretation durchzusetzen, er sei als Rektorskandidat des Jahres 1942 Gegenkandidat der von Gauleiter Franz Hofer forcierten Amtsanwärter gewesen. Im April 1947 bestätigte der in den konservativen Tirol-Mythos entrückte Historiker Hermann Wopfner in einer Ministerialeingabe, Klebelsberg sei eigentlich nur „Südtiroler“, ansonsten völlig unpolitisch.78 Dass Klebelsberg als Rektor auch die Verantwortung für jenen Bescheid vom 22. Februar 1943 trug, mit dem der in München zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer der Weißen Rose und Innsbrucker Medizinstudent des Wintersemesters 1942/43, Christoph Probst, dauernd vom Studium an allen deutschen Universitäten ausgeschlossen wurde, war im restaurativ-reaktionären Nachkriegsklima nicht einmal eine Bemerkung wert.79 Otto Steinböck, Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät von 1941 bis 1945, musste bis zu seiner definitiven Rückkehr ins professorale Amt zwei Jahre länger als Klebelsberg warten, nämlich bis 1951. Die Rückkehr des Zoologen erfolgte in ähnlicher Manier wie bei Klebelsberg. 1938 hatte Steinböck stolz auf seinen frühen Beitritt zur NSDAP im Jahr 1933 sowie auf den Schutz verwiesen, den er während der ‚illegalen Zeit‘ nationalsozialistischen Mitarbeitern gewährt hatte. Seine wissenschaftlichen Auslandskontakte hatte Steinböck in der NS-Zeit eigenen Angaben zufolge zur faschistischen Agitation genutzt: „Besonders eifrige Werbetätigkeit für die NSDAP bei längeren Auslandsaufenthalten in Skandinavien, namentlich in Däne78 ÖStA/AdR, BMfU, Personalakt Raimund Klebelsberg. 79 UAI, Personalakt Raimund Klebelsberg. Vgl. Klebelsberg, Innsbrucker Erinnerungen, S. 242–257.
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mark.“ Im April 1942 hatte er die Zurückstellung wissenschaftlicher Anliegen hinter die Erfordernisse des deutschen Kriegs verlangt: „Jetzt ist Krieg, und wir wollen, müssen und werden siegen. Da muß aber jeder mit allen Kräften mitarbeiten; dass dabei die eigene zoologische, wissenschaftliche Arbeit zurückstehen muß, ist nur selbstverständlich.“ Unmittelbar nach der Rückkehr von einer Tagung zur Arktis-Forschung in Kopenhagen denunzierte Steinböck im Herbst 1942 in einem Schreiben an das Wissenschaftsministerium dänische Kollegen: „Die Grundeinstellung ist von vorneherein gegen Deutschland, das ‚jegliche Freiheit unterdrückt‘.“ Seinen Gesprächspartnern gegenüber verteidigte Steinböck die deutsche Repression in Polen und in der Tschechoslowakei. Er verdächtigte die Dänen, einen „demokratischen englischen Frieden“ anzustreben. In einer Rechtfertigung vom August 1947 bediente sich Steinböck dann der stereotypen Argumente Innsbrucker Professoren, wonach er etwa das Amt des Dekans „objektiv“ ausgeübt, sogar jüdische und katholische Studenten unterstützt habe. Die von der Innsbrucker Philosophischen Fakultät zwischen 1947 und 1949 penetrant wiederholten Unico-loco-Vorschläge für Steinböck wurden vom Ministerium lange abgelehnt – brachte es doch im Dezember 1948 der Universität Innsbruck neue Vorwürfe gegen Steinböck zur Kenntnis, nämlich die Beteiligung an Aktionen zur Zerstörung der österreichischen Unabhängigkeit im unmittelbaren Vorfeld des ‚Anschlusses‘: „Teilnahme an allen Straßendemonstrationen der Nationalsozialisten vom 20.2.–11.3.1938“. Steinböcks Wiedereinstellung als Ordinarius zum 1. März 1951 dokumentiert, dass es an der Universität Innsbruck zu keiner demokratisch motivierten ‚Entnazifizierung‘ gekommen war. Sie zeigt sogar, dass es hierzu angesichts der restaurativen, aus austrofaschistischen und auch postnazistischen Elementen genährten gesellschaftlichen Basis nach 1945 gar nicht kommen konnte.80 Zu einer Zentralfigur der im restaurativen ‚Zeitgeist‘ rekonstituierten Philosophischen Fakultät wurde nach 1945 der Geograf Hans Kinzl. Bei ihm handelte es sich um einen CVer deutschnationalen Einschlags, der nach 1945 jede Sympathie mit dem Nationalsozialismus von sich wies, aber dennoch das autoritär-reaktionäre Denken im Zwischenfeld von CV, Deutschtümelei und Professorendünkel über 1945 hinaus fortsetzte und sich nie aus der Gedankenwelt des Stahlhelms und sonstiger Frontkämpfervereinigungen löste. Im April 1946 war Kinzl vorläufig vom Ministerkomitee dienstenthoben worden, konnte sich aber ‚schwebend‘ im Amt halten. Die Erstüberprüfung im Zuge des universitären Ausschusses war für ihn im Dezember 1945 günstig ausgegangen: „Einstellung des Verfahrens. Gründe: Dr. Hans Kinzl, Österreicher, war seit 1928 Assistent in Heidelberg, kam 1935 nach Öster80 Alle vorstehenden Zitate nach UAI, Personalakt Otto Steinböck.
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reich zurück. Im Reich gehörte er dem Frontkämpferbund ‚Stahlhelm‘ an, der später der SA eingegliedert wurde; er lehnte aber jede Zugehörigkeit zu österr[eichischen] Kampforganisationen der NSDAP nachdrücklichst ab. Er wurde im Sommer 1938 in Österreich zwar Mitglied der Partei, hat sich aber politisch nie betätigt. Er ist seit seiner Studentenzeit Mitglied des CV […].“81 Analoger politischer Apologetik bedienten sich die im geisteswissenschaftlichen Bereich ‚Gefährdeten‘. Die Historiker Richard Heuberger und Franz Huter waren nach 1918 fliegend von der Verehrung des Habsburgerimperialismus zu deutschtümelnder und dann zu nazifaschistischer Ideologie übergegangen. Heuberger, der 1938 seinen Einsatz für die illegale NS-Bewegung und diverse nazistische Nachrichtendienste betont hatte, rückte nach 1945 seine Verbindungen zum katholischen Klerus und zum Widerstand der letzten Minute in den Vordergrund, zur oft überbewerteten Gruppe um Fritz und Otto Molden. Der Überprüfungsausschuss der Universität Innsbruck erkannte im Januar 1946 allerdings auf Ruhestandversetzung Heubergers: „Dr. Heuberger, Kriegsblinder aus dem [Ersten] Weltkriege, war illegales Mitglied der NSDAP (seit Frühjahr 1934). Er […] war Mitarbeiter der NS-Propagandaschrift Roter Adler […]. Später, nach dem 11.III.1938, meldete er sich zu Propagandavorträgen für die Partei und hielt um die Verleihung der Anschlußmedaille an.“82 Während der Mediävist Heuberger krankheitsbedingt in den Ruhestand versetzt wurde, konnte Franz Huter 1950 vor allem wegen der Unterstützung durch die Autorität eines Hermann Wopfner wieder in die Professur für Österreichische Geschichte einrücken. Wie im Fall von Steinböck oder von Klebelsberg wiederholte die Philosophische Fakultät bei Huter unablässig die Nominierung so lange, bis das Unterrichtsministerium in Wien einknickte. Franz Huter, 1941 als Wopfner-Nachfolger nach Innsbruck berufen und zugleich federführender Funktionär der ‚Kulturkommission des SS-Ahnenerbes‘ in Südtirol, konnte sich in der Professur halten, obwohl die Überprüfungsgremien Anfang 1946 auf seine Rückversetzung in den Archivdienst unter Belassung der Lehrbefugnis für Wirtschaftsgeschichte und Historische Hilfswissenschaften plädiert hatten; lediglich die Venia für Österreichische Geschichte wurde eingezogen.83 Der 1926 bei Oswald Menghin in Wien habilitierte Ur- und Frühhistoriker Leonhard Franz war nach Professuren in Prag und Leipzig im Oktober 1942 nach Innsbruck berufen worden. Im April 1946 erfolgte seine vorläufige Dienstenthebung 81 UAI, Personalakt Hans Kinzl. 82 UAI, Personalakt Helmut Heuberger. 83 Vgl. Gerhard Oberkofler, Franz Huter (1899–1997). Soldat und Historiker Tirols, Innsbruck/Wien 1999, S. 74–134.
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durch das Ministerkomitee, ehe auch Franz 1950 neuerlich zum Professor ernannt werden sollte. Der interne universitäre Überprüfungsausschuss hatte in seiner Sitzung vom 28. Januar 1946 sogar auf „Einstellung des Verfahrens“ plädiert. Rektor Brunner musste im Mai desselben Jahres aber eingestehen: „Mir seither zugekommene Nachrichten lassen es […] immerhin nicht ausgeschlossen erscheinen, dass er betont nationalsozialistische Zeitungsartikel geschrieben hat.“84 Die ehemals eher dem katholischen ‚Ständestaat‘ zuzurechnenden Philologen Albin Lesky (Klassische Philologie, „NSDAP-Mitglied mit der Nummer 7.252.762“), Moriz Enzinger (Deutsche Philologie, 1946: „NSDAP – Parteinummer 7.894.173“) und Josef Brüch (Romanische Philologie, 1946: „war zwar Parteimitglied“) durften nach kurzer Überprüfung in ihren Universitätsämtern verbleiben, nachdem sie glaubhaft versichert hatten, dass sie nur aus Gründen professoraler Ängstlichkeit um eine NSDAP-Mitgliedschaft bemüht gewesen seien.85 Auch der 1938 von katholischer CV-Position zum NS-Faschismus übergegangene Literaturwissenschaftler Herbert Seidler rückte nach 1945 – wenn auch mit zeitlicher Verzögerung – wieder in die zentralen Positionen österreichischer Germanistik an der Universität Innsbruck, der Universität Salzburg (1964) und der Universität Wien (1965) vor. Während der Landesschulrat für Tirol eine Reaktivierung Seidlers im Mittelschuldienst mit Blick auf dessen Tätigkeit als Hauptschulungsredner im NSLB noch 1950 ablehnte, rehabilitierte die Universität Innsbruck Seidler mit Unterstützung alter CV-Freunde. Seidler wurde mit dem Titel eines Universitätsprofessors ausgezeichnet, da er nach der verharmlosenden Darstellung der Philosophischen Fakultät vom Juni 1950 „zwar von der NS-Partei als Schulungsleiter herangezogen [worden war], er aber diese Aufgabe in einer Weise durchgeführt hat, die durchaus nicht eine extrem nationalsozialistische Haltung verrät“.86 Die Entnazifizierung an der Medizinischen Fakultät ähnelte den Vorgängen bei den Geisteswissenschaften. Der ehemalige Dekan dieser Fakultät, der Pathologie-Professor Franz Josef Lang, hatte am 29. Juli 1938 in der ersten Sitzung seines Kollegiums nach dem ‚Anschluss‘ die „dankerfüllte Freude über die große Tat des Führers“ zum Ausdruck gebracht.87 Davon unbeeindruckt präsentierte sein Nachfolger Ferdinand Scheminzky 1946 gegenüber dem Ministerium folgendes in Stil und Semantik von NS-Propaganda beeinflusste Märchen: „Lang gehörte gleichfalls der Widerstandsgruppe der Medizinischen Fakultät an und nahm an deren Sitzungen [sic!] […] stän84 85 86 87
UAI, Personalakt Leonhard Franz. ÖStA/AdR, BMfU, Personalakten Moriz Enzinger, Josef Brüch und Albin Lesky. UAI, Phil. Habilitationsakt Herbert Seidler. UAI, Reihe Medizinische Sitzungsprotokolle 1938.
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dig teil.“ Obwohl Lang im Oktober 1945 „auf Grund seiner Mitgliedsnummer“ als „Illegaler zu bezeichnen“ war und obwohl festgehalten wurde, dass Lang „förderndes Mitglied der SS und einfaches Mitglied“ einiger NS-Parteiformationen gewesen war, plädierte der Überprüfungsausschuss der Universität auf Belassung im Amt, da Lang nur ein ängstlicher Opportunist gewesen sei – ein Charaktermerkmal, das sich Innsbrucks Akademiker nach 1945 oft gegenseitig bestätigten.88 Lang blieb angesehenes Mitglied der Innsbrucker akademischen Gemeinde, so wie der nachmalige Kandidat des Verbandes der Unabhängigen für das Amt des Bundespräsidenten, der Chirurgieprofessor Burghard Breitner, der während der NS-Jahre erfolgreich um seinen ‚arischen‘ Stammbaum gekämpft hatte und dessen politische Überprüfung sich auf die Frage beschränkte, ob seine Verneigungen vor der NSDAP auf eine ohne sein Wissen erfolgte Parteianmeldung durch seine Haushälterin oder durch seine Assistenten zurückzuführen seien.89 Auch für ihren Privatdozenten Theodor Wense machte die Medizinische Fakultät mobil. Zu ihm war zwar im November 1945 festgestellt worden, dass er schon 1933 „ausgesprochen anschlussfreundlich und nationalsozialistisch“ gewesen und in die SS eingetreten war, „als die Anschlussbewegung in den folgenden Jahren immer aktiver wurde“. Zugleich aber wurde festgehalten, innernazistische Konflikte und die sichtbar werdende kriminelle Struktur des Nazismus hätten Wense zu einer „inneren Abkehr“ bewogen. Eine unter Innsbrucks Professoren übliche Präsentation von „Gewissensjuden“ sowie die „bald nach der Annexion Österreichs“ erfolgte „innerliche“ Abwendung von der NSDAP wurden als ausreichend angesehen, um Wense bald zu rehabilitieren. 1949 wurde ihm die Lehrbefugnis erneut verliehen. 1955 wurde Wense zum Extraordinarius, 1962 zum Ordinarius für Pathologie ernannt. 1968 folgte gar die Wahl zum Rektor.90 Noch schneller vermochte der Frauenheilkundler Siegfried Tapfer im Jahr 1960 in den Rang einer Magnifizenz aufzusteigen. Die Universität Innsbruck plädierte bereits im November 1945 auf seine Übernahme in den Personalstand der Republik Österreich: „Tapfer wurde wegen der jüdischen Abstammung seiner Frau im Jahre 1938 angegriffen. Er fürchtete daher, dass er bei einer neuerlichen Besetzung der Lehrkanzel für Frauenheilkunde übergangen wird. Er schloss sich daher der Partei und der SA an.“ Ab 1948 konnte Tapfer wieder sukzessive in die Professur einrücken, obwohl sich das Ministerkomitee am 26. Juni 1948 „auf das unangenehmste über88 UAI, Nachlass Franz Josef Lang. 89 Vgl. Margret Handler, Der Teilnachlaß von Univ. Prof. Dr. med. Burghard Breitner (1884–1956). Ordnung, Inventarisierung, Erschließung, Verzeichnung, unveröffentlichte bibliothekarische Hausarbeit, Österreichische Nationalbibliothek, Wien 1999. 90 UAI, Personalakt Theodor Wense.
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rascht“ zeigte, nachdem folgende Auskunft aus dem Berlin Document Center, dem von den Alliierten verwalteten NS-Parteiarchiv, im Bundeskanzleramt eingelangt war: „Dr. Siegfried Tapfer, […] Mitgliedsnummer 6.251.624. Beitrittsdatum: 1. Mai 1938, Mitglied SA […]. Trat [der] NSDAP während der illegalen Periode bei […].“91 Zu ähnlichem akademisch-bürgerlichen Ansehen wie Wense und Tapfer gelangten an Innsbrucks Universität die für den Nationalsozialismus euphorisierten Dozenten Wolfgang Baumgartner und Hans Ganner. Baumgartner, 1941 aus Anlass seiner Habilitation für Chirurgie als in „weltanschaulicher Hinsicht“ bestens geeigneter NS-„Dozentenbundskamerad“ gewertet, musste 1945 seine Assistentenstelle als „NS-Illegaler“ räumen. Er galt selbst in bürgerlichen Universitätskreisen „als ausgesprochener Nationalsozialist“, und zwar spätestens seit dem Jahr 1933. Desungeachtet wurde Baumgartner 1952 die Titularprofessur verliehen, 1968 wurde er zum wirklichen Professor der Chirurgie ernannt.92 Nach diesem Muster rückte auch der maßgeblich illegal als Nationalsozialist tätige Psychiatriedozent Hans Ganner nach vorübergehender Entlassung die Positionen der Innsbrucker Universität hoch. Ganner selbst hatte 1939 aus Anlass seiner Habilitation folgenden ‚Leistungsausweis‘ für die NSDAP gegeben: „Parteimitglied seit Herbst 1934, Herbst 1937 als SA-Arzt gemeldet. April 1938 Aufnahme in die SS, seit November 1939 Staffel-Unterscharführer. Juni 1938 NS-Schulungslager auf Burg Niedernfels (Marquartstein). Seit Herbst 1938 Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes Gau Tirol-Vorarlberg.“ 1952 konnte Ganner wieder seine Dozentur erlangen, ehe er – seit 1960 permanenter Lehrkanzelsupplent – 1967 in das Ordinariat der Psychiatrie einziehen sollte.93 3.3 Wiedergutmachung an der Universität Innsbruck 1945
Wiedergutmachung bezog sich 1945 vor allem auf die Rehabilitation von Funktionären des Dollfuß–Schuschnigg-Regimes, die 1938 entlassen worden waren. An die Aktivierung von demokratisch-antifaschistischen Exilwissenschaftlern dachte Innsbrucks bürgerlich-katholisch dominierte Universitätselite in keinem Moment. Nobelpreisträger Victor Franz Hess wurde zwar vom Kollegium der Naturwissenschaftlichen Fakultät am 18. Juni 1946 einstimmig primo et unico loco für die Lehrkanzel der Experimentalphysik vorgeschlagen. Allein materiell blieben fast alle Bemühungen zur Rückberufung aus. Hess selber, der bis Ende 1947 vertraglich in New York an der Fordham University gebunden war, blieb skeptisch, wie er seinem ehemaligen Inns91 UAI, Personalakt Siegfried Tapfer. 92 UAI, Personalakt Wolfgang Baumgartner. 93 UAI, Personalakt Hans Ganner.
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brucker Assistenten Rudolf Steinmaurer am 15. August 1946 darlegte: „Ich nehme übrigens an, dass für Forschung sehr wenig Apparate und Geldmittel zur Verfügung stehen werden. Arbeiten auf dem Gebiete der kosmischen Strahlung sind heutzutage sehr kostspielig, wenn man Neues machen will. Ich fürchte, dass man in Österreich auf Jahre hin sich wird fretten müssen, um nur irgend etwas herauszubringen.“94 Wiedergutmachung erfuhren an der Universität zu einem geringeren Teil jene jüdischen Opfer des nazistischen Rassismus, die 1938 aus dem Lehrkader der Tiroler Hochschule entlassen worden waren. Einige der 1938 aus ‚rassischen‘ Gründen Entlassenen verblieben im Exil, etwa der Zahnheilkundler Wilhelm Bauer in den USA; der Physiologe Ernst Theodor Brücke wiederum war 1941 im US-Exil verstorben. Der Jurist Karl Wolff, von den akademischen Behörden der Universität Innsbruck 1938 als ‚Halbjude‘ eliminiert, wurde als maßgeblicher Zivilrechtler 1945 an die Universität Wien berufen.95 Länger verzögert wurde die Rehabilitation des Musikwissenschaftlers Wilhelm Fischer, über den der Dekan der Philosophischen Fakultät im Juni 1938 notiert hatte: „Professor Fischer wurde als Jude in den Ruhestand versetzt.“96 Fischer, 1928 als Professor aus Wien nach Innsbruck berufen, wurde während des Kriegs als Zwangsarbeiter in einer Wiener Metallfabrik ausgebeutet. Erst 1948 konnte er – offiziell aufgrund von Wohnungsproblemen – in die Innsbrucker außerordentliche Professur zurückkehren. Im Unterschied zu seinen NS-belasteten Kollegen wurde Fischer nie zum systemmäßigen Ordinarius befördert. Erst 1951 wurde ihm ein Titularordinariat (ad personam) verliehen und damit 1957 doch noch die Emeritierung anstelle einer Pensionierung ermöglicht. Den 1938 aus ‚rassischen‘ Gründen aus Assistentenstelle und Dozentur enthobenen Richard Stöhr schlug die Medizinische Fakultät im Herbst 1945 immerhin für eine vakante Professur der Medizinischen Chemie vor, da der 1938 entlassene Institutsvorstand Martin Henze wegen Überschreitens der Altersgrenze nach 1945 zum bereits exilierten Teil seiner Familie in die USA übersiedelte. Dabei hatte Rektor Steinacker im Juni 1939 die Wiederverleihung der Dozentur an Stöhr mit dem ‚Argument‘ infrage gestellt, dieser sei „mit einer Halbjüdin verheiratet.“97 Im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer war 1938 dem Botanikdozenten Helmut Gams die Lehrbefugnis entzogen worden. Dabei hatte sich Gams mit Erfolg 94 UAI, Ktn. Nachlass Victor Franz Hess. Fretten = umgangssprachlicher Ausdruck für: sich mit etwas sehr abmühen. 95 Vgl. Lichtmannegger, Geschichte des Lehrkörpers, Dokumentenband, S. 373–381. 96 Vgl. Kurt Drexel, Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck, Innsbruck 1994, S. 36. 97 UAI, Akten des Rektorats, NS-Reservatakten I.
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um den Einstieg in die deutsche Kriegsforschung bemüht. So hatte er nach dem ‚Anschluss‘ skandinavische Beziehungen genutzt, um gegen „deutschfeindliche Kreise“ in Schweden zu protestieren. Trotzdem fiel Gams dem Rassismus der ‚Nürnberger Gesetze‘ zum Opfer. Da es ihm nicht gelang, den sogenannten Ariernachweis zu führen, wurde ihm im Dezember 1938 die Venia legendi aberkannt. Weil aber Gams 1940 nach dem deutschen Überfall auf Norwegen als Kenner Skandinaviens und nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 als Russlandexperte für den deutschen Generalstab von Bedeutung war, stimmte die Tiroler Gauleitung angesichts der Kontakte von Gams zu hohen Wehrmachtsstellen 1942 seiner ‚Arisierung‘ zu. Rektor Steinacker hingegen wollte Gams, wie er gegenüber dem stellvertretenden Gauleiter von Tirol Herbert Parson im November 1942 ausführte, endgültig von der Universität entfernt wissen. Als Antisemit begründete er dies so: „Mein persönlicher Eindruck von Dr. Gams, der die mit großer Sicherheit aufgestellten Behauptungen über seine arischen Großeltern nicht zu beweisen vermochte und der sich wissenschaftlich eine Geltung anmaßt, die ihm als einem Spezialisten auf dem engen Gebiet der Pflanzengeographie durchaus nicht zukommt, ist der einer Unbedenklichkeit und Anmaßung, die man angesichts seines physischen Typus wohl als jüdisch bezeichnen kann.“98 1946 konnte Gams dann in Nachfolge des entlassenen Adolf Sperlich die Professur für systematische Botanik übernehmen. Dominiert war die Wiedergutmachung des Jahres 1945 von der Rückkehr der ‚Ständestaatler‘, die die bürgerliche Restauration abzusichern hatten. Damit in Verbindung stand die Rückkehr der ‚Jesuiten-Fakultät‘ aus dem Schweizer Exil, also der Katholisch-Theologischen Fakultät, die im Juli 1938 aufgelöst worden war. Die meisten ihrer Professoren blieben bis August 1945 in Sitten (Wallis) im Exil. Als Erster kehrte im Mai 1945 der 1938 amtsenthobene, gegen Kriegsende wegen Lehrermangel reaktivierte Anglist Karl Brunner in das Rektorsamt zurück. Brunner, der im Austrofaschismus akademischer Vertrauensmann der Vaterländischen Front gewesen war, folgte im selben Jahr der anglistische Privatdozent Karl Hammerle zurück an die Universität Innsbruck. Über ihn und Brunner hatte der von den Nationalsozialisten ins Amt gesetzte Dekan der Philosophischen Fakultät Ernst Philippi im Juni 1938 vermerkt: „Schlimm liegen die Dinge bei der Anglistik. Hier ist [es] durch die Tätigkeit Professor Brunners und seines Dozenten Hammerle im Verein mit der Politik Schuschnigg[-]Österreichs soweit gekommen, dass von den zahlreichen Studenten
98 Referiert nach Peter Goller/Gerhard Oberkofler, Helmut Gams (1893–1976). Ein Privatdozentenschicksal der Ersten Republik, in: Dies., Die Botanik an der Universität Innsbruck 1860–1945, Innsbruck 1991, S. 75–111.
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des Faches nur mehr sehr wenige wirklich nationalgesinnte übrig sind.“99 Brunner war als Rektor des Studienjahrs 1945/46 partiell um einen demokratischen Neuanfang bemüht, wollte aber seine austrofaschistische Vergangenheit im Hinblick auf die ‚abendländisch‘-katholische Restauration nicht verleugnen. Dies gilt auch für den Philosophie- und Pädagogikprofessor Richard Strohal, einen 1938 amtsenthobenen CVer.100 Im April 1938 galt Strohal der Fakultät als untragbar, er sei sofort durch „einen nationalsozialistisch eingestellten Vertreter der Pädagogik“ zu ersetzen. Die Geheime Staatspolizei bestätigte im Juli 1938 die Haltung der Universität: „Weiters war er in verschiedenen Organisationen der Vaterländischen Front tätig, so unter anderem in den O[stmärkischen] S[turm] S[charen], Sachwalterschaft der Universität und im Amte für Leibesübungen.“101 Zu den katholischen Wissenschaftlern, die 1945 in Innsbruck vorübergehend reaktiviert wurden, zählte auch der Vatikan-Freund und Mussolini-Verehrer Ignaz Philipp Dengel. Er war Professor für allgemeine Geschichte der Neuzeit und ab 1929 zugleich Direktor des Historischen Instituts in Rom.102 Umgehend in ihre alten Stellen eingesetzt wurden die Rechtsprofessoren Godehard Josef Ebers, Arnold Herdlitczka und Hans Bayer, die dem klerikalen Austrofaschismus nahegestanden hatten. Ebers war bereits 1935 von den Nationalsozialisten als Exponent des politischen Katholizismus aus seiner Kölner Kirchenrechtsprofessur eliminiert worden. 1936 nach Innsbruck berufen, wurde er im März 1938 neuerlich aus seiner Professur vertrieben. Auch der Romanist Herdlitczka war 1938 als „besonderer Freund des Regimes Schuschnigg“ und als Verfechter des „politischen Katholizismus und Legitimismus“ amtsenthoben worden. Der ‚Ständestaatler‘ und Wirtschaftswissenschaftler Hans Bayer schließlich war von der Universität Innsbruck im Frühjahr 1938 zur Rückversetzung in den ministeriellen Verwaltungsdienst vorgeschlagen worden, zumal er in Innsbruck wegen seines Eintretens für ein unabhängiges Österreich und als Gegner des ‚Anschlusses‘ für eine Lehre der Nationalökonomie als ungeeignet galt, die in den Kategorien des imperialistischen deutschen Großraums dachte.103 An der Medizinischen Fakultät wurden 1945 einige Dozenten eingestellt, die 1938 an anderen Universitäten entlassen worden waren. Dazu gehörten der Anatom Gustav 99 UAI, Akten des Rektorats, NS-Reservatakten I. 100 Vgl. Goller, Die Lehrkanzeln für Philosophie, S. 183–190. 101 UAI, Akten des Rektorats, Nr. 1455, 2074 und 2075 aus 1937/38 (NS-Reservatakten). 102 Vgl. Gerhart B. Ladner, Erinnerungen, hg. von Herwig Wolfram/Walter Pohl, Wien 1994, S. 51. 103 Über Bayer, Ebers, Herdlitczka, Kogler vgl. Lichtmannegger, Geschichte des Lehrkörpers, Dokumentenband, S. 30–40, 56–82, 213–229 und 248 f.
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Sauser (1938 aus der Wiener Professur entfernt, nachdem er als ‚Ständestaatsbesetzung‘ von der Entlassung des Sozialdemokraten Julius Tandler profitiert hatte), der Internist Anton Hittmair (1938 als Primar in Wels enthoben) und der Dermatologe Josef Konrad (1938 Wiener Lehrbefugnis aberkannt). Sauser, Hittmair und Konrad waren 1938 wegen ihrer Nähe zur Schuschnigg-Regierung gemaßregelt, Hittmair im selben Jahr wegen seiner österreichischen Gesinnung für zwei Jahre im Konzentrationslager Dachau interniert worden.104 Der wieder eingestellte Psychiatrieprofessor Hubert Urban war 1938 – kaum nach Innsbruck ernannt – ebenfalls als „Systemanhänger“ entlassen worden.105 Neben anderen Assistenten kehrte der HNO-Heilkundler Ludwig Hörbst, später Ordinarius und Rektor der Universität Innsbruck, im Rahmen politischer Rehabilitation an die Fakultät zurück. Über ihn vermerkte die Unterrichtsbehörde im September 1945: „Im März 1938 zwei Tage Schutzhaft. Suspendierung vom klinischen Dienst. Einstellung des Habilitationsverfahrens. Verbot der Niederlassung als Facharzt in Tirol.“106 3.4 ‚Unpolitische‘ Professoren?
Es gab auch Professoren, die sich in faschistischer Zeit individuell politische Inte grität bewahrt hatten – auch wenn sie nicht bemerkbar für die bürgerlich-demokratische Republik eingetreten waren, geschweige denn mit den Kämpfen der Arbeiterbewegung um elementare soziale Rechte in Berührung gekommen waren –, ohne nach 1933/34 bzw. 1938 auch nur ansatzweise den NS-Faschismus politisch bekämpft zu haben oder im persönlichen Dasein eines privilegierten Hochschullehrers gestört worden zu sein. Zu diesem Personenkreis zählen der Philosoph und Experimentalpsychologe Theodor Erismann, 1927 aus Bonn nach Innsbruck berufen, oder der 1922 berufene Mineraloge Bruno Sander. Das persönlich integre Verhalten dieser wenigen Innsbrucker Professoren wurde nach 1945 oft in seiner antinazistischen Bedeutung überschätzt, was angesichts der verschwindend geringen Dimension antifaschistischen Widerstandes keine realistische Bewertung darstellt. Theodor Erismann füllte 1938 seinen Personalbogen in einer Art aus, die angesichts der autoritär-faschistischen Stimmungslage an der Universität Innsbruck einzigartig war: „Mitgliedschaft in nationalen Verbänden: keine – Politische Betä104 UAI, Akten der Medizinischen Fakultät, Berufungsakt Innere Medizin 1945. 105 Vgl. Franz Huter (Hg.), Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, Bd. 2, Innsbruck 1969, S. 207–209, 310–314, 380–382, 403–410 und 426–432. 106 UAI, Akten der Medizinischen Fakultät, Berufungsakt HNO 1945.
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tigung: Gehörte niemals irgend einer politischen Partei an.“107 1944 griff Erismann in einem Vortrag die gerade unter den professoralen Mandarinen verbreitete Verehrung von Führerfiguren an. Durch historische Analogien verklausuliert hatte er den NS-Führerkult so offen kritisiert, dass sich Dekan Steinböck Ende Februar 1944 zu einer scharfen Drohung veranlasst sah: „Aus unmissverständlichen Formulierungen offenbarte sich mir ein Geist, der mehr als befremdend erscheint und mich zu Folgerungen zwingt. Da Sie auch meiner Fakultät angehören, warne ich Sie als Dekan dringendst, die im Vortrag enthüllte Einstellung bei irgendwelcher Gelegenheit und in irgendwelcher Form Ihren Hörern zu vermitteln. Sollten mir als Dekan diesbezügliche Mitteilungen zukommen, müßte und würde ich unerbittlich einschreiten. Die Folgen wären für Sie katastrophal.“108 4 Zusammenfassung
Die politischen ‚Brüche‘ von 1933/34, 1938 und 1945 sind als Machtverschiebungen zwischen den die Innsbrucker Universität seit 1918 beherrschenden politischen Blöcken, dem deutschnational-‚freisinnigen‘ und dem autoritär-katholisch orientierten Lager, zu interpretieren. Die vom ‚Ständestaat‘ ab 1933 gegen rund ein Dutzend früher nazistischer Hochschullehrer gesetzten Maßregelungen und Entlassungen konnten das Netzwerk ‚illegaler‘ NS-Professoren nur begrenzt isolieren. Es ist deshalb kein Zufall, dass diese um den Historiker Harold Steinacker organisierte NS-Gruppe nach dem ‚Anschluss‘ im März 1938 die politische sowie die ‚rassische Säuberung‘ der Universität rasch durchziehen konnte. Mit großer akademischer Brutalität wurden vor allem die jüdischen Professoren und Studierenden vertrieben. Nach der Befreiung von 1945 kehrte die vormals austrofaschistische Professorengruppe wieder in ihre dominierende Machtposition zurück. Die offen nazistisch aktiven Universitätsfunktionäre wurden entlassen. Bis 1950 kam es an der Universität Innsbruck aber im Zug der ‚Entnazifizierung‘ zu einem neuen Machtausgleich zwischen der katholisch-konservativen Gruppierung und den nun als ‚minderbelastet‘ geltenden NS-Professoren. Eine demokratisch liberale Erneuerung der Universität Innsbruck erfolgte nicht.
107 UAI, Ktn. Standesblätter 1938–1945, Standesblatt Theodor Erismann. 108 UAI, Nachlass Theodor Erismann.
„Eine peinliche Zwischenzeit“ Entnazifizierung und Rehabilitierung der Professorenschaft an der Universität Wien
Roman Pfefferle und Hans Pfefferle
1 Die rasche Wiedereröffnung
Geistige und materielle Zerstörung hatten auch für die Universität Wien in den ersten Tagen des April 1945 ein Ausmaß erreicht, das das Wort Dan Diners vom „Zivilisationsbruch“ als dem „nachgerade singulären Umstand der Vernichtung von Menschen durch Menschen als Durchbrechung aller bisher als gewiss erachteten ethischen und instrumentellen Schranken von Handeln“ rechtfertigt.1 Wir besitzen eine ungefähre Kenntnis davon, wie viele der 69 ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Philosophischen Fakultät und der 29 der Medizinischen Fakultät sich am 10. April – inmitten der Kämpfe um Wien – nicht in der Stadt aufhielten.2 51 Professoren der ersten Gruppe befanden sich entweder im Salzkammergut oder in Ostösterreich, aber auch im Sudentenland, im ‚Altreich‘ oder waren unbekannten Aufenthalts, nur 18 oder ein Viertel war am Standort der Universität verblieben. Bei den Medizinern hielten sich situationsbedingt vergleichsweise höhere 55 % an ihrem Arbeitsplatz bzw. ihrer Klinik in Wien auf, 13 Professoren hatten die Stadt verlassen. Der materielle Schaden war immens: Das Hauptgebäude der Universität wies elf große Schadensstellen durch Bombenwürfe auf; 29 % der Bodenfläche aller Stockwerke war völlig oder weitgehend zerstört, ebenso 65 % der Dacheindeckung und fast die gesamte Verglasung; beim Nebengebäude in der Liebiggasse waren 34 % der Nutzfläche völlig oder weitgehend zerstört; das Botanische Institut erhielt vor 1
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Zitiert nach Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft 1941–1955, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 15. Roman Pfefferle/Hans Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien in den Nachkriegsjahren, Göttingen 2014, S. 178–180. Dieser Stichtag war aus besoldungstechnischen Gründen in das neue, nach dem Umbruch auszufüllende Personalblatt der jeweiligen Fakultät aufgenommen. Die entsprechende Rubrik lautete: „Aufenthalt am 10.IV.1945 unter Begründung einer allfälligen Abwesenheit.“
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Roman Pfefferle und Hans Pfefferle
allem durch Luftdruck und Erdkämpfe ausgedehnte Schäden, besonders an den Gewächshäusern; der weitläufige Gebäudekomplex der Universität in der Schwarzspanierstraße hatte durch Bombenwürfe und Brand besonders arg gelitten.3 Für die Vereinigung demokratischer Hochschullehrer Österreichs gab es nach der Befreiung einen deutlichen und allgemeinen Impuls zum sofortigen „Irgendwie-Weitermachen“, zum unverzüglichen Abschütteln der „Art von Lähmung nach dem unmessbarem Grauen.“4 Peter Sloterdijk benennt den Vorgang als charakteristisch für die „Kultur“ der Neuzeit: Diese „stellt sich uns als eine Zeit der Enthemmung, der Entfesselung, der Freisetzung vor, […] in welcher das Irgendwie-Weitermachen nach dem Reißen der Fäden zur Über-Tugend erhoben wird. […] Die Systemtheorie macht das neue Irgendwie mit dem Begriff ‚Anschlussfähigkeit‘ explizit. Es spiegelt Niklas Luhmanns intellektuelle Erleuchtung als junger Überlebender des Zweiten Weltkriegs wider: Der lokale Weltuntergang war kein ausreichender Grund, nicht mit irgendwelchen Optionen fortzufahren. Wer wie auch immer ‚anschließt‘ an das, was aus welchem Grund auch immer noch besteht, beweist: Das Weitermachen inmitten von Trümmern ist die zeitgemäße Antwort auf den Verlust einer beerbbaren Kultur. Du musst kein Erbe sein, um zu reüssieren, solange du die Anschlussstellen selbst zusammensuchen kannst.“5 Es ist erstaunlich, wie wörtlich man das „Selbst-Zusammensuchen der Anschlussstellen“ nehmen kann: Der Altorientalist Kurt Schubert,6 der einen Tag zuvor die Initiative zum ‚Weitermachen‘ der Universität gesetzt hatte,7 suchte sich die Bestandteile des aktuellen Universitätsstempels am 13. April selbst zusammen, indem er den Reichsadler aus einem dem Schreibtisch des Rektors entnommenen Stempel herausschnitt und durch den doppelköpfigen Adler des ‚Ständestaates‘ von einem alten Stempel des Dekanats der Theologischen Fakultät ersetzte. Die darauf folgenden Etappen bis zur offiziellen Aufnahme der Lehrtätigkeit an der Universität Wien lassen sich in Kürze folgendermaßen zusammenfassen: Am 3 4 5 6
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Ludwig Adamovich, Bericht über den Studienbetrieb an der Wiener Universität vom Sommer-Semester 1945 bis zum Sommer-Semester 1947, Wien 1947, S. 36–42. Vereinigung demokratischer Hochschullehrer Österreichs, Die Wehrlosen. Zum Problem der nationalsozialistischen Hochschullehrer, Wien 1946, S. 5. Peter Sloterdijk, Die schrecklichen Kinder der Neuzeit. Über das anti-genealogische Experiment der Moderne, Berlin 2014, S. 422 f. 22 Jahre alt, kurz vorher promoviert von seinem Vorgänger im Rektorsamt Viktor Christian, der nach der Resignation Eduard Pernkopfs (Rektor 1943–1945) am 10. April 1945 zum letzten nationalsozialistischen Rektor der Universität bestellt worden war. Zu Initiativen um Interimsrektor Kurt Schubert und die Wiedereröffnung der Universität anschaulich Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, S. 237–240. Schubert wurde 1966 Ordinarius für Judaistik an der Universität Wien.
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12. April 1945 besorgte sich Kurt Schubert eine offizielle Armbinde bei der Widerstandsbewegung O5 im Palais Auersperg. Mit der Armbinde ausgestattet, erwirkte er am folgenden Tag eine Empfehlung des sowjetischen Stadtkommandanten Alexej Blagodatow zum Betreten des Universitätsgebäudes und verfertigte den neuen Universitätsstempel. Für den 15. April um elf Uhr lud Schubert zu einer Professorenversammlung im Institut für Ägyptologie in der Frankgasse; sechs Professoren folgten der Einladung; die Universität wurde wiedereröffnet; der Ägyptologe Wilhelm Czermak bestätigte Schubert durch Händedruck als Interimsrektor; am Hauptgebäude begannen die Aufräumungsarbeiten. Am 16. April nahmen die „aufbauwilligen Kräfte des Lehrkörpers“8 tägliche Beratungen über die Gestaltung und Zukunft der Universität auf. Zehn Tage später wurden der Rektor (Ludwig Adamovich) und der neue Akademische Senat gewählt. Am 2. Mai bestätigte das Staatsamt für Unterricht die Wahl durch Erlass; Beginn des Universitätsbetriebes. Am 29. Mai schließlich begann die Universität Wien „als erste Unterrichtsanstalt Österreichs überhaupt“ mit der Vorlesungstätigkeit.9 Der Fetisch, mit dem man der Lähmung einer „tieflastenden Vergangenheit“ (Adamovich) entkommen wollte, zeigte sich als unverzügliche Wieder-Erreichung einer ‚Normalität‘ an der Universität, konkret mit der Durchführung des Sommersemesters 1945. Dieses einmal gesteckte Ziel erreichen zu wollen, trieb Senat, Lehrkörper und Studierende zu außerordentlichen, zielgerichteten Leistungen an. Dass dies nur mit Ausblendung tiefergehender Überlegungen, wie etwa der Beschäftigung mit Chancen für eine neue Universität in einer ‚Stunde Null‘, geschehen konnte, liegt auf der Hand. Die aktuelle Extremsituation mit den sich auftürmenden Schwierigkeiten ließ vielleicht nur besinnungsreduziertes Handeln zu: „Rückschauend kommt es uns allen erst so recht zum Bewußtsein, welches Wagnis dies10 im damaligen Zeitpunkt bedeutete.“11 Man kann mit gleichem Recht sagen, welche Vermeidung eines Wagnisses es bedeutete: des Wagnisses einer Besinnungs- und Orientierungsanstrengung für die erste Hochschule Österreichs. Es war eine Flucht nach vorne mit rückwärtsgerichtetem Personal. Der neu gewählte 15-köpfige Senat bestand aus elf Professoren des Lehrkörpers der NS-Zeit,12 die durch vier 1938 enthobene Mitglieder der Professorenschaft des ‚Ständestaates‘ 8 9 10 11 12
Adamovich, Studienbetrieb, S. 2. Ebd., S. 3. Gemeint ist das Sommersemester 1945. Adamovich, Studienbetrieb, S. 3. Nach Ersetzung des unerwartet verstorbenen Prodekans der Medizinischen Fakultät Wilhelm Kerl durch Wolfgang Denk (ebd., S. 2). Die elf Professoren kamen aus jener 32-köpfigen Gruppe der Professorenschaft, deren Angehörige nicht Mitglieder oder Anwärter der NSDAP gewesen waren.
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ergänzt wurden.13 Dieser wichtigen Weichenstellung für die Zukunft der Universität noch im April 1945 mussten unmittelbar Entscheidungen darüber folgen, welche Professoren im mühsam erreichten Sommersemester lehren sollten bzw. durften, waren doch von den 124 ordentlichen und außerordentlichen Professoren der vier Fakultäten 92 Personen (74 %) Mitglieder oder Anwärter der NSDAP gewesen. 2 Das Verbotsgesetz 1945 und seine Auswirkungen auf die Professorenschaft der Universität Wien
Eine im Archiv der Universität aufgefundene Übersichtsliste von Ende 194514 enthält die Namen von 50 der insgesamt 53 von Maßnahmen der Entnazifizierung betroffenen ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Philosophischen Fakultät mit Datum und Charakter der konkreten Sanktion wie „generelle Enthaltung“, „vom Staatsamt entlassen“, „vom Liquidator [der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich] außer Dienst gestellt“; nicht weniger als 29 Namen enthalten den Vermerk „vom Dekanat verfügt: Enthaltung von der Lehrtätigkeit 22.5.45“. Unter den Betroffenen finden sich prominente Professoren wie der Ordinarius der Deutschen Sprache und Literatur Josef Nadler, der Philosoph Arnold Gehlen, der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr und der Historiker Heinrich Srbik, der schon in den ersten Listen des Philosophischen Dekanats vom 16. Mai 1945 unter jenen aufschien, „denen die Lehrbefugnis sofort zu entziehen war“.15 An dem erwähnten 22. Mai hielt der Staatssekretär für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten Ernst Fischer (Kommunistische Partei Österreichs, KPÖ) das Eröffnungsreferat der sogenannten Volkstümlichen Universitätsvorträge zum Thema Die Aufgaben der Universität im neuen Staat, in dem er einem fast angestrengten Österreichpatriotismus huldigte und das Bekenntnis zu Demokratie und Humanismus beschwor.16 Bei dieser Gelegenheit richtete Rektor Adamovich in seinen Begrüßungsworten an den Staatssekretär die Bitte, dass „bei der nunmehr notwendigen Reinigung des Lehrkörpers den Betroffenen die Möglichkeit 13 Hierbei handelte es sich um Ludwig Adamovich (Rektor), Ferdinand Degenfeld-Schonburg (Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät), Leopold Arzt (Dekan der Medizinischen Fakultät) und Friedrich Reuter (Senator der Medizinischen Fakultät). 14 Archiv der Universität Wien (UAW), Akademischer Senat (AS) Gz. 603–603/4 aus 1944/45, ohne Nr. 15 Die rühmende Rede von der ‚frühen Selbstreinigung der Universität‘ verliert einiges von ihrem Glanz, wenn man die unabdingbare Notwendigkeit der Festlegung der zur Lehre zugelassenen Professoren im Hinblick auf den geplanten Vorlesungsbeginn des Sommersemesters 1945 am 29. Mai und die rechtzeitige öffentliche Bekanntgabe ins Auge fasst. 16 Auszüge in: Ernst Fischer, Das Jahr der Befreiung. Aus Reden und Aufsätzen, Wien 1946, S. 85–89.
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gegeben werden möge, gehört zu werden – im Gegensatz zu dem unrechtmäßigen Verfahren 1938“.17 Adamovich hatte schon vor der ersten Senatssitzung der sich konstituierenden Universität am 4. Mai wegen der Rückberufung und Enthebung von Professoren Kontakt zu Fischer aufgenommen,18 also gerade in jenen Tagen, als dieser im Kabinettsrat der provisorischen Regierung die „Nationalsozialisten-Frage“, konkret die Schaffung eines Verbots- bzw. Vergeltungsgesetzes, mitverhandelte.19 Dieses Gesetz war in seinen Grundzügen ein Werk des sozialdemokratischen Politikers Adolf Schärf.20 Dessen Memoiren helfen, der Genese des Verbotsgesetzes näherzukommen. Schärf, der damals als freier Anwalt arbeitete, befand sich gegen Kriegsende in einer bedrängten Lage. Seit dem ‚Anschluss‘ Österreichs mehrmals in Haft, war ihm aus Gestapo-Kreisen zugetragen worden, er habe bei einer Belagerung Wiens mit der Liquidierung zu rechnen. Für den 3. April, Osterdienstag, aber wurde ihm zu seinem Schutz ein Spitalsbett im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) verschafft.21 Während seines einwöchigen Aufenthalts im Spital wurde Schärf indirekt Zeuge der spektakulären ‚Rettung des AKH‘ durch die Primarärzte Leopold Schönbauer und Tassilo Antoine. Es waren diese beiden ordentlichen Professoren der Wiener Universität,22 die Schärf in der Folge zum Ausnahmeparagrafen 27 des Verbotsgesetzes inspirierten.23 In verschiedenen Publikationen hat Adolf Schärf Schritt für Schritt 17 Im Konzept vorgestellt in der vorhergehenden Senatssitzung. UAW, AS, Senatssitzungsprotokoll (SSP) vom 19. Mai 1945. 18 Wohl am 2. Mai anlässlich der Bestätigung des Akademischen Senats durch den Staatssekretär. 19 Dazu wurde am 30. April, am 4. und am 8. Mai in der zweiten bis vierten Sitzung verhandelt. Siehe Reinschriften, handschriftliche Konzepte und Beschlussfassung zu dieser Materie in: Gertrude Enderle-Burcel/Rudolf Jeřábek/Leopold Kammerhofer (Hg.), „… im eigenen Haus Ordnung schaffen“. Protokolle des Kabinettsrates 29. April 1945 bis 10. Juli 1945, Bd. 1: Protokolle des Kabinettrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945, Wien/Horn 1995, S. 6–34. 20 Adolf Schärf, 1890–1965, 1933/34 Mitglied des Bundesrates, 1934 inhaftiert, 1936–1945 Rechtsanwalt, 1945–1957 SPÖ-Parteivorsitzender und Vizekanzler, 1957–1965 Bundespräsident. 21 Adolf Schärf, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien 1963, S. 168–176. Der Politiker entkam nur knapp: „Aber schon in der Früh [des 3. April] von bösen Ahnungen gequält, verließ ich die Wohnung und suchte den Schrebergarten […] auf; nachmittags wurde ich in die Klinik aufgenommen. Es war der letzte Augenblick gewesen. Noch an diesem Osterdienstag […] und am nächsten Tag wurde ich immer wieder von der Polizei in meiner Wohnung gesucht.“ 22 Zu Schönbauer, der von Ingrid Arias als „routinierter Opportunist“ bezeichnet wird, siehe Ingrid Arias, Die Medizinische Fakultät von 1945 bis 1955: Provinzialisierung oder Anschluss an die westliche Welt?, in: Margarete Grandner/Gernot Heiß/Oliver Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955, Innsbruck u.a. 2005, S. 76. Zuletzt ausführlicher Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 310–312. 23 Der auch als ‚Schönbauer-Paragraf‘ bezeichnete § 27 enthält die Bestimmungen: „Ausnahmen von der Behandlung […] sind im Einzelfalle zulässig, wenn der Betreffende seine Zugehörigkeit zur NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände […] niemals mißbraucht hat und aus seinem Verhalten
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Einblicke in die Gestaltung ‚seines‘ Verbotsgesetzes gegeben. Wenige Tage nach seinem Aufenthalt im Spital konnte er überall an den Mauern Wiens Proklamationen des sowjetischen Marschalls Fjodor I. Tolbuchin24 lesen, dessen Truppen Wien in Besitz genommen hatten: „Österreicher! […] Die Rote Armee kämpft gegen die deutschen Okkupanten, aber nicht gegen das Österreichische Volk. […] Lüge ist […] das von den Hitlerkreaturen verbreitete Gerücht, daß die Rote Armee angeblich alle Mitglieder der NSDAP vernichtet. Die NSDAP wird aufgelöst, doch die einfachen Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei werden nicht verfolgt, wenn sie sich den Sowjettruppen gegenüber loyal verhalten […]. Die Rote Armee kam nach Österreich nicht als eine Eroberungsarmee, sondern als Befreiungsarmee.“25 Aus der Nichtverfolgung einfacher NSDAP-Mitglieder zog Schärf eine direkte Folgerung für das erste gegen Nationalsozialisten gerichtete Gesetz: „Unter Beachtung dieses Grundsatzes wurde von der Provisorischen Regierung am 8. Mai 1945 das Verbotsgesetz als ein Verfassungsgesetz beschlossen.“26 Staatskanzler Karl Renner war in seiner Regierungserklärung, die am 28. April veröffentlicht wurde, noch von der Vorstellung ausgegangen, schuldig gewordene ‚belastete‘ Nationalsozialisten nach deren eigenem Ausnahmerecht zu behandeln.27 Dieses Ausnahmerecht sollte ausschließlich zu diesem Zweck in Kraft gelassen werden. „Bei der Beratung ergaben sich außerordentlich große Schwierigkeiten[,] diesen Gedanken zu verwirklichen. Man ging deshalb auf einen anderen Vorschlag von mir ein“, wie Schärf in seinem Buch Zwischen Demokratie und Volksdemokratie schrieb.28
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noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann. Im Einzelfalle entscheidet darüber die Staatsregierung.“ Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), in: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.) Nr. 13/1945, S. 19–24. Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin, 1894–1949, Marschall der Sowjetunion, Befehlshaber der 3. Ukrainischen Front (Heeresgruppe), erster sowjetischer Befehlshaber in Österreich. Die zwei ersten Proklamationen Tolbuchins an die Bevölkerung Österreichs sind vollständig abgedruckt in: Adolf Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung im Jahre 1945, Wien 1960, S. 37–40. Die besondere Proklamation an die Bürger von Wien ebd., S. 40 f. Adolf Schärf, Österreichs Erneuerung 1945–1955. Das erste Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1955, S. 141. „Nur jene, welche aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttätigkeit, des Spitzeltums, der Verfolgung und Unterdrückung über unserem Volke aufgerichtet und erhalten, welche das Land in diesen abenteuerlichen Krieg gestürzt und es der Verwüstung preisgegeben haben und noch weiter preisgeben wollen, sollen auf keine Milde rechnen können. Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden, das sie selbst den anderen aufgezwungen haben und jetzt auch für sich selbst für gut befinden sollen.“ Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung, S. 78. 1960 als Teil des Buches Österreichs Wiederaufrichtung im Jahr 1945 herausgegeben, hier S. 179.
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Der von ihm wegen um sich greifender Ausschreitungen der Bevölkerung gegen Nationalsozialisten29 eilig ausgearbeitete Entwurf sah für einfache NSDAP-Mitglieder lediglich eine Registrierung ohne weitere Sanktionen vor. Für sogenannte ‚Illegale‘, also Personen, die der Partei in der ‚Verbotszeit‘ zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 beigetreten waren, war eine Bestrafung von fünf bis zehn Jahren Kerker wegen Hochverrats vorgesehen, die aber grundsätzlich nur bedingt ausgesprochen wurde, wenn keine weiteren Vergehen vorlagen. Die Professoren der Universität betrafen die Bestimmungen, dass ‚Illegale‘ aus dem Staatsdienst zu entlassen seien und dass einfache Parteimitglieder unter den Staatsbeamten und Bediensteten, die in der Zeit des NS-Regimes in den Staatsdienst eingetreten waren, bei fehlender Gewähr von Treue zur Republik Österreich zu entlassen oder zu pensionieren seien. Der Entwurf des Verbotsgesetzes, den Adolf Schärf als Mitglied der zu dessen Erarbeitung bestellten Kommission vorlegte, wurde im Kabinettsrat kritisch aufgenommen und in zweiter und dritter Sitzung lebhaft diskutiert. Besonders empörte sich Staatssekretär Fischer über „das formalistische Prinzip“ der Registrierung. Auf diese Weise würden Kriegsverbrecher, die nicht der Partei angehört hätten, geschont. „Es gehe nicht so sehr darum, […] ob einer der NSDAP angehört habe, sondern entscheidend sei sein Verhalten.“30 „Ich ließ mich“, schrieb Fischer, „zu dem Ausruf hinreißen, lieber eine revolutionäre als eine bürokratische Lösung!“31 Dies kommentierte Schärf später mit den Worten: „Die Kommunisten spielten bei der Beratung mit dem Gedanken von einem Austoben der Volkswut, nach dem man die Mitläufer pardonieren könne.“32 In den Verhandlungen wurde das Gesetz in der Folge verschärft. Diesen Umstand, den Fischer in seinen Memoiren nicht überzeu29 Ebd. und Oliver Rathkolb, Die „Nazi-Frage“. Antisemitismus und „braune Flecken“ in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, in: Das Jüdische Echo 50 (2001), S. 144. Im Zuge dieser ‚wilden Vergeltungsmaßnahmen‘ gegen ehemalige Nazis wurden in diesen Wochen beispielsweise in Wien rund 40.000 bis 50.000 Personen aus ihren Wohnungen vertrieben. 30 Ernst Fischer, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955, Wien/München/Zürich 1973, S. 104. Hier öffnet sich ein weites Feld. Um nur einen Beispielfall der Wiener Universität zu nennen: Der Musikwissenschaftler Erik Schenk blieb als Nichtparteimitglied von der Entnazifizierung unbehelligt, obwohl er vor 1945 beim Amt Rosenberg mitgearbeitet hatte, in abstoßender Weise die ‚Arisierung‘ der Bibliothek des früheren Lehrstuhl-Inhabers Guido Adler betrieben und sich an der Ermordung von dessen Tochter Melanie im Konzentrationslager Maly Trostinec mitschuldig gemacht hatte. Nach dem Krieg verweigerte er weiterhin die Annahme von Dissertationsthemen, die jüdische Komponisten wie Arnold Schönberg oder Franz Schreker betrafen. Siehe Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 62 f., 93 f., 302. 31 Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 104. 32 Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung, S. 181 f. Eine ‚revolutionäre Lösung‘ war allerdings mit den ‚wilden Vergeltungsmaßnahmen‘ der Bevölkerung schon im Gange; sie sollten eben durch gesetzliche Grundlagen unterbunden werden.
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gend widerlegen konnte, hob Schärf in seinen Texten hervor: „[…] meine Vorlage ist von Beratung zu Beratung verschärft worden, zwischen Kommunisten und Volksparteilern setzte geradezu ein wechselseitiges Überbieten ein.“33 Leopold Figl – damals Staatssekretär in der Staatskanzlei – stellte etwa den Zusatzantrag, auch die Parteianwärter zu registrieren.34 Damit wurden zusätzlich 13 der 124 Professoren der Universität Wien der Entnazifizierung unterzogen;35 unter ihnen waren die beiden ‚Helden‘ des AKH, Tassilo Antoine und Leopold Schönbauer. Die Kommunisten konterten, sie seien zwar grundsätzlich weiterhin gegen eine Registrierung. Aber wenn schon eine Registrierung vorgenommen werde, sollten auch die Mitglieder von SS, SA und der Wehrverbände der NSDAP einbezogen werden.36 Dies wiederum empfand Adolf Schärf als zu hart, und es veranlasste ihn, den Ausnahmeparagrafen 27 ins Gesetz zu reklamieren. Das schließlich mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und KPÖ beschlossene Gesetz scheiterte allerdings in der Praxis vor allem daran, dass 85 bis 90 % der zu registrierenden Nationalsozialisten den Ausnahmeparagrafen für sich in Anspruch nahmen. Dass dies bei etwa einer halben Million Betroffener nicht zu administrieren war,37 gestand Schärf rückblickend ein: Das Verbotsgesetz sei „in der damals beschlossenen Fassung, bis auf die Vornahme der Registrierung, praktisch nicht durchgeführt worden.“38 Mit Bezug auf die Universität Wien trifft diese allgemeine Aussage allerdings nicht zu. Denn hier wurde sehr wohl nach dem Verbotsgesetz entnazifiziert.39 Es sei noch auf eine Vorstellung hingewiesen, die in den Monaten nach Kriegsende allgegenwärtig war und auch bei der Pflicht zur Registrierung für Nationalsozialisten eine Rolle gespielt hat: der Gedanke von Kollektivschuld und Sühne. Seine Allgegenwärtigkeit zeigte sich etwa in den Begrüßungsworten des Wiener Bürgermeisters, General Theodor Körner, an die Provisorische Staatsregierung unter Führung von Karl 33 Ebd., S. 182, und Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 106. Der Begriff „Volksparteiler“ bezog sich auf die ÖVP. 34 Ernst Fischer vermutete einen Seitenhieb auf die SPÖ: „ein Sozialist in der Provisorischen Regierung war nämlich Parteianwärter“ (Das Ende einer Illusion, S. 106). 35 Die Professoren, die Anwärter, aber nicht Mitglieder der NSDAP waren, stellen 14 % der 92 Entnazifizierten. 36 Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 106. Zur Gruppe der entnazifizierten Universitätsprofessoren kamen damit vor allem Mitglieder der Medizinischen Fakultät hinzu, die zu 38 % der SA oder der SS angehört hatten. Siehe Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 277. 37 Schärf gab sich in seinem Buch Österreichs Erneuerung (1955, S. 141 f.) als Initiator des Ausnahmeparagrafen zu erkennen, während er den Urheber in seiner Schrift Österreichs Wiederaufrichtung (1960, S. 182) anonymisierte; der Autor war also vorsichtig auf Distanz gegangen. 38 Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung, S. 183. 39 Mitchell G. Ash, Die Universität Wien in den politischen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Ders./Josef Ehmer (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 2: Universität – Politik – Gesellschaft, Göttingen 2015, S. 143.
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Renner im Rathaus am 29. April 1945: „Wir repräsentieren das Volk von Wien, das der neuen Regierung Österreichs zujubelt. So wie das Rathaus durch den Einzug seiner jetzigen demokratischen Verwaltung Wien von der Schande befreit und entsühnt hat, so mögen Sie, Herr Staatskanzler, das Parlament, das Symbol der Freiheit der Republik[,] entsühnen und befreien!“40 Demnach entsühnte ein Gebäude (Rathaus) eine Stadt (Wien), ebenso möge der Staatskanzler (Renner) ein weiteres Gebäude (das Parlament) entsühnen und von der „Schande“ der NS-Herrschaft befreien. Im Verbotsgesetz äußerten sich Vorstellungen von Sühne etwa in der Heranziehung von Nationalsozialisten zu Zwangsarbeit41 und in der Kürzung von im Zuge der Entnazifizierung ausgesprochenen Pensionierungen – Maßnahmen, die auch Professoren der Wiener Universität betrafen.42 Ernst Fischer vertrat etwa 1945 die Ansicht, weniger belastete Nationalsozialisten würden durch Sühneleistungen wieder in das österreichische Volk hineinwachsen.43 Über die Frage von ‚Schuld und Sühne‘ führte der Staatssekretär für Unterricht, kommunistische Politiker und Schriftsteller damals auch ein aufschlussreiches Gespräch mit dem einschlägig belasteten Dirigenten Wilhelm Furtwängler, das er Anfang der 1970er Jahre in seinem Buch Das Ende einer Illusion mit dem Fragesatz abschloss: „Ist das Problem der Mitverantwortung, der Kollektivschuld nicht doch komplexer und komplizierter, als ich damals dachte?“44 3 Durchführung der Entnazifizierung
Nimmt man die Ausgangslage für den Prozess der Entnazifizierung der Professorenschaft der Universität Wien in den Blick, zeigt sich, dass insgesamt 92 der 124 ordentlichen und außerordentlichen Professoren45 im Jahr 1944 der NSDAP als Mitglieder oder Anwärter angehört hatten. Über den größten Anteil an Nationalsozialisten verfügte mit 83 % (24 von 29 Professoren) die Medizinische Fakultät. Hier sticht auch der große Anteil an SA- und SS-Angehörigen ins Auge: Nicht weniger 40 Enderle-Burcel u.a. (Hg.), „… im eigenen Haus Ordnung schaffen“, S. 2. 41 So wurde etwa der ordentliche Professor der Englischen Sprache und Literatur Friedrich Wild am 2. August 1945 „vom Arbeitsdienst für Nationalsozialisten zurückgestellt.“ Siehe Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 306. 42 Zum Beispiel wurden an der Philosophischen Fakultät 22 Professoren im Zuge der Entnazifizierung in den Ruhestand versetzt, die Hälfte davon mit Abzügen. 43 Fischer, Das Jahr der Befreiung, S. 149. Vom Gedanken der Kollektivschuld durchdrungen ist auch die Schrift Die Wehrlosen, allerdings für die abgegrenzte Gruppe der Universitätsprofessoren; auch hier ist von „Wiedergutmachungsarbeit“ die Rede. Vereinigung demokratischer Hochschullehrer Österreichs, Die Wehrlosen, S. 17. 44 Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 109–111. 45 Die Professorenschaft bestand zu diesem Zeitpunkt ausschließlich aus Männern.
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Abb. 1: Akademische Feier an der Universität Wien während der NS-Zeit. Unter den Festgästen in der ersten Reihe der damalige Rektor Eduard Pernkopf.
als elf Mediziner waren Mitglieder einer dieser beiden Organisationen, was einem Anteil von 38 % an der gesamten medizinischen Professorenschaft (29) entspricht. In Relation hierzu betrug der Anteil an SA- und SS-Mitgliedschaften an der Philosophischen Fakultät zwar nur ein Drittel. Ihre Durchsetzung mit Nationalsozialisten weist jedoch im gesamtuniversitären Vergleich den zweithöchsten Wert auf: 53 ihrer 69 Professoren (77 %) gehörten der NSDAP als Anwärter oder Mitglieder an. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät waren dies mit drei der vier Ordinarien 75 %, an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwölf von 17 Professoren (71 %). Keine NSDAP-Mitglieder oder -Anwärter unter ihren vier Ordinarien und einem Extraordinarius wies die Katholisch-Theologische Fakultät auf. Im Hinblick auf die Durchführung der Entnazifizierung lassen sich drei Gruppen herausfiltern, denen jeweils rund ein Drittel der NS-belasteten Professoren zuzuordnen ist: die der ‚Reichsdeutschen‘, der ‚Entlassenen‘ sowie der ‚Enthobenen‘.
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3.1 Außerdienststellungen der ‚Reichsdeutschen‘
Die wohl homogenste Gruppe bildeten die nach Erlass des Beamten-Überleitungsgesetzes am 22. August 194546 außer Dienst gestellten Ausländer, die während der NS-Zeit an die Universität berufen worden waren. Vor dem 13. März 1938 ohne österreichische Staatsbürgerschaft waren 28 der 92 NS-belasteten Professoren gewesen; sie waren durchwegs aus dem ‚Altreich‘ in die ‚Ostmark‘ gekommen. Die Mehrzahl von ihnen – wenn auch nicht alle – wurden nach der Befreiung entlassen. An der Philosophischen Fakultät waren von der Außerdienststellung, die am 23. August 1945 durch den Liquidator der Einrichtungen des Deutschen Reiches Wolfgang Troll verfügt wurde, zehn ordentliche und vier außerordentliche Professoren betroffen. Unter ihnen befanden sich der außerordentliche Professor für Zeitungswissenschaft Karl Kurth, der Ordinarius für Völkerkunde Hermann Baumann und die Philosophen und ‚Soziologen‘ Arnold Gehlen und Gunther Ipsen.47 Eine Ausnahme stellte der 1881 in Nürnberg geborene Geologe Kurt Leuchs dar, der 1933 in die NSDAP eingetreten war. In seinem Fall unternahm die Fakultät alles, um den international renommierten und für den Lehrbetrieb unersetzlichen Wissenschaftler zu erhalten, während die Behörden, das heißt die Sonderkommission I. Instanz beim Staatsamt zur Überprüfung NS-belasteter Hochschulprofessoren, der Magistrat der Stadt Wien, die Alliierte Verwaltung, die Polizeidirektion Wien, das Unterrichtsministerium und das Bundeskanzleramt, dem politisch ‚belasteten‘ Ausländer immer wieder skeptisch gegenüberstanden. Nach der Einbringung zahlreicher Empfehlungsschreiben für den Betroffenen fand das Tauziehen am 13. Juli 1949 mit der Genehmigung der dauernden Weiterverwendung Leuchs’ sein vorläufiges Ende. Wäre der Geologe nicht am 7. September 1949 verstorben, wäre er wohl wiederberufen worden.48 Ebenfalls nicht außer Dienst gestellt wurde der in Würzburg geborene Chemiker Ludwig Ebert, der 1940 an die Universität Wien berufen worden war und nicht als ‚Belasteter‘ galt. Er bekam 1946 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen und wurde am 10. November 1947 zum ordentlichen Professor (wieder-)ernannt.49 46 Gesetz vom 22. August 1945 zur Wiederherstellung des österreichischen Beamtentums (Beamten-Überleitungsgesetz), StGBl. Nr. 134/1945, S. 173–176. 47 Zu den Berufungen Gehlens und Ipsens an die Universität Wien sowie zu ihren Nachkriegskarrieren vgl. Roman Pfefferle, Steckengebliebene „Wirklichkeitswissenschaft“. Die Neubesetzungen „soziologischer Lehrstühle“ an der Universität Wien in der NS-Zeit, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 40 (2015), S. 147–165. 48 Vgl. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 163 ff. 49 Ebd., S. 93 und 286.
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An der Medizinischen Fakultät wurden zunächst drei Mitglieder der Professorenschaft – allesamt unter den 24 NS-Belasteten der Fakultät – als ‚Reichsdeutsche‘ identifiziert und außer Dienst gestellt. Hierbei handelte es sich um die ordentlichen Professoren Oskar Gagel (Neurologie) und Lothar Löffler (Rassenbiologie) sowie den außerordentlichen Professor für Geschichte der Medizin Fritz Lejeune.50 Drei weitere Professoren aus dem Kreis der NS-Belasteten hatten zwar die österreichische Staatsbürgerschaft besessen, waren aber vor dem ‚Anschluss‘ an deutschen Universitäten beschäftigt gewesen. Zwei von ihnen – der ordentliche Professor für gerichtliche Medizin Philipp Schneider und der außerordentliche Professor für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Siegfried Unterberger – argumentierten nach 1945, die österreichische Staatsbürgerschaft in der NS-Zeit vor März 1938 behalten (Unterberger) bzw. neben der deutschen weiter angestrebt zu haben (Schneider). Dies sollte sich nicht zuletzt auf ihren Entnazifizierungsprozess auswirken. So wurde Schneider mit nahezu einjähriger Verspätung erst im Mai 1946 als ehemaliger Reichsdeutscher außer Dienst gestellt. Obwohl er unter perseveranter Bezugnahme auf seine österreichische Staatsbürgerschaft mehrmals in Berufung ging, galt er als ehemaliger SS-Obersturmbannführer nach dem Nationalsozialistengesetz von 1947 (NSG)51 als ‚belastet‘. Seiner Versehrtenstufe IV hatte er zu verdanken, dass seine Einstufung Ende 1948 in ‚minderbelastet‘ umgewandelt wurde. Nachdem er aus Schweden zurückgekehrt war, brachte ihm die Tatsache, dass er letztendlich entnazifiziert worden war, Ansprüche auf einen Ruhegenuss und seiner Frau nach seinem Tode am 9. Februar 1954 einen „außerordentlichen Versorgungsgenuss“ ein.52 Unterberger wurde von Beginn an als österreichischer Staatsbürger behandelt und am 24. Januar 1946 als ‚Illegaler‘ (NSDAP seit 1937, SA seit 1933) entlassen. In seinen Vorstellungen gegen diesen Bescheid53 führte er aus, als Universitätsprofessor in Jena ab 1931 nicht nur deutscher Staatsbeamter, sondern auch deutscher Staatsbürger geworden zu sein und damit gegen einen Parteibeitritt auch keine „stichhaltigen Bedenken“ gehabt zu haben, „da die NSDAP den Staat darstellte“. Der Versuch, seinen Parteieintritt auf das ‚Altreich‘ zu beziehen und nicht als Ergebnis einer Entscheidung während der Verbotszeit in Österreich zu werten, blieb letztlich erfolglos. Seine Einstufung als ‚minderbelastet‘ im Jahr 1947 erwirkte eine Umwandlung seiner Entlassung in eine Enthebung; sein Einspruch gegen die Enthebung wurde allerdings im Mai 1949 vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt.54 Der dritte Fall eines 50 Ebd., S. 171. 51 Siehe hierzu unten, Kap. 3.4. 52 Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 173. 53 Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR), BMU PA Unterberger, ohne Nr., Vorstellungen nach dem 24. Januar 1946. 54 Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 173.
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gebürtigen Österreichers betraf den Physiologen Friedrich Plattner, der mit der Ausbürgerung im Jahr 1936 die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Plattner war 1935 illegaler Gauleiter von Tirol gewesen, hatte nach dem ‚Anschluss‘ eine Professur für Physiologie an der Universität Wien angetreten und zwischen März 1938 und dem Frühsommer 1940 als Staatskommissar für Erziehung, Kultus und Volksbildung fungiert. Obwohl er bereits im Mai 1945 seines Dienstes enthoben worden war, vergaß der neue Dekan Leopold Arzt zunächst, Plattners Namen in die Liste der Reichsdeutschen zu inkludieren, dies sollte er erst im September desselben Jahres nachholen. Plattners Außerdienststellung als Reichsdeutscher wurde schließlich am 17. Mai 1946 vom Liquidator bestätigt.55 An der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wiesen vier der 17 Professoren bzw. drei der zwölf NS-belasteten Professoren keine österreichische Staatsbürgerschaft aus der Zeit vor dem ‚Anschluss‘ auf. Interessanterweise schien der 1941 nach Wien berufene und nicht NS-belastete Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte Hans Planitz von Beginn an auf einer Fakultätsliste zusammen mit unbelasteten und während der NS-Zeit im Dienst verbliebenen Professoren auf, obwohl er eigentlich der Gruppe der Reichsdeutschen hätte angehören müssen. Dies war kein Zufall, denn man wollte den Rechtshistoriker an der Fakultät halten. Neben seiner Nichtbelastung verwies Dekan Ferdinand Degenfeld-Schonburg auf „seine wissenschaftliche Bedeutung und seine Unentbehrlichkeit im Lehramte […].“56 Gleichzeitig verwies der Dekan darauf, dass Planitz bereits von den „amerikanischen Besatzungsbehörden“ eine Zusage über den Verbleib im Amt bekommen habe. Die gemeinsamen Anstrengungen mündeten schließlich in Planitz’ rückwirkender (Wieder-)Ernennung mit 1. Oktober 1945 durch den Politischen Kabinettsrat am 17. Dezember 1945. Ähnlich unterstützend agierte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät im Fall eines anderen reichsdeutschen Professors, des NS-belasteten Ordinarius für Römisches Recht Hans Kreller. Indem man seinen Parteieintritt im ‚Altreich‘ 1940 und seine Parteitätigkeit in Wien in der Ortsgruppe Unter St. Veit ab 1941 in ein gutes Licht rückte, gelang es zunächst, ein für einen Reichsdeutschen nicht vorgesehenes Sonderkommissionsverfahren einzuleiten, das mit einem positiven Erkenntnis zu Ende ging. Hierauf folgte Krellers Enthebung durch das Ministerkomitee im Bundeskanzleramt zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen von Nazielementen im Frühjahr 1946, auch wenn das Komitee ihn fortlaufend im Lehrbetrieb beließ. Nun bekräftigten nicht nur die Fakultät, sondern auch der Bundesminister für Unterricht Felix Hurdes Krellers Unersetzbarkeit für den Lehr- und 55 Ebd., S. 174 56 UAW, JUR PA 381, Bl. 117, Schreiben vom 17. Oktober 1945.
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Forschungsbetrieb.57 Just in dieser Zeit aber kamen bisher unerwähnt gelassene Fakten über Krellers NS-Vergangenheit auf. So war er 1933 dem Bund der Frontsoldaten ‚Stahlhelm‘ beigetreten, der im Jahr darauf ‚gleichgeschaltet‘ und in die SA-Reserve überführt worden war; hier hatte Kreller bis Oktober 1934 seinen Dienst versehen.58 Obwohl sich die Staatspolizei daraufhin gegen Krellers Aufenthalt in Österreich aussprach, stellte ihm die Überprüfungskommission im Unterrichtsministerium unter dem Vorsitz von Sektionschef Otto Skrbensky am 28. Juli 1947 die Bewilligung aus, eine Lehrkanzel in einem Rechtsfach innehaben zu können;59 ein Jahr später ernannte ihn Karl Renner – nun in der Funktion des Bundespräsidenten – zum ordentlichen Professor für Römisches Recht.60 Die beiden verbleibenden NS-belasteten Nichtösterreicher konnten ihre Karrieren an der Universität Wien nicht fortsetzen. Ernst Swoboda – Ordinarius für Zivilgerichtliches Verfahren und Bürgerliches Recht – wurde ebenfalls als Österreicher entnazifiziert und am 6. Juni 1945 als ehemaliger SA-Sturmführer entlassen. Nach dem NSG als ‚belastet‘ eingestuft, erwirkte er in weiterer Folge eine ‚Ausnahme von der Behandlung‘ (nach § 27 des Verbotsgesetzes) durch den Bundespräsidenten. Er verstarb allerdings im Vorfeld seiner Ruhestandsversetzung.61 Einen weitgehend rechtskonformen Verlauf wies die Verfahrensweise im Fall von Erich Schwinge auf. Diesen Strafrechtler, der seit 1937 Parteimitglied sowie Angehöriger von SA und SS gewesen war, führte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät zwar anfangs unter der Rubrik „noch von der Sonderkommission zu beurteilen“. Mit 5. Januar 1946 wurde er aber vom Unterrichtsministerium als Reichsdeutscher außer Dienst gestellt.62 Ein weiteres Beispiel einer ausnahmsweisen Behandlung findet sich beim einzigen reichsdeutschen Professor der Evangelisch-Theologischen Fakultät Hans Wilhelm Schmidt. 1933 in die NSDAP eingetreten und 1939 als Ordinarius für Systematische Theologie an die Universität Wien berufen, wich Schmidt nach Kriegsende zunächst nach Bayern aus, kehrte aber im März 1946 nach Wien zurück und erlangte in einem Sonderkommissionsverfahren den Status ‚tragbar‘.63 Nach unterstützenden Interventionen durch den ebenfalls NS-belasteten Dekan Gustav Entz sowie durch Vizekanzler Schärf erlangte Schmidt auch seitens des erwähnten Ministerkomitees 57 58 59 60 61 62 63
ÖStA/AdR, BKA MK Entnazifizierung Kreller, ohne Nr., Schreiben vom 20. August 1946. ÖStA/AdR, BMU PA Kreller, ohne Nr., Ansuchen vom 3. November 1947. Ebd., ohne Nr., Erkenntnis vom 28. Juli 1947. Ebd., ohne Nr., Ernennung vom 30. August 1948. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 235. UAW, JUR PA 410, Bl. 15, Außerdienststellung vom 16. Januar 1946. ÖStA/AdR, BKA MK Entnazifizierung Hans Wilhelm Schmidt, ohne Nr., Beurteilung vom 2. Oktober 1946.
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eine Zulassung zur Lehre bis zum Ende des Wintersemesters 1946/47.64 Die Fremdenpolizei wollte Schmidt zwar mangels Aufenthaltsgenehmigung nach wie vor abschieben, wurde hieran jedoch durch eine abermalige Intervention Schärfs gehindert. Als Schmidt im Sommersemester 1947 während seiner Vorlesung von sowjetischen Soldaten verhaftet wurde, konnte Dekan Entz über Vermittlung der Alliierten Militärregierung und durch eine erneute Fürsprache Schärfs dessen Freilassung erwirken. Im Herbst 1947 verzichtete Schmidt dann auf eine berufliche Zukunft in Wien und trat in den Dienst der Bayerischen Landeskirche ein.65 Wie gezeigt werden konnte, bedeutete das Fehlen einer österreichischen Staatsbürgerschaft aus der Zeit vor März 1938 für die meisten Professoren eine Außerdienststellung nach dem Beamten-Überleitungsgesetz. Dies galt aber bei Weitem nicht für alle infrage kommenden Personen. Die geschilderten Fälle belegen, welche Wege zur Verfügung standen, um den Betroffenen Ausnahmen zu ermöglichen und sie einer Behandlung als Österreicher zuzuführen. 3.2 Entlassung der ‚Illegalen‘
Die schärfste Sanktion, die dem Staatsamt für Unterricht im Zuge der Entnazifizierung zur Verfügung stand, war die Entlassung ohne Pensionsansprüche. Diese Maßnahme betraf gemäß § 14 des Verbotsgesetzes alle ‚illegalen‘ ehemaligen Nationalsozialisten unter den Professoren sowie jene, deren offizielles Parteieintrittsdatum nach dem ‚Anschluss‘ lag, bei denen aber ‚Illegalität‘ vermutet wurde und die als entschiedene Nationalsozialisten rasch in Führungspositionen aufgestiegen waren. Die meisten der vom Staatsamt verfügten Entlassungen datierten vom 6. Juni 1945. Sie betrafen universitätsweit 28 Professoren und somit nahezu ein Drittel der 92 NS-belasteten Universitätslehrer. Elf66 davon entfielen auf die Medizinische Fakultät (24 NS-Belastete), was angesichts der hohen Zahl an SA- und SS-Angehörigen in dieser Fakultät wenig überrascht, 1667 auf die Philosophische Fakultät (53 NS-Belas64 Ebd., ohne Nr., Beurteilung vom 21. Dezember 1946. 65 Rupert Klieber/Karl Schwarz, Gerüstet für eine „Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse“? Die beiden Theologischen Fakultäten der Universität Wien von 1945 bis 1955 zwischen Rückbruch und Aufbruch, in: Grandner/Heiß/Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten, S. 110 f. 66 Die ordentlichen Professoren Alfred Amreich, Hermann Barrenscheen, Hans Eppinger, Herbert Fuhs, Franz Hamburger, Eduard Pernkopf und Hans Pichler sowie die außerordentlichen Professoren Lorenz Böhler, Ernst Georg Mayer, Alexander Pichler und Emil Wessely. 67 Die ordentlichen Professoren Viktor Christian, Rudolf Egger, Anton Huber, Gerhard Kirsch, Fritz Knoll, Arthur Marchet, Karl Mayrhofer, Oswald Menghin, Georg Stetter und Friedrich Wild sowie die außerordentlichen Professoren Hans Eibl, Erich Frauwallner, Alois Hajek, Gustav Ortner, Anton Pfalz und Walter Steinhauser.
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tete) und lediglich eine68 auf die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät (zwölf NS-Belastete). Mit diesem Schritt entledigte sich die Universität prominenter Nationalsozialisten wie des ehemaligen Unterrichtsministers der ‚Anschluss‘-Regierung Seyß-Inquart, nämlich des Urgeschichtlers Oswald Menghin, sowie der drei NS-Rektoren Fritz Knoll (März 1938 bis Mai 1943), Eduard Pernkopf (Mai 1943 bis März 1945) und Viktor Christian (10. bis 27. April 1945). Mit dem Mediziner Pernkopf und dem Altorientalisten Christian waren auch bereits zwei der ehemaligen Dekane entfernt. Hinzu kam der Nachfolger Christians an der Philosophischen Fakultät, der ehemalige Gaudozentenbundführer Arthur Marchet. Nicht entlassen, sondern enthoben und einer Behandlung durch die Sonderkommission mit letztlich negativem Ausgang zugeführt wurde der ehemalige Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, Ernst Schönbauer.69 Als eine Art Ausweichstelle für Entlassene diente in den Nachkriegsjahren die Akademie der Wissenschaften, in der prominente Nationalsozialisten ihre Mitgliedschaft zunächst ‚ruhend gestellt‘ bekamen und spätestens 1949 wieder im Mitgliederverzeichnis aufschienen.70 Fritz Knoll erlangte dort unter der Präsidentschaft Richard Meisters im Jahr 1958 sogar die Funktion des Generalsekretärs, was auch mit seiner Rehabilitierung an der Universität Wien, an der er wenigstens nie seine Professur zurückerlangen sollte, in Verbindung zu bringen ist: „Erst nachdem er derart reüssierte[,] war die von heute aus gesehen skandalöse Tat denkbar, ihm 1961 eine Ehrenmedaille an der Universität Wien ‚in Anerkennung der ehrenvollen und mutigen Amtsführung‘ als Rektor ‚in schwerer Zeit‘ zu verleihen.“71 In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, dass nicht wenige der Entlassenen im weiteren Verlauf der kulanteren Entnazifizierungsgesetzgebung sowie von Amnestien neue Karrierechancen ergreifen sollten. 3.3 Enthebung und Behandlung durch besondere Organe der Überprüfung
Für alle nicht entlassenen oder außer Dienst gestellten NS-belasteten Professoren sah die Gesetzeslage eine Behandlung durch jene Sonderkommission I. Instanz beim 68 Der schon behandelte Ernst Swoboda, der zunächst entlassen und in weiterer Folge als Reichsdeutscher entnazifiziert wurde. 69 Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 219–224. 70 Ash, Die Universität Wien, S. 155, Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 135–141, und Johannes Feichtinger/Dieter J. Hecht, Die Entnazifizierung der Akademie der Wissenschaften, in: Johannes Feichtinger u.a. (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, S. 171–187. 71 Ash, Die Universität Wien, S. 155.
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Staatsamt bzw. beim späteren Unterrichtsministerium vor, die in diesem Beitrag schon mehrmals erwähnt worden ist. Dies betraf also jene österreichischen Nationalsozialisten, die nicht zum Kreis der ‚Illegalen‘ oder ihnen Gleichgestellter gehörten und dahingehend überprüft werden sollten, ob sie nach ihrer bisherigen Betätigung die Aussicht boten, jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich einzutreten. Insgesamt bestand die Gruppe der Enthobenen aus 34 Personen und machte so – neben den Entlassenen und Außerdienstgestellten – rund ein Drittel der NS-belasteten Professorenschaft an der Universität Wien aus. 29 von ihnen wurden von der Sonderkommission, die durch die Verbotsgesetznovelle vom 15. August 1945 eingerichtet wurde, zwischen September 1945 und ihrer Auflösung im Frühjahr 1947 in einem bürokratischen, quasigerichtlichen Verfahren72 hinsichtlich ihrer ‚Tragbarkeit‘ für den öffentlichen Dienst untersucht – ein Verfahren, das mit Christian H. Stifter als „eine Art Diensttauglichkeitsprüfung zwecks beruflicher Weiterverwendung“73 bezeichnet werden kann. Die Sonderkommission tagte in drei für unterschiedliche Fakultäten zuständigen Senaten, denen unter dem Vorsitz Skrbenskys bzw. seines Stellvertreters, des Ministerialrats im Staatsamt bzw. späteren Unterrichtsministerium Hans Kenda, jeweils zwei von der Universität entsandte unbelastete Professoren als Beisitzer angehörten. Die Erkenntnisse der Sonderkommission fielen in der Praxis zu einem überwiegenden Anteil positiv für die Betroffenen aus. Nicht selten wurde in den Begründungen hervorgehoben, der zu Beurteilende habe lediglich über eine formale Parteimitgliedschaft verfügt und sei öffentlich nie als Nationalsozialist in Erscheinung getreten. Den aus dem In- und Ausland beigebrachten Empfehlungs- und Leumundsschreiben wohlwollender Kollegen schenkte man in der Sonderkommission bereitwillig Glauben. Einfluss auf den Ausgang vieler Sonderkommissionsüberprüfungen haben auch die Vorsitzführung durch Skrbensky und dessen religiös-konservative Weltanschauung gehabt – trug doch der einflussreiche Sektionschef im Unterrichtsministerium nach Möglichkeit für eine gleichgesinnte Professorenschaft am Beginn der Zweiten Republik Sorge. So gestand Skrbensky den ‚eigenen Leuten‘, nicht aber den „Klassenverrätern“ erkennbar sowohl die Schwäche zu, gefallen zu sein und der Verlockung des Nationalsozialismus erlegen zu sein, als auch die Chance, als anständiger Gesinnungsfreund wieder aufzustehen – diesmal als Demokrat. Katholische Begriffe wie ‚Vergebung‘, ‚Milde‘, begrenzte ‚Bestrafung‘, ‚Buße‘ und ‚Schwäche‘ spielten in den Beurteilungen der Sonderkommissionen eine Rolle. Und den ‚Persilscheinen‘ wohlmeinender Freunde der einstigen Parteimitglieder oder -anwärter wurde hier 72 Ebd., S. 145. Die erwähnte Verbotsgesetznovelle ist abgedruckt in StGBl. Nr. 127/1945, S. 161. 73 Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 360.
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bereitwillig Glauben geschenkt. Für Tassilo Antoine etwa, einen der beiden ‚Retter des AKH‘, Professor für Frauenheilkunde und Parteianwärter seit 1942, doch laut Erkenntnis der Sonderkommission für eine Universitätsstelle ‚tragbar‘, nahm Skrbenskys Rechtfertigungsprosa zeitweise Züge einer Heiligenlegende an: „Für die Operation der Frau eines Konzentrationslagerhäftlings lehnte er [Antoine] jedes Honorar mit dem Bemerken ab, seine Handlungsweise möge als bescheidener Beitrag zur Linderung der seelischen und materiellen Not eines Kämpfers für die Freiheit und Selbständigkeit Österreichs gewertet werden“.74 Ein Übermaß an christlicher Verzeihung wurde auch dem Literaturhistoriker und Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann zuteil. Genauer gesagt handelte es sich um eine eklatante Fehlbeurteilung. Denn Kindermann hatte sich während der gesamten NS-Zeit in rund 30 Publikationen in sich überschlagender Leidenschaftlichkeit als ‚Blut und Boden‘-Hymniker gebärdet und das Österreich der Monarchie und der Ersten Republik in übelsten Pamphleten karikiert und beschimpft. In seinen Fächern war er in der ersten Reihe der Ideologen und aktivsten Verbreiter nationalsozialistischen Gedankenguts gestanden. Die Sonderkommission gab in ihrem Erkenntnis vom 27. November 1945 an, sich dieser Tatsache – formuliert in an Ausmaß und Bedeutung stark abgemilderter Form – bewusst zu sein, drückte jedoch deutlich ihr Verständnis für den heimzuholenden verlorenen Sohn aus: Kindermann habe in der edlen Absicht, „österreichische Einrichtungen im Deutschen Reiche bekanntzumachen“, in seinen Schriften „die [von der parteiamtlichen Prüfungskommission] angeordneten Änderungen in Kauf“ genommen, „die seiner Überzeugung nicht entsprachen.“ Darin musste der ‚Beichtvater‘ Skrbensky zwar ‚eine gewisse Schwäche erblicken‘. Aber das Wunder der Lossprechung trat ein: „Der Professor Dr. Heinz Kindermann bietet nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür, daß er jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich eintreten werde.“75 Dieses positive Erkenntnis ebnete dem ehemaligen faschistischen Demagogen Kindermann einige Jahre später den Weg zur Rehabilitierung und setzte das Institut für Theaterwissenschaft durch Jahrzehnte dem lähmenden Einfluss seiner Machtdemonstrationen aus.76 Insgesamt endeten 21 der 29 Sonderkommissionsverfahren bei zwei Verfahrens einstellungen77 mit einem positiven Erkenntnis für die Betroffenen. Davon entfie74 75 76 77
Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 57 ff. UAW, PHIL PA 2182, Bl. 168–178, hier Bl. 168, Oskar Benda, Gutachten Kindermann. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 59 f.; Hervorhebung im Original. Bei Adolf Mayrhofer, da § 21 des Verbotsgesetzes keine Anwendung finden konnte, und bei Emanuel Hugo Vogel aufgrund seines Todes am 31. März 1946.
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len 13 auf die Philosophische Fakultät,78 jeweils vier auf die Medizinische79 und die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät80 und eines auf die Evangelisch-Theologische Fakultät.81 Einen negativen Ausgang fanden die Verfahren für die drei Ordinarien der Philosophischen Fakultät Wilhelm Bauer, Kurt Ehrenberg und Hans Sedlmayr, für den Mediziner Otto Pötzl sowie für die Rechtswissenschaftler Helfried Pfeifer und Ernst Schönbauer. Neue Dynamik in den Prozess der Überprüfung NS-belasteter Professoren brachte das im Februar 1946 auf Druck der Alliierten und ohne gesetzliche Basis installierte Ministerkomitee im Bundeskanzleramt zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen von Nazielementen. Dieses Gremium versetzte das Unterrichtsministerium und die Universitäten unter höchsten Handlungszwang, indem es Ende März 1946 innerhalb weniger Tage einen Bericht über den Stand der Entnazifizierung an den Universitäten einforderte. In diesem Zusammenhang wandte sich das Ministerium – das offenbar über keine Evidenz der Entnazifizierung verfügte – am 28. März mit einem Rundschreiben „unter Anordnung des Ministerkomitees […] vom 27. des Monats“ und dem Vermerk „sehr dringend!“ an die Dienststellen der Universität Wien. Es seien Listen aller Bediensteten anzufertigen, „die als Anwärter oder Mitglieder der N.S.D.A.P. bzw. deren Gliederungen a) seit dem 27.4.45 aus dem Bundesdienst entlassen wurden (Illegale!) b) seit dem 27.4.45 aus dem Dienst enthoben wurden c) sich noch im Dienst befinden.“82 Die Listen waren dem Unterrichtsministerium „bis spätestens Freitag, den 29. März 46 16 h“ in dreifacher Ausfertigung, dem Rektorat „zum gleichen Tag 14 h in vierfacher Ausfertigung zu übersenden“, denn: „Die Listen sind seitens des Ministeriums dem Ministerkomitee bzw. dem Alliierten Rat zum 30. März 46 früh zu überreichen.“83 Auf Basis dieser Listen enthob das Ministerkomitee mit Rückdatierung auf den 27. März 1945 20 NS-belastete Professoren, die sich noch im Dienst befanden, ihres Amtes, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits ein positives Erkenntnis der Sonderkommission erhalten hatten, ob deren Beurteilung noch bevorstand oder ob – wie bei Karl Höfler, Leopold Schönbauer und Fritz Wilke – keine derartige Überprüfung ins Auge gefasst worden war. Mit den von der Sonderkommission bereits negativ entschiedenen und 78 Ordentliche Professoren: Otto Brunner, Josef Huber, Heinz Kindermann, Dietrich Kralik, Kurt Leuchs, Johannes Mewaldt und Camillo Praschniker. Außerordentliche Professoren: Nikolaus Hofreiter, Rudolf Jagoditsch, Friedrich Kainz, Johann Kofler und Hans Rupprich. 79 Ordentliche Professoren: Tassilo Antoine, Viktor Patzelt, Hans Pichler und Arnold Pillat. 80 Heinrich Demelius, Alexander Hold-Ferneck, Hans Kreller, Anton Haar. 81 Hans Wilhelm Schmidt. 82 UAW, MED Dekanat Gz. 328 aus 1945/46, ohne Nr., Rundschreiben vom 28. März 1946. 83 Ebd.
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aus dem Amt geschiedenen Professoren beschäftigte sich das Ministerkomitee nicht. Unter Einsichtnahme der Gauakten, die mittlerweile auf Druck der Alliierten zur Verfügung standen und eine fundiertere Einschätzung des Verhaltens der Betroffenen während der NS-Zeit ermöglichten, machte das Ministerkomitee von der Möglichkeit der befristeten Belassung im Dienst Gebrauch; hierdurch wurde der Großteil84 der überprüften Professoren semesterweise „bis auf Weiteres“ oder nach einer Unterbrechung von ein bis maximal vier Semestern für die Lehre zugelassen. Negativ und gegen eine Weiterbelassung im Dienst sprach sich das Ministerkomitee in insgesamt drei Fällen aus. Dies betraf die beiden ordentlichen und von der Sonderkommission positiv beurteilten Professoren der Philosophischen Fakultät Johannes Mewaldt und Josef Huber sowie den von der Sonderkommission nicht geprüften evangelischen Theologen Fritz Wilke. Bei Letztgenanntem führte dies jedoch keineswegs zu einem Abbruch der Lehrtätigkeit: Wilke konnte – nunmehr als Pensionist – ununterbrochen weiterlehren. Zunächst im Vorlesungsverzeichnis als Nomen nominandum (N.N.) geführt, erreichte Dekan Entz für ihn 1948 eine Betrauung als Lektor, ehe er von 1949 bis 1954 in der Stellung eines Honorarprofessors der Lehre nachkam. 3.4 Zur Situation nach dem Nationalsozialistengesetz 1947
Eine Wende im Vorgang der Entnazifizierung brachte schließlich das schon mehrfach genannte Nationalsozialistengesetz von 1947.85 Das NSG unterschied nicht mehr zwischen ‚illegalen‘ und sonstigen Angehörigen der NSDAP, sondern zwischen ‚belasteten‘ und ‚minderbelasteten‘ ehemaligen Nationalsozialisten. Als ‚belastet‘ galten Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen, sofern sie eine höhere Funktion ausgeübt hatten, sowie Angehörige der SS. Als ‚minderbelastet‘ galten Parteigenossen ohne Funktionen und ohne NSDAP-Auszeichnungen. Erstere waren aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen, Letztere waren – befristet bis 30. April 1950 – mit dem Ausschluss von bestimmten beruflichen Positionen zu sanktionieren. Die Überprüfung für eine konkrete Wiedereinstellung von ‚minderbelasteten‘ Personen wurde 84 Neun von der Philosophischen Fakultät: die ordentlichen Professoren Karl Höfler, Dietrich Kralik, Kurt Leuchs, Camillo Praschniker und die außerordentlichen Professoren Nikolaus Hofreiter, Rudolf Jagodtisch, Friedrich Kainz, Johann Kofler und Hans Rupprich. Vier von der Medizinischen Fakultät: die ordentlichen Professoren Tassilo Antoine, Viktor Patzelt, Arnold Pillat und Leopold Schönbauer. Drei von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät: die ordentlichen Professoren Heinrich Demelius und Hans Kreller sowie der außerordentliche Professor Anton Haar. Von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der ordentliche Professor Hans Wilhelm Schmidt. 85 Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung von Nationalsozialisten (Nationalsozialistengesetz), in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl.), Nr. 25/1947, S. 277–303.
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nicht mehr von der Sonderkommission, sondern vom Dienstgeber durchgeführt. Zusätzlich allerdings waren ‚Minderbelastete‘ an den Universitäten von der Ausübung bestimmter Professuren ausgeschlossen, für die sie nur nach erfolgter positiver Beurteilung von einer am Unterrichtsministerium eingerichteten Überprüfungskommission zugelassen werden konnten. Konkret betraf dies Lehrkanzeln von gesellschaftswissenschaftlichen und ‚gesinnungsbildenden‘ Disziplinen wie Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Geschichte, Literaturgeschichte, Volkswirtschaftslehre, Gesellschaftslehre oder die Rechtsfächer. Die geänderte Rechtslage beschäftigte im März 1947 den Senat, und nach einer Unterredung mit Sektionschef Skrbensky konnte Rektor Adamovich über Richtlinien für die betreffenden Lehrkanzeln berichten. So hatten sich nur jene ‚minderbelasteten‘ Professoren einer Überprüfung durch die neu einzurichtende Kommission im Unterrichtsministerium zu stellen, die bislang vom Ministerkomitee nur für das Wintersemester 1946 und nicht ‚bis auf Weiteres‘ zur Lehrtätigkeit zugelassen waren; bei Letzteren sei ein neuerlicher Antrag nicht notwendig.86 In seiner Sitzung vom 12. Juli entsandte der Senat die Professoren Wilhelm Winkler und Richard Meister, seinen federführenden Mann in Sachen Entnazifizierung, als Mitglieder in die Überprüfungskommission im Bundesministerium für Unterricht.87 Deren Vorsitzender war abermals Sektionschef Otto Skrbensky. Der Großteil der nach dem NSG registrierten Professoren der Universität Wien fiel in die Gruppe der ‚Minderbelasteten‘, nur insgesamt zwölf in jene der ‚Belasteten‘. An der Philosophischen Fakultät betraf Letzteres den Urgeschichtler Oswald Menghin, den ehemaligen Dekan Viktor Christian, Gaudozentenbundführer Arthur Marchet sowie den außerordentlichen Professor der Geschichte der Deutschen Sprache Anton Pfalz. An der Medizinischen Fakultät, die – wie oben ausgeführt – wesentlich stärker mit Angehörigen bzw. Funktionären der NSDAP und ihrer Wehrverbände durchsetzt war, galten sieben ehemalige Lehrstuhlinhaber als ‚belastet‘: die ordentlichen Professoren Alfred Amreich (Gynäkologie), Hermann Barrenscheen (Physiologische Chemie), Eduard Pernkopf (Anatomie) und Philipp Schneider (Gerichtsmedizin) sowie die außerordentlichen Professoren Alexander Pichler (Anatomie), Ernst Georg Mayer (Röntgenologie) und Emil Wessely (Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten). Hinzu kam der schon besprochene Ordinarius für Bürgerliches Recht Ernst Swoboda. Die nunmehr als ‚minderbelastet‘ eingestuften und ehemals entlassenen Professoren hatten fortan eine Verbesserung ihrer Situation zu erwarten. Bei drei Personen dieser Gruppe an der Philosophischen Fakultät wandelte der zuständige Vertreter des Liquidators, Sektionschef Skrbensky, die Entlassung in eine Enthebung ohne weitere 86 UAW, SSP vom 29. März 1947. 87 UAW, SSP vom 12. Juli 1947.
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Rechtsansprüche um.88 In nahezu allen anderen Fällen hob das Unterrichtsministerium die seinerzeitige Entlassung auf und versetzte die betroffenen Personen – unter fallweiser Kürzung der Pensionsbezüge – in den vorzeitigen Ruhestand.89 Der Maßnahme der vorzeitigen Ruhenstandsversetzung – die auch schon auf Basis des Verbotsgesetzes von 1945 in einigen Fällen angewendet worden war – kam im Zuge der Entnazifizierung generell großes Gewicht zu. Sie stellte ein brauchbares – vielleicht ‚typisch österreichisches‘ – Mittel dar, die Betroffenen mit finanziellen Abstrichen zu sanktionieren, ohne ihnen gänzlich die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Frühpensionierung (mit oder ohne Kürzungen) kam bei nicht weniger als 35 Personen, also bei 38 % der 92 NS-belasteten Professoren, zur Anwendung.90 Die nach dem NSG für die oben genannten Fächer eingerichtete Überprüfungskommission im Unterrichtsministerium befasste sich an der Universität mit insgesamt fünf Fällen91 und gestattete in ihren Erkenntnissen vom 27. bzw. 28. Juli 1947 allen betroffenen ‚Minderbelasteten‘, eine Lehrkanzel in ihren jeweiligen Fächern innezuhaben. 4 Rehabilitierung und zweite Karrieren
Als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik und Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) äußerte sich Leopold Figl am 11. Dezember 1945 anlässlich der Übergabe seiner Regierungsliste an den Alliierten Rat gegenüber einem Vertreter der Auslandspresse zu Österreichs dringlichsten Problemen: Lebensmittelversorgung, Währungsreform und der Umgang mit den ehemaligen Nationalsozialisten. Zu diesem Problem führte er aus: „Der Standpunkt der Österreichischen Volkspartei steht eindeutig fest. Wir verlangen strengste Bestrafung aller Illegalen, aller Funktionäre der Nazipartei und aller sonstigen Schuldigen. Es ist ausgeschlossen, 88 Es waren dies die ordentlichen Professoren Anton Huber und Georg Stetter sowie der außerordentliche Professor Gustav Ortner. 89 An der Philosophischen Fakultät war dies bei den ordentlichen Professoren Rudolf Egger (zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung 65 Jahre alt), Gerhard Kirsch (57), Fritz Knoll (64) und Karl Mayr hofer (48) und bei den außerordentlichen Professoren Erich Frauwallner (50), Alois Hajek (58) und Walter Steinhauser (62) der Fall. 90 Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 265. 91 An der Philosophischen Fakultät betraf dies den ordentlichen Professor für Deutsche Sprache und Literatur Dietrich Kralik sowie die außerordentlichen Professoren Friedrich Kainz (Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Ästhetik und Sprachpsychologie) und Hans Rupprich (Deutsche Sprache und Literatur), an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät den ordentlichen Professor Hans Kreller (Römisches Recht, Antike Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht) und den außerordentlichen Professor Anton Haar (Betriebswirtschaftslehre).
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daß irgendeiner aus diesen Kreisen in irgendeiner Form wieder im öffentlichen Leben an Fuß gewinnt. Der Nazigeist muss rücksichtslos ausgemerzt werden.“92 Diese Aussage machte zweierlei klar: Die ÖVP, nunmehr stärkste Kraft in der Regierung, hatte sich von einem Vorgehen gegen etwa 90 % der Nationalsozialisten, also eine halbe Million weniger belasteter Personen, verabschiedet. Zweitens pochte sie „eindeutig fest“ auf „strengste Bestrafung“ der stark kompromittierten Nationalsozialisten. Interessant hieran ist, dass sie deren Bestrafung und Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben nicht für eine bestimmte Frist, sondern für immer verlangte. Bekanntlich sollte es anders kommen. Ein Prozess von Ausnahmebehandlung und Rehabilitierung war als Gegenbewegung zur Entnazifizierung fast von Anfang an bemerkbar, verstärkte sich ab 1947/48 schrittweise und blieb, nun auch legistisch durch Amnestiegesetze untermauert,93 bis in die späten 1950er Jahre wirksam. Dieter Stiefel zufolge war die Entnazifizierung janusköpfig – lag deren Sinn doch darin, „Strafe und Rehabilitierung gleichzeitig zu sein. Und diesem doppelten Sinn entsprach auch die Logik des Ablaufs der politischen Säuberung in Österreich: Zuerst auf den Tisch hauen, dann Ordnung machen und schließlich alles verzeihen.“94 Stifter spricht von einem „moralischen Umschuldungs- und Entschuldungsprozess“,95 und Anton Pelinka sieht die Doppelbotschaft auch aus der Sicht gewesener Nationalsozialisten: „Für die ‚Ehemaligen‘ war und ist […] das Heiß-Kalt-Bad von administrierter Entnazifizierung und wahltaktischer Anbiederung alles andere als ein überzeugender Grund, die eigene Vergangenheit wirklich aufzuarbeiten.“96 Für sie lag es näher, sie betreffende Maßnahmen der Entnazifizierung als Verfolgung, als Ungerechtigkeiten 92 Zitiert nach Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung, S. 213 f. Wegen seiner Funktionen im Austrofaschismus war Figl in der NS-Zeit mehrere Jahre lang in Dachau und anderen Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Nach dem Krieg wurde er Staatssekretär in der Provisorischen Regierung Renner (1945), Bundeskanzler (Ende 1945), Außenminister (1953), Nationalratspräsident (1959) und Landeshauptmann von Niederösterreich (1962). 93 Bundesverfassungsgesetz vom 21. April 1948, über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen (Minderbelastetenamnestie), BGBl. Nr. 99/1948, S. 449; Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957), BGBl. Nr. 82/1957, S. 607–616. 94 Dieter Stiefel, Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null? Bemerkungen zur besonderen Problematik der Entnazifizierung in Österreich, in: Sebastian Meissl/Klaus-Dieter Mulley/Oliver Rathkolb (Hg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945–1955, Wien 1986, S. 35. 95 Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration, S. 345. 96 Anton Pelinka, Entnazifizierung: Administration statt Auseinandersetzung, in: Aufrisse. Zeitschrift für politische Bildung 2/3 (1981), S. 42. Auch Pelinka hebt die Gleichzeitigkeit von Entnazifizierung und Rehabilitierung hervor.
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zu empfinden; so bezeichnete sich etwa der Literaturhistoriker Josef Nadler als „auch heute noch Wehrlosen“.97 Geradezu exemplarisch drängen sich in diesem Zusammenhang einmal mehr Haltung und Verhalten von Heinz Kindermann auf, der mit seltener Unbedenklichkeit und Unverfrorenheit seine Rehabilitierung an der Universität Wien betrieb. In Oskar Benda fand er allerdings einen klaren und gerechten Beurteiler. Dessen Gutachten vom 26. Mai 1948 für die ‚Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur‘ lieferte eine glänzende Abrechnung mit Kindermann, der sich ungeachtet seiner nationalistisch-biologistischen Wortkaskaden aus der NS-Zeit neuerdings zum Regimegegner stilisierte.98 Fünf Tage später wurde Kindermann vom Liquidator tatsächlich seines Amtes enthoben. Kindermann wiederum schrieb am 24. Juni an Unterrichtsminister Hurdes: „Auch eine Reihe der jetzigen reichsdeutschen [sic] Kultusministerien hat bekannten Professoren, die sie im Augenblick noch nicht wieder einsetzen können, besoldete Forschungsaufträge verliehen, um ihre Arbeitskraft nutzbringend für den Staat zu sichern und diese Gelehrten nicht dem Elend preiszugeben. So ist beiden Teilen für diese peinliche Zwischenzeit geholfen!“99 In dieser dreisten Formulierung zeigte sich ein Wissenschaftler, der bis vor Kurzem noch Hymnen auf ‚Volkheit‘ gesungen hatte und mit zahllosen ‚Blut und Boden‘-Phrasen Frontmann der ideologischen Aufrüstung gewesen war, weit entfernt von jedem Anflug eines Schuld- oder Verantwortungsgefühls. Mehr noch: Das ganze ‚Theater‘ empfand er als „peinlich“, und zwar nicht nur für sein verletzbares Ego, sondern auch für das beteiligte Ministerium. Er schämte sich fremd für Beamte und Minister, die solche ‚Ungerechtigkeiten‘ administrieren müssten. Seine Klage blieb nicht umsonst: Im Juni 1949 wurde Kindermanns Antrag um Gewährung einer ständigen Unterstützung für Forschungsarbeiten bewilligt. Bendas Gutachten konnte zwar eine schon 1949/50 erwogene Wiederbestellung verhindern. Im April 1954 aber kehrte Kindermann an die Universität zurück, zuerst als Extraordinarius, ab 1959 als Ordinarius; diese Funktion übte er bis in die 1980er Jahre aus. Aus heutiger Sicht ist – um seinen eigenen Ausdruck gegen ihn zu anzuwenden – peinlich, dass sich Kindermann an der Universität Wien rehabilitieren konnte. Dies geschah allerdings sehr spät: Seine in der NS-Zeit bekleidete Position konnte er erst, wie gesagt, Ende der 1950er Jahre wieder einnehmen. Der Hauptgruppe der entnazifizierten Professoren, die an der gleichen Universität (wieder-)ernannt wurden, 97 Vereinigung demokratischer Hochschullehrer Österreichs, Die Wehrlosen, S. 4 f. 98 UAW, PHIL PA 2182, Bl. 168–178, Oskar Benda, Gutachten Kindermann. 99 Zit. nach Veronika Zangl, „Ich empfinde diese Maßnahme persönlich als ungerecht.“ Heinz Kindermanns Entlastungsstrategien 1945–1954, in: Birgit Peter/Martina Payr (Hg.), Wissenschaft nach der Mode. Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943, Wien 2008, S. 180.
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iderfuhr dies schon 1948/49 (mit zwei Nachzüglern im Jahr 1950).100 Sie bestand w aus 21 Wissenschaftlern, das heißt nicht weniger als 23 % der NS-Belasteten, deren Lehrtätigkeit nie oder nur kurz unterbrochen wurde, die meist vom Ministerkomitee formal enthoben, aber zugleich erst semesterweise, anschießend dauernd zur Lehre zugelassen worden waren. Der Eindruck von nicht unbeträchtlicher Kontinuität des Lehrkörpers verstärkt sich noch für die Jahre 1953 bis 1955, als weitere neun Professoren an der Universität Wien reüssieren konnten; damit erhöhte sich die Anzahl der rehabilitierten NS-Professoren auf 30 oder 33 % dieser Gruppe.101 Diese zweite Gruppe von neun Wissenschaftlern erwies sich als durchwegs stärker in den Nationalsozialismus verstrickt, der Vorwurf der ‚Illegalität‘ spielte hier eine gewichtige Rolle. Zu ihr gehörte neben Heinz Kindermann, dessen besonderes geistesgeschichtliches Engagement für die Hitler-Bewegung und die Art seines Comebacks bereits dargestellt wurde, der Röntgenologe Ernst Georg Mayer, der 1938 SA-Sturmführer der Standarte 5 (‚Donau‘) gewesen war.102 Nach NSG zunächst als ‚belastet‘ eingestuft,103 wurde seine „Verzeichnung als SA-Sturmführer“104 nach dem Bescheid der Beschwerdekommission105 beim Innenministerium 1948 gestrichen. Damit war die Voraussetzung dafür gegeben, dass Mayer 1955 vom Bundespräsidenten als außerordentlicher Professor (wieder-)ernannt werden konnte.106 Fünf der neun Professoren, die zwischen 1953 und 1955 rehabilitiert wurden, waren unmittelbar nach Kriegsende als ‚Illegale‘ (ohne Anspruch auf Ruhegenuss) entlassen worden.107 Dadurch, 100 Die ordentlichen Professoren Friedrich Wild (Philosophische Fakultät) und Viktor Patzelt (Medizinische Fakultät). 101 Die Gruppe der Rehabilitierten an der Universität Wien vervollständigte sich letztendlich mit der Wiederernennung des „Altparteigenossen“ (Bundesarchiv Berlin, R 4901, Bl. 9545, Bestätigung des Wiener Gauleiters vom 14. Juni 1939) Helfried Pfeifer als Staats- und Verwaltungsrechtler. In diesem Zusammenhang spricht Irmgard Schartner vom „Sieg der Beständigkeit“ (Die Staatsrechtler der juridischen Fakultät der Universität Wien im „Ansturm“ des Nationalsozialismus. Umbrüche mit Kontinuitäten, Frankfurt a.M. u.a. 2011, S. 119). 102 UAW, MED PA 343, Bl. 29. 103 Ebd., Bl. 22. 104 Ebd., Bl. 17. 105 Beschwerdekommission beim Bundesministerium für Inneres, eingerichtet nach § 19 der Verordnung der Bundesregierung vom 10. März 1947 zur Durchführung des Verbotsgesetzes 1947 zwecks Überprüfung der Einsprüche nach § 7 NSG wegen der Aufnahme vermeintlich nicht Registrierungspflichtiger oder der Nichtaufnahme vermeintlich Registrierungspflichtiger. Die Verordnung ist abgedruckt in BGBl. Nr. 64/1947, S. 433–446, hier S. 435. 106 UAW, MED PA 343, Bl. 14. 107 Die ordentlichen Professoren Karl Mayrhofer (Mathematik) und Georg Stetter (Physik) sowie die außerordentlichen Professoren Erich Frauwallner (Indische und Iranische Philologie), Lorenz Böhler (Unfallchirurgie) und Emil Wessely (Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten).
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dass der Status ‚minderbelastet‘ nach der Zuordnung gemäß NSG 1947 in ‚enthoben‘ umgewandelt wurde, war für sie der Weg zur Wiederernennung geebnet. War für ein gutes Drittel der NS-belasteten Professoren das Verbleiben an der oder die Rückkehr an die Universität Wien möglich, so öffneten sich für weitere 25 Wissenschaftler die Tore einer anderen inländischen oder ausländischen Hochschule oder Universität zu einer zweiten Karriere. In der Mehrzahl trifft dies auf ausgewiesene Reichsdeutsche zu, aber auch auf stark im Nationalsozialismus verankerte Österreicher. Zu Letzteren gehörte der Urgeschichtler Oswald Menghin; er ging nach zwei Jahren im amerikanischen Internierungslager nach Argentinien und wurde Professor an den Universitäten von Buenos Aires und La Plata.108 Auch Friedrich Plattner muss hier genannt werden, der nach fünf Jahren schweren Kerkers in der Strafanstalt Garsten (ab 1948) Professor an den iranischen Universitäten Täbriz und Ahwaz wurde. Schließlich ist der Physiker Gustav Ortner zu nennen: Er war von 1950 bis 1954 Professor an der Universität Kairo, ehe er 1960 als Ordinarius an die Technische Universität nach Wien heimkehrte. Eine Reihe von NS-belasteten Professoren – überwiegend der Philosophischen und Medizinischen Fakultät – verblieb außerhalb des universitären Bereichs. Während die früheren Angehörigen der Philosophischen Fakultät sich selbstständiger wissenschaftlicher Tätigkeit zuwandten oder in die Privatwirtschaft oder Industrie gingen, übernahmen die Mediziner beispielsweise die Leitung einschlägiger Kliniken in den Bundesländern. Von den Juristen ist hier nur der Staatsrechtler Helfried Pfeifer anzuführen, der in den 1920er Jahren bis zur sehr späten (Wieder-)Ernennung an der Wiener Universität 1965 vor allem in politischer Arbeit tätig war. Pfeifer war Gründungsmitglied des Verbandes der Unabhängigen. Für diese Partei, die einen Großteil der einstigen NSDAP-Mitglieder vertrat, saß er von 1949 bis 1956 im Nationalrat, in der gleichen Funktion zwischen 1956 und 1959 für deren Nachfolgerin, die Freiheitliche Partei Österreichs. Für diese politische Gruppierung galt Pfeifer als ‚Kronjurist‘. An wissenschaftlichen Karrieren im außeruniversitären Bereich sind unter den ehemaligen Professoren der Philosophischen Fakultät beispielhaft folgende Personen zu nennen: der Altertumskundler Rudolf Egger, der nach seiner Pensionierung 1947 21 Jahre lang die Grabungen auf dem keltisch-römischen Magdalensberg in Kärnten leitete; der Historiker Hans Koch, der während des Krieges als Offizier des Nachrichtendienstes des Oberkommandos der Wehrmacht im Osten tätig gewesen war, zwischen 1945 und 1951 als evangelischer Pfarrer in Aich-Assach (Steiermark) wirkte 108 Das wohlwollende Dekanat der Philosophischen Fakultät gratulierte 1968 zum 80. Geburtstag und bedauerte, „dass Sie durch besondere Umstände so ferne von uns weilen.“ UAW, PHIL PA 2617, Bl. 101.
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und schließlich in den Jahren 1952 bis 1959 als Direktor des Osteuropa-Institutes München fungierte; der Astronom Bruno Thüring, vor 1945 temperamentvoller Proponent einer ‚Arischen Physik‘, der in den Nachkriegsjahren in Karlsruhe ein „seltsames Büro“109 des Namens ‚Forschungsbüro für Programmierung, angewandte Mathematik, theoretische Astronomie und Astronautik‘ betrieb; der Zeitungswissenschaftler Karl Kurth schließlich, der 1935 im ‚Altreich‘ Gaustudentenbundspressereferent und ab 1942 außerordentlicher Professor an der Universität Wien gewesen war, 1945 als Reichsdeutscher außer Dienst gestellt wurde, am Göttinger Arbeitskreis110 zu ‚Heimatvertriebenen‘ mitarbeitete und zuletzt Regierungsdirektor im Bundesministerium für Verteidigung in der Bundesrepublik Deutschland war. Von ehemaligen Professoren der Medizinischen Fakultät, hier unter besonderer Berücksichtigung von Personen mit prononcierter SA- oder SS-Vergangenheit, wurde Alexander Pichler, einst Mitarbeiter Eduard Pernkopfs, nach Eröffnung einer eigenen Praxis Gruppenarzt der Wiener Gebietskrankenkasse; Franz Hamburger wurde nach dem Krieg Primarius der Kinderklinik in Vöcklabruck; Hermann Barrenscheen leitete von 1947 bis 1958 das Laboratorium des Landeskrankenhauses Salzburg; Siegfried Unterberger, in der NS-Zeit Truppführer der SA,111 wurde Vorstand der Hals-, Nasen- und Ohrenabteilung des Klagenfurter Landeskrankenhauses. Weiters seien jene wenigen ehemaligen Professoren der Universität genannt, die ihre Vergangenheit zwang, in eine Tätigkeit in Industriebetrieben auszuweichen: der Mathematiker Anton Huber, der bei den Stickstoffwerken in Linz eine Anstellung fand; der Physiker Gerhard Kirsch, der in der Glashütte Mitterberghütten arbeitete; und der ehemalige Gauamtsleiter und Dekan der Philosophischen Fakultät (1943–1945) Arthur Marchet, der im selben Betrieb 1951 Laborleiter und 1963 pensioniert wurde. Bei zusammenfassender Betrachtung der Rehabilitierung des entnazifizierten Teils der Professorenschaft der Universität Wien drängt sich die Frage auf, in welchem Maße man von einer Kontinuität des gesamten Lehrkörpers über 1945 hinaus sprechen kann. Angesichts der Tatsache, dass die 124 Professoren der Universität mit NSDAP-Vergangenheit großteils keine jungen Männer mehr waren, zehn von ihnen (8 %) bis 1950 und schon 33 (27 %) bis 1956 verstarben, dass ferner bis 1950 13 Professoren regulär mit 71 Jahren, dazu fünf mit 70 bzw. 69 Jahren – als Maßnahmen der Entnazifizierung – in Pension gingen, stellen der Verbleib oder die Rückkehr 109 So die Formulierung von Anneliese Schell, Dozentin am Institut für Astrophysik der Universität Wien, in E-Mail vom 3. Juli 2009 an Walter Manoschek. 110 Der Göttinger Arbeitskreis wurde in der Nachkriegszeit als Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Wissenschaftler gegründet. Die Hochschullehrer waren Vertriebene aus Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien und der Neumark. 111 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauakt Unterberger, Stammblatt ohne Datum.
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von 21 der 92 NS-Belasteten (23 %) bis 1950 und von insgesamt 30 Angehörigen dieser Gruppe (33 %) bis 1955 ein beträchtliches Maß an Kontinuität dar. Diesen Umstand hat Willi Weinert schon 1986 mit der Feststellung beschrieben, dass an der Philosophischen Fakultät im Wintersemester 1945/46 30 % der Dozenten des Studienjahres 1944/45 weiterlehrten, schon 60 % im Studienjahr 1949/50 und 66 % im Studienjahr 1956/57.112 Damit wäre Mitchell G. Ashs Bewertung vom „hohen Preis zur Rettung des Wortes Kontinuität“113 im Lichte aller Ergebnisse der Recherche wohl zu überdenken. Es bietet sich die Wortwahl „Rückbruch“ (Gernot Heiß) und „Kontinuität“ an, und zwar zu etwa gleichen Teilen. In dieser terminologischen Kombination findet auch die 1945 einsetzende katholisch-konservative selbstrekrutierende Orientierung der Universität Wien eine wichtige Erklärung.
112 Willi Weinert, Entnazifizierung an den Hochschulen, in: Meissl/Mulley/Rathkolb (Hg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne, S. 261 ff. „Wir sehen also, daß einem recht drastischen Einschnitt 1945 eine nicht minder dramatische Eingliederung von Lehrkräften aus der NS-Zeit auf den Fuße folgte.“ (ebd., S. 262 f.) 113 Ash, Die Universität Wien, S. 156.
Entnazifizierung der Studierenden an den österreichischen Hochschulen Andreas Huber
Einleitung
Als anderthalb Jahre nach Kriegsende Studenten bei den Versammlungen zu den ersten Hochschülerschaftswahlen NS-Parolen skandierten und ehemals verfolgte Studierendenvertreter beschimpften, war das Echo bei den Alliierten wie auch in den Medien groß. Mehrere Tausend Arbeiter und Arbeiterinnen aus den sogenannten USIA-Betrieben, also jenen österreichischen Betrieben, die die sowjetische Besatzungsmacht als ehemals deutsches Eigentum nach Kriegsende beschlagnahmte, marschierten am Wahltag, dem 19. November 1946, vor die Universität Wien und zeichneten so für die erste antifaschistische Demonstration der Zweiten Republik verantwortlich. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen forderten strengere Entnazifizierungsrichtlinien für die rund 35.000 in Österreich Studierenden, von denen zumindest einige noch antisemitische, nazistische Haltungen vertraten. So erfuhren die Hochschulen im Rahmen der Entnazifizierung Nachkriegsösterreichs die mit Abstand größte öffentliche Resonanz – nicht aufgrund der Professoren und Dozenten, sondern wegen der Studierenden. Bei ihnen handelte es sich um die künftigen Eliten und um eine gesellschaftliche Gruppe, die für maßgebliche Entwicklungen vergangener Jahrhunderte, etwa für die Revolution von 1848/49, mitverantwortlich gewesen war.1 Auch der Nationalsozialismus hatte in den 1920er Jahren vergleichsweise großen Zuspruch an den Hochschulen erfahren und konnte 1931 in Form des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) den Vorsitz der Deutschen Studentenschaft, die sich als reichsweite Vertretung der Studierenden verstand, übernehmen. Für die Wiedergründung der Republik und die langfristige Etablierung der Demokratie kam den Studierenden nun eine bedeutende Rolle zu, weshalb Vorfälle wie die Demons tration vom 19. November 1946 für große Beunruhigung sorgen mussten. 1
In Krisenzeiten, wie sie die Nachkriegsjahre zweifellos darstellten, gilt die Jugend aber auch generell als Hoffnungsträgerin wie auch als ‚große Unbekannte‘. Vgl. Jürgen Reulecke, Jugend und Jugendpolitik im mentalitätsgeschichtlichen Kontext der Nachkriegszeit in Westdeutschland, in: Ulrich Herrmann (Hg.), Jugendpolitik in der Nachkriegszeit. Zeitzeugen – Forschungsberichte – Dokumente, Weinheim/München 1993, S. 86 f.
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Andreas Huber
Der vorliegende Beitrag2 zeichnet den Prozess der studentischen Entnazifizierung chronologisch nach. Er unternimmt einerseits Vergleiche zwischen verschiedenen Hochschulen (insbesondere jenen in Wien und in den Bundesländern), andererseits zwischen Studierenden und Lehrenden. Besondere Bedeutung kommt zudem der Frage nach der persönlichen Verantwortung wie auch der Kontextualisierung von Mitgliedschaften in NS-Organisationen zu. Als Basis der Studie dienen Primärquellen im Archiv der Universität Wien, im Österreichischen Staatsarchiv, im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und im Archiv der Bundespolizeidirektion Wien, aber auch Tages- und Studentenzeitungen, Zeitzeugeninterviews und lebensgeschichtliche Aufzeichnungen. Trotz der Berücksichtigung sämtlicher Hochschulen liegt der Schwerpunkt auf der Universität Wien, welche in diesem Bereich am besten erforscht ist und wo sich für die Medizinische Fakultät auch sämtliche Überprüfungsakten erhalten haben. Von anderen Fakultäten und Hochschulen liegen – nach derzeitigem Kenntnisstand – keine derart umfangreichen Bestände vor.3 NSDAP-Mitgliedschaften: Lehrende – Studierende
74 % der Professoren an der Universität Wien 1944, so konnten Roman und Hans Pfefferle in ihrer umfangreichen Studie festhalten, waren Mitglieder oder Anwärter der NSDAP gewesen und unterlagen damit den Entnazifizierungsbestimmungen.4 Von einem ähnlich hohen, wenn nicht höheren Wert, ist in den übrigen Statusgruppen auszugehen, also bei Dozenten, Assistenten und anderen Hochschulangestellten.5 Dass die Anteilswerte bei den Studierenden weit darunter lagen, ist – nicht nur aufgrund des Alters – offensichtlich. Dass sie bei den Lehrenden so hoch waren, ist bei näherer Betrachtung aber auch nicht verwunderlich. So war die Mitgliedschaft in einer NS-Organisation seit dem ‚Anschluss‘ Österreichs vom März 1938 vor al2
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Dieser basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen meiner Geschichtsdiplomarbeit, die 2011 in überarbeiteter Form veröffentlicht wurde: Andreas Huber, Entnazifizierung und Rückbruch. Studierende 1945–1950, in: Ders. u.a., Universität und Disziplin. Angehörige der Universität Wien und der Nationalsozialismus, Wien/Berlin/Münster 2011, S. 157–316. Es handelt sich um die Senats-Sonderreihe 8 der Medizinischen Fakultät. Diese enthält Überprüfungsakten zu rund 850 Personen. Signatur: Universitätsarchiv Wien (UAW), MED S 8. Roman Pfefferle/Hans Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren, Göttingen 2014, S. 264 f. Siehe auch ihren Beitrag in diesem Band. So war der Druck, der NSDAP oder einer anderen NS-Organisation beizutreten, in unteren Statusgruppen höher. Vgl. Michael Grüttner, Nationalsozialistische Wissenschaftler: ein Kollektivporträt, in: Ders. u.a. (Hg.), Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 150.
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lem für Lehrende, die noch keine Professur innehatten, zumindest förderlich. Ein gewisser Anpassungsdruck war jedenfalls gegeben, insbesondere ab Februar 1939, als Bewerber um eine Beamtenlaufbahn der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehören mussten.6 Jugendliche hingegen wurden im Alter von zehn bis 18 Jahren in der Hitlerjugend (HJ) von früh auf mit der NS-Ideologie indoktriniert. Damit war die Verantwortung für das eigene Handeln unter Einschluss der Frage nach einem Beitritt zur NSDAP in einer ganz anderen Weise gegeben als bei erwachsenen Wissenschaftlern. Dass der Parteiapparat der NSDAP wegen der vielen Aufnahmeanträge nach der ‚Machtergreifung‘ im Jahr 1933 fast durchgehend bürokratisch überlastet war, hielt die Parteiführung nicht davon ab, sich verstärkt um Jugendliche zu bemühen. Dies war insbesondere ab den 1940er Jahren der Fall, als die NSDAP den Mitgliederzulauf mit verschiedenen Maßnahmen bremste. HJ-Mitglieder waren nicht nur von der ‚totalen Mitgliedersperre‘ ab dem 2. Februar 1942 ausgenommen. Gemäß einer geheimen Bekanntmachung des Reichsschatzmeisters Franz Xaver Schwarz sollten sie – laut Hitlers Willen – generell als einzige Gruppe noch Aufnahme in die Partei finden.7 Dass auch konkrete Vorstellungen zum Ausmaß der Aufnahmen vorlagen, verdeutlicht eine Verfügung des Reichsschatzmeisters und des Leiters der Parteikanzlei vom Herbst 1942: 30 % der Jungen und 7 % der Mädchen sollten in die NSDAP eintreten können. Die deutsche Historikerin Juliane Wetzel geht davon aus, dass einzelne NS-Funktionäre das als Zielvorgabe interpretierten8 und Jugendliche möglicherweise zum Aufnahmegesuch drängten. Mit der Anordnung 1/1944 des Reichsschatzmeisters vom 7. Januar 1944 konnten sogar 17-jährige Angehörige der HJ und des BDM, des Bundes Deutscher Mädel, der Partei beitreten.9 Bei der Entnazifizierung der Studierenden sind diese Entwicklungen jedenfalls mit zu bedenken. Der Anteil von NSDAP-Mitgliedern und -Anwärtern dürfte bei den Inskriptionswerbern – legt man die Zahlen der folgenden Semester zugrunde – grob geschätzt bei etwas über 10 % gelegen haben.10 6
Michael Grüttner, Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: Ders./John Connelly (Hg.), Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn u.a. 2003, S. 84. 7 Juliane Wetzel, Die NSDAP zwischen Öffnung und Mitgliedersperre, in: Wolfgang Benz (Hg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt a.M. 2009, S. 82–84. 8 Ebd., S. 88–90. 9 PG – Zum Mitgliedschaftswesen der NSDAP, in: bundesarchiv.de vom 11. November 2013, http:// www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/00757/index.html.de [10. März 2016]. 10 Aufschlussreich sind vor allem die Ausschlüsse infolge des Nationalsozialistengesetzes 1947. Vgl. dazu das entsprechende Kapitel weiter unten in diesem Aufsatz.
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Andreas Huber
Wiedereröffnung – Richtlinien während der ersten zwei Semester
Noch vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, am 2. Mai 1945, konnte der 1944 promovierte Judaist und spätere Ordinarius Kurt Schubert – er hatte kurz zuvor von der sowjetischen Besatzungsmacht die Übergabe des Hauptgebäudes erreicht – die Wiedereröffnung der Universität Wien verlautbaren. Knapp vier Wochen später, am 28. Mai, begann offiziell das Sommersemester.11 Diese frühe Rückkehr zum Normalbetrieb an der Universität Wien wie auch an anderen österreichischen Hochschulen ermöglichte Tausenden Jugendlichen die (Wieder-)Aufnahme eines Studiums, sie erschwerte aber auch eine nachhaltige politische ‚Säuberung‘.12 In Schuberts Bericht zum 625-Jahr-Jubiläum der Universität Wien 1990 ist nachzulesen, dass für die Inskription im ersten Sommersemester ein zehnstündiger Räum einsatz verpflichtend war, der bei „minder belasteten Studierenden“ auf 30 erhöht wurde.13 Richtlinien für die politische Überprüfung der Inskriptionswerber lagen zu diesem Zeitpunkt aber keine vor. Professoren hingegen unterlagen als öffentlich Bedienstete dem Verbotsgesetz, wobei Staatssekretär Ernst Fischer bereits Anfang Mai 1945 klargestellt hatte, dass die sogenannten Illegalen, also Nationalsozialisten, die der Partei zwischen dem Betätigungsverbot vom Juni 1933 und dem ‚Anschluss‘ angehört hatten, NSDAP-Funktionäre sowie SA- und SS-Mitglieder an keiner Hochschule lehren sollten.14 Für die Studierenden hatte Fischer keine derartigen Vorgaben artikuliert, und auch in den von Prorektor Richard Meister ausgegebenen Inskriptionsrichtlinien, gemäß denen Studienwerber ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen mussten, fanden sich keine konkreten Vorgaben.15 Wer studieren durfte, lag somit allein im Ermessen der Studentenvertretung, die in Wien unter anderem als ‚Hauptausschuss der Demokratischen Studentenschaft Wiens‘ agierte.16 Im September 1945 ging daraus die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) hervor.17 11 12 13 14
Kurt Schubert, Die Wiedereröffnung der Universität Wien im Mai 1945, Wien 1991, S. 13 f. Siehe hierzu den Beitrag von Roman und Hans Pfefferle in diesem Band. Schubert, Die Wiedereröffnung, S. 11. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 74. Das Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz) ist abgedruckt im Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.), Nr. 13/1945, S. 19–24. 15 UAW, Senatssitzungsprotokoll (SSP) vom 12. Mai 1945, Beilage 2, Bericht des Prorektors zur Inskription im Sommersemester 1945. 16 Vgl. etwa Christine H. Forster, Die Geschichte der Österreichischen Hochschülerschaft 1945–1955, Wien 1984, S. 18 f. 17 Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl.), Nr. 170/1945, S. 256–260. Unter § 14 war auch „die Durchführung von Vorerhebungen für das Rektorat, um die Inskription antiösterreichischer und antidemokratischer Personen an der Hochschule zu verhindern“, als ein Aufgabenbereich festgelegt (ebd., S. 257).
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Die politische Überprüfung oblag nun ‚Ehrenausschüssen‘ der einzelnen Fachgruppen, die sich aus „Vertrauensleuten der demokratischen Parteien und Parteilosen“ zusammensetzten.18 Parallel zur (Wieder-)Gründung der Parteien ÖVP, SPÖ und KPÖ hatten sich die VP-nahe Union der Österreichischen Akademiker,19 der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (VSStÖ) und die kommunistische Studentengruppe an den Hochschulen konstituiert. Diese Ausschüsse überprüften nun die Inskriptionswerberinnen und Inskriptionswerber,20 die zwei Fragebogen ausfüllen mussten.21 Auf welche Unterlagen die Studentenvertretung zurückgreifen konnte, geht aus den Überprüfungsakten nicht klar hervor. In Letzteren finden sich zum Teil Karteikarten des Reichswissenschaftsministeriums, in denen auch Mitgliedschaften in NS-Organisationen vermerkt waren – allerdings nur zu jenen Frauen und Männern, die bereits in der NS-Zeit studiert hatten.22 Eine Professionalisierung erfuhr die politische Überprüfung erst mit Beginn des Wintersemesters 1945/46. Das Staatsamt für Unterricht verfügte nicht nur die Einrichtung von Sonderkommissionen für Hochschullehrer,23 es regelte nun auch die Zulassung bzw. den Ausschluss NS-belasteter Studienwerber. Zumindest die akademischen Funktionäre begrüßten das ausdrücklich, nachdem sich Rektor Ludwig Adamovich kurz zuvor über den Ausschluss einer Studentin ohne Rücksprache mit den akademischen Behörden echauffiert hatte.24 Die neuen Richtlinien legten die Kompetenzen des Rektorats klar fest, bedeuteten aber keinen Bruch mit der bisherigen Praxis und ließen den Überprüfenden einigen Handlungsspielraum. Illegale Nationalsozialisten, SS-Mitglieder, Funktionäre der NSDAP oder einer ihrer Wehrverbände (SA, NSFK und NSKK)25 durften grundsätzlich nicht inskribieren. Waren „rücksichtswürdige Gründe“ gegeben, konnten allerdings nicht nur Parteimitglieder und -anwärter, sondern auch Angehörige von NS-Wehrverbänden und ehemalige NS-Studentenfunktionäre ein Studium aufnehmen. Nach wie vor lag die Verantwortung für die Erhebungen bei der Studentenvertretung, die ihre Ergebnisse den 18 Vgl. Theo Petter, Die juridische Fachgruppe, in: Österreichische Hochschülerschaft (Hg.), Jahrbuch der Hochschülerschaft Österreichs 1945/46, S. 69 f. Zumindest an der Universität war es die Regel, dass Vertreter aller drei Studentengruppen an diesen Kommissionen mitwirkten. 19 Unter dieser Bezeichnung trat die VP-nahe Fraktion ab Februar 1946 auf. Vgl. Forster, Die Geschichte, S. 55. 20 Vgl. Petter, Die juridische Fachgruppe, S. 69 f. 21 Kurt Skalnik, Die Aufgaben der Fachgruppen, in: Österreichische Hochschülerschaft (Hg.), Jahrbuch der Hochschülerschaft Österreichs 1945/46, S. 93. 22 Vgl. etwa die Karteikarte in UAW, MED S 8, GZ 127 (ohne Paginierung). 23 Vgl. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 75. 24 UAW, SSP vom 28. Juli 1945, Bl. 5. 25 NSFK = Nationalsozialistisches Fliegerkorps, NSKK = Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps.
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akademischen Behörden – an der Universität Wien dem jeweiligen Dekanat – zur Entscheidung vorlegen musste.26 Probleme im Rahmen der Überprüfungen
Ob jemand studieren durfte oder nicht, hing – wie bei den Lehrenden – ausschließlich von der Mitgliedschaft in NS-Organisationen ab, es sei denn, jemand war in der NS-Zeit durch Denunziation oder Ähnliches hervorgetreten. Gedruckte Werke, wissenschaftliche Artikel etc. konnten bei Studierenden naturgemäß nicht herangezogen werden, deren Bedeutung für eine Evaluierung war aber auch bei den Lehrenden äußerst gering.27 Als Herausforderung sollte sich aber schon das Feststellen einer NS-Belastung erweisen. De facto dienten die eidesstattlichen Erklärungen der Inskriptionswerber als wichtigste Grundlage. Doch inwiefern bzw. ab wann konnten die Kommissionen diese Angaben überprüfen? Laut Maria Mesner standen im Rahmen der Entnazifizierung in Österreich „höchstwahrscheinlich“ die Gauakten, die vor allem politische Beurteilungen des Gaupersonalamtes Wien enthielten, die Mitgliederkartei der NSDAP und eine „in den Nachkriegsmedien“ genannte „Kartothek der ‚Ostmark‘-Parteigenossen“ zur Verfügung. Anfragen bezüglich NSDAP-Mitgliederkartei waren zwar ab 1946 prinzipiell möglich, allerdings mit hohem Zeitaufwand verbunden.28 In Wien schuf die Sicherung der Gauakten im Parlamentsgebäude eine für die Behörden vergleichsweise gute Ausgangsposition. Darin sind auch 505.000 ausgefüllte Erfassungsanträge bzw. Personal-Fragebögen der ‚Ostmark‘ und des Sudetengaus enthalten, die „einen Gesamtüberblick über die illegalen Mitglieder der NSDAP 1938 bieten“. Viele dieser Dokumente gelangten aber erst infolge der Ak26 Richtlinien des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten für die Inskriptionszulassung an den österreichischen Hochschulen, in: Akademische Rundschau vom 24. November 1945. 27 Vgl. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, oder Ingrid Arias, Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät: Bruch oder Kontinuität? Das Beispiel des Anatomischen Instituts, in: Zeitgeschichte 31 (2004), S. 339–369. 28 Zu dieser Kartothek liegen nur wenige konkrete Informationen vor. Mesner bezieht sich auf einen Hinweis in der Tageszeitung Neues Österreich, wonach die Kartei „in den Luftschutzkellern der NSDAP-Parteizentrale in München von der US-Armee gefunden“ worden sei und „angeblich Unterlagen von sämtlichen Mitgliedern und ParteianwärterInnen, Namen, Details über ihre Tätigkeit vor 1938 (beruhend auf eigenen Angaben) sowie alle Funktionen in der Partei (geordnet nach ‚Gauen‘)“ enthalten habe. Laut Mesner gilt sie heute als verschollen. Ob sie jemals nach Wien gelangte, ist unklar. Vgl. Maria Mesner, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Entnazifizierung zwischen politischem Anspruch, Parteienkonkurrenz und Kaltem Krieg. Das Beispiel der SPÖ, Wien/München 2005, S. 5. Siehe auch Berlin Document Center, The Holdings of the Berlin Document Center. A Guide to the Collections, Berlin 1994, S. 13.
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tenübergabe durch die US-Besatzungsmacht 1948 nach Österreich.29 Einen zweiten Gauaktenbestand bildete unmittelbar nach Kriegsende die Staatspolizei. Sie konnte bereits im ersten Jahr ihres Bestehens eine Kartothek mit 46.000 Karteikarten anlegen,30 die sich unter anderem aus Dokumenten und Personalunterlagen aus den einzelnen Ortsgruppen und Kreisen zusammensetzte. Zu den hier erfassten Personen zählten auch 10.000 Angehörige der Österreichischen Legion, die nach dem Juliputsch von 1934 vor Strafverfolgung ins ‚Dritte Reich‘ geflüchtet waren und von hier aus ihren Beitrag zum ‚Anschluss‘ vom März 1938 geleistetet hatten. Die Überprüfung eidesstattlicher Erklärungen war also vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur eingeschränkt möglich und zum Teil äußerst langwierig. Davon abgesehen tat sich bei der studentischen Entnazifizierung eine Reihe weiterer Probleme auf, etwa die schlichte Zahl der Inskriptionswerberinnen und Inskriptionswerber. Österreichweit studierten im ersten Wintersemester nach Kriegsende wieder knapp 27.000 Personen,31 wohingegen sich die knapp 500 Lehrenden an der Universität Wien, der mit Abstand größten Universität des Landes, vergleichsweise gering ausnahmen.32 Kritisch zu betrachten ist auch die grundsätzliche Verantwortung der Universitäten für die Entnazifizierung: Aufgrund von persönlichen Bekanntschaften, Netzwerken oder auch weltanschaulich begründeten Sympathien bzw. Antipathien kam schon bei den Lehrenden keine objektive Bewertung zustande.33 Gerhard Rammer beispielsweise konnte in seiner Dissertation zur Physik an der Universität Göttingen nachweisen, dass weniger die Mitgliedschaften in NS-Organisationen über Verbleib oder Enthebung entschieden als vielmehr das – ihm als Leitthese dienende – „kollegiale Netz“.34 Die zu Überprüfenden standen nun direkt 29 Zivilakten der NS-Zeit/Gaupersonalamt des Reichsgaues Wien („Gauakten“) 1938–1945, in: nsquellen.at, http://www.ns-quellen.at/bestand_anzeigen_detail.php?bestand_id=4704 [11. März 2016]. 30 Franz Josef Gangelmayer, Das Parteiarchivwesen der NSDAP. Rekonstruktionsversuch des Gauarchivs der NSDAP-Wien, Dissertation Universität Wien 2010, S. 198, http://othes.univie.ac.at/ 12247/ [18. Mai 2017] 31 Statistische Nachrichten, N.F. 3 (1948), S. 9. 32 Andreas Huber, Die Hochschullehrerschaft der 1930er- und 1940er-Jahre. Sozialstruktur und Karrierewege vor dem Hintergrund politischer Zäsuren, in: Mitchell G. Ash/Josef Ehmer (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 2: Universität – Politik – Gesellschaft, Göttingen 2015, S. 684. Die Zahl stammt vom Wintersemester 1949/50 und enthält keine nicht habilitierten Assistenten. Zu früheren Studienjahren liegen – auch für andere Hochschulen – keine Zahlen vor, da etwa an der Universität Wien erst 1948/49 wieder Personalverzeichnisse gedruckt wurden. 33 Vgl. insbesondere das Kapitel zu Otto Skrbensky in Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 45–75. 34 Als Komponenten dieses „kollegialen Verhaltenskodex“ führt Rammer unter anderem das Beschützen gefährdeter Kollegen sowie Hilfestellungen für diese nach politischen Brüchen und das gemeinsame Eintreten für berufsständische Interessen an. Vgl. Gerhard Rammer, Die Nazifizierung und
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ihren NS-belasteten (ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen gegenüber, was auch in Österreich für die Kommissionsmitglieder zuweilen „sehr unangenehm“ war.35 Wirft man einen Blick in die Überprüfungsprotokolle, scheinen etwa persönliches Auftreten oder Sympathiewerte durchaus eine Rolle bei der Beurteilung gespielt zu haben. Zur Studentin St. etwa vermerkte der Inskriptionsreferent an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im Januar 1946: „St. war Mitglied des BDm [sic] seit 1938 und Angehörige der NSDAP seit 1943. Aktiv als Jungführerin beim RAD. Sie gibt an, bis zum Jahre 1943 nat[ional]-soz[ialistisch] eingestellt gewesen zu sein. Zur Person: St. macht einen kindischen, unausgereiften Eindruck.“36 Die Vorgeladenen hingegen zeigten sich über die Beurteilung durch Kolleginnen und Kollegen regelrecht empört, wie den Memoiren von Walter Cerveny, dem späteren Mitbegründer des Bundes Unabhängiger Studenten, zu entnehmen ist: „Ich betrat einen Raum, wahrscheinlich war es irgendein Hörsaal. Dort saß hinter einem Tisch Prof. [Karl] Fellinger […] als Vorsitzender dieser Inquisitionsbehörde. […] Ich wurde gefragt[,] bei welcher Einheit der HJ ich war, welchen Rang ich innehatte und ob ich noch bei einer weiteren NS-Formation gewesen sei. Dann kam das Unfassbare: Der Herr Professor entschied nicht selbst, sondern fragte den uniformierten Studenten: ‚Was meinen Sie?‘ Dieser bunte linke Vogel sagte darauf glatt: ‚Na, er schaut mir nicht wie ein Verbrecher aus, lassen wir ihn studieren!‘ Und ich konnte gehen, wobei mir noch mitgeteilt wurde, dass ich bis Ende August im Völkerkundemuseum am Heldenplatz zur Arbeit eingeteilt werde.“37 Die negative Darstellung zeugt auch davon, dass noch Jahrzehnte später von einem Gesinnungswandel durch Arbeitseinsatz und einen vorübergehenden Studienausschluss keine Rede sein konnte. Milde Praxis in Wien, Quasi-Boykott in Graz und Innsbruck
Die Überprüfungskommissionen ließen größtenteils Milde walten und legten die Richtlinien nicht allzu streng aus. Sowohl Überprüfende als auch akademische FunkEntnazifizierung der Physik an der Universität Göttingen, Dissertation Georg-August-Universität Göttingen 2004, http://ediss.uni-goettingen.de/handle/11858/00-1735-0000-0006-B49F-4 [18. Mai 2017], S. 12–14, 578. 35 Dies berichtete der ehemalige VSStÖ-Vorsitzende (1947–1949) Heinz Damian. Vgl. Interview mit Heinz Damian vom 10. Juli 2008, ÖGB-Beratungszentrum Wien, Interviewer: Andreas Huber; Aufnahmen und Transkriptionen im Besitz des Autors. 36 UAW, MED S 8, GZ 127, Beurteilung des Referenten für Inskription Gancz, 21. Januar 1946. RAD = Reichsarbeitsdienst. 37 Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen, Walter Cerveny, Sogar der Himmel weinte … [unveröffentlichtes Manuskript], Wien 2003, Kapitel Vom POW zum Dr. med., S. 12.
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tionsträger brachten für diese Vorgehensweise wiederholt ein Argument hervor: dass gerade das Hochschulstudium eine Demokratisierung sowie eine Loslösung vom NS-Gedankengut zu leisten imstande sei, ein Ausschluss indes das Gegenteil bewirke. In den Erinnerungen Kurt Schuberts 45 Jahre nach Kriegsende scheint das ebenso durch: „Ich habe fast alle Bewerber zugelassen, weil es mir darum ging, ehemalige Nationalsozialisten zu ehemaligen und nicht zu gegenwärtigen zu machen.“38 An der Universität Innsbruck vertrat der Senat die Meinung, „dass es keinen Sinn hat, hierin zu weit zu gehen, da es doch auch eine Aufgabe der Hochschulen ist, junge Leute durch die Erkenntnis der Wahrheit wieder zu brauchbaren Staatsbürgern zu erziehen, statt sie als Halbgebildete und Entwurzelte Unheil stiften zu lassen“.39 Doch welche Maßnahmen setzten die österreichischen Hochschulen, um einen solchen Sinneswandel herbeizuführen? Nach konkreten Konzepten oder Angeboten, etwa Vorlesungen zu Demokratie und Menschenrechten, sucht man vergeblich. Auch akademische Funktionäre standen solchen Vorhaben ablehnend gegenüber: Nach Aussage von Richard Meister,40 vor dem ‚Anschluss‘ im Übrigen Teil eines antisemitischen Professorennetzwerks, sah die Studentenschaft darin „aufgedrängten Gesinnungsunterricht“.41 Es waren Einzelmaßnahmen wie Hans Thirrings Vorlesung zur Weltfriedensidee, die dem Vorhaben der re-education noch am ehesten entsprachen. Dass die politische Vergangenheit vieler Professoren, die mit dem autoritärem ‚Ständestaat‘ und/oder dem NS-Regime sympathisiert hatten, ebenso wenig förderlich war, ist unbestritten. Die Ausschlussquoten, die zumindest für das Wintersemester 1945/46 für einzelne Hochschulen verfügbar sind, waren gering. So verweigerte die Technische Hochschule (TH) Wien in diesem Semester 55 Studierenden und damit 2,3 % der Inskriptionswerber die Aufnahme eines Studiums.42 An der Medizinischen Fakultät der Universität Wien waren es 40 Männer und 24 Frauen, gemessen an der Gesamtzahl der Inskribierten knapp 2 %.43 In den Bundesländern dürften die Ausschlussraten noch deutlich niedriger gewesen sein. Dabei ist zu bedenken, dass die 38 Schubert, Die Wiedereröffnung, S. 20. 39 Rektorat der TH Graz an das Rektorat der Universität Graz vom 3. September 1945, zit. nach: Hans-Peter Weingand, Die Technische Hochschule Graz im Dritten Reich. Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an einer Institution, Graz 1988, S. 89. 40 Vgl. Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, S. 119. 41 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Unterricht (BMfU), GZ 8051-1947, Richard Meister an Ministerialkommissär Lenz vom 18. Dezember 1947. 42 Die Entnazifizierung an der Technischen Hochschule, in: Strom vom 19. August 1946. 43 Rachel Platzer, Entnazifizierung der Studierenden an der Universität Wien unter besonderer Berücksichtigung der medizinischen Fakultät, unveröffentlichte Diplomarbeit Universität Wien 2005, S. 76 f.
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Kompetenzen der österreichischen – und bis zu den ersten Nationalratswahlen im November provisorischen – Bundesregierung vorerst sehr eingeschränkt waren. Die Westalliierten versagten ihr bis zum 20. Oktober grundsätzlich die Anerkennung.44 Deshalb hatten die von ihr beschlossenen Gesetze, auch jene zur Entnazifizierung, nur in der sowjetischen Besatzungszone Geltung. Hier erfolgte die ‚Säuberung‘ denn auch am konsequentesten,45 was allem Anschein nach ehemalige Nationalsozialisten gen Westen trieb. In Innsbruck und möglicherweise auch an anderen Hochschulen außerhalb Wiens waren zu Beginn des Wintersemesters nicht einmal die Entnazifizierungsbestimmungen des Staatsamtes eingelangt. So verfuhr die Universität Innsbruck nach eigenem Gutdünken und ließ zum Beispiel einfache SA-Männer inskribieren. Gerade einmal neun Personen (gemessen an der Zahl der Inskribierten wäre das jeder 400. Studierende gewesen, so teilte das Rektorat mit) würden unter Punkt I der Verordnung des Staatsamtes vom September 1945, also unter die Auszuschließenden, fallen.46 Der Rektor der TH Graz Bartel Granigg sträubte sich generell gegen die Überprüfungen und bezeichnete sie – in einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr – als „Methoden des Nationalsozialismus“, die nun ein Ende finden müssten.47 Nach zwei Semestern waren in Wien – grob geschätzt – rund 2 % der Inskriptionswerber abgewiesen worden.48 Vermutlich lag dieser Anteilswert noch um ein Vielfaches über jenem in den Bundesländern. Wieder Nazigeist an der Universität – Presseberichte 1945/46
In der Öffentlichkeit, etwa in Tageszeitungen, erfuhren die Überprüfungen wie auch die Studentenschaft im Allgemeinen sehr wenig Aufmerksamkeit. Dies sollte sich im Januar 1946 schlagartig ändern. So hatten sich in den ersten Nachkriegsmonaten vor allem an der Wiener Universität vereinzelt Zwischenfälle ereignet, die auf pronazistische und antisemitische Haltungen unter (möglicherweise auch ehemaligen) Studierenden schließen ließen. Am 1. August waren beispielsweise an der Philosophischen Fakultät einschlägige Flugblätter verteilt worden, die „Treue“ und 44 Vgl. etwa Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz 19853, S. 9. 45 Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien/München/Zürich 1981, S. 88–90. 46 ÖStA/AdR, Unterricht, GZ 12262/-III-4a-45, Rektorat der Universität Innsbruck an den Staatskommissär für die unmittelbaren Bundesangelegenheiten vom 1. Dezember 1945. Zur Entnazifizierung an der Universität Innsbruck siehe Kap. 3 des Beitrags von Peter Goller in diesem Band. 47 Rektorat der TH Graz an das Rektorat der Universität Graz vom 3. September 1945, zit. nach: Weingand, Die Technische Hochschule Graz, S. 89. 48 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass an den übrigen Fakultäten der Universität Wien und anderen Wiener Hochschulen ähnliche Ergebnisse zustande kamen.
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„Deutschtum“ einforderten. Zwei Monate später erhielt Rektor Adamovich den Brief einer ‚Deutscharischen Studentenvereinigung in Wien‘, in dem unter anderem vom „Überhandnehmen der Juden im Lehrkörper als auch im gesamten Kulturleben“ die Rede war. Weniger im Geheimen als vielmehr in Form öffentlicher Aktionen setzten sich Studierende für die Rehabilitation NS-belasteter Hochschullehrer ein, etwa für den Germanisten Josef Nadler (im Rahmen einer Kundgebung an der Philosophischen Fakultät) oder für den Theater- und Literaturwissenschaftler Heinz Kindermann (in Form einer Unterschriftenliste).49 All diese Vorkommnisse wurden nach den Nationalratswahlen vom 25. November 1945 mit einem Mal publik. Die sowjetische Besatzungsmacht und mit ihr die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) brachten die säumige Entnazifizierung nun wiederholt ins Spiel, um Kritik an den Großparteien zu üben und deren Bemühen um einen österreichischen Staatsvertrag zu hintertreiben. Obwohl die Situation an den Universitäten zweifellos ‚Munition‘ dafür bot, spielten politische Motive, konkret das schlechte Abschneiden der Kommunisten bei den Nationalratswahlen, eine wesentliche Rolle.50 Um eine objektive Berichterstattung kümmerten sich die Österreichische Zeitung (ÖZ), das Presseorgan der sowjetischen Besatzungsmacht, und die Österreichische Volksstimme, das KP-Organ, nicht. Sie stellten die Vorkommnisse an der Wiener Universität stark verzerrt dar und erweckten den Eindruck, an den österreichischen Hochschulen, insbesondere an der Universität Wien, agierten nazistische Gruppierungen in organisierter Form. Der Wiener Kurier und die Arbeiter-Zeitung berichteten ausgewogener und ließen ebenfalls kein gutes Haar an den bis dato erfolgten Säuberungsmaßnahmen.51 Österreichweite Vereinheitlichung der Richtlinien
In Anbetracht der Medienberichte, aber auch der zunehmenden Kritik vonseiten der Alliierten sah sich die Regierung Anfang 1946 zum Handeln gezwungen.52 Im Februar verlautbarte das Bundesministerium für Unterricht neue Richtlinien, die 49 Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 194–200. 50 So hatten die Sowjets auch ihre Zustimmung zum ‚Zweiten Kontrollabkommen‘ an die Bedingung geknüpft, die Staatsvertragsverhandlungen zu verschieben. Vgl. Wolfgang Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 und ihre politische Mission, Wien/Köln/Weimar 2005, S. 156. 51 Vgl. etwa Wieder Nazigeist an der Universität. Das Treiben der „Deutsch-arischen Vereinigung“, in: Österreichische Volksstimme vom 4. Dezember 1945; Noch immer Nazi an den österreichischen Hochschulen, in: Österreichische Zeitung vom 5. Januar 1946; Immer wieder: die Hochschulen, in: Arbeiter-Zeitung vom 8. Januar 1946; Die Säuberung der Hochschulen, in: Arbeiter-Zeitung vom 11. Januar 1946. 52 Rektor Prof. Adamovich bei Bundesminister Dr. Hurdes, in: Wiener Zeitung vom 11. Januar 1946.
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das Überprüfungsprozedere und die Kompetenzen von Lehrenden und Studierenden klarer regelten. Vom Dekan oder Rektor ernannte Kommissionen sollten sich nun aus drei Studierenden und einem Vorsitzenden aus der Hochschullehrerschaft zusammensetzen. Illegale Parteigenossen, SS-Mitglieder und „nationalsozialistische Führungsoffiziere der Wehrmacht“ waren per se auszuschließen. Bei vier anderen Gruppen war der Ausschluss ab einem gewissen Dienstgrad vorgesehen: bei politischen Funktionären der NSDAP (ab Zellenleiter), bei Angehörigen von NS-Wehrverbänden (ab Unteroffizier), bei HJ- und BDM-Angehörigen (ab Oberscharführer) sowie bei NSDStB- und ANSt-Funktionären53 (ab Kameradschaftsführer bzw. Referentin). Außerdem sollten die Kommissionen Wehrmachtsoffiziere, Mitglieder von sonstigen NS-Organisationen, die sogenannten ‚Förderer der NSDAP‘ und schließlich jene Studienwerber, die andere denunziert oder dem NS-Regime anderweitig gedient hatten, besonders streng überprüfen. Ausnahmeregelungen fanden sich auch im Sommersemester 1946: Wer sich im NS-Regime antifaschistisch betätigt hatte oder kriegsversehrt (ab Stufe II) war, sollte in den Genuss einer bevorzugten Behandlung kommen. Noch wichtiger als der Antifaschismus aber war das Bekenntnis zum österreichischen Staat. Studienwerber, „deren österreichische und demokratische Einstellung für die Zukunft ausser Zweifel steht“, konnten nach einem ein- bis sechsmonatigen Arbeitseinsatz inskribieren.54 Der entscheidende Passus bei den Lehrenden, wonach ein Hochschullehrer „nach seinen bisherigen Betätigungen Gewähr“ bieten musste, „jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich einzutreten“,55 ging in die gleiche Richtung. Diese nicht näher definierte Haltung, die keine Kommission objektiv überprüfen konnte, relativierte die vorherigen Punkte bis zu einem gewissen Grad und ließ den Kommissionen viel Handlungsspielraum. Die Bestimmungen zeugen auch von einer Politik der – zeitlich begrenzten – ‚Sühne‘. Sieht man von ranghöheren Nationalsozialisten ab, sollten NS-Belastete nicht für immer vom Hochschulstudium ausgeschlossen werden und sich nach Arbeitseinsätzen und Ähnlichem rehabilitieren können. Nicht vergessen werden darf, dass die Bestimmungen stets für die Inskription zum jeweils aktuellen Semester galten und es Studienwerbern freistand, es im nächsten oder übernächsten Semester wieder zu probieren. Tatsächlich betrachteten die Kommissionen in manchen Fällen auch den Ausschluss für ein oder zwei Semester als ausreichend und ließen die Antragsteller – auch wenn sich die Richtlinien in der Zwischenzeit verschärft hatten – inskribieren. 53 ANSt = Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen. 54 UAW, JUR, cur. 311, Erlass BMfU vom 2. Februar 1946, Z. 3040/III.46. 55 Dieser war in § 21 des Verbotsgesetzes 1945 angeführt. Vgl. Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 108.
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Die bedeutendste Neuerung im Sommersemester 1946 aber war, dass diese Regeln österreichweite Geltung hatten. Dies hatte zur Folge, dass nun auch die Hochschulen in den Bundesländern strengere Maßstäbe anlegen mussten. Das wiederum führte unmittelbar zu Protesten – zumindest in Graz, wo Studierende aus diesem Grund und wegen der Verhaftung des ehemaligen Nationalsozialisten und Pathologen Friedrich Feyrter einen Streik planten und diesen bereits mit anonymen Briefen bewarben. In sprichwörtlich letzter Minute konnte die Grazer ÖH diesen Protest offenbar noch verhindern. Würde man den in Wien erscheinenden Studentenzeitungen Glauben schenken, wäre in Graz auch die Entnazifizierung der Lehrenden mit wenig Konsequenz erfolgt; Professoren würden ihre deutschnationale Haltung nach wie vor offen artikulieren, hieß es hier.56 An der Universität Innsbruck sollen sich nicht einmal Kommissionen gebildet haben.57 Anhand der Forschungsliteratur ist dieser Vorwurf nicht verifizierbar, angesichts der Praxis vorhergehender Semester klingt er aber auch nicht realitätsfern. Die Berichte in Wiener Studentenzeitungen, denen zufolge NS-Belastete zur Inskription nach Innsbruck oder Graz auswichen, waren ebenfalls nicht weit hergeholt. Bundeskanzler Leopold Figl drohte im Mai 1946 – mit Blick auf die Bundesländer – gar offen mit der Schließung von Hochschulen.58 Das Inskriptionsprozedere selbst gestaltete sich kompliziert. Es begann mit zwei eidesstattlichen Erklärungen, welche die Studienwerber ausfüllten und die vom Inskriptionsreferenten überprüft wurden. Erstsemestrige mussten das zuständige Polizeikommissariat aufsuchen und ihre Karteikarte abgeben, welche die Exekutive nach ein paar Wochen wiederum an die zuständige Fachgruppe übersandte. Studienwerber konnten nun entweder inskribieren oder mussten sich – im Fall einer NS-Belastung – vor einer Kommission verantworten. Diese Kommissionen entschieden mit Stimmenmehrheit über Zulassung oder Ausschluss, wobei der Vorsitzende bei Stimmengleichheit den Ausschlag gab. Das Rektorat musste diese Entscheidungen schließlich absegnen. Daraufhin konnte der Studienwerber im Falle einer Ablehnung noch beim Unterrichtsministerium Berufung einlegen.59 Als die Akademische Rundschau, das Organ der Österreichischen Hochschülerschaft, am 6. Juli 1946 die Ergebnisse zur politischen Überprüfung präsentierte, fanden sich gerade einmal drei Institutionen in der Abschlussstatistik: An der Universität Wien standen 9.245 zugelassenen Studierenden 188 Ausgeschlossene gegenüber (2 %), an der Hochschule für Bodenkultur waren es 35 von 845 Studienwerbern 56 Student sein in Graz!, in: Akademische Rundschau vom 23. März 1946. 57 „Wir halten fest!“, in: Der Student vom 23. September 1946. 58 Leopold Figl, Keine Parteipolitik an den Hochschulen, in: Akademische Rundschau vom 18. Mai 1946. 59 Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 207 f.
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(4,1 %) und an der Tierärztlichen Hochschule drei von 379 (0,8 %). Höhere Ausschlussquoten hatten die (leicht) verschärften Richtlinien demnach nicht zur Folge gehabt, und auch bei den – streng zu überprüfenden – Offizieren lagen die Raten im Gesamtdurchschnitt.60 Von den Hochschulen außerhalb Wiens liegen keine offiziellen Zahlen vor – weder in der Presse noch in den Akten des Österreichischen Staatsarchivs. Die einstelligen Prozentsätze haben per se und ohne Wissen um die NS-Belastung sämtlicher Studienwerber gleichwohl wenig Aussagekraft. Zumindest für die Juridische Fakultät der Universität Wien liegen aber konkrete Zahlen vor: Von 220 NS-belasteten Hörern und Hörerinnen, die sich im Sommersemester 1946 den Kommissionen stellen mussten, wurden 39 abgewiesen, das waren 18 %. Unter den Zugelassenen befanden sich nicht nur NSDAP-Mitglieder und -Anwärter, sondern auch 27 ehemalige SA-Männer.61 Waren die Bestimmungen im Sommersemester 1946 aufgrund des öffentlichen Interesses noch verschärft worden, ruderte das Ministerium am Beginn des Wintersemesters 1946/47 wieder etwas zurück. So konnten „Mitglieder des NSKK und NSFK bis zum Range des Untersturmführers, Mitglieder des DJ und der Jungmädel bis zum Jungstammführer, beziehungsweise Ringführerin bei den Geburtsjahrgängen 1924 und jünger, und nichthauptamtliche Funktionäre des NSDStB und der ANST bis zum Kameradschaftsführer, beziehungsweise zur Referentin“ unter gewissen Umständen inskribieren.62 Offizielle Ergebnisse liegen für dieses Wintersemester nicht vor, auch weil die Überprüfungen aufgrund der Vorkommnisse bei den ersten ÖH-Wahlen nicht mehr abgeschlossen werden konnten. An der Universität Wien hatten die Kommissionen bis Mitte November 449 Personen überprüft, von denen 68 ausgeschlossen und 79 zum Arbeitsdienst verpflichtet wurden. Ausschlussquoten von 6 % (Fachgruppe Naturwissenschaften) bis hin zu 36 % (Medizin) der NS-Belasteten zeugen auch von einer durchaus heterogenen Vorgehensweise.63 Nachdem sich – im Gegensatz zu den vorherigen Semestern – ausschließlich Neuinskribierende vor einer Kommission zu verantworten hatten, sind diese Zahlen nur bedingt mit älteren zu vergleichen.
60 Akademische Rundschau vom 6. Juli 1946. 61 UAW, JUR, cur. 311, Fachgruppe der juridischen Fakultät an das Rektorat, das juridische Dekanat, Alois Schima u.a. vom 18. Juni 1946. 62 Politische Überprüfung der Studierenden, in: Akademische Rundschau vom 26. Oktober 1946. DJ = Deutsches Jungvolk (Jugendorganisation der HJ für die 10- bis 14-Jährigen, analog zu den Jungmädeln im BDM). 63 Vgl. die Aufstellungen in UAW, Rektoratsakt (RA) GZ 260-1946/47, O.-Nr. 1–6.
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Die ÖH-Wahlen 1946 und ihre Folgen
Ein Jahr nach den Nationalratswahlen waren die Studierenden an Österreichs Hochschulen erstmals berechtigt, ihre Vertretung demokratisch zu wählen. Monatelange Konflikte um die Wahlordnung zwischen ÖH, Unterrichtsministerium und Rektoren waren diesem 19. November 1946 vorausgegangen. So hatte sich die Österreichische Rektorenkonferenz wegen befürchteter Unruhen strikt gegen eine Abhaltung an den Hochschulen ausgesprochen; die Wahlen sollten in den Räumlichkeiten der ÖH durchgeführt werden. Das Ministerium setzte sich nicht nur über diesen Wunsch hinweg, es gestattete auf Anliegen der Studentenschaft – und entgegen dem ersten Entwurf – auch eingeschränkt ‚Wahlpropaganda‘ für die drei Studierendenfraktionen.64 Im Rahmen der dadurch gestatteten Wahlversammlungen sollten sich dann tatsächlich Zwischenfälle ereignen. Im Nationalsozialismus verfolgte Studentenvertreter wurden aus dem Auditorium mit Kommentaren wie „Schade, daß sie dich im Konzentrationslager nicht umgebracht haben“ beschimpft.65 Dies hatte kurze Zeit später ein enormes Medienecho zur Folge, vor allem in der Volksstimme und der ÖZ, aber auch in der Arbeiter-Zeitung. Paradoxerweise waren ausschließlich in Wien Zwischenfälle zu verzeichnen gewesen – in jener Universitätsstadt, in der die politischen Überprüfungen zwar nicht besonders streng, aber doch gemäß den ministeriellen Vorgaben erfolgt waren. Dass sie sich auf Wien beschränkten, ist aber nur auf den ersten Blick verwunderlich. So hielten die Studentengruppen hier einerseits deutlich mehr Kundgebungen ab als etwa in Graz und Innsbruck, andererseits hielten sie diese – im Gegensatz zu den Bundesländern – größtenteils gemeinsam ab. Diskussionen und politische Differenzen traten somit viel häufiger zutage. Auch die strengere Entnazifizierung ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu den Unruhen in Wien. Denn die Protokolle unterstreichen, dass manche der Zwischenfälle in Diskussionen zur Inskription ihren Ausgangspunkt nahmen. Ein von der Staatspolizei wiedergegebenes Schreiben des ‚Komitees der geschädigten Hochschüler‘66 bestätigt das: „Noch bevor Rabofsky [Eduard Rabofsky, Vorsitzender der kommunistischen Studentengruppe, Anm.] darauf antworten konnte, kam es zu einem Zwischenruf: ‚Im Krieg schiesst man auf den, der einem gegenüberliegt.‘ Rabofsky antwortete ‚ich habe nicht geschossen‘ (heftige Pfuirufe). ‚Ich habe mich ge64 Vgl. Andreas Huber, „Wir wählen schwarz–weiss–rot!“ NS-Provokationen bei den ÖH-Wahlen 1946 und ihre Konsequenzen, in: Zeitgeschichte 38 (2011), S. 68 f. 65 Anton Walitschek (Polizeidirektion Wien) an Colonel Rose vom 20. November 1946, zit. nach: Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, S. 177 f. 66 Beim Komitee handelte es sich um die Vertretung der im Nationalsozialismus aus rassistischen und/ oder politischen Gründen geschädigten Studierenden.
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weigert und bin dafür ins Gefängnis gekommen‘ (Pfuirufe, ‚Feigling‘). ‚Mein Bruder – U[nter-]Offizier der Deutschen Wehrmacht – hat sich auch geweigert und ist dafür geköpft worden‘.67 Eine Welle der Missbilligung ging durch das Auditorium. Bevor er seine Ausführungen beenden konnte, stand ein Student auf und rief: ‚Man kann uns nicht zumuten, dass wir mit KZ-Wachen zusammenstudieren‘. Ein anderer Student antwortete ‚ich [sic] war bei der SS, bin Kriegsversehrter, Stufe IV. Ich habe nicht für den Führer gekämpft, sondern für mein Volk‘ (Beifallsrufe). Der Student, der als erster die NS-Frage aufs Tablett [sic] brachte, rief nun: ‚Man muss uns Gelegenheit geben, unseren guten Willen zu beweisen, damit aber, dass man uns von der Hochschule vertreibt, ist dies nicht möglich. Auch das Landesgericht [in dem viele verurteilte Nationalsozialisten ihre Haftstrafen absitzen mussten, Anm.] ist heute überbevölkert‘. Diese Redner ernteten jedes Mal Beifallstürme.“68 Die Presseberichte glichen jenen vom Januar 1946: Volksstimme und ÖZ berichteten von den Wahlversammlungen als einer einzigen Demonstration ehemaliger Nationalsozialisten, während die Periodika der Großparteien – insbesondere jene der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), welche die Hochschulen als ihre ureigene Einflusssphäre betrachtete – die Ereignisse zum Teil herunterspielten.69 Die innenpolitische Lage war aber wesentlich angespannter als zehn Monate vorher. So hatte die KP-Führung kurze Zeit vor den ÖH-Wahlen in einem Brief an Josef W. Stalin angekündigt, eine „politische Krise durch den Austritt aus der Regierung aus[zu-] lösen“, Neuwahlen herbeizuführen und damit das schlechte Ergebnis von November 1945 vergessen zu machen.70 Dementsprechend gezielt mobilisierte die KPÖ: Sie hielt am Vorabend der Wahlen Massenversammlungen unter dem Motto Hinaus mit den Faschisten aus den Hochschulen in den sowjetisch besetzten Bezirken Wiens ab.71 Am Wahltag selbst marschierten Tausende Demonstranten, meist Arbeiter und Arbeiterinnen aus den sowjetischen USIA-Betrieben, aus Floridsdorf, Donaustadt und anderen Orten zur Universität am Ring. Die Teilnehmer demonstrierten nicht nur lautstark gegen den Nazismus in der Hochschülerschaft. Manche verprügelten auch 67 Vgl. zur Ermordung Alfred Rabofskys Alexander Krysl/Manès Weisskircher, Zur politischen Stimmung der Universitätsangehörigen im Nationalsozialismus. Eine Untersuchung der Disziplinarfälle, in: Huber u.a., Universität und Disziplin, S. 32 f. 68 Eingabe des ÖH-Personalreferates und des Komitees der geschädigten Hochschüler, zit. nach: ÖStA/ AdR, BMI, GZ 161.435-2/46, Anhang zu Tagesbericht Nr. 340 vom 18. September 1946. 69 Vgl. Die Hochschulen – Reservat des Nazismus, in: Österreichische Volksstimme vom 15. November 1946; Neue Naziprovokationen an den Hochschulen, in: Österreichische Volksstimme vom 16. November 1946; Hochschulwahlen bisher in voller Ruhe verlaufen, in: Wiener Kurier vom 19. November 1946. 70 Mueller, Die sowjetische Besatzung, S. 188 f. 71 Hinaus mit den Faschisten aus den Hochschulen, in: Volksstimme vom 16. November 1946.
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mutmaßliche ‚Nazi-Studenten‘; mindestens 30 Studierende wurden bei diesen Auseinandersetzungen verletzt. Delegationen sprachen im Rektorat bei Ludwig Adamovich vor und deponierten ihre Forderungen nach einer neuerlichen „Säuberung“.72 Die NS-Provokationen bei den Versammlungen und die Großdemonstration am Wahltag sorgten wenig später auch im Alliierten Rat für erregte Debatten. General Aleksey S. Zheltov von der Sowjetbesatzung forderte für die Dauer neuerlicher Überprüfungen die Schließung der Universität Wien und der Hochschule für Welthandel. Das Exekutivkomitee der Alliierten Kommission nahm diese Forderung aber lediglich zur Kenntnis. Als die sowjetische Besatzungsmacht zwei Wochen später neuerlich auf eine Schließung von Hochschulen drang, fand sie vor allem in den USA einen entschiedenen Gegner.73 Die Hochschulen blieben so trotz der massiven Zwischenfälle geöffnet, mussten aber eine neuerliche Prüfung der Studierenden vornehmen. Am 6. Dezember 1946 verlautbarte das Unterrichtsministerium – mittlerweile zum dritten Mal – neue Entnazifizierungsrichtlinien, welche die Studienwerber noch genauer differenzierten. Die Kommissionen, die sich nicht mehr zwingend aus Vertretern der drei Studentengruppen bilden sollten, hatten zwischen drei Kategorien zu unterscheiden: -- grundsätzlich Auszuschließende ohne jede Chance zur Inskription (darunter Angehörige des Sicherheitsdienstes und der Gestapo), -- Studienwerber, die grundsätzlich überprüft werden mussten, etwa ehemalige Offiziere der Wehrmacht und registrierungspflichtige Nationalsozialisten, -- Personen, die – je nach Ansicht der Kommission – per se auszuschließen waren oder überprüft werden konnten. Darunter fielen zum Beispiel HJ-Mitglieder ab dem Rang eines Fähnleinführers, aber auch in vorhergehenden Semestern Abgewiesene. Angehörige der dritten Gruppe sollten sich vor einer Kommission verantworten dürfen, wenn ihre proösterreichische Haltung außer Zweifel stand, sie maßgeblich am Wiederaufbau mitgewirkt hatten oder der Versehrtenstufe III oder IV angehörten. Entschied die Kommission nicht einstimmig, konnte die Inskriptionswerberin bzw. der Inskriptionswerber beim Überprüfungssenat im Unterrichtsministerium berufen.74 Dem Alliierten Rat hatte die Bundesregierung bis zum 15. Februar 1947 einen Endbericht vorzulegen. Damit dem Überprüfungssenat im Ministerium ausreichend 72 Vgl. etwa Die Hochschulwahlen abgeschlossen, in: Wiener Zeitung vom 20. November 1946. 73 Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft 1941– 1955, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 483 f. 74 UAW, RA GZ 260-1946/47, O.-Nr. 21, Erlass des BMfU, Zl. 45675/III/7/46 vom 6. Dezember 1946.
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Zeit blieb, mussten die Hochschulen die Erhebungen einen Monat vorher abschließen. Für die Universität bedeutete das: In 40 Tagen sollten trotz der bevorstehenden Weihnachtsferien 2.000 Studierende vorgeladen werden. Zudem hatte sich das Verhältnis zwischen den Studentengruppen infolge der Wahlen deutlich verschlechtert, was sich auch auf die Entnazifizierung auswirkte. Die beiden Linksfraktionen lehnten die Überprüfungen ab und stellten kein Personal für die Kommissionen bereit.75 Einzelne Ausschüsse mussten deshalb ihre Arbeit unterbrechen oder fielen ganz aus.76 Nichtsdestotrotz arbeiteten viele Kommissionen an der Universität Wien im Akkord, um das Vorhaben fristgerecht, also bis Mitte Januar, abzuschließen. Anders gestaltete sich die Situation – zum wiederholten Mal – in den Bundesländern: An der Universität Graz hatten die Überprüfungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal begonnen. Die Hochschülerschaft betrachtete sie als „ungerechtfertigterweise aufgezwungen“ und boykottierte sie schlichtweg, wie Rektor Josef Dobretsberger bekannt gab. Für die Montanistische Hochschule Leoben gilt der gleiche Befund.77 Sechs Wochen nach der Verlautbarung neuer Regeln und einer Vielzahl abgeschlossener Verfahren mussten die Rektoren von Unterrichtsminister Felix Hurdes zudem erfahren, dass die Überprüfungen gar keinen praktischen Nutzen mehr hatten – das bevorstehende Nationalsozialistengesetz78 sollte alle Minderbelasteten und Belasteten per se vom Studium ausschließen. Die Alliierten forderten dennoch einen Abschluss.79 Von 1.904 Überprüften an der Wiener Universität gewährten die Kommissionen 83,2 % (1.584) die Zulassung zum Studium, 3,6 % (68) wurden ausgeschlossen und 13,2 % (252) an den Überprüfungssenat überwiesen.80 Abgesehen von der praktischen Bedeutungslosigkeit dieser Ergebnisse sind sie aufgrund der möglichen Überprüfung bereits Ausgeschlossener wenig aussagekräftig – zumindest an der Universität Wien ermöglichte diese ‚Verschärfung‘ manchen bis dahin Ausgeschlossenen erst eine (nachträgliche) Inskription.81 75 Der VSStÖ sollte Mitte/Ende Januar – vermutlich auf Druck der Bundes-SPÖ –, als die Überprüfungen zum Großteil schon abgeschlossen waren, doch noch teilnehmen. Vgl. Hinter den Kulissen der Entnazifizierung, in: Akademische Rundschau vom 25. Januar 1947. 76 Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 269–271. 77 UAW, RA GZ 260-1946/47, O.-Nr. 43a, Protokoll zur Rektorenkonferenz vom 18. Januar 1947, S. 5 f. 78 Siehe hierzu das folgende Kapitel. 79 UAW, RA GZ 260-1946/47, O.-Nr. 44, Protokoll zur Sitzung der Dekane vom 21. Januar 1947, S. 5 f. 80 Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 272. Die Ergebnisse an den einzelnen Fakultäten divergierten wieder sehr stark und reichten von 76,7 % Zugelassenen (Juridische Fakultät) bis zu 90 % (Geisteswissenschaften) an den weltlichen Fakultäten. 81 Das zeigen einzelne Beispiele aus der oben genannten Sonderreihe der Medizinischen Fakultät, S 8. Vgl. etwa UAW, MED S 8, GZ 255 oder GZ 24.
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Als der Abschlussbericht an den Alliierten Rat vorlag, waren die Bestimmungen des neuen NS-Gesetzes längst in Kraft. Aufschlussreich sind die Ergebnisse nicht zuletzt wegen der abermaligen Unterschiede zwischen Ost- und Westösterreich. Setzt man die Zahl der Ausgeschlossenen in Relation zu jener der Inskribierten, lag die Montanistische Hochschule klar voran – mit immerhin fast 8 %. Die größeren Wiener Hochschulen bewegten sich auf einem Niveau von 1,3 % (Universität Wien) bis hin zu 5 % (TH) und lagen damit noch vor der Grazer Universität (1,1 %), deren Ausschlussquote aber noch vier Mal höher lag als jene der Universität Innsbruck (0,3 %). Das bestätigte wiederum die nachlässige Praxis in den Bundesländern, wo sich fast ausschließlich verpflichtend Auszuschließende unter den Abgewiesenen befanden. Zwei Drittel der in Österreich Studierenden waren im Wintersemester 1946/47 in Wien inskribiert, bei den Ausgeschlossenen entfielen aber 80 % auf die Bundeshauptstadt.82 Nationalsozialistengesetz 1947
Das im Februar 1947 – und in dieser Form auf Druck der Alliierten – vom Nationalrat beschlossene Nationalsozialistengesetz (NSG) rückte anstelle des Zeitpunktes des NSDAP-Beitritts die Involvierung in das NS-Regime in den Vordergrund und unterschied zwischen minderbelasteten und belasteten ehemaligen Nationalsozialisten.83 Für die Inskription markierte das Gesetz eine Zäsur: Sowohl Belastete als auch Minderbelastete sollten bis zum 30. April 1950 vom Studium ausgeschlossen werden – eine direkte Folge der Zwischenfälle bei den ÖH-Wahlen. Einerseits war damit den Ausnahmeregelungen und dem Interpretationsspielraum der Kommissionen ein Ende gesetzt, andererseits war die akademische Jugend nun mit strengeren Regeln konfrontiert als ihre Lehrenden. Minderbelastete Lehrende konnten nämlich unter gewissen Umständen unterrichten84 – etwa wenn das Ministerkomitee im Bundeskanzleramt zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen von Nazielementen Professoren semesterweise im Dienst beließ, wie dies bei einer ganzen Reihe ehemaliger Nationalsozialisten an Österreichs Hochschulen im Sommersemester 1947 der Fall gewesen war.85 Sowohl die Rektoren als auch die ÖVP-dominierte 82 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), 20.683-6, BMfU an den Alliierten Rat vom 27. Mai 1947; Österreichisches Statistisches Zentralamt (ÖStZa), Statistische Nachrichten, N.F. 3 (1948/1). 83 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, S. 101–110. 84 Vgl. ebd., S. 181 f. 85 Vgl. etwa das Biogramm zum außerordentlichen Professor für Slawische Literatur- und Kulturkunde Rudolf Jagoditsch und andere Kurzbiografien in Pfefferle/Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert, S. 283–345.
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Hochschülerschaft protestierten vehement gegen das NSG, das auf eine Initiative der sowjetischen Besatzungsmacht zurückging.86 Auch die Briten äußerten in einem Memorandum schwere Bedenken: „It is politically indefensible in that it will in effort achieve the opposite to that which the Law sets out to achieve: roughly 4,000 embittered students will be the first adherents of any asocial or antidemocratic movement directed against the new Austrian state.“87 Sämtliche Zulassungen zum Studium erfolgten vorerst bedingt, bis der Inskriptionswerber bzw. die Inskriptionswerberin eine Bescheinigung der Registrierungsbehörde vorlegen konnte.88 Für den starken Rückgang der Studentenzahl war das Gesetz ebenso mitverantwortlich: Sie reduzierte sich von 35.381 im Wintersemester 1946/47 auf 32.172 im Sommersemester 1947, also um rund 10 %.89 Etwa 10 % der Hörer, 1.098 Studenten und Studentinnen, waren an der Universität Wien NS-belastet.90 Durch das neue Gesetz wurde auch die ungleiche Praxis in Wien und in den Bundesländern in Zahlen greifbar. Einem Bericht Leopold Figls zufolge sollen 3.500 Personen vom Studium ausgeschlossen worden sein, wovon wiederum 1.612 auf die Wiener Hochschulen, 810 auf Graz und 1.075 auf Innsbruck und Leoben entfielen.91 Über 50 % der Ausschlüsse hatten die Bundesländer zu verzeichnen, wo gerade einmal ein Drittel der Hörer studierte. NS-Belastete hatten also in Graz, Innsbruck und Leoben eher inskribieren können, was auch für die These vom ‚Ausweichen in die Bundesländer‘ spricht. Das Unterrichtsministerium und die akademischen Entscheidungsträger waren allerdings bemüht, die Konsequenzen des NS-Gesetzes in Grenzen zu halten und das Gesetz über Verordnungen so weit als möglich zu entschärfen. Im Laufe des Sommersemesters schuf das Ministerium die Rahmenbedingungen dafür, dass Registrierungspflichtige Prüfungen und Rigorosen ablegen und später auch einen akademischen Grad erwerben konnten.92 Der Ausschluss von der Inskription war für NS-Belastete aber auch in diesem Sommersemester 1947 nicht unausweichlich – zumindest dann nicht, wenn die Betreffenden die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpften. Innerhalb von zwei Wochen 86 Vgl. Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 279. 87 DÖW, 20.683-6, Nr. 28, Memorandum on Denazification of Austrian Universities under the National Socialist Law 1947, S. 2. 88 UAW, RA GZ 567-1946/47, O.-Nr. 1, Protokoll über die Sitzung der Dekane unter Vorsitz des Rektors vom 3. April 1947, S. 1. 89 ÖStZa, Statistische Nachrichten, N.F. 4 (1949/3), S. 66. 90 Vgl. UAW, RA GZ 495-1946/47, O.-Nr. 4–8. Vgl. auch die Tabelle in Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 281; ÖStZa, Statistische Nachrichten, N.F. 3 (1948), S. 10. 91 DÖW, 20.683-5 (Minderbelastetenamnestie), Leopold Figl an den Alliierten Rat vom 30. Dezember 1948, S. 4. 92 Vgl. Huber, Entnazifizierung und Rückbruch, S. 283.
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konnten Betroffene über das zuständige Dekanat beim Unterrichtsministerium gegen den Ausschluss Berufung einlegen93 Plötzlich rückte auch ein Phänomen aus der Zeit vor der Befreiung in den Vordergrund, das bereits in vorhergehenden Semestern dem einen oder der anderen den Hochschulbesuch ermöglicht hatte: die Behauptung einer unwissentlichen Überstellung von der HJ in die NSDAP.94 Dass jemand ohne persönlich unterschriebenen Aufnahmeantrag Mitglied der NSDAP hätte werden können, wie das 2007 auch namhafte Historiker in den Raum gestellt haben, ist de facto auszuschließen95 – es sei denn, es handelte sich um Urkundenfälschung. Auch der ehemalige Leiter des Mitgliedschaftsamtes der Partei, Anton Lingg, stellte 1947 die Möglichkeit einer Aufnahme über Sammellisten ohne eigenhändige Unterschrift in Abrede.96 Dem Ministerium dürfte das einerlei gewesen sein. Am 18. Juni 1947 wandte es sich mit einem Schreiben an die Rektorate und Dekanate. Wer von nun erklärte, „von der HJ oder dem BDM in die Partei überstellt worden zu sein, ohne eine Mitgliedskarte erhalten zu haben“, konnte bedingt inskribieren.97 Nachweisen mussten – und konnten – die Inskriptionswerber das nicht. Und so legte eine ganze Reihe Studierender eidesstattliche Erklärungen vor, wonach eine Überstellung erfolgt sei. Andere erhoben Einspruch gegen die Registrierung, was für die bedingte Inskription ebenso ausreichte. Wie viele Personen im Sommersemester 1947 und im Wintersemester 1947/48 auf diese Art und Weise inskribieren konnten, ist nicht bekannt. Die eigentlich vorgesehenen 1.100 Studienausschlüsse an der Universität Wien kamen in dieser Form jedenfalls nicht zustande. Wer die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfte, konnte auch die Hürde, die das NSG darstellte, ohne Semesterverlust nehmen – so legen es zumindest Stichproben betroffener Studierender nahe, die sich ihre bedingt inskribierten Semester später problemlos anrechnen lassen konnten.98
93 Vgl. die Berufungen in UAW, RA GZ 495-1946/47. 94 Vgl. etwa UAW, RA GZ 260-1946/47, O.-Nr. 5, Fachgruppe Pharmazie an das Rektorat vom 20. November 1946. 95 Geglaubte Historie, in: faz.net vom 4. Juli 2007, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/glosse-feuilletongeglaubte-historie-1458313.html [11. März 2016]. 96 Zum NSDAP-Aufnahmeverfahren, in: bundesarchiv.de vom 15. Juni 2013, http://www.bundesarchiv.de/fachinformationen/01003/index.html.de [11. März 2016]. 97 UAW, RA GZ 495-1946/47, O.-Nr. 67, BMfU an die Rektorate und Dekanate der österreichischen Hochschulen vom 18. Juni 1947. 98 Vgl. etwa UAW, MED S 8, GZ 547, O.-Nr. 7, BMfU an das Rektorat bzw. das Amt der Landesregierung für Wien vom 10. März 1948; O.-Nr. 9, Rektorat an das Dekanat der Medizinischen Fakultät vom 22. April 1949.
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Amnestien 1948–1950
Im letzten Wintersemester vor der Minderbelasteten- und Jugendamnestie, welche der Alliierte Rat im Mai 1948 nach einem entsprechenden Beschluss im Nationalrat bestätigte und die 90 % der registrierten Nationalsozialisten (darunter die Jahrgänge ab 1919) von den Sühnefolgen ausnahm,99 waren nur mehr geringfügige Änderungen zu verzeichnen.100 Das Unterrichtsministerium gab bekannt, dass minderbelastete Studierende nun um Anrechnung eines Semesters ansuchen konnten, wenn sie in der Wehrmacht gedient hatten.101 Der Senat der Universität Wien ging noch einen Schritt weiter: Er hielt auch zwei Semester für vertretbar.102 Ein weiteres Entgegenkommen war die an der Universität Wien bis zum 20. Mai 1948 verlängerte Inskriptionsfrist, um die angekündigte Minderbelasteten- und Jugendamnestie umgehend greifen zu lassen.103 Danach galten die Studieneinschränkungen nur mehr für Belastete, die vor 1919 geboren worden waren – eine unter Studieninteressenten ab 1948 wohl verschwindend kleine Gruppe.104 Mit dem 30. April 1950 verschwanden – wie oben ausgeführt – auch diese letzten Barrieren. Resümee
Zeitungsüberschriften wie Die Verwahrlosung der Jugend unter den Nazi,105 Das Problem der Jugend106 oder Jugend ohne Wissen und Urteil107 aus den ersten Nachkriegsmonaten zeugen von einer durchaus verbreiteten Skepsis gegenüber der (studierenden) Jugend. Dieses Misstrauen veranlasste die Politik aber weder zu groß angelegten Bemühungen um eine re-education noch zu strengen Entnazifizierungsrichtlinien an den Hochschulen. Auch in den studentischen Überprüfungskommissionen schien die Ansicht dominant gewesen zu sein, dass eine Demokratisierung und Loslösung von nationalsozialistischen Denkmustern gerade durch den Zugang zum tertiären 99 Vgl. Winfried Garscha, Entnazifizierung und gerichtliche Ahndung von NS-Verbrechen, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 20012, S. 861. 100 So erreichten die Zulassung zur Promotion nur noch jene Bewerber, die nicht registrierungspflichtig waren. Vgl. UAW, RA GZ 125-1947/48, O.-Nr. 8, Inskriptionsbestimmungen für das Wintersemester 1947/48. 101 UAW, RA GZ 125-1947/48, O.-Nr. 14, Amtsvermerk von Rudolf Fischer vom 21. Oktober 1947. 102 UAW, SSP vom 8. November 1947, Bl. 1. 103 UAW, RA, O.-Nr. 65, Amtsvermerk von Johann Sölch vom 3. Mai 1948. 104 Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, S. 302. 105 Arbeiter-Zeitung vom 21. November 1945. 106 Österreichische Volksstimme vom 14. September 1945. 107 Neues Österreich vom 2. Juni 1945.
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Bildungsbereich möglich sei. Durchwegs geringe Ausschlussquoten von rund 2 % waren die Folge. Nach antisemitischen und nazistischen Zwischenrufen bei den Versammlungen zu den ersten Hochschülerschaftswahlen geriet die milde Entnazifizierungspraxis aber zunehmend ins Wanken – zumindest bei den Linksfraktionen. Diese boykottierten denn auch die neuerliche – vom Alliierten Rat geforderte und vom Unterrichtsministerium verfügte – ‚Säuberung‘, welche die VP-nahe Studentengruppe – wohl auch aus Loyalität zum ‚schwarzen‘ Unterrichtsressort unter Minister Hurdes (ÖVP) – nun im Alleingang durchführte. Die Ausschlussquoten in Wien glichen aber jenen vorheriger Semester, während die Bundesländer (mit Ausnahme der Montanistischen Hochschule Leoben) deutlich dahinter lagen. In Graz oder Innsbruck reagierten die Verantwortlichen sogar mit offener Ablehnung. So erreichte die Entnazifizierung der Studentenschaft erst mit dem Nationalsozialistengesetz 1947, welches den Ausschluss sämtlicher Minderbelasteten und Belasteten bis zum 30. April 1950 verfügte, auch die Bundesländer. Dass sich viele ehemalige Nationalsozialisten zum Studium nach Tirol oder in die Steiermark abgesetzt hatten, ist angesichts der vorliegenden Zahlen ebenso wahrscheinlich. Der relative Anteil NS-Belasteter lag dort im Sommersemester 1947 etwa doppelt so hoch wie in Wien. Als aber die Regelungen für die Studierenden – ein weiteres Kuriosum der Entnazifizierung an den Hochschulen – strenger waren als jene für Professoren und Dozenten, reagierte das Ministerium mit zahlreichen Ausnahmeregelungen. Wer die Möglichkeiten ausschöpfte, etwa Einspruch gegen die Registrierung erhob oder erklärte, unwissentlich von der HJ in die NSDAP überstellt worden zu sein, konnte im Normalfall auch diese Novelle ohne Semesterverlust überstehen. Die Bilanz zur politischen ‚Säuberung‘ der Studierenden fällt somit ernüchternd aus, zumal sie – wohlgemerkt nicht nur im tertiären Bildungssektor – als bürokratische Pflichtübung ohne jeglichen Versuch einer geistigen Neuorientierung erfolgte. Zwar betrachtete es Ludwig Adamovich als vordringliche Aufgabe der Universität, „Mitglieder der NSDAP […] zu demokratischen, selbst urteilenden Persönlichkeiten zu erziehen“.108 Konkrete Maßnahmen legten die Hochschulen hierzu aber nicht vor.
108 UAW, RA GZ 260-1946/47, O.-Nr. 68, Rektorat der Universität Wien an Major Needham (U.S. Education Division) vom 12. Februar 1947.
Kämpfer gegen den Antisemitismus und Opfer der Shoah Leben und Sterben von Josef Hupka (1875–1944), Ordinarius für Handels- und Wechselrecht an der Universität Wien*
Klaus Taschwer
1 Ein gescheiterter Fluchtversuch
Es war eine Tat, auf die der niederländische Militärpolizist Gerrit van Kasbergen hätte stolz sein können. Im November 1942 entdeckte er im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Belgien eine kleine Gruppe verzweifelter Personen.1 Sie waren von einem Schlepper gegen Geld an die Grenze gebracht worden, weil sie vermutlich über Belgien in jenen Teil Frankreichs gelangen wollten, der von Hitlers Truppen nicht besetzt war – in der Hoffnung, dass Juden dort weniger brutal verfolgt würden als in den Niederlanden. Doch niemand holte die vier Leute von der anderen Seite der Grenze ab. Trotz des großen Risikos für alle Beteiligten gelang es dem erst 22-jährigen Kasbergen, der von allen nur Cas genannt wurde und im niederländischen Widerstand organisiert war, die kleine Gruppe an einem nahe gelegenen Bauernhof unterzubringen, mit Essen zu versorgen und zu verstecken. Drei aus der Gruppe stammten aus *
1
Der Autor bedankt sich herzlich bei Andrew Parkinson, Stephen Parkinson (Oxford) und Reverend A. J. Parkinson (Newton Abbott) für das großzügig übermittelte Fotomaterial aus dem Familienarchiv und die Familienerinnerungen, bei Paul Hellmann (Rotterdam) für die Hilfe bei der Rekonstruktion der Fluchtgeschichte und zahllose andere Hinweise, bei Linda Erker (Wien), Sophie Lillie (Wien), Anja Sattelmacher (Berlin), Johannes Feichtinger (Wien), Oliver Hochadel (Barcelona), Johannes Koll (Wien), Thomas König (Wien), Franz-Stefan Meissel (Wien), Thomas Olechowski (Wien), Oliver Rathkolb (Wien) und Christian Stifter (Wien) für zahlreiche Hinweise und Verbesserungen. Für die folgenden Schilderungen vgl. C. A. Dekkers/J. M. [Cas] van Kasbergen, Oranje marechaussee. „Zonder vrees en zonder blaam“. Marechaussee tijdens de Tweede Wereldoorlog in ondergronds verzet tegen de nazi-onderdrukking, Naarden 1987, S. 70–81; Paul Hellmann, Mijn grote verwachtingen. Herinneringen, Amsterdam/Antwerpen 2009, S. 32–34; Paul Hellmann, Klein kwaad. Het proces-Demjanjuk en de speurtocht naar het verraad van mijn vader, Amsterdam/Antwerpen 2011, S. 110–112, sowie Marie Parkinson, Grandma’s memoirs, London 2007, S. 37. Ich danke Paul Hellmann für eine Kopie der Memoiren von Marie Parkinson (geb. Hupka), für den Hinweis auf das Buch von Cas van Kasbergen und seine Übersetzungshilfen.
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Abb. 1: Josef Hupka im Jahr 1916, porträtiert von Ferdinand Schmutzer.
Österreich: Josef Hupka und seine Frau Hermine waren 1939 aus Wien über die Schweiz in die Niederlande geflüchtet. Der 1903 in Wien geborene Bernhard Hellmann, der beste Freund des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, war bereits in den frühen 1930er Jahren von Wien nach Rotterdam übersiedelt.2 Mit dabei war auch noch Hellmanns damals siebenjähriger Sohn Paul. Am nächsten Morgen führte ein 15-jähriges Mädchen die Gruppe in den Wald, nur Minuten bevor Nationalsozialisten auftauchten. Dort wurden sie in einem aufgelassenen Grab versteckt. Kasbergen, der mutige Polizist, konnte das völlig verzweifelte Ehepaar Hupka nicht nur im letzten Moment davon abhalten, Selbstmord zu begehen. Er arbeitete mit Kollegen vom Widerstand auch noch einen Plan aus, wie die beiden nicht mehr jungen Leute – Josef Hupka war bereits 67, seine Frau Hermine 54 Jahre alt – unentdeckt nach Amsterdam gebracht werden konnten, denn an eine Flucht über die Grenze war nicht mehr zu denken. In seinen Erinnerungen, die 1987 unter dem Titel Oranje marechausee [Orange/Niederländische Militärpolizei] 2
Zu Bernhard Hellmann vgl. Klaus Taschwer, Konrad Lorenz’ bester Freund, in: Der Standard vom 5. November 2013, http://derstandard.at/1381370977060 [2. Mai 2016].
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erschienen, zweifelte Kasbergen allerdings, ob er im Fall des Ehepaars Hupka richtig gehandelt hatte. Wer war dieses ältere Ehepaar aus Wien, das in letzter Verzweiflung über die Grenze flüchten wollte? Wer vor dem Frühjahr 2014 nach „Josef Hupka+Wien“ googelte, erhielt nicht allzu viele Treffer. Einer der ersten Links führte zum Online-Gedenkbuch der Universität Wien, das einen kurzen Vermerk inklusive Geburts- und Sterbedatum bot. Man erfuhr, dass Hupka ordentlicher Professor für Handels- und Wechselrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gewesen sei. Dann folgte der oft kopierte Stehsatz vieler Einträge des Gedenkbuchs: „Er wurde im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen verfolgt und 1938 seines Amtes enthoben (zwangspensioniert) und von der Universität Wien vertrieben.“3 Einen Wikipedia-Eintrag zu seiner Person gab es bis zum Erscheinen einer Kurzfassung dieses Texts im März 2014 ebenfalls nicht.4 Einschlägige Lexikoneinträge klangen hingegen beeindruckend: Dr. jur. mit 22 Jahren, erste Habilitation mit 26, zweite Habilitation mit 27, außerordentlicher Professor mit 31. Recherchen im Archiv der Universität ergaben, dass ein Personalakt zu Josef Hupka fehlt.5 Gründlichere Nachforschungen offenbaren freilich nicht nur die bewegende Lebensgeschichte eines international renommierten Rechtswissenschaftlers, der zahlreiche Standardwerke insbesondere zum Versicherungsrecht verfasst hat. Die Recherchen geben auch Zeugnis von einem engagierten Intellektuellen, der wie kaum ein anderer in der Zwischenkriegszeit gegen jenen Antisemitismus ankämpfte, der das Klima nicht nur an der Universität Wien ab den frühen 1920er Jahren immer nachhaltiger vergiftete.6 3 4 5
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http://gedenkbuch.univie.ac.at [6. März 2017]. Klaus Taschwer, Der verlängerte Leidensweg des Josef Hupka, in: Der Standard vom 19. März 2014, http://derstandard.at/1395056984636 [10. Mai 2016]. Das liegt daran, dass die Akten des Dekanats der Juridischen Fakultät (jedenfalls jene von 1890 bis 1945) während eines Bombenangriffs am 21. Februar 1945 großteils vernichtet wurden. In der Senatssitzung vom 26. Mai 1945 berichtete Prorektor Richard Meister, dass dabei auch die Personalakten zum größten Teil verbrannt sind. Ich bedanke mich bei Thomas Maisel, dem Leiter des Archivs der Universität Wien (UAW), für diese E-Mail-Auskunft vom 5. März 2014. Vgl. auch Andrea Vetricek, Die Lehrer der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, die 1938 entlassen wurden, Dissertation Universität Wien 1980, S. 2. Es scheint nicht ganz ausgeschlossen, dass diese Verbrennungen zum Schutz der NS-Parteigänger ohne Feindeinwirkung ‚passiert‘ sind; vgl. Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft 1941–1955, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 343, Fußnote 1463. Für einen Überblick über die antisemitischen Zustände an der Universität in der Zwischenkriegszeit vgl. zuletzt Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015; Werner Hanak-Lettner (Hg.), Die Universität. Eine Kampfzone, Wien 2015.
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2 Rechtswissenschaftliche Karriere im Eiltempo
Geboren wurde Josef Franz Hupka am 22. Februar 1875 als Sohn des Rechtsanwalts Ludwig Hupka in Wien. Die Volks- und Mittelschule besuchte er dann aber in der südmährischen Stadt Znaim, dem heutigen Znojmo unweit der österreichischen Grenze. Hupka bestand mit 17 Jahren, also um zwei Jahre früher als damals üblich, die Matura und begann mit dem Jusstudium an der Universität Wien; daneben betrieb er auch romanistische Studien.7 1897 promovierte er 22-jährig und konvertierte vom jüdischen Bekenntnis zum Protestantismus.8 Von 1899 bis 1901 forschte Hupka in Leipzig, ehe er sich 1901 in Wien mit dem Buch Die Vollmacht für römisches und deutsches bürgerliches Recht habilitierte und in die niederösterreichische Finanzprokuratur eintrat. Ein Jahr später wurde Hupka aufgrund seiner umfangreichen Habilitationsschrift auch noch die Lehrbefugnis für Handels- und Wechselrecht zuerkannt.9 7 8
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Vgl. Thomas Olechowski, Josef Hupka, in: Ders./Tamara Ehs/Kamila Staudigl-Ciechowicz, Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938, Göttingen 2014, S. 385–390. Georg Gaugusch, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, Bd. 1, Wien 2011, S. 340, Fußnote 17; Anna L. Staudacher, Jüdisch-protestantische Konvertiten in Wien 1782– 1914, Bd. 1, Frankfurt a.M. u.a. 2004, S. 196, Fußnote 112. Hupkas Taufpate war Franz Ritter von Regenhart Zapory, der damalige Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde. Biografische Details zu Hupka finden sich in einschlägigen Nachschlagewerken wie dem Österreichischen Biographischen Lexikon (http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_H/Hupka_Joseph_1875_1944. xml [2. August 2016]), in Marcel Klang (Hg.), Die geistige Elite Österreichs. Ein Handbuch der Führenden in Kultur und Wirtschaft, Wien 1936, S. 395, in Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 525–527, in Vetricek, Die Lehrer, S. 69 f., in einem undatierten Nekrolog von Heinrich Demelius, Hupkas Nachfolger nach 1939 und NSDAP-Mitglied (UAW, Senat S 305.113), und insbesondere in Olechowski, Josef Hupka. Es ist bemerkenswert, dass in den zahlreichen Texten zur Vertreibung der Lehrkräfte an der Juridischen Fakultät sowie zum Antisemitismus an dieser Fakultät Josef Hupka – dem einzigen Ordinarius unter allen NS-Opfern der Universität Wien, der in einem Konzentrationslager umkam – bis zum neuen Text von Thomas Olechowski bisher nicht mehr Aufmerksamkeit zuteilwurde; vgl. unter anderem Oliver Rathkolb, Überlegungen zum Exodus der „Jurisprudenz“, in: Friedrich Stadler (Hg.), Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, Wien/München 1987, S. 276–303; Oliver Rathkolb, Zur Archäologie über österreichische Juristen im Exil, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Wien/München 1988, S. 434–438; Oliver Rathkolb, Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien zwischen Antisemitismus, Deutschnationalismus und Nationalismus 1938, davor und danach, in: Gernot Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938 bis 1945, Wien 1989, S. 197–232; Ilse Reiter-Zatloukal, Antisemitismus und Juristenstand. Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät und Rechtspraxis vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum „Anschluss“ 1938, in: Oliver Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S.
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Hupka war danach für kurze Zeit Sekretär des Österreichisch-ungarischen Verbandes der Privatversicherungsanstalten und hielt ab 1904/05 auch die ersten Vorlesungen über das Privatversicherungsrecht an der Universität Wien. Das Privatrecht und das Privatversicherungsrecht waren zumindest bis 1918 seine hauptsächlichen Forschungsbereiche. Hupka bemühte sich, das damals noch umstrittene Versicherungs- und Versicherungsvertragsrecht so zu verändern, dass es sowohl den Interessen der Versicherten wie auch jenen der Versicherer besser Rechnung trug. Dabei leistete er wesentliche Beiträge zur Formulierung der österreichischen Gesetze in diesem Bereich.10 Hupka publizierte auch mehrere Bücher zu diesen Themen: Neben Die Vollmacht (1900) sind Die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht (1903) sowie Gegenentwurf eines Gesetzes über den Versicherungsantrag (1908) zu nennen. Nach dem Ersten Weltkrieg wandte er sich stärker Fragen des Wechselrechts zu, das 1912 zwar von 27 Staaten unterzeichnet, aber wegen des Krieges nie ratifiziert worden war. Der Völkerbund organisierte 1930 in Genf eine internationale Konferenz, die ein neues Wechselrecht bringen sollte, dabei aber nur bedingt erfolgreich war. Darüber verfasste Hupka sein letztes großes Werk, Das einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge aus dem Jahr 1934.11 Zumindest in den zeitgenössischen Medien galt Hupka übereinstimmend als einer der „namhaftesten Professoren der Fakultät“, als „wissenschaftliche Autorität“ in seinem Fach, als „Gelehrter von Weltrang“ und als „Mann von erprobter Unparteilichkeit“.12 Daneben zeugen seine zahlreichen Interventionen an der Universität und in der liberalen Presse von einem öffentlichen Intellektuellen, der sich für Gerechtigkeit und die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzte. 1910 heiratete Hupka eine Tochter des heute etwas in Vergessenheit geratenen Komponisten Ignaz Brüll, eines engen Freundes von Johannes Brahms. Kurz zu183–205. Alle vier genannten Studien beschränken sich im Wesentlichen auf die Erwähnung von Hupkas Tod im KZ/Ghetto Theresienstadt. 10 Werner Ogris, 1884–1984. Einhundert Jahre Rechtswissenschaft im Hause am Ring, in: Günther Hamann/Kurt Mühlberger/Franz Skacel (Hg.), 100 Jahre Universität am Ring. Wissenschaft und Forschung an der Universität Wien seit 1884, Wien 1986, S. 43–64, hier S. 50. Siehe auch den Nekrolog von Demelius, UAW, Senat S 305.113. 11 Vgl. im Detail Olechowski, Josef Hupka, S. 386. 12 Vgl. unter anderem Neue Freie Presse (NFP) vom 6. November 1926 oder Der Tag vom 6. November 1926. Höflechner behauptet, Hupka sei sozialdemokratischer bzw. sozialistischer Gesinnung gewesen, ohne für diese Behauptung jedoch Belege zu bringen; vgl. Walter Höflechner, Die Baumeister des künftigen Glücks. Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938, Graz 1988, S. 270, Fußnote 288, und S. 367. Was eher dagegen spricht: Hupkas öffentliche Interventionen erschienen fast ausschließlich in der liberalen NFP.
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Abb. 2: Hermine und Josef Hupka im Jahr ihrer Heirat 1910.
vor war Hermine, von der Familie Minni genannt, zum Protestantismus konvertiert. Taufpate war der um zwölf Jahre ältere und bereits seit mehr als zwölf Jahren zum protestantischen Glauben übergetretene Josef Hupka.13 Josef und Hermine Hupka hatten zwei Kinder: Sohn Robert wurde 1919 geboren, Tochter Marie 1924. Das kunstsinnige Ehepaar interessierte und engagierte sich sowohl für Musik als auch – vor allem – für die bildenden Künste. Hupka war unter anderem Mitglied der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst und Kuratoriumsmitglied des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Zu seinen engen Freunden zählten der Kunsthistoriker Josef Meder, der von 1905 bis 1923 die Albertina leitete, und der Druckgrafiker und Fotograf Ferdinand Schmutzer, der 1916 ein Porträt Hupkas anfertigte.14 Der Jurist und seine Frau besaßen eine recht bedeutende 13 Vgl. Staudacher, Jüdisch-protestantische Konvertiten, Bd. 1, S. 213. 14 Siehe Abb. 1. Dass sich die Hupkas und die Schmutzers gut kannten, geht aus den Tagebüchern Arthur Schnitzlers hervor, der zwischen 1916 und 1924 mehrere gemeinsame Treffen erwähnt. Ich danke Sophie Lillie für die entsprechenden Belege.
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Kunstsammlung. Prunkstück war eine Mappe mit 30 Federzeichnungen von Moritz von Schwind aus dem Jahr 1825, die den Titel Die Hochzeit des Figaro trägt und die Ludwig van Beethoven auf dem Totenbett bei sich hatte.15 Hupka hatte sie während des Ersten Weltkriegs von der Tochter des Künstlers um 30.000 Kronen erworben. Zudem besaß er unter anderem mehr als 200 Radierungen und Handzeichnungen von Schmutzer, von dessen früh verstorbenem Schüler Franz Hofer sowie zahlreiche Gemälde. Hupka nahm auch zu kunstpolitischen Fragen Stellung, etwa im Jahr 1925 zur Diskussion um die Veräußerung von Doubletten durch die Albertina.16 3 Antisemitismus an der Universität Wien nach 1918
Wie bereits dargelegt, wurde Hupka mit 31 Jahren außerordentlicher Professor für Handels- und Wechselrecht an der Juridischen Fakultät der Universität Wien, 1915 folgte er Karl Samuel Grünhut als ordentlicher Professur für Handels- und Wechselrecht nach.17 Es war Hupkas Glück, dass diese Berufung noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs erfolgte, denn nach 1918 wäre dies wohl unmöglich gewesen. „Mit Ausrufung der Republik [wurde] der Antisemitismus zu einem allgegenwärtigen Phänomen an der Wiener Universität“, erinnert sich der renommierte deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Eric(h) Voegelin, der nach dem Ersten Weltkrieg einige Jahre an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät studiert hatte.18 Unmittelbar nach dem Krieg sei zwar noch „eine beträchtliche Anzahl der Ordinarien Juden“ gewesen, welche „die liberale politische Tradition der Monarchie“ vertreten hätten. Doch nach 1918 habe es keine weiteren Ernennungen von Juden zu Ordinarien mehr gegeben. Dadurch wurde auch den jüngeren jüdischen Wissenschaftlern die Chance genommen, „jemals über den akademischen Grad des Privatdozenten hinauszukommen“.19 15 Zur Schwind-Mappe vgl. Lillie, Was einmal war, S. 525–527; 5. Bericht des Wiener Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek vom 22. November 2004, http://www.wienmuseum.at/fileadmin/user_upload/PDFs/Restitutionsbericht_2004.pdf [16. Juni 2016], S. 139–148. 16 Vgl. Josef Hupka, Die „Albertina“-Frage. Separatabdruck aus der NFP, Wien 1925, und gut kontextualisierend: Olechowski, Josef Hupka, S. 387. 17 Zu Grünhut vgl. Josef Hupka, Karl Samuel Grünhut (3. August 1844–1. Oktober 1929) Worte des Gedenkens […], in: Zentralblatt für die juristische Praxis 47 (1929), S. 817–820. 18 Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen, München 1994, S. 24. 19 Ebd. Diese Behauptungen sind durch Fakten gedeckt. Für eine detaillierte Auflistung der (jüdischen) Professoren an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät nach 1918 vgl. Hansjörg Klausinger, Academic Anti-Semitism and the Austrian School: Vienna, 1918–1945, Wien 2013, http://epub. wu.ac.at/3983/1/wp155.pdf [9. Mai 2016], S. 25. Für einen Überblick über den Antisemitismus an
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Voegelin, der weder jüdischer Herkunft war noch politisch linke Positionen vertrat, konnte sich 1928 immerhin noch habilitieren. Auch das wurde an der Universität Wien nach 1918 für jüdische und linke Nachwuchswissenschaftler zu einem immer schwierigeren Unterfangen. Als ‚Juden‘ galten freilich nicht nur Wissenschaftler, die mosaischer Konfession waren, sondern auch solche, die – wie Hupka – jüdischer Herkunft, aber längst konvertiert oder ohne Bekenntnis waren. In Wien hatte sich damit im öffentlichen Diskurs, der immer stärker vom Antisemitismus geprägt war, schon vor dem Nationalsozialismus eine ‚rassische‘ Zuschreibung durchgesetzt, die im Wesentlichen dem Prinzip der ‚Nürnberger Gesetze‘ von 1935 entsprach und der sich die Betroffenen schlechterdings nicht entziehen konnten. Ähnlich wie Voegelin äußerte sich der deutsche Soziologe und Ökonom Max Weber, der im Sommersemester 1918 kurz an der Juridischen Fakultät der Universität Wien lehrte und ebenfalls nichtjüdischer Herkunft war. 1919 schrieb er in seinen berühmten Essay Wissenschaft als Beruf im Hinblick auf die Aussichten jüdischer Habilitationswerber: „lasciate ogni speranza“.20 Weber spielte damit nicht ganz zufällig auf einen Satz aus Dantes Göttlicher Komödie an, in der dieser Spruch auf der Pforte zur Hölle geschrieben steht. Tatsächlich geriet die Universität Wien, die sich ab 1919 bezeichnenderweise eine ‚deutsche Forschungs- und Lehranstalt‘ nannte, ab den frühen 1920er Jahren immer stärker unter den Einfluss antisemitischer Interessenvertretungen. Diese waren im Falle der Studenten offiziell als Deutsche Studentenschaft (DSt) organisiert und missbrauchten den autonomen universitären Boden ständig für Provokationen, Randale und Übergriffe, bei denen es zwar keine Toten, aber jede Menge Verletzte unter jüdischen oder linken Studierenden gab. Im Falle der Professoren waren es informelle Gruppen wie die Deutsche Gemeinschaft21 und der Deutsche Klub, Professoren-Cliquen wie die sogenannte Bärenhöhle22 oder der Kreis um Othmar Spann,23 die an der
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der Juridischen Fakultät, allerdings ohne Erwähnung Hupkas, vgl. Reiter-Zatloukal, Antisemitismus und Juristenstand, S. 190–198. „Lasst alle Hoffnung fahren [ihr, die ihr hier eintretet].“ Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1986 [1919], S. 588. Zu den universitären Interventionen der Deutschen Gemeinschaft vgl. Michael Siegert, Warum Max Adler nicht Ordinarius wurde, in: Neues Forum, November/Dezember 1971, S. 30 f.; Michael Siegert, Numerus Juden raus. Professoren nehmen sich Freiheit der Wissenschaft, in: Neues Forum, Januar/Februar 1974, S. 35–37. Vgl. Klaus Taschwer, Geheimsache Bärenhöhle. Wie eine antisemitische Professorenclique nach 1918 an der Universität Wien jüdische Forscherinnen und Forscher vertrieb, in: Regina Fritz/Grzegorz Rossoliński-Liebe/Jana Starek (Hg.), Alma Mater Antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939, Wien 2016, S. 221–242. Vgl. Klausinger, Academic Anti-Semitism.
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Philosophischen und der Juridischen Fakultät bei den meisten Personalentscheidungen die politischen Fäden zogen. Diesen einflussreichen Gruppierungen war gemeinsam, dass sie sowohl deutschnationale wie auch christlichsoziale (oder besser: katholisch korporierte) Mitglieder hatten, die in diesen Zweckbündnissen im Kampf gegen Linke, Juden, Freimauer, Atheisten und wohl auch Frauen zumindest bis Ende 1932 gemeinsame Interessen verfolgten; manche – wie der Deutsche Klub – funktionierten noch bis nach dem ‚Anschluss‘ vom März 1938. Diese Netzwerke waren so gut organisiert, dass sich in der gesamten Ersten Republik bei den jährlich wechselnden Rektoren meist jene Kandidaten durchsetzen konnten, die ihrer politischen Haltung entsprachen. Auch der Akademische Senat, das wichtigste Gremium der Universität, dem neben dem Rektor auch die Dekane und Prodekane angehörten, war längst von Antisemiten dominiert. Jedenfalls wurde nach 1918 kein Rektor mehr gewählt, der jüdischer Herkunft gewesen wäre – anders als vor dem Ersten Weltkrieg. Bei den Dekanen gab es in 20 Jahren und drei Fakultäten, also insgesamt 60 Dekanen, nur ganz wenige Ausnahmen von der antisemitischen Regel: An der Medizinischen Fakultät wurde 1932 unter heftigen Protesten der DSt der Pharmakologe Ernst Peter Pick zum Dekan gewählt. Den offenen Brief gegen dessen Ernennung hatte übrigens auch der spätere Bundeskanzler Josef Klaus (Österreichische Volkspartei, ÖVP), schon damals Mitglied des Cartellverbandes, unterzeichnet.24 Ein anderer Dekan jüdischer Herkunft – wenn auch längst konvertiert – war Josef Hupka, der bereits sechs Jahre vor Pick sein Amt an der Juridischen Fakultät angetreten hatte.25 4 Ausschreitungen gegen den „jüdischen Dekan“
Wer nun denkt, dass die antisemitische und nationalsozialistische Unterwanderung der Universität Wien im Jahr 1926 noch nicht so stark war, wird angesichts der Proteste rund um Hupkas Ernennung eines Besseren belehrt. Insbesondere die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ), das Sprachrohr der Nationalsozialisten und damit auch der Deutschen Studentenschaft, hetzte in zahlreichen Artikeln im Herbst 1926 gegen den ‚jüdischen Dekan‘. Zu Semesterbeginn protestierte die DSt auch ganz offiziell beim Akademischen Senat gegen die ihrer Meinung nach „rechtswidrige Wahl“ Hupkas: Schon im Jahr 1923 habe man näm24 Vgl. Hakenkreuzlerdrohungen gegen einen Dekan der Universität Wien, in: Arbeiter-Zeitung (AZ) vom 26. Juni 1932. 25 Der erste Dekan jüdischer Herkunft an der Juridischen Fakultät nach 1918 war Hans Kelsen im Studienjahr 1920/21. Rund um sein Dekanat sind allerdings noch keine Proteste bekannt. Ich verdanke den Hinweis auf Kelsens Dekanat Thomas Olechowski.
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lich „unter dem Beisein der Professoren der Hochschulen Deutschösterreichs und vieler deutscher Professoren“ den Antrag gestellt, „dass künftighin Juden nicht mehr zu Amtswaltern der deutschen Kulturstätten erwählt werden sollen“. Picks Ernennung sei zudem „eine schwere Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der deutschen Bevölkerung“ – sollen doch „künftighin Tausende von Gesuchen und Bitten der Söhne unserer deutschen Heimat von der Gnade und dem freien Ermessen eines Juden abhängig sein, sollen die deutschen Studentenprüfungen unter dem Vorsitz eines Juden machen, […] sollen deutsche Studenten in ihren deutschen Heimat Lande von einem Juden die Doktorwürde empfangen!“26 Um den Druck zu erhöhen, wurde noch zu anderen Formen der Provokation gegriffen. Die ‚Hakenkreuzler‘, wie die nationalsozialistischen Studierenden damals in den meisten Medienberichten genannt wurden, missbrauchten die Anschlagkästen direkt an der Aula, um mittels rassistisch inszenierter Fotos von Juden die antisemitische Stimmung zu schüren. Dekan Hupka ließ sich das nicht länger bieten und protestierte bei Rektor Hans Molisch, einem international renommierten Botaniker und prononcierten Deutschnationalen, gegen die Anschläge. „Ganz zufällig“ erfuhr die DÖTZ vom Protest, der im Untertitel eines Hetzartikels der Zeitung wörtlich als der „erste Terrorakt des jüdischen Dekans Hupka“ denunziert wurde.27 Nach weiteren antisemitischen Provokationen im Text folgte noch eine Ankündigung: „Die akademische Jugend Wiens veranstaltet am Sonnabend eine Einspruchskundgebung gegen die Verjudung der Universität! […] Möge der Freiheitsgeist sie stets erfüllen, um unser Volk von der jüdischen Diktatur zu befreien!“ Konkret hieß es am Flugblatt, das zur Demonstration aufrief: „Deutsche Studenten! Eure Führer rufen Euch, um am Samstag, den 6. November 1926, um 12:00 Uhr mittags, in einer mächtigen Kundgebung dagegen Einspruch zu erheben, dass durch die rechtswidrige Wahl des jüdischen Professors Hupka der gesetzlich festgelegte deutsche Charakter unserer deutschen Hochschule verletzt wurde! Zeigt durch Euer geschlossenes Auftreten, dass Ihr zu stolz seid, um Unterjochung durch das Judentum stillschweigend hinzunehmen! Seid bereit, wenn der Kampfruf für des deutschen Volkes innere Befreiung von 26 Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ) vom 6. Oktober 1926. Die DÖTZ verfügte über exzellente Kontakte zur Universitätsleitung. Es ist jedenfalls offensichtlich, dass wichtige Antisemiten an der Universität wie Heinrich Srbik, Othenio Abel oder Wenzeslaus Gleispach die DÖTZ als ihr Sprachrohr nützten. Vgl. Klaus Taschwer, Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone. Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen 1920–1933, in: Margarete Grandner/Thomas König (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 3: Reichweiten und Außensichten. Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche, Göttingen 2015, S. 121 f. 27 DÖTZ vom 3. November 1926.
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Abb. 3: Hermine und Josef Hupka 1927 in Altaussee.
fremder Schmach ertönt!“28 Das Rektorat untersagte immerhin, dass die Kundgebung in der Aula des Universitätsgebäudes am Ring stattfand, wie die liberale Neue Freie Presse berichtete. Deshalb wurde die antisemitische Demonstration auf der Freitreppe vor dem Eingang abgehalten. Weiter hieß es im Bericht über die Kundgebung wie folgt: „Die Freitreppe selbst und beide Rampen sowie das Trottoir vor der Universität waren von völkischen Studenten, zum Teil in Farben, besetzt. […] In einer hierauf verlesenen und einstimmig angenommenen Resolution wurde Einspruch gegen die Wahl des Dekans erhoben, ferner die Forderung aufgestellt, dass eine Statistik die Anzahl der jüdischen Lehrer und Schüler an der Universität bekanntgebe und dass der Numerus Clausus eingeführt werde.“29 Doch auch diese Demonstration fruchtete nichts: Der Akademische Senat, zwar längst von antisemitischen akademischen Würdenträgern durchsetzt, erklärte sich als formal nicht zuständig für die Wahl Hupkas, denn seine Ernennung war durch das Professorenkollegium der Juridischen Fakultät erfolgt. Dort stellte wenige Tage 28 Abgedruckt unter anderem in: Der Tag vom 6. November 1926 [Hervorhebungen im Original]. 29 NFP vom 6. November 1926, Abendausgabe.
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nach der geschilderten Demonstration Hupkas Kollege Hans Mayer, der ihm ein Jahr später als Dekan nachfolgen sollte, die Vertrauensfrage. Die Professoren sprachen sich einstimmig für Hupka aus, und zwar auch jene Professoren, „die politisch den randalierenden Hakenkreuzlerstudenten“ nahestanden, wie die Arbeiter-Zeitung berichtete.30 Das eigene Stimmverhalten aufgrund des Drucks der Studenten in wenigen Wochen zu ändern, wäre wohl doch zu weit gegangen. Mayer jedenfalls ‚büßte‘ sein Engagement für Hupka: Als er ein Jahr später selbst Dekan wurde, hetzten die ‚Hakenkreuzler‘ auch gegen ihn.31 5 Eine „Kulturschande“ an der Universität Wien
Nach dem positiven Votum der Juridischen Fakultät für Hupka setzten die ‚Hakenkreuzler‘, wohl auch motiviert durch die dezidiert deutschnationale Einstellung des Rektors Molisch, ein weiteres Mal nach – und zwar abermals in den Anschlagkästen unmittelbar neben der Aula, an denen täglich Tausende Personen vorbeigingen. Hier war ab Anfang Dezember 1926 unter anderem Folgendes zu lesen: „,Die Juden sind die minderwertigste Köterrasse, die auf der Welt ihr Unwesen treibt.‘ Sie sind ,eine scheußliche Bastardrasse, die größte Promenadenrasse, welche, behaftet mit allen Lastern eines typischen Bastards, überall Fäulnis und Morast verbreitet!‘ Sie wollen ihre Leichen nicht sezieren lassen, weil sonst herauskommen würde, dass ,ihr Körper der Sitz aller Abnormitäten ist‘, und dass ihr Gehirn andere Windungen hat als nichtjüdische Gehirne, weshalb gerade der unsinnige Pazifismus nur in jüdischen Gehirnen geboren wurde.“ Außerdem hieß es in dem hier zitierten Bericht in der Neuen Freien Presse, der unter dem Titel Kulturschande an der Universität erschien, dass man bei einem Rundgang durch die Universität „auf Schritt und Tritt hakenkreuzgeschminkte Anschlagtafeln mit den absurdesten und lächerlichsten Hetzereien gegen die Juden“ fände. An der eingangs erwähnten Tafel würden Porträts Hitlers und Bilder aus der Hitler-Bewegung hängen. Das Resümee des langen Artikels, der noch zahlreiche weitere Diffamierungen zitierte, lautete: „An vielen Stellen scheint sich die Universität überhaupt in eine hakenkreuzlerische Kolportageeinrichtung verwandelt zu haben.“32 Zeitverzögert hatte der Text Folgen. Nach zwei Wochen wurden die antisemitischen und nationalsozialistischen Hetzereien von Rektor Molisch untersagt. Der 30 Die abgeblitzten Radaustudenten, in: AZ vom 12. November 1926. 31 Vgl. Klausinger, Academic Anti-Semitism, S. 11, und Jüdisches Diktat an der Universität, in: DÖTZ vom 12. Juli 1927. 32 Kulturschande an der Universität, in: NFP vom 20. Dezember 1926.
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deutschnationale Botaniker sah sich allerdings in einem Interview mit der Wiener Sonntags- und Montagszeitung auch noch zu folgender Erklärung bemüßigt, die klarmacht, wie sehr die Universitätsverwaltung selbst schon vom Antisemitismus und Deutschnationalismus infiziert war: „Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß auch für die Mitglieder des Akademischen Senats der deutsche Charakter der Universität ein unantastbares Heiligtum ist und daß nicht im entferntesten daran gedacht wird, die Tätigkeit der national gesinnten Studentenverbände irgendwie einzuschränken.“33 Schließlich konnte die DÖTZ den Vorwurf der „Kulturschande an der Universität“ und das Verbot der Hetzplakate nicht auf sich sitzen lassen. Unter dem gleichen Titel, nämlich Kulturschande an der Universität und wie immer ohne Autor, sondern bloß „von akademischer Seite“ gezeichnet, war unter anderem zu lesen: „Nicht der Antisemitismus oder Proarismus kann jemals als ‚Kulturschande‘ an der Universität bezeichnet werden! Antisemitismus ist Kulturnotwendigkeit! Kulturschande an der Universität sind jene jüdischen Professoren, die die Jugend (wie Braßloff) durch Zoten sittlich vergiften, die sie (wie Kelsen) durch demokratischen Irrsinn geistig verführen, die sie (wie Adler) durch bolschewistische Blutlehren politisch verderben! Nicht die Knebelung der angeblich ‚antisemitischen‘ Kulturarbeit und der Gehorsam gegenüber der jüdischen Pressediktatur bringt der Alma mater Ruhe und Ansehen, sondern allein die Pensionierung der jüdischen Verführer und Hetzer!“34 6 Hupka und der verlorene Schlüssel des Otto Halpern
Josef Hupka, für lange Zeit der letzte Dekan der Juridischen Fakultät, der jüdischer Herkunft war, wehrte sich nicht nur erfolgreich gegen Attacken der ‚antisemitischen Abwehrkampfs‘, die ihn selbst betrafen. Der angesehene Rechtswissenschaftler trat auch für seine Kollegen ein, wenn diese zu Opfern antisemitischer Diskriminierungen an der Universität Wien wurden. Einer der bis vor Kurzem vergessenen Fälle, bei 33 Entfernung der antisemitischen Anschlagtafeln aus der Wiener Universität, in: Wiener Sonntagsund Montagszeitung vom 27. Dezember 1926 [Hervorhebungen im Original]. 34 DÖTZ vom 11. Januar 1927 [Hervorhebungen im Original]. Stephan Braßloff war Rechtshistoriker und außerordentlicher Professor für Römisches Recht an der Juridischen Fakultät der Universität Wien. Er starb 1943 im KZ Theresienstadt. Zu ihm vgl. zuletzt Franz-Stefan Meissel, Römisches Recht und Erinnerungskultur – Zum Gedenken an Stephan Brassloff (1875–1943), Wien 2008. Hans Kelsen war einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Er verließ die Universität Wien 1929/30, nicht zuletzt, weil er aus politischen und antisemitischen Gründen attackiert und diskriminiert worden war. Max Adler war Jurist, Politiker und Sozialphilosoph, formaliter außerordentlicher Professor für Soziologie und Sozialphilosophie an der Universität Wien; seine Berufung zum Ordinarius wurde von antisemitischen Professoren verhindert, die der Deutschen Gemeinschaft angehörten, vgl. Siegert, Warum Max Adler nicht Ordinarius wurde.
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denen Hupka nicht ganz erfolglos intervenierte, war der des jungen Theoretischen Physikers Otto Halpern, der erstmals 1925 um die Erteilung der Venia legendi ansuchte. Das offizielle Habilitationsverfahren begann mit Verzögerung zwei Jahre später und entwickelte sich zu einem der skandalösesten Verfahren der österreichischen Universitätsgeschichte. Da Halpern fachlich bestens qualifiziert war, musste man ‚persönliche Gründe‘ für seine vorgebliche Nichteignung finden. Da die Begründung ‚jüdischer Herkunft‘ dem Gleichheitsgrundsatz widersprochen hätte, mussten die Antisemiten wie in vielen ähnlichen Fällen anders argumentieren. Zunächst beanstandeten Halperns Gegner – deren Wortführer der Historiker und nachmalige NS-Präsident der Akademie der Wissenschaften Heinrich Srbik war –, dass der junge Physiker sozial unverträglich sei. Und mit dieser ‚Begründung‘ wurde Halpern auch von den Kommissionsmitgliedern und danach vom Professorenkollegium abgelehnt. Dagegen legte Halpern Einspruch ein, zumal Hans Thirring, jener Professor, bei dem Halpern Assistent war und der ihn habilitieren wollte, sämtliche wissenschaftlichen Mitarbeiter der physikalischen und mathematischen Institute zum Verhalten Halperns befragt und ausschließlich positive Auskünfte erhalten hatte. In dieser Situation mussten die Antisemiten einen anderen Vorwand (er)finden: Halpern habe als 21-jähriger Student den Institutsschlüssel verloren und angeblich auf Nachfrage von Thirring, der – wie den Protokollen zu entnehmen ist – den Vorfall im Übrigen längst vergessen hatte, bei der ersten ‚Einvernahme‘ nicht die Wahrheit gesagt. Im Akademischen Senat trat Josef Hupka als Prodekan der Juridischen Fakultät in zwei Stellungnahmen für Otto Halpern ein, und zwar jeweils gegen die Mehrheit des Gremiums sowie gegen seinen entschiedensten Widersacher, den Strafrechtler Wenzeslaus Gleispach, einen der ersten nationalsozialistisch gesinnten Professoren der Universität Wien.35 Im Herbst 1928 gab es dann einen kleinen ‚Knalleffekt‘, der auch medialen Niederschlag fand: Der Verwaltungsgerichtshof, den Halpern mit seinem Rechtsanwalt anrief, gab seiner Beschwerde recht und sah – wohl auch wegen der Gegengutachten Hupkas – die Ablehnung der Universität als mangelhaft begründet an.36 Der Streit ging daraufhin über Jahre zwischen Otto Halpern, der Universität, dem Ministerium und dem Verwaltungsgerichtshof hin und her; Hupka gehörte damals indes schon längst nicht mehr dem Akademischen Senat an. Ende 1932 waren auch die zuständigen Richter am Verwaltungsgerichtshof so weit korrumpiert, dass sie der Universität recht gaben, ohne dass sich am lächerlichen Sachverhalt etwas geändert 35 Die beiden Gutachten Hupkas vom 7. Februar und 27. März 1928 finden sich im Hunderte Seiten umfassenden Aktenkonvolut des Akademischen Senats der Universität Wien zum Fall Halpern (UAW, dort GZ 800). 36 So berichten unter anderem Der Tag und das Neue Wiener Journal am 21. Oktober 1928 über den Spruch des Verwaltungsgerichtshofs, das Wiener Tagblatt und die NFP an den folgenden Tagen.
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hätte: Halpern sei wegen seiner Persönlichkeit zur Habilitierung nicht geeignet, weil er den Institutsschlüssel verloren und seinem Vorgesetzten nicht die Wahrheit gesagt habe. Vertreten wurde die Universität in der abschließenden Verhandlung vom katholisch-deutschnationalen und jedenfalls antisemitisch eingestellten Dekan Richard Meister. Der Altphilologe und Pädagoge sollte im Studienjahr 1949/50 Rektor der Universität Wien und von 1951 bis 1963 Präsident der Akademie der Wissenschaften sein und galt als wichtigster Berater des ÖVP-Unterrichtsministers Heinrich Drimmel, der zwischen 1954 und 1964 die universitären Geschicke des Landes bestimmte. Halpern war schon 1928 zuerst zu Werner Heisenberg nach Leipzig und danach in die USA gegangen. Nach einer erfolgreichen internationalen Karriere kehrte er in den 1960er Jahren für drei Jahre nach Wien zurück. Er wurde damals „von Österreich in keiner Weise wegen seiner Verdienste um die Physik geehrt, da seine Feinde heute noch zum größten Teil in Amt und Würde sind“, wie sich ein Physiker-Kollege einige Jahre später erinnerte.37 Richard Meister hingegen erhielt alle nur denkbaren akademischen Ehrungen seiner Universität, inklusive eines Ehrendoktorats. Otto Halpern starb 1982 im Exil in London. Laut seiner Tochter Maria Rhode „liebte er Österreich und besonders Wien bis an sein Lebensende“ – trotz aller Unannehmlichkeiten, die man ihm hier bereitete.38 7 Einspruch gegen die ‚völkische‘ Studentenordnung von 1930
Der Fall Halpern war nicht die einzige Kontroverse zwischen Hupka und Wenzeslaus Gleispach, einem überzeugten Nationalsozialisten, der für das Studienjahr 1929/30 zum Rektor gewählt wurde. Hatte sein Vorgänger in diesem Amt, der Theologe und Kardinal Theodor Innitzer, noch für Ruhe und Ordnung an seiner Universität sorgen können, verfolgte Gleispach – Heimwehr-Mitglied und bekennender NS-Sympathisant – eine diametral entgegengesetzte Politik. Unterstützt wurde er dabei durch den neuen Unterrichtsminister, den bereits erwähnten Historiker Heinrich Srbik, der im Herbst 1929 von der Universität am Ring ins Ministerium am Minoritenplatz gewechselt war. Gemeinsam sorgten die beiden Antisemiten für einen unrühmlichen Wendepunkt in der österreichischen Universitätsgeschichte. Bereits Gleispachs Amtseinführung am 6. November 1929 legt nahe, dass an der Universität Wien früh Zustände herrschten, die jene an deutschen Universitäten nach 37 Dieser Kollege war vermutlich Leopold Halpern, der mit Otto Halpern weder verwandt noch verschwägert war. Das vierseitige Gedächtnisprotokoll findet sich im Archiv der Zentralbibliothek für Physik und wurde vermutlich um 1970 diktiert. Ich danke Peter Graf für das Auffinden und die Bereitstellung dieses Dokuments. 38 Persönliche Auskunft in einer E-Mail vom 10. Dezember 2012.
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1933 und in Österreich nach dem ‚Anschluss‘ vorwegnahmen. Nationalsozialistische Studierende in Uniform und farbentragende Studenten hatten bei der Inauguration die Rampe besetzt, wie sich Zeitzeuge Wolfgang Speiser erinnerte, „sodaß die Ehrengäste unter Polizeischutz und Bundespräsident [Wilhelm] Miklas von Gummiknüppel schwingenden Polizisten geschützt zum Festsaal geleitet werden mussten“.39 Einige Wochen zuvor hatte die DÖTZ rechtzeitig zu Semesterbeginn unter dem Titel Rasse und Wissenschaft. Die fortschreitende Verjudung unserer Hochschulen eine Auflistung jener Lehrer der Universität Wien veröffentlicht, die jüdischer Herkunft waren. Dazu gab es die implizit formulierte Aufforderung, deren Lehrveranstaltungen an der Universität Wien zu meiden.40 Begleitet war der gesamte Herbst von gewaltsamen Übergriffen der Studierenden an der Technischen Hochschule und an der Universität Wien, wo – wie schon in den vorangegangenen Jahren – der Anatom Julius Tandler und sein Institut das Hauptangriffsziel der Antisemiten waren.41 Als neuer Rektor der Universität unterstützte Gleispach die deutsche Studentenschaft nicht nur dabei, sondern auch in ihrem Kampf für einen Numerus clausus: Am 1. Februar 1930 billigte die Rektorenkonferenz Gleispachs Entwurf zu einer neuen Studentenordnung, die unter seinem Rektorat am 20. März 1930 vom Akademische Senat der Universität Wien beschlossen wurde. Die Verordnung bestand im Wesentlichen darin, das sogenannte Volksbürgerprinzip als entscheidendes Kriterium für die Studentenschaft einzuführen: Die ordentlichen Hörer der Universität Wien gleicher Abstammung und Muttersprache sollten eine ‚Studentennation‘ bilden. Das war freilich nichts anderes als eine Art Einteilung nach rassi(sti)schen Kriterien: Jüdischen oder konfessionslosen Studierenden sollte auf diese Weise der Zugang zur Universität Wien möglichst erschwert oder am besten verunmöglicht werden. Während just zu dieser Zeit in Deutschland antidemokratische Entwicklungen an den Universitäten gerade zurückgedrängt wurden, preschte man in Wien mit dem Entwurf vor.42 Die Veröffentlichung dieser Studentenordnung am 9. April 1930 führte sofort zu heftigen Diskussionen. Allein in den ersten 14 Tagen nach der Proklamation des 39 Wolfgang Speiser, Zeitzeuge, in: Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II, S. 907. 40 DÖTZ vom 13. Oktober 1929. 41 Vgl. Birgit Nemec/Klaus Taschwer, Terror gegen Tandler. Kontext und Chronik der antisemitischen Attacken am I. Anatomischen Institut der Universität Wien, 1910 bis 1933, in: Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus, S. 163 f. 42 Der volle Wortlaut der Studentenordnung findet sich in Höflechner, Baumeister, S. 363–365. Die nach wie vor gründlichste Arbeit zur Studentenordnung ist die Studie von Brigitte LichtenbergerFenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien/Salzburg 1990, S. 84 ff.
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Abb. 4: Hupka kritisiert auf der ersten Seite der Neuen Freien Presse die Gleispach’sche Studentenordnung.
Texts erschienen in den österreichischen Tageszeitungen Dutzende von Artikeln: In der nationalsozialistischen und katholisch-reaktionären Presse (also im Wesentlichen der DÖTZ und der Reichspost) wurde die Gleispach’sche Ordnung eindeutig befürwortet, in der liberalen und linken Presse ebenso eindeutig abgelehnt. Der erste Universitätsprofessor, der sich in dieser Angelegenheit zu Wort meldete, war Josef Hupka. In einem umfangreichen Artikel in der Neuen Freien Presse machte der Rechtswissenschaftler auf die rassistischen Implikationen der Studentenordnung aufmerksam – und darauf, dass sie das „physische und bekanntlich recht problematische Merkmal“ der Abstammung „zum juristischen Prinzip einer neuartigen öffentlich-rechtlichen Gliederung der Studentenschaft und ihrer Einverleibung in die behördliche Verfassung und Verwaltung der Universität“ erhebe. Zudem zerpflückte er ihre rechtlichen Grundlagen und kam zum eindeutigen Schluss, „daß die Studentenordnung der verfassungsmäßigen Grundlage ermangelt“.43
43 Die Studentenordnung der Universität Wien, in: NFP vom 23. April 1930, Morgenblatt.
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Für Hupkas Stellungnahme gab es postwendend öffentliches Lob von den Vertretern der Deutschdemokratischen Hochschülervereinigung, die nichts mit der Deutschen Studentenschaft zu tun hatte und sich sogar dezidiert gegen diese stellte. Sie schrieben tags darauf in der Neuen Freien Presse: „Es war uns allen eine große Freude und Genugtuung, daß sich endlich ein Hochschullehrer – bis heute der einzige – gefunden hat, der es wagt, öffentlich zu der vielerörterten Frage des Studentenrechtes den demokratischen Standpunkt zu verteidigen. Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Professor, den Ausdruck unserer unwandelbaren Hochachtung und Verehrung.“44 Hier ist nicht der Ort, auf die weiteren Debatten über die Studentenordnung und ihre rechtliche Problematik einzugehen.45 Ihre Verfassungsmäßigkeit wurde jedenfalls angefochten, und die Argumentation des Antrags auf Prüfung stützte sich stellenweise wörtlich auf den Text Josef Hupkas in der Neuen Freien Presse.46 Gleispachs Entwurf hingegen wurde nicht nur vom Akademischen Senat der Universität Wien, sondern letztlich auch von einigen prominenten Rechtswissenschaftlern unterstützt, unter anderem von Ludwig Adamovich sen., damals Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Graz.47 Später war Adamovich der letzte Justizminister des austrofaschistischen Regimes; nach 1945 amtierte er als erster Nachkriegsrektor der Universität Wien (bis 1947) und von 1946 bis 1955 als Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Trotz dieser Unterstützung wurde die Studentenordnung im Juni 1931 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, und zwar in erster Linie deshalb, weil es dem Akademischen Senat an Kompetenz ermangelt habe. Gleichzeitig stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass eine Gliederung der Studenten nach der Nationalität nicht dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Damit war zwar die Studentenordnung aufgehoben, der ihr zugrunde liegende Ordnungsgedanke, das Volksbürgerprinzip, jedoch gebilligt.48 An der Universität Wien und anderen Hochschulen kam es nach der Bekanntgabe des Urteils dennoch zu heftigsten Unruhen; die Universität Wien und andere Hochschulen mussten für etliche Tage geschlossen werden. Ein Alumnus der Universität, der damalige Bibliothekar der Arbeiterkammer, Journalist und Schriftsteller Fritz Brügel, schämte sich angesichts der Vorfälle und des Verhaltens der Universitätsleitung so sehr, dass er Ende 1931 seine zehn Jahre zuvor erworbene 44 Der Artikel des Professors Dr. Hupka über die Studentenordnung, in: NFP vom 24. April 1930. 45 Für eine umfangreichere Rekonstruktion vgl. Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, S. 84–138, und Höflechner, Baumeister, S. 360–388. 46 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, S. 99 und 116. 47 Vgl. Höflechner, „Baumeister“, S. 385; Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, S. 129. 48 Vgl. Lichtenberger-Fenz, „… deutscher Abstammung und Muttersprache“, S. 128 f.
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Doktorurkunde fein säuberlich zerriss, ans Rektorat schickte und darum bat, aus den Absolventenlisten gestrichen zu werden.49 8 Josef Hupka und die österreichische Dreyfus-Affäre
Am öffentlichkeitswirksamsten war Josef Hupkas Engagement im Fall Halsmann, einem der größten Justizirrtümer der Ersten Republik, der als die ‚österreichische Dreyfus-Affäre‘ auch weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte.50 Der aus Riga stammende Student Philipp Halsmann, der später als Fotograf weltberühmt werden sollte,51 hatte im September 1928 während eines Aufenthalts in Tirol mit seinem Vater Morduch Max Halsmann, einem jüdischen Zahnarzt, eine Wanderung in den Zillertaler Alpen unternommen. Der Vater kam dabei unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen ums Leben. Die Indizien sprachen eindeutig für einen gewaltsamen Tod, vermutlich wurde er Opfer eines Raubmords. Es gab jedenfalls keinen einzigen konkreten Hinweis, dass der 22-jährige Sohn schuldig war, der sich während der Wanderung von seinem Vater getrennt hatte. Trotz Philipp Halsmanns Unschuldsbeteuerungen und ungeachtet fehlender Tatmotive wurde er verhaftet und ab dem 13. Dezember vor ein Innsbrucker Geschworenengericht gestellt. Zahlreiche Journalisten und Juristen fanden sich ebenso unter den Beobachtern wie Psychologen und Psychiater. Josef Hupkas Rolle ist nicht ganz klar: Er dürfte jedenfalls in Innsbruck gewesen sein und gehörte womöglich zum Team von Halsmanns Verteidiger, dem Wiener Anwalt Richard Preßburger. Nach vier Tagen fällten die Laienrichter ein skandalöses Urteil: zehn Jahre Kerker. Das umstrittene Urteil wurde angefochten, in ganz Europa wurde dagegen protestiert – im Laufe der folgenden Monate unter anderem von Albert Einstein und Thomas Mann. Es war zu offensichtlich, dass antisemitische Vorurteile eine entschei49 Vgl. Sabine Lichtenberger/Herbert Posch, „… ein Vorbild geistiger und menschlicher Integrität“. Fritz Brügels Protest gegen antidemokratische, antisemitische und deutschnationale Tendenzen an der Universität Wien 1931, in: Zwischenwelt, Januar 2012, S. 27–33. 50 Für eine gute Überblicksdarstellung in Buchform vgl. Martin Pollack, Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann, Wien 2002; zuletzt aus psychiatrischer Perspektive und unter besonderer Berücksichtigung des Antisemitismus sowie von Hupkas Beitrag vgl. Kenneth J. Weiss, Bearing false witness: Psychiatric testimony in Nazi-influenced Austria, 1928–1929, in: The Journal of Psychiatry & Law 40 (2012), S. 185–218. Die Halsmann-Affäre wurde 2008 unter dem Titel Jump! mit Patrick Swayze verfilmt und lieferte den Stoff für etliche populäre Darstellungen, auch in Romanform. 51 Philipp Halsmann, der sich später Philippe nannte, arbeitete vor allem für das Magazin Life, für das er über hundert Coverfotos lieferte. Bekannt wurde er unter anderem für sein Porträt Albert Einsteins – und dafür, dass er viele der porträtierten Personen springen ließ. Hiervon leitet sich der in der vorherigen Fußnote genannte Filmtitel Jump! ab.
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dende Rolle bei der Urteilsfindung gespielt hatten. Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil schließlich auf. Knapp ein Jahr später wurde das Verfahren unter heftigen öffentlichen Protesten der Nationalsozialisten und anderer Antisemiten wieder aufgenommen. Diesmal übernahm der Innsbrucker Rechtsanwalt Franz Pressler die Verteidigung. Halsmann wurde am 19. Oktober 1929 erneut wegen Totschlags verurteilt, diesmal zu vier Jahren Haft. Eine entscheidende Rolle spielte dabei ein psychiatrisches Gutachten der Medizinischen Fakultät Innsbruck, in dem psychoanalytische Begriffe wie ‚Ödipuskomplex‘ in missbräuchlicher Art und Weise gegen Halsmann verwendet wurden. Schließlich führten weitere Interventionen aus dem Ausland – insbesondere jene des ehemaligen französischen Premierministers Paul Painlevé – dazu, dass Halsmann am 30. September 1930 auf Antrag von Bundeskanzler Johann Schober von Bundespräsident Miklas begnadigt und zugleich des Landes verwiesen wurde. Eine wichtige Vermittlerrolle kam dabei der Wiener Salonnière Bertha Zuckerkandl zu, der Schwägerin von Georges Clemenceau, die das entscheidende französische Protestschreiben Bundeskanzler Schober direkt überbrachte. Zuckerkandl erinnerte sich später in ihren Memoiren, dass auf diese Weise „ein furchtbares Unrecht verhindert“ worden sei. Außerdem fügte sie an, dass bereits zwei Jahre lang „Männer von hohem geistigen Rang, allen voran Professor H., für die Ehre und das Leben eines Unschuldigen“ gekämpft hätten.52 Mit Professor H. war Josef Hupka gemeint, der nichts unversucht gelassen hatte, Halsmanns Unschuld zu beweisen – und dem dessen Begnadigung durch die österreichische Regierung nicht weit genug ging: Er veröffentlichte am Wochenende vom 29./30. November 1930 in der Neuen Freien Presse einen umfangreichen Text in zwei Teilen, in dem er noch einmal auf die zahllosen Ungereimtheiten im Beweisverfahren hinwies und eine volle Rehabilitierung Halsmanns forderte. Unter dem Titel Fiat iustitia argumentierte Hupka, dass der Fall durch den Gnadenakt nämlich „nur für die erledigt ist, deren Rechtsgewissen sich mit der formellen Autorität der res iudicata zu beruhigen vermag“. „Wer dagegen nicht ertragen kann, daß ein Mensch ohne einen Schatten von Beweis des schändlichsten Verbrechens schuldig befunden wurde und auch nach der endlichen Befreiung von Rechts wegen weiter als schuldig gilt, für den ist es innerer Zwang, von dem Urteil der Innsbrucker Geschworenen an das Urteil der 52 Bertha Zuckerkandl, Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942, Wien 1981 [1970], S. 184. Zur Intervention Painlevés vgl. auch Nicole Emanuel, Philippe Halsman, a Personal Story, in: In Touch. The Newsletter of the American Friends of the Jewish Museum Hohenems, Inc. 9 (2008), http:// www.jm-hohenems.at/static/uploads/2011/12/2008-01-afjhm-newsletter.pdf [6. Februar 2017], S. 8–13.
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Welt zu appellieren.“53 Was folgte, war eine leidenschaftliche und zugleich brillante Dekonstruktion des Beweisverfahrens, das zu dem Fehlurteil geführt hatte. Hupka erhielt für seinen Text von der Redaktion der Neuen Freien Presse insgesamt drei ganze Seiten eingeräumt – mehr als 25 DIN-A4-Manuskriptseiten.54 Und Hupka schloss seinen Text mit einem aufrüttelnden Appell an den Staat, die Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, die man Halsmann angetan hatte: „Das Unglück, das Philipp Halsmann widerfahren ist, die Zerstörung seiner Jugend durch die Qual und Schmach einer zweijährigen Gefängnissklaverei, kann keine Macht wieder gutmachen. Aber Ehrenpflicht des Staates ist es, das Unrecht zu tilgen, daß ein grundlos Verurteilter im öffentlichen Leben noch immer als der Urheber eines schändenden Verbrechens gilt. Das Mittel ist gegeben und die Voraussetzung auch.“55 Zwei Wochen nach der Veröffentlichung von Hupkas öffentlichkeitswirksamer Anklage gegen das Innsbrucker Urteil sah sich auch Sigmund Freud genötigt, gegen das psychiatrische Gutachten der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck Stellung zu nehmen.56 Hupka sprach in der Folge auch persönlich bei Schober in dessen Funktion als Justizminister vor – ohne Erfolg.57 Das einzige Resultat bestand darin, dass auf Antrag Hupkas einer der entscheidenden psychiatrischen Gutachter, Anton Werkgartner, von der Staatsanwaltschaft aufgefordert wurde, noch einmal zu seinem Gutachten Stellung zu beziehen. Werkgartner, 1927 an der Universität Wien habilitiert, ab dem folgenden Jahr an derselben Universität Titularprofessor und spätestens seit 1930 Sympathisant der Nationalsozialisten,58 sah keine Veranlassung, an seinem in der Hauptverhandlung eingenommenen Standpunkt etwas zu ändern. Neue Indizien für die Unschuld Halsmanns waren freilich erdrückend: So wurde erst nach den beiden Verhandlungen publik, dass weder an Halsmanns Kleidung noch an seinem Oberkörper Blutspuren gefunden worden waren. Mit der Erklärung Werkgartners war der Fall zwar für die Staatsanwaltschaft, nicht aber für Hupka erledigt. In einer 53 Fiat iustitia, in: NFP vom 29. November 1930. 54 Eine leicht erweiterte Version des Texts erschien 1931 auch als Buchkapitel unter dem Titel Die Nichtigkeit der Urteilsgrundlagen, in: Der Fall Halsmann, Wien 1931, S. 93–135. 55 Fiat justitia, in: NFP vom 30. November 1930 [Hervorhebung im Original]. 56 NFP vom 14. Dezember 1930. 57 Vgl. Pollack, Anklage Vatermord, S. 304. 58 Werkgartner trat übrigens 1936 der damals noch illegalen NSDAP bei und wurde 1939 außerordentlicher Professor in Graz. Von 1946 bis 1952 war er offiziell entlassen. Zwischen 1952 und 1956 wurde er erneut außerordentlicher Professor und Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Graz, von 1956 bis 1961 sogar ordentlicher Professor. 1956 war er Dekan der Medizinischen Fakultät in Graz. 1962 erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen. Vgl. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a.M. 2005 [2003], S. 669 f.
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Abb. 5: Als öffentlicher Intellektueller schrieb Josef Hupka vor allem in der Neuen Freien Presse gegen das Unrecht und die antisemitische und nationalsozialistische Hetze an. Dass sich Hupka aufmerksam mit seinem politischen Umfeld auseinandersetzte, belegt das Exemplar der von den Nationalsozialisten herausgegebenen National-Zeitung am Schreibtisch.
famosen Polemik zerlegte er die Inkonsistenzen von Werkgartners Gutachten und die Inkonsequenz der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nicht wieder aufzunehmen. Hupkas sarkastisches Resümee, das ebenfalls in der Neuen Freien Presse veröffentlicht wurde, lautete: „Es bleibt somit vorläufig wahr, daß das Blut vom Täter wegspritzt.“59 Hupka beschränkte sich bei seinen Interventionen aber nicht auf antisemitisch motiviertes Unrecht. So unterzeichnete er im Frühjahr 1930 einen Appell an den Strafrechtsausschuss des Nationalrats, den sogenannten ‚Homosexuellenparagrafen‘ abzuschaffen und homosexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Männern bei gegenseitigem Einverständnis zu erlauben. An seiner Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war Hupka der einzige Unterstützer des Appells, dem sich etliche Prominente wie Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Hermann Swoboda und Stefan Zweig anschlossen. Es sollte jedoch bis 1971 dauern, bis der umstrittene Paragraf aus dem Strafgesetz eliminiert wurde.60 59 Neue Aktenstücke zum Fall Halsmann, in: NFP vom 19. Juli 1931. 60 Ich verdanke diese Hinweise Olechowski, Josef Hupka. Über den Appell wurde in der AZ vom 16. Mai 1930 berichtet.
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1934 wurde Hupka in den Zentralvorstand der Österreichischen Liga für Menschenrechte gewählt.61 Die älteste Menschenrechtsorganisation Österreichs war erst 1926 gegründet worden und vollzog nach dem ‚Anschluss‘ von 1938 vorsorglich ihre Selbstauflösung. 9 Stellungnahme gegen Gewalt an den Hochschulen
Nicht alle Interventionen Hupkas waren so öffentlich wie jene im Fall des Homosexuellenparagrafen oder von Philipp Halsmann. Dies lässt darauf schließen, dass der Antrieb für seinen Einsatz für Gerechtigkeit nicht mediales Geltungsbedürfnis war, sondern zivilgesellschaftlicher Courage entsprang. Mitunter hielt sich Hupka völlig im Hintergrund, um antisemitisches Unrecht mutig zu bekämpfen – indem er es schlicht bezeugte. Als es beispielsweise im Oktober 1932 zu den bis dahin schlimmsten Übergriffen nationalsozialistischer Studenten an der Universität Wien und anderen Hochschulen der Stadt kam, nahm Hupka in „rein privater Arbeit“ und einzig in seiner Eigenschaft als verantwortungsbewusster Universitätslehrer 34 Protokolle von betroffenen und zum Teil völlig eingeschüchterten Studierenden auf und beglaubigte deren schriftliche Aussagen.62 Die traurige Bilanz der Gewaltorgie waren mehrere Dutzend Schwerverletzte gewesen. Unter den Opfern befanden sich auch Studierende aus den USA, was für einen diplomatischen Eklat und ausführliche Berichterstattung in der New York Times sorgte. Nach der Aufnahme der Protokolle schickte Hupka diese eindrückliche, rund 200 Seiten umfassende Dokumentation des frühen NS-Terrors an den verantwortlichen Rektor Othenio Abel, der die brutalen Ausschreitungen der nationalsozialistischen Studenten letztlich zu verantworten hatte. In Hupkas Begleitschreiben hieß es unter anderem: „Ich bitte Eure Magnifizenz, das hier vorgelegte Material einer eingehenden persönlichen Durchsicht zu unterziehen und ihm im Akademischen Senat die ernste Prüfung zu verschaffen, die es im Interesse der Ehre und des kulturellen Ansehens unserer Hochschule verdient. Die Legitimation zu dieser Bitte schöpfe ich aus dem Recht und der Pflicht jedes akademischen Lehrers, auch als einzelner das 61 Vgl. Olechowski, Josef Hupka. 62 Den einzigartigen Aktenbestand dieser Protokolle hat Linda Erker entdeckt. Vgl. Dies., „Jetzt weiss ich ganz, was das ‚Dritte Reich‘ bedeutet – die Herrschaft schrankenloser, feiger Brutalität.“ Eine Momentaufnahme der Universität Wien im Oktober 1932, in: Lucile Dreidemy u.a. (Hg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert, Bd. 1, Wien/Köln/ Weimar 2015, S. 177–190. Die Einschätzung, dass es sich um eine „rein private Arbeit“ handelte, stammt aus einem Brief von Rektor Oswald Menghin vom 27. Januar 1936 an Rudolf Köstler, zit. nach ebd., S. 179, Fußnote 7.
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Wesen und die Würde der Universität gegen alle Angriffe zu verteidigen, von welcher Seite immer sie kommen mögen. […] Was sich in den Tagen vom 17. bis zum 26. Oktober 1932 zugetragen hat, zeigt eindringlich, dass es allerhöchste Zeit ist, den akademischen Boden von politischen Terror zu befreien und die Sicherheit der Ehre, des Lebens und der Gesundheit, die hier für einen Teil der Studierenden verloren gegangen ist, mit allen gesetzlich gebotenen Mitteln wiederherzustellen.“63 Hupkas mutige Solidarisierung mit den verfolgten jüdischen Studierenden blieb, wie wir heute wissen, ohne Folgen. Die Spirale der nationalsozialistischen Gewalt an der Universität Wien drehte sich im Studienjahr 1932/33 unter dem Rektorat des NS-Sympathisanten Othenio Abel ungebremst weiter. In dessen Amtszeit kam es zu zahlreichen weiteren Gewalttaten, die zum Teil noch schlimmer waren als jene im Oktober 1932. 10 Verfolgung durch die Nationalsozialisten
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 12. März 1938 wurde vom neuen Regime Oswald Menghin für kurze Zeit als Unterrichtsminister und am 15. März der Botaniker Fritz Knoll als Rektor der Universität eingesetzt. Eine seiner ersten Aufgaben war es, die Universität „vor allem rasch und gründlich von allen jenen Professoren und Dozenten [zu befreien], die als Lehrer an einer nationalsozialistischen Hochschule nicht geeignet waren“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt.64 Diese Aufgabe erledigte Knoll tadellos und administrierte damit die wohl größte politisch und rassistisch motivierte Entlassungsaktion, die es je an einer Universität gab: Bis zum 23. April 1938 waren 252 Universitätslehrerinnen und -lehrer von der Universität Wien entfernt, darunter Josef Hupka. Zu seinem Nachfolger als Ordinarius für Handels- und Wechselrecht wurde am 28. Januar 1939 Heinrich Demelius ernannt, der ein Schüler Hupkas war und dieses Fach zuvor an der Hochschule für Welthandel vertreten hatte. Demelius war nach eigenen Angaben ab 1940 als Blockleiter der Wiener Ortsgruppe Hietzing mit der Wahrung der Geschäfte betraut. Seinen Beitritt zur NSDAP mit dem 1. Januar 1941 rechtfertigte er nach dem Krieg als Akt der Dankbarkeit und bezeichnete das Ansuchen um Parteimitgliedschaft als „eher dumm“ denn „schlecht“. Er hoffte 1945, „was mir das wichtigste ist, auch in den sieben Jahren des Nationalsozialismus im großen 63 Schreiben von Josef Hupka an Othenio Abel vom 28. November 1932, zit. nach Erker, „Jetzt weiss ich ganz“, S. 179. 64 Bereichsstudentenführung Süd-Ost (Hg.), Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft an den Ostmarkdeutschen Hochschulen, Wien 1938, S. 60.
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und ganzen ein anständiger Mensch gewesen zu sein“.65 Die Frau seines Bruders, die jüdischer Herkunft war, kam im November 1945 freilich zu einer anderen Einschätzung: „Ideologisch ist er unter allen Akademikern, die ich kenne, der größte und unbeirrbarste Nazi. […] Er hat sich die ganzen 7 Jahre nicht im Geringsten unserer angenommen, sondern im Gegenteil noch versucht, meinen Mann dahin zu beeinflussen, sich von der Jüdin scheiden zu lassen […]. Ganz unter dem Einfluss seiner Schwiegermutter und seiner Frau, Siebenbürger Sachsen und wütende Nazifrauen, stehend, hat er jeden Rechtsbegriff verloren. […] Für meinen Schwager war der Nationalsozialismus keine Verirrung, sondern eine Herzenssache. […] Es dürfte wohl kaum im Interesse eines demokratischen Staates liegen, die Heranbildung der Jugend weiter in den Händen eines Mannes zu belassen, der jeden Andersrassigen ansieht wie ein fremdes, wildes Tier.“66 Demelius konnte seine Lehrtätigkeiten im Wintersemester 1945/46 sowohl an der Universität Wien wie auch an der Hochschule für Welthandel fortsetzen, wurde aber im April 1946 vom Lehramt enthoben. Diese Zwangspause sollte nur knapp drei Semester lang bis zum Wintersemester 1947/48 dauern. Ende 1948 erhielt er auch wieder seine ordentliche Professur. Für das Studienjahr 1952/53 wählte ihn die Fakultät das erste Mal zum Dekan, das zweite Mal 1961/62. Von studentischen Protesten gegen diese Dekanswahlen ist nichts bekannt. Demelius wurde 1962 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und emeritierte erst 1965 mit 72 Jahren.67 Ausgerechnet Demelius war es, der irgendwann nach 1945 einen Nekrolog über Hupka als Rechtwissenschaftler verfasste. Der Text ist eineinhalb Seiten lang, wurde nie veröffentlicht und war bis 2014 die einzige Würdigung Hupkas seitens seiner Alma mater – neben dem schon erwähnten knappen Eintrag im Gedenkbuch.68 Angesichts dieser lange klaffenden wissenschafts- und universitätshistorischen Forschungslücke stellt sich die Frage, ob es Zufall war, dass ausgerechnet jener Rechtswissenschaftler, der sich in der Zwischenkriegszeit am erfolgreichsten gegen den universitären Antisemitismus zur Wehr setzte, bei Universitätshistorikern nach 1945 bis weit in das 65 Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Personalakt Demelius, zit. nach Roman Pfefferle/ Hans Pfefferle, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren, Göttingen 2014, S. 212. 66 Zit. nach ebd., S. 213. 67 Für eine Kurzbiografie von Demelius vgl. Kamila Staudigl, Heinrich Demelius, in: Olechowski/Ehs/ Staudigl-Ciechowicz, Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 356–358. 68 UAW, Sign. Senat S 305.113. Mittlerweile liegt neben der kompetenten Würdigung von Olechowski (Josef Hupka) noch eine zweite rechtshistorische Einordung vor: Franz-Stefan Meissel, Zum wissenschaftlichen Werk Josef Hupkas, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, 9 Seiten (2015).
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21. Jahrhundert hinein so wenig Aufmerksamkeit fand. Gewiss hat auch zum Vergessen beigetragen, dass ihm ein NS-Parteigänger nachfolgte, der bis 1965 Professor blieb, und dass etliche Antisemiten oder Unterstützer antisemitischer Maßnahmen wie Richard Meister oder Ludwig Adamovich sen., die zum Teil direkte Opponenten Hupkas in der Zwischenkriegszeit waren, nach 1945 nicht nur in der Universität und der Universitätspolitik wichtige Positionen bekleideten. Die Vorfälle rund um Josef Hupka spätestens nach 1926 legen jedenfalls nahe, dass die bestimmenden Kräfte an Österreichs Universitäten und Hochschulen – und insbesondere an der Universität Wien – sehr viel weniger Opfer als Wegbereiter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Österreich waren und eine wesentliche Rolle bei der Radikalisierung des innenpolitischen Klimas spielten. Hupka hat sich als einer der wenigen mutig dagegen gewehrt. Umso mehr Hochachtung verdient er heute. Zurück zu seinem Schicksal nach seiner Entlassung im Jahr 1938: Als erste individuelle Verfolgungsmaßnahme gegen seine Person verfügte das Devisenfahndungsamt am 12. Mai 1938 die Sperre von Hupkas Bankkonto wegen der ‚Gefahr der Verschleppung von Vermögenswerten in das Ausland‘. Dann machte man sich an sein Vermögen und das seiner Frau heran, insbesondere an das Prunkstück ihrer wertvollen Kunstsammlung, die erwähnte Zeichnung Die Hochzeit des Figaro.69 Wie die Restitutionsexpertin Sophie Lillie 2003 rekonstruierte, wurde die Mappe den Hupkas von den Städtischen Sammlungen abgepresst – zwar noch verhältnismäßig gut bezahlt, aber unter Ausnützung der Zwangslage, in der sich das Ehepaar befand. Entsprechend kam die Wiener Restitutionskommission in der Sitzung vom 7. September 2004 einhellig zur Ansicht, dass es sich bei der Mappe von Moritz von Schwind um ein zu restituierendes Objekt handelte. Der Verkauf der Mappe erzielte bei einer Sotheby’s-Auktion am 13. Juni 2006 einen Preis von umgerechnet rund 250.000 Euro.70 Bereits vor dem erzwungenen Verkauf am 18. März 1939 war Hupkas Vermögen wohl vor allem wegen der zu entrichtenden ‚Reichsfluchtsteuer‘ für seine Kinder wesentlich geschmolzen. Damit konnte Hupka immerhin die Ausreise seines 1919 geborenen Sohns Robert nach England ermöglichen. Die fünf Jahre jüngere Tochter 69 Für detailliertere Darstellungen der Aneignung der Schwind-Mappe und ihrer Restitution vgl. Lillie, Was einmal war, S. 525–527, und 5. Bericht des Wiener Stadtrates für Kultur und Wissenschaft, S. 139–148. 70 Siehe Sotheby’s, 19th Century European Paintings [...], http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/lot.pdf.L06101.html/f/14/L06101-14.pdf [9. Mai 2016], sowie die Berichte im Standard vom 8. und 13. Juni 2006, http://derstandard.at/2465712 [9. Mai 2016] und http://derstandard.at/2479610 [9. Mai 2016].
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Marie stellte im September 1938 ihren Antrag auf Ausreise nach England, am 12. Januar 1939 reiste auch sie aus Wien ab. Es war der letzte Tag, an dem sie ihre Eltern sah.71 Josef Hupka war laut seiner Tochter Marie auch Anfang 1939 noch nicht zur Flucht zu bewegen. Er habe darauf bestanden, dass er nach 38 Dienstjahren für die Universität ein Anrecht auf seine Pension habe, und er wollte nicht auf die Wohltätigkeit anderer Leute angewiesen sein, wie Marie Parkinson in ihren unveröffentlichten Memoiren schrieb.72 11 Vergebliche Fluchtversuche
Ende März 1939 wurde Josef Hupka dann die Pension gestrichen.73 Zu diesem Zeitpunkt waren die Flüchtlingsquoten in allen Botschaften längst überschritten. Deshalb flüchteten Josef und Hermine Hupka vermutlich Mitte Juli 1939 nach Zürich, wo es ihnen aber nicht gelang, Asyl zu erhalten. Wahrscheinlich kamen sie Mitte August 1939 in Amsterdam an. Dort schien die Rettung abermals greifbar nahe: Die Hupkas hatten laut Marie Parkinson für den 9. September 1939 einen Flug von Amsterdam nach London gebucht. Doch am 1. September brach der Zweite Weltkrieg aus, die Flüge wurden gestrichen.74 Das war nicht der letzte geplante Fluchtversuch, der nur knapp scheiterte. Insbesondere ihr Sohn Robert ließ nichts unversucht, seine Eltern zu retten: Er reiste im November 1939 von England in die USA, um von dort aus eine Ausreise von Josef und Hermine Hupka in die Vereinigten Staaten zu organisieren. Vermutlich bat Robert Hupka die Leitung der Columbia University in New York, seinen Vater für eine Stelle an der dortigen Juridischen Fakultät in Betracht zu ziehen. Wie die Tochter in ihren unveröffentlichten Erinnerungen schrieb, scheiterten angeblich im letzten
71 Parkinson, Grandma’s memoirs, S. 8. 72 Ebd. Marie Parkinson erinnerte sich aber auch an einen Vorfall am Abend der Novemberpogrome: Ihr Vater sei damals von SS-Leuten gefasst und mit Hunderten jungen und älteren Männern wie Vieh in ein Gymnasium getrieben worden. Als ein junger SS-Mann Josef Hupka erkannte, habe er ihn gefragt: „Aber Herr Professor, was tun Sie hier?“ Die Antwort ihres Vaters: „Ich bin ein dreckiger Jude.“ Der SS-Mann befahl Hupka, hinter einer Tür zu warten, und wenige Minuten später durfte er nach Hause gehen. Marie Parkinson vermutete, dass ihr Vater dem Mann womöglich zuvor einmal geholfen hatte. Denn wann immer es Studentenunruhen an der Universität Wien gegeben hatte – und das war ab Mitte der 1920er Jahre ziemlich oft –, habe Hupka seinen Vorlesungssaal als eine Art Schutzraum angeboten und sich mutig in den Eingang gestellt, wenn die Unruhestifter eindringen wollten. Vgl. ebd., S. 6 f. 73 Vetricek, Die Lehrer, S. 69. 74 Parkinson, Grandma’s memoirs, S. 42.
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Abb. 6: Die letzte Aufnahme von Hermine und Josef Hupka, 1942 in den Niederlanden.
Augenblick auch Pläne, nach Südamerika zu emigrieren.75 Die Ursache lag darin, dass die deutsche Luftwaffe in einem Überraschungsangriff im Mai 1940 Rotterdam nahezu dem Erdboden gleichmachte und Deutschland die Niederlande okkupierte. Das war auch der Zeitpunkt, an dem der briefliche Kontakt zwischen Josef Hupka und seinem Sohn abriss, der angesichts der Ereignisse in den Niederlanden einen Nervenzusammenbruch erlitt und über mehrere Monate in psychiatrischer Behandlung war. Robert fühlte sich schuldig, seine Eltern nicht rechtzeitig gerettet zu haben – eine Schuld, unter der er sein weiteres Leben lang leiden sollte.76 75 Ebd. 76 Kopie eines E-Mails von Arthur Fierro, einem engen Freund von Robert Hupka, an Andrew Parkinson vom 8. März 2014. Robert Hupka, der zunächst Schauspieler werden wollte, machte einen Kunst-Bachelor 1942, war Aufnahmeleiter für die Plattenfirmen RCA Records und Columbia Records sowie bis zu seiner Pensionierung Kameramann für CBS. Bekannt wurde Hupka für seine Fotos des Dirigenten Arturo Toscanini, die 1963 auch als Buch veröffentlicht wurden. Außerdem war Hupka der Autor eines Bildbandes mit Fotos von Michelangelos Pietà. Er starb im Jahr 2001.
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Das Ehepaar Hupka verbrachte spätestens die Jahre 1941 und 1942 in der niederländischen Stadt Bilthoven, in unmittelbarer Nachbarschaft von Irene Hellmann, der Mutter von Bernhard und der Großmutter von Paul Hellmann. Das Haus, in dem sie sich versteckt hielten, gehörte einer Frau, die im Widerstand tätig war und ‚Tante Kee‘ genannt wurde. Dort trafen sich weitere Widerstandskämpfer, und in dem Haus wurden auch Waffen versteckt.77 Irgendwann dürften die Verzweiflung und die Angst so groß geworden sein, dass die Hupkas rund um den 12. November 1942 den Fluchtversuch über die Grenze wagten. Für Paul Hellmann war es im Rückblick eine Aktion ohne jede Aussicht auf Erfolg. Tatsächlich scheiterte die Aktion – dank der Hilfe Cas van Kasbergens immerhin relativ glimpflich. Paul Hellmann und sein Vater sahen einander zwischen dem 12. und dem 14. November 1942 zum letzten Mal. Paul Hellmann überlebte den Krieg dank mehrerer glücklicher Fügungen bei einer niederländischen Familie. Sein Vater hingegen wurde kurze Zeit nach dem Fluchtversuch verraten. Ende März 1943 deportierten ihn die nationalsozialistischen Schergen mit 1.263 weiteren Menschen ins Konzentrationslager Sobibór. Bernhard Hellmann gehörte zu den 1.200 Personen in diesem Zug, die den 2. April 1943 nicht überlebt haben. Josef und Hermine Hupka haben die Monate nach ihrer gescheiterten Flucht nach Belgien vermutlich in permanenter Angst verbracht, verraten und entdeckt zu werden. Im Frühling 1944 wurden auch sie von den nationalsozialistischen Besatzern festgenommen. Die besonders brutale Verfolgung der Jüdinnen und Juden in den Niederlanden stand im Übrigen unter der Leitung des aus Wien stammenden Reichskommissars Arthur Seyß-Inquart. Der ehemalige Rechtsanwalt, Kurzzeitkanzler und hochrangige SS-Offizier hatte ziemlich genau 30 Jahre zuvor als Student der Rechtswissenschaften Vorlesungen bei Josef Hupka an der Universität Wien gehört.78 Hermine und Josef Hupka kamen, so wie etwa ein Jahr zuvor Bernhard Hellmann, ins berüchtigte Durchgangslager Westerbork, von wo aus die Züge in die Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa abfuhren. Am 5. oder 7. April wurden die beiden von Westerbork mit Transport XXIV/5 mit 285 anderen Verfolgten ins KZ Theresienstadt/Terezín deportiert. Hier endete die lange Leidensgeschichte von Josef Hupka am 23. April 1944.79 Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt, angeblich starb er an einem Herzleiden80 – das war freilich eine der standardisierten 77 Mitteilung von Paul Hellmann vom 11. März 2014. 78 Ich bedanke mich bei Johannes Koll (WU Wien) für diesen Hinweis. 79 Vgl. auch http://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/150332-joseph-hupka/ [16. Juni 2016]. 240 der 289 Deportierten kamen in Theresienstadt um. 80 So eine 1947 erstellte Todeserklärung; vgl. Olechowski, Josef Hupka. Das ehemalige NSDAP-Mitglied Demelius, der Nachfolger Hupkas, schrieb in seinem Nekrolog, dass „eine unmenschliche
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Todesursachen im Konzentrationslager/Ghetto Theresienstadt. Für seine Frau Hermine war das Martyrium immer noch nicht zu Ende: Die Nationalsozialisten deportierten sie am 9. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz, wo sie zwei Tage später ermordet wurde. All das erfuhr der Militärpolizist Cas van Kasbergen nach 1945 vom Roten Kreuz. Angesichts der traurigen Tatsachen hatte er Gewissensbisse, dass er Josef und Hermine Hupka im November 1942 vom Selbstmord abgehalten hatte, wie er in seinem Memoiren festhielt: Denn mit seiner tapferen Rettungstat hatte er bloß ihre Leidenswege verlängert. Er selber, ein Held mit hohen moralischen Ansprüchen, starb am 4. Februar 2014. 12 Postskriptum
Zwischen dem Erscheinen der eingangs genannten Kurzfassung dieses Texts im Frühjahr 2014, dem Anfertigen dieser Langfassung (ebenfalls im Frühjahr 2014) und deren Erscheinen in der vorliegenden gedruckten Form vergingen gut drei Jahre. In dieser Zeit kam es zur Rückholung von Josef Hupka ins kollektive Gedächtnis der Universität Wien und seiner Fakultät, was am Ende dieses Texts nicht unerwähnt bleiben soll. So publizierte Thomas Olechowski 2014 eine Würdigung Hupkas aus rechtswissenschaftlicher Sicht.81 Ein Jahr später fand im Rahmen der 650-Jahr-Feier der Universität Wien eine von Franz-Stefan Meissel und Thomas Olechowski kuratierte Ausstellung unter dem Titel Bedrohte Intelligenz statt, die auch auf Josef Hupka und sein tragisches Schicksal einging.82 Die Zeithistorikerin Linda Erker dokumentierte ebenfalls 2015 in einem Aufsatz Josef Hupkas Engagement zugunsten verprügelter Studierender.83 Schließlich benannte die Rechtswissenschaftliche Fakultät unter der Leitung von Dekan Paul Oberhammer im gleichen Jahr ein Sitzungszimmer nach Josef Hupka um. Anlässlich der Festveranstaltung, die am 14. April 2015 begangen wurde, würdigten Oberhammer und Franz-Stefan Meissel, Professor für Römisches Recht, in Idee“ Hupka „in das Judenlager Theresienstadt brachte, wo er schon schwer krank eingelangt, nach wenigen Wochen im Mai 1944 […] starb“. Hupka fehlt im Totenbuch Theresienstadt, das die österreichischen Opfer auflistet – allerdings eben nur jene, die direkt aus Wien ins KZ deportiert wurden; vgl. Mary Steinhauser und Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Totenbuch Theresienstadt – damit sie nicht vergessen werden. Deportierte aus Österreich, Wien 1987 [1971]. 81 Vgl. Olechowski, Josef Hupka. 82 Vgl. den Katalog zur Ausstellung in Zeitungsform: Bedrohte Intelligenz. Von der Polarisierung und Einschüchterung zur Vertreibung und Vernichtung im NS-Regime, Wien 2015, S. 10 und 47. 83 Erker, „Jetzt weiss ich ganz“.
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Vorträgen die Bedeutung Hupkas als Dekan und Rechtswissenschaftler.84 Im Rahmen der Veranstaltung, die von der Wiener Rechtshistorischen Gesellschaft organisiert wurde, war auch eine Kurzfassung des vorliegenden Textes zu hören. Stephen Parkinson, ein Enkelsohn Josef Hupkas, kam aus Oxford angereist und brachte der Fakultät als Geschenk einen Originaldruck jenes Porträts seines Großvaters mit, das am Beginn dieses Beitrags zu sehen ist (Abb. 1). Dieses Porträt hängt seit April 2015 im Josef-Hupka-Zimmer der Universität Wien.
84 Vgl. Meissel, Zum wissenschaftlichen Werk. Zur Veranstaltung vgl. Rückholung ins kollektive UniGedächtnis, in: Der Standard vom 22. April 2015, [16. Juni 2016].
From Vienna to Malta Interview with former student of the Vienna University for World Trade Robert Eder∗
Preliminary remarks
Robert Eder was 20 years old when Austria was annexed to the Third Reich in the wake of the Anschluss of March 1938. He and his brother Hans had to give up their studies at the Vienna University for World Trade (Hoch schule für Welthandel) and were deprived of their cars, flat, factory, and properties. Via Italy Eder emigrated to Malta, which had been administered since the 19th century by Great Britain. Here, he and his family survived the Second World War.1 In November 2013, I had the opportunity to interview Robert Eder at his residence in Malta. The interview took several days. The Abb. 1: Robert Eder im November 2013. 96-year-old man was eager to tell his personal experiences with the turbulent past of the 20th century. Upon arriving from the airport at night, it was not even five minutes before he phoned me in the hotel inviting me for the first conversation at his home. Thanks to his good health and a remarkable capacity for remembering, he managed to sketch European history in the course of the following days from a personal point of view. His experiences ranged from Austria and Hitler’s Germany to British Malta and the independent republic of Malta. Johannes Koll
* 1
I would like to thank Dr. Carmen Gruber (Vienna) for assistance in editing the text. For the biographies of Robert and Hans Eder see also the respective entries in the Memorial Book for Victims of National Socialism at the Hochschule für Welthandel 1938–1945, http://gedenkbuch. wu.ac.at/ [6. März 2017].
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The Interview Before the Anschluss
How was your life in Vienna in the interwar period which embraced your childhood and youth? My father was a hat maker. He owned a factory in the Mariahilfer Straße, right opposite the famous store Gerngroß. Later my father’s factory moved approximately half a mile away to the Neubaugasse. In the same street we lived in a flat of the Neubauhof. Next to us and on the same floor of that nice building lived my grandparents who up to the Anschluss ran a coffeehouse. As its name indicates, the Café Neubauhof also was situated in that building. My parents considered education very important. After primary school I attended secondary school, a Realgymnasium. At a commercial academy,2 I passed the final examinations. Afterwards I inscribed to the Hochschule für Welthandel3 like my brother Hans had done the year before. Between the winter term 1936/37 and the Anschluss, the annexation of Austria to the Third Reich in March 1938, I was a student of this university specialized in economy and business. Did you and your family participate in the life of the Jewish community of Vienna? On Sabbath, we regularly went to the synagogue. My father Hermann (Hersch) exercised the function of warden or something like that in the synagogue at the Neudeggergasse which was responsible for the Jews living in the VIIth and VIIIth districts of Vienna called Neubau and Josefstadt.4 My parents spoke Yiddish with each other, but I, Hans and our sister Lisbeth were brought up in standard German. As I didn’t have much opportunity to talk German since we left Austria in 1938, however, English has become my principal language. As we are talking about languages: For getting a foothold outside Austria, it was helpful that I had learnt English and French in school. In connection with emigration to Malta, I have learnt Italian and Maltese in addition. 2 3 4
The so called Handelsakademie VIII was situated at Hamerlingplatz 5/6 in Vienna, just 0.7 miles from Eder’s residence Neubauhof. At that time, the Hochschule für Welthandel was situated in the Währinger Park in Vienna. In November 1939, this synagogue was destroyed by the Nazi-regime.
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What do you remember of your links to the Hochschule für Welthandel? During the three semesters which I was allowed to study at this university I did not attend regularly many lectures and courses, because besides my studies I had to work in my father’s factory. Furthermore, I was exempted from examinations on bookkeeping, English and French and other subjects which I had passed already at the commercial academy. The last examinations which I passed at the Hochschule für Welthandel took place in February 1938, just a few weeks before the German army invaded Austria. When the Anschluss actually came, I went to the ‘Welthandel’ in order to register for the summer term as I had done the previous semesters. But at the Hochschule I was told: “No Jews here”. I don’t feel that I was expelled from my university. Officially they never forbade me to come back. But the quoted sentence was enough to me. It made unambiguously clear that I was not welcome any longer. In fact, I never entered the building in the Währinger Park again. Thus, due to the Anschluss, I was deprived of the opportunity to finish my studies. The same is true for my brother. Obviously, the administrative aspects of the removal of our names from the register of students took some time: It was only in September 1938 that the ‘Welthandel’ issued a transcript which represented our official dismissal. Did you experience any violence against you or other Jews before the Anschluss took place? Never. In school, there was no difference between Jewish and non-Jewish pupils. Among the latter, I had many friends. Affiliation to a religious community didn’t matter at that time. In this context it is indicative that also non-Jewish friends brought books to me when I had to spend half a year in a sanatorium in the mountainous area of the Semmering in order to recover from an illness. Thanks to their support I passed all the exams of that year. I didn’t encounter discrimination before March 1938. The takeover of power by the Nazi-regime changed the situation radically, of course. Just after the Anschluss I was forced one evening to paint “Jewish shop” on the window of a shop that was run by a Jew. 1938/39
What did happen to you and your family after the invasion of Austria by the German army on 12 March 1938?
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On the first day after the Anschluss my father went to his factory as he had done so many times before. At the entrance the bookkeeper of his firm who was wearing the badge of the NSDAP told him: “Don’t come in here.” When my father asked if he might take some papers from his office, he was told by the same man: “No, you must not take anything from here.” That was it. I think that my father never came back to the factory. After a certain time, the firm was closed. The people who had taken over the business from my father were incapable of keeping it up. The firm was “aryanized” as they called it, and we were deprived of our property. Also our cars were taken away. I had a Steyr. On one day, a man with a swastika armband came to me and gave me the order to render him the key of the car. After three days, he came back and told me that he had had a crash, and that it was my task to repair the car at my expense. My brother also had a car, a Nash. This American vehicle was confiscated by the Geheime Staatspolizei. Finally our flat was given to someone who obviously was no friend of the Jews – otherwise he wouldn’t have got this flat. The Nazis knew everything in advance, they were well prepared. How were your living conditions in Austria after the Anschluss? In effect, we couldn’t do much before we left Vienna. Basically we prepared emigration to Malta. Contrary to many other co-religionists, we were not faced with harassment by employees of the National Socialist offices when organizing the necessary documents. We were not starving, because we had still some money from the business. But the factory was gone, and our cars were taken away. Like all other Jews, finally, we had to declare our properties in spring 1938. From then on, we could no longer autonomously dispose of our possessions. Generally speaking, we didn’t spend much money before leaving the country. We never went to restaurants, for example. Anyway, there was no perspective for an amelioration of the situation after March 1938. Which options did you have at that time? As my father told the Jewish community of Vienna in May 1938, he thought about emigrating to distant countries – to Persia, Australia, Turkey, Canada and to the Dutch Indies.5 At that time my parents would have signed anything to go anywhere. All that counted was to get out of National Socialist Germany. But which countries 5
Cf. archive of the Israelitische Kultusgemeinde Wien, Jerusalem, A/W 2589/43, No. 16846.
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wanted to take in Jews at that time? Finally all of us went to Malta where we had commercial relations. How did you get to Malta? Just before the Anschluss took place, my brother Hans was on this Mediterranean island on a business trip. When the German army invaded Austria, we told him to stay in Malta and to prepare the relocation of the rest of our family. In fact, Hans collected some money so that we could start to build up a new life on the Maltese island. After my brother had provided the indispensable permit, I could leave the country in which there was no future for us. With just ten Schilling in my pockets, I took the train from Vienna to Italy, and from Sicily I crossed the Mediterranean Sea by a ferry boat. Thanks to the visa for Malta which I possessed in connection with our business, I didn’t have any problems regarding my documents when passing through Italy. Thus, I reached Malta in September 1938. Later also my sister, my parents and my grandparents came to Malta after Hans and I had arranged everything on the ground. From then on, we didn’t have any connections with Austria and with people whom we had met before in Austria. On Malta during the Second World War
How did you install yourself in Malta? In general it is important to note that we belonged to the lucky Jews who managed to escape from Nazi Germany. But of course, starting a new life in a new environment poses problems. One problem was that finally we didn’t get our furniture from the Neubauhof. The ship containing our possessions did arrive at the harbor of Malta just on the day before the war broke out. Unfortunately, the ship returned to Germany without unloading the cargo. Obviously its captain feared that the ship and its cargo might be confiscated by the British authorities in Malta after the outbreak of hostilities between Germany and Great Britain. Later my parents found out that our belongings were distributed among German families who had been bombed out by Allied forces. In the beginning, we lived in a pension in the capital Valletta. Then we rented a flat in Msida. In the same building we built up a factory. The machines for producing hats were imported from Italy. Later we took a flat in Sliema, but the factory remained in the same place as before.
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The British authorities did not raise problems. With regard to our venture to build up a factory in Malta they turned out to be cooperative. Did you have contacts with other Jews on Malta? For centuries there has been a Jewish community in Malta. After we had arrived on the island, we regularly went to the local synagogue and participated in Jewish festivities like we had done before in Vienna. One’s nationality and country of origin didn’t play any role for the Jewish community. I would like to add that some Jews of Maltese as well as of non-Maltese origin supported us via financial backing or by making contacts for us. Today, the local Jewish community is not big any more. In 2000, the Jewish Foundation of Malta, of which I am still president, renovated the synagogue. Furthermore it holds responsibility for the maintenance of the Jewish cemetery. I assume that you lost German citizenship after you had left the Ostmark. What happened thereafter? After five years, we received a British passport for which we had applied before. Although Malta was a fortress and the British did not like many foreigners on this island, we were granted British citizenship by the government in London. One might say that we were an asset to the Maltese economy due to our factory. And since our arrival on the island we had proven sufficiently that we in no way constituted a danger to British interests in this region. When Malta became independent in 1964, I automatically became a Maltese citizen. How did you experience the siege and the air raids on Malta carried out by the Italian and German armies between 1940 and 1942? Since the beginning of the war the Germans living on the island were regarded as enemy aliens by the British authorities. Therefore also the Jews who had come to Malta from Germany and Austria were under their surveillance. In this sense, we had to keep a diary in which we laid out what we did in the course of the day, where we went, to whom we talked and so on. Once a week we had to show it to a British office that kept tabs on foreigners. After all, we were not deported to Africa when the war started because we were in possession of permits. When Italy started to attack Malta in 1940, we were interned in a camp on the island. After several weeks, however, we were released under the precondition that we
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had to come back if Germany joined the war against Malta. In fact, we went to the camp on our own accord after Germany had taken up air attacks on Malta in the context of their war in North Africa in the next year. We were interned again, this time for two years. In fact, all of us were detained. My mother Helene and my sister were separated from me, my father and my brother. Of course, being interned was not pleasant. But on the whole, we were treated relatively well in the camps. Let me give some examples. My mother and Lisbeth were allowed to visit the male members of our family once a week. We could bring private things like books to the camps. Once they took me to the dentist, other inmates were brought to a hospital when necessary – under guard of course. Food was okay, nobody starved. Regularly, a Rabbi came to the camp in order to celebrate services with us. Finally, it was during the internment that I learnt Italian from an Italian fellow inmate as mentioned before. Thus in no way the British camps in Malta can be compared to the concentration camps which the Nazis ran in their realm. Here the internment was based exclusively on security reasons, it did not follow the logic of punishment let alone the mass killing and extermination of the Third Reich. Even before it became clear that the Germans would not succeed in conquering Malta we were released for good. The Brits knew that we were no friends of the Nazis, they realized that we did not pose a danger to them. Just on the contrary, our fate was tied to Allied warfare – as Jews, we had everything to fear from a German invasion. In this sense I once asked the British commander during one of the internments what would happen to us if the Axis powers succeeded in invading the island. He told me literally: “Listen, if I have to leave Malta, I will take you with me. I won’t leave you here.” Fortunately, the British army didn’t have to abandon Malta during the war. The commander was displaced to Africa. But we could stay on Malta. Thus the whole family survived the Holocaust and the Second World War. This has also to be ascribed to the fact that we went to shelters when the air raids sirens sounded. After the War
How did life go on for you after the end of the war? In 1947, I married Annette Barnstein, a descendant of a Jewish family from Greece. She was ten years younger than me. Although her family moved to the United States, we decided to reside in Malta. We have two children who both are living in the United Kingdom. In 2002 my wife passed away. She was buried in the Jewish cemetery of Malta. After the Second World War, we first continued to produce hats on Malta. When hats went out of style, we decided to open a fashion store called HARO. The name
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reflects the first two letters of the first names of Hans and me. In fact, though, Hans hardly concerned himself with the shop. It was rather my business and that of my parents until they retired. Our enterprise grew slowly but steadily. At the height of our business expansion we had five shops with a sales staff of approximately 20 persons. We were known for selling clothes of high quality. Over the course of time such products couldn’t compete any more with cheap articles of low quality. Furthermore, our products were so durable that customers didn’t feel the need to often buy new clothes. For these reasons, we gradually reduced the number of shops. When I retired, the last HARO-shop was closed down. What about the other members of your family? I am the only one of the family who stayed in Malta. My sister married a sergeant of the British army. After the wedding, they left Malta and settled in the United Kingdom. Only later did she return to Malta where she passed away in 1996. Also the postwar biography of my brother is not restricted to Malta. Already in Vienna, he had had a Jewish girlfriend. With her younger sister Helga this girl exiled to France after the Anschluss. When the Germans occupied France in spring 1940, both of them were hidden in a catholic monastery. There, they managed to survive the Second World War. When Hans went to France after the war in order to look for his girlfriend, he found out that in the meantime she had become a nun. Instead he married her younger sister. As Helga didn’t like living on Malta, my brother’s family took up residence in France. Later they settled in England because Hans wanted his children to grow up there. My own children, as explained above, are also living in Great Britain. Both of them are married, both of them have children. In the meantime I have even become a great-grandfather. Did you ever receive compensation for the prosecution from which you suffered during the Nazi period? In the beginning I was granted benefits from different institutions like American charity organizations. After a certain time, however, it dried up. I also received financial compensation from the German and the Austrian governments but I do not remember the details. Some years ago, I was named an honorary citizen of the Austrian republic.6 Unfortunately, at the moment the respective certificate is not accessible to me. 6
This statement couldn’t be verified.
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Were the events following the Anschluss of Austria a topic for discussion within your family? All of us were lucky that we escaped with our lives. We had lost our properties, but after all we survived the anti-Jewish persecution of the National Socialist regime and the war. In the years following our emigration, we were busy organizing our lives in Malta. Since we left Austria, we had plans for the future. There was no time for sitting around and mourning the past. Did you ever return to Vienna after the Second World War? When my children were 15, 16 years old, they wanted to see where I came from. We took a car and visited the house where I had been living with my family until 1938, the primary school near our flat in the Neubaugasse, the above mentioned secondary school and the commercial academy, and my former university. But neither I nor any other member of my family ever thought about returning to Austria. We didn’t have any more ties to my native country after we left in 1938. Certainly it wouldn’t have been easy to start all over again in postwar Austria, and we had installed ourselves successfully in Malta. Thus there was no reason to go back to Austria. As far as I remember, my parents didn’t even go one single time to this country for a visit. They had suffered a lot in the last months before they could leave Nazi Germany. They had lost all they had built up in the preceding years when they had been told from one day to the next: “Give me the key of your factory and never come back.” Like my grandparents they stayed in Malta up to the end of their lives. Here they are buried in the Jewish cemetery. Did you ever think about moving to England? No, I never did. I had gotten used to living in Malta, and life is very easy here. Here we were relatively big fishes in a small pond. Through the HARO-shops I earned some esteem. Even long after the shops had been closed down I was called “Mister Haro” on the street time and again. If you go to another place you don’t know anybody, you have to find out how things work. I didn’t want to start once again a new life. So there never was any reason to go to another country after the war was over.
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How would you describe your current situation? In former times I had an active life. At the age of 96, however, activities are rather limited. I sit in my room, play with the dog, go out for a walk and return home. Apart from talking to Carmen and Charlie Galea, who take care of me since a couple of years ago, I read magazines and the newspaper every day. As television doesn’t offer interesting programs, I prefer reading to watching TV. Thus I have read with much interest The Hare with Amber Eyes by Edmund de Waal. This hidden inheritance, as the subtitle goes, tells the story of the Jewish family Ephrussi who lost their banking company, their prestigious Palais in the heart of Vienna and all of their property following the Anschluss.
Nachwort
Abb. 1: Mahnmal auf dem Campus der WU Wien.
Dieser Sammelband ist aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen, das Univ.-Prof. Dr. Peter Berger und der Herausgeber zwischen 2012 und 2014 im Auftrag des Rektorats der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien durchgeführt haben. Ziel des Projekts war, das Schicksal jener Studierenden, Absolventen und Doktoranden zu eruieren, die in der NS-Zeit aus politischen oder ‚rassischen‘ Gründen an der Hochschule für Welthandel, der Vorgängerin der WU Wien, am Studium oder an der Absolvierung von Prüfungen be- oder gehindert worden sind, die Opfer von politisch bedingter Ausgrenzung und von Vertreibung geworden sind. Auch die Aberkennung von akademischen Graden und Titeln durch die nationalsozialistische Hochschulleitung war Gegenstand der Recherchen. Neben Aufsätzen zur Hochschule für Welthandel enthält der vorliegende Sammelband Beiträge zu anderen Hochschulen und zu übergreifenden Aspekten österreichischer Hochschulgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ermöglichen es, die ‚Säuberungen‘ an einzelnen Hochschuleinrichtungen in einem breiteren historischen Kontext zu betrachten.
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Abb. 2: Gedenkbuch der WU Wien.
Der Vorbereitung des Sammelbandes diente ein Workshop, der am 20. März 2014 an der WU Wien stattfand. Am selben Tag wurde auf dem Universitätscampus ein Mahnmal aufgestellt, das aus den Namen der verfolgten Studierenden, Doktorandinnen und Doktoranden, Dozenten und Verwaltungsangestellten der Hochschule für Welthandel gebildet wird. Der Entwurf stammt von dem Wiener Künstler Ale xander Felch; er konnte sich bei einem Wettbewerb durchsetzen, den die WU Wien zusammen mit der Akademie der bildenden Künste Wien ausgeschrieben hatte. Die feierliche Einweihung des Mahnmals fand am 8. Mai 2014 statt, dem 69. Jahrestag des Kriegsendes. Der Entwurf zu einer weiteren Einreichung zum Wettbewerb ist auf dem Umschlag des Buches abgebildet. Wie im Fall der Universität Wien sind Kurzbiografien der vom NS-Regime verfolgten Angehörigen der Hochschule für Welthandel in einem Internet-Gedenkbuch zusammengefasst, das laufend aktualisiert wird.1 Mit dem genannten Forschungspro1
Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Hochschule für Welthandel 1938–1945, http://gedenkbuch.wu.ac.at/, und Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, http://gedenkbuch.univie.ac.at.
Nachwort
503 Abb. 3: Gedenkbuch der Universität Wien.
jekt und dem Mahnmal ist das Gedenkbuch Teil des Gedenkprojekts, mit dem die WU Wien ihre Geschichte kritisch reflektiert. Für die großzügige Förderung im Rahmen des Gedenkprojekts danke ich dem seinerzeitigen Rektor, Univ.-Prof. Dr. Christoph Badelt, für vielfältige Unterstützung bei der Drucklegung des vorliegenden Bandes geht mein Dank an Ursula Németh. Wien, 12. März 2017 Johannes Koll
Abkürzungsverzeichnis AbKW Akademie der bildenden Künste Wien AdR siehe ÖStA/AdR AKH Allgemeines Krankenhaus Wien ANSt Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen AS Akademischer Senat AVA siehe ÖStA/AVA AZ Arbeiter-Zeitung BArch Bundesarchiv BBC British Broadcasting Corporation BDM Bund Deutscher Mädel BGBl. Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (1920–1934 sowie ab 1945) bzw. Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich (1934–1938) BKA Bundeskanzleramt BMfF Bundesministerium für Finanzen BMfU Bundesministerium für Unterricht BOKU Hochschule für Bodenkultur Wien BUS Bund Unabhängiger Studenten CBS Columbia Broadcasting System CV Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen, ab 1933: Österreichischer Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen DJ Deutsches Jungvolk Dkfm. Diplomkaufmann DÖTZ Deutschösterreichische Tages-Zeitung DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes DSt Deutsche Studentenschaft DStI Deutsche Studentenschaft Innsbruck GBl. Ö Gesetzblatt für das Land Österreich Gestapo Geheime Staatspolizei HJ Hitlerjugend HMT His Majesty’s Transport HWH Hochschule für Welthandel IKG Israelitische Kultusgemeinde KFU Karl-Franzens-Universität Graz KPÖ Kommunistische Partei Österreichs Ktn. Karton
508
Abkürzungsverzeichnis
KZ Konzentrationslager MD Medical Doctor mdw mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien NFP Neue Freie Presse NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund NSFK Nationalsozialistisches Fliegerkorps NSG Nationalsozialistengesetz NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt MWT Mitteleuropäischer Wirtschaftstag ÖGZ Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften ÖH Österreichische Hochschülerschaft ÖNB Österreichische Nationalbibliothek OÖLA Oberösterreichisches Landesarchiv ORR Oberregierungsrat ÖStA/AdR Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik ÖStA/AVA Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv ÖStZa Österreichisches Statistisches Zentralamt ÖVP Österreichische Volkspartei ÖZ Österreichische Zeitung Ph.D. Doctor of philosophy PolKom Polizeikommissariat RAD Reichsarbeitsdienst REM Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung RGBl. Reichsgesetzblatt RSV Roter Studentenverband S.P.S.L. Society for the Protection of Science und Learning SA Sturmabteilung SD Sicherheitsdienst der SS SDAP Sozialdemokratische Arbeiterpartei SoSe Sommersemester SPÖ Sozialistische Partei Österreichs SS Schutzstaffel SSP Senatssitzungsprotokoll STAK Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien StGBl. Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich
Abkürzungsverzeichnis
StHB
509
Statistisches Handbuch für die Republik Österreich (bzw. für den Bundesstaat Österreich) TÄH Tierärztliche Hochschule TH Technische Hochschule TUWA Archiv der Technischen Universität Wien UAAbKW Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien UAI Universitätsarchiv Innsbruck UAW Universitätsarchiv Wien USIA Uprawlenje Sowjetskowo Imuschtschestwa w Austrii [Verwaltung des österreichischen Vermögens in Österreich] VBG Verbotsgesetz VdU Verband der Unabhängigen VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VSStÖ Verband Sozialistischer Studenten Österreichs VVSt Vermögensverkehrsstelle WBIS World Biographical Information System WiSe Wintersemester WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv WU Wien Wirtschaftsuniversität Wien WUW-AR Universitätsrchiv der Wirtschaftsuniversität Wien
Abbildungsnachweis Umschlag: Entwurf von Isa Wolke und Frank Schwenk zum Wettbewerb für das Mahnmal zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus an der Hochschule für Welthandel, den die WU Wien zusammen mit der Akademie der bildenden Künste Wien durchgeführt hat (Ausschnitte). Embacher, Vertreibung und Emigrationserfahrungen Abb. 1: ÖNB, Sign. S 52/11. Berger, Die Wiener Hochschule für Welthandel Abb. 1: WUW-AR, Professorenkollegium vom 25. April 1938, Bl. 6. Abb. 2: WienMuseum, Sign. HMW 71884. Koll, „Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“ Abb. 1: WUW-AR, vorläufige Kartonnummer S 30a. Abb. 2: WUW-AR, vorläufige Kartonnummer S 179. Abb. 3: Ilse Nusbaum. Abb. 4: WUW-AR, Studierendenkarteikarte Josef E. Hillebrand. Mikoletzky, ,Säuberungen‘ im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung Grafik: Juliane Mikoletzky. Pawlowksky, Vom Dienst enthoben Abb. 1: UAAbKW, VA 308/1938. Weingand, „[…] in möglichst beschleunigtem Tempo“ Abb. 1: ÖNB, Sign. Pf 250 D(1). Abb. 2: Sammlung Kubinzky, Graz. Pfefferle, „Eine peinliche Zwischenzeit“ Abb. 1: UAW, Sign. 106.I.2335. Taschwer, Kämpfer gegen den Antisemitismus Abb. 1–3, 5, 6: A.J. Parkinson. Abb. 4: ÖNB, ANNO. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online, http:// anno.onb.ac.at/.
512 Koll, From Vienna to Malta Abb. 1: Johannes Koll. Koll, Nachwort Abb. 1: Stephan Huger. Abb. 2: http://gedenkbuch.wu.ac.at/. Abb. 3: http://gedenkbuch.univie.ac.at/.
Abbildungsnachweis
Autorinnen und Autoren Dr. Mitchell G. Ash ist emeritierter Professor am Institut für Geschichte der Universität Wien. Univ.-Prof. Dr. Peter Berger war bis 2015 Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien. Dr. Paulus Ebner leitet das Universitätsarchiv der Technischen Universität Wien. A.o. Univ.-Prof. Dr. Helga Embacher ist Zeithistorikerin am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Univ.-Doz. Dr. Peter Goller ist Mitarbeiter am Archiv der Universität Innsbruck. Dr. Lynne Heller ist Historikerin und Leiterin des Archivs der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. MMag. Andreas Huber, Historiker und Soziologe, ist Universitätsassistent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Mag. Katharina Kniefacz ist Zeit- und Wissenschaftshistorikerin. Sie ist derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sowie als freie Mitarbeiterin im Archiv der Universität Wien tätig. Univ.-Doz. Dr. Johannes Koll ist Senior Scientist am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Leiter des Universitätsarchivs der Wirtschaftsuniversität Wien und Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Wien. Mag. Dr. Juliane Mikoletzky ist Historikerin und war bis 2015 Leiterin des Universitätsarchivs der Technischen Universität Wien. Derzeit ist sie als Historikerin und als freie Mitarbeiterin an diesem Archiv tätig. Mag. Dr. Verena Pawlowsky ist Historikerin in Wien und wiederholt beauftragt mit Studien zur NS-Vergangenheit von Institutionen; siehe im Detail http://www.forschungsbuero.at.
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Autorinnen und Autoren
Mag. Hans Pfefferle studierte Germanistik und Geschichte sowie an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er ist in den Bereichen Zeichnung, Mosaik und Historie tätig. Dr. Roman Pfefferle ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Vergangenheitspolitik an der Universität Wien. Dr. Herbert Posch ist Senior Scientist am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien mit Schwerpunkt Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert. Erwin Strouhal ist Archivar an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Dr. Klaus Taschwer ist Wissenschaftsjournalist bei der Tageszeitung Der Standard. Hans-Peter Weingand ist Publizist mit den Schwerpunkten Universitäts-, Sexualitäts- und Kriminalitätsgeschichte. Mag. Markus Wurzer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz.
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Institutionen Academic Assistance Council 115 AEG-Union 157 Ahava 112 Akademie der bildenden Künste Wien 17, 78, 82, 243, 309–344, 350, 502 - Professorenkollegium 329, 330 - Rektorat 309, 330 Akademie der Wissenschaften in Wien 472. Siehe auch: Österreichische Akademie der Wissenschaften Akademie für angewandte Kunst Wien 317 Akademischer Alpenklub Innsbruck 389 Akademischer Historikerklub 369 Aktion Gildemeester 224 Albertina 464, 465 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Siehe: Universität Freiburg Albertus-Universität Königsberg 46, 53, 181, 225, 370 Allgemeines Krankenhaus Wien 137, 409, 412, 422 Alliance Française 68 Alliierte Kommission, Exekutivkomitee 449 Alliierte Militärregierung 419 Alliierter Rat 423, 426, 449, 451, 454, 455 Alma mater Vindobonensis. Siehe: Universität Wien American Friends Service 116 American Joint Distribution Committee 109 Amt Rosenberg 389, 411. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Andreas-Hofer-Bund 373 Ankerbrotfabrik AG 181, 182, 183 Antifaschistische Partei Österreichs 224 Arbeiterkammer Wien 147
Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen 350, 444, 446 Aurora College 325 Aussiger Handelsakademie 180 Austrian League of America 64 Auswärtiges Amt 352 Bayerische Landeskirche 419 Beacroft 187 Beschwerdekommission beim Bundesministerium für Inneres 429 Besondere Disziplinarkommission 77, 80, 86, 87 Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg 86 Bezirkshauptmannschaft Graz 86 Biochemie GmbH 390 British Broadcasting Corporation 112, 144 British Council 68 Brooklyn Community Symphony Orchestra 145 Bund Deutscher Mädel 350, 435, 440, 444, 446, 453. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Bundesarchiv Berlin 347 - Berlin Document Center 398 Bundeskanzleramt 78, 81, 82, 398, 415 Bundesministerium für Finanzen 65 Bundesministerium für Handel und Verkehr 77, 158, 161, 164, 170, 202 Bundesministerium für Unterricht 38, 47, 64, 65, 67, 68, 71, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 127, 131, 133, 134, 150, 160, 161, 172, 178, 193, 201, 203, 209, 246, 248, 253, 254, 255, 268, 271, 272, 275, 285, 286, 288, 289, 290, 291, 292, 294, 295, 297, 300, 301, 303, 321, 346, 348, 353, 354, 357, 363, 369, 370, 371, 377,
516 386, 394, 395, 396, 402, 415, 418, 421, 423, 426, 428, 443, 445, 446, 447, 449, 452, 453, 454, 455, 472, 473. Siehe auch: Überprüfungskommission Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung 190 Bundesministerium für Verteidigung, deutsches 431 Bundespolizeidirektion Innsbruck 369 Bundespolizeidirektion Wien 79, 415 - Archiv 434 Bundesrat 168, 409 Bundestheaterverwaltung 251 Bund Unabhängiger Studenten 384, 440 Bunzl & Biach 185 Burgtheater 384 Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen 43, 125, 127, 163, 170, 205, 270, 350, 367, 373, 383, 384, 394, 395, 396, 401, 467 CBS 486 Christlichsoziale Partei 169, 281 City University of New York, Brooklyn College 145 Columbia College 337 Columbia Records 486 Columbia University 485 Community Music School Vancouver 145 Creditanstalt 42 Demokratische Hochschülervereinigung 476 Deutscharische Studentenvereinigung in Wien 443 Deutsche Burschenschaft 15 Deutsche Forschungsgemeinschaft – Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft 186, 366 Deutsche Gemeinschaft 466, 471 Deutsche Handelsakademie in Olmütz 180 Deutsche Industriebank 189 Deutsche Lufthansa AG 240
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Deutsche Rektorenkonferenz 362 Deutsche Studentenschaft 15, 16, 39, 40, 43, 47, 124, 125, 127, 161, 162, 163, 164, 166, 167, 208, 210, 235, 268, 269, 270, 271, 276, 433, 466, 467, 476 - Kulturamt 15 Deutsche Studentenschaft Innsbruck 367 Deutsche Technische Hochschule Brünn 258. Siehe auch: Technische Hochschule Brünn Deutsche Universität Prag 391, 395 Deutsche Zentrumspartei 373 Deutscher Alpenverein 389 Deutscher Hochschulverband 38 Deutscher Klub 466, 467 Deutscher Schulverein Südmark 390 Deutsches Jungvolk 446 Deutsches Wissenschaftliches Institut in Zagreb 184 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 238, 305, 434 Dorotheum Wien 224 Eberhard Karls Universität Tübingen 180 Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars 116, 117 Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald 353, 379 Exportakademie. Siehe: General-Comité für die Gründung der Export-Akademie; k. k. Exportakademie; Verein k. k. Exportakademie Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst Wien 287, 289, 290, 303. Siehe auch: mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien Finanzprokuratur Niederösterreich 462 Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben 238, 338, 339
Verzeichnis der Institutionen
Fordham University 399 Forschungsbüro für Programmierung, angewandte Mathematik, theoretische Astronomie und Astronautik 431 Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe 395 Forstwirte-Verein an der Hochschule für Bodenkultur in Wien 280, 281 Franz-Josephs-Universität Czernowitz 31 Frauenakademie. Siehe: Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst Free Austrian Movement 102 Freie Universität Berlin 392 Freiheitliche Partei Österreichs 151, 430 Fremdenpolizei 97, 419 Friedrich-Alexander Universität Erlangen 353 Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin 43, 46, 61, 181, 252, 353, 370, 389 Gauleitung Steiermark 185. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Gauleitung Tirol-Vorarlberg 400. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Gaupersonalamt Wien 180, 438. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Gaustudentenführung Wien 191. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Geheime Staatspolizei 51, 131, 138, 142, 149, 169, 194, 224, 233, 240, 275, 401, 409, 449, 494 - Leitstelle Wien 354 - Staatspolizeistelle Klagenfurt 240 - Staatspolizeistelle Linz 232 General-Comité für die Gründung der Export-Akademie 157 Georg-August-Universität Göttingen 46, 187, 353, 439
517 Gesellschaft der Musikfreunde 285, 303, 462 Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 464 Glashütte Mitterberghütten 431 Göttinger Arbeitskreis 431 Graphische Lehr- und Versuchsanstalt 333 Großdeutsche Volkspartei 169, 188 Gymnasium Stubenbastei 335 Hamadia 112 Handelsakademie in Linz 181 Handelsakademie Wien VIII 492 Handelsgericht Wien 181, 194 Handelshochschule Berlin 181, 184 Handelshochschule Florenz 161 Handelshochschule Leipzig 180 Handelshochschule St. Gallen 224 Harvard University 115, 146, 147 Hauptausschuss der Demokratischen Studentenschaft Wien 436 Haupternährungsamt Wien 184 Hebra 149 Hebrew University 113 Heimwehr 161, 169, 194, 205, 368, 369, 372, 473 Hermann-Göring-Werke 232 Herma-Schuschnigg-Fonds 323 Hilfsbund der Deutsch-Österreicher im Reich 378 Hilfsfonds. Siehe: Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben Hindenburg-Hochschule, Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 184 Hitlerjugend 435, 440, 444, 446, 449, 453, 455. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Hochschule für Bodenkultur 17, 19, 20, 22, 32, 34, 40, 43, 46, 47, 48, 52, 55, 58, 78, 179, 189, 209, 243, 246, 252, 267–281, 326, 350, 356, 445 - Professorenkollegium 267, 268, 269, 270, 272
518 - Rektorat 268, 269, 270 Hochschule für Welthandel 15, 17, 18, 21, 22, 23, 25, 26, 37, 52, 153– 195, 197– 241, 275, 326, 350, 362, 449, 482, 483, 491, 492, 493, 499, 501, 502. Siehe auch: k. k. Exportakademie; Verein der Förderer der Hochschule für Welthandel in Wien; Wirtschaftsuniversität Wien - Institut für Handwerkswirtschaft 185 - Institut für Verkehrs- und Versicherungswesen 180 - Institut für Welthandelslehre 181, 183 - Kuratorium 157, 158, 160, 164, 165, 175 - Professorenkollegium 158, 161, 163, 170, 171, 172, 173, 181, 186, 187, 212, 228, 230, 233 - Prüfungskommission 160 - Quästur 164 - Rektorat 161, 174, 182, 183, 186, 233 - Rektoratskanzlei 165 - Seminar für Fremdenverkehrslehre 156 - Wirtschaftsgeographisches Institut 176 IG Farben 189, 255 Industrie- und Handelskammer Wien 241 Innsbrucker Turnverein 389 Inquisitenspital Wien 193 Internationale Brigaden 130 Israelitische Kultusgemeinde 95, 268 Israelitische Kultusgemeinde Innsbruck 384 Israelitische Kultusgemeinde Wien 316 Jewish Agency 106 Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 181, 252 John Hopkins Hospital 103 John Hopkins University 103 Kadori-Schule 111 Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Wien 164 Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie Linz 232
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Kampfbund der Deutsch-Österreicher im Reich. Siehe: Hilfsbund der Deutsch-Österreicher im Reich Karl-Ferdinands-Universität Prag 187 Karl-Franzens-Universität Graz 17, 31, 33, 34, 40, 51, 56, 61, 63, 64, 68, 74, 75, 78, 79, 186, 345, 347, 348, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 362, 363, 372, 373, 391, 445, 450, 451, 452, 455, 476, 479 - Gerichtsmedizinisches Institut 479 - Katholisch-Theologische Fakultät 52, 360, 361 - Medizinische Fakultät 352, 357, 360, 479 - Philosophische Fakultät 352, 360 - Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 185, 352, 357, 360 Kärntner Landesarchiv 380 Kartellverband der katholischen Studenten 39 Katholisch-deutsche Studentenverbindung Marco-Danubia 218 Katholisch-Theologische Fakultät Salzburg 188, 360 Kinderkrankenhaus Vöcklabruck 431 k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst 285. Siehe auch: mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien k. k. Exportakademie 36, 157, 158, 181, 195, 199. Siehe auch: Hochschule für Welthandel; Verein k. k. Exportakademie; Wirtschaftsuniversität Wien k. k. Militär-Technisches Komitee 33 k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht 31, 35, 375 k. k. Österreichisches Handelsmuseum 157 k. k. Real-Handlungs-Academie 157 k. k. Staatsrealschule Wien XIX 187 Komitee der geschädigten Hochschüler 447 Kommissär für die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen 45, 77, 80, 81 Kommission für Provenienzforschung 24
519
Verzeichnis der Institutionen
Kommunistische Partei Österreichs 62, 76, 383, 408, 412, 437, 443, 448 Kommunistische Studentengruppe 384, 437 Konsularakademie Wien 144 Kunstgemeinschaft 339 Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für Kunst und Industrie 310, 333. Siehe auch: Universität für angewandte Kunst Wien Kurator der Deutschen wissenschaftlichen Hochschulen in Prag 358 Kurator der Reichsuniversität Straßburg 358 Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Graz und Leoben 56, 358 Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien 56, 173, 177, 178, 241, 358 Landesgericht für Strafsachen Wien 448 Landeskrankenhaus Klagenfurt 431 Landeskrankenhaus Salzburg 431 Landesleitung Österreich der NSDAP 353. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Landesleitung Tirol der NSDAP 370. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Landesleitung Wien der NSDAP 182, 319. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Landesnervenklinik Tirol 391 Landesregierung Tirol 367, 384, 389 Landgericht Wien 148, 149, 227 Leibstandarte-SS Adolf Hitler 343 Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Siehe: Universität Innsbruck Liquidator der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich 408, 415, 417, 425, 428 London School of Economics 115 Longy School of Music 302 Ludwig-Maximilians-Universität München 46, 252, 272, 353, 380
- Philosophische Fakultät 272 Ludwigs-Universität Gießen 353 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 353 Max Reinhardt Seminar 285, 287, 291, 292, 303, 304 mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 17, 283–307. Siehe auch: k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien; Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien; Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst Wien; Reichshochschule für Musik und darstellende Kunst Wien Metropolitan Opera 145, 325 Militärregierung, amerikanische 386 Militärregierung, französische 383, 386, 392, 393 Militär-Technisches Komitee. Siehe: k. k. Militär-Technisches Komitee Minerva-Rhenania 258 Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten 56, 174, 183, 201, 304, 305, 320, 321, 330, 357, 370, 381 Ministerium für Wirtschaft und Arbeit 223 Ministerkomitee zur Entnazifizierung der leitenden Stellen von Beamtenschaft und Wirtschaft 386, 392, 394, 396, 397, 417, 418, 423, 424, 425, 429, 451 Ministerrat der österreichischen Bundesregierung 386 Mischlingsliga Wien 224, 225 Mitgliedschaftsamt der NSDAP 453. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Mitteleuropäischer Wirtschaftstag 58, 189, 190. Siehe auch: Südost-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages Berlin zur Heranbildung junger Kaufleute für Südost-Europa an der Hochschule für Welthandel
520 Montanistische Hochschule Leoben 22, 47, 68, 75, 79, 252, 271, 310, 326, 350, 356, 450, 451, 452, 455. Siehe auch: Technische und montanistische Hochschule Graz–Leoben Montanuniversität Leoben. Siehe: Montanistische Hochschule Leoben Museum für Völkerkunde Wien 440 Nationale Freistudenten 367 Nationalrat 76, 159, 160, 290, 293, 430, 442, 443, 447, 451, 454, 480 Nationalsozialistische Betriebsorganisation 273 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung 16, 19, 44, 45, 57, 61, 62, 66, 67, 70, 71, 74, 75, 76, 77, 85, 105, 127, 130, 136, 138, 142, 156, 168, 169, 175, 180, 183, 185, 188, 189, 192, 201, 202, 210, 213, 220, 222, 225, 226, 233, 236, 241, 248, 253, 254, 260, 263, 270, 273, 274, 276, 277, 278, 280, 303, 314, 330, 346, 349, 350, 352, 354, 359, 361, 362, 367, 368, 369, 371, 372, 378, 381, 388, 389, 390, 392, 393, 395, 396, 397, 398, 407, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 416, 418, 419, 421, 422, 423, 424, 425, 426, 430, 431, 434, 435, 436, 437, 438, 440, 444, 446, 451, 453, 455, 470, 479, 482, 487, 494. Siehe auch: Amt Rosenberg; Bund Deutscher Mädel; Gauleitung Steiermark; Gauleitung Tirol-Vorarlberg; Gaupersonalamt Wien; Gaustudentenführung Wien; Hitlerjugend; Landesleitung Österreich der NSDAP; Landesleitung Tirol der NSDAP; Mitgliedschaftsamt der NSDAP; NSDAP-Ortsgruppe Unter St. Veit; Partei-Kanzlei der NSDAP; Rassenpolitisches Amt der NSDAP; Reichsleitung der NSDAP Nationalsozialistische Studentenkampfhilfe 183
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt 169 Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund 23, 57, 154, 235, 247, 276, 277, 319, 370, 371, 389, 390, 398. Siehe auch: Reichsdozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Reichskriegerbund 183 Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund 23, 43, 59, 124, 125, 127, 131, 154, 201, 210, 220, 274, 345, 349, 350, 351, 367, 380, 433, 444, 446 Nationalsozialistischer Lehrerbund 371, 390, 396 Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund 169 Nationalsozialistisches Fliegerkorps 67, 263, 437, 446 Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps 67, 263, 437, 446 Naturhistorisches Museum Wien 256 Neues Leben 375. Siehe auch: Vaterländische Front Neues Wiener Konservatorium 293, 339 New School for Social Research 115 Niederösterreichische Handels- und Gewerbekammer 157 NSDAP-Ortsgruppe Unter St. Veit 417. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung O5 407 Oberkommando der Wehrmacht 430 Oberlaender Trust 116 Oberlandesgericht Wien 193 Oberster Gerichtshof 478 Orientalisches Museum 157 Österreichische Akademie der Wissenschaften 20, 21, 64, 420, 473, 483. Siehe auch: Akademie der Wissenschaften in Wien Österreichische Hochschülerschaft 47, 58, 67, 68, 199, 384, 436, 445, 446, 447, 448, 451 - Hauptausschuss an der Universität Innsbruck 383, 384
Verzeichnis der Institutionen
Österreichische Hochschülerschaft Graz 445 Österreichische Legion 439 Österreichische Liga für Menschenrechte 481 Österreichische Nationalbibliothek, Theatersammlung 325 Österreichische Postsparkasse 232 Österreichische Rektorenkonferenz 38, 44, 68, 310, 447, 474 Österreichische Stickstoffwerke AG 431 Österreichische Volkspartei 62, 281, 383, 386, 412, 426, 427, 437, 448, 451, 455, 467, 473 Österreichischer Bundesverband ehemaliger politisch Verfolgter 194 Österreichischer Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen. Siehe: Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen Österreichisches Historisches Institut in Rom 372, 401 Österreichisches Museum für Kunst und Industrie 464 Österreichisches Staatsarchiv 74, 79, 181, 434, 446 Österreichisch-ungarischer Verband der Privatversicherungsanstalten 463 Osteuropa-Institut München 431 Ostmärkische Sturmscharen 368, 401 Paris-Lodron-Universität Salzburg 396 Rechtswissenschaftliche Fakultät 186 Partei-Kanzlei der NSDAP 181, 220, 354, 435. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Petrolea 232 Philipps-Universität Marburg 46, 197, 353 Polizeidirektion Graz 86 Polizeiexpositur Voitsberg 86 Polizeikommissariat Wien 82 Provisorische Staatsregierung, Politischer Kabinettsrat 409, 411, 417 Prüfungsamt für Auslandskunde des Südostens der Wiener Hochschulen 190
521 Rassenpolitisches Amt der NSDAP 390. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Rassenpolitisches Amt des Gaus Tirol-Vorarlberg 398 RCA Records 486 Reichsarbeitsdienst 59, 202, 440 Reichsdozentenbund 257. Siehe auch: Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Reichsfinanzministerium 192 Reichsgruppe Fremdenverkehr der Reichswirtschaftskammer 156 Reichshochschule für Musik und darstellende Kunst Wien 306. Siehe auch: mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands 60 Reichskulturkammer 134 Reichsleitung der NSDAP 180. Siehe auch: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / NS-Bewegung Reichsministerium des Innern 220, 231 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 18, 53, 55, 56, 57, 135, 167, 174, 175, 177, 178, 184, 201, 203, 219, 220, 221, 229, 230, 234, 235, 236, 241, 257, 259, 320, 331, 342, 351, 353, 354, 355, 358, 363, 394, 437 Reichssicherheitshauptamt 191, 192 Reichsstatthalterei 363 Reichsstatthalter in Österreich 259, 321 Reichsstatthalter in Wien 255, 321 Reichsstudentenführung 191, 380 Reichsstudentenwerk 201, 202, 349, 352 Reichstag, deutscher 45 Reichswerke Steine und Erden 232 Republikanischer Schutzbund 44, 76, 91, 161, 316, 369 Revolutionäre Sozialisten 129 Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 353, 402 Richard Weiß und Co. KG 232
522 Ring der ausübenden Musiker Österreichs 298. Siehe auch: Vaterländische Front Ring Freiheitlicher Studenten 384 Ring Katholisch deutscher Studierender Österreichs 367 Rockefeller Foundation 116 Rosenwald Family Fund 116 Roter Studentenverband 129, 148, 149 Rotes Kreuz 488 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 184, 353, 372, 394 Sachwalterschaft 47, 58 Sachwalterschaft Innbruck 367, 401 Sachwalterschaft Wien 271 Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn. Siehe: Max Reinhardt Seminar Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau 353 Schönbrunner Schlosstheater 303 School of the Art Institute of Chicago 336 Schutzstaffel 67, 156, 188, 213, 263, 389, 395, 397, 398, 412, 413, 414, 416, 418, 419, 424, 431, 436, 437, 444, 448 Sicherheitsdienst der SS 60, 257, 449 Sicherheitsdirektion der Steiermark 78, 88 Smith College, Northampton 146 Society for the Protection of Science and Learning 115 Soldatenrat 148 Sonderkommission I. Instanz beim Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten bzw. beim Bundesministerium für Unterricht 65, 264, 415, 417, 418, 420, 421, 422, 423, 424, 425 Sotheby’s 484 Sozialdemokratische Arbeiterpartei 76, 315 Sozialistische Arbeiter-Jugend 129 Sozialistische Partei Österreichs 194, 195, 383, 409, 412, 437, 450
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien 19, 283, 284, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 298, 300, 301, 303, 304, 305, 306, 307, 310, 339. Siehe auch: Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst Wien; mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien - Abteilung für Kirchenmusik 286, 295, 297 - Abteilung Kirchen- und Schulmusik 295 Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten 36 Staatsamt für Inneres und Unterricht 35, 36 Staatsamt für soziale Verwaltung 35 Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten 62, 67, 68, 192, 228, 230, 281, 306, 407, 408, 419, 421, 437, 442 Staatskanzlei 35, 412 Staatskommissär für die unmittelbaren Bundesangelegenheiten im Lande Tirol 383 Staatspolizei 368, 418, 439, 447 Staatsrat 168, 323 Stadt Innbruck, Magistrat 389 Stadt Wien, Magistrat 415 Städtische Sammlungen Wien 484 Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 394, 395, 418 Stanford University, Hoover Institution on War, Revolution, and Peace 214 Steirischer Heimatschutz 74, 75, 201 Stellvertreter des Führers 302, 354 Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände 175 Studentenparlament. Siehe: Österreichische Hochschülerschaft, Hauptausschuss an der Universität Innsbruck Studentenwerk Innsbruck 380 Sturmabteilung 67, 213, 232, 263, 370, 380, 389, 390, 395, 397, 398, 412, 413, 414, 416, 418, 419, 429, 431, 436, 437, 442, 446 Südosteuropa-Gesellschaft 189
523
Verzeichnis der Institutionen
Südostgemeinschaft der Wiener Hochschulen 57, 189 Südost-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages Berlin zur Heranbildung junger Kaufleute für Südost-Europa an der Hochschule für Welthandel 58, 189, 190, 191, 241. Siehe auch: Mitteleuropäischer Wirtschaftstag Symphony Orchestra Vancouver 145 Tatran 235 Technische Hochschule Brünn 36. Siehe auch: Deutsche Technische Hochschule Brünn Technische Hochschule Graz 17, 22, 34, 43, 45, 47, 48, 68, 75, 76, 79, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 252, 310, 348, 349, 350, 352, 360, 442, 452 - Fakultät für Architektur 87 - Fakultät für Bauingenieurwesen 87 - Fakultät für Chemie 87 - Fakultät für Maschinenbau 87 Technische Hochschule Wien 17, 20, 37, 40, 43, 50, 52, 63, 162, 163, 166, 179, 189, 209, 235, 243–266, 268, 269, 273, 275, 276, 314, 326, 337, 348, 350, 353, 356, 374, 441, 451, 474. Siehe auch: Technische Universität Wien - Akademischer Senat 263 - Elektrotechnisches Institut 251 - Fakultät für Bauingenieurwesen 247 - Fakultät für Technische Chemie 257 - Institut für Geologie 256 - Katholisch-deutsche Studentenschaft 15 - Professorenkollegium 247, 248 - Rektorat 248, 258 - Rektoratskanzlei 247 Technische und montanistische Hochschule Graz–Leoben 47. Siehe auch: Montanistische Hochschule Leoben Technische Universität Wien 318, 430. Siehe auch: Technische Hochschule Wien - Universitätsarchiv 249 Tierärztliche Hochschule Wien 24, 43,
78, 179, 189, 269, 310, 326, 350, 356, 446. Siehe auch: Veterinärmedizinische Universität Wien Tomsk 149 Überprüfungskommission beim Bundesministerium für Unterricht 418, 425, 426 Ungarische Weinbau Gesellschaft m.b.H. Nachf. Hugo Glattauer 234 Union der Österreichischen Akademiker 384, 437 Universidad de Buenos Aires 430 Universidad Nacional de La Plata 430 Universität Ahwaz 430 Universität Basel 145 Universität Berlin. Siehe: Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Universität Bern 184 Universität Bonn. Siehe: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Universität Breslau. Siehe: Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau Universität Czernowitz. Siehe: Franz-Josephs-Universität Czernowitz Universität Erlangen. Siehe: Friedrich-Alexander Universität Erlangen Universität Frankfurt. Siehe: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Universität Freiburg 46, 378 Universität für angewandte Kunst Wien 310. Siehe auch: Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für Kunst und Industrie Universität Gießen. Siehe: Ludwigs-Universität Gießen Universität Göttingen. Siehe: Georg-August-Universität Göttingen Universität Graz. Siehe: Karl-Franzens-Universität Graz Universität Greifswald. Siehe: Ernst-MoritzArndt Universität Greifswald Universität Halle-Wittenberg. Siehe: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
524 Universität Heidelberg. Siehe: RuprechtKarls-Universität Heidelberg Universität Innsbruck 17, 21, 31, 34, 45, 46, 51, 52, 54, 58, 60, 62, 63, 66, 74, 75, 79, 82, 186, 188, 350, 353, 356, 362, 365– 403, 442, 445, 451, 452, 455 - Akademischer Senat 365, 375, 441 - Botanisches Institut 371 - Gerichtsmedizinisches Institut 371 - Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie 378 - Institut für Erb- und Rassenbiologie 57, 378, 392 - Institut für Kosmische Physik 390 - Katholisch-Theologische Fakultät 52, 377, 400 - Medizinische Fakultät 64, 365, 366, 367, 372, 376, 378, 380, 391, 392, 396, 397, 399, 401, 402, 442, 478, 479 - Naturwissenschaftliche Fakultät 393, 398, 403 - Pharmakognostisches Institut 371 - Philosophische Fakultät 365, 366, 372, 374, 376, 378, 379, 380, 388, 389, 394, 395, 396, 399, 400, 401 - Professorenkollegium 391 - Psychiatrisch-Neurologische Klinik 371 - Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakul- tät 372, 376, 378, 391 - Rektorat 377 - Theologische Fakultät 360 - Überprüfungsausschuss 383, 395, 396, 397 - Universitätskurator 56, 358 - Zoologischer Fachbereich 371 Universität Kairo 430 Universität Köln 373, 378, 401 Universität Königsberg. Siehe: Albertus-Universität Königsberg Universität Leipzig 258, 353, 378, 389, 395, 462, 473 Universität Lemberg 31
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Universität Ljubljana 36, 40 Universität Marburg. Siehe: Philipps-Universität Marburg Universität München. Siehe: Ludwig-Maximilians-Universität München Universität Münster. Siehe: Westfälische Wilhelms-Universität Münster Universität Prag. Siehe: Deutsche Universität Prag; Karl-Ferdinands-Universität Prag Universität Salzburg. Siehe: KatholischTheologische Fakultät Salzburg; ParisLodron-Universität Salzburg Universität Täbriz 430 Universität Tübingen. Siehe: Eberhard Karls Universität Tübingen Universität Wien 17, 20, 21, 23, 26, 31, 32, 33, 36, 38, 40, 42, 43, 45, 46, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 61, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 78, 82, 123–151, 154, 155, 159, 161, 162, 163, 166, 174, 175, 176, 177, 179, 187, 189, 195, 197, 203, 209, 221, 232, 233, 243, 249, 250, 251, 252, 254, 255, 256, 276, 318, 323, 325, 326, 337, 348, 349, 350, 353, 355, 356, 357, 361, 374, 375, 388, 391, 396, 399, 402, 405–432, 433, 434, 436, 438, 439, 442, 443, 445, 446, 448, 449, 450, 451, 452, 453, 454, 461, 462, 463, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 471, 472, 473, 474, 475, 476, 479, 481, 482, 483, 484, 485, 487, 488, 489, 502 - Akademischer Senat 34, 40, 50, 407, 409, 425, 454, 467, 469, 471, 472, 474, 476, 481 - Anatomisches Institut 126, 133 - Botanisches Institut 405 - Chemisches Institut 148, 149 - Evangelisch-Theologische Fakultät 38, 131, 139, 414, 418, 423, 424 - Fächer des Frauenschaffens 57. Siehe auch: Universität Wien, Institut für Lebenswirtschaftskunde - Hochschulinstitut für Leibesübungen 57
525
Verzeichnis der Institutionen
- Institut für Ägyptologie 407 - Institut für Lebenswirtschaftskunde 57. Siehe auch: Universität Wien, Fächer des Frauenschaffens - Institut für medizinische Chemie 137 - Institut für Rassenbiologie 57 - Institut für Theaterwissenschaft 422 - Institut für Übersetzen und Dolmetschen 57 - Institut für Zeitungswissenschaft 57 - Katholisch-Theologische Fakultät 52, 131, 139, 360, 361, 406, 414 - Katholisch-Theologische Fakultät, Dekanat 52 - Klinik für Frauenkrankheiten 137 - Medizinische Fakultät 126, 131, 139, 143, 151, 155, 326, 355, 405, 407, 408, 412, 413, 416, 419, 423, 424, 425, 430, 431, 434, 440, 441, 467 - Philosophische Fakultät 36, 129, 131, 132, 138, 139, 155, 325, 355, 405, 408, 413, 414, 415, 419, 420, 423, 424, 425, 426, 430, 431, 432, 442, 443, 450, 467 - Philosophische Fakultät, Dekanat 408 - Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 37, 129, 131, 138, 139, 155, 184, 189, 326, 355, 408, 414, 417, 418, 420, 423, 424, 426, 446, 450, 461, 462, 465, 466, 467, 469, 470, 471, 472, 480, 483, 488, 489 - Rektorat 423 - Universitätsarchiv 355, 408, 434, 461 University in Exile 116 University of Chicago 145 University of Detroit 192 University of Edinburgh 144 University of Glasgow 145, 146 University of Michigan 147 Untergymnasium Salzburg 181 Unterrichtsministerium. Siehe: Bundesministerium für Unterricht; k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht; Staatsamt für Inneres und Unterricht; Staatsamt für Volksauf-
klärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten Unterstaatssekretariat für Volksgesundheit 39 USIA-Betriebe 433, 448 Vaterländische Front 19, 47, 76, 127, 169, 170, 180, 199, 274, 297, 375, 400, 401. Siehe auch: Neues Leben; Ring der ausübenden Musiker Österreichs - Arbeitskreis Musik 295 - Generalsekretariat 298 Verband der Öl- und Fettindustrie 232 Verband der Unabhängigen 397, 430 Verband Sozialistischer Studenten Österreichs 346, 383, 384, 437, 440, 450 Verein der Förderer der Hochschule für Welthandel in Wien 36, 157, 175. Siehe auch: Hochschule für Welthandel Verein k. k. Exportakademie 157. Siehe auch: k. k. Exportakademie Vereinigte Fettwarenindustrie Josef Estermann AG 232 Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs 313 Vereinigung demokratischer Hochschullehrer Österreichs 406 Vereins-Realgymnasium Wien XVIII 187 Verfassungsgerichtshof 125, 161, 416, 476 Vermögensverkehrsstelle Wien 183, 223, 224, 234, 241 Verwaltungsgerichtshof 472 Veterinärmedizinische Universität Wien 24, 318. Siehe auch: Tierärztliche Hochschule Wien Völkerbund 463 Völkische Arbeitsgemeinschaft 367 Volksgericht 280 Volksgericht Innsbruck 387 Volksgerichtshof 149, 225, 226 Waffen-SS 235 Waldstein-Kommission 271 Weidenfeld & Nicolson Ltd. 112
526 Weiße Rose 393 Westfälische Wilhelms-Universität Münster 46, 353, 392 Wienbibliothek im Rathaus 209 Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst 312, 332 Wiener Gebietskrankenkasse 431 Wiener Konzertorchester 295 Wiener Philharmoniker 286, 298, 302, 303 Wiener Rechtshistorische Gesellschaft 489 Wiener Restitutionskommission 484 Wiener Staatsoper 315 Wirtschaftshochschule Berlin 385 Wirtschaftsuniversität Wien 199, 501, 502, 503. Siehe auch: Hochschule für Welthandel; k. k. Exportakademie.
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
- Rektorat 501 - Universitätsarchiv 79, 190, 200, 225, 228 Wohlfahrtsausschuss – Comité de salut public 10 Yad Vashem 238 Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz 24 Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur 428 Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien 94, 224 Zentralverein der Bergwerksbesitzer Österreichs 157
Personen Abel, Emil 246, 247, 249, 265 Abel, Othenio 44, 46, 128, 353, 468, 481, 482 Ackerl, Franz 278 Adamovich, Ludwig 52, 64, 407, 408, 409, 425, 437, 443, 449, 455, 476, 484 Adler, Grete 341, 342 Adler, Guido 32, 411 Adler, Max 471 Adler, Melanie 411 Aichinger, Erwin 280 Alighieri, Dante 153, 466 Altmann, Lotte 104 Altschul, Annie 143, 144 Ammann, Hermann 372, 386 Amreich, Alfred 419, 425 Amschler, Wolfgang 275, 280 Andreae, Wilhelm 353 Andri, Ferdinand 314, 315, 319 Aninger, Lotte 334 Antoine, Tassilo 409, 412, 422, 423, 424 Arendt, Hannah 116 Artmann, Emil 246 Artner, Johann 251, 266 Arzt, Gustav 171 Arzt, Leopold 408, 417 Ash, Mitchell G. 432 Askenase, Stefan 294 Atatürk (Mustafa Kemal Pascha) 114 Badeni, Kasimir Felix Graf 267 Bahr, Hermann 219 Ballacs, Josef 164, 235 Barer, Anna 334 Barnstein, Annette 497 Barrenscheen, Hermann 419, 425, 431 Basch, Alfred 250, 265 Bauer, Joe 337 Bauer, Wilhelm 372, 376, 399, 423 Baule, Bernhard 348, 360
Baumann, Hermann 415 Baumgartner, Wolfgang 391, 398 Bayer, Gustav 376, 378 Bayer, Hans 373, 376, 387, 401 Bechtold, Albert 314, 315, 322, 323, 333, 334, 335, 340 Beethoven, Ludwig van 465 Behn, Fritz 320 Behrens, Peter 314, 315, 322 Benda, Oskar 428 Bendiner, Margarete 347 Benndorf, Hans 44, 78, 360 Berger, Gottfried 334 Berger, Peter 199 Berler, Feda 335 Beutel, Ernst 163, 164, 165, 167 Beveridge, William 115 Binder, Dieter A. 85 Birkmayer, Friedrich 251 Bismarck, Otto von 375 Blach, Richard 322, 323 Blagodatow, Alexej 407 Blandenier, Peter August 149 Bleier, Elisabeth 219 Blenk, Gustav 170 Bloch, Gisella 323 Bloch, Marc 180 Böck, Friedrich 247, 255 Bodenwieser, Gertrud 284, 300 Boeckl, Herbert 314, 315 Boeckmann, Walter von 56, 177, 178, 179, 192 Böhler, Lorenz 419, 429 Boltenstern, Erich 315, 322, 325 Boltzmann, Ludwig 32 Bormann, Martin 354 Borodajkewycz, Taras 21, 156, 157, 195, 379 Bouffier, Wilhelm 156, 159, 170, 185, 195 Brahms, Johannes 463 Brandenburg, Ernst 278
528 Brandner, Karl 250 Brandt, Willy 97 Braßloff, Stephan 125, 471 Brauner, Karl 359, 361 Breitner, Burghard 372, 386, 397 Brezina, Ernst 250 Brüch, Josef 373, 386, 396 Brücke, Ernst Theodor 374, 376, 399 Bruckner, Anton 295 Bruder Willram (Anton Müller) 375 Brügel, Fritz 476 Brüll, Ignaz 463 Brünner, Christian 347 Brunner, Karl 370, 372, 375, 376, 385, 386, 387, 392, 393, 396, 400, 401 Brunner-Lehenstein, Karl Heinrich 322 Brunner, Otto 423 Bühler, Charlotte 137 Bühler, Karl 117, 137 Bulingham, Mary 339 Bürckel, Josef 251, 256, 257, 258, 277, 360, 363 Burghauser, Hugo 298 Buttinger, Joseph 129 Buxbaum, Friedrich 300 Cahier, Sascha 298 Castle, Eduard 250 Cerveny, Walter 440 Christian, Viktor 55, 406, 419, 420, 425 Christoph, Edmund 391 Chwala, August 266 Clemenceau, Georges 478 Cohen, Hermann 388 Coudenhove, Eduard 360 Cremer, Erika 385 Crinis, Max de 352 Curie, Marie 297 Czermak, Emmerich 161, 163, 290, 292, 293, 294 Czermak, Wilhelm 407
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Dachauer, Wilhelm 315, 319 Dachs, Oskar 299 Damian, Heinz 440 Degenfeld-Schonburg, Ferdinand 408, 417 Del Negro, Walter 379, 388 Demelius, Heinrich 423, 424, 482, 483, 487 Dengel, Ignaz Philipp 368, 372, 376, 401 Denk, Wolfgang 407 Dessauer, Friedrich 262 Diamant, Alfred 214, 215, 216 Diener, Karl 40 Dienstleder, Alois 357 Dietrich, Bernhard 189 Dietrich, Bruno 23, 154, 167, 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 192, 197, 198, 203, 204, 362 Dimmel, Herbert 320 Diner, Dan 405 Dinner, Rudolf Alexander 342 Dité, Louis 299 Dobretsberger, Josef 357, 450 Dollfuß, Engelbert 16, 44, 76, 127, 156, 161, 163, 167, 169, 185, 209, 227, 254, 297, 354, 373, 398 Donath, Gustav 303 Dopsch, Alfons 37 Dörfel, Franz 156, 176, 177, 180, 181, 187, 193, 195, 228, 237 Döry, Iwan 250 Dreyfus, Alfred 477 Drimmel, Heinrich 127, 473 Dungern, Paul Otto 352 Durig, Arnold 53 Duschek, Adalbert 248, 250, 253, 266 Dzialoszynski, Avraham 216 Dzialoszynski, Maksymiljan Mordekhai 216, 218 Dzialoszynski, Roza 216 Ebenstein, Viktor 306 Ebers, Godehard Josef 373, 376, 387, 391, 401
Verzeichnis der Personen
Ebert, Ludwig 415 Eckfeld, Waldemar 142 Eckhart, Ludwig 248, 250, 257, 259 Eder, Hans 214, 491, 492, 495, 498 Eder, Helene 497 Eder, Helga 498 Eder, Hermann 492 Eder, Lisbeth 492, 497 Eder, Robert 26, 54, 213, 214, 491–500 Egger, Rudolf 419, 426, 430 Ehmann, Wilhelm 379 Ehrenberg, Kurt 423 Ehrlich, Abraham 305 Ehs, Tamara 139 Eibl, Hans 419 Eichmann, Adolf 94 Eigenberger, Robert 314, 315, 319, 323, 333, 335 Einstein, Albert 60, 115, 477 Eisenberger, Severyn 294 Eisler, Elisabeth 341 Eisler, Hans 116 Ekhart, Erwin 389, 390 Englisch, Karl 316 Englisch, Karl jun. 316 Englisch, Karl sen. 316 Enßlin, Wilhelm 353 Entz, Gustav 418, 419, 424 Enzinger, Moriz 373, 386, 396 Ephrussi, Familie 500 Eppinger, Hans 419 Erhardt, Harald 141, 142 Erismann, Theodor 373, 379, 387, 402, 403 Erker, Linda 128, 488 Erlacher, Philipp 357 Ernst, Robert 300 Esser, Josef 385 Faber, Friedrich Karl von 353 Fahringer, Karl 315 Fanta, Ernst 249 Färber, Leo 212, 217 Featherstone, William 64
529 Feder, Gottfried 185 Feichtinger, Herbert 266 Feigl, Herbert 125 Felch, Alexander 502 Fellinger, Karl 440 Ferjancic, Theodor 184 Feuchter, Herbert 379, 390 Feyrter, Friedrich 445 Figge, Eitel Fritz 223, 224 Figge, Heinz 223 Figge, Irene 223, 224 Figl, Leopold 67, 412, 426, 427, 445, 452 Fink, Leopold 251 Fischböck, Hans 173 Fischer, Ernst 62, 68, 69, 184, 408, 409, 411, 413, 436 Fischer, Robert 371 Fischer, Wilhelm 376, 399 Fischl, Hans 164 Flatscher, Josef Hermann 278 Fleck, Christian 21, 116, 117, 154 Fleming, Otto 151 Flussmann, Kurt 233 Foradori, Ernst 370 Fowler, Lucy. Siehe: Smetana, Lucie Fraenkel-Hahn, Luise 313, 333, 335 Fraenkel, Walter 335 Franco, Francisco 130 Frank, Eduard 250, 266 Franz, Leonhard 379, 386, 395, 396 Frauwallner, Erich 419, 426, 429 Freiberg, Gottfried 303 Freisleben, Hubert 201 Freud, Ernestine 138 Freud, Ernst 71 Freud, Sigmund 71, 125, 138, 479, 480 Freund, Leopold 249 Frick, Wilhelm 231 Friedmann, Hans 129 Friedmann, Ida 305 Fuhs, Herbert 419 Furtwängler, Wilhelm 413 Fussenegger, Gertrud 369
530 Fux-Eschenegg, Viktor 195 Gächter, Paul 377 Gagel, Oskar 416 Galea, Carmen 500 Galea, Charles 500 Gamper, Hans 386 Gams, Helmut 377, 400 Ganner, Hans 370, 391, 398 Gardiner, Muriel 129 Gasteiger, Hugo 370 Gaulle, Charles de 215 Gebhart, Leopold 316 Gehlen, Arnold 408, 415 Gehler, Michael 75 Geramb, Viktor 360 Glaser, Eduard 147 Glattauer, Edith 234 Glattauer, Elsa 234 Glattauer, Felix 231, 233, 234 Glattauer, Hugo 234 Gleispach, Wenzeslaus 43, 44, 46, 125, 128, 162, 353, 468, 472, 473, 474, 475, 476 Globocnik, Odilo 168, 258 Glöckel, Otto 35, 37, 39 Gödel, Kurt 137 Goldberg, Josef 247, 250 Goller, Peter 63, 66 Gomperz, Heinrich 47 Göring, Hermann 194, 223, 232 Gottlieb, Bernhard 137 Grab, Walter 113 Grabner, Alois 357 Gradischnig, Erich 170 Graf, Max 300, 307 Granigg, Bartel 442 Grass, Nikolaus 385, 387 Gregor, Joseph 322 Greisenegger, Wolfgang 151 Grengg, Roman 256 Grimm, Jacob 10 Grimm, Wilhelm 10
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Grossauer, Josef 322, 323, 325 Grossmann, Fritz 170 Gruber, Karl 62 Grünewald, Eduard 383 Grünhut, Karl Samuel 465 Grüninger, Paul 97 Grünsteidl, Edmund 171 Gruntzel, Josef 165, 166 Grzywienski, Anton 250, 266 Gschnitzer, Franz 373, 390 Guczky, Stefan 249, 266 Günther, Adolf 370, 378, 391 Gurtner, Josef 287 Haar, Anton 423, 424, 426 Haas, Fritz 247, 255, 256, 265 Hackenberg, Heinrich 194 Haempel, Oskar 272 Haffner, August 372, 376 Hagen, Robert 345, 346 Haider, Jörg 151 Hajdu, György 218 Hajek, Alois 419, 426 Halbach, Kurt Herbert 379 Halpern, Ida 145 Halpern, Leopold 473 Halpern, Otto 472, 473 Halsmann, Morduch Max 477 Halsmann, Philipp 477, 478, 479, 481 Hamburger, Franz 419, 431 Hammer, Heinrich 372 Hammer, Viktor 315, 322, 323, 325 Hämmerle, Hermann 378, 391 Hammerle, Karl 400 Hansen, Theophil 311 Hantsch, Hugo 357 Hartmann, Elfriede 148 Hartmann, Friedrich 307 Hartmann, Fritz 352 Hartmann, Ludo Moritz 42 Hassinger, Hugo 66, 129 Hatheyer, Ernst 183, 184, 185, 192
531
Verzeichnis der Personen
Hauser, Hermine 330 Hauser, Joseph 215 Hauska, Leo 278 Häusler, Hans 345 Heine, Heinrich 335 Heine-Geldern, Adolf 335 Heine-Geldern, Gustav 335 Heine-Geldern, Max 335 Heine-Geldern, Maximilian 335 Heine-Geldern, Robert 335 Heinrich, Walter 155, 168, 169, 186, 194, 195 Heinricher, Emil 366 Heintschel, Josef 241 Heisenberg, Werner 473 Heiß, Gernot 432 Helbok, Adolf 353, 370, 379, 388 Hellauer, Josef 181, 235 Hellebrand, Emil 272 Hellmann, Bernhard 460, 487 Hellmann, Irene 487 Hellmann, Paul 460, 487 Hendel, Georg 348, 357 Henke, Richard 251 Henze, Martin 374, 376, 399 Herdlitczka, Arnold 373, 376, 391, 401 Herzog, David 357 Heß, Rudolf 354, 362 Hess, Victor Franz 52, 357, 365, 372, 398 Heuberger, Richard 371, 395 Hillebrand, Josef E. 228, 229, 230, 233 Hinterhofer, Grete 294, 295 Hinterreitner, Johann 342 Hitler, Adolf 10, 11, 42, 44, 50, 60, 73, 81, 102, 107, 119, 130, 142, 155, 167, 168, 169, 188, 208, 226, 300, 348, 360, 371, 374, 410, 429, 435, 459, 470, 491 Hitschmann, Hans 333, 336 Hittmair, Anton 402 Hobsbawm, Eric 10, 69 Hoche, Otto 370 Hofer, Franz 393, 465
Hoffmann, Alfred 156 Höflechner, Walter 30, 362 Höfler, Karl 423, 424 Hofmann, Hans 284 Hofmann, Ludwig 250, 266 Hofreiter, Nikolaus 423, 424 Hold-Ferneck, Alexander 423 Holey, Karl 247, 260, 265 Holzmeister, Clemens 314, 315, 322, 323, 325, 333, 334, 336, 339 Hönigschmid, Otto 254 Hoops, Reinald 379 Hopfner, Friedrich 248, 250, 254, 266 Hopp, Erwin 280 Hoppe, Theodor 250, 266 Hörbst, Ludwig 402 Horeischy, Kurt 149 Horthy, Miklós 217 Huber, Andreas 53, 66 Huber, Anton 419, 426, 431 Huber, Elisabeth 321 Huber, Ernst Rudolf 378 Huber, Hans 18, 55, 351, 353, 354, 355, 363 Huber, Josef 423, 424 Huber-Rosenkranz, Elisabeth. Siehe: Huber, Elisabeth Hübner, Adolf 224, 225, 226 Hugelmann, Karl Gottfried 46, 353 Hupka, Hermine 460, 464, 485, 487, 488 Hupka, Josef 26, 125, 149, 459–489 Hupka, Ludwig 462 Hupka, Marie 464, 485 Hupka, Robert 464, 484, 485, 486 Hurdes, Felix 65, 417, 428, 450, 455 Husserl, Edmund 388 Huter, Franz 379, 395 Hüttenberger, Franz 383 Hüttenberger, Hans 383 Ichheiser, Felicitas Pauline 305 Ichheiser, Gustav 117 Ilg, Karl 388
532 Innitzer, Theodor 49, 473 Inzinger, Rudolf 266 Ipsen, Gunther 415 Isele, Hellmut Georg 193, 235 Jagoditsch, Rudolf 423, 424, 451 Jahn-Beer, Berta 294, 295, 302 Jahoda, Marie 48, 125 Jakob, Siegfried 171 Jantsch, Gustav 360 Jarausch, Konrad H. 124 Jaroschin, Franz 251 Jax, Karl 373, 386 Jellinek, Stefan 249, 265 John, Michael 232 Johnson, Alvin 115 Jokl, Norbert 142 Jolles, Adolf 171, 218 Jolles, Rosa 218 Jonas, Hans 116 Josch, Eduard 316 Junge, Peter Julius 379 Kainz, Friedrich 423, 424, 426 Kalmar, Rudolf 271 Kalous, Margarete 321 Kamitz, Reinhard 172, 190, 193 Kandel, Eric 118 Kanz 234 Karnal, Leonhard 316 Karplus, Martin 118 Kasbergen, Gerrit van 459, 460, 461, 487, 488 Kaserer, Hermann 274, 280 Kastil, Alfred 374 Kauders, Otto 357 Kautsky, Benedikt 156 Kelle, Carl von 35 Kelsen, Hans 35, 37, 41, 125, 467, 471 Kenda, Hans 421 Kent, İsmail Necdet 114 Keppler, Wilhelm 256, 363
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Kerl, Wilhelm 407 Kerschagl, Richard 155, 156, 168, 169, 170, 186, 193, 194, 195 Kershaw, Ian 203 Kienböck, Viktor 163 Kieslinger, Alois 250, 254, 256 Kindermann, Heinz 422, 423, 428, 429, 443 Kinzl, Hans 372, 386, 392, 394 Kirsch, Gerhard 419, 426 Kirste, Leo 249, 250, 266 Kisser, Josef 275 Kissinger, Henry 111 Klagsbrunn, Kurt 144 Klagsbrunn, Peter 144 Klamper, Elisabeth 318, 321 Klaus, Josef 127, 467 Klausner, Hubert 168 Klaveren, Jan Jacob van 156 Klebelsberg, Raimund 50, 66, 369, 371, 372, 377, 386, 392, 393, 395 Klemenc, Alfons 250, 254, 255, 266 Klemperer-Klemenau, Klemens 146 Knechtl 235 Knesbach, Fanny. Siehe: Stang, Fanny Kneussl, Erich 383 Knoll, Franz 250, 253, 260 Knoll, Fritz 23, 50, 130, 134, 166, 176, 354, 361, 419, 420, 426, 482 Knoll, Kurt 15, 154, 168, 174, 177, 179, 185, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 195, 222, 228, 229, 233, 234, 235, 241 Knoller, Otto 147 Kobald, Karl 295, 296, 298, 300, 306, 307 Koban, Walter 369, 380, 387 Koch, Hans 353, 430 Kofler, Johann 423, 424 Kofler, Ludwig 371, 378, 389 Kogler, Ferdinand 376 Kohn, Walter 118 Kölbl, Leopold 46, 272 Königsberger, Gerda 317 Konrad, Josef 402
533
Verzeichnis der Personen
Koref, Ernst 290 Körner, Theodor 412 Körte, Werner 379 Kralik, Dietrich 423, 424, 426 Krauland, Peter 190 Krauland, Walter 391, 392 Kraus, Anton 316 Kraus, Karl 292, 374 Kraus, Walther 135 Krause, Rita 151 Krause, Walter 151 Kreisky, Bruno 97 Krejci, Alfred 387 Kreller, Hans 417, 418, 423, 424, 426 Kremer, Erna 300 Krenek, Ernst 295 Kretschmar, Paul 369 Krips, Josef 300, 307 Krohn, Claus-Dieter 115 Krumholz, Wilhelm 145 Krusche, Franz Josef Maria 227, 228, 233, 234 Kubart, Bruno 352 Kubiena, Walter 279, 280 Kulisch, Max 372 Kummer, Karl von 218, 226 Kurth, Karl 415, 431 Kurz, Alexander 322, 325 Laad, Stefan 336 Lach, Robert 288 Lammasch, Heinrich 34 Lamp, Karl 369, 378 Landsteiner, Karl 32 Langbein, Otto 129 Lang, Franz Josef 372, 378, 386, 391, 396, 397 Lange, Jörn 149 Larwin, Hans 315, 339 Laves, Wolfgang 357 Layer, Max 44 Lazar, Otto 250, 266 Lazarsfeld, Paul 125
Lechthaler, Josef 295, 296 Lego, Karl 250, 254, 266 Leiningen-Westerburg, Wilhelm 275 Leiter, Hermann 176, 197 Lejeune, Fritz 416 Lenz, Adolf 357 Leon, Alfons 352 Lerch, Friedrich 372 Lesky, Albin 373, 386, 396 Lessing, Erich 110 Leuchs, Kurt 415, 423, 424 Leutnant, Günther 380 Levarie, Sigmund 145 Liatscheff, Hans 215 Liebscher, Wilhelm 280 Lier, Jacques van 284 Lierhammer, Theodor 298 Lilien, Marya 336 Lillie, Sophie 484 Lindner, Josef 372 Lingens, Ella 147, 148 Lingens, Kurt 148 Lingg, Anton 453 Linnert, Gustav 250, 254, 266 Lisch, Karl 370 Loewy, Otto 52, 345, 346, 348, 357 Löffler, Lothar 416 Löhr, Ludwig 280 Lorenz, Ernst 360 Lorenz, Konrad 460 Lorenz, Reinhold 379 Lösel, Franz 247 Löwy, Ignatz 211 Löwy, Ilse 211, 212 Löwy, Karl 197, 211, 212, 213 Löwy, Martha 211, 212 Lueger, Karl 49, 296 Lugmayer, Karl 62, 69, 281 Luhmann, Niklas 406 Luka, Arthur 197, 198, 211, 213, 218 Lutterotti, Otto 388 Lutz, Carl 217 Lux, Paul 193
534 Mach, Ernst 32 Machatschek, Friedrich 353 Mache, Heinrich 260 Machek, Guido 370, 389, 390 Machold, Reinhard 61 Magnaghi, Albert 314 Magyar, Franz 249, 266 Mahnert, Alfons 360 Maier, Heinrich 149 Mandelsloh, August 320 Mann, Klaus 103 Mann, Thomas 359, 477 March, Arthur 373, 386 March, Werner 320 Marchet, Arthur 57, 255, 258, 419, 420, 425, 431 Maria Theresia (Kaiserin) 157 Marischka, Viktor 341 Mark, Hermann 137, 254 Mark-Neusser, Paula 298 Marschall, Rudolf 312, 322, 323 Martin, Ludwig Christian 315, 342 Marx, Joseph 286, 287, 288, 289, 293, 295 März, Eduard 147 Märzinger, Karl 314 Mathis, Jürg 391 Maunz, Theodor 378 May, Karl 106 Mayer, Anton 250, 257, 265 Mayer, Ernst Georg 419, 425, 429 Mayer, Franziska 379 Mayer, Hans 470 Mayer, Leopold 170, 176, 185, 188, 192, 195, 222, 229, 235 Mayerhuber, Sepp 314 Mayer-Wegelin, Hans 278 Mayrhofer, Adolf 422 Mayrhofer, Bernhard 368, 369, 372 Mayrhofer, Karl 419, 426, 429 McCarthy, Joseph 119 Meder, Josef 464 Meisl, Hugo 147
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Meisl, Martha 147 Meissel, Franz-Stefan 488 Meister, Richard 68, 70, 420, 425, 436, 441, 461, 473, 484 Meithner, Karl 169, 170, 193 Meixner, Karl 371 Menghin, Oswald 55, 56, 168, 169, 172, 201, 202, 211, 324, 355, 357, 359, 395, 419, 420, 425, 430, 482 Mesner, Maria 438 Mestler, Joseph 337 Mestler, Ludwig 333, 337 Metz, Friedrich 46, 50, 353, 370 Mewaldt, Johannes 423, 424 Michel, Hermann 250, 256 Michelangelo Buonarroti 486 Miklas, Wilhelm 474, 478 Mikoletzky, Hanns Leo 250, 266 Mikoletzky, Juliane 249 Millet, Erika 341 Miltner, Franz 371, 378, 379, 388 Mittendorfer, Stephanie 74, 80 Mlaker, Karl 360 Mokre, Hans 357 Molden, Fritz 395 Molden, Otto 395 Molisch, Hans 468, 470 Morawec, Ernst 302, 303 Morgenthaler, Richard 193 Moser, Simon 374, 375, 379 Motesiczky, Karl 148 Mucha, Rudolf 250, 266 Mühlberger, Kurt 355, 356 Mühlmann, Kajetan 321 Mulertt, Werner 353 Müller, Albert 179, 195 Müller, Wolf Johannes 250, 257, 258, 259 Müller-Pernitza, Hilde 284 Müllner, Josef 315, 319 Münz, Ludwig 321 Murmelstein, Benjamin 215 Murmelstein, Zacharias 215
Verzeichnis der Personen
Mussolini, Benito 367, 373, 401 Muth, Robert 387, 388 Nadler, Josef 49, 60, 70, 408, 428, 443 Neubauer, Vinzenz 250 Neubauer, Wilhelm 278 Neumann, Leo 250, 254 Neumann, Wilhelm 380, 388 Neutra, Richard 245 Nicolson, Nigel 112 Nierhaus, Irene 314, 318, 321 Nöll von der Nahmer, Robert Philipp 186, 193 Nötscher, Friedrich 353 Nusko, Hans 159 Oberguggenberger, Viktor 386 Oberhammer, Paul 488 Oberparleiter, Karl 156, 166, 181, 182, 183, 195 Olbrich, Wilhelm 270, 272 Olechowski, Thomas 488 Ondracek, Josefine 316 Orel, Alfred 300, 302, 303, 304, 305 Ortenberg, Alfred 343 Ortner, Gustav 419, 426, 430 Ostwald, Wolfgang 258 Ottel, Klemens 236 Ottilinger, Margarete 190 Painlevé, Paul 478 Pappenheim, Else 103 Parkinson, Marie 485 Parkinson, Stephen 489 Parson, Herbert 400 Pastor, Ludwig 372 Patzelt, Viktor 423, 424, 429 Pauley, Bruce F. 162 Pauser, Sergius 320 Pelinka, Anton 427 Pernkopf, Eduard 131, 151, 166, 378, 406, 419, 420, 425, 431
535 Pernter, Hans 18, 19, 49, 298, 299, 373, 375, 381 Perón, Juan 119 Peterlunger, Oswald 368 Petri, Loli 284 Petritsch, Ernst Felix 250, 254, 257, 266 Petschnigg, Franz 251 Petzer, Anton von 383, 384, 386 Pfalz, Anton 419, 425 Pfefferle, Hans 434 Pfefferle, Roman 434 Pfeifer, Helfried 423, 429, 430 Philippi, Ernst 370, 378, 380, 389, 400 Philippovich, Eugen von 33 Pichler, Alexander 419, 425, 431 Pichler, Hans 419, 423 Pick, Ernst Peter 127, 467, 468 Piechl, Norbert 370 Pillat, Arnold 423, 424 Pinochet, Augusto 119 Pirchan, Emil 315, 333, 334, 335, 338, 339 Piscator, Erwin 116 Pius XII. (Papst) 105 Planitz, Hans 417 Plaschkes, Ernst 251 Plattner, Friedrich 46, 53, 56, 173, 174, 175, 201, 357, 370, 378, 417, 430 Pleyer, Kleo 379 Poch-Kalous, Margarete. Siehe: Kalous, Margarete Pollak, Heinz 132, 133 Pollak, Otto 305 Pöll, Hans 250, 266 Pongratz, Alfred 352 Popa-Grama, Georg 297, 298 Popp, Alexander 319, 320 Popper, Ludwig 137 Popper, Otto 150 Porsch, Otto 270, 272, 276 Pöschl, Arnold 183, 185, 186, 192, 352 Posselt, Adolf M. 214, 225, 226 Pötzl, Otto 423
536 Prachar, Josef 251 Prager 323 Praschinker, Camillo 423, 424 Pregl, Fritz 32, 52 Preiser, Erich 193 Preßburger, Richard 477 Pressler, Franz 478 Probst, Christoph 393 Protić, Paul Georg 235 Prušnik, Marija 240 Pulgram, Ernst 147 Püringer, Rudolf 258 Pütz, Theodor 385 Quittner, Franz 92 Quittner, Genia 92 Rabas, Kurt 237 Rabinovici, Doron 95 Rabofsky, Alfred 448 Rabofsky, Eduard 447 Rachmaninov, Sergej 295 Racker, Ephraim 132, 133 Radaković, Konstantin 360 Rainer, Renate 321 Rammer, Gerhard 439 Ranger, Terence 69 Rapp, Lizzi 337 Rappaport, Maria Immaculata 330, 337, 338 Rappaport-Arbengau, Alfred Ritter von 338 Rath, Ari 112 Rauch, Karl 68, 70 Reach, Felix 275 Redlich, Otto 249 Regenhart Zapory, Franz Ritter von 462 Reger, Max 295 Reich, Otto 316 Reichelt, Hans 352, 354, 359 Reindler, Wilhelm 214, 215 Reinhardt, Max 93, 285, 303 Reisch, Otto 370 Rendulic, Lothar 229
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Renner, Karl 35, 62, 64, 410, 413, 418, 427 Resch, Josef 171, 250 Reuter, Friedrich 408 Reut-Nicolussi, Eduard 367, 373, 374 Rhode, Maria 473 Richter, Elise 125, 140, 149 Richter, Helene 150 Rieder, Erika 321 Riehl, Hans 357 Rintelen, Anton 161 Rittler, Theodor 371 Robert, Hagen 346 Roeder, Maria-Magdalena 321 Röhm, Ernst 10 Rohracher, Hubert 377, 379 Rommel, Erwin 107 Roosevelt, Franklin D. 96 Roosevelt, Theodore 146 Rosenberg, Alfred 379 Rosenzweig-Steiner, Adele 338 Rösler, Otto 357 Rössel-Majdan, Karl 299, 307 Roth, Gertrud 144 Ruckensteiner, Ernst 391 Rudel, Augustin 251, 266 Rupprich, Hans 423, 424, 426 Russ, Franz 250 Rust, Bernhard 56, 154, 168, 174, 177, 179, 188, 191, 202, 228, 320, 345, 348, 358, 361, 381 Sacher, Erich 360 Saliger, Rudolf 247, 249, 256 Sander, Bruno 373, 402 Sauser, Gustav 402 Sauter, Johannes 138, 139 Schaffernak, Friedrich 247 Schärf, Adolf 409, 410, 411, 412, 418, 419 Scharf, Erwin 194 Scharfetter, Helmut 370, 391 Schatz, Heinrich 371, 390 Schatz, Josef 372
Verzeichnis der Personen
Scheel, Gustav Adolf 201 Schehl, Franz 348, 357 Scheminzky, Ferdinand 396 Schenk, Erik 411 Scheppelmann-Rieder, Erika. Siehe: Rieder, Erika Scheufler, Hildegard 339 Schieder, Theodor 379 Schiedler 342 Schiffmann, Edgar 300 Schilbach, Rudolf 187 Schimpf, Otto 174, 201 Schirach, Baldur von 189 Schlageter, Albert Leo 368 Schlesinger, Egon 225 Schlesinger, Georg 171 Schleyer, Hanns Martin 380 Schlick, Moritz 128, 138, 150 Schmid, Heinrich F. 357 Schmiderer, Simon 339 Schmidt, Franz 286, 288, 289, 290, 293, 295, 296 Schmidt, Hans Wilhelm 418, 419, 423, 424 Schmidt-Ott, Friedrich 366 Schmitt, Albert 375 Schmitz, Richard 288, 289 Schmutzer, Ferdinand 464, 465 Schnabel, Sigismund 297 Schneider, Alfred. Siehe: Krejci, Alfred Schneider, Philipp 416, 425 Schneuer, Ernst Felix Roman 258 Schnitzler, Arthur 464, 480 Schober, Herbert 247, 254, 256, 258, 262 Schober, Johann 478, 479 Scholz, Arthur Johannes 299 Schönbauer, Ernst 420, 423 Schönbauer, Leopold 409, 412, 423, 424 Schönberg, Arnold 296, 411 Schönerer, Georg Ritter von 380 Schramke, Peter 148 Schreiber, Max 275 Schreker, Franz 296, 411
537 Schrödinger, Erwin 52, 64, 137, 357, 359, 360 Schrutka, Lothar 253 Schubert, Kurt 406, 407, 436, 441 Schueller, George K. Siehe: Schüller, Georg Schuhecker, Karl 278 Schulbaur, Heinz 300, 301, 306 Schulhof, Otto 307 Schüller, Georg 214 Schulze-Soelde, Walter 379, 388 Schumpeter, Joseph A. 35, 115, 147, 158 Schürff, Hans 167 Schürr, Friedrich 353 Schuschnigg, Kurt 16, 46, 49, 52, 81, 156, 168, 169, 180, 185, 209, 227, 271, 272, 298, 354, 373, 381, 398, 400, 401, 402 Schütz, Franz 289, 294, 302, 303, 305, 306 Schütz, Herbert 339 Schütz, Wolfgang 151 Schwab, Wilhelm August 143 Schwarz, Franz Xaver 435 Schwarz, Werner M. 249 Schwarzacher, Walter 357 Schwätzer, Siegmund 249 Schwind, Moritz von 465, 484 Schwinge, Erich 418 Sedlmayr, Hans 408, 423 Seeber, Arthur 380 Seefehlner, Ernst 250 Seefelder, Richard 366, 371 Segal, Lore 103 Seidler, Herbert 379, 396 Seidler von Feuchtenegg, Ernst 34 Seipel, Ignaz 163 Seitle, Anna Maria 342 Sekera, Franz 22, 55, 273, 274, 275, 276, 277, 280 Sequenz, Heinrich 265 Seyß-Inquart, Arthur 50, 201, 321, 323, 361, 420, 487 Siegel, Carl 352 Sieglbauer, Felix 372
538 Singer, Gustav 345, 346, 347 Singer-Burian, Minna 302 Sirk, Hugo 250, 266 Sitte, Heinrich 372 Sittner, Hans 307 Skaloud, Franz 322, 325 Skrbensky, Otto 47, 62, 68, 77, 80, 271, 372, 387, 418, 421, 422, 425, 439 Slaby, Karl 251 Sloterdijk, Peter 406 Smetana, Lucie 143, 144 Smith, Homer W. 345 Spann, Othmar 36, 41, 138, 156, 169, 194, 195, 391, 466 Späth, Ernst 130 Spath, Franz 357 Speiser, Wolfgang 474 Sperlich, Adolf 371, 378, 389, 390, 400 Spiel, Hilde 92 Spieler, Maria 298 Springer, Max 286, 288, 289 Srbik, Heinrich 49, 50, 60, 156, 161, 289, 408, 468, 472, 473 Stadler, Max 183, 184, 187, 192 Stalin, Josef W. 10, 11, 448 Stang, Fanny 123, 125, 145 Starhemberg, Ernst Rüdiger 194 Staud 229 Steden, Anton 275 Steidle, Richard 368 Stein, Alfred 305 Steinacker, Harold 66, 362, 369, 371, 373, 375, 378, 379, 381, 382, 388, 389, 399, 400, 403 Steinböck, Otto 66, 70, 371, 378, 386, 392, 393, 394, 395, 403 Steiner, Ernst 159, 171 Steiner, Georg 298 Steinhauser, Walter 419, 426 Steinmaurer, Rudolf 399 Stern, Eva 217 Stern, Ferenc 217
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Stern, György 216, 217 Stern, Hans Gerhard 214 Stern, Janka 217 Stern, Stefan 217 Sterrer, Karl 315, 322, 325, 337 Stetter, Georg 419, 426, 429 Steuer, Adolf 366 Steuermann, Eduard 294 Stiefel, Dieter 427 Stifter, Christian H. 421, 427 Stigler, Robert 272 Stiny (Stini), Josef 256 Stockinger, Friedrich 170, 227 Stöhr, Richard 300, 399 Storch, Otto 357 Strauss, Leo 116 Strauss, Richard 295 Strebinger, Robert 260 Strele, Kurt 370, 378 Stremitzer, Heinrich 234 Ströbeck-Forner, Friderike 321 Strobl, Ludwig 171 Strohal, Richard 372, 374, 376, 379, 401 Stumpfl, Friedrich 378, 386, 392 Stuppäck, Hermann 300 Suess, Eduard 260 Swayze, Patrick 477 Swoboda, Ernst 418, 420, 425 Swoboda, Hermann 480 Swoboda, Ludvik 347 Szilvinyi, Anton 266 Szilvinyi, Armin 250 Tabor, Jan 326 Taborsky, Engelbert 170 Tandler, Julius 35, 47, 125, 126, 128, 402, 474 Tanzner, Rudolf 254 Tapavicza, Theodor 387 Tapfer, Siegfried 386, 397, 398 Taschwer, Klaus 128 Tatowsky, Ernst 251
539
Verzeichnis der Personen
Tauber, Alfred 249, 265 Taucher, Wilhelm 360 Tauscher, Anton 360 Tausig, Franziska 109 Terzaghi, Karl 247 Thiede, Klaus 278 Thimig, Helene 93 Thirring, Hans 441, 472 Thun-Hohenstein, Leopold Graf von 70 Thüring, Bruno 60, 431 Thurnher, Eugen 388 Till, Alfred 275, 280 Timm, Herbert 193 Tischendorf, Wilhelm 272, 277 Tolbuchin, Fjodor Iwanowitsch 410 Toscanini, Arturo 486 Troll, Wolfgang 415 Troller, Georg Stefan 99 Trost, Anton 294 Tschermak-Seysenegg, Erwin 32 Uebersberger, Hans 44, 46, 353 Uiberreither, Sigfried 351 Ülkümen, Selahattin 114 Ulmer, Ferdinand 370, 378, 390, 391 Ungar, Alice 219 Ungar, Fritz 219 Ungar, Hans 219 Ungar, Paul 219 Unterberger, Siegfried 416, 431 Urban, Hubert 373, 376, 402 Ursin, Josef 166 Usch, Franz 316 Vahlen, Theodor 353 Valjavec, Fritz 379 Vargas, Getúlio 105 Vietoris, Leopold 373 Voegelin, Eric 465, 466 Vogel, Emanuel Hugo 272, 276, 277, 422 Vogel, Ladislaus 345 Vogelweide, Walter von der 380
Vollmar, Hans 149 Vos, Robert 342 Waal, Edmund de 500 Wachberger, Eugen 322, 325 Wacker, Otto 353, 360, 361, 362, 363 Wagner, Arthur 371 Wagner, Walter 317 Wagner von der Mühl, Adolf 250, 266 Waldapfel, Kurt 237 Waldheim, Kurt 150 Waldner, Otto 298 Wallerstein, Lothar 315, 322, 323, 325 Walz, Gustav Adolf 378 Wang-Tindl, Stella 284 Watzek, Franz 316 Watzek, Josef 316 Watzek, Karl 316 Watzek, Otto jun. 316 Watzek, Otto sen. 316 Weber, Max 466 Weidenfeld, Arthur Georg (George) 112, 128, 144 Weidmann, Ernst 56 Weil, Anita 340 Weill, Erwin 300, 301 Weinert, Willi 432 Weingarten, Paul 294, 306 Weiss, Franziska 133 Weiß, Josef 232 Weiß, Karoline 233 Weiß, Leo 232, 233 Weiß, Leopold 231, 232, 233, 234 Weiss-Racker, Franziska. Siehe: Weiss, Franziska Weiß, Richard 232, 233 Weißgatterer, Alfons 386 Weizmann, Chaim 144 Wellesz, Egon 125 Wense, Theodor 391, 397, 398 Werkgartner, Anton 479, 480 Werner, Othmar 275
540 Wessel, Horst 126, 270, 369, 380 Wesselski, Albert 357 Wessely, Emil 419, 425, 429 Westphalen, Ferdinand 275 Wetzel, Juliane 435 Widowitz, Paul 360 Wiener, Karl (von) 285, 289, 290, 291, 292 Wihan, Rudolf 202 Wild, Friedrich 413, 419, 429 Wildbrunn, Helene 298 Wilke, Fritz 423, 424 Willmes, Heinrich 192 Wilmowsky, Tilo Freiherr von 235 Wilson, Harold 145 Wiltschegg, Walter 205 Windischer, Hans 379 Winkler, Arnold 156, 169, 170, 186, 193, 194 Winkler, Emil 353 Winkler, Wilhelm 425 Winter, Berthold 215 Winter, Grete 215 Winter, Irene 215 Winter, Julius 214, 215 Winter, Selma 215 Wittram, Reinhard 379 Wolf, Karl 247, 250, 253, 258, 266 Wolf, Sándor 145 Wolff, Karl 376, 378, 399 Wopfner, Hermann 373, 393, 395 Wright, Frank Lloyd 336 Wührer, Friedrich 294 Wunderer, Alexander 286, 288, 289, 299 Zacherl, Hans 360 Zak, Margarete 333 Zdekauer, Eleonore 260 Zechner, Leopold 194 Zederbauer, Emmerich 270, 273, 274, 275, 280 Zeisel, Hans 48 Zeisel, Simon 268
Verzeichnis der Institutionen und der Personen
Zelburg, Franz 78 Zeßner-Spitzenberg, Hans Karl 270, 274, 275, 280 Zettelbauer, Heidrun 86 Zheltov, Aleksey S. 449 Ziegler, Julius 209 Zikulnig, Agnes 240 Zilsel, Edgar 117 Zimet, Josef 212 Zimmerl, Leopold 44, 46 Zuckerkandl, Bertha 478 Zweig, Stefan 104, 219, 359, 480 Zwitter, Franz 240 Zwitter, Terezija 240 Zwitter, Vinzenz 239, 240