"Jede Note an dich gerichtet!": Musikalische Widmungsgeschichten aus drei Jahrunderten 3534231236, 9783534231232

Das "musikalische Opfer", die "Eroica", "Tristan und Isolde", die "Sinfonie der Tause

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German Pages 280 [277] Year 2021

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
I. Musikalisches Opfer oder Revanche im Kontrapunkt? Rätselhafte Geschenke für einen großen König
II. „Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben“ Eine lange Reise zu einer kurzen Liebe
III. „Die Symphonie ist eigentlich betitelt Bonaparte“ Fragen um ein zerrissenes Titelblatt
IV. Lieder ohne Widerhall Ein Dichterfürst findet keine Worte
V. „Hochbeglückt, schmerzentrückt“ Zürcher Kapriolen und ihre Folgen
VI. „Ich bin krank vor Liebe…“ Leiden einer Ehe und ein sinfonischer Rettungsversuch
VII. „Dem Andenken eines Engels“ Ein Requiem als Geburtstagsgabe
VIII. „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott“ Gebet aus dem Inferno
Anmerkungen
Bibliographie
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"Jede Note an dich gerichtet!": Musikalische Widmungsgeschichten aus drei Jahrunderten
 3534231236, 9783534231232

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Johann Sebastian Bach

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Ursula Schneewind

„Jede Note an Dich gerichtet!“ Musikalische Widmungsgeschichten aus drei Jahrhunderten

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Erweiterte Neuausgabe © 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-23123-2

Johann Sebastian Bach

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INHALT

Vorwort .................................................................................

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I.

Musikalisches Opfer oder Revanche im Kontrapunkt? Rätselhafte Geschenke für einen großen König .............................. Johann Sebastian Bach: Das Musikalische Opfer

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II.

„Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben“ Eine lange Reise zu einer kurzen Liebe ....................................... Wolfgang Amadeus Mozart: „Non sò d’onde viene“

39

III.

„Die Symphonie ist eigentlich betitelt Bonaparte“ Fragen um ein zerrissenes Titelblatt........................................... Ludwig van Beethoven: 3. Sinfonie Es-Dur

72

IV. Lieder ohne Widerhall Ein Dichterfürst findet keine Worte ........................................... 103 Franz Schubert: Lieder op. 19 V.

„Hochbeglückt, schmerzentrückt“ Zürcher Kapriolen und ihre Folgen............................................ 131 Richard Wagner: Tristan und Isolde

VI. „Ich bin krank vor Liebe…“ Leiden einer Ehe und ein sinfonischer Rettungsversuch .................... 154 Gustav Mahler: 8. Sinfonie Es-Dur VII. „Dem Andenken eines Engels“ Ein Requiem als Geburtstagsgabe ............................................. 179 Alban Berg: Violinkonzert VIII. „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott“ Gebet aus dem Inferno.......................................................... 213 Arnold Schönberg: „Ein Überlebender aus Warschau“ Anmerkungen .......................................................................... 243 Bibliographie ........................................................................... 272

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VORWORT

Musikalische Widmungen sind keine Seltenheit. Fast jeder Komponist hat das eine oder andere seiner Werke mit einer Widmung versehen – sei es für einen Auftraggeber, einen Gönner, eine Freundin oder einen Freund. Selten verbinden sich mit diesen Widmungen jedoch Ereignisse, die für das Leben des Komponisten eine tiefer gehende oder sogar krisenhafte Bedeutung haben. Anders in den acht Widmungsgeschichten dieses Bandes. Sie erzählen von Herausforderungen, in denen die Komponisten versucht haben, mit der Widmung ihrer künstlerischen Arbeit etwas Besonderes zu bewirken oder eine wichtige Aussage zu machen. Der jeweilige Widmungsanlass brachte mich auf die Idee, das Werk, die Lebensumstände und die Persönlichkeit der Komponisten in acht Essays lebendig werden zu lassen. Essays sind Versuche – Versuche, bisweilen schwer Fassbares und Verbindbares in Worten transparent werden zu lassen. Ich hoffe, meine Versuche tragen dazu bei, ein wenig mehr von den acht Komponisten zu erfahren und vielleicht auch die gewidmeten Werke neu zu entdecken. Mein besonderer Dank gilt meinem Mann, der meine Arbeit von der ersten Idee bis zur Endfassung dieses Buches vielfältig unterstützt hat. Außerdem geht mein herzlicher Dank an Herrn Dr. Rainer Aschemeier, der mich als Lektor engagiert und hilfreich begleitet hat, sowie an Frau Dipl.-Psych. Judith Weichert, die in exzellenter Weise den Text für den Druck vorbereitet hat. München, im September 2009

Ursula Schneewind

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I Musikalisches Opfer oder Revanche im Kontrapunkt? Rätselhafte Geschenke für einen großen König

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„Gestern erhoben sich Se. Majestät, der König, von Potsdamm nach Charlottenburg, und nahmen allda die auserlesenen jungen Pferde in höchsten Augenschein, welche der Herr Stallmeister von Schwerin neulich aus den Königlichen Stutereyen in Preussen anhero gebracht hat.“ Der Hofbericht schien an diesem Tag nicht viel herzugeben. Was die Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen am 11. Mai 1747 auf der Titelseite brachten, war kaum der Rede wert. Zuerst ein paar Sätze über den Besuch Seiner Majestät, König Friedrich II. im Pferdestall. Danach der kurze Hinweis, dass die Herren General-Leutnant von Bonin und General-Major von Kalsow „alhier eingetroffen“ seien. Wen interessierte das schon? Doch dann wurde es auf einmal spannend. Der dritte Beitrag bot den Lesern nämlich ein paar Einblicke ins königliche Privatleben und war ausgesprochen unterhaltsam. „Aus Potsdam vernimmt man, daß daselbst verwichenen Sonntag der berühmte Capellmeister aus Leipzig, Herr Bach, eingetroffen ist, in der Absicht, das Vergnügen zu geniessen, die dasige vortreffliche Königliche Musik zu hören. Des Abends, gegen die Zeit, da die gewöhnliche Cammer-Musik in den Königlichen Apartements anzugehen pflegt, ward Sr. Majestät berichtet, daß der Capellmeister Bach in Potsdam angelanget sey, und daß er sich jetzo in Dero Vor Cammer aufhalte, allwo er Dero allergnädigste Erlaubnis erwarte, der Musik hören zu dürfen. Höchstdieselben erteilten sogleich Befehl, ihn hereinkommen zu lassen, und gingen bei dessen Eintritt an das sogenannte Forte und Piano, geruheten auch, ohne einige Vorbereitung in eigner höchster Person dem Capellmeister Bach ein Thema vorzuspielen, welches er in einer Fuga ausführen sollte. Es geschah dieses von gemeldetem Capellmeister so glücklich, daß nicht nur Se. Majest. Dero allergnädigstes Wohlgefallen darüber zu bezeigen beliebten, sondern auch die sämtlichen Anwesenden in Verwunderung gesetzt wurden.“ Friedrich der Große und Johann Sebastian Bach. Die Nachricht von ihrer Begegnung verbreitete sich in Windeseile. Wenige Tage später wurde der Zeitungsbericht auch in Leipzig, Magdeburg, Hamburg und Frankfurt veröffentlicht, und überall konnten die Leute nachlesen, wie der „Capellmeister aus Leipzig“ den preußischen König mit eine Fuge in Staunen versetzte – einer Fuge, aus dem Stegreif gespielt, über ein Thema, das der König selbst erfunden hatte. Ein sensationelles Ereignis. Bach selbst war offenbar so angetan von dem königlichen Einfall, dass er sich spontan zu einem interessanten Projekt entschloss: „Herr Bach fand das ihm aufgegebene Thema so ausbündig schön, daß er es in einer ordentlichen Fuga zu Papier bringen, und hernach in Kupfer stechen lassen will,“ schrieben die Gazetten.

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Was aus dem Vorhaben wurde, erfuhren die Leser nicht mehr. Der Name Bach wurde in der Tagespresse nie wieder erwähnt. Und auch von amtlicher Seite erfolgte keine Meldung mehr über die angekündigte „Fuga“ des sächsischen Fugenmeisters. Hatte Bach sein Versprechen nicht eingehalten? Sieben Jahre später. Im vierten Band der Zeitschrift Neu eröffnete Musikalische Bibliothek, oder gründliche Nachricht nebst unpartheyischem Urtheil von musikalischen Schriften und Büchern erscheint ein Nachruf auf Johann Sebastian Bach, der bereits vier Jahre zuvor, am 28. Juli 1750, im Alter von 65 Jahren gestorben ist. Bachs zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel hat ihn gemeinsam mit Johann Friedrich Agricola, einem ehemaligen Schüler seines Vaters, verfasst. Knapp und anschaulich schildern die beiden die wichtigsten Lebensstationen des Mannes, der „der Musik, seinem Vaterlande, und seinem Geschlechte, zu gantz ausnehmender Ehre gereichet“ – und auf einmal taucht sie wieder auf, die Geschichte vom Königsbesuch in Preußen. „Im Jahre 1747 that er eine Reise nach Berlin, und hatte bey dieser Gelegenheit die Gnade, sich vor seiner Majestät dem Könige in Preusen, in Potsdam hören zu lassen,“ steht da geschrieben. „Seine Majestät spielten ihm selbst ein Thema zu einer Fuge vor, welches er so gleich, zu Höchstderoselben besondern Vergnügen, auf dem Pianoforte ausführete.“ Carl Philipp Emanuel Bach war damals Augenzeuge. Als Cembalist in der Hofkapelle Friedrichs II. hat er das Ganze miterlebt, und zweifellos liegt ihm viel daran, der Nachwelt von diesem großen Augenblick im Leben seines Vaters zu berichten. Wie sich herausstellt, ist er nicht der Einzige in der Familie, denn auch sein ältester Bruder Wilhelm Friedemann fühlt sich dazu aufgerufen. Friedemann, der als Organist und Musikdirektor in Halle tätig ist, war seinerzeit Reisebegleiter des Vaters und konnte daher ebenfalls aus nächster Nähe mit ansehen, was an jenem Abend passierte. Sein Gedächtnis ist gut, und er erinnert sich noch an alle Einzelheiten. Allerdings schreibt er sie nicht auf, sondern erzählt sie dem Göttinger Musikwissenschaftler Johann Nikolaus Forkel, der die Absicht hat, ein Buch über den Thomaskantor zu veröffentlichen. Es soll eine Art Biographie werden, und das Thema Potsdam soll dabei eine große Rolle spielen. Leipzig im Jahre 1802. Forkels Buch mit dem Titel Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke ist soeben erschienen. Ein schmaler Band mit einer Fülle von Informationen, die Forkel den beiden Brüdern Emanuel und Friedemann Bach verdankt, wie er im Vorwort mitteilt. „Die Welt weiß, daß beide selbst große Künstler waren; aber sie weiß vielleicht nicht, daß sie von der Kunst ihres Vaters bis an ihr Ende nie anders als mit Begeisterung und Ehrfurcht sprachen.“ Schon im zweiten Kapitel schildert Forkel den legendären Auftritt von Bach beim König von Preußen, wobei er sich auf Friedemanns Aussagen beruft, und nun, fünfundfünfzig Jahre danach, erfährt die Öffentlichkeit endlich mehr darüber, was sich anno 1747 hinter den Mauern des Potsdamer Schlosses abgespielt hat. Laut Forkel fand das Ereignis damals auf besonderen Wunsch Friedrichs II. statt. „Carl Philipp Emanuel kam im Jahre 1740 in die Dienste Friedrichs des Großen. Der Ruf von der alles übertreffenden Kunst Johann Sebastians war in dieser Zeit so verbreitet, daß auch der König sehr oft davon reden und rühmen hörte; er wurde dadurch

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begierig, einen so großen Künstler selbst zu hören und kennenzulernen. Anfänglich ließ er gegen den Sohn ganz leise den Wunsch merken, daß sein Vater doch einmal nach Potsdam kommen möchte; allein nach und nach fing er an, bestimmt zu fragen, warum sein Vater nicht komme. Der Sohn konnte nicht umhin, diese Äußerungen des Königs seinem Vater zu melden, der aber anfänglich nicht darauf achten konnte, weil er meistens mit zu vielen Geschäften überhäuft war. Als aber die Äußerungen des Königs in mehreren Briefen des Sohnes wiederholt wurden, machte er endlich im Jahre 1747 dennoch Anstalt, diese Reise in Gesellschaft seines Sohnes Wilhelm Friedemann zu unternehmen.“ In einigen Details weicht Forkels Erzählung von dem Presseartikel ab, der seinerzeit in der Berlinischen erschien. Demnach soll Vater Sebastian zum Beispiel nicht in der Vorkammer gewartet haben, sondern sei sofort ins Schloss befohlen worden, nachdem König Friedrich durch einen Offizier einen schriftlichen „Rapport von angekommenen Fremden“ erhalten habe. Forkel schreibt: „Mit der Flöte in der Hand übersah er das Papier, drehte sich aber sogleich gegen die versammelten Kapellisten und sagte mit einer Art von Unruhe: ‚Meine Herren, der alte Bach ist gekommen!’ Die Flöte wurde hierauf weggelegt und der ‚alte Bach’, der in der Wohnung seines Sohnes abgestiegen war, sogleich auf das Schloß beordert. Wilhelm Friedemann, der seinen Vater begleitete, hat mir diese Geschichte erzählt, und ich muß sagen, daß ich noch heute mit Vergnügen an die Art denke, wie er sie mir erzählt hat. Es wurden in jener Zeit noch ziemlich weitläufige Komplimente gemacht. Die erste Erscheinung Johann Sebastian Bachs vor einem so großen König, der ihm nicht einmal Zeit ließ, sein Reisekleid mit einem schwarzen Kantorrock zu vertauschen, mußte also notwendig mit vielen Entschuldigungen verknüpft sein. Ich will die Art dieser Entschuldigungen hier nicht anführen, sondern bloß bemerken, daß sie in Wilhelm Friedemanns Mund ein förmlicher Dialog zwischen dem König und dem Entschuldiger waren.“ Johann Sebastian Bach, unpassend gekleidet und in großer Verlegenheit. König Friedrich, in noblem Gewand und voller Ungeduld. Welch eine Szene. Wer ist dieser König, der so „begierig“ darauf ist, Bach kennen zu lernen, dass er ihm diese Peinlichkeit zumutet? Ein Musikliebhaber? Oder nur ein rücksichtsloser Potentat, der es gewohnt ist, dass seine Wünsche „sofort exacte executiret“ werden? Friedrich II., 35 Jahre alt und seit sieben Jahren Regent in Brandenburg-Preußen, nennt sich selbst einen „Pflegling der Musen.“ Er schmiedet Verse, schreibt historische und philosophische Abhandlungen, spielt mit Begeisterung Flöte und hat bereits Dutzende von Werken komponiert. Zwar kokettiert er gelegentlich damit, nur ein „roi pauvre musicien“ zu sein, ein armer königlicher Musiker, doch er weiß, dass er eine weitaus höhere musikalische Begabung hat als die meisten seiner dilettierenden Standesgenossen. Seine Flötenkunst wird immer wieder gelobt, vor allem sein Adagiospiel, und es sind nicht nur Laien unter seinen Bewunderern sondern auch Fachleute. Die berühmte Sängerin Elisabeth Schmehling rühmt seinen starken Ton beim Blasen, und Charles Burney, der weit gereiste englische Musikschriftsteller, schreibt sogar einmal nach einem Konzert: „[…] sein Spielen übertraf in manchen Punkten alles, was ich bisher unter Liebhabern oder selbst von Flötenisten von Pro-

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fession gehört hatte.“ Auch Johann Sebastian Bach macht dem König Komplimente. Acht Wochen nach ihrer Begegnung wird er ihm schreiben, er sei ein Monarch, „dessen Größe und Stärke, gleich wie in allen Kriegs- und Friedens-Wissenschaften, also auch besonders in der Musik, jedermann bewundern und verehren muß.“ Eine merkwürdige Huldigung. Will Bach mit dem Wort von den „Kriegsund Friedens-Wissenschaften“ vielleicht auf versteckte Weise andeuten, dass sich hinter der Fassade des Musenkönigs ein Machtmensch verbirgt? Machtbesessen ist er, das lässt sich nicht leugnen. Ein Mann voller Widersprüche, der eine Jugend durchlitten hat, die er selbst als „Schule der Widerwärtigkeiten“ bezeichnet. Seine Musen haben ihm wohl geholfen, seelisch zu überleben. Friedrich wächst in einer kulturell tristen Umgebung auf. Sein Vater, Friedrich Wilhelm I., der so genannte „Soldatenkönig“, hat nichts übrig für Musik, Kunst und Wissenschaften, sondern interessiert sich nur für sein Militär und wünscht, dass auch sein Thronfolger zu einem tugendhaften Soldaten „formiert“ werden soll. Der kleine Fritz ist ein sensibles und scheues Kind. Mit sieben erhält er, weil es so üblich ist, den ersten Klavier- und Generalbassunterricht, später kommen noch Violinstunden hinzu, und irgendwann lernt er auch Querflöte spielen, was ihm so gut gefällt, dass er stundenlang zu üben beginnt. Weil er auch gerne Romane liest und über dem Musizieren und Lesen seine Pflichten vernachlässigt, gerät sein cholerischer Vater immer häufiger in Zorn und gibt den Erziehern strikte Anweisungen, ihn „von denen Opern Komödien und andern weltlichen Eitelkeiten abzuhalten und Ihn soviel als möglich abgeneigt zu machen.“ Es gelingt nicht. Mit sechzehn Jahren hört Friedrich während eines Staatsbesuchs in Dresden den Hofmusiker Johann Joachim Quantz auf der Flöte spielen, was ihn so begeistert, dass er sich nun zweimal im Jahr von ihm unterrichten lässt. Der König tobt, als er merkt, dass sein Sohn ihm entgleitet und demütigt ihn schlimmer als je zuvor. Er verbietet ihm das „Flötengesäusel“ und das Romanelesen, und er scheut nicht davor zurück, ihn in aller Öffentlichkeit zu verprügeln. Doch Friedrich unterwirft sich nicht. Je brutaler der Vater ihn behandelt, umso mehr leistet er inneren Widerstand und flüchtet sich heimlich weiter in die Welt der Bücher und der Musik. Die Konflikte spitzen sich zu. Im Sommer 1730 werden sie so unerträglich, dass der unglückliche Kronprinz einen Fluchtversuch unternimmt. Die Aktion ist jedoch schlecht vorbereitet, und die Flucht misslingt. Friedrich wird gefasst, und sein Vater rächt sich auf grausame Weise. Er lässt Friedrichs besten Freund Hans Hermann von Katte enthaupten und ihn selbst in der Festung Küstrin einsperren. Zwei Jahre muss Friedrich hier zubringen, bis er Gehorsam schwört und bereit ist, eine politische Zweckehe mit der Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern einzugehen. Sie sei der „Kaufpreis“ für seine Haftentlassung gewesen, wird er später abschätzig bemerken, denn er liebt diese Frau nicht und behandelt sie zeitlebens mit Verachtung. Aber inzwischen hat er nicht nur gelernt zu parieren, sondern auch zu heucheln, und Menschenverachtung ist ihm zur zweiten Natur geworden. Die Hochzeit findet im Juni 1733 statt. Drei Jahre später zieht das Paar nach Schloss Rheinsberg, wo Friedrich sich seinen intellektuellen und künstlerischen

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Neigungen endlich ausgiebig widmen kann. Die Zeit, die nun folgt, wird er später als „die glücklichste“ seines Lebens bezeichnen. Er korrespondiert mit Voltaire, philosophiert über die Ideen der Aufklärung, schreibt Gedichte, übt Flöte und spielt am Abend zusammen mit seinem Kammerorchester Konzerte. Es ist ein kleines, aber erstklassiges Ensemble, in dem unter anderem die beiden berühmten Geiger Johann Gottlieb Graun und Franz Benda musizieren. 1735 holt Friedrich auch noch Grauns Bruder Carl Heinrich als Kapellmeister und Kompositionslehrer nach Rheinsberg, und 1738 kommt ein weiterer hervorragender Musiker hinzu: Carl Philipp Emanuel Bach, der Sohn des berühmten Leipziger Meisters. Aus Etatgründen kann Friedrich ihm keine feste Stelle bieten, dennoch ist Bach bereit, in Rheinsberg zu bleiben und zunächst freiberuflich als Cembalist in der Kapelle mitzuwirken. Am 31. Mai 1740 stirbt Friedrich Wilhelm I., und Kronprinz Friedrich übernimmt die Regierungsgeschäfte. Die Erwartungen an ihn sind hoch. „Europa sieht auf Dich, gekrönter Heldensohn / Es sieht, ein Philosoph besteigt den KönigsThron,“ jubelt Die Spenersche Zeitung, Berlins führendes Nachrichtenblatt. Und zunächst sieht es auch tatsächlich so aus, als würden in Preußen goldene Zeiten anbrechen: Abschaffung der Folter, Aufhebung der Zensur, Öffnung der staatlichen Vorratskammern, um Bedürftige mit billigem Korn zu versorgen… die Reformliste des jungen Königs mit den aufklärerischen Idealen ist beeindruckend. Schlag auf Schlag werden neue Erlasse herausgegeben. Die Akademie der Wissenschaften soll wiedereröffnet werden, der Bau eines prachtvollen Opernhauses wird angekündigt, Kapellmeister Graun bekommt den Auftrag, nach Italien zu reisen, um Sänger zu engagieren, und die Hofkapelle wird auf insgesamt neununddreißig Musiker erweitert. Quantz erhält einen Ruf als königlicher Flötenlehrer und löst daraufhin seine Dienstverpflichtung am Dresdner Hof, und auch Carl Philipp Emanuel Bach bekommt nun eine feste Stelle als erster Hofcembalist. Stolz wird er später betonen, dass er „1740 bey Antritt der Regierung Sr. preussischen Majestät förmlich in Dessen Dienste trat, und die Gnade hatte, das erste Flötensolo, was Sie als König spielten, in Charlottenburg mit dem Flügel ganz allein zu begleiten.“ Anfang August 1741 kommt auch Johann Sebastian Bach nach Berlin. Er besucht seinen Sohn, und vermutlich reizt es ihn auch, die künstlerische Aura dieser Stadt kennen zu lernen, in der „nunmehr das musikalische seculum angegangen“ ist. Der Zeitpunkt ist allerdings nicht besonders günstig, denn König Friedrich befindet sich seit Monaten im Krieg, den er vom Zaun gebrochen hat, um die reiche Provinz Schlesien von Österreich zu erobern. Am 16. Dezember 1740 hat er „den Rubikon überschritten“ und ist in Schlesien einmarschiert. Freimütig gesteht er seinem Freund Jordan, der „Durst nach Ruhm“ habe ihn getrieben, „die Genugtuung darüber, meinen Namen in der Zeitung zu lesen und später im Buch der Geschichte zu lesen, hat mich verführt.“ Am 10. April 1741 haben seine Truppen die Österreicher bei Mollwitz besiegt, Anfang Juni hat er einen Bündnisvertrag mit Frankreich geschlossen, und in diesem Sommer – zu der Zeit also, als Bach in Berlin ist – befindet sich Friedrich in einem niederschlesischen Feldlager bei Strehlen und verkündet siegesgewiss, dass Schlesien so gut wie erobert sei.

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Tatsächlich aber ist es erst ein Jahr später so weit. Am 11. Juni 1742 wird der Frieden von Breslau geschlossen und Friedrich erhält das Besitzrecht über Schlesien und die Grafschaft Glatz. Doch lange hält dieser Frieden nicht an, und zwei Jahre später greift Friedrich erneut zu den Waffen, um seine bedrohte schlesische Beute endgültig für sich zu behaupten. Seine Feldzüge gegen die alliierten Österreicher und Sachsen verlaufen blutig und verlustreich, aber auch diesmal ist er erfolgreich. Im Juni 1745 siegt er bei Hohenfriedberg, im September bei Soor. Am 30. November nehmen seine Soldaten die Stadt Leipzig ein, zwei Wochen später besiegen sie die Sachsen in der Schlacht bei Kesseldorf, und nach diesem Gemetzel ist der Krieg endgültig vorbei. Im Friedensschluss von Dresden am 25. Dezember 1745 bestätigt Österreich die Abtretung Schlesiens an Preußen, und Friedrich verlangt von den Sachsen hohe Kriegsentschädigungen. Eine Million Taler will er von ihnen haben, weil sie so waghalsig waren, sich mit den Österreichern zu verbünden. Und den sächsischen Bürgern bleibt nichts anderes übrig, als zu zahlen. Wie geht es Johann Sebastian Bach in diesen finsteren Wochen? Welche Erfahrungen macht er als Einwohner einer Stadt, die bis Anfang Januar 1746 von Soldaten besetzt bleibt und für die preußischen Eroberer „hochansteigende Summen Geldes theils baar oder durch Wechsel Briefe verschaffet“ aufbringen muss? Ist er gezwungen, Schulden zu machen, um seinen Beitrag „bey diesen Drangsalen“ zu leisten? Oder gehört er zu jenen Familien, die „mit würklicher Einquartierung derer Preußischen Truppen beschweret“ sind? Drei Jahre später noch wird er sich in einem Brief verdrossen an jene Zeit erinnern, „da wir leider! Die Preußische Invasion hatten.“ Doch sonst ist nichts Näheres über seine Lebensumstände bekannt. Ob er am 10. Dezember 1745 in Berlin bei der Taufe seines Enkels anwesend war, ist nicht sicher. Im Taufbuch der Kirche, in der die Zeremonie stattfand, ist er zwar als Pate von Carl Philipp Emanuels erstem Sohn Johann August aufgeführt, aber ob er mitten in den Kriegswirren eine Reise in die preußische Hauptstadt riskiert hat, ist ungewiss. Ende Dezember hätte er dort Zeuge einer großen Siegesfeier werden können, denn König Friedrich wurde in Berlin wie ein Triumphator empfangen, und seine Untertanen schrieen zum ersten Mal auf offener Straße: „Es lebe Friedrich, der Große.“ Friedrich selbst allerdings schien die Kriegslaune abhanden gekommen zu sein. Erst wenige Tage zuvor war er in Dresden bei einem Gespräch mit dem französischen Gesandtschaftssekretär Darget ins Grübeln geraten und hatte vor sich hin philosophiert: „Sind wir armen Menschen dazu da, um Pläne zu schmieden, die soviel Blut kosten? […] Mein Gott, soll ich denn nie mein Leben genießen? Künftig greife ich keine Katze mehr an, außer um mich zu verteidigen.“ Zwei Jahre später. Mai 1747. Friede ist eingekehrt in Preußen und in den Nachbarländern, und Friedrich II. hat sich wieder auf seine alten Tugenden besonnen. Er dichtet und philosophiert, kümmert sich um seine Oper, und er bläst auch wieder regelmäßig Flöte. In seinem Potsdamer Stadtschloss, wo er sich am liebsten aufhält, hat er wieder die „Intermezzi“ einrichten lassen, seine privaten Abendkonzerte, in denen er selbst als Solist mitwirkt, und in der Regel werden nur selten Gäste dazu gebeten. Doch irgendwann in den letzten Wochen hat Friedrich dem berühmten

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Virtuosen Johann Sebastian Bach eine Einladung übermitteln lassen, und er erwartet ihn in diesen Tagen. Wahrscheinlich wurde die Einladung durch Bachs einflussreichen Gönner Hermann Carl Reichsgraf von Keyserlingk in die Wege geleitet, der als russischer Gesandter in Berlin tätig ist und sich schon mehrfach erfolgreich für Bach eingesetzt hat. 1736 hatte er ihm im Auftrag des sächsischen Kurfürsten sogar den Titel des „Königlich-Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Hofcompositeur“ verliehen. Damals war Graf Keyserlingk noch Gesandter in Dresden. Inzwischen ist er nach Berlin versetzt worden, ins Zentrum der neuen Großmacht Preußen, und nun hat er wohl wieder Vermittlerdienste für Bach geleistet. Vielleicht sogar in der Absicht, ihm einen neuen, prächtigeren Hoftitel zu verschaffen, denn der alte, sächsische Titel hat seit dem verlorenen Krieg erheblich an Glanz verloren. Was geht Johann Sebastian Bach durch den Kopf, als er an jenem Sonntag, dem 7. Mai 1747, von Friedrich II. empfangen wird? Fühlt er sich nur geschmeichelt oder hat er gemischte Gefühle, als er das Potsdamer Schloss betritt? Seine Rolle ist schließlich nicht ganz unproblematisch. Er, der musikalische Botschafter der Verlierernation Sachsen, muss vor dem Siegerkönig erscheinen, um ihm seine Aufwartung zu machen. Und zwar so schnell, dass er vorher nicht einmal Gelegenheit hat, seine Kleider zu wechseln. Bach ist die Begrüßungsszene unangenehm, aber nach den ersten peinlichen Augenblicken scheint sich das Blatt zu wenden, denn der König schenkt ihm seine ganze Aufmerksamkeit und gibt sich betont kunstsinnig. Wie es weitergeht, wird Forkel später berichten: „Der König gab für diesen Abend sein Flötenkonzert auf, nötigte aber den damals schon so genannten ‚alten Bach‘, seine in mehreren Zimmern des Schlosses herumstehenden Silbermannschen Fortepianos zu probieren. Die Kapellisten gingen von Zimmer zu Zimmer mit, und Bach mußte überall probieren und fantasieren. Nachdem er einige Zeit probiert und fantasiert hatte, bat er sich vom König ein Fugenthema aus, um es sogleich ohne alle Vorbereitung auszuführen. Der König bewunderte die gelehrte Art, mit der sein Thema so aus dem Stegreif durchgeführt wurde, und äußerte nun – vermutlich um zu sehen, wie weit eine solche Kunst getrieben werden könne – den Wunsch, auch eine Fuge mit sechs obligaten Stimmen zu hören. Weil aber nicht jedes Thema zu einer solchen Vollstimmigkeit geeignet ist, so wählte sich Bach selbst eines dazu und führte es sogleich zur größten Verwunderung aller Anwesenden auf eine ebenso prachtvolle und gelehrte Art aus, wie er es vorher mit dem Thema des Königs getan hatte.“ Was Forkel erzählt, klingt wie ein Märchen – zumindest auf den ersten Blick. Johann Sebastian Bach wird zu König Friedrich gerufen, einem der mächtigsten Männer Europas. Er reist hin, spielt Klavier und scheint auf der ganzen Linie zu siegen. Der Preußenkönig bewundert ihn und zeigt ihm seine größte Anerkennung. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Bachs Auftritt nicht ganz so reibungslos verläuft, wie Forkels Schilderung es nahe legt. Für einen Bruchteil von Sekunden steht der Erfolg sogar auf der Kippe, und es ist nur seinem Einfallsreichtum und seiner Geistesgegenwart zu verdanken, dass er die brisante Situation meistert.

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Zunächst scheint alles ganz glatt zu gehen. Nach dem Begrüßungsentree im Musikzimmer wird Bach in verschiedene andere Salons geführt, in denen sich Klaviere des Hausherrn befinden, und er wird aufgefordert, sie alle auszuprobieren. Es sind moderne Hammerflügel aus der Werkstatt des sächsischen Klavier- und Orgelbauers Gottfried Silbermann, die Friedrich erst vor einem Jahr gekauft hat. Laut Forkel sind es „ihrer 15“. Bach hat also viel zu tun, und sein pianistischer Rundgang durch das Schloss nimmt einige Zeit in Anspruch. Zuerst „probiert und fantasiert“ er eine Weile und lässt sich dabei wohl von eigenen Einfällen inspirieren. Doch dann kommt ihm plötzlich eine andere Idee. Er wendet sich an den König und bittet ihn um eine Melodie, die er zu einer Fuge verarbeiten möchte. Es ist eine höchst schmeichelhafte Geste: Bach hält den Amateurmusiker Friedrich für so kompetent, dass er ihm zutraut, ein Fugenthema aus dem Stegreif zu erfinden. Ob vorher eine Absprache mit dem König erfolgt ist – angeregt etwa durch Carl Philipp Emanuel Bach – wäre denkbar, ist aber nicht überliefert. Der Monarch jedenfalls reagiert unverzüglich. „Ohne einige Vorbereitung“ geht Friedrich ans Klavier und spielt Bach eine Melodie vor, die ungewöhnlich lang und verwickelt ist. Ein aufsteigender Dreiklang mit fallendem Septsprung, dann eine absteigende Halbtonsskala – so sieht sein Thema aus. Ein chromatisches Ungetüm, an das sich Friedrich noch Jahrzehnte später stolz erinnern wird. Dabei hat er eigentlich wenig Anlass, stolz darauf zu sein, denn das Thema ist keineswegs originell, sondern besteht aus zwei alten, aneinander gereihten Melodiefloskeln und eignet sich darüber hinaus nur schwer für eine kontrapunktische Verarbeitung. Aber das sollte wohl auch so sein. Bach, der große Fugenspezialist, sollte schließlich zeigen, was er kann. Und Bach zeigt, was er kann. Locker nimmt er das komplizierte Tongebilde auf und improvisiert daraus eine – vermutlich dreistimmige – Fuge. Sie gelingt ihm so gut, dass seine Zuhörer „in Verwunderung“ gesetzt werden. Der Triumph ist perfekt. Bach wird den Augenblick nicht mehr vergessen, und wenige Wochen später wird er ihn auch dem König noch einmal schriftlich ins Gedächtnis zurückrufen: „Mit einem ehrfurchtsvollen Vergnügen erinnere ich mich annoch der ganz besondern Königlichen Gnade, da vor einiger Zeit, bey meiner Anwesenheit in Potsdam, Ew. Majestät selbst, ein Thema zu einer Fuge auf dem Clavier mir vorzuspielen geruheten, und zugleich allergnädigst auferlegten, solches alsobald in Deroselben höchsten Gegenwart auszuführen. Ew. Majestät Befehl zu gehorsamen, war meine unterthänigste Schuldigkeit.“ Noch ist alles in Ordnung an diesem Sonntag im Mai. Bach hat bewiesen, dass er aus der königlichen Melodie eine mustergültige Fuge phantasieren kann, und der Abend scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Doch kaum hat Bach sein Spiel beendet, legt Friedrich ein sonderbares Verhalten an den Tag. Er bewundert zwar „die gelehrte Art“, in der Bach sein Thema dreistimmig fugiert hat, aber plötzlich äußert er den Wunsch, eine sechsstimmige Fuge über sein Thema zu hören. „Weil aber nicht jedes Thema zu einer solchen Vollstimmigkeit geeignet ist, so wählte sich Bach selbst eines dazu und führte es sogleich […] auf eine ebenso prachtvolle und gelehrte Art aus, wie er es vorher mit dem Thema des Königs getan hatte.“

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Johann Sebastian Bach, das Improvisationsgenie, gerät in Schwierigkeiten. Die Aufgabe, die der Preußenkönig ihm stellt, kann er nicht lösen, jedenfalls nicht so, wie es verlangt wird. Friedrich gibt sich mit der ersten Fugenversion nicht zufrieden, sondern wünscht, eine zweite zu hören. Eine Fuge „mit sechs obligaten Stimmen“. Forkel wird später über das Motiv spekulieren und schreiben: „[…] vermutlich um zu sehen, wie weit eine solche Kunst getrieben werden könne.“ Eine sechsstimmige Fuge, zweihändig gespielt, dazu noch aus dem Stegreif – das ist eine Zumutung, eine Provokation. Weiß Friedrich nicht, was er da verlangt? Oder zeigt er wieder einmal seinen „gehässigen Fehler“, jene „unselige Freude […] alle anderen Menschen demütigen zu wollen“, wie Voltaire ihm einmal an den Kopf werfen wird? Bach wagt sich an dieses sechsstimmige Risikostück nicht heran, jedenfalls nicht mit diesem Thema. „Ich bemerkte aber gar bald, daß wegen Mangels nöthiger Vorbereitung, die Ausführung nicht also gerathen wollte, als es ein so treffliches Thema erforderte“, wird er wenige Wochen später zugeben. Doch er weiß sich zu helfen. Blitzschnell und geschickt zieht er sich aus der Affäre, indem er ein anderes Thema erfindet und daraus die gewünschte sechsstimmige Fuge extemporiert. Eine grandiose Leistung, die ihm den Beifall aller Anwesenden einbringt. In der Presse wird sogar vom „Vergnügen“ des Königs berichtet. Der Fugen-Wirrwarr ist damit beendet, und König Friedrich ist offensichtlich so zufrieden, dass er auch noch Bachs Orgelkunst kennen lernen will. An den folgenden Tagen wird Bach „zu allen in Potsdam befindlichen Orgeln geführt, wie er vorher zu allen Silbermannschen Fortepianos geführt worden war,“ und noch einmal zieht er alle Register seines Könnens. Dann ist sein Gastspiel endgültig vorbei. Er verbringt noch ein paar Tage in Berlin bei Carl Philipp Emanuel und seiner Frau Johanna Maria, die ihr zweites Kind erwartet und fährt anschließend nach Leipzig zurück. Am 18. Mai ist er wieder zu Hause. Ohne Zeit zu verlieren, zieht er sich in seine „Componir-Stube“ zurück, oben in den ersten Stock der Thomasschule, und macht sich an die Arbeit. In Potsdam hat er angekündigt, er wolle das Thema des Königs „in einer ordentlichen Fuga“ zu Papier bringen. Nun will er sein Versprechen auch halten. Zunächst korrigiert er die Melodie und bringt sie in eine brauchbare, abgerundete Form. Dann beginnt er, daraus eine Fuge zu entwickeln. Es wird ein dreistimmiges Stück, das seltsam freizügig und locker klingt mit seinen weitläufigen Zwischensätzen und spielerischen Figuren – wie eine Improvisation. Und es ist wohl auch jene improvisierte Fuge, die er im Potsdamer Schloss gespielt hat. Aus dem Gedächtnis schreibt er sie nieder, zur Erinnerung an seinen großen Auftritt und in der Hoffnung, der König möge sich noch einmal daran erfreuen. Nun könnte er abschließen – aber er tut es nicht. Das Thema hält seine Phantasie in Gang, und er fängt an, neue Funken aus dem königlichen Melodiemodell zu schlagen. In den folgenden Wochen schreibt er sieben kanonische Sätze über das Thema. Lauter entlegene, kleine Stücke, eines schwieriger als das andere: einen Kanon in der Doppeloktav, einen Krebskanon, einen Kanon im Einklang, einen in Gegenbewegung, einen in Vergrößerung und Gegenbewegung, einen Modulationskanon und

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eine kanonische Fuge in der Oberquint. Das Ganze ist eine geballte Ladung kontrapunktischer Raffinessen. Musik für Kenner, für Eingeweihte. Und so will Bach sie auch verstanden wissen, denn er schmückt sie mit gelehrten lateinischen Randbemerkungen. Den Sätzen, die insgesamt eine kompositorische Einheit bilden, gibt er den Titel: „Canones diversi super Thema Regium“ (verschiedene Kanons über das königliche Thema) und schreibt noch ein paar tiefsinnige Lobeshymnen in die Noten. Über den Kanon, der sich in vergrößerten Notenwerten entwickelt, setzt er den Spruch: „Notulis crescentibus crescat Fortuna Regis“ (mit den anwachsenden Noten wachse das Glück des Königs). Und über dem Kanon, der aufsteigend von einer Tonart in die andere moduliert, notiert er: „Ascendenteque Modulatione ascendat Gloria Regis“ (und mit der ansteigenden Modulation steige der Ruhm des Königs). Acht beziehungsreiche Werke sind nun entstanden. Ein ganzer Kosmos an Ideen aus einer einzigen, neuntaktigen Melodie. Am 7. Juli 1747, auf den Tag genau acht Wochen nach seinem Potsdamer Fugenabend, schreibt Bach eine Widmung in die Noten: „Schuldiges Opfer der Dankbarkeit, Sr. Maj. Dem König Friedrich II. dargebracht von J.S. Bach“ und fügt noch ein ausführliches Schreiben hinzu: „Ew. Majestät weyhe hiermit in tiefster Unterthänigkeit ein Musicalisches Opfer, dessen edelster Theil von Deroselben hoher Hand selbst herrühret. Mit einem ehrfurchtsvollen Vergnügen erinnere ich mich annoch der ganz besondern Königlichen Gnade, da er vor einiger Zeit, bey meiner Anwesenheit in Potsdam, Ew. Majestät selbst, ein Thema zu einer Fuge auf dem Clavier mir vorzuspielen geruheten, und zugleich allergnädigst auferlegten, solches alsobald in Deroselben höchsten Gegenwart auszuführen. Ew. Majestät Befehl zu gehorsamen, war meine unterthänigste Schuldigkeit. Ich bemerkte aber gar bald, daß wegen Mangels nöthiger Vorbereitung, die Ausführung nicht also gerathen wollte, als es ein so treffliches Thema erforderte. Ich fassete demnach den Entschluß, und machte mich sogleich anheischig, dieses recht königliche Thema vollkommener auszuarbeiten, und sodann der Welt bekannt zu machen. Dieser Vorsatz ist nunmehro nach Vermögen bewerkstelliget worden, und er hat keine andere als nur diese untadelhafte Absicht, den Ruhm eines Monarchen, ob gleich nur in einem kleinen Puncte, zu verherrlichen, dessen Größe und Stärke, gleich wie in allen Kriegs- und Friedenswissenschaften, also auch besonders in der Musik, jedermann bewundern und verehren muß. Ich erkühne mich dieses unterthänigste Bitten hinzuzufügen: Ew. Majestät geruhen gegenwärtige wenige Arbeit mit einer gnädigen Aufnahme zu würdigen, und Deroselben allerhöchste Königliche Gnade noch fernerweit zu gönnen. Ew. Majestät allerunterthänigst gehorsamsten Knechte, dem Verfasser. Leipzig, den 7. Juli 1747.“ Schon drei Tage später, am 10. Juli, erteilt Bach den Druckauftrag für sein neues Opus. Auf eigene Rechnung lässt er das Widmungsexemplar auf kostbares Papier stechen und in eine Lederhülle einbinden. Dann fällt ihm noch ein Titel ein, eine Inhaltsangabe, die er pompös in lateinische Worte einkleidet. „ Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta“ schreibt er mit der Hand nachträglich auf das Blatt (der auf Befehl des Königs ausgeführte Satz und das übrige nach Kanonkunst gelöst). Damit ist das Prunkstück abgeschlossen. Das Opfer hat seinen letzten

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Schliff bekommen, und Bach könnte zufrieden sein, denn er hat sein Soll mehr als erfüllt. Doch zufrieden ist er nicht. Das „treffliche Thema“ lässt ihm weiterhin keine Ruhe. In Potsdam ist er davor zurückgeschreckt, einen sechsstimmigen Satz aus dem langen und schwierigen Königsthema zu entwickeln. Nun wagt er das Experiment. Nun schreibt er sie tatsächlich nieder, die Fuge mit sechs obligaten Stimmen – und schafft ein Bravourstück. Ein abenteuerlich verzweigtes Labyrinth melodischer Linien, verwegener Harmonien und beziehungsreicher Motivverknüpfungen. Ganze Passagen lang lässt er alle Stimmen zugleich arbeiten, spannt den musikalischen Prozess in einen grandios weiten harmonischen Rahmen und durchsetzt ihn mit kühnen Halbtonschritten. Es ist ein kompromisslos dichtes Fugengewebe, gebaut nach dem alten kontrapunktischen Ideal des „Stile antico“, und Bach gibt dem Stück auch eine altertümliche Überschrift. Er nennt es nicht Fuge sondern „Ricercar“, so, wie er auch schon die dreistimmige Fuge aus dem ersten Teil bezeichnet hat. Diesen Ausdruck hat er sonst noch nie verwendet. Warum also hier? Noch dazu bei zwei so gegensätzlichen Fugentypen? „Ricercar“ ist ein alter italienischer Musikbegriff aus dem 16. Jahrhundert; Bachs Freund und entfernter Vetter Johann Gottfried Walther führt ihn in seinem Musikalischen Lexikon auf das Verb „ricercare“ zurück, das er als „mit Fleiß suchen“ übersetzt. Nach Walther hat der Begriff eine doppelte Bedeutung, denn er kann einerseits für eine sorgfältig gearbeitete „künstliche“ Fuge verwendet werden, andererseits aber auch für einen improvisierten Satz, „wobey es scheine, als suche der Componist die Harmonischen Gänge und Entwürffe, so er hernach in den einzurichtenden Pièces anwenden wolle“. Bach kennt diesen Doppelsinn, und es scheint, als habe ihn der Gedanke fasziniert, das Potsdamer Thema in beiden Formen zu verarbeiten. Zuerst hat er daraus eine freie Fuge komponiert, nun liefert er dem König auch noch die strenge Fuge. Hintergründig hat er beide schon im lateinischen Titel angekündigt, denn die Anfangsbuchstaben der acht Wörter „Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta“ ergeben zusammen nichts anderes als diesen Schlüsselbegriff : R-I-C-E-R-C-A-R. Um das Ganze noch weiter zu treiben, komponiert er außer dem sechsstimmigen Ricercar zwei Rätselkanons über das Thema Regium, einen zweistimmigen und einen vierstimmigen. Es sind reine Denksportaufgaben, denn die Kanons sind jeweils nur einstimmig notiert, und ihre Einsatzpunkte müssen selbst entschlüsselt werden. „Quaerendo invenietis!“ schreibt er vielsagend an den Rand: „Suchet, so werdet ihr finden“. Ein Bibelzitat aus Matthäus 7, 7. Er geht wohl davon aus, dass der König ebenso bibelfest ist wie er selbst und fordert ihn ungeniert auf, diese Musikrätsel zu lösen. Und dann komponiert er noch ein drittes, größeres Werk. Eine Triosonate für Flöte, Violine und basso continuo, der er den Titel gibt: Sonata sopr’ il Soggeto Reale. Wieder eine Komposition über das Königsthema, doch diesmal ist sie anders geartet: ganz im zeitgenössischen galanten Stil, ganz nach dem Geschmack des Preußenkönigs. Mit gefühlsbetonten, gefälligen Melodien und Seufzerfiguren, mit Trillern, Läufen und Sprüngen, mit überraschenden Rhythmen, Harmonien und

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Lautstärken. Bach demonstriert, dass er nicht nur ein virtuoser Fugenspezialist ist, nicht nur ein Meister des spekulativen Kontrapunkts, sondern auch ein Komponist der Moderne. Einer, der die galanten Töne ebenso souverän beherrscht wie alle anderen Kompositionsmethoden. Wie beim ersten Ricercar lässt er auch der Triosonate einen Canon perpetuus folgen, einen Spiegelkanon, der beliebig oft wiederholbar ist und dessen Oberstimmen in Umkehrung zueinander verlaufen. Mit diesem, wiederum höchst vertrackten, Stück schließt Bach sein Musikalisches Opfer endgültig ab. Es ist eine bunt schillernde Sammlung geworden. Zwei Fugen, eine Triosonate, zehn Kanons – dreizehn Stücke, aus einer einzigen Melodie gewonnen. Tastenmusik, Kammermusik und abstrakte Musik, die eher studiert als gespielt werden soll. Die ganze Bandbreite seines Könnens hat Bach hier ausgebreitet: im freien Satz ebenso wie im strengen Kontrapunkt, im alten Stil ebenso wie in modern-galanter Schreibweise. Warum dieser kompositorische Aufwand? Diese demonstrative Kunstfertigkeit? Wollte er dem König beweisen, dass er vor keiner Aufgabe kapituliert? Klein bei geben war nie seine Art. Zeit seines Lebens war er immer bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Und er hatte sehr früh gelernt, sich selbst ständig herauszufordern – getrieben von seiner „Begierde in der Musik weiter zu kommen“. Johann Sebastian Bach, der hochbegabte Sohn einer hochbegabten Musikerfamilie. Geboren wird er am Samstag, dem 21. März 1685 als achtes Kind der Eheleute Johann Ambrosius und Maria Elisabetha Bach. Seine Mutter ist die Tochter eines angesehenen Kürschners namens Valentin Lämmerhirt aus Erfurt. Vater Ambrosius stammt aus der berühmten „musicalisch-Bachischen Familie“, die schon seit Generationen Musiker hervorgebracht hat. Stadt- und Ratsmusikanten, Organisten und Kantoren, allesamt begabt, allesamt erfolgreich. Auch der „Hof- und Stadtmusikus“ Ambrosius Bach macht seinem Namen alle Ehre. Als Direktor der Eisenacher Ratsmusik ist er weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt, und der Rat der Stadt Eisenach bestätigte ihm sogar schriftlich, er habe sich „in seiner profession dermaßen qualifiziret […] daß wir unß desgleichen soweit wir gedencken, hiesigen Orths nicht erinnern.“ Die äußeren Verhältnisse, unter denen Sebastian aufwächst, scheinen also recht glücklich zu sein, doch verwöhnt wird nicht. „Ich habe fleißig sein müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können,“ antwortet er später als Erwachsener auf die Frage, „wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden.“ Seine Eltern erziehen ihn schon früh zu Ausdauer und harter Arbeit. Im Stadtpfeiferbetrieb seines Vaters muss er viel mithelfen, vermutlich auch bei Verwandten und Freunden, und durch die täglichen, höchst anspruchsvollen musikalischen Anregungen wächst seine „Lust“ zur Musik sehr schnell und ist schon im „zarten Alter ungemein.“ Doch Anfang Mai 1694 stirbt die Mutter. Neun Monate später ist auch der Vater tot. Der kaum zehnjährige Sebastian muss nun mit seinen Geschwistern Jacob und Salome die vertraute Umgebung verlassen. Die Schwester zieht zur Familie Lämmerhirt nach Erfurt, die beiden Knaben werden vom ältesten Bruder Johann Christoph aufgenommen, der in Ohrdruf eine Stelle als Organist an der Michaeliskirche hat. Sein bescheidenes Einkommen reicht jedoch nicht aus, um beide Waisen zu

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ernähren. Deshalb geht Jacob schon nach einem Jahr wieder zurück nach Eisenach und beginnt dort eine Musikerlehre. Sebastians Unterhalt dagegen ist vorläufig gesichert. Er bekommt einen „Freitisch“ für bedürftige Schüler, braucht als Mitglied im Schulchor kein Schulgeld zu bezahlen und hat zudem Möglichkeiten, als Chorknabe Geld zu verdienen. In der Kurrende, dem Straßenchor, kann er sich wie die anderen armen Kinder der Stadt dreimal im Jahr ein paar Almosen ergattern, und möglicherweise wird er auch ab und zu als Solist engagiert, denn er hat eine auffallend schöne Sopranstimme und singt hervorragend. Ohrdruf wird seine neue Heimat und Bruder Christoph entwickelt sich zu einer Art Ersatzvater. Er bringt ihm „die ersten Principia auf dem Clavier“ bei, lehrt ihn, Orgel spielen, und es zeigt sich sehr schnell, dass Sebastian für beide Instrumente außergewöhnlich begabt ist. „In kurtzer Zeit hatte er alle Stücke, die ihm sein Bruder freywillig zum Lernen aufgegeben hatte, völlig in die Faust gebracht,“ schreibt Philipp Emanuel und schildert, wie die Wissbegier den Jungen so weit treibt, dass er sogar einen handfesten Streit mit seinem Bruder riskiert. „Ein Buch voll Clavierstücke, von den damaligen berühmtesten Meistern, Frobergern, Kerlen, Pachelbeln […] welches sein Bruder besaß, wurde ihm, alles Bitten ohngeachtet, wer weis aus was für Ursachen, versaget. […] Das Buch lag in einem blos mit Gitterthüren verschlossenen Schrancke. Er holte es also, weil er mit seinen kleinen Händen durch das Gitter langen, und das nur in Pappier geheftete Buch im Schranke zusammen rollen konnte, auf diese Art, des Nachts, wenn jedermann zu Bette war, heraus, und schrieb es, weil er auch nicht einmal eines Lichtes mächtig war, bey Mondenschein ab. Nach sechs Monaten, war diese musicalische Beute glücklich in seinen Händen. Er suchte sie sich, insgeheim mit ausnehmender Begierde, zu Nutzen zu machen, als, zu seinem größten Herzeleide, sein Bruder dessen inne wurde, und ihm seine mit so vieler Mühe verfertigte Abschrift, ohne Barmherzigkeit, wegnahm. [….] Er bekam das Buch nicht eher als nach seines Bruders Absterben, wieder.“ Christophs Ärger ist verständlich, denn seine Notensammlung hat einen beachtlichen Wert. Es handelt sich um kopierte Werke bekannter Komponisten, die er seinem ehemaligen Orgellehrer Johann Pachelbel abgekauft hat, und weitere Kopien könnten ihren Wert erheblich vermindern. Und so nimmt er Sebastian die mühsam erworbenen Schätze auch „ohne Barmherzigkeit“ wieder ab. Der Kleine ist sehr enttäuscht, doch der Streit scheint keine tieferen Auswirkungen zu haben. Das Verhältnis der beiden Brüder bleibt gut, und Christoph bemüht sich auch weiterhin, Sebastians erstaunliches Talent durch ein breit gefächertes musikalisches Programm zu fördern. Um die Schulnoten des Jungen braucht er sich keine Sorgen zu machen, denn Sebastian ist ein hervorragender Schüler. Schon in Eisenach konnte er die Sexta überspringen, weil er den Lernstoff bereits beherrschte, und auch in der angesehenen Lateinschule von Ohrdruf fällt er durch ungewöhnliche Leistungen auf. Dabei wird von den Schülern hier viel verlangt, denn auf dem Lehrplan stehen außer Religion und lateinischer Grammatik, als Grundstock des Unterrichtsstoffes, auch Fächer wie Arithmetik, Geschichte, Geographie, Griechisch, Musik und Naturkunde. Sebastian schafft alle Anforderungen mühelos und schneidet gleich im

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ersten Schuljahr als Viertbester ab, wobei er viele Mitschüler überholt, die älter sind als er. Die Tertia schließt er sogar als Klassenbester ab, obwohl er mit seinen zwölf Jahren der Jüngste der Klasse ist, und auch in den Sekundajahren bringt er gute Zeugnisse nach Hause. Als er mit vierzehn in die Prima versetzt wird, rangiert er nicht nur auf Platz zwei, sondern liegt inzwischen ganze vier Jahre unter dem Altersdurchschnitt seiner Klassenkameraden. Eine phantastische Schulkarriere. Niemand in der Familie hat etwas Ähnliches aufzuweisen, und der Primaner Sebastian ist wohl auch ein wenig stolz darauf. Aber auf einmal gibt es Probleme, denn Sebastian verliert seine Freistelle. Mag sein, dass das Geld für die Stipendiaten knapp geworden ist oder die Zahl der Anwärter zugenommen hat, jedenfalls kommt der Vierzehnjährige plötzlich in Bedrängnis. Eine Musikerlehre würde seine Nöte schlagartig beseitigen, doch er hat andere Pläne im Kopf. Er will keine Lehre machen, wie es üblich ist in seiner Familie, sondern möchte lieber die Lateinschule abschließen, um sich für ein Studium an der Universität zu qualifizieren. Will er höher hinaus als sein Vater, seine Brüder, seine Onkel und Vettern? Träumt er davon, nicht nur Stadtpfeifer oder Organist zu werden, sondern eines Tages vielleicht in den Rang eines Kantors aufzusteigen, der akademisch gebildet sein muss? Sebastian trifft eine gewagte Entscheidung. Vier Monate vor Abschluss der Jahresprüfungen verlässt er nicht nur die Schule, sondern kehrt auch seiner Heimat den Rücken und begibt sich laut Schulverzeichnis „am 15. März 1700 wegen des Mangels an Freitischen nach Lüneburg.“ Die Lüneburger Klosterschule Sankt Michaelis sucht Sänger für ihren Mettenchor und bietet Stipendien dafür an. Sebastian will diese Chance wahrnehmen. Weit weg von Thüringen, ohne das Netzwerk der Bachfamilie und ihre sprichwörtlich guten Beziehungen, traut er sich zu, im fernen Norden sein Glück versuchen. Zweifellos reizt ihn die Aussicht, unabhängig zu sein, aber vor allem hat er wohl auch Lust bekommen, die berühmten riesigen Orgeln in Hamburg und den anderen Hansestädten zu hören und selbst einmal auszuprobieren. Er reist nicht allein, sondern zusammen mit seinem Klassenkameraden Georg Erdmann, der schon Wochen zuvor aus dem Ohrdrufer Lyceum entlassen worden ist und nun ebenfalls Mettensänger in Lüneburg werden will. Nach einem Fußmarsch von rund 350 Kilometern erreichen sie Ende März ihr Ziel: Lüneburg, eine Stadt von zehntausend Einwohnern, viermal so groß wie Ohrdruf und bedeutendes Handelszentrum zwischen Hannover und Hamburg. Hier wird Sebastian nun zwei Jahre bleiben und wichtige Erfahrungen sammeln. Im Mettenchor wird er „wohl aufgenommen“, und seine schöne Stimme beeindruckt offenbar so sehr, dass man ihn nach dem Stimmbruch nicht etwa entlässt, sondern weiterhin als Sänger beschäftigt. Durch die ständigen Chordienste kann er seinen musikalischen Horizont enorm erweitern, und auch beim Klavier- und Orgelspiel versucht er, „alles zu tun, zu sehen und zu hören, was ihn nach seinen damaligen Begriffen darin immer weiter bringen konnte.“ Im Lüneburger Schloss hat er zudem öfter Gelegenheit, französische Orchestermusik kennen zu lernen, die von der Hofkapelle des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg und Celle mit Vorliebe gespielt wird. Darüber hinaus ge-

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lingt es ihm, fruchtbare Kontakte zu den Lüneburger Organisten herzustellen, vor allem zu Georg Böhm, dem Orgelmeister an der Johanniskirche, der ihn nicht nur mit seinen eigenen Kompositionen vertraut macht, sondern auch ermutigt, nach Hamburg zu reisen, um dort den berühmten Organisten Johann Adam Reinken zu hören. Reinken ist ein faszinierender Virtuose. Mit weit über siebzig spielt er auf einer der größten und besten Orgeln des 17. Jahrhunderts; der junge Bach ist davon so begeistert, dass er die 45 Kilometer lange Fußreise nach Hamburg gleich mehrere Mal unternimmt. Im Frühjahr 1702 schließt er die Schule ab. Inzwischen spricht er fließend Latein, hat Französisch- und Italienischkenntnisse und verfügt über ein breites, solides Wissen, das ihn zum Studium an der Universität befähigt. Das aber kann er sich nicht leisten, und so kehrt der Siebzehnjährige nach Thüringen zurück, um sich eine Stelle zu suchen. Er bewirbt er sich um das Organistenamt an der Jacobikirche in Sangerhausen und wird vom Stadtrat auch gewählt; dann aber mischt sich der Landesfürst ein, und die Stelle wird einem älteren, erfahreneren Bewerber gegeben. Ein paar Monate später, im Januar 1703, kann Sebastian dann Mitglied der Weimarer Hofkapelle werden, allerdings nur als „Laquey“, was bedeutet, dass er auch Hofdienste als Sekretär oder Kammerdiener verrichten muss. Eine Arbeit, die alles andere als reizvoll ist für den stolzen, jungen Musiker, und lange hält er es in Weimar auch nicht aus. Im Juli wird er ins benachbarte Arnstadt eingeladen, um die neue Orgel an der so genannten Neuen Kirche zu prüfen, und er bewältigt diese Aufgabe so überzeugend, dass man ihm die Organistenstelle anbietet. Der erste große Berufserfolg. Mit seinen achtzehn Jahren bekommt er nun fast doppelt so viel Gehalt wie in Weimar, braucht nur wenige Dienste in der Woche zu leisten und hat Zeit genug, um sich intensiv musikalisch weiterzubilden. Bald aber zieht es ihn wieder in die Ferne. Im Oktober 1705 nimmt er vier Wochen Urlaub und wandert knapp vierhundert Kilometer von Arnstadt nach Lübeck, um dort den berühmten Organisten an der Marienkirche Dieterich Buxtehude „zu behorchen.“ Will er ihn wirklich nur hören oder interessiert er sich auch für seine Stelle, die demnächst zu beerben ist? Jedenfalls überzieht er seinen Urlaub um mehrere Monate und kehrt erst Anfang Februar wieder nach Arnstadt zurück. Seine Vorgesetzten sind empört. Am 21. Februar 1706 wird er vor die Kirchenbehörde zitiert und muss sich für sein Verhalten rechtfertigen. Kurz und trocken gibt er zu Protokoll, er habe um Erlaubnis gebeten, nach Lübeck zu reisen, um „daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen“, und er hoffe, dass das Orgelschlagen unterdessen von seinem Stellvertreter „dergestalt seyn versehen worden, daß deßwegen keine Klage geführet werden können.“ Eine provozierende Antwort, die bei den Herren erneut Ärger hervorruft. Nun werden ihm noch weitere Verfehlungen zur Last gelegt. Zum Beispiel seine Eigenart, vor dem Gemeindegesang ausufernd zu präludieren. Er habe „bißher in dem Choral viele wunderliche variationes gemachet, viele frembde Thone mit eingemischet, daß die Gemeinde darüber confundiret worden“, wird er gerügt. Als man ihn darauf hingewiesen habe, dass er zu lang spiele, sei er „gleich auf das andere extremum gefallen, und hätte es zu kurtz gemachet.“ Auch sein ungebührliches Verhalten neulich, während des Gottesdienstes, wird

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scharf kritisiert: „Verweißen ihm, daß er leztverwichenen Sontags unter der Predigt in Weinkeller gangen.“ Bach entschuldigt sich: „Sey ihm leid, sollte nicht mehr geschehen, und hatten ihm bereits die Herren Geistlichen deswegen hart angesehen.“ Damit ist die Vernehmung zunächst zu Ende. Sieben Monate später jedoch muss er sich erneut heftige Vorwürfe anhören. Zum wiederholten Male wird ihm vorgehalten, dass er nicht mit dem Schulchor musiziert. Das stimmt. Die Schüler singen schlecht und sind undiszipliniert, weil sie keinen geeigneten Chorleiter haben, wie Bach es verlangt, sondern werden lediglich von einem älteren Schüler dirigiert. Hartnäckig hat er sich deshalb immer wieder geweigert, den Chor auf der Orgel zu begleiten, und er tut es auch jetzt wieder. Stoisch wiederholt er seine alte Forderung, man solle „einen rechtschaffenen Director“ einstellen, dann würde er schon spielen. Doch die Behörde denkt nicht daran, seinen Wünschen nachzukommen. Diesmal wirft ihm das Konsistorium auch noch vor, er habe „ohnlängsten“ eine „frembde Jungfer auf das Chor biethen und musiciren lassen.“ Eine fremde Jungfer? Bach hat offenbar gegen das uralte Verbot verstoßen, Frauen bei der Kirchenmusik mitwirken zu lassen. Doch der Vorwurf ist mehr als kleinlich. In einigen Gemeinden sind Chorsängerinnen längst üblich, und im Übrigen sagt er zu seiner Verteidigung, er habe sich in diesem Fall sogar die Erlaubnis des Pastors geholt. Der Streit mit der Obrigkeit nimmt kein ein Ende. Bachs musikalische Ansprüche, sein Ehrgeiz und seine Unangepasstheit führen immer wieder zu Schwierigkeiten, und nach drei Jahren sieht er wohl keine Perspektive mehr in Arnstadt. Im Frühjahr 1707 bewirbt er sich auf die angesehene und begehrte Organistenstelle an der St. Blasius-Kirche in Mühlhausen und wird nach einem glänzenden Probespiel auch einstimmig gewählt. Am 1. Juli 1707 beginnt er seinen neuen Dienst, der sehr reizvoll zu sein scheint. Als Organist von St. Blasius ist er gleichzeitig eine Art städtischer Musikdirektor, denn er soll nicht nur Orgel spielen, sondern auch regelmäßig Kantaten aufführen, wobei ihm bei Bedarf städtische Ratsmusiker und Chorsänger aus der Lateinschule zur Verfügung stehen. Außerdem erhält er zum ersten Mal einen umfangreichen Kompositionsauftrag. Zum Ratswechsel, der alljährlich mit einer repräsentativen Musikaufführung festlich begangen wird, komponiert er für den 4. Februar 1708 eine Kantate, die so erfolgreich ist, dass man sie auf Anhieb drucken lässt. Das Verhältnis zwischen dem Rat und dem jungen Organisten scheint gut zu sein. Die Mühlhäuser bringt ihm viel Respekt entgegen, und man geht sogar bereitwillig auf seinen Vorschlag ein, die Orgel der Blasiuskirche zu erneuern und zu erweitern. Dennoch kann die Stadt ihn nicht lange halten. Am 17. Oktober 1707 heiratet Bach seine Kusine Maria Barbara, mit der er schon längere Zeit liiert ist, und wenige Monate später beschließt der junge Ehemann ganz plötzlich, seinen Arbeitsplatz erneut zu wechseln. Sein ehemaliger Dienstherr Herzog Wilhelm Ernst bietet ihm eine Stelle als Kammermusiker und Hoforganist in Weimar an, und Bach sagt sofort zu, denn die finanziellen Bedingungen sind äußerst lukrativ. Nach nur einem Jahr Dienstzeit reicht er am 25. Juni 1708 bei den völlig überraschten Mühlhäuser Dienstherren sein Entlassungsgesuch ein und versucht, in dem Schreiben seine Motive zu erklären. Offen gibt er zu, die höhere Weimarer Gage würde ihm zur

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„hinlänglicheren subsistence“ gereichen, aber er deutet auch an, dass es in Mühlhausen „Wiedrigkeit“ und „Verdrießligkeit“ für ihn gegeben habe. Wie er schreibt, habe er seinen „Endzweck, nemlich eine regulirte kirchen music zu Gottes Ehren“ nicht erreichen können. Es ist ihm also nicht gelungen, seine Vision von einer guten Musik in Mühlhausen in die Tat umzusetzen. Offenbar waren die Musiker zu dilettantisch und die Aufführungsbedingungen zu schwierig, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Die Mühlhauser Ratsherren sind wohl ziemlich verärgert, aber sie reagieren zurückhaltend. Gegen eine höfische Berufung können sie ohnehin wenig ausrichten, und man trennt sich im Einvernehmen von dem jungen Musiker. „Weil er nicht auffzuhalten, müste mann wohl in seine dimißion consentiren“, heißt es bedauernd im Ratsprotokoll, in dem die Entlassung bewilligt wird. Der Umzug nach Weimar erfolgt ziemlich schnell. Am 14. Juli bezieht Bach mit seiner jungen Frau eine Wohnung im Stadtzentrum, und sechs Tage später wird ihm offiziell sein Jahresgehalt von 150 Gulden plus Naturalien zugesichert. Es ist höher als das seines Vorgängers und entspricht – mit Ausnahme der Zulagen – immerhin dem des Vizekapellmeisters. Wieder ist er ein Stück weiter gekommen auf dem Weg nach oben. Mit Maria Barbara führt er „eine vergnügte Ehe“, in der sieben Kinder geboren werden, von denen allerdings nur vier überleben: seine Tochter Catharina Dorothea und seine Söhne Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel und Johann Gottfried Bernhard. Im beruflichen Bereich nimmt er in der Hierarchie der Hofkapelle jetzt eine privilegierte Stellung ein. Als Organist und Kammermusiker hat er besondere Aufgaben zu erfüllen, und es bietet sich ihm die günstige Gelegenheit, mit guten Berufsmusikern auch eigene Werke einzustudieren und aufzuführen. Schon lange hat er sich autodidaktisch mit Komposition beschäftigt und dabei „größtentheils nur durch das Betrachten der Wercke der damaligen berühmten und gründlichen Componisten und angewandtes eigenes Nachsinnen“ gelernt. Nun erweitert er sein kompositorisches Können und setzt sich mit neuen musikalischen Erfahrungen auseinander. Hier in Weimar schreibt er „die meisten seiner Orgelstücke“, beschäftigt sich intensiv mit Vivaldis Kompositionen, die ihn „musikalisch denken“ lehren, und erhält – nachdem man ihn 1714 zum Konzertmeister der Hofkapelle befördert hat – die reizvolle Aufgabe, monatlich neue „Kirchenstücke“ zu komponieren und aufzuführen. Sein Ansehen wächst. Und im Herbst 1717 verschafft ihm ein spektakulärer Auftritt am Dresdner Hof auch außerhalb von Weimar große Bewunderung. Als er gebeten wird, gegen den berühmten, aber arroganten Pariser Klaviervirtuosen Louis Marchand in einen Improvisationswettbewerb zu treten, erklärt er sich einverstanden und bietet seinem Gegner per Handschreiben an, „alles was ihm Marchand musikalisches aufgeben würde, aus dem Stegreife auszuführen“. Marchand nimmt die Herausforderung an. Tag und Ort werden verabredet. Zum vereinbarten Termin erscheint der Kurfürst mit einer großen „Gesellschaft von Personen von hohem Range“, und gemeinsam mit Bach wartet man gespannt, wie sich das bevorstehende Duell entwickeln wird. Doch Marchand lässt sich nicht blicken, und es stellt sich heraus, dass er schon in aller Frühe „mit Extrapost aus Dreßden“ abgereist ist. Aus Angst vor einer Niederlage hat er die Koffer gepackt. Bach ist „nunmehr allein

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Meister des Kampfplatzes“ und nutzt die Gunst der Stunde, um das Hofpublikum mit seinen Improvisationskünsten zu beeindrucken. In diesem wichtigen Jahr 1717 erscheint auch zum ersten Mal eine gedruckte Nachricht über ihn. Der Hamburger Musiktheoretiker Johann Mattheson berichtet in einer seiner Schriften, er habe Kompositionen des „berühmten Organisten zu Weimar“ gesehen, die „gewiß so beschaffen sind, dass man den Mann Hoch ästhimieren muß.“ Bach scheint in einer guten Phase zu sein, doch sein Dienstalltag wird zunehmend enttäuschender. Am Weimarer Hof gibt es erbitterte Machtkämpfe zwischen den beiden regierenden Herzögen Wilhelm Ernst und Ernst August, und Bach ist ständig in Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten, vor allem, weil sein Verhältnis zu dem musikliebenden Herzog Ernst August viel enger ist als das zu Herzog Wilhelm Ernst. Vor dem Hintergrund dieser feindseligen Atmosphäre wird auch die Zusammenarbeit mit den Kapellmusikern immer schwieriger, und Bach kommt wohl allmählich zu der Einsicht, dass ein fruchtbares Musikleben hier in Weimar auf lange Sicht wenig wahrscheinlich ist. Hinzu kommt, dass er für sich selbst auch keine weiteren beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten mehr sieht, zumal nach dem Tod des Hofkapellmeisters Johann Samuel Drese dessen Sohn Johann Wilhelm zum Nachfolger ernannt wird. Bach hält also wieder Ausschau nach einer neuen Stelle, und mit Hilfe von Herzog Ernst August gelingt es ihm, Kontakt zu Fürst Leopold von Anhalt-Köthen zu knüpfen, der ihn sofort zu seinem Hofkapellmeister ernennt. Am 5. August 1717 unterzeichnet Bach heimlich den Vertrag in Köthen und reicht, kurz nach seiner Rückkehr aus Dresden, in Weimar die Kündigung ein. Herzog Wilhelm Ernst jedoch macht ihm einen Strich durch die Rechnung und weigert sich, ihn freizugeben. Eigensinnig wiederholt Bach seine Forderung, und vermutlich reißt ihm dabei der Geduldsfaden. Jedenfalls kommt es zu einem Zusammenstoß, der für Bach höchst unerquickliche Folgen hat. Anfang Dezember wird in den Hofakten lapidar vermerkt: „eodem d. 6. Nov., ist der bisherige Concert-Meister u. HofOrganist, Bach, wegen seiner Halßstarrigen Bezeügung u. zu erzwingenden dimission, auf der LandRichter-Stube arretîret […] worden.“ Bach hinter Gittern. 27 Tage lang muss er ausharren, bevor er in „Ungnade“ entlassen wird. Eine Demütigung, wie er sie wohl noch nie erlebt hat. Weder Friedemann noch Emanuel werden jemals darüber berichten. Nur der Sohn eines Schülers lässt später einmal durchblicken, Bach habe den ersten Teil seines Wohltemperierten Claviers „an einem Orte geschrieben, wo ihm Unmuth, lange Weile und Mangel an jeder Art von musikalischen Instrumenten diesen Zeitvertreib abnöthigte“. Das Wohltemperierte Clavier – ein Gefängnisprodukt? Belege dafür gibt es nicht. Sicher ist nur, dass der Häftling Bach seine ungemütliche Behausung am 2. Dezember wieder verlassen darf. Wenige Wochen später übersiedelt er nach Köthen, wo er mit offenen Armen empfangen wird, und spätestens am 29. Dezember dürfte er den größten Ärger abgeschüttelt haben. An diesem Tag wird ihm nämlich sein erstes Gehalt ausgezahlt: 400 Taler. So viel hat er in seinem ganzen Berufsleben noch nie verdient. 32 Jahre ist er inzwischen alt, und er kann stolz sein auf seine Karriere. Stufe um Stufe hat er sich emporgearbeitet – vom Kirchenorganisten bis zum höfischen Kon-

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zertmeister – und mit jedem neuen Amt ist auch sein Prestige gewachsen. Nun darf er sich Hochfürstlich Anhalt-Cöthenischer Capellmeister nennen und hat damit den höchsten Rang erreicht, den ein Musiker üblicherweise erreichen kann. Er gehört zu den bestbezahlten Hofbeamten in Köthen, und auch sonst scheint er das große Los gezogen zu haben. Dreizehn Jahre später wird er in einem Brief an seinen Schulkameraden Georg Erdmann einmal wehmütig sinnieren: „Daselbst hatte einen gnädigen und die Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen.“ Da allerdings gehören die goldenen Tage von Köthen schon längst der Vergangenheit an. Die Arbeitsbedingungen in Köthen sind nahezu ideal. Fürst Leopold ist ein musikalisch gebildeter junger Mann, der seinem neuen Hofkapellmeister außerordentlich viel Achtung entgegenbringt und ihn in jeder Hinsicht unterstützt. Bach hat ein ausgezeichnetes Orchester zur Verfügung, siebzehn hochrangige Musiker, von denen die meisten exzellente Solisten sind. Mit diesem Ensemble kann er nun in seinem eigenen Haus so produktiv proben, wie er sich das wohl immer gewünscht hat. Als Leiter einer Hofkapelle muss er jetzt nicht mehr für Kirchenmusik sorgen, sondern hat die Aufgabe, Musik zur höfischen Unterhaltung zu liefern. Das Bedürfnis danach ist groß und die Anlässe sind zahlreich. Geburts- und Namenstage, Neujahrsfeste, musikalische Soireen – Bach hat viel zu tun, und immer wieder hat er die Möglichkeit, auch eigene Stücke zum Programm beizusteuern. Wieder erkundet er neues Terrain und komponiert für seine Musiker „eine Menge […] Instrumentalsachen, von allerley Art, und für allerley Instrumente“. Konzerte, Orchestersuiten, Solosonaten, Klavierstücke. Eine unübersehbare Fülle von neuen Werken. Köthen hat aber auch seine Schattenseiten. Die Leute nennen es spöttisch „KuhKöthen“, weil es so abgelegen, klein und verschlafen ist. Bach ist wohl froh, wenn er ab und zu verreisen kann, um wieder einmal andere Eindrücke zu gewinnen. 1719 wird er nach Berlin geschickt, wo er im Auftrag des Fürsten ein neues Cembalo kaufen soll, und möglicherweise begegnet er hier dem Bruder des verstorbenen Preußenkönigs, Markgraf Christian Ludwig von Brandenburg, der bei ihm ein paar Kompositionen für seine Kapelle bestellt. Zwei Jahre später widmet Bach ihm sechs Brandenburgische Konzerte und schreibt in seinem Vorwort, er habe sich „die Freiheit genommen, Eurer Königlichen Hoheit meine ergebensten Aufwartungen mit den vorliegenden Konzerten zu machen“. Einen ähnlichen Widmungstext wird er achtundzwanzig Jahre später dem Großneffen des Markgrafen schreiben – Preußenkönig Friedrich II. Als Bach im Juli 1720 von einer Reise nach Karlsbad zurückkehrt, wohin er den Fürsten begleitet hat, muss er Entsetzliches erfahren. Maria Barbara ist tot. Die 35-Jährige ist ganz plötzlich gestorben und auch bereits begraben, „ohngeachtet er sie bey seiner Abreise gesund und frisch verlassen hatte“, wie Carl Philipp Emanuel später berichtet. „Die erste Nachricht, daß sie krank gewesen und gestorben wäre, erhielt er beym Eintritte in sein Haus.“ Eine Tragödie. Die vier Kinder, Catharina Dorothea, Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel und Johann Gottfried Bernhard, sind zwischen fünf und elf Jahre alt, und Bach muss sie nun ganz alleine ver-

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sorgen. Fünfzehn Monate später, am 3. Dezember 1721, heiratet er die 20-jährige Anna Magdalena, Tochter des Hoftrompeters Johann Caspar Wilcke aus Weißenfels, eine hochbegabte Sängerin, die als Kammermusikerin am Köthener Hof angestellt ist. Die junge Frau bringt neues Leben ins Haus, und das Ereignis wird groß gefeiert. Acht Tage nach der Hochzeit heiratet auch Fürst Leopold, und seine Wahl ist, wie sich später herausstellt, auf eine „amusa“ gefallen. So jedenfalls nennt Bach die junge Fürstin Friederica Henrietta, die sich anscheinend nicht für Musik interessiert, was zur Folge hat, dass auch die musikalische Begeisterung des Fürsten spürbar nachlässt. Der Musiketat wird drastisch gekürzt, die Hofkapelle reduziert und wieder einmal sieht Bach sich gezwungen, seine „Fortun anderweitig zu suchen“. Im Juni 1722 wird die Stelle des Leipziger Thomaskantors frei und Bach bewirbt sich auf den angesehenen und traditionsreichen Posten, obwohl es ihm „anfänglich gar nicht anständig seyn wollte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden“, wie er später eingesteht. Nach langem Hin und Her wird er schließlich auch gewählt, und am 5. Mai 1723 kann er seinen Vertrag endlich unterschreiben. Drei Wochen später trifft er mit der Familie und „4. Wagen mit Haus-Rath beladen“ in Leipzig ein, und Anfang Juni wird er offiziell in sein neues Amt eingewiesen. Dabei ermahnt ihn der Schulinspektor und Pastor der Thomaskirche, „sich dem löblichen Consistorio zu unterwerffen, E.E. Rat als Patronum zu ehren, den Herrn Superint. | seinen Vorgesetzten zu erkennen, fridlich und schiedlich mit denen Herren Collegiis insgesamt, sonderlich mit dem Herrn Rectore zu leben, der jugend pflichtgemäß vorzustehen, und überhaupt, das Cantorat-Amt zu St. Thomae, dem Herkommen gemäs, gebührend zu verwalten“. Ein Anfang, der nichts Gutes verheißt. Kann Bach, dieser eigenwillige Musiker, tatsächlich so viel Unterwürfigkeit aufbringen, wie man hier von ihm erwartet? Mit Elan stürzt er sich in die Arbeit. Als Director Musices ist er verantwortlich für die Musik in den vier Leipziger Stadtkirchen, und er macht sich sofort daran, einen großen Fundus an Kirchenkantaten zu schreiben, um in Zukunft darauf zurückgreifen zu können. Schon im ersten Amtsjahr komponiert er vierzig Kantaten, im nächsten bringt er fast sechzig zu Papier, und so entstehen im Laufe der Zeit fünf komplette Kantatenjahrgänge. Fast dreihundert Werke. Jedes für sich ein Experiment, komponiert mit der Absicht, die bisherigen Grenzen der Gattung zu sprengen. Andere große „Kirchenstücke“ kommen hinzu: die Johannes-Passion, das Magnifikat, das Sanctus der Messe in h-moll, das Oster-Oratorium, die MatthäusPassion, die Markus-Passion, das Weihnachts-Oratorium. Noch größere, noch beziehungsreichere, noch unkonventionellere Kompositionen, die den Sängern und Musikern ein weit höheres Maß an Können abfordern als sie es bisher gewohnt waren. Bach ist sich darüber im Klaren, doch er denkt nicht daran, seine Ansprüche herunterzuschrauben. Ausdrücklich legt er Wert auf die Feststellung, dass seine Musik „ohngleich schwerer und intricater“ sei, als das, was in den Leipziger Kirchen bisher aufgeführt worden ist. Und er produziert unermüdlich weitere „intricate“ Werke – Motetten, weltliche Kantaten, Festmusiken, Orgelstücke, Orchester-, Kammer- und Cembalokompositionen – seine Kreativität scheint grenzenlos, seine Leistungsfähigkeit fast unerschöpflich zu sein.

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Dabei hat er einen Arbeitstag von fünfzehn bis sechzehn Stunden und wird von Zwängen diktiert, die alles andere als angenehm sind. Als Kantor der Thomasschule muss er nicht nur Vokal- und Instrumentalmusik unterrichten sondern auch andere Fächer wie zum Beispiel Latein. Dabei kann er sich zwar auf eigene Kosten vertreten lassen, doch viel Entlastung bringt ihm das nicht, denn, was er an Zeit hier einspart, investiert er in zusätzliche Proben und Einzelunterricht, um die musikalischen Leistungen der Schüler zu verbessern. Einmal im Monat ist er verpflichtet, die Oberaufsicht an der Schule zu übernehmen, was bedeutet, dass er sich eine Woche lang mit disziplinärem Kleinkram herumschlagen muss. Von fünf Uhr früh bis abends um neun hat er dafür zu sorgen, dass die Knaben „bey dem Gebet völlig angekleidet erscheinen“, „ihre Repetir-Stunden fleißig halten“, nicht „mit dem Trunck überladen“ nach Hause kommen“ oder mit „zechen, spielen und dergleichen“ gegen die Schulordnung verstoßen. Für Bachs Temperament sicher eine Tortur, die Stress verursacht und zusätzliche Kraft kostet. Auch außerhalb der Schule gibt es unglaublich viel zu erledigen. Sonntags muss er den ersten Thomanerchor dirigieren, freitags die Morgenandacht gestalten, hinzu kommen musikalische Aufführungen bei Hochzeiten, Beerdigungen, Stadt- und Kirchenfesten. Ständig müssen Chor- und Orchesterproben abgehalten, Noten beschafft, Kopisten-Arbeiten überwacht, Instrumente gewartet und Musiker beaufsichtigt werden. Und weil Bach ein geschäftstüchtiger Mann ist, betreibt er nebenher auch noch eine Reihe von Privatgeschäften – seinen Klavierunterricht, seinen Musikalienhandel, seinen Instrumentenverleih und -verkauf, seine Orgelgutachten, die notwendigerweise mit vielen Reisen verbunden sind. Verständlich, dass er bei diesen enormen Belastungen ab und zu eine Singstunde ausfallen lässt und versucht, wenigstens einen Teil der anstrengenden Arbeit auf Vertreter abzuwälzen. Dafür haben seine Vorgesetzten jedoch kein Verständnis. Ihre Unzufriedenheit wächst, und am 2. August 1730 kommt es während einer Stadtratssitzung zu heftigen Anklagen gegen den unzuverlässigen Thomaskantor. Einer der Ratsherren kritisiert, Bachs Stellvertreter habe schlechten Lateinunterricht abgeliefert und ereifert sich, „es habe derselbe sich nicht so, wie es seyn sollen, aufgeführet, Notabene ohne Vorwissen des Regierenden Herrn Bürgermeisters einen Chor Schüler aufs Land geschicket. Ohne genommenen Urlaub verreiset etc. etc.“. Ein zweiter Stadtrat schlägt eine noch schärfere Tonart an und wettert, „es thue der Cantor nicht allein nichts, sondern wolle sich auch diesfals nicht erklären, halte die Singestunden nicht, es kämen auch andere Beschwerden dazu, Änderung würde nöthig seyn…“ Und ein dritter Kollege geht sogar so weit zu behaupten, dass „der Cantor incorrigibel sey.“ Die Wellen schlagen hoch, und die erbosten Behördenvertreter vereinbaren schließlich, Bach zu bestrafen und „dem Cantor die Besoldung zu verkümmern.“ Bei der nächsten Verteilung von Zusatzhonoraren geht Bach tatsächlich leer aus. Doch er denkt nicht daran, sich zu den Vorwürfen zu äußern, sondern geht stattdessen selbst in die Offensive und schickt dem Rat am 23. August ein zehn Seiten langes Papier mit dem Titel: „Kurtzer, iedoch höchstnöthiger Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music; nebst einigem unvorgreiflichen Bedencken von dem Verfall

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derselben.“ Darin prangert er die desolaten Zustände an, die ihm hier in Leipzig zugemutet werden. Einerseits stelle man hohe Erwartungen an seine Kirchenmusik, andererseits aber sei man nicht bereit, die Musiker angemessen zu bezahlen, beschwert er sich. Schonungslos rechnet er den Ratsleuten vor, dass er mindestens sechsunddreißig Sänger benötige, um ordentlich musizieren zu können. Die Thomasschule würde jedoch viel zu vielen untüchtigen und „zur music sich gar nicht schickenden Knaben“ Platz bieten, deshalb habe er zur Zeit nur „17 zu gebrauchende, 20 noch nicht zu gebrauchende und 17 untüchtige“ Sänger in seinen Chören. Zudem seien elf von den achtzehn bis zwanzig Orchesterstellen wegen mangelnder Finanzierung nicht besetzt, und er müsse sich stattdessen mit acht fest angestellten Musikern begnügen – vier Stadtpfeifern, drei Kunstgeigern und einem Gesellen. „Von deren qualitäten und musicalischen Wißenschafften aber etwas nach der Wahrheit zu erwehnen, verbietet mir die Bescheidenheit“, kommentiert er bissig und erklärt, sie seien teilweise schon pensioniert und „theils auch in keinem solchen exercitio […] wie es wohl seyn solte.“ Schlechte musikalische Qualität – das ist Bachs empfindlichster Punkt. Schon in Arnstadt und Mühlhausen hatte er sich deswegen mit der Obrigkeit angelegt. Nun versucht er wieder einmal, eine Behörde von seinen künstlerischen Ansprüchen zu überzeugen. Doch seine Mühe ist umsonst, die Stadträte antworten nicht einmal auf seine Eingabe, und sein Papier landet irgendwo in einem Aktenschrank. Bach ist empört. Am 28. Oktober schreibt er seinem alten Jugendfreund Georg Erdmann, der mittlerweile als russischer Diplomat in Danzig lebt, einen langen Brief, in dem er sich seinen Ärger von der Seele redet. Er habe eine „wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“ und müsse „mithin fast in stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben“, entrüstet er sich. Im Übrigen sei Leipzig „ein sehr theurer Orth“ und sein Dienst sei „bey weitem nicht so erklecklich als mann mir Ihn beschrieben“. Zum Beweis gibt er sein Jahreseinkommen an, das wegen der unregelmäßigen Nebeneinkünfte – wie zum Beispiel Beerdigungsmusiken – ständigen Schwankungen unterworfen sei. „Meine itzige station belaufet sich etwa auf 700 rthl., und wenn es etwas mehrere, als ordinairement, Leichen gibt, so steigen auch nach proportion die accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so fallen hingegen auch solche, wie denn voriges Jahr an ordinairen Leichen accidentien über 100 rthl. Einbuße gehabt. In Thüringen kan ich mit 400 rthl. weiter kommen als hiesigen Ohrtes mit noch einmahl so vielen hunderten, wegen der exceßiven kostbahren Lebensarth.“ Bach ist enttäuscht. Nach sieben Jahren in Leipzig muss er sich eingestehen, dass man ihm hier nicht die Achtung entgegenbringt, die er erwartet. Weder seine gewaltige Kantatenproduktion noch so außergewöhnliche Werke wie etwa die „grosse Passion“ nach dem Evangelisten Matthäus haben bei seinen Vorgesetzten großen Eindruck hervorgerufen. Das verletzt ihn. Mehr noch – es bringt ihn in Rage. Die Ereignisse der letzten Wochen haben das Fass zum Überlaufen gebracht, und an diesem 28. Oktober 1730 ist er so zornig, dass er seinen Freund Erdmann bittet, ihm in Danzig eine neue Stelle zu vermitteln. Ob er es wirklich ernst meint, ist fraglich. Jedenfalls bleibt er in Leipzig und lernt, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren, wobei ihm die „Protection“ des

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Dresdner Hofs gute Dienste leistet. 1733 widmet Bach dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August seine Missa in h-moll und bittet darum, ihm den Titel des kurfürstlich-sächsischen Hofkomponisten zu verleihen, um sich in Zukunft besser vor den Attacken der „wunderlichen Obrigkeit“ schützen zu können. Zunächst hat er zwar keinen Erfolg, aber nach drei Jahren lässt ihm der Kurfürst das gewünschte „Praedicat“ dann doch durch den Grafen von Keyserlingk überreichen. Das Warten hat sich gelohnt. Der neue Titel bringt Bach nicht nur die ersehnte Anerkennung des Dresdner Hofs, sondern stärkt auch seine Position in Leipzig. Als er im Sommer 1736 mit dem Rektor der Thomasschule in Kompetenzstreitigkeiten gerät, kämpft er so lange um seine Rechte, bis die Affäre schließlich per königlichem Dekret entschieden wird – zu seinen Gunsten. Der Titel hat sich als Schutzschild bewährt. Bach ist bis zu einem gewissen Grade unangreifbar geworden, und niemand führt mehr öffentliche Beschwerden gegen ihn. Der Kleinkrieg aber bleibt, und im Frühling 1739 kommt es zu einer entscheidenden Krise. Nach einem Aufführungsverbot seiner Passionsmusik ist Bach so entmutigt und verärgert, dass er sein Verhalten ändert. Er reduziert seine schöpferische Aktivität für die Kirchenmusik, zieht sich zurück – soweit es seine Amtstätigkeiten erlauben – und verlagert seine Energie darauf, das Spektrum seiner kompositorischen Künste zu erweitern. Immer häufiger verbringt er nun seine Zeit zu Hause in der „Componir-Stube“, vertieft sich in die komplexe Welt der alten Kontrapunktkunst und schreibt zunehmend kühnere Werke, in denen er die „verstecktesten Geheimnisse der Harmonie in die künstlichste Ausübung“ bringt und „die Vollstimmigkeit in ihrer größten Stärke“ zeigt. Mehr denn je konzentriert er sich darauf, die Natur der Musik – ihr „wesen“ – zu erschließen, denn er versteht sich als Musikgelehrter, als Komponist, der „Wißenschaft […] in der Musique erlanget“ hat. Vom wissenschaftlichen Ehrgeiz getrieben, will er nun dieses „wesen der Music“ noch intensiver erforschen. Nun will er suchen, ausloten, experimentieren, um alles das hervorzubringen, „was in der Kunst möglich ist“. Vor allem aber, um den eigentlichen Zweck dieser Kunst zu erreichen, den „Beweiß“ nämlich, „daß […] die Musica von Gottes Geist […] angeordnet worden“ ist. Dabei ist er weder bigott noch ein verschrobener Sonderling. Er trinkt gerne einen guten Tropfen und sucht trotz seiner vielen Beschäftigungen häufig „Gelegenheit mit braven Leuten sich mündlich zu unterhalten, weil sein Haus einem Taubenhause u. deßen Lebhaftigkeit vollkommen“ gleicht. Gesellig und humorvoll kann er sein und sich „zu einer leichten und schertzhaften Denkart bequemen“, obwohl er von Natur aus ein „ernsthaftes Temperament“ hat. Später wird man ihm nachsagen, dass er sich „friedfertig, ruhig und gleichmüthig […] bei allen Widerwärtigkeiten“ verhalten habe, „so lange es nur seine eigene Persönlichkeit betraf.“ Doch wenn „seiner Kunst, seinem Heiligthume, zu nahe getreten wurde“, konnte es passieren, „dass er gewaltig in Harnisch gerieth und seinem Eifer in den stärcksten Ausdrücken Luft zu machen suchte“. Mit Anna Magdalena ist er anscheinend glücklich verheiratet, und er kümmert sich sorgfältig um die Ausbildung seiner Kinder. Aber beide müssen in ihrer Partnerschaft auch viel Leid ertragen, denn sieben ihrer dreizehn gemeinsamen Kinder sterben früh, ein Sohn ist lernbehindert, und ein Sohn

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aus erster Ehe verstrickt sich in finanzielle Schwierigkeiten und stirbt im Alter von vierundzwanzig Jahren. „Schmerzen und Wehmuth“ muss er ebenso in Kauf nehmen wie Angriffe auf seine künstlerische Persönlichkeit. Im Frühjahr 1737 veröffentlicht ein neunundzwanzigjähriger Komponist namens Johann Adolf Scheibe in der Zeitschrift Der Critische Musicus einen anonymen Artikel, in dem er die Musik des zweiundfünfzigjährigen Bach in Grund und Boden verdammt. Ironisch nennt er ihn einen „großen Mann“, der „die Bewunderung gantzer Nationen“ sein würde, „wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Stücken durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge, und ihre Schönheit durch allzugroße Kunst verdunkelte“. Ein vernichtendes Urteil. Doch Scheibe hat nur ausgesprochen, was viele seiner Zeitgenossen denken. Bachs Musik gilt als überholt, als zu schwierig. Der Musikgeschmack hat sich in den letzten Jahren entscheidend verändert. Die junge Generation lehnt die alten „Contrapunctisten“ ab und schwärmt für leichte „Galanterie-Stückgen“. Neue Einfachheit ist gefragt. Musik, die vor allem Gefühle zum Ausdruck bringen soll – singbare Melodien und gefällige Klänge, die von jedem verstanden werden. Bachs Musik gehört nicht dazu. Und Scheibe ist der erste, der aggressiv dagegen vorgeht. Seine Kritik erregt Aufsehen und löst unter den Anhängern von Bach große Empörung aus. Der Leipziger Universitätsdozent Johann Abraham Birnbaum verfasst ein langes Schreiben, in dem er zu Scheibes Vorwürfen Stellung nimmt und Bachs Musik vehement verteidigt. Aber auch andere fühlen sich aufgerufen, um für Bach öffentlich Partei zu ergreifen. Einer von ihnen ist Lorenz Christoph Mizler, ein ehemaliger Theologiestudent, der während seiner Studienzeit in Leipzig zu Bachs Schülern gehörte. Zur Verteidigung von Bach stellt er seine Monatsschrift Neu eröffnete Musikalische Bibliothek als Forum zur Verfügung und greift schließlich selbst in die Debatte ein. In einem Artikel vom 5. März 1739 wirft er Scheibe Unkenntnis vor und macht in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam, dass Bach nicht nur die alten Kompositionsmethoden beherrscht. „Wenn aber Herr Bach manchmahl die Mittelstimmen vollstimmiger setzet als andere, so hat er sich nach den Zeiten der Musik vor 20 und 25 Jahren gerichtet. Er kan es aber auch anders machen, wenn er will.“ Triumphierend setzt er noch hinzu, dass die Aufführung einer Bach-Kantate zu Ostern letzten Jahres „vollkommen nach dem neuesten Geschmack eingerichtet gewesen, und von iedermann gebillichet worden“ sei. „So wohl weiß sich der Herr Capellmeister nach seinen Zuhörern zu richten.“ Bach selbst äußert sich nicht. Statt Artikel zu schreiben konzentriert er sich auf seine Arbeit und komponiert weiterhin rätselhafte, unmoderne Werke – vielleicht als Antworten auf Scheibe, sicher aber als persönliche Herausforderung. Neue, experimentelle Werke entstehen – Kanons, Fugen und große Instrumentalzyklen – und einige dieser Werke entwickelt er aus einem einzigen melodischen Gedanken: Anfang der 40er Jahre schließt er die Goldberg Variationen ab, 1742 schreibt er die erste Fassung der Kunst der Fuge. In den nächsten Jahren komponiert er die Kanonischen Veränderungen über Vom Himmel hoch, und Mitte Mai 1747 macht er sich daran, das Thema Friedrichs des Großen zu seinem Musikalischen Opfer zu verar-

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beiten. Nicht nur im „stile antico“, sondern auch im „itzigen musicalischen gustum“, im neuen Modestil also, denn er kann es auch „anders machen, wenn er will.“ Drei Monate später. 1. September 1747. Lorenz Christoph Mizler, der seit einigen Jahren in Polen lebt, schreibt einen Brief an seinen alten Bekannten Meinrad Spieß, den Musikdirektor der Benediktinerabtei im süddeutschen Irsee. Beide haben sich lange nicht gesehen, und Mizler teilt ihm ein paar wichtige Neuigkeiten aus seinem Leben mit. Am 28. Juni sei er in Erfurt zum Doktor der Medizin promoviert worden, berichtet er und fügt hinzu: „Auf meiner Rückreise über Leipzig habe Herrn Capellm. Bach gesprochen, welcher mir seine Berlinische Reise u. Geschichte von der Fuge, die er vor dem König gespielt, erzählt, welche nächstens in Kupfer wird gestochen werden, u. in dem Packet der Soc. ein Exemplar zum Vorschein kommen. Ich habe den Anfang schon davon gesehen.“ Mizler hat also Gelegenheit gehabt, Bachs Musikalisches Opfer zu Gesicht zu bekommen – zumindest den ersten Teil, denn das Opus war zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Leipzig noch nicht fertig. Inzwischen scheint das der Fall zu sein und nach Angaben von Mizler soll es demnächst im Druck erscheinen. Doch was bedeutet seine Bemerkung, Bachs Stück würde „in dem Packet der Soc. als Exemplar zum Vorschein kommen“? Neun Jahre zuvor hat Mizler einen Verein gegründet, die Societät der musicalischen Wissenschaften, zu deren Mitgliedern auch Pater Spieß gehört. Es ist ein ausgewählter Kreis von Musikgelehrten, der sich zum Ziel gesetzt hat, „die Majestät der alten Musik“ wiederherzustellen. Die Zahl der Mitglieder soll auf zwanzig Personen begrenzt sein, und laut Statuten müssen alle studiert haben – „es mag solches auf Academien oder zu Hause geschehen seyn“. Außer einem hohen Bildungsgrad wird profunde musikalische Sachkenntnis gefordert, um in die Gruppe aufgenommen zu werden, „blose practische Musikverständige“ haben darin keinen Platz, und jedes Mitglied ist zudem verpflichtet, einmal im Jahr eine theoretische oder praktische Arbeit abzuliefern. Mizler schickt sie in einem Zirkularpaket um Ostern und um den Michaelistag an alle Teilnehmer zur Begutachtung, und jährlich verleiht man dafür auch zwei Preise, einen in der Theorie, den andern in der Praxis. Bis zum Sommer 1747 war es Mizler gelungen, dreizehn illustre Mitglieder für seine Runde zu gewinnen – unter ihnen die berühmten Komponisten Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel, Gottfried Heinrich Stölzel und Carl Heinrich Graun. Bach jedoch hatte lange gezögert, dem Verein beizutreten. Erst als Mizler ihn im Juni bei seinem Besuch in Leipzig noch einmal aufforderte, war er bereit dazu. Vielleicht haben ihn die neuen Satzungen überzeugt, in denen von gegenseitiger Solidarität die Rede ist, denn es heißt da unter anderem: „Wenn ein Mitglied von einem andern, der kein Mitglied ist, in Schriften angegriffen wird, so ist die ganze Societät verbunden, dessen Ehre bestmöglich retten zu helfen“. Bach, nunmehr vierzehntes Mitglied der Societät, liefert im Herbst seinen ersten Jahresbeitrag ab. Er schickt den Kollegen ein paar Exemplare jenes dreifachen Rätselkanons für sechs Stimmen, mit dem er sich stolz von dem Maler Elias Gottlob Haußmann hat porträtieren lassen. Es ist ein kleines, äußerst komplexes Renommierstück voller Zahlen- und Namensymbolik, das hunderte von verschiedenen

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Auflösungen zulässt. Außerdem gibt er noch seine Orgelvariationen in Umlauf, die Canonischen Veränderungen über das Weynacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her. Gelehrte kontrapunktische Kunst von höchster Qualität. Doch beides reicht ihm noch nicht. Er will auch sein neuestes Opus präsentieren, sein Musikalisches Opfer, das mittlerweile im Druck vorliegt. Hundert Exemplare hat Bach auf eigene Rechnung stechen lassen. Am 30. September gibt er per Annonce bekannt, es habe „nunmehro die Presse paßiret“ und sei sowohl bei ihm als auch bei seinen „Herren Söhnen in Halle und Berlin“ für einen Taler pro Stück zu haben. Nun legt er das Musikalische Opfer zusätzlich ins Michaelispaket. Als vorzeitigen Jahresbeitrag sozusagen, für die Saison 1748. Das Opus ist damit zum Doppelpräsent geworden. In schmuckloser Druckfassung wird es an die Societätsmitglieder verschickt. In prächtiger Sonderausstattung geht es nach Potsdam zu Friedrich II., dem es „in tiefster Unterthänigkeit“ von seinem „allerunterthänigst gehorsamsten Knechte, dem Verfasser“ gewidmet worden ist. Ein taktisch geschickter Schachzug. Einerseits kann Bach sicher sein, dass sein Werk bei den Fachkollegen großen Eindruck hinterlassen wird. Andererseits hofft er, dass auch der König seiner Bitte entspricht, die Arbeit „mit einer gnädigen Aufnahme zu würdigen“. Er hofft vergeblich, seine Bitte läuft ins Leere. Bach erhält weder Hoftitel noch ein nennenswertes Geschenk für sein Musikalisches Opfer. Friedemann und Emanuel erwähnen kein Wort von einer Belohnung, und auch sonst ist nirgendwo die Rede davon. Über ein Honorar oder wenigstens ein Dankschreiben des preußischen Hofs wird nie etwas bekannt, nicht einmal über eine Empfangsbestätigung. Vielleicht hat Bach schon in Potsdam ein Präsent erhalten. Besonders eindrucksvoll kann es allerdings nicht gewesen sein, denn Carl Philipp Emanuel wird Jahrzehnte später die berühmtesten Wohltäter seines Vaters der Reihe nach auflisten und dabei sehr feine Unterschiede machen: „Fürst Leopold in Cöthen, Herzog Ernst August in Weimar, Herzog Christian in Weißenfels haben ihn besonders geliebt u. auch nach proportion beschenckt. Außerdem ist er in Berlin u. Dreßden besonders geehrt worden.“ Geehrt, aber nicht „geliebt u. auch nach proportion beschenckt.“ Mit anderen Worten: der Enthusiasmus des Preußenkönigs für Bach hielt sich in Grenzen. Dabei konnte er durchaus großzügig sein, wenn er von einem Musiker begeistert war. Dem sächsischen Hofkapellmeister Johann Adolf Hasse zum Beispiel überreichte er einmal zum Dank für einen Auftritt in seiner Kammermusik „einen prächtigen mit Brillanten besetzten Ring“. Seinem Flötenlehrer Johann Joachim Quantz zahlte er sogar lebenslänglich ein glänzendes Jahresgehalt von 2000 Talern und honorierte ihm darüber hinaus noch jede Komposition und jede selbstgebaute Flöte. Hasse und Quantz waren seine großen Favoriten, denn beide komponierten Musik nach seinem Geschmack: neue, „galante“ Musik nach italienischem Vorbild, mit schmeichelnden Melodien, einfachen Harmonien, pulsierenden Rhythmen und überschaubaren, immer wiederkehrenden Formen. Für diese Musik schwärmte Friedrich seit seinem sechzehnten Lebensjahr, nachdem er am Dresdner Hof zum ersten Mal eine Oper von Hasse hörte. Später verlangte er, dass auch sein Hauskomponist Carl Heinrich

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Graun solche Opern schrieb. Er selbst komponierte ebenfalls in diesem Stil: Arien nach dem Muster von Hasse, Flötenwerke nach den Modellen von Quantz. Experimente erlaubte er sich nicht. In seinen Kammerkonzerten spielte er nur seine eigenen Stücke und Kompositionen von Quantz, in seinem Opernhaus ließ er vor allem Bühnenwerke von Hasse und Graun aufführen. Mit gleich bleibender Begeisterung. Sein musikalischer Horizont war beschränkt, und entsprechend starr verhielt er sich: was ihm gefiel, wollte er immer wieder hören, was ihm nicht gefiel, lehnte er ab. Die neue, unkonventionelle Musiksprache seines Cembalisten Carl Philipp Emanuel Bach mochte er nicht hören, weil sie ihm zu leidenschaftlich war, zu gefühlvoll und zu bizarr. Zwar räumte er ein, dass Musik fähig wäre „einem das Wasser in die Augen zu pumpen“, aber sie sollte die Grenzen der Vernunft nicht überschreiten. „Es freut mich immer, wenn ich finde, daß sich der Verstand mit der Musik zu schaffen macht“, sagte er einmal, „wenn eine schöne Musik gelehrt klingt, das ist mir so angenehm, als wenn ich bei Tische klug reden höre.“ Doch was verstand er unter „gelehrter Musik“? Für die Kontrapunktkunst der alten Meister hatte er nichts übrig, Fugen schmeckten ihm „nach der Kirche“ und selbst berühmte Komponisten fanden in seinen Augen keine Gnade. Telemanns Musik verabscheute er, Händels Opern waren ihm zu veraltet, und die Werke von Christoph Willibald Gluck hielt er für „ohrenzerreißende Katzenmusik“. Allerdings war ihm das alles auch nicht besonders wichtig, denn Musik spielte nur eine untergeordnete Rolle in seinem Leben. Friedrich unterschied streng zwischen „nützlichen“ und „angenehmen“ Beschäftigungen und hatte für sich klare Linien gezogen: Philosophie, Geschichte und Sprachen fand er „nützlich“, Musik dagegen nur „angenehm“. Seinen Bruder Heinrich kanzelte er ab, weil er sich zu viel mit Musik beschäftigte: „Zu meinem Bedauern erfahre ich, daß Sie beginnen, sich gehen zu lassen [...] Wollen Sie es in der Welt zu etwas bringen, so müssen Sie das Nützliche von dem Angenehmen, das Gediegene vom Frivolen zu unterscheiden wissen.“ Für Friedrich war Musizieren nichts anderes als eine Form der Entspannung, ein seelischer Ausgleich – keine ernst zu nehmende Tätigkeit. „Den ernsten Beschäftigungen bleibt immer die Prärogative“, behauptete er, „ich kann versichern, daß wir für die Vergnügungen nur vernünftige Anwendung haben: wir ziehen sie nur heran, um den Kopf nicht zu überanstrengen, und als Gegengewicht gegen gelehrte Verdrießlichkeit und gegen das Zuviel der philosophischen Gravität, die sich die Denkerstirn – nicht ganz gutwillig – durch die Grazien glätten läßt“. Hat ihm das Musikalische Opfer möglicherweise den Kopf zu sehr „überanstrengt“? Hat es damals, als Bach ihm das Prachtexemplar zuschickte, überhaupt einen Eindruck bei ihm hinterlassen? Rund drei Jahrzehnte später. 17. Mai 1774. In der Berliner Nicolaikirche und der Marienkirche gibt der Organist Wilhelm Friedemann Bach Solokonzerte. Der Erfolg ist überwältigend. In der Presse werden Erinnerungen an den „unsterblichen Geist des großen Sebastian Bach“ wachgerufen, und man preist Friedemann in überschwänglichen Worten als dessen großen Sohn. Allerdings werden auch andere Stimmen laut. Unter Experten wird diskutiert, ob Friedemann Bach tatsächlich ein

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so begnadeter Organist sei, wie sein Vater es war, und jeder, der etwas auf sich hält, mischt sich in die Debatte ein. Auch Friedrich der Große gehört dazu, der „alte Fritz“. Sein Flötenspiel hat zwar schon seit Jahren deutlich nachgelassen, aber für einen musikalischen Fachmann hält er sich immer noch. Neun Wochen nach den Orgelkonzerten sitzt ihm der österreichische Gesandte Gottfried van Swieten gegenüber, ein gebildeter Musikliebhaber, der sich mit Johann Sebastian Bachs Kompositionen ein wenig auskennt, da er in Kreisen verkehrt, in denen Bachs Musik häufig aufgeführt wird. Man redet über dieses und jenes, politische Fragen, Tagesgeschäfte, Kulturereignisse. Und plötzlich fängt Friedrich an, seine Meinung zum Thema Friedemann Bach kund zu tun. Drei Tage später berichtet van Swieten seinem Vorgesetzten, dem Fürsten von Kaunitz-Rietberg, in einem vertraulichen Brief: „Unter anderem sprach er mit mir von Musik und von einem großen Organisten namens Bach, der sich gerade in Berlin aufhielt. Dieser Künstler ist von bedeutendem Talent bezüglich allem, was ich gehört habe oder mir vorstellen kann an Tiefe der harmonischen Kenntnis und Kraft der Ausführung. Diejenigen, die seinen Vater gekannt haben, finden aber, daß er ihm nicht ebenbürtig sei. Der König teilt diese Ansicht, und um sie mir zu beweisen, sang er mit lauter Stimme das Thema einer chromatischen Fuge, das er dem alten Bach gegeben hatte, der sofort daraus eine Fuge setzte mit 4, dann 5, schließlich mit 8 obligaten Stimmen.“ Eine achtstimmige Fuge! Friedrich plaudert über Dinge, von denen er offensichtlich nichts versteht. Eine achtstimmige Fuge ist mit zwei Händen nicht zu spielen. Nicht einmal von Bach. Im Übrigen müsste er wissen, dass Bach eine sechsstimmige Fuge über sein Thema komponiert hat, denn im Musikalischen Opfer ist sie schwarz auf weiß niedergeschrieben. Aber darüber spricht er nicht. Stattdessen setzt er sich vor dem verblüfften Diplomaten in Szene, stilisiert sich als Bach-Experte und prahlt mit seinem eigenen Thema, an das er sich gut erinnern kann. Vom „alten Bach“ ist ihm nur der Tastenvirtuose im Gedächtnis geblieben. Den Komponisten Bach findet er nicht weiter erwähnenswert. Ganz zu schweigen von seinem Musikalischen Opfer. Ob sich die Partitur überhaupt noch in Friedrichs Besitz befindet, kann man bezweifeln. 1783 tauchen Teile des Widmungsexemplars im Nachlass von Johann Philipp Kirnberger auf, dem Kompositionslehrer und Kapellmeister von Friedrichs Schwester Anna Amalia. Kirnberger war Schüler von Bach und ein enthusiastischer Anhänger seiner Musik. Als die Noten des Musikalischen Opfers in seine Hände gerieten, waren sie bereits zerfleddert und nicht mehr vollständig. Kirnberger stirbt 1783. Friedrich II. drei Jahre später. Das Musikalische Opfer hat also schon einige Zeit vor dem Tod des Preußenkönigs den Besitzer gewechselt. Er hat sein Widmungsgeschenk einfach aus den Augen verloren – und womöglich ist ihm dies nicht einmal aufgefallen.

II „Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben“ Eine lange Reise zu einer kurzen Liebe

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Ihre Stimme klingt hinreißend. An diesem Nachmittag ist sie noch betörender als sonst. „Non sò d’onde viene quel tenero affetto“ singt sie, „Ich weiß nicht, woher es kommt, dies zärtliche Gefühl“ und sie scheint jeden Ton und jedes Wort dabei tief zu empfinden. Wolfgang Amadeus Mozart ist selig. Diese Stunden wird er nie mehr vergessen. Es ist Donnerstag, der 12. März 1778. Im Hause des Mannheimer Hofkapellmeisters Christian Cannabich findet ein kleines Konzert zu seinen Ehren statt. Übermorgen wird er Mannheim verlassen und nach Paris fahren. Aus diesem Grund haben sich alle seine Freunde und Schüler zusammengefunden, um zum Abschied noch einmal für ihn zu musizieren. „Ich muß sagen, daß alle Kavaliere, die mich kannten, Hofräte, Kammerräte, andere ehrliche Leute und die ganze Hofmusik sehr unwillig und betrübt über meine Abreise war,“ wird er seinem Vater später berichten, doch an diesem Nachmittag scheint von Betrübnis nicht die Rede zu sein. Die Freunde sind guter Stimmung und überschütten ihn mit Komplimenten. Zum Auftakt des Konzerts haben Mozarts Schülerinnen Rosl Cannabich, Therese Piérron und Aloisia Weber sein Konzert für drei Klaviere gespielt, und sie haben es nach seiner Aussage „recht gut“ gemacht. Doch dann kommt der eigentliche Höhepunkt. Die schöne Aloisia Weber tritt nämlich noch einmal auf, diesmal nicht als Pianistin, sondern als Sängerin, und sie singt so großartig, dass der Beifall gar kein Ende nehmen will. Wolfgang ist begeistert. „Die Mlle. Weber hat 2 Arien von mit gesungen, die Aer tranquillo von Rè Pastore und die neue, non sò d’onde viene,“ schreibt er später nach Salzburg, „Mit dieser letzten hat meine liebe Weberin sich und mir unbeschreiblich Ehre gemacht. Alle haben gesagt, daß sie noch keine Aria so gerührt habe wie diese; sie hat sie aber auch gesungen, wie man sie singen soll.“ „Meine liebe Weberin“ – so zärtlich drückt sich Mozart gewöhnlich nicht aus, wenn er seinem Vater von jungen Frauenzimmern erzählt, doch diesmal tut er es, und es scheint ihm Vergnügen zu machen, die außergewöhnliche Gesangskunst dieser Mademoiselle noch einmal in den Himmel zu heben. „Cannabich hat gleich wie die Aria aus war laut geschrieen: bravo, bravissimo maestro. Veramente scritta da maestro. Hier habe ich sie das erste Mal mit den Instrumenten gehört. Ich wollte wünschen, Sie hätten sie auch gehört, aber so wie sie da produziert, und gesungen wurde, mit dieser Akkuratesse im Gusto, piano und forte. Wer weiß, vielleicht hören Sie sie doch noch – ich hoffe es. Das Orchester hat nicht aufgehört die Aria zu loben und davon zu sprechen.“ Als er diesen Brief schreibt, befindet er sich bereits in Paris, wo er tags zuvor mit seiner Mutter angekommen ist. Die Reise hat neuneinhalb Tage gedauert und war sehr strapaziös, wie Maria Anna Mozart ihrem Mann berichtet. Nach einer Woche

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mit schönstem Wetter seien die zwei letzten Tage unerträglich gewesen – der Wind habe sie „fast erstickt und der Regen fast ersäuft, daß wir beide im Wagen waschnaß sein worden und schier nicht schnaufen gekonnt.“ Ihr Sohn bestätigt: „Wir haben geglaubt, wir könnten es nicht aushalten. Ich hab mich mein Lebtag niemals so ennuirt.“ Und er setzt noch einen erstaunlichen Kommentar hinzu: „Sie können sich leicht vorstellen, was das ist, wenn man von Mannheim und von so vielen lieben und guten Freunden wegreiset, und dann zehnthalb Tage, nicht allein ohne diese guten Freunde, sondern ohne Menschen, ohne eine einzige Seele, mit der man umgehen oder reden könnte, leben muß.“ Zehneinhalb Tage „ohne Menschen, ohne eine einzige Seele, mit der man umgehen oder reden könnte“? Was soll das heißen? Immerhin war die Mutter, mit der er sich gut verträgt, seine Reisegefährtin. Vor zehneinhalb Tagen, am 13. März, hat Wolfgang ein Erlebnis gehabt, das ihn offenbar immer noch so sehr beschäftigt, dass er kaum an etwas Anderes denken kann. Er war im Haus von Aloisia Weber, um Abschied zu nehmen von ihr und ihrer ganzen Familie, und dort hat sich wohl eine rührende Szene abgespielt. Die Eltern von Aloisia beschenkten ihn, obwohl sie selbst bitterarm sind und kaum wissen, wovon sie leben sollen. „Die Weberin hat aus gutem Herzen zwei Paar Tazeln von Filet gestrickt und mir zum Angedenken und zu einer schwachen Erkenntlichkeit verehrt“, erzählt Wolfgang dem Vater. „Er hat mir, was ich gebraucht habe, umsonst abgeschrieben und Notenpapier gegeben und hat mir die Komödien vom Molière (weil er gewußt hat, daß ich sie noch niemals gelesen) geschenkt. […] Und wie er bei der Mama allein war, sagte er: ‚Jetzt reist halt unser bester Freund weg, unser Wohltäter. Ja, das ist gewiß, wenn Ihr Herr Sohn nicht gewesen wäre, der hat wohl meiner Tochter viel getan und sich um sie angenommen, sie kann ihm auch nicht genug dankbar sein.‘ Den Tag, ehe ich weggereist bin, haben sie mich noch beim Abendessen haben wollen, weil ich aber zu Hause hab sein müssen, so hat es nicht sein können. Doch habe ich ihnen zwei Stunden bis zum Abendessen noch schenken müssen. Da haben sie nicht aufgehört, sich zu bedanken, sie wollten nur wünschen, sie wären im Stande, mir ihre Erkenntlichkeit zu zeigen. Wie ich weg ging, so weinten sie alle. Ich bitte um Verzeihung, aber mir kommen die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke.“ Wolfgang ist unglücklich. Seit zehneinhalb Tagen fühlt er sich einsam und deprimiert wie vielleicht noch nie in seinem ganzen Leben. Die Erinnerungen an Mannheim tun ihm so weh, dass er jetzt noch mit den Tränen kämpft. Ist Aloisia daran schuld? Was hat ihn überhaupt nach Mannheim getrieben – und was sucht er jetzt in Paris? Die Geschichte ist lang, und sie beginnt mit einem Eklat. Genauer gesagt mit einer Kündigung, die vor etwas mehr als einem halben Jahr in Salzburg für große Aufregung sorgte. August 1777. Der Erzbischof von Salzburg, Hieronymus Graf Colloredo, erhält ein Schreiben seines Hofmusikers Wolfgang Amadeus Mozart, in dem er um seine Entlassung bittet. Mozart ist seit fünf Jahren Konzertmeister in der Hofkapelle, sein Jahresgehalt beträgt 150 Gulden. Ein Musiker, der in Amt und Brot ist, kann sich normalerweise glücklich schätzen, noch dazu, wenn er erst einundzwanzig Jahre alt

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ist. Doch nicht so der Konzertmeister Mozart. Der kündigt, ganz freiwillig und ohne äußeren Zwang. Colloredo ist entrüstet. Die Bittschrift ist perfekt formuliert und von ausgesuchter Höflichkeit. Offensichtlich stammt die Diktion nicht von Wolfgang sondern von seinem Vater, dem Vizekapellmeister Leopold Mozart. Der Alte ist ein versierter Briefschreiber und kennt sich aus mit den Gepflogenheiten seines Dienstherrn. Da es sich am Salzburger Hof empfiehlt, die Gesuche mit biblischen Hinweisen zu würzen, hat er den Brief seines Sohnes mit frommen Metaphern versehen: „Gnädigster Landes Fürst und Herr Herr![...] Die Eltern bemühen sich, ihre Kinder in den Stand zu setzen, ihr Brot für sich selbst gewinnen zu können und das sind sie ihrem eigenen und dem Nutzen des Staates schuldig. Je mehr die Kinder von Gott Talente erhalten haben, je mehr sind sie verbunden, Gebrauch davon zu machen, um ihre eigenen und ihrer Eltern Umstände zu verbessern, ihren Eltern beizustehen, und für ihr eigenes Fortkommen und für die Zukunft zu sorgen. Diesen Talentwucher lehrt uns das Evangelium. Ich bin demnach vor Gott in meinem Gewissen schuldig, meinem Vater, der alle seine Stunden unermüdet auf meine Erziehung verwendet, nach meinen Kräften dankbar zu sein, ihm die Bürde zu erleichtern und nun für mich und dann auch für meine Schwester zu sorgen, für die es mir leid wäre, daß sie so viele Stunden beim Flügel sollte zugebracht haben, ohne nützlichen Gebrauch davon machen zu können. Euer Hochfürstliche Gnaden erlauben mir demnach gnädigst, daß ich Höchstdieselben untertänigst um meine Dienstentlassung bitte, da ich noch von dem eingehenden Herbstmonat Gebrauch zu machen gezwungen bin, um nicht durch die bald nachfolgenden kalten Monate der üblen Witterung ausgesetzt zu sein.“ Das sind stolze Zeilen. Ausgedacht vom selbstbewussten Hofmusiker Leopold Mozart, geschrieben von seinem selbstbewussten Sohn Wolfgang, adressiert an den Salzburger Landesherrn, Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo. Den „Mufti“, wie Wolfgang ihn ironisch nennt. Das „Untiehr“, wie seine Mutter sich auszudrücken pflegt. Sie hassen ihn alle. Die ganze Familie. Dass die Mozarts sich in Salzburg nicht wohl fühlen, ist eigentlich schon lange kein Geheimnis mehr. In seiner temperamentvollen Art lässt Wolfgang es auch jeden wissen, der es hören will. „Salzburg ist kein Ort für mein Talent. Erstens sind die Leute von der Musik in keinem Ansehen und zweitens hört man nichts. Es ist kein Theater da, keine Opera! Wenn man auch wirklich eine spielen wollte, wer würde denn singen?“ Sehr diplomatisch sind solche Äußerungen nicht, aber das scheint ihm ziemlich egal zu sein. Schon ein Jahr zuvor, im September 1776, hat er sich in einem Brief an den berühmten Musikgelehrten Padre Martini in Bologna bitter über die miserablen Arbeitsbedingungen in Salzburg beklagt. „Ich lebe in einem Lande, wo der Musik das Glück nicht hold ist“, schrieb er ihm, „[…] Hinsichtlich des Theaters geht es uns aus Mangel an Schauspielern schlecht. Wir haben keine Musiker und werden so leicht auch keine bekommen, denn sie wollen gut bezahlt sein, und die Freigebigkeit ist nicht unser Fehler. Ich unterhalte mich inzwischen, Kammer- und Kirchenmusik zu schreiben. […] Ach, wie sind wir doch soweit voneinander entfernt liebs-

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ter Pater und Meister! Wie Vieles hätte ich Ihnen zu sagen! Ich empfehle mich gehorsamst allen Mitgliedern der Philharmonischen Akademie und bitte Sie nochmals herzlichst um Ihr Wohlwollen. Es betrübt mich stets, so weit von dem Menschen entfernt zu sein, den ich auf der Welt am meisten liebe, verehre und hochschätze.“ Der Brief, die sehnsüchtigen Worte, die Empfehlung an die Akademie – das alles war nicht ohne Absicht geschrieben worden. Und zwar diesmal direkt von Vater Leopold – Wolfgang hatte lediglich seine Unterschrift darunter gesetzt. Die beiden kannten Padre Martini schon lange. Bereits 1770 hatten sie ihn auf ihrer ersten Italienreise kennen gelernt, als Wolfgang erst vierzehn Jahre alt war und alle Welt in Staunen versetzte mit seinem Genie. Der Padre, eine der größten musikalischen Autoritäten Italiens, war damals sehr beeindruckt gewesen von Wolfgang und hatte dafür gesorgt, dass er, nach einer bravourös bestandenen Klausurprüfung, in die Komponistenklasse der berühmten Musikakademie von Bologna aufgenommen wurde. Vielleicht könnte Padre Martini eine Stelle in Italien für Wolfgang beschaffen, so hofften Vater und Sohn noch im letzten Jahr. Doch der Padre antwortete nur mit ein paar höflichen Zeilen; er konnte oder wollte nichts tun für den jungen Mozart. Und damit waren die Aussichten, aus Salzburg wegzukommen, wieder sehr unwahrscheinlich geworden. Wolfgang ist enttäuscht. Jahrelang hat er mit seinen Eltern und Schwester Nannerl Reisen in alle Welt gemacht, Kaiser und Könige haben ihn bewundert, seine Opern sind in den berühmtesten Theatern beklatscht und bejubelt worden – doch seit März 1775 ist er nicht mehr aus Salzburg herausgekommen. Der neue Erzbischof Colloredo duldet es nicht, dass seine Hofmusiker auf Konzertreisen gehen – so wie es sein Vorgänger, der Graf von Schrattenbach, immer großzügig erlaubt hat. Überhaupt haben sich die Zeiten verschlechtert, seitdem Colloredo im Amt ist. Der Erzbischof spart, und seine Sparsamkeit ist von Geiz kaum noch zu unterscheiden. Die Hofmusik, die sich früher stundenlang hinzog, ist auf eine Stunde beschränkt worden, gesungene Messen dürfen nicht länger als eine Dreiviertelstunde dauern, Instrumentalmusik ist kaum noch gefragt. Am 30. September 1775 wurde auch noch das Residenztheater geschlossen und stattdessen das Ballhaus am Hannibalplatz umgebaut; dort aber dürfen die Salzburger Hofmusiker nicht mehr spielen, sondern nur noch auswärtige Wandertruppen. Das bedeutet auch, dass Wolfgang kaum mehr Chancen hat, Opern zu schreiben, und das macht ihn wütend. Dabei hatte er mit seiner neuen Oper La finta giardiniera einen grandiosen Erfolg. Nicht im verschlafenen Salzburg, sondern im prächtigen München, wo die Uraufführung am 13. Januar 1775 über die Bühne ging. „Gottlob! Meine Oper ist gestern […] so gut ausgefallen, daß ich der Mama das Lärmen unmöglich beschreiben kann“, schrieb er damals seiner Mutter nach Salzburg. „Erstens war das ganze Theater so gestrotzt voll, daß viele Leute wieder zurück haben müssen. Nach einer jeden Arie war allzeit ein erschreckliches Getös mit Klatschen und ,Viva Maestro‘Schreien. Seine Durchlaucht die Kurfürstin […] sagten mir auch Bravo. Wie die Oper aus war, so ist unter der Zeit, wo man still ist, bis das Ballett anfängt, nichts als geklatscht und Bravo geschrien worden; bald aufgehört, wieder angefangen und so fort.“ Richtig stolz waren sie alle drei damals gewesen – der Vater, die Nannerl

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und er –, und sie hatten der Mutter, die leider nicht mitgereist war, alles genau erzählt. Zum Beispiel die komische Geschichte mit dem „Mufti“, der nach der Opernpremiere plötzlich in München auftauchte und gar nicht wusste, wie ihm geschah, als man ihm von allen Seiten zum Opernerfolg seines Konzertmeisters gratulierte. „Stelle Dir vor“, schrieb Vater Leopold genüsslich an seine Frau, „wie verlegen seine Hochfürstliche Gnaden sein mußten, vor aller kurfürstlichen Herrschaft und dem ganzen Adel die Lobeserhebungen der Oper anzuhören und die feierlichsten Glückwünsche, die sie ihm alle machten, anzunehmen. Er war so verlegen, daß er mit nichts als mit einem Kopfneigen und Achsel-in-die-Höhe-Ziehen antworten konnte.“ Ja, auch Leopold Mozart war wütend auf den Erzbischof. Sein Sohn war für Colloredo nichts weiter als ein Bediensteter, ein Musiker wie jeder andere auch. Das empörte den Vater. Damals wie heute. Leopold Mozart ist ein gebildeter Mann. Er hat ein paar Semester Philosophie und Jurisprudenz studiert, bevor er Musiker wurde und hat sich mit seiner berühmten Violinschule – einem bahnbrechenden Unterrichtswerk – in europäischen Fachkreisen einen Namen gemacht. Als Wolfgang vier Jahre alt war, wurde ihm klar, dass sein Sohn ein Genie ist, und von diesem Zeitpunkt an fühlte er sich berufen, „der Welt ein Wunder zu verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen geboren werden.“ Er hat der Welt das Wunder verkündet und ist gemeinsam mit seiner Frau, dem Wunderkind Wolferl und seiner hochbegabten Tochter Nannerl in fremde Länder gereist. Er hat sich gesonnt im Erfolg seiner Kinder und hat ansehnlich Geld durch sie verdient. Ihre Krankheiten, die manchmal lebensbedrohlich waren, hat er ebenso in Kauf genommen wie andere körperliche und seelische Belastungen, denen sie auf den anstrengenden Reisen ausgesetzt waren. Doch er hat immer mit Hingabe für sie gesorgt und nie nachgelassen, sie zu fördern und zu unterstützen. Vor allem für Wolfgang, das musikalische Ausnahmetalent, hat er alles getan. Er war sein Mentor, Lehrer, Berater, Sekretär, Diener, väterlicher Freund, und Wolfgang hat viel davon profitiert. Sein geniales Talent entwickelte sich mehr und mehr – nicht zuletzt durch die vielen Reisen –, und genau dieses Ziel hat Leopold immer bewusst verfolgt. Immer schon war er der Meinung, dass ein Künstler viele Anregungen braucht, um sich entfalten zu können, und dass „Leute von Künsten und Wissenschaften“ ohne Reisen „armselige Geschöpfe“ sind. All das ist nun nicht mehr möglich. Nicht nur, dass Wolfgang „für ein Spottgeld“ in der Hofkapelle dienen muss – der neue Erzbischof hält ihn auch sonst eisern unter Kuratel. Für Leopold und Wolfgang Mozart ist das eine unerträgliche Situation, und Leopold wird seinen Sohn später einmal zornig an all die „Bedrückung, Verfolgung und Tyrannei, der wir in Salzburg seit 6 Jahren ausgesetzt waren“ erinnern. Im Januar 1777 – wenige Monate nach dem erfolglosen Schreiben an Padre Martini – erschien die französische Pianistin Mademoiselle Jeunehomme in Salzburg, und mit ihrem Besuch wurde das Thema Reisen in der Familie Mozart auf einmal wieder aktuell. Das französische Fräulein erzählte viel über Paris, und bei den Mozarts kamen Erinnerungen hoch: Paris! Dort war Wolfgang damals bei der großen

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Europareise begeistert gefeiert worden. Warum sollte sich das nicht noch einmal wiederholen lassen? Paris war eine Weltstadt, ein musikalisches Paradies. Dort konnte man als Komponist Karriere machen, vorausgesetzt, man traf den Geschmack der Leute – und den beherrschte Wolfgang souverän. Er hatte sich gleich hingesetzt und ein Klavierkonzert für Mademoiselle Jeunehomme komponiert. Ein Konzert in Es-Dur, ganz nach französischem Gusto. Leopold begann, Vorbereitungen für eine erneute Reise zu treffen. Briefe wurden geschrieben und geeignete Kompositionen aus Wolfgangs Gesamtwerk ausgewählt, er selbst wurde angehalten, ein Klavier- und Geigenrepertoire für Konzertauftritte zu erarbeiten und seine Sprachkenntnisse aufzufrischen. Da geschah etwas, das den Ärger über die verfahrene Salzburger Situation bei Vater und Sohn wieder aufflammen ließ. Colloredo machte ein paar abfällige Bemerkungen über Wolfgang. „Er schämte sich nicht, zu sagen, daß mein Sohn nichts weiß, daß er in Neapel in ein Konservatorium gehen müßte, um die Musik zu erlernen,“ schrieb Leopold voller Empörung an Padre Martini und geriet darüber so in Rage, dass er am 14. März einen Urlaubsantrag schrieb und darum bat, ihm und seinem Sohn angesichts der „traurigen Umstände“ zu erlauben, eine Kunstreise zu machen. Doch der Erzbischof reagierte nicht. Stattdessen ließ er verkünden, dass er wegen des bevorstehenden Besuchs von Kaiser Joseph II. die vollständige Anwesenheit aller seiner Musiker erwarte. Leopold blieb beharrlich und wiederholte später sein Anliegen. Diesmal erhielt er eine glatte Absage mit der höhnischen Bemerkung, sein Sohn könne ja alleine reisen, da er ohnehin nur halb in Diensten sei. Zähneknirschend rang sich Leopold nun zu dem Entschluss durch, seine Frau Maria Anna mit Wolfgang tatsächlich alleine auf Reisen zu schicken. Doch mittlerweile hatte sich Colloredo die Sache wieder anders überlegt und stellte sich abermals quer. Nun war das Maß endgültig voll. Im August 1777 formulierte Leopold Mozart das Entlassungsgesuch seines Sohnes. Er bat um Verständnis für diesen Schritt und erinnerte dabei an einen Satz, der bereits drei Jahre zuvor gefallen war: „Euer Hochfürstliche Gnaden werden mir diese untertänigste Bitte nicht ungnädig nehmen, da Höchstdieselben schon vor drei Jahren, da ich um die Erlaubnis, nach Wien zu reisen bat, sich gnädigst gegen mich erklärten, daß ich nichts zu hoffen hätte und besser tun würde, mein Glück andern Orts zu suchen. Ich danke Euer Hochfürstlichen Gnaden in tiefster Untertänigkeit für alle empfangene Höchste Gnaden, und mit der schmeichelhaftesten Hoffnung, Euer Hochfürstlichen Gnaden in meinen mannbaren Jahren mit mehrerm Beifall dienen zu können, empfehle ich mich zu fürwährenden Höchsten Hulden und Gnaden. Euer Hochfürstl. Gnaden meines Gnädigsten Landes Fürsten und Herrn Herrn untertänigster und gehorsamster Wolfgang Amade Mozart.“

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Das Ganze war keine Kurzschlusshandlung, sondern entsprang reiflicher Überlegung. Wolfgang sollte in Begleitung der Mutter Richtung Westen reisen, um an irgendeinem Hof eine feste Anstellung zu suchen. Für dieses Projekt hatte sich Leopold hoch verschuldet. Die Reise sollte durch ein Darlehen von 400 Gulden finanziert werden, darüber hinaus waren noch einige Kreditbriefe eingeplant, und Wolfgang sollte unterwegs Konzerte geben und komponieren. Mit dem Geld, so hoffte Leopold, würde er nicht nur die Schulden ausgleichen, sondern auch noch ein paar Gewinne machen können. 23. September 1777. Bis tief in die Nacht haben die Mozarts gepackt. Früh um sechs steht Vater Leopold mit Tochter Nannerl und dem Hund Pimpes neben der Familienkutsche, um die Abreise von Frau und Sohn zu beaufsichtigen. Der Abschied ist tränenreich. Umarmungen, Küsse, letzte Ermahnungen. Dann fallen die Türen zu, und der Wagen rollt an. Bedrückt gehen Vater und Tochter ins Haus zurück. Die folgenden Stunden wird Leopold zwei Tage später seinen beiden Lieben schildern: „Nachdem ihr abgereist, ging ich sehr matt über die Stiege und warf mich in einen Sessel nieder. Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich bei unserer Beurlaubung zurückzuhalten, um unsern Abschied nicht schmerzlicher zu machen. Und in diesem Taumel vergaß ich, meinem Sohn den väterlichen Segen zu geben. Ich lief zum Fenster, und gab ihn solchen Euch beiden, sahe Euch aber nicht mehr beim Tor hinausfahren [...] Die Nannerl weinte ganz erstaunlich, und ich mußte mir alle Mühe geben, sie zu trösten. Sie klagte über Kopfweh und Grausen im Magen, endlich kam ihr ein Erbrechen und sie spie tapfer, band sich den Kopf ein, legte sich ins Bett und ließ die Fensterläden zu machen. Der betrübte Pimpes lag zu mir.“ Leopold Mozart fühlt sich elend. Seit Wochen schon schleppt er sich mit einer Erkältung herum. Darüber hinaus quälen ihn große Probleme. Der Erzbischof hat Wolfgangs Gesuch mit dem zynischen Vermerk zurückgeschickt: „Auf die Hofkammer mit dem, daß Vater und Sohn nach dem Evangelium die Erlaubnis haben, ihr Glück weiter zu suchen.“ Das war eine Kündigung – auch für ihn, den Ernährer der Familie. Leopold ist noch immer fassungslos. Sofort hat er versucht, die Entlassung rückgängig zu machen, doch bis heute hat er noch keinen positiven Bescheid bekommen. An diesem 23. September kommt alles für ihn zusammen: der Abschied von Frau und Sohn, die Zukunftsängste, die körperliche Beschwerden. Es ist kein guter Tag für Leopold Mozart. Er ist niedergeschlagen und hat den Kopf voller Sorgen Wolfgang Mozart sitzt derweil vergnügt in der voll bepackten Reisekutsche neben seiner Mutter und genießt die Fahrt durch das herbstliche Alpenvorland. Endlich kann er tun und lassen, was er will. Wie lange hat er sich das schon gewünscht. Kein Papa wird ihn mehr kontrollieren, kein „Mufti“ drangsalieren und auch die Mama wird keine Schwierigkeiten machen, das weiß er. Sie ist nachgiebig und lässt sich leicht überreden. Von ihr braucht er nichts zu befürchten. Vor ihm liegt die große Freiheit, und sie wird ihm eine glänzende Stelle bescheren – in München oder in Mannheim oder vielleicht sogar in Paris, wer weiß. Auf jeden Fall irgendwo an einem Ort, wo es sich besser leben lässt als in Salzburg.

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Die Fahrt geht über Waging, Stein und Frabertsham bis nach Wasserburg. Dort verbringen sie die erste Reisenacht und Wolfgang schreibt zu später Stunde noch einen ausgelassenen Brief nach Salzburg. Er empfiehlt dem Papa: „Brav lachen und lustig sein, und allzeit mit Freuden wie wir gedenken, dass der Mufti H[ieronymus] C[olloredo] ein Schwanz, Gott aber mitleidig, barmherzig und liebreich sei. Ich küsse dem Papa 1000 mal die Hände, und umarme meine Schwester Kanaille so oft, als ich heut’ schon - - - - Toback genommen habe […] P.S. Die Feder ist grob und ich bin nicht höflich. Wasserburg, den 23. Septber 1777. undecima hora nocte tempore. Gehorsamster Sohn Wolfgang Amade Mozart.“ Am folgenden Abend erreichen sie München und nehmen ein Zimmer im Gasthof zum „Schwarzen Adler.“ Gleich am nächsten Tag, früh um sieben, schlüpft Wolfgang in seinen schönsten Rock und sucht einen Figaro auf. Er möchte möglichst vorteilhaft aussehen, denn er hat vor, mehrere einflussreiche Personen aufzusuchen, um schnell Kontakte zum Hof zu knüpfen. Doch er verliert zu viel Zeit beim Friseur, und als er endlich um halb elf zur Visite beim Intendanten der Münchner Hofoper Graf Seeau auftaucht, trifft er ihn nicht mehr an. Auch die beiden nächsten Antrittsbesuche verlaufen im Sande. Ein gewisser Kanonikus Pernat hat sich ebenfalls schon aus dem Haus entfernt, während ein Herr von Bellvall „voll in Geschäften“ ist und ihn mit Komplimenten abspeist. Mit anderen Worten – der erste Tag ist ein Misserfolg. Am nächsten Morgen macht Wolfgang sich deshalb schon um halb neun auf den Weg zum Intendanten Seeau und wird freundlich von ihm empfangen. Wie sich herausstellt, ist der Graf schon informiert über seine Entlassung und gibt ihm den guten Rat, sich beim Kurfürsten „nur schnurgerade“ um eine Audienz zu bemühen. „Er war sehr höflich“, berichtet Wolfgang dem Vater. „Als ich ihm sagte, es ginge hier wirklich ein rechter Kompositeur ab, so sagte er: ‚Das weiß ich wohl!‘“ Zuversichtlich begibt er sich nun zum Bischof von Chiemsee, Ferdinand Christoph Graf Zeill, der sich sogar eine halbe Stunde Zeit für ihn nimmt. Auch der Bischof verspricht, sein Möglichstes zu tun und gleich am Nachmittag beim Kurfürsten die Rede auf ihn zu bringen. Dann werde man weitersehen. Alles scheint also erfolgreich zu laufen. Wolfgang und seine Mutter werden in der Münchner Gesellschaft herumgereicht und freuen sich so über die Aufmerksamkeit, dass sie noch in der Nacht fröhlich nach Salzburg schreiben. „Ich bin immer in meinem schönsten Humor“, meint Wolfgang. „mir ist so federleicht ums Herz, seitdem ich von dieser Schikane weg bin! – Ich bin auch schon fetter.“ Und Maria Anna fügt ein paar deftige Zeilen hinzu. „Wir führen ein charmantes Leben, früh auf, spät ins Bett. Den ganzen Tag haben wir Visiten, leben wie die Fürstenkinder, bis uns holt der Schinder. Adio ben mio, leb gesund, reck den Arsch zum Mund. Ich wünsch eine gute Nacht, scheiß ins Bett das kracht, es ist schon über eins, jetzt kannst selber reimen.“ Auch die Nachrichten aus Salzburg klingen gut. Erzbischof Colloredo hat sich inzwischen entschlossen, seinen Vizekapellmeister Mozart wieder in Diensten zu nehmen – allerdings mit der Auflage, er solle sich in Zukunft friedlich betragen und sich befleißigen, „die Kirche sowohl als Höchstdero Person gut zu bedienen“. Leo-

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pold ist erleichtert, kann sich jedoch einen spöttischen Kommentar nicht verkneifen: „Hast Du in Deinem Leben einen solchen Galimathias gelesen?“ fragt er Wolfgang. Er ermahnt ihn, vorsichtiger zu sein und seine lockeren Sprüche zu unterlassen. „Ich bitte dich, mein lieber Wolfgang, schreib keine solchen Possen mehr vom Mufti. Denke, dass ich hier bin – ein solcher Brief könnte verloren gehen, oder in andere Hände kommen.“ Im Übrigen rät er ihm dringend, sich vor dem Alkohol in Acht zu nehmen. „Du weißt, daß Du gleich erhitzt bist, und die Kälte Dir lieber als die Wärme ist; ein klarer Beweis, daß Dein Geblüth zur Hitze geneigt gleich in Wallung kommt. Die starken Weine und vieles Weintrinken ist Dir also schädlich. Stelle dir nur vor, in was Unglück und Betrübnis du deine liebe Mutter in einem weit entfernten Land setzen könntest.“ Die väterlichen Ratschläge gehen noch weiter. Wolfgang solle dafür sorgen, dass der Kurfürst seine kontrapunktischen Künste kennen lerne, schreibt Leopold. Außerdem müsse er dem Grafen Seeau „erschrecklich das Maul machen, was Du ihm für sein Theater in Arien etc. und Balletts, ohne eine Bezahlung zu verlangen, alles machen willst. Mit den Kavalieren mußt Du erstaunlich höflich sein, denn ein jeder hat sein Maul darin [...].Vielleicht könntet ihr beim Grafen Seeau im Garten eine Musik machen, wenn die Sache einiges Ansehen der Hoffnung gewinnt.“ Das tut „die Sache“ leider nicht. Bei seinem zweiten Besuch muss Wolfgang feststellen, dass der Hofintendant Seeau wesentlich reservierter ist als das erste Mal. Auch der Bischof von Chiemsee gibt sich plötzlich sehr pessimistisch. „.Ich glaube, hier werden wir nicht viel ausrichten,“ gesteht er. „Ich habe bei der Tafel in Nymphenburg heimlich mit dem Kurfürsten gesprochen. Er sagte mir: ‚Jetzt ist es noch zu früh. Er soll gehen, nach Italien reisen, sich berühmt machen. Ich versage ihm nichts, aber jetzt ist es noch zu früh.‘“ Wolfgang ist gekränkt. Am 3. Oktober besucht er den Grafen Seeau zum dritten Mal und klärt ihn über seine italienischen Erfolge auf. Noch am gleichen Tag unterrichtet er den Vater über das Gespräch: „Machte es ganz kurz, sagte nur: ‚Ich bin nur da, Euer Excellenz, mich und meine Sachen recht zu erklären; es ist mir der Vorwurf gemacht worden, ich sollte in Italien reisen. Ich war 16 Monate in Italien, habe 3 Opern geschrieben, das ist genug bekannt. Was weiter vorgegangen, werden Euer Excellenz aus diesen Papieren ersehen.‘ Ich zeigte ihm die Diplomata: ‚Ich zeige und sage Euer Excellenz dieses alles nur, damit, wenn eine Rede von mir ist und mir etwa Unrecht getan würde, sich Euer Excellenz mit Grund meiner annehmen können.‘ Er fragte mich, ob ich jetzt in Frankreich ginge? Ich sagte, ich würde noch in Deutschland bleiben. Er verstand aber in München, und sagte, vor Freude lachend: ‚So! hier bleiben Sie noch?‘ Ich sagte: ‚Nein, ich wäre gern geblieben; und die Wahrheit zu gestehen, hätte ich nur dessentwegen gern vom Kurfürsten etwas gehabt, damit ich Euere Excellenz hernach hätte mit einer Komposition bedienen können, und ohne allen Interesse. Ich hätte mir ein Vergnügen daraus gemacht.‘ Er rückte bei diesen Worten gar seine Schlafhauben.“ Graf Seeau ist ein gewitzter Diplomat. Er spielt den Interessierten, doch er will sich nicht anlegen mit dem Bischof von Salzburg – das ist alles. Wäre Wolfgang nicht so arglos und gutgläubig, hätte er das Spiel längst durchschaut, das man seit

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Tagen hier mit ihm spielt. Eine Woche nach seiner Ankunft in München findet er endlich Gelegenheit, mit dem Kurfürsten persönlich zu sprechen. Weil er keine Audienz bei ihm bekommt, lässt er sich von einem Musiker ins Vorzimmer der Residenzkapelle schleusen, wo er ihm zwangsläufig begegnen muss. „Als der Kurfürst an mich kam, so sagte ich: ‚Euer Kurfürstliche Durchlaucht erlauben, daß ich mich untertänigst zu Füßen legen und meine Dienste antragen darf.‘ – ‚Ja, völlig weg von Salzburg, völlig weg?‘ – ‚Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht.‘ – ‚Ja, warum denn, habt’s enk z’kriegt?‘ – ‚Ei, beileibe, Euer Durchlaucht; ich habe nur um eine Reise gebeten, er hat sie mir abgeschlagen, mithin war ich gezwungen, diesen Schritt zu machen; obwohl ich schon lange im Sinn hatte, weg zu gehen, denn Salzburg ist kein Ort für mich.‘ […] – ‚Mein Gott, so ein junger Mensch! Aber der Vater ist noch in Salzburg?‘ – ‚Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht, er legt sich untertänigst etc. Ich bin schon dreimal in Italien gewesen, habe drei Opern geschrieben, bin Mitglied der Akademie in Bologna, habe müssen eine Probe ausstehen, wo viele Maestri 4 bis 5 Stunden gearbeitet und geschwitzt haben, ich habe es in einer Stund verfertigt: das mag zum Zeugnis dienen, daß ich im Stande bin, in einem jeden Hof zu dienen. Mein einziger Wunsch ist es aber, Euer Kurfürstlichen Durchlaucht zu dienen, der selbst ein großer…‘ – ‚Ja, mein liebes Kind, es ist keine Vakatur da. Mir ist leid. Wenn nur eine Vakatur da wäre.‘ – ‚Ich versichere Euer Durchlaucht, ich würde München gewiß Ehre machen.‘ – ‚Ja, das nutzt alles nicht. Es ist keine Vakatur da.‘ Dies sagte er gehend. Nun empfahl ich mich zu höchsten Gnaden.“ Aus. Vorbei. Wolfgang kann seine Enttäuschung kaum verbergen. Der hilfsbereite Kollege rät ihm zwar, sich noch öfter beim Kurfürsten blicken zu lassen, doch dazu kommt es nicht mehr. Am 4. Oktober verlässt Seine Durchlaucht die Stadt, um auf Reisen zu gehen, und es bietet sich keine Gelegenheit mehr, ihm etwas vorzuspielen. „Ich wünschte nur, daß der Kurfürst da wäre, so könnte er doch hören – er weiß nichts von mir. Er weiß nicht, was ich kann,“ sagt Wolfgang resigniert zu Graf Salern, einem seiner vielen Bewunderer, und ist hocherfreut, als der Graf ihm rät, nicht den Mut zu verlieren und in München zu bleiben. „Für mich alleine wäre es nicht unmöglich, mich durchzubringen, denn von Graf Seeau wollte ich wenigstens 300 Gulden bekommen,“ meldet Wolfgang nach Salzburg, „für das Essen dürfte ich mich nicht sorgen, denn ich wäre immer eingeladen, und wäre ich nicht eingeladen, so machte sich Albert eine Freude, mich bei sich zu Tisch zu haben.“ Albert ist der musikbegeisterte Wirt vom „Schwarzen Adler.“ Er veranstaltet von November bis Mai Konzerte in seinem Gasthof und legt deshalb großen Wert darauf, dass Mozart in München bleibt. „Herr Albert hat seit meiner Ankunft ein Projekt im Kopf, dessen Ausführung mir nicht unmöglich scheint,“ schreibt Wolfgang. „Nämlich er wollte zehn gute Freunde zusammenbringen, wo ein jeder monatlich nur einen Dukaten spendieren dürfte, das sind das Monat 10 Dukaten, 50 Gulden, jährlich 600 Gulden, wenn ich nun hernach von Graf Seeau nur jährlich 200 Gulden hätte, wären es 800 Gulden. Ich bin vollkommen damit zufrieden; ich wäre nahe bei Salzburg. Und wenn Ihnen, mein allerliebster Papa, ein Gusto käme (wie ich es doch von ganzem Herzen wünschte), Salzburg zu verlassen und in München ihr Leben zuzubringen, so wäre das Ding sehr lustig und leicht.“

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Von diesen Luftschlössern will der Vater jedoch nicht viel wissen. Zwar ist er zuerst nicht abgeneigt – vorausgesetzt, das Projekt kommt schnell in Gang –, aber dann meldet sich plötzlich sein Stolz. Der Gedanke, dass Wolfgang in Zukunft sein göttliches Talent im Dunstkreis bürgerlicher Mäzene verschleudert, ist dem altgedienten Hofmusiker unerträglich. „Daß Du allein in München leben könntest, hat seine Richtigkeit: allein was würde Dir dieses für eine Ehre machen? Wie würde der Erzbischof darüber spotten! Das kannst Du aller Orte, nicht nur in München. Man muß sich nicht so klein machen und nicht so hinwerfen. Dazu ist ganz gewiß noch keine Not.“ Er lässt dem freundlichen Wirt Empfehlungen ausrichten und befiehlt seinem Sohn, die Stadt sofort zu verlassen und weiterzufahren. Wolfgang gehorcht, wenn auch nur widerwillig. Am 11. Oktober mittags um zwölf verlässt er München und fährt mit der Mutter nach Augsburg, in die Geburtsstadt des Vaters. Leopold wünscht, dass sie sich dort ein paar Tage bei seinem Bruder Franz Alois aufhalten, damit Wolfgang die Möglichkeit hat, wichtige Leute kennen zu lernen. Außerdem wäre es gut, ein oder zwei Konzerte zu geben, um die Reisekasse aufzufrischen, die durch den Münchner Aufenthalt bedenkliche Löcher bekommen hat. „Wenn Du siehst, daß Du großen Beifall hast, und man Dich hochschätzet, so wünschte ich, daß, wenn Du von Augsburg weg bist, ein besonderer Artikel zu Deinem Lobe in der Augsburger Zeitung erscheinen möchte,“ erklärt der Vater. „Du weißt schon, warum: das würde hier jemand viel Galle machen.“ Leopold will es dem Erzbischof zeigen. Er soll aus der Presse erfahren, wie man anderswo mit dem berühmten Wolfgang Amadeus Mozart umgeht. Aber auch die Augsburger sollen wissen, wen sie vor sich haben. Deshalb gibt er Wolfgang den Rat, den Orden vom goldenen Sporn zu tragen, den er als Vierzehnjähriger vom Papst bekommen hat. „An den Höfen musst du dein Kreuz nicht tragen, aber in Augsburg musst du es alle Tage nehmen; da macht es dir Ansehen und Respekt, und so an allen Orten, wo kein regierender Herr ist.“ Leopold Mozart, der Buchbindersohn aus kleinen Verhältnissen, weiß, wie man den Augsburger Patriziern imponieren kann. Diesmal allerdings hat er sich gründlich verschätzt. Ein paar Tage später teilt Wolfgang ihm nämlich grimmig mit: „Hören Sie nur, wie schön generös die Herren Augsburger sind! Ich bin noch in keinem Ort mit so vielen Ehrenbezeugungen überhäuft worden wie hier“, und er erzählt ihm, was vorgefallen ist. Elegant gekleidet und geschmückt mit seinem Orden ist er am 12. Oktober in Begleitung seines Onkels Franz Alois zum Stadtpfleger Jakob Wilhelm Benedikt Langenmantel gegangen, um ihm „untertänigste Empfehlung vom Papa“ auszurichten – und erlebte dabei sein blaues Wunder. Der „Erz-Stadtpfleger“ war die Hochnäsigkeit in Person und verwies zunächst einmal den Onkel ins Vorzimmer, um dort zu warten. Dann fing er an, Wolfgang mit „Er“ anzureden – ganz wie ein Duodezfürst. „Er […] fragte mich: ‚wie ists dem Herrn immer gegangen?‘ Ich sagte gleich darauf: ‚Gott Lob und Dank recht gut, und Ihnen hoffe ich, wird es auch ganz gut gegangen sein?‘ - - Er wurde hernach höflicher und sagte Sie, und ich sagte Euer Gnaden.“ Nach einigen Minuten Konversation sei es dann weitergegangen, schreibt Wolfgang. Der Herr „Longotabaro“ habe ihn genötigt, mit ihm hinauf in die Woh-

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nung zu gehen, um ihn mit der Familie bekannt zu machen, während Onkel Alois unten im Haus habe weiter warten müssen. „Ich mußte mich zurückhalten, mit allem Gewalt, sonst hätte ich mit der größten Höflichkeit etwas gesagt. Ich hatte oben die Ehre, in Gegenwart des gestarzten Herrn Sohnes und der langhachsigten gnädigen jungen Frau und der einfältigen alten Frau so beiläufig ¾ Stunde auf einem guten Klavichord von Stein zu spielen. Ich spielte Phantasien, und endlich alles, was er hatte […] Da war alles in der größten Höflichkeit, und ich war auch sehr höflich. Denn meine Gewohnheit ist, mit den Leuten so zu sein, wie sie sind. So kommt man am besten aus.“ Am nächsten Tag bietet der junge Langenmantel großspurig an, ein Konzert vor dem Augsburger Musikkränzchen zu arrangieren. Er bestellt Wolfgang zu sich, lässt ihn eine Stunde lang auf dem Klavichord spielen, ohne eine verbindliche Zusage zu geben und eröffnet ihm am folgenden Tag, es würde nun leider doch nichts aus dem Konzert – die Vereinskasse sei leer. Wolfgang ist aufgebracht, doch er beherrscht sich und schluckt seinen Ärger herunter. Wieder wird er aufgefordert, ein wenig vorzuspielen, und er tut, was man von ihm verlangt. Danach gehen alle gemeinsam ins Theater und kehren anschließend wieder ins Haus Langenmantel zurück, wo Wolfgang erneut ans Klavier gedrängt wird, um die Herrschaften zu unterhalten. Während des Abendessens beginnt „der junge Esel von kurzen Mantl“ gemeinsam mit seinem Schwager, über Wolfgangs Orden vom Goldenen Sporn zu lästern. „Was wird es etwa kosten? 3 Dukaten? - - Muß man die Erlaubnis haben, es zu tragen? - - kostet diese Erlaubnis auch etwas? Wir wollen uns das Kreuz doch kommen lassen.“ Wolfgang kocht vor Zorn. Die Stichelei will kein Ende nehmen. Als der Schnösel schließlich auch noch witzelt, der Orden sei ja wohl nicht viel wert, er sei ja nicht aus Gold sondern nur aus Kupfer, platzt ihm endgültig der Kragen: „Ich sagte: ‚Gott behüte, es ist vom Blech. Hehe!‘ Mir war warm vor Wut und Zorn. ‚Aber sagen Sie mir‘, sagte er, ‚ich kann ja allenfalls den Sporn weglassen?‘ - - ‚O ja‘, sagte ich, ‚Sie brauchen keinen, Sie haben ihn schon im Kopf. Ich habe zwar auch einen im Kopf, aber es ist halt ein Unterschied. Ich möchte mit dem Ihrigen wahrhaftig nicht tauschen!‘ Er wurde ein wenig bleich. Endlich rief er ‚hey‘, zum Bedienten. ‚Daß Ihr auf die nächst mehr Respekt vor uns habet, wenn mein Schwager und ich dem Herrn Mozart sein Kreuz tragen.‘ ‚Das ist doch kurios‘, fing ich an, als wenn ich nicht gehört hätte, was er gesagt hat, ‚ich kann noch eher alle Orden, die Sie bekommen können, bekommen, als Sie das werden, was ich bin. Und wenn Sie 2mal sterben und wieder geboren werden!‘“ Mozart ist so wütend, dass er aufsteht und geht. Er will sofort abreisen aus Augsburg, doch es gibt eine Reihe von Leuten, die ihn beschwichtigen und bitten zu bleiben. Der Stadtpflegersohn wird gezwungen, sich bei ihm zu entschuldigen, was er herablassend zur Kenntnis nimmt: „Sie sind halt noch jung,“ sagt er zu ihm. „Aber nehmen Sie sich besser in Obacht. Ich bin nicht gewohnt auf solchen Spaß.“ Die Genugtuung reicht jedoch aus, um seine Stimmung wieder ins Lot zu bringen, und gutmütig erklärt er sich sogar bereit, ein Konzert mit dem Augsburger Musikkränzchen zu geben. Obwohl das Dilettantenorchester jämmerlich spielt, gelingt es ihm, die Veranstaltung zu retten, doch anschließend ist nur einer der Herren so

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gnädig, ihm zwei Dukaten in die Hand zu drücken. Bei seinem eigenen Konzert, wenige Tage später, ergeht es ihm nicht viel besser. Zu der groß angekündigten Akademie, die am 22. Oktober im Fuggerschen Konzertsaal stattfindet, erscheinen zwar lauter renommierte Leute aus Kirche und Bürgertum, und hinterher gibt es auch „ein rechtes Getös und Lärm“, aber die Einnahmen sind katastrophal. Von den 90 Gulden Verdienst bleiben nach Abzug der Kosten nur 83 ½ Gulden übrig – 27 Gulden zu wenig, um die Aufenthaltskosten zu decken. Wolfgang scheint sich deswegen nicht besonders zu grämen. Seine Verstimmung ist plötzlich wie weggeblasen, denn seit ein paar Tagen hat er sein Herz für sein kesses „Bäsle“ entdeckt – seine Kusine Maria Anna Thekla, die Tochter seines Onkels Franz Alois. Vergnügt schreibt er nach Salzburg, sie sei so „schön, vernünftig, lieb, geschickt und lustig“ und fügt treuherzig hinzu: „Wir zwei taugen recht zusammen, denn sie ist auch ein bißchen schlimm […] Wir foppen die Leute miteinander, daß es lustig ist.“ Was er und das Bäsle sonst noch so alles treiben, darüber schreibt er dem Vater natürlich nichts. Doch Leopold wittert sofort Gefahr und redet seinem Sohn ernsthaft ins Gewissen. „Ich bin kein Pedant, kein Betbruder, noch weniger ein Scheinheiliger, allein Deinem Vater wirst Du wohl eine Bitte nicht abschlagen? Diese ist, daß Du für Deine Seele besorgt sein wollest.“ Er wirft ihm vor, schon zwei volle Wochen in Augsburg vertan zu haben und fordert ihn auf, so schnell wie möglich abzureisen. Der Herbst ist ins Land gegangen, die Tage werden kürzer, das Wetter verschlechtert sich. Es ist höchste Zeit, dass Wolfgang rechtzeitig vor dem Winter eines der großen höfischen Musikzentren erreicht, um dort sein Glück zu versuchen. Wieder müssen Taschen und Koffer gepackt werden, und am 26. Oktober brechen Mutter und Sohn auf, um nach Mannheim zu reisen, an den Hof von Kurfürst Karl Theodor. Wolfgang ist sehr optimistisch, von Mannheim verspricht er sich viel. Er weiß, dass der Kurfürst ein großer Musikliebhaber ist, und die berühmte Mannheimer Hofkapelle gilt als das beste Orchester in Europa. Außerdem ist er selbst dort kein unbeschriebenes Blatt. Als Wunderkind hat er bereits vor fünfzehn Jahren im Schwetzinger Schloss ein Konzert gegeben, und das Kurfürstenpaar war damals ganz entzückt von ihm. Sicher wird man sich noch daran erinnern. Man wird Augen machen, was inzwischen aus ihm geworden ist. Unterwegs in Hohenaltheim wird Maria Anna Mozart krank. Die Kälte hat ihr schon in Augsburg zu schaffen gemacht, nun muss sie wegen einer schweren Erkältung in einem „miserablen Wirtshaus“ das Bett hüten. Am 30. Oktober erreichen sie endlich das Mannheimer Stadttor und machen sich auf die Suche nach einer billigen Unterkunft. Sie hätten sich im ‚Pfälzischen Hof‘ einlogiert und nicht beim ‚Prinz Friedrich‘, teilt Maria Anna ihrem Mann pflichteifrig mit. „Dort ist es viel teurer. Wenn wir sehen, daß wir uns müssen viel länger aufhalten, so gehen wir in eine Privatwohnung, denn in den Wirtshäusern ist es zu kostbar zu leben.“ Der Empfang in Mannheim ist freundlich. Hofkapellmeister Christian Cannabich begegnet Wolfgang mit großer Höflichkeit und stellt ihn gleich seinen Musikern vor. Manche von ihnen reagieren allerdings ziemlich blasiert auf den jungen Mann aus Salzburg. „Ich habe geglaubt, ich kann das Lachen nicht enthalten, wenn man

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mich den Leuten vorgestellt hat“, erzählt Wolfgang dem Vater. „Einige, die mich per Renommee gekannt haben, waren sehr höflich und voll Achtung. Einige aber, die weiter nichts von mir wissen, haben mich groß angesehen, aber auch so gewiß lächerlich. Sie denken sich halt, weil ich klein und jung bin, so kann nichts Großes und Altes hinter mir stecken; sie werden es aber bald erfahren.“ Dennoch ist die Atmosphäre erfreulich. Vor allem das Ehepaar Cannabich zeigt sich sehr gastfreundlich, und innerhalb weniger Tage entwickelt sich zwischen ihnen und den Mozarts ein herzliches Verhältnis. Wolfgang fühlt sich wohl bei diesen Leuten. Als Cannabich verspricht, eine Verbindung zum Hof herzustellen, ist er so glücklich, dass er sich sofort revanchiert und eine Klaviersonate für Cannabichs 13-jährige Tochter Rose komponiert. Cannabich und sein Kollege Ignaz Holzbauer bemühen sich intensiv, eine Audienz beim Hofmusikintendanten Graf Savioli in die Wege zu leiten und sind auch erfolgreich. Wolfgang wird zu einem Antrittsbesuch vorgeladen, doch leider stellt sich sehr schnell heraus, dass der Herr Hofmusikintendant noch nie etwas von einem Musiker namens Wolfgang Amadeus Mozart gehört hat. Holzbauer „sagte auf Welsch zum Grafen: daß ich möchte die Gnade haben, mich bei Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht hören zu lassen. Ich bin schon vor 15 Jahren hier gewesen. Ich war dort 7 Jahre alt, aber nun bin ich älter und größer geworden und so auch in der Musik. ‚Ah!‘ sagte der Graf, ‚das ist der . . . ‘ Was weiß ich, für wen er mich hielt. Da nahm aber gleich der Cannabich das Wort, ich stellte mich aber, als wenn ich es nicht hörte, ließ mich mit anderen in Diskurs ein. Ich merkte aber, daß er ihm mit einer ernsthaften Miene von mir sprach. Der Graf sagte dann zu mir: ‚Ich hörte, daß Sie so ganz passabel Klavier spielen?‘ Ich machte eine Verbeugung.“ Zum Glück steht der Namenstag des Kurfürsten kurz vor der Tür. Graf Savioli entschließt sich deshalb, den jungen Musiker aus Salzburg in die festlichen Galatage mit einzuplanen. Maria Anna Mozart ist selig. Endlich kann sie etwas Erfolgversprechendes nach Hause berichten. Stolz meldet sie ihrem Mann ein paar Tage später, dass Wolfgang gleich zu Anfang der Feierlichkeiten der Kurfürstin vorgestellt worden sei. „Sie hat sich noch seiner erinnert, da er vor 15 Jahren hier gewesen, hat ihn aber nicht mehr gekannt. Hernach war große Tafel, und auf den Abend groß Apartement. Den dritten Tag war große Akademie, wobei der Wolfgang ein Konzert und zu allerletzt vor dem Schluß eine Sinfonie aus dem Kopf und eine Sonate gespielt hat. Er hat von dem Kurfürsten und der Kurfürstin, wie auch von allen, die ihn gehört haben, einen ungemeinen Beifall erhalten.“ Wolfgang ergänzt das mütterliche Bulletin noch durch weitere erfreuliche Auskünfte: „Der Kurfürst, sie und der ganze Hof, ist mit mir sehr zufrieden. In der Akademie […] ging der Kurfürst und sie völlig neben meiner zum Klavier. Nach der Akademie machte Cannabich, daß ich den Hof sprechen konnte. Ich küßte dem Kurfürsten die Hand. Er sagte: ‚Es ist jetzt, glaube ich, 15 Jahr, daß Er nicht hier war.‘ – ‚Ja, Euer Durchlaucht, 15 Jahr, daß ich nicht die Gnade gehabt habe.‘ – ‚Er spielt unvergleichlich.‘ Die Prinzessin, als ich ihr die Hand küßte, sagte zu mir: ‚Monsieur, je vous assure, on ne peut pas jouer mieux.‘“

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Ein hoffnungsvoller Anfang. Allerdings gab es hinterher nichts Bares auf die Hand, sondern lediglich eine kleine goldene Uhr als Honorar. „Nun habe ich mit dero Erlaubnis 5 Uhren,“ bemerkt Wolfgang ironisch. „Ich habe auch kräftig im Sinn, mir an jeder Hose noch ein Uhrtäschl machen zu lassen, und wenn ich zu einem großen Herrn komme, beide Uhren zu tragen (wie es ohnehin jetzt Mode ist), damit nur keinem mehr einfällt, mir eine Uhr zu verehren.“ Aber immerhin, der Kurfürst ist auf ihn aufmerksam geworden. Das ist die Hauptsache. Alles Übrige wird sich schon finden. Tatsächlich wird Mozart bereits einen Tag nach der Akademie ins Palais Heydeck gerufen. Kurfürst Karl Theodor wünscht, seine Meinung zu hören über das Klavierspiel seiner unehelichen Kinder und erscheint deshalb höchstpersönlich zur Konsultation. Bei der Gelegenheit ergeben sich geradezu vertrauliche Gespräche. „Er hat einen Sohn und drei Töchter. Die älteste und der junge Graf spielen Klavier. Der Kurfürst fragte mich ganz vertraut um alles wegen seiner Kinder. Ich redete ganz aufrichtig, doch ohne den Meister zu verachten [...] Der Kurfürst, als er ging, bedankte sich sehr höflich bei mir.“ Am nächsten Tag darf Mozart wiederkommen. „Ich spielte dreimal. Der Kurfürst ersuchte mich allzeit selbst darum. Er setzte sich allzeit neben mir und blieb unbeweglich. Ich ließ mir auch von einem gewissen Professor ein Thema zu einer Fuge geben und führte sie aus.“ Doch nach diesem Treffen bricht der Kontakt ab, der freundliche Kurfürst lässt nichts mehr von sich hören. Es vergeht eine Woche. Es vergehen zwei Wochen. Drei Wochen. Dem Vater schwant nichts Gutes. Er „zweifle sehr, daß Wolfgang alles dieses allda finden wird, was er sich vorstellet,“ schreibt er am 13 November. „[…] Ich bin in der Tat besorgt: denn Mannheim ist ein teurer Ort. Ihr wißt, wie die Sachen stehen.“ Leopold ist nervös. Das Geld rinnt den beiden in Mannheim durch die Finger, und er weiß nicht, wie er das alles finanzieren soll. „Um des Himmels willen – ihr müßt nach Geld trachten“, beschwört er Frau und Sohn und fordert sie dringend auf, sich wenigstens eine billigere Unterkunft zu suchen. Darüber hinaus unterbreitet er ihnen Vorschläge für die Weiterreise, falls Wolfgang nicht schnellstens die erhoffte Stelle bei Kurfürst Karl Theodor bekäme und bittet sie im Übrigen inständig, ihm in Zukunft häufiger Bericht zu erstatten. „Nimmt mirs nicht übel, meine lieben Leute: was haben dann ich und die Nannerl jetzt für eine Freude in Salzburg: als – – die Posttäge? sagt es mir!“, beklagt er sich und appelliert an seinen Sohn, seine Ratschläge genau zu befolgen und vor allem nie zu vergessen, ein ehrerbietiges Betragen an den Tag zu legen, um sich bei den hohen Herrschaften Freunde zu machen. Ist Wolfgang die ewigen Vorwürfe und Belehrungen leid, die ihm Woche für Woche ins Haus flattern? Am 16. November kann er anscheinend der Versuchung nicht widerstehen, den Vater ein bisschen zu „foppen“ und schickt ihm ein saftiges „Schuldbekenntnis“ nach Salzburg. „Ich, Johannes Chrisostomus Amadeus Wolfgangus Sigismundus Mozart, giebe mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Uhr nach Haus gekommen bin und daß ich von 10 Uhr bis zur benennten Stund beim Cannabich in Gegenwart und en

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Compagnie des Cannabich, seiner Gemahlin und Tochter, Herrn Schatzmeister, Ramm, und Lang, oft und – nicht schwer, sondern ganz leichtweg gereimet habe, und zwar lauter Sauereien, nämlich, vom Dreck, scheißen und arschlecken, und zwar mit Gedanken, Worten und – – aber nicht mit Werken. Ich hätte mich aber nicht so gottlos aufgeführt, wenn nicht die Rädelsführerin, nämlich die sogenannte Liesel (Elisabetha Cannabich) mich gar so sehr dazu animieret und aufgehetzt hätte; und ich muß bekennen, daß ich ordentlich Freude daran hatte. Ich bekenne alle diese meine Sünden und Vergehungen von Grund meines Herzens und in Hoffnung, sie öfter bekennen zu dürfen, nimm ich mir kräftig vor, mein angefangenes sündiges Leben noch immer zu verbessern; darum bitte ich um die heilige Dispensation, wenn es leicht sein kann; wo nicht, so gilt es mir gleich, denn das Spiel hat doch seinen Fortgang.“ Diesen Ton ist Vater Leopold nicht gewöhnt. „Ich weiß in der Tat nicht, was ich schreiben soll“, antwortet er entrüstet. „So eine Reise ist kein Spaß, das hast Du noch nicht erfahren. Man muß andre wichtigere Gedanken im Kopf haben als Narrenspossen.“ Wolfgang solle sich sputen. Statt den Winter in einer kleinen Stadt zu vergeuden, solle er schleunigst in eine große Stadt reisen. Nach Paris. Wenn er über die Route Koblenz-Trier-Luxemburg-Sedan-Reims-Soisson fahren würde, hätte er gute Möglichkeiten, die Kosten wieder hereinzuholen. Noch einmal schärft er ihm ein, in Zukunft präzise Informationen über seine Erlebnisse zu liefern, sowie über Kosten, Geldreserven, weitere Reisepläne usw. und nicht solchen „in der Geschwindigkeit hingeschriebenen Mischmasch“ zu schreiben wie bisher. Aber auch im nächsten Brief aus Mannheim steht wieder nur „Mischmasch“. „Heut muß ich es ganz kurz machen, weil ich kein Papier mehr zu Haus habe“, schreibt Wolfgang. Nichts von irgendwelchen Erfolgen in Mannheim, nichts von weiteren Reiseplanungen. Der Vater antwortet erbost: „Ich mag von einem Brief auf den andern mir Hoffnung machen, wie ich will; immer – Nichts! – nicht ein Wort! – die Absicht der Reise und zwar die notwendige Absicht war, ist, und muß sein, einen Dienst zu bekommen oder Geld zu erwerben. Bis jetzt hat es weder zu dem einen, noch zu dem andern einiges Ansehen, es wäre denn, daß es nur für mich ein Geheimnis sein müsste. Von München hast du mir recht umständlich von allem Nachricht gegeben: da wußte ich, wie die Sachen standen […] Von Augsburg hast Du auch alles berichtet – nur Dich aller Orten zu lange aufgehalten – […] Dort erwartete ich schon auf meine gemachten Vorschläge, die Reise betreffend, eine Antwort, wohin Ihr reisen werdet […] allein, – kein Wort! – – und jetzt kommt in Mannheim eine goldene Uhr, und kein Geld; da sitzen wir schon im Dreck: und dennoch nicht eine Silbe, wie Ihr Eure künftige Reise anstellen wollt. – Ich denke mir schier das Hirn aus dem Kopf – und schreibe mir die Augen blind; ich möchte für alles voraus sorgen: und ihr seht alles als eine Kleinigkeit an, seid gleichgültig, bindet mir die Hände, euch zu raten und zu helfen, da ihr mir nicht ein Wort sagt, wohin ihr nun reisen werdet.“ Leopold Mozart traut seinen Augen kaum, als er kurz darauf wieder ein Schreiben erhält, das gespickt ist mit weiteren „Narrenspossen“ – und was für welchen. „Vielleicht kann ich Ihnen im zukünftigen Brief etwas sehr Gutes für Ihnen, aber

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nur Gutes für mich oder etwas sehr Schlechtes in Ihren Augen, aber etwas Passables in meinen Augen, vielleicht aber auch etwas Passables für Sie, und aber sehr gut, lieb und wert für mich, schreiben! Das ist ziemlich orakelmäßig nicht wahr? – Es ist dunkel, aber doch zu verstehen [...] Etwas von dem Orakel muß geschehen. – Ich glaube, es wird entweder das Mittlere oder das Letzte geschehen. – Das ist mir nur eins. Denn das ist allerweil ein Ding, ob ich den Dreck fresse oder der Papa ihn scheißt – Na, so kann ich doch das Ding nie recht sagen! Ich habe sagen wollen, es ist ein Ding, ob der Papa den Dreck scheißt oder ich ihn fresse! – Jetzt lasse ichs lieber sein. Ich sehe es schon, es ist umsonst [...] Adieu. Ich küsse dem Papa 100 000mal die Hände und meine Schwester, den lieben Polster umarme ich von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig oder garnicht und bin dero gehorsamster Sohn, laufen Sie nicht davon. Wolfgang Amade Mozart Ritter des goldenen Sporns und sobald ich heirat, des doppelten Horns, Mitglied der großen Akademie von Verona, Bologna, oui mon ami!“ Erstaunlicherweise antwortet Leopold diesmal gelassen, beinahe versöhnlich: „Potz Orakelsprüche und kein Ende! Ich sagte es ja in meinem letzten Schreiben: es müßten Geheimnisse für mich vorgehen. Du hast wohl recht – sie mögen gut oder böse ausschlagen, so werde ich es früh genug erfahren.“ Damit ist der Schlagabtausch zwischen Vater und Sohn jedoch keineswegs zu Ende. Leopold kann es nicht lassen, Ratschläge zu erteilen, Klagen loszulassen, Kommentare abzugeben und immer wieder besorgte Fragen zu stellen. Er will wissen, ob sie sich noch in Mannheim aufhalten, ob sie vielleicht schon in Mainz angelangt seien, wohin sie weiterzureisen gedächten, wann es nach Paris gehen solle usw. usw. Wolfgangs Briefe werden zunehmend energischer. Er habe beschlossen, den Winter über in Mannheim zu bleiben und warte nur noch auf die Antwort des Kurfürsten, schreibt er am 26. November. Er wolle den Kurfürstensohn unterrichten und habe außer dem „Erz-scolaren“ auch schon zwei andere Schüler in Aussicht, die ihm 1Louis pro Monat zahlen würden. „Ohne den Erz lässt es sich freilich nicht tun“, muss er zugeben, doch dann fügt er die Bemerkung hinzu: „Nun lassen wir das, wie es ist und wie es sein wird: was nutzen doch die überflüssigen Spekulationen. Was geschehen wird, wissen wir doch nicht, doch – wir wissen es! – was Gott will.“ Das ist zuviel. Das Wort von den überflüssigen Spekulationen trifft Leopold ins Mark. Er donnert zurück. „Daß Du, mein Sohn, mir […] schreibst, daß alle Spekulationen überflüssig sind und nichts nützen, daß wir doch nicht wissen werden, was geschehen wird; das ist in der Tat ohne alle Überlegung in den Tag hinein gedacht – und gewiß unbesonnen hingeschrieben. Daß alles nach dem Willen Gottes gehen wird und muß, wird kein vernünftiger Mensch, will nicht sagen, Christ leugnen. Folgt aber daraus, daß wir blind dahin handeln und für alles unbesorgt leben, keine Anstalten treffen und nur abwarten sollen, bis etwas oben von sich selbst beim

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Dache hereinfliegt? [...] War etwa meine Anstalt, Dir einen Kreditbrief nach Augsburg zu verschaffen eine unnötige Spekulation? [...] Ich weiß besser als Ihr, wie man auf solchen Reisen vorbereitet sein muß, um nicht in einem Augenblick, wo man am wenigsten daran denkt, in eine abscheuliche Verlegenheit zu kommen. – Da sind in einem Augenblicke alle Freunde verschwunden! [...] Mit einem Wort! Es sind keine überflüssigen Spekulationen, wenn man etwas vor sich hat und sich 2 bis 3 Plan darüber informiert und die dazu nötigen Veranstaltungen vorausmacht, um, wenn eines nicht geht, ohne Verhinderung das andere ergreifen zu können. Wer anders handelt, ist ein unverständiger und leichtsinniger Mensch.“ Bei Wolfgang scheinen die Nerven inzwischen ebenfalls blank zu liegen. Sein flapsiger Ton ist verschwunden, und zum ersten Mal in seinem Leben bietet er dem Vater offen die Stirn. „Heute vormittag habe ich Ihren Brief […] erhalten und daraus ersehen, daß Sie sich nicht in Glück und Unglück schicken könnten, wenn wir allenfalls so etwas übern Hals bekämen; bis dato waren wir alle vier, wie wir sind, niemals glücklich noch unglücklich, und dafür danke ich Gott. Sie machen uns beiden viele Vorwürfe, ohne daß wir es verdienen. Wir machen keine Ausgaben, die nicht notwendig sind; und was auf der Reise notwendig ist, wissen Sie so gut und besser als wir [...] Daß wir noch hier sind? - - ja - - können Sie denn glauben, daß ich ohne Ursache wo bleiben würde? [...] Wenn Sie aber die Ursache meiner Nachlässigkeit, Sorglosigkeit und Faulheit zuschreiben, so kann ich nichts als mich für Ihre gute Meinung bedanken und von Herzen bedauern, daß Sie mich, Ihren Sohn, nicht kennen. Ich bin nicht sorglos, ich bin nur auf alles gefaßt, und kann folglich alles mit Geduld erwarten, und ertragen - - wenn nur meine Ehre und mein guter Namen Mozart nicht darunter leiden.“ Wolfgang kann die ständige Bevormundung seines Vaters nicht mehr ertragen. Warum, wie lange und wo er sich bisher auf der Reise aufgehalten hat, wie viel Geld er dafür hat ausgeben müssen, wann und wohin er nun zu fahren gedenkt – all diese Fragen sind ihm gründlich zuwider, und er will sich nicht mehr ständig für jeden Schritt rechtfertigen müssen. Er möchte in Mannheim bleiben. Christian Cannabich und alle anderen Musikerfreunde raten ihm dringend dazu und wollen ihm helfen, bei Hof eine Anstellung zu bekommen. Auch Graf Savioli scheint großes Interesse daran zu haben, denn er hat ihm versprochen, sich beim Kurfürsten für ihn einzusetzen. Der Kurfürst persönlich hat ihm sogar schon Hoffnungen auf einen Opernauftrag gemacht. Wolfgang berichtet, er habe mit Karl Theodor im Palais Heydeck wie mit einem guten Freund gesprochen: „Er sagte zu mir: ‚Ich habe gehört, Er hat zu München eine Opera geschrieben.‘ ‚Ja, Euer Durchlaucht, ich empfehle mich Euer Durchl. Zu höchster Gnad, mein größter Wunsch wäre, hier eine opera zu schreiben; Ich bitte auf mich nicht ganz zu vergessen.‘ Daraufhin sagte der Kurfürst: ‚Das kann leicht geschehen.‘“ Doch es geschieht gar nichts. Die Tage vergehen, das Geld wird immer knapper, und allmählich bekommt Mozart es mit der Angst zu tun. Flehend bittet er Graf Savioli, „er möchte doch machen daß mich der Kurfürst auf beständig nähme […] Er soll mir Arbeit geben. Ich arbeite gern.“ Savioli vertröstet ihn, verspricht, sein Bestes zu tun, aber der Kurfürst kann sich nicht entscheiden. „Jetzt wird mir der

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Spaß bald zu lang“, schreibt Wolfgang am 6. Dezember. „Der Graf Savioli hat schon 3 Mal mit dem Kurfürsten gesprochen und die Antwort war allzeit ein Schupfer mit den Achseln, und, ich werde schon antworten, aber – – ich bin noch nicht resolviert.“ Vier Tage später – nach sechs Wochen vergeblichen Wartens und Hoffens – muss Wolfgang sich und dem Vater eingestehen, dass er gescheitert ist. „Hier ist dermalen nichts mit dem Kurfürsten. Ich war vorgestern in der Akademie bei Hof, um eine Antwort zu bekommen. Der Graf Savioli wich mir ordentlich aus; ich ging aber auf ihn zu. Als er mich sah, schupfte er die Achsel. ‚Was’, sagte ich, ‚noch keine Antwort?’ – ‚Bitte um Vergebung,‘ sagte er, ‚aber leider nichts.‘ – ‚Eh bien,‘ sagte ich, ‚das hätte mir der Kurfürst eher sagen können.‘ ‚Ja,‘ sagte er, ‚er hätte sich noch nicht resolvirt, wenn ich ihn nicht dazu getrieben und vorgestellt hätte, daß Sie schon so lange hier sitzen und im Wirtshaus Geld verzehren.‘ ‚Das verdrießt mich auch am meisten,‘ versetzte ich, ‚das ist garnicht schön.‘“ Nur mit Mühe kann sich Mozart beherrschen. Als er ins Haus der Cannabichs kommt, bricht er in Tränen aus. Seine Freunde trösten ihn, und auch die anderen Mannheimer Kollegen zeigen sich sehr solidarisch. Der Flötist Wendling schlägt vor, in der nächsten Fastenzeit auf Konzertreise nach Paris zu gehen, gemeinsam mit ihm, dem Oboisten Ramm, dem Fagottspieler Ritter und dem Ballettmeister Lauchéry. Bis dahin solle Wolfgang in Mannheim bleiben und sein Geld mit Unterrichtsstunden verdienen. Man werde ihm Schüler besorgen, ihn einladen und überhaupt in jeder Hinsicht unter die Arme greifen. Mozart ist gerührt. Die Vorstellung, den Winter über in Mannheim zu bleiben, gefällt ihm und seine Stimmung heitert sich zusehends auf. Auch Mutter Maria Anna rückt in dieser Stunde der Not ganz nah an ihren Sohn. Sie schreibt ihrem Mann einen beschwichtigenden Brief und versucht, ihn von den neuen Planungen zu überzeugen: „[…] wegen dem Wolfgang seiner Reise nach Paris mußt Du es bald bedenken, ob es Dir recht ist. Es ist bei dieser Zeit nirgends nichts zu machen als zu Paris. Monsieur Wendling ist ein ehrlicher Mann, den jedermann kennt. Er ist viel gereist, und schon über 15 Mal zu Paris gewesen […] Der Herr Wendling hat mir versichert, er will gewiß Vater über ihn sein, er liebt ihn wie einen Sohn und soll so gut bei ihm aufgehoben sein wie bei mir [...] Nächsten Posttag werde ich mehr schreiben. Heute habe ich Kopfweh, ich glaube, ich werde einen Schnupfen bekommen. Es ist hier eine große Kälte, es friert mich, daß ich kaum die Feder halten kann. Der Wolfgang ist ausgegangen, ein Quartier anzuschauen, es sind hier sehr rar die wohlfeileren, teure kann man genug haben.“ Leopold lässt sich besänftigen und gibt seine Zustimmung. Es bleibt ihm ohnehin nichts anderes übrig. Erleichtert stellt er fest, dass er keine weiteren Schulden zu befürchten hat, da die Kosten des Mannheimer Aufenthalts gedeckt werden können. Wolfgang und seine Mutter ziehen in ein sauberes, gemütliches Zimmer, das Wolfgang mit Klavierstunden bezahlen kann, die er der Tochter des Hauses erteilt. Zusätzlich findet er weitere Schüler, und ein reicher Holländer namens de Jean bestellt mehrere Flötenkompositionen bei ihm. Er hat „so viel zu tun, daß er nicht weiß, wo

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ihm der Kopf steht“, beruhigt Maria Anna ihren Mann. „Du siehst also, daß wir diesen Winter kommod können hier verbleiben.“ Doch mitten in diesem Winter tritt ein Ereignis ein, das die Umstände schlagartig verändert. Am 30. Dezember 1777 stirbt Kurfürst Maximilian Joseph von Bayern, und Karl Theodor von der Pfalz reist schon am Neujahrstag nach München, um seine Erbfolge anzutreten. Der Hofstaat soll bald nachfolgen, heißt es, und natürlich auch die besten Musiker der Hofkapelle. Von einem Tag auf den andern ist Mannheim zur Provinz geworden, zu einer Stadt, die einem Musiker von Rang nichts mehr zu bieten hat. Leopold erkennt die Sachlage sofort. Sein Sohn muss Mannheim verlassen, das steht für ihn fest, und er drängt darauf, dass Wolfgang so schnell wie möglich mit den Kollegen nach Paris reist. Energisch übernimmt er selbst wieder das Kommando und beginnt, die Reise strategisch vorzubereiten. Die Familienkutsche wird verkauft, Maria Anna nach Salzburg zurückbeordert, und Wolfgang bekommt Anweisungen, reichlich Notenmaterial zusammenzustellen und genügend Kleider mitzunehmen. Er soll sich auf einen langen Aufenthalt gefasst machen. Leopold plant und rechnet, schreibt Empfehlungsbriefe, stellt eine Liste mit Pariser und Versailler Adressen zusammen, notiert Namen früherer Gönner, erörtert Transportprobleme – und wird mitten in seinen Aktivitäten plötzlich von einem Brief überrascht. Am 17. Januar 1778 teilt sein Sohn ihm mit: „Künftigen Mittwoch werde ich auf etliche Tage nach Kirchheim-Bolanden zu der Prinzessin von Oranien gehen; man hat mir hier so viel Gutes von ihr gesprochen, daß ich mich endlich entschlossen habe. Ein holländischer Offizier, der mein guter Freund ist, ist von ihr entsetzlich ausgescholten worden, daß er mich, als er hinüber kam, ihr das Neue Jahr anzuwünschen, nicht mitgebracht hat. Auf das wenigste bekomme ich doch 8 Louisd’or. Denn, weil sie eine außerordentliche Liebhaberin vom Singen ist, habe ich ihr vier Arien abschreiben lassen, und eine Sinfonie werde ich ihr auch geben, denn sie hat ein ganz niedliches Orchester und gibt alle Tag Akademie. Die Kopiatur von den Arien wird mich auch nicht viel kosten, denn die hat mir ein gewisser Herr Weber, welcher mit mir hinübergehen wird, abgeschrieben. Ich weiß nicht, habe ich schon von seiner Tochter geschrieben oder nicht – – sie singt halt recht vortrefflich und hat eine schöne reine Stimme. Es geht ihr nichts als die Aktion ab, dann kann sie auf jedem Theater die Primadonna machen. Sie ist erst 16 Jahre alt. Ihr Vater ist ein grundehrlicher deutscher Mann, der seine Kinder gut erzieht, und das ist eben die Ursache, warum das Mädel hier verfolgt wird. Er hat 6 Kinder, 5 Mädeln und einen Sohn. Er hat sich mit Frau und Kindern 14 Jahre mit 200 Gulden Besoldung begnügen müssen, und weil er seinen Dienst allezeit gut vorgestanden und dem Kurfürsten eine sehr geschickte 16jährige Sängerin gestellt hat, so hat er nun – ganze 400 Gulden. Meine Arie von der de Amicis, mit den entsetzlichen Passagen, singt sie vortrefflich. Sie wird sie auch zu Kirchheim-Bolanden singen.“ Leopold ist verstimmt. Wieder einmal hat Wolfgang ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und so spät informiert, dass er keine Chance mehr hat, dagegen zu protestieren. Doch er reagiert zunächst betont gelassen. „Nun wird der Wolfgang schon von Kirchheim zurück sein“, schreibt er in seinem nächsten Brief und be-

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merkt süffisant: „Der Mademoiselle Weber und ihrem Vater geht es halt auch so wie anderen: propheta non acceptus in patria.“ Drei Tage später allerdings warnt er seinen Sohn eindringlich vor „Gefahren“, die demnächst in Paris auf ihn lauern würden: „Frauenzimmer, die ihre Versorgung suchen, stellen jungen Leuten von großem Talent erstaunlich nach, um sie ums Geld zu bringen, oder gar in ihre Falle und zum Manne zu bekommen. Gott und Deine wachtbare Vernunft wird Dich bewahren. – Das würde wohl mein Tod sein.“ Eine Woche danach wiederholt er seine Kassandrarufe. Wieder ist von Frauenzimmern die Rede, bei denen es „größte Zurückhaltung und alle Vernunft“ brauche, „da die Natur selbst unser Feind ist, und wer da zur nötigen Zurückhaltung nicht alle seine Vernunft aufbietet, wird sie alsdann umsonst anstrengen, sich aus dem Labyrinth herauszuhelfen.“ Leopold spürt wohl, dass Gefahr im Verzug ist, doch es ist schon zu spät. Sein Sohn steckt bereits mitten drin im „Labyrinth“, und es wird nicht mehr lange dauern, bis der Vater die ganze Wahrheit erfährt. Wolfgang hat sich verliebt. Irgendwann in den letzten Wochen ist er Aloisia begegnet, der Tochter jenes Herrn Weber, „der seine Kinder gut erzieht,“ und sie hat ihm den Kopf verdreht. Aloisia ist schön. Sie hat große Augen, volle Lippen und eine hübsche Figur, doch das Schönste an ihr ist die Stimme. Wolfgang war bezaubert, als er Aloisia zum ersten Mal singen hörte, und seitdem gibt er ihr kostenlos Gesangstunden. Die ganze Familie Weber ist ihm unendlich dankbar dafür und verwöhnt ihn nach Strich und Faden. Aloisias Schwestern und Mutter Cäcilia flicken ihm die Kleider, und Vater Weber kümmert sich um Wolfgangs Noten. Fridolin Weber hat viel Pech gehabt in seinem Leben. Er war früher Amtmann, wurde entlassen und ist zum Theater übergewechselt. Seit Jahren verdient er sein Brot nun als Sänger, Souffleur und Notenkopist, und er schafft es kaum, seine große Familie über Wasser zu halten. Wolfgang hat Mitleid mit ihm und der ganzen Familie. Das Schicksal der Webers erinnert ihn an das Schicksal der Mozarts, und er möchte den armen Leuten helfen. Vor allem aber möchte er etwas für seine Aloisia tun. Die Idee, eine kleine Konzertreise mit ihr zu machen, kam ihm offenbar schon im November. „Wenn wir allenfalls von hier wegreisen, so gehen wir schnurgerade – wohin? […] zu der Prinzessin, die Schwester des Prinz von Oranien, […] Dort bleiben wir, Nota bene, so lang uns die Offizierstafel schmeckt“, schrieb er damals dem Vater. Doch der tat das Ganze als „anecdote“ ab. Es war aber keine Anekdote. Gemeinsam mit seiner geliebten Aloisia und ihrem Vater besteigt Wolfgang am 23. Januar 1778 eine Kutsche nach KirchheimBolanden und bleibt zwölf Tage unterwegs. Der Vater hört nichts mehr von ihm. Die Mutter bekommt per Post ein vergnügtes Gedicht zugeschickt: „Madam Mutter! / Ich esse gerne Butter. / Wir sind Gottlob und Dank / Gesund und gar nicht krank. / Wir fahren durch die Welt, / Haben aber nit viel Geld; / Doch sind wir aufgeräumt / Und keins von uns verschleimt / […] Die Wahrheit zu gestehen, so möcht ich mit den Leuten / Viel lieber in die Welt hinaus und in die großen Weiten / […] Doch muß es noch geschehen, wir müssen noch zusamm – / Der Arsch vom Weber ist mehr werth als der Kopf vom Ramm“. So geht es immer weiter, viele Zeilen lang. Offenbar ist Wolfgang in bester Laune.

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Am 2. Februar ist er wieder zurück in Mannheim und lässt zwei Tage verstreichen, bevor er sich bequemt, den längst fälligen Reisebericht nach Salzburg zu liefern. „Ich hätte unmöglich den gewöhnlichen Samstag erwarten können, weil ich schon gar zu lange das Vergnügen nicht gehabt habe mich mit ihnen schriftlich zu unterreden,“ schreibt er dem Vater und fängt an zu erzählen: „Freitags morgens um 8 Uhr fuhren wir von hier ab, nachdem ich bei Herrn Weber das Frühstück eingenommen hatte. Wir hatten eine galante, gedeckte, viersitzige Kutsche. Um 4 Uhr kamen wir schon in Kirchheim-Bolanden an. Wir mußten gleich ins Schloß einen Zettel mit unseren Namen schicken. Den andern Tag frühe kam schon der Herr Konzertmeister Rothfischer zu uns, welcher mir schon zu Mannheim als ein grundehrlicher Mann beschrieben wurde; und ich fand ihn auch so. Abends gingen wir nach Hof, das war Samstag; da sang die Mademoiselle Weber drei Arien. Ich übergehe ihr Singen – mit einem Wort vortrefflich! Ich habe ja im neulichen Brief von ihren Verdiensten geschrieben; doch werde ich diesen Brief nicht schließen können, ohne noch mehr von ihr zu schreiben, da ich sie jetzt erst kennengelernt und folglich ihre ganze Stärke einsehe.“ Wolfgang ist immer noch hingerissen bei dem Gedanken an die Auftritte seines geliebten Mädchens. Dreizehnmal sang sie in Kirchheim, zweimal spielte sie sogar auf dem Klavier. „Was mich am meisten wundert, ist, daß sie so gut Noten liest“, schwärmt er. „Stellen Sie sich vor, sie hat meine schweren Sonaten langsam, aber ohne eine Note zu fehlen, prima vista gespielt. Ich will bei meiner Ehre meine Sonaten lieber von ihr als vom Vogler spielen hören.“ Die Stimmung sei prächtig gewesen, erfährt der Vater. Am Sonntagabend hätten sie sogar die Möglichkeit gehabt, „bei Hofe“ zu speisen: „[…] wir haben aber nicht gewollt, sondern sind lieber unter uns zu Hause geblieben. Wir hätten unanimiter von Herzen gerne das Essen bei Hofe hergeschenkt; denn wir waren niemals so vergnügt als da wir allein beisammen waren, allein wir haben ein wenig ökonomisch gedacht – wir haben so genug zahlen müssen.“ Viel Geld habe die Reise nicht eingebracht, räumt er ein, doch scheint ihn das nicht aufzuregen. „Apropos, Sie müssen sich nicht zu viel verwundern, daß mir von 77 Gulden nicht mehr als 42 übrig geblieben sind. Das ist aus lauter Freude geschehen, daß einmal wieder ehrliche und gleichdenkende Leute zusammen gekommen sind. Ich habe es nicht anders getan, ich habe halben Teil gezahlt, das geschieht aber nicht auf andern Reisen, […] da zahl ich nur für mich.“ Nur 42 Gulden Profit! Leopold kann es kaum fassen: Sein Schuldenberg ist inzwischen auf fast 700 Gulden angewachsen, und der Sohn fährt tagelang auf Konzertreise und bringt wieder so gut wie kein Geld nach Hause. Doch Wolfgangs Brief enthält noch weitere Nachrichten, die so aberwitzig sind, dass es dem Vater die Sprache verschlägt. „Mein Gedanke ist dieser“, steht da geschrieben, „Ich mache hier ganz commode vollends die Musik für den de Jean. Da bekomme ich meine 200 Gulden. Hier kann ich bleiben, solange ich nur will. Weder Kost weder Logis kost mir etwas. Unter dieser Zeit wird sich Herr Weber bemühen, sich wo auf Konzerte mit mir zu engagieren. Da wollen wir miteinander reisen [...] Ich habe diese bedruckte Familie so

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lieb, daß ich nichts mehr wünsche, als daß ich sie glücklich machen könnte; und vielleicht kann ich es auch. Mein Rat ist, daß sie nach Italien gehen sollten. Da wollte ich Sie also bitten, daß Sie, je eher je lieber, an unseren guten Freund Lugiati schreiben möchten und sich erkundigen, wie viel und was das Meiste ist, was man einer Primadonna in Verona gibt? – Je mehr, je besser, herab kann man allzeit [...] Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben, daß sie mir gewiß Ehre macht. Sie hat schon die kurze Zeit von mir viel profitiert, und was wird sie erst bis dahin profitieren? – Wegen der Aktion ist mir auch nicht bang. Wenn das geschieht, so werden wir, Monsieur Weber, seine zwei Töchter und ich, die Ehre haben, meinen lieben Papa und meine liebe Schwester im Durchreisen auf vierzehn Tage zu besuchen. [...] Ich bitte Sie, machen Sie ihr mögliches, das wir nach Italien kommen. Sie wissen mein größtes Anliegen – Opern zu schreiben. Zu Verona will ich gern die Opera um 50 Dukaten schreiben; nur damit sie sich Ruhm macht, […] bis dahin werde ich mir schon durch andere Reisen, die wir miteinander machen wollen, so viel Geld machen, daß es mir nicht zu wehe tut. Ich glaube, wir werden in die Schweiz gehen, vielleicht auch nach Holland. Schreiben Sie mir nur bald darüber.“ Leopold ist so erregt, dass er den Brief kaum zu Ende lesen kann. Seine Frau hat noch ein paar Zeilen hinzugefügt, die ihm schlagartig bewusst machen, dass sie jeden Einfluss auf ihren Sohn verloren hat. „Mein lieber Mann! Aus diesem Brief wirst Du ersehen haben, daß, wann der Wolfgang eine neue Bekanntschaft macht, er gleich Gut und Blut für solche Leute geben wollte. Es ist wahr, sie singt unvergleichlich. Allein, da muß man sein eigenes Interesse niemals auf die Seite setzen. Es ist mir die Gesellschaft mit Wendling und Ramm niemals recht gewesen, allein, ich hatte keine Einwendung machen dürfen und mir ist niemals geglaubt worden. Sobald er aber mit den Weberischen bekannt worden, so hat er gleich seinen Sinn geändert, mit einem Worte: bei anderen Leuten ist er lieber als bei mir. Ich mache ihm in einen und andern, was mir nicht gefällt, Einwendungen, und das ist ihm nicht recht. Du wirst es also bei Dir selbst überlegen, was zu tun ist. Die Reise mit dem Wendling nach Paris finde ich gar nicht für ratsam, ich wollte ihn lieber später selbst begleiten. Mit dem Postwagen würde es nicht so viel nicht kosten [...] ich schreibe dieses in der größten Geheim, weil er beim Essen ist, und in Eile, damit ich nicht überfallen werde. Addio. Ich verbleibe Dein getreues Weib. Marianna Mozartin.“ Der Vater ist außer sich. Hat Wolfgang den Verstand verloren? Diese Wahnsinnsideen sind ihm doch niemals von selbst eingefallen. Dieses Weib hat ihn verhext, diese ganze Familie Weber führt ihn am Gängelband. Und seine Marianna steht hilflos daneben wie eine Marionettenpuppe. Es ist ungeheuerlich. Doch er darf jetzt nicht die Nerven verlieren. Schließlich steht alles auf dem Spiel – das Reiseprojekt, Wolfgangs Zukunft, die Existenz der gesamten Familie. Wenn er jetzt auch nur einen Fehler macht, ist alles verloren. Natürlich muss er ein Machtwort sprechen, doch er muss aufpassen, darf kein Porzellan zerschlagen. Er muss den Sohn zur Vernunft bringen – mit guten und überzeugenden Argumenten. Zwei Tage lang arbeitet Leopold an seiner Antwort. Das Formulieren fällt ihm schwer. Immer wieder hält er inne, um nachzudenken und seine Worte zu überprü-

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fen. Ausführlich führt er Wolfgang noch einmal vor Augen, welche Hoffnungen und Wünsche mit der gesamten Reiseunternehmung verknüpft waren. Dann kommt er auf Mademoiselle Weber zu sprechen: „Du gedenkest, sie als Primadonna nach Italien zu bringen. Sag mir, ob Du eine Primadonna kennst, die als Primadonna, ohne vormals in Deutschland schon öfters rezitiert zu haben, das Theater in Italien betreten hat. […] Und Du willst, ich soll nur an Lugiati schreiben; du wolltest um 50 Dukaten die Oper schreiben, da Du doch weißt, daß die Veroneser kein Geld haben, und niemals eine neue Oper schreiben lassen [...] Ich lasse, daß die Mademoiselle Weber wie eine Gabrielli singt; daß sie eine starke Stimme für die italienischen Theater etc. hat, daß sie für eine Primadonna gut gewachsen ist etc: – so ist es lächerlich, daß Du für ihre Aktion gut stehen willst. Da gehört was mehrers dazu [...] Welcher Impresario würde nicht lachen, wenn man ihm ein Mädel von 16 oder 17 Jahren, die noch niemals auf dem Theater gestanden, rekommandieren wollte? – – Dein Vorschlag (ich kann kaum schreiben, wenn ich nur daran denke), der Vorschlag, mit Herrn Weber und nota bene zwei Töchtern herumzureisen, hätte mich beinahe um meine Vernunft gebracht. Liebster Sohn! wie kannst Du Dich doch von so einem abscheulichen Dir zugebrachten Gedanken auch nur auf eine Stunde einnehmen lassen. Dein Brief ist nicht anders als wie ein Roman geschrieben. – – Und Du könntest Dich wirklich entschließen, mit fremden Leuten in der Welt herumzuziehen? – Deinen Ruhm – Deine alten Eltern, Deine liebe Schwester auf die Seite zu setzen? – Mich dem Fürsten und der ganzen Stadt, die Dich liebt, dem Spott und Gelächter auszusetzen? – Ja, dem Spott und Dich der Verachtung auszusetzen, da ich aller Welt, die mich immer fragte, sagen mußte, daß Du nach Paris gehen wirst; und nun am Ende wolltest du mit fremden Personen aufs Geratewohl herumziehen? Nein, das kannst Du nach ein bißchen Überlegung nicht einmal mehr gedenken! [...] Fort mit Dir nach Paris! Und das bald. Setze Dich großen Leuten an die Seite – aut Caesar aut nihil. Der einzige Gedanke, Paris zu sehen, hätte Dich vor allen fliegenden Einfällen bewahren sollen. Von Paris aus geht der Ruhm und Name eines Mannes von großem Talente durch die ganze Welt. Da behandelt der Adel Leute von Genie mit der größten Herablassung, Hochschätzung und Höflichkeit. Da sieht man eine schöne Lebensart, die ganz erstaunlich absticht gegen die Grobheit unserer deutschen Kavaliere und Damen, und da machst Du Dich in französischer Sprache fest. […] Ich habe, obwohl ich halb tot war, bereits wegen der Pariser Reise alles ausgedacht und in Ordnung gebracht. [...] Mit nächster Post Nachricht! Damit ich weiß, wie die Sachen stehen! [...] Daß du Vergnügen findest, Bedrängten zu helfen, hast Du von Deinem Vater geerbt: Du mußt aber vor allem mit ganzer Seele auf das Wohl Deiner Eltern denken, sonst geht Deine Seele zum Teufel. Erinnere Dich meiner, als Du mich bei Deiner Abreise elend beim Wagen sahest, nachdem ich Kranker bis 2 Uhr nachts eingepackt, und um 6 Uhr schon wieder beim Wagen stand, um alles für Dich zu besorgen – dann betrübe mich, wenn Du so grausam sein kannst! Mache Dir Ruhm und Geld in Paris, dann kannst Du, wenn du Geld hast, nach Italien gehen, und allda Opern zu schreiben bekommen; [...] Dann

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kannst Du auch die Mademioselle Weber vorschlagen: mündlich kann man mehr tun! Schreibet mir mit nächster Post unfehlbar. Wir küssen euch beide millionmal und bin der alte, redliche Vater und Mann Mzt. […] Die Nannerl hat diese 2 Tage ihren Teil geweint.“ Auf den Umschlag schreibt Leopold noch den Nachsatz: „Die Mama wird mit dem Wolfgang nach Paris gehen, damit ihr euch in Ordnung richtet.“ Wolfgang antwortet sofort, und seine Antwort klingt eigentümlich gefasst. „Ich habe mir nie etwas anderes vorgestellt, als daß Sie die Reise mit den Weberischen mißbilligen werden; denn ich habe es niemals – bei unseren dermaligen Umständen, versteht sich – im Sinn gehabt. Aber ich habe mein Ehrenwort gegeben, Ihnen das zu schreiben.“ Einen Tag später wird er krank. Er bekommt „Schnupfen, Kopfweh, Halsweh, Augenweh und Ohrenweh“ – alles auf einmal. Die schweren Geschütze, die der Vater aufgefahren hat, zeigen Wirkung. Zwei Tage lang muss er das Bett hüten, umsorgt von der Mutter, die ihm „Schwarzpulver“ und „Hollerblüh-Tee“ verabreicht, die bewährten Mozartschen Hausmittel. Dann rafft er sich erneut auf, um einen Brief nach Salzburg zu schreiben, obwohl er eigentlich keine Lust dazu hat – der Vater braucht nicht zu wissen, wie ihm zumute ist. Ein paar trotzige Sätze fließen ihm aus der Feder, und auch ein paar versteckte Spitzen: „Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich Ihnen diesmal nicht viel schreibe, allein, ich kann nicht. Ich fürchte, ich möchte mein Kopfweh wieder bekommen; und auch überdas bin ich heut gar nicht aufgelegt dazu - - - man kann auch nicht alles schreiben, was man denkt – wenigstens ich nicht. Lieber sagen als schreiben. Aus dem letzten Brief werden Sie alles gehört haben, wie es an sich ist. Ich bitte, alles von mir zu glauben, was Sie wollen, nur nichts Schlechtes. Es gibt Leute, die glauben, es sei unmöglich, ein armes Mädel zu lieben, ohne schlechte Absichten dabei zu haben; und das schöne Wort Mätresse, zu deutsch H = e ist halt gar zu schön! […] Ich hätte viel über diesen Stoff zu schreiben, allein ich kann nicht. Es ist mir unmöglich: ich habe unter so vielen Fehlern auch diesen, daß ich immer glaube, meine Freunde, die mich kennen, kennen mich! – mithin braucht es nicht viel Worte. Und kennen sie mich nicht, O, wo könnte ich dann Worte genug hernehmen! Übel genug, wenn man Worte und Briefe dazu braucht. Das ist alles nicht auf Sie geschrieben, mein lieber Papa, Nein! Sie kennen mich zu gut, und Sie sind zu brav dazu, um den Leuten gleich die Ehre abzuschneiden! – ich meine nur die – – die wissen, daß ich sie meine: Leute, die so glauben. - - - […] Nun bitte ich, daß ich zu schreiben aufhören darf, denn ich bin heut gar nicht zum Briefschreiben aufgelegt, sondern mehr zum komponieren.“ Der Brief lässt ahnen, in welchem Zustand sich Wolfgang befindet. Er ist verletzt und zornig, zugleich tieftraurig und völlig entmutigt. Alles scheint ausweglos, hoffnungslos. Bald muss er Mannheim verlassen. Bald muss er Aloisia adieu sagen, ohne zu wissen, wann er sie wieder sieht. Das kann Monate dauern, vielleicht sogar Jahre.

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Er stürzt sich in die Arbeit. Zwei italienische Arien liegen auf seinem Schreibtisch, die er schon lange dem alten Anton Raaff versprochen hat. Wolfgang bewundert den Alten, der früher einmal ein berühmter Tenor war. Für einen wie Raaff etwas Passendes zu komponieren, was er stimmlich noch bewältigen kann, ist eine reizvolle Aufgabe. Das erste der beiden Stücke eignet sich besonders gut dazu. Es ist die Szene und Arie „Alcandro, lo confesso“ „Non sò d’onde viene“, zu der sein großes Vorbild Johann Christian Bach eine wunderbare Musik geschrieben hat. Der Text stammt aus dem Libretto Olimpiade von Pietro Metastasio und handelt von einem König namens Clistene, der einen Mann wegen eines Attentats zum Tode verurteilt hat, ohne zu wissen, dass dieser sein tot geglaubter Sohn Licida ist. Als der König dem Fremden vor der Urteilsvollstreckung begegnet, wird er plötzlich von einer Gemütsbewegung ergriffen, die er sich nicht erklären kann. „Ich weiß nicht, woher es kommt, dies zärtliche Gefühl, diese unbekannte Regung, die in meiner Brust entsteht […] Dass sich in meinem Herzen so furchtbar widerstreitende Gefühle finden, kann nicht nur Mitleid sein.“ Mozart liebt solche Psychodramen. Nicht von ungefähr hat er eine besondere Schwäche für die Oper. In diesem Fall reizt ihn aber auch noch die Herausforderung, mit Johann Christian Bachs Musik zu konkurrieren und den Text einmal ganz anders zu vertonen als er. Doch die Arbeit will nicht so recht gelingen. Ihm gefällt nicht, was er da komponiert. Der Anfang ist zu hoch für die Stimme von Raaff, und auch die Klangfarben der Instrumente passen eigentlich nicht zu einem Tenor, sondern viel eher zu einem Sopran. Und plötzlich weiß er es: Aloisias Stimme würde ideal dazu klingen. Wäre der Text nicht auch für eine Frauenrolle geeignet? „Ich weiß nicht, woher es kommt, dies zärtliche Gefühl...“ Natürlich, das ist eine Liebeserklärung. Aloisia soll sie singen mit ihrem herrlichen Sopran – „zum Herzen […] cantabile“ – so, wie sie am liebsten singt. Er will ihr eine Musik dazu schreiben, mit der sie glänzen kann. Es soll die beste Arie werden, die sie jemals gesungen hat. Auf einmal geht alles sehr schnell. Wolfgangs Phantasie quillt über von musikalischen Ideen. Jeder Gefühlswechsel im Text, jede seelische Regung – alles wird Klang, alles wird Melodie. Seine Musik entwickelt sich ganz anders als die von Bach. Sie wird viel zärtlicher, viel glühender, viel impulsiver. Während Bach nur e i n e Grundstimmung vertont, fluten bei Mozart vielfältige Gefühle durcheinander: Schwärmerisches Träumen, ahnungsvolles Bangen, Liebe, Leidenschaft, seelische Erschütterung. Alles wird musikalisch illustriert, ausgeleuchtet, kommentiert und beziehungsreich miteinander verflochten. Musik als Seelenmalerei. Klänge als Spiegel menschlicher Empfindungen. Neun Blätter Notenpapier braucht er für seine Arie, achtzehn dicht beschriebene Seiten. Am 24. Februar 1778 ist die musikalische Liebesbeichte vollendet und Wolfgang fügt noch eine Widmung in italienischer Sprache hinzu – in der Sprache seiner Reiseträume. „di Amadeo Wolfgango Mozart mpr. per la Sigra. Weber à ro Manheim li 24 di Feb 1778.” Vier Tage später schreibt er dem Vater und informiert ihn darüber, dass er für Anton Raaff eine der beiden geplanten italienischen Arien komponiert hat. „Die

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Wörter sind: se al labro mio non credi […] etcet. Ich glaub nicht, daß der Text von Metastasio ist. Die Aria hat ihm überaus gefallen.“ Vorher habe er auch versucht, die andere Arie zu schreiben, „die so schön vom Bach komponiert ist“, doch das habe nicht geklappt. „Diese Arie habe ich anfangs dem Raaff zugedacht, aber der Anfang gleich schien mir für den Raaff zu hoch, und um ihn zu ändern, gefiel er mir zu sehr, und wegen Setzung der Instrumente schien er mir auch für einen Sopran besser, mithin entschloss ich mich, diese Aria für die Weberin zu machen. Ich legte sie beiseite und nahm die Wörter se al labro etc. für den Raaff vor. Ja, da war es umsonst. Ich hätte unmöglich schreiben können, die erste Aria kam mir immer in Kopf. Mithin schrieb ich sie und nahm mir vor, sie akkurat für die Weberin zu machen. […] Als ich sie fertig hatte, so sagte ich zur Mademoiselle Weber, lernen Sie die Aria von sich selbst. Singen Sie sie nach Ihrem Gusto, dann lassen Sie mir sie hören, und ich will Ihnen hernach aufrichtig sagen, was mir gefällt, und was mir nicht gefällt. Nach 2 Tagen kam ich hin, und da sang sie mir’s, und accompagnierte sich selbst. Da habe ich aber gestehen müssen, daß sie’s akkurat so gesungen hat, wie ich es gewünscht habe, und wie ich es ihr lernen hab wollen. Das ist nun ihre beste Aria, die sie hat. Mit dieser macht sie sich gewiss überall Ehre, wo sie hinkommt.“ Auch im nächsten Brief erwähnt er seine Aloisia. „Ich wollte nur wünschen, daß Sie meine neue Aria, von welcher ich Ihnen neulich gemeldet habe, von ihr singen hörten. Von ihr, sage ich, denn sie ist ganz für sie gemacht. Ein Mann wie Sie, der versteht, was mit portamento singen heißt, würde gewiss ein sattsames Vergnügen daran finden.“ Doch Leopold zeigt sich wenig beeindruckt von diesen Elogen. Er macht Wolfgang zum Vorwurf, dass er ihn gezwungen habe, weiteres Arienmaterial für die Mademoiselle Weber zu schicken. „Ich habe also die Ehre, 5 Arien wegzuschenken, für 3 Arien Kopiaturgeld und Porto […] zu bezahlen – und habe selbst kein Geld in Gottes Namen. Ich sehe aus, wie der arme Lazarus. Mein Schlafrock ist so voll der Fetzen, daß, wenn in der Frühe jemand läutet, ich davonlaufen muß. Mein altes, flanellenes Leibl, das ich schon so viel Jahr Tag und Nacht trage, ist so zerrissen, das es kaum mehr an dem Leib bleibt, und ich kann mir weder einen andern Schlafrock noch ein Leibl machen lassen. Ich habe mir, so lang ihr aus seid, kein paar Schuhe machen lassen […] Wenn man es mir vor etlichen Jahren gesagt hätte, daß ich wollene Strümpfe werde tragen müssen, daß ich um deine alten Filzschuhe werde froh sein, wenn’s gefroren und trocken ist, um alte Schuhe darein zu stecken: dass ich um 2 und 3 alte Leibl werde müssen übereinander anlegen, um mich vor der Kälte zu schützen? – – Hätte ich es wohl geglaubt? An Komödien und Ball wird gar nicht gedacht. Das ist unser Leben. Sorgen von innen und Sorgen von außen: und über alles dieses habe weder meine Frau noch meinen Sohn, und Gott weiß – ob – oder wann wir einander wiedersehen!“ Leopold Mozart wird nicht müde, seinem Sohn das „Salzburger Kreuz, an dem ich hänge“ an die Wand zu malen und ihm kurz vor der bevorstehenden Parisreise noch einmal seine ganzen Nöte auf die Seele zu binden. Am 5. März schreibt er Wolfgang zum letzten Mal nach Mannheim und beschwört ihn: „den 15ten aber

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müsst ihr fort,“ und am Schluss seines Briefs wiederholt er noch einmal: „den 15ten reiset ihr gewiß.“ Er kann nicht anders. Es ist einfach schon zu viel passiert. Wolfgang hat seinen Widerstand längst aufgegeben. Die Reise ist für Mitte März geplant. Am Donnerstag, dem 12. März, findet bei Cannabichs das Abschiedskonzert statt, in dem Aloisia mit ihrer neuen Konzertarie glänzt. „Non sò d’onde viene“ singt sie und bezaubert alle Zuhörer. Einen Nachmittag lang ist Wolfgang noch einmal glücklich mit seiner Freundin, dann muss er Abschied nehmen und lässt ihr sein musikalisches Liebesbekenntnis zum Andenken zurück. Er hofft, dass sein Geschenk großen Eindruck macht und träumt davon, Aloisia bald wieder zu sehen. Am 14. März 1778 verlassen Mutter und Sohn die Stadt. Abermals rollt ihre Kutsche gen Westen, diesmal in Richtung Paris. Wolfgangs Stimmung ist bedrückt, und auch Maria Anna hängt sorgenvoll ihren Gedanken nach. „Ich wollt nur wünschen, daß der Wolfgang zu Paris sein Glück bald machte, damit Du und die Nannerl uns bald nachfolgen könnten,“ hat sie ihrem Mann geschrieben. „Wie würde es mich freuen, Euch bei uns zu haben.“ Sie kann nicht wissen, dass dies nie mehr der Fall sein wird. Paris wird kein Glück bringen. Im Gegenteil. Schon bald nach ihrer Ankunft stellt sich heraus, wie schwierig es für Mozart ist, dort Fuß zu fassen. Mühsam und mit großem Zeitaufwand versucht er, irgendwo in der großen Stadt Bekanntschaften zu machen und vorzuspielen. Die Zeit, die ihm übrig bleibt, verbringt er an einem Klavier, das ihm im Haus eines hilfsbereiten Kollegen zur Verfügung gestellt wird, während seine Mutter einsam in einem düsteren, ungesunden Quartier auf seine Rückkehr wartet. „Was meine Lebensart betrifft, ist solche nicht gar angenehm“, berichtet sie nach Salzburg, „ich sitze den ganzen Tag allein im Zimmer wie im Arrest, welches noch dazu so dunkel ist, […] daß man den ganzen Tag die Sonn nicht sehen kann und nicht einmal weiß, was es für ein Wetter ist. Mit harter Mühe kann ich bei einem einfallenden Licht etwas stricken, und für dieses Zimmer müssen wir den Monat 30 livre bezahlen. Der Eingang und die Stiegen sind so eng, daß es unmöglich wäre, ein Klavier hinaufzubringen. Der Wolfgang muß also außer Haus bei Monsieur Le Gros komponieren, weil dort ein Klavier ist. Ich sehe ihn also den ganzen Tag nicht und werde das Reden völlig vergessen.“ Im Gegensatz zu Wolfgang, der tagsüber meist das Glück hat, zum Essen eingeladen zu werden, ist ihre Verpflegung miserabel. „Meine Kost […] ist auch superb“, schreibt sie, „zu Mittag bekomme ich 3 Speisen: erstens eine Suppe […], die ich nicht mag, zweitens ein Bröckchen schlechtes Fleisch, drittens etwas von einem Kalbsfuß in einer schmutzigen Brühe oder eine steinharte Leber“. Mitte Juni wird sie krank. Die Reisestrapazen der letzten Monate, die Kälte, die schlechten Unterkünfte, die mangelhafte Ernährung, dazu die ständigen Sorgen – all das war zu viel für sie. Zwei Wochen später, am Abend des 3. Juli 1778 stirbt Maria Anna Mozart im Alter von knapp achtundfünfzig Jahren. Es ist ein furchtbarer Schlag für Wolfgang. Scheinbar gefasst, schreibt er sofort einen Brief an den Vater und teilt ihm mit, die Mutter sei „sehr krank“. Kein Wort über ihren Tod. „Sie ist sehr schwach, hat noch Hitzen und phantasiert – man gibt mir Hoffnung. Ich habe aber nicht viel – ich bin nun schon lange Tag und Nacht zwischen Furcht und Hoffnung – ich habe mich aber ganz in Willen Gottes gegeben – und hoffe, Sie und

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meine liebe Schwester werden es auch tun.“ Dann geht er auf einmal zu anderen Themen über und breitet sich seitenlang aus über die Aufführung seiner neuesten Sinfonie, über seine Gottergebenheit, über den Tod des gottlosen „Erzspitzbuben“ Voltaire, über Pariser Verhältnisse und Opernprojekte. Sein Wortschwall will kein Ende nehmen. Hat er Angst? Versucht er, Zeit zu gewinnen? Will er Vater und Schwester erst vorbereiten auf die entsetzliche Nachricht? Er will es tatsächlich, und er braucht jemanden, der ihm dabei hilft. Während seine Mutter nebenan tot im Bett liegt, schreibt er einen weiteren Brief nach Salzburg, in dem er Abbé Bullinger, dem geistlichen Freund der Familie, die furchtbare Wahrheit anvertraut. „Allerbester Freund! Für Sie ganz allein. Trauern Sie mit mir, mein Freund! – Dies war der traurigste Tag in meinem Leben – Dies schreibe ich um 2 Uhr nachts – Ich muß es Ihnen doch sagen, meine Mutter, meine liebe Mutter ist nicht mehr! – Gott hat sie zu sich berufen – er wollte sie haben, das sah ich klar – mithin habe ich mich in Willen Gottes gegeben. […] Sie starb, ohne daß sie etwas von sich wußte – löschte aus wie ein Licht. […] die ganze Krankheit kann ich Ihnen heute unmöglich schreiben […]. Ich bitte Sie unterdessen um nichts als um das Freund-Stück, daß Sie meinen armen Vater ganz sachte zu dieser traurigen Nachricht bereiten […] sprechen Sie ihm Mut zu, daß er es sich nicht gar zu schwer und hart nimmt, wenn er das ärgste erst hören wird. Meine Schwester empfehle ich Ihnen auch von ganzem Herzen. Gehen Sie doch gleich hinaus zu ihnen, ich bitte Sie. Sagen Sie ihnen noch nicht, daß sie tot ist, sondern präparieren Sie sie nur so dazu. – Tun Sie, was Sie wollen, – wenden Sie alles an – machen Sie nur, daß ich ruhig sein kann – und daß ich nicht etwa ein anderes Unglück noch zu erwarten habe. Erhalten Sie mir meinen lieben Vater und meine liebe Schwester. Geben Sie mir gleich Antwort, ich bitte Sie.“ Die folgenden Wochen sind sehr schwer für ihn. Zur Trauer um die Mutter kommen noch andere niederschmetternde Erfahrungen. Mozart hat keinen großen Erfolg in Paris. Die Aristokraten behandeln ihn von oben herab, das breite Publikum feiert andere musikalische Größen wie Christoph Willibald Gluck und Niccolò Piccini, und auch Baron Grimm, sein langjähriger Gönner, kann ihm nicht weiterhelfen. Wolfgang Amadeus Mozart ist nicht gewitzt genug, um sich im Pariser Musikbetrieb zu behaupten. Er ist zu aufrichtig, zu ehrlich, zu anspruchsvoll und denkt nicht daran, sich dem musikalischen Massengeschmack anzupassen und „kurz – leicht – popular“ zu schreiben, wie es sein Vater empfiehlt. Empört beklagt er sich: „[…] die dummen Franzosen glauben, ich sei noch sieben Jahr alt, weil sie mich in diesem Alter gesehen haben“ und wettert über ihre Sitten und Anschauungen. „Wenn hier ein Ort wäre, wo die Leute Ohren hätten, Herz zum Empfinden, und nur ein wenig etwas von der Musik verstünden und Gusto hätten, so würde ich von Herzen zu all diesen Sachen lachen. Aber so bin unter lauter Viechern und Bestien, was die Musik anbelangt. Wie kann es anders sein? Sie sind ja in allen ihren Handlungen, Leidenschaften und Passionen auch nicht anders.“ Der einzige Seelentrost in dieser düsteren Zeit ist der Gedanke an Aloisia. Wolfgang tritt mit ihrem Vater in Kontakt und schreibt auch seinem geliebten Mädchen

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am 30. Juni einen Brief – nicht auf Deutsch, sondern in italienischer Sprache. In abgehobenen, steifen Worten – ganz wie ein wohlwollender Lehrer – erteilt er ihr Ratschläge für ihre gesanglichen Fortschritte: „Sie haben Genie, großes Genie, – nur empfehle ich Ihnen, und möchte Sie dringend darum bitten, meine Briefe mehrmals zu lesen und es so zu machen, wie ich es Ihnen rate.“ Seine Hinweise sind sachlich und betont distanziert, doch zum Schluss seines schriftlichen Fernunterrichts bleibt von der Pose nicht mehr viel übrig, und seine Sätze klingen unsicher, schüchtern und sehr verliebt: „Liebste Freundin! Ich hoffe, Sie sind bei bester Gesundheit, und ich bitte Sie, immer darauf bedacht zu sein, denn sie ist das Beste auf dieser Welt. Mir geht es Gottseidank gut, was meine Gesundheit betrifft, denn ich bin auf sie bedacht. Aber meine Seele ist nicht ruhig, und sie wird es auch nicht sein, bis ich den Trost habe, gewiss zu sein, daß Ihnen die Gerechtigkeit widerfährt, die Sie verdienen. Doch wirklich glücklich wird meine Lage und mein Zustand erst an dem Tag sein, an dem ich das höchste Vergnügen habe, Sie wiederzusehen und von ganzem Herzen zu umarmen, das ist auch alles, was ich mir erhoffen und begehren darf. Nur in diesem Gedanken und in dieser Hoffnung finde ich Trost und Ruhe. […] Ich brenne darauf, einen Brief von Ihnen zu haben, ich bitte Sie, mich nicht allzu lange warten und danach sehnen zu lassen. […] Ich küsse Ihnen die Hände, umarme Sie von Herzen und bin und werde immer sein Ihr wahrer und aufrichtiger Freund W A Mozart Vater Leopold hat mittlerweile erkannt, dass sein Sohn in Paris auf verlorenem Posten steht, und er weist ihn an, nach Salzburg zurückzukommen. Erzbischof Colloredo hat sich bereit erklärt, seinen abtrünnigen Konzertmeister wieder in Diensten zu nehmen. Doch Wolfgang zögert. Ihm graut vor Salzburg, vor Colloredo und vor der Kontrolle des Vaters. Die gewonnene Freiheit will er nicht so leicht wieder hergeben, und Leopold muss sein ganzes psychologisches Geschick aufwenden, um ihm den Neuanfang in Salzburg schmackhaft zu machen. Sogar gegen Aloisia hat er auf einmal nichts mehr einzuwenden: „Alle jungen Leute müssen am Narrenseil laufen. Du kannst, wie jetzt, Deinen Briefwechsel fortsetzen, ich werde Dich gar nicht darum fragen, noch weniger etwas zu lesen verlangen. Noch mehr! Ich will Dir selbst einen Rat geben. Du hast bekannte Leute genug hier, Du kannst die Weberischen Briefe an jemand andern adressieren lassen und unter der Hand erhalten, wenn Du Dich von meinem Vorwitz nicht gesichert glaubst.“ Was für ein Zugeständnis. Wolfgang gibt schließlich nach und kehrt unter wochenlangen Verzögerungen über Mannheim nach München zurück. Hier glaubt er, die letzte Chance zu haben, um dem verhassten Posten in Salzburg doch noch zu entrinnen. Hier wohnt inzwischen auch die Familie Weber, die mit der Mannheimer Hofkapelle übergesiedelt ist. Doch wie haben sich die Zeiten verändert. Aloisia ist im September von Graf Seeau an das Deutsche Theater engagiert worden und verdient jetzt 600 Gulden im Jahr. Der Vater bringt 400 nach Hause – das macht zusammen 1000 Gulden. Eine stolze Summe, mit der sich ganz gut leben lässt. Dank Mozarts Gesangunterricht ist das große Glück eingekehrt bei der armen „bedruckten“ Familie.

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Am 25. Dezember 1778 betritt Wolfgang die Wohnung der Webers. Er trägt Trauerkleidung, schwarze Knöpfe auf rotem Frack, wie es in Frankreich üblich ist. Mit klopfendem Herzen nähert er sich seinem geliebten Mädchen – und ist wie vor den Kopf geschlagen. Sie verspottet ihn wegen seiner Knöpfe und zeigt ihm die kalte Schulter. Mademoiselle Weber hat kein Interesse an einem kleinen Musiker, der keine gewichtige Stelle aufzuweisen hat. Sie ist jetzt eine Primadonna am berühmten Hof des Münchner Kurfürsten und braucht keinen Lehrer mehr, der ihr Gesangstunden gibt. Wolfgang ist bis ins Herz getroffen. Wütend geht er ans Klavier und singt: „Leck mir das Mensch im Arsch, das mich nicht will.“ Dann flüchtet er zu einem Freund und bricht verzweifelt zusammen. Vier Tage später erst ist er in der Lage, seinem Vater ein paar kurze Zeilen nach Salzburg schicken. „[…] es war mir bis dato unmöglich, Ihnen zu schreiben. Ich spare mir alles, wenn ich werde das Glück und Vergnügen haben, Sie wieder mündlich zu sprechen – denn heute kann ich nichts als weinen – ich habe gar ein zu empfindsames Herz. […] Ich habe von Natur aus eine schlechte Schrift, das wissen Sie, denn ich habe niemals schreiben gelernt, doch habe mein Lebtag niemals schlechter geschrieben als diesmal; denn ich kann nicht, – mein Herz ist gar zu sehr zum Weinen gestimmt! – ich hoffe, Sie werden mir bald schreiben und mich trösten.“ Die Wunden verheilen. Dreieinhalb Jahre später, am 4. August 1782, heiratet Wolfgang in Wien Konstanze Weber, Aloisias jüngere Schwester. Mutter Cäcilia, inzwischen verwitwet, hat sich diesmal mit mehr Raffinesse und Geschick bemüht, eine Ehe zwischen Herrn Mozart und einer ihrer Töchter anzubahnen. Aloisia ist zu diesem Zeitpunkt schon seit fast zwei Jahren mit dem Burgschauspieler Joseph Lange verheiratet. Aus Wolfgangs großer Liebe ist also seine Schwägerin geworden – doch sie scheint ihm immer noch viel zu bedeuten. Ein Jahr vor der Hochzeit mit Konstanze macht er seinem Vater ein Geständnis, das tief blicken lässt: „Bei der Langin war ich ein Narr, das ist wahr, aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist! – Ich liebte sie aber in der Tat, und fühle, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – und ein Glück für mich, daß ihr Mann ein eifersüchtiger Narr ist, und sie nirgends hinlässt, und ich sie also selten zu sehen bekomme.“ Später gibt es keine Berührungsängste mehr. Man verkehrt freundschaftlich miteinander, und Wolfgang komponiert für Aloisia noch weitere Arien. Sie wird eine berühmte Mozart-Interpretin und feiert Triumphe in der Rolle einer Opernfigur, die den Namen ihrer Schwester trägt – als Konstanze in der Entführung aus dem Serail. Mit der Liebes-Arie reißt sie das Publikum immer wieder von neuem hin „Ach, ich liebte, war so glücklich / kannte nicht der Liebe Schmerz / schwur ihm Treue, dem Geliebten / gab dahin mein ganzes Herz“. Bei einem Konzert in Wien, im März 1783, singt sie ihr Paradestück aus Mannheimer Tagen – Wolfgangs Liebesgeständnis, auf das er so viel Hoffnung gesetzt hatte: „Non sò d‘onde viene quel tenero affetto“. Der anwesende Christoph Willibald Gluck ist davon so begeistert, dass er die Ehepaare Mozart und Lange am darauffolgenden Sonntag zum Essen einlädt. Die Musik scheint alle Narben restlos getilgt zu haben. Restlos?

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Achtunddreißig Jahre nach Mozarts Tod führt Aloisia ein Gespräch mit Mary Novello, der Frau eines englischen Musikverlegers, in dem sie behauptet, Wolfgang habe sie „bis zu seinem Tode geliebt.“ Mrs. Novello berichtet: „Ich fragte sie, warum sie seine Bewerbung zurückgewiesen habe, aber sie konnte mir keinen Grund angeben. Die Väter seien einverstanden gewesen, aber sie konnte ihn damals nicht lieben und weder seine Talente noch seinen liebenswerten Charakter schätzen, bedauerte es aber später.“

III „Die Symphonie ist eigentlich betitelt Bonaparte“ Fragen um ein zerrissenes Titelblatt

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„Mein lieber, guter Wegeler! […] Von meiner Lage willst du was wissen; nun, sie wäre eben so schlecht nicht. Seit vorigem Jahr hat mir Lichnowsky, der, so unglaublich es Dir auch ist, wenn ich Dir es sage, immer mein wärmster Freund war, und geblieben ist (kleine Mißhelligkeiten gab es ja auch unter uns, und haben nicht eben diese unsere Freundschaft mehr befestigt?) eine sichere Summe von 600 Fl. ausgeworfen, die ich, solange ich keine für mich passende Anstellung finde, ziehen kann; meine Kompositionen tragen mir viel ein, und ich kann sagen, daß ich mehr Bestellungen habe, als fast möglich ist, daß ich befriedigen kann. Auch habe ich auf jede Sache sechs, sieben Verleger, und noch mehr, wenn ich mir’s angelegen sein lassen will: man akkordiert nicht mehr mit mir, ich fordere und man zahlt. Du siehst, daß es eine hübsche Lage ist.“ Wien. 29. Juni 1801. Ludwig van Beethoven schreibt an seinen alten Bonner Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler. Seine Zeilen klingen euphorisch, er scheint guter Dinge zu sein. Stolz berichtet er über seine Karriere, die vor neun Jahren begann, als er nach Wien kam, um bei Haydn zu studieren. Damals war er ein Niemand, inzwischen ist er ein berühmter Musiker, begehrt bei Verlegern, bewundert in den höchsten Wiener Kreisen und großzügig unterstützt vom Fürsten Karl Lichnowsky, einem der einflussreichsten Aristokraten der Stadt. An diesem Junitag meldet sich Beethoven nach langen Jahren des Schweigens wieder bei Wegeler und bedankt sich gefühlvoll für seine treue Freundschaft. Er versichert ihm, dass er ihn nie vergessen werde, schreibt von seiner Sehnsucht nach dem Vaterland und den anderen Bonner Freunden und verspricht, eines Tages zurückzukehren, um alle wieder zu sehen. Mit großer Emphase setzt er hinzu: „Soviel will ich euch sagen, daß ihr mich nur recht groß wiedersehen werdet; nicht als Künstler sollt ihr mich größer, sondern auch als Mensch sollt ihr mich besser, vollkommener finden, und ist dann der Wohlstand etwas besser in unserem Vaterlande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen. O glückseliger Augenblick, wie glücklich halte ich mich, daß ich dich herbeischaffen, dich selbst schaffen kann!“ Auf einmal verändert sich der Tonfall. Beethoven wechselt das Thema und vertraut seinem Freund ein „Geheimnis“ an: „[…] mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden“, schreibt er. […] meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher, aber in meinem Fache ist das ein schrecklicher Zustand […] Ich habe schon oft den Schöpfer und mein Dasein verflucht; Plutarch hat mich zur Resignation geführt. Ich will, wenn’s anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augen-

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blicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde.“ Kein Zweifel. Beethovens Stolz über seine „hübsche Lage“ ist nur die äußere, glänzende Fassade. Innerlich ist er zutiefst deprimiert. Seit drei Jahren hat er Probleme beim Hören – möglicherweise sogar schon seit sechs Jahren, wie er später erklären wird –, und keiner der Ärzte, die er bisher konsultiert hat, war in der Lage, ihm zu helfen. Nun zieht er seinen Freund Wegeler ins Vertrauen, der sich als Arzt in Bonn einen Namen gemacht hat, und bittet ihn um Hilfe. Er schreibt ihm, dass er auch schon seit Jahren unter Kolikschmerzen und Unterleibsbeschwerden leidet und kommt dann wieder auf seine Schwerhörigkeit zurück, die ihn in qualvolle Situationen versetzt. „Um Dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, daß ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muß, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im Sprechen ist es zu verwundern, daß es Leute gibt, die es niemals merkten; da ich meistens Zerstreuungen hatte, so hält man es dafür. Manchmal auch hör’ ich den Redenden, der leise spricht, kaum, ja die Töne wohl, aber die Worte nicht; und doch sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich. Was es nun werden wird, das weiß der liebe Himmel.“ Beethovens Verzweiflung ist groß, so groß, dass er schon zwei Tage später einem anderen vertrauten Menschen sein Herz ausschüttet. Flehentlich schreibt er am 1. Juli seinem langjährigen Freund Carl Amenda nach Wirben im Kurland: „[…] wie oft wünsche ich Dich bei mir, denn Dein Beethoven lebt sehr unglücklich, im Streit mit Natur und Schöpfer; schon mehrmals fluchte ich letzterem, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufalle ausgesetzt, so daß oft die schönste Blüte dadurch vernichtet und zerknickt wird; wisse daß mir der edelste Teil, mein Gehör, sehr abgenommen hat, schon damals, als Du noch bei mir warst, fühlte ich davon Spuren, und ich verschwieg`s, nun ist es immer ärger geworden; […] Wie traurig ich nun leben muß, alles, was mir lieb und teuer ist, meiden; […] meine schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mich mein Talent und meine Kraft geheißen hätten! – Traurige Resignation, zu der ich meine Zuflucht nehmen muß; ich habe mir freilich vorgenommen, mich über alles das hinauszusetzen; aber wie wird es möglich sein?“ Verzweiflung und Hoffnung, Resignation und Auflehnung. Beethovens Stimmungsschwankungen haben dramatische Fallhöhen, und in diesen Tagen scheint er ihnen extrem ausgesetzt zu sein. Er leidet, fühlt sich einsam und unglücklich, doch er hat auch den eisernen Willen, dagegen anzugehen. Kämpfen, sich behaupten, Widrigkeiten überwinden – das alles ist ihm seit langem vertraut. Schon vor Jahren hat er in sein Tagebuch notiert: „Muth. Auch bei allen schwächen des Körpers soll doch mein Geist Herrschen. 25 Jahre sie sind da, dieses Jahr muß den völligen Mann entscheiden. – nichts muß übrig bleiben.“ Es war ein Appell an sich selbst, eine Verordnung zum Durchhalten. Beethoven glaubt an sein „Talent“ und seine „Kraft“. Sie sind die Energiequellen, aus denen er schöpft, und er beschwört sie auch jetzt, in diesen bedrückenden Stunden.

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Die Angstattacken scheinen nachzulassen und sein Zustand bessert sich. Vier Monate später, am 16. November, schreibt er wieder einen Brief an Wegeler und antwortet auf die Frage nach seinem Befinden: „Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich unter Menschen gemacht. […] Meine körperliche Kraft nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben. Nichts von Ruhe! – Ich weiß von keiner anderen als dem Schlaf, […] ich will dem Schicksal in den Rachen greifen; ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. – O es ist so schön, das Leben, tausendmal leben! – Für ein stilles Leben, nein, ich fühl’s, ich bin nicht mehr dafür gemacht.“ Seine Überschwänglichkeit hat einen ganz konkreten Grund. Beethoven erzählt seinem Freund, dass er sich in ein „liebes, zauberisches Mädchen“ verliebt hat und teilt ihm glückstrahlend mit, dass seine Gefühle erwidert werden: „[…] es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß Heiraten glücklich machen könnte; leider ist sie nicht von meinem Stande“. Gräfin Giulietta Guicciardi heißt sein Mädchen. Sie ist schön, siebzehn Jahre jung, und Beethoven weiß, dass er sie wegen des Standesunterschieds nicht heiraten kann. Doch offenbar scheint ihm das wenig auszumachen, denn er gibt freimütig zu, dass er vorläufig ganz andere Zukunftspläne im Kopf hat: „[…] jetzt – könnte ich nun freilich nicht heiraten; – ich muß mich nun noch wacker herumtummeln. Wäre mein Gehör nicht, ich wäre nun schon längst die halbe Welt durchgereiset und das muß ich. – Für mich gibt es kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen.“ Tatsächlich ist er seit Jahren enorm produktiv. 1800 hat er unter anderem seine erste Sinfonie komponiert, die Streichquartette op. 18, das Septett op. 20, die Violinsonate op. 23 und die Klaviersonate op. 22, ein Stück, das er seinem Verleger mit dem stolzen Kommentar verschickte: „Diese Sonate hat sich gewaschen, geliebtester Herr Bruder!“ Das zurückliegende Jahr 1801 war fast noch ertragreicher. „Ich lebe nur in meinen Noten, und ist das eine kaum da, so ist das andere schon angefangen,“ hat er Wegeler im letzten Sommer berichtet. „So wie ich jetzt schreibe, mache ich oft drei, vier Sachen zugleich.“ Und wieder sind ihm große, teilweise ganz unkonventionelle Kompositionen gelungen: die Klaviersonate op. 26 mit dem eigenartigen Trauermarsch „auf einen Heroen“, die zwei außergewöhnlichen Klaviersonaten „Quasi una fantasia“ op. 27, die lyrische Klaviersonate opus 28, die Violinsonate op. 24, das Streichquintett op. 29. Außerdem hat er noch eine erfolgreiche Ballettmusik geschrieben: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43. Seine Lust, zu experimentieren und neue musikalische Wege auszuprobieren, war unglaublich groß. Hat seine Produktivität etwas mit seinen seelischen Qualen zu tun? In diesem Winter ist er so gesellig wie lange nicht mehr und sucht Kontakte zu Menschen, die ihm nahe stehen. Viel Zeit verbringt er mit seinem Bruder Karl, den adeligen Geschwistern Therese, Josephine und Franz von Brunsvik, dem Grafen Joseph von Deym, seinem Bonner Freund Stephan von Breuning und dem gutmütigen Nikolaus Zmeskall von Domanovecz, den er auf seinen witzigen Zettelchen mal als „teuerster Musikgraf“, mal als „Baron Dreckfahrer“, mal als „Faschings-

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lump“ bezeichnet. Beethoven kann sehr humorvoll sein, wenn er in Stimmung ist. Und er ist auch sehr hilfsbereit. Ende des Jahres kommt Ferdinand Ries nach Wien, der Sohn seines Bonner Nachbarn Franz Ries, und Beethoven nimmt ihn sofort unter seine Fittiche. Er gibt ihm Klavierunterricht, unterstützt ihn mit Geld und ist ihm auch sonst in vielerlei Hinsicht behilflich. „[…] bin ich nicht ihr wahrer Freund, warum verbargen Sie mir Ihre Not?“, fragt er den jungen Mann einmal. „Keiner meiner Freunde darf darben, solange ich etwas hab’.“ Er selbst darbt nicht und genießt es, großzügig zu sein. Gegen Ende des Winters plant Beethoven, ein Konzert im Hoftheater zu veranstalten, so wie im Jahr zuvor. Doch der Theaterdirektor Baron von Braun lehnt sein Gesuch ab und überlässt sein Theater „äuserst mittelmäsigen Künstlern“ wie Beethovens Bruder Karl voller Wut kommentiert. Beethoven selbst regt sich so sehr darüber auf, dass er aus dem Gleichgewicht gerät und anscheinend nicht mehr arbeiten kann. Am 22. April 1802 schreibt er seinen Verlegern Breitkopf und Härtel: „Viele Geschäfte und zugleich manche Verdrießlichkeiten machen mich eine Zeitlang zu manchen Dingen ganz unbrauchbar.“ Sein Arzt, Professor Johann Adam Schmidt, bei dem er seit kurzem in Behandlung ist, rät ihm, ein paar Monate aufs Land zu gehen, um sein Gehör zu schonen. Beethoven liebt das Land. Gewöhnlich verbringt er jeden Sommer in einem der reizvollen Weindörfer vor den Toren der Stadt, deshalb kommt ihm der Vorschlag sehr entgegen. Schon wenige Tage später verlässt er seine Stadtwohnung und fährt nach Heiligenstadt, einen kleinen Badeort nördlich von Wien, in der Hoffnung, dort wenigstens bis zu einem gewissen Grad von seinem Leiden geheilt zu werden. Außerhalb des Dorfes, in einem Bauernhaus, findet er ein Quartier. Es ist ein idyllischer Platz, einsam gelegen, mit Blick auf Wiesen und Felder, die Donau und den Gebirgszug der fernen Karpathen. Fast ein halbes Jahr bleibt er hier wohnen und scheint sich zumindest zeitweise wohl zu fühlen. Mitte Juli teilt er dem Verleger Hoffmeister mit: „Ich bin auf’m Land und lebe ein wenig faul, um aber hernach wieder desto tätiger zu leben.“ Er nutzt die Bäder von Heiligenstadt und geht stundenlang wandern, ist aber keineswegs „faul“ sondern arbeitet intensiv an seinen Kompositionen. Zunächst vollendet er seine zweite Sinfonie und ein paar andere Werke, dann kommen ihm neue Ideen. Im Hochsommer komponiert er die Variationszyklen op. 34 und op. 35 für Klavier. Das Es-Dur Thema des zweiten Zyklus scheint ihn besonders zu fesseln, denn er hat es schon zweimal verarbeitet – zuletzt im Finale seines Prometheus-Balletts. Nun regt es ihn zu umfangreichen Variationen an, und noch während er damit beschäftigt ist, macht er sich Skizzen für ein neues Orchesterwerk. Beethoven beginnt mit den ersten Entwürfen für seine dritte Sinfonie. Aus Wien kommen nur wenige Besucher. Außer Beethovens Bruder Karl erscheint lediglich Ferdinand Ries ab und zu, „um eine Lection zu erhalten“. Dabei beobachtet er, dass sich Beethoven krampfhaft bemüht, seine Schwerhörigkeit zu verheimlichen. Später wird er berichten: „Die beginnende Harthörigkeit war für ihn eine so empfindliche Sache, daß man sehr behutsam sein mußte, ihn durch lauteres Sprechen diesen Mangel nicht fühlen zu lassen. Hatte er etwas nicht verstanden, so

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schob er es gewöhnlich auf seine Zerstreutheit, die ihm allerdings in höherem Grade eigen war.“ Der junge Bonner begleitet Beethoven manchmal auf seinen Wanderungen, und auf einer dieser Wanderungen bemerkt er mit Entsetzen, wie stark die Hörfähigkeit seines Lehrers inzwischen schon abgenommen hat. „Ich machte ihn […] auf einen Hirten aufmerksam, der auf einer Flöte, aus Fliederholz geschnitten, im Walde recht artig blies. Beethoven konnte eine halbe Stunde hindurch gar nichts hören, und wurde, obschon ich ihm wiederholt versicherte, auch ich höre nichts mehr, (was indeß nicht der Fall war,) außerordentlich still und finster.“ Dieses Erlebnis trifft Beethoven tief. Doch er schweigt darüber. Vielleicht ist es der letzte entscheidende Schritt in die Krise, die sich allmählich vorbereitet. Anfang Oktober erleidet er einen seelischen Zusammenbruch. Er war wohl zu lange einsam und zu häufig seinen schwermütigen Gedanken ausgeliefert – jedenfalls gerät er in Panik und stürzt in einen Abgrund von Trostlosigkeit und Verzweiflung. Seine psychische Verfassung wird so bedrohlich, dass er daran denkt, sich das Leben zu nehmen. Erst Jahre später wird er imstande sein, einer Freundin von seinem „Leiden und von dem Kampf mit mir selbst zwischen Tod und leben, den ich einige Zeit hindurch führte“ zu schreiben. Jetzt aber, in diesen Oktobertagen, ist es ihm unmöglich, sich mitzuteilen – nicht einmal in Briefen an seine Freunde Wegeler oder Amenda. Er durchlebt seinen Leidensprozess völlig alleine. Dann, am 6. Oktober 1802, greift er zur Feder und verfasst ein drei Seiten langes Schriftstück, das an seine Brüder Kaspar Karl und Nikolaus Johann gerichtet ist. Es beginnt mit leidenschaftlichen Worten: „O ihr Menschen die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt. Aber bedenket nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines d a u e r n d e n Ü b e l s (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen; wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war’s mir noch nicht möglich den Menschen zu sagen: Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub;“ Ein erschütterndes Bekenntnis. Beethoven enthüllt sein Inneres, rechtfertigt sich, wirbt um Verständnis. Doch merkwürdig – nicht seine Brüder spricht er an, sondern die „Menschen“. Will er sich der ganzen Menschheit offenbaren? Seine Klagen gehen weiter. „[…] wie ein Verbannter muß ich leben;“ schreibt er und schildert, wie ihn „heiße Ängstlichkeit“ überfällt, wenn er in Gesellschaft ist, weil er befürchtet, sein Leiden könnte entdeckt werden. „So war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte; […] welche Demütigung, wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte oder

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jemand den Hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte; solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie, die K u n s t, sie hielt mich zurück, ach, es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben […] G e d u l d – so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen; ich habe es. – Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen; vielleicht geht’s besser, vielleicht nicht; ich bin gefaßt. […] Gottheit! du siehst herab auf mein Inneres, du kennst es, du weißt, daß Menschenliebe und Neigung zum Wohltun drin hausen. O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seinesgleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles getan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden.“ Beethoven formuliert nun sein Testament. Er erklärt seine Brüder zu seinen Erben und gibt ihnen Ratschläge mit auf den Lebensweg: „[…] empfehlt euren Kindern T u g e n d, sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung; sie war es, die mich selbst im Elende gehoben, ihr danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. Lebt wohl und liebt Euch, – allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowsky und Professor Schmidt […] Lebt wohl und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um Euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an Euch gedacht, Euch glücklich zu machen; seid es. – Ludwig van Beethoven. Heiligenstadt am 6. Oktober 1802. Für meine Brüder […] nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen.“ Vier Tage später. 10. Oktober. Beethoven befindet sich noch immer in tiefem Aufruhr. An diesem Tag holt er sein Testament wieder hervor und setzt einen letzten Absatz hinzu. Mit schmerzlichem Pathos nimmt er Abschied von der Hoffnung, geheilt zu werden und schließt mit den Zeilen: „O Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen! – Solange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. – O wann – o wann, o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen? – Nie? nein! – o es wäre zu hart.“ Nach seinem Tod wird man dieses Dokument unter seinen Papieren finden – in auffällig sauberer Schrift, mit nur wenigen Korrekturen. Offenbar hat er es nicht spontan abgefasst, sondern sorgfältig von einem oder mehreren Entwürfen abgeschrieben, vermutlich erst nach langen und gründlichen Überlegungen. Kurz darauf verlässt er Heiligenstadt und kehrt nach Wien zurück. Acht Tage nach der Niederschrift des Testaments, am 18. Oktober 1802, schreibt er seinen Verlegern Breitkopf und Härtel einen Brief, in dem er seine neuen Klaviervariationen anbietet, und er tut dies in einem Ton, der an Selbstsicherheit kaum zu übertreffen ist: „Ich habe zwei Werke Variationen gemacht […] Beide sind auf eine wirklich ganz neue Manier bearbeitet, jedes auf eine andere, verschiedene Art. Ich wünschte sie vorzüglich bei Ihnen gestochen zu sehn, doch unter keiner anderen Bedingung als für ein Honorar für beide zusammen etwa 50 #. Lassen Sie mich

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Ihnen nicht umsonst den Antrag gemacht haben, in dem ich Sie versichere, daß diese beiden Werke Sie nicht gereuen werden. Jedes Thema ist darin für sich auf eine selbst vom anderen verschiedene Art behandelt. Ich hör es sonst nur von anderen sagen, wenn ich neue Ideen habe, indem ich es selbst niemals weiß. Aber diesmal muß ich Sie selbst versichern, daß die Manier in beiden Werken ganz neu von mir ist. […] Sie können es als eine Art von Vorzug ansehen, daß ich Ihnen von allen selbst diesen Antrag gemacht, indem Ihre Handlung immer Auszeichnung verdient. Ihr L. van Beethoven.“ Keine Spur mehr von Schmerz und Schwermut. Beethoven hat sich offenbar seine Ängste von der Seele geschrieben und neuen Lebensmut gewonnen. Sein Heiligenstädter Testament war ein Wendepunkt in seiner verzweifelten Krise, eine Selbstanalyse und wohl auch eine Art Selbsttherapie. Es ist ihm gelungen, die Selbstmordphantasien niederzukämpfen, und er hat den Entschluss gefasst, „auszuharren“ und sein Schicksal mit „Geduld“ auf sich zu nehmen. Es war ein langer, heroischer Kampf gegen die furchtbare Erkenntnis, unheilbar taub zu werden, und es ist ein Sieg daraus geworden. „Kein Geheimnis sey dein Nichthören mehr – auch bei der Kunst“, wird er ein paar Jahre später notieren. Beethoven hat sich eine neue Perspektive geschaffen – für sein Leben und für seine Kunst. Mit Aplomb präsentiert er nun seine Klaviervariationen – wie Beweisstücke seines inneren Wandels. Stolz betont er, sie seien „auf eine wirklich ganz neue Manier bearbeitet“, und dieser Hinweis ist ihm so wichtig, dass er vier Wochen später noch einmal darauf zurückkommt. Am 18. Dezember bittet er Breitkopf und Härtel, die Werke mit einem Vorbericht erscheinen zu lassen. Die „Nichtkenner“ sollen auf diese Weise erfahren, wie er, Ludwig van Beethoven, seine neuen Werke selbst einschätzt, und der Text soll lauten: „Da diese Variationen sich merklich von meinen früheren unterscheiden, so habe ich sie, anstatt wie die vorhergehenden nur mit einer Nummer […] anzuzeigen, unter die wirkliche Zahl meiner größeren musikalischen Werke aufgenommen, um so mehr, da auch die Themas von mir selbst sind.“ Die Stücke sind tatsächlich völlig anders als seine bisherigen Klaviervariationen, die er nummeriert, aber ohne Opuszahl veröffentlicht hat. Statt wie früher populäre Melodien aufzugreifen, um sie nach gängigen Variationsmustern zu verarbeiten, hat er für beiden Kompositionen ein eigenes Thema erfunden und dieses Thema jeweils auf originelle Weise variiert. In den Variationen op. 34 sind aus den Veränderungen des Themas sechs völlig individuelle Sätze entstanden – jeder Satz in einer anderen Tonart und Taktart. Noch viel kühner hat Beethoven die Variationen op. 35 gestaltet, dem das Prometheus-Thema zugrunde lag. Zuerst hat er das Thema in seine Bestandteile aufgespaltet – in eine Bass- und eine Diskantmelodie – dann hat er daraus fünfzehn phantasiereiche Variationen geformt und sie schließlich mit einer Fuge zu einem endrucksvollen Finale gesteigert. Es ist das erste Fugenfinale seines Lebens. Anfang des neuen Jahres 1803 bekommt Beethoven ein verlockendes Angebot. Emanuel Schikaneder, der Leiter des Theater an der Wien, fragt an, ob er sein Libretto Vestas Feuer vertonen will, eine große heroische Oper in zwei Aufzügen. Es soll ein Bühnenstück nach dem Vorbild der französischen Opern Luigi Cherubinis

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werden, dessen „gewaltvolle Musik“ seit einiger Zeit das Wiener Publikum begeistert. Beethoven ist einverstanden. Die Opern aus dem revolutionären Frankreich faszinieren ihn, vor allem die Werke von Cherubini, deshalb nimmt er das Engagement sofort an und zieht mit seinem Bruder Karl ins Theatergebäude, wo Schikaneder ihm eine Dienstwohnung zur Verfügung stellt. Da das Libretto noch nicht fertig gestellt ist, plant Beethoven, ein Konzert im Theater an der Wien zu veranstalten. Innerhalb kürzester Zeit komponiert er das Oratorium Christus am Ölberge, ein dramatisches Stück über die Verzweiflung Jesu, in dem sich wohl eigene Leidenserfahrungen widerspiegeln, und am 5. April führt er es zusammen mit seiner ersten und zweiten Sinfonie und dem dritten Klavierkonzert der Öffentlichkeit vor. Die Reaktion des Publikums bleibt eher kühl. Ein Kritiker schreibt: „Auch der wackere Beethofen […] war nicht ganz glücklich, und konnte trotz den Bemühungen seiner zahlreichen Verehrer keinen ausgezeichneten Beifall erhalten.“ In den nächsten Wochen wird es still um ihn. Das Opernprojekt geht nicht voran, dennoch scheint Beethoven sehr viel zu arbeiten. „Schon lange wollte ich Ihnen schreiben, aber meine zu vielen Geschäfte erlauben mir überhaupt zu wenig, auch nur eine kleine Korrespondenz zu führen,“ entschuldigt er sich in einem Brief an Breitkopf und Härtel, mit denen er Einzelheiten verhandelt wegen des Drucks der Klaviervariationen. Am 24. Mai tritt er erstmals wieder vor die Öffentlichkeit, um ein neues Werk zu präsentieren. Zusammen mit dem englischen Geiger George Bridgetower spielt er in einem Augartenkonzert seine Violinsonate op. 47, und in derselben Woche teilt sein geschäftstüchtiger Bruder Karl gleich zwei Verlagen eine interessante Neuigkeit mit: „ Jetzt hab ich […] auch eine neue Simphonie wo Sie mir Ihre Meinung über schreiben können“, verkündet er Breitkopf und Härtel in Leipzig, und dem Bonner Verleger Simrock bietet Karl das Werk bereits zu einem konkreten Preis an. Für 400 Gulden könne er „eine große Simphonie“ haben, behauptet er, obwohl das Werk noch nicht fertig ist. Doch seine Behauptung ist nicht aus der Luft gegriffen. Ludwig van Beethoven arbeitet an seiner dritten Sinfonie – wahrscheinlich bereits seit Monaten. Nebenbei muss er noch andere Dinge erledigen. Eine Woche nach dem Konzert im Augarten bittet er seinen Verleger um ein Probeexemplar der Variationen op. 34 und 35, die inzwischen gedruckt sind. Er will Fehler korrigieren, die sich vielleicht „eingeschlichen haben“, erklärt er und fügt hinzu: „Bei den großen Variationen ist noch vergessen worden, daß das Thema davon aus einem von mir komponierten allegorischen Ballett, nämlich: Prometheus oder italienisch Prometeo, welches hätte auf das Titelblatt kommen sollen. Und wenn es möglich ist, bitte ich Sie noch darum, d.h. im Fall sie noch nicht herausgekommen. Müßte das Titelblatt geändert werden, so geschehe es nur auf meine Kosten.“ Warum ist es ihm so wichtig, die Herkunft des Themas anzugeben? Das Ballett Die Geschöpfe des Prometheus wurde vor zwei Jahren uraufgeführt und ist seither mit großem Erfolg mehrfach wiederholt worden. Beethoven bekam damals den Auftrag, das Libretto des berühmten Tänzers Salvatore Vigano zu vertonen, und der Stoff hat ihn tief beeindruckt. In diesem Tanzspiel wird der Titan Prometheus als Retter der Menschheit gefeiert und „die Macht der Musik und des

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Tanzes“ verherrlicht. Mit seiner „himmlischen Fackel“ belebt Prometheus zwei Tonstatuen, einen Mann und eine Frau. Da sie weder Vernunft noch Empfindung haben, bemüht er sich, ihnen beides beizubringen, doch seine Anstrengungen sind vergeblich. Vor Zorn will er sein Werk zerstören, aber „eine innerlich vernommene höhere Stimme hält ihn davon ab.“ Prometheus schleppt seine Geschöpfe nun auf den Parnass, an den Hof des Apollon, und bittet den Gott, seine Kinder in den Künsten und Wissenschaften zu unterweisen. Apollon gibt seine Zustimmung, und die parnassische Erziehung wird in die Wege geleitet. Euterpe, die Muse der Tonkunst, erscheint, um ihren Gesang und ihr Flötenspiel vorzuführen, „und bei ihren Weisen beginnen die beiden jungen Menschen Zeichen von Vernunft und Reflexion zu geben, die Schönheiten der Natur zu sehen und menschliche Gefühle zu empfinden.“ Dann kommt Terpsichore, die Muse des Tanzes, gefolgt von Bacchus mit seinen Bacchanten, und gemeinsam tanzen sie einen „heroischen Tanz.“ Nun aber tritt die Muse Melpomene dazwischen und stellt den Menschenkindern eine tragische Szene vor, in der sie zeigt, „wie der Tod die Tage des Menschen beschließt.“ Sie tötet Prometheus, doch Thalia, die Muse der Komödie, beendet diese Tragödie durch eine „scherzhaft-spielerische“ Szene. Auf ihren Befehl wird Prometheus wieder ins Leben zurück gerufen, „und so endet unter festlichen Tänzen das Stück.“ Ein Ballett mit visionären Ideen. Vigano hat einen Prometheus-Helden entworfen, der seine Geschöpfe zu den Künsten und Wissenschaften führt und sie damit zu vernunftbegabten und empfindungsfähigen Menschen erzieht. Beethoven hat ähnliche Visionen. „[…] nur die Kunst und die Wissenschaft erhöhen den Menschen bis zur Gottheit,“ wird er in einem Brief einmal schreiben. Und in einem anderen wird er über die Künste philosophieren: „[…] sind es diese und Wissenschaft doch, die uns ein höheres Leben andeuten und hoffen lassen.“ Beethoven sieht sich als Künstler in einer ähnlichen Rolle wie Prometheus, den Wohltäter und Erzieher des Menschengeschlechts. Er nennt sich einen „Priester des Appoll“, spricht vom „Geschwätz“ seiner Kritiker, die niemandem „die Unsterblichkeit nehmen werden, dem sie von Apoll bestimmt ist,“ und betont immer wieder, dass er mit seiner Kunst der Menschheit dienen wolle: „[…] frei bin ich von aller kleinlichen Eitelkeit: nur die göttliche Kunst, nur in ihr sind die Hebel, die mir Kraft geben, den himmlischen Musen den besten Teil meines Lebens zu opfern. Von Kindheit an war mein größtes Glück und Vergnügen, für andere wirken zu können.“ Im großen Ballettfinale hat er Prometheus mit einem Es-Dur-Thema musikalisch gefeiert – einem Tanzthema, das er bereits in seinen Zwölf Contretänzen für Orchester verwendet hat. Es ist jenes Thema, das auch seinen Variationen op. 35 zugrunde liegt. Nun, Ende Mai 1803, besteht er sogar darauf, dass auf dem Titelblatt dieser Variationen ausdrücklich auf das Prometheus-Ballett hingewiesen wird. Welch eine große Bedeutung muss dieses Thema für ihn haben! Die heißen Tage beginnen. Beethoven erholt sich zunächst eine Zeit lang in Baden bei Wien, bevor er ein Quartier für den Sommeraufenthalt sucht. Diesmal findet er eine Wohnung in Oberdöbling „Nr. 4 die Straße links, wo man den Berg hinunter nach Heiligenstadt geht,“ wie er Ferdinand Ries mitteilt. Hier, in dieser reizvollen Landschaft, zwischen Gärten, Weinbergen und Feldern, vollendet er nun in den

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nächsten Wochen seine dritte Sinfonie, ein Werk voll radikaler Ideen – mit einem extrem langen ersten Satz, einem ungewöhnlichen Trauermarsch, einem Scherzo mit unklarem Themenanfang und einem gewaltigen Variationen-Finale als Krönung des ganzen Prozessverlaufs. Diese Musik wird sein Publikum schockieren, weil sie „des Grellen und Bizarren allzuviel“ besitzt, und vermutlich ist ihm das auch bewusst, doch es stört ihn nicht. Im Sommer ist die Komposition abgeschlossen. Beethoven will sie so schnell wie möglich drucken lassen und beauftragt seinen Bruder Karl, mit den Leipziger Verlegern in Verhandlung zu treten, während Ferdinand Ries dem Bonner Verleger Simrock ein Angebot unterbreiten soll. Am 22. Oktober 1803 schreibt Ries an Simrock: „Die Symphonie will er Ihnen für 100 Gulden verkaufen. Es ist nach seiner eigenen Äußerung das größte Werk, welches er bisher schrieb. Beethoven spielte sie mir neulich und ich glaube Himmel und Erde muß unter einem zittern bei ihrer Aufführung. Er hat viel Lust, selbe Bonaparte zu dedizieren, wenn nicht, weil Lobkowitz sie auf ein halb Jahr haben und 400 Gulden geben will, so wird sie Bonaparte genannt.“ Ein merkwürdiger Hinweis. Einerseits plant Beethoven, seine Sinfonie für ein stattliches Honorar dem Fürsten Franz Joseph von Lobkowitz zur Verfügung zu stellen – wohl wissend, dass der Fürst dafür eine Widmung erwarten kann. Andererseits hat er „viel Lust, selbe Bonaparte zu dedizieren“ und will sie auf jeden Fall zumindest nach dem berühmten Franzosen benennen. Was hat er mit Napoleon Bonaparte im Sinn? Öffentlich hat er seine Sympathien für ihn noch nie geäußert, doch seine Freunde wissen, dass er den Korsen bewundert – nicht nur als siegreichen Feldherrn, sondern vor allem deshalb, weil es „dem außerordentlichen Manne in wenig Jahren schon gelungen war, das Chaos der gräuelvollsten Revolution mit kräftiger Hand wieder in eine staatliche Ordnung zurückzuführen.“ Das jedenfalls wird Anton Schindler, Beethovens erster Biograph, später berichten. Beethoven ist ein eingeschworener Demokrat. Er bekennt sich zur Freiheit, zur „Humanität“ und zum „Wohltun“, empfindet das Wort „feudal“ als Schimpfwort und respektiert keine Vorrechte des Adels. „Der Mensch repräsentiert einzeln ebenso das Gesamtleben der Gesellschaft, wie die Gesellschaft nur ein etwas größeres Individuum vorstellt,“ doziert er bei einem jungen Mann, mit dem er freundschaftlich verkehrt. Bei seinen Mäzenen ist er allerdings vorsichtiger. Im ersten Wiener Jahrzehnt ist er bisher nicht aufgefallen durch revolutionäre Bemerkungen. Dennoch hat man sich am Kaiserhof offenbar inzwischen ein Bild von ihm gemacht. Man hält ihn dort „für einen Republikaner,“ wie Baron de Trémont erzählt, einer von Beethovens guten Bekannten. „Weit davon entfernt, ihn zu protegieren, wohnte deshalb auch der Hof niemals der Aufführung eines seiner Werke bei.“ Dabei ist Beethoven selbst noch in fürstlicher Lakaienuniform aufgewachsen, als Musiker am Hof des Bonner Kurfürsten. Ist er dort zum Republikaner geworden? Bonn am Rhein, im Jahre 1770. Eine Stadt mit rund zehntausend Einwohnern, elfhundert Häusern, einer Stadtmauer und einem Barockschloss. Hier, im Gartengebäude des Hauses Bonngasse Nr. 515 wird Beethoven in einer kleinen, schiefen

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Dachkammer geboren, und hier wird er am 17. Dezember 1770 in der Kirche St. Remigius auf den Namen Ludovicus getauft. Sein Vater Johann, Sohn des Bonner Hofkapellmeisters Ludwig van Beethoven, ist Hoftenorist. Seine Mutter Maria Magdalena ist die Tochter des Kurfürstlich-Trierischen Oberhofkochs Johann Heinrich Keverich aus Ehrenbreitstein. Ludwig ist das zweite Kind von Johann und Magdalena, ihr erstgeborener Sohn namens Ludwig Maria wurde nur wenige Tage alt. Nun wird auch der Zweitgeborene wieder nach dem Großvater benannt, dem angesehenen und wohlhabenden „Herrn Hof Kapellemeister“, und Ludwig wird diesen Großvater zeit seines Lebens als „Ehrenmann“ vergöttern – obwohl er sich kaum an ihn erinnern kann, denn als der Kapellmeister stirbt, ist er erst drei Jahre alt. „Mit seinen Jugendfreunden sprach er gern vom Großvater“, berichtet Wegeler, „und seine fromme und sanfte Mutter, die er weit mehr als den nur strengen Vater liebte, mußte ihm viel vom Großvater erzählen. Das Bild desselben, vom Hofmaler Radoux verfertigt, ist das Einzige, was er sich von Bonn nach Wien kommen ließ und was ihm bis zu seinem Tode Freude machte.“ Die geliebt Mutter, der strenge Vater, das verklärte Großvaterbild – eine seltsame Familienskizze. Ludwig macht seinen Großvater zum Idol, nicht seinen Vater. Johann van Beethoven scheint sich als Leitbild nicht zu eignen. Mutter Maria Magdalena bringt noch fünf weitere Kinder zur Welt, von denen nur zwei überleben – Kaspar Anton Karl und Nikolaus Johann, der eine dreieinviertel, der andere fast sechs Jahre jünger als Ludwig. Die Wohnverhältnisse sind beengt, das Geld ist knapp, und es gibt häufig Konflikte unter den Eheleuten. Johann van Beethoven ist ein durchschnittlich begabter Musiker, der im Schatten seines erfolgreichen Vaters steht und sich verzweifelt bemüht, ihm nachzueifern. In den ersten Ehejahren hat er durchaus Erfolg und macht sich als Privatmusiklehrer in Bonner Adelskreisen einen guten Namen. Doch sein Einkommen reicht auf die Dauer nicht aus für die größer werdende Familie, und trotz seiner Nebeneinkünfte schafft er es nicht, seine finanzielle Lage zu verbessern und die Familie aus den schließlich „sehr betrübten umstenden“ herauszuholen. Vielleicht ist er zu leichtsinnig. Er liebt es, wenn sein Haus voller Besuch ist, kann ausgiebig Feste feiern und trinkt gerne Wein – „dann war er munter und fröhlich, hatte alles genug; er hatte keinen üblen Trunk an sich,“ erinnert sich Gottfried Fischer, der Sohn des Hausbesitzers, in späteren Jahren. Maria Magdalena van Beethoven fühlt sich wohl nicht glücklich in dieser Ehe. Sie warnt Cäcilia, die Schwester von Gottfried Fischer: „[…] wenn sie aber meinen guten Raht annehmen wolle, bleiben sie Ledig, so haben sie, das wahre, ruhiste, schönste, vergnügeste Leben, der dieß zu schätzen weiß. Denn was ist Heyrahten, ein wenig freud, aber nachher, eine Kette, von Leiden, und sie ist noch Jung von Jahren.“ Im rheinischen Dialekt schreibt Gottfried später auf, woran er und seine Schwester sich noch erinnern können. So soll Magdalena noch andere Bemerkungen über das Thema Heiraten gemacht haben: „Madamm v: Beethoven sagte eehmal, das so vielle junge Leute, oft aus Leichtsinn, gleichgültigkeit und unüberlegt sich verheyraten, wenn manche, von beiderseits Geschlecht, oft wüßte, was ihne bevor stännt, würt einer den ander nicht ansehen, wenn auch ein rechtschaffenes, vernünftiges und überlägtes Ehepaar zusammen tritt

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und ausharrt, so kommt doch so viell Leiden, wo mann sich im ledige Stannt keinen begriff von machen kann, vor. Sie sagt ehmal, man soll Weinen, wenn ein Mädgen zur Weld gebohre, […] zwar es muß auf dißer Erte gelitten, ohne Leiden kein Kammpf, ohne Kammp kein Sieg, ohne Sieg keine Krohn sein.“ Ihre Philosophie von der Ehe, vom Leiden, vom Kampf und vom Sieg bleibt ihren Kindern natürlich nicht verborgen und hinterlässt in der Seele ihres ältesten Sohnes tiefe Spuren. Die „stille, leidende Frau“ scheint sich nicht sehr um ihn zu kümmern, denn er läuft „oft schmutzig, gleichgültig“ herum, wie ein verwahrlostes Kind. Seine Mutter, die zu Depressionen neigt, ist wohl nicht fähig, dies wahrzunehmen, jedenfalls beschäftigt sie sich mehr mit Hausarbeit als mit der Erziehung ihrer Kinder. „Beethovens Kinder wurden nicht weichlich erzogen,“ erzählt Gottfried Fischer, „sie waren den Mägden oft überlassen; der Vater war gegen sie sehr streng.“ Kinderjahre in einem problematischen Familienklima. Der kleine Ludwig entwickelt sich dabei zu einem Jungen, der „scheu und einsilbig“ ist und „verdrießlich unter den Menschen“. Zwar kann er auch fröhlich sein und zu Streichen aufgelegt, doch meistens kapselt er sich von seinen Spielkameraden ab. Johann van Beethoven gibt ihm schon sehr früh Klavier- und Violinunterricht, und er geht dabei anscheinend so grob mit ihm um, dass der Kleine oft in Tränen aufgelöst ist. Täglich hält er ihn zum Üben an und schreibt ihm vor, nur nach Noten zu spielen, obwohl Ludwig mit Begeisterung improvisiert. Als der Vater ihn einmal dabei ertappt, herrscht er ihn an: „[…] was kratzest du da nun wieder für dummes Zeug durcheinander, du weißt, daß ich das gar nicht leiden kann, kratz’ nach den Noten, sonst wird dein Kratzen wenig nutzen.“ Doch Ludwig improvisiert unbeirrt weiter. Er lässt sich die Freude am Phantasieren nicht nehmen. Bald spielt er so gut Klavier, dass er vor der Bonner Hofgesellschaft auftreten kann, und am 26. März 1778 stellt ihn sein Vater zum ersten Mal einer größeren Öffentlichkeit vor. Er veranstaltet ein Konzert in Köln mit ihm und kündigt großspurig auf dem Programmzettel an, „sein Söhngen von 6 Jahren“ werde „mit verschiedenen Clavier-Concerten und Trios die Ehre haben aufzuwarten.“ Die Angabe ist falsch. Ludwig ist schon über sieben Jahre alt, doch Vater Johann glaubt wohl, ihn als Sechsjährigen besser vermarkten zu können. Über den Erfolg des Konzerts wird nichts bekannt, und Johann unternimmt auch keine weiteren Versuche, als Konzertmanager seines Sohnes aufzutreten. Stattdessen verfolgt er nun eine andere Linie und sucht Lehrer, die Ludwig so schnell wie möglich zum Wunderkind ausbilden sollen. Noch im selben Jahr bittet er den alten Hoforganisten van den Eeden, dem Jungen Klavier- und Orgelstunden zu geben und später zieht er noch weitere Lehrer hinzu: den Klavierspieler Tobias Friedrich Pfeiffer, den Geiger Franz Rovantini und verschiedene Bonner Organisten. Ludwigs musikalische Erziehung ist weder systematisch noch besonders zielstrebig. Zwar lernt er hervorragend Klavier, Orgel, Geige und Bratsche spielen, aber für eine Karriere als Wunderkind reichen seine Fähigkeiten letztlich doch nicht aus. In seiner unmittelbaren Umgebung bekommt er allerdings viel Anerkennung. Ein Bonner Musiker erinnert sich: „Als er so weit war, daß er sich mit Beifall vor Kennern hören lassen konnte, lud sein exaltirter Vater jeden ein, seinen Louis zu bewundern, der aber gegen jedes Lob gleich-

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gültig blieb, sich zurückzog und für sich allein übte, am liebsten, wenn der Vater nicht zu Hause war. So gingen die siebziger Jahre vorüber, ohne daß man etwas Besonderes von ihm erfuhr.“ Das ändert sich bald. Am 2. März 1783 erscheint in der Zeitschrift Cramers Magazin eine Mitteilung über den jungen Musiker „Louis van Betthoven“ aus Bonn. Er sei „ein Knabe […] von vielversprechendem Talent“, steht da geschrieben. Und weiter: „Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Clavier, ließt sehr gut vom Blatt, und um alles in einem zu sagen: Er spielt größtentheils das wohltemperirte Clavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hände gegeben. Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt, (welche man fast das non plus ultra nennen könnte), wird wissen, was das bedeute. Herr Neefe hat ihm auch, sofern es seine übrigen Geschäfte erlaubten, einige Anleitung zum Generalbaß gegeben. Jetzt übt er ihn in der Composition, und zu seiner Ermunterung hat er 9 Variationen von ihm fürs Clavier über einen Marsch in Mannheim stechen lassen. Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte. Er würde gewiß ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen.“ Ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart – die Prophezeiung ist kühn. Verfasst hat sie jener „Herr Neefe“ selbst: Christian Gottlob Neefe, 35 Jahre alt, Theaterkapellmeister und kurfürstlicher Hoforganist in Bonn. Seit einiger Zeit ist er Ludwig van Beethovens Lehrer, und er tut alles, um diesen großartigen Jungen zu fördern. Schon im vergangenen Jahr hat er sich von ihm auf der Orgel vertreten lassen und seine erste Komposition in Druck gegeben. In diesem Frühjahr 1783 schreibt er den Beitrag in Cramers Magazin und um die selbe Zeit überlässt er ihm, da er mit Arbeit überhäuft ist, seine Position als Cembalist im Orchester, wo Ludwig nun Proben leiten darf. Außerdem sorgt er dafür, dass der Knabe dem Kurfürsten Maximilian Friedrich drei Klaviersonaten widmet, weil er hofft, ihm auf diese Weise eine besoldete Hofstelle zu verschaffen. Und tatsächlich sind seine Bemühungen erfolgreich, wenn auch erst später. Im April 1784 stirbt Kurfürst Maximilian Friedrich, und sein Nachfolger, der österreichische Erzherzog Maximilian Franz, lässt einen Bericht über den Zustand der Hofkapelle anfertigen. Nach sorgfältiger Prüfung jedes einzelnen Musikers und jeder einzelnen Planstelle entscheidet er, dass der unbezahlte Hilfsorganist Ludwig van Beethoven mit einem Gehalt von 150 Gulden zum zweiten Hoforganisten ernannt wird. Ein großer Erfolg für den Dreizehnjährigen. Auch wenn kein Wunderkind aus ihm geworden ist, so hat er doch durch die neue Stelle enorm an Ansehen gewonnen. Er läuft nun nicht mehr in verwahrlosten Kleidern herum, sondern trägt die elegante Gala-Uniform der Hofmusiker: „Seegrüner Frackrock, grüne kurze Hose mit Schnallen, weißseidene oder schwarzseidene Strümpfe, Schuhe mit schwarzen Schlöpp [Schleifen], weißseidene geblümte Weste mit Klapptaschen, die Weste mit echter goldener Kordel umsetzt, frisiert mit Locken und Haarzopf, Klapphut unterm linken Arm, seinen Degen an der linken Seite, mit einer silbernen Koppel.“ Der junge Beethoven ist selbstbewusster geworden. Auch sein Verhältnis zum Vater hat sich entscheidend geändert, seitdem er glaubt, ihm „gleich zu stehen in der Musik“.

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Sein Selbstvertrauen hat sich jedoch vor allem durch Neefe entwickelt, denn dieser Mann macht ihm nicht nur Mut sondern erschließt ihm Welten, die ihm bisher verborgen waren. Zehn Jahre später wird er ihm einmal schreiben: „Ich danke Ihnen für Ihren Rat, den Sie mir sehr oft bei dem Weiterkommen in meiner göttlichen Kunst erteilten. Werde ich einst ein großer Mann, so haben auch Sie teil daran.“ Der Unterricht bei Neefe ist vielseitig. Beethoven lernt Werke von großen Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Haydn und Mozart kennen, aber auch deutsche Volkslieder, volkstümliche Lieder und Singspiele. Doch Neefe begnügt sich nicht damit, seinem Schüler nur den üblichen Kompositionsunterricht zu erteilen, sondern er will ihm auch seine ästhetischen und weltanschaulichen Auffassungen vermitteln. Neefe ist ein philosophisch und literarisch gebildeter Musiker mit aufklärerischen, humanistischen Grundvorstellungen. Für ihn ist Musik eine Sprache des menschlichen Herzens, die höheren Zielen der Menschheit zu dienen hat, wenn sie „kein leerer Klingklang, kein tönendes Erz noch klingende Schelle seyn soll.“ In diesem Sinne will er auch seinen Schüler Beethoven zu einem moralisch engagierten Komponisten erziehen, der nach Tugend und Wahrheit strebt und sich von Menschenliebe und Vernunft leiten lässt. Neefe ist zudem Mitglied des Bonner Illuminatenordens, einer Loge, die den Freimaurern nahe steht und hehre Ziele verfolgt wie „Verstand und Charakter zu vervollkommnen, Wissenschaft und Tugend zu fördern und das Laster zu bekämpfen“. Von diesen Ideen ist auch die Rede, wenn Neefe mit Beethoven zusammen ist, und er macht ihn darüber hinaus mit seinem persönlichen politischen Credo vertraut: „Ich bin kein Freund des Ceremoniells, der Etiquette, noch leerer Komplimente. […] Rang und Titel sind mir gleichgültig, wenn sie nichts zu kräftigerer Würksamkeit beitragen. […] Die Großen der Erde lieb’ ich, wenn sie gute Menschen sind, ihre Gesetze verehr ich, wenn sie das Beste der bürgerlichen Gesellschaft befördern. Doch dräng ich mich niemals bei ihnen zu. Schlimme Fürsten hass’ ich mehr als Banditen.“ Beethoven ist fasziniert. Tugend, Moral, Dienst an der Menschheit, Freiheit, Gleichheit – nie mehr wird er diese großen Ideale vergessen, und er wird sich ein ganzes Leben lang daran orientieren. Aus seiner Abneigung gegen den Hof und das „fürstliche Theatergesindel“ wird er ebenfalls keinen Hehl machen. „Etwas Kleineres als unsere Großen gibt’s nicht“, schreibt er 1810 an Breitkopf und Härtel, und vier Jahre später spottet er in einem Brief an den Schriftsteller Georg Friedrich Treitschke: „Besser mit Künstlern als mit den sogenannten Großen (Kleinwinzigen) zu tun zu haben.“ In Bonn allerdings gibt es keinen Grund gegen schlimme Fürsten zu wettern. Im Gegenteil. Bonn ist ein Ort der Aufklärung, in dem fortschrittliche Ideen von höchster Stelle gefördert werden. Schon Maximilian Friedrichs Regierung ist von einem kritischen Zeitgenossen als „die aufgeklärteste und thätigste unter allen geistlichen Regierungen Deutschlands,“ gepriesen worden. Mit dem Amtsantritt von Kurfürst Maximilian Franz haben sich die Verhältnisse noch erheblich verbessert. Max Franz betrachtet sein Amt als „Staatsbedienung“ und versucht, seinem Bruder, dem österreichischen Kaiser Joseph II., nachzueifern, der in Wien beispiellose Reformen auf

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den Weg gebracht hat. Er lässt eine Hofbibliothek einrichten und einen öffentlichen Lesesaal, wo „die besten periodischen Schriften sowohl als gelehrte und politische Zeitungen und Bücher“ zu finden sind. Am 20. November 1786 gründet der fortschrittlich gesinnte Kurfürst in Bonn sogar eine Universität mit dem ausdrücklichen Auftrag, „die Menschen denken zu lehren.“ Für Neefe ist Kurfürst Maximilan Franz ein geradezu idealer Regent. „Täglich haben seine Unterthanen, auch die geringsten, bei ihm Zutritt, und er hilft ihnen schleunig, wenn ihre Beschwerden gegründet sind“, schwärmt er. „Er ist Kenner, Freund und Belohner der Tonkunst; sie ist eines seiner liebsten Erholungsmittel. Wer sollte denn einem solchen Regenten, wie Maximilian Franz ist, nicht mit Freuden dienen?“ Wie der junge Beethoven zu seinem Kurfürsten steht, ist schwer zu sagen. Er ist „von guter, stiller Aufführung“ und verhält sich so, wie man es von einem Mitglied der Hofkapelle erwartet. Auch außerhalb des Dienstes bemüht er sich, seine Pflichten so vorbildlich wie möglich zu erfüllen. Neben seiner Hoftätigkeit gibt er fleißig Privatstunden, um die finanzielle Not seiner Familie zu lindern, denn inzwischen gilt der Vater als „sehr Arm“ und hat zu seinem Unglück auch noch seine Stimme verloren. Beethoven ist deshalb froh, dass ihm sein Freund Franz Wegeler eines Tages zwei neue Schüler vermittelt. Wegeler führt ihn in die Familie der wohlhabenden Witwe, Hofrätin Helene von Breuning, ein, wo man einen Klavierlehrer für die Kinder Eleonore und Lorenz sucht, und es zeigt sich sehr schnell, dass er hier eine Geborgenheit findet, die er im Elternhaus wohl bisher vermisst hat. „Beethoven wurde bald als Kind des Hauses behandelt“ erinnert sich Wegeler, „er brachte nicht nur den größten Theil des Tages, sondern selbst manche Nacht dort zu. Hier fühlte er sich frei, hier bewegte er sich mit Leichtigkeit. Alles wirkte zusammen, um ihn heiter zu stimmen und seinen Geist zu entwickeln.“ Die Breunings sind sehr gebildet. Sie lesen viel, rezitieren gerne Romane und Gedichte, und Beethoven lässt sich anstecken von ihrer Begeisterung. Er selbst hat nur ein paar Jahre die Elementarschule besucht, wo er außer Lesen, Schreiben, Rechnen und ein bisschen Latein kaum etwas gelernt hat. Nun versucht er, Versäumtes nachzuholen und liest alles, was ihm in die Hände kommt: Epen von Homer und Plutarch, Schriften von Vergil, Goethes Leiden des jungen Werther, Gedichte von Gellert, Klopstock, Schiller und Herder und von anderen deutschen Dichtern. Er entwickelt dabei eine Leidenschaft, die ihn nie mehr loslassen wird. „Es gibt keine Abhandlung, die sobald zu gelehrt für mich wäre;“ schreibt er Jahre später einmal, „ohne auch im mindesten Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit zu machen, habe ich mich doch bestrebt von Kindheit an, den Sinn der Besseren und Weisen jedes Zeitalters zu fassen. Schande für einen Künstler, der es nicht für Schuldigkeit hält, es hierin wenigstens so weit zu bringen.“ Anfang des Jahres 1787 erfüllt sich für Beethoven ein großer Traum. Kurfürst Maximilian Franz genehmigt ihm einen Bildungsurlaub in Wien, wo er Gelegenheit haben soll, bei Mozart zu studieren. „Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, dass er reisen könnte“ schrieb Neefe vor vier Jahren. Nun bekommt Beethoven endlich die ersehnte Unterstützung und ist wohl sehr glücklich darüber. In der dritten Märzwoche besteigt er die Postkutsche Richtung Süden und nach dreiwöchiger

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Fahrt erreicht er am Samstag, dem 7. April, sein Ziel – Wien, die berühmte Stadt an der Donau, die Stadt, von der Mozart vor Jahren schwärmte, sie sei „ein Herrlicher ort […] und für mein Metier der beste ort von der Welt“. Auch Beethoven ist überwältigt von dieser riesigen Metropole, die zwanzigmal größer ist als Bonn. In den nächsten Tagen trifft er wohl tatsächlich mit Mozart zusammen, spielt ihm Improvisationen auf dem Klavier vor und findet seinen Beifall – so jedenfalls wird es später kolportiert. Zu einem Studium bei ihm kommt es allerdings nicht mehr, denn Beethoven erhält plötzlich Nachricht, dass seine Mutter lebensgefährlich erkrankt ist. Der Vater schreibt, er solle so schnell wie möglich nach Hause kommen, und Beethoven verlässt daraufhin Hals über Kopf die Stadt und macht sich auf die Heimreise. Anfang Mai ist er wieder in Bonn und trifft seine Mutter noch lebend an, doch in „elendsten Gesundheitsumständen“. Sie hat Schwindsucht und ist nicht mehr zu retten. Wenige Wochen später, am 17. Juli 1787 stirbt Maria Magdalena im Alter von vierzig Jahren nach langem, qualvollen Leiden. Beethoven ist völlig verstört. Er wird krank und fällt in tiefe Depressionen. Verzweifelt schreibt er an einen Bekannten: „o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen! Den stummen ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? Solange ich hier bin, habe ich noch wenige vergnügte Stunden genossen; die ganze Zeit hindurch bin ich mit der Engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine Schwindsucht daraus entsteht; dazu kommt noch Melancholie, welche für mich ein fast ebenso großes Übel als meine Krankheit selbst ist.“ Doch das Unglücksjahr ist noch nicht zu Ende. Am 25. November, vier Monate nach der Mutter, stirbt auch die kleine Maria Margarethe, Beethovens eineinhalbjähriges Schwesterchen. Der Vater verliert nun jeden Halt. Er beginnt, maßlos zu trinken, verursacht „nächtliche Straßenskandale“ und bekommt Schwierigkeiten mit der Polizei. Beethoven muss ihn sogar mehrfach mit Gewalt aus den Händen der Beamten befreien, um seine Festnahme zu verhindern. Die Situation wird schließlich so unerträglich, dass dem Sohn nichts anderes übrig bleibt, als die Verantwortung für die Familie zu übernehmen. Er reicht ein Gesuch beim Kurfürsten ein und bittet um die Hälfte des väterlichen Gehalts, damit er seine beiden Brüder in Zukunft „kleiden, nähren und unterrichten lassen“ kann. Am 20. November 1789 wird sein Antrag genehmigt. Kurfürst Max Franz erteilt den Befehl, den Sänger Johann van Beethoven vom Dienst zu suspendieren, und dem Sohn Ludwig 100 Taler vom Gehalt des Vaters sowie drei Malter Korn jährlich „für die Erziehung seiner Geschwistrigen“ zu verabreichen. Der neunzehnjährige Beethoven wird damit zum Familienoberhaupt. Von nun an versorgt er seine Brüder und kümmert sich um ihre Ausbildung. Karl soll Musiker werden, Johann, der Jüngere, kommt als Lehrling in die Hofapotheke. Die hohen Schulden, der alkoholkranke Vater, die temperamentvollen jüngeren Brüdern – all das schafft Probleme, die nicht einfach zu bewältigen sind, doch Beethoven hat Freunde, die ihm helfen. Einer von ihnen ist Ferdinand Ernst Graf von Waldstein, ein österreichischer Geistlicher, der seit 1788 in Bonn lebt und am Hof

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des Kurfürsten als musikalischer Berater tätig ist. Waldstein wird Beethovens wichtigster „Mäcen“, wie Wegeler erzählt. „Er war nicht nur Kenner, sondern selbst Praktiker der Musik. Dieser war es, welcher unsern Beethoven, dessen Anlagen er zuerst richtig würdigte, auf jede Art unterstützte. Durch ihn entwickelte sich in dem jungen Künstler das Talent, ein Thema aus dem Stegreife zu variieren und auszuführen. Von ihm erhielt er mit der größten Schonung seiner Reizbarkeit, manche Geldunterstützung.“ Waldstein führt Beethoven in einen Kreis von gebildeten und künstlerisch aufgeschlossenen Intellektuellen, der sich regelmäßig im Gasthaus „Zum Zehrgarten“ am Bonner Marktplatz trifft, um über Philosophie, Wissenschaft, Musik, Religion, Literatur und Politik zu diskutieren. Hier lernt Beethoven unter anderem Bartholomäus Ludwig Fischenich kennen, einen jungen Juristen, der mit zweiundzwanzig Jahren zum Professor für Natur- und Völkerrecht an der kurkölnischen Universität ernannt wird und sich für die Sittenlehre von Kant begeistert. Vielleicht ist Fischenich derjenige, dem Beethoven die Anregung verdankt, die Universität zu besuchen. Jedenfalls schreibt er sich am 14. Mai 1789 zusammen mit zwei Freunden an der Philosophischen Fakultät ein und hört unter anderem Vorlesungen über griechische Literatur, die von einem Franziskanermönch namens Eulogius Schneider gehalten werden. Schneider ist ein engagierter Sozialkritiker, der in Bonn radikale politische Theorien verbreitet. Im Dezember 1789, vier Monate nach der französischen Deklaration der Menschenrechte, hält er eine flammende Rede über den Sinn und Zweck der Französischen Revolution und verkündet, dass der „ächte Adel nur durch Grösse des Geistes und Güte des Herzens zu erlangen sei.“ Beethoven hört gebannt zu. Er verschafft sich Schneiders agitatorische Gedichte, die in konservativen Kreisen große Empörung hervorrufen und einige Zeit später komponiert er selbst ein Klavierlied mit einem brisanten politischen Inhalt: „Wer ist ein freier Mann?“ heißt es in der ersten Strophe, „Der, dem nur sein eigner Wille / Und keines Zwingherrn Grille / Gesetze geben kann; / Der ist ein freier Mann!“ Fortlaufend komponiert er in diesen Jahren neue Stücke: Klavier- und Kammermusik, Konzertarien, ein Ballett und immer wieder Lieder. Eines davon mit dem Titel Feuerfarb’ wird Bartholomäus Fischenich, der sich in Jena mit Schiller anfreundet, im Januar 1792 an Charlotte von Schiller schicken und dazu schreiben: „Ich lege Ihnen eine Composition der Feuerfarbe bei und wünschte Ihr Urtheil darüber zu vernehmen. Sie ist von einem hiesigen jungen Mann, dessen musikalische Talente allgemein gerühmt werden […] Er wird auch Schillers Freude und zwar jede Strophe bearbeiten. Ich erwarte etwas vollkommenes, denn soviel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene.“ Schillers Ode An die Freude – die Vision von Brüderlichkeit, Menschenliebe, Freundschaft. Es wird noch drei Jahrzehnte dauern, bis Beethoven diese Ode tatsächlich vertont. Doch sie beschäftigt ihn offenbar schon jetzt, im Alter von etwa zwanzig Jahren. Im Dezember 1790 begegnet er Joseph Haydn, der auf der Rückreise von London ein paar Tage in Bonn Station macht. Er legt ihm seine neueste Komposition vor, die Trauer-Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II., der im Februar verstorben ist,

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und Haydn scheint von dem anspruchsvollen Werk beeindruckt zu sein. Eineinhalb Jahre später kommt der berühmte Meister wieder nach Bonn, und bei dieser Gelegenheit erklärt er sich bereit, Beethoven in Wien als Schüler anzunehmen. Waldstein bemüht sich wohl, den Kurfürsten von dem Plan zu überzeugen und hat schließlich auch Erfolg. Im Herbst 1792 bewilligt Max Franz seinem zweiten Hoforganisten einen weiteren Studienaufenthalt in Wien mit dem Ziel, sich unter Haydns Leitung „in der Setzkunst mehr zu vervollkommen.“ Ende Oktober wird fröhlich Abschied gefeiert. Beethovens Freunde tun sich zusammen und kaufen ihm ein Stammbuch, in das sie ihre Glückwünsche und Sinnsprüche eintragen. Am 29. Oktober schreibt auch Graf Waldstein ein paar Zeilen in den kleinen Band – Zeilen, die einen prophetischen Inhalt haben: „Lieber Beethoven! Sie reisen itzt nach Wien zur Erfüllung Ihrer so lange bestrittenen Wünsche. Mozart’s Genius trauert noch und beweinet den Tod seines Zöglings. Bey dem unerschöpflichen Haydn fand er Zuflucht, aber keine Beschäftigung; durch ihn wünscht er noch einmal mit jemandem vereinigt zu werden. Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts’s Geist aus Haydns Händen.“ Am 2. oder 3. November 1792 verlässt Beethoven seine Heimat, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, dass er sie nie mehr wiedersehen wird. Nach acht Tagen Reise erreicht er die Tore der großen Kaiserstadt Wien und sucht sich sofort eine billige Unterkunft. In der Alserstraße Nr. 45 findet er eine kleine Dachstube, wo er einige Nächte verbringt, dann zieht er ins Erdgeschoss um und beginnt, sich dort einzurichten. Gewissenhaft führt er Buch über die ersten Ausgaben: „Holz, Perrückenmacher, Kaffee, Überrock, Stiefel, Schuhe, Klavierpult, Petschaft, Schreibpult, Klaviergeld“ – doch damit ist es längst nicht getan. Offenbar legt er Wert darauf, in der Wiener Gesellschaft einen guten Eindruck zu machen, denn er sucht nicht nur einen Perückenmacher auf sondern auch einen Tanzmeister, kauft neue Kleidung ein und gibt eine Menge Geld für Luxusartikel wie „Schwarze, seidene Strümpfe“ und „ein paar Winter seidene Strümpfe“ aus. Nach einem Monat stellt er erschrocken fest, dass er mit seinem Geld nicht auskommt. „Alle Nothwendigkeiten, z.B. Kleidung, Leinwand, alles ist auf,“ schreibt er in sein Tagebuch. „In Bonn verließ ich mich darauf, ich würde hier 100 Ducaten empfangen, aber umsonst. Ich muß mich völlig neu equippieren.“ Er hat falsch kalkuliert. Die hundert Dukaten Gehalt, die ihm der Kurfürst versprochen hat, werden ihm nur in vierteljährlichen Raten überwiesen. Folglich muss er sich Geld leihen, um die nächsten Wochen zu überbrücken. Am 18. Dezember stirbt ganz plötzlich sein Vater, und Beethoven bemerkt mit Entsetzen, dass das Dokument, das ihm die väterliche Pension zusichert, spurlos verschwunden ist. In größter Sorge schreibt er nach Bonn und bittet den Kurfürsten, das Dekret zu erneuern, um seine Brüder auch in Zukunft „kleiden, nähren und unterrichten lassen“ zu können. Max Franz erfüllt ihm die Bitte, und Beethoven ist erleichtert. Über den Tod des Vaters verliert er weiter kein Wort – weder im Tagebuch noch bei seinen Freunden. Seine Gefühle zu dem Mann, der ihm kein Vorbild sein konnte, sind wohl zu widersprüchlich und schmerzlich, um sie in Worte fassen zu können. Auf der unvollendeten Abschrift einer Bach-Kantate notiert er sich nur zur Erinnerung:

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„von meinem teuren Vater geschrieben.“ Anders kann er seine Zuneigung und Trauer nicht ausdrücken. In diesen schwierigen Wiener Wochen beginnt auch der Unterricht bei Joseph Haydn. Beethoven will Kontrapunkt bei ihm studieren, doch er ist bald enttäuscht, denn Haydn ist kein gründlicher und systematischer Lehrer. Er steckt mitten in Kompositionsarbeiten für seine nächste Londoner Reise und hat wenig Zeit, sich mit trockenen kontrapunktischen Lehrbuchregeln auseinanderzusetzen. Als Beethoven zu seinem Ärger feststellen muss, dass Haydn seine Übungsbeispiele nicht sorgfältig korrigiert, beschließt er, heimlich Nachhilfestunden bei dem Komponisten Johann Schenk zu nehmen. Nach außen hin lässt er sich jedoch nichts anmerken. Er geht weiterhin zu Haydn, bezahlt ihm seine Stunden und sorgt auch sonst für gute Stimmung, indem er den Einundsechzigjährigen ab und zu mit Schokolade und Kaffee bewirtet. Seine Beziehung zu ihm bleibt allerdings gespannt. Beethoven lehnt es ab, sich als Haydns Schüler zu bezeichnen und behauptet sogar einmal höchst aufgebracht, er habe „nie etwas von ihm gelernt,“ obwohl Haydn ihn musikalisch stark beeinflusst. Als der Lehrer sein c-moll Trio op.1 kritisiert, ist er so gekränkt, dass er lange Zeit von dem Gedanken besessen ist, „Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es mit ihm nicht gut.“ Erst in späteren Jahren ist Beethoven souverän genug, um die Verdienste seines ehemaligen Lehrers anzuerkennen, und er soll sogar offen zugegeben haben: „Ich würde bei meinem ersten Auftreten als Componist viele Thorheiten begangen haben, ohne die guten Ratschläge von Papa Haydn“. „Papa“ Haydn bleiben die Empfindlichkeiten des jungen Mannes nicht verborgen. Dennoch gibt er seinem „lieben“ Schüler bis zu seiner Abreise nach London im Januar 1794 weiterhin Unterricht und macht sich Gedanken darüber, wie er ihn fördern und unterstützen kann. So stellt er ihn dem Fürsten Esterhazy vor und leiht ihm 500 Gulden, „um ihn nicht unter die Hände der Wucherer fallen zu lassen“. Zum Schluss des Studienjahres schickt er dem Kurfürsten Maximilian Franz ein paar Kompositionen von Beethoven und schreibt dazu: „Kenner und Nichtkenner müssen aus gegenwärtigen Stücken unpartheyisch eingestehen, daß Beethoven mit der Zeit die Stelle eines der größten Tonkünstler in Europa vertreten werde, und ich werde stolz seyn, mich seinen Meister nennen zu können; nur wünsche ich, daß er noch eine geraume Zeit bey mir verbleiben dürfe.“ Wortreich begründet er die finanziellen Nöte seines Schülers – „der nothwendige Aufwand, wenn er hier in mehreren Häusern eintritt“, würde viel Geld kosten, meint er und schließt seinen Brief mit dem Appell, Seine Durchlaucht möge die Zuwendungen doch im kommenden Jahr auf 1000 Gulden erhöhen. Die Antwort des Kurfürsten ist mehr als ernüchternd. Offenbar ist er verärgert, denn er teilt mit, die eingesandten Musikstücke seien keine Beweis für Beethovens Fortschritte, da er sie „schon hier zu Bonn komponirt und produzirt“ habe. Außerdem sei es ihm unbegreiflich warum Beethoven mit einem Gehalt von insgesamt immerhin 900 Gulden nicht zurechtkomme. „Ich denke dahero, ob er nicht wieder seine Rückreise hieher antreten könne, um hier seine Dienste zu verrichten: denn ich zweifle sehr, daß er bey seinem itzigen Aufenthalte wichtigere Fortschritte in der Composition und Geschmak gemacht haben

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werde und ich fürchte, daß Er eben so wie bei seiner ersten Wienner Reise bloß Schulden von seiner Reise mitbringen werde.“ Beethoven braucht die angedrohte Rückreise nicht anzutreten, denn wenig später hat der Kurfürst andere Sorgen, als seinen Hoforganisten zur Raison zu rufen. Im Oktober 1794 wird Bonn von der französischen Armee eingenommen, Maximilian Franz muss mitsamt seinem Hofstaat außer Landes fliehen, und die prächtige Kurkölnische Residenz löst sich für immer auf. Beethoven, der schon seit März kein Geld mehr bekommen hat, soll laut dienstlichem Befehl „in Wien, bis er einberufen wird“ bleiben. Mit anderen Worten: Beethoven hat seine Stelle verloren, und es bleibt ihm nun keine andere Wahl, als mit Klavierspielen und Komponieren seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erstaunlicherweise beunruhigt ihn das nicht, und er scheint sogar ausgesprochen zufrieden zu sein. Am 2. November 1793 schreibt er seiner Bonner Freundin Eleonore von Breuning, beim nächsten Wiedersehen würde sie einen „ fröhlichern Menschen an Ihrem Freunde finden, dem die Zeit und sein besseres Schicksal die Furchen seines vorhergegangen, widerwärtigen ausgeglichen hat.“ Sein „besseres Schicksal“ heißt: Erfolg. Beethoven glänzt als Klaviervirtuose in den Salons des Wiener Adels und genießt bereits hohes Ansehen in diesen Kreisen. Musik ist gefragt in Wien. Man liebt Opern und Konzerte und ergötzt sich an den Wettkämpfen der zahlreichen Pianisten, die sich in der Stadt aufhalten. Beethoven nimmt mit Vergnügen an solchen Wettbewerben teil und düpiert seine Rivalen. Mit seinen phantasievollen Improvisationen bringt er alle „hiesigen Klaviermeister in Verlegenheit.“ Manche davon seien seine „Todfeinde“ erzählt er Eleonore und vermutlich hat er sogar Recht, denn seine Konkurrenten überlassen ihm das Feld nicht kampflos. Joseph Gelinek, einer der besten Tastenvirtuosen der Stadt, fordert ihn selbstsicher zum Klavier-Duell auf, muss aber anschließend seine Niederlage eingestehen. „[…] in dem jungen Menschen steckt der Satan“, sagt Gelinek. „Nie hab’ ich so spielen gehört! Er phantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe.“ Beethovens leidenschaftliche und ausdrucksvolle Spielweise ist wirklich so ungewöhnlich, dass viele seiner Zuhörer aus der Fassung geraten. Sein Schüler Carl Czerny wird sich später erinnern: „[…] er verstand es, einen solchen Eindruck auf jeden Hörer hervorzubringen, daß häufig kein Auge trocken blieb, während Manche in lautes Weinen ausbrachen, denn es war etwas Wunderbares in seinem Ausdrucke […] Wenn er eine Improvisation dieser Art beendigt hatte, konnte er in lautes Lachen ausbrechen und seine Zuhörer über die Bewegung, die er ihnen verursacht hatte, verspotten.“ Niemand scheint ihm das übel zu nehmen. Im Gegenteil – seine hinreißenden Phantasien und seine Fähigkeit, die schwierigsten Partituren vom Blatt zu spielen, machen ihn zu einer Pianisten-Attraktion, aber einige musikverständige Zuhörer erkennen auch, dass er mehr ist als das. Sie sehen in ihm einen großer Künstler und bewundern ihn aufrichtig. Baron Gottfried van Swieten zum Beispiel, der „Patriarch“ der Wiener Musikszene, lädt ihn immer wieder zu sich ins Haus, lässt sich von ihm Bach-Fugen vorspielen und findet daran so viel Gefallen, dass er ihn manchmal sogar über Nacht bei sich beherbergt. „Wenn Sie künftigen Mittwoch

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nicht verhindert sind, so wünsche ich Sie um halb neun Uhr abends mit der Schlafhaube im Sack bei mir zu sehen“, schreibt er am 15. Dezember 1794 auf ein kleines Billett. „Geben Sie mir unverzüglich Antwort. Swieten.“ Zu dieser Zeit wohnt Beethoven schon nicht mehr im Erdgeschoss des Hauses Alserstraße 45, sondern eine Etage darüber, bei seinem neuen Gönner Fürst Karl Lichnowsky. Der Fürst und seine Frau haben ihm vorgeschlagen, in ihrer Wohnung zu logieren, und Beethoven hat das Angebot angenommen. Die Lichnowskys sind hochmusikalisch und überschütten ihren Gast mit Bewunderung und Zuneigung. Da sie regelmäßig Kammerkonzerte veranstalten, hat Beethoven nun die Gelegenheit, vor einem kleinen illustren Kreis von Musikkennern nicht nur als Pianist zu brillieren, sondern darüber hinaus auch noch seine neuesten Kompositionen vorzuführen. 1795 tritt er zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auf. Am 29. März spielt er im Burgtheater eine eigene Komposition – vermutlich sein Klavierkonzert in B-Dur, das erst in letzter Minute fertig geworden ist. Über diesen Abend wird in der Wiener Zeitung berichtet: „Zum Zwischenspiel hat […] der berühmte Herr Ludwig van Beethoven mit einem von ihm selbst verfaßten ganz neuen Konzerte auf dem Pianoforte den ungetheilten Beifall des Publikums geärndtet.“ Am folgenden Tag steht er erneut auf dem Podium und begeistert seine Zuhörer mit freien Improvisationen. Vierundzwanzig Stunden später ist er wieder zu hören – diesmal mit einem Klavierkonzert von Mozart. Wenige Wochen nach diesen Auftritten erscheint in der Wiener Zeitung eine Anzeige: „Pränumeration auf Ludwig van Beethoven‘s 3 große Trios für das Pianoforte, Violin und Baß, welche binnen 6 Wochen bei dem Verfasser […] zu haben sein werden.“ Beethoven macht Reklame für seine neuen Klaviertrios, die soeben im Druck erschienen sind. Lange hat er gewartet, bis er ein Werk für würdig befunden hat, eine Opus-Zahl zu tragen. Nun ist es soweit. Die Trios sind ihm so gut gelungen, dass er sie als sein Opus 1 herausgeben will. Fürst Lichnowsky finanziert die Druckkosten und sorgt auch für eine erfolgreiche Werbung. Alles, was in Wien Rang und Namen hat, trägt sich in den folgenden Wochen in die Subskribentenliste ein: die Fürsten Esterhazy, Liechtenstein, Lobkowitz, Odescalchi und Schwarzenberg, die Gräfinnen Brown, Brunsvick, Fries und Kinsky, die Grafen Dietrichstein, Harrach, Keglevich, Rasumovsky, Thun und Dutzende von weiteren vornehmen Personen. Insgesamt werden 241 Exemplare verkauft, und Beethoven macht dabei ein gutes Geschäft. Drei Jahre zuvor hat er noch ängstlich jeden Kreuzer notiert, den er gelegentlich ausgeben musste, um „für Haidn und mich“ ein bisschen Kaffee oder Schokolade zu kaufen. Jetzt, am Ende des Jahres 1795 kann er sich einen eigenen Bedienten und ein eigenes Pferd leisten, und er braucht sich auch keine Sorgen mehr um seine Brüder zu machen. Beide sind ihm inzwischen nach Wien gefolgt und können sich selbst am Leben erhalten. Karl hat als Musiklehrer schon einen Kreis von Schülern gewonnen, und Johann ist mittlerweile in einer Apotheke fest angestellt. Von Februar bis Juli 1796 geht Beethoven auf Konzerttournee. Er reist nach Prag, Dresden, Leipzig und Berlin, wo er – zusammen mit dem Cellisten Jean-Louis Duport – am Hof vor König Friedrich Wilhelm II. seine zwei neuen Sonaten für Cello und Klavier vorspielt. Wie ein Kind freut er sich, als der König ihm zum

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Dank eine mit Geld gefüllte Tabakdose überreicht, und später wird er voller Stolz berichten, dass es sich um keine gewöhnliche Dose gehandelt habe, sondern um „eine der Art, wie sie den Gesandten wohl gegeben werden.“ Noch im selben Jahr gibt er ein weiteres Konzert in Pressburg, und zwei Jahre später verreist er gleich mehrere Male nach Prag, wo man ihm immer wieder großen Beifall spendet. Glücklich schreibt er seinem Bruder Johann von einer dieser Reisen: „Meine Kunst erwirbt mir Freunde und Achtung, was will ich mehr. Auch Geld werde ich diesmal ziemlich bekommen.“ Und seinem Freund Wegeler teilt er mit: „Mir geht’s gut, und ich kann sagen: immer besser. Glaubst Du, daß es jemanden freuen wird, so grüße von meiner Seite.“ Diese ersten Wiener Jahre sind Jahre der Triumphe, und Beethoven genießt seinen jungen Ruhm. Er bekommt immer mehr Kompositionsaufträge und wird von seinen Gönnern mit Geld und Geschenken überhäuft. Zunächst ist er noch sehr darauf bedacht, sich ihrem Lebensstil anzupassen und legt Wert auf elegante, standesgemäße Garderobe. Doch je berühmter er wird, umso weniger bemüht er sich um Äußerlichkeiten, und bald legt er seine höfische Kleidung ganz ab. Frau von Bernard, eine Wiener Pianistin, die zu seinem Bekanntenkreis gehört, erinnert sich: „Sein Anzug war sehr gewöhnlich und nicht entfernt von der Gewähltheit, die in jenen Tagen und besonders in unsern Kreisen üblich war. Dabei sprach er sehr im Dialekt und in einer etwas gewöhnlichen Ausdrucksweise, wie denn überhaupt sein Wesen nichts von äußerer Bildung verriet, vielmehr unmanierlich in seinem ganzen Gebaren und Benehmen war.“ Beethoven gefällt sich in der Rolle des Außenseiters. Er tritt mit dem Anspruch des Genies auf, und sein Auftreten ist zuweilen arrogant und brüskierend. „[…] mit Menschen, welche nicht an mich glauben wollen, weil ich noch nicht den allgemeinen Ruf habe, mag und kann ich nicht umgehen,“ gibt er im Beisein des Fürsten Lobkowitz von sich, und selbst die Familie Lichnowsky wird von seinem Hochmut nicht verschont. „Er war sehr stolz,“ erzählt Frau von Bernard, „ich habe gesehen, wie die Mutter der Fürstin Lichnowsky, die Gräfin Thun, vor ihm, der in der Sofaecke lehnte, auf den Knien lag, ihn zu bitten, er möge doch etwas spielen. Beethoven tat es aber nicht.“ Vorspielen müssen ist ein Reizthema für ihn. Beethoven lässt sich nicht vorführen. Überhaupte weigert er sich, sein Freiheitsbedürfnis zu unterdrücken und Dinge zu tun, die man von ihm erwartet. Auch die Gastfreundschaft der Lichnowskys erträgt er nicht lange, weil er sich eingeengt fühlt durch ihre übertriebene Aufmerksamkeit und ihre zwanghaften Gewohnheiten. „Nun soll ich […] täglich um halb 4 zu Hause sein, mich etwas besser anziehen, für den Bart sorgen u.s.w. – Das halt‘ ich nicht aus!“, beklagt er sich bei seinem Freund Wegeler und zieht schon im Mai 1795 wieder aus der Wohnung seiner Wohltäter aus. Fürst Karl hat Verständnis für ihn und zahlt ihm sogar eine Jahresrente von 600 Gulden. Beethoven ist ihm sehr dankbar dafür. Er revanchiert sich mit Widmungen und bezeichnet ihn jahrelang als einen seiner treuesten Freunde – bis er sich mit ihm so überwirft, dass er in einem Anfall von Wut seine Büste auf dem Boden zerschmettert. Wutanfälle sind bei ihm keine Seltenheit. Er ist launisch und reizbar, sprunghaft in seinem Verhalten und von extremen Stimmungen abhängig. Mal ist er liebens-

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würdig – mal abweisend, mal missmutig – mal gut gelaunt. Er kann witzig und humorvoll sein und in dröhnendes Lachen ausbrechen, dann wieder kann er jähzornig werden und seine Umgebung übel beschimpfen. „Komme er nicht mehr zu mir! er ist ein falscher Hund und falsche Hunde hole der Schinder,“ schreibt er dem Komponisten Nikolaus Hummel nach einem heftigen Streit. Am nächsten Tag ist er völlig zerknirscht und bittet ihn um Verzeihung: „Hertzens Natzerl! Du bist ein ehrlicher Kerl und hattest Recht, das sehe ich ein; komm also diesen Nachmittag zu mir, […] Dich küsst Dein Beethoven auch Mehlschöberl genannt.“ Beethoven kennt seine Schwächen und versucht sie zu erklären: „Ich habe die Gabe, daß ich über eine Menge Sachen meine Empfindlichkeit verbergen kann; werde ich aber auch einmal gereizt zu einer Zeit, wo ich empfänglich für den Zorn bin, so platze ich auch stärker raus als jeder andere.“ Selbstkritisch erklärt er: „Ich gestehe, man soll sich nie vom Zorn hinreißen lassen“, rechtfertigt sich aber sofort mit dem Zusatz: „denn ich bin auch ein Mensch, von allen Seiten gehetzt wie ein Tier …der Menschenkenner wird mich entschuldigen.“ Tatsächlich trifft er auf viele solcher „Menschenkenner.“ Seine adeligen Verehrer sind geradezu fasziniert von seinem unkonventionellen, kompromisslosen Verhalten. Sie verzeihen ihm jede Grobheit, vergöttern ihn maßlos, und Beethoven lässt sich dies gern gefallen. Sein Glaube an sich und seine Kunst ist mittlerweile unerschütterlich geworden, und er spürt die Macht, die er dadurch gewonnen hat. Mehr als einmal gibt er zu verstehen, er betrachte sich als Adeligen des Geistes und fühle sich den „sogenannten großen Herrn“ mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. „Hol‘ Sie der Teufel, ich mag nichts von ihrer ganzen Moral wissen,“ schreibt er seinem Freund Nikolaus von Zmeskall. „K r a f t ist die Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige.“ Beethoven, das exzentrische Genie, ist elitär geworden. Haydn nennt ihn spöttisch „Großmogul“, und in Kollegenkreisen spricht man inzwischen von seinem „etwas hohen Ton“, ja sogar davon, dass er „ein böses Maul“ hat. Kreist er tatsächlich nur noch um sich selbst und seine Kunst? Was ist aus seinen alten Bonner Idealen geworden? Er hat sie nicht vergessen, doch er redet nicht darüber, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Am 22. Mai 1793 schreibt er einem privaten Besucher einige Worte aus Schillers Don Carlos ins Stammbuch, die verraten, worüber er nachdenkt: „Wohltun, wo man kann – Freiheit über alles lieben – Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht verleugnen.“ Es sind gefährliche Worte. In Wien können sie ihn Kopf und Kragen kosten, denn in Wien wird jeder verfolgt, der revolutionäre Ideen verbreitet. Die Zeiten des aufgeklärten Absolutismus in Österreich sind längst vorbei. Kaiser Franz II. hat die Reformen seines Onkels Joseph II. wieder rückgängig gemacht und regiert sein Land mit repressiven Methoden. Seit Ausbruch des Krieges gegen Frankreich geht er rigoros vor gegen aufgeklärte Oppositionelle, die seine Monarchie gefährden könnten. Der Polizeiapparat ist verstärkt worden, Zeitungen, Bücher und Bühnenstücke werden streng zensiert und überall sind Regierungsspione im Einsatz. „Hier hat man verschiedene Leute von Bedeutung eingezogen,“ teilt Beethoven am 2. August 1794 seinem Bonner Freund Nikolaus Simrock mit, „man

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sagt, es hätte eine Revolution ausbrechen sollen. Aber ich glaube, solange der Österreicher noch braun‘s Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht. Es heißt, die Töre zu den Vorstädten sollen nachts um 10 Uhr gesperrt werden. Die Soldaten haben scharf geladen. Man darf nicht zu laut sprechen, sonst gibt die Polizei einem Quartier.“ Beethoven macht sich lustig über die Wiener. Eine Revolution traut er ihnen nicht zu, und er empfindet wohl so etwas wie Überlegenheit. Aber er hat auch ganz andere Gefühle. „Sie müssen doch auch jetzt in Angst leben“, schreibt er Simrock und lässt mit dieser Bemerkung erkennen, dass er wohl nicht nur an die Angst der Bonner vor den französischen Besatzungstruppen denkt, sondern auch an seine eigene Angst vor den Wiener Verhältnissen. Beethoven fürchtet sich vor dem Polizeistaat. Er hat einen Horror davor, bespitzelt zu werden und durch unvorsichtige Bemerkungen seine Karriere zu gefährden. Nie mehr wird er sich schriftlich über Themen wie Freiheit, Wahrheit und Menschlichkeit äußern; auch sonst verhält er sich in den nächsten Jahren unauffällig und kehrt nicht den Revolutionär heraus. Beethoven, der aufsässige, unangepasste Künstler scheint sich – politisch gesehen – nach außen hin anzupassen. Obwohl Politik sein „Lieblingsthema“ ist, behält er seine Meinung für sich und teilt sie wohl nur seinen Freunden und Gleichgesinnten mit. Frühjahr 1796. Der junge General Napoleon Bonaparte übernimmt in Oberitalien das Kommando über die französische Armee und führt seine Truppen von Sieg zu Sieg. Innerhalb weniger Monate besetzt er die Lombardei, Bologna, Ferrara und Toskana, belagert die Festung Mantua und schlägt das österreichische Heer bei Castiglione, Arcole und Rivoli. Kaiser Franz befürchtet das Schlimmste. Im August ruft er die Bevölkerung zur Verteidigung des Vaterlandes auf und appelliert an die führenden Köpfe, geeignete Mittel zu finden, um „die Begeisterung des Volkes für den Krieg zu erwecken und […] auf die ‚Gefahren des Friedens‘ aufmerksam zu machen.“ Sein Aufruf löst eine Welle patriotischer Gefühle aus. Truppen von Freiwilligen bilden sich, um gegen Napoleon zu Felde ziehen. Zahlreiche Dichter und Musiker produzieren vaterländische Lieder. Zum Geburtstag des Kaisers komponiert Joseph Haydn eine Hymne auf „Franz den Kaiser“, und auch Beethoven liefert zwei Beiträge zur nationalen Unterstützung. Im Oktober komponiert er für das Wiener Freiwilligenkorps den Abschiedsgesang an Wiens Bürger, und ein halbes Jahr später liefert er noch den Soldatenchor Kriegslied der Österreicher“ nach. Ist er tatsächlich zum österreichischen Patrioten geworden? Am 17. Oktober 1797 wird im Frieden von Campo Formio der Koalitionskrieg zwischen den feindlichen Mächten beendet. Napoleon hat die Habsburger besiegt und diktiert nun auch die Bedingungen. In Mailand, Mantua, Modena, Parma, Bologna und Genua – überall werden Republiken nach französischem Vorbild gegründet, die die Souveränität des Volkes und die Menschenrechte garantieren. Im Februar 1798 schickt das Pariser Direktorium den jungen General Jean Baptiste Bernadotte als Botschafter nach Wien, um Verhandlungen mit dem Hof aufzunehmen. Zum Ärger der Wiener Bevölkerung trägt Bernadotte seine Siegermentalität offen zur Schau. Auf dem Balkon seines Hauses lässt er die Trikolore hissen und

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führt ein gastliches Haus, in dem bald die Sympathisanten der Revolution ein und aus gehen. Auch Beethoven verkehrt nun in diesem Zirkel. Bernadotte schätzt ihn und macht ihm anscheinend eines Tages den Vorschlag, Napoleon, „den größten Helden des Zeitalters in einem Tonwerk“ zu „feiern“. Dies jedenfalls wird Anton Schindler später behaupten. Der Frieden von Campo Formio hält nicht lange an, die Kriege gehen weiter. Am 9. November 1799 stürzt Napoleon durch einen Staatsstreich das Pariser Direktorium und übernimmt als „Erster Konsul“ die Macht in Frankreich. Im Frühsommer überquert er die Alpen und besiegt die Österreicher bei Marengo. Nach einem weiteren Sieg bei Hohenlinden, Anfang Dezember, gibt sich Kaiser Franz geschlagen und unterzeichnet am 9. Februar 1801 den Friedensvertrag von Lunéville, der dem verhassten Franzosen die Vorherrschaft über das linke Rheinufer bestätigt und die Anerkennung der Batavischen, Helvetischen und Ligurischen Republik. Napoleon, der Sieger, hat die Aura eines unbezwingbaren Helden gewonnen. Für unzählige Intellektuelle in ganz Europa ist er inzwischen zum großen Hoffnungsträger geworden, zum Symbol für die Freiheit, zum Retter der unterdrückten Völker. Dichter verfassen Oden und Epen über ihn, Goethe nennt ihn den „alles bewegenden Genius“, Hölderlin den „Allgenannten“, Wieland beschreibt den Korsen als einen liebenswürdigen jungen Mann „von großem, hohem Geist […] wie es in jedem Jahrhundert kaum e i n e n giebt“. Auch Beethoven bewundert ihn. Er hat eine Vorliebe für außergewöhnliche Menschen, für Männer, die sich „vor anderen auszeichnen“ – so wie er selbst. Napoleon ist sein Idol. Er vergleicht ihn mit „den größten römischen Consuln“ und zieht Parallelen zwischen den politischen Zielen seines Helden und den Prinzipien des platonischen Idealstaates. „Er lebte in dem festen Glauben, Napoleon geht mit keinem anderen Plane um, als Frankreich nach ähnlichen Prinzipien zu republikanisieren,“ schreibt Schindler, „und somit sei – nach seiner Meinung – der Anfang zu einem allgemeinen Weltglück gemacht.“ Das allgemeine „Weltglück“ hat Beethoven nicht aus den Augen verloren – trotz seines Umgangs mit den Vornehmen und Reichen, trotz seiner persönlichen Erfolge. Vielleicht war er in den letzten zehn Jahren zu viel mit sich selbst und seiner Karriere beschäftigt, um seinen politischen und idealistischen Träumen allzu sehr nachzuhängen. Vielleicht hat er aus Angst vor der Zensur auch taktiert und seine Visionen beiseite geschoben. Nun jedoch, am Anfang des neuen Jahrhunderts, in einer Lebensphase voller Höhen und Tiefen, rücken sie wieder in den Vordergrund. Als er im Januar 1801 den Auftrag bekommt, die Musik für Salvatore Viganos Tanzspiel Die Geschöpfe des Prometheus zu komponieren, macht er sich sofort an die Arbeit. Prometheus, der Lichtbringer und Wohltäter der Menschheit – das ist ein Stoff, für den er sich begeistert. Im Finale des Balletts feiert er den antiken Titanen mit einem Es-Dur Thema, das musikalisch an die Hymne à la liberté – die Hymne des französischen Konsulats – erinnert. Ist das Zufall oder eine versteckte Huldigung an Napoleon, den man in der Dichtung bereits als „neuen Prometheus“, als „Bekämpfer des Despotismus und als Befreier der Menschheit“ verherrlicht?

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Der reale Napoleon macht es ihm nicht leicht. Kritisch verfolgt Beethoven seine Versöhnungspolitik mit der katholischen Kirche und ist entsetzt, als der Korse Mitte Juli 1801 ein Konkordat mit Papst Pius VII. abschließt. Er betrachtet diesen Vorgang als Verrat und ist so wütend auf Bonaparte, dass er sogar einen Kompositionsauftrag verweigert. Als die Verleger Hoffmann und Kühnel ihn Ende des Jahres bitten, eine Sonate über die Französische Revolution zu schreiben, ignoriert Beethoven zunächst diesen Vorschlag, doch als sie ihn weiter bedrängen, schreibt er ihnen am 8. April 1802 einen höhnischen Brief: „Reit Euch denn der Teufel insgesamt meine Herren – mir vorzuschlagen eine solche Sonate zu machen? – Zur Zeit des Revolutionsfiebers – nun da wäre das so etwas gewesen, aber jetzt da sich alles wieder ins alte Geleis zu schieben sucht, Bonaparte mit dem Papste das Konkordat geschlossen – so eine Sonate? – Wär’s noch eine Missa pro sancta Maria à tre voci oder eine Vesper usw. – nun da wollt ich gleich den Pinsel in die Hand nehmen und mit großen Pfundnoten ein Credo in unum hinschreiben, – aber du lieber Gott eine solche Sonate zu diesen angehenden christlichen Zeiten – hoho! – da laßt mich aus, da wird nichts daraus.“ Zwei Wochen später zieht Beethoven sich nach Heiligenstadt zurück. Bedrückt von der Angst, sein Gehör zu verlieren, erhofft er sich Hilfe durch eine Badekur, doch die Hoffnung zerschlägt sich. Sein Hören verbessert sich nicht, und die Gewissheit, unheilbar taub zu werden, wird von Tag zu Tag größer. Fünf Monate bleibt er auf dem Land, und es werden sehr einsame Monate. Zunächst gelingt es ihm, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er komponiert unter anderem zwei große Variationszyklen für Klavier und macht sich Skizzen für ein neues Orchesterwerk, seine dritte Sinfonie. Dann aber, Anfang Oktober, stürzt er mit einem Mal in einen Zustand tiefer Verzweiflung, der ihn beinahe das Leben kostet. Er kämpft gegen seinen Untergang – und besiegt die zerstörerischen Gedanken. Seine Kunst hält ihn vom Selbstmord ab. „[…] ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte“, schreibt er in sein Heiligenstädter Testament. „[…] selbst große Handlungen verrichten, dazu war ich immer aufgelegt.“ Die Krise hat ihn verändert. Beethoven will sein Leben nun ausschließlich der Kunst widmen und diesem Ziel seine ganze Kraft und Kreativität unterordnen, um „in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden.“ Ohne äußeren Anlass, aus einem inneren Drang heraus, komponiert er in den nächsten Monaten seine dritte Sinfonie. Die Länge der Sätze, der gewaltige Orchesterklang, die kraftvollen Fugati, der düstere Trauermarsch, das unaufhaltsame Drängen von den Anfangstakten bis zum Finale – für all das gibt es keine Vorbilder. Diese Musik hat nichts Unterhaltendes mehr. Ihre Tonsprache klingt heroisch, die Marschrhythmen, Paukenschläge und Bläserfanfaren sind aus dem Klangarsenal der französischen Revolutionsmusik entnommen, der gesamte Prozessverlauf scheint seelische Konflikte widerzuspiegeln – Trauer, Kämpfe und einen triumphalen Sieg. Teile und Satzfolge zeigen verblüffende Übereinstimmungen mit der Balletthandlung des Prometheus. Zwischen der Durchführung im Kopfsatz und der danza eroica im Ballett besteht ein enger Zusammenhang. Der Trauermarsch nimmt Bezug

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auf die tragische Szene, in der Prometheus von Melpomene getötet wird. Das Scherzo ist eine Art Seitenstück zur scherzhaft-spielerischen Szene, in der der Titan wieder zum Leben erweckt wird. Dem Finale schließlich liegt der gleiche Kontretanz zu Grunde, der auch Hauptthema im Ballettfinale ist. Doch nicht nur Prometheus, der Titanensohn, wird in der Sinfonie heraufbeschworen, sondern auch Napoleon, der Abgott der Zeit. „Bei dieser Symphonie hatte Beethoven sich ‚Buonaparte‘ gedacht, aber diesen, als er noch erster Consul war“ wird sich Ferdinand Ries Jahre später erinnern. „Sowohl ich als Mehrere seiner näheren Freunde haben diese Symphonie schon in Partitur abgeschrieben auf seinem Tische liegen gesehen, wo ganz oben auf dem Titelblatte das Wort ‚Buonaparte’, und ganz unten ‚Luigi van Beethoven’ stand, aber kein Wort mehr.“ Spätestens nach den traumatischen Tagen von Heiligenstadt muss Beethoven den Plan gefasst haben, eine musikalische Hommage auf den Korsen zu schreiben. Er verknüpft den Mythos Prometheus mit dem Mythos Bonaparte zu einer Leitidee und formt sie musikalisch um in eine große Sinfonie. Ein ganzes Jahr lang arbeitet er an der Komposition, dann, um die Jahresmitte 1803, ist das Werk endlich abgeschlossen. Er will die Sinfonia grande seinem Idol Bonaparte widmen – doch die Widmung wird nicht zustande kommen. Auch das Titelblatt wird niemals gefunden. Es entwickelt sich alles ganz anders. 20. September 1803. Wieder einmal korrespondiert Beethoven mit seinen Verlegern Hoffmeister und Kühnel in Leipzig, und wieder einmal geht es um Geschäfte. Er unterschreibt einen Vertrag, akzeptiert ein Preisangebot, bietet ein neues Werk an und verabschiedet sich schließlich mit ein paar höflichen Floskeln: „Jetzt lebt wohl, ich kann Euch nichts anderes wünschen, als daß es Euch herzlich wohl gehe, und ich wollte Euch alles schenken, wenn ich damit durch die Welt kommen könnte; aber – bedenkt nur, alles um mich her ist angestellt und weiß sicher, wovon es lebt, aber du lieber Gott, wo stellt man so ein parvum talentum com ego an den kaiserlichen Hof?“ Beethoven ist enttäuscht. Trotz seiner Erfolge fühlt er sich als freischaffender Musiker sehr unsicher und versucht seit Jahren, eine Stelle am Hof zu bekommen. Doch eine solche Stelle ist ihm bisher nie angeboten worden. Nun kommt er auf einen alten Plan zurück, den er schon lange im Kopf hat. Beiläufig hatte er bereits im Juni 1801 an Wegeler geschrieben, dass „Paris besser als Wien sei“, wenn er sein Glück machen wolle. Jetzt ist er endgültig entschlossen, Wien zu verlassen und nach Paris zu übersiedeln, in die Stadt Bonapartes, die Metropole der freien Republik Frankreich. Der Umzug soll in anderthalb Jahren stattfinden, wenn der Auftrag zur Oper Vestas Feuer zu Ende geführt ist. Seine neue dritte Sinfonie will er dann mit nach Paris nehmen, um sich dort in der Öffentlichkeit zu präsentieren und das Werk als eine Art musikalischer Visitenkarte auszuspielen. In diesem Herbst 1803 jedoch geht es ihm zunächst um die Drucklegung des neuen Opus. Während sein Bruder Kaspar Karl mit dem Verlagshaus Breitkopf und Härtel verhandelt, versucht Ferdinand Ries in Beethovens Auftrag, mit Nikolaus Simrock ins Geschäft zu kommen. Am 22. Oktober bietet Ries dem Bonner Verleger die Sinfonie „für 100 Gulden“ zum Kauf an und teilt ihm gleichzeitig mit, Beethoven, habe „viel

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Lust, selbe Bonaparte zu dedizieren, wenn nicht, weil Lobkowitz sie auf ein halb Jahr haben und 400 Gulden geben will, so wird sie Bonaparte genannt.“ Fürst Lobkowitz interessiert sich tatsächlich für die Sinfonie. Er hat Beethoven ein hohes Honorar für das private Erstaufführungsrecht geboten, das üblicherweise auf ein halbes Jahr befristet ist und rechnet wohl auch mit einer Widmung des Werks. Weiß er, dass Beethoven vorhat, die Sinfonie Bonaparte zuzueignen, dem Feind der Österreicher? Ist er, der enthusiastische Patriot, deshalb mit seinem Honorarangebot so großzügig gewesen? Beethoven scheint in einem Dilemma zu sein. Einerseits ist er fest entschlossen, den Paris-Plan und die Widmung der Sinfonie an Napoleon nicht aufzugeben. Andererseits ist das Honorar von Lobkowitz natürlich verlockend, und im Übrigen ist er auf dessen Hausorchester angewiesen, wenn er die schwierige Sinfonie vor der öffentlichen Aufführung erst einmal proben und korrigieren will. In seiner Verlegenheit findet er jedoch eine Lösung. Er gibt der Sinfonie vorerst nur den Namen Bonaparte, und anscheinend erfährt Fürst Lobkowitz nichts davon, oder er ist damit zufrieden. Die Widmungsfrage allerdings wird zunächst nicht geklärt. 18. Mai 1804. In Paris beschließt der Senat, den Ersten Konsul von Frankreich, Napoleon Bonaparte, zum Kaiser zu ernennen. Die Nachricht geht um die Welt. Beethoven erfährt sie Ende Mai von Ferdinand Ries und ist völlig schockiert. Später wird Ries darüber berichten: „Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Buonaparte habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‚Ist der auch nichts anders, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen; er wird sich nun höher, wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden!’ Beethoven ging an den Tisch, fasste das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde.“ Nach diesen Ereignissen sind auch Beethovens Umzugspläne nach Paris gegenstandslos geworden. Er bittet Fürst Lobkowitz, ihm Gelegenheit zu geben, seine Sinfonie in privatem Rahmen aufführen zu können, und der Fürst stellt ihm nicht nur den Musiksaal seines Wiener Palais zu Verfügung sondern auch die eigene Hauskapelle sowie zusätzlich engagierte Wiener Musiker. Ende Mai, Anfang Juni 1804 kann Beethoven mit einem Ensemble von 29 Musikern zwei Tage lang sein anspruchsvolles Werk proben, verbessern und vor allem die Länge des ersten Satzes überprüfen, ohne dass ihn anwesende Gäste stören. Lobkowitz scheint begeistert zu sein, denn er dehnt sein Recht, die Sinfonie zum privaten Gebrauch zu nutzen „späterhin […] auf einige Jahre aus“ und verschafft sich mit einer wahrhaft fürstlichen Gage auch die Option auf die Widmung. Am 26. Oktober lässt er Beethoven 700 Gulden überweisen, am 29. Oktober fügt er noch 80 Golddukaten hinzu, und seine Großzügigkeit scheint kein Ende zu nehmen. Er übernimmt auch sämtliche Kosten der Wiener Erstaufführung, die am 20. Januar 1805 im Rahmen einer halböffentlichen Veranstaltung stattfindet – insgesamt noch einmal 198 Gulden. Elf Wochen später, am Sonntag, dem 7. April 1805, dirigiert Beethoven seine Sinfonie zum ersten Mal öffentlich im Theater an der Wien vor einem großen Publikum. Seine Freunde klatschen begeistert Beifall, doch die meisten Zuhörer reagie-

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ren verwirrt. Einer schreit von der Galerie: „Ich gäb’ noch einen Kreuzer, wenn’s nur aufhört,“ andere sind ebenfalls empört und finden die Musik „unerträglich.“ In der Kritik heißt es ein paar Tage später: „Das Publicum und H. v. Beethoven […] waren an diesem Abend nicht miteinander zufrieden. Dem Publicum war die Symphonie zu schwer, zu lang, und B. selbst zu unhöflich, weil er auch den beifallklatschen Theil keines Kopfnickens würdigte. Beethoven im Gegentheile fand den Beifall nicht auszeichnend genug.“ Die Zuhörer ahnen nichts von den Geheimnissen dieser Musik. Von Bonaparte, einem zerstörten Titelblatt und geplanten Widmungen. Beethoven selbst hat die Spuren für immer beseitigt. Oder doch nicht? Seine spontane Reaktion auf Napoleons Krönungsabsichten war offenbar keine endgültige Entscheidung. Im August 1804, zwei Monate nach Bekanntwerden der Nachricht aus Frankreich – also etwa zwei Monate nach Beethovens Wutanfall – ist auf dem völlig unversehrten Titelblatt seines Partitur-Handexemplars noch zu lesen: „Sinfonia grande intitolata Bonaparte del Sigr Louis van Beethoven“ – große Sinfonie, Bonaparte gewidmet von Ludwig van Beethoven. Erst danach werden die Worte „Intitolata Bonaparte“ ausradiert, und zwar so heftig, dass anstelle des Namens Bonaparte ein Loch im Papier entsteht. Das Datum ist angegeben: „[1]804 im August.“ Vier Zeilen tiefer fügt Beethoven später mit Bleistift hinzu: „geschrieben auf Bonaparte.“ Im selben Monat, am 26. August 1804, korrespondiert er mit Breitkopf und Härtel und fragte an, ob der Verlag sein neues Werk in Druck nehmen will. „Die Simphonie ist eigentlich betitelt Ponaparte,“ schreibt er hinzu, „ich glaube, sie wird das Musikalische Publikum interessieren.“ Wie ist dieser scheinbare Gesinnungswandel zu erklären? Trotz seiner Empörung über die Kaiserkrönung hält Beethoven an seiner Werkidee fest. Die Sinfonie ist „eigentlich“ auf Bonaparte geschrieben. Ihre wortlose Botschaft, ihr ästhetischer Gehalt, der „innere ideelle Zusammenhang“ – dies alles ist unauslöschlich mit Napoleon verbunden, mit seinem Mythos, oder – genauer gesagt – mit dem Bild, das sich Beethoven von seinem Helden gemacht hat. Dazu bekennt er sich nach wie vor. Die Verhandlungen mit dem Verlag ziehen sich lange hin. Im Januar 1805 schickt Beethoven die Sinfonie nach Leipzig, erhält sie aber am 21. Juni wieder zurück, da keine Einigung über das Honorar zustande gekommen ist. Zur gleichen Zeit bricht der Krieg wieder aus. Am 13. November 1805 erobert Napoleon die Stadt Wien, am 2. Dezember siegt er in der Schlacht bei Austerlitz über die österreichische Armee. Zehn Monate später erscheint Beethovens dritte Sinfonie im Kunst- und Industriekontor. In einer Anzeige der Wiener Zeitung vom 19. Oktober 1806 gibt der Verlag ihren neuen Titel bekannt: Sinfonia Eroica composta per festeggiare il sovvenire di un grand’Uomo e dedicata a Sua Altezza Serenissima il Principe di Lobkowitz da Luigi van Beethoven op. 55 – Eine heroische Sinfonie, komponiert, um das Andenken an einen großen Mann zu feiern und seiner Hoheit, dem Fürsten Lobkowitz, gewidmet von Ludwig van Beethoven op. 55.

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Den Namen des „großen Mannes“ gibt Beethoven nicht preis. Ist es Napoleon? Oder etwa der preußische Prinz Louis Ferdinand, der so jung starb im Kampf gegen den mächtigen Franzosen? Beethoven hatte sich mit dem hochmusikalischen Preußenprinz schon 1796 angefreundet. Als Louis Ferdinand im Herbst 1804 nach Wien kam, um an österreichischen Manövern teilzunehmen und Sondierungsgespräche zu führen wegen eines gemeinsamen Vorgehens von Preußen und Österreich gegen Napoleon – bei dieser Gelegenheit traf Beethoven ihn wieder und widmete ihm sein Drittes Klavierkonzert op. 37. Der Prinz besuchte in diesem Herbst auch den Fürsten Lobkowitz auf seinem böhmischen Sommersitz und soll sich – wie später berichtet wird – möglicherweise dort oder anderswo „bei einem adeligen Kavalier“ Beethovens dritte Sinfonie dreimal hintereinander hat vorspielen lassen. Fest steht, dass Lobkowitz den Prinzen tief verehrte. Nach der Schlacht bei Austerlitz beschwor er ihn in einem Brief vom 2. Februar 1806, sich an „die Spitze des deutschen Chaos“ zu setzen und gegen Napoleon zu kämpfen. „Sie allein haben das Genie, den Geist der Bildung, den Mut, die Gefühle eines großmütigen, hohen und weiten Herzens, das notwendig ist, um das Wagnis einer Sache dieser Art zu unternehmen.“ Acht Monate später, am 15. Oktober 1806, starb Prinz Louis Ferdinand in einem Vorgefecht bei Saalfeld in Thüringen. Die Nachricht von seinem Tod sprach sich schnell herum, und der unglückliche Prinz wurde zum Helden erkoren. Zum Kriegshelden Preußens und Österreichs. Zum Symbol des Widerstands gegen den Unterdrücker Napoleon. Am 19. Oktober, also vier Tage nach dem Tod des Prinzen, erschien die Anzeige mit Beethovens Widmung in der Zeitung. Hat Fürst Lobkowitz am Ende dafür gesorgt, dass Beethoven diesen jungen Helden zum geheimen Widmungsträger seiner Sinfonia Eroica machte? Es gibt viele Vermutungen. Die Wahrheit wird wohl nie zu erfahren sein.

IV Lieder ohne Widerhall Ein Dichterfürst findet keine Worte

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Vielleicht war Schubert selbst auf die Idee gekommen, vielleicht aber war es auch Spaun oder einer von den anderen Freunden gewesen. Irgendjemand von ihnen hatte plötzlich diesen Einfall, und auf einmal waren alle Feuer und Flamme. Schubert musste Goethe ein paar Lieder widmen! Das würde Eindruck machen bei den Verlegern. Goethes Name auf dem Titelblatt könnte Wunder bewirken. Man bräuchte nur seine Genehmigung einzuholen. Spaun beschloss, die Sache in die Hand zu nehmen. Schubert sollte die Noten zusammenstellen, den Rest würde er dann selbst besorgen. So wurde es abgemacht, und drei Tage nach Ostern war es dann endlich so weit. Wien. Landskrongasse 621, 2. Stock. Josef von Spaun, ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren, sitzt an seinem Schreibtisch und denkt über einen Brief nach, den er dem Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe schreiben will. Sein Freund Franz Schubert hat ein Heft mit Abschriften seiner schönsten Goethe-Lieder vorbereitet, und dieses Heft soll nun, an diesem Mittwoch, dem 17. April 1816, mit einem Begleitbrief nach Weimar geschickt werden. Spaun hat sich bereit erklärt, die Rolle des Briefschreibers zu übernehmen, weil er begeistert ist von Schuberts Liedern, und weil er auch Goethe dafür begeistern will. Was für wundervolle Kompositionen hat Schubert aus Goethes Gedichten gemacht! Allein der Erlkönig und das Gretchen am Spinnrade – wie packend, wie rührend hat er diese Texte vertont! So etwas wird auch der Herr Geheimrat noch nie gehört haben. Der Franz ist einfach ein Genie. Das weiß Spaun, und das wissen auch alle seine Freunde. Doch leider ist ihr Kreis immer noch viel zu klein, um ihn wirklich bekannt zu machen. Im offiziellen Wiener Musikleben hat man bisher keine Notiz von Schubert genommen, und die Verleger weigern sich, etwas von ihm zu drucken. Dabei hat er schon über fünfhundert Werke komponiert. Jetzt aber soll sich seine Situation endlich verbessern. Auf Anraten der Freunde hat sich Schubert dazu entschlossen, einige seiner Kompositionen herauszugeben. Als Erstes sollen acht Liederhefte erscheinen, nach verschiedenen Dichtern geordnet, und Goethe soll nach Möglichkeit dafür gewonnen werden. Wenn Goethe bereit ist, sich die Liedersammlung widmen zulassen und sich vielleicht sogar noch ein paar wohlwollende Worte dazu einfallen lässt, dann könnte das wirklich der große Durchbruch werden für Schubert. Er selbst ist jedoch viel zu schüchtern, um sich persönlich an Goethe zu wenden, deshalb will Spaun ihm helfen. Schließlich ist er nicht nur älter und selbstsicherer, sondern hat als Jurist auch die nötige Erfahrung im Formulieren solcher Schriftsätze. Er beginnt also zu schreiben: „Euer Exzellenz! Der Unterzeichnete waget es, Euer Exzellenz durch gegenwärtige Zeilen einige Augenblicke Ihrer so kostbaren Zeit zu rauben, und nur die Hoff-

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nung, daß beiliegende Liedersammlung Eurer Exzellenz vielleicht keine ganz unliebe Gabe sein dürfte, kann ihn vor sich selbst seiner großen Freiheit wegen entschuldigen. Die im gegenwärtigen Hefte enthaltenen Dichtungen sind von einem 19jährigen Tonkünstler namens Franz Schubert, dem die Natur die entschiedensten Anlagen zur Tonkunst von zartester Kindheit an verlieh, welche Salieri, der Nestor unter den Tonsetzern, mit der uneigennützigsten Liebe zur Kunst zur schönen Reife brachte, in Musik gesetzt. Der allgemeine Beifall, welcher dem jungen Künstler sowohl über gegenwärtige Lieder als seine übrigen, bereits zahlreichen Kompositionen von strengen Richtern in der Kunst sowie von Nichtkennern, von Männern sowie von Frauen zuteil wird, und der allgemeine Wunsch seiner Freunde bewogen endlich den bescheidenen Jüngling, seine musikalische Laufbahn durch Herausgabe eines Teils seiner Kompositionen zu eröffnen, wodurch [er] sich selber, wie nicht zu bezweifeln ist, in kurzer Zeit auf jene Stufe unter den deutschen Tonsetzern schwingen wird, die ihm seine vorzüglichen Talente anweisen. Eine auserwählte Sammlung von deutschen Liedern soll nun den Anfang machen, welchem größere Instrumental-Kompositionen folgen sollen. Sie wird aus 8 Heften bestehen. Die ersten beiden (wovon das erste als Probe beiliegt) enthalten Dichtungen Euer Exzellenz, das dritte enthält Dichtungen vom Schiller, das 4te und 5te vom Klopfstok, das 6te vom Mathißon, Hölty, Salis etcetc. und das 7 und 8te enthalten Gesänge Ossians, welche letztere sich vor allen auszeichnen. Diese Sammlung nun wünscht der Künstler Euer-Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen, dessen so herrlichen Dichtungen er nicht nur allein die Entstehung eines großen Teils derselben, sondern wesentlich auch seine Ausbildung zum deutschen Sänger verdankt. Selbst zu bescheiden jedoch, seine Werke der großen Ehre wert zu halten, einen, soweit deutsche Zungen reichen, so hoch gefeierten Namen an der Stirne zu tragen, hat er nicht den Mut, Euer Exzellenz selbst um diese große Gunst zu bitten, und ich, einer seiner Freunde, durchdrungen von seinen Melodien, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe wird gesorgt werden. Ich enthalte mich jeder weitern Anrühmung dieser Lieder, sie mögen selbst für sich sprechen, nur so viel muß ich bemerken, daß die folgenden Hefte dem gegenwärtigen, was die Melodie betrifft, keineswegs nachstehen, sondern selbem vielleicht noch vorgehen dürften, und daß es dem Klavier-Spieler, der selbe Euer Exzellenz vortragen wird, an Fertigkeit und Ausdruck nicht mangeln dürfe. Sollte der junge Künstler so glücklich sein, auch den Beifall desjenigen zu erlangen, dessen Beifall ihn mehr als der irgendeines Menschen in der weiten Welt ehren würde, so wage ich die Bitte, mir die angesuchte Erlaubnis mit zwei Worten gnädigst melden zu lassen. Der ich mit grenzenloser Verehrung verharre Euer Exzellenz gehorsamster Diener Josef Edler von Spaun“ Aus Weimar kommt keine Antwort. Das heißt – es kommt doch eine. Irgendwann in den nächsten Wochen wird in Wien in der Landskrongasse 621 ein kleines Päckchen abgeliefert. Ein Bündel Noten kommt zum Vorschein: Schuberts Liederheft,

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sonst nichts. Kein Brief. Keine Zeile. Kein Wort. Hat Goethe die Qualität der Lieder nicht erkannt? Oder ist er gekränkt, weil Spaun die Ossian-Gesänge höher eingestuft hat als seine Lyrik? Szenenwechsel. Weimar, Haus am Frauenplan. Zweite Hälfte April 1816. Ausschnitte aus den Tagebuchnotizen des Geheimrats Johann Wolfgang von Goethe. Sonnabend, 20. April: „Verschiedene Anordnungen. Im Garten. Genast courrente Dinge. ½ 11 Uhr zu der Herzogin. Zu Meyer. Zu Riemers. Mittags Demoiselle Seidler. Frau von Stein. Abends der Wald bey Herrmannstadt“. Montag, 22. April: „Spazieren gefahren. Mittag für uns … Im Garten. Abends allein.“ Dienstag, 23. April: „Rat Vulpius von Jena retour. Einladung zur Tafel. Spazieren gefahren. Bey Kanikoff mit von Plessen, von Gersdorff, Seebach, Fritsch, Lyncker, Riedesel zu Tisch.“ Mittwoch, 24. April: Um vier Uhr in der Menagerie.“ So geht es weiter. Von einem Liederheft aus Wien ist nicht die Rede. Jetzt nicht und auch nicht in den folgenden Tagen. Goethe hat viel zu tun. Seit dem 12. April arbeitet er an seiner Italienischen Reise, darüber hinaus hat er noch eine Menge anderer Dinge zu erledigen. Allein die Beantwortung von Bittgesuchen und Anfragen, die fast jeden Tag eintreffen, beschäftigen ihn Stunden, und schon vor Monaten hat er sich darüber beklagt, dass er „keine posttägliche Ruhe habe und viele Zeit wo nicht auf unentgeldliche responsa, doch wenigstens auf ein freundliches Ablehnen verwenden muß.“ Im Dezember des vorangegangenen Jahres ist Goethe zum Staatsminister ernannt worden und hat als eigenes Ressort die Leitung aller wissenschaftlichen und kulturellen Institute im Großherzogtum übernommen, die „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena“. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die ihn reizt, die aber zusätzlich viel Zeit kostet, denn mit dem neuen Amt ist er eine „öffentliche Person“ geworden und es ist ihm „manches Mühsame und Verwickelte zugefallen“, wie er seinem Freund, dem Komponisten Karl Friedrich Zelter, vor kurzem geschrieben hat. Dabei ist er intensiv mit der neuen Gesamtausgabe seiner Werke beschäftigt, die seit vorigem Jahr erscheint und hat nach wie vor auch noch als Theaterintendant alle Hände voll zu tun. Ganz abgesehen davon, dass er dem Großherzog Carl August und anderen wichtigen Personen als Gesprächspartner und Berater zur Verfügung stehen muss. Zu all dem kommen noch andere Belastungen. Goethes Frau Christiane ist schon seit längerer Zeit schwer krank. Im Januar 1815 hatte sie einen Schlaganfall und war „2 Querfinger vom Tode“. Sie erholte sich zwar, hat aber seither immer wieder unter äußerst schmerzhaften Krämpfen im Unterleib zu leiden, und auch jetzt, in diesen Frühlingstagen des Jahres 1816, geht es ihr nicht gut. Am Ostersamstag, dem 13. April, schreibt sie selbst in ihr Tagebuch: „Nicht gar wohl … Abends kränker.“ Am 14. April notiert sie „Magenkrämpfe“. Am 6. Mai: „Über Tisch Anfall von Magenkrämpfen.“ Christiane lässt sich jedoch nicht gehen. Sie empfängt Gäste, macht Besuche, kümmert sich um den Garten, geht anderen täglichen Pflichten nach. „Hauswirthschaftl. Besorgungen. Noch immer wegen kalter regenhafter unfreundlicher Witterung kränklich“, heißt es am 10. Mai in ihren Notizen.

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Einen Tag später verreist Goethe in Sachen „Oberaufsicht“ für ein paar Wochen nach Jena. Christiane nutzt seine Abwesenheit, um gemeinsam mit dem Dienstpersonal das große Haus zu reinigen. Das ist zuviel für sie. „Eine starke Ohnmacht, eine Art Blutschlag“ wirft sie zu Boden. Eine Woche später folgen erneut heftige Anfälle. Besorgt fährt Goethe am 29. Mai wieder nach Weimar zurück. „Gefährlicher Zustand meiner Frau,“ schreibt er ins Tagebuch. Die Eintragungen der nächsten Tage klingen ähnlich alarmierend. „Rückfall meiner Frau“, „Gefährliches Befinden meiner Frau während der Nacht“, „Verschlimmerter Zustand meiner Frau“. Auch Goethe wird plötzlich krank. Er bekommt heftiges Fieber und muss sich zu Bett legen. Am 5. Juni notiert er: „Den ganzen Tag im Bett zugebracht. Meine Frau in äußerster Gefahr […] Mein Sohn Helfer, Ratgeber, ja einziger haltbarer Punkt in dieser Verwirrung.“ Einen Tag später, am 6. Juni 1816 stirbt Christiane nach einem langen und qualvollen Todeskampf an Nierenversagen. „Nahes Ende meiner Frau“, heißt es in Goethes Tagebuch. „Letzter fürchterlicher Kampf ihrer Natur. Sie verschied gegen Mittag. Leere und Totenstille in und außer mir. Meine Frau um 12 Nachts ins Leichenhaus. Ich den ganzen Tag im Bett.“ Goethe ist tief erschüttert. Achtundzwanzig Jahre hat er mit Christiane verbracht. Sie hat ihm seinen Alltag angenehm gestaltet, und er hat sich wohl bei ihr gefühlt. Noch am Todestag schreibt er den Vierzeiler: „Du versuchst, o Sonne, vergebens / Durch die düstren Wolken zu scheinen! / Der ganze Gewinn meines Lebens / Ist ihren Verlust zu beweinen.“ In den nächsten Wochen versucht er mühsam, seine Fassung wieder zu gewinnen. „Leugnen will ich Ihnen nicht, und warum sollte man großtun, daß mein Zustand an die Verzweiflung grenzt“, gesteht er dem Schriftsteller Sulpiz Boisserée am 24. Juni. Trotzdem arbeitet er weiter an seinen Schriften, schreibt Briefe, lenkt sich ab. Die sonntägliche Hausmusik allerdings findet nun nicht mehr statt, obwohl sie seit acht Jahren hier regelmäßig betrieben wurde. Goethes „kleine Sang- und Klanggesellschaft“, an der er so hing, ist mit Christianes Tod endgültig auseinander gebrochen. Hat er Schuberts Lieder unter diesen Umständen überhaupt zu hören bekommen? In Wien weiß man nichts – oder nur wenig – von all diesen Ereignissen, und die Enttäuschung über Goethes Reaktion ist vermutlich sehr groß. Josef von Spaun wird in seinen Aufzeichnungen viele Jahre später kein Wort mehr über das fehlgeschlagene Unternehmen verlieren, sondern nur bitter bemerken: „So sehr nun auch der Kreis derjenigen sich vergrößerte, welche Schuberts außerordentliche Talente bewunderten und seinen Liedern den größten Beifall zollten, so blieb er doch ohne irgendeine höhere Unterstützung und seine Lage war eine wahrhaft drückende. Kein Verleger war zu finden, der es gewagt hätte zu wagen, auch nur weniges für seine herrlichen Schöpfungen zu wagen. – Er blieb jahrelang pekuniären Sorgen hingegeben, ja, der so reich an Melodien, konnte sich selbst nicht die Miete für ein Klavier erschwingen.“ Schubert schweigt zu dem Vorfall. Zumindest ist kein Wort von ihm überliefert. Sein Verhalten ist nicht ungewöhnlich, denn der Neunzehnjährige ist wortkarg. Was wirklich in ihm vorgeht, wissen oft nicht einmal seine engsten Freunde, obwohl er durchaus gesellig sein kann. „Er war ungemein treuherzig, offen, keiner Hinterlist

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fähig, freundlich, dankbar, bescheiden, gesellig, mitteilend in der Freude, und verschlossen in seinem Kummer“ wird Spaun einmal über ihn sagen. „So mißlich es ihm häufig genug ging, und so groß auch das Mißverhältnis zwischen Leistung und Anerkennung und Lohn war, so war er doch fern von aller Bitterkeit“. In diesen Wochen beginnt Schubert zwar, seine Gedanken, Gefühle und Erlebnisse ab und zu einem Tagebuch anzuvertrauen, doch nicht einmal dort findet sich ein Hinweis auf die misslungene Aktion. „Gewöhnlich ist’s, daß man sich von zu erwartenden zu große Vorstellungen macht,“ vermerkt er am 15. Juni 1816 in seinem Schreibkalender und sinnt über die Eindrücke einer Gemäldeausstellung nach, die er soeben besucht hat. Hat er sich auch von Goethe „zu große Vorstellungen“ gemacht? An seiner Bewunderung für den großen Dichter scheint sich jedenfalls nichts geändert zu haben, wie eine Tagebuchnotiz vom 13. Juni verrät. Nach einer musikalischen Soiree am Abend vorher, bei der auch er sich hat „produzieren“ müssen, erwähnt er Goethes Namen voller Hochachtung: „Ich spielte Variationen von Beethoven, sang Göthe’s rastlose Liebe u. Schillers Amalia. Ungetheilter Beyfall ward jenem, diesem minderer. Obwohl ich selbst meine rastlose Liebe für gelungener halte als Amalia, so kann man doch nicht leugnen, daß Göthe’s musikalisches Dichter-Genie viel zum Beyfall wirkte.“ Schubert ist stolz auf seine Rastlose Liebe. Aber er hat auch bemerkt, dass der Erfolg des Liedes beim Publikum nicht nur auf seine Musik zurückzuführen ist, sondern auch auf Goethes „musikalisches Dichter-Genie“, und er teilt die Bewunderung. Goethes Sprache mit ihren klangvollen Vokalen, Reimen und Rhythmen hat ihn ja selbst zu einem neuen Kompositionsstil angeregt, den er für „gelungen“ hält, und deshalb hat er auch seine Rastlose Liebe mit nach Weimar geschickt. Er hat das Gedicht durchkomponiert, nicht strophisch gegliedert wie Goethe, sondern Zeile für Zeile so vertont, wie es ihm richtig erschien. „Immer zu! Immer zu! Ohne Rast und Ruh!“ heißt es im Text, und so rastlos klingt auch seine Musik. Die durchgehende unruhige Bewegung im Klaviersatz bringt die erregte Grundstimmung des Liedes zum Ausdruck und verbindet die einzelnen Teile zu einer leidenschaftlichen Szene. Am Schluss hat Schubert das Gedicht sogar verändert und Goethes Text noch einmal wiederholt, um die Singstimme zu einem eigenen, musikalischen Höhepunkt zu steigern: „Krone des Lebens, Glück ohne Ruh, Liebe bist du!“ Ein „Glück ohne Ruh“ kennt auch Schubert. Seine große Liebe heißt Therese Grob. Sie ist ein Jahr jünger als er und wohnt in seiner Nähe, in Lichtental, wo ihre verwitwete Mutter eine kleine Seidenweberei betreibt. Therese ist Sängerin im Chor der Lichtentaler Pfarrkirche und hat vor zwei Jahren, am 16. Oktober 1814, bei der Uraufführung seiner ersten vollständigen Messe in F das Sopransolo gesungen. Wenige Wochen später hat Schubert seinem ehemaligen Schulkameraden Anton Holzapfel gestanden, dass er sie liebt – „nicht mündlich, was er sehr leicht hätte unter vier Augen tun mögen, sondern in einem längeren, enthusiastischen, leider verlorenen Briefe“, wie Holzapfel später erzählt. Franz sei nämlich viel zu zurückhaltend gewesen, um über seine Gefühle offen zu sprechen. Seitdem hat Schubert sehr viele Liebeslieder für Therese geschrieben. Doch es ist eine Liebe, die ziemlich hoffnungslos ist, denn solange er Hilfslehrer ist, hat er keine Aussicht, Therese zu

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seiner Frau zu machen. Das Gesetz verbietet es einem Schulgehilfen wie ihm zu heiraten, wenn er nicht nachweisen kann, dass er in der Lage ist, eine Familie zu ernähren. Und das kann er nicht. Seit zwei Jahren arbeitet er nun schon als sechster Gehilfe in der Schule seines Vaters und muss sich bis zu neun Stunden am Tag mit ABC-Schützen herumschlagen. Er hasst diesen Beruf, aber er hat keine andere Wahl. Um sich für den täglichen Ärger zu entschädigen, greift er während des Unterrichts häufig zum Notenpapier und komponiert, wenn die Schüler mit irgendeiner Aufgabe beschäftigt sind. Das führt immer wieder zu Schwierigkeiten, auf die Schubert jähzornig reagiert, wie er im Freundeskreis offen zugibt: „Es ist wahr, stets wenn ich dichtete, ärgerte mich die kleine Bande so sehr, daß ich regelmäßig aus’m Konzept kam. Natürlich verhaute ich sie dann tüchtig.“ Schubert ist nicht der einzige Lehrer, der das tut. Prügel gehören zum normalen Schulalltag, und für den komponierenden Lehrergehilfen sind sie wohl oft das einzige Mittel, um sich Respekt bei der „kleinen Bande“ zu verschaffen. Abends nach Dienstschluss kann er sich nicht einmal ausruhen, sondern ist gezwungen, weiteres Geld „durch Lektiongeben“ zu verdienen. Vermutlich sind Musikstunden damit gemeint, denn offiziell gibt er als berufliche Tätigkeit nicht „Schulgehilfe“ an, sondern „Musikmeister“. Nach neun Stunden Schule noch Privatunterricht geben zu müssen, ist anstrengend, doch seine Kreativität ist dadurch keineswegs beeinträchtigt. „Nach dieser ermüdenden Leistung legte sich Franz im Winter in seiner ungeheizten Kammer (wegen der Kälte) ins Bett und komponierte … mit aller Passion,“ erinnert sich sein Freund Josef Hüttenbrenner. „Freizeit unter der Woche hatte er so gut wie keine mehr. Und doch gab Schubert seinem Drang zu komponieren nach, als Kompensation, es war, als wolle er sich vom Schuldienst ‚freikomponieren‘“. Vom Schuldienst frei? Möglich, dass er schon lange davon träumt, aber die Realität sieht anders aus. Er weiß, dass er als Komponist nicht in gesicherten Verhältnissen leben kann, deshalb hat er sich erst kürzlich auf eine Stelle als Musikdirektor an der deutschen Normalschul-Anstalt in Laibach beworben. 500 Gulden im Jahr kann er in Laibach verdienen – genug, um Therese heiraten zu können. Außerdem würde die Stelle ihm die Möglichkeit bieten, sich nur noch mit Musik zu beschäftigen, was selbst das ödeste Lehrerleben erträglicher macht. Sein Kompositionslehrer Antonio Salieri hat ihn dazu ermuntert und ihm auch ein entsprechendes Zeugnis für die Schulbehörde ausgestellt. Nun wartet Schubert auf die Entscheidung, die im Sommer oder Herbst gefällt werden soll, und bis dahin will er noch viel komponieren. Im April 1816 ist seine c-moll Sinfonie fertig geworden, fast täglich fließen ihm neue Lieder aus der Feder – Ende des Jahres werden es über 100 sein – und am 17. Juni trägt er ein weiteres Werk in sein Tagebuch ein: „An diesem Tag componirte ich das erste Mahl für Geld. Nähmlich eine Cantate für die Nahmensfeyer des Hn. Professors Wattrot von Dräxler. Das Honorar ist 100 fl. W.W.“ Professor Heinrich Josef Watteroth ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien. Schubert hat ihn im Frühjahr durch Spaun kennen gelernt, und bei dieser Gelegenheit hat er wohl auch den Kompositionsauftrag bekommen – den ersten seines Lebens! Eine Kantate mit dem Thema Prometheus, deren Text von einem

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Studenten namens Philipp Dräxler stammt, soll zum Namenstag des Professors aufgeführt werden, und Schubert ist gebeten worden, diesen Text zu vertonen. Es wird ein umfangreiches Werk für mehrere Solostimmen, Chor und Orchester, das Schubert an diesem 17. Juni vollendet, und fünf Wochen später wird der Prometheus unter seiner Leitung im Garten des Professors „mit vielem Beifall aufgeführt“. Einer von Schuberts Schulkameraden ist derart ergriffen von dieser Veranstaltung, dass er ein Gedicht darüber schreibt und unter dem Titel „An Herrn Franz Schubert. (Als seine Kantate Prometheus aufgeführt ward.)“ in der Wiener Allgemeinen Theaterzeitung veröffentlicht. Es ist das erste Mal, dass Schuberts Name in einer Zeitschrift erwähnt wird. Allerdings ohne irgendwelche Folgen. Sein Freund Leopold von Sonnleithner wird später berichten: „Das Werk, voll Erfindung und Ausdruck, glänzend instrumentiert, – drang aber doch nicht in die Öffentlichkeit. Ich schlug es mehreremal zur Aufführung in Konzerten des Musikvereins etc. vor, allein man wollte es nicht wagen, ein Werk des jugendlichen, noch nicht anerkannten Tonsetzers aufzuführen!“ Für Schubert selbst ist der Prometheus dennoch ein entscheidendes Erlebnis. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er auf Bestellung komponiert und auch noch viel Geld dafür bekommen. 100 Gulden in Wiener Währung sind ein kleines Vermögen im Vergleich zu den 70 bis 80 Gulden, die er als Hilfslehrer in einem ganzen Jahr verdient. Der Traum vom freien Komponistenleben scheint plötzlich nicht mehr unerfüllbar zu sein. Einige Wochen später, 7. September 1816. Die niederösterreichische Landesregierung gibt bekannt, dass die Musikdirektorenstelle in Laibach „dem dortigen Tonkünstler Franz Sokol verliehen wurde.“ Schubert ist abgelehnt worden. Noch weiß er nichts von dieser Absage, als er am 8. September in sein Tagebuch schreibt: „Der Mensch gleicht einem Balle, mit dem Zufalle u. Leidenschaft spielen. Mir scheint dieser Satz außerordentlich wahr. […] Naturanlage u. Erziehung bestimmen des Menschen Geist u. Herz. Das Herz i s t Herrscher, der Geist s o l l es seyn. Nehmt die Menschen wie sie sind, nicht wie sie seyn sollen.“ Diesen Gedanken fügt er eine Reihe von anderen, zusammenhanglosen Aphorismen hinzu, die er vielleicht irgendwo gehört oder gelesen hat. „Selige Augenblicke erheitern das düstere Leben; drüben werden die seligen Augenblicke zum währenden Genuß, u. seligere werden Blicke in seligere Welten u.s.f.“ „Glücklich, der einen wahren Freund findet. Glücklicher, der in seinem Weibe eine wahre Freundinn findet. Ein schreckender Gedanke ist dem freyen Manne in dieser Zeit die Ehe; er vertauschet sie entweder mit Trübsinn, oder grober Sinnlichkeit […] Der Mann trägt Unglück ohne Klage, doch fühlt er’s desto schmerzlicher. – Wozu gab uns Gott Mitempfindung? […] Ein mächtiger Antipode der Aufrichtigkeit der Menschen gegen einander ist die städtische Höflichkeit. […] Der edle Unglückliche fühlt die Tiefe seines Unglücks u. Glücks, eben so der edle Glückliche sein Glück u. Unglück. Nun weiß ich nichts mehr. Morgen weiß ich gewiß wieder etwas. Woher kommt das? Ist mein Geist heute stumpfer als morgen, weil ich voll u. schläfrig bin? – Warum denkt mein Geist nicht, wenn der Körper schläft? – Er geht gewiß spazieren? – Schlafen kann er ja nicht?“

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Der neunzehnjährige Schubert scheint in einem Selbstfindungsprozess zu sein. Er sinniert über sich und seine Umwelt und versetzt seine Grübeleien mit Fragezeichen und Gedankenstrichen. Zum Schluss fügt er hinzu: „Sonderbare Fragen, / hör‘ ich alle sagen? / Es läßt sich hier nichts wagen, / Wir müssens duldend tragen. / Nun, gute Nacht, / bis ihr erwacht.“ Noch im selben Monat greift er erneut auf Texte von Goethe zurück und komponiert die Gesänge des Harfners aus dem Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Es sind die Lieder eines einsamen Sängers, der sich für den Weg in die selbstgewählte Einsamkeit entschieden hat. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er gerade diese Gedichte wählt, denn wenig später scheint er sich für einen ähnlichen Weg zu entscheiden. Im November widmet Schubert seiner Therese ein Liederheft, das wohl als Abschiedsgeschenk gedacht ist und trennt sich für immer von ihr. Mit der Absage aus Laibach hat er die Hoffnung auf eine Heirat endgültig aufgegeben. „[…] ich habe Eine recht innig geliebt und sie mich auch“, wird er später einmal sagen. „Drei Jahre lang hoffte sie, daß ich sie ehelichen werde; ich konnte jedoch keine Anstellung finden, wodurch wir beide versorgt gewesen wären. Sie heiratete dann […] einen anderen, was mich sehr schmerzte. Ich liebe sie noch immer und mir konnte seither keine andere so gut und besser gefallen wie sie. Sie war mir halt nicht bestimmt.“ Die Abfuhr von Goethe, das Nein aus Laibach, der Abschied von Therese – das Jahr 1816 hat viele Hoffnungen zerstört. Doch es bringt auch eine Wende. In den letzten Monaten dieses Jahres wagt Schubert einen folgenschweren Schritt in seine Unabhängigkeit. Auf Betreiben seines Freundes Franz von Schober zieht er aus dem Elternhaus aus, lässt sich für ein Jahr vom Schuldienst befreien, löst sich auch von seinem Lehrer Salieri und versucht – zunächst einmal probeweise – als freischaffender Künstler zu leben. Eine wichtige Umbruchphase hat begonnen, und er scheint diesen Prozess wohl bereits im September gespürt zu haben, als er in seinem Tagebuch philosophierte und sich dabei auch kritische Fragen über sein Dasein stellte: „Ich hörte oft von Schriftstellern sagen: Die Welt gleicht einer Schaubühne, wo jeder Mensch seine Rolle spielt. Beyfall u. Tadel folgt in der andern Welt. – Eine Rolle aber ist aufgegeben, also ist auch unsere Rolle aufgegeben, und wer kann sagen, ob er sie gut oder schlecht gespielt hat?“ Welche Rolle war ihm bisher „aufgegeben“ und wie hat er sie „gespielt“? Über seine Kindheit und frühe Jugend gibt es nur spärliche Informationen. Am 31. Januar 1797 wird er als zwölftes Kind des Lehrers Franz Theodor Schubert und seiner Frau Elisabeth im Haus „Zum roten Krebsen“ in der Wiener Vorstadt Himmelpfortgrund geboren. Von den insgesamt vierzehn Kindern des Ehepaars bleiben nur fünf am Leben: Ignaz, Ferdinand, Karl, Franz und die kleine Maria Theresia, die im September 1801 auf die Welt kommt. Neun Sterbefälle bei vierzehn Geburten – der Tod ist gegenwärtig in der Familie Schubert. Dass er Spuren hinterlässt im Seelenleben der Eltern und Kinder, ist mehr als wahrscheinlich – auch wenn die Kindersterblichkeit noch so hoch ist und zum Leben fast aller Familien gehört. Liegt hier bereits ein Schlüssel zu Schuberts melancholischem Wesenszug, über den seine Freunde berichten? Seine Mutter Elisabeth ist eine „stille, von ihren Kindern

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sehr geliebte und von allen geachtete Frau“, die sich mit großer Sorgfalt und mütterlicher Zärtlichkeit um ihre Kinder kümmert, wie Freunde später erzählen. Mehr ist von ihr nicht bekannt. Sein Vater Franz Theodor ist ein strenger Patriarch, zu dessen Erziehungsprogramm Disziplin, Ordnung, Fleiß und Frömmigkeit gehören. Er duldet keinen Widerspruch, vor allem nicht in religiösen Fragen, aber er ist kein rücksichtsloser Tyrann und widmet sich sogar verschiedenen sozialen Aufgaben. So ist er als Vormund und Anwalt minderjähriger Kinder tätig, und er geht diesem verantwortungsvollen Amt, in dem er zum „k.k. Armenvater“ ernannt wird, mit großem Pflichtgefühl nach. Als Franz geboren wird, leben die Schuberts in äußerst beengten Verhältnissen. Die Eltern und ihre Kinder wohnen zusammengepfercht in einem Zimmer mit Küche auf knapp 25 Quadratmeter Fläche. Das ganze Haus „Zum roten Krebsen“, das als Wohnhaus und Schule genutzt wird, ist mit Menschen überfüllt. In den sechzehn Ein-Zimmer-Küche Wohnungen drängeln sich viele kinderreiche Familien mit zeitweise etwa siebzig Personen, und unten im Erdgeschoß gehen täglich auch noch über 170 Schüler ein und aus, wo sie von Vater Schubert und einem Lehrergehilfen in zwei Schichten unterrichtet werden. Viele Kinder, viel Trubel, wenig Privatheit – in diesem Haus am Himmelpfortgrund wird auf engstem Raum geboren und gestorben, gelacht und geweint, gelärmt und gelernt, und in der Familie Schubert wird auch noch viel musiziert. Doch alle, die hier wohnen, kennen es nicht anders. Selbst der Hausbesitzer hat kein größeres Quartier, und Franz Theodor Schubert betont später sogar ausdrücklich, dass er eine bequeme Unterkunft gehabt habe. Als Sohn einer mährisch-schlesischen Bauernfamilie hat er noch ganz andere Verhältnisse kennen gelernt. Genauso wie seine Frau, die als Tochter eines mittellosen Schlossers aufwuchs und sich vor ihrer Ehe mühsam als Köchin ernähren musste. Die Einkünfte der jungen Lehrerfamilie sind zunächst kärglich, das ändert sich jedoch im Laufe der Zeit. Vater Schubert ist nämlich ein tüchtiger und beliebter Lehrer, deshalb kommen auch immer mehr Schüler zu ihm in den Unterricht. Da er pro Kind von den Eltern sein Schulgeld bezieht, wachsen damit seine Einnahmen, und 1801 ist er in der Lage, sich mit Hilfe eines Darlehens das nahe gelegene Haus „Zum schwarzen Rössel“ zu kaufen. Er übersiedelt mit Familie und Schule dorthin und kann nun in den größeren Räumen des neuen Hauses mit Unterstützung von Hilfslehrern auch größere Schülergruppen unterrichten, was zur Folge hat, dass sich seine Einkommenssituation erneut verbessert. Aus dem armen Lehrer von einst wird ein arrivierter Mann. Ein Schulunternehmer, dessen Haushaltsführung „wahrscheinlich guten kleinbürgerlichen Verhältnissen und nicht dem knappen Lebensstandard eines niedrigen Beamten“ entspricht. Der kleine Franz Peter geht natürlich bei seinem Vater in die Schule, „wo er sich immer als der erste seiner Mitschüler auszeichnete“. So jedenfalls berichtet es Schubert senior in seinen Erinnerungen. „In seinem achten Jahr brachte ich ihm die nötigen Vorkenntnisse zum Violinspiel bei und übte ihn so weit, bis er imstande war, leichte Duetten ziemlich gut zu spielen; nun schickte ich ihn zur Singstunde des Herrn Michael Holzer, Chorregenten im Liechtental. Dieser versicherte mehrmals mit Tränen in den Augen, einen solchen Schüler noch niemals gehabt zu ha-

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ben. ‚Wenn ich ihm was Neues beibringen wollte‘, sagte er, ‚hat er es schon gewußt. Folglich habe ich ihm eigentlich keinen Unterricht gegeben, sondern mich mit ihm bloß unterhalten und ihn stillschweigend angestaunt.‘“ Ähnlich ergeht es auch Ignaz, dem Ältesten der Schubertkinder, der seinem zwölf Jahre jüngeren Bruder Franz Klavierstunden gibt und schon bald überrascht feststellt, dass der Kleine ihn überrundet. „Ich war sehr erstaunt, als er kaum nach einigen Monaten [Klavierunterricht] mir ankündigte, dass er nun meines ferneren Unterrichtes nicht mehr bedürfe und er sich schon selber forthelfen wolle. Und in der Tat brachte er es in kurzer Zeit so weit, daß ich ihn selbst als einen mich weit übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister anerkennen mußte.“ Auch Ferdinand, der Zweitälteste, teilt Erstaunliches über das Talent seines Bruders mit. Schon im Alter von elf Jahren habe Franz in der Lichtentaler Pfarrkirche die Partien des ersten Sopranisten gesungen, erinnert er sich. „[…] auch spielte er damals ein Violin-Solo auf dem Kirchenchor und komponierte schon kleine Lieder, StreichQuartette und Klavierstücke. Seine schnellen Fortschritte in der Musik setzten den Vater in Erstaunen; er war daher darauf bedacht, ihm Gelegenheit zu weiterer Ausbildung zu verschaffen, und ihn deshalb in das k.k. Konvikt zu bringen.“ Franz Theodor Schubert fühlt wohl die Verpflichtung, sein hochbegabtes Kind zu fördern. Deshalb möchte er, dass Franz eine Sopranistenstelle bei den Hofsängerknaben bekommt und meldet ihn im Mai 1808 für die Aufnahmeprüfung im Stadtkonvikt an. Mit der Stelle ist ein Stipendium verbunden, das neben freier Kost und Unterkunft im Konvikt auch den Besuch des Akademischen Gymnasiums garantiert und ihm zusätzlich eine fundierte musikalische Ausbildung ermöglicht. Diese Chance will der Vater nutzen. Am 30. September 1808 findet die Prüfung statt und Franz besteht sie auf Anhieb mit Auszeichnung. Er wird als Sängerknabe aufgenommen, ist aber alles andere als glücklich darüber. „Sehr traurig trennte er sich von Vater, Mutter und Geschwistern“; erzählt sein Bruder Ferdinand, „aber die goldene Borte auf seiner Uniform schien ihn wieder getrost und ruhig zu machen.“ Pünktlich zu Schulbeginn im November 1808 zieht der Elfjährige ins Konvikt, wo außer ihm noch neun weitere Hofsängerknaben und insgesamt rund hundert Schüler und Studenten aller Altersstufen untergebracht sind. Das Reglement dort ist streng. Von den Stipendiaten wird erwartet, dass sie das Schuljahr mit der Note „1“ abschließen und sich nicht öfter als nur einmal im Jahr eine „2“ erlauben, sonst verlieren sie ihren Stiftungsplatz. Für die Sängerknaben bedeutet das eine besondere Belastung, denn bei ihnen werden außer den üblichen Unterrichtsfächern auch noch die Pflichtfächer Gesang, Klavier und Violine benotet, ganz abgesehen davon, dass sie wie alle anderen Zöglinge regelmäßig auf ihre „Sitten“ und „Studien“ – ihren Fleiß – hin überprüft werden. Der Leistungsdruck ist also hoch, die Freizeit knapp bemessen und Ungehorsam oder andere Vergehen werden rigoros mit Karzer oder sogar Schulverweis bestraft. Es ist ein asketisches, militärisch straff geordnetes Leben, das den kleinen Sängerknaben Schubert in diesem Stadtkonvikt erwartet, doch er passt sich schnell an und erledigt sein Pensum mit Bravour. In den nächsten vier Jahren bekommt er fast in allen seinen Schulfächern eine „1“ und wird wegen seiner hervorragenden musikalischen Leistungen sogar von allerhöchster Stelle

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ausdrücklich gelobt. Trotzdem scheint er sich in der Anstalt „nicht behaglich“ zu fühlen, zieht sich in sich selbst zurück und verbringt seine freien Stunden „fast immer einsam“ im Musikzimmer. „Auch auf den gemeinsamen Spaziergängen der Zöglinge hielt er sich meist abseits, ging mit gesenktem Blicke, die Hände auf den Rücken gelegt, mit den Fingern ( wie auf den Tasten) spielend, ganz in sich gekehrt, sinnend einher,“ berichtet ein Mitschüler. „Professoren und Kollegen liebten ihn wegen seines stillen und soliden Betragens, welches nie in Streitigkeiten und Klägereien sich einließ, noch viel weniger dazu Veranlassung gab.“ Obwohl Franz so zurückhaltend ist, gewinnt er schon bald nach seiner Ankunft einen Freund im Konvikt. Josef von Spaun ist zwanzig Jahre alt, studiert Jura und sitzt als Konzertmeister der zweiten Geigen im Konviktorchester, wo die beiden sich auch kennen lernen. „[…] der kleine Schubert spielte hinter mir stehend aus demselben Notenblatte. Sehr bald nahm ich wahr, daß mich der kleine Musiker an Sicherheit des Takts weit übertreffe. Dadurch auf ihn aufmerksam gemacht, bemerkte ich, wie sich der sonst stille und gleichgültig aussehende Knabe auf das lebhafteste den Eindrücken der schönen Sinfonien hingab, die wir aufführten.“ Das Talent des Jungen verblüfft den Studenten, denn er stellt fest, dass Schubert nicht nur taktsicher ist, sondern auch ein phänomenales musikalisches Gedächtnis hat und sich jede Melodie nach einmaligem Hören merken kann. Später macht er noch eine andere erstaunliche Entdeckung: „Ich fand ihn einmal allein im Musikzimmer am Klavier sitzen, das er mit seinen kleinen Händen schon ganz artig spielte. […] Auf meine freundliche Aufforderung spielte er mir einen Menuett von seiner eigenen Erfindung. Er war dabei scheu und schamrot, aber mein Beifall erfreute ihn. Er sagte mir, daß er heimlich öfter seine Gedanken in Noten bringe, aber sein Vater dürfe es nicht wissen, da er es durchaus nicht wolle, daß er sich der Musik widme. Ich steckte ihm dann zuweilen Notenpapier zu.“ Spaun schließt den musikalischen Wunderknaben in sein Herz und unterstützt ihn so gut er kann. Trotz des Altersunterschieds entsteht zwischen ihnen eine Freundschaft, die der Kleine seinem Beschützer auch schüchtern gesteht. „Sie sind mir der liebste im ganzen Konvikt, ich habe sonst keinen Freund darin,“ flüstert er ihm einmal ins Ohr, und er ist tief betroffen, als er erfährt, dass Spaun im September 1809 das Konvikt verlassen muss, um in Linz sein Praktikum zu absolvieren. „Sie Glücklicher entgehen jetzt dem Gefängnis, mir ist es so leid, daß Sie fortkommen,“ sagt er ihm traurig. Offenbar fühlt er sich einsam und leidet unter den Zwängen des Internatslebens. Als Spaun im März 1811 wieder nach Wien zurückkehrt, stellt er jedoch erstaunt fest, dass sich sein ehemaliger Schützling verändert hat. „Ich fand meinen jungen Freund gewachsen und wohlgemut. Er war längst zur 1. Violine avanciert und hatte bereits einiges Ansehen in dem Orchester, auf dessen Leitung er nicht ohne Einfluß blieb, gewonnen.“ Mittlerweile dirigiert der Vierzehnjährige als Stellvertreter des Orchesterleiters Wenzel Ruzicka das Konviktensemble, und er tut das so souverän, dass sich ihm alle Musiker willig unterordnen, obwohl die meisten von ihnen viel älter sind als er. Doch es scheint auch noch andere Gründe für seine „wohlgemute“ Stimmung zu geben, wie Spaun herausfindet. „Nach einigen Tagen besuchte ich ihn

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im Musikzimmer, wo ihm allein eine Stunde zu seiner Übung gegönnt war. Er hatte mehrere Päcke Zumsteegscher Lieder vor sich und sagte mir, daß ihn diese Lieder auf das tiefste ergreifen. […] Er sagte, er könnte tagelang in diesen Liedern schwelgen.“ Schubert studiert die Balladen des schwäbischen Komponisten Johann Rudolph Zumsteeg, die gerade in Mode gekommen sind und ist davon so bezaubert, dass er bereits Lust verpürt hat, etwas Ähnliches zu produzieren. „Er hatte damals schon ein paar Lieder versucht, so z.B. ‚Hagars Klage‘“, erinnert sich Spaun. „Er wollte Zumsteegs Lied, das ihm sehr gefiel, in anderer Weise setzen.“ Tatsächlich ist ihm der Versuch gelungen, wie Spaun feststellt. Schuberts erste große Ballade Hagars Klage, die er nach dem Modell von Zumsteeg komponiert hat, klingt wirklich völlig anders – viel intensiver im Ausdruck, viel kontrastreicher, viel dramatischer. Spaun ist beeindruckt. Aus seinem genialen kleinen Freund ist ein leidenschaftlicher Liedkomponist geworden – und nicht nur das. Schubert erzählt ihm, er habe schon eine Menge anderer Stücke komponiert, „eine Sonate, eine Phantasie, eine kleine Oper, und er werde jetzt eine Messe komponieren.“ Wieder ist Spaun ihm behilflich und besorgt ihm Notenpapier, das er „in unglaublicher Menge“ verbraucht. Und er macht ihm auch Mut, denn manchmal fühlt sich Schubert noch sehr unsicher. „Als er mir eines Tages einige kleine Lieder von Klopstock vorsang, und ich davon unendlich erfreut war, schaute er mir treuherzig in die Augen und sagte ‚Glauben Sie denn wirklich, daß etwas aus mir werden wird?‘ Ich umarmte ihn und sagte, ‚es ist ja jetzt schon viel aus Ihnen geworden, und die Zeit wird noch viel und Großes aus Ihnen machen.‘ Er sagte dann ganz kleinlaut ‚heimlich im Stillen hoffe ich wohl selbst noch etwas aus mir machen zu können, aber wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?‘“ Beethoven – das Idol der Wiener Musikwelt. Alle verehren ihn. Aristokraten und Bürgerliche, Kenner und Dilettanten. Auch Schubert schaut zu ihm auf, voller Ehrfurcht und voller Selbstzweifel. Beethoven hat Maßstäbe gesetzt, an ihm kommt kein Komponist vorbei. An ihm muss auch er sich messen. Er ahnt nicht, dass er bald selbst sein erstes Meisterwerk schreiben wird. Es wird ein Lied sein, ein Lied über ein Gedicht von Goethe, und es wird alles übertreffen, was bisher in dieser Gattung komponiert worden ist. Sogar die Lieder von Beethoven. Hofkapellmeister Antonio Salieri, der Chef der Sängerknaben, ist so angetan von Schuberts Kompositionen, dass er sich im Juni 1812 bereit erklärt, ihm zweimal pro Woche kostenlos Kontrapunktstunden zu geben. Das ist eine hohe Ehre, denn der Einundsechzigjährige gilt als große musikalische Autorität in Wien und hat schon Berühmtheiten wie Beethoven unterrichtet. Schubert ist glücklich über diese Auszeichnung und nennt sich von nun an selbstbewusst „Schüler des Herrn von Salieri“, aber ob ihm dessen Lehrmethoden viel Spaß machen, ist ungewiss. Salieri lässt seinen Schüler Partituren älterer italienischer Meister studieren und regt ihn darüber hinaus auch zu eigenen Kompositionen an: zu Liedern, Streichquartetten, Sinfonien, kirchlichen Werken und zu einem Bühnenstück. Schubert betreibt dieses Studium wohl ziemlich nachlässig, denn er macht keine planmäßigen Aufzeichnungen von dem Unterricht und scheint seinem Lehrer auch nicht alle neuen Werke vorzulegen. Möglicherweise betrachtet er den Italiener nur als Berater, nicht als Lehrmeister,

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und bewahrt sich dadurch eine gewisse Unabhängigkeit. Salieri scheint das Verhalten nicht zu stören. Er bewundert das geniale Talent seines Schülers und soll sogar über ihn gesagt haben: „Der kann alles; er komponiert Opern, Lieder, Quartette, Sinfonien und was man nur will.“ Franz Theodor Schubert ist inzwischen sehr stolz auf seinen komponierenden Sohn. Wenn Franz seine neuesten Streichquartette mit nach Hause bringt, ist es für den Vater und die beiden älteren Brüder von Franz „ein vorzüglicher Genuß, mit ihm Quartetten zu spielen.“ Ferdinand Schubert wird sich später erinnern: „Dies geschah meistens in den Ferial-Monaten. Da war der Jüngste unter allen der Empfindlichste. Fiel wo immer ein Fehler vor, und war er noch so klein, so sah er dem Fehlenden entweder ernsthaft oder zuweilen auch lächelnd ins Gesicht; fehlte der Papa, der das Violoncello spielte, so sagte er anfangs nichts; wiederholte sich der Fehler aber, so sagte er ganz schüchtern und lächelnd: ‚Herr Vater, da muß was gefehlt sein.‘ Und der gute Vater ließ sich gern von ihm belehren. Bei diesen Quartetten spielte Franz immer Viola, sei Bruder Ignaz die zweite, Ferdinand (dem Franz unter seinen Brüdern vorzüglich zugetan war) die erste Violine, und der Papa Violoncello.“ Von einem Kompositionsverbot ist jedenfalls nicht mehr die Rede. Am 28. Mai 1812 stirbt Mutter Elisabeth im Alter von 55 Jahren an Typhus. Ihr Tod ist für den fünfzehnjährigen Franz vermutlich eine seelische Katastrophe, doch wir wissen nichts Näheres darüber. Vier Wochen später, am 28. Juni, komponiert er ein Salve Regina in F-Dur zu Ehren der Mutter Gottes, und auch in den folgenden zwei Jahren schreibt er im Juni jeweils ein geistliches Werk. Spielt dabei die Erinnerung an die Mutter eine Rolle? Franz scheint häufig an sie zu denken. Nach einem Abendspaziergang mit seinem Bruder im Juni 1816 notiert er in sein Tagebuch: „Die Nähe des Gottesackers erinnerte uns an unsere gute Mutter“ und schreibt von „traurig traulichen Gesprächen“. Sechs Jahre später versucht er in einer allegorischen Erzählung mit dem Titel Mein Traum ihren Tod noch einmal seelisch zu verarbeiten. „Da kam mir die Kunde von meiner Mutter Tode. Ich eilte sie zu sehen, u. mein Vater von Trauer erweicht, hinderte meinen Eintritt nicht. Da sah ich ihre Leiche. Thränen entflossen meinen Augen. […] Und wir folgten ihrer Leiche in Trauer u. die Bahre versank.“ Kurz nach dem Tod der Mutter kommt Schubert in den Stimmbruch. Am 26. Juli 1812 kritzelt er in die Noten einer Messe: „Schubert Franz zum letztenmahl gekräht,“ und damit ist seine Laufbahn als Sängerknabe beendet. Er bekommt einen neuen Stiftungsplatz, um sein Studium beenden zu können, und während des laufenden Schuljahrs gelingt es ihm auch, die erforderlichen erstklassigen Zeugnisnoten zu erzielen. Doch dann werden seine Leistungen auf einmal schwächer, da er sich „unablässig“ mit Komponieren beschäftigt. „Sein Vater, sonst ein sehr guter Mann, entdeckte die Ursache seines Zurückbleibens in den Studien, und da gab es dann einen großen Sturm und erneuertes Verbot.“ Hat Schuberts Flucht in die Musik auch etwas mit der häuslichen Situation zu tun? Im April 1813, elf Monate nach dem Tod der Mutter, muss er sich mit der Tatsache abfinden, dass sein Vater wieder heiratet. Die Braut heißt Anna Kleyenböck, stammt aus einer Seidenfabrikantenfamilie – also aus sozial höhergestellten Kreisen – und ist mit ihren knapp dreißig

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Jahren eine noch recht junge Stiefmutter. Franz wird zu ihr zwar später ein gutes Verhältnis entwickeln, aber kurz nach der Hochzeit, im Mai – dem Todesmonat seiner Mutter – scheinen ihm eher trübe Gedanken durch den Kopf zu gehen. Er verfasst ein vierstrophiges Gedicht mit dem Titel Die Zeit und meditiert darin über die Vergänglichkeit des Lebens. „Unaufhaltsam rollt sie hin / Nicht mehr kehrt die Holde wieder / Stät im Lebenslauf Begleiterin / Senkt sie sich mit uns ins Grab hernieder.“ Es ist eine schwierige Zeit für Schubert. Zwar kann er seine Note in Latein verbessern, aber in Mathematik bleibt es weiterhin bei einer „2“, deshalb wird er im Sommer 1813 aufgefordert, sich einer Prüfung zu unterziehen. Dazu hat er jedoch keine Lust mehr. Er beschließt, die Schule zu verlassen, „um ungestört der Kunst leben zu können,“ und sein Vater gibt schließlich auch seine Einwilligung dazu, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich Franz zum Schulgehilfen ausbilden lässt. Er ist damit einverstanden, und im September 1813 kann er dem Konvikt nach fünfjährigem Aufenthalt endlich den Rücken kehren. Musikalisch gesehen war es eine fruchtbare Zeit für ihn, doch er weint dem „Gefängnis“ keine Träne nach. Im Gegenteil: Zum Abschied komponiert er für seine Orchesterkollegen ein Oktett für Blasinstrumente , und als er fertig ist mit dem Stück, bricht jene „gute Dosis Humor“ bei ihm durch, die seine Freunde an ihm so lieben. Übermütig schreibt er zum Abschluss in die Partitur: „Fine mit’n Quartett, welches gecomponiret hat Franzo: Schubert Kaplmaster der kais. chinesischen Hofkapppehle zu Nanking, der weltberühmten Residenz von Sr. Chinesischen Mayestät. Geschrieben zu Wien in an Datum, das i nit wass, in an Jahr, das an 3 am End hat, u. an Anser (1) im Anfang, u. nachher an Ochter u. wieder an Anser: Heisset also: 1813.“ Während der nächsten zehn Monate besucht Schubert die Lehrerbildungsanstalt in der Anna-Gasse. Im August 1814 besteht er sein Examen mit mäßigem Erfolg und tritt wenige Wochen später seinen Dienst in der Schule des Vaters an. Obwohl die Arbeit, die ihn dort erwartet, mühevoll und zeitaufwändig ist, bringt er in den nächsten zwei Jahren eine wahre Flut an Kompositionen zu Papier: vier Messen, fünf Opern, vier Sinfonien, Klavierwerke, Streichquartette, Kammermusik, geistliche und weltliche Chormusik und Lieder, Lieder, Lieder. Insgesamt entstehen 248 Sololieder – fast die Hälfte seines gesamten Liedschaffens –, und manchmal ist er so in Schwung, dass er gleich mehrere an einem Tag komponiert. So wie am 19. August 1815 zum Beispiel, dem Tag, an dem er in einem Zug fünf GoetheLieder produziert: den Rattenfänger, den Schatzgräber, das Bundeslied, das Heidenröslein und An den Mond. Goethe. Es hat eine Weile gedauert, bis Schubert zum ersten Mal Lust verspürte – oder den Mut? – ein Gedicht von ihm zu vertonen. Erst im Herbst 1814, als er den ersten Teil des Faust las, war der Bann plötzlich gebrochen. „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer“ – Gretchens Lied, das sie beim Spinnen summt, rührt ihn an, löst musikalische Phantasien bei ihm aus. Es ist ein Monolog, die psychologische Skizze einer jungen Frau, in der das Bewusstsein von Liebe erwacht. Schubert beginnt zu komponieren, macht einen ersten Liedentwurf, korrigiert ihn – und am 19. Oktober 1814 vollendet er das Gretchen am Spinnrade, sein erstes großes Meis-

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terwerk. Aus dem zehnstrophigen Lied von Goethe hat er einen dreiteiligen Rundgesang geformt, der sich zu einer kleinen Arie ausweitet. Gretchens Verwirrung, ihre Phantasien und Ängste – all das hat er in einer schlichten Melodie eingefangen und mit sparsamsten Mitteln in eine Dimension gerückt, die über musikalische Illustration weit hinausgeht. Die Liedmelodie wird durch eine einheitliche Klavierbegleitung zusammengebunden, und auch diese Klavierbegleitung ist mehr als eine harmonische Stütze, sondern hat weit tiefere Bedeutung. In der monotonen, unruhigen Drehbewegung spiegelt sich nicht nur das Surren des Spinnrads wider, sondern ebenso die Ruhelosigkeit, die Erregung des verstörten Mädchens. Jede Gefühlssteigerung wird durch die Drehfigur nachgezeichnet. Beim Höhepunkt des Liedes – als Gretchen sich an den Kuss des Geliebten erinnert – stockt die Bewegung plötzlich, setzt aus, lässt die Aufregung ahnen, in der sich das Mädchen befindet. Dann erst geht es wieder schrittweise zurück zum Refrain, zur Anfangsstrophe: „Meine Ruh ist hin.“ Das Lied endet mit einem melancholischen Nachspiel. Der Klaviersatz spricht aus, was mit Worten nicht gesagt werden kann – als Partner der Singstimme, als Erzähler, als Interpret. Nie zuvor ist ein Gedicht so in die Sprache der Musik übersetzt worden. Mit diesem Gretchen am Spinnrade ist Schubert etwas völlig Neues geglückt: ein „polyrhythmisches“ Lied, in dem „Sprach- Sang- und Spiel-Rhythmus zu einem höheren Kunstganzen verschlungen werden“, wie es der Schweizer Musikpädagoge Hans Georg Nägeli ein paar Jahre später für einen zukünftigen „höheren Liederstil“ fordern wird. Schubert hat diesen neuen Liedstil bereits gefunden. Mit seinem Gretchen-Monolog hat er ein komplexes musikalisches Kunstwerk geschaffen, das als „Beginn des romantischen Klavierliedes“ in die Geschichte eingehen wird. Dabei ist er zu diesem Zeitpunkt noch keine achtzehn Jahre alt. Seine Faszination für Goethe hält weiter an. Auch im nächsten Jahr kommt Schubert immer wieder auf seine Gedichte zurück und komponiert siebzehn neue Lieder, und im Oktober 1815 gelingt ihm noch einmal ein ganz großer Wurf. Im Beisein der Freunde Josef von Spaun und Johann Mayrhofer vertont er Goethes berühmte Ballade Erlkönig – sein späteres opus 1, das wohl erfolgreichste Lied seines Lebens. „An einem Nachmittag […] ging ich mit Mayrhofer zu Schubert, der damals bei seinem Vater am Himmelpfortgrund war,“ erinnert sich Spaun. „Wir fanden Schubert ganz glühend, den ‚Erlkönig‘ aus einem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit, so schnell man nur schreiben kann, stand die herrliche Ballade nun auf dem Papier. Wir liefen damit in das Konvikt, da bei Schubert kein Fortepiano war, und dort wurde der Erlkönig noch den selben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Organist Ruzicka setzte sich dann hin und spielte ihn selbst ohne Gesang in allen Teilen mit aller Teilnahme durch und war ganz gerührt über die Komposition. Als einige eine mehrmals wiederkehrende Dissonanz ausstellen wollten, erklärte Ruzicka, sie auf dem Klavier anklingend, wie sie hier notwendig dem Text entspreche, wie schön sie vielmehr sei und wie glücklich sie sich löse.“ Aus Goethes Ballade hat Schubert eine Art Kantate geformt, eine dramatische Szenenfolge mit verschiedenen Rollenträgern: Erzähler, Vater, Kind und dem Erl-

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könig. Die Singstimme trägt alle diese Rollen vor – mal arios, mal rezitativisch, mal liedhaft – und so entwickelt sich die musikalische Tragödie wie auf einer unsichtbaren Bühne, im ständigen Wechsel von äußerer Handlung und innerem Prozess. Wie im Gretchen am Spinnrade erklingt im Klavier ein rhythmisches Grundmotiv, das die einzelnen Szenen zusammenhält, und auch hier ist dieser Klaviersatz mehr als nur instrumentale Begleitung, mehr als nur Klangkolorit. Die hämmernden Klaviertriolen skizzieren nicht nur den scharfen Ritt „durch Nacht und Wind“, sondern tauchen das Geschehen zugleich in ein unheimliches Licht und kommentieren die Ereignisse. Menschen- und Geisterwelt, Wirklichkeit und Phantasie, Verlockung und Bedrohung, Angst und Beschwichtigung, Entsetzensschreie und Katastrophe – all dies läuft ab vor der beklemmenden Klangkulisse dieser rasenden Triolen. Erst nach dem dramatischen Höhepunkt brechen sie ab. Das Kind ist tot. Die Tragödie zu Ende. Zwei harte Akkorde setzen den Schlusspunkt. Schuberts Freunde sind vor „Bewunderung und Entzücken hingerissen“ von dieser Musik, und der Wunsch, sie zu verbreiten und an die Öffentlichkeit zu bringen, wird immer stärker. Anton Holzapfel bietet Schubert sogar eine ganz besondere Art von Hilfe an. „Ich erinnere mich noch, dass Holzapfel mit ihm eines Tages förmlich hausieren ging, um für einige seiner Lieder gegen ein kleines Honorar einen Verleger zu finden. Es fand sich keiner,“ schreibt Albert Stadler, ein ehemaliger Schulfreund über vier Jahrzehnte später in seinen Schubert-Notizen und fährt fort mit der Bemerkung: „Spaun sendete auch um diese Zeit ein sauber geschriebenes Heft seiner nun allbekannten Lieder aus ‚Faust‘ und ‚Wilhelm Meisters Lehrjahren‘ mit einem geeigneten Schreiben unmittelbar an Goethe. Es kam keine Antwort.“ Eine Kränkung war es wohl für sie alle, jenes rätselhafte Verhalten des Dichters im Frühjahr 1816. Dabei hatten sie sich so viel von ihm erhofft. Schubert hatte seine schönsten Lieder für Goethe ins Reine geschrieben, um dem großen Mann aus Weimar die ganze Palette seines Könnens zu zeigen. Insgesamt waren es siebzehn Kompositionen, eine phantasievoller als die andere. Durchkomponierte Lieder waren darunter wie Gretchen am Spinnrade, Erlkönig und Rastlose Liebe, aber auch schlichte Strophenlieder wie das Heidenröslein zum Beispiel und Der König in Thule. Doch die Noten kamen aus Weimar zurück. Ohne Dank. Ohne Gruß. Von einer Widmungsgenehmigung ganz zu schweigen. Das schmerzte und hinterließ viele Fragen im Schubertkreis. Man versuchte, Gründe zu finden für die Ablehnung des Geheimrats und fand auch die eine oder andere Erklärung. „Goethe war kein Musikfreund und mochte auch zu viele derlei Zuschriften erhalten, um jeden ihm ganz Unbekannten beachten zu können,“ vermutete Leopold von Sonnleithner. Und Max Löwenthal, einer von Schuberts Klassenkameraden, unternahm sechs Jahre nach der peinlichen Affäre sogar einen persönlichen Vorstoß bei Goethe, um hinter die Ursache seines Schweigens zu kommen. Bei einem Besuch im Oktober 1822 in Weimar, fragte er ihn nach Schuberts Liedern, worauf Goethe ihm antwortete, er kenne sie nicht. Warum, wurde nicht klar. Goethe blieb nicht unwissend, so viel steht heute fest. Am 24. April 1830 sang die berühmte Dresdner Opernsängerin Wilhelmine Schröder-Devrient ihm bei

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einem Empfang in seinem Haus Schuberts Erlkönig vor, und seine Reaktion war verblüffend. Wie der Sänger Eduard Genast erzählt, „ergriff ihn der hochdramatische Vortrag der unvergleichlichen Wilhelmine so gewaltig, daß er ihr Haupt in beide Hände nahm und sie mit den Worten: ‚Haben sie tausend Dank für diese großartige Leistung!‘ auf die Stirn küßte. Dann fuhr er fort: ‚Ich habe diese Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild.‘“ Goethes Begeisterung schien sich wohl mehr auf den Vortrag von Madame Devrient zu beziehen als auf Schuberts Musik. Ein anderer Zeitgenosse berichtet, die Devrient habe den Erlkönig schon vier Jahre zuvor einmal vorgesungen, und Goethe habe bei dieser Gelegenheit auch ein paar Worte über die Vertonung fallen lassen: „[…] nun, man muß sagen, daß der Komponist das Pferdegetrappel vortrefflich ausgedrückt hat. Es ist nicht zu leugnen, daß in der von sehr vielen bewunderten Komposition das Schauerliche bis zum Gräßlichen getrieben wird, zumal wenn die Sängerin die Absicht hat, sich hören zu lassen.“ Mehr fiel ihm nicht ein zu Schuberts Ballade. War Goethe tatsächlich „kein Musikfreund“? Er selbst schätzte sich jedenfalls anders ein. Obwohl er in Dichtung und Wahrheit einräumte, in erster Linie ein Augenmensch zu sein, war Musik für ihn „die ganze Fülle der schönsten Offenbarungen Gottes“, und er betrachtete sie, neben der Sprache, als höchste Lebensäußerung des Menschen: „Wer Musik nicht liebt, verdient nicht, ein Mensch genannt zu werden; wer sie nur liebt, ist erst ein halber Mensch; wer sie aber treibt, ist ein ganzer Mensch.“ Ein tiefsinniges Bekenntnis. Doch was bedeutete das für Goethe? Tatsache ist, dass er schon als Kind und in seiner Jugend häufig mit Musik in Berührung kommt. Er lernt Klavierspielen, hört in den Hauskonzerten der Eltern Lieder und Kammermusik, im Gottesdienst geistliche Werke und besucht mit der Familie regelmäßig Opern und Konzerte durchreisender Virtuosen. Noch im hohen Alter wird er sich an den Auftritt des sechseinhalbjährigen Wunderkindes Wolfgang Amadeus Mozart erinnern, den er 1763 als Vierzehnjähriger miterlebt. Während der Studienjahre in Leipzig und Straßburg macht er neue musikalische Erfahrungen. Er geht viel ins Konzert, nimmt Cellounterricht, musiziert zusammen mit Freunden in einem Ensemble und findet im Sohn des Musikverlegers Breitkopf zum ersten Mal einen Amateurkomponisten, der seine Gedichte vertont. Im Elsass lässt sich der junge Student Volkslieder „aus denen Kehlen der ältsten Müttergens“ vorsingen, schreibt ihre Melodien daheim aus dem Gedächtnis auf Notenpapier und legt eine kleine Liedersammlung an. Diese „Vorliebe für eigentümliche Volksgesänge“ wird er sein Leben lang behalten. Mit der Zeit wird auch sein theoretisches Interesse an Musik immer größer. Parallel zur Farbenlehre beginnt er, eine Tonlehre zu entwerfen – die allerdings über ein stichwortartiges Schema nicht hinauskommt – und macht sich in seinen Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen vielfältige Gedanken über das Phänomen Musik. Dabei ist er sich der Begrenztheit seiner eigenen musikalischen Fähigkeiten durchaus bewusst. „Ich kenne Musik mehr durch Nachdenken als durch Genuß“, schreibt er selbstkritisch und bedauert es, ein „Ton- und Gehörloser, ob-

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gleich Guthörender“ zu sein: „Ich weiß recht gut, daß mir deshalb ein Drittel des Lebens fehlt; aber man muß sich einzurichten wissen.“ Doch mit Befriedigung stellt er auch fest, dass Musik eine „ungeheure Gewalt“ auf ihn ausüben kann, und dass er zeitweise „in den Strudel der Töne hingerissen“ wird. Andererseits aber scheint ihm dieser Prozess nicht ganz geheuer zu sein. „[…] denn die große Erregbarkeit, die sich […] an der Musik manifestierte, ist’s doch eigentlich, die mir Gefahr bringt“, heißt es in einem Brief des Vierundsiebzigjährigen. Erregbarkeit als Gefahr? Goethe liebt das Ausgewogene, das Maß, die durchsichtig-lineare Melodienführung in der Musik. Seine musikalischen Götter heißen Gluck, Händel, Haydn und vor allem Mozart – dieses „Wunder, das nicht weiter zu erklären ist“. Mit der neueren Tonsprache tut er sich schwerer. „[…] alles geht durchaus ins Form- und Charakterlose,“ beanstandet er und verurteilt „die Verirrungen der musikalischen Jugend“. Selbst zu Beethoven hat er ein zwiespältiges Verhältnis. Zwar schätzt er das eine oder andere seiner Werke, doch eigentlich widerstrebt ihm die Direktheit, die emotionale Dynamik seines Kompositionsstils. Auch geht Beethoven ihm bei manchen seiner Lieder zu eigenwillig vor – zum Beispiel in seinem Mignon-Lied Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn. Dort spielt die Musik eine größere Rolle als ihr nach Goethes Auffassung zusteht, denn Beethoven hat das Gedicht durchkomponiert statt ihm seine strophische Form zu belassen: „[…] die in jeder Strophe auf derselben Stelle vorkommenden Unterscheidungszeichen wären, sollte ich glauben, für den Tondichter hinreichend, ihm anzuzeigen, daß ich von ihm bloß ein Lied erwarte. Mignon kann wohl ihrem Wesen nach ein Lied, aber keine Arie singen,“ kritisiert der Dichter. Obwohl Goethe ausdrücklich zugibt, dass er Musik nicht beurteilen könne, da es ihm an Kenntnissen fehle, hat er doch sehr genaue Vorstellungen darüber, wie seine Gedichte vertont werden sollen. Von einem Liedkomponisten erwartet er, dass er „das Gedicht begleiten, tragen, heben und fördern soll“. Um es sangbar zu machen, hat er den Hörer „in die Stimmung zu versetzen, welche das Gedicht angibt“. Dabei muss sich der Komponist genau an die Vorgaben des Dichters halten und darf weder den Inhalt noch die Form des Textes verändern oder durch eigene Interpretationen anreichern, denn Goethe hält seine Poesie für so vollendet, das nichts hinzugefügt werden muss. Er will im Lied kein musikalisches Kunstwerk hören sondern eine schlichte Melodie, die sich Strophe für Strophe wiederholt und von jedem halbwegs musikalischen Menschen nachgesungen werden kann. Daher hält er auch „alles sogenannte Durchkomponieren“ für „verwerflich“, weil dadurch „der allgemein lyrische Charakter ganz aufgehoben und eine falsche Teilnahme am Einzelnen gefordert und erregt wird.“ Auch der Klavierpart hat nur eine begrenzte Rolle zu spielen. Als untergeordnetes harmonisches Fundament sollte das Instrument „nur die Stimme begleiten; denn Melodien, Gänge und Läufe ohne Worte und Sinn scheinen mir Schmetterlingen oder schönen bunten Vögeln ähnlich zu sein, die in der Luft vor unsern Augen herum schweben, die wir allenfalls haschen und uns zueignen möchten; da sich der Gesang dagegen wie ein Genius gen Himmel hebt und das bessere Ich in uns ihn zu begleiten anreizt.“

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Kann Goethe mit solchen Anschauungen überhaupt Gefallen finden an Schuberts Liedern? Das Lied-Ideal, das Goethe vorschwebt, ist nicht originell. Es entspricht dem Zeitgeschmack, und dem seiner Komponistenfreunde Johann Friedrich Reichardt und Karl Friedrich Zelter. Reichardt, der eine Zeitlang in Berlin Hofkapellmeister bei Friedrich II. war, hat fast 140 Vertonungen zu Goethes Texten geschrieben, mit Liedmelodien, „in die jeder, der nur Ohren und Kehle hat, gleich einstimmen soll“, wie er selbst sagte. Goethe ist davon begeistert. „Seine Kompositionen meiner Lieder sind das Unvergleichlichste, was ich in dieser Art kenne,“ schwärmt er einmal bei einem Neffen von Reichardt, doch sein eigentlicher Lieblingskomponist ist und bleibt Karl Friedrich Zelter, ein ungewöhnlicher Mann mit einem ungewöhnlichen Lebensweg. Zelter war zunächst Maurermeister, arbeitete lange im väterlichen Baugeschäft, machte sich dann als Leiter der berühmten Berliner Singakademie einen Namen und wurde 1809 zum Musikprofessor an die preußische Akademie der Künste berufen. Zelter komponiert einfache, seelenvolle Lieder, die manchmal wie Volkslieder klingen. Auch er hat Dutzende von Goethes Gedichten vertont, immer streng am Text orientiert und in einer Weise, die der Poesie den Vorrang gibt, nicht der Musik. „Das Originale seiner Kompositionen ist, soviel ich beurteilen kann, niemals ein Einfall, sondern es ist eine radikale Reproduktion der poetischen Intentionen,“ schrieb Goethe 1797 in einem Brief an August Wilhelm Schlegel und sprach damit sein höchstes Lob aus. Inzwischen ist er mit ihm gut befreundet, denn Zelter ist auch ein idealer Gesprächspartner, weil er geistreich ist, sehr humorvoll und vielseitig gebildet. Im Laufe der Jahre tauschen die beiden Männer hunderte von Briefen aus, in denen sie sich mit musikalischen Fragen und vielen anderen Themen beschäftigen, und ihre Freundschaft wird bis an ihr Lebensende dauern. Er sei der einzige Mensch, auf dessen Urteil in der Musik er etwas halte, lässt Goethe seinen Duzfreund im Jahre 1816 wissen, zu einer Zeit, als ihm das Liederheft eines jungen, unbekannten Komponisten namens Franz Schubert ins Haus geschickt wird. Darüber allerdings korrespondiert er nicht mit Zelter und holt sich auch keine Beurteilung bei ihm ein. Vier Jahre später bestätigt er dem Freund noch einmal, wie großartig er ihn als Tondichter findet. „Deine Kompositionen fühle ich sogleich mit meinen Liedern identisch, die Musik nimmt nur, wie ein einströmendes Gas, den Luftballon mit in die Höhe. Bei andern Komponisten muß ich erst aufmerken, wie sie das Lied genommen, was sie daraus gemacht haben,“ schreibt er ihm am 11. Mai 1820. Zu diesem Zeitpunkt kann sich Goethe an die Lieder von Franz Schubert schon längst nicht mehr erinnern. Neun Monate später, 26. April 1821. In der „Dresdner Abendzeitung“ erscheint eine Rezension über ein Konzert, das am Aschermittwoch, dem 7. März im k.k. Hofoperntheater in Wien stattgefunden hat. Der Kritiker hält sich nicht lange damit auf, über das buntscheckige Programm zu berichten, das neben Opernarien und Liedern auch Deklamationen und lebende Bilder enthielt. Für ihn gab es an diesem Abend nur ein einziges großes Ereignis: „Einige Lieder, von dem jungen, talentvollen Komponisten Schubert in Musik gesetzt, haben darin die meiste Sensation er-

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regt. Vor allem gefiel der Erlkönig, welchen Vogl mit seiner bekannten Meisterschaft vortrug und der wiederholt werden mußte. Diese herrliche Komposition muß ergreifen, sie ist jetzt hier bei Cappi und Diabelli im Stich erschienen, und ich bin überzeugt, daß es mir jeder der Leser, der sich dieses Meisterwerk anschaffen will, Dank wissen wird, daß ich ihn darauf aufmerksam machte.“ Der Erlkönig – eine Konzertsensation. Fünf Jahre sind vergangen, seit die Ballade zusammen mit anderen Liedern kommentarlos von Weimar nach Wien zurückbefördert wurde. Nun wird sie sogar in der ausländischen Presse gelobt. Hat Schubert auch ohne Goethes Hilfe Karriere gemacht? Viel ist seither geschehen. Schuberts „herrliche Komposition“ liegt mittlerweile im Druck vor, und er hat sie „Sr. Exzellenz dem hochgebornen Herrn Herrn Moritz Grafen v. Dietrichstein ehrfurchtsvoll gewidmet“. Dietrichstein ist Hoftheaterintendant und Obersthofmeister-Stellvertreter beim Herzog von Reichstadt, dem Sohn von Napoleon. Ein angesehener Widmungsträger also, in dem Schubert einen großen Förderer gefunden hat. Und Dietrichstein ist nicht der Einzige. Inzwischen gibt es nämlich auch noch andere einflussreiche Personen, die sich für seine Musik einsetzen. Allen voran der Hofopernsänger Johann Michael Vogl, der Mann, der sein Leben entscheidend verändert hat. Im Februar oder März 1817 hat Schubert ihn kennen gelernt. Sein Freund Franz von Schober, bei dem er nach dem Auszug aus dem Elternhaus einquartiert war, hatte die Begegnung arrangiert. Zunächst gab es erhebliche Schwierigkeiten, denn Vogl, der inzwischen fast fünfzig war und wenige Jahre vor seiner Pensionierung stand, sträubte sich entschieden dagegen, Schuberts Lieder anzuhören. Er habe „die Musik satt bis über die Ohren“, erklärte er Schober. Hundertmal habe man ihm von „jungen Genies“ erzählt, und jedes Mal sei er enttäuscht worden. Doch Schober blieb stur und wiederholte seine Bitte so lange, bis Vogel schließlich bereit war, zu einer Probe zu kommen. Über diese erste Begegnung schrieb Spaun: „Er trat um die bestimmte Stunde ganz gravitätisch bei Schober ein und, als ihm der kleine, unansehnliche Schubert einen etwas linkischen Kratzfuß machte und über die Ehre der Bekanntschaft in der Verlegenheit einige unzusammenhängende Worte stammelte, rümpfte Vogl etwas geringschätzig die Nase, und der Anfang der Bekanntschaft schien uns Unheil verkündend. Vogl sagte endlich ‚Nun was haben Sie denn da? Begleiten Sie mich‘, und dabei nahm er das nächstliegende Blatt, enthaltend das Gedicht von Mayrhofer ‚Augenlied‘, ein hübsches, sehr melodiöses, aber nicht bedeutendes Lied. Vogl summte mehr als er sang und sagte dann etwas kalt: ‚nicht übel‘. Als ihm hierauf ‚Memnon‘, ‚Ganymed‘ und andere Lieder begleitet wurden, die er aber alle nur mit halber Stimme sang, wurde er immer freundlicher, doch schied er ohne Zusage, wieder zu kommen. Er klopfte bei dem Weggehen Schubert auf die Schulter und sagte zu ihm: ‚Es steckt etwas in Ihnen, aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Charlatan, Sie verschwenden Ihre schönen Gedanken, ohne sie breit zu schlagen.‘ Gegen andere äußerte sich Vogl bedeutend günstiger über Schubert als gegen ihn und seine nächsten Freunde. […] Der Eindruck, den die Lieder auf ihn machten, war ein überwältigender, und er näherte sich nun unaufgefordert wieder unserem Kreise, lud Schubert zu sich, studierte mit ihm Lieder ein,

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und als er den ungeheuren, überwältigenden Eindruck wahrnahm, den sein Vortrag auf uns, auf Schubert selbst und auf alle Kreise der Zuhörer machte, so begeisterte er sich selbst so sehr für diese Lieder, daß er nun selbst der eifrigste Verehrer Schuberts wurde und daß er statt, wie er früher vorhatte, die Musik aufzugeben, sich erst neu dafür begeisterte.“ Sie sind ein ungleiches Paar – Vogl, der groß gewachsene Sänger, der „überall das große Wort“ führt und Schubert, der kleinwüchsige, scheue Komponist, dem es peinlich ist, im Mittelpunkt zu stehen. Doch ihr Verhältnis wird ausgezeichnet. Vogl tut alles für Schubert und entwickelt sich zu einem zuverlässigen, treuen Freund. Der stolze, oft arrogant wirkende Opernstar empfindet für den neunundzwanzig Jahre jüngeren Komponisten offenbar so etwas wie Ehrfurcht und nimmt es ihm nicht einmal übel, wenn er Verabredungen vergisst oder plötzlich aus einer Veranstaltung verschwindet. In solchen Fällen pflegt Vogl zu sagen: „Vor Schuberts Genius müssen wir uns alle beugen, und wenn er nicht kommt, müssen wir ihm auf Knieen nachkriechen.“ Schuberts Freunde können sich darüber nur wundern. „Vogl war gegen jedermann, besonders der ihm schmeichelte, brutal, nur allein Schubert hatte den Zauber, oder vielmehr sein Genius, der diese derbe Natur zahm machte.“ Schubert wiederum ist glücklich, endlich einen großen Interpreten für seine Lieder gefunden zu haben. Er schreibt neue Stücke für ihn und widmet ihm sogar ein ganzes Heft, in dem Vogls Lieblingslieder zusammengefasst sind. Außerdem lässt er sich gerne von ihm beraten, denn Vogl versteht viel von Musik und von Deklamation, und mit der Zeit gewinnt der Sänger einen großen künstlerischen Einfluss auf ihn. Einige Freunde beobachten diese Entwicklung mit etwas gemischten Gefühlen, denn Vogl hat auch gewisse Schwächen. Sonnleithner erzählt, er habe viele Lieder „hinreißend, tiefergreifend, wenn auch (besonders später) mit unverkennbarer Affektation und Selbstgefälligkeit“ vorgetragen. „Schubert mußte sich häufig nach ihm richten“. Ob Schubert das auch so empfindet? Ihm scheinen andere Erlebnisse wichtiger zu sein. „Die Art und Weise, wie Vogl singt und ich accompagnire, wie wir in einem solchen Augenblicke Eins zu sein scheinen, ist […] etwas ganz Neues, Unerhörtes“, schreibt er nach einem Liederabend mit Vogl an seine Eltern. Diese künstlerische Erfahrung berührt ihn tief und erfüllt ihn mit großer Befriedigung. Im Sommer 1818 verbringt Schubert zum ersten Mal einige Monate außerhalb der Landesgrenze. Graf Johann Karl Esterházy von Galántha, dessen Töchtern er seit kurzem Klavierunterricht gibt, hat ihn auf seinen Landsitz Schloß Zseliz nach Ungarn eingeladen, um den Unterricht dort fortzusetzen. „Ich lebe und componire wie ein Gott, als wenn es so seyn müßte,“ schreibt Franz Anfang August vergnügt an seine Freunde. Wenige Wochen später klingen seine Briefe schon weniger euphorisch. Süffisant stellt er fest: „[…] in Zseliz muß ich mir selbst alles seyn. Compositeur, Redacteur, Autiteur u. was weiß ich noch alles. Für das Wahre der Kunst fühlt hier keine Seele, höchstens dann u. wann (wenn ich nicht irre) die Gräfinn. […] Fürchtet euch also nicht, daß ich länger ausbleiben werde, als es die strengste Nothwendigkeit erfordert.“ Mit Ironie und Witz karikiert er anschließend

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die Schlossbewohner. „Die mich umgebenden Menschen sind durchaus gute. Selten wird irgend ein Grafen-Gesinde so gut zusammen gehen, wie dieses. Der H. Inspector, ein Slavonier, ein braver Mann, bildet sich viel auf seine gehabten Musiktalente ein. Er bläst jetzt noch auf der Laute zwey ¾ Deutsche mit Virtuosität. […] Seine Frau ist eine Frau wie alle Frauen, die gnädig heißen wollen. Der Rentmeister paßt ganz zu seinem Amte, ein Mann mit außerordentlichen Einsichten in seine Taschen u. Säcke. Der Doktor, wirklich geschickt, kränkelt mit 24 Jahren wie eine alte Dame. Sehr viel Unnatürliches. […] Der Koch ziemlich locker, die Kammerjungfer 30 Jahre alt, das Stubenmädchen sehr hübsch, oft meine Gesellschafterin, die Kindsfrau eine gute Alte, der Beschließer mein Nebenbuhler. Die 2 Stallmeister taugen viel besser zu den Pferden als zu den Menschen. Der Graf ziemlich roh, die Gräfinn stolz, doch zarter fühlend, die Contessen gute Kinder. Vom Braten bin ich bisher verschont geblieben.“ Als Musiklehrer gehört Schubert zum Dienstpersonal. Er wohnt im Nebengebäude des Schlosses und muss seine Mahlzeiten mit den anderen Angestellten einnehmen. Anders als in Wien, wo sich die Verhältnisse schon ein bisschen gelockert haben, wird hier bei den Herrschaften noch streng auf Distanz geachtet zwischen oben und unten. Schubert scheint es gelassen zu nehmen. Sein Aufenthalt in Zseliz ist schließlich nur begrenzt. Außerdem kommt er mit der Familie Esterházy ganz gut aus, erhält relativ viel Geld und hat genügend Zeit zum Komponieren. Dass er dennoch mehr als kritisch ist gegenüber den herrschenden Schichten, verrät ein Brief an seinen Bruder Ignaz. Als sich Ignaz, der Rebell in der Familie, bei ihm beklagt, dass er zu Hause „die Freiheit nur dem Namen nach kenne“ und gegen die Obrigkeit wettert – das „Bonzenheer“ und seine „dicken Köpfe“ – antwortet ihm Franz: „Du, Ignaz, bist noch ganz der alte Eisenmann. Der unversöhnliche Haß gegen das Bonzengeschlecht macht Dir Ehre. Doch hast Du keinen Begriff von den hiesigen Pfaffen, bigottisch wie ein altes Mistvieh, dumm wie ein Erzesel u. roh wie ein Büffel hört man hier Predigten, […] Man wirft hier auf der Kanzel mit Ludern, Kanaillen etc. herum, daß es eine Freude ist, man bringt einen Todtenschädel auf die Kanzel und sagt: Da seht her […] so werdet ihr einmal aussehen.“ Schubert kann sich empören gegen den Klerus, die Staatsmacht und die geistige Verflachung seiner Zeitgenossen. Er, seine Brüder und seine Freunde – sie alle leiden unter dem Druck der gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen. Die Regierung des Staatskanzlers Metternich hat die alten Herrschaftsverhältnisse wieder bestärkt und geistige Unfreiheit, Zensur und Bespitzelung zur Normalität werden lassen. Ein paar Jahre später wird Schubert einmal von „trüben Stunden“ berichten, „wo ich besonders das Thatenlose unbedeutende Leben, welches unsere Zeit bezeichnet, sehr schmerzlich fühlte“. Doch er ist kein Draufgänger. Sein Aufbegehren findet nicht öffentlich statt, und er versucht, „ jenes fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit […] durch meine Phantasie (Gott sey’s gedankt) so viel als möglich zu verschönern“. Im Frühjahr 1817 erst hat er in dem Lied An die Musik, das sein Freund Schober gedichtet hat, seine Sehnsüchte und die Sehnsüchte aller seiner Freunde musikalisch zum Ausdruck gebracht: „Du holde Kunst, in wieviel

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grauen Stunden, wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden, hast mich in eine beßre Welt entrückt.“ Während der Sommerwochen auf Schloß Zseliz lernt Schubert den Freiherrn Carl von Schönstein kennen, und mit dieser Begegnung beginnt für ihn eine neue, fruchtbare Künstlerbeziehung. Schönstein, ein guter Sänger mit einer wohlklingenden Tenor-Bariton-Stimme, wird aufmerksam auf den jungen Klavierlehrer und lässt sich durch ihn für das deutsche Lied begeistern. Schubert habe ihn liebgewonnen und gern und viel mit ihm musiziert, erinnert sich Schönstein später. Wiederholt habe er ihm gesagt, dass er nun bei der Liedkomposition vor allem seine Stimmlage berücksichtigen werde. Nach seiner Rückkehr aus Zseliz wird Schubert durch Schönsteins und Vogls Vermittlung nun häufig auch zu Konzerten in Wiener Adelshäuser eingeladen, wo sich anschließend immer das gleiche Ritual abspielt. „Wenn Vogl oder Schönstein, akkompagniert von Schubert, in größeren Kreisen seine Lieder vortrugen und damit hinreißende Wirkung hervorbrachten, so wurden sie mit Beifall und Dank förmlich bestürmt, aber kein Mensch dachte an den bescheidenen Meister, der die herrlichen Melodien schuf.“ Schubert berührt das alles nicht. Lobeshymnen sind ihm ohnehin unangenehm. Spaun berichtet, nach einem Liederabend mit Schönstein im Hause der Fürstin Kinsky habe das Publikum wieder einmal nur den Sänger bejubelt: „Als […] niemand Miene machte, den am Klavier sitzenden Kompositeur auch nur eines Blickes zu würdigen, suchte die edle Hausfrau, Fürstin K[insky], diese Vernachlässigung gutzumachen, und begrüßte Schubert mit den größten Lobeserhebungen, dabei andeutend, er möge es übersehen, daß die Zuhörer, ganz hingerissen durch den Sänger, nur diesem huldigen. Schubert erwiderte, er danke sehr der Frau Fürstin, allein, sie möge sich gar keine Mühe mit ihm geben, er sei es ganz gewohnt, übersehen zu werden, ja, es sei ihm dieses sogar recht lieb, da er sich dadurch weniger geniert fühle.“ Anders ist es, wenn er sich unter vertrauten Freunden befindet. Ihr Beifall ist ihm „immer höchst erfreulich; der Beifall der Menge jedoch ließ ihn kalt.“ Allmählich wird auch dieser Freundeskreis immer größer. Viele junge Künstler und Intellektuelle sind darunter – Musiker wie Anselm Hüttenbrenner, Ignaz Aßmayr, Benedikt Randhartinger und Franz Lachner, Dichter wie Eduard von Bauernfeld, Johann Mayrhofer und Franz von Schober, Maler wie Moritz von Schwind und Leopold Kupelwieser. „Alle diese waren begeisterte Anhänger Schuberts, und durch ihn wurden wir alle zusammen Brüder und Freunde.“ Eines Tages erfindet einer von ihnen das Wort Schubertiade für ihr Beisammensein, und von nun an werden alle Treffen so bezeichnet. Die erste dieser Schubertiaden findet am 26. Januar 1821 in Franz von Schobers Wohnung statt. „Da wurden eine Menge herrliche Lieder Schuberts von ihm selbst gespielt und gesungen, was bis nach 10 Uhr Abends dauerte. Hernach wurde Punsch getrunken, den einer aus der Gesellschaft gab, und da er sehr gut und in Menge da war, wurde die ohnedies schon fröhlich gestimmte Gesellschaft noch lustiger, so wurde es 3 Uhr Morgens, als wir auseinander giengen.“ Wenig später kommt es zu einem folgenreichen Ereignis. Leopold Sonnleithner, der seit Jahren im Hause seines wohlhabenden Vaters Privatkonzerte organisiert, an

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denen oft über 120 geladene Gäste teilnehmen, veranstaltet im Winter 1820/21 einige Soireen mit Liedern von Schubert. „Schon der Vortrag des ‚Erlkönig‘ machte großes Aufsehen,“ schreibt er rückblickend. „Schuberts Name wurde plötzlich in allen musikalischen Kreisen genannt und man fragte sich, warum seine Lieder nicht im Druck erschienen. – Inzwischen war ich durch einen persönlichen Freund Schuberts (Herrn Josef Hüttenbrenner) mit den Verhältnissen des ersteren bekannt geworden und hatte erfahren, dass seine pekuniäre Lage keineswegs befriedigend sei. Wir beschlossen daher, einen Verleger für seine Werke zu suchen, wozu Schubert selbst in seiner naiven Einfachheit gar nicht geeignet war. Ich trug den ‚Erlkönig‘ dem Kunsthändler Tobias Haslinger und Anton Diabelli an; allein beide verweigerten die Herausgabe (selbst ohne Honorar), weil sie wegen der Unbekanntheit des Komponisten und wegen Schwierigkeiten der Klavierbegleitung keinen lohnenden Erfolg erwarteten. Durch diese Zurückweisung verletzt, entschlossen wir uns, die Herausgabe auf Schuberts Rechnung selbst zu veranstalten. Ich, Hüttenbrenner und noch 2 Kunstfreunde legten die Kosten des ersten Heftes aus Eigenem zusammen und ließen im Februar 1821 den ‚Erlkönig‘ stechen.“ Schuberts erstes gedrucktes Opus ist auf Anhieb ein Erfolg. Bei der nächsten Soiree im Hause Sonnleithner werden alle 100 Exemplare des Erlkönig verkauft, und dieser Zuspruch macht den Freunden Mut. Mit dem eingenommenen Geld können nun auch die Kosten der nächsten Liederhefte gedeckt werden. „So ließen wir die 12 ersten Werke für eigene Rechnung stechen und bei Diabelli in Kommission verkaufen. Von dem reichlichen Erlöse zahlten wir Schuberts Rückstände an Wohnzins, Schuster- und Schneiderkonto, im Gasthause und Kaffeehaus und gaben ihm noch erhebliche Geldbeträge in die Hand; leider bedurfte es einer solchen Bevormundung, denn er hatte keinen Begriff von häuslicher Ökonomie und wurde von seinen Gasthausfreunden […] oft zu unnützen Ausgaben verleitet, wovon die anderen mehr als er selbst genossen.“ Schubert hat wohl tatsächlich „keinen Begriff“ von Ökonomie. Er ist so unbedacht, dass er sich ohne Wissen der Freunde von Diabelli dazu verleiten lässt, ihm das Verlagseigentum der bisher erschienenen Werke einschließlich der Stichplatten für den lächerlichen Kaufpreis von 8oo Gulden abzutreten. Der geschäftstüchtige Diabelli wird im Laufe der nächsten vierzig Jahre immens an Schuberts Kompositionen verdienen. Allein das Lied Der Wanderer wird ihm 27 000 Gulden bescheren – einen vergleichbaren Verkaufserfolg für ein einzelnes Lied wird es kaum jemals wieder geben – und mit den Müller-Liedern wird Diabelli so große Gewinne machen, dass er sich davon sogar ein Haus kaufen kann. Schubert selbst kann von dem unglückseligen Handel keineswegs so viel profitieren. Dass er hinter dem Rücken seiner Freunde auf Diabellis Angebot eingegangen ist, nehmen sie ihm offenbar nicht übel. „Dieses eigentlich undankbare Benehmen Schuberts entfremdete ihn uns keineswegs; wir bedauerten seine Schwäche, fuhren aber fort, uns der Aufführung und Verbreitung seiner Werke anzunehmen,“ berichtet Sonnleithner. Das Jahr 1821 bringt Schubert weitere Anerkennung. Im Frühjahr feiert man in verschiedenen privaten Konzerten einige seiner Lieder und Kompositionen, und am 17. März 1821 wird der Erlkönig im Wiener Hofoperntheater zum ersten Mal öf-

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fentlich aufgeführt. Der Beifall ist groß, die Presse findet nur lobende Worte, und sogar in der ausländischen „Dresdner Abendzeitung“ erscheint eine überschwängliche Kritik. Ermutigt durch das positive Echo denkt Schubert nun an weitere LiedVeröffentlichungen und vertieft sich unter anderem auch wieder in die Dichtung von Goethe. Eine ganze Serie neuer Goethe-Lieder entsteht: Vertonungen von Texten aus dem West-östlichen Divan, aus Wilhelm Meister und von anderen berühmten Gedichten. Er komponiert sie in einem neuen, experimentell-romantischen Stil, und wieder werden sie in den Zeitungen gepriesen. Die Lieder seien „in einem ganz originellen Geiste“ geschrieben, heißt es und man nennt Schubert einen „genialen Tondichter, der in so kurzer Zeit ein Liebling der Kenner und Liebhaber geworden ist.“ Schubert ist so erfolgreich wie nie. Die Berichte über Aufführungen seiner Werke häufen sich, und auch das Interesse der Verleger nimmt deutlich zu. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens erscheinen mehr als 150 Verlags-Anzeigen über neu erschienene Werke, fast genau so viele Konzertannoncen werden veröffentlicht, und in den rund 80 Rezensionen in- und ausländischer Zeitungen finden seine Werke überwiegend eine wohlwollende Beurteilung. Vor allem seine Lieder, die nun für viele Zeitgenossen als beispielhaft gelten. Auch Schuberts finanzielle Lage verbessert sich, obwohl er nicht mit Geld umgehen kann und bei seinen Freunden immer wieder Schulden machen muss. Mit zwei dieser Freunden teilt er zeitweise so gut wie alles. „In der Frage des Eigentums war die kommunistische Anschauungsweise vorherrschend,“ erinnert sich Eduard von Bauernfeld. „Wer eben bei Kasse war, zahlte für den oder die andern. Nun traf sich’s zeitweilig, daß zwei kein Geld hatten und der dritte – gar keins! Natürlich, daß Schubert unter uns dreien die Rolle des Krösus spielte und ab und zu in Silber schwamm, wenn er etwa ein paar Lieder an Mann gebracht hatte oder gar einen ganzen Zyklus, wie die Gesänge aus ‚Walter Scott‘, wofür ihn Artaria oder Diabelli 500 fl. Wiener Währung bezahlte – ein Honorar, mit welchem er höchlich zufrieden war, auch haushalten wollte, wobei es aber, wie stets bisher, beim guten Vorsatz blieb. Die erste Zeit wurde flott gelebt und traktiert, aber auch nach rechts und links gespendet – dann war wieder Schmalhans Küchenmeister! Kurz, es wechselte Ebbe und Flut.“ Anfang des Jahres 1823 spürt Schubert erste Anzeichen einer Geschlechtskrankheit. Als sich die Symptome verschlimmern, wird er ins Krankenhaus eingeliefert, wo er sich einer qualvollen Quecksilberkur unterziehen muss. Vorübergehend gibt es Besserung, dann verschlechtert sich sein Befinden wieder. Die Krankheit verläuft in Schüben. Verzweifelt schreibt er im März 1824 seinem Freund Leopold Kupelwieser: „[…] ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, u. der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zunichte geworden sind, dem das Glück der Lieb u. Freundschaft nichts biethen als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? – ‚Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmer mehr‘, so kann

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ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen, u. jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram.“ Während dieser Phase der Hoffnungslosigkeit vergräbt er sich in seine Musik. Im Herbst 1823 komponiert er den Liedzyklus Die schöne Müllerin, im folgenden Frühjahr schreibt er unter anderem ein düsteres Streichquartett in d-Moll, in dem er das Thema des Klavierliedes Der Tod und das Mädchen zitiert, das bereits 1817 entstanden ist. Es sind Werke, die vom Erlebnis der Todesnähe gezeichnet sind, Abbilder tiefer seelischer Not und Melancholie. In ein Notizbuch trägt er am 27. März seine schwermütigen Gedanken ein: „Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen.“ Im Sommer 1824 ist das akute Stadium der Krankheit abgeklungen, und Schubert nimmt erneut eine Einladung der Familie Esterházy nach Ungarn an. Von dort schreibt er an seinen Bruder Ferdinand, dass er „heiteren Gemüthes“ sei und „wohl“. „Freylich ists nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint“. Drei Monate später allerdings ist seine „Heiterkeit doch oft getrübt“, weil er seine Freunde vermisst, wie er Franz von Schober mitteilt, und er bekennt ihm ganz offen, dass er „manchmahl sehr elende Tage“ verlebe. Dem Brief fügt er ein vierstrophiges Gedicht bei, das er vor kurzem verfasst hat. Es trägt den Titel Klage an das Volk und ist ein Bekenntnis zu seiner Kunst, zum Sinn seines Schaffens in einer Zeit, die er als „tatenlos“ und „unbedeutend“ empfindet. „Nur Dir, o heil‘ge Kunst, ist‘s noch gegönnt / im Bild‘ die Zeit der Kraft und Tat zu schildern, / um weniges den großen Schmerz zu mildern, / der nimmer mit dem Schicksal sie versöhnt.“ In den folgenden Monaten stabilisiert sich sein körperlicher Zustand. „Schubert ist gesund und nach einigem Stillstand wieder fleißig,“ schreibt Moritz von Schwind am 14. Februar 1825 an Franz von Schober. „Er wohnt seit kurzem in dem Haus neben uns, wo das Bierhaus ist, im zweiten Stock, in einem sehr hübschen Zimmer. Wir sehen uns täglich, und, so viel ich kann, teile ich sein ganzes Leben mit ihm. […] Es ist alle Wochen bei Enderes Schubertiad, das heißt, der Vogl singt. Die Gesellschaft ist außer er, Wittischek, Esch, Schlechta, Groß, Riepl, ein Gemisch von lauter gleichen Gesichtern. Mayerhofer und Gahy zeigen sich auch öfters.“ Wieder erlebt Schubert eine wohltuende und gesellige Zeit in diesem Frühling. Er ist viel mit seinen Freunden zusammen, hält sich bei seinen Brüdern auf und besucht abends Konzerte, in denen seine Werke aufgeführt werden. Neue Pläne für den Sommer werden geschmiedet. Mit Michael Vogl will er wieder auf Reisen gehen – nach Oberösterreich, wo sie schon 1819 und 1923 auf Tournee waren und großen Beifall ernteten. Vogl verabschiedet sich bereits Anfang April und fährt in seine Heimatstadt Steyr. Schubert soll später nachkommen, so ist die Verabredung, denn er hat vorher noch einiges zu tun. Vielleicht sind es Notenkorrekturen oder Konzertbesuche, jedenfalls gehört auch ein Brief dazu, den zu schreiben er sich vorgenommen hat. Ein Brief an Goethe. Der Fehlschlag vom Frühjahr 1816 ist längst verschmerzt. Die meisten Lieder, die damals für Goethe bestimmt waren, sind schon seit Jahren ge-

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druckt und mit Erfolg verkauft worden. Einige allerdings sind immer noch nicht erschienen, unter ihnen zwei, die zu Schuberts beliebtesten Stücken zählen: An Schwager Kronos und An Mignon. Schubert wollte die beiden Lieder schon vor zwei Jahren zusammen mit seinem großen Goethe-Gesang Ganymed herausgeben und hat den Geheimrat Anfang 1823 möglicherweise erneut um eine Widmungsgenehmigung gebeten. Sie wurde nicht erteilt. Schubert bleibt jedoch hartnäckig. Da der Verlag Cappi und Diabelli vorhat, die drei Lieder im kommenden Juni endlich als opus 19 zu veröffentlichen, will er Fakten schaffen. Irgendwann in diesen Frühlingstagen 1825 schreibt er dem verehrten Dichter ein paar kurze Zeilen und widmet ihm das geplante neue Opus. Diesmal allerdings, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu bitten. Er informiert ihn lediglich. „Euer Exzellenz! Wenn es mir gelingen sollte, durch die Widmung dieser Composition Ihrer Gedichte meine unbegränzte Verehrung gegen E. Exzellenz an den Tag legen zu können, und vielleicht einige Beachtung für meine Unbedeutendheit zu gewinnen, so würde ich den günstigen Erfolg dieses Wunsches als das schönste Ereigniß meines Lebens preisen. Mit größter Hochachtung Ihr Ergebenster Diener Franz Schubert.“ Anfang Juni schickt der Verlag Schuberts Brief zusammen mit zwei prächtig gebundenen Ausgaben des neuen Liederheftes opus 19 nach Weimar. Die Titelseite ist kostbar gedruckt auf satiniertem Papier und mit Goldschrift versehen. Am 16. Juni notiert Goethe in sein Tagebuch: „Sendung von Schubert aus Wien, von meinen Liedern Compositionen.“ An Schubert schreibt er nicht. Die Sendung bleibt unbeantwortet – wie neun Jahre zuvor, im Frühjahr 1816.

V „Hochbeglückt, schmerzentrückt“ Zürcher Kapriolen und ihre Folgen

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„Lebwohl! Lebwohl, Du Liebe! Ich scheide mit Ruhe. Wo ich sei, werde ich nun ganz Dein sein. Suche mir das Asyl zu erhalten. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! Du liebe Seele meiner Seele! Leb’ wohl – auf Wiedersehen!“ Ein Abschiedsbrief. Sibyllinische Worte um das Ende einer Affäre, die im Sommer des Jahres 1858 die Gemüter erregte. Verheirateter Mann liebt verheiratete Frau – eine Allerweltsgeschichte, für die sich heute niemand mehr interessieren würde, verdankte die Menschheit ihr nicht eine weltberühmte Oper. Der Briefschreiber: Richard Wagner, geboren am 22. Mai 1813 in Leipzig. Ein schlanker, leidenschaftlicher Mann mit glutvollen Augen, mächtiger Stirn, energischen Gesichtszügen und einem auffallend vorspringenden Kinn – ein Mann mit Charisma, der nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer seltsam unwiderstehlich wirkt. Die Adressatin: Mathilde Wesendonck, Tochter des Kommerzienrats Luckemeyer aus Elberfeld, Unternehmersgattin und Amateurdichterin. Hübsch, musikbeflissen, schwärmerisch. Zu Beginn der besagten Romanze ist sie dreiundzwanzig Jahre alt. Als weitere Personen sind zu nennen: Minna Wagner, Ehefrau des Komponisten und ehemalige Schauspielerin. Eine vorzeitig verblühte Schönheit mit Hang zur Eifersucht. Temperamentvoll, nüchtern und ein bisschen hausbacken. Sie ist vier Jahre älter als ihr Mann und leidet unter Herzbeschwerden. Der Vierte im Bunde: Otto Wesendonck, Mathildes Ehemann, wohlhabender Seidenfabrikant vom Niederrhein, honorig, feinfühlig, kunstsinnig. Ein Unternehmer mit Sinn für gehobene Lebensart und Kultur, zwei Jahre jünger als Richard Wagner. Anfang 1852 lernt man sich in Zürich kennen, wo beide Paare ihren Wohnsitz haben. Wesendoncks sind erst vor einem knappen Jahr aus dem Rheinland hierher gezogen, ins Zentrum des europäischen Seidenmarkts. Da Otto Wesendonck monatelang auf Geschäftsreisen sein muss, hat sich das Paar noch kein Haus gekauft, sondern residiert zunächst in der herrschaftlichen Suite des Hotels Baur au Lac. Bei Wagners liegt der Fall anders. Richard Wagner lebt in Zürich seit drei Jahren im Exil, ohne Einkommen, unterstützt von Freunden, in einer schäbigen, kleinen Wohnung. Der ehemalige Dresdner Hofkapellmeister wird in Deutschland steckbrieflich gesucht – als Revolutionär und Volksverhetzer. Wie konnte es dazu kommen? Leicht hatte Wagner es bisher nie gehabt. Mit einundzwanzig wurde er Musikdirektor einer Theatertruppe aus Magdeburg, doch schon nach zwei Jahren verlor er die Stelle wieder, weil die Truppe bankrott ging. Zusammen mit seiner Verlobten Minna ging er dann ans Königsberger Stadttheater, wo ihm dasselbe widerfuhr. Ursache war diesmal der Bankrott der Direktion. Auch mit seinem nächsten Engagement als Kapellmeister in Riga hatte Wagner kein Glück. Im Sommer 1837 trat er

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die Stelle an, anderthalb Jahre später war er sie wieder los. Der Grund: ein anderer Kapellmeister wurde ihm vorgezogen. Völlig verschuldet floh er heimlich aus Riga, gemeinsam mit Minna, die er 1836 geheiratet hatte. Eine turbulente Beziehung, diese Ehe – von Anfang an ein buntes Wechselbad von Liebe und Eifersucht, Trennung und Versöhnung. Seinetwegen gab Minna ihre Schauspielkarriere auf und ging mit ihm. Sie konnte nicht anders, sie liebte ihn. Die beiden gelangten zunächst per Schiff nach London und von da aus nach Paris, wo sie fast drei Jahre blieben. Um leben zu können, musste sich Wagner als Arrangeur, Kritiker und Salonkomponist durchschlagen, ein armseliges und demütigendes Geschäft. Doch es gab auch Lichtblicke in dieser Zeit: Er konnte die Pariser Große Oper aus allernächster Nähe studieren, hörte Konzerte mit Werken berühmter Komponisten und machte Bekanntschaft mit musikalischen Stars wie Franz Liszt und Hector Berlioz. Dennoch – die Pariser Verhältnisse waren alles andere als das, was Wagner sich erträumt hatte. Hier interessierte sich kein Mensch für einen jungen Mann, der außer großen Ideen und ein paar halb fertigen Kompositionen nichts vorzuweisen hatte. Die Geldnöte wurden immer größer und mit ihnen die Schulden. Minna hielt tapfer zu ihm, dazu noch ein paar Freunde, die aber auch nicht weiterhelfen konnten. Trotz all der Widrigkeiten war Wagner sehr kreativ. Er saß in seinem billigen Hotelzimmer und komponierte Eine Faust-Ouvertüre, beendete seine dritte Oper Rienzi und schrieb ein neues Opus für die Bühne: den Fliegenden Holländer, in Erinnerung an die stürmische Seefahrt von Riga nach London. 1842 hatten die beiden das Hungerleben satt und verließen Paris. Sie kehrten zurück nach Dresden – mit einem Sack voller Schulden auf dem Buckel und wieder einmal angewiesen auf die Hilfe von Freunden und Verwandten. „Oft könnte ich mit wahrem Gebrüll die Zeit herwünschen, in der wir endlich einmal aufhören sollen, Bettler in anständigen Kleidern zu sein: glücklich, wer die Lumpen auf dem Leibe zur Schau tragen darf,“ schrieb Wagner damals an seinen Schwager Eduard Avenarius. Seine ganze Hoffnung konzentrierte sich nun darauf, den Rienzi in Dresden aufzuführen. Und es geschah ein Wunder: die Uraufführung im Oktober 1842 wurde tatsächlich ein spektakulärer Erfolg. Das Dresdner Publikum jubelte, und Wagner genoss den ungewohnten Beifall in vollen Zügen. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Im folgenden Januar ging auch Der Fliegende Holländer erstmalig über die Bühne – nicht ganz so gefeiert, aber immerhin achtungsvoll beklatscht –, und vier Wochen später, am 2. Februar 1843, wurde Richard Wagner zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister ernannt. Nun schien er es endgültig geschafft zu haben. Als Dirigent machte er sich bald einen Namen, doch als Komponist musste er eine enttäuschende Erfahrung nach der anderen einstecken. Die neuen Opern, die er schrieb, waren keine Erfolgsnummern mehr wie der Rienzi. Weder Der Fliegende Holländer noch der Tannhäuser, der am 19. Oktober 1845 uraufgeführt wurde. Die Melodien waren zu ungewohnt für die Zuhörer, das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Text und Musik verstanden die meisten von ihnen ebenso wenig wie die Psychologie der Figuren. Wagner hatte einen neuen musikalischen Weg beschritten, und er musste dafür mit Ablehnung und Unverständnis büßen. Seine Reaktion war Trotz. Er fühlte sich verfolgt von dummen und

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intriganten Kritikern, denen er alle Schuld in die Schuhe schob. Das machte die Situation natürlich nicht einfacher. Hinzu kamen noch andere Schwierigkeiten. Trotz seines ansehnlichen Jahresgehalts von 1500 Talern war Wagner nicht fähig, seinen Schuldenberg abzubauen. Er stürzte sich in waghalsige Unternehmungen, um zu Geld zu kommen – immer in der Hoffnung auf den ganz großen Erfolg –, und weil dieser Erfolg ausblieb, wurde die Misere immer schlimmer. War es da ein Wunder, dass er sich immer häufiger Gedanken machte über die ungerechte Verteilung der Güter in dieser Welt? Schon in Paris war er mit den neuen Theorien des Sozialismus in Berührung gekommen. Jetzt fand er Freunde, die ihm mehr darüber erzählten – den Dresdner Musikdirektor August Röckel und den russischen Anarchisten Michail Alexandrowitsch Bakunin. Er lauschte ihren Reden, nahm begierig ihr revolutionäres Gedankengut in sich auf und strickte sich daraus seine eigene Lebensphilosophie. Nur ein Umsturz in der Gesellschaft konnte die Verhältnisse verbessern. Eine Revolution würde soziale Gerechtigkeit bringen, und – was ihm vor allem am Herzen lag – sie würde die Voraussetzungen schaffen für eine grundlegende Reform des Theaters. Die Neuordnung des deutschen Theater nach dem Vorbild der Griechen: Das war sein Ideal, und für dieses Ideal wollte er kämpfen. Nur so ließen sich seine Vorstellungen von einem Musikdrama der Zukunft einmal verwirklichen. Im politisch bewegten Jahr 1848 begann Wagner, anonyme Artikel über Revolution und Anarchie für die republikanische Zeitung seines Freundes Röckel zu schreiben. Im Juni des gleichen Jahres hielt er einen flammenden Vortrag, in dem von Volkswehr, Abschaffung der Aristokratie, Aufhebung der ersten Kammer und dem „dämonischen Begriff des Geldes“ als Wurzel allen Übels die Rede war. Die Folge war ein handfester Skandal. Die Intendanz des Hoftheaters setzte sofort den Rienzi vom Spielplan und ließ auch die geplante Lohengrin-Uraufführung ihres renitenten Kapellmeisters platzen. Wagner war zutiefst beleidigt und schrieb daraufhin noch wütendere Artikel. Anfang Mai 1849, als es in Dresden wegen des Verfassungsbruchs durch den sächsischen König zum Aufstand kam, stand er an vorderster Front der Revoluzzer. Er ließ Handzettel herstellen, die zur Solidarität mit den Rebellen aufriefen und stieg auf den Turm der Kreuzkirche, um die Truppenbewegungen der Feinde zu beobachten. Doch er und seine Kameraden hatten nicht viel Glück. Der Aufstand wurde niedergeknüppelt, und Wagner entging um Haaresbreite einer Verhaftung. Er musste fliehen. Zunächst fand er Unterschlupf bei Franz Liszt in Weimar, aber der Boden wurde auch dort bald zu heiß für ihn. Als am 19. Mai im Dresdner Anzeiger der Steckbrief des Bürgerschrecks Richard Wagner erschien, gab Liszt ihm den dringenden Rat, außer Landes zu gehen. Er solle über die Schweiz nach Paris reisen, sagte er ihm. Dort könne er etwas für ihn tun, denn dort habe er viele Beziehungen. Wagner fügte sich und reiste ab. Mit gefälschten Papieren passierte er unbehelligt die Grenze, kam am 28. Mai nach Zürich, reiste weiter nach Paris und blieb einen Monat dort, ohne die von Liszt in die Wege geleiteten Kontakte sinnvoll für sich nutzen zu können. Daraufhin kehrte wieder zurück nach Zürich, wo er Unterkunft bei einem alten Freund fand, dem Musiklehrer Alexander Müller. Im September kam Minna nach, mit Tochter Nata-

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lie, Hund Peps und Papagei Papo. Sie drohte, sofort wieder nach Dresden zurückzufahren, wenn Wagner sich nicht entsprechend benähme. Es sei kein kleines Opfer, dass sie zu ihm käme, hatte sie ihm schon vorher vorwurfsvoll geschrieben: „Was für einer Zukunft gehe ich jetzt entgegen, was kannst Du mir bieten?“ Natürlich konnte Richard die Frage nicht beantworten. Am 17. September zog die Familie in eine kleine Wohnung am Zeltweg Nr. 182 in der Gemeinde Hottingen. Liszt, der Freund und Nothelfer, kam für den größten Teil der Kosten auf. Wagner fühlte sich glücklich. Obwohl er keine Ahnung hatte, wovon er in Zukunft leben sollte, hatte er endlich das Gefühl, frei zu sein, „frei von der Welt marternder, stets unerfüllter Wünsche“, und er beschloss, sich in Zukunft nur noch seinen Kunstidealen zu widmen und seine Existenzsicherung zunächst einmal guten Freunden zu überlassen. Seine Anwesenheit in Zürich sprach sich schnell herum. Das musikalische Leben in der 33 000 Einwohner zählenden Stadt war mehr als bescheiden, und so dauerte es nicht lange, bis man auf den Exil-Kapellmeister aus Dresden aufmerksam wurde. Der Vorstand der Allgemeinen Musikgesellschaft trat an ihn heran und bat ihn, ein Konzert mit dem städtischen Orchester zu dirigieren. Nach anfänglichem Zögern erklärte sich Wagner dazu bereit, und am 15. Januar 1850 erlebten die Musikfreunde von Zürich den sächsischen Pultmagier zum war ersten Mal in Aktion: Wagner dirigierte die siebte Sinfonie von Beethoven, und sein Erfolg war grandios. Er wurde gefeiert wie ein Star, das Publikum hörte nicht auf zu klatschen, und man bestürmte ihn, die Stadt in Zukunft mit weiteren Konzerten zu beehren. Der Gedanke, sich in der Provinz als Dirigent zu verausgaben, schien ihm zwar nicht besonders verlockend, doch er sagte zu, denn schließlich fand er hier endlich Zeit und Gelegenheit, seine neuen Kunsttheorien zu Papier zu bringen. Die erste Schrift mit dem Thema Die Kunst und die Revolution war bereits im vergangenen Sommer entstanden. Nun hatte er seinen nächsten Artikel abgeschlossen, in dem es ums große Ganze ging: um Das Kunstwerk der Zukunft. Er plante, öffentliche Vorlesungen in Zürich zu halten und sich so „ohne Anstellung und namentlich ohne Musik […] eine, wenn auch dürftig lohnende Wirksamkeit für die nächste Zeit einzurichten.“ Doch Minna machte Schwierigkeiten. Der Gedanke an öffentliche Vorlesungen empörte sie. Sie zeterte, er solle gefälligst wieder komponieren. Ein Erfolgsstück wie den Rienzi, bitte schön, und zwar für die Große Oper in Paris! Vergeblich versucht er ihr zu erklären, dass er inzwischen ein ganz anderes Opernkonzept im Kopf hatte. Ein Musikdrama als Gesamtkunstwerk – eine Einheit von Tönen, Worten und Bildern. Über die Musik war er sich zwar noch nicht genau im Klaren, aber das erste Textbuch dazu hatte er bereits verfasst: Siegfrieds Tod, eine Heldenoper über die Nibelungensage. Minna aber stellte sich stur. Sie hielt nichts von derlei Experimenten und warf ihm an den Kopf, wenn er „nicht allen Ernstes versuchte, es in Paris zu etwas Ordentlichem zu bringen,“ würde sie an ihm verzweifeln, und sie würde nicht zusehen, wie er in Zürich „als elender Schriftsteller und Dirigent von Winkelkonzerten verkäme.“ Liszt schlug in die gleiche Kerbe. Die Idee, dass Wagner noch einmal nach Paris reisen solle, um dort als Opernkomponist Karriere zu machen, stammte von ihm. Er drängte Wagner, seine Oper Wieland der Schmied endlich fertig zu stellen – eine Komposition, an dem Wagner seit langem lustlos

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herumwerkelte – und beauftragte seinen Sekretär Belloni in Paris, alle Schritte zu unternehmen, um die Werke seines Freundes bei dessen nächsten Besuch dort gut zu vermarkten. Wagner stand unter Druck. Er war abhängig von Liszt und musste sich unterordnen. Also fuhr er zu einem festgesetzten Termin Anfang Februar 1850 noch einmal nach Paris, obwohl es ihm ganz und gar nicht passte. Und wieder kam es zu einem Fiasko. Belloni, der ihm weiterhelfen sollte, war auf Grund eines Missverständnisses abgereist. Wagner saß wochenlang untätig in Paris herum, um auf ihn zu warten, doch er wartete vergeblich. Auch die erhofften Aufführungen der Rienzi- und Tannhäuser-Ouvertüren kamen nicht zustande. Es ging einfach alles schief in dieser Stadt. Niemand interessierte sich für den Komponisten Richard Wagner, und dessen Laune wurde von Tag zu Tag schlechter. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Wagner bekam Post von einer jungen Frau namens Jessie Laussot aus Bordeaux. Er hatte sie im letzten Jahr in Dresden kennengelernt. Sie war Engländerin, hieß damals noch Miss Taylor und war seinerzeit zu Besuch bei Julie Ritter gewesen, einer Freundin der Wagners. Inzwischen hatte ihre steinreiche Mutter sie an einen französischen Weinhändler namens Eugène Laussot verheiratet, und sie lebte nun in Bordeaux. Jessie langweilte sich dort zu Tode, schwärmte für Wagners Musik und ertrotzte sich von ihrer Familie die Zusage, ihrem vergötterten Idol eine stattliche Geldsumme zukommen zu lassen. Gemeinsam mit Julie Ritter hatte sie beschlossen, Wagner mit einer jährlichen Rente von 3000 Francs unter die Arme zu greifen. Julie wollte 500 Francs beisteuern, sie selbst 2500 Francs. Nun also schrieb sie Wagner einen herzlichen Brief und lud ihn ein, nach Bordeaux zu kommen. Wagner war gerührt. Er zögerte nicht lange, schrieb Minna, er werde Paris nun den Rücken kehren, kaufte sich eine Fahrkarte nach Bordeaux und stürzte sich dort, kaum angekommen, Hals über Kopf in ein Liebesabenteuer. Seine Gastgeberin Jessie war einundzwanzig Jahre jung, unglücklich verheiratet und entdeckte in ihm den Mann ihrer Träume. Sie himmelte ihn an, las ihm jedes Wort von den Lippen ab und entpuppte sich so als der Typ von Frau, den er sich schon immer gewünscht hatte. Als sie ihm eröffnete, sie wolle sich scheiden lassen und mit ihm gehen, war Wagner entzückt und sofort entschlossen zu handeln. Er schrieb Minna einen Abschiedsbrief und begann, Luftschlösser zu bauen. Nach Griechenland wollte er fliehen mit seiner kleinen Jessie, oder nach Kleinasien – egal, nur ganz weit weg, um ein neues Leben anzufangen. Natürlich konnte das nicht lange gut gehen. Sie hatten beide nicht mit ihren Ehehälften gerechnet, ganz zu schweigen von Jessies Mutter. Monsieur Laussot, Mrs. Taylor und Minna Wagner griffen energisch ein und holten das Liebespaar wieder auf den harten Boden der Realität zurück. Jessie blieb bei ihrem Weinhändler, und Wagner fuhr heim in die Schweiz. Sein Versuch, aus der Ehe mit Minna auszubrechen, war missglückt. Dieses Mal. Zürich, Anfang des Jahres 1852. Auf vielfaches Drängen der Allgemeinen Musikgesellschaft dirigiert Richard Wagner erneut drei Beethoven-Konzerte, und wieder erntet er tosenden Applaus. Unter den Zuhörern, die ihn bejubeln, befinden sich diesmal zwei neue Züricher Bürger: ein reicher Seidenfabrikant aus Deutschland namens Otto Wesendonck und seine Frau Mathilde. Das Paar brennt darauf, Wag-

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ner kennen zu lernen, und kurz nach dem Konzert kommt es zu einer ersten Begegnung. Wesendoncks sind beeindruckt von dem temperamentvollen Musiker, der so ausgiebig von seinen musikalischen Visionen zu reden weiß, und sie laden ihn ein zu einem Besuch in ihrer Hotel-Suite. Wagner lässt sich das nicht zweimal sagen. Die beiden sind ihm sympathisch, besonders die charmante Unternehmersgattin. Er erscheint zum vereinbarten Termin, man tauscht Höflichkeiten aus, kommt sich näher, verabredet sich erneut. Wagner genießt die Anerkennung dieser Leute und das Ambiente, in dem sie wohnen. Vor allem aber genießt er die aufmerksame Art, wie Madame Wesendonck seinen Worten lauscht. Die Frau gefällt ihm. So viel weibliche Zuwendung war ihm lange nicht mehr vergönnt. Ein Jahr später, Februar 1853. Im vornehmen Hotel Baur au Lac, dem Wohnsitz der Wesendoncks, liest Richard Wagner vier Abende lang aus seiner soeben vollendeten Dichtung Der Ring des Nibelungen. Am ersten Abend kommen nur einige Honoratioren der Stadt, ein paar wohlhabende Familien und natürlich das Ehepaar Wesendonck. Doch das Ereignis spricht sich schnell herum, und die Schar der Zuhörer wächst von Tag zu Tag. Kein Wunder, denn was die Leute geboten bekommen, ist ebenso sonderbar wie faszinierend. Eine „one-man show“ mit dem Hauptdarsteller Richard Wagner. Er liest nicht nur, sondern er setzt sich in Szene: Mal spricht er, mal singt er, mal schreit er, mal flüstert er in mühsam unterdrücktem sächsischen Tonfall den schwierigen Text seiner Nibelungen-Tetralogie. Nebenbei gibt er Regieanweisungen zum Besten, deutet – mit Händen und Armen gestikulierend – das Bühnenszenario an. Das Publikum ist hingerissen – vor allem die Frauen. Mathilde Wesendonck lässt ihn nicht mehr aus den Augen. Es wird der größte Rezitationserfolg seines Lebens. Wagner ist stolz. Schon Monate zuvor hat er seinem Dresdner Freund Theodor Uhlig geschrieben: „Einige neue Bekanntschaften haben sich mir aufgedrungen; ihrem männlichen theile nach sind sie mir sehr gleichgültig, weniger dem weiblichen nach. Ein reicher junger Kaufmann Wesendonk […] hat sich seit einiger Zeit hier niedergelassen, und zwar mit großem luxus; seine frau ist sehr hübsch und scheint aus dem Vorworte der drei Operndichtungen Schwärmerei für mich gefaßt zu haben.“ Beglückt und ermutigt schlägt Wagner dem Vorstand der Allgemeinen Musikgesellschaft einen Plan vor, der ihm schon lange durch den Kopf geht: Das Züricher Stammorchester, vergrößert durch ein paar hervorragende Musiker aus Deutschland und der Schweiz, soll Ausschnitte aus seinen Opern spielen – eine ganze Festspielwoche lang. Das Ganze ist natürlich nicht billig und mit großem Aufwand verbunden, aber die Idee kommt an bei den Herren. Kurz entschlossen gründen sie ein Patronatskomitee, das die Hälfte des Finanzierungsrisikos übernehmen soll, und zur freudigen Überraschung aller Anwesenden erklärt sich Unternehmer Wesendonck bereit, für die andere Hälfte zu bürgen. Eine wahrhaft noble Geste. Hat Frau Mathilde ihre zarte Hand dabei im Spiel? Das Fest im Mai wird ein rauschender Erfolg, die Züricher Bürger feiern Wagner wie einen Helden. Man überreicht ihm einen Pokal, seine Schultern werden mit einem Lorbeerkranz geschmückt, und zum Schluss trägt ein Schauspieler noch ein Huldigungsgedicht vor. Es soll, so wird gemunkelt, von einer Dame stammen, die

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nicht genannt sein will. Ahnt Wagner, wer sie ist? Jedenfalls tut er sehr geheimnisvoll in einem Brief an Liszt: „[…] e i n e r schönen Frau legte ich das ganze Fest zu Füßen!“, schreibt er ihm. Weiter nichts. Er hat wohl Gründe, keinen Namen zu nennen. Kurze Zeit danach komponiert er Eine Sonate für das Album von Frau M [athilde] W[esendonck] und schickt sie der einen Frau „als Gegengabe für ein schönes Kanapeepolster“, wie er später behaupten wird. Ein Dankeschön also – völlig unverdächtig. Nur die Überschrift irritiert ein bisschen: „Wißt Ihr wie das wird?“, heißt es da – wohl in Anspielung auf den Nornengesang in der Götterdämmerung. Mathilde kann offenbar nichts damit anfangen oder tut jedenfalls so. Sie schreibt Minna Wagner, die in der letzten Zeit immer eifersüchtiger geworden ist, einen artigen Brief, in dem sie anmerkt, dies Motto sei ihr rätselhaft. Was kann sie dafür, dass Wagner so viel Phantasie hat? Minna könnte eigentlich zufrieden sein. Am 15. April ist die ganze Familie endlich in eine schönere Wohnung gezogen: Zeltweg 13, zweiter Stock. Wagner hat sie luxuriös einrichten lassen: schöne Möbel, echte Teppiche, seidene Vorhänge, schwere Kronleuchter usw. – ein Abglanz aus alten Dresdner Kapellmeisterzeiten. Natürlich alles auf Pump, aber Wagner hat wieder neue Geldgeber gefunden, die ihm glauben, dass er bald großen Erfolg haben wird. Immerhin haben inzwischen 22 Bühnen mit ihm Leihverträge für den Tannhäuser abgeschlossen – die teure Einrichtung würde sich also schnell finanzieren lassen. Davon ist er jedenfalls fest überzeugt. Im Übrigen braucht er den Luxus, um komponieren zu können – eine „kleine Schwäche“, die er ganz offen zugibt. „An mir ist auch nicht viel zu ändern: ich behalte meine kleinen Schwächen, wohne gern angenehm, liebe Teppiche und hübsche Möbel, kleide mich zu Hause und zur Arbeit gern in Samt und Seide.“ Seinen Freund Liszt, der ihn besuchen will, hat er entsprechend schon vorgewarnt: „Du wirst es bei mir ganz artig finden, der Üppigkeitsteufel ist in mich gefahren.“ Tatsächlich wird er in dieser pompösen Umgebung bald zu schöpferischen Höchstleistungen animiert. Doch noch ist es nicht soweit. Zunächst hat er noch keine Lust zu komponieren und beschäftigt sich lieber mit anderen Dingen. Beispielsweise mit den Wahlverwandtschaften, Goethes berühmtem Roman über eine Ehe, die an außerehelichen Leidenschaften zerbricht. Warum diese Lektüre in diesem Sommer 1853? Hat Wagner sich verliebt? Ein Blick in Mathilde Wesendoncks Erinnerungen gibt ein paar aufschlussreiche Hinweise in dieser Richtung. Sie schreibt über den Mann, der so viel Verwirrung stiftete in ihrem wohlbehüteten Frauenleben: „Die persönliche Bekanntschaft Richard Wagners machten wir im Jahre 1852. […] Aber erst 1853 wurde der Verkehr freundschaftlicher und vertrauter. Alsdann begann er, mich in seine Intentionen näher einzuweihen. Zunächst las er die ‚Drei OpernDichtungen‘, die mich entzückten, hierauf die Einleitung dazu und allmählig eine seiner Prosa-Schriften nach der andern. Da ich Beethoven liebte, spielte er mir die Sonaten; war ein Konzert in Sicht, wo er eine Beethoven‘sche Symphonie zu leiten hatte, so war er unermüdlich und spielte vor und nach der Probe die betreffenden Sätze so lang, bis ich mich ganz heimisch fühlte. Es freute ihn, wenn ich ihm zu folgen vermochte und an seiner Begeisterung die meinige entzündete.“

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Soweit Mathilde. Ehemann Otto scheint keinen Anstoß zu nehmen an den Vertraulichkeiten zwischen seiner Gattin und dem Komponisten. Generös, wie er ist, erklärt er sich sogar bereit, ihm eine Italienreise zu finanzieren. Wagner nimmt dankend an, packt seine Koffer und reist ab. Unter südlicher Sonne hat er eine schicksalhafte Eingebung, denn dort, im lieblichen Italien, genauer gesagt in La Spezia, klingt ihm am 5. September 1853 mit einem Mal ein Es-Dur-Akkord in den Ohren – Dreiklangsbrechungen, wie sie zum Rheingold-Vorspiel passen könnten. Ein himmlischer Einfall, der ihn begeistert – seine Phantasie hat Feuer gefangen. Voller Tatendrang kehrt er heim nach Zürich und verspürt nach langer Zeit wieder Lust zu arbeiten. Am 1. November schreibt er die ersten Noten des Rheingold nieder. Die Arbeit geht ungewöhnlich schnell voran. Schon zweieinhalb Monate später, am 14. Januar 1854, ist die Kompositionsskizze fertig. Hat Mathilde etwas damit zu tun? Wagner erwähnt sie in einem Brief an seine Dresdner Gönnerin Julie Ritter, und was er schreibt, klingt ziemlich sonderbar – „die anmutige Frau bleibt mir treu und ergeben, wenn auch vieles für mich in diesem Umgang marternd bleiben muß.“ Welche Martern auch immer damit gemeint sein mögen – seine Arbeit scheinen sie jedenfalls nicht zu behindern. Er komponiert unermüdlich, die Ideen strömen ihm nur so zu, und schon im Mai ist die Urschrift der Rheingold-Partitur vollendet. Kaum hat er die letzte Note geschrieben, da beschäftigt er sich auch schon mit dem nächsten Opus. Zwischen dem 28. Juni und dem 1. September entsteht die Kompositionsskizze zum 1. Akt der Walküre. Wagner ist in einem Schaffensrausch, und an diesem Hochleistungszustand scheint Mathilde Wesendonck maßgeblich beteiligt zu sein. In diesen heißen Sommertagen des Jahres 1854 wird sie ihm endgültig zur wichtigsten Vertrauten. Stunden um Stunden verbringt er mit ihr in seinem Arbeitszimmer oder im Wesendonckschen Musiksalon – zum großen Ärger von Minna, die das Gebaren der beiden argwöhnisch beobachtet. Mathilde hört andächtig zu, wenn Richard ihr etwas erklärt, stellt ehrfürchtig Fragen und verliert sich hingebungsvoll in den wogenden Klängen seiner Musik. „Was er am Vormittage komponirte, das pflegte er am Nachmittage auf meinem Flügel vorzutragen und zu prüfen. Es war die Stunde zwischen 5 und 6 Uhr; er selbst nannte sich: ‚den Dämmermann‘. Da kam es denn auch vor, daß Etwas ihn nicht befriedigte und er nach einem andern Ausdruck suchte. Einmal war das der Fall beim Aufbau des Walhall-Motivs. Ich sagte: ‚Meister, das ist gut!‘ Er aber: ‚Nein, nein, es muß noch besser werden‘. – Er ging eine Weile ungeduldig im Salon auf und ab, rannte dann endlich hinaus. Am folgenden Nachmittag erschien er nicht, auch am zweiten und dritten blieb er fern. Endlich kommt er ganz still und unbemerkt herein, setzt sich an den Flügel und spielt das herrliche Motiv ganz wie früher. ‚Nun‘? – frage ich. – ‚Ja, ja! Sie hat Recht, ich kann's nicht besser machen!‘“ Mathilde inspiriert ihn zu Höhenflügen, und Wagner ist fasziniert von seiner Muse. Er entwickelt heftige Gefühle für diese junge Frau, die so schön ist und so gebildet – was für ein Kontrast zu Minna, die mit verkniffenem Gesicht zu Hause sitzt und ihn permanent mit Vorwürfen überschüttet. Wagner hat keine Lust mehr, sich Vorträge anzuhören über seine Schulden und über bürgerliche Sicherheiten. Er

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sucht Verständnis für seine Kunst, und Mathilde, dieses wundervolle Geschöpf, bringt ihm dieses Verständnis entgegen. Ja, mehr noch – sie geht auf in seiner Musik, ist völlig berauscht, wenn er ihr etwas vorspielt. Was kann er sich Schöneres wünschen? Er braucht ein solches Wesen, um sich ganz entfalten zu können, das hat er seinem Freund Liszt in einem Brief geschrieben: „Gib mir ein Herz, einen Geist, ein weibliches Gemüt, in das ich mich ganz untertauchen könnte, das mich ganz faßte – wie wenig würde ich dann nötig haben von der Welt.“ Nun hat er sie endlich gefunden, die wahlverwandte Frauenseele, die alles in ihm zum Klingen bringt. Dass sie verheiratet ist, schmerzt, tut aber der Sache keinen Abbruch. Warum sollte es auch? Voller Begeisterung komponiert er geheimnisvolle Chiffren in das Vorspiel seiner Walküre – musikalische Anspielungen auf Mathilde, die nur sie verstehen kann. Über das Ganze setzt er in großen Lettern drei bedeutungsvolle Buchstaben, die auch für die Umwelt verständlich sind: G[esegnet] S[ei] M[athilde]. Doch die Welt ist nicht so heil, wie er sie momentan erlebt. Das teure Mobiliar muss bezahlt werden, auf seinem Schreibtisch stapeln sich Rechnungen, und die Gläubiger verlieren allmählich die Geduld. Selbst Otto Wesendonck, der bisher diskret über den einen oder anderen Engpass hinweggeholfen hat, scheint die Grenzen seiner Gutmütigkeit erreicht zu haben. Dass Wagner in Geldangelegenheiten ein Hasardeur ist, weiß Otto schon längst, doch nun wird er ärgerlich und fordert ihn auf, die Karten endlich offen auf den Tisch zu legen. Noch einmal will er ihm helfen, dann soll endgültig Schluss sein. Wagner räumt Rückstände in Höhe von 10 000 Franken ein, fabuliert aber gleichzeitig etwas von Tantiemen, die ihm demnächst aus Tannhäuser- und Lohengrin- Aufführungen zufließen würden und nennt eine Schuldenlast von 21 000 Franken, die allerdings mehr seinem Wunschdenken entspricht als der Realität. Über diese Tantiemen könne Wesendonck verfügen, wenn er Wagners Schulden begleichen und ihm darüber hinaus noch jährlich etwas Geld zur Verfügung stellen würde – so lautet der Vorschlag, den der Komponist seinem Gönner unterbreitet. Eine windige Angelegenheit, das ist klar, aber Wesendonck ist großzügig genug, um darauf einzugehen. Dass das Ganze ein Fass ohne Boden ist, weiß er noch nicht, der korrekte Seidenfabrikant – er ahnt es erst, als Wagner im Oktober mit weiteren Rechnungen kommt. Zwar hilft er ihm auch da wieder aus der Klemme, schreibt jedoch gleichzeitig einen erbosten Brief an den gemeinsamen Freund Jakob Sulzer, der die Abwicklung von Wagners Finanzen in die Hand genommen hat: „Ich wiederhole, daß ich in Zukunft auf Weiteres mich nicht einlasse. Des Ärgers ist genug gewesen für Sie und mich und endlich muß man abgehärtet werden.“ Er überschätzt sich gewaltig mit derlei Sprüchen. Seine Duldsamkeit in Sachen Wagner ist noch längst nicht erschöpft, und bis er endgültig „abgehärtet“ ist, muss noch einiges passieren. Wagners Seelenleben wird durch andere Dinge erschüttert als durch schnöde Geldprobleme. Im Herbst stößt er auf ein Buch, dessen Lektüre ihn in große Aufregung versetzt. Das Buch stammt von Arthur Schopenhauer, einem in Deutschland bislang wenig beachteten Philosophen, und trägt den Titel Die Welt als Wille und

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Vorstellung. Was Wagner da liest, berührt ihn existentiell und wird ihm zum „Himmelsgeschenk“ in seiner Einsamkeit, wie er Liszt schreibt: „Was sind vor diesem alle Hegel's etc. für Charlatan's! Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarstem Ernste, aber einzig erlösend. Mir kam er natürlich nicht neu, und Niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. Aber zu dieser Klarheit erweckt hat mir ihn erst dieser Philosoph. Wenn ich auf die Stürme meines Herzens, den furchtbaren Krampf, mit dem es sich – wider Willen – an die Lebenshoffnung anklammerte, zurückdenke, ja, wenn sie noch jetzt oft zum Orkan anschwellen, – so habe ich dagegen doch nun ein Quietiv gefunden, das mir endlich in wachen Nächten einzig zu Schlaf verhilft; es ist die herzliche und innige Sehnsucht nach dem Tod: volle Bewußtlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume – einzigste endliche Erlösung!“ Ob Liszt diese nachtdunklen Sätze versteht? Zum Glück wird Wagner ein paar Zeilen weiter konkreter, und Liszt erfährt nicht nur Erstaunliches über die Gemütsverfassung des Freundes, sondern auch über seinen schöpferischen Zustand, denn er ist inzwischen in einen neuen Opernstoff vertieft: „Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem von Anfang bis Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopf einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Conzeption; mit der ‚schwarzen Flagge‘, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um – zu sterben.“ Tristan und Isolde – die uralte keltische Mär vom Helden Tristan und der irischen Prinzessin Isolde, kennt Wagner schon lange, schon seit seiner Dresdner Zeit. Damals hatte er viel herumgeschmökert in Sagen, Legenden und Minnesängerdichtungen und war dabei natürlich auch auf Gottfried von Straßburgs berühmtes Versepos Tristan und Isolde gestoßen. Eine Geschichte von Liebe, Ehebruch, Verrat und Tod, ganz nach seinem Geschmack. Doch warum kommt sie ihm ausgerechnet jetzt wieder in den Sinn? „Auf den Gegenstand […] war ich in letzter Zeit durch die Mitteilung eines Planes Karl Ritters zur Ausführung desselben in dramatischer Form von neuem aufmerksam geworden“, heißt es in seinen Memoiren. Karl Ritter also, Sohn von Julie Ritter und dilettierender Dichter, machte den Meister neugierig auf den Stoff, denn Karl hatte bereits selbst eine Dramenskizze darüber entworfen, wie sich Wagner erinnert. „Über das Fehlerhafte seines Entwurfs hatte ich mich damals gegen den jungen Freund ausgelassen. Er hatte sich an die übermütigen Situationen des Romans gehalten, während mich die tiefe Tragik derselben sogleich anzog“. Reicht das aus als Erklärung, weshalb seine Phantasie plötzlich selbst Feuer fängt? Eine Oper will er schreiben über die tragische Geschichte einer großen Liebe, die nur im Tod Triumphe feiern kann: Ist Mathilde der Anlass, die geliebte, unerreichbare Seelenfreundin, die einem anderen Mann angehört? Der eloquente Vielschreiber Wagner hüllt sich darüber in Schweigen. Später wird er nur zugeben, Schopenhauers Philosophie sei die Ursache gewesen, dass er plötzlich den Drang verspürte, die traurig-süße Liebesgeschichte von Tristan und seiner Isolde zu vertonen. „Es war wohl zum Teil die ernste Stimmung, in welche mich Schopenhauer versetzt

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hatte und die nun nach einem ekstatischen Ausdrucke ihrer Grundzüge drängte, was mir die Konzeption eines ,Tristan und Isolde‘ eingab.“ Als Wagner diese Memoiren diktiert, ist er bereits mit seiner zweiten Frau Cosima zusammen, die von erheblichen Eifersuchtsproblemen geplagt wird – Eifersucht auch auf Wagners Vergangenheit. Kein Wunder also, dass er den Namen Mathilde Wesendonck in seinen Erinnerungen an alte Tristan-Zeiten mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Was er da schildert, braucht Cosima nicht zu beunruhigen: „Von einem Spaziergange heimkehrend, zeichnete ich eines Tages mir den Inhalt der drei Akte auf, in welche zusammengedrängt ich mir den Stoff für künftige Verarbeitung vorbehielt. […] Für jetzt konnte ich mir die Gewalt antun, dieser Konzeption nicht weiter nachzuhängen, um mich in meiner großen musikalischen Arbeit nicht stören zu lassen.“ 1855. Im Frühjahr reist Wagner auf Einladung der Old Philharmonic Society nach London, um acht Konzerte zu dirigieren. Eigentlich hat er keine Lust dazu, aber Otto Wesendonck und Freund Sulzer haben ihm keine Wahl gelassen. Wagner soll 200 Pfund Sterling für das Engagement bekommen – das ist schließlich keine Kleinigkeit, auf die man so einfach verzichten kann, vor allem, wenn man hochverschuldet ist. Doch wieder hat er Pech. Das englische Publikum ist mehr als reserviert und auch bei den Kritikern stößt er auf Ablehnung. In einem Land, in dem die Musik Mendelssohns und Meyerbeers Triumphe feiert, hat ein Mann wie Richard Wagner es schwer, akzeptiert zu werden, denn seine antisemitische Schrift Das Judentum in der Musik, die er vor fünf Jahren veröffentlicht hat, ist inzwischen auch auf der britischen Insel bekannt geworden. Kurz vor seiner Abreise Ende Juni gibt es dann doch noch ein paar erfreuliche Lichtblicke. Königin Viktoria und Prinz Albert, die sich für seine Tannhäuser-Ouvertüre begeistern, laden ihn zum Empfang ein, und sein letztes Konzert wird sogar noch ein richtig großer Erfolg. Dennoch erlebt er selbst das ganze Unternehmen als Fiasko. Zu allem Überfluss muss er zu Hause seinem Gönner Wesendonck auch noch gestehen, dass er im sündhaft teuren London vier Fünftel seiner Gage verbraucht hat. Ganze 1000 Franken kann er noch vorweisen – das ist alles, was übrig geblieben ist. Otto Wesendonck zeigt sich wieder einmal souverän. Trotz allem. Als Gattin Mathilde im September einem Stammhalter das Leben schenkt, wird Wagner von den glücklichen Eltern sogar gebeten, die Patenschaft des kleinen Guido zu übernehmen. Seine Reaktion ist überraschend, um nicht zu sagen: brüskierend. Er murmelt etwas von „unglückbringend“ und lehnt ab. Zieht sich aus der Affäre. Empfindet er es als eine Zumutung, in Zukunft bei Mathilde den Patenonkel spielen zu müssen? Oder ist er schlicht eifersüchtig auf den Kindesvater, dem er so viel zu verdanken hat? Es geht ihm nicht gut in den folgenden Herbstmonaten. Wagner wird krank. Schmerzhafte Anfälle einer Gesichtsallergie fesseln ihn tage- und wochenlang ans Bett. In Phasen der Besserung versucht er, die Arbeit an der Walküre fortzusetzen, doch der Elan ist vorbei. Er komponiert lustlos, beklagt sich bei Liszt, er fühle sich isoliert und von der Außenwelt bedroht. Immer häufiger kommt ihm das TristanProjekt in den Sinn. Es lenkt ihn ab von der Walküre, bringt ihn aus dem Tritt. Sei-

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ne Kreativität scheint plötzlich in einem anderen Fahrwasser zu laufen – trotz seiner düsteren Stimmung. Im Dezember notiert er auf einmal in sein Tagebuch: „Tristan bestimmter konzipiert“. Das musikalische Liebesdrama hat sein schöpferisches Denken endgültig besetzt. Es nimmt allmählich deutlichere Formen an. In den ersten Wochen des neuen Jahres 1856 wird die Partitur der Walküre dann doch endlich abgeschlossen. Wesendoncks wollen gratulieren und besuchen Wagner am 20. März in seiner Wohnung. Der Meister aber scheint schlechter Laune zu sein. Zunächst verläuft noch alles sehr harmonisch, man plaudert über dieses und jenes, doch als auf einmal von seinen Schulden die Rede ist, verliert Wagner die Kontrolle. Er wird laut, fängt an zu schimpfen und lässt dabei einen provozierenden Satz nach dem anderen vom Stapel. Von klugen Ratschlägen habe er nichts, ereifert er sich, damit könne man keine Rechnungen bezahlen. Besser wäre es gewesen, ihm höhere monatlichen Zuschüsse zu geben usw. usw. Jetzt wird es auch Otto Wesendonck zu viel. Wütend weist er Wagner zurecht, der Streit eskaliert, ein Wort gibt das andere, schließlich knallen die Türen und das Ehepaar Wesendonck stürzt aufgebracht aus dem Haus. Eine fatale Situation. Nur mit größter diplomatischer Anstrengung von Freunden und mit Hilfe von Minna können die Wogen schließlich doch noch geglättet werden. Otto Wesendonck ist viel zu gutmütig, um lange nachtragend zu sein. Man versöhnt sich, und es kehrt wieder Friede ein unter allen Beteiligten. Vorerst jedenfalls. Im Juni reist Wagner zu einem Genfer Arzt, um seine Allergie loszuwerden. Der Arzt spricht von Nervosität und verordnet eine mehrwöchige Arbeitspause. Die Therapie schlägt an. Wagner bleibt zwei Monate in einer Wasserheilanstalt, liest ein bisschen, komponiert ein bisschen, und kehrt, für immer kuriert, Mitte August nach Zürich zurück. Einen Monat später beginnt er mit der Kompositionsskizze des Siegfried. Das Tristan-Projekt scheint vorläufig in seinem Unterbewusstsein zu schlummern – doch dann, Mitte Dezember, fallen ihm auf einmal die ersten musikalischen Themen dazu ein. Themen zur großen Liebesszene im zweiten Akt, die er sofort notiert. An das Ehepaar Wesendonck, das sich zu dieser Zeit in Paris aufhält, schreibt er: „Ich kann mich nicht mehr für den ‚Siegfried‘ stimmen, und mein musikalisches Empfinden schweift schon weit darüber hinaus, da wo meine Stimmung hinpaßt: in das Reich der Schwermut.“ Ganz so schlimm scheint es mit seiner Schwermut allerdings nicht zu sein, denn Wagner stellt auf einmal auch ganz nüchterne Überlegungen an. Er weiß nur zu genau, dass Der Ring des Nibelungen, an dem er arbeitet, den gängigen Theaterbetrieb völlig überfordern wird. Das ist Zukunftsmusik – futuristisches Opernszenario für die Zeit nach der „großen Menschheitsrevolution“. Die Theaterleute werden protestieren und die Zuhörer vermutlich auch. Also plant er, vorerst noch einmal ein einfaches Musikdrama fürs breitere Publikum zu komponieren. Die herzzerreißende Geschichte von Tristan und Isolde eignet sich hervorragend dazu. Er will ein leicht aufführbares, leicht verständliches Bühnenstück daraus machen, eine Oper, die den Leuten sofort gefällt, und mit der sich schnell gutes Geld verdienen lässt. Im März 1857 sieht es vorübergehend so aus, als ließe sich diese Idee auch tatsächlich verwirklichen. Ein gewisser Dr. Ernesto Ferreiro-França, seines Zeichens

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brasilianischer Konsul in Dresden, fragt an, ob Wagner nicht Lust habe, eine italienische Oper für die Stadt Rio de Janeiro zu schreiben und sie dem Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien zu widmen. Das klingt zwar alles ein bisschen abenteuerlich, aber Wagner ist nicht abgeneigt. Tatsächlich spielt er eine Zeit lang mit dem Gedanken, den Tristan ins Italienische übersetzen zu lassen, um ihn für Rio brauchbar zu machen. Doch das Märchen aus Übersee geht leider nicht in Erfüllung. Der Auftrag kommt nicht zustande, da Wagner nie mehr etwas von dem brasilianischen Konsul hört. Er nimmt es gelassen. In diesen Wochen ist er ohnehin vollauf damit beschäftigt, sich auf seinen Umzug vorzubereiten. Otto Wesendonck hat ihm nämlich eine neue Wohnung angeboten, genauer gesagt, ein Gartenhaus, das unmittelbar neben der eigenen, gerade im Bau befindlichen Villa liegt. Das Villengrundstück hatte Wesendonck erst vor kurzem erworben, nachdem er sich endgültig entschlossen hatte, in Zürich zu bleiben, und als sich herausstellte, dass nebenan ein Irrenhaus gebaut werden sollte, hatte er das Nachbargrundstück plus Gartenhaus ebenfalls gekauft. Das Ganze mitten im Grünen, mit herrlichem Blick auf den Zürichsee – ein wunderschönes Fleckchen Erde. Wagner war glücklich, als Wesendonck ihm vorschlug, in dieses Gartenhaus zu ziehen, um hier in Ruhe zu komponieren – und das alles auch noch zu einem Spottpreis von 800 Franken Miete im Jahr. Die Beziehungen zum Hause Wesendonck hatten sich in letzter Zeit spürbar gelockert. Das Ehepaar war lange verreist gewesen, und die gemeinsamen Dämmerstunden mit Mathilde gehörten seit der Geburt des kleinen Guido ohnehin der Vergangenheit an. War am Ende sie es, die hinter diesem großzügigen Angebot steckte? Wie auch immer – Wagner hatte freudig zugestimmt, und seit Februar kümmerte er sich nun persönlich um den Umbau und die Ausstattung des zukünftigen Domizils. Am 28. April 1857 ist es soweit. Richard und Minna Wagner ziehen in ihr neues Heim auf dem grünen Hügel – nicht gerade ein Luxusobjekt wie die halbfertige Wesendonck-Villa nebenan, aber ein geräumiges und gemütliches Häuschen. Zwei Stockwerke mit je drei Zimmern: unten Minnas Reich, oben Richards Arbeitszimmer, unter dem Dach noch Wohnraum für Gäste. Dazu ein Garten mit Gemüsebeet und prachtvoller Rosenhecke – die Idylle könnte nicht schöner sein. Und sie trägt auch schon einen Namen: Mathilde Wesendonck hat das Gartenhäuschen „Asyl“ genannt. Niemand weiß, warum, aber Wagner findet den Namen schön und spricht von nun an nur noch von seinem „Asyl“. Der Verbannte hat endlich einen Ort gefunden, an dem er sich zu Hause fühlen darf. In den folgenden Wochen durchwandert er die Umgebung, genießt die Natur, den Frühling, den herrlichen Blick aus seinem neuen Arbeitszimmer und macht sich an die Komposition des zweiten Siegfried-Aktes. Merkwürdigerweise geht die Arbeit nur schleppend voran, und Wagner spürt eine wachsende Unlust beim Schreiben. Zieht sich die Ring-Komposition schon zu lange hin, oder gibt es andere Gründe dafür, warum seine Phantasie immer weniger um Siegfried kreist und stattdessen immer mehr um das Liebespaar Tristan und Isolde? Am 18. Juni fällt er plötzlich eine Entscheidung. An diesem Tag, mitten in der Arbeit am zweiten Siegfried-Akt, schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf, den er sofort aufs Notenpapier kritzelt:

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„Tristan bereits beschlossen“. Neun Tage später bricht er das ganze NibelungenUnternehmen ab und legt es vorläufig ad acta. „Ich habe meinen jungen Siegfried noch in die Waldeinsamkeit geleitet,“ schreibt er Liszt am 28. Juni, „dort hab’ ich ihn unter der Linde gelassen und mit herzlichen Tränen von ihm Abschied genommen [...] Nachdem ich nun 8 Jahre ohne alle Erfrischung durch gute Aufführung eines meiner Werke geblieben bin, wird mir mein Zustand endlich unerträglich. Ob mir meine Nibelungen wieder ankommen, kann ich allerdings nicht voraussehen: dies hängt von den Stimmungen ab, über die ich nicht gebieten kann.“ Die Stimmung, in der er sich nun befindet, drängt ihn mit Macht zum Tristan – aus welchen Gründen auch immer. Am 20. August beginnt er, das Textbuch zu schreiben, zwei Tage später beziehen Wesendoncks ihren neuen Wohnsitz. Die letzte, entscheidende Phase der Liebesaffäre beginnt. Man wohnt nun Haus an Haus, Garten an Garten, und es bedarf keiner Vorwände mehr, um sich gegenseitig zu besuchen – manchmal sogar mehrmals am Tag. „Wir waren uns jetzt durch die unmittelbare, eigentlich ländliche Nachbarschaft so nahegerückt, daß eine starke Vermehrung der Beziehungen bloß durch die einfache tägliche Berührung nicht ausbleiben konnte.“ So liest es sich später in Wagners Autobiographie. Die „einfache tägliche Berührung“ – damit sind Besuche gemeint und Gespräche, aber auch Blicke und Gesten. Verbale und nonverbale Zeichen von Zuneigung und Vertrautheit. Wagner sucht wieder die Nähe der Frau, die ihn bewundert, ihn beseelt. Er verliebt sich erneut in Mathilde, noch heftiger und leidenschaftlicher als zuvor. Verbotenes schwebt im Raum, Entsagung ist gefordert. Später wird er seiner Schwester Klara von der „Liebe jener jungen Frau“ berichten, „die mir anfangs und lange zagend, zögernd und schüchtern, dann aber immer bestimmter und sicherer sich näherte. Da zwischen uns nie von einer Vereinigung die Rede sein konnte, gewann unsere tiefe Neigung den traurig wehmüthigen Charakter, der alles Gemeine und Niedere fern hält und nur in dem Wohlergehen des Andren den Quell der Freude erkennt.“ Wagner braucht nun einmal ein weibliches Stimulans, um Großes zu leisten – so, wie er schöne Möbel braucht und kostbare Kronleuchter –, und es tut nichts zur Sache, ob Mathilde auch tatsächlich der Person entspricht, die er in ihr zu entdecken glaubt. Anderen Zeitgenossen erscheint sie eher trivial, dünkelhaft, sogar arrogant. Auch Minna gehört zu diesen kritischen Zeitgenossen. Sie beobachtet argwöhnisch, wie das Paar miteinander tuschelt und in Wagners Arbeitszimmer verschwindet. Ihr schwant nichts Gutes, und sie fängt wieder an, ihm Szenen zu machen. Richard bemüht sich, sie zu beschwichtigen – und verzieht sich schleunigst wieder in seine vier Wände, wo er vor ihren peinlichen Auftritten sicher ist. So geht das fast jeden Tag. In den nächsten Wochen bekommen die Wagners Logierbesuch. Erster Gast ist der Dirigent und Musikschriftsteller Richard Pohl, der sich als aufmerksamer Beobachter der häuslichen Verhältnisse entpuppt. Ihm fällt erstens auf, dass mit der Ehe seiner Gastgeber etwas nicht stimmt, zweitens, dass die Frau des Nachbarn – eine „weiblich anmutige und poetisch sinnige Natur" – im Leben des Richard Wagner eine wichtige Rolle zu spielen scheint, und drittens gewinnt er den Eindruck, dass Minna Wagner neben der „schönen Erscheinung“ der Wesendonck-Gattin farblos,

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alt und „hausbacken“ wirkt. Arme Minna. Taktieren ist nicht ihre Sache, auch Gästen gegenüber nicht. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen Wagners Ring-Projekt und fragt den Musikfachmann Pohl ganz offen, ob er den Gesang der Rheintöchter tatsächlich schön fände. Minna versteht nichts von der Musik ihres Mannes, und sie kann auch nicht so tun, als ob. Die Frau Nachbarin jedenfalls weiß sich besser in Szene zu setzen bei den Herren Wagner und Pohl. Sie sitzt da wie eine Königin, und Minna hat die Wahl, entweder aus dem Zimmer zu verschwinden oder ihren Part als graue Maus tapfer durchzustehen. Anfang September kommen die nächsten Gäste: Hans von Bülow und seine junge Frau Cosima. Bülow ist siebenundzwanzig Jahre alt und Klavierlehrer am Berliner Konservatorium. Die 20-jährige Cosima ist die jüngste illegitime Tochter von Franz Liszt und der Gräfin d’Agoult. Die beiden befinden sich auf Hochzeitsreise und haben einen Abstecher über Zürich eingeplant, weil sie ihr Idol Richard Wagner besuchen wollen. Bülow ist schon seit Jahren begeisterter Wagnerianer, und auch Cosima schwärmt schon lange für Wagner und seine Musik. Der Angebetete fühlt sich natürlich geschmeichelt und bietet den jungen Leuten großzügig sein Gästezimmer an. Die Flitterwöchner bleiben volle vier Wochen im Hause – nach zärtlicher Zweisamkeit ist ihnen offenbar nicht zumute, Wagners Musik scheint für sie wichtiger zu sein. In diesen vier Wochen wird viel musiziert, der Hausherr singt Kostproben aus Walküre und Siegfried, von Bülow begleitet ihn am Flügel, und oft sitzen sie dann zusammen im trauten Kreis: die Ehepaare Wagner, von Bülow und Wesendonck. Was für eine Konstellation! Wagner, umringt von drei Frauen, die auserkoren sind, in seinem Leben Hauptrollen zu spielen: Minna, Mathilde, Cosima – die verbitterte Ehefrau, die strahlende Muse, die scheue Verehrerin, die von ihrer zukünftigen Rolle natürlich noch nichts ahnt. Daneben die beiden Ehemänner: Otto Wesendonck und Hans von Bülow – der großmütige Mäzen und der hingebungsvolle Wagnerapostel. Ein verworrenes Geflecht von Liebe und Eifersucht, Bewunderung und Skepsis, Hingabe und Rivalität verstrickt sie alle miteinander. Es gehört nicht viel dazu, um sich vorzustellen, wie es fast knistert in diesem Raum – und über allem die betörenden Harmonien der Wagnerschen Klänge. Mitten in diesem komplizierten Beziehungsklima dichtet Wagner innerhalb von drei Wochen das Textbuch zu Tristan und Isolde. Der Kommentar seiner Frau dazu ist vernichtend: „Abscheulich, fast unanständig liebesglühend“, findet Minna das Werk und bezeichnet die beiden Opernhelden als „ein gar eckliges und schlüpfriges Liebespaar“. Mathilde schweigt, und sie weiß auch, warum. Am 18. September überreicht Wagner ihr das fertige Manuskript und versichert pathetisch, dass er die Vollendung dieses Opus nur ihr verdanke. Diesem Augenblick ist Mathilde nicht gewachsen. Sie verliert die Beherrschung und gesteht ihm, was es zu gestehen gibt. „[…] diese Liebe, die stets unausgesprochen zwischen uns blieb, musste sich endlich auch offen enthüllen, als ich vor’m Jahr den Tristan dichtete und ihr gab. Da zum ersten Male wurde sie machtlos, und erklärte mir, nun sterben zu müssen.“ So beschreibt Wagner die Szene ein Jahr später, im August 1858, seiner Schwester Klara. Wenige Wochen später, am 18. September – dem ersten Jahrestag also dieses denkwürdigen Ereignisses – notiert er sich eine etwas weniger dramatische Version

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in sein Tagebuch: „Du geleitetest mich nach dem Stuhl vor dem Sopha, umarmtest mich und sagtest: ‚Nun habe ich keinen Wunsch mehr!‘“ Wie auch immer es gewesen sein mag, Mathildes Verhalten löst offenbar noch in der Erinnerung pathetische Gefühle bei ihm aus, denn an dieser Stelle fährt er plötzlich fort, das Erlebte im Stil seines neuen Dramas auszuschmücken, in der Diktion der Liebesszene zwischen Tristan und Isolde: „Ein holdes Weib, schüchtern und zagend, warf muthig sich mitten in das Meer der Schmerzen und Leiden, um mir diesen herrlichen Augenblick zu schaffen, mir zu sagen: ich liebe Dich! – So weihtest Du Dich dem Tode, um mir Leben zu geben; so empfing ich Dein Leben, um mit Dir nun von der Welt zu scheiden, um mit Dir zu leiden, mit Dir zu sterben.“ Die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit zerfließen: Opernhandlung und Realität, musikalische Fiktion und seelische Befindlichkeit vermischen sich, werden eins. Wagner wächst in die Rolle des Tristan. Mathilde wird zur leuchtenden Gestalt der Isolde. Liebt er sie als Richard oder als Tristan? Ist sie für ihn Mathilde oder Isolde? Müßige Fragen. Für Wagner zählt nur eines: die Kunst und die Sehnsucht nach Liebe. Liebe, die im Leben unerfüllbar ist, die den Tod überwindet und damit unsterblich wird. Eine Liebe wie die von Tristan und Isolde. Von diesen Dingen träumt er, und sein eigenes Leben liefert ihm den Stoff dazu. „Ich bin dazu bestimmt gewesen, immer in Prosa (im Leben) auszuführen, was ich dichtete“, wird er später rückblickend sinnieren. So ist es auch in diesen Herbstwochen des Jahres 1857. Die Verliebtheit der beiden ist zur Affäre geworden, und sie lässt sich kaum noch vor der Umwelt verheimlichen. Minna macht eine Eifersuchtsszene nach der anderen. Otto Wesendonck zieht sich stillschweigend zurück. Ist er konfliktscheu, hat er resigniert oder versucht er mit seinem Verhalten die Ehe zu retten? Wagner nimmt das alles offenbar ungerührt zur Kenntnis. Er ist sich im Klaren darüber, dass er seinen Wohltäter demütigt, aber er weiß auch, dass er die erste Geige spielt in diesem Vier-Personen-Stück. Später wird er die Situation in seiner Autobiographie mit ebenso gewundener wie kaltschnäuziger Offenheit schildern: „Ich hatte schon öfter gemerkt, daß Wesendonck, in seiner rechtschaffenen Ungebildetheit, durch mein Heimischwerden in seinem Haus sich beunruhigt fühlte; in vielen Dingen, wie in der Heizung, der Beleuchtung, auch den Mahlzeitstunden wurden Rücksichten auf mich genommen, welche seinen Rechten als Hausherr nahezutreten schienen. Es bedurfte hierüber einiger vertrauter Mitteilungen, um andererseits eine halb verschwiegene, halb ausgesprochene Übereinkunft festzustellen, welche mit der Zeit eine bedenkliche Bedeutung im Auge anderer anzunehmen geeignet war. Somit entstand im Betreff unseres nun so nahegerückten Verkehres eine gewisse Rücksicht, welche unter Umständen für die beiden Eingeweihten unterhaltend wurde.“ Schuldgefühle scheint er Otto gegenüber jedenfalls nicht zu haben, im Gegenteil. Am 1. Oktober zahlt er ihm zum ersten Mal die Miete und schickt ein paar launige Zeilen dazu mit einem Zitat aus dem Tristan: „So, lieber Freund, da haben Sie auch Ihren ersten Mietzins von mir. Mit der Zeit hoffe ich’s dahin zu bringen, Ihnen die wirkliche Mietentschädigung bieten zu können: vielleicht ist`s nicht gar fern mehr; dann sollen Sie sagen – ‚Hei, unser Held Tristan, wie der Zins zahlen kann!!‘ Und

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so für heute, wie für immer, noch meinen herzlichsten Dank für alles Gute und Freundliche, was Sie mir erwiesen!“ Wieder einmal zeigt er seinen unverbesserlichen Optimismus. Der Gedanke, dass er mit dem Tristan in allernächster Zukunft das große Geld machen kann, spukt ihm immer noch im Kopf herum. Dabei wird es bis zur Uraufführung noch ganze acht Jahre dauern, und zu diesem Zeitpunkt ist sein Schuldenkonto bei OttoWesendonck schon längst zu einer nicht mehr bezahlbaren Größe geworden. Am selben Oktobertag beginnt er mit der Komposition des Tristan. Noch ahnt er nicht, dass sich das neue Opus keineswegs, wie geplant, zu einem leicht verdaulichen Musikdrama entwickeln wird. Das Gegenteil wird der Fall sein. Was er komponiert, lässt alles außer Acht, was man bisher in Opernkreisen zu hören gewohnt war. Die Tristan-Musik entfaltet sich unter seinen Händen zu einer Tonsprache, die die Nachwelt später sogar als „Beginn der Moderne“ bezeichnen wird. Der erste Akkord, der zu Beginn des Vorspiels erklingt, der berühmte Tristan-Akkord, hat ungeahnte Sprengkraft. Nichts von dem, was im bisherigen Tonalitäts-System Ordnung schaffte, scheint noch zu gelten: Die alten Gesetze von Dissonanz und Konsonanz, von Spannung und Entspannung, sind außer Kraft gesetzt. Der Klang drängt nach Auflösung, Entspannung – doch er findet keine saubere, tonale Auflösung. Was nach den Regeln der Musiktheorie hätte erfolgen müssen, wird unerreichbar, unerfüllbar. Und so wird dieser drängende, unaufgelöste Klang zum Symbol für das Schmachten und Sehnen der beiden Protagonisten Tristan und Isolde und für ihre unerfüllte, unerfüllbare Liebe. Neu in diesem Werk ist jedoch nicht nur die Harmonik, das „chromatische Ringen“, das „sehnsüchtige und schmerzliche Hinsinken von einer Tonart in die andere“. Ungewöhnlich sind auch Melodik, Rhythmik, Klangfarben, kurz – alle musikalischen Elemente in diesem erstaunlichen Oeuvre. Wagner komponiert das „Un-erhörte“. Seiner Frau Cosima wird er Jahre später erzählen, er habe damals das Bedürfnis gehabt, „sich auszurasen“. Das Vorspiel und den ersten Tristan-Akt und komponiert er jedenfalls in bester Stimmung. Alles ist da, was er für seine musikalischen Inspirationen braucht: das schöne „Asyl“mitten im Grünen, das ruhige Arbeitszimmer – und die Frau, die ihn vergöttert. Bei ihr kann er nun wieder den „Dämmermann“ spielen, wie damals, als die Walküre entstand. Was er am Morgen komponiert, spielt er ihr am Nachmittag auf dem Flügel vor. Takt für Takt, Note für Note. Mathilde schwelgt in der Musik und in den Worten, die Tristan und Isolde in Verzückung bringen: „Sehnender Minne schwellendes Blühen, schmachtender Liebe seliges Glühen!“ Und irgendwann drängt es sie plötzlich selbst an den Schreibtisch, um Verse zu schmieden – wie Richard. Fünf Gedichte für eine Frauenstimme fließen ihr aus der Feder – Lyrik im Tristan-Stil, von der ersten bis zur letzten Strophe. Mathilde, die Dilettantin wandelt auf Wagners Spuren. Ende November entsteht ihr Gedicht Der Engel, wenige Tage später Träume, Mitte Dezember Schmerzen. Im folgenden Februar und Mai schriftstellert sie dann noch zwei weitere Gedichte hinzu: Stehe still und Im Treibhaus. Wagner ist begeistert von den literarischen Ergüssen seiner Verehrerin, und er beginnt, sie zu vertonen. In Tristan-Manier, versteht sich. Zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben schreibt er Musik zu Texten, die nicht von ihm selbst stam-

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men. Welch eine Ehre für Mathilde! Stolz berichtet sie fast dreißig Jahre später in ihren Memoiren, er habe ihren Gedichten mit seiner Musik „höchste Verklärung und Weihe“ geben wollen. Hat er ihr nicht selbst noch in seinen Tagebüchern aus Venedig voller Emphase verkündet: „Besseres als diese Lieder habe ich nie gemacht, und nur sehr weniges von meinen Werken wird ihnen zur Seite gestellt werden können“? Liszt gegenüber drückt sich Kavalier Wagner weit weniger charmant aus. In einem Brief vom 1. Januar 1858 beschreibt er dem Freund eine „Morgenmusik“ im Hause Wesendonck anlässlich des Geburtstages von Mathilde am 23. Dezember, wobei auch ihr Lied Träume uraufgeführt wurde: „Dazu hatte ich auch etwas komponiert; wie ich denn dann und wann etwas Allotria getrieben und gewisse hübsche Verse, die mir herübergeschickt wurden, in Musik gesetzt habe, was mir sonst nie passiert ist.“ Acht Tage nach jenem Geburtstagsständchen kann Wagner seiner Angebeteten – sie ist gerade Strohwitwe, denn Ehemann Otto befindet sich wegen geschäftlicher Probleme in New York – ein ungleich aufregenderes Geschenk in die Hand drücken. Am 31. Dezember 1857, nach drei Monaten besessener Arbeit, beendet Wagner die Kompositionsskizze des ersten Tristan-Akts und überreicht sie Mathilde Wesendonck mit einem selbstverfassten Widmungsgedicht: Hochbeglückt, schmerzentrückt, frei und rein, ewig Dein – was sie sich klagten und versagten, Tristan und Isolde, in keuscher Töne Golde, ihr Weinen und ihr Küssen leg’ ich zu Deinen Füßen, daß sie den Engel loben, der mich so hoch erhoben! Was sich weiter ereignet an diesem Silvestertag des Jahres 1857, ist nicht überliefert. Kurz nach Neujahr kehrt Otto Wesendonck gut gelaunt nach Zürich zurück. Die befürchtete Finanzkrise in den USA hat seinem Vermögen nicht geschadet – er ist, im Gegenteil, noch reicher geworden. Kaum zu Hause angekommen, verfliegt seine gute Laune allerdings schnell. Was ihm vom Personal über die Vorgänge während seiner Abwesenheit erzählt wird, löst Ärger bei ihm aus, heftigen Ärger sogar. In der Villa Wesendonck kommt es zu ehelichen Auseinandersetzungen, und das Klima zwischen den beiden Häusern wird mehr als frostig. Wagner, der Sprachakrobat, stellt eine „nachbarliche Verwirrung“ fest und zieht es vor, für einige Zeit nach Paris zu verschwinden, um die aufgeheizte Stimmung ein wenig abkühlen zu lassen.

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Er hat richtig kalkuliert, denn als er nach drei Wochen wieder ins „Asyl“ zurückkehrt, haben sich die Wogen wieder geglättet. Man hat sich irgendwie arrangiert, und nach außen hin scheint alles so weiterzulaufen wie bisher. In schicklichen Zeitabständen darf Wagner sogar wieder als „Dämmermann“ in Mathildes Salon erscheinen, und er arbeitet in einem unglaublichen Tempo weiter am ersten TristanAkt. „So ward noch nie componiert!“, hat er, offenbar selbst verblüfft über seine Inspirationen, bereits am 13. Januar unter die fertige Orchesterskizze geschrieben. Nun schafft er es, die Partitur des ersten Akts in einem Zeitraum von nur zwei Monaten zu vollenden. Gesegnet sei Mathilde! Dennoch: Die Atmosphäre, in der Wagner komponiert, ist alles andere als entspannt. Otto Wesendonck gibt sich merklich distanziert, und Minna reagiert immer eifersüchtiger und nervöser. Ihr Herzleiden ist durch den seelischen Dauerstress schlimmer geworden, sie konsumiert außer Herz- und Schlafmitteln inzwischen auch Opium, und der Arzt rät ihr dringend zu einer Kur. Das Miteinander der vier Personen auf dem „Grünen Hügel“ hat bedenklich Schaden genommen, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis alles endet wie ein Trivialroman. Ein Italiener taucht auf, ein gut aussehender Mann namens Francesco de Sanctis, und Frau Wesendonck ist mit einem Mal ganz verändert. Sie hat sich den vierzigjährigen Literatur-Professor auserkoren, um Italienischunterricht zu nehmen, doch ihr Wissensdurst hält sich in Grenzen. Statt Grammatik bei ihm zu lernen, fährt sie lieber im offenen Wagen mit ihm spazieren oder lädt ihn ein zu einem Tee- und Plauderstündchen am heimischen Kamin. Wagner wittert sofort den Nebenbuhler und wird maßlos eifersüchtig. Der Italiener seinerseits findet Wagner „komisch“ und macht keinen Hehl daraus, dass er mit der Musik dieses seltsamen Deutschen nichts anfangen kann. Kurz gesagt, die Dinge spitzen sich zu. Am 5. April, zwei Tage nach Beendigung des ersten Tristan-Akts, muss Wagner wütend zur Kenntnis nehmen, dass Mathilde den Abend bereits mit dem schönen Professor verplant hat. Als er sie am nächsten Tag aufsucht, ist er entsprechend geladen, und es dauert nicht lange, bis es zum Streit kommt. Vordergründig geht es zunächst nicht um Signor de Sanctis sondern um Goethe. Kaum hat Mathilde ein paar wichtigtuerische Sätze über den Faust losgelassen – sie behauptet, er sei der bedeutendste Mensch, der von einem Dichter geschaffen wurde –, widerspricht Wagner ihr heftig, erklärt mit erhobener Stimme, sie würde die Persönlichkeit der Faustfigur hochstilisieren und fängt an, sie zu belehren. Pikiert weist sie ihn zurecht, die Verstimmung wächst auf beiden Seiten. Da verliert er plötzlich die Beherrschung und wird ausfällig gegen ihren Italienischlehrer, den eigentlichen Verursacher seines Unmuts. Die Dämmerstunde der beiden endet mit einem grellen Missklang. Daheim im „Asyl“ beschleicht Wagner der Katzenjammer, und am nächsten Morgen schreibt er Mathilde einen zerknirschten Brief mit der Überschrift „Morgenbeichte“. Von seiner „Empfindlichkeit und Gereiztheit“ ist da die Rede, von dem „dummen Göthestreit“, von „Liebe“, „Sehnsucht“, ihrem „wunderbaren, heiligen Auge“ usw. usw. Am Ende bittet er sie reumütig: „Sei mir gut und vergieb mir mein kindisches Wesen von gestern: Du hast es ganz richtig so genannt! [...] Heut’ komm’ ich in den Garten; sobald ich Dich sehe, hoffe ich, einen Augenblick Dich

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ungestört zu finden!“ Und als Letztes fügt er noch hinzu: „Nimm meine ganze Seele zum Morgengruße!“ Im Setzen effektvoller Schlussakkorde hat er ja genügend Erfahrung. Irgendwie muss Minna etwas bemerkt haben. Sie fängt den Boten ab, der das Billett überbringen soll, öffnet den Brief, liest, was nicht für sie bestimmt ist und stürzt wutentbrannt in Richards Zimmer. Der reagiert auf ihre Vorwürfe zunächst überhaupt nicht, was sie noch mehr in Rage bringt. Dann versucht er, sie zu beruhigen, stellt das Ganze als Missverständnis dar, und als das alles nichts fruchtet, geht er zum Angriff über. Er warnt sie eindringlich davor, durch irgendwelche unüberlegten Schritte alles aufs Spiel zu setzen – nicht zuletzt auch ihre Ehe. Das wirkt. Minna kommt zur Besinnung und verspricht, nichts weiter zu unternehmen in dieser Angelegenheit. Dann aber kann sie es doch nicht lassen, sich ihrer Freundin Emma Herwegh anzuvertrauen, und diese rät ihr, mit der Rivalin eine offene Aussprache zu führen. Die Katastrophe ist nun nicht mehr aufzuhalten. Der letzte Akt des Dramas beginnt. Minna bittet Mathilde zu einem Gespräch unter vier Augen, von Frau zu Frau. Mit überlegener Miene zieht sie dabei die ominöse „Morgenbeichte“ aus der Tasche und sagt von oben herab: „Wäre ich eine gewöhnliche Frau, so ginge ich mit diesem Brief zu Ihrem Mann!“ Mathilde sieht rot, zischelt, außer sich vor Empörung, sie habe keine Geheimnisse vor ihrem Mann und dreht sich auf dem Absatz herum, um Otto von diesem ungeheuerlichen Vorfall zu berichten. Als Wagner nach Hause kommt und in die versteinerten Mienen der beiden Wesendoncks blickt, weiß er sofort, was passiert ist. Er stellt Minna zur Rede, macht ihr eine heftige Szene und verlangt von ihr, die längst fällige Kur wegen ihres Herzleidens auf der Stelle anzutreten. Wesendoncks sind tief gekränkt. Durch Eliza Wille, eine gemeinsame Bekannte, wird Wagner darüber informiert, dass Mathilde weitere Zusammentreffen mit Minna nicht mehr zugemutet werden könnten. Doch der Zorn des Ehepaars richtet sich auch auf ihn selbst. Er wird beschuldigt, den „Mystifikationen“ Vorschub geleistet zu haben, indem er Minna nicht hinreichend genug aufgeklärt habe über die „Reinheit dieser Beziehung“. Otto und Mathilde sind sich einig in ihrem Gekränktsein, und ihre Vorwürfe erfolgen im ehelichen Plural. Sie brechen auf zu einer vierwöchigen Italienreise. Am 15. April, acht Tage nach der verhängnisvollen „Morgenbeichte“, bringt Wagner seine Frau Minna zur Kur ins Sanatorium eines bekannten Herzspezialisten. Wieder daheim im „Asyl“ vergräbt er sich in seine Kompositionsarbeit, und es gelingt ihm Unglaubliches: Mitten in einer der konfliktreichsten und heikelsten Situationen seines Lebens fängt er an, die Kompositionsskizze seines zweiten Tristan-Aktes zu entwerfen, und er vollendet sie innerhalb von zwei Monaten. Das große Duett von Tristan und Isolde, ihre Sehnsucht nach ewiger Vereinigung, ihr Wunsch zu sterben – Wagners Erfindungsreichtum ist ungebrochen. Er komponiert eine Liebesszene von nie dagewesenen Ausmaßen, trotz der dramatischen Entwicklungen um ihn herum. Oder vielleicht gerade deshalb?

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Der Traum vom diesseitigen Liebesglück darf sich nicht erfüllen. In der Oper nicht – und nicht im wirklichen Leben. Am 1. Juni kehren die Wesendoncks zurück aus Italien, einen Tag später wird Wagner von seinem Hausherrn zu einer Unterredung in die Villa gebeten. Über das Gespräch der beiden Männer dringt nichts nach außen, aber Wagner gibt anschließend seinen Entschluss kund, den persönlichen Kontakt mit den Nachbarn abzubrechen. Er habe „entsagt“, schreibt er Mathilde einen Monat später, in Erinnerung an ihre letzte leidenschaftliche Aussprache, die vermutlich am Vorabend seines Verzichts stattgefunden hat. Dann fährt er fort: „Doch war ich hierin noch nicht ganz rein. Ich fühlte eben nur, dass nur eine vollständige Trennung, oder – eine vollständige Vereinigung unsre Liebe vor den schrecklichen Berührungen sichern konnte, denen wir sie in den letzten Zeiten ausgesetzt gesehen hatten.“ Lange Rede, kurzer Sinn: Wagner hatte der Frau seines Herzens an jenem Abend einen Heiratsantrag gemacht – natürlich unter der Voraussetzung, dass beide sich scheiden lassen würden. Mathilde jedoch gab ihm einen Korb. Dies sei ein „Sakrilegium“, antwortete sie – sie drückte sich nun einmal vornehm aus. Das Wort verletzte ihn, auch wenn er später noch so sehr darüber lästerte und es „dumm und unverstanden“ nannte. Die Botschaft war eindeutig: Madame Wesendonck entschied sich für ihren Ehemann, weil sie das Luxusleben an der Seite ihres Gatten zu schätzen wusste. Die Ehe mit einem brotlosen Künstler war ihre Sache nicht. Selbst, wenn es sich bei diesem Künstler um ein Genie wie Richard Wagner handelte. Sie gehörte, wie Wagner später bitter bemerkte, zu jenen „absolut Glücklichen, denen über Haus, Mann und Kind nun einmal nichts geht und die bei jeder vorkommenden Wahlnötigung beweisen, daß ihnen eben kein Glück über das geht, welches sie besitzen.“ Er reagierte am 6. Juli mit einem Abschiedsbrief. Zum ersten Mal redete er sie merkwürdig kühl mit „mein Kind“ an und sprach mit theatralischem Unterton von „Entsagung“ und „Überwindung“, „dem Siege über jedes Wünschen und Begehren“ usw. Zum Schluss wurde er noch salbungsvoller: „Mein Kind, die letzten Monate haben mir an den Schläfen das Haar merklich gebleicht; es ist eine Stimme in mir, die mit Sehnsucht nach Ruhe ruft, – nach der Ruhe, die ich vor langen Jahren schon meinen fliegenden Holländer sich ersehnen ließ. Es war die Sehnsucht nach – ‚der Heimat‘ –, nicht nach üppigem Liebesgenuß! Ein treues, herrliches Weib nur konnte ihm diese Heimat erringen. Laß uns diesem schönen Tode weihen, der all unser Sehnen und Begehren birgt und stillt! Laß uns selig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und mit dem heiligen Lächeln schöner Überwindung! Und – keiner soll dann verlieren, wenn wir – – siegen! Leb' wohl, mein lieber heiliger Engel!“ Das endgültige Finale verzögert sich. Mitte Juli kehrt Minna aus der Kur nach Hause zurück. Zu ihrer Begrüßung hat der Gärtner den Hauseingang mit Blumen bekränzt, und sie kostet diesen festlichen Empfang genüsslich aus. Mit Blick auf die verhasste Nachbarin ordnet sie an, dass ihr blumiger Triumphbogen nicht gleich entfernt werden, sondern so lange wie möglich stehen bleiben soll. Mathilde schäumt vor Wut und beschwert sich bei Wagner, der sich zu Unrecht angegriffen fühlt von seiner Herzensdame. Wehleidig schüttet er Eliza Wille sein Herz aus:

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„Daß sie es aber über sich vermochte, nach meinem letzten Abschied von ihr, mich wenige Tage darauf wieder durch kindische und sinnlose Vorwürfe über mein vermeintliches Verhältnis zu meiner Frau zu quälen, das läßt mich schmerzlich inne werden, daß sie doch kaum zu würdigen imstande sein kann, was ich um sie leide.“ Der Bogen ist endgültig überspannt, das Beziehungsklima zwischen den beiden Häusern auf dem „Grünen Hügel“ unerträglich geworden. Wagner sieht ein, dass er nun endgültig die Konsequenzen ziehen muss. Er teilt Minna mit, sie müsse gehen, auch er selbst würde Zürich verlassen – und zwar allein, ohne sie. Nach zweiundzwanzig konfliktreichen Ehejahren erklärt er ihre Beziehung für gescheitert. Minna ringt die Hände, will nichts wissen von einer Trennung, doch er bleibt hart. Am 17. August 1858 kehrt er seinem geliebten „Asyl“ den Rücken – ohne „Träne“, wie er später behaupten wird – und steigt in den Zug nach Venedig. In die Villa nebenan schickt er fünf gefühlvolle Abschiedszeilen an Frau Mathilde: „Lebwohl! Lebwohl, Du Liebe! Ich scheide mit Ruhe. Wo ich sei, werde ich nun ganz Dein sein. Suche mir das Asyl zu erhalten. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! Du liebe Seele meiner Seele! Leb’ wohl – auf Wiedersehen!“ Minna bleibt nichts anderes übrig, als ebenfalls ihre Koffer zu packen. Sie kehrt zurück nach Dresden, wo sie acht Jahre später stirbt. Die Affäre Wesendonck war beendet, das Finale entsprach – zumindest symbolisch – dem Opernstoff. Wagner bedurfte keiner weiteren Inspirationen mehr durch Muse Mathilde, um den Tristan fertig zu komponieren. Am 18. März 1859 vollendete er in Venedig den zweiten Aufzug, am 6. August in Luzern den dritten. Nachmittags um halb fünf schrieb er die letzten Takte von Isoldes Liebestod in die Partitur: „[…] ertrinken, versinken – unbewußt – höchste Lust.“Damit war auch das Musikdrama abgeschlossen. Die literarische Vorlage dazu hatte Wagners Leben geliefert – ganz so, wie er es selbst einmal formulierte: „Ich bin dazu bestimmt gewesen, immer in Prosa (im Leben) auszuführen, was ich dichtete.“

VI „Ich bin krank vor Liebe…“ Leiden einer Ehe und ein sinfonischer Rettungsversuch

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„In der Nacht erwachte ich. Eine Erscheinung schreckte mich auf. Mahler stand im Finstern vor mir: ,Würde es dir eine kleine Freude machen, wenn ich dir die Achte widmete?‘ Eine kleine Freude hatte er gesagt! Ich: ,Tu es nicht, du hast nie einem Menschen etwas gewidmet, es könnte dich reuen!‘ Aber er: ,Ich habe jetzt eben in der Dämmerung den Brief an Hertzka geschrieben.‘ Mahler begann eine lange Korrespondenz mit dem Direktor der Universal Edition Hertzka wegen des Widmungsblattes der Achten, das ihm nicht schön und bedeutend genug ausfallen wollte. So gingen diese merkwürdig leidenschaftlichen Tage hin, und Mahler mußte zu den Proben nach München abreisen. Wir nahmen Abschied wie auf Jahre, und Mahler nahm meinen Ring – seinen Ehering – und steckte ihn an seinen Finger. Ich sollte nach acht Tagen nachkommen. Die ganze Schwere des Erlebten lastete auf mir. Ich fühlte mich glücklich – und auch wieder nicht. Alte Wunden behalten Narben!“ Erinnerungen von Alma Mahler an den August 1910, an „merkwürdig leidenschaftliche Tage“, in denen Gustav Mahler sie mit der Widmung seiner achten Sinfonie überrascht. Die Sinfonie ist schon vier Jahre alt, nie war die Rede davon gewesen – und nun, wenige Wochen vor der Uraufführung kommt Mahler plötzlich auf die Idee, seiner Frau „eine kleine Freude“ damit zu machen? Warum tut er das, und was meint Alma mit ihren dunklen Andeutungen „die ganze Schwere des Erlebten lastete auf mir […] Alte Wunden behalten Narben“? Es ist etwas geschehen, das Mahler in die schlimmste Krise seines Lebens gestürzt hat, eine Krise, die seine seelische Existenz bedroht. Nach acht Jahren Ehe hat sich Alma – seine geliebte Almschi – in einen anderen Mann verliebt, und er hat panische Angst, sie zu verlieren. Das Ereignis liegt erst ein paar Wochen zurück. Im Juni war Alma zur Kur nach Tobelbad gefahren. Sie kränkelt häufig, eigentlich schon seit Jahren, obwohl die Ärzte keinen organischen Schaden bei ihr feststellen können. Auch Mahler weiß nicht, was sie hat, wenn sie bei scheinbar nichtigen Anlässen plötzlich in Tränen ausbricht oder rätselhaft reizbar reagiert. Erst im letzten Jahr hat er ihr ins Kurbad geschrieben: „Trotz meiner inständigen Bitten und Beschwörungen habe ich nie erfahren, worin Dein Leiden eigentlich besteht.“ Sie hatte sich in Schweigen gehüllt – wie immer, wenn es um das Thema ging. Wenn Alma in ihre düsteren Stimmungen verfällt, fühlt sich Mahler ziemlich hilflos, und weil auch die Ärzte nicht weiter wissen, schickt man sie in solch kritischen Zeiten eben zur Kur. So auch in diesem Sommer, im Juni 1910. Über diesen Kuraufenthalt schreibt Alma später in ihren Erinnerungen an Gustav Mahler: „Ich brachte Mahler nach Toblach und mußte auf ärztliche Verordnung nach Tobelbad gehen, meine kranken Nerven auszukurieren. Mahler blieb, von

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alten, verläßlichen Dienstboten betreut, in Toblach, wo er begann, die Zehnte zu skizzieren. Ich war sehr krank und konnte einfach nicht weiter – von dem ewigen Hetztreiben, das ein solcher Riesenmotor wie Mahlers Geist bedingt, völlig aufgerieben. In Tobelbad lebte ich wie immer, wenn ich irgendwo allein war, vollkommen einsam. So einsam und melancholisch, daß der Leiter der Anstalt, besorgt um meinen Zustand, mir junge Leute vorstellte, die mich auf meinen Spaziergängen begleiten sollten. Der Künstler X... war mir besonders sympathisch, und es bestand für mich bald kein Zweifel, daß er mich liebte und meine Gegenliebe erhoffte. Ich reiste ab. [...] Nach acht Tagen ungefähr kommt ein Brief von diesem jungen Mann, in dem er mir schreibt, daß er ohne mich nicht leben könne, und daß ich, wenn ich nur das geringste Gefühl für ihn hätte, alles verlassen und zu ihm kommen möge.“ An dieser Geschichte stimmt so gut wie nichts. Kein Wunder, denn Almas „Erinnerungen“ waren für die Nachwelt bestimmt, und sie hatte kein Interesse daran, Dinge zu schildern, die sie kompromittieren könnten. Tatsache ist, dass „der Künstler X“ – genauer gesagt, ein junger, attraktiver Architekt namens Walter Gropius – keineswegs nur die Rolle des sympathischen Kurschatten in Tobelbad spielte, der Alma ein bisschen beim Spazieren begleitete. Von Anfang Juni bis Mitte Juli waren die beiden unzertrennlich – und zwar nicht nur tagsüber, wie Alma ihrem Tagebuch anvertraute. „Einmal verbrachte ich eine Nacht, die erst durch die Morgendämmerung und den süßen Gesang der Nachtigall gestört wurde. An meiner Seite lag ein schöner junger Mann. Und in dieser Nacht hatten sich zwei Seelen gefunden, und zwei Körper hatten sich dabei vergessen.“ Dieser Nacht folgten weitere Nächte, aus der harmlosen Begleitung im Kurpark entwickelte sich ein handfestes Verhältnis. Die schöne einunddreißigjährige Alma Mahler war fasziniert von ihrem vier Jahre jüngeren Liebhaber. Er sah nicht nur gut aus, sondern war, wie sie mit untrüglichem Gespür feststellte, ein außergewöhnlicher Künstler. Das zog sie an – so wie Mahler sie angezogen hatte, damals, im Herbst 1901, als sie sich kennenlernten. Dass sie, die verheiratete Frau, es nicht bei einem Flirt bewenden ließ, sondern bereit war, Mahler untreu zu werden, hatte jedoch nicht nur etwas mit der Ausstrahlung des „Künstlers X“ zu tun. Dafür gab es noch andere und sehr viel tiefer liegende Gründe. Mahler ahnte nichts von alledem. Oder doch? „Verbirgst Du mir etwas?“, schrieb er ihr beunruhigt. „[…] ich glaube immer etwas zwischen den Zeilen herauszufinden.“ Als sie ihm daraufhin zwei Tage nicht antwortete, wurde er ärgerlich: „Ich verstehe nicht, warum Du nicht wenigstens ab und zu eine Karte schreiben kannst! Was soll man nur mit einer solchen Kind-Frau machen?“ Jedenfalls ist er froh, als Alma Mitte Juli aus der Kur zurückkehrt, und als er sie von der Bahn in Toblach abholt, stellt er mit Erleichterung fest, dass sie sich offensichtlich gut erholt hat. Die beiden fahren zu ihrem Bauernhaus nach Alt-Schluderbach, einem Vorort von Toblach, wo sie gemeinsam mit der kleinen Tochter Gucki seit zwei Jahren den Sommer verbringen. Während Mahler sich in den nächsten Tagen wie gewohnt in sein kleines, außerhalb gelegenes Komponierhäuschen zurückzieht, um an den Skizzen seiner zehnten Sinfonie zu arbeiten, liest Alma drüben im Bauernhaus leidenschaftliche Liebesbriefe, die ihr Walter Gropius täglich postlagernd nach

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Toblach schickt. Sie liest nicht nur, sondern antwortet auch, und was sie sich dabei einfallen lässt, ist um keine Spur weniger leidenschaftlich, im Gegenteil. Dann – Ende Juli, Anfang August – geschieht das Unglück. Mahler öffnet arglos einen von Gropius’ Briefen, der aus unerklärlichen Gründen an ihn adressiert ist. „An Herrn Direktor Gustav Mahler“ steht auf dem Umschlag geschrieben. Ist das Absicht? Eine Fehlleistung oder nur ein Versehen? Daran kann nicht einmal Alma glauben, die ihrem Liebhaber zwei Tage später irritiert scheibt: „Ich habe gestern wieder 2 Briefe von Dir geholt [...] – alles in Ordnung – nun verstehe ich den vorgestrigen Abend immer weniger. – Das Einzige – was mich glauben lassen könnte, daß Du die Adresse mit Absicht an Herrn G. Mahler geschrieben hast – ist der Passus in Deinem heutigen Brief: ,Hat Dein Mann noch nichts gemerkt?‘ Schreibe mir alles aufrichtig, ich werde Dich immer recht verstehen!! Sonst aber müßte ich an Sinnesverwirrung denken.“ Ob es nun Sinnesverwirrung war oder nicht – die Wirkung des Briefes auf Mahler ist verheerend. Alma berichtet später: „Mahler saß am Klavier, las den Brief, rief mit erstickter Stimme: ‚Was ist das?‘ und reichte mir den Brief. Mahler war und blieb davon überzeugt, daß X... diesen Brief absichtlich an ihn geschickt hatte, um, wie er sagte, bei ihm um meine Hand anzuhalten. Was jetzt kam, ist unsagbar! Endlich durfte ich alles aussprechen: Wie ich mich jahrelang nach seiner Liebe gesehnt hatte und wie er, in seinem ungeheuren Missionsgefühl, mich einfach übersehen hatte. Er fühlte zum ersten Mal in seinem Leben, daß es auch so etwas wie eine innere Verpflichtung gegen den Menschen gibt, dem man sich nun einmal verbunden hat. Er fühlte plötzlich Schuld. Wir gingen tagelang unter lautem Weinen nebeneinander her, bis meine Mutter kam, die wir in unserer Not zu Hilfe gerufen hatten. [...] Wir sprachen, wie wir nie miteinander gesprochen hatten. In Wahrheit hatte meine grenzenlose Liebe nach und nach ihre Stärke und Wärme verloren. Mir, die ich außer dem meinen kein Frauenschicksal beobachtet hatte und unerhört naiv war, mir war es bei den stürmischen Werbungen des jungen X... wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich wußte plötzlich, daß meine Ehe – keine Ehe –, mein eigenes Leben vollkommen unausgefüllt sei.“ Für Mahler bricht eine Welt zusammen. Almas Untreue, ihre Vorwürfe und Schuldzuweisungen – all dies trifft ihn völlig überraschend. Nach acht Jahren Ehe steht er vor dem Scherbenhaufen einer Beziehung, die er als glücklich erlebt hat. Er ist fassungslos und fühlte sich zutiefst verletzt. „Da es quasi durch Zufall herausgekommen ist u. nicht durch ein offenes Geständnis von meiner Seite – hat er jedes Vertrauen, jeden Glauben an mich verloren“, schreibt Alma an Gropius. Sie bittet ihren Liebhaber dringend, sie auf keinen Fall in Toblach zu besuchen, doch der ist hartnäckig und reist ihr nach. Bei einer gemeinsamen Spazierfahrt mit Mahler entdeckt Alma ihn plötzlich – versteckt unter einer Brücke. „Mein Herz blieb stehen, nur vor Schreck, nicht vor Freude. Ich sagte es sofort Mahler, und er sagte: ‚Ich selber hole ihn her.‘ Er ging augenblicklich nach Toblach hinunter, fand ihn sofort und sagte: ‚Kommen Sie!‘ Weiter wurde nichts gesprochen. Es war unterdessen Nacht geworden. Wortlos gingen sie den weiten Weg, Mahler mit einer Laterne voraus, der andere hinterdrein. Pechschwarze Nacht. Ich war in meinem Zimmer

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geblieben. Mahler kam sehr ernst zu mir herein. Nach langem Zögern ging ich zu X... Die kurze Unterredung, die ich mit ihm hatte, unterbrach ich nach wenigen Minuten, weil ich plötzlich Angst um Mahler bekommen hatte. Mahler ging im Zimmer auf und ab. Zwei Kerzen brannten auf seinem Tisch. Er las in der Heiligen Schrift. Er sagte: ‚Was du tust, wird recht getan sein. Entscheide Dich!‘ Aber ich hatte ja keine Wahl! […] War ich oft in den letzten Jahren verzweifelt gewesen über mein verfließendes Leben, so hätte ich mir doch ein Leben ohne Mahler nie und nimmer vorstellen können. Am wenigsten mit einem anderen Manne. […] Mahler war und blieb mir der Zentralpunkt meines Daseins.“ Das hatte Alma ihm gesagt in jener schicksalhaften Nacht vor wenigen Wochen. Immer wieder hatte sie ihm beteuert, ihn nicht zu verlassen, doch Mahler ist seither ein gebrochener Mann. Seit der Abreise von Gropius quält ihn die Vorstellung, Almas Liebe für immer verloren zu haben. Hat er nicht schon immer befürchtet, zu alt für sie zu sein? Waren ihm nicht schon vor neun Jahren Bedenken gekommen, als er sich mit ihr verlobte? Damals war sie zweiundzwanzig, er einundvierzig. Heute ist er fünfzig. Ist es da ein Wunder, dass sie sich einen jüngeren Liebhaber genommen hat? Wird sie diesen Gropius wirklich aufgeben – seinetwegen? Mahler steigert sich zunehmend in selbstzerstörerische Gedanken, seine Hoffnungslosigkeit wird von Tag zu Tag größer, sein Gemütszustand immer bedenklicher. In einem Anfall völliger Verzweiflung kritzelt er in die Partiturskizze seiner zehnten Sinfonie: „Erbarmen! O Gott! O Gott! Warum hast Du mich verlassen? Dein Wille geschehe!“ – „Der Teufel tanzt es mit mir! Wahnsinn, faß mich an, Verfluchter! Vernichte mich, daß ich vergesse, daß ich bin! daß ich aufhöre, zu sein, daß ich ver... [?] Du allein weißt, was es bedeutet. Ach! Ach! Ach! Leb wohl mein Saitenspiel! Leb wol, leb wol Ach Ach. Für Dich leben! Für Dich sterben! Almschi!“ Wie ein Kind, das Angst hat, allein gelassen zu werden, klammert er sich an Alma. Ständig will er sie um sich haben. Tag und Nacht will er ihre Gegenwart spüren, ihre Stimme hören, mit ihr reden oder sie bloß anschauen. „Er riß mich zu sich,“ schreibt Alma später, „ aber ich hatte mich ja niemals ganz entfernt. Nun war er eifersüchtig auf alles und alle. […] Unsere Zimmer, die nebeneinander lagen, mußten nun immer offenstehen. Er mußte mich atmen hören. Ich wachte oft des Nachts auf, er stand im Finstern vor mir. Ich erschrak wie vor einem abgeschiedenen Geist. Jeden Tag mußte ich ihn jetzt aus seinem Arbeitshaus zum Essen holen. Ich tat das sehr vorsichtig, denn in dem Übermaß seiner Angst, er könne mich verlieren, habe mich vielleicht schon verloren, lag er oft auf dem Erdboden der Hütte und weinte. Denn so, sagte er, sei er der Erde näher.“ In einer jener Nächte, als Alma wieder einmal aufwacht, steht Mahler vor ihrem Bett und fragt sie, ob sie sich über die Widmung seiner achten Sinfonie freuen würde. Es soll ein Beweis seiner Liebe sein, das größte Geschenk, das er ihr machen kann. Die Achte ist ein geniales Werk. Seiner Meinung nach das Beste, was er je komponiert hat. In ein paar Wochen wird die Uraufführung sein, und bei dieser Gelegenheit soll alle Welt erfahren, dass er, Mahler, das Opus seiner geliebten Frau zugeeignet hat. Eine grandiose Idee! Dem Verleger hat er bereits einen entspre-

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chenden Brief geschrieben, und nun brennt er darauf, auch ihr zu sagen, was er vorhat. Nicht erst morgen, sondern sofort, noch in dieser Nacht. Wie wird sie es aufnehmen? Wird sie sich freuen? Wird sie stolz darauf sein, ihren Namen auf der Partitur verewigt zu sehen – sichtbar für jeden und für immer? Alma ist völlig überrascht, und sie hat allen Grund dazu. Bisher hat nichts in Mahlers Verhalten darauf hingewiesen, dass er das Werk mit ihrem Namen in Verbindung bringen wollte – weder vor vier Jahren, als er die Sinfonie komponierte, noch im vorigen Jahr, als er ihr in einem langen Brief seine Gedanken zu Goethes Faust erläuterte, dessen Schlussszene er in der Achten vertont hat. Nie war auch nur andeutungsweise von einer Widmung die Rede gewesen. Und nun dieser Vorschlag – mitten in der Nacht! Alma weiß nicht, was sie davon halten soll. Sie zögert, rät ihm, sich das Ganze doch noch einmal zu überlegen. Mahler gehört nicht zu den Komponisten, die ihre Werke mit Widmungen versehen. Sie kennt ihren Mann – es könnte ihm irgendwann einmal leid tun. Doch Alma wäre nicht Alma, wenn ihre Bedenken nicht rasch anderen Überlegungen Platz machten. Sie fühlt sich geschmeichelt. Der Gedanke, Widmungsträgerin zu werden, gefällt ihr – noch dazu bei einem Opus, das vielleicht ein ganz großer Erfolg werden könnte. Später wird sie schreiben: „Durch meinen metaphysischen Leib sind die Ströme dieser großen Musik und dieses Menschen hindurchgegangen!“ Nein, Mahler braucht sie nicht lange zu überreden, bis sie zustimmt. Sie freut sich über sein Geschenk, und er ist überglücklich. An diesem 20. August scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein. Zumindest für ein paar Stunden. Eine Widmung in letzter Minute, auf dem Höhepunkt einer Ehekrise – konnte das gutgehen? Stimmte Almas Behauptung, ihr sei erst jetzt – durch Walter Gropius – bewusst geworden, dass ihr Leben „vollkommen unausgefüllt“ war? Woher kam ihre aufgestaute Wut auf Mahler? War es wirklich nur ihre „vergebliche Sehnsucht nach seiner Liebe“? Warum hatte Mahler nichts gegen ihre Unzufriedenheit unternommen? Hatte er sie nicht bemerkt? Wie hatte überhaupt alles begonnen – damals, vor fast neun Jahren, als sie einander zum ersten Mal begegneten? Fragen über Fragen. Anfang November 1901. Bertha Zuckerkandl, die Gattin des renommierten Wiener Anatomen Emil Zuckerkandl, hält wieder einmal einen ihrer berühmten Salons. Wie gewöhnlich hat sie dazu auch ein paar prominente Gäste geladen: den Maler Gustav Klimt, den ehemaligen Direktor des Burgtheaters Max Burckhard und den Hofoperndirektor Gustav Mahler, das umstrittene Idol der Wiener Musikwelt. Auch Alma Maria Schindler ist eingeladen, die Tochter des verstorbenen österreichischen Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler. Die Zweiundzwanzigjährige gilt in den Kreisen der Wiener Gesellschaft als männerbetörende Schönheit – eine Rolle, die sie sehr genießt und ungeachtet ihrer Jugend mit erstaunlicher Professionalität beherrscht. Diesmal allerdings hat Alma keine Lust aufs Flirten und will dem Empfang im Hause Zuckerkandl fernbleiben. Später erzählt sie, der Grund sei Mahler gewesen. Der Opernchef ist als Herzensbrecher verschrien, man sagt ihm zahlreiche Affären nach, vor allem mit Sopranistinnen, und mit einem solchen Mann will Alma nicht zusammentreffen. „So gewaltig war ich von dem Lügengewebe beeinflußt, das

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man um Mahler gesponnen hatte. […] Ich erinnerte mich der Gerüchte über seine unzähligen Protektionsliebschaften und nicht zuletzt gedachte ich des kürzlich stattgefundenen Konzerts, in dem Mahler seine Erste Symphonie (18. November 1900) aufgeführt hatte, die mir so gründlich mißfallen, ja die mich mit Ärger und Protest erfüllt hatte. – Als Dirigent war er mir wichtig, und ich kann es nicht leugnen, daß er immer eine geheime und starke Anziehungskraft auf mich ausgeübt hatte.“ Fräulein Schindler überlegt sich die Sache noch einmal und erscheint schließlich doch auf der Party. Gustav Klimt, Almas Jugendliebe, und ihr väterlicher Freund Max Burckhard sitzen neben ihr am Tisch und machen ihr den Hof. Das gefällt ihr. Sie ist bester Laune, lacht viel und gibt ein Bonmot nach dem anderen von sich. Mahler, der sie von weitem aufmerksam beobachtet, geht nach dem Essen auf sie zu, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Alma gibt sich sehr selbstbewusst und scheint es darauf anzulegen, ihn zu provozieren. Sie wirft ihm vor, ein Ballett ihres Kompositionslehrers Alexander von Zemlinsky nicht aufgeführt zu haben und kritisiert ein anderes, ihrer Meinung nach verworrenes Ballettstück, das stattdessen dauernd auf dem Spielplan der Hofoper stehe. Mahler hört amüsiert zu. Er erfährt, dass er es mit einer jungen Dame zu tun hat, die Dirigentin werden will, Komposition studiert und schon über hundert Lieder geschrieben hat, dazu noch ein paar Instrumentalstücke und sogar den Entwurf zu einer Oper. Mahler ist verblüfft. „Das Mädchen ist intelligent und interessant,“ sagt er später auf dem Heimweg zu Burckhard, „zuerst hat sie mir nicht gefallen, weil ich sie für ein Püppchen gehalten habe.“ Almas Klugheit und Schönheit bezaubern ihn. Er will sie unbedingt wiedersehen und fordert sie auf, ihm ein paar Kompositionen zu zeigen. „Er bat mich, ihm von mir etwas zu bringen“, schreibt Alma daheim ins Tagebuch, „– wollte sogleich den Tag wissen, wann ich zu ihm käme – ich versprach zu kommen, wenn ich etwas Gutes hätte […] Ich muß sagen – er hat mir ungemein gefallen – Allerdings furchtbar nervös – Wie ein Wilder fuhr er herum im Zimmer. Der Kerl besteht nur aus Sauerstoff – Man verbrennt sich, wenn man an ihn ankommt.“ Sie sehen sich wieder, und Mahler verliebt sich Hals über Kopf in Alma. Drei Wochen später macht er ihr einen Heiratsantrag. Alma ist verwirrt. Auch sie hat inzwischen Feuer gefangen, doch da gibt es noch einen anderen Mann, den sie liebt und von dem sie wiedergeliebt wird: Alexander von Zemlinsky, ihr Kompositionslehrer. Zugegeben, Zemlinsky ist hässlich und gefällt ihr äußerlich überhaupt nicht. Aber sie findet, dass er ein großer Komponist ist, und außerdem hält er sie für ein großes Talent und spricht in den höchsten Tönen von ihren Kompositionen. Bei Mahler ist das alles ganz anders. Er scheint sie in puncto Musik nicht ganz ernst zu nehmen – jedenfalls nicht so ernst wie Zemlinsky. Das spürt Alma, und es kränkt sie. Hinzu kommt, dass sie mit Mahlers Musik überhaupt nichts anfangen kann. Diese Musik ist ihr zu trivial, ja, fast zuwider – und sie steht nicht allein da mit ihrer Meinung. So wie sie denken viele in Wien. Mahler ist ein hervorragender Dirigent, und er hat auch ein begeistertes Publikum. Aber sobald er eine von seinen eigenen Kompositionen zum Besten gibt, ist es aus mit der Begeisterung. Das kann sich niemand mit Genuss anhören. Zumindest nicht Leute wie sie und ihre Freunde, die schließlich alle etwas von Musik versehen – ausnahmslos.

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„Ich bin in einem furchtbaren Dilemma,“ schreibt sie ins Tagebuch, hin- und hergerissen von widersprüchlichen Gefühlen, „ – leise sage ich mir immer – mein Geliebter – und immer sage ich Alex hinterher. Kann ich denn Mahler so lieb haben, wie er es verdient und wie es in meiner Macht liegt. – Werde ich je seine Kunst verstehen – u. er die meine? Bei Alex – dieses beiderseitige Verständnis – er liebt jeden Ton von mir – Mahler sagte nur: Das ist ja ernst zu nehmen. Das hatte ich nicht erwartet! […] Ich bin mit Mahler per Du – – – er sagte mir wie er mich liebe – und ich konnte ihm keine Antwort geben. Ja – liebe ich ihn denn? – – – ich habe keine Ahnung – manchmal glaube ich direct: nein. […] ich weiß nicht, was in mir ist, wie’s in mir ist – ob ich ihn liebe – ob ich ihn nicht liebe – – ob der Director – der herrliche Dirigent derjenige ist – oder der Mensch … ob, wenn ich von dem Einen abstrahiere – für das andre etwas bleibt. Und seine Kunst, die mir so unendlich ferne liegt – so furchtbar ferne – – Auf deutsch – Als Componist glaube ich nicht an ihn. – Und ich soll mein Leben an den Menschen binden ... er ist mir von ferne eigentlich näher gestanden – wie von Nah. Mir grauts. – – Und wenn ich heute ,nein‘ sage – ein jahrelanger Traum zerstiebt! […] Was soll ich thun? Und wenn Alex groß wird und mächtig. […] Ich habe keine Ahnung, was in mir vorgeht. […] Ob Mahler mich zur Arbeit animieren wird – ob er meine Kunst unterstützen wird – ob er sie so lieben wird, wie Alex – denn der liebt sie direct – – –“ Ein paar Tage später notiert sie: „Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen getroffen – der mir fremder war wie er – Aber so fremd und so nah! Ich kanns gar nicht sagen vielleicht ist gerade das ein Moment, das mich hinzieht zu ihm – nur mich soll er lassen – wie ich bin – und ich fühle bereits deutlich – die Umwandlungen, die in mir durch ihn vorgehen – vieles gibt er. Geht das so fort, so macht er einen andern – neuen Menschen aus mir. Einen Besseren? Ich weiß es nicht – ich weiß überhaupt gar nicht – meine Zukunft ist mehr denn je ein einziges Fragezeichen. – In seiner Hand liegt jetzt alles“. Am 9. Dezember geht Mahler auf Konzertreise. Vierzehn Tage bleibt er unterwegs, und in diesen vierzehn Tagen fällt Alma ihre Entscheidung. Plötzlich wird ihr klar, daß er der Richtige ist. Dass sie keinen anderen haben will als diesen Mann. „Ich glaube, daß er aus mir einen besseren Menschen machen wird. Er adelt mich. Ich werde mich immer zu ihm hingezogen fühlen.“ Mahler schreibt ihr täglich überschwängliche Liebesbriefe. Oft sogar zweimal. Er offenbart ihr darin seine geheimsten Gedanken und Gefühle. „Ich möchte jetzt Erfolge, Anerkennung, und wie alle diese bedeutungslosen und im Wahren Sinne des Wortes nichts sagenden Dinge heißen, erringen! Ich möchte Dir Ehre machen! […] Ich habe seit jeher Ehrgeiz gehabt – aber ich habe nicht nach Ehre gegeizt, die mir meine Nachbarn, Zeitgenossen geben können. Aber von Meinesgleichen verstanden, gewürdigt zu werden, selbst wenn ich dergleichen im Leben nicht finden sollte (und in der That sind sie ja nur außer Zeit und Raum zu suchen), darnach habe ich immer gerungen; und es soll auch von nun an mein höchstes Lebensziel sein! Dazu mußt Du mir beistehen, meine Geliebte! Und weißt Du, um sich diesen Lohn zu gewinnen, diesen Ehrenkranz, muß man auf den Beifall der Menge, ja selbst auf [den] der Guten Hohen (die eben auch manchmal nicht mitkönnen) verzichten. Wie

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gerne habe ich bis jetzt die Backenstreiche der Philisters, auch Hohn, Haß der Unmündigen ertragen. Ja leider ist es mir nur zu sehr bewußt, daß das bißchen Respekt, das ich mir erworben, vielleicht nur einem Mißverständnis, jedenfalls nur dem dumpfen Ahnen eines Höheren aber Unzugänglichen zuzuschreiben ist. – Ich rede natürlich nicht von meiner Tätigkeit als ‚Direktor‘ oder Kapellmeister; dies sind schließlich im höchsten Sinne Fähigkeiten und Verdienste doch nur untergeordneter Art. […] Alma! Könntest Du mit mir alles Ungemach – ja selbst im Gewande der Schmach – ertragen – und freudig ein solches Kreuz auf Dich nehmen?“ Dass ihm auch gewisse Zweifel durch den Kopf gehen, sagt er ihr nicht. Das schreibt er lieber seiner Schwester Justine, die ihm bis jetzt den Haushalt geführt hat und nun selbst im Begriff ist, zu heiraten. Mahler bittet sie, ihre Heiratspläne nicht zu überstürzen. „Ich muß noch sehr prüfen! Das liebe Mädel ist jetzt selbst arg aufgewirbelt und befindet sich in einer – für sie doch ungewohnten – Situation, in der ich für uns Beide die Augen offen halten muß. Sie müßte noch sehr heranreifen, wie ich neuerdings wieder deutlich sehe, bevor meinerseits ein so folgenreicher Schritt ins Auge gefaßt werden könnte. […] Bitte Dich, schau Dir Alma nur recht an, mit Deinen weiblichen und kühlen Augen; ich mache sehr viel von Deinem Urtheil abhängig.“ Im nächsten Brief an die Schwester drückt er sich noch deutlicher aus: „Liebste Justi! […] Ich bitte Dich, verliebe Dich nur recht in A[lma], dann werde ich doppelt glücklich sein. Aber – so jugendlich ist sie noch, und jeden Moment fehlt mir der Muth, wenn ich an den Altersunterschied denke. – Wenn Du kannst so bleibe ruhig und prüfe – respective helfe mir prüfen. Es ist keine kleine Angelegenheit und der Wunsch darf nicht Vater des Gedankens werden.“ Dieser Altersunterschied von neunzehn Jahren bereitet ihm große Sorgen, und Justine ist die einzige Person, der er seine Befürchtungen anvertrauen kann. „[…] ob ein Mensch, der im Begriffe steht, alt zu werden, das Recht hat, so viel Jugend und Lebensfrische an seine Überfrische – den Frühling an den Herbst zu ketten, ihn zu zwingen, den Sommer zu überspringen – das macht mir bang. […] Eine Weile natürlich ist ja alles noch gesichert. Aber was denn, wenn mein fruchtreicher Herbst dem Winter gewichen ist?“ In Berlin, wo Mahler seine vierte Sinfonie dirigiert, wird er vom Publikum ausgepfiffen, und die Kritiker schreiben mal wieder seitenlange Verrisse. Alma hat es geahnt. Schon vorher hat sie in ihrem Tagebuch prophezeit: „Diese Hunde werden wieder schimpfen – Meinethalben. – Ich bin Physisch krank von den seelischen Umwälzungen der letzten Wochen.“ Gustavs Misserfolg lässt sie kalt. Sie hat viel zu viel mit sich selbst zu tun, um Gedanken daran zu verschwenden. Sie weiß, dass sie auf dem Prüfstand steht, spürt die skeptischen Blicke von Justine und versucht, eine gute Figur zu machen vor ihr, was anstrengend und frustrierend genug ist. „Ich gebe mir die redliche Mühe – der Justine näher zu kommen – u. sie beobachtet mit Argusaugen – meine Worte und Bewegungen und Empfindungen – theilt dem Gustav sofort ihre Ängste mit... Es ärgert mich.“ Natürlich lässt sich Alma davon nicht unterkriegen, und sie kostet es geradezu aus, mit ein paar harmlosen Verehrern herumzuflirten – mag Justine denken von ihr, was sie will. Kindlich naiv berichtet sie Mahler von ihren Eroberungen. Er scheint sich nicht darüber aufzuregen, sondern schreibt ihr weiterhin zärtliche Briefe. Dann aber, kurz vor seiner Rückkehr

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nach Wien, kommt es plötzlich zu einem ernsthaften Konflikt zwischen ihnen. Schuld daran ist eine einzige Bemerkung, an die sie sich noch viele Jahre später in ihren Memoiren genau erinnern wird: „Ich schrieb ihm gelegentlich, ich könne diesmal nicht weiter schreiben, da ich noch zu arbeiten habe (ich meinte, an meinen Kompositionen, die mir bis dahin das Leben bedeutet hatten). Es empörte ihn, daß irgend etwas in der Welt mir wichtiger sein könne, als ihm zu schreiben. Er sandte mir einen langen Brief, in dem er mir verbot, weiterhin zu komponieren. Was aber hat er mir damit angetan! […] Ich habe damals meinen Traum begraben. Vielleicht ist es besser so gewesen. Ich habe, was ich an produktiven Gaben besaß, in andern größeren Hirnen ausleben dürfen. Irgendwo aber brannte eine Wunde in mir, die niemals ganz verheilt ist.“ Der Brief, den Mahler ihr schreibt, ist wirklich sehr lang. Genau gesagt sind es zwanzig Seiten, auf denen er mit schonungsloser Offenheit formuliert, was er über Almas Rolle als seiner zukünftigen Frau denkt, was er von ihr erwartet, und was er keinesfalls zu dulden bereit ist. Dabei nimmt er vor allem Bezug auf das, was sie über ihre eigene Kompositionsarbeit geschrieben hat: „Du schreibst – Dir und meiner Musik, – verzeih, aber auch das muß sein! Darüber, meine Alma, müssen wir uns ganz klar sein, und zwar sofort, bevor wir uns noch sehen! Und da muß ich leider von Dir anfangen und zwar bin ich in die eigentümliche Lage versetzt, in einem gewissen Sinne meine Musik der Deinen gegenüberzustellen, sie, die Du eigentlich nicht kennst, und jedenfalls noch nicht verstehst, gegen Dich zu verteidigen, und ins rechte Licht stellen zu müssen. Nicht wahr, Alma, Du wirst mich nicht für eitel halten, und glaube mir, in meinem Leben geschieht es das erste Mal, daß ich von ihr zu jemandem rede, der nicht das richtige Verhältnis zu ihr hat. Ist es Dir möglich, von nun an meine Musik als die Deine anzusehen? Ich will hier zunächst noch nicht im Speciellen von ‚Deiner‘ Musik – auf die komme ich noch zurück [?reden]. Aber im allgemeinen! Wie stellst Du Dir so ein componierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung wie lächerlich und später herabziehend vor uns selbst, so ein eigenthümliches Rivalitätsverhältnis werden muß? Wie ist es, wenn Du gerade in ‚Stimmung‘ bist, und aber für mich das Haus, oder was ich gerade brauche, besorgen, wenn Du mir, wie Du schreibst, die Kleinigkeiten des Lebens abnehmen sollst. Mißverstehe mich nicht! Glaube nicht, daß ich mir das Verhältnis zweier Gatten in diesem philiströsen Sinne denke, der das Weib als eine Art Zeitvertreib, daneben aber doch wieder als Haushälterin des Gatten ansieht. Nicht wahr, das muthest Du mir nicht zu, daß ich so fühle oder denke. Aber daß Du so werden mußt‚ ‚wie ich es brauche‘, wenn wir glücklich werden sollen, mein Eheweib und nicht mein College – das ist sicher! Bedeutet dies für Dich einen Abbruch Deines Lebens und glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten zu müssen, wenn Du Deine Musik ganz aufgibst, um die Meine zu besitzen, und auch zu sein? Dies muß zwischen uns klar sein, bevor wir an einen Bund fürs Leben denken dürfen. Was heißt das nur: ich habe noch nichts gearbeitet, seitdem! Jetzt gehe ich arbeiten etc. etc. – Was ist das für eine Arbeit? Componieren? – Dir zum Vergnügen oder den Besitz der Menschheit zu vermehren? […] Du hast von nun an nur einen Beruf: mich glücklich zu machen! Verstehst Du mich, Alma? Ich weiß ja,

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daß Du selbst glücklich (durch mich) werden mußt, um mich glücklich machen zu können. Aber die Rollen in diesem Schauspiel, welches ebensogut Comödie wie Tragödie werden könnte (Beides nicht das rechte), müssen […] richtig ausgeteilt sein. Und da fällt die Rolle des ‚Componisten‘, des ‚Arbeitens‘ mir zu und Dir die des liebenden Gefährten, des verstehenden Kameraden! Bist Du mit ihr zufrieden? – Ich fordere viel, sehr viel – und ich kann und darf es thun, denn ich weiß, was auch ich zu geben habe und geben werde! […] Almschi, ich bitte Dich, lies meinen Brief genau. Zu einer Liebelei darf es zwischen uns nicht kommen. Ehe wir uns wieder sprechen, muß es zwischen uns klar sein. Du mußt wissen, was ich von Dir verlange, erwarte, und was ich Dir bieten kann – was Du mir sein mußt. ‚Abthun‘ mußt Du (wie Du geschrieben) alle Oberfläche, alle Convention, alle Eitelkeit und Verblendung (in bezug auf Individualität und Arbeiten) – Du mußt Dich mir Bedingungslos zu Eigen geben – die Gestaltung Deines zukünftigen Lebens in allen Einzelheiten innerlich von meinen Bedürfnissen abhängig machen und nichts dafür wünschen als meine Liebe! […] Welch einen schrecklichen Moment bereite ich Dir jetzt – ich weiß es – Alma, daß ich selbst ebenso leide, wirst Du ermessen können, wenn dies auch ein schwacher Trost ist. – Gott, den ich jetzt rufe […] leite Deine Hand, meine Geliebte, daß sie die Wahrheit niederschreibt und nicht von der Verblendung geführt wird. – Denn es ist ein wichtiger Augenblick, der für 2 Leben für ewig Entscheidendes bringt! Sei gesegnet, meine Theuere, Liebe, was Du mir auch zu sagen haben wirst. […] Vielmal, innigst küsse ich Dich, meine Alma, und bitte Dich: Sei wahr! Dein Gustav.“ Alma ist sprachlos. Niedergeschmettert. Sie weint stundenlang und bittet schließlich ihre Mutter tränenüberströmt um Hilfe. Die ist außer sich vor Empörung und gibt ihrer Tochter den dringenden Rat, mit Mahler Schluss zu machen. Doch seltsam – je länger die Mutter auf sie einredet, umso mehr sträubt sich Alma dagegen. Ihr schießen plötzlich ganz andere Gedanken durch den Kopf. Irgendetwas fasziniert sie an dem, was Mahler geschrieben hat – trotz allem. Ist es nicht das Recht eines genialen Künstlers, von einer Frau alles zu fordern? Kann sie nicht stolz darauf sein, dass der berühmte Hofoperndirektor sie heiraten will? Verspricht das Leben an seiner Seite nicht Aufregung, Glanz und gesellschaftliches Ansehen? Alma denkt lange nach, und als sie den Brief noch einmal durchliest, tut sie es plötzlich mit anderen Augen, ganz anderen Gefühlen. „So warm kams auf einmal über mich“, schreibt sie ins Tagebuch. „wie wärs, wenn ich ihm zu Liebe verzichten würde! Auf das, was gewesen! Muß ich mir doch gestehen, daß mich kaum eine Musik jetzt interessiert als die Seine. Ja – er hat recht – Ich muß ihm ganz leben, damit er glücklich wird. […] Wie recht er in Allem hat. Ich liebe ihn! […] Alles will ich ihm geben – meine Seele gehört ihm – – – Ach – wenn nur alles klar wäre!“ Am Morgen setzt sie sich hin und schreibt Mahler einen Brief, in dem alles klar ist. Sie verspricht ihm, was er versprochen haben will, und zwei Tage später, am 23. Dezember 1901, verloben sie sich. Sechseinhalb Wochen sind erst vergangen seit ihrer Begegnung im Hause Zuckerkandl. Vierzehn Tage davon haben sie sich nicht gesehen, sondern nur Briefe

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geschrieben. Reicht das aus, um einander gründlich kennenzulernen? Mahler ist inzwischen fest davon überzeugt. „Wir hätten uns in Monaten nicht so viel sagen können, nicht so tief erfassen können, als in diesen 2 (so unendlich langen) Wochen!“ schreibt er. „Ich bin dessen so wonnig bewußt, daß wir in dieser kurzen Zeit an einer Sonne gereift sind, die mächtiger ist als dieses strahlende Gestirn da oben; denn die braucht doch einen ganzen Sommer: und wir haben in 2 Wochen unser ganzes Sein entfaltet.“ Alma ist sich ihrer Sache immer noch nicht ganz sicher. Kurz vor der Verlobung beichtet sie in ihr Tagebuch: „[…] wir passen zusammen – – wie Feuer und Wasser – – äußerlich so wie innerlich! ja – – Gewiss! Muß aber eines unterliegen? Können nicht aus 2 grundverschiedenen Anschauungen – – wenn Liebe hilft – – eine schöne herrliche werden.“ Die Nachricht von der Verlobung des Operndirektors verbreitet sich blitzschnell in Wien. Die Presse berichtet genüsslich nähere Einzelheiten, der Klatsch blüht, und hinter vorgehaltener Hand werden kritische Kommentare ausgetauscht zum Fall „Mahler-Schindler“ – vor allem unter Mahlers Freunden. Bruno Walter, der frisch gebackene Kapellmeister an der Wiener Hofoper, kann sich ein paar skeptische Anmerkungen nicht verkneifen, als er seine Eltern über die Herzensangelegenheiten seines Chefs informiert: „Seine Braut Alma Schindler […] ist 22 Jahre alt, groß und schlank und eine blendende Schönheit, das schönste Mädchen Wiens; aus sehr guter Familie und sehr reich. – Wir aber, seine Freunde, sind sehr besorgt wegen dieser Sache; er ist 41 Jahre und sie 22, sie eine gefeierte Schönheit, gewöhnt an ein glänzendes gesellschaftliches Leben, er so weltfern und einsamkeitsliebend; und so könnte man noch eine Menge von Bedenken anführen.“ Alma stammt in der Tat aus einer „sehr guten Familie“. Ihr Vater, Emil Jakob Schindler, war ein erfolgreicher und wohlhabender Maler, dem es gelang, das Leben eines Künstlers mit dem eines Großbourgeois in Einklang zu bringen. Als er starb, war Alma erst dreizehn – zu jung, um sich wirklich ein Bild von ihrem Vater zu machen, und alt genug, um ihn fortan zum Idol zu verklären. Zum Abgott, an dem sie künftig alles messen sollte, was männlich war und ihren Lebensweg kreuzte. „Ich bin die Tochter eines Monuments gewissermaßen,“ schreibt sie großspurig in ihren Memoiren, „mein Vater, Emil J. Schindler, das Vorbild meiner Kindheit, kam aus einem alten Patrizierhaus. Er war der bedeutendste Landschaftsmaler der österreichischen Monarchie.“ Nein, mit Minderwertigkeitskomplexen ist Alma nicht geschlagen, wenn sie die Frage nach ihrer Herkunft beantwortet. Die Familie Schindler konnte es sich leisten, in einem alten Schloss zu leben, und dort verbrachte die kleine Alma Maria den größten Teil ihrer Kindheit – wie eine Prinzessin. Stundenlang saß sie im Atelier ihres Vaters und beobachtete ihn beim Malen oder hörte ihm zu, wenn er mit seiner schönen Stimme Lieder von Schumann sang. Schindler war ein gebildeter Mann und ein idealer Vater dazu. Er ließ sich eine Menge einfallen, um seine beiden Töchter Alma und Grethe in die Geheimnisse der Malerei, Literatur und Musik einzuweihen, und die kleine Alma nahm all diese Anregungen begierig in sich auf. Sie las und musizierte viel und fing im Alter von neun Jahren sogar an, kleine Stücke zu komponieren. Der Vater war stolz auf sie

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und nahm sie „immer ernst“, wie sie noch viele Jahre später betonte. Seinen plötzlichen Tod konnte das Mädchen damals lange nicht verwinden, und als man ihm bald darauf im Stadtpark von Wien ein Denkmal setzte, wurde dies für die Dreizehnjährige zum Schlüsselerlebnis. Das Bild dieses Denkmalvaters – lässig zurückgelehnt, in weißen Stein gehauen, mitten unter hohen grünen Bäumen –, dieses Bild grub sich tief in ihre Seele ein. Fünf Jahre nach Schindlers Tod heiratete Almas Mutter den Maler Carl Moll, einen Schüler ihres verstorbenen Mannes. Das verzieh Alma ihr nie. „Sie hat einen Perpendikel geheiratet,“ schrieb sie verächtlich, „und mein Vater war doch eine Wesensuhr.“ Die Achtzehnjährige zog sich zurück von der Familie und suchte Trost in ihrer Musik. Sie begann, Kontrapunkt und Komposition zu studieren und fand in Max Burckhard, dem Direktor des Wiener Burgtheaters, einen väterlichen Mentor, der sich ihres „irrlichternden Geistes“ annahm. „Wir waren beide wilde Nietzscheaner – er ein revolutionärer Modernist. Aber er gefiel mir als Mann nicht, und seine große Verliebtheit löste Widerwillen in mir aus.“ Der verliebte Direktor war kein Einzelfall, und der jungen Alma wurde allmählich bewusst, wie betörend sie auf Männer wirkte, welch magische Anziehungskraft von ihr ausging, und sie gewöhnte sich schnell daran, dass man sie überall hofierte und bewunderte. So reifte in ihr die Überzeugung, dass sie wohl eine außergewöhnliche Frau sein musste. Außergewöhnlich schön, außergewöhnlich klug und außergewöhnlich musikalisch. Und eine solche Frau konnte natürlich auch nur einen außergewöhnlichen Mann heiraten – so viel war klar. Gustav Mahler war ein solcher Mann. Und deshalb entschied sie sich für ihn. Er kam aus anderen Verhältnissen und machte sich keine Illusionen darüber. „Du hast es gut, kommst ‚aus Glanz und Wonne‘, kannst leichtfüßig durchs Leben gehen, an Dir hängt keine schwarze Vergangenheit, keine Familie, aber ich bin mein ganzes Leben schwer gegangen, Lehmklötze an den Füßen.“ So sagte er oft, wenn sie über ihre Vergangenheit redeten. Als sie einander zum ersten Mal begegneten, hatte Mahler zwar den Gipfel einer grandiosen Karriere erreicht und war bereits seit vier Jahren Direktor der Wiener Hofoper, doch sein Leben war bis dahin mehr als beschwerlich gewesen, seine Kindheit alles andere als glücklich. Er wuchs nicht wie Alma in einem schönen Schloss auf, sondern in einer kleinbürgerlichen Wohnung im böhmischen Städtchen Iglau, wo sein Vater Bernhard Mahler eine kleine Schnapsbrennerei betrieb. Bernhard Mahler stammte aus einer armen jüdischen Familie. Seine Mutter, eine fleißige und ehrgeizige Frau, war noch als Hausiererin von Tür zu Tür gezogen, um mit dem sauer verdienten Geld die wirtschaftliche Situation der Familie aufzubessern. „Diese Zähigkeit im Verfolgen eines Zieles hat Mahler bestimmt von seiner Großmutter geerbt“, mutmaßte Alma später, und vielleicht hatte sie recht – obwohl der Begriff „geerbt“ sicherlich unscharf war und als Erklärung nicht ausreichte. Tatsache war, dass auch Gustav Mahlers Vater ähnliche Eigenschaften hatte wie jene Großmutter. Er war fleißig und von brennendem Ehrgeiz besessen, „nach oben“ zu kommen. Sein Berufsleben begann er als Fuhrmann, wechselte jedoch mehrfach die Stelle und pachtete schließlich in einem böhmischen Dorf namens Kalischt einen kleinen Gutshof. Dort heiratete er im Alter von dreißig

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Jahren ein Mädchen aus „besserem“ Haus – die zwanzigjährige Marie, Tochter des jüdischen Seifensieders Abraham Herrmann. Laut Alma galt Marie als „bemakelt“, weil sie von Geburt an hinkte und deshalb wenig Aussicht auf eine gute Partie hatte. „Sie liebte einen anderen, der sie nicht beachtete, und so heiratete sie Bernhard Mahler ohne Liebe und mit aller Lebensresignation. Die Ehe war vom ersten Tag an ausgesprochen unglücklich. Es kamen Kinder – viele Kinder – zwölf nacheinander! Ein angeborener Herzfehler dieser Märtyrerin verschlimmerte sich durch die Geburten und die schwere Hausarbeit rapid.“ Der erstgeborene Sohn des Paares starb früh. Das zweite Kind kam am 7. Juli 1860 auf die Welt: es war wieder ein Sohn und die Mahlers nannten ihn Gustav. Vier Monate nach seiner Geburt zog Bernhard Mahler mit Frau und Kind in die dreißig Kilometer entfernte Industriestadt Iglau jenseits der mährischen Grenze, um hier eine Spiritusbrennerei zu eröffnen. Seine Hoffnungen auf Erfolg erfüllten sich. Das Geschäft mit dem Spiritus florierte, bescherte der Familie im Lauf der Jahre sogar einen bescheidenen Wohlstand, und Bernhard Mahler konnte sich bald zu den angesehenen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde zählen. Seine Frau Marie stand in seinem Schatten. Ihre Gesundheit war ruiniert durch die vielen Geburten, und sie litt darunter, dass sie viele ihrer Kinder schon im frühen Jugendalter begraben musste. „Fünf der kleinen Geschwister starben an Diphterie. Das sechste, ein Bub, siechte mit zwölf Jahren langsam dahin. Herzbeutelwassersucht. Das erste grausame Erlebnis in Gustav Mahlers Kindheit,“ schrieb Alma. Gustav war der Begabteste unter den Geschwistern, das stellte sich sehr schnell heraus. Mit drei Jahren bekam er eine kleine Ziehharmonika geschenkt, auf der er zum Erstaunen der Erwachsenen schon bald ein paar Volkslieder spielen konnte. Vater Bernhard entschloss sich daraufhin, ihm Klavierunterricht geben zu lassen, und der Kleine machte dabei so große Fortschritte, dass er bereits mit zehn Jahren in einem öffentlichen Konzert auftreten durfte. Er war ein stilles, in sich gekehrtes Kind, das gerne las und stundenlang Klavier übte. Ein Kind, das seine Mutter abgöttisch liebte und den Vater ablehnte. Bernhard Mahler war ein herrischer, zu Gewalt neigender Mann, der häufig Wutausbrüche bekam und die Familie tyrannisierte. Wenn der Vater tobte, wurde Gustav noch stiller als sonst und zog sich noch mehr in sich zurück. Er zeigte nicht, was er fühlte und dachte und gewöhnte sich daran, in Tagträume zu flüchten. „Träumend ging er durch Haus und Felder, träumend zog er durch Familie und Kinderjahre. Er sah nicht die unendlichen Qualen, die seine Mutter unter der Brutalität des Vaters zu durchleiden hatte, der jedem Dienstmädchen nachlief, die zarte Frau anherrschte und die Kinder prügelte.“ Ob er die Qualen tatsächlich nicht bemerkte, wie Alma behauptete, ist mehr als fraglich, denn das Bild seiner still leidenden, herzkranken Mutter verlor Gustav nie mehr aus seinem Gedächtnis. Dass diese Erinnerung all seine späteren Beziehungen zu Frauen beeinflusste, davon wusste er nichts. Das sollte er erst erfahren, als seine Ehekrise mit Alma ihren Höhepunkt erreichte – und zwar aus berufenem Munde. Mit fünfzehn Jahren spielte Gustav bereits so gut Klavier, dass ein Freund der Familie den Vater überredete, mit dem Jungen nach Wien zu fahren, um ihn am Konservatorium vorspielen zu lassen. Gustavs Probespiel dort dauerte nur knapp

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zehn Minuten, dann wandte sich der berühmte Pianist Julius Epstein an den Vater und sagte: „Ihr Sohn ist ein geborener Musiker … In diesem Fall … kann ich mich nicht irren, der junge Mann hat Spiritus, aber die Spiritusfabrik seines Vaters wird er nicht übernehmen.“ Damit waren die Würfel gefallen. Bernhard Mahler ließ seinen Sohn nun für drei Jahre in Wien Musik studieren, verlangte jedoch, dass er gleichzeitig als externer Schüler am Iglauer Gymnasium sein Abitur machte. Gustav gehorchte. Er studierte Klavier und Komposition in Wien, büffelte nebenher für die Schule, bestand 1877 seine Reifeprüfung, machte schon ein Jahr später sein Abschlussexamen am Konservatorium und gewann dabei sogar einen ersten Preis für Komposition. Der Start in die Zukunft schien viel versprechend, doch die nächsten zwei Jahre waren bitter und voller Enttäuschungen. Der junge Musiker musste sich als schlecht bezahlter Klavierlehrer durchs Leben schlagen, von Selbstzweifeln gequält und am Rande des Existenzminimums, und eine unglückliche Liebesgeschichte stürzte ihn zusätzlich noch in eine seelische Krise. Seine schöpferischen Kräfte allerdings waren dadurch keineswegs gelähmt. Er arbeitete intensiv an neuen Kompositionen, und es gelang ihm auf Anhieb ein Wurf: die Kantate Das klagende Lied entstand, sein „Schmerzenskind“, wie er später oft scherzhaft sagte. Das erste große Werk seines Lebens! Mit Komponieren war natürlich kein Brot zu verdienen. Was also konnte er tun, um der finanziellen Misere zu entkommen? Gustav Mahler entschloss sich, Dirigent zu werden und als Theater-Kapellmeister sein Glück zu versuchen. Die Entscheidung war richtig, denn von nun an schien sich sein Leben zum Positiven zu wenden. Er bekam eine Kapellmeisterstelle in Bad Hall, später folgten weitere Engagements in Laibach, Olmütz, Kassel, Prag, Leipzig und Budapest, wo er am 8. Oktober 1888 zum Direktor der königlichen Oper ernannt wurde. Es war eine erstaunliche Karriere für den erst Achtundzwanzigjährigen, und es bestand kein Zweifel daran, dass seine Erfolgssträhne sich fortsetzen würde. Doch dann kamen Schicksalsschläge, die alles wieder in Frage stellten. Ein Jahr nach seiner Ernennung zum Operndirektor in Budapest starben innerhalb von kurzer Zeit Mahlers Eltern und eine seiner Schwestern. Mahler war tief betroffen. Als Ältester der Familie fühlte er sich verantwortlich für seine verbliebenen vier Geschwister. Ihr Lebensglück lag nun in seinen Händen, er hatte die Pflicht, für sie zu sorgen, bis sie abgesichert waren, und er wusste, dass es schwer werden würde, dieser Rolle gerecht zu werden. In Wien mietete er eine große Wohnung, bestimmte die zwanzigjährige Schwester Justine zur Leiterin der Familie und kümmerte sich darum, dass die beiden Brüder eine Ausbildung bekamen. „[…] nun hatte die schwere Zeit für Mahler begonnen“, berichtet Alma. „Rackerei und Sorgen ohne Ende. […] Mahler mußte Geld schicken, viel Geld. So viel, daß ihm selber oft nicht genug blieb, sich, wie er einmal schrieb, seine Schuhe besohlen zu lassen.“ Ein paar Jahre später erhielt Mahler, der inzwischen als erster Kapellmeister am Stadttheater in Hamburg arbeitete, die furchtbare Nachricht, dass sein Bruder Otto sich das Leben genommen hatte. Otto war ein begabter Musiker gewesen. Er hatte Dirigent werden wollen wie sein Bruder, und Mahler hatte ihm verschiedene Posten als Korrepetitor an kleineren deutschen Theatern verschafft. Doch Otto war labil

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und litt unter Selbstwertproblemen. Er konnte es nicht ertragen, im Schatten seines älteren, erfolgreichen Bruders zu stehen, und es kamen wohl auch noch andere Schwierigkeiten hinzu. Jedenfalls schoss er sich 1895 eine Kugel durch den Kopf. Die Geschwister waren unendlich erschüttert. Wieder ein Toter, der zehnte in der Familie – und diesmal sogar durch Freitod, der vielleicht hätte verhindert werden können. Mahler löste den Haushalt in Wien auf und nahm seine beiden Schwestern zu sich nach Hamburg. Sein Bruder Alois war inzwischen in der Lage, sich selbst zu versorgen. Die Arbeit am Hamburger Stadttheater entwickelte sich höchst unerfreulich. Mahlers musikalische Eigenwilligkeiten stießen immer wieder auf öffentliche Kritik, und zwischen ihm und dem Theaterdirektor kam es zu ständigen Streitereien. Sechs Jahre hielt er es dort aus, dann ging sein Traum in Erfüllung: 1897 wurde er zum artistischen Direktor der berühmten Wiener Hofoper ernannt. Zielstrebig hatte sich Mahler um diesen Posten bemüht und war auch von einflussreichen Leuten in Wien unterstützt worden, aber seine Berufung verlief alles andere als unproblematisch. Mahler galt als Perfektionist. Seine Kompromisslosigkeit, seine Arbeitswut und sein diktatorisches Verhalten bei den Proben hatten sich inzwischen herumgesprochen, deshalb lehnten ihn viele Orchestermusiker ab. Auch gab es noch andere Gründe, die gegen ihn sprachen – Gründe, die mit seiner Qualifikation nicht das Geringste zu tun hatten. Mahler war Jude, und das war in Wien, wo der Antisemitismus zunehmend an Einfluss gewann, eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung. Mahlers Freunde rieten ihm deshalb, zum Katholizismus zu konvertieren, und er folgte ihrem Rat. Er tat es nicht aus Überzeugung, obwohl er christlichem Gedankengut durchaus nahe stand, sondern aus ganz nüchternen Überlegungen heraus. Später gab er offen zu, dass er Schuldgefühle dabei empfand: „Tatsache ist, daß die Sehnsucht, der hamburgischen Hölle […] zu entfliehen, den Gedanken in mir keimen ließ, aus der jüdischen Religionsgemeinschaft auszutreten. Das ist das Schmachvolle an der Sache. Ich leugne nicht, daß es mich große Überwindung kostete, man darf ruhig sagen aus Selbsterhaltungstrieb eine Handlung zu begehen, der man innerlich nicht abgeneigt war.“ In Wien zog er mit seiner Schwester Justine zusammen, die ihm auch hier wieder den Haushalt führte. Wie eine Ehefrau. Hatte Mahler nie daran gedacht, eine eigene Familie zu gründen? Schließlich war er in seinem Leben häufig von Frauen umschwärmt worden, und oft genug war er auch verliebt gewesen. Gedacht daran hatte er schon. Aber seine Ansprüche an eine ideale Partnerin waren hoch, so hoch, dass er selbst seine Zweifel hatte, jemals ein weibliches Wesen zu finden, das sie erfüllen könnte. Einem seiner Freunde, dem tschechischen Komponisten Josef B. Foerster, hatte er einmal gestanden: „Sie müssen vor allem bedenken, daß ich den Anblick einer ungepflegten, ungekämmten, in nachlässiger Kleidung sich zeigenden Frau nicht vertrage. Sodann: Die Einsamkeit geht mir über alles, als schaffender Künstler bin ich unbedingt auf sie angewiesen. Meine Frau müßte also einverstanden sein, daß ich fern von ihr wohne, etwa sie im ersten, ich im sechsten Raum mit besonderem Eingang. Sie müßte darauf eingehen, daß sie bei mir nur zu einer bestimmten Zeit, stets geschmackvoll gekleidet und schön, er-

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scheint. Endlich dürfte sie mir nicht verübeln und dürfte darin keine Abkehr oder Kühle und Herabsetzung erblicken, wenn ich manchmal keine Lust haben sollte, ihr zu begegnen. Kurz und gut, sie müßte Eigenschaften haben, die auch die beste und opferfähigste Frau vermissen läßt.“ So dachte er – bis zu dem Tag, an dem er Alma im Salon der Zuckerkandls begegnete. Da glaubte er, sie gefunden zu haben. Die Frau mit den Eigenschaften, die keine andere sonst besaß. Die Frau seines Lebens. Vier Monate nach dieser schicksalhaften Begegnung, am 9. März 1902, geben sich Gustav Mahler und Alma Maria Schindler in der Wiener Karlskirche das Jawort. Die Braut ist im zweiten Monat schwanger. Ihre letzte Tagebucheintragung vor der Hochzeit lässt nichts Gutes ahnen für das Gelingen der zukünftigen Ehe. „Ich war jetzt eine Zeit lang wirklich glücklich,“ schreibt sie, „ seit wenigen Tagen – aber – ists nicht mehr beim Alten – er will mich anders ganz anders – auch ich wills – es gelingt mir, so lang’ ich bei ihm bin – aber wenn ich allein bin – da kommt mein zweites, eitles, schlechtes Ich und begehrt Auslaß. Und ich willfahre – – – – Aus meinen Augen strahlt Frivolität, – – mein Mund lügt – lügt in einem fort – und er – fühlt es – weiß es – jetzt erst – in dem Moment weiß ichs, – ich muß zu ihm hinauf – [nachträglich zugefügt: ich lebe ja nur von ihm.] […] Wenn wir soweit kommen und ich werde die seine – so muß ich schon jetzt mich gehörig rühren um mir den Platz zu sichern der mir gebührt. Nämlich künstlerisch. Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts – und von meiner viel. – So ist es! Nun spricht er fortwährend von dem Behüten seiner Kunst. Das kann ich nicht. Bei Zemlinsky wärs gegangen – denn dessen Kunst empfinde ich mit – das ist ein genialer Kerl. Aber der Gustav ist so arm – so furchtbar arm – wenn er wüßte – wie arm er ist – er würde die Hände vor die Augen geben und sich schämen.“ Seine Kunst – das ist in der Zwischenzeit ein Oeuvre von vier großen Sinfonien und anderen bedeutenden Werken – den Liedern eines fahrenden Gesellen und den Wunderhorn-Liedern. Das meiste davon war während der Theaterferien entstanden, wenn Mahler genügend Zeit hatte, um schöpferisch zu arbeiten. An dieser Praxis ändert er auch jetzt nichts, und Alma bekommt gleich im ersten Jahr ihrer Ehe einen Geschmack davon, was es heißt, mit einem Komponisten namens Gustav Mahler verheiratet zu sein. Sie verbringen ihren ersten gemeinsamen Sommer im neugebauten Landhaus in Maiernigg am Wörthersee, auf dessen Grundstück sich Mahler ein kleines „Componirhäuschen“ hat errichten lassen. Dort sitzt er nun tagein tagaus am Schreibtisch und arbeitet an der Vollendung seiner fünften Sinfonie, während sich seine junge Ehefrau nebenan im Haus zu Tode langweilt. Das heißt, sie beschäftigt sich damit, seine Noten zu kopieren und wartet, oft stundenlang, bis er sich blicken lässt. Mahler fühlt sich durch Almas Anwesenheit nicht im Geringsten veranlasst, seine bisherigen Lebensgewohnheiten zu ändern, und die bestehen in einem streng geregelten Tagesablauf. Morgens um sechs steht er auf und klingelt der Köchin, die ihm das Frühstück in sein Komponierhäuschen bringen muss. Dabei hat sie sich möglichst unsichtbar zu machen, denn morgens wünscht Mahler niemanden zu sehen. Dann muss Ruhe herrschen. Absolute Ruhe. Alma wird beauftragt, jedes

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störende Geräusch fern zu halten, und es gelingt ihr sogar, die Nachbarn zu überreden, ihre Hunde einzusperren. Sie selbst wagt nicht einmal, leise Klavier zu spielen, obwohl das Komponierhäuschen in einiger Entfernung auf dem Gelände liegt, denn Mahler hört einfach alles. Mittags muss das Essen pünktlich auf dem Tisch stehen. Es sind puritanische Mahlzeiten, fettlos und gewürzarm – „Krankenkost“, wie Alma später in ihren Memoiren spottet. Sie war andere Genüsse gewöhnt, weiß Gott! Nach Tisch pflegt Mahler mehrstündige Wanderungen zu unternehmen, und seine Frau muss ihn dabei begleiten – trotz ihrer Schwangerschaft. Wenn sie erschöpft ist, nimmt er sie in die Arme und sagt: “Ich liebe dich!“ Dann rennt er weiter. Alma ist schon nach wenigen Wochen völlig verzweifelt. Sie beginnt wieder, Tagebuch zu führen. Wenigstens hier, auf dem weißen Papier, darf sie ausdrücken, wie ihr zumute ist. Am 13. Juli beklagt sie sich: „Ich weiß nicht, was ich anfangen soll, so ein unerhörtes Ringen ist in mir! Und eine jämmerliche Sehnsucht nach einem Menschen – der AN MICH denkt, der mir hilft MICH finden. So herabgesunken zur Haushälterin bin ich! […] Ich sitze beim Clavier – es drängt in mir – ich habe die Brücke hinüber – aus den Augen verloren. Man hat mich unsanft am Arm genommen und weit weg geführt – – von mir selbst.“ Zwei Tage später schreibt sie: „Jetzt vergehe ich vor Liebe zu ihm – und im nächsten Moment empfinde ich nichts – nichts – –! Bin ich liebend, so ertrage ich alles mit der größten Leichte – bin ich es nicht – ist’s Unmöglichkeit. […] Wenn ich doch nur mein inneres Gleichgewicht fände! Er hat mir gestern gesagt, daß er NOCH NIE SO LEICHT UND ANHALTEND GEARBEITET HAT, ALS JETZT, und DAS hat mich gehoben. Wenn ich weiß, daß ich durch mein Leiden – ihm Wonnen gebe – wie kann ich da nur einen Moment zagen? Von jetzt an will ich ihn nichts mehr merken lassen, von meinen Kämpfen. […] Nur mein Gesicht – meine verräterischen Augen! Und immer diese Tränen! Noch nie habe ich so viel geweint, als jetzt, wo ich doch alles habe, wonach – ein Weib – nur streben kann.“ Sie findet ihr inneres Gleichgewicht nicht. Weder jetzt noch in den folgenden Jahren. Obwohl es immer wieder Zeiten gibt, in denen sie glücklich ist mit Mahler. Im November 1902 bekommt sie ihr erstes Kind, eine Tochter, die nach Mahlers Mutter Maria getauft wird. Anderthalb Jahre später wird die kleine Anna geboren. Alma ist nun zweifache Mutter, doch diese Rolle bringt ihr keine Erfüllung. Schon wenige Wochen nach ihrer ersten Entbindung weint sie sich heimlich wieder aus in ihrem Tagebuch, und ihre Sätze klingen noch pathetischer als sonst: „Mir ist oft, als ob man mir die Flügel beschnitten hätte. Gustav, warum hast Du mich flugfrohen, farbfrohen Vogel an Dich gekettet, wo Dir doch mit einem grauen, schweren besser geholfen wäre? […] Gustav lebt sein Leben, und ich habe auch das seine zu leben. Ich kann mich auch nicht nur mit meinem Kind beschäftigen.“ Während der zweiten Schwangerschaft wird der Ton ihrer täglichen Notizen zunehmend gereizter. „Ich muß ein neues Leben anfangen, dieses Leben kann ich nicht mehr ertragen. Von Stunde zu Stunde werde ich unzufriedener. Ich vegetiere vor mich hin. […] Ich will wieder ein geistiges Innenleben führen wie ehedem. Es ist ein Unglück für mich, daß ich keine Freunde mehr habe. Aber Gustav will niemanden sehen.“

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Kein Wunder, denn sein Leben ist aufreibend. Er arbeitet bis zum Umfallen, hetzt von Termin zu Termin, schlägt sich mit aufsässigen Musikern herum, erntet Erfolge und steckt Niederlagen ein. Mahler ist viel zu beschäftigt, um sich mit der komplizierten Gefühlswelt seiner jungen Frau auseinanderzusetzen. Und wenn er es tut, dann tut er es auf seine Weise. Im ersten Sommer komponiert er für sie ein Liebeslied mit dem Titel Liebst du um Schönheit – als Trost für ihre Unzufriedenheit, die ihm natürlich nicht verborgen bleibt. Alma ist gerührt. Findet es „unendlich lieb“, dass er darüber nachdenkt, wie er ihr helfen kann. Doch damit scheint der Fall für ihn auch schon erledigt zu sein. Jedenfalls vertieft er sich wieder in seine Arbeit und gewöhnt sich mit der Zeit an Almas verweinte Augen. Seine Reaktionen werden kühler, und auch seinen tröstenden Worten ist anzumerken, wie nebensächlich ihm ihr Kummer eigentlich ist. “Einmal kam Mahler unerwartet heim und fand mich in Tränen. Er fragte nicht – legte seine Hand auf meinen Kopf und sagte: ,Weil nicht alle Blütenträume reiften?‘ Nun konnte ich mich nicht mehr halten. Hemmungsloses Schluchzen brach aus mir hervor.“ Almas Tränenregen scheint Mahler zuweilen sogar schlichtweg auf die Nerven zu gehen. Als sie sich, während einer seiner Reisen, wieder einmal in einem Brief über ihr geistig anspruchsloses Dasein beklagt, antwortet er ganz lapidar: „Hab mich doch ein bißchen lieb und denk nach, wie Du Dich bilden kannst“. Ein paar Tage später belehrt er sie: „Man muß immer das Beste aus allem machen und bei allen Anflügen von Melancholie stets an die wirklichen Wunden der Welt denken. Wenn ich das nicht genau so machen würde, müßte ich tagein, tagaus weinen und jammern und würde mager wie ein Hering nach Hause kommen. Es ist für mich alles andere als ein Vergnügen, so in der Welt herumzureisen, um ein paar Heller zu verdienen, ohne zu wissen, wo ich mich aufwärmen kann“. Wirklich ernst nimmt er wohl ihre Seelennot nie. Für ihn sind es Launen – nichts weiter. Launen einer Kind-Frau, mit denen er halt leben muss. Daran ist nun einmal nichts zu ändern. „Splendid Isolation“ nennt Alma später in ihren Memoiren die Kapitel dieser ersten Ehejahre und erklärt, das sei ein Lieblingswort Mahlers gewesen, womit er gern ihren Lebenszustand der völligen Einsamkeit bezeichnet habe. Ein bitterböser Titel, denn dem Leser schildert sie unter dieser Überschrift Lebenszustände, die für sie selbst alles andere als „großartig einsam“ waren. „Ich fühlte mich in den ersten Jahren sehr unsicher neben Mahler. Nachdem ich mir ihn durch meine Frechheit ahnungslos errungen hatte, war meine ganze physische Sicherheit durch die vorzeitige Schwangerschaft gebrochen worden. Und es ist merkwürdig, von dem Moment seines geistigen Sieges an, übersah mich Mahler und fing erst wieder an, mich zu lieben, als ich mich von seiner tyrannischen Suggestion befreit hatte. Einstweilen spielte er die Rolle des Lehrers, unerbittlich, streng und ungerecht. Er machte mir sozusagen die Welt ungenießbar – zum Abscheu! Das heißt, er versuchte es: Geld – Tand! Kleider – Tand! Schönheit – Tand! Reisen – Tand! Nur der Geist allein! Ich weiß heute, daß er Angst vor meiner Jugend und Schönheit hatte und mich ungefährlich machen wollte, indem er mir alles Lebendige, mit dem er nichts anzufangen wußte, einfach fortnahm. Ich war das Mäderl, das man begehrt hatte und das man nun erzog.“

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Es ist im vierten Sommer dieser „Splendid Isolation“ – im Jahre 1906 –, als Mahler jenes Werk komponiert, das später dazu herhalten soll, um seine brüchig gewordene Ehe zu retten: die Sinfonie Nr. 8 in Es-Dur, die „Symphonie der Tausend“, wie sie später genannt werden wird. Ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Opus – schon vom Beginn seiner Entstehung an. Am 13. Juni dieses Jahres ist Mahler wie üblich mit Alma und den Kindern nach Maiernigg am Wörthersee gefahren. Er fühlt sich erschöpft. Die Konzertreisen und die anstrengende Arbeit am Wiener Opernhaus haben an seinen Kräften gezehrt, deshalb plant er, sich dieses Mal auszuruhen statt wie üblich zu komponieren. Diesen Luxus hat er sich lange nicht mehr gegönnt. Doch dann kommt alles ganz anders. Es geschieht etwas, an das sich Mahler Jahre später genau erinnern wird: „[…] vor 4 Jahren gieng ich am ersten Ferialmorgen in mein Häuschen in Maiernigg hinauf mit dem festen Vorsatz, mich in diesen Ferien (ich hatte es damals nötig) recht auszufaulenzen und Kräfte zu sammeln! Beim Eintritt in das alt gewohnte Arbeitszimmer packte mich der spiritus creator und schüttelte und peitschte mich 8 Wochen lang, bis das Größte fertig war.“ Mahler befindet sich auf einmal in einer Art Kreativitätsrausch. Und dieser Rausch hält an. In einem Tempo, das ihn selbst in Erstaunen versetzt, vollendet er innerhalb von knapp zwei Monaten seine achte Sinfonie, ein gigantisches Werk für zwei große gemischte Chöre, einen Knabenchor, acht Gesangssolisten und ein Orchester von mindestens 120 Musikern. Allein die aufwändige Schreibarbeit ist eine unglaubliche Leistung. Um beim Salzburger Musikfest seinen Verpflichtungen als Dirigent nachzukommen, muss er kurzzeitig seine Arbeit unterbrechen. Dabei ist er innerlich so aufgewühlt, dass er den Drang verspürt, sich irgendjemandem mitzuteilen und Details über die neue Komposition zu erzählen – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit. Der Musikschriftsteller Richard Specht ist ziemlich verblüfft, als Mahler ihm in Salzburg über den Weg läuft, und der sonst so zurückhaltende Mann geradezu übersprudelte vor Redseligkeit. „Denken Sie sich, ich habe in den letzten drei Wochen eine ganz neue Sinfonie in der Skizze fertig gemacht, etwas, wogegen all meine anderen Werke nur wie Vorstufen wirken. […] es ist im Inhalt und im Stil etwas ganz anderes als alle meine anderen Arbeiten, und es ist gewiß das Größte, was ich gemacht habe. Ich habe auch vielleicht noch nie unter einem solchen Zwange gearbeitet; es war wie eine blitzartige Vision – so ist das Ganze sofort vor meinen Augen gestanden, und ich habe es nur aufzuschreiben gebraucht, so, als ob es mir diktiert worden wäre . . . Diese achte Sinfonie ist schon dadurch merkwürdig, daß sie zwei Dichtungen in verschiedenen Sprachen vereinigt; der erste Teil ist eine lateinische Hymne, und der zweite Teil nichts Geringeres als die Schlußszene des zweiten Teils des ,Faust‘. Wundern Sie sich? Diese Anachoretenszene und den Schluß mit der Mater gloriosa zu komponieren, und anders als alle anderen, die da so süßlich und schwach getan haben, war schon lange meine Sehnsucht; aber ich habe jetzt gar nicht mehr daran gedacht. Da fiel mir zufällig neulich ein altes Buch in die Hände, und ich schlage den Hymnus ,Veni creator spiritus‘ auf – – – und wie mit einem Schlage steht das Ganze vor mir: nicht nur das erste Thema, sondern der

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ganze erste Satz, und als Antwort konnte ich gar nichts Schöneres finden als die Goetheschen Worte in der Anachoretenszene! Aber auch in der Form ist es etwas ganz Neues: Können Sie sich eine Sinfonie vorstellen, die von Anfang bis zu Ende durchgesungen wird? Bisher habe ich das Wort und die Menschenstimme immer nur ausdeutend, verkürzend als Stimmungsfaktor verwendet, um etwas, was rein sinfonisch nur in ungeheurer Breite auszudrücken gewesen wäre, mit der knappen Bestimmtheit zu sagen, die eben nur das Wort ermöglicht. Hier aber ist die Singstimme zugleich Instrument; der ganze erste Satz ist streng in der sinfonischen Form gehalten und wird dabei vollständig gesungen. Es ist doch eigentlich merkwürdig, daß niemand bisher auf diese Idee verfallen ist – es ist doch das Ei des Kolumbus, die ,Sinfonie an sich‘, in der das schönste Instrument, das es gibt, seiner Bestimmung zugeführt wird – und doch nicht nur als Klang, denn die menschliche Stimme ist dabei doch der Träger des dichterischen Gedankens.“ Aus Salzburg fährt Mahler zurück nach Maiernigg und arbeitet „wie im Fieber“ weiter an der Sinfonie. Mitte August schreibt er dem holländischen Dirigenten Willem Mengelberg: „Ich habe eben meine 8. vollendet. – Es ist das Größte, was ich bis jetzt gemacht. Und so eigenartig in Inhalt und Form, daß sich darüber gar nicht schreiben läßt – Denken Sie sich, daß das Universum zu tönen und zu klingen beginnt. Es sind nicht mehr menschl[iche] Stimmen, sondern Planeten und Sonnen, welche kreisen.“ Das tönende Universum ist eine Bekenntnismusik von gleichsam kosmischen Dimensionen – ein „Geschenk an die ganze Nation“, wie Mahler es nennt: „Alle meine früheren Sinfonien sind nur die Präludien zu dieser. In den anderen Werken ist noch alle subjektive Tragik, – dieses da ist ein großer Freudenspender.“ Zwei unterschiedliche Texte hat er miteinander verknüpft: den mittelalterlichen Pfingsthymnus „veni creator spiritus“ mit der Schlussszene von Goethes Faust, und was sie beide miteinander verbindet, ist eine Botschaft. Seine Botschaft. Der Glaube des Komponisten Gustav Mahler an die Liebe, den „Freudenspender“ der Menschheit. Im ersten Sinfonieteil wird Gott als der Ursprung der Liebe hymnisch gepriesen: „veni creator spiritus“ (komm Schöpfer, heiliger Geist). Im zweiten Teil feiert Mahlers Musik die Liebe mit den rätselhaften Worten Goethes. Was er selbst darunter versteht, wird er Jahre später seiner Almschi in langen Kommentaren erläutern. Als sie sich im Sommer 1909 mit dem Faust beschäftigt, schreibt er ihr einen Brief, in dem er sie zunächst lobt, weil sie so kluge Gedanken zur Schlussszene geäußert habe, dann beginnt er, die Goetheschen Verse, die er vertont hat, zu interpretieren: „Das, was uns mit mystischer Gewalt hinanzieht […] was Göthe hier […] das Ewig Weibliche nennt – nämlich das Ruhende, das Ziel – im Gegensatze zu dem ewigen Sehnen, Streben, sich Hinbewegen zu diesem Ziele – also dem Ewig Männlichen! – Du hast ganz recht, es als die Liebesgewalt zu charakterisieren. Es gibt unendlich viele Vorstellungen, Namen dafür. […] Also direkt mit Anknüpfung an die Schlußszene spricht Göthe persönlich seinen Hörer an, und sagt: ‚Alles Vergängliche (was ich Euch da an den beiden Abenden vorgeführt habe) – sind lauter Gleichnisse, natürlich in ihrer irdischen Erscheinung unzulänglich – dort aber, befreit von dem Leibe der irdischen Unzulänglichkeit wird es sich

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ereignen, und wir brauchen dann keine Umschreibung, keinen Vergleich – Gleichniss – dafür; dort ist eben gethan, was ich hier zu beschreiben versuchte, was aber doch nur unbeschreiblich ist: und zwar, was?! Ich kann es Euch wieder nur im Gleichniß sagen: Das Ewig Weibliche hat uns hinangezogen – Wir sind da – Wir ruhen – Wir besitzen, was wir auf Erden nur ersehnen, erstreben könnten. Der Christ nennt dieß die ›ewige Seligkeit‹ und ich mußte mich dieser schönen und zureichenden mythologischen Vorstellungen als Mittel für meine Darstellung bedienen – […] der adäquatesten, die dieser Epoche der Menschheit zugänglich ist.‘ Hoffentlich habe ich mich deutlich ausgedrückt. – Bei solchen unendlich zarten und […] unrationalen Dingen liegt immer die Gefahr eines Wortgewäsches nahe. – Darum haben alle Commentare etwas so Zuwideres.“ Ein Jahr später, im Juni 1910, kommt Mahler erneut in einem Brief an Alma auf die Faust-Szene zurück. Sie hat sich zu diesem Zeitpunkt gerade mit den Schriften von Plato auseinandergesetzt, und Mahler antwortet ihr, indem er einen Vergleich zieht zwischen Goethe und Plato: „Im Plato bist Du nun richtig auf den springenden Punkt gerathen. In den Reden des Sokrates spricht Plato seine eigene Weltanschauung aus die als misverstandene ‚platonische Liebe‘ sich durch die Jahrhunderte bis zu den untersten Intellekten geschwungen hat. – Das Wesentliche daran ist eben die Göethische Anschauung, daß alles Lieben ein Zeugen, Schaffen ist; daß es eben ein physische[s] und ein geistiges Zeugen giebt, das eben der Ausfluß dieses ,Eros‘ ist. – In der Schlußscene des Faust hast Du es ja in einer symbolischen Darstellung.“ Was mag Alma damals durch den Kopf gegangen sein, als sie die theoretischen Erörterungen ihres Mannes zum Thema Liebe las? Dachte sie zurück an jene Wochen des Jahres 1906, als Mahler wie besessen seine „Sinfonie an sich“ komponierte? „Er arbeitete in diesem Sommer übermenschlich, spielte mir damals oft aus dem neuen Werk vor, war unerhört glücklich und erhoben“, schreibt sie in ihren Lebenserinnerungen. Ob auch sie sich damals glücklich und erhoben fühlte, schreibt sie nicht. In ihrem Tagebuch war – wie üblich – mehr darüber zu lesen, was sie wirklich fühlte und dachte. „Oft kann ich mit Gustav überhaupt nicht reden,“ hieß es da resigniert. „Ich weiß nur zu gut, was er sagen wird, er braucht es gar nicht auszusprechen.“ Zum xten Mal sann sie über ihr Leben nach und ging an manchen Tagen dabei sogar kritisch mit sich ins Gericht: „Ich lebe ja nur in ihm. Ich kopiere für ihn, ich spiele Klavier, um ihm zu imponieren, ich lerne griechisch, ich lese die Bücher, die er liebt . . . alles aus demselben Grund. Aber kaum ist er hier, vergifte ich die meisten meiner Freuden durch Anfälle von Überempfindlichkeit. Das verdient wirklich Bestrafung! Immer wieder bäumt es sich in mir auf, Stolz, Ehrgeiz, Ruhmsucht, statt daß ich trachte, nur ihm das Leben schön zu machen, wozu ich einzig auf der Welt bin.“ Das Entstehen der Achten erlebte Alma hautnah mit. Mahler spielte und sang ihr täglich aus dem neuen Werk vor. An eine Widmung allerdings dachte er nicht im Traum. Dabei machte er sich durchaus Gedanken, womit er ihr eine Freude bereiten könnte. Als er Mitte August 1906 nach Salzburg reiste, fragte er sie, ob er ihr etwas mitbringen dürfe. Sie bat ihn um Marzipan und ein paar Mozartkugeln, und die bekam sie auch. „Bei seiner Rückkehr holte ich ihn von Klagenfurt ab. Er stieg aus,

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hinter sich eine große Kiste dreinschleifend – Hunderte von Mozartkugeln und Marzipankartoffeln mußten nun schnell aufgegessen werden, und die ganze Nachbarschaft hatte ihre Freude an seiner ungeheuerlichen Generosität und – Ahnungslosigkeit.“ Am Ende der Theaterferien fuhr Mahler allein voraus nach Wien. Alma und die Kinder sollten noch ein paar Tage am Wörthersee bleiben und später nachkommen. Lief sie wieder mit einem mürrischen Gesicht herum? Oder wollte er ihr nur ein kleines Abschiedsgeschenk machen? Jedenfalls kam er kurz vor der Abreise plötzlich auf die Idee, in seinen Noten zu kramen, fischte ein Skizzenblatt heraus, kritzelte ein paar Worte darauf und drückte es Alma in die Hand. Sie las: „8. Sinfonie – Aug. 1906 / Der erste Einfall / meinem Almschl aufgehoben / Spiritus creator.“ Eine Widmung des ersten musikalischen Einfalls – zu mehr reichte es damals noch nicht. Vier Jahre später sollten sich die Dinge gründlich ändern. „Dieses war unser letzter friedlicher, schöner, ruhiger Sommer,“ berichtet Alma. „Denn dann kamen Jahre des Schreckens und der Zerstörung dessen, was wir aufgebaut hatten.“ Im Mai 1907 tritt Mahler in Wien von seinem Amt als Operndirektor zurück, zermürbt von den jahrelangen Attacken seiner Gegner und mit einem verlockenden Engagement der New Yorker Metropolitan Opera in der Tasche. Ende Juni erkrankt die kleine Maria – Mahlers Liebling – an Scharlach-Diphterie und vierzehn Tage später geschieht das Unfassbare. Am 12. Juli stirbt Maria nach einer Kehlkopfoperation im Alter von noch nicht ganz fünf Jahren. „[…] ich sah dieses herrliche Kind mit großen Augen liegen und röcheln, und so litten wir alle noch einen Tag – bis es aus war,“ schildert Alma später dieses schreckliche Erlebnis. Von diesem Schicksalsschlag sollte sich Mahler nie mehr erholen. Wenige Tage darauf diagnostiziert ein Arzt bei ihm einen doppelseitigen, angeborenen Herzklappenfehler. Von diesem Moment an leidet Mahler unter ständigen Todesängsten und wagt kaum noch, einen Schritt vor die Türe zu tun. Das Verhältnis der beiden Eheleute verschlechtert sich. Es kommt zu Spannungen, und Alma interpretiert sie auf ihre Weise: „Das Leid hatte uns einander entfremdet. Er verargte mir, ohne es zu wissen, den Tod des Kindes.“ Äußerlich gesehen, dauert die Entfremdung nicht lange an. Während der folgenden turbulenten Jahre, die sie teilweise in Amerika verbringen, spielt Alma die Rolle der treu sorgenden Ehefrau und tapferen Kameradin. Sie ordnet sein anstrengendes Leben und Mahler ist voller Dankbarkeit. „Niemand weiß und kann es je wissen, mit welcher absoluten Selbstlosigkeit sie ihr Leben mir, meinem Werk untergeordnet hat,“ erzählt er seinen Freunden. Dass es in ihrem Herzen anders aussieht, ahnt er nicht. Bis er von der Existenz eines anderen Mannes erfährt. Der Mann ist über zwanzig Jahre jünger als er und heißt Walter Gropius. 20. August 1910. Mahler befindet sich in einem Zustand hochgradiger Erregung. In der Nacht hat er Alma seine achte Sinfonie gewidmet, um ihre Liebe zurückzuerobern, und er hofft, dass nun alles gut wird. Die Zeit drängt. Am 12. September soll die Uraufführung stattfinden, und der Widmungstext soll unbedingt auch bis dahin erscheinen. Weil die Partitur noch nicht druckreif ist, bittet er kurzerhand den Verleger, den Text auf lose Blätter drucken zu lassen und in die Klavierauszüge zu

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kleben. Es soll ein besonders schöner Druck werden, das hat er sich in den Kopf gesetzt – ein Schmuckblatt mit dem Text „MEINER LIEBEN FRAU/ALMA MARIA“, und er kämpft in den nächsten Tagen so lange mit dem Verlag, bis das Ergebnis endlich seinen Vorstellungen entspricht. Doch sein Glücksgefühl hält nicht lange an. Depressionen und Ängste kommen wieder, und sein Gemütszustand wird ernst, sehr ernst sogar. In seiner Not beginnt er, Alma kleine Zettelchen zu schreiben – kurze Briefe oder Gedichte –, die er ihr morgens auf den Nachttisch legt. Erschütternde Zeugnisse eines seelisch gebrochenen Menschen, dessen Gefühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanken. An einem Tag schreibt er ihr: „Sie liebt mich! Inbegriff meines Lebens ist dieses Wort – wenn ich das nicht mehr sagen darf, bin ich todt!“ An einem anderen Tag bettelt er: „Mein Liebling mein Saitenspiel, komm, banne die finstern Geister, sie umklammern mich, sie schleudern mich zu Boden. Bleib mir, mein Stab, komm bald heute, damit ich mich erheben kann. Ich liege darnieder und warte, und frage stumm, ob ich noch erlöst werden kann, oder ob ich verdammt bin.“ Auf einem weiteren Zettel steht: „Mein Lebensathem! Ich habe die Pantöffelchen tausendmal abgeküsst und bin in Sehnsucht an Deiner Thüre gestanden. Du hast Dich meiner erbarmt, du Herrliche, aber mich haben die Dämonen wieder gestraft, weil ich wieder an mich und nicht an Dich, Du Theuere, gedacht habe.“ „Seine abgöttische Verehrung und die Bewunderung, die er nun für mich hegt, sind ganz und gar nicht normal,“ schreibt Alma heimlich ihrem Freund Gropius, mit dem sie weiterhin Liebesbriefe austauscht, ohne dass Mahler etwas davon merkt. „Ich erlebe etwas an meiner Seite, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Nämlich, daß Liebe so grenzenlos ist, daß mein Bleiben – trotz allem, was geschehen ist – ihm Leben und mein Scheiden ihm Tod sein wird… Gustav ist wie ein krankes, herrliches Kind.“ Mitte August ist Mahlers Seelenzustand so bedrohlich geworden, dass er professionelle Hilfe suchen muss. Ein Wahlonkel von Alma vermittelt den Kontakt zu Sigmund Freud, der sich auf Anfrage bereit erklärt, Mahler zu behandeln. Voraussetzung jedoch ist, dass Mahler nach Holland fährt, wo sich Freud zu dieser Zeit gerade in Urlaub befindet. Dreimal verschiebt Mahler einen vereinbarten Termin, bis Freud ihm ein Ultimatum stellt. Erst jetzt gibt Mahler seinen Widerstand auf und macht sich auf den Weg nach Holland. Vier Stunden gehen die beiden Männer durch Leyden spazieren, und in diesen vier Stunden erfährt Mahler Dinge, die ihn überraschen, die ihm einleuchten und die ihn ungemein beruhigen. „Ich habe Mahler … einen Nachmittag lang in Leyden analysiert, und wenn ich den Berichten glauben darf, sehr viel bei ihm ausgerichtet,“ berichtet Sigmund Freud später über diese Begegnung. „Sein Besuch erschien ihm notwendig, weil seine Frau sich damals gegen die Abwendung seiner Libido von ihr auflehnte. Wir haben in höchst interessanten Streifzügen durch sein Leben seine Liebesbedingungen, insbesondere seinen Marienkomplex (Mutterbindung) aufgedeckt; ich hatte Anlaß die geniale Verständnisfähigkeit des Mannes zu bewundern. Auf die symptomatische Fassade seiner Zwangsneurose fiel kein Licht. Es war, wie man einen einzigen tiefen Schacht durch ein rätselhaftes Bauwerk graben würde.“

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Er brauche keine Angst zu haben, zu alt für Alma zu sein, erklärt Freud seinem verstörten Gegenüber. Freud kennt Alma, er weiß Näheres über ihre familiären Hintergründe. Sie habe ihren Vater geliebt, sagt er zu Mahler, und könne deshalb auch nur einen älteren Mann lieben. Dann setzt er hinzu: „Sie lieben Ihre Mutter, haben in jeder Frau deren Typus gesucht. Ihre Mutter war vergrämt und leidend, dies wollen Sie unbewußt auch von Ihrer Frau!“ „Freuds Darlegungen beruhigten Mahler,“ behauptet Alma später. „Von seiner Mutterfixierung allerdings wollte er nichts wissen.“ Ist er wirklich beruhigt? Anfang September reist Mahler nach München, um die Proben zur Uraufführung seiner achten Sinfonie zu leiten. In diesen hektischen Tagen schickt er Alma wieder Briefe, die nach allem möglichen klingen – nur nicht nach einer beruhigten Seele: „Glaube mir, ich bin krank vor Liebe! […] Wenn Du eine ganze Woche noch ausbleibst, so bin ich gestorben. […] Almschili – wenn du damals von mir weggegangen wärst, so wäre ich einfach ausgelöscht, wie eine Fackel ohne Luft.“ Am selben Tag schreibt er ihr noch einmal: „Mein Geliebtes! Da sitz ich schon wieder! Die Nachmittagsprobe ist vorüber – Schlußszene – jede Note an Dich gerichtet! Es hat mich so furchtbar aufgeregt, als ob ich wieder an Deinem Bette säße, wie damals in den entzückenden Tagen und spräche Alles zu Dir!“ Die Uraufführung am 12. September 1910 wird ein grandioses Ereignis. 858 Sänger und 171 Instrumentalisten heben das Monumentalwerk aus der Taufe, Tausende von Zuhöreren lauschen überwältigt Mahlers Musik. Die „Symphonie der Tausend“ wird sein größter musikalischer Erfolg. „Unfaßbar groß das innere Erlebnis für jeden, der dabei sein durfte,“ berichtet Alma. „Unfaßbar groß auch der äußere Erfolg. Alles stürzte sich auf ihn. Ich wartete hinter der Bühne, tief ergriffen, bis die vehemente Brandung zerschellt war. Dann fuhren wir, die Augen voller Tränen, ins Hotel.“ Acht Monate später stirbt Gustav Mahler. Bis zuletzt anscheinend in dem Bewusstsein, Almas Liebe wiedergewonnen zu haben. Dass sie heimlich ihr Verhältnis zu Gropius aufrecht hielt, sollte er nie erfahren.

VII „Dem Andenken eines Engels“ Ein Requiem als Geburtstagsgabe

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Alma war nicht zu sprechen. Nicht einmal für ihre Freunde – Alban Berg hatte es mehrfach versucht. Immer wieder hatte er angerufen, doch sie nahm keine Telefonate entgegen. Schließlich war er zu ihr hinausgefahren ins Nobelviertel Döbling, aber auch hier hatte er kein Glück. Die imposante 28-Zimmer-Villa auf der Hohen Warte – sonst Mittelpunkt glanzvoller Gesellschaften – glich diesmal einer dunklen Festung, und Alban, der schriftlich um einen Besuch gebeten hatte, wurde noch an der Haustür abgewiesen. Frau Werfel wolle niemanden empfangen, wurde ihm ausgerichtet. Nein – ausdrücklich niemanden. Die Post brachte Massen von schwarzumrandeten Briefen aus dem In- und Ausland. Beileid auf Büttenpapier. Schwache Versuche, Trost zu spenden, wo es keinen Trost gab. Auch Helene, Albans Frau, wollte ihr Mitgefühl in Worte fassen, wenigstens schriftlich. Einen Tag nach Manons Tod kondolierte sie ihrer Freundin: „Ewig geliebtes Almschi! Mutzi war nicht nur euer Kind – sie war auch meines. Wir wollen nicht klagen, daß Gott sie zu sich gerufen hat, denn sie war ein E n g e l. Wir müssen dankbar sein, daß sie uns 18 Jahre Beglückung durch ihr holdseliges Erdendasein schenkte und wir dürfen sie behalten, denn der lichte Geist, der mit ihr zu uns herabgestiegen war, kann uns nie mehr verloren gehen. Deine Schwester.“ Alban fügte kein Wort hinzu. Konnte er seine Gefühle nicht zum Ausdruck bringen? Wien, Ostern 1935. Ein junges Mädchen ist gestorben. Manon Gropius, genannt Mutzi, Tochter aus Alma Mahlers zweiter Ehe mit dem Architekten Walter Gropius. Manon war erst achtzehn, als sie sterben musste. Ein zartes, zerbrechliches Geschöpf – schön wie ein Engel. Geduldig wie ein Engel. Der Kampf gegen die heimtückische Kinderlähmung, den sie ein Jahr lang trotz qualvoller Schmerzen tapfer ertragen hatte, war von vorneherein aussichtslos. Zwölf Monate zuvor, in Venedig, war es passiert. Plötzlich war die Krankheit ausgebrochen, wie aus heiterem Himmel. „Es war ein sehr schwerer, es war ein furchtbarer Fall. Vier Wochen lang schwebte Manon zwischen Tod und Leben,“ schrieb später Franz Werfel, der berühmte Schriftsteller – Almas dritter Ehemann – in einem Essay, den er Manon widmete. „Einmal in einer unausdenkbar schrecklichen Stunde, als der Atem minutenlang aussetzte, hatten wir sie schon verloren gegeben. Es war ein voller Tod vor dem Tode.“ Die unmittelbare Todesgefahr ging vorüber. Manon wurde nach Wien transportiert. Dann kamen die Schmerzen. Die Nerven starben ab, die Lähmung schritt voran. Sie aber schien gelassen zu sein, fast lebensfroh. „Sie lag da, lieblicher als je. Ihre Wangen waren voller geworden. Sie ging ins neunzehnte Jahr. Sie war ein aufgeblühtes Weib […] Von einem gewissen Tage an bemerkte ich an unserer Kranken eine neue Heiterkeit, ja ein seltsam durchleuchtetes Wesen.“

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Am Samstag, dem 20. April 1935, versagt dann das zentrale Nervensystem. Manon beginnt zu sterben. „Es war einer jener Tode, angesichts derer der gläubigste Mensch daran zweifeln muß, daß die Güte eine Eigenschaft Gottes sei. Warum hatte die kleine schuldlose Manon mit ihren achtzehn Jahren so viel mehr zu leiden als andre Menschen? Es war der strahlendste Ostermontag, an dem sie endlich erlöst wurde.“ Soweit Franz Werfel. Seine Frau Alma schreibt an diesem Abend in ihr Tagebuch: „Ostermontag – 22. April. Manon sagte heute mit verhauchender Stimme: ‚Laßt mich ruhig sterben, ich werde doch nicht mehr gesund. […] Mami, du kommst darüber hinweg, wie du über alles hinwegkommst‘ (darauf verbesserte sie sich): ‚…wie jeder über alles hinwegkommt…‘ Das waren ihre letzten Worte zu mir.“ Als Alma diese Zeilen Jahrzehnte später in ihren Memoiren der Öffentlichkeit preisgibt, tut sie es sicher nicht arglos. Die berühmte Mahler-Witwe hat dem Lesepublikum viel zu erzählen aus ihrem schillernden Frauenleben, und sie tut es mit Pathos und sicherem Instinkt für theatralische Effekte. Damals jedoch, in jenen furchtbaren Ostertagen des Jahres 1935, war sie wirklich tief erschüttert. Es war das dritte Mal, dass sie ein Kind verlor. Die kleine Maria, Gustav Mahlers Tochter, starb mit viereinhalb Jahren. Der kleine Martin, Franz Werfels Sohn – der gezeugt wurde, als Alma noch Gropius hieß – wurde nur zehn Monate alt. Und nun Manon. Ihre bezaubernde, schöne Tochter. Ihre „ewig holde“ Manon. Die Beerdigung auf dem Grinzinger Friedhof wird wegen der Ansteckungsgefahr rasch anberaumt – und sie wird ein öffentliches Ereignis. Der Publikumsandrang ist groß, Schaulustige strömen herbei, es kommt zu einem regelrechten Menschenauflauf. Man will teilhaben am Leid der prominenten Mutter, und man kann daran teilhaben. Der junge Schriftsteller Elias Canetti, der die Szene kritisch beobachtet, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „Ganz Wien war dabei, Wien nämlich, soweit es sich bei den Einladungen auf der Hohen Warte zusammenzufinden pflegte. Andere kamen, die sich solche Einladungen sehnlichst wünschten, aber nie dabei sein durften, mit Gewalt konnte niemand vom Begräbnis ferngehalten werden. Eine lange Reihe von Autos bewegte sich die schmale Straße zum Friedhof hinauf“. Manon wird hundert Meter entfernt vom Grabmahl Gustav Mahlers beigesetzt. Der Priester Johannes Hollnsteiner, Almas neuer, enger Vertrauter, hält eine bewegende Rede. Alma weint. Neben ihr am offenen Grab trauert Anna Mahler, ihre einzige überlebende Tochter – und Franz Werfel natürlich, der Mann, für den Alma vor Jahren die „müde Dämmerehe“ mit Walter Gropius aufgelöst hat. Gropius selbst konnte nicht mehr rechtzeitig eintreffen. Er wurde zu spät benachrichtigt. Auch Alban und Helene Berg trauern. Der Tod des jungen Mädchens ist für beide unfassbar. Sie kannten und liebten Manon seit ihrer Kindheit, denn sie gehören schon lange zum engsten Freundeskreis von Alma. Nun fühlen sie mit der Freundin, leiden mit ihr. Erschüttert schreibt Alban Berg kurz vor der Beerdigung an den Dirigenten Erich Kleiber: „Deine ‚Frohe Ostern‘-Wünsche trafen mich zu den fürchterlichsten Ostern an: Karsamstag mittags erkrankte Mutzi, die Tochter Almas, auf das heftigste: nicht endenwollendes Erbrechen, bald darauf Herzschwäche. Ostermontag trat Agonie ein, u. nachmittags verschied sie. Heute wird sie […] begraben.“

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Hält er sich auf dem Friedhof zu sehr im Hintergrund? Ist er zu scheu oder zu ergriffen, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen und Alma zu kondolieren? Oder ist sie gekränkt, weil nicht auch er ein paar mitfühlende Worte gefunden hat in Helenes Beileidsbrief? Jedenfalls zürnt sie ihm. Nach der Beisetzung lässt sie ihn wissen, dass sie sich von ihm im Stich gelassen fühlt. Berg ist betroffen. Sofort schreibt er ihr einen Brief nach Italien, wohin sie inzwischen mit Ehemann und Tochter abgereist ist, und versucht, sich zu rechtfertigen. „Glaub mir, liebstes Almscherl, wir haben Dich nicht allein gelassen. Nie noch waren wir Dir näher als in diesen Tagen. Und daß dies seit Ostermontag äußerlich nicht in Erscheinung trat, ist nicht unsere Schuld. So lange ich das Gefühl habe in Deiner Nähe sein zu dürfen tat ich es wie die Tage vorher selbstverständlich. Sofort auf die Hohe Warte gefahren (Helene war ja krank und ist es noch). Als ich dann doch in der Früh anrief u. von der Hoffnungslosigkeit hörte, wäre ich natürlich sofort, wie die Tage zuvor zu Dir geeilt, wenn mir nicht gleichzeitig vorher gesagt worden wäre, Du empfängst niemanden […] ich rief fast ständig an: war am Dienstag bei Deiner Haustür, sprach in meinem Brief an, „ob u. wann ich Dich sehen dürfe [...] da ich aus keinem Wort, ja keiner Geste entnehmen konnte, daß mir gestattet sei Dich zu sehen, auch mitteilnehmen nicht u. ich dann nicht einmal erfahren konnte, wann Du abreist, – – hätte ichs gewußt, hätte ich versucht, Dich und Franzl u. Anni selbst auf dem Bahnhof zu sehen, was für uns eine Freude gewesen [wäre]. Unterblieb eben alles das, wozu ich mich auf Grund meiner Zugehörigkeit sogar berechtigt gefühlt, obwohl wir uns nicht zu den Angehörigen zählen können. Ich hätte nie davon gesprochen; denn vor einem solchen Ereignis [...] wäre es geradezu frevelhaft, von dem zu sprechen, was mich in diesen Tagen betraf. Aber nun, da ich aus den Zeilen entnehme, daß Du für meine scheinbare Passivität eine andere Deutung hast oder was ja selbstverständlich ist: gar keine Deutung haben konntest, muß ich es doch so ausführlich darlegen, daß diese Passivität alles andere war, als ein Dich in diesen Tagen vergessen haben. Glaub uns das, liebste Almschi, u. auch Du Franzl u. Anny und seid in unvergänglicher Liebe u. Zugehörigkeit umarmt von Alban und Helene.“ Wann genau ihm der Einfall kommt, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Irgendwann in diesen düsteren, traurigen Tagen, hat Alban Berg plötzlich eine Vision: das Violinkonzert! Dieser Kompositionsauftrag, an dem er seit Wochen herumlaboriert, ohne ein schlüssiges Konzept gefunden zu haben. Jetzt weiß er, was er tun will. Tun muss! Eine Musik über Manon will er schreiben. Eine Musik zur Erinnerung an einen Engel! Helene ist die erste, die es erfährt. „Dieses bereits begonnene Violinkonzert werde ich Manons Andenken widmen und somit eine Gelegenheit haben, mich bei Alma einmal revanchieren zu können,“ sagt er ihr. Revanchieren? Hat er Alma etwas zu verdanken? Oder möchte er sie besänftigen, weil er Schuldgefühle hat wegen der Missverständisse? Berg greift erneut zur Feder, um der Freundin einen Brief zu schreiben. Alma soll wissen, was er vorhat – jetzt gleich – vielleicht wird sie sich freuen! Auf einmal

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scheint es ihm nicht mehr schwer zu fallen, seine Anteilnahme und seine Empfindungen ausdrücken. „Meine Almschi, ich weiß nicht, wann ich Dich sehen werde und ob ich – auch nur in einer wortlosen Umarmung – das Unsagbare zum Ausdruck werde bringen dürfen. Ich will auch brieflich nicht versuchen, dort Worte zu finden, wo die Sprache versagt; sind mir doch auch sonst alle die Möglichkeiten versagt, die den großen Mächten dieser Welt – selbst in solchen Zeiten – zu Gebote stehen, nämlich die Möglichkeiten eines kleinen äußeren Zeichens (und wären es nur Blumen von ungeahnter Schönheit) für das, was ich fühle. Aber dennoch: eines Tages – noch bevor dieses fürchterliche Jahr zu Ende sein wird – mag Dir und Franz aus einer Partitur, die dem Andenken eines Engels geweiht sein wird, das erklingen, was ich fühle und wofür ich heute keinen Ausdruck finde. Dein Alban“ Wenige Tage später zieht sich Alban Berg in sein Ferienquartier zurück, sein geliebtes ‚Waldhaus‘ am Wörthersee, und beginnt zu komponieren. Er arbeitet rastlos. Hektisch. In atemberaubenden Tempo. „Augenblicklich schreib‘ ich wie ein Rasender an meiner Partitur, um sie Mitte August fertig zu bekommen“, schreibt er an seinen Freund Anton Webern. Helene wird später erzählen, er habe Tag für Tag am Schreibtisch gesessen und zeitweise sogar Schlaf und Mahlzeiten vernachlässigt, um seine Arbeit nicht zu unterbrechen. „Ich muss weitermachen“, habe er gesagt. „Ich kann nicht aufhören, ich habe keine Zeit.“ Vielleicht hat Helene die Dinge dramatisiert – später, als er schon tot war. Vielleicht aber auch nicht. Zeit jedenfalls hatte er wirklich nicht mehr. Am 12. August 1935 vollendet Alban Berg sein Violinkonzert. An einem der nächsten Tage zieht er sich einen Insektenstich zu, der einen Abzess zur Folge hat. Der Abzess wird chirurgisch behandelt, doch anschließend entwickelt sich eine schwere Furunkulose. Von da an hat er nur noch vier Monate zu leben. Am 24. Dezember 1935 stirbt Alban Berg, sieben Wochen vor seinem 51ten Geburtstag, an einer Blutvergiftung. Das Violinkonzert ist das letzte Werk, das er vollendet hat. Nur dreieinhalb Monate hat er gebraucht, um die Partitur fertigzustellen – obwohl er, der notorische Langsamschreiber, sonst viel länger an einer Komposition arbeitete. Manchmal sogar Jahre. Spürte er, dass ihm die Zeit davonlief? Hat er das Requiem für Manon „in vager Vorahnung auch als sein eigenes Requiem gestaltet“, wie Bergs Schüler und Biograph Willi Reich vermutet? Was ist von den geradezu verblüffenden Parallelen zu halten zwischen dem Violinkonzert und Mozarts geheimnisumwittertem Requiem, auf die der Berg-Forscher Hans-Ferdinand Redlich aufmerksam gemacht hat? „In beiden Fällen handelt es sich um ein im Auftrag geschriebenes, aber als Totenopfer konzipiertes Werk, das die Vollendung einer in Arbeit befindlichen Oper verzögert! Auch das fieberhafte Arbeitstempo Mozarts im Falle des Requiems (gleich nach Vollendung von Titus und Zauberflöte) erinnert an die ungewöhnliche Hast, mit der Berg das Violinkonzert zu Papier bringt. In beiden Fällen verwandelt sich die Kommissionsarbeit in eine ‚Nänie‘ um das eigene Schicksal... Die oft aufgeworfene

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Frage, inwieweit Berg sein herannahendes Ende geahnt und dieser Ahnung in seinem letzten Werk Ausdruck gegeben habe, läßt sich nicht leicht beantworten. Er war zweifellos als Fünfzigjähriger – wie der fünfunddreißigjährige Mozart – ein vorzeitig Müdegelaufener.“ Eine Aura des Rätselhaften scheint das Werk zu umgeben, ein paar Spuren jedoch lassen sich entziffern. Eines ist sicher: als Berg sein letztes Werk komponierte, befand er sich in einer tiefen Krise. Vieles kam da zusammen: Trauer, Existenzängste, gesundheitliche Probleme, künstlerische und menschliche Enttäuschungen. Aber auch andere Seelenqualen. Dinge, die er geheim hielt – wenigstens vor Helene. Sie wusste von seinen Nöten, auch wenn sie nicht alle kannte. Kurz nach seinem Tod versuchte sie, seinen Zustand ihrer Freundin Alma zu beschreiben: „Dass das Leben die letzten 2 Jahre für ihn immer schwieriger wurde, […] seine Angst Waldhaus u. Auto aufgeben zu müssen, seine Verzweiflung über das Kunstleben, wo so viele einstmals Getreue von ihm abrückten und schließlich: die aufreibende Arbeit – (er hat sich die letzten 2 Jahre nicht einmal Zeit zur Erholung vergönnt) von all dem lass mich schweigen. Das ist ein Kapitel für sich u. ich muss mich damit abfinden indem ich mir sage: es war sein unabänderliches Schicksal u. er hat es überstanden.“ Die letzten zwei Jahre. Auch Berg spricht davon in einem wehmütigen Brief, den er Arnold Schönberg am 11. März 1935 nach Amerika schickt, wo sich Schönberg seit dem Herbst 1933 im Exil befindet: „Mein liebster Freund, das war gestern ein schöner Abend: der Gurrelieder I. Theil aus London (B.B.C. […]). An diesen lieben, trauten, herrlichen Tönen konnte man wieder ermessen, wie glücklich man einmal war. Und was das für trostlose Zeiten sind, in denen wir jetzt nun bald zwei Jahre lang leben. Und wenn auch – in Österreich wenigstens – gewisse Anzeichen vorhanden sind, daß es aus dem Tiefstand der […] Kultur heraus wieder aufwärts gehn wird, so sind auch wir von dem gleichen Pessimismus erfüllt wie Du und im Tiefsten so deprimiert wie noch nie. Dies (was meine Person betrifft) auch trotz sehr vielem Erfreulichen, was mir mein ‚50ter‘ gebracht hat: An Feiern, Gratulationen, Geschenken, ‚Würdigungen‘ in Zeitungen und Zeitschriften.“ Vier Wochen zuvor, am 9. Februar, ist er fünfzig Jahre alt geworden, und es war wirklich ein schöner Geburtstag. In Wien gab es fünf Berg-Feiern zu seinen Ehren, und viele Menschen haben ihm gratuliert, doch an seiner Stimmung konnte das alles wenig ändern. Was für herzliche Worte hatte sich Schönberg für ihn ausgedacht! „Nun aber wünsche ich Dir zu Deinem fünfzigsten Geburtstag, daß Du weiter die Kraft und Gesundheit hast, die für unseren Kampf so nötig sind, Du, der als einziger unserer Sache allgemeine Anerkennung zu gewinnen imstande warst.“ Allgemeine Anerkennung? Die Zeiten sind längst vorbei. Seit Beginn des NaziRegimes 1933 gilt auch Bergs Musik in Deutschland als „entartet“. Sein Wozzeck – die erfolgreichste zeitgenössische Oper der letzten Jahre – ist von den deutschen Spielplänen verschwunden, abgeschlossene Theater-Verträge wurden annulliert, und auch seine anderen Erfolgsstücke sind in den deutschen Konzertsälen nicht mehr zu hören.

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Für ihn hatte das katastrophale Folgen. Seine Einnahmen haben sich auf ein Minimum reduziert, von den mageren Vorschüssen seines Wiener Verlags kann er kaum leben, und die Sorgen wachsen ihm allmählich über den Kopf. Dabei steht er unter massivem Druck. Die Universal Edition erhofft sich nämlich von seiner neuen Oper Lulu im Ausland großen Erfolg und erwartet so schnell wie möglich die Ablieferung der Partitur. Doch die Lulu ist immer noch nicht fertig. Trotz jahrelanger Arbeit. Der dritte Akt ist ein Torso, die Instrumentation noch längst nicht abgeschlossen, und abgesehen davon muss er das Ganze noch einmal vollständig überarbeiten. Berg weiß nicht, wie es weitergehen soll. Verzweifelt schreibt er in diesem Frühjahr 1935 an den Geiger Rudolf Kolisch, Schönbergs Schwager, der sich mit seinem berühmten Quartett seit Jahren für Neue Musik engagiert: „Infolge der scheußlichen Situation in Mitteleuropa – und trotz Entgegenkommen der UE und diversen ‚Aussichten‘ – – hab‘ ich große Existenzsorgen. Ich kann mich nicht entschließen, das ‚Waldhaus‘ wegzugeben (verschleudern), muß also einen größeren Betrag auftreiben. Vielleicht findet Ihr auf Eurem Weg in die weite Welt einen reichen Phantasten, der das Manuskript der ‚Lyrischen Suite‘ besitzen will. Auch die Partitur der ‚Wein-Arie‘ (Ms.) ist verkäuflich.“ Das ‚Waldhaus‘. Für Berg ist es mehr als nur eine Ferienidylle. Es ist sein Zufluchtsort geworden, sein Refugium, das ihn abschirmt von der Außenwelt. Weit weg von Wien, weit weg von den Widerwärtigkeiten und Bedrohungen, die mit dieser Stadt verbunden sind. Erst 1932 hat er den etwas heruntergekommenen ehemaligen Gasthof am Ufer des Wörthersees zu einem günstigen Preis erworben, und seitdem hat er viele Monate dort, in seinem „selbstgewählten Exil“, verbracht und komponiert. Berg fühlt sich wohl in diesem Haus mit seinem herrlich großen Waldgrundstück, „wo’s wirklich schön ist, und wo ich in einem Monat mehr arbeite als in Wien in einem Jahr. Und die Arbeit scheint ja das einzige zu sein, wo man noch den gesunden Menschenverstand sprechen lassen kann, der einem in den letzten Jahren immer mehr abhanden kommt.“ Nun, da er nicht einmal weiß, wovon er in Zukunft leben soll, wird es ihm schwer ums Herz beim Gedanken, auch noch sein ‚Waldhaus‘ zu verlieren. Sein letztes Stück an Sicherheit. Aber es gibt noch andere Dinge, die ihn bedrücken. Berg fühlt sich künstlerisch vereinsamt. Er spürt die eisige Verachtung, die ihm in seiner Heimatstadt Wien von vielen Seiten entgegenschlägt, und er leidet darunter, ausgegrenzt, ja regelrecht verfolgt zu werden. „Ich gelte hier mehr denn je als nicht ‚bodenständig‘“, hat er sich im Dezember 1934 bei seinem italienischen Komponistenkollegen Gian Francesco Malipiero beklagt, „und es geht mir hier nicht anders, als wenn ich zum Beispiel Jude wäre und in Deutschland leben müsste. (…) Während hier jetzt Komponisten zur Geltung gelangen, von denen man noch nie etwas gehört hat (…), wird unsereiner nach jeder Richtung hin unterdrückt. Ja von höchster offizieller Stelle höre ich, daß zum Beispiel die seinerzeitige Aufführung des ‚Wozzeck‘ als eine ‚Entweihung‘ der Wiener Staatsoper betrachtet wird.“ Der Vorwurf, „nicht bodenständig“ zu sein, verletzt ihn zutiefst. Mehr noch als die infamste Kritik, die er je hat einstecken müssen – und sein Leben war reich an infamen Kritiken. Drei Wochen nach seinem fünfzigsten Geburtstag schickt er

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Yella Hertzka, der Witwe seines Verlegers, die Reproduktion eines alten Stichs, auf dem sein Wiener Geburtshaus in der Straße Tuchlauben abgebildet ist, und schreibt einen bitter-ironischen Kommentar dazu: „Auf diesem Bilde ist zu sehen: I. rechts der Laden, wo die VII. Beethoven-Symphonie 1812 verlegt wurde [...] und wo hundert Jahre später mein Opus I verlegt wurde. – II. Im letzten Stock desselben Hauses rechts die Räume, wo […] die erste Aufführung dieses Opus I stattfand, die fünfundzwanzig Jahre später zu meinem fünfzigsten ebenda […] wiederholt wurde. – III. Das Haus in der Mitte schließlich, wo ich am 9. Februar 1885 geboren wurde. – Und da ich dann, trotz fünfzigjährigen Lebens und Wirkens in meinem Vaterland, noch immer nicht bodenständig befunden wurde, beantwortete ich eine Rundfrage des ‚Echo‘ wegen Händel und Bach, die jetzt gerade zweihundertfünfzig Jahre alt geworden wären, folgendermaßen: ‚Ein Glück, daß Händel und Bach im Jahre 1685 geboren wurden und nicht zweihundert Jahre später! Denn sonst wäre die Bodenständigkeit des Einen in seinem Vaterland ebenso bezweifelt worden, wie man die Musik des Anderen für kulturbolschewistisch befunden hätte. Was zu zeigen gerne bereit wäre: Alban Berg.‘“ An Schönberg schreibt er Ähnliches. Auf dessen Appell an die Freunde in Europa, einen geistigen „Schutzbund“ zu gründen gegen die Bedrohung von außen, hat er geantwortet: „Du glaubst gar nicht – oder nein: eben – Du ahnst es, wie nötig das auch für uns Österreicher ist. Unsere Kunst, die als nicht bodenständig gilt, und damit unsere materielle Existenz, ist genau so bedroht wie anderswo, wo man dem ‚Kulturbolschewismus‘ ‚an den Leib rückt‘, und man denkt und spricht eigentlich von nichts anderem als davon, wie man dieser Einstellung begegnen könnte. Leider ist man darin sehr gehandicapt und zwar dadurch, dass das augenblicklich kaum geht, ohne daß es von gegnerischer Seite mit Politischem verquickt wird, also etwas, was wir doch gerade nicht wollen (und auch nie gewollt haben). Umso notwendiger also ein solcher geistiger Zusammenschluß unpolitischer Natur von uns ‚Bedrohten‘.“ Natürlich weiß Berg, dass Schönberg ganz anders bedroht war: als Jude musste er um sein Leben fürchten. Zwei Jahre sind vergangen seit Schönbergs Flucht. Am 17. Mai 1933 hat er Deutschland für immer verlassen und ist ins Exil gegangen. Berg vermisst ihn sehr. Als er die Nachricht erfuhr, war er entsetzt: „Was für ein Schicksal! Jetzt mit fast sechzig Jahren, vertrieben von dem Land, wo er seine Muttersprache sprechen konnte, ohne Heim, ohne Gewißheit: w o und w o v o n leben, in einem Hotelzimmer…“ Dass auch er bald nicht mehr wissen würde, wovon er leben sollte, konnte er damals noch nicht ahnen – obwohl es schon viele Anzeichen gab, die ihm mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen führten, wie weitreichend der Nazi-Einfluss in Österreich bereits gediehen war. Am 17. Mai 1933, dem Tag, an dem Schönbergs Exil beginnt, sitzt Alban Berg in seiner Wiener Wohnung und schreibt einen Brief an Helene, die sich seit einiger Zeit wegen Renovierungsarbeiten im ‚Waldhaus‘ befindet. Noch immer ziemlich aufgebracht berichtet er ihr vom Auftakt des Wiener Brahms-Festes, das er tags zuvor besucht hat. „Mittags, ½ 12 bis 1 Uhr, war Eröffnungsfeier […] Furtwängler hielt die eigentliche Brahmsrede, und ich war den ganzen Tag verstimmt darüber.

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Es war eine Nazi-angehauchte Rede für die deutsche Musik, die – so ließ er durchblicken – mit Brahms ihren letzten Vertreter fand. Ohne Namen zu nennen, verriet er die gesamte nachbrahmsische Musik, besonders Mahler und die jüngere Generation (Hindemith). Der Schönbergkreis wurde überhaupt als nicht existierend erwähnt. So etwas einstecken zu müssen, den Jubel des trottelhaften Publikums mitansehen zu müssen, verstimmte mich so. Publikum darum trottelhaft, weil es nicht einmal merkte, daß mit den nachfolgenden A-cappella-Chören von Brahms dieses ganze tendenziöse Gerede Furtwänglers ad absurdum geführt wurde.“ Politisch gesehen war Berg bisher durchaus nicht blauäugig. Schon seit Jahren hatte er besorgt die Nachrichten aus Deutschland verfolgt und den totalen Ruin prophezeit, falls die Nazis siegen würden. Bereits 1930, als die NSDAP nach der Reichstagswahl plötzlich 107 Sitze gewann, schrieb er beunruhigt an Helene: „Was sagst Du zu den fürchterlichen Ergebnissen der deutschen Wahlen?!!“ Doch erst jetzt, im Frühjahr 1933, wird ihm der Ernst der Lage bewusst, und er befürchtet, dass Hitlers Ernennung zum Reichskanzler in Zukunft auch für Österreich gefährlich werden könnte. Als er wenig später von Schönbergs Emigration erfährt, schreibt er Anton Webern, dass er dem Freund keinesfalls raten würde, nach Wien zurückzukehren: „Seit ich hier bin, kann ich die Angst nicht loswerden, dass auch hier die Nazis siegen werden, bzw. unsere Regierung nicht stark genug sein kann, es zu verhindern. Dazu höre ich täglich deutsche Radioreden.“ Persönlich fühlt sich Berg allerdings nicht bedroht. Ihm als Arier, so glaubt er, werde man nichts anhaben können. Und als Paul Hindemith ihm während der Brahms-Festtage Hoffnungen auf eine Lehrtätigkeit in Berlin macht, reagiert er sogar regelrecht beglückt und informiert Helene postwendend über dieses Gespräch: „Bei Tisch fragte mich plötzlich Hindemith: ‚Warum kommen Sie eigentlich nicht zu uns in die Musikhochschule?‘ Ich:??? Er: ‚Wollen Sie nicht?‘ Ich: ‚O ja!‘ Er: ‚Das lässt sich vielleicht machen!‘ Ich: ‚Mit der Art Musik, die ich mache?‘ Er: ‚Warum nicht?‘ Es wären jetzt zwei Vakanzen (zwei alte Herren). ‚Ich werde sehen und ich glaube bestimmt, dass sich da etwas machen lässt.‘!!! Was sagst Du? Selbst, wenn wir nicht daran denken, so einen Antrag anzunehmen […] wäre es ein kolossaler Triumph für mich und etwas zum Ausspielen gegen die Wiener Regierung, wenn die wirklich mit einem Antrag käme. Von diesem Berliner Antrag (bzw. Plan dazu) darf aber einstweilen niemand etwas wissen.“ Berg hofft vergebens. Aus Berlin kommt kein Angebot, im Gegenteil. Wenige Wochen nach dem Gespräch mit Hindemith wird sein Name aus der Liste zeitgenössischer deutscher Komponisten gestrichen. Einfach gelöscht, als habe es ihn nie gegeben. Was soll er jetzt machen? Fast sein gesamtes Geld hat er in den Umbau des ‚Waldhauses‘ gesteckt, weil er glaubte, die Tantiemen würden weiter so fließen wie bisher. Nun gibt es diese Einkünfte nicht mehr, und er muss befürchten, demnächst auf der Straße zu stehen. Als die Universal-Edition im Herbst 1933 auch noch ihre monatliche Zahlung unterbricht, gerät er in Panik, und er fleht Frau Hertzka an, ihm zu helfen: „Liebwerte Frau Direktor, da bis heute die mir seit Juni d. J. zuletztbewilligte monatliche Rate von 700 Schilling nicht eingelangt ist, muß ich annehmen,

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daß die U.E. diese Zahlungen nunmehr eingestellt hat […] Sie waren so lieb, gnädige Frau, als Sie erfuhren, daß die Kürzung der mir durch Jahre gezahlte Monatsrente von 1000 auf 700 Schilling mich ungemein konsternierte und deprimierte, mich ganz spontan anzurufen, um mir die Versicherung zu geben, dass Sie im Notfalle ‚auch noch da seien‘. Dieser mir wirklich takt- und liebevollst zu bedenken gegebene Satz gibt mir – nun, wo dieser Notfall eingetreten ist – den Mut, an Sie Frau Direktor, bzw. an die U.E. mit folgender Bitte heranzutreten: Die U.E. möge mir ermöglichen, bis zur Vollendung der ‚Lulu‘ materiell durchzuhalten.“ Yella Hertzka lässt ihn nicht fallen. Er darf weiterhin seine kleine Monatsrente beziehen, und Berg entschließt sich, den Winter 1933/34 im ‚Waldhaus‘ zu bleiben, um die Lulu endlich zum Abschluss zu bringen. Es wird ein harter und entbehrungsreicher Winter. Die Bergs müssen sparen, denn das Geld reicht hinten und vorne nicht, und zudem ist das ‚Waldhaus‘ in der kalten Jahreszeit alles andere als eine Idylle. Berg, der inzwischen erfahren hat, dass die Schönbergs nach Boston übersiedelt sind, schreibt dem Freund am 9. Dezember einen Brief in die neue Heimat und schildert ihm seine eigene Situation. „Wir sind also tatsächlich noch hier in dieser Einöde, seit bald zwei Monaten von Eis und Schnee umgeben. Außer der Arbeit an der ‚Lulu‘ mit den kleinen und kleinlichen Sorgen eines solchen Aufenthalts behaftet, wie (um nur ein paar Dinge zu nennen, die den äußerlichen Gegensatz Eures und unseres Lebens illustrieren mögen): welcher Bauer das trockenste Holz hat oder ob heute Nacht die Wasserleitung einfrieren wird, ob man eine kleine Autoreise nach Klagenfurt oder Velden unternehmen soll, um sich eines warmen Bades zu erfreuen usw. Dies angedeutet und Dir nochmals wiederholt, daß ich trotzdem lieber hier bin als in Wien, weil ich nur so die Konzentration zum Komponieren finde, wirst Du Dich über die Bezeichnung ‚Konzentrationslager‘ für unser selbstgewähltes Exil nicht wundern…“ Macht Berg sich Illusionen über Schönbergs Leben? Glaubt er, weil der Freund bei seiner Ankunft in New York mit großer Aufmerksamkeit empfangen wurde, dass ihm dort nun alle Türen offen stünden? Jedenfalls fasst er sich ein Herz und bittet Schönberg um Unterstützung. Er fragt ihn im selben Brief, ob er vielleicht irgendjemanden wisse im fernen Amerika, dem er seine Wozzeck-Partitur verkaufen könnte. Schönberg bemüht sich. Obwohl er selbst mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat, setzt er alles in Bewegung, um Berg helfen, und es gelingt ihm tatsächlich, einen Interessenten aufzutreiben. Im Februar 1934 übermittelt er Berg einen Brief der Kongress-Bibliothek in Washington, die das Autograph kaufen will und schreibt dazu: „Hoffentlich wird was draus!“ Die Bibliothek bietet Berg 1000 Dollar für die dreibändige Partitur – eine mehr als bescheidene Summe, doch er ist einverstanden mit dem Preis. Später stellt sich zwar heraus, dass er die Hälfte davon an den Verlag abgeben muss, aber die 500 Dollar, die übrig bleiben, schaffen Erleichterung. Zumindest für kurze Zeit. Als das Particell der Lulu im Frühjahr 1934 endlich fertig ist, zeigt Berg sich keineswegs zufrieden. Am 6. Mai schreibt er Webern, er müsse „die ganze Komposition jetzt noch einmal von vorn ‚überholen‘ (wie man von Autos sagt)! All dies

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wird doch noch zwei, drei Wochen in Anspruch nehmen, so daß ich mit der Instrumentation wohl erst im Juni beginnen kann… und die Zeit hierfür (bis zum Herbst!) immer kürzer wird – und damit meine Nervosität immer – länger.“ Die Zeit brennt ihm unter den Nägeln. Erich Kleiber, der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, hat ihm Hoffnungen gemacht, die Lulu im Herbst herauszubringen – am liebsten in Berlin, so wie seinerzeit den Wozzeck, allerdings sei er sich da nicht ganz sicher. „Nach Durchsicht des Librettos muß ich ja sagen, daß sich da wohl gewaltige Hindernisse in den Weg stellen werden“. Er verspricht ihm aber, er werde mit aller Kraft darum kämpfen, die Lulu dennoch in Berlin herauszubringen. Falls es Probleme geben würde, sei er willens und bereit, die Oper irgendwo anders aufzuführen. „Also wohlgemerkt: Ich dirigiere die Uraufführung, und wenn sie in Klagenfurt ist! (Was ich nicht annehme!).“ Kleiber rät Berg, einen Brief an den Berliner Opernintendanten Heinz Tietjen zu schreiben und einen zweiten an Wilhelm Furtwängler, der von den Nazis zum ‚Staatsrat‘ gekürt worden ist und großen Einfluss hat in der musikalischen Szene. Berg reagiert sofort und schreibt anschließend an Webern: „In der 2. Maihälfte werde ich Antworten auf meine Briefe an Furtwängler und Tietjen (sic!) haben. Jedenfalls wird es ein Farbebekennen sein. Diese stillschweigende Ausschaltung unserer Musik aus den deutschen Programmen muß entweder aufgehoben werden – oder man muß mir beweisen, daß unsere Musik – nicht deutsch ist.“ Berg irrt. Man muss keineswegs, und das wird ihm auch sehr schnell deutlich gemacht. Am 29. Mai sieht er sich gezwungen, Kleiber darüber zu informieren, dass die Antwort aus Berlin abschlägig ausgefallen ist. „Mein lieber Freund, die Würfel sind also gefallen. Eben erhalte ich einen Brief von Furtwängler […] woraus hervorgeht, daß infolge des ‚Ernstes im Moment‘ an eine Annahme in Deutschland nicht zu denken ist. Obwohl er (und man) weiß, dass ich deutscher Komponist und Arier bin und auch, daß Wedekind Deutscher und Arier ist.“ Er scheint es jedoch gelassen zu nehmen und verzichtet auf weitere Kommentare. Stattdessen unterbreitet er seinem Freund einen neuen Plan: „Nun möchte ich Dir gleich folgendes mitteilen: Ich mache jetzt aus der ‚Lulu‘ eine Suite von zirka fünfundzwanzig Minuten Dauer. Die U.E. will das möglichst bald herausbringen, so daß im Herbst alle Orchestervereinigungen (der Welt!) sie spielen können. Selbstverständlich denkt auch sie vorerst an Dich. Hast Du Lust und Gelegenheit und Mut, die Uraufführung davon zu machen?“ Kleiber hat Lust und Mut. Die Idee, eine Suite aus der Lulu für den Konzertsaal zu dirigieren, gefällt ihm – schließlich haben sich seinerzeit die Bruchstücke aus Wozzeck als Wegbereiter für die Oper hervorragend bewährt. Warum nicht mit einem ähnlichen Projekt versuchen, die Leute auf Bergs neue Oper neugierig zu machen? Er hat die Widerstände allerdings unterschätzt. Als er im Herbst mit den Proben beginnen will, bekommt er Schwierigkeiten. Am 24. Oktober berichtet er Berg, Furtwängler habe plötzlich ‚kneifen‘ wollen. Er habe vorgeschlagen, das Konzert nicht in der Oper sondern in der Philharmonie zu veranstalten. „Ich bin ganz ruhig, aber ebenso hart geblieben, hab‘ ihm Wahrheiten über Knebelung der Kunst einge-

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flößt,“ schreibt Kleiber und erklärt, dass er im Falle eines Aufführungsverbots persönliche Konsequenzen ziehen und sofort kündigen würde. So weit kommt es allerdings nicht. Kleiber setzt sich durch. Seiner Frau Ruth gelingt es, bei Hermann Göring vorzusprechen und sich von ihm – gegen Goebbels – eine Genehmigung für das Konzert geben zu lassen. Am 30. November 1934 werden die Symphonischen Stücke aus der Oper ‚Lulu‘ von Alban Berg in der Berliner Staatsoper unter Kleibers Leitung aus der Taufe gehoben. Der Erfolg ist überwältigend, das Publikum klatscht begeistert Beifall. Doch es gibt auch geifernde Zwischenrufe. Willi Reich, der in Vertretung seines Lehrers nach Berlin gekommen ist, erinnert sich: „Nur eine gegnerische Stimme wurde laut: Ein Mann – es war zudem auch noch ein zugereister Wiener – rannte durchs Parkett und brüllte: ‚Heil Mozart!‘ – Kleiber wandte sich zu ihm und antwortete: ‚Sie irren sich: das Stück ist von Alban Berg!‘“ Am nächsten Tag ist die Hölle los. In den Zeitungen erscheinen heftige Angriffe gegen Bergs Musik, und die Aufführung wird in Grund und Boden verdammt. Den übelsten Kommentar schreibt ein Kritiker namens Paul Zschorlich, der sich schon bei der Uraufführung vom Wozzeck durch Verbalattacken gegen Berg hervorgetan hat. Diesmal zieht er in der „Deutschen Zeitung“ vom Leder: „Diese Kokain-Musik bedeutet uns eine Krankheit, und zwar eine unheilbare, denn sie ist eine Krankheit des gesamten Systems…Wir erleben den musikalischen Bolschewismus in Reinkultur… Natürlich ist diese Musik auch völlig gemütlos.“ Zschorlichs Attacke richtet sich auch gegen das „typische Kleiber-Publikum“, in dem, wie er gehässig bemerkt, der Anteil der jüdischen Zuhörer unverkennbar stark gewesen sei, und er schließt mit dem Satz: „Wir glauben mit aller Bestimmtheit versichern zu können, dass künftig für bedenkliche Koboldsprünge und Kulturexperimente von der Art des Alban Berg-Konzerts kein Betätigungsfeld mehr vorhanden ist.“ Seine Vorhersage trifft zu. Es ist das letzte Mal, dass eine Komposition von Berg in Nazi- Deutschland erklungen ist. Erst nach Ende des Dritten Reiches werden seine Werke wieder aufgeführt – er wird es nicht mehr erleben. Vier Tage nach der Uraufführung der Lulu-Symphonie, am 5. Dezember 1934, tritt Erich Kleiber vom Amt des Generalmusikdirektors an der Berliner Staatsoper zurück und geht wenige Wochen später aus Protest gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik ins Exil. Böse Verrisse, Auseinandersetzungen, ja sogar öffentliche Randale hatte es immer gegeben um Bergs Musik. Doch noch nie war sie Anlass für den Rücktritt eines Dirigenten gewesen. Noch nie hatte man sie für politische Propaganda missbraucht, und noch nie wollte man sie für immer zum Schweigen bringen. Nicht einmal damals, als zwei seiner Lieder den größten Musikskandal auslösten, den die Geschichte Wiens je erlebte – vor mehr als zwanzig Jahren. Wien, Großer Musikvereinssaal, 31. März 1913, 19 Uhr 30. Der „Akademische Verband für Literatur und Musik“ veranstaltet ein Konzert mit dem Orchester des „Wiener Konzertvereins“ unter der Leitung von Arnold Schönberg. Auf dem Programm stehen ausschließlich moderne Werke: Sechs Stücke für Orchester op. 6. von Anton Webern, Vier Orchesterlieder nach Gedichten von Maeterlinck von Alexander Zemlinsky, die Kammersymphonie op. 9 von Arnold Schönberg, Zwei Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg von Alban Berg

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und die Kindertotenlieder von Gustav Mahler. Das Konzert ist gut besucht. Im Publikum sitzen Kritiker aus dem In- und Ausland und viele Freunde und Schüler von Schönberg mit ihren Verwandten und Bekannten. Auch Alban Berg ist mit seinem ganzen Familienanhang gekommen. Bruder Charly hat sogar seinen kleinen Sohn Erich Alban mitgebracht. Als Schönberg erscheint, wird er freundlich begrüßt. Er verbeugt sich, hebt den Taktstock und die Musik beginnt. Was dann geschieht, ist unglaublich. „Es war eines der aufregendsten Ereignisse, das ich je erlebte“, schreibt Bergs Jugendfreund Hermann Watznauer später in seiner Berg-Biographie, und Bergs Neffe Erich Alban erinnert sich: „Bereits bei den Orchesterstücken Weberns wurde gelacht, gezischt und gepfiffen. Die Lieder Zemlinskys wurden halbwegs mit Beifall bedacht, bei der Kammersymphonie Schönbergs setzten wieder Proteste ein. Der Haupttumult jedoch begann beim ersten Ansichtskartentext-Lied meines Onkels – die Störungen waren natürlich vorbereitet, da man ja üblicherweise nicht mit großen Haustorschlüsseln, Glocken und Ratschen in ein Konzert kommt. Nach einem sogenannten ‚Gickser‘ (einem gequetschten Ton) des Kammersängers Boruttau ging der Wirbel los. Zuerst kam es nur zu einer Warnung Schönbergs, der androhte, den Saal bei weiteren Störversuchen polizeilich räumen zu lassen, schließlich unter den empörten Zuhörern aber zu einer wahren Saalschlacht. Partituren wurden auf Köpfe gedroschen, Ohrfeigen fielen. Der Saal wurde schließlich polizeilich geräumt, ohne dass die ‚Kindertotenlieder‘ Mahlers gespielt worden wären.“ Eine haarsträubende Geschichte – mitten im gesitteten Wien. Unter Herren im Frack und schwarzem Anzug. Der Skandal hatte gerichtliche Nachspiele. Ein gewisser Dr. Viktor Albert prozessierte gegen den Obmann des Akademischen Verbands Erhard Buschbeck, weil er von ihm geohrfeigt worden war und erhielt prompt eine Gegenklage, da er sein Opfer angeblich als „Lausbub“ bezeichnet hatte. „Es liegen mehr oder weniger amüsante Gerichtssaalberichte über den Prozeß Albert gegen Buschbeck vor,“ erzählt Bergs Neffe. Der Operettenkomponist Oscar Strauß wurde als Tatzeuge geladen und gab zu Protokoll, die Ohrfeige sei „das weitaus Klangvollste des ganzen Abends“ gewesen und das Publikum habe bei der Aufführung der Lieder von Alban Berg angefangen zu lachen. „Auch ich“, sagte der Zeuge, „habe, offen gestanden, gelacht, denn warum soll man nicht lachen, wenn etwas wirklich komisch ist?“ Wie reagiert Alban Berg darauf, der junge, verlachte Komponist? „Das Ganze ist so scheußlich, dass man am liebsten weit fliehen möchte,“ gesteht er seinem Freund Webern, doch Schönberg gegenüber äußert er sich ganz anders. Zwei Tage nach dem Konzert teilt er ihm in einem Brief zunächst mit, er sei glücklich über die Aufführung. „Ich wollte Ihnen heute in aller Ruhe schreiben, Ihnen – wieder einmal – danken. Denn selbst die diversen Entstellungen in den Zeitungen haben es – ebenso wenig wie der Skandal im Musikvereinssaal – vermocht, mir das Glück über Ihre Aufführung meiner Lieder zu beeinträchtigen. Dieses Glück über Ihren Entschluß, es zu tun, über die viele und große Mühe, die Sie dazu verwendet haben, über die Möglichkeit, dass ich meine Sachen vom Orchester – unter Ihrer Leitung hörte, daß sie tatsächlich aufgeführt wurden – und das in Gesellschaft von Werken von Ihnen

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und Mahler und Webern – kurz und gut über alles. Aber heute finde ich nicht die Ruhe, darüber zu schreiben, nach dem, was ich eben auf beiliegendem Zeitungsausschnitt las. Ich hätte Ihnen diese höchste aller Gemeinheiten gerne erspart, aber es geht nicht! Das kann nicht unberichtigt bleiben!“ In der Zeitschrift „Zeit“ ist ein bösartiger Artikel über das Skandalkonzert erschienen. Unter dem Titel „Schönbergs Anschauungen über seine Schüler“ hat ein Journalist unter anderem geschrieben, die Herren Webern und Berg würden ihrem „Meister“ gegenüber eine „grenzenlose Ergebenheit“ an den Tag legen, „eine Art Anbetung, wie sie nicht einmal Richard Wagner bei seinen begeistertsten Anhängern gefunden hat.“ Da beide „wohlhabende Leute“ seien, hätten sie „ihrer Begeisterung auch dadurch Ausdruck gegeben, daß sie Schönberg, der sehr schwere Tage mitzumachen hatte, lange Zeit hindurch materiell unterstützten.“ Schönberg wiederum habe sich „verpflichtet gefühlt, […] seinen Jüngern gegenüber dadurch Revanche zu üben, daß er seinen Einfluß für eine Aufführung ihrer Werke einsetzte, trotzdem er selbst ihre Leistungen sehr gering einschätzte.“ Nicht einmal sein Verleger Hertzka sei zu bewegen gewesen, „die Werke des Herrn Berg, die den stärksten Skandal hervorriefen, zu verlegen. Arnold Schönberg hat sich auch nie bei dem Verleger für diese Werke eingesetzt, er hat ganz im Gegenteil nicht verhehlt, daß er sie für künstlerisch nicht einwandfrei halte. Und trotzdem die Aufführung im Musikvereinssaal vor Hunderten von Zuhörern!“ Die Botschaft ist eindeutig. Sie lautet: Arnold Schönberg hat eine käufliche Seele und eine unehrliche noch dazu. Er ist ein schäbiger Mensch, der sich von seinen Schülern aushalten lässt und gegen Bezahlung Werke dirigiert, die er selbst für minderwertig hält. Berg ist empört. „Dieser noch nie dagewesen Schwall von Lügen, die die ‚Zeit‘ gestern brachte, rauben mir jede Ruhe“, schreibt er seinem Freund Watznauer, und er teilt Schönberg mit, er werde gleich am nächsten Tag dagegen öffentlich protestieren und eine Richtigstellung in die Zeitung setzen lassen: „Auf Grund des Paragraphen 19 des Pressegesetzes bitte ich um Aufnahme folgender Berichtigung: In der heutigen Nummer der ‚Zeit’ (Morgen-Ausgabe) heißt es in dem Artikel ‚Der Skandal im Konzertsaal‘, daß ich ‚lange Zeit hindurch Schönberg materiell unterstützte.‘ Das ist vollständig unwahr. Ich habe Schönberg nie materiell unterstützt. Im Gegenteil: Schönberg hat mich jahrelang unentgeltlich unterrichtet. Wien. 3. IV. 13. Alban Berg.“ Die „Berichtigung“ erscheint jedoch nicht. Berg wartet vergeblich darauf und gerät darüber noch mehr in Zorn. „Denk Dir, daß man die Unverschämtheit hatte, mich brieflich um eine Fotokopie für eine Karikatur anzugehn!!!“ schreibt er aufgebracht an Webern, und er hält sogar Rücksprache mit einem Rechtsanwalt, um gegen die Zeitung vorzugehen. So ist er, der achtundzwanzigjährige Alban Berg. Nicht die Verrisse seiner Lieder bringen ihn um den Schlaf sondern die Lügen und Gemeinheiten, die wieder einmal um die Person Schönberg in die Welt gesetzt worden sind. Er weiß nur zu gut, wie sehr Schönberg unter den üblen Verleumdungen leidet, denen er in Wien ständig ausgesetzt ist, und er leidet mit ihm. Dass man seinen geliebten und bewunderten

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Lehrer nach all den unerhörten Vorgängen im Musikvereinssaal nun auch noch als korrupten Habenichts diffamiert, geht ihm so nahe, dass seine eigene Kränkung scheinbar ganz nebensächlich wird. Alban Berg ist ein sensibler und anhänglicher junger Mann, der von sich selbst einmal sagen wird: „Mein Haupt-Charakterzug ist Treue,“ und Schönberg wird von diesem Wesenszug seines ehemaligen Schützlings noch viele Jahre nach Bergs Tod beeindruckt sein. Noch 1949 wird er sich in einem Nachruf daran erinnern, wie das damals war, als er dem Neunzehnjährigen zum ersten Mal begegnete: „Als Alban Berg im Jahre 1904 zu mir kam, war er ein hochaufgeschossener und äußerst schüchterner Junge. Aber als ich seine Kompositionen durchsah, die er mir vorlegte [...] erkannte ich sofort, daß er eine echte Begabung hatte. Darum nahm ich ihn als Schüler an, obwohl er damals außerstande war, das Stundenhonorar zu zahlen. Später machte seine Mutter eine große Erbschaft und erklärte Alban, daß er – da sie nun zu Geld gekommen wären – das Konservatorium besuchen könne. Man hat mir erzählt, Alban wäre so außer sich über diese Zumutung gewesen, daß er in Tränen ausbrach und sich erst beruhigen wollte, als seine Mutter ihm gestattete, seine Studien bei mir fortzusetzen. Er hielt immer getreu zu mir und hat mir diese Treue sein ganzes kurzes Leben hindurch bewahrt.“ Bergs Verhältnis zu Schönberg – es war bestimmt von Treue, Freundschaft und Dankbarkeit, aber auch von Unsicherheit und Abhängigkeit. Und manchmal war es sogar verdunkelt von Krisen. Per Zufall kam ihre Begegnung zustande, und schuld daran war niemand anders als Albans Bruder Charly. Die Bergs waren eine wohlhabende Familie. Vater Conrad betrieb in Wien einen florierenden Buch- und Kunsthandel und ein Devotionaliengeschäft, das von seiner Frau Johanna nach seinem Tod weitergeführt wurde. Er war ein zurückhaltender Mann mit einem bleichen, „ungemein scharf und edel“ geschnittenen Gesicht und einer „stolzen und würdevollen Haltung“, wie Hermann Watznauer erzählt. „Von Gestalt groß und hager, hätte man in dem alten Herrn auf keinen Fall einen Geschäftsmann vermutet […] eher einen hohen Staatsbeamten, einen Vertreter des Beamtenadels“. Conrad Berg war nicht gesund. Sein Herz habe zeitweise den Dienst versagt, berichtet Watznauer. „Conrad Berg aber war nicht der Mann, sich geschlagen zu geben. Er legte sich keinerlei Schonung auf, arbeitete rastlos weiter, tat so, als ob nicht viel los wäre und ließ es eben darauf ankommen.“ Seine Frau Johanna dagegen, die Tochter eines Wiener Hofjuweliers, war eine äußerst vitale Frau. „Alles, was sie anpackte, gedieh. Sentimentalitäten und überschwängliche Gefühlsäußerungen waren ihr fremd. Hinter der robusten Hülle und dem äußerlich trockenen Wesen verbarg sich aber ein ungemein empfindsames, feinfühliges warmes Herz.“ Das Ehepaar hatte vier Kinder. Hermann, Karl, Alban und Smaragda. Als Alban am 9. Februar 1885 geboren wurde, war Hermann dreizehn und Bruder Karl, genannt „Charly“, vier Jahre alt. Schwester Smaragda kam 1887 auf die Welt. Hermann verließ bereits im Alter von vierzehn Jahren die Familie und ging nach Amerika, wo er bald eine Position als gut bezahlter Exportkaufmann erhielt. „Nachdem er die amerikanische Staatsbürgerschaft erreicht hatte, pflegte er ein- bis zweimal

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im Jahre nach Europa zu kommen, für seine Firma Großeinkäufe zu besorgen, seine Eltern zu besuchen und sich zu amüsieren. Erholung kannte der ,Amerikaner‘ nicht.“ Die jüngeren Geschwister Charly, Alban und Smaragda wachsen in der Freizügigkeit gehobener, gutbürgerlicher Verhältnisse auf. Im Winter besuchen sie Opern, Konzerte und Theater, den Sommer verbringen sie mit ihren Eltern und Freunden auf dem ‚Berghof‘, dem Familienbesitz am Ossiachersee. Man hat Personal und eine Gouvernante, die den Kindern Klavierunterricht gibt und bei Familienfesten Regie führt, wenn die Geschwister kleine Theaterszenen, Gedichte, Arien und Lieder zum Besten geben. Musik spielt eine wichtige Rolle in diesem Haus. Charly singt mit seiner schönen Stimme Lieder und Opernarien, Smaragda begleitet ihn am Klavier und Alban fängt schon mit vierzehn Jahren an, kleine Kompositionen zu schreiben. Ein Lied nach dem anderen bringt er zu Papier – Musik für den Hausgebrauch, nicht mehr, denn er hat keine Ahnung, wie man komponiert und sucht sich die Klänge nach dem Gehör zusammen. Alban ist kein Wunderkind, doch die Musik begeistert ihn, obwohl er zunächst noch mehr für Literatur schwärmt. „Bevor ich komponierte, wollte ich überhaupt Dichter werden und erinnere mich da noch an ganze Epen, zu denen mich die jeweilige Schullektüre anregte. Und ganz zurück, als Kind, malte und zeichnete ich, wohl durch eine gewisse Handfertigkeit, die ich fälschlicherweise für Talent hielt, dazu veranlaßt.“ Am 30. März 1900 stirbt Conrad Berg ganz plötzlich an Herzversagen. Für Alban, den gerade erst Fünfzehnjährigen, ist es ein tiefer Schock, eine traumatische Erfahrung, die er nur schwer verkraften kann. Wenig später, am 23. Juli, erleidet er seinen ersten starken Asthma-Anfall, und dieses Leiden wird ihn von nun an sein Leben lang quälen. Es wird seine ohnehin sehr anfällige Gesundheit immer wieder erschüttern, und manchmal werden die Asthma-Attacken so bedrohlich sein, dass er glaubt, sterben zu müssen. So berichtet er Schönberg nach seinem Militärdienst im August 1917 über „Asthma-Anfälle von einer Stärke, daß ich einmal tatsächlich glaubte, die Nacht nicht überleben zu können“, und in der Schlussphase der Wozzeck-Komposition, Anfang der Zwanziger Jahre wird er oft die Nacht hindurch am Bettrand sitzen, um Luft ringen. Asthma- und Todesangst: Wie häufig er beides erleben muss, ist schwer zu sagen. Über die möglichen Ursachen seiner Krankheit denkt er viel nach und tauscht sich mit Schönberg aus, der ebenfalls Asthmatiker ist. Berg glaubt, dass das Leiden „auf eine Schwäche des Geistes“ zurückzuführen ist, eines Geistes, „der ‚möchte‘, aber ‚nicht kann‘“. Im Sommer 1911 sinniert er in einem Brief an seinen Lehrer: „Vielleicht ist das Ganze eine Folge meiner im hohen Grad affizierten Nerven. Oder ist letzteres nicht vielmehr die Folge von jenen geistig-seelischen Niederlagen?“ Im Laufe der Jahre wird die Überzeugung, dass für sein Asthma „tiefere, geistige“ Gründe verantwortlich sind, immer stärker, doch er wird niemals wissen, wie er diese „Geisteskrankheiten“ restlos in den Griff bekommt. „Soweit ich sie durchschaue, bekämpfe ich sie ja mit Erfolg. Aber irgendein ungelöster Rest bleibt immer.“ Durch den Tod des Vaters hat sich die materielle Lage der Familie sehr verschlechtert, und deshalb plant Hermann Berg, der Albans Vormund geworden ist,

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seinen jüngeren Bruder mit nach Amerika zu nehmen und ihn zum Kaufmann ausbilden zu lassen. Eine vermögende Tante ist jedoch bereit, die Kosten für Albans Studium zu übernehmen, und so darf er in Wien bleiben, um erst einmal die Schule abzuschließen. Sein Abitur im Sommer 1903 wird ein Fiasko. Alban, der belesene Schüler, versagt ausgerechnet in der „Deutschen Sprache“ und wird nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen. Monatelang leidet er unter Depressionen, und als er sich obendrein auch noch unglücklich verliebt, gerät er in so große Verzweiflung, dass er im September einen Selbstmordversuch unternimmt. Doch er fängt sich wieder, und im folgenden Jahr gelingt es ihm, die Reifeprüfung in einem zweiten Anlauf zu bestehen. Im Oktober 1904 tritt er auf Wunsch der Mutter als unbezahlter Rechnungspraktikant in den Dienst der Niederösterreichischen Statthalterei, um Regierungsbeamter zu werden. Fleißig und scheinbar unverdrossen beschäftigt er sich von nun an tagein, tagaus mit Ein- und Ausfuhr-Statistiken von Schweinen, belegt nebenbei an der Uni Vorlesungen über Staatsverrechnungswissenschaft und ist trotz der stupiden Arbeit scheinbar wunschlos glücklich. „Was ihn so bescheiden, zufrieden, so mit dem Schicksal ausgesöhnt erscheinen ließ, hing nicht mit seiner Bürotätigkeit zusammen,“ erklärt Hermann Watznauer, „es lag vielmehr außerhalb derselben, in den freien Stunden: Alban Berg nahm bei Arnold Schönberg Theoriestunden.“ Seine Schwester Smaragda hatte zufällig in der Neuen musikalischen Presse eine Unterrichtsanzeige von Schönberg entdeckt, und Bruder Charly ging daraufhin heimlich mit in paar Liedern von Alban in die Liechtensteinstraße, um sie von dem Komponisten begutachten zu lassen. Schönberg war sofort angetan und machte Alban das überraschende Angebot, ihn kostenlos zu unterrichten. Rückblickend wird er später erzählen: „[…] ich kann nicht sagen, ob ich auch damals schon Originalität erkannte. Es war ein Vergnügen, ihn zu unterrichten. Er war fleißig, eifrig und machte alles aufs Beste. Und er war, wie alle diese begabten jungen Menschen aus dieser Zeit, durchtränkt mit Musik, lebte in Musik. Er besuchte und kannte alle Opern und Konzerte, spielte zu Hause Klavier vierhändig, las bald Partituren, war begeisterungsfähig, unkritisch, aber empfänglich für altes und neues Schöne, sei es Musik, Literatur, Malerei, bildende Kunst, Theater oder Oper.“ Alban ist hingerissen von seinem neuen Lehrer. Schönberg ist alles für ihn – Vaterfigur, Freund, Berater, höchste Instanz. Ein Halbgott, den er schwärmerisch liebt, und über den er viele Jahre später noch seiner Helene schreiben wird: „Du, der Freund, ich! Oder: Die Liebe, der Glaube, die Hoffnung […] etwas Viertes gibt‘s für mich nicht. Außer dieser Welt, der Welt des Komponistenfreundes als Repräsentant der Musik und der eigenen (so egoistisch ist man immerhin) gibt’s für mich keine Welt.“ Schönberg ist ein strenger Lehrer. Seine Ansprüche sind hoch, und seine Kritik ist oft hart. Er, der Außenseiter, hat einen ganzen Kreis von Schülern um sich geschart, den er durch seine beeindruckende Persönlichkeit und seine Autorität völlig beherrscht, und die Schüler lassen es sich gefallen. „Du wirst nie glauben, wie die alle vernarrt sind in Schönberg!“ wird Helene Berg einem Freund später einmal berichten. „Wenn sie diskutiert haben, und der Schönberg aufg‘standen ist und im

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Zimmer umherging, lief ihm immer einer mit der Aschenschale nach.“ „Auch Alban?“ fragte der Freund. „Er? Er erst recht!“ Alban lernt in diesem Kreis Anton Webern kennen, einen von Schönbergs besten Schülern, und die beiden freunden sich an. Begierig nehmen sie alles auf, was ihr genialer Lehrer ihnen vermittelt, doch ihr Selbstwertgefühl wird oft bis an die Grenzen des Erträglichen strapaziert. Vor allem das von Alban, der sich häufig von dem großen Meister entmutigen lässt. „[…] mein Zweifel an mir selbst ist immer so groß, daß der geringste Tadel von Ihrer einzig berufenen Seite mir fast alle Hoffnung raubt,“ gesteht er Schönberg zu einer Zeit, als der Unterricht bei ihm längst abgeschlossen ist. Diese Unsicherheit wird er auch später nie ganz verlieren. Selbstkritisch wird er einmal bekennen, das zentrale Problem seines Lebens sei, dass er sich von dem überwältigenden Einfluss dieses Mannes nicht wirklich befreien könne – es sei „ein Problem, an dem ich jahrzehntelang trage, ohne es lösen zu können und an dem ich auch zugrunde gehen werde.“ 1906 macht Johanna Berg eine große Erbschaft, und sie erlaubt Alban – allerdings erst nach hartnäckigen Überredungskünsten ihrer Kinder –, die verhasste Beamtentätigkeit an den zu Nagel hängen, um sich ganz dem Komponieren widmen zu können. Als Gegenleistung muss er sich verpflichten, die Verwaltung der geerbten Häuser zu übernehmen – eine mühevolle und zeitaufwändige Tätigkeit, die ihn in den folgenden anderthalb Jahrzehnten äußerst belasten und seine Kreativität teilweise völlig lahm legen wird. Doch zu diesem Zeitpunkt weiß er davon noch nichts, und er fühlt er sich befreit und stürzt sich noch intensiver als bisher in sein Studium bei Schönberg. Gemeinsam mit ihm analysiert er Partituren der Klassiker von Bach bis Brahms, komponiert seine ersten eigenen Werke und lässt sich für Gustav Mahler – Schönbergs Idol – begeistern, der von nun an auch zu seinen eigenen „lebenden Idealen“ gehört. Vor allem Mahlers neunte Sinfonie übt eine geradezu magische Faszination auf ihn aus. „Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat,“ schreibt er Helene 1912. „Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr zu leben, sie, die Natur, noch auszugenießen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. Denn er kommt unaufhaltsam. Dieser ganze Satz ist auf Todesahnung gestellt. Immer wieder meldet sie sich. Alles Irdisch-Verträumte gipfelt darin […], am stärksten natürlich bei der ungeheuren Stelle, wo diese Todesahnung Gewißheit wird, wo mitten hinein in die tiefste, schmerzvollste Lebenslust ‚mit höchster Gewalt‘ der Tod sich anmeldet. Dazu das schauerliche Bratschen- und Geigensolo und diese ritterlichen Klänge: der Tod in Rüstung!“ Jahrzehnte später werden ihm selbst solche schauerlichen Klänge einfallen – beim Tod eines jungen Mädchens, das mitten aus seinem fröhlichen Leben gerissen wird. Sechs Jahre dauert seine Lehrzeit bei Schönberg, und sie findet erst 1911 ihren Abschluss, als Schönberg nach Berlin übersiedelt. Vier Jahre zuvor hat Alban Helene Nahowski kennen gelernt, eine Gesangstudentin, in die er sich auf der Stelle verliebt. Offiziell gilt sie als Tochter des höheren Beamten Franz Nahowski, aber jedermann in der Wiener Gesellschaft kennt das Gerücht, dass sie die illegitime Tochter Kaiser Franz Josephs I. sein soll, der jahrelang ein Verhältnis mit Helenes

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Mutter hatte. Alban ist bezaubert von ihrer Schönheit, Musikalität und Willensstärke, und er findet in ihr eine seelenverwandte Freundin, deren Hang zum Okkultismus seinen eigenen abergläubischen Vorstellungen völlig entspricht. Seine Gefühle steigern sich bald in eine „frenetische Liebesleidenschaft“, und er macht ihr einen Heiratsantrag, doch Franz Nahowski sträubt sich vehement gegen die Verbindung. „Als mein Vater das merkte, verbot er Alban Berg seine Besuche bei uns,“ erzählt Helene, „denn Alban war kränklich […] und hatte einen Beruf, (Musiker und Komponist) der meinem nüchtern und praktisch denkenden Vater nicht paßte. Außerdem fürchtete er, daß mir, infolge der chronischen Krankheit eines Asthmatikers, ein sorgenvolles Leben bevorstünde.“ Ihre Situation wird fatal. Da die beiden Liebenden sich nicht mehr offiziell sehen dürfen, sind sie gezwungen, sich heimlich zu treffen, und Alban leidet sehr unter ihren langen und unfreiwilligen Trennungsphasen. Er wird völlig beherrscht von seiner „Sehnsuchtsqual“ und beklagt sich immer wieder: „Manchmal glaub’ ich, ich werde wahnsinnig vor Schmerz – das anderemal tobsüchtig vor Wut! Und das infame Gefühl, ‚es nützt mir alles nichts‘! Ich muß mir alles gefallen lassen!!!“ Jahrelang kämpft er um seine Helene und beteuert ihr ständig seine Liebe und „Seelenpein“. Schließlich hält er es nicht mehr aus und schreibt Helenes Vater einen ebenso langen wie couragierten Brief: „Einmal mußte ich den Schmutz, der nun schon über drei Jahre konstant auf mich geworfen wird, mit einem kräftigen Ruck von mir abschütteln. Wenn ich es schon nicht meinethalben tat, da mir solches, meines wahren Wertes bewusst, oft nicht der Mühe wert erscheint, so geschah es Helenens und unserer guten Sache halber“. Selbstbewusst wehrt er sich gegen die Vorwürfe, die gegen ihn vorgebracht worden sind – seine „geistige Minderwertigkeit“, seine „pekuniäre Mittellosigkeit“, seine „zerrüttete Gesundheit“ sowie die „Verworfenheit“ seiner Schwester Smaragda, deren lesbische Neigung seinem Ruf angeblich schade. Vater Nahowski gibt schließlich nach – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Trauung protestantisch vollzogen wird, um eine spätere Scheidung möglich zu machen. Das Paar akzeptiert die Forderung, und am 3. Mai 1911 können sich Alban und Helene Berg endlich das Jawort geben. Zwei Wochen später geschieht etwas, das sie beide schmerzlich berührt. Am 18. Mai stirbt Gustav Mahler, der todkrank aus Amerika nach Wien heimgekehrt ist, im Alter von fünfzig Jahren an einer bakteriellen Herzentzündung. Berg, der nur einmal in seinem Leben Gelegenheit hatte, den ehrfürchtig bewunderten „heiligen Mahler“ persönlich zu sprechen, ist tief erschüttert. Gemeinsam mit Schönberg und seinen Freunden geht er zu seiner Beisetzung auf dem Grinzinger Friedhof und nimmt Abschied von diesem großen Mann, den er persönlich kaum gekannt, aber sehr geliebt hat. Alma, Mahlers Witwe, kennt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In ihren Memoiren wird sie später schreiben: „Seit Jahren waren Alban und Helene Berg meine nächsten Freunde geworden. Und das kam gleich nach dem Tode Gustav Mahlers, denn vorher hatten sie sich aus Scheu und Bescheidenheit von mir ferngehalten. Beide kamen aus etwas überfeinerten Familien […] Wir blieben täglich beisammen. Alban und Helene Berg waren und sind schwierige Menschen, aber opferfähig bis zum letzten. Und beide sind so schön.“

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Die Freundschaft des Ehepaars mit Alma wird eng. Vor allem Helene fühlt sich ihr nah verbunden – offenbar bewundert sie die schöne junge Frau, die nach dem Tod ihres Mannes ein exzentrisches Leben führt und in der Wiener Gesellschaft eine führende Rolle spielt. Albans Verhältnis zu ihr und ihrem späteren Ehemann Franz Werfel ist ebenfalls sehr herzlich, obwohl er Almas gesellschaftlichen Ehrgeiz wohl als eine kleine Schwäche empfindet, denn er macht Helene gegenüber gelegentlich die Bemerkung, dass „es sie […] sehr wurmt, wenn etwas nicht durch sie geht.“ Dennoch ist er oft und gerne bei ihr und genießt ihre Gastfreundschaft und die geselligen Gesprächsrunden mit Freunden und Bekannten, die immer anregend sind – vor allem, wenn Schönberg dabei ist. Begeistert schildert Berg im Juni 1918 seiner Helene einen solches Treffen bei Alma, wo Schönberg seiner Meinung nach wieder einmal seine ganze rhetorische Brillanz entfaltet habe: „Bei Almschi war’s riesig gemütlich. Anwesend: Schönberg und Trude (Frau Schönberg nicht), Werfel und ich. Schönberg war glänzend disponiert, es war trotz vieler Debatten ganz reibungslos und voll Heiterkeit. […] Hauptgesprächsthema ‚Schäbigkeit der reichen Leute‘. […] Mit Werfel sprach sich Schönberg ganz gut, d.h. bei Differenzen mußte Schönbergs kolossale Überlegenheit immer siegen!“ Sieht Alma das auch so? Wohl kaum. In ihren Lebenserinnerungen meint sie nur trocken: „Alban Berg war sein Leben lang in Arnold Schönbergs Genie verliebt“, und sie gibt zu, dass sie andere Freunde gehabt hätte, die ihr „näher“ gewesen seien als die Bergs, „weil Albans Leidenschaft für […] Schönberg oft bedenklich war.“ An anderer Stelle schreibt sie jedoch voller Wärme über ihren Freund: „Alban Berg war sicher eine der edelsten Seelen!“ Alban Berg – der Mann mit der bedenklichen Leidenschaft, „eine der edelsten Seelen“? Tatsache ist, dass Berg Jahre seines Lebens für Schönberg opfert. Unermüdlich setzt er sich für die Verbreitung und das Verständnis seiner Musik ein, wobei er seine eigene Arbeit zeitweise völlig vernachlässigt. Er schreibt thematische Analysen und Führer zu Schönbergs Kompositionen, arrangiert aufwändige Klavierauszüge, gibt Publikationen über sein Idol heraus und verfasst selbst zahlreiche Schriften und Vorträge über ihn, ständig besessen von dem Gedanken „immer wieder alles zu versuchen, um Schönberg von meiner tätigen und unerschütterlichen Anhänglichkeit zu überzeugen.“ Darüber hinaus macht er sich auch immer wieder Sorgen um Schönbergs finanzielle Lage, die meist sehr schlecht ist. Gemeinsam mit seinen Freunden sammelt er Geld für ihn, setzt Bittschreiben an Mäzene auf, kümmert sich um Stipendien und verfasst 1911, unter Angabe seiner Adresse, einen öffentlichen Aufruf in der Zeitschrift ‚Pan‘ mit dem dringlichen Appell: „Die Schüler und Freunde Arnold Schönbergs halten es für ihre Pflicht, seine Notlage zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Ihn selbst hält die Scham davon zurück; darum rufen wir über seinen Kopf hinweg um Hilfe.“ Seine Loyalität wird jedoch nicht immer belohnt, und im Laufe der Zeit lernt Berg auch die schwierigen Seiten seines Lehrers kennen. Schönberg, der dauernd unter Druck steht und angefeindet wird, lässt seine eigene Gereiztheit nicht selten an Berg aus, dessen Charakter ihm zu weich erscheint, zu labil. Und da er kein

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Mensch ist, der sich lange mit pädagogischen Feinfühligkeiten aufhält, nennt er die Dinge auch schonungslos beim Namen. So wirft er ihm vor, zu faul zu sein und zu langsam zu arbeiten, und er kritisiert nicht nur seine künstlerischen Leistungen, sondern auch seine Lebenseinstellung, seine Denkweise und Sprache, seine finanzielle und emotionale Abhängigkeit von der Familie, seine Kleidung, seine Fahrlässigkeit in Sachen Gesundheit usw.usw. Angriffslustig schreibt er dem Dreißigjährigen im Mai 1915, ein Jahr nach Kriegsbeginn: „Sie sind bös, weil ich Ihnen geschrieben habe, Sie hätten geträumt! Aber ich möchte Sie gerne noch viel böser machen. So bös, dass Sie einmal aufspringen und mir (es kann aber auch ein anderer sein, ich reiß‘ mich nicht darum) einen Häfen um den Schädel hauen! […] Also bitte, wachen Sie auf! Ich bleibe dabei! Heute ist es nötiger als je, ein Mann zu sein. Bedenken Sie, dass Sie vielleicht in ein paar Monaten ein Bajonett werden führen müssen! […] Ihnen fehlt eine Arbeit, bei der Sie raufen müssen. Sie sollten sich eine solche suchen! Schauen Sie: bei mir hat ja der Kampf nie aufgehört, und deshalb bleibe ich immer wach. Natürlich: denn ich muß ja auf die Nachtangriffe der Dunkelmänner gefasst sein.“ Berg reagiert beklommen und verunsichert. Er entschuldigt sich, verspricht, „all die kleinen Sachen“ zu ändern, die Schönberg „mit Recht“ an ihm aussetze, doch Ende des Jahres 1915 scheint auch seine Sanftmut überfordert zu sein, und es kommt zwischen ihnen zu einem heftigen Zerwürfnis und zum Abbruch ihrer Beziehung. Der Zustand der Entfremdung dauert über ein Jahr an, dann gibt es wieder eine Annäherung, und allmählich festigt sich ihre Freundschaft von neuem. Hat er sich emanzipiert von Schönberg? Künstlerisch scheint er sich jedenfalls unabhängiger zu fühlen, denn gegen den ausdrücklichen Rat seines Vorbilds hat er angefangen, eine Oper zu schreiben – den Wozzeck – und er ist fest entschlossen, das Projekt auch zu Ende zu bringen. Im Mai 1914 hatte er eine Aufführung von Georg Büchners Woyzeck in einem kleinen Wiener Theater erlebt, die ihn spontan begeisterte. „Es ist nicht nur das Schicksal dieses von aller Welt ausgenützten und gequälten Menschen, was mir so nahe geht, sondern auch der unerhörte Stimmungsgehalt der einzelnen Szenen,“ schrieb er damals an Webern und fasste „sofort (auch nach dem zweiten Anhören) den Entschluß“, den Wozzeck „in Musik zu setzen“. Ein paar Kompositionsskizzen kamen auch tatsächlich zustande, doch dann brach der Krieg aus, und die Arbeit blieb liegen. Im Sommer 1915 wird Berg eingezogen, obwohl er eigentlich wegen seines Asthmas und seines geringen Körpergewichts zunächst für „untauglich“ erklärt worden war, und er kommt in ein Ausbildungslager nahe der ungarischen Grenze. Der anstrengende Dienst übersteigt bald seine Kräfte, Atemnöte und Asthmaanfälle häufen sich, und schließlich bricht er völlig zusammen. Daraufhin wird er nach Wien versetzt, wo er Wachdienste leisten muss. Doch lange Märsche, mangelnder Schlaf und die „ewigen Schikanen, denen mein armer Corpus ununterbrochen ausgesetzt ist“ lösen derart bedrohliche Rückfälle aus, dass sein Bruder Charly alle Hebel in Bewegung setzt, um ihn in der Kanzlei des Kriegsministeriums unterzubringen. Dort bleibt Berg dann bis zum Ende des „Saukrieges“ – voller Abscheu über das, was um ihn herum passiert – und schreibt nach seiner Entlassung an einen

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Bekannten: „Ich glaube, Sie werden nicht so bald einen so enragierten Antimilitaristen finden als mich!“ Das Soldatenleben hat schmerzliche Spuren hinterlassen. Qualvolle Erinnerungen, die Berg nicht vergessen kann. „Infolge des jahrelangen Frondienstes auf das tiefste gedrückt, ja erniedrigt bis zur Selbstverachtung entstand in mir […] ganz langsam eine Ahnung des wirklichen Lebens“. Stärker noch als je zuvor verspürt er den Wunsch, das Schicksal des geknechteten Soldaten Wozzeck zu vertonen – „steckt doch auch ein Stück von mir in seiner Figur […], seit ich ebenso abhängig von verhassten Menschen, gebunden, kränklich, unfrei, resigniert, ja gedemütigt, diese Kriegsjahre verbringe,“ wie er Helene im August 1918 anvertraute. Schon 1917, während seiner Urlaubswochen im Kriegsministerium, nahm er die Arbeit an der Komposition wieder auf – trotz der Einwände von Schönberg, der ihm dringend riet, die Finger von dem schwierigen Stoff zu lassen. Später wird Schönberg zugeben, dass er sich geirrt habe. 1949, in seinem Nachruf auf Berg, wird er schreiben, er sei damals sehr überrascht gewesen, „als dieser sanftmütige, schüchterne junge Mann den Mut hatte, sich auf ein Unternehmen einzulassen, das zum Scheitern verurteilt schien: ‚W o z z e c k‘ zu komponieren, ein Drama von so außerordentlicher Tragik, das Musik auszuschließen schien. Und mehr noch: es enthielt Szenen des täglichen Lebens, die unvereinbar waren mit dem Begriff der Oper, die immer noch von stilisierten Kostümen und typischen Charakteren lebte.“ Berg widersetzt sich diesem Urteil und komponiert seinen Wozzeck. Das Werk wird jedoch lange Zeit nicht fertig, denn er wird immer wieder von anderen Arbeiten aufgehalten. Das Familienvermögen ist durch den Krieg und die Inflation geschrumpft, die Häuser sind nach und nach verkauft worden, und deshalb muss er „mehr denn je ans Verdienen denken.“ Er gibt Privatunterricht, arbeitet in Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen, der interessierten Musikfreunden die Möglichkeit bietet, sich eine genaue Kenntnis moderner Musik zu verschaffen, und betätigt sich darüber hinaus noch als streitbarer und erfolgreicher Musikschrifsteller. Vor allem sein brillant geschriebener Artikel Die musikalische Impotenz der neuen ‚Ästhetik‘ Hans Pfitzners, in dem er gegen die Feinde zeitgenössischer Musik zu Felde zieht, erregt große Aufmerksamkeit, und eine Zeit lang trägt sich Berg ernsthaft mit dem Gedanken sich ganz der „Musikschriftstellerei“ hinzugeben. Doch dann besinnt er sich und beschließt, seine Zeit nicht länger zu „verplempern“, sondern endlich als Komponist an die Öffentlichkeit zu treten. Im Spätsommer 1920 lässt er zwei seiner früheren Werke auf eigene Kosten drucken und ist damit so erfolgreich, dass sie tatsächlich auch aufgeführt werden. Die Erfahrung macht ihm Mut, und erneut nimmt er die schwierige Arbeit am Wozzeck wieder auf. Im April 1922 ist die Partitur schließlich fertig gestellt. Als Schönberg sie zum ersten Mal gründlich studiert, ist er hellauf begeistert und setzt sich sofort mit seinem Verleger Hertzka in Verbindung. „Das ist eine Oper!! Eine echte Theatermusik! […] Schließen Sie schleunigst einen Vertrag mit Berg,“ schreibt er ihm, doch Hertzka winkt ab. Das Risiko ist ihm zu hoch – obwohl Berg ihm versichert hat, einige deutsche Theater hätten „größte Lust […] meine Oper zur Uraufführung

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zu bringen“. Berg ist enttäuscht. Um das Werk einer Bühne anzubieten, muss es im Druck vorliegen – doch wie soll das gehen? Da springt Alma in die Bresche. Alma, die Freundin, die Frau mit den guten Beziehungen. Sie ermutigt Alban, den Wozzeck im Selbstverlag herauszubringen und lässt ihren ganzen Charme spielen, um Kreditgeber und Sponsoren für die Oper zu gewinnen. Offenbar kann ihr niemand widerstehen, denn es dauert nicht lange, und sie hat die nötige Summe aufgebracht. Später wird sie voller Stolz erzählen: „Da die Universal-Edition den ‚Wozzeck‘ nicht auf eigene Kosten drucken wollte, hat eine Freundin von Bergs Schwester das Geld zur Publikation vorgestreckt. Allerdings nur kurzfristig; und sie hat es obendrein vor der Zeit zurückverlangt. Nun begab ich mich wieder auf eine Bettelreise und hatte in Kürze das Geld beisammen. So konnte endlich die Drucklegung gefördert werden.“ Glücklich und dankbar über ihre Hilfe belohnt Berg seine rührige Freundin mit der Widmung seiner Oper, und im Januar 1923 liegt der 230-seitige Klavierauszug dann auch endlich im Druck vor. Um die Darlehen zurückzuzahlen, bemüht sich Berg, das Opus für 150 000 österreichische Kronen in eigener Regie zu verkaufen, doch das Ergebnis ist ernüchternd. „Kein Verleger dachte daran, dieses Monstrum zu verlegen,“ erinnert sich Willi Reich, „nach dem Klavierauszug war nur in den Kreisen der mit ihm beschenkten guten Freunde lebhafte Nachfrage.“ Trotzdem entwickelt sich das Jahr 1923 dann doch noch ganz unvermutet zu einem „Erfolgsjahr“, wie Bergs Neffe Erich Alban berichtet, denn „ Anton von Webern führte im Rahmen der ‚Österreich-Woche‘ eines Berliner Musikfestes die beiden ersten der ‚Drei Orchesterstücke‘ Bergs, ‚Präludium‘ und ‚Reigen‘, op. 6, erstmalig mit großem Erfolg auf, und beim Internationalen Musikfest in Salzburg brachte das Havemann-Quartett Bergs ‚Streichquartett‘ op. 3 mit sensationellem Erfolg zum Erklingen.“ Mit diesem Überraschungserfolg ist der Name des achtunddreißigjährigen Komponisten Alban Berg über Nacht plötzlich auch in internationalen Kreisen bekannt, und Anton Webern prophezeit ihm: „Ich habe das bestimmte Gefühl, daß es jetzt mit den Aufführungen Deiner Werke rasch sehr in die Höhe gehen wird, daß Du einer guten Zeit entgegengehst!“ Webern behält Recht, denn schon ein Jahr später erlebt Berg seinen nächsten großen Triumph. Auf Anraten des Dirigenten Hermann Scherchen arrangiert er den Zyklus Drei Bruchstücke aus Wozzeck für den Konzertsaal, dessen Uraufführung Scherchen im Sommer 1924 beim Allgemeinen Deutschen Musikfest in Frankfurt dirigiert, und wiederum gibt es „einen großen Sieg […] bei Publikum, Musikern und Presse“. Berg ist erfreut, aber auch irritiert. Das Ganze scheint ihm ziemlich suspekt zu sein. „Nach dem stürmischen Beifall des Publikums irrte Berg allein durch die Straßen Frankfurts“, erzählt sein Neffe. „Er hatte, wie bei der Uraufführung der Oper im folgenden Jahr, Zweifel an der Ehrlichkeit seiner Komposition, da sie dem breiten Publikum gefallen hatte.“ Das breite Publikum und der Wozzeck – auch hier sind die Reaktionen ganz anders, als Berg sie erwartet hat. Die Uraufführung der Oper findet am 14. Dezember 1925 unter der Leitung von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper statt, und sie wird von einem Teil der Zuhörer mit Begeisterung aufgenommen. Alma, die Wid-

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mungsträgerin, lässt es sich natürlich nicht nehmen, bei der Premiere dabei zu sein. „Franz Werfel und ich fuhren zu den letzten Proben nach Berlin. Als wir im Hotel ankamen, lag auf dem Tisch eine schöne Mappe mit dem ersten ParticellManuskript des ‚Wozzeck‘, in dessen Ecken ‚Alban – Alma‘ eingraviert war. Wir lebten und webten mit diesen Proben und verwuchsen immer mehr mit dem schönen Werk. Der Eindruck der Oper bei der Premiere war stark, aber die Menschen, die einen großen Erfolg erlebt hatten, verstanden nicht viel davon.“ Alma verschweigt allerdings, dass es auch Proteste hagelte – und zwar gewaltige. „Am Premierenabend gab es Faustkämpfe, Wortgefechte zwischen dem Parkett und den Logen, spöttisches Gelächter, Zischen und schrille Pfiffe,“ erinnert sich Hans Walter Heinsheimer, der damalige Leiter der Opern-Abteilung der UniversalEdition, „eine Zeitlang schien es, als würden die Gegner des Werkes die wenigen, aber schließlich siegreich bleibenden Anhänger des Komponisten überwältigen. […] Die heftigen Meinungsverschiedenheiten dauerten noch die nächsten Tage und Wochen in den Zeitungen an. Hohes Lob, demütige Anerkennung der Größe des Werkes und der Bedeutung seines Schöpfers auf einer Seite, haßerfüllte, fast hysterische Verdammung auf der anderen.“ Die aggressivsten Anfeindungen kommen von rechts. Paul Zschorlich, einer der bösartigsten Schreiberlinge der konservativen Presse – der Mann, der genau neun Jahre später auch die Lulu-Suite verteufeln wird – tobt: „Als ich gestern abend die Staatsoper Unter den Linden verließ, hatte ich das Gefühl, nicht aus einem öffentlichen Kunstinstitut zu kommen, sondern aus einem öffentlichen Irrenhaus. Auf der Bühne, im Orchester, im Parkett: lauter Verrückte… ‚Wozzeck‘ von Alban Berg war die Kampfparole, das Werk eines Chinesen aus Wien. Denn mit europäischer Musik […] haben diese Massen-Anfälle und -Krämpfe von Instrumenten nichts mehr zu tun. […] In Bergs Musik gibt es nicht die Spur einer Melodie. Es gibt nur Brocken, Fetzen, Schluchzer und Rülpser. Harmonisch ist das Werk indiskutabel, da alles falsch klingt. […] Ich halte Alban Berg für einen musikalischen Hochstapler und für einen gemeingefährlichen Tonsetzer. Ja, man muß sich ernstlich die Frage vorlegen, ob und wieweit die Beschäftigung mit der Musik kriminell sein kann. Es handelt sich, im Bereich der Musik, um ein Kapitalverbrechen.“ Dennoch. Der Wozzeck wird ein Welterfolg – auch wenn der eigentliche Durchbruch noch ein paar Jahre auf sich warten lässt – und Kenner der modernen Musik wie der Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt werden Recht behalten mit ihrer hellsichtigen Einschätzung des Werks nach seiner Uraufführung: „Kaum je wurde einer Oper ein Buch unterlegt, dessen literarischer Wert so völlig den musikalischen Deutungsmöglichkeiten entsprach wie das geniale Fragment Georg Büchners… Daß es Berg gelang, zu diesem Buch eine Musik zu schreiben, die seine Weise nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern noch unerhört steigert, die Latentes aufdeckt und geheimste Psychologien enthüllt, ohne sich des Wichtigsten: dramatischer Konzeption und musikalischer Einheit zu begeben, beweist eine Genialität, die ihn unmittelbar neben die bedeutendsten Musikdramatiker der Gegenwart stellt… Der Abend bildete nicht nur die größte Sensation dieser Saison, sondern auch ein Ereignis von Bedeutung für die Geschichte der Musikdramatik überhaupt.“

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Die Wozzeck-Premiere leitet in Bergs künstlerischem Leben die entscheidende Wende ein. Sein Seelenleben jedoch wird durch ein anderes schicksalhaftes Ereignis bestimmt, das ihm sieben Monate zuvor widerfahren ist, und das er selbst als den eigentlichen Wendepunkt seines Lebens betrachtet. Er hat sich in Hanna FuchsRobettin, die Schwester von Franz Werfel, verliebt, und diese Liebe wird unerfüllt und unglücklich bleiben bis zu seinem Tod. Am 20. Mai 1925 hat er Hanna in Prag kennen gelernt, anlässlich der Aufführung seiner Bruchstücke aus Wozzeck. Hanna lebt dort mit ihrem Mann Herbert, einem wohlhabenden Industriellen, und ihren beiden Kindern Munzo und Dodo, und Alban war mehrere Tage Gast in ihrem Haus. Diese kurze Zeit reichte aus, um bei ihm – und auch bei ihr – leidenschaftliche Gefühle auszulösen. Ist seine Ehe mit Helene nicht mehr intakt? Hat er aufgehört, sie zu lieben? Seit Jahren schon scheint es Probleme zu geben. Im Winter 1923 hat Helene einen Psychoanalytiker aufgesucht und ihm offenbar etwas über sexuelle Schwierigkeiten und unerfüllte Wünsche erzählt. Alban war darüber sehr empört: „Geh zu keiner Sitzung mehr!“ befahl er ihr damals. „Sag dem Doktor, daß ich es Dir verboten habe. […] Zu einer unglücklichen Ehe gehören doch zwei! Für mich ist es eine glückliche, die glücklichste, die ich je gesehen habe.“ Nun ist er selbst in eine tiefe Gefühlskrise geraten, und es fällt ihm schwer, sich zu verstellen. Alma, die zukünftige Schwägerin von Hanna, merkt sofort, was mit ihm los ist und spricht es auch ganz offen aus: „Du schaust so schlecht aus wie noch nie: mir scheint, ihr zwei […] habt Euch ineinander verliebt,“ sagt sie zu ihm, und er scheint es auch nicht abzustreiten, denn von nun an wird sie seine Verbündete. Sie hält seine Leidenschaft vor Helene geheim, wechselt mit ihm verschlüsselte Botschaften und überbringt seine Liebesbriefe nach Prag. Auch Franz Werfel und einige Schüler von Berg betätigen sich als geheime Gesandte, und Berg ist unendlich dankbar über diese Freundschaftsdienste. Vor allem tut es ihm gut, wenn er sich mit Alma über sein „heiligstes Geheimnis“ austauschen kann. „Heut’ noch komme ich in die Tschechoslowakei,“ schreibt er ihr von einer seiner Reisen, „dort bist jetzt Du, mein liebstes Almscherl, und ich kann nicht anders, als Dir wieder einmal über das zu schreiben, was – für mein ganzes weiteres Leben entscheidend – dort seinen Anfang gefunden hat.“ Hat Alban Berg seinen ‚Grund-Charakterzug‘ der Treue verloren? Er selbst sieht es nicht so. „Wir selbst unternehmen ja nichts! Im Gegenteil: Wir bleiben uns ja, nach wie vor, unserer Pflichten, die uns durch jahrelange Bande auferlegt sind, bewußt!“ schreibt er an Hanna. „Und wenn es uns nicht leicht fallen sollte, ist der Entschluß dazu eine größere Guttat, ein edlerer Heroismus, als die schrankenlose Hingabe unserer Leidenschaft je eine Schlechtigkeit sein könnte.“ Alban will Helene nicht verlassen. Er hängt an ihr, und er kann ohne sie nicht leben. Als Helene misstrauisch und eifersüchtig wird, beschwört er sie, an seine Treue zu glauben: „Wie könnte ich bei einer solch konservativen Veranlagung da nicht und erst recht nicht anders als Dir, mein Golderl, treu zu sein und ewig zu bleiben.!! Glaub mir’s, so wie ich’s von Dir glaube.“

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Die seelische Situation ist komplex und verworren, und viele Fragen sind bis heute ungeklärt. Warum wollte Helene nach Albans Tod nur 569 von seinen rund 1500 Briefen veröffentlichen, die er ihr während der Ehe schrieb? Weshalb fuhr sie so häufig zur Kur? Berg berichtete Hanna von einer Krankheit Helenes, „die nun schon monatelang, ja fast Jahre zwischen uns liegt“, doch welche Krankheit war das? Fürchtete er, dass Helenes Psyche gefährdet war – wie bei ihrem Bruder Franz, der an Schizophrenie litt? War er aus diesem Grund „trotz allem bereit […] zu entsagen“? Verbarg er deshalb die Wahrheit – aus „Schonung und nicht aus Betrug – aus Liebe und nicht aus Untreue“? Zehn Jahre lang, bis zu seinem Tod, wird Alban Berg seine Liebe zu Hanna Fuchs-Robettin nicht mehr aus dem Herzen verlieren. Im Oktober 1926 vollendet er die Lyrische Suite für Streichquartett, deren Komposition ihm die „Freiheiten“ lässt, „in dieser Musik immer wieder unsere Buchstaben H, F und A, B hineinzugeheimnissen“, wie er Hanna mitteilt, und er nennt diese Suite „ein kleines Denkmal […] einer großen Liebe“. Doch die autobiographischen Spuren, die in dem zwölftönigen Werk verborgen sind, muss er vor der Außenwelt verheimlichen – so wie er auch sonst seine Gefühle nach außen hin verheimlichen muss. Er hält die Fassade eines glücklichen Ehelebens aufrecht und flieht in eine innere Welt, von der nur seine Geliebte erfährt. Dabei wird er anscheinend von Jahr zu Jahr unglücklicher. „[…] ich fühle immer deutlicher – besonders in der letzten Zeit –, wie es abwärts geht mit mir. In jeder Hinsicht! Oder zumindest in allen jenen Hinsichten, die für unsereins das Leben noch erträglich scheinen lassen könnten,“ schreibt er Hanna im Dezember 1928. Drei Jahre später wird er noch deutlicher. In einem weiteren Brief an Hanna bezeichnet er sich als einen „gespaltenen Menschen“, dessen „äußerliche Schicht“ nur einen Teil seiner Person ausmache, „der sich im Lauf der letzten Jahre von meinem eigentlichen Sein losgetrennt (ach! Wie schmerzlich losgetrennt) hat“. Von „Trostlosigkeit“, „endlosen Qualen“ und „tiefster Einsamkeit“ ist die Rede, „von der Angst, Dich zu verlieren“, aber auch von „hoffen, hoffen und wieder hoffen…“ Ein letztes Mal schreibt er Hanna am 14. Dezember 1934 und schildert ihr seine Gefühle seit ihrer letzten Begegnung im Sommer 1933, bei der „die Welt, die jeden von uns umgab“, sie unerbittlich getrennt habe. Seit dieser Begegnung sei eine Einsamkeit bei ihm ausgebrochen „die nicht nur durch die menschliche Abgeschiedenheit des folgenden ganzen Jahres bedingt war, sondern durch eine immer enger und dichter werdende Verkapselung meines tiefsten Innern, das sich schließlich – anders ist es nicht zu erklären: – Luft machte, indem es sich auf physisch qualvolle Weise bemerkbar machte. (Der Arzt nannte es eine Störung des HerzNervs.)“ Bergs äußeres Leben verläuft in anderen, scheinbar glücklicheren Bahnen. Allerdings muss er lange auf sein Glück warten, und es dauert auch nur einige, wenige Jahre an. Nach der Berliner Uraufführung des Wozzeck wird die Oper 1926 im Tschechischen Nationaltheater in Prag aufgeführt. Nach zwei erfolgreichen Veranstaltungen kommt es bei der dritten Aufführung infolge nationalistischer Hetze zu wüsten antisemitischen Ausschreitungen, in deren Verlauf der Prager Bürgermeister vor Aufregung einen tödlichen Schlaganfall erleidet, woraufhin das Werk sofort

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verboten wird. Ein Jahr später folgt noch einmal eine glanzvolle Aufführung in Leningrad, doch dann wird es plötzlich still um das Werk. Die deutschen Intendanten schrecken vor den „unüberwindlichen Schwierigkeiten“ zurück, die man dem Wozzeck nachsagt, und die Zeitungen stempeln das Stück als „erledigt“ ab. Berg hat sich inzwischen entschlossen, ein neues Werk für die Bühne zu schreiben und beginnt damit, die Lulu-Tragödie nach dem zweiteiligen Drama von Frank Wedekind zu vertonen. Sein Verlag ist bereit, ihm für dieses Projekt monatlich kleine Vorschusszahlungen zu leisten, dennoch ist seine Finanzlage alles andere als rosig. Helene wird später ihrer Freundin Alma berichten: „Ich habe tatsächlich (die guten Jahre ausgenommen) ‚groschenweise‘ gespart, um ihm dadurch so manche kl. Freude wie: einen Kinositz (80 gr.!), einen Kaffeehausbesuch, zum Zeitung lesen, ermöglichen zu können. Ferner viele kleine Ausgaben für Haus u. Wohnung (z.B. Farbe zum Anstreichen, Gartenwerkzeuge etc) u. schließlich hat man hie u. da auch einmal das Bedürfnis, sich ein Buch zu kaufen oder ein paar hübsche Blumen. […] dieses armselige Rechnen u. Knickern, es fiel mir schwer genug u. nur der Gedanke, ihm dadurch später wieder eine kl. Freude machen zu können, brachte mich dazu.“ Die „guten Jahre“, von denen Helene erzählt – sie beginnen erst 1929, und sie werden eröffnet durch einen überwältigenden Wozzeck-Erfolg mitten in der Provinz. Im kleinen Landestheater Oldenburg wagt der Dirigent Johannes Schüler das Experiment, Bergs berühmt-berüchtigte Oper in einer reduzierten Fassung auf die Bühne zu bringen, und die Zuhörer sind auf Anhieb begeistert. Damit ist nicht nur der Beweis erbracht, dass das Stück auch auf kleineren Bühnen spielbar ist, sondern es ist auch gelungen, zu zeigen, dass sich selbst ein konservatives Publikum davon mitreißen lässt. „Die Aufnahme war so, daß ich mich schäme, darüber zu berichten“, schreibt Berg voller Glück nach der Premiere an einen Bekannten, und einem seiner Schüler teilt er mit: „Das Märchen von der Unaufführbarkeit des Wozzeck wurde hier in einer Weise widerlegt, wie Sie es nicht ahnen können. Die Aufführung war direkt ein Wunder.“ Das Wunder wiederholt sich nun wieder und wieder. Der Wozzeck ist plötzlich gefragt, und fast alle Intendanten deutscher Opernhäuser reißen sich darum, das Stück herauszubringen. Als sich auch die Intendanz der Wiener Staatsoper zu einer Aufführung entschließt, verfasst Berg ein Dankschreiben und sagt, er könne kaum Worte finden, „was es für mich bedeutet, der seit einem Vierteljahrhundert in Wien als freischaffender Musiker wirkt, zum erstenmal in seinem 45-jährigen Leben von den ‚Philharmonikern‘ gespielt zu werden.“ Auch im europäischen Ausland wird die Oper nun triumphal gefeiert – und nicht nur dort. Am 19. März 1931 reisen Scharen von Musikern, Kritikern und Zuschauern aus New York und Washington in vier Sonderzügen – sogenannten Wozzecktrains – nach Philadelphia, um die amerikanische Erstaufführung unter Leitung von Leopold Stokowski zu sehen. Sie erleben ein grandioses Ereignis. „Einen solchen Erfolg haben wir hier in Amerika nicht in den letzten zwanzig Jahren erlebt,“ schreibt ein Kritiker später an Berg, „die Aufführung unter Stokowski war herrlich […] Sie hätten Ihre helle Freude daran gehabt.“

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Alban Berg gilt nun als einer der erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart. Er wird als Berühmtheit geehrt und in Ämter berufen, aber der Ruhm steigt ihm nicht zu Kopf. Er bleibt bescheiden und liebenswürdig und verliert nichts von jenem Zug seiner „reinen Menschlichkeit“, den viele in seiner Umgebung als wohltuend empfinden. „Selbst, als er auf der Leiter des Erfolges aufgestiegen war und überall in der Welt anerkannt und verehrt wurde, war er niemals arrogant, nahm niemals die Attitude des Gefeierten an, wurde auch nicht etwa zurückhaltend und verschlossen“, erinnert sich Hans Walter Heinsheimer. „Immer blieb er er selbst: freundlich, angenehm und überaus menschlich.“ Elias Canetti skizziert Bergs Persönlichkeit ganz ähnlich: „Er war, im Gegensatz zu vielen Musikern, nicht taub für Worte. Er nahm sie auf beinahe wie Musik, er begriff von Menschen soviel wie von Instrumenten. […] Ich spürte auch […] seine Liebe für Menschen, die so stark war, dass er sich ihrer nur durch einen Hang zu Satire erwehren konnte.“ Bald stellen sich die wirtschaftlichen Früchte der Erfolge ein, die Tantiemen beginnen, reichlich zu fließen. „Alban hat keine Schulden mehr,“ jubelt Helene am 2. August 1930 in einem Brief an Alma. „Laut Abrechnung hat er in diesem Halbjahr 12.000 Sch. verdient. Wenn man nun das vorige Halbjahr mit 7.500 Sch. dazurechnet, so hat Alban doch in diesem Jahr fast 20.000 Sch. verdient, dazu kommen noch ‚Stunden‘ und der Autorenverband.“ Zum ersten Mal nach langen Jahren können sich die Bergs ein bisschen Luxus leisten. Da Alban ein Autonarr ist, erfüllt er sich einen alten Traum und kauft sich einen Ford, dessen Foto er stolz wie ein Kind an alle Freunde verschickt. „Es ist ein wunderbar laufendes, vornehmes Auterl, das überall Aufsehen erregt,“ erfährt Alma von Helene. „Alban strahlt und täglich um 5 h. wird losgefahren.“ Stolz berichtet Helene, welche Aufführungstermine für die Spielzeit 1930/31 bereits abgeschlossen sind: „7. und 8. Oktober ist Wozzeck in Amsterdam, 11. in Köln. Wir haben bereits für die nächste Saison 15 neue und 4 alte Städte für Wozzeck. Die WozzeckBruchstücke sind 16., 17. und 18. in New York. Hoffentlich – hoffentlich geht es so weiter!“ Es geht nicht so weiter. Zwei Jahre später ist von Helenes Euphorie nichts mehr zu spüren, und die Briefe an ihre Freundin Alma klingen bedrückt: „So sehen wir […] ziemlich besorgt in die Zukunft, denn schon in der letzten Halbjahres Abrechnung macht sich der Nazieinfluss erschreckend geltend: sonst hatte A. im Halbjahr 8000 Sch. aus Europa verdient, heuer nur 3000!!! – Unsern Wagen werden wir wohl vom Herbst an vorläufig zurückstellen müssen.“ Ihre Zukunftssorgen sind mehr als berechtigt. Ende Januar 1933 kommen die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht, und binnen weniger Monate ist die Karriere des Komponisten Alban Berg endgültig beendet. Seine Musik gilt als kulturbolschewistisch und entartet, die Theater ziehen ihre Kontrakte zurück, und er selbst steht plötzlich vor dem finanziellen Ruin. Seine ganze Hoffnung konzentriert sich nun auf die Lulu. Erich Kleiber hat ihm versprochen hat, die Oper irgendwo im Ausland zur Uraufführung zu bringen – darauf baut er, und deshalb zieht er sich einen ganzen Winter lang in sein „Waldhaus“ zurück, um das Werk so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen. Doch im April 1935 muss er Kleiber eingeste-

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hen: „[…] wenn es allein auf mein künstlerisches Gewissen u. menschliches Fühlen ankäme, würde ich Dir freudestrahlend telegraphiert haben: URAUFFÜHRUNG BITTE LULU PRAG ZWEITE SAISONHÄLFTE 1935/6 – Aber so einfach ist es leider nicht …Fertigstellung der Partitur noch ca. 400 Partiturseiten.“ Da passiert etwas Unvorhergesehenes. Im Februar 1935, kurz nach seinem fünfzigstem Geburtstag, lernt Berg den jungen amerikanischer Geiger Louis Krasner kennen, der ihn fragt, ob er ein Violinkonzert für ihn komponieren wolle. Krasner bietet ihm 1500 Dollar für das Werk und das Recht, es mehrere Jahre exklusiv aufführen zu dürfen. Berg ist verblüfft, doch er lehnt das Angebot ab. Heinsheimer, der das Treffen auf Krasner’s Wunsch hin arrangiert hat, erinnert sich: „Berg erklärte seinem Besucher, die Violine sei nicht seine Stärke – oder brauchte irgendeine andere höfliche Wiener Wendung, um die Bitte abzuschlagen. […] Aber der unscheinbare, leise Herr aus Boston […] besaß nicht nur eine vortreffliche musikalische Reputation – Berg hatte sich genau über ihn erkundigt – sondern auch eine hartnäckige Entschlossenheit; vielleicht spielte auch die Auftragssumme eine gewisse Rolle: 1500 Dollar sind heutzutage kein imponierender Betrag für ein ausgewachsenes Violinkonzert, aber 1935 war es in österreichischen Schillingen eine hübsche Summe.“ Jahrzehnte später schildert Louis Krasner die Situation etwas genauer: „Seine Reaktion war nicht unfreundlich, aber er schien überrascht von der Idee. Die anschließende Unterhaltung war sehr lebendig: ,Sie sind ein junger Geiger am Anfang einer vielversprechenden Konzertkarriere‘, sagte er. ‚Was Sie für ihre Programme brauchen, sind brillante Kompositionen à la Wieniawski und Vieuxtemps – Sie wissen, das ist nicht die Art, wie ich komponiere!‘ […] ‚Meister – Beethoven und Mozart schrieben auch Violinkonzerte.‘ ‚Ah ja,‘ sagte er sanft und lächelte.“ Der Satz habe Berg gefallen, erzählt Krasner: „Und dann habe ich mit ihm debattiert und ihm gesagt: ‚Überall, wo ich hinkomme und mit musikinteressierten Leuten über Musik spreche und darüber, was in Wien vorgeht mit der Neuen Musik, winken diese ab und sagen, das sei alles ‚gemachte Musik‘, ‚Kopfmusik‘ und sie enthalte keinen musikalischen Ausdruck.‘ […] Und ich habe weiter gesagt: ‚Schauen Sie, Herr Berg, wenn Sie ein Konzert schreiben für Violine – Sie wissen, was das für ein Instrument ist –, ich bin sicher. Sie werden das Richtige für dieses Instrument machen. Dazu noch Ihr Stil. Das kann wirklich ein Durchbruch für die atonale Musik und gegen die negative Einstellung werden.‘ Ich habe gleichzeitig damit gemeint: ‚Schreiben Sie ein melodisches Stück.‘ Und ich habe an seiner Miene gesehen, daß ihm das gefallen hat. So hat er dann endlich gesagt, daß er ein Konzert schreiben würde, aber daß es viele Jahre dauern würde, bis er es beendet hätte.“ Berg täuscht sich. Diesmal wird er sehr viel weniger Zeit benötigen. Am 12. März 1935 unterbricht er die Instrumentation am 3. Akt der Lulu und beginnt mit den ersten Skizzen des Violinkonzerts. Die Arbeit fällt ihm schwer. Wochenlang sucht er nach einer überzeugenden Form für das Werk, nach einem zündenden Einfall – doch die entscheidende Idee bleibt aus. Seine Phantasie scheint ins Stocken geraten zu sein. Ende März klagt er seiner Schwester Smaragda: „…nach zweijähriger ununterbrochen bis zur Erschöpfung von Nerven und Hirn

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erfolgter Arbeitsleistung an ‚Lulu‘ nun diese Viechsarbeit an einem ganzen Violinkonzert, das im Herbst vollendet sein muß! – – – “ Drei Wochen später, am 22. April 1935 stirbt Manon Gropius, Almas Tochter. Berg ist bestürzt. Stumm vor Trauer und Schmerz. Und auf einmal ist sie da, die Inspiration, der schöpferische Gedanke. Das Violinkonzert soll ein Portrait über Manon werden! Eine Musik über ihr Leben und über ihr Sterben. Am 24. April wird Manon zu Grabe getragen. Kurz darauf übersiedelt Berg in sein „Waldhaus“ und fängt an, „in einem vorher noch nie gekannten fieberhaften Tempo“ zu komponieren. Anfang Juni hat er jedoch plötzlich Schwierigkeiten. Am 7. Juni schreibt er hastig an Webern: „…Vielleicht nur das Eine, daß ich in den ersten drei Wochen wie ein Wilder gearbeitet habe … Jetzt stockt’s momentan: eine schwere Klippe ist zu umschiffen…“ Die ersten drei Sätze des Konzerts sind bereits fertig skizziert, doch für den letzten Satz, das Adagio, braucht Berg noch eine Choralmelodie, die er in die Musik integrieren will. Willi Reich erzählt: „Nachdem er mir am 7. Juni vom raschen Fortschreiten seiner Arbeit berichtet hatte, schrieb er mir am nächsten Tag: ‚Schicken Sie mir bitte (leihweise) die ‚Matthäus Passion‘ (Partitur oder Klavierauszug) und, falls Sie es besitzen, eine Choralsammlung (ich brauche für meine Arbeit eine Choralmelodie: Diskretion!).‘ – Als ich ihn eine Woche später im Waldhaus besuchte, zeigte er mir in der ihm von mir zugesandten Sammlung ‚Sechzig Choralgesänge von Johann Sebastian Bach‘ […] den Choral ‚Es ist genug!…‘ und sagte dazu: ‚Ist das nicht merkwürdig: die ersten vier Töne des Chorals entsprechen genau den letzten vier Tönen der Zwölftonreihe, mit der ich das ganze Konzert baue?“ „Für Berg muß das die Einsicht gewesen sein, dass etwas Übermenschliches vorgeht“, sagt Louis Krasner später dazu in einem Zeitungsinterview. „Schauen Sie, Berg war doch wie Schönberg und Webern abergläubisch. Das war in seiner tiefsten Seele enthalten.“ Tatsächlich entscheidet sich Berg nun für diesen Choral, dessen Anfangstöne mit den letzten Tönen seiner Zwölftonreihe übereinstimmen. Er verwendet nicht nur die Melodie sondern den ganzen Tonsatz von Bach und formt daraus das Hauptthema seines Schlussteils – das „Symbol der Ergebung in Gott“ nach der vorhergegangenen „Katastrophe“. Von morgens bis abends komponiert er nun weiter, ohne sich eine Atempause zu gönnen – manchmal bis an den Rand der Erschöpfung. Am 7. Juni beklagt er sich in einem Brief an Webern, dass er „die ganze Zeit über nicht ganz wohl gewesen sei (asthmatisch, nervöses Herz und todmüde)“. Wenige Wochen später, am 15. Juli, berichtete er ihm: „[…] dann war ich nach einem fast dreizehnstündigen Arbeitstag so todmüd, dass ich unfähig war, noch Musik aufzunehmen und schlafen ging. Ich hatte nämlich an diesem Tag die K o m p o s i t i o n des Violinkonzerts soviel wie beendigt und saß von sieben Uhr früh bis neun Uhr abends fast ununterbrochen am Klavier oder Schreibtisch. In den nächsten sechs, sieben Wochen hoffe ich die Partitur fertigzustellen, um dann […] die Lulu-Partitur wieder in Angriff nehmen zu können.“ Am nächsten Tag teilt er auch Louis Krasner mit, dass er die Komposition beendet habe. „Ich bin darüber noch mehr erstaunt als Sie es vielleicht sein werden.

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Ich war allerdings so fleißig wie noch nie in meinem Leben und dazu kam, daß mir die Arbeit immer mehr Freude machte. Ich hoffe, ja ich glaube zuversichtlich, daß mir dieses Werk gelungen ist.“ „Wie ein Rasender“ macht er sich nun an die Instrumentationsarbeit, um die Partitur bis Mitte August abzuschließen, und das Unglaubliche gelingt. Am 12. August 1935 ist sein Violinkonzert vollendet. Berg ist erleichtert und von „der unerwartet raschen Fertigstellung seiner Arbeit hochbeglückt,“ wie Willi Reich später erzählt. Berg habe das Werk mit ihm zusammen am Klavier vierhändig durchgespielt und ihm dann plötzlich einen überraschenden Vorschlag gemacht: „Er besprach damals mit mir […] den Plan, eine von mir verfaßte Analyse des Violinkonzerts am 31. August, dem Geburtstag von Frau Mahler, in einer Wiener Tageszeitung zu veröffentlichen.“ Das Vorhaben gelingt. Pünktlich zu Almas 56tem Geburtstag, am 31. August 1935, erscheint im Neuen Wiener Journal ein Artikel von Willi Reich mit der Überschrift „Dem Andenken eines Engels…“. Es ist die geplante „Geburtstagshuldigung“ für Alma, eine Analyse des Violinkonzerts, die Reich nach detaillierten mündlichen Erläuterungen Bergs verfasst hat: „Soweit überhaupt eine Umschreibung in Worten möglich ist, läßt sich der ‚Ton‘ – ein Lieblingsausdruck Bergs – des Gesamtverlaufs etwa folgendermaßen wiedergeben: Aus dem auf- und niederschwebenden Präludieren der Introduktion dämmern zarte Andante Melodien auf, die sich zu einem Grazioso-Mittelteil verdichten und dann wieder in das Wogen des Anfangs sich lösen. Über dem gleichen Untergrund erhebt sich der Beginn des Allegretto-Scherzos, das die Vision des lieblichen Mädchens als anmutiger Reigen festhält, der bald zart-verträumten Charakter, bald den urwüchsigen einer Kärntner Volksweise annimmt. – Ein wilder Aufschrei des Orchesters leitet den zweiten Hauptteil ein, der als freie, stürmisch bewegte Kadenz einsetzt. Unaufhaltsam rast das dämonische Treiben, nur von einem kurzen, verhaltenen Ruhepunkt unterbrochen, der Katastrophe zu. Stöhnen und grelle Hilferufe werden im Orchester laut, erstickt von dem im beklemmenden Rhythmus andringenden Verderben. Schließlich – über einem langen Orgelpunkt – allmählicher Niederbruch. – Im Augenblick höchster Bangigkeit setzt ernst und feierlich in der Sologeige der Choral ein. Orgelmäßig registriert beantworten die Holzbläser jede Strophe mit den Originalharmonien des klassischen Modells. Es folgen kunstvolle Variationen, denen aber immer die ursprüngliche Choralmelodie als cantus firmus zugrunde liegt, die misterioso aus dem Basse aufsteigt, während die Sologeige dazu einen langsam emporringenden ‚Klagegesang‘ intoniert. Immer lauter wird die Totenklage; der Solist macht sich mit sichtbarer Gebärde zum Führer des ganzen Violinen- und Bratschenkörpers, der in mächtiger Steigerung nach und nach in seine Melodie einstimmt und sich dann wieder allmählich von ihr loslöst. – Eine wie aus der Ferne( aber viel langsamer als das erste Mal) hereintönende, unbeschreiblich wehmütige Reprise der Kärntner Volksweise erinnert noch einmal an das holde Mädchenbild, dann beschließt der Choral, herb harmonisiert und von immer erneuten Ansätzen des Klagegesangs in der Sologeige hoch überwölbt, den tieftraurigen Abschied.“

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Alma ist zu Tränen gerührt. In ihrer Post findet sie auch noch einen Geburtstagsbrief von Helene, den Alban mit unterzeichnet hat: „Wie gerne hätten wir Dir eine kleine Freude gemacht! Aber womit kann man Dir heute Freude machen und womit gar wir! Vielleicht gelang es Alban doch, mit dem, was er seit Wochen für diesen Tag vorbereitet hat und was Dich – indirekt bestimmt erreichen wird und was wenigstens ein äußeres Zeichen seines monatelangen Denkens (und Fühlens) an Mutzi und Dich vorstellt.“ Am nächsten Tag schreibt Berg an Reich: „Noch bevor ich den Artikel gelesen hatte, erhielt ich ein Telegramm, das folgenden Wortlaut hatte: ‚Einziggeliebte Menschen! Ihr habt mir mit dieser ungeheuren Liebestat das einzige Geburtstagsgeschenk gemacht, das mir noch Freude machen konnte. Meine Sehnsucht nach Euch ist unerträglich groß. Alban küsse ich die gesegnete Hand, Helene den lieben Mund. Ewig und immer Eure Alma.‘ – Ich hab’ mich natürlich sehr, sehr gefreut. Da haben wir wiederum einmal das Richtige getroffen! Dank auch Ihnen, lieber Freund!“ Als Alma ihr Telegramm aufgibt, ahnt sie noch nicht, wie tiefgründig Albans musikalisches Geschenk ist, und wie viel es aussagt über ihre Tochter Manon. Nach Bergs eigenen Worten hat er im ersten Teil des Violinkonzerts „Wesenszüge des jungen Mädchens in musikalische Charaktere zu übersetzen“ versucht, das heißt, er hat die vielfältigen Facetten von Manons Persönlichkeit durch vielfältige musikalische Symbole wiedergegeben. Ihre ernsten und versonnenen, lebhaften und fröhlichen Seiten spiegeln sich wider im Wechsel der musikalischen „Stimmungen“: im zart-lyrischen Anfang etwa oder in den spielerisch-heiteren und beschwingten Tänzen, aber auch in jenem Kärntner Volkslied des zweiten Satzes, einer Melodie, die „verträumt“ klingen soll, „come una pastorale“ – wie eine Hirtenweise. Dachte er bei dieser Volksweise nur an die verträumte Manon oder hat er noch andere „menschlich-seelische Beziehungen hineingeheimnißt“, wie er es bei anderen Kompositionen tat und auch zugab? Das Kärntner Lied heißt „A Vögale af’n Zweschpm-Bam“ (Zwetschgenbaum) und hat einen eindeutig erotischen Inhalt. Es erzählt von einem Mädchen namens „Mizzi“. „Mizzi“ ist die Koseform für den Namen Marie – und in Alban Bergs jungen Jahren gab es eine Affäre mit einem Mädchen, das Marie hieß. Marie Scheuchl kam aus Oberösterreich und arbeitete als Küchenmädchen auf dem Berghof, dem Sommersitz der Familie Berg in Kärnten. Sie verliebte sich damals in den siebzehnjährigen Schüler Alban, der viel jünger war als sie, wurde schwanger und bekam am 4. Dezember 1902 ein Kind von ihm. Sie nannte das kleine Mädchen Albine – nach dem Vater. Alban war voller Schuldgefühle. Er legte ein „ekstatisches Bekenntnis“ zu seiner Vaterschaft ab, wie sein Neffe später berichtete, und Marie zog die kleine Albine bei Verwandten in Oberösterreich auf. Sie erhielt eine finanzielle Abfindung für sich und ihr Kind, wie das in höheren Kreisen damals so üblich war. Alban vergaß Marie und Albine nie und hielt zeitlebens Kontakt zu seiner Tochter, ohne dass Helene etwas davon erfuhr. Wollte er Marie mit dem Kärntner Volklied ein verschwiegenes Andenken schaffen in seinem Violinkonzert – wie vielleicht auch im Wozzeck, wo der Titelheld ebenfalls ein uneheliches Kind hat von einer Marie?

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Im Violinkonzert scheinen sich weitere Anspielungen zu verbergen. Auf die Klangwelt von Gustav Mahlers etwa, die Alma so wohlvertraut war, und die sie sofort wieder erkennen konnte. „Ganz deutlich ist der Zusammenhang mit der Welt Mahlers in den Tanzcharakteren des Stücks“, schreibt Willi Reich, und auch andere Berg-Forscher weisen auf die auffälligen Gemeinsamkeiten hin, die zwischen Bergs Violinkonzert und Mahlers Musik bestehen – vor allem zum ersten Satz der neunten Sinfonie von Mahler, dessen Ambivalenz zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits schon den jungen Berg faszinierte. „Der Gegensatz zwischen dem Irdischen und dem Transzendenten war ein Thema, über das Berg sich viele Gedanken machte“, sagt der Musikwissenschaftler Constantin Floros und zitiert Briefstellen, in denen Berg von der „lieben Erde“ spricht und von seiner Sehnsucht nach dem „Jenseits“. Die Parallelen zwischen dem „verschwiegenen Programm“ des zweiteiligen Violinkonzerts und dem Kopfsatz von Mahlers neunter Sinfonie seien auffallend, meint Floros: „Ist das Allegretto als Ausdruck der ‚Liebe zu dieser Erde‘ zu verstehen, so thematisiert der zweite Konzertteil – aus einem Allegro und einem Adagio bestehend – Tod und Transzendenz.“ Wer sucht, kann weitere verschlüsselte Botschaften finden. Im Adagio-Schluss zum Beispiel, dessen Totenklage und tieftrauriger Abschied musikalisch auf dem BachChoral „Es ist genug“ basiert. Der Choral aus der Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort ist ein Sterbelied, das 22 Takte lang erklingt – und diese Zahl ist kein Zufall, denn Manon starb am 22. April 1935. Berg hat den Text, der angesichts des Todes gläubige Zuversicht ausspricht, in die Partitur geschrieben, wie einen persönlichen Kommentar. „Es ist genug! / Herr, wenn es Dir gefällt, / so spanne mich doch aus! / Mein Jesus kommt: / nun gute Nacht, o Welt! / Ich fahr’ ins Himmelhaus. / Ich fahre sicher hin mit Frieden. / Mein großer Jammer bleibt darnieden. / Es ist genug. / Es ist genug.“ Außer der Zahl 22 hat Berg noch andere Zahlenchiffren in die musikalische Struktur des Violinkonzerts verwebt. Zahlen und ihre geheimnisvollen Zusammenhänge waren in seinem ganzen Leben und Schaffen von großer Bedeutung. So bezeichnete er die Zahl 23 als seine „Schicksalszahl“. Seit seinem ersten schweren Asthmaanfall am 23. Juli 1900 war er fest davon überzeugt, dass diese Zahl sein Leben diktierte. Sie erschien ihm „unentrinnbar“ – „wie die sie begleitenden Ereignisse“, und diese schicksalhafte 23 spielt auch im zweiten Teil seines Violinkonzerts eine wesentliche Rolle – jenem Teil, der Tod und Transzendenz thematisiert. Dazu noch einmal Constantin Floros: „Der Teil zählt genau 230 Takte; die Metronombezeichnung des Allegros lautet: Viertel = 69 (3 mal 23); die Marcia (der Marsch zum Tode) setzt in Takt 23 ein; auch ist der zweiundzwanzigtaktige Abschnitt, in dem der Bachsche Choral zuerst intoniert wird (T. 135-157), durch Antizipation des Choralinitiums in der Bratsche (T. 135 mit Auftakt) zur Dreiundzwanzigtaktigkeit erweitert. Übrigens geistert die 23 auch durch die Skizzen.“ Warum verquickt Berg seine Schicksalszahl mit dem Thema Tod? Zwang ihn der Tod der jungen Manon, sich in jenem Frühjahr 1935 auch mit seinem eigenen Lebensende auseinanderzusetzen – ohne zu ahnen, dass er selbst bald sterben würde?

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In den letzten Minuten seines Lebens kamen ihm die Schlussworte des Chorals noch einmal über die Lippen. „Kurz vor seinem Tode, als er mit dem Atem rang bei einem Herzanfall, rief er nun mit den Armen stossend aus: ‚Es ist genug, es ist genug!‘“ berichtete Charly Berg. „Dann, als sich dieser Anfall gelegt hatte, sagte er: ‚So, jetzt gehen wir alle schlafen, Du Helene, die Schwester und ich, alle gehen jetzt schlafen.‘ Dann vergingen nur einige Minuten, und er war im Jenseits.“

VIII „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott“ Gebet aus dem Inferno

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Woran dachte er, als er Corinnes Brief las? An seinen Bruder Heinrich, den sie mit einer Giftspritze ermordeten? An seine Nichte Inge, die mit ihrem Mann von SALeuten erschossen wurde? An all die anderen Nazi-Opfer unter seinen Verwandten, Freunden und Bekannten? Oder kam ihm der Bericht jenes polnischen Juden in den Sinn, der aus der Hölle des Warschauer Ghettos fliehen konnte? Los Angeles, Anfang April 1947. Arnold Schönberg hält den Brief einer Frau namens Corinne Chochem in Händen, der ihn sehr bewegt. Sie bittet ihn, eine Komposition zu schreiben zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Corinne Cochem ist Tänzerin russischer Abstammung. Sie hat in den dreißiger Jahren in New York jüdische Tanzveranstaltungen organisiert und ist Co-Autorin eines Buches über Musik und Tänze palästinensischer Juden, das seit 1941 auf dem Markt ist. Nun will sie ein Schallplattenalbum herausgeben mit Werken jüdischer Komponisten, und sie möchte auch Schönberg dafür gewinnen. „Beiliegend schicke ich Ihnen die Melodie und den Text eines Partisanenlieds, das im Ghetto von Vilna gesungen wurde,“ schreibt sie. „Es ist mir gelungen, viele Verse in englischer, hebräischer und jiddischer Sprache ausfindig zu machen. Ich schicke Ihnen hier nur den englischen Text – falls Sie Interesse haben, werde ich Ihnen auch noch die hebräische Übersetzung zusenden.“ Schönberg hat Interesse, großes sogar. Er selbst ist Jude. Einer von denen, die dem Holocaust entkommen konnten. Einer, der überlebt hat. Doch er kann sich nicht leisten, ohne angemessenes Honorar zu komponieren. Seine finanzielle Situation ist zu dieser Zeit sehr kritisch. 40 Dollar und 38 Cents Pension bekommt er von der University of California ausgezahlt. Ursprünglich waren es sogar nur 28 Dollar und 50 Cents. Eine beschämend dürftige Summe, wenn man bedenkt, welch einen Ruf er in der internationalen Musikwelt hat. Die Bezüge von Professoren im Ruhestand berechnen sich in Amerika jedoch nicht nach der Leistung einer Person, sondern nach der Anzahl der Dienstjahre auf Grund eines äußerst niedrigen Prozentsatzes. Da Schönberg erst seit 1935 an der Universität gelehrt hat, steht ihm nicht mehr zu. Dabei hat er eine fünfköpfige Familie zu ernähren, mit drei unmündigen Kindern, und er selbst ist schon über zweiundsiebzig Jahre alt. Ohne Privatschüler, hie und da ein paar Kompositionsaufträge und die Hilfe von Freunden wüsste er nicht, wie er sich über Wasser halten könnte. In seiner Not hat er bereits einige Partituren an die Washingtoner Bibliothek verkauft, und mehrfach sah er sich schon gezwungen, als Bittsteller bei der amerikanischen Urheberrechtsgesellschaft aufzutreten, um Geld aus ihrem Hilfsfond zu bekommen.

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Nein, Schönberg kann und will keine Auftragskompositionen annehmen, die ihm nichts einbringen. Deshalb schreibt er Corinne Cochem am 20. April zurück: „Ich glaube, es ist das Beste, wenn ich Ihnen sofort sage, welche Gage ich haben will für eine Komposition von 6-9 Minuten für kleines Orchester und Chor und vielleicht auch noch mit einem oder mehreren Soli, komponiert nach der Melodie, die Sie mir gegeben haben. […] Meine Gage sollte 1000 Dollar (eintausend) betragen, ich verkaufe Ihnen dafür die Rechte für Produktion und Verkauf von Schallplatten.“ Obwohl noch gar nicht geklärt ist, ob dieser Kompositionsauftrag überhaupt zustande kommt, hat seine Phantasie bereits Feuer gefangen. Seine Vorstellungen über den Umfang und die Besetzung des zukünftigen Werks sind schon ziemlich präzise. Ganz zu schweigen vom Inhalt. „Ich habe vor, die Szene, die Sie mir beschrieben haben, zu vertonen, wo die todgeweihten Juden zu singen begannen, bevor sie zum Sterben gingen,“ lässt er Corinne wissen. Sie antwortet postwendend und gesteht, dass sie ihm keine 1000 Dollar zahlen kann. Dennoch lässt sie nicht locker und versucht, seine Honorarforderung auf die Hälfte zu reduzieren. „[…] ich wünschte, ich hätte die Position eines vermögenden Mäzens. Allerdings ist meine Wertschätzung und mein Bewußtsein dessen, was ein solches Werk für das kulturelle Leben der Juden und für die Musikwelt im allgemeinen bedeuten würde, größer als meine finanziellen Möglichkeiten. ... Sie können sich nicht vorstellen, wie gerne ich eine Zusammenarbeit mit Ihnen hätte…Wäre es in Ordnung, wenn ich Ihnen $200 jetzt und nach Vollendung die restlichen $300 sende? Würden Sie vielleicht auch gerne nur eine Seite der Platte machen wollen?“ Schönberg findet es nicht in Ordnung. Schon zwei Tage später erteilt er Corinne eine Absage und erklärt, er müsse in der knapp bemessenen Zeit, die ihm zum Komponieren bliebe, sein Oratorium Die Jakobsleiter und seine Oper Moses und Aron fertigstellen. „Ich arbeite hart, um jene Werke zu vollenden, die ich, bevor ich aufgehört hatte […] zu unterrichten, nicht habe beenden können. Wenn ich diese Arbeit unterbrechen soll, kann ich das nur tun, um Geld zu verdienen, denn mein Lebensmittelhändler und der Staat (indem er Steuern fordert) verlangen das.“ Corinnes indirekter Appell an seine Großzügigkeit scheint ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen zu haben, denn sein Kommentar dazu fällt ziemlich schroff aus: „Ich habe mein ganzes Leben hindurch so viel für idealistische Zwecke getan (und so wenig ist für mich an Freundlichkeiten zurückgekommen!), dass ich meine Pflicht getan habe.“ Dennoch zeigt er Entgegenkommen und erklärt sich bereit, auch mit Abschlagszahlungen zufrieden zu sein: „Wenn Sie (oder die Schallplattenfirma) mir im voraus $500 (fünfhundert) zahlen, bin ich einverstanden, den Rest von 500 Dollar in fünf aufeinanderfolgenden Raten von $100 pro Monat entgegenzunehmen.“ Schließlich betont er erneut sein großes Interesse an dem Projekt und schreibt, „dass er so bald wie möglich die ganze Story haben will und die Übersetzung des Textes.“ Dazu kommt es allerdings nicht mehr. Corinne Chochem kann die tausend Dollar nicht auftreiben. Ihr Briefwechsel bricht ab. Die Sache zerschlägt sich. Das Thema geht Schönberg jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Das Lied jener Juden im Ghetto, ihr Kampf ums Überleben, ihr Sterben – die Gedanken daran

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lassen ihn nicht los. Auch das Bedürfnis, eine Komposition darüber zu schreiben, ist nach wie vor da. Es hat sich tief bei ihm verankert. Einen Monat später. New York, 22. Mai 1947. An diesem Tag schickt Schönberg eine Schallplatte an das National Institute of Arts and Letters in New York, das ihm vor kurzem einen ehrenvollen Preis verliehen hat. Er ist mit 1000 Dollar dotiert und wird alljährlich an einen „besonders bedeutenden ausländischen Künstler, Komponisten oder Schriftsteller, der in Amerika lebt“ vergeben. Schönberg ist gerührt. Um seinem Dank besonderen Ausdruck zu verleihen, hat er sich eine Rede einfallen lassen, die er eigens auf Schallplatte pressen ließ, um sie nun nach New York zu versenden. Doch es ist eine sonderbare Rede. Die Sätze klingen abgerissen, manchmal unzusammenhängend – die Worte beschwören Bilder des Grauens herauf. „Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bin stolz auf die Worte, mit denen mir diese Ehrung zuerkannt wurde. Daß all das, was ich in diesen fünfzig Jahren zu erreichen strebte, jetzt als Errungenschaft bewertet wird, scheint mir in mancher Hinsicht eine Überschätzung. – Nicht bevor ich es zusammenfassen konnte – das heißt, als es noch wie ein Durcheinander unzusammenhängender Einzelheiten aussah –, wenigstens damals war ich nicht imstande, es als eine Bahn zu verstehen, die zu einem Ziel führt. Ich selbst hatte das Gefühl, als ob ich in ein Meer von siedendem Wasser gefallen wäre; und, da ich nicht schwimmen konnte oder anderswie herauszugelangen wußte, arbeitete ich, so gut ich es vermochte, mit Armen und Beinen. – Ich weiß nicht, was mich gerettet hat; wieso ich nicht ertrank oder bei lebendigem Leib gesotten wurde. – Ich habe vielleicht nur ein Verdienst: ich gab niemals auf. Aber wie konnte ich auch mitten im Meer aufgeben? – Ob mein Michhin-und-her-Winden ökonomisch war oder sinnlos, ob es mir überleben half oder erschwerte - - - niemand war da, der mir beistand, und wenige gab es, die mich nicht gern hätten unterliegen sehen – Ich sage nicht, daß es Neid war - - - was gab es da zu beneiden? Ich zweifle auch, daß es Fehlen an gutem Willen war – oder schlimmer – Vorhandensein von Übelwollen. – Es mag der Wunsch gewesen sein, diesen Alpdruck loszuwerden, diese disharmonische Tortur, diese unverständlichen Ideen, diesen methodischen Wahnsinn - - - und ich muß zugeben: es waren keine schlechten Menschen, die so gefühlt haben - - - allerdings habe ich nie verstanden, was ich ihnen getan hatte, sie so boshaft, so fluchend, so aggressiv zu machen; […] Ich sehe nur, daß ich immer der Schuldige war. - - - Aber ich habe eine Rechtfertigung: Ich war in ein Meer gefallen, in ein Meer von überhitztem Wasser, und es brannte nicht nur meine Haut, es brannte auch in mir. – Und ich konnte nicht schwimmen. Wenigstens konnte ich nicht mit der Strömung schwimmen. Alles, was ich konnte, war, gegen den Strom schwimmen - - - ob mich das nun gerettet hat oder nicht. – Ich sehe, daß ich immer der Schuldige war. Und wenn Sie das eine Errungenschaft nennen, so - - - verzeihen Sie mir - - - verstehe ich nicht, worin sie besteht. – Daß ich niemals aufgab? Ich konnte nicht - - - ich hätte es gern getan. – Ich bin stolz darauf, diese Ehrung zu empfangen in der Annahme, daß ich etwas erreicht habe. – Bitte, nennen Sie es nicht falsche Bescheidenheit, wenn ich sage: Vielleicht ist etwas erreicht worden, aber nicht ich bin es, der das Lob dafür ver-

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dient. – Die Anerkennung muß meinen Gegnern gezollt werden. Sie waren es, die mir wirklich halfen. – Danke!“ Es sind schockierende Worte, traumatische Erinnerungen. Ein Lebensrückblick voller Bitterkeit und Schmerz. Schönberg spricht von Bedrohung und Vernichtung, vom Pranger, an dem er zeitlebens stand – als Künstler und als Jude. Sind es zufällige Metaphern, die ihm da einfallen, oder spiegeln die schaurigen Bilder noch andere Schichten seiner Seele wider? Gibt es einen Zusammenhang zu dem Holocaust-Thema, das ihn seit Wochen beschäftigt, zu den jüdischen Opfern des Naziterrors, die keine Chance hatten zu überleben? Wie hat Schönberg überlebt? Rückblende. 30. Januar 1933. In Deutschland wird Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler ernannt. Das Schicksal von Millionen Juden ist damit besiegelt – doch das ahnt noch niemand. Der brutale Antisemitismus der Nationalsozialisten allerdings lässt Schlimmstes befürchten. Schon zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme, am 1. April 1933, stehen bewaffnete Trupps von SA-Männern vor jüdischen Geschäften und kleben Plakate an die Schaufenster. „Deutsche, kauft nicht beim Juden!“ heißt es da unmissverständlich, in großen Lettern geschrieben. Noch am selben Tag ruft auch der neue Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Mit hasserfüllter Stimme schreit er in die Mikrofone: „Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen! Heute morgen um 10 Uhr hat der Boykott begonnen. Er wird bis um die Mitternachtsstunde fortgesetzt. Er vollzieht sich mit einer schlagartigen Wucht, aber auch mit einer imponierenden Manneszucht und Disziplin. […] Unsere Partei und unser Führer Heil!“ Schönberg, der zu dieser Zeit in Berlin lebt, wo er 1925 zum Professor für Komposition an die Preußische Akademie der Künste berufen wurde, erfährt schon vier Wochen vor diesem Ereignis mit aller Deutlichkeit, worum es jetzt geht. Bei einem Senatstreffen am 1. März teilt der Präsident der Akademie Max von Schillings den versammelten Kollegen mit, der jüdische Einfluss müsse von nun an auch in dieser Akademie gebrochen werden. Schönberg ist so empört, dass er spontan erklärt, er wolle sich dort, wo seine Anwesenheit nicht erwünscht sei, nicht länger aufhalten und verlässt auf der Stelle die Sitzung. Drei Wochen später, am 20. März, schreibt er einen Brief an die Leitung der Akademie und zieht darin seine Konsequenzen: „Stolz, und das Bewußtsein meiner Leistung hätten mich längst zu freiwilligem Rücktritt bewogen. Denn: Wenn ich der Verlockung des schmeichelhaften Antrages an die Akademie folgte, so geschah dies, weil man mich bei meinem Ehrgeiz als Lehrer gepackt hatte und mir meine Verpflichtung, mein Wissen zu verbreiten, vorhielt; und weil ich wußte, was ich Schülern zu leisten imstande bin. Das aber habe ich geleistet und mehr: wer mein Schüler war, hat den Ernst und die Sittlichkeit einer Kunstauffassung zu spüren bekommen, die ihm in allen Lebensverhältnissen, wenn er sie zu bewahren vermag, Ehre bereiten wird! Ich glaube, darauf verzichten zu können, durch Aufzählung von Einzelheiten meine Leistung zu verkleinern. Jedenfalls: Als man mich berief, hatte man mich nicht aus dem Dunkel hervorgeholt; mir keine unverdiente Ehre erwiesen. Und: ich hatte Schüler, so viele, daß ich als Privatmann eine sehr anständiges Dasein führen konnte. Infolge dieser

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Berufung aber habe ich meine frühere Position aufgegeben und bin mit meinem gesamten Hausrat hierher übergesiedelt.“ Er verlangt, die ihm vertraglich zustehende Besoldung bis zum 30. September 1935 sowie alle anfallenden Umzugskosten auszuzahlen und fügt hinzu: „Einer, der wie ich, in politischer und moralischer Hinsicht unangreifbar dasteht, der durch den Verzicht auf seinen Wirkungskreis in seiner künstlerischen und menschlichen Ehre aufs tiefste gekränkt wird, sollte nun nicht noch dazu auch in seiner wirtschaftlichen Lebensmöglichkeit gefährdet, ja mit dem Untergang bedroht werden.“ Schönberg ist fest entschlossen, Deutschland den Rücken zu kehren, doch er will nichts überstürzen und lässt sich ein paar Wochen Zeit, um seine Zukunft in Ruhe zu planen. Da erreicht ihn plötzlich ein Telegramm, das ihn in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Am 16. Mai telegrafiert ihm sein Schwager Rudolf Kolisch einen Satz, der nichts anderes ist als eine verschlüsselte Botschaft: „Luftveränderung wegen Asthma dringend empfohlen“, heißt es da. Schönberg versteht sofort. Es bedeutet Lebensgefahr. Wie sich später herausstellt, hat der Dirigent Otto Klemperer das Telegramm veranlasst. Klemperer ist Jude, wie Schönberg. Er weiß um die Gefahr, die den Juden droht in Hitler-Deutschland. Er will Schönberg warnen. Fluchtartig verlässt Schönberg am nächsten Abend die Stadt. Um 21.36 Uhr steht er mit seiner jungen Frau Gertrud, dem einjährigen Töchterchen Nuria, Hund Witz und ein paar Gepäckstücken am Bahnhof Zoo und besteigt einen Zug nach Paris. Zu dieser überstürzten Abreise wird Gertrud Schönberg viele Jahre später in ihren biographischen Notizen anmerken: „Viele Menschen in Deutschland verloren ihr Leben, weil sie Luxus und Materielles nicht aufgeben konnten. Wir hatten damit kein Problem. Wir hatten kein Vermögen. Innerhalb von 3 Stunden beschlossen wir, Deutschland zu verlassen.“ Von einem Tag auf den anderen ist Schönberg heimatlos geworden. Im Alter von fast neunundfünfzig Jahren. In Paris findet er mit seiner Familie Unterkunft in einem kostspieligen Hotel, wo er die weitere Entwicklung abwarten will. Nach knapp einer Woche erhält er ein Einschreiben aus Berlin, unterzeichnet vom Präsidenten der Akademie der Künste Max von Schillings: „Sehr geehrter Herr Kollege! Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat mich durch Erlaß vom 17. Mai d. Js […] ermächtigt, Sie als Verwalter einer Meisterschule für musikalische Komposition mit sofortiger Wirkung von Ihrer dienstlichen Tätigkeit zu beurlauben. Weitere Bestimmungen behält sich der Minister vor.“ Sofort schreibt Schönberg einen Brief an seine Schwester Ottilie und bittet sie, seinen Haushalt in Berlin aufzulösen. „Liebe Ottilie, ich habe heute meine ,Beurlaubung‘ bekommen und werde also Berlin ganz verlassen. Ich werde dich dann in den nächsten Tagen bitten, meine Übersiedlung zu überwachen. […] Heute bitte ich dich um folgendes: Du erinnerst dich an die beiden grossen Koffer, die wir im Speisezimmer gepackt stehen lassen haben und in welchen ausser meinen Kompositionen und Schreibtischrequisiten noch Kleider, Wäsche und Schuhe eingepackt sind. Ich brauche die, insbesondere die Kleider und Schuhe, jetzt hier sehr dringend, da ihr mir nicht ein einziges Paar schwarzer Schuhe eingepackt habt, so dass ich am Abend nirgends hingehen kann.“

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Wird Ottilie den Umzug schaffen? Wie lange kann er noch mit seinem Gehalt rechnen? Werden die Ersparnisse reichen? Schönberg macht sich große Sorgen. Die Flucht aus Deutschland, der Brief des Präsidenten, die Angst um die Zukunft – all dies sind traumatische Erlebnisse für ihn, und ihre ganze Tragweite wird ihm wohl erst allmählich bewusst. Die nächsten Wochen sind bedrückend. Vergeblich bemüht sich Schönberg, in Frankreich Verleger für seine Werke zu finden, vergeblich verhandelt er mit einem Konzertunternehmer, um Konzerte in Spanien dirigieren zu können. Seine Anstrengungen bleiben alle erfolglos, und die seelischen Belastungen schlagen sich auf seine Gesundheit nieder, die ohnehin labil ist. Die Asthma-Anfälle, unter denen er schon seit Jahrzehnten leidet, quälen ihn nun immer häufiger und werden stärker. Im Sommer spitzt sich seine finanzielle Situation bedrohlich zu. „Wie lange wir noch in Paris bleiben, kann ich nicht sagen,“ schreibt er am 17. Juli seinem ehemaligen Schüler Josef Polnauer. „Es hängt augenblicklich davon ab, wann ich Geld bekomme, um wegzufahren. Denn augenblicklich sendet mir meine Bank, ohne mich aufzuklären, kein Geld […] Ich bin von der Akademie seit 23. V. ‚beurlaubt‘, habe bis jetzt meine Gage weitererhalten, wußte aber von Tag zu Tag nicht, wann das aufhören wird und jetzt, wie gesagt, schickt mir plötzlich meine Bank kein Geld.“ Schönberg weiß sich nicht anders zu helfen, als an seinen alten Wiener Verlag, die Universal Edition, ein Telegramm zu schicken: „Benötige wegen Banksperre dringend 1500 Mark Vorschuß oder Darlehen.“ Sechs Tage später wiederholt er seinen Hilferuf noch einmal: „Höchste Geldnot, schon 2 Hotelrechnungen schuldig.“ Dieses Mal bekommt er Antwort. Die Verlagsleitung sichert ihm noch am selben Tag eine Überweisung von 3000 Francs zu. Die Krise ist vorübergehend gebannt. Für kurze Zeit kann er aufatmen. In diesen verzweifelten Wochen entschließt sich Schönberg zu einem Schritt, der für ihn lebensnotwendig geworden ist. Am 14. Juli sucht er in Paris eine Synagoge auf und konvertiert dort zum jüdischen Glauben. Es ist die Rückkehr in eine Glaubensgemeinschaft, die er vor 35 Jahren verlassen hat, um Protestant zu werden. Die kleine Zeremonie, an der auch zwei Zeugen teilnehmen – einer von ihnen ist Marc Chagall – wird in einem amtlichen Schriftstück festgehalten. „Vor uns, LouisGermain Levy, Rabbiner der liberalen israelitischen Union, 24, rue Copernic, in Paris, erschien am 24. Juli 1933 Herr Arnold Schönberg, geboren in Wien am 13. September 1874, um uns seinen formellen Wunsch auszudrücken, in die Gemeinde Israel zurückzukehren. Nachdem Arnold Schönberg die Eintrittserklärung vorgelesen wurde, teilte er mit, daß sie der genaue Ausdruck seiner Gedanken und seines Willens sei. […] Unterzeichnet: Arnold Schönberg. Louis-Germain Levy, Rabbi. Zeugen: Dr. Marianoff. Marc Chagall. Elf Tage später teilt Schönberg seinem Freund Anton Webern mit, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat, und was er in Zukunft zu tun gedenkt: „Ich bin seit ‚14 Jahren‘ vorbereitet auf das, was jetzt gekommen ist. Ich habe mich in dieser langen Zeit gründlich darauf vorbereiten können und mich, wenn auch schwer und mit vielen Schwankungen, schließlich definitiv von dem gelöst, was mich an den Okzident gebunden hat. Ich bin seit langem entschlossen, Jude zu sein, und du wirst

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mich auch manchesmal von einem Stück sprechen haben hören, über welches ich noch nichts Näheres sagen konnte, in welchem ich aber die Wege für eine Aktivität des nationalen Judentums gezeigt habe. Nunmehr bin ich vor einer Woche auch officiell wieder in die jüdische Religionsgemeinschaft zurückgekehrt, obwohl mich davon nicht die Religion trennt (wie ja mein Moses und Aron zeigen wird), wohl aber meine Auffassung über die Notwendigkeit der Anpassung der Kirche an die Forderungen der modernen Lebensführung. Es ist meine Absicht, mich aktiv an solchen Bestrebungen zu beteiligen. Ich halte das für mich wichtiger, als meine Kunst und ich bin entschlossen – wenn ich für solche Tätigkeit geeignet bin, nichts anderes mehr zu machen als für die nationale Sache des Judentums zu arbeiten.“ Webern ist entsetzt. Er schickt den Brief an Alban Berg, der ebenfalls schockiert ist und ihn an Webern wieder zurückgibt mit der Bemerkung: „Er hat mich tief erschüttert. Selbst wenn ich seine Abkehr vom Okzident menschlich für möglich halte (Ich glaub`s ja nicht, oder zumindest seine Zuwendung zum Orient halte ich nicht für möglich), so besteht für mich die unerschütterliche Tatsache seines musikalischen Schaffens, für die es nur eine Bezeichnung gibt: deutsch.“ Ist Schönberg tatsächlich an einem Punkt angelangt, dass er sich als Komponist aufgeben will? Hat seine Rückkehr zum Judentum nur mit der Lebenskrise zu tun, in die ihn die Nazis gestürzt haben, oder gibt es dafür noch andere Erklärungen? Was hat die Aussage zu bedeuten, er sei „seit vierzehn Jahren vorbereitet auf das, was jetzt gekommen ist?“ Mattsee, ein kleiner Ferienort im Salzburger Land. Juni 1921. In diesem Sommer kann sich Schönberg endlich einmal wieder Urlaub gönnen und ist mit seiner Familie und einigen Schülern hierher gereist, um sich zu erholen. Die ersten Tage verlaufen sehr angenehm. Er genießt die Landschaft, das Schwimmen im See, den Kontakt mit den jungen Leuten und vor allem die Ruhe zum Arbeiten. Niemand aus der Gruppe ahnt, dass der Ort hier keineswegs so idyllisch ist, wie es scheint, dass die Einwohner schon seit langem berüchtigt sind wegen ihres radikalen Antisemitismus. Dann, an einem harmlosen Sommertag, bricht er plötzlich aus – der Hass auf die Juden. Im Lokalblatt erscheint ein aggressiver, antisemitischer Artikel, in der Mitte des Dorfs werden Plakate aufgehängt mit der Aufforderung, alle anwesenden Juden hätten die Gemeinde zu verlassen und Schönberg erhält eine anonyme Postkarte: „An den berühmten Komponisten A. Schönberg, zur Zeit leider in Mattsee. Hochberühmter Meister!? Wenn Sie sich für die Juden-Frage in Mattsee interessieren, lesen Sie den Artikel in der heutigen Chronik über dieselbe; wird Ihnen zur Beachtung jedenfalls empfohlen. Ein arischer Sommerfrischler.“ Er ist entrüstet. Als die Gemeindeverwaltung von ihm und den anderen Feriengästen verlangt, sich als Nichtjude auszuweisen, ist das Maß für ihn voll. Theoretisch hat er zwar nichts zu befürchten, weil er belegen kann, dass er seit 1898 evangelisch getauft ist, doch er fühlt sich gedemütigt und reist aus Protest sofort ab. Seine Freunde finden in Traunkirchen ein neues Sommerquartier. Von dort schreibt er wenig später an Berg: „Es war zum Schluß sehr häßlich in Mattsee. Die Leute dort haben mich scheinbar so verachtet, wie wenn sie meine Noten kannten. Ge-

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schehen ist uns sonst nichts. Aber angenehm ist das außerberuflich so wenig wie im Beruf – aber da muß man.“ Nach außen hin scheint alles wieder in Ordnung zu sein. Die Sommerwochen in Traunkirchen stehen unter einem glücklicheren Stern. Schönberg trifft auf eine Reihe von Musikliebhabern, mit denen er häufig musiziert, und er kann sich auch wieder auf seine Arbeit konzentrieren. Er komponiert zwei kleinere Klavierstücke, die er später in seine Suite op. 25 integrieren wird. Es sind Experimente, erste Resultate einer neuen Satztechnik, die ihn schon seit Jahren beschäftigt, und er ist stolz darauf, dass sie ihm gelingen. Josef Rufer, einer seiner Kompositionsschüler, wird später berichten: „Als ich ihn […] zum üblichen Abendspaziergang abholte und das Gespräch auf seine Arbeit kam, sagte er: ‚Mir ist heute etwas gelungen, womit ich die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre gesichert habe.‘ Schönberg hatte damals seine ‚Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen‘ endgültig formuliert und einer ersten kompositorischen Erprobung unterzogen.“ Der Vorfall in Mattsee scheint längst vergessen, da geschieht zwei Jahre später etwas, das seine Gefühle explosionsartig wieder zum Aufflammen bringt und zeigt, wie verletzt Schönberg immer noch ist. Mitte April 1923 schreibt ihm der Maler Wassily Kandinsky, mit dem er seit langen Jahren befreundet ist, einen Brief. Es ist ein vertrauliches Schreiben, freundlich im Ton und überraschend im Inhalt. Kandinsky, der am Bauhaus in Weimar eine Meisterklasse leitet, fragt Schönberg, ob er nicht Lust habe, nach Weimar zu kommen. Er plane, dort mit ihm und anderen Gleichgesinnten, eine Art künstlerisch-geistiges Zentrum zu gründen. „Wie oft sagte ich mir: ‚Wenn doch Schönberg da wäre!‘ Und denken Sie sich, jetzt könnte er vielleicht kommen, da sich hier ein Kreis mit gewissem Einfluß auf die notwendigen Stellen gebildet hat. Vielleicht hängt die Entscheidung nur von Ihnen ab. Im Vertrauen: die hiesige Musikschule soll einen neuen Leiter bekommen. Und da dachten wir gleich an Sie. Schreiben Sie doch möglichst gleich, ob Sie nur im Prinzip einverstanden wären. Wenn ja, dann werden wir uns gleich ins Zeug legen.“ Schönberg ist misstrauisch. Er hat Gerüchte gehört über das Bauhaus in Weimar, schlimme Gerüchte. Alma Mahler-Werfel hat ihm erzählt, Kandinsky habe judenfeindliche Bemerkungen gemacht, und auch von anderer Seite ist ihm berichtet worden, am Bauhaus gäbe es antisemitische Tendenzen. Die Episode in Mattsee hat ihn dünnhäutig gemacht. Deshalb erteilt er Kandinsky eine klare Absage, und seine Worte fallen mehr als brüsk aus: „Lieber Herr Kandinsky, wenn ich Ihren Brief vor einem Jahr bekommen hätte, würde ich alle meine Grundsätze fallen haben lassen, hätte auf die Aussicht, endlich komponieren zu dürfen, verzichtet und hätte mich, den Kopf voran, in das Abenteuer gestürzt. Ja, ich gestehe: noch heute habe ich einen Augenblick geschwankt: so groß ist meine Lust zu unterrichten, so leicht entzündlich bin ich noch heute. Aber es kann nicht sein. Denn was ich im letzten Jahre zu lernen gezwungen wurde, habe ich nun endlich kapiert und werde es nicht wieder vergessen. Daß ich nämlich kein Deutscher, kein Europäer, ja vielleicht kaum ein Mensch bin […] sondern daß ich Jude bin.

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Ich bin damit zufrieden!!! […] ich habe gar nichts dagegen, daß man mich mit allen andern in einen Topf wirft. Denn ich habe gesehen, daß auf der Gegenseite […] auch alles in einem Topf ist. Ich habe gesehen, daß einer, mit dem ich gleiches Niveau zu haben glaubte, die Gemeinschaft des Topfes aufgesucht hat; ich habe gehört, daß auch ein Kandinsky in den Handlungen der Juden nur Schlechtes und in ihren schlechten Handlungen nur das Jüdische sieht, und da gebe ich die Hoffnung auf Verständigung auf. Es war ein Traum. Wir sind zweierlei Menschen. Definitiv! Deshalb werden Sie begreifen, daß ich nur noch dasjenige tue, was zur Erhaltung des Lebens nötig ist. […] In meine herzlichen und hochachtungsvollen Grüße mögen sich der Kandinsky der Vergangenheit und der jetzige mit Gerechtigkeitsgefühl teilen.“ Kandinsky ist gekränkt. Er sei erschüttert über den Brief, antwortet er: „Nie hätte ich früher annehmen können, daß wir – gerade wir – uns so schreiben können. Ich weiß nicht, wer und warum jemand Interesse hatte, unsere, wie ich sicher dachte, feste, rein menschliche Beziehung zu erschüttern und vielleicht definitiv zu vernichten.“ Er bemüht sich, seine Gefühle für Schönberg in Worte zu fassen: „Ich liebe Sie als Künstler und Menschen, oder vielleicht als Menschen und Künstler. In solchen Fällen denke ich am wenigsten an Nationalität – sie ist mir höchst gleichgültig. Unter meinen durch viele Jahre geprüften Freunden (das Wort ‚Freund‘ hat eine große Bedeutung für mich, das ich selten anwende) sind mehr Juden als Russen oder Deutsche. Solche Beziehungen gehen bis ‚in’s Grab‘.“ Dann versucht er, sich zu rechtfertigen: „Sie haben ein furchtbares Bild vom ‚jetzigen‘ Kandinsky: ich lehne Sie als Jude ab, aber trotzdem schreibe ich Ihnen einen guten Brief und versichere Sie, daß ich Sie hier gerne haben möchte, um zusammen zu arbeiten! Lieber Herr Schönberg, bevor Sie ‚definitiv!‘ sagen, überlegen Sie sich doch, ob es möglich ist, einem solchen ‚jetzigen‘ achtungsvolle Grüße zu senden. Da fehlt doch sicher das ‚ver-‘. Wir, so wenige, die einigermaßen innerlich frei sein können, sollten nicht erlauben, daß zwischen uns böse Keile hineingetrieben werden. […] Ich weiß nicht, ob ich Ihnen meine Gefühle genügend klar darstellen konnte. Es ist kein großes Glück, Jude, Russe, Deutscher, Europäer zu sein. Besser ist Mensch. Aber wir sollen doch zum ‚Übermensch‘ streben. Das ist die Pflicht der wenigen. Wenn Sie mich auch spalten, sende ich Ihnen herzlichste Grüße und den Ausdruck meiner Hochachtung.“ Die Antwort scheint Schönberg noch mehr zu erregen, denn er schickt Kandinsky daraufhin einen wesentlich längeren Brief nach Weimar und seine Worte klingen noch leidenschaftlicher und scharfzüngiger als zuvor: „Lieber Kandinsky, so schreibe ich Ihnen, weil Sie schreiben, daß mein Brief Sie erschüttert hat. Das habe ich von Kandinsky erhofft, obwohl ich nicht den hundertsten Teil dessen gesagt habe, was die Phantasie eines Kandinsky ihm vor Augen führen muß, wenn er mein Kandinsky sein soll! […] Hat ein Kandinsky nicht zu ahnen, was wirklich passiert ist, daß ich meinen ersten Arbeitssommer nach 5 Jahren unterbrechen mußte, den Ort verlassen, an dem ich Ruhe zur Arbeit gesucht hatte, und die Ruhe dazu nicht mehr zu finden imstande sein konnte? Weil die Deutschen keine Juden dulden! Darf ein

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Kandinsky mit andern verwandter Meinung sein als mit mir? Darf er aber mit MENSCHEN, die mich aus meiner Arbeitsruhe zu stören imstande sind, auch nur einen Gedanken gemein haben? Ist es ein Gedanke, den man mit solchen gemein haben kann? Und: kann der richtig sein? Ich meine: nicht einmal die Geometrie darf Kandinsky mit ihnen gemein haben! Das ist nicht sein Stand, oder er gehört nicht zu mir! Ich frage: warum sagt man, daß die Juden so sind, wie ihre Schieber sind? Sagt man auch, daß die Arier so sind wie ihre schlechtesten Elemente? Warum mißt man einen Arier nach Goethe, Schopenhauer und dergl.? Warum sagt man nicht, die Juden sind so wie Mahler, Altenberg, Schönberg und viele andere? […] Jeder Jude offenbart durch seine krumme Nase nicht nur seine eigene Schuld, sondern auch die aller eben abwesenden anderen Krummnasigen. Wenn aber hundert arische Verbrecher beisammen sind, so wird man von ihren Nasen nur die Vorliebe für Alkohol ablesen können, sie aber im übrigen für Ehrenmänner halten. Und da tun Sie mit und ‚lehnen mich als Juden ab‘. Wie kann ein Kandinsky es gutheißen, daß ich beleidigt werde; […] Sie werden es einen bedauerlichen Einzelfall nennen, wenn auch ich durch die Folgen der antisemitischen Bewegung getroffen bin. Aber warum sieht man in dem schlechten Juden nicht auch einen bedauerlichen Einzelfall, sondern das typische? […] Die Juden machen Geschäfte als Kaufleute. Wenn sie aber der Konkurrenz unbequem werden, werden sie angegriffen; aber nicht als Kaufleute sondern als Juden. Als was sollen sie sich dann verteidigen?“ Klingen hier eigene Erfahrungen an? Erfahrungen, die vielleicht weiter zurückreichen als das Erlebnis in Mattsee? Was hat Schönberg erlebt in seiner Jugend – als Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmanns? Am 13. September 1874 wurde er als Kind des Schuhmachers Samuel Schönberg und seiner Ehefrau Pauline in Wien geboren. Es war eine Zeit, in der sich Wien allmählich zu einer Hochburg des Antisemitismus entwickelte, und jüdische Geschäftsleute wie die Schönbergs, die ihren Lebensunterhalt mit einem bescheidenen Schusterladen mitten im Judenviertel des 2. Wiener Bezirks verdienten, rangierten in der Werteskala dieser Wiener Gesellschaft auf den untersten Rängen. Das Paar hatte vier Kinder. Ein erster Sohn starb kurz nach der Geburt, danach kam Arnold auf die Welt, zwei Jahre später Ottilie und weitere sechs Jahre später Heinrich Samuel. Pauline Schönberg, eine geborene Nachod, die aus einer jüdischen Prager Familie stammte, war eine konservative und fromme Frau – „sehr aufopfernd, uneigennützig, selbstlos, bescheiden“. Vater Samuel Schönberg war in Preßburg geboren, kam mit vierzehn Jahren nach Wien und lernte hier seine spätere Frau kennen, mit der er dann das Schuhgeschäft betrieb. Im Gegensatz zu seiner Frau war er ein Freigeist, ein Mann mit Idealen, der sich nicht leicht unterordnete. Als Samuel 1890 an den Folgen einer Grippe starb, war Arnold erst fünfzehn Jahre alt, und Onkel Fritz, der weitgereiste Bruder der Mutter, wurde eine Art Vaterersatz für ihn. Er war ebenfalls ein kritischer Kopf und imponierte seinem halbwüchsigen Neffen durch seine Literatur- und Sprachkenntnisse. Arnold musste nach dem Tod des Vaters die Realschule ohne Abschluss verlassen, weil er gezwungen war, Geld zu verdienen. Seine Mutter verschaffte ihm eine Stelle als Lehrling in einer Bank, doch bei der erstbesten Gelegenheit schmiss er den Posten hin und erklärte der Familie, er wolle

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nie mehr im Büro arbeiten, sondern Musiker werden. „Die Aufregung war groß“, berichtete Arnolds Cousin Hans Nachod. „Ich erinnere mich, daß ein Familienrat einberufen wurde, um zu verhindern, daß aus Arnold statt eines guten Bürgers ein Bohémien werde.“ Arnold setzte sich jedoch durch und wurde Musiker, obwohl das in seiner Familie ungewöhnlich war, denn mehr als eine gewisse Freude an der Musik hatte es bei den Schönbergs nicht gegeben. „[…] keinesfalls kann ich sagen, daß das irgendwie über das hinausreichte, was jeder nicht gerade musikfeindliche Österreicher an Musikalität besitzt,“ erzählte Schönberg später. „Im Gegensatz zu vielen Familien, die Wunderkinder hervorbrachten, fand sich in der meinigen kein Musik-Enthusiast, der sich für mich verwendet hätte.“ Mit acht Jahren lernte er Geige spielen, und etwa um die gleiche Zeit machte er die ersten Kompositionsversuche – weiter aber wurde er nicht gefördert. Er musste sich alles selbst beibringen. „Erst als ich drei junge Leute, genau meines Alters, kennenlernte und sie zu Freunden gewonnen hatte, konnte meine musikalische und literarische Erziehung beginnen. Der erste war Oskar Adler, dessen musikalische und wissenschaftliche Fähigkeiten einander die Waage hielten. Durch ihn erfuhr ich zum erstenmal, daß es so etwas wie eine musikalische Theorie überhaupt gibt. Er leitete nach ihren Gesetzen meine ersten Versuche, erweckte mein Interesse an Poesie und Philosophie, und besonders muß ich sagen, daß in dieser Zeit all mein Wissen von Musik vom gemeinsamen Musizieren kam, indem wir Duette und später Trios und Quartette spielten. […] Der andere meiner damaligen Freunde war David Bach: Ein Philolog, Philosoph, Literaturkenner, Mathematiker und ein ganz guter Musiker. Er hatte großen Einfluß auf die Entwicklung meines Charakters, um diesem die ethische und moralische Kraft zu verleihen, die einen Widerstand gegen Gewöhnlichkeit und Allerweltsvolkstümlichkeit begründen konnte. Der dritte meiner Freunde, Alexander von Zemlinsky, ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke.“ Viel wird Schönberg später über seine Kindheit und seine Eltern nicht erzählen. „Die Ehe scheint ganz normal gut verlaufen zu sein, höchstens getrübt durch materielle Sorgen,“ schrieb er. Von Ressentiments gegen das jüdische Elternhaus berichtete er nichts. Kaum zu glauben, dass er sie nicht erlebt, oder zumindest beobachtet hat. Kaum zu glauben, dass sie verschont blieben – er, seine Eltern, seine Geschwister, Onkel Fritz, und all die anderen Verwandten der weitverzweigten Familien Schönberg und Nachod. Die Antisemiten in Wien ließen niemanden ungeschoren. Ihre Vorurteile waren gesellschaftsfähig. Ihre versteckten oder offenen Diskriminierungen gehörten zur Normalität. Lässt sich Schönbergs Kandinsky-Brief vom 4. Mai 1923 also auch als eine Art Abrechnung für lange zurückliegende Kränkungen verstehen? Tatsächlich scheint es so. Schlag auf Schlag geht er mit dem Freund ins Gericht. Punkt für Punkt handelt er sie alle ab – die wahnhaften Klischees von den Juden, die seit Jahrhunderten festsitzenden Feindbilder. Und seine höhnische und bittere Anklage schlägt plötzlich um in düstere Prophezeiungen: „Wie kann ein Kandinsky […] an einer Politik teilnehmen, die [die] Möglichkeit schaffen will, mich aus meinem natürlichen Wirkungskreis auszuschließen; wie kann er es unterlassen, eine Weltanschauung zu

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bekämpfen, deren Ziel Bartholomäusnächte sind, in deren Finsternis man das Taferl, daß ich ausgenommen bin, nicht wird lesen können! [...] Wozu aber soll der Antisemitismus führen, wenn nicht zu Gewalttaten? Ist es so schwer, sich das vorzustellen? Ihnen genügt es vielleicht, die Juden zu entrechten. Dann werden Einstein, Mahler, ich und viele andere allerdings abgeschafft sein.“ Welch eine Vorhersage – zehn Jahre vor Beginn des Dritten Reiches! Dabei kann Schönberg das Buch noch gar nicht kennen, jenes unsägliche Machwerk mit dem Titel Mein Kampf, das erst ein Jahr später geschrieben wird, und in dem Ungeheuerlichkeiten zu lesen sein werden wie jenes Fazit über den verlorenen Weltkrieg: „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen. Im Gegenteil: Zwölftausend Schurken zur rechten Zeit beseitigt, hätte vielleicht einer Million ordentlicher, für die Zukunft wertvoller Deutschen das Leben gerettet.“ Diese grauenhaften Phantasien sind noch nicht zu Papier gebracht, als Schönberg vor zukünftigen Bartholomäusnächten warnt. Doch der Autor in spe ist Schönberg schon bekannt. Der Judenhasser Adolf Hitler hat schon eine derartige Popularität erreicht, dass Schönberg ganz selbstverständlich seinen Namen zitiert, als er Kandinsky schreibt: „[…] weil ich noch nicht gesagt habe, daß ich zum Beispiel, wenn ich auf die Gasse gehe und von jedem Menschen angeschaut werde, ob ich ein Jud oder ein Christ bin, weil ich da nicht jedem sagen kann, daß ich derjenige bin, den der Kandinsky und einige andere ausnehmen, während allerdings der Hitler dieser Meinung nicht ist.“ Der Hitler. Er hat sich bereits seit Anfang der zwanziger Jahre von einem bramarbasierenden Münchner Lokalmatador zu einer politisch überregional bekannten Figur entwickelt. Seine dröhnenden Hasstiraden und seine Aufrufe zur Gewalt faszinieren nicht mehr nur Stammtischrunden aus Bayern sondern inzwischen auch Zehntausende politisch frustrierter Bürger in den nördlichen Gegenden Deutschlands. Die Zahl der Mitglieder seiner Partei, der NSDAP, sind innerhalb der letzten zwei Jahre von 6000 bis auf mehr als 50000 gestiegen, und es kommt immer häufiger vor, dass er als Hauptredner in ganzen Serien von Massenkundgebungen auftritt. Brisante Themen gibt es genug: die schlechte wirtschaftliche Lage, die galoppierende Inflation, die Reparationszahlungen, die nationale Kränkung durch den verlorenen Krieg.... Hitler weiß, was die Leute hören wollen. Er setzt sich in Szene, und seine demagogischen Wortschlachten strotzen nur so vor Selbstbewusstsein: „Wenn wir ans Ruder kommen, dann werden wir wie die Büffel vorgehen“. Sein politisches Ziel, die verhasste ‚Judenrepublik‘ zu stürzen, findet immer mehr Anklang, seine antisemitischen Drohungen werden mit johlendem Beifall beklatscht. Ganz unverblümt hat er schon 1919 davon gesprochen: „Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen wird seinen letzten Ausdruck finden in der Form von Pogromen (!). Der Antisemitismus der Vernunft jedoch muß führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung der Vorrechte der Juden … Sein

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letztes Ziel aber muß unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein. Zu beidem ist nur fähig eine Regierung nationaler Kraft und niemals eine Regierung nationaler Ohnmacht.“ So weit ist es allerdings noch nicht. Im November 1923, sechs Monate nach Schönbergs finsteren Prognosen scheitert dieser Mann namens Adolf Hitler vorerst. Sein Putschversuch in einem Münchner Bierkeller misslingt, er selbst landet im Gefängnis. Seine Zeit ist noch nicht gekommen, doch die Saat ist schon gesät, der Weg ist vorbereitet. Über siebzig Jahre zuvor hatte sein Abgott Richard Wagner bereits Gedanken formuliert, die später einmal als „Endlösung der Judenfrage“ grauenhafte Wirklichkeit werden sollten. In seiner Hetzschrift Das Judentum in der Musik von 1850 hatte Wagner versucht, „[…] das u n w i l l k ü r l i c h A b s t o ß e n d e, welches die Persönlichkeit und das Wesen des Juden für uns hat, zu erklären, um diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen.“ Seine endlose Suada hatte er mit einer gespenstischen Verwünschung gegen das verabscheute Judenvolk abgeschlossen: „Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluch sein kann: die Erlösung Ahasvers – der U n t e r g a n g!“ Wagner war kein Einzelfall. Judenfeindlichkeit war im 19. Jahrhundert weit verbreitet, und auch im 20. Jahrhundert stieg die Zahl derer, die Gefallen hatten an solchem Gedankengut, beklemmend an. Vor allem nach dem verlorenen Weltkrieg suchte man Sündenböcke und glaubte, sie in den Juden gefunden zu haben. Schönberg selbst erinnerte sich noch im amerikanischen Exil daran, dass ihm diese Entwicklung schon während des Ersten Weltkrieges mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt worden war. „1916 – als österreichischer Soldat, der damals mit Begeisterung zum Militär gegangen war – wurde mir plötzlich klar, dass der Krieg nicht nur gegen Feinde von außen geführt wurde, sondern mindestens genauso heftig gegen innere Feinde. Die letztgenannten bestanden – abgesehen von den liberal und sozialistisch Gesinnten – aus Juden. Ein paar Jahre später hatte ich ein heikles Erlebnis im Salzkammergut: Ich war vielleicht einer der ersten Juden in Zentraleuropa, der Opfer einer aktuellen Ausweisung geworden ist.“ Mattsee! Die Erinnerung daran saß wie ein Stachel in seiner Seele. Dabei war Schönberg als Komponist schon lange daran gewöhnt, missachtet und gekränkt zu werden. Das breite Publikum hatte ihn fast immer abgelehnt, und von konservativen musikalischen Fachkreisen war er seit eh und je angefeindet worden. Mit Beginn der Weimarer Republik schien der Hass seiner Gegner jedoch noch gewachsen zu sein. In seiner Heimatstadt Wien wurde er als „Schwindler“ und „Irrsinniger“ bezeichnet, ein Kritiker der Leipziger Zeitung nannte 1918 sein erstes Streichquartett „elende Katzenmusik“. Im Jahr darauf war in der renommierten Zeitschrift für Musik zu lesen: „Wir machen dem sogenannten ‚Wiener Meister‘ nicht zum Vorwurf, daß er Autodidakt ist, sondern daß er nichts Gescheites gelernt hat, daß ihm nichts Gescheites einfällt, und daß er den Bolschewismus in der Musik verkörpert.“ Ähnliches schrieb 1920 Hans Pfitzner, der sich später als Prophet des Dritten Reichs etablieren sollte, in einem vielbeachteten Artikel gegen den bösen Geist der Moderne. Darin hieß es unter anderem: „Das atonale Chaos nebst den ihm entsprechenden Formen anderer Künste ist die künstlerische Parallele zum Bolschewismus, der dem

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staatlichen Europa droht. Von dieser Gruppe will im Grunde niemand etwas wissen.“ Natürlich war damit keine andere Gruppe gemeint als Schönberg und seine Schüler. Das wusste jeder. Namen brauchten erst gar nicht genannt zu werden. Schönberg – der Zerstörer der Tonalität, der Inbegriff der Krise in der Musik schlechthin, die Inkarnation des Bösen. Er war Zielscheibe all derer, die den Fortschritt hassten, und die Sprache, mit der man seine Werke beschrieb, war aggressiv. Von „Zersetzung“ der Musik war die Rede, von „undeutscher“ und „bolschewistischer“ Musik. Die Atonalität nannte man „naturwidrig“, und es gab nur ein Mittel, dagegen anzugehen: mit „deutscher“ und „vaterländischer Musik“, die als gesund“ und „natürlich“ bezeichnet wurde. Gegen diese Klischees war kein Kraut gewachsen. Vergeblich versuchte Schönberg immer wieder, auf seine deutsche Tradition hinzuweisen, auf seine Lehrmeister Bach und Mozart, Beethoven, Brahms und Mahler. „Es ist also merkwürdig, daß noch niemand beachtet hat, daß in meiner Musik, die vom Ausland unbeeinflußt auf deutschem Boden entstanden ist, eine Kunst vorliegt, die, wie sie den Hegemoniebestrebungen der Romanen und Slawen aufs wirksamste entgegentritt, durchaus den Traditionen der deutschen Musik entsprungen ist.“ Was half es? Das Kainsmal des „Undeutschen“ haftete ihm an. Ebenso wie der Verdacht, ein Bolschewist zu sein. „Was habe ich mit dem Kommunismus zu tun? Ich bin keiner und war keiner!“ schrieb er aufgebracht an Kandinsky. Es war sinnlos. Das Feindbild saß fest in den Köpfen seiner Gegner, und die Schmähungen gingen weiter. Noch im selben Jahr 1923 wurde er als Vertreter des „Satanismus“ bezeichnet, ein Jahr später als „Verbrecher“ und „gemeingefährlicher Schädling“. Es sollte noch schlimmer kommen. Im Oktober 1923 stirbt Schönbergs Frau Mathilde, die Schwester seines Freundes Alexander von Zemlinsky, mit der er zweiundzwanzig Jahre verheiratet war. Zehn Monate später heiratet er Gertrud Kolisch, die sechsundzwanzigjährige Schwester seines Schülers und Freundes Rudolf Kolisch, dessen Quartett sich seit Jahren für die Aufführung seiner Musik einsetzt. Zwei Wochen nach der Trauung, am 13. September 1924, wird Schönberg fünfzig Jahre alt, und sein Geburtstag wird mit zahlreichen Aufführungen in Österreich und Deutschland gefeiert. Schüler und Freunde geben ihm zu Ehren eine Festschrift heraus, und sogar in Wien fühlt man sich bemüßigt, ihn offiziell zu einem Festakt ins Rathaus zu bitten. Was keiner seiner Gegner für möglich gehalten hätte, ist eingetreten: Arnold Schönberg ist ein berühmter Mann geworden – allen Anfeindungen zum Trotz. Seine Werke werden auch im Ausland von immer mehr Menschen bewundert, und seine Erfolge sind inzwischen so groß, dass er eine Professur angeboten bekommt. Leo Kestenberg, der fortschrittlich gesinnte Musikreferent des preußischen Kultusministeriums, fragt bei ihm an, ob er die Meisterklasse für Komposition an der berühmten Berliner Akademie der Künste übernehmen wolle – als Nachfolger des verstorbenen Ferrucio Busoni. Das Angebot ist eine Auszeichnung, denn der Lehrstuhl hat hohes Prestige. Es ist die ranghöchste Stelle, die ein deutsches Musikinstitut zu vergeben hat. Bewegt schreibt Schönberg nach Berlin zurück: „Anerkennung tut wohl“ und gibt Kestenberg seine Zusage. Sein Arbeitsvertrag, der zunächst bis zum 31. September 1930

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laufen soll, verpflichtet ihn zu einer sechsmonatigen Lehrtätigkeit pro Jahr, die er zeitlich selbst bestimmen kann. Er erhält 16 800 Mark Jahresgehalt und darf den Amtstitel ‚Professor‘ führen. Nach all den Jahren materieller Not und künstlerischer Enttäuschungen kann Schönberg endlich sorgenfrei in die Zukunft blicken. Doch der Schein trügt, die Realität sieht anders aus. In Deutschland beginnt sich die politische Situation immer mehr zu verschärfen. Die Wahl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg zum Reichspräsidenten verursacht einen politischen Rechtsruck, der nicht ohne Folgen bleibt für die labile Regierung der Weimarer Republik. Hitler, der inzwischen aus dem Gefängnis entlassen ist, tritt wieder in Erscheinung, die NSDAP gewinnt weiter an Boden, und der Antisemitismus erhält neuen Aufschwung. Wie sehr das geistige Klima schon vergiftet ist, erfährt Schönberg schnell, denn seine Berufung löst in deutschnationalen und rechten Kulturkreisen einen Sturm der Entrüstung aus. Einer ihrer Wortführer, der prominente Herausgeber der Zeitschrift für Musik Alfred Heuß, schreibt einen Artikel, der an Bösartigkeit alles übertrifft, was bisher über Schönberg gedruckt worden ist. Schon der erste Satz ist eine aggressive Kampfansage: „Die Berufung Arnold Schönbergs zum Vorsteher einer der drei Meisterklassen für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin bedeutet einen Schlag gegen die Sache der deutschen Musik, wie er zurzeit herausfordernder kaum gedacht werden kann.“ Dann wird Heuß deutlicher. Er schreibt, er hoffe auf neue Zeiten, in denen „Verirrungen“ wie die Kompositionen von Schönberg nicht länger toleriert würden. „Jeder Kenner der Verhältnisse, ob rechts oder links stehend, weiß, daß die Zeit der Schönbergschen hysterischen Krämpfe und Fieberschauer in der Musik vorüber ist, diese ganz anderen Zielen zusteuert und zusteuern muß, weil die verkörperte Unnatur auf die Länge einfach nicht zum Prinzip genommen werden kann.“ Dem zynischen Wort von der „Unnatur“ folgen weitere Diffamierungen. Heuß nimmt nicht nur den Komponisten sondern auch den Juden Schönberg unter Beschuss und lässt seinen rassistischen Vorurteilen freien Lauf: „Denn darüber ist sich jeder, der in die Rassenunterschiede einen Einblick hat, klar, daß der Fanatismus Schönbergs, darin bestehend, auf einer engen Grundlage rücksichtslos die allerletzten Konsequenzen zu ziehen, mit deutschem Wesen nichts gemein hat. […] Seine Entwicklung ist persönlich und rassemäßig bedingt.“ Zum Beweis seiner Argumente fährt Heuß den gesamten Schablonensatz antisemitischer Kunstideologien auf – von der künstlerischen „Impotenz“ der Juden im Allgemeinen bis hin zu ihrer „Wurzellosigkeit“ und ihrem „Epigonentum“ im Besonderen. Selbst die Juden jedoch würden Schönbergs „Gehirn-Tonsysteme“ ja verabscheuen, fügt er giftig hinzu. „Gerade die nicht verblendeten Juden wissen schon eine Weile, daß Schönberg sich selbst erledigt hat.“ Das Pamphlet gipfelt schließlich in einer Vorausschau, die an Zynismus kaum zu übertreffen ist: „Die Tage der jetzigen Musikherrschaft in Preußen werden gezählt sein. Und so oder so, jedenfalls kann Schönberg, der Musiker und Lehrer, nicht mehr der deutschen, sondern höchstens mehr einer im obigen Sinne wurzellosen jüdischen Musik schaden.“ Nach außen hin zeigt Schönberg keine Reaktion, zumindest offiziell gibt er keine Stellungnahme ab zu den bösartigen Angriffen. Doch seine Seele ist verwundet. Der

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Vorfall in Mattsee, die Kandinsky-Affäre, die antisemitischen Proteste anlässlich seiner Berufung – all das hat schmerzliche Spuren bei ihm hinterlassen. Es hat ihn in eine Identitätskrise gestürzt, die ihn erschüttert, bedroht und einsam macht. Später wird er einmal schreiben: „Ich war von der Kritik in höchst unverschämter Weise beleidigt worden, ich hatte Freunde verloren, und ich hatte absolut jeglichen Glauben an das Urteil meiner Freunde eingebüßt. Und ich stand fast allein gegen eine Welt voller Feinde.“ Bereits nach dem Mattsee-Erlebnis hatte er begonnen, einen Ausweg aus seiner psychischen Krise zu suchen. Mehr und mehr hatte er sich mit seinem Jude-Sein auseinandergesetzt, mit Fragen der jüdischen Politik, des jüdisch-nationalen Selbstverständnisses und des jüdischen Glaubens. Religiöse Fragen waren schon Jahre vorher zum zentralen Thema seines Lebens geworden. Schon in der Schreckenszeit des Ersten Weltkrieges hatte er seine damalige theosophische Grundüberzeugung im Oratorium Die Jakobsleiter zum Ausdruck gebracht. „Mir war sie in diesen Jahren meine einzige Stütze“, schrieb er später, in Erinnerung an jene schwere Zeit. Nun wird die Religion ihm wieder zur Stütze – doch anders als zuvor. Seit dem Trauma von Mattsee war sein jüdischer Glaube ihm immer wichtiger geworden, seine Verwurzelung mit der Tradition und Kultur seiner Vorfahren. Er, der sich mit sechzehn Jahren noch als einen Ungläubigen bezeichnet hatte, der im Alter von dreiundzwanzig zum Christentum konvertiert war und trotzdem erleben musste, dass die Christen ihn ablehnten, ja aggressiv attackierten – er fand zunehmend stärkeren Halt in seinem jüdischen Anders-Sein. Die Diffamierungen seiner Umwelt riefen ein neues Identitätsgefühl in ihm hervor – ein Gefühl der Glaubenszugehörigkeit und der nationaler Identifikation mit dem jüdischen Volk. Dessen religiöses und politisches Schicksal war von nun an untrennbar auch mit seinem Schicksal verbunden. Mit seinem ganzen Denken, Fühlen und Handeln. Am 16. und 17. Oktober 1925 komponiert Schönberg ein musikalisches Bekenntnis zu seinem neu gewonnenen Glauben. Das Chorstück Du sollst nicht, du mußt, dessen Text er wie immer selbst entwirft, kündet vom einzigen Gott der Juden, von dem die Menschen sich kein Bild machen sollen. Es ist eine Art künstlerischer Reflex, eine innere Antwort auf die empörenden Demütigungen der Außenwelt anlässlich seiner Berufung. In den nächsten beiden Jahren schreibt er ein Schauspiel, das er später einmal als seinen besten Text bezeichnen wird. Es heißt Der biblische Weg und greift die jahrzehntealten Ideen und Pläne des Zionisten Theodor Herzl auf, den Schönberg schon in seinen frühen Wiener Jahren kennengelernt hat. Das utopische Drama entwirft die Vision der Gründung eines modernen Judenstaats in einem afrikanischen Königreich namens Ammongäa, verschweigt aber auch die Probleme nicht, die einer solchen Staatsgründung entgegenstehen. Sie liegen in der inneren Zerstrittenheit des jüdischen Volks und in den menschlichen Schwächen ihrer Führergestalten. In der Person des charismatischen Führeres Max Aruns hat Schönberg beide biblischen Figuren vereinigt – Moses und Aron. „Moses, dem Gott den Gedanken gegeben hat, aber die Macht der Rede versagt hat; und Aron, der den Gedanken nicht fassen, aber wiedergeben und die Massen bewegen konnte.“ Als Max Aruns von empörten Juden erschlagen wird, reißt Guido, einer

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seiner Jünger, die Macht an sich und erklärt dem reumütigen Volk, dass er die Aufgabe seines Vorgängers zu Ende führen wolle. In einem militärisch schlagkräftigen Staat würden die Juden eine neue Heimat finden, ihr eigentliches Ziel jedoch solle ein anderes sein: die Verwirklichung der jüdischen Gottesidee. „Das jüdische Volk lebt einem Gedanken: Dem Glauben an einen einzigen, unsterblichen, ewigen, unvorstellbaren Gott. Diesem Gedanken allein will es zur Herrschaft verhelfen; er wird vielleicht einst in seiner reinsten Form die Welt beherrschen“. Kurz nach Vollendung des Dramas im Oktober 1928, beginnt Schönberg erneut, ein biblisches Werk zu schreiben: das Libretto seiner Oper Moses und Aron. Wieder ist die leitende Idee der Geschichte des Exodus entnommen, doch im Gegensatz zum Biblischen Weg, schildert Schönberg diesmal nicht die Errichtung eines modernen jüdischen Staates, sondern legt den Schwerpunkt auf innere Prozesse: das Ringen Moses‘, den Zweifel Arons und damit die Zweifel des Volkes. „Ich selbst habe aus dem mächtigen Stoff vor allem diese Elemente in den Vordergrund gerückt: den Gedanken des unvorstellbaren Gottes, des auserwählten Volkes und des Volksführers,“ erklärt er zur Textwahl. Moses und Aron ist ein Ideendrama. Dargestellt am Konflikt der beiden Brüder Moses und Aron vollzieht sich der Kampf zweier unversöhnlicher Prinzipien: der Widerstreit zwischen Geist und Materie, zwischen Gedanke und Tat. In der Figur des Moses hat Schönberg auch Züge eines Selbstportraits skizziert. Die Unerbittlichkeit, die Strenge, die Einsamkeit, die Selbstzweifel, die Unverstandenheit – es sind Teile seines eigenen Ichs, die er in seinem Helden verkörpert sieht. „Alles, was ich geschrieben habe, hat eine gewisse innere Ähnlichkeit mit mir“, vertraut er Alban Berg im August 1930 an, als er mit ihm über das Thema korrespondiert. Moses und Aron ist ein konzessionsloses Stück, eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Oper, in der Schönberg die jüdische Frage nicht realpolitisch reflektiert wie im Schauspiel Der biblische Weg, sondern mythisch überhöht. Vor dem Hintergrund wachsender politischer Gefahr durch die Nationalsozialisten konzentriert er sich auf Fragen, die das religiöse Fundament seines Volkes berühren: auf den Gottesgedanken und auf die Verheißung. Vielleicht liegt es an diesem abstrakt-ideellen Sujet, dass die Oper ein Torso bleibt. Den dritten Akt wird Schönberg nie vollenden, obwohl er immer wieder daran arbeitet und bis zu seinem Lebensende hofft, ihn abschließen zu können. An der Partitur zu den ersten beiden Akten arbeitet er zwischen 1930 und 1932. Es sind Jahre, in denen sich die letzte Phase einer politischen Entwicklung vollzieht, die endgültig in die Katastrophe des Dritten Reichs führen wird. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 siegt die NSDAP auf der ganzen Linie und wird stärkste Partei. Einen Monat zuvor schon war das Verbot von SA und SS aufgehoben worden, und in der Folge kommt es immer häufiger zu hemmungslosen Übergriffen an jüdischen Mitbürgern. Der Antisemitismus an öffentlichen Institutionen, Universitäten und Schulen hat inzwischen beängstigende Ausmaße angenommen, und Schönberg, der sich aus gesundheitlichen Gründen seit Ende 1931 in Spanien aufgehalten hat, kehrt nur mit größten Bedenken wieder „zu den Hakenkreuzlern und Pogromisten“ nach Berlin zurück. Sein Vertrag an der Akademie der Künste ist zwar bis 1935 verlängert worden, doch er hat große Befürchtungen um seine Zu-

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kunft. Am 23. September schreibt er an Alban Berg, „eine gewisse Depression, die ganz gewiß auch mit meinem Berliner Aufenthalt zusammenhängt, raubt mir die Freude an jeder Arbeit. […] Ich weiß natürlicherweise auch ohne die nationalen Winke, die man in den letzten Jahren empfangen hat, wohin ich gehöre. Nur vollzieht sich ein solcher Ortswechsel nicht so leicht, als man es sich vorstellt. […] Ich weiß selbstverständlich ganz genau, wohin ich gehöre. Man hat es mir so laut und so lange in die Ohren gehämmert, daß ich hätte taub sein müssen, vorher schon, wenn ich es nicht hätte verstehen sollen. Und, daß es mir irgendein Bedauern abringt, ist längst vorbei. Ich nenne mich heute mit Stolz einen Juden; aber ich kenne die Schwierigkeit, es wirklich zu sein.“ Zehn Monate nach diesem Bekenntnis hat er den Ortswechsel bereits vollzogen. Nicht freiwillig, sondern weil ihm nichts anderes übrig blieb. Er lebt als Emigrant in Frankreich und ist offiziell wieder in die jüdische Religionsgemeinschaft zurückgekehrt. Gleichzeitig hat er eine weitere wichtige Entscheidung getroffen. Das Leben aller europäischen Juden ist in Gefahr, deshalb will er, der Exil-Jude, alles daran setzen, um diesen Menschen zu helfen. „[…] ich bin entschlossen – wenn ich für solche Tätigkeit geeignet bin, nichts anderes mehr zu machen als für die nationale Sache des Judentums zu arbeiten“, teilt er Webern am 4. August 1933 mit. „Ich halte das für wichtiger als meine Kunst.“ Er macht sich Notizen, schreibt Briefe und entwirft politische Pläne, die zur Rettung der Juden in Deutschland führen sollen. „Ich beabsichtige in den Ver. Staaten v. A. und später auch in anderen Ländern eine große Propaganda bei allen Juden zu machen, um sie zunächst dazu zu bewegen, soviel Geldmittel aufzubringen, daß eine allmähliche Auswanderung der Juden aus Deutschland dadurch bezahlt werden könnte“, schreibt er auf eines der vielen Manuskriptblätter, die jetzt in loser Folge entstehen. „Ich möchte als vorläufiges Ziel meiner Bestrebungen erreichen, dass alle Juden aller Länder sich bereit finden, monatlich einige Monate hindurch pro Kopf zwei Mark zu spenden.“ Schönberg ist überzeugt davon, dass die Nazis käuflich sind, dass die Juden ausgelöst werden können durch Spendengelder, und dass er es ist, der diese Verhandlungen mit den Deutschen führen kann. Nachdem er im Biblischen Weg und in Moses und Aron eine fiktive Führerrolle für die Juden geschildert hat, sieht er sich selbst jetzt ganz real in dieser Rolle. Er macht sich auch detaillierte Gedanken über eine neue Heimat für die Juden. „Warum wir Juden Palästina lieben und der Gedanke, dort zu leben, uns mit Rührung erfüllt? Weil es das Land ist, das unsere Vorfahren erworben haben, indem sie es mit ihrem Blut erkämpft und mit ihrem Blut in zahllosen Kriegen verteidigt haben“, hält er in einer Notiz fest und versucht, anhand von Berliner Gründstückspreisen auszurechnen, wie viel ein Quadratmeter „in der Wildnis“ als Heimat für die Juden kosten könnte: „Da man aber höchstens 1/100 des Berliner Preises für die Wildnis bezahlen muß, so kostet ein solches Land (etwa Paraguay oder Uruguay) 2 Milliarden Mark.“ Mit dem Ankauf von Land aber ist es nicht getan, der ‚biblische Weg‘ muss auch politisch gut vorbereitet werden. Deshalb plant Schönberg, eine Partei zu gründen – eine Einheitspartei für alle Juden, weil sie so zerstritten sind und so zerstreut in alle

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Winde. „Ich will sie gründen“, schreibt er sich auf – quasi im Selbstgespräch. „Bei uns nötiger als bei allen andern. Sind alle andern 7-fach gespalten, so sind wir 70 x 7-fach gespalten, weil wir noch international sind. Wir müssen national werden. Wir müssen aufhören, international zu sein.“ Wegen starker Asthmabeschwerden siedelt Schönberg im Sommer 1933 ins südlich gelegene Arcachon. Seine finanzielle Lage ist wieder prekär. Die Zahlungen aus Berlin erfolgen unregelmäßig, neue Einkünfte sind nicht in Sicht. Verzweifelt versucht er, einen Verleger für den Biblischen Weg und Moses und Aron zu finden, um einen Vorschuss zu bekommen. Ohne Erfolg. Dann, in der zweiten Septemberhälfte, geschieht etwas, womit er nicht gerechnet hat. Die Berliner kündigen ihm. In einem Schreiben vom 18. September 1933 wird ihm lapidar seine Entlassung mitgeteilt „auf Grund der Ziffer 3 der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Schönberg ist entsetzt. Der Boden unter den Füßen ist ihm nun endgültig entzogen. „Man hat mich entlassen,“ schreibt er fassungslos an Pablo Casals. „Ganz plötzlich, ohne die geringste vorherige Verständigung hat man meinen Vertrag für ungültig erklärt, der mir ohne diese Verletzung zwei Jahre gelassen hätte, mir ein neues Leben im Ausland einzurichten. Aber jetzt bin ich infolgedessen gezwungen, zu tun, was ich kann, um Geld zu verdienen.“ Aus Amerika bietet sich eine Chance. Das Malkin-Konservatorium in Boston ist in Verhandlungen mit ihm getreten, eine Kompositionsklasse am dortigen Institut zu übernehmen. Man bietet ihm einen Vertrag für die Dauer eines Jahres und eine Gage von 4800 Dollar. Schönberg ist einverstanden. Noch länger in Europa zu bleiben wäre sinnlos und gefährlich, das ist ihm inzwischen klar geworden. Am 25. Oktober 1933 geht er in Le Havre mit Frau und Kind an Bord der ‚Ile de France‘, um in die Vereinigten Staaten zu reisen. Es ist ein endgültiger Abschied von Europa. Die alte Heimat wird der Neunundfünfzigjährige nie mehr wiedersehen. „Ich bin gezwungen, ein neues Leben zu beginnen und mir in diesem Land eine neue Position im Musikleben zu schaffen,“ schreibt er vierzehn Tage nach seiner Ankunft in New York an den Komponisten Nicolas Slonimsky. Ein Jahr später fasst er die ersten Erfahrungen dieses neuen Lebens in einem Rückblick zusammen, der wegen seines sehr persönlichen Inhalts an nur wenige Freunde verschickt wird: „Ich kann nicht verschweigen, daß es an Enttäuschungen, Ärger und Krankheit manches übertroffen hat, was ich bisher mitgemacht habe“, heißt es da bitter; und auch sein Dankschreiben an die Freunde und Bekannten, die ihm zu seinem sechzigsten Geburtstag am 13. September 1934 gratuliert haben, klingt wehmütig: „Man erwartet vielleicht, daß ich, nunmehr in einer neuen Welt, durch die Bequemlichkeiten, die sie mir bietet, reichlich entschädigt bin für den Verlust, auf den ich mich länger als ein Jahrzehnt vorbereitet habe. Wohl habe ich die Trennung von der Alten Welt vollzogen, nicht ohne sie bis in die Knochen gespürt zu haben, denn ich war doch nicht darauf vorbereitet, daß sie mich sowohl heimatlos als auch sprachlos machen werde, so daß ich es anderen als meinen alten Freunden jetzt nur mehr englisch sagen könnte; falls sie es erfahren wollten. Aber andererseits lebt man hier wahrhaftig besser als der Herrgott in Frankreich […] Denn ich bin hier allgemein geschätzt

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als einer der wichtigsten modernen Komponisten: neben Stravinsky, Tansman, Sessions, Sibelius, Gershwin, Copland, etc....etc....etc.“ In den folgenden Jahren hat er oft Anlass, das anders zu sehen. Die großen Erfolge, die er sich in Amerika erhofft hat, bleiben aus. Die Vereinigten Staaten sind nicht der geeignete Ort für Schönbergs avantgardistische Tonsprache. Er bleibt ein Außenseiter, ein Unangepasster, der sich den kapitalistischen Gesetzen des amerikanischen Musikmarkts nicht unterwirft. Als Lehrer wird er bewundert, doch seine Werke finden keine breite Resonanz, und auch die meisten Dirigenten zeigen sich desinteressiert. „Für wen soll man schreiben?“, fragt er 1938 resigniert in einem Brief. „Die Nicht-Juden sind ‚konservativ‘, und die Juden haben nie Interesse für meine Musik gezeigt.“ Der Weg, den Schönberg in dieser Neuen Welt gehen muss, ist dornig. Sein Kampf um künstlerische Anerkennung und finanzielle Sicherheit beginnt von neuem. Aus gesundheitlichen Gründen zieht er schon bald in das mildere Klima der Westküste. Zunächst nach Hollywood, dann nach Brentwood Park, in einen ruhigen Vorort von West Los Angeles. Eine Zeit lang lehrt er an der University of South California, bis ihm im Herbst 1936 ein Lehrstuhl an der größeren und prominenteren University of California angeboten wird. Die Besoldung allerdings ist so gering, dass er weiterhin Privatstunden geben muss, um seine größer werdende Familie – 1937 wird Sohn Ronald geboren, 1941 Sohn Lawrence – am Leben zu erhalten. Seine Arbeitsbelastung ist groß, und die Zeiten zum Komponieren sind knapp bemessen. Obwohl er immer gerne unterrichtet hat, ist er enttäuscht und frustriert über das niedrige musikalische Niveau seiner amerikanischen Schüler. „Leider ist das Material, das ich bekomme, so ungenügend vorbereitet, daß ich etwas so überflüssiges zu tun habe, wie Einstein, wenn er an einer Mittelschule Mathematik zu unterrichten hätte,“ teilt er dem Dirigenten Hermann Scherchen mit. Schmerzlich wird ihm bewusst, wie sehr ihm die alten Freunde fehlen. Vor allem Anton Webern und Alban Berg. Er schreibt ihnen lange Briefe und informiert sie über alles, was ihn bewegt – dennoch gibt es da auch einen Stachel des Misstrauens, der ihn tief verunsichert. Am 1. Januar 1934 schreibt er an Webern: „[…] seit wenigstens 5-6 Wochen war ich deinethalben und wegen Berg sehr aufgeregt und (ich muss schon sagen) nicht nur deprimiert, sondern geradezu verzweifelt; insbesondere aber deinethalben! Denn ihr habt mir beide fast 2 Monate lang […] kein Wort geschrieben. Und da wir Juden ja in dieser Zeit es hundertmal erlebt haben, dass Unglaubliches geschehen ist, dass heute plötzlich Nazi worden waren, die noch gestern Freunde waren, so konnte ich mir euer Schweigen (insbesondere Bergs) gar nicht anders erklären, als dass auch ihr dort euch angeschlossen habt. Es erschien mir unglaubwürdig, aber ihr beide habt mich mit Briefen immer verwöhnt und wie anders sollte ich mir es gerade jetzt erklären, wo ich doch Nachrichten von T r e u g e b l i e b e n e n dringender brauche, als je!“ Er bekommt sie. Sowohl Webern als auch Berg versichern ihm ihre Loyalität, und Berg macht dem Freund zum sechzigsten Geburtstag sogar ein besonders wertvolles und vielsagendes Geschenk. Er widmet Schönberg seine noch unvollendete

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Oper Lulu, an der er gerade arbeitet und schreibt ihm zu der Widmung einen Brief, der seine tiefe und aufrichtige Liebe zu seinem ehemaligen Lehrer widerspiegelt: „Nimm sie bitte entgegen, nicht nur als ein Produkt jahrelanger, Dir zu innerst geweihter Arbeit, sondern auch als die Dokumentierung meiner innersten Überzeugung, als ein Dokument nach außen hin: die ganze Welt, und auch die deutsche, soll in der Zueignung dieser deutschen Oper erkennen, daß sie beheimatet ist in dem Bezirk deutschester Musik, der für ewige Zeit Deinen Namen tragen wird.“ Schönberg ist unendlich dankbar. Er braucht diese Sicherheit freundschaftlicher Zuneigung. Erleichtert schreibt er, er sei „froh und stolz […] dass sich unsere gegenseitigen Gefühle stetig unverändert auf der Höhe unserer alten, erprobten, durch nichts zu erschütternden Freundschaft erhalten, jetzt, wo alles in die Brüche geht und man über das wenige Bleibende sich umso mehr freuen darf: es zeigt uns die wahren Werte.“ Besorgt verfolgt er die politischen Entwicklungen in Europa. Der Rassenhass der Nationalsozialisten in Deutschland wird immer brutaler, ihr parteipolitisches Programm immer barbarischer. „[…] dieses Programm bezweckt nicht mehr und nicht weniger als die A u s r o t t u n g aller Juden“, prophezeit er im Januar 1934 in einem Brief an Webern. Schönberg will nicht tatenlos zusehen, wie das Fürchterliche geschieht und macht sich erneut an die Ausarbeitung politischer Konzepte, um den bedrohten europäischen Juden zu helfen. Bis 1938 entwirft er zahlreiche, teils sehr umfangreiche Schriften, in denen er seine Ideen von einer nationalen jüdischen Einheit in einem freien, unabhängigen jüdischen Staat formuliert. Er appelliert an die jüdische Jugend, sich an der Befreiung des eigenen Volks zu beteiligen und betont immer wieder, wie sinnlos es sei, den Antisemitismus zu bekämpfen. „[…] der Kampf gegen den Antisemitismus ist nutzlos. Er kann niemals den Sinn anderer Völker ändern, die die Juden seit vielen Jahrhunderten gewohnheitsmäßig hassen. Er kann uns niemals vor ihren feindseligen Handlungen schützen.“ Der Kampf, so schreibt er, sei unnötige „Kraftverschwendung“, da sich das Judentum auf andere Probleme konzentrieren müsse: „Nichts gegen Deutschland! Sondern: Alles für das Judentum! 12. März 1938. Deutsche Soldaten marschieren über die österreichische Grenze. Am nächsten Tag unterzeichnet Adolf Hitler das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, Tränen der Rührung rollen ihm dabei über die Wangen. Der „Anschluss“ Österreichs ist vollzogen, Millionen Menschen aus der Alpenrepublik jubeln von nun an, vereint mit den Deutschen, dem Führer des Großdeutschen Reiches zu. Im Verlauf dieses Jahres erreicht die menschenverachtende Judenpolitik ihren vorläufigen Höhepunkt. Schon 1935 ist den Juden per Gesetz die bürgerliche Gleichberechtigung aberkannt worden. Nun müssen sie sich ein ‚J‘ in den Pass eintragen lassen und einen zusätzlichen jüdischen Vornamen. Ihre Berufsausübung wird noch weiter eingeschränkt, fast täglich werden neue Gesetze erlassen, ihr Leben nimmt unerträgliche Formen an. Öffentliche Gewaltakte, Demütigungen, Verhaftungen und Verschleppungen sind an der Tagesordnung. Gerüchte über grauenhafte Zustände in den KZ’s dringen durch. Man munkelt von zehn bis zwanzig Toten pro Tag.

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Am 24. Mai 1938 wird in Düsseldorf anlässlich der 1. Reichsmusiktage eine makabre Veranstaltung eröffnet. Ein Jahr nach der Münchner Propagandaschau „Entartete Kunst“ trumpft man am Rhein mit einem musikalischen Pendant auf und zeigt im Kunstpalast am Ehrenhof die Ausstellung „Entartete Musik“. Neben Büchern und Zeitschriften über Neue Musik werden dort Noten, Fotos und Karikaturen von jüdischen und anderen „undeutschen“ Komponisten zur Schau gestellt und mit hämischen Kommentaren versehen. Ihre Musik wird per Knopfdruck gleichzeitig abgespielt, sodass ein „wahrer Hexensabbath“ von Klängen entsteht, der die Besucher abschrecken soll. Auch Schönbergs Musik gehört dazu. Schockiert von diesen Schreckensmeldungen stürzt Schönberg sich in seinem kalifornischen Exil erneut in die Arbeit an einer großen politischen Schrift und verfasst im Oktober 1938 ein Manifest, das seine Ideen zur Rettung der Juden noch einmal ausführlich erläutert und in vier Postulaten zusammenfaßt: „1. Der Kampf gegen den Antisemitismus muss gestoppt werden. 2. Eine Jüdische Einheitspartei muss gegründet werden. 3. Die Einigkeit unter den Juden muss unbedingt durchgesetzt werden. 4. Wege müssen vorbereitet werden, um einige Orte zu finden, an dem ein unabhängiger Staat errichtet werden kann.“ Es klingt wie ein Aufruf. Ein letzter Appell, der mit beschwörenden Sätzen endet: „[…] die Zeit der Worte ist vorüber. Wenn nicht sofort gehandelt wird, kann es zu spät sein.“ Es ist zu spät. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brennen in Deutschland die Synagogen. Über 7000 jüdische Geschäfte und Warenhäuser werden demoliert und geplündert. Mehr als 30000 Juden werden verhaftet und vorübergehend in Konzentrationslager gebracht, 91 Personen kommen ums Leben. Erstmals organisieren die Nazis im großen Stil und in aller Offenheit ein Pogrom gegen die Juden. Der Antisemitismus in Deutschland tritt in eine neue Phase. Die „Reichskristallnacht“ ist der grässliche Auftakt zu noch grässlicheren Ereignissen, die sich in den nächsten Jahren vollziehen werden. Am 1. September 1939 überfällt die deutsche Armee Polen. Es folgt der Krieg. Die Katastrophe. Der Holocaust. Der Tod von Millionen von Menschen. Viele versuchen zu fliehen. Schönberg wird überhäuft mit Bittbriefen von jüdischen Verwandten, Freunden und Bekannten, die verzweifelte Anstrengungen unternehmen, um an ein „Affidavit“ kommen – eine jener Bürgschaftserklärungen, die notwendig sind für eine Einreise in die USA. Ihre Hilferufe gehen zu Herzen: „Ich will Sie, verehrter Herr Schönberg, nicht belasten mit der Erzählung all unserer Leiden und Irrfahrten. […] Ich komme Sie dringend bitten, uns ein Affidavit zu stellen. Es ist bestimmt nur eine Formsache. Ich bin sehr agil und kann überall und habe überall verdient. […] Wir wenden uns an Sie, weil wir sonst niemanden wissen und hier in Lebensgefahr sind. Innigst bitten wir Sie um die Gewährung; zwei Menschenleben retten Sie vom sicheren Tod. Unser jüdischer Gott, und es gibt einen, belohnt alles Gute, und Sie tun ein gutes Werk“. Schönberg ist tief betroffen. „Mich erschüttern alle diese Schicksale, als ob es mein eigenes wäre, was es ja fast ist.“ Er versucht nach besten Kräften zu helfen, schreibt Empfehlungsbriefe, besorgt notwendige Papiere und bürgt sogar mit seinem kleinen Haus in Brentwood Park, das er 1937 erworben hat. „Ich benötige

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dringend eine amtliche Bescheinigung, die die Art meines Besitzstandes betreffend das Haus N. Rockingham 116 auf eine Weise bestätigt, die es ermöglicht, ein Affidavit ausstellen zu können, um zwei meiner früheren Schüler, die sich derzeit beide in französischen Konzentrationslagern befinden, freizubekommen.“ Dass seine Bemühungen häufig erfolglos sind, belastet ihn sehr. „Sie können sich nicht vorstellen, wie verzweifelt ich oft war, wenn all die viele Arbeit, die ich auf zahllose Affidavits gewendet habe, vergeblich schien,“ schreibt er einem Freund. Doch er gibt nicht auf. Er ist das Kämpfen gewöhnt. Am 11. April 1941 erhält Schönberg mit seiner Frau endlich die ersehnte amerikanische Staatsbürgerschaft: „Wir haben gestern Citizen-ship erlangt, was uns sehr freut,“ teilt er am nächsten Tag seinem Schwager Rudolf Kolisch mit. „Die politische Lage aber ist so furchtbar trostlos, daß ich sehr unsicher bin, ob uns das helfen kann.“ Die politische Lage wird noch trostloser. Nach dem mörderischen Angriff der Japaner auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 tritt auch die USA in den Weltkrieg ein. Das ist ein Wendepunkt – auch für Schönberg. Plötzlich hat er das Bedürfnis, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Musiker ein politisches Signal zu setzen. Er will ein Werk komponieren, das sich gegen den Faschismus richtet – ein musikalisches Mahnmal gegen die Gewaltherrschaft, gegen den unvorstellbaren Terror, der jenseits des Atlantik vor sich geht. „Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben. Die nicht mit ihm sich abfinden, sondern sich mit ihm auseinandersetzen. Die nicht stumpf den Motor ,dunkle Mächte‘ bedienen, sondern sich ins laufende Rad stürzen, um die Konstruktion zu begreifen.“ Dieses Bekenntnis hat er schon vor mehr als drei Jahrzehnten formuliert. Dennoch hat er sich nie als Botschafter politisch funktionaler Musik verstanden, sondern im Laufe seines Lebens mehrfach betont, ein unpolitischen Künstler zu sein. „Ich habe nichts mit Politik zu tun und gestatte es mir, meine irrelevanten Meinungen für mich zu behalten. Man kann nicht ernsthaft glauben, daß Kunst politische Vorgänge beeinflusse.“ Nun handelt er, mitten im Krieg, ganz anders. Als die League of Composers ihn im Frühjahr 1942 beauftragt, ein Kammermusikwerk zu schreiben, weiß er, was er zu tun hat. „Mir kam sogleich die Idee, mit diesem Stück das Entsetzen der Menschen über all jene Verbrechen zum Ausdruck zu bringen, die diesen Krieg hervorrufen. Ich dachte an Mozarts Figaro, Schillers Wilhelm Tell, Goethes Egmont, Beethovens Eroica und Wellingtons Sieg, und ich wußte, daß es eine moralische Pflicht der Intellektuellen war, gegen die Tyrannei Stellung zu beziehen.“ Den geeigneten Text findet Schönberg in einer Ode von Lord Byron, einem Hassgedicht auf Napoleon, das Byron 1814 nach der Abdankung Napoleons schrieb. Es ist eine leidenschaftliche Anklage gegen den französischen Diktator, den Schönberg in historische Parallele zu Hitler setzt, und er komponiert eine ebenso leidenschaftliche Musik dazu. „Lord Byron, der vorher Napoleon sehr bewundert hatte, war durch seine einfache Resignation so enttäuscht, daß er ihn mit schärfstem Hohn überschüttet: und das glaube ich in meiner Komposition nicht verfehlt zu haben.“ Die Ode to Napoleon Buonaparte op. 41 für Streichquartett, Klavier und Sprecher entsteht zwischen März und Juni 1942. Zwei Jahre später, im Frühling 1944,

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erhält Schönberg wieder einen Kompositionsauftrag. Diesmal ist es die Koussevitzky Stiftung, die ihm 1000 Dollar für eine neue Orchesterkomposition anbietet. Doch diesmal lehnt er ab. Seit Jahren hat er den dringenden Wunsch, seine beiden großen Werke Die Jakobsleiter und Moses und Aron zu vollenden. Nun will er es endlich auch tun. Nach Kriegsende erreichen Schönberg furchtbare Nachrichten. Sein Bruder Heinrich ist Opfer der Euthanasie geworden. In einem Salzburger Krankenhaus hat man ihn durch eine Injektion getötet – Heinrichs Tochter Gitty ist seitdem psychisch gestört. Andere Verwandte und Freunde haben das Hitler-Reich ebenfalls nicht überlebt. Schönbergs Vetter Arthur ist im Konzentrationslager Theresienstadt umgekommen, seine Nichte Inge Blumauer und ihr Mann wurden in der Nähe von Dresden niedergeschossen. Wie es zu dieser Tragödie kam, erfährt Schönberg von seiner Schwägerin Bertel Ott Schoenberg. Sie berichtet, Inge und ihr Mann Werner seien wenige Tage vor Kriegsende von vier SS oder SA-Männern abgeholt worden. Man habe sie zu einem Steinbruch gefahren. „Dort schossen die […] Männer auf Inge und ihren Mann, ohne eine Wort zu sagen. Werner war sofort tot. Inge blieb liegen – mit zwei Schusswunden in der Lunge, einer Wunde im Magen und einem Durchschuss im Arm. Von 11 Uhr Mittag bis zum nächsten Morgen 8 Uhr lag sie da. Dann konnte sie sich auf die Straße schleppen, wurde gefunden und in ein Dresdner Hospital gebracht.“ Inge starb bald darauf an ihren Verletzungen. Ihre Mutter, Schönbergs Schwester Ottilie, konnte sie kurz vor ihrem Tod noch einmal sehen. Schönberg hört noch andere Horrorgeschichten. Jüdische Freunde und Schüler melden sich und teilen mit, was sie erlebt haben. Einer von ihnen ist Josef Polnauer, der sich jahrelang mit Hilfe seiner arischen Frau verstecken konnte. Er erzählt Schönberg von seiner dramatischen Rettung in allerletzter Sekunde – „wirklich ein Pendant zum überraschenden Finale von Fidelio!“ Das Haus, in dem er sich verborgen hielt, sei eines Tages von einem SS-Batallion besetzt worden, berichtet er. Die Bewohner mussten ins Kellergeschoß ziehen. „Als die Russen schon ganz nah waren, befahl der Kommandant, dass jeder gezählt und zur Verteidigung aufgerufen werden sollte. Es waren ungefähr 40 Leute im Kellergeschoß. Die Überprüfung der Papiere begann. Ich hatte keine und versteckte mich im Hintergrund. Aber schließlich musste ich auch nach vorne treten. Da stürzte ein SS-Mann die Treppe herunter und schrie: ‚Alles raus! Die Russen sind durchgebrochen, sie kommen die Brückenstraße runter – Raus hier! Raus!‘ Die ganze Gruppe stürmte aus dem Keller nach außen – Ich war gerettet!“ Nur wenige hatten so viel Glück. Unzählige entkamen ihren Henkern nicht. Wann und von wem erfuhr Schönberg etwas über das Warschauer Ghetto – über den Ort der Verdammnis, der Hunderttausenden von Juden den Tod brachte? Die Zustände im Ghetto waren unvorstellbar. 128 0000 Personen pro Quadratkilometer. Weder Kohle noch Brennholz. 184 Kalorien am Tag. Zum Hunger kamen die Krankheiten – und die Morde. Die SS war gnadenlos. Leichenträger waren pausenlos im Einsatz. Einer von ihnen gab später zu Protokoll: „Ich hab’ auch gesehen, was sich abgespielt hat bei der Gestapo in der Zelazna 101 im Keller. Da

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haben sie laufend Massaker gemacht, laufend haben wir frisch erschossene Juden rausgeholt.“ Auf dem berüchtigten Umschlagplatz wird aussortiert, wer in die Gaskammern geschickt werden soll – in die Vernichtungslager Treblinka und Majdanek. Die Schwächsten kommen zuerst an die Reihe: Kinder, Frauen, Greise, Kranke. Alle, die zu kraftlos sind zum Arbeiten. Ihre Zahl ist endlos. Dann, am 19. April 1943, kommt es zu einem Aufstand. Das Ghetto soll aufgelöst werden, so wollen es die Deutschen. 300 000 Juden sind bereits deportiert. Doch die restlichen Ghettobewohner wollen sich nicht widerstandslos in den Tod schicken lassen. Sie wehren sich, versuchen ihr Leben mit Waffengewalt zu retten. Der Kampf zieht sich über Wochen hin. Die Polizei- und SS-Truppen versuchen erfolglos, die Juden aus ihren Verstecken zu treiben. Viele Juden haben sich in ihren Häusern verbarrikadiert oder sind in das weit verzweigte Kanalnetz des Ghettos geflohen. Sie leisten erbitterten Widerstand. Schließlich wird der SS-Brigadeführer Jürgen Stroop nach Warschau abkommandiert, um der Sache ein Ende zu machen. Er gibt den Befehl, das Ghetto in Brand zu stecken. Eine Feuerhölle bricht aus, ein entsetzliches Inferno. Die Menschen sterben zu Tausenden. Mitte Mai meldet Stroop seinen Vorgesetzten: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk mehr!“ Zufrieden listet er seine Erfolge auf: „Es wurde systematisch ein Betrieb nach dem anderen geräumt und anschließend durch Feuer vernichtet. Fast immer kamen dann die Juden aus ihren Verstecken und Bunkern heraus. Es war nicht selten, daß die Juden in den brennenden Häusern sich solange aufhielten, bis sie es wegen der Hitze und aus Angst vor dem Verbrennungstod vorzogen, aus den Stockwerken herauszuspringen […] Mit gebrochenen Knochen versuchten sie dann noch über die Straße in Häuserblocks zu kriechen, die noch nicht oder nur teilweise in Flammen standen. […] Auch der Aufenthalt in den Kanälen war schon in den ersten acht Tagen kein angenehmer mehr. […] Immer wieder mußten Nebelkerzen in Anwendung gebracht werden, um die Juden herauszutreiben. […] Zahlreiche Juden, die nicht gezählt werden konnten, wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt. […] Nur durch den ununterbrochenen und unermüdlichen Einsatz sämtlicher Kräfte ist es gelungen, insgesamt 56 065 Juden zu erfassen beziehungsweise nachweislich zu vernichten. […] Die Großaktion wurde am 16. Mai 1943 mit der Sprengung der Warschauer Synagoge um 20.15 Uhr beendet.“ Werden Schönberg diese grauenvollen Ereignisse von einem Augenzeugen erzählt, wie sein Mitarbeiter René Leibowitz später behauptet, oder schickt man ihm einen Brief aus dem Ghetto, wie sein Schüler Winfried Zillig versichert? Niemand wird jemals genau erfahren, auf welche Quellen jener beklemmende Text zurückgeht, zu dem Schönberg im Sommer 1947 eine Kantate komponiert. Er gibt ihr den Titel: A Survivor from Warsaw (Ein Überlebender aus Warschau). „Ich habe vor, die Szene zu vertonen, die Sie mir beschrieben haben, im Warschauer Ghetto, wo die todgeweihten Juden zu singen begannen, bevor sie zum Sterben gingen“, schrieb Schönberg am 20. April 1947 an die Tänzerin Corinne Cochem. Spielte sie die entscheidende Rolle? Acht Monate zuvor war er selbst dem Sterben so nah, dass er nur durch ein Wunder gerettet wurde. Am 2. August 1946 bekam er einen Herzinfarkt, Herzschlag und

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Atmung setzten aus. „[…] ich war praktisch tot“, sagte er später. „Es wurde mir nie berichtet, wie lange das dauerte. Das einzige, was mir erzählt wurde, ist, daß Doktor Jones mir eine Spritze direkt ins Herz gab.“ Sie brachte ihn ins Leben zurück, und Schönberg erholte sich wieder. „Ich bin von einem wirklichen Tod wieder auferstanden“, schrieb er dem Musikschriftsteller Hans Heinz Stuckenschmidt. Noch im August begann er, die Krise auf seine Weise zu verarbeiten. Er skizzierte sein Streichtrio op. 45, eine dramatische, hoch komplexe Zwölftonkomposition, die seine Krankheit wie ein musikalisches Protokoll widerspiegelt – bis hin zu den Einstichen der Injektion. Komponieren als Bewältigungsprozess. Dabei sei er so schwach gewesen, erzählte Schönberg seinem ehemaligen Schüler Hans Eisler, dass er gar nicht wisse, wie er das geschafft habe. „Ich hab irgendetwas zsammgeschrieben.“ Vielleicht war es nach allen Hiobsbotschaften auch dieser Beinahe-Tod, der bei ihm wenige Monate später den letzten Impuls auslöste, ein Werk zu komponieren zur Erinnerung an die Todeshölle von Warschau. 1. Juli 1947. Zehn Wochen sind vergangen, seit die Verhandlungen zwischen Schönberg und Corinne Cochem gescheitert sind, da bekommt Schönberg überraschend Post von der Koussevitzky Music Foundation in Boston. Die Sekretärin Margaret Grant erinnert ihn an den alten Kompostionsauftrag vom April 1944, für den er 1000 Dollar bekommen sollte, dem er aber nicht nachgekommen ist. Nun teilt sie ihm mit: „Der Stiftungsrat würde sich glücklich schätzen, Ihnen das Angebot noch einmal machen zu dürfen und würde gerne so schnell wie möglich von Ihnen hören.“ Schönberg antwortet prompt. „Was für ein Zufall. Vor etwas mehr als einem Monat habe ich eine Komposition für Orchester angefangen, und ich hatte vor, bei der Koussevitzky-Stiftung anzufragen, ob Ihr Angebot von damals noch steht. Sie werden verstehen, daß meine Antwort auf Ihr Schreiben vom 1. Juli 1947 lautet: ja. Ich nehme mit Freuden an und will versuchen, die Komposition in ungefähr zwei oder (vielleicht: ich weiß nie) sechs Wochen zu beenden. Gleichzeitig möchte ich Ihnen aber sagen, daß ich mich bis jetzt noch nicht für eine endgültige Form des Stücks entschieden habe. Mein ursprünglicher Plan war, es für circa 24 Musiker, einem oder zwei ‚Sprecher‘ und einem passend großen Männerchor zu schreiben. Es ist aber immer noch möglich, daraus eine ‚sinfonische Dichtung‘ zu komponieren, für Standardorchester, ohne Sprecher und Chor – wenn die Kommission das verlangt.“ Sie verlangt es nicht. Der Präsident der Stiftung, Serge Koussevitzky, lässt mitteilen, Schönberg solle selbst entscheiden, was er machen will. Das ist erstaunlich, denn Serge Koussvitzky hat sich bisher nicht gerade als Anhänger von Schönbergs Musik hervorgetan. Seit 1924 ist er Chefdirigent des Bostoner Symphonie Orchesters, und seitdem hat er in seinen Konzertprogrammen kaum Werke von Schönberg dirigiert, sondern amerikanische und russische Zeitgenossen bevorzugt – vor allem Kompositionen von Igor Strawinsky, Schönbergs erklärtem Intimfeind. Das hat Schönberg verletzt. Er hat es als Missachtung empfunden. Und nun dieser Auftrag – dieses Interesse an seiner Musik! „Dr. Koussevitzky hat mich gebeten, Ihnen zu

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sagen, daß Sie sich ganz frei fühlen sollen, die Form Ihrer Komposition so zu gestalten, wie Sie es wünschen“, schreibt die Sekretärin noch einmal. Es wirkt wie ein Dammbruch. Innerhalb von dreizehn Tagen – zwischen dem 11. und 23. August 1947 – komponiert Schönberg das Werk, das ihn seit Wochen beschäftigt: Ein Überlebender aus Warschau für Sprecher, Männerchor und Orchester op. 46. Den Text dazu hat er selbst verfasst und damit auch sprachlich die eigene Erschütterung zum Ausdruck gebracht. Es wird ein ergreifendes Stück. Eine Trauermusik zum Gedenken an die jüdischen Opfer der Nazi-Barbarei – und gleichzeitig ein Glaubensbekenntnis. Die nur 99 Takte lange Komposition ist voller Parallelen und Bezüge auch zu Schönbergs eigenem Leben: als Verfemter und Kämpfer. Als einer, der Widerstand leistete. Als Auserwählter eines auserwählten Volks. Eine Sprechstimme erzählt, abwechselnd in englischer und deutscher Sprache, von den Gräueltaten im Warschauer Ghetto. Die Ortsbeschreibung bleibt jedoch ungenau – das Szenario scheint nicht nur ein Ghetto zu sein, sondern auch ein Konzentrationslager. Der Erzähler selbst ist ein Opfer der Nazis. Was er erlebt hat, kann er nur bruchstückhaft erinnern, weil er häufig bewusstlos war. Sein Bericht wird unterbrochen durch die brutale Stimme des Nazi-Feldwebels, der auf Deutsch brüllt – in der Sprache der KZ-Schergen, im Berliner Jargon. Dann wird getötet, wahllos, einer nach dem anderen. „Abzählen“ brüllt der Feldwebel. Das ist das Schlüsselwort. Wer überlebt, soll in die Gaskammer: Massenmord als bürokratischer Prozess. Plötzlich, mitten im Abzählvorgang, singt ein Männerchor in hebräischer Sprache das Schma Yisrael – das Glaubensbekenntnis der frommen Juden. Die zum Tode Verurteilten können der Vernichtung nicht entgehen, doch ihr Glaube gibt ihnen übermenschliche Kraft. Ihr Gebet kündet von ihrem einzigen Gott. Lässt sie triumphieren über ihre Schlächter. „Erzähler: (I) Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Ich muß die meiste Zeit bewußtlos gewesen sein. – Ich erinnere mich nur an den großartigen Augenblick, als alle – wie wenn es verabredet gewesen wäre – das alte Gebet anstimmten, das sie so viele Jahre vernachlässigt hatten – der vergessene Glaube! Aber ich besinne mich nicht darauf, wie ich so lange unter der Erde in den Abflußkanälen von Warschau leben konnte. (II) Der Tag begann wie gewöhnlich: Wecken noch vor Morgengrauen. Heraus! Ob du schliefest, oder ob Sorgen dich die ganze Nacht wachhielten. Du warst getrennt worden von deinen Kindern, von deiner Frau, von deinen Eltern; du weißt nicht, was mit ihnen geschah – wie konntest du schlafen? (III) Wieder die Trompeten – Heraus! Der Feldwebel wird wütend sein! Sie kamen heraus; manche sehr langsam: die Alten, die Kranken; manche mit hastiger Unruhe. Sie haben Angst vor dem Feldwebel. Sie beeilen sich, so gut sie können. Vergeblich! Viel zu viel Lärm; viel zu viel Unruhe – und nicht schnell genug. Der Feldwebel schreit: ,Achtung! Stilljestanden! Na wird’s mal? Oder soll ich mit dem Jewehrkolben nachhelfen? Na jutt, wenn ihrs durchaus haben wollt!‘ Der Feldwebel und seine Untergebenen schlugen auf alle ein: jung oder alt, ruhig oder

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aufgeregt, schuldig oder unschuldig. – Es war qualvoll, sie stöhnen und klagen zu hören. (IV) Ich hörte es, obwohl ich schwer getroffen war, so schwer, daß ich zusammenbrach. Wir alle, die am Boden lagen und nicht aufstehen konnten, wurden noch über den Kopf geschlagen. Ich muß bewußtlos gewesen sein. Das Nächste, was ich vernahm, waren die Worte eines Soldaten: ,Sie sind alle tot‘, worauf der Feldwebel befahl, uns wegzuschaffen. Da lag ich an der Seite, nur halb bei Bewußtsein. Es war sehr still geworden – Angst und Schmerz. (V) Dann hörte ich den Feldwebel schreien: ,Abzählen!‘ Sie begannen langsam und unregelmäßig: Eins, zwei, drei, vier – ,Achtung!‘ der Feldwebel schrie wieder. ,Rascher! Nochmal von vorn anfangen! In einer Minute will ich wissen, wieviele ich zur Gaskammer abliefere! Abzählen!‘ Sie begannen wieder, zuerst langsam: Eins, zwei, drei, vier, wurden schneller und schneller, so schnell, daß es schließlich wie die panische Flucht wilder Pferde klang, und ganz plötzlich, mitten drin, fingen sie an, das Šəma’ Yiśro’ēl zu singen. Männerchor: Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig. Gelobt sei der Name seines erhabenen Königsreichs in alle Ewigkeit. Und Du sollst lieben den Ewigen, Deinen Gott, mit Deinem ganzen Herzen, mit ganzer Seele und Deiner ganzen Kraft. Und diese Dinge, die ich Dir heute befehle, sollen in Deinem Herzen sein, und Du sollst sie Deine Kinder lehren, und Du sollst sie ihnen sagen, wenn Du im Hause sitzt und wenn Du auf dem Wege gehst und wenn Du liegst und wenn Du stehst.“ Dem Werk liegt eine Zwölftonreihe zugrunde, aus der alle wichtigen Motive gebildet werden – das Fanfarenmotiv, das die KZ-Realität heraufbeschwört ebenso wie der Schlusshymnus. Dieser dramatische Schluss ist der Höhepunkt, auf den alles hinzielt. Im Unisono des Chores erklingt die Reihe zum ersten Mal in aller Deutlichkeit – nackt, wie die Wahrheit. Die musikalische Gestaltung des Stücks, das scheinbar chaotisch begonnen hat, triumphiert im kollektiven Gesang, analog zum Text. Religiöse Solidarität wird hier beschworen. Anteilnahme mit den Opfern. Hoffnung. Zuversicht. „Dieser Text basiert teilweise auf Berichten, die ich direkt oder indirekt erhalten habe“, schreibt Schönberg auf die Titelseite seiner Komposition. Eine seltsam unklare Aussage. Sollte das Werk alles bündeln, was er erfahren hat, was ihn erschütterte? Nachrichten über tote Verwandte und Bekannte, Schilderungen über erlebte und überlieferte Grausamkeiten, Erinnerungen wie die an jenen Abzähl-Befehl, jenes Schreien des Bataillonsführers, von dem Josef Polnauer berichtete? Er selbst teilt später in einem Brief mit, was der Text für ihn bedeutet: „[…] er stellt zuerst eine Warnung an alle Juden dar, nie zu vergessen, was uns angetan wurde, nie zu vergessen, dass selbst Menschen, die selbst keine Täter waren, diesen zustimmten und viele von ihnen es für notwendig hielten, uns so zu behandeln. Wir sollten dies nie vergessen, selbst wenn solche Dinge nicht genau in der im Überlebenden beschriebenen Art getan wurden. Die spielt keine Rolle. Der Hauptpunkt ist, dass ich es in meiner Vorstellung sah.“

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„Ich erinnere mich nur an den großartigen Augenblick“, sagt der Erzähler im Überlebenden aus Warschau, „als alle – wie wenn es verabredet gewesen wäre – das alte Gebet anstimmten, das sie so viele Jahre vernachlässigt hatten – der vergessene Glaube!“ Hatte nicht auch Schönberg seinen Glauben viele Jahre vernachlässigt? Sollte der Schlusschor auch Selbstreflexion sein und Mahnung an alle Juden, sich rückzubesinnen auf ihren Gott? Wie hatte Schönberg noch geschrieben in jenem furchtbaren Jahr 1933? „Ich nämlich halte es sogar für sicher: wir haben unseren Gott verlassen, und nun straft er uns – in allen Ländern, in denen wir zuhause sind.“ Wegen eines Augenleidens, das ihn seit Jahren behindert, kann Schönberg keine komplette Partitur aufschreiben, sondern notiert ein Particell, ein noch unfertiges Manuskript, auf spezielles Notenpapier mit breiten Notenlinien. Drei Monate später, im Dezember 1947, stellt sein Schüler René Leibowitz die endgültige Partiturfassung her. Wenige Wochen darauf, am 25. Februar 1948, bekommt Schönberg noch einmal einen Brief von der Sekretärin Margaret Grant. Sie schickt ihm die Titelseite seines Original-Manuskripts zurück mit der Bitte: „Wenn Sie eine andere Titelseite hätten mit der Inschrift ‚Für die Koussevitzky Music Foundation, gewidmet zum Gedenken an Natalie Koussevitzky‘, wären wir Ihnen sehr dankbar.“ Es ist nicht das erste Mal, daß Serge Koussevitzky seine 1942 verstorbene Frau Natalie mit einer musikalischen Zueignung posthum ehren will. Zur Erinnerung an sie hat er die Stiftung 1943 gegründet, und es gibt schon eine stattliche Reihe von Komponisten, die Natalie ein Werk gewidmet haben. Strawinsky zum Beispiel hat ihr seine Ode zugeeignet, Bartok sein Konzert für Orchester. Nun soll auch Schönbergs Überlebender von Warschau dazugehören. Der Auftraggeber fordert seinen Tribut. Schönberg lässt sich Zeit damit. Er selbst hat nach Ablieferung des Particells sieben lange Wochen warten müssen, bis ihm die Stiftung endlich das dringend benötigte Honorar überwies. Sieben Monate später, im September 1948, schickt er das verlangte Titelblatt, „das der Form entspricht, die Sie gewünscht haben.“ Die, für die er sein Werk komponiert hat, bedürfen keiner Zueignungsfloskeln. Die Musik selbst drückt mehr aus als alle Worte.

ANMERKUNGEN

I. Musikalisches Opfer oder Revanche im Kontrapunkt? 11

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„Gestern erhoben sich…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 554 sprachlich adaptiert v. V. „alhier eingetroffen…“: Ibid. „Aus Potsdam vernimmt man…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 554 „Herr Bach fand…“: Ibid. „der Musik, seinem Vaterlande…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „Im Jahre 1747…“: Ibid. „Die Welt weiß…“: Forkel, S. 12 „Carl Philipp Emanuel…“: Ibid., S. 24 „Rapport von angekommenen…“: Ibid., S. 24 „Mit der Flöte in der Hand…“: Ibid., S. 24 „sofort exacte executiret…“: Gaxotte, S. 310 „Pflegling der Musen…“: Hofmann, S. 127 „roi pauvre musicien“: Becker, S. 154 „[…] sein Spielen übertraf…“: Burney, S. 403 „dessen Größe und Stärke…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Schule der Widerwärtigkeiten“: Gaxotte, S. 308 „formiert“: Holmsten, S.12 „von denen Opern…“: Ibid., S. 14 „Flötengesäusel“: Witt, S. 509 „Kaufpreis“: Holmsten, S. 25 „die glücklichste“: Pangels, S. 125 „Europa sieht auf Dich…“: Holmsten, S. 40 „1740 bey Antritt…“: Ottenberg, S. 48 „nunmehr das musikalische…“: Ibid., S.73 „den Rubikon überschritten“: Koser, Bd. 1, S. 147 „Durst nach Ruhm“: Gaxotte, S. 256 „die Genugtuung darüber…“: Ibid., S. 256 „hochansteigende Summen Geldes…“: Bach-Archiv Leipzig, Supplement Bd. 4, S. 313 „bey diesen Drangsalen“: Ibid., S. 313 „mit würklicher Einquartierung…“: Ibid., S. 313 „da wir leider!…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 49 „Es lebe Friedrich, der Große“: Holmsten, S. 70 „Sind wir armen…“: Ibid.

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Anmerkungen

„Königlich Polnischen…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III., Nr. 666 „Der König gab…“: Forkel, S. 25 „ihrer 15“: Ibid. „probiert und phantasiert“: Ibid. „Ohne einige Vorbereitung“: Bach-Archiv Leipzig, Dok.II, Nr. 554 „in Verwunderung“: Ibid. „Mit ehrfurchtsvollem…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Weil aber nicht jedes Thema…“: Forkel, S. 25 „obligat“ ist eine ergänzende Bezeichnung für verbindliche, selbständig geführte Instrumental- oder Vokalstimmen, die nicht weggelassen werden dürfen (vgl. Hirsch, S. 324) „[…] vermutlich um zu sehen…“: Forkel, S. 25 „gehässigen Fehler“: Krokow, S. 126 „unselige Freude…“: Augstein, S. 106 „Ich bemerkte aber…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Vergnügen“: BachArchiv, Dok. II, 554 „zu allen in Potsdam…“: Forkel, S. 25 „Componir-Stube“: Wolff, S. 442 „in einer ordentlichen Fuga“: Bach-Archiv, Dok. II, Nr. 554 „Canones diversi…“: Küster, S. 963 „Notulis crescentibus…“: Ibid. „Ascendenteque Modulatione…“: Ibid. S. 963 f. „Schuldiges Opfer…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Ew. Majestät weyhe…“: Ibid. „Regis Iussu…“: Küster, S. 960 „treffliche Thema“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Stile antico“: Blume, S. 72 „künstliche“: Küster, S. 960 „wobey es scheine…“: Ibid. „Begierde in der Musik…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „musicalisch-Bachischen Familie“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 184 „Hof-und Stadtmusikus“, Dok. III, Nr. 666 „in seiner profession…“: Rollberg, S. 141 „Ich habe fleißig seyn…“: Forkel, S. 71 „Lust“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „zarten Alter ungemein“: Ibid. „Freitisch“: so genannte hospitia, wie sie von wohlhabenden Familien für arme begabte Schüler zu Verfügung gestellt wurden. Dafür mussten die Schüler den Söhnen der Familie privat Unterricht geben, wofür sie zusätzlich honoriert wurden. „die ersten Prinzipia…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 323 „In kurtzer Zeit…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „Ein Buch voll…“: Ibid. „am 15. März 1700…“: Wolff, S. 44

Anmerkungen

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„wohl aufgenommen“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „alles zu tun…“: Forkel, S. 19 „Laquey“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 6 „zu behorchen“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „daselbst ein und anderes…“: Bach-Archiv Leipzig, Nr. II, Nr. 16 „dergestalt seyn versehen…“: Ibid., Nr. 16 „bißher in dem …“: Ibid. „gleich auf das…“ : Ibid. „Verweißen ihm…“: Ibid. „Sey ihm leid…“: Ibid. „einen rechtschaffenen…“: Ibid., Nr. 17 „ohnlängsten“ eine „frembde Jungfer…“: Ibid. „hinlänglicheren subsistence“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 1 „Wiedrigkeit“ und „Verdrießligkeit“: Ibid. „Endzweck, nemlich…“: Ibid. „Weil er nicht auffzuhalten…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 36 „eine vergnügte Ehe“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „größthenteils nur durch…“: Ibid. „die meisten seiner Orgelstücke“: Ibid. „musikalisch denken“: Forkel, S. 44 „Kirchenstücke“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „alles was ihm Marchand…“: Ibid. „Gesellschaft von…“: Ibid „mit Extrapost aus Dreßden“: Ibid. „nunmehr allein Meister…“: Ibid. „berühmten Organisten zu Weimar“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 200 „eodem d. 6. Nov…“: Ibid., Nr. 84 „Ungnade“: Ibid. „an einem Orte…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok., III, Nr. 948 „Daselbst hatte…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok I, Nr. 23 eine Menge…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „Kuh-Köthen“: Wolff, S. 227 „die Freiheit genommen…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 150 „ohngeachtet er…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „amusa“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 23 „Fortun anderweitig…“: Ibid. „anfänglich gar nicht…“: Ibid. „4. Wagen mit…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 138 „sich dem löblichen…“: Ibid., Nr. 147 „ohngleich schwerer…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 34 „bey dem Gebet…“: Wolff, S. 446 f. „es habe derselbe…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 280 „es thue der Cantor…“: Ibid. „der Cantor incorrigibel…“: Ibid.

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Anmerkungen

„dem Cantor die Besoldung…“: Ibid. „Kurtzer, iedoch…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 22 „wunderliche und der Musik…“: Ibid. Nr. 23 „ein sehr theurer…“: Ibid. „Meine itzige station…“: Ibid. „Protection“: Ibid., Nr. 27 „Praedicat“: Ibid. „verstecktesten Geheimnisse…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „die Vollstimmigkeit…“: Ibid. „Wißenschaft ...“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I. Nr. 27 „wesen der Music“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 409 „was in der Kunst…“: Bach Jahrbuch 1992, S. 101 f. „Beweiß“ : Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 147 „daß […] die Musica…“: Ibid. „Gelegenheit mit braven…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 803 „zu einer leichten…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 666 „ernsthaftes Temperament“: Ibid. „friedfertig, ruhig und…“: Hilgenfeldt, S. 172 „seiner Kunst…“: Ibid. „Schmerzen und Wehmuth“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 42 „grossen Mann“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 400 „Contrapunctisten“ Bach Jahrbuch 1986, S. 73 „Galanterie-Stückgen“: Ibid., S. 69 „Wenn aber Herr Bach…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 436 „itzigen musicalischen gustum“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 22 „Auf meiner Rückreise…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. II, Nr. 557 „die Majestät…“: Schleuning, S. 30 „es mag solches…“: Ibid. S. 24 „blose practische…“: Ibid. „Wenn ein Mitglied…“: Ibid. S. 30 „nunmehro die Presse…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 558a „in tiefster Unterthänigkeit…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. I, Nr. 173 „Fürst Leopold…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 803 „einen prächtigen…“: Grützner, S. 35 „einem das Wasser…“: von Oppeln-Bronikowski und Volz, S. 163 „Es freut mich…“: Thouret, S. 160 „nach der Kirche“: Ibid. S. 31 „ohrenzerreißende Katzenmusik“: Gaxotte, S. 446 „nützlichen“: Münnich, S. 914 „angenehmen“: Ibid. „Zu meinem Bedauern…“: Gaxotte, S. 284 „Den ernsten Beschäftigungen...“: Münnich, S. 914 „unsterblichen Geist…“: Bach-Archiv Leipzig, Dok. III, Nr. 787 „Unter anderem…“: Ibid., Nr. 790 (deutsche Übersetzung: Nettl, S. 139)

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II. „Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben“ 40

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„Ich muß sagen…“: Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (Hg.), Mozart Briefe und Aufzeichnungen, Gesamtausgabe, B. II (im Folgenden: Briefe, in aktuelles Deutsch übertragen v. d. Verf.), S. 326 „recht gut“: Ibid. „Die Mlle. Weber…“: Ibid., S. 326 f. „Mit dieser letzten…“: Ibid., S. 327 „Cannabich hat gleich…“: Ibid. „fast erstickt…“: Schenk, S. 310 „Wir haben geglaubt…“: Briefe, S. 326 „Sie können sich…“: Ibid. „Die Weberin hat…“: Schenk, S. 309 f. „Tazeln“ = Manschetten „Gnädigster Landes Fürst…“: Ibid., S. 237 f. „Mufti“: Ibid., S. 242 „Untiehr“: Briefe, S. 263 „Salzburg ist kein…“: Ibid., S. 439 „Ich lebe in einem…“: Schenk, S. 234 f. „Gottlob!…“: Ibid., S. 228 „Erstens war…“: Ibid. „Stelle Dir…“: Ibid. „der Welt ein Wunder…“: Ibid., S. 56 „Leute von Künsten…“: Valentin, S. 13 „armselige Geschöpfe“: Ibid. „für ein Spottgeld“: Nissen, S. 345 „Bedrückung, Verfolgung…“: Briefe, S. 324 „Er schämte sich nicht…“: Nissen, S. 346 „traurigen Umstände“: Schenk, S. 237 „ Euer Hochfürstliche Gnaden…“: Ibid., S. 238 „Nachdem ihr abgereist…“: Ibid., S. 240 „Auf die Hofkammer…“: Ibid. S. 238 „Brav lachen…“: Ibid., S. 241 f. „voll in Geschäften“: Ibid., S. 243 „nur schnurgerade“: Ibid. „Er war sehr höflich“: Ibid. „Als ich ihm sagte…“: Ibid. „Ich bin immer…“: Ibid., S. 244 „Wir führen ein…“: Briefe, S. 14 „die Kirche sowohl…“: Ibid., S. 17 „Hast Du in Deinem…“: Ibid. „Ich bitte Dich…“: Ibid., S. 15 „Du weißt, daß…“: Ibid, S. 17 „erschrecklich das Maul…“: Ibid., S. 18 f.

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Anmerkungen

„Ich glaube…“: Schenk, S. 245 „Machte es ganz kurz…“: Briefe, S. 31 f. „Als der Kurfürst…“: Schenk, S. 246 „Ich wünschte nur…“: Ibid. „Für mich alleine…“: Ibid., S. 247 „Herr Albert…“: Ibid, S. 247 f. „Daß du allein in…“: Ibid., S. 249 „Wenn du siehst…“: Briefe, S. 56 f. „Du weißt schon…“: Ibid. „Hören Sie nur…“: Ibid, S. 54 „untertänigste Empfehlung…“: Ibid. „Erz-Stadtpfleger“: Ibid. „Er […] frage mich…“: Ibid. „Longotabaro“: Ibid. „Ich mußte mich…“: Ibid. „der junge Esel von kurzen Mantl“: Ibid., S. 63 „Was wird es etwa kosten?...“: Ibid. „Ich sagte:…“: Ibid., S. 64 „Sie sind halt…“: Ibid., S. 66 „ein rechtes Getös und Lärm“: Schenk, S. 261 „Bäsle“: Briefe, S. 66 „schön, vernünftig…“: Ibid. „Wir zwei taugen recht…“: Ibid. „Ich bin kein Pedant…“: Ibid, S. 79 „miserablen Wirtshaus“: Ibid., S. 93 „Dort ist es…“: Ibid. „Ich habe geglaubt…“: Schenk, S. 273 „sagte auf Welsch…“: Ibid, S. 275 „Sie hat sich noch…“: Briefe, S. 108 „Der Kurfürst, sie…“: Schenk, S. 275 „Nun habe ich mit…“: Briefe, S. 119 „Er hat einen Sohn…“: Ibid., S. 110 „Ich spielte dreimal…“: Ibid. „zweifle sehr…“: Schenk, S. 280 „Um des Himmels Willen!...“: Briefe, S. 130 „Nimmt mirs nicht…“: Ibid., S. 127 „foppen“: Ibid., S. 66 „Ich, Johannes…“: Ibid., S. 123 f. „Ich weiß in der Tat nicht…“: Ibid., S. 140 ff. „in der Geschwindigkeit…“: Ibid., S. 144 „Heut muß ich…“. Ibid., S. 135 „Ich mag von einem…“: Ibid., S. 148 f. „Narrenspossen“; Schenk, S. 280 „Vielleicht kann ich…“: Briefe, S. 138 f.

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„Potz Orakelsprüche…“: Schenk, S. 282 „Erz-scolaren“: Briefe, S.146 „Ohne den Erz…“: Ibid. „Nun lassen wir…“: Schenk, S. 282 „Daß Du, mein Sohn…“: Briefe, S. 166 „Heute vormittag…“: Briefe, S. 152 f. „Er sagte zu mir…“: Schenk, S. 276 „er möchte doch…“: Briefe, 161 „Jetzt wird mir…“: Ibid., S. 169 f. „Hier ist dermalen nichts…“: Ibid., S. 177 „[…] wegen dem Wolfgang…“: Ibid., S. 180 „so viel zu tun…“: Schenk, S. 286 „Künftigen Mittwoch…“: Briefe, S. 226 f. „Nun wird der Wolfgang…“: Ibid., S. 241 „Der Mademoiselle Weber…“: Ibid. „Gefahren“: Ibid., S. 244 „Frauenzimmer, die ihre…“: Ibid. „größte Zurückhaltung…“: Ibid., S. 258 „der seine Kinder gut erzieht“: Ibid., S. 277 „Wenn wir allenfalls…“: Ibid. 146 „anecdote“: Ibid., S. 166 „Madam Mutter!…“: Ibid. S.245 f. „Ich hätte unmöglich…“: Ibid., S. 251 „Was mich am meisten…“: Ibid. ff. „bei Hofe“: Ibid., S. 251 „[…] wir haben aber…: Ibid. „Apropos…“: Ibid. „Mein Gedanke ist…“: Ibid., S. 252 ff. „Mein lieber Mann!…“: Schenk, S. 298 „Du gedenkest…“: Briefe, S. 275 ff. „Ich habe mir…“: Schenk, S. 303 „Schnupfen, Kopfweh…“: Ibid., S. 306 „Schwarzpulver“: Ibid. „Hollerblüh-Tee“: Ibid. „Ich bitte Sie um Verzeihung…“: Briefe, S. 290 f. „Ich weiß nicht, woher…“: Einstein, S. 348 (adaptiert v. Verf.) „zum Herzen […] cantabile“: Briefe, S. 287 „di Amadeo Wolfgango…“: Köchel, S. 302 „Die Wörter sind…“: Briefe, S. 304 „die so schön…“: Ibid. „Diese Arie habe ich…“: Ibid. f. „Ich wollte nur wünschen….“: Ibid., S. 318 „Ich habe also…“: Ibid., S. 300 „Salzburger Kreuz…“: Briefe, S. 301

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Anmerkungen

„den 15ten aber…“: Ibid., S. 316 „den 15ten reiset…“: Ibid., S. 317 „Ich wollt nur…“: Ibid., S. 292 „Was meine Lebensart…“: Ibid., S. 330 „Meine Kost…“: Ibid. „sehr krank“: Ibid., S. 387 „Sie ist sehr schwach…“: Ibid. „Erzspitzbuben“: Ibid., S. 389 „Allerbester Freund…“: Ibid., S. 390 f. „kurz – leicht – popular“: Schenk, S. 327 „[…] die dummen…“: Ibid., S. 331 „Wenn hier ein Ort…“: Briefe, S. 346 „Sie haben Genie…“: Hildesheimer, S. 69 „Liebste Freundin!…“: Ibid., S. 70 „Alle jungen Leute…“: Schenk, S. 329 f. „bedruckten“: Ibid., S. 297 „Leck mir das Mensch…“: Ibid., S. 347 „[…] es war mir bis dato…“: Briefe, S. 529 „Bei der Langin war…“: Hildesheimer, S. 98 „bis zu seinem Tode“: Medici di Marignano und Hughes, S. 128 „Ich fragte sie…“ Ibid. III. „Die Symphonie ist eigentlich betitelt Bonaparte“

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„Die Symphonie ist eigentlich…“: Kastner-Kapp (im Folgenden: KK), S. 82 „Mein lieber, guter…“: KK, S. 45 f. „Soviel will ich…“: Ibid. S. 45 f. „Geheimnis“: Ibid. S. 48 „[…] mein Gehör…“: Ibid., S. 46 „Um Dir einen…“: Ibid., S. 47 „[…] wie oft wünsche…“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 84 f. „Muth. Auch bei…“: Busch-Weise, S. 77 „Talent“: KK., S. 43 „Kraft“: Ibid. „Etwas angenehmer…“: Ibid., S. 53 f. „liebes, zauberisches Mädchen“: Ibid. 53 „[…] es sind seit zwei Jahren…“: Ibid. „[…] jetzt – könnte ich…“: Ibid. „Diese Sonate hat sich…“: Ibid, S. 36 „Ich lebe nur…“: Ibid., S. 49 „auf einen Heroen“: im Original: „Marcia Funebre sulla morte d’un Eroe“ „teuerster Musikgraf“: Solomon, S. 140 „Baron Dreckfahrer“: Ibid. „Faschingslump“: Ibid.

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„[…] bin ich nicht…“: KK, S. 49 „äuserst mittelmäsigen Künstlern“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 107 „Viele Geschäfte…“: KK, S. 57 „Ich bin auf’m Land…“: Ibid., S. 58 „um eine Lection…“: Wegeler-Ries, S. 117 „Die beginnende…“: Ibid., „Ich machte ihn…“: Ibid., S. 118 „Leiden und von dem Kampf…“: Solomon, Tagebuch, S. 2 „O ihr Menschen…“: KK, S. 58 „[…] wie ein Verbannter…“: Ibid., S. 58 „heiße Ängstlichkeit“: Ibid., S. 59 „So war es denn…“: Ibid. „[…] empfehlt euren Kindern…“: Ibid., S. 60 „Vorsehung“: Ibid., S. 61 „Ich habe zwei Werke…“: Ibid., S. 61 f. „auszuharren“: Ibid., S. 59 „Geduld“: Ibid. „Kein Geheimnis sey…“: Nottebohm, S. 89 „auf eine wirklich…“: KK, S. 61 „Nichtkenner“: Ibid., S. 67 „Da diese Variationen…“: Ibid. „gewaltvolle Musik“: Thayer, Deiters, Riemann (im Folgenden: TDR), Bd. 2, S. 382 „Auch der wackere Beethofen…“: Landon, S. 103 „Schon lange wollte ich…“: KK, S. 68 „Jetzt hab ich…“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd. 1, S.164 „eine große Simphonie“: Ibid., S. 165 „eingeschlichen haben“: KK, S. 71 „Bei den großen…“: Ibid. „die Macht der Musik…“: Floros, S. 39 „himmlischen Fackel“: Ibid. „eine innerlich vernommene…“: Ibid., S. 40 „und bei IhrenWeisen…“: Ibid., S. 41 „heroischen Tanz“: Ibid., 42 „wie der Tod…“: Ibid. „scherzhaft-spielerische“: Ibid. „und so endet unter…“: Ibid. „[…] nur die Kunst…“: KK, S. 224 „[…] sind es diese…“: Ibid., S. 727 „Priester des Apoll“: Ibid., S. 777 „Geschwätz“: Ibid., S. 37 „[…] frei bin ich…“: Ibid., S. 725 „Nr. 4 die Straße…“: TDR, Bd. 2, S. 400

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Anmerkungen

„des Grellen und Bizarren…“: Ibid., S. 459 „Die Symphonie…“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 190 „dem außerordentlichen…“: Floros, S. 113 „Humanität“: Marx, S. 177 „Wohltun“: Ibid. „feudal“: Ibid. „Der Mensch repräsentiert…“: Kerst, Bd. I, S. 71 „für einen Republikaner…“: Ibid., S. 139 „Herrn Hof Kapellemeister“: Wetzstein, S. 7 „Ehrenmann“: Kerst, Bd. 1, S. 216 „Mit seinen Jugendfreunden…“: Wegeler-Ries, S. 12 „sehr betrübten umstenden“: TDR, Bd. I, S. 125 „dann war er munter…“: Ibid., S. 117 „[…] wenn sie aber…“: Wetzstein, S. 98 f. „Madamm v: Beethoven…”: Ibid, S. 99 „stille, leidende Frau“: TDR, Bd. I, S. 120 „oft schmutzig…“: Wetzstein, S. 52 „Beethovens Kinder…“: TDR, Bd. I, S. 128 „scheu und einsilbig“: Ibid., S. 134 „verdrießlich unter…“: Ibid. „[…] was kratzest du da…“: Kerst, Bd. I, S. 3 „sein Söhngen…“: TDR, Bd. I. S. 130 „Als er so…“: Kerst, Bd. I, S. 10 f. „Louis van Betthoven“: TDR, Bd. I, S. 150 „ein Knabe…“: Ibid. „Er spielt sehr…“: Ibid. „Seegrüner Frackrock…“: Kerst, Bd. I, S. 8 „gleich zu stehen…“: Wetzstein, S. 62 „Ich danke Ihnen…“: KK, S. 20 „kein leerer Klingklang…“: Schiedermair, S. 90 „Verstand und Charakter…“: Kaden, S. 398 „Ich bin kein Freund…“: Engelhardt, S. 23 ff. „fürstliche Theatergesindel“: KK, S. 105 „Etwas Kleineres als…“: Goldschmidt, Köhler, Niemann, S. 82 „Besser mit Künstlern…“: Ibid. „die aufgeklärteste…“: Geck, S. 15 „Staatsbedienung“: Braubach, Max Franz, S. 93 „die besten periodischen…“: Geck, S. 20 „die Menschen…“: Marx, S. 174 „Täglich haben seine…“: Engelhardt, S. 22 „von guter, stiller…“: TDR, Bd. 1, S. 191 „sehr Arm“: Ibid., S. 190 „Beethoven wurde bald…“: Wegeler-Ries, S. 14 „Es gibt keine Abhandlung…“: KK, S. 148

Anmerkungen

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„Dieses junge Genie…“: TDR, Bd. I, S. 150 „ein Herrlicher ort…“: Kunze, S. 212 „elendsten Gesundheitsumständen“: KK, S. 14 „o! wer war…“ Ibid. „nächtliche Straßenskandale“: von Breuning, S. 13 „kleiden, nähren…“: Solomon, S. 49 f. „für die Erziehung…“: Ibid., „Mäcen“: Wegeler-Ries, S. 17 „Er war nicht nur…“: Ibid., S. 18 „Zum Zehrgarten“: Braubach, Von den Menschen, S. 11 „ächte Adel…“: Marx, S. 174 „Wer ist ein…“: Hermand, S. 51 „Ich lege Ihnen…“: TDR, Bd. I, S. 303 „in der Setzkunst…“: Ibid., S. 288 „Lieber Beethoven!…“: Rexroth, S. 54 „Holz, Perrückenmacher…“: TDR, Bd. I, S. 345 „Schwarze, seidene…“: Ibid. „ein paar Winter…“: Ibid. „Alle Nothwendigkeiten…“: Ibid., S. 345 f. „In Bonn…“: Ibid., S. 346 „kleiden, nähren…“: Solomon, S. 49 f. „von meinem teuren…“: Ibid., S. 35 f. „nie etwas von…“: TDR, Bd. I, S. 352 „Haydn sei neidisch…“: Wegeler-Ries, S. 102 „Ich würde bei…“: Syré, S. 44 „lieben“: Solomon, S. 92 „um ihn nicht…“: Ibid., S. 93 „Kenner und Nichtkenner…“: Ibid. „der nothwendige…“: Ibid. „schon hier zu in Bonn…“: Ibid., S. 94 „Ich denke dahero…“: Ibid. „in Wien, bis er…“: TDR, Bd. I, S. 343 „fröhlichern Menschen…“: KK, S. 18 „hiesigen Klaviermeister…“: Ibid., S. 19 „Todfeinde“: Ibid. „[…] in dem jungen…“: Kerst, Bd. I., S. 40 „[…] er verstand es…“: TDR, Bd. II, S. 14 „Patriarch“: Ibid., Bd. I, S. 381 „Wenn Sie künftigen…“: Ibid., S. 386 „Zum Zwischenspiel…“: Ibid., S. 400 „Pränumeration auf…“: Marek, S. 128 f. „für Haidn und mich“: TDR, Bd. I, S. 350 „eine der Art…“: Solomon, S. 80 „Meine Kunst erwirbt mir…“: KK, S. 25

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Anmerkungen

„Mir geht’s gut…“: Ibid., S. 27 „Sein Anzug war…“: Kerst, Bd. I, S. 24 „[…] mit Menschen…“: Syré, S. 50 „Er war sehr stolz…“: Kerst, Bd. I, S. 24 „Nun soll ich…“: TDR, Bd. I, S. 396 „Komme er nicht…“: Syré, S. 49 „Hertzens Natzerl!…“: Ibid. „Ich habe die Gabe…“: Ibid. „Ich gestehe…“: Ibid. „sogenannten großen Herrn“: Schmitz, S. 65 „Hol’ Sie der Teufel…“: KK, S. 28 „Großmogul“: Solomon, S. 98 „etwas hohen Ton“: Kerst, Bd. I, S. 39 „ein böses Maul“: TDR, Bd. II, S. 130 „Wohltun, wo man kann…“: Goldschmidt, Zu Beethoven, S. 191 „Hier hat man…“: KK, S. 22 „man sagt…“: Ibid. „Sie müssen doch…“: Ibid. „Lieblingsthema“: Kerst, Bd. I, S. 71 „die Begeisterung des Volkes…“: Reinalter, S. 469 „Franz den Kaiser“: Haydns Hymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“ wurde zum ersten Mal am 12. Februar 1797 zum Geburtstag des Kaisers in allen Theatern Wiens und der österreichischen Provinz gesungen und mit großem Jubel aufgenommen. „den größten Helden…“: TDR, Bd. II, S. 65 „alles bewegenden Genius“: Conrady, S. 210 „Allgenannten“: Floros, S. 107 „von großem hohem Geist…“: Floros, S. 109 „vor anderen auszeichnen“: KK, S. 28 „den größten römischen Consuln“: Wegeler-Ries, S. 93 „Er lebte in dem festen…“: Goldschmidt, Köhler, Niemann, S. 82 „Neuen Prometheus“ „Bekämpfer…“: Floros, S. 45 „Reit Euch denn…“: KK, S. 56 „[…] ach, es dünkte mir…“: KK, S. 59 „[…] selbst große Handlungen…“: KK, S. 58 „in die Reihe würdiger…“: Ibid., S. 59 „Bei dieser Symphonie…“: Wegeler-Ries, S. 93 20. September 1803: Der Brief dürfte um den 20. September geschrieben und abgeschickt worden sein, da er am 26.9.1803 in Leipzig eintraf. Nach verlagsinterner Tradition (C. F. Peters) wird er mit dem 22.9.1803 datiert; möglicherweise war er einer Sendung von Hoffmeister & Comp. (Leipzig) mit diesem Datum beigefügt. „Jetzt lebt wohl…“: KK, S. 72 „Paris besser…“: KK, S. 49

Anmerkungen

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„für 100 Gulden“: hier dürften Dukaten gemeint sein „viel Lust“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 190 100 „Ich war der erste…“: Wegeler-Ries, S. 93 „späterhin […] auf einige…“: Ibid., S. 94 101 „Ich gäb’ noch einen…“: TDR, Bd. II, S. 459 „unerträglich“: Ibid., S. 460 „Das Publicum…“: Ibid. „Sinfonia grande…“: Brauneis, S. 8 „Die Simphonie ist eigentlich…“: Brandenburg, Gesamtausgabe, Bd.1, S. 219 „innere ideelle Zusammenhang“: Dahlhaus, S. 52 „Sinfonia eroica…“: Brauneis, S. 18 102 „adeligen Kavalier“: Ibid., S. 14 „die Spitze des deutschen Chaos…“: Ibid., S. 17 „Sie allein…“: Ibid. IV. Lieder ohne Widerhall 104 „Euer Exzellenz!…“: Deutsch, Dok., S. 40 f. 106 „Verschiedene Anordnungen…“: Damm, Tagebuch, S. 273 f. „keine posttägliche Ruhe…“: Unterberger, Bd. 7, Teil II, S. 550 „Oberaufsicht über…“: Ibid., S. 831 „öffentliche Person“: Conrady, S. 413 „manches Mühsame…“: Unterberger, Bd. 7, Teil II, S. 581 „2 Querfinger vom Tode“: Schäfer-Weiss, Bd. 8, Teil I, S. 353 „Nicht gar wohl…“: Damm, Tagebuch, S. 258 „Magenkrämpfe“: Ibid., S. 260 „Über Tisch…“: Ibid., S. 306 „Hauswirthschaftl. Besorgungen…“: Ibid., S. 314 107 „Eine starke Ohnmacht…“: Ibid., S. 334 „Gefährlicher Zustand…“: Ibid., S. 357 „Rückfall meiner Frau“: Ibid., S. 363 „Gefährliches Befinden…“: Ibid., S. 363 „Verschlimmerter Zustand…“: Ibid., S. 363 „Meine Frau in…“: Ibid., S. 365 „Nahes Ende…“: Ibid., S. 366 „Du versuchst, o Sonne…“: Unterberger, Bd. 7, Teil II, S. 865 „Leugnen will ich…“: Conrady, S. 425 „kleine Sang- und Klanggesellschaft“: Walwei-Wiegelmann, S. 237 „So sehr auch…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 113 „Er war ungemein…“: Ibid., S. S. 20 108 „Gewöhnlich ist’s…“: Deutsch, Dok., S. 44 „Ich spielte…“: Ibid., S. 43 „[…] nicht mündlich…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 48 109 „Es ist wahr…“: Ibid., S. 251 „durch Lektiongeben“: Ibid., S. 49

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Anmerkungen

„Musikmeister“: Knaus, S. 124 „Nach dieser ermüdenden…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 62 „Freizeit unter der Woche…“: Bodendorff, S. 48 „An diesem Tag…“: Deutsch, Dok., S. 45 „mit vielem Beifall…“: Ibid., S. 48 „An Herrn Franz Schubert…“: Ibid., S. 47 „Das Werk, voll Erfindung…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 93 „dem dortigen Tonkünstler…“: Deutsch, Dok., S. 48 „Der Mensch gleicht…“: Ibid., S. 49 „Selige Augenblicke…“: Ibid., S. 49 f. „Sonderbare Fragen…“: Ibid., S. 50 „[…] ich habe Eine…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 154 f. „Ich hörte oft…“: Deutsch, Dok., S. 49 „stille, von ihren Kindern…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 46 „k.k. Armenvater“: Knaus, S. 47 „wahrscheinlich guten…“: Ibid., S. 51 „wo er sich immer…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 181 „In seinem achten…“: Ibid., S. 181 f. „Ich war sehr erstaunt…“ Ibid., S. 182 „[…] auch spielte er damals…“: Ibid., S. 29 „Sehr traurig trennte…“: Ibid. „Sitten“ und „Studien: Kraus, S. 88 „nicht behaglich“: Deutsch, Erinnerungen, S. 106 „fast immer…“: Ibid., S. 39 „Auch auf den…“: Ibid. „[…] der kleine Schubert…“: Ibid., S. 106 „Ich fand ihn einmal…“: Ibid., S. 107 „Sie sind mir…“: Ibid. „Sie Glücklicher…“: Ibid. „Ich fand meinen…“: Ibid., S. 108 „Nach einigen Tagen..“: Ibid. „Er hatte damals schon…“: Ibid. „eine Sonate…“: Ibid., S. 108 „in unglaublicher Menge“: Ibid. „Als er mir eines Tages…“: Ibid., S. 109 „Schüler des Herrn Salieri“: Deutsch, Dok., S. 39 „Der kann alles…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 29 „ein vorzüglicher Genuß…“: Ibid. „Dies geschah…“: Ibid., S. 29 f. „Die Nähe des Gottesackers…“: Deutsch, Dok., S. 43 „Da kam mir…“: Ibid., S. 159 „Schubert Franz zum…“: Ibid., S. 21 „Sein Vater, sonst ein…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 108

Anmerkungen

117 „Unaufhaltsam rollt…“: Deutsch, Dok., S. 25 „um ungestört…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 15 „gute Dosis Humor“: Ibid., S. 39 „Fine mit’n Quartett…“: Dok., S. 25 118 „polyrhythmisches Lied“: Dürr, S. 39 „Sprach- Sang- und Spiel-Rhythmus…“: Ibid. „Beginn des romantischen Klavierliedes“: Ibid. „An einem Nachmittag…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 111 119 „Bewunderung und…“: Ibid., S. 126 „Ich erinnere mich…“: Ibid. „Goethe war kein…“: Ibid., S. 95 120 „ergriff ihn…“: Walwei-Wiegelmann, S. 50 „[…] nun, man muß sagen…“:Ibid. „kein Musikfreund“: Deutsch, Erinnerungen, S. 95 „die ganze Fülle…“: Walwei-Wiegelmann, S. 175 „Wer Musik nicht…“: Ibid., S. 55 „[…] aus denen Kehlen der…“: Ibid., S. 230 „Vorliebe für…“: Ibid. „Ich kenne Musik…“: Ibid., S. 31 „Ton- und Gehörloser…“: Ibid., S. 141 121 „ungeheure Gewalt“: Ibid. „in den Strudel“: Ibid. S. 35 „[…] denn die große Erregbarkeit…“: Ibid., S. 36 „Wunder, das nicht…“: Ibid., S. 191 „[…] alles geht durchaus…“: Ibid., S. 46 „die Verirrungen…“: Ibid. „[…] die in jeder Strophe…“: Ibid., 144 „das Gedicht begleiten…“: Ibid., S. 137 „in die Stimmung…“: Ibid., S. 140 „alles sogenannte Durchkomponieren“: Ibid., S. 144 „nur die Stimme…“: Ibid., S. 73 f. 122 „in die jeder…“: Dürr, S. 26 „Seine Kompositionen…“: Fisch, S. 57 „Das Originale…“: Walwei-Wiegelmann, S. 137 „Deine Kompositionen fühle…“: Ibid. „Einige Lieder, von…“: Deutsch, Dok., S. 118 123 „Sr. Exzellenz…“: Ibid., S. 122 „die Musik satt…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 111 „jungen Genies“: Ibid. „Er trat um…“: Ibid. 124 „überall das große Wort“: Ibid., S. 199 „Vor Schuberts Genius…“: Ibid., S. 44 „Vogl war gegen jedermann…“: Ibid. „hinreißend, tiefergreifend…“: Ibid., 94

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Anmerkungen

„Schubert mußte sich…“: Ibid. „Die Art und Weise…“: Deutsch, Dok., S. 314 „Ich lebe und komponiere…“: Ibid., S. 62 „[…] in Zseliz muß ich…“: Ibid., S. 66 „Die mich umgebenden…“: Ibid., S. 67 „die Freiheit nur…“: Ibid., S. 71 „Bonzenheer“: Ibid. „Du, Ignaz bist noch…“: Ibid., S. 75 „trüben Stunden“: Ibid., S. 258 „jenes fatale Erkennen…“: Ibid., S. 250 „Wenn Vogl oder Schönstein…“: Ibid., S. 114 „Als […] niemand Miene machte…“: Ibid., S. 115 „immer höchst erfreulich…“: Ibid., S. 21 „Alle diese waren…“: Ibid., S. 111 „Da wurden eine Menge…“: Deutsch, Dok., S. 115 „Schon der Vortrag…“: Deutsch, Erinnerungen, S. 90 f. „So ließen wir…“: Ibid., S. 91 „Dieses eigentlich undankbare…“: Ibid. „in einem ganz originellen Geiste“: Deutsch, Dok., S. 175 „genialen Tondichter…“ Ibid. „In der Frage des Eigentums…“: Ibid., S. 194 „[…] ich fühle mich als den…“: Deutsch, Dok., S. 234 „Meine Erzeugnisse sind…“: Ibid., S. 233 „heiteren Gemüthes“: Ibid., S. 250 „Heiterkeit doch oft…“: Ibid., S. 258 „manchmahl sehr elende…“: Ibid. „Nur Dir, o heil’ge…“: Ibid., S. 259 „Schubert ist gesund…“: Ibid., S. 275 „Euer Exzellenz!…“: Ibid., S. 288 „Sendung von Schubert…“: Ibid., 290 V. „Hochbeglückt, schmerzentrückt“

132 „Lebwohl!…“: Wapnewski, S. 132 Wesendonck: Die Schreibweise mit ck entspricht dem damaligen Gebrauch der Familie. Erst Wesendoncks Sohn Karl veränderte den Namen in „Wesendonk“. Diese Schreibweise wurde in Briefausgaben eingeführt und in der Wagner-Literatur üblich. 133 „Oft könnte ich…“: Familienbriefe von Richard Wagner 1832–1874 (im Folgenden: Familienbriefe), S. 70 134 „dämonischen Begriff…“: Gregor-Dellin, S. 239 135 „Was für einer…“: Ibid., S. 283 „frei von der Welt…“: Ibid.

Anmerkungen

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„ohne Anstellung…“: Wagner, Mein Leben (im Folgenden: Leben), 2. Teil, S. 279 „nicht allen Ernstes…“: Ibid., S. 287 „als elender Schriftsteller…“: Ibid. „Einige neue Bekanntschaften…“: Wagner, Sämtliche Briefe, S. 301 „[…] einer schönen Frau…“: Golther, Richard Wagner an Mathilde Wesendonk, Tagebuchblätter und Briefe 1853–1871 (im Folgenden: Tagebuchblätter), S. 9 „als Gegengabe…“: Gregor Dellin, S. 864 „Wißt Ihr wie das wird?“: Ibid., S. 371 f. „kleine Schwäche“: Erismann, S. 89 „An mir ist auch…“: Ibid. „Du wirst es…“: Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, S. 238 „Die persönliche Bekanntschaft…“: Voss, Richard Wagner Dokumentarbiographie (im Folgenden: Dok), S. 360 „die anmutige Frau…“: Wapnewski, S. 193 „Was er am Vormittage…“: Dok., S. 360 f. „Gib mir ein Herz…“: Golther (Tagebuchblätter), S. 9 „G[esegnet]…“: Gregor-Dellin, S. 381 „Ich wiederhole…“: Ibid., S. 387 „ Himmelsgeschenk…“: Dok., S. 352 „Was sind vor…“: Ibid., S. 353 „Da ich nun…“: Ibid. „Auf den Gegenstand…“: Wagner (Leben) 3. Teil, S. 83 f. „Über das Fehlerhafte…“: Ibid., S. 84 „Es war wohl…“: Ibid., S. 83 „Von einem Spaziergange…“: Ibid., S. 84 „unglückbringend“: Gregor-Dellin, S. 404 „Tristan bestimmter konzipiert“: Ibid. „Ich kann mich nicht…“: Kapp, S. 86 „großen Menscheitsrevolution“: Golther, Bd. 3, S. 29 „Asyl“: Wagner (Leben), 3. Teil, S. 134 „Tristan bereits…: Gregor-Dellin, S. 418 „Ich habe meinen…“: Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, S. 173 ff. „Wir waren uns…“: Wagner (Leben), 3. Teil, S. 140 „Liebe jener jungen Frau…“: Familienbriefe, S. 218 „weiblich anmutige…“: Gregor-Dellin, S. 420 „schönen Erscheinung“: Ibid. „hausbacken“: Ibid. „Abscheulich, fast…“: Erismann, S. 223 „ein gar eckliges…“: Ibid. „[…] diese Liebe, die…“: Familienbriefe, S. 218 „Du geleitetest mich…“: zitiert nach Wapnewski, S. 138 „Ein holdes Weib…“: Ibid. S. 138 f.

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Anmerkungen

„Ich bin dazu bestimmt…“: Gregor-Dellin, S. 866 „Ich hatte schon öfter…“: Ibid., S. 426 „So, lieber Freund…“: Kapp, S. 91 f. „Beginn der Moderne“: Gregor-Dellin, S. 427 „chromatische Ringen“, das „sehnsüchtige…“: Ibid. „Un-erhörte“: Ibid., S. 429 „sich auszurasen“: Ibid., S. 427 „Sehnender Minne…“: Wagner, Tristan und Isolde (im Folgenden: Tristan): S. 83 „höchste Verklärung“: Gregor-Dellin, S. 430 „Besseres als diese…“: Ibid., S. 431 „Morgenmusik“: Golther (Tagebuchblätter), S. 19 „Dazu hatte ich…“: Ibid. „Hochbeglückt, schmerzentrückt…“: Ibid., S. 73 „nachbarliche Verwirrung“: Gregor-Dellin, S. 431 „So ward noch nie…“: Erismann, S. 229 „Grünen Hügel“: Golther (Tagebuchblätter), S. 11 „komisch“: Erismann, S. 230 „Empfindlichkeit und Gereiztheit“: Dok., S. 355 „dummen Göthestreit“: Ibid., S. 356 „Liebe“: Ibid., „Sehnsucht: Ibid. „wunderbaren, heiligen Auge“: Ibid., S. 358 „Sei mir gut…“: Ibid., S. 358 f. „Nimm meine ganze…“: Ibid., S. 359 „Wäre ich eine…“: Gregor-Dellin, S. 435 „Mystifikationen“: Ibid. „Reinheit dieser Beziehung“: Ibid. „entsagt“: Golther (Tagebuchblätter), S. 79 „Doch war ich hierin…“: Ibid. „Sakrilegium“: Gregor-Dellin, S. 438 „dumm und unverstanden“: Ibid., S. 438 „absolut Glücklichen…“: Kapp, S. 32 „mein Kind“: Golther (Tagebuchblätter), S. 82 „Entsagung“: Ibid., S. 79 „Überwindung“: Ibid., S. 81 „dem Siege über…“: Ibid., S. 79 „Mein Kind…“: Ibid., S. 82 „Daß sie es aber…“: Gregor-Dellin, S. 439 „Träne“: Kapp, S. 29 „Lebwohl!...“: Wapnewski, S. 132 „[…] ertrinken, versinken…“: Wagner (Tristan), S. 209 „Ich bin dazu bestimmt…“: Gregor-Dellin, S. 866

Anmerkungen

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VI. „Ich bin krank vor Liebe…“ 155 „In der Nacht…“: Alma Mahler-Werfel, Erinnerungen an Gustav Mahler (im Folgenden: AME), S. 206 „Trotz meiner inständigen…“: Giroud, S. 103 „Ich brachte Mahler…“: AME, S. 200 156 „Einmal verbrachte ich…“: Giroud, S. 110 „Verbirgst du mir…“: de la Grange und Weiß, Briefe (im Folgenden: Briefe), S. 432 „Ich verstehe nicht…“: Giroud, S. 111 157 „An Herrn Direktor…“: Briefe, S. 442 „Ich habe gestern…“: Ibid., S. 443 „Mahler saß am…“: AME, S. 200 f. „Da es quasi…“: Briefe, S. 443 f. „Mein Herz blieb…“: AME, S. 202 f. 158 „Erbarmen!...“: Briefe, S. 445 „Er riß mich…“: AME, S. 201 159 „Durch meinen…“: Alma Mahler-Werfel, Mein Leben (im Folgenden: AML), S. 48 „So gewaltig war…“: AME, S. 27 160 „Das Mädchen ist…“: Giroud, S. 39 „Er bat mich…“: Briefe, S. 52 161 „Ich bin in einem…“: Ibid., S. 68 f. „Ich habe in…“: Ibid., S. 74 „Ich glaube…“: Giroud, S. 45 „Ich möchte jetzt…“: Briefe, S. 84 162 „Ich muß noch…“: Ibid., S. 85 „Liebste Justi!…“: Ibid., S. 86 „[…] ob ein Mensch…“: Ibid., S. 97 „Diese Hunde werden…“: Ibid., S. 94 „Ich gebe mir…“: Ibid., S. 101 163 „Ich schrieb ihm…“: AME, S. 47 „Du schreibst…“: Briefe, S. 108 164 „So warm kams…“: Ibid., S. 113 165 „Wir hätten uns…“: Ibid., S. 99 f. „[…] wir passen…“: Ibid., 115 f. „Seine Braut…“: Ibid., S. 120 „Ich bin die Tochter…“: AML, S. 13 166 „immer ernst“: Ibid., S. 16 „Sie hat einen Perpendikel…“: Ibid., S. 20 „irrlichternden Geistes“: Ibid., S. 21 „Wir waren beide…“: Ibid. „Du hast es…“: AME, S. 37

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Anmerkungen

„Diese Zähigkeit…“: Ibid., S. 31 „nach oben“: Ibid., S. 30 „besserem“: Ibid. „bemakelt“: Ibid. „Sie liebte einen…“: Ibid. „Fünf der kleinen…“: Ibid., S. 31 „Träumend ging er „: Ibid. „Ihr Sohn ist…“: Briefe, S. 21 „Schmerzenskind“: Ibid., S. 22 „[…] nun hatte die…“:AME, S. 35 „Tatsache ist…“: Briefe., S. 29 „Sie müssen vor allem…“: Ibid., S. 27 f. „Ich war jetzt…“: Ibid., S. 125 f. „Componirhäuschen“: Briefe, S. 409 „Krankenkost“: AME, S. 72 „Ich liebe Dich!“: Ibid., S. 73 „Ich weiß nicht…“: Briefe, S. 135 f. „Jetzt vergehe ich…“: Ibid., S. 136 „Mir ist oft…“: Giroud, S. 75 „Ich muß ein…“: Ibid., S. 79 „unendlich lieb…“: Briefe, S. 136 „Einmal kam…“: AME, S. 103 „Hab mich doch…“: Giroud, S. 78 „Man muß immer…“: Ibid. „Splendid Isolation“: AME, S. 79 „Ich fühlte mich…“: Ibid., S. 69 „Symphonie der Tausend“: die Bezeichnung soll von dem Münchner Konzertunternehmer Emil Gutmann stammen. „[…] vor 4 Jahren gieng ich…“: Briefe, S. 424 „Denken Sie sich…“: Tagespost, Nr. 150, 14. 6. 1914 „wie im Fieber“: AME, S. 131 „Ich habe eben…“: Briefe, S. 280 „Geschenk an…“: Specht, S. 252 „Alle meine früheren…“: Ibid. „Das, was uns…“: Briefe, S. 389 „Im Plato…“: Ibid., S. 430 „Er arbeitete…“: AME, S. 130 „Oft kann ich…“: Giroud, S. 88 „Ich lebe ja…“: Ibid. „Bei seiner Rückkehr…“: AME, S. 131 „8. Sinfonie – Aug. 1906…“: Briefe, S. 289 „Dieses war unser letzter…“: AME, S. 131 „[…] ich sah dieses…“: Ibid., S. 150

Anmerkungen

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„Das Leid hatte uns…“: Ibid., S. 158 „Niemand weiß…“: Giroud, S. 94 177 „MEINER LIEBEN FRAU…“: Briefe, S. 446 „Sie liebt mich…“: Ibid., 447 „Mein Liebling…“: Ibid., 446 „Mein Lebensathem…“: Ibid., 447 „Seine abgöttische…“: Giroud, S. 118 f. „Ich erlebe…“: Ibid., S. 118 „Ich habe Mahler…“: Blaukopf, S. 231 178 „Sie lieben…“: AME, S. 203 „Freuds Darlegungen…“: Ibid., S. 203 f. „Glaube mir…“: Briefe, S. 459 „Mein Geliebtes!...“: Ibid. S. 460 „Unfaßbar groß…“: AME, S. 208 VII. „Dem Andenken eines Engels“ 180 „Ewig geliebtes Almschi!…“: Perle, S. 7 „Es war ein…“: Werfel, S. 396 „Einmal in…“: Ibid. „Sie lag da…“: Ibid., S. 397 f. 181 „Es war einer jener…“: Ibid., S. 399 „Ostermontag – 22. April…“: Alma Mahler-Werfel: Mein Leben (im Folgenden: AML), S. 249 f. „ewig holde“: Ibid., S. 251 „Ganz Wien…“: Canetti, S. 188 „müde Dämmerehe“: Giroud, S. 158 „Deine ‚Frohe Ostern‘…“: Erich Alban Berg: Der unverbesserliche Romantiker (im Folgenden: EAB (R)), S. 142 182 „Glaub mir…“: Stephan, Alban Berg Studien (im Folgenden: ABST), Bd. I/2, S. 126 f. „Dieses bereits begonnene…“: Floros, Alban Berg. Musik als Autobiographie (im Folgenden: Berg) S. 326 183 „Meine Almschi!…“: Stephan, ABST I/2, S. 126 „Waldhaus“: EAB (R), S. 228 „Augenblicklich schreib’ ich…“: Redlich, 269 „Ich muss weitermachen“: zitiert nach Krasner, ABST, Bd. 2, S. 108 (Übers. v. Verf.) „in vager Vorahnung…“: Reich, S. 92 „In beiden Fällen…“: Redlich, S. 270 184 „Dass das Leben…“: Perle, S. 11 „Mein liebster Freund…“: Rufer, S. 45 „Nun aber wünsche…“: Nono-Schoenberg, S. 315 185 „Infolge der scheußlichen…“: EAB (R), S. 140 „selbstgewählten Exil“: Schibli, S. 19

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Anmerkungen

„wo’s wirklich schön ist…“: Erich Alban Berg, Alban Berg. Leben und Werk in Daten und Bildern, S. 49 „Ich gelte hier…“: Monson, S. 288 „Auf diesem Bilde…“: Reich, S. 91 „Schutzbund“: Ibid., S. 90 „Du glaubst gar nicht…“: Ibid., S. 90 „Was für ein Schicksal!…“: Redlich, S. 306 „Mittags, ½ 12…“: Helene Berg, Alban Berg: Briefe an seine Frau (im Folgenden: Briefe), S. 628 „Was sagst Du…“: Scherliess, S. 100 „Seit ich hier bin…“: Ibid. „Bei Tisch fragte mich…“: Briefe, S. 626 f. „Liebwerte Frau Direktor…“: Stephan, ABST I/2, S. 113 „Wir sind also…“: zitiert nach Reich, S. 85 „Hoffentlich wird was draus!“: Briefe, S. 632 „die ganze Komposition…“: Reich, S. 86 „Nach Durchsicht…“: EAB (R), S. 110 f. „Also wohlgemerkt…“: Ibid., S. 110 „In der 2. Maihälfte…“: Redlich, S. 307 f. „Mein lieber Freund…“: Reich, S. 86 „Nun möchte ich…“: Ibid. „Ich bin ganz ruhig…“: EAB (R), S. 112 „Nur eine gegnerische…“: Reich, S. 90 „Diese Kokain-Musik…“: Scherliess, S. 104 „Wir glauben…“: Ibid. „Es war eines der…“: EAB (R), S. 87 „Bereits bei…“: Ibid., S. 86 f. „Lausbub“: Ibid., S. 87 „Es liegen mehr…“: Ibid. „das weitaus Klangvollste…“: Ibid., S. 88 „Auch ich“: Ibid. „Das Ganze ist so…“: Reich, S. 39 „Ich wollte Ihnen…“: Nono-Schoenberg, S. 123 „ Meister“: Hilmar R., S. 97 „grenzenlose Ergebenheit“: Ibid. „eine Art Anbetung…“: Ibid. „wohlhabende Leute“: Ibid. „verpflichtet gefühlt…“: Ibid. „die Werke des Herrn Berg…“: Ibid. „Dieser noch nie…“: Ibid., S. 98 „Auf Grund des Paragraphen…“: Ibid. „Denk Dir…“: Ibid. „Mein Haupt-Charakterzug…“: Briefe, S. 540 „Als Alban Berg…“: Redlich, S. 329

Anmerkungen

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„ungemein scharf…“: EAB (R), S. 10 „stolzen und…“: Ibid. „Von Gestalt groß…“: Ibid. S. 10 f. „Conrad Berg…“: Ibid., S. 11 “Alles, was sie…”: Ibid., S. 13 „Nachdem er…“: Ibid., S. 14 „Bevor ich komponierte…“: Scherliess, S. 14 „Asthma-Anfälle…“: Floros (Berg), S. 22 „auf eine Schwäche…“:Ibid., S. 25 „Vielleicht ist das Ganze…“: Ibid. „tiefere, geistige“: Ibid., S. 28 „Geisteskrankheiten“: Ibid., S. 29 „ Soweit ich sie…“: Ibid., „Deutschen Sprache“: EAB(R), S. 42 „Was ihn so bescheiden…“: Ibid., S. 55 „[…] ich kann nicht sagen…“: Scherliess, S. 18 f. „Du, der Freund…“: Briefe, S. 353 „Du wirst nie glauben…“: Hailey, S. 39 „[…] mein Zweifel an mir…“: Floros (Berg), S. 20 „ein Problem…“: Hailey, S. 40 „lebenden Idealen“: Scherliess, S. 21 „Der erste Satz…“: Briefe, S. 238 „frenetische Liebesleidenschaft“: Floros (Berg), S. 144 „Als mein Vater…“: Ibid., S. 154 „Sehnsuchtsqual“: Ibid., S. 144 „Manchmal glaub’ ich…“: Briefe, S. 46 „Seelenpein“: Ibid., S. 78 „Einmal mußte…“: Ibid., S. 171 „geistige Minderwertigkeit“: Scherliess, S. 42 „pekuniäre Mittellosigkeit“: Ibid. „zerrüttete Gesundheit“: Ibid. „Verworfenheit“: Ibid. „heiligen Mahler“: Ibid., S. 424 „Seit Jahren waren…“: AML, S. 171 „es sie […] sehr wurmt“: Briefe, S. 626 „Bei Almschi war’s…“: Ibid., S. 345 „Alban Berg war sein…“: AML, S. 172 „weil Albans Leidenschaft…: Ibid, S. 355 „Alban Berg war sicher…“: Ibid., S. 326 „immer wieder alles…“: Scherliess, S. 35 „Die Schüler und Freunde…“: Reich, S. 34 „Sie sind bös…“: Floros (Berg), S. 28 „all die kleinen..“: Hilmar R., S. 112 „mit Recht“: Ibid.

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Anmerkungen

„Es ist nicht nur…“: Reich, S. 43 „sofort (auch nach…)“: Scherliess, S. 64 „untauglich“: Nono-Schoenberg, S. 132 „ewigen Schikanen…“: Scherliess, S. 61 „Saukrieges“: Ibid., S. 63 „Ich glaube…“ Ibid. „Infolge des jahrelangen…“: Hilmar, E., S. 20 „steckt doch auch…“: Floros (Berg), S. 188 „als dieser sanftmütige…“: Redlich, S. 329 „mehr denn je…“: Redlich, S. 304 „ganz der Musikschriftstellerei…“: Reich, S. 48 „Das ist eine Oper!!…“: Hilmar, E., S. 26 „größte Lust…“: Scherliess, S. 72 „Da die Universal-Edition…“: AML, S. 77 „Kein Verleger…“:Reich, S. 52 „Erfolgsjahr“: EAB (R), S. 98 „Anton von Webern…“: Ibid., S. 99 „Ich habe das bestimmte…“: Floros (Berg), S. 41 „einen großen Sieg…“: Scherliess, S. 73 „Nach dem stürmischen…“: EAB (R), S. 99 „Franz Werfel und ich…“: AML, S. 172 „Am Premierenabend…“: Reich, S. 56 f. „Als ich gestern…“: Ibid, S. 57 f. „Kaum je…“: Ibid., S. 58 „Geh zu keiner Sitzung…“: Briefe, S. 533 „Du schaust so schlecht…“: Floros. Alban Berg und Hanna Fuchs (im Folgenden: Hanna), S. 34 „heiligstes Geheimnis“: Ibid., S. 37 „Heut’ noch komme ich…“: Perle, S. 3 „Wir selbst…“ Floros (Hanna), S. 38 „Wie könnte ich…“: Briefe, S. 540 „die nun schon monatelang…“: Floros (Hanna), S. 34 „trotz allem bereit…“. Ibid., S. 38 „Schonung und nicht…“: Ibid., S. 39 „Freiheiten“: Floros (Berg), S. 235 „ein kleines Denkmal…“: Ibid. „[…] ich fühle immer deutlicher…“: Floros (Hanna), S. 77 „gespaltenen Menschen“: Ibid., S. 82 „äußerliche Schicht“: Ibid., S. 83 „der sich im Lauf…“: Ibid. „Trostlosigkeit“: Ibid., S. 87 „endlosen Qualen“: Ibid., S. 78 „tiefster Einsamkeit“: Ibid. „hoffen, hoffen…“: Ibid., S. 88

Anmerkungen

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„die Welt…“: Ibid. S. 89 „die nicht nur…“: Ibid., S. 90 „unüberwindlichen…“: Hilmar, E., S. 59 „erledigt“: Ibid., S. 56 „Ich habe tatsächlich…“: Perle, S. 10 f. „Die Aufnahme war…“: Hilmar, E., S. 60 „Das Märchen von…“: Scherliess, S. 76 „was es für mich bedeutet…“: Hilmar, E., S. 61 „Einen solchen Erfolg…“: Ibid., S. 67 „reinen Menschlichkeit“: Floros (Berg), S. 43 „Selbst, als er…“: Heinsheimer, S. 462 „Er war …“: Canetti, S. 218 „Alban hat keine…“: Perle, S. 4 „Es ist ein wunderbar…“: Ibid., S. 5 „7. und 8. Oktober…“: Ibid. S. 5 „So sehen wir…“. Ibid., S. 6 „[…] wenn es…“: EAB(R), S. 141 „Berg erklärte…“: Heinsheimer, S. 467 „Seine Reaktion…“: Krasner; ABST, Bd. 2, S. 110 (Übers. v. Verf.) „Und dann habe ich…“: Laugwitz, S. 1057 „… nach zweijähriger…“: EBA (R), S. 141 „in einem vorher noch…“: Reich, S. 92 „…Vielleicht nur das Eine…“: Stephan, Alban Berg. Violinkonzert (1935), (im Folgenden: Berg), S. 37 „Nachdem er mir…“: Reich, S. 93 „Für Berg muß…“: Laugwitz, S. 1057 „Symbol der Ergebung…“: Forneberg, S. 249 „Katastrophe“: Reich, S. 92 „die ganze Zeit über…“: Ibid., S. 378 „[…] dann war ich…“: Redlich, S. 269 „Ich bin darüber…“: Stephan (Berg), S. 38 „Wie ein Rasender“: Ibid., S. 39 „der unerwartet raschen…“: Reich, S. 93 „Er besprach damals…“:Ibid. S. 94 „Dem Andenken eines Engels…“: Stephan (Berg), S. 44 f. „Geburtstagshuldigung“: Floros (Berg), S. 327 „Soweit überhaupt…“: Ibid. „Wie gerne hätten wir…“: Perle, S. 7 „Noch bevor ich…“: Reich, S. 94 „Wesenszüge des jungen…“: Ibid.: S. 92 „verträumt“: Floros (Berg), S. 329 „come una pastorale“: Redlich, S. 278 „ekstatisches Bekenntnis“: EAB (R), S. 144

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Anmerkungen

211 „Ganz deutlich ist…“: Reich, S. 175 „Der Gegensatz zwischen…“: Floros (Berg), S. 346 „lieben Erde“: Ibid. „Jenseits“: Ibid. „verschwiegenen Programm“: Floros, Neue Zeitschrift für Musik, S. 4 „Ist das Allegretto…“: Floros (Berg), S. 346 f. „Es ist genug!…“: Ibid., S. 352 f. „Schicksalszahl“: Ibid., S. 107 „unentrinnbar“: Ibid. „wie die sie begleitenden…“: Ibid. „Der Teil zählt genau…“: Ibid., S. 355 212 „Kurz vor seinem Tode…“: Harris, S. 205 (Übers. v. Verf.) VIII. „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott“ 214 „Beiliegend schicke…“: Strasser, S. 52 (Übers. v. Verf.) 215 „Ich glaube…“: Nono-Schoenberg, S. 410 „Ich habe vor…“: Ibid. „[…] ich wünschte…“: Ibid. „Ich arbeite hart…“: Ibid. „Ich habe mein…“: Strasser, S. 53 (Übers. v. Verf.) „Wenn Sie…“: Nono-Schoenberg, S. 410 „dass er so bald…“: Strasser, S. 53 (Übers. v. Verf.) 216 „besonders bedeutenden…“: Nono-Schoenberg, S. 406 „Herr Präsident…“: Reich, S. 279 ff. 217 „Deutsche, kauft nicht…“: Deutsches Historisches Museum, Bildnachweis Negativ Nr. Schorer 39/12 „Meine Volksgenossen…“: Dümling, „Original-Tondokumente“, CD 1, Nr. 15 „Stolz und das…“: Wulf, S. 40 218 „Einer, der wie ich…“: Ibid., S. 40 f. „Luftveränderung wegen…“: Nono-Schoenberg, S. 291 „Viele Menschen in…“: Ibid. „Sehr geehrter Herr…“: Wulf, S. 41 „Liebe Ottilie…“: Nono-Schoenberg, S. 291 219 „Wie lange wir…“: Hilmar, S. 328 „Benötige wegen…“: Stuckenschmidt, S. 333 „Höchste Geldnot…“: Ibid. „Vor uns…“: Nono-Schoenberg, S. 293 „Ich bin seit…“: Hilmar, S. 329 220 „Er hat mich…“: Stuckenschmidt, S. 336 „An den berühmten…“: Rufer, S. 55 „Es war zum Schluß…“: Nono-Schoenberg, S. 192 221 „Als ich ihn…“: Rufer, S. 48 „Wie oft sagte…“: Hahl-Koch, S. 90 „Lieber Herr Kandinsky…“: Ibid., S. 91

Anmerkungen

222 „Nie hätte ich…“: Ibid., S. 91 f. „ich liebe Sie…“: Ibid., S. 92 „Sie haben ein…“: Ibid., S. 92 f. „Lieber Kandinsky…“: Ibid., S. 93 ff. 223 „sehr aufopfernd…“: Nono-Schoenberg, S. 12 224 „Die Aufregung…“: Freitag, S. 9 „[…] keinesfalls kann ich…“: Ibid., S. 7 „Im Gegensatz…“: Nono-Schoenberg, S. 12 f. „Erst als ich…“: Ibid., S. 18 „Die Ehe scheint…“: Stuckenschmidt, S. 24 „Wie kann ein…“: Hahl-Koch, S. 94 ff. 225 „Hätte man…“: Krockow, S. 99 „[…] weil ich noch nicht…“: Hahl-Koch, S. 93 „Wenn wir ans Ruder…“: Fest, S. 221 „Der Antisemitismus…“: Ibid, S. 167 226 „[…] das unwillkürlich…“: Golther, Bd. 5; S. 67 „Aber bedenkt…“: Ibid., S. 85 „1916 – als österreichischer…“: Ringer, S. 153 (Übers. v. Verf.) „Schwindler“: zitiert nach Floros, S. 37 „Irrsinniger“: Ibid. „elende Katzenmusik“: Ibid. „Wir machen dem…“: Zeitschrift für Musik, 86 (1919), S. 43 „Das atonale Chaos…“: (Pfitzner) S. 115 227 „Zersetzung“: Floros, S. 37 „undeutscher [und] bolschewistischer“: Ibid., S. 36 „naturwidrig“: Ibid. S. 37 „deutscher vaterländischer Musik“: Ibid. S. 36 „gesund [und] natürlich“: Ibid. „Es ist also…“: Ibid. S. 40 „Undeutschen“: nähere Erläuterungen in Kolland, S. 147–167 „Was habe ich…“: Hahl-Koch, S. 95 „Satanismus“: Floros, S. 37 „Verbrecher“: Ibid. „gemeingefährlicher Schädling“: Ibid. „Anerkennung tut wohl“: Stein, S. 124 228 „Die Berufung…“: Heuß, S. 583 ff. „Verirrungen“: Ibid. „Jeder Kenner der…“: Ibid. „Denn darüber ist…“Ibid. „Impotenz“: Ibid. „Wurzellosigkeit“: Ibid. „Epigonentum“: Ibid. „Gehirn-Tonsysteme“: Ibid.

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Anmerkungen

„Gerade die nicht…“: Ibid. „Die Tage der jetzigen…“: Ibid. „Ich war von der Kritik…“: Nono-Schoenberg, S. 339 „Mir war sie…“: Mäckelmann, S. 42 „Moses, dem Gott…“: Ibid., S. 77 „Das jüdische Volk…“: Ibid., S. 97 f. „Ich selbst habe…“: Ibid., S. 151 „Alles, was ich…“: Stein, S. 154 „zu den Hakenkreuzlern…“: Ibid., S. 178 „eine gewisse Depression…“: Ibid., S. 182 „[…] ich bin entschlossen…“: Hilmar, S. 329 „Ich halte das…“: Ibid. „Ich beabsichtige…“: Mäckelmann, S. 229 „Ich möchte…“: Ibid. „Warum wir Juden…“: Arnold Schönberg Center, Heimat, T. 15.07 „in der Wildnis“: Ibid., Meine „Berechnungen“, T. 15.07 „Da man aber…“ Ibid. „Ich will sie…“: Ibid., Einheitspartei, T. 15.07 „Auf Grund der…“: Wulf, S. 42 „Man hat mich…“: Stein, S. 199 „Ich bin gezwungen…“: Hilmar, S. 330 „Ich kann nicht…“: Ibid. „Man erwartet vielleicht…“: Stein, S. 206 f. „Für wen soll man…“: Ibid., S. 221 „Leider ist das…“: Ibid., S. 214 „[…] seit wenigstens…“: Hilmar, S. 56 „Nimm sie bitte…“: Schiedermair, S. 202 „froh und stolz…“: Hilmar, S. 60 „[…] dieses Programm bezweckt…“: Ibid., S. 56 „[…] der Kampf gegen den…“: Mäckelmann, S. 261 „Kraftverschwendung“: Ibid., S. 262 „Nichts gegen Deutschland…“: Ibid. „Gesetz über die…“: Fest, S. 754 „Entartete Kunst“: Lüttichau, S. 83 „Entartete Musik“: Dümling, S. 9 „wahrer Hexensabbath“: Fischer-Defoy, S. 152 „1. Der Kampf…“: Mäckelmann, S. 312 (Übers. v. Verf.) „[…] die Zeit der Worte…“: Ibid., S. 327 (Übers. v. Verf.) „Ich will Sie…“: Nono-Schoenberg, S. 381 „Mich erschüttern…“: Stein, S. 219 „Ich benötige…“: Nono-Schoenberg, S. 381 „Sie können sich…“: Ibid. „Wir haben gestern…“: Ibid. „Kunst ist der Notschrei…“: Die Musik, 9 (1909/10), S. 159

Anmerkungen

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„Ich habe nichts…“: Litwin, S. 26 „Mir kam sogleich…“: Ibid. „Lord Byron…“: Ibid., S. 28 „Dort schossen…“: Crittenden, S. 238 (Übers. v. Verf.) „wirklich ein Pendant…“: Ibid., S. 239 (Übers. v. Verf.) „Als die Russen…“: Ibid. „Ich hab’ auch …“: Schwarberg, S. 88 „Es gibt keinen…“: Ibid., S. 31 „Es wurde systematisch…“: Ibid., S. 40 f. „Ich habe vor…“: Nono-Schoenberg, S. 410 „[…] ich war praktisch…“: Reich, S. 278 „Es wurde mir…“: Ibid. „Ich bin von einem…“: Stuckenschmidt, S. 435 „Ich hab irgendetwas…“: Ibid., S. 436 „Der Stiftungsrat…“: Arnold Schönberg Center, LT: K 19 (Übers. v. Verf.) „Was für ein…“: Ibid. (Übers. v. Verf.) „Dr. Koussevitzky…“. Ibid. (Übers. v. Verf.) „Erzähler: …“: Schmidt, S. 176 „Dieser Text basiert…“: Nono-Schoenberg, S. 410 „[…] er stellt zuerst…“: Muxeneder o. S. „Ich nämlich halte…“: Arnold Schönberg Center, Judenfrage I, T 15.09 „Wenn Sie eine…“: Ibid., LT: K 19 (Übers. v. Verf.) „das der Form…“: Ibid.

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